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German Pages 200 [202] Year 2018
Sabine Meyer
Julchen – Mit Handpuppen aktivieren Menschen mit Demenz begegnen
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Sabine Meyer
Julchen – Mit Handpuppen aktivieren Menschen mit Demenz begegnen
Inhalt
Inhalt Das Spiel beginnt hier Wissenswertes rund um das Buch Ziel und Handhabung des Buches Meine erste Erfahrung mit der Puppe Demenz und Kommunikation Demenz Kommunikation in der Demenz Basics des Puppenspiels Eine Sache der Haltung – Die Spielhaltung Die Haltung des Spielers Die lebendige Grundhaltung der Puppe Schau mir in die Augen – Blickkontakt der Puppe Sprechen – Mit Hand und Fuß Die Stimme der Puppe Die Klappe, die Mimik und die Gestik der Puppe Wer bin ich und wer bist du? – Die Rolle des Puppenspielers Die Qual der Wahl – Welche Puppe gehört zu mir? Romeo und Julia fällt heute aus – Die Puppenbiografie Waschmaschine Ahoi – Die Puppenpflege und Aufbewahrung Aktivierungsmethode: Puppenspiel Überblick: Einsatzmöglichkeiten Zielgruppe: Aufbau und Auswahl Ein „Nein“ zur Puppe? Spielort Aktivierungsdauer Aufbau einer Aktivierungseinheit Ablauf einer zielgerichteten Aktivierungseinheit Ablauf einer unterhaltenden Aktivierungseinheit
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Julchen
Praxisbeispiele Zielgerichtete Einzelaktivierungen Motorische Einzelaktivierung Kognitive Einzelaktivierung Verbale Einzelaktivierung Psychosoziale Einzelaktivierung Einzelaktivierung bei schwerer Demenz Einzelaktivierung bei Bettlägerigen Zielgerichtete Kleingruppenaktivierung Besondere Aktivierungseinheiten Aktivierung mit Schwerpunkt Biografiearbeit Aktivierung mit Schwerpunkt Requisiteneinsatz Der Puppenkaffeeklatsch (Aktivierung mit mehreren Spielpuppen)
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Über die Autorin
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Literaturverzeichnis
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Danksagung, Schluss und weiter
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Anhang
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Aktivierung mit Klappmaulpuppen: Erhebungsbogen Ist-Analyse Aktivierung mit Klappmaulpuppen: Ergebnisbogen
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Julchen
Das Spiel beginnt hier Die meisten Bücher haben ein Vorwort, in dem erklärt wird, warum und wieso, wie und wann die Idee zu dem vorliegenden Buch entstanden ist. Doch dieses Buch ist anders. Es fängt auch anders an, nämlich mit einer Puppe. Mit einer besonderen Puppe. Mit
Julchen „Hallo, ich bin Julchen! Und ich will dir etwas erzählen. Etwas Wichtiges. Etwas sehr Wichtiges. Ich bin nämlich schon fünf Jahre alt und weiß, viel Wichtiges zu erzählen. Aber du darfst es nicht weitererzählen. Versprich es mir! Nicht weitererzählen. Ok. Dann kann ich es dir sagen: Ich gehe arbeiten! Das ist Kinderarbeit und voll verboten! Das sagt der Lucas. Der ist schon acht und geht in die Schule. Der weiß alles. Der ist ja schon groß. Manchmal darf ich mit ihm Fußball spielen. Die Mama sagt aber, dass Lucas Quatsch redet. Das, was ich mache, ist keine Arbeit, sagt die Mama. Nicht für mich. Denn eigentlich bin ich ja kein Kind, sondern eine Puppe. Und Puppen dürfen arbeiten. Und mir macht meine Arbeit richtig Spaß. Wenn Mama und ich morgens losfahren, bin ich schon immer ganz aufgeregt, weil es gleich losgeht. Und dann steigen wir aus dem Auto und Mama trägt mich in ein großes Haus. Davor steht auf einem Schild „Alteneinrichtung“. Das hat mir die Mama vorgelesen. Ich kann ja noch nicht lesen. Ich finde auf dem Schild soll etwas anderes dran stehen. „OmaOpa-Zuhause“ finde ich viel besser, denn in dem Haus wohnen alle meine Omas und Opas. Kinder haben immer nur zwei Omas und Opas. Aber ich, ich bin ja eine Puppe. Puppen haben ganz viele Omas und Opas. Und ich habe ganz tolle Omas und Opas. Denn die haben immer Zeit für mich und spielen mit mir. Wir lachen zusammen.
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Das Spiel beginnt hier
Manchmal erzählen wir Geschichten oder was wir später mal werden wollen, wenn wir groß sind, und welche Zahl nach Vier kommt. Manchmal singen wir auch oder sitzen einfach und schauen gemeinsam aus dem Fenster. Doch das Schönste für mich ist immer, wenn ich bei meinen Omas und Opas auf dem Schoß sitzen darf. Und davon will ich dir erzählen. Ich will dir erzählen von meinen Omas und Opas. Und ich will dir erzählen vom Lachen und Kuscheln, vom Reden und Staunen, vom Zählen und von Prinzessinnenkronen. Also komm mit und blättere die Buchseiten um. Das Spiel beginnt.“
Ein Vorwort kommt selten allein Halt, stopp, Julchen, ein bisschen musst du noch mit dem Spielen warten. Denn bevor es losgeht, möchte ich noch etwas sagen.
„Och. Wenn es denn sein muss.“
Julchen mault und dreht gelangweilt die kleine, gelbe Blume auf ihren Flip-Flops. So wie sie es immer macht, wenn ihr langweilig ist. So ist sie nun mal, die Kleine, immer zu Späßen aufgelegt, fordernd und manchmal sogar ein bisschen frech. Aber das Wichtigste, man muss sie einfach liebhaben so wie ihre große Schwester Emma. Und mit Emma begann die ganze Geschichte. Schon seit über 10 Jahren arbeite ich als Erzählerin bundesweit in Alteneinrichtungen mit Menschen mit Demenz. Auf Basis des Forschungsprojektes „Märchenstube – ressourcenaktivierende Arbeit mit Märchen für Menschen mit Demenz“1 entwickelte ich 2008 die ressourcenaktivierende Märchenarbeit. Meine Erfahrungen habe ich in vielen Workshops, Fort- und Weiterbildungen weitergegeben. Eines Tages kam die Fachbereichsleiterin einer Bildungseinrichtung auf mich zu. Sie fragte mich: „Liebe Frau Meyer, Sie unterrichten ja das Thema „Märchen“, können Sie 1 Vgl. Meyer, Sabine und Rethschulte, Dr. Antje: Kurzbericht zum Forschungsprojekt „Die Märchenstube – ressourcenaktivierende Arbeit mit Märchen mit Demenzerkrankten“ im Küpper-Menke-Stift, Osnabrück, 2009 sowie Meyer, Sabine: Die Märchenstube – Aktivierung leicht gemacht, Mühlheim an der Ruhr, Verlag an der Ruhr, 2018
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Julchen
nicht auch das Thema „Klappmaulpuppen“ übernehmen?“ Ich war völlig überrumpelt. Bis zu diesem Tag hatte ich noch nie in meinem Leben eine solche Puppe in der Hand gehabt, geschweige denn mit ihr gearbeitet. Jetzt sollte ich das Ganze auch noch pädagogisch nachhaltig vermitteln? Ein großes Fragezeichen für mich. Ich bat mir ein paar Tage Bedenkzeit aus. Noch auf dem Rückweg beschloss ich in der Osnabrücker Innenstadt eine Klappmaulpuppe zu kaufen, um die Spielweise der Puppen auszuprobieren. Und so trat ich kurze Zeit später in einen kleinen Laden. Dort saßen in hölzernen Regalen viele Klappmaulpuppen. Oben saß ein kleines Mädchen mit roten zotteligen Haare, einer lila Hose und orangefarbenen Kleidchen.
Emma hat strubbelige rote Haare.
„Hallo! Ich bin Emma. Holst du mich runter? Mir ist hier oben so langweilig.“
Ich angelte die Puppe vom hohen Regal und schlüpfte mit meinen Händen in den Puppenkopf und in die Puppenhand. Sogleich plapperte Emma drauf los, dass sie schon so lange da oben gesessen und keiner sie mitgenommen habe. Als Emma in kürzester Zeit sämtlichen Kunden im Laden ihre Lebensgeschichte erzählte, Tipps beim Aussuchen diverser Gegenstände gab und einige Verabredungen zum Kekse essen traf, war mir klar, diese Puppe muss mit nach Hause.
