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German Pages 360 Year 2017
Joachim Schroeder, Louis Henri Seukwa (Hg.) Soziale Bildungsarbeit mit jungen Menschen
Theorie Bilden | Band 41
Editorial Die Universität ist traditionell der hervorragende Ort für Theoriebildung. Ohne diese können weder Forschung noch Lehre ihre Funktionen und die in sie gesetzten gesellschaftlichen Erwartungen erfüllen. Zwischen Theorie, wissenschaftlicher Forschung und universitärer Bildung besteht ein unlösbares Band. Auf diesen Zusammenhang soll die Schriftenreihe Theorie Bilden wieder aufmerksam machen in einer Zeit, in der Effizienz- und Verwertungsimperative wissenschaftliche Bildung auf ein Bescheidwissen zu reduzieren drohen und in der theoretisch ausgerichtete Erkenntnis- und Forschungsinteressen durch praktische oder technische Nützlichkeitsforderungen zunehmend delegitimiert werden. Der Zusammenhang von Theorie und Bildung ist in besonderem Maße für die Erziehungswissenschaft von Bedeutung, da Bildung nicht nur einer ihrer zentralen theoretischen Gegenstände, sondern zugleich auch eine ihrer praktischen Aufgaben ist. In ihr verbindet sich daher die Bildung von Theorien mit der Aufgabe, die Studierenden zur Theoriebildung zu befähigen. Die Reihe Theorie Bilden ist ein Forum für theoretisch ausgerichtete Ergebnisse aus Forschung und Lehre, die das Profil des Faches Erziehungswissenschaft, seine bildungstheoretische Besonderheit im Schnittfeld zu den Fachdidaktiken, aber auch transdisziplinäre Ansätze dokumentieren. Die Reihe wird herausgegeben von Hannelore Faulstich-Wieland, HansChristoph Koller, Andrea Sabisch und Michael Wimmer, im Auftrag der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg.
Joachim Schroeder, Louis Henri Seukwa (Hg.)
Soziale Bildungsarbeit mit jungen Menschen Handlungsfelder, Konzepte, Qualitätsmerkmale
Das Buch entstand im Kontext des Kooperativen Graduiertenkollegs »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit« an der Universität Hamburg und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (2015-2017). Das Kooperative Graduiertenkolleg wurde aus Mitteln der Behörde für Wissenschaft und Forschung der Freien und Hansestadt Hamburg gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt der Veröffentlichung liegt bei den Autorinnen und Autoren.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt E INFÜHRUNG Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit. Ein interdisziplinäres Forschungsprogramm
Joachim Schroeder & Louis Henri Seukwa | 11 Abstracts | 23
S OZIALE BILDUNGSARBEIT IM K ONTEXT DER S OZIALEN D IENSTE Die Qualität von Lernprozessen im informellen Setting des urbanen Raumes. Kritische Anmerkungen zur Qualitätsdebatte innerhalb eines unbestimmten Handlungsfeldes
Thorben Struck | 31 »Das Schlimmste am Gefängnis ist die Entlassung!« Überlegungen zur Qualität der Übergangsbegleitung von Haft in Freiheit bei jungen Menschen
Uta Wagner | 53 Partizipativ entwickelte Qualitätsmerkmale als Orientierungen in der Familienbildung
Hanna Gundlach | 73 Lebenslagenorientierte Unterstützung und Förderung Geflüchteter in Gemeinschaftsunterkünften der Stadt Bremen
Moussa Dieng | 97 Finanzielle Grundbildung als Thema für die Schuldnerberatung?
Sally Peters | 119 Zwischen Unterstützungsauftrag und Zwang. ›Nachhaltige‹ Beratung im SGB II als soziale Bildungsarbeit
Jana Molle | 141
Der Qualitätsmanagementprozess der öffentlichen Jugendhilfe in Hamburg. Merkmal von Qualität eines Krisenmanagements?
Daniel Beume & Lisa-Marie Klinger | 163
S OZIALE BILDUNGSARBEIT IM SCHULISCHEN KONTEXT »Bei denen ist erstmal gar nicht an Schule zu denken« Unterstützung von Bildungs- und Bewältigungsprozessen in Klinikschulen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Tobias Hensel | 183 Interdisziplinarität in lebensweltorientierten schulischen Angeboten für jugendliche Mütter
Cornelia Sylla | 209 Qualitätsmerkmale von Kooperation in der schulischen Berufsorientierung? Erste Erkenntnisse aus einer Experten- und Expertinnenbefragung zur Berufsorientierung an Hamburger Stadtteilschulen
Tatjana Beer | 227
S OZIALE BILDUNGSARBEIT IM K ONTEXT DER KULTUR - UND MEDIENARBEIT Ach du liebe Güte. Gedanken zu der Frage nach Qualität in der außerschulischen Jugendbildung und der Relevanz intersektionaler Perspektiven
Laura Röhr | 251 ›Nationalstaatlichkeit‹ und ›Flüchtlingskonstruktionen‹. Diskursanalytische Überlegungen zur Entwicklung von Qualitätsmerkmalen sozialer Bildungsarbeit
Roxana Dauer | 269 Qualität ohne Garantien. Das Paradox der Repräsentation des Flüchtlings in den Darstellenden Künsten
Sofie Olbers | 289
Q UALITÄTSMERKMALE SOZIALER BILDUNGSARBEIT Bildung sozial denken. Definition, Gegenstand, Anwendungskontexte und Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit
Harald Ansen, Roxana Dauer, Jana Molle, Joachim Schroeder, Louis Henri Seukwa, Thorben Struck & Uta Wagner | 319 Autorinnen und Autoren | 355
Einführung
Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit Ein interdisziplinäres Forschungsprogramm J OACHIM S CHROEDER & L OUIS H ENRI S EUKWA
1. B ILDUNGSARBEIT
IM
K ONTEXT
SOZIALER
P ROBLEME
Was soziale Bildungsarbeit sein könnte oder sein sollte – zu dieser Frage wurden immer wieder, wenngleich theoretisch unterschiedlich ausgerichtete Antworten gegeben (vgl. u.a. Natorp 1898, Sting 2002, 2004, Merten 2006, Staub-Bernasconi 2007, Thiersch 2011, Walther 2012, Mack 2013, Grundmann et al. 2016). Demgegenüber haben wir in zwei Kooperativen Graduiertenkollegs1 empirisch untersucht, was denn soziale Bildungsarbeit realiter ist, und es wurde gefragt: Wer wird adressiert? Wo findet sie statt? Was wird angeboten? Wie wird dies umgesetzt? Was bewirkt sie? Erkenntnisleitend für das Forschungsprogramm war die Überprüfung der Annahme, dass sich soziale Bildungsarbeit empirisch als ein pädagogisches Handlungsfeld beschreiben lässt, mithin in seiner Zielgruppenbestim-
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Professorinnen und Professoren des Departments Soziale Arbeit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (Harald Ansen, Sabine Stövesand, Louis Henri Seukwa und Ulrike Voigtsberger) und der Fakultät Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg (Hannelore Faulstich-Wieland, Gordon Mitchell, Silke Schreiber-Barsch und Joachim Schroeder) führten gemeinsam die drittmittelgeförderten Kooperativen Graduiertenkollegs »Die Schulen der Sozialpädagogik« (2013-2015) und »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit« (2015-2017) durch, die von den beiden Herausgebern dieses Buches beantragt und geleitet wurden. Außerdem waren Carolin Rotter (Universität Duisburg-Essen) und Martina Weber (Hochschule Emden-Leer) beteiligt. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten sind in diesem Band mit eigenen Beiträgen vertreten und werden deshalb hier nicht einzeln genannt.
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mung und in den Institutionalisierungsformen, in der Spezifität des Auftrags sowie in den Arbeitsweisen von anderen pädagogischen Handlungsfeldern abgegrenzt werden kann. In den beiden Kooperativen Graduiertenkollegs haben wir das Untersuchungsfeld heuristisch als soziale Bildungsarbeit bezeichnet und somit an Paul Natorp (1894, 1898, 1907) angeknüpft, der mit diesem Konzept »seine Sicht einer zeitgemäßen, dem Gegenstand der Sozialen Frage angemessenen, Pädagogik« (Henseler 2000: 34) zum Ausdruck brachte. Die Aufgaben einer solchen »Pädagogik der sozialen Frage« (Dollinger 2006) bestimmte Natorp in der vielzitierten Formulierung: »Die Sozialpädagogik hat als Theorie die sozialen Bedingungen der Bildung und die Bildungsbedingungen des sozialen Lebens zu erforschen« (Natorp 1894: 62f.). Die soziale Pädagogik sollte sich seiner Ansicht nach jedoch nicht mit der Analyse begnügen, sondern diese Bedingungen im Sinne einer vorgestellten Entwicklung günstig beeinflussen: »Natorp beansprucht damit […], der entschiedenste Vertreter eines Programms zu sein, das Bildungsgegensätze nicht nur aus Begabungsdifferenzen erklärt, sondern aus vorenthaltenen Bildungschancen« (Merten 2006: 59). Über soziale Bildungsarbeit wird in verschiedenen Disziplinen reflektiert, die mit der Theoretisierung sozialer Problemlagen befasst sind und deren Auftrag es ist, für die Praxis taugliche pädagogische Konzepte zur Bearbeitung sozialer Probleme zu entwickeln – neben der Sozialen Arbeit sind dies zum Beispiel die Schulund Sonderpädagogik, die Berufspädagogik und Erwachsenenbildung, die Kulturund Kriminalitätspädagogik. Deswegen haben wir in den Kooperativen Graduiertenkollegs die Untersuchungsfrage erweitert und uns – über Natorp hinausgehend – nicht nur für die sozialen Bedingungen der Bildung, sondern auch für die Bedingungen der Erziehung und der sozialen Unterstützung interessiert. Gleichwohl sind für die Weiterentwicklung einer pädagogischen Handlungswissenschaft erschwerter Bedingungen im Schnittpunkt aus Erziehungs-, Bildungs- und Sozialarbeitswissenschaft immer wieder neue Antworten auf die drei Grundfragen zu formulieren, die sich aus Natorps Definition und Programm der sozialen Bildungsarbeit ableiten lassen: • Wie können die sozialen Bedingungen der Bildung (wie auch der Erziehung und
Unterstützung) erforscht werden? (Methodologie) • Wie können diese Bedingungen in ihren Wirkungen erklärt werden? (Theorie-
bildung) • Wie können diese Bedingungen günstig beeinflusst werden? (Praxeologie)
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Zur Untersuchung der Bildungsangebote der Sozialen Arbeit für junge Menschen haben wir – vorläufig – zwei Institutionalisierungsformen unterschieden: Zum einen formale Bildungsangebote der Sozialen Arbeit, beispielsweise in sozialpädagogischen Ersatz-, Ergänzungs- oder Angebotsschulen, die fast ausschließlich von Trägern der Jugendhilfe betrieben werden und bei denen vor allem die Erfüllung der Schulpflicht sowie der Erwerb eines formalen allgemeinbildenden oder berufsqualifizierenden Abschlusses im Zentrum der Bildungsarbeit stehen. Zum anderen non-formale Bildungsangebote der Sozialen Arbeit in Beratungsstellen, Sozialen Diensten oder stationären Einrichtungen, die in ihren Bildungsangeboten einem non-formalen Bildungsverständnis folgen, in dem es vorrangig darum geht, die Adressatinnen und Adressaten in ihrer Lebensführung zu unterstützen und die dafür erforderlichen Kompetenzen zu vermitteln.
2. F ORSCHUNGSGEGENSTAND UND F ORSCHUNGSFRAGEN In einer ersten Näherung lässt sich soziale Bildungsarbeit als pädagogisches Handlungsfeld beschreiben, in dem Kinder, Jugendliche und Erwachsene adressiert werden, die von sozialem Ausschluss bedroht oder betroffen sind und ›irgendwie‹ mit den auf sie wirkenden Folgen sozialer Probleme zurechtkommen müssen. Nach einer langen Phase relativer wirtschaftlicher Prosperität und wohlfahrtsstaatlicher Integration in Deutschland und Europa stellt sich aktuell die »soziale Frage« (vgl. Castel 2008) wieder in aller Schärfe neu. Für die gegenwärtigen Ausprägungen sozialer Ungleichheit wurde in der sozialwissenschaftlichen Debatte der Begriff »Prekarität« geprägt (Vogel 2008). Die Prekaritätsforschung hat gezeigt, dass Jugendliche und junge Erwachsene besonders von den Folgen der neuen sozialen Ungleichheit betroffen sind (Thomas/Calmbach 2013). Deshalb konzentrieren sich die Kooperativen Graduiertenkollegs vorrangig – den im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) gesetzten Altersgrenzen folgend – auf junge Menschen im Alter zwischen 14 und 27 Jahren. In zahlreichen Bildungsstudien ist belegt, dass etwa 15 Prozent der Schülerinnen und Schüler eines jeden Geburtsjahrganges in Deutschland derzeit das Schulund Ausbildungssystem nur mit Schwierigkeiten und mit Resultaten durchlaufen, die einen gesicherten Zugang zur Erwerbsarbeit und zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ernsthaft in Frage stellen (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 2008, 2010, 2012). Mit dem Erreichen der Volljährigkeit sind diese jungen Menschen uneingeschränkt geschäftsfähig, ihnen wird folglich eine selbstverantwortete Lebensführung abverlangt und eine selbständige Daseinsvorsorge zuge-
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mutet. Besondere sozialgesetzlich verankerte rechtliche Ansprüche der Arbeitsförderung oder sozialen Unterstützung bestehen dann nur noch sehr eingeschränkt. Mehrheitlich wachsen diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen in nichtbürgerlichen Lebenszusammenhängen auf, die durch auf Dauer gestellte, teilweise über Generationen ›vererbte‹ ökonomische Armut und oftmals nur wenig tragfähige soziale Netze gekennzeichnet sind. Diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen müssen sich gegenwärtig und/oder künftig in erschwerten Lebenslagen behaupten, demzufolge müssen sie Formen eines nicht-bürgerlichen Habitus erwerben (Hiller 2012). In den verschiedenen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit werden deshalb Bildungsangebote unterbreitet, deren Inhalte und Arbeitsformen auf die prekären Lebenslagen ausgerichtet sind, aus denen diese jungen Menschen kommen, in denen sie auch künftig mehrheitlich leben werden, in denen sie folglich zurechtkommen und sich bewähren müssen. Mit dem Forschungsprogramm sollten Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit empirisch bestimmt werden. Qualität meint hier, dass es gelingt, unter Berücksichtigung normativer, interaktioneller, struktureller, institutioneller, konzeptioneller, methodischer und diskursiver Aspekte, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in erschwerten Lebensverhältnissen einen Zugang zu Bildungsangeboten zu eröffnen, sodass sie die notwendigen Kompetenzen ausbilden können, die sie zur Bewältigung prekärer Lebenslagen benötigen. Die in den Kooperativen Graduiertenkollegs entstandenen Promotionsvorhaben haben sich deshalb mit den Zielen, Konzepten, Organisationsformen und Arbeitsweisen in ausgewählten Bildungseinrichtungen bzw. Bildungsprogrammen befasst und analysiert, welche Effekte in der Umsetzung zu Tage treten. In der vergleichenden Zusammenschau der in den einzelnen Dissertationen gewonnenen empirischen Ergebnisse hat die Forschungsgruppe sodann versucht, übergreifende Qualitätsmerkmale der sozialen Bildungsarbeit in prekären Lebenslagen zu identifizieren. Um im Forschungsprogramm mit der empirischen Bestimmung von Qualitätsmerkmalen zu beginnen, wurden die oben genannten Grundfragen zur Untersuchung sozialer Bildungsarbeit konkretisiert und reformuliert: In welchem Gegenstands- und Zielhorizont (1), mit welchem Heterogenitätsverständnis (2) und in welchen sozialräumlichen Bezügen (3) müssen solche Bildungs- und Unterstützungsangebote konzipiert werden?
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2.1 Gegenstands- und Zielhorizont: Bildung und Unterstützung Die durch Forschung fundierten Einsichten zu den sozialen Ursachen prekärer Lebenslagen führten in der Sozialen Arbeit zu einer institutionellen und konzeptionellen Verknüpfung von Unterstützungs- mit Bildungsangeboten. Charakteristisch für das professionelle Selbstverständnis der Sozialen Arbeit ist es, dass die Handlungskonzepte zur Ausbildung und/oder Erweiterung von Kompetenzen beitragen sollen, die das Individuum (wieder) befähigen, selbstbestimmt sein Leben zu meistern und Teilhaberechte einzuklagen bzw. durchzusetzen. Die Unterstützung in schwierigen Lebenslagen ist eine Bedingung der Möglichkeit für Bildung, denn zunächst gilt es, die primären Bedürfnisse zu befriedigen und Problemlagen zu entschärfen, um sich dann (wieder) auf Bildungsprozesse einlassen zu können. Diese konzeptionelle Spannung aus Unterstützung und Bildung ist zwar theoretisch gut begründet, es ist aber kaum Näheres darüber bekannt, wie sie in der Bildungspraxis der Sozialen Arbeit ausbalanciert wird. Deshalb wurde gefragt: Wie sehen Bildungskonzepte der Sozialen Arbeit konkret aus, wenn diese – sozialpädagogischen Orientierungen folgend – lebensweltbezogen, milieusensibel und akzeptierend sind sowie zuvörderst auf die Unterstützung erschwerten Alltags zielen? Was genau wird unter ›Bildung‹ verstanden? Wie wird in Bildungseinrichtungen der Sozialen Arbeit der Unterstützungsanspruch integriert? Wie gehen soziale Unterstützungsdienste vor, um bei ihrer Klientel Bildungsprozesse zu initiieren?
In den Promotionsvorhaben sollte untersucht werden, wie in solchen Einrichtungen der Bildungsauftrag und der Unterstützungsanspruch konzeptionell integriert und praktisch umgesetzt werden. Ob es mithin gelingt, Curricula, pädagogische Konzepte, Methoden und Lernarrangements zu entwickeln, um Lern- und Bildungsprozesse anzuregen, die die jungen Leute nachweislich befähigen, besser als zuvor mit ihren prekären Lebenslagen zurechtzukommen, und ob das Bewältigungshandeln der individuellen Problemlage und die Nachhaltigkeit der sozialen Unterstützung gesichert werden kann. Es sollte aber auch die pädagogische Rhetorik sozialer Bildungsarbeit problematisiert werden, die sehr häufig Begriffe wie Niedrigschwelligkeit, Freiwilligkeit, Subjektorientierung oder selbstbestimmtes Lernen verwendet. Solchen Ansätzen wird immer wieder der Vorwurf gemacht, sie seien didaktisch reduktiv, anspruchslos und unterfordernd, eine Kritik, die empirisch beleuchtet werden sollte.
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2.2 Heterogenitätsverständnis: Zielgruppenorientierung und Inklusion Die Adressatinnen und Adressaten der Sozialen Arbeit zeichnet eine soziale, sprachliche und kulturelle Heterogenität aus, die oftmals mit dem Anspruch der ›Passgenauigkeit‹ von Bildungskonzepten in Konflikt geraten kann. Soziale Arbeit versucht, ihre Konzepte durch Zielgruppenorientierung möglichst präzise auf die unterschiedlichen benachteiligenden Lebenslagen sozialer Gruppen zu beziehen. Die Soziale Arbeit muss überdies dem gesellschaftspolitischen Auftrag der Inklusion nachkommen und Angebote so gestalten, dass möglichst alle sozialen Gruppen erreicht werden. Die Schulforschung hat gezeigt, dass sowohl zielgruppen-, als auch inklusionspädagogische Ansätze enorme Schwierigkeiten haben, soziale, kulturelle und sprachliche Heterogenität im Sinne der Herstellung von Bildungsgerechtigkeit konzeptionell umfassend zu berücksichtigen (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 2008, 2010, 2012). Die Kollegs bezogen diese Problemstellung auf die Soziale Arbeit und fragten: Wie wird in zielgruppenorientierten und in so genannten inklusionspädagogischen Bildungsangeboten der Sozialen Arbeit jeweils mit den verschiedenen Differenzlinien umgegangen? Wie inklusiv sind inklusionspädagogische Angebote wirklich? Wird in zielgruppenorientierten Konzepten durch die Fokussierung auf die ›Unterstützung‹ erschwerten Alltags womöglich ›Bildung‹ vernachlässigt? Wird in inklusionspädagogischen Ansätzen einer ›Bildung für alle‹ der individuelle erschwerte Alltag ignoriert?
In intersektionellen Analysen wird die Verschränkung von Differenzkategorien wie Geschlecht, Ethnizität, Behinderung usw. in der Gesellschaft, in Institutionen, Diskursen, Interaktionen und Handlungen untersucht (vgl. Winker/Degele 2010). In einigen Promotionen wurde empirisch der Frage nachgegangen, wie in zielgruppenorientierten Bildungsangeboten (z.B. Schulen für Teenager-Mütter, Bildungsangebote in den Unterkünften für Geflüchtete, Übergangsmanagement im Jugendstrafvollzug oder in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Beratungsangebote in der Arbeitsförderung und Berufsorientierung, Grundbildungsangebote in der Schuldnerberatung, Familienbildungsstätten, Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen) Differenzkonstruktionen gewonnen werden und wie diese das professionelle Handeln der in der Einrichtung tätigen pädagogischen Fachkräfte leiten. Insbesondere wurde analysiert, welche Normalitätsmuster in der praktischen Bildungsarbeit zur Anwendung kommen und wie Arrangements über solche Normalitätsmuster mit der Klientel ausgehandelt werden.
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Es sollten aber auch intersektionelle Ordnungen in inklusionspädagogischen Bildungsangeboten rekonstruiert werden, die sich ›bewusst‹ an heterogene, multikulturelle, mehrsprachige und koedukative Gruppen richten (zum Beispiel Bildungsangebote der offenen Kinder- und Jugendbildungsarbeit, der Quartiersarbeit oder der Medien- und Theaterarbeit): Wie wird mit den verschiedenen Differenzierungskategorien in solchen Gruppen umgegangen? Deuten sich in den Konzepten und in der Praxis der Markierung von Personen bzw. Lebenslagen Vergeschlechtlichungen oder Kulturalisierungen an? Werden Behinderungen wahrgenommen? Wie werden die wechselseitigen normativen Zuschreibungen in diesen heterogenen Gruppen bearbeitet?
2.3 Sozialräumliche Bezüge: Gemeinwesenorientierung und Transnationalismus Soziale Bildungsarbeit wird nicht nur in Gruppen-, sondern auch in sozialräumlichen Handlungsansätzen entfaltet. In der »Community education« sollen Institutionen der Gemeinwesenarbeit (Stadtteilzentren, Begegnungsstätten, Schulen) zum Motor der Bildungsarbeit in den sozialen Raum hinein werden (Stövesand et al. 2013). Die Sozialraumforschung hat indes gezeigt, dass der Bewegungsradius der Bewohnerinnen und Bewohner eines Gemeinwesens zumeist die Grenzen des institutionell markierten Sozialraums überschreitet. Da es die Bildungsangebote der Sozialen Arbeit oftmals nicht in jedem Stadtteil, ja nicht einmal in jeder Stadt gibt, vollziehen sich Bildungsbiografien von Jugendlichen und jungen Erwachsenen eher nicht in ihrem Wohnumfeld. Dies gilt umso mehr für Menschen mit Migrationserfahrungen, die häufig zwischen mehreren, teilweise weltweit auseinanderliegenden Orten pendeln (Pries 2008). Die Kooperativen Graduiertenkollegs knüpften deshalb an die sozialräumlichen Perspektiven der Sozialen Arbeit an, stellten aber das Normalitätskonstrukt einer prinzipiellen Sesshaftigkeit im Gemeinwesen, auf das sich der sozialräumliche Ansatz bezieht, infrage. Vielmehr thematisierte das Forschungsprogramm systematisch die Problemstellungen, die sich für soziale Bildungsarbeit aus einem lediglich temporären Aufenthalt, aus mobiler Lebenspraxis und aus Migration ergeben: Wie beziehen sich die sozialräumlichen Bildungskonzepte der Sozialen Arbeit auf mobilen Lebensalltag und dessen Probleme? Wie kommen in den Bildungs- und Unterstützungseinrichtungen lokale, kommunale, regionale, nationale und transnationale Raumhorizonte in
18 | J OACHIM S CHROEDER, LOUIS HENRI S EUKWA den Blick? Wie lassen sich individuell wechselnde Migrationsziele (Rückkehr, temporärer Verbleib, Weiterwanderung) in Bildungsangeboten begleiten und unterstützen?
In einzelnen sozialräumlichen Analysen wurden die Wohn-, Erwerbs- und Bildungsbiografien von jungen Menschen in prekären Lebenslagen zueinander in Beziehung gesetzt. Der Blick richtete sich auf Jugendliche und junge Erwachsene, deren Leben sich nicht an einem Ort, sondern in größeren regionalen, europäischen, gar weltweiten sozialräumlichen Zusammenhängen vollzieht, um zu klären, wie Bildungsangebote über Staatsgrenzen hinweg organisiert werden können. Ebenso ist das informelle Setting des urbanen Raumes ein recht unbestimmtes Anwendungsfeld sozialer Bildungsarbeit, in dem das Verhältnis von formellen, non-formalen und informellen Bildungsprozessen als Bewältigungs- und Bildungsraum in den Blick zu nehmen war.
3. Z U DIESEM B UCH Die Stipendien zu den Kooperativen Graduiertenkollegs waren bundesweit ausgeschrieben worden. Auf die prospektive Formulierung von möglichen Promotionsthemen wurde verzichtet, um dem Auswahlverfahren nicht vorzugreifen. Die Dissertationsthemen sollten sich jedoch an den für jedes Themenfeld skizzierten forschungsleitenden Fragestellungen orientieren, zu denen die Kandidatinnen und Kandidaten im Bewerbungsverfahren ihre möglichen themenspezifischen Promotionsvorhaben mit einer erkenntnisleitenden Fragestellung und den geplanten Methoden darlegten und mit dem Gesamtkonzept der Graduiertenkollegs verzahnten. Wie bei einer solch offenen Ausschreibung nicht anders zu erwarten war, wurden sehr unterschiedliche Untersuchungsfelder gewählt, die sich auch nicht gleichmäßig auf die skizzierten Forschungsfelder verteilten. Die folgenden Einzelbeiträge geben einen Überblick über die bearbeiteten Themen. Im Frühjahr 2016 hat das Kooperative Graduiertenkolleg »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit« in Hamburg eine europäische Tagung »Quality features of educational and social work – European perspectives« durchgeführt, bei der die Promovendinnen und Promovenden mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Frankreich und Großbritannien über ihre Projekte diskutieren und erste Erhebungen im internationalen Vergleich reflektieren konnten. Die anregenden Präsentationen und kritischen Debatten zeigten, dass der Sozialen Arbeit aufgrund von kommunalen, nationalen und globalen Armutsdynamiken auch mittelfristig eine große Bedeutung zukommen
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wird. Die Tagungsbeiträge sind veröffentlicht in Schroeder/Seukwa/Voigtsberger (2017). Intention des vorliegenden Bandes ist es nun, in einer Gesamtschau das Feld der sozialen Bildungsarbeit empirisch zu vermessen und Qualitätsmerkmale des professionellen Handelns zu bestimmen. Soziale Bildungsarbeit lässt sich der Social Problems Work zuordnen (vgl. Groenemeyer 2010: 40). Unter diesem Begriff werden diejenigen Felder sozialer, erziehender und bildender Arbeit zusammengefasst, in denen soziale Probleme wie Kriminalität, Krankheit, Hilfsbedürftigkeit oder Sozialisationsdefizite »im Rahmen der institutionellen Vorgaben und Handlungslogiken entsprechend bearbeitet werden oder, wenn die Zuweisung zu den entsprechenden organisationsspezifischen Problemkategorien fehlschlägt, an andere Stellen verwiesen oder abgewiesen werden« (ebd.: 15). Die Praxis in den entsprechenden Institutionen unterliege »feldspezifischen Regeln und Relevanzkriterien«, die durch spezifische Diskurse, Orientierungen, Normen, Ressourcenund Machtverteilung ausgezeichnet seien (ebd.: 8). Dieser These folgend und ausgehend von dem, was die einzelnen Promotionsprojekte in der Praxis vorgefunden haben, entstand der Schlusstext des Bandes, in dem wir ›Feldspezifika‹ und ›Feldregeln‹ der sozialen Bildungsarbeit konkretisieren und daraus dann Qualitätsmerkmale generieren. Auch wenn die Sozialgesetzbücher für einzelne Zielgruppen bzw. Notlagen oder Benachteiligungen staatliche Leistungen für Bildung gewähren, gibt es in Deutschland kein umfassendes Recht auf soziale Bildung für Erwachsene. Richter (2003) hat darauf hingewiesen, dass menschenrechtsbasierte Argumentationen ins Leere laufen, weil es bei Bildung bislang im Wesentlichen um die Schaffung von Bildungsmöglichkeiten durch den Staat in Form der Sicherstellung eines unentgeltlichen Schulbesuchs geht: »Kein Mensch kann aufgrund des Menschenrechts auf Bildung seine Regierung verklagen, ihm – Eignung vorausgesetzt – eine bestimmte Bildung zu verschaffen, einen Platz in einer Bildungseinrichtung bereitzustellen oder den Zugang zu einer vorhandenen Bildungseinrichtung zu gewähren« (Richter 2003: 18). Die folgenden Studien zeigen eindringlich die Konsequenzen für die betroffenen Menschen auf, sie weisen auf übergangene soziale Gruppen und deren Bildungsbedürfnisse hin, identifizieren verborgene Bedarfe, skandalisieren strukturelle Unzulänglichkeiten und spüren vernachlässigte Sozialräume, lebensweltnahe Unterversorgungen und hinderliche Barrieren auf, die die Zugänglichkeit und Inanspruchnahme von Angeboten der sozialen Bildungsarbeit erschweren. Die Berichte geben somit aufschlussreiche Einsichten, wie es aktuell um die Qualität der sozialen Bildungsarbeit in Deutschland bestellt ist.
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L ITERATUR Castel, Robert (2008): Die Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit, 2. Aufl., Konstanz: UVK. Dollinger, Bernd (2006): Die Pädagogik der sozialen Frage. (Sozial)Pädagogische Theorie von Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Weimarer Republik, Wiesbaden: Springer. Groenemeyer, Axel (Hg.) (2010): Doing Social Problems. Mikroanalysen der Konstruktion sozialer Probleme und sozialer Kontrolle in institutionellen Kontexten, Wiesbaden: VS. Grundmann, Matthias/Bittlingmayer, Uwe H./Dravenau, Daniel/Groh-Samberg, Olaf (2016): »Bildung als Privileg und Fluch – Zum Zusammenhang zwischen lebensweltlichen und institutionalisierten Bildungsprozessen«, in: Rolf Bäcker/Wolfgang Lauterbach (Hg.), Bildung als Privileg: Erklärungen und Befunde zu den Ursachen der Bildungsungleichheit, 5., aktualisierte Aufl., Wiesbaden: Springer VS, S. 57–86. Henseler, Joachim (2000): Wie das Soziale in die Pädagogik kam. Zur Theoriegeschichte universitärer Sozialpädagogik am Beispiel Paul Natorps und Herman Nohls, Weinheim und München: Juventa. Hiller, Gotthilf Gerhard (2012): »Aufriss einer kultursoziologisch fundierten, zielgruppenspezifischen Didaktik«, in: Ulrich Heimlich/Franz B. Wember (Hg.), Didaktik des Unterrichts im Förderschwerpunkt Lernen, Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag, S. 41–55. Konsortium Bildungsberichterstattung (Hg.) (2006, 2008, 2010, 2012): Bildung in Deutschland. Im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Bielefeld: Bertelsmann Verlag. Mack, Wolfgang (2013): »Bildung und Bewältigung bei prekären Übergangsprozessen«, in: Sarina Ahmed/Axel Pohl/Larissa von Schwanenflügel/Barbara Stauber (Hg.), Bildung und Bewältigung im Zeichen von sozialer Ungleichheit. Theoretische und empirische Beiträge zur qualitativen Bildungs- und Übergangsforschung, Weinheim und Basel: Juventa Verlag, S. 122–139. Merten, Roland (2006): »Bildung und soziale Ungleichheiten – Sozialpädagogische Perspektiven auf ein unterbelichtetes Verhältnis«, in: Rainer Fatke/Hans Merkens (Hg.), Bildung über die Lebenszeit, Schriftenreihe der DGfE, Wiesbaden: Budrich, S. 57–67. Natorp, Paul (1894): Religion innerhalb der Grenzen der Humanität. Ein Kapitel zur Grundlegung der Sozialpädagogik, Freiburg: J.C.B. Mohr.
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Abstracts
Thorben Struck: The quality of learning processes in the informal setting of urban space. Critical remarks on the quality debate within an undefined field of action | 31-52 What does quality in regard to learning processes in the informal setting of an urban district mean and how can it be defined? Based on this question the paper deals with the educational quality of learning processes. I hypothesize that the determination of quality with regard to the formal as well as informal sector of education can contribute to the reproduction of social inequality. As the urban setting will be of particular importance as an everyday reference framework for informal learning processes, it will be included in a relational perspective in the analysis of the quality of learning processes in this relationship. Looking at the behavioral dimension of space it becomes obvious that the current debate on quality within the field of action lets contradictory and oppositional activities for obtaining self-determination under alienated living conditions tend to go unnoticed. The essay will corroborate, that in the social subjects’ fight for a capacity to act, the development of a decided skill set becomes obvious. For this purpose a resource oriented coping theory of educational sciences is revisited and its potentials for the analysis of spatial actions are explored. Finally this theoretical approach is concretized by means of empirical examples and applied to the act within a specific urban space. Thus, the quality of learning processes within the described empirical situation can be newly determined. Uta Wagner: ››The worst part of prison is release‹‹ A look at the quality of support provided to young people during the process of transition from incarceration to freedom | 53-71 Release from incarceration and the first several months of freedom are extremely difficult for juveniles, who are more likely to reoffend during this period. They are confronted with a whole host of challenges during this transition phase and require help and support in overcoming them. Lawmakers have responded to this
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issue by ensuring that incarcerated juveniles receive support early on in the form of preparation for release and follow-up care. Transition management is the product of this legal right and represents comprehensive, intensive support before and after release from incarceration. Focusing on the various dimensions of this unique form of transition, this article explains the quality standards applied to transition management and, based on empirical examples, discusses gaps and requirements in the transition management concept. Hannah Gundlach: Participatory Developed Quality Features as Orientations in Parental Education | 73-95 In the professional field of parental education (§16 SGB VIII), the discussion about quality features in social educational work started quite early. Instruments of quality management for internal and external evaluation were introduced. Thus, this professional field is seen as a prototype in the discourse. Commonly, quality features should be understood as general orientations and questions for the pedagogical work and professional attitude, but not as strict rules. Namely, parental education highly depends on personal relationships in collaboration with families, as well as heterogeneous individual needs, and life circumstances of the family members. Hence, the content of this work cannot be subject to homogenous quality features, but the organizational procedure and framework can be subject to quality management. Especially promising are those quality concepts which were developed in participative processes with all involved parties. However, the perspectives of addresses and users of offers are (too) seldom included in these processes. The article takes up the area of conflict of implementing processes of quality measurement and simultaneously not being able to have unified standards for the content of the work which highly depends on personal relationships. Thus, the focus on quality of results is questioned and the necessary resources to implement such processes are stressed. Moussa Dieng: Daily-life oriented Support and Education of Refugees in shelters of Bremen-City | 97-118 Based on the example of professionalization efforts by the City of Bremen the author tries to analyze and concretize the quality features ›perfect fitting‹, ›need orientation‹ or ›demand orientation‹, ›problem orientation‹ and ›competence orientation‹ – not merely in view of conceptual formulation but in consideration of practical social work with refugees. To meet the quality requirements and the heterogeneity of refugees, the author suggests, to stabilize their entire life context
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through a ›daily life-oriented‹ support and education. Furthermore, he recommends considering the quality feature ›daily life orientation‹ as a consequent guiding perspective of the support and education in refugee shelters. Sally Peters: Financial Literacy as a Field of Social Work? | 119-140 Financial literacy is a new topic in the field of debt counselling. Nonetheless, topics like financial competences or general financial education are placed on the agenda of the field for a long time. However, there is yet still no systematic anchoring of this topic in the field of debt counselling. Thus, general assumptions with a focus on the question of how the inclusion of financial literacy as a quality feature can be located in the discourse are outlined in the following article. Jana Molle: Between support and compulsion. ›Sustainable‹ socio-educational counselling in SGB II | 141-161 Counselling in jobcenters is increasingly recognized as important for facilitation of integration into the labour market. Considering the ongoing discourse about ›the lazy unemployed‹ as a leading preconception of the activating labour market policy, there is a risk that persons entitled to benefits become mere objects in the proceedings in the counselling process. Against this background, further relevant is the question as to how assistance with psychosocial problems, considered as placement obstacles, can be provided by jobcenters in the counselling process. How could, sustainable integration into the labour market and the recognition of coping needs of the target group be possible? Furthermore, counselling can be considered as social educational work in that regard. By means of the example of the effect factor ›relationship‹, an answer to the questions as to how ›good‹ counselling is best defined and which quality features are appropriate in this context, are discussed in this article. Daniel Beume, Lisa-Marie Klinger: The process of quality management concerning public youth welfare services in Hamburg. A quality feature of hazard control? | 163-180 The public child-welfare reform movement in Hamburg is currently to be standardised through a Quality Management System (QMS) of the standard specification group DIN ISO EN 9000. The additional efforts of implementing the QMS into the work area will be accepted, even though from a professional perspective the content and consolidation of the reform do not seem sensible and a final conclusion is still outstanding. The article provides insights into the process and is questioning the content of the QMS and its possible effects on the work area of the local child protective services (ASD).
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Tobias Hensel: »First, school is for those not conceivable at all« Supporting educational and coping processes at hospital schools of child and adolescent psychiatry units | 183-208 Pupils who are inpatients of child and adolescent psychiatry units (CAP) must study at hospital schools whose formal responsibility for them ends when they are discharged. The transition from the CAP and a hospital school to the general education system is thus structurally predetermined. Many mentally ill children and adolescents are unable to cope with the demands both of this transition and of their precarious life situation without support. This paper deals with ways in which hospital schools can combine educational services with support for pupils' coping mechanisms. For this purpose, based on interviews with hospital teachers and relevant specialist literature, hospital school education will be examined and analysed by the application of Mack’s (1999) theoretical model regarding the relation between education and coping. With regard to the superordinate question of this anthology, quality features of social education will be deduced from the results. Cornelia Sylla: Interdisciplinarity in life-world oriented school programmes for adolescent mothers | 209-225 Adolescent mothers are usually regular clientele of teachers as well as social workers both in schools and in other institutions. The structural difference between the living circumstances of adolescent mothers and those of educational staff as well as the difference between perspectives of teachers and social workers can lead to difficulties regarding respectful association. Life-world orientation and closely connected cooperation were thus developed in order to facilitate social integration of marginalized groups. Based on this foundation this article shows different forms of interdisciplinary cooperation how they can be found in life-world oriented school programmes and in which way they can be considered as quality features for social educational work. Tatjana Beer: Quality features of the cooperation in the area of career orientation? First insights from a research at schools in Hamburg | 227-248 The concept of career orientation in Hamburg obligates schools to offer quiet a variety of extracurricular activities for career orientation and to cooperate with external partners. This should enable students to have a better transition into a professional career. So far quality is only measured under a perspective of the outcome; the numbers of successful transitions. The research of quality of the process of those measures has not taken place yet. This is where this endeavor starts:
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on the hand of 23 expert interviews and one group discussion supported by network maps is shown in a first step which areas of tension exists in the cooperation between the different actors. In a second step out of those insights quality features for career orientation are developed. Laura Röhr: Oh my goodness! Thoughts on the question of quality in extra-mural youth education, and the relevance of intersectional perspectives | 251-267 Intersectionality, which entails viewing systems of discriminatory power relations and privilege as entangled, is a perspective increasingly found also in various fields of pedagogy and education. According to this concept, the view might be broadened to take account of the diversity (or in some cases its absence) in the structures, and amongst participants as well as practitioners. Meanwhile, there is also a debate on the question of quality, which is lead mainly by the reduction of complexity and the rules of economy. This article raises the question of the capacity of intersectional concepts to change the debate and to adapt the term in an emancipatory way, thereby formulating in the end some points of orientation which might be helpful for the transfer of intersectionality into practice. Roxana Dauer: ›Nation states‹ and ›refugee constructions‹ – Discourse analytical considerations on the development of quality features of social and educational work | 269-288 This article discusses the relevance of discourse analytical approaches and deconstructivist perspectives on the relationship between ›nation states‹ and ›refugee constructions‹ in media coverage. The aim is to work out to what extent such perspectives can be used for the development of quality features in social and educational work. Thereby, the analysis is based on the assumption that social inequality between ›nationals‹ and persons who are constructed as ›refugees‹ can be seen as a result of discursive practices of media coverage. Social and educational work that deals with people who try to access or accessed the asylum system needs sensitivity and knowledge about reality constructions of ›nation states‹ and thereto associated ›refugee constructions‹ in order to counter normalization and social exclusion. Sofie Olbers: Quality without guarantees: the paradox of the representation of the refugee in the performing arts | 289-315 The question of the central quality features for cultural and social education in the performing arts with newcomers to German society, who are marked as refugees
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will be traced. Thereby, the article provokes and discusses the power-critical contestation of such marking, re-presentation practices. From the perspective of postcolonial approaches, this recommendation is supported by a political impetus, because cultural-artistic representational practices, it is argued, cannot be non political in the face of global injustice. In this way, the paradox of representation and the self-representation required are critically examined, since it is always impossible to represent adequate. Hastily conceived and convenient approaches to the solution are questioned in terms of their aporetic traits, and an ideal-typical means of dealing with them is thereby stimulated. This strategy advocates the use of the discursive-analytic method for the investigation in the social sciences, and the testing of practical forms at the artistic and concrete levels, which intervene aesthetically and resist performatively, in order to target the educational objective of the subject’s emancipation.
Soziale Bildungsarbeit im Kontext der Sozialen Dienste
Die Qualität von Lernprozessen im informellen Setting des urbanen Raumes Kritische Anmerkungen zur Qualitätsdebatte innerhalb eines unbestimmten Handlungsfeldes T HORBEN S TRUCK
Was kann Qualität im Rahmen von Lernprozessen im informellen Setting eines Stadtteils bedeuten und wie lässt sich diese bestimmen? Ausgehend von dieser Fragestellung setzt sich der Artikel nachfolgend mit der pädagogischen Qualität von Lernprozessen auseinander. Meine These ist, dass die Bestimmung von Qualität sowohl in Bezug auf den formellen und non-formalen, als auch den informellen Bildungssektor zur Reproduktion sozialer Ungleichheit beitragen kann. Da dem urbanen Raum in diesem Verhältnis eine besondere Bedeutung als alltagsweltlicher Referenzrahmen für informelle Lernprozesse zukommt, wird er unter einer relationalen Perspektive in die Analyse der Qualität von Lernprozessen mit einbezogen. Betrachtet man insbesondere die Handlungsdimension des Raumes, wird deutlich, dass die aktuelle Qualitätsdebatte innerhalb der sozialpädagogischen Jugendarbeit widerständige und oppositionelle Handlungen zur Erlangung von Selbstbestimmung unter entfremdeten Lebensbedingungen tendenziell unsichtbar macht. Deshalb möchte ich zeigen, dass im Kampf um Handlungsfähigkeit gesellschaftlicher Subjekte eine Kompetenzentwicklung sichtbar wird. Hierfür wird eine ressourcenorientierte Bewältigungstheorie der Erziehungswissenschaft aufgegriffen und deren Potenziale für die Analyse raumbezogener Handlungen ausgelotet. Abschließend wird dieser theoretische Ansatz anhand empirischer Beispiele konkretisiert und auf das Handeln innerhalb eines spezifischen urbanen Raumes zugespitzt. Hierüber lässt sich die Qualität von Lernprozessen innerhalb der beschriebenen empirischen Situation neu bestimmen.
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1. B EGRIFFLICHE R AHMUNGEN In der Erziehungswissenschaft und Sozialen Arbeit sind viele Grundbegriffe oft weniger deutlich definiert und über wissenschaftliche Diskurse festgelegt, als dies in monoparadigmatischen Wissenschaften (z.B. der Physik) der Fall ist. »Insbesondere die Begriffe Bildung und informelles Lernen werden heute geradezu inflationär benutzt und verlieren an Trennschärfe und Aussagekraft. […] Noch immer wird teilweise ohne begrifflichen Konsens über informelle Lernprozesse geforscht und manchmal nur scheinbar über denselben Gegenstand debattiert.« (Rauschenbach/Düx/Sass 2007: 7)
Dies hängt einerseits mit der schwierigen Übertragbarkeit von Begriffen und Definitionen in andere sprachliche und kulturelle Kontexte zusammen, wie dies bei dem deutschen Begriff ›Bildung‹ offensichtlich ist, für den es keine adäquate englischsprachige Bezeichnung gibt. Andererseits ist dies auf die Besonderheiten der Disziplinen zurück zu führen, deren Paradigmenvielfalt eine notwendige Konsequenz unterschiedlicher erkenntnis- und wissenschaftstheoretischer Positionen und Weltbilder ist und trotz der hieraus resultierenden vermeintlichen Uneindeutigkeit als Charakteristikum und Qualitätsmerkmal postmoderner Sozialwissenschaften gedeutet werden kann. Um dennoch im Folgenden einige Gedanken zu der Qualität von Bildung und Lernen im informellen Setting des urbanen Raumes darstellen zu können, erscheint mir daher eine kurze theoretische Rahmung der hierfür notwendigen Begriffe unumgänglich. Dementsprechend werde ich in diesem Kapitel einige Überlegungen zum Begriff des Lernens darstellen und hieraus eine vorläufige Definition von Kompetenz ableiten. Anschließend werde ich die beiden Konzepte (urbaner) Raum und pädagogische Qualität definieren, welche für die anschließenden Analysen unumgänglich erscheinen. 1.1 Informelles Lernen Der Begriff des Lernens verweist auf eine »Verständnis suchende konstruktive Verarbeitung von Informationen und Erfahrungen« (Dohmen 2016: 52). Hiermit kann Lernen in einer ersten Annäherung abgegrenzt werden gegenüber unbewussten Sozialisationsvorgängen einerseits und einem festen Kanon an Wissen als bereits akkumuliertes inkorporiertes kulturelles Kapital (vgl. Bourdieu 1987) andererseits. Insbesondere der aktivistische Charakter des Lernens als eigenständige Auseinandersetzung mit Sich und der Welt verweist die Erziehungswissenschaft auf den Umstand, dass Lernen einen vom Subjekt gesteuerten Prozess darstellt, welcher nicht uneingeschränkt von außen, durch Lehrinhalte planmäßig gelenkt
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werden kann, sondern von der produktiven Realitätsverarbeitung des Subjekts (vgl. Hurrelmann 1983) abhängig ist. Mit diesem Verständnis von Lernen wird deutlich, dass es keinen strukturellen Unterschied in der Lernaktivität zwischen dem Lernen im formellen Rahmen des Bildungssystems und dem informellen Setting der Familie, der Peergroup oder des Quartiers gibt. In all diesen Bereichen kann nur selbstständig durch das Subjekt gelernt werden. Diese Einsicht weist dem formellen, non-formalen und informellen Rahmen von Lernprozessen aus lerntheoretischer Sicht den gleichen Stellenwert zu.1 Mit Thomas Rauschenbach lassen sich die Begriffe des formellen, non-formalen und informellen Lernens in Bezug auf die internationale Debatte gegeneinander abgrenzen: »formelles Lernen für schulische Lernprozesse, non-formales Lernen für Bildungsprozesse an klar umrissenen Orten mit einem allerdings nur partiell formulierten Bildungsauftrag jenseits von Schule, Berufsbildung und Hochschule sowie informelles Lernen für beiläufige, ungeplante Lernprozesse in nicht-inszenierten Settings und ohne expliziten Bildungsauftrag« (Rauschenbach 2016: 804).
Die bisherigen Ausführungen machen jedoch deutlich, dass das Lernen als subjektgesteuerter Prozess selbst nicht als formell oder informell zu klassifizieren ist, sondern vielmehr innerhalb eines Settings stattfindet, welches aus gesellschaftlicher oder professioneller Perspektive als formell, non-formal oder informell bezeichnet werden kann und somit weniger die Form des Lernens, als die Intention des Lehrens bezeichnet. Dementsprechend kann Rauschenbach dahingehend ergänzt werden, dass hier von Lernprozessen im formellen, non-formalen und informellen Setting zu sprechen ist. Was und wie in dem jeweiligen Setting gelernt wird und ob dieses mit der Lehrintention übereinstimmt, ist jedoch von außen nicht festzulegen. Vielmehr ist jedes Setting für unterschiedliche Lernprozesse nutzbar (vgl. Zinnecker 1978). Bildung oder, um die internationale Begriffsverwendung aufzugreifen, Kompetenz, kann dementsprechend für die vorliegende Untersuchung als inkorporiertes Ergebnis dieser Lernprozesse verstanden werden.2 1
Aus einer machttheoretischen Perspektive hingegen müssen die in dem jeweiligen Rahmen durch Lernen erworbenen Kompetenzen differenzierter bewertet werden. Ich gehe hierauf in Abschnitt 4 genauer ein.
2
Innerhalb der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft wird teilweise versucht, den Bildungsbegriff in Anlehnung an Wilhelm von Humboldt neu zu bestimmen (vgl. Kokemohr 1992; Koller 2011). »In informationstheoretischer Terminologie formuliert lässt sich Lernen demzufolge als Prozess der Aufnahme, Aneignung und Verarbeitung
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1.2 (Urbaner) Raum Die nachfolgenden Überlegungen nehmen den urbanen Raum als informellen Rahmen von Lernprozessen in den Blick. Doch: »Der Raum ist nicht mehr das, was er einmal war.« (Augé 1994: 34) Dieses Zitat von Marc Augé verweist auf die Veränderungen des Raumbildes in den Sozialwissenschaften nach dem »spatial turn« der Jahre 1990 bis 2000. Raum wird hierbei nicht länger im Sinne eines absolutistischen Raumverständnisses als ein Container begriffen, der unabhängig vom Handeln der gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure existiert und in dem sich die Menschen als Körper bewegen. Vielmehr kann es heute als State of the Art der Sozialwissenschaften angesehen werden, Raum nicht nur als gegebene materielle Größe zu begreifen, sondern auch als eine spezifische gesellschaftliche Struktur, die durch Handeln geschaffen wird und diese gleichzeitig strukturiert. Martina Löw definiert Räume dementsprechend als »relationale (An-)Ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern an Orten« (Löw 2012: 212). Hierbei begreift sie Orte als einen konkret benennbaren Platz oder eine Stelle, an welcher sich unterschiedliche Räume, abhängig von den gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren konstituieren können. Die (An-)Ordnung verweist hierbei sowohl auf die Strukturdimension des Raumes als Ordnung, als auch auf die Handlungsdimension als Anordnung (vgl. ebd.: 224). »Raum ist demzufolge ein Hybrid aus materiellen Bedingungen und sozialer Nutzung.« (Löw/Geier 2014: 129) Auf der Ebene der Raumkonstitution unterscheidet Löw zwei unterschiedliche, sich ergänzende Prozesse: Spacing und Syntheseleistung. Spacing wird verstanden als das Errichten, Bauen und Platzieren von Menschen und sozialen Gütern an Orten (vgl. Löw 2012: 158). Hierbei wird jegliches Handeln innerhalb von Räumen als Moment des Spacings betrachtet, welches auch die Selbstpräsentationen der Personen und Bewegungen mit einschließt. Die Entstehung von Räumen als (An-)Ordnung von Menschen und Gegenständen an Orten macht auf die Notwendigkeit der Verknüpfung dieser Elemente aufmerksam. Dieser Prozess wird von Löw als Syntheseleistung bezeichnet. Über Wahrnehmungs-, Vorstellungs- oder Erinnerungsprozesse werden Güter und Menschen zu Räumen zusammengefasst (vgl. ebd.: 159).
neuer Informationen verstehen, bei dem jedoch der Rahmen, innerhalb dessen die Informationsverarbeitung erfolgt, selber unangetastet bleibt. Bildungsprozesse sind in dieser Perspektive dagegen als Lernprozesse höherer Ordnung zu verstehen, bei denen nicht nur neue Informationen angeeignet werden, sondern auch der Modus der Informationsverarbeitung sich grundlegend ändert.« (Koller 2011: 15) Diese Debatte vertieft aufzugreifen erscheint für die Argumentation innerhalb dieses Beitrages jedoch unnötig.
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Die urbane Stadt lässt sich in einer ersten Annäherung mit Louis Wirth als »eine relativ große, dicht besiedelte und dauerhafte Niederlassung gesellschaftlich heterogener Individuen« (Wirth 1974: 48) beschreiben. Das dieser Untersuchung zugrundeliegende Verständnis von Urbanität geht jedoch darüber hinaus und versteht sowohl die lebensweltliche Differenz von Privatheit und Öffentlichkeit (vgl. Bahrdt 1961: 61), als auch die notwendige Konfrontation mit dem Fremden als Bedingung urbaner Lebensweise. Urbane Räume zeichnen sich durch das ungeplante, chaotische und unregulierte Handeln und Erleben der Menschen aus. »Die urbane Stadt gewinnt ihre Faszination gerade aus der Widersprüchlichkeit von Ordnung und Chaos. Urbanität enthält ein widerständiges, ein chaotisches und anarchisches Element. Gerade das Ungeplante, das Nicht-Gewollte, das Überraschende und Fremde sind wesentliche Elemente einer urbanen Situation.« (Häußermann/Siebel 1992: 10)
Urbanität bietet somit auch Freiräume und Nischen für unterschiedliche Lebensentwürfe und Wertvorstellungen. 1.3 Pädagogische Qualität Die Debatte um eine, im Sinne der Fachwissenschaft sowie im Interesse der Klientinnen und Klienten, angemessene Praxis ist Bestandteil und Voraussetzung einer reflektierten Disziplin und Profession. Diese fachlichen Debatten weisen jedoch auch darauf hin, dass die Qualität von pädagogischer Praxis nicht objektiv bestimmbar, sondern notwendig abhängig ist von den differenten Erwartungen, die unterschiedliche Akteurinnen und Akteure an das pädagogische Handeln stellen. Und diese Erwartungen sind wiederum geprägt von den je vorherrschenden oder individuell vertretenen Menschen- und Weltbildern, sowie den hiermit zusammenhängenden Zielsetzungen des pädagogischen Handelns. So bezieht sich die Qualitätsdebatte innerhalb der Sozialen Arbeit aktuell, ablehnend wie affirmativ, hauptsächlich auf eine betriebswirtschaftliche Ausgestaltung der Angebote im Sinne des New Public Management (NPM). »Das Qualitätskonzept des NPM wiederum lässt sich zurückführen auf Unternehmenspraktiken und daraus abgeleiteten Managementansätzen, die in der Wirtschaft seit Ende der 1970er Jahre entwickelt wurden und seitdem durch die akademische Betriebswirtschaftslehre, international agierende Unternehmensberatungen und sonstige Akteure zur neuen ideologischen Konfiguration des Kapitalismus geworden sind.« (Dahme/Wohlfahrt 2011: 1176)
36 | T HORBEN STRUCK »Wir neigen dazu, Qualität umstandslos mit gut zu assoziieren statt davon auszugehen, dass sie immer ein Ergebnis von Definition in jeweiligen historischen und Kräftekontexten ist. Um sich ihres Gehaltes zu vergewissern, muss das Interesse darauf gerichtet werden, den Prozess der Definition und die daran Beteiligten im Auge zu haben.« (Rose 2004: 211)
2. P ROBLEME
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In formellen Lernsettings löste die erste PISA-Studie im Jahr 2000 eine Konjunktur der Messung des Lernerfolges aus (vgl. Moskaliuk/Cress 2016: 660). In internationalen Vergleichsstudien soll die Wettbewerbsfähigkeit der nachwachsenden Generationen innerhalb einer globalisierten Weltgesellschaft überprüft werden. Abweichungen von Spitzenpositionen sorgen regelmäßig für fast panikartige gesellschaftliche Debatten, weit über den Rahmen der Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung hinaus.3 In dem formellen Rahmen der Bildungsinstitutionen erscheint die Messung des Lernerfolges und der hier erworbenen Kompetenzen einfach. So werden in den PISA-Studien die Kompetenzen von 15-jährigen Jugendlichen aus allen vorhandenen Schulformen innerhalb von drei, durch das PISA-Konsortium definierten, Bereichen (Lesefähigkeit, Mathematik, naturwissenschaftliche Grundkenntnisse) anhand repräsentativer Stichproben erhoben und international miteinander verglichen. Hierbei wird jedoch deutlich, dass nicht die Lernprozesse, sondern die Ergebnisse des Lernens und somit die Kompetenzen untersucht werden. Dies ist im formellen Setting der Bildungsinstitutionen mit vorgegebenen Lernzielen, definierten Kompetenzstufen und/oder Curricula beispielsweise mittels eines Abgleichs zwischen einem Ist- und einem Soll-Wert, eines Vorher-Nachher-Vergleiches oder eines Vergleiches zwischen unterschiedlichen Personen möglich. Diese Verfahren lassen sich jedoch nicht einfach auf Kompetenzen übertragen, welche in informellen Lernsettings (bzw. auf der Hinterbühne4 (vgl. Zinnecker 1978) der formellen und
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So titelte etwa der Spiegel in seiner Ausgabe 50/2001 »Sind deutsche Schüler doof?« und veröffentlichte einen Leitartikel mit Bezug auf die erste PISA-Studie unter dem Titel »Mangelhaft. Setzen« (vgl. Darnstädt et al. 2001).
4
»Alle Handlungssituationen, in denen die Beteiligten die offiziellen Zwecke und Regeln in den Vordergrund ihres Handelns rücken, fassen wir als die ›Vorderbühne‹ der Institution zusammen. Alle Handlungssituationen, in denen das Unterleben der Institution vorrangig thematisiert wird, rechnen wir zur ›Hinterbühne‹.« (Zinnecker 1978: 34)
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non-formalen Bildungsbereiche) erworben wurden. Einerseits sind die hier zu erwerbenden Kompetenzen nicht durch Lernziele festgelegt, andererseits kann alles zum Gegenstand nicht-intendierten Lernens werden. Welche Sachverhalte, Gegenstände oder Ereignisse von den Subjekten im alltäglichen Erleben als Lernmittel genutzt werden und welche Kompetenzen die Auseinandersetzung mit diesen ermöglicht, ist unmöglich im Voraus und von außen festzulegen. »Während sich kulturelle und instrumentelle Kompetenzen, die in unserer Gesellschaft überwiegend im formalen Bildungssystem erworben werden, wie etwa Sach- und Fachwissen oder handwerklich-technische Fähigkeiten, noch relativ präzise überprüfen und messen lassen, erweist sich dies als weitaus schwieriger für soziale und personale Kompetenzen wie beispielsweise Toleranz, Empathie, Mut oder Durchhaltevermögen, die insbesondere in lebensweltlichen Kontexten angeeignet werden (wie z.B. Familie, Freundeskreis, freiwilliges Engagement). Zudem entziehen sich diese lebensweltlichen Bereiche selbst auch stärker einer empirischen Erforschung und Erfassung als das formale Bildungs- und Ausbildungssystem.« (Rauschenbach/Düx/Sass 2007: 8)
Die dargestellte Definition von Lernen, welches sich nicht definitorisch präzise in formell, non-formal und informell differenzieren lässt, macht darauf aufmerksam, dass sowohl in formellen, als auch in non-formalen Lernsettings nicht-intendiertes Lernen stattfindet. Nicht-intendierte Lernprozesse im formalen Rahmen etwa der Schule lassen sich indes kaum empirisch fassen.5 Die Ausführungen zu der Messung und Bestimmung der Lernerfolge im formellen Bildungssystem machen deutlich, dass hierfür Kriterien festgelegt werden müssen, welche als wünschenswerte Lernziele gelten, um anschließend deren Erreichung zu überprüfen. Somit kann für die vorliegende Untersuchung festgehalten werden, dass die Qualität von Lernprozessen und der hieraus erwachsenden Kompetenzen abhängig ist von der Definition machtvoller gesellschaftlicher Akteurinnen und Akteure. Die Qualität von Lernprozessen und Kompetenzen, sowohl im formellen, als auch im informellen Rahmen, soll somit über eine machttheoretische Fundierung bestimmt werden. Heinz Sünker bringt den Kampf um die Deutungshoheit der Qualität von Lernprozessen und Kompetenzen auf den Punkt, 5
Paul Willis Studie ›Learning to Labour‹ verweist anschaulich auf mögliche, nicht-intendierte Lernprozesse von Jugendlichen innerhalb des formalen Rahmens der Schule, wenn er etwa die Auseinandersetzung der Jugendgruppe der lads mit den Lehrerinnen und Lehrern beschreibt (vgl. Willis 2013: 42ff.). Die Operationalisierung des Lernens als Aneignung neuer Kenntnisse gegenüber einer bloßen Reproduktion bereits vorhandenen Wissens ist jedoch auch in diesem Beispiel schwierig.
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wenn er schreibt: »Bildung ist […] in ihrer Semantik, ihren Konzepten umkämpft: Es verknüpfen sich mit den jeweiligen Ansätzen Traditionen wie Positionen, die mit gesellschaftlichen Interessen, klassenmäßigen Vorteilen und Vorurteilen, politischen Perspektiven vermittelt sind.« (Sünker 2011: 253) Dies betrifft nicht nur die im formellen Bildungssystem erworbenen, sondern auch die im informellen Setting angeeigneten Kompetenzen. Dies werde ich im Folgenden plausibilisieren, um Konsequenzen für ein Verständnis von Lernprozessen bzw. Kompetenzerwerb im informellen Rahmen abzuleiten.
3. W ER ENTSCHEIDET ,
WAS EINE
K OMPETENZ IST ?
Sowohl in den PISA-Studien, als auch im formellen Bildungssystem, erfolgt die Messung des Lernerfolges also durch die Überprüfung zuvor definierter Lernziele und zu erreichender Kompetenzen. Dieser Sachverhalt macht darauf aufmerksam, dass bei einer kritischen Bewertung der Qualität von Lernprozessen und Kompetenzen, sowohl im formellen, als auch im informellen Setting stets die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion dieser Lernprozesse bzw. Kompetenzen und die Position der diese definierenden gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure sowie Institutionen gestellt werden muss. Eine universalistische Definition der Kompetenzen, wie dies in den PISA-Studien durch die festgelegten Kernkompetenzen dargestellt ist, verschleiert die dahinterstehenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen (vgl. Seukwa 2007: 298). Abweichende individuelle Fähigkeiten werden entweder nicht wahrgenommen oder sogar negativ sanktioniert. Somit müssen die Kompetenzdefinition und die Bewertung der durch Lernen angeeigneten Fähigkeiten unter dem Blickwinkel der gesellschaftlichen Reproduktion betrachtet werden.
4. G ESELLSCHAFTLICHE R EPRODUKTION SOZIALER U NGLEICHHEIT IM FORMELLEN UND INFORMELLEN B ILDUNGSSEKTOR Für den Bereich des formellen Bildungssystems hat Pierre Bourdieu gemeinsam mit Jean-Claude Passeron bereits vor über vierzig Jahren die Reproduktion der gesellschaftlichen Ungleichheit nachgewiesen (vgl. Bourdieu/Passeron 1971). Sie zeigten, wie es den herrschenden gesellschaftlichen Klassenfraktionen auch unter sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen gelingt, ihre gesellschaftliche Position und die hiermit verbundenen Privilegien an die eigenen Nachkommen zu
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übertragen. Eine weitgehende Überschneidung des Habitus der Schülerinnen und Schüler aus privilegierten Verhältnissen mit denen der Lehrenden in den Bildungsinstitutionen (welche tendenziell aus ähnlichen Verhältnissen stammen) sorgt dafür, dass diese Kinder instinktiv wissen, welches Verhalten von ihnen dort verlangt und dementsprechend positiv sanktioniert wird. Diese Schülerinnen und Schüler haben sich frühzeitig die kulturellen Muster, die für eine erfolgreiche Schullaufbahn notwendig sind, im Habitus angeeignet. Im Gegensatz hierzu stehen die kulturellen Praktiken innerhalb der beherrschten Klassenfraktionen häufig im Widerspruch zu den Anforderungen des formellen Bildungswesens (vgl. ebd.: 40). Auch die Kompetenzen, welche junge Menschen unter den spezifischen Bedingungen des Aufwachsens erworben haben, stehen je nach gesellschaftlicher Position im Einklang mit den Kompetenzdefinitionen und -anforderungen des formellen Bildungssystems oder weichen von diesen ab bzw. stehen teilweise in Opposition zu diesen. Das deutsche Bildungssystem gründet jedoch auf dem Mythos, dass alle Schülerinnen und Schüler die gleichen Chancen zum Kompetenzerwerb und zur erfolgreichen Lernlaufbahn hätten. Die vor Schuleintritt im informellen Rahmen erworbenen individuellen Fähigkeiten und deren Nähe oder Differenz zu einer schulischen Kompetenzdefinition werden zumeist nicht beachtet. Somit stellt das Schulsystem diejenige Instanz dar, die soziale Ungleichheit nicht nur reproduziert, sondern durch die Vergabe von (Abschluss-)Zeugnissen auch rechtlich legitimiert. Ullrich Bauer betont in Bezug auf die Forschungen von Bourdieu und Passeron, dass ein Gelingen der Bildungslaufbahn im formellen Bereich somit von der Nähe des Habitus und der angeeigneten Kompetenzen zu den Anforderungen des Schulsystems abhängt (vgl. Bauer 2002: 422). »Dieser Abstand strukturiert, ob schulische Bildung als Weiter-Bildung dessen, was ohnehin schon angelegt ist, oder als Dekulturation, nämlich als Bruch mit den Erfahrungen und Fähigkeiten der Primärsozialisation und deshalb nur abgeschwächt wirkt.« (ebd.)
Für die Schüler und Schülerinnen, welche aufgrund unterschiedlicher sozialer Voraussetzungen im Bildungssystem tendenziell schlechter abschneiden, erscheint dies als individuelles und selbstverschuldetes Versagen. Die tatsächlich wirksamen Herrschaftsstrukturen und deren Reproduktion bleiben in diesem Verhältnis oftmals unsichtbar.
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Vor dem Hintergrund dieser auch heute noch bestehenden und in vielen Studien nachgewiesenen Chancenungleichheit innerhalb des formellen Bildungssystems, wird mit dem Lernen im informellen Bereich bildungspolitisch häufig die Hoffnung nach mehr Bildungsgerechtigkeit und einer Verringerung der sozialen Ungleichheit verbunden (vgl. Rohs 2016: VI). Beispielsweise versucht man, auch im alltagsweltlichen, informellen Setting Lernprozesse pädagogisch zu initiieren. Dies widerspricht jedoch grundlegend der Struktur informeller Lernprozesse, denn mit der Pädagogisierung von Lernprozessen ist immer auch deren Formalisierung verbunden. Oppositionelles oder widerständiges Handeln können dann nicht mehr als Lernprozess und als Kompetenz anerkannt werden, sondern erscheinen ausschließlich als Abweichung von definierten Lernzielen. Die pädagogische Übertragung der im formellen Bildungssystem geforderten Kompetenzen auf vormals informelle, alltagsweltliche Lernsettings, führt somit nicht zu einem Abbau sozialer Ungleichheit, sondern steht in der Gefahr, diese weiter zu verstärken und gesellschaftliche Ungleichheit zu reproduzieren. Innerhalb der aktuellen Gesellschaftsformation schlagen sich soziale Ungleichheiten auch räumlich in sozialer und residenzieller Segregation nieder (vgl. Farwick 2011: 387f.; Kronauer 2010: 215f.; Harvey 2013: 65ff.). Es entstehen Räume der Ausgrenzung, in denen sich Bewohnerinnen und Bewohner konzentrieren, welche von sozialen Entkopplungsprozessen betroffen oder bedroht sind und die einen eingeschränkten Zugang zu den gesellschaftlichen Ressourcen haben. Hier lässt sich ein zirkulärer Zusammenhang zwischen einer räumlichen Positionierung in bestimmten Quartieren und einer Benachteiligung innerhalb des formellen Bildungssystems ausmachen. Diese Räume unterliegen häufig hegemonialen gesellschaftlichen Diskursen, welche den Bewohnerinnen und Bewohnern ein sozial oder kulturell abweichendes Verhalten (von einer vermeintlichen Norm der Mehrheitsgesellschaft) zuschreiben (vgl. Buckel 2014: 160). Folgerichtig werden die zu erwerbenden alltagsweltlichen Kompetenzen innerhalb des formellen und nonformalen Bildungssystems nicht anerkannt oder als abweichend und störend abgewertet. Unter Bezug auf das beschriebene relationale Raumverständnis scheint die gängige empirische und theoretische Beschäftigung mit nicht-intendiertem Lernen im urbanen Raum des Weiteren, das Handeln auf eine passive Rezeption des als absolutistisch begriffenen Raumes zu verkürzen (vgl. Reutlinger 2004: 189). Die Handlungsdimension des Raumes als Spacing und Syntheseleistung wird hierbei kaum beachtet (vgl. Löw 2012: 158ff.). Bewältigungshandlungen und Bildungsaufgaben drohen, insbesondere dann, wenn sie nicht nach der systemrationalen Logik funktionieren, in der Unsichtbarkeit zu versinken (vgl. Reutlinger
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2004: 189). Raumbezogene Handlungen können innerhalb eines absolutistischen Raumverständnisses dann nur als disziplinierte Anpassung oder Abweichung in Bezug auf die materielle und symbolische Struktur begriffen werden. Subtilere Formen der Opposition und des Widerstands gegen gesellschaftliche Strukturen durch Raumbildung und -gestaltung werden hierbei nicht erkannt und den Akteurinnen und Akteuren somit innerhalb der Forschung eine passive Rolle zugeschrieben. Dieser Prozess der Passivisierung der Menschen bleibt jedoch nicht ein Problem der empirischen Forschung, sondern wird, auch insbesondere durch die aktuelle Diskussion um Sozialraumorientierung innerhalb der Jugendhilfe, wirkmächtig.6 Hierbei werden ganze Quartiere oder bürokratisch definierte Stadtteile als benachteiligt markiert und im Sinne eines Containerraumes deren Bewohnerinnen und Bewohner bzw. Nutzerinnen und Nutzer als ›Opfer‹ der räumlich-physischen Struktur begriffen, welche sozialer Unterstützung bedürfen. Gesamtgesellschaftlich hergestellte und relevante Probleme werden hierbei in territoriale Probleme umgedeutet und sollen lokal gelöst werden (vgl. Dirks/Kessl 2012: 10). »Schon die Kartographierung einzelner Wohnareale als benachteiligt führt an vielen Stellen erst zur Verfestigung und weiteren Homogenisierung von Arealen benachteiligter Bewohnerinnen und Bewohner.« (Kessl 2001: 50)
5. W ELCHEN F OKUS AUF L ERNEN IM S ETTING BRAUCHT P ÄDAGOGIK ?
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Vor dem Hintergrund der beschriebenen Gefahren einer Reproduktion gesellschaftlicher Ungleichheit im Zuge der Qualitätsbestimmung im formellen, nonformalen und auch informellen Bildungsbereich benötigt die Pädagogik eine erweiterte Perspektive auf Lernprozesse im informellen Setting bzw. auf nicht-intendierte Lernformen und die hier erarbeiteten lebensweltlichen Kompetenzen, welche auch oppositionelles, widerständiges und subversives Handeln miteinschließt. Somit geraten die Bewältigungshandlungen von Subjekten in der Konfrontation mit alltäglichen Entfremdungsstrukturen in den Blick. Louis Henri Seukwa hat anhand einer empirischen Untersuchung zu dem Kompetenztransfer
6
Als Beispiel hierfür sei die aktuelle Diskussion zur Umsteuerung des Rechtsanspruchs auf Hilfen zur Erziehung (HZE) in sozialräumlich verankerte Sozialräumliche Hilfen und Angebote (SHA) in Hamburg genannt. Vgl. hierzu auch den Beitrag von Beume/Klinger in diesem Band.
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junger afrikanischer Geflüchteter in die Aufnahmegesellschaft eine Ressourcenhypothese der Erziehungswissenschaft formuliert, welche für die hier angeführte Problemstellung als gewinnbringend erscheint. In dieser Perspektive wird das beherrschte, aber nicht passive Subjekt verstanden als »ein Subjekt, das nicht länger nur unter dem Gesichtspunkt des Habens (der Kapitalkonstellation) wahrgenommen wird, sondern vor allem unter dem Gesichtspunkt der Aktion, die […] den Prozess der Subjektivierung durch und in der Konfrontation mit den entfremdenden Strukturen in Gang setzt« (Seukwa 2006: 221). Den gesellschaftlichen Subjekten wird somit, trotz teilweise beherrschter gesellschaftlicher Position, Handlungsfähigkeit und Problemlösekompetenz zugesprochen. Darüber hinaus stellen in dieser Perspektive gerade die abweichenden und widerständigen Handlungen eine wichtige Voraussetzung der Erhaltung von Autonomie unter heteronomen Bedingungen dar. Die Analyse der Kompetenzentwicklung gesellschaftlicher Subjekte unter heteronomen Bedingungen geht dieser Perspektive folgend also nicht von universalistisch definierten Kompetenzen aus, sondern fragt, ausgehend von den spezifischen Unterdrückungs- und Entfremdungsstrukturen, nach den Verwirklichungschancen autonomer Lebensführung. Unter dem Blickwinkel dieser Ressourcenhypothese, welche den Subjekten alltagsweltliche Kompetenzen der Lebensführung und Problemlösung auch unter Bedingungen der Entfremdung zuerkennt, braucht es somit also eines erweiterten Verständnisses der Qualität von Lernprozessen und der hier erworbenen Kompetenzen.
6. D ER H ABITUS DER Ü BERLEBENSKUNST D AS U NSICHTBARE SICHTBAR MACHEN
ODER
Louis Henri Seukwa beschreibt den informellen Bildungssektor als »den Ort per Excellence, an dem sich der Einfallsreichtum der ›kleinen Leute‹ zeigt, die in einer schwierigen konjunkturellen Lage zur Sicherung des Überlebens in Entfremdungsstrukturen mit allerlei Strategien und Schlichen eine außergewöhnliche Kreativität an den Tag legen« (ebd.: 198). Er schreibt dem informellen Bildungssektor jedoch nicht nur aufgrund der hier erwerbbaren Kompetenzen, die sich auf spezifische Bereiche des alltäglichen Lebens beziehen, eine hohe Bedeutung zu. Vielmehr geht es ihm darum, aufzuzeigen, dass unter den entfremdeten Bedingungen im alltäglichen Erleben eine allgemeine Fähigkeit bzw. eine besondere Disposition entstehen kann, die es den Akteurinnen und Akteuren ermöglicht, den Entfremdungsstrukturen die Stirn zu bieten (vgl. ebd.: 198f.). Diese übergeordnete
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Kompetenz zweiter Ordnung bezeichnet Seukwa als Habitus der Überlebenskunst. Mit dem Bezug auf Bourdieus Habitustheorie7 verweist Seukwa hier darauf, dass der Habitus der Überlebenskunst auf ähnliche Situationen übertragbar ist und es den Subjekten ermöglicht, in unterschiedlichen Situationen der Unterdrückung und Entfremdung spontan zu reagieren. Die möglichen Handlungsweisen, die sich »dem beherrschten aber nicht passiven Subjekt« (Seukwa 2007: 307) innerhalb des Kräfteverhältnisses der Kultur bieten, um den heteronomen Bedingungen die eigene Aktivität entgegen zu stellen und somit Autonomie zu erhalten, beschreibt Seukwa, im Rückgriff auf Michel de Certeau, als subversive und transversive Taktiken der Beherrschten. »Als eine beeindruckende subversive ›Gebrauchsanweisung‹ für den Umgang mit den repressiven Technologien der Macht charakterisieren diese Mikroprozesse die subtile, hartnäckige Aktivität, den Widerstand eines Subjektes, das Subjekt seines Willens und Handelns, aber nicht des Könnens ist, das, weil es weder einen Ort noch eine ›Eigenheit‹ hat, also ›sich im Netz der etablierten Kräfte und Vorstellungen‹ zurechtfinden muss« (ebd.).
Diesen Taktiken auf Seiten der Beherrschten stellt er die Strategien der Herrschenden entgegen. Diese Strategie »setzt einen Ort voraus, der als etwas Eigenes umschrieben werden kann und der somit als Basis für die Organisierung seiner Beziehungen zu einer bestimmten Außenwelt […] dienen kann« (Certeau 1988: 23). Zusammenfassend formuliert Seukwa: »So lässt sich dieser Habitus [der Überlebenskunst] in seiner Funktionsweise als Ausdruck einer Taktik verstehen; er ist eine Überlebenskunst oder Kompetenz, durch welche die Beherrschten mehr oder weniger wirksam Widerstand gegen die herrschende Macht leisten, ohne sie offen anzugreifen.« (Seukwa 2006: 201; Einfügung: T.S.)
Die beschriebene theoretische Perspektive kann den Blick für die vielgestaltigen Listen und Taktiken öffnen, »die der Disziplin entkommen, ohne jedoch ihren Einflussbereich zu verlassen« (Certeau 1988: 187), der »Kunst der Schwachen, 7
»Die Konditionierungen, die mit einer bestimmten Klasse von Existenzbedingungen verknüpft sind, erzeugen die Habitusformen als Systeme dauerhafter und übertragbarer Dispositionen, als strukturierte Strukturen, die wie geschaffen sind, als strukturierende Strukturen zu fungieren, d.h. als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlagen für Praktiken und Vorstellungen, die objektiv an ihr Ziel angepasst sein können […]« (Bourdieu 2015: 98f.).
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die wie eine Art unsichtbare Guerilla permanente Kämpfe im Kräftefeld der Kultur führen« (Füssel 2013: 28) und somit das Unsichtbare sichtbar machen.
7. B EISPIELE EINER AKTUELLEN EMPIRISCHEN U NTERSUCHUNG ZUM INFORMELLEN L ERNEN UND H ABITUS DER Ü BERLEBENSKUNST UNTER SPEZIFISCHEN HETERONOMEN B EDINGUNGEN
ZUM
In eigenen Forschungen im Zuge meiner Dissertation untersuche ich die empirische Gestalt eines Habitus der Überlebenskunst unter den spezifischen Lebensbedingungen von jungen bulgarischen und rumänischen Minderheitsangehörigen in einem urbanen Quartier einer deutschen Großstadt. Mich interessiert insbesondere, wie es jungen Männern, trotz einer drohenden oder bestehenden Entkopplung vom Erwerbsarbeitsmarkt, gelingt, sich gesellschaftliche Teilhabe, Anerkennung und Selbstwert zu erarbeiten und ihre Handlungsfähigkeit zu erhalten. Vorliegende empirische Forschungsergebnisse, als auch die Erkenntnisse der eigenen Erhebung zeigen, dass in dieser Situation brüchiger Einbindung in das Funktionssystem der Erwerbsarbeit der soziale Nahraum bzw. das Quartier als Bewältigungsraum innerhalb der Lebenswelt an Bedeutung gewinnt (vgl. Kronauer 2010: 218). Entsprechend der angeführten Argumentation kann der Raum hierbei nicht als absolutistischer Behälter wahrgenommen werden, der das Handeln der Subjekte bestimmt. Vielmehr müssen die Handlungen der Akteurinnen und Akteure als raumkonstituierend in den Blick genommen werden. Mit Michel de Certeau kann der verbreiteten Sichtweise, die Stadt durch eine äußere Betrachtung verstehen zu können, eine Perspektive entgegengesetzt werden, die den notwendigen Nachvollzug der alltäglichen Praktiken der Akteurinnen und Akteure als Erkenntnisgegenstand bestimmt. Andernfalls erhalte man nur ein Trugbild der Stadt, welches unter Verkennung der Taktiken der Menschen zustande kommt (vgl. Certeau 1988: 181). Diese »Fiktion des Wissens« verdeutlicht de Certeau unter Rekurs auf die griechische Mythologie und die Linguistik anhand des Blickes von der 110. Etage des World Trade Centers in New York: »Auf dieser Bühne aus Beton, Stahl und Glas, die von einem eisigen Gewässer zwischen zwei Ozeanen […] herausgeschnitten wird, bilden die größten Schriftzeichen der Welt eine gigantische Rhetorik des Exzesses an Verschwendung und Produktion. […] Wer dort hinaufsteigt, verlässt die Masse, die jede Identität von Produzenten und Zuschauern mit sich fortreißt und verwischt. Als Ikarus dort oben über diesen Wassern kann er die Listen des Daedalus in jenen beweglichen und endlosen Labyrinthen vergessen. […] Ausschließlich
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dieser Blickpunkt zu sein, das ist die Fiktion des Wissens. […] Der Wille die Stadt zu sehen, ist den Möglichkeiten seiner Erfüllung vorausgeeilt.« (ebd.: 180f.)
Die alltäglichen Praktiken sind es jedoch, welche aus dem Konzept der Stadt gelebte Räume machen. Die taktische (Um-)Nutzung und Gestaltung des Raumes stellt auch für junge Erwachsene aus marginalisierten Quartieren eine Möglichkeit dar, den Machtstrukturen aktiv zu begegnen und somit die ihnen gesellschaftlich zugewiesene passive Rolle zu verlassen. Um diese alltäglichen Taktiken und die Produktion des Raumes nachvollziehen zu können, habe ich mich für eine ethnographische Erhebung entschieden, die es ermöglicht, diejenigen »Handlungsweisen [zu]verfolgen, die sich […] in einer wuchernden Gesetzwidrigkeit verstärkt und entwickelt haben und dabei in die Netze der Überwachung eingesickert sind, indem sie sich durch nicht lesbare, aber stabile Taktiken derart miteinander verbunden haben, dass sie zu alltäglichem Ablauf und unauffälliger Kreativität geworden sind, welche bloß von den heute kopflosen Dispositiven und Diskursen der überwachenden Organisationen nicht gesehen werden« (ebd.: 186; Einfügung T.S.). Das ethnographische Vorgehen ist auch notwendig, um den meist unbewussten Äußerungen eines Habitus nachspüren zu können, welcher sich in der Konfrontation mit Entfremdungsstrukturen äußert. Hierbei konnte auch die Bedeutung des alltäglichen Lernens im informellen Setting des Quartiers festgestellt werden. Aufgrund mangelnder Literacy und wenig institutionalisiertem kulturellen Kapital sind die jungen Männer in allen Tätigkeiten, die ihnen das alltägliche Überleben sichern, auf im informellen Sektor erworbene Fähigkeiten angewiesen. So berichtete mir ein junger Mann, der bisher sein Einkommen hauptsächlich aus dem Handel mit kleinen Mengen Marihuana bestritten hat, dass er gerne einer geregelten Arbeit nachgehen möchte. Hierzu habe er sich bei einem der vielen türkischen Friseursalons in dem Stadtteil beworben, weil er aufgrund seiner Alltagserfahrung »das gut kann, rasieren und so«. Der Ladenbetreiber habe ihn daraufhin zur Probe arbeiten lassen und anschließend eine reguläre Anstellung in Aussicht gestellt. Ein weiterer junger Mann hat nach monatelanger Suche nun eine Anstellung als Küchenhilfe in einem asiatischen Schnellimbiss erhalten. Er kann auf Kenntnisse der Speisenzubereitung zurückgreifen, die er innerhalb der prekären Lebensbedingungen in Bulgarien erworben und unter den schwierigen ökonomischen Bedingungen in Deutschland ausgebaut hat. So ist mir bei meinen teilnehmenden Beobachtungen mehrmals aufgefallen, dass er sehr geschickt im Zerlegen und Zubereiten von Fleisch ist. Diese Fähigkeit ist auch im Alltag außerhalb der Erwerbsarbeit nützlich, weil er günstige Fleischreste beim Schlachter kaufen und selbständig zerlegen kann, um sich und seine
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kleine Familie, trotz eines sehr eingeschränkten monetären Budgets, recht abwechslungsreich zu ernähren. Darüber hinaus ermöglicht diese günstige Nahrungszubereitung es ihm, auch Gäste zum Essen einzuladen und somit das verfügbare soziale Kapital auszubauen. Doch auch der Alltag der jungen Männer auf den Straßen des Stadtteils braucht Kompetenzen, welche im informellen Rahmen des Quartiers erworben und angewendet werden. So sind die jungen Männer in der Lage, schnell auf unbekannte oder unvorhergesehene Situationen zu reagieren und diese für sich zu nutzen. Aufgrund ihrer prekären sozialen Absicherung sind die jungen Männer ganz im Sinne der Beschreibung von Michel de Certeau immer darauf angewiesen, jede Gelegenheit, Geld zu verdienen, »im Fluge zu erfassen« (ebd.: 23).8 So streifen die jungen Männer häufig durch das Quartier und suchen nach Gelegenheitsarbeiten oder betätigen sich als Zwischenhändler im Bereich grauer oder illegaler Ökonomie, wenn sich hierfür eine Möglichkeit bietet. Eine Straßenkreuzung im Stadtteil dient ihnen als regelmäßiger Treffpunkt, an dem soziale Kontakte gepflegt und Geschäfte vorbereitet und abgeschlossen werden können. Die erwirtschafteten Gewinne reichen jedoch meist nur aus, um die grundlegenden Bedürfnisse der Familie zu befriedigen und ein kleines Stück soziale Teilhabe zu ermöglichen. Daraus ergibt sich ein sehr anstrengender Lebensstil zwischen Warten und Zeit totschlagen einerseits und immer bereit sein, eine Gelegenheit zu ergreifen andererseits, welchen ein junger Mann anschaulich verdeutlichte, als er auf meine Frage nach seinen Plänen für den folgenden Tag antwortete: »Ich kann keine Pläne machen, ich habe so viele Probleme«. Im Umgang mit Behörden setzen die jungen Männer die ihnen zugeschriebene ›Fremdheit‹ häufig als Ressource ein, um Nachteile aufgrund ihrer sozialen Position und ethnisch-kultureller Zuschreibung auszugleichen. So täuschen sie teilweise sprachliche Missverständnisse vor, um den Anweisungen von staatlich legitimierten Autoritätspersonen nicht nachkommen zu müssen bzw. diese in ihrem Sinne umzudeuten.
8. F AZIT
UND
AUSBLICK
Innerhalb des Artikels wurde aufgezeigt, dass eine Definition der pädagogischen Qualität von Lernen im informellen Setting bzw. von nicht-intendierten Lernfor-
8
Auch in ihrer groß angelegten empirischen Studie zu sozialen Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel in Deutschland weisen Vester et al. auf die notwendige Gelegenheitsorientierung der unterprivilegierten Milieus zur Alltagsbewältigung hin (vgl. Vester et al. 2001: 92f.).
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men Gefahr läuft, gesellschaftliche Ungleichheiten zu reproduzieren und Handlungsweisen, die nicht mit universalistisch definierten Kompetenzen im Einklang stehen, unsichtbar zu machen. Eine emanzipatorische Perspektive auf alltagsweltliche Lernprozesse und die hier angeeigneten Kompetenzen muss daher gegenüber diesem eingeschränkten Blick insbesondere die Fähigkeiten in den Fokus nehmen, die es den Menschen erlauben, heteronome Bedingungen zu bewältigen und die eigene Autonomie zu erhalten. Mit dem Habitus der Überlebenskunst wird hier eine Perspektive eingenommen, welche, ausgehend von den alltäglichen Entfremdungsstrukturen, die Resilienzfähigkeit der Subjekte in den Blick nimmt und deren taktische Bewältigungshandlungen sichtbar macht. Im Sinne eines erziehungswissenschaftlichen Ressourcenansatzes werden den jungen Männern der vorgestellten empirischen Untersuchung somit Kompetenzen der Lebensbewältigung zugesprochen. Hierbei bestimmt sich die Qualität sozialer Bildungsprozesse nicht durch das Lernsetting oder eine Hierarchisierung zwischen den unterschiedlichen Bereichen, sondern durch die subjektive Bedeutsamkeit und Nutzbarkeit der angeeigneten Kompetenzen zur (Wieder-)Herstellung von Handlungsfähigkeit. Darüber hinaus können die Richtung und der Inhalt gelingenden Lernens nicht durch einheitliche Werte, Normen oder Erwartungen bestimmt werden. Vor diesem Hintergrund kann auch soziale Bildungsarbeit die Legitimität ihres Handelns nicht anhand übergeordneter universalistisch definierter Qualitätsmerkmale bestimmen, sondern alleine durch die Fokussierung der Verwirklichung von Autonomie und der Befreiung der Adressatinnen und Adressaten aus Unmündigkeit und Handlungsunfähigkeit begründen. Die empirischen Darstellungen haben deutlich gemacht, dass diese jungen Männer, welche aus der Sicht standardisierter Qualitätsmessungen aufgrund fehlender oder mangelhafter Literacy als defizitär wahrgenommen werden, über vielfältige Fähigkeiten der Überwindung und des Unterlaufens struktureller Hindernisse verfügen. Dabei sind diese Fähigkeiten nicht auf einzelne Sachverhalte beschränkt, sondern stellen vielmehr eine grundlegende Disposition dar. Dies wird beispielsweise anhand der Fähigkeit deutlich, differente Gelegenheiten zum Gelderwerb oder zur sozialen Teilhabe spontan dann zu ergreifen, wenn diese sich den jungen Männern bieten. Aufgrund dieser übergeordneten Disposition scheint es mir angebracht, im Sinne Seukwas von einem Habitus der Überlebenskunst zu sprechen, als die »Fähigkeit, nicht als Opfer der widrigen Umstände zu resignieren« (Seukwa 2006: 256). Hierbei geht die theoretische und empirische Analyse der konkreten Gestalt dieses Habitus im Gegensatz zu den im formellen Bildungsbereich verbreiteten Qualitätsmessungen nicht von universalistisch definierten Kompetenzen aus, sondern nimmt die heterogenen gesellschaftlichen Strukturen
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als Ausgangspunkt, um nach subjektiven Taktiken zur Bewältigung dieser Strukturen und zur (Wieder-)Herstellung von Handlungsfähigkeit zu fragen. Insbesondere der urbane öffentliche Raum des Stadtteils, der Untersuchungsgebiet der empirischen Studie ist, wird von den jungen Männern als informeller Lernort und als Ressource zur Lebensbewältigung und Überwindung von gesellschaftlichen Strukturen sozialer Ausschließung genutzt. Urbanität scheint hierbei Potenziale zur eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Lebensführung zu bieten, welche von den jungen Männern kreativ genutzt werden. Dabei gestalten sie den Raum aktiv mit und sind keine passiven Rezipienten. Dies erscheint besonders vor dem Hintergrund einer diskursiven gesellschaftlichen Abwertung des betreffenden Stadtteils und dessen Stigmatisierung als ›Problemviertel‹ bemerkenswert. Somit kann das Quartier einerseits eine Ressource zur Lebensbewältigung sein, andererseits kann es aufgrund mangelnder physisch-materieller und institutioneller Ausstattung sowie eines negativen Image auch eine Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten darstellen (vgl. Häußermann 2004: 132ff.). Folglich muss es Teil sozialer Bildungsarbeit sein, die Taktiken der Menschen zur Erlangung von Autonomie und Handlungsfähigkeit nachzuvollziehen und durch die Schaffung bzw. Erschließung von Ermöglichungsstrukturen, u.a. im Raum, zu unterstützen. Für die Soziale Arbeit ergibt sich hieraus die Notwendigkeit, Räume darauf zu prüfen, ob und inwiefern sie den gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren Entwicklungsmöglichkeiten und den Zugang zu den gesellschaftlich potenziell verfügbaren Ressourcen ermöglichen oder ob diese verwehrt bleiben. Dabei ist die Frage, ob die gesellschaftlich verfügbaren und nutzbaren Ressourcen es zulassen, dass die Menschen sich in und hin zur Autonomie bilden können, essentiell: Denn immer dort, wo die Autonomie der Menschen durch gesellschaftliche Bedingungen verhindert wird, muss es Ziel der Sozialen Arbeit sein, die notwendigen Ressourcen zur selbstbestimmten Lebensführung zu erschließen oder neue Räume zu eröffnen, in denen die Akteurinnen und Akteure selbstbestimmt handeln und gesellschaftliche Ressourcen für eine subjektiv befriedigende Lebensführung aneignen können. Michael Winklers Konzept des pädagogischen Ortes kann hierbei inspirierend sein, da mit diesem ein spezifisches sozialpädagogisches Handeln umschrieben wird, welches sich durch die Gestaltung und Vermittlung in und von Räumen, gesichert durch den pädagogischen Bezug, auszeichnet (vgl. Winkler 1988). Mit diesem Konzept kann hingewiesen werden »auf die Notwendigkeit der Herstellung, Bereitstellung und Ausgestaltung von pädagogischen Freiräumen zur Ermöglichung von Selbstbildungsprozessen« (Dirks/Kessl 2012: 6). Somit geht es
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der Sozialen Arbeit nicht um den Inhalt des Lernprozesses, sondern um die Sicherung oder Wiederherstellung der Ermöglichungsstrukturen und deren eigenverantwortlicher Nutzung (vgl. Winkler 1988: 153). Schlussendlich beweist sich die Qualität von Lernprozessen darin, ob es den Subjekten gelingt, diejenigen Kompetenzen herauszubilden, die ihnen auch unter heteronomen gesellschaftlichen Bedingungen Handlungsfähigkeit gewähren.
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»Das Schlimmste am Gefängnis ist die Entlassung!«1 Überlegungen zur Qualität der Übergangsbegleitung von Haft in Freiheit bei jungen Menschen U TA W AGNER
Die Entlassung aus der Jugendstrafhaft und die ersten Monate in Freiheit stellen einen sensiblen und rückfallgefährdeten Zeitabschnitt dar. Diese Übergangsphase konfrontiert die betroffenen Jugendlichen mit vielfältigen und komplexen Aufgaben, für deren Bewältigung viele Betroffenen Hilfe und Unterstützung benötigen. Der Gesetzgeber hat auf diese Problemlage reagiert und sichert zeitnah haftentlassenen Jugendlichen Unterstützung in Form einer Entlassungsvorbereitung und Nachsorge im Anschluss an die Entlassung zu. Das sogenannte Übergangsmanagement folgt diesem Rechtsanspruch und stellt eine umfassende, gebündelte und betreuungsintensive Entlassungsbegleitung dar. Der vorliegende Beitrag erörtert ausgehend von den verschiedenen Dimensionen dieses besonderen Übergangs Qualitätsanforderungen an das Übergangsmanagement und diskutiert anhand empirischer Beispiele Leerstellen und Bedarfe in den konzeptionellen Betrachtungen dessen.
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Dieses Zitat ist der Homepage des DBH – Fachverband für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik entnommen. Verfügbar unter: http://www.dbh-online.de/unterseiten/themen/strafvollzug.php?id=435. Letzter Zugriff am 13.03.2017.
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1. G ESETZLICHE
UND INSTITUTIONELLE
R AHMUNG
Freiheitsentzug ist die härteste Sanktion, die der deutsche Staat als Reaktion auf kriminelles Verhalten seiner Bürgerinnen und Bürger vorsieht. Im Jahr 2016 waren in Deutschland ca. 60.000 Menschen in Haft, etwa 3.600 davon verbüßten eine Jugendstrafe2 (vgl. Statistisches Bundesamt 2017). Der Staat übernimmt eine große Verantwortung, wenn er Menschen die Freiheit entzieht, insbesondere dann, wenn diese minderjährig sind, und die Anforderungen an die Gestaltung des Strafvollzuges müssen dementsprechend hoch sein (vgl. BVerfGE 2006: Rn. 53). Die notwendige gesetzliche Grundlage für diesen gravierenden Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Jugendlichen sind seit dem Jahr 2008 die Jugendstrafvollzugsgesetze der einzelnen Bundesländer.3 Vorausgegangen war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 31. März 2006, welche dem Gesetzgeber den Auftrag erteilte, Rechtsnormen zu schaffen, die »auf die besonderen Anforderungen des Vollzuges von Strafen an Jugendlichen und ihnen gleichstehende Heranwachsende zugeschnitten sind« (ebd.: Rn. 49). Weiter heißt es dort zur Begründung: »Auf den Jugendlichen wirkt die Freiheitsstrafe in einer Lebensphase ein, die auch bei nicht delinquentem Verlauf noch der Entwicklung zu einer Persönlichkeit dient, die in der Lage
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Die Fälle, in denen eine Jugendstrafe verhängt wird oder ggf. verhängt werden soll, unterteilen sich in unbedingte Jugendstrafe, Jugendstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird, und Bewährung vor der Jugendstrafe (vgl. §§ 21, 27 JGG (Jugendgerichtsgesetz)). Jugendstrafe ist in ihrer unbedingten Form unbedingte Freiheitsentziehung. Nach § 1 Abs. 2 JGG ist jugendlich, wer zur Tatzeit 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist, heranwachsend derjenige, der zum Zeitpunkt der Tat 18, aber noch nicht 21 ist. Bei Heranwachsenden muss im Gerichtsprozess entschieden werden, ob eine Sanktionierung nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht erfolgt. Das Jugendstrafrecht kommt zur Anwendung, wenn Reifeverzögerungen erkennbar sind oder es sich um ein jugendtypisches Delikt handelt (vgl. § 105 JGG).
3 Ein eigenes Jugendstrafvollzugsgesetz haben bisher 14 Bundesländer auf den Weg gebracht; in Bayern und Niedersachsen gliedern sich besondere Aspekte des Jugendstrafvollzuges in das Justizvollzugsgesetz für Erwachsene ein. Hamburg gehört zu einer Gruppe aus elf Bundesländern, die »im Interesse der Einheitlichkeit und zur Sicherung gemeinsamer Qualitätsstandards im Jugendstrafvollzug ihre Regelungen aufeinander abgestimmt haben« (Diemer/Schatz/Sonnen 2011: 773). Aus diesem Grund erfolgt im Weiteren der Rückgriff überwiegend auf das Hamburgische Jugendstrafvollzugsgesetz (HmbJStVollzG).
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ist, ein rechtschaffenes Leben in voller Selbständigkeit zu führen. […] Erfolgreiche Wiedereingliederung ist deshalb sowohl im Hinblick auf das weitere Leben des Betroffenen als auch im Hinblick auf den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten von besonders großer Bedeutung.« (Ebd.: Rn. 53)
Das Bundesverfassungsgericht stellt hier, wenn es von erfolgreicher Wiedereingliederung spricht, bereits sehr deutlich den Übergang von der Haft in die Freiheit unter besonderer Berücksichtigung der Lebensphase, in die der Vollzug bei jungen Menschen eingreift, ins Zentrum der Betrachtung. Dies spiegelt auch das – hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung des Jugendstrafvollzuges höchst bedeutsame – Ziel dessen wider: »Der Vollzug dient dem Ziel, die Gefangenen zu befähigen künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.« (§ 2 Satz 1 HmbJStVollzG)
Dieses Ziel ist ein »pädagogisches« (Schroeder 2012: 312) und die Mittel, dieses Ziel zu erreichen, sollen möglichst erzieherisch ausgerichtet sein, denn das Jugendstrafrecht – und nach diesem richtet sich auch der Jugendstrafvollzug als Institution der Vollstreckung einer Jugendstrafe – unterscheidet sich maßgeblich vom Erwachsenenstrafrecht durch den Einfluss des Erziehungsgedankens im Umgang mit den Jugendlichen (vgl. Dollinger/Schabdach 2013: 36). Keine Sanktion kann letztlich verhängt werden, ohne dass sie dem Erziehungsgedanken Rechnung trägt. Der Diskurs um den Stellenwert und die Legitimation von Erziehung im Jugendstrafrecht begleitet selbiges von Beginn an und insbesondere die Verbindung der beiden zentralen Aspekte Erziehung und Strafe war Gegenstand vieler Debatten (vgl. bspw. Busch 1999; Dollinger 2010; Cornel 2011; Müller 2015). Abgeleitet wird der Erziehungsgedanke als Kernelement des Jugendstrafrechts aus der Annahme, dass »junge Täter nicht die gleiche Reife und (Tat-)Verantwortlichkeit aufweisen wie Erwachsene, so dass die Intention deutlich wird, ›junge Menschen zu schonen, ihnen Kredit zu geben, Vertrauen in ihre Entwicklung zu setzen‹ (Hassemer 2009, 273).« (Dollinger/Schabdach 2013: 37). Maßnahmen des Jugendstrafrechtes sollen eine positive und förderliche Entwicklung der Jugendlichen anbahnen und unterstützen. Bereits die Formulierung des Gesetzestextes schränkt die Orientierung am Erziehungsgedanken ein, wenn es dort heißt, dass »die Rechtsfolgen und unter Beachtung des elterlichen Erziehungsrechts auch das Verfahren vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten« (§ 2 Abs. 1 JGG; Hervorhebung durch die Verfasserin) sind. Diemer, Schatz und Sonnen (2011) begründen diese Einschränkung dahingehend, dass sich »nicht hinter jeder Straftat
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ein Erziehungsdefizit verbirgt. Nicht immer ist ein erzieherischer Bedarf gegeben.« (Ebd.: 21). Demgegenüber sieht Ostendorf (2013a) grundlegend für die Einschränkung, dass »die Erziehungsmaßregeln nach dem Subsidiaritätsgrundsatz auf der obersten Sprosse der zu prüfenden Sanktionsleiter stehen. […] Es geht nicht um Erziehung im Allgemeinen, es geht um den Vorrang von erzieherisch begründeten Interventionen.« (Ebd.: 52). Dies bedeutet, dass letztlich immer der Erziehungsgedanke und dessen Impetus zu beachten sind, diese aber ggf. im Einzelfall keine Bedeutung zu entfalten vermögen. Nix, Möller und Schütz (2011) verweisen darauf, dass nicht Erziehung das Ziel des Jugendstrafrechtes sei, sondern vielmehr die Basis bzw. die Interventionsgrundlage, auf der das Ziel der Rückfallvermeidung und künftigen Legalbewährung4 zu erreichen sei (vgl. ebd.: 50f.). Es erstaunt angesichts dieser Zieldefinition, dass eine maßgebliche Problematik im Kontext der Jugendkriminalität gerade die hohe Rückfallquote ist. Eine bundesweite Rückfalluntersuchung der Jahre 2010–2013 ergab, dass zwei Drittel der nach Jugendstrafe haftentlassenen Jugendlichen abermals straffällig werden (vgl. Jehle/Albrecht/Hohmann-Fricke/Tetal 2016: 62). Diese Zahl belegt deutlich, dass der Übergang von Haft in die Freiheit nicht automatisch gleichzusetzen ist mit dem Übergang von Delinquenz hin zu legalbewährtem und normkonformen Verhalten. Eine Verschärfung erfährt die Problematik dann, wenn der Übergang ohne eine vorangegangene Planung und Vorbereitung geschieht (vgl. Sonnen 2012: 53). Dem soll das sogenannte Übergangsmanagement5 Rechnung tragen. Auch die Maßnahmen dessen basieren auf dem Erziehungsgedanken. Zum einen geht es um die Befähigung zur (Wieder-)Eingliederung in die Gesellschaft durch eine Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten zur Erreichung von gesellschaftlicher Partizipation wie bspw. durch Arbeit und Wohnraum. Zum anderen geht es aber auch darum, den Jugendlichen pädagogische Unterstützung im Sinne einer Verbesserung der sozialen Kompetenzen und der Selbstständigkeit zu bieten. Diese beiden Aspekte greifen ineinander und bedingen sich wechselseitig.
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Legalbewährung liegt vor, wenn eine haftentlassene Person nach Verbüßung der Strafe
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Vereinzelt wird auch die Bezeichnung Entlassungsmanagement synonym verwendet
keine weiteren Straftaten begeht. bzw. wird zwischen beiden Begriffen hinsichtlich der verantwortlichen Trägerschaft (Bewährungshilfe bzw. Träger der freien Straffälligenhilfe) differenziert (vgl. Cornel 2012: 12). Dieser Beitrag fokussiert auf den Jugendstrafvollzug. Übergangsmanagement wird aber auch im Erwachsenenvollzug angeboten. Des Weiteren wird der Begriff Übergangsmanagement auch in anderen Zusammenhängen verwendet, bspw. Übergangsmanagement Schule – Beruf.
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2. D IMENSIONEN DES Ü BERGANGS IM K ONTEXT J UGENDSTRAFVOLLZUG Übergänge im Lebenslauf6 konfrontieren die jeweils betroffenen Personen teils mit ganz unterschiedlichen Aufgaben und erfordern verschiedene Kompetenzen und Strategien für die Bewältigung. In der Übergangsforschung werden diese Übergänge treffend bezeichnet als »zentrale Schaltstellen, an denen sich Fragen von gesellschaftlicher Teilhabe und Ausgrenzung für die einzelnen Individuen nachhaltig entscheiden.« (Ebd.: 7). Denn eine erfolgreiche Bewältigung der Übergänge ist keinesfalls sicher und das Scheitern hat gravierende Folgen für das Individuum. Die Übergangsphase reduziert sich im Kontext Jugendstrafvollzug nicht nur auf den Übergang von Strafhaft in die Freiheit. Sie fällt für viele Jugendliche in eine Lebensphase, in der der Themenkomplex Übergang verschiedene Lebensbereiche tangiert und durch diese zusätzlich erschwert wird (vgl. Meyer/HupkaBrunner/Samuel/Bergman 2012: 9). So befinden sich die zeitnah Haftentlassenen oftmals am Übergang Adoleszenz/ Erwachsenenalter und am Übergang Schule/ Berufsausbildung bzw. Arbeit. Viele leben zum Zeitpunkt der Inhaftierung noch in ihrem Elternhaus, eine Rückkehr dorthin nach der Entlassung ist aber oftmals fraglich. Die Ablösung vom Elternhaus beinhaltet meist den Übergang von (unterschiedlich gearteter) Abhängigkeit hin zur Selbstständigkeit. Dieser Übergang wird im Kontext Haftentlassung erschwert durch die engen, ritualisierten, fremdbestimmten und erzwungenen Strukturen des Gefängnisses, denen dann eine Lebenswelt außerhalb der Haft folgt, die ein hohes Maß an Selbstständigkeit, Selbstorganisation und sozial kompetentem Handeln erfordert. Direkt verknüpft mit dem Übergang von Strafhaft in die Freiheit ist der (erwünschte) Übergang von Delinquenz hin zu einem legalbewährten und normkonformen Leben (vgl. zum Ganzen Matt 2012: 29, 2015: 34f.). Junge Menschen in Haft bzw. in der Übergangsphase von Haft in Freiheit sind somit konfrontiert mit einer Vielzahl von Übergängen, deren Bewältigung ganz unterschiedliche und zum Teil sehr komplexe Handlungskompetenzen und Fähigkeiten erfordert. Die generellen, deutlich riskanter gewordenen Übergänge, denen junge Erwachsene in der heutigen Zeit ausgesetzt sind (vgl. Stauber/Pohl/Walther 2007: 8), erfahren im Kontext Delinquenz, Haft und Resozialisierung somit noch eine deutliche Verschärfung. Es ist lange bekannt, dass der Übergang von Strafhaft in die Freiheit problembehaftet ist
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Die Biographie eines jeden Menschen ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl von Übergängen: Der Eintritt in den Kindergarten, in die Schule, in die Ausbildung oder das Studium, in die Berufstätigkeit und schließlich in die Rente stellen die zentralen, normkonformen, formalen, aber nicht alleinigen Übergänge im Lebenslauf dar.
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und die betroffenen Individuen vor große Aufgaben stellt, die sie ohne Unterstützung nicht bzw. kaum bewältigen können (vgl. bspw. Bertram 2004: 430). So schreibt Herrmann bereits im Jahr 1923: »Es gehört ebenso zu seinen [des Strafvollzuges, Anmerkung der Verfasserin] Aufgaben, sich auch um die Gestaltung der Zukunft des Bestraften zu kümmern. Die Rückfallsziffern sprechen eine zu deutliche Sprache, als daß sie übersehen werden könnten. Und diese Rückfallsziffern zeigen immer wieder, daß es vor allem die erste Zeit nach der Rückkehr in die Freiheit ist, die für den Entlassenen kritisch ist und in der die meisten Rückfälle vorkommen. […] Der Gedanke, daß die Gesellschaft es dem Kriminellen nach Möglichkeit erleichtern soll, nach der Verbüßung seiner Strafe sich wieder in die Gesamtheit einzufügen, ist nicht neu. Bisher ist es aber in Deutschland immer der freiwilligen Liebestätigkeit konfessioneller und sozialgerichteter Organisationen vorbehalten gewesen, dem entlassenen Sträfling helfend zur Seite zu stehen. Erst in neuester Zeit haben wir auch bei uns Anfänge, diese Hilfe von staatlicher Seite aus vorzunehmen und […] als Bestandteil des regulären Strafvollzugs anzuerkennen.« (Ebd.: 101f.)
Um die Entlassungsphase erfolgreich meistern zu können, brauchen viele der betroffenen Personen Unterstützung und Orientierung. Sie benötigen dann eine Hilfestellung, die individuell auf die jeweiligen Bedürfnisse ausgerichtet ist und spezifische Stärken, Schwächen sowie individuelle Möglichkeiten berücksichtigt.
3. Q UALITÄTSANFORDERUNGEN Ü BERGANGSMANAGEMENT
AN DAS
Eine Entlassungsvorbereitung im Sinne einer institutionalisierten Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der Entlassung ist in den Jugendstrafvollzugsgesetzen verankert (vgl. bspw. §§ 15–18 HmbJStVollzG). Das Übergangsmanagement ist Ausdruck des legislativen Auftrags und soll eine umfassende, gebündelte und betreuungsintensive Entlassungsvorbereitung darstellen. Es soll die haftentlassenen Jugendlichen auch über den Zeitraum der Haft hinaus begleiten und unterstützen, um das Ziel einer geringeren Rückfallquote (Makroebene) und damit legalbewährten Verhaltens (Mikroebene) zu erreichen. Dem Übergangsmanagement kommt somit eine hohe Bedeutung und gesellschaftliche Verantwortung zu. Ziel dessen ist die erfolgreiche (Wieder-)Eingliederung des ehemals strafgefangenen Menschen in die Gesellschaft (vgl. Cornel 2012: 11ff.). Eine umfassende Definition von Übergangsmanagement findet sich im Positionspapier Über-
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gangsmanagement der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe und des Fachverbandes Evangelische Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe in Bayern (2010): »Unter Übergangsmanagement wird die umfassende Vorbereitung der Entlassung von Strafgefangenen verstanden, das heißt die Planung, Vermittlung und Durchführung von (Re-)Integrationsmaßnahmen für zur Entlassung anstehende Gefangene, insbesondere die strukturierte Verknüpfung und Verzahnung von Behandlungsmaßnahmen des Strafvollzuges mit Hilfsangeboten und Maßnahmen der nach der Entlassung für die Betroffenen zuständigen Stellen, insbesondere der freien Straffälligenhilfe und der Bewährungshilfe. Übergangsmanagement umfasst weiter die Beratung und Begleitung haftentlassener Frauen und Männer mit besonderem Hilfebedarf bis zur koordinierten Übergabe an Einrichtungen und Dienste weiterführender und spezialisierter Hilfen.« (Hier zitiert aus Cornel 2012: 12)
Dass eine derart breit aufgestellte (Gesamt-)Maßnahme nicht reibungsfrei umgesetzt werden kann, liegt auf der Hand. Institutionelle Defizite im Sinne von Kooperationsmängeln der beteiligten Dienste wurden in Deutschland jahrzehntelang beklagt. Im Jahr 2007 begann der Fachverband für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik (DBH) mit einer intensiven Arbeit an dieser Thematik. Zentrale Punkte dieser Auseinandersetzung sind die Bündelung von Informationen und Projektdokumentationen zu erfolgreichen Beispielen und die Zusammenführung beteiligter Fachkräfte und Organisationen bspw. in jährlich stattfindenden Fachtagungen (vgl. Reckling 2012: 5ff.). Zusätzlich werden Projektbeispiele verschiedener Bundesländer, Haftanstalten oder anderer Institutionen online in der Sintegra Datenbank – Gute Beispiele der sozialen Integration marginalisierter Jugendlicher7 des Deutschen Jugendinstituts (DJI) vorgestellt. Entscheidend ist, dass die Entlassungsvorbereitungen frühzeitig, strukturiert und vernetzt durchgeführt werden. In den Gesetzestexten wird ›frühzeitig‹ im Kontext der Entlassungsvorbereitung zumeist nicht genauer bestimmt. Lediglich Berlin, Hessen und Schleswig-Holstein definieren in ihren Jugendstrafvollzugsgesetzen frühzeitig als spätestens (§ 19 JStVollzG Bln) bzw. mindestens (§ 19 JStvollzG Schlswig; §16 HessJStVollzG) sechs Monate vor der (voraussichtlichen) Entlassung.8 In der Literatur wird ein wesentlich weiter gefasster zeitlicher Rahmen für das Übergangsmanagement angenommen. So beginne Übergangsmanagement letztlich bereits
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Die Datenbank ist abrufbar unter: www.dji.de/Sintegra. Letzter Zugriff am 13.03.2017.
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In ihrem »Diskussionsentwurf für ein Landesresozialisierungsgesetz« schlagen Cornel, Dünkel, Pruin, Sonnen und Weber (2015) als frühzeitigen Beginn »i.d.R. mindestens ein Jahr vor der voraussichtlichen Entlassung« (ebd.: 20) vor.
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mit der Anklageerhebung – was mit Blick auf die Fortgeltung der Unschuldsvermutung problematisch ist – bzw. der Verurteilung und ende mit dem Ablauf der Bewährungszeit (vgl. bspw. Matt 2012: 32ff.). Diese Anforderungen realisiert das »Konzept der durchgehenden Betreuung« (Matt 2012: 31). Einem Kompass ähnlich zieht sich durch die gesamte Zeit der Betreuung die folgende Frage, an der sich die Entwicklung gemeinsamer inhaltlicher Zielsetzungen orientiert: »Welche Maßnahmen (Unterstützung, Kontrolle) sind anzuwenden, um den Jugendlichen auf seinem Weg der beruflichen und sozialen Wiedereingliederung sowie des Ausstiegs aus Straffälligkeit zu fördern?« (Ebd.: 36)
Als Grundlage für die Interventionen der durchgehenden Betreuung wird eine Eingangsdiagnostik gefordert, die die finanzielle und rechtliche Situation der betroffenen Personen im Hinblick bspw. auf Schulden, notwendige Transferleistungen, ausstehende Geldstrafen und offene Verfahren ebenso beleuchten soll wie den sozialen Hintergrund (Familie, Freunde) und Aspekte rund um das Thema Gesundheit (Suchterkrankungen, psychische Erkrankungen etc.). Zentral ist die Klärung der Wohnsituation nach der Entlassung. Einen weiteren Schwerpunkt der Diagnostik stellen die Bereiche (Aus-)Bildung und Arbeit dar: Über welche schulische und berufliche Qualifikation verfügt die zeitnah haftentlassene Person? Können in Haft begonnene Bildungsmaßnahmen fortgeführt werden? Welche Neigungen und Interessen hat die betroffene Person bzgl. einer beruflichen Tätigkeit oder Beschäftigung? Im Hinblick auf die Wiedereingliederung in die Gesellschaft soll auch eine Einschätzung zu den Einstellungen und Verhaltensweisen bzgl. Delinquenz erfolgen. Diese Eingangsdiagnostik soll individuelle Ressourcen und Bedarfe im Hinblick auf die Wiedereingliederung aufdecken. Zudem dient sie auch der Einschätzung des Rückfallrisikos (vgl. zum Ganzen Matt 2012: 32). Die Umsetzung der durchgehenden Betreuung zur Erreichung der gemeinsamen Ziele erfordert eine stabile und strukturierte Kooperation und Vernetzung der beteiligten Akteurinnen und Akteure wie bspw. Institutionen, Fachkräfte und Organisationen.9 Übergangsmanagement ist somit ein interdisziplinärer Ansatz, dessen Kernelemente Hilfestellung, Unterstützung und Kontrolle für den Übergang von Un-
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Diese verschiedenen Handlungsfelder und Akteurinnen und Akteure wie Jugend-, Jugendgerichts- und Jugendbewährungshilfe, Schuldnerberatung und Wohnungslosenhilfe zeigt Maelicke (2012: 251) in seinem »Zwiebelmodell der Resozialisierung« anschaulich auf.
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freiheit in Freiheit zur Vermeidung weiterer Straffälligkeit sind. Es soll eine Hilfestellung anbieten, die auf die jeweiligen Bedürfnisse ausgerichtet ist und ihre Stärken, Schwächen sowie individuellen Möglichkeiten berücksichtigt. Dies setzt voraus, dass einzelfallorientiert gearbeitet und in den Konzepten zum Übergangsmanagement Heterogenität beachtet wird (vgl. Cornel 2012: 14f.). Diese Orientierung am Individuum bedeutet aber auch, dass Übergangsmanagement für die inhaftierten oder haftentlassenen Menschen transparent gestaltet werden muss (vgl. ebd.: 15). Im Übrigen dürfte sich durch ein derartiges Vorgehen auch die Teilnahme- und Mitwirkungsbereitschaft der entsprechenden Personen erhöhen.
4. D ISKREPANZ
ZWISCHEN
T HEORIE
UND
P RAXIS
In meinen Untersuchungen zum Jugendstrafvollzug10 habe ich mit verschiedenen Akteurinnen und Akteuren des Übergangsmanagements gesprochen. Hierzu zählten Interviews mit hafterfahrenen männlichen Jugendlichen über ihre Erlebnisse mit dem Übergangsmanagement und ihre Sicht darauf ebenso wie Gespräche mit pädagogisch-psychologisch tätigen Professionellen, die den Jugendlichen Hilfen und Unterstützung bei der Bewältigung des Übergangs bieten. Es wurde deutlich, dass die wissenschaftlichen Forderungen in der Praxis nicht bzw. nicht ausreichend umgesetzt werden (können). Des Weiteren gibt es Leerstellen und Bedarfe, die bisher nicht oder nicht ausreichend beachtet werden. Im Folgenden möchte ich zentrale Erkenntnisse hier skizzieren. Illustriert werden diese mitunter durch Zitate aus den Interviews. Alle aufgeführten Namen sind Pseudonyme. Die weiteren personenbezogenen Daten wie bspw. Alter, Haftzeit, Berufsausbildung bzw. berufliche Tätigkeit wurden vergröbert. Die Zitate wurden zur Herstellung eines besseren Leseflusses geglättet, das heißt es wurden Füllwörter, Wortwiederholungen, Satzfragmente bzw. Satzabbrüche etc. und Sprechpausen gestrichen, sofern sie keine inhaltliche Relevanz hatten. 4.1 Inhaltliche Gestaltung des Übergangsmanagements Der Beginn der Entlassungsvorbereitung weicht mindestens in der Wahrnehmung vieler Jugendlicher von den Forderungen des fachlichen Diskurses und zum Teil
10 Hierbei handelt es sich u. a. um eine Studie zu Grundbildungsangeboten im Strafvollzug in Hamburg (Wagner/Weber 2016) und um mein Promotionsprojekt »Perspektiven nach Jugendstrafhaft: Bedingungen für einen gelingenden Übergang von Haft in Freiheit« (Arbeitstitel).
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sogar von dem gesetzlich zugesicherten Zeitrahmen ab. Sicher überspitzt illustriert Monirs Reaktion auf die Frage nach dem Beginn der Entlassungsvorbereitung »Dann wenn`s soweit ist« (Monir, 20 Jahre, seit sechs Monaten entlassen) diese Gemengelage. Auch können subjektiv empfundene Mängel bzgl. der Maßnahmen des Übergangsmanagements identifiziert werden: Das müssen wir alles selber klären. Und keiner schenkt dir was. (Jamal, 20 Jahre, seit sechs Monaten entlassen) Ja eigentlich, ich hab das gar nicht so vorbereitet. Das ist einfach so gekommen. (Malik, 21 Jahre, seit vier Monaten entlassen) Ich wollte unbedingt was, weil ich wollte nicht mehr den Weg gehen, den ich vorher gegangen bin und ich find, da hat dieser Knast und so gar nicht seine Arbeit richtig gemacht oder bei vielen anderen auch nicht. Weil ich find, man sollte so die Leute nur rauslassen, wenn die was haben für draußen. Damit die irgendwie auf Beinen stehen können. Ich kam raus, ich hab kein Geld zum Leben, irgendwann muss man ja irgendwas machen. Und wenn ich da bin, die stellen sich das alle so einfach vor. Die schicken einen zu tausend Terminen, ohne Fahrkarten zum Beispiel. Woher soll ich jeden Tag sechs Euro Fahrkarte nehmen, müssen die sich doch denken. (Nadim, 19 Jahre, seit sechs Monaten entlassen)
Die bisher vorliegenden Daten offenbaren, dass die vorhandenen Maßnahmen des Übergangsmanagements spät beginnen und in ihrer Bedeutung als Entlassungsvorbereitung den Jugendlichen oft nicht ersichtlich sind. Eine Transparenz gegenüber den Häftlingen dergestalt, dass Unterstützungsangebote, Ansprechpersonen und Hilfen für die Jugendlichen »erkennbar, erreichbar und nutzbar« (Cornel 2012: 15) sein müssen, ist nur bedingt sichtbar. Es besteht eine Diskrepanz zwischen tatsächlichen Entlassungsvorbereitungen, die sich in den Vollzugskonzepten und in den Gesprächen mit den professionellen Akteurinnen und Akteuren finden, und von den Jugendlichen erlebte und bestimmbare Entlassungsvorbereitungen. 4.2 Vollzugslockerungen, offener Vollzug und vorzeitige Entlassung In der Literatur wird für eine umfassende und zielführende Entlassungsvorbereitung zusätzlich zu den Maßnahmen hinsichtlich Ausbildung, Arbeit und Beschäftigung auch das Gewähren von Vollzugslockerungen wie bspw. Hafturlaub und
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Ausgang vor der Entlassung gefordert (vgl. Cornel 2012: 13; Bertram 2004: 445f.). Auch die Verlegung in den offenen Vollzug11 ist entlassungsfördernd. Nach Sicht der befragten Jugendlichen werden diese Maßnahmen nur reduziert und im Sinne einer Gratifikation bei anstaltskonformem Verhalten angewandt. Ein derartiges institutionelles Vorgehen würde der gesetzlichen Intention widersprechen (vgl. bspw. § 15 HmbJStVollzG), denn »Vollzugslockerungen sind keine Vergünstigungen, sie sind Resozialisierungsmaßnahmen!« (Ostendorf 2013b: 258). Die Erfahrungen von Malik illustrieren die Bedeutung: Wo ich offenen Vollzug war, ich war ja öfters draußen, und da wars ja immer anders halt. Natürlich war ganz am Anfang, also wenn man an draußen denkt, ist man viel zu viel aufgeregt. Was man alles machen will. Aber zum Beispiel, weil ich jetzt schon zehnmal draußen war, hab ich zum Beispiel schon/ das wollte ich unbedingt machen, hab ich schon gemacht. Das wollte ich machen, hab ich schon gemacht. So dass die Auswahl viel kleiner war. Dass ich, wo ich entlassen wurde, das viel gechillter angehen konnte. Ich war nicht so innerlich, boah ich will das das das. Schon, aber auf ruhig. (Malik, 21 Jahre, seit vier Monaten entlassen)
Auch wird von einem sehr sparsamen Einsatz von vorzeitigen Entlassungen berichtet. Dies deckt sich mit den Angaben in der Literatur, wonach die gesetzlich mögliche Entlassung bereits nach Verbüßung von einem Drittel der Strafe (mindestens sechs Monate) in der Praxis keine Relevanz besitze und eine vorzeitige Entlassung zur Bewährung in der Regel erst nach Verbüßung der Hälfte bzw. zwei Dritteln der Strafe vollzogen wird (vgl. Walkenhorst 2008: 703). Innerhalb der Interviews mit den Professionellen werden Vollzugslockerungen als Maßnahmen der Übergangsvorbereitung gar nicht thematisiert. Sollte sich die Aussage der Jugendlichen, dass eine vorzeitige Entlassung nach der Hälfte selten ist und nach zwei Drittel die Regel, als zutreffend erweisen, bliebe die jugendstrafrechtliche Praxis weit hinter den gesetzlichen Möglichkeiten zurück. Damit würde ein maßgeblicher Aspekt der Entlassungsvorbereitung massiv beschränkt.
11 Im offenen Vollzug werden keine bzw. nur sehr wenige Vorkehrungen gegen Entweichen getroffen und die Häftlinge können sich in der Regel innerhalb der Anstalt frei bewegen und diese auch tagsüber verlassen (vgl. bspw. § 94 Abs. 3 HmbJStVollzG).
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4.3 Bildungsangebote als Maßnahmen des Übergangsmanagements Der Stellenwert von (Aus-)Bildung im Rahmen der Resozialisierung und Kriminalprävention ist im fachlichen Diskurs vielfach beschrieben und aufgezeigt worden (vgl. bspw. Diemer/Schatz/Sonnen 2011: 846f.; Rath 2004: 141; Reckling 2012: 6f. oder Eisenberg 2014: 115) und der Vollzug ist gesetzgeberisch verpflichtet, angemessene und ausreichende Bildungsangebote vorzuhalten (vgl. bspw. §§ 34f. HmbJStVollzG), wobei der Gesetzgeber als angemessen und ausreichend empfindet, wenn Unterricht zur Erlangung des ersten allgemeinbildenden Schulabschlusses (Hauptschulabschluss) angeboten wird. Diese Forderung erfüllt der Vollzug bundesweit nach hiesigem Kenntnisstand. In einer kriminologischen Sicht mag dies ausreichend sein, sicher aber nicht aus bildungssoziologischer Perspektive: Der gesellschaftliche Mindeststandard im Hinblick auf die Allgemeinbevölkerung ist heute der Realschulabschluss (vgl. Solga 2005: 179; Reinheckel 2013: 5). Eine kriminalitätsvermeidende Wirkung mindestens im Hinblick auf Gewaltdelikte lässt sich zudem erst beim Realschulabschluss nachweisen (vgl. Entorf/Sieger 2010: 26f.). Bildungsangebote in Haft werden nach den hier vorliegenden Erkenntnissen gravierend limitiert durch unzureichende personelle und materielle Ressourcen (vgl. zum Ganzen Wagner/Weber 2016: 123ff.). Entscheidend ist auch bei diesen Angeboten in Haft, dass sie ihren Sinn nur dann entfalten können, »wenn sie über den Tag der Entlassung hinaus konzipiert und kontinuierlich fortgesetzt [werden]« (Bertram 2004: 438). Hier zeigen sich in der Praxis fehlende Anschlussmöglichkeiten von in der Haft begonnenen Bildungsangeboten nach der Entlassung (vgl. Wagner/Weber 2016: 129). 4.4 Die Rolle der Familie Besonders deutlich zeigt sich eine Diskrepanz zwischen der theoretischen und praktischen Übergangsbegleitung und den Bedarfen der Jugendlichen bezogen auf die Einbindung der Familien. Die Familie nimmt bei vielen Jugendlichen eine zentrale Stelle ein, Freunde tauchen oft nur am Rande in den Aussagen auf. Sie erleben durch ihre Familien Unterstützung, sowohl während der Gerichtsprozesse als auch während der Haftzeit, und erwarten und beschreiben die Fortführung dieser Unterstützung nach ihrer Entlassung. Erkennbar wird eine enge emotionale Bindung an die Familie und deren Wert als verlässliche Institution außerhalb des Gefängnisses. Die folgenden Zitate illustrieren die Äußerungen der Jugendlichen zur Rolle der Familie:
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Die Familie kümmert sich ehrlich nur um Dich, ne. (Dennis, 20 Jahre, seit vier Monaten entlassen) Wenn man nette Leute neben sich hat. Also, das kommt drauf an. Leute mit Familie brauchen vielleicht keine Unterstützung, außer ihre Eltern. (Jamal, 20 Jahre, seit sechs Monaten entlassen)
Auch die professionellen Akteurinnen und Akteure sehen eine große Relevanz der Familie, wenngleich sie oftmals eher deren Fehlen beschreiben. Schutzfaktoren also glaub ich bestehen immer darin: Wieviel familiärer/ wieviel sozialer Hintergrund ist da? […] Also die Familien sind zu meinem Leidwesen hier natürlich im Wesentlichen ne Blackbox und das Komische ist, dass sie in jeder Hinsicht, sei es über die Kooperationspartner Bewährungshilfe, dass das eigentlich nie so richtig aufgehellt wird. Wir erfahren es eigentlich immer nur aus den Erzählungen der Jugendlichen. […] Aber sie finden in den Familien selten das, was sie sich dort wirklich wünschen. Und ich glaube auch, dass vor den Toren auch selten die Eltern stehen. (Herr Wilms, pädagogisch-psychologische Arbeit mit haftentlassenen Jugendlichen)
Die Rolle der Familie wird in den theoretischen Ausführungen zum Übergangsmanagement faktisch kaum thematisiert. Dies erstaunt, da ausweislich der Bestimmungen des Jugendstrafrechts den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten mindestens im Strafprozess eine besondere Rolle zufällt (vgl. § 67 JGG). Auch in den konzeptionellen Beschreibungen zur durchgehenden Betreuung des Übergangsmanagements ab der Anklageerhebung – dies schließt den Strafprozess mit ein – findet sich hierzu nichts. Lediglich das Positionspapier Mindeststandards für den Jugendstrafvollzug der DVJJ (2011) stellt die Forderung auf, die Eltern in die Vollzugsplanung einzubinden und auch an der Entlassungsvorbereitung zu beteiligen (vgl. DVJJ 2011: 4). Weiter geht noch die Forderung Ostendorfs (2013b), die Elternrechte gesetzlich zu stärken, da die Beteiligung der Eltern und anderer Angehöriger ein »wichtiges Resozialisierungsmittel« (ebd.: 257) sei. 4.5 Vernetzung und Kooperation Zentrales Kennzeichen der Durchgehenden Betreuung ist der Netzwerkcharakter. Für Vernetzung gilt, dass diese nicht nur unter den vorhandenen sozialen Unterstützungsangeboten außerhalb der Haft erfolgen sollte, sondern diese quasi über die Gefängnismauern hinweg stattfinden muss (vgl. Bertram 2004: 437f.; Die-
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mer/Schatz/Sonnen 2011: 823). Die vorliegenden Daten offenbaren jedoch insbesondere in der Zusammenarbeit zwischen Vollzug und den zeitlich nachfolgenden Unterstützungsangeboten Handlungsbedarf, um die folgenden Äußerungen künftig obsolet erscheinen zu lassen: Die drücken dir nen Stapel Zettel in die Hand, Wohnungssuche kannst du hierhingehen, da kannst du dahingehen, da kannst du dahingehen. Ja, was bringt mir das? Niemand kennt mich da, ich weiß nicht, wie ich das erklären soll damit. Die drücken einem so nen Zettel in die Hand ne? So mit paar/ da steht so ja, wenn du Sucht hast da und da, kannst du da und da hingehen so. Aber keine Hilfe so wirklich. (Nadim, 19 Jahre, seit sechs Monaten entlassen) Und was für Perspektiven wünsch ich mir für draußen? Und was kann draußen übernehmen? Also was können Eltern übernehmen? Anwälte übernehmen? Andere Organisationen oder Sozialarbeiter übernehmen? Und was kann der Jugendliche dafür schon selber tun? Um auch, nich nur sich auf draußen zu freuen, weil die Haftzeit vorbei ist, sondern weil ne Entwicklung, die vielleicht in der Haft begonnen hat, auch draußen fortgesetzt werden kann. Und das wird alles von der Haftanstalt nicht geleistet. Das kann nur funktionieren, wenn es ein Bindeglied zwischen draußen und drinnen gibt. (Frau Mars, pädagogisch-psychologische Arbeit mit inhaftierten und haftentlassenen Jugendlichen) Der Gang ist schwer, weil man sich vielleicht auch nicht so regelmäßig und so viel gesehen hat wie bei ner Zuständigkeit vor Ort. Und der Gang ist auch schwer, weil oftmals die Strafgefangenen aus meiner Sicht jedenfalls gar nicht genau wissen, wo sie hinkönnen. (Herr Rehberg, pädagogisch-psychologische Arbeit mit inhaftierten und haftentlassenen Jugendlichen)
Eine Vernetzung und Kooperation im Sinne der Durchgehenden Betreuung könnte dann auch imstande sein, dem »organisierten Beziehungsabbruch« (Feest 2007, hier zitiert aus Cornel 2012: 15), der bisher Strafverfahren und Strafvollstreckung kennzeichnete, entgegenzuwirken (vgl. hierzu auch Diemer/Schatz/Sonnen 2011: 823).
5. F AZIT Insbesondere die ersten Wochen und Monate nach der Entlassung aus dem Jugendstrafvollzug werden zu einer Bewährungsprobe nicht nur für den betroffenen
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Jugendlichen, sondern letztlich auch für den Strafvollzug, denn dann offenbart sich, ob der Vollzug, dem Vollzugsziel (vgl. bspw. §2 Satz 1 HmbJStVollzG) entsprechend, die Jugendlichen ausreichend gestärkt und befähigt hat, außerhalb der Gefängnismauern ein normkonformes und legalbewährtes Leben zu führen. Somit wird die Gestaltung des Zeitraums nach der Entlassung eben auch zu einer Qualitätsprüfung der Arbeit des Strafvollzuges. Die dargelegten konzeptionellen Grundsätze des Übergangsmanagements sowie deren inhaltlichen Ausgestaltungen beeinflussen die Qualität der Entlassung maßgeblich (vgl. Bertram 2004: 444ff.). Die Feststellung Bertrams (2004) ist in dieser Absolutheit sicher überholt: »Die Tatsache, dass Freiheitsentzug auch wieder endet und dass deshalb der Vollzug systematisch in seinen Funktionsweisen auch auf die Zeit nach der Entlassung ausgerichtet sein müsste, wird im Bewusstsein der Mitglieder der totalen Institution ausgeblendet.« (Ebd.: 431)
Jedoch bleibt die vollzugliche Praxis zu oft hinter den gesetzlichen Möglichkeiten der entlassungsvorbereitenden Maßnahmen zurück. Hierfür mag es im Einzelfall Gründe geben. Im Regelfall sollten die gesetzlichen Möglichkeiten der Vollzugslockerungen, des offenen Vollzuges und der vorzeitigen Entlassung dringend ausgeschöpft werden, um die Zeiten der Unfreiheit und gesellschaftlichen Separation zu verkürzen. Denn eine erfolgreiche Bewältigung des Übergangs aus der Haft in die Freiheit mit einer nachhaltigen Abkehr von kriminellen Verhaltensweisen steht auch in Abhängigkeit zur Dauer der Inhaftierung. Je kürzer die Haftzeit, desto besser die Prognose (vgl. Diemer/Schatz/Sonnen 2011: 649). Übergangsmanagement versteht sich konzeptionell auch als Antwort auf den konstatierten »organisierten Beziehungsabbruch« (Feest 2007, hier zitiert aus Cornel 2012: 15). Vernetzung und Kooperation sind hierfür zentrale Aspekte. Jedoch legen die vorhandenen Daten darüber hinaus auch nahe, dass die Jugendlichen in allen Phasen des jugendstrafrechtlichen Verfahrens (Strafprozess, Inhaftierung, Entlassung, Bewährungszeit) eine verlässliche Bezugsperson benötigen, die parteiisch, dauerhaft und institutionenunabhängig agiert, im Sinne eines – wie es eine professionelle Akteurin treffend formuliert – »Bindeglied[s] zwischen draußen und drinnen«. Eine Orientierung an den individuellen Lebenslagen und Bedarfen sowie Ressourcen der Jugendlichen sollte ebenso leitend sein wie eine respektvolle und dialogische Haltung ihnen gegenüber, um eine zielgerichtete und einander wertschätzende Zusammenarbeit zu ermöglichen.
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Partizipativ entwickelte Qualitätsmerkmale als Orientierungen in der Familienbildung H ANNA G UNDLACH
Im Arbeitsfeld der Familienbildung (§ 16 SGB VIII) wurde der Diskurs um Qualität sozialer Bildungsarbeit früh und intensiv aufgegriffen und es wurden u.a. Instrumente des Qualitätsmanagements in Form von interner und externer Evaluation eingeführt. Daher wird dieses Arbeitsfeld auch als Vorreiterin bezeichnet. Qualitätsmerkmale sollen dabei als Orientierungen für und Fragen an die pädagogische Arbeit und professionelle Haltung verstanden werden, nicht aber als strikte Zielvorgaben. Da Familienbildung in hohem Maße auf persönlichen Beziehungen in der Zusammenarbeit mit Familien aufbaut und die Inhalte der Arbeit durch individuelle Bedarfslagen und Lebenssituationen der Familienmitglieder gekennzeichnet sind, können sich Qualitätsmerkmale nur auf organisatorische Abläufe und Rahmenbedingungen beziehen. Dabei seien speziell solche Qualitätskonzepte erfolgsversprechend, die in einem partizipativen Prozess von möglichst vielen Beteiligten entwickelt wurden. Allerdings werden bisher (zu) selten die Perspektiven der Adressatinnen und Adressaten sowie Nutzerinnen und Nutzer der Angebote einbezogen. Der vorliegende Artikel greift das sich aus diesem Diskurs um Qualität ergebende Spannungsfeld der Implementierung von Qualitätsfeststellungsverfahren und der gleichzeitig nicht einheitlichen Standards zu unterwerfenden inhaltlichen und Beziehungsarbeit auf, indem u.a. der Fokus auf Ergebnisqualität(en) hinterfragt und auf die zur Einführung solcher Verfahren notwendigen Ressourcen verwiesen wird.
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1. E IN D ISKURS UM HÖHERE Q UALITÄT SOZIALER B ILDUNGSARBEIT : F AMILIENBILDUNG ALS V ORREITERIN In der Sozialen Arbeit wird seit Ende der 1990er Jahre vermehrt an die Qualität sozialer Dienstleistungen appelliert (vgl. z. B. Drechsler 2014: 95). Ein Arbeitsfeld, welches neben der frühkindlichen Bildung besonders in den Fokus der Qualitätsdebatte rückte, ist die Familienbildung. Die prominente Rolle dieses Praxisfeldes sozialer Bildungsarbeit im sozialarbeitswissenschaftlichen Qualitätsdiskurs ist v.a. der hohen Bedeutsamkeit frühkindlicher Sozialisation, Bildung und Erziehung für die (spätere) gesellschaftliche Positionierung nicht nur in institutionellen Kontexten, sondern auch innerhalb der Familien selbst geschuldet (vgl. z.B. Mühler 2008). In den letzten 20 bis 30 Jahren haben sich die Lebensumstände von Familien stark gewandelt: Neben veränderten Familien- und Gesellschaftsstrukturen, mit weniger Großfamilien, mehr Alleinerziehenden, Patchwork- oder RegenbogenFamilien, seien Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen an berufstätige Eltern gewachsen (vgl. Tschöpe-Scheffler 2014a: 15ff.). Angesichts dessen gewinnen Angebote der Familienbildung zur Stärkung der Erziehung in Familien sowie die Professionalisierung von Fachkräften speziell in Bezug auf die familiäre Zusammenarbeit an Bedeutung, da familienergänzende Angebote der Kindertagesbetreuung diese Aufgaben der Unterstützung von Familien allein nicht leisten können (vgl. Drechsler 2014: 95; Strätz 2014: 177). Eine Möglichkeit zur Verbesserung pädagogischer Institutionen als auch der Professionalisierung kann neben Aus- und Fortbildung, Supervision und Coaching sowie dem Heranziehen von Praxisbeispielen aus anderen Einrichtungen oder der Fachliteratur das Qualitätsmanagement darstellen (vgl. Strätz 2014: 115ff.; Tuschhoff o.J.: 3f.). Insgesamt habe »[…] die Familienbildung bei der Erprobung von Verfahren, die für kleinere und mittlere Organisationen mit pädagogischer Zielsetzung geeignet erscheinen, eine Vorreiterfunktion eingenommen« (Pettinger/Rollik 2005: 161). Bezüglich des grundsätzlichen Verständnisses von Qualität zur Übertragbarkeit auf soziale (Bildungs-)Arbeit, wirft Strätz (2014) allerdings folgende Frage auf: »Das Wort ›Qualität‹ bedeutet eigentlich nur ›Beschaffenheit‹ – ohne jegliche Bewertung. Diese Bedeutung von Qualität gibt es heute fast nur noch bei Kartoffeln; ob jemand lieber eine ›festkochende Qualität‹ isst oder die mehligere Sorte vorzieht, ist ihm überlassen. In allen anderen Fällen ist ›Qualität‹ gleichbedeutend mit ›guter Qualität‹, wodurch umgehend
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die Frage entsteht, wo im pädagogischen Bereich der Bewertungsmaßstab herkommen soll: Lassen sich hier überhaupt Maßstäbe festlegen, die allgemein gelten könnten?« (Ebd.: 115)
Zur Beurteilung ›guter pädagogischer Qualität‹ als Rahmenbedingungen zur Orientierung der Arbeit müssten pädagogische Fachkräfte, die Einrichtungen selbst als auch die Nutzerinnen und Nutzer (Teilnehmende an Angeboten) bzw. Adressatinnen und Adressaten (adressierte, aber [noch] nicht teilnehmende Personenkreise) einbezogen werden (vgl. AWO o.J.). Konkret beschreibt Galiläer (2005) »Nutzer-/Adressatenorientierung, Anerkennung des Subjekts, selbstbestimmte Ko-Produktion und Orientierung an zivilen Bürgerrechten« (ebd.: 140) als Merkmale der Qualität sozialer Dienstleitungen – allerdings sind die Perspektiven der Adressatinnen und Adressaten sowie Nutzerinnen und Nutzer bei der Entwicklung eines Qualitätsverständnisses bisher unterrepräsentiert. Im Folgenden soll der Diskurs um die Definition und Beurteilung von Qualität sozialer Bildungsarbeit mit Familien skizziert werden. Um zunächst einen Einblick in das durchaus diverse und vielschichtige Feld der Familienbildung nach § 16 SGB VIII zu erhalten, wird zu Beginn ein kurzer Überblick über die institutionelle Entwicklung und gesetzlichen Regelungen (1.1) sowie das Verständnis von Familienbildung als soziale Bildungsarbeit gegeben (1.2). Anschließend werden der Diskurs um Qualität im Arbeitsfeld sowie exemplarisch identifizierte Qualitätsmerkmale vorgestellt (2.). Ferner werden bisher vernachlässigte Perspektiven in der Diskussion aufgezeigt (3.). Im Fazit werden Aspekte für die Weiterführung des Qualitätsdiskurses aufgezeigt, in der insbesondere die Perspektiven der Nutzerinnen und Nutzer gestärkt werden sollten (4.). Aufgrund der angesprochenen oftmals vernachlässigten Perspektive (potentieller) Nutzerinnen und Nutzer in der Qualitätsdebatte wird an geeigneten Stellen Bezug genommen auf erste Erkenntnisse des laufenden Promotionsprojektes1 der Autorin. Das Dissertationsvorhaben widmet sich in einem triangulativen qualitativen Forschungsdesign den Motivationen jugendlicher Eltern zur (Nicht-)Teilnahme an Familienbildung – eine Gruppe, die bislang nur selten solche Angebote nutzt.
1
Der Arbeitstitel des Promotionsprojektes lautet: »Bedarfsgerechte Angebote der Familienbildung für jugendliche Eltern. Entscheidungsprozesse jugendlicher Eltern zur (Nicht-)Inanspruchnahme von Familienbildung.« Es wurden 22 Jugendliche und 16 Fachkräfte interviewt.
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1.1 Institutionalisierung von Familienbildung als Förderung von Familien Familien repräsentieren ein sehr wichtiges Arbeitsfeld sozialer Bildungsarbeit (vgl. Hartung 2009: 33). Die (sozial-)pädagogische Ausdeutung und Ausgestaltung der Trias Familie-Gesellschaft-Staat lässt sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts verfolgen und hat sich bis heute weiter ausdifferenziert über Transformationen gesellschaftlicher Strukturen, über rechtliche Rahmungen sowie die Entwicklung eines professionell-pädagogischen Handlungsfeldes von Familienbildung. »Familie als Gesamtsystem bildet heute in ihren sehr ausdifferenzierten Erscheinungsformen eines der wesentlichen Handlungsfelder sozialer Arbeit«, so Hartung (2009: 33). Allerdings wurde in Deutschland bis Mitte des 19. Jahrhunderts die Ansicht vertreten, dass Staat und Gesellschaft nicht in Familie als primärer Sozialisationsinstanz (vgl. z.B. Mühler 2008) und als schutzgebende, auffangende Institution eingreifen sollten. Da sich dieses Selbstverständnis von Familie zunehmend verändere, wurden durch die Pädagogik vermehrt unterstützende, kompetenzstärkende Handlungsstrategien entworfen und eingesetzt, um das »sich destabilisierende System Familie« (Hartung 2009: 33f.) zu unterstützen. Aufgrund der Ausdifferenzierung von Familienstrukturen, wie das Wegbrechen von Mehrkindfamilien, und erhöhter berufsbedingter Mobilitätsanforderungen seien laut Tschöpe-Scheffler (2014a: 15ff.) die Lebensumstände von Familien in den letzten Jahrzehnten komplexer geworden. Das birgt für Familien einerseits die Chance auf Freiräume und Autonomie, andererseits das Risiko von Überforderungen und Zumutungen. Des Weiteren ist dadurch in einigen gesellschaftlichen Milieus die soziale Isolation von Familien zu erkennen, die auch in der öffentlichen Wahrnehmung vermehrte Aufmerksamkeit erfährt. Durch die »Verwissenschaftlichung von Erziehung« stiegen überdies die Anforderungen an »gute Eltern«, was Elternschaft zu einer »permanenten Herausforderung« mache. Daher seien Angebote der Familienbildung eine Möglichkeit, um Orientierung für Familien in ihrer »beanspruchenden Herstellungsleistung« zu bieten. Anforderungen an die Familienbildung sind daher: Entschleunigung zu ermöglichen, Eltern »fehlerfreundlich« in die Rollen als Mütter bzw. Väter hineinwachsen zu lassen sowie Entlastung und Unterstützung zu bieten, damit Familien mit Freude, Zuversicht und Hoffnung ihren Aufgaben nachkommen können (vgl. ebd.). Die Wurzeln heutiger Eltern- und Familienbildung lassen sich bereits in der frühen Pädagogik von Comenius, Fröbel oder Pestalozzi finden (vgl. TschöpeScheffler 2014a: 17f.). Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden erstmals Beratungsstellen für stillende Mütter (1867) und Anfang des 20. Jahrhunderts (1909) Mütterberatungsstellen sowie Vortragsreihen für Mütter als auch Frauenvereine für
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Schwangere aus »armen Verhältnissen« erwähnt (vgl. Hartung 2009: 35; Rollik 2003: 2). Diese waren Reaktionen auf hohe Sterblichkeitsquoten sowie Verwahrlosungstendenzen von Kindern und behandelten Haushaltsführungs- und Kindererziehungsfragen. Erst später mit der Verbesserung der Gesundheit und Hygiene wurden familienbegleitende Angebote, die sich pädagogischen Fragestellungen in der Erziehung widmeten, eingeführt (vgl. Pettinger/Rollik 2005: 31). Von der Weimarer Republik bis in die 1950er Jahre wurde mit der Gründung von »Mütterschulen« ein tradiertes Familienleitbild mit der Mutter als für die Erziehung Zuständige und alleinige Adressatin der Angebote zur Kinderpflege, Erziehung und Hauswirtschaft zur Stärkung der »Mütterlichkeit der Frau« institutionalisiert. Erst ab Mitte der 1960er Jahre setzte ein Wandel des Familien- und Frauenleitbildes ein, welches die gesamte Familie als Sozialisationsinstanz betrachtete und einbezog. Infolgedessen wurde bis Mitte der 1970er Jahre der Begriff »Mütterschule« durch die Begriffe »Familienbildungsstätte« und später auch »Elternschule« abgelöst. Das Spektrum der Angebote dieser Institutionen wurde um die Bereiche Politik, Beruf, Beziehungen und persönliche Entwicklungen erweitert (vgl. Tschöpe-Scheffler 2014a: 18; Hartung 2009: 35; Rollik 2003: 3ff.). Seit den 1980ern haben sich vermehrt selbstorganisierte Zentren und Gruppen aus Selbsthilfebewegungen heraus nach dem Laien-für-Laien-Prinzip entwickelt (vgl. Rollik 2003: 5f.). Ab den 1990er Jahren wurden Eltern-Kind-Angebote ausgebaut (vgl. Pettinger/Rollik 2005: 31). Per Gesetz werden Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 & 2 GG unter staatlichen Schutz, aber auch unter staatliche Kontrolle gestellt. Im Kinder- und Jugendhilfegesetz nimmt die Familie eine zentrale Rolle ein: § 1 SGB VIII schreibt das Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe sowie die Unterstützung von Erziehenden durch Erziehungsberatung fest. Dieser grundsätzliche, familienfördernde Aspekt wird in § 16 SGB VIII konkretisiert und benennt explizit Leistungen zur Erziehungsförderung. Dazu zählen bedarfsgerechte Angebote der Familienbildung, Beratungsangebote in allgemeinen Erziehungs- und Entwicklungsfragen sowie Familienfreizeit- und Familienerholungsangebote (§ 16 SGB VIII Abs. 2, Nr. 1-3). Verantwortlich für die Planung und Umsetzung dieser Angebote sind gemäß § 16 Abs. 4 SGB VIII die jeweiligen Bundesländer. Aus diesem Grund hat sich ein sehr vielfältiges Netz an Angeboten zur Erziehungsförderung je nach Bundesland etabliert (vgl. z.B. Rißmann/Remsperger 2011: 79f.). In den letzten zehn Jahren ist bundesweit verstärkt die Entwicklung von als ›innovativ‹ und anzustre-
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bende Form der Familienunterstützung beschriebenen multifunktionalen Familienzentren zu beobachten. Diese sind am Early-Excellence-Center-Konzept2 orientiert und verknüpfen die Stärkung elterlicher Erziehungskompetenz mit der Entwicklungsförderung von Kindern. Dies richtet sich v.a. an Familien mit jüngeren Kindern (vgl. z.B. Rißmann/Remsperger 2011: 19ff.; Vetter 2012: 28). Hervorzuheben sind hier die im Bundesvergleich durch »herausragende Finanzierungsqualität« gekennzeichneten Eltern-Kind-Zentren (im Folgenden: EKiZ) in Hamburg (vgl. Rißmann/Remsperger 2011: 38, 45; Sturzenhecker 2009: 60) sowie die bundesweit in höchster Dichte ausgebauten ca. 3.400 Familienzentren in NordrheinWestfalen (vgl. MFKJKS 2016: 3; Stöbe-Blossey/Strotmann/Tietze 2011). 1.2 Zum Verständnis von Familienbildung als soziale Bildungsarbeit Familienbildung ist – je nach Setting des Angebots mehr oder minder stark – nicht nur auf die Stärkung bestimmter erzieherischer Kompetenzen ausgerichtet, sondern zielt überdies auf Alltagsbewältigung ab. Solche Alltagskompetenzen werden v.a. über informelle Bildungsprozesse vermittelt, die besonders durch den Austausch mit anderen, z.B. Fachkräften und Familien, initiiert und daher nicht curricular geregelt werden (können). Es geht je nach Einzelfall um individuelle Bedarfe und Anliegen in der Erziehung und Alltagsbewältigung, weshalb die Inhalte von Familienbildung nicht standardisiert werden können, was im Diskurs um Qualität(-smerkmale) berücksichtigt werden muss. Nach Pettinger und Rollik (2005) ziele Familienbildung: »[…] einerseits auf eine Förderung kommunikativer Handlungskompetenzen, die Konfliktbewältigungen erleichtern können, andererseits auf Lernprozesse, die es Familienmitgliedern erlauben, Krisen als Chancen für die Weiterentwicklung des Zusammenlebens zu verstehen« (ebd.: 77). Informelle Bildungsprozesse, die in non-formalen Angeboten der Familienbildung stattfinden bzw. angestoßen werden (können), beziehen sich auf die sich im Alltag vollziehenden Lern- und Bildungsprozesse zur gelingende(re)n Alltagsbewältigung, welche sich mit den Maximen der Ressourcen- und Lebensweltorientierung (vgl. Thiersch 1995) in der Sozialen Arbeit vereinbaren lassen (vgl. Sting 2016: 120ff.).
2
In den aus Großbritannien stammenden Einrichtungen, die es dort seit den 1980ern gibt, wird die hohe Bedeutung von frühkindlicher Bildung und Entwicklungsmöglichkeiten für Kinder insbesondere aus benachteiligten sozialen Gruppen betont (vgl. Vetter 2012: 8; Rißmann/Remsperger 2011: 17).
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Bildung sei immer durch soziale Kontextualität sowie den Austausch und die Interaktion mit anderen gekennzeichnet, so Sting (2016: 134f.), weshalb er von »sozialer Bildung« spricht. Dieses soziale Moment erhält in Bezug auf Familienbildung besondere Relevanz: In offenen Treffs – wie sie sich vermehrt in multifunktionalen Familienzentren, aber auch anderen Angeboten für Familien etablieren – werden Räume des Austauschs mit anderen Eltern als auch das bedürfnisorientierte Eingehen der Fachkräfte auf die Nutzerinnen und Nutzer sowie die damit einhergehenden Reflexionen eigener Positionierungen eröffnet. Daher bezeichnet Sturzenhecker (2009) niedrigschwellige Familienbildung als »handlungsentlastete Bildungsassistenz« oder »subjektorientiertes Bildungsangebot« (ebd.: 36). Durch solche Arbeitsweisen könnten Nutzerinnen und Nutzern Handlungsalternativen für die eigene Alltagsgestaltung aufgezeigt werden, die diese annehmen, ablehnen und mitgestalten können, wodurch Selbsthilfe assistiert werde, ohne Lerninhalte und -wege vorzugeben (vgl. ebd.: 35f.; Tschöpe-Scheffler 2014a: 15ff.). Insbesondere die Vernetzung mit anderen Familien dient daneben der Stärkung von Gemeinschaft und Teilhabe sowie der Vermittlung und Reflexion eigener Werte und Normen (vgl. Hartung 2009: 40ff.). Daher können solche offenen Angebote der Familienbildung mit den der Selbstbildung innewohnenden Ansprüchen der Mündigkeit, Kritikfähigkeit und Autonomie des Subjektes (vgl. Sting 2016: 119ff.) zusammengebracht werden. Neben dem Format des offenen Treffs gibt es noch weitere Angebotssettings in der Familienbildung, wie Kurse, Informationsabende und -veranstaltungen, in denen »wissenschaftlich fundiertes Erziehungswissen« sowie Hinweise und Informationen für alle Lebensphasen innerhalb der Familie bereitgestellt werden (vgl. BMFSFJ 2015). Inhaltlich zielen solche Angebotsformate daher eher auf die Bereitstellung von Information und Beratung ab oder konkret auf Bildung im Sinne der Beeinflussung des Bildungsniveaus der Eltern sowie die Vermittlung konkreter Kompetenzen, allerdings erhalten die Teilnehmenden hier keine formalen Bildungszertifikate (vgl. Hartung 2009: 40ff.). Dadurch unterscheidet sich dieses Feld sozialer Bildungsarbeit zum einen von Einzelfallberatungen und -hilfen, in denen es um die Stärkung spezifischer Kompetenzen sowie die (Wieder-)Herstellung von Handlungsfähigkeit geht, als auch von Selbsthilfegruppen, bei denen der gegenseitige Austausch von Personen in ähnlichen (oft defizitären) Lebenssituationen im Vordergrund steht; und vereint gleichzeitig Komponenten beider Unterstützungsformate. Somit stellt dieses Arbeitsfeld eine besondere Herausforderung an die (sozial-)pädagogische Praxis dar, welche ein nicht defizitorientiertes Bildungsangebot mit Fokus auf die individuelle Lebensführung und Erziehung sowie gesellschaftliches Handeln bieten soll.
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2. Q UALITÄTSFRAGEN UND - ORIENTIERUNGEN IN DER F AMILIENBILDUNG Die regulativen Änderungen in der öffentlichen Verwaltung über Einführung der Neuen Steuerungsmodelle (im Folgenden: NSM) haben für die Träger und die Fachkräfte in der Familienbildung wesentliche Veränderungen zur Folge gehabt: Die Kopplung staatlicher Zuwendungen an die Implementierung von Qualitätssicherungsverfahren in Institutionen, die regelmäßige Evaluierungsaufforderung professioneller Routinen und Handlungsstrukturen sowie die anhaltende Debatte über die Widersprüchlichkeit, die Qualität pädagogischer Praxis überhaupt definieren, beurteilen oder gar messen zu können. In diesem Arbeitsfeld, genauso wie in der frühkindlichen Bildung, wurde der Qualitätsdiskurs sehr früh und intensiv aufgegriffen. Daher ist die Anzahl von Publikationen zur Qualität in der Familienbildung recht hoch und divers und umfasst einrichtungsspezifische sowie -übergreifende Verfahren des Qualitätsmanagements in Form von Handbüchern und Rahmenkonzepten (vgl. z.B. Tuschhoff o.J.). Diese Konzepte dienen als Orientierungen für die Arbeit und Fragen für Dialogprozesse über die Qualität der Zusammenarbeit zwischen den Fachkräften. Um praxistaugliche Instrumente des Qualitätsmanagements zu entwickeln, sollten idealerweise möglichst viele Beteiligte einbezogen werden – allerdings fehlt in der Praxis oft die Perspektive der Eltern bzw. Familien als Adressatinnen und Adressaten sowie Nutzerinnen und Nutzer der Angebote. 2.1 Einführung der Neuen Steuerungsmodelle im Qualitätsdiskurs Schon lange stellen Qualitätssicherung und -entwicklung wichtige Aspekte in sozialen Dienstleistungen sowie, eng mit dem Professionalitätsverständnis verbunden, einen Selbstanspruch des Arbeitsfeldes dar. Anfangs seien die Qualitätsbemühungen vorrangig auf die Beachtung pädagogischer Kriterien sowie die Ergebnissicherung bezogen gewesen (vgl. Schiersmann/Thiel/Pfizenmaier 2001: 9f.). In den 1990ern wurden Verfahren des Qualitätsmanagements durch die Einführung von NSM in der Sozialgesetzgebung festgeschrieben. Im Kinder- und Jugendhilfegesetz (§§ 78b, 78c SGB VIII) wurde eine Qualitätsentwicklungsvereinbarung verankert, die die Prozesshaftigkeit von Qualität berücksichtigt. Die Finanzierung der Träger von Angeboten der Familienbildung und -beratung durch das Bundesfamilienministerium hängt seither von Projekten zur Qualitätsentwicklung und -sicherung, zur Umsetzung von Ergebnissen in die Praxis sowie der wissenschaftlichen Begleitung ab (vgl. BMFSFJ 2015).
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Durch das NSM setzte somit eine Output-Orientierung in der Praxis Sozialer Arbeit ein: Es wurden moderne, schlanke Betriebsführungsprinzipien auf die sozialen Dienste übertragen.3 Vordergründig seien hierbei organisations- und prozessorientierte Qualitätskriterien: »Die neuen Qualitätskonzepte zeichnen sich dadurch aus, daß sie zum einen nicht nur – und nicht einmal vorrangig – die pädagogischen Prozesse im engeren Sinne in den Blick nehmen, sondern die Institution insgesamt, die die pädagogischen Angebote organisieren.« (Schiersmann/Thiel/Pfizenmaier 2001: 10) Dadurch gewann die Ökonomisierung durch Wettbewerb der Anbieter untereinander an Bedeutung, die Verteilung des Budgets auf die Träger anhand von »rationalen und nachvollziehbaren« (Tuschhoff o.J.: 2) Kriterien wurde ermöglicht – und somit wurde Qualitätskontrolle auch als Instrument der Effizienzsteigerung eingeführt –, die Transparenz in der Beschreibung von ›Produkten‹ und Wirkungen wurde erhöht, gleichzeitig seien dadurch Teilnehmerorientierung und Zielerreichung sowie Möglichkeiten des permanenten Verbesserns pädagogischer Arbeit gegeben. Durch interne sowie externe Verfahren zur Qualitätsfeststellung könnten zudem neue Zielgruppen identifiziert und Bedarfsgerechtigkeit geschaffen sowie Best Practice herausgestellt werden (vgl. ebd.: 1f.; Pettinger/Rollik 2005: 161ff.; Möller/Schaper 2001: 3f.; Schiersmann/Thiel/Pfizenmaier 2001: 9f.; sowie allgemein zum Qualitätsdiskurs in der Sozialen Arbeit: vgl. z.B. Rose 2004: 212f.; Galiläer 2005: 107f.; Dahme/Wohlfahrt 2011). Daneben könnten durch Verfahren des Qualitätsmanagements Verbindlichkeiten4 erhöht sowie die Reflexion von Zielsetzungen, Strukturen und Ergebnissen gefördert werden (vgl. Strätz 2014: 124). 2.2 Diagnose von Qualität anhand von Maßstäben Strätz (2014) hat sich grundsätzlich mit der Diskussion um Qualität in der Familienbildung und dabei mit Maßstäben für die Messung von Qualität, Kriterien zur Qualitätsbestimmung sowie Möglichkeiten zur Diagnose von Qualität beschäftigt. Qualitätsmaßstäbe könnten nicht »rein wissenschaftlich« in fachlichen Überlegungen begründet werden, da es kein ausreichend gesichertes Wissen über Bildungs- und Entwicklungsprozesse von Kindern oder über Prozesse der Familienbildung gäbe (vgl. ebd.: 118f.). Wichtig für die Messung von Qualität sei, dass es einen gemeinsamen Konsens über die Bewertungsmaßstäbe gibt; dass sich diese 3
Für Kritik an der Übertragung dieser betriebswirtschaftlichen Prinzipien auf die Soziale
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Verbindlichkeit heißt auch: Einrichtungsträger müssen sich verpflichten, ressourcen-/
Arbeit siehe z.B. Rose (2004: 214ff.). kostenintensive Hilfen für festgestellte Entwicklungsnotwendigkeiten bereitzustellen (vgl. Strätz 2014: 125).
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Kriterien an den Arbeitsschritten und Abläufen festmachen, nicht aber an der inhaltlichen Arbeit, die sich je nach heterogener Lebenssituation der Nutzerinnen und Nutzer unterscheidet; und dass die Bedeutsamkeit der elterlichen Verantwortung für die kindliche Entwicklung ernst genommen wird, wodurch der Zusammenarbeit mit Eltern eine zentrale Rolle zukommt (vgl. ebd.: 115f.). Folgende Kriterien sollten bei der Frage nach der Bestimmung von Qualität berücksichtigt werden: »Kundenzufriedenheit« (Erwartungen und Wünsche von Eltern und Kindern); »statische Qualitätsauffassung« (festgelegter Katalog an zu erfüllenden Anforderungen abgeleitet aus rechtlichen Vorgaben, fachlichen Kriterien und Leitbildern); Qualität als »dynamisches Konstrukt« (lernende Organisationen: ständige Reflexion und Weiterentwicklung der Arbeit und Qualitätsmaßstäbe) (vgl. ebd.: 117ff.). Außerdem wird zur Diagnose von Qualität zwischen interner Evaluation, also der Qualitätsfeststellung durch die Einrichtung (»Selbstevaluation«), und externer Evaluation unterschieden, also der Qualitätsfeststellung durch »sachverständige Personen ohne dienstlichen Bezug zur Einrichtung« als »kritisches Korrektiv« (ebd.: 123). Sowohl interne als auch externe Qualitätsmanagementverfahren können entweder induktiv entwickelt werden oder bereits bestehende Verfahren deduktiv anpassen. So wurde in den 1990er Jahren eine »Branchenversion« des Qualitätsentwicklungs- und -sicherungsverfahrens der European Foundation for Quality-Management (im Folgenden: EFQM) adaptiert (vgl. Pettinger/Rollik 2005: 163) bzw. um Elemente des Projektmanagements zur Qualitätsverbesserung ergänzt5 (vgl. Schiersmann/Thiel/Pfizenmaier 2001: 10ff., 89ff.) sowie die DIN EN ISO 9001Zertifizierung auf den Familienbildungsbereich übertragen (vgl. Tuschhoff o.J.; Möller/Schaper 2001: 3). Allerdings seien all diese Verfahren an organisatorischen Rahmenbedingungen orientiert, weshalb Qualitätssicherung zur Selbstkontrolle immer der Ergänzung um eine fachlich-pädagogische Diskussion im Team bedürfe (vgl. AWO o.J.). 2.3 Qualitätsdimensionen Inhaltlich bezieht sich die Debatte um Qualität auf unterschiedliche Qualitätsbereiche, welche jeweils in weitere Dimensionen unterteilt werden können: Die Konzept- oder Planungsqualität beinhaltet, dass fachliche Konzepte in die Planung einbezogen werden (Sturzenhecker 2009: 63ff.). Analog dazu bezieht sich Orientierungsqualität auf das von den Trägern der Einrichtungen festgelegte Leitbild, 5
Das EFQM enthalte keine konkreten Unterstützungsinstrumente zur Umsetzung von Qualitätsentwicklung, sondern beziehe sich auf die Stärken-Schwächen-Analyse der Organisation (vgl. Schiersmann/Thiel/Pfitzenmaier 2001: 177f.).
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an dem die pädagogische Arbeit ausgerichtet ist (vgl. Strätz 2014: 119f.). Strukturqualität meint die Qualität der Rahmenbedingungen der Einrichtung (personelle, räumliche, materielle und finanzielle Ressourcen) und des Stadtteils (Infrastruktur) sowie gesamtgesellschaftliche Bedingungen (z.B. Elternzeitregelungen) (vgl. ebd.: 120; Sturzenhecker 2009: 54). Die Prozessqualität bezieht sich auf (tägliche) Abläufe in den Einrichtungen, d.h. Interaktion, Kommunikation und Kooperation sowie die Haltungen und Arbeitsprinzipien, Methoden und Settings der Einrichtungen als auch die inhaltlich unterscheidbaren Aktivitäten, also die Ausgestaltung der Bildungsbereiche (vgl. ebd.: 51; Strätz 2014: 120f.). Entwicklungsqualität meint die Überprüfung und Reflexion der zeitgemäßen Arbeit in der Einrichtung und somit die Gestaltung der Weiterentwicklung durch die Schaffung von Strukturen, welche Verlässlichkeit sichern (vgl. ebd.: 121). Die Ergebnisqualität6 beinhaltet die Ziele bzw. Wirkungen des pädagogischen Handelns (vgl. ebd.). Hierzu merkt Sturzenhecker (2009) an: »Wirkungen pädagogischen Handelns können nicht ›gemessen‹ werden, weil sich Interventionen nicht von anderen Einflüssen eindeutig abgrenzen lassen. Dennoch lassen sich Begründungen plausibilisieren, welche Wirkungen unter Einfluss welcher Bedingungen pädagogischer Arbeitsweisen berechtigterweise erwartet werden dürfen.« (Ebd.: 57)
Die »Überprüfung« der Ergebnisqualität(en) werde durch die Gegenüberstellung vorgegebener Ziele mit zielführenden Wirkungen, sogenannten »Wirkungsindikatoren«, ermöglicht (vgl. ebd.: 62f.). Hierbei unterscheiden Sturzenhecker und Voigtsberger (2015) zwischen »Output«, also der Umsetzung von Qualitätsstandards bzw. Handlungszielen und somit Arbeitsweisen von Fachkräften, und »Outcome«, also der Wirkungen bei den Adressatinnen und Adressaten bzw. sogenannte Wirkungsziele (vgl. ebd.: 9f.). 2.4 Forderung nach konsensualer Entwicklung von Qualitätsmanagementverfahren In der Diskussion um Qualität wird unterschieden zwischen Qualitätsentwicklung, welche sich auf zielgerichtete Arbeitsabläufe bezieht, und Qualitätssicherung, welche Veränderung und Verbesserungen der Prozesse betrifft, sowie Qualitätsmanagement als bewusstes Gestalten beider Vorgänge (vgl. Pettinger/Rollik 2005: 162; AWO o.J.). Mittlerweile wurden vielfältige einrichtungsspezifische 6
Die Unterscheidung nach Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität geht auf Donabedian (1980) zurück, welcher diese ursprünglich im Gesundheitswesen entwickelt hat (vgl. Dahme/Wohlfahrt 2011: 1179).
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und -übergreifende Verfahren des Qualitätsmanagements in Form von Handbüchern und Rahmenkonzepten in das Feld der Familienbildung transferiert (vgl. Tuschhoff o.J.: 3 f). Einige Wohlfahrtsverbände haben bereits frühzeitig eigene Qualitätsmuster-Handbücher für die Familienbildung entwickelt (vgl. z.B. AWO o.J.). Für die Entwicklung praxistauglicher Instrumente zum Qualitätsmanagement werden Vernetzung und Kooperation sowie kollegiale Beratungen und Austausch als essentiell angesehen. Möglichst viele – auch einrichtungsübergreifende – Beteiligte, von Honorarkräften über festangestellte Fachkräfte bis zur Einrichtungsleitung, sollten für einen »Konsensweg« in der Qualitätsentwicklung beteiligt werden. Damit auch die Führungskräfte inhaltlich am Prozess mitwirken können, sei es z.T. sinnvoll, die strategische Steuerung des Qualitätsentwicklungsprozesses an eine externe Moderation zu übergeben (vgl. Möller/Schaper 2001: 2; Strätz 2014: 122ff.). Hieran wird deutlich, dass zwar möglichst viele Stakeholder am Prozess der Qualitätsentwicklung beteiligt werden sollen, um »[…] im Sinne des Wissensmanagements eine optimale Nutzung vorhandenen Wissens […]« (Schiersmann/Thiel/Pfizenmaier 2001: 13) zu ermöglichen. Allerdings bezieht sich dieser Personenkreis in der Praxis vorrangig auf Fachkräfte, Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartner oder Expertinnen und Experten. Die Perspektiven von Adressatinnen und Adressaten sowie Nutzerinnen und Nutzern, die besonders wichtig sind, um »Nutzer-/Adressatenorientierung« als Qualitätsmerkmal (Galiläer 2005: 140) erfüllen zu können, werden oftmals – wohl auch aufgrund des dafür nötigen hohen Ressourceneinsatzes – nicht berücksichtigt. In einigen partizipativen Prozessen der Qualitätsentwicklung fand diese Perspektive allerdings Eingang, auch wenn nicht in gleichberechtigtem Umfang wie die der Professionellen (vgl. z.B. Sturzenhecker/Voigtsberger 2015). Bei der Entwicklung gemeinsamer einrichtungsübergreifender Handbücher zum Qualitätsmanagement zur Durchführung von Selbstevaluationen könne arbeitsteilig – ggf. unter Fachaufsicht der jeweiligen Verwaltung/Behörde – vorgegangen werden. Im idealtypischen Ablauf werden dabei einzelne Elemente bzw. Handlungsziele in unterschiedlichen Einrichtungen erprobt und in übergreifenden Qualitätszirkeln von Erfahrungen mit den Instrumenten berichtet und diese ggf. angepasst und verbessert. Anschließend werden die gesamten Handlungsziele in Handbüchern für die interne Evaluation an alle Einrichtungen verteilt. Solche Handlungsziele seien jedoch nicht als allgemein festgeschriebene und strikt einzuhaltende Handlungsanweisungen bzw. Standards oder Kriterien zu verstehen, sondern als idealtypische Ziele zur Handlungsorientierung, die »grundsätzlich erreichbar« (Tuschhoff o.J.: 3f.) seien, aber innerhalb der einzelnen Einrichtungen an die individuelle Situation angepasst werden sollten. Qualitätsmerkmale sollten
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als Fragen verstanden werden, die innerhalb der Einrichtungen zu Dialogprozessen über die Qualität der (Zusammen-)Arbeit zwischen den Fachkräften führen sollten (vgl. Sturzenhecker/Voigtsberger 2015; Tschöpe-Scheffler 2014b: 8). 2.5 Identifikation von Qualitätsmerkmalen Ein Beispiel für ein Handbuch, welches als geeignet für jegliche Einrichtungen der Familienbildung deklariert ist und in der Praxis von Kitas und Familienzentren erprobt wurde, ist eine einrichtungsübergreifende Handreichung zur Zusammenarbeit mit Eltern (vgl. Tschöpe-Scheffler 2014b: 8). Ausgehend von den National Standards for Parent/Family Involvement Programs wurden deduktiv folgende Merkmale guter Zusammenarbeit herausgearbeitet: »Familien in der Einrichtung willkommen heißen, achtsam und konstruktiv kommunizieren, Erziehungs- und Bildungspartnerschaft gestalten, Partizipation praktizieren, gemeinsam für die Rechte des Kindes eintreten, gemeinsam soziale Netze knüpfen und pflegen« (ebd.). Durch den Austausch mit Praktikerinnen und Praktikern in einem TheoriePraxis-Gespräch wurden die entwickelten Qualitätsfragen diskutiert und modifiziert, wodurch eine neue Kategorie hinzukam, nämlich die »Bestandsaufnahme der bestehenden Arbeit in den Einrichtungen« (ebd.: 9f.). Diese Qualitätsmerkmale wurden als Qualitätsfragen mit weiteren Fragen und methodischen Anregungen operationalisiert und in einer Selbstevaluation sollen Abläufe innerhalb der Einrichtungen überprüft und Qualitätsentwicklung sowie die Reflexion der eigenen professionellen Haltung angeregt werden (vgl. Tschöpe-Scheffler et al. 2014: 70ff.).7 Je nachdem, wo Klärungs- bzw. Verbesserungsbedarf in der Einrichtung identifiziert wird, könnten auch Eltern in Qualitätsentwicklungsprozesse einbezogen werden, was allerdings nicht grundsätzlich vorgesehen ist (vgl. Hoffmann/Krohne/Tschöpe-Scheffler 2014: 68). Insbesondere multifunktionale Familienzentren sind in jüngster Zeit Gegenstand der Qualitätsdebatte geworden. Ein aktuelles Beispiel stellt das in einem partizipativen Prozess entwickelte Qualitätskonzept für die Hamburger EKiZ dar. Dabei wurden sechs Wirkungsziele herausgearbeitet: »Familien pflegen soziale Kontakte über ihre Herkunftsgruppe hinaus und integrieren sich in Institutionen und in den Stadtteil [;] […] Eltern erweitern ihr Wissen über Erziehungs-
7
Bei einigen Qualitätsfragen wird deutlich, dass diese auch für Kitas als familienergänzende Bildungs- und Betreuungseinrichtungen entwickelt wurden, die sich in der alltäglichen pädagogischen Praxis in der Einrichtung durch die Abwesenheit der Eltern kennzeichnen, wovon sich Familienbildung abgrenzt.
86 | H ANNA G UNDLACH aufgaben und über Lernvoraussetzungen von Kindern[;] […] Eltern gestalten sprach-, bildungs- und bewegungsfördernde Aktivitäten mit ihren Kindern[;] […] Eltern kennen und nutzen für sie relevante Hilfs- und Beratungsangebote über das EKiZ hinaus[;] […] Eltern kennen und nutzen konstruktive Handlungsweisen im Umgang mit Krisensituationen[;] […] Kinder entwickeln Ich-Kompetenzen, Sozial- und Sachkompetenzen.« (Sturzenhecker/Voigtsberger 2015:VII)
Es wurde ein Handbuch zur Selbstevaluation für Fachkräfte der EKiZ entwickelt, welches die Qualitätsstandards jeweils in den Bereichen Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität operationalisiert hat (vgl. ebd.). Ein anderes Exempel für die frühe Etablierung von Verfahren der Qualitätssicherung sind die Familienzentren in Nordrhein-Westfalen. Diese Einrichtungen werden durch externe Evaluation für den Zeitraum von vier Jahren mit einem Gütesiegel zertifiziert. In einem Punktesystem müssen Kriterien aus vier Leistungsbereichen (Beratung und Unterstützung von Kindern und Familien; Familienbildung und Erziehungspartnerschaft; Beratung und Vermittlung von Kindertagespflege; Vereinbarkeit von Familie und Beruf) und Strukturbereichen (Sozialraumbezug; Kooperation und Organisation; zielgruppenorientierte Kommunikation; Leistungsentwicklung und Selbstevaluation) erfüllt werden. Im Rahmen des Gütesiegels ist auch eine interne Evaluation vorgesehen, wobei deren Ausgestaltung den Einrichtungen überlassen ist (vgl. Stöbe-Blossey/Strotmann/Tietze 2011: 10ff., 18ff.; MFKJKS 2016: 18ff., 48ff.). Erste Ergebnisse der Dissertation weisen insbesondere auf die Aspekte der Erweiterung des sozialen Netzwerkes und die Integration in die Nachbarschaft bzw. den Stadtteil als »Wirkungsziel« oder »Merkmal guter Zusammenarbeit« hin. In vielen Interviews wurde durch die jugendlichen Eltern betont, dass diese durch die Teilnahme an Angeboten der Familienbildung den Austausch mit anderen Eltern erwarten bzw. erfahren haben, was folgende Interviewausschnitte illustrieren: […], dass man hier so die Nachbarschaft auch so=n bisschen kennenlernt. Das sind ganz viele von hier und dort. […] Man lernt die Leute einfach kennen. (I1); Aber die Gruppe ist jetzt sogar so fest zusammengewachsen quasi, dass wir uns regelmäßig auf Spielplätzen hier in der Umgebung treffen. (I13); Und ja, wir treffen uns halt dann auch privat so, haben uns privat ja (.) so’ne Freundschaft aufgebaut so, ja. (I18); […] ich fand das einfach nur schön, dass andere Mütter hier sind, und dass man sich dann austauschen kann, weil ich ja auch jung bin und wenn ich dann andere Fragen hab, kann ich die anderen dann fragen. (I5)
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In dem letzten Interviewausschnitt wird auch der Bezug zu einem weiteren »Wirkungsziel« ersichtlich, und zwar die Erweiterung des Wissens um Erziehungsaufgaben und Lernvoraussetzungen von Kindern. Diese Wissenserweiterung und das gegenseitige Lernen der Eltern voneinander in informellen Lernprozessen sowie Hilfe zur Selbsthilfe kann anschaulich durch folgende Zitate dargestellt werden: […] also, man lernt viele Leute kennen, man lernt andere Leute kennen, man lernt andere Erziehungsweisen, man lernt andere Ansichtsweisen lernt man kennen […]. Aber es ist auch mal so zu erfahren, wie andere Leute das machen, dass man sieht ›Ah, guck mal, mit – bei der klappt das gut, warum klappt’s bei mir denn nicht?‹ und hier ›Die hatte genau dasselbe Problem wie ich, was hat sie gemacht und was sie gemacht und was hat die gemacht‹. (I1); Und (.) man kann sich gut austauschen, das ist auch wichtig, über Sachen, wie Zähne, die aktuell plagen oder ob man weiß nicht, ob sein Kind sich eher früher oder später entwickelt und sowas und das ist ja auch irgendwie wichtig zu wissen. (I14); […] oder [dass man] auch berichtet, wie’s bei uns ist und wie man das Problem eventuell lösen kann oder so. […] [Man] hat eben verschiedene Eindrücke, weil wir uns unterhalten haben und der meinte ›Ach, ich mach das aber so. Und wieso machst du das eigentlich so? Das ist ja eigentlich nicht so schlau‹ oder ›So könnte ich es auch mal ausprobieren mit meinem Kind‹ und wenn man da eben dadurch diese Kommunikation auch unter den Eltern hat, passiert da ja auch familiär n’bisschen mehr denk ich. Und das hat eher positive Auswirkungen, so wie wir das erlebt haben, bei allen, den Kindern und so, dass man da sich unterhalten kann. (I13)
Insbesondere im letzten Zitat zu den »positiven Auswirkungen […] bei den Kindern« kann Bezug genommen werden zu zwei weiteren »Wirkungszielen«: Das Gestalten von sprach-, bildungs- und bewegungsfördernden Aktivitäten mit den Kindern als auch die Förderung der kindlichen Entwicklung von Ich-Kompetenzen, Sozial- und Sachkompetenzen werden durch die Teilnahme an Familienbildung – auch durch die Austausch- und Spielmöglichkeit der Kinder untereinander – erwartet bzw. erfahren. Dies verdeutlichen folgende Interviewausschnitte: Es ist auch – ich finde, es ist auch besser für das Kind, ich mein, das kann – du kannst ein Kind zwei, drei, vier, fünf Kinder haben, aber trotzdem finde ich es besser, wenn das Kind auch unter anderen Kindern ist anstatt immer nur ›Mama‹. (I1); Und die Kinder haben sich mit sich beschäftigt, das ist natürlich erstmal wünschenswert auch für die Kinder, dass die andere Kinder kennenlernen und da Kommunikationserfahrungen machen. (I13)
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Somit zeigt sich, dass einige der Wirkungsziele auch aus Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer eine große Rolle für die Motivation zur Teilnahme an Familienbildungsangeboten spielen. Es bleibt abzuwarten, welche weiteren Erkenntnisse sich aus dem Promotionsprojekt ergeben, die auf Leerstellen und Lücken im bisherigen Diskurs um Qualität aus Perspektive der (potentiellen) Nutzerinnen und Nutzer hinweisen und/oder diesen ergänzen.
3. Q UALITÄTSMANAGEMENT UND F OKUSSIERUNG VON E RGEBNISQUALITÄT ( EN ): V ERMEIDUNG VON T ECHNOKRATIE HINSICHTLICH INHALTLICHER UND B EZIEHUNGSARBEIT Bei der im Arbeitsfeld der Familienbildung sehr intensiv geführten Diskussion um Qualität besteht die Gefahr, dass es zu einem technokratischen Blick auf das Arbeitsfeld kommt und die für Familienbildung essentiellen sozialen Beziehungen zwischen Fachkräften und Familien sowie die inhaltliche Arbeit, die je nach individueller Lebenssituation der Familienmitglieder unterschiedlich ausgestaltet ist, in den Hintergrund geraten. Besonders die unüberlegte Adaption von Instrumenten zur Qualitätsfeststellung in Folge des Qualitätsmanagement-Booms kann dazu führen, dass diese Verfahren nicht zu den Einrichtungen passen, in denen sie zum Einsatz kommen. Daneben ist die Fokussierung auf Ergebnisqualität(en) problematisch, da in non-formalen Bildungsangeboten der Familienbildung insbesondere informelle Bildungsprozesse und Selbstbildung (vgl. Sting 2016) stattfinden (sollen). »Wirkungen« sind daher nicht eindeutig auf ein Angebot bzw. pädagogisches Handeln zurückzuführen. Alle der nach Strätz (2014) unterschiedenen drei Schritte der Feststellung von gegebener Qualität innerhalb von Einrichtungen (interne und externe Evaluation), sowie der Überlegungen zur Weiterentwicklung in Form von Handlungsbedarf als auch der Sicherung von Qualität durch die Etablierung laufender Dokumentation und Überprüfung im Rahmen des Qualitätsmanagements haben Eingang in das Feld der Familienbildung gefunden (vgl. ebd.: 121f.). Für gelingende Qualitätsentwicklung seien Erfolgserlebnisse und der dadurch entstehende Nutzen für die Fachkräfte wichtig: Die gesetzten Standards bzw. Ziele müssten erreichbar sein. Allerdings sollten sich die Einrichtungen nicht auf leicht erreichbaren Mindeststandards ausruhen, aber auch keine zu hohen an Best Practice orientierten Standards vorgehalten werden, die aufgrund der ernüchternden Konfrontation mit Ansprüchen zu Frustration führen können (vgl. ebd.: 126). Hieran wird deutlich, dass
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das noch relative neue Instrument des Qualitätsmanagements Vorteile für alle Beteiligten biete(n kann). Allerdings wird auch ersichtlich, dass ein solcher Prozess sehr ressourcenintensiv ist und bei allen Beteiligten Anerkennung finden sollte. Insbesondere aufgrund dieser notwendigen Akzeptanz und des Vertrauens der Fachkräfte in die Instrumente des Qualitätsmanagements, scheint es besonders wichtig zu sein, alle Stakeholder in den Prozess der Entwicklung eines Qualitätsverständnisses einzubeziehen (vgl. ebd.) – so wie es bei einigen Qualitätskonzepten in der Familienbildung v.a. durch die Beteiligung von Fachkräften, Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartnern oder Expertinnen und Experten bereits praktiziert wird. Als Kritik an dem unüberlegten, willkürlichen Einsatz von Qualitätsmanagementverfahren in der Familienbildung konstatiert Strätz (2014), dass die Einführung solcher Verfahren nicht sinnvoll sei »[…], wenn der Wunsch im Vordergrund steht, es ›schnell hinter sich zu haben‹« (ebd.: 123). Der Umgang der Einrichtungen mit den Qualitätsansprüchen und -kriterien stelle selbst einen Qualitätsmaßstab dar. Es sollte kein Aktionismus durch die ungeprüfte Übernahme des »nächstbesten Evaluationsverfahrens« betrieben werden (vgl. ebd.), sondern tatsächlich Überzeugung und Engagement für die Qualitätsentwicklung in der Einrichtung vorliegen (vgl. Schiersmann/Thiel/Pfizenmaier 2001: 15). An dieser Aussage wird der Zweifel ersichtlich, dass infolge des QualitätsmanagementBooms in dem Arbeitsfeld teilweise Verfahren zum Qualitätsmanagement unüberlegt übernommen werden. Das macht erneut deutlich, dass die Einführung solcher Verfahren immer sehr viele personelle und zeitliche Ressourcen bei den Institutionen voraussetzt.8 Allerdings sei hier nochmal auf die Prozesshaftigkeit und Dynamik von Qualitätsmanagement an sich verwiesen (vgl. z.B. Strätz 2014: 119): Ein einmal eingeführtes und zum Zeitpunkt der Einführung passendes Instrument zur Qualitätsentwicklung muss fortwährend auf seine Tauglichkeit hin überprüft und an sich verändernde Bedingungen angepasst werden. Tschöpe-Scheffler (2014c) wirft die Frage auf, wie Qualitätsmanagement ausgestaltet werden könne, wenn dies als partizipativer Prozess verstanden wird, bei dem personale Beziehungen genauso berücksichtigt werden wie ein »primär rational-technokratisches Menschenbild und Managementverständnis« (ebd.: 39). 8
Bezüglich der notwendigen personellen Ressourcen sei Folgendes zu beachten: »Allerdings darf auch keine Überlastung der Mitarbeiterinnen durch Qualitätsarbeit entstehen. Pausen vor Inangriffnahme eines neuen Vorhabens sind legitim, auch wenn die Qualitätsentwicklung im Prinzip als kontinuierlicher Prozeß verstanden werden sollte.« (Schiersmann/Thiel/Pfizenmaier 2001: 17f.) Die Gefahr potentieller Überlastung sollte insbesondere aufgrund der häufig »sehr prekären personellen und finanziellen Situation in den Einrichtungen der Familienbildung« (ebd.: 183) berücksichtigt werden.
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Hieran wird deutlich, dass organisatorische Rahmenbedingungen, v.a. Ressourcen zur bewussten Auseinandersetzung der Fachkräfte mit Qualitätsfragen, essentiell sind, um pädagogische Qualität tatsächlich zu erhöhen. Dabei sollten die äußerst wichtigen individuellen Beziehungen, welche für die Etablierung von Erziehungsund Bildungspartnerschaften gemeinsam mit den Eltern nötig sind, nicht außer Acht gelassen werden. Die Implementierung von Verfahren des Qualitätsmanagements – insbesondere mit Fokus auf Ergebnisqualität(en) – birgt allerdings die Gefahr, dass die pädagogische Arbeit einem technokratischen Blick unterworfen wird und dieser die wichtige inhaltliche und Beziehungsarbeit überlagert. Die inhaltliche Arbeit, die sich der Lebenswelt- und Ressourcenorientierung verschrieben hat, könne keinen einheitlichen Standards unterworfen werden und benötige für sich genommen bereits sehr viele personelle und zeitliche Ressourcen (vgl. z.B. Strätz 2014: 116). Daher dürfen durch die Einführung von Qualitätsmanagementverfahren die Ressourcen hierfür nicht gekürzt werden, sondern das Qualitätsmanagement muss als zusätzlicher, gesonderter Aufgabenbereich verstanden werden. Die Diskussion um Qualität in der Familienbildung birgt allerdings auch die Möglichkeiten einer Stärkung der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Wertschätzung (sozial-)pädagogischer Arbeitsfelder (vgl. z.B. Drechsler 2014: 95) und dass sich die Fachkräfte aufgrund der Sicherung von Abläufen mehr auf die so wichtige inhaltliche und Beziehungsarbeit konzentrieren können, wenn der entsprechend höhere Personalbedarf zur Erfüllung der Qualitätsanforderungen analog Berücksichtigung findet. Dadurch wird deutlich, dass sich Qualitätsstandards nur auf Abläufe und Arbeitsformen, nicht aber auf Inhalte pädagogischer Arbeit mit Familien beziehen können und dürfen. Lernprozesse in der Eltern-Kind-Gruppenarbeit, als einem möglichen Format von Angeboten der Familienbildung, sind durch soziales Lernen im Rahmen persönlicher Kommunikation gekennzeichnet. Die dabei erzielten »Ergebnisse« seien nur schwer messbar, aber trotzdem sei eine Ergebnissicherung der pädagogischen Arbeit durch Verfahren des Qualitätsmanagements erforderlich (vgl. Tuschhoff o.J.: 4). Hieran wird das Dilemma deutlich, welches sich bei der Wirkungsforschung bzw. Untersuchung von Ergebnisqualität(en) in der Familienbildung – als auch in anderen Bereichen sozialer Bildungsarbeit – ergibt: Insbesondere bei niedrigschwelligen Angeboten, welche sich als pädagogisch angeleitete Lernorte verstehen, in denen sich Familien untereinander austauschen und vernetzen, wodurch »soziale Bildung« (Sting 2016) stattfinde(n kann), sind »Wirkungen« nicht (eindeutig) auf pädagogisches Handeln zurückzuführen, da intervenierende Bedingungen den »Lernerfolg« ebenfalls beeinflussen (können). Außerdem sind die Bedarfe der Familien je nach Lebenssituation sehr individuell und nicht bei allen geht es darum, dieselben »Wirkungen« zu erzielen.
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4. P OTENTIALE ZUR W EITERENTWICKLUNG DES Q UALITÄTSDISKURSES : P ERSPEKTIVEN DER N UTZERINNEN UND N UTZER SOWIE PASSGENAUE AUSDIFFERENZIERUNG DER ANGEBOTE In Folge der intensiv geführten Diskussion um Qualität wird immer wieder die partizipative Entwicklung von Qualitätskonzepten betont. Allerdings wird eine Gruppe von Beteiligten, welche essentieller Bestandteil der Familienbildung ist, stark vernachlässigt: Die Adressatinnen und Adressaten sowie die Nutzerinnen und Nutzer von Angeboten, nämlich die Familien selbst. Daher sollte künftig vermehrt die Perspektive insbesondere solcher Adressatinnen und Adressaten, die Angebote nur selten nutzen, wie jugendliche Eltern, berücksichtigt werden. Es stellt sich die Frage, ob bzw. welche besonderen Programme oder Angebote bisher wenig erreichte Zielgruppen von Familienbildung brauchen. Insgesamt wurde durch die Skizzierung des Diskurses das ambivalente Verhältnis zu Qualität in dem hoch individualisierten Arbeitsfeld der Familienbildung deutlich: Zum einen sollen hinsichtlich der Arbeitsabläufe vergleichbare Standards eingeführt werden und andererseits sind die Inhalte der Arbeit keinen einheitlichen Kriterien zu unterwerfen. Qualitätsmanagement kann für eine bessere Profilsetzung der Institution und für deren Existenzsicherung sorgen, wenn den Interessen und Wünschen der Nutzerinnen und Nutzer passgenauer nachgekommen wird und so weitere Personenkreise durch Mund-zu-Mund-Propaganda adressiert werden können (vgl. Hoffmann 2014: 57). Aus diesem Grund ist es wichtig, dass sich die künftige Forschung auch und vermehrt den (potentiellen) Nutzerinnen und Nutzern sozialer Bildungsarbeit zuwendet. Ein Abgleich der Erwartungen von Seiten der Adressateninnen und Adressaten mit den Vorstellungen zum ›Nutzen‹ des Angebots von Seiten der Fachkräfte und Institutionen scheint hierfür erfolgsversprechend und insbesondere bei solchen Gruppen von Nöten, die wenig Angebote der Familienbildung nutzen (z.B. jugendliche Eltern). Besondere Aufmerksamkeit erhält die Notwendigkeit des Einbeziehens der Perspektiven (potentieller) Nutzerinnen und Nutzer aufgrund des »Konzepts der doppelten Verankerung von Bildungsdistanz«, welches aussagt: »Nicht nur die Individuen haben Distanz zu institutionalisierter (Weiter-)Bildung, sondern umgekehrt hat auch die institutionalisierte Weiterbildung soziale und kulturelle Distanz zu diesen Adressaten_innen.« (Bremer/Kleemann-Göhring/Wagner 2015: 17) Tatsächliche Adressatinnen- und Adressatenorientierung kann helfen, die für die Erwachsenenbildung und speziell Familienbildung attestierte Mittelschichtsorientierung durch eine Abwendung von einem defizitären Blick auf Adressatinnen und Adressaten, die Angebote nicht oder nur wenig nutzen, zu überwinden. Es sollten vielmehr die
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Rollen von Institutionen und gesellschaftlichen Defiziten sowie Gründe für die Nichtteilnahme an Familienbildung betrachtet werden (vgl. ebd.: 14, 19). Bisher herrscht im Diskurs und insbesondere in der vermehrt stattfindenden Wirkungsforschung oftmals eine Fokussierung auf Ergebnisqualität(en) vor. Dagegen sollten die Prozessqualität(en) mehr in den Vordergrund gerückt werden und besonders der Zugang zu niedrigschwelligen Angeboten der Familienbildung mehr fokussiert werden. Schließlich können erst durch eine de facto Teilnahme an Angeboten pädagogische Wirkungen bzw. Ergebnisqualität(en) erzielt werden. Pettinger und Rollik (2005) stellen diesbezüglich fest: »Besondere Zielgruppen brauchen auch besondere Programme oder Angebote durch die Familienbildung, mit denen einerseits deren spezifische Fragestellungen und Problemlagen aufgegriffen werden können, die andererseits aber i.d.R. darauf abzielen, diese Gruppen in die ›normalen‹ Angebote zu integrieren.« (Ebd.: 111)
Daraus lässt sich die Frage ableiten, welche Bedarfe »besondere Zielgruppen« haben. Hierbei stellt sich allerdings zudem das Problem, dass soziale Gruppen in der öffentlichen Wahrnehmung oft als homogen dargestellt werden, obwohl diese heterogene Interessen-, Bedarfs- und Ressourcenlagen haben. Daher ist mehr Forschung zu den Lebenswelten der Adressatinnen und Adressaten notwendig. Galiläer (2005) kritisiert überdies, dass über die Fragen von Qualität Sozialer Arbeit sowie der Ausgestaltung der jeweiligen Angebote vorrangig weiterhin auf politischer Ebene entschieden würde, wobei die fachliche Seite und auch die »Betroffenen« nicht wesentlich beteiligt würden (vgl. ebd.: 130). An dieser Stelle setzt das Promotionsprojekt der Autorin an, in dem die Lebenswelt jugendlicher Eltern als Adressatinnen und Adressaten von Familienbildung sowie deren Erwartungen an, Erfahrungen mit und Bedürfnisse hinsichtlich von Familienbildung als auch Teilnahmemotive untersucht und mit Erfahrungen und Absichten von Fachkräften abgeglichen werden.
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Lebenslagenorientierte Unterstützung und Förderung Geflüchteter in Gemeinschaftsunterkünften der Stadt Bremen M OUSSA D IENG
Am Beispiel der Professionalisierungsbestrebungen der Stadt Bremen sollen die seitens der Praxis formulierten Qualitätsmerkmale »Passgenauigkeit«, »Bedürfnisorientierung« bzw. »Bedarfsorientierung«, »Problemorientierung« und »Kompetenzorientierung« – nicht nur in Anbetracht ihrer begrifflichen Formulierung – beleuchtet und für die (Praxis der) Soziale(n) Arbeit mit Geflüchteten konkretisiert werden. Um den genannten Qualitätsanforderungen und der Heterogenität geflüchteter Menschen gerecht zu werden, schlägt der Verfasser vor, den gesamten Lebenszusammenhang durch eine »lebenslagenorientierte« Unterstützung und Förderung zu stabilisieren und somit das Qualitätsmerkmal der »Lebenslagenorientierung« als konsequente Leitperspektive des Unterstützungs- und Fördergeschehens in Not- und Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete zu begreifen.
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1. P ERSPEKTIVLOSE L EBENSFÜHRUNG MIT UNGEWISSER Z UKUNFT – M ULTIPLE D ISKRIMINIERUNGEN GEFLÜCHTETER M ENSCHEN IN D EUTSCHLAND In der Bundesrepublik Deutschland unterliegen Geflüchtete nach wie vor einer Vielzahl von Restriktionen in Bezug auf ihre Bildungs- und Teilhabesituation: Politische Entscheidungen sowie restriktive (asyl-, aufenthalts- und sozialrechtliche) Gesetzesvorschriften wirken sich nicht nur negativ auf ihre Bildungssituation, sondern auf ihren gesamten Lebenskontext bzw. auf (nahezu) alle Dimensionen ihrer Lebenslagen aus. Entsprechend bezeichnet Seukwa (2006) Geflüchtete infolge massiver (teilweise rassistischer) rechtlicher Restriktionen und kollektiver gesellschaftlicher Diskriminierungen als extrem marginalisiert (Seukwa 2006: 32). Geflüchtete unterliegen demnach »multidimensionalen Benachteiligungen« und »multiplen Diskriminierungen« (Schroeder/Seukwa 2007), zu denen u.a. (1) die prekäre Unterbringungssituation sowie die damit verbundene fehlende Privatsphäre, (2) die psychische Belastung der Menschen (nach erlebten Traumata), (3) die – in Abhängigkeit vom Individuum zu Ängsten, Unsicherheiten, Langeweile, Lethargie und Apathie führenden – langen Wartezeiten im Asylverfahren, (4) fehlende (sinnvolle) Beschäftigungsmöglichkeiten sowie (5) die durch den Aufenthaltsstatus bedingten Bildungsrestriktionen zählen (vgl. z.B. ASH Berlin 2016; BPB 2016; Aumüller et al. 2015 uvm.). Nach Seukwa (2006) wird hieran deutlich, dass Geflüchtete zu einer auf die »Grundbedürfnisse« reduzierten, perspektivlosen Lebensführung mit ungewisser Zukunft gezwungen werden. Er beschreibt die durch das repressive Asylsystem verursachte Lebenssituation Geflüchteter mit einem »offenen Gefängnis«, womit er veranschaulicht, dass Deutschland Geflüchteten mit seinen Bildungs- und Teilhabeangeboten nur vermeintlich Zukunfts- und Lebensperspektiven im Aufnahmeland eröffnet, da das verwobene, kaum überschaubare Rechtssystem die Realisierung von Bildungs- und Teilhabebemühungen verhindert (Seukwa 2006: 257). Die genannten Bildungs- und Teilhaberestriktionen weisen darauf hin, dass es sich bei dem im vorliegenden Artikel skizzierten Problem nicht nur um ein bildungstheoretisches, sondern vor allem um ein politisches Problem handelt (ebd.: 262). Da die Probleme seitens der Politik verursacht werden, obliegt die Lösungsentwicklung somit der Zuständigkeit politischer Entscheidungsträger und nicht der von Erziehungswissenschaft und Sozialer Arbeit, und macht in erster Linie substanzielle strukturelle, aufenthalts-, asyl- und sozialrechtliche Veränderungen sowie politischen Rückhalt erforderlich, um die Bildungs- und Teilhabesituation Geflüchteter langfristig bzw. nachhaltig zu verändern. Nichtsdestotrotz soll sich der
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Fokus auf die Verbesserung der Bildungs- und Teilhabesituation in Not- und Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete und im Zuge dessen auf das in diesen Unterkünften implementierte Unterstützungs- und Fördergeschehen richten. Diese Fokussierung erfolgt nicht zuletzt bedingt durch die Tatsache, dass die genannten Unterkünfte die erste (legale) Unterbringungsform darstellen und Geflüchtete, v.a. diejenigen mit unsicherer Bleibeperspektive, mitunter sehr lange in diesen Unterkünften verweilen (müssen), bis sie eigenen Wohnraum beziehen (dürfen), weiterwandern oder in ihr Heimatland zurückkehren (müssen). Neben dem augenscheinlichen Professionalisierungsbedarf des Unterstützungs- und Fördergeschehens, stellt der akute Qualifizierungsbedarf des Personals (vgl. dazu z.B. Schroeder/Seukwa 2007: 261ff.) einen weiteren Grund dar. Es geht dem Verfasser also in erster Linie darum, mit diesem Text einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Unterstützungs- und Fördergeschehens sowie zur Qualifizierung des Personals in Not- und Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete zu leisten. Schlussendlich zielt der vorliegende Artikel aber auch (oder vor allem) auf die Verbesserung der Bildungs- und Teilhabesituation sowie der Lebensbedingungen Geflüchteter in den genannten Unterbringungsformen – nicht zuletzt, damit diese bereits ab dem Zeitpunkt der Erstunterbringung eine ihren (Bildungs-)›Bedürfnissen‹ und Lebenslagen entsprechende Unterstützung und Förderung erhalten. Da sich die Gruppe der Adressatinnen und Adressaten der Not- und Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete äußerst heterogen1 zusammensetzt, soll (nicht zuletzt aus forschungspraktischen Gründen) eine Spezifizierung der Untersuchungsgruppe (›Sampling‹) erfolgen, obgleich die schlussfolgernden Empfehlungen für alle Geflüchteten in den genannten Unterkünften gelten bzw. auch auf diese übertragen werden sollen. Die Auswahlkriterien können hier nicht explizit thematisiert werden. Festgehalten werden soll allerdings, dass die Auswahl der Untersuchungsgruppe in Anlehnung an die (zugegebenermaßen) sehr grobe Klassifizierung der institutionellen Ebene2 in der Stadt Bremen erfolgt, welche zur Differenzierung der Adressatengruppe (in teilweiser Anlehnung an das Alter und den
1
Beispielhaft sind die unterschiedlichen Bildungshintergründe, die Vielfalt körperlicher Beeinträchtigungen, gesundheitlicher Probleme und psychischer Schwierigkeiten zu nennen, die durch Kriegs-, Folter- und Fluchterfahrungen aber auch von den schwierigen Bedingungen im Herkunftsland verursacht sein können und Auswirkungen auf das Lernvermögen haben (Schroeder/Seukwa 2007: 100)
2
Gemeint sind hier die zuständigen Behörden – z.B. die Ausländerbehörde, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das Amt für Soziale Dienste und das Jobcenter –, sowie die Träger der Wohlfahrtspflege und deren Institutionen, welche mit der Beratung, Unterstützung und Förderung Geflüchteter in der Stadt Bremen beauftragt wurden
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Familienstatus) sieben Gruppen bildet: (1) begleitete Minderjährige, (2) unbegleitete Minderjährige, (3) Alleinreisende zwischen 18 und 27 Jahren, (4) Alleinreisende über 27 Jahre, (5) Ehepaare ohne Kinder, (6) Ehepaare mit Kindern, (7) Alleinerziehende. Eine weitere Differenzierung erfolgt im Hinblick auf die Bleibeperspektive und den Aufenthaltsstatus: Fokussiert werden (besonders) Geduldete und Personen im Asylverfahren, da diese in besonderer Weise benachteiligt bzw. ausgegrenzt werden, wie z.B. Geflüchtete mit unsicherer Bleibeperspektive. Sie unterliegen zahlreichen Bildungs- und Teilhaberestriktionen. Entsprechendes betont Seukwa (2006), nach welchem der unsichere Aufenthaltsstatus eine ungewisse Zukunftsperspektive impliziert und mit multiplen Restriktionen im täglichen Leben, insbesondere jedoch im Kontext von Bildung und Ausbildung verbunden ist (Seukwa 2006: 30). Der Verfasser richtet den Blick dementsprechend zunächst – in Anlehnung an diese grobe Klassifizierung der Praxis – auf die Situation der zahlenmäßig überproportional vertretenen bzw. größten Altersgruppe der 18- bis 27-jährigen »Alleinreisenden« mit unsicherer Aufenthaltsperspektive – nicht zuletzt aufgrund des in empirischen Untersuchungen (z.B. BAMF-Kurzanalyse 2016; IAB-Kurzbericht 2016; Schroeder/Seukwa 2007; Seukwa 2006) festgestellten Bildungspotenzials dieser Altersgruppe sowie infolge der Tatsache, dass diese gleichsam zahlreichen Bildungs- und Teilhaberestriktionen unterliegen und dennoch sowohl in der Erziehungs- und der Sozialarbeitswissenschaft als auch in der Praxis (der Sozialen Arbeit) in den Not- und Gemeinschaftsunterkünften oft ›vernachlässigt‹ werden. Entsprechend ist die vom Verfasser fokussierte Untersuchungsgruppe keine homogene. Gemein ist der fokussierten (konstruierten3) Untersuchungsgruppe jedoch zumindest, dass diese nach wie vor aus weiten Teilen des Bildungssystems ausgeschlossen bleiben, was im folgenden Abschnitt veranschaulicht werden soll, in welchem die Bildungssituation Geflüchteter in Anlehnung an jüngst veröffentlichte empirische Untersuchungen dargestellt wird.
(v.a. Unterkünfte für Geflüchtete, aber auch Beratungsstellen, Soziale Dienste, Projekte u.a.). 3
Vgl. dazu die Ausführungen von Mecheril et al. (2013), auf welche im Rahmen des vorliegenden Beitrags nicht näher eingegangen werden kann.
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2. D IE B ILDUNGS - UND T EILHABESITUATION G EFLÜCHTETER IN DER B UNDESREPUBLIK D EUTSCHLAND Angesichts der multidimensionalen Benachteiligung Geflüchteter sprechen Schroeder/Seukwa (2007) in diesem Zusammenhang von einem »Ausgrenzungssyndrom« (ebd.: 12; Seukwa 2006). Dass Geflüchtete nach wie vor diversen Ausschließungsmechanismen unterliegen, machen nicht zuletzt die im vergangenen Jahr verabschiedeten Gesetzeserlässe – wie z.B. das am 17. März 2016 in Kraft getretene »Asylpaket II« und das am 31. Juli 2016 in Kraft getretene »Neue Integrationsgesetz« (vgl. z.B. Pro Asyl 2016) – mit ihren weitreichenden Differenzierungen in Bezug auf die (un-)sichere Bleibeperspektive sowie die jüngst veröffentlichten empirischen Untersuchungen zu den Bildungsbedürfnissen und Lebenslagen Geflüchteter deutlich. Zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der Antidiskriminierungsarbeit betonen vehement, dass das Menschenrecht auf Bildung – entsprechend dem Berufsethos der Bildungsinternationale4 und der UN-Kinderrechtskonvention – ausnahmslos für alle Menschen gilt (vgl. dazu auch Pro Asyl 2016; GEW 2015: 20; Schroeder/Seukwa 2007: 248 ff.; Seukwa 2006: 268 ff.), und die GEW (2016) fordert, Bildung als Menschenrecht auch für Geflüchtete anzuerkennen und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Grundrecht auf Bildung nicht verhandelbar und ebenso wenig aus Kostengründen relativiert werden darf (GEW 2016: 2). Denn die Bildungssituation Geflüchteter lässt sich noch immer als äußerst prekär beschreiben, wie die nachfolgenden (zusammenfassenden) Darstellungen veranschaulichen sollen. Da inzwischen zahlreiche empirische Untersuchungen bezüglich der (Bildungs-)Bedürfnisse und Lebenslagen Geflüchteter vorliegen, sollen die Ergebnisse jüngst veröffentlichter Analysen bezüglich der (Bildungs-)Bedürfnisse und Lebenslagen (z.B. BAMF-Kurzanalyse 2016; IAB-Kurzbericht 2016; IABBAMF-SOEP-Befragung 2016) sowie ältere (aber nach wie vor von starker Aussagekraft geprägte) Untersuchungen (z.B. Schroeder/Seukwa 2007; Seukwa 2006) herangezogen werden. Auch wenn aus den Ergebnissen der qualitativen Untersuchungen keine repräsentativen Daten bezüglich der Bildungshintergründe von in Deutschland lebenden Geflüchteten abgeleitet werden können, lassen sich in den Ergebnissen dennoch bestimmte Muster erkennen, welche in Abhängigkeit von der Herkunft (mitunter stark) variieren (IAB-Kurzbericht 2016: 1; vgl. dazu
4
Entsprechend wird in Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 das Recht auf Bildung als ein Grundrecht erklärt.
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auch BAMF-Kurzanalyse 2016; IAB-BAMF-SOEP-Befragung 2016).5 Die Ergebnisse der Analysen verdeutlichen, dass Geflüchtete äußerst differente Voraussetzungen hinsichtlich ihres Bildungshintergrundes und ihrer Qualifikationen mitbringen und die Allgemeinbildung der Geflüchteten stark polarisiert ist (BAMFKurzanalyse 05/2016: 7; IAB-BAMF-SOEP-Befragung 2016: 3, 36f.): Die Bildungsstruktur Geflüchteter unterscheidet sich von der der deutschen Wohnbevölkerung auf Seiten der hohen Bildungsabschlüsse kaum. Vielmehr zeichnet sie sich durch einen wesentlich kleineren Anteil bei den mittleren Bildungsabschlüssen sowie durch einen wesentlich größeren Anteil bei den niedrigen bzw. keinen Bildungsabschlüssen aus (BAMF-Kurzanalyse 05/2016: 7; IAB-BAMF-SOEPBefragung 2016: 37; IAB-Kurzbericht 2016: 4f.). Die skizzierte Polarisierung lässt sich laut Angaben der IAB-BAMF-SOEPBefragung (2016) zum einen durch das Entwicklungsniveau und die (Kriegs-)Bedingungen in den jeweiligen Herkunftsländern, und zum anderen durch die gravierenden nationalen Unterschiede hinsichtlich des Berufsbildungssystems begründen. So bedürfen diverse technische, handwerkliche und kaufmännische Berufe in den verschiedenen Herkunftsländern keiner formalen Ausbildung. Entsprechend verfügen diese Personen zwar über umfassende berufliche Fähigkeiten und Praxiserfahrungen, sie können diese gewonnenen Erfahrungen allerdings nicht nutzbar machen, weil sie diese nicht durch staatlich anerkannte bzw. zertifizierte Ausbildungsabschlüsse nachweisen können (BAMF-Kurzanalyse 05/2016: 8; IAB-BAMF-SOEP-Befragung 2016: 38, vgl. dazu auch Radetzky/von Stoewe 2016, BQ-Portal 2016). Schroeder/Seukwa (2007) begründen die starke Polarisierung der Allgemeinbildung Geflüchteter außerdem durch die unterschiedlich langen Bildungszeiten. Ihren Beschreibungen zufolge können Geflüchtete die in Deutschland übliche bzw. erwartete (durchschnittliche) Bildungszeit (von etwa 15 Jahren) nur schwer nachweisen, weil deren (Bildungs-)Biografien durch »plurilokale« bzw. transnationale Lebensweisen gekennzeichnet sind, d.h. sie haben im Laufe ihres Lebens an mehreren Orten bzw. in verschiedenen Ländern gelebt und konnten demnach die vorgesehene Bildungszeit nicht in der »institutionell formalisierten zeitlichen Abfolge ohne Unterbrechung absolvieren« (ebd.: 20). Ihrer Ansicht nach sind die Bildungsverläufe Geflüchteter nicht nur durch fluchtbedingte 5
In diesem Zusammenhang gilt es zu erwähnen, dass die in den nachfolgend genannten qualitativen und quantitativen Untersuchungen befragten Geflüchteten nicht repräsentativ für den Bevölkerungsdurchschnitt in den jeweiligen Herkunftsländern sind, sondern (bedingt durch die mit hohen Kosten verbundenen Fluchtmöglichkeiten uvm.) lediglich eine selektive Gruppe darstellen (vgl. dazu Brückner et al. 2016). Nichtsdestotrotz erlauben die systematisch durchgeführten empirischen Untersuchungen repräsentative Aussagen in Hinblick auf den (Aus-)Bildungsstand Geflüchteter in Deutschland.
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Diskontinuitäten, sondern darüber hinaus auch durch eine verkürzte und zugleich gedehnte Bildungszeit gekennzeichnet, weil ihnen in der Regel weniger Zeit zur Nutzung von Bildungsangeboten zur Verfügung steht und verschiedene Aspekte und Bedingungen ihre Bildungsverläufe zeitlich verlängern (Schroeder/Seukwa 2007: 21). Die genannten empirischen Untersuchungen veranschaulichen weiterhin, dass ein Großteil der Geflüchteten (unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion u.a. Differenzkategorien) eine stark ausgeprägte Erwerbs- und Bildungsorientierung zeigt, wobei jedoch viele ältere Geflüchtete ihre Bildungsaspirationen auf ihren Nachwuchs übertragen (IAB-Kurzbericht 2016: 6f., 11). Konkrete Bildungspläne, wie z.B. den Erwerb von Schul-, Ausbildungs- und Hochschulabschlüssen, verfolgen insbesondere jüngere Geflüchtete (ebd.: 7). Weiterhin scheint Geflüchteten eine hohe »Integrationsbereitschaft« sowie eine mindestens ebenso hohe Bildungs- und Arbeitsmotivation gemein (BAMF-Kurzanalyse 05/2016: 12; IAB-BAMF-SOEP-Befragung 2016: 38; IAB-Kurzbericht 2016: 1, 4, 6f., 11; GEW 2016: 3). Auch wenn die Darstellungen des IAB-Kurzberichtes (2016) die hohen Bildungsaspirationen für alle Befragten feststellen (IAB-Kurzbericht 2016: 11), stehen diese (erwartungsgemäß) in engem Zusammenhang mit deren Alter, Geschlecht und der Bleibeperspektive bzw. dem Aufenthaltsstatus. So lassen sich beispielsweise geringe geschlechtsspezifische Unterschiede verzeichnen, wobei betont wird, dass dieser »Gender-Gap« in Relation zum Vorhandensein von Kindern steht (BAMF-Kurzanalyse 05/2016; IAB-BAMF-SOEP-Befragung 2016: 38). Weiterhin sind die Bildungsaspirationen laut den Ergebnissen der IAB-BAMF-SOEP-Befragung (2016) umso stärker ausgeprägt, je sicherer die Bleibeperspektive scheint: Personen mit befristeter Bleibeperspektive bzw. mit unsicherem Aufenthaltsstatus (Duldung) sowie Personen, die sich noch im Asylverfahren befinden (Aufenthaltsgestattung), streben seltener formale Bildungsabschlüsse an als Personen, die dauerhaft in der BRD bleiben möchten und einen Schutzstatus erhalten haben (Aufenthaltserlaubnis; subsidiäre Schutzberechtigung). Weiterhin lässt sich festhalten, dass Personen mit sicherer Bleibeperspektive häufiger einen allgemeinen Schulabschluss als einen beruflichen Bildungsabschluss anstreben (IAB-BAMF-SOEP-Befragung 2016: 40). Es zeigt sich auch, dass jüngere Geflüchtete deutlich häufiger einen Schulabschluss erlangen möchten. Ebenso ist der Anteil der männlichen Geflüchteten (47 Prozent), welche einen Schulabschluss erreichen möchten, etwas höher als der Anteil der weiblichen Befragten (44 Prozent) (ebd.). Laut GEW (2016) steht der beschriebenen hohen Bildungsaspiration allerdings ein seit geraumer Zeit deutlich unterfinanziertes und folglich sowohl qualitativ als auch quantitativ ausbaubedürftiges Bildungssystem gegenüber (GEW
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2016: 8). Entsprechendes betont Seukwa (2006), nach welchem der Bildungsaspiration enorme strukturelle Barrieren entgegenstehen (Seukwa 2006: 264). Auch die Ergebnisse der herangezogenen empirischen Untersuchungen betonen, dass die größten Hürden im Kontext der Arbeitsmarktintegration im Erwerb von Deutschkenntnissen und anerkannten Bildungsabschlüssen sowie hinsichtlich des Zugangs zum (Aus-)Bildungssystem bestehen (IAB-Kurzbericht 2016: 1). Infolgedessen wird die gegenwärtige Bildungsbeteiligung Geflüchteter trotz der hohen Bildungsambitionen in den empirischen Analysen als gering bewertet. Diesbezüglich muss allerdings erwähnt werden, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung lediglich fünf Prozent der Befragten Schulen und Hochschulen besuchten oder eine (Berufs-)Ausbildung absolvierten, wobei unbedingt berücksichtigt werden muss, dass sich etwa 55 Prozent der Befragten noch im bestandskräftigen Asylverfahren befanden und weitere neun Prozent lediglich über einen Duldungsstatus verfügten. Hinzu kommt, dass die Deutschkenntnisse häufig noch sehr gering gewesen sind, was die Vermutung nahelegt, dass die Bildungsbeteiligung (nach Abschluss des Asylverfahrens, mit Sicherung der Bleibeperspektive und zunehmenden Deutschkenntnissen) aller Wahrscheinlichkeit nach steigen wird (IAB-BAMF-SOEP-Befragung 2016: 41).
3. P ROFESSIONALISIERUNG DES U NTERSTÜTZUNGS - UND F ÖRDERGESCHEHENS DER N OT - UND G EMEINSCHAFTSUNTERKÜNFTE FÜR G EFLÜCHTETE UNTER BESONDERER B ERÜCKSICHTIGUNG ZENTRALER Q UALITÄTSMERKMALE SOZIALER B ILDUNGSARBEIT Spätestens seit der im Jahr 2015 für die institutionelle Ebene – sowohl auf behördlicher Seite sowie auf Seiten der Träger der Wohlfahrtspflege und der Not- und Gemeinschaftsunterkünfte bzw. des darin beschäftigten Personals – konstatierten »Verwaltungs- und Infrastrukturkrise« (BPB 2016), welche die Unterkünfte für Geflüchtete in besonderer Weise belastet, steht in der Stadt Bremen endgültig fest, dass das Unterstützungs- und Fördergeschehen dieser Institutionen einer umfassenden Professionalisierung bedarf. Wie diese Professionalisierungsbestrebungen angesichts der rechtlichen, politischen und (infra-)strukturellen Rahmenbedingungen konkret realisiert werden können, bleibt allerdings – nach wie vor – ungeklärt. Weitgehende Einigkeit herrscht auf institutioneller Ebene allerdings darüber, dass die Unterstützung und Förderung Geflüchteter »passgenau«, »bedürfnisorientiert« bzw. »bedarfsgerecht«, »problemorientiert« und »kompetenzorientiert« erfolgen soll (rd. 86 Prozent – also 31 von 36 – der befragten Mitarbeitenden aus
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Not- und Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete in der Stadt Bremen geben diese Qualitätsmerkmale – neben anderen – unabhängig voneinander an; vgl. dazu Analyse des Professionalisierungsbedarfes 2016). Es fällt auf, dass Begrifflichkeiten gewählt werden, welche allesamt ähnliche Zielsetzungen implizieren und (in der Praxis) häufig sogar synonym verwendet werden. Werden diese vagen Begrifflichkeiten wohlwollend und zugleich differenzierter betrachtet, kann aus diesen die Intention (des befragten Personals) abgeleitet werden, das Unterstützungsund Fördergeschehen an die Spezifika der Adressatinnen und Adressaten und deren entsprechende Lebenssituation bzw. deren Lebenslage – d.h. also unter anderem auch an deren Bildungs- und Teilhabesituation – anzupassen. Dieses Vorhaben scheint nicht bloß in Anbetracht der festgestellten Heterogenität ein komplexes Unterfangen zu sein. Die Vieldeutigkeit der Begrifflichkeiten lässt ihre Bedeutung schlussendlich unklar und erschwert eine fachliche Orientierung an diesen Qualitätsmerkmalen, sodass Gefahr droht, dass die begriffliche Unschärfe dazu führt, dass die Professionalisierungsbestrebungen nicht mehr als ›leere Phrasen‹ bleiben. Soll das Unterstützungs- und Fördergeschehen entsprechend der (von der Praxis benannten) Qualitätsmerkmale gestaltet werden, setzt dies eine Übereinkunft im Sprachgebrauch, eine inhaltliche Konkretisierung sowie eine entsprechende konzeptionelle Verankerung voraus. Vor diesem Hintergrund sollen die genannten Qualitätsmerkmale präziser formuliert, inhaltlich ausgestaltet, deren Interdependenzen beleuchtet und in Anlehnung daran ein Entwurf für ein Unterstützungs- und Förderkonzept skizziert werden. Nachfolgend wird versucht, die genannten Professionalisierungsbestrebungen (Konzipierung und Implementierung eines »passgenauen«, »bedürfnisorientierten« bzw. »bedarfsgerechten«, »problemorientierten« und »kompetenzorientierten« Unterstützungs- und Fördergeschehens; vgl. dazu Analyse des Professionalisierungsbedarfes 2016) – nicht nur in Anbetracht ihrer begrifflichen Formulierung – (für die Praxis) zu konkretisieren. Wenden wir uns also zunächst dem Begriff der »Passgenauigkeit« zu. Der Verfasser bewertet den Anspruch der »Passgenauigkeit« zwar als wichtige, aber nicht ausreichend konkret formulierte Zielsetzung, mit welcher die Praxis verbindet, dass das Unterstützungs- und Fördergeschehen »genau« auf die Zielgruppe zugeschnitten bzw. auf alle Adressatinnen und Adressaten abgestimmt ist und somit für alle »passt«, d.h. den »Bedürfnissen«, den »Problemen« sowie den »Kompetenzen« der Zielgruppe gerecht wird. Neben der Tatsache, dass der Begriff nicht ausreichend konkret formuliert ist, bietet die Begriffswahl weitere Anlässe zur Kritik: Laut Schroeder/Seukwa (2007) ergibt sich ein zentrales Problem daraus, dass die stark »ausgeprägte Heterogenität der Zielgruppe« zu Schwierigkeiten im
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Kontext der Antizipation möglicher »Bedürfnisse« führt. Dies erschwert nicht zuletzt Partizipationsintentionen, sondern darüber hinaus die angemessene Berücksichtigung der Diversität und Pluralität der Lebenslagen Geflüchteter (ebd.: 100). Fest steht jedoch eines: Sollen die individuellen Voraussetzungen Geflüchteter nicht einfach übergangen werden, muss deren Unterstützung und Förderung tatsächlich »passgenau« erfolgen. Bedingt durch die Tatsache, dass über den weiteren Verbleib Geflüchteter in Deutschland lediglich spekuliert werden kann bzw. zum Zeitpunkt der Unterstützung nur vage Aussagen darüber getroffen werden können, ob diese (langfristig oder dauerhaft) in der Bundesrepublik bleiben, ob diese in einen anderen Staat weiterwandern oder in ihr Heimatland zurückkehren, müssen Geflüchtete nach Schroeder/Seukwa (2007) aus einer transnationalen Perspektive als »Transmigrantinnen und Transmigranten« wahrgenommen werden (Transnationalismus). Entsprechend muss also berücksichtigt werden, dass die (Bildungs-)Biografien Geflüchteter einen »potenziell transnationalen Charakter« aufweisen und somit eine konsequent transnationale Perspektive im Kontext des Unterstützungs- und Fördergeschehens eingenommen werden muss (Schroeder/Seukwa 2007: 254). Auch den Begriff der »Bedürfnisorientierung« gilt es nach Ansicht des Verfassers kritisch zu betrachten, weil dieser mindestens ebenso bedeutungsoffen wie der vorherige Begriff und mit ähnlichen Schwierigkeiten im Kontext der praktischen Realisierung verbunden ist. Bereits in der Definition des Fachlexikons der Sozialen Arbeit (1997) deutet sich die Vagheit des »Bedürfnisbegriffs« an. Dieses definiert Bedürfnisse als »universelle und schillernde Bezeichnung für Mangelgefühle des Menschen, die durch seine physische, psychische und sozio-kulturelle Existenz verursacht werden. Menschliche Bedürfnisse werden in diesem Sinne als Spannungszustände interpretiert, die aus einer subjektiv erlebten Mangellage (materieller oder immaterieller Art) resultieren und nach Ausgleich (Homöostase), also Befriedigung drängen« (Fachlexikon der Sozialen Arbeit 1997: 110). Hinzu kommt, dass die Bedürfnisse Geflüchteter (in der Praxis) in der Regel fremddefiniert und somit unterstellt anstatt direkt abgefragt werden. Des Weiteren erfordert die Identifizierung und Verbalisierung von Bedürfnissen ein hohes Maß an kritischer Selbstreflexionsfähigkeit, Rhetorikvermögen uvm. (vgl. dazu z.B. Staub-Bernasconi 2007). Es soll Geflüchteten damit keineswegs unterstellt werden, dass diese nicht in ausreichendem Maße über die genannten »Kompetenzen« verfügen, allerdings führen verschiedene Faktoren (wie z.B. die repressiven Lebensumstände) dazu, dass die mangelnde Offenheit bzw. das mangelnde Vertrauen in die »Analytikerinnen und Analytiker« eine wirklichkeitsgetreue Bedürfnisformulierung erschweren, wenn nicht sogar verhindern.
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Hinzu kommt, dass die »prekären« personellen und institutionellen (Rahmen-)Bedingungen in Not- und Gemeinschaftsunterkünften (hohe Belegungszahlen, hohe Betreuungsschlüssel, mangelnde Qualifizierung des Personals uvm.) einen solch (zeit-)intensiven und fachlich hoch anspruchsvollen Analyseprozess, wie er für die Identifizierung von Bedürfnissen erforderlich ist, nicht ohne weiteres zulassen. In der Praxis ist mit »Bedürfnisorientierung« somit (mehrheitlich) gemeint, dass die Unterstützenden bemüht sind, die Bedürfnisse – in der Regel eher als »Wünsche« oder »Interessen« interpretiert – der Adressatinnen und Adressatengruppe wahrzunehmen, anzuerkennen und dementsprechend zu handeln. Hierdurch sollen diese sensibel für die Wahrnehmung eigener Bedürfnisse und fähig zu deren Formulierung bzw. Verbalisierung werden. Angesichts dessen kann (gegenwärtig) von einer bedürfnisorientierten Praxis der Not- und Gemeinschaftsunterkünfte also (noch) nicht die Rede sein. Ein tatsächlich »passgenaues« und »bedürfnisorientiertes« Unterstützungs- und Fördergeschehen setzt allerdings eine detaillierte Kenntnis der Bedürfnisse und Lebenslagen der Adressatinnen und Adressaten voraus, weshalb der Anspruch an eine tatsächlich »kompetenzorientierte« Unterstützung und Förderung ausschließlich durch empirische Forschung und eine konsequente Einbeziehung der Adressatinnen und Adressaten realisiert werden kann. Um also eine tatsächlich »passgenaue« und »bedürfnisorientierte« Unterstützung und Förderung Geflüchteter zu ermöglichen, müssen konkrete Informationen über die (potenziellen) Adressatinnen und Adressaten und deren spezifische Lebenssituation vorliegen, um methodisch und organisatorisch angemessen reagieren zu können (ebd.: 100 f.). Wird den Ausführungen von Schroeder/Seukwa (2007) gefolgt, dann kennzeichnen »bedürfnisorientierte« Unterstützungs- und Förderansätze weiterhin, dass diese niedrigschwellig sowie relativ offen und flexibel gestaltet sein müssen, um die individuellen und pluralen Lebenslagen Geflüchteter angemessen zu berücksichtigen, ihnen den Zugang zu Unterstützungs- und Förderangeboten zu erleichtern und ein tatsächlich »passgenaues« Unterstützungs- und Fördergeschehen zu ermöglichen (Schroeder/Seukwa 2007: 100). Etwas konkreter (aber dennoch vage) ist nach Ansicht des Verfassers der Begriff der Adressatinnen- und Adressatenorientierung, welcher im Kontext Sozialer Arbeit (weitgehend) impliziert, dass die Adressatinnen und Adressaten im Kontext der Planung und Strukturierung des Unterstützungs- und Fördergeschehens ernst genommen sowie ihre Lebenswelten, Lebenserfahrungen, Interessen, Ressourcen, Probleme und deren Bildungshintergründe entsprechende Berücksichtigung finden. Entscheidend für die Adressatinnen und Adressaten ist ein Perspektivwechsel im Kontext des Unterstützungs- und Fördergeschehens von der
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fachlichen Perspektive des Personals zur (antizipierten) Perspektive der (potenziellen) Adressatinnen und Adressaten. Dies setzt eine konsequente Beteiligung (Partizipation) der Zielgruppe im Kontext des Unterstützungs- und Fördergeschehens voraus. Eine weitere Anforderung der Adressatinnen und Adressaten besteht in der Offenheit (für Veränderungen) des Prozesses sowie in der Transparenz des tatsächlichen Nutzens (Sander 2009: 2). Es stellt sich also die Frage, wie das Unterstützungs- und Fördergeschehen ernsthaft die unterschiedlichen Bildungsbedürfnisse berücksichtigen, den Geflüchteten einen tatsächlichen Nutzen ermöglichen und entsprechend differenzierte Angebote entwickeln kann, welche die konkreten Lebenssituationen, die persönlichen Erfahrungen und die individuellen Erlebniswelten Geflüchteter beachten. In Anlehnung an Sander (2009) empfiehlt es sich also, das Unterstützungsund Fördergeschehen so zu gestalten, dass nicht bloß der Nutzen, sondern darüber hinaus auch der Problemgehalt für die Zielgruppe erkennbar wird. Er weist somit auf ein weiteres Qualitätsmerkmal sozialer Bildungsarbeit – nämlich das der »Problemorientierung« – hin und impliziert damit, dass Situationen, welche von den Adressatinnen und Adressaten als (gegenwärtig oder zukünftig) relevante Probleme empfunden werden, die Suche nach Lösungsstrategien fast zwangsläufig anregen (ebd.: 3). Er betont, dass Probleme, welche real im Rahmen des eigenen Lebenskontextes entstehen, zur aktiven Auseinandersetzung herausfordern und hebt hervor, dass unerwünschte bzw. veränderungsbedürftige und zugleich als (prinzipiell) lösbar wahrgenommene Situationen Diskrepanzerfahrungen auslösen und im Zuge dessen die Bereitschaft zu Veränderung hervorrufen. Nach Ansicht von Sander (2009) darf es sich dementsprechend also nicht bloß um fiktive Probleme handeln. Folglich heißt dies für eine »problemorientierte« Unterstützung und Förderung Geflüchteter, dass diese in die Lage versetzt werden, Probleme aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, unterschiedliche Lösungsansätze zu (re-)konstruieren und in Anlehnung daran ein Urteil über die gewählte Lösungsmöglichkeit zu fällen (ebd.). Auch das Qualitätsmerkmal der »Kompetenzorientierung« kann als ein weiteres Kennzeichen für ein »passgenaues« Unterstützungs- und Fördergeschehen gesehen werden. Der »Kompetenzbegriff« ist durch eine mindestens ebenso hohe Vielfalt und Verschiedenheit hinsichtlich seiner Verwendung geprägt, wie die bislang diskutierten »Begrifflichkeiten«. Entsprechend betont Wygotski (1964), dass »der Begriff der ‚Kompetenz‘ [...] sich durch unzählige auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus darzustellende Begriffe ausdrücken (kann)« (Wygotski 1964: 34), weshalb Seukwa (2006) – welcher sich umfassend mit dem Kompetenzbegriff beschäftigt hat und dessen Verständnis des Begriffs im Nachfolgenden rezipiert werden soll – die kritische Auseinandersetzung mit dem Kompetenzbegriff als
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eine »conditio sine qua non« (Seukwa 2006: 22) bezeichnet. Auch Seukwa (2006) hebt hervor, dass eine Auseinandersetzung mit der Polysemie als unverzichtbares Moment für eine Fundierung des Kompetenzbegriffs zu betrachten ist (ebd.). Seukwa zeigt eindrucksvoll, dass die dem Kompetenzbegriff anhaftende Mehrdeutigkeit (Polysemie) ontologisch und epistemisch überwindbar ist. Er hebt hervor, dass der Kompetenzbegriff nicht beliebig verwendet werden kann, sondern vielmehr einem bestimmten soziokontextuellen Phänomen mit spezifischer Charakteristik entspricht (Seukwa 2006: 33; vgl. dazu auch Seukwa 2007). Damit ist gemeint, dass es sich bei der »Kompetenz« sowohl um eine individuelle Fähigkeit als auch (in ihrer Konstitution) um ein »Kapital« (i.S.v. Bourdieu 1983) handelt, welches sich als kontextabhängig erweist, weil »Kompetenz« als individuelle Fähigkeit (bereits ab frühester Kindheit) in beständiger Auseinandersetzung mit seiner natürlichen und sozialen Umwelt geformt wird (Seukwa 2006: 254; vgl. dazu auch Seukwa 2007). Er betont in diesem Zusammenhang den gesellschaftlichen Mehrwert, welchen die mit dem Kompetenzbegriff verbundenen Wertvorstellungen erzeugen müssen. Erst durch diesen Mehrwert werden individuelle Fähigkeiten seiner Auffassung nach zu Kompetenzen. Er stellt fest, dass Fähigkeiten dementsprechend sozial bzw. gesellschaftlich erwünscht sein müssen bzw. zur Lösung individuell bzw. gesellschaftlich relevanter Probleme beitragen müssen und schlussfolgert daraus, dass Fähigkeiten ihren Kompetenzstatus durch die zuerkannte Nützlichkeit in dem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext erhalten (ebd.: 24). Nach Seukwa (2006) bezeichnet Kompetenz also eine Fähigkeit zur Bewältigung komplexer Aufgaben, welche ein nur schwer zugängliches Know-how erfordern. In Anbetracht dessen wirkt Kompetenz für ihn als Unterscheidungskriterium, welches die Basis für soziale Selektions- und Klassifikationsprozesse bildet und zur Vorteilsverschaffung beiträgt und folglich vom sozialen Wettbewerb abhängig ist (ebd.: 40). Er fügt hinzu, dass sich in der Bestimmung von Kompetenzen die Klassen- und Machtverhältnisse sowie deren gesellschaftliche Interessen widerspiegeln und stellt fest, dass sich die gesellschaftliche Legitimierung in Form einer institutionalisierten Anerkennung (verstanden als »Qualifikation«) äußern kann, wodurch gesellschaftlich oder staatlich anerkannte Kompetenzen transformiert würden: »Es geht um die Definitionsmacht des ,legitimen Wahren und Guten‘ durch eine Gruppe und deren Durchsetzungsfähigkeit, um ihre Definition von den anderen anerkennen zu lassen« (ebd.: 42). Er erwähnt in diesem Rahmen, dass der Kompetenzbegriff enormes Potenzial bietet, Erkenntnisse in Bezug auf den Kompetenztransfer in der Migrationssituation sowie hinsichtlich der Bedingungen seiner Möglichkeit zu gewinnen. Er beschreibt, dass Geflüchtete über Erfahrungen, Qualifikationen, Fertigkeiten und Kompetenzen verfügen, welche
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diese bereits vor bzw. während der Migration erworben haben (ebd.). Diese Tatsache muss im Rahmen eines »kompetenzorientierten« Unterstützungs- und Fördergeschehens zwingende Berücksichtigung finden. Nach Seukwa (2006) nimmt die Kompetenz Geflüchteter die Gestalt eines »Habitus« (Bourdieu 1983) an, welchen er als »Habitus der Überlebenskunst« bezeichnet. Seiner Auffassung nach ermöglicht der Habitusbegriff, bedingt durch seine ihm »inhärenten Eigenschaften«, die Mechanismen des Kompetenztransfers transparent zu machen (ebd.: 33, 259) und zugleich den traditionellen Antagonismus zwischen Kultur und Struktur zu überwinden (Koller 2002: 184f.). Hingegen lassen sich Seukwas (2006) Ansicht nach mit dem Begriff der »Überlebenskunst« Kompetenzen benennen und definieren, welche in (für die Entfaltung der Bildungspotenziale Geflüchteter besonders) ungünstigen Kontexten entwickelt werden. Er begreift die Überlebenskunst dementsprechend als »eine in widrigen Lebensbedingungen erworbene Kompetenz«, welche Menschen in extrem restriktiven Bedingungen handlungsfähig bleiben lässt. Er merkt an, dass es sich beim »Habitus der Überlebenskunst« nicht um eine angeborene Disposition handle, sondern vielmehr um ein Sozialisationsprodukt in einem mit repressiven Strukturen ausgestatteten Kontext (ebd.). Der Ansatz verweist somit auf die Macht von Strukturen, Geflüchtete mit unsicherem Aufenthaltsstatus auszuschließen und zu benachteiligen (ebd.: 264f.) und ist deshalb für die Einnahme einer kompetenzorientierten Perspektive der Praxis und somit für den vorliegenden Beitrag von entscheidender Bedeutung. Wie nicht zuletzt die in diesem Beitrag skizzierte Darstellung der Bildungsund Teilhabesituation Geflüchteter in Deutschland beweist, handelt es sich bei der Zielgruppe »Geflüchtete« um eine äußerst heterogene (konstruierte!) Gruppe. Um dieser Heterogenität und den seitens der Praxis genannten Qualitätsanforderungen gerecht zu werden, beabsichtigt der Verfasser klassisch separierende Perspektiven zu überwinden (Schroeder/Seukwa 2007: 269), den Blick auf den gesamten Lebenskontext der Adressatinnen und Adressaten zu richten bzw. den gesamten Lebenszusammenhang durch eine »lebenslagenorientierte« Unterstützung und Förderung zu stabilisieren (Schroeder/Seukwa 2007: 264) und somit das Qualitätsmerkmal der »Lebenslagenorientierung« als konsequente Leitperspektive des Unterstützungs- und Fördergeschehens zu begreifen. Demgemäß soll der vom Verfasser favorisierte Begriff der Lebenslagenorientierung bestimmt werden, der eine lange Entwicklungstradition nachweist, welche v.a. durch (in verschiedenen disziplinären Kontexten aktiven) Befürwortenden des Konzepts wie Otto Neurath (wird mehrheitlich als Begründer zitiert), Gerhard Weisser und Ingeborg Nahnsen geprägt ist (vgl. dazu z.B. Diezinger/Mayr-Kleffel 2009; Tamke 2008; Hradil 2001). Im Lexikon der Soziologie wird der Begriff
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»soziale Lebenslage« als ein Konzept der Ungleichheitsforschung definiert, welches »gegenüber älteren Klassen- und Schichtungstheorien zur vergleichenden Untersuchung der Lebensbedingungen […] vielfältigere Dimensionen benutzt als Berufsposition bzw. Einkommen […]« (Fuchs-Heinritz 1994: 393). In der Praxis der Sozialen Arbeit werden die Termini »soziale Lage« und »Lebenslage« oft synonym verwendet, obwohl diese Unterschiedliches meinen: Während sich das Konzept der »sozialen Lage« nach Hradil (2001) auf zentrale Bestimmungsgründe von Lebensbedingungen (wie z.B. die Berufsstellung oder das Alter) bezieht, von welchen direkt auf die Lebensbedingungen gesellschaftlicher Gruppierungen (z.B. von »Geflüchteten«) geschlossen wird, richtet sich das Konzept der »Lebenslage« auf unmittelbar erfahrbare Lebensbedingungen eines Menschen – auf die jeweilige Kombination seines Einkommens, seiner Wohn-, Arbeits- und Freizeitbedingungen etc. (Hradil 2001: 374). Der Verfasser lehnt sein Vorhaben an die Ausführungen von Hradil (2001) an, welcher unter dem Begriff der »Lebenslage […] die Gesamtheit ungleicher Lebensbedingungen eines Menschen, die durch das Zusammenwirken von Vor- und Nachteilen in unterschiedlichen Dimensionen sozialer Ungleichheit zustande kommen« (Hradil 2001: 44) fasst. Hierzu zählen neben der Einkommens- und Vermögenslage sowie den Besitz- und Wohnverhältnissen (materielle Dimensionen der Lebenslage) etwa der Familienstand, der Gesundheitszustand, die Bildungs- und/oder Berufssituation und die Schulbildung. Auch die Freizeitbedingungen (Hobbys und Interessen) sowie soziale Kontakte (z.B. der Freundeskreis) – und bei Geflüchteten die Herkunft und der Aufenthaltsstatus – können die Lebenslage maßgeblich beeinflussen. Der Begriff der Lebenslage bezeichnet somit die allgemeinen Lebensumstände sowie den Rahmen der Möglichkeiten, unter welchen Individuen oder Gruppen in einer Gesellschaft leben, inklusive ihrer sozialen Position. Das Konzept der Lebenslage soll demgemäß eine möglichst realitätsnahe Abbildung einzelner Aspekte der Lebenswirklichkeit erlauben (Hradil 2001: 48ff.). Für die Praxis eignet sich das Konzept der Lebenslage in vielfacher Hinsicht: Als »Rahmenkonzept« erlaubt es, das Unterstützungsgeschehen zu systematisieren (Orientierungsfunktion). Ebenso verfügt das Konzept der Lebenslage über ein hohes analytisches Potenzial, da mittels einer Lebenslagenanalyse partizipativ Erkenntnisse in Bezug auf die konkreten Lebenszusammenhänge und deren subjektiv wahrgenommene Lebenssituation gewonnen werden können (Analysefunktion), deren detaillierte Kenntnis wiederum grundlegende Voraussetzung für eine tatsächlich Adressatinnen- und Adressatenorientierte Unterstützungs- und Förderplanung sowie für die Analyse und Formulierung konkreter Unterstützungs- und Förderziele ist. Ebenso kann die Praxis in der Umsetzung, im Kontext des Moni-
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torings, in der Abschluss-Phase sowie im Rahmen der Evaluation und Nachbetrachtung von einer an den einzelnen Dimensionen der Lebenslagen Geflüchteter – wie z.B. (1) (Ethnische) Herkunft und Aufenthaltsstatus, (2) Wohnen, (3) Einkommen und Vermögen/ Sozialleistungen, (4) Physische und Psychische Gesundheit, (5) Bildung und Beschäftigung, (6) Freizeit, (7) Soziale Beziehungen (persönliche Kontakte, soziale und institutionelle Netzwerke), (8) Religion und (9) Politik – orientierten Systematisierung des Unterstützungs- und Fördergeschehens profitieren (Strukturfunktion). Zur weiteren Begründung der Potenziale einer »lebenslagenorientierten« Unterstützung und Förderung Geflüchteter (für die Praxis) soll sich auf die Ausführungen von Schroeder/Seukwa (2007) gestützt werden, welche betonen, dass eindimensionale bzw. auf einzelne Differenzlinien beschränkte Perspektiven einer zeitgemäßen Sozialen Arbeit nicht mehr gerecht werden (Schroeder/Seukwa 2007: 269). Hieraus lässt sich die immense Wichtigkeit einer multidimensionalen Betrachtungsweise ableiten. In diesem Rahmen beschreiben die Autoren, dass Geflüchtete »multiplen Diskriminierungen« unterliegen, in welchen ausgrenzende Differenzkategorien wie Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Aufenthaltsstatus sowie körperliches und psychisches Wohlergehen miteinander korrelieren. In Anbetracht dessen empfehlen sie, die Entwicklung von »Strategien […], in denen Gender und Interkulturelles Mainstreaming, Achtsamkeit auf Behinderungen und soziale Differenzen zusammen bedacht und bearbeitet werden« (ebd.). Dies bestärkt die These des Verfassers, dass eine die Differenzkategorien berücksichtigende, an das Konzept sozialer Bildungsarbeit angelehnte (und damit dessen Grundannahmen, Ziele und Qualitätsmerkmale berücksichtigende) konsequent »lebenslagenorientierte« Unterstützung und Förderung Geflüchteter die Praxis der Not- und Gemeinschaftsunterkünfte wesentlich qualifizieren kann. Die Realisierung der dargestellten Professionalisierungsbestrebungen dürfen nach Ansicht des Verfassers keinesfalls länger auf sich warten lassen, sofern Geflüchteten ein (zumindest einigermaßen) menschenwürdiges Leben in den Unterkünften ermöglicht, deren Bildungs- und Teilhabesituation bereits vom Zeitpunkt der Erstaufnahme verbessert und der »gesellschaftliche Friede« (Seukwa 2006: 268) nicht aufs Spiel gesetzt werden soll. Entsprechend muss die staatliche Förderungspolitik ausreichend Mittel für die Professionalisierung bereitstellen und somit den Forderungen der GEW (2016) nachkommen (GEW 2016: 4). Abschließend soll noch einmal ausdrücklich erwähnt werden, dass zur Verbesserung der Bildungs- und Teilhabesituation gravierende Änderungen auf politischer und rechtlicher Ebene erforderlich sind. Eine Professionalisierung auf institutioneller Ebene darf somit keinesfalls Bemühungen auf politischer und rechtlicher Ebene ersetzen, sondern diese allenfalls ergänzen. Denn ohne ernst gemeinte Änderungen seitens der Politik, sind
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sämtliche Bemühungen auf individueller und institutioneller Ebene zum Scheitern verurteilt.
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L EBENSLAGENORIENTIERTE U NTERSTÜTZUNG
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Finanzielle Grundbildung als Thema für die Schuldnerberatung? S ALLY P ETERS
Finanzielle Grundbildung ist noch ein neues Thema für das Feld der Schuldnerberatung, gleichwohl beschäftigen Themen wie individuelle Finanzkompetenz, finanzielle Allgemeinbildung o.ä. das Feld bereits seit längerer Zeit. Dennoch fehlt es derzeit noch an einer systematischen Verankerung der Thematik in die Beratungsarbeit der Schuldnerberatung. Im vorliegenden Beitrag werden daher grundsätzliche Überlegungen zum Handlungsfeld skizziert, wobei insbesondere darauf eingegangen wird, wie die Einbeziehung von finanzieller Grundbildung als Qualitätsmerkmal verortet werden kann.
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1. Ü BERSCHULDUNG
ALS
T HEMA DER S OZIALEN ARBEIT
Wie viele Menschen in Deutschland überschuldet sind, lässt sich nur annäherungsweise bestimmen. Creditreform geht aktuell von einer Überschuldungsquote von 10,06 Prozent aus, das bedeutet, dass ca. 6,8 Mio. der Volljährigen hierzulande überschuldet sind. Hauptüberschuldungsgründe waren in 2015 Arbeitslosigkeit/reduzierte Arbeit (27,5 Prozent), Einkommensarmut (10,4 Prozent), gescheiterte Selbstständigkeit (9,1 Prozent), Konsumverhalten (8,9 Prozent), Krankheit (8,6 Prozent) und Scheidung oder Trennung von Partnerin bzw. Partner (8,1 Prozent) (vgl. Ulbricht 2016: 8). Immer wieder wird Ver- und Überschuldung als Folge individuellen Fehlverhaltens gedeutet und daraus geschlussfolgert, einer Überschuldungsproblematik könne vor allem über Lern- und Bildungsvermittlung wirkungsvoll begegnet werden. Dies ist aus verschiedenen Gründen problematisch. Es muss daher stets kritisch reflektiert werden, dass eine Beschäftigung mit individueller finanzieller Allgemeinbildung nicht dazu führen darf, strukturelle Ursachen in der Bestimmung des sozialen Problems der Überschuldung zu vernachlässigen. Das Phänomen der Überschuldung wird in diesem Artikel daher nicht auf eine verhaltensgesteuerte, individuelle Unzulänglichkeit reduziert, sondern im gesamtgesellschaftlichen Kontext betrachtet. Es ist wenig bekannt über die konkreten Lebensumstände, in denen sich überschuldete Personen befinden, regelmäßig werden entsprechende Forschungslücken bemängelt (Kuhlemann 2006; Schlabs 2007; Ansen/Schwarting 2015). Überschuldung ist mittlerweile als soziales Problem anerkannt, das Arbeitsfeld der Schuldnerberatung hat sich in Bezug darauf als spezielles Beratungsangebot im Feld der Sozialen Arbeit herauskristallisiert. Im vorliegenden Beitrag werden grundsätzliche Überlegungen zum Handlungsfeld skizziert, wobei insbesondere darauf eingegangen wird, wie die Einbeziehung von finanzieller Grundbildung als Qualitätsmerkmal verortet werden kann. Dafür wird unter anderem auf Interviewmaterial aus einer laufenden Dissertation1 zurückgegriffen, die sich damit beschäftigt, wie
1
Im Fokus der Dissertation stehen die Beratungs- und Bildungsbedürfnisse von jungen Erwachsenen in prekären Lebenssituationen, die im Rahmen der Schuldnerberatung Unterstützung erhalten. Dabei wird insbesondere der Frage nachgegangen, welche Bewältigungsstrategien die Betroffenen im Laufe der Verursachung von Schulden und im weiteren Überschuldungsverlauf entwickelt haben und welche Bedeutung der finanziellen Grundbildung in diesem Zusammenhang zukommt.
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junge Erwachsene finanziell schwierige Lebenssituationen mit Hilfe der Schuldnerberatung bewältigen.2
2. G ANZHEITLICHKEIT
IN DER
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Soziale Schuldnerberatung versteht sich als »[…] Krisen-, Konflikt-, Lebens-, Budget- und persönliche Beratung […]« (Buschkamp 2008: 27). Ihre Aufgabe ist es, überschuldeten Personen und ihren Angehörigen einen Übergang aus ihrer Überschuldung als krisenhafte Lebenssituationen zu ermöglichen und die Ratsuchenden bei der Stabilisierung ihres weiteren Lebenswegs zu unterstützen (vgl. Schwarze/Loerbroks 2002: 36). Im Handlungsfeld der Schuldnerberatung ist der Hauptaspekt des Hilfeangebots nicht ausschließlich, wie in vielen anderen Feldern üblich, ein entlastendes Gespräch. Stattdessen gilt es, die psychosozialen Aspekte und die Fragen der rechtlichen Schuldenregulierung gemeinsam zu bearbeiten. Mit einer finanziell schwierigen Situation gehen häufig Gefühle wie Schuld, Versagen oder Beeinträchtigungen des Selbstwertgefühls einher. Hinzu kommt der Druck von allen Seiten, zum Beispiel von Partnerin und Partner oder Familienmitgliedern sowie den Gläubigerinnen und Gläubigern. Aufgabe der Schuldnerberatung ist dann, Rechtszusammenhänge und mögliche Konsequenzen nachvollziehbar zu erläutern und die Ratsuchenden gleichzeitig emotional zu entlasten (vgl. Mesch 2004: 33). Trotz des eingangs beschriebenen hohen Ausmaßes von Überschuldung ist das Thema in der Forschung kaum bearbeitet, wie u.a. Ansen/Schwarting (2015) in ihrer Meta-Studie über Wirksamkeitsstudien der Schuldnerberatung feststellen. Nach wie vor sind die Ursachen und beeinflussenden Faktoren von Ver- und Überschuldung ein Dunkelfeld (vgl. Sanio 2006: 13), es fehlt sowohl an empirischem Material, welches biographische Aspekte beleuchtet, als auch an Untersuchungen, die den Beratungsprozess begleiten (vgl. ebd.: 21). Die derzeitigen Studien beleuchten kaum »die konkreten Lebensumstände der Ratsuchenden einschließlich ihrer Familien und ihres sozialen Umfeldes, über biographische Verläufe, über sehr unterschiedliche Wege in die Überschuldung, über ihre Bewältigungsversuche vor der Schuldnerberatung etc.« (Ansen/Schwarting 2015: 43) Gleichzeitig schreibt die Schuldnerberatung sich einen ganzheitlichen Beratungsanspruch zu, es besteht folglich eine Differenz zu den derzeitigen Forschungsinhalten (vgl. ebd.). 2
Anschlussfähig ist hier vor allem das Konzept der Lebensbewältigung von Böhnisch (u.a. 2016), da es die Möglichkeit bietet, individuelle Handlungen im Kontext der sozialen Strukturen zu deuten und entsprechend anzuerkennen.
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Ganzheitlichkeit in der Schuldnerberatung meint die Einbeziehung aller Lebensumstände der Ratsuchenden, denn es gibt diverse Umstände, von denen überschuldete Ratsuchende abhängig sein können. Beispielhaft genannt seien an dieser Stelle die familiäre Situation (Partnerschaft, Kinder), Freunde, Bekannte, Wohnsituation, gesundheitliche Verfassung, bisherige Erfahrungen mit dem Hilfesystem, Erwerbssituation oder auch die Sozialisation (vgl. Schlabs 2011: 54). Zugleich erfordert ein ganzheitliches Handeln eine enge Kooperation mit den beteiligten Institutionen, wie sie zum Beispiel in/mit der Suchtberatung stattfindet, und stellt damit hohe Anforderungen an die Fachkräfte (vgl. ebd.: 54). Die folgende von Schlabs (2007) entwickelte Grafik illustriert die Arbeitsschwerpunkte der Sozialen Schuldnerberatung, die einen so genannten ganzheitlichen Ansatz verfolgt, wie er bereits von Groth (1990) und Groth/Schulz/Schulz-Rackoll (1994) beschrieben wurde. Abbildung 1: Vier Säulen der Schuldnerberatung
Quelle: Grafik von Verfasserin nach Schlabs 2007: 48
Es wird immer wieder kritisiert, dass das beschriebene Konzept kaum noch Anwendung findet, da im Arbeitsfeld seit der Einführung des Insolvenzverfahrens zum 01.01.1999 juristische Aspekte dominieren. Schlabs (2008: 24) bezeichnet die Säulen gar als »schmückendes Beiwerk« und konstatiert kritisch, diese würden häufig nicht als „integraler Bestandteil des Beratungsprozesses“ gesehen. Es fehle der Schuldnerberatung aber noch immer an einem übergreifenden Konzept. So spricht Mattes (2009: 183) gar von einem Fehlen »operationalisierbarer professionsspezifischer Beratungsinhalte und Beratungsverfahren […]«. Erst kürzlich
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stellte zudem Groth (2016: 18) fest, dass »[f]achliche Diskurse in der Schuldnerberatung weitestgehend entkoppelt von den Diskursen der Sozialarbeit« ablaufen und betont, dass »Fallverstehen wichtiger als richtiges administrativ-rechtliches Sanierungsagieren« sei. Gleicher Ansicht ist u.a. auch Schlabs (vgl. 2007: 41f.), die darauf verweist, dass lebensgeschichtliche Aspekte in der Beratung kaum berücksichtigt werden, obwohl davon auszugehen sei, dass mit einer Überschuldung biographisch signifikante Erlebnisse einhergehen.3 Im Fokus dieses Beitrags stehen daher vor allem die Säulen der lebenspraktischen sowie der pädagogisch-präventiven Beratung. Dies erscheint insbesondere vor dem Hintergrund des ständigen Verweises auf fehlende Kompetenzen Ratsuchender in den Bereichen Konsum und Haushalt relevant.
3. J UNGE E RWACHSENE ALS Z IELGRUPPE S CHULDNERBERATUNG
DER
Der Verweis auf individuelle Ursachen der Ver- bzw. Überschuldung ist vor allem bei jüngeren Ratsuchenden zu beobachten. Hauptüberschuldungsursache von Ratsuchenden unter 25 Jahren ist Arbeitslosigkeit. Die Betroffenen sind – zumindest laut den Statistiken – außerdem überdurchschnittlich häufig aufgrund ihres Konsumverhaltens, unwirtschaftlicher Haushaltsführung oder fehlender finanzieller Allgemeinbildung überschuldet (u.a. vgl. Knobloch 2014b, Creditreform Wirtschaftsforschung 2014). Zum Vergleich: Bezogen auf Ratsuchende aller Altersgruppen werden die erwähnten Überschuldungsursachen deutlich seltener genannt (vgl. Knobloch 2014b: 9). Da die Beratenden bei der Eingabe der Überschuldungsursache in ein Statistikprogramm aus den Erzählungen der Ratsuchenden immer drei Ursachen auswählen, ist davon auszugehen, dass die Schuldnerberaterinnen und Schuldnerberater aufgrund unscharfer bzw. nicht trennscharfer Definitionen auch ihre persönlichen Vorstellungen über die Begrifflichkeiten einfließen lassen und so die Daten aktiv mitgestalten (vgl. Hergenröder/Kokott 2012: 72). Die Orientierung an den genannten Begrifflichkeiten hinsichtlich der Überschuldungsursachen birgt daher aufgrund des hohen normativen Gehalts Risiken (vgl. Braun et al. 2015). Die Daten weisen auf eine benachteiligte Position von jungen Überschuldeten hin, es ist zu hinterfragen, warum laut der vorliegenden
3
Durchaus relevant ist daher an dieser Stelle der Hinweis, dass es sich bei der Mehrzahl der Hauptursachen von Überschuldung wie zum Bespiel Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Trennung/Tod von einer Partnerin oder einem Partner um Ereignisse handelt, die vom Individuum nur begrenzt steuerbar sind.
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Daten vornehmlich jüngeren als älteren Ratsuchenden Probleme in den Bereichen finanzielle Allgemeinbildung, unwirtschaftliche Haushaltsführung und Konsum zugeschrieben werden. Zugleich stellt sich das Problem, dass in gut einem Viertel aller untersuchten Fälle junger Überschuldeter die Beratung durch die Ratsuchenden oder die Beratungsstelle abgebrochen wurde, diese Zahlen nehmen mit steigendem Alter ab (vgl. Knobloch 2014a: 9). Die Ursachen für die hohen Abbruchzahlen sind bisher nicht untersucht worden, gleichwohl bieten sie Anlass zu fragen, ob Schuldnerberatung in ihrer jetzigen Ausrichtung ein adäquates Hilfeangebot für junge Betroffene darstellt. Bei jungen Erwachsenen wird zudem die Verstrickung der Problemlage Überschuldung mit biografischen Ereignissen besonders deutlich. So stellt Schär fest, dass bei »jungen Erwachsenen weniger die Schulden an sich destabilisierend wirken, sondern die Schulden im Zusammenhang oder am Ende einer kumulierten Problemlage in verschiedenen Lebensbereichen stehen und daraus destabilisierte kumulierte Lebenslagen hervorgehen, wobei Schulden ein Nebenproblem darstellen. Die Ergebnisse zeigen, dass besonders hohe Belastung weniger mit den Schulden an sich im Zusammenhang steht als vielmehr mit einer solchen kumulierten Problemlage in verschiedenen Lebensbereichen« (Schär 2014: 125).
Die Realisierung von Beratung, die einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, erscheint hier also umso notwendiger.
4. S OZIALE B ILDUNGSARBEIT S CHULDNERBERATUNG
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Im Weiteren ist zu klären, inwiefern Schuldnerberatung als Bildungsangebot zu verstehen ist. Es ist zu konstatieren, dass das Handlungsfeld der Schuldnerberatung sich derzeit noch sehr zurückhaltend mit Lern- und Bildungsthemen befasst. Hamburger (2006: 62) zufolge stehen die »im Hilfeprozess ablaufenden Lern- und Bildungsprozesse« grundsätzlich noch zu wenig im Fokus der Forschung, dies insbesondere vor dem Hintergrund fehlender Ressourcen für eine »systematisch theoriegeleitete Aufarbeitung von Forschungsbeständen.« (ebd.: 63) Litau (2016: 134) definiert Lernen »als Aneignung von Wissen und Können innerhalb gegebener Lebensorientierungen« während Bildung hingegen die »Transformation der entsprechenden Lebensorientierungen [meint], indem sich der Modus der Lernorientierungen verändert und es so zu einer Transformation des grundlegenden
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Welt- und Selbstverständnisses kommt.« Durch Lern- und Bildungsprozesse können »biografische Handlungs- und Deutungsmuster analysiert und interpretiert werden.« (ebd.) Sie lassen sich zum Beispiel in einer Rückschau auf die biografischen Aspekte der Überschuldung sichtbar und reflektierbar machen. In verschiedenen Veröffentlichungen wird die Position bezogen, es sei als Aufgabe der Schuldnerberatung zu sehen, Ratsuchende im Beratungsprozess beim Erleben eines bewussten Umgangs mit Geld zu unterstützen, denn nur dann könnten die Ursachen der Problematik ergründet werden und sich die finanzielle und psychosoziale Lebenssituation langfristig stabilisieren (vgl. Mattes 1998: 98; Just et al. 1994: 32). Bertsch (vgl. 2012: 175) zufolge bezieht sich die Schuldnerberatung dabei immer wieder auf den Grundsatz der Ganzheitlichkeit, löst diesen Anspruch aber zunehmend immer weniger ein. Aufgrund der derzeitigen beschränkten Beratungskapazitäten sowie einem Mangel an Angeboten, die sich mit Themen wie sozioökonomischer Bildung und Beratung beschäftigen, könne die Schuldnerberatung ihrem Anspruch einer ganzheitlichen Beratung nur unzureichend nachkommen (vgl. Bertsch/Just 2011: 3). Die von Bertsch und Just konstatierte Auffassung, dass Schuldnerberatung auch Bildungsvermittlung ist, teilen nicht alle. So ist die Schuldnerberatung laut May (vgl. 2011: 535) ohnehin schon zahlreichen Belastungen ausgesetzt. Bildungsvermittlung im Rahmen der Schuldnerberatung bezeichnet May sogar als »Erweiterung von Aufgaben und Kompetenzen der Schuldnerberatung«, dies führe zu einer »Überfrachtung der Profession« (May 2011: 537). Die Ansicht von May lässt sich durchaus kritisch diskutieren, wenn er im gleichen Artikel auf die Ganzheitlichkeit und das eingangs zitierte Vier-Säulen-Modell von Groth verweist. Schwarze (2011b) zieht eine Verbindung zwischen Bildungsangeboten der Schuldnerberatung und dem Thema Konsum, indem er konstatiert, dass die Konsumgesellschaft zum Schuldenmachen herausfordere und daher zu hinterfragen sei, inwiefern die Hauptaufgabe der Schuldnerberatung die (Wieder-)Herstellung von Konsumfähigkeit sein kann. Unter Bezugnahme auf Sting verweist Mattes darauf, dass daher zu überprüfen ist, inwiefern auch in der Schuldnerberatung durch »die Bereitstellung kompensatorischer Bildungsangebote die Normativität gesellschaftlicher Kompetenz- und Handlungserwartungen ungebrochen transportiert und die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für deren Einlösung nicht reflektiert« (Sting 2010: 24) werden. Ebli (2003: 7) zufolge darf die Aufgabe der Schuldnerberatung aber nicht die Disziplinierung der Ratsuchenden sein, stattdessen müsse die Schuldnerberatung ihrem pädagogischen Bildungsauftrag nachkommen. So formuliert Schwarze (2011a: 81), dass Schuldnerberatung »eine Vermittlung von und zwischen Werten – in finanziell-materieller wie auch in ethischnormativer Hinsicht« sei. Schuldnerberatung habe Ansen (2006: 101) zufolge die
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Aufgabe, die Ratsuchenden darin zu unterstützen, »materielle, gesundheitliche und bildungsbezogene Leistungen zu erschließen und Ratsuchende dazu zu befähigen, wieder alleine im Alltag zurecht zu kommen.« Schuldnerberatung agiert folglich in einem Spannungsfeld aus pädagogischem Auftrag, Disziplinierung und der Vermittlung von Normen und Werten. Dieses Spannungsfeld kann insbesondere an den Themen Konsum- und Haushaltsplanung gezeigt werden. So sind hier nicht nur Fragen der (alternativen) Bewältigung präsent, sondern es geht hiervon ausgehend auch um die eben genannten Aspekte. Mattes (2007: 209) kritisiert zum Beispiel die seitens der Schuldnerberatung von Ratsuchenden oftmals geforderte Führung eines Haushaltsbuches als kontrollierend und disziplinierend. Eine Beratung, die auf Einsparmöglichkeiten und Verzicht fokussiert, hält er nicht für zeitgemäß, denn sie entspreche einerseits nicht der Lebenswirklichkeit Ratsuchender und andererseits eröffne sie nur eingeschränkte Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe. Haushaltsberatung konzentriere sich häufig darauf, positive oder negative Ausgabeposten zu unterscheiden, das Ausgabeverhalten werde insbesondere bei Menschen mit geringem Einkommen rasch als falsch beurteilt, wenn es nicht den normativen Vorstellungen der Fachkräfte in Hinblick auf wirtschaftliches und sparsames Verhalten entspricht (vgl. Mattes 2007: 85). Die Ratsuchenden werden dabei zugleich zur »Übernahme der von der Schuldnerberatung als richtig und angemessen erkannten Handlungsmuster« (ebd.: 209) aufgefordert. Solche Beratungsmethoden würden nicht der Entwicklung eigenverantwortlicher Handlungskompetenzen dienen (vgl. ebd.). Korczak (2012: 167) weist außerdem darauf hin, dass »Überschuldung sowohl ein Verhaltensproblem als auch ein Verhältnisproblem ist und durch die komplexe und dynamische Wechselwirkung von Verhalten und Verhältnissen entsteht.« Regelmäßig liegt der Fokus aber auf den individuellen Verhaltensweisen der Ratsuchenden und nicht auf den strukturellen Bedingungen, in die diese Handlungen eingebettet sind. Aufgrund mangelnder Kenntnisse in geldlichen Angelegenheiten kann es in finanziell schwierigen Situationen dazu kommen, dass Überschuldete keine adäquaten Bewältigungsstrategien entwickeln und es stattdessen zu Bewältigungsmustern wie Verdrängen oder Tabuisieren kommt und Betroffene sich die Schuld selbst zuschreiben (vgl. Mattes 1998: 24). Die Themen Bewältigung und Bildung sind hierbei stets miteinander verknüpft und dürfen deshalb nicht losgelöst voneinander bearbeitet werden (vgl. Böhnisch 2016: 28). Mack (2008: 152) zufolge ermöglicht eine gelungene Bewältigung von Krisen und prekären Lebenssituationen den Raum für Bildungsprozesse. Zu untersuchen ist daher, inwiefern die Bewältigung von finanziell schwierigen Situationen es ermöglicht, auch Themen wie z.B. Konsum- und Haushaltsplanung zu bearbeiten. Hierfür ist es wichtig, mehr
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über die entsprechenden Bedarfe der Ratsuchenden zu erfahren, was schwierig ist, weil »insbesondere über die Bildungsbedürfnisse der schulbildungsfernen Milieus und Gruppen kaum etwas bekannt ist.« (Grundmann et al. 2003: 42) Im Rahmen der laufenden Dissertation der Autorin wurden daher Interviews mit überschuldeten Jungerwachsenen geführt, um zu eruieren, wie es zur Überschuldung gekommen ist und in welcher Weise das Problem mit Hilfe der Schuldnerberatung bearbeitet werden konnte. Hierbei wurde u.a. untersucht, inwiefern es einen Zusammenhang zu finanzieller Grundbildung gibt.
5. F INANZIELLE G RUNDBILDUNG ALS AUSGANGSPUNKT FÜR SOZIALE B ILDUNGSARBEIT Dem Konzept finanzieller Grundbildung liegt ein »umfassender, ganzheitlicher Bildungsbegriff« zugrunde (Mania/Tröster 2015a: 17). Mania/Tröster (2014: 140) verstehen unter finanzieller Grundbildung »die existenziell basalen und unmittelbar lebenspraktischen Anforderungen alltäglichen Handelns und der Lebensführung in geldlichen Angelegenheiten.« Der deutschen LEO Studie zufolge sind 13 Prozent der 18 bis 29-Jährigen in Deutschland als sog. funktionale Analphabeten und Analphabetinnen zu identifizieren (vgl. Grotlüschen/Riekmann 2011), es ist davon auszugehen, dass der Anteil der funktionalen Analphabeten in der Schuldnerberatung noch höher ist. Kaum in den Blick genommen wurden dabei bisher fehlende Rechenkompetenzen und inwiefern diese für eine Überschuldung zumindest mitursächlich sein können (vgl. Mantseris 2012: 34). Der Einfluss von Grundbildungskompetenzen im Sinne einer »financial literacy« auf eine Überschuldung erfährt bisher nur mangelnde bis gar keine Beachtung, obwohl immer wieder auf unzureichende Finanzkompetenzen verwiesen wird. Eine der wenigen Ausarbeitungen legt Mantseris (2006) vor und beleuchtet darin den Zusammenhang von Rechenfähigkeit bzw. Grundbildung, Überschuldung und Alltagskompetenzen. Der iff-Überschuldungsreport (vgl. Knobloch 2015) nimmt zwar Überschuldung im Kontext von Themen wie finanzielle Allgemeinbildung, schulische und berufliche Ausbildung in den Blick, bezieht sich aber nicht auf das Thema der finanziellen Grundbildung. Mangelnde Kompetenzen in diesem Bereich werden in Deutschland bisher kaum beachtet (vgl. Mania/Tröster 2013: 12-2). Die derzeitige Datenlage zu Überschuldung bildet nur die sozialen Ursachen (z.B. Erwerbslosigkeit) von Überschuldung ab, Aussagen zu den Einflüssen auf struktureller Ebene können nicht gemacht werden (vgl. ebd.). Aufgrund der unklaren bzw.
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nicht trennscharf formulierten Definitionen der Überschuldungsursachen ist zudem unklar, inwiefern Interdependenzen zwischen den einzelnen Überschuldungsursachen bestehen (vgl. u.a. Mantseris 2010: 19). Finanziell schwierige Situationen können hochgradig belasten und durchaus als »kritisches Lebensereignis« (Filipp/Aymanns 2010) gesehen werden. Mania und Tröster (vgl. 2015a: 85) zufolge könne eine Krise4, wie sie eine Überschuldung darstellt, zum Lernanlass werden. So lasse sich aus der subjektwissenschaftlichen Theorie ableiten, dass eine Überschuldungssituation ein »bewusstes Bildungsinteresse« hervorrufen und somit Ausgangspunkt für ein Bildungsangebot sein kann. Sie nehmen dabei Bezug auf Brödel (2015: 15), der in diesem Zusammenhang von einem »dringenden Lebensinteresse des Subjekts« spricht. Dewe/Schwarz (2013: 162) stellen hierzu fest, dass Beratung in Abgrenzung zu therapeutischen oder weiterbildenden Angeboten »als Bildungschance im Sinne kritischer Aufklärung [Herv.i.O.] interpretiert« werden kann und folglich »als Ermöglichungsraum bzw. Umweltbedingung für kompetenzentwickelnde Lernprozesse verstanden werden.« Das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung (DIE) erforscht derzeit im Projekt »CurVe«5 die Stärkung der Grundbildung Erwachsener im Rahmen von Beratungs- und Schulungsangeboten, sowohl in der Arbeits- als auch in der Alltagswelt der Betroffenen (DIE 2014). Bis zum CurVe Projekt gab es keine »systematische und für die Weiterbildungspraxis anschlussfähige Beschreibung der Kompetenzanforderungen im Bereich ‚finanzielle Grundbildung’ sowie kaum spezielle Angebote für bereits überschuldete Personen.« Das Projekt CurVe widmet sich deshalb der Frage, »welche Grundbildungskompetenzen erforderlich sind, die Menschen befähigen, adäquat mit Geld und den eigenen Finanzen umzugehen« (Mania/Tröster 2015a: 93). Grundsätzlich lässt sich bei der Regelung finanzieller Angelegenheiten zwischen kognitiven und non-kognitiven Aspekten unterscheiden. Mania/Tröster (vgl. 2015a: 93) decken mit ihrem entwickelten Kompetenzmodell die kognitiven Aspekte ab. Innovativ zu bisherigen Konzepten ist hierbei vor allem, dass das Modell die Anforderungen auf Grundbildungsniveau beschreibt, das heißt Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen werden nicht kontextlos vorausgesetzt (vgl. Mania/Tröster 2015b: 8). Insbesondere für die 4
Dewe und Schwarz (2013: 162) verstehen unter einer Krise »Situationen, in welchen bewährte Muster, Praktika und Regeln ihre Passform eingebüßt haben und die mit den Routinen des bislang ausreichenden Verhaltens nicht mehr lösbar sind.«
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Hierbei handelt es sich um das BMBF Forschungsprojekt »Schuldnerberatung als Ausgangspunkt für Grundbildung. Curriculare Vernetzung und Übergänge – CurVe« (Laufzeit sowie das Folgeprojekt »Curriculum und Professionalisierung der Finanziellen Grundbildung – CurVe II« (Laufzeit 01.2016 – 11.2020).
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Schuldnerberatung besteht Mania (vgl. 2015: 262) zufolge ein Validierungsbedarf für das Kompetenzmodell. Dies ist insofern passend, als dass diese Überarbeitung insbesondere in Verbindung mit non-kognitiven Aspekten in Hinblick auf das eingangs beschriebene Säulenmodell erfolgen und so auf die Bedarfe der Schuldnerberatung abgestimmt werden könnte. Unter non-kognitiven Aspekten verstehen Mania/Tröster (2015a: 22) unter Bezugnahme auf Baumert/Kunter (2006): »1. Überzeugungen und Werthaltungen • Lebensstilvorstellungen (Bedeutung materieller Dinge und von Statussymbolen) • Anpassung des Lebensstils an finanzielle Möglichkeiten (Prioritätensetzung, Reflexion der eigenen Bedürfnisse, Umgang mit Werbung und ›Verlockungen‹, Änderung von Gewohnheiten bzw. Verzicht) • Geld als Tabuthema 2. Motivationale Orientierungen und Selbstregulation • Selbstwirksamkeitserwartungen (Verdrängung bzw. Lähmung, Übernahme von Verantwortung, Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl) • Selbstdisziplin • Umgang mit Fehlern und Krisen, Scham und Stolz • Umgang mit Hilfsangeboten bzw. Ratschlägen • Reflexionsfähigkeit bzw. kritische Grundhaltung« Die bisherige Datenauswertung weist bereits darauf hin, dass die non-kognitiven Aspekte einen zentralen Stellenwert bei der Bewältigung der Überschuldung einnehmen. Anschlussfähig für diese Themen ist beratungsmethodisch vor allem die Säule der pädagogisch-präventiven Beratung. So hebt ein Interviewpartner insbesondere die Gestaltung der Thematisierung seines Konsumverhaltens in der Beratung hervor. Dieser berichtet überaus überrascht, dass die beratende Fachkraft ihm nicht verboten habe zu konsumieren, sondern Anregungen für einen bewussteren Konsum6 gegeben habe. Besonders deutlich wird, dass er es schätzt, dass sein Umgang mit Geld nicht per se verurteilt wird, sondern dass die Fachkraft ihm Denkanstöße für einen anderen Umgang mit Geld gibt.
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Gleichzeitig kann auch dieser bewusste Konsum als Verbot für Geldausgeben gedeutet werden, es ist aber so formuliert, dass Herr M. es besser annehmen kann.
130 | S ALLY P ETERS Mir wurde auch gesagt, was ich auch eigentlich ganz gut fand, dass ich jetzt nicht mir gar nichts mehr kaufen darf oder so nä. Dass ich gar nichts mehr irgendwie mein Geld überhaupt nicht mehr ausgeben soll oder irgendwie mein Geld am besten gar nicht anfassen soll oder so was, sondern halt so – Ich soll versuchen, so normal weiterzuleben, wie vorher auch und halt aufpassen, dass man wirklich sich nur das irgendwie aber auch holt, was man braucht oder worauf man Lust hat, […].
Er zeigt sich überrascht darüber, dass seine Beraterin ihm den Umgang mit Geld nicht verboten habe, sondern ihm stattdessen vorgeschlagen habe, bewusster Geld auszugeben, also zu schauen, »dass man wirklich sich nur das irgendwie aber auch holt, was man braucht oder worauf man Lust hat, sich das aber auch leisten kann so.« Die Schuldnerberaterin habe herausgestellt, wichtig sei der Überblick über Einnahmen und Ausgaben: »Wo ist das hingeflossen, was hatte man davon und dann vielleicht auch Revue passieren lassen, was hat mir das gebracht. War das sinnvoll oder war das nicht sinnvoll.« Wichtig sei seiner Ansicht nach, dass man sich »dafür interessiert, wo das eigene Geld ist.« Dies entspricht eher lebensnahen Hinweisen als das Verbot Geld auszugeben. Im weiteren Verlauf des Interviews wird deutlich, dass hierdurch bei dem Ratsuchenden eine Reflexion über sein bisheriges Ausgabeverhalten angestoßen wurde. Es wird deutlich, dass der Ratsuchende sich in seiner Sichtweise ernst genommen fühlt und die gegebenen Hinweise als anschlussfähig wahrnimmt, die Chance auf Umsetzung steigt damit. Die Beraterin hat also entsprechende Angebote gemacht, die sich an der Lebenssituation von dem Ratsuchenden orientiert haben. Eine solche Anschlussfähigkeit benennen Dewe/Schwarz (vgl. 2013: 158) als zentralen Faktor für wirksames beraterisches Handeln. Wiederkehrende Themen der Interviews betreffen außerdem die Wirkmächtigkeit gesellschaftlicher Leitbilder und hierbei insbesondere den Zusammenhang von Konsummustern und Lebensvorstellungen. Erzählungen über Lebensaspekte, die sich aufgrund der Überschuldung des Interviewpartners nun verzögern, machen deutlich, welcher Lebensentwurf verfolgt wird: Ja verlangsamt vielleicht auch so in dem Sinne den ganzen Prozess erwachsener zu werden, mit beiden Beinen im Leben zu stehen und alles. Hätte ich diese Schulden und das Ganze nicht sagen wir mal, wär das jetzt wahrscheinlich, hätte ich `ne eigene Wohnung und so und hier und da und haste nicht gesehen.
Hier wird insbesondere die biographische Verwobenheit der Problemlagen deutlich. Das Fehlen einer abgeschlossenen Ausbildung spielt bei dem Betroffenen
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eine zentrale Rolle, denn hätte er diese absolviert, gäbe es vermutlich bereits finanzielle Mittel zur Regulierung. »Normal« bedeutet für ihn zudem ein schuldenfreies Leben. Seine ständige Bezugnahme auf das Verhalten eines normalen Menschen impliziert, dass er, sobald die Überschuldung überwunden ist, wieder handeln könne, wie alle anderen Menschen es von ihm erwarten. Deutlich werden die Reue über die Geschehnisse und zugleich der Wunsch nach einem »normalen« Leben, wozu eine abgeschlossene Ausbildung, eine Wohnung und ein Auto gehören würden. Der Betroffene hat langfristige Wünsche entwickelt, wie z.B. einen Kredit o.ä. für einen Hausbau aufzunehmen, aber kann sich dies aufgrund der Schulden womöglich nicht erfüllen, da ihm seine Schulden noch lange Zeit den Zugang zum Kreditmarkt verwehren werden. Erst mit Bearbeitung der Überschuldung werden ihm diese Konsequenzen deutlich. Es zeigt sich: Überschuldung führt dazu, dass wesentliche normativ gesetzte Bewältigungsaufgaben wie Familiengründung, Auszug aus dem Elternhaus oder auch weiterführende Themen wie Führerschein/Auto erst verzögert bearbeitet werden können.7
6. D IE Q UALITÄTSDEBATTE IM F ELD DER S CHULDNERBERATUNG Debatten um das Thema Qualität im Arbeitsfeld der Schuldnerberatung werden schon immer geführt, allerdings nicht notwendigerweise als solche benannt. In den letzten Jahren ging es im fachlichen Diskurs unter anderem darum, inwiefern Schuldnerberatung Aufgabe der Sozialen Arbeit ist oder um Fragen der Wirksamkeit von Schuldnerberatung (vgl. Sanio 2006: 1). Debatten, die klar als Fragen der Qualität benannt werden, sind derzeit noch recht eng gefasst, eine Einbeziehung aller beeinflussenden Faktoren findet kaum statt (vgl. Peters 2014: 96). Die Qualitätsdiskussion im Feld der Schuldnerberatung drehen sich vornehmlich um strukturelle Fragen der Qualität (siehe u.a. LAG Schuldnerberatung Hamburg e.V.
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Scherger (2007) hat in ihrer Untersuchung zum Wandel westdeutscher Lebensläufe herausgearbeitet, dass sich Erwachsene bei ihren Handlungen noch immer nach normativen Vorgaben richten, die zum einen institutionell verankert sind und zum anderen bestimmte festgelegte Übergänge markieren. Es zeigt sich im Querschnitt aller Interviews, dass sich die Befragten zwar an Normalitätskonzepten orientieren, diese aber gleichzeitig für sie nicht realisierbar sind.
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2016; Dick 2015). Zwar berühren Aspekte der Finanzierung auch Fragen der Prozessqualität8, jedoch sollte nicht davon ausgegangen werden, dass eine Verbesserung der jeweiligen Kategorien von Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität notwendigerweise einen positiven Einfluss auf die anderen Kategorien hat. So sehen Dahme/Wohlfahrt (2011: 1179) in dieser Annahme von Kausalitäten sogar eine »Hauptschwierigkeit«. Wie auch in anderen Bereichen der Sozialen Arbeit muss wohl auch für das Arbeitsfeld der Schuldnerberatung konstatiert werden, dass die Beschäftigung mit dem Thema nicht »primär von einem aus der Profession geprägten Kontext herausgewachsen« (Merchel 2013: 18) ist, sondern der Sozialen Arbeit von anderen Professionen bzw. staatlichen Akteuren auferlegt wurde. Ansatzpunkt ist daher ein Legitimationsdruck und nicht die »professionelle Logik« (ebd.). Dennoch bieten sich positive Ansatzpunkte, so enthält die Diskussion die Chance »die Bedingungen der Möglichkeit einer guten Sozialen Arbeit zu reflektieren und im besten Fall auch zu formulieren.« (Flösser/Oechler 2006: 155) Qualität kann immer nur im Verhältnis zu bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen bewertet werden, das heißt konkret, dass sie »außerhalb gesellschaftlicher und persönlicher Normen, Werte, Ziele und Erwartungen nicht denkbar ist.« (Merchel 2013: 41) Für die Soziale Arbeit gilt das umso mehr, denn hier findet das professionelle Handeln auf zwei Ebenen statt: Die Debatte wird zum einen zwischen den Betroffenen und den Fachkräften, zum anderen auf der Ebene gesellschaftlicher Normen geführt (vgl. ebd.). Die Festlegung dessen, was Qualität darstellt, bewegt sich »im Spannungsfeld von gesetzlich formulierten Zielen, individuellen Erwartungen, wissenschaftlich und ethisch bestimmter Legitimität von sozialarbeiterischen Zielen sowie im Kontext aktueller gesellschaftlicher und fachlicher Diskussionen.« (Vomberg 2012: 135) Dabei wird sie stets durch die zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen begrenzt (vgl. ebd.). Qualitätsdebatten werden oft auf die Ergebnisse und ihre empirische Kontrolle verengt (vgl. Honig/Neumann 2004: 251). Schlabs (vgl. 2011: 62) kritisiert, dass diese Herangehensweise bei der sozialen Schuldnerberatung zu kurz greift. Die Reduzierung der Beratung auf eine ausschließliche Schuldenregulierung lasse die Bearbeitung psychosozialer Aspekte außen vor. Ihrer Ansicht nach lassen sich auch im Beratungsprozess Teilziele ausmachen, so zum Beispiel die Ratsuchenden darin zu stärken, ihre Post wieder zu öffnen, das Erlernen eines anderen Geldumgangs oder die Überwindung, Behördentermine wieder alleine wahrzunehmen. 8
Hier wird insbesondere Bezug auf die Überlegungen von Donabedian genommen, der 1966 Überlegungen zur Qualität (insbes. im Gesundheitswesen) veröffentliche und hierbei drei Qualitätsdimensionen herausstellt: Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität.
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Die Schuldenfreiheit könne demnach nicht das einzige Ziel sein, es lassen sich stattdessen zahlreiche weitere mögliche Beratungsergebnisse nennen. Mattes kritisiert hierbei, dass das Hauptaugenmerk der Schuldnerberatung aber nach wie vor auf der Beseitigung der Schulden liegt, »ungeachtet dessen, in welcher Funktion und in welchem sozialen und gesellschaftlichen Kontext die Verschuldung in der Alltagsbewältigung der Klienten zu deuten ist« (Mattes 2007: 204). Aus Sicht der Lebensweltorientierung bzw. Alltagsbewältigung ist das Ideal der Entschuldung bzw. Schuldenfreiheit zu überdenken, denn im Zusammenhang mit Armut und Ausgrenzung »erscheint eine erneute Verschuldung als folgerichtiges Phänomen der Gegenwart und nicht als erneutes wirtschaftliches Fehlverhalten« (Mattes 2009: 186). Ein explizites »verschuldungsbejahendes« oder »schuldenakzeptierendes« Beratungsverständnis findet sich bisher nicht (Mattes 2007: 204). Mattes fasst dies als normative Grundhaltung auf, die als Ursache hat, dass Schuldnerberaterinnen und Schuldnerberater davon ausgehen, als einzige die notwendige Problemlösungskompetenz zu haben. Ihm zu Folge bestehe so die Gefahr mangelnder Anerkennung der Bewältigungsversuche der Ratsuchenden (vgl. ebd.). Über die Qualitätsdebatte bzw. die Verengung auf die Ergebnisqualität lässt sich auch der Bogen zu Themen wie finanzielle Allgemeinbildung bzw. finanzielle Grundbildung spannen. Evaluationen, die fehlende Finanzkompetenz als ursächlich für Schulden sehen und das Problem der Überschuldung so individualisieren, sind daher kritisch zu bewerten, denn ein solcher Ansatz lässt die strukturelle Gründe für Überschuldung außen vor und kann daher nicht als Ansatz zur Qualitätsentwicklung genutzt werden (vgl. Sanio 2010: 27). Zentrales Anliegen muss daher sein, die Thematik der finanziellen Grundbildung bzw. das eingangs vorgestellte Vier-Säulen-Modell in einen strukturellen Kontext einzubetten und in der Qualitätsdebatte zu verorten. Da das Thema Überschuldung von hohem normativem Gehalt ist, ergeben sich unmittelbare Zusammenhänge zur Qualitätsdebatte, denn der Qualitätsbegriff steht in ständiger Abhängigkeit zu Normen und ist »kein empirischer Begriff, sondern immer ein normatives Konstrukt [Herv.i.O.].« (Merchel 2013: 40) Eine Debatte über Qualitätsmerkmale muss sich daher auch mit den erwünschten Zielen von Schuldnerberatung befassen.
7. F AZIT
UND
AUSBLICK
Aufgrund der bestehenden eklatanten Wissenslücken um die Lebensumstände Betroffener kann die Ableitung von Qualitätsmerkmalen nur schwer gelingen. Notwendig ist daher eine eingehende Beschäftigung mit den Lebenslagen der Ratsu-
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chenden, um besser zu ergründen, auf welche Weise Beratungsangebote ggf. ausdifferenziert werden müssen. Fragen diesbezüglich berühren insbesondere Themen der Beratungsmethodik. Dies bedarf unbedingt eines Anschlusses an die Beratungsforschung wie u.a. Ansen und Schwarting (vgl. 2015: 44) fordern. Um Konzepte zu erstellen, welche Inhalte die Schuldnerberatung vermitteln soll, braucht es aber genauerer Überlegungen, welche Beratungs- und ggf. Bildungsbedürfnisse die Betroffenen haben und wie sie ihre finanziell schwierigen Situationen bewältigen. Davon ausgehend muss überlegt werden, inwiefern der Anspruch der Ganzheitlichkeit in der Schuldnerberatung umgesetzt werden kann. Die skizzierte Debatte um den Auftrag der Schuldnerberatung und die Frage, zu welchem Ergebnis Schuldnerberatung eigentlich führen soll, berührt dabei vor allem Fragestellungen nach Normen und Werten. Wie bereits dargelegt, herrscht derzeit die Ansicht vor, dass das Vier-Säulen-Modell kaum umgesetzt wird und insbesondere die Säulen, die die Konsum- und Haushaltsplanung tangieren, in der Beratung nicht immer anschlussfähig für den Lebensalltag gestaltet werden. Der oben dargestellte Interviewausschnitt, der die Thematisierung von Konsumaufgaben im Rahmen der Beratung behandelt, zeigt vorhandene Ansätze, es gilt diese nun beratungsmethodisch zu systematisieren. Das Thema Konsum ist in hohem Maße normativ geprägt, das Arbeitsfeld der Schuldnerberatung muss sich daher fragen: Ist die Aufgabe der Schuldnerberatung ›nur‹ die Beseitigung der Schulden oder ist es in einer erweiterten Perspektive Unterstützung bei der Befähigung zu mündigen Konsumentinnen und Konsumenten, die eigenverantwortlich mit den Angeboten des Kreditmarktes umgehen und sie auch zum eigenen Vorteil nutzen können? Das letztere Verständnis von Schuldnerberatung würde die Möglichkeiten für Lernund Bildungsprozesse weiter eröffnen und für eine breitere Verankerung in der Beratungsarbeit sorgen. Im dargestellten Spannungsfeld kann die Auseinandersetzung mit Qualität folglich auch dazu führen, dass sich zunehmend mit ethischen, also normativen Fragen auseinandergesetzt werden muss. So orientieren sich Betroffene beispielsweise an einem sogenannten Normallebenslauf und möchten gesellschaftlichen Erwartungen entsprechen. Gleichzeitig folgt die Schuldnerberatung normativen Leitbildern, die Betroffenen u.a. in der Beratung vermittelt werden. Die dargestellten Erwägungen verdeutlichen, dass die Berücksichtigung der finanziellen Grundbildung als fester Bestandteil der Beratungsarbeit anzusehen und auf verschiedenen Ebenen zu realisieren ist. Dies gilt vor allem dann, wenn das ganzheitliche Selbstverständnis Schritt für Schritt umgesetzt werden soll. Die Bearbeitung einer Überschuldung und damit einhergehender sozialer Problemla-
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gen ohne die Thematik der finanziellen Grundbildung birgt die Gefahr der »Drehtürberatung«. Dies müsste als Qualitätsmerkmal neben der Bewältigung der schon bestehenden Schulden festgelegt werden. Gleichzeitig darf die Beschäftigung mit Lern- und Bildungsthemen nicht ohne Einbettung in den strukturellen Kontext von Armut und Ausgrenzung erfolgen.
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Zwischen Unterstützungsauftrag und Zwang ›Nachhaltige‹ Beratung im SGB II als soziale Bildungsarbeit J ANA M OLLE
Beratung in den Jobcentern wird zunehmend eine zentrale Funktion zur (Re-)Integration in den Arbeitsmarkt zugesprochen. Angesichts des anhaltenden Diskurses über die ›faulen Arbeitslosen‹ als eine leitende Vorannahme des Aktivierungsparadigmas besteht jedoch die Gefahr, dass leistungsberechtigte Personen zu Verfahrensobjekten in der Beratung gemacht werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie in der Beratung der Jobcenter die Bearbeitung von Vermittlungshemmnissen als psychosoziale Probleme dahingehend unterstützt werden kann, dass eine ›nachhaltige‹ Eingliederung in Arbeit unter Würdigung der Bewältigungsleistungen der Adressatinnen und Adressaten möglich ist. Am Beispiel des Wirkfaktors Arbeitsbeziehung wird diese Frage im Artikel beantwortet. Beratung wird ergänzend als soziale Bildungsarbeit diskutiert. Darüber hinaus wird überlegt, wie ›gute‹ Beratung in diesem Kontext zu definieren ist, und wie Qualitätsmerkmale der Beratung in den Jobcentern (weiter-)entwickelt werden müssten.
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1. ›N ACHHALTIGE ‹ B ERATUNG IM SGB II Das Gesetz definiert in §60ff. SGB I und §2 Abs. 1 S. 1 des SGB II die normierte Erwartung der Beendigung oder Verringerung von Hilfebedürftigkeit leistungsberechtigter und erwerbsfähiger Personen, die darauf angewiesen sind, Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende in Anspruch zu nehmen. Für die Betroffenen handelt es sich um relevante Übergänge, bspw. von Schule oder Ausbildung in Arbeit, die mit verschiedensten sozialen Problemen verbunden sein können. Sie sind von den Leistungsberechtigten zu gestalten bzw. zu bewältigen. Erschwert wird dies durch Sanktionsandrohungen und die stark begrenzten Ressourcen, die zur Sicherung des staatlich gewährten Existenzminimums zur Verfügung gestellt werden. Das Gesetz umfasst verschiedene Eingliederungsleistungen, um diese Phase des Übergangs zu beschleunigen und Vermittlungshemmnisse zu beseitigen. Ursprünglich ist vom Gesetzgeber im Entwurf des SGB II vorgesehen worden, »dass der Erwerbsfähige von der Agentur für Arbeit umfassend zu unterstützen ist. Dies bedeutet mehr als das Beraten und Vermitteln. […] Hierzu gehört bei Bedarf auch die intensive Betreuung.« (BTD 15/1516: 54) Beratung und institutionelle Unterstützung sollen eine zentrale Funktion zur (Re-)Integration in den Arbeitsmarkt erfüllen. Derzeit steht die ›nachhaltige‹ Vermittlung im Zentrum der Aufmerksamkeit, wie der neue §16g SGB II beweist. Er regelt u.a. eine Verlängerung der kommunalen Eingliederungsleistungen und eine »nachgehende Beratung und Betreuung« (BTD 18/8041: 76) um bis zu sechs Monaten nach Beschäftigungsaufnahme. Demnach »gilt es die Integration in den Arbeitsmarkt nachhaltig durch stabilisierende Nachbetreuungsmaßnahmen zu sichern.« (Ebd.) Aus der Perspektive eines sozialarbeiterisch ausgerichteten Beratungsverständnisses könnte die Förderung von sog. Lebensführungskompetenzen (vgl. Grundmann et al. 2016: 64f.) in der Beratung bzw. in ihr vermittelte Eingliederungsleistungen als notwendige Voraussetzung verstanden werden, um diese ›nachhaltige‹ Integration zu ermöglichen und (erneute) Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Weitere Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Existenz der betroffenen Personen nicht gefährdet ist. Ob dies durch das gesetzlich geregelte Existenzminimum in Form von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes der Fall ist, bleibt zu diskutieren.
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Der vorliegende Artikel widmet sich der Frage, ob bei der Beratung im SGB II von sozialer Bildungsarbeit in tertiären Netzwerken1 zu sprechen ist. Es ist außerdem zu klären, inwieweit in der Beratung durch Jobcenter die Bearbeitung von Vermittlungshemmnissen als psychosoziale Probleme dahingehend erfolgen kann, dass eine wirksame Unterstützung der Adressatinnen und Adressaten möglich ist. Wie Forschungsergebnisse über primäre und sekundäre Netzwerke analog belegen (vgl. Nestmann 2010: 25), ist für die Wirksamkeit von sozialer Unterstützung entscheidend, ob und in welchem Maße die Adressaten und Adressatinnen diese wahrnehmen. Dies gilt auch für Unterstützung im Rahmen der Beratung der Jobcenter. Die Wahrnehmung und Bewertung der dort geleisteten sozialen Unterstützung durch Betroffene bei der Bewältigung der für sie relevanten sozialen Probleme ist daher ein wichtiger Faktor, um langfristige Eingliederung in Arbeit zu ermöglichen. Der Artikel folgt der Annahme, dass die Würdigung der Bewältigungsleistungen ein zentraler Aspekt ist, um eine ›nachhaltige Integration‹ zu realisieren. In diesem Zusammenhang ist ferner zu klären, wie ›gute Beratung‹ zu definieren ist.
2. W EITERENTWICKLUNG DES B ERATUNGSVERSTÄNDNISSES IM SGB II? S PANNUNGSFELDER IM GESETZLICHEN UND KONZEPTIONELLEN B ERATUNGSVERSTÄNDNIS Das »Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch Rechtsvereinfachung sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht« vom 01.08.2016 verdeutlicht die Aktualität des dargestellten Themenbereiches. Beratung wurde als zentrale Aufgabe der Jobcenter im §1 Abs. 3 aufgenommen und im neuen §14 Abs. 2 konkretisiert. Die Ergänzung wurde zunächst vom Bundesrat abgelehnt, da nicht ersichtlich sei, warum der in §14 SGB II vorgesehene Rechtsanspruch auf Beratung über die allgemeine Beratungspflicht nach §14 SGB I hinausgehe. Die neue Ausgestaltung »würde im Ergebnis dazu führen, dass die Jobcenter […] für jeden einzelnen Leistungsberechtigten eine an alle Eventualitäten angepasste individuelle Beratung vornehmen müssten, wenn
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Tertiäre Netzwerke sind organisational hergestellt und differenzieren sich von persönlichen primären und sekundären Netzwerken des Alltags: »Einerseits geht es um marktbasierte Kooperationen (im Profit-Bereich) […]. Andererseits handelt es sich um Vernetzung von öffentlichen, sozialwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren im u.a. kommunalen Non-Profit Bereich […]« (Schubert 2013: 274).
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sich […] Art und Umfang der Beratung nach dem Bedarf der leistungsberechtigten Person richten muss.« (BTD 18/8041, Anlage 3: 71) Die Bundesregierung hält aber an der Stärkung der Beratung fest, setzte sich durch und betont, »dass der stärkenorientierte Beratungsansatz besonderes Gewicht bei der Analyse der individuellen Fähigkeiten und Potenziale sowie bei der gezielten Auswahl von Fördermaßnahmen hat. Diesem fachlichen Standard trägt die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf Rechnung.« (Ebd.) Problematisch ist in diesem Zusammenhang dennoch, dass das Gesetz noch immer kein eindeutiges Beratungsverständnis bzw. -ziel definiert (vgl. hierzu auch Berlit 2016: 196). Ein Spannungsfeld zwischen psychosozialem und sozialrechtlichen Beratungsauftrag bleibt folglich auch in §14 Abs. 2 SGB II bestehen2. Dies liegt u.a. daran, dass »eine bestimmte Beratungsqualität nicht ausdrücklich normiert ist.« (Berlit 2016: 196) Zudem wird der Unterstützungsauftrag im Gesetz nicht konkretisiert. Das doppelte Mandat von Kontrolle und Hilfe der beratenden Fachkräfte (›Fördern und Fordern‹) bildet sich zugleich auf konzeptioneller Ebene als ein weiteres Spannungsfeld ab, wie die Bundesagentur für Arbeit sogar selbst feststellt (vgl. 2014: 8). Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind für sie als bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung jedoch verbindlich.
3. Z IELE
PROFESSIONELLER B ERATUNG ALS SOZIALARBEITERISCHE I NTERVENTION UND SOZIALE B ILDUNGSARBEIT
Beratung als sozialarbeiterische Interventionsform zielt auf verständigungsorientierte Unterstützung der Ratsuchenden zur eigenständigen kurz- oder mittelfristigen Lösung, Prävention oder Milderung psychosozialer Konflikte und/oder belastender Lebensverhältnisse und Krisensituationen ab (vgl. Stimmer/Ansen 2016: 40f.). Ziele von Beratung, die als Maßstab für professionelles Handeln gelten können, sind in Anlehnung an den Empowermentansatz darüber hinaus (vgl. ebd.: 41): Einsicht in die Konfliktlage der ratsuchenden Person (Perspektivwechsel);
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In der laufenden Dissertation mit dem Arbeitstitel »Analyse des Beratungsverständnisses in der Grundsicherung für Arbeitssuchende unter Berücksichtigung der Würdigung von Bewältigungsleistung Betroffener aus handlungstheoretischer Perspektive der Sozialen Arbeit« werden in der Untersuchung der vorherigen Gesetzesfassung eben diese gesetzlichen Unschärfen herausgearbeitet, die im aktuellen Entwurf trotz Akzentuierung der Relevanz von Beratung nicht behoben wurden.
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Förderung von Selbstvertrauen in Stärken und Ressourcen (auch soziale Netzwerke); Förderung von Motivation zur Veränderung; Selbststeuerungs- und Problemlösungskompetenz; Kompetenz, den Zusammenhang zwischen Person und (eigener) Umwelt (ansatzweise) zu erkennen. Ratsuchende sind als Produzierende der Dienstleistung Beratung zu verstehen, wohingegen beratende Personen die Ko-Produzierenden sind (vgl. Schaarschuch 1999: 553). Die Perspektive der Betroffenen ist somit unabdingbar, um relevante zu bearbeitende soziale Probleme zu identifizieren und die genannten Ziele zu erreichen. Sie ist ebenso zentral, wenn Beratung als soziale Bildungsarbeit verstanden wird: Bildung als Aneignungshandeln (siehe 6.) ist eine Eigentätigkeit des Subjektes, keine Handlung, die durch andere für es ausgeführt werden kann. Solange Ratsuchende lediglich als Ko-Produzierende betrachtet werden, ist diese Perspektive auf Beratung als Anstoß für eigentätige Bildungsprozesse der Ratsuchenden eingeschränkt. Beratung umfasst zudem Kompetenzförderung: Die Autoren Stimmer und Ansen beschreiben sie als zirkulären, kognitiv-emotionalen Lernprozess auf Beziehungs- aber auch auf sachlicher Ebene. Sie bezeichnen das Verhältnis zwischen der Vermittlung von Wissen, aber zugleich auch von Entscheidungs- und Handlungskompetenzen (auf emotionaler Ebene) als »Beratungskontinuum« in Abgrenzung zur reinen Auskunft bzw. Informationsvermittlung (ohne emotionale Anteile) bzw. zur Therapie (ohne lebenslagenorientierte Auskunft) (vgl. 2016: 41f.).
4. Z ENTRALES Q UALITÄTSMERKMAL ›ARBEITSBEZIEHUNG ‹ IM H ANDLUNGSFELD B ERATUNG IM SGB II AUS SOZIALARBEITSWISSENSCHAFTLICHER P ERSPEKTIVE In der aktuellen Diskussion um Qualitätsmerkmale und Wirkfaktoren von Beratung und Therapie (vgl. hierzu u.a. Weber 2016) gilt es als weitestgehend erwiesen, dass die Arbeitsbeziehung zwischen Beratenden und Beratenen eine zentrale Rolle für das Gelingen einnimmt (vgl. hierzu Stimmer/Ansen 2016: 352). Dieser Aspekt findet sich ebenso im Beratungsverständnis der Deutschen Gesellschaft für Beratung e.V. »Die Fachkräfte sind verpflichtet, mit in der Beratungsbeziehung entstehenden Abhängigkeiten sorgsam umzugehen. Die fortlaufende Analyse der Beziehungen, Verhaltensweisen und Interaktionen im Beratungsprozess sind wesentlicher Bestandteil der Beratung.« (2003: 4) Gleichzeitig sind sog. Handlungsprinzipien von Beratung konstitutiv für diese Arbeitsbeziehung (vgl. Stimmer/Ansen 2016: 352). Dies wird auch von der Bundesagentur für Arbeit hinsichtlich ihres konzeptionellen Beratungsverständnisses bestätigt: »Das Vorgehen
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in der praktischen Beratungsarbeit sowie die dabei verwandten Methoden und Techniken werden maßgeblich durch die Werte und Handlungsprinzipien bestimmt, die dem (jeweiligen) Verständnis von ›guter‹ Beratung zugrunde liegen.« (2014: 25) Die Handlungsprinzipien von Beratung in sozialarbeiterischen Kontexten, als ein relevanter Aspekt der Qualitätsdebatte, sind daher als zentrale Perspektive gewählt, um die leitende Fragestellung dieses Artikels zu beantworten. Die Analyse des Beratungsverständnisses aus der sozialarbeitswissenschaftlichen Perspektive ist dabei gerechtfertigt und notwendig: Die Befähigung zur ›eigenverantwortlichen‹ Alltagsbewältigung in Form von einzelfall- oder gruppenbezogenen Interventionen ist Kernaufgabe der Sozialen Arbeit. Scherr attestiert ihr jedoch aufgrund dieser Expertise für befähigende Interventionen eine besondere Anfälligkeit für die Instrumentalisierung durch erwerbszentrierte Aktivierungsstrategien (vgl. 2014: 273). Umso relevanter ist die kritische Untersuchung des Beratungsverständnisses im SGB II aus der beschriebenen Perspektive.
5. W ÜRDIGUNG UND U NTERSTÜTZUNG IN IM SGB II
DER
B ERATUNG
Um die leitende Fragestellung dieses Artikels zu beantworten, inwiefern Beratung im SGB II als soziale Bildungsarbeit zu verstehen ist und wie in diesem Zusammenhang ›gute‹ Beratung definiert werden könnte, erfolgt ein Rückgriff auf Ergebnisse des laufenden Dissertationsprojektes der Autorin. Es ist ferner notwendig, erstens den Aspekt der Würdigung der Bewältigungsleistungen in der Beratung als Ausgangspunkt für die (Weiter-)Entwicklung von Qualitätsmerkmalen der Arbeitsbeziehung im Kontext der institutionellen Bearbeitung zu diskutieren. Außerdem ist es zweitens erforderlich, erstmals ausführlich das gesetzliche Beratungsverständnis im SGB II ausgehend von Handlungsprinzipien der Beratung zu analysieren. Zu diesem Zweck muss drittens der Unterstützungsbegriff im Rahmen tertiärer Netzwerke geklärt werden. Vorliegende Ausführungen geben einen Einblick in Analyseergebnisse der gesetzlichen Rahmenbedingungen aus der genannten Dissertation. 5.1 Würdigung in der Beratung als konstitutionelle Faktoren der Arbeitsbeziehung Die Würdigungsperspektive orientiert sich stark an anerkennungstheoretischen Grundlagen (vgl. u.a. Honneth 2014), wurde zur Untersuchung des konkreten Be-
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ratungskontextes in Jobcentern jedoch um weitere theoretische Perspektiven ergänzt. Angesichts des abwertenden Diskurses über die ›faulen Arbeitslosen‹ (vgl. kritisch Rocco 2015: 106; Segbers 2016) zielt die Würdigungsperspektive darauf ab, dass leistungsberechtigte Personen nicht zu Verfahrensobjekten in der Beratung gemacht werden. Die individuellen Interpretationen Ratsuchender über ihre (möglichen) sozialen Probleme (vgl. zur Definition Groenemeyer 2015), ihre Äußerungen sowie die persönliche Identitätsbildung (vgl. hierzu auch Kupfer 2015: 27) stellen eine relevante Deutungsmacht in der Beratung dar. Dies gilt auch, wenn die genannten Prozesse nicht zwangsweise mit den Zielen, Aufgaben und Interpretationen der beratenden Fachkräfte übereinstimmen. Die Würdigung der Bewältigungsleistungen ist in der Beratungsinteraktion die aktive Herstellung und Ermöglichung der Wahrnehmung des Rechts auf subjektive Deutungsmacht der individuellen Situation der Ratsuchenden. Sie ist ein akzeptierender Zugang zur Vielfalt der Lebenswelten, der Autonomie Ratsuchender und ihres Expertenstatus durch die beratenden Personen. Zudem umfasst sie die unablässige Reflexion der Reproduktion subtiler Herrschaftsformen und -ausübung (der Sozialen Arbeit), welche Politik und damit einhergehend Beratung durch Einbindung in Herrschaftsformen immanent sind. Damit schließt die in der Dissertation entwickelte Definition von Würdigung an Handlungsprinzipien der Beratung zur Anwendung in der Sozialen Arbeit (vgl. Stimmer/Ansen 2016: 55ff.) an, die lauten: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Verständigungsorientiert handeln Sinn verstehen Bestätigen Ressourcen fördern Kontext stabilisieren Mehrperspektivisch denken und handeln Motivieren Moralisch handeln Netzwerkorientiert denken und handeln.
Ausgehend von diesem Begriffsverständnis werden erste Ergebnisse einer qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 2015: 69ff.) einschlägiger Paragrafen des gesetzlichen Beratungsverständnisses im SGB II dargestellt, in der auf theoretischer Ebene die Handlungsspielräume der Fachkräfte und Beratenden für die Würdigung der Bewältigungsleistungen der Adressatinnen und Adressaten untersucht werden.3 Der Fokus der Darlegung liegt auf Aspekten, die Bezug zur Arbeitsbeziehung als zentrales Qualitätsmerkmal von Beratung aufweisen. 3
Die gesamte Analyse ist in der Dissertation nachzuvollziehen.
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5.2 Gesetzliches Beratungsverständnis im Hinblick auf die Würdigung der Bewältigungsleistungen der Adressatinnen und Adressaten Die folgenden Ausführungen beruhen auf induktiven Kategorien, die von den Ergebnissen einer zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse von Gesetzeskommentaren des SGB II und einzelner Normen des SGB I abgeleitet wurden. In diesem Artikel wird auf die Aspekte (a) Zielsetzung der Beratung, (b) Diagnostik und Ermessensausübung, (c) Beratung als soziale personenbezogene Dienstleistung, (d) Asymmetrie sowie (e) Inhalt und Umfang der Beratungspflicht und des Unterstützungsauftrags eingegangen, welche im maßgeblichen Zusammenhang mit der Gestaltung einer ›würdigenden‹ Arbeitsbeziehung stehen. (a) Zielsetzung der Beratung: Die individualisierte, sozialintegrative gesetzliche Logik der Vermittlung stellt hohe Anforderungen an die Beratenden, um trotz der Verwertungslogik im SGB II (vgl. Münder in Münder, SGB II, §1 Rd. 13, Berlit in Münder, SGB II, §14 Rd. 1; Rd. 8; Rd. 21) die mehrdimensionale Würdigung der Adressatenperspektive im Sinne eines verständigungsorientierten beraterischen Handelns (vgl. Stimmer/Ansen 2016: 56ff.) bei der Zielfindung gewährleisten zu können. Bedingung für diese Würdigung der Adressatenperspektive und entsprechend der bereits erbrachten Bewältigungsleistungen der Ratsuchenden ist konzeptionell betrachtet mitunter, dass Zwang und Sanktionen wahrnehmbar thematisiert werden und Handlungsspielräume für die individuelle Zielsetzung, auch von Teilzielen, unter Berücksichtigung der subjektiven Ziele und Bedürfnisse der Betroffenen ausreichend zur Verfügung stehen. Das gesetzlich verankerte Doppelmandat der beratenden Personen sowie geschäftsprozessuale Anforderungen in Form von Zielvereinbarungen und Kennziffern (vgl. hierzu ausführlich Brülle et al. 2016) erhöhen das Risiko für verdeckt strategisches Handeln bzw. verzerrte Kommunikation auf dem situativen Kontinuum zwischen Verständigungsorientierung und Erfolgsfixierung in der Beratung (vgl. hierzu Stimmer/Ansen 2016: 61) und stellen somit ein Risiko für eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung als Qualitätsmerkmal ›guter‹ Beratung dar. Dies gilt insbesondere, da die Kennziffern und Zielvereinbarungen zurzeit noch überwiegend eingliederungs- und nicht teilhabeorientiert sind (vgl. Brülle et al. 2016). Je nach Zielgruppe ergeben sich aktuell noch unterschiedliche Fokussierungen bei der Definition von Qualitätskennzahlen, hier der Kundenzufriedenheit und Prozessqualität, bei denen die Risikogruppen Jugendliche, langzeitleistungsbeziehende Personen sowie geflüchtete Menschen außen vorgenommen werden (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2016: 2). Zu hinterfragen ist gleichzeitig, ob die Ergebnisfixierung auf
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›Eingliederung‹ überhaupt sinnvoll, effizient und umsetzbar ist, insbesondere angesichts komplexer Wirkungszusammenhänge in der Beratung: Die Berücksichtigung subjektiv empfundener Mangellagen aber auch zeitlich flexible, vorgelagerte Unterstützung beim Motivationsaufbau für Veränderungen der Ratsuchenden im Beratungsprozess ohne Sanktionsdruck würde Veränderungsbereitschaft und Motivation für die Bearbeitung sozialer Probleme sowie für die Integration in Arbeit anregen und aufrechterhalten. Dies widerspricht der eindimensionalen Logik des Gesetzgebers, dass es von Beginn an Sanktionen zur Motivationsförderung brauche. (b) Diagnostik und Ermessensausübung: Die individuelle Diagnostik4 im Rahmen der Beratung ist u.a. erforderlich, um den Zugang und die Finanzierung ergänzender psychosozialer Unterstützungsleistungen im Sinne des Förderns zu eröffnen. Das gesetzliche Beratungsverständnis zielt auf passgenaue Leistungserbringung ab, um eine möglichst schnelle Eingliederung bei gleichzeitiger Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit zu ermöglichen. Das ›Erkennen‹ eines Problems, seine Deutung sowie die Bewertung der Erforderlichkeit der Bearbeitung unterliegen letztendlich der Entscheidung bzw. Interpretation der Fachkraft im Rahmen der Diagnostik. Dadurch ist die Situation anfällig für asymmetrische Machtausübung sowie Creaming-Effekte, Stigmatisierung und die Individualisierung von Problemlagen. Ein individuelles Eingehen auf die soziale Situation der Betroffenen ist demnach einerseits gefordert, um nicht erfolgreichen jedoch zugleich sanktionsbelasteten Integrationsversuchen entgegenzuwirken (vgl. Beste/Bethmann/Trappmann 2010: 8). Daraus ergibt sich andererseits das Risiko, dass es zu einer verkürzten Sicht auf Arbeitslosigkeit kommt, die das Problem in der Person verortet und ihre strukturellen Ursachen verkennt. Den Überlegungen von Groenemeyer (vgl. 2010: 42ff.) zur institutionellen ›Problemarbeit‹ folgend, wirken das gesetzlich vorgeschriebene Ziel der Eingliederung und das Meta-Leitbild der Aktivierung dahingehend auf die institutionell gestaltete, konzeptuelle Ebene ein, dass der Deutungsrahmen für zu diagnostizierende Probleme bereits im Vorhinein rhetorisch konstituiert wurde und die beschriebene Verwertungslogik impliziert. »Um eine einseitig individualisierende Betrachtung der Beratungsthemen zu ver-
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Im Jargon der Bundesagentur wird der Begriff ›Profiling‹ verwendet, welches u.a. im Rahmen des 4-Phasen-Modells der Integrationsarbeit (4PM) stattfindet. Dies entspricht einem diagnostischen Vorgehen, in dem u.a. auch Tests durchgeführt werden. In diesem Artikel wird bewusst der Begriff ›Diagnostik‹ verwendet, um eine Abgrenzung zum ›Profiling‹ und Anschluss an die sozialarbeiterische Handlungsmethode Soziale Diagnose (vgl. bspw. Röh 2012) als normativer Maßstab herzustellen. Kritisch zur Personalisierung des Problems Arbeitslosigkeit in Testverfahren siehe Ott 2016.
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meiden, wird eine mehrperspektivische Denk- und Handlungsausrichtung nahegelegt, die ausdrücklich gesellschaftliche Einflüsse würdigt.« (Stimmer/Ansen 2016: 113) Mit der beschriebenen sozialintegrativen Ausrichtung des gesetzlichen und des konzeptionellen Beratungsverständnisses, die im Zuge der Diagnostik eine Zuspitzung erfährt, wird zugleich eine ethische Fundierung entsprechend der Prinzipien umso erforderlicher, als es darauf ankommt, die Handlungsspielräume der Ratsuchenden zu wahren bzw. im Rahmen des Beratungsprozesses zu eröffnen und potenziellen Stigmatisierungen auch in Beratung selbst entgegenzuwirken. Diese Ausrichtung muss sich bei ›guter‹ Beratung in der Gestaltung der Arbeitsbeziehung und somit in der Haltung der ratgebenden Person beim Diagnostizieren widerspiegeln. Für die gewollte passgenaue Leistungserbringung ist dies ebenso erforderlich: »Erst eine wohlwollende Atmosphäre, die nicht zuletzt durch die Beziehung geprägt wird, nimmt Ratsuchenden Ängste und ermuntert sie, den Beraterinnen und Beratern möglichst offen zu begegnen und sich auf eine differenzierte Situationsanalyse und den weiteren Hilfeprozess einzulassen […].« (Stimmer/Ansen 2016: 319) (c) Beratung im SGB II als soziale personenbezogene Dienstleistung: Es besteht ein Widerspruch zwischen der gesetzlichen Konzeption der Beratung im SGB II als staatlich-öffentliche Dienstleistung, basierend auf dem Konzept des Bürgerstatus, sozialen Teilhabe- und Schutzrechten, im Gegensatz zu ihrer marktförmigen Adaptation. Die kommerzielle Orientierung der sozialen personenbezogenen Dienstleistung Beratung im SGB II kann paradoxerweise zur Verringerung der Befriedigung der Nutzerinnenbedürfnisse bzw. Beschränkung ihrer Deutungsmacht führen. Dies ist der Fall, da den Ratsuchenden im Gegenteil zur (nicht sanktionierten) Entscheidungsmacht der Kundinnen und Kunden im Referenzsystem Markt nur Handlungs- und Entscheidungsspielräume eingeräumt werden, sofern diese der Zielfixierung auf Eingliederung folgen. Andernfalls droht beim Verlassen des SGB II-Systems der Verlust der Existenzsicherung (vgl. ausführlich zur dienstleistungstheoretischen Perspektive Schaarschuch 1999: 554ff.). Der Beratungsprozess muss allerdings von Bedürfnissen und Deutungsmacht der Ratsuchenden mitbestimmt werden, um gelingen zu können (vgl. Stimmer/Ansen 2016: 319) bzw. Bildungsprozesse anzuregen. (d) Asymmetrie: Das gesetzliche Beratungsverständnis führt nicht entsprechend der Prinzipien der Beratung zur Eröffnung von Handlungsspielräumen auf Augenhöhe in der Arbeitsbeziehung, sondern fördert die Asymmetrie, die per se in der Beratungsbeziehung existiert (vgl. Nestmann/Engel/Sickendiek 2013a: 1334). Dies ist u.a. durch die Möglichkeit eines ersetzenden Verwaltungsaktes der
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Fachkräfte, u.a. bei Verweigerung des Abschlusses der Eingliederungsvereinbarung durch Leistungsberechtigte (vgl. Berlit in Münder SGB II §15), die Sanktionsmacht der Fachkräfte, das Ungleichgewicht zwischen Fördern und Fordern (vgl. bspw. Berlit in Münder SGB II, § 2 Rd. 3-4) sowie die ausgeprägtere Deutungsmacht der Fachkraft bei der Klassifizierung eines Problems als bearbeitungswürdig und bearbeitbar im Rahmen der Diagnostik zu erkennen. Gleiches gilt für mangelnde subjektiv rechtliche Ansprüche auf Eingliederungsleistungen, hinreichende Qualifikation und Sachkompetenz des Ansprechpartners (vgl. Berlit in Münder SGB II §14 Rd. 5), die Kontinuität der Beratungsbeziehung (vgl. ebd. Rd. 15) oder einen Betreuungsschlüssel (vgl. ebd., Rd. 16) sowie die ungleiche Wertung struktureller und individueller Faktoren von Arbeitslosigkeit. Obwohl konsensuale Lösungen Vorrang vor hoheitlichem Handeln bei Verhandlung und Abschluss der Eingliederungsvereinbarungen haben (vgl. Berlit in Münder SGB II §15 Rd. 15) und durch Nichtigkeitsprüfung Schutz vor geforderten Gegenleistungen der Leistungsberechtigten besteht (vgl. ebd. Rd. 32), stehen den Leistungsberechtigten und Fachkräften insgesamt wenig praktische Möglichkeiten zur Verfügung, um die strukturelle Asymmetrie gänzlich in der Interaktion auszugleichen (vgl. ergänzend Nestmann 2012: 26 u.a. zu Bedingungen der Beziehungsgestaltung im Kontext von Zwangsberatung). (e) Inhalt und Umfang der Beratungspflicht und des Unterstützungsauftrags: Einerseits geht der intensive Unterstützungsauftrag über die sozialrechtliche Beratungspflicht nach §14 SGB I durch die persönliche Ansprechperson hinaus. Dies gilt insbesondere für das Fallmanagement sowie für Beratung und Aufklärung zur Sicherung des Lebensunterhalts (vgl. Berlit in Münder SGB II §14 Rd. 19). Durch die gesetzliche Vorgabe der Bereitstellung, nicht jedoch Beibehaltung, Auswahl oder Qualifikation einer persönlichen Ansprechperson, wird intensive Betreuung zwar im Gesetz konzeptionell vorausgesetzt, andererseits jedoch nicht ausreichend geregelt. Die Abgrenzung zwischen (sozialrechtlicher) Beratung und Fallmanagement ist uneindeutig (vgl. Berlit in Münder SGB II §14 Rd. 13; im Vergleich auch Greiser in Eicher SGB II §14 Rd. 8ff.). Ebenso wenig wird der Zugang zum Fallmanagement und die gesetzliche Adaptation des Rahmenkonzepts CaseManagement für alle Leistungsberechtigten geklärt (vgl. Berlit in Münder §14 Rd. 13). Die Thematisierung potenzieller Vermittlungshemmnisse in Form von psychosozialen Problemen wird jedoch außerhalb des Fallmanagements erforderlich sein, um ggf. Eingliederungsleistung nach §16a gewähren bzw. Beratungsbedarfe, wie im §14 Abs. 2 SGB II definiert, angemessen identifizieren zu können. § 16a SGB II ist darüber hinaus nicht als »(alleinige) Rechtsgrundlage für komplexe Leistungsangebote […]« (Thie in Münder SGB II §16a Rd. 2) geeignet. Die Koordination mit ergänzenden Leistungen nach dem SGB XII durch einen Träger ist
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demnach sinnvoll (vgl. Thie in Münder SGB II §16a, Rd. 9). Zugleich wird die Beratungspflicht des SGB II-Trägers, welche entsprechend auch psychosoziale Aspekte umfassen muss, durch die Hinwirkungspflichten zur Beratung durch weitere Akteure nicht ersetzt (vgl. Greiser in Eicher SGB II §4 Rd. 17). Die Aussparungen zum Inhalt und Umfang der Beratungspflicht sowie des Unterstützungsauftrages bergen die Gefahr eines diffusen Auftragsverständnisses. Dies erschwert den Aufbau einer stabilen Arbeitsbeziehung, die u.a. durch Rollenklarheit und -transparenz gekennzeichnet ist (vgl. hierzu auch Stimmer/Ansen 2016: 318). Eindeutig ist hingegen, dass die Pflicht zur Unterstützung und Beratung sich auf die Eingliederung in Arbeit fokussiert. Dies setzt jedoch zugleich eine mehrperspektivische Betrachtung voraus, damit die Unterstützung zu diesem Zweck wirksam ist. Ihre eindimensionale Begrenzung auf Eingliederung ist illusorisch, insbesondere angesichts der Komplexität der Faktoren wirksamer Unterstützung. Beratung als kommunikative Handlungsform beinhaltet durch ihre partielle Analogie zu persönlichen Beziehungen (siehe 4.3) das Handlungsformat sozialer Unterstützung. Daraus folgt, dass die Beratung im SGB II, solange die Definition diffus ist und der Begriff ›Beratung‹ verwendet wird, über das Fallmanagement hinaus einen sozialen Unterstützungsauftrag erfüllen muss, um Eingliederung zu fördern. Sofern soziale Unterstützung in diesem Kontext erbracht wird, müssen die Handlungsprinzipien sozialarbeiterischer Beratung für die Gestaltung der Arbeitsbeziehung und ihre Rahmenbedingungen gelten und die Bedingungen erfüllt sein, die Unterstützung überhaupt wirksam werden lassen. Dazu gehört die Passung der Unterstützung, ebenso wie die weitergefasste Würdigung der Person. Die Ergebnisse der dargestellten Kategorien verdeutlichen die Relevanz der Arbeitsbeziehung in der Beratung, die sich auch in der Ausgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen widerspiegeln sollte. Es zeigt sich weiter, dass der Abgleich mit den Handlungsprinzipien sozialarbeiterischer Beratung als Bestandteil der Würdigungsperspektive und Ausgangspunkt für die (Weiter-)Entwicklung von Qualitätsmerkmalen auf Nachlässigkeiten im gesetzlichen Beratungsverständnis hinweisen. Es stellt sich die Frage, ob die Beratung im SGB II überhaupt als solche im Sinne der sozialarbeiterischen Anwendung verstanden werden kann. 5.3 Soziale Unterstützung in tertiären Netzwerken Der Unterstützungsbegriff im Kontext tertiärer Netzwerke, dem professionellen Dienstleistungserbringungskontext zu dem auch die Beratung im SGB II gehört,
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steht bisher auch in der Sozialen Arbeit nicht im Fokus der Aufmerksamkeit.5 Zwar gibt es verschiedenste Überlegungen zum Auftrag bzw. den Mandaten der Profession, in einem einheitlichen Unterstützungsbegriff wurden diese Aspekte jedoch bisher nicht verdichtet. Parallelen sind mit dem Konzept sozialer Unterstützung bzw. social support zu finden, das wiederum komplex ist (vgl. Kupfer 2015: 137ff.). Die Erforschung sozialer Unterstützung bezieht sich vorrangig auf persönliche primäre und sekundäre Netzwerke. In diesem Zusammenhang werden zwar am Rande Supportinterventionen, also die professionelle Intervention »über, mit und durch informelle persönliche Beziehungen in persönliche Beziehungen […]« untersucht (Nestmann 2010: 28; Herv. i. O.). Die professionelle Unterstützung wird dabei jedoch lediglich auf ihre sekundäre, funktionale Rolle hin mit dem Ziel beleuchtet, den Aufbau persönlicher Beziehungen der Adressaten und Adressatinnen zu fördern und Ressourcen zu entdecken. Diesen Gedanken greift das Prinzip des netzwerkorientierten Denkens und Handelns in der Beratung auf. Die Relevanz sozialer Netzwerke für einen gelingenden Beratungsprozess sowie für ihre Inanspruchnahme und Beendigung ist nachgewiesen (vgl. Weinholdt u. a. 2014; Kupfer, 2015, S. 241ff.). Neben dem Umgang mit Konflikten bzw. defizitären Netzwerken und fehlenden sozialen Unterstützungsressourcen können bzw. müssen Arbeitsbündnisse persönliche Netzwerke darüber hinaus teils temporär kompensieren (vgl. hierzu auch Kupfer/ Nestmann/Weinholdt 2013: 1416f.; Kupfer 2015: 259ff.), um die Stabilität für den weiteren Netzwerkaufbau zu gewährleisten. Insofern ist es naheliegend, dass die Qualitäten und Funktionen sozialer Unterstützung in der Arbeitsbeziehung der Beratung mit denen in persönlichen Beziehungen zumindest ansatzweise zu vergleichen sind. Es ist jedoch Vorsicht geboten, denn »Berater_innen können und dürfen persönliche Beziehungen nicht ersetzen.« (Stimmer/Ansen 2016: 316) Aber: »Die professionelle Hilfebeziehung selbst ist zunächst eine zentrale Ressource.« (Nestmann 2010: 32) Deutlich wird bereits an dieser Stelle das Spannungsfeld, welches sich bei der Reflexion einer Analogie sozialer Unterstützung in persönlichen im Vergleich zu tertiären Netzwerken ergibt: Die Arbeitsbeziehung weist Elemente einer persönlichen Beziehung auf. Zugleich ist die professionelle Beziehung an Rollen gebunden, es werden ausschließlich bestimmte Themen, mit Bezug zum institutionellen Kontext, unter vordefinierten Bedingungen bearbeitet (vgl. Stimmer/Ansen 2016: 318). Die Beziehung ist von Natur aus zunächst asymmetrisch, Ressourcen und Macht zwischen den interagierenden Personen sind ungleich verteilt (vgl. ebd.: 319). Unterstützung erfolgt nicht gegenseitig. Die vorangegangenen Ausführungen führen zu folgender Definition: Soziale Unterstützung in tertiären Netzwerken beinhaltet 5
In einschlägigen Handbüchern und Nachschlagewerken ist der Begriff nicht aufgeführt (vgl. bspw. Mulot 2011; Otto/Thiersch 2015; Kreft/Mielenz 2013; Thole 2012).
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emotionale, informationale, praktische, materielle sowie Bewertungs- und Interpretationshilfen (vgl. Nestmann 2010: 8). Kompensatorisch ist sie lediglich temporär zu erbringen und zielt immer auf die Förderung sozialer Unterstützung in primären und sekundären Netzwerken. Insbesondere für emotionale Unterstützung in diesem Zusammenhang gilt es jedoch, die professionelle Rolle, aus der heraus die Unterstützung gewährt wird, nicht zu verlassen und diese Beziehungsinformation klar zu vermitteln. Dies begrenzt das Repertoire der Unterstützungsformen, obwohl ihre grundlegende Kategorisierung analog im professionellen und persönlichen Hilfesetting ist. Mit der »selbstwertsteigernden Würdigung der Person« (ebd.) ist eine zentrale Komponente sowohl bei der Bewertungs- und Interpretationsunterstützung als auch im professionellen Kontext angesprochen. Ausgehend von dieser Definition ist festzuhalten, dass die Konkretisierung des Unterstützungsgedankens insbesondere angesichts der zentralen Stellung von Beratung im SGB II notwendig ist. Zu überlegen ist auch, ob und wie der Unterstützungsgedanke mit Sanktionen vereinbar ist.
6. S OZIALE B ILDUNGSARBEIT UND L EBENSFÜHRUNGSKOMPETENZEN Soziale Bildungsarbeit zielt darauf ab, Kompetenzen zu vermitteln, die zur Bewältigung prekärer Lebenslagen notwendig sind. Im Vordergrund stehen dabei nicht formale Bildungsinhalte, sondern lebensweltliche Bezüge der Personen. Erfahrungsnahe Lernprozesse unterscheiden sich von denen in institutionalisierten Bildungseinrichtungen (vgl. Grundmann et al. 2016: 57). Der Fokus der wissenschaftlichen Bildungsdiskussion ist somit um eine »Analyse jener lebensweltlichen Bezüge zu ergänzen, die im Kontext der Familie, dem Herkunftsmilieu bzw. privaten Lebenszusammenhängen existieren.« (Ebd.) Ebenso wichtig für diese Aneignungsformen sind »sozialmilieuspezifische Erfahrungsräume und Opportunitätsstrukturen« (ebd.). Damit ist auf sekundäre Netzwerke verwiesen. Zugleich ist eine Interdependenz zwischen institutionellen und Bildungsprozessen außerhalb institutioneller Settings zu betonen (vgl. ebd.: 66). Die »Aufwertung institutioneller Bildung gegenüber lebensweltlichen Bildungsprozessen wird als eine zentrale Ursache für die Entstehung und Verfestigung von Bildungsungleichheiten identifiziert.« (Ebd.) In Unterstützungsprozessen zur Bewältigung prekärer Lebenslagen, wie sie der SGB II- Bezug darstellen kann, muss demnach die Förderung von Lebensführungskompetenzen, so wie sie zum Teil im §16a SGB II vorgesehen ist, gleichwertig zu formalen Abschlüssen betrachtet werden. Aufgabe der Beratung im SGB II wäre demnach, die Vermittlung dieser Kompetenzen,
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IM
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oder zumindest ihr Fehlen zu identifizieren und passende Interventionsformen anzubieten. Grundmann et al. (2016: 63) führen darüber hinaus an, dass gerade die lebensweltlichen Bildungsprozesse und Handlungsbefähigungen bei »schulbildungsfernen« Personen in den Vordergrund rücken müssten. Insbesondere für geringqualifizierte Personen ist somit nicht nur die Förderung formaler Abschlüsse, sondern bei Bedarf soziale Bildungsarbeit anzustreben. Die Fokussierung von sog. Soft Skills im Kontext der Arbeitsvermittlung beinhaltet jedoch Risiken: »Auch diese Prozesse führen letztlich zu einer Hierarchisierung von verwertbaren und nicht verwertbaren Handlungskompetenzen, mithin zu einer differenten Wertschätzung von Persönlichkeitseigenschaften. Wertmaßstab ist dabei wiederum lediglich die gesellschaftlich anerkannte und ökonomische Verwertung von Fähigkeiten im Sinne von Statuserwerb und Nutzenmaximierung.« (Ebd.: 64)
Damit schließen Grundmann et al. (2016) an die Diskussion über die Verwertbarkeit von Bildung (vgl. hierzu auch Walther 2014: 100) an. Der Begriff Lebensführungskompetenz umfasst die Fähigkeit zur stabilen und zufriedenstellenden Beziehungsgestaltung, Empathie sowie sozialmoralische Kompetenzen. Dies sind auch relevante Aspekte, um soziale Unterstützung in primären und sekundären Netzwerken nutzen zu können. Die Förderung entspricht demnach implizit auch der Netzwerkorientierung im SGB II. Weiter gehören Kompetenzen zur Bewältigung biografischer und beruflicher Risiken wie Entscheidungskompetenzen und Frustrationsumgang (vgl. Grundmann et al. 2016: 64) zur Lebensführungskompetenz. Insbesondere letztere sind im Rahmen der Beratung an Übergängen, wie sie im SGB II erfolgt, relevante Aspekte, wie die dargestellten Ziele professioneller Beratung in sozialarbeiterischen Kontexten untermauern. Soziale Bildungsarbeit baut in diesem Sinne auch Barrieren ab, um formale Bildung zu ermöglichen. Dieser Aspekt wird im Folgenden verdeutlicht.
7. B ERATUNG
ALS SOZIALE
B ILDUNGSARBEIT
Lernen und Bildung können nach Walther (vgl. 2014: 101) als Aneignung der Umwelt von Seiten der Subjekte verstanden werden. »Mit dem Konzept der Aneignung ist die Annahme verbunden, dass Handlungsfähigkeit nicht nur Resultat, sondern auch Voraussetzung von Lernen und Bildung ist. Aneignungshandeln geht Lernen und Bildung voraus, wird aber durch in sie eingelagerte kognitive, emotionale, praxis- und identitätsbezogene reflexive Prozesse reflexiv weiterentwickelt.« (Ebd.) Zum Erlangen bzw. zur Förderung von formalen Abschlüssen im
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Rahmen der Arbeitsvermittlung ist soziale Bildungsarbeit als Förderung von Aneignungshandeln demnach gleichwohl relevant. Walther benennt verschiedene Ebenen dieser Aneignung: als »aktiv[e] Auseinandersetzung mit Selbst und Welt« (2014: 101); »Lernen als aktive (Re-)Konstruktion von Welterfahrungen« (ebd.); »Bildung als reflexive Transformation von Selbst-Welt-Verhältnissen bzw. Identitätsbildung« (ebd.). Er verweist darüber hinaus auf den Zusammenhang zwischen Motivation, sozialer Bildung und Bewältigung (vgl. ebd.: 102). »Motivation resultiert aus subjektiven Erfahrungen mit eigener Handlungsfähigkeit in der Biographie.« (Ebd.) Dazu müssen Probleme auch bewältigt werden. »Beratung ist in ihrer ursprünglichen Form ein zwischenmenschlicher Prozess, in dem eine ratsuchende Person durch die Interaktion mit dem Berater mehr Klarheit über eigene Probleme und Bewältigungsmöglichkeiten gewinnt und damit die eigene Problemlösungskompetenz erweitert.« (Rechtien 1998: 16 zit. n. Ansen 2006: 11) In dem Moment, wo Beratung Problemlösungskompetenzen fördert, leistet sie in diesem Sinne soziale Bildungsarbeit: »Die soziale Seite von Bildung gründet darin, dass die meisten Lernprozesse, vor allem aber Bildung, grundsätzlich sprachlich vermittelt sind (Koller 2006, S. 120; vgl. Winkler 1988) und gleichzeitig abhängig von und eingebettet in Interaktionen und Beziehungen.« (Walther 2014: 103) Die Einhaltung der Prinzipien von Beratung ist demnach als Qualitätsmerkmale Sozialer Bildungsarbeit in diesem Zusammenhang zu diskutieren. Abschließend führt Walther (vgl. 2014: 108) einen wechselseitigen Zusammenhang zwischen Subjektivität und Sozialität bzw. Aneignung und Anerkennung an. Die Förderung von Anerkennung, hier der Würdigung, ist zentraler Faktor, um die Bewältigung problematischer Lebenssituationen auch in tertiären Netzwerken professionell zu unterstützen.
8. F AZIT
UND
AUSBLICK
Es wurde anhand der dargestellten Auswertung einschlägiger Paragraphen und der Ergänzung durch konzeptuelle Hinweise der Bundesagentur für Arbeit (2014) zur Beratung im SGB II deutlich, dass die Würdigung der Bewältigungsleistungen der Adressaten und Adressatinnen in der gesetzlichen und konzeptuellen Ausgestaltung der Arbeitsbeziehung ein zentrales Element ist, um erfolgreiche langfristige und existenzsichernde Vermittlung für Menschen mit psychosozialen Problemen wirksam zu ermöglichen. Die Berücksichtigung der Handlungsprinzipien als Ausgangspunkt für die (Weiter-)Entwicklung von Qualitätsmerkmalen der Beratung in psychosozialen Arbeitsfeldern ist demnach auch für ›gute‹ Beratung im SGB II unumgänglich. Es besteht ein Unterstützungsauftrag im SGB II, sofern dieser
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IM
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nicht in Zukunft ablehnend durch den Gesetzgeber konkretisiert wird. Dies gilt insbesondere, da ›nachhaltige‹ Entwicklung in der Programmatik der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik verstärkt Aufmerksamkeit erhält. Es muss damit einhergehend die Frage nach gesetzlichen und konzeptuell verankerten Handlungsspielräumen zur Vermittlung von Lebensführungskompetenzen als soziale Bildungsarbeit im Rahmen der Beratung im SGB II gleichberechtigt zur Vermittlung und ggf. Weiterqualifizierung in den Fokus der Diskussion rücken. Da die institutionellen Rahmenbedingungen durch den gesetzlichen Auftrag der Kontrolle, Erfolgszentrierung und Zielfixierung wenig Spielraum dazu lassen, wäre bereits die verstärkte Reflexion dieses formulierten Auftrages im Kontext ›nachhaltiger‹ Vermittlung empfehlenswert, sofern die Angebote freiwillig sind. Die Verweisnorm §16a SGB II, die u.a. das bisher wenig konkretisierte Angebot der psychosozialen Betreuung umfasst, könnte an dieser Stelle rechtliche Umsetzungsmöglichkeiten bieten. Beratung kann reflexive gedankliche Anstöße anregen und Zugänge zu weiteren sozialen bzw. formalen Bildungsangeboten ermöglichen, sofern die Existenz der beratenden Person abgesichert ist. Deshalb ist sie mitunter ebenso als vermittelnde soziale Bildungsinstanz zu verstehen. Sanktionsregelungen im SGB II erschweren diese Prozesse ebenso wie die konzeptuelle Orientierung der Beratung an Handlungsprinzipien, die in der Sozialen Arbeit Anwendung finden, und damit auch die angestrebte ›nachhaltige‹ Vermittlung der betroffenen Personen.
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Der Qualitätsmanagementprozess der öffentlichen Jugendhilfe in Hamburg Merkmal von Qualität eines Krisenmanagements? D ANIEL B EUME & L ISA -M ARIE K LINGER
Die Reformbewegungen in der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe in Hamburg sollen gegenwärtig durch ein Qualitätsmanagementsystem (QMS) aus der Normfamilie der DIN ISO EN 9000 eine Standardisierung erfahren. Die zusätzlichen Bemühungen der Implementierung des QMS im Arbeitsfeld werden in Kauf genommen, obwohl weder Inhalt der Reform noch seine Verstetigung durch ein QMS aus fachlicher Perspektive als sinnvoll erscheinen und abschließend bewertet wurden. Der Artikel gibt Einblick in die Verlaufsform und widmet sich in einer kritischen Auseinandersetzung den Inhalten des QMS und seiner möglichen Effekte auf das Praxisfeld des ASD.
164 | D ANIEL B EUME, L ISA -M ARIE KLINGER
1. E INLEITUNG Der vorliegende Artikel befasst sich mit dem Personalbemessungsverfahren und dem Qualitätsmanagement-Projekt der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe in Hamburg. Er entstand im Zusammenhang des übergeordneten Arbeitsschwerpunktes des Kooperativen Graduiertenkollegs »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit« und stellt somit die Verbindung zwischen dem Anspruch einer an Qualitätsmerkmalen zu bemessenden Sozialen Arbeit in der Jugendhilfe und den Promotionsvorhaben der Autorin und des Autors dar1. Durch ein Qualitätsmanagementsystem (QMS) soll die (Soziale) Arbeit und somit auch der Inhalt von Jugendhilfe als Unterstützung von Erziehung und Vermittlung von Bildung qualitativ messbar gemacht werden.2 Die Thematik des Qualitätsmanagementprozesses ist ein voraussetzungsvolles Kriterium einer neuen Arbeitsweise des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) in Hamburg. Als fallzuständige Fachkräfte des ASD sind die Autorin und der Autor in der Lage, auch die Binnenperspektive der Fachkräfte des ASD im wissenschaftlichen Diskurs abzubilden. Hier soll die Fragestellung Berücksichtigung finden, welches Interesse an der Implementierung eines QMS aus der Normfamilie DIN ISO EN 9000 durch die verantwortliche Fachbehörde intendiert ist. Der Artikel befasst sich weiter mit der Einschätzung erkennbarer und möglicher Folgen der
1
Promotionstitel von Lisa-Marie Klinger: Hit Me Baby One More Time? Sichtweisen von ASD-Fachkräften auf junge Mütter, die von Gewalt im sozialen Nahraum betroffen sind. Eine kritische Diskursanalyse. Promotionstitel von Daniel Beume: HilfeadressatInnen der Kinder- und Jugendhilfe zwischen Verwaltungsreform und professionellem Handeln.
2
Bildung definiert sich in diesem Kontext als die Vermittlung von Kenntnissen und Kompetenzen und beinhaltet im Rahmen der individuellen Persönlichkeitsentwicklung entsprechende Bildungselemente. Zwar findet in diesem Zusammenhang Bildung nicht in Form formeller Bildung oder ähnlichem statt, doch »ist für die Persönlichkeitsentwicklung des Klienten unterstellt, dass ein Bewusstsein von sich, anderen, der Gesellschaft, Institutionen, Interessen usw. existiert, mit anderen Worten, dass er etwas weiß und dass er etwas will. Wo solch ein bewusster Bezug auf die Lebenswelt fehlt, muss er ‒ auch durch die Jugendhilfe ‒ vermittelt werden« (Hinrichs 2004: 357). Bildung ist somit als eine Form der Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und Erziehungsberechtigten zu verstehen, um defizitäre Erziehungsvoraussetzungen zu bewältigen (vgl. § 1 SGB VIII Abs. 1–3 sowie § 16 SGB VIII als gesetzliche Voraussetzungen für Sozialräumliche Hilfen und Angebote).
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geplanten Qualitätssicherung in der Planungs- und Umsetzungsphase auf die Arbeitsweise des ASD sowie auf die Hilfeleistungen für die Adressatinnen und Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe. Auf die Bestandsaufnahme der Inhalte, Ziele und Vorbereitungsphase sowie den aktuellen Stand des Implementierungsprozesses des QMS folgt eine exemplarische Schilderung der praktischen Auswirkungen des QMS. Dem schließt sich eine Einschätzung der Konsequenzen des neuen Managements für die Arbeitspraxis des ASD und eine Diskussion der politischen Intention bei der Implementierung von QMS an.
2. AUSGANGSSITUATION Durch die öffentliche Jugendhilfe in Hamburg wurden in den vergangenen Jahren etliche Reformen mit dem Ziel einer neuen Ausrichtung der Arbeitsweise von fallzuständigen Fachkräften und Führungsverantwortlichen realisiert. Zu diesen Reformen zählen insbesondere • »die Neuaufstellung des ASD in Hamburg (Einführung von Eingangs-, Fall• • • •
und Netzwerkmanagement), der Erlass einer Fachanweisung für den ASD, die komplette Bereinigung und Neuerfassung aller relevanten Regelwerke für den ASD (Anlageband zur Fachanweisung), die Einführung einer neuen IT für die Jugendhilfe (JUS-IT), die darauf aufsetzt, die Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten durch eine flächendeckende Versorgung mit sozialräumlichen Angeboten« (BASFI3 2012a: 1)
Die 2012 beschlossene Einführung eines QMS soll die Ziele und Ergebnisse der Reformen und implementierten fachlichen Standards und Regelungen etablieren. Das eingesetzte Projekt Qualitätsmanagement in der Jugendhilfe orientiert sich dabei an einschlägigen ISO-Normen. Über das QMS sollen Führungskräfte sowie die ministerielle Fachaufsicht zur Kontrolle der »Zielerreichung in Bezug auf Einhaltung der Geschäftsprozesse und das Erreichen der materiellen ›Geschäftsziele‹« (ebd.) befähigt werden. Durch die Jugendhilfe in Hamburg ist somit in
3
Verantwortliche Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration.
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sämtlichen Arbeitsbereichen auf bezirklicher sowie behördlicher Ebene die Herbeiführung einer externen Zertifizierung gemäß DIN EN ISO 9001: 2008 intendiert4 (vgl. ebd.). Gegenwärtig wird in der öffentlichen Jugendhilfe in Hamburg das Projekt Qualitätsmanagement realisiert. Das hier federführende Bezirksamt HamburgMitte ist überzeugt, »dass ein solches System einen wichtigen Beitrag leistet für das Erreichen eines hohen Qualitätsstandards in der Erfüllung der JugendhilfeAufgaben für die Kinder und Jugendlichen, für die Familien und für alle, die sich mit einem Anliegen an das Fachamt Jugend- und Familienhilfe oder die Fachbehörde wenden sowie in der Zusammenarbeit mit Dritten« (Bezirksamt HamburgMitte 2016: 1f.). Im Kontext des Anliegens der Einführung eines QMS bedeutet Qualität hier: • »den optimalen Schutz für Kinder und Jugendliche zu gewährleisten, • die Beratung und Förderung der rat- und hilfesuchenden Familien/Eltern zeit-
nah und kompetent durchzuführen, • die Beteiligung der Leistungsberechtigten situations- und altersangemessen zu gewährleisten, • die notwendigen und geeigneten Hilfen zu gewähren, • die erforderlichen Ressourcen im personellen und sächlichen Bereich sowohl unter qualitativen als auch unter quantitativen Gesichtspunkten bereitzustellen« (ebd.: 2). Die Kompetenzen zur Nutzung des QMS sollten den fallzuständigen Fachkräften durch Informationsveranstaltungen, Workshops und im Rahmen der Einarbeitung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vermittelt werden. Der Einführung eines Qualitätsmanagementsystems war die Durchführung einer Personalbemessung des ASD vorausgesetzt, »um den Personalbedarf systematisch zu ermitteln, der für die Einhaltung der im Qualitätsmanagementsystem vorgegebenen Fachvorgaben zur Durchführung der Tätigkeiten erforderlich ist« (BASFI o.J. a). Die Notwendigkeit eines Personalbemessungsverfahrens wurde
4
Auf Ebene der Bezirksämter betrifft dies den Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD), den Pflegekinderdienst (PKD), die Amtsvormundschaften (AV), die Adoptionsstelle und den Jugendpsychologischen- und Jugendpsychiatrischen Dienst (JPPD). Auf Ebene der zuständigen Fachbehörde BASFI sind das Familieninterventionsteam (FIT), der Kinder- und Jugendnotdienst (KJND) sowie der Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB) von der Qualifikationsmaßnahme betroffen. Die Autorin und der Autor beziehen sich nachfolgend auf die Anwendung des QMS im ASD.
Q UALITÄTSMANAGEMENTPROZESS DER
ÖFFENTLICHEN
J UGENDHILFE IN H AMBURG | 167
schon im Jahr 2009 durch die BASFI festgestellt. Im Anschluss wurden die Ergebnisse der Personalbemessung als unverzichtbare Prämisse für die Durchführung des Projekts Qualitätsmanagement in der Jugendhilfe beurteilt.
3. D IE P ERSONALBEMESSUNG Um den Bedarf an personalen Ressourcen entsprechend den Aufgaben des ASD zu ermitteln, beauftragte die Fachbehörde BASFI das Frankfurter Institut für Soziale Arbeit und Sozialpädagogik (ISS) mit der Konzeption eines entsprechenden Untersuchungsdesigns. Das im März 2015 in den Abteilungen der Hamburger Jugendämter über eine Laufzeit von drei Monaten gestartete »Projekt Personalbemessung im ASD« wurde durch die Steuerungsgruppe Jugendhilfe schon im Dezember 2012 beschlossen. Absicht war, »eine einheitliche und fundierte Berechnungsgrundlage für eine bedarfsgerechte Personalausstattung im ASD zu ermitteln« (BASFI 2013: 1). Die an die Personalbemessung formulierten Ziele sollten u.a. sein: • »Ermittlung von Zeitbudgets für definierte Tätigkeiten innerhalb der im Quali-
tätsmanagementsystem beschriebenen wichtigsten Kern- und Teilprozesse • Ermittlung von Berechnungsgrößen für die Häufigkeit einzelner Teilprozesse
innerhalb der Kernprozesse • Ermittlung der durchschnittlichen Arbeitszeiten ohne Klientenbezug (einschließlich Rüstzeiten) […]. Die Feststellung des erforderlichen Personals soll sich an fachlich gewünschten Standards und Qualitätsvorgaben orientieren.« (ebd.: 2) Die Personalbemessung sollte gemäß der Bestimmungen der Projekteinsetzungsverfügung durch die zeitliche Messung angeordneter Arbeitsschritte in den sogenannten Soll-Prozessen erfolgen. Handlungsleitend waren die geltende »Fachanweisung Allgemeiner Sozialer Dienst“5 und der »Anlageband« des ASD6. Zu diesem Zweck wurde eine dem Anlageband des ASD entsprechende virtuelle Prozesslandschaft als Vorgabe konzipiert. An dieser hatten sich die für die Personalbemessung bestimmten Testpersonen (fallzuständige Fachkräfte des ASD)
5
Kernregelung der aufgabenübergreifenden Arbeitsweise des ASD, März 2009.
6
Geltende, dezidierte Regelungen der Aufgaben des ASD, kooperativ erarbeitet zwischen BASFI und den Bezirksämtern.
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während des Erhebungszeitraumes in ihrem Arbeitsalltag strikt zu orientieren.7 Bemessen werden sollte also nicht der Ist-Zustand des gegenwärtigen Arbeitsaufkommens in den ASD-Sachgebieten, sondern der Soll-Zustand nach gewünschten Standards und Qualitätsvorgaben. Der Zeitaufwand für jeden einzelnen Prozessschritt sollte täglich durch die Testpersonen in einer Dokumentationsvorlage aufgezeichnet werden. Die so ermittelte Zeitsumme sollte auf ein Jahr hochgerechnet im Ergebnis repräsentativ darstellen, wie viele Stunden ASD-Arbeit in der Gesamtsumme zur Bedienung aller fachlichen Vorgaben notwendig sind, um das gesamte Fallaufkommen in Hamburg bearbeiten zu können. Durch das resultierende Zeitbudget ließe sich, so die Überlegung, theoretisch die notwendige mittlere Arbeitszeit als Personalressource für den ASD in Hamburg berechnen. Die Ergebnispräsentation der BASFI im September 2015 zeigte, dass bei einer bestehenden Personalstärke von insgesamt 370 Fachkräften auf Grundlage des Personalbemessungsverfahrens ein Mehrbedarf von rund 75 Vollzeitfachkräften resultierte. Die Folge: In einigen Abteilungen erfolgten somit keine Neubesetzungen. Grund dafür war eine schon im Vorjahr erfolgte Überhangbesetzung von rund 50 Vollzeitkräften, durch welche schon vor den Ergebnissen der Personalbemessung antizipativ neue Stellen geschaffen wurden (vgl. BASFI 2015b, Dey 2015).
4. D IE I MPLEMENTIERUNG DES Q UALITÄTSMANAGEMENTSYSTEMS Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Jugendamtes wurden nach Durchführung des Personalbemessungsverfahrens die Anforderungen der praktischen Umsetzung des QMS programmatisch in Informationsveranstaltungen anhand der folgenden Punkte vorgestellt: • »Überblick über Ziele und Zweck QMS • Elemente des QM-Systems: Prozesse, Qualitätsziel, Kennzahlen, Audits, Ma-
nagement, Review, Zertifizierung • Struktur des QM-Systems für die Jugendhilfe: Kernprozesse, Managementpro-
zesse, Stützprozesse, Leitbild, Qualitätspolitik • Prozessbeschreibungen • Rollen und Zuständigkeiten« (Bezirksamt Hamburg-Mitte 2015a: 1).
7
Die virtuelle Prozesslandschaft gilt mittlerweile in Hamburg als verpflichtende Orientierung der ASD-Fachkräfte (vgl. BASFI 2015a).
Q UALITÄTSMANAGEMENTPROZESS DER
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Durch die BASFI wurden ab Februar 2016 rund 20 ASD-Fachkräfte als sogenannte interne Auditorinnen und Auditoren an der Überprüfung interner Audits beteiligt. Die Audits haben als Überprüfungsprozesse zur Erfüllung von Normvorgaben (Arbeitsprozesse) das Ziel, darüber Auskunft zu geben »ob das QMSystem gekannt und gelebt wird« (Bezirksamt Hamburg-Mitte 2015b: 1). Die Überprüfung der Normvorgaben setzt also die Kenntnis und das umfängliche Arbeiten entsprechend der Soll-Prozesse in der Jugendhilfe voraus, um bei Bedarf »Entscheidungen von Korrektur- und Verbesserungsmaßnahmen« (ebd.) einzuleiten. Die internen Auditorinnen und Auditoren haben somit den Auftrag, in den Abteilungen der bezirklichen und behördlichen Jugendhilfe das Maß der Erfüllung der Normvorgaben zu dokumentieren. Dieses ist Grundlage für die sogenannten Management-Reviews, in denen den Verantwortlichen Bericht über den Status der Einhaltung der vorgeschriebenen Arbeitsprozesse erstattet wird. Entsprechend dem Ergebnis wird entschieden, ob die Arbeit der Fachkräfte zur Vorbereitung auf die externe Auditierung korrigiert werden muss. Die externe Auditierung durch die Vertreterinnen und Vertreter der Zertifizierungsgesellschaft8 überprüft sodann die Entsprechung des QMS in Orientierung an den Normvorgaben (DIN ISO 9001). Aktuell (Stand Dezember 2016) führen die internen Auditorinnen und Auditoren ihre Erhebungen in den Abteilungen der Bezirke durch. Hierfür werden einzelne Fachkräfte in den Abteilungen exemplarisch zu ihrer Fallarbeit befragt und ihre Tätigkeit an dem Qualitäts-Soll der notwendig einzuhaltenden Prozessinhalte gemessen. Die Daten werden auf Grundlage der »zentralen Fragestellungen« ermittelt: • »Kennen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Prozesse und die Prozessvor-
gaben und arbeiten sie gemäß den Vorgaben? • Lässt sich diese anhand der Dokumentation nachvollziehen? • Welche Vorschläge für Verbesserungen in der Arbeit haben die Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter? • Die Auditoren nehmen stichprobenmäßig Einsicht in die Akten, um die im Ge-
spräch getätigten Aussagen zu verifizieren« (Bezirksamt Hamburg-Mitte 2015b: 1). Während der Befragung werden neben den Jugendhilfeakten ebenso die virtuell hinterlegten Vorgänge in dem IT-Programm JUS-IT durch die Auditorinnen und Auditoren gesichtet. Die so überprüften Fachkräfte des ASD sollten sich im Vorfeld freiwillig dem Verfahren zur Verfügung stellen. 8
Die externe Zertifizierungsgesellschaft ist die TÜV-Nord AG.
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5. D AS Q UALITÄTSMANAGEMENT ALS V ERSTETIGUNG IM R EFORMPROZESS Das QMS der Kinder- und Jugendhilfe reflektiert durch seine beschriebene Programmatik auf die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe. Für die Arbeitsweise des ASD bedeutet dies einen den Absichten der Reformbewegung entsprechenden und durch das QMS formalisierten bzw. standardisierten Einfluss auf die Hilfeplanung. Im fachlichen Diskurs zum Hamburger Engagement in der Kinder- und Jugendhilfe existieren hinsichtlich der angestrebten Zertifizierung gemäß DIN EN ISO 9001 derzeit nur wenige Veröffentlichungen. In der krisengebeutelten Hamburger Kinder- und Jugendhilfe9, der so oft auch aus eigenen Reihen ein Versagen in der Fallarbeit des ASD und im Leitungsmanagement vorgeworfen wird, scheinen regulative Verfahren gerechtfertigt und haben seit Jahren Hochkonjunktur (vgl. Neuffer 2010, 2016). Hamburg ist bereits seit 2012 mit Erlass der Globalrichtlinie des ASD (»Sozialräumliche Angebote der Jugend- und Familienhilfe«) bundesweit Vorreiter für ein neues Steuerungsmodell. Dieses wurde auch auf Bundesebene anhand der Gesetzesreform des SGB VIII auf Grundlage eines nicht freigegebenen Arbeitsentwurfs des BMFSFJ im Sommer 2016 diskutiert.10 Zentrales Ziel in Hamburg ist
9
Krisenhafte Ereignisse in Hamburg sind u.a. die Todesfälle der Kinder Lara-Mia, Chantal, Yagmur und Tayler, deren Familien vom ASD betreut wurden. Infolge der medialen Berichterstattung und dem daraus resultierenden öffentlichen Interesse wurden nach Todesfällen Parlamentarische Untersuchungsausschüsse eingesetzt. 2013 wurde schließlich eine Landesjugendhilfeinspektion implementiert, die sowohl anlass- als auch regelbezogen »die Qualität der erzieherischen Hilfen und beim Kinderschutz [...] sichern und [...] entwickeln sowie die individuelle Handlungs- und Verfahrenssicherheit der Fachkräfte [...] erhöhen soll« (BASFI o.J.c). Im September 2016 schließlich wurde durch Abgeordnete sämtlicher Fraktionen (mit Ausnahme der CDU) der Hamburgischen Bürgerschaft die Einsetzung einer Enquetekommission beantragt, mit dem Arbeitstitel »Kinderschutz und Kinderrechte weiter stärken: Überprüfung, Weiterentwicklung, Umsetzung und Einhaltung gesetzlicher Grundlagen, fachlicher Standards und Regeln in der Kinder- und Jugendhilfe – Verbesserung der Interaktion der verschiedenen Systeme und Akteurinnen und Akteure« (Bürgerschaft FHH 2016).
10 Der Arbeitsentwurf beinhaltet u.a. Veränderungen zur Finanzierung von Hilfeleistungen durch Umwidmung gesetzlicher Ansprüche in die Vorrangigkeit von infrastrukturellen Angeboten. Eine mittlerweile veröffentlichte Stellungnahme der obersten Landesjugendbehörden enthält mehrheitsfähige Punkte, welche den an die Öffentlichkeit geratenen Arbeitsentwurf in seinen Änderungsbedarfen mittlerweile stark relativiert hat (vgl. Bange 2016).
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die Umsteuerung von Hilfen zur Erziehung (HzE) in infrastrukturelle resp. Sozialräumliche Hilfen und Angebote (SHA). Das Umsteuerungsvorhaben sieht dazu die regionale finanzielle Regulierung und Implementierung von SHA vor. Diese sollen entsprechend den Strukturmaximen an einer auf die Lebenswelt der Hilfeadressatinnen und -adressaten zu orientierenden Sozialarbeit konzipiert sein. Neben der als Paradigmenwechsel in der Sozialen Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe befürworteten lebensweltlichen Ausrichtung von SHA, soll durch die Umsteuerung eine Kosteneinsparung durch das Erreichen von Zielzahlen und die Entlastung des ASD durch kostengünstigere Leistungen realisiert werden (vgl. BASFI 2012b). Bisher ist jedoch nicht befriedigend geklärt, inwiefern SHA im Stande sind, HzE abzulösen, vorzubeugen oder zu ersetzen (beispielsweise als Prävention von Kindeswohlgefährdungen), und welche Auswirkungen der Implementierungsprozess auf die Lebenswelt der Hilfeadressatinnen und -adressaten haben kann.11 Auch die Auswirkungen hinsichtlich zusätzlicher Arbeitsbelastungen des ASD durch die Planung und Verfügung neuer Angebotsformen sind flächendeckend schwer einschätzbar.12 Dennoch wird der Umsteuerungsprozess regional enorm forciert, was ohne genauere Erkenntnisse von Auswirkungen zumindest als risikoreich zu beurteilen ist. Grundsätzlich ist hier auch die Frage zu stellen, warum HzE und SHA durch die Umsteuerung eher als ein Entweder oder anstatt als ein Sowohl als auch in der Hilfeplanung berücksichtigt werden sollten. An dieser Stelle kann das auferlegte Einsparinteresse der Fachbehörde als evident beschrieben werden. Die ursprünglich durch den Arbeitsentwurf der SGB VIII-Reform benannten Ambitionen im Bereich der Umsteuerung werden auch ohne Gesetzesänderung in Hamburg mittlerweile durch die Praxis umgesetzt. Das Anliegen des QMS an dieser Stelle, auf das eingangs verwiesen wurde, ist die Umsteuerungsprogrammatik mittels Nutzung der JUS-IT Software flächendeckend zu unterstützen und die Implementierung des Umsteuerungsprozesses in der Praxis voranzutreiben.
11 Der Autor Daniel Beume befasst sich in seiner Promotion aktuell mit der Untersuchung der Auswirkungen zur Implementierung von SHA auf die Lebenswelt der Hilfeadressatinnen und -adressaten aus Nutzendenperspektive. Eine Untersuchung des Forschungsprojektes »Umsteuerung in der Kinder- und Jugendhilfe« der HAW Hamburg konnte zu diesem Themenbereich bereits interessante Forschungsergebnisse liefern, vgl. hierzu Düßler, Hagen, Weber 2016. 12 Zum Thema der Be- und/oder Entlastung des ASD im Kontext von SHA durch Berücksichtigung neuer Hilfeformen in der Hilfeplanung vgl. Beume, Martens 2016.
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Unter den fallverantwortlichen Fachkräften des ASD nimmt derzeit eine kritische Diskussion des QMS-Projektes an Fahrt auf. Grund hierfür ist die durch die politisch Verantwortlichen angeschobene Änderung des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Achten Sozialgesetzbuches. Die Änderung des Ausführungsgesetzes beabsichtigt u.a. die hamburgweite Implementierung des unter ASD-Fachkräften umstrittenen QMS (vgl. Senat FFH 2015, LAG ASD 2016).
7. K RITISCHE ANMERKUNGEN
AUS SOZIALARBEITSWISSENSCHAFTLICHER
P ERSPEKTIVE
Es ist zunächst zu hinterfragen, inwiefern eine Zertifizierung gemäß DIN ISO 9001 mit den fachlichen Anforderungen Sozialer Arbeit überhaupt kompatibel ist. Dahme und Wohlfahrt (2015: 1282ff.) bemerken, dass die DN ISO 9001 ursprünglich für das Qualitätsmanagement in der industriellen Produktion entwickelt und dann u.a. für den sozialen Sektor adaptiert wurde und stellen dessen Eignung grundsätzlich in Frage.13 Sie konstatieren ferner, auch die Orientierung am »Kunden« und das Versprechen von Qualität seien Teil einer managerialistischen Ideologie, die wettbewerbsorientiert sei und verspreche, Sozialausgaben zu verringern und angebotene Leistungen gleichzeitig zu verbessern (vgl. ebd.: 1279). Auch jenseits des QMS nach DIN ISO sind Verfahren zur Messung der Qualität sozialer Dienstleitungen aus fachlicher Sicht zu hinterfragen. Entsprechend sollen an dieser Stelle schlaglichtartig Expertisen im (sozialarbeits-)wissenschaftlichen Diskurs dargestellt werden. Galuske (2013: 367) stellt hierzu fest, dass das, was als Ergebnis bzw. Ziel von sozialarbeiterischen Hilfeangeboten zu sehen ist, nicht allein durch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter und Politik festzulegen sei. Vielmehr handele es sich um ein „Allparteiengeschäft“, bei dem die verschiedenen Akteurinnen und Akteure unterschiedliche Chancen und Einflussmöglichkeiten hätten. Mögliche Veränderungen für die Akteurinnen und Akteure im Zuge der Umsteuerung hin zu einem QMS sollen an dieser Stelle kurz skizziert werden.
13 Kritisiert wird auch, dass Adressatinnen und Adressaten Sozialer Dienstleistungen keine souveränen Kundinnen und Kunden sind, die eine Leistung nachfragen, noch dass der Sozialstaat ein Anbieter ist, der eine Leistung entsprechend den Bedarfen und der Nachfrage der Kundinnen und Kunden produziert, sondern vielmehr durch Gesetze festlegt. »Qualitätsmanagement in sozialen Diensten, in einem staatlichen regulierten Bereich, auch wenn er sich selbst neuerdings mit Markt- und Wettbewerbskategorien beschreibt, stößt an objektive Grenzen und erscheint [...] lediglich als ideologische Beigabe zur effizienzorientierten Leistungssteuerung« (Dahme/Wohlfahrt 2015: 1285).
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Für die Adressatinnen und Adressaten kann die Festlegung auf standardisierte Abläufe und zu erreichende messbare Kriterien in einem knapp bemessenen Zeitraum dazu führen, dass ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten eher formaler als inhaltlicher Gestalt bleiben.14 Eine faktische Aushandlung, die den Eigensinn und die tatsächlichen Interessen der Adressatinnen und Adressaten berücksichtigt, wird dadurch gebremst (vgl. Seithe, Heintz 2015: 43f.). Der Aufbau einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung wird durch die hohe Arbeitsbelastung und Standardisierung von Hilfeabläufen erschwert und ist zudem kaum objektiv messbar. Stattdessen erhalten die Adressatinnen und Adressaten eine distanzierte und formalisierte soziale Dienstleistung (vgl. ebd.). Zudem kann die Implementierung von sozialräumlichen Hilfeangeboten als primär die HzE-ersetzende statt ergänzende Angebote laut Seithe und Heintz dazu führen, dass nicht mehr die geeignete und notwendige Hilfe eingesetzt wird. Dadurch werden bestehende Rechtsansprüche aufgeweicht (vgl. Hinrichs 2010: 21). Stattdessen wird mitunter aufgrund des staatlichen Einsparungsinteresses »eine Verschlimmerung der Problemlagen billigend in Kauf nehmend« auf kostengünstigere Hilfen oder angrenzende Bereiche der Jugendhilfe (z.B. SGB II für junge Erwachsene) verwiesen (vgl. ebd.). Dewe (2009: 101) konstatiert, dass die Handlungsfähigkeit der Fachkräfte durch Qualitätsmanagementverfahren zunehmend gesteuert und überwacht und ihre fachlichen Handlungsspielräume verkürzt würden. Die steigende Dokumentationspflicht dient dabei nicht allein der Einhaltung gesetzter Standards, sondern auch der engmaschigen Kontrolle. So werden auch gemeinsam erarbeitete Hilfebedarfe und passende Unterstützungsleistungen »nicht selten durch Dienstvorgesetzte, übergeordnete Fachkräfte oder im Rahmen von ‚Fallrevisionen’ dennoch abgelehnt« (Kappeler 2008: 17f., zit.n. Seithe, Heintz 2015: 43). Aus dem Arbeiten in den beschriebenen Soll-Prozessen und der damit verbundenen Kontrolle kann ein verkürztes Abarbeiten von Fällen resultieren, bei dem „Reflexion zur dysfunktionalen und unerwünschten Haltung“ (Seithe, Heintz 2015: 44) erklärt wird. Die beschriebenen Entwicklungen haben nicht zuletzt Auswirkungen auf das grundsätzliche fachliche Verständnis von Sozialer Arbeit. Oevermann (2009: 124) stellt einen Paradigmenwechsel im Professionsverständnis fest, das sich von Fallverstehen, Kontingenz, zwischenmenschlicher Kommunikation und Empathie hin 14 Die gegenwärtige Partizipationsmöglichkeit in der Hilfeplanung durch die Adressatinnen und Adressaten beschränkt sich oftmals auf eine formale Mitbestimmung bei der Auswahl der Hilfeleistung, die im § 36 SGB VIII festgelegt ist. In der Praxis wird diese allerdings (u.a. aufgrund von Rahmenverträgen mit freien Trägern) oftmals weder gewährt, noch werden die Adressatinnen und Adressaten auf diese Möglichkeit überhaupt hingewiesen (vgl. ausführlich Pfadenhauer 2011).
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zu qualitativ messbaren Kriterien wie Zurechenbarkeit und Machbarkeit verschiebt. Die Fähigkeit zur Analyse sozialer Problemlagen als Ergebnis von gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen, wird von Thole und Cloos (2000: 558) als professionelles Wissen bezeichnet, welches in Bezug auf Messbarkeit festgelegter Qualitätsstandards nicht mehr praktikabel ist.
8. E XKURS : P RAXISBEISPIEL B ERATUNGSARBEIT F ÄLLEN VON P ARTNERGEWALT
IN
Die bereits geschilderten Auswirkungen des QMS sollen nachfolgend am Beispiel der herausfordernden Hilfeplanung bei von partnerschaftlicher Gewalt betroffenen Familien verdeutlicht werden. In diesen Fällen sind eine fundierte Planung der HzE als Prävention von Kindeswohlgefährdung sowie Interventionsmaßnahmen zur Gewährleistung des Kinderschutzes im Rahmen des staatlichen Wächteramtes erforderlich. Erste Forschungserkenntnisse15 weisen darauf hin, dass bei Fachkräften im ASD grundsätzlich ein professionelles Wissen über die negativen Auswirkungen von Partnergewalt auf betroffene Frauen und ihre Kinder vorhanden ist. Betont wird durch die Fachkräfte in diesem Zusammenhang die Bedeutung einer vertrauensvollen, offenen Arbeitsbeziehung, um das Fallverstehen und eine nachhaltig unterstützende Hilfeplanung zu gewährleisten. Hier finden sich die schon oben genannten fachlichen Kriterien gelingender Sozialarbeit wieder. Durch eine ASDFachkraft wird betont, wie wenig das implementierte QMS mit diesem fachlichen Anspruch kompatibel ist: [...] stellen wir auch immer wieder fest, also gerade auch wegen diesen, also diesen QMProzessen, dass wir halt einfach auch ganz anders arbeiten. (InterviewpartnerIn A)
Als essentiell wird von den Fachkräften die Berücksichtigung der – durchaus widersprüchlichen – Interessen der gewaltbetroffenen jungen Mütter und ein gründ-
15 Die Autorin Lisa-Marie Klinger forscht in ihrem Promotionsvorhaben zu Sichtweisen von ASD-Fachkräften auf von Partnergewalt betroffene junge Mütter. Datengrundlage sind qualitative Interviews mit ASD-Fachkräften aus allen Hamburger Bezirken. Junge gewaltbetroffene Mütter können aufgrund ihrer sozioökonomisch und emotional unsicheren Situation als eine besonders unterstützungsbedürftige Zielgruppe gelten (vgl. Klinger 2017).
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liches Fallverstehen sowie eine hohe Handlungsautonomie der Fachkräfte im Hilfeprozess betont. Der beständig steigende Dokumentationsaufwand im Rahmen des QMS und dessen Auswirkungen werden durchgängig als negativ bewertet, was folgende Interviewsequenz anschaulich verdeutlicht: [...] mich wundert, dass in Hamburg nicht viel mehr passiert. [...] Ich glaube, dass da eine ganz, ganz heftige Entwicklung ist, [...] dass die [...] Kolleginnen nicht mehr Beziehungsarbeit leisten, und das ist Sozialarbeit, dass die wirklich vor dem Computer sitzen, ihre Statistiken ausfüllen, [...] Schutzkonzepte und was, und das daran abarbeiten und nicht mehr am Menschen dran sind. [...] Und eine Beratung von zehn Minuten ist meines Erachtens nicht ausreichend, um ein Gefühl für das Familiensystem zu kriegen. [...] Diese ganzen Personalbemessungsgeschichten und so finde ich alles Schwachsinn. [..] Ich finde dieses zugeballert bis oben hin finde ich [..] gefährlich, also finde ich auch kindeswohlgefährdend. (InterviewpartnerIn B)
Die im vorherigen Abschnitt genannten negativen Auswirkungen von QMS auf die Fachkräfte und die Adressatinnen und Adressaten, die mitunter als strukturell bedingte Kindeswohlgefährdung bewertet werden, lassen sich also in der Praxis wiederfinden.
9. S CHLUSSBETRACHTUNG Die verantwortliche Fachbehörde sieht sich mit der Herausforderung konfrontiert, die Hilfeplanung der zu leistenden HzE und des Kinderschutzes vor dem Hintergrund knapper Sozialkassen und einhergehender Einsparinteressen zu vereinbaren. Die andauernden Finanzdefizite sind hier der »Ausgangspunkt jeglicher Sozial- und Familienpolitik, weil es in einer marktwirtschaftlichen Ordnung um etwas anderes geht, als um ein – unter anderem – bedürfnisgerechtes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen« (Hinrichs 2010: 26). Aufgrund der steigenden Zahl von Menschen in ökonomischen Notlagen wächst auch der Hilfebedarf für Kinder, Jugendliche und Familien. »Der ASD als zentrale Stelle des Jugendamtes reagiert auf diese Bedarfslage nach dem zugrunde liegenden SGB VIII mit einer funktionalen Verknüpfung von Hilfe und Kontrolle« (ebd.: 20). Die Fachkräfte kontrollieren die Auswahl notwendiger, geeigneter und kostengünstiger Hilfen sowie ihre erfolgreiche Umsetzung und müssen dabei in ihrer Arbeit den Anforderungen des QMS gegenüber Rechenschaft ablegen. Aus dem Arbeiten nach den Maßgaben eines QMS entsprechend dem Schema DIN ISO EN 9001 sollen so die
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Einhaltung aller fachlichen Anforderungen der Arbeit des ASD16 und eine höchstmögliche Effizienz in der Bewirtschaftung der Ressource Arbeit resultieren. Die Arbeit des ASD soll durch eine genau bemessene Menge an Personal (gerade nicht zu viel und nicht zu wenig) effizient abgedeckt werden. Die pädagogisch notwendigen Handlungsvorschriften des ASD sind dabei fachlich an kostengünstigen Empfehlungen zu orientieren (z.B. Umsteuerung bei einem HzE-Bedarf in SHA). Die Herausforderungen des Brückenschlags zwischen geringen Finanzmitteln und gesetzlich zu garantierenden Aufgaben werden auch am Beispiel der Ergebnisse der Personalbemessung sichtbar. Die generierten knappen Ergebnisse (Personalstellen) sollen ausschließlich das Arbeiten in den maximal standardisierten Soll-Prozessen effizient sicherstellen. Den Soll-Prozessen ist 1.
2. 3.
die Kontrolle und Dokumentation von Arbeitsschritten zur Absicherung der Fachkraft und politischen Verantwortlichen hinsichtlich ihrer gesetzlichen (Mindest-)Pflichten und eine kostengünstige Orientierung innerhalb der gesetzlichen Leistungen im Sinne der Umsteuerungsabsichten (von HzE in SHA) sowie in der Personalfrage durch den genauen Bemessungsanspruch der Ressource Arbeitszeit ein Arbeiten am Limit immanent.
Die beschriebenen Reformbewegungen im ASD und ihr QMS beabsichtigen durch ihr Management in sogenannten finanziellen Krisenzeiten ein Arbeiten gemessen am Grad des Machbaren. Die Gewährleistung einer erforderlich soliden Hilfeplanung im Kontext anspruchsvoller Themenfelder wie den HzE und Prävention vor bzw. Intervention im Fall von Kindeswohlgefährdungen stellt somit eine verschärfte Herausforderung dar. Unklar ist, ob die fachlich als fragwürdig beschriebenen Intentionen des QMS die Sicherung von (Mindest-)Standards von notwendigen Leistungen in der Kinder- und Jugendhilfe zugunsten der Hilfeadressatinnen und -adressaten bedienen können. Es ist die Aufgabe der Autorin und des Autors, in ihren Promotionen Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit in der Hilfeplanung zu ermitteln. Dabei müssen die disparaten Verhältnisse einer chronisch am Limit geplanten Arbeitsweise des ASD als Voraussetzung Berücksichtigung finden – ebenso wie die fachlich nicht eindeutig fundierten normierten Maßnahmen. Der anspruchsvollen Hilfeplanung in den HzE droht – wie an den genannten Beispielen aufgezeigt – eine
16 Hierbei ist zwischen den Fachanweisungen der Behörde und einer sozialarbeitswissenschaftlichen Fachlichkeit zu unterscheiden.
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aus fachlichen Gesichtspunkten defizitäre Konnotation. Qualität kann hier lediglich nur noch die Einhaltung von Standards bedeuten, welche sich stets an der Grenze von Mindest- und erforderlichen Bewertungsmaßstäben bewegen. In der Ausgestaltung der Kinder- und Jugendhilfe ist die Berücksichtigung von Untersuchungen notwendig, die sich an den tatsächlichen Lebenslagen der Hilfeadressatinnen und -adressaten und den dadurch erforderlichen Unterstützungsmaßnahmen orientieren. SHA formulieren an sich den Anspruch einer auf die Lebenswelt der Adressatinnen und Adressaten zu orientierenden Jugendhilfe. Es ist fraglich, inwiefern sich dieser Anspruch derzeit auch vor dem Hintergrund der beschriebenen Problematiken (QMS, Umsteuerung etc.) tatsächlich einlösen lässt. Durch Abbildung der Perspektive der Hilfeadressatinnen und -adressaten als Expertinnen und Experten ihrer Lebenswelt können Wiedersprüche zwischen realitätsnahen Bedarfen und aktuellen Leistungen der SHA und so des ASD insgesamt sichtbar gemacht werden. Analog zur gesellschaftlichen Armutsentwicklung mit steigender Tendenz ist auch in der Kinder- und Jugendhilfe eine Erhöhung des Hilfebedarfs beobachtbar (vgl. exemplarisch Der Paritätische 2017, für Hamburg: Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg 2017, 43ff.). Es ist davon auszugehen, dass eine Jugendhilfe, die bereits jetzt am Limit arbeitet, den zunehmenden Herausforderungen nicht mehr gewachsen sein wird und mit einer Zuspitzung der bereits bestehenden Überlastung des staatlichen Unterstützungs- und Schutzauftrages zu rechnen ist. Für die Fachkräfte im ASD definiert QMS das Soll der Arbeit. Sie stehen vor der Aufgabe, gesetzliche Vorgaben wie die Hilfeplanung und das staatliche Wächteramt unter chronisch defizitären Arbeitsvoraussetzungen zu gewährleisten. Innerhalb dieses Spannungsverhältnisses werden eigene Ansprüche an fachliches Handeln sowie mitunter auch gesetzliche Vorgaben relativiert. Rechtsansprüche werden durch Umsteuerung umgangen und Hilfeleistungen wie Beratung nur noch eingeschränkt erbracht (vgl. Hinrichs 2010: 21). Die Untersuchungen der Autorin und des Autors können hier einen Beitrag leisten, die finanzpolitisch determinierte Umsetzungsgrammatik durch standardisierte Verfahren wie dem praktizierten QMS in Hamburg zu hinterfragen. Die Autorin und der Autor wollen in diesem Zusammenhang weiterhin auf Widersprüche zwischen aktuellen politischen Bestrebungen, fachlichen Diskursen und tatsächlichen Bedarfen und Interessen der Hilfeadressatinnen und -adressaten hinweisen. Wie die Diskussion gezeigt hat, muss schließlich die Frage gestellt werden, inwiefern die Bestimmung von Qualitätsmerkmalen sozialer Bildungsarbeit unter den beschriebenen Voraussetzungen in der Kinder- und Jugendhilfe überhaupt erstrebenswert ist und zu einer tatsächlichen Verbesserung von Lebenslagen der Adressatinnen und Adressaten beitragen kann – oder soll.
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L ITERATUR Bange, Dirk (2016): Stellungnahme der Obersten Landesjugendbehörden zu den Änderungsbedarfen bzgl. des Arbeitsentwurfs des Bundesfamilienministeriums für eine SGB VIII-Reform vom 23.08.2016. BASFI (2012a): Einsetzungsverfügung zum Projekts Qualitätsmanagement in der Jugendhilfe (QJ). BASFI (2012b): Globalrichtlinie GR J 1/12 Sozialräumliche Angebote der Jugend- und Familienhilfe vom 01. Februar 2012. BASFI (2013): Projekteinsetzungsverfügung Personalbemessung im ASD. Beume, Daniel/Martens, Bente (2016): »Ein neues Verfahren der ressourcenorientierten Fallarbeit in der Heimerziehung«, in: standpunkt: sozial, 01/2016. Bezirksamt Hamburg-Mitte (2015a): Anlage 3 zur Muster-DV: Einführung eines QM-Systems in der öffentlichen Jugendhilfe. Bezirksamt Hamburg-Mitte (2015b): Anlage 5 zur Muster-DV: Einführung eines QM-Systems in der öffentlichen Kinder und-Jugendhilfe. Bezirksamt Hamburg-Mitte (2015c): Anlage 2 zur Muster-DV: Einführung eines QM-Systems in der öffentlichen Kinder und-Jugendhilfe. Bezirksamt Hamburg-Mitte (2016): Dienstvereinbarung über die Einführung eines QM-Systems nach DIN EN ISO 9001:15 in der öffentlichen Jugendhilfe. Dahme, Heinz-Jürgen/Wohlfahrt, Norbert (2015): »Qualität«, in: Hans-Uwe Otto/Hans Thiersch (Hg.): Handbuch Soziale Arbeit, München u. Basel: Ernst Reinhardt Verlag, S. 1278–1287. Dewe, Bernd (2009): »Reflexive Sozialarbeit im Spannungsfeld von evidenzbasierter Praxis und demokratischer Rationalität«, in: Roland Becker-Lenz/Stefan Busse/Gudrun Ehlert u.a. (Hg.): Professionalität in der Sozialen Arbeit, Wiesbaden: VS Verlag, S. 89–109. Düßler, Ute/Hagen, Jutta/Weber, Jack (2016): »Sozialräumliche Hilfen und Angebote (SHA) in Hamburg auf dem Prüfstand«, in: Neue Praxis 4/2016. Galuske, Michael (2013): Methoden der Sozialen Arbeit. Eine Einführung, Weinheim und Basel: Beltz Juventa. Hinrichs, Knut (2004): »Der Erziehungs- und Bildungsauftrag der Jugendhilfe in Abgrenzung zu jenem von Eltern und Schule«, in: ZFSH/SGB Sozialrecht in Deutschland und Europa, 06/2004. Hinrichs, Knut (2010): »Der ›Sachzwang‹, im Sozialbereich zu sparen und die Rechtsbindung der Jugendhilfe«, in: standpunkt: sozial, 2/2010. Klinger, Lisa-Marie (2017): »Armut, Gewalt im sozialen Nahraum und das Jugendamt. Widersprüche und Ungereimtheiten im sozialstaatlichen Hilfesystem«, in: Joachim Schroeder/Louis Henri Seukwa/Ulrike Voigtsberger (Hg.):
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Soziale Bildungsarbeit – europäische Debatten und Projekte, Wiesbaden: Springer VS, 179–194. LAG ASD (Landesarbeitsgemeinschaft ASD Hamburg) (2016): Presseerklärung/Stellungnahme zum Hamburgischen Gesetz zur Ausführung des Achten Buches Sozialgesetzbuch ‒ Kinder und Jugendhilfe. Neuffer, Manfred (2010): »ASD in Hamburg im Aufbruch oder in Aufruhr? Stellungnahme zur Fachanweisung Allgemeiner Sozialer Dienst der BSG«, in: Forum für Kinder- und Jugendarbeit 01/2010. Neuffer, Manfred (2016): »Wie IT-Technologie Soziale Arbeit unterminieren kann. Die unendliche Geschichte von JUS-IT im Hamburger ASD«, in: Beltz Juventa/Forum Erziehungshilfen. Oevermann, Ulrich (2009): »Die Problematik der Strukturlogik des Arbeitsbündnisses und der Dynamik von Übertragung und Gegenübertragung in einer professionalisierten Praxis von Sozialarbeit«, in: Roland Becker-Lenz u.a. (Hg.), Professionalität in der Sozialen Arbeit: Standpunkte, Kontroversen, Perspektiven. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 113–142. Pfadenhauer, Björn (2011): Das Wunsch- und Wahlrecht in der Kinder- und Jugendhilfe. Entwicklungslinien, rechtliche Grundlegung und institutionelle Bedingungen. Wiesbaden: Springer VS. Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg (2017): Einzelne Prüfungsergebnisse. Jugend, Schule und Soziales. Der Hilfeplan in der Kinder- und Jugendhilfe, S. 43–52. Seithe, Mechthild/Heintz, Matthias (2015): »Dekonstruktion der Kinder- und Jugendhilfe im Rahmen der neoliberalen Sozialpolitik«, in: Sozial Extra, 39 (2), S. 42–46. Senat der Freien und Hansestadt Hamburg (2015): Änderung des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe – (AG SGB VIII). Thole, Werner/Cloos, Peter (2000): »Soziale Arbeit als professionelle Dienstleistung. Zur ›Transformation des beruflichen Handelns‹ zwischen Ökonomie und eigenständiger Fachkultur«, in: Siegfried Müller/Heinz Sünker/Thomas Olk (Hg.): Soziale Arbeit. Gesellschaftliche Bedingungen und professionelle Perspektiven, Neuwied: Luchterhand, S. 547–568. Internetquellen BASFI o.J. a: Informationen für Fachkräfte im Kinderschutz. Verfügbar unter: http://www.hamburg.de/kinderschutz/fachkraefte/3741546/start/
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BASFI o.J. b: Tagung 5 Jahre SHA – Dokumentation der Bilanztagung am 14.11.2016. Verfügbar unter: http://www.hamburg.de/sozialraeumliche-angebote/7529454/bilanztagung-2016/ BASFI o.J.c: Fachaufsicht der Jugendhilfe. Jugendhilfeinspektion. Verfügbar unter: http://www.hamburg.de/basfi/jugendhilfeinspektion/ BASFI 2015a: Qualitätsmanagement in der Jugendhilfe. Verfügbar unter: http://www.hamburg.de/contentblob/4933386/919ca8f179fd257c4c5c1 8af96e2dd3f/data/qms-vorstellung-im-fkj-auschuss-am-02-10-2015.pdf BASFI 2015b: Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD) Familien unterstützen, Kinder schützen. Mehr Personal für die Hamburger Jugendämter. Verfügbar unter: http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/4604426/2015-09-22-basfipersonalbemessung-jugendaemter/ Bezirksamt Hamburg-Mitte 2014: Ressourcenorientierte Fallarbeit im ASD. S. 22 ff. Verfügbar unter: http://www.peter-marquard.de/docs/Dokumentation% 20Fachtagung%209.1.14%20Ressourcenorientierte%20Fallarbeit%20im% 20ASD.pdf Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 2016: Drucksache 21/5948. Verfügbar unter: http://www.buergerschaft-hh.de/ParlDok/dokument/54417/ einsetzung-einer-enquete-kommission-nach-artikel-27-der-hamburgischenverfassung-in-verbindung-mit-%c2%a7-63-der-gesch%c3%a4ftsordnungder-hamburgischen.pdf Dey, Andreas 2015: Sozialer Dienst. Mehr Personal zum besseren Schutz für Hamburgs Kinder. Verfügbar unter: http://www.abendblatt.de/hamburg/ article205784959/Mehr-Personal-zum-besseren-Schutz-fuer-HamburgsKinder.html
Soziale Bildungsarbeit im schulischen Kontext
»Bei denen ist erstmal gar nicht an Schule zu denken« Unterstützung von Bildungs- und Bewältigungsprozessen in Klinikschulen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie T OBIAS H ENSEL
Im Falle einer stationären Behandlung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) werden Schüler und Schülerinnen in Klinikschulen unterrichtet, deren formale Zuständigkeit mit der Entlassung aus der KJP endet. Der Übergang von der KJP bzw. Klinikschule in das allgemeine Bildungssystem ist damit strukturell vorgegeben. Die mit dem Übergang und der prekären Lebenslage von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen einhergehenden Anforderungen können viele von ihnen ohne Unterstützung jedoch kaum bewältigen. Der Beitrag widmet sich daher der Frage, wie Klinikschulen angesichts dieser Ausgangslage Bildungsangebote mit Unterstützungsangeboten zur Bewältigung verknüpfen können.
184 | T OBIAS H ENSEL
1. U NTERSTÜTZUNGSANGEBOTE ZUR B EWÄLTIGUNG AUFGABE VON K LINIKSCHULEN
ALS
Epidemiologische Studien und Krankenhausstatistiken zeigen eine seit Jahrzehnten anhaltende Zunahme von psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Aktuell werden knapp 20 Prozent der 3- bis 17-Jährigen der Risikogruppe für ›psychische Auffälligkeiten‹ zugeordnet. Mit psychischen Erkrankungen gehen oftmals ein hoher Leidensdruck, weitere gesundheitliche Risiken, negative Auswirkungen auf das familiäre und erweiterte soziale Umfeld, Beeinträchtigungen des Lernens, Diskontinuitäten in der Bildungslaufbahn und eingeschränkte Teilhabemöglichkeiten am formalen Bildungssystem oder am Arbeitsmarkt einher. Für die folgenden Jahre wird weiterhin von einem zunehmenden Bedarf an Plätzen in kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen ausgegangen (vgl. u.a. Hölling et al. 2014: 807ff.; Myschker/Stein 2014: 416). Im Falle einer stationären Behandlung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) ist der Besuch der Stammschule aufgrund der Erkrankung und des institutionellen Settings der Kliniken i.d.R. nicht möglich. Damit reihen sich psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche ein in eine Randgruppe von Schülern und Schülerinnen, deren Teilnahme am regulären Schulsystem aufgrund äußerer Rahmenbedingungen erschwert ist. Um ihr Recht auf Bildung wahrnehmen bzw. die Schulpflicht erfüllen zu können und um eine Kontinuität in ihrer Bildungslaufbahn zu gewährleisten, werden sie in dieser Zeit in Klinikschulen unterrichtet. Viele stationäre Behandlungen werden jedoch nicht nur wegen einer Erkrankung an sich, sondern auch wegen drohender oder fortgeschrittener sozialer und schulischer Desintegration veranlasst (vgl. Krüger/Romer 2003: 251). Stellen Übergänge aus Perspektive der Übergangsforschung »zentrale Schaltstellen, an denen sich Fragen von gesellschaftlicher Teilhabe und Ausgrenzung für die einzelnen Individuen nachhaltig entscheiden« (Ahmed et al. 2013: 7) dar, so gilt dies für den Übergang von der KJP und der Klinikschule in das formale Bildungssystem1 in besonderem Maße: Ob und inwieweit die Reintegration in Schule gelingt, gilt diagnoseübergreifend als prognostischer Faktor für die langfristige gesellschaftliche Wiedereingliederung. Wird der Übergang von der KJP in das Bildungssystem nicht bewältigt, so laufen diese Kinder und Jugendlichen Gefahr, ins soziale Abseits zu geraten, ein Leben mit geringer gesellschaftlicher Teilhabe führen zu müssen und den strukturellen Zwängen des sozialstaatlichen bzw. psychi-
1
Der Übersichtlichkeit halber wird im Folgenden die Formulierung ›Übergang von der KJP in das Bildungssystem‹ verwendet.
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DENEN IST ERSTMAL GAR NICHT AN
S CHULE ZU
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atrischen Versorgungssystems ausgesetzt zu sein. Innerhalb der Kinder- und Jugendpsychiatrie stellt der Unterricht von Klinikschulen daher einen wesentlichen Bestandteil des stationären Behandlungskonzepts zur Wiederherstellung von sozialer Integration und Alltagsbelastbarkeit dar (vgl. Krüger/Romer 2003: 251). Klinikschulen haben somit nicht nur einen Bildungs- und Erziehungsauftrag, sondern sind angesichts dieser prekären Lebenssituationen von psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen und der an die Schüler und Schülerinnen gestellten Anforderungen des Übergangs von der KJP in das Bildungssystem angehalten, zusätzlich pädagogische Unterstützungsangebote zur Bewältigung bereit zu stellen. Nachfolgend wird daher der Frage nachgegangen, wie in Klinikschulen Bildungs- mit Unterstützungsangeboten zur Bewältigung verknüpft werden können. Dafür werden zunächst die Bedeutung von schulischen Übergängen für Lebensverläufe und die damit verbundenen Herausforderungen und Risiken dargelegt sowie die spezifischen Lebenslagen von psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen beschrieben. Im Anschluss wird Macks (1999) theoretisches Modell zum Verhältnis von Bildung und Bewältigung herangezogen und auf den Unterricht von Klinikschulen übertragen. Dafür wird auf Interviews mit Kliniklehrkräften aus einer laufenden Dissertation2 sowie auf Fachliteratur der Pädagogik bei Krankheit zurückgegriffen. Mit Bezug auf die übergeordnete Fragestellung dieses Sammelbands werden im Anschluss aus den Ergebnissen Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit abgeleitet.
2. D IE B EDEUTUNG VON Ü BERGÄNGEN FÜR S CHÜLER UND S CHÜLERINNEN Lebensverläufe werden durch gesellschaftliche Strukturen und Anforderungen reguliert. Die Institutionen des Lebenslaufs (Kohli 1985) wirken sich chronologisch und am Lebensalter orientierend auf den individuellen Lebensverlauf aus. Jedes Mitglied von modernen Gesellschaften hat damit im Lauf des Lebens immer wieder verschiedene Übergänge zu bewältigen (vgl. Thielen 2011: 10). Durch soziokulturelle, -ökonomische und institutionelle Strukturen haben sich in der Moderne normative Kernprinzipien eines ›Normallebenslaufs‹ durchgesetzt (Ausbildung,
2
In der Dissertation werden Übergänge von Jugendlichen nach einem stationären Aufenthalt in einer KJP in das allgemeine Bildungssystem rekonstruiert. Dafür wurden u.a. Interviews mit an den Übergängen beteiligten pädagogischen Fachkräften von Klinikschulen und aufnehmenden Schulen sowie mit Jugendlichen, die den Übergang bereits durchlaufen haben, geführt.
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Erwerbsphase, Rente), die sich auf individuelle Entscheidungen im Lebenslauf auswirken und in denen Übergänge als Wechsel von einer in die nächste Statusphase verhandelt werden (vgl. Walther/Stauber 2007: 21ff.). Die gesellschaftlichen Entwicklungen in der sog. zweiten bzw. reflexiven Moderne führen zu einer zunehmenden Entstandardisierung von Lebensläufen. Vor dem Hintergrund dieser biographischen Offenheit nimmt die Ungewissheit, Dauer und Richtung von Übergängen zu (vgl. ebd.; Schröer 2013: 70), sodass diese für Individuen zugleich »vulnerable Phasen« (Nohl 2009: 89) sein können, in denen »die Identität […] in eine Phase der Diffundierung« (ebd.) gerät. Im Gegensatz zur Entstandardisierung außerschulischer Lebensläufe wird im formalen Bildungssystem weiterhin an einem ›schulischen Normallebenslauf‹ festgehalten, der sich durch die Abschaffung von Klassenwiederholungen weiter manifestiert. Schulische Übergänge resultieren »aus der institutionalisierten Ablaufslogik der Schulkarriere eines Bildungssystems, die ihrerseits von der Institutionalisierungsgeschichte der Schule und verschiedenen Einfluss nehmenden Rahmenbedingungen geprägt ist« (Kramer/Helsper 2013: 593). Mit den in Übergängen vollzogenen Wechseln von Statuspassagen gehen nicht nur Veränderungen im sozialen Status, sondern auch der Identität einher (Einstellungen, Haltungen, Selbstkonzept u.a.) (vgl. ebd.: 590f.). Auch wenn Schule nicht der dominante Erfahrungsraum der Biographie eines jeden Kindes oder Jugendlichen darstellt, so ist der »Prozess der biografischen Erfahrungsaufschichtung – bei Nittel [1992] theoretisch als Identitätsentwicklung gefasst – […] auf das Engste mit der Ablaufstruktur der Schulkarriere verbunden« (ebd.: 605). Schulische Übergänge sind für Kinder und Jugendliche daher von großer biographischer Bedeutung. Der Logik des schulischen Normallebenslaufs folgend sind pädagogisch relevante Übergänge jedoch mit Normen und Erwartungen verknüpft, denen nicht alle Kinder und Jugendliche gerecht werden können (vgl. Thielen 2011: 11). Sind die Anforderungen des Übergangs zu hoch oder können diese bspw. aufgrund der psychosozialen Situation der Schüler und Schülerinnen nicht erfüllt werden, so kann dies zu Desorientierung, Destabilisierung und innerpsychischen Belastungen führen. Werden in diesem Zusammenhang Etikettierungen durch die Institutionen des Bildungssystems als z.B. ›Sonderschüler‹ bzw. ›-schülerin‹, ›Schulversager‹ bzw. ›-versagerin‹, ›psychisch krank‹, ›nicht beschulbar‹ etc. übermächtig und solche sozial zugeschriebenen Identitäten von den Subjekten übernommen (sekundäre Devianz), so können Übergänge letzten Endes zu Diskontinuitäten in der Bildungslaufbahn oder dem Herausfallen aus dem Bildungssystem führen (vgl. Kramer/Helsper 2013: 591f.). Der o.g. Vulnerabilitätscharakter von Übergängen wird an dieser Stelle besonders deutlich. »Die Übergangsschwellen in der Schule
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[sind] als jene Phasen zu bestimmen, von denen in Bezug auf die Identität besondere Risiken ausgehen können.« (ebd.: 606) Werden die Anforderungen des Übergangs von den Subjekten hingegen bewältigt, so können daraus Problemlösekompetenzen, Entwicklungsimpulse und stabilisierende Identitätsformationen hervorgehen. Übergänge beinhalten daher nicht nur Risiken und Gefahren, sondern auch Chancen und Potenziale. Die individuelle Bedeutung schulischer Übergänge hängt stark mit den bisherigen biographischen Erfahrungen im Kontext von Schule, dem sozialen Milieu und dem Sozialisierungsverlauf der Subjekte zusammen (vgl. ebd.: 590ff.). Gehen aus den Anforderungen von Übergängen für die sie durchlaufenden Subjekte Unterstützungsbedarfe hervor, so ist eine Passung zwischen jenen Bedarfen und bereitgestellten Hilfen erforderlich. Für die Auseinandersetzung mit Bildungs- und Unterstützungsangeboten zur Bewältigung in Klinikschulen ist daher eine Analyse der Lebenslagen von psychisch erkrankten Schülern und Schülerinnen unabdingbar (vgl. Mack 1999: 289; Filipp/Aymanns 2010: 265).
3. K INDER UND J UGENDLICHE IN K LINIKSCHULEN DER K INDER - UND J UGENDPSYCHIATRIE Psychische Erkrankungen sind eng mit dem sozioökonomischen Status verknüpft: Bei Kindern und Jugendlichen in prekären Lebenslagen und aus sozial benachteiligten Milieus sind diese häufiger vertreten (vgl. Hölling et al. 2014: 812). Unabhängig von der sozialen Herkunft sind die Biographien psychisch erkrankter Schüler und Schülerinnen oftmals durch wiederkehrende belastende Erlebnisse, wie bspw. den Verlust von oder fehlende Bezugspersonen, chronische Überforderung, seelische und körperliche Gewalt, Versagensängste oder konflikthafte Familienstrukturen, geprägt (vgl. Hensel/Wagner 2017). Zudem haben viele Kinder und Jugendliche mit einer psychischen Erkrankung negative Erfahrungen in und mit Schule gemacht. Bereits vor der Aufnahme in eine KJP führen der gesundheitliche Zustand und strukturelle Barrieren häufig zu unregelmäßigen Beschulungszeiten oder Schulabstinenz (vgl. Basendowski/Hensel/Meyer 2017). Es kommt häufiger vor, dass Monate Absenzen vorliegen, manchmal auch Jahre. Es ist eher die Ausnahme, dass ein Schüler direkt vom Unterricht aus hier erscheint, weitermachen kann und dann wieder zurückgehen kann. (Kliniklehrkraft Müller3)
3
Alle Namen der interviewten Personen sind anonymisiert.
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In der Literatur wird bei psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen von einer erhöhten Vulnerabilität4 aufgrund niedrigerer Belastungsschwellen ausgegangen. Da die meisten von ihnen nach ihrer Entlassung aus einer KJP noch nicht vollständig genesen sind, kann es so durch verschiedenste Stressoren aus ihrer Lebenswelt schnell zu erneuten Belastungsreaktionen oder psychischen Krisen kommen (vgl. Wertgen 2009: 308; Weber/Welling/Steins 2010: 74). Obwohl das Spektrum psychischer Erkrankungen weit gefächert ist, konnten Krüger/Romer (2003) feststellen, dass krankheitsübergreifend viele Patienten und Patientinnen der KJP Beeinträchtigungen in ihrer Autonomieentwicklung und der Gestaltung sozialer Beziehungen aufweisen und durch traumatische Beziehungserfahrungen die Haltung einer feindseligen zerstörerischen Umwelt verinnerlicht haben (vgl. ebd.: 251). Für Kinder und Jugendliche und ihre Familien stellen psychische Erkrankungen i.d.R. einschneidende Ereignisse dar, auch weil sie oftmals nachhaltige negative Auswirkungen auf die Lebenssituation mit sich bringen. Je nach Individualfall können Begleiterscheinungen wie Einschränkungen im Sozialverhalten, in der Konzentrations- und Leistungsfähigkeit oder emotionale Veränderungen (z.B. Antriebslosigkeit, Aggression, Ängste) auftreten, die das Bewältigungsverhalten im Übergang von der KJP in das Bildungssystem und die Anpassungsfähigkeit beeinträchtigen können (vgl. u.a. Wertgen 2009: 308). Ich hatte da jetzt zum Beispiel eine, die konnte immer nur 10 Minuten [unterrichtet werden, Anmerk. d. Verfassers], länger ging gar nicht. (Kliniklehrkraft Fischer)
Sind Schüler und Schülerinnen riskanten Lebenslagen ausgesetzt, die sie in ihrer selbstbestimmten Entwicklung beeinträchtigen oder vor Bewältigungsanforderungen stellen, die sie überfordern, ist Bildung kaum möglich. Bildungs- und Bewältigungsangebote des formalen Bildungssystems laufen ins Leere. Da ist jetzt eben eine Krise, da geht jetzt auch mal gar nichts mit Unterricht […] Wenn es um Trennung der Eltern geht im Hintergrund und wo wohne ich denn? Und gar keine Wohnung mehr vorhanden ist, das sind natürlich so ganz essentielle Fragen und da ist natürlich dann Englisch, unregelmäßige Verben dann an fünfter Stelle würde ich mal sagen. (Kliniklehrkraft Schneider)
Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen sind zusätzlich mit strukturellen Diskriminierungen in Bildungseinrichtungen, dem Arbeitsmarkt und dem 4
Zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Vulnerabilitätsbegriff u.a. im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen siehe Hensel/Wagner (2017).
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Versorgungssystem sowie mit Stigmatisierungs- und Marginalisierungsprozessen konfrontiert. Diese Erlebnisse werden häufig als bedrohlich, kränkend und die eigene Identität in Frage stellend erlebt, sind mit Gefühlen von Scham und Erniedrigung verbunden und können bei psychisch vulnerablen Kindern und Jugendlichen zu einer »zweiten Krankheit« (Kardorff 2010: 4) führen. Als Folge fühlen sich viele ausgegrenzt und ziehen sich zum Selbstschutz aus ihren sozialen Bezügen zurück. So kann als weitere Begleiterscheinung der Verlust von gewohnten Beziehungen, vor allem zu Gleichaltrigen, auftreten. Bei vielen psychischen Erkrankungen ist die soziale Eingebundenheit jedoch von entscheidender Rolle. Aus sozialer Isolation entstehende Belastungen haben nicht nur erheblichen Einfluss auf das Lernen, sondern auch auf den Übergang von der KJP in das Bildungssystem, da in dieser Phase Ängste vor sozialen Ausschluss und Stigmatisierung durch Lehrkräfte oder Mitschüler und -schülerinnen oft (erneut) in den Vordergrund rücken. Zusätzlich befürchten viele Patienten und Patientinnen der KJP, dass sie in alte Verhaltensmuster zurückfallen oder dem Leistungsanspruch der aufnehmenden Schule nicht entsprechen können (vgl. Wertgen 2009: 308ff.). »In manchen Fällen sind Angst- und Vermeidungsverhalten so chronifiziert, dass die Schüler/ -innen ohne externe Unterstützung keinen Wiedereinstieg schaffen.« (Weber/Welling/Steins 2010: 74.)5 Nach dem Klinikaufenthalt sind Kinder und Jugendliche i.d.R. noch nicht völlig gesund, mit der Entlassung fällt aber ein auf psychische Erkrankungen sensibilisiertes und sie rund um die Uhr umgebendes therapeutisches und pädagogisches Hilfesystem weg. Zugleich werden sie u.a. seitens der Schule mit Erwartungen und Anforderungen von außen konfrontiert. Besonders bei Kindern und Jugendlichen ohne verlässliches und unterstützendes Umfeld gelingt die Reintegration oft nicht. Der Übergang von der KJP in das Bildungssystem stellt daher für einen Teil der Kinder und Jugendlichen eine große Hürde dar und die Gefahr der Diskontinuität in der Bildungslaufbahn besteht nicht nur nach Einsetzen der Krankheit vor dem KJP-Aufenthalt, sondern auch weiterhin nach der Entlassung aus der Klinik. Lehrkräfte halten den Übergang für problematisch, Schüler und Schülerinnen sowie Erziehungsberechtigte erleben ihn als »belastend und risikoreich« (ebd.), fühlen sich nicht gut vorbereitet und wünschen sich gezielte Unter-
5
Viele Kinder und Jugendliche können den Übergang von der KJP in das Bildungssystem jedoch auch ohne große Probleme und überwiegend eigenständig bewältigen. Je nach Individualfall wird der Entlassung daher auch z.B. mit Freude auf die gewohnte soziale Umgebung entgegengeblickt.
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stützungsmaßnahmen. Entsprechende Forderungen nach professioneller Unterstützung der Kinder und Jugendlichen bei der Bewältigung des Übergangs werden auch in der einschlägigen Fachliteratur wiederholt gestellt6 (u.a. Wertgen 2009).
4. B ILDUNG UND B EWÄLTIGUNG
IN DER
K LINIKSCHULE
Aufgrund der beschriebenen Lebenslagen und Herausforderungen im Übergang von der KJP in das Bildungssystem werden psychisch erkrankte Schüler und Schülerinnen vor verschiedene Bewältigungsanforderungen gestellt. Bewältigung bezieht sich dabei »auf Situationen und Ereignisse, die als belastend oder fordernd empfunden werden, von einer unterstellten Normalität abweichen und Handlungen und Verhaltensweisen der betroffenen Individuen erfordern, die in der Regel mit erheblichem Aufwand oder Anstrengung verbunden sind« (Mack 2008: 147). In der Übergangstheorie und -forschung hat der Bewältigungsbegriff einen zentralen Stellenwert, da die prinzipielle biographische Offenheit von Übergängen und die damit verbundene Pluralität dazu führt, dass Übergänge nicht ausschließlich aus der strukturellen Perspektive institutionalisierter Lebensläufe betrachtet werden können, sondern auch die Innensichten der die Übergänge durchlaufenden Subjekte, ihr Erleben und Bewältigen von Übergängen, die an sie gestellten Anforderungen sowie die in der Phase des Übergangs enthaltenen sozialen Prozesse der Handlungsfähigkeit erfasst werden müssen (vgl. Schröer 2013: 70). Seinen Ursprung hat das Bewältigungskonzept jedoch in der Psychologie (coping). Durch seine vielfache und unterschiedliche Anwendung ist Bewältigung nicht einheitlich definiert. Die Stressforschung setzt sich mit der Bewältigung von belastenden Situationen auseinander (Lazarus/Folkman 1984). In der Entwicklungspsychologie wird das Konzept breiter gefasst und auf allgemeine Entwicklungsaufgaben (z.B. in der Jugendphase) sowie kritische Lebensereignisse (Filipp/Aymanns 2010) bezogen (vgl. Mack 2008: 146f.). In einem umfassenderen Verständnis wird Bewältigung als Versuch aufgefasst, einen unerwünschten Zustand aktional und/oder mental in einen erwünschten Zustand zu transformieren (vgl. Filipp/Aymanns 2010: 127). Bei der Krankheitsbewältigung geht es dabei um die Frage, wie Individuen auf die aus der Erkrankung hervorgehenden Belastungen reagieren bzw. welche Bewältigungsstrategien (weit verbreitet ist die Unterteilung in emotionsund problemzentrierte Bewältigungsstrategien7) sie entwickeln und anwenden 6
Fragen der pädagogischen Übergangsgestaltung und wie Schüler und Schülerinnen den
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Zur kritischen Auseinandersetzung mit der Einordnung in emotions- und problem-
Übergang bewältigen, werden ausführlich in der o.g. Dissertation behandelt. zentrierte Bewältigungsstrategien siehe Filipp/Aymanns (2010: 132, 140).
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(vgl. Kulbe 2009: 40ff.). Psychologische Forschung und Konzeptualisierung analysiert den Prozesscharakter von Bewältigung und fokussiert vornehmlich die Ebene des Individuums. Basierend auf dem psychologischen Bewältigungsansatz erweitert die Sozialpädagogik, zu deren Handlungsfeld die Unterstützung von Bewältigungsprozessen bei Entwicklungsaufgaben, individuellen Krisen und prekären Lebenslagen gehört, das Bewältigungskonzept um die Perspektive der gesellschaftlichen Bedingungen von Bewältigung (Mack 2008: 147f.). Vor dem Hintergrund, dass mit Integrations- und Integritätskrisen einhergehende kritische Lebensereignisse auf sozialstrukturelle Probleme zurückzuführen sind, wird Lebensbewältigung gefasst als »das Streben nach subjektiver Handlungsfähigkeit in Lebenssituationen, in denen das psychosoziale Gleichgewicht – im Zusammenspiel mit Selbstwert, sozialer Anerkennung und Selbstwirksamkeit – gefährdet ist« (Böhnisch 2012: 47). Schule wird weder in ihrem traditionellen Verständnis als Institution der Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen, noch in ihren gesetzlichen Vorgaben oder gesellschaftlichen Funktionszuschreibungen (Fend 1980) die Aufgabe der Unterstützung zur Bewältigung prekärer Lebenslagen, belastender Situationen oder krisenhafter Ereignisse zugeordnet. Sie setzt die jeweils spezifischen Bewältigungsleistungen von Schülern und Schülerinnen bzgl. ihrer Lebenslagen und ihres (Schul-)Alltags voraus und reicht die Aufgabe der Unterstützung zur Bewältigung an andere Disziplinen oder Institutionen, wie bspw. der Sozialpädagogik oder der KJP, weiter (vgl. Mack 1999: 280). Wird Bildung jedoch als aktiver Aneignungs- und Auseinandersetzungsprozess des sich bildenden Subjekts mit der Welt verstanden, so kann die Eigentätigkeit des Subjekts nicht ohne Interaktion mit anderen und losgelöst von der Welt erfolgen. Mack (2013) bezeichnet Bildung in diesem Verständnis als einen »Ko-Konstruktionsprozess, der die Tätigkeit des Subjekts und die soziale Bedingtheit dieses Prozesses einbezieht« (ebd.: 124). Bildung ist somit sozial determiniert: Das Subjekt ist für die Aneignung und Auseinandersetzung mit der Welt auf andere Akteure bzw. Akteurinnen als Gegenüber angewiesen, sodass Bildungsprozesse zum einen durch vorhandene und verfügbare Ressourcen und Dispositionen des Subjekts und zum anderen durch Ko-Produzenten und -produzentinnen (z.B. schulische Akteure) i.S.v. signifikanten Anderen und durch die Zugänglichkeit der Welt bestimmt sind. Prekäre Lebenslagen und krisenhafte Ereignisse sowie die daraus hervorgehenden Anforderungen an die Subjekte zur Erlangung von Handlungsfähigkeit haben daher als soziale Bedingungen von Bildung unmittelbaren Einfluss auf individuelle Bildungsprozesse und deren Gestaltung (vgl. ebd.). Vor dem Hintergrund des herausfordernden und mitunter für die weitere Bildungsbiographie weichenstellen-
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den Übergangs von der KJP in das Bildungssystem sowie dargestellter Lebenslagen psychisch erkrankter Kinder und Jugendlicher kann sich eine an den Schülerund Schülerinnenbedarfen orientierte und auf soziale Integration zielende Pädagogik bei Krankheit somit nicht auf den institutionellen Bildungs- und Erziehungsauftrag von Schule beschränken, da Bildung (im Gegensatz zur Bewältigung) die Befähigung zu einem gelingenden (Schul-)Alltag in benachteiligten Lebenslagen nicht umfasst (vgl. Mack 1999: 21). Klinikschule kann gelingende Bewältigungsleistungen von ihren Schülern und Schülerinnen gerade nicht ohne weiteres voraussetzen, sondern muss sich für die Bewältigungsprobleme der Kinder und Jugendlichen öffnen, da Lernen sonst nicht möglich ist und sich das Risiko scheiternder Übergänge erhöht. Im Folgenden soll daher der Frage nachgegangen werden, wie eine Erweiterung des Bildungsauftrags von Klinikschulen um den Auftrag der Unterstützung zur Bewältigung gestaltet werden könnte. Dafür ist Macks (1999) Modell zum Verhältnis von Bildung und Bewältigung anschlussfähig, das sich vornehmlich auf das sozialpädagogische Bewältigungskonzept bezieht und mit dem die schulpädagogische Debatte über Schüler und Schülerinnen in prekären Lebenslagen um den Bewältigungsbegriff erweitert wird. Mack beschreibt darin drei Relationen von Bildung und Bewältigung, die zunächst skizziert und anhand des Datenmaterials o.g. Dissertation sowie einschlägiger Fachliteratur auf den Unterricht in Klinikschulen übertragen werden. 4.1 Bewältigung als Funktion von Bildung Wird Bildung die Funktion zugesprochen, zur Überwindung prekärer Lebenslagen und biographischer Belastungen i.S.v. gelungener Bewältigung zu verhelfen, so gleicht dies zunächst einer pädagogischen Wunschvorstellung, auf die sich institutionalisierte Bildung nicht begründen lässt. Wie aus den nachfolgenden Relationen hervorgeht, können Bildungsangebote zwar Gelegenheiten für Bewältigungsprozesse schaffen, ob Bildungsprozesse erfolgreich zur Bewältigung verholfen haben, ist letztendlich jedoch nur retrospektiv erkennbar (vgl. Mack 1999: 287). Darüber hinaus ist Bewältigung von weiteren Faktoren abhängig, auf die Schule keinen Einfluss hat (u.a. soziales Umfeld, therapeutische Versorgung nach der Entlassung). Mack (1999) kommt daher zu dem Schluss, dass Bildung einen Beitrag zur Bewältigung leisten kann (vgl. ebd.: 287). Auch wenn in der KJP die schulische Arbeit der therapeutischen Behandlung nachgeordnet ist, sind Klinikschulen eigenständige Bildungsinstitutionen, deren Auftrag sich von therapeutischen Interventionen und Zielsetzungen abgrenzt. »Schule ist realitäts- und bewältigungsbezogen, im Gegensatz zur Therapie, die
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traumaorientiert arbeitet.« (Warzecha 2003: 262) Während in den folgenden beiden Relationen von Bildung und Bewältigung genauer auf die Gestaltung und Zielsetzung von Unterricht eingegangen wird, soll anhand dieser Relation zunächst aufgezeigt werden, dass Klinikschulen durch ihre strukturelle Ausrichtung und ihre Präsenz im KJP-Alltag zur Initiierung von Bildungs- und Bewältigungsprozessen beitragen können. Klinikschulen sind für viele Kinder und Jugendliche nach schulischen Misserfolgserlebnissen, mehreren Schulwechseln oder mit hohen Fehlzeiten vor der Aufnahme in eine KJP »häufig die letzte Anlaufstelle innerhalb des schulischen Bezugssystems« (Wertgen 2012: 227) und können daher eine »gravierende Versorgungslücke« (ebd.) für psychisch erkrankte Schüler und Schülerinnen mit erhöhtem Drop-Out-Risiko füllen. Indem Klinikschulen diesen Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu Bildungsangeboten schaffen und durch den Entfall der Lehrplangebundenheit keinen Leistungsdruck ausüben, sondern eine personenorientierte und auf ihre speziellen Bedürfnisse ausgerichtete Didaktik anwenden, wird eine Grundvoraussetzung für die Initiierung von Bewältigungsprozessen durch Bildung geschaffen, die andere schulische Bildungssettings in dieser Form nicht bereitstellen können. Da Kinder und Jugendliche i.d.R. jedoch nur für die Dauer ihres KJP-Aufenthalts von Klinikschulen unterrichtet werden, wird diesen der »Charakter von Übergangsschulen« (Wertgen 2009: 308) zugeschrieben. Ihre formale Zuständigkeit beginnt mit der Aufnahme und endet mit der Entlassung. Sofern die jeweiligen Schüler und Schülerinnen noch schulpflichtig sind, ist die Reintegration nach der Entlassung aus der KJP in das formale Bildungswesen somit strukturell vorgegeben. Auch wenn in fast allen Verordnungen oder sonderpädagogischen Förderrichtlinien der Bundesländer für Klinikschulen der Reintegrationsauftrag nicht genannt wird (vgl. Fesch/Müller 2014: 53), so stimmen Fachleute der Kinder- und Jugendpsychiatrie (u.a. Krüger/Romer 2003) und der Pädagogik bei Krankheit (u.a. Bleher/Hoanzl/Ramminger 2014) darin überein, dass die Vorbereitung und Unterstützung zur Bewältigung dieses Übergangs eine zentrale Aufgabe von Klinikschulen ist. »Schulische Bildung und Erziehung bei Krankheit verfolgen das Ziel einer möglichst umfassenden und nachhaltigen schulischen Rehabilitation und Reintegration.« (Wertgen 2009: 308) Die pädagogische Unterstützung des Übergangs kann in vielen Fällen zum Erfolg einer psychotherapeutischen Klinikbehandlung beitragen (vgl. Wertgen 2012: 229). Der Unterricht von Klinikschulen ist daher auf die Bewältigung des bevorstehenden Übergangs auszurichten. Dies beinhaltet jedoch nicht nur den fachlichen Anschluss an die Zielschule herzustellen, Beratung für die weitere Schullaufplan anzubieten und die Reintegration zu organisieren, sondern auch Kompetenzen der Problemlösefähigkeit mit denen auf Belastungen reagiert werden kann, zu fördern. Aus den
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Interviews mit Kliniklehrkräften geht hervor, dass im Unterricht Anforderungen an die Kinder und Jugendlichen herangetragen werden, die, anders als in Therapiesituationen, weniger auf Erkrankungen und Problematiken an sich, sondern auf Bildungskontexte und -situationen bezogen sind, die es zu überwinden gilt. Über Bildungsangebote können Kinder und Jugendliche so dazu geführt werden, Bewältigungsstrategien zu entwickeln und anzuwenden (s. die folgenden Relationen). Darüber hinaus kann Klinikschule durch ihre Präsenz im Kontext der KJP dazu beitragen, dass Bewältigungshandeln initiiert wird. Indem Patienten und Patientinnen durch den Unterricht Schule wieder als Alltag erfahren und sie in ihrer Rolle als Schüler und Schülerinnen trotz erschwerter Bedingungen ernst genommen werden, stellen Klinikschulen ein Stück weit Normalität her, die helfen kann, belastende Lebenssituationen zu bewältigen und neue Lebensperspektiven zu entwickeln (vgl. Frey 2008: 142; Bleher/Hoanzl/Ramminger 2014: 277f.). Wie sagte jemand auf der Supervision so richtig, also der Alltag oder das normale Leben, wenn man das überhaupt haben kann in einer Psychiatrie wenn man auf Station ist, findet dann hier in der Schule statt. (Kliniklehrkraft Müller)
Durch die inhaltliche und organisatorische Vorbereitung des Übergangs im Unterricht richten Klinikschulen zugleich den Blick auf die Reintegration und tragen so zu einer Perspektive der Normalisierung von Lebensverhältnissen bei (vgl. Wertgen 2009: 309). Unterricht in Klinikschulen verheißt daher auch Zukunft, die angesichts krankheitsbedingter massiver Einschränkungen und z.T. existenzieller Bedrohungen für viele Kinder und Jugendlichen gefährdet oder gar verloren zu sein scheint (vgl. Hoanzl et al. 2009: 407). »Schule bleibt ein Prinzip der Hoffnung, denn solange Schule stattfindet, geht das Leben weiter, sind noch Ziele erreichbar« (Hilff 1997: 164). Der Bewältigungsforschung zufolge kann Hoffnung Ausgangspunkt für Bewältigungshandeln sein, da mit ihr das Festhalten an einen angestrebten Zielzustand verbunden ist, welcher Antrieb für Zustandsänderungen sein kann. In schwierigen Lebenssituationen kann Hoffnung resignativen Gedanken entgegengestellt werden und zu positiven Bewertungen kritischer Ereignisse führen (vgl. Filipp/Aymanns 2010: 281). Indem Klinikschulen ihren Schülern und Schülerinnen Hoffnung aufzeigen und dabei unterstützen diese aufrechtzuerhalten, können sie daher zur Förderung von Bewältigungsprozessen beitragen.
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4.2 Bewältigung als Bedingung der Möglichkeit von Bildung Bildung und Bewältigung stellen jeweils unterschiedliche Ansprüche sowohl an die Subjekte als auch an die pädagogischen Angebote (vgl. Mack 2008: 152). Mack (1999) fasst Bildung und Bewältigung als zwei Entwicklungsstränge des Individuums auf, die sich gegenseitig bedingen: Werden Anforderungen, (Entwicklungs-)Aufgaben oder Probleme nicht bewältigt, hat dies Auswirkungen auf den Bildungsprozess. Beeinträchtigungen des Bildungsprozesses wirken sich wiederum auf Bewältigungsverhalten und -strategien aus. Bei biographischen Ereignissen, wie bspw. einer psychischen Erkrankung und den damit einhergehenden Sekundäreffekten, können Bewältigungsanforderungen zwar so hoch sein, dass Bildung im traditionellen Verständnis des formalen Bildungswesens nicht mehr möglich ist und zunächst primäre Bedürfnisse befriedigt, Problemlagen entschärft und Individuen entlastet werden müssen, die Bewältigung solcher Problemlagen ist jedoch zugleich ein Teil von Bildung, i.S.v. Bildung zu einem autonomen, handlungsfähigen Subjekt (vgl. ebd.: 286). Mack schlussfolgert daraus, dass Schule als Bildungsinstitution die Bewältigungsleistungen ihrer Schüler und Schülerinnen unterstützen muss. »Insofern ist diese schulische Hilfe zur Bewältigung eine wesentliche Bedingung für die Möglichkeit von Bildung.« (ebd.) Aus psychischen Erkrankungen und therapeutischen Behandlungsmaßnahmen gehen besondere pädagogische Bedürfnisse hervor, die in Bildungsangeboten für Kinder und Jugendliche in (teil-)stationärer Behandlung berücksichtigt werden müssen. Viele Schüler und Schülerinnen benötigen zunächst ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, Zuspruch und ein Gefühl des Angenommen-Seins, bevor sie sich schulischen Lernprozessen öffnen können (vgl. Wertgen/Scheid 2014: 22). Das Herstellen von positiven Beziehungen zwischen den Lehrkräften und den Kindern und Jugendlichen sowie innerhalb der Lerngruppe insgesamt ist daher wesentlicher Teil der pädagogischen Arbeit von Kliniklehrkräften, um Bildungsprozesse initiieren zu können. Man muss überhaupt erst einmal eine Beziehung aufbauen. Viele Kinder sind so entmutigt, wir haben auch Schüler, die Mobbingerfahrung haben, Schulängste haben, Phobien haben, und dann ist erstmal wichtig, dass man überhaupt eine Basis findet, mit den Kindern in Kontakt zu kommen. (Kliniklehrkraft Müller)
Zwar gilt auch in Schulen des allgemeinen Bildungswesens eine positive Beziehung zwischen Lehrkräften und Schülern und Schülerinnen als wichtige Voraussetzung für gelingendes Lernen, in Klinikschulen kommt dieser aber eine größere
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Bedeutung für die Kinder und Jugendlichen und den Unterricht zu, da viele psychisch erkrankte Schüler und Schülerinnen negative, z.T. traumatisierende Beziehungserfahrungen und -abbrüche erlebt haben (vgl. Hoanzl et al. 2009: 410). Durch die Beziehungsarbeit soll ihnen das Gefühl gegeben werden, dass sie wichtig sind und ernst genommen werden. Zugleich können so der Umgang mit Nähe, Distanz und Grenzen (Hilff 1997) sowie soziale und kooperative Lernkompetenzen (s. Relation 4.3) (wieder) erlernt werden. Neue Beziehungserfahrungen können Horizonte erweitern und zu positiven Lernerfahrungen führen. Mit dem Aufbau von gegenseitigem Wertschätzen und Vertrauen wird so nicht nur versucht, Bildungsprozesse zu initiieren, sondern zugleich auch Anlässe zur Bewältigung zu eröffnen (vgl. Frey 2008: 139; Warzecha 2003: 264). »Sozial gut eingebunden zu sein und Menschen um sich zu wissen, denen man vertrauen und auf die man in schwierigen Zeiten bauen kann, ist eine der zentralen Ressourcen in der Auseinandersetzung mit belastenden Lebensereignissen.« (Filipp/Aymanns 2010: 264) Die zentrale Funktion sozialer Unterstützung besteht u.a. darin, den weiteren Verlauf von schwierigen Situationen vorhersagbarer zu machen, Unsicherheiten zu reduzieren und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen (vgl. ebd.: 249). Daher dient die Beziehungsarbeit vor allem bei Schülern und Schülerinnen, die überwiegend negative Erfahrungen mit Schule gemacht haben, hohe Schulabsenzen aufweisen oder aufgrund der Erkrankung ihren Alltag ohne Hilfe nicht alleine bewältigen können, zusätzlich dazu, den Kontakt zu Unterricht und Schule sukzessive wiederaufzubauen. Das ist so immer so das erste Ziel, nicht dass sie irgendwie lernen, sondern überhaupt erst mal einen Weg zum Lernen zu finden. (Kliniklehrkraft Weber)
Bezogen auf ihre schulischen Leistungen haben viele Patienten und Patientinnen der KJP zumindest in der jüngeren Vergangenheit wenige Erfolgserlebnisse erfahren und ein entsprechend geringes Selbstwertgefühl entwickelt. Das langsame Heranführen an Bildungsangebote durch die Ermöglichung positiver Lernerfahrungen und -erfolge stellt daher eine wichtige Grundlage für den weiteren Bildungsverlauf dar (vgl. Frey 2008: 139). der zweite Schritt8 ist dann, sie [die Schüler und Schülerinnen, Anmerk. des Verfassers] in irgendeiner Weise überhaupt an diese Tätigkeiten wieder heranzuführen, die mit Schule zusammenhängen. Das kann bei kleineren Kindern einen spielerischen Einstieg geben, bei größeren Kindern mehr über das Gespräch und persönliches Wahrnehmen dessen der vor 8
Hierbei handelt es sich um eine Fortführung des obigen Zitats von der Kliniklehrkraft Müller. Dem erwähnten »zweiten Schritt« geht der Beziehungsaufbau voraus.
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einem sitzt und dann beginnt das ganz langsam, dass man den Schülern auch Anforderungen bietet, anbietet. Und dann geht es darum, etwas zu beginnen, sich dem auch zu stellen überhaupt, beginnen, durchhalten, zum Abschluss bringen, selber überhaupt seinen Erfolg wahrzunehmen. (Kliniklehrkraft Müller)
Aus der Anwendung des Selbstwirksamkeitskonzepts auf pädagogische Handlungsfelder geht hervor, dass optimistische Selbstwirksamkeitserwartungen eine Grundbedingung sind, um sich mit herausfordernden Anforderungen auseinanderzusetzen und diese bewältigen zu können (vgl. Schwarzer/Jerusalem 2002: 36). Als Selbstwirksamkeitserwartung wird »die subjektive Gewissheit, neue oder schwierige Anforderungssituationen auf Grund eigener Kompetenz bewältigen zu können« (ebd.: 35), bezeichnet. Es scheint daher gerade auch bei Kindern und Jugendlichen, die vor hohe Bewältigungsanforderungen gestellt werden, pädagogisch sinnvoll, Selbstwirksamkeitserwartungen zu fördern. Das Konzept knüpft an Banduras (u.a. 2001) sozial kognitive Theorie an, nach der motivationale, emotionale, aktionale und kognitive Prozesse durch subjektive Überzeugungen gesteuert werden. Selbstwirksamkeitserfahrungen können Bandura zufolge durch u.a. Erfolgserlebnisse und das Wahrnehmen eigener Gefühlserregungen (s. Relation 4.3) hergestellt werden. Das Vermitteln von Erfolgen kann für Schüler und Schülerinnen motivierend sein, wenn sie merken, dass sie durch die eigene Kraft etwas bewirken können und ihre Qualifikation zunimmt (vgl. Schwarzer/Jerusalem 2002: 35ff.). Die Schüler oder Patienten müssen in die Situation kommen, dass sie sich selber wieder etwas zutrauen, dass sie ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln können. Das […] halte ich für die Grundvoraussetzung. Das ist auch ein Ziel, das wir hier haben, dass die Schüler sich wieder als kompetent erleben, dass sie Erfolge haben, dass sie ihre Erfolge für sich selber auch verbuchen. (Kliniklehrkraft Müller)
Erfolgserlebnisse können vor allem durch das Vorgeben von Nahzielen gefördert werden, da sie überschaubar sind und durch persönliche Anstrengung erreichbarer erscheinen. Der dadurch erlebte sukzessive Kompetenzzuwachs ist für das Entwickeln und Stabilisieren von Überzeugung eigener Selbstwirksamkeit wesentlich. Darüber hinaus ist u.a. die Unterstützung von Bewältigungsstrategien für die Entwicklung von Selbstwirksamkeitserwartungen förderlich (s. Relation 4.3) (vgl. Schwarzer/Jerusalem 2002: 42ff.). Wie aus den beiden obigen Zitaten der Kliniklehrkraft Müller hervorgeht, bedienen sich Klinikschulen dem Selbstwirksamkeitskonzept und übertragen dieses auf ihre Bildungsangebote, indem sie versuchen, durch das Setzen von an individuellen Bedarfen und Lernausgangslagen
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ausgerichteten Aufgabenzielen erfolgreiche Lernerfahrungen zu vermitteln. Durch die damit beabsichtigte Stärkung von Selbstbewusstsein und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten können emotionale Folgen krisenhafter Ereignisse gemindert und individuelle Deutungen der zu bewältigenden Anforderungen schrittweise verändert werden (Bewältigung als iterativer Prozess), um Voraussetzungen bzw. Ressourcen für emotions- und problemzentriertes Bewältigungshandeln zu schaffen (vgl. Filipp/Aymanns 2010: 148, 252). 4.3 Bewältigung als Teil von Bildung Für die Alltagsbewältigung in krisenhaften Ereignissen oder prekären Lebenslagen bedarf es Kompetenzen und Qualifikationen zur Erlangung von Handlungsfähigkeit, die im Verlauf von Bildungsprozessen erworben werden. Bildung, gefasst als Vermittlungs- und Aneignungsprozess von Kompetenzen und Qualifikationen, trägt somit nicht nur zur Bewältigung bei (vgl. Mack 1999: 286f.). Indem (schulische) Bildung alltagsrelevante Themen einbezieht, wird »die Bewältigung des Alltags selbst als eine spezifische Form von Emanzipation und Individuation begreifbar« (Mack 1999: 21). Wie bereits in der vorangegangenen Relation angemerkt, kann durch Gefühlserregungen die Selbstwirksamkeit beeinflusst werden, indem sie die Beurteilung eigener Kompetenzen zur Bewältigung mitbestimmen. So können starke Erregungen wie bspw. Angst oder Ablehnung aus einer negativen Bewertung der eigenen Kompetenzen resultieren. Dies kann dazu führen, dass bei starken Erregungen eher von misslingender Bewältigung schwieriger Anforderungen ausgegangen wird als bei niedrigen Erregungen. Um das Vertrauen zu erlangen, schwierige Anforderungen bewältigen zu können, wäre es demnach notwendig, Kompetenzen und Qualifikationen zu erwerben, mit denen Anforderungen kognitiv unter Kontrolle gebracht und die Handlungsfähigkeit erhöht werden können. Sich daraus entwickelnde Selbstwirksamkeitserwartungen können Gefühlserregungen vor und während der Bewältigung schwieriger Situationen mindern und Bewältigungskompetenzen stärken (vgl. Schwarzer/Jerusalem 2002: 45). Aus dem Bildungsauftrag geht das Vermitteln fachlicher Inhalte und Qualifikationen hervor. Klinikschulen sind angehalten, den Unterricht so zu gestalten, dass nach der Entlassung der Anschluss an die aufnehmende Klasse auch nach mehreren Monaten der Abwesenheit wieder möglich sein kann. Wie bereits in der ersten Relation angedeutet, sind ausreichende schulische Leistungen zwar von Bedeutung, für die Reintegration sind darüber hinaus oftmals jedoch weitere Kompetenzen erforderlich (vgl. Wertgen 2009: 309). Schüler und Schülerinnen der Klinikschulen können nicht losgelöst von ihrer Erkrankung und ihren bisherigen
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Schullaufbahnerfahrungen betrachtet werden (vgl. Hoanzl et al. 2009: 405f.). Auch in den Interviews mit Kliniklehrkräften wird an mehreren Stellen betont, dass die fachliche Qualifikation zwar wichtige Aufgabe des Unterrichts sei, diese aber in vielen Fällen aufgrund der speziellen Lebenssituation der Schüler und Schülerinnen zweitrangig zugunsten der Vermittlung von Kompetenzen seien, die zur Teilnahme am Unterricht und zur Bewältigung von Anforderungen des Übergangs und des Schulalltags befähigen. Selbstwertgefühl, soziale Kompetenz, Frustrationstoleranz, solche Dinge sind da viel entscheidender, eine gewisse Sicherheit, sich wieder in diesem Rahmen überhaupt sicher fühlen zu können. Und dann sind die Leistungsanforderungen eigentlich in der zweiten Linie. […] Aber diese anderen Grundvoraussetzungen, […] die sind entscheidend dafür, dass es eine erfolgreiche Wiedereingliederung gibt. (Kliniklehrkraft Müller)
Bereits in Relation 4.2 wurde darauf verwiesen, dass neben dem Setzen von Nahzielen die Unterstützung beim Entwickeln von Bewältigungsstrategien für den Aufbau von Selbstwirksamkeit eine wesentliche pädagogische Aufgabe ist. Der Umgang mit Belastungen und schwierigen Situationen wird auf unterschiedlichen Bewusstseinsebenen vollzogen, sodass Bewältigung sowohl willentlich nicht kontrolliertes als auch absichtsvolles Handeln (emotions- und problemzentrierte Bewältigungsstrategien) umfasst (vgl. Filipp/Aymanns 2010: 132). Auf Bildungsangebote übertragen sind bei letzterem hauptsächlich der Erwerb von Arbeits- und Lerntechniken, metakognitiven Fertigkeiten und Problemlösekompetenzen auf der einen sowie der Umgang mit sich selbst auf der anderen Seite vordergründig (vgl. Schwarzer/Jerusalem 2002: 4ff.). Vor allem bei Kindern und Jugendlichen, die längere Zeit nicht im Schulkontext waren, hat der Unterricht in Klinikschulen zunächst das (wieder) Erlernen von ausdauerndem und konzentriertem Arbeiten, sich an Regeln halten zu können und die Erweiterung ihrer kooperativen Lernund Methodenkompetenzen zum Ziel (vgl. Frey 2008: 139). Schwerpunkt bei meiner Arbeit ist eigentlich erstmal zu gucken, wie ticken die Kinder? Was ist das besondere? Wo hakt es? […] Und dann auch zu gucken sie wieder zum frei Sprechen, Blickkontakt, Körperhaltung, solche Sachen, weil ich feststelle, dass viele in sich versunken sind, gar kein Blickkontakt, nicht mehr richtig sitzen oder stehen können, […] und das wird halt an Unterrichtsthemen festgemacht. Es ist ganz selten so, dass […] wirklich ein Schüler so fit ist, dass der eigentlich nur an seinem Schulthema arbeitet, sondern […] dass man sie überhaupt erst mal wieder gruppenfähig macht oder überhaupt ihre Gruppenfähigkeit verbessert. (Kliniklehrkraft Fischer)
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Aus einer funktionalen Perspektive wird soziale Unterstützung in verschiedene Varianten, u.a. in emotionale und in informationale Unterstützung differenziert. Emotionale Unterstützung bezieht sich auf die Stärkung des Selbstwerts und von Gefühlen des Angenommen-Seins durch Zuwendung und Fürsorge (s. Relation 4.2) (vgl. Filipp/Aymanns 2010: 241). Durch soziales Lernen und Gruppenarbeitsprozesse können die Entwicklung der Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie ein positives Selbstbild der Schüler und Schülerinnen zusätzlich gefördert und sozialer Isolation entgegengewirkt werden. Indem die Teilhabe an kleineren Lerngemeinschaften ermöglicht und erprobt wird, können Gefühle der Sicherheit und Stabilität angebahnt und auf die Teilhabe in größeren Lerngemeinschaften vorbereitet werden (vgl. Frey 2008: 135ff.; Fesch/Müller 2014: 56f.). Informationale Unterstützung beinhaltet die Erweiterung von Wissen über schwierige Anforderungen und kritische Ereignisse, um diese klarer einschätzen und den Umgang mit ihnen lernen zu können (vgl. Filipp/Aymanns 2010: 241). Hinsichtlich des o.g. Umgangs mit sich selbst werden Schüler und Schülerinnen von Klinikschulen vor allem bei der aktiven intellektuellen, emotionalen und sozialen Auseinandersetzung mit der Erkrankung und dem KJP-Aufenthalt unterstützt (vgl. Wertgen 2009: 309). In der Literatur der Pädagogik bei Krankheit wird häufig auf kreative Schreibanlässe und Schulzeitungsarbeit verwiesen, wodurch ein konstruktiver Umgang mit der eigenen Erkrankung gefördert werden soll. Die Kinder und Jugendlichen können sich so auf der persönlichen und sachlichen Ebene mit der Krankheit und ihrer daraus bedingten Situation auseinandersetzen und reflektieren. Dabei ist eine sensible pädagogische Begleitung seitens der Lehrkräfte notwendig, da durch den Lerngegenstand möglicherweise Emotionen hervorgerufen und frühere Konflikte aktualisiert werden können (vgl. Wertgen 2007: 84; Warzecha 2003: 263). Die Auseinandersetzung mit der eigenen Situation geschieht auch in Beratungsprozessen der Klinikschulen. Je näher der Entlassungszeitpunkt kommt, desto mehr rückt bei vielen Schülern und Schülerinnen die Angst vor Stigmatisierungen außerhalb der KJP in den Mittelpunkt. »The experience of hospitalization, discharge, and school reentry can be overwhelming for adolescents because of academic, social, and emotional concerns.« (Clemens/Welfare/Williams 2010: 261) Zudem stehen Kinder und Jugendliche, die nach langer Abwesenheit in ihre Klasse zurückkehren oder neu in eine bereits bestehende Klasse aufgenommen werden, oftmals im Fokus ihrer Mitschüler und Mitschülerinnen (vgl. Wertgen 2009: 309ff.). In Beratungsgesprächen und im Unterricht werden Fragen nach dem Umgang mit solchen Situationen und ob die eigene Erkrankung öffentlich gemacht werden soll, häufig thematisiert. Die interviewten Lehrkräfte gaben an, dass sie zu einem offenen Umgang mit der Erkrankung hin beraten.
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Zu sagen: ›Ich hatte psychische Probleme, ich war im Krankenhaus‹, […] das besprechen wir manchmal, das üben die dann auch manchmal im Unterricht. (Kliniklehrkraft Fischer)
In einigen Fällen besuchen Kliniklehrkräfte auch die aufnehmende Klasse, um durch Gespräche mit den Mitschülern und Mitschülerinnen (und den Lehrkräften) über psychische Erkrankungen und die KJP eine angenehme Ankommenssituation für die wiederkehrenden Kinder und Jugendlichen zu schaffen. In regulationstheoretischen Ansätzen beschreibt Bewältigung von schwierigen Lebenssituationen die Überwindung von Diskrepanzen zwischen der aktuellen Situation und dem, was sein soll (Ist-Soll-Diskrepanz), auf mentaler oder der Handlungsebene (s.o.) (vgl. Filipp/Aymanns 2010: 128). Indem Klinikschulen die Auseinandersetzung mit sich selbst begleiten und über den Umgang mit der eigenen Erkrankung in sozialen Situationen beraten, tragen sie zur der Überwindung solcher Ist-Soll-Diskrepanzen (in diesem Fall bspw. die Überwindung der Angst vor Ablehnung hin zu einem sichereren Umgang mit sozialen Situationen) bei.
5. D IE V ERKNÜPFUNG VON B ILDUNGSANGEBOTEN MIT U NTERSTÜTZUNGSANGEBOTEN ZUR B EWÄLTIGUNG IN DER SOZIALEN B ILDUNGSARBEIT Mit den dargestellten Überlegungen zur Verknüpfung von Bildungsangeboten mit Unterstützungsangeboten zur Bewältigung in Klinikschulen schließt der Beitrag an die in diesem Band geführte Debatte um Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit an, da mit ›Bildung‹ und ›Bewältigung‹ als Leitbegriffe der Schul- bzw. Sozialpädagogik (vgl. Mack 1999: 273f.) soziale Problemlagen bzgl. der Teilhabe am formalen Bildungssystem in den Blick geraten und analysiert werden können. Eine psychische Erkrankung stellt nicht nur ein kritisches Ereignis für die Gesundheit, sondern auch für die schulische und soziale Einbindung dar. »Insofern ist das Ziel aller rehabilitativen Maßnahmen in der Psychiatrie nicht nur die Wiederherstellung der Gesundheit, sondern die soziale Integration und die Erhaltung der Lebensqualität trotz weiter bestehender gesundheitlicher Einschränkungen.« (Clausen/Eichenbrenner 2016: 175) Klinikschule trägt als fester Bestandteil des Alltags von Patienten und Patientinnen der KJP, als »wesentliche Säule des Behandlungskonzepts« (Krüger/Romer 2003: 251) und durch ihre pädagogische Vorbereitung des Übergangs von der KJP in das Bildungssystem sowohl zur (schulischen) Rehabilitation als auch zur sozialen Integration bei. Die damit einhergehende Anforderung der Verknüpfung von Bildungsangeboten mit Unterstützungsangeboten zur Bewältigung lässt sich durch Macks Modell zum Verhältnis von Bildung und
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Bewältigung theoretisch einordnen. Bei der vorgenommenen Übertragung auf die Unterrichtspraxis von Klinikschulen handelt es sich jedoch vornehmlich um eine idealtypische Analyse. In der Praxis können die Grenzen zwischen Bildungs- und Bewältigungsprozessen nicht immer klar gezogen werden. Dennoch sind Überlegungen zur Umsetzung und Professionalisierung der Verknüpfung von Bildungsmit Unterstützungsangeboten zur Bewältigung, aus denen zugleich Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit hervorgehen, anschlussfähig: Im formalen Bildungssystem sind Bildungsangebote und Unterstützungsangebote zur Bewältigung auf den Raum Schule beschränkt und werden, wie bereits erläutert, häufig durch die traditionellen Professionszuständigkeiten der Schulund Sozialpädagogik voneinander getrennt gestaltet. Lehrkräfte fördern Bildungsprozesse, Sozialpädagogen und -pädagoginnen unterstützen bei Bewältigungsprozessen, so die gängige Praxis. Die Förderung von Bewältigungsprozessen bei psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen in stationärer Behandlung hingegen ist strukturell weder auf einzelne Professionen noch Räume wie Klinik (Therapie, Betreuung auf den Stationen) oder Klinikschule (Unterricht) beschränkt, sondern im Sinne eines multimodalen Behandlungskonzepts professions- und raumübergreifend angelegt. Dabei liegt der Schwerpunkt von Klinik auf Gesundung, wohingegen sich das Aufgabengebiet der Klinikschule auf Bildung bezieht9. Wie gezeigt wurde, können Bewältigungsbedarfe der Schüler und Schülerinnen, die selbstverständlich auch im klinisch-therapeutischen Kontext behandelt werden, im Unterricht jedoch nicht per se ausgeklammert werden, zumal durch deren Bearbeitung Bildungsprozesse angestoßen werden können. Auf der anderen Seite eröffnen sich durch Bildungsangebote der Klinikschule Möglichkeiten über Lerngegenstände und Unterrichtssituationen Bewältigungsprozesse zu initiieren, die seitens der Klinik aufgenommen und unterstützt werden können. Sicherheit, Selbstwertgefühl und soziale Kompetenzen zur Bewältigung von Anforderungen des Übergangs und des (Schul-)alltags außerhalb der KJP können so bspw. durch die Klinikschule initiativ vermittelt und durch die Klinik gefestigt werden – oder umgekehrt. Auch wenn die Darstellung der Relationen von Bildung und Bewältigung den Eindruck einer zeitlichen Abfolge erzeugen mag, so geht aus der Übertragung auf den Unterricht von Klinikschulen jedoch hervor, dass Bildungs- und Bewältigungsprozesse gleichzeitig sowie unterschiedliche Relationen parallel zueinander stattfinden können. Mack (2008) zufolge stehen Bildung und Bewältigung daher
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An dieser Stelle sei erneut darauf verwiesen, dass Klinikschule und KJP interdisziplinär miteinander kooperieren, Klinikschulen aber kein therapeutischer Auftrag zugewiesen ist.
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in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Aus beiden Begriffen gehen unterschiedliche Ansprüche hervor, die jeweils in der pädagogischen Arbeit der Klinikschulen ebenso wie allgemein in der sozialen Bildungsarbeit bedient werden müssen (vgl. ebd.: 151f.). Für die soziale Bildungsarbeit lässt sich daraus ableiten, dass für die Verknüpfung von Bildungsangeboten mit Unterstützungsangeboten zur Bewältigung ein raum- und professionenübergreifender Ansatz herangezogen werden sollte, nach dem Bildungs- und Bewältigungsprozesse sowohl zeitgleich als auch nacheinander gefördert werden können. Letzteres ist vor allem durch die Bedarfe der Kinder und Jugendlichen bedingt, was durch die Schilderung einer Kliniklehrkraft über verschiedene Zielsetzungen und Anforderungen an das pädagogische Handeln aufgrund unterschiedlicher Bedarfe exemplarisch verdeutlicht werden kann: Kinder und Jugendliche mit Anorexia nervosa würden der Kliniklehrkraft zufolge häufig einen starken Drang zum Lernen und zur frühen Rückkehr in die Herkunftsschule aufweisen, dem in der Klinikschule zunächst entgegengewirkt werden müsse. Die können gar nicht genug Stoff kriegen und so, die muss man dann erstmal bremsen […]. Die müssen erst mal lernen hier das auszuhalten nicht immer gut sein zu müssen, und so. Also das ist dann immer so ein Austarieren von wieviel Schule ist gut für die. (Kliniklehrkraft Meyer)
Den Gegenpol dazu würden häufig Kinder und Jugendliche mit hohen Schulabsenzen vor der Aufnahme in die KJP bilden: Bei denen ist erst mal gar nicht an Schule zu denken. […] Das ist so unser Job, denen erst mal wieder so ein Gefühl für Schule überhaupt zu geben. Also das heißt morgens aufzustehen, die paar hundert Meter hier rüber zu gehen und hier anzukommen und nicht gleich den Kopf auf den Tisch zu legen. Also das sind dann so die ersten Erfolge, wenn sie reinkommen und den Kopf nicht mehr auf den Tisch legen. (Kliniklehrkraft Meyer)
An dieser vorgenommenen Gruppierung von Schülern und Schülerinnen zeigt sich, dass bei ersteren Bildungsprozesse schon vorhanden sind und zunächst weniger stark gefördert werden müssen. Vielmehr stellen Bildungsangebote einen Zugang dar, um Bewältigungsprozesse initiieren zu können, die in diesem Fall ein Aushalten von »nicht immer gut sein zu müssen« (ebd.) zum Ziel haben. Bei der zweiten Gruppe hingegen finden (schulische) Bildungsprozesse kaum noch statt. Es gilt daher zunächst Bewältigungsprozesse zu fördern, die es ermöglichen
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»nicht gleich den Kopf auf den Tisch zu legen« (ebd.) und sich schulischer Bildung Stück für Stück öffnen zu können. In diesen Fällen, die auf andere Unterrichtssituationen und Kinder und Jugendliche übertragen werden können, ist die pädagogische Handlung auf die Bedarfe der einzelnen Schüler oder Schülerinnen auszurichten. In welchem Verhältnis Bildung und Bewältigung in der jeweiligen Situation zueinander stehen ist vom Einzelfall abhängig, was sich entsprechend auf die Zielsetzung des Unterrichts auswirkt. Als weiteres Qualitätsmerkmal für die soziale Bildungsarbeit ist daher die Perspektive der Kinder und Jugendlichen anzuführen, die den Ausgangspunkt für Bildungs- und Bewältigungsprozesse bildet und in professionellen Angeboten entsprechend zu berücksichtigen ist.
6. F AZIT Bei der Verknüpfung von Bildungs- mit Unterstützungsangeboten ist das Verhältnis von Bildung und Bewältigung zu berücksichtigen. Bewältigung kann sowohl Funktion als auch Bedingung oder Teil von Bildung sein. Jede dieser Relationen wird im Unterricht von Klinikschulen aufgegriffen. So kann Bewältigung direkt (z.B. durch das Vermitteln entsprechender Kompetenzen, wie z.B. Problemlösefähigkeiten) oder indirekt (z.B. durch das Aufbauen von Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten oder soziales Lernen durch Gruppenarbeit) durch Bildungsangebote gefördert werden. Indem durch Bewältigungsprozesse Abneigungen gegenüber Schule und damit verbundene negative Konnotationen oder verletzende Erfahrungen überwunden werden, lassen sich durch Unterstützungsangebote zur Bewältigung womöglich wiederum Bildungsprozesse anstoßen. Darüber hinaus können über bestimmte Lerngegenstände sowohl Bildungs- als auch Bewältigungsprozesse initiiert werden (z.B. in der kritischen Auseinandersetzung mit sich selbst (Bildung), die günstigstenfalls zu einer Veränderung der eigenen Lebenslage (also Bewältigung) führt). Welche Relation(en) von Bildung und Bewältigung in der jeweiligen Unterrichtssituation vordergründig ist oder sind, wird durch die Bedarfslage der Kinder und Jugendlichen mitbestimmt und ist in einer raum- und professionenübergreifenden Verknüpfung von Bildungsangeboten mit Unterstützungsangeboten zur Bewältigung, in denen Bildungs- und Bewältigungsprozesse sowohl zeitgleich als auch nacheinander stattfinden können, zu berücksichtigen.
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Interdisziplinarität in lebensweltorientierten schulischen Angeboten für jugendliche Mütter C ORNELIA S YLLA
Jugendliche Mütter sind in der Regel Klientel sowohl von Lehrerinnen als auch von Sozialpädagoginnen inner- und außerhalb der Schule. Die strukturelle Verschiedenheit der Lebenswelten der jugendlichen Mütter und der Pädagoginnen, aber auch die unterschiedlichen Perspektiven der Lehrerinnen und der Sozialpädagoginnen, können zu Schwierigkeiten im respektvollen Umgang miteinander führen. Lebensweltorientierung und eng verzahnte Kooperation der verschiedenen pädagogischen Disziplinen wurden als Ansätze zur gesellschaftlichen Integration marginalisierter Gruppen entwickelt. Auf dieser Grundlage zeigt dieser Beitrag auf, welche Formen der Interdisziplinarität in lebensweltorientierten schulischen Angeboten empirisch zu finden sind und inwiefern sie sich als Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit gestalten lassen.
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1. E INLEITUNG Minderjährige Mütter sind in Deutschland relativ selten. Noch seltener ist die systematische wissenschaftliche Betrachtung dieser Gruppe (vgl. Ermel 2007: 2-3). Die meisten pädagogischen Einrichtungen haben nur in Einzelfällen mit jungen Frauen in dieser Lebenslage zu tun. Da die Minderjährigkeit zwar juristisch sowohl für das Sorgerecht als auch für die Schulpflicht eine relevante Größe darstellt, aber weder sozialpädagogische Betreuung noch der Schulbesuch tatsächlich genau mit Erreichen dieser Altersgrenze enden, wird im Folgenden der Terminus jugendliche Mütter benutzt, wenn die hier behandelte Zielgruppe gemeint ist. Diese umfasst Mädchen und junge Frauen, die nach der Geburt eines Kindes den ersten Schulabschluss anstreben und mit ihrem Kind zusammen leben. Nur wenn die Minderjährigkeit explizit betont werden soll, werden sie weiterhin als minderjährige Mütter bezeichnet. Dass hier von den Vätern keine Rede ist, ist der Tatsache geschuldet, dass jugendliche Vaterschaft noch weniger als jugendliche Mutterschaft von Wissenschaft und Schule wahrgenommen wird (vgl. Gundlach/Sylla 2017: 82). Zwar markiert dieser Umstand ein Forschungsdesiderat, in diesem Beitrag jedoch werden schulische Angebote für jugendliche Mütter im Fokus sein, weil diese im Gegensatz zu Maßnahmen für jugendliche Väter auffindbar sind. Es ist eine Normverletzung mit weitreichenden Folgen, als Schülerin1 ein Kind zu bekommen (vgl. Schroeder 2012: 375; Thiessen 2010). Schulen sind darauf ausgerichtet, den Lebensmittelpunkt für ihre jugendliche Klientel darzustellen, während von Müttern in der Regel erwartet wird, der Versorgung ihrer Kinder die Hauptaufmerksamkeit zu widmen. Gerade jugendlichen Müttern wird meist nicht selbstverständlich zugetraut, gute Mütter zu sein (vgl. Wallner 2010; Thiessen 2010). Sie stehen unter großem Druck, keine Zweifel an ihren Kompetenzen aufkommen zu lassen und noch stärker als ältere Mütter die Versorgung ihrer Kinder zum Lebensmittelpunkt zu machen. Somit treten hier oftmals Passungsprobleme auf, die vermittelt werden müssen (vgl. Schroeder 2012: 391; Meilwes 2007: 139). Der Normbruch und die Schwierigkeiten der Vereinbarkeit von regelmäßigem Schulbesuch und familiären Verpflichtungen machen jugendliche Mütter zu einer marginalisierten Gruppe, der sozialpädagogischer Unterstützungsbedarf zugeschrieben wird. Sarimski bezeichnet sie als »soziale Risikogruppe« (Sarimski
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In diesem Text wird durchgängig die weibliche Sprachform verwendet, da fast alle Akteurinnen aus dem Feld sich als Frauen in einem weiblichen Umfeld positioniert haben. Daher ist davon auszugehen, dass sie sich mit dieser Formulierung am ehesten angesprochen fühlen. Alle anderen sind im Zweifel mitgemeint.
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2013: 25). Auch außerhalb von Schule sind jugendliche Mütter eine marginalisierte Gruppe, die als Klientel sozialer Arbeit prädestiniert ist: Da die Vormundschaft für die Kinder minderjähriger Mütter beim Jugendamt liegt, sofern keine andere Regelung vom Familiengericht bestimmt wird, oder der nicht minderjährige Vater sorgeberechtigt ist (vgl. §§1626-1697a BGB und insbesondere §1773 Abs. 1 und §1781 BGB), ist eine sozialpädagogische Betreuung zumindest in Form von Kontrolle gängig. Dementsprechend sind jugendliche Mütter, mindestens solange sie minderjährig sind, meist Klientel von Sozialpädagoginnen. Solange sie schulpflichtig sind, und in Einzelfällen auch länger, sind sie außerdem Klientel von Lehrerinnen und anderem schulischen Personal. Noch über die Minderjährigkeit und die Schulpflicht hinaus bestehen oftmals sozialpädagogische Betreuungsverhältnisse und der Schulbesuch endet nicht immer sofort, da Schülerinnen nach Beendigung der Schulpflicht das Recht haben, einen begonnenen Bildungsgang zu beenden (vgl. §3 Abs. 8 HmbSG). Für jugendliche Mütter, die eine Schule besuchen, besteht also immer Betreuung und Begleitung durch verschiedene pädagogische Disziplinen. Inwiefern sich diese als interdisziplinäre Zusammenarbeit gestaltet, soll im Folgenden anhand von empirischen Beispielen herausgearbeitet werden. Der Analyse zugrunde liegt die Auffassung, in Anlehnung an Henschel et al. 2008, dass ein systematischeres Zusammendenken von Jugendhilfeplanung und Schulentwicklung, die sich an den heterogenen Lebenswelten Jugendlicher orientiert, »präventiv und integrativ wirken und somit Exklusionsprozessen vorbeugen bzw. diese verhindern [kann]« (ebd.: 12). Dafür seien eine gegenseitige Öffnung, Bezug aufeinander, Akzeptanz und Respekt notwendig (vgl. ebd.). Sozialpädagogik und Schule sollten also aufeinander bezogen, einander unterstützend und ergänzend geplant werden, um sozialen Ausschlüssen entgegenzuwirken und Bildung insbesondere für marginalisierte Gruppen effektiver zu gewährleisten. Somit kann interdisziplinäre Zusammenarbeit in diesem Sinne als Qualitätsmerkmal sozialer Bildungsarbeit gewertet werden. Im Folgenden soll nun also herausgestellt werden, welche Formen interdisziplinärer Kooperation empirisch in schulischen Angeboten vorkommen, die lebensweltorientiert konzipiert wurden, und inwiefern sie der oben genannten Idee der systematischen Verzahnung folgen. Die diesem Beitrag zugrundeliegenden Daten wurden im Zuge meines Promotionsprojekts gesammelt und ausgewertet. Es handelt sich dabei um Expertinneninterviews (vgl. Bogner/Menz 2009) mit Lehrerinnen, Sozialpädagoginnen und Personen in leitenden Positionen in Schulen in Bremen, Bremerhaven und Hamburg, in denen jugendliche Mütter zur Schülerschaft gehören oder gehörten. Sie
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wurden in schwach strukturierten Interviews zu Vernetzungsstrukturen und Arbeitsweisen sowie zu ihrer Zielgruppe befragt und zu Erzählungen von Fallbeispielen und individuellen Positionierungen angeregt. Die Interviews wurden transkribiert, kodiert und kategorisiert. Zur Analyse der in diesem Beitrag behandelten Fragestellung wurden alle Aussagen mit dem Code Interdisziplinarität zur Auswertung herangezogen. Wortwörtlich übernommene Zitate wurden zugunsten besserer Lesbarkeit behutsam geglättet, Wortabbrüche und -doppelungen, Lautäußerungen (äh oder hm), die keine eigene inhaltliche Aussage trugen, wurden gelöscht und Satzzeichen sowie Groß- und Kleinschreibung eingeführt.
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Strukturell betrachtet existiert Schule für jugendliche Mütter in unterschiedlichen Formen. In den meisten Fällen werden Mütter, sofern sie noch schulpflichtig sind, in den Regelklassen der Regelschulen unterrichtet, bei Bedarf wird sozialpädagogische Unterstützung durch Schulsozialarbeiterinnen oder vorrangig durch sozialpädagogische Familienhilfen gewährleistet. Die Kinderbetreuung wird individuell geregelt, also entweder durch die Familie der Schülerin gewährleistet oder – je nach Verfügbarkeit – in Kindergärten, Kindertagesstätten oder durch Tagesmütter. Sozialpädagogische Betreuung der jugendlichen Mütter findet in der Regel parallel dazu statt, jedoch nicht regelhaft durch Mitarbeiterinnen von Schule. Grundsätzlich besteht für jugendliche Mütter die Möglichkeit, die Schulpflicht ruhen oder sich in Einzelfällen auch von der Schulpflicht befreien zu lassen (vgl. u.a. §§39-40 HmbSG). Schulische Projekte, die exklusiv für jugendliche Mütter angeboten werden, finden sich vor allem in Bremen und Bremerhaven. Diese werden auch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen thematisiert (vgl. Friese/Schweizer 2001; Schroeder 2012: 372-375). In diesen Projekten ist sozialpädagogische Betreuung ebenso wie die Kinderbetreuung strukturell verankert. Lebensweltorientierung und interdisziplinäre Zusammenarbeit werden im Projekt BeLeM in Bremen als wichtige Bausteine des ganzheitlichen Ansatzes formuliert: »Die Arbeitsbereiche sozialpädagogische Betreuung, Unterricht und Kinderbetreuung stellen für sich abgeschlossene Arbeitsbereiche dar. Der ganzheitliche Arbeitsansatz erfordert allerdings ein enges und transparentes Miteinander der Bausteine. Diese Verzahnung von schulischen und sozialpädagogischen Angeboten – ergänzt durch die Kinderbetreuung – ermöglicht es, den individuellen Bedarfen der Teilnehmerinnen gerecht zu werden und so-
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mit in vielfältiger Weise ziel- und erfolgsorientiert mit der Zielgruppe zu arbeiten. Die Projektangebote können dadurch so gestaltet werden, dass sie sich an der Lebenswelt der jugendlichen Mütter orientieren.« (Helmken/Pregitzer/Möhlmann 2001: 37)
Dieses Projekt kann als wegweisender Ansatz betrachtet werden, denn der im Jahr 2001 abgeschlossene Schulversuch (vgl. Möhlmann 2001) wurde verstetigt und erweitert. Schon die Einführung wurde wissenschaftlich begleitet (vgl. Friese et al. 2001; Friese 2008).
3. L EBENSWELTORIENTIERUNG Der Begriff Lebensweltorientierung wurde vor allem von Thiersch (1992) umfassend herausgearbeitet. Er problematisiert dabei die strukturelle Verschiedenheit der Lebenswelten professioneller Sozialpädagoginnen und ihrer Klientel, und betont die Notwendigkeit und die gleichzeitige Schwierigkeit, der fremden Lebenswelt mit Respekt zu begegnen (vgl. ebd.: 46). Unter Lebenswelt ist dabei neben der materiellen Umwelt die Summe subjektiver Erfahrungen, Wahrnehmungen und Alltagspraktiken zu verstehen (vgl. auch Thuns 2004: 206). Die Bedeutung informellen Lernens wird in dieser Ausrichtung betont. In der Auseinandersetzung mit der Umwelt werden Lebenskompetenzen erworben, an die institutionelle Bildungsgänge anknüpfen müssten: »In ihrer je unterschiedlichen Logik können Lebensbildung und inszenierte Bildung sich blockieren, nebeneinander herlaufen und einander fremd bleiben. Es gilt, sie in ihren Möglichkeiten gegenseitig herauszufordern, zu nutzen, zu befruchten und zu steigern – es gilt lebensweltliche Bildungserfahrungen zu respektieren und spezifisch-institutionell-professionelle Möglichkeiten zu nutzen.« (Thiersch 2008: 37)
Lebensweltorientierung bedeutet demnach vor allem eine bestimmte professionelle Perspektive, die die vorhandenen institutionellen Möglichkeiten nutzt. Sie kann also konzeptionell auch in inklusiven schulischen Settings handlungsleitend sein, dafür braucht es nicht zwingend exklusive zielgruppenspezifische Angebote. Ein Bildungsangebot, in dem jugendliche Mütter, die aus der Regelschule ohne Abschluss oder zumindest ohne Anschluss im Sinne eines weiterführenden Bildungsganges ausgeschieden sind, in Hamburg schulisch versorgt und weiter qualifiziert oder auch über Praktika in Ausbildung vermittelt werden, sind die Ausbildungsvorbereitungsklassen (AV-dual) an beruflichen Schulen. Dieses Unterrichtskonzept ist stark individualisiert und mindestens in der Theorie sehr nah an
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der Lebenswelt jeder einzelnen Schülerin. Einige der befragten Lehrerinnen hatten diese Orientierung verinnerlicht: Meine Arbeit ist eigentlich die, dass ich Jugendliche, die dieses AV-dual besuchen, versuche zu unterstützen in ihren Anliegen. (Lehrerin 1 in Hamburg)
In diesem Beitrag werden also neben den zielgruppenspezifischen Angeboten in Bremen und Bremerhaven auch die AV-dual-Klassen in Hamburg zu den lebensweltorientierten Schulangeboten gezählt.
4. I NTERDISZIPLINARITÄT Um der Komplexität der Lebenswelten gerecht zu werden, ist eine Zusammenarbeit aus verschiedenen Perspektiven zur Wahrnehmung der unterschiedlichen Interessen unabdingbar (vgl. Thiersch 1992: 29). Gerade in der Schule ist das Verhältnis von Bildungsarbeit und Sozialer Arbeit aber nicht immer geklärt und spannungsfrei. Das liegt unter anderem an der unterschiedlichen Ausrichtung der Institutionen, am Leistungsgedanken im Falle von Schule (vgl. Thuns 2004: 147) und an der Parteinahme für vom Bildungssystem Ausgeschlossene durch die Sozialpädagogik (vgl. Thiersch 2008: 25). Dennoch wird gerade in der jüngeren Vergangenheit eine zunehmende Zusammenarbeit angestrebt in der Überzeugung, dass vor allem für schwierige Lebenslagen so gesellschaftliche Integration insbesondere im Bereich der schulischen und beruflichen Bildung besser gestaltet werden könne (vgl. Thuns 2004: 152; Krüger/Stange 2008: 15). Wie auch oben schon erwähnt, ist das Ziel eine respektvolle und systematisch verzahnte Kooperation lebensweltorientierter Bildungs- und sozialpädagogischer Angebote. Zu einer solchen Kooperation gehören auch Elternarbeit und Gemeinwesenarbeit, also die Kooperation mit verschiedenen Organisationen wie z.B. Kindertagesstätten oder Beratungsstellen, Jugendcafés oder Sportvereinen (vgl. Thiersch 2008: 34). »Zum einen erweitern sich Selbstverständnis und Handlungsrepertoire der Lehrer in der Schule, zum anderen aber ergeben sich vielfältige Formen der integrierten Arbeit und Kooperation mit Sozialpädagogen, z.B. in Form einer Schulsozialarbeit, die, unterschiedlich organisiert, zwischen der Mitarbeit im Kollegium bis zur geregelten Kooperation mit Kollegen in anderer Trägerschaft, praktiziert wird und vor allem in Kooperation mit Eigenangeboten der Sozialen Arbeit, sei es in verbindlichen gemeinsamen Projekten, sei es in Verweisungen und Vermittlungen.« (Ebd.)
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Im nun folgenden Teil werden einige dieser vielfältigen Formen empirisch herausgearbeitet und kritisch analysiert, wobei vor allem der Unterschied zwischen der systematischen Verzahnung in Schulkonzepten und überinstitutionellen Kooperationsformen beleuchtet werden soll.
5. F ORMEN DER Z USAMMENARBEIT In den verschiedenen schulischen Angeboten konnten grob vier Formen von Interdisziplinarität unterschieden werden, von denen in einem engen Verständnis nur zwei als echte Formen von Zusammenarbeit oder Kooperation gedeutet werden können, nämlich Vernetzung und geteilte Verantwortung. Die anderen beiden werden hier mit aufgenommen, weil es sich um Formen von Interdisziplinarität handelt, in dem Sinne, dass hier die Perspektiven verschiedener pädagogischer Disziplinen auf dieselbe Klientel gerichtet sind, die aber im ersten Fall (disziplinäre Abgrenzung) eher gegeneinander als zusammen arbeiten und sich im zweiten Fall (intrapersonelle Interdisziplinarität) in einer einzelnen Person vereinen. Jede dieser groben Formen kann in unterschiedlichen Ausprägungen auftreten und die Abgrenzung ist nicht immer einfach. In einigen schulischen Angeboten treten mehrere Formen parallel auf. 5.1 Vernetzung Eine Form der Kooperation von Sozialpädagogik und Schule, die an sehr vielen Stellen im Material benannt wurde und die in allen Schulformen in unterschiedlicher Intensität vorzukommen scheint, ist die Vernetzung von Akteurinnen unterschiedlicher Institutionen. Der Kern für eine erfolgreiche Vernetzung scheint dabei in einem wertschätzenden Nebeneinander der Disziplinen zu bestehen. So wie Thiersch es für die Erziehungshilfe herausarbeitet, ist diese dann der schulischen Bildung »parallel geordnet als eigengewichtiger, spezifischer Beitrag zur Selbstbildung in der Aneignung von Wirklichkeit.« (Thiersch 2008: 29) Dabei sind aber große Unterschiede in der Intensität im Sinne der Kommunikationsfrequenz oder der Dichte der Netzwerke zu beobachten. Zum Beispiel hat eine Person in leitender Position in Hamburg Kontakt zu einer Kindertagesstätte in der Nähe aufgenommen, um für eine Schülerin einen Betreuungsplatz zu organisieren. Die Zusammenarbeit ist eher punktuell, aber wertschätzend und lösungsorientiert. Ein Beispiel für besonders dichte Vernetzung hingegen ist die Expertin in leitender Funktion aus Bremerhaven:
216 | C ORNELIA S YLLA Ich bin vernetzt mit, also ich persönlich vertrete den Bereich Schulen und Berufsschulen im Jugendhilfeausschuss. Das ist ein politisches Gremium, so da bin ich Schulvertreter, insofern auch sehr eng an allem was im Bereich Jugend passiert. Ich bin im Arbeitskreis Schulvermeidung, Berufsfindung, Ausbildung. Das ist ein Arbeitskreis der Träger, die auch berufsvorbereitende Maßnahmen über die Agentur für Arbeit anbieten und so weiter, aber in der Regel für Jugendliche, die nicht mehr schulpflichtig sind. Da sie aber manchmal Schüler von uns bekommen ist es sinnig, da mitzumachen. Ich bin im Arbeitskreis Vermeidung von Ausbildungsabbrüchen. Einen Großteil der Schüler vermitteln wir in Ausbildung, und damit vermieden wird, dass sie ihren Ausbildungsplatz verlieren, gibt es da auch einen Arbeitskreis. Ich bin im Arbeitskreis Erziehungshilfen Bremerhaven. Das ist ein Arbeitskreis des Amtes für Jugend und Familie in dem alle Träger von Jugendhilfeeinrichtungen also Heime, Betreuungsinstitutionen et cetera untergebracht sind. Also auch da kriegen wir ja unsere Jugendlichen her. (Leitung in Bremerhaven)
Auch die Lehrerin des Projekts, die auf die Frage nach der Vernetzung als erstes die eben zitierte Expertin mit ihren vielfältigen Kontakten nennt, pflegt noch ein eigenes dichtes Netzwerk: In der Stadt bin ich eigentlich vernetzt mit allen Beratungsstellen, die man sich so vorstellen kann, weil wir halt, weil da persönliche Kontakte halt da sind, wie ich das vorhin schon mal genannt hab, also Profamilia, Caritas, AWO, Schuldnerberatung, Gesundheitsamt, äh ja da bin ich. Ich bin im Netzwerk Schwangere, das gibt ein Netzwerk hier in Bremerhaven, wo alle Beteiligten die in irgendeiner Form mit jungen Frauen, die schwanger sind, zu tun haben. Da sitzen dann auch so Leute drin von der Arge, vom Jobcenter, also da geht's dann halt in Richtung Ausbildung, berufliche Tätigkeit, da sind die Leute vom Standesamt drin, Familienhebammen, Jugendamt, also das ist so 'ne Plattform. Wir treffen uns vier Mal im Jahr, tauschen uns aus, und das ist eigentlich, das ist auch so'n Netzwerk, wo's mir denn auch hilft, wenn ich denn mal mit der Erziehungsgeldstelle, da reicht dann halt ein Anruf, der weiß der kennt mich […] das ist einfach total unkompliziert. (Lehrerin in Bremerhaven)
In Bremerhaven – so zumindest eine mögliche Lesart – gibt es also zahlreiche Zusammenschlüsse zu unterschiedlichen Themen auf verschiedenen administrativen Ebenen, die alle die Lebenswelt jugendlicher Mütter als Schülerinnen tangieren, und in denen sich von der Leitungsebene ausgehend alle professionellen Akteurinnen der Schule engagieren. Thuns (2004) folgend ist das eine nicht nur unkritisch zu betrachtende Entwicklung. »Vernetzung ist ein wichtiger Begriff im Prozess der Weiterentwicklung der Jugendhilfe. Soweit die Entwicklung jedoch nur zu Zusammenschlüssen von Einrichtungen zu Verbünden führt, um Regionen und Hilfefelder zu besetzen, ist dem kein positiver Aspekt abzugewinnen.« (Ebd.:
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249) Allerdings betonen beide Akteurinnen auch, wie sie die Netzwerke individuell nutzen, um für die Zielgruppe Verbesserungen und individuelle Zugänge zu schaffen: »da reicht dann halt ein Anruf«. Außerdem nutzen sie diese Plattform, um strukturell mitgestalten zu können, beispielsweise im Jugendhilfeausschuss. Die sozialpolitische Mitgestaltung und systematische Vernetzung im Sozialraum ist in Bremen ebenfalls wichtiger Baustein der Konzeption. Die Einführung des Schulprojekts wurde wissenschaftlich begleitet und die »Bremer Förderkette junge Mütter«, eine Vernetzungsplattform aller für jugendliche Mütter relevanten Einrichtungen der Stadt, wurde eingerichtet (vgl. Friese 2008). In AV-dual Klassen in Hamburg wird zwar auch häufiger Kontakt zu außerschulischen Sozialpädagoginnen gepflegt, jedoch erscheint dieser deutlich weniger systematisch geplant und in den Alltag integriert. Als Folge wird ein »Zerren« von verschiedenen Seiten beschrieben: Die jungen Mütter haben häufig Betreuer. Dann Kontaktaufnahme zu den Betreuern, die zu treffen, da kontinuierlich Austausch zu haben, ist häufig sehr sehr schwierig, weil viele Personen an diesen jungen Müttern dran sind und zerren. (Lehrerin 2 in Hamburg)
Hier wird die Punktualität der Vernetzung zum Problem, da offensichtlich teilweise gegeneinander gearbeitet wird. Der Austausch scheint eher unregelmäßig stattzufinden und eine Einigung auf gemeinsame Strategien oder gegenseitige Wertschätzung ist weitgehend nicht erkennbar. 5.2 Disziplinäre Abgrenzung Gerade wenn es im Austausch mit den vernetzten Institutionen schwierig wird, ist dann der Übergang zur disziplinären Abgrenzung fließend. Dieselbe Lehrerin beschreibt, wie sie mit den Schwierigkeiten umgeht: Dann versuchen wir natürlich engmaschig Kontakt zu den betreuenden Personen zu halten, Telefonkontakt oder sie einladen zu Gesprächen, oder aber wenn wir merken, dass das nicht geht, auch Kontakte zu Hilfseinrichtungen aufzubauen, sei es dann Erziehungsberatungsstellen oder aber auch mal wenn's jetzt um die junge Mutter geht zum schulischen Beratungszentrum da Sachen herzustellen. Also das ist so das einzige was wir eigentlich von Schule her können. (Lehrerin 2 in Hamburg)
Wenn die Zusammenarbeit mit Einzelnen nicht gelingt, bleiben also nur noch der Verweis an Beratungsstellen und der Hinweis, dass mehr von schulischer Seite her nicht möglich sei. An dieser Stelle soll selbstverständlich nicht der Anspruch
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erhoben werden, dass Schule alles allein möglich machen müsste, aber die Analyse von Thuns (2004), Schule suche »unter dem Leistungsdruck nach einer Abhilfe, sich selbst möglich, nicht aber die Sozialpädagogik zu ihrer Sache zu machen« (ebd.: 148) findet hier offensichtlich eine empirische Ausdrucksform. Diese Schwierigkeiten und der abgrenzende Umgang damit können auch als systemimmanent betrachtet werden. Thiersch (1992) formulierte in den frühen 1990er Jahren, die Schule erwarte von Schulsozialarbeit vor allem eine Erleichterung der eigenen Arbeit, sie lagere Schwierigkeiten an Eltern oder Sozialarbeiterinnen aus (vgl. ebd.: 147). »Schulsozialarbeit erscheint noch immer weithin in der Rolle jenes traditionellen Dienstmädchens, das ganz den Interessen der Herrschaft verpflichtet ist, allseits verfüglich und diskret sein muß und schlecht bezahlt wird.« (Ebd.: 150) Solche Tendenzen sind an einigen Stellen im Schulsystem immer noch zu beobachten. Vorrangig in der einen untersuchten Schule, die eine Mütterklasse hatte, diese aber eingestellt hat und jugendliche Mütter seither in inklusiven AV-dual-Klassen unterrichtet, waren Tendenzen der disziplinären Abgrenzung zu erkennen, die sich in dieser Weise deuten ließen. An vielen Stellen in den Interviews machten Lehrerinnen und Personen in Leitungsposition deutlich, dass sozialpädagogische Betreuung nicht zu ihren Aufgaben und auch gar nicht zum Aufgabenbereich der Schule gehöre. Zum Umgang mit Absentismus ist der Expertin in leitender Funktion klar, dass ihr Handeln der Schülerin nicht weiterhilft, die Aufgabe aber eben auch nicht zu ihrem Tätigkeitsbereich gehört. Dann müssen wir schulrechtlich eben reagieren. Das ist meistens durch Strafgeld selten durch Schulzwang, was der Schülerin in der Lebenssituation überhaupt nicht weiterhilft aber wir sind ja nicht irgend'ne Sozialanstalt, also wir können‘s ja vom schulischen Aspekt nicht ändern. (Leitung in Hamburg)
Außerdem wurde noch von Lehrerinnenseite der Vorwurf geäußert, dass Sozialpädagoginnen in Mutter-Kind-Heimen die Schulpflicht der jugendlichen Mütter nicht genügend im Fokus haben. Neunzig Prozent von denen, die in Einrichtungen waren, die haben es nicht geschafft. Die haben irgendwann abgebrochen. Das lag meines Erachtens daran, dass die Einrichtungen 'nen anderen Fokus haben als die Schule. Die Mutter-Kind-Einrichtungen haben den Fokus, die jungen Mütter müssen erstmal eine Beziehung zu ihrem Kind aufbauen. Das ist das allerwichtigste, und die sehen Schulbildung denn eher zweitrangig. […] Was die aus dem Blick verlieren, ist einfach, dass unsre jungen Mütter noch schulpflichtig waren. So, und da steckte Schule und in dem Fall ich als Klassenlehrerin immer in einem Dilemma. Ich bin
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mit den Betreuern und der Mutter-Kind-Einrichtung sehr oft über quer gekommen weil ich auf Schulpflicht bestehen musste vom Gesetz her. (Lehrerin 3 in Hamburg)
Auffällig ist hier in beiden Fällen der Verweis auf das Gesetz und die institutionell eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten. Die schulischen Akteurinnen meinen sich vorrangig an der Schulpflicht orientieren zu müssen, während sozialpädagogische Einrichtungen eher die Sicherung des Kindeswohls und die Erziehungsfähigkeit der jugendlichen Mütter im Blick haben (vgl. hierzu auch Thiessen 2010: 38). Die doppelte Anforderung an die jugendlichen Mütter wird hier institutionell verstärkt, und als Konflikt zwischen den Disziplinen ausgetragen. Dabei scheint zumindest auf Seiten der Schule der Fokus auf dem eigenen Aufgabenbereich Vorrang vor dem Wohl der jugendlichen Mütter und ihrer Kinder zu haben, wobei genau dies indirekt der anderen Seite vorgeworfen wird. Es bleibt hier zwar offen, wie die Sozialpädagoginnen aus den Mutter-Kind-Heimen die Situation einschätzen, aber die Tendenz, die nicht erfolgte Unterstützung durch das Verschieben der Zuständigkeit an eine andere Institution zu legitimieren, wird deutlich. Auch an anderer Stelle formuliert die Lehrerin sehr klar die Grenzen ihres Aufgabenbereichs, um ein bestimmtes Nichthandeln zu legitimieren. So, aber ich bin nie so weit gegangen, dass ich damals in die Familien gegangen bin. Das ist nicht meine Aufgabe als Lehrerin. (Lehrerin 3 in Hamburg)
In Bremen hingegen wurden abgrenzende Aussagen eigentlich nur von Lehrerinnen getätigt, die nur ein einziges Fach in der Klasse unterrichteten und damit nicht sehr viel Zeit mit den Schülerinnen verbrachten. Auf die Frage nach dem Stellenwert von Elternarbeit beispielsweise antwortet eine Lehrerin: Für mich in dieser Klasse ist das überhaupt kein Thema, weil ich eben nur Fachlehrerin bin. (Lehrerin 1 in Bremen)
Sie betont, dass es nur für sie und nur in dieser Klasse kein Thema sei, das steht im Kontrast zum obigen Zitat, das allgemein den Aufgabenbereich Elternarbeit für Lehrerinnen einschränkt. 5.3 Geteilte Verantwortung In dem Schulprojekt in Bremen, das explizit im Konzept die gemeinschaftliche Verantwortung der Klassenlehrerin und der Sozialpädagogin als Leiterinnen des
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Projekts ausformuliert hat (vgl. Möhlmann 2001: 3), betonen alle Beteiligten, dass sie ihre Arbeit ohne die jeweils andere nicht ausüben könnten. Ich arbeite ja hauptsächlich mit der Sozialpädagogin zusammen. Wir arbeiten ganz eng miteinander zusammen und ohne diese Arbeit von der Sozialpädagogin wäre meine Arbeit gar nicht möglich. Ich habe ein relativ, also alleine würd ich's nicht schaffen. Ich würde alleine nicht so viel, ich könnte nicht so viel Erziehungsarbeit leisten. Ich kann es mit der Sozialpädagogin zusammen nur. Und die ist auch ganz nah dran, wir sind beide zusammen ganz nah dran. Mein Auftrag ist ein anderer, aber ich würde alleine das nicht hinkriegen. (Lehrerin 2 in Bremen)
Es besteht regelmäßiger intensiver Austausch und gegenseitige Beratung bei der Bearbeitung von Problemen, Sozialpädagogin und Lehrerinnen sind sehr oft gemeinsam im Klassenraum anwesend, beide fühlen sich in gleicher Weise für das Wohlergehen und für den Schulerfolg der Schülerinnen verantwortlich und tragen ihre Expertise in das Team. Diese Zusammenarbeit erstreckt sich auch auf die Kindergruppe, die der Schule angegliedert ist. Die enge Verzahnung von Unterricht, Sozialpädagogik und Kinderbetreuung wird von allen Beteiligten betont und für wichtig gehalten, sogar die Lehrerin, die selbst nur wenig in der Klasse ist, benennt diese als eine Besonderheit der Mütterklasse: dass die Leiterin dieser Kindergruppe hier einfach auch sehr engagiert ist und eigentlich dass wir halt selbst mit denen zusammen arbeiten. (Lehrerin 1 in Bremen)
Auch auf der Leitungsebene scheint Austausch und gemeinsame Verantwortungsübernahme das Rezept zum Erfolg von sozialpädagogischer Bildungsarbeit zu sein: Wir arbeiten eigentlich im ganzen Hause auch so, dass wir teamorientiert sind. Das heißt, keiner geht irgendwie durchs Haus und sagt, so da hab ich nichts mit zu tun, sondern alle fühlen sich für alles irgendwo zuständig. Das ist der Anspruch. (Leitung in Bremen)
Diese Form der Zusammenarbeit ist durch flache Hierarchien und dichte Kommunikation gekennzeichnet, kann jedoch auch für die einzelnen Beteiligten sehr herausfordernd sein, unterschiedliche Erwartungen und Erfahrungen treffen aufeinander, verschiedene Arbeitsweisen müssen zusammengebracht werden.
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Da musste ich erstmal rein kommen dann war das auch nicht einfach mit meiner Kollegin der Sozialpädagogin. Auch wir müssen uns auch, mussten uns auch immer wieder zusammenraufen, müssen wir heute auch noch, […] die Zusammenarbeit ist auch nicht so einfach, aber […] ich denke da hat sich auch ganz viel getan, bei ihr und auch bei mir. Also wir haben zum Beispiel auch Teamsupervisionen gemacht, also aber es ist nicht ganz einfach. Oder wird sie wahrscheinlich auch sagen, das ist einfach so, man muss sich erstmal wieder aufeinander, also sie musste sich auf 'ne neue Lehrerin einfach einstellen und mich auf alles hier, und das ist nicht einfach. […] Also so ist es, wir haben da heute Morgen noch mal drüber gesprochen, es war also, sie hat oft 'ne ganz bestimmte Vorstellung, wie was zu sein hat und ich hab eben auch 'ne bestimmte Vorstellung und dann ist es schwierig wie wir zusammen kommen. (Lehrerin 2 in Bremen)
Gerade an diesem Zitat, das sich mit den Schwierigkeiten der Zusammenarbeit befasst, ist aber der zugrundeliegende Respekt herauszulesen, die Lehrerin betont, dass sie, bevor sie mit mir über die Schwierigkeiten spricht, mit ihrer Kollegin darüber gesprochen habe. Sie versucht auch in diesem Zitat, der Perspektive der Kollegin vergleichbar viel Raum einzuräumen wie der eigenen. Außerdem ist hier ein weiterer Hinweis auf die systematische Verzahnung im Konzept zu erkennen, da bei Schwierigkeiten Bearbeitungsstrategien wie Teamsupervisionen herangezogen wurden, denen ja auch ein gewisser Erfolg (»da hat sich auch ganz viel getan«) zugesprochen wird. 5.4 Intrapersonelle Interdisziplinarität Als ein Sonderfall von Interdisziplinarität kann der Fall einer Lehrerin gesehen werden, die zumindest zeitweilig allein verantwortlich für den Unterricht und die sozialpädagogische Betreuung im Rahmen der Schule war, die aber aufgrund ihrer eigenen Bildungsbiographie mehrere Disziplinen in ihrer Person vereint, und daher zwischen den Rollen wechseln und verschiedene Perspektiven auf ihre Klientel einnehmen kann. Diese Lehrerin praktiziert ebenso andere Formen der Interdisziplinarität, so ist sie in der Stadt sehr gut vernetzt und kennt alle relevanten Akteurinnen im Umkreis der jugendlichen Mütter und arbeitet zudem eng mit den Mitarbeiterinnen aus der angegliederten Kinderbetreuung zusammen. Allerdings ist die Vereinigung verschiedener pädagogischer Rollen in einer Person ebenso ein Spagat wie die Vereinigung von Mutter- und Schülerinnenrolle bei den jugendlichen Müttern. Ich arbeite hier alleine im Projekt, bin auch alleine Ansprechpartnerin für die Schüler, das ist ungünstig, weil ich finde, egal ob vier acht oder zehn Schüler da sind, das gibt manchmal
222 | C ORNELIA S YLLA große Probleme, die die Schülerinnen abhalten sich auf die Schule zu konzentrieren, und da bin ich in einem permanenten Zwiespalt zwischen: Kümmere ich mich jetzt um das Einzelproblem? Dann kriegen die keinen guten Unterricht und kommen vielleicht morgen nicht, weil sie sagen da lernen wir ja sowieso nichts. Kümmere ich mich um die Gruppe und sag, ich kann mich jetzt nicht um dein Einzelproblem kümmern, ist das Problem, dass vielleicht diese einzelne Schülerin sich allein gelassen fühlt, und eben dann wegbleibt. Und so muss ich halt immer so den Spagat wagen. (Lehrerin in Bremerhaven)
Diese Lehrerin sieht die unterschiedlichen Bedürfnisse ihrer Schülerinnen, kann sie aber allein nicht gleichzeitig erfüllen. Um den Spagat der Schülerinnen zwischen Schule und Lebensbewältigung zu erleichtern, muss sie selbst diese Turnübung übernehmen. Mindestens zeitweilig mit einer weiteren Person zusammenzuarbeiten, könnte für alle Beteiligten Überlastungen vermeiden. Auch einige andere Lehrerinnen hatten mehrere Vorqualifikationen oder zumindest auch außerschulische Berufserfahrungen. Da sie aber nie allein zuständig waren, kam dieser Aspekt nicht so deutlich zur Geltung.
6. F AZIT Intrapersonelle Interdisziplinarität in ihren unterschiedlichen Ausprägungen ist zwar kein seltenes Phänomen in sozial- und sonderpädagogischen Settings, jedoch sollte sie, wie oben gezeigt, kritisch betrachtet werden, da sie leicht zu strukturellen Defiziten und Planungsschwierigkeiten führen kann, wenn eine Person mehrere Aufgaben, die sich gegenseitig im Wege stehen, gleichzeitig ausführen soll. Diese Form kann in Einzelfällen gelingen, insbesondere, wenn sie mit anderen Kooperationsformen kombiniert wird, fordert aber einen sehr hohen persönlichen Einsatz. Offen geblieben ist an dieser Stelle die mögliche Frage, inwiefern die Vereinigung verschiedener professioneller Kompetenzen in einer Person möglicherweise andere Kooperationsformen beeinflussen kann. Problematisch für die Klientel sind in jedem Fall die Tendenzen der disziplinären Abgrenzung. Diesen sollte mit institutioneller Öffnung und Angleichung der Arbeitsverhältnisse von Lehrerinnen und Sozialpädagoginnen begegnet werden. Eine Begegnung auf Augenhöhe, was die Gratifikation und gesellschaftliche Anerkennung der Berufe angeht, ist zwar noch immer kein Garant für gelingende Zusammenarbeit, aber setzt ein Zeichen gegen die Sichtweise, die Soziale Arbeit sei, wie in der Metapher des Dienstmädchens oben angeklungen, der schulischen Bildung untergeordnet und zu Dienstleistungen verpflichtet, um deren Arbeit
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leichter zu machen. Thiersch (2008) betont ebenfalls die Notwendigkeit, über historisch verankerte Ungleichgewichtigkeit hinauszugehen und ein gleichberechtigtes Nebeneinander anzustreben (vgl. ebd.: 29). »Die Hierarchisierung der Aufgaben einhergehend mit dem so unterschiedlichen gesellschaftlichen Status und Bezahlungsordnungen blockiert die anlaufenden und überfälligen Entwicklungen und belastet sie mit wechselseitigen Vorurteilen […].« (Ebd.: 33) In Schulangeboten für jugendliche Mütter drängt sich also Vernetzung als Arbeitsmaxime auf. Dabei sollten möglichst dichte Netzwerke institutionell verankert werden, ohne dass diese dabei zum rein bürokratischen Selbstzweck verkommen. Wichtig wäre hier die Lebensweltorientierung zentral im Fokus zu behalten und die Netzwerke vor allem für individuelle Problemlösungsstrategien heranzuziehen. Außerdem sollten auch die Netzwerke der jugendlichen Mütter in den Blick genommen und erweitert werden. »Um junge Frauen stärker in die Netzwerke der beruflichen Bildung und letztendlich auch in die Netzwerke der Benachteiligtenförderung einzubinden, sind Netzwerke nicht nur auf der Ebene von Institutionen und Professionen zu stärken. Von zentraler Bedeutung ist es, Personen und Zielgruppen zu befähigen, aktiv an den Vernetzungsstrukturen zu partizipieren, diese selbsttätig zu stiften und interessenorientiert auszugestalten. Hier eröffnet sich eine für die Netzwerkarbeit weitere bedeutsame Aufgabe. Diese besteht darin, nicht nur Vernetzung professioneller Akteure voranzutreiben, sondern auch junge Frauen und Mütter mit dem Ziel der Partizipation und Stärkung von Empowerment selbst als Netzwerkerinnen zu qualifizieren.« (Friese 2008: 98)
Dieser Aspekt wurde an dieser Stelle nicht näher thematisiert, bleibt also als offene Forderung stehen. Das ist dem Umstand geschuldet, dass hier nur die Vernetzung und andere Kooperationsformen der professionellen Akteurinnen in den Blick genommen wurden. Selbstverständlich soll damit nicht gesagt werden, dass diese Forderung von Friese in einigen der Schulangebote nicht durchaus bedient wird. Besonders nah an der oben beschriebenen systematisch verzahnten Kooperation mit gegenseitiger Öffnung und Respekt der verschiedenen Disziplinen untereinander ist sicher das Prinzip der geteilten Verantwortung. »Vorhaben in Tandem-Strukturen erweisen sich als besonders effektiv.« (Thiersch 2008: 34) Dieses Prinzip bedarf systematischer Verankerung im Konzept und permanente Arbeit an der Teamstruktur. Unterstützungsstrukturen wie Supervision und regelmäßige Teamsitzungen können hilfreich sein. Des Weiteren bedarf diese Kooperationsform der expliziten Abkehr von disziplinären Abgrenzungen wie sie in diesem
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Beitrag beschrieben wurden. Persönlicher Einsatz aller Beteiligten zumindest im Sinne von »alle fühlen sich für alles irgendwie zuständig« ist Voraussetzung.
L ITERATUR Bogner, Alexander/Menz, Wolfgang (2009): »Das theoriegenerierende Experteninterview. Erkenntnisinteresse, Wissensformen, Interaktion«, in: Alexander Bogner/Beate Littig/Wolfgang Menz (Hg.): Experteninterviews: Theorien, Methoden, Anwendungsfelder, 3. Aufl., Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 61–98. Ermel, Nicole (2007): Entwicklungsfördernde pädagogische Arbeit mit jugendlichen Müttern in der Kinder- und Jugendhilfe, Frankfurt am Main: Lang (Europäische Hochschulschriften Reihe 11, Pädagogik, 950). Friese, Marianne (2008): Kompetenzentwicklung für junge Mütter. Förderansätze der beruflichen Bildung, Bielefeld: Bertelsmann. Friese, Marianne/Helmken, Christine/Pregitzer, Sabine/Schweizer, Bettina (Hg.) (2001): Berufliche Lebensplanung für junge Mütter (BeLeM). Dokumentation der Fachtagung am 17. und 18. November in Bremen, Bremen: Univ. [u.a.]. Friese, Marianne/Schweizer, Bettina (2001): »Bildung und Ausbildung junger Mütter: Eine Herausforderung für die Reform der beruflichen Bildung«, in: Marianne Friese et al. (Hg.): Berufliche Lebensplanung für junge Mütter. (BeLeM). Dokumentation der Fachtagung am 17. und 18. November in Bremen, S. 12–28. Gundlach, Hanna/Sylla, Cornelia (2017): »The Challenge of Overcoming Deficit Orientation towards Adolescent Parents through Social Research in Germany and in the USA«, in: Joachim Schroeder/Louis Henri Seukwa/Ulrike Voigtsberger (Hg.): Soziale Bildungsarbeit – europäische Debatten und Projekte, S. 69–84. Helmken, Christine/Pregitzer, Sabine/Möhlmann, Andrea (2001): »Das Projekt BeLeM stellt sich vor«, in: Marianne Friese et al. (Hg.): Berufliche Lebensplanung für junge Mütter. (BeLeM). Dokumentation der Fachtagung am 17. und 18. November in Bremen, S. 29–44. Henschel, Angelika/Krüger, Rolf/Schmitt, Christof/Stange, Waldemar (Hg.) (2008): Jugendhilfe und Schule. Handbuch für eine gelingende Kooperation, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH Wiesbaden.
S CHULISCHE A NGEBOTE FÜR
JUGENDLICHE
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Krüger, Rolf/Stange, Waldemar (2008): »Kooperation von Schule und Jugendhilfe: die Gesamtstruktur«, in: Angelika Henschel et al. (Hg.): Jugendhilfe und Schule. Handbuch für eine gelingende Kooperation, S. 13–22. Meilwes, Barbara (2007): Teenager-Mütter. Bewältigungsformen junger Frauen, Diplomarbeit, Universität Siegen. Möhlmann, Andrea (2001): Berufliche Lebensplanung jungendlicher [sic!] Mütter. Abschlussbericht zur Schulversuchsphase. Unveröffentlichtes Typoskript, Bremen. Sarimski, Klaus (2013): Soziale Risiken im frühen Kindesalter. Grundlagen und frühe Interventionen, Göttingen: Hogrefe. Schroeder, Joachim (2012): Schulen für schwierige Lebenslagen. Studien zu einem Sozialatlas der Bildung, Münster, München [u.a.]: Waxmann. Spies, Anke (Hg.) (2010): Frühe Mutterschaft. Die Bandbreite der Perspektiven und Aufgaben angesichts einer ungewöhnlichen Lebenssituation, Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren. Thiersch, Hans (1992): Lebensweltorientierte soziale Arbeit. Aufgaben der Praxis im sozialen Wandel, Weinheim: Juventa (Edition Soziale Arbeit). Thiersch, Hans (2008): »Bildung und Sozialpädagogik«, in: Angelika Henschel et al. (Hg.): Jugendhilfe und Schule. Handbuch für eine gelingende Kooperation, S. 25–38. Thiessen, Barbara (2010): »Jenseits der Norm. Lebenslagen junger Mütter«, in: Anke Spies (Hg.): Frühe Mutterschaft. Die Bandbreite der Perspektiven und Aufgaben angesichts einer ungewöhnlichen Lebenssituation, S. 25–46. Thuns, Manfred (2004): Lebensweltorientierung in der Jugendhilfe. Herausforderung an Pädagogik und Psychologie, Hamburg: Kovač. Wallner, Claudia (2010): »Junge Mütter in der Kinder- und Jugendhilfe. Sanktioniert, moralisiert, vergessen oder unterstützt?«, in: Anke Spies (Hg.): Frühe Mutterschaft. Die Bandbreite der Perspektiven und Aufgaben angesichts einer ungewöhnlichen Lebenssituation, S. 47–75.
Qualitätsmerkmale von Kooperation in der schulischen Berufsorientierung? Erste Erkenntnisse aus einer Experten- und Expertinnenbefragung zur Berufsorientierung an Hamburger Stadtteilschulen T ATJANA B EER
Das Hamburger Konzept für Berufs- und Studienorientierung verpflichtet die Stadtteilschulen, u. a. mit beruflichen Schulen, der Jugendberufsagentur, außerschulischen Bildungsträgern und Betrieben zu kooperieren. Dies soll dem Ziel dienen, Jugendlichen einen erfolgreichen Übergang von der Schule in den Beruf zu ermöglichen. Unter dieser Perspektive wird die Qualität bzw. der Erfolg der Kooperation bislang nur ergebnisorientiert am Outcome – den Übergangszahlen – gemessen. Die Erforschung der Prozessqualität dieser speziellen Kooperation, die das Ziel gelingender Übergänge hat, ist hingegen bislang ein Desiderat. Anhand von 23 Experteninterviews und einer Gruppendiskussion, ergänzt durch Netzwerkkarten, wird zunächst gezeigt, welche Spannungsfelder die Kooperation bestimmen. Hieraus werden Merkmale für die Qualität von Kooperation in der Berufsorientierung entwickelt.
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1. Ü BERGÄNGE VON DER S CHULE ZENTRALES B ILDUNGSTHEMA
IN DEN
B ERUF :
EIN
Im OECD-Bericht »Bildung auf einen Blick 2016« steht die Bundesrepublik Deutschland bezogen auf Verbleibe zwischen Schule und Beruf auf Platz 3 der OECD-Staaten (OECD 2016: 554). Das heißt, ein Großteil der Jugendlichen geht nach Abschluss der allgemeinbildenden Schule, entweder in Ausbildung, Arbeit oder in qualifizierende Maßnahmen über. Dennoch sind die Probleme des Übergangs hierzulande nicht als marginal zu bezeichnen: Seit Jahren liegt der Anteil von jungen Erwachsenen eines Jahrgangs, die weder Abitur noch eine abgeschlossene Berufsausbildung haben, bei ca. 13 Prozent (ebd.). Darüber hinaus gelang es, bezogen auf das Bundesland Hamburg, zuletzt nur einem guten Drittel der Schulabgänger und Schulabgängerinnen, nach der zehnten Klasse direkt im Anschluss einen Ausbildungsplatz zu finden (2016: 34,6 Prozent; 2014: 37,4 Prozent).1 Um den Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf zu verbessern, werden immer wieder mit konzeptioneller und finanzieller Unterstützung des Bundes verschiedene Förderprogramme aufgelegt: Zu nennen sind das Programm Bildungsketten mit dem Berufsorientierungsprogramm (BOP) und die Berufseinstiegsbegleitung.2 Ein zentraler Ansatzpunkt dieser Förderinstrumente ist, mit entsprechenden berufsorientierenden Maßnahmen schon in der Schule zu beginnen, um den Übergang in eine berufliche Ausbildung zu befördern. Zu diesen übergangsbezogenen Maßnahmen gibt es mittlerweile eine Vielzahl an lokalen oder regionalen empirischen Studien sowie daran anschließende konzeptionelle Überlegungen, die eine ganze Reihe von Fragestellungen aufwerfen (z.B. Wensierski, Schützler und Schütt 2005; Wensierski 2011; Thielen 2013). Kooperation in der schulischen Berufsorientierung ist bisher jedoch kaum untersucht und man weiß entsprechend wenig darüber, wie diese Kooperationen ausgestaltet sind oder sein sollten. Die leitende Fragestellung dieser Studie lautet daher zunächst, wie aus Sicht der beteiligten Akteure und Akteurinnen bzw. Experten und Expertinnen eine qualitätvolle Zusammenarbeit im Kontext von Berufsorientierung beschaffen sein müsste, um das Ziel direkter Übergänge zwischen Schule und Beruf zu befördern.
1
Pressemitteilungen der Behörde für Schule und Berufsbildung: http://www.hamburg .de/bsb/pressemitteilungen/nofl/4408216/2014-11-24-bsb-schulabgaenger-2014/ und http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/7643082/2016-12-12-bsb-schulabgaenger/ beide vom 30.3.2017.
2
Siehe
https://www.bmbf.de/de/abschluss-und-anschluss-bildungsketten-bis-zum-
ausbildungsabschluss-1074.html vom 30.3.2017.
Q UALITÄTSMERKMALE IN
DER SCHULISCHEN
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Zur theoretischen Rahmung dieser Untersuchung nutze ich Pierre Bourdieus klassentheoretisches Modell vom sozialen Raum. Dieses bietet sich an, da in die Kooperation zur Berufsorientierung ganz unterschiedliche Akteure und Akteurinnen eingebunden sind. Mit Bourdieu können Kämpfe im Feld der Berufsorientierung angenommen werden, welche die Zusammenarbeit behindern, aber auch befeuern können. Ergänzend ziehe ich – unter Bezugnahme auf den Forschungsstand – gegenstandsbezogene Theorien heran, um die Begriffe ›Berufsorientierung‹, ›Kooperation‹ und ›Qualität‹ zu klären (Kapitel 2). Darauf aufbauend reformuliere ich meine Fragestellung. Anschließend werde ich das Handlungsfeld ›Schulische Berufsorientierung an Hamburger Stadtteilschulen‹ skizzieren und die Anlage meiner Studie darstellen (Kapitel 3). Im Zentrum dieses Beitrags stehen erste Erkenntnisse aus 23 Interviews mit Expertinnen und Experten sowie einer Gruppendiskussion: Im Datenmaterial zeigen sich sehr differierende und widersprüchliche Vorstellungen und Erwartungen, sowohl zur Kooperation und deren Qualität als auch hinsichtlich des Verständnisses von Berufsorientierung. Aus diesen Aussagen lassen sich Spannungsfelder ableiten, um hieraus Merkmale für die Qualität der Kooperation in der Berufsorientierung zu entwickeln (Kapitel 4). Abschließend nehme ich noch einmal die Aussagen der Experten und Expertinnen auf und diskutiere, ob und inwiefern diese Qualitätsmerkmale für die Gesamtheit der Befragten konsensfähig sind bzw. sein könnten.
2. B ERUFSORIENTIERUNG – K OOPERATION – Q UALITÄT : THEORETISCHE F UNDIERUNGEN Für Pierre Bourdieu lässt sich das soziale Geschehen anhand von Feldern darstellen, in denen um etwas gerungen wird. Die einzelnen Akteure und Akteurinnen konkurrieren um die besten Positionen im Feld und sind mit unterschiedlichen Formen von Kapitalien ausgestattet (kulturelles, soziales und ökonomisches Kapital). Kennzeichnend für Bourdieu ist die Doppelseitigkeit der verwendeten Begriffe: In Erweiterung des Marxschen Kapitalbegriffs benennt er ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital als »Eigenschaften«, die zugleich strukturiert und strukturierend sind. Strukturiert sind diese Merkmale durch die Vergangenheit, in der sie durch den Einsatz von Arbeit und Zeit in einem Akkumulationsprozess entstanden sind. Strukturierend sind sie im Hinblick auf Gegenwart und Zukunft, indem sie die Kräfteverhältnisse und die Stellung eines Akteurs im sozialen Raum bestimmen. Ihrem Kapitalcharakter entsprechend sind ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital untereinander konvertierbar. Sie unterscheiden sich jedoch
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bezüglich ihrer Übertragbarkeit bzw. Personengebundenheit. So ist ökonomisches Kapital (Geld) am leichtesten von einer Person auf die andere zu transferieren. Kulturelles Kapital in inkorporierter Form, also das, was z.B. in Deutschland als ›Bildung‹ verstanden wird, kann nur durch einen hohen Einsatz von Zeit, Arbeit, in der Regel auch Geld, transferiert werden. Eine besondere Kapitalsorte ist das symbolische Kapital: »Symbolisches Kapital – ein anderer Name für Distinktion – ist nichts anderes als Kapital (gleich welcher Art), wahrgenommen durch einen Akteur, dessen Wahrnehmungskategorien sich herleiten aus der Inkorporierung der spezifischen Verteilungsstruktur des Kapitals, mit anderen Worten: ist Kapital, das als selbstverständliches erkannt und anerkannt ist.« (Bourdieu 1985: 22). Diese Kapitalien versuchen die im sozialen Raum Agierenden zu vergrößern. Die Positionen im Feld sind immer relational, das heißt, man kann die beschriebenen Verhältnisse nicht objektivieren oder einfach von einem Feld auf ein anderes übertragen, sondern sie existieren nur in Beziehung zueinander. Jedes Feld hat seine eigenen Regeln, die Doxa, die in diesem Kampf befolgt und zuvor erlernt werden müssen, um kompetent »mitspielen« zu können. »Zu den allgemeinen Merkmalen von Feldern gehört, daß in ihnen der Wettstreit um den Spieleinsatz verschleiert [wird], daß hinsichtlich der Grundregeln des Spiels bestes Einverständnis besteht.« (Bourdieu 1999: 270). Gleichzeitig findet ein ständiges Ringen um die Definitionsmacht der Regeln des Feldes statt. Bourdieu hat den Begriff der »Illusio« entwickelt, um einen anderen sozialen Aspekt zu beleuchten: »Jedes Feld«, schreibt er, »erzeugt seine eigene Form von illusio im Sinne eines Sich-Investierens, Sich-Einbringens in das Spiel, das die Akteure der Gleichgültigkeit entreißt und sie dazu bewegt und disponiert, die von der Logik des Feldes aus gesehen relevanten Unterscheidungen zu treffen (das, was für mich von Gewicht ist, von dem, was mir egal, gleich-gültig ist, zu unterscheiden)« (ebd.: 360, Herv. i. O.). Es geht bei der Illusio also darum, was die einzelnen Akteure und Akteurinnen bereit sind zu investieren, um am Spiel teilzunehmen. Gleichzeitig ist die Illusio die Voraussetzung für das Funktionieren des Spiels, und zugleich der Preis, um den es geht (vgl. ebd.). Ein weiterer Eckpfeiler der Theorie von Bourdieu ist der Habitus als der Gesamtheit des Handelns, Kleidens, Benehmens der Akteurinnen und Akteure, die deren Status bestimmt: »Er ist nicht identisch mit dem Lebensstil, sondern bedingt ihn strukturell« (König 2003: 55). Gebildet wird der Habitus eines Menschen in der Familie, er kann sich aber im Laufe des Lebens verändern. Er wird von Bourdieu nicht statisch, mechanistisch beschrieben, sondern als dynamischer Prozess, der den Habitus als »das Produkt der Einprägungs- und Aneignungsarbeit« (Bourdieu 1979: 186) hervorbringt.
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DER SCHULISCHEN
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Im Kontext der Metatheorie von Bourdieu lassen sich die in meiner Studie zentralen Begriffe ›Berufsorientierung‹, ›Kooperation‹ und ›Qualität‹ zwar als umstrittene Gegenstände verschiedener Felder deklarieren, aber nicht definieren oder konzeptualisieren. Hierzu bedarf es gegenstandsbezogener und empiriebasierter Theorien, die untereinander und mit der gewählten Metatheorie konsistent sind. Da die (schulische) Berufsorientierung der zentrale Gegenstand ist, auf den sich die Kooperation bezieht, setzt meine Begriffsklärung hier an, um dann in einem zweiten und dritten Schritt die Begriffe Kooperation und Qualität auszuleuchten. Abschließend komme ich auf meine eingangs nur kurz umrissene Fragestellung zurück, und stelle mein Forschungsanliegen detaillierter vor. 2.1 Berufsorientierung Meiner Studie liegt die Definition von Berufsorientierung zugrunde, wie sie von Famulla und Butz entwickelt wurde: »Berufsorientierung ist ein lebenslanger Prozess der Annäherung und Abstimmung zwischen Interessen, Wünschen, Wissen und Können des Individuums auf der einen und Möglichkeiten, Bedarfen und Anforderungen der Arbeits- und Berufswelt auf der anderen Seite. Beide Seiten, und damit auch der Prozess der Berufsorientierung, sind sowohl von gesellschaftlichen Werten, Normen und Ansprüchen, die wiederum einem ständigen Wandel unterliegen, als auch den technologischen und sozialen Entwicklungen im Wirtschaftsund Beschäftigungssystem geprägt.«3 Wichtig an dieser Definition ist, dass die Berufsorientierung als ein Prozess bestimmt wird, der sich nicht auf die Lebensphase Jugend beschränkt, sondern das ganze Leben andauert. Dieser Prozess bewegt sich zwischen zwei Polen: den Interessen des Individuums und den Bedarfen der Arbeitswelt. Es besteht ein andauerndes Spannungsverhältnis. Dieser lebenslange Prozess unterliegt auch einem ständigen Wandel durch gesellschaftliche, soziale und technologische Entwicklungen. Die Schule übernimmt lediglich einen Teil der Aufgabe der Berufsorientierung, dieser kann allerdings für eine Gruppe von Jugendlichen entscheidend sein: »Die Brisanz des Übergangs trifft insbesondere diejenigen Jugendlichen, deren symbolisches Kapital nicht ausreicht, um sich in institutionellen Kontexten sicher und selbstverständlich bewegen zu können. Gerade der Schule kommt in diesem Kontext eine wichtige und doppelte Rolle zu, denn sie ist Teil des Vermittlungsregimes, zugleich aber auch Teil des Bewältigungsmilieus, weil sie eine
3
Famulla, G.-E. & Butz, B. (2005): Berufsorientierung. Stichwort im Glossar. http://www.swa-programm.de/texte_material/glossar/index_html_stichwort= Berufsorientierung.html vom 30.3.2017.
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Instanz zum Erwerb kulturellen Kapitals bildet.« (Faulstich-Wieland/Scholand 2016: 3) Somit ist die schulische Berufsorientierung ein wichtiger Baustein im lebenslangen Prozess der Berufsorientierung. Wie Kooperation in diesem Bereich definiert werden kann, werde ich im Folgenden ausführen. 2.2 Kooperation Regina Münderlein hat für den Bereich Jugendhilfe und Schule eine Definition des Begriffs ›Kooperation‹ entwickelt: »Schulkooperation ist eine Verschränkung institutioneller Handlungslogiken zugunsten der Kernaufgabe. Diese entwickelt sich prozesshaft durch die erfolgreiche Erfüllung der Kernaufgabe. Der Prozess verläuft über die aktiven Akteure hin zum institutionellen Kontext. Schulkooperation drückt sich als kontinuierliche, institutions- und individuenbezogene Erfolgs- und Nutzenwahrnehmung aus« (ebd. 2014: 241). Die Kernaufgabe ist das jeweilige Thema der Kooperation, in diesem Kontext Berufsorientierung. Münderlein definiert Kooperation von einer Handlungs- und Akteursebene her, lässt dabei jedoch den Einfluss vorhandener Strukturen außer Acht. Kooperation drückt sich zwar in konkreten Handlungen aus und wird erst in Interaktionen von Akteuren und Akteurinnen lebendig – jedoch verfügen diese in unterschiedlichem Maße über symbolisches Kapital und haben daher unterschiedliche Möglichkeiten, die Prozessstrukturen und Prozessabläufe, die Formulierung von Ergebnissen usw. zu beeinflussen. In den von mir gewählten Definitionen zu Berufsorientierung und Kooperation wird hervorgehoben, dass es sich um Prozesse handelt. Weder Berufsorientierung noch Kooperation sind einmalige punktuelle Handlungen, sondern andauernde und sich verändernde Entwicklungen. Während die Prozesse in der Kooperation jedoch Aushandlungen (»Kämpfe«) zwischen den Akteuren und Akteurinnen verschiedener Felder beinhalten, sind die der Berufsorientierung ganz anderer Art: Es handelt sich um individuelle, milieubezogene Bewältigungsprozesse (vgl. Oehme 2008). Akteure und Akteurinnen der Kooperation in der schulischen Berufsorientierung sind herausgefordert, sich den Anforderungen dieser zweifachen Prozesshaftigkeit zu stellen: Im Hinblick auf ihr eigenes Handeln und in Bezug auf ihre Kernaufgabe, nämlich der Verbesserung des Berufsorientierungsprozesses. In der Konsequenz muss diese doppelte und unterschiedliche Prozesshaftigkeit bei der Entwicklung eines Qualitätsbegriffs mit bedacht werden: Was bedeutet dies theoretisch wie praktisch im Hinblick auf Qualität(smerkmale)? Auf diese Frage werde ich im Fazit zurückkommen.
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2.3 Qualität In der Berufsorientierung würde es zu kurz greifen, wenn man in einer so prozesshaften Dynamik wie bei Kooperationen einen Qualitätsbegriff mit einer einfachen Input-/Output-Logik zugrunde legen würde. Um es mit Grunwald zu formulieren: »Qualität ist dabei nicht nur von den tatsächlich am Leistungsprozess Beteiligten (Leistungsanbieter, unmittelbare EmpfängerInnen), sondern auch von anderen Interessenträgern wie Angehörigen, Politik, Öffentlichkeit, Träger oder konkurrierenden Einrichtungen abhängig.« (Grunwald 2013: 814). Wenn die Qualität der Kooperation erfasst werden soll, müssen daher möglichst umfassend die verschiedenen Ebenen und Kontexte des Übergangsgeschehens sowie dessen Prozesshaftigkeit einbezogen werden. Qualitätsmerkmale wiederum sind im Unterschied zu Qualitätskriterien oder Qualitätsmaßstäben offene, weite Begriffe, die nicht so einfach in Handlungsanweisungen operationalisierbar sind. »Ein Qualitätsmerkmal ist die ‚Kennzeichnende Eigenschaft’ eines Produkts oder einer Dienstleistung (DIN 9000: 2005). Ein Qualitätsmerkmal kann qualitativer oder quantitativer Natur sein. Es gibt verschiedene Klassen von Merkmalen, z. B. verhaltensbezogene (z.B. Offenheit, Transparenz, Verlässlichkeit), zeitbezogene (z.B. Termineinhaltung, Verfügbarkeit) und funktionale (z.B. Spitzengeschwindigkeit eines Flugzeuges) (DIN 9000: 2005, Nr. 3.5.1).«4 In der Literatur finden sich Erfolgsfaktoren und Gelingensbedingungen für die Kooperation von Schule und Jugendarbeit. So arbeitet Stephan Maykus in seiner Studie »Kooperation als Kontinuum« hierfür fünf Erfolgsfaktoren heraus: 1. Öffnungstendenzen, 2. Transparenz, 3. Strukturen schaffen und Arbeitsebenen klären, 4. Inhalte und Projekte als konkrete Anlässe und 5. Evaluation und Pflege der Kooperation (vgl. ebd. 2011: 43). Als Bedingungen für eine gelingende Kooperation zwischen Schule und Jugendarbeit werden von Karlheinz Thimm genannt, dass eine Zielbestimmung (Schnittmenge und getrennte Ziele) erfolgt, verlässliche Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen existieren, sichere Bearbeitungswege sowie Orte und Verfahren der Rückmeldung und Auswertung installiert werden. Zu den unerlässlichen Gelingensbedingungen zählt Thimm u.a. Regelmäßigkeit und das offensive Aufeinander-Zugehen und ein Verständnis der gegenseitigen Angewiesenheit (Thimm 2016). Diese Bedingungen, die hier beschrieben werden, deuten auch auf existierende Spannungsfelder hin. Die von Maykus geforderte Transparenz wider-
4
Siehe: http://www.forum-beratung.de/cms/upload/Veroeffentlichungen/Eigene_Veroeffentlichungen/qmm_guter_Beratung_2011.pdf vom 30.3.2017.
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spricht sicher den Gepflogenheiten vieler Institutionen und der Tradition des Betriebs- bzw. Amtsgeheimnisses. Bei Thimm werden Spannungen schon in der Zielbestimmung deutlich, wenn er zwischen Schnittmenge und getrennten Zielen unterscheidet. Diese aus der Praxis für die Praxis entwickelten Gelingensbedingungen können indes Hinweise auf Qualitätsmerkmale geben. 2.4 Zwischenfazit und Forschungsfrage Aus den Definitionen von sowohl Berufsorientierung als auch von Kooperation ergibt sich als Herausforderung für die Akteure und Akteurinnen in der Kooperation zu Berufsorientierung eine doppelte und unterschiedliche Prozesshaftigkeit: Zum einen bezogen auf den Prozess der Kooperation, zum anderen auf den Prozess der Berufsorientierung. Während in Bezug auf Letzteres inzwischen zwar einiges an empirisch gesichertem Wissen vorhanden ist, das jedoch jeweils feldspezifisch gedeutet wird, besteht im Hinblick auf die Kooperation in der Berufsorientierung ein Desiderat – und zwar praktisch, empirisch und theoretisch. In der Konsequenz bedeutet dies, dass die Kooperation in der Berufsorientierung relatives Neuland und offen für Interpretationen ist und sich für die Akteure und Akteurinnen als Gruppe daraus zwangsläufig die Notwendigkeit eines ›learning by doing‹ ergibt. Das heißt, eine Form des Lernens, die zu Praktiken führt, in denen eine Rückkoppelung an erprobte Routinen und konjunktives Wissen (Bohnsack 2013) nicht gegeben ist. So gesehen sind alle Akteure in Bezug auf die Prozesse der Kooperation »Novizen« – jedoch zugleich Expertinnen und Experten im Hinblick auf ihren je feldspezifischen Blick auf die Kernaufgabe der Meliorisierung individueller Berufsorientierungsprozesse. Vor diesem Hintergrund ergibt sich für meine Studie eine doppelte Fragestellung, nämlich zum einen danach, in welcher Weise die Experten und Expertinnen Bezug auf die Kernaufgabe nehmen, und zum anderen danach, mit welcher ›Brille‹ sie die Kooperation betrachten. Die Frage nach Qualitätsmerkmalen in der Kooperation zu schulischer Berufsorientierung lässt sich also erst im dritten Schritt beantworten, wenn deutlich geworden ist, welche unterschiedlichen Perspektiven und Zugänge seitens der Akteure und Akteurinnen vorliegen und wie diese theoretisch eingeordnet werden können. Unter forscherischer Perspektive gilt es, zunächst einmal Fragen zu vermeiden, die auf Qualitätsmerkmale im Sinne einer normativen Bestimmung von Kooperation (»gute« versus »schlechte«) zielen. Vielmehr geht es darum, die unterschiedlichen Äußerungen bzw. Positionierungen der Akteure und Akteurinnen zu verstehen und theoretisch zu erklären – und zwar im soziologischen Sinne, mit Bourdieu, als Habitus. Qualitätsmerkmale
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von Kooperation sind damit erst einmal nichts anderes als Eigenschaften von Prozessen, in denen unterschiedliche, feldspezifische Habitus aufeinandertreffen. Um diese Prozesse zu beschreiben, werde ich mich auf die Rahmenbedingungen und Kooperationsstrukturen wie auf Akteure und Akteurinnen im neuen Konzept der Berufsorientierung in Hamburg konzentrieren.
3. S CHULISCHE B ERUFSORIENTIERUNG IN H AMBURG – H ANDLUNGSFELD , AKTEURE UND AKTEURINNEN , ANLAGE DER S TUDIE ZU K OOPERATION In der Berufsorientierung der Länder spielt die Förderung durch den Bund eine wichtige Rolle. Das aktuell laufende Berufsorientierungsprogramm – kurz »BOP« – der Bundesregierung, ermöglicht seit 2008 die Durchführung verschiedener Maßnahmen vor Ort, deren Ziel es ist, dass jede und jeder »ausbildungsreife« und »ausbildungswillige« Jugendliche5 einen Ausbildungsabschluss erreicht. Nach einer positiven Evaluation durch das INBAS6 wurde 2010 das BOP im Rahmen des Nationalen Bildungsgipfels und der »Initiative Bildungsketten« verstetigt. Maßgeblich entwickelt wurde diese Initiative in einer Zusammenarbeit der Länder mit dem Ministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und der Bundesagentur für Arbeit (BA). Dem Programm liegt die Idee zugrunde, dass durch eine erhebliche Intensivierung der schulischen Berufsorientierung ab Klasse acht der Übergang in Ausbildung erleichtert wird. Ein Grundprinzip ist, dass Schulen nicht alleine diese Maßnahmen umsetzen, sondern außerschulische Träger eingebunden werden. Der Internetseite des Bildungskettenprogramms ist zu entnehmen, dass »[d]urch die Kooperation aller am Prozess Beteiligten [...] ein reibungsloser Übergang von der Schule in die Ausbildung besser gelingen [kann].«7 Und weiter: »Damit die Unterstützung bei den Jugendlichen vor Ort ankommt – in den Ländern, Städten und Gemeinden – werden die Angebote und Maßnahmen verbindlich koordiniert, insbesondere die Kooperation zwischen Schule, Arbeitsagenturen, Jobcentern und
5
Siehe: http://www.bildungsketten.de/de/235.php vom 30.3.2017.
6
Der Evaluationsbericht wurde vom INBAS – Institut für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt und Sozialpolitik GmbH – in Zusammenarbeit mit dem Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur – Zentrum der Goethe-Universität Frankfurt a.M. Ende Januar 2010 veröffentlicht: www.bibb.de/dokumente/pdf/100503_Evaluationsbericht_BOP.pdf
7
Siehe: http://www.bildungsketten.de/de/235.php vom 30.3.2017.
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Trägern der Jugendhilfe.« Es werden in den Bundesländern im Kern drei Maßnahmen finanziert, die aufeinander aufbauen sollen: Potentialanalyse, Berufseinstiegsbegleitung und Werkstatttage. In der Potentialanalyse sollen die Potentiale und Interessen, auch über schulisch messbare Leistungen hinaus, durch eine Form des Assessments erfasst und den Jugendlichen, deren Eltern und ihren Lehrkräften zurückgespiegelt werden. Auf Basis der Ergebnisse wird ggfs. eine Empfehlung ausgesprochen, dem Schüler bzw. der Schülerin eine Berufseinstiegsbegleitung zur Seite zu stellen (vgl. Beer 2017). Die Berufseinstiegsbegleitung ist eine dreijährige »Eins-zu-Eins-Betreuung« mit dem Fokus auf den Übergang Schule – Beruf. Sie ist den Schülern und Schülerinnen vorbehalten, deren Schulleistungen vermuten lassen, dass der Abschluss gefährdet ist, und bei denen weitere Probleme identifiziert werden, zum Beispiel mangelnde Unterstützung aus dem familiären Umfeld. Diese Maßnahmen sind im Bundesland Hamburg in veränderter Form in die Umsetzung des BOSO- Konzepts integriert worden. Neben der Bundesebene spielt auch die europäische Ebene eine wichtige Rolle. Der Europäische Sozialfonds (ESF) ist laut eigener Website »das wichtigste Instrument der Europäischen Union zur Förderung der Beschäftigung in Europa.«8 Aus ESF-Mitteln werden zum Beispiel die Servicestelle BOSO des Hamburger Instituts für Berufliche Bildung (HIBB) und das Projekt INA (Integrierte Nachwuchsgewinnung im Handwerk) der Handwerkskammer finanziert. Anhand der vorangegangenen Darstellung wird bereits deutlich, dass zahlreiche Akteure und Akteurinnen auf die schulische Berufsorientierung Einfluss nehmen. Im Folgenden werde ich aufzeigen, welche Institutionen und Interessensverbände in Hamburg an schulischer Berufsorientierung beteiligt sind bzw. auf sie einwirken. Dafür werde ich zunächst das von der Hamburger Schulbehörde ausgearbeitete Konzept zur Berufs- und Studienorientierung an Stadtteilschulen9 vorstellen, um zu beschreiben, worum es inhaltlich im Handlungsfeld geht und wer auf Ebene der Einzelschule wie beteiligt ist. In einem zweiten Schritt werde ich 8
Siehe: http://www.esf.de/portal/DE/Startseite/inhalt.html vom 30.3.2017.
9
Die Stadtteilschulen speisen sich zum Teil aus ehemaligen Gesamtschulen, die schon immer die Möglichkeiten zum Abitur zu gelangen bereit hielten, und aus zusammengelegten Haupt- und Realschulen für die jeweils neue Oberstufen gegründet worden sind. An den Stadtteilschulen kann das Abitur in neun Jahren erreicht werden, anders als an den Gymnasien, an denen acht Jahre bis zum Abitur ausreichen müssen. So hat Hamburg jetzt ein zweisäuliges Schulsystem, was nur noch durch die ReBBZ ergänzt wird, in dem Förder- und Sprachheilschulen und Rebus, einem Beratungsdienst, zusammengelegt worden sind. Mehr zu den ReBBZ unter: http://www.hamburg.de/contentblob/4483636/e5207f31a112f2dccd923bec6ad3a447/data/flyer03-15.pdf
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dann die beteiligten Institutionen in den Blick nehmen. Abschließend skizziere ich die Anlage meiner Studie zur Qualität von Kooperation. 3.1 Das Handlungsfeld der schulischen Berufsorientierung in Hamburg Die schulische Berufsorientierung an Hamburger Stadtteilschulen ist von der Notwendigkeit und auch dem Zwang zur Kooperation geprägt. 2013 wurden die Stadtteilschulen mit dem Konzept »Berufs- und Studienorientierung in den Jahrgangsstufen 8,9 und 10 in der Stadtteilschule »Alle Jugendlichen sollen eine Berufsausbildung oder das Abitur machen« Maßnahmen zur Verbesserung des Übergangs von der Schule in den Beruf« verpflichtet, mit außerschulischen Trägern zu kooperieren und genau beschriebene Maßnahmen durchzuführen. Zeitgleich wurde die Schulpflicht in Hamburg von zehn auf elf Jahre bzw. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs ausgedehnt. Die Hauptverantwortung für die Durchführung der Berufsorientierung wird den Lehrkräften und den Berufsorientierungskoordinatorinnen und -koordinatoren an den Stadtteilschulen zugewiesen. Gleichzeitig werden Stadtteilschulen verpflichtet, mit jeweils einer ihr zugewiesenen beruflichen Schule und der Jugendberufsagentur (JBA) zu kooperieren. Dadurch sollen »systematische Beratung, lückenlose Begleitung und Abgleich der schulischen Daten« (BOSO-Konzept10 2013: 2) sichergestellt werden. Den Stadtteilschulen wurden in diesem Zuge zusätzliche Stellen zugewiesen. (ebd.) Neu ist auch, dass die beiden obligatorischen Betriebspraktika in Klasse neun konzentriert werden. Viele der Schulen hatten schon zu diesem Zeitpunkt eigene, zu ihnen passende Berufsorientierungskonzepte erarbeitet. Dies wird in der Rahmenvorgabe dadurch berücksichtigt, dass für die Verlegung der Praktika in Jahrgang neun eine zweijährige Übergangsfrist eingeräumt wird. Zwingend für die Schulen ist die benotete und einzeln im Zeugnis ausgewiesene »besondere betriebliche Lernaufgabe«, die die einzelnen Schüler und Schülerinnen während des Praktikums durchführen sollen und dann als Praxisbeispiel im Rahmen der praxisorientierten Prüfung im Rahmen der ESA-Prüfungen11 wählen können. Ziel ist es, »den lückenlosen Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung sicherzustellen.« (BOSO-Konzept 2013: 1) Aus dem BOSO-Konzept geht hervor, dass Kooperation unter der Federführung der Lehrkräfte der Stadtteilschulen ein Kern des Maßnahmenbündels ist. 10 Siehe:
http://www.hamburg.de/contentblob/4119874/data/uebergang-von-schule-in-
beruf.pdf 11 ESA ist der Erste Allgemeinbildende Schulabschluss, gleichbedeutend mit dem früheren Hauptschulabschluss.
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3.2 Akteure und Akteurinnen im Handlungsfeld In diesem Entscheidungsfindungs- und Steuerungsprozess der schulischen Berufsorientierung ist die Hamburger Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) die zentrale Akteurin. Sie sorgt für die Umsetzung der politischen Vorgaben im operativen Alltag der allgemeinbildenden und beruflichen Schulen. Sie hat in Bezug auf Berufsorientierung eine wichtige Neugründung (1.1.2007) getätigt, das Hamburger Institut für Berufliche Bildung (HIBB) mit der Servicestelle BOSO und der Netzwerkstelle. Die Servicestelle BOSO organisiert die Maßnahmen der außerschulischen Partner im Bereich der Berufsorientierung, und in der Netzwerkstelle laufen die übergangsbezogenen Daten der Schüler und Schülerinnen aller Hamburger Stadtteilschulen zusammen. So ist es möglich, die Verbleibe der Schüler und Schülerinnen bis auf den Einzelfall zu dokumentieren. Zusätzlich gehört das »Zentrum Schule und Wirtschaft« im Landesinstitut für Lehrerbildung zur Schulbehörde, dort werden unter anderem Kooperationen zwischen Unternehmen und Schulen befördert und eine empfohlene Auswahl der berufsorientierenden Angebote wie z.B. Messen für die Schulen erstellt. Außerdem liegt dort die Geschäftsführung für das Siegel »Schule mit vorbildlicher Berufsorientierung«. Zwei wichtige andere Akteurinnen sind die Handwerks- und die Handelskammer, in denen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus beiden Bereichen vertreten sind. Ebenfalls wichtig ist der Unternehmensverband Nord, dem Interessenverband der Unternehmen aus Hamburg und Schleswig-Holstein, der mit dem »Bildungswerk der deutschen Wirtschaft« zusammen mit dem Landesinstitut für Lehreraus- und -fortbildung der Schulbehörde, hamburgweit und in jedem Bezirk die Arbeitskreise »Schule und Wirtschaft« veranstaltet. Darüber hinaus sind die Gewerkschaften als Arbeitnehmervertretung Partner im Prozess der Berufsorientierung. Hier ist die GEW zu nennen, als Fachgewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, und der DGB Nord als übergreifende Organisation. Eine weitere wichtige Akteurin im Arbeitsfeld der Berufsorientierung ist die von Hamburg als erstem Bundesland 2012 flächendeckend eingeführte Jugendberufsagentur (JBA)12, die Jugendliche und junge Erwachsene im Übergang von der Schule in den Beruf begleiten soll. Unter dem Motto: »Keine Jugendliche bzw. kein Jugendlicher darf verloren gehen« kooperieren in ihr Akteure und Akteurinnen (HIBB, Agentur für Arbeit, die Jugendhilfe der Bezirke, Jobcenter Team.Arbeit.Hamburg), um Jugendlichen unter 25 Jahren im Übergang von der Schule ins Studium oder den Beruf Beratung »aus einer Hand« zu gewähren (vgl. Gehrke 12 Mehr dazu in der Broschüre «Schule–Beruf–Zukunft. Niemand soll verloren gehen«, Download unter: http://www.hamburg.de/contentblob/4436922/data/zwei-jahre-jugendberufsagentur.pdf
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2015). Diese Form der Zusammenarbeit zeichnet aus, dass in der JBA die einzelnen Institutionen erhalten bleiben. Christe bezeichnet die JBA als »ein verbindliches Arbeitsbündnis von verschiedenen Institutionen, die unterschiedlichen Rechtskreisen zugehörig sind« (2016: 45). Diese Akteure und Akteurinnen beschäftigen sich in einer Vielzahl von Gremien mit dem Thema Berufsorientierung in Hamburg, wobei der Landesschulbeirat13 und Landesausschuss Berufsbildung14 zu den wichtigsten gehören. Als Gremium auf der Ebene der Einzelschule tagen viermal jährlich verpflichtend an jeder Stadtteilschule die BOSO-Teams unter Vorsitz der Schulleitung in Person der Abteilungsleitung 8-10, die als feste Mitglieder Vertreter und Vertreterinnen der JBA, nämlich des HIBB und den/die Berater/in der Bundesagentur für Arbeit, den/die BOSO-Beauftragte/n und Lehrkräfte der beruflichen Schulen haben. Dazu werden je nach Anlass Lehrkräfte der entsprechenden Klassenstufen sowie Berufseinstiegsbegleiter und -begleiterinnen eingeladen. Als wichtigste operative Akteure und Akteurinnen sind die Lehrkräfte zu nennen, wie auch durch das BOSO-Konzept bestimmt. Diese Gruppe unterteilt sich in die Lehrkräfte der Stadtteilschulen und jenen der mit der jeweiligen Stadtteilschule kooperierenden beruflichen Schule, die an der Stadtteilschule tätig sind. Bemerkenswert ist, dass Berufsorientierung in Hamburg sich nicht verbindlich in der Lehrerausbildung wiederfindet, weder in der ersten Phase, dem Lehramtsstudium, noch in der zweiten Phase, dem Referendariat. Eine Ausnahme bilden dabei die Lehrkräfte für den Lernbereich Arbeit und Beruf, vormals das Fach Arbeitslehre, bei ihnen ist Berufsorientierung ein Bestandteil der universitären Ausbildung. Ebenfalls im operativen Bereich sind außerschulische Bildungsträger, Stiftungen und Initiativen an den Schulen oder in Kooperation mit den Schulen tätig. Neben den Kammern als offizielle Vertreterinnen des Handels und des Handwerks, kooperiert auch jede Einzelschule mit Betrieben zur Durchführung der Praktika oder für Vorträge und Betriebsbesichtigungen. Auch haben manche Schulen Kooperationsverträge mit Einzelbetrieben, die eine engere Zusammenarbeit gestalten. Diese Kooperation mit Betrieben wird im BOSO-Konzept ausdrücklich gefordert. Zusätzlich sind von jeweils einer zugewiesenen beruflichen Schule Berufsschullehrkräfte an die Stadtteilschulen abgeordnet. Sie führen dort Berufsberatungen vor Ort durch und erteilen teilweise den Berufsorientierungsunterricht. Die Berater und Beraterinnen der Bundesagentur für Arbeit/JBA bieten an den Schu-
13 Siehe: http://www.hamburg.de/bsb/navigation-was-ist-lsb-start/ vom 30.3.2017. 14 Siehe: http://www.hamburg.de/landesausschuss/ vom 30.3.2017.
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len ebenfalls Beratungen an, meist monatlich an festgelegten Tagen, und zusätzlich existiert die Möglichkeit für ausführlichere Beratungen in den Räumen der JBA. Dies sind keine orientierenden Beratungen, wie sie die Berufsschullehrkräfte an den Stadtteilschulen durchführen, sondern vermittelnde Beratungen, in denen den Jugendlichen Stellenangebote unterbreitet werden können. Die Berater und Beraterinnen können auch Kontakte zu AzubiPlus, dem Arbeitgeberservice im Ausbildungsbereich der BA herstellen, um Jugendliche direkt mit potentiellen Arbeitgebern in Kontakt zu bringen. Dies ist ein knapper Überblick über die verschiedenen Ebenen der schulpolitischen Landschaft in Bezug auf Berufsorientierung in Hamburg und den vielen Akteuren und Akteurinnen dieses Feldes. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Berufsorientierung an Hamburger Stadtteilschulen ein Handlungsfeld ist, das sich aus verschiedenen Institutionen wie Schule, Wirtschaft, Jugendberufsagentur und außerschulischen Träger zusammensetzt und daher auch die Qualitätsmaßstäbe und Interessen aus den verschiedenen Feldern eine Rolle spielen. 3.3 Anlage der Studie zur Qualität von Kooperation in der Berufsorientierung Unter der Fragestellung: »Wie kooperieren Schule, außerschulische Bildungsträger und die JBA im Hinblick auf die Berufsorientierung? Welche Barrieren und welche Gelingensbedingungen in der Kooperation gibt es?« untersuche ich die Funktionsweisen der Kooperation in der schulischen Berufsorientierung. Dabei versuche ich mit Bourdieu, die einzelnen Handlungsfelder genauer zu fassen und die jeweilige Illusio und Doxa herauszuarbeiten. Kern meiner Untersuchung sind Interviews mit Expertinnen und Experten. Das Sample, welches 28 Personen umfasst, ergab sich aus dem Schneeballsystem, beginnend bei den zentralen Akteuren und Akteurinnen an zwei Hamburger Stadtteilschulen zu der übergeordneten behördlichen und politischen Ebene. Alle, mit Ausnahme der Person aus der Elternvertretung, beschäftigen sich beruflich mit dem Thema Berufsorientierung, allerdings sind viele nur mit einem Anteil ihrer Arbeitszeit mit diesem Handlungsfeld befasst. Im Zuge einer ersten inhaltsanalytischen Auswertung (vgl. Schmidt 2007) der Interviews konnte ich verschiedene Spannungsfelder identifizieren, die im Folgenden thesenhaft dargestellt werden sollen.
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4. K OOPERATION UNTER S PANNUNG : H ERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE Q UALITÄTSSICHERUNG In diesem Kapitel werde ich zuerst neun Spannungsfelder der Kooperation in der Berufsorientierung beschreiben und dann die daraus abgeleiteten Qualitätsmerkmale vorstellen. 4.1 Spannungsfelder in der Berufsorientierung Angeregt durch die elf Antinomien des Lehrerhandelns von Werner Helsper (1999: 521ff.) habe ich versucht, verschiedene Spannungsfelder zu der schulischen Berufsorientierung zu identifizieren. Während Helsper diese aus einer theoretischen Debatte herleitet und sie sich direkt auf die professionelle Handlung beziehen, ist mein Ansatz ein anderer. Für die Identifikation der Spannungsfelder habe ich Aussagen zusammengefasst, die sich mehr als einmal in den Interviews wiederholten und auf Widersprüche hinweisen, und konnte so induktiv einzelne Spannungsfelder definieren. 1. Zwischen Datenfluss und Datenschutz Dieses Spannungsfeld ergibt sich aus der Notwendigkeit, dass Informationen ausgetauscht werden, z.B. wo gerade ein Schüler oder eine Schülerin in dem Beratungsprozess steht, auf der einen Seite und den Rechten des Individuums auf informationelle Selbstbestimmung auf der anderen Seite. Insbesondere gilt dies bei digitalen Plattformen, wie zum Beispiel die der Agentur für Arbeit, die nicht einfach für andere Beteiligte geöffnet werden können. Anders als im BOSO-Konzept angedacht (BOSO-Konzept 2013: 2), gibt es z.B. keine gemeinsame Datenplattform der JBA zum Austausch der Daten der Schüler bzw. Schülerinnen und der offenen Ausbildungsstellen. 2. Zwischen Individualisierung und Standardisierung Laut Aussagen von vielen der befragten Experten und Expertinnen ist der Prozess der Berufsorientierung ein hochindividueller Prozess. In ihm geht es um die eigenen Vorlieben, Interessen und Stärken, auch um die eigene Biographie und die persönlichen Zukunftsträume. Diesen Prozess notwendig individuellen Geschehens, versucht man für den Großbetrieb Schule zu standardisieren und möglichst (kosten-)effizient zu gestalten.
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3. Zwischen Elternverantwortung und Schulverantwortung Eltern15 sind die wichtigsten Personen für die Berufsorientierung, allerdings ist aufgrund des schnellen Wandels und der Komplexität des Feldes vielen Eltern nicht möglich, diese Verantwortung wahrzunehmen, sei es weil sie sich nicht mit dem hiesigen Berufsbildungssystem oder der heutigen Berufswirklichkeit auskennen oder aus anders gelagerten Gründen. An dieser Stelle muss die Schule quasi in die Elternrolle eintreten. Gleichzeitig können eine Klassenlehrkraft und verschiedene Beratungsangebote Eltern nicht voll umfänglich ersetzen, da die Berufsorientierung nur eine Aufgabe unter vielen ist und sie für eine große Anzahl von Schülern und Schülerinnen verantwortlich sind. 4. Zwischen Elternbeteiligung und fachlicher Kompetenz Eltern werden in Hamburg viele Möglichkeiten zur Beteiligung eingeräumt, dies kann aber mit den pädagogischen Erwartungen kollidieren. Viele Eltern wünschen sich für ihre Kinder Laufbahnen in akademischen Berufen, was sich schon in den steigenden Anmeldezahlen für die Gymnasien zeigt.16 Dieses Ziel spiegelt sich nicht immer in den Leistungsmöglichkeiten des Kindes wider. Da Eltern oftmals alle Hoffnungen auf das Erreichen der Oberstufe setzen, werden wichtige Bewerbungstermine für Ausbildungen vernachlässigt. 5. Zwischen betriebswirtschaftlichem Handeln und Kontinuität Die Maßnahmen an Hamburger Schulen werden über Ausschreibungsprozesse vergeben, in denen die Kosten einer Maßnahme auch ein Vergabekriterium für den Auftrag sind. Dadurch wechseln zum einen die Träger der Maßnahmen des Öfteren. Zum anderen sind die Honorare der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unterdurchschnittlich, mit der Folge, dass diese häufig den Träger verlassen, da diese anspruchsvolle Arbeit so keine längerfristige Perspektive bietet. Auch verläuft die Kooperation zwischen der beruflichen Schule und der Stadtteilschule nicht an jedem Punkt reibungslos, so dass die abgeordneten Berufsschullehrkräfte an einigen Stadtteilschulen jährlich wechseln. Es wird in einem Bereich, in dem Bindung und Kontinuität wichtig sind, strukturell Diskontinuität erzeugt.
15 Der Begriff »Eltern« wurde in den Interviews verwendet. Hier wird er übernommen in dem Wissen, dass eine Anzahl von Schülern und Schülerinnen auch mit Erziehungsberechtigten zusammenleben und durch sie begleitet werden. 16 Siehe: http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/5090440/2016-02-15-steigende-schue lerzahlen/ vom 30.3.2017.
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6. Zwischen Beschützen und Fördern Viele Lehrkräfte sehen die Schule als Schonraum, in dem Schüler und Schülerinnen sich ausprobieren können. Die Praktikumssuche und die Ausbildungsplatzsuche konfrontieren die Jugendlichen mit den Herausforderungen der Gesellschaft. 7. Zwischen Demokratiepädagogik und Berufsorientierung Die komplexen Kooperationsstrukturen schließen Schüler und Schülerinnen nicht mit ein. Dabei wären diese als wichtigste Kooperationspartner gefragt, auch um aktive Mitgestaltung des Prozesses zu ermöglichen. 8. Zwischen akademisch orientiertem Wissen und Können und handwerklicher Erfahrung Die Stadtteilschulen haben die Aufgabe, sowohl auf Ausbildungsberufe hin zu orientieren, als auch auf das Abitur vorzubereiten. Somit existiert ein Spannungsfeld zwischen praktisch orientierten Fächern (z.B. Hauswirtschaft) und Fächern wie Mathematik, die für die Abiturprüfung notwendig sind. 9. Zwischen Arbeitsmarkt und Neigungen, Fähigkeiten Dies ist ein Grundwiderspruch der Berufsorientierung: Einerseits sollen von den Neigungen ausgehend, Berufswünsche entwickelt werden, anderseits gilt es, die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt im Blick zu behalten. 4.2 Qualitätsmerkmale in der schulischen Berufsorientierung Aus den in den Interviews identifizierten Spannungsfeldern der schulischen Berufsorientierung in Hamburg arbeite ich im Folgenden Qualitätsmerkmale für die Kooperation in der schulischen Berufsorientierung heraus: I Partizipation aller Beteiligter Alle Beteiligten sollten auf unterschiedlichen Ebenen in die Kooperation mit einbezogen werden. Dies gilt insbesondere für die Schüler und Schülerinnen, die durch die Interviews in einem Bild erscheinen, dass ihnen Uninformiertheit, Unaufgeklärtheit und Phlegma zuweist. Dieses Bild könnte sich verschieben, wenn sie zu aktiven Spielern und Spielerinnen in diesem Bereich werden. Im Sinne einer demokratischen Schulkultur sollte nach Möglichkeiten gesucht werden, die Schüler und Schülerinnen auf allen Ebenen zu beteiligen.
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II Ausbildung zu Berufsorientierung für alle Lehrkräfte Im Hinblick darauf, dass Lehrkräfte laut BOSO-Konzept die Hauptverantwortung für die Berufs- und Studienorientierung tragen, ist der fehlende Stellenwert der Berufsorientierung im Studium und in der zweiten Ausbildungsphase ein fundamentales strukturelles Manko. Lena Nentwig zeigt in ihrer Untersuchung, dass man in der Tat von Berufsorientierung als einer »ungeliebten Zusatzaufgabe« sprechen kann, und dass bei den Lehrkräften eine geringe Selbstwirksamkeitsüberzeugung in diesem Bereich vorliegt, dass allerdings Wissen über und Erfahrungen mit der Berufsorientierung diese Werte verbessern können (Nentwig 2015: 15). Berufsorientierung sollte in beiden Phasen der Ausbildung und in der Weiterbildung für alle Lehrkräfte, unabhängig welche Fächer sie vertreten, verankert werden. Dabei sollten eine gendersensible Didaktik, Information über das Übergangssystem und das Erlernen von kooperativem Handeln im Mittelpunkt stehen. III Zielbestimmung und interne Evaluation verstetigen In der spannungsgeladenen Prozesshaftigkeit der schulischen Berufsorientierung geraten schnell die Ziele und die Erfolge aus dem Auge. Über die Ziele sollte sich immer wieder verständigt und ›Erfolg‹ definiert werden. Dieser kann eine allgemeine Lebenstüchtigkeit und der Umgang mit geringer Wahrscheinlichkeit einer qualifizierten Beschäftigung sein oder das zielgerichtete Finden von Ausbildungen. IV Bedingungen der Wirtschaft hinterfragen Wirtschaftliche Strukturen sind veränderbar und unterliegen einem Wandel. Bei allem Pragmatismus sollte eine reflexive Ebene den Forderungen aus der Wirtschaft gegenüber beibehalten werden. V Anzahl der Beteiligten in einem überschaubaren Rahmen halten Abstimmungsbedarfe potenzieren sich schnell zu einem Punkt, an dem sie den Nutzen der Kooperation übersteigen. Ein Interviewpartner schlug vor, die Angebote von außen mehr in die Schule zu integrieren, um die Kooperationsstrukturen übersichtlicher zu halten.
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VI Schulen in die Lage versetzen, gute Berufsorientierung anzubieten Deutschland hat im internationalen Vergleich laut dem aktuellen OECD-Bericht (2016: 551) ein überdurchschnittliches Stundendeputat pro Lehrkraft. Das Unterrichten nimmt folglich einen großen Teil der Arbeitszeit ein. Eine erfolgreiche Kooperation (und Beratung) braucht jedoch Zeit. Einen so individuellen Übergangsprozess zu begleiten, ist ohne ausreichend Zeit für den einzelnen Schüler, die einzelne Schülerin nicht möglich. VII Eltern ermöglichen, gute Kooperationspartner zu sein Eltern in die Berufsorientierung zu integrieren ist keine Randaufgabe, sondern muss in dem Zentrum der Bemühungen stehen. Eltern sollten über Ausbildungswege und das Berufsbildungssystem ausführlich informiert werden, außerdem sollten ihnen Möglichkeiten eröffnet werden, über ihre Erwartungen an ihre Kinder zu reflektieren. VIII Kontinuität in der Kooperation gewährleisten Kurzfristige betriebswirtschaftliche Überlegungen zahlen sich da nicht aus, wo sie der Beziehungsarbeit mit den Schülern und Schülerinnen und den anderen am Prozess Beteiligten widerspricht. Kooperationen brauchen Vertrauen und Kontinuität und zeigen ihren Mehrwert erst nach einigen Jahren. Diese Qualitätsmerkmale, gewonnen aus den ersten Hinweisen und Erkenntnissen meiner Untersuchung, müssten noch geschärft und differenziert werden, das könnte die weitere Auswertung der Interviews bieten.
5. D ISKUSSION
UND
F AZIT
Aus den Gegenstandsbestimmungen von Berufsorientierung und Kooperation ließ sich als Anforderung an die Akteure und Akteurinnen ableiten, dass sie sich einer doppelten Prozesshaftigkeit aus Kooperation und Berufsorientierung stellen müssten. Die Spannungsfelder kennzeichnen Möglichkeitsräume von Aushandlungsprozessen in der Kooperation von Akteurinnen und Akteuren verschiedener Felder. Diese Möglichkeitsräume zeitigen im Ergebnis Konsequenzen im Hinblick auf die Kernaufgabe – das heißt, Resultate von Aushandlungen können für individuelle, milieubezogene Berufsorientierungsprozesse hilfreich, hinderlich
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oder wirkungslos sein. Die aufgezeigten Spannungsfelder spiegeln insgesamt konflikthafte gesellschaftliche Grundkonstellationen zwischen Akteursgruppen, die mit unterschiedlichen Kapitalien ausgestattet sind, wider. Meine These ist, dass die Anforderung der doppelten Prozesshaftigkeit theoretisch wie praktisch gesehen von den Akteuren und Akteurinnen in der Kooperation nur gemeistert werden kann, wenn sie zu einer Reflexivität in der Zusammenarbeit gelangen: Die weitere Ausarbeitung des begrifflichen Zusammenhangs von Reflexivität und Qualität von Kooperation in der schulischen Berufsorientierung folgt in meiner Dissertation.
L ITERATUR Beer, Tatjana (2017): »Die Rolle der Potentialanalyse in der Berufsorientierung an Hamburger Stadtteilschulen«, in: Joachim Schroeder, Louis Henri Seukwa, Ulrike Voigtsberger (Hg.): Soziale Bildungsarbeit – Europäische Debatten und Projekte, Wiesbaden: Springer VS, S. 213–221. Bohnsack, Ralf et al. (Hg.) (2013): Rekonstruktive Sozialforschung, Wiesbaden: Springer VS. Bourdieu, Pierre (1979): Entwurf einer Theorie der Praxis, auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. Bourdieu, Pierre (1985): Sozialer Raum und ›Klassen‹, Frankfurt am Main: Suhrkamp. Bourdieu, Pierre (1999): Die Regeln der Kunst, Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. Christe, Gerhard (2016): Ausbildungschancen für alle. Neue Konzepte für den Übergang in Ausbildung, Friedrich Ebert Stiftung. Faulstich-Wieland, Hannelore/Scholand, Barbara (2106): »Beobachtungen schulischer Berufsorientierung – Be- und Entgrenzung der Statuspassage Schule – Beruf«, in: Hannelore Faulstich-Wieland/ Sylvia Rahn/Barbara Scholand (Hg.), Berufsorientierung im Lebenslauf – theoretische Standortbestimmung und empirische Analysen, bwp@ Spezial 12 | April 2016 Gehrke, Anne-Marie (2015): WP7 Case Study: Jugendberufsagentur JBA, Youth Employment Agency YEA »Nobody should be lost«, HAW Hamburg. Grunwald, Klaus (2013): »Qualität«, in: Klaus Grunwald/Georg Horche/Bernd Maelicke (Hg.): Lexikon der Sozialwirtschaft, Baden-Baden: Nomos, S. 813– 818.
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Helsper, Werner (1999): »Antinomien des Lehrerhandelns in modernisierten pädagogischen Kulturen. Paradoxe Verwendungsweisen von Autonomie und Selbstverantwortlichkeit«, in: Arno Combe/Werner Helsper: Pädagogische Professionalität, Frankfurt am Main: suhrkamp taschenbuch wissenschaft, S. 521–569. König, Markus (2003): Habitus und Rational Choice, Wiesbaden: Springer VS. Maykus, Stephan (2011): Kooperation als Kontinuum. Erweiterte Perspektiven einer schulbezogenen Kinder-und Jugendhilfe, Wiesbaden: Springer VS. Münderlein, Regina (2014): Erfolgreiche Schulkooperationen. Eine doppelperspektivische Studie zur Zusammenarbeit von Schule und Jugendarbeit, Wiesbaden: Springer VS. Nentwig, Lena (2015): Berufsorientierung als unbeliebte Zusatzaufgabe? Einstellungen und Selbstwirksamkeitserleben von Lehrpersonen zur Berufsorientierung im Gemeinsamen Lernen der Sekundarstufe 1. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 27, 1-19. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe27/nentwig_bwpat27.pdf (15-03-2015). OECD (2016): Bildung auf einen Blick 2016: OECD-Indikatoren, Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag. Oehme, Andreas (2008): »Biographisierte Übergänge in Arbeit: zur Notwendigkeit einer bewältigungsorientierten Sicht auf Übergänge im jungen Erwachsenenalter«, in: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 3, 2, S. 167–180. Pressemitteilung der Behörde für Schule und Berufsbildung: http://www.hamburg.de/bsb/pressemitteilungen/7643082/2016-12-12-bsb-schulabgaenger/ Schmidt, Christiane (2007): »Analyse von Leitfadeninterviews«, in: Uwe Flick/Ernst von Kardorff/Ines Steinke (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Reinbek bei Hamburg: rowohlts enzyklopädie. Thimm, Karlheinz (2016): https://www.boell.de/de/2016/11/14/bildungslandschaften-bedingungen-gelingender-kooperation?utm_campaign= ds_bildung_sozialraum_ Ein Beitrag von Professor Dr. Thimm auf Grundlage seines Vortrags beim Werkstattgespräch am 4. Dezember 2015 in der Heinrich-Böll-Stiftung. Die Erstveröffentlichung erfolgte in der Zeitschrift »Soziale Arbeit« des DZI (2016, Heft 10, S. 362–369). Thielen, Marc (2013): »Lernen und Disziplinieren. Die Rolle des Lernorts Betrieb im Unterricht der dualisierten Berufsvorbereitung«, in: Maja S. Maier/Thomas Vogel (Hg.): Übergänge in eine neue Arbeitswelt? Blinde Flecken der Debatte zum Übergangssystem Schule-Beruf, Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 187–202.
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Wensierski, Hans-Jürgen von (2011): »Berufsorientierende Jugendbildung«, in: Benno Hafeneger (Hg.): Handbuch außerschulische Jugendbildung, Grundlagen – Handlungsfelder – Akteure, Schwalbach/Taunus: Wochenschau Verlag, S. 345–356. Wensierski, Hans-Jürgen von/Schützler, Christoph/Schütt, Sabine (2005): Berufsorientierende Jugendbildung. Grundlagen, empirische Befunde, Konzepte, Weinheim und München: Juventa Verlag.
Soziale Bildungsarbeit im Kontext der Kultur- und Medienarbeit
Ach du liebe Güte Gedanken zu der Frage nach Qualität in der außerschulischen Jugendbildung und der Relevanz intersektionaler Perspektiven L AURA R ÖHR
Intersektionalität, die Herrschafts- und Diskriminierungsverhältnisse sowie Privilegien in ihrer Verwobenheit denkt, findet zunehmend Einzug auch in pädagogische Praxisfelder. Hiermit kann sich der Blick für die (unter Umständen auch fehlende) Diversität der Teilnehmenden, der Strukturen aber auch der Praktiker_innen öffnen. Gleichzeitig finden Qualitätsdebatten statt, die eher auf Komplexitätsreduktion denn auf eine erweiterte Perspektive ausgelegt sind und auf diese Weise nicht selten ökonomischen Zielsetzungen Vorschub leisten. Der Frage, inwiefern intersektionale Ansätze eine Möglichkeit bieten, diese Debatte zu verändern und den Begriff emanzipatorisch anzueignen, soll in diesem Artikel anhand des Beispiels der Jugendbildungsarbeit nachgegangen werden. Abschließend werden erste Ideen formuliert, welche Orientierungspunkte sich aus dem Einbezug von Intersektionalität für die Praxis ergeben können.
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1. E INLEITUNG Die Rede von Qualität ist in der Sozialen Arbeit und anderen pädagogischen Bereichen bei weitem keine Neuheit mehr und es finden sich zahlreiche Publikationen, die sich hiermit beschäftigen (z.B.: Beckmann et al. 2004; Galiläer 2005; Oechler 2009). Was kann also Gegenstand dieses Artikels sein? Erstens lässt sich feststellen, dass bezogen auf den Bereich Jugendhilfe/Jugendarbeit (eher am Rande in der Jugendbildung) Ende der 1990er und Anfang der 2000er eine ausgeprägtere Qualitätsdebatte stattgefunden hat (vgl. z.B. Merchel 1998)1, es derzeit aber um dieses Thema ruhiger geworden ist und der Schwerpunkt sich eher in Richtung eines Professionalisierungs- bzw. Professionsdiskurses verlagert hat (vgl. z.B.: Becker-Lenz & Müller 2009; Becker-Lenz et al. 2013; Schwer/Solzbacher 2014).2 Zweitens ist das Feld der außerschulischen Jugendbildung sehr vielfältig, weshalb eine einheitliche Debatte ohnehin schwierig erscheint. Drittens weisen u.a. die Kinder- und Jugendberichte des Bundes auf die weiterhin bestehenden und sich im Verhältnis zur Gesamtgesellschaft durchaus verschärfenden Ungleichheitsverhältnisse hin, in denen viele Jugendliche leben müssen (vgl. BMFSFJ 2009; 2013). Dieser Artikel wird sich allerdings weder mit der historischen Rekonstruktion von im Feld geführten Debatten noch mit einer ausführlichen Darstellung des Feldes beschäftigen, da dies andernorts bereits geschehen ist (vgl. beispielsweise Macha/Wischmeier 2012). Vielmehr wird es darum gehen, einen spezifischen Ausschnitt des Feldes anzuschauen und sich anhand dessen dem Thema Qualität anzunähern und mit dem dritten angeführten Punkt, der Verschärfung von Ungleichheitslagen und den Anforderungen an die Jugendbildung, zu verbinden. Um diesen Blick zu fokussieren, wird der Frage nachgegangen, welchen Beitrag intersektionale Ansätze für die Debatte um Qualität von Jugendbildung leisten können, da – so die Annahme – mithilfe einer intersektionalen Per-
1
Dies zeigt sich auch im gesamten Bereich der Sozialen Arbeit. Nicht zufällig werden vom DBSH (Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V.) Anfang 2000 Qualitätskriterien veröffentlicht (vgl. DBSH 2001).
2
Auch in den 1990ern gab es bereits Publikationen zum Profession(alität)sdiskurs, wie beispielsweise Combe/Helsper 1997, und auch heute gibt es vielfältige Publikationen zu Qualität, allerdings nicht mehr in dieser ausgeprägten Weise, für den Bereich der Jugendarbeit/-bildung. Interessant ist das 2008 erschienene Buch »Qualitätssicherung im Bildungswesen« (Klieme/Tippelt 2008), in dem die außerschulische Jugendbildung allerdings mit keinem Artikel Erwähnung findet. Weiterhin zu beobachten ist, dass es einige Publikationen gibt, die Qualität und Professionalität gemeinsam bearbeiten (vgl. z. B. Oechler 2009).
Q UALITÄT
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spektive eine Möglichkeit geschaffen wird, ebendiese Ungleichheitslagen zu reflektieren. Hierzu soll zunächst eine kurze Vorstellung des Feldes erfolgen, wobei auch auf die Lebensphase Jugend eingegangen wird, gefolgt von einer Auseinandersetzung mit verschiedenen Qualitätsverständnissen bzw. mit den Schwierigkeiten des Qualitätsbegriffs insgesamt, um dann den Blick auf die Chancen intersektionaler Perspektiven zu richten.
2. W AS IST AUßERSCHULISCHE J UGENDBILDUNG ? E IN Ü BERBLICK UND EINE F OKUSSIERUNG Außerschulische Jugendbildung ist als Auftrag im §1 SGB VIII (Recht des Kindes/Jugendlichen auf Förderung seiner/ihrer Entwicklung) und explizit in §11 angesiedelt. Hier heißt es: »Zu den Schwerpunkten der Jugendarbeit gehören: außerschulische Jugendbildung mit allgemeiner, politischer, sozialer, gesundheitlicher, kultureller, naturkundlicher und technischer Bildung«. Eine Konkretisierung dieser einzelnen Facetten erfolgt im Gesetzestext nicht und kann entsprechend ausgelegt werden.3 Wenn im Folgenden von außerschulischer Jugendbildung die Rede ist, so ist hiermit nicht jede Form der Jugendarbeit gemeint, die auch Bildungsmomente beinhaltet, sondern jene Angebote für Jugendliche, die explizit einen Bildungsanspruch formulieren, also auch Bildungsprozesse professionell anstoßen und begleiten, wie beispielsweise Seminare und Workshops zu bestimmten Themengebieten.4 Dies geschieht zur Eingrenzung und nicht, um anderen Bereichen der Jugendarbeit die Begleitung von Bildungsprozessen abzusprechen.5 Die außerschulische Jugendbildung ist somit der non-formalen Bildung zuzuordnen.
3
Eine dieser Auslegungen findet sich im Kommentar von Wiesner (2006: 205), wo der Jugendarbeit soziales Lernen als Aufgabe zugeordnet wird, worunter u.a. die Vermittlung von Werten und das Unterstützen bei »Bildungsprozessen, die als Selbstentwicklungsprozesse zu verstehen sind« (vgl. ebd.) gefasst werden. Hieraus ließe sich durchaus ein emanzipatorischer Anspruch ableiten.
4
Bildung wird hier als aktiver Aneignungsprozess durch das Subjekt verstanden, weshalb letztlich nur Impulse gesetzt werden können, die Anreize für die Jugendlichen schaffen. Der Bildungsprozess selbst kann von den Professionellen in diesem Sinne nur sehr bedingt gesteuert, sondern eben eher begleitet werden. Die Professionellen können also ›nur‹ das Bildungssetting gestalten.
5
Diese Eingrenzung geschieht unter anderem deshalb, da sich die Forschungstätigkeit der Autorin auf das Feld der außerschulischen Jugendbildung bezieht, wie im Folgenden noch erläutert wird.
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Der Begriff außerschulisch ist durchaus irreführend, betrachtet man die Entwicklung des ganztägigen Schulbetriebs, wo sich die Angebote von Jugendarbeit und Schule immer mehr vermischen. Außerschulisch meint also im Folgenden auch Angebote, die beispielsweise für Schulklassen konzipiert werden, aber nicht an schulische Logiken (z.B.: Leistungsorientierung, Bewertung, Pflicht, StundenTaktung) geknüpft sind.6 Außerschulische Jugendbildung ist in ihren Inhalten, Formen und Ausrichtungen äußerst heterogen. Folgt man Macha und Wischmeier (2012), so gibt es kein einheitliches Theoriegebäude für den Bereich der Jugendbildung. Somit liegen ihr verschiedene theoretische Zugänge zugrunde, die eine entsprechende Praxis nach sich ziehen und von den Autorinnen in vier Perspektiven eingeteilt werden: emanzipatorisch, sozialräumlich, akzeptierend und kulturell (vgl. ebd.: 63ff.).7 Diese Einteilung ist nur eine Variante von vielen, da sich die Zugänge nicht ausschließen und sich – zumindest teilweise – durchaus verbinden lassen. Für eine grobe Orientierung ist diese Einteilung dennoch hilfreich. 2.1 Politische und antidiskriminierende Jugendbildung In diesem Artikel möchte ich mich vor allem auf die Bereiche der politischen und antidiskriminierenden Jugendbildung fokussieren, die sich durchaus überschneiden.8 Beide können vor allem dem Bereich der emanzipatorischen Bildung zugeordnet werden. Politische Bildung definiert Schröder (2013: 175) wie folgt: Politische Jugendbildung ist die Unterstützung und Förderung von selbsttätigem Denken und Handeln durch pädagogisch reflektierte Angebote mit dem Ziel, sich mit den Angelegenheiten des demokratischen Gemeinwesens zu beschäftigen, sich selbst im Politischen zu verorten und auf diese Weise Zusammenhänge herzustellen.
In seinem Artikel stellt er zudem den »Dreischritt politischer Jugendbildung« vor, der aus der Vermittlung von Wissen, der Ermöglichung von Urteilsbildung sowie der Anregung zur Mitwirkung besteht (vgl. ebd.: 176). Diese Elemente fin-
6
Inwiefern diesen Logiken gänzlich entgangen werden kann, bewegt man sich in diesem
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Es könnte durchaus diskutiert werden, ob die hier als theoretische Zugänge vorgestell-
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Die, von den im Rahmen meiner Dissertation von mir interviewten Praktiker_innen,
Kontext, ist eine andere Frage. ten Zuordnungen nicht eher Konzepte von Jugendarbeit sind als tatsächliche Theorien. genutzten Bezeichnungen der Bildungsarbeit, die sie machen, sind folgende: politisch, emanzipatorisch, machtkritisch, diversitätsbewusst, antidiskriminierend.
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den sich auch in der emanzipatorischen Bildung, deren Ziele Macha und Wischmeier (2012: 70f.) mit »persönlicher Urteilskraft, Handlungsfähigkeit, Selbstbestimmung und Mündigkeit« beschreiben.9 Die Ziele dieser Ausrichtung der Jugendbildung liegen also auf zwei verschiedenen Ebenen, die untrennbar verbunden sind. Zum einen in der Beschäftigung der Teilnehmenden mit sich selbst und zum anderen mit der sie umgebenden Gesellschaft und den vorhandenen Bedingungen. Dies wird zusammengebracht durch Reflexionen der eigenen Position in dieser Gesellschaft sowie der Auswirkungen dieser auf das eigene Leben, was mit einer Auseinandersetzung mit der eigenen Möglichkeit zu handeln einhergeht. Dieser Aspekt findet sich auch in der antidiskriminierenden Bildungsarbeit sehr deutlich, da eine der wichtigen Prämissen ist, dass Diskriminierung alle Menschen etwas angeht, da Benachteiligung und Bevorzugung miteinander verwobene Phänomene und somit alle Personen hiervon (durchaus unterschiedlich) betroffen sind (vgl. Fritzsche et al. 2010). Der antidiskriminierende Ansatz ist dem Namen nach noch relativ jung, bezieht sich aber auf andere machtkritische und emanzipatorische Ansätze wie gendersensible, rassismuskritische, inklusive und/oder vorurteilsbewusste Pädagogik (vgl. ebd.) und versucht, diese zu verbinden, um auf die verschiedenen Diskriminierungsformen gemeinsam einzugehen. Diese Form der Bildungsarbeit stützt sich auf die Menschenrechte10 und verfolgt unter anderem folgende Ziele: Sensibilisierung, Wissensvermittlung, Umgang mit Differenzen, Empowerment, Stärkung der Handlungsfähigkeit (vgl. ebd.: 103ff.).
3. J UGENDLICHE L EBENSLAGEN UND D ISKRIMINIERUNG Betrachtet man die Lebenslagen, in denen Jugendliche aufwachsen, wird deutlich, weshalb die verschiedenen oben genannten Hauptziele, die diese Ausrichtung der Jugendbildung charakterisieren, von Bedeutung sind. In der Jugendforschung wird heute eigentlich nicht mehr von Jugend, sondern von Jugenden gesprochen, um die Pluralität der Aufwachsensformen zu unterstreichen (vgl. z.B. Scherr 2010: 50). So spielen in die soziale Lage verschiedene gesellschaftliche Verhältnisse hinein, die zu Benachteiligungen und Privilegierungen der Menschen führen. Je nachdem, wie diese zusammenwirken, entstehen unterschiedliche Prob-
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Die Autorinnen beziehen sich hier unter anderen auf Scherrs Konzept der Subjektbildung, das die vier Dimensionen Subjektwerdung, Selbstachtung, Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung umfasst (vgl. Scherr 1997).
10 Zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema Menschenrechte siehe beispielsweise Castro Varela (2015).
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lemlagen, auf die dann auch Jugendbildung reagieren bzw. diese in ihrer Ausrichtung und Gestaltung bedenken muss. Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass viele (junge) Menschen weiterhin Diskriminierungserfahrungen machen, wie beispielsweise die Untersuchungen von Gomolla und Radtke (2007) zur Institutionellen Diskriminierung, die Erhebung von LesMigras (o.J.) in Berlin zu Gewalt und Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und sexueller Orientierung, die letzten Kinder- und Jugendberichte (BMFSFB 2009; 2013) zu Armut und Benachteiligung aufgrund von (institutionellem) Rassismus, oder der Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2013) hinsichtlich des Zugangs zu Bildung und Arbeitsmarkt zeigen. Es kann natürlich nicht der Anspruch von Jugendbildung sein, diese Verhältnisse grundlegend zu verändern, aber dennoch müssen die in ihr Tätigen um diese Benachteiligungen (und Privilegierungen) wissen, um entsprechend auf die Jugendlichen eingehen zu können. Es sei bereits hier auf die Relevanz intersektionaler Perspektiven verwiesen, da die oben genannten Diskriminierungsverhältnisse durchaus miteinander interagieren und es umso wichtiger ist, sie in ihrer Verwobenheit in den Blick zu nehmen. Inwiefern diese Aspekte mit der Qualität von Bildungsarbeit zu tun haben, soll im Folgenden erläutert werden, zunächst braucht es hierfür allerdings eine allgemeinere Auseinandersetzung mit dem Begriff der Qualität.
4. V ON L IEBE , G ÜTE UND Q UALITÄT – EIN B LICK AUF Q UALITÄTSVERSTÄNDNISSE S OZIALER ARBEIT UND IHRE B EDEUTUNG FÜR DIE J UGENDBILDUNG Aus der klassischen Pädagogik kennen wir den Begriff der Liebe, der die Verbindung zwischen Pädagog_in11 und ›Zögling‹, wie man es früher nannte, prägen sollte. Man findet sie bei Pestalozzi ebenso wie bei Nohl und weiteren pädagogischen Klassikern. Betrachtet man diesen Begriff aus heutiger Sicht, erscheint er unprofessionell, bezogen auf ein Berufsfeld veraltet und schon gar nicht als ein operationalisierbarer und messbarer Begriff. Dennoch galt er den damaligen Pädagogen viel. Heute würde man ihn vermutlich am ehesten unter dem Begriff der Beziehung subsummieren, die auf eine bestimmte Weise gestaltet werden soll.
11 In diesem Artikel verwende ich bei personenbezogenen Begriffen den Unterstrich. Der Unterstrich überwindet die sprachliche Geschlechterbinarität und lässt Platz für Personen, die sich nicht einem klaren ›männlich/weiblich‹ zuordnen und wird daher auch als ›gender gap‹ bezeichnet (vgl. hierzu Herrmann 2011)
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Und selbst dieses Wort, so wichtig es in der Pädagogik auch sein mag, scheint – zumindest im Rahmen der Qualitätsdebatte – an den Rand gedrängt (vgl. Drieschner/Gaus 2011). Vielerorts wird stattdessen von der ›Ökonomisierung des Sozialen‹ gesprochen, um die Entwicklung zu beschreiben, durch die Konzepte aus dem Unternehmensmanagement in die Soziale Arbeit übertragen sowie Einrichtungen bzw. Projekte nach Effektivität, Effizienz und auch Profit bewertet werden sollen; das »auf betriebswirtschaftliche Verwertbarkeit orientierte Denken« (Negt 2004, 18, zit. n. Hufer 2008) gewinnt an Bedeutung. Die neuen Begriffe sind hier Input und Output, Prozess- und Ergebnisqualität, die nur selten mit fachlich fundierten Inhalten gefüllt werden. Der Qualitätsbegriff hat den der Güte abgelöst und die Frage danach, was nun ›gute‹ oder eben ›qualitativ hochwertige‹ Arbeit sein könnte, wird unter neuen Vorzeichen gestellt (vgl. Hanses 2007). Geprägt sind diese vor allem von der Möglichkeit, Einsparungen zu ermöglichen und die Effizienz zu steigern, was an sich schon ein erstes Paradox aufzeigt. Franz (2008) sieht die Ursachen für die sich in den 1990ern verstärkende Qualitätsdebatte insbesondere darin, dass einerseits die Managementverfahren aus Wirtschaft und Verwaltung in die Bildungsarbeit Einzug erhalten (z.B. TQM und DIN EN ISO)12 und andererseits vermehrt Kürzungen im Bildungssektor vorgenommen werden. Diese Normen wurden ursprünglich zur Bewertung von Produkten entwickelt und sollen nun auf Dienstleistungen (unter die dann auch Bildungsangebote fallen) angewendet werden. Bei der DIN EN ISO wird beispielsweise bei der Zertifizierung nicht direkt die Qualität von Einrichtungen oder Angeboten geprüft, sondern stattdessen wird ein Fokus daraufgelegt, ob überhaupt ein Qualitätssicherungssystem entsprechend dem ISO Handbuch ein- und durchgeführt und entsprechend dokumentiert wurde (vgl. Franz 2008). Laut Bröckling (2013, S. 218) ginge es in jetzigen Qualitätsmanagementverfahren darum, Qualität »[…] nicht nachträglich hinein[zu]kontrollieren, sondern von vornherein [zu] produzieren.« Auf diese Weise sollen die einzelnen Projekte immer weiter optimiert werden (vgl. ebd.).13 Wenn also Angebote der Sozialen Arbeit und Pädagogik immer weiter einer Marktlogik entsprechen und somit in Konkurrenz gesetzt werden, dienen Qualitätsmanagement- und Qualitätssicherungsverfahren (insbesondere die hieraus entstehenden Zertifikate für die Einrichtungen)14 vor allem der Steigerung 12 TQM steht für Total Quality Management; DIN EN ISO ist eine an der Deutschen Industrienorm angelegte Norm zur Qualitätssicherung. 13 Dieses Phänomen der Selbstoptimierung analysiert Foucault in seinen Texten zu Gouvernementalität, die sehr gut aufzeigen, wie sich neue Wege der staatlichen Führung entwickeln, die sich von der Fremd- zur Selbstführung wandeln (vgl. Foucault 1987). 14 Bröckling (2013: 229) konstatiert, dass sich dank dieser Überprüfungs- und Zertifizierungstätigkeit mittlerweile eine eigene Branche entwickelt hat, die hiervon leben könne.
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der Effizienz und Abgrenzung. Sie folgen hierbei einer Kosten-Nutzen-Rationalität und gehen somit an den eigentlichen Zielen der Bildungsarbeit vorbei, da diese zwangsläufig hohe Kostenausgaben für Material und Personal aufwenden muss, um eine ›qualitativ hochwertige‹ Arbeit leisten zu können und schon jetzt die Schwierigkeit besteht, dass Projekte bevorzugt werden, die entsprechend wenig Geld (z.B. für Seminare) für ihre ›Dienstleistung‹ verlangen.15 In der Jugendbildungsarbeit (wie auch in weiteren Feldern der Pädagogik und Sozialen Arbeit) stellt sich zudem die Frage danach, was dann das ›Produkt‹ sein soll. Franz beschreibt das Problem, dass anders als in schulischer Bildung nicht von vordefinierten Lernleistungen ausgegangen werden könne, sondern die Lernund Bildungsprozesse selbst stärker in den Blick kommen sollten, die aber ebenfalls nur schwer zu erheben seien, da diese eben nicht nur von der Organisation der Angebote, sondern auch von den Teilnehmenden selbst abhingen, also die Qualität des Produkts oder Prozesses mit der der Teilnehmenden zusammenfiele (Franz 2008: 7). Die Mess- und Überprüfbarkeit ist also lediglich bedingt gegeben.16 Hinzu kommt, wie oben bereits erwähnt, dass sich Bildungsprozesse auch unabhängig vom jeweiligen Bildungssetting oder auch andere als die intendierten ergeben können, weshalb es schwierig erscheint, diese als Qualitätsmerkmal zu setzen. Eine Möglichkeit hiermit umzugehen ist es, verschiedene Qualitätsdimensionen zu bestimmen und anhand dessen differenziertere Aussagen über die Qualität einzelner Bereiche machen zu können. Ein Beispiel wäre die Unterteilung in Einrichtungs-, Angebots-, Durchführungs- und Erfolgsqualität (vgl. ebd.). Allerdings bleibt fraglich, inwiefern diese Dimensionen tieferen Einblick ermöglichen und den oben genannten Nutzbarmachungen für Einsparungen widerstehen könnten.
15 Deutlich wird es beispielsweise auch an der Stelle, wo von den Durchführenden häufig erwartet wird, Vor- und Nachbereitung nicht als Extraposten abzurechnen. 16 Hier wird in vielen Publikationen zu Qualität und Professionalität Luhmann mit seiner These zum »Technologiedefizit Sozialer Arbeit« herangezogen, welches sich genau um dieses Dilemma dreht (Luhmann/Schorr 1982). Allerdings lässt sich auch konstatieren, dass Soziale (Bildungs-)Arbeit nicht standardisierbar ist, da es immer wieder um eine neue Konstellation mit entsprechend spezifischen Bedarfen geht (vgl. BeckerLenz/Müller-Hermann 2013). Etwas zugespitzt formuliert fragt Hufer (2008: 29), »wer so umfassend gebildet ist, dass er oder sie die Bildung anderer überprüfen und gar taxieren will.«
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5. M ÖGLICHE B EITRÄGE INTERSEKTIONALER ANSÄTZE ZUR Q UALITÄTSDEBATTE Diese verschiedenen Perspektiven auf und Dimensionen von Qualität legen nahe, dass es einer differenzierten Kontextualisierung bedarf, möchte man über Qualität sprechen oder sogar Qualitätskriterien für einen bestimmten Bereich festlegen. Die konkreten Rahmenbedingungen und Ziele von Angeboten müssen hier genauso beleuchtet werden wie die größeren gesellschaftlichen Bedingungen, in welche diese eingebettet sind. Die Menschen, die Angebote entwickeln, stehen vor der Herausforderung, den Anspruch, Jugendlichen ein hilfreiches, sinnstiftendes Angebot zu bieten und die Notwendigkeit, möglichst wenige (finanzielle) Ressourcen zu verbrauchen, auszubalancieren. Dieser Zustand ergibt sich unter anderem aus den oben angeführten Aspekten des Qualitätsmanagements und dies fließt in großem Maße in die Erarbeitung von Qualitätskriterien ein. Eine der zentralen Fragen der Qualitätsdebatte innerhalb der Bildungsarbeit ist die, welches Wissen, welche Art der Bildung von Relevanz ist. Ginge es nach den im vorigen Abschnitt genannten Kriterien, wäre man schnell bei der Frage nach dem jeweiligen Nutzen, der außerhalb der schulischen Bildung wenigen Angeboten zugestanden wird. Die Frage nach der Berechtigung von Zielen wie Persönlichkeitsentwicklung und weiteren, die oben als Ziele von Jugendbildung genannt wurden, sind dann schon schwieriger aufrechtzuerhalten. Deshalb erscheint es umso wichtiger, die Qualitätskriterien stark an den aufgeführten professionellen Grundlagen der Jugendbildung sowie an den aktuellen Bedarfen der Jugendlichen auszurichten. Es ist für die Jugendbildung aber auch für die Soziale Arbeit und Pädagogik insgesamt von großer Bedeutung, die Qualitätsdebatte mit fachlichen Standards und entsprechenden (theoretischen) Hintergründen zu besetzen, da, wie Hafeneger und Hufer (2005) bereits festgestellt haben, wohl eine Einigung besteht, dass die vollständige Abkehr von der Auseinandersetzung mit Qualität kaum noch möglich sei. Eine Möglichkeit, eine solche theoretische Hintergrundfolie zu liefern, könnten – im Zusammenspiel mit anderen, auch sozialarbeiterischen Theorien – Ansätze der Intersektionalität bieten, da mit ihnen zum einen die strukturelle Dimension weniger schnell aus dem Blick gerät und das Zusammenspiel verschiedener Herrschaftsverhältnisse in den Fokus genommen werden kann. Walgenbach definiert Intersektionalität wie folgt: »Unter Intersektionalität wird verstanden, dass historisch gewordene Macht- und Herrschaftsverhältnisse, Subjektivierungsprozesse sowie soziale Ungleichheiten wie Geschlecht, Sexualität/Heteronormativität, Race/Ethnizität/Nation, Behinderung oder soziales
260 | L AURA R ÖHR Milieu nicht isoliert voneinander konzeptualisiert werden können, sondern in ihren ›Verwobenheiten‹ oder ›Überkreuzungen‹ (intersections) analysiert werden müssen. Additive Perspektiven werden überwunden, indem der Fokus auf das gleichzeitige Zusammenwirken von sozialen Kategorien bzw. sozialen Ungleichheiten gelegt wird. Es geht demnach nicht mehr allein um die Berücksichtigung mehrerer sozialer Kategorien bzw. sozialen Ungleichheiten gelegt wird. Es geht demnach nicht allein um die Berücksichtigungen mehrerer sozialer Kategorien, sondern ebenfalls um die Analyse ihrer Wechselwirkungen.« (Walgenbach 2014: 54f.; kursiv im Original)
Ein weiteres Merkmal des Begriffs ist der explizite Einbezug von Macht- und Ungleichheitsverhältnissen, was beispielsweise dazu führt, dass mehrere gesellschaftliche Ebenen, wie Subjekt-, Repräsentations- und Strukturebene ebenfalls miteinander in Verbindung gebracht werden (vgl. Degele/Winker 2010).17 Versteht man Intersektionalität als das verschränkte Betrachten verschiedener Herrschaftsverhältnisse und Diskriminierungsformen, so fällt die Unterbelichtung des sog. ›Adultismus‹ auf, worunter die Benachteiligung aufgrund des Alters in Bezug auf junge Menschen gemeint ist.18 Insbesondere bzgl. der Jugendarbeit gilt es aber, diesem Phänomen besondere Bedeutung, gerade in seiner Verwobenheit mit anderen Herrschaftsverhältnissen, einzuräumen. Adultismus findet in der aktuellen Forschung wenig Raum, obwohl es im gesamten pädagogischen Feld eine große Rolle spielt. Deutschsprachige Publikationen finden sich kaum und obwohl in Berlin hierzu 2014 ein Fachtag19 stattgefunden hat und verschiedene Handreichungen für Kindertagesstätten vorhanden sind (vgl. Richter 2013), fehlt dieses entscheidende Thema darüber hinaus. Insbesondere bezogen auf Jugendliche wird die Literatur noch dünner, da sich die meisten Texte auf das Kindergarten- und Grundschulalter beziehen. ManuEla Ritz bemerkt treffend, dass es erstaunlich sei, wie wenig dieses Machtverhältnis beleuchtet werde, wenn man bedenke, dass es eines sei, dass alle Menschen im Laufe ihres Lebens von beiden Seiten kennengelernt haben bzw. kennenlernen werden (vgl. Ritz 2013). Für ihren Artikel zu diesem Thema hat sie neun Kinder/junge Jugendliche auf der Grundlage von Assoziationsspielen und weiterführenden Fragen befragt. Sie folgt der Perspektive der Befragten im Verlauf des Artikels und nimmt mehrere Beispiele der Kinder mit 17 Es ist im Rahmen dieses Artikels nicht möglich, die Debatte um Intersektionalität inklusive all ihrer Facetten, Traditionen etc. zu beleuchten. Siehe hierzu z.B. die Sammelbände Fokus Intersektionalität sowie Intersektionalität revisited. 18 Angelehnt an das englische Wort ›adult‹ – Erwachsene_r. Ein weiteres Machtverhältnis, welches ebenfalls mit dem Alter zu tun hat, bisher aber keine deutsche Entsprechung hat, wäre ›ageism‹, also die Diskriminierung aufgrund von hohem Alter. 19 http://freizeile.de/project/fachtag-adultismus/
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auf. Es zeigt sich, an wie vielen Stellen insbesondere Kinder sich nicht ernstgenommen und ausgeschlossen, kommandiert und zu Unrecht zurechtgewiesen fühlen (vgl. ebd.). Der Artikel verdeutlicht auch, wie häufig Kinder unterschätzt werden und wie wenig sie mitbestimmen können. Obgleich dies keine neuen Erkenntnisse sind, so ist es doch von Bedeutung, diese Beobachtungen einzubeziehen. Die daraus zu ziehenden Konsequenzen sind untrennbar mit Fragen nach Qualität verknüpft, da es gilt, dieses Machtverhältnis erst einmal zu erkennen und die Hierarchie nicht als gegeben zu sehen.20 In der außerschulischen Jugendbildung gibt es vielfältige Handlungsprinzipien, die diesen Punkt bereits einbeziehen und Angebote werden an die Bedürfnisse der Jugendlichen angepasst bzw. es wird prozessorientiert gearbeitet, sodass die Teilnehmenden jederzeit ihre Themen und Ideen einbringen können. In vielen der im Rahmen meiner Dissertation geführten Interviews kommt dieses Thema auch zum Tragen, wenn davon gesprochen wird, dass Räume geschaffen werden müssen, in denen die Jugendlichen endlich einmal Selbstwirksamkeit erleben, die ihnen sonst so oft verwehrt werde. Die Thematik ist also den Praktiker_innen in der Jugendbildung durchaus bewusst und sie haben ein Anliegen, dies in ihrer Arbeit (und durch diese vielleicht auch darüber hinaus) ernst zu nehmen und zu verändern. Von diesem zentralen Punkt aus kann nun auch wieder die intersektionale Perspektive mit aufgenommen werden. Die Jugendlichen, die die Angebote besuchen, sind Personen in sehr diversen Lebenslagen und Lebenssituationen mit unterschiedlichen Erfahrungen. Es gilt also, auch andere Machtverhältnisse in den Blick zu nehmen, wie dies oben bereits angeklungen ist. Wenn, wie im mittleren Teil des Artikels dargestellt, die Beschäftigung mit Qualitätssicherung und Qualitätskriterien unvermeidlich wird, so ist es von Bedeutung, sie entsprechend zu prägen. Welche Rolle können intersektionale Perspektiven hier spielen? Es lässt sich feststellen, dass in der aktuellen Qualitätsdebatte Vielfaltsaspekte keine oder nur eine sehr marginalisierte Rolle spielen. Der Umgang mit vielfältigen Lebenslagen, mit Diskriminierungen und ähnlichem finden hier kaum einen Platz.21
20 Was bedingt ebenfalls für die Forschung gilt, da auch hier häufig eher über Kinder und Jugendliche als mit ihnen gesprochen wird und partizipative Vorgehensweisen nicht sehr oft vorkommen, da es der Zielgruppe nicht zugetraut wird, eine Forschung mit zu entwickeln. 21 Einen Anfang mag beispielsweise der ›Index für Inklusion‹ bieten, wobei auch in diesem die Analyse von Macht- und Herrschaftsstrukturen eher randständig bleibt und der Fokus sich insbesondere auf Behinderung bezieht und weniger eine intersektionale Perspektive einnimmt. Vgl. http://www.inklumat.de/glossar/index-fuer-inklusion
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6. O RIENTIERUNGSPUNKTE FÜR DEN E INBEZUG INTERSEKTIONALER A NSÄTZE In meiner Dissertation untersuche ich die Umsetzung intersektionaler Ansätze aus der Perspektive der Praktiker_innen. Hierzu habe ich zwölf episodische Interviews mit Personen geführt, die in der außerschulischen Jugendbildung tätig sind. Auch drei der Interviewten formulieren explizit den Wunsch, dass machtkritische und intersektionale Aspekte als so etwas wie Qualitätskriterien berücksichtigt werden müssten. Ohne an dieser Stelle schon konkrete Erkenntnisse der Dissertation liefern zu können, zeigt sich doch bereits jetzt schon die Tendenz, dass viele Studienteilnehmenden den Ansatz als komplex, teilweise schwer zu durchdringen oder als Erweiterung von anderen antidiskriminierenden Ansätzen mit nur bedingtem Neuheitsgehalt beschreiben, die meisten sich dennoch positiv auf ihn beziehen. Denn dieser Ansatz mache immer wieder die Vielfalt von Benachteiligungen und Privilegierungen bewusst und ermögliche, diese auf verschiedenen Ebenen in die Arbeit mit einfließen zu lassen (konzeptionell, Zusammensetzung der Gruppen, Angebotsbeschreibung, Durchführung, Auswahl der Methoden). Dies wird von den Interviewten als hilfreich und perspektiverweiternd beschrieben. Auch wenn viele Praktiker_innen durchaus zu einzelnen Machtverhältnissen (z.B. Sexismus, Rassismus) arbeiten, empfinden sie es als gute ›Hintergrundfolie‹, um auch in diesem Setting auf die Verwobenheiten zu verweisen und darauf eingehen zu können, dass dies nur ein Ausschnitt aus einem größeren Zusammenhang ist. Qualität würde in diesem Kontext also bedeuten, die Diversität von Lebenslagen und die in diesen lebenden Menschen ernst zu nehmen, zu würdigen, zu thematisieren und in das Angebot einfließen zu lassen. Dies würde eine prozessorientierte, partizipatorische Haltung erfordern, die auch den Jugendlichen selbst die Möglichkeit gibt, ihre Themen zu setzen. Gerade in den vergangenen Jahren wurde viel zum Thema professionelle Haltung publiziert, der im pädagogischen Handeln scheinbar zunehmend wieder Beachtung geschenkt wird. Zur Qualität eines Angebots würde entsprechend neben einer guten finanziellen, materiellen und strukturellen Ausstattung auch gehören, dass die Praktiker_innen den Teilnehmenden mit einer gewissen Haltung, die die oben genannten Aspekte einschließt, gegenübertreten und so auch Bildungsprozesse anregen können. Diese Haltung ist jedoch ebenso schwierig als Qualitätsmerkmal festzulegen wie die Bildungsprozesse, die die Teilnehmenden erleben; dennoch ist es kein unwichtiger Faktor. Aus- und Weiterbildung: Eine Möglichkeit, um Praktiker_innen entsprechend zu schulen, wäre die stärkere Verankerung der verschiedenen Themenfelder in der
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Aus- und Fortbildung rund um Machtverhältnisse, wozu explizit Adultismus gehören sollte. Ein verstärktes Angebot zur Selbstreflexion während des Studiums (aber auch während der Praxis) könnte ebenfalls hilfreich sein, um den Blick für eben diese Themen zu erweitern und mit anderen im Austausch Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Hierzu würde auch das Sichtbarmachen von struktureller, institutioneller und individueller Marginalisierung gehören, die jeweils auf das konkrete Arbeitsfeld bezogen zu reflektieren wäre. Vernetzung: Der Austausch über ›gute Arbeit‹ könnte beispielsweise durch Vernetzung verschiedener Tätigkeitsfelder gefördert werden, die als Arbeitszeit gilt und so neue Möglichkeiten für die Praktiker_innen schafft, sich Themen anzunähern und im Gespräch mit Kolleg_innen zu erörtern, wie hilfreich bestimmte Strategien, Methoden oder Vorgehensweisen sind, aber auch über welche eigenen Vorurteile oder weiße Flecken sie stolpern und sich hier gegenseitig unterstützen können.22 Dies lässt sich weiterdenken in eine Form von Peer-Coaching, sodass sich die Praktiker_innen gegenseitig begleiten und Rückmeldungen zur Arbeit der Kolleg_innen geben und sich so auch die ›Qualität‹ verbessern könnte. Einmischen in Debatten: Es sollte den Praktiker_innen Zeit eingeräumt werden, sich aktiv in fachliche und politische Debatten einzumischen, um auf diese Weise Einfluss auf ihr Tätigkeitsfeld und den darin relevanten Marginalisierungen nehmen zu können. Gerade fachliche Expertisen könnten den Qualitätsdiskurs in eine neue Richtung voranbringen. Partizipation: Unter dem Aspekt von Adultismus darf die Perspektive der Teilnehmenden nicht vergessen werden. Wie bereits beschrieben, gilt es, sie in den Prozess einzubeziehen, aber ebenso hilfreich kann es sein, die Jugendlichen am Ende eines Angebots um ein Feedback zu bitten, was in der außerschulischen Jugendbildung indes zumeist ohnehin fester Bestandteil des Angebots ist. Es gibt also verschiedene, eher auf Solidarität statt auf Konkurrenz gründende Möglichkeiten, Qualität zu überprüfen, zu sichern und zu steigern, die weit über die bestehenden aktuell geforderten Qualitätsmanagementverfahren hinausreichen. Die Frage bleibt allerdings, inwiefern es in den verschiedenen pädagogischen Feldern gelingt, ein solches Vorgehen soweit zu etablieren, dass es gleichwertig mit einem (international) anerkannten Zertifikat akzeptiert wird und sichert, dass in der vermarktlichten Bildungslandschaft weiterhin Aufträge und Fördergelder akquiriert werden können. 22 Mehrere Interviewte betonen, wie wichtig ihnen der Austausch mit Kolleg_innen ist und wie bereichernd hierbei auch explizit andere Sichtweisen oder unterschiedliche Zugänge sind (beispielsweise ein Netzwerk, in dem Personen aus antirassistischer, antisexistischer und Diversity-Pädagogik zusammenkommen und so verschiedene Perspektiven eingebracht werden).
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An dieser Stelle wäre nun auch die Forschung gefragt, entsprechend dieser Grundsätze Wissen zu generieren und die Schnittstellen mit der Praxis zu nutzen, um gemeinsam eine solche Veränderung der Debatten anzustoßen.
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›Nationalstaatlichkeit‹ und ›Flüchtlingskonstruktionen‹ Diskursanalytische Überlegungen zur Entwicklung von Qualitätsmerkmalen sozialer Bildungsarbeit R OXANA D AUER
Ziel des Beitrages ist es, die Relevanz diskursanalytischer und dekonstruktivistischer Perspektiven auf das Verhältnis zwischen ›Nationalstaatlichkeit‹ und ›Flüchtlingskonstruktionen‹ in der medialen Berichterstattung für die Entwicklung von Qualitätsmerkmalen sozialer Bildungsarbeit herauszuarbeiten. Die Analyse geht davon aus, dass soziale Ungleichheit entlang ›nationalstaatlicher Zugehörigkeit‹ und der Positionierung von Menschen als ›Flüchtlinge‹ als das Ergebnis diskursiver Praktiken betrachtet werden kann, die sich u.a. durch die Berichterstattung von Medien vermittelt. Soziale Bildungsarbeit, die mit Personen im staatlichen System der Schutz- und Bleibeberechtigung und jenen, die Zugang zu diesem suchen, arbeitet, braucht Sensibilität und Wissen über Wirklichkeitskonstruktionen einer vermeintlich quasi-natürlichen Ordnung von ›Nationalstaaten‹ und den damit verbundenen ›Flüchtlingskonstruktionen‹, um Normalisierungen und sozialem Ausschluss entgegenzuwirken.
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1. E INLEITUNG In den letzten Jahren scheint die tägliche, mediale Berichterstattung rund um das Thema ›Flucht‹ einen gewissen Grad an Normalität erreicht zu haben. So gibt es nur wenige Tage, an denen darüber nicht zumindest am Rande in einer der großen deutschen Tageszeitungen geschrieben wird. Dabei fällt auf, dass die Verwendung von Begriffen wie ›politisch-verfolgte Flüchtlinge‹, ›Wirtschaftsflüchtlinge‹, ›Kriegsflüchtlinge‹ oder ›Flüchtlinge‹ im Allgemeinen oftmals einem ›deutschen Wir‹ gegenüber- und nur selten in Frage gestellt wird. Um dies an einem prägnanten Beispiel zu verdeutlichen: ›Die Zeit‹ titelte am 23. April 2015: »Was wollen wir tun? Wir wollen nicht, dass sie ertrinken. Wir wollen nicht, dass sie kommen. Ein ganzer Politik-Teil über den richtigen und falschen Umgang mit Flüchtlingen«. In meinem Dissertationsvorhaben untersuche ich genau diese Unterscheidungsmechanismen zwischen ›nationalstaatlicher Zugehörigkeit‹ und jenen Personen, die als sog. ›Flüchtlinge‹ bezeichnet werden. Anhand von Titelseiten der beiden Wochenzeitungen ›Der Spiegel‹ und ›Die Zeit‹, die im Zeitraum von Anfang 2015 bis Ende 2016 erschienen sind, gehe ich der Frage nach, wie sich im medialen Diskurs das Verhältnis der Konstruktion von ›Flüchtlingen‹ zur Konstruktion von ›Nationalstaatlichkeit‹ darstellt. Gegenstand des vorliegenden Beitrages ist es – ausgehend von dem Thema dieses Bandes –, aufzuzeigen, inwieweit mein Dissertationsvorhaben potentiell einen Erkenntnisgewinn für die Entwicklung von Qualitätsmerkmalen sozialer Bildungsarbeit leisten kann. Zur Beantwortung dieser Frage wird in einem ersten Schritt (Kapitel zwei) die soziale Problemlage, dem sich meine Dissertation widmet, grob umrissen. Ziel ist es damit zum einen den Gegenstand meiner Dissertation näher zu bestimmen und zum anderen seine gesellschaftliche Relevanz aufzuzeigen. Kapitel drei gibt daran anschließend einen Einblick in die theoretischen Grundannahmen meiner Dissertation. Es wird herausgearbeitet, weshalb in Anbetracht der zuvor geschilderten sozialen Problemlage eine diskursanalytische Untersuchung von Medienberichterstattung von Bedeutung ist. Die Darlegung der theoretischen Ausgangsperspektiven erweist sich insofern als notwendig, als dass nur so nachvollziehbar wird, welchen Beitrag meine Dissertation potentiell für die Entwicklung von Qualitätsmerkmalen sozialer Bildungsarbeit leisten kann. Kapitel vier schlägt die Brücke von den bis dahin getätigten Überlegungen hin zur sozialen Bildungsarbeit. Gegenstand ist die Relevanz diskurstheoretischer Perspektiven auf das Verhältnis von ›Nationalstaatlichkeit‹ und ›Flüchtlingskonstruktionen‹ für die soziale Bildungsarbeit bzw. die Frage, wie sich soziale Bildungsarbeit im Feld von Diskurs, ›Nationalstaatlichkeit‹ und ›Flüchtlingskonstruktionen‹ verorten lässt. Es werden
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damit Bezüge zwischen der sozialen Problemlage, den theoretischen Grundannahmen und der sozialen Bildungsarbeit hergestellt. Im sich anschließenden Kapitel fünf werden mögliche Anschlussperspektiven aus dem Bereich der postkolonialen Studien für eine diskursanalytische Auseinandersetzung mit der ›Verstrickungen‹ sozialer Bildungsarbeit thematisiert. Dies dient einer Erweiterung der bis dahin dargelegten Perspektive und als mögliche Orientierung für die Ausrichtung diskursanalytischer Vorgehensweisen in diesem Kontext.
2. S OZIALE U NGLEICHHEIT IM K ONTEXT ›N ATIONALSTAATLICHKEIT ‹ UND ›F LÜCHTLINGSKONSTRUKTIONEN ‹
VON
Meine Dissertation widmet sich der Herstellung sozialer Ungleichheit entlang der gesellschaftlichen Konstruktion ›nationalstaatlicher Zugehörigkeit‹ im Verhältnis zu Konstruktionen des sog. ›Flüchtlings‹. Wie sind hier die Zusammenhänge zu verstehen? Aus einer Perspektive speziell auf die Herstellung sozialer Ungleichheit1 lässt sich feststellen, dass es sich bei ›Nationalstaaten‹ um ausschließende Systeme handelt (vgl. Beck 2011; Scherr 2013). Die Abgrenzung eines Territoriums sowie die Bestimmung einer unterscheidbaren Gruppe von Menschen als ›Staatsvolk‹ in Verbindung mit dem darauf bezogenen Gewaltmonopol sind konstitutive Momente moderner Staatlichkeit. ›Staaten‹ resp. ›Nationalstaaten‹2 sind dazu berechtigt, souverän über den Zugang zu und den Aufenthalt auf ihrem Territorium sowie den Erwerb von Staatsbürgerschaft zu entscheiden (vgl. Rieger 1998: 14f.; Scherr 2013: 338f.). Gesellschaftliche Teilhabe innerhalb eines ›Nationalstaates‹ – z.B. bezogen auf den Zugang zu Bildung, Arbeit, Gesundheitsversorgung, Wohnraum – ist vorrangig den jeweiligen Staatsangehörigen vorbehalten. Personen mit einer differenten ›nationalstaatlichen Zugehörigkeit‹ wird der Zugang zu entsprechenden Ressourcen nicht gewährt und falls doch, so ist dieser i.d.R. an die Erfüllung
1
Eine Berücksichtigung dieser Perspektive ist für die nachfolgenden Ausführungen wichtig. Es soll dabei nicht bestritten werden, dass ›Nationalstaaten‹ auch produktive Seiten haben (z.B. Gewährleistung sozialer Sicherungssysteme). In meiner Dissertation sowie in diesem Beitrag betrachte ich jedoch vorwiegend die ausschließenden Mechanismen von ›Nationalstaatlichkeit‹ und die damit verbundene Herstellung sozialer Ungleichheit.
2
Das Verhältnis von ›Staat‹ – ›Nation‹ – ›Nationalstaat‹ wird in Kapitel 2.2. näher thematisiert.
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gesetzlicher bzw. ordnungspolitischer Bestimmungen geknüpft. In diesem Sinne kann der ›Nationalstaat‹ in Verbindung mit der Institution der Staatsbürgerschaft als »›Mitgliederorganisation‹ bzw. ›Verband von Bürgern‹« verstanden werden, wobei er »›öffentlich einen bestimmten Personenkreis als seine Mitglieder anerkennt und ausgrenzend den Rest der Welt als Nichtbürger, als Fremde oder Ausländer klassifiziert‹.« (Brubaker 1994: 21 zit. nach Rieger 1998: 15) In diesem System der ›Nationalstaatlichkeit‹ lässt sich die Konstruktion des ›Flüchtlings‹ verorten. So ist das, was unter ›Flüchtling‹ verstanden wird, stark durch rechtlich, juristische Kodifizierungen geprägt. Als ›Flüchtling‹ gilt im juristischen Sinne eine Person, die kodifizierte Eigenschaften erfüllt und der daraufhin Aufenthalt resp. ›Schutz‹ in einem ›Nationalstaat‹ sowie damit einhergehend, partielle gesellschaftliche Teilhabe und der Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen gewährt wird. Wer als ›Flüchtling‹ anerkannt wird, hat damit zwar mehr Rechte als Personen, denen dieser Status nicht zukommt, aber dennoch weniger Rechte und Teilhabemöglichkeiten als Personen, die über die Staatsbürgerschaft des jeweiligen ›Nationalstaates‹ verfügen. Die Lebensbedingungen und Zukunftschancen von Staatsangehörigen und anerkannten ›Flüchtlingen‹ sind folglich ungleich. Bei der Betrachtung der Positionierung von Menschen als ›Flüchtlinge‹ speziell in Deutschland (bzw. Europa) gibt es eine weitere Ungleichheitsdimension, auf die ich in meiner Dissertation Bezug nehme. So konstatiert Seukwa (2014: 49): »Europa und der Westen insgesamt trägt heutzutage eine erhebliche historische Verantwortung in der Schaffung von strukturellen Ungleichheiten in der globalen Skala durch rücksichtslose Praxis von ungleichem Handel, Militärinterventionen zur Sicherung von natürlichen Ressourcen und geostrategischen Interessen, Entwicklungshilfe – oder besser ›tödliche Hilfe‹ […] etc. All dies zerstört nachweislich die soziale und ökologische Existenzgrundlage der betroffenen Länder und treibt ihre Bevölkerung in die Flucht. So lässt sich der Reichtum und die politische Stabilität der Länder des Nordens kausal nicht von der Armut und der politischen Instabilität der Länder des Südens (Push-pull-Faktoren) und der damit einhergehenden Flucht der Bevölkerung trennen.«
Deutschland bzw. Europa profitieren von der globalen Ungleichheit, die fluchtverursachend wirkt und dazu führt, dass sich Menschen aus den »Ländern des Südens« (ebd.) gezwungen sehen, auf der Suche nach einem menschenwürdigeren Leben in Deutschland Asyl zu beantragen. Gelingt es diesen Menschen tatsächlich, den z.T. lebensgefährlichen – und nicht selten tödlich endenden – Weg nach Deutschland trotz der Abschottungsversuche der EU zu realisieren, werden sie –
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wie oben beschrieben – gegenüber den ›Staatsangehörigen‹ systematisch schlechter gestellt. Und dies geschieht selbst dann, wenn ihnen offiziell ›Schutz‹ als sog. ›Flüchtlinge‹ gewährt wird. Zusammenfassend widmet sich meine Dissertation damit der Herstellung sozialer Ungleichheit zwischen ›Flüchtlingen‹ und ›Nationalstaatsangehörigen‹ in Deutschland unter gleichzeitiger Bezugnahme auf globale Ungleichheitsverhältnisse zwischen globalem Norden und globalem Süden.
3. D ISKURSTHEORETISCHE Ü BERLEGUNGEN ZUM V ERHÄLTNIS VON ›N ATIONALSTAATLICHKEIT ‹, ›F LÜCHTLINGSKONSTRUKTIONEN ‹ UND M EDIEN Um meinen Blick auf die hier dargelegte soziale Problemlage nachvollziehbar zu machen und zu verdeutlichen, inwieweit diskursanalytische Perspektiven auf das Verhältnis von ›Nationalstaatlichkeit‹ und ›Flüchtlingskonstruktionen‹ innerhalb von Medienberichterstattung für die soziale Bildungsarbeit von Bedeutung sein können, werden im Folgenden drei theoretische Grundannahmen meiner Dissertation kurz dargelegt. 3.1 Der Diskurs und das Soziale In Anlehnung an Foucault gehe ich davon aus, dass das Soziale bzw. Gesellschaftliche durch Diskurse bestimmt ist. In diesem Sinne können Diskurse »grundsätzlich als gesellschaftliche Äußerungsformen in Sprache oder Schrift verstanden werden, die durch die jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen geregelt sind. Ein Diskurs ist ein ›gesprochenes oder geschriebenes Ding‹ (Foucault), dessen Wirkung jedoch über die bloße Manifestation in Rede oder Schrift hinausgeht. […] Diskurse sind ein Machtfaktor und sie tragen damit zur Strukturierung von Machtverhältnissen in einer Gesellschaft bei. Sie üben Macht aus, da sie Wissen produzieren und transportieren, das kollektives und individuelles Bewusstsein speist. Das in den Diskursen produzierte und transportierte Wissen ist Grundlage für individuelles und kollektives Handeln und die Gestaltung von Wirklichkeit. […] Diskurse stellen uns Wissen, Sinn, Gegenstände zur Verfügung, bestimmte Weltbilder, kontingente Wahrheiten, Kategorien, die die Welt in einer ganz bestimmten Weise ordnen, und uns dazu nötigen, die Welt in dieser ganz bestimmten Ordnung zu ›erkennen‹ und zu reproduzieren; einer Ordnung, die uns evident, naturgegeben, erscheint, und doch nur das Ergebnis eines sozialen Konstruktionsprozesses ist.« (Bettinger 2007: 76; 81; 84)
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Der Diskurs stellt in diesem Sinne nicht die Widerspiegelung einer vorgängigen Realität dar, sondern vielmehr eine »Praxis des Denkens, Schreibens, Sprechens und Handelns, die diejenigen Gegenstände, von denen sie handelt, zugleich selbst systematisch hervorbringt« (Parr 2014: 234; vgl. Foucault 2013: 74). Er ist damit für die Herstellung sozialer Wirklichkeit – oder anders formuliert: für das, was in einer Gesellschaft als denkbar, als wahr, als wirklich betrachtet wird – konstitutiv und unterliegt darüber hinaus in Abhängigkeit von historischen Gegebenheiten einer ständigen Veränderung (vgl. Ruoff 2013: 15ff.). 3.2 Das Verhältnis von ›Nationalstaatlichkeit‹ und ›Flüchtlingskonstruktionen‹ Wie anhand der Darlegung der sozialen Problemlage, derer sich meine Dissertation widmet, deutlich geworden ist, lässt sich der ›Nationalstaat‹ als übergeordnete soziale Ordnungsform betrachten, die letztlich durch die Unterscheidung zwischen ›Mitgliedern‹ und ›Nicht-Mitgliedern‹ bzw. zwischen ›Flüchtlingen‹ und ›Staatsangehörigen‹ soziale Ungleichheit (re-)produziert. Um nachvollziehbar zu machen, weshalb in Anbetracht dieser sozialen Problemlage eine diskursanalytische Untersuchung von Medienberichterstattung von Bedeutung ist, erscheint es notwendig, meine theoretischen Grundannahmen in Bezug auf die Herstellung von ›Nationalstaatlichkeit‹ und in diesem Zusammenhang die Mechanismen hinsichtlich der Unterscheidung zwischen ›Mitgliedern‹ und ›Nicht-Mitgliedern‹ resp. ›Flüchtlingen‹ und ›Nationalstaatsangehörigen‹ kurz darzustellen. Dies kann mit einer gesonderten Betrachtung der beiden Dimensionen beginnen, aus denen sich das Wort ›Nationalstaat‹ zusammensetzt, nämlich der ›Nation‹ und dem ›Staat‹. Dimension I: ›Die Nation‹ Eine allgemein anerkannte und wissenschaftlich trennscharfe Definition der ›Nation‹ gibt es nicht. Zurückzuführen ist dies u.a. darauf, dass unter dem Begriff komplexe soziale Phänomene und Prozesse zusammengefasst werden, die in verschiedensten Lebens- bzw. Gesellschaftsbereichen stattfinden (Sprache, Handeln, Politik, Medien, Alltag, usw.), welche wiederum selbst sehr uneindeutig sein können. Zudem erfüllt der Begriff der ›Nation‹ in Abhängigkeit zum jeweiligen Verwendungskontext sowie der jeweiligen wissenschaftlichen und politischen Überzeugung »erklärende«, »legitimierende« oder auch »normierende« (Bala 2013) Funktionen. Um dennoch mit dem Begriff operieren zu können, möchte ich hier als heuristische Definition die ›Nation‹ als eine Gruppe von Menschen verstehen, »die sich
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aus ethnischen/sprachlichen/kulturellen und/oder polit. Gründen zusammengehörig und von anderen unterschieden [fühlt]« (Riescher 2004: 596). Die ›Nation‹ kann in diesem Sinne als »vorgestellte Gemeinschaft« (Anderson 1988) gefasst werden, welche bspw. über gemeinsame Geschichten, Mythen, Traditionen, kollektive Erinnerungen und Symbole ein Gefühl von Identität, Solidarität, Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit vermittelt (vgl. Belina/Dzudzek 2009: 132; Castro Varela/Dhawan 2015: 255ff.; Hall 1996: 611ff.). Für die Beteiligten sowie für diejenigen, die nicht dazu gehören, wird damit das soziale Konstrukt der ›Nation‹ durch Praxen des Denkens, Schreibens, Sprechens, Handelns – und also diskursive Praxen – wirksam, indem also Menschen auf das soziale Konstrukt Bezug nehmen. An dieser Stelle ist jener Aspekt angesprochen, der für den vorliegenden Beitrag von besonderer Bedeutung ist. So wie auf der einen Seite die ›Nation‹ für ihre Mitglieder integrativ und gemeinschaftsbildend wirkt, so ist für sie auf der anderen Seite eine Begrenzung der ihr zugehörigen Mitglieder konstitutiv. In diesem Zusammenhang betont auch Anderson (vgl. 1988: 16), dass es bisher keine ›Nation‹ gegeben habe, die sich zum Ziel gesetzt hätte, die gesamte Menschheit unter sich zu vereinen. Die Logik der ›Nation‹ erfordert daher zwangsläufig ein ›Außen‹ bzw. ›andere Nationen‹. Dies hat zur Folge, dass mittels einer Differenzierung zwischen ›Wir‹ und ›den Anderen‹ es immer auch Personen gibt, die nicht zur jeweils eigenen ›Nation‹ gehören bzw. als zugehörig betrachtet werden. Diese Unterscheidung zwischen einem ›nationalen Wir‹ und ›den Anderen‹ spielt auch bei der Herstellung sozialer Ungleichheit zwischen als ›Flüchtlinge‹ positionierten Personen und den jeweiligen ›Nationalstaatsangehörigen‹ eine wichtige Rolle. Um die Zusammenhänge diesbezüglich nachvollziehbar zu machen, bedarf es vorab allerdings einer Erläuterung, welche Rolle dem ›Staat‹ hier zukommt. Dimension II: ›Der Staat‹ Der ›Staat‹ kann allgemein und komplementär zur ›Nation‹ als die institutionalisierte Organisationsform der »imaginierten Gemeinschaft« (Anderson 1988) verstanden werden. Er »bezeichnet eine Form der politischen und rechtlichen Beziehung, einen rationalen Zusammenschluss bzw. Herrschaftsverband, der auf der Basis seines Gewaltmonopols und eigener Institutionen Souveränität über ein Territorium ausübt.« (Triebe 2012: 48) Unter ihm lassen sich alle Institutionen, Organe, Gesetze etc. subsumieren, die zur Ausübung des Gewaltmonopols nötig sind. Als Beispiele lassen sich Regierung, Verwaltung, Polizei, Armee, Gerichte, Gefängnisse wie auch Schulen, Parteien und Gewerkschaften anführen (vgl. Belina/Dzudzek 2009: 139).
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Ebenso wie die ›Nation‹ braucht auch der ›Staat‹ die Abgrenzung nach ›Außen‹ – hier allerdings bezogen auf die Begrenzung eines Territoriums in Verbindung mit der Bestimmung einer unterscheidbaren Gruppe an Menschen (vgl. Rieger 1998: 14f.). Ein zentraler Unterschied im Vergleich zwischen ›Staat‹ und ›Nation‹ besteht darin, dass der ›Staat‹ mit der nötigen Macht ausgestattet ist, um die Abgrenzung gegenüber ›Nicht-Mitgliedern‹ bzw. den Angehörigen anderer ›Nationalstaaten‹ – wenn nötig durch die Ausübung von Zwang – durchzusetzen (vgl. Smith 2010: 12). Während sich die ›Nation‹ also stärker auf der Ebene sozialer Zugehörigkeitssowie Zuschreibungsprozesse bewegt und damit vor allem Emotionen von Zusammenhalt und Solidarität bzw. die ›gefühlte‹ Unterscheidung zwischen Gemeinschaftsmitgliedern und Außenstehenden (›Wir‹ und ›die Anderen‹) anspricht, so setzt der ›Staat‹ mit seiner Gesetzgebung, seinen Institutionen und ausführenden Organen die Abgrenzung zwischen ›Staatsangehörigen‹ und ›Nicht-Staatsangehörigen‹ faktisch durch. Staatliche Organe sind bspw. befugt, Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung auszuweisen, staatliche Transferleistungen, den Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung zu verweigern usw. Anders formuliert, den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen und Teilhabe faktisch zu regeln und damit materielle Ungleichheit herzustellen. Zusammenführung Für die eingangs aufgeworfene Frage, inwieweit eine diskursanalytische Untersuchung von Medienberichterstattung in Anbetracht der sozialen Ungleichheit zwischen ›Flüchtlingen‹ und ›Nationalstaatsangehörigen‹ von Bedeutung ist, lassen sich die bisherigen Überlegungen wie folgt zusammenbringen: In einem ›Nationalstaat‹ bedingen sich ›Nation‹ und ›Staat‹ wechselseitig. Beide Ebenen sind diskursiv strukturiert resp. gehen aus diskursiven Praktiken des Sprechens, Schreibens und Handelns hervor. Indem sich Menschen immer wieder auf diese sozialen Konstrukte beziehen, indem sie Unterscheidungen treffen zwischen einem ›nationalen Wir‹ und ›den Anderen‹ – sei es im Alltag, in der Politik, den Medien etc. –, indem sie sich an die Gesetze, Regeln und institutionellen Vorgaben des ›Staates‹ halten, wird der ›Nationalstaat‹ als übergreifende soziale Ordnungsform (re-)produziert. Das Verhältnis von ›Nation‹ und ›Staat‹ ist in diesem Zusammenhang insofern wechselseitig, als dass auf der einen Seite die ›Nation‹ als Legitimationsgrundlage für die Machtausübung des ›Staates‹ fungiert. Auf der anderen Seite sind Handlungen staatlicher Institutionen und Organe darauf ausgerichtet die ›Nation‹ zu (re-)produzieren, um auf diese Weise die eigene Rechtmäßigkeit aufrechtzuerhalten (vgl. Butler/Spivak 2007: 23ff.).
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Was bedeutet dies nun für die soziale Konstruktion des ›Flüchtlings‹? Es lassen sich vor diesem Hintergrund bei der Bezeichnung von Menschen als ›Flüchtlinge‹ zwei wesentliche Differenzlinien ausmachen: auf der Ebene der ›Nation‹ schwingt bei unreflektierter Verwendung eine soziale Zugehörigkeitsdifferenzierung mit, die einer Logik von ›Wir‹ und ›die Anderen‹ folgt. Denn Personen, die mit diesem Begriff vorrangig bezeichnet werden, gehören – bezogen auf Deutschland – i.d.R. nicht der ›deutschen Nationalität‹ an. Der Begriff ist in seinem aktuellen, primären Verwendungskontext mit Vorstellungen und Imaginationen von Personen verknüpft, die eine andere ›Nationalität‹ als die ›Deutsche‹ innehaben. Auf der Ebene des ›Staates‹ fungiert die Konstruktion des ›Flüchtlings‹ ebenfalls als Differenzkategorie. So offenbaren sich am Beispiel der Erteilung des rechtlichen ›Flüchtlingsstatus‹ die Abgrenzungsmechanismen des ›Staates‹, indem eine klare Unterscheidung zwischen ›Staatsangehörigen‹ und ›Nicht-Staatsangehörigen‹ getroffen wird. ›Flüchtling‹ im juristischen Sinne kann nur sein, wer nicht die deutsche ›Staatsbürgerschaft‹ innehat. Der ›Staat‹ schafft also mittels seines Gewaltmonopols – legitimiert durch die ›Nation‹ – und ggf. durch die Ausübung von Zwang, soziale Ungleichheit zwischen ›Flüchtlingen‹ und ›Nationalstaatsangehörigen‹. Denn wie bereits angeführt, verfügen ›Flüchtlinge‹ im Vergleich zu den jeweiligen ›Staatsangehörigen‹ zwar teilweise über einen Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen, jedoch sind ihre Lebensverhältnisse stark von staatlichen Restriktionen geprägt und es besteht keine Gleichberechtigung im Verhältnis zu den jeweiligen ›Staatsangehörigen‹ (vgl. Johansson 2016). Zusammenfassend stützt also der ›Staat‹ die sozialen Zugehörigkeitsdifferenzierungen der ›Nation‹, indem er durch die Ausübung seines Gewaltmonopols Menschen innerhalb einer Gesellschaft als ›Flüchtlinge‹ positioniert. Und umgekehrt legitimiert die ›Nation‹ mittels sozialer Zugehörigkeitsdifferenzierungen, die einer Logik von ›Wir‹ und ›die Anderen‹ folgt, die Ausübung der ›staatlicher Abgrenzung‹ von ›Staatsangehörigen‹ gegenüber ›Flüchtlingen‹. 3.3 Die Rolle der Medien Daran anschließend lässt sich die Rolle der Medien herausstellen, die auf unterschiedlichen Ebenen für das Verhältnis von ›Nationalstaatlichkeit‹ und ›Flüchtlingskonstruktionen‹ von Bedeutung sind. So können Medien als einer (von vielen) »sozialen Orten« (Jäger 2015: 84) verstanden werden, über die sich Diskurse vermitteln bzw. von denen jeweils aus »gesprochen« (ebd.) wird. Mit Blick auf die diskursiven Praktiken der ›Nation‹ sind Medien damit ein mögliches Kommunikationsmittel, um gemeinsame Geschichte, Mythen, Traditionen, Symbole usw.
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auszutauschen und damit ein Gefühl von Zugehörigkeit zur ›nationalen Gemeinschaft‹ herzustellen. Wird in den Medien bspw. der Akt des Sprechens über die ›Flüchtlinge‹ einerseits und ein ›nationales Wir‹ andererseits ständig (re-)produziert, so kann dies eine stabilisierende Wirkung auf beide soziale Konstruktionen (›Flüchtling‹ und ›Nationalstaat‹) haben. Aber auch für die Organisationsform des ›Staates‹ sind Medien von Bedeutung. Sie haben eine Schnittstellenposition inne, indem sie Informationen zwischen Politik bzw. Gesetzgebung und Bevölkerung in beide Richtungen transportieren (vgl. Branahl 2010). Über die Herstellung eines Informationsflusses zwischen dem ›Staatsapparat‹ mit seinem Gewaltmonopol auf der einen und dem ›Staatsvolk‹ auf der anderen Seite verfügen Medien über das Potential, einen Beitrag zur Legitimation und Akzeptanz der staatlichen Institutionen bei der Bevölkerung resp. der ›Nation‹ zu leisten. Umgekehrt können sie aber auch potentiell bestehende Strukturen kritisch hinterfragen, Gegendiskurse entwickeln und dadurch zu einer Destabilisierung bestehender Ordnungen beitragen (vgl. Karis 2012). Darüber hinaus lässt sich auf die bildende Funktion von Medien hinweisen. Medien und die dort stattfindende Berichterstattung prägen unsere Wahrnehmung und Vorstellung von der Welt maßgeblich. Sie sind einer der zentralen Orte, über die wir Informationen über Ereignisse beziehen, die in der Welt um uns herum geschehen und anhand derer wir uns in der Welt selbst verorten (vgl. Keppler 2005). Sie stellen Aussage- und Anschauungsformen bereit, welche Haltungen und Handlungsweisen und damit die Lebenswelt der Subjekte sowie Subjektivierungsprozesse mitbestimmen (vgl. Thiele 2005: 7; Wellgraf 2008). Es kann zusammenfassend festgehalten werden: Medien sind auf unterschiedlichste Art und Weise wirkmächtig. Ihre diskursiven Praktiken haben maßgeblich Einfluss auf die Konstruktion sozialer Wirklichkeit, die Gestaltung von Gesellschaft sowie Prozesse der Subjektivierung. Und genau diese Faktoren sind es, die eine diskurstheoretische Analyse von Medienberichterstattung hinsichtlich des Darstellungsverhältnisses von ›nationalstaatlicher Zugehörigkeit‹ und ›Flüchtlingskonstruktionen‹ interessant machen. Es ist ihre Wirkmächtigkeit in Verbindung mit ihrer Schnittstellenposition zwischen Politik und Bevölkerung sowie die Reichweite, die Medien erzielen können. Es ist die Einflussnahme, die Medien potentiell auf zwischenmenschliche Beziehungen ergreifen können: Wie wir einander begegnen, wie wir einander bezeichnen, wem wir uns ›zugehörig‹ fühlen und von wem wir denken, dass er oder sie vermeintlich ›anders‹ ist. Denn je nachdem, wie Medien mit sozialen Zugehörigkeitsdifferenzierungen von ›Wir‹ und ›die Anderen‹ umgehen, hat dies Folgen für das, was in einer Gesellschaft als
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›wahr‹, ›wirklich‹ oder womöglich sogar als scheinbar ›unhinterfragbare Ordnung‹ betrachtet wird.
4. R ELEVANZ DISKURSTHEORETISCHER Ü BERLEGUNGEN ZUM V ERHÄLTNIS VON ›N ATIONALSTAATLICHKEIT ‹ UND ›F LÜCHTLINGSKONSTRUKTIONEN ‹ FÜR DIE SOZIALE B ILDUNGSARBEIT Den Begriff der sozialen Bildungsarbeit beziehe ich im Folgenden auf jenen Bereich Sozialer Arbeit, der darauf abzielt, Menschen in erschwerten Lebensverhältnissen mittels Unterstützungsleistungen einen Zugang zu Bildungsmöglichkeiten zu eröffnen, sodass die jeweiligen Personen die notwendigen Kompetenzen zur Bewältigung ihrer schwierigen Lebenslage erwerben können (vgl. »Bildung sozial denken« in diesem Band). Vor dem Hintergrund des Themas dieses Beitrages sind die nachfolgenden Überlegungen vermutlich für jene Bereiche der Sozialen Arbeit interessant, in denen Unterstützungsleistungen für Menschen erbracht werden, die sich im staatlichen System der Schutz- und Bleibeberechtigung3 befinden oder Zugang hierzu suchen4. Werden nun die vorangegangenen Ausführungen auf die soziale Bildungsarbeit resp. Soziale Arbeit übertragen, so ist auch sie aus diskurstheoretischer Perspektive in Diskurse ›verstrickt‹ und kann sich dem Feld von Diskurs und Macht nicht entziehen. Dies zeigt sich u.a. bei Betrachtung der Herstellung des Gegenstandsbereiches Sozialer Arbeit – hier speziell im Hinblick auf die Arbeit mit Personen im staatlichen System der Schutz- und Bleibeberechtigung. Wie aufgezeigt wurde, können die Phänomene ›Flüchtling‹ und ›Nationalstaat‹ als soziale Konstrukte verstanden werden, die durch diskursive Praxen – u.a. durch jene der Medien – hervorgebracht werden. Indem nun die sog. ›Flüchtlingssozialarbeit‹ eines der Handlungsfelder Sozialer Arbeit darstellt, ist die soziale Konstruktion des ›Flüchtlings‹ ganz unmittelbar Bestandteil Sozialer Arbeit. Sozialarbeitende werden in diesem Feld nur deshalb tätig, weil diskursive (Re-)Produktionen den Ge-
3
Der Begriff der Schutz- und Bleibeberechtigung umfasst Personen, die eine Asylberechtigung, den Flüchtlingsschutz oder einen subsidiären Schutz erhalten oder aufgrund eines Abschiebungsverbots in Deutschland bleiben dürfen (vgl. BAMF 2017).
4
Sofern im Nachfolgenden der Begriff der sozialen Bildungsarbeit Verwendung findet, so ist dieser vorrangig auf die Handlungsfelder der Sozialen Arbeit bezogen. Dabei ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Überlegungen auch für andere Felder der sozialen Bildungsarbeit relevant sein können.
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genstand des ›Flüchtlings‹ erst hervorbringen und weil ›nationalstaatliche Ordnungen‹ eine kategoriale Differenz zwischen ›Wir‹ und den ›Anderen‹ erfordern. »[D]ie Etablierung dieser Differenz, bzw. das Wissen um diese Differenz, bietet Legitimation, [›Flüchtlinge‹, Anmerk. R.D.]5 [...] als soziale Gruppe zum Gegenstand ordnungs- und sozialpolitischen Bemühens sowie insbesondere sozialpädagogischer Intervention und Kontrolle zu machen.« (Bettinger 2007: 84) Zu berücksichtigen ist in diesem Kontext weiterhin die Eingebundenheit Sozialer Arbeit in ›nationalstaatliche Strukturen‹. So ist sie mit ihren Institutionen Teil des ›nationalen Wohlfahrtstaates‹ (vgl. Kessl 2006; Scherr 2015) und übernimmt Aufgaben, welche auf die »›Normalisierung‹, die Wiedereingliederung, die Existenzsicherung etc. der Subjekte in einem Nationalstaat abziel[en]« (Seukwa 2014: 50). Ihr Interventions- und Handlungsspielraum ist entlang von gesetzlichen Rahmenbedingungen und Finanzierungsmöglichkeiten z.T. stark reglementiert. Dies gilt insbesondere für das Handlungsfeld der Arbeit mit Personen im staatlichen System der Schutz- und Bleibeberechtigung. So weist Scherr (2015: 18) darauf hin: »Flüchtlinge sind nur solange AdressatInnen der Sozialen Arbeit, wie es ihnen gelingt, ihren legalen oder illegalen Aufenthalt in der Aufnahmegesellschaft sicherzustellen. Diejenigen, die weder als Asylberechtigte, noch als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt werden und denen auch der subsidiäre Schutz verweigert wird, werden zur sogenannten ›freiwilligen Ausreise‹ gezwungen – und wenn sie diese verweigern mit polizeilicher Gewalt deportiert. […] Die hoch problematische Sortiermaschine des Flüchtlings- und Zuwanderungsrechts ist also für die Soziale Arbeit unmittelbar folgenreich. Sie entscheidet mit darüber, wer AdressatIn der Sozialen Arbeit bleiben darf und wer in Länder abgeschoben wird, in denen dem Betroffenen in der Regel kaum noch zumutbare Lebensbedingungen und auch keine Hilfeleistungen durch die Soziale Arbeit zugänglich sind.«
An diesem Beispiel wird zumindest ansatzweise deutlich, wie wirkmächtig diskursive Konstruktionen (hier jene des ›Flüchtlings‹ und des ›Nationalstaates‹) sein können und wie stark sie die Handlungsspielräume Sozialer Arbeit prägen. Wird nun vor diesem Hintergrund die Frage nach Qualitätsmerkmalen sozialer Bildungsarbeit gestellt, kann meines Erachtens die Antwort aus diskurstheoretischer Perspektive in einer Reflexion der machtvollen diskursiven Verhältnisse liegen, in welche sie resp. die Soziale Arbeit verstrickt ist. 5
Bettinger (2007: 83ff.) nimmt an dieser Stelle in seinem Aufsatz Bezug auf die diskursive Herstellung des sozialen Phänomens der ›Jugend‹. Seine Grundannahmen hierzu lassen sich jedoch nahezu äquivalent auf das soziale Konstrukt des ›Flüchtlings‹ übertragen.
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Es wurde am Beispiel eines der Gegenstandsbereiche Sozialer Arbeit (im Handlungsfeld der Arbeit mit Personen im staatlichen System der Schutz- und Bleibeberechtigung) aufgezeigt, wie über diskursive Praxen die sozialen Phänomene des ›Flüchtlings‹ und des ›Nationalstaates‹ hergestellt bzw. (re-)produziert werden und damit unmittelbar Einfluss auf Soziale Arbeit nehmen. In diesem Zusammenhang wurde weiterhin die ›Verstrickung‹ Sozialer Arbeit im Spannungsfeld von Diskurs und Macht deutlich. Geht es jetzt darum, Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit in den Handlungsfeldern Sozialer Arbeit auszumachen, drängt sich eine Berücksichtigung und Reflexion dieser Verhältnisse von Diskurs und Macht sowie die Eingebundenheit Sozialer Arbeit in diesem Kontext nahezu auf. Insbesondere bei der Arbeit mit Personen im staatlichen System der Schutzund Bleibeberechtigung zeigt sich, wie wirkmächtig Kategorien von ›Flüchtling – Nicht-Flüchtling‹, ›deutsche Staatsangehörige – nicht-deutsche Staatsangehörige‹ usw. sind. Wie sehr sie über die Lebenslage der jeweiligen Personen entscheiden, indem sie Menschen innerhalb einer Gesellschaft positionieren, regeln, wer sich wann, wo aufhalten darf und inwieweit den jeweiligen Personen ein Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen (z.B. Wohnen, Arbeit, Bildung) gewährt wird. Wenn Soziale Arbeit mit Kategorien, wie jener des ›Flüchtlings‹, unhinterfragt operiert, so besteht die Gefahr, dass sie ›ungebremst‹ zu einer Normalisierung und Disziplinierung der Subjekte beiträgt. Denn die Tätigkeit Sozialarbeitender ist selbst diskursive Praxis des Denkens, Schreibens, Sprechens und Handelns, eine »soziale Praxis in institutionalisierte[m] Rahmen […], [die damit] eigene Spiele und Positionen im Feld machtvoller, professioneller Praxis« (vgl. Hanses 2007: 318) betreibt.
5. D EKONSTRUKTIVISTISCHE ANSCHLUSSPERSPEKTIVEN UND DIE E NTWICKLUNG VON Q UALITÄTSMERKMALEN SOZIALER B ILDUNGSARBEIT Soll es nun darum gehen, eine solche diskursanalytische Reflexion der eigenen ›Verstrickung‹ sozialer Bildungsarbeit vorzunehmen, lässt sich die Frage anschließen, was es hierbei zu beachten gilt oder auch, was hierbei als mögliche Orientierung dienen kann. Zur Eröffnung einer Anschlussperspektive für ein solches Vorhaben werden im Folgenden zwei Überlegungen der postkolonialen Theoretikerin Spivak (2012) angebracht, die hierfür potentiell nutzbar gemacht werden können. Die Entscheidung an dieser Stelle auf postkoloniale Studien bzw. auf die Ausführungen Spivaks zurückzugreifen, rührt daher, dass die soziale Problemlage (Kapitel 1) nicht losgelöst von den Ungleichverhältnissen zwischen globalem
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Norden und globalem Süden zu betrachten ist, welche wiederum eng mit den historischen Folgen des Kolonialismus verknüpft sind. So hat sich Spivak neben anderen Themen mit den Verflechtungen von Kultur, Macht und Ökonomie auseinandergesetzt und aufgezeigt, wie die aus dem Kolonialismus hervorgehende Konstruktion der ›Anderen‹ (oder auch »Subalternen« (vgl. Spivak 1988) (zu ihnen lassen sich im weiteren Sinne auch als ›Flüchtlinge‹ positionierte Personen zählen) noch immer für die Rechtfertigung und Aufrechterhaltung von globalen Ungleichheiten genutzt wird (vgl. Andreotti 2007: 69). Sie stellt in diesem Kontext dahingehend Überlegungen an, inwieweit die Herstellung einer »ethische[n] Beziehung zu den Anderen« (Spivak 2004: 534 f.) in Verbindung mit einer Destabilisierung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse und entgegen des dominanten kolonialen Diskurses möglich ist. Unter Bezugnahme auf die Diskurstheorie Foucaults geht Spivak davon aus, dass es kein außerhalb der Diskurse gibt, weshalb sie für eine »Verhandlung von Innen« (Kapoor 2004: 640; vgl. Castro Varela/Dhawan 2015: 178) plädiert. In diesem Sinne müssten hegemoniale Diskurse – auch jene des alltäglichen Lebens – einer ständigen Kritik unterzogen bzw. ständig dekonstruiert werden. Bei der Betreibung von Dekonstruktion gehe es zentral darum, jedwede Art von absoluten Wahrheiten immer wieder zu hinterfragen. »Deconstruction does not say there is no subject, there is no truth, there is no history. It simply questions the privileging of identity so that someone is believed to have the truth. It is not the exposure of error. It is constantly looking into how truths are produced.« (Spivak 2013: 27)
Es könne in diesem Sinne also keine Wahrheit geben, die nicht machtvoll und hegemonial wirken würde. In Bezug auf eine Dekonstruktion der Kategorie des ›Flüchtlings‹ würde dies bedeuten, dass selbige – wie auch immer sie am Ende aussehen möge – selbst wieder einer Kritik unterzogen wird. Einer Kritik, die dahingehend ausgerichtet ist, die eigenen Standpunkte zu hinterfragen, zu dekonstruieren. Dieser Prozess ließe sich auch als ein »Erfolg-im-Scheitern« (MooreGilbert et al. 1997: 32) beschreiben, der darauf abziele, »konstruktive Fragen und korrigierende Zweifel« (ebd.) hervorzubringen – nicht aber endgültige Wahrheiten. Der zweite Punkt, den ich aufgreifen möchte, betrifft die Forderung nach einer Wachsamkeit gegenüber der eigenen »Komplizenschaft« (vgl. Andreotti 2007: 75; Castro Varela/Dhawan 2015: 217f.; Spivak 1999: 146ff.). Kritikerinnen und Kritiker von globalen Ungleichverhältnissen, die westlichen Staaten zugehörig
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seien, müssten sich ihrer günstigen historischen und geographischen Position bewusst werden, den materiellen und kulturellen Vorteilen, die aus dem Imperialismus und dem Kapitalismus für sie hervorgegangen seien und ggf. ihrer Identität als privilegierte Westliche (vgl. Kapoor 2004: 631). So hinterfragt Spivak »selbstkritisch ihre eigenen Privilegien als Angestellte einer westlichen Eliteuniversität und die damit einhergehende Komplizenschaft durch das Arbeiten für eine Institution, die letztlich an der ideologischen Produktion des Neokolonialismus beteiligt sei.« (Castro Varela/Dhawan 2015: 183) Spivak zufolge müssten wir aus diesem Grund »stets skrupellos wachsam gegenüber unserer eigenen Komplizenschaft sein. Die Akzeptanz der eigenen Kontaminierung [könne] vor persönlicher Arroganz und geo-institutionellem Imperialismus bewahren, so Spivaks Hoffnung.« (ebd.: 217) Für soziale Bildungsarbeit resp. Soziale Arbeit könnte dies hinsichtlich einer dekonstruktivistischen Auseinandersetzung mit der sozialen Konstruktion des ›Flüchtlings‹ bedeuten, hierbei die eigene Eingebundenheit in wohlfahrtstaatliche Strukturen in Kombination mit einer Berücksichtigung der kolonialen Geschichte Europas in den Fokus zu rücken (vgl. Castro Varela 2015). Eine Sensibilisierung dafür, inwieweit soziale Bildungsarbeit resp. Soziale Arbeit womöglich in ihrer professionellen Alltagswelt zu einer Stabilisierung des sozialen Konstrukts des ›Flüchtlings‹ bzw. der ›nationalstaatlichen‹ und damit einer ausgrenzenden Ordnung beiträgt (vgl. Hanses 2007: 318). Spivaks theoretische Ausführungen lassen sich als Anhaltspunkte verstehen, die eigene Praxis, die eigene ›Verstrickung‹ in Diskurse bzw. – wie Spivak (1999: 146ff.) es nennt – die eigene »Komplizenschaft« sich immer wieder ins Bewusstsein zu rufen und stetig zu reflektieren. Es kann als die Eröffnung einer Perspektive auf soziale Phänomene, das eigene professionelle Handeln und daran anschließend, als ein möglicher Ansatzpunkt für die Entwicklung von Qualitätsmerkmalen sozialer Bildungsarbeit verstanden werden.
6. F AZIT Abschließend möchte ich zusammenfassend die bisherigen Überlegungen zusammenbringen und noch einmal hervorheben, welchen Erkenntnisgewinn meine derzeit laufende Dissertation für die Entwicklung von Qualitätsmerkmalen sozialer Bildungsarbeit potentiell leisten kann. Unter dem Arbeitstitel »Die Konstruktion von ›Flüchtlingen‹ in der medialen Berichterstattung in Deutschland im Zeitraum von 2015 bis 2016 im Spannungs-
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feld von ›Nationalstaatlichkeit‹, (inter-)nationalem Flüchtlingsregime und sozialer Ungleichheit – Eine kritische Diskursanalyse zur bildenden Funktion von Medien« ist meine Dissertation darauf ausgerichtet, unter Bezugnahme auf die Diskurstheorie Foucaults einen dekonstruktivistischen Blick auf die hier bereits beschriebenen sozialen Phänomene des ›Flüchtlings‹ und des ›Nationalstaates‹ sowie auf ihr Verhältnis zueinander einzunehmen. Es soll mittels einer Diskursanalyse aktueller Medienberichterstattung untersucht werden, wie sich soziale Ungleichheit in diesem Spannungsfeld durch Sprache und Symbolik diskursiv herstellt. Der Fokus liegt hierbei auf den Mechanismen und Techniken diskursiver Machtausübung, durch die sich Normalismen und herrschaftslegitimierende Gesellschaftsformen herstellen. Eine Relevanz für soziale Bildungsarbeit ergibt sich damit aus einer machtkritischen Perspektive auf die Herstellung eines ihrer Gegenstandsbereiche – hier im Feld der Arbeit mit Personen im staatlichen System der Schutz- und Bleibeberechtigung. Wie bereits aufgezeigt wurde, haben Medien erheblichen Einfluss auf die Herstellung sozialer Wirklichkeit. Die medialen Diskurse bringen aufgrund ihrer zentralen gesellschaftlichen Funktion (Kommunikationsmittel für die Konstitution von ›Nation‹ und ›Staat‹, bildende Funktion usw.) das soziale Phänomen des ›Flüchtlings‹ – also jene Kategorie, die soziale Bildungsarbeit resp. Soziale Arbeit u.a. zum Gegenstand hat – erst mit hervor und haben darüber hinaus Einfluss auf die soziale Ordnung des ›Nationalstaates‹ – jene, in der auch soziale Bildungsarbeit situiert ist. Diese vielfältigen ›Verstrickungen‹ machen es meines Erachtens notwendig, selbige einer diskurs- und machtkritischen Analyse zu unterziehen. Und eben an dieser Stelle setzt meine Arbeit an. Eine diskursanalytische Untersuchung, wie die hier angelegte, rückt den sozialen Konstruktionscharakter eines Gegenstandbereiches sozialer Bildungsarbeit in den Mittelpunkt. Es geht dabei aber nicht nur darum aufzuzeigen, dass dieser über Diskurse hergestellt wird, sondern speziell wie sich Abgrenzungen – und damit soziale Ungleichheit – zwischen Menschen entlang von ›nationalstaatlicher Zugehörigkeit‹ und Kategorisierungen, wie der des ›Flüchtlings‹, herstellen. So konstatiert auch Hanses (2007: 318): »Soziale Arbeit bedarf somit einer Perspektive für die Herstellung wie der Wirkung von Macht. Diese ausschließlich durch politische und makrosoziologische Analyse zu begründen, kann den Blick auf die Bedeutung der Herstellungspraxen von Macht verstellen. Soziale Arbeit ist selbst soziale Praxis in institutionalisierten Rahmen. Es bedarf wissenschaftlichen Wissens wie praxisbezogener Modelle, die es im Sinne eines ›talk the walk‹ […] möglich machen, eine Sensibilisierung für die Praktiken der Macht in der Alltagswelt sozi-
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alpädagogischer Institutionen, der Bedeutung von Wissen und die Herstellung von Normalisierungen sowie ihre Wirkungen auf die NutzerInnen Sozialer Arbeit. Sie benötigen ein Wissen darüber, wie sie als Profession ein Disziplinarindividuum, ein Gehorsamkeits- oder Normalisierungssubjekt herstellen […] Soziale Arbeit benötigt somit ein Wissen über die Subjektivierungspraxis, also über die Frage, wie sie als professionelles System zu der machtvollen Etablierung der Subjekte beiträgt. Gleichzeitig gilt es darüber nachzudenken, wie Soziale Arbeit eine ›regulative Machtordnung‹ ermöglichen kann, die es dem Einzelnen gestattet, ein Stück der Souveränität über das eigene Leben zu bewahren […] und darüber wie diese Subjektivierungspraxen durch Formen der ›Ent-Subjektivierung‹ […] gebrochen werden können.« (Hanses 2007: 318)
Ich verstehe mein Dissertationsvorhaben in diesem Sinne als eine Vorarbeit für die Generierung eines solchen Wissens. Sie thematisiert die historische Bedingtheit vermeintlicher ›Normalität‹ – in diesem Fall der Ordnung der ›Nationalstaaten‹ und die gesellschaftliche Positionierung bestimmter Personen als ›Flüchtlinge‹ sowie die damit einhergehende Reglementierung gesellschaftlicher Teilhabe. Weiterhin geht es um die Mechanismen, wie Dominanzverhältnisse zwischen ›Wir‹ und ›den Anderen‹ an gesellschaftlichen Schlüsselpositionen, zu denen sich die Medien zählen lassen, (re-)produziert werden. In diesem Zusammenhang kann die Methode der Diskursanalyse als eine dekonstruktivistische Strategie im Sinne Spivaks verstanden werden, um einerseits machtvolles Wissen zu hinterfragen und andererseits die eigene »Komplizenschaft« (Spivak 1999: 146ff.) zu thematisieren.
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Qualität ohne Garantien Das Paradox der Repräsentation des Flüchtlings in den Darstellenden Künsten S OFIE O LBERS
Es wird der Frage nach zentralen Qualitätsmerkmalen für die kulturelle und soziale Bildungsarbeit in den Darstellenden Künsten mit als geflüchtet oder als Flüchtling gekennzeichneten Neuangekommen nachgegangen und dabei die machtkritische Hinterfragung von eben solchen kennzeichnenden Re-Präsentationspraktiken vorgeschlagen und diskutiert. Diese Empfehlung ist im Sinne postkolonialer Ansätze von einem politischen Impetus getragen, denn kulturell-künstlerische Darstellungspraktiken, so wird argumentiert, können im Angesicht globalen Unrechts nicht nicht politisch sein. Dazu wird das Paradox der Repräsentation und der geforderten Selbstrepräsentation kritisch geprüft, denn es ist immer unmöglich, adäquat zu repräsentieren. Nicht durchdachte, zweckhafte Lösungsansätze werden also auf ihre aporetischen Züge hin befragt und anschließend ein idealtypischer Umgang mit diesen angeregt. Dieser plädiert dafür, zur sozialwissenschaftlichen Problemanalyse die diskursanalytische Methode einzusetzen und auf der künstlerisch-praktischen Ebene darstellende Praxisformen zu erproben, die es vermögen, ästhetisch zu intervenieren und performativ Widerstand zu leisten, um das gesteckte Bildungsziel der Subjektemanzipation anzuvisieren.
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ALS
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Grundlage der in diesem Artikel ausgeführten Einschätzungen sind Zwischenergebnisse meiner Forschung zur Dissertation. Diese untersucht die Herstellung und Darstellung bestimmter Bedeutungszusammenhänge und deren Bildungsmöglichkeiten in ausgewählten, aktuellen, deutschen Theaterproduktionen und ihren jeweiligen Repräsentationsmodellen des Flüchtlings1. Diese werden insbesondere hinsichtlich ihrer Paradoxität befragt. Dabei stützt sich die empirische Untersuchung auf ausgewählte Theateraufführungen, d.h. auf ein je spezifisches Ereignis einer Performance. Diese Aufführungen sollen im Folgenden als Orte der Bildung gedeutet werden. Solche Orte können einem Modus der informellen Bildung im non-formalen Sektor zugeschrieben werden, da hier nicht explizit auf Bildung gezielt wird, sondern das Theatermachen und/oder Theaterschauen bildende Praktiken implizieren (vgl. Sting/Schröer/Schweppe 2010: 8). Dennoch bezeichne ich diese analysierten Aufführungsorte als welche, die in dem Sinne einen expliziten Bildungsauftrag haben, als sie sich gesellschaftlichen Problematiken (in diesem 1
Die Schreibweise Flüchtling verwende ich in diesem Artikel des Weiteren zur Kennzeichnung der rechtlich-politischen Kategorie und ihres sozialen Konstrukts bzw. der in Wechselwirkung damit entstandenen, essentialisierenden Repräsentation im hegemonialen Diskurs (vgl. Niedrig/Seukwa 2010: 183f). Um der vorliegenden Kritik dieser heteronomen Zuschreibung und fremdbestimmten Identitätsherstellung auch in meiner eigenen Wortwahl Rechnung zu tragen, verwende ich zur Bezeichnung realer Personen oder Gruppen, die mit dieser Kennzeichnung leben müssen, je nach Situation unterschiedliche Bezeichnungen und/oder bei generellen Sachlagen den Begriff Neuangekommene. Entgegen den Vorschlägen der Autorinnen Ziese und Gritschke in ihrem kürzlich erschienenen Buch Kulturelle Bildung und Geflüchtete (2016) den Ausdruck Geflüchtete zu verwenden – ein Begriff, der neuerdings vielfach zu lesen und zu hören ist –, »der als substantiviertes Partizip lediglich einen Aspekt ausdrückt, den alle gemeinten Personen gemeinsam haben: Sie sind aus einem anderen Land nach Europa geflohen, um hier Schutz zu suchen.« (ebd.: 25f), verwende ich diesen Begriff nicht. M.E. scheint er trotz seiner vermeintlichen Neutralität zurzeit größtenteils unreflektiert den Begriff des Flüchtlings zu ersetzen, und er tendiert geradezu ebenso inflationär verwendet zu werden. Daher schafft dieser Begriff es m.E. ebenfalls nicht grundlegend, das am Begriff Flüchtling kritisierte heteronome Repräsentationsregime aufzubrechen. Des Weiteren wird in diesem Artikel durchgängig die neutral mögliche Plural-Formulierung von Positionen angewendet, wie bspw. »die Zuschauenden«, » die Darstellenden« etc., um Raum für Menschen zu bieten, die sich nicht (nur) in der Zweigeschlechtlichkeit (bspw. »Zuschauer – Zuschauerin«, »Darsteller – Darstellerin« etc.) von Frau und Mann wiederfinden (möchten).
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IN DEN
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Falle der Flucht) widmen und diese Thematik ihrem Publikum in der einen oder anderen Weise vermitteln wollen. Das Theater als Ort der Bildung zu sehen, hat gerade im deutschsprachigen Raum eine lange Tradition2, weshalb die Theaterkunst und die Theaterpädagogik bzw. -vermittlung als zwei zusammenhängende Perspektiven auf den gleichen Gegenstand geltend gemacht werden können: aus Sicht der Theaterkunst formuliert sich das Bildungspotenzial in seiner »soziale[n] Wirksamkeit« (Taube 2012: 617), aus Sicht der Theaterpädagogik ist die Theaterkunst eine »Kulturtechnik, aus deren Eigenschaften spezielle kunst- und kulturpädagogische Methoden hervorgegangen sind« (ebd.). Grundlegend zeichnen sich zwei verschiedene Bildungsmodi im Theater ab: der eine ist das Theaterspielen, das auf der Produktionsebene angesiedelt ist, und der andere das Theaterschauen, das die Rezeptionsebene betrifft. Beiden Modi sind Lern- und Bildungsprozesse zu eigen, wobei diese als nicht zwingend zielorientiert lenkbar gelten (vgl. ebd.: 618). Die Theateraufführung gestattet den Teilnehmenden eine ästhetische Erfahrung zu machen, die das »zentrale Bildungserlebnis«, so Hentschel (2007: 94), in der Differenzerfahrung findet, etwa »von einer anderen Wirklichkeitsebene aus auf die Wirklichkeit des Alltags zu blicken« (ebd.). Die Theateraufführung wirkt dabei über ein »vielschichtiges Zeichensystem, das einem internen theatralen Code folgend Bedeutungen erzeugt« (Taube 2012: 619). Bildung beinhaltet dann, diese Codes zu dekodieren und die Zeichenverkettungen zu interpretieren, die entweder einer gewollten Eindeutigkeit folgen und/oder polyvalente Eigenschaften aufweisen (vgl. ebd.: 620). Der Ort der Darstellenden Künste ist somit ein Ort des Kampfes um Bedeutung, der Bedeutungsherstellung durch Darstellung, Stellvertretung, Vorstellung und dessen Aufführung – es ist ein Ort der Repräsentation, um die es sich im vorliegenden Artikel noch weiter handeln wird. Werden die Darstellenden Künste im Zusammenhang mit Bildung oder als bildende Praktiken betrachtet, so fällt dieser Ort in den Bereich der Kulturellen Bildung, die ein Dachbegriff für ein sehr heterogenes Praxis- und Forschungsfeld ist, mit spezifischen künstlerischen Ausrichtungen, verschiedensten Zielgruppen und Anbietern. Dieses breite Feld bezieht sich, wie auch die Bildungswissenschaft, auf verschiedene Definitionen von
2
Insbesondere in der Zeit der Aufklärung etablierte sich das Theater mit expliziten Bildungsambitionen, siehe Lessings »Schule der moralischen Welt« und Schillers »Schaubühne als moralische Anstalt« (Taube 2012: 617). In der ersten Hälfte des 20. Jh. galt »Theaterspielen als Persönlichkeits- und Volksbildung« (ebd.: 618). Dazu zählen auch das epische Theater Brechts mit seinen gesellschaftskritischen Stücken und insbesondere seine »Lehrstücke« zur gesellschaftlichen Bildung (vgl. Brecht zitiert in Steinweg 1995: 17).
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Kultur (anthropologisch, ethnologisch, soziologisch, als auch auf die Künste bezogen)3, während sich der vorliegende Beitrag explizit auf einen konstruktivistischen Kulturbegriff bezieht, der in den auf poststrukturalistische Ansätze basierenden Cultural Studies und postkolonialen Ansätzen vertreten wird (vgl. KrügerPotratz 2012: 253ff). Innerhalb des Feldes der Kulturellen Bildung lassen sich verschiedene Ausrichtungen unterscheiden, die jedoch fließende Übergänge vorweisen. So ist unter dem Begriff der Kulturellen Bildung nicht nur lebenslange Bildung durch künstlerische Medien gemeint, sondern auch auf kulturelle Teilhabe zielende Entwicklung einer persönlichen und kunstvollen Lebensweise. Die verschiedenen Fokussierungen künstlerische Bildung (Kulturtechniken bestimmter Kunstformen bzw. Transfereffekte künstlerischer Kompetenzen), ästhetische Bildung (sinnliche Wahrnehmung, Empfinden und Erkenntnis), Kulturvermittlung (Brückenbau zwischen Kunsterfahrungen und Nutzenden) bieten innerhalb des breiten Feldes Orientierung (vgl. Reinwand-Weiss 2012). Ferner gibt es auch die Ausrichtung der soziokulturellen Arbeit, die als benachteiligungsorientierte Kulturpraxis verstanden wird und sich aus spezifischen vulnerablen Zielgruppen4 und der Bearbeitung der entsprechenden Problemlagen ergibt (vgl. Knoblich 2007). Innerhalb der Darstellenden Künste bezeichnen Wartstat et al. (2015) das applied theatre als eine der soziokulturellen Arbeit nahestehenden Theaterform, die sich im Speziellen in theaterferne, soziale, politische oder therapeutische Institutionen der Gesellschaft hineingibt (ebd.: 10ff) und auf die am Ende dieses Artikels genauer eingegangen wird. Mit seinem Prinzip der Öffentlichkeit und der Form der sozialen Interaktion ist das Theater in seinen Grundzügen als soziale Kunst zu kennzeichnen und hat
3
Grob gesagt meint der anthropologische Kulturbegriff die Tatsache, dass Kultur von Menschen gemacht ist; der ethnologische Kulturbegriff betont Kultur als Lebensform; der soziologische und eher normative Kulturbegriff versteht Kultur als Werte- und Normenorientierung und im Sinne der Sozialisierung; der künstlerische Kulturbegriff bezieht sich auf die verschiedenen Künste als symbolhafte Ausdrucksweisen wie Theater, Tanz, Musik, bildende Kunst, Literatur, Architektur etc. (vgl. Reinwand-Weiss 2012: 112).
4
Durch die explizite Adressierung benachteiligter Anderer, werden diese als in einer vermeintlich existierenden Identitätsgruppe markiert und damit festgeschrieben, anstatt die enorme Varianz und Vielschichtigkeit von Identitätskonstruktionen in Migrationsgesellschaften zu würdigen. Statt also die Zielgruppe »refugees« zu adressieren, plädiert Mörsch dafür, ein klares Handlungsziel zu formulieren (z.B. Freiheit von Rassismus) und sich an alle Mitglieder einer Gesellschaft zu wenden (vgl. Mörsch 2016: 67).
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IN DEN
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im Bereich der soeben dargestellten Kulturellen Bildung einen immanenten Mehrwert für die in diesem Band diskutierte soziale Bildungsarbeit. Im Folgenden wird nun diskutiert, wie dieses hier beschriebene Feld in seiner Strukturierung benachteiligend auf bestimmte Subjekte und Zielgruppen wirkt, die mit dem Adjektiv geflüchtet gekennzeichnet werden.
2. H ETERONOME B EDINGUNGEN FÜR GEKENNZEICHNETE S UBJEKTE
ALS GEFLÜCHTET
Die heteronome und benachteiligende Wirkung der Orte der Darstellenden Künste auf als geflüchtet gekennzeichnete Subjekte, lässt sich einerseits in kulturpolitischen Zielsetzungen wie der Integration und der kulturellen Vielfalt finden, als auch auf der Ebene der Praxis in essentialisierenden Formen der Repräsentation. Im Folgenden geht es daher erst einmal allgemein im Bereich der Kulturellen Bildung um die kulturpolitische Agenda und des Weiteren um das Paradox der Repräsentation, welche beide mögliche Aporien in der Praxis der Darstellenden Künste mitbestimmen. Insbesondere die Idee einer Integration, in der unumgänglich die machtvolle Seite der vulnerablen Gruppe eine benachteiligte Subjektposition zuweist, ist in Anbetracht der augenscheinlichen Zielsetzung eines friedfertigen gesellschaftlichen Zusammenlebens widersprüchlich, welches im Folgenden ausgeführt wird. 2.1 Kulturpolitische Zwänge: die Integration der Viktimisierten Die kulturpolitische Agenda, die maßgeblich die Förderung und damit auch die Realisierung von kulturellen Bildungsprojekten bestimmt, weist in zwei grundlegende und immer wieder kontrovers diskutierte Richtungen, nämlich Integration und kulturelle Vielfalt.5 Diese können damit als staatliche Bildungsziele einer Kulturarbeit auch mit »Geflüchteten« definiert werden.6 Während die Debatte um Integration vor allem auf nationaler Ebene geführt wird und sich damit um eine
5
Vgl. UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt (2005, 2009), UNESCO Weltkonferenz zur kulturellen Bildung (2006, 2010), Nationaler Aktionsplan Integration (ab 2007).
6
Während vor einigen Jahren es noch schwierig war Fördergelder für Kulturprojekte mit »Geflüchteten« (die meisten Ausschreibungstexte benutzen diese Bezeichnung der Zielgruppe) zu bekommen, werden neuerdings Steuer- und Stiftungsgelder insbesondere auch in Zielgruppen gesteckt, deren langfristiges Bleiben in dieser Gesellschaft
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möglichst reibungslose Integration der Zugewanderten bemüht, wird die Absicht einer kulturellen Vielfalt insbesondere von internationalen Organisationen formuliert und zielt auf den Erhalt von Diversität kultureller Formen in Zeiten der Globalisierung, von der teils gleichmachende Effekte auf Kultur befürchtet wird. Selbst wenn Integration als ein gegenseitiger Prozess verstanden wird und kulturelle Vielfalt augenscheinlich ein auf Pluralität zielendes Konzept ist, so zeichnen diese Absichten oftmals ein unrealistisches Wunschbild, da vielfach unbeachtet bleibt, wie hochgradig Kultur in Diskurse und Macht verstrickt ist. Die Besetzung einer weißen7 Suprematie in den Kulturinstitutionen und Debatten der Leitkultur erzeugen den Beigeschmack einer Drohgebärde, der solche Zielformulierungen insbesondere in Bezug zu Neuangekommenen zu einer widersprüchlichen Angelegenheit werden lässt. Die gewünschte und/oder behauptete gleichberechtigte Zusammenarbeit wird trotz einer vorhandenen Aktivität bedeutungslos. Sie dient sogar immer wieder als ›Alibi‹, womit Spivak Argumente und Aktivitäten meint, die als »an alibi for economic, military, and political intervention« (Spivak 2004: 524) aufwarten. Integration, als das Vorhaben einer gleichberechtigten und demokratischen Vielfalt, die nur »eine Art« (»a kind of«, d.h.: nicht ganz, nur ein bisschen, als notwendig abgetane (ebd.)) Instrumentalisierung der Neuangekommenen ist, sollte als ein solches Alibi-Argument entlarvt werden. Auf diese Weise entstehen in erster Linie gesellschaftliche und individuelle Konflikte aufgrund von vorsätzlich unkenntlich gemachten Machthierarchien, anstatt dem Ziel einer ausgewogenen Integration oder kulturellen Vielfalt tatsächlich näher zu kommen (vgl. Fuchs 2016). Mal abgesehen von dem berechtigten Zweifel an Kausalitätsnachweisen von kultureller Bildungsarbeit und Integrationsgelingen, sind diese Wirkungsbehauptungen nicht zuletzt hinsichtlich der asylsuchenden Neuangekommenen deshalb fragwürdig, da die politisch-rechtlichen Bedingungen für Flüchtlinge während der langwierigen Asylverfahren, eine strukturelle Integration durch entsprechende Bleiberechtspapiere oder Zugang zum Arbeitsmarkt strikt verhindern, obwohl diese als Ursache für die unerwünschte Desintegration am Schwersten wiegen. Nun – so kann behauptet werden – soll die soziale und kulturelle Bildungsarbeit noch nicht geklärt ist (einen kleinen Überblick bietet bspw. das BKJ unter https://www.bkj.de/kulturelle-bildung-dossiers/fluechtlinge-und-kulturelle-bildung/ausschreibungen-und-foerderungen.html vom 3.3.17). 7
Mit ›weiß‹ meine ich, gemäß der Kritischen Weißseinsforschung, als politischer Begriff die Position einer dominanten Machterfahrung. Eine ›weiße Suprematie‹ bezeichnet des Weiteren eine einseitige, sich überlegend empfindende (koloniale) Denkart bzw. auch ein Handeln Privilegierter, die sich nicht bemühen, ihr Denken postkolonial zu erweitern, und sich nicht in dekolonialem Denken zu üben.
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das Versagen der Politik auffangen, indem sie bürgerliche Kunst und Kultur als »Distinktionsmoment« und »national geprägte kulturelle Bezugspunkte« (Castro Varela/Heinemann 2016: 61) ver- und übermittelt und sich damit in den Dienst einer staatlichen Integrationspolitik stellt. Eine solche potenzielle Instrumentalisierung für eine ideologische Infiltration der Neuangekommenen im Sinne einer hegemonialen, westlichen Vorstellung von Weltanschauung (Spivak nennt dies auch ›worlding of the West as world‹8), wird seit Langem seitens postkolonialer Theoretisierenden unter dem Begriff epistemische Gewalt9 scharf kritisiert. Denn neben all den traumatischen Fluchterfahrungen oder aber den Verlustempfinden ihres gewohnten Umfeldes, die geflüchtete Personen heimsuchen und nachsetzen können, teilt ihnen die politisch-rechtliche sowie kulturell-mediale Diskurs- und Regelungsstruktur des Aufnahmelandes Deutschland eine einzige und ausschließliche Position zu, nämlich die des Flüchtlings. Durch Othering-Prozesse wird dieser Subjektposition bestimmte Bedeutungen, Bilder und Narrative, heißt Repräsentationen, zugeschrieben. Diese umweben in variabler Modalität die Vorstellung des Flüchtlings als Opfer, wobei diese »›Viktimisierung‹ im Migrations- und Flüchtlingsdiskurs eine machtvolle diskursive Struktur ist, deren Effekte für die Betroffenen höchst problematisch sind« (Niedrig/Seukwa 2010: 182). Sie sind deshalb problematisch, weil die Ankommenden sich ausschließlich in dieser Subjektposition intelligibel, heißt verstehbar, machen können und sie daher diese passive und beschädigte (Opfer-)Identität, die vom vermeintlich Normalen abweicht, anerkennen. Auf diese Weise wird gleichzeitig die angebliche Normalität eines überlegenen und humanistisch handelnden Europa-Bildes als willkommen heißende Aufnahmeregion bestätigt und hervorgebracht10 (vgl. ebd.: 184). Diese »unaufhörliche Selbstinszenierung Europas« (Seukwa 2016: 112) als humanistisches und demokratisches Projekt solle, so Seukwa, hinterfragt werden:
8
›Worlding‹ bezeichnet im postkolonialen Vokabular die kulturelle Dimension des westlichen Imperialismus: die Interessen und das Wissen des Westens werden für den Rest der Welt als normal vorausgesetzt (vgl. Spivak 1985: 243; vgl. Andreotti 2007: 69).
9
Kurz gesagt ist damit die hegemoniale westliche Wissensherstellung und -beherrschung gemeint. Castro Varela weist daraufhin, dass Spivak dieses Phänomen einmal offensiv als »mindfucking« bezeichnet hat (vgl. Castro Varela 2007).
10 Stuart Hall veranschaulichte diesen Othering-Prozess in seiner bekannten Aussage: »Die Engländer sind nicht deshalb rassistisch, weil sie die Schwarzen hassen, sondern weil sie ohne den Schwarzen nicht wissen, wer sie sind« (Hall 1999: 93).
296 | S OFIE O LBERS »Von welchen Menschen sprechen wir in diesem Humanismus, der sich historisch als partikular, gar ethnisch erwiesen hat, und dessen behauptete Universalität sich für die Verdammten dieser Erde immer wieder als abstraktes und gefährliches Gerede zeigt, das zur Legitimation von unsagbaren Verbrechen Europas gegenüber der Menschheit in anderen Regionen der Welt gedient hat und immer noch dient? Denn eine nähere Betrachtung der Handlungslogik offenbart eine immense Kluft zwischen einerseits der Ordnung der Praxis [...], und andererseits der Ordnung der Diskurse« (ebd.: 112f).
Während die Praxis unzählige und inhumanste Gräueltaten aufweise, würden diese ex post im Diskursiven rational erklärt, so Seukwa weiter, deshalb sei »[d]ie Handlungslogik Europas [...] in ihren Grundzügen ein Déjà-vu« (ebd.: 113) kolonialer Praktiken. Zu erkennen ist folglich eine Entmündigung und Essentialisierung Neuangekommener in der hier dargestellten Debatte um die Ziele einer kulturellen Bildungsarbeit, wobei durchaus zu unterstellen ist, dass eine Mehrzahl von Projekten der Kulturellen Bildung und die übergreifenden kulturpolitischen Zielsetzungen (un-)eindeutig im Dienste einer Tendenz stehen, die zur Legitimierung und ReProduktion sozialer und globaler Ungleichheit führen können. Daher müssen m.E. entschieden andere Ziele gesetzt werden. Ein solches Ziel könnte beispielgebend sein, der kontinuierlichen Subalternisierung von Neuangekommenen entgegenzuwirken und damit zur »Subjektemanzipation und individuellen Handlungsfähigkeit von Geflüchteten« beizutragen, wie Seukwa (ebd.: 117) vorschlägt, und dem ich noch ergänzend hinzufügen würde, dass es gleichermaßen auch um die Subjektemanzipation von Alteingesessenen geht, da diese binären Subjektpositionen immer in Relation zueinander stehen (vgl. Hall 200411: 118). Wenn es darum gehen müsste, die vom Diskurs zur Verfügung gestellten Subjektpositionen zu emanzipieren, dann geht dies einher mit den darum gewobenen Repräsentationen, die gerade auch in künstlerischen und darstellenden Praktiken von Bedeutung sind, aber gleichfalls eine problematisch-paradoxe Struktur aufweisen, die immer noch häufig genug unbeachtet bleibt. 2.2 Das Paradox der Repräsentation Im Kontext von künstlerischen Praktiken (insbesondere bei den Darstellenden Künsten) sollte Repräsentieren als eine Praxis verstanden werden, in der Facetten von Stellvertreten, Darstellen, Herstellen, (sich) Vorstellen und Ausstellen sowie Übersetzen koinzidieren und eng mit hegemonialen diskursiven Strukturen verbandelt sind. Entsprechend bedeutet Repräsentieren nicht einfach Wiedergeben 11 Die englische Erstveröffentlichung The Spectacle of the ›Other‹ erschien 1997.
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oder Abbilden einer vermeintlichen Wirklichkeit von etwas außerhalb Bestehendem, sondern es handelt sich vielmehr »um einen Komplex der Bedeutungs- und Realitätskonstruktion – um eine gestaltende, machtvolle und durch Rahmungen bedingte Praxis« (IAE 2016a). Das konstruktivistische Konzept der Cultural Studies von Re-Präsentation erkennt, dass wir uns anhand von Repräsentationssystemen (der Sprache, der Bilder, der Praktiken) auf etwas beziehen und damit diesem etwas Bedeutung zuweisen. Der Bindestrich in Re-Präsentation12 ist zur Kenntlichmachung der konstruktivistischen Lesart absichtlich hinzugefügt, um die übliche Lesart des Begriffes Repräsentation zu entkräften und die Tatsache zu reflektieren und sichtbar zu machen, dass keine Re-Präsentation absolut objektiv und universal sein kann. Durch RePräsentation wird folglich etwas anwesend (hörbar, sichtbar, sagbar) gemacht, was gerade nicht anwesend (hörbar, sichtbar, sagbar) ist und dabei wird dieses etwas überhaupt erst erschaffen. So schreibt Hall: »The main point is that meaning does not inhere in things, in the world. It is constructed, produced. It is the result of a signifying practice – a practice that produces meaning, that makes things mean.« (Hall 2013: 24). Repräsentation verweist also nicht einfach nur auf etwas identisch Bestehendes, sondern stellt Bedeutung her, wobei in gängiger Art und Weise dieser Aspekt verschleiert wird, in konstruktivistischer Weise (Re-Präsentation) jedoch absichtlich herausgestellt wird. Die Bedeutungsherstellung, so Hall weiter, funktioniert besonders gut durch Differenz, denn »Bedeutung hängt von der Differenz zwischen Gegensätzen ab«, (Hall 2004: 117). Offenbar würden wir nur wissen was etwas bedeute, indem wir auch wissen, was es nicht bedeute. D.h. Bedeutung bestehe nicht aus sich selbst heraus, sondern häufig in Differenz zu etwas Anderem. Binäre Gegensatzkonstruktionen eignen sich dabei besonders gut, symbolische und soziale Ordnung herzustellen und aufrechtzuerhalten; damit seien sie als ein Machtinstrument zu kennzeichnen (vgl. ebd.: 117; vgl. Nestler 2011: 157). Bestimmte Repräsentationsmodi wie »Stereotypisierung und Unsichtbarmachung« (IAE 2016a) sind solche Machtinstrumente, die dazu führen, dass die hegemoniale Konstruktion der Anderen als vereinfacht, essentialisiert, übertrieben und meist negativ konnotiert dargestellt wird und auf diese Weise Herrschaftsverhältnisse re-produziert werden. Durch die Wiederholung von ähnlichen Repräsentationen von etwas oder jemanden über verschiedene Diskurse hinweg, formiert
12 Des Weiteren verwende ich in diesem Artikel also die Schreibweise Re-Präsentation, wenn ich den Konstruktionscharakter ausstellen möchte; hingegen verwende ich die Schreibweise Repräsentation, wenn ich essentialisierende, festgeschriebene Narrative meine.
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sich ein verfestigtes, essentialisierendes und zunehmend naturalisiertes Repertoire, das Hall auch ein »Repräsentationsregime« (Herv. i.O., Hall 2004: 115) nennt. Grundlegend funktioniert diese vereinheitlichende und naturalisierende Wirkung der Macht durch die Unkenntlichmachung der Positionierung dieser Macht. Mit Rekurs auf Foucaults Machtbegriff erklären Hall als auch Nestler, dass das »mediale Auge« (Nestler 2011: 156) so tue als ob es sich mit seinem »panoptischen Blick« (ebd.) außerhalb der Re-Präsentation stellen könne, um innerhalb eines bestimmten Rahmens alles ordnen zu können, was darin existiert, ohne jedoch sich selbst in diesem Rahmen zu verorten (vgl. Hall 1989: 159). Um diese fremdbestimmten Repräsentationen von Menschen, die in der hiesigen Gesellschaft unter heteronomen Bedingungen Marginalisierung erleben, in der kulturellen Bildungspraxis zu verändern und durch (pädagogische) Intervention zu beseitigen bzw. zu lindern, geht es im Folgenden um die Forderung nach Selbstrepräsentation. Wie ich jedoch zeigen werde, unterliegen auch diesem zurzeit stark verbreiteten Lösungsansatz wiederum bestimmte aporetische Züge, die m.E. bei der Diskussion um Qualitätsmerkmale beachtet werden müssen.
3. »W E
ARE NOT YOUR NEXT ART PROJECT «
Wie bereits deutlich wurde, hat kulturelle Bildungsarbeit mit Neuangekommenen nicht per se Wirkungsfähigkeiten für die Betroffenen, sondern ist häufig im größeren Maße für die Privilegierten nützlich. Nicht von ungefähr wurde 2015 in dem 10-Punkte Papier »We are not your next art project«13 und an anderen Stellen die Kritik laut, die künstlerische Arbeit mit Neuangekommenen würde vorrangig den Vorteilen und Absichten der mehrheitsangehörigen Kunstschaffenden und Projektleitenden Genüge tun, statt den durch Fluchterfahrungen geprägten und von Marginalisierung betroffenen Neuangekommenen selbst dienlich zu sein. Das 10Punkte Papier verweist daher offensiv auf die Eigeninteressen der Kunstschaffenden und Projektleitenden, die Rahmenbedingungen und politischen Folgen solcher Projekte und der vielfach ignorierten Tatsache, dass Kunst keinesfalls neutral ist. Einstimmend formuliert das Festival bzw. die Tagung Interventionen – Refugees in Arts & Education14, welche/s im Sommer 2016 das zweite Mal in Berlin 13 Dieses Papier wurde 2015 von der australischen Geflüchteten-Organisation RISE verfasst und verbreitet: http://riserefugee.org/10-things-you-need-to-consider-if-you-arean-artist-not-of-the-refugee-and-asylum-seeker-community-looking-to-work-withour-community/ vom 24.11.16. 14 Siehe http://interventionen-berlin.de/interventionen/.
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stattfand, wichtige Prämissen für mehr »Selbstorganisation als Quelle für Veränderung [...] gekoppelt an die Möglichkeit von Selbstermächtigung« (Interventionen 2016: 3), um den bisher nur langsam vorankommenden »Wandel hin zu einer Selbstverständlichkeit kultureller Diversität« (ebd.) zu beschleunigen und die Ausgestaltung solcher Ziele nicht einer weißen Suprematie15 zu überlassen. Weiter zu lesen ist in ihrer Dokumentation: »Die Willkommenskultur ist zum Großteil, wenn nicht sogar vollständig, fremdorganisiert. Teil dieser Willkommenskultur sind die vielen Möglichkeiten, die sich für nicht betroffene Menschen ergeben, Karrieren, Perspektiven und Ressourcen auf den Geschichten, Erfahrungen und Körpern von betroffenen Menschen aufzubauen. Sie handeln oft im Namen der Solidarität, der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung anderer, stärken dabei jedoch die ungleichen Machtverhältnisse, die oft Ursache für viele Formen der Displacements sind.« (ebd.: 6).
Dies sind grundlegende Hinweise für eine Revision der Widersprüche »wohlmeinende[r] Praxen« (Castro Varela/Heinemann 2016: 53), die nach Castro-Varelas und Heinemanns Einschätzungen eher die Ausnahme bleibt (vgl. ebd.: 61). Die Forderung nach Selbstbestimmung, Selbstermächtigung und der daraus resultierenden Selbstrepräsentation sollte ein grundlegender Aspekt der Debatte um Qualität in der kulturellen Bildungsarbeit mit Neuangekommenen sein. Und dies, so m.E., nicht nur, wie bisher hier vorrangig diskutiert, aus einer machtkritischen Perspektive auf Fremdbestimmung und Bevormundung, sondern auch wie bereits erwähnt, weil soziokulturelle und darstellende Praxen, wie das Theater, es fundamental mit Re-Präsentationspraktiken zu tun haben: sie stellen Flucht dar, inszenieren Geschichten dazu, entwerfen und bespielen tragische Figurenensembles und berichten über Unrecht, sie artikulieren, übersetzen Reales in ästhetische Rahmungen und regen die Imagination der Darstellenden und Zuschauenden an. Obwohl Selbstrepräsentation eine wichtige Strategie und politische Forderung ist, greift sie m.E. jedoch zu kurz, wenn sie wiedermal ein ›Alibi‹ bleibt (vgl. Spivak 2004: 524). Refugees einfach eine Bühne zu bieten, um sich selbst zu repräsentieren, verlässt nicht einfach den machtdurchdrungenen Raum und hat ebenfalls immer essentialisierende Tendenzen. Entsprechend dieses Dilemmas schreiben Castro Varela und Dhawan: »eine adäquate Repräsentation bleibt immer eine Unmöglichkeit« (2007: 31) – auch in der Selbstrepräsentation. Die Frage lautet zudem nicht nur wer darstellt, sondern auch vor wem, für wen und wie die Darstellenden dann gesehen werden bzw. was übersehen wird, so wie Spivak in
15 Vgl. Fußnote 7.
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ihrem Aufsatz Can the Subaltern Speak? (200816) nahelegt. Dabei spricht Spivak den Subalternen nicht ab, selbst sprechen zu können, vielmehr sagt sie, dass sie in den derzeitigen Machtstrukturen nicht gehört würden, selbst wenn sie es täten. Diese Repräsentationsform bezeichnet Spivak als ›Unmöglichkeit zu sprechen‹ (vgl. Spivak 1996: 306), denn für sie besteht ein vollständiger Sprechakt immer aus dem Sprechen und dem Gehört-Werden. Die Gefahr liegt darin, anzunehmen oder zu plausibilisieren, dass die Subjekte der Re-Präsentation, also die Repräsentierten, faktische Referenten seien, obwohl diese immer imaginiert sind. Es liegt auf der Hand anzunehmen, dass die authentischen Stimmen der Anderen, diejenigen, die selbst die Erfahrung der Anderen mitbringen (bspw. heute in der Gesellschaft Angekommene mit ehemaligen Fluchterfahrungen), am besten die zum Schweigen gebrachten postkolonialen Subalternen (bspw. gerade Neuangekommene) vertreten und übersetzen können. Doch auch im Sprechen der ›authentischen Vertreterin‹17 marginalisierter Gruppen über ihre Kultur – es wird von ihr erwartet bzw. verlangt ausschließlich über ihre Kultur zu sprechen, alles Weitere wird ignoriert – wird erneut das Kulturelle essentialisiert bzw. Ränder und Zentrum werden in binären Gegensätzen festgeschrieben (vgl. Castro Varela/Dhawan 2007: 39ff). Die Publikumsgespräche bei den Aufführungen von Hajusom18 können hier als ein passendes empirisches Beispiel einer solchen Taubheit angeführt werden. Die migrantischen Performenden zeigten für beinah zwei Stunden gewitzte und zugespitzte Szenen über Fremdzuschreibungen und stellten deren Deutungshoheit aus. Sie spielten mit scheinbaren Eindeutigkeiten von Herkünften, Identitäten und Differenzen. Und trotzdem stellt das Publikum im anschließenden Gespräch den Darstellenden selbst-verständlich die Frage ›Woher kommt ihr denn alle?‹ – und fast alle Performenden beantwortet sie teils mit stolzen, teils aber auch mit gemischten bis genervten Gefühlen (vgl. Kalu 2014). Das Publikum sieht und hört, trotz soeben vorgeführter Irritation, was es sehen und hören gewohnt ist, und denkt erschreckend automatisch in den alten Mustern fort, ohne sich selbst einmal zu fragen ›Woher kommt dieses Sehen und Denken eigentlich?‹. Übertragen auf den Kontext Flucht in den Darstellenden Künsten bedeutetet dies, dass in Projekten häufig hastig und eigennützig Menschen mit Fluchterfahrung gesucht werden, die dann als authentische Stimmen auf der Bühne sprechen, 16 Die englische Erstveröffentlichung erschien bereits 1988. 17 Spivak nennt diese Position auch die »einheimischen InformantInnen« (Spivak 2008: 49) (native informants), einen Begriff, den sie aus den ethnologischen Forschungen entnimmt. 18 Hajusom ist ein seit 1999 bestehendes transnationales Kunstprojekt in Hamburg, welches
sich
hauptsächlich
(www.hajusom.de).
aus
geflüchteten
Jugendlichen
zusammensetzt
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damit dem Prinzip der Selbstrepräsentation Rechnung getragen wurde. Obgleich mit dem Sprechen über sich selbst von Seite der Projektleitenden und potenziellen Zuschauenden meistens Berichte der Fluchtgeschichte und/oder des FlüchtlingsDaseins gemeint werden, die von den als geflüchtet bezeichneten Darstellenden, gemäß dem oben erklärten Othering-Prinzip, auch unfreiwillig erfüllt wird. Dass z.B. manches Mal genau über diesen Aspekt ihrer persönlichen (Flucht-)Geschichte – aufgrund traumatischer Erfahrungen und/oder der Erfahrung auf solche Geschichten essentialisiert zu werden – gerade nicht besonders gerne (und authentisch) selbst gesprochen wird bzw. werden kann, wird dabei gewaltvoll ignoriert. In diesem Sinne wäre eben auch eine einfache »Post-Repräsentationspolitik« (Castro Varela/Dhawan 2007: 44) nicht die Lösung, was nach Spivaks Ansatz heißen würde, dass die subalternen Stimmen nicht vernommen werden. Zurecht bemerken Castro Varela und Dhawan, dass man »diesem Dilemma nicht einfach ausweichen [kann], indem man eine Repräsentation verweigert.« (ebd.: 32). Die ethische Verantwortung19 zu re-präsentieren bleibt (ob als Repräsentierende der Gruppe der Flüchtlinge oder als Mehrheitsangehörende). Außerdem ist zu beachten, wie Castro Varela (2007) anmerkt, dass die »Kunst, die Regeln zu brechen« (ebd.), d.h. die vermeintliche Normalität und die strukturellen Mechanismen des Erhalts sozialer und globaler Ungleichheit zu hinterfragen, nicht von allen und auch nicht unbedingt von den Betroffenen selbst immer gewollt sei: »Wer die Regeln bricht, darf deshalb nicht hoffen, dass das Brechen der Regeln allen attraktiv erscheint. Nicht wenige sind zufrieden mit dem So-wie-es-ist, verweigern den Willen zum Widerstand. So ist für viele die historisch gewachsene Struktur des ›Wir und die Anderen‹ durchaus attraktiv – ganz gleich auf welcher Seite sie stehen, sie profitieren davon.« (ebd.).
Deshalb, so möchte ich hier explizit feststellen, ist ein grundlegendes Qualitätsmerkmal die permanente machtkritische Hinterfragung von Re-Präsentationspraktiken – und zwar von allen Beteiligten eines kulturellen Bildungsprojektes.
19 Spivak plädiert für ein Bildungskonzept, das sich in einer ethischen Verantwortung und Beziehung gegenüber dem und nicht für den Anderen übt, »[as a responsibility that is] sensed before sense as a call of the other [...] [and not] as the duty ›of a fitter self‹« (Spivak 2004: 535).
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4. Q UALITÄTSMERKMALE KULTURELLER B ILDUNGSARBEIT MIT N EUANGEKOMMENEN Die weiteren Ausführungen dieses Artikels widmen sich nun der Herausarbeitung von Qualitätsmerkmalen, die ausgehend von den bisherigen Einschätzungen der Repräsentationsproblematik einen bestmöglichen Umgang erstens mit dem Paradox der Re-Präsentation allgemein, zweitens auf einer analytischen Ebene im Verhältnis von Subjekt und Sozialem und drittens auf der künstlerisch-praktischen Ebene der Darstellenden Künste umschreibt. Qualität lässt sich, so wird im Folgenden angenommen, als idealtypischer Lösungsansatz kennzeichnen, der aufgrund der aporetischen Eigenschaften der Problematik als immer nur partiell und vorläufig zu erreichendes Ziel formuliert und im Fokus gehalten werden sollte. Dazu können verschiedene methodische Herangehensweisen beitragen, die im Folgenden genauer besprochen werden. 4.1 Machtkritische Hinterfragung von Re-Präsentationspraktiken Aus den dargelegten Erkenntnissen wird unverkennbar, dass jede Art von Re-Präsentationspraktik gleichzeitig effektvoll problematisiert und »das Repräsentationsverhältnis immer [als] Supplement« (Herv. i.O., Castro Varela/Dhawan 2007: 34) begriffen werden sollte. Außerdem müsste Re-Präsentation als Herrschaftspraxis verstanden werden und es sollte »die absente oder einseitige Repräsentation sozialer Gruppen oder Themen (Hautfarbe, Geschlecht, Klasse) in den Blick [genommen werden], welche häufig mit einer strukturellen, personellen oder ressourcenbedingten Verunmöglichung von Selbstrepräsentation einhergeht.« (IAE 2016a). Wichtig ist es deshalb erstens zu verdeutlichen, wer sich der Aufgabe zu repräsentieren und damit zu interpretieren ermächtigt hat. Während des Re-Präsentierens sollte also immer Position bezogen werden, welches bedeutet politisch zu sein, um nicht unwirksam bleiben zu können. Zweitens ist es darüber hinaus vor allem wichtig, die Art und Weise des Re-Präsentierens zu betrachten und zu berücksichtigen, unter welchen Bedingungen und mit welchen Interessen sie stattfindet (vgl. Castro Varela/Dhawan 2007: 44). Castro Varela und Dhawan schlagen daher folgende Fragen vor, die das Paradox der Re-Präsentation kritisch beleuchten: »wer repräsentiert, [...] aus welchen Gründen heraus [...] zu welchem historischen Moment, in welchem Kontext, mit welchen Strategien und mit welcher Haltung. [...] [W]er [ist] eigentlich legitimiert die ›Stimme der Minorisierten‹ zu sein. [...] [Und v.a.] Wie ist es möglich, ethisch die Erzählungen Anderer zu bewohnen, ohne sie zu vereinnahmen, ohne ihnen Gewalt anzutun?« (ebd.: 41). Grundlegend
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schleicht sich hier, trotz dieser durchaus wichtig zu stellenden Fragen, wiederum eine Aporie ein. Denn, wenn gefragt wird, wer legitimiert ist jemanden zu repräsentieren, der einer gesellschaftlich minorisierten Gruppe zugeschrieben wird, ist m.E. gleichzeitig zu fragen: wer ist dazu legitimiert zu bestimmen, wer dazu legitimiert ist? Denn würden die Betroffenen befragt werden, gäbe es sicherlich ein vielschichtiges Potpourri an Antworten, so dass weiterhin die Problematik bestehen bliebe, wer hierfür Kriterien festlegen kann und wie diese dann aussehen sollten. Es ist also zu erkennen, dass eine vorschnelle Lösung, oder wie Spivak sagt »quick-fix frenzy of doing good« (Spivak 1996: 293), unangebracht ist und die gründliche Auseinandersetzung mit Re-Präsentation eine zuweilen knifflige Angelegenheit wird. Eine machtkritische Perspektive auf Re-Präsentation verschreibt sich deshalb mehreren Schritten: erstens der Sichtbarmachung der verschleierten Machtverhältnisse durch (selbst-)reflexive Akte; zweitens der Offenlegung des konstruierenden und verschiebenden Charakters von Bedeutung, um die heteronomen, strukturellen Bedingungen schrittweise zu öffnen; und drittens der kreativen Erfindung von alternativen Re-Präsentationspraktiken, die neu artikulierte und/oder mehrperspektivische Bedeutungen zulassen (Hall 2004: 163f) bzw. die (An-)Erkennung von künstlerischer Verfremdung von repressiven Repräsentationen durch transgressive Praktiken (vgl. Seukwa 2016: 117). Letzteres wird im Abschnitt über die ästhetisch-performativen Praxisformen noch weiter ausgeführt. Eine solche kritische Praxis macht es sich zu Nutze, dass »Repräsentation eine komplexe und ambivalente Praxis ist« und eröffnet das Feld »für ›Politiken der Repräsentation‹, für einen Kampf um Bedeutung, der andauert und nicht beendet ist« (Hall 2004: 165). Auch wenn diese Strategien »niemals eine absolute Garantie geben« (ebd.), so gibt es in Gegenwart und historischer Vergangenheit viele verschiedene Beispiele von minorisierten und marginalisierten Gruppen, die kreative Praktiken entwickelt haben, um in bestehende Repräsentationsregime zu intervenieren (vgl. ebd.: 159f). Entscheidend für die Möglichkeit zur Repräsentationskritik ist es sich zu verdeutlichen, dass sich die identitätskonstituierende diskursive Macht entlang von Bedeutungsketten artikuliert, »weshalb eine kritische Intervention darin bestehen kann, bestimmte Elemente einer Bedeutungskette anders zu artikulieren und dadurch neue Subjektpositionen zu ermöglichen.« (Nestler 2011: 155) Wie kann eine solche Neu-Artikulation und daraus resultierende Subjektemanzipation gelingen? Im folgenden Abschnitt wird vorgeschlagen, dafür die diskursanalytische Methode einzusetzen, die auf Foucaults diskurstheoretischem Ansatz basiert. Was das Diskursive mit dem hier diskutierten Problem der Reprä-
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sentation und kulturellen Praktiken zu tun hat, wurde bereits im Vorigen an verschiedenen Stellen erläutert. Was aber hat dies insbesondere mit sozialer Bildungsarbeit zu tun? 4.2 »Die Kunst nicht dermaßen regiert zu werden« Das Diskursive, also die gesellschaftliche Wissens- und Bedeutungsproduktion, so Bettinger (vgl. 2007: 75), sei nahezu gleichbedeutend mit dem Sozialen einzustufen, da es nichts Soziales außerhalb des Diskursiven gäbe. Der zentrale Gegenstand sozialer (Bildungs-)Arbeit – die sozialen Problemlagen – sei also nicht nur als in Diskursen begründet zu bestimmen, sondern die jeweilige soziale Wirklichkeit und vermeintliche Wahrheit dieser Arbeit seien ebenfalls durch Diskurse hergestellt zu betrachten. Bezogen auf das hier diskutierte Beispiel heißt das, der Diskurs stellt den Flüchtling und die problematische Andersartigkeit dieses Flüchtlings als diskursive Repräsentation in Bezug zur unproblematisch und als normal betrachtete Positionen des Alteingesessenen innerhalb des herrschenden Diskurses her und damit auch die soziale Problemlage des Flüchtlings als Gegenstand sozialer Bildungsarbeit. Das foucaultsche Subjekt, das solchen Machtspielen des Diskurses mittels äußerlicher Kontrolle und Abhängigkeit unterworfen ist und darüber hinaus auch der eigenen Identität verhaftet sich selbst kontrolliert (vgl. Foucault 2005: 245)20, scheint beinahe verloren. Obwohl ich in diesem Artikel bereits mehrfach versucht habe, ein paar Möglichkeiten anzureißen, essentialisierende Repräsentationen zu überwinden, so kann zu recht gefragt werden, ob wir uns denn von diesen MachtWissen-Komplexen in irgendeiner vielversprechenden Methode befreien können? Die diskursanalytische Methode sei dabei, so Bettinger, »ein Element gesellschaftlicher Veränderung...« (Bettinger 2007: 86f), die m.E. der hier diskutierten Subalternisierung von Flüchtlingen entgegenwirken und zur Subjektemanzipation von, mit dieser Kategorie inflationär bezeichneten, Neuangekommenen beitragen kann. Im Übrigen erwähnt Foucault, dem die alles durchdringenden, diskursiven Machtbeziehungen einstweilen auch zu mächtig wurden: »Ich habe mir vorgenommen [...], den Menschen zu zeigen, dass sie weit freier sind, als sie meinen; dass sie Dinge als wahr und evident akzeptieren, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte hervorgebracht worden sind und dass man diese sogenannte Evidenz kritisieren und zerstören kann.« (Foucault 1993: 16f).
20 Erstveröffentlichung unter dem Titel Dits et Ecrits, Schriften in vier Bänden von 1994.
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Bekannter als dieses Zitat ist sein Wortlaut »Die Kunst nicht dermaßen regiert zu werden« (Foucault 1992: 12), den er in seinem Aufsatz Qu’est ce que la critique? von 199021 formulierte. Dazu gehört als Diskurskritikerin in diskurstheoretischer Manier die eigene diskursive Involviertheit zu beachten, »...insofern« – wie Bettinger sein obiges Zitat weiter ausführt – »die die Diskurse Analysierenden ihre diskursanalytische Tätigkeit selbst als Diskursproduktion reflektieren« (Bettinger 2007: 86f.). Dies ist dann eine ›Kunst‹ innerhalb von Forschung und Praxis mit dem diskursanalytischen Werkzeug in der Hand trotz der eigenen Subjektivierung innerhalb der sozialen und diskursiven Wirklichkeit sich in seinem Denken, Sprechen, Schreiben und Empfinden immer wieder dem subjektivierenden RegiertWerden eine Handvoll zu entziehen. Nach Foucault (vgl. 2014: 96), der auch innerhalb der Machtbeziehungen den Widerstand gegen diese verortet, lassen sich heteronome Strukturen analysieren und daran anschließend Strategien entwickeln, mit denen Subjekte anteilig Autonomie und Handlungsfähigkeit zurückerlangen können. Die kritische, widerständige Artikulation kann sich deshalb nicht herausnehmen aus der eigenen »Komplizenschaft« (Castro Varela/Dhawan 2015: 217; vgl. Spivak 2008: 41) mit den machtvollen Strukturen und kann deshalb nur durch eine permanente (Selbst-)Befragung der Relation und der gegenseitigen Re-Produktion von Macht-Wahrheit-Subjekt gelingen. Foucaults kritische Analysemethode ist daher eine, die durch Reflexion auf Emanzipation zielt: »Dann ist die Kritik die Kunst der freiwilligen Unknechtschaft, der reflektierten Unfügsamkeit. In dem Spiel, das man die Politik der Wahrheit nennen könnte, hätte die Kritik die Funktion der Entunterwerfung.« (Foucault 1992: 15) Obwohl der Diskurs die Subjekte also maßgeblich in seinen Macht-WahrheitsSpielen regiert, zeichnet sich ein gleichsam befreiendes Bildungspotenzial in der diskursanalytischen Methode ab. Für die weiter oben formulierte Frage nach einem anderen Bildungsziel der kulturellen Bildungsarbeit mit Flüchtlingen als die derzeitige kulturpolitische Agenda vorsieht, möchte ich ein Verständnis von sozialer Bildungsarbeit ableiten, welche ich im Anschluss an Foucaults obigem Wortlaut Bildung als Entunterwerfung nennen möchte, dem ein emanzipatorisches Bildungsverständnis zugrunde liegt (eben ›nicht dermaßen regiert zu werden‹) und das als Ziel die Subjektemanzipation – und ergo auch die Emanzipation des gesellschaftlichen Kollektivs – formuliert. M.E. hat also diese diskurskritische Perspektive mit ihren befreienden Bildungsmöglichkeiten tatsächliches Potenzial, um in und mit sozialer und kultureller Bildungsarbeit die bestehende soziale und globale Ungleichheit und deren Ursachen sichtbar zu machen und infrage zu stellen sowie insbesondere die eigene sozial- und/oder kulturpädagogische Tätigkeit als
21 In deutscher Übersetzung Was ist Kritik?, aus dem Jahr 1992.
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innerhalb solcher Prozesse angesiedelt, mitverursachend und daher notwendigerweise selbstreflexiv überprüfend anzugehen. 4.3 Darstellende Praxisformen der ästhetischen Intervention und des performativen Widerstandes Jedwede kulturelle Praxis, die bestimmten sozialen Problemlagen und mit den entsprechenden vulnerablen Gruppen arbeitet, sollte daher die Subjektemanzipation dieser im Speziellen, jedoch in ihrer Relationalität auch zu allen weiteren Beteiligten dieser Praxis, als Beweggrund, Gegenstand und Zielhorizont haben. Nicht von ungefähr bezeichnet schließlich Foucault es als eine ›Kunst‹ sich peu à peu und unaufhörlich von dem Regiert-Werden anderer und seiner selbst zu befreien. So wird m.E. in der künstlerischen Arbeit, hier wieder bezogen auf die Darstellenden Künste, die dafür geforderte Dekonstruktion und Bearbeitung einseitiger Repräsentationen mittels widerständiger ästhetischer Praktiken besonders gut möglich. Im Folgenden werde ich aufgrund der Kürze des Artikels anhand nur einiger Argumente diese kunstvolle Möglichkeit am komplexen Gegenstand einer angewandten Theaterarbeit mit einem politischen und inventionistischen Impetus aufzeigen. Der näher untersuchte Bereich der Darstellenden Künste bzw. der performativen Künste steht längst unter einem Performativitätsparadigma, welches insbesondere das in Aufführungen performative Veränderungspotenzial hervorhebt und angibt die Stimmen der Marginalisierten in Selbstrepräsentationen erfolgreich auf die Bühne zu bringen (vgl. Fischer-Lichte 2012; Lehmann 2005; Pfeiffer 2012). Das aber die fundamental repräsentative Beschaffenheit kultureller und darstellender Praktiken nicht einfach wegzudenken ist (vgl. Spivak 2008), bleibt hier häufig unbeachtet. Insbesondere bei solchen Gruppen, die durch diese Markierung als Migrations- oder Flüchtlings-Andere essentialisiert betrachtet werden, setzen sich solche vorschnellen Lösungen des subversiven Potenzials des Performativen nicht immer bzw. schwerer durch. Stattdessen wäre die Paradoxität von Aufführungen und ihren performativen und repräsentativen Aspekten hinsichtlich der Essentialisierung dieser als Andere Produzierten in der kulturellen Bildungspraxis genau zu be(tr)achten und zu verhandeln, statt sie einfach zu negieren (dies verfolge ich in meiner Dissertation). An der hiesigen Stelle sei also noch einmal erwähnt, dass die Darstellenden Künste (auch solche die weiter unten beschrieben den performativen Künsten zugeschrieben werden) stark von repräsentativen Praktiken gekennzeichnet sind, wenn sie nicht gar als einer der fundamentalsten Orte der Re-Präsentation bezeichnet werden können. Es werden Menschen, Themen und Phänomene dargestellt,
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imaginiert und stellvertretend gespielt, Zeichen konstruiert und auf die äußerliche sog. Wirklichkeit referiert. Greifen wir Spivaks ›negotiation from within‹ auf (vgl. Spivak in Andreotti 2007: 74), sind Orte mächtiger Repräsentationen gerade deshalb besonders gut geeignet, um soziale und politische Mechanismen der Macht und Unterdrückung innerhalb des Systems zu dekonstruieren und durch eine beabsichtigte Inszenierung ihre tückischen Funktionen offenzulegen. Dabei sollte jedoch die ambivalente Struktur dekonstruierte Re-Präsentationen wiederum zu repräsentieren gekonnt von den Darstellenden gespielt sowie von den Zuschauenden dekodiert werden. In der gesellschaftskritischen Form der Darstellenden Künste kann und wird der Kampf um Re-Präsentation schon längst geführt. Die eigenen Orte und Praxen werden infrage gestellt. Sie sind Plattformen für die »spielerische Darstellung von gleichfalls komplexen und subtilen Mechanismen der Macht und Unterdrückungen, wie sie aktuell in postmodernen Gesellschaften existieren« (Seukwa 2016: 116) und können dazu beitragen, eingefleischte Repräsentationen von Wir und die Anderen und die eigenen zugeschriebenen Rollen darin zu überdenken, damit umgehen zu lernen und ansatzweise zu bewältigen. Diese transgressiven Praktiken gilt es auch in Qualitätsnachweisen zu erkennen und anzuerkennen, wobei »Transgressionen [...] in diesem Fall Grenzüberschreitungen innerhalb des Asyldispositivs dar[stellen], dem Geflüchtete nicht entfliehen, jedoch damit umgehen können, indem es künstlerisch sublimiert wird.« (ebd.). Die Bühnen sozial ambitionierter, darstellender Künste sind durchaus als gesellschaftskritische Orte zu charakterisieren. Dies allein aus ihrem Gegenstand heraus zu bestimmen, kann zwar attraktiv sein, ist aber auch banal. Stattdessen geht es darum, durch einen widerständigen und interventionistischen Impetus in Produktions- und Rezeptionsweisen tiefgreifende dekonstruierende Arbeit auf sowohl sozialer, politischer und ästhetischer Ebene zu leisten und damit Castro Varelas und Heinemanns Appell Rechnung zu tragen, dass eine Kulturelle Bildung, bzw. so möchte ich hier präzisieren, die Darstellenden Künste, mit Neuangekommenen »politisch sein m[üssen]«22 (Castro Varela/Heinemann 2016: 63). Mit Verweis auf Spivak bedeutet Repräsentieren immer eine Zusammensetzung aus Darstellen und Vertreten, d.h. Darstellung hat immer eine politische Relevanz (vgl. Spivak 2008: 29). 22 Fuchs weist (2009) darauf hin, dass in der deutschen philosophischen Tradition von Schiller und Humboldt die Künste, die Freiheit und die aktive Gestaltung von Gesellschaft zusammengedacht wurde. Gegen dies bringt die Referenz auf historische Erinnerungen an die Identitätsstiftung durch die Künste und deren Instrumentalisierungen für nationalsozialistische Zwecke, Fuchs dazu, vor der A-Politisierung der Künste zu warnen, denn »[m]an kann eben nicht nicht politisch wirken.« (Fuchs 2009).
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So zeichnet sich seit einiger Zeit allgemein eine Verschiebung vom politischen Theater – dem theatralen Aufarbeiten und Aufklären gesellschaftlicher Problemthemen wie u.a. Armut, Gewalt, Umwelt, Flucht – zum politisch Theater machen ab. Dieses reflektiert, dass Stücke gegen Ausbeutung zu inszenieren absurd ist, wenn nicht auch die theaterimmanenten Produktions- und Rezeptionsverhältnisse und deren soziopolitischen und ästhetischen Re-Präsentationen aufs Spiel gesetzt werden (vgl. Deck 2011: 11f, 49). Diese Verlagerung des Politischen vom Inhalt in die Form des Theaters, umschifft sogar die Bedrängnis, sich durch die Befürchtung des künstlerischen Autonomieverlusts und der Instrumentalisierung in einem ästhetischen Selbstzweck (l’art pour l’art) zu verzehren. Stattdessen dekonstruieren und experimentieren neuere Formen des politischen Theaters mit ihren Arbeitsweisen und der Art und Weise der Re-Präsentation (vgl. Primavesi 2011: 48f), wobei zu beachten ist, dass es sich je um sehr spezifische ästhetische Praktiken und Arbeitsprinzipien handelt, so dass sie kaum als gemeinsame Erscheinungsform zu kategorisieren oder zu reduzieren sind (vgl. ebd.: 41) und ferner im Folgenden aufgrund dessen nur in aller Kürze umrissen werden können. Unter dem Label des interkulturellen Theaters gruppieren sich ganz pragmatisch gesprochen »Theaterformen, die aus der Zusammensetzung von Elementen unterschiedlicher kultureller Provenienz entstehen« (Regus 2009: 10). Da diese in postkolonialer Manier die Zuschauenden durch andere, theaterästhetische Verfahrensweisen mit ihren eigenen identitätspolitischen und soziokulturellen Auffassungen und Rezeptionsweisen konfrontiert, ist es nach Regus, in diesem Sinne »auch immer politisches Theater« (ebd.: 11). Resultat sind Mehrfachkodierungen oder Verwirrungen, die die Zuschauenden hin und her werfen zwischen Dekodieren-Können und völligem Fremdheitsgefühl: es wird gelernt nicht vollständig zu verstehen, es wird ausgehalten, dass es unmöglich ist das Unbekannte und die Kunst komplett zu entschlüsseln. Das den Zuschauenden Fremde wird sinnlich erfahrbar gemacht »jenseits von Anerkennung und Aneignung« (ebd.: 11). Unterdessen will das postdramatische Theater, das Lehmann (2005) unter diesem Label in aller Munde brachte, kein direktes Repräsentationsverhältnis zur Welt einnehmen, sondern experimentiert mit vermeintlich authentischen bzw. realen Spielweisen im Kontrast zu den virtuellen Medien und vermischt bzw. entgrenzt damit explizit das Reale und das Fiktive zugunsten einer offensichtlich verfälschten Konstruktion von Repräsentation und/oder Präsenz. Diese Theaterformen haben fließende Übergänge zu dokumentarischen Theaterformen, die u.a. mit Laiendarstellenden und »Experten des Alltags«23 die Wahrnehmung der Grenze zwischen 23 Diese Bezeichnung wurde von dem Performancekollektiv Rimini Protokoll eingeführt und bezeichnet ein spezielles Konzept des unprofessionellen Darstellenden, nämlich diese als Experten ihres Alltags auf die Bühne zu stellen (vgl. Schmidt 2015: 127).
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Alltag und Kunst, Echtheit und Selbstdarstellung thematisiert und entsprechende Spielarten entwickelt. Hier gibt es auch Überschneidungen zum PerformanceTheater, welches sich aus der Performance-Kunst bzw. aus der live-art entwickelte und den Als-ob-Modus des traditionellen mimetischen Sprechtheaters mit performativen Formen des (zeigenden) Tuns zu überwinden sucht. Ausdrücklich Narrative eines beyond belongings zu erzählen, also Texte, Bilder und Szenen jenseits von eindeutiger (migrantischer) Zugehörigkeit und Zuschreibung zu entwerfen, nimmt sich das postmigrantische Theater vor. Als expliziter Ort der politischen Aushandlung von Identität und Differenz erproben diese Theaterformen, ausgehend von real erlebten transnationalen Biographien, diskursive und ästhetische Neudefinitionen, mit dem Ziel, diese auch in die gesellschaftliche Zugehörigkeits-Debatte der deutschen (Post-)Migrationsgesellschaft zu überführen (vgl. Sharifi 2011: 38f). Deck warnt davor, dass auch »[s]olche Ansätze [...] nicht per se politisch [sind]. Aber sie bieten eine Chance, das Politische im Theater dort aufzuspüren wo die Leerstelle politischen Theaters ist: In der Situation des Theatermachens selbst, in seiner Produktion, Inszenierung und Rezeption.« (Deck 2011: 14). Es kann nur immer wieder betont und eingefordert werden: eine machtkritische und postkoloniale Perspektive befindet sich nicht von sich aus in künstlerischen Avantgarden und ihren postmodernen Kunstsprachen, auch wenn sie zum Ziel haben, traditionelle Wahrnehmungs- und Denkweisen durch Irritation und Verfremdung aufzubrechen und umzustrukturieren. Letztendlich sind sie selbst desgleichen tief verstrickt in das kapitalistische und koloniale Projekt (vgl. Brandstätter 2012: 177; vgl. Mörsch 2012: 73). Es geht also weder nur um den Inhalt, noch nur um die Form, sondern um das Zusammenspiel beider, die Aufdeckung ihrer Widersprüchlichkeiten und eben um die tiefgreifende Intervention in die eigene Verstricktheit, um die es im Folgenden noch genauer gehen soll. So argumentieren Warstat et al. (2015), dass angewandtes Theater als eine »sozial engagierte [...] Kunst« (ebd.: 7), die sich u.a. auch dem »Theater in der Bearbeitung politischer Krisen und gewaltsamer Konflikte« (ebd.: 9) widmet, sich nicht damit begnügen sollte, sich offenbar einem Zweck zu verschreiben, welches nur oberflächlich wirken kann, sondern auf Intervention zielen. Die Intervention als »Eingriff in bestehende Zusammenhänge [...], um Veränderung herbeizuführen« (ebd.: 29) ist eine Kombination von theatraler Re-Präsentation mit »einem performativen Akt des Einschreitens, der einer Steigerung der Kontingenz des Aufführungsgeschehens gleichkommt, da er augenblicklich einen Verhandlungsraum öffnet.« (ebd.: 29). Diese »ambivalente Struktur« (ebd.) setzt an bestehenden Narrativen an, will jedoch Neupositionierungen durch Akte des »Dazwischentretens« und der »Unterbrechung« (ebd.) dieser Strukturen schaffen. Sie versteht sich
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dadurch auch als mehr als nur Sichtbarmachung, indem über die kurzzeitige Destabilisierung der sozialen Ordnung während der Aufführung bzw. Aktion hinaus, nachhaltige Netzwerke angelegt sowie kontinuierliche Beziehungen und Verantwortlichkeiten verfolgt werden. Das politische Versprechen, dass im Aufführen und Vollziehen die geteilte Wirklichkeit verändert oder verschoben werden kann, zieht ihre Schlüsse aus bildungstheoretischen Ansätzen der Performativitätsforschung. Diese gehen davon aus, dass ein darstellender, künstlerischer Akt nicht nur aus repräsentativen Praktiken besteht, die auf etwas Außenstehendes referieren, sondern selbstreferentiell Dinge, Praktiken und Re-Präsentationen hervorbringt. Jede künstlerische Performance schwingt damit zwischen Repräsentation und Präsenz hin und her und dieser Modus ist Kennzeichen einer jeden ästhetischen Erfahrung (vgl. Brandstätter 2012: 177). Sich diesen Modus des Schwingens zwischen Repräsentation und Präsenz für eine kritische kulturelle Praxis des »performativen Widerstands«24 anzueignen und nutzbar zu machen (anstatt einfach nur noch die performativen Funktionen hervorzuheben und die repräsentativen Funktionen zu verleugnen), wäre eine Form in den Darstellenden Künsten »nicht so dermaßen regiert zu werden«, wie Foucault dies formulierte, und, wie ich ergänzen möchte, auch nicht zu regieren bzw. Macht über andere auszuüben. Dieses Widerständige findet sich in prozessorientierten, performativen Praktiken, die abwechselnd mit re-präsentativen Praktiken, durch Handeln und Multiperspektivität Werte und Normen beständig neu definieren und destabilisieren (vgl. Pfeiffer 2012: 215). Die Darstellenden Künste haben somit gemäß einer dekonstruktiven Perspektive ein »gesellschaftlich relevante[s] Potenzial, Störmomente und Irritationen des als Normal geltenden [sic] zu produzieren« (IAE 2016b), wobei bei dem Anstreben einer »Bildung von Widerständigem« (Mörsch 2012: 65) ständig danach gefragt werden sollte, wer jeweils bestimmt, was Kunst bedeutet und wie es sich artikulieren darf (vgl. ebd.: 66).
5. Q UALITÄT
OHNE
G ARANTIEN
In diesem Artikel wurden mit der Erläuterung einer machtkritischen Hinterfragung von Repräsentation mehrere zusammenhängende Merkmale diskutiert, die m.E. für eine Bestimmung von Qualität in der sozialen und kulturellen Bildungsarbeit mit Neuangekommenen wichtig sind. Aufgrund bisheriger Überwiegung von Fremdbestimmung und der Gefahr von Bevormundung sowie der fundamentalen repräsentativen Beschaffenheit soziokultureller Praktiken, ist ein Merkmal 24 Mit Verweis auf Butlers »Akte des Widerstands« (2006: 266).
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die Selbstbestimmung, Selbstermächtigung und Selbstrepräsentation Neuangekommener in kulturellen Bildungsprojekten. Gleichermaßen ist aufgrund der ›Unmöglichkeit zu Sprechen‹ der Subalternen bzw. der Ignoranz des Zuhörens im hegemonialen Diskurs auch weiterhin gegenüber ihnen eine ethisch verantwortliche Re-Präsentation von sowohl Vertretenden der eigenen Gruppe als auch von Mehrheitsangehörigen zu übernehmen. In Bezug zu Re-Präsentationspraktiken sind dabei als Qualitätsmerkmale folgende Punkte zu beachten, weil eine adäquate Repräsentation immer unmöglich ist und diese daher immer als ein Supplement verstanden werden sollte (als Re-Präsentation): erstens, die meist verschleierten Machtverhältnisse im Sinne einer Reflexivität sichtbar zu machen; zweitens, den konstruierenden und verschiebenden Charakter von Bedeutung offenzulegen und damit die Öffnung von Strukturen anzuschieben; und drittens, alternative und mehrperspektivische Re-Präsentationen mit interventionistisch-widerständigen Praktiken zu (er-)finden bzw. transgressive Praktiken zu erkennen und anzuerkennen. Abschließend sei noch einmal, in Anlehnung an Castro Varela und Heinemann (vgl. 2016: 53), betont, dass Kulturelle Bildung mit Neuangekommenen trotz dessen, dass sie immer wieder die Unmöglichkeit akzentuieren sollte, Ungerechtigkeiten durch ästhetische Praktiken beseitigen zu können, einige erfrischende und hoffnungsvolle Handlungsmöglichkeiten bietet, um ihrer Subalternisierung entgegenzuwirken und zur Subjektemanzipation beizutragen. Die aus verschiedensten (Flucht-)Gründen hier neu Angekommenen sollten dabei jedoch als Hauptdarstellende einer gründlichen und ausnahmslosen Infragestellung der europäischen Idee von Kultur auftreten und nicht als Teilnehmende an dieser Idee in einer fremdzugeschriebenen Opferrolle (ebd.: 64). Diejenigen, die vor unmenschlichen Bedingungen aus aller Welt nach Europa fliehen und hier tatsächlich ankommen, können so den hilfsbedürftigen europäischen Gesellschaften zur Selbstreflexion auf globaler Ebene verhelfen – ein durchaus umkehrschlüssiger Gedanke! Statt also vor lauter Verstricktheit in Diskurse und den tückischen Mechanismen der Macht zurückzuschrecken, ist dies ein Plädoyer dafür, diese heteronomen Bedingungen herauszufordern und das Repräsentationsregime des Flüchtlings »zu demontieren oder zu untergraben – ein Vorhaben, für das es wie für so vieles in diesem Zusammenhang niemals eine absolute Garantie geben kann«, wie Hall (2004: 165) schreibt. Ich nehme dies als Ermunterung, es nichtsdestoweniger weiter zu versuchen.
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Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit
Bildung sozial denken Definition, Gegenstand, Anwendungskontexte und Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit H ARALD A NSEN , R OXANA D AUER , J ANA M OLLE , J OACHIM S CHROEDER , L OUIS H ENRI S EUKWA , T HORBEN S TRUCK & U TA W AGNER 1
1. Z IELSETZUNG , E NTSTEHUNGSPROZESS DES T EXTES
UND
AUFBAU
Bislang wurden in diesem Buch Ausschnitte aus den einzelnen Dissertationen beschrieben, die im Kooperativen Graduiertenkolleg ›Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit‹ erarbeitet worden sind. Abschließend soll nun der wissenschaftliche Ertrag des Forschungsprogramms zusammengefasst werden. Wie bereits in der Einleitung zu diesem Band ausgeführt, hatte sich das Kooperative Graduiertenkolleg zum einen vorgenommen, auf einer empirischen Grundlage den Gegenstandsbereich und die ›Feldregeln‹ der sozialen Bildungsarbeit als einem pädagogischen Handlungsfeld näher zu bestimmen. Zum anderen sollten die in den Promotionen zu sehr unterschiedlichen Anwendungskontexten sozialer Bildungsarbeit empirisch bestimmten Qualitätsmerkmale vergleichend diskutiert werden, um 1
In diesen Text sind Argumente und Ideen eingeflossen, die alle Mitglieder des Kooperativen Graduiertenkollegs während der gesamten Förderlaufzeit in den verschiedenen Seminaren, Workshops und Tagungen des Promotionsprogramms eingebracht haben. Die Redaktionsgruppe hat darauf aufbauend einen eigenständigen Text verfasst, der wiederum im Plenum ausführlich diskutiert und als zusammenfassende Darstellung von im Kooperativen Graduiertenkolleg gemeinsam generierten Ergebnissen verabschiedet wurde.
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zu prüfen, ob sich diese zu übergreifenden Empfehlungen bündeln lassen. Im Weiteren fassen wir unsere Ergebnisse und Überlegungen hierzu zusammen. Den Text haben wir zu Beginn des dritten und damit letzten Jahres der Förderung des Kooperativen Graduiertenkollegs erarbeitet. Zunächst führten wir eine zweitägige Blockveranstaltung durch, bei der die in diesem Buch abgedruckten einzelnen Beiträge zumindest als Rohfassungen vorlagen. Zu diesem Zeitpunkt waren in allen vierzehn Dissertationsprojekten die empirischen Erhebungen weitestgehend abgeschlossen, das Datenmaterial war gesichtet und mit der Auswertung war begonnen worden. Somit konnten für die einzelnen untersuchten Anwendungskontexte sozialer Bildungsarbeit zumindest in ersten Näherungen spezifische Qualitätsmerkmale bestimmt werden. Zur Identifizierung von übergreifenden Qualitätsmerkmalen sozialer Bildungsarbeit wurde in der Blockveranstaltung sodann in Kleingruppen intensiv diskutiert, ob die aus dem Datenmaterial der einzelnen Promotionsprojekte generierten Qualitätsmerkmale für das gesamte Handlungsfeld gelten können oder ob sie nur in einzelnen Anwendungskontexten relevant sind. Die Diskussionsergebnisse wurden im Plenum präsentiert, präzisiert und protokolliert. Außerdem haben wir gemeinsam eine erste inhaltliche und formale Gliederung für den vorliegenden Text entworfen, der in einer Redaktionsgruppe sukzessive und in mehreren Überarbeitungsschleifen weiterentwickelt wurde, bis dann in einem Plenum die vorliegende Version erneut debattiert und schließlich verabschiedet werden konnte. Im Aufbau des Textes spiegelt sich in etwa der Erarbeitungsprozess im Kooperativen Graduiertenkolleg: Zunächst fassen wir den Ertrag unserer Debatten zum Begriff der sozialen Bildungsarbeit zusammen (Abschnitt 2). Wir begründen unsere Auffassung, dass sich damit ein professionelles Handlungsfeld umschreiben lässt, welches zwar im Schnittpunkt von Bildungs-, Sozial- und Kulturarbeitswissenschaft liegt, darin aber nicht einfach aufgeht. Im Rückgriff auf Theoriebestände der Sozial-, Bildungs- und Kulturwissenschaften sowie mit Bezugnahme auf die zuvor in den einzelnen Beiträgen dargestellten Erörterungen schlagen wir eine Definition vor, die Problemstellungen, Gegenstand und Zielsetzungen sozialer Bildungsarbeit zu fassen sucht. In weiteren Ausführungen unterscheiden wir mehrere institutionelle Kontexte der sozialen Bildungsarbeit und fassen schließlich die zentralen Ergebnisse dieser Arbeit am Begriff zusammen. Daran anknüpfend werden in zwei Schritten wichtige Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit generiert. Zunächst werden die in den vierzehn empirischen Untersuchungen identifizierten Qualitätsmerkmale benannt (Abschnitt 3). Für den vorliegenden Text haben wir die in den jeweiligen Anwendungsfeldern sozialer Bildungsarbeit gefundenen Qualitätsmerkmale in ihrer inneren Widersprüchlich-
B ILDUNG
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keit beschrieben und sodann vier verschiedenen Dimensionen zugeordnet, mit denen sich bedeutsame Mechanismen der Reproduktion aber auch der Bekämpfung gesellschaftlicher Ungleichheit beschreiben lassen: Strukturen, Diskurse, institutionelle Arrangements und pädagogische Handlungskonzepte. Im letzten Schritt haben wir diese spezifischen Qualitätsmerkmale zu pädagogischen Antinomien der sozialen Bildungsarbeit verdichtet und problematisiert, ob sich übergreifende Qualitätsmerkmale des Forschungsprogramms ableiten lassen (Abschnitt 4).
2. Z UM B EGRIFF : S OZIALE B ILDUNGSARBEIT Die Theorie sozialer Probleme konnte zeigen, dass eine Situation von Menschen(gruppen) erst als gesellschaftlich ursächlich für eine Störung des Miteinanders in der Gesellschaft relevant und bearbeitbar definiert werden muss, um als soziales Problem klassifiziert zu werden, für das eine Lösung benötigt wird (vgl. Groenemeyer 2010; 2015). Soziale Probleme werden, dieser Annahme folgend, in Abhängigkeit zu sozialstrukturellen Sachverhalten, der Beziehung zwischen sozialen Bedingungen und Problemdefinitionen, aber auch diskursiv, unabhängig von sozialen Tatsachen, mehr oder weniger beliebig je nach Interessenslage durch aktives Herstellen (erfolgreicher) rhetorischer Strategien zu bearbeitungswürdigen und bearbeitbaren sozialen Problemen bzw. Problemkategorien konstruiert und ausgehandelt – weshalb auch von »Doing social problems« gesprochen wird (vgl. ebd.). Ausgehend von solchen »sozialen Problemen«, an denen die heteronomen Strukturen im Feld der Bildung deutlich werden, und somit aus einer ungleichheitsidentifizierenden Perspektive, legen wir in diesem Abschnitt dar, wie wir im Kooperativen Graduiertenkolleg diesen Beschreibungs-, Deutungs- und Klassifizierungsprozess von Bildung als einem ›bearbeitungswürdigen‹ und gleichzeitig ›bearbeitbaren‹ sozialen Problem vorgenommen haben. 2.1 Definitionsvorschlag zur sozialen Bildungsarbeit Die Ergebnisse der einzelnen empirischen Forschungen des Kooperativen Graduiertenkollegs lassen eine übergreifende definitorische Bestimmung und begriffliche Umschreibung des Handlungsfelds der sozialen Bildungsarbeit zu:
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Definition Soziale Bildungsarbeit reagiert auf das gesellschaftliche Problem, dass in formalen Bildungsinstitutionen, in non-formalen Bildungssettings und in informellen Bildungsräumen gleichermaßen Bildungsungleichheit produziert und reproduziert wird. Soziale Bildungsarbeit folgt deshalb dem Auftrag, Handlungsansätze, Arbeitsformen und Methoden zu entwickeln, um Menschen in erschwerten Lebensverhältnissen den Zugang zu und die Nutzung von formalen, non-formalen und informellen Lernsettings zu ermöglichen, sodass sie jene Habitusmuster weiterentwickeln oder ausbilden können, die sich aus den Anforderungen zur Bewältigung (drohender) prekärer Lebenslagen und der Teilhabe an der Gesellschaft ergeben. Mit dieser Definition schließen wir an drei disziplinäre Theoriestränge an. Zum einen nehmen wir mit einer solchen Gegenstandsbestimmung das disziplinäre Grundverständnis der Sozialen Arbeit auf, wie sie beispielsweise in der »Global Definition of Social Work« (FBTS/DBSH 2016) ausformuliert ist. Die zentralen Ziele der Sozialen Arbeit bestehen demnach darin, den sozialen Wandel, die soziale Kohäsion sowie die Entwicklungsmöglichkeiten von Individuen durch Empowermentprozesse zu fördern. Unter Beachtung von Prinzipien wie soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte und Respekt vor Unterschiedlichkeit richtet sich die Soziale Arbeit an Menschen, die je nach Ausgangslage auf subjektbezogene und/oder strukturelle Unterstützungsangebote angewiesen sind, um Lebensaufgaben zu bewältigen und ihr Wohlbefinden zu steigern. Die erkenntnisleitende Fragestellung des Kooperativen Graduiertenkollegs hat sich indes darauf konzentriert, Bildung mit Blick auf soziale Probleme zu explorieren, die per se mit gesellschaftlicher Ungleichheitsproduktion zusammenhängen. Die Nähe des Verständnisses von Sozialer Bildungsarbeit zur Sozialen Arbeit ist evident, es geht allerdings darin längst nicht vollständig auf. Deshalb schließen wir, zweitens, mit der Definition auch an die Bildungstheorie an, deren »grundbegriffliche Erbschaft« sich den »pädagogischen Traditionen der Aufklärung, des Idealismus und der Romantik« folgend in den Begriffen »Erziehung, Bildung und Entfaltung« beschreiben lässt (vgl. Liebau 1999: 25). Diese drei Grundkategorien werden ebenfalls bis heute als Menschenrechte verstanden und zielen allesamt auf die Ermöglichung von Mündigkeit, Reflexionsund Kritikfähigkeit, Emanzipation, Partizipation und Teilhabe, mithin auf eine »Bildung des Subjekts« (Liebau 2001). Diese normativ aufgeladenen Begriffe verweisen implizit ebenso auf ein Gegenteil: Bevormundung, Fremdbestimmung, Unterdrückung, Diskriminierung und Ausgrenzung, also auf soziale Probleme, die
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auch in der Ungleichheitsproduktion von Bildungsarbeit wirken. Somit ist davon auszugehen, und in den folgenden Abschnitten wird dies belegt, dass Bildungsarbeit zugleich Ursache, Teil, Folge und Problemlösung sozialer Ungleichheit ist. Zum dritten liegt der Definition mit Bezugnahme auf Befunde der Kulturtheorie auch ein Verständnis von Bildung als ›Kapital‹ zugrunde. Wie in der Gesellschaft kulturelle Ungleichheit entsteht und sich reproduziert, mit solchen Fragen hat sich die Kultursoziologie intensiv befasst (vgl. z.B. Bourdieu 2001). Es wurde gezeigt, dass der Zugang zu kulturellen Feldern auf das Engste verknüpft ist mit den finanziellen Möglichkeiten (ökonomisches Kapital), den familiären und sozialen Beziehungen (soziales Kapital), der Staatsangehörigkeit (juridisches Kapital), der Hautfarbe oder einer Behinderung (physisches Kapital), dem Glauben (religiöses Kapital) und der Bildung (kulturelles Kapital), über die ein Individuum verfügt und die es für die Lebensbewältigung nutzen kann. Sozial benachteiligt ist, wer gar nicht oder nur unzureichend über gesellschaftlich erwartete, also von den hegemonialen sozialen Gruppen (›Leitkulturen‹) definierte Kapitalformen verfügt. Sozialer Bildungsarbeit hat es somit auch um die Erweiterung der individuellen Verfügungsmacht über kulturelles Kapital zu gehen. Aus einer solchen Definition des Begriffs sozialer Bildungsarbeit leitet sich der Anspruch ab, in einer doppelten Weise Bildung sozial zu denken: Zum einen sind die sozialen Risiken zu problematisieren, die einer Bildungsarbeit inhärent sind, wenn sie nicht systematisch gesellschaftliche Ungleichheit mitbedenkt. Zum anderen ist im Sinne einer »Pädagogik der sozialen Frage« (vgl. Dollinger 2006) systematisch »Bildung von unten« zu denken (vgl. Baur et al. 2004), d.h. pädagogisches Handeln ist konsequent von Benachteiligungen, Marginalisierungen, Diskriminierungen bzw. Exklusionen aus zu reflektieren und zu kritisieren. Soziale Bildungsarbeit zielt somit auf die Beschreibung und Deutung potenzieller und realer Situationen, die durch verschiedene Akteure als soziale Problemlagen definiert werden (müssen), um die Ursachen und Folgen ungleicher Bildungschancen zu bearbeiten. Hierzu ist eine empirische und theoretische Fundierung von Praxiskonzepten erforderlich, die soziale Probleme dem pädagogischen Handeln zugänglich machen. 2.2 Institutionelle Kontexte sozialer Bildungsarbeit Die Ergebnisse der einzelnen empirischen Forschungen des Kooperativen Graduiertenkollegs lassen auch eine Präzisierung der institutionellen Struktur des Handlungsfeldes sozialer Bildungsarbeit zu:
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Institutionelle Kontexte sozialer Bildungsarbeit Soziale Bildungsarbeit findet in Institutionen statt, die einen genuinen Bildungsauftrag haben und diesen mit sozialer Unterstützung verbinden; in Einrichtungen, die einen originären Unterstützungsauftrag (unter anderem) mit Bildungsangeboten umsetzen, sowie in Praxisfeldern, denen ursprünglich ein Kulturauftrag erteilt ist, die aber dennoch Bildungs- und Unterstützungsangebote unterbreiten. Zwar sind diese drei institutionellen ›Settings‹ sozialer Bildungsarbeit nicht immer trennscharf gegeneinander abgrenzbar, gleichwohl wirken in diesen Kontexten unterschiedliche ›Feldregeln‹. Die einzelnen Beiträge dieses Buches sind jeweils einer dieser drei Gruppen zugeordnet, und die folgenden Erläuterungen fassen darauf bezogen wichtige ›Feldspezifika‹ zusammen. Mehrere Forschungsprojekte haben sich mit Bildungsarbeit in Sozialen Diensten der Jugendhilfe, Familienbildung, Schuldnerberatung, Beschäftigungsförderung, Flüchtlingshilfe und des Jugendstrafvollzugs befasst (Tabelle 1a). Tabelle 1a: Soziale Bildungsarbeit im Kontext der Sozialen Dienste Anwendungsfeld Kinder- und Jugendhilfe Familienbildung
Schuldnerberatung Arbeitsförderung
Jugendstrafvollzug
Gesetzlicher Unterstützungsauftrag Kinder- und Jugendarbeit Kinder- und Jugendsozialarbeit Kinder- und Jugendschutz (§§ 2, 11 bis 15 SGB VIII) Erziehungsförderung (§ 16 SGB VIII) Beratung (§ 16a SGB II, § 11 SGB XII) Grundsicherung (SGB II) Berufliche Eingliederung (SGB III)
Entlassungsvorbereitung und Reintegration (14 Jugendstrafvollzugsgesetze der Länder)
Gesetzlicher Bildungsauftrag Erziehungsförderung (§S 1, 16 SGB VIII) Frühkindliche Bildung (§ 22 SGB VIII) Jugendbildung (§ 11 SGB VIII) Non-formale Bildung für Eltern (§ 16 SGB VIII) Finanzielle Grundbildung (nicht gesetzlich verankert) Beratungsanspruch und Beratungspflicht (§§ 1, 14 SGB II) Leistungen für Bildung (§ 28 SGB II) Formale Bildung (Schulabschlüsse) Non-formale Bildung Nachholende Erziehung/Besserung (14 Jugendstrafvollzugsgesetze der Länder)
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Soziale Arbeit mit Geflüchteten
Akutversorgung, Unterbringung (Asylbewerberleistungsgesetz)
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Integrationskurs (§§ 43, 45 Aufenthaltsgesetz) Schulbildung (16 Ländergesetze) Berufliche Bildung (16 Ländergesetze)
Die Sozialgesetzbücher erteilen den Sozialen Diensten zuvörderst einen Versorgungs- bzw. Unterstützungsauftrag, darüber hinaus ist für fast alle untersuchten Anwendungsfelder zudem ein Bildungsauftrag vorgesehen. So verfolgen Sozialleistungen in Gestalt von Dienst-, Sach- und Geldleistungen nach § 1 SGB I u.a. den Anspruch, die freie Entfaltung der Persönlichkeit, vor allem von jungen Menschen, zu fördern. In der Kinder- und Jugendhilfe ist der Bildungsauftrag einerseits in Abgrenzung zum formalen Schulsystem definiert (vor-, nach- und außerschulische Bildung), andererseits ist er darauf bezogen (Schulsozialarbeit) oder wird in speziellen sozialpädagogischen Einrichtungen umgesetzt (Jugendhilfeschulen). Die genauere Analyse ergibt indes, dass in der Kinder- und Jugendhilfe dieser Bildungs- eher ein Erziehungsauftrag ist, denn in solchen Angeboten werden vor allem sozialisationsergänzende Hilfen bereitgestellt. In der Familienbildung (§ 16 SGB VIII) geht es um die Förderung der Erziehung in der Familie, welche durch non-formale Bildungsangebote für die Eltern gestärkt werden soll. Demgegenüber ist ›Finanzielle Grundbildung‹ für die Schuldnerberatung noch ein neues Thema, obgleich Fragen nach individueller Finanzkompetenz, finanzieller Allgemeinbildung o.ä. im Anwendungsfeld immer wieder präsent sind. Allerdings fehlt bislang eine systematische Verankerung von Lern- und Bildungsthemen in der Schuldnerberatung, es dominiert die Entschuldung, mithin der Unterstützungsauftrag. Gleichwohl gilt jenseits gesetzlicher Grundlagen, dass Beratung durch stellvertretende Deutungsangebote, die Vermittlung handlungsbefähigenden Wissens und die Förderung von alltagsbezogenen Handlungskompetenzen mit diesen zentralen Wirkfaktoren einen Bildungsanspruch realisiert. In der Arbeitsförderung von erwerbslosen Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch die Jobcenter ist mit sozialer Bildungsarbeit ganz überwiegend die professionelle Handlungsform der Beratung gemeint. Soweit es um Bildung geht, steht die berufliche Qualifizierung im Vordergrund, wobei in den jüngsten SGB-II-Reformen Varianten der sozialpädagogischen Unterstützung aufgenommen wurden, die im weiteren Sinn zumindest Elemente sozialer Bildung enthalten. Zudem fällt auf, dass selbst der Unterstützungsauftrag im Gesetz unklar formuliert und entsprechend konzeptionell wenig aufgearbeitet ist. Außerdem stehen das Beratungsziel, seine Umsetzung und die Compliance in den derzeitigen Institutionalisierungsformen der Beratung im SGB II durch den Sanktionshintergrund unter ungünstigen Vorzeichen.
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Den Jugendstrafvollzug kennzeichnet, dass der Bildungs- und Unterstützungsauftrag in einer ›totalen Institution‹ umzusetzen ist und sich vor allem auf die Zeit in der Haft und auf das Entlassungsmanagement konzentriert; die Übergangsbegleitung im Leben in Freiheit ist hingegen weitaus weniger bearbeitet. Obwohl die Jugendlichen zur Teilnahme an formalen Bildungsangeboten der Gefängnisschule verpflichtet sind, ist der Jugendstrafvollzug ebenfalls von der institutionellen Zielsetzung einer nachholenden Erziehung (›Besserung‹) dominiert – im Erwachsenenvollzug fällt dieser institutionelle Erziehungsauftrag weg und es wird ausschließlich auf Bestrafung und Resozialisierung fokussiert. Auch die soziale Flüchtlingsarbeit findet in einem extrem heteronomen institutionellen Setting statt (›totaler Raum‹). Zwar gibt es einen im Asylbewerberleistungsgesetz definierten Unterstützungsauftrag, der jedoch auf die Akut- und Erstversorgung eingeschränkt ist. Der Zugang zur allgemeinen und beruflichen Bildung ist, weniger für Kinder und Jugendliche, besonders aber für Erwachsene, erschwert oder temporär verwehrt. Die Bildungsarbeit ist einerseits auf die verpflichtende Teilnahme an einem Integrationskurs begrenzt, andererseits wirkt sich die erfolgreiche Teilnahme an Bildungsmaßnahmen positiv auf die ›Bleibeperspektive‹ aus. Deshalb hält Soziale Arbeit oftmals subsidiäre Bildungsangebote in ›Flüchtlingslagern‹ (Pieper 2010) oder in Ersatzschulen vor. In diesen Beispielen wird bereits deutlich, dass wir in den Sozialen Diensten einige Anwendungsfelder finden, in denen gesetzlich ein doppelter Auftrag der Unterstützung und Bildung besteht, der Schwerpunkt jedoch mal zur einen, mal zur anderen Seite gelegt wird. Manchmal sind beide Aufträge gleichrangig. Für einzelne Zielgruppen kann das Leistungsportfolio stark reduziert oder in hohem Maße reglementiert sein. In anderen Anwendungsfeldern wird hingegen um die Erteilung eines Bildungsauftrags oder um die Präzisierung des Unterstützungsauftrags noch gerungen. Ebenso vielfältig ist das auf Bildung zielende Angebotsspektrum der Sozialen Dienste, welches formale, non-formale und offene Bildungsformate gleichermaßen umfasst und sich zudem, wenngleich in unterschiedlicher Gewichtung, auf alle drei oben erwähnten pädagogischen Traditionen (Erziehung, Bildung und Entfaltung) beziehen kann. Überdies adressiert soziale Bildungsarbeit der Sozialen Dienste sowohl primäre Netzwerke (Familie), sekundäre Netzwerke (Nachbarschaft) und tertiäre Netzwerke (öffentliche, sozialwirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteure). Auch konzeptionell ist die Bildungsarbeit der Sozialen Dienste vielgestaltig: Mal ist die Teilnahme an den Bildungsangeboten freiwillig, mal verpflichtend. Es handelt sich um offene und situativ ausgerichtete Angebote oder zielgerichtete Interventionen auf der Basis von Hilfe-, Förder- und Bildungsplänen. Prävention und Krisenmanagement, auf Familie bezogene, diese ergänzende oder ersetzende
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Angebote, so genannte ›ganzheitliche‹ oder auf einzelne Handlungsformen (vor allem Beratung) begrenzte Konzepte leiten das professionelle Handeln. Manchmal ist das Recht auf Bildung explizit ausformuliert, dies trifft insbesondere auf die Altersgruppe der 15- bis 27-Jährigen zu, die durch das SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) gefördert wird. Für Erwachsene ist die gesetzliche Verankerung indes spärlich: So gibt es bislang in Deutschland – anders als beispielsweise in der Schweiz und in Luxemburg – kein gesetzlich verankertes soziales Recht auf Grundbildung für Erwachsene (Schroeder 2016: 230ff.). Einige Forschungsprojekte haben sich mit sozialer Bildungsarbeit im schulischen Kontext in allgemeinen und beruflichen Regel- und Förderschulen auseinandergesetzt (Tabelle 1b). Tabelle 1b: Soziale Bildungsarbeit im schulischen Kontext Handlungsfeld Schulische Berufsorientierung
Schule in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Beschulung minderjähriger Mütter
Gesetzlicher Unterstützungsauftrag Beratung, Berufsorientierung, Vermittlung (§§ 29 bis 44 SGB III)
Betreuung (16 Schulgesetze) Eingliederungshilfen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach Bundesrecht (§§ 35a und 36 bis 40 SGB VIII) Schulsozialarbeit (§§ 13, 19 SGB VIII) Sozialpädagogische Familienhilfe (§ 31 SGB VIII)
Gesetzlicher Bildungsauftrag Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen nach Schulrecht (16 Ländergesetze) Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen nach Bundesrecht (§ 61 SGB III) Erziehung (16 Schulgesetze) Bildung (16 Schulgesetze)
Schulpflicht (16 Ländergesetze)
In den empirischen Studien dieser Gruppe wurden beispielsweise Konzepte und Arbeitsformen untersucht, die Jugendliche im Übergang von der Schule in die Arbeitswelt durch Berufsorientierung und Berufsvorbereitung unterstützen. Für psychisch erkrankte Schülerinnen und Schüler ist die Teilnahme am Schulunterricht erschwert oder während einer stationären Behandlung nicht möglich. Unterrichtsangebote psychiatrischer Klinikschulen sind daher auf den für einige ohne Unter-
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stützung kaum bewältigbaren Übergang von der Klinik in das allgemeine Bildungssystem hin auszurichten, indem Bildungs- mit Unterstützungsangeboten verknüpft werden. Auch die Rückkehr in das allgemeine Bildungswesen ist ohne Unterstützung gefährdet. In den schulischen Angeboten für jugendliche Mütter erfolgt eine ›Arbeitsteilung‹ zwischen der Sozial- und Schulpädagogik, auch wenn in manchen Einrichtungen beide Disziplinen und Professionen konzeptionell zusammengeführt werden, sodass auch die Sozialpädagoginnen unterrichten und sich die Lehrerinnen in der sozialpädagogischen Unterstützung engagieren. Anders als im institutionellen Kontext der Sozialen Dienste ist in der sozialen Bildungsarbeit des schulischen Bereichs der Unterstützungsauftrag disziplinär wesentlich der Sonderpädagogik zugeordnet, und mit ihr kommt der – allerdings nicht unproblematische – Begriff ›Förderung‹ als eine in der Bildungstheorie oftmals vergessene oder ignorierte ›pädagogische Erbschaft‹ ins Spiel. Der Streit um disziplinäre Hegemonie hat eine lange Geschichte, mal beanspruchte die Sonderpädagogik, mal die Sozialpädagogik den Rang einer Leitdisziplin für erschwerte soziale Bedingungen (vgl. Moser 2000). Schließlich wurde im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 das Handlungsfeld institutionell und systematisch aufgeteilt: Sonderpädagogik sollte von nun an für Schule, Sozialpädagogik für alles andere zuständig sein (vgl. Henseler 2000: 133ff.). In der inneren Ausdifferenzierung grenzt sich die Sonderpädagogik durch ihren kategorialen Bezug auf ›Benachteiligung‹ wiederum von der Heilpädagogik ab, die auf das Konstrukt ›Behinderung‹ fokussiert. Auch die Leistungen für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen sind bislang in unterschiedlichen Sozialsystemen geregelt, die leistungsrechtliche Zusammenführung im Sozialgesetzbuch VIII ist immer wieder angegangen, bisher aber nicht vollzogen worden. Jedenfalls hat sich die lange Zeit als Hilfsschulpädagogik, gegenwärtig als Pädagogik bei Beeinträchtigungen des Lernens bezeichnete sonderpädagogische Subdisziplin traditionell als »Schulpädagogik der sozialen Frage« (vgl. Ellger-Rüttgardt 2003: 65) konstituiert. Die soziale Bildungsarbeit ist im schulischen Kontext sehr vom föderalen Prinzip geprägt, weil formale (schulische) Bildung bekanntlich eine landeshoheitliche Aufgabe ist. Somit haben wir es mit sechzehn teilweise sehr unterschiedlichen Landesgesetzen zu tun, in denen beispielsweise nicht einmal die Dauer und der Personenkreis der Schulpflicht bundesweit einheitlich geregelt sind. Hin und wieder ist in den Schulgesetzen für bestimmte Zielgruppen ein expliziter Unterstützungsauftrag definiert, insbesondere für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit einer körperlichen, kognitiven oder Sinnesbehinderung. Nachteilsausgleiche, Eingliederungshilfen, Rehabilitationsmaßnahmen oder auch in einzel-
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nen Fällen die individuelle Aufhebung der Schulpflicht zählen zum Unterstützungsinstrumentarium. Im Zuge von Inklusion und Ganztagsschulprogrammen erfolgt aktuell (wieder) eine massive Zentralisierung von Erziehungs-, Bildungs-, Betreuungs- und Freizeitangeboten und somit formaler, non-formaler und informeller Lerngelegenheiten in den allgemeinbildenden und beruflichen Schulen. Der Unterstützungsauftrag wird folglich vorherrschend in das Bildungssystem hinein verlagert, weitaus seltener hingegen in einem kommunalen Gefüge aus Bildungs- und Unterstützungseinrichtungen verortet und verstetigt. Weitere Forschungsprojekte haben soziale Bildungsarbeit im Kontext der Kulturund Medienarbeit untersucht, die einzelnen Anwendungsfelder überlappen sich hier (Tabelle 1c). Tabelle 1c: Soziale Bildungsarbeit im Kontext der Kultur- und Medienarbeit Handlungsfeld Kulturarbeit
Kulturelle Bildung
Medien
Gesetzlicher Unterstützungsauftrag Verschiedene Leistungen (z.B. das ›Bildungspaket‹) zur Ermöglichung kultureller Teilhabe für benachteiligte Kinder und Jugendliche Stiftungsförderung sozialer Kunstprojekte, Eintrittsermäßigungen, kostenlose Teilnahme, Stipendien Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsrecht sowie Schutz dieser Grundrechte (Art 5. und 18 GG)
Gesetzlicher Bildungsauftrag Jugendbildung (§ 11 SGB VIII)
Künstlerische und ästhetische Bildung Kulturpolitischer Auftrag Teil des öffentlich-rechtlichen Bildungs- und Kulturauftrags
In der außerschulischen Jugendbildung ist eine ungleichheitssensible Pädagogik wichtig, da die Gefahr besteht, gesellschaftliche Hierarchien zu reproduzieren und damit neue Ausschlüsse zu erzeugen. Da Einrichtungen der Kulturarbeit durch einen bürgerlichen Bildungshabitus geprägt sind, werden Angebote erforderlich, denen es gelingen kann, sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln an kulturell abgewertete und diskriminierte Zielgruppen und deren soziale und kulturelle Praxis anzunähern und Anregungen bzw. konkrete Hilfestellung zur individuellen Selbstgestaltung zu geben. Verschiedene Fördermaßnahmen (z.B. das in der sozialen Grundsicherung verankerte Bildungs- und Teilhabepaket), sollen finanzielle Barrieren der kulturellen Teilhabe mildern.
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Auch die Kulturelle Bildung unterliegt der Gefahr von Fremdbestimmung und Bevormundung, und versucht dennoch Selbstbestimmung, Selbstermächtigung und Selbstrepräsentation in kulturellen Bildungsprojekten zu ermöglichen. Der näher untersuchte Teilbereich der Darstellenden Künste verschreibt sich seit einiger Zeit in einem Performativitätsparadigma, welches behauptet, die Stimmen der partizipierenden Marginalisierten in solchen Selbstrepräsentationen sichtbar und hörbar zu machen. Aufgrund der fundamentalen repräsentativen Beschaffenheit kultureller und darstellender Praktiken (vgl. Spivak 2008), kann gerade bei solchen Gruppen, die durch ihre Markierung als ›Andere‹ essentialisiert betrachtet werden, die vorschnelle Lösung des subversiven Potenzials des Performativen nicht greifen. Stattdessen wären die Paradoxität von Aufführungen und ihren performativen und repräsentativen Aspekten hinsichtlich der Essentialisierung dieser ›Anderen‹ in der kulturellen Bildungspraxis genau zu be(tr)achten und zu verhandeln, statt sie einfach zu negieren. Die Medien tragen zur Information, Aufklärung und Meinungsbildung bei. Die erforderliche Freiheit zu sichern kann als im Grundgesetz verankerter staatlicher Unterstützungsauftrag verstanden werden (Art. 5, 18 GG). Die öffentlich-rechtlichen Medien (z.B. Rundfunk, Fernsehen) haben zudem einen verfassungsrechtlichen Kulturauftrag (vgl. Lewke 2007) und erbringen entsprechende Leistungen. Der Staat, die Länder und Kommunen wiederum haben eine kulturpolitische Grundversorgung und kulturelle Infrastruktur bereitzustellen (vgl. ebd.). Die Medienkritik bezieht sich auf die Qualität der Berichterstattung, auf wirtschaftliche Verflechtungen, unzureichende Selbstkontrolle, Informationsmanipulation bis hin zu Propaganda und übergroßen Machteinfluss. Schon in der »Dialektik der Aufklärung« (vgl. Horkheimer/Adorno 1969) wird auf die manipulative und ein kritisches Bewusstsein unterminierende Wirkung der Massenmedien hingewiesen, die Menschen für ein konsumorientiertes System gefügig machen. Ein spezifisches Merkmal dieses institutionellen Kontextes der sozialen Bildungsarbeit ist darin zu sehen, dass Kulturinstitutionen wie Museen oder Theater, oder den öffentlich-rechtlichen Massenmedien, insbesondere ein Kulturauftrag zugeordnet ist, der gleichwohl – zumindest nachgeordnet – einen Bildungsauftrag enthält wie auch sozialgesetzliche Leistungen zum Ausgleich von Benachteiligungen in der kulturellen Teilhabe bereitgestellt werden. Dennoch gibt es lediglich für Kinder und Jugendliche einen Rechtsanspruch auf kulturelle Bildung. In diesem Feld schließt Bildungsarbeit vielleicht am deutlichsten an die begriffliche Erbschaft der »Entfaltung« an, dem Konzept der Romantik, in dem »die je spezifische Entwicklung des Individuums und die Kultivierung seiner je besonderen, seiner individuellen Ausdrucksform in den Mittelpunkt« rückt (Liebau
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1999: 35). Die kulturelle Bildung zielt gegenwärtig indes vor allem auf das gesellschaftliche bzw. politische Lernen, die ästhetische Bildung wird vernachlässigt und zurückgedrängt. In diesen Anwendungsfeldern sozialer Bildungsarbeit wird ganz besonders die ›Unmöglichkeit zu Sprechen‹ der Subalternen bzw. die Ignoranz des Zuhörens im hegemonialen Diskurs betont und daraus die Forderung abgeleitet zur Reflexion von Macht- und Herrschaftsstrukturen, zur Wachsamkeit gegenüber der eigenen ›Komplizenschaft‹, zur selbstkritischen Analyse der persönlichen Verstrickung in Diskurse, zur Dekonstruktion jedweder Art absoluter Wahrheit, zur Berücksichtigung von Intersektionalität, zur Hinterfragung der nationalstaatlichen Prägung von Begriffen und Kategorien, zur Solidarität statt Konkurrenz auf verschiedenen Ebenen (Institution, Team, Konzeption, Durchführung, Nachbereitung). 2.3 Bilanz der Begriffsbestimmung Soziale Bildungsarbeit umschließt mehrere Grundbegriffe (z.B. Erziehung, Bildung, Entfaltung, Lernen, Unterstützung), die nicht gegeneinander aufhebbar sind, die aber auch nicht ohne weiteres unkritisch weitergeführt werden dürfen. Es wäre unhistorisch, würde soziale Bildungsarbeit nicht sorgfältig an pädagogische Grundbegriffe anschließen, denn sie bilden die unverzichtbaren Elemente der theoretischen Fundierung, »weil jeder Versuch, aktuelle pädagogische Konzepte nur auf eine einzige Tradition zu gründen, in Aporien führen und auch in der Praxis fehlschlagen« muss (Liebau 1999: 25). Gleichwohl dürfen die solchen pädagogischen Traditionen inhärenten Widersprüche nicht unterschlagen werden, wenn beispielsweise Erziehung mit Gewalt versucht wird, Lernen und Bildung in ein hierarchisiertes Verhältnis zueinander gesetzt werden oder die Entfaltung sozialromantisch überhöht, verinnerlicht und somit entpolitisiert wird. Zu prüfen ist überdies, ob noch andere Grundbegriffe zum disziplinären Erbe gehören (z.B. Förderung, Bewältigung), ohne indes diese kategoriale ›Ahnenreihe‹ beliebig und grenzenlos zu erweitern. Gewiss ist jedoch, dass soziale Bildungsarbeit nicht nur bildungs-, sondern auch erziehungs-, entfaltungs-, lern- und unterstützungstheoretisch, dazuhin ungleichheitstheoretisch begründet werden muss, will sie umfassend die sozialen Bedingungen des Lernens reflektieren und bearbeiten.
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3. E MPIRISCH GEWONNENE Q UALITÄTSMERKMALE SOZIALER B ILDUNGSARBEIT In Tabelle 2 sind erste empirische Ableitungen von Qualitätsmerkmalen zusammengefasst, die in den vierzehn Projekten zu verschiedenen Anwendungsfeldern sozialer Bildungsarbeit identifiziert werden konnten. Wie oben erläutert, haben wir die Befunde vier Dimensionen der Reproduktion sozialer Ungleichheit zugeordnet, die in den Sozialwissenschaften unterschieden werden (vgl. Castel 2008; Link 1999; Paugam 2008): (1) Soziale Ungleichheit reproduziert sich in Strukturen (z.B. Gesetze, politische Steuerung, Föderales Prinzip, ökonomische Basis, etc.), die einerseits die gesellschaftlichen Verhältnisse tragen bzw. rahmen, die andererseits verändert werden müssen, um Ungleichheit abzubauen, und die zum dritten die Handlungsanforderungen und die Möglichkeiten sozialer Bildungsarbeit in hohem Maße bestimmen und präformieren. (2) Soziale Ungleichheit ist überdies mit gesellschaftlichen Diskursen verknüpft, die sich zu hegemonialen und anti-hegemonialen Diskursfeldern verdichten können, die in Institutionen aufgegriffen oder zu denen Gegendiskurse entwickelt werden, die in Handlungskonzepten aufgenommen sind oder von denen man sich abgrenzt. (3) Soziale Ungleichheit wird ebenso in und durch Institutionen in Gestalt von ökonomischen, sozialen, kulturellen und sozialräumlichen Ausgrenzungen bzw. Inklusionen verstärkt oder kompensiert. Allerdings unterscheiden sich die Institutionen sozialer Bildungsarbeit sehr, auf den ersten Blick bilden sie teilweise extreme Gegensätze (z.B. ›totale Institutionen‹ versus ›Selbsthilfeorganisationen‹). Diese institutionellen Settings beeinflussen wiederum den professionellen Auftrag sowie die Möglichkeiten und Grenzen der Intervention sozialer Bildungsarbeit. (4) Mit Bezug auf spezifische Adressatinnen und Adressaten werden in konkreten pädagogischen Handlungskonzepten sodann Zielsetzungen, Anforderungen, Arbeitsansätze und Methoden der sozialen Bildungsarbeit ausformuliert und damit immer auch konkrete, praxisleitende Antworten auf die ›soziale Frage‹ gegeben. In der Beschreibung der ›Klientel‹ und der ›Zielgruppen‹, in der Bestimmung des konkreten Bildungs- und Unterstützungsauftrags in den Einrichtungen, in den institutionellen Leitbildern und Werten kann untersucht werden, wie das Spannungsverhältnis aus Fremdbestimmung und Partizipation ausbalanciert werden soll. Die nachfolgend aufgelisteten Qualitätsmerkmale sind in den einzelnen Beiträgen in diesem Buch jeweils empirisch hergeleitet und theoretisch begründet
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worden, und werden deshalb in der Tabelle nicht noch einmal einzeln belegt.2 Die Unterscheidung von negativen (›benachteiligenden‹) und positiven (›unterstützenden‹) Merkmalen mag plakativ erscheinen, hat hier jedoch eine heuristische Funktion, weil sich solche Gegensatzpaare dann leichter und präziser zu professionellen Antinomien ausformulieren lassen; dies wird im abschließenden vierten Abschnitt geleistet. Tabelle 2: Empirisch identifizierte Qualitätsmerkmale Strukturen Kinder- und Jugendhilfe (Daniel Beume, Lisa-Marie Klinger)
Unterstützend
Qualität bedeutet hier lediglich das Einhalten von formalisierten Standards. Rechtsansprüche werden umgangen, Hilfeleistungen nur noch eingeschränkt erbracht.
Bestimmung von Qualitätsmerkmalen orientiert sich an tatsächlichen Hilfebedarfen und Lebenslagen der Adressaten. Ihre Einbeziehung macht Widersprüche zwischen realen Bedarfen und aktuellen Leistungen sichtbar. Qualität in der Pädagogischen Arbeit braucht eine gute finanzielle, materielle, personale und strukturelle Ausstattung, um die Jugendlichen angemessen unterstützen, empowern bzw. sensibilisieren zu können. Qualitätsbestimmung bemisst sich daran, ob Subjekte jene Kompetenzen ausbilden können, die ihnen auch unter heteronomen gesellschaftlichen Bedingungen Handlungsfähigkeit gewähren. Insbesondere in offenen Gruppenangeboten finden informelle Lernund Bildungsprozesse statt, u.a. durch den Austausch der Eltern untereinander und mit Fachkräften, der Erhalt ist daher wichtig. Für die Bestimmung von Qualitätsmerkmalen und, in Kopplung daran, die Verbesserung der Passung von Beratungsangeboten der Schuldnerberatung müssen die
Jugendbildung (Laura Röhr)
Strukturelle Rahmenbedingungen verunmöglichen häufig eine angemessene und entsprechend auch diversitätsbewusste Bildungsarbeit aufgrund mangelnder Ressourcen.
Sozialräumliche Kinder- und Jugendhilfe (Thorben Struck)
Qualitätsbestimmung im formellen und informellen Bildungssektor kann soziale Ungleichheit reproduzieren.
Familienbildung (Hanna Gundlach)
Ergebnisqualität insbesondere offener (Gruppen-)Angebote ist nicht messbar bzw. nicht kausal rückführbar auf Angebote; ggf. schwierig, um Finanzierung zu sichern. Der Themenkomplex Finanzielle Grundbildung ist noch nicht ausreichend in der Schuldnerberatung systematisch verankert.
Schuldnerberatung (Sally Peters)
2
Benachteiligend
Leerstellen innerhalb der Tabelle sind aus dem Zusammentragen der Ergebnisse hervorgegangen, da nicht in jedem Beitrag gleichermaßen ›benachteiligende‹ komplementär zu ›unterstützenden‹ Qualitätsmerkmalen behandelt wurden.
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Arbeitsförderung (Jana Molle)
Der Unterstützungsauftrag im Gesetz ist nicht klar formuliert und entsprechend nur lückenhaft mit Blick auf die Lebenswelt der Ratsuchenden in der konzeptionellen Ausarbeitung skizziert.
Jugendstrafvollzug (Uta Wagner)
Eine Unterstützung des Übergangs ist in den verschiedenen Gesetzestexten verankert. Jedoch werden die gesetzlichen Möglichkeiten bei Weitem nicht ausgeschöpft.
Soziale Arbeit mit Geflüchteten (Moussa Dieng)
Gesetzliche und politische Restriktionen führen zu Diskriminierungen in nahezu allen Dimensionen der Lebenslage. Gesichert wird lediglich die Befriedigung der Grundbedürfnisse, eine individuelle Entfaltung wird nicht ermöglicht. Maßnahmen der Berufsorientierung werden zumeist als zeitlich befristete Projekte, an wechselnde Träger und nach kurzfristigen, betriebswirtschaftlichen Kriterien vergeben.
Schulische Berufsorientierung (Tatjana Beer)
Schule in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (Tobias Hensel) Beschulung minderjähriger Mütter (Cornelia Sylla)
Kulturelle Bildung/ Darstellende Künste
Eine Abweichung vom schulischen Normallebenslauf aufgrund von Diskontinuitäten oder schwieriger Übergänge wirkt benachteiligend. Jugendliche Mutterschaft stellt eine gesellschaftliche Normverletzung dar.
Integration beginnt nicht erst durch gelungene kulturelle Anpassung (im Auftrag kultureller
Lebenslagen der Betroffenen stärker als bisher beachtet werden. Die wahrgenommene soziale Unterstützung ist ein zentraler Wirkfaktor. Um diesbezüglich überhaupt Qualitätsmerkmale von Beratung als soziale Bildungsarbeit in den Jobcentern entwickeln zu können, müsste der Unterstützungsauftrag klarer im Gesetz formuliert werden. Anerkennung und Ausschöpfung der gesetzlichen Möglichkeiten der Entlassungsvorbereitung als Resozialisierungsmaßnahmen und nicht als Gratifikation bei anstaltskonformem Verhalten ist geboten. Nur mit der Bereitschaft seitens der Politik können die infrastrukturellen, rechtlichen und politischen Zugangsbarrieren überwunden werden und kann die Professionalisierung des Unterstützungsund Fördergeschehen gelingen. Strukturelle Diskontinuitäten im Übergang müssen beseitigt, Kontinuität in der Kooperation muss gewährleistet, die Standardisierung des Berufsorientierungsprozesses muss individualisiert werden. Anerkennung von Heterogenität und Orientierung an den individuellen Ressourcen und Bedarfen der Kinder und Jugendlichen. Auch nach der Beendigung der Schulpflicht haben Schülerinnen das Recht, einen begonnenen Bildungsweg zu beenden. Betreuung und Begleitung durch verschiedene pädagogische Disziplinen besteht. Kulturelle Bildungsarbeit diskutiert neue strukturelle Wege für eine Gesellschaft transnationaler
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(Sofie Olbers)
Bildung), sondern zuvorderst durch politisch-rechtliche Bedingungen.
Medien (Roxana Dauer)
Die globale Ordnung der ›Nationalstaaten‹ mit ihren ›staatl. Organen‹ und sozialen Konstruktionen von ›Nation‹ sowie der Positionierung von Menschen als ›Flüchtlinge‹ stellt soziale Ungleichheit her.
Diskurse Kinder- und Jugendhilfe (Daniel Beume, Lisa-Marie Klinger) Jugendbildung (Laura Röhr)
Sozialräumliche Kinder- und Jugendhilfe (Thorben Struck)
Familienbildung (Hanna Gundlach)
Schuldnerberatung (Sally Peters)
Arbeitsförderung (Jana Molle)
Aktuelle Reformen zielen auf Machbarkeit im Kontext von Spardiktaten anstatt auf Hilfeangebote, die aus fachlicher Sicht notwendig und geeignet sind. Die Qualitätsdebatte in der Jugendhilfe ist von Kosten-Nutzen-Denken geprägt und verhindert damit häufig ›qualitativ hochwertige‹ Arbeit, die mit höheren Kosten einhergeht. Formales, non-formales und informelles Lernen werden strukturell unterschieden und diskursiv in ihrer Relevanz und Qualität hierarchisiert. Sozialräume werden als benachteiligt markiert, ihre Bewohner als unterstützungsbedürftig etikettiert. Durch QualitätsmanagementBoom und verstärkte Evaluations-/ Wirkungsforschung besteht die Gefahr der Überlagerung der inhaltlichen Arbeit durch Technokratie wegen Fokussierung auf Ergebnisqualität(en). Ver- und Überschuldung wird als Folge individuellen Fehlverhaltens gedeutet, dem man mit Lern- und Bildungsvermittlung begegnen muss. Aufgrund des Aktivierungsparadigmas besteht die Gefahr, dass
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Verflechtungen, statt im Auftrag einer einseitigen Integration auf Grundlage von nationaler Identität oder europäischen Werten zu operieren.
Pädagogisch zu begründende Qualitätsmerkmale sind mit dem durch das QMS intendierten Interesse nicht vereinbar, da dieses auf formelle Maßgaben aufsetzt. Intersektionale Diskurse versuchen hier einzugreifen und die Beachtung von jeweils relevanten Ungleichheitskategorien einzubeziehen, was sich auf die Mittelvergabe auswirken könnte. Unterschiedliche Lernformate werden als gleichwertig anerkannt. Sozialräume werden in ihren Ressourcen wahrgenommen und Strukturen geschaffen, sodass Sozialräume zu informellen Lernorten werden können. Bei (Fort-)Führung des Diskurses sollten alle Qualitätsmerkmale und insbesondere Prozessqualität(en) berücksichtigt werden.
Anerkennung von Überschuldung als sozialem Problem und daran anschließend Etablierung der Schuldnerberatung als spezialisiertem Angebot der Sozialen Arbeit. Die Würdigung der Bewältigungsleistungen der Personen sowie die
336 | H ARALD A NSEN ET AL. leistungsberechtigte Personen zu Verfahrensobjekten in der Beratung gemacht werden und das Vorurteil der Faulheit Leistungsberechtigter reproduziert wird. Jugendstrafvollzug (Uta Wagner)
Soziale Arbeit mit Geflüchteten (Moussa Dieng)
Schulische Berufsorientierung (Tatjana Beer)
Schule in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (Tobias Hensel)
Beschulung minderjähriger Mütter (Cornelia Sylla) Kulturelle Bildung/ Darstellende Künste (Sofie Olbers)
Medien (Roxana Dauer)
Die Entlassung aus dem Gefängnis wird als ›Hochrisikozeit‹ beschrieben, trotzdem werden Jugendliche in dieser Phase nur unzureichend unterstützt und begleitet. Die Zeit der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften stellt die erste Phase (›AnkommensPhase‹) für geflüchtete Menschen dar. In dieser Zeit unterliegen sie zahlreichen Bildungsund Teilhaberestriktionen. Berufsorientierung wird als Aufgabe auf die Jugendphase beschränkt. Etikettierungen und Klassifizierungen wie ›Ausbildungswillige‹ oder ›Ausbildungsreife‹ werden den Jugendlichen nicht gerecht. Psychische Erkrankungen werden als Stigma erlebt und die Betroffenen sehen sich mit strukturellen Diskriminierungen in Bildungseinrichtungen konfrontiert. Diskurse um gute Mutterschaft (Versorgung des Kindes als Hauptaufgabe) und Schülerinnenstatus (Schule als Lebensmittelpunkt) stehen im Widerstreit. Der Migrations- und Fluchtdiskurs schreibt die essentialisierende Subjektposition ›Flüchtling‹ zu, gleichzeitig wird dadurch die ›Normalität‹ eines überlegenen Europa-Bildes reproduziert. Diskursive Praktiken einer Abgrenzung zwischen ›Wir‹ – ›die Anderen‹ resp. ›Flüchtlinge‹ –
Weiterentwicklung partizipativer Beteiligungsformen bei der Konzeption von Beratung können einen relevanten Beitrag leisten, um das Stigma der Faulheit einzudämmen.
Eine ›professionelle‹ Unterstützung und Förderung erfolgt tatsächlich ›bedürfnisorientiert‹, ›kompetenzorientiert‹ und ›adressat/-innenorientiert‹, wenn diese lebenslagenorientiert (i. A. a. den Capabilities Approach) erfolgt. Berufsorientierung ist ein lebenslanger Prozess der Abstimmung zwischen den Interessen und Wünschen des Individuums und den Bedarfen und Anforderungen einer sich permanent wandelnden Arbeitswelt. Nachteilsausgleiche und Aufklärung von Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern verringern Stigmatisierungen und strukturelle Diskriminierungen und erleichtern den Übergang in das formale Bildungssystem. Respekt und Anerkennung von vielfältigeren Lebensentwürfen können helfen, strukturelle Hürden zu überwinden. Relationale Subjektpositionen werden neu artikuliert, Gegendiskurse gestärkt, jedoch ihre Verstrickung in die Reproduktion des Hegemonialen beachtet. Ästhetische Bildung verändert das Wahrnehmen und Denken.
B ILDUNG
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›Nationalstaatsangehörige‹ auf Ebene der ›Nation‹ und des ›Staates‹ bedingen ungleiche Lebenschancen. Institutionen Kinder- und Jugendhilfe (Daniel Beume, Lisa-Marie Klinger) Jugendbildung (Laura Röhr)
Sozialräumliche Kinder- und Jugendhilfe (Thorben Struck)
Familienbildung (Hanna Gundlach)
Schuldnerberatung (Sally Peters)
Arbeitsförderung (Jana Molle)
Jugendstrafvollzug (Uta Wagner)
Umsteuerung der Hilfen zur Erziehung in Sozialräumliche Hilfen und Angebote unter dem Verdikt des Sparens. Viele (junge) Menschen machen Diskriminierungserfahrungen und unterliegen institutioneller Diskriminierung. Institutionelle Arrangements werden sozialräumlich häufig in absolutistischen Vorstellungen von Containerräumen gestaltet, nicht-normgerechte Raumhandlungen werden negativ sanktioniert. Bisher werden (zu) selten die Perspektiven der Adressatinnen und Adressaten sowie Nutzerinnen und Nutzer der Angebote in die Entwicklung von Qualitätskonzepten einbezogen. Institutionelle Bedingungen erschweren teilweise eine ganzheitliche Beratung und erhöhen so mitunter die Gefahr von Drehtüreffekten. Sie bieten aufgrund des gesetzlichen Auftrags der Kontrolle, Erfolgszentrierung und Zielfixierung im SGB II wenig Spielraum für die Vermittlung von Lebensführungskompetenzen im Rahmen der Beratung gleichberechtigt zur Vermittlung in Arbeit. Bisher ist der Übergang weiterhin gekennzeichnet durch institutionelle Beziehungsabbrüche. Es fehlt eine verlässliche, partei-
Die beiden ›Paradigmen‹ (HzE und SHA) werden nicht gegeneinander ausgespielt, sondern als sich ergänzende lebensweltorientierte Angebote angelegt. Angebote der Bildungsarbeit reflektieren die Reproduktion von Ungleichheitskategorien und tragen so zu einem diskriminierungsärmeren Setting bei. Institutionelle Arrangements werden in subjektorientiert gedachten relationalen Handlungsräumen gestaltet, die von den Subjekten selbstbestimmt angeeignet und genutzt werden können. Qualitätskonzepte, die in einem partizipativen Prozess von möglichst vielen Stakeholdern entwickelt wurden, sind erfolgsversprechend. Schuldnerberatung, die sich grundsätzlich als ganzheitliches Unterstützungsangebot verortet und in Kooperation mit anderen Unterstützungsinstitutionen agiert. Die verstärkte Reflexion des Unterstützungsauftrags im Kontext ›nachhaltiger‹ Vermittlung wäre empfehlenswert.
Übergangsmanagement stellt sich als disziplinübergreifender Ansatz dar und soll eine umfassende, gebündelte, kooperative, transparente und betreuungsintensive Entlassungsvorbereitung bieten.
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Soziale Arbeit mit Geflüchteten (Moussa Dieng)
Schulische Berufsorientierung (Tatjana Beer)
Schule in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (Tobias Hensel)
Beschulung minderjähriger Mütter (Cornelia Sylla)
Kulturelle Bildung/ Darstellende Künste (Sofie Olbers)
Medien (Roxana Dauer)
ische Bezugsperson. Die Lebenslagen der Betroffenen finden zu wenig Beachtung. Institutionelle Arrangements beschränken sich auf die Akutversorgung und die Unterbringung. Infolge multipler Exklusionen wächst die Bedeutung subsidiärer (Bildungs-)Angebote der Sozialen Arbeit. Kooperation, obwohl Kernaufgabe und Qualitätsmerkmal, wird oftmals nicht als Prozess verstanden, außerdem werden Asymmetrien in den Kooperationsbeziehungen (Macht, symbolisches Kapital) ignoriert. Der Übergang kann für die weitere Schulbiographie weichenstellend sein. In kaum einer Verordnung oder sonderpädagogischen Förderrichtlinie der Klinikschulen ist der Reintegrationsauftrag jedoch vorgeschrieben. Ein isoliertes Nebeneinander von Schule, Sozialarbeit und Kinderbetreuung beachtet weder die Bedarfe der jugendlichen Mütter, noch kann die notwendige Unterstützung gewährleistet werden. Kulturpolitik und Bildungsziele verfolgen die Förderung von Integration und kultureller Vielfalt, die jedoch widersprüchlich zur Praxis stehen: Machtpositionen bleiben einseitig besetzt.
Staatliche Institutionen regeln durch die Unterscheidung zw. ›Staatsangehörigen‹ und ›Flüchtlingen‹ den ungleichen Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen.
Unterstützungs- und Förderangebote richten sich nach den tatsächlichen Bedürfnissen und den konkreten Lebenslagen Geflüchteter. Die entsprechenden Systeme werden in ihren kommunalen Strukturen besser verknüpft. Qualität muss in einer doppelten Prozesshaftigkeit bestimmt werden: Als konflikthafte Aushandlungsprozesse auf Seiten der Akteure, als individuelle milieubezogene Bewältigungsprozesse auf Seiten der Jugendlichen. Der Unterricht von Klinikschulen ist strukturell auf den Übergang ausgerichtet. Die Unterstützung der allgemeinen Schulen und Kinder und Jugendlichen bei der Bewältigung des Übergangs ist institutionalisiert. Ein systematischeres Zusammendenken von Jugendhilfeplanung und Schulentwicklung unter Einbezug einer Orientierung an den heterogenen Lebenswelten der Jugendlichen ist geboten. Kulturpolitik und Bildungsziele zielen auf die Subjektemanzipation aller Beteiligten. Sie sind keine Verschleierung und/oder Pseudolösung, sondern eine konsequente praktische Umsetzung mit der Bereitschaft Machtpositionen aufzugeben.
B ILDUNG
Pädagogische Handlungskonzepte Hilfeplanung ist formalisiert, Kinder- und Justandardisiert und reguliert und gendhilfe wird dadurch einseitig durch So(Daniel Beume, zialarbeit und Politik festgelegt. Lisa-Marie KlinPartizipation der Adressaten beger) schränkt sich auf formale Mitbestimmung. Jugendbildung Jugendliche werden der Repro(Laura Röhr) duktion von Ungleichheitsdimensionen und Kategorisierungen ausgesetzt, die sie an der Entfaltung von Handlungsfähigkeit hindern. Sozialräumliche Kinder- und Jugendhilfe (Thorben Struck)
Familienbildung (Hanna Gundlach)
Schuldnerberatung (Sally Peters)
Arbeitsförderung (Jana Molle)
Jugendstrafvollzug (Uta Wagner)
Lernen wird als Kompetenzerwerb mit formalisierten, standardisierten und regulativen Verfahren in einer Lernziel-/Lernergebnis-Logik gemessen; informelles Lernen wird ausgeschlossen bzw. abgewertet. Qualitätsmerkmale dienen als Orientierungen für pädagogische Arbeit/professionelle Haltungen und dürfen keine strikten Zielvorgaben sein, da sonst individuelle Bedarfslagen/Lebenssituationen unberücksichtigt bleiben. Teilweise erfolgt eine isolierte Bearbeitung einzelner Aspekte, die biographische Aspekte nicht umfassend genug einbezieht und somit keine ganzheitliche Problembearbeitung darstellt. Die eindimensionale Orientierung am Eingliederungsauftrag sowie Sanktionsandrohungen in der Beratung wirken benachteiligend.
Die Maßnahmen des Übergangsmanagements beginnen spät und schöpfen die gesetzlichen Mög-
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Hilfeplanung wird als Aushandlungsprozess in einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung gestaltet, in dem die tatsächlichen Interessen der Adressatinnen berücksichtigt werden. Die Diversität von Lebenslagen wird ernst genommen und fließt in das Angebot ein. Dies erfordert eine prozessorientierte, partizipatorische Haltung, die auch den Jugendlichen selbst ermöglicht, ihre Themen zu setzen. Kompetenzmessung wird machttheoretisch reflektiert, informelle Settings werden in ihrer Qualität gewürdigt, von den Lernzielen abweichende Lernprozesse der Subjekte werden als symbolisches Kapital anerkannt. Durch individuelle familiäre Bedarfslagen und Lebenssituationen gekennzeichnete inhaltliche und Beziehungsarbeit können nicht standarisiert werden: Qualitätsmerkmale beziehen sich auf organisatorische Abläufe/ Rahmenbedingungen. Parallelität von psychosozialen Aspekten und Fragen der rechtlichen Schuldenregulierung als Gegenstände innerhalb der Schuldnerberatung. Als zentraler Wirkfaktor von Beratung gilt die Arbeitsbeziehung. Qualitätsmerkmale von Beratung, u.a. in Jobcentern, könnten daher mit Hilfe von Handlungsprinzipien sozialarbeiterischer Beratung ausformuliert werden. (Schulische) Bildung hat eine zentrale Bedeutung für die Resozialisierung. Die Bildungsabschlüsse sollten angehoben und
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Soziale Arbeit mit Geflüchteten (Moussa Dieng)
Schulische Berufsorientierung (Tatjana Beer)
Schule in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (Tobias Hensel)
Beschulung minderjähriger Mütter (Cornelia Sylla)
Kulturelle Bildung/ Darstellende Künste (Sofie Olbers)
Medien (Roxana Dauer)
lichkeiten nicht aus, eine Transparenz gegenüber den Betroffenen ist nur bedingt erkennbar. Gängige Qualitätsmerkmale Sozialer Arbeit (passgenau, bedarfsgerecht, subjektorientiert, kompetenzorientiert) sind nur vage bestimmt und beziehen sich oftmals nicht auf transnationale Lebenslagen Geflüchteter. Da es bislang keine konsensfähigen Qualitätsmerkmale gibt, wird dadurch die Konzeptentwicklung und Kooperation der verschiedenen Akteure erschwert. Die Orientierung an Übergangszahlen greift zu kurz. Unterrichtsangebote orientieren sich an den Leistungsanforderungen des formalen Bildungssystems, ohne prekäre Lebensumstände und daraus resultierende Bildungsbedürfnisse zu berücksichtigen. Der Regelfall ist der Schulbesuch in Regelklassen und ggf. sozialpädagogische Betreuung durch das Jugendamt. Die Vereinbarkeit von Schule und Familie liegt im Verantwortungsbereich der Betroffenen. Kulturelle Bildungsarbeit hat oft mehr Nützlichkeit für die Kulturschaffenden als für die Geflüchteten. Auch einfache Selbstrepräsentation ist nicht ausreichend, denn auch sie verbleibt in einem machtungleichen Raum. Innerhalb sozialer Bildungsarbeit werden machtvolle, diskursive Konstruktionen wie jene des ›Flüchtlings‹ oder ›nationalstaatlicher Zugehörigkeit‹ unreflektiert (re-)produziert.
ausreichende Ressourcen sollte sichergestellt werden. Gängige Qualitätsmerkmale sozialer Arbeit werden für die Soziale Arbeit mit Geflüchteten präzisiert. Professionalisierungsangebote orientieren sich an den konkreten Lebenslagen Geflüchteter. Qualitätsmerkmale müssen als Antinomien bestimmt werden. Nur so können einerseits die Anforderungen der Arbeitswelt, andererseits die Potentiale und Bedürfnisse der Jugendlichen berücksichtigt werden. Verknüpfung von Bildungs- mit Unterstützungsangeboten unter der Berücksichtigung des Verhältnisses von Bildung und Bewältigung sowie der individuellen Bedarfe und Perspektiven der Kinder und Jugendlichen. Exklusive Schulangebote für minderjährige Mütter, in welchen neben dem schulischen Unterricht auch sozialpädagogische Betreuung und Kinderbetreuung strukturell verankert sind. (Selbst-)Repräsentation mit ethischer Verantwortung gegenüber dem ›Anderen‹, Sichtbar-machung der Machtverhältnisse, (An-)Erkennung und kreative Erfindung von Bedeutungskonstruktion und transgressiven Praktiken. Soziale Bildungsarbeit nimmt dekonstruktivistische Perspektiven auf hegemoniale Strukturen sowie das Verhältnis von Diskurs und Macht ein und reflektiert dabei die eigene ›Komplizenschaft‹.
B ILDUNG
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4. T HEORETISCH VERDICHTETE Q UALITÄTSMERKMALE SOZIALER B ILDUNGSARBEIT Soziale Bildungsarbeit in Kontexten der Sozialen Dienste, im schulischen Kontext und in der Kultur- und Medienarbeit benötigt Qualitätsmerkmale, mit denen empirisch gesättigte und theoretisch abgesicherte handlungsleitende Zielsetzungen formuliert und praktische Anwendungen evaluiert bzw. wissenschaftlich reflektiert werden können. In der folgenden Darstellung fassen wir die im Kooperativen Graduiertenkolleg identifizierten übergreifenden Qualitätsmerkmale in Bezug auf Strukturen, Diskurse, institutionelle Arrangements und pädagogische Handlungskonzepte zusammen und fügen jeweils eine knappe Begründung an, in der einerseits Bezüge zu den empirischen Ergebnissen und andererseits zum jeweiligen Theoriebestand hergestellt werden. Vorangestellt sind vier methodologische Qualitätsmerkmale zur Festlegung von Qualitätsmerkmalen, die wir nicht nur in unserer eigenen Vorgehensweise genutzt haben, sondern die wir auch als ›feldspezifisch‹ verstehen. 4.1 Qualitätsmerkmale zur Festlegung von Qualitätsmerkmalen Die folgenden vier Qualitätsmerkmale sind gleichsam die metatheoretischen Grundlagen zur Ausformulierung von Qualitätsmerkmalen sozialer Bildungsarbeit. Die Bestimmung von Qualitätsmerkmalen sozialer Bildungsarbeit ist zur Sicherung von Qualität notwendig, sie muss aber zugleich immer auch machtkritisch erfolgen. ›Qualität‹ ist im Alltagsverständnis ein positiv aufgeladener Begriff (vgl. Rose 2004: 211). Die ›Verstrickung‹ der Qualitätsbestimmung in die Reproduktion sozialer Ungleichheit droht deshalb verschleiert zu werden. Zwar sind Qualitätsmerkmale in den Disziplinen der sozialen Problembearbeitung unabdingbar, weil sie maßgeblich dazu beitragen, den Problembezug, die Professionalisierung, die Rechte und Ansprüche oder die Partizipation der Zielgruppen in den Angeboten und Maßnahmen zu sichern. Doch in der Festlegung von Qualitätsmerkmalen werden immer zugleich Partikularinteressen und Privilegien festgeschrieben sowie Standardisierungen und Formalisierungen vorgenommen, welche die soziale Ungleichheit erneut reproduzieren (können). In der sozialen Bildungsarbeit geht es somit nicht ohne professionelle Qualitätsmerkmale, aber auch nicht ohne die
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strukturelle Verankerung von kritischen Korrektiven im Prozess ihrer Bestimmung. Unter systematischen Gesichtspunkten tragen Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit in Analogie zur Etablierung sozialpolitischer Leistungen (vgl. Althammer/Lampert 2014) durch ihre Beiträge zum Nachweis von Problemen im Zusammenhang mit sozialer Bildungsarbeit einschließlich der Problemlösungsdringlichkeit, der Entwicklung von Lösungsoptionen, der Argumentation für Veränderungen und dem Aufzeigen von Wegen der operativen Umsetzung dazu bei, die Landschaft sozialer Bildungsangebote facettenreicher zu gestalten.
Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit sind konsequent in nicht gegeneinander aufhebbare und doch aufeinander verweisende Antinomien zu formulieren. Die antinomische Grundstruktur der professionellen Handlungsanforderungen gehört seit langem zum festen Theoriebestand in den Anwendungsfeldern der sozialen Problembearbeitung: Professionelle Handlungsanforderungen unterliegen Widersprüchen und Paradoxien, widerstreitenden Erwartungen und Ansprüchen, gegensätzlichen Interessenslagen und Zielvorstellungen, die sich nicht aufheben lassen, sondern die allenfalls ausgeglichen und umsichtig bearbeitet werden können (vgl. Schütze 1996: 252; Helsper 1999: 521ff.; Opp et al. 1999: 13). Trotz dieser grundlegenden Einsicht haben wir in vielen Anwendungsfeldern sozialer Bildungsarbeit immer wieder Beispiele gefunden, wie in der Festlegung von Qualitätsmerkmalen die Handlungsanforderungen in aporetischen Bestimmungen verbleiben oder die professionellen Antinomien oftmals vorschnell und einseitig aufgelöst werden, anstatt mit ihnen nicht aufeinander rückführbare und deshalb auch nicht gegeneinander aufhebbare Anforderungsbündel zu markieren. Soziale Bildungsarbeit unterscheidet in ihren pädagogischen Handlungskonzepten zwischen kompetenz- und ressourcenorientierten Ansätzen und bezieht diese systematisch aufeinander. Kompetenzen können als Aktionspotentiale betrachtet werden, die unter bestimmten (günstigen) Umständen nicht nur Performanzen bleiben, sondern zu Ressourcen werden können (vgl. Chomsky 1965). Kompetenzorientiertes pädagogisches Handeln in der sozialen Bildungsarbeit spürt diese ›verborgenen Schätze‹ bei der
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Zielgruppe auf. Da strukturell die Institutionen der sozialen Bildungsarbeit teilweise zu Dienstleistungsunternehmen geworden sind, ist aus Zeit- und Geldgründen die Umsetzung ressourcenorientierter pädagogischer Konzepte immer schwieriger geworden, und defizitorientierte bzw. kompensatorische Ansätze werden bevorzugt. Angesichts der atypischen Biografien und der stigmatisierenden Diskurse, denen die Klienten der sozialen Bildungsarbeit unterliegen, ist es besonders wichtig, in der pädagogischen Arbeit mit diesen Menschen eine konsequente ressourcenorientierte Haltung einzunehmen und entsprechende Handlungen daraus zu entwickeln, weil es nicht selbstverständlich ist, dass ihnen ›Kompetenzen‹ zugeschrieben werden. Die Legitimierung von Qualitätsmerkmalen erfolgt in einem auf Dauer gestellten prozeduralen Verfahren in einem gesellschaftlichen Konfliktfeld, in dem indes ein zeitlich begrenzter Konsens herbeigeführt werden muss. »Wer bestimmt die Qualität?« (Rose 2004). Qualitätsbestimmung in der sozialen Bildungsarbeit verläuft in einem gesellschaftlichen Konfliktfeld; die sich daraus ergebenden Konflikte aus Interessen, Bedürfnissen und Zielsetzungen zwischen relevanten Akteuren, Nutzerinnen, Staat und Professionellen wurden auch schon für andere Handlungsfelder der sozialen Problembearbeitung beschrieben (vgl. z.B. Schaarschuch/Schnurr 2004). Die soziale Bildungsarbeit ist hingegen häufig von den Abläufen und Rahmensetzungen der Institutionen und weniger von den Notwendigkeiten der zu bearbeitenden Probleme geleitet. Theoretisch begründet ist die Forderung nach einem relationalen Qualitätsbegriff, der die konflikthaften Beziehungen zwischen den verschiedenen Akteuren systematisch aufeinander bezieht und in einem Aushandlungsprozess zur Kompromissbildung über Qualität führt (vgl. ebd.: 312ff). Empirisch gesättigte Verfahren zur »konfliktakzeptierenden« und »verhandlungsorientierten« Qualitätsbestimmung (vgl. ebd.: 321), gibt es in der sozialen Bildungsarbeit bislang jedoch nicht. 4.2 Strukturen Die nächsten zwei Antinomien erörtern das Verhältnis von gesellschaftlichen Strukturen und den Qualitätsmerkmalen sozialer Bildungsarbeit.
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Soziale Bildungsarbeit muss in ihren Handlungskonzepten von diskontinuierlichen und transnationalen Bildungsbiografien ausgehen, diese Handlungskonzepte aber in nationalstaatlich gerahmten Institutionen und in gestuften Systemen umsetzen. Die Notwendigkeit sozialer Bildungsangebote verweist auf problematische Strukturmomente der Organisation von Bildung (vgl. Schroeder/Seukwa 2017). So bauen in der altersphasenspezifischen Gliederung des Bildungssystems vom Kindergarten bis zur Seniorenbildung die einzelnen Bildungssegmente aufeinander auf, und gesellschaftlich wird erwartet, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene das Bildungssystem ohne Unterbrechung durchlaufen (zeitliche Kontinuität). Zudem ist ein von den Verhältnissen erzwungener Wechsel zwischen nationalstaatlichen Bildungssystemen meistens schwierig, weil z.B. im Herkunftsland erlangte Abschlüsse im Zielland nicht anerkannt werden und/oder erst einmal eine neue Unterrichtssprache erlernt werden muss. Das heißt, in Nationalgesellschaften wird stillschweigend davon ausgegangen, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene ein einziges Bildungssystem durchlaufen (räumliche Kontinuität). Wer die eine, die andere oder gar beide gesellschaftlichen Erwartungen nicht erfüllt, gerät schnell in eine Problemlage. Deshalb ist eine empirische und theoretische Fundierung von Praxiskonzepten erforderlich, die diskontinuierliche Bildungsbiografien dem pädagogischen Handeln zugänglich macht. Strukturen bestimmen die Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit; soziale Bildungsarbeit versucht dennoch, die strukturellen Grenzen des Machbaren zu erweitern. Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit sind in mehrfacher Hinsicht mit Strukturen verknüpft: Sie gelten als Maßstab für die Bewertung und davon abgeleitete Forderungen nach notwendigen Veränderungen der benachteiligenden Strukturen selbst, der kompensatorischen Angebote und der Rahmenbedingungen der Umsetzung. Soziale Bildungsarbeit ist von den Finanzierungsbedingungen abhängig, um ihren Selbsterhalt bzw. ausreichende (im-)materielle Bedingungen einer ›qualitätsvollen‹ Ausübung abzusichern. Soziale Bildungsarbeit trägt, wenn sie erfolgreich ist, zugleich zur Stabilisierung der benachteiligenden Strukturen bei, indem Individuen zum Wiedereintritt bzw. Verbleib in Regelsystemen unterstützt werden (Normalisierungsfunktion). Andererseits dürfen finanzpolitische Erwägungen und die ›Grenzen des Machbaren‹ die soziale Bildungsarbeit nicht determinieren,
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zu einem Qualitätsmerkmal gehört es auch, dass Anomien bestehender Strukturen hinterfragt und im besten Falle verändert werden. Durch die ›Verstrickung‹ in diese unterschiedlichen Strukturebenen kann die Diskussion von Qualitätsmerkmalen nicht losgelöst von der Frage allgegenwärtiger finanzpolitischer Bedingungen, die eine Input-Out-Logik implizieren, geführt werden. Die Funktion von Qualitätsmerkmalen der sozialen Bildungsarbeit ist es, plausible Begründungen, Kriterien und Empfehlungen für soziale Problemlösungen bereitzustellen, die im politischen Streit um finanzielle, personelle und institutionelle Mittel gegen Privilegien und Partikularinteressen eingebracht werden können. Eine wichtige Funktion von Qualitätsmerkmalen ist es, die Grenzen von Ressourcen zu markieren, die nicht unterschritten werden dürfen, um eine fachgerechte Umsetzung zu sichern. Bei objektiv gegebenen oder politisch behaupteten knappen Kassen müssen Ansprüche an Qualität in der sozialen Bildungsarbeit ins öffentliche Bewusstsein gehoben, durchgesetzt und verteidigt werden. Empirisch und theoretisch abgesicherte Qualitätsmerkmale schaffen die Bedingungen der Möglichkeit, um in der politischen Auseinandersetzung um Rechte, Ressourcen und Reformen mit an Gerechtigkeit ausgerichteten Bewertungsmaßstäben die Umsetzung und Wirksamkeit der politischen Zielsetzungen überprüfen und kritisieren zu können. 4.3 Diskurse Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit werden in diskursiven Verfahren bestimmt, begründet und legitimiert, aber auch kritisiert und dekonstruiert. Die Sicherung von Qualität in der sozialen Bildungsarbeit erfordert einen reziproken Konstruktions- und Dekonstruktionsprozess von Diskursen seitens der Professionellen als auch der Adressatinnen und Adressaten. Adressatinnen und Adressaten sozialer Bildungsarbeit sind nicht selten rassifizierenden, ethnisierenden, kulturalisierenden, sexualisierenden, kriminalisierenden oder pathologisierenden Diskursen ausgesetzt, welche sie als von der ›Norm‹ Abweichende positionieren. In der Konsequenz können diese diskursiven Stereotypisierungen resp. Essentialisierungen benachteiligende Strukturen und institutionelle Diskriminierung (re-)produzieren und zu einer Verfestigung der prekären Lebenslage der Adressatinnen und Adressaten beitragen. Bei der Qualitätsbestimmung sozialer Bildungsarbeit bedarf es daher einer Sensibilität für eben diese machtvollen, diskursiven Konstruktionen.
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Auf Seiten der Professionellen gilt es, die homogenisierenden Stereotype, Kategorien, Bezeichnungen etc. sowie komplementär dazu die Herstellung von Normalisierungen vor dem Hintergrund der daraus resultierenden Konsequenzen für die Adressatinnen und Adressaten zu dekonstruieren. Dies bedeutet u.a. aufzuzeigen und transparent zu machen, inwieweit es sich jeweils um machtvolle, soziale Konstruktionen handelt, wie sich diese diskursiv generieren und welche Praktiken des Sprechens, Schreibens, Handeln zu ihrer Herstellung beitragen (vgl. Hanses 2007). In diesem Zusammenhang kann eine Strategie darin bestehen, Gegendiskurse zu stärken, die bspw. auf die Anerkennung und Würdigung der Leistungen und Ressourcen der Adressatinnen und Adressaten zielen. Insgesamt ist aber auch diese Form der Kritik und Dekonstruktion dialektisch angelegt und hinterfragt jedwede Art vermeintlich absoluter Wahrheiten und damit auch ihre eigenen Konstruktionen (vgl. Spivak 2013: 27). Professionelle müssen daher ihre Machtpositionen sowie die ›Verstrickung‹ der eigenen Profession in stigmatisierende resp. benachteiligende Diskurse in den Blick nehmen. Soziale Bildungsarbeit wird aber auch zur Dekonstruktion diskriminierender Diskurse beitragen, die innerhalb des Kreises der Adressatinnen und Adressaten gegenüber anderen vermeintlich homogenen Gruppen geführt werden. Professionelle Handlungsanforderungen sind in diesem Fall darauf ausgerichtet, Sensibilität für die diskursiven Praktiken des Schreibens, Sprechens und Handelns zu schaffen, welche von den Adressatinnen und Adressaten selbst ausgehen und zur (Re-)Produktion von Stigmatisierungen für die vermeintlich ›Anderen‹ beitragen. Der Dekonstruktionsprozess ist daher insofern reziprok angelegt, als dass die potenzielle Betroffenheit von Stigmatisierung nicht als Entlastung einer ethischen Verantwortung gegenüber den Mitmenschen angesehen wird. Soziale Bildungsarbeit schließt sich jenen Diskursen an, die soziale Ungleichheit sowohl auf Umverteilungsprobleme in Nationalstaaten zurückführen, als auch die Wirkungen der Globalisierung auf Nationalstaaten und die Folgen transnationaler Verflechtungsprozesse problematisieren. Alle Kategorien, die in den Sozial-, Bildungs- und Kulturwissenschaften genutzt werden – Staat und Politik, Identität und Gemeinschaft, Recht und Gerechtigkeit, Sozialisation und Erziehung, Haushalt und Familie, Geschichte und Kultur, Wissen und Bildung – sind aus historischen Gründen nationalgesellschaftlich codiert (Wimmer/Glick-Schiller 2002). Insbesondere der Begriff ›Gesellschaft‹ wird traditionell als eine nationalstaatlich organisierte und begrenzte Einheit verstanden.
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Auch die für soziale Bildungsarbeit relevanten Begriffe ›Integration‹ oder ›Inklusion‹ beziehen sich selbst in der Migrationspädagogik oftmals auf nationalstaatliche Referenzräume. Die transnationale Perspektive problematisiert, dass im vorherrschenden Diskurs vor allem die nationalstaatliche Organisation des Bildungswesens mit seinem nationalen Verständnis der Bildung als eine wesentliche Ursache ungleicher Bildungschancen als Teil umfassender sozialer Ungleichheit bestimmt wird und weist darauf hin, dass auch Globalisierungs- und Transnationalismusdiskurse ungleichheitsproduzierende Wirkungen haben können, weshalb immer zugleich kommunale, nationale und globale Perspektiven auf Bildungsangebote, Bildungssysteme und Bildungsgerechtigkeit zu richten und deren Verflechtungen zu analysieren sind. 4.4 Institutionelle Settings Im Weiteren wird die Bedeutung des institutionellen Kontextes auf die Möglichkeiten der Umsetzung pädagogisch anspruchsvoller Bildungsangebote erörtert. Sozialer Bildungsarbeit muss es gelingen, mit institutionellen Mitteln bei Menschen wieder ein Vertrauen herzustellen zu Institutionen, mit denen die Betroffenen zumeist extrem negative Erfahrungen gemacht haben. Die ›Institutionen der Problembearbeitung‹ sind oftmals selbst Ursache für die Probleme ihrer Adressatinnen und Adressaten: Staatliche Institutionen wurden als totalitär und gewaltausübend erlebt (Flucht, Vertreibung, Folter), Rechtsinstitutionen als ungerecht, Bildungsinstitutionen als gesellschaftliche Selektionsmaschinen, Kulturinstitutionen als Distinktionsinstrumente des Bildungsbürgertums, Unterstützungsinstitutionen als Disziplinierungsinstanzen, die bis in die intimsten Ecken des individuellen Lebenszusammenhangs eingreifen, die Medien als diskursiv-ausgrenzende Bewusstseinsindustrie. Zur Lösung ihrer sozialen Probleme müssen sich die Menschen zwangsläufig auf die Institutionen der sozialen Problembearbeitung einlassen, ohne dass gewährleistet ist, dass diese Institutionen soziale Probleme überhaupt konstruktiv bearbeiten können. Soziale Bildungsarbeit geschieht auf der Grundlage eines professionellen Habitus und benötigt zugleich eine professionelle Sensibilität für den Habitus der Zielgruppen.
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In unseren Untersuchungen bestätigt sich die auch in anderen Feldern der pädagogischen Professionsforschung gewonnene Einsicht, dass »Habitussensibilität« eine der zentralen Bedingungen für das professionelle Handeln in den Institutionen der Problembearbeitung ist (vgl. Sander 2014). Denn die soziale Lage bzw. die zur Verfügung stehenden Ressourcen, aber auch die akteursspezifischen Dispositionen haben eine kaum zu unterschätzende Wirkung auf das Handeln der beteiligten Personen sowie den Verlauf der Interaktion zwischen ihnen. Unsere Untersuchungen zeigen zum einen, dass soziale Bildungsarbeit als Antwort auf die vielfältigen Anforderungen oftmals interdisziplinär, multiprofessionell und kooperativ gedacht wird, um passgenaue Angebote für die verschiedenen Adressatinnen und Adressaten schaffen zu können, die dabei häufig auftretenden Asymmetrien in den Arbeitsbeziehungen werden aber oftmals ignoriert. »Habitussensibilität« wird außerdem immer dann notwendig, wenn Angehörige unterschiedlicher sozialer Milieus ein Arbeitsbündnis herstellen wollen und zusammen eine Aufgabe angehen bzw. ein Problem lösen müssen (vgl. Sander 2014: 11-16). Belegt ist aber auch, dass der in der Ausbildung erworbene, im Berufsleben verfestigte sowie in den Institutionen abverlangte Habitus ein relativ stabiles und schwer zu änderndes Strukturgebilde ist und sich »Habitusmodifikationen« bei Professionellen nur bedingt anstoßen lassen (vgl. Weckwerth 2014). Andererseits bleibt vermutlich kaum mehr, als in der Aus-, Fort- und Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte solche Reflexionssettings anzubieten, in denen sich die eigenen Dispositionen bewusst machen lassen und die individuellen Distinktionspraktiken, als den habitualisierten Mechanismen der Reproduktion sozialer Ungleichheit, reduziert werden können (vgl. ebd: 59). 4.5 Pädagogische Handlungskonzepte Die folgenden Qualitätsmerkmale bündeln die Handlungsanforderungen und didaktischen Fragen der sozialen Bildungsarbeit. Soziale Bildungsarbeit hat das Spannungsverhältnis zwischen einer emanzipatorisch-reflexiven Bildung auf der einen und Bildung in und für prekäre soziale Milieus auf der anderen Seite in eine Balance zu bringen. Soziale Bildungsarbeit schließt an Theorien allgemeiner Bildung an, ohne jedoch deren universalistischen Anspruch der Bildung des Menschen zu teilen. Stattdessen wird ein bestimmter Personenkreis adressiert, nämlich Menschen in prekären Lebensumständen, die allerdings zur Erarbeitung der erforderlichen Angebote in
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der Heterogenität ihrer Lebenslagen, sozialen Probleme und Bildungsbedürfnisse differenziert wahrgenommen werden müssen. Gleichwohl haben auch benachteiligte und diskriminierte Menschen ein Anrecht auf eine Bildung, die nicht immer nur auf die problematische Genese ihrer Biografien, auf die aktuellen Notlagen oder die begrenzten Zukunftslagen zentriert ist. Doch sie erwarten ebenfalls zu Recht, dass sie in Bildungsangeboten jenes kulturelle Kapital erweitern können, das wirksam zur Bewältigung »des Teufelskreises moralischer und materieller Ausgrenzung« (Vester et al. 2001: 522) beitragen kann und auf jene Habitusmuster abgestimmt ist, die für schwierige Lebenslagen funktional sind. Eine Bildung mithin, die nicht vorrangig auf Selbstverwirklichung zielt, sondern einen gekonnten Umgang mit den Widrigkeiten der sozialen Lagen elaboriert und den Betroffenen nachweislich helfen kann, soziale Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Soziale Bildungsarbeit verknüpft Bildungsangebote mit Unterstützungsangeboten in der alltäglichen Lebensführung. Die sogenannten Normalbiografien entlang institutionalisierter und fester Bahnen mit den relativ sicheren Phasen der schulischen bzw. beruflichen Ausbildung und der Erwerbstätigkeit bis hin zur Rente bilden nicht die gesellschaftliche Realität ab (Walther/Stauber 2007). Vielmehr kennzeichnen Übergänge, Brüche und Diskontinuitäten den Lebenslauf, die in allen Phasen des Lebens auftreten und dabei nicht ausschließlich nationalstaatlich orientiert sind. Soziale Bildungsarbeit erkennt die veränderten Lebensverläufe an und wird als Antwort darauf der eigenen Relevanz gerecht, wenn die Angebote der sozialen Bildungsarbeit die individuellen Potentiale und Bedarfe aller Beteiligten beachten sowie transnational, inklusiv und intersektional orientiert agieren. Eine konzeptionelle Verschränkung von Bildung und Bewältigung (Mack 1999) befähigt die soziale Bildungsarbeit, Partizipationschancen am formalen Bildungssystem im Kontext sozialer Problemlagen zu analysieren und Unterstützungsbedarfe von Adressatinnen und Adressaten zu identifizieren. Die vorliegenden Untersuchungen decken auf, dass viele Jugendliche, deren Lebensbedingungen als prekär bezeichnet werden müssen, neben einem Bestehen im formalen Bildungssystem mit seinen vielfältigen Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler aufgrund dieser herausfordernden Lebenslagen mit weiteren Anforderungen in ihrer alltäglichen Lebensführung konfrontiert sind, für deren Erledigung sie auf Unterstützung angewiesen sind. Diese Anforderungen bedingen sich wechselseitig, so dass soziale Bildungsarbeit dieser Gemengelage Rechnung tragen muss.
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Soziale Bildungsarbeit sichert in ihren Angeboten möglichst umfassend die Partizipationschancen der Teilnehmenden, auch wenn die Teilnahme in hohem Maße auf direkt oder permissiv ausgeübtem institutionellem Zwang beruht. Wissenserwerb und Ausbildung von Kompetenzen haben in der sozialen Bildungsarbeit das Ziel, die persönlichen Lebensverhältnisse zu verbessern. Gleichzeitig erfolgt die Teilnahme an Angeboten sozialer Bildungsarbeit, weil die Problemlage und/oder die ›Institutionen der Problembearbeitung‹ dazu zwingen. Feldspezifisch für die soziale Bildungsarbeit ist überdies, dass sie nicht durchgängig und ungebrochen im Medium von Freiwilligkeit agiert, denn auch sie vergibt Zertifikate, die erworben werden müssen, um in der Gesellschaft bestehen zu können. Im Übrigen drohen Soziale Dienste häufig mit Leistungskürzungen, wenn man eine Bildungsmaßnahme nicht ›freiwillig‹ absolviert. Angebote der sozialen Bildungsarbeit sind für viele Menschen hochschwellig, auch ohne Prüfungsdruck ist die Teilnahme oftmals angstbesetzt, anstrengend und mühsam, erfordert Geduld mit sich selbst und einen langen Atem. Die Folgen des institutionellen Zwangs auf die Subjekte lassen sich aber pädagogisch etwas mildern. Die Didaktik sozialer Bildungsarbeit verknüpft kompetenzorientierte Bildungsstandards mit den biografischen Themen und lebensweltlichen Problemen der Teilnehmenden. Soziale Bildungsarbeit macht eine an Inhalten interessierte Didaktik erforderlich, um die es jedoch zurzeit schlecht bestellt ist. Denn durch die radikale Umstellung von themenorientierten Bildungsplänen auf kompetenzorientierte Bildungsstandards sind die Inhalte der Bildungsarbeit aus dem Blick geraten und die Didaktik wurde zu einer von Inhalten völlig losgelösten Formenlehre ›offener‹, ›individualisierter‹ und ›adaptiver‹ Organisation von Lernsettings. Zur Bestimmung didaktischer Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit wird die Relevanz und Geltungskraft der Lerninhalte und -gegenstände für Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen und sozialen Milieus, zu unterschiedlichen biografischen Anlässen und in verschiedenen gesellschaftlichen Funktionsbereichen immer wieder neu, sehr konkret und gründlich überprüft. Zur Bestimmung didaktischer Qualität in der sozialen Bildungsarbeit wäre zudem eine darauf bezogene didaktische Forschung notwendig, die jedoch kaum ausgebildet ist. Auch im Kooperativen Graduiertenkolleg haben sich nur sehr we-
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nige Dissertationen mit den didaktischen Fragen der sozialen Bildungsarbeit befasst. In der Erwachsenenbildung wird schon länger die Intensivierung einer »Kursforschung« (Kade/Nolda 2006) gefordert, die methodische Zugänge schafft, um Kurse als »Orte« zu beschreiben, »an denen sich Erwachsene – und zwar Kursleiter und Teilnehmende – als wissende und kompetente Personen voreinander darstellen« (ebd.: 105). Die Relevanz dieser Perspektive für die soziale Bildungsarbeit liegt auf der Hand.
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Autorinnen und Autoren
Prof. Dr. Harald Ansen, lehrt Theorien und Methoden der Sozialen Arbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Arbeitsschwerpunkte: Armut/Soziale Ungleichheit und Beratung in der Sozialen Arbeit. Kontakt: [email protected] Tatjana Beer, M.Ed. Lehramt Gymnasium, M.A. Kriminologie, Diplom Visuelle Kommunikation, Promovendin im Kooperativen Graduiertenkolleg »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit«. Arbeitsschwerpunkte: Bildung und Gender, Kriminalität und Medien. Dissertationsprojekt: Kooperation in der Berufsorientierung an Hamburger Stadtteilschulen. Kontakt: [email protected] Daniel Peter Beume, Diplom-Sozialpädagoge, M.A. Politikwissenschaftler, Fachkraft im ASD in Hamburg, Doktorand im Kooperativen Graduiertenkolleg »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit«. Forschungsschwerpunkte: Kinderund Jugendhilfe, Sozialraumorientierung, Lebensweltorientierte Soziale Arbeit. Kontakt: [email protected] Roxana Dauer, M.A. Soziale Arbeit, promoviert im Kooperativen Graduiertenkolleg »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit«. Themenschwerpunkte: Migration, Flucht, Diskursforschung, Postkoloniale Theorie, Soziale Ungleichheitsforschung. Kontakt: [email protected]
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Moussa Dieng, M.A. Soziale Arbeit, Stipendiat des Kooperativen Graduiertenkollegs »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit«. Themenschwerpunkte: Flucht und Bildung, Asyl, Migration und Integration. Kontakt: [email protected] Hanna Gundlach, M.A. Sozialpolitik, Stipendiatin im Kooperativen Graduiertenkolleg »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit«. Interessen- und Arbeitsschwerpunkte: Familienpolitik, insbes. Familienbildung; Gender; soziale Ungleichheit. Kontakt: [email protected] Tobias Hensel, Studium Sonderpädagogik auf Lehramt (Master of Education). Promovend des Kooperativen Graduiertenkollegs »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit«. Forschungsschwerpunkte: Übergangsforschung, inklusive Bildung, Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen. Kontakt: [email protected] Lisa-Marie Klinger, B.A./ M.A. Sozialarbeiterin, Fachkraft im ASD in Hamburg, Doktorandin im Kooperativen Graduiertenkolleg »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit«. Forschungsschwerpunkte: Geschlechterverhältnisse, Kinder- und Jugendhilfe. Kontakt: [email protected] Jana Katharina Molle, Stipendiatin Kooperatives Graduiertenkolleg »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit«; Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Sozialwirtschaft e.V.; Lehrbeauftragte an der HAW Hamburg, Department Soziale Arbeit. Themenschwerpunkte: Soziale Sicherung, Beratungsforschung, Theorien Sozialer Arbeit. Kontakt: [email protected] Sofie Olbers, studierte Magister Ethnologie und Erziehungswissenschaft und schreibt zurzeit ihre Dissertation im Kooperativen Graduiertenkolleg »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit«. Forschungsschwerpunkte sind u.a.: Interkulturelle Kommunikation, Postkoloniale Theorie, ästhetische und politische Bildung. Sie war langjährige Assistentin der Performancegruppe Hajusom und ist Initiatorin des transnationalen Austauschprojektes Système-D. Kontakt: [email protected]
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Sally Peters, Sozialpädagogin M.A., derzeit Stipendiatin im Kooperativen Graduiertenkolleg »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit«. Schwerpunkte in den Bereichen Schuldnerberatung, Armut, Methoden der Sozialen Arbeit; Praxiserfahrungen im Bereich der Schuldnerberatung; Lehrbeauftragte in den Bereichen Einzelfallhilfe und Kommunikation in der Sozialen Arbeit. Kontakt: [email protected] Laura Röhr, Sozialarbeiterin (MA), promoviert im Rahmen des Graduiertenkollegs »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit« zum Thema »Intersektionale Ansätze in der diversitätsbewussten und antidiskriminierenden Jugendbildungsarbeit». Ihre Themenschwerpunkte sind Antidiskriminierung, Intersektionalität sowie Bildungs- und Biografiearbeit. Kontakt: [email protected] Prof. Dr. habil. Joachim Schroeder, Hauptschullehrer, Dipl. Schulpädagoge, lehrt Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg. Themenschwerpunkte: Lernen unter Bedingungen von Armut und Migration. Sprecher des Kooperativen Graduiertenkollegs »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit«. Kontakt: [email protected] Prof. Dr. Louis Henri Seukwa, lehrt Erziehungswissenschaften an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Arbeitsschwerpunkte: Erziehungswissenschaftliche Migrationsforschung, Postkoloniale Theorien, Resilienzund Bildungsforschung unter Bedingungen von Flucht und Asyl, interkulturelle Bildungsforschung, Bildungsprozesse im non-formalen und informellen Sektor. Sprecher des Kooperativen Graduiertenkollegs »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit«. Kontakt: [email protected] Thorben Struck, ist Dipl. Sozialpädagoge und M.A. Soziale Arbeit. Er arbeitete mehrere Jahre als Straßensozialarbeiter in Hamburg sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Er ist weiterhin in verschiedenen Praxisfeldern der Sozialen Arbeit tätig und absolviert Lehraufträge an unterschiedlichen Hochschulen. Derzeit promoviert er im Kooperativen Graduiertenkolleg »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit«. Seine aktuellen Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind: Theorien Sozialer Arbeit, Jugendarbeit, Sozialraumorientierung und -forschung. Kontakt: [email protected]
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Cornelia Sylla, Dipl. Pädagogin; wissenschaftliche Mitarbeiterin, Universität Hamburg; Forschungsschwerpunkte: Bildungsarbeit mit marginalisierten Jugendlichen, Lebensweltorientierung, Interdisziplinarität im Schnittfeld von Schul- und Sozialpädagogik. Promovierte im Rahmen des Kooperativen Graduiertenkollegs »Die Schulen der Sozialpädagogik«. Kontakt: [email protected] Uta Wagner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Behindertenpädagogik an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg, Koordinatorin des Kooperativen Graduiertenkollegs »Qualitätsmerkmale sozialer Bildungsarbeit«. Forschungsschwerpunkte: Jugendkriminalität, Übergangsforschung. Kontakt: [email protected]
Pädagogik Anselm Böhmer
Bildung als Integrationstechnologie? Neue Konzepte für die Bildungsarbeit mit Geflüchteten 2016, 120 S., kart. 14,99 E (DE), 978-3-8376-3450-1 E-Book PDF: 12,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3450-5 EPUB: 12,99 E (DE), ISBN 978-3-7328-3450-1
Jan Erhorn, Jürgen Schwier, Petra Hampel
Bewegung und Gesundheit in der Kita Analysen und Konzepte für die Praxis 2016, 248 S., kart. 19,99 E (DE), 978-3-8376-3485-3 E-Book PDF: 17,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3485-7
Elisabeth Kampmann, Gregor Schwering
Teaching Media Medientheorie für die Schulpraxis — Grundlagen, Beispiele, Perspektiven (unter Mitarbeit von Linda Leskau, Kathrin Lohse, Arne Malmsheimer und Jens Schröter) März 2017, 304 S., kart., zahlr. Abb., 24,99 E (DE), 978-3-8376-3053-4 E-Book PDF: 21,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3053-8
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Pädagogik Juliette Wedl, Annette Bartsch (Hg.)
Teaching Gender? Zum reflektierten Umgang mit Geschlecht im Schulunterricht und in der Lehramtsausbildung 2015, 564 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 34,99 E (DE), 978-3-8376-2822-7 E-Book PDF: 34,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-2822-1
Tobias Leonhard, Christine Schlickum (Hg.)
Wie Lehrer_innen und Schüler_innen im Unterricht miteinander umgehen Wiederentdeckungen jenseits von Bildungsstandards und Kompetenzorientierung 2014, 208 S., kart. 29,99 E (DE), 978-3-8376-2909-5 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-2909-9
Peter Bubmann, Eckart Liebau (Hg.)
Die Ästhetik Europas Ideen und Illusionen 2016, 206 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 29,99 E (DE), 978-3-8376-3315-3 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3315-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de