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German Pages 224 Year 1973
Linguistische Arbeiten
7
Herausgegeben von Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner
Rolf-Albert Dietrich
Sprache und Wirklichkeit in Wittgensteins Tractatus
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1973
ISBN 3-484-10181-4 Max Niemeyer Verlag Tübingen 1973 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie] zu vervielfältigen. Printed in Germany
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
1
EINLEITUNG: Die Struktur des Tractatus
5
DIE BEGRENZUNG DES DENKENS IN DER SPRACHE
8
I. DIE WELT
8
II.
1. Die Welt als Gesamtheit der Tatsachen a. Gegenstand und Tatsache b. Die Tatsachen im logischen Raum
8 8 18
2. Sachverhalte a. Sachverhalte sind keine Tatsachen b. Sachverhalte und Gegenstände c. Form und Struktur der Sachverhalte
20 2O 26 27
3. Gegenstände a. Gegenstände, Eigenschaften, Relationen b. Der Gegenstand ist einfach c. Gegenstände im Sachverhalt d. Gegenstände als Substanz der Welt
30 3O 33 4l 42
DIE BILDTHEORIE
1. Die allgeitEine Bildtheorie a. Bilder der Tatsachen b. Rarmen der Bilder c. Wahre und falsche Bilder
45
45 45 53 61
2. Der Gedanke
a. Der Gedanke als logisches Bild der Tatsachen
63
b. Der Satz als Ausdruck der Gedanken
67
3. Die Sprache a. Logische Syntax
69 69
b. Satz und Satzzeichen
71
c. Namen
73
d. Ausdruck, Variable, Satzvariable
77
e. Zeichen und Synbol
85
4. Der Satz als Bild der Wirklichkeit a. Satz und Wirklichkeit b. Bemerkungen zu einer Diskussion über die Bildtheorie
III.
63
85 87 88
c. Der Sinn des Satzes
93
d. "Zeigen" und "Sagen"
95
ELEMENTARSÄTZE
1. Satz und Elementarsatz
97
97
a. Satz und Elementarsatz in den "Notes on Logic"
98
b. Satz und Elementarsatz in den Tagebüchern
99
c. Satz und Elementarsatz im Tractatus 2. Elementarsatz und Wirklichkeit a. Gegenstand und Name b. Der Elementarsatz als Funktion der Namen
3. Wahrheitsmöglichkeiten a. Sachverhalt und Elementarsatz b. Wahrheitsnöglichkeiten
IV. WAHRHEEISFUNKTIONEN
1. Der Satz ist eine Wahrheitsfunktion der Elementarsätze
100 1O3 103 1O6
108 109 110
112
112
a. Wahrheitsbedingungen
112
b. Wahrheitsgründe
114
c. Wahrscheinlichkeit
115
2. Wahrheitsoperationen a. Operation und Wahrheitsoperation b. Anwendungen der Operationen c. Die Anwendung der Operationen ' ( auf Elementareätze d. Allgemeinheit
117 118 119 W) ( ,
)'
3. Die allgemeine Form des Satzes a. Die Bemerkungen über allgemeine Sätze in den Tagebüchern b. Die allgemeine Form des Satzes im Tractatus c. Die Bedeutung der allgemeinen Form des Satzes für die Begrenzung des Denkens in der Sprache
V. SPRACHE UND LOGIK
12O 121 124 125 128 131
133
1. Die Grenzen der Sprache a. Die universale Sprache b. Umgangssprache und formalisierte Sprache c. Die private Sprache und die Grenze in der Sprache
133 134 138 139
2. Logik a. Die Logik erfüllt die Welt b. Das logische Urzeichen gibt das Wesen der Welt an
147 147 149
3. Philosophie a. Die Philosophie ist keine Naturwissenschaft b. Alle Philosophie ist Sprachkritik c. Die Philosophie begrenzt das Unsagbare durch das Sagbare
ISO 151 152 154
DIE WELT ALS GANZES
I. VERIFIKATION
156
156
1. Zum Verifikationsproblem
156
2. Wittgensteins Unterscheidung von "Sagen" und "Zeigen" a. "Sagen" und "Zeigen" in Wittgensteins Schriften aus der Zeit vor der Entstehung des Tractatus b. "Sagen" und "Zeigen" im Tractatus
161 162 164
II.
III.
DAS METAPHYSISCHE SUBJEKT
170
1. Das empirische und metaphysische Subjekt
170
2. Solipsismus
175
DIE WELT ALS GANZES
18l
1. Der Sinn der Welt
184
2. Die Begrenzung der Welt durch die Ethik
186
3. Welt und Leben
189
4. Das Schweigen
191
Zeichen
193
Abkürzungen der zitierten Zeitschriften
195
Abkürzungen häufig zitierter Werke
196
Literaturverzeichnis
2O1
VORWORT
Es ist kennzeichnend für den Tractatus, daß Wittgenstein in ihm "Wirklichkeit" und "Sprache" mehrdeutig gebrauchte. Mit "Wirklichkeit" meinte er einmal die Welt, die er vorfand. Zum anderen war die Welt die "Wirklichkeit" in seiner Beschreibung eben dieser Welt. In Satz T.4.0O1 behauptete Wittgenstein, daß die Sprache die Gesamtheit der Sätze sei. Er unterschied im Tractatus sinnvolle (Wahrheitsfunktionen), sinnlose (Sätze der Logik) und unsinnige (Sätze der Metaphysik) Sätze. Die Wahrheitsfunktionen sollen die Beschreibung der Welt, die wir vorfinden, leisten. Die Sätze der Logik und die metaphysischen Sätze haben mit der Begründung dieser Beschreibung.zu tun. Selbst.beschreiben sie nichts. Aus den Tagebüchern und verschiedenen biographischen Bemerkungen kann ich entnehmen, daß die Wahrheitsfunktionstheorie des Tractatus (T.4.1-6), eine logische Syntax der Sprache im Sinne Camaps , Ausgangspunkt der Überlegungen Wittgensteins war. Er knüpfte dabei an Arbeiten G. Freges (Begriffsschrift) und B. Rüssels (Principia Mathematica) an. Die Bildtheorie des Tractatus (T.2.1-4) gibt eine semantische Interpretation der Wahrheitsfunktionstheorie. Sie ordnet Namen, Elementarsätze und Wahrheitsfunktionen den Gegenständen, Sachverhalten und Sachlagen der Wirklichkeit zu. Das Ergebnis ist die Ontologie des Tractatus (T.1-2), die, vorläufig behauptet, ein Weltbild und nicht die Welt, die wir vorfinden, darstellt. Ich kann die Auffassung nicht teilen, daß die Beziehung von Welt und Sprache im Tractatus als "Abbildung" oder "projektiv" dargestellt würde, "gleichsam nach dem Modell eines ungeheuren semantischen Lexikons mit Irisch-grammatischer Anleitung, nach dem wir Laut- und Schriftzeichen in Gegenstände und Sachverhalte der empirischen Wirklichkeit übersetzen können und umgekehrt". Q
Vgl. Tb und zur Entstehung des T.: "Ludwig Wittgenstein. A Memoir. By Norman Malcolm. With a Biographical Sketch by G.H.v. Wright". Oxford Univ. Press 1958. pp. 7-8. Carnap, R . : Logische Syntax der Sprache. (Schriften zur wiss. Weltauffassung Bd.8). Wien 1934 Kambartel, F.: Erfahrung und Struktur. Frankfurt/M. 1968
Die "Wirklichkeit" existiert im Tractatus meiner Meinung nach ausschließlich als Begriff der Qntologie (als "formaler Begriff", wie Gegenstand, Name usw.). Es ging Wittgenstein darum zu zeigen, daß die Sprache nur einen Berührungspunkt mit der Welt, die wir vorfinden, hat: die Logik. Ich muß auch der Annahme widersprechen, Wittgenstein sei im Tractatus von 4 ontologischen Vorstellungen ausgegangen. Die Qntologie des Tractatus wurde von Wittgenstein zuletzt geschrieben und der Bildtheorie, als deren Ergebnis, vorangestellt. Ich werde zu zeigen versuchen, daß die Bildtheorie nicht als "realistische Semantik" aufgefaßt werden kann. Zwei Texthinweise mögen hier genügen: 2.15
Daß sich die Elemente des Bildes in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten, stellt vor, daß sich die Sachen so zu einander verhalten. Dieser Zusammenhang der Elemente des Bildes heiße seine Struktur und ihre Möglichkeit seine Form der Abbildung.
2.151 Die Form der Abbildung ist die Möglichkeit, daß sich die Dinge so zu einander verhalten, wie die Elemente des Bildes.
Die Qntologie des Tractatus als Ergebnis der semantischen Interpretation der Wahrheitsfunktionstheorie korrespondiert direkt mit dem metaphysischen Schluß des Tractatus. Satz l und 7 gehören auf eine noch zu erläuternde Weise zusarrmen. Gerade aber den Zusanmenhang von Qntologie und Metaphysik des Tractatus hat man in den Interpretationen gern verschwiegen. Es könnt darauf an, zu zeigen, warum zwischen Sätzen wie den folgenden, eine für den Tractatus notwendige Verbindung besteht: Die Welt ist
die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge. ( 1 . 1 )
Der ganzen modernen Weltanschauung liegt die Täuschung zugrunde, daß die sogenannten Naturgesetze die Erklärungen der Naturerscheinungen seien. (6.371) Der Sinn der Welt muß außerhalb ihrer liegen (6.41)
Mir scheint, Wittgenstein hatte im Tractatus eine wissenschaftstheoretische Position erreicht, die später bei der Diskussion des Verifikations- und Falsifikationsproblems und bei der Auseinandersetzung des logischen Positivismus mit der dialektischen und hermeneutischen Philosophie zu wenig beachtet wurde, da g man immer die "Spätphilosophie" überbewertete. 4 5 6 7 8
Kutschera, F.v.: Sprachphilosophie. München 1971. Bes.3.1.3 u. 3.4. Vgl. die Kommentare zu den entsprechenden Abschnitten. v. Kutschera a.a.O. S. 138 s. Einleitung S.6 Vgl. Dietrich, R . : Zum Gesellschaftsbezug ling. Aussagen.-In:Ling.Berichte 21
Der Gesamtaufbau des Tractatus stellt sich so dar: φ
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Die Welt die ich vorfinde
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Es wird inner wieder behauptet, Wittgenstein habe die ontologischen Voraussetzungen des Tractatus in seiner späteren Philosophie, z.B. in den Philosophiq sehen Untersuchungen, aufgegeben. So schreibt z.B. v. Kutschera: Es gibt nun für Wittgenstein nicht mehr eine Wirklichkeit an sich, die durch die Sprache nur abgebildet wird, deren Strukturen sich also nach den ontologischen Strukturen zu richten haben, wenn sie diese Abbildung leisten sollen, sondern erst in der sprachlichen Beschreibung erschließt sich uns die Welt.
Für den Tractatus trifft genau das zu, was v. Kutschera für die Spätphilosophie Wittgensteins anninmt: Die "ontologischen Strukturen" sind "Projektionen der primär gegebenen sprachlichen Strukturen, in denen wir über die Welt reden." Der unterschied zwischen Tractatus und Philosophischen Untersuchungen ist ein ganz anderer. Im Tractatus vertrat Wittgenstein einen logisch-doomatischen Standpunkt: Wirklichkeit und (sprachliches) Bild der Wirklichkeit haben dieselbe logische Form. Diese zeigt sich allein in der Sprache. Die Logik ermöglicht uns, von der Sprache auf die Weltlogik zu schließen. In den Philosophischen Untersuchungen suchung« wird der logische Dogmatismus aufgegeben und darin liegt der Unterschied: Das einzige Korrelat in der Sprache zu einer Naturnotwendigkeit ist eine willkürliche Regel. Sie ist das Einzige, was man von dieser Naturnotwendigkeit in einen Satz abziehen kann. Welche Art von Gegenstand etwas ist, (Theologie als Grammatik).
sagt die Grammatik
Wie alles Metaphysische ist die Harmonie zwischen Gedanken und Wirklichkeit in der Grammatik der Sprache aufzufinden.*
Auch der Weg dieses Wandels läßt sich in den Philosophischen Untersuchungen aufzeigen. In direktem Bezug auf T.4.5 heißt es dort: Man glaubt, wieder und wieder der Natur nachzufahren, und fährt nur der Form entlang, durch die wir sie betrachten. Ein Bild hielt uns gefangen. Und heraus konnten wir nicht, denn es lag in unserer Sprache, und sie schien es uns nur unerbittlich zu wiederholen.
9 10 11 12 13 14 15 16
Kutschera, F.v.: Sprachphilosophie. München 1971. S.22O ebendort. vgl. [WWK] S.182; Wittgensteins Bemerkung v.9.12.1931. [Phu]§ 372 [Phu]§ 373 [z] 55 Mit Bezug auf T.5.55-5.5571 vgl. [Phu] §§ 89-122. - Hinweise in: Lang, M. Wittgensteins Philosophische Grammatik. Diss. Phil. Köln 1971. [Phu] §§ 114 u. 115
EINLEITUNG: DIE STRUKTUR DES TRACTATUS
Wittgenstein schrieb seine logisch- philosophische Abhandlung in Form von numerierten Sätzen. Die Ordnung der Numnerierung erklärt eine Anmerkung im Tractatus: Die Dezimalzahlen als Nummern der einzelnen Sätze deuten das logische Gewicht der Sätze an, den Nachdruck, der auf ihnen in meiner Darstellung liegt. Die SKtze n . l , n . 2 , n . 3 , etc. sind Bemerkungen zum Satze No.n; die Sätze n . m l , n . m 2 , etc. Bemerkungen zum Satze No.n.m; und so weiter.
Diese Erklärung reicht nicht aus. Wenn die Sätze n.l,n.2,n.3, etc. Bemerkungen zum Satz No.n und die Sätze n.ml,n.m2, etc. Bemerkungen zum Satz No.n.m sind, müßte der Satz 2.01 eine Bemerkung zum Satz 2.0 oder der Satz 6.001 eine Bemerkung zum Satz 6.00 sein. Die Sätze 2.0 oder 6.00 existieren aber nicht. Sicher hat Wittgenstein gemeint, daß Satz 2.O gleich Satz 2 und Satz 6.OO gleich Satz 6 sei und somit Satz 2.Öl ein Kommentar zu 2 und 6.001 ein Kommentar zu 6. Nach Wittgensteins Anmerkung haben die Sätze mit der Nummerierung n.l,n.2,n.3, etc. ein größeres logisches Gewicht als die Sätze mit den Nummern n.ml,n.m2, etc. Wird nun z.B. der Satz 6 durch Sätze mit der Nummerierung 6.O01, etc., 6.Öl, etc., 6.1, etc., 6.11, etc., 6.111, etc. erläutert, so gehören diese Satzreihen verschiedenen Kategorien mit verschiedenem logischen Gewicht an. Sätze mit den Nummern 6.1, 6.2, etc., haben ein größeres logisches Gewicht als Sätze mit den Nummern 6.Öl, 6.02, etc., oder, 6.11,6.12, etc., und auf diesen liegt wiederum mehr Nachdruck als auf Sätzen mit den Nummern 6.0O1, 6.0O2, etc.,bzw. 6.111, etc. Hinter dieser Satznunmerierung liegt eine genaue Ordnung, die größte Aufmerksamkeit verdient. Die sieben Hauptsätze des Tractatus sind hiernach: 1 2 3
Die Welt ist alles, was der Fall ist. Was der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten. Das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke.
Meines Wissens hat zuerst D.S. Shwayder and 3) durch eine Analyse des T. dessen Arbeiten, etwa die von E. Stenius [WT], des T. vermitteln, habe ich mich an die Anmerkung zu T.l
in seiner Diss. [SWT] (Chapter 2 Struktur aufgewiesen. Da spätere keine neuen Einsichten zur Struktur Darstellung bei Shwayder gehalten.
4 5 6
7
Der Gedanke ist der sinnvolle Satz. Der Satz ist eine Wahrheitsfunktion der Elementarsätze. (Der Elementarsatz ist eine Wahrheitsfunktion seiner selbst). Die allgemeine Form der Wahrheitsfunktion ist: [p, l. N ( ) ] . Dies ist die allgemeine Form des Satzes. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.
Diese Hauptsätze geben die Hauptthemsn des Tractatus an: Welt - Tatsache - Sachverhalt, Bild - Gedanke - Satz, Elernentarsatz - Wahreitsfunktion - Allgemeine Satzforn, Schweigen. Die Sätze 2 - 6 nehmen jeweils einen Begriff des vorhergehenden Satzes auf und erläutern ihn durch einen neuen. Satz l kann keinen Begriff aufnehmen, da ihm kein Satz voraufgeht. Satz 7 folgt kein Satz. Durch ihre Anfangs- und Schlußstellung sind diese Sätze ausgezeichnet.
Wittgenstein
setzt a priori (so scheint es), daß es die Welt gibt und: über die Struktur dieser Welt kann man nichts sagen. Die Verknüpfung der Hauptsätze 1 - 7 durch Aufnahma eines zu explizierenden Begriffs aus dem vorhergehenden Satz wird recht deutlich, wenn man die Hauptkomnentare beachtet: 1 1.1 2 2.1 3 3.1 4 4.1 5 5.1 6
6.1 7
Die Welt ist alles, was der Fall ist. Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge. Was der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten. Wir machen uns Bilder der Tatsachen. Das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke. Im Satz drückt sich der Gedanke sinnlich wahrnehmbar aus. Der Gedanke ist der sinnvolle Satz. Der Satz stellt das Bestehen und Nichtbestehen der Sachverhalte dar. Der Satz ist eine Wahrheitsfunktion der Elementarsätze. (Der Elementarsatz ist eine Wahrheitsfunkton seiner selbst.) Die Wahrheitsfunktionen lassen sich in Reihen ordnen. Das ist die Grundlage der Wahrscheinlichkeitslehre. Die allgemeine Form der Wahrheitsfunktion ist: [p, , N ( )]. Dies ist die allgemeine Form des Satzes. Die Sätze der Logik sind Tautologien. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.
Diese Zusammenstellung gibt Aufschluß darüber, daß der Tractatus in die folgenden Hauptabschnitte gegliedert ist.3 I II III IV
Ontologie (1,1.1-2) (Welt, Gegenstand-Tatsache-Sachverhalt) Bildtheorie ( 2 . 1 - 4 ) (Bild-Gedanke-Satz) Wahrheitsfunktionstheorie (4.1-6) Elementarsatz-WahrheitsfunktionAllgemeine Satzform) Logik (6.1-7) (Das Unaussprechliche)
Vgl. Vorwort
Diese Einteilung soll auch zeigen, daß der Begriff, der jeweils aus einem Hauptsatz durch den nachfolgenden Hauptsatz aufgenommen wird, durch die zwischen den Hauptsätzen stehenden Sätze mit der Nummerierung n.l eingeführt wird. Die Sätze zwischen n und n.l erläutern n, die Sätze von n.l bis zum nächsten Wert von n führen zu diesem n. Habe ich z.B. Satz 6, so erläutern die Sätze 6.O01, etc., Satz 6. Ab Satz 6.1 führen die Bemerkungen jedoch zu Satz 7, d.h., daß die Sätze der Logik irgendetwas mit dem Schweigen zu tun haben, daß man Sätze der Logik nicht logisch begründen kann. Die Sätze n.ml, n.m2, etc. sind Konmentare zu den Sätzen n.m, sofern m nicht gleich O ist und der soeben gezeigte Fall der direkten Kcnmentare zu n eintritt. Die Struktur des Traktatus hängt selbstverständlich mit seinem Sinn zusammen. Wittgenstein beschreibt den Sinn seiner logisch-philosophischen Abhandlung im Vorwort: Das Buch will also dem Denken eine Grenze ziehen, oder vielmehr - nicht dem Denken, sondern dem Ausdruck der Gedanken [...] Die Grenze wird also nur in der Sprache gezogen werden können und was jenseits der Grenze liegt, wird einfach Unsinn sein.
Die Begrenzung der Gedanken nimmt Wittgenstein von der Wahrheitsfunktionstheorie aus vor. Die Wahrheitsfunktionen, nur diese sind "sinnvolle Sätze", stellen einen Teil der Sprache dar. Es gibt noch die Sätze der Logik, das sind "sinnlose Sätze" und die Sätze einer Begründung der Logik, die Wittgenstein "unsinnig" nennt. Die Grenzziehung "in der Sprache" wird also die Grenzziehung zwischen sinnvollen, sinnlosen und unsinnigen Sätzen sein. Ich gehe von These aus, daß die Interpretation der Wahrheitsfunkticnstheorie zur Bildtheorie und Qntologie führte. Die Überlegungen zur Rolle der Logik (Logik der Welt-Logik der Sprache) führten Wittgenstein zu einer Ablehnung der Typentheorie Russells und zu einer metaphysischen Begründung der Logik, die in die Nähe der Überlegungen Schopenhauers und Kants führt. Meine These, daß der Tractatus vom zentralen Abschnitt 4.1-6 her interpretiert werden muß, versuche ich durch einen fortlaufenden Kommentar der entscheidenden Sätze des Tractatus zu beweisen. Die These besagt zugleich, daß die cntologischen Strukturen ein Ergebnis, der semantischen Interpretation der Wahrheitsfunktionstheorie darstellen. T. Vorwort S.2
DIE BEGRENZUNG DES DENKENS IN DER SPRACHE
I. Die Vfelt
1. Die Welt als Gesamtheit der Tatsachen a) Gegenstand und Tatsache Wittgenstein beginnt seine logisch-philosophische Abhandlung mit einer bemerkenswerten ontologischen Unterscheidung: l 1.1 1.11 1.12
Die Welt ist alles, was der Fall ist. Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge. Die Welt ist durch die Tatsachen bestimmt und dadurch, daß es a l l e Tatsachen sind. Denn, die Gesamtheit der Tatsachen bestimmt, was der Fall ist und auch, was alles nicht der Fall ist.
Die Welt soll die Surtvne der Tatsachen, nicht der Gegenstände sein. Wittgenstein hat in den Jahren 1912-1914 Gespräche mit Bertrand Russell geführt, und es ist anzunehmen, daß auch über "Gegenstände" und "Tatschen" gesprochen wurde.2 Russell hatte aber andere Vorstellungen als Wittgenstein: Max Black meint, Wittgenstein habe den ontologischen Teil des Tractatus zuletzt geschrieben ([CWT ] p . 2 7 ) . In der Tat zeigt Wittgensteins Theorie über Bilder und Wahrheitsfunktionen, daß "Gegenstand", "Sachverhalt", "Tatssche" formale Begriffe zu "Name", "Elementarsatz", "Satz", sind. - Vgl. auch: Ludwig Wittgenstein. A Memoir. By Norman Malcolm. With a Biographical Sketch by Georg Henrik von Wright, Oxford University Press 1958, pp·. 7-8 Anselm Müller: Ontologie in Wittgensteins 'Tractatus 1 , Bonn 1967. (= Diss. PhJl. Freiburg/Schweiz 1966). In Wittgensteins Tagebüchern (Tb.1.5.15g) findet sich ein Hinweis auf Russells Vorlesung aus dem Jahr 1914 "On Scientific Method in Philosophy" (abgedruckt in [ML! pp. 75-93). Max Black weist darauf hin, daß in der Vorlesung Russells "Logic as the Essence of Philosophy" (abgedruckt als Lecture II in [KEW] pp. 42-69) von 1914 ähnliche Gedanken erklärt würden ([CWT] p . 2 7 ) . Es ist deshalb wahrscheinlich, daß Russell mit Wittgenstein in dieser Zeit über "Tatsachen" und "Gegenstände" gesprochen hat. Auch die einleitenden Bemerkungen des Herausgebers zu [PLA] in[LK], S. 175-177, weisen darauf hin. Vgl. auch Russells Vorstellungen über "Object, thing, paticular" and "fact" in [PLA] S. 182-183, 189ff. , 198 u.a. Zur zeitlichen Entwicklung der Gedanken Russells s. Chapter I-III der D.Phil. Theses "Wittgenstein's Tractatus Logico-philosophicus and the picture theory of meaning" von V.M. Hope, Edinburgh 1965. Bertrand Russell: [KEW]p.60 (Lecture II: "Logic as the Essence of Philosophy". [KEW] pp. 42-69.)
The existing world consists of many things with many qualities and relations. A complete description of the existing world would require not only a catalogue of the things, but also a mention of all their qualities and relations.
Russell behauptet das, was Wittgenstein ausschließt: Die Welt besteht aus Gegenständen, die Eigenschaften und untereinander Relationen haben. Russell meint, von der Welt eine vollständige Beschreibung geben zu können, wenn er neben den Gegenständen auch deren Eigenschaften und Relationen wüßte. Er setzt also voraus, daß er sagen kann, was ein Gegenstand sei, ohne Eigenschaften und Relationen zu kennen. Gegenstände, Eigenschaften und Relationen sind für Russell einzelne Größen, die für sich bestiimibar sind. Sind die Gegenstände mit Eigenschaften oder Relationen gegeben, spricht Russell von Tatsachen (facts): 4 When I speak of a ' f a c t ' , I do not mean one of the simple things in the world: I mean that a certain thing has a certain quality, or that certain things have a certain relation.
Für Russell bestehen Welt und Beschreibung der Welt unabhängig voneinander:5 The things in the world have various properties, and stand in various relations to each other. That they have these properties and relations are f a c t s , and the things and their qualities or relations are quite clearly in some sense or other components of the facts that have those qualities or relations.
Aber das ist eben die Schwierigkeit: Wie erscheinen die Dinge der Welt, Gegenstände, Relationen, Eigenschaften, in der Tatsache? Was ist eine Tatsache? Russell meint in seiner Einleitung zum Tractatus, Tatsachen könnten, genau genonmen, nicht definiert werden. Wir können aber Aussagen über Tatsachen erhalten, wenn wir die Sätze, die Tatsachen behaupten, analysieren. Russell bildete eine Aussagenkette in seiner Vorlesungsreihe "The Philosophy of Logical Atomism".7 Die einfachsten vorstellbaren Tatsachen sind die, die das Bestehen einer bestimmten Eigenschaft eines einfachen Gegenstandes behaupten. Die nächst einfachen Tatsachen werden aus einer Relation zwischen zwei Tatsachen der ersten Stufe gebildet. Ist die Tatsache "This is white" ein Beispiel der ersten Stufe, so steht der Satz "This is to the left of that" als Beispiel der Tatsachen zweiter Stufe. Als dritte Stufe gibt Russell eine dreistellige Relation zwischen drei einfachen Gegenständen an. Beispiel: "A gives B to C". Die nächstfolgenden 4 5 6 7
[KEW] p. 6O Bertrand Russell: The Philosophy of Logical Atomism. 1918. T. p. XIII. [PLA] in [LK] p. 198-2OO
- in [LK] p. 192
10
Stufen werden dadurch gebildet, daß der Stellenwert der Relationen und die Anzahl der einfachen Gegenstände gleichmäßig erhöht werden. All diese Tatsachen nennt Russell "atomic facts", weil sie nicht weiter in Tatsachen zerlegt werden können. Sätze, die "atomic facts" ausdrücken, heißen "atomic propositions". Im "atomic proposition" steht für die Relation im "atomic fact" ein Prädikat. "Particulars" sind "terms of relations in atomic facts", "particulars" werden im Satz durch Eigennamen wiedergegeben. Russell versucht, den Übergang von den Gegenständen der Vfelt zur Tatsache, die diese behauptet, und von dort zum Satz, der die Tatsache darstellt, zu finden. Bei Wittgenstein stellt sich das problem der Verknüpfung der sprachlichen Form einer Tatsache mit ihrem Inhalt, dem Behaupteten, anders. Wittgensteins Welt besteht nur aus Tatsachen, außerhalb dieser Tatsachen gibt es nichts, real sind die Tatsachen, sie können deshalb auch nicht in Beziehung zu irgendeiner Realität außerhalb der Tatsachen stehen. Der Begriff "Tatsache" wird durch die Einführung eines neuen Begriffs definiert: 2
Was der Fall ist,
die Tatsache, ist
das Bestehen von Sachverhalten.
Die Tatsache ist das Bestehen von Sachverhalten. Es heißt nicht, daß die Tatsache ein Sachverhalt oder ein bestehender Sachverhalt sei. Wittgenstein arbeitet mit der substantivierten Infinitivform "Bestehen". Tatsachen haben also ausschließlich mit dem Bestehen von Sachverhalten zu tun. Aber Wittgenstein spricht von der Tatsache. Gibt es nur eine Tatsache, die das Bestehen von Sachverhalten ist? Die Tatsache ist, was der Fall ist. Die Welt ist alles, was der Fall ist. Es muß also mehr als eine Tatsache geben, und in der Folge muß es auch das Bestehen von Sachverhalten mehrfach geben. Wir können hieraus schließen, daß es mehr als eine Tatsache in der Welt gibt, und jede Tatsache ist das Bestehen von Sachverhalten. Was heißt, "ist" das Bestehen? "Tatsache" soll mit "das Bestehen von Sachverhalten" identisch sein, beide Ausdrücke müssen sich gegenseitig erg setzen lassen. Ich kann für "Der Satz zeigt das Bestehen von Sachverhalten" sagen "Der Satz zeigt eine Tatsache" oder "Der Satz zeigt Tatsachen". Satz 2.O6 erklärt das Verhältnis von Tatsache und Sachverhalt genauer. Das Bestehen von Sachverhalten ist eine positive, das Nichtbestehen von Sachverhalten eine negative Tatsache. Was der Fall ist, ist das Bestehen von Sachverhalten, das Nichtbestehen von Sachverhalten ist, was nicht der Fall ist. Wir erhalten zwei Identitätsketten: 8
T. 6.23. Zur Identitätsfrage siehe auch T.6.232-6.2323, T.5.53-5.534. Max Black [CWT] p. 29O
11 1
Was der Fall ist Tatsache
= das Bestehen von Sachverhalten = die positive
2
Was nicht der Fall ist negative Tatsache
= das Nichtbestehen von Sachverhalten = die
Man muß sich davor hüten, Begriffsidentitäten als Gegenstandsidentitäten zu denken. Identität ist keine Relation zwischen Gegenständen. Von zwei Gegenständen zu sagen, sie seien identisch, ist unsinnig. Wenn ich von einem Gegenstand sage, er sei identisch mit sich selbst, zum Beispiel "a=a", so sagt diese Aussage 9 überhaupt nichts über den Gegenstand. Bei Wittgenstein sind Sachverhalte aus Gegenständen gebildet, und er hat an der Stelle, an der er das Vorkamen der Gegenstände im Sachverhalt erläutert, die Schwierigkeit, die Russell bei der Erläuterung hatte, wie Gegenstände der Welt, die eine Tatsache bilden, im Satz repräsentiert werden. Es besteht aber ein wichtiger Unterschied: Russell nirnrtt Gegenstände, Eigenschaften und Relationen in der Tatsache und außerhalb der Tatsache, "in der Welt", an. Bei Wittgenstein gibt es keine Relationen, Eigenschaften, sondern nur Gegenstände im Sachverhalt. Zwischen Gegenstands- und Tatsachenbegriff liegt der Begriff Sachverhalt. Sachverhalte können bestehen oder nicht bestehen, das Bestehen können wir eine positive, das Nichtbestehen eine negative Tatsache nennen; positive und negative Tatsachen sind die Tatsachen, die die Welt bilden, sie sind Einzelaspekte der Welt, in der Suttme die Welt. Sätze über die Welt sind immer Sätze über Tatsachen. Über die Welt als Ganzes kann nicht gesprochen werden, wir müßten außerhalb der Welt sein, um über sie als Ganzes reden zu können. Man kann versuchen, von der Welt als Gesamtheit der Tatsachen ein Bild zu machen. Erik Stenius
erläutert die Welt an dem Beispiel eines "field of per-
ception" :
2 9
.5.5303-5.534 Erik Senius: [wr] pp.18-28. Stenius 1 Interpretation des Tractatus [WT]hat im deutschsprachigen Bereich besonderen Einfluß bekommen durch die Wiedergabe ihrer wichtigsten Gedanken (Ontologie, Bildtheorie, Metaphysik) durch Wolfgang Stegmüller in seinem Buch "Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie" (3. Aufl. Stuttgart 1965), Kapitel XI, "Ludwig Wittgenstein", S. 526-717. Da Stegmüller wesentlich die Thesen Stenius' erläutert und auf die im angelsächsichen Sprachbereich erfolgte Diskussion dieser Thesen nicht eingeht,
12
In dem Feld nennen wir drei Gegenstände wahr, sie haben die Eigenschaft, gleich breite Bänder zu sein, und die Relation, im gleichen Abstand voneinander zu stehen. Das Feld ('field of perception") hat eine bestimmte Struktur, die mir aber nicht durch die Aufzählung der Gegenstände, Eigenschaften und Relationen bekannt wird, sondern durch die Angabe der Tatsachen, wie sich Gegenstände, Eigenschaften und Relationen zueinander verhalten. Ich muß sagen, daß sich in dem Feld drei Gegenstände befinden, daß diese Gegenstände Bänder von gleicher Breite sind und in gleichem Abstand voneinander stehen. In den Tatsachen verhalten sich die Gegenstände, Eigenschaften und Relationen so zueinander, daß aus den Tatsachen die Struktur des Feldes erkennbar 1
Stenius
ist.
"field of perception" wird durch Tatsachen gegliedert und nicht durch
Gegenstände: "... the field of perception breaks up into simple facts". "The things and predicates
enter into the field of perception only as elements of
facts, and this is their function".
Für den Tractatus folgt daraus: "Thesis
1 can be taken as expressing that the field of perception is a 'whole' belonging to the catergory of facts; 1.1 expresses that the field of perception, seen in this way, is a totality of facts and not of things; and 1.2 expresses something we have already formulated; that the field of perception breaks up into facts"'. Das Beispiel des "field of perception" wird auf die Vfelt als Ganzes übertragen: "The world as a'fact 1 is also a whole which can be analysed in different ways into 'relevant facts"1.14 Stenius' Beispiel und die Interpretation dieses Beispieles verstoßen in zweifacher Hinsicht gegen die Sätze des Tractatus:
11 12 13 14 15
1
Wittgenstein behauptet nicht, daß die Welt als Ganzes eine Tatsache sei. Von der Welt als Ganzes ist in den Sätzen 1-2 des Tractatus überhaupt nicht die Rede. 1 5
2
Tatsachen haben bei Wittgenstein keine Elemente. Er unterscheidet nicht Gegenstände, Relationen, Eigenschaften. Der Einzige Zusammenhang zwischen
scheint mir das Kapitel über Wittgenstein, das Stegmüller schreibt, für ein Philosophie-geschichtliches Werk allzu einseitig und zur Einführung in die Schwierigkeiten des Tractatus wenig geeignet. Allzusehr tragen Stegmüllers Ausführungen die Züge einer Stenius-Rezension, wie er sie als Teil des Aufsatzes "Ludwig Wittgenstein als Ontologe, Isomorphietheoretiker, Transzendentalphilosoph und Konstruktivist" 1965 veröffentlichte. ([PhR] 13. Jg., Heft 2, November 1965, S. 116-152). Stenius nennt "relations" und !'qualities" "predicates". [WT] p. 24. Erik Stenius: [WT] p. 25 Erik Stenius: [WT] pp. 26-27. ebd. p. 27 Vgl. die Unterscheidung von "Welt", die ich vorfinde und von "Welt" als Wirklichkeit.
13 einer Tatsache und einem Gegenstand ist ein indirekter: Gegenstände bilden Sachverhalte, bestehende und nichtbestehende. Diese Sachverhalte heißen auch positive und negative Tatsache.
Stenius erklärt eher die Ansicht Russells über Tatsachen als cue Wittgensteins. Wittgensteins Aussagen sind eindeutig: (1) Die Tatsachen bestimmen die Welt. (2) Die Tatsache ist das Bestehen von Sachverhalten. (3) Die Tatsachen bestimmen, Fall ist.
was der Fall ist und was nicht der
(4) Tatsachen können positiv oder negativ sein. (5) Tatsachen sind
keine Sachverhalte. Die Erläuterung dieser Sätze soll durch eine Behauptung eingeleitet werden: "Tatsache" ist ein formaler Begriff, der mit "Es ist eine Tatsache, daß ..." umschrieben werden kann. Es gibt die Wslt, aber ich kenne nur die Welt als Bild meiner Sprache. "D i e 18 G r e n z e n m e i n e r S p r a c h e bedeuten d i e Grenzen meiner Welt". "Die Logik erfüllt die Welt; die Grenzen der Welt sind auch ihre Grenzen". 19 Die Elementarsätze beschreiben diese Welt nach den Regeln der Logik, diese ist ein Spiegelbild der Welt, die ich vorfand. Wittgenstein vergleicht die Logik, ist 21 die auch die Sprache beherrscht, mit einem Netzwerk.' In den Sätzen 1-2 ist von der Welt in diesem doppelten Sinn die Rede. Der Name "Welt" steht im Satz für die Welt, die ich vorfinde. Sie Sätze, in denen der Name "Welt" vorkonmt, erläutern die Vfelt, die ich vorfinde, gehören aber selbst zun Bild, das mir meine Sprache von der Welt gibt, das die Sprache von der Welt gibt. Alle Begriffe wie Welt, Tatsache, Sachverhalt, Elementarsatz, Name, Gegenstand usw. sind Teile des Sprachsystems, das die Welt abbildet. Die Möglichkeit, die "Welt" als Gesamtheit der "Tatsachen"22 darzustellen, gibt Wittgenstein selbst an. Die Welt ist alles, was der Fall ist,
16
17
18 19 20 21 22
das Bestehen
Stenius Unterteilung der Tatsachen in Elemente hat für seine Tractatus-Interpretation wichtige Folgen. Er faßt Gegenstände und Prädikate unter den Gegenstandsbegriffe, nimmt also an, daß verschiedene Gegenstände Sachverhalte bilden. Auch J. Griffin behauptet zu Unrecht, daß eine Tatsache eine Konfiguration von Gegenständen sei [WLA] p. 116. Ein Sachverhalt ist eine Konfiguration von Gegenständen! Meine Erläuterungen verdanke ich einer Anregung, die ich in Max Blacks Kommentar zu Satz T . 4 . 4 6 3 fand ([CWT] p, 2 3 3 ) . In D . S . Shwayders Dissertation [SWT] fand ich wertvolle Anregungen zur Ausführung (p. 433-436). T. 5.6. T. 5.61. T. 5.631. T. 5.511. Wenn von Welt, Tatsache als Begriff die Rede ist, gebrauche ich Anführungsstriche.
14
von Sachverhalten.23 Jeder Elementarsatz24 behauptet das Bestehen eines Sachverhalts.
25
"Ist der Elementarsatz wahr, so besteht der Sachverhalt; ist der Ele-
mentarsatz falsch, so besteht der Sachverhalt nicht".
"Die Angabe aller wahren
Elemsntarsätze beschreibt die Welt vollständig. Die Welt ist vollständig beschrieben durch die Angaben aller Elementarsätze plus der Angabe, welche von
ihnen wahr und welche falsch sind". 27 Die Angabe über Wahr- und Falschheit leistet die Wahrheitswerttafel. Sie gibt alle Möglichkeiten der Verteilung von Wahr- und Falschheit auf die Elementarsätze an. Sind 'n' Elementarsätze gegeben, so gibt es 2n Wahrheitsmöglichkeiten. Die Wahrheitsmöglichkeiten können in einer Tafel dargestellt werden. Für drei Elemantarsätze p, q, r gilt: 28 P W F W W F F W F
q
W W F
W F W F F
r W W W F W F F F
"W" bedeutet "wahr", "F" "falsch"; die Reihen der "W" und "F" unter der Reihe der Elementarsätze p, q, r bedeuten in leichtverständlicher Symbolik deren Wahrheitsmöglichkeiten. In unserem Beispiel haben wir acht (2 ) verschiedene Kombinationen. Diesen Kombinationen entsprechen ebensoviele Möglichkeiten der Wahrheit und Falschheit 23
. 1,2.
24
In der folgenden Diskussion wird der Begriff "Elementarsatz" verwendet. Elementarsätze sind die linguistische Entsprechung der Sachverhalte. Elementarsätze bestehen nur aus Namen. Namen bezeichnen Gegenstände (vgl. Abschnitt III dieses Kapitels). 25 T. 4 . 2 1 . 26 T. 4.25. 27 T. 4 . 2 6 . 28 Heute ist das folgende Schema üblich. Ich verwende jedoch Wittgensteins Schreibweise, um mir einige Zitate aus dem Tractatus zu erleichtern. W
W
W
W W W F F F
W F F W W F
F W F W F W
15
von drei Elementarsätzen. "Die Wahrheitsmöglichkeiten der Elementarsätze be29 deuten die Möglichkeiten des Bestehens und Nicht-bestehens der Sachverhalte". Wenn alle Elementarsätze gegeben sind und somit die Welt vollständig beschrieben ist, bedeutet jede Wahrheitsmöglichkeit (Zeile der "W" und "F" in einer universalen Werttafel) eine mögliche Welt. Jede Zeile der Wahrheitsmöglichkeiten stellt eine mögliche Kombination der wahren und falschen Elementarsätze dar und somit, welcher Sachverhalt besteht und welcher nicht besteht. Eine der 2n möglichen Kombinationen existiert und nennt zusammen mit den falschen die wahren Elementarsätze, die die bestehende Welt vollständig beschreiben. Eine mögliche Welt sei durch die drei Elementarsätze p, q, r vollständig beschrieben, sofern sie wahr sind. Es gibt 2 mögliche Welten, und die in der Wahrheitswettaf el= gekennzeichnete Wahrheitsmöglichkeit soll eine mögliche bestehende Welt repräsentieren. Von den drei Elementarsätzen ist einer wahr, r, er beschreibt diese Welt vollständig. Die Elementarsätze p und q sind falsch: ' ^ p' und ' ~ q 1 . Nun gibt es für n Elementarsätze 22 mögliche verschiedene Gruppen von Wahrheitsbedingungen. Für unser Beispiel der drei Elementarsätze p, q, r gibt es zum Beispiel folgende Wahrheitsbedingung: (1)
' ( W W F F W W F W) (p, q, r) '
Eine andere ist: (2) ' ( W W W F F W W W) (p, q, r) ' Die Wahrheitsbedingungen können in die Wahrheitswerttafeln aufgenommen werden: P
W F W W F F W F
q
W W F W F W F F
r W W W F W F F F
(D W W F F W W F W
Die so vervollständigte Wahrheitswerttafel ist ein Satzzeichen, das den Sinn eines Satzes offen zeigt, denn den Sinn eines Satzes definiert Wittgenstein als Übereinstimmung oder Nichtübereinstinmung mit den Wahrheitsmöglichkeiten,
29 T. 4.3. 30
Darstellung der Tabellen und Anordnung der Wahrheitsbedingungen sind von Wittgenstein übernommen. Vgl. T. 4.31, 4 . 4 2 , 4 . 4 4 2 , 4.45.
16
was gleichbedeutend ist mit der übereinstimnung mit den Möglichkeiten des Bestehens und Nichtbestehens der Sachverhalte. Wie leicht zu sehen ist, (1)
handelt es sich bei Beispiel (1) um die Satzform:
p o (q. r)
Die Wahrheitsbedingung (2) gibt folgende Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit den Wahrheitsmöglichkeiten an: P W F W W F F W F
q
W W F W F W F F
r W W W F W F F F
(2) W W W F F W W W
"Der Ausdruck der Übereinstimnung und Nichtübereinstimmung mit den Wahrheitsnöglichkeiten der Elemsntarsätze drückt die Wahrheitsbedingungen des Satzes aus. Der Satz ist der Ausdruck seiner Wahrheitsbedingungen". Es handelt sich im Beispiel (2) um die Satzform: (2)
(P . q O r) . ( ~ p . ~ qi ~ r)
Für die Wahrheitsrtßglichkeiten die die Wahrheitsbedingungen eines Satzes mit "W" kennzeichnen, ist der Satz wahr. Haben wir die universale Wahrheitswettafel mit den Wahrheitsmöglichkeiten aller Elementarsätze, so behaupten die Sätze, die die Wahrheitsmöglichkeit der bestehenden Welt für wahr erklären, eine Tatsache. In unserem Beispiel bedeutet die rot gekennzeichnete Wahrheitsmöglichkeit der 2 3 Wahrheitsmöglichkeiten die Angabe der Wahr- und Falschheit der Elementarsätze einer möglichen Welt, die besteht. Satz (1) ist für diese Wahrheitsmöglichkeit wahr. Er behauptet eine Tatsache. Satz (2) ist für diese Wahrheitsmöglichkeit falsch, er behauptet keine Tatsache. Wir haben schon gesehen, daß in der lYbdellwelt ein Elementarsatz wahr
ist,
nämlich 'r'. Das bedeutet, daß in dieser Welt ein Sachverhalt besteht, zwei Sachverhalte aber nicht bestehen. Es ist klar, daß jede andere der acht möglichen Welten unseres Beispiels möglich ist.
Welche Elementarsätze dann wahr und falsch
sind, welche Sachverhalte bestehen und nicht bestehen, ob unsere Satzbeispiele 32 Tatsachen sind oder nicht, das zeigt die Tabelle übersichtlich. 31 T. 4 . 2 , 4.3, 4 . 4 . 32 Wenn die Wahrheitsbedingungen für sämtliche Wahrheitsmöglichkeiten wahr sind, so sind sie tautologische, sind sie für alle falsch, so sind sie kontradiktorisch, T. 4.46.
17
Satz 4.463 zeigt die Stellung der Tatsache im logischen Raum: 4.463
Die Wahrheitsbedingungen bestimmen den Spielraum, der den Tatsachen durch den Satz gelassen wird. (Der Satz, das Bild, das Modell, sind im negativen Sinne wie ein fester Körper, der die Bewegungsfreiheit der anderen beschränkt; im positiven Sinne, wie der von fester Substanz begrenzte Raum, worin ein Körper Platz hat.) Die Tautologie läßt der Wirklichkeit den ganzen unendlichenlogischen Raum; die Kontradiktion erfüllt den ganzen logischen Raum und läßt der Wirklichkeit keinen Punkt. Keine von beiden kann daher die Wirklichkeit irgendwie bestimmen.
Es seien zwei Elementarsätze (p,q) gegeben. Folgende Wahrheitsmöglichkeiten kennzeichnen die vier möglichen Welten: W F W F
W W F F
Die mit= gekennzeichnete Reihe soll für eine bestehende Welt stehen. Nun bestimmen die Wahrheitsbedingungen eines beliebigen Satzes, z.B. 'p v q 1 , den Spielraum, der den Tatsachen dieser Modellwelten gelassen wird:
__P
g
'p v g*
W
W W F F
W W W F
W F
Bei den vier möglichen Walten läßt der Satz 'p v q 1 drei Tatsachen zu, die Verteilung zeigt die Tafel. Der Satz 'p . q 1 läßt unter denselben Bedingungen nur eine Tatsache zu. Hingegen gibt es bei dem Satz '(p.q) v ~ (p.q)' nur Tatsachen, der Satz ist für alle Wahrheitsmöglichkeiten wahr, er ist nicht nur für die bestehende Welt eine Tatsache, sondern in allen möglichen Welten. Deshalb sagt Wittgenstein, solch ein Satz überlasse der Wirklichkeit den ganz--n logischen Raum, er ist eine Tautologie. Die Negation dieses Satzes macht ihn für alle Wahrheitsmöglichkeiten falsch, er kann in keiner Welt eine Tatsache sein, deshalb läßt er der Wirklichkeit im logischen Raum keinen Punkt, er ist eine Kontradiktion. Was für zwei Elementarsätze und vier mögliche Welten gilt, ist auch für unendlich viele Welten bei unendlich vielen Elementarsätzen gültig. Der logische Raum, die Gesamtheit der Wahrheitsmöglichkeiten, ist in diesem Fall unendlich.
18
Wittgensteins Tatsachen sind nicht wie bei Russell oder Stenius33 Komplexe aus Gegenständen und Prädikaten. Die Beziehung der "Tatsache" zu den "Gegen34 ständen" ist eine andere. Sachverhalte sind Konfigurationen aus Gegenständen. Wahre Elementarsätze behaupten das Bestehen von Sachverhalten. Elementarsätze bestehen nur aus Narren, und die Namen in den Elementarsätzen stehen für die Gegenstände im Sachverhalt.36 Wittgensteins System der Sprache nimtit seinen Zusammenhang mit der Wirklichkeit über die Elementarsätze, deren Namen für Gegenstände stehen, und noch hier ist sehr ungewiß, ob Gegenstände in Wittgensteins Sinn wirklich sind. Die Sätze l - 1.12 sind so zu interpretieren: (1)
Es gibt die Welt, ich fand sie vor, als ich sie wahrnahm und ich nehme sie wahr. (1)
(2)
"Welt" und"Tatsache" sind formale Begriffe. Uner den Begriff "Welt" fallen "Tatsachen". Was "Tatsachen" sind, können wir mit den Wahrheitswerttafeln zeigen. Ein Satz, welcher diejenige der 2n Wahrheitsmöglichkeiten, die verwirklicht ist, für wahr erklärt, ist eine Tatsache. Tatsachen sind ein Teil des Bildes, das die Sprache von der Welt, die ich vorfand, gibt. "Dinge" gehören zu der Welt, wie ich sie vorfand; sie gehören aber nicht zu dem Bild, was ich von der Welt mache. (1.1)
(3)
Wenn alle Sätze, die Tatsachen ausdrücken, gegeben sind, so kennen wir auch die Wahrheitsmöglichkeit, die sie alle gemeinsam haben. (l.H)
(4)
Sind alle Elementarsätze gegeben, so sind alle Sätze bekannt. Einige Sätze sind Tatsachen, sie sagen, was der Fall ist. Die restlichen sind keine Tatsachen, sie sagen, was nicht der Fall ist.
b. Die Tatsachen im logischen Raum "Die Welt ist vollständig beschrieben durch die Angaben aller Elementarsätze plus der Angabe, welche von ihnen wahr und welche falsch sind". Für n Elementarsätze gibt es 2n Wahrheitsmöglichkeiten. Die Wahrheitsmöglichkeiten aller Elementarsätze bilden den logischen Raum. 38
33
34 35 36 37 38
Stenius 1 Interpretation [WT] der "Tatsachen" als Komplexe von Gegenständen und Prädikaten, was zur Folge hat, daß er bei der Interpretation von "Sachverhalt" Gegenstände und Prädikate als "Gegenstände" annehmen muß, hat im angelsächsischen Bereich weitgehend Ablehnung gefunden. Unterstützt wurde Stenius von W. Stegmüller (Ludwig Wittgenstein als Ontologe. f...] - In: [PhR] 13. Jg., Heft 2, Tübingen 1965).. T. 2.0272 T. 4.21 T. 4 . 2 2 , 3.22 T. 4 . 2 6 Siehe Kapitel I
19
Bei nur drei Elementarsätzen haben wir folgenden logischen Raum von 2 3 Wahrheitsmöglichkeiten: W F W W F
W W F W F
W W W F W
F W F
W F F
F F F
Der Satz bestimmt einen Ort im logischen Raum. 1
39
Gegeben seien die Sätze
1
r und 'p . q o r . Wir erhalten folgende Satzzeichen: P W F W W F F W F
q
W W F W F W F F
r W W W F W F F F
'p o q · r'
P W F W W F F W F
q
r
'p . q D r'
W W W F W F F F
W W W F W W W W
W W F W F W F F
W W F F W W F W
Man kann aus der Tafel sehen, daß jeder Satz für jede Wahrheitsmöglichkeit eine Wertung vornimmt ("W" oder "F"), so "durchgreift" der Satz den ganzen logischen 40 Raum. Nun heißt es: "Ctowohl der Satz nur einen Ort des logischen Raumes bestinmen darf, so maß doch durch ihn schon der ganze logische Raum gegeben sein". Die zweite Satzhälfte ist eine Erläuterung dazu, wie der Satz den logischen Raum durchgreift, über den logischen Ort sagt Wittgenstein, daß er durch das Satzzeichen und die logischen Koordinaten gegeben sei.
Man kann an ein Koordi-
natensystem denken, aber vorstellbar ist der logische Raum auch dann nicht.
39 . 3.4. 40 T. 3 . 4 2 cf. Tb 23.11.14, 15.12.14 b, 16.12.14. 41 T. 3 . 4 2 . 42 T. 3.41. Wittgenstein spricht auch von einem 'logischen Gerüst 1 . Vgl. 3 . 4 2 , 4.023, 6.124.
20 Als Satzzeichen
43
benennt Wittgenstein die Wahrheitswerttafel, in der jeder
Wahrheitsitöglicnkeit ein Zeichen der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung des Satzes mit der betreffenden Wahrheitsmöglichkeit beigegeben ist. 44 Die logischen Koordinaten werden im Tractatus nur beschrieben, die Sprache liefert sie selbst, da sie die Logik mit der Welt gemeinsam hat und deshalb die Welt abbilden kann. Die Logik ist ein Spiegelbild der Welt und erlaubt uns deren Darstellung.45 Eine Anschauung kann nicht gegeben werden. Wir können aber feststellen, daß jeder Satz einen Ort im logischen Raum bestimmt. In der Wahrheitswerttafel ninmt die Wahrheitsbedingung eines jeden Satzes Beziehung zu jeder Wahrheitsmöglichkeit. Kein Satz hat diese Beziehung mit einem anderen übereinstimmend. Das zeigt, daß jeder Satz einen Ort im logischen Raum bestimmt, den kein anderer Satz bestimmen kann. Die Tatsache bestätigt die Wahrheitsmöglichkeit der Elementarsätze, die für die wirkliche Welt gilt (in unseren Beispielen durch Doppelstriche kenntlich gemacht) Die Tatsache läßt der Wirklichkeit einen Punkt im logischen Raum, im Gegensatz zur Tautologie, die der Wirklichkeit den ganzen logischen Raum überläßt und im Gegensatz zur Kontradiktion, die der Wirklichkeit keinen Punkt im logischen Raum läßt. In diesem Sinn erläutert der Satz "Die Tatsachen im logischen Raum sind die Welt" 4R den Satz "Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge". Die Welt - das ist die Welt im Spiegel von Sprache und Logik. 2. Sachverhalte a. Sachverhalte sind keine Tatsachen Der Begriff "Sachverhalt" wird zuerst in Satz T. 2 eingeführt: 2 Was der Fall ist,
die Tatsache, ist
das Bestehen von Sachverhalten.
Eine umgangssprachliche Umschreibung des Wortes "Sachverhalt" zeigt Möglich^· leiten des Verständnisses: Ist mit "Sachverhalt" gemeint, wie sich die Sachen zueinander verhalten oder wie sich die Sache verhält? Das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wühlern Grimm gibt für "Sachverhalt" eine lateinische Übersetzung: 43 44 45 46 47 48 49 50
T. 4. 442
. 4. 43, 4.431, 4 . 4 4 . . 6. 124-6.13. . Black [CWT] p. 156; J. Griffin [WLA] p. 1O3-1O4.-E. Stenius [WT] P- 56; G . E . M . AnscombeElWr] p. 76. . 4. 463 ; . 4. 463 . . 1. 13.
. 1. 1 5. 511 , 6 .13
21
'status rerum 1 . 51 'status rerum1 bezeichnet nicht die Sachen selbst, sondern die Stellung derselben zueinander, was sie z.B. verbindet oder trennt. Erde und Sonne stehen als Sachverhalt zueinander, die Erde bewegt sich um die Sonne. Die Kenntnis über Sachverhalte ist davon abhängig, wie genau ich die Gegenstände kenne, deren Verhalten die Sachverhalte behaupten. Edmund Husserl gebraucht den Begriff "Sachverhalt" in der Bedeutung "der Zusammenhang der Sachen". Hierauf beziehen sich die Denkerlebnisse (die wirklichen oder möglichen). "Der Zusammenhang der Sachen" ist mit dem "Zusammenhang der Wahrheiten" verbunden. In dem "Zusammenhang der Wahrheiten" könnt die sachliche Einheit zur objektiven Geltung. "Der Zusammenhang der Sachen" bildet mit dem "Zusammenhang der Wahrheiten" einen "objektiven Zusammenhang", der die Wissenschaft, das wissenschaftliche Denken, als Einheit begründet. 52 "Der Zusammenhang der Sachen" und "der ZusanTnenhang der Wahrheiten" sind "a priori" miteinander gegeben und voneinander unablösbar. Husserl unterscheidet die Bestätigung und Verwerfung eines Sachverhaltes nach dem Urteilsvermögen, von dem Sein oder Nichtsein dieses Sachverhaltes. Um Sein oder Nichtsein eines Sachverhaltes zu wissen, müssen wir die "lichtvolle Gewißheit" haben, "daß ist, was wir anerkannt, oder nicht ist, was wir verworfen haben".54 Für Husserl ist der Sachverhalt eine Größe a priori, die mit dem Urteilsvermögen in der recht unscharfen Verbindung einer lichtvollen Gewißheit steht. Aber er unterscheidet den begrifflichen Gebrauch des Wortes "Savhverhalt" von dem, was dieser Begriff bezeichnet. Bertrand Russell schreibt in seiner Einleitung zum Tractatus: What is complex in the world is a fact. Facts which are not compounded of other facts are what Mr. Wittgenstein calls S a c h v e r h a l t e , whereas a fact which may consist of two or more facts is called a T a t s a c h e : Thus, for example 'Socrates is wise' is a S a c h v e r h a l t , a s well a s a T a t s a c h e , whereas 'Socrates i s wise and Plato is his pupil' is a T a t s a c h e but not a S a c h v e r h a l t . 51 52 53 54 55
56
Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Achter Band, Sp. 1609. Leipzig 1893. Edmund Husserl: Logische Untersuchungen. Erster Teil S. 228. Halle 19OO. a . a . O . , S. 229 Edmund Husserl: Logische Untersuchungen. Erster Band S. 13. Halle 19OO. D.S. Shwayder ([SWT] p. 538) sieht eine Verbindung zwischen Husserls "Sachverhalten" und Freges "beurteilbaren Inhalten" (Gottlob Frege:[BS] § 2 ) . Bei der Zitatauswahl, die Shwayder gibt, ist mir diese Verbindung nicht klar geworden. Auch eine Überprüfung der Texte Husserls und Freges brachte keine Klarheit. Bertrand Russell: Introduction to Wittgenstein's Tractatus. T. p. XI.
22
Für Russell ist die Tatsache konplex, der Sachverhalt aber einfach. Der Sachverhalt kann auch eine Tatsache sein, die Tatsache aber niemals ein Sachverhalt. Die Beispiele, die Russell nennt, können niemals ein Sachverhalt oder eine Tatsache sein. Was er als Tatsache ausgibt, ist nach seinem Tatsachenbegriff der "Philosophy of Logical Atomism" eine Tatsache, nicht jedoch im Sinn des Tractatus. Russells Sätze sind keine Tatsachen und Sachverhalte, sondern komplexe Sätze.58 Russells Behauptung über Tatsache und Sachverhalt kritisiert Erik Stenius.'59 An zwei Beispielen soll seine Ansicht erklärt werden: (1)
Bach lebte länger als Mozart
(2)
Mozart lebte länger als Bach
Satz (1) und (2) behaupten, daß etwas der Fall sei. Satz (1) ist wahr, Satz (2) aber falsch. Satz (1) stellt also nicht nur die Behauptung auf, daß etwas der Fall sei, sondern was er behauptet, ist der Fall. Satz (2) behauptet zwar, daß Mozart länger als Bach lebte, in Wirklichkeit lebte aber Bach länger. Nach Stenius ist Satz (1) eine Tatsache, Satz (2) nicht. Satz (1) (2) sind aber beide Sachverhalte. Satz (1) ist ein bestehender Sachverhalt, Satz (2) ein nichtbestehender Sachverhalt. Daraus folgt: (a)
Ein Sachverhalt kann bestehen oder nicht bestehen.
(b)
Eine Tatsache ist
ein bestehender Sachverhalt.
Behauptung (a) läßt sich im Tractatus nachweisen.60 Gegen (b) spricht einmal Satz T. 2, in dem Wittgenstein sagt, daß der Tatsache mehrere Sachverhalte zugeordnet sind. Auch folgende Sätze widersprechen: 2.O34
Die Struktur der Tatsache besteht aus den Strukturen der Sachverhalte.
4.2211 Auch wenn die Welt unendlich komplex ist, so daß jede Tatsache aus unendlich vielen Sachverhalten besteht und jeder Sachverhalt aus unendlich vielen Gegenständen zusammengesetzt ist, auch dann müßte es Gegenstände und Sachverhalte geben.
Wenn wir Stenius1 Behauptungen (a) (b) durch Satz T. 4.2211 interpretieren, entsteht folgende Verwirrung: Sachverhalte können bestehen oder nicht bestehen. Tatsachen müssen dann im Sinn von Satz 4.2211 sowohl aus bestehenden als auch aus nicht bestehenden Sachverhalten gebildet sein. Bei Berücksichtigung der 57 58 59 60 61
Bertrand Russell: [PLA] in [LK] p. 178-2O3. [L] 19.8.19. Erik Stenius: [WT] p.29 T. 2.04, 2.05, 2.06 T. 2.O6, 2.O62.
23
Behauptung (b), daß bestehende Sachverhalte Tatsachen seien, müssen Tatsachen Tatsachen (= bestehende Sachverhalte) und Nicht-Tatsachen (nichtbestehende Sachverhalte) sein. Tatsachen Sachverhalte
\ bestehende Saohverhalte (= Tatsachen nach (b))
\ nichtbestehende Sachverhalte (keine Tatsachen)
Wittgenstein nennt das Bestehen von Sachverhalten eine positive, das Nichtbestehen eine negative Tatsache. Das Schema bekoimrt unter Berücksichtigung dieser Bemerkung folgende Gestalt: Tatsachen Positive Tatsachen (= das Bestehen von Sachverhalten)
Negative Tatsachen (= das Nichtbestehen von Sachverhalten)
Berücksichtigen wir die Sätze T. 2.O34 und T. 4.2211 sowie die schematischen Darstellungen, so müssen wir Stenius1 Behauptungen (a) (b) zwei weitere hinzufügen: (c) Jede Tatsache besteht aus unendlich vielen Sachverhalten, wenn die Welt unendlich komplex ist. (d) Die Tatsache ist
das Bestehen von Sachverhalten.
Bertrand Russells Ansicht im Vorwort des Tractatus entspricht der Behauptung (c), die auch Maslow für richtig hält. D.S. Shwayder argumentiert vorsichtig: Tatsachen können positiv oder negativ sein, und ob sie das eine oder andere sind, hängt von dem Bestehen oder Nichtbestehen der Sachverhalte ab. G.E.M. Anscombe vertritt Behauptung (d). Wie wir sahen, stellt E. Stenius die Be62 63 64 65
T. 2.06 A. Maslow: A Study in Wittgenstein's Tractatus. 1961, p. 7. D.S. Shwayder: [SWT] p. 535 G . E . M . Anscombe: [IWT] p. 3O; D. Favrholdt (tier] p. 4O) hat Anscombe falsch interpretiert. Sie schreibt: " [ . . . ] to the question 'What is a fact?' we must answer: 'It is nothing but the existence of atomic facts'" ([IWT] p. 3O). Favrholdt summiert die Meinung von Anscombe: "A fact is a group of state of affairs, existing or not existing" ([ICT] p. 38 These (a)). Bei Anscombe liegt das Gewicht auf 'existence 1 im Sinn von T. 2. Sie sagt nicht, daß eine Tatsache eine Menge von Sachverhalten sei, sondern daß eine Tatsache etwas mit dem Bestehen der Sachverhalte zu tun hat.
24
Behauptung (b) auf. D. Favrholdt stinmt Stenius zwar zu, meint aber, daß die Begriffe Tatsache und Sachverhalt im Tractatus nicht konsequent gebraucht seien, so daß es unmöglich sei, eine befriedigende Interpretation zu geben. Favrholdt betont aber eine richtige Einsicht: Der Gebrauch der Begriffe Tatsache und Sachverhalt als Teil der ontologischen Einleitung des Tractatus ist von Wittgensteins Ausführungen über die Bild- und Wahrheitsfunktionstheorie abhängig. G. Pitcher modifiziert die Behauptung (b) durch Satz T. 2.O6: "[...] we must say that only a positive a t o m i c fact is an existing state of affairs".
M. Black diskutiert die Abgrenzung von Tatsache zu Sachverhalt, in-
dem er zwei Theorien gegenüberstellt und miteinander vergleicht: (I) Der "Sachverhalt" ist eine Art von Möglichkeit, er kann bestehen oder nicht bestehen (Möglichkeits-Theorie). (II) Der "Sachverhalt" ist eine Tatsache, was Behauptung (b) entspricht (Tatsachen-Theorie). Nach einer differenzierten entscheidet sich Black für (II).
Abwägung
/: p
Ich interpretiere Satz T. 2 und Satz T. 2.06 so, daß Wittgenstein den Begriff "Tatsache" generell für "positive" und "negative Tatsache" gebraucht. Wenn eine positive Tatsache das Bestehen und eine negative Tatsache das Nichtbestehen von Sachverhalten bedeutet, "Tatsache" hierzu Oberbegriff ist und "das Bestehen von Sachverhalten" kennzeichnet, dann ist "das Bestehen von Sachverhalten" Oberbegriff zu "das Bestehen und Nichtbestehen von Tatsachen". "Das Bestehen von Sachverhalten" in Satz T. 2 heißt dann soviel wie "es gibt Sachverhalte, eben, bestehende und nicht bestehende". "Die Tatsache" bedeutet dann, es gibt die Tatsache, eben, "positive und negative Tatsachen": (BSv = Das Bestehen von Sachverhlaten; bSv = Das Bestehen von Sachverhalten, im Gegensatz zu: nSv = Das Nichtbestehen von Sachverhalten. T = Die Tatsache; nT = negative Tatsache.) nSv
nT
T. 2O6:
bSv
pT
T. 2
BSv
T
T T
:
Wir wissen, daß wahre Elementarsätze bestehende Sachverhalte und falsche Elementarsätze nichtbestehnde Sachverhalte behaupten.
69
Innerhalb des Bildes, daß
wir von der Welt durch die Sprache haben, führt die Kenntnis vom Sachverhalt über die Kenntnis vom Elementarsatz. Ob der Sachverhalt besteht oder nicht, zeigt die universale Wahrheitswerttafel aller Elementarsätze. Die Wahrheitsmöglichkeiten der Elementarsätze bedeuten die Möglichkeiten des Bestehens und Nichtbestehens der Sachverhalte. 66 67 68 69
D. G. M. T.
Favrholdt: [IGT] p. 40. Pitcher: [Phw] p. 47. Black: [CWT] p. 39-45. 4.21, 4.25.
25
Aus Einfachheitsgründen sei wieder ein Beispiel mit zwei Eleitentarsätzen erlaubt: W F W
W W F
(W)
In unserem Beispiel gibt es vier Wahrheitsmöglichkeiten, also vier mögliche Welten. Im gesamten logischen Raum gibt es acht Sachverhalte, davon bestehen vier, vier bestehen nicht. In einer wirklichen Welt soll der Elementarsatz "p" wahr sein, der Elementarsatz 'q1 aber nicht. Der Elementarsatz 'p' behauptet das Bestehen eines Sachverhaltes, der Elementarsatz ' ^ q 1 behauptet das Nichtbestehen eines Sachverhaltes. Die Sachverhalte nenne ich ' t P' (behauptet durch 'p') und ' -L· Q' (behauptet durch ' ~ q 1 (die Pfeile bedeuten das Besbehen 't ' oder Nichtbestehen ' 4- ' ) . ' t P1
(I)
'p' sagt, daß
~|
(II)
' ^ q 1 sagt, daß ' ^ Q 1 J
in der Welt (W)
(I) und (II) meinen "Das Bestehen von Sachverhalten" (BSv) in T. 2. Nun ist der Satz '(p. ^ q) v ( q.^ p ) ' in (W) wahr, wie das Satzzeichen zeigt: p
q
W F W F
W W F F
(p_._^ q) v ( q. ^ p) F W W F
(W)
Der Satz '(p. ~ q) v (q. ^ p ) ' ist die Tatsache (T) (T.2), die (I) und (II), das Besthen von Sachverhalten (BSv), nennt. Diese Tatsache (T) ist eine positive Tatsache (pT) in bezug auf (I) und eine negative Tatsache (nT in bezug auf (UM.
Satz T. 2.O34 ist nun in folgendem Sinn zu deuten: Die Tatsache (T) '(p. ~ q) v (q.^ p ) ' ist eine Funktion der Elementarsätze 'p 1 und '^ q 1 , die die Sachverhalte ' T P 1 und 'vi'Q" behaupten. Die Struktur der Sachverhalte kennen wir aus den Elementarsätzen, und insofern sind die Strukturen von ' ^ P 1 und ' 4/Q 1 , repräsentiert von 'p 1 und ' ^ q 1 in (I) (II) (W), die Struktur der Tatsache (T), die eine Funktion der Elementarsätze ist. Auch Satz 4.2211 ist in diesem Sinn verständlich: Die Tatsache (T) ist eine Funktion der Elementarsätze, die Sachverhalte behaupten ( ' t P 1 und ' - V Q ' ) . Sachverhalte bilden eine Tatsache in dem Maße, wie Elementarsätze Bestandteile der Funktion sind, die die Tatsache bildet.
26
b. Sachverhalte und Gegenstände 2.Ol
Der Sachverhalt ist Dingen) .
eine Verbindung von Gegenständen (Sachen,
2.O3
Im Sachverhalt hängen die Gegenstände ineinander, wie die Glieder einer Kette.
Wittgenstein gebraucht das Bild einer Kette: Die Gegenstände im Sachverhalt sind demnach unvermittelt verbunden gedacht. Es gibt keine Verbindungsgegenstände, die nur Verknüpfungsfunkticn haben. Die Verbindung wird von jedem einzelnen Gegenstand selbst besorgt, die Fähigkeit zur Verkettung muß in ihm liegen. Es kann daher keine Einteilung der Gegenstände in z.B. "individual objects" und "predicates" geben. Die Behauptung, daß "things" (Gegenstände) zugleich "individual objects" und "predicates" seien, versucht Erik Stenius aus dem Vergleich der Sachverhalte mit den Elementarsätzen zu beweisen.
Verkettung von Gegenständen,
7l
Der Sachverhalt ist eine
der Elementarsatz eine Verkettung von Namen. 72
Im Satz steht der Name für den Gegenstand.
73
Hieraus zieht Stenius den Schluß:
74
The idea of an atomic state of affairs as a connection of things is thus closely tied up with the idea that an elementary sentence 'constists of names in immediate connection* ( 4 . 2 2 1 ) - and here not only name of individual objects must be meant but also 'names' of predicates.
Stenuis hat an dieser Stelle eine wichtige Entscheidung für seine Arbeit über den Tractatus getroffen, von der viele der nachfolgenden Kapitel abhängig sind. Bei ihm sind die Gegenstände im Sachverhalt nicht gleichförmig. Sie können sich nur über Prädikate miteinander verbinden. Stenius übernimmt damit Russells Definitionsversuch der Tatsache für den Begriff Sachverhalt. Mir scheint, Stenius hat sich verleiten lassen, Sätze als Elementarsätze anzunehmen, die keine Elementarsätze sind wie z.B. "Ihe moon is smaller than the earth" oder "Alan loves Brian". Ein Vergleich Sachverhalt - Elementarsatz legt es nahe, den Sachverhalt der "Wirklichkeit" und den Elementarsatz der "Sprache" zuzuordnen. In einer Tagebuchnotiz aus dem Jahr 1914 schreibt Wittgenstein: Die Schwierigkeit vor meiner Theorie der logischen Abbildung war die, einen Zusammenhang zwischen den Zeichen auf Papier und einem Sachverhalt draußen in der Welt zu finden. 70
Erik Stenius: [WTÜ p. 61, 63.
71 72 73 74
T. 2.03. T. 4 . 2 2 . T. 3 . 2 2 . Erik Stenius: [WT] p. 63
75 76
Erik Stenius: [WT] p. 127/128 and p. 146. Tb. 27.10.14 c.
27
Die Zeichen auf dem Papier, das sind die Sprachzeichen, aber wo ist ein Sachverhalt draußen in der Welt? Was ist ein Sachverhalt? Darauf gibt Wittgenstein keine Antwort, man kann nur versuchen, bei der Erörterung von Name und Gegenstand, Elementarsatz und Sachverhalt eine Antwort zu suchen. Berücksichtigen müssen wir aber, daß Wittgenstein Gegenstände nicht in Klassen wie "individual objects" unterscheidet und den Gegenständen eine Existenz nur im Sachverhalt, nicht einzeln, zu billigt.
c. Form und Struktur der Sachverhalte 2.032
Die Art und Weise, wie die Gegenstände im Sachverhalt zusammenhängen, ist die Struktur des Sachverhaltes.
2.033
Die Form ist
die Möglichkeit der Struktur.
J„ Griffin stellt die These auf, daß Sachverhalte aus verschiedenen Gegenständen gleiche Strukturen haben können. Diese These vertritt er gegen frühere Arbeiten 7ß 79 von F.P. Ramsey und B.F. McGuinness.
Griff in übersieht, daß Ramsey versäumt, "Struktur des Sachverhaltes" von "Struktur der Tatsache" zu unterscheiden: 80 It is to be regretted that the above definitions do not make it clear whether two facts can ever have the same structure or the same form; [mit definitions meint Ramsy T. 2.O32, 2.O33, 2.O34] it looks as if two atomic facts well have the same structure, because objects hung together in the same way in each of them. But it seems from remarks later in the book that the structure if the fact is not merely the way in which the objects hang together but depends also on what objects they are, so that two different facts never have the same structure.
Ich kann nicht einsehen, wie Griffin die Bemerkung "two different facts never have the same structure" als Gegensatz zu seiner These lesen kann, da Ramsey doch überhaupt nicht von Sachverhalten (in Griffins Übersetzung 'states of affairs'), sondern von Tatsachen ('facts') redet. B.F. McGuinness unterscheidet "Sachverhalt" und "Tatsache" ungenügend. Er schreibt zu Satz T. 2.O32 und T. 2.15: Q1
The structure of a fact or picture is the way in which its hang together.
77 78 79 80 81
elements
James Griffin: [WLA] p. 72-76. F.F. Ramsey: [CN] . In: The Foundations of Mathematics, London 1931, second impression 1950. B.F. Me Guinness: Pictures and Form in Wittgenstein's Tractatus. - In: [AF] 1956. p. 207-228. P.P. Ramsey: [CN] ^. 271/272. B.F. Me Guinness: Pictures and Form in Wittgenstein's Tractatus, p. 214.
28
Durch die Gleichsetzung von Sachverhalt und Tatsache und den Vergleich "Struk82 tur des Bildes" mit "Struktur der Tatsach" könnt McGuiness zu dem Schluß: It will be obvious [ . . . ] that to assert the existence of the structure is nothing other than to assert the fact [... ]
Diesen Satz zitiert Griffin, verändert aber gerade das wesentliche Vtort: er ersetzt 'fact' (Tatsache) durch 'state of affairs' (Sachverhalt). Aus diesr Veränderung gewinnt Griffin eine zweite Scheingegenposition zu seiner These: "[...] 83 a structure is equivalent to a state of affairs and vice versa" Tatsächlich umgeht McGuinness die Schwierigkeit zu sagen, was eine "Struktur des Sachverhaltes" sei. 84 Griffin versucht diese Schwierigkeit durch Beispiele zu erklären:' Gegeben sind sechs räumliche Gegenstände 'a-f', die dieselbe Form haben sollen. Deshalb sollen sie fähig sein, in dieselben räumlichen Gebilde einzutreten. Jeweils drei Gegenstände sollen einen Sachverhalt bilden. Die Art und Vfeise, wie die Gegenstände in die räumlichen Sachverhalte eintreten, macht die Struktur der Sachverhalte aus.
(2)
(D
Die Dreieck-Sachverhalte haben diselbe Struktur, da die Gegenstände a,b,c und d,e,f die Sachverhalte gleich gebildet haben, sie sind auf gleiche Art und Weise in sie eingetreten. Dieselben Gegenstände können aber auch diese Sachverhalte bilden:
(3)
82
ebd.
83 James Griffin: [WLA] p.73 84 ebd., pp. 75-76.
(4)
29
Die Sachverhalte (3) (4) (5) sind aus denselben Gegenständen wie die Sachverhalte (1) (2) gebildet, aber ihre Struktur ist verschieden. Gemeinsam haben alle Sachverhalte (1) - (5) die Form: sie sind Dreiecke. Nun zeigen Griffins Beispiele das Wesentliche gerade nicht: Wie die Form der Gegenstände die Strukturen ermöglicht. Den Buchstaben kann man jede Form zudiktieren, aber es ist doch unmöglich zu erwarten, daß sie diese Form auch zeigen. Buchstaben haben z.B. keine Form, in Dreiecke eintreten zu können, auch wenn ich ihnen diese Form zuspreche. Die Struktur der Sachverhalte ist aber gerade davon abhängig, wie Gegenstände mit einer bestimmten Form im Sachverhalt zusammenhängen. Die These Griffins, daß Sachverhalte aus verschiedenen Gegenständen ihre Struktur gemeinsam haben können, soll an einem anderen Beispiel geprüft werden: Ausgangspunkt bilden die Sätze (I) - (III): (I)
Die Form ist
die Möglichkeit der Struktur.
85
( I I ) Die Art und Weise, wie die Gegenstände im Sachverhalt zusammenhängen, ist die Struktur des Sachverhaltes.
( I I I ) I m Sachverhalt verhalten sich die Gegenstände in bestimmter Art und p7 Weise zueinamder. 0 ' ( I 1 ) Gegeben sei ein Sachverhalt (S) von der Form eines Quadrats:
Die Form des Sachverhaltes ermöglicht seine Struktur, diese ist in keiner Weise außerhalb dieser Form möglich. ( I I 1 ) Die Form des Sachverhaltes (S) ermöglicht Strukturen. Beispiele von Strukturen:
(a)
85 86 87
T. 2.033 T. 2.O32 T. 2.031
(b)
30 (III1)
Die Strukturen der Sachverhalte sind durch die Art und Weise bestimmt, wie die Gegenstände zusammenhängen:
a)
Der Sachverhalt mit der Struktur (a) ist aus neun gleichen Gegenständen gebildet. Die Gegenstände hängen in der Art und Weise zusammen, daß sie eine Gitterstruktur bilden.
b)
Der Sachverhalt mit der Struktur (b) ist aus fünf Gegenständen gebildet. Vier Gegenstände sind gleich. Die Gegenstände bilden die Struktur eines in ein Quadrat einbeschriebenen Kreises.
Daraus folgt: (1) Ein Sachverhalt von einer bestimmten Form kann verschiedene Strukturen haben. Die Strukturen werden durch die Form des SachVerhaltes ermöglicht. (2) Ein Sachverhalt kann aus verschiedenen Gegenständen gebildet werden. Die Gegenstände, ihre Konfiguration, entscheiden über die Struktur der Sachverhalte. (3) Sachverhalte, die aus jeweils verschiedenen Gegenständen gebildet sind, können keine gemeinsame Struktur haben. 3.
Gegenstände
a.
Gegenstände, Eigenschaften, Relationen
Gegenstände sind die letzten Glieder der Analysiskette Sätze-Elementarsätze88 Namen-Gegenstände (Sachverhalte). 3.2
Im Satz kann der Gedanke so ausgedrückt sein, daß den Gegenständen des Gedankens Elemente des Satzzeichens entsprechen.
3.201 Diese Elemente nenne ich "einfache Zeichen" und den Satz "vollständig analysiert". 3.202 Die im Satze angewandten einfachen Zeichen heißen Namen. 3.203 Der Name bedeutet den Gegenstand. Der Gegenstand ist tung. ("A" ist dasselbe Zeichen wie "A".)
seine Bedeu-
Diese Sätze machen deutlich, wie "Gegenstand" und "Name" verbunden gedacht sind pQ
und,
daß Hauptschwierigkeit darin liegt, eine vollständige Analyse zu erreichen. QQ
Der Name vertritt im Satz den Gegenstand. Auffallend ist, daß Wittgenstein von Gegenständen des Gedankens spricht, das läßt vermuten, daß Gegenstände keine materiellen Gegenstände sind. Dem Ausdruck der Gedanken soll eine Grenze gezogen werden;91 diese Grenze kann nur in der Sprache gezogen werden. Mit den Namen im Elementarsatz ist die Grenze erreicht. "Der Naire ist durch keine Definition 88 89 90 91
T. 2.0201, 3 . 2 f f . , 3.25, 3.3442, 4 . 2 2 , 4.221. Hier soll keine vollständige Erklärung dieser Sätze versucht werden. Nur der Zusammenhang Gegenstand-Name im T. soll verdeutlicht werden. T. 3.22. Vorwort des Verfassers. T.S. 2.
31
weiter zu zergliedern: er ist ein Urzeichen.92 Gegenstände können nur benannt werden, 9 3 deshalb kann nur diese Benennung, die Teil des Satzes ist, Aufschluß über Gegenstände, Sachverhalte geben. Wörter wie 'individual object1, 'relation' 'quality1 sind selbst Teile von Sätzen, niemals aber Gegenstände. Sie sind sicher auch keine Namen im Sinne Wittgensteins. Der Satz "Der Mond ist kleiner als die Sonne" ist in der Interpretation von E. Stenius ein Elementarsatz, der einen Sachverhalt wiedergibt. 94 Er meint, der Elementarsatz zeige, daß der Sachverhalt aus 'individual objects' (Mond, Sonne) und 'predicate' (ist kleiner als) bestehe. Das ist aber nicht der Fall. Der Sachverhalt besteht nicht aus 'individual objects' und 'predicates', sondern die Teile (Gegenstände) des Sachverhaltes haben irreführende Bezeichnungen erhalten. Für die Satzteile 'Mond', 'Sonne1 und 'ist größer als1 haben wir jetzt Variable. "Individual objects' ist ein variabler Name für alle Eigennamen wie Haus, Ofen, Regen usw. Im Tractatus heißt es: "Wo immer das Wort 'Gegenstand1 ('Ding 1 , "Sache1 etc.) richtig gebraucht wird, wird es in der Begriffsschrift durch den variablen Namen ausgedrück". 95 Prädikate können keine Variable für Namen sein, die für Gegenstände stehen. Der Satz "Die Sonne ist ein Planet" zeigt die Schwierigkeit, Prädikate als Namen aufzufassen. Er besteht aus dem Eigennamen 'Sonne' und einer Eigenschaftserklärung dieses Namens: er gehört in die Klasse der Planeten. Die Eigenschaftserklärung hat keinen eigenen Gegenstand, sie erläutert den Namen eines Gegenstandes. Man könnte nun den ganzen Satz als Namen auffassen, aber Wittgenstein gibt im Tractatus keinen Raum für diese Interpretation. In unserem Zusaitmenhang ist wichtig, daß Wörter wie Sonne, Mond usw., also Eigennamen im umgangssprachlichen Sinn, im komplexen Satz für Gegenstände stehen. Prädikate erläutern diese Eigennamen, indem sie Relationen herstellen oder Eigenschaften angeben. Prädikate vertreten keine Gegenstände im Satz, sie gehören zur abbildenden Beziehung, die die Elemente des Bildes (Namen im Satz) und der Sachen (die einzelnen Gegenstände) zuordnet. Wittgenstein hat noch 1915 die Meinung vertreten, daß auch Prädikate (Relationen und Eigenschaften) Gegenstände seien. 97 In dem Satz "Sokrates ist sterblich" bezeichnete Wittgenstein 'Sokrates1 als Ding und "Sterblichkeit" als Eigenschaft. Er behauptete, daß das Ding 'Sokrates1 und die Eigenschaft 'Sterb92 93 94 95 96 97
T. 3.26. T. 3.221. Erik Stenius: [WT] p. 127 T. 4.1272. T. 2.1513, 2.1514, 2.1515 Tb. 16.6.15 e.
32
lichkeit1 in dem Satz "Sokrates ist sterblich" als einfache Gegenstände fungierten.
98
Im Tractatus ist an keiner Stelle von einer Relation als Gegenstand die Rede, auch schreibt Wittgenstein hier niemals von einer Relation zwischen Gegenstände bilden vielmehr eine Konfiguration, den Sachverhalt. 99 Es gibt die abbildende Beziehung, die die Elemente des Bildes und der Sachen zuordnet, die projektive Beziehung zur Welt, es kann interne Beziehungen zwischen Sätzen geben, darstellende Beziehungen, Formen der Sätze stehen 1O4 miteinander in Beziehung usw. "Gegenstände" im Tractatus sind logische Notwendigkeiten, Entsprechungen zu den Namen der Elementarsätze. Wie die Gegenstände im Sachverhalt, so verhalten sich die Namen im Elementarsatz. Gäbe es Relations- und Eigenschaftsnamen, dann gäbe es auch entsprechende Gegenstände. Aus Gesprächen mit Wittgenstein, die Friedrich Waismann aufschrieb, geht hervor, daß der Elementarsatz außerhalb einer Beschreibung durch Eigenschaften und Relationen gedacht war. Es heißt: "Es ist einfach lächerlich, wenn man glaubt, hier in Bezug auf die Form der Eleitentarsätze mit der gewöhnlichen Form der Umgangssprache mit Subjekt-Prädikat, mit dualen Relationen und so weiter auszukommen". Friedrich Waismann schreibt in seinen Thesen, in denen er versucht, einige Grundsätze des Tractatus zu er,.. , 107 lautern: 1O8 Die Elemente werden nicht durch e t w a s miteinander verbunden. Sie hängen schon zusammen und diese Verkettung ist eben der Sachverhalt.
IM einen Sachverhalt zu beschreiben, reicht nach der Meinung Waismanns die Umgangssprache nicht aus. Ähnliche Gedanken gibt auch die GesprächsaufZeichnung vom 22.12.29 wieder. Alle Interpretationen, die Eigenschaften, Relationen und Dinge wie Stühle, Tische usw. als Gegenstände annehmen, werden dem Tractatus
98 99 100 101 102 103 104 105 106
Tb. 21.6.15 h. T. 2.0272. T. 2.1513. T. 3.12. T. 3.24. T. 4.462. T. 5.131. [WWK] [WWK] S. 42, 22.12.1929. In diesem Gespräch ist auf Frege (vgl. [BG] in [FSB] S. 64-78) und Russell (vgl. [PLA] in [LK] pp. 175-281) angespielt. Siehe [WWK] S. 41. 107 Friedrich Waismann: [WTh] in: [WWK] S. 252 b. 108 Waismann gebraucht 'Elemente' für 'Gegenstände', um eine Verwechslung mit Dingen wie Tischen zu vermeiden.
33
nicht gerecht. Ich meine, daß dies auch der Grundirrtum der Interpretation von 1O9 Stenius ist. b.
Der Gegenstand ist einfach 2.O2
Der Gegenstand ist
einfach.
Die Einfachheit ist das wichtigste Kennzeichen, das Wittgenstein den Gegenständen gibt. Die Einfachheit der Gegenstände kann auf zwei verschiedene Vfeisen angenommen werden: (a) Der Gegenstand ist physikalisch einfach, (b) Der Gegenstand ist phänomenologisch einfach. Ein physikalisch komplexer Gegenstand kann mit physikalischen Methoden zerteilt werden. Wir können physikalische Gegenstände zerschlagen, z.B. Fenster, Häuser, Menschen. Wir können physikalisch komplexe Gegenstände wie Elemente, Moleküle, Atome in Teile zerlegen, die durch physikalische Gesetze beschrieben werden können. Die phänomenologisch einfachen Gegenstände erscheinen meiner Wahrnehmung einfach, ich sehe eine Blume, ihr Blatt erscheint mir einfach, der glatte Stengel. In zwei wichtigen Arbeiten über Wittgensteins Tractatus wird behauptet, die einfachen Gegenstände des Tractatus seien physiklisch-einfache Gegenstände. James Griffin behauptet, Gegenstände seien 'material points'. Er begründet diese Behauptung durch zwei Thesen: (I)
Wittgenstein ist perfectly explicit that objects, as he means the term, are what constitute facts (2.O1, 2 . O 2 7 2 ) , and that facts, as he means the term, are what constitute the world (1.1, 1.11, 2 . O 4 ) . And there is no possibility that 'the world 1 can be read as 'the world of my experience'; he means, he says, reality ( 2 . O 6 3 ) .
(II)
Objects are eternal (2.027, 2.O271) and this would hardly be the case with the parts of a sense-datum.
Griffin denkt sich 'reality' aus 'material points' zusammengesetzt. Den Begriff 'material point1 (materieller Punkt) entlehnt er von Heinrich Hertz, der seiner Ansicht nach einen Einfluß auf Wittgensteins Bildtheorie gehabt hat. Hertz definiert: Eine endliche oder unendlich kleine Masse, vorgestellt in einem unendlich kleinen Räume, heißt ein materieller Punkt. Ein materieller Punkt besteht also aus einer beliebigen Anzahl mit einander verbundenen Massenteilchen. Diese Zahl soll stets unendlich groß 1O9 HO 111 112
Erik Stenius: [WT]. Besonders pp. 24-28, 29-37, 61-87. James Griffin: [WLA]. George Pitcher: [Phw]. James Griffin: [WLA] p. ISO. Heinrich Hertz: Die Prinzipien der Mechanik. Darmstadt 1963. Unveränderter fotomechanischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1894 (= Gesammelte Werke Bd. III) S. 54.
34 sein, was dadurch erreicht werden kann, daß wir uns die Massenteilchen von höherer Ordnung unendlich klein denken, als die etwa betrachteten materiellen Punkte von verschwindender Masse. Die Massen der materiellen Punkte, insbesondere auch die Massen der unendlich kleinen Punkte können darnach in jedem beliebigen rationalen oder irrationalen Verhältnis zu einander stehen.
Tatsächlich gibt es Hinweise im Tractatus und in den Tagebüchern, die einen Einfluß Hertz's wahrscheinlich machen. Am 13.5.1915 schrieb Wittgenstein: Dürfen wir einen Teil des Raumes als Ding betrachten? Dies tun wir offenbar in gewissem Sinne immer, wo wir von den räumlichen Dingen reden.[...] [ . . . ] die komplexen räumlichen Gegenstände, zum Beispiel, scheinen mir in irgend einem Sinn wesentlich Dinge zu sein - ich sehe sie, sozusagen, als Dinge - und ihre Bezeichnung vermittelst Namen scheint mehr zu sein als ein bloß sprachlicher Trick, [ . . . ] Aber was bedeutet das alles? Im Juni 1915 häufen sich Notizen, die an Hertz's Formulierungen erinnern. Es ist von räumlichen Gegenständen aus unendlich
vielen Punkten die Rede,
der Zerlegung räumlicher Gegenstände in einfache Teile. materielle Punkte zerlegt werden.
115
114
von
Körper können in
Zugleich wird aber auch der Akzent gesetzt,
der Wittgensteins Interesse an einfachen Gegenständen kundmacht: Er sucht zu logisch einfachen Teilen Entprechungen "der Welt". Es interessiert ihn, wieweit z.B. die Zusammengesetztheit der räumlichen Gegenstände eine logische ist.117 Was heißt überhaupt "Zusanmengesetztheit"? 'Zusammengesetzte Gegenstände gibt es nicht' heißt dann also für uns: Im Satz muß klar sein, wie der Gegenstand zusammengesetzt ist, soweit wir überhaupt von seiner Zusammengesetztheit reden können. Ist die Zusammengesetztheit eines Gegenstandes für den Sinn eines Satzes bestimmend, dann muß sie soweit im Satze abgebildet sein, als sie seinen Sinn bestimmt. Und soweit die Zusammensetzung für d i e s e n Sinn n i c h t bestimmend ist, soweit sind die Gegenstände dieses Satzes e i n f a c h . S I E k ö n n e n nicht weiter zerlegt werden. -H9 Diese Eintragungen zeigen, daß es Wittgenstein gar nicht um materialle Punkte ging, wie Griffin interpretiert, sondern um die logische Zusanrnengesetztheit der Gegenstände, soweit sie im Satz sichtbar ist. Eine Übersicht der Tagebucheintragungen zur Frage der Einfachen Gegenstände bestätigt, daß Wittgenstein 113 114 115 116 117 118 119
Tb. Tb. Tb. Tb. Tb. Tb. Tb.
13. 5. 15 c-e. 17. 6. 15 a. 17. 6. 15 c-e. 20. 6. 15 m. 17. 6. 15 f . 17. 6. 15. o. 18. 6. 15 a.
35
Gegenstände suchte, die er einfachen Funktionen zuordnen konnte. Daß er dabei auch materielle Punkte in Erwägung zog, ist kaum verwunderlich, aber nicht hauptwichtig. Im Tractatus ist zwar noch von räumlichen Gegenständen die Rede, einmal l 22 von einem Raumpunkt, aber materielle Punkte der Physik werden nicht mehr erwähnt. Wittgenstein hat nur die logische Seite der physikalischen Zerlegung in kleinste Teile beschäftigt; ob materielle Punkte existieren, hat er nicht berücksichtigt. Griffins Interpretation, daß einfache Gegenstände 'material points' seien, läßt sich aus den Tagebüchern und aus dem Tractatus nicht nur nicht belegen, sondern bereits die Tagebucheintragungen zeigen, daß fur Wittgenstein die materielle Seite der Physik nicht im Blickpunkt lag, sondern nur die Art und Weise, wie physikalische Gesetze einfache Teile behaupten und beweisen. 123 Griffin übersieht in seiner These (I), daß Gegenstände keineswegs Tatsachen, sondern Sachverhalte bilden, und daß im Gegensatz zur Gesamtheit aller TatSachen allein die Gesamtheit der bestehenden Sachverhalte die Welt bildet. 124 Griffins Summierungen der Gegenstände zu Tatsachen und der Tatsachen zur Welt verbergen die diffizilen Unterschiede von Tatsache und Sachverhalt. Nirgends behauptet Wittgenstein, daß die Sachverhalte die Welt als Wirklichkeit bilden, vielmehr ist sehr genau zu lesen: "Das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten ist die Wirklichkeit". 125 Wir haben bereits bei der Interpretation von Satz T. 1.1 und T. 2.O4 gesehen, daß die Welt aus Tatsachen oder Sachverhalten 1 *}£* die Welt im Spiegel der Logik ist und niemals "realety1, wie Griffin meint. These (II) wird von Griffin durch die Sätze T. 2.O27 und 2.O271 begründet.127 Wittgenstein nennt die Gegenstände in diesen Sätzen "das Bestehende". Die englische Übersetzung von D.F. Pears und B.F. McGuinness hat "the unalterable". 128 Griffin zieht hieraus den Schluß, daß Gegenstände 'eternal1 seien. Der Gegenstand ist einfach und bestehend, er ist unveränderlich, d.h. er kann nicht 120 Stellen über "Gegenstände" in den Tb: 9.lO.14a; 12.1O.14a; 20.1O.14a; 26.11.14h; 25.4.15ab; 5.5.15 ; 6.5.15a-d; 9.5.15a; 11.5.15b; 13.5.15cd; 19.5.15a; 23.5.15; 24.5.15; 26.5.15c; 27.5.15a; 3O.5.15e; 14.6.15cf; 19.6.15e; 20.6.15degjkmz; 21.6.ISacdeh; 2 2 . 6 . I S f g n j k ; 9.7.16d; 11.7.16a-f; 13.7.16a; 16.8.16; 21.11.16gkl. 15.4.16; 16.4.16ab; 23.4.16; 26.4.16a-g. 121 T. 2.O121, 2.0131. 1 2 2 T . 2.0131. 123 Tb. 20.6.15. 124 T. 2.01, 2.0272, 2.04. 125 T. 2.06. 126 Vgl. Kap II. 127 Auch G.E.M. Anscombe ([IWT] p.43) vertritt diese Ansicht. 128 Gegen These (II) sprechen eindeutig T. 6.4311 und 6.4312.
36
verändert werden wie ein komplexer Sachverhalt. 129 Ich kann Gegenstände mit Zahlzeichen vergleichen: Das Zeichen '!' ist unveränderlich, während ich das komplexe Zeichen
2 1 verändern kann:
l
2
2" oder '21' oder '-' oder '-' , ich
kann die Abstände zwischen 'l' und '2' verändern usw. Wittgenstein meint deshalb, daß einfache Gegenstände gegenüber komplexen Sachverhalten unveränderlich sind. Die Unveränderlichkeit der Gegenstände muß als Kennzeichen ihrer Einfachheit angesehen werden. Diese bedeutet aber keineswegs, daß Gegenstände Ewigkeitscharakter haben. Es scheint mir philologisch sehr bedenklich, "unalterable" durch "eternal" zu ersetzen. Wittgenstein gebraucht "ewig" (eternal) nur im Zusammenhang mit dem Begriff Ethik.
Satz T. 6.4311 ist darüberhinaus in direktem Gegensatz zu
Griffin (II) : "Unser Leben ist ebenso endlos, wie unser Gesichtsfeld grenzlos ist". Wittgenstein hat eine völlig andere Auffassung von Ewigkeit als Griffin, welche, werden wir noch sehen. Wir können vorläufig durchaus behaupten, daß Gegenstände bei Wittgenstein überhaupt nichts mit "ewig1 (eternal) zu tun haben, daß Griffins These (II) also unhaltbar ist. George Pitcher vertritt grundsätzlich Griffins Ansicht, er berücksichtigt aber mögliche Einwände stärker. Er fragt z.B.: Must Wittgenstein not of objects: (1) those unobservable, and (2) are observable by the
admit that there are two radically different kinds which make up physical states of affairs and are those which make up mental states of affairs and person experiencing them?
Pitcher verneint aber die zweite Möglichkeit und gibt zwei Gründe an: 'Objects' in "mental states of affairs' sind (a) Observable and hence complex' und (b), sie sind nicht "immortal 1 . 132 Beide Argumente133 sind denen Griffins (I) (II) 129 Vgl. David Keyt: Wittgenstein's notion of an object, p. 16-17. - In [PQ] Vol. XIII, 1963, pp. 13-25. 130 T. 6.4311, 6.4312 und Kontext. 131 George Pitcher:[PhW]p. 137. 132 George Pitcher:[PhW]p. 137. 133 Über 'Gegenstände' in Wittgenstein's Tractatus ist eine Anzahl von Zeitschriftenveröffentlichungen erschienen, meist im Zusammenhang mit der Bildtheorie. Einige seien hier genannt: a) Edwin B. Allaire (Existence, Independence and Universals. . In [PR] Vol. Lxlx No.4, October I960, pp. 485-96) kommentiert Satz T. 2.O122: "Wittgenstein's point, I submit, is that what is meant by the 'independence of the thing 1 can be clarified by saying that its name can occur in any sentence providet only that the 'type rule 1 is observed. This rule, however, is held to be purely syntactical. That is, the formation rules of the language depend on the shapes of the sign and not on what they refer to." (p. 491). b) Irving M. Copi (Objects, properties, and relations in the tractatus. - In: [M] Vol. LxVII, No.266, April 1958, pp. 145-165) vertritt die
37
sehr ähnlich,
134
Pitcher weist jedoch auf eine bedeutende Folgeerscheinung
, . 135 hin:
c)
d)
e)
f)
Meinung, die Wittgenstein selbst in den [Phu] § 46 über Segenstände äußert. Copi übersieht aber, daß Wittgensteins Angaben über die Eigenschaften der Gegenstände Angaben über Namen von Gegenständen sind (auch Bohrs Atommodell besteht in diesem Sinn aus Namen). Deshalb schreibt er: " [ . . . ] this objects are therefore either qualities or bare particulars" ( a . a . O . , p. 163). Gegenstände sind eben keine Qualitäten, bei ihrer Beschreibung (wenn sie überhaupt möglich ist) kann ich Eigenschaftsbezeichnungen verwenden. Wilfrid Sellars (Naming and Saying. - In: [PSc] Vol. 29, N o . I , January 1962', pp. 7-26) argumentiert gegen Copis Theorie der "bare particulars'. Er meint: "In a perspicuous [...] language [...] the predicate words [ . . . ] would appear as manners of being names, as, in a literal sense, internal features of the names." Vgl. auch Sellars Aufsatz "Truth and 'Correspondence'". - In: [jp] Vol. LIX, N o . 2 , January 18, 1962, pp. 29-56. Richard Bernstein (Wittgenstein's three languages.- In: [RM] Vol. XV, N o . 2 , 1961, pp. 278-298) Kritisiert Stenius' Annahme, daß auch Eigenschaften und Relationen Gegenstände seien. An Copi richtet er die Frage, wie er sich denn die Bildung von 'bare particulars' zu 'material properties' vorstelle. Bernstein stimmt Sellar zu, daß Prädikate als interne Eigenschaften der Namen vor Gegenständen gelten könnten. D.S. Shwayder (Gegenstände and other matters. Observations occasioned by a new commentary on the Tractatus. J. G r i f f i n : tWLA]. - In: [ ] Vol. 7, 1964, pp. 387-413) ist mit G r i f f i n der Meinung, daß Gegenstände allein 'particulars' seien (p. 406), vielleicht 'particular properties'. Er meint, eine Trennung von 'particular' und "universal" sei mit der Unterscheidung von "subject" and "predicate" gleichzeitig, und da diese Unterscheidung bei Wittgenstein keine Rolle spiele, sei auch jene fraglich. Shwayder vertritt allerdings nicht Griffins "material-point-theory', sondern setzt für "simple object' 'simple element of sense" (p. 411). Wolfgang Stegmüller (Ludwig Wittgenstein als Ontologe, Isomorphietheoretiker, Transzendentalphilosoph und Konstruktivist. - In: [PhR] 13. Jg., Heft 2, Nov. 1965, S. 116-152) verteidigt Erik Stenius [WT]: "Unter 'Dingen' sind[..] nicht nur Einzeldinge zu verstehen, sondern alle Nichttatsachen: also Einzeldinge, Eigenschaften und Relationen [...] (S. 119). Unter Einzelding scheint Stegmüller den materiellen Gegenstand zu verstehen. "Einzeldinge allein aber können niemals einen Sachverhalt ergeben, da stets ein Attribut (Eigenschaft und Relation) beteiligt ist" (S. 1 2 4 ) . Hiergegen sei Satz ( T 3.1432 gestellt: " " a R b ' sagt nicht, daß ' a ' in der Beziehung ' R ' zu ' b " steht, sondern: daß " a " in einer gewissen Beziehung zu ' b ' steht, sagt, daß ' a R b ' " . Das heißt doch, wenn a,b Namen für Gegenstände eines Sachverhaltes sind, den 'aRb' abbildet, daß weder a,b noch R zu diesem Sachverhalt gehören. Sowohl 'a 1 als auch ' b 1 sind Elemente des Bildes ( 2 . 1 3 1 ) , Namen, die die Gegenstände vertreten (3.2O1, 3 . 2 O 2 ) . ' R 1 ist die abbildende Beziehung, die im Bild die Zuordnung der Elemente vornimmt ( 2 . 1 5 1 4 ) . Diese Zuordnung nennt Wittgenstein "die Fühler der Bildelemente", mit denen das Bild die Wirklichkeit berührt (2.1515). Die Zuordnung ' R ' gehört nicht zur Wirklichkeit, sie ist kein Gegenstand.
134 Vgl. David Keyt: A new interpretation of the Tractatus examined. Review of J. Griffin: [WLA] und G. Pitcher: [PhW]. In: [PhR], Vol. LXXIV, No. 2, April 1965, pp. 229-239. 135 George Pitcher: [PhW] p. 137
38 If all objects and hence all states of affairs are physical, then since all propositions are analysable into elementary propositions which describe such states of affairs, it follows that all propositions describing one's inner experiences, thoughts, feelings, actions, and the rest, must ultimately be analysable into elementary propositions which describe only physical states of affairs - brain states, perhaps.
Nun wissen wir bereits, daß sich eine 'material-point—theory1 nicht halten läßt und deshalb die von Pitcher beschriebene Schwierigkeit nicht besteht, erstaunlich ist nur, daß Pitcher trotz dieser Schwierigkeit an seiner materiellen Interpretation der 'Gegenstände1 im Tractatus festhält. Seit Mai 1915 ist in den Tagebüchern eine Fülle von Aussagen zugunsten der Annahme vorhanden, daß einfache Gegenstände als kleinste Teile unserer Wahrnehmung gedacht sind, die den logisch kleinsten Teilen des Satzes entsprechen. Es ist nicht mehr von materiellen Punkten die Rede, sondern von "einem Fleck unseres Gesichtsbildes", von einem Punkt in jenem Fleck, unser "Gesichtsbild" besteht aus unendlich vielen Teilen. Die Einfachheit ist von unserer Wahrnehmung abhängig, sie ist nicht in der Welt vorgegeben. Am 24.5.15 schrieb Wittgenstein: Unser Einfachstes IST: das Einfachste, was wir kennen. - Das Einfachste zu dem unsere Analyse vordringen kann - es braucht nur als Urbild, als Variable in unseren Sätzen zu erscheinen - dies ist das Einfachste, welches wir meinen und suchen.137 Wenn wir auch die einfachen Gegenstände nicht aus der Anschauung kennen; die komplexen Gegenstände k e n n e n wir aus der Anschauung, wir wissen aus der Anschauung, daß sie komplex sind. - Und daß sie zuletzt aus einfachen Dingen bestehen müssen?^^ Wir nehmen zum Beispiel aus unserem Gesichtsfeld einen Teil heraus, wir sehen, daß er noch immer komplex ist, daß ein Teil von ihm noch immer komplex aber schon einfacher ist, u . s . w . [ ]
Vom Juni 1915 ist eine Eintragung überliefert, die bereits Wittgensteins spätere 14O Ansicht wiedergibt: Es scheint, daß die Idee des EINFACHEN in der des Komplexen und in der Idee der Analyse bereits enthalten liegt, so zwar, daß wir ganz absehend von irgendwelchenBeispielen einfacher Gegenstände oder von Sätzen, in welchen von solchen die Rede ist, zu dieser Idee kommen und die Existenz der einfachen Gegenstände als eine logische Notwendigkeit - a priori einsehen.
Die Einfachheit der Gegenstände ist davon abhängig, ob der Name, der diesen oder jenen Gegenstand bezeichnet, im Elementarsatz als einfacher Name bestehen 136 137 138 139 140
Tb Tb Tb Tb Tb
18.6.15 efi. 11.5.15b.cf. 23.5.15 24.5.15a. 24.5.25b. 14.6.15f.
39
kann. Wittgenstein benötigt für seine Theorie der Abbildung einfache Zeichen, die einfache Gegenstände abbilden, und soweit logisch einfache Zeichen notwendig sind, sind es auch einfache Gegenstände. Im Tractatus gibt Wittgenstein keine Diskussion der Gedanken, die er in den Tagebüchern niederschrieb. Es heißt bestirmtt: "Der Gegenstand ist einfach." Diese Einfachheit kann im Tractatus nur aus der Elemantarsatztheorie erläutert werden. Wir können nicht mehr sagen, als daß Wittgenstein für einfache Funktionen einfache Zeichen benötigt und daß diese einfachen Zeichen Teile der Wirklichkeit benennen, weil die Sprache die Wirklichkeit, wie wir sie wahrnehmen, abbildet. Die Sprache kann in Sätze, Elementarsätze, Namen zergliedert werden, die Wirklichkeit in Wahrnehmungsfelder, Sachverhalte, Gegenstände. Die Gegenstände sind die kleinsten Teile, die wir benennen können, die Wirklichkeit ist dabei abhängig von der Möglichkeit der Sprache zu bezeichnen. Was ich nicht aussagen kann, kann ich nicht denken, und es besteht auch nicht als Wirklichkeit für mich. Dabei ist zu beachten: (I)
Gegenstände können nicht selbst kleinste logische Einheiten sein, weil Gegenstände dargestellt werden können, die Logik oder Teile der Logik aber nicht.
(II)
Gegenstände sind nicht materiell. Der Satzanalyse entspricht die Analyse unseres Wahrnehmungsfeldes, und die kleinsten Teile dieses Feldes erschließen wir aus der Zergliederung dieses Feldes. Wir nehmen an, daß schließlich kleinste Teile übrigbleiben, wie bei unserer Satzanalyse kleinste Teile übrigbleiben mußten.
(III)
Das bedingt, daß ich einfache Gegenstände nur benennen kann, ich kann niemals sagen, was sie sind, nur wie sie sind.143 Meine Beschreibung ist abhängig von den Namen, die mir die Sprache zur Verfügung stellt.
(IV)
Wie die Gegenstände sind, kann ich aus dem Sinn des Satzes schließen, dessen Namen für diese Gegenstände stehen.^
Bemerkungen Wittgensteins aus der Zeit nach der Veröffentlichung des Tractatus können einigen Aufschluß über seine Ansicht von 'Gegenständen' geben. In den "Philosophischen Bemerkungen" aus den Jahren 1929 - 193O schrieb Wittenstein: Was wir uns im physikalischen Raum denken, ist nicht das Primäre, das wir nur mehr oder weniger erkennen können; sondern, was vom physikalischen Raum wir erkennen können, das zeigt uns, wie weit das Primäre geht und wie wir den physikalischen Raum zu d e u t e n haben.
141 142 143 144 145
T. 3 . 2 2 , 3.221, 3.2O3, 4.O312. T. 4 . 1 2 , 4.121, 4.O312. T. 3.221. Tb 18.6.15 ab; T 3.23, 4.02-4.O27. Ludwig Wittgenstein: [PhB] § 147c.
40
"Elemente der Erkenntnis" sind das Primäre.146 Elemente der Erkenntnis sind die Gegenstände und die Urzeichen (Namen) der Elementarsätze. 147 Am 22.12.1929 notierte Friedrich Waismann über ein Gespräch mit Wittgenstein: 148 Welche Farbe immer ich sehe, jede kann ich wiedergeben, indem ich die vier Urfarben rot, gelb, blau, grün angebe und hinzufüge, wie diese Farbe aus den Urfarben zu erzeugen ist. [..] Zeichen einer Farbe: weiß
blau
rot h
schwarz Jede Aussage über Farben kann mit Hilfe solcher Symbole dargestellt werden. Sagen wir, wir würden mit vier Urfarben auskommen, dann nenne i c h solche gleichberechtigte Symbole E l e m e n t e d e r D a r s t e l l u n g . Diese Elemente der Darstellung sind die 'Gegenstände' Jetzt hat die Frage keinen Sinn: Sind die Gegenstände etwas Dinghaftes, etwas, das an Subjektstelle steht oder etwas Eigenschaftshaftes oder sind sie Relationen und so weiter? Von Gegenständen sprechen wir einfach dort, wo wir gleichberechtigte Elemente der Darstellung haben.1^9
Friedrich Waismann interpretiert Wittgenstein so, daß die Gegenstände, die Elemente, wie Waismann dafür schreibt, nicht in der Umgangssprache beschrieben werden können. Nur Komplexe können beschrieben werden, diese Beschreibung setzt aber voraus, daß es etwas "Festes" gibt, das die Beschreibung ermöglicht. Die Funktion des Festen, Unveränderlichen erfüllen die Elemente. Daß es einfache Elemente gibt, ist nicht etwa das Ergebnis einer abstrakten Theorie, sondern wir müssen es im Grunde alle wissen. Und das stimmt ja auch mit unserem natürlichen Gefühl überein. ->2
Bei allen Unterschieden der Definition und der Stellung in den Arbeiten, erinnert diese Bemühung des Gefühls durch Waismann an Meinongs "reine Gegenstände" und dessen Unvermögen, darüber etwas zu sagen.
147 Friedrich Waismann, [WTh] p. 2 3 3 f f . , gebraucht für 'Gegenstand' das Wort 'Element', um eine Verwechslung mit Gegenständen wie Stuhl, Haus usw. zu vermeiden. Siehe bes. [WTh] S. 234,250-253 in [WWk], 148 Ludwig Wittgenstein: [WWk] S. 41-43. 149 Waismann übernimmt dieses Beispiel in seine Thesen Vgl. [WTH] in [WWK] S.251b. 150 [WTh] in [WWK] S. 252f 151 a.a.O., S. 253al. 152 a . a . O . , S. 253a3-4.
41
Wittgenstein bezeichnet die 'Gegenstände' des Tractatus in den "Philosophischen Untersuchungen" als "Urelemente". Er zitiert aus dem Traum des Sokrates in. Platons Theaitetos: Täusche ich mich nämlich nicht, so habe ich von Etlichen gehört: für die U r e l e m e n t e - u m mich so auszudrücken - aus denen wir und alles übrige zusammengesetzt sind, gebe es keine Erklärung; denn alles, was an und für sich ist, könne man nur mit Namen b e z e i c h n e n , eine andere Bestimmung sei nicht möglich, weder die, es s e i , noch die, es sei n i c h t ... Was aber an und für sich ist, müsse man [ . . . ] ohne alle anderen Bestimmungen benennen. Somit aber sei es unmöglich, [. .. ]
Hierzu sagt Wittgenstein: "Diese Urelemente waren auch Russells 'individuals', und auch meine 'Gegenstände' (Log.Phil.Abh.)"
l55
c. Gegenstände im Sachverhalt Sachverhalte bestehen allein aus einfachen Gegenständen, für sich sind sie nicht existierend. Die Verknüpfung von Gegenstand und Sachverhalt zeigt auch die Anordnung der Sätze im Tractatus: Die Sätze über Gegenstände (T. 2.Öl - 2.033) sind Teil der Diskussion über Sachverhalte (T. 2. - 2.063). 2.01
Der Sachverhalt ist Dingen).
eine Verbindung von Gegenständen (Sachen,
2,Oll
Es ist dem Ding wesentlich, der Bestandteil eines Sachverhaltes sein zu können.
2.Öl2
In der Logik ist nichts zufällig: Wenn das Ding im Sachverhalt vorkommen kann, so muß die Möglichkeit des Sachverhaltes im Ding bereits präjudiziert sein.
153 Platon: Theaitetos 2O1 d 8-2O1 e 4. Übersetzung von Karl Preisendanz (Platon Protagoras/Theaitetos. Ins Deutsche übertragen v. Karl Preisendanz. Jena 1925. S. 232/33. - Wittgenstein hat die Texthervorhebungen von Preisendanz übernommen, auch die Gedankenstriche, wobei nicht festzustellen ist, ob die Herausgeber der [PhU] den Wittgensteintext oder die Ausgabe von Preisendanz abdruckten. In Zeile 13 von § 46 hat Preisendanz "Zusammensetzt-" ( ) Die Auslassungen Wittgensteins gebe ich nicht wieder, da sie an dieser Stelle überflüssig sind und außerdem Platon-Texte leicht zugänglich sind. 154 Vgl. Meinongs Aussagen, daß reine Gegenstände außerhalb von S ein und Nichtsein liegen (Alexius Meinong: Über Gegenstandstheorie. S. 12. In: Untersuchungen zur Gegenstandstheorie und Psychologie. Leipzig 19O4. S. 1-5O). - Bereits 1899 hat G . E . Moore in dem Aufsatz "The Nature of Judgement"
(2) Die Relationen der Elemente der Systeme S S. gleich definiert sein.
und S
müssen für S
und
(3) Zwischen den Elementen (E) von S und S' muß eine eindeutige, umkehrbare Relation (R) vorhanden sein.
So ist z.B. das System der natürlichen Zahlen dem System der geraden natürlichen Zahlen in Hinblick auf die Relation "größer als" isomorph: S
( 1-2-3-4-5 -6 - 7 . . . ) l l l l l l ( 2-4-6-8-10-12-14 . . . )
S
Zwischen den Zahlen 5 und 6 des Systems S besteht die Relation 6 > 5. Nach (3) folgt daraus in S1 12 > 10. Zwischen S und S' folgt nach (1) - (3): 1O > 5 und 12 "7 6.
In einer aus Ehepaaren bestehenden Gruppe sei S die Menge der Männer und S 1 die Menge der dazugehörigen Frauen. Dann entspricht der Menge der Männer in S die Menge der Frauen in S", und sowohl die Männer als auch die Frauen sind Ehepartner. Die Relation männlicher Ehepartner - männlicher Ehepartner in S entspricht der Relation weiblicher Ehepartner - weiblicher Ehepartner in S 1 ( 2 ) . Zwischen S und S" besteht die eindeutige, umkehrbare Relation der Ehe (3). Es gilt daher: Is
(S, S ' ) ·
Für die Isomorphie gelten folgende Gesetze: (a)
Is
(S, S)
(b)
[Is
(S, S ' ) ] 0
(c)
[IS
(S, S ' ) .
[is
Is
(S1, S)] (S 1 , S " ) ] 3 [ ( S , S")]
Die Isomorphie, die Hertz zwischen Bild und Abgebildetem annimmt, läßt sich im Tractatus nicht erweisen, obwohl Ähnlichkeiten auffallen (2.13, 2.131, 2.14, 2.1513, 2.1514,10 9
10
Vgl. Rudolf Carnap: Einführung in die symbolische Logik. 2. A u f l . Wien I960, S. 74-76. - Philosophisches Wörterbuch. Hrsg. v. Georg Klaus und Manfred Buhr, 4. Aufl. Leipzig 1966.· S. 264-265. - [MM] S. 24-26. - Nelson Goodman: The structure of appearance. Harvad University Press 1951. Chapter I, 3: 'Extensional Isomorphism' Chapter I, 4: 'Consequence of Isomorphism as a Criterion', pp. 11-19, 20-26. Vgl. Erik Stenius: [WT] pp. 91-116. Stenius' Begründung der Isomorphie zwischen Tatsache und Bild hat Wolfgang Stegmüller (Ludwig Wittgenstein
48
Der Unterschied zwischen Hertz und Wittgenstein hat folgende Ursachen: Hertz sagt "Wir machen uns innere Scheinbilder oder Symbole der äußeren Gegenstände [...]", Wittgenstein hingegen behauptet "Wir machen uns Bilder der Tatsachen". Diese beiden Aussagen gleich zu deuten, hieße den bedeutenden Unterschied vergessen, den Wittgenstein im Satz 1.1 gibt: "Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge". Hertz meint, "die Bilder, von welchen wir reden, sind unsere Vorstellungen von den Dingen; [...]". Wir wissen, daß Hertz einen völlig anderen Gegenstandsbegriff als Wittgenstein hat und daß Griffin fälschlich eine Gleichsetzung von Hertz1 "materiellen Punkten" und Wittgensteins 12 "Gegenständen" annimnt. Für Hertz ist das einzelne Ding abbildbar, insgesamt ergeben diese Abbildungen unser Weltbild.
Wittgenstein nimmt den Gegenstand
nie einzeln an, sondern nur im Zusaitmenhang der Sachverhalte. Deshalb können wir uns auch kein Bild von den Gegenständen machen, sondern nur von den Tatsachen. Bei Hertz wird die Einfachheit des Bildes durch "die künstliche und wohlerwogene Anpassung unserer Begriffe an die darzustellenden Verhältnisse" erreicht.
14
Er gewinnt die Vorstellung der materiell einfachen Punkte aus der Erfahrung der wahrnehmbaren Systeme.
15
aller Erfahrung liegt.
16
Wittgenstein meint die logische Einfachheit, die vor
Wittgensteins Gegenstandsbegriff schließt jede Annahme einer Isomorphie zwischen Bild und Gegenstand, wie Hertz sie annimmt, von vornherein aus. Wenn es heißt, "den Gegenständen entsprechen im Bilde die Elemente des Bildes" (2.13),
11 12 13 14 15 16
als Ontologe, Isomorphietheoretiker, Transzendentalphilosoph und Konstruktivist. - In: [Phr] 13. Jg., Heft 2, November 1965, S. 116-152) unterstützt. Stegmüller meint sogar, Stenius habe über Wittgensteins Abbildtheorie wohl eine "endgültige Klärung" erzielt (S. 125). Stegmüller nimmt wie Stenius außer Bild und Abgebildetem, zwischen denen Isomorphie bestehen soll, noch einen "Isomorphieschlüssel" (key of interpretation) an, der zwischen Bild und Abgebildetem die Isomorphie erzeugen soll (S. 127). Ich kann aber nachweisen, daß Wittgenstein keinen "Isomorphieschlüssel" zuläßt. J. Griffin: [WLA] p. lol. s. Abschn. I dieses Kapitels. Heinrich Hertz: a . a . O . , Einleitung, S. 3O. Heinrich Hertz; a . a . O . , S. 37, ebd. Die Bedeutung, die Hertz 1 "Prinzipien der Mechanik" für Wittgenstein hatten, hat auch D.S. Schwayder in seiner Dissertation festgestellt.([SWT] (Chapter 12, % 4 ) . Im Gegensatz zu Griffin stellt Shwayder bedeutende Unterschiede fest: " t · · · ] there is this important difference: Hertz' 'conformity' zwischen Natur und Gedanke has to do with 'correctness' or truth, while the common element in Wittgenstein's theory has to do only with possibilities, with logic." (p.349) "The common element displayed by logically alternation pictures on Wittgenstein's theory comes out as a kind of 'logical isomorphism' But Hertz' models are related by a 'factual isomorphism 1 , the correspondence being established through mediation of an empirically significant law." (p. 350 Note 1)
49
so muß erinnert werden, daß die Gegenstände nur im Sachverhalt denkbar sind, und daß die Gegenstände nicht in Klassen wie "things" und "predicates" aufteilbar sind. Nun lesen wir in Satz T. 2.1513, daß zum Bild neben seinen Elementen auch noch die abbildende Beziehung gehöre, die für das Bild grundlegend sei. Wir können also nicht annehmen, daß bei Bild und Abgebildetem die gleiche Multiplizität herrscht, die eine Isomorphie fordert. Hingegen könnte man allerdings einwenden, daß bei dem Bild Elemente und abbildende Beziehung gegeben seien. Bei dem Abgebildeten eben die Gegenstände und ihre Konfiguration, daß also doch die bei einer Isomorphie geforderte gleiche Multiplizität vorhanden sei. Hiergegen sprechen mehrere Sätze des Tractatus. Die Konfiguration der Gegenstände bestimmt den Sachverhalt, wir machen uns aber keine Bilder der Sachverhalte, sondern "wir machen uns Bilder der Tatsachen" (2.1), oder, "das Bild bildet die Wirklichkeit ab, indem es eine Möglichkeit des Bestehens und Nichtbestehens von Sachverhalten darstellt" (2.201). Isomorphie setzt voraus, daß wir eine Relation zwischen den Elementen der Systems herstellen können. Das ist bei Wittgenstein nicht möglich. Wir können die Gegenstände nicht isolieren und ihnen irgendwie die Bildelemente zuordnen oder eine Relation der Gegenstände und Bildelemente herstellen. Die Gegenstände sind nur im Sachverhalt zu denken und die Elemente im Bild vertreten die Gegenstände. An eine Isomorphie zwischen Systemen aus Gegenständen und Bildelementen kann Wittgenstein auch deshalb nicht gedacht haben, weil er die notwendige Relation, die zwischen den Elementen der Systeme bestehen muß, nicht in diesen Systemen selbst definiert. Wir müssen bei isomorphen Systemen eine Interpretation der Isomorphie" geben, die nicht in den Bildern selbst gegeben ist.
Wittgensteins Bilder fordern aber gerade eine in
ihnen liegende abbildende Beziehung, die die Elemente zuordnet; von einer externen Relation zwischen Bild und Tatsache, die abgebildet wird, ist nicht die Rede. Wir müssen bei Wittgenstein eine Isomorphie zwischen einem Bildsystem mit Bildelementen und einem Gegenstandssystem mit Gegenstandselementen ausschließen. Vielmehr muß bedacht werden, daß Wittgenstein keine Bilder von Gegenständen annimmt, sondern von Tatsachen. Bevor wir das Verhältnis von Tatsache und Bild genauer untersuchen, seien zwei vorläufige Behauptungen mit zwei Erläuterungen gegeben, die sowohl die Bedeutung Hertz' für die Bild-Theorie Wittgensteins als auch eine Isomorphie zwischen Bild und Tatsache abgrenzen sollen: 17
Ich meine, es ist deutlich, daß sich Griffins Behauptung "The picture theory comes almost in its entirely from Hertz" nicht halten läßt ([WLA] p . 9 9 ) . Es ist unrichtig, nur Hertz' Einfluß anzunehmen. Viele Stellen in der Bild-Theorie des Tractatus weisen auf Frege (3.143, 3.2O3, 3.325, 4 . 1 2 7 2 , 4.1273, 4.431) und Rüssel ( 3.325, 3.331, 4.0O31, 4.O36, 4 . 1 2 7 2 , 4.12721, 4.1273).
50 (1)
Wir machen uns Bilder der Tatsachen,
nicht der Gegenstände.
(2)
Wir können Bilder der Tatsachen machen oder keine Bilder der Tatsachen machen, aber wir kennen keine Tatsachen außerhalb der Bilder. Alle Tatsachen sind Bilder. ·
(l1)
Es gibt keine Isomorphie zwischen Gegenstands- und Bildsystemen, die Hertz annahm.
(21)
Wir kennen nur Bilder, nicht Tatsachen und Bilder, Desshalb können wir auch die Bilder nicht mit den Tatsachen vergleichen. Eine Isomorphie setzt Definitionen voraus, die nicht in den einzelnen Bildern, die isomorph sein sollen, gegeben sind. Ich muß dann eine Definitionsmöglichkeit außerhalb der Bilder haben, und das ist unmöglich, wenn nur Bilder der Tatsachen gegeben sind.
In den Tagebüchern hat Wittgenstein wenig Eintragungen über Bilder gemacht, dafür ist von Satzbildern zu lesen. Wittgenstein gibt ein Beispiel: 18
Wenn in diesem Bild der rechte Mann den Menschen A vorstellt, und bezeichnet der linke den Menschen B, so könnte etwa das ganze aussagen "A ficht mit B" .[...]
Hierzu einige Stellen aus dem Tractatus: Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit ( 2 . 1 2 ) . Den Gegenständen entsprechen im Bilde die Elemente des Bildes ( 2 . 1 3 ) . Das Bild besteht darin, daß sich seine Elemente in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten ( 2 . 1 4 ) .
Die Elemente des Bildes sind deutlich: Die beiden Menschen, die Fechthaltung der Körper, die Degen. Die Anzahl der Elemente ist begrenzt: Zwei Köpfe, zwei Hälse, zwei Leiber, vier Arme, vier Beine, vier Füße, zwei Degen. Weil wir diese Begrenzte Anzahl von Elementen haben, können wir sagen: Zwei Menschen fechten. Hätten wir mehr Elemente, z.B. genaue Vorstellungen von den Körpern oder klare Bilder der Degen, so könnten wir vielleicht sagen, Sokrates ficht mit Plato, die Degen haben gleiche Kcüittnungen der Griffe. Begrenzen wir die Elemente z.B. auf folgende Art und Weise, so könnten wir nicht mehr erkennen, daß zwei Menschen fechten, wir müßten erklären, dies Bild soll zeigen, daß zwei Menschen fechten, man kann das aus den gekreuzten Strichen schließen. 1 9 Wittgenstein hat sicher nicht an abstrakte Bilder der Kunst gedacht, wie sollten deren Elemente für Gegenstände stehen? Wir müssen hier an das denken, was über die Gegenstände, die Ürelemente, gesagt ist. Unter diesem Aspekt zer18 Tb 29.9.14e. 19 Vg. G.E.M. Anscombe [IWT] pp. 64-67. - G. Pitcher [PhW]
p. 86-87.
51
bricht die harmlose Gestalt der naturalistischen Bilder wahrnehmbarer Gegenstände. Wir müssen daran denken, daß die Gegenstände nur in Sachverhalten denkbar sind, daß also schon aus diesem Grund eine einfache, vergleichende Zuordnung der Gegenstände und Bildelemente nicht möglich ist.
Es heißt, daß die
Elemente des Bildes im Bilde den Gegenständen entsprechen, die Elemente verhalten sich in bestimmter Art und Weise zueinander. Ich muß davon ausgehen, daß ich die Elemente des Bildes kenne, ihnen ordne ich die Gegenstände zu, aber ich weiß nicht, was die Gegenstände sind, ich weiß nur, wie sie sind, eben aus den Bildern weiß ich es. Die allgemeine Bild-Theorie sagt wie Satz T 1.1, daß ich die Welt der Dinge nur aus den Bildern kenne, die ich mir mache: 1.1
Die Welt ist
die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge.
2
Was der Fall ist,
2.Öl
Der Sachverhalt ist Dinge).
2.1
Wir machen uns Bilder der Tatsachen.
2.13
Den Gegenständen entsprechen im Bilde die Elemente des Bildes.
die Tatsache, ist
das Bestehen von Sachverhalten.
eine Verbindung von Gegenständen (Sachen,
Diese Sätze scheinen widersprüchlich zu sein, aber nach dem ersten Kapitel ist der Zusammenhang deutlich. Wenn wir uns Bilder der Tatsachen machen, so stellt das Bild das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten vor, denn die Tatsache, die positive oder negative, ist das Bestehen, das Bestehen oder Nichtbestehen von Sachverhalten. Das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten kennen wir aus den wahren bzw. falschen Elementarsätzen ( T 4.25). Wie in Abschnitt I gezeigt wurde, sind Sätze Wahrheitsfunktionen der Elementarsätze. Sätze sind Tatsachen, wenn sie mit der Wahrheitsmöglichkeit der Wirklichkeit übereinstimmen. Wenn die Elementarsätze "^ p1 und "q" alle Elementarsätze sind, die eine Modellwelt beschreiben, dann bezeichnen die Namen dieser Elementarsätze die Gegenstände der Sachverhalte '
1
und 'tQ'. Ich weiß, daß der Satz ' p o q '
[ (WFWW) (p,q) ] .mit der Wahrheitsmöglichkeit 'FW1 der Wirklichkeit unserer MDdellwelt übereinstimmt, also eine Tatsache ist, Satzzeichen ' p o q
1
und nun zeigt sich, daß das
oder [(WEVJW) (p,q) ] ein Bild der Tatsache ist,
nicht angeben kann, was die Tatsache außerhalb dieses Bildes ist.
und daß ich Die Gegen-
stände sind insofern Elemente des Bildes, als sie durch die Namen der Elementarsätze '^ p1 und 'q' im Bild ' p ^ q 1 vorkommen. Der Satz ' p o q 1 ist ein Bild der Tatsache. Man kann von einer Tatsache verschiedene Bilder machen. Ich kann z.B. für ' p o q 1 auch ' ^(p. ^ q) ' oder ' ^ p v q 1 schreiben und habe Bilder dersel-
52
ben Tatsache, die ich eben nur in Bildern in diesem Fall in Satzbildern, aus, .. . . 2o drucken kann. Man muß beachten, daß Wittgenstein in T 2.1 - 2.225 allgemein von "Bildern" spricht, noch nicht von Sätzen oder gar Elementarsätzen. Die allgemeine BildTheorie, wie Wittgenstein sie hier dargestellt hat, ist aber nur als Verallgemeinerung der Satzbild-Theorie verständlich, sie hat sonst keine Klarheit. Sicher kann ich sagen, daß ich mir ein Bild von einem Bekannten machen kann, aber dieses Bild kann ich nicht ohne weiteres zu anderen Bildern ordnen; wenn ich es versuche, kann ich mich der Hilfsmittel bedienen, die Wittgenstein angibt, und diese sind eindeutig durch seine Elementarsatz-Theorie bestimmt. "Bild" ist für Wittgenstein die weiteste Kategorie, durch die ein Wahrnehmungsfeld beschrieben werden kann. Gebe ich die Eigenschaften meines Bekannten an, so kann ich sagen, dies sind Elemente meines Bildes. Wie stehen diese Elemente aber z.B. mit einem E-Dur-Dreiklang im Zusammenhang? On das angeben zu können, muß ich eine subtilere Ordnung der Bilder angeben, und dies ist Wittgensteins Versuch im Tractatus. Kernstück ist die Elementarsatztheorie. Die Elementarsatztheorie hat im Tractatus eine doppelte Bedeutung: (1) Einmal werden aus Elementarsätzen durch Operationen Sätze gewonnen, die einer logischen Syntax genügen. (2) Zum anderen benutzt Wittgenstein die Kenntnis der Elementarsatztheorie zur Analyse des allgemeinen Wahrnehmungsfeldes, des Bildes, und erreicht vom Bild über den Gedanken den Satz und den Elementarsatz. Es ist deshalb nicht nur legitim, die allgemeine Bild-Theorie durch die Elementarsatztheorie zu interpretieren, sondern notwendig, weil die Analysis der Bilder mit Hilfe der logischen Syntax von der Elementarsatztheorie abhängig ist.
Man kann sagen, daß die allgemeine Bild-Theorie eine Verallgemeinerung der
Elementarsatztheorie ist, die die Gesetze derselben beachtet und somit durch diese Gesetze zu interpretieren ist. Wenn wir die Elementarsatztheorie als Mittelpunkt annehmen, dann sind die allgemeine Bild-Theorie und die allgemeine Satzform die extremen Pole, die Grenzpunkte der Sprache und des Denkens, die Wittgenstein zur Begrenzung des Unsagbaren setzt.
20
Tb 9.5.151: "Der Satz ist das Bild der Tatsache. Ich kann von einer Tatsache verschiedene Bilder entwerfen. (Dazu dienen mir die Logischen Operationen) . Aber das für die T a t s a c h e Charakteristische in diesen Bildern wird in allen dasselbe sein und von mir nicht abhängen."
53
b. Formen der Bilder Der Begriff "Form" ist wesentlich für alle Teile des Tractatus und erst im Tractatus ganz entwickelt. In den "Notes on Logic" kommt den Sätzen eine Form zu, 2 1 in den "Notes dictated to G.E. Moore in Norway"wird der Begriff "Form" vornehmlich in einem allgemeinen Sinn gebraucht wie "form of symbol", 22 "forms of proof". In den Tagebüchern gebraucht Wittgenstein den Begriff "Form" sehr wenig, je einmal "Form eines Bildes", "logische Form des Satzes", "Form n /des allgemeinen Satzes", "Elementarsatzform". Aber es ist bereits von den Bereichen die Rede, für die der Formbegriff im Tractatus so bestimmend wird: Bild, Satz, Elementarsatz, allgemeine Form des Satzes. Zweimal verwendet Wittgenstein den Formbegriff in den Tagebüchern, wie er ihn im Tractatus nicht verwendet. "Form einer Tatsache' und "Elementar Form". Im Tractatus steht an keiner Stelle, daß Tatsachen Formen haben. Sie besitzen vielmehr Strukturen. Das Wort Elementarform wird m.E. nur einmal in den Tagebüchern von Wittgenstein gebraucht. l-\ Q
2Q
Im Tractatus gibt es acht große Gruppen von Formen: (a) (b) (c) (d) (e) (f) (g) (h)
Logische Form (2.18, 2.2, 3.315, 3.327, 4.12, 4.121, 6.23, 6.33) Form des Gegenstandes (2.0141, 2.O251) Form des Sachverhaltes (2.033) Form der Abbildung (2.15, 2.151, 2.17, 2.172, 2.181, 2.2, 2.22) Form der Darstellung (2.173, 2.174) Form der Sätze (5.47) Form der Elementarsätze (5.55, 5.556) Allgemeine Satzform (5.47 - 5.472, 5.54).
Bei der Besprechung der Form des Gegenstandes und des Sachverhaltes haben wir bereits gesehen, daß die Form die Möglichkeit der Struktur war. "Die Form ist die Möglichkeit der Struktur" (2.033). Auch für die Bilder ist die Form "Möglichkeit". Mit der Bild-Theorie werden drei der acht verschiedenen Formen eingeführt: 21 22 23 24 25 26 27 28 29
[NL] in: Tb pp. 98-99. [NM] in: Tb p. 112. ebd., p. 1O8 Tb 20.10.14b. Tb 1.11.14f. Tb 25.10.14d. Tb 31.10.14f Tb 1.11.14b. Tb 2O.1.15g
54
(1)
Die logische Form
(2)
Die Form der Abbildung
(3)
Die Form der Darstellung. (1) Die logische Form ist die umfassendste aller Formen. Sie gilt für jedes
Bild, das überhaupt abbildet. 2.18
Was jedes Bild, welcher Form immer, mit der Wirklichkeit gemein haben muß, um sie überhaupt - richtig oder falsch - abbilden zu können, ist die logische Form, das ist, die Form der Wirklichkeit.
Die logische Form kann nicht dargestellt werden, sie zeigt sich. Dies erläutert Wittgenstein in bezug auf den Satz, der ja ein Bild mit einer bestimmten Form ist, also die logische Form mit der Wirklichkeit gemeint hat. Wir können im Satz die gesamte Wirklichkeit darstellen, aber nicht, was der Satz mit der Wirklichkeit geirein hat, die logische Form (4.12). Der Satz zeigt die logische Form. Wittgensteins Auffassung über die logische Form ist durch seine Auffassung von der Logik überhaupt begründet. Die Logik erfüllt die Welt, wir können mit ihrer Hilfe alles bestinmen, was der Fall .ist, wir können mit der Logik einen logischen Raum annehmen und bestinmen, welche Sachverhalte in diesem logischen Raum bestehen und nicht bestehen; das bedeutet, daß wir auch sagen können, welche anderen Möglichkeiten des Bestehens und Nichtbestehens von Sachverhalten gegeben sind. Eine Möglichkeit des Bestehens und Nichtbestehens von Sachverhalten gilt für die bestehende Welt. Da wir den durch die Logik gegebenen bestehenden Sachverhalten Wahrnehmungen zuordnen können, nennen wir diese Zuordnung Wirklichkeit. Daß wir unsere Wahrnehmung so ordnen können, heißt, daß die Logik die Welt erfüllt (5.61). Wir können zeigen, wie die Logik die Welt erfüllt, z.B. durch logische Analysen der Sprache, die Anwendung physikalischer Gesetze, aber wir können nicht sagen, was Logik ist. Kein Standpunkt außerhalb der Logik kann gefunden werden. Deshalb sagt Wittgenstein auch über die logische Form: "Un die logische Form darstellen zu können, müßten wir uns mit dem Satz außerhalb der Logik aufstellen können, das heißt außerhalb der Welt" (4.12). Nun dürfen wir die logische Form keineswegs mit der Logik selbst gleichsetzen. Wir können das Wort "Logik" als einen formalen Begriff auffassen und alle möglichen logischen Formen als seine Eigenschaften. Wittgenstein spricht von der "logischen Form der Abbildung" ( 2 . 2 ) , der "logischen Form des Satzes" (4.0O31) der "logischen Form zweier Ausdrücke" (6.23). Eine Anschauung kann eine Interpretation von Satz T 3.315 geben. Wenn wir das Subjekt des Satzes "Daphnis liebt Chloe" durch eine Variable ersetzen, erhalten wir die Klasse von Sätzen "x liebt Chloe". Ersetzen wir die Konstante "Chloe" durch eine andere
55
Variable, so haben wir "x liebt y". Nehmen wir auch für die Relation eine Variable, so ist "x R y" eine logische Form des Satzes "Daphnis liebt Chloe". Ebenso könnte ich sagen, der Kreis ist eine logische Form aller Bilder, die runde Gegenstände abbilden. (2) Die "Form der Abbildung" ist Hauptbegriff der Bild-Theorie. In den Tagebüchern gebrauchte Wittgenstein das Wort noch nicht. Dort verwendet er für "Form der Abbildung" und "Form der Darstellung", die unter (3) noch behandelt wird, Begriffe und Beschreibungen, die "Abbildung" und "Darstellung", wie sie im Tractatus gebraucht sind, nicht unterscheiden. Es seien genannt: ( a ) Logische Abbildung, (g) Darstellungsmethode. ( ) Darstellungsweise. ( ) Abbildungsmethode, (e) Prinzipe der Darstellung. ( ) Darstellungsweise. ( ) Bezeich37 -\a nungsweise. ( ) Darstellende Beziehung (Relation). Diese Vielfalt ist im Tractatus auf die schon genannten Begriffe "Form der Darstellung" begrenzt. Dennoch fällt auch hier noch eine Schwierigkeit der Abgrenzung und Interpretation auf. Die "Form der Abbildung" bezeichnet: 2.15
Daß sich die Elemente des Bildes in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten, stellt vor, daß sich die Sachen so zu einander verhalten. Dieser Zusammenhang der Elemente des Bildes heiße seine Struktur und ihre Möglichkeit seine Form der Abbildung.
2.151
Die Form der Abbildung ist die Möglichkeit, daß sich die Dinge so zu einander verhalten, wie die Elemente des Bildes.
2.17
Was das Bild mit der Wirklichkeit gemein haben muß, um sie auf seine Art und Weise - richtig oder falsch - abbilden zu können, ist seine Form der Abbildung.
2.171
Das Bild kann jede Wirklichkeit abbilden, deren Form es hat. Das räumliche Bild alles Räumliche, das farbige alles Farbige,
2.172
etc.
Seine Form der Abbildung aber kann das Bild nicht abbilden; es weist sie auf.
In den Tagebüchern schrieb Wittgenstein: "Die Form eines Bildes könnte man dasjenige nennen, worin das Bild mit der Wirklichkeit stimmen m u ß (um sie überhaupt abbilden zu können)". 39 Die Ähnlichkeit der Formulierung mit T 2.17 und 30 31 32
Vg. G . E . M . Anscombe: [IWT] pp. 95-97. - M. Black: ICWT] pp. 126-27. Tb 18.1O14; 2 7 . l O . 1 4 c . Tb 30.10.14c
33 34 35 36 37 38 39
Tb 30.10.14 efi; 31.1O.14b-e. Tb 1.11.14k Tb 1.11.14m. Tb 3.11.14 . Tb 5.11.14h Tb 2.11.14a; 3.11.14bf. Tb 20.lO.14b.
56
2.15 läßt fragen, ob Wittgenstein mit "Form der Abbildung" nicht "Form eines Bildes" gemeint hat. Die Form des Bildes ist dann die Möglichkeit seiner Struktur, analog zu Gegenstand und Sachverhalt, wo ebenfalls die Form Möglichkeit der Struktur war (2.O141, 2.033). Der Zusammenhang der Elemente des Bildes, die Struktur des Bildes, stellt vor, daß sich die Sachen (Gegenstände) so zueinander verhalten. Die Form der Abbildung ist die Möglichkeit der Struktur des Bildes. Wir müssen hier einen Unterschied beachten. Die Form der Gegenstände war die Möglichkeit, in Sachverhalte einzutreten. Die Form der Sachverhalte war die Möglichkeit der Strukturen, die von den Gegenständen im Sachverhalt gebildet wurden. Die Form der Abbildung ist aber zugleich die Möglichkeit, wie sich die Elemente zu einer Struktur des Bildes ordnen, und sie ist die Möglichkeit, daß sich die Gegenstände, für die die Elemente des Bildes stehen, so verhalten. Die Form der Abbildung ist also Möglichkeit in doppeltem Sinn: Einmal für die Anordnung der Bildelemente, zum anderen für die Anordnung der Gegenstände. Nun ergibt die Anordnung von Gegenständen einen Sachverhalt, der Form und Struktur hat, und die Form der Abbildung ist keineswegs damit identisch. Daß die Form der Abbildung als Möglichkeit bezeichnet wird, daß sich die Sachen (Gegenstände) so verhalten, hängt mit der Grundbedeutung der Bilder zusammen: Wir kennen die Gegenstände nur durch die Bilder
und deshalb kenne ich Gegenstände
nur soweit, wie die Form der Abbildung Möglichkeit zur Wahrnehmung bietet. Es muß beachtet werden, daß Wittgenstein keinen direkten Zusammenhang zwischen Sachverhalt und Bild setzt. Der Sachverhalt wird durch einen wahren Elementarsatz behauptet (4.25), die Elementarsätze bestehen aus Namen, und diese bezeichnen die Gegenstände direkt, sie nennen sie. Wir machen uns Bilder der Tatsachen (2.1) und nicht der Sachverhalte. Wittgenstein schließt damit eine direkte Korrespondenz zwischen Gegenstand und Bildelement aus. In Korrespondenz stehen die Konfiguration der Gegenstände und die Anordnung der Elemente im Bild, wobei die Betonung auf Konfiguration und Anordnung liegt. Die Form der Abbildung der Bild-Theorie ist weiterhin aufgefaßt als die Benennung der Gegenstände mit Namen in der Elementarsatztheorie. Die Form der Abbildung gilt für alle Bilder, Sätze und Elementarsätze. Sie gilt z.B. auch für komplexe Sätze, und das schließt wiederum aus, daß eine direkte Relation zwischen den Gegenständen und den Bildelementen besteht. Diese direkte Relation nimmt Griffin an. (I)
4O
J.
4O
Griffin gibt drei Argumente an:
An element in a picture, in order to be given sense, must, roughly speaking, be positioned in the symbolism in the same way as the object is positioned in reality. G r i f f i n : [WLA] pp. 88-95
57 (II)
A picture must consist of elements possessing the same form as the elements of the pictured fact.
(III) The picture must have the same possibility of structure, i.e. pictorial form, as the pictured.
the same
Argument (I) kann nach unseren Darlegungen .über Gegenstände nicht zutreffen. Es gibt keine "Gegenstände" in der Wirklichkeit. Gegenstände sind angenatinene Urelemente, und ihren Konfigurationen sprechen wir Punkte unserer Wahrnehmung zu. Die Elemente des Bildes und die Gegenstände sind in ein und demselben Symbolismus. Eine Trennung in Gegenstandswelt und Symbolwelt ist falsch. Argument (II) trifft für die Naman in Elenentarsätzen zu. Namen bezeichnen die Gegenstände direkt, und die Form der Namen muß der der Gegenstände gleich sein. Eine formale Relation der Gegenstände und Bildelemsnte nimmt Wittgenstein nicht an. Nur die rföglichkeit der Struktur des Sachverhaltes und der Struktur des Bildes stinmt überein, deshalb, weil diese Möglichkeit, die Form der Abbildung, zur Logik gehört, die sowohl Bild wie Abgebildetes bestinmt, da wir nichts außerhalb der Logik annehmen können. Argument (III) ist somit richtig, folgt aber nicht aus Argument (I) und (II). Griffins direkte Zuordnung der Bildelemente und Gegenstände scheint auf einer Unachtsamkeit im Gebrauch der Begriffe zu beruhen: So, when we speak of a picture's pictorial form we mean not only the possibility of its structure but also the possibility that the things in the fact are related in the same way as the elements of the picture. 41
In der Tatsache gibt es keine Gegenstände, Griffin meint "Sachverhalt". Aber Bilder bilden Tatsachen ab und keine Sachverhalte. Erik Stenius ninmt "an internal similarity between the system of elements in picture and the prototype" an. 43 Die Form der Abbildung deutet er als "isomorphic representation". Daß zwischen Bild und Abgebildetem keine Isomorphie bestehen kann, wurde bereits gezeigt, hauptsächlich daran, daß Wittgensteins Bild-Theorie keine Zuordnung zwischen Bild und Abgebildetem erlaubt, die nicht im Bild selbst vorhanden ist, und Stenius benötigt eine externe Zuordnung (key of interpretation). Von dem Prototyp eines Bildes kann nicht gesprochen werden. Schon meine Schreibweise "Bild und Abbild" ist irreführend. Wittgenstein sagt, das Bild reicht bis zur Wirklichkeit derart, daß die Form der Abbildung die Möglichkeit bietet, daß sich die Gegenstände so verhalten. Ich betone noch einmal ganz deutlich, daß nur einseitig Bilder gegeben sind und daß keine Gegenstandwelt außerhalb der 41 42 43 44
J. G r i f f i n : [WLA] p. 91. s. Abschnitt I, 2, a dieses Kapitels. E. Stenius [WT] p. 1OO. ebd., p. 101.
58
Bilder angenommen werden kann, es sei denn, wir schließen aus der Logik der Bilder auf Gegenstände und Sachverhalte. Die Form der Abbildung ist im Bild die abbildende Beziehung, und sie ist eine logische Form; deshalb reicht sie bis zu der Wirklichkeit, für die auch diese Logik gilt: 2.1513.
Nach dieser Auffassung gehört also zum Bilde auch noch die abbildende Beziehung, die es zum Bild macht.
2.1514
Die abbildende Beziehung besteht aus den Zuordnungen der Elemente des Bildes und der Sachen.
2.1515
Diese Zuordnungen sind gleichsam die Fühler der Bildelemenie, mit denen das Bild die Wirklichkeit berührt.
Wir können folgende Zusammenfassung geben: (I) Die Form der Abbildung ist eine Möglichkeit in zweifacher Weise: sie ermöglicht (a) die Anordnung der Elemente im Bild und (b) die Anordnung der Gegenstände derart, daß wir annehmen, sie verhielten sich so. (II) Die Form der Abbildung ist eine logische Form. Weil die Logik die Welt erfüllt, also sowohl für die Anordnung der Gegenstände und Bildelemente gültig ist, kann die Form der Abbildung die Möglichkeit beider Anordnungen sein. (III) Die abbildende Beziehung, die die Form der Abbildung dem Bild verleiht, ist ein Bestandteil des Bildes. Das Bild besteht somit aus den Elementen, die für die Gegenstände stehen, und der abbildenden Beziehung, die im Bild die Form der Abbildung kennzeichnen. (IV) Daß das Bild bis zur Wirklichkeit reicht, sehen wir aus dem Bild, das Bild zeigt es uns. Wir sehen nicht die Wirklichkeit und das Bild, können also nicht sagen: Hier ist die Wirklichkeit und nun: sieh ihr Bild. G.E.M. Anscombe macht einen ähnlichen Fehler wie Stenius. Sie nimmt eine Relation zwischen Gegenständen und Bildelemsnten an, die äußerhalb des Bildes liegt: "Thus there are two distinct features belonging to a picture (in the ordinary sense of picture), first, the relation between the elements of the picture, and second, the correlations of the elements in the picture with things outside the picture; [...]". Über die externe Relation sagt Ansconbe dann: "The correlating is not something that the picture itself does; it is something we do". Das steht eindeutig im Widerspruch zu T 2.1513. Die abbildende Beziehung gehört zum Bild. Wir, die wir Bilder machen, sind nur der Anlaß, daß Bilder überhaupt entstehen. 47 45 46 47
G.E.M. Anscombe [IWT] p. 68 ebd. Zur Kritik an Stenius und Anscombe: H . R . G . Schwyzer: Wittgenstein's PictureTheory of Language. - I n : [ l ] V , No. 1, 1962, pp. 46-64. Auf diesen Aufsatz, der interessante Aspekte zur Bild-Theorie beibringt, werde ich noch an anderer Stelle eingehen.
59
Zu dem Verhältnis von Bild und Logik gibt Wittgenstein einige Bemerkungen: 2.18
Was jedes Bild, welcher Form immer, mit der Wirklichkeit gemein haben muß, um sie überhaupt - richtig oder falsch - abbilden zu können, ist die logische Form, das ist die Form der Wirklichkeit.
2.181
Ist die Form der Abbildung die logische Form, so heißt das Bild das logische Bild.
2.182
Jedes Bild ist auch ein logisches. (Dagegen ist Bild ein räumliches).
2.19
Das logische Bild kann die Welt abbilden.
z.B. nicht jedes
Hier sind zwei Punkte zu beachten: (1) Es gibt logische Bilder. (2) Jedes Bild ist ein logisches Bild. Hier scheint ein Widerspruch vorzuliegen, aber folgendes ist gemeint: T 2.18 sagt die Allgemeingültigkeit der logischen Form für alle Bilder. Weil die Logik die gesamte Welt erfüllt, gilt sie auch für jedes Bild, das deshalb ein logisches Bild ist.
Jede Photographie, die Bilder, die
die Kinder in der Schule von dem Marktplatz ihrer Stadt malen, all das sind logische Bilder, weil sie die logische Form mit der Wirklichkeit gemein haben. Hingegen gibt es auch das logische Bild. Es entsteht, wenn die Form der Abbildung nicht allein ein Bereich der allgemeinen logischen Form ist, derselben identisch ist.
sondern mit
Das logische Bild ist zu unterscheiden von räumlichen
farbigen Bildern, aber das räumliche und farbige Bild ist inner auch ein logisches Bild. Wir haben also folgendes Schema zu denken: Logische Form
Logisches Bild
Räuml. Bild
farbiges Bild
(Die drei Beispiele für logische Formen in Bildern sollen nicht bedeuten, daß es alle Beispiele sind). Die logische Form verbindet Bild und Wirklichkeit. 2.2
Das Bild hat mit dem Abgebildeten die logische Form der Abbildung gemein.
2.2O1 Das Bild bildet die Wirklichkeit ab, indem es eine Möglichkeit des Bestehens und Nichtbestehens von Sachverhalten darstellt.
Das Bild stellt eine Möglichkeit des Bestehens und Nichtbestehens von Sachverhalten dar, es heißt nicht, das Bild stellt bestehende oder nichtbestehende Sachverhalte dar, sondern eine Möglichkeit derselben. Diese Sätze geben nun ganz eindeutig wieder den Hinweis auf den Zentralpunkt des Tractatus:
60
Die Elementarsatztheorie. Chne T 4.25 - 4.45 bleibt T 2.2O1 unerklärt. Was T 4.25 - 4.45 für die einfachsten Satzfunktionen erklärt und dann für alle Satzfunktionen gilt, hat in der Bild-Theorie nur eine allgemeine Form. "Bilder" sind deutlich von den "Sätzen" her gedacht und erläutert. Wittgenstein hat ihnen aber die Allgemeinheit gegeben, Berührpunkte unserer Wahrnehmung mit der irgendwie vorhandenen Welt zu sein. Wie die vollkoitinen verallgemeinerten Sätze so allgemein und damit auch nichtssagend die Welt vollständig beschreiben, ohne irgendeinen Namen von vornherein einem bestinmten Gegenstand zuzuordenen (5.526), so allgemein sind in anderer Hinsicht die Bilder, die mit Hilfe der logischen Form alles abbilden können, was wir wahrnehmen. Bilder sind die Allgemeinheit der Wahrnehmung, die mit der Welt durch das Bildermachen verbunden ist. Die vollkommen verallgemeinerten Sätze oder die allgemeine Form des Satzes, die Wittgenstein in T 6 nennt, sind umgekehrt die Allgemeinheit, die wir durch Anwendung der logischen Gesetze Sätzen verleihen können. Die Bild-Theorie könnte deshalb eine Anwendung der Wahrheitsfunktionstheorie auf unser Feld der Wahrnehmung genannt werden. (3) Die Form der Darstellung kennzeichnet den Standpunkt des Bildes, denn es kann ja verschiedene Bilder der Tatsachen geben. 2.17
Was das Bild mit der Wirklichkeit gemein haben muß, um sie auf seine Art und Weise - richtig oder falsch - abbilden zu können, ist seine Form der Abbildung.
2.171
Das Bild kann jede Wirklichkeit abbilden, deren Form es hat. Das räumliche Bild alles Räumliche, das farbige alles Farbige, etc.
2.172
Seine Form der Abbildung aber kann das Bild nicht abbilden; es weist sie a u f .
2.173
Das Bild stellt sein Objekt von außerhalb dar (sein Standpunkt ist seine Form der Darstellung), darum stellt das Bild sein Objekt richtig oder falsch dar.
2.174
Das Bild kann sich aber nicht außerhalb seiner Form der Darstellung stellen.
Wenn ich 'p v q' und ' ^ (^ p. ^ q) ' schreibe, so habe ich zwei verschiedene Bilder einer Tatsache. Die logische Form der Abbildung zeigt, was diese Bilder mit der Wirklichkeit, z.B. mit den Sachverhalten ' - t p 1 und ' t Q ' , die wir durch die Elementarsätze 'p' und 'q 1 kennen, gemein haben. Diese Form der Abbildung kann das Bild nicht abbilden, der Satz nicht sagen, sie zeigt sich. Aber den Standpunkt, die Form der Darstellung, wie das Bild darstellt, sehen wir. Das Satzbild 'p v q 1 stellt dar, indem es als Funktion der Elementarsätze ' p ' , 'q 1 diese durch das logische Zeichen "v" verknüpft, das 'p v q 1 wahr macht, wenn die
61
Elementarsätze 'p' und 'q' zusantnen wahr sind oder einer von ihnen wahr ist. Entsprechend stellt das Satzbild '^ (^ p. ^ q) ' dar. Nun müssen wir Darstellungsweise von der "Form der Darstellung" trennen.
48
Wenn "p v q 1 eine Darstellungs-
weise der bestimmten Elementarsätze 'p 1 und 'q 1 und der von ihnen behaupteten Sachverhalte ' t P 1 und ' ^ Q ' ist, dann ist '
y 1 eine "Form der Darstellung",
wobei x,y Variablen für Elementarsätze sein sollen. c. Wahre und falsche Bilder 2.21
Das Bild stimmt mit der Wirklichkeit überein oder nicht; es ist richtig oder unrichtig, wahr oder falsch.
2.22
Das Bild stellt dar, was es darstellt, unabhängig von seiner Wahroder Falschheit, durch die Form der Abbildung.
2.221
Was das Bild darstellt, ist sein Sinn.
2.222
In der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung seines Sinnes mit der Wirklichkeit besteht seine Wahrheit oder Falschheit.
2.223
Um zu erkennen, ob das Bild wahr oder falsch ist, müssen wir es mit der Wirklichkeit vergleichen.
2.224
Aus dem Bild allein ist ist.
2.225
Ein a priori wahres Bild gibt es nicht.
nicht zu erkennen, ob es wahr oder falsch
Der Unterschied zwischen "Form der Abbildung" und "Form der Darstellung" wird auch im Verbgebrauch deutlich.49 Im Zusammenhang mit "Form der Abbildung" gebraucht Wittgenstein immer das Verb "abbilden". Das Bild bildet mit Hilfe der Form der Abbildung ab (2.17, 2.2O1), es kann aber die Form der Abbildung selbst nicht abbilden (2.172), sondern nur aufweisen. Das Bild stellt mit Hilfe der "Form der Darstellung" etwas dar (2.173), aber es kann sich nicht außerhalb seiner "Form der Darstellung" stellen (2.174). In dem Abschnitt über die Wahr- und Falschheit der Bilder (2.21 - 2.225)
ist
"darstellen" so gebraucht, daß das, was ein Bild darstellt, unabhängig von seiner Wahr- und Falschheit ist. Ein Bild ist wahr, wenn es mit der Wirklichkeit übereinstimmt, es ist falsch, wenn es nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt (2.21). Um die Wahr- oder Falschheit eines Bildes zu erkennen, muß es mit der Wirklichkeit verglichen werden (2.223), weil das Bild allein nicht zu erkennen gibt, ob es wahr oder falsch ist
(2.224). Wenn ich ein Bild der Stadt Göttingen
anfertige, dann müßte ich die Einzelheiten mit der Wirklichkeit vergleichen, um feststellen zu können, ob es richtig oder falsch ist. Nun ist bekannt, daß wir uns z.B. bei der Anfertigung von Landkarten gewisser Zeichen bedienen, die 48 49
Zu "Darstellungsweise": Tb 30.1O.14 efi; 31.1O.14 b-e. Vgl. M. Black: [CWT] pp. 74-76.
62
für die Elemente der Wirklichkeit stehen. Wenn ich diese Zeichen mit der Wirklichkeit vergleiche, kann ich oft keine Ähnlichkeit feststellen, ich sehe das Zeichen
für eine Kirche, · zeigt eine Burg an usw. Ich muß ein Bezugssystem
angeben, um zu wissen, wie ein Zeichen auf der Karte bezeichnet. Dann kann ich feststellen, ob die Karte richtig oder falsch ist. Wir wissen bereits, daß isomorphe Bilder wie Landkarten nicht gemeint sind, wenn Wittgenstein von Bildern spricht. Die Übereinstimmung eines Bildes mit der Wirklichkeit ist genauer zu erklären. Wenn ich sage, ich vergleiche mein Kartenbild der Stadt Göttingen mit der Stadt Göttingen, so darf ich mich nicht täuschen und annehmen, ich vergliche Bild- und Gegenstandswelt. Vielmehr vergleiche ich ein Bild mit dem Bild meiner Wahrnehmung, das durch die Gleichartigkeit der Wahrnehmung bei dem Menschen einen gewissen Grad von Anerkennung finden mag. Wenn ich am Marktplatz stehe und sage, hier steht das Rathaus, dahinter die Johanniskirche, so wird mir kaum jemand widersprechen, der weiß, wo Rathaus und Johanniskirche in Göttingen stehen. Wenn ich also mein Kartenbild mit meinem Wahrnehmungsbild vergleiche, wird die Schlüssigkeit dieses Vergleichs davon abhängen, wie ich eine gewisse Stringenz in der Beziehung der beiden Bilder zueinander erreiche. Wenn ich z.B. eine Ellipse als zentraLkollineares Bild des Kreises abbilde, kann ich ein eindeutiges Bezugssystem zwischen den beiden Bildern angeben und die Eindeutigkeit ist abhängig von der Eindeutigkeit der einzelnen Bilder selbst. Die Wirklichkeit ist eine Tatsache meines Bewußtseins, die Bilder sind ebenfalls Tatsachen. Zwischen Bild und Wirklichkeit besteht also eine Beziehung wie zwischen Tatsachen. Daß Wittgenstein mit Wirklichkeit bereits ein durch die Logik geordnetes Wahrnehmungsfeld meint, sagt Satz T 2.O6: "Das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten ist die Wirklichkeit." [ . . . ] . Un über ein Bild urteilen zu können, ob es wahr oder falsch ist, müssen wir es mit dem Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten vergleichen. Die schlüssige Methode, die Wittgenstein selbst angibt, ist die Überprüfung mit der Wahrheitswerttafel. Das gilt allerdings nur für Satzfunktionen der Elementarsätze, wie sie in T 5.1O1 angegeben sind. Nur Wahrheitsfunktionen geben ein schlüssiges Bild der Wirklichkeit, ohne einen direkten Vergleich mit dieser nötig zu haben. Für die allgemeine Bild-Theorie gilt die Bedingung, daß zwischen dem irgendwie geordneten Feld unserer Wahrnehmung, der1 Wirklichkeit und den Bildern, die als Konkretisierung unserer allgemeinen Wahrnehmung aufgefaßt werden müssen, in bezug auf die Wahr- und Falschheit ein Bezugssystem bestehen muß, das den Bildern Wahr- und Falschheit zuspricht. Es ist einsichtig, daß ein Bild selbst in dieser Beziehung nicht bestimmt ist.
63
2. Der Gedanke Der Gedanke ist der Mittler zwischen dem Bild unserer Wahrnehmung und dem Satz. Er ist Voraussetzung für die Sätze, wie die Bilder Voraussetzung für die Gedanken sind. Nach der Darstellung der allgemeinen Bild-Theorie (2.1 - 2.225) folgt die der Gedanken (3 - 3.5). Der Begriff "Gedanke" ist von Wittgenstein sehr umfangreich gedacht. Die Struktur des Tractatus zeigt folgende Einteilung: (a) Der Gedanke als logisches Bild der Tatsachen ( 3 - 3.O5). (b) Der Satz als Ausdruck der Gedanken (3.1 - 3.5). Der letzte Abschnitt ist mehrfach untergliedert. Einmal ( ) zeigt Wittgenstein die Parallelität zwischen Bild und Satz. Zum anderen (3) äußert Wittgenstein Bemerungen zu einer logischen Syntax der Sprache. a. Der Gedanke als logisches Bild der Tatsachen 2.182
Jedes Bild i s t
a u c h
e i n logisches [...]
3
Das logische Bild der Tatsachen ist
der Gedanke.
1
3.OO1
'Ein Sachverhalt ist von ihm machen.
denkbar , heißt: Wir können uns ein Bild
3.Öl
Die Gesamtheit der wahren Gedanken sind ein Bild der Welt.
Die eigenartige Mittelstellung des Begriffs "Gedanke" zwischen "Bild" und "Satz" hat für den Tractatus eine hohe Bedeutung. Die Begrenzung der Gedanken ist der Grund, weshalb Wittgenstein den Tractatus schrieb. Von 1914 ist eine Tagebuchnotiz überliefert, die das ausdrückt: Hinter unseren Gedanken, wahren und falschen, liegt immer wieder ein dunkler Grund, den wir erst später ins Licht ziehen und als einen Gedanken aussprechen können.
Im Vorwort zum Tractatus erklärt Wittgenstein den Weg, der zur Begrenzung der dunklen Gründe führt, die unaussprechlich, mystisch genannt werden können: Das Buch will also dem Denken eine Grenze ziehen, oder vielmehr - nicht dem Denken, sondern dem Ausdruck der Gedanken: Denn um dem Denken eine Grenze zu ziehen, müßten wir beide Seiten dieser Grenze denken können (wir müßten also denken können, was sich nicht denken läßt). Die Grenze wird also nur in der Sprache gezogen werden können und was jenseits der Grenze liegt, wird einfach Unsinn sein. *
Die Begrenzung der Gedanken durch die Sprache und die Mühseligkeit dieser Begrenzung läßt sich seit 1914 in den Tagebüchern verfolgen. Wittgenstein schrieb: 50 Tb 8.12.14. 51 T S. 2.
64 Entspricht nicht mein Studium der Zeichensprache dem Studium der Denkprozesse, welches die Philosophen für die Philosophie der Logik immer für so wesentlich hielten? - Nur verwickelten sie sich immer in unwesentliche psychologische Untersuchungen und eine analoge Gefahr gibt es auch bei meiner Methode.52
Diese Notiz nacht deutlich, daß Wittgenstein bereits seit 1914 einen Zusarnrenhang von Sprache und Denken annahm. Wittgenstein erwähnt die unwesentlichen psychologischen Untersuchungen. Daß die Psychologie bei der Erörterung von Gedanken eine Rolle spielt, ist auch ( 3 x ) °- fx]' und ' ( 3 x) fx'. Ich benutze jetzt die Schreibweise ' (x) fx' und ' ( 3 x) fx'. Moore berichtet Äußerungen Wittgensteins über den Tractatus. Wittgenstein nahm im Mai 1932, als er diese Bemerkungen machte, an, daß er im Tractatus in bezug auf die Allgemeinheit Fehler gemacht habe. Moore schreibt: In order to make clear exactly where the mistake lay, he first said that in the case of such a universal proposition as 'Everybody in this room has a hat 1 (which I will call ·1 ) , he had known and actually said in the T r a c t a t u s , that, even if Smith, Jones and Robinson are the only people in the room, the logical product 'Smith has a hat, jones has a hat and Robinson has a hat 1 cannot possibly be identical with A, because in order to get a proposition which entails A, you obviously have to add 'and Smith, Jones and Robinson are the only people in the room'.' Die Reihe 'fa. fb. fc. . . ' ist nur als logisches Produkt aufzufassen, wenn aus der Notationsweise auch die Bedeutung der Punkte, d.h. die Angabe der Begrenzung der Reihe, hervorgeht: He said he had been misled by the fact that (x) . fx can be replaced by fa. fb. f c . . . , having failed to see that the later expression is not always a logical product: that it is only a logical product if the dots are what he called 'the dots of laziness', as where we represent the alphabet by ' A , B , C . . . ' , and therefore the whole expression can be replaced by an ennumeration; but that it is not a logical product where, e . g . , we represent the cardinal numbers by 1 , 2 , 3 . . . , where the dots are not the 'dots of laziness' and the whole expression cannot be replaced by an ennumberation. ^ Ich meine, diese eigene Kritik Wittgensteins kennzeichnet seinen Standpunkt im Tractatus. Er will den Begriff "Alle" von dem der Wahrheitsfunktion 11
12 13 14
Im Tractatus war Wittgenstein der Meinung, daß ' (x) fx' mit dem logischen Produkt ' f a . fb. fc. . . ' und ' ( 3 x) f x ' mit der logischen Summe ' f a v fb vfc v . . . ' identisch sei. Die Reihen sind abhängig von der Anzahl der Argumente für fx. - Ich folge in der Darstellung W. v. O. Quine : [MEL] § 16, pp. 83-89 und § 1O, pp. 52-59, sowie G. E. M. Anscombe: [iWT] pp. 142-143. G . E . Moore: [WL] in: "Philosophical Papers", p. 297. ebd. , . 297. ebd., p. 298.
124
trennen (5.521). Beide Ideen, die der Allgemeinheit und die der Wahrheitsfunktion, sind, so meint Wittgenstein, schwer zu verstehen, wenn man ' ( x ) f x 1 oder ' ( 3 x)fx 1 schreibt und diese Schreibweise in Verbindung mit dem logischen Produkt oder der logischen Summe einführt. Wenn Frege z.B. ' ( x ) f x ' durch die Werte der Funktion erklärt , so erklärt er die Allgemeinheit durch das logische Produkt. Nun ist aber der Begriff der Allgemeinheit ein formaler Begriff
und von den Wahrheitsfunktionen,
die Elementarsätze als Basen haben, zu unterscheiden. Das logische Produkt und die logische Summe sind Wahrheitsfunktionen einer beliebigen Gruppe von Elementarsätzen, durch die Wahrheitsoperationen 'v' und '.' gebildet. Der Charakter des logischen Produkts und der logischen Summe liegt eben darin, Wahrheitsfunktion zu sein. Die Allgemeinheit will Wittgenstein durch die Anwendung einer Wahrheitsoperation auf die Wahrheitsfunktionen erreichen. Das logische Produkt 'fa. fb. fc' soll alle Vferte der Wahrheitsfunktion 'fx 1 wiedergeben. Wittgenstein erklärt alle Werte der Funktion fx, also fa, fb, fc zu Werten der Satzvariablen ( ) . Dann drückt er die Allgemeinheit durch die Anwendung einer Wahrheitsoperation auf die Wahrheitsfunktionen fa, fb, fc, repräsentiert durch ( operation) aller Werte von (
) aus. Die Verneinung (Wahrheits-
) , geschrieben N (
unserem Falle, in dem die Werte von
) , bedeutet dann in
sämtliche Werte der
Funktion fx für alle Werte von x sind ' ~ ( 3 x). fx 1 , d.h. es gibt keine a, b, c als Argumente von "f
(5.52). Die Allgemeinheit gewinnt Wittgenstein
nicht durch die Wahrheitsfunktionen selbst, sondern durch die Anwendung der Wahrheitsoperation auf die Wahrheitsfunktionen. Die Darstellung der Wahrheitsfunktionen, auf die die Operation abgewandt wird, geschieht durch eine Satzvariable (5.501). 3. Die allgemeine Form des Satzes Wittgenstein behandelt in den Tagebüchern den "Allgemeinen Begriff des Satzes",
17
Sätze",
die "vollständig verallgemeinerten Sätze", "das allgemeine Wesen des Satzes"
l fi
"ganz allgemeine
und die "allgemeine Satzform".
Im Tractatus verwendet Wittgenstein überwiegend den Ausdruck "allgemeine Satzform", 15 16 17 18 19 20 21 22
22
der zuerst 1915/16 in den Tagebüchern erscheint. Daneben ist
Gottlob Frege: [FB] in: [FBB] S. 32. T 4.126 - 4.128. Tb 2 9 . 9 . 1 4 Tb 14.10.14. Tb 15.10.14, 17.1O.14, 2O.1O.14, 23.1O.14, 25.1O.14, 27.1O.14, 28.1O.14. Tb 26.5.15. Tb 5.5.15, 9 . 7 . 1 6 , 21.11.16. T 4.5 - 4.53, 5 . 4 7 - 5 . 4 7 2 , 5.54 - 5.541, 6 - 6.Öl.
21
125
aber im Tractatus auch, noch von der "Form aller Sätze" 23 und von "vollkommen verallgemeinerten Sätzen" 24 die Rede. Einmal heißt es "die allgemeine Form der Wahrheitsfunktion". 25 Die verschiedenen Ausdrücke im Tractatus sind durch Wittgensteins Arbeitsweise zu erklären: Bei der Übernahme von älteren Notizen sind die in diesen verwendeten Ausdrücke nicht ständig durch einen einzigen Ausdruck, z.B. "allgemeine Satzform", ersetzt worden. Die verschiedenen Ausdrücke im Tractatus geben mit jedoch den Vorteil, Verbindungen zu diesen Ausdrücken in den Tagebüchern herzustellen und eine Entwicklung der Gedanken Wittgensteins über die allgemeine Satzform zu untersuchen. a. Die Bemerkungen über allgemeine Sätze in den Tagebüchern. Bemerkungen über allgemeine Sätze hat Wittgenstein in den Jahren 1914 und 1915 häufig aufgeschrieben. Vom Juli 1915 bis zum April 1916 ist eine Lücke, aber dann schreibt Wittgenstein über den Zusammenhang von einfachen Funktionen mit der allgemeinen Satzform. Er benutzt den im Tractatus dann überwiegenden Ausdruck "allgemeine Satzform" oder "allgemeine Form des Satzes". Bis 1915 scheint die Folge Elementarsätze - Anwendung von Wahrheitsoperationen auf Elementarsätze
"} |
a) Wahrheitsfunktionen b) allg. Satzform
noch nicht entwickelt zu sein, obwohl der Zusamnenhang "elementarer Satz" "völlig allgemeiner Satz" einmal genannt wird. 27 Wittgenstein bezweifelt, ob es überhaupt allgemeine Sätze gibt: [ . . . ] Wenn es völlig verallgemeinerte .Sätze gibt, dann hängt ihr Sinn von keiner willkürlichen Zeichengebung mehr ab! Dann aber kann eine solche Zeichenverbindung der Welt nur durch ihre eigenen logischen Eigenschaften darstellen d.h., sie kann nicht falsch, und nicht wahr sein. Also gibt es keine vollständig verallgemeinerten S Ä T Z E . t·.·]28
Wenn die willkürliche Zeichenbegegnung
unserer Sprache beseitigt werden
könnte, dann könnten wir auch alle überhaupt möglichen allgemeinen Sätze angeben, allerdings hält es Wittgenstein für ausgeschlossen, daß diese 23 24 25 26
27 28
T 5.47. T 5.526. T 6. Tb 2 9 . 9 . 1 4 , 14.10.14 abgh, 15.1O.14 de, 17.1O.14 a-d, 2O.1O.14 i, 22.10.14 bc, 23.10.14 b, 25.10.14 cd, 27.1O.14 ef, 28.1O.14 b, 20.1.15 a-h, 26.4.15 a, 4.5.15 b, 5.5.15 a, 21.6.15 e. Tb 14.10.14 g. Tb 14.10.14 b.
126 OQ
Sätze etwas über die Welt sagen. Als Merkmale der allgemeinen Sätze gibt Wittgenstein an, ° daß in ihnen logische Konstanten probeweise zusammengestellt werden, wie in den Sätzen die Dinge eine probeweise Zusammenstellung erfahren. Hieraus schließt Wittgenstein: [ . . . ] Wenn aber d e r ganz allgemeine Satz n Konstante" enthält, so kann er für uns nicht fach - ein logisches Gebilde, und kann nicht eigenen logischen Eigenschaften zu zeigen. -
u r " l o g i s c h e mehr sein als - einmehr tun als uns seine [...]32
Wenn die allgemeinen Sätze nur ihre eigenen logischen Eigenschaften zeigen können, so ist ihre Beziehung zur Welt allein eine logische, und sie beschreiben die Welt logisch. Die allgemeinen Sätze geben eine logisches Bild der Welt, ohne zu sagen, was dargestellt wird: Ja, man könnte die Welt vollständig durch ganz allgemeine Sätze beschreiben, also ganz ohne irgend einen Namen oder sonst ein bezeichnendes Zeichen zu verwenden. Und um auf die gewöhnliche Sprache zu kommen, brauchte man Namen etc. nur dadurch einzuführen, indem man nach einem " ( 3 x ) " sagte "und dieses ist A" usw.34
Die Allgemeinheit stellt sich Wittgenstein hier anders vor als im Tractatus. Aber es ist wichtig, daß Wittgenstein eine Bindung der allgemeinen Sätze an die Welt annimmt. Die Darstellung der Welt durch allgemeine Sätze wird auch die "unpersönliche Darstellung der Welt" genannt. Aber Wittgenstein weiß nicht, wie diese unpersönliche Darstellung geschieht. Den Zusammenhang mit der Bild-Theorie können wir genau aus folgender Bemerkung entnehmen,die besonders Wittgensteins Äußerungen über die allgemeinen Sätze bis zum Jahre 1915 zusammenfaßt: t . . . ] U n d der Spielraum, der ihrer Struktur [der Struktur der Welt] durch d i e G e s a m t h e i t aller Elementarsätze gelassen wird, ist eben derjenige, welchen die ganz allgemeinen Sätze begrenzen.
Diese Bemerkung, die im Tractatus wieder erscheint, zeigt deutlich auch den Grundsatz der Bild-Theorie. Die Welt finde ich vor. Ich kann mir Gedanken über die Welt machen. Die Gedanken sind die logischen Bilder der Welt, sie sind im Satz sinnlich wahrnehmbar. Der Eleirentarsatz ist Element der Sätze. Nur was durch die Sätze sinnlich wahrnehmbar ist, nennt Wittgenstein ein 29 30 31 32 33 34 35 36
Tb Tb T Tb Tb Tb Tb Tb
14.1O.14 15.10.14 4.O31. 15.10.14 17.10.14 17.1O.14 27.10.14 28.1O.14
g. bde,
17.10.14
a-i.
e. d. c; vgl. T 5.526. ef. c. T 5.5262.
127 ein logisches Bild der Welt. Dieses logische Bild gibt ja keineswegs die gesamte Welt wieder, nur einen Ausschnitt, und dieser Ausschnitt gibt Einsicht in die Struktur der Welt. So ist zu verstehen, daß die Elementarsätze der Struktur der Welt einen Spielraum lassen. Die Gesamtheit der E lernen tarsätze bestürmt alle Sachverhalte, den gesamten logischen Raum, den wir uns als universale Wahrheitswerttafel denken können. Nun schreibt Wittgenstein, daß die allgemeinen Sätze, die er der einen logischen Sprache zugehörig denkt, den Spielraum der Elementarsätze begrenzen. Das ist so zu verstehen, daß Wittgenstein die allgemeinen Sätze als Verallgemeinerungen der Elementarsätze auffaßt. Allgemeine Sätze haben mit der Gesamtheit der Elementarsätze zu tun und deshalb auch mit der Grenze des logischen Raumes, da der logische Raum durch die Gesamtheit der Elementarsätze begrenzt wird. Diese Gedanken hat Wittgenstein in den Tagebüchern nicht durchgeführt, aber wir begegnen ihnen im Tractatus. Die Bemerkungen aus dem Jahr 1915 weisen auf die des Jahres 1916 und die endgültigen Formulierungen im Tractatus: "Die Allgemeinheit ist wesentlich mit der Elementar-FORM verbunden".
Durch die Allgeneinheit müßten
die gebräuchlichen Sätze ihr einfaches Gepräge kriegen". der Stand des Tractatus erreicht:
T Q
1916 ist dann
Wenn nämlich die Elementarsätze gegeben sind, so sind damit auch a l l e Elementarsätze gegeben und damit der allgemeine Satz. [...]39 Darum muß sich auch die Einheit der Elementarsätze und der allgemeinen Sätze herstellen lassen.
Wenn alle Elementarsätze gegeben sind, so sind auch alle Namen und Gegenstände gegeben; aber wie sind sie alle gegeben? Hierauf steht in den Tagebüchern keine Antwort. Wir werden sehen, ob Wittgenstein im Tractatus eine Antwort gibt. Aber noch eine Einzelheit ist wichtig. Bisher war von den allgemeinen Sätzen die Rede. In den Tagebucheintragungen vom 21.11.16 schreibt Wittgenstein über die allgemeine Satzform: [ . . . ] Die allgemeine Satzform muß sich aufstellen lassen, weil die möglichen Satzformen a priori sein müssen. Weil die möglichen Satzformen a priori sind, darum gibt es die allgemeine Satzform.
Es gibt hiernach nicht Sätze und allgemeine Sätze, sondern die allgemeine Satzform ist eine Form der Satzformen. Ich erinnere an den Abschnitt über 37 Tb 20.1.15 g. 38 Tb 2 6 . 4 . 1 5 a. 39 Tb 11.7.16 g. 40 Tb 11.7.16 f. 41 Tb 21.11.16 d.
128
Variable und Satzvariable. Dort habe ich Wittgensteins Meinung erläutert, daß Funktionen nicht durch Funktionen dargestellt werden können. Wenn wir die Satzform 'fx 1 annehmen, so kann die allgemeine Form dieser Sätze nicht etwa 'F (fx)' sein. b. Die allgemeine Form des Satzes im Tractatus. 6
Die allgemeine Form der Wahrheitsfunktion [ Pi l , ( )]. Dies ist die allgemeine Form des Satzes.
ist:
6.001
Dies sagt nichts anderes als, daß jeder Satz ein Resultat der successiven Anwendung der Operation N ( ) auf die Elementarsätze ist.
6.002
Ist die allgemeine Form gegeben, wie ein Satz gebaut ist, so ist damit auch schon die allgemeine Form davon gegeben, wie aus einem Satz durch eine Operation ein anderer erzeugt werden kann.
Zur Erklärung der Formel in T 6 sei bemerkt: Wittgenstein schreibt das allgemeine Glied einer Formenreihe "[a,x,0'x]", wobei (1) das erste Glied ("a") des Klammsrausdrucks der Anfang der Fornenreihe, (2) das zweite Glied ("x") die Form eines beliebigen Gliedes "x" der Reihe und (3) das dritte Glied ("O'x") die Form desjenigen Gliedes der Reihe ist, welches durch die Wahrheitsoperation auf "x" unmittelbar folgt (5.2522). Nach der allgemeinen Form des Satzes kann jeder beliebige Satz entstehen, wie das allgemeine Glied einer Formenreihe für jedes beliebige Glied dieser Reihe steht. In der Fontel "[p, , ( ) ] " bedeutet: (1) "p" steht stellvertretend für die Gesamtheit der Elementarsätze. Wittgenstein schreibt den Elementarsatz "p" und deutet die Gesamtheit durch den waagerechten Strich an. (2) " " ist eine Variable, die eine bestimmte Auswahl aus "p" vertritt (vgl. T 5.501). (3) "N ( )" ist die Negation sämtlicher Werte der Variablen " C ", also der Elementarsatzauswahl aus "p" (5.5O1). Jeder Satz ist nach dieser Schreibweise ein Resultat der sukzessiven Anwendung der Operation N ( ) auf die Elementarsätze, die die Werte der Variablen sind. Sind p und q z.B. die Werte der Variablen , so gibt es insgesamt 16 verschiedene 43 Wahrheitsfunktionen dieser Sätze einschließlich Tautologie und Kontradiktion. 42
43
Zu dem gesamten Abschnitt IV, 3b vgl.: G . E . M . Anscombe: [IWT] chapter 10 'The General Form of Proposition 1 , pp. 132 - 137. Einige Verbesserungen dieses Kapitels gibt : L.H. Hackstaff: A Note on Wittgenstein's TruthGenerating Operation in Tractatus 6. - In: [M] Vol. LXXV, No. 298, April 1966, pp. 255-56. Vgl. T 5.1O1, 4 . 4 2 und Abschnitt IV, l , a dieses Kapitels. Die Formel L n ergibt den Wert ( 2 2 ) n , in unserem Fall also ( 2 2 ) 2 = 16.
129
Die Formel N ( 'p, q,
) als Operation auf die Elementarsätze p, q angewandt: N(p,q),
N(N(p,q)),
N(N ( N ( p , q ) ) ) , ...'
Das erste Glied der Reihe, 'p,q' ist keine Wahrheitsfunktion, sondern die Basis der Wahrheitsoperationen, eben eine Auswahl der Eleirentarsätze, ein Wert für ' |
'· Die erste Wahrheitsfunktion erhalte ich durch *N(p,q) ' : 1
- p. ~ q oder "p [ q 1 (weder p noch q).
Die zweite Wahrheitsfunktion
ergibt sich aus ' N ( N ( p , q ) ) ' : 1
^ ( -\, p. 'x, q ) ' oder 'p v q 1 . Wenden wir die Operation wieder an, so
erhalten wir ' ^ ( ~ ( ^ p. ^ q ) ) ' , also wieder das erste Ergebnis ' p j q 1 . Wenden wir die Operation auf die ersten beiden Ergebnisse an, ' N ( N ( p , q ) , N ( N ( p , q ) ) ) ' , so erhalten wir die Kontradikticn ' ^ [ ( ~ p. ^ q). ( ~ ( ^ p. ^ q ) ) ] ' · Die Anwendung der Operation auf dieses Ergebnis, also seine Verneinung, ergibt eine Tautologie. Eine Anwendung der Operation ' N (
)'
auf Kombinationen der bisherigen Ergebnisse bringt inner wieder diese Ergebnisse.
Man erhält neue Wahrheitsfunktionen, wenn man die bereits
erhaltenen Wahrheitsfunktionen mit den Elementarsätzen p,q •verbindet (einzeln oder zusammen) und hierauf wieder die Operation anwendet. Der Elementarsatz p, die Wahrheitsfunktion ' ^ p. ~ q 1 und die Operation ' N [ ( N ( p , q ) ) , p ] ' ergeben: ' ^[( ~ p. ^ q)p]' oder ' ^ ( ^ p. ^ q) ^ p 1 , das ist
'p v q . ^ p 1 oder 'q 1 . Diese Möglichkeiten sind dann weiter
fortzusetzen, bis alle 16 Wahrheitsfunktionen aus p,q gewonnen sind: In einer Übersicht: Aus den Elenentarsätzen p, q erhalte ich durch die sukzessive Anwendung der Wahrheitsoperation 'N ( 1. 2. 44
45 46 47
N(p,q) N(12)
47
)':
Matrix:
(FFTW) (p,q)
Nr. 12 ( ~ p. ^ q)
Matrix:
(WWWF) (p,q)
Nr. 5
(p v q)
David Favrholdt weist darauf hin, daß die Negation von 'p, q 1 nicht 1 ^ p. ^ q ' , sondern ^ p, ^ q sei. Um 'p | q 1 zu erhalten, müßten wir annehmen, daß ' p ' und ' q ' auf irgendeine Weise verbunden seien. Diese Verbindung könne nicht 'p.q 1 sein, da die Verneinung dann "v ( p . q ) ' heißen würde. Zu der folgenden Operation schreibt Favrholdt: "My conclusion is that Wittgenstein has made two serious mistakes. First he has not observed that p,q is not a truth-function and that therefore it cannot be negated as a whole. Secondly, he has overlooked that fact that the expression N ( N ( p , q ) ) is equivalent to p,q and not to p v q". ( [iCT] p. 1 3 2 ) . Vgl. G.E.M. Anscombe: [IWT] p. 133. David Favrholdt: [iCT] pp. 132-133. Diese Schreibweise ist eine Abkürzung. Eigentlich müßte ' N ( N ( p , q ) ) ' oder ' N ( ^ p.~ q ) ' geschrieben werden.
130
3.
N(12,5)4b
Matrix:
(FFFF) (p,q)
Nr. 16
4.
N(16)
Matrix:
(WWWW) (p,q)
Nr. 1
5.
N(16,p) 4 9
Matrix:
(EWFW) (p,q)
Nr. 7
6.
N(7)
Matrix:
(WFWF) (p,q)
Nr. 10
(p. "" p-q ~ q) (pjq. qop) ( ^ P) (p)
7.
N(16,q)
Matrix:
(FFWW) (p,q)
Nr.. 6
( ~ q)
Nr. 11
(q)
8.
N(6)
Matrix:
(WWFF) (p,q)
9.
N (12, p)
Matrix:
(FWFF) (p,q)
Nr. 14
(q. ^ p)
10.
N(14)
Matrix:
(WFWW) (p,q)
Nr. 3
(q 3 p)
11.
N(12,q)
Matrix:
(FFWF) (p,q)
Nr. 13
(p. - q)
12.
N(13)
Matrix:
(WWFW) (p,q)
Nr. 4
(p D q)
13.
N (7,6)
Matrix:
(WFFF) (p,q)
Nr. 15
(P.q)
14.
N(15)
Matrix:
(IVJWW) (p,q)
Nr. 2
( ^ (p.q))
15.
N(14,13)
Matrix:
(WFFW) (p,q)
Nr. 9
16.
N (9)
Matrix:
(FHWF) (p,q)
Nr. 8
(psq) (p. ·\· q:v:q.
p)
Die 16 möglichen Wahrheitsfunktionen aus den Elementarsätzen p,q noch einmal in der Reihenfolge l - 16: (1)
(p D q. q 3 p)
(9)
(p = q)
(2)
( ~ (p.q) )
(10)
(p)
(3)
(q D p)
(4)
(p D q)
(11) (12)
(q) ( "u p. % q)
(5)
(p V q)
(13)
(p. -v q)
(6)
( ^ q)
(14)
(q. ~ p)
(7)
( ^ p)
(15)
(p.q)
(8)
(p. ^ q : v :
(16)
(p. ^ p.q. ^ q)
p)
um die Wahrheitsfunktionen zu erhalten, müssen wir die Wahrheitsoperation anwenden auf 1. eine Auswahl der Elementarsätze, 2. auf die Auswahl von Elementarsätzen zusammen mit bereits erhaltenen Wahrheitsfunktionen, 3. auf eine Auswahl der erhaltenen Wahrheitsfunktionen. Gerade die Auswahl der Werte von " " bleibt bei Wittgenstein unerläutert.
48 49
' N ( 1 2 , 5 ) ' bedeutet, daß die Wahrheitsoperation auf die Wahrheitsfunktion Nr. 12 ' ( ^ p. ^ q ) ' und Nr. 5 ' ( p v q ) ' angewandt wird. Anwendung der Wahrheitsoperation auf die Wahrheitsfunktion Nr. 16 1 ( p. ^ p. q. ^ q) zusammen mit dem Elementarsatz p.
131
c. Die Bedeutung der allgemeinen Form des Satzes für die Begrenzung des Denkens in der Sprache 5.471
Die allgemeine Satzform ist
das Wesen des Satzes.
5.4711
Das Wesen des Satzes angeben heißt das Wesen aller Beschreibung angeben, also das Wesen der Welt.
Die allgemeine Satzform ist das Schlußglied der Elementarsatz- und Wahrheitsfunktionstheorie. Die Wichtigkeit für den Tractatus ist dadurch hervorgehcben, daß die Formel "[p, , ( ) ] " im Hauptsatz T 6 erscheint. Die Sprache ist das logische Bild der Welt. Nur in der Sprache zeigen sich die Gedanken sinnlich wahrnehmbar, die ich über die Welt machen kann. Ich kann keine Aussagen über die Welt als Ganzes machen, veil ich dann außerhalb der Welt sein müßte, um über ihre Ganzheit sprechen zu können. Ich kann nur einzelne Feststellungen über die Welt treffen, deren Grenzen sind in der Sprache. Auch über die Sprache als Ganzes kann ich nichts sagen. Nur die einzelnen Sätze, Wahrheitsfunktionen, sind möglich. Durch sie kann ich Tatsachen behaupten. Die Analyse der Sätze in Elementarsätze ermöglicht die Bezeichnung der Sachverhalte, die Namen nennen die Gegenstände, die es für mich in der Welt gibt. Es gibt zwei Möglichkeiten, über die Welt zu sprechen. Einmal gehe ich von den Sätzen aus, die selbst Tatsachen sind und durch die ich Tatsachen behaupten kann, zum anderen berücksichtige ich, wie die Elementarsätze Sachverhalte bezeichnen: (1)
Die Welt ist
die Gesamtheit der Tatsachen.
(2)
Die Welt ist
die Gesamtheit der bestehenden Sachverhalte.
Tatsachen und Sachverhalte sind uns durch die Sätze (Wahrheitsfunktionen) bzw. Elementarsätze bekannt. Es gibt aber für uns keine Möglichkeit, die Gesamtheit selbst auszudrücken. Es gibt keine Funktion aller Funkticnen. Daß es eine endliche Anzahl von Funktionen gibt, nimmt Wittgenstein nach den Gesetzen der logik an, und die allgemeine Form des Satzes ist die Anweisung, wie alle Sätze der Sprache gebildet werden, sie ist der Ausdruck dafür, was allen Sätzen gemeinsam ist. Wenn Wittgenstein sagt, die allgemeine Form des Satzes sei das Wesen des Satzes, die Angabe des Wesens des Satzes sei die Angabe des Wesens der Welt, so ist folgendes zu beachten. Es ist nur die Rede von der Welt, wie sie uns das logische Bild der Sprache vermittelt, vorausgesetzt, wir nehmen eine umfassende allgemeine Sprache an. Es gibt dann andere Bilder der Welt, z.B. die Empfindung in ihren mannigfaltigen Erscheinungsweisen, soweit nicht versucht wird, hierauf die Sprache anzuwenden, also z.B. von einer Erscheinungsform der Empfindung als Teil der Welt wiederum ein
132
logisches Bild zu geben. Meine Wahrnehmung ist vielfältig, einen Teil dieser Wahrnehmung kann ich denken und sprachlich ausdrücken. Wohl gibt es inmer das Neue, das ich wahrnehme, aber meine Sätze, so behauptet Wittgenstein, sind in Ihrer logischen Form festgelegt, sie lassen keine Überraschungen zu. Es stellt sich nun die Frage, was Wittgenstein unter "Sprache" versteht, deren Sätze eine allgemeine Form eignet, die das Denken begrenzt.
V.
SPRACHE UND LOGIK
Sprache und Logik sind eng miteinander verknüpft. Es gibt eine Sprachlogik· . 2 Die Sätze der Logik sind sicher auch Sätze, Bilder, Gedanken. Auch die Sätze der Logik gehören zur Sprache. Aber das Verhältnis von Sprache und Logik ist doppelt. (I) Die Logik bestintnt die Gesetze der Sprache, nach denen sie gebaut ist.
(II) Logische Sätze sind Bestandteil der Sprache. Sie unter-
scheiden sich von anderen Sätzen, unterliegen jedoch auch den Gesetzen der Logik. Der letzte Punkt scheint mir besonders schwierig. Jeder Satz gibt einen Gedanken sinnlich wahrnehmbar wieder. Der Gedanke ist das logische Bild der Welt. Es liegt nun nahe anzunehmen, daß der Satz der Logik einen Gedanken der Logik (nicht: einen logischen Gedanken, denn alle Gedanken sind logische) sinnlich wahrnehmbar darstellt. Um den Unterschied zwischen Sätzen und den Sätzen der Logik zu erläutern, gehe ich vcn den Bemerkungen Wittgensteins über die Sprache aus, die alle Sätze umfaßt. Dann untersuche ich die Sätze der Logik und schließlich die Philosophie, als deren Zweck Wittgenstein die logische Klärung der Gedanken angibt. Für meine Untersuchung ist es wichtig, folgende Festsetzungen Wittgensteins zu beachten: (1)
Der Gedanke ist das logische Bild.
(2)
Im Satz ist der Gedanke sinnlich wahrnehmbar.
(3)
Jeder Satz ist auch ein logischer Satz.
(4)
Nicht jeder Satz ist ein Satz der Logik.
Es ist also zwischen logischen Sätzen und den Sätzen der Logik zu unterscheiden. 1. Die Grenzen der Sprache Die Bemerkungen über Sprache sind im Tractatus verstreut.3 Ich erläutere sie in drei Abschnitten (a-c): (a) Es gibt die universale, alle Sätze umfassende 1 2 3
T 4.OO2, 4.0O3. T 5.02, 5.43, 6.1, 6.111, 6.112, 6.113, 6.12, 6.121, 6.122, 6.1222, 6.124, 6.125, 6.126, 6.1264, 6.127, 6 . 2 2 . T 3.032, 3.325, 3.343, 4.0O1, 4.OO2, 4.O14, 4.O141, 4.O25, 4.121, 5.4731, 5.535, 5.6, 5.62, 6 . 1 2 , 6.233, 6 . 4 3 .
134
Sprache (4.0O1) . Diese Universalsprache ist in (b) Zeichensprache (3.325) und Umgangssprache (4.002) sowie in (c) die private Sprache (5.6) unterteilt. R.J. Bernstein teilt die Universalsprache in drei Sprachen ein: "At least three languages are distinguished in the Tractatus: the perspicuous language, ordinary language and the ladder language".
Zur Beschreibung der "perspicuous
language' dient die 'ladder language'. Ich meine, daß im Tractatus Ordinary language' und 'ladder language1 dasselbe sind. Außerdem scheint mir Bernsteins Einteilung der Sprache in Sprachen ungerechtfertigt. Wittgenstein nimmt als Sprache die Gesamtheit der Sätze. Eine Unterteilung der Gesamtheit der Sätze muß also eine Einteilung in Satzklassen sein.5 Rede ich von einer Einteilung in Sprachen, so ist nach dem Tractatus davon zu sprechen, wie ein "Ich" Sätze benutzt. Die Einteilung erfolgt also hier nicht nach Kriterien der Sprache, sondern nach Kriterien, die im "Ich" begründet liegen. Ich habe deshalb eine doppelte Gliederung gewählt: Einmal habe ich "die Sprache" äußerlich eingeteilt nach dem Sprachgebrauch (Zeichensprache, Umgangssprache, private Sprache) , zum anderen unterscheide ich Satzklassen (sinnvolle, sinnlose und unsinnige Sätze). a. Die universale Sprache 4.OO1 Die Gesamtheit der Sätze ist die Sprache.
Die Gesamtheit der Sätze- das ist die Gesamtheit aller Sätze der Sprachen aller Zeiten. Hierzu gehören die Sätze der Logik einschließlich die der Mathematik, die Gesamtheit aller Sätze der SpezialSprachen, wie z.B. die Notenschrift eine ist, die Gesamtheit aller Sätze privater Sprachen. Die Sprache ist ein geschlossenes und bestimmtes System. Wie dieses System insgesamt gebaut ist,
darüber läßt sich im Sinne des Tractatus ebensowenig
sagen wie über die Welt als Ganzes. Beide, Welt und Sprache, sind nur in ihren Teilen bekannt. Dem Menschen ist kein Standpunkt gegeben, außerhalb von Sprache und Welt diese beschreiben zu können. Aus diesem Grund sind Wittgensteins Aussagen über die Sprache im Tractatus immer Aussagen über Teile der Sprache. Und hier ist es bezeichnend, daß er von den Sätzen ausgeht, 4 5 6
R.J. Bernstein: Wittgenstein's three languages. - In: [RM] Vol. XV, No. 2, 1961, pp. 278-298. Das Zitat steht auf S. 284. Vgl. meine Erläuterungen zu Wittgensteins Einteilung in sinnvolle, sinnlose und unsinnige Sätze im nächsten Abschnitt. Vgl. D.S. Shwayder: [SWT] Chapter 8; Language as a closed and determinate system, pp. 178-2O2. Chapter 2O# 13: Wittgenstein's Metaphysics suffers from Erroneous Theories about Language, pp. 56O-562.
135
nicht von einem System der Lautzeichen, wie etwa Ernst Cassirer. 7 Cassirer stirtmt jedoch in wesentlichen Punkten mit Wittgensteins Auffassung überein. "So zeigt etwa der Prozeß der Sprachbildung, wie das Chaos der unmittelbaren Eindrücke sich für uns erst dadurch lichtet und gliedert, daß wir es 'benennen1 und es dadurch mit der Funktion des sprachlichen Denkens und des sprachlichen Ausdrucks durchdringen".
Die Welt entsteht für uns aus dem Chaos der Wahr-
nehmung durch die gedankliche Ordnung, die sich in der Sprache zeigt. "So wird die Sprache zu einem der geistigen Grundmittel, vermöge dessen sich für uns der Fortschritt von der bloßen Empfindungswelt zur Welt der Anschauung und Vorstellung vollzieht". 10
folgende Kategorien:
Für alle Sätze der Sprache gelten im Tractatus
Sätze sind (1) sinnvoll,11 (2) sinnlos
oder (3)
unsinnig. (1) Der sinnvolle Satz sagt etwas aus (6.1264), er zeigt seinen Sinn (4.O22). Dieser Sinn ist im sinnvollen Satz bestiitirrt (3.23). Das bedeutet für Wittgenstein, daß der sinnvolle Satz eine Wahrheitsfunktion aus Elementarsätzen ist, deren Namen Gegenstände bezeichnen, die ihre Bedeutung sind. In T 5.4733 heißt es: " [ . . . ] Jeder mögliche Satz ist rechtmäßig gebildet, und wenn er keinen Sinn hat, so kann das nur daran liegen, daß wir einigen seiner Bestandteile keine
B e d e u t u n g
gegeben haben. [...]". Unter
den Bestandteilen eines Satzes sind die Namen zu verstehen, die, im Elementarsatz verbunden, im Satz, der eine Wahrheitsfunktion der Elementarsätze ist, 7 8 9 10
11 12 13
erscheinen. Wenn alle Bestandteile eines Satzes eine Bedeutung haben, Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Erster Teil: Die Sprache. 1. Auflage 1923, 4. Auflage Darmstadt 1964. a.a.O. S. 2O ebd. Vgl. P. Hadot: Reflexions sur les limits du language ä propos du 'Tractatus logico-philosophicus' de Wittgenstein. - In: [RMM], Vol. 64, 1959, pp. 469-84. Hadot gibt vier Sprachen bzw. vier verschiedene Sprachgebräuche an: "1° L'usage que 1 On pourrait appeler r e p r e s e n t a t i f on 'sense 1 [ . . . ] 2° L'usage que 1 On pourrait appeler t a u t o l o g i q u e o u analytique o u depourvu d'un contenu de sens [ . . . ] 3° L'usage que l On pourrait appeler a b s u r d e , qui engendre des pseudo-propositions [ . . . ] 4° L'usage que l On pourrait appeler i n d i c a t i v " . Die vierte Gruppe, mit der Hadot angeben will, was Wittgenstein im Tractatus durch "zeigen" andeutet, würde ich keinesfalls - wie Hadot - in die Reihe der "languages" stellen, s. das Schlußkapitel dieser Arbeit und Abschnitt V, l , c dieses Kapitels., Vgl. auch: G. Funke: Einheitsspräche, Sprachspiel und Sprachauslegung bei Wittgenstein - In: [ZPhF], Bd. 22, Heft l und 2, 1968, S. 3O f f . , S. 216-247. T 3.13, 3.326, 3 . 4 , 4, 4 . 2 4 3 , 5.1241, 5.525, 6.1263, 6.1264, 6.31. T. 4 . 4 6 1 , 5 . 1 3 2 , 5.1362, 5.5351. T 3.24, 4.003, 4 . 1 2 4 , 4 . 1 2 7 2 , 4.1274, 4.4611, 5.473, 5.5351, 6.51, 6.54.
136 dann ist dieser Satz sinnvoll. Hat eine Sprache nur sinnvolle Sätze, dann ist sie eindeutig. In der Umgangssprache sind keine eindeutigen Sätze möglich, deshalb sind für Wittgenstein Sätze der Umgangssprache nicht sinnvoll. (2) Der Satz zeigt seinen Sinn, wenn er ein sinnvoller Satz ist.
Tauto-
logie und Kontradikticn zeigen, daß sie nichts sagen. Sie sind sinnlos (4.461). Wann ich z.B. sage, es regnet oder es regnet nicht, dann weiß ich nichts über das Wetter. Wittgenstein betont jedoch, daß Tautologien und Kontradiktionen nicht unsinnig sind, sie gehören vielmehr zum Symbolismus der Sprache wie die
1
zum Symbolismus der Arithmetik (4.4611) . Allerdings
ist die Stellung von Tautologie und Kontradiktion nur in einer eindeutigen Sprache der Stellung der O in der Arithmetik vergleichbar. Auch die Tautologie und die Kcntradiktion sind Wahrheitsfunktionen von Elementarsätzen und diese sind derartig, daß die Namen der Elementarsätze jede Bedeutung annehmen können, die Tautologie bleibt immer wahr, die Kontradiktion immer falsch.
Ich weise darauf hin, daß Tautologien und Kontradiktionen keine
willkürlichen Zeichenverbindungen sind, sondern daß die logische Verknüpfung der Elementarsätze in Tautologie und Kontradiktion jeden Namen innerhalb der Elementarsätze zuläßt, ohne daß damit eine Änderung in der Wahrheit oder Falschheit von Tautologie und Kontradiktion eintritt. Sinnlose Sätze in diesem Sinn können nur der eindeutigen Zeichensprache angehören. (3) Wittgenstein behauptet, daß die meisten Sätze und Fragen, welche über philosophische Dinge geschrieben worden seien, nicht falsch, sondern unsinnig seien. (4.003). Er schließt seine im Tractatus geschriebenen Sätze ein (6.54). In Satz T 3.24 schreibt Wittgenstein, daß der Satz, in dem von einem Komplex die Rede ist,
falsch und nicht unsinnig ist,
wenn
dieser Komplex nicht existiert. Unsinnige Sätze entstehen leicht durch die falsche Verwendung formaler Begriffe. Wenn ich formale Begriffe, z.B. das Wort "Gegenstand" als eigentliches Begriffswort wie etwa "Planet" verwende, so entstehen "unsinnige Scheinsätze" (4.1272(d)). Wittgenstein nennt Beispiele: "Es gibt Gegenstände" (4.1272(e)), "l ist eine Zahl", "Es gibt nur Eine Null" (4.1272(i)), "2 + 2 ist um 3 Uhr gleich 4" (4.1272 ( j ) ) . Auch ist es unsinnig, die Frage nach der Existenz eines formalen Begriffes zu stellen, z.B. "Gibt es Gegenstände?" (4.1274). Schwierigkeiten entstehen, wenn wir angeben sollen, welche Begriffe formale Begriffe sind. Wittgenstein nennt "Gegenstand", "Komplex", "Tatsache", 14
Vgl. [WL] pp. 272-276.
137 "Funktion", "Zahl" formale Begriffe. Wenn die Philosophie der Vergangenheit so voll von unsinnigen Scheinsätzen ist, dann liegt die Vermutung nahe, daß z.B. auch "Sein", "Form", "Zeit", "Raum" ect. formale Begriffe sind und ihre falsche Anwendung zu Scheinsätzen führt. Wittgensteins Unterscheidung der unsinnigen Sätze von den sinnvollen und sinnlosen Sätzen ist durch die Wahrheitsfunktionstheorie (T. 4 . 1 - 6 ) begründet und trägt auch deren Mängel. Wenn Wittgenstein von sinnvollen Sätzen (Wahrheitsfunktionen) spricht, so meint er Sätze der Naturwissenschaften. Was er darunter versteht, erläutert er im Tractatus nicht. Plausibel erscheint mir aber die Annahme, daß er in einer logischen Sprache (Mathematik) formulierte Wahrnehmungen der Natur meint. Als Beispiele kann man Sätze der Physik nehmen. Diese Sätze (Wahrheitsfunktionen) sind ja einmal Sätze der Logik (Mathematik), die Beobachtungen der Natur optimieren. Zum anderen sind sie ein Bild der Natur, das wir gedacht haben. Wittgenstein geht allerdings, wie Russell vor ihm, von dem Postulat aus, daß die logische Struktur der Sätze der logischen bzw. ontologischen Struktur der Wirklichkeit parallel sei. Für Wittgenstein ist diese Annahme einleuchtend, weil er von Wirklichkeit als Wirklichkeit unserer Gedanken spricht, streng genonmen also keine Ontologie gibt. Unsinnige Sätze sind deshalb im Tractatus nicht durch ihre Bedeutung von sinnvollen und sinnlosen Sätzen geschieden, sondern allein dadurch, daß sie nicht einer logischen Syntax gehorchen. Bei unsinnigen Sätzen kann die Struktur nicht eindeutig angegeben werden. Unsinnige Sätze sind demnach alle Sätze, die nicht Wahrheitsfunktionen sind. Somit sind alle Sätze der Umgangssprache unsinnige Scheinsätze. Diese Scheinsätze sind allerdings keineswegs überflüssige Sätze. Sie dienen zur Klärung der sinnvollen und 18 sinnlosen Sätze. T. 6.53. Vgl. R. Carnap: Physikalische Begriffsbildung. Karlsruhe 1926 ( = Wissen und Wirken 39. Band). - A. Mercier: Logik und Erfahrung in der exakten Naturwissenschaft. Bern 1941. - H. Schleichert: Elemente der physikalischen Semantik. Wien und München 1966. - A.F. Kremmeter: Grenzen und Begrenztheit unserer Wirklichkeitserkenntnis. - In: [PhN] Bd. X, Heft 3, 1968, S. 369-391. 17 Vgl. Wittgensteins spätere Bemerkungen in [z]. Z . B . "Wie alles Metaphysische ist die Harmonie zwischen Gedanken und Wirklichkeit in der Grammatik der Sprache aufzufinden" [z]. 55. Vgl. 53-71, 284-291, 331-37O. Vgl. auch [PhU] §§ 372-373: "Überlege: 'Das einzige Korrelat in der Sprache zu einer Naturnotwendigkeit ist eine willkürliche Regel. Sie ist das Einzige was man von dieser Naturnotwendigkeit in einen Satz abziehen k a n n ' . Welche Art von Gegenstand etwas ist, sagt die Grammatik. (Theologie als Grammatik)". 18 Verwechslungen im Gebrauch von "sinnlos" und "unsinnig" sind häufig in der Sekundärliteratur zum Tractatus bzw. in Arbeiten, die diese
15 16
138
b. Umgangssprache und formalisierte Sprache. 4.0O2
Der Mensch besitzt die Fähigkeit Sprachen zu bauen, womit sich jeder Sinn ausdrücken läßt, ohne eine Ahnung davon zu haben, wie und was jedes Wort bedeutet. - Wie man auch spricht, ohne zu wissen, wie die einzelnen Laute hervorgebracht werden. Die Umgangssprache ist ein Teil des menschlichen Organismus und nicht weniger kompliziert als dieser. Es ist menschenunmöglich, die Sprachlogik aus ihr unmittelbar zu entnehmen. Die Sprache verkleidet den Gedanken. Und zwar so, daß man nach der äußeren Form des Kleides nicht auf die Form des bekleideten Gedankens schließen kann; weil die äußere Form des Kleides nach ganz anderen Zwecken gebildet ist, als danach, die Form des Körpers erkennen zu lassen. Die stillschweigenden Abmachungen zum Verständnis der Umgangssprache sind enorm kompliziert.
Entscheidend ist, daß wir durch die Umgangssprache jeden Sinn ausdrücken können, ohne zu wissen, was jedes Wort bedeutet. Ein Wort der Umgangssprache ist kein Name (einfaches Zeichen). Ein Name hat stets eine Bedeutung, seinen Gegenstand. Ein Wort der Umgangssprache kann eine Bedeutung haben, es gibt aber viele Wörter in ihr, die keine haben. Aber auch die Wörter der Umgangssprache, die eine Bedeutung haben, sind keine Namen, sie stehen nicht in Elemantarsätzen. Gerade die Verwechslung von Wörtern mit Namen hat in der Interpretation des Tractatus zu Mißverständnissen geführt, zu einer argen Vermischung von Sätzen über Umgangssprache und eindeutige Zeichensprache. 19 Cfcwohl die Wörter der Umgangssprache oft gebraucht werden, ohne daß ihre Bedeutungen bekannt sind, können wir mit den Sätzen der Umgangssprache
19
Sekundärliteratur benutzen. Ein Beispiel bietet die Arbeit "Zur Logik der Sozialwissenschaften" von Jürgen Habermas ([PhR] 14. Jg., Beiheft 5, 1967). Wahrscheinlich durch "The Idea of a Social Science and its Relation to Philosophy" (London 1958) von Peter Winch beeinflußt, hat Habermas in Abschnitt 7 (Der lingustische Ansatz, S. 124 f f . ) zwei Hauptabschnitte Wittgenstein gewidmet ( 7 . 1 und 7 . 3 ) . Der Abschnitt 7.2 ist Winch gewidmet. Auf S. 127 in Abschnitt 7.1 schreibt Habermas über Transformationen natürlicher Sätze (unter einem "natürlichen Satz" ist ein Satz irgendeiner Umgangssprache zu verstehen) in Sätze einer logisch eindeutigen Sprache. Dann heißt es: "Alle natürlichen Sätze, die dieser Transformation nicht fähig sind, können als sinnlos eliminiert werden". Hier haben wir ein Beispiel der Verwechslung von "sinnlos" und "unsinnig". Bereits Russell verwechselt in seiner Einleitung zum Tractatus (T pp. IX - X I I ) Sätze der Umganssprache wie 'Socrates is wise 1 mit Elementarsätzen. Leider zieht sich dieser Irrtum durch viele Arbeiten über den Tractatus hin: E. Stenius: [WT] J. G r i f f i n : [WLA]; George Pitcher: [Phw]. Auch eine Reihe von Zeitschriftenaufsätzen wäre zu nennen, was aber aus Platzgründen nicht geschehen soll. Ich habe bereits in den Abschnitten über Sachverhalte, Gegenstände, Namen und Elementarsätze darauf hingewiesen.
139
jeden Sinn ausdrücken. Warum dieses möglich ist, kann nicht gesagt werden, weil, wie Wittgenstein meint, die Sprachlogik unmöglich aus der Umgangssprache selbst entnommen werden kann. Für eine Begrenzung des Denkens ist die Umgangssprache nicht geeignet. Wenn Wittgenstein die Begrenzung des Denkens in der Sprache gen/innen will, so ist hierzu eine eindeutig bezeichnende Sprache notwendig. Die Umgangssprache ist wie der menschliche Organismus vielfältig. Wie der menschliche Organismus erforscht werden kann, so kann auch die Umgangssprache erforscht werden. Für diese Erforschung verwendet Wittgenstein eine eindeutige Zeichensprache. Der Tractatus zeigt diese Erforschung. Alle Sätze sind die logischen Bilder der Tatsachen (3, 3.1 - 4.2). Um zu erfahren, wie die Sprache abbildet, gebraucht Wittgenstein eine Zeichensprache aus Namen, Elementarsätzen und Wahrheitsfunktionen (4.2 - 6). Teil T 3.1 - 4.2, der die Aussagen über "Sätze" allgemein enthält, ist eindeutig durch die Ergebnisse der Untersuchung der Wahrheitsfunktionen bestimmt. Die Begrenzung des Denkens in der Sprache ist zugleich eine Begrenzung der Sprache selbst. Die formalisierte Sprache leistet eine Begrenzung der Sprache in der Sprache. Für sie hat die Umgangssprache allein in der Weise Bedeutung, wie sie für die Axicme und Definitionen gebraucht wird. Die Begrenzung der Sprache durch die formalisierte Sprache ist zu gleich die Begrenzung des Denkens, das sich in der Sprache sinnlich wahrnehmbar zeigt. Die Folge ist, daß Wittgenstein nur noch Gedanken und Sätze der Naturwissenschaft zulassen kann, in denen allen Zeichen eine Bedeutung gegeben ist. c. Die private Sprache und die Grrenze in der Sprache 5.6 Die G r e n z e n m e i n e r die Grenzen meiner Welt.
S p r a c h e
bedeuten
Kein Mensch kann alle Umgangssprachen sprechen. Auch der Kenntnis formalisierter Sprachen sind für jeden Grenzen gesetzt. Nehmen wir alle Sprachen, die es gibt, und nennen wir diese Sprachen "die Sprache", so kann jeder einzelne Mensch nur behaupten, daß er einen Teil der "Sprache" beherrsche. Dieser Teil ist seine Sprache. Wittgenstein meint im Tractatus nicht die "private Sprache", die in den Philosophischen Untersuchungen eine so entscheidende Rolle spielt. 2O
Vgl. J.R. Hicks: Language-Games and Inner Experience. Ph. D. Dissertation London 1961. - Thomas A. Long: Wittgenstein, Criteria, and Private Experience. Ph. D. Dissertation. University of Chincinnati 1965. U. Steinvorth: Kommentar zu den §§ 243-271 der Philosophischen Untersuchungen. Dissertation, Göttingen 1967. - A.J. Ayer: Can there be a private language? [PASS] Vol. XXVIII, 1954, pp. 63-76. - N. Carves:
140 Vielmehr ist die Fähigkeit gemeint, in Sprachen etwas auszudrücken. Jeder Mensch hat seine Wahrnehmung. Jeder Mensch hat seine Gedanken, seine logischen Bilder. Diese logischen Bilder würden nur in Sätzen einer privaten Sprache sinnlich wahrnehmbar sein, wenn nicht zwei Bedingungen von jedem Menschen eingehalten würden: (1)
Dadurch, daß der Gedanke das logische Bild der Tatsachen ist, ist allen Gedanken aller Menschen zu allen Zeiten die Logik gemeinsam und somit auch den Sätzen, die die Gedanken wiedergeben.
(2)
Das führt zu Sprachen, die nicht nur ein einzelner, sondern eine Vielzahl verstehen kann.
Die Logik ist der integrierende Bestandteil der Gedanken und Sprachen. Weil alle Sätze der Umgangssprache logisch vollkommen geordnet sind, so sind auch alle Sätze aller Menschen, die Umgangssprachen sprechen, logisch vollkommen geordnet. Jedoch ist die Sprachlogik diesen Sätzen nicht unmittelbar zu entnehmen, und, in der logischen Klarheit der Sprachen liegt eben ihr Unterschied. Die Grenzen meiner Sprache - das sind die Grenzen meiner logischen Ausdrucksfähigkeit in der Sprache (5.6, 5.61) . Was ich nicht ausdrücken kann, gehört nicht zur Welt der Gesamtheit der Sachverhalte, die durch Elementarsätze bezeichnet werden. Wir werden an dieser Stelle wieder nachdrücklich darauf verwiesen, daß "Welt" nur durch unsere Benennung existiert, durch den Satz, der den Gedanken äußert. Wittgenstein formuliert: 5.61
(d)
Was wir nicht denken können, das können wir nicht denken; wir können also auch nicht s a g e n , was wir nicht denken können.
Meine Sprache ist abhängig von der Kommunikation, die ich mit anderen Menschen habe. In Wittgensteins Tractatus gelten für das Ich, das Sprachen benutzt, folgende Sprachgruppen: (1)
Umgangssprachen alle Völker, die zufällig gelernt werden und deren Logik so kompliziert ist, daß sie diesen Sprachen nicht unmittelbar entnommen werden kann.
(2)
Formalisierte Sprachen, die logisch vollkommen geordnet sind.
Wittgenstein on Private Language. [PPR] Vo. 20, 1960, pp. 389-96. CL. Hardin: Wittgenstein on Private Language. [JP] Vol. LVI, 1959, pp. 517-28. - C . W . K . Mundle: 'Private Language 1 and Wittgenstein's kind of Behaviorism. [PQ] Vol. XVI, 1966, pp. 35-46. - M. Perkins: Two Arguments Against a Private Language. [JP] Vol. 62, 1965, pp. 443-58. - R. Thees: Can There be a private Language? [PASS] Vol. XXVIII, 1954, pp. 77-94. - K. Stern: Private Language and Skepticism. [JP] Vol. LX, 1965, pp. 745-59. - M. Stocker: Memory and the Private Language Argument. [PpJ Vol. XVI, 1966, pp. 47-53. - N . P . Tanburg: Private Language Again. [M] Vol. LXXII, 1963, pp. 88-1O2. - W. Todd: Private Language. [PQ] Vol. X I I , 1962, pp. 206-17.
141
Wenn Wittgenstein im Tractatus von "meiner Sprache" redet, die die Grenzen "meiner Welt" bedeutet, so meint er den Grad der Verfügbarkeit, den der einzelne über die Sprachgruppen (1) und (2) hat. Verbindlich für beide Gruppen ist die eine Logik. Sie gewährleistet überhaupt erst die Schlüssigkeit innerhalb der Sprachen, sie gibt sinnvolle, sinnlose und unsinnige Sätze zu erkennen. "Meine Sprache" ist im Tractatus keineswegs die "Privatsprache", die ich keinem mitteilen kann. Vielmehr sind die Grenzen meiner Sprache abhängig von dem Grad der logischen Klarheit, den ich "meiner Sprache" geben kann. Bemerkungen Wittgensteins über Freges Begriffsschrift und Russells Principia Mathematica zeigen, daß er eine logische Idealsprache für möglich hält (3.325). Wir müssen uns nun der Frage zuwenden, wie die Grenzen "meiner Sprache" bestimmt sind. Wittgenstein nimmt sinnvolle, sinnlose und unsinnige Sätze an. Wenn die Sprache begrenzt ist und wenn die Grenze der Sprache, die jeweils meine Sprache ist,
in der Sprache gezogen wird, so ist zu fragen,
welche Sätze innerhalb der Grenze oder außerhalb ihrer liegen. Gehören also sinnvolle, sinnlose und unsinnige Sätze zu der Sprache, die irgendwie begrenzt ist,
oder verläuft die Grenze so, daß gewisse Sätze, etwa sinnlose und
unsinnige, jenseits der Grenze liegen? Wittgenstein will dem Denken in der Sprache eine Grenze ziehen, weil die Grenze nur im Ausdruck der Gedanken, nicht in den Gedanken selbst gezogen 21 werden kann. Wir können nicht denken, was wir nicht denken können. Machen wir uns die Schritte, die Wittgenstein im Tractatus vollzieht, noch einmal klar:
21
(1)
Jeder Mensch hat ein Feld der Wahrnehmung, das ihm Tatsachen der Wirklichkeit liefert.
(2)
Die logischen Bilder der Tatsachen sind die Gedanken, die in Sätzen sinnlich wahrnehmbar selbst Tatsachen sind und somit auch wiederum dem Feld der Wahrnehmung angehören.
(3)
Die Gesamtheit der Sätze ist die Sprache. Dieser ist die Sprachlogik nicht zu entnehmen, da sie zu kompliziert ist. Die logische Analyse der Sprache begrenzt die Sprache in der Sprache, indem sie sinnvolle, sinnlose und unsinnige Sätze feststellt. Die Begrenzung der Sprache in der Sprache ist gleichzeitig eine Begrenzung der Gedanken und somit auch des Wahrnehmungsfeldes, von dem wir uns Gedanken gemacht haben.
Vorwort T S . 2
142
Ich wähle folgende Bilder zur Veranschaulichung:
Feld der Wahrnehmung (D
Ich
Die logischen Bilder der Tatsachen, die Gedanken, sind in den Sätzen sinnlich wahmehitfoar. Diese deute ich durch folgendes Bild an:
(II)
Bild (II) soll die Gesamtheit der Sätze veranschaulichen, also alle sinnvollen, sinnlosen und unsinnigen Sätze. Bild (III) stellt die Begrenzung der Sätze (Gedanken) dar:
(III) \
Nach Bild (III) gibt es Sätze innerhalb der Grenzen des Kreises und außerhalb. Die Grenze liegt innerhalb der Sprache, d.h. ich muß sowohl angeben können, was innerhalb der Grenze und was außerhalb der Grenze liegt. Nur was überhaupt außerhalb der Sprache, d.h. des Streifenfeldes, liegt, kann ich nicht sagen und nicht denken. Die Schwierigkeit liegt nun darin, die Grenze in der Sprache zu setzen, anzugeben, was innerhalb und außerhalb der Grenze liegt. Wittgenstein hat die oft genannte Einteilung der Sätze in sinnvolle, sinnlose und unsinnige gegeben. Ich will nun versuchen, diese Sätze nach Bild (III) zu verteilen. Vorher jedoch noch ein kurzer Hinweis. Wittgenstein rechnet offenbar nicht damit, daß es jemals die eine vollkommene Sprache geben könnte. Wir hätten dann das Bild:
143
\
(IV)
Die Begrenzung der Sprache und des Denkens in der Sprache fällt hier mit den Grenzen der Sprache überhaupt zusammen. Es würde die eine universale Idealsprache geben, die logisch vollkonmen geordnet wäre. Diesen Zustand schließt Wittgenstein aus. Es gibt "meine Sprache" (2) , die begrenzt ist,
die die Grenzen meiner Wahrnehmung (1) aufzeigt, es gibt
die Begrenzung "meiner Sprache" (3) , die wir noch untersuchen müssen. Nun dürfen wir uns keineswegs darin täuschen, daß wir jeweils "unsere" Sprache hätten. Folgende Bemerkungen sind zu berücksichtigen: Bild (I) und Satz (1) gelten vollständig einzeln für jeden Menschen. Allein die logische Abbildung der Wahrnehmung durch die Gedanken ist von der für alle Menschen verbindlichen Logik bestimmt, und weil die Abbildung die logische ist,
ist
sie in Sätzen sinnlich wahrnehmbai, die wiederum der Logik unterworfen sind und deshalb für alle Manschen verständlich sein können. Bild (II) bedeutet demgemäß "die Sprache", die ein einzelner aus den entwickelten Sprachen (Umgangssprache, formalisierte Sprache) zur Verfügung hat, um seine Wahrnehmung darzustellen. Der Ausschnitt aus den Sprachen, die jeder einzelne Ntensch besitzt, ist subjektiv verschieden, aber das hat keinen Einfluß auf die logischen Regeln der Sprachen, die er benutzt. Deshalb kann Wittgenstein von "der Sprache" sprechen und von der "logischen Abbildung". Die Logik ist 22 Garant der Allgemeinverbindlichkeit. Daß die Logik die logische Abbildung gestaltet, zeigt sich darin, daß die logischen Abbildungen als Sätze wiederum zu dem Feld der Wahrnehmung jedes einzelnen gehören und wahrgenommen werden. Die Darstellung der logischen Abbildungen (Gedanken) in der Sprache unterliegt festen Gesetzen der Logik und ist dadurch der Willkür enthoben. Die Begrenzung der Gesamtheit der Sprache ( 2 ) , wie ich sie in (III) bildlich dargestellt haben, ist deshalb für Wittgenstein eine Festlegung der Sprachlogik, die für den Gesamtbereich der Sprache nicht angegeben werden kann. Ich kann festestellen: 22
Zur Bedeutung der "Logik" im Tractatus siehe den folgenden Abschnitt.
144 (l')
(2')
(3')
Das gesamte Sprachfeld ( I I ) ist logisch gegliedert, aber es ist so kompliziert, daß ich die Sprachlogik nicht unmittelbar daraus entnehmen kann. Obwohl ( I I ) jeweils für einen einzelnen Menschen besteht, erlaubt die logische Gesetzmäßigkeit, die allen Sprachfeldern aller Menschen innewohnt, von "der Sprache" zu reden. Wir können deshalb ( I I ) stellvertretend für alle möglichen Felder der Art nehmen und von "der Sprache" reden. Die Begrenzung in der Sprache (III) unterscheidet die logisch einwandfrei bezeichnenden Sätze (im Kreis angedeutet) von den nicht eindeutig bezeichnenden (außerhalb des Kreises). Das gilt nach ( l 1 ) sowohl für die Sprache des einzelnen als auch für "die Sprache". Sinnvolle und sinnlose Sätze sind logisch eindeutig gegliedert, unsinnige nicht. Deshalb liegen unsinnige Sätze außerhalb der in der Sprache gezogenen Grenze.
Aus den Feststellungen (l 1 ) - (3 1 ) ergeben sich sogleich drei Fragen: (a)
Wenn sinnvolle und sinnlose Sätze (Gedanken) innerhalb und unsinnige Sätze (Gedanken) außerhalb der in der Sprache gezogenen Grenzen liegen, mit welchen Sätzen wird dann die Grenze bestimmt oder wie ist sie feststellbar?
(b)
Es gibt offenbar unsinnige Sätze bzw. Gedanken, weshalb sind diese trotzdem "logische Bilder", wenn alle Sätze logische Bilder der Tatsachen sind?
(c)
In welchem Zusammenhang steht die Begrenzung der Sprache in der Sprache mit den Tatsachen?
(a) Die Bestimmung der Grenzen der Sprache in der Sprache hängt eng mit 23 Wittgensteins Auffassung von der Logik zusammen. Die Grenze der eindeutigen Sprache "zeigt" sich. Alle Sätze, die Wahrheitsfunktionen der Elementarsätze sind und deren allgemeine Form "[p,
,
(
) ] " ist,
gehören zur eindeutigen
Sprache in der Sprache. Die Form dieser Sätze unterscheidet sie von Sätzen, die nicht Wahrheitsfunktionen der Elementarsätze, sondern Scheinsätze sind. Wahrheitsfunktionen sind einmal die sinnvollen Sätze und dann die sinnlosen, nämlich Tautologien und Kontradiktionen. Alle anderen Sätze sind unsinnige Sätze. Es gibt also keine Metasprache im Tractatus, die zum Ausdruck der Grenze in der Sprache verfügbar wäre. (b) Die Gesamtheit der Sätze ist die Sprache. Bei der Unterscheidung von Umgangssprache und formalisierter Sprache habe ich darauf hingewiesen, daß Sprachen durch unterschiedliche logische Genauigkeit bestimmt sind. Es gibt deshalb Sprachen und Sätze in disen Sprachen, die logisch mehrdeutig sind. Diese Sätze nenne ich "Scheinsätze" und meine damit Wittgensteins unsinnige Sätze, wenn sie den Ansprüchen einer Verifikation, die ich bei der Erklärung der Frage (c) erläutere, nicht genügen. 23
Vgl. Abschnitt V, 2
145
(c) Die Beantwortung dieser Frage verlangt eine Begründung, weshalb die sinnvollen und sinnlosen Sätze sinnlich wahrnehnbare logische Bilder der Wahrnehmung sind, unsinnige Sätze jedoch nicht. Wie kann ich die sinnvollen und sinnlosen Sätze verifizieren? Für die Verifikation von Sätzen wurde oft gefordert, man müsse sie mit der Wirklichkeit vergleichen. Sage ich den Satz "Der Mond scheint hell und die Nacht ist kalt", so geschieht seine Verifikation, so meint man, durch die Überprüfung dieses Satzes an der Wirklichkeit. Ich muß eben in der Nacht, die kalt ist,
feststellen, daß def
Mond hell scheint. Dann kann ich sagen, der Satz ist wahr. Sind die genannten Voraussetzungen nicht gegeben, so muß ich feststellen, daß der Satz falsch ist. Was hat diese Wahr- und Falschheit mit sinnvollen, sinnlosen und un24 sinnigen Sätzen zu tun?
24
An Literatur sei genannt u . a . : Moritz Schlick: Positivismus und Realismus. - In: t E] 3. Band, Leipzig 1932. Abgedruckt in "Gesammelte Aufsätze 1926-1936", Wien 1938, S. 83-115. Schlick gibt in einer Zusammenfassung auf S. 114/115 an: "Als berechtigter, unangreifbarer Kern der "positivistischen" Richtungen erscheint mir das Prinzip, daß der Sinn jedes Satzes restlos in seiner Verifikation im Gegebenen beschlossen liegt." Über Sätze, die Wittgenstein unsinnig nennt, äußert Schlick (S. 115): "Der Empirist sagt dem Metaphysiker nicht: 'Deine Worte behaupten etwas Falsches', sondern 'Deine Worte behaupten überhaupt nichts! 1 Er widerspricht ihm nicht, sondern er sagt: 'Ich verstehe dich nicht'." - Weiterhin zum Thema Verifikation: Moritz Schlick: Meaning and Verification. - In: [PR] Vol. XLIV, 1936. Abgedruckt in: "Gesammelte Aufsätze 1926-1936", Wien 1938, S. 337-375. - Eine Diskussion der Gedanken Schlicks und deren Auffassung von Gian Carlo Colombo (Tractatus Logico-Philosophicus, Testo originale, versione italiana a fronte, introduzione critice e note a cura die G . C . M . Colombo, S.J., MilanoRoma, 1954) ist ausführlich bei David Favrholdt ( [IGT] pp. 144-147) zu lesen. - Auch auf den Aufsatz "Metaphysics and Verification" von J. Wisdom sei hingewiesen ( [M] Vol. XLVII, No. 188, 1938. Abgedruckt in: "Philosophy and Psychoanalysis", Oxford 1953, third impression 1964, pp. 51-1O1. - Günther Patzig: Satz und Tatsache. In: Argumentationen, Festschrift für Josef König, Göttigen 1967, S. 17O-191.
146
Folgendes Schema legt Wittgenstein zugrunde: Welt, die ich vorfinde Wirklichkeit
psychische Verbindung (Wahrnehmung) (durch die Wahrnehmung vermittelt)
Elemente der Wirklichkeit psychische Verbindving
Gedanken Elemente der Gedanken direkte Entsprechung der Elemente
Elemente der Sätze (Namen) Satze
Sprache
l
J
An diesem Schema will ich erläutern, was Wittgenstein unter wahren, falschen, sinnvollen, sinnlosen und unsinnigen Sätzen versteht. Entscheidend ist, daß die Wirklichkeit nur durch die Wahrnehmung vermittelt ist und die Verbindung von der wahrgenommenen Wirklichkeit zu den Gedanken eine psychische ist,
die Wittgenstein nicht untersucht. Wahrheit und Falschheit der
Sätze, die Entscheidung über sinnvolle, sinnlose und unsinnige Sätze betrifft nur Tatsachen, soweit sie in Gedanken und Sätzen gegeben sind. Ich mache mir logische Bilder der Wirklichkeit und untersuche sie als Sätze. Cb ein Satz sinnvoll, sinnlos oder unsinnig ist, kann ich nun nicht feststellen, indem ich den Satz mit irgendeiner Wirklichkeit vergleiche, denn zu ihr führen nur psychische, für den Satz unwesentliche Verbindungen, sondern die 25
[L] 19.8.1919.
147
logische Abbildung der Wirklichkeit muß in den Sätzen selbst zeigen, cb sie sinnvoll, sinnlos oder unsinnig war. Dies ist möglich, weil Wittgenstein dieselbe Logik für Wirklichkeit und Sprache annirrmt. Deshalb kann nur in einer eindeutigen Sprache festgestellt werden, welche Sätze sinnvoll sinnlos und unsinnig sind. Die logische Sprache aus Elementarsätzen und Wahrheitsfunktionen soll in sich zeigen, daß sie das logische Bild der Wirklichkeit ist.
Die Namen der Elementarsätze bekoimen ihre Bedeutung deshalb
auch nicht durch eine Identifizierung mit zufällig wahrgenommenen Elementen der Wirklichkeit - diese kann zwar vorhanden sein, ist aber psychisch -, sondern durch das umfassende logische System der Sprache. Die Logik bestimmt Wirklichkeit und Sprache, die jeweils in sich geschlossene Systeme sind. Wahrheit und Falschheit existieren nur für diese Systeme. Weil die Logik der Wirklichkeit mit der der Sprache übereinstimmt, ist die Sprache das wahrnehmbare logische Bild der Wirklichkeit, ja, unsere Sprachschöpfungen mit Hilfe der Logik eröffnen uns erst immer wieder die neuen Aspekte der Wirklichkeitswahrnehmung. Was wir in der Sprache auch immer ausdrücken, es ist das logische Bild der Wirklichkeit und selbst Teil der Wirklichkeit.
2. Logik
Das Wort Logik könnt im Tractatus allein und in Verbindungen sehr häufig 9c vor. Diese Äußerlichkeiten weisen auf die außerordentliche Bedeutung hin, die die Logik im Tractatus hat. Der Abschnitt T 6.1 - 6.13 gibt im Zusammenhang Wittgensteins Beurteilung der Logik. a. Die Logik erfüllt die Welt 5.61
26
(a)
Die Logik erfüllt die Welt; die Grenzen der Welt sind auch ihre Grenzen.
(b)
Wir können also in der Logik nicht sagen: Das und das gibt es in der Welt, jenes nicht.
(c)
Das würde nämlich scheinbar voraussetzen, Möglichkeiten ausschließen, und dies kann sein, da sonst die Logik über die Grenzen aus müßte; wenn sie nämlich diese Grenzen anderen Seite betrachten könnte.
(d)
Was wir nicht denken können, das können wir nicht denken; w i r können also auch nicht s a g e n , w a s w i r nicht denken können.
daß wir gewisse nicht der Fall der Welt hinauch von der
Vgl. [IT] pp. 94-101; Max Black: [CWT] pp. 4O2-403. Wittgenstein nannte sein Buch zuerst "Logisch-philosophische Abhandlung" dann für die englische Ausgabe (1922) "Tractatus Logico-philosophicus".
148
Die Logik erfüllt die Welt und die Sprache, die auch zur Welt gehört. Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen (1.1). Die Begrenzung der Welt ist durch die Bilder gegeben, die wir von den Tatsachen machen (2.1). Wir kennen nicht mehr "Welt", als aus den Bildern bekannt wird. Jedes Bild ist auch ein logisches Bild (2.182). Abschnitt (b) des Satzes T 5.61 begrenzt die Logik auf das, was in ihr gesagt werden kann. Wittgenstein spricht hier nicht mehr von allen Bildern, die auch logisch sind, sondern von den logischen Bildern, den Gedanken, die in Sätzen sinnlich wahrnehmbar sind. Auch was in logischen Sätzen aussagbar ist,
gehört zu den von den allgemeinen, auch
logischen Bildern, getrennten nur logischen Bildern. Innerhalb der Sätze bilden logische Sätze eine Sondergruppe. Von diesen Sätzen gilt: (1)
sie sind a priori
(2)
sie sagen nichts über die Welt
(3)
sie bilden ein geschlossenes System.
( l 1 ) Sätze der Logik können nicht durch Ansehen der Welt geprüft werden (5.551). Wir können nur feststellen, daß es sie gibt, und dies ist die einzige Erfahrung, die wir in bezug auf die Logik machen können. Was sich über die Logik a priori überhaupt sagen läßt, hat Wittgenstein so formuliert: 5.552
Die "Erfahrung", die wir zum Verstehen der Logik brauchen, ist nicht die, daß sich etwas so und so verhält, sondern, daß etwas i s t : aber d a s i s t eben k e i n e Erfahrung. Die Logik ist vor jeder Erfahrung - daß etwas so ist. Sie ist vor dem Wie, nicht vor dem Was.
Was in der Welt ist,
die Dinge, können wir nicht aussagen. Nur wie die
Dinge sind, ist uns möglich auszudrücken, z.B. in Bildern. Die Logik ist vor diesem Ausdruck. Die Bilder zeigen die Logik, die sie beherrscht. ( 2 1 ) Da die Welt durch die Bilder, die wir von ihr haben, bestimmt
ist,
die Bilder aber logische Bilder sind, fallen die Grenzen der Logik und der durch die Bilder gegebenen Welt zusammen. Die Logik hat keinen Standpunkt außerhalb der Welt, von dem über die Welt geurteilt werden könnte. Aber auch die Bemerkung in ( l 1 ) / daß die Logik nicht das "Was", sondern das "Wie" bestimmt, ist gemeint. Ein weiterer Punkt, der ausführlich im übernächsten 27 Abschnitt behandelt werden soll, ist zu beachten: Alle Sätze der Logik sind Tautologien (6.1), sie sagen deshalb inner dasselbe über die Welt, nämlich nichts (vgl. 5.43). (3') Wittgenstein nimmt ein alles umfassendes System der Logik an, das die Welt erfüllt. Dieses System ist durchaus problematisch, wie die syste27
Vgl. Abschnitt V, 2, c
149 TQ
matischen Versuche Freges und die Kritik Russells an Frege Principia Mathenatica
sowie Russells
und Gödels Kritik an diesen gezeigt haben.
Auch
Wittgensteins Kritik an Frege und Russell im Tractatus zeigt die Problematik. Deshalb spricht Wittgenstein vcn dem logischen System in einer Weise, die man "eschatologisch" nennen könnte: 5.4541
Die Lösungen der logischen Probleme müssen einfach sein, denn sie setzen den Standard der Einfachheit. Die Menschen haben immer geahnt, daß es ein Gebiet von Fragen geben müsse, deren Antworten - a priori - symmetrisch, und zu einem abgeschlossenen, regelmäßigen Gebilde vereint liegen. Ein Gebiet, in dem der Satz gilt: Simplex sigillum veri.
b. Das logische Urzeichen gibt das Wesen der Welt an Logische Konstanten, also z.B. ' ^ ' , ' . ' , 'v',
1
, '=' stehen für nichts in
der Welt (4.O312) . Es gibt keine logischen Gegenstände als Bedeutungen der logischen Zeichen (5.4). Nun ist es bemerkenswert, daß Wittgenstein die ' 3 ' , 'v 1 etc. nicht als logische Urzeichen auffaßt (5.451-5.452, 5.46-5.4611). Er spricht in bezug auf 'v 1 und 'o' von logischen Scheinbeziehungen. Als die eigentlichen allgemeinen Urzeichen der Logik gelten nicht die 'p v q 1 , 1
( H x)· fx 1 etc., sondern die allgemeinste Form ihrer Kombinationen (5.46).
Die allgemeinste Form ihrer Kombinationen ist die allgemeine Form des Satzes: 5.472
Die Beschreibung der allgemeinsten Satzform ist die Beschreibung des einen und einzigen allgemeinen Urzeichens der Logik.
Über die allgemeine Form des Satzes gelingt Wittgenstein die Verbindung von Logik und Sprache überzeugend. Da die allgemeine Form des Satzes das einzige, allgemeine Urzeichen der Logik ist, so können wir den Satz "Das Wesen des Satzes angeben heißt das Wesen aller Beschreibung angeben, also das Wesen der Welt" (5.4711) in der Weise interpretieren, daß das Urzeichen der Logik (die allgemeine Form des Satzes) das Weses- der Welt angibt und das Wesen aller Beschreibung. Die Logik ist für Wittgenstein allumfassend, der 28 29 30
31
Gottlob Frege: [BS]. Bertrand Russell: [PrM] Appendix A: 'The Logical and Arithmetical Doctrines of Frege', pp. 5O1-522. Bertrand Russell: [PM]. Kurt Gödel: Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I. - In: Monatshefte für Mathematik und Physik, XXXVIII. Band, Leipzig 1931. Vgl. Max Black: [CWT] o. 268. Er bemerkt, der Satz 'Simplex sigillum veri' stamme von dem Physiker Herman Boerhaave ^(-1668-1738) aus Leiden.
150
große Weltspiegel (5.511). Durch die Interpretation der allgemeinen Satzform als Urzeichen der Logik wird die Negation aus allen logisdien Zeichen herausgehoben, da durch die fortgesetzte Anwendung der Negation auf die Kombinationen der Elementarsätze die Wahrheitsfunktionen entstehen. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß David Favrholdt
32
eine wichtige Einsicht
mitgeteilt hat, daß nämlich die Anwendung der sukzessiven Operation ' N (
)',
1
venn ' C ' z.B. "p, q bedeutet, die Lücke im System nicht überbrückt, daß 'N (p,q)' ja keineswegs ' ^ p.^ q 1 , sondern genau ' «* pf *» q' bringt. Diese Schwierigkeit hat Wittgenstein in Abschnitt T 5.52 - 5.525 behandelt. Er versuchte eine Allgemeinheitsbezeichnung einzuführen, die nicht auf dem logischen Produkt oder der logischen Summe beruht, sondern die auf ein "logisches Urbild" hinweist (5.522). Das hieße, daß die Konjunktion in der allgemeinen Form des Satzes, dem logischen Urzeichen, mitbedingt sein müßte. Hierüber ist im Tractatus keine Klarheit zu erhalten. Wie bei der Einführung der Gegenstände, Namen, Elementarsätze, so ist auch hier ein Leerraum im System, den Wittgenstein metaphysisch überbrückt. 3. Philosophie Wittgenstein unterscheidet sinnvolle, sinnlose und unsinnige Sätze. Sinnvolle Sätze lassen sich verifizieren. Die Verifikation nimmt Wittgenstein nicht als empirische Feststellung an etwa derart, daß ich das, was ich behaupte, aufzeigen kann, sondern verifiziert wird ein Satz durch die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung seiner Wahrheitsbedingung mit den Wahrheitsmöglichkeiten der Elementarsätze. Stimmt der Satz mit diesen überein, so ist er wahr, stinmt er nicht mit ihnen überein, so ist er falsch. Sinnlose Sätze sind Tautologien oder Kontradiktionen, die entweder immer oder niemals mit den Wahrheitsmöglichkeiten ihrer Elementarsätze Übereins tinmen. Unsinnig sind alle Sätze, die sich nicht verifizieren lassen. Wittgenstein nimmt keine besondere Sprache der Philosophie an. Da für ihn nur Sätze der Naturwissenschaften sinnvoll sind (6.53), müßten Sätze der Philosophie sinnlos oder unsinnig sein. Seine eigenen Sätze im Tractatus nennt er unsinnig (6.53). Unsinnige Sätze lassen sich nicht klar sagen. Sie geben Unaussprechliches wieder. An drei Stellen des Tractatus behandelt Wittgenstein die Aufgaben der Philosophie: Es sind die Abschnitte T 4.O03 - 4.0031, 4.111 - 4.115, 5.641, 6.53. 32
Ich erläutere diese Abschnitte an drei Punkten: (a) Die Philosophie
D. Favrholdt: [IGT] p. 152.
151 ist keine Naturwissenschaft (4.111) . (b) Alle Philosophie ist Sprachkritik (4.0O31, 4.112). (c) Die Philosophie begrenzt das Sagbare durch das Unsagbare (4.114, 4.115). a. Die Philosophie ist keine Naturwissenschaft Die Gesamtheit der als wahr verifizierten Sätze (Wahrheitsfunktionen) ist die gesamte Naturwissenschaft (4.11). Philosophische Sätze gehören nicht dazu, sie sind keine Wahrheitsfunktionen (4.111). Die Philosophie begrenzt irgendwie das bestreitbare Gebiet der Naturwissenschaft (4.113). "Philosophie" und "Naturwissenschaft" gebraucht Wittgenstein in eigener, für den Tractatus gültigen Weise. Die Naturwissenschaft ist durch die Gesamtheit der Wahrheitsfunktionen gekennzeichnet. Wittgenstein gibt nur diese Kennzeichen an, als Gebiete der Naturwissenschaft nennt er Psychologie und Physik. Rudolf Camap hat einen Aufsatz geschrieben, in dem er die Sprache der Physik als Einheitssprache der Wissenschaften untersucht.
Camap unter-
teilt die Wissenschaft in Philosophie und Fachwissenschaften. Die Fachwissenschaften gliedert er in Formalwissenschaften (Logik und Mathematik) und Realwissenschaften
(Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften, Psychologie).
34
Camap bestreitet,daß jede der Wissenschaften ihre Sprache habe. Er behauptet: "Alle Sätze sind Sätze der einen Wissenschaft. Die wissenschaftliche Arbeit betrifft entweder den empirischen
I n h a l t
der Sätze: man becbachtet,
experimentiert, sanmelt und bearbeitet das Erfahrungsmaterial.
Oder es geht
um Klarstellung der F o r m der Wissenschaftssätze, sei es ohne Rücksicht auf den Inhalt (formale Logik) , sei es im Hinblick auf die logischen Beziehungen bestimmter Begriffe (Konstitutionstheorie, Erkenntnistheorie als angewandte Logik)". 35 Ich meine, diese Sätze Carnaps geben das Verhältnis Naturwissenschaft - Philosophie an, das Wittgenstein meint. In dem Zusammenhang dieses Abschnitts ist es wichtig, daß Sätze der Philosophie keine Wahrheitsfunktionen sind, deren kleinste bezeichnenden Einheiten Namen sind. Auch muß vermieden werden, die Philosophie mit der Logik zu verwechseln. Sätze der Philosophie, sofern man ihr überhaupt welche zubilligt, sind weder sinnvoll nich sinnlos, sondern unsinnig. 33 34 35
Rudolf Carnap: Die Physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft. - In: [E] Bd. 2, 1931, Heft 5/6, S. 432-465. ebd., S. 432. - Vgl. auch: Rudolf Carnap, Physikalische Begriffsbildung. Karlsruhe 1926. (Wissen und Wirken 39. B a n d ) . ebd., S. 433.
152
b. Alle Philosophie ist Sprachkritik 4.0031
Alle Philosophie ist "Sprachkritik"
[...]
4.112
Der Zweck der Philosophie ist die logische Klärung der Gedanken. Die Philosophie ist keine Lehre, sondern eine Tätigkeit. Ein philosophisches Werk besteht wesentlich aus Erläuterungen. Das Resultat der Philosophie sind nicht "philosophische Sätze", sondern das Klarwerden von Sätzen. Die Philosophie soll die Gedanken, die sonst, gleichsam, trübe und verschwommen sind, klar machen und scharf abgrenzen.
Die Philosophie ist die Methode, das Denken in der Sprache zu begrenzen. Wittgenstein hält die Philosophie für eine Tätigkeit, die das Klarwerden von Sätzen fördert. Wie sich Wittgenstein diese TätigkeiL· vor ••-teilt, hat er beschrieben: 6.53
Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen läßt, also Sätze der Naturwissenschaft - also etwas, was mit Philosophie nichts zu tun hat -, und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen wollte, ihm nachzuweisen, daß er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat. Diese Methode wäre für den anderen unbefriedigend - er hätte nicht das Gefühl, daß wir ihn Philosophie lehrten - aber s i e wäre die einzig steng richtige.
Sätze, in denen jedes Zeichen eine Bedeutung hat und mit anderen Zeichen auf gewisse Weise verbunden ist, sind Wahrheitsfunktionen der Elenentarsätze, Sätze der Naturwissenschaften. Alle Sätze, die Zeichen ohne Bedeutung haben, sind unsinnig. Als Beispiel unsinniger Sätze führt Wittgenstein Sätze der Metaphysik an. Satz T 6.53 legt nahe zu denken, Wittgenstein meine mit Philosophie Metaphysik. Wittgensteins philosophische Methode beantwortet keine Fragen, die in der Metaphysik gestellt wurden, sie zeigt nur, was metaphysisch ist, also nicht gesagt werden kann. (3) Wir müssen bedenken, daß unsinnige Sätze allein deshalb entstehen können, weil wir die logischen Regeln der komplizierten Umgangsspräche nicht übersehen. Deshalb geraten wir immer in Versuchung, in der Sprache auszudrücken, was sich nicht in ihr ausdrücken läßt, z.B. Metaphysik. So hat Rudolf Camap etwa zur selben Zeit wie Wittgenstein scharfe Kritik an der Metaphysik geäußert, etwa in "Scheinprobleme in der Philosophie"
oder in
dem Aufsatz "Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache". 36 37
2. A u f l . , Hamburg 1961, erschienen zusammen mit: "Der logische Aufbau der Welt". In: [E] Bd. 2, Leipzig 1931/32. S. 219-241.
n *^
153
In dem genannten Aufsatz überschreibt Camap einen Abschnitt mit der überSchrift "Metaphysik als Ausdruck des Lebensgefühls".
38
Dort heißt es: "Das
harmonische Lebensgefühl, das der Metaphysiker in einem monistischen System zum Ausdruck bringen will, kommt klarer in Mozartscher Musik zum Ausdruck. Und wenn der Metaphysiker sein dualistisch-heroisches Lebensgefühl in einem dualistischen System ausdrückt, tut er es nicht vielleicht nur deshalb, weil ihm die Fähigkeit Beethovens fehlt, dieses Lebensgefühl im adäquaten Medium 39 auszudrücken? Metaphysiker sind Musiker ohne musikalische Fähigkeit". Camap hat seine scharfe antimetaphysische Haltung später sehr modifiziert, wie Günther Patzig in seinem Nachwort zur Neuausgabe der "Scheinproblema 4O in der Philosophie" dargelegt hat. Ich habe das Camap-Zitat aber abgeschrieben, um zu fragen: Geht es um Lebensgefühl, Musik? Ich meine, nach Wittgenstein gehört auch die Notensprache zur "Sprache". Eine Möglichkeit, Lebensgeruhl in der Sprache oder in der Musik auszusprechen, gibt es dann nicht. Das Lebensgefühl tritt überhaupt zurück, und im Vordergrund steht die Notationsweise. Ich halte es für möglich, und ich meine, daß ich im Sinne des Tractatus schreibe, Empfindungen zum Gegenstand der Gedanken zu machen. Das heißt, Sätze über Empfindungen sind möglich, ebenso wie Sätze über Geschwindigkeiten oder Wärmemsngen. Nach Wittgensteins Bildtheorie ist nun aber zu fragen, inwieweit Sätze (Gedanken) adäquate Ausdrucksmittel sind, d.h. inwieweit die Eindeutigkeit gegeben ist.
Nicht der Inhalt (z.B. der Empfindung) ist hier
wichtig, sondern die Entscheidung, ob der betreffende Satz eine Wahrheitsfunktion ist oder nicht. Ich erinnere: Das Verhältnis von z.B. Empfindung zum Gedanken über diese Empfindung untersucht Wittgenstein nicht, er hält es für ein psychologisches Problem. Ist aber der Gedanke über eine Empfindung als Satz gegeben, so ist zu entscheiden, ob er sinnvoll, sinnlos oder unsinnig ist. Diese Entscheidung ist "Philosophie" im Sinn des Tractatus. Diese Entscheidung befindet nicht über die Empfindung, sondern über die formalen Beziehungen der Elemente des Satzes, der die Empfindung logisch abbildet. Moritz Schlick schrieb 1930 den Aufsatz "Erleben, Erkennen, 41 Metaphysik" über die Beziehungen zwischen Erlebnis, Empfindung und Sprache. 38 39 40
41
ebd., S. 238-241. ebd., S. 24O. Rudolf Carnap: Scheinprobleme in der Philosophie. Das Fremdpsychische und der Realismusstreit. Nachwort von Günther Patzig, Frankfurt/Main 1966 (Reihe 'Theorie l 1 ) . In: Kant-Studien, 31. B d . , Berlin 1930. Abgedruckt in: "Gesammelte Aufsätze 1926-1936", Wien 1938, S. 1-17.
154
Folgende überzeugende Bemerkungen sind zu beachten: "Denn der Sinn jener vom Dichter oder Psychologen gebrauchten Worte kann unter allen Umständen nur durch Zurückgehen auf die formalen Beziehungen zwischen den Gegen42 ständen angegeben und erklärt werden". Oder: "Der Philosoph mag noch so viele Worte für das Erlebnis suchen: er kann mit ihnen nur die formalen Eigenschaften desselben treffen, der Inhalt entschlüpft ihm stets. Selbst wenn es also eine 'intuitive Erkenntnis1 in seinem Sinn gäbe, bliebe dem 43 Metaphysiker nichts als - Schweigen". Die Untersuchung der formalen Eigenschaften ist Wittgensteins philosophische Msthode. Es besteht nun die Schwierigkeit, mit unsinnigen Sätzen erläutern zu müssen, welche Sätze unsinnig sind und welche nicht. Das Verfahren, welches Wittgenstein anwendet, ist wesentlich mit seiner Unterscheidung von "Sagen" und "Zeigen" verbunden. Hier nur so viel: Mit unsinnigen Sätzen (der Pilosophie) kann ich nichts aussagen. Aber sie zeigen etwas, das aussagbare Sätze erklärt. Wittgenstein läßt unsinnige Sätze zur Erläuterung zu: Er denkt nicht, daß im voraus bewußt unsinnige Sätze angewandt werden. Vielmehr ergibt die logische Analyse der Sprache die Einsicht, welche Sätze sinnvoll, sinnlos oder unsinnig sind. Die Sätze zeigen ihren Charakter. An dem Leiter-Bild in Satz T 6.54 erläutert Wittgenstein den Gebrauch der philosophischen Sätze: 6.54
Meine Sätze erläutern dadurch, daß sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie - auf ihnen - über sie hinausgestiegen ist. (Er muß sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist) . Er muß diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig.
c. Die Philosophie begrenzt das Unsagbare durch das Sagbare 4.113 Die Philosophie begrenzt das bestreitbare Gebiet der Naturwissenschaft.
Hier nennt Wittgenstein den Punkt, der die Philosophie als "Tätigkeit" legitimiert: Sie begrenzt das Gebiet der Naturwissenschaft, soweit es bestreitbar ist.
Das heißt doch, daß Wittgenstein eine Grenze zwischen Naturwissen-
schaft und Nicht-Naturwissenschaft annimmt, welche nicht unabänderlich festliegt. Läge sie fest, würde'keine Philosophie und keine Klärung nötig sein. Wittgenstein schreibt: 42 43
ebd., S. 6. ebd., S. 16.
155 4.114
Sie [Philosophie] soll das Denkbare abgrenzen und damit das Undenkbare. Sie soll das Undenkbare von innen durch das Denkbare begrenzen.
4.115
Sie wird das Unsagbare bedeuten, indem sie das Sagbare klar darstellt.
Die Sätze T 4.113 - 4.115 fassen Wittgensteins Bemühungen, das Denken in der Sprache zu begrenzen, prägnant zusaninen. Ich habe versucht zu zeigen, wie die Begrenzung des Denkens in der Sprache im Tractatus vorgencmtien wird. Jetzt bleibt zu erklären, wie die klare Darstellung des Sagbaren durch Namen, Elementarsätze, Sätze (Wahrheitsfunktionen) das "Unsagbare" bedeuten kann. Dabei gehe ich von der Hypothese aus, daß Wittgenstein mit der metaphysischen Begründung der Logik auch eine solche Begrenzung des Sagbaren (= Sätze der Naturwissenschaften) vorninmt. Weiter nehme ich an, daß diese metaphysische Position Wittgensteins politisch interpretiert werden und als Basis einer Zuordnung von Wissenschaften und Politik dienen kann.
DIE WELT ALS GANZES I. VERIFIKATION
1. Zum Verifikationsproblem Wittgenstein nahm im Tractatus an, die Welt, die wir vorfinden, sei in einem allgemeinen Feld der Wahrnehmung gegeben. Eine mögliche Art von Bild dieser Wahrnehmungen, Bild unter vielen möglichen Bildern, die alle auch logische Bilder sind, ist das logische Bild, der Gedanke. Die Elemente des Gedankens sollen einen psychischen Zusammenhang mit dem Wahrgenommenen haben. Diesen psychischen Zusammenhang untersuchte Wittgenstein nicht. Das bedeutet, daß für den Tractatus die Wirklichkeit, mit der ich beispielsweise meine Bilder derselben vergleiche, nicht mit den Mitteln der logischen Analyse der Sprache, deren Sätze die Gedanken sinnlich-wahrnehmbar ausdrücken, erreicht werden kann. Die Sprachlogik reicht nur bis zum Gedanken. Jede Verifikation nach der Korrespondenztheorie der Wahrheit ist deshalb nach den Aussagen, die Wittgenstein im Tractatus machte, eine Frage der Psychologie und nicht der Logik. Wenn eine Wahrheitsfunktion der Elementarsätze p,q gegeben ist, so sagt diese Wahrheitsfunktion, daß die Sachverhalte P,Q, die durch die Elementarsätze p,q vertreten werden, existieren. Es besteht aber keine Möglichkeit, p und q durch P und Q zu verifizieren. Die Logische Analyse reicht nur bis zu den Namen und Elementarsätzen, nicht bis zu den Gegenständen, die bezeichnet werden. Was ein Ding ist,
kann nicht gesagt
werden. Daß aber dennoch etwas in einer logisch korrekten Sprache über Gegenstände ausgesagt werden kann, liegt nach Wittgensteins Meinung an der Eigenart der Logik. Die logische Form des Bildes (des Elementarsatzes) und des Abgebildeten (des SachVerhaltes) stimmt überein. Diese Übereinstimmung kann allerdings nicht durch Vergleich festgestellt werden. Friedrich Waismann hat diese Ansicht Wittgensteins in seinen Thesen über den Tractatus betont: Die Methode der Verifikation ist ja nicht etwas, was erst dem Sinn hinzugefügt wird. Der Satz e n t h ä l t schon die Methode seiner Verifikation. Nach einer Methode der Verifikation kann man nicht s u c h e n . l
[WTh] in:
[WWK] S. 244
157
Die Polemik Freges gegen die psychologischen Vorstellungen bei der Begrün2
düng der Zahlen oder gegen das Vorurteil, daß Zahlen keine Namen von Gegenständen seien, weil ich diese nicht wahrnehmen kann,
ist bei Wittgenstein
weiter gefaßt: Die mögliche Verifikation von Sätzen der Umgangssprache durch einen Menschen an der Wirklichkeit zeigt, daß die Sprachlogik der Umgangssprache nicht klar genug ist,
um diese psychologische Verifikaticnshandlung
überflüssig zu machen. Die Sätze sollen ihre Wahr- bzw. Falschheit bereits selbst zeigen. Das ist jedoch nur möglich, wenn ihre Wahrheitsbedingungen mit gegeben sind. Für die Verifikation nach der Korrespondenztheorie scheint der folgende Satz zu sprechen: 6.113 (2) Und so ist es auch eine der wichtigsten Tatsachen, daß sich die Wahrheit oder Falschheit der nichtlogischen Sätze n i c h t am Satz allein erkennen läßt.
Dagegen führe ich drei Einwände an: (1) Ich interpretiere "nicht am Satz allein" so, daß noch die Wahrheitsbedingungen des Satzes mit gegeben sein müssen, um ihn verifizieren zu können. (2) Der Satz ist im Tractatus durch seine logische Form bestimmt. Der logische Satz (= Satz der Logik) 4
ist
bereits in sich verifiziert (Tautologie/Kontradiktion). Der nichtlogische, aber auch logische Satz - gemeint ist die Wahrheitsfunktion, die weder Tautologie noch Kontradiktion ist - kann nur durch die Zuordnung zu seinen Wahrheitsbedingungen verifiziert werden. Die Wahrheitsbedingungen geben den "logischen Raum" für den Satz an. (3) Der logische Raum wird durch Sätze der Logik a priori bestürmt. Wittgenstein hat in Satz T 4.O63 ein Beispiel zur Erklärung des Wahrheitsbegriffs gegeben. Er wählte eine Ansicht Freges als Ausgangspunkt:" [ . . . ] ein Begriff ist eine Funktion, deren Wert immer ein Wahrheitswert ist". Wittgenstein nimtvt einen schwarzen Fleck auf weißem Papier an. Er will die Form des Fleckes beschreiben, indem er für jeden Punkt der Fläche angibt, ob er weiß oder schwarz ist. Jede Angabe ist im Sinne Freges eine Funktion mit einem Wahrheitswert, nämlich dem Wahrheitswert "wahr" oder "falsch". Wittgenstein nennt den Wahrheitswert "wahr" eine positive und den Wahrheitswert "falsch" eine negative Tatsache. Eine Tatsache ist negativ, wenn der Sachverhalt nicht besteht, sie ist positiv, wenn der Sachverhalt besteht. 2 3 4 5 6
G. Frege: [GA] G. Frege: [FB] in: [FBB] S. 17/18 Vgl. T. 6.113 ( 1 ) . G. Frege: [FB] in: [FBB] S. 26 Vgl. T. 2.O6
158
Woher aber will ich wissen, ob ein Punkt schwarz oder weiß ist? Wittgenstein schrieb: " [ . . . ] um sagen zu können: "p" ist wahr (oder falsch), muß ich bestürmt haben, unter welchen Umständen ich "p" wahr nenne [...]". Auf dem Gebiet der Logik wurden laufend bedeutende Fortschritte erzielt. Parallel dazu verlief die Entwicklung im naturwissenschaftlich-technischen Bereich. Es ist erstaunlich, daß den Wahrheitsbedingungen so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Heute könnte man das Problem der Wahrheitsbedingungen so formulieren: Unter welchen Voraussetzungen erklärt ein Wissenschaftler in einer bestürmten Gesellschaft Wissenschaftsaussagen (Wahrheitsfunktionen) für "wahr" oder "falsch"? Es müssen also beachtet werden: 1. Die Tradition der betreffenden Wissenschaft. 2. Die Gesellschaftsordnung. 3. Die Tätigkeit (Arbeit) eines Menschen (Wissenschaftlers) und deren Anhängigkeiten. 4. Die Handlung der Verifikation. Wittgenstein war der Meinung, daß Sprache und Natur die Logik gemein hätten. Diese Logik nahm er a priori an. Er hat diesen Zusammenhang in späteren Schriften so formuliert: Das einzige Korrelat in der Sprache zu einer Naturnotwendigkeit ist eine willkürliche Regel. Sie ist das Einzige, was man von dieser Naturnotwendigkeit in einen Satz abziehen kann.8 Welche Art von Gegenstand etwas ist, (Theologie als Grammatik)."
sagt die Grammatik.
Wie alles Metaphysische ist die Harmonie zwischen Gedanken und Wirklichkeit in der Grammatik der Sprache aufzufinden.1°
Die Welt ist uns in Bildern gegeben. Gedanken stellen einen Teil dieser Bilder dar, die logischen Bilder, in Sätzen sinnlich wahrnehmbar. Diese Sätze zeigen die Logik. Nun ist der Schlüssel zur Welt nicht unser ungeordnetes Bildmaterial sondern unser geordnetes. Die Welt nimmt Wittgenstein in den logisch geordneten Bildern als genauer dargestellt an als in der unmittelbaren sinnlichen Erfahrung. Die Erkenntnis geht von der wahrgenommenen Welt über Bilder, logische Bilder (Sätze)bis zur aus diesen logischen Bildern erkannten Struktur der Welt. Deshalb können Wahrheitsfunktionen nicht durch einen Vergleich mit der unmittelbar wahrgenommenen Welt verifiziert werden. Die Welt, die sie beschreiben, existiert nur in ihrer Beschreibung. Es ist nicht das Problem, herauszufinden, wie die Beschreibung durch Wahrheitsfunktionen zur unmittelbaren Wahrnehmung paßt, sondern das Problem ist,
für mögliche Beschreibungen durch Wahrheitsfunktionen
Ent-
sprechungen unter den Wahrnehmungen zu suchen (Interpretation von Kalkülen).
7 8 9 10
. 4.063 (b) [PhU] § 372 [PhU] § 373 [Z] 55
159
J.O. Urmson erläuterte in seinem Buch "Philosophical Analysis",
wie
Ende der dreißiger Jahre das Verifikationsprinzip ins Wanken geriet, da man 12 seinen metaphysischen Charakter erkannte und für a priori erklären mußte. Noch im Jahre 193O formulierte Friedrich Waismann: "Der Sinn eines Satzes ist die Art seiner Verifikation".1
Acht Jahre später begann John Wisdom 14 seinen Aufsatz "Metaphysics and Verification" mit dem folgenden Satz: "The meaning of a statement is the method of its verification". Diese Übersetzung des Waismann-Satzes ist der Ausgangspunkt für die einsetzenden Untersuchungen des Verifikationsprinzips. Wisdom schrieb: The Verification Principle is the generalisation of a very large class of metaphysical theories, namely all naturalistic, empirical, positivistic theories. -^ When people bring out with a dashing air the words 'The meaning of a statement is really simple the method of its verification', like one who says 'The value of a thing is really simple its power in exchange', in what sort of way are they using words? What is the general nature of their theory ? The answer is 'It is a metaphysical theory'. True, it is a peculiar metaphysical theory as appears from the fact that we are inclined to say: it is not so much a metaphysical theory as a recipe for framing metaphysical theories; it is not a metaphysical theory, it is a mnemonic device for getting from metaphysical theories which have been illuminating in easy metaphysical difficulties to theories which shall work in harder cases, a mnemonic device reminding us how to meet objections to positivistic theories. [ . . . ] 1 6
In diesen Zusammenhang gehört auch Karl R. Poppers Kritik des Verifikationsprinzips.
Die Debatte wurde im angelsächsischen Bereich über Jahrzehnte,
weitergeführt. In Mitteleuropa jedoch unterbrach der Faschismus die weitere Auseinandersetzung mit dem Verifikationsprinzip und allgemein der neupositivistischen Philosophie. Hier mag auch der Grund dafür liegen, daß die marxistische Kritik unserer Tage am Neupositivismus an dogmatische Standpunkte desselben anknüpft, die bereits von seinen Vertretern in den dreißiger Jahren aufgegeben worden waren. Ebenso vertreten heute noch viele Naturwissenschaftler den philosophischen Dogmatismus des Neupositivismus von vor 193O.
195O wurde die Austin-Strawson-Debatte über das Wahrheitsprcblem
gedruckt.
18
Diese Debatte ist inzwischen auch bei uns bekannt geworden.
19
Ich gebe einige Bemerkungen Strawsons wieder, die das Verhältnis von Satz 11 Urmson, J . O . : Philosophical Analysis. Oxford 1956 (reprinted). Part III, 11: The Beginnings of Contemporary Philosophy.B.The nature of metaphysics, pp. 167-178. 12 a.a.O. pp.168/169 13 Waismann, F . : [WTh] in: [WWK] s. 2 44 14 in: [M] Vol. XLVII,No.188,1938. Reprinted in "Philosophy and PsychoAnalysis", Oxford 1953,pp.51-101. 15 ebd.p.51 16 ebd.,pp.53/54. 17 Karl R.Popper: Logik der Forschung. Wien 1 9 3 5 . 3 . A u f l . Tübingen 1969. 18 In: [PASS] Vol. XXIV, 195O. 19 Besonders durch J.R. Searle: Speech-Acts.Cambridge Univ.Press 1969.
160 und Tatsache m.E. so darstellen, wie es zur Interpretation des Tractatus notwendig ist: Facts are what Statements (when true) state; they are not what statements are about. °
Zum Irrtum in der Korrespondenztheorie der Wahrheit: It is evident that there is nothing else in the world for the statement itself to be related to either in some further way of its own or in either of the different ways in which these different parts of the statement [a statement has a referring part which refers to persons, things etc. and a describing part] are related to what the statement is about. And it is evident that the demand that there should be such a relatum is logically absurd; a logically fundamental type-mistake. But the demand f o r something i n t h e world w h i c h m a k e s the s t a t e m e n t t r u e ( M r . Austin's phrase), o r t o w h i c h t h e s t a t e m e n t c o r r e s s p o n d s w h e n i t i s t r u e , i s j u s t t h i s d e m a n d .
22 Strawson, der gegen J.L. Austin argumentierte, gab seiner Meinung einen Ausdruck, der sehr wohl Wittgensteins Verifikationsvorstellung trifft: The only plausible candidate for the position of what (in the world) makes the statement true is the fact it states; but the fact it states is not something in the world.23
Ich fasse in einer Reihe von Bemerkungen zusammen: (1) Der Tractatus läßt keine Verifikation nach der Korrespondenztheorie zu. (2) Elemente der Wirklichkeit sind in der Sprache nur als "Namen" vertreten. Um über Namen und ihre Bedeutungen in sinnvollen Sätzen zu sprechen, werden formale Begriffe (Scheinbegriffe) eingeführt. (3) Die Grenze zwischen dem Sagbaren (sinnvolle und sinnlose Sätze) und dem Unsagbaren (unsinnige Sätze) ist möglich durch die Eigenart der Logik, die zeigt, ob ein Satz sinnvoll, sinnlos oder unsinnig ist. Die Unterscheidung Wittgensteins von "sagen" und "zeigen" ist für seine Auffassung der logik grundlegend. Für die Aussagenbereiche (1) der sinnvollen Sätze (Wahrheitsfunktionen; Aussagen der Naturwissenschaften), (2) der sinnlosen Sätze (Sätze der Logik; Tautologien und Kontradiktionen) und (3) der unsinnigen Sätze (Sätze der Begründung der Logik; Angabe der Wahrheitsbedingungen) nimmt Wittgenstein die Geltung einer Logik an (Aussagenlogik; 20 21 22 23
24
P.F. Strawson: Truth. - in: [PASS] Vol. XXIV, 195O. - Abgedruckt in: Truth. Edited by G. Pitcher. Englewodd Cliffs N. . 1964. ebd. pp. 36/37. J.L. Austin: Truth, - in: [PASS] Vol. XXIV, 195O. Abgedruckt in: "Philosophical Papers", Oxford 1961, pp. 55-1O1. P.F. Strawson: Truth, a.a.O. p. 37. - Die Antwort Austins, die hier nicht in Kürze wiedergegeben werden kann, findet man in dem Aufsatz "Unfair to Facts", der in Austins "Philosophical Papers", pp. 1O2-122 abgedruckt ist. Vgl. R. Dietrich: Zum Gesellschaftsbezug linguistischer Aussagen. In: Linguistische Berichte, 22, 1972.
161
Prädikatenlogik 1. Stufe). Er versucht allerdings, den Bereich (3) zu eliminieren, derart, daß er behauptet, die Logik lasse sich nicht logisch begründen, sie zeige sich vielmehr in den Bereichen (1) und (2) , mit Einschränkung auch in (3), und deshalb könne man nichts über die Logik sagen. In Bereich (3) ist dann eine Art Kommentar über "sagen" und "zeigen" zu erwarten. Man kann das Problem auch anders ausdrücken: Mit der Angabe von Wahrheitsbedingungen für Wahrheitsfunktionen geht es nicht um eine wissenschaftsimmanente Bewertung (Verifikation/Falsifikation) der Wissenschaftsaussagen sondern um die Frage, ob sich der politische Handlungsbereich eines Wissenschaftlers (der Wissenschaftler als Teil einer Gesellschaft in bestimmter Funktion), darstellbar in politischen Wertaussagen (Wittgensteins unsinnige Sätze) , nach angebbaren Regeln dem Bereich der Wissenschaftsaussagen zuordnen läßt. Etwas pauschal ausgedrückt, handelt es sich um das Grundproblem des Verhältnisses von Politik und Wissenschaft. 25 2, Wittgensteins Unterscheidung von "Sagen" und "Zeigen". Wittgensteins Brief aus Cassino an Russell von 19.8.1919 sagt deutlich, welche Bedeutung die Unterscheidung von "sagen" und "zeigen" für Wittgenstein hatte. Now I ' m afraid that you haven't really got hold of my main contention to which the whole business of logical propositions is only corollary. The main point is the theory of what can be expressed (gesagt) by propositions, i.e. by language (and, which comes to the same thing, what can be thoughtiand what cannot be expressed by propositions, but only shown (gezeigt); which I believe is the cardinal problem of philosophy.
Untersucht man im Tractatus alle Stellen, in denen Wittgenstein unterscheidet, was gesagt und was gezeigt werden kann, so findet man die Bedeutung, die Wittgenstein im Brief an Russell so betont, bestätigt. Auf den ersten Blick kann es scheinen, als habe die Unterscheidung von "Sagen" und "Zeigen" im Tractatus eine untergeordnete Stellung, denn die Hauptgliederung der Sätze T 1-7 gibt keinen Hinweis. Die Unterscheidung Sagen - Zeigen ist vielmehr über viele Stellen verstreut. Dennoch macht es die Lektüre des Tractatus deutlich, daß sich die Einsicht über das, was gesagt und gezeigt werden kann, ebenso konsequent ergibt wie die Feststellung über das Schweigen im 25 26
Vgl. Dietrich, R . : Zum Gesellschaftsbezug linguistischer Aussagen. in: Ling. Berichte 21, 1972 [L] 19.8.19. Leider ist der Brief in EL] nicht vollständig abgedruckt. Zitat nach [WLA], p. 18.
162
im Schlußsatz. Als Ausgangspunkt der Trennung von Sagen und Zeigen soll der Satz T 4.1212 dienen: 4.1212
W a s gezeigt werden
k a n n ,
k a n n
nicht gesagt werden.
Die Voraussetzungen, die zu diesem Satz führten, sind längst vor der Entstehung des Tractatus gegeben. Wenden wir uns deshalb zuerst an Schriften 27 Wittgensteins aus der Zeit vor der Entstehung des Tractatus zu.
a. "Sagen" und "Zeigen" in Wittgensteins Schriften aus der Zeit vor der Entstehung des Tractatus Die Unterscheidung von Sagen und Zeigen ist ausführlich in den "Notes dictated to G.E. Moore in Norway" vom April 1914 überliefert. Einige Bemerkungen sind auch in den Tagebüchern, vornehmlich aus dem Jahre 1914 und 1915 gegeben. In den "Notes dictated to G.E. IVfcore in Norway" [NM] wird neben "zeigen" (to show) auch das Verb "spiegeln" (to mirror) gebraucht. In den Tagebüchern und im Tractatus hat sich "spiegeln" erhalten. In den [NM] wird "zeigen" in folgender Weise erläutert:
27
(I)
Jeder Satz sagt etwas über die Welt und zeigt etwas über die Welt ([NM] in Tb p. 1O7 i ) .
(II)
Die Sprache, in der alles Sagbare gesagt werden kann, spiegelt gewisse Eigenschaften der Welt ( [NM] in Tb p. 107 f ) .
(III)
Die Sätze der Logik zeigen diese Eigenschaften systematisch, weil es logische Eigenschaften sind ( [NM] in Tb p. 1O7 f ) .
(IV)
Die logischen Eigenschaften der Welt kennen wir durch die logischen Eigenschaften der Sprache ([NM] in Tb p. 1O7 e f ) .
(V)
Die logischen Eigenschaften einer Sprache können nicht gesagt werden, sondern sie zeigen sich ( [NM] in Tb p. 1O7 acdfig) .
Grundlegend für die Interpretation der Unterscheidung von Sagen und Zeigen ist m. E. immer noch die Dissertation von D.S. Shwayder (Wittgenstein's Tractatus. A. Historical and Critical Commentary. Ph.D. Thesis Oxford 1954). Besonders auf folgende Kapitel möchte ich hinweisen. Chapter 6: "The Doctrine of Showing", pp. 137-164; Chapter 7: "Historical Origins of the Doctrine of Showing", pp. 165-177; Chapter 11: # 11: "The Doctrine of Showing, 'Criticised' 1 ,, pp. 3O1-3O4; Chapter 11: % 12: "The Inadequacy of the Doctrine of Showing", pp. 304-3O8; Chapter 11: ft 13: "The Dispensability of the Doctrine of Showing in its Extreme Form", pp. 308-315; Appendix II: "Moore's Notebooks".ft 2: "Showing", pp. 928-932; # 3: "Showing and Tautology", pp. 932-935. Neben Shwayder behandelt auch James G r i f f i n in [WLA] die Theorie des Zeigens: "The Doctrine of Showing", pp. 18-25. - Im Kommentar [CWT] von Max Black findet sich auch ein Exkurs "The Notion of 'Showing'", pp. 190-192.
163
Weiter gilt, daß z.B. Sätze der Form "M ist ein Ding" unmöglich sind: "Even if there w e r e propositions of the form 'M is a thing' they would be superfluous (tautologous) because what this tries to say is something which is already s e e n when you see "M 1 ". 28 Es scheint, als wiederhole dieses Zitat einige Aspekte der Punkte (I) - (V). Aber ein wesentlicher Unterschied besteht, der auch im Tractatus zu finden ist: Die Sätze (I) - (V) erläutern die Entsprechung der logischen Eigenschaften der Welt und der Sprache, die selbst ein Teil der Wirklichkeit ist. Die logischen Eigenschaften der Wirklichkeit zeigen sich in der Sprache, weil auch die Sprache diese logischen Eigenschaften besitzt. Wenn nun von dem Satz "M ist ein Ding" die Rede ist, dann ist die äußere Struktur von "M 1 gemeint. "M ist ein Ding" ist deshalb überflüssig, weil die äußere Struktur von 'M 1 zeigt, daß 'M 1 ein Ding ist. In den [NM] stellt Wittgenstein zwei Formen des "Zeigens" vor: (1)
Die innere Struktur der Sachverhalte zeigt sich in der inneren Struktur der Sätze (Elementarsätze).
(2)
Die äußere Struktur der Sachverhalte zeigt sich in der äußeren Struktur der Sätze (Elementarsätze).
In bezug auf die Gesamtheit der Sachverhalte und Elemantarsätze können wir (1) und (2) formulieren: (3)
Die innere und äußere Struktur der Wirklichkeit zeigt sich in der inneren und äußeren Struktur der logisch eindeutigen Sprache.
In den Tagebüchern aus der Zeit vom 12.8.1914 bis zum 10.1.1 7 findet man wenig Bemerkungen über das "Zeigen", oder den Zusammenhang von "Sagen" und "Zeigen". 29 Die Notiz "Was sich in der Sprache spiegelt, kann ich nicht mit ihr ausdrücken" (Tb 19.4.15) findet man abgewandelt und erweitert in Satz T 4.121. Die Notiz " E s ist k l a r , daß sich die Ethik nicht aussprechen l ä ß t l" (Tb 3O.7.16 e) ist genau in Satz T 6.421 überncmnen, wo Wittgenstein hinzufügte: "Die Ethik ist transzendental". Eine Tagebuchnotiz verdient besondere Aufmerksarkeit, weil sie nicht im Tractatus erscheint, aber ihre Aussage auch für den Tractatus gilt: Ob ein Satz wahr oder falsch ist, muß sich zeigen. Wir müssen aber im voraus wissen, w i e es sich zeigen wird.
Unmittelbar vorauf geht der Abschnitt: "Es muß ja die Abbildungsmethode vollkommen bestirtmt sein, ehe man überhaupt die Wirklichkeit mit dem Satz vergleichen kann, um zu sehen, ob er wahr oder falsch ist. Die Vergleichs28 29 30
[NM] in Tb p. lO9a. Tb 14.10.14 f, 24.10.14 b, 1.11.14 l, 3.11.14 jk, 15.11.14 cd, 19.4.15, 26.4.15 b, 17.4.16 b, 3O.7.16 e. Tb 1.11.14 1.
164
methode muß mir gegeben sein, ehe ich vergleichen kann". Die Bestiimtung der Atbildungsmethode ist im Tractatus mit der Bild-Theorie gegeben. Nun behauptet Wittgenstein, daß sich die Wahr- oder Falschheit eines Satzes zeige. Durch die Bestimmung der Abbildungsmethode ist auch die Wahr- und Falschheit der Sätze bestimmt; durch die Logik a priori. Deshalb können wir im voraus angeben, w i e sich die Wahr- oder Falschheit eines Satzes zeigt. Was sich zeigt und nicht ausgesagt werden kann, gehört nicht zu den logischen Bildern, obwohl es ein auch logisches Bild sein kann. Die Wahrnehmung des Zeigens führt wieder in den Bereich des allgemeinen Feldes der Wahrnehmung, das allem Abbilden vorgegeben ist. Ich kann also die Folge annehmen: (a)
Das "metaphysische Ich" nimmt ein allgemeines Feld der Wahrnehmung wahr, wozu auch das empirische Ich gehört.
(b)
Das "metaphysische Ich" macht Bilder des Feldes.
(c)
Eine mögliche Art von Bildern sind die logischen Bilder (=Gedanken), welche in Sätzen sinnlich wahrnehmbar sind.
(d)
Die äußere und innere Struktur des Feldes der Wahrnehmung zeigt sich in der äußeren und inneren Struktur der Sprache.
(e)
Was sich zeigt, wird wieder als Teil des Wahrnehmungsfeldes vom "metaphysischen Ich" gesehen.
Wenn sich nun die a priori festgesetzte Wahr- und Falschheit eines Satzes zeigt, so tritt sie in Verbindung mit dem Sinn, der sich zeigt, und mit den logischen Eigenschaften insgesamt, die sich zeigen, wieder in die Wirklichkeit, und bei der Erreichung derselben Ebene tritt dann leicht die Verwechslung ein, logische Konstruktionen a priori wie Wahr- und Falschheit in der Wirklichkeit auszusiedeln. Als Schluß für die logischen Eigenschaften der Sätze gilt: (4)
Die logischen Eigenschaften der Wirklichkeit zeigen sich in der Sprache, die diese abbildet. Das Zeigen ordnet das, was sich zeigt, in das allgemeine Feld der Wahrnehmung.
b. "Sagen" und "Zeigen" im Tractatus Im Tractatus gebraucht Wittgenstein die Verben "zeigen" und "spiegeln" synonym. Was sich zeigt und was sich spiegelt, kann nicht gesagt werden. Das Verb "spiegeln" wird im Tractatus viermal gebraucht,
32
davon zweimal reflexiv.
Überblickt man die zahlreichen Stellen des Tractatus, an denen "zeigen" 31 Tb 1.11.14 k. 32 T 4.121, 5.512, 5.514. 33 4.121.
33
165
gebraucht ist, so stellt man fest, daß an dreizehn von 36 Stellen das Reflexivum "sich zeigen" gebraucht wird. Das Verb "sagen" ist im Tractatus in 32 Sätzen gebraucht. In vier Sätzen des Tractatus werden die Verben "zeigen" und "sagen" gemeinsam verwendet. Hierzu sind aber auch alle Sätze zu rechnen, in denen der Zusammenhang zwischen der Sprache und dem Zeigen 39
38
offenkundig ist. Bis auf wenige Ausnahmen erscheint das Verb "zeigen" immer im Zusammenhang von Aussagen über die Sprache. Für die Analyse des Zusammenhanges von "sagen" und "zeigen" wähle ich folgenden Satz: 4.022 ( 1 ) (2)(3)
D e r Satz
z e i g t
seinen Sinn.
D e r Satz z e i g t , w i e e s sich verhält, w e n n er wahr ist. Und er s a g t , daß es sich so verhält.
Ich beginne mit Erläuterungen über das "Zeigen". Ich interpretiere Teil (2) als Kommentar zu Teil (1) des Satzes T 4.O22. Da Wittgenstein vom Satz spricht, ist anzunehmen, daß das, "was sich verhält", nicht allein ein einzelner Sachverhalt ist, der ja durch einen Elementarsatz vertreten würde, sondern daß das, "was sich verhält", Sachverhalte sind. Wittgenstein gebraucht auch das Wort Sachlage für einen Komplex von Sachverhalten. Der Elementarsatz steht für einen Sachverhalt, der Satz für eine Sachlage. Teil (2) des Satzes T 4.022 muß deshalb zweifach verstanden werden: (21)
Der Satz zeigt, wenn er wahr ist: (a) wie sich die Sachverhalte verhalten (b) wie sich die Gegenstände in Sachverhalten verhalten.
Die Sätze T 4.0621 und 4.0641 geben Interpretationen zu (a), die Sätze T 4.1211 und 4.125 zu (b). Der Satz T 4.461 interpretiert (a) und (b). Für (2 1 ) kann ich auch schreiben: 34
35 36
37 38
39
Nach [IT] pp. 167/168 und Max Black [CWT] pp. 414/415: T S. 2 u. 4; 2.02331, 3.262, 4 . O 2 2 , 4.0621, 4.O641, 4.121, 4.1211, 4 . 1 2 1 2 , 4 . 1 2 2 , 4 . 1 2 6 , 4.461, 5.1311, 5.24, 5 . 4 2 , 5.515, 5.5261, 5.5421, 5.5422, 5.551, 5.5561, 5.62, 5.631, 6 . 1 2 , 6.121, 6.1221, 6 . 1 2 4 , 6.126, 6.1264, 6.127, 6 . 2 2 , 6.23, 6.232, 6.36, 6.522. Ausgelassen sind die Stellen, in denen "zeigen" im Sinn von "auf etwas zeigen" gebraucht wird, vgl. etwa T. 4.0031, 4.063. T 3.331, 4 . 1 2 2 , 4 . 2 4 3 , 5.24, 5 . 4 , 5.513, 5.515, 5.5261, 5.5561, 5.62, 6 . 2 3 , 6.36, 6.522. T S. 2; 3.031, 3.1432, 3.221, 4 . O 2 2 , 4.O62, 4.063, 4.1212, 4 . 4 6 1 , 4.465, 5.14, 5.142, 5.43, 5.44, 5.441, 5.47, 5.513, 5.53O1, 5.53O2, 5.5303, 5.535, 5 . 5 4 2 , 5.61, 5.62, 5.631, 6.OO1, 6.11, 6 . 3 4 2 , 6.36, 6.51, 6.521, 6.53. T 4.0621, 4.1212, 4.461, 6.36. T S. 4; 4.022, 4.0641, 4.121, 4.1211, 4.126, 4.461, 5.1311, 5.24, 5.515, 5.5261, 5 . 5 4 2 2 , 5.5561, 5.62, 6 . 1 2 , 6.121, 6 . 1 2 2 1 , 6 . 1 2 4 , 6.126, 6.1264, 6 . 1 2 7 , 6 . 2 2 , 6 . 2 3 2 , 6.36, 6 . 5 2 2 . T 2.02331, 5.5421, 5.551, 5.631.
166 (211)
Der Satz zeigt, wenn er wahr ist: ( a 1 ) die logische Form der Sachlage ( b 1 ) die logische Form der Sachverhalte.
Es ist zu beachten, daß der Satz nicht zeigt, was sich verhält, sondern wie es sich verhält. Die logische Form der Sätze, die ja Wahrheitsfunktionen der Elementarsätze sind, zeigt die logische Form der Sachverhalte und Sachlagen. Fasse ich (a 1 ) und (b 1 ) in Satz ( 2 ' 1 ) zusammen, so erhalte ich: (2111)
Der Satz zeigt, wenn er wahr ist, der Wirklichkeit.
die logische Form
Satz ( 2 1 1 1 ) ist verallgemeinert Satz T 4.121 (d): "Der Satz logische Form der Wirklichkeit". Hier fehlt gegenüber ( 2
111
z e i g t
die
) und dessen
Vorlage T 4.022 der Zusatz "wenn er wahr ist". Dieser Zusatz steht in T 4.022, um Teil (3) dieses Satzes vorzubereiten. Tatsächlich zeigen auch die falschen Sätze die logische Form der Wirklichkeit, nur sagt der falsche Satz nichts darüber, daß sich etwas verhält. Wir können nun alle Stellen des Tractatus, die über das Zeigen der logischen Form oder der Logik im Satz Aufschluß geben, als Erläuterungen zu den Sätzen (2) - ( 2 " ' ) auffassen. Dabei ergibt sich folgende Abstufung: (
)
( ß )
Der Satz zeigt die logische Form der Wirklichkeit; die Gesetze der Logik zeigen sich in der Sprache.'*0 Die Sätze der Logik zeigen die der Sprache.41
logischen Eigenschaften
Als Zusammenfassung mag der Satz dienen: (I)
Die Sätze zeigen die logische Form der Wirklichkeit
Nun ist mit der Erläuterung des Teils (2) des Satzes T 4.022, den ich als Kommentar zu Teil (1) auffasse, noch keineswegs Teil (1) selbst vollständig erklärt. Und zwar will ich Teil (1) des Satzes T 4.022 gegen eine Fehlinterpretation schützen. Wolfgang Stegmüller, der eine dreifache Bedeutung von "zeigen" im Tractatus annimmt,
interpretiert: "Der Satz
seinen Sinn ( = deskriptiven Gehalt), d.h. ä u ß e r e n S t r u k t u r
S t r u k t u r des
d i e
wir
1
l e s e n aus
e n t s p r e c h e n d e
S a c h v e r h a l t e s
z e i g t
ab.
s e i n e r ä u ß e r e
Dieses Zeigen 1
kann man das "äußere Zeigen nennen. Es sei durch 'zeigen abgekürzt". Stegmüller macht einmal den Fehler zu behaupten, der Satz erlaubte uns direkt die Struktur eines Sachverhaltes abzulesen. Wenn das stimmen soll, hätte 40 41 42 43
T 4.022, 4.121, 6.124, 5.24, 5.515, 5 . 4 2 . T 6.12, 6.121, 6.1221, 6.126, 6.127, 6 . 2 2 , 6.36. Wolfgang Stegmüller: Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie. 3, Auflage Stuttgart 1965, S. 555 ff. ebd., S. 555.
167
Wittgenstein Elementarsatz schreiben müssen. Zum anderen läßt sich eine Verbindung von "zeigen" und eine Differenzierung von äußerer und innerer Struktur im Tractatus nicht nachweist,!. Vielmehr legt Wittgensteins Gebrauch des Wortes "Struktur" nahe, 44 allein "logische Form", die intern ist, darunter zu verstehen. Stegmüller folgt genau E. Stenius. Dieser schreibt: On the one hand a picture 'shows' by the e x t e r n a l structure of the picture-field and by means of the key of interpretation a state o f a f f a i r s that i t p r e s e n t s or d e p i c t s , on the other hand it 'shows' - according to Wittgenstein - by the i n t e r n a l structure of its elements the internal structure of the elements of the proto type.45
Stenius' Annahme einer inneren und äußeren Struktur basiert auf der bereits behandelten falschen Annahme, daß die Elemente der Sachverhalte eine innere Struktur der Zuordnung von Gegenständen und von Prädikaten hätten. Stenius1 innere Struktur wurde mit der Widerlegung seiner These, daß Gegenstände "things" und "predicates" seien, hinfällig. Was er als äußere Struktur bezeichnet, ist innere Struktur bzw. logische Form. Von dem "Zeigen" der These (I) müssen wir zwei Fälle des "Zeigens" unte rsche iden: (II)
a.
Was der Solipsismus meint, läßt sich nicht sagen, sondern es zeigt sich (T 5 . 6 2 ) .
3.
Das Unaussprechliche zeigt sich (T 6 . 5 2 2 ) .
Die Thesen (II) gehören zusammen. Erik Stenius nahm an, daß es zwei Arten von Dingen geben müsse, die nicht gesagt werden können: "that which can be shown in language but not said, and that which can be neither shown nor said in language". Diese Meinung ist nicht richtig. Da ich jedoch den Zusammenhang all dessen, was sich zeigt, noch darstellen werde, will ich vorläufig eine Behauptung aufstellen, die die Thesen (I) (II) zusammenfaßt: (III)
Was sich zeigt, gehört zum unaussprechlich Mystischen.
These (III) soll als bisher unbegründete Behauptung gelesen werden. In bezug auf das Mystische könnte ich fragen: Ist alles, was sich zeigt, mystisch? Oder ist das Mystische ein Teil dessen, was sich zeigt? In welchem Verhältnis sieht Wittgenstein im Tractatus das Sagbare und das Unsagbare, das Unsagbare und das Unaussprechliche? Das Präfix 'un-' 47 dient zur Verneinung von Eigenschaften und Zuständen, auch in Verbindung 44 45 46 47
T 4.122, bes. 5.2. E. Stenius: [WT] p. 179. ebd., p. 223 Indogermanisch * n-, im Ablaut dazu die indogermanische Verneinung
*ne.
168
mit Adjektiven48
Das Unsagbare ist dann das nicht Sagbare, das Unaus-
sprechliche, das nicht Aussprechbare. Aus den vielen Bemerkungen Wittgen49 Steins, in denen Zeigen und Sagen zusammen gebraucht sind, geht eindeutig hervor, daß das Unsagbare das nicht Sagbare ist,
das sich jedoch im Sag-
baren in der Sprache zeigt. Das Wort "das Unsagbare" wird überdies nur einmal, nämlich in Satz T 4.115 gebraucht, und diese Stelle beweist, daß Wittgenstein "das Unsagbare" synonym mit Ausdrücken der Verneinung des Verbums "sagen" gebraucht, z.B. "kann nicht gesagt werden" (4.1212). "Das Unaussprechliche" verwendet Wittgenstein im Tractatus auch nur einmal (6.522), aber wir können auch hier zeigen, daß "das Unaussprechliche" in derselben Bedeutung wie die Verneinung der Verben "aussprechen" und "sprechen", die wiederum synonym mit "sagen" verwendet werden, gebraucht wurde.
Nicht
aussprechbar sind z.B. die Gegenstände, ich kann nur von ihnen sprechen (3.221). Die Ethik läßt sich nicht aussprechen (6.421). Als Folgerung ergibt sich, daß "nicht sagbar", "nicht aussprechbar" sowie "das Unsagbare" und "das Unaussprechliche" dieselbe Verwendung im Tractatus haben. Das Unsagbare ist identisch mit dem Unaussprechlichen. Meine Erläuterungen fasse ich in einem Satz zusammen: (IV)
Das Unaussprechliche zeigt sich in der Sprache.
Nun müssen allerdings Unterscheidungen getroffen werden. Die Sprache ist die Gesamtheit der Sätze (4.001). Es gibt sinnvolle, sinnlose und unsinnige Sätze. Satz (IV) kann somit unterteilt werden: (IV)
Das Unaussprechliche zeigt sich: (a) in sinnvollen Sätzen (b) in sinnlosen Sätzen (c) in unsinnigen Sätzen.
Interpretiere ich Satz (IV') durch T 6.522, so erhalte ich: (IV11)
Das Mystische zeigt sich: ( a 1 ) in sinnvollen Sätzen ( b 1 ) in sinnlosen Sätzen ( c 1 ) in unsinnigen Sätzen.
Alle Sätze, auch die der Umgangssprache, sind logisch vollkommen geordnet (5.5563). Also auch die unsinnigen Sätze sind keine unlogischen Sätze. Das hat zur Folge, daß sich die Logik in allen Arten von Sätzen (a) - (c) zeigt, allerdings in unterschiedlicher Klarheit. In unsinnigen Sätzen reicht die 48
49 50
Vgl. Duden Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 2. Aufl. Mannheim 1966 (= Der Große Duden, Bd. 4 ) . - Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der Deutschen Sprache. 19. A u f l . , bearbeitet von W. Mitzka. Berlin 1963, S. 8O4. - Vgl. T 4.52O, 4.525, 5.4O4/4O5. s.S. 25O/251. Vgl. T 3.221, 3 . 2 6 2 , 4.116, 6.421.
169
logische Form nicht aus, um die logische Form der Wirklichkeit zu zeigen. Deshalb gilt, daß die logische Form der Wirklichkeit nur in den sinnvollen Sätzen der eindeutigen Sprache sichtbar ist und in den sinnlosen (Tautologie und Kontradiktion) im Grenzfall. Anders liegt es im Falle der Ethik. Wittgenstein sagt ausdrücklich, daß es keine Sätze (Wahrheitsfunktionen) der Ethik geben kann (6.42). Ähnliches gilt von der Ästhetik, die Wittgenstein der Ethik gleichstellt (6.421). Nun weiß jeder, daß es eine große Zahl ethischer Sätze der Umgangs spräche gibt, etwa die des Dekalogs. Die Bemerkung T 6.42 ist deshalb so zu verstehen, daß es keine sinnvollen oder sinnlosen Sätze der Ethik gibt, wie etwa sinnvolle und sinnlose Sätze der Logik vorhanden sind. Aber es gibt unsinnige ethische Sätze. Die Ethik zeigt sich allein in unsinnigen Sätzen (ebenso die Ästhetik). Logik und Ethik zeigen sich, jedoch auf sehr verschiedene Weise. Die Logik, die Welt und Sprache beherrscht, die der Welt und der Sprache Sinn gibt, zeigt sich in allen Sätzen, obgleich sie - wie die Ethik - außerhalb von Welt und Sprache liegt. Die Ethik zeigt sich nur in unsinnigen Sätzen, die aber auch logische Sätze sind (nicht: Sätze der Logik). Das führt zu einem Verhältnis von Logik und Ethik, welches noch näher zu bestimmen sein wird. _ , _ 5l Ich fasse zusammen: (V)
Logik und Ethik (Ästhetik)
(VI)
Das Unaussprechliche
(VII)
Das Unaussprechliche ist
sind unaussprechlich.
zeigt sich in der Sprache. das Mystische.
Diese Sätze (V) - (VII) sind wesentlich durch Wittgensteins Bemerkungen über den Solipsismus bestimmt.
51
Vgl. Bertrand Russells Vorwort zum Tractatus, T pp. XX - XXII. Russell hat bereits die richtige Deutung des Mystischen gegeben: "This inexpressible contains, [...] the whole of logic and philosophy" (p. X X I ) .
II.
DAS METAPHYSISCHE SUBJEKT
1. Das empirische und metaphysische Subjekt Am 8. Juli 1916 schrieb Wittgenstein in sein Tagebuch: Es gibt zwei Gottheiten: die Welt und mein unabhängiges Ich.
Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, das Ich macht Bilder der Tatsachen. Für "ich" gebraucht Wittgenstein auch das Wort "Subjekt" das "ich" oder "Subjekt" ist vom Leib zu unterscheiden (5.631). Der Leib gehört zur Welt und wird wahrgenommen. Über die Beziehung Subjekt - Welt gibt Wittgenstein ein Gleichnis (5.633): Subjekt und Welt verhalten sich wie Auge und Gesichtsfeld.
Auge
Nichts läßt in der Welt auf das Subjekt schließen, deshalb nennt es Wittgenstein das metaphysische Subjekt. Allerdings begrenzt das metaphysische Subjekt die Welt: 5.632
Das Subjekt gehört nicht zur Welt,sondern es ist eine Grenze der Welt.
5.633
Wo in der Welt ist ein metaphysisches Subjekt zu merken? Du sagst, es verhält sich hier ganz wie mit Auge und Gesichtsfeld. Aber das Auge siehst du wirklich n i c h t . U n d nichts a m G e s i c h t s f e l d läßt darauf schließen, daß es von einem Auge gesehen wird.
Zu Wittgensteins metaphysischem Ich sind sehr unterschiedliche Interpretationen gegeben worden. Alexander Maslow jekt sei die
f o r m a l e
schreibt, das metaphysische Sub-
Grenze der Sprache, über die nicht sinnvoll
gesprochen werden könne: "As Wittgenstein insists, I can say nothing significant 1 2
about
Tb 8.7.16 j. A. Maslow: [MWT].
my world as a whole because the distinction between
171
my ego and the world cannot enter into my significant language: I cannot speak significantly of myself as an ego which is a part of my own world, and I cannot speak of any other world but mine [...]". 4
Jaako Hintikka betont die linguistische Natur von Wittgensteins metaphysischem Subjekt: " [ . . . ] Wittgenstein identifies the limits of one's language with the limits of one's self. [...] What he is concerned with is not the empirical subject but the 'metaphysical' subject discussed in philosophy. In other words, he is interested only in what can be said to be mine n e c e s s a r i l y ; for otherwise he would only be doing empirical psychology. But the only necessity there is, according to the other doctrines of the T r a c t a t u s , is the enpty tautological necessity of logic". Hintikka deutet Wittgensteins Gleichsetzung des metaphysischen Ichs mit der Grenze der Welt gleichbedeutend der Gleichsetzung mit der Grenze der Sprache. (1)
metaphysical subject = totality of one's language
(2)
the limits of language = the limits of the world
(3)
the limits of the (metaphysical) subject = the limits of the world.
Hintikkas Identifikationen scheinen mir in mehrfacher Hinsicht der Erläuterung zu bedürfen, (a) Einmal scheint es überraschend, das metaphysische Subjekt als "Ibtality of one's language' zu interpretieren. Es heißt im Tractatus: "Das Subject gehört nicht zur Welt, sondern es ist eine Grenze der Welt" (5.632). Wittgenstein spricht wohlgemarkt von einer Grenze und nicht von Grenzen. Nun behauptet Wittgenstein in Satz T 5.6, daß die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meiner Welt bedeuten. Diesen Satz interpretiert Hintikka durch Satz T 5.5561 (a): "Die empirische Realität ist begrenzt durch die Gesamtheit der Gegenstände. Die Grenze zeigt sich wieder in der Gesamtheit der Elementarsätze". Diese Bemerkung schließt aus, daß wir die Grenze der Sprache als Besonderheit der Sprache annehmen können. Die Grenze ist nicht zu isolieren. Die Identifikation (1) ist durch Satz T 5.5561 (a) und 5.632 gut verständlich, aber in ihrer Formulierung leicht irreführend. Das metaphysische Subjekt ist nicht gleich der Summe meiner Sprache, vielmehr, daß meine Sprache begrenzt ist, zeigt sich in der Gesamtheit der Elementar3 4
5 6
ebd., p. 149. "On Wittgenstein's 'Solopsism 1 . - In: [M] Vol. LXVII, No. 265, January 1958, pp. 88-91. Reprinted in [EWT] pp. 157-161. ebd., [EWT] pp. 158/159. ebd., . 16 .
172
sätze. Die Begrenzung, die sich zeigt/ ist insofern mit der Grenze der Welt, die das metaphysische Ich gibt, identisch, als die Gesamtheit der Elementarsätze vom Ich abhängig ist und dem Ich die Welt nur insofern begrenzt ist, als ihm durch Denken und Ausdruck der Gedanken in Elementarsätzen und Sätzen gelingt, die Welt abzubilden. Daß Wittgenstein in T 5.6 und 5.62 von den Grenzen der Sprache und der Welt spricht, ist auf den Gedanken zurückzuführen, die Sprache als Gesamtheit der Sätze zu sehen. Jeder Satz begrenzt die Welt, so gibt es Grenzen der Welt und der Sprache. Es ist deshalb dasselbe, ob von den Grenzen oder der Grenze die Rede ist.
(b) Zweifelhaft
scheint mit jedoch Hintikkas 'the limits of the (metaphysical) subject' zu sein. Wenn von der Grenze die Rade ist,
so bedeutet dies eine abstrahie-
rende Zusammenfassung aller möglichen Grenzen. Wenn vom metaphysichen Subjekt als einer Grenze die Rede ist,, so ist die Grenze gemeint, die sich in der Gesamtheit der Elementarsätze zeigt und die vom metaphysischen Subjekt abhängig ist insofern als es keine Elementarsätze ohne das Subjekt gäbe und die Grenze nicht ohne das Subjekt wahrgenommen werden könnte. Man kann das itetaphysiche Ich als Konstruktion betrachten, von der aus der Solipsist Sprache und Welt sieht. Jedoch scheint mit im Tractatus kein Anhaltspunkt gegeben, das metaphysische Subjekt selbst gegliedert und begrenzt anzunehmen. Es scheint mir überflüssig, von den Grenzen einer Grenze zu schreiben, wie es Hintikka versucht. George Pitcher betont, daß das Ich inner unwahrnehmbar sei: "Ihe '!' is not, in any case, an observable. It is never perceived by any of the senses, and it never could be, not matter how many powerful instruments we called to our aid". Q
Vorzüglich und ausführlich hat David Favrholdt Wittgensteins Aussagen über das metaphysische Ich und den Solipsismus interpretiert. Favrholdt unterscheidet eine Person in 'empirical ego' und 'metaphysical subjects'. Das Verhältnis von Person und Welt veranschaulicht er durch ein Schema:
7 8 9
George Pitcher: [Phw] p, 146. D. Favrholdt: [IGT] Chapter V. ebd., p. 148.
173
Ihe World The metaphysical subject = the philosophical I or self
The empirical Ego = the human soul
The 'physical' world = the world of sensations - to which my body belongs
Indivisible
Complex
Complex
The limit of the world
Consists of Consists of facts thoughts, the elements of which can be investigated by psychology, and perhaps of other psychical phenomena V A person
Besonders deutlich verweist Favrholdt auf den Zusamrengang, in dem der Solipsismus durch das metaphysische Ich mit der Bildtheorie steht. 10 Das metaphysiche Ich läßt sich allein in seiner Aktivität: Es ermöglicht Sätze und Logik, es begrenzt die Sprache. Die Produktion von Sätzen ist abhängig vom "Ich". Für jedes "Ich" ist der Bereich der Sprache begrenzt. Sprache, die "ich" allein verstehe.
Grenze der SPRACHE, abhängig vom metaphysischen Ich.
1O
ebd., pp. 165-169: 'The grounds of the metaphysical subject 1 .
174
Die Grenze der Sprache, die durch das metaphysische Ich gezogen wird,
ist
für jedes "Ich" verschieden. Die Begrenzung in der Sprache, d.h. die Scheidung der Sätze in Wahrheitsfunktionen (WF) (sinnvolle und sinnlose Sätze) und Nichtwahrheitsfunktionen (NWF) (unsinnige Sätze) schafft eine weitere Sprachgrenze:
Grenze
I
Grenze
II
WF = Wahrheitsfunktionen NWF = Nichtwahrheitsfunktionen.
Grenze II begrenzt die Gesamtheit der Wahrheitsfunktionen. Diese ist für jedes "Ich" gleich, sofern das "Ich" die Gesamtheit erfaßt. Wenn Wittgenstein die Gleichsetzung von Sprache und Welt annimmt (Welt - soweit sie sprachlich beschrieben ist), kann er von einer Begrenzung der Welt durch die Sprache sprechen. Die Gesamtheit der Wahrheitsfunktionen soll die Vtelt vollständig beschreiben. Was haben aber die Nichtwahrheitsfunktionen, die unsinnigen Sätzen, mit der Welt zu tun? Wenn sich das Mystische in der Sprache zeigt, was zeigt sich dann in Wahrheitsfunktionen und was in unsinnigen Sätzen? Vor dem Versuch einer Beantwortung dieser Fragen, gebe ich eine Zusammenfassung über das "metaphysische Subjekt": (I)
Das metaphysische Ich ist zusammen mit dem empirischen Ich gegeben ( T. 5.63, 5.641).
(II)
Das metaphysiche Ich begrenzt die Sprache und die Welt ( T. 5.632, 5.633, 5.6, 5 . 6 2 ) .
(III)
Das metaphysiche Ich ist einfach
(IV)
Das metaphysische Ich kann nicht wahrgenommen werden. Es zeigt seine Existenz in der Sprache ( T. 5.631, 5.633).
(5.64).
Die Sätze (II) - (IV) zeigen, daß das metaphysiche Ich völlig außerhalb dessen steht, was gesagt werden kann und was in der Wirklichkeit besteht. So ist der folgende Satz des Tractatus zu verstehen:
175 5.64
(2)
Das Ich des Solipsismus schrumpft zum ausdehnungslosen Punkt zusammen, und es bleibt die ihm koordinierte Realität.
Das metaphysische Ich ist im Tractatus im Zusammenhang des Solipsismus dargestellt ( T. 5.6 - 5.641). Was bedeutet "'Ich' des Solipsismus' ( T. 5.64) und "Solipsismus" im Tractatus überhaupt?
2. Solipsismus Wittgensteins Bemerkungen über den Solipsismus, über die Ethik und über den menschlichen Willen sind durch seine Lektüre von Schopenhauers "Die Welt als Wille und Vorstellung" beeinflußt. Vor allem die Verbindung von Solipsismus und Bild-Theorie scheint Wittgenstein nach dem Vorbild Schopenhauers gestaltet zu haben. Der erste Satz in "Die Welt als Wille und Vorstellung" umreißt den ersten Teil des Tractatus (l - 2.1): "Die Welt ist meine Vorstellung".12 Für Wittgenstein sind die Vorstellungen Tatsachen, von denen das Subjekt Bilder macht. Von dem Subjekt schreibt Schopenhauer: Dasjenige, was Alles erkennt und von keinem erkannt wird, ist das S u b j e k t . Es ist sonach der Träger der Welt, die durchgängige, stets vorausgesetzte Bedingung alles Erscheinenden, alles Objekts: denn nur für das Subjekt ist, was nur immer da ist. Als dieses Subjekt findet Jeder sich selbst, jedoch nur sofern er erkennt, nicht sofern er Objekt der Erkenntnis ist.13 11
12
13
Vgl. G.H.v. Wright: Biographical Sketch. 1958. p. 5. - Patrick Gardiner widmet in seinem Buch "Schopenhauer" (1963. Penguin Books) einen Abschnitt dem Verhältnis Wittgensteins zu Schopenhauer ('Schopenhauer and Wittgenstein 1 , pp. 2 7 5 - 2 8 2 ) . Auch sonst gibt Gardiner Hinweise auf Zusammenhänge mit dem Tractatus (pp. 85, 125, 226, 2 8 9 ) . - Auch die bekannten Tractatus-Kommentare verweisen auf Schopenhauers Einfluß. Vgl. A. Maslow: [MWT] Chapter 4: 'Wittgenstein's Philosophy', pp. 137-162. - J.O. Urmson: Philosophical Analysis. Oxford 1956, pp. 134-137. 'Solipsism'. - G . E . M . Anscombe: [iwr] p. 11: "As a boy of sixteen. Wittgenstein had read Schopenhauer and had been greatly impressed by Schopenhauer's theory of the 'world as idea' (though not of the 'world as w i l l ' [ . . . ] " ( p . 168): "Probably no one who reads the opening of 'The World as Will and Idea': 'The world is my i d e a ' , without any responsiveness, will be able to enter into Wittgenstein's thought here". Miss AnscomJ/e meint die Bemerkungen über den Solipsismus. - Erik Stenius: [WT] pp. 214-226: "Wittgenstein as a Kantian Philosopher". - George Pitcher: [PhW] p. 147. - David Favrholdt: [ICW] pp. 144-189: 'Solipsism and the I n e f f a b l e 1 , especially pp. 158, 161, 169, 22O. Arthur Schopenhauer's sämtliche Werke in 6 Bänden. Hrsg. von Eduard Grisebach. Zweiter, mehrfach berichtigter Abdruck Leipzig 1892. Ich zitiere nach dieser Ausgabe, gebe aber neben den Seitenzahlen der Bände Schopenhausers Einteilung von "Die Welt als Wille und Vorstellung" (in der genannten Ausgabe Bd. I, II) in Bücher und Paragraphen an. ebd., Erstes Buch, § 2.
176
Schopenhauer vergleicht wie Wittgenstein das Subjekt mit einem Auge,
14
das
Subjekt ist ungeteilt den Cbjekten (der Welt als Vorstellung) eine Grenze. Schopenhauer stellt den menschlichen Leib als Cbjekt der Erkenntnis zwar allen dem Subjekt vorstellbaren Cbjekten gleich, gibt jedoch eine besondere Beziehung zwischen Leib und Subjekt an: den Willen. Der Leib ist dem Subjekt nicht nur als Vorstellung, sondern auch als Wille bewußt.
Über
die Verbindung des Leibes, der dem Subjekt als Vorstellung und Wille bewußt ist,
zur Außenwelt, schreibt Schopenhauer: Wenn wir der Körperwelt, welche unmittelbar nur in unserer Vorstellung dasteht, die größte uns bekannte Realität beilegen wollen; so geben wir ihr die Realität, welche für. Jeden sein eigener Leib hat: denn der ist Jedem das Realste. Aber wenn wir nun die Realität dieses Leibes und seine Aktionen analysieren, so treffen wir, außerdem daß er unsere Vorstellung ist, nichts darin an, als den Willen: damit ist selbst seine Realität erschöpft. Wir können daher eine anderweitige Realität, um sie der Körperwelt beizulegen, nirgends finden. ^
Es ist ein charakteristischer Zug des Tractatus, daß in ihm das Verhältnis vom Leib und Welt nicht wichtig ist.
Der Leib ist ein Gegenstand unter
Gegenständen. Der an den Leib gebundene Wille scheidet für Wittgenstein als Kategorie der Welt aus. Die Welt wird durch ihre logischen Eigenschaften darstellbar. Von Schopenhauer übernimmt Wittgenstein das Schema: Welt - Vorstellung - Ich. Dabei ist im Tractatus deutlich erkennbar, daß die Bestimmungen des metaphysischen Subjekts durch die analysierbaren Vorstellungen erschlossen werden. Die Sätze der eindeutigen Sprache liefern logische Bilder der Tatsachen, und die logische Ordnung dieser Bilder, die a priori ist,
er-
möglicht eine Konstruktion des metaphysischen Subjekts mit der Hilfe unsinniger Sätze. Schopenhauer behandelt im Zusammenhang mit dem Subjekt den "theo1R
retischen Egoismus", der in Eislers Handwörterbuch der Philosophie als Solipsismus ausgegeben wird. Schopenhauer behauptet, daß der theoretische Egoismus alles außerhalb des Individuums Liegende für ein Phantom halte. 19 Wittgenstein, der das metaphysische Subjekt innerhalb seiner Bemerkungen über den Solipsismus erläutert, unterscheidet sich von Schopenhauer wesentlich. 14 15 16 17 18 19
ebd., Erstes Buch, § l, S. 33. ebd., Erstes Buch, § .2, S. 36. ebd., Zweites Buch § 19, S. 156. ebd., Zweites Buch, § 19, S. 157. 2. Auflage Berlin 1O22, S. 61O. A. Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, Zweites Buch, § 19, in der genannten Ausgabe S. 156.
177 Als neutrale Definitionen des Solipsismus formuliere ich nach Eisler: (1)
Nur das Ich des Erkennenden existiert für diesen absolut sicher.
(2)
Die Welt ist nur als Inhalt unseres Ichs gegeben.
(3)
Das fremde Ich ist dem vorstellenden und erkennenden Ich stets Gegenstand.
Ich untersuche zunächst Wittgensteins Solipsismus und vergleiche ihn mit den Definitionen (1) - ( 3 ) , dann stelle ich den Unterschied Wittgenstein - Schopenhauer dar. Im Tractatus handelt der Abschnitt T 5.6 - 5.641 vom Solipsismus, darin enthalten sind die Bemerkungen über das metaphysische Subjekt. Ausgangspunkt bildet der Satz: 5.6 Die G r e n z e n m e i n e r bedeuten die Grenzen meiner Welt.
S p r a c h e
Die Sätze T 5.61, 5.62, 5.63 und 5.64 geben folgende Unterteilung: (a) Welt und Logik (5.61). (b) Solipsismus I (5.62 - 5.621). (c) Welt und Ich (5.63 - 5.634). (d) Solipsismus II (5.64 - 5.641). Das Verhältnis von Welt und Ich (c) habe ich bereits erläutert. Es konmt mir nun darauf an, die Stellung des metaphysischen Ichs zu Welt und Logik (a) und zum Solipsismus I, II (b) (d) zu erklären. Das Subjekt
ist
eine Grenze der Welt, aber es gehört nicht zur Welt. (5.632). Die Logik erfüllt die Welt, die Grenzen der Welt sind auch die Grenzen der Logik (5.61). Aus diesen Sätzen ist zu schließen, daß das metaphysische Ich nicht den Gesetzen der Logik unterworfen ist.
Das Ich ist die Grenze. Es wurde
bereits gezeigt, daß Wittgenstein keinen eigenständigen Grenzbereich annimmt. Es gibt die aussagbare Welt und rte.q Mystische, das sich zeigt. Daß Welt und Mystik trennbar sind, findet seine Begründung in der Annahme eines metaphysischen Ichs, das die Grenze bedeutet. Die Grenze ist durch die Vollständigkeit der abbildenden Elementarsätze bedingt (5.5561), kann aber nicht durch diese dargestellt werden. Über die Grenzen der Welt und der Sprache läßt sich nichts sagen, die Grenzen zeigen sich. Wenn ich Sätze über die Grenze schreibe, sind dies unsinnige Sätze. Aber Wittgenstein meint, daß es etwas außerhalb der Welt gibt. Logik, Ästhetik und Ethik gehören nicht zur Welt. Sie können nicht ausgesagt werden, aber sie zeigen sich. Das metaphysische Ich, die Grenze der Welt, zeigt sich auch. Alle 2O
Handwörterbuch der Philosophie. Zweite Auflage Berlin 1922, S. 61O.
178
sinnvollen und sinnlosen Aussagen gehorchen der allgemeinen Form des Satzes 1 [p, , ( ) ] '. Die Grenze der Welt in der Sprache kann ich nun einmal dadurch deutlich machen, daß ich alle möglichen Sätze und die Form des Satzes angebe. Zum anderen wird die Grenze deutlich durch unsinnige Sätze, die nicht der allgemeinen Satzform genügen. Kennzeichnend ist, daß die logisch korrekte Sprache die Gesamtheit der Sätze bedingt, wenn man ihre Grenze zeigen will. Dagegen genügt ein unsinniger Satz, um diese Grenze zu zeigen. Folgende Unterschiede in (a) und (b) sind zu beachten: Die Grenzen der Welt und der Logik stimmen überein, die Grenzen der Welt sind auch die Grenzen der Logik. Das Ich ist die Grenze der Welt, also sind der Umfang der Welt und der Logik von der Begrenzung durch das Ich abhängig. Das metaphysische Ich bestimmt den Bereich der Welt und damit den der Logik.Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.DasVerb"bedeuten" wurde gebraucht,um das Verhältnis von Name und Gegenstand zu bezeichnen.Der Name bedeutet den Gegenstand, der Gegenstand ist die Bedeutung des Namens. Ein Wort bedeutet etwas. 21 Analog zu dem Verhältnis von Name und Gegenstand hat Wittgenstein das Verhältnis von Sprache und Welt aus der Sicht eines angenommenen metaphysischen Ichs gestaltet. Habe ich den Namen 'a 1 , der den Gegenstand 1 bezeichnet, so kann ich sagen: 'a bedeutet A ' . In diesem Sinn ist auch der Satz "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt" zu verstehen. Aber es ist die Unsinnigkeit dieses Satzes zu beachten, "Die Grenzen meiner Sprache" ist kein Name, ebensowenig wie "die Grenzen meiner Welt" ein Gegenstand ist. Wittgenstein hat hier als Parallele zu dem Verhältnis von Name und Gegenstand ein Verhältnis zwischen zwei unsagbaren Größen hergestellt. Dieses Verhältnis zeigt, was der Solipsismus meint: 5.62 (c)
Daß die Welt m e i n e Welt ist, das zeigt sich darin, daß die Grenzen der Sprache (der Sprache, die allein i c h verstehe) d i e Grenzen m e i n e r Welt bedeuten.
Meine Sprache - das ist die Sprache, die allein ich verstehe. J.O. Urmson hat den Satz aus T 5.62 (c) , der in Klammem gesetzt ist und zur Erläuterung von "Sprache" dient, so übersetzt: " t h e language, which I alone under21
T 3.203, 4.002, 4.111, 4.115, 4.243, 4 . 3 , 4.31, 4 . 4 3 , 5.47321, 5.62, 6 . 2 3 2 2 , 6.3.
5.6,
179
stand".22lHintikka hingegen hat nachzuweisen versucht, daß das Wort "allein" das Wort erläutere, dem es folge. 23 Hintikka übersetzt: "the only language that I understand".
B. Russell übersetzt in seiner Einleitung zum Tracta25 tus: "the only language I understand". Im Deutschen kann ich den Unterschied so darstellen: Die Grenzen der Sprache,
) der Sprache allein, die ich verstehe, 3 ) der Sprache, die ich allein verstehe.
bedeuten die Grenzen meiner Welt.
Die Möglichkeit a ) meint, daß es von der Sprache, der Gesamtheit der Sätze, einen Ausschnitt gibt, den ich verstehe. Ich könnte z.B. einen Teil der deutschen Umgangssprache und eine formalisierte Sprache verstehen, es gibt aber noch andere Sprachen und einen beträchtlichen Teil der deutschen Umgangssprache, die ich nicht verstehe. Die Möglichkeit ß ) spiegelt vor, es gäbe eine Privatsprache, die allein ich verstehen könnte. In Abschnitt V des zweiten Kapitels habe ich gezeigt, daß abgesehen von der grammatischen Erklärung der Stellung des "allein", allein Möglichkeit Tractatus gemeint ist.
) im
Der Ausschnitt der Sprache, der mir zur Verfügung
steht, bestimmt für mich, was ich von der Welt kenne. Nehmen wir an, zu der Sprache, die allein ich verstehe, gehört neben vielen unsinnigen Sätzen, bei denen ein Verstehen höchst zweifelhaft wäre, die Menge M von Wahrheitsfunktionen. Mit M ist zugleich die Menge m der Elementarsätze gegeben, die die Wahrheitsfunktionen als Basen haben. Die Elementarsätze der Menge m bestehen aus m 1 Namen. Was diese Namen an Gegenständen bezeichnen, das ist meine Welt. Hier ist der unmittelbare Zusammenhang zu (d) gegeben: 5.64
Hier sieht man, daß der Solipsismus, streng durchgeführt, mit dem reinen Realismus zusammenfällt. Das Ich des Solispsismus schrumpft zum ausdehungslosen Punkt zusammen, und es bleibt die ihm koordinierte Realität.
Da das metaphysische Subjekt nicht vorhanden ist,
bleibt existent nur die
ihm koordinierte Realität. Satz T 5.64 gibt die deutliche Kritik der 22 23 24
25
Philosophical Analysis. Oxford 1956, p. 135. On Wittgenstein's 'Solipsism'. - In: [M] Vol. LXVII, No. 265, January 1958, p. 88. In der Ausgabe seines Buches "Philosophical Analysis" von 1965 hat Urmson Hintikkas Übersetzung übernommen. Die Übersetzung des Tractatus von D.F. Pears und B.F. McGuinnes hat: "of that language which alone I understand". T p. XVIII.
180
Definitionen (1) - (3) und hebt so Wittgensteins Solipsismus aus der Tradition heraus. Gegen (1) - (3) behauptet Wittgenstein: (l1)
Das metaphysische Ich existiert nicht.
(2')
Die Welt existiert unabhängig vom metaphysischen Ich als diesem koordinierte Realität.
(3')
Das metaphysische Ich kann niemals Gegenstand sein.
Satz T 5.64 hat in den Tagebüchern eine Fassung, die ihn interpretiert: Der Weg, den ich gegangen bin, ist der: Der Idealismus scheidet aus der Welt als unik die Menschen aus, der Solipsismus scheidet mich allein aus, und endlich sehe ich, daß auch ich zur übrigen Welt gehöre, auf der einen Seite bleibt also n i c h t s übrig, auf der anderen als unik die W e l t . S o führt d e r Idealismus streng durchdacht zum Realismus. °
Die logisch korrekte Sprache, deren Sätze Wahrheitsfunktionen der Elementarsätze sind, kann nur aussagen über das empirische loh. Es ist unmöglich, etwas über ein metaphysisches Ich zu sagen. Deshalb bleibt allein der Realismus, ein Solipsismus ist unmöglich. Das metaphysische Ich gehört zum Bereich des Mystischen, der außerhalb der Welt liegt. Das Ich, das Ich ist das tief Geheimnisvolle!
27
Wir haben gesehen, daß Schopenhauer behauptet hat, der theoretische Egoismus halte alles außerhalb des Ichs Liegende für ein Riantom. Nun ist deutlich, daß Wittgenstein genau das Gegenteil annimmt. Es gibt nur die Realität, und deren Begründung legt uns erst die Annahme eines phantomhaften metaphysischen Subjekts nahe, aber wir haben keine Möglichkeit, etwas darüber zu sagen, es sei denn Unsinn.
26 27
Tb 15.10.16 s. Tb 5.8.16 d.
III.
DIE WELT ALS GANZES
Bertrand Russell berichtet über Wittgenstein: He was in the days before 1914 concerned almost with logic. During or perhaps just before the first war, he changed his outlook and became more or less of a mystic, as may be seen here and there in the Tractatus. He had been dogmatically anti-Christian, but in this respect he changed completely. The only thing he ever told me about this was that once in a village in Galicia during the war he found a bookshop containing only one book, which was Tolstoy on the Gospels. He bought the book, and, according to him, it influenced him profoundly.*
Wittgensteins Hinwendung zum Mystischen, die Russell nennt, ist im Tractatus allerdings äußerlich weit weniger bemerkbar als in den Tagebüchern. Hier sind - mit einigen Unterbrechungen - die Eintragungen vom 11.6.16 bis zum 19.11.16 zu beachten. Bemerkenswert ist, daß zur selben Zeit Notizen über 2 Wahrheitsoperationen und die allgemeine Satzform entstanden. B.F. McGuinness weist auf die Einflüsse Schopenhauers und Tolstois hin. Ebenso wie alle Tagebuch- und Tractatusstellen, die vom Willen berichten, in losem Zusammenhang mit Schopenhauer stehen, sind auch die Einflüsse Tolstois sehr all4 gemein. Folgender Text sei im Zusammenhang mit T 6.5 genannt: 1 2 3
4
in: [M] Vol. LX, No. 239, July 1951, pp. 297-98. Tb 9.7.16 - 14.7.16; 16.8.16 - 29.8.16; 21.11.16 - 8.1.17. The Mysticism of the Tractatus. - In: [PR] Vol. LXXV, No. 3, July 1966, pp. 305, 309. p. 3O9, note 8: " [ . , . ] compare 6.4311 with 'The Gospel in Brief (p. 118, sees. 9 and 10, in the World's Classics Ed.) and 6.4312 with Confession' (ibid. p. 48, par. 4 ) . In an unpublished letter of 1912 Wittgenstein speaks with much enthusiasm of H a d j i M u r a d , which h e h a s just read". - E s i s t interessant, daß Tolstoi als die philosophische Formulierung der Nichtigkeit einer wissenschaftlichen Lebensbegründung Schopenhauer zitiert, und zwar aus "Die Welt als Wille und Vorstellung", 1. Band, 4. Buch, § 71 (Schluß): "Haben wir also das Wesen an sich der Welt [ . . . ] " (In der von mir zitierten Ausgabe Band I, S. 525-527). Bei Tolstoi steht das Schopenhauer-Zitat in: "Meine Beichte", S. 57/58 der Ausgabe: Leo N. Tolstoi: Sämtliche Werke. Von dem Verfasser genehmigte Ausgabe von Raphael Löwenfeld. I. Serie: Sozialethische Schriften. Band I. Tolstoi, L . N . : Meine Beichte; a.a.O. S. 83/84.
182 Demnach negiert die philosophische Erkentnnis nichts, sie antwortet nur, sie könne die Frage nicht lösen - die Lösung bleibt für sie eine unbestimmte. Da ich das begriffen hatte, begriff ich auch, daß man in der vernünftigen Erkenntnis die Antwort auf meine Frage nicht suchen dürfe und daß die Antwort, die von der vernünftigen Erkenntnis gegeben wird, nur darauf hinweist, daß man eine Antwort nur erhalten kann, wenn man die Frage anders stellt; nur dann, wenn man in die Betrachtung die Frage der Beziehung des Endlichen zum Unendlichen einführt.
B.F. McGuinness hält es für itöglich, daß Wittgenstein Bertrand Russells Essay "Mysticism and Logic" gekannt habe. Aber McGuinness räumt selbst ein, daß seit dem Erscheinen von "Mysticism and Logic" im Jahre 1914 und den Tagebuchnotizen Wittgensteins über das Mystische im Jahre 1916 immerhin zwei Jahre vergangen seien. Russell gibt vier charakteristische Punkte für das Mystische an. 7 Erstens gibt die Mystik eine unmittelbare Einsicht in die Realität, die hinter den oberflächlichen Eindrücken der Sinneswahmehmungen steht. Diese Einsicht steht im Gegensatz zur Wahrnehmung, Vernunft und Analysis. Zweitens wird die Mystik durch ihren Glauben an die Einheit der Wirklichkeit gekennzeichnet. Ein drittes Merkmal der Mystik ist das Leugnen jeglicher Realität der Zeit. Viertens leugnet die Mystik eine Einteilung in Gut und Böse. Die Realität ist gut. B.F. McGuinness stellt zu diesen vier Punkten Bezüge zu Wittgensteins Tractatus her. Er schreibt: Wittgenstein too holds that there is no such thing as metaphysical doctrine; there i s a feeling which may b e called d a s M y s t i s c h e , a n inexpressible feeling, to have had which is to have solved the problem of life: those who have had it feel that they know something, b u t cannot p u t i t into words ( T r a c t a t u s 6 . 5 2 2 ) . This felt 'insight 1 was the first mark of Russell's mystic: the second was the mystic's conviction of the unity and indivisibility of reality, which is surely parallel with Wittgenstein's description of mysticism as "viewing or feeling the world as a limited whole' ( 6 . 4 5 ) . The third mark was timelessness, as parallels for which in the T r a c t a t u s we have both the view o f t h e world s u b s p e c i e a e t e r n i e Mysticism and Logic [ML] and other Essays. London 1963. First pxiblished as 'Philosophical Essays' October 191O. Second Edition as 'Mysticism and Logic1 December 1917. Der Essay 'Mysticism and Logic 1 wurde zuerst im Juli 1914 in 'Hibbert Journal' veröffentlicht und 1917 mit den Essays der Sammlung 'Philosophical Essays' unter dem Gesamttitel 'Mysticism and Logic' veröffentlicht. - Eine deutsche Übersetzung von Erwin Heinzel erschien 1952 in der Sammlung 'Die Universität 1 unter dem Titel 'Mystik und Logik'. B.F. McGuinness: The Mysticism of the Tractatus. - In: [PR] Vol. LXXV, No. 3, July 1966, pp. 3O5-328. B. Russell: [ML] pp. 14-16.
183 (Russell too quotes Spinoza in this connection) and the eternal life which, according to Wittgenstein, belongs to the man who lives in the present ( 6 . 4 5 , 6 . 4 3 1 1 ) . Finally, as a parallel to the fourth mark, we have Wittgenstein's account of good and evil, in which he denies that they are i n the world. Rather, they attach to the subject; they consist in an attitude of the will toward the world - acceptance in the case of the happy men, for whom the world is good, while the unhappy man finds the world inharmonious: he has a bad conscience and is therefore in disagreement with the world ( 6 . 4 ' , passim). Q
McGuinness hat einen grundlegenden Unterschied zwischen Russell und Wittgenstein übersehen, der jede Übereinstintnung in Frage stellt. Russell nimmt ein mystisches Erlebnis an. Dieses mystische Erlebnis zeitigt eine mystische Aktivität, die Russell in den genannten vier Punkten erläutert. Bei Wittgenstein gibt es keine mystische Aktivität. Das Mystische erscheint passiv, es wird gezeigt, es zeigt sich. Beachten wir den Zusammenhang: Die Philosophie ist eine Tätigkeit, die das Klarwenden von Sätzen fördert (4.112). Klare Sätze sind sinnvolle und sinnlose Sätze. Die sinnvollen Sätze geben logische Bilder der Welt. Die Gesamtheit der sinnvollen Sätze (Wahrheitsfunktionen), die Elementarsätze als Basen haben und nach der allgemeinen Form des Satzes aus diesen gebildet sind, zeigt die Grenze der empirischen Realität (5.5561). Nun behauptet Wittgenstein keineswegs, daß dasjenige, was jenseits dieser Grenze liege, das Mystische sei. Dann gehörten z.B. alle unsinnigen Sätze
zum Mystischen, die gesamte Umgangs-
sprache auch. Vielmehr müssen folgende Unterscheidungen beachtet werden. Wittgenstein will das Denkbare begrenzen. Da der Gedanke nur im Satz sinnlich wahrnehmbar ist,
kann dem Denken nur in der Sprache eine Grenze
gezogen werden. Die Grenze in der Sprache trennt das Sagbare vom Unsagbaren. Zum Sagbaren gehören alle Wahrheitsfunktionen, zum Unsagbaren alle unsinnigen Sätze. Dem Sagbaren entspricht das Denkbare, dem Unsagbaren (dem Unaussprechlichen) das Mystische. Das Mystische ist stets als abhängige Größe von dem Denkbaren gegeben. Das Mystische hat keine adäquate Sprache. Obwohl Sätze über das Mystische unsinnig sind, sind sie doch auch logische Sätze wie alle Sätze der Umgangssprache (5.5563). Die logische Form der unsinnigen Sätze läßt inner wieder den Eindruck entstehen, als wäre das Unaussprechliche, das Mystische, selbst unsinnig, etwa ein vages Gefühl. Diesen Eindruck verhindert Wittgenstein vollkonmen, indem er die Funktion des Unaussprechlichen nicht hoffnungslos durch die Analyse unsinniger Sätze zu erklären versucht, sondern diese Funktion im Sagbaren aufweist. Das Unaussprechliche B.F. McGuinness: The Mysticism of the Tractatus. - In: [PR] Vol. LXXV, No. 3, July 1966, pp. 3O6/3O7.
184
zeigt sich in der Sprache. Für das, was sich zeigt, verwendet Wittgenstein die formalen Begriffe "Logik", "Ethik", "Ästhetik". Das "Zeigen" entspringt keiner mystischen Aktivität, es setzt kein mystisches Urerlebnis voraus. Nur soweit uns die logische Klarheit der Sprache gelingt, sind wir in der Lage zu sehen, was sich zeigt. Wittgensteins Bemerkungen über das Unaussprechliche werden durch einen Satz eingeleitet, der die Erscheinungsformsn des Unaussprechlichen abgrenzt: 6.4
Alle Sätze sind gleichwertig.
Was Wahrheitsfunktionen mitteilen, kann nicht nach einem Wert beurteilt werden. Mit Satz T 6.4 scheidet Wittgenstein Ethik und Ästhetik als Gegenstände der Wahrheitsfunktionen aus. Es gibt keine Sätze der Naturwissenschaft, die etwa durch "gut", "böse", "schön" oder "häßlich" bewertet werden könnten. Aber es gibt Sätze der Logik. Ich erinnere an schon getroffene Peststellungen: Alle Bilder sind auch logische Bilder (2.182). Der Gedanke ist das logische Bild (3). Im Satz ist der Gedanke sinnlich wahrnehmbar (3.1). Alle Sätze sind auch logische Sätze. Sinnvolle und sinnlose Sätze sind Wahrheitsfunktionen der Elementarsätze. In diesem Zusammenhang gilt nun: Das Unaussprechliche zeigt sich in allen Sätzen. Bei einer Unterteilung der Sätze in sinnvolle, sinnlose und unsinnige Sätze folgt: (a)
Die Logik zeigt sich in allen Sätzen, allderdings in unterschiedlicher Klarheit.
(b)
Ethik und Ästhetik zeigen sich in unsinnigen Sätzen.
1. Der Sinn der Welt Da die Welt für Wittgenstein als Sunms der bestehenden Sachverhalte (2.O4) , die durch die Gesamtheit der wahren Elementarsätze als Basen von Wahrheitsfunktionen abgebildet wird (4.21, 4.26), gegeben ist,
gibt es keine
Möglichkeit, von der Welt als Ganzes sinnvoll zu reden. Alle Sätze über die Welt, auch die, die feststellen, daß man über die Welt als Ganzes nichts sagen kann, sind unsinnig. Ich kann den Sinn der Welt nicht in Wahrheitsfunktionen ausdrücken. In Satz T 6.41 behauptet Wittgenstein: (a)
Der Sinn der Welt muß außerhalb ihrer liegen.
Als Begründung gibt er eine Behauptung, die nicht in Satz T 6.41, aber in der gesamten Bild- und Wahrheitsfunktionstheorie bewiesen und duch Satz T 6.4 erinnert wurde:
185 (b)
Die Tatsachen der Welt sind zufällig.
Am 11.6.16 notierte Wittgenstein eine Tagebucheintragung, die einen Sinn außerhalb der Welt nennt: Den Sinn des Lebens, d.i. den Sinn der Welt, können wir Gott nennen. Und das Gleichnis von Gott als einem Vater daran knüpfen. Das Gebet ist der Gedanke an den Sinn des Lebens. In Verbindung mit der Wahrheitsfunktionstheorie kann man konstruieren: Die allgemeine Satzform ist das Wesen des Satzes (5.471). Das Wesen des Satzes angeben heißt das Wesen aller Beschreibung angeben, also das Wesen der Welt (5.4711). Die allgemeine Form des Satzes ist: Es verhält sich so und so ( 4 . 5 ( c 2 ) ) . Wie sich alles verhält, ist Gott. Gott ist, wie sich alles verhält (Tb 1.8.16 ab). Diese Konstruktion gibt Eddy Zemach in seinem Aufsatz "Wittgenstein's Philosophy of the Mystical".
Zemach meint, mit dieser Konstruktion die
Mitte von Wittgensteins Mystik-Philosophie getroffen zu haben. Ich kann weitere Tagebuchnotizen hinzufügen, etwa: An einen Gott glauben heißt, die Frage nach dem Sinn des Lebens verstehen.** An einen Gott glauben heißt sehen, daß es mit den Tatsachen der Welt noch nicht abgetan ist. ^ An Gott glauben heißt sehen, daß das Leben einen Sinn hat. 13
Aber ich muß fragen: Warum stehen diese Sätze nicht im Tractatus? Gibt es einen Grund, der Wittgenstein veranlaßte, diese Sätze nicht zu übernehmen? Die Antwort gibt Wittgenstein eindeutig: 6.53
(a)
Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen läßt, also Sätze der Naturwissenschaft [...] und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen wollte, ihm nachzuweisen, daß er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat.
9 Tb 11.6.16 j-1. 10 in: [RM] Vol. XVIII, Nor. l, September 1964, hier p. 44. 11 Tb 8.7.16 a. 12 Tb 8.7.16 b. 13 Tb 8.7.16 c.
186
An anderer Stelle heißt es: 6.432
Wie die Welt ist, ist für das Höhere vollkommen gleichgültig. Gott offenbart sich nicht in der Welt.
Das Mystische, das sich in der Sprache zeigt, ist eindeutig dadurch beschränkt, daß es sich in der Sprache zeigt. Logik, Ethik und Ästhetik zeigen sich in der Sprache, sie sind nicht der Sinn der Welt, aber Bedingungen derselben. Jeder Sinn der Welt, den wir annehmsn, ist eine metaphysische Spekulation, bei deren sprachlicher Artikulation etwa wir Zeichen ohne Bedeutung gebrauchen. Weil über die Welt als Ganzes nichts gesagt werden kann, kann auch kein Sinn der Welt als Ganzes angegeben werden.
2. Die Begrenzung der Welt. Die Welt ist die Gesamtheit der bestehenden Sachverhalte, die durch die Gesamtheit der wahren Eleirentarsätze bekannt ist.
Die Analyse der Wahr-
heitsfunktionen in Elementarsätze ist eine Frage der logischen Form der Sätze. Aber Wittgenstein behauptet, die Ethik könne die Grenzen der Welt ändern: 6.43
(a) Wenn das gute oder böse Wollen die Welt ändert, so kann es nur die Grenzen der Welt ändern,nicht die Tatsachen; nicht das, was durch die Sprache ausgedrückt werden kann. (b) Kurz, die Welt muß dann dadurch überhaupt eine andere werden. Sie muß sozusagen als Ganzes abnehmen oder zunehmen. (c) Die Welt des Glücklichen ist Unglücklichen.
eine andere als die des
In Satz T 6.41 wurde festgestellt, daß alles, was in der Welt ist,
keinen
Wart besitzt. Hieran schließt Satz T 6.42 an: Es gibt keine Sätze (Wahrheitsfunktionen)
der Ethik. Das liegt daran, daß es in der Welt keine
Gegenstände gibt, die Eigenschaften als Qualitäten besäßen. Wir müssen einen Punkt wieder aufnehmen. Sachverhalte bestehen allein aus der Konfiguration der Gegenstände. Eigenschaften und Qualitäten sind keine Gegenstände. Die logische Form der Abbildung ermöglicht, daß wir aus der Ordnung der Namen im Elementarsatz die Ordnung der Gegenstände im Sachverhalt widererkennen. Durch diese Ordnung ist alles Charakteristische gegeben. Qualitäts- und Eigenschaftsbezeichnungen der Umgangssprache sind ein Teil der logischen Abbildung der Umgangssprache, der es aus logischer Unvollkommenheit nicht gelingt, die logische Form des Sachverhaltes korrekt
187
abzubilden. Das hängt nach Wittgensteins Auffassung damit zusantren, daß die Umgangssprache keine Namen besitzt, die Gegenstände bezeichnen, veil der Wortschatz der Umgangssprache an der sichtbaren Cberflache der Wahrnehmung orientiert ist und nicht an der Struktur des Wahrgenommenen. Eigenschafts- und Qualitätsbezeichnungen bilden in der Umgangssprache ein Hilfssystem zur Unterscheidung unmittelbar wahrnehmbarer Dinge. In der Umgangssprache werden Eigenschafts- und Qualitätswerte, wie sie zur Unterscheidung von Sachen gebraucht werden, auch für Sätze der Ethik benutzt. Werte sind geradezu wesentlich für diese Sätze. Da Eigenschaften und Qualitäten keine Gegenstände sind, kann es in Wittgensteins Funktionstheorie auch keine Namen für Eigenschaften und Qualitäten geben. Wittgenstein nennt in einer Vorlesung, die er zwischen September 1929 und Dezember 1930 für Cambridge vorbereitete, ein Beispiel: If for instance in our world-book we read the description of a murder with all its details physical and psychological, the mere description of these facts will contain nothing which we could call an e t h i c a l proposition. The murder will be on exactly the same level as any other event, for instance the falling of a stone.14
Über Wittgensteins Vorlesung gibt es eine Notiz Waismanns, der wahrscheinlich die deutsche Fassung der Vorlesung zugrunde lag. Waismann schrieb u.a.: Der Mensch hat die Tendenz, gegen die Grenzen der Sprache anzurennen. Dieses Anrennen deutet auf die Ethik hin. Alles, was ich beschreibe, ist in der Welt. In der vollständigen Weltbeschreibung kommt niemals ein Satz der Ethik vor, auch wenn ich einen Mörder beschreibe. Das Ethische ist kein Sachverhalt. 15
Am 17. Dezember 1930 notierte Waismann von Wittgenstein Bemerkungen über Moritz Schlicks Buch "Fragen der Ethik": Was ist das Wertvolle an einer Beethovensonate? Die Folge der Töne? Nein, sie ist ja nur eine Folge unter vielen. Ja, ich behaupte sogar: Auch die Gefühle Beethovens, die er beim Komponieren der Sonate hatte, waren nicht wertvoller als irgendwelche anderen Gefühle. '
In der logisch eindeutigen Sprache kann es keine Sätze der Ethik geben (6.42). Deshalb: Wenn das gute oder böse Wollen die Welt ändert, gibt es zwei Konsequenzen, die wider voneinander abhängig sind: 14 15 16 17
Ludwig Wittgenstein: [LE] p. 6 [WWK] S. 93. M. Schlick: Fragen der Ethik (Wien 193O). [WWK] S. 116, Zuerst in: [PR] Vol. LXXIV, January 1965, p. 14.
188 (a)
Die Ethik kann nicht die Tatsachen der Welt ändern, deshalb auch nicht das, was durch die Sprache ausgedrückt werden kann ( 6 . 4 3 ( a ) ) .
(b)
Die Ethik kann nur die Welt als Ganzes ändern ( 6 . 4 3 ( b ) ) .
Wittgenstein spricht von einem Gefühl der Welt als begrenztes Ganzes. Dieses Gefühl, das wir in unsinnigen Sätzen, etwa der Dichtung, oft äußern, kann durch die Ethik geändert werden. Wir können unsere Lebensgefühle ändern und für diese Änderungen Kategorien wie Glück oder Unglück gebrauchen. Die Konsequenz dieser Behauptungen Wittgensteins bleibt verschlüsselt. Wir würden heute für den Bereich der Ethik den politischen Bereich ansetzen. Das hieße: Eine strikte Trennung von Wissenschaft und Politik. Aber auch: Die Welt muß politisch verändert bzw. bestimmt werden, die Tatsachen sind zufällig und damit auch die Ergebnisse der Wissenschaft(en). Vom 3O. Dezember 1929 notierte Friedrich Waismann folgende Aus1R führungen Wittgensteins, die 'Zu Heidegger1 überschrieben sind: Ich kann mir wohl denken, was Heidegger mit Sein und Angst meint. Der Mensch hat den Trieb, gegen die Grenzen der Sprache anzurennen. Denken Sie z.B. an das Erstaunen, daß etwas existiert. Das Erstaunen kann nicht in der Form einer Frage ausgedrückt werden, und es gibt auch gar keine Antwort. " Alles, was wir sagen mögen, kann a priori nur Unsinn sein. Trotzdem rennen wir gegen die Grenze der Sprache an. Dieses Anrennen hat auch Kierkegaard gesehen und es sogar ganz ähnlich (als Anrennen gegen das Paradoxon) bezeichnet. Dieses Anrennen gegen die Grenze der Sprache ist die E t h i k . [ . . . ] In der Ethik macht man immer den Versuch, etwas zu sagen, was das Wesen der Sache nicht betrifft und nie betreffen k a n n . [ . . . ]
In der Vorlesung über Ethik erläutert Wittgenstein das Erstaunen, das zum Anrennen gegen die Sprache führt. 21 [...]! w o n d e r a t t h e w o r l d .
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Was Heidegger als "Sein" bezeichnet, kann, so sagt Wittgenstein, nicht aus-
18
19 20
21
Der Text bietet verschiedene Überlieferungsschwierigkeiten. Da sie im Zusammengang meiner Arbeit jedoch unwesentlich sind, verweise ich auf die Anmerkungen des Herausgebers und auf sein Vorwort, in dem er seine Editionsprinzipien erläutert. Vgl. T 6.5. [WWK] S. 68/69. Die zitierte Notiz wurde zuerst in [PR] Vol. LXXIV, January 1965, p. 12 veröffentlicht. Ludwig Wittgenstein: [LE] p. 8.
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gesagt werden, es zeigt sich. 22 Ethische Gesetze haben darauf, wie die Welt ist, keinen Einfluß. Sie können jedoch mein "Gefühl der Welt als begrenztes Ganzes" ändern. Die Ethik handelt nicht von der Welt. Die Ethik muß eine Bedingung der Welt sein, wie die Logik. Ethik und Aesthetik sind E i n s . 2 ^
Hieraus folgt, daß auch die Ästhetik eine Bedingung der Welt ist, die nicht von der Welt handelt. Wittgenstein nennt so insgesamt drei Bedingungen der Welt: Logik, Ethik und Ästhetik. Die Bedingungen der Welt sind unaussprechlich, sie zeigen sich, sie sind das Mystische. Das Mystische ist die Bedingung, daß ich ein Gefühl der Welt als begrenztes Ganzes überhaupt haben kann. 3. Welt und Leben 5.621
Die Welt und das Leben sind Eins
Logik, Ethik und Ästhetik sind die Bedingungen der Welt, somit auch des Lebens. Wittgenstein behauptet: (1)
Welt und Leben sind Eins.
(2)
Das metaphysische Ich ist
die Bedingung der Welt.
Das bedeutet, daß Wittgenstein die alte Annahme einer mystischen Identität von "Welt und Ich differenziert. Behauptung (1) ist zweideutig. Einmal finde ich Welt und Leben vor. Welt und Leben sind indifferent Gegenstand meiner Wahrnehmung. Das undifferenzierte Bild meiner Wahrnehmung läßt die Identität von Welt und Leben zu. Zum anderen ist Welt für Wittgenstein das, was durch die Gesamtheit der Elementarsätze beschrieben wird. Zu dieser beschreibbaren Welt gehört auch das Leben. Behauptung (2) nun setzt das metaphysische Ich als Punkt außerhalb von Welt und Leben. Das metaphysische 22
23
Es ist interessant, Heideggers Definitionen des "Erscheinens" und "Sichzeigens" in 'Sein und Zeit' (§ 7 A. Der Begriff des Phänomens) mit Wittgensteins Gebrauch des Wortes "zeigen" zu vergleichen. S. Abschnitt I dieses Kapitels. - Zum Verhältnis Heidegger - Wittgenstein: Karl-Otto Apel: Wittgenstein und Heidegger. Die Frage nach dem Sinn von Sein und der Sinnlosigkeitsverdacht gegen alle Metaphysik. In: [Phj] 75. Jg., 1. Halbband, München 1967, S. 56-94, besonders S. 66/67. Apels Arbeit ist die schriftliche Fassung eines Vertrages von Radio Zürich, der am 17. und 24. Februar 1967 gehalten wurde. Am Rande sei vermerkt: Apel hätte in dem Titel seines Aufsatzes für "Sinnlosigkeitsverdacht" "Unsinnigkeitsverdacht" schreiben müssen. Auf S. 66 heißt es z.B. richtig "Unsinigkeitsverdacht". Tb 24.7.16 cd.
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Ich ist noch wieder Voraussetzung für die Bedingungen der Welt: Logik, Ethik und Ästhetik.
Logik (zeigt sich in allen Sätzen)
Grenze I Grenze II —?
Ethik (Ästhetik) (zeigt sich nur in unsinnigen Sätzen)
Bedingungen der Sprache (WF = Wahrheitsfunkt. NWF = Nichtwahrheitsf
(= Bedingungen der Welt, die abgebildet wird)
Das METAPHYSISCHE ICH als allg. Voraussetzung Logik, Ethik und Ästhetik sowie das metaphysische Ich als deren Voraussetzung sind die mystischen Bedingungen der Welt. Über das Mystische läßt sich nichts sagen. Es kann nicht begründet werden, es zeigt sich. In den Tagebüchern notierte Wittgenstein: Der Trieb zum Mystischen kommt von der Unbefriedigtheit unserer Wünsche durch d i e Wissenschaft. W i r f ü h l e n , d a ß selbst wenn alle m ö g l i c h e n wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, u n s e r P r o b l e m n o c h gar n i c h t b e r ü h r t i s t . Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort. 2 4
Im Tractatus heißt es: 6.52
W i r fühlen, daß, selbst wenn a l l e m ö wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben die Antwort.
g l i c h e n unsere Freilich dies ist
Man sollte sich hüten, hieraus Resignation oder Passivität abzuleiten. Wittgenstein stellt mit der ihm eigenen Schärfe fest: Die Wissenschaften können keine Lebensprobleme lösen, es kann keine wissenschaftliche Welt24
Tb 25.5.15.
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Ordnung geben. Das ist eine klare Aussage gegen die neopositivistische Position der wissenschaftlichen Weltauffassung. In einem Brief an Ludwig von Ficker schrieb Wittgenstein:
25
"Von seiner Lektüre [der Lektüre des Tractatus] werden Sie nämlich - wie ich bestimmt glaube - nicht allzuviel haben. Denn Sie werden es nicht verstehen; der Stoff wird Ihnen ganz fremd erscheinen. In Wirklichkeit ist er Ihnen nicht fremd, denn der Sinn des Buches ist ein Ethischer. Ich wollte einmal in das Vorwort einen Satz geben, der nun tatsächlich nicht darin steht, den ich Ihnen aber jetzt schreibe, weil er Ihnen vielleicht ein Schlüssel sein wird: Ich wollte nämlich schreiben, mein Werk bestehe aus zwei Teilen: aus dem, der hier vorliegt, und aus alle dem, was ich n i c h t geschrieben habe. Und gerade dieser zweite Teil ist der wichtige. Es wird nämlich das Ethische durch mein Buch gleichsam von Innen her begrenzt; und ich bin überzeugt, daß es, s t r e n g , nur + so zu begrenzen ist. Kurz, ich glaube: Alles das, was v i e l e heute s c h w e f e l n , habe i c h i n meinem Buch festgelegt, indem ich darüber schweige. Und darum wird das Buch, wenn ich mich nicht sehr irre, vieles sagen, was Sie selbst sagen wollen, aber Sie werden vielleicht nicht sehen, daß es darin gesagt ist.
4. Das Schweigen Über das Mystische läßt sich nichts sagen: 7
Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen
Dieser Satz ist eine notwendige Konsequenz des Tractatus. Aussagbar sind nur die Tatsachen in Wahrheitsfunktionen. Die Bedingungen der Tatsachen und Wahrheitsfunktionen sind unaussprechlich. 26 Das Unaussprechliche ist nicht überflüssig. Ich erinnere hier noch einmal an die Aufgabe, die Wittgenstein der Philosophie gibt:
25
26
4.113
Die Philosophie begrenzt das bestreitbare Gebiet der Naturwissenschaft.
4.114
Sie soll das Denkbare abgrenzen und damit das Undenkbare. Sie soll das Undenkbare von innen durch das Denkbare begrenzen.
L. Wittgenstein. Briefe an Ludwig von Ficker. Hrsg. v. G.H. v. Wright unter Mitarbeit v. W. Methagl. - Salzburg 1969. (= Brenner-Studien Bd. 1). S. 35/36. - Die Herausgeber bemerken: "Ohne Aufschrift und Datum". "Geschrieben vermutlich Ende Oktober oder Anfang Nov. 1919". - + "nur" doppelt unterstrichen. In einem Brief an Paul Engelmann v. 9.4.17 schrieb Wittgenstein: " [ . . . ] Wenn man sich nicht bemüht, das Unaussprechliche auszusprechen, so geht nichts verloren. Sondern dies Unaussprechliche ist, - unaussprechlich - in dem Ausgesprochenen enthalten! [ . . . ] " - [LW] Nr. 6, 9.4.17.
192 4.115
Sie wird das unsagbare bedeuten, indem sie das Sagbare klar darstellt.
Auch eine Gesprächsnotiz vom-17,12.1930 zeigt, was Wittgenstein wichtig war und weshalb er letztlich den Tractatus schrieb: 27 Die Tatsachen sind für mich unwichtig. Aber mir liegt das am Herzen, was die Menschen meinen, wenn sie sagen, daß ' d i e
27
[WWK] S. 118
W e l t
d a i s t ' .
ZEICHEN
a,b,c,
Kleine Buchstaben, vom Beginn des Alphabets, stehen für Namen von Gegenständen
p,q,r
Kleine Buchstaben, aus der Mitte des Alphabets, stehen für Elementarsätze
x,y,z
Kleine Buchstaben, vom Ende des Alphabets, stehen für Variable in Wahrheitsfunktionen
fa, ga,