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Das Spiel beginnt hier
Die nette Verkäuferin in dem Laden wollte Emma in eine große Tüte stecken. „Das geht ja gar nicht! Da bekomme ich ja keine Luft!“ Emma war entsetzt. Und so kam es, dass ich mit Emma auf dem Arm durch die Osnabrücker Innenstadt zum Parkhaus lief. Und weil Emma den Weg zum Parkhaus nicht kannte, quatschte sie einfach einen Passanten an, wo denn das Auto der Mama stehe. Der gute Herr war erstaunt, wies Emma und mir aber freundlich den Weg zur nächsten Tiefgarage, vor dessen Eingangstür wir standen. „Vielleicht suchst du Mamas Auto mal dort?“, sagte er lachend und zwinkerte mir zu. Kaum waren Emma und ich zu Hause angekommen, spielten wir miteinander. Erst als mein Mann zur gewohnten Zeit die Wohnungstür aufschloss, wurde mir klar, dass fast der ganze Tag vergangen war. Emma eilte natürlich zur Tür, um den Neuankömmling zu begrüßen. Noch in der Tür tauschten mein Mann und Emma ihre Lebensgeschichte aus. Ihre war freilich etwas kürzer als die meines Mannes. Am nächsten Tag rief ich bei einer Freundin an, die den Begleitenden Sozialen Dienst in einer Alteneinrichtung leitet und vereinbarte einen Termine mit einer Gruppe Bewohnerinnen und Bewohner. Bei diesem Termin bekam Emma von einem Bewohner ihren ersten Heiratsantrag, auch wenn sie noch warten müssen, bis Emma groß genung ist. Wir haben viel gelacht. Auf diesen Termin folgten noch viele andere Termine in unterschiedlichen Einrichtungen, ein Konzept für einen Workshop und diverse Fortbildungen bis hin zu einem neunmonatigen Einsatzprojekt in dem Seniorenheim Haus Dorette, Frauenheim zu Osnabrück, in dem ich viele praktische Erfahrungen sammeln konnte. Von diesem Projekt, von Emma, Julchen und ihren vielen Geschwistern werden Sie im Verlauf des Buches noch einiges lesen können. Doch jetzt kann das Spiel beginnen. Sabine Meyer, 2018
„Au fein!“
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Wissenswertes rund um das Buch Ziel und Handhabung des Buches Dieses Buch ist ein Handbuch. Es ist in verschiedene Bereiche unterteilt. Im ersten Teil „Wissenswertes rund um das Buch“ werden grundlegende Informationen über das Buch und seine Handhabung gegeben. Der zweite Teil „Basics des Puppenspiels“ befasst sich mit dem Erlernen des Puppenspiels und im dritten Teil „Aktivierungseinsatz“ finden Sie Beispiele für mögliche Aktivierungseinheiten für Menschen mit Demenz aus der Praxis für die Praxis. Das Buch ist ein Buch für alle, auch und besonders für diejenigen, die noch keine Erfahrung im Puppenspiel haben. Der Teil der Grundlagen zum Puppenspiel führt Sie von Anfang an in kleinen Schritten in das Puppenspiel ein. Sollten Sie bereits den Puppenvirus in sich tragen und planen Sie den Kauf einer Klappmaulpuppe, so empfehle ich Ihnen, vor dem Kauf das Kapitel 5 „Qual der Wahl“ zuerst zu lesen. Bitte bedenken Sie, das Spiel mit den Klappmaulpuppen ist nicht durch das Lesen eines Buches zu lernen. Es ist viel wichtiger, das Spiel selbst auszuprobieren. Deswegen zeigt Ihnen dieses Buch auch viele Übungsideen. Das Buch ist mit einem Leitsystem ausgestattet. Unter bestimmten Fotos und Symbolen finden Sie bestimmte Inhalte wieder.
ÜBUNGSAUFGABE Dies ist nur eine Übung.
MERKSATZ Dies ist nur ein Merksatz.
TIPP Dies ist nur ein Tipp.
Beispiele aus der Praxis, die zum Teil von Julchen selbst erzählt werden, finden Sie in den hervorgehobenen Kästen. xxxxxxxxxxxxx
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Wissenswertes rund um das Buch
Meine erste Erfahrung mit der Puppe Ganz am Anfang des Buches habe ich Ihnen von der ersten Begegnung mit meiner Klappmaulpuppe Emma in dem Osnabrücker Geschäft und dem ersten Eindruck des Spiels mit Emma vor und mit Menschen mit Demenz berichtet. Danach begann ich, in einer Osnabrücker Tagespflegeeinrichtung regelmäßig mit Emma vorbeizuschauen. Und Emma blieb nicht lange alleine, bald kamen Pelle, ein kleiner blonder Junge in grüner Latzhose, Timmi, ein kleiner Rotschopf, und Julchen zu meiner, damals noch kleinen Puppenfamilie. In der Tagespflegeeinrichtung gab es zwar eine feste Gästegruppe, die regelmäßig kam, aber es waren auch immer mal wieder neue Gesichter dabei. Eine Dame, Frau Ruhig1, war regelmäßig in der Gruppe. Sie war auch bei Emmas erstem Besuch in der Einrichtung dabei. Emma und ich waren sehr aufgeregt, weil alles für uns beide noch so neu war. Die Gäste saßen nach dem Kaffee in gemütlichen Sesseln in der Runde im Wohnzimmer. Es waren Männer und Frauen dabei. Frau Ruhig saß in einem großen rostroten Sessel. Zu der damaligen Zeit war ihre Demenz schon sehr weit fortgeschritten. Frau Ruhig kam gebürtig nicht aus Deutschland, sondern aus Spanien. Im Laufe ihrer Demenzerkrankung hatte sie zuerst die deutsche Sprache verloren. Das passiert bei Menschen mit Migrationshintergrund oft, da die deutsche Sprache später als die Muttersprache erlernt wird. Doch mit fortschreitender Demenz verlor Frau Ruhig auch ihre Muttersprache, die spanische Sprache. Sie konnte die Worte nicht finden, sprach sie unvollständig und unverständlich. Die Alltagsbegleiterinnen waren nicht mehr in der Lage, mit Frau Ruhig zu kommunizieren. So war Frau Ruhig sehr still, schaute meistens traurig zu Boden. Sie war sehr in sich gekehrt. An diesem Nachmittag kamen Emma und ich zum ersten Mal zu Besuch. Ich setzte mich mit Emma vor Frau Ruhig auf den Boden. Und Emma gab Frau Ruhig die Hand. „Ich bin Emma! Und wer bist du?“ Frau Ruhig antwortete nicht, doch schaute sie Emma an. Emma wiederholte: „Ich bin Emma! Guten Tag. Wie heißt du denn?“ Doch Frau Ruhig antwortete wieder nicht. Schließlich legte Emma ganz vorsichtig ihre kleine, weiche Puppenhand auf Frau Ruhigs Knie. „Ich bin Emma! Darf ich auf deinen Schoß?“ Frau Ruhig ließ das kleine Puppenmädchen nicht aus den Augen und nickte. Sie hatte Emmas Frage verstanden. Emma kletterte auf ihren Schoß und schmiegte sich in 1 Alle Namen in den Beispielen wurden aus Datenschutzgründen geändert und sind frei erfunden.
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Frau Ruhigs Arm. „Ich bin Emma!“ Frau Ruhig streichelte die weiche Puppenhand und begann zu singen. „Guten Abend, gute Nacht“, sang Frau Ruhig leise auf Deutsch. Im anschließenden Reflexionsgespräch mit den Begleiterinnen waren alle über Frau Ruhigs unerwartete Reaktion sehr erstaunt. So lange hatte Frau Ruhig kein spanisches Wort gesprochen und noch viel länger war es her, dass sie Deutsch gesprochen hatte. In der folgenden Woche kam ich wieder, dieses Mal hatte ich Pelle, den kleinen Jungen, dabei. Auch Pelle ging zu Frau Ruhig, die stumm in ihrem rostroten Sessel saß. „Ich bin Pelle. Wer bist du?“ Frau Ruhig schaute Pelle an, doch sie sagte nichts. Sie schaute nur. Pelle fragte nach einiger Zeit: „Ich bin Pelle, darf ich auf deinen Schoß?“ Frau Ruhig nickte. Pelle kletterte auf ihren Schoß und schmiegte sich in Frau Ruhigs Arme. „Guten Abend, gute Nacht“, sang Frau Ruhig leise auf Deutsch. In den darauffolgenden Wochen kam ich immer wieder zu Frau Ruhig, mal mit Emma, mal mit Pelle, mal mit Julchen oder mit Timmi. Es waren immer wieder sehr ähnliche Situationen: Stand die Puppe vor Frau Ruhig, blickte die Puppe Frau Ruhig an und gab ihr die Hand zur Begrüßung, konnte Frau Ruhig nur den Blickkontakt halten. Kletterte die Puppe aber auf ihren Schoß, begann Frau Ruhig auf Deutsch zu singen. Frau Ruhigs Fähigkeit, auf Deutsch zu singen, hielt nicht lange an. War die Puppe fort, war auch die Sprache wieder fort. Aber sie kam immer wieder zurück, wenn eine Puppe wieder auf Frau Ruhigs Schoß saß. Frau Ruhig wurde über die Wochen, in denen sie Kontakt mit den Puppen hatte, agiler. Sie schlief nicht mehr so viel, sie schaute interessiert um sich und lächelte häufiger als vorher, berichteten die Begleiterinnen.
Demenz und Kommunikation Über das Thema „Demenz“ sind schon viele Bücher geschrieben worden. Das vorliegende Buch hat nicht die Aufgabe, die vorhandenen Kenntnisse über Demenz zu erweitern oder vorzustellen. Dennoch ist es an dieser Stelle wichtig, den Zusammenhang der Demenzerkrankung, der Demenzstufen, der Kommunikation und dem Puppenspiel zu betrachten. In der Regel ist das Spiel mit Klappmaulpuppen für Orientierte und Menschen mit Demenz, für Erwachsene und Kinder, für Frauen und Männer attraktiv. Sicherlich reagieren Menschen individuell auf das Puppenspiel. Der größte Teil findet einen Bezug zum Spiel, ein wesentlich geringerer Teil findet keinen Bezug zum Spiel. Die Gestaltung des Spiels ist dabei stark von der Zielgruppe abhängig.
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Demenz Kurzdefinition Demenz Die Erkrankung der Demenz ist als Prozess zu verstehen. Betroffene haben meistens über längere Zeit Möglichkeiten, die durch die Krankheit entstehenden Einschränkungen und Verluste zu kompensieren. Für Außenstehende ist oftmals die Erkrankung in diesem Stadium kaum zu erkennen. Im Verlauf der Erkrankungen treten die Symptome der Krankheit deutlicher hervor. Julia Haberstroh, Johannes Pantel und Katharina Neumeyer stellen in dem Buch „Kommunikation bei Demenz“2 die Aspekte der Demenzerkrankung wie folgt zusammen: –– depressive Symptome, –– Reizüberflutung, –– Heimweh, –– Verlust der Selbstständigkeit, –– Kommunikationsschwierigkeiten, –– Lebensthemen.
Demenzstufen In der Praxis werden unterschiedliche Stufen der Erkrankung zugeordnet. Ich unterteile in meiner Arbeit in drei Gruppen.
Menschen mit leichter Demenz Diese Gruppe umfasst Menschen, die an Demenz erkrankt sind, aber noch in der Lage sind, die Symptome der Krankheit zu kompensieren. Sie sind noch nah bei uns, leiden in der Regel nicht bzw. nur an leichten Kommunikationsproblemen oder Orientierungsverlusten. Das Vergessen setzt jedoch bereits ein.
Menschen mit mittlerer Demenz Diese Gruppe umfasst Menschen, bei denen die Symptome der Demenz bereits deutlich zu erkennen sind. Beginnende Wortfindungsstörungen, Artikulationsprobleme treten auf. Die betroffenen Menschen können einer Unterhaltung nur noch bedingt folgen, da das Kurzgedächtnis oft vergisst, was gerade passiert ist. Mo2 Vgl. Haberstroh, Dr. Julia, Pantel, Prof. Dr. Johannes, Neumeyer, Katharina; Kommunikation bei Demenz, Springer Verlag, 2011, S. 8 ff.
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torische Einschränkungen treten auf. Oft gehen die Zunahme der Symptome und der Verlust der eigenen Fähigkeiten mit Trauer und Schamgefühl einher. Unsicherheiten treten auf und führen nicht selten zu depressiven Stimmungen oder auch zu aggressiven Stimmungen. Die vielen Reize, die auf die Betroffenen einströmen, sind für sie nicht mehr zu filtern. Sie fühlen sich oftmals überfordert. Hinlauftendenz kann ausgeprägt sein.
Menschen mit schwerer Demenz Die Gruppe umfasst Menschen, bei denen die Symptome der Demenz dazu führen, dass sie nicht mehr ansprechbar scheinen. Die Worte sind ihnen verloren gegangen. Die verbale Kommunikation ist zum Erliegen gekommen. Oftmals sind die mimischen und gestischen Reaktionen ebenfalls eingeschränkt. Die motorischen Fähigkeiten sind sehr stark eingeschränkt. Oftmals sitzen diese Menschen in Rollstühlen oder sind bettlägerig. Sie scheinen innerlich isoliert, gänzlich zurückgezogen und sehr fern von dieser Welt zu sein. Diese Phase geht bis zur Bettlägerigkeit und dem „Vergessen“ einfacher körperlicher Prozesse, wie Schlucken. Diese Phase endet mit dem Tod der Betroffenen.
Kommunikation in der Demenz Generell gilt im Laufe der zunehmenden Demenz, dass die Möglichkeiten der verbalen Kommunikation zurückgehen. Die nonverbalen Kommunikationsmöglichkeiten aber bleiben lange Zeit erhalten. Um dieses Geschehen besser zu verstehen, ist es erforderlich, einen Blick auf unsere Kommunikationsmöglichkeiten zu werfen.
MERKSATZ Verbale Kommunikation ist die Kommunikation über Sprache, über Worte. Nonverbale Kommunikation ist die Kommunikation über Mimik, Gestik, aber auch über die Stimmmodulation und über Emotionen.
Da in der Demenz die Worte verloren gehen, geht auch die verbale Kommunikation verloren, aber die nonverbale Kommunikation, vor allem die Kommunikation über Emotionen bleibt erhalten. „Ausgerechnet Kommunikation und soziale Aktivitäten
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sind es aber, aus denen Menschen mit Demenz maßgeblich ihr Wohlbefinden und ihre Lebensqualität schöpfen.“3 Die nonverbale Kommunikation ist vielfältig und sie erreicht einen wesentlich höheren Anteil an unseren Kommunikationsmöglichkeiten, als wir uns oftmals bewusst sind. Vor allem das Übereinstimmen der verbalen Kommunikation mit der nonverbalen Kommunikation ist wichtig.
„Sag mal ‚Ja.’ Und dann schüttel den Kopf dabei. Siehst du – geht nicht!“
Für Menschen mit Demenz verliert die verbale Kommunikation an Bedeutung, weil sie zunehmend mit Schwierigkeiten und Misserfolg verbunden ist. Sie konzentrieren sich immer mehr auf die nonverbale Kommunikation. Zudem ist mit der Demenz verbunden, dass Reize nicht mehr gefiltert werden können und die Aufmerksamkeitspannen der Betroffenen kürzer werden. Das Kurzzeitgedächtnis speichert nicht mehr, was gerade noch gesagt wurde. Sie verlieren im Gespräch den Faden und können ihm nicht mehr folgen. Dadurch wird es für uns sehr wichtig, bewusst klar und deutlich in der Kommunikation zu sein und alle Ausdrucksmöglichkeiten der nonverbalen Kommunikation zu nutzen. Für mich in meiner Arbeit mit Menschen mit Demenz ist es immer wieder wichtig, mich auf die Wortbedeutung von Kommunikation zu besinnen.
MERKSATZ Kommunikation ist von dem lateinischen Wort „communicare“ abgeleitet, das vielfältige Bedeutungen hat: etwas mitteilen, etwas besprechen, etwas zusammenlegen, etwas austauschen, etwas gemeinsam machen, etwas teilen. Ich möchte Kommunikation als „etwas miteinander teilen“ verstehen, egal ob ich dabei Worte, Gesten, Gefühl oder Zeit mit meinem Gegenüber teile. 3 Haberstroh, Dr. Julia und andere, a.a.O., S. 11
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Kommunikation der Puppe Die Klappmaulpuppen können wie wir Menschen verbal und/oder nonverbal kommunizieren. Sie können reden, mimische und gestische Elemente nutzen und Emotionen zeigen. Sie nutzen viele Sinne gleichzeitig: Sehen, Hören, Fühlen und ihre Sprache, um in Kommunikation zu treten. Sie sind ganzheitlich zu erleben und zu begreifen. Das macht die „Puppenkommunikation“ der menschlichen Kommunikation ähnlich. Aber die Puppen haben einen entscheidenden Vorteil: Sie sind keine Menschen, sondern Puppen. In der Regel nehmen auch Menschen mit Demenz wahr, dass die kleinen Helfer, die ich mitbringe, Puppen sind. Sie entdecken, dass es ein Spiel ist. Und Spielen ist einfach. Spielen ist eine Grundkommunikationsart, die wir alle schon als Kinder beherrschten. Es ist eine Kompetenz, die uns sehr vertraut ist. Daraus entsteht in der Spielsituation Sicherheit. Im Spiel ist alles möglich. Und Spielen macht Spaß, es bringt uns zum Lachen. Meine kleinen Helfer arbeiten in ihrer Kommunikation mit dem Kindchen-Schema. Die Puppen sehen aus wie kleine Kinder. Die haben wirre Haare, mühsam in Zöpfen gebändigt. Große Augen, die je nach Lichteinfall glänzen und sich scheinbar bewegen. Sie tragen bunte Kinderkleidung und haben einen Mund, der meistens vor sich hinplappert. Sie sind klein, hilflos, niedlich und wollen immer alles wissen. Sie fordern heraus und schenken dem Gegenüber, wie es für Kinder üblich ist, volles Vertrauen. Sie wollen beschützt werden, gehalten und geführt werden. Sie ziehen denjenigen, den sie anspielen, in die Beschützerrolle. Das unterstützt das Selbstbewusstsein und die Selbstwirksamkeit. Der Mensch mit Demenz wird in der vertrauten Rolle als Mutter, Vater, großer Bruder, Tante oder Ähnliches unterstützt. Einem Kind gegenüber brauche ich einfache Worte, einfache Sätze, einfache Themen. Die Anforderungen an die Kommunikation mit einem Kind sind wesentlich geringer als mit einem Erwachsenen. Und gleichsam ist offensichtlich, dass von den kleinen Kinderpuppen keine Gefahr ausgeht.
MERKSATZ Wo keine Gefahr zu erkennen ist, kann Freiheit entstehen, Freiheit zum Spiel, zum Lachen und zum Reden. Das ist Puppenkommunikation.
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Basics des Puppenspiels Das Puppenspiel ist eine körperbezogene Aktivierungsarbeit für den Puppenspieler1. Bitte achten Sie bei der Beschreibung der folgenden Haltungen und Übungen auf Ihre eigene körperliche Konstitution. Vielleicht sind nicht alle Übungen für Sie möglich, dann wandeln Sie die Übungen bitte so ab, dass Sie bei der Durchführung der Übungen keine körperlichen Beschwerden haben und sich wohlfühlen. Dennoch sei gleich am Anfang gesagt, Sie werden höchstwahrscheinlich Muskelkater bei den ersten Übungen und Spielszenen bekommen. Das ist normal und wird vergehen. Die vorgestellten Übungen sind in der Mehrzahl auch für das Erlernen des Puppenspiels für orientierte Menschen, Alt und Jung, wichtig, dennoch wurde bei der Übungsauswahl und Übungsbeschreibung jeweils die Zielgruppe „Menschen mit Demenz“ zugrunde gelegt. Bei vielen Übungen, die in diesem Teil vorgestellt werden, ist es sinnvoll, einen Spielpartner dazu zu holen. Das kann ein guter Freund sein oder ein Kollege. Sollte das für Sie nicht möglich sein, nutzen Sie bitte eine Videokamera auf einem Stativ, um sich selber aufzunehmen und dann zu reflektieren. Das Üben vor einem Spiegel ist eher schwierig, da Sie dabei ständig Ihren Blickwinkel verändern und zwischen Spielund Realitätsebene wechseln müssen. So geraten Sie schnell aus dem Spiel und bleiben höchstwahrscheinlich eher in einer Beobachtungsebene als in der Spielebene. Also: Spielen Sie sich frei! Und nutzen Sie unsere wichtigsten Möglichkeiten zum Spiel: Das Lachen und die Freude.
1 Wenn von Puppenspieler berichtet wird, sind sowohl Spielerinnen wie Spieler gemeint. Zur besseren Lesbarkeit wird bewusst auf die Nennung der weiblichen und männlichen Form verzichtet. Das gilt auch für andere geschlechtsspezifische Bezeichnungen. Sollte sich ein Zusammenhang auf ein bestimmtes Geschlecht beziehen, wird dieses explizit genannt.
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ÜBUNG ZUM KENNENLERNEN DER PUPPE Das Leben in der Hand – Das Ankommen in der Puppe – Einzelübung Setzen Sie sich auf einen Stuhl oder Hocker. Nehmen Sie die Puppe auf Ihren Schoß. Nutzen Sie Ihre linke Hand für den Puppenkopf und Ihre rechte Hand für die rechte Puppenhand. Nehmen Sie wahr, was nun passiert. Wie fühlen sich Ihre Hände in der Puppe an? Haben Ihre Hände genügend Platz? Oder haben Ihre Hände zu viel Platz? Wie verhält sich die Puppe?2 Sinn der Übung 3: Bekommen Sie ein Gefühl für Ihre Puppe und für die Puppengröße.
Eine Sache der Haltung – Die Spielhaltung Die Haltung des Spielers Das Puppenspiel für und mit Menschen mit Demenz ist für den Puppenspieler grundsätzlich im Sitzen, Knien, Stehen und Gehen möglich. Doch bei den unterschiedlichen Haltungen des Puppenspielers sind verschiedene Grundregeln zu beachten.
Das Spiel im Sitzen Das Spiel im Sitzen ist neben dem Knien die wahrscheinlichste Haltung für den Puppenspieler in der Aktivierungsarbeit. Hierbei sind die Auswahl eines geeigneten Sitzmöbels und die Sitzhaltung des Puppenspielers wichtige Aspekte. Das Sitzmöbel sollte für den Spieler möglichst viel Bewegungsraum geben. Armlehnen und Rückenlehnen behindern ein Spiel nach allen Seiten. Es sollte eine flache, gerade Sitzfläche besitzen, damit eine Bewegung des Spielers zu allen Seiten auf der Sitzfläche leicht möglich ist. Runde Holzhocker sind für die Aktivierungsarbeit gut ge2 Wenn Ihre Hände zu viel oder zu wenig Platz haben, kann es sein, dass Sie eine andere Puppengröße brauchen. Bitte lesen Sie dazu das Kapitel „Die Qual der Wahl – Welche Puppe gehört zu mir?“, Seite 57. 3 Viele der hier vorgestellten Übungen habe ich selbst in unzähligen Workshops zur Theaterpädagogik, zum Erzählen oder zum Puppenspiel erlebt und kennengelernt. Sie sind Autoren oder Erfindern nicht direkt zuzuschreiben, sondern werden in vielen einschlägigen Fachveröffentlichungen oftmals unter anderen Namen vorgestellt und erklärt. Spielleiter variieren solche Spielanleitungen, so habe ich es auch getan.
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eignet. Es sollten keine Rollen an dem Hocker angebracht sein, damit die Bewegung kontrolliert ausgeführt werden kann. Außerdem sollte das Sitzmöbel eine für den Spieler geeignete Höhe haben. Die Haltung des Spielers ist aufrecht. Der Spieler sitzt auf den beiden vorderen Dritteln der Sitzfläche, so dass beide Füße des Spielers bequem auf dem Boden abgestellt werden können. Die Beine sollten nicht übereinandergeschlagen werden, sondern nebeneinanderstehen.
PRAXISTIPP Da ich nur 1,50 m groß bin, habe ich für die Arbeit einen besonderen Holzhocker. Die Beine des Hockers habe ich so weit abgesägt, dass ich meine Füße bequem auf den Boden abstellen kann.
Des Weiteren ist es wichtig, die geeignete Position des Sitzmöbels in Bezug auf die Position des Gastes4 zu wählen. Idealerweise stehen beide Sitzmöbel in einem ca. 90 Grad Winkel zueinander, wobei der Spieler seine Spielseite5 dem Gast zuwendet. Werden beide Sitzmöbel parallel ausgerichtet, d.h. beide Personen schauen in die gleiche Richtung, erfordert das Spiel, dass der Spieler sich ständig mit der Puppe zu einer Seite drehen muss. Sind die Sitzmöbel so ausgerichtet, dass die Blickrichtung frontal zueinander ist, dann tritt der Spieler verstärkt in den Vordergrund und die Intensität des Spiels kann für den Gast abnehmen.
Das Spiel im Stehen Eine Puppe kann auch im Stehen gespielt werden. Dazu wird die Puppe so auf den Arm gesetzt, dass sie sich quasi selbst trägt. Es ist wichtig, dass der Spieler die Puppe in der lebendigen Grundhaltung trägt. Eine lebendige Grundhaltung6 bedeutet, dass der Spieler den Kopf und die Hand der Puppe jederzeit führen kann. Die Puppe kann, 4 D as Puppenspiel ist grundsätzlich sowohl in der stationären Betreuung als auch in der Tagespflege oder anderen Senioreneinrichtungen mit Menschen mit Demenz möglich. Deswegen wird im Folgenden der Begriff „Gast/Gäste“ synonym für die Begriffe „Bewohner/Bewohnerin“, „Patient/Patientin“ und anderen Formulierungsformen verwandt. 5 Seite, auf der die Puppe platziert ist. 6 Vgl. Sie bitte Kapitel „Die lebendige Grundhaltung der Puppe“, Seite 26.
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sobald sie in das Blickfeld des Gastes kommt, reagieren, interagieren und kommunizieren. Im Stehen wird die Puppe so auf dem Arm gehalten, dass die bespielte Puppenhand über den Puppenbauch greift und so die Puppe trägt. Diese Spielhaltung im Stehen eignet sich z. B. für den Beginn und das Ende einer Aktivierungseinheit. Diese Spielhaltung kann auch bei Menschen mit Hinlauftendenz wichtig sein.
BEISPIEL: FRAU UNRUHE Frau Unruhe hat eine mittlere Demenz. Sie leidet an einer ausgeprägten Hinlauftendenz. Die äußert sich so, dass Frau Unruhe im Wohnbereich auf- und abgeht. Julchen hat die Aufgabe, Frau Unruhe dazu zu bewegen, das Hin- und Herlaufen einzuschränken. Wie kann Julchen in diesem Fall agieren?
Der Spieler muss entgegengesetzt reagieren, sich mit der Puppe in eine statische Position begeben. Er muss also im Stehen oder Sitzen spielen. Das Spiel im Stehen ermöglicht einen Blickkontakt auf Augenhöhe, das Spiel im Sitzen erfordert, dass Frau Unruhe in diesem Fall ihren Blick verändert. Um die Hemmschwelle für ein Spiel möglichst niedrig zu halten, macht es hier Sinn, im Stehen zu spielen. Würde die Puppe mit Frau Unruhe auf Augenhöhe mitgehen, also ein Spiel im Gehen, würde höchstwahrscheinlich Frau Unruhe in ihrer Hinlauftendenz bestärkt werden. Eine Bestärkung der Hinlauftendenz ist aber nicht gewünscht.
BEISPIEL: FRAU UNRUHE Ich stehe mit Julchen so, dass Frau Unruhe uns sehen kann. Julchen nimmt Blickkontakt zu Frau Unruhe auf, die weiter hin- und herläuft. Julchen folgt ihr mit dem Blick. Julchen muss nicht sprechen. Sie kann sprechen. Julchen: „Hallo!“ Julchen winkt. Wichtig ist, dass die Puppe ihre Position nicht verändert und möglichst dauerhaft den Blickkontakt hält. Frau Unruhe beginnt zunächst langsamer zu werden. Sie schaut die Puppe an. Schließlich bleibt Frau Unruhe stehen.
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Ich gehe mit Julchen auf dem Arm zu Frau Unruhe. Julchen stellt sich vor. Julchen: „Ich bin Julchen! Guten Tag!“ Julchen gibt die Hand. Damit ist das Ziel der Aktivierungseinheit erreicht, ggf. kann ein Spiel beginnen. Es wäre an dieser Stelle möglich, das Spiel im Stehen fortzuführen oder die Position zu wechseln und sich mit Frau Unruhe zusammen eine Sitzgelegenheit zu suchen. Bitte rechnen Sie in solchen Fällen auch damit, dass der Moment der Ruhe für Frau Unruhe sehr kurz sein kann. Akzeptieren Sie, dass auch ein kurzes Innehalten von Frau Unruhe eine Zielerreichung ist. Nutzen Sie diesen Erfolg, in dem Sie zu einem späteren Zeitpunkt das Spiel wiederholen. Vielleicht kann sich eine nachhaltige Entwicklung zeigen.
Das Spiel im Gehen Bei dem Spiel im Gehen wird die Spielhaltung „Stehen“ so variiert, dass der Spieler sich bewegt, aber die Haltung der Puppe auf dem Arm bestehen bleibt. Der Spieler hält die Puppe so, dass die bespielte Puppenhand über den Puppenbauch unter die Puppe fasst. Die Puppe trägt sich somit selbst. Das Spiel im Gehen kann für den Beginn und das Ende einer Aktivierungseinheit wichtig sein. So kann die Puppe in eine Situation hineingehen und wieder hinausgehen und ist sofort in der lebendigen Grundhaltung präsent.
Das Spiel im Knien Diese Spielhaltung ist für mich die bevorzugte Anfangshaltung, aus der ich dann ins Stehen oder Sitzen komme. Der Spieler kniet vor dem Gast. Die Puppe steht vor dem Spieler und schaut den Gast an. Das hat den Vorteil, dass der Spieler optisch hinter der Puppe verschwinden kann. Er tritt in den Hintergrund. Und die Puppe tritt in den Vordergrund. Aber vor allem hat es den Vorteil, dass die Puppe sich auf diese Art und Weise langsam in das Blickfeld des Gastes schieben kann, ohne dass dieser selbst seine Blickrichtung verändern muss. Dadurch wird es dem Gast möglichst einfach gemacht, sich auf das Spiel einzulassen und die Hemmschwelle sinkt. Zudem ist es eine logische Haltung, da die Puppe ein Puppenkind ist. Kinder sind kleiner als Erwachsene und man schaut zu ihnen hinunter.
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Basics des Puppenspiels
BEISPIEL: FRAU STILL Frau Still ist dement. Ihre Demenz ist bereits im schweren Grad. Sie sitzt im Rollstuhl. Sie bewegt sich nicht mehr. Sie muss mittels eines Sitzgurtes in ihrer Sitzposition unterstützt werden. Jede körperliche Bewegung fällt ihr schwer. Julchen kommt auf meinem Arm in den Raum, in dem Frau Still am Fenster sitzt. Frau Still kann ihren Kopf nicht zu Julchen heben, um Julchen anzuschauen. Eine Interaktion mit Julchen ist so nicht möglich. Ich nähere mich Frau Still vorsichtig und langsam und lasse dabei die Puppe über den Boden gehen. (Auch wenn das für mich in dem Moment anstrengend ist.) Julchen bleibt vor Frau Still stehen und ich knie mich hinter Julchen. Julchen (schaut zu Frau Still hoch): „Guten Tag, ich bin Julchen. Und wer bist du?“ Frau Still spricht nicht, aber sie reagiert, in dem sie Julchen anschaut. Durch die Position der Puppe vor ihr und auf dem Boden ist für sie der Blickkontakt zur Puppe einfach geworden. Julchen wiederholt ihre Vorstellung mehrfach, schiebt sich ein bisschen näher und legt schließlich ganz vorsichtig ihr kleine, warme Puppenhand an Frau Stills Unterschenkel. Julchen: „Darf ich auf deinen Schoß?“ Frau Still nickt. Julchen (klettert auf ihren Schoß): „Das ist schön hier!“ Julchen kuschelt sich an. Frau Still lächelt.
Egal aus oder in welcher Position Sie spielen, Sie werden merken, dass das Puppenspiel körperlich anstrengend ist. Sie werden bemerken, dass Sie bestimmte Spielhaltungen und Spielpositionen einfacher empfinden als andere. Nutzen Sie dieses Wissen, um sich selbst zu unterstützen und die Arbeit einfacher zu machen. Sie werden auch sehen, dass Sie für das Spiel eine bestimmte Körperspannung brauchen, die Spielspannung.
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ÜBUNG ZUR SPIELSPANNUNG Übung: Haltung ist alles – die Spielspannung – Einzelübung Setzen Sie sich auf einen für Ihre Körpergröße passenden Stuhl oder Hocker ohne Rücken- oder Armlehnen. Nutzen Sie dabei zum Sitzen die vorderen zwei Drittel der Sitzfläche. Stellen Sie Ihre Füße parallel zueinander auf den Boden. Ihre Knie sollten den 90 Grad Winkel nicht überschreiten. Kippen Sie Ihr Becken so, dass der Beckenkamm leicht nach vorne fällt. Sie werden eine Aufrichtung in der unteren Wirbelsäule spüren. Stellen Sie sich ein goldenes Band vor, dass Sie sanft von Ihrem Brustbein aus gesehen zur Decke zieht. Sie werden eine Aufrichtung in der Brustwirbelsäule spüren. Stellen Sie sich dann ein weiteres goldenes Band vor, dass Sie von der mittleren Schädeldecke ebenfalls sanft bis zu Decke zieht. Sie werden eine Aufrichtung in der Halswirbelsäule spüren. Legen Sie nun Ihre Hände leicht auf der Mitte Ihrer Oberschenkel ab. Sie spüren, wie sich Ihre Schultern entspannen. Konzentrieren Sie sich nun auf Ihre Atmung und spüren Sie nach, wie sich Ihr Brustkorb beim Ein- und Ausatmen hebt und senkt. Bleiben Sie für wenige Minuten in der Haltung und lösen Sie dann erst die eingenommene Haltung. Spüren Sie nach. Sinn der Übung: Erleben Sie Körperanspannung und Körperentspannung. Übung: Anspannung lässt los – die Spielspannung – Einzelübung Stellen Sie sich ohne Schuhe auf den Boden. Ihre Füße stehen hüftweit auseinander. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Nasenspitze. Ziehen Sie Ihre Nasenspitze kraus. Verziehen Sie das Gesicht, runzeln Sie Augenbrauen, ziehen Sie die Lippen zusammen, runzeln Sie die Stirn. Spannen Sie die verzogenen Gesichtsmuskeln an, halten Sie die Spannung. Spannen Sie die Nacken- und Schultermuskulatur an, die Arme spannen sich an, die Fäuste ballen sich. Spannen Sie die Bauchmuskeln an, die Gesäßmuskeln, die Beine. Halten Sie die Spannung im gesamten Körper. Zählen Sie innerlich drei Sekunden und lösen Sie alle angespannten Körperpartien auf einen Schlag mit einem Ausatmen auf ein langgetöntes „pfffft“. Sinn der Übung: Entdecken Sie die Kraft des bewussten Anspannens und Entspannens.
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Die lebendige Grundhaltung der Puppe In der Regel besitzen Klappmaulpuppen am Hinterkopf eine Öffnung für eine Spielhand und zwei bespielbare Hände. Wir Menschen haben auch nur zwei Hände. Nun stellt sich die Frage, welche Öffnung nutzen wir mit welcher Hand? Die Grundhaltung entsteht, wenn Sie Ihre linke Hand, die Kopfhand, nutzen, um den Kopf der Puppe zu bespielen und Ihre rechte Hand, um die rechte Puppenhand zu spielen. Ihre linke Hand im Puppenkopf befindet sich in der sognannten „Krokodilhaltung“.
„So etwas hast du früher als Kind bestimmt schon mal gemacht, ein Krokodil oder einen Hund als Schatten mit deiner Hand an die Wand geworfen. Oder meine Mama, als sie klein war, hat aus alten Socken Krokodilpuppen mit Augen und Haaren gebastelt. Und dann hat sie damit gespielt. Du auch?“
In der Krokodilhaltung befindet sich der Daumen der linken Hand im Unterkiefer der Puppe und die anderen Finger der linken Hand im Oberkiefer der Puppe. Manche Spieler empfinden es als angenehm, ebenfalls den kleinen Finger der linken Hand in den Unterkiefer der Puppe zu legen. Die rechte Hand des Spielers schlüpft nun in die rechte Puppenhand.
TIPP Warum eigentlich die linke Hand in den Kopf? Weil wir die rechte Hand als Puppenhand brauchen. Es ist sinnvoll, die rechte Puppenhand zu bespielen, denn die rechte Hand ist für die meisten Menschen die Lieblingshand und beweglicher. Doch es hat noch einen weiteren Grund. Zur Begrüßung geben wir einander die rechte Hand.
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Die rechte Hand in die Puppenhand.
Die linke Hand in den Puppenkopf.
Rituale sind für Menschen mit Demenz sehr wichtig, sie bieten vertraute Orientierungsrahmen. Ein in ihren Augen gut erzogenes, höfliches Kind wird zur Begrüßung die rechte Hand geben und seinen Namen sagen. Würden Sie die linke Puppenhand zur Begrüßung nutzen, könnte es sein, dass Gäste negativ darauf reagieren. „Gib‘ mir mal das schöne Händchen“. Aus der Biografiearbeit wissen wir, dass in der Kinder- und Jugendzeit unserer Gäste, und auch noch zum Teil in der Erwachsenenzeit, Linkshänder umgeschult wurden. Es war verpönt, sich mit der linken Hand zu begrüßen oder mit ihr zu schreiben. In der Regel befindet sich die beste Spielposition für die Puppe auf der Mitte von einem Ihrer Oberschenkel. So können Sie die Puppe bequem halten, denn Sie haben einen möglichst großen Spielraum, um Ihre eigenen Hände und Arme zu bewegen. Ihr eigener Blick ist auf den Hinterkopf der Puppe gerichtet. Je näher der Spieler die Puppe an seinen eigenen Körper zieht, desto unselbstständiger wirkt die Puppe. Der Spieler rückt weiter in den Vordergrund. Dieser Eindruck lässt sich manchmal bei bestimmten Emotionen der Puppe gut einsetzen. Eine traurige oder ängstliche Puppe wird sich an den Spieler lehnen, eine forsche, neugierige Puppe rutscht auf dem Oberschenkel weit nach vorne, um ihre Selbstständigkeit auszudrücken. „Wir Puppen haben Wirbelsäulen! Auch, wenn du sie nicht spürst!“
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ÜBUNG ZUR GRUNDHALTUNG Übung: Sitzen ist nicht gleich Sitzen – Die Spielseite – Einzelübung Probieren Sie verschiedene Sitzmöbel aus, in dem Sie die Grundhaltung auf unterschiedlichen Sitzmöbeln mit der Puppe einnehmen. Lassen Sie die Puppe in alle Richtungen schauen. Lassen Sie die Puppe langsam die Blickrichtungen verändern. Nehmen Sie an sich wahr, was behindert Sie bei diesen Bewegungen? Gibt es Seiten und Positionen, die Ihnen angenehm sind? Die Seite, die Position, die Ihnen am einfachsten fällt, ist Ihre Lieblingsseite. Diese sollten Sie möglichst zur Spielseite machen. Das wird nicht immer gelingen, z. B. bei anderen räumlichen Voraussetzungen. Sinn der Übung: Erkennen Sie Ihre eigenen Bewegungsmöglichkeiten und Ihre Spielseite. Übung: Rundherum – Blickkontakt der Puppe – Einzelübung Lassen Sie die Puppe von Ihrem Schoß aus in verschiedene Richtungen schauen. Nutzen Sie dabei alle Richtungen: links, rechts, oben, unten und die Diagonale. Testen Sie aus, wie weit Sie den Puppenkopf drehen müssen, um die Puppe in eine bestimmte Richtung schauen zu lassen. Sinn der Übung: Bekommen Sie ein Gefühl für den Blickradius Ihrer Puppe. Übung: Kopf hoch und Brust raus – die aufrechte Puppe – Teamübung Setzen Sie sich Ihrem Spielpartner gegenüber. Gehen Sie erneut in die Grundhaltung und setzen Sie die Puppe auf der Mitte Ihres rechten oder linken Oberschenkels ab. Halten Sie die Puppe nun mit etwas Zug auf Ihrem linken Arm in einer aufrechten Sitzhaltung. Stellen Sie sich vor, dass die Puppe eine Wirbelsäule hat. Lassen Sie Ihren Spielpartner reflektieren, was er sieht und wahrnimmt. Lösen Sie nun den Zug auf Ihren linken Arm und lassen Sie nun die Puppe zusammensinken. Wie empfindet der Spielpartner diese Art der Haltung? Was sieht er? Was nimmt er wahr? Sinn der Übung: Erleben Sie die Lebendigkeit der Puppe.
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Bitte beachten Sie, die Puppe stets in einer aufrechten Sitz- oder Stehhaltung zu halten, als hätten diese kleinen Wesen in der Tat eine Wirbelsäule. Durch die aufrechte Haltung der Puppe wirkt sie authentischer und lebendiger. Eine zusammengekrümmte Puppe, deren Kinn auf ihrem Puppenknie liegt, hat dagegen gerade Bauchschmerzen oder macht Puppen-Yoga. Das bedeutet, Sie haben beständig einen leichten Zug auf Ihrem linkem Arm, der aber nicht so stark sein darf, dass die Puppe sich von dem Oberschenkel nach oben bewegt – also praktisch in der Luft schwebt.
„Puppen fliegen nicht! Nur, wenn sie Flügel haben.“
Schau mir in die Augen – Blickkontakt der Puppe Der Blickkontakt ist für uns die erste Aufforderung zur Kommunikation. Schauen wir einander in die Augen, erleben wir das als Impuls, miteinander in Kontakt zu treten. So erleben es auch Menschen mit Demenz. Wenn nun die Puppe diesen Blickkontakt aufnimmt und hält, wird höchstwahrscheinlich die Kommunikation, der Kontakt, zwischen Puppe und Gast erfolgen, vorausgesetzt, der Puppenspieler nimmt seinen Blickkontakt aus der Situation heraus und blickt auf den Hinterkopf seiner Puppe. Sobald der Spieler seinen Blickkontakt in die Kommunikationssituation einbringt, entsteht höchstwahrscheinlich eine Dreierkommunikation. Schaut der Spie- Hier sprechen Augen Bände.
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ler ebenfalls den Gast an, so werden es drei Personen im Gespräch werden. Das kann in einigen Fällen sinnvoll und gut sein. Dieser Zusammenhang sollte dem Spieler bewusst sein. So dient er auch als Spielelement. Eine andere Spielvariante ist es, wenn die Puppe den Spieler anschaut. Auch in diesem Fall wird der Spieler durch die Puppe in das Spiel einbezogen. Die Kommunikation findet zu zweit statt, zwischen Puppe Lieschen hat blaue Augen. und Spieler. Weil der Blickkontakt das wichtigste Element im aktivierenden Puppenspiel ist, beschäftigen sich die folgenden Übungen (siehe gegenüberliegende Seite) hauptsächlich mit dem Erlernen, wie der Blickkontakt der Puppe geführt werden kann.
„Ich bekomme einen ganz steifen Schaumstoffhals, wenn ich immer nach oben gucken muss. Das ist voll blöd. Und nie sehe ich das, was ich sehen will. Voll blöd. Aber das wächst sich raus, versprochen! Hat die Mama gesagt.“
Sicherlich haben Sie bei den Übungen auch entdeckt, dass Sie, wenn Sie auf den Hinterkopf der Puppe blicken, die Reaktionen Ihres Spielpartners nur eingeschränkt beobachten können. Und vielleicht werden Sie sich jetzt fragen, wie es in der Aktivierungsarbeit möglich ist, die Reaktionen der Gäste wahrzunehmen und im Spiel darauf reagieren zu können. Ich gebe zu, das ist eine Herausforderung, aber es ist möglich, vieles aus den Augenwinkel zu erkennen und wahrzunehmen. Und diese Wahrnehmung kann trainiert werden.
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ÜBUNGEN ZUM BLICKKONTAKT Übung: Wo sind deine Augen? – der Blickkontakt – Teamübung Setzen Sie sich mit Ihrem Spielpartner auf zwei Stühlen einander gegenüber. Setzen Sie Ihre Puppe auf die Mitte Ihres Oberschenkels und nehmen Sie die lebendige Grundhaltung ein. Beginnen Sie nun, den Puppenkopf mit Ihrer rechten Hand so zu halten, dass die Puppe Ihrem Spielpartner in die Augen schaut. Sie selbst blicken dabei auf den Hinterkopf Ihrer Puppe. Der Spielpartner korrigiert dabei den Blick der Puppe mit Handzeichen oder Kommandos wie „nach oben, nach unten, nach rechts, nach links“. Verinnerlichen Sie Ihre eigene Handhaltung, in dem Sie mehrfach von unterschiedlichen Ausgangspositionen die Puppenaugen in die Augen Ihres Spielpartners blicken lassen. Achtung Spielpartner: Bitte bestätigen Sie dem Spieler, wenn die Puppe Ihnen in die Augen schaut, und verändern Sie selbst Ihre eigene Blickrichtung während dieser Übung nicht. Sinn der Übung: Erkennen Sie, wie Sie Ihre Hand halten müssen, um welche Blickrichtung der Puppe einnehmen zu können. Übung: Wo sind meine Augen? – Wie muss ich die Hand halten? – Einzelübung Nutzen Sie nochmals die aus der Übung 1 eingenommene Handhaltung, die Ihr Spielpartner Ihnen als richtig bestätigt hat. In dieser Haltung drücken Sie auf die Puppenaugen, bis diese auf Ihrer linken Hand, die im Puppenkopf liegt, spürbar sind. Spüren Sie nach, auf welchem Bereich Ihrer Hand die Puppenaugen liegen. Sie werden feststellen, dass die Augen der Puppe bei Ihnen ungefähr um die Mittelknochen Ihrer Finger spürbar sind. Das bedeutet, wenn Sie Ihre Hand waagerecht halten würden, würde die Puppe unwillkürlich zur Decke blicken. Erst wenn Sie Ihre linke Hand beugen und fast in einem 45 Grad Winkel abwinkeln, kann die Puppe überhaupt geradeaus schauen. Sinn der Übung: Das bewusste Einsetzen Ihrer Hand, um den Blickkontakt der Puppe herzustellen.
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ÜBUNGEN ZUR WAHRNEHMUNG Übung: Weite deinen Blick – Wahrnehmung – Einzelübung Machen Sie einen schönen Spaziergang bei herrlichem Wetter durch den Wald. Suchen Sie sich einen schönen Baum aus, an dem Sie sich mit dem Rücken anlehnen wollen. Verändern Sie während dieser Übung Ihre Kopfhaltung nicht. Schauen Sie, was können Sie erkennen? Nutzen Sie auch die Randbereiche Ihres Blickfeldes und stellen Sie fest, was Sie dort noch erkennen können. Dann schließen Sie für einen Moment die Augen. Nehmen Sie wahr, was Sie hören, was Sie riechen und fühlen. Sinn der Übung: Trainieren Sie Ihre eigene Sinneswahrnehmung. Übung: Die Kamera – den Blick schärfen – Teamübung Eine beliebte theaterpädagogische Übung, die auch oft zur Vertrauensbildung in Gruppen eingesetzt wird, ist die „Kameraübung“. Dabei führt der Spielpartner Ihres Vertrauens Sie durch einen Raum. Ob durch einen bekannten oder einen neuen Raum ist dabei nebensächlich. Sie selbst halten bei dieser Übung die Augen geschlossen oder, wenn Sie mögen, binden Sie sich einen dunklen Schal vor die Augen. Der Spielpartner sucht fünf verschiedene Stellen im Raum aus, die auf unterschiedlichen Blickebenen (Decke, Oben, Mitte, Unten, Boden) liegen. Er führt Sie nun zu jeder dieser Stellen. Sie selbst haben Ihre Augen geschlossen. Dann richtet Ihr Spielpartner behutsam Ihren Kopf so aus, als wären Ihre geschlossenen Augen das Objektiv einer Fotokamera. Wenn der Spielpartner Ihren Kopf ausgerichtet hat, dann gibt er Ihnen mit einer Berührung am Kopf oder der Schulter das Signal, für einen kleinen Moment die Augen zu öffnen. Klick. Zählen Sie innerlich 3 Sekunden und schließen Sie die Augen wieder. Ihr Spielpartner führt Sie dann an eine weitere Stelle. Dann wiederholt sich das Geschehen. Tauschen Sie sich mit Ihrem Spielpartner über Ihre Eindrücke aus und wechseln Sie danach die Rollen. Sinn der Übung: Trainieren Sie Ihre Sinne und schärfen Sie Ihren Blick für das Wesentliche.
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ÜBUNGEN ZUR WAHRNEHMUNG Übung: Wo geht es lang? – Erweiterung des Blickfeldes – Teamübung Setzen Sie sich bitte wieder Ihrem Spielpartner gegenüber. Halten Sie die Puppe in der lebendigen Grundhaltung auf der Mitte einer Ihrer Oberschenkel. Ihr Spielpartner hält nun seine linke oder rechte Hand vor sich, mit der Handfläche nach außen und oben gerichtet, so dass die Puppe auf die Handfläche blicken kann. Der Spielpartner hat nun die Möglichkeit, den Blick der Puppe auf seine Handfläche zu korrigieLieschen hat alles im Blick. ren und zu bestätigen. Erst wenn der Spielpartner sich sicher ist, dass die Puppe auf seine Handfläche schaut, geht die Übung weiter. Bitte beachten Sie, dass Sie als Spieler während dieser Übung auf den Hinterkopf der Puppe schauen. Hat der Spielpartner nun die Bestätigung ausgesprochen, dass die Puppe auf seine Handfläche schaut, beginnt Ihr Spielpartner langsam seine Handfläche in verschiedene Richtungen zu bewegen. Die Puppe hat die Aufgabe, der Handfläche des Spielpartners mit den Augen zu folgen. Lassen Sie sich Zeit bei dieser Übung. Je langsamer die Bewegungen des Spielpartners sind, desto einfacher ist es für die Puppe, mit dem Blick zu folgen. Beziehen Sie wieder alle möglichen Richtungen in dieses Spiel ein. Achtung: Es wird jetzt höchstwahrscheinlich einen Bereich geben, in dem die Puppe von Ihrem Schoß aus der Handfläche nicht mehr mit den Augen folgen kann. Nun setzen Sie als Spieler Ihren Körper ein. Da die Puppe auf der Mitte Ihres Oberschenkels sitzt, können Sie mit Ihrem Bein die Bewegung der Puppe unterstützen, indem Sie Ihr Bein mitbewegen. So erhält die Puppe einen wesentlich größeren Bewegungsradius.
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ÜBUNGEN ZUR WAHRNEHMUNG Natürlicherweise ist auch Ihr Oberschenkel in seiner Bewegungsmöglichkeit eingeschränkt. Tritt dieser Fall ein, drehen Sie sich auf der Sitzfläche mit Ihrem Gesäß in die gewünschte Richtung und vergrößern Sie erneut den Bewegungsradius für die Puppe. (Bei dieser Übung wird offensichtlich, warum ein flacher, runder Hocker ohne Lehnen bei dem Spiel durchaus Sinn macht.) Sinn der Übungen: Entdecken Sie die Grenzen und Möglichkeiten des Blicks. Übung: Schau mich an – Erweiterung des Blickfeldes 2 – Teamübung Setzen Sie sich wieder Ihrem Spielpartner gegenüber. Halten Sie die Puppe in der lebendigen Grundhaltung auf der Mitte Ihres Oberschenkels. Lassen Sie die Puppe den Blickkontakt zu Ihrem Spielpartner aufbauen. Der Spielpartner hat die Möglichkeit zu korrigieren und zu bestätigen. Wenn der Blickkontakt zwischen Puppe und Spielpartner hergestellt ist, beginnt der Spielpartner sich selbst zu bewegen. Er verändert seine eigene Position, steht auf, geht durch den Raum, kommt näher, geht in die Hocke, geht wieder fort, nach rechts, nach links, nach oben, nach unten. Der Spielpartner nutzt unterschiedliche Raumpositionen, lässt dabei aber stets seine Augen der Puppe zugewandt. Die Puppe hat die Aufgabe in dieser Übung, dem Spielpartner mit dem Blick zu folgen. Achtung: Gehen Sie bei dieser Übung langsam vor. Es ist nicht einfach, die Puppe dem Spielpartner mit den Augen folgen zu lassen. Je langsamer die Bewegungen des Spielpartners sind, desto leichter kann die Puppe mit den Augen folgen. Sinn der Übung: Erweitern Sie den Blickradius Ihrer Puppe.
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Der Blick ist nur der erste Schritt.
Sprechen – Mit Hand und Fuß Die Stimme der Puppe Wie wir Menschen hat die Puppe verbale und nonverbale Kommunikationsmöglichkeiten. Der Blickkontakt, der im vorhergegangenem Kapital erlernt wurde, ist das wichtigste Element für die Aktivierungsarbeit. In vielen Fällen braucht eine Puppe nicht viel anderes tun, als zu schauen, um in den Kontakt mit dem Gast zu kommen. Dennoch braucht die Puppe für eine gelungene Aktivierungsarbeit auch eine Stimme. Grundsätzlich gilt es, der Puppe eine authentische Stimme zu geben, die sich von der Stimme des Puppenspielers absetzt. Stellen Sie sich bitte ein kleines Puppenmädchen vor, das mit einer tiefen Männerstimme erzählt. Das passt nicht zusammen. Unsere Stimme hat viele Klangfarben, die individuell bei jedem von uns anders ausgeprägt sind. Manche von uns können mit Leichtigkeit sehr hoch oder sehr tief sprechen, andere wiederum strengen sich bei verschiedenen Variationen der Stimme an.
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Da die Puppenstimme aber eine Zeit lang durchzuhalten ist, müssen wir für unsere Puppe eine Stimme finden, die auf der einen Seite authentisch ist, auf der anderen für uns ohne Einschränkungen für eine gewisse Dauer leistbar ist. Die Konsequenz: Wir müssen unsere stimmlichen Möglichkeiten ausprobieren. Dabei sollen Ihnen die nächsten Übungen helfen. Einige Übungen kommen aus dem Sprech- und Stimmtraining und sollen Ihnen helfen, Ihre Stimme in ihren Möglichkeiten zu unterstützen, andere Übungen kommen aus dem Schauspielbereich und helfen Schauspielern und Erzählern dabei, für unterschiedliche Rollen bestimmte Stimmen zu finden. Bei allen Übungen aber gilt, dass Sie auf Ihren Körper achten und ihm nur das zumuten, was Ihr Körper bewältigen kann.
Stimmübungen Unsere Stimme hat verschiedene Einflussfaktoren, die sie unterstützen oder im Gegensatz dazu behindern. Wichtig für eine gute Stimme ist der fließende Atem, deswegen sind Atemübungen ein wichtiger Teil des Stimmtrainings. Um den Atem ungehindert fließen zu lassen, ist es wichtig, bestimmte Muskelpartien zu lockern. Zudem werden die für das Sprechen wichtigen Muskeln und Gelenke gelockert (Lippen, Zunge, Kiefergelenk).
Sprechübungen Zu den Sprechübungen zählt vor allem das Artikulationstraining. Klare, deutliche, artikulierte Worte sind gerade in der Kommunikation mit Menschen mit Demenz wichtig, um die Verständlichkeit der verbalen Kommunikation zu erhöhen. Sprechübungen dienen dazu, unsere Stimmklangfarben zu erkennen. Die Klangfarben unserer Stimme variieren aufgrund unserer Emotionen. Unsere Stimme hat einen anderen Klang, wenn wir uns freuen, wenn wir wütend sind oder wenn wir traurig sind. So drückt unsere Stimme abseits der Worte, die wir sagen, unsere Emotion aus. Das ist auch für Menschen mit Demenz zu hören und zu erleben. Selbst wenn ihre eigene verbale Kommunikation eingeschränkt ist. Nicht nur die Emotionen, sondern auch die Rollen selbst , z. B. im Schauspiel oder im Puppenspiel, färben unsere Stimme. Ein kleines Puppenmädchen hat eine andere Stimme als der Mafiaboss im Kinofilm. Eine kleine Maus wird eine andere Stimme haben als der große Löwe. Ein König wird eine andere Stimme haben als die alte Waschfrau. Das bedeutet, dass sich die Stimme nach der Rollenfigur verändert. Um die Variationen der Stimme zu steuern, braucht es keine Schauspielausbildung, sondern vielmehr Fantasie.
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ATEMÜBUNGEN Übung: Spüre, wo dein Atem ist – Bewusstes Atmen – Einzelübung Setzen Sie sich auf einen für Ihre Körpergröße passenden Stuhl oder Hocker ohne Lehnen. Nutzen Sie dabei die vorderen zwei Drittel der Sitzfläche. Stellen Sie Ihre Füße parallel zueinander auf den Boden. Ihre Knie sollten den 90 Grad Winkel nicht überschreiten. Kippen Sie Ihr Becken so, dass der Beckenkamm leicht nach vorne fällt. Sie werden eine Aufrichtung in der unteren Wirbelsäule spüren. Stellen Sie sich ein goldenes Band vor, das Sie sanft von Ihrem Brustbein aus gesehen zur Decke zieht. Sie werden eine Aufrichtung in der Brustwirbelsäule spüren. Stellen Sie sich ein weiteres goldenes Band vor, dass Sie von der mittleren Schädeldecke ebenfalls sanft bis zu Decke zieht. Sie werden eine Aufrichtung in der Halswirbelsäule spüren. Legen Sie nun Ihre Hände leicht auf der Mitte Ihrer Oberschenkel ab. Sie spüren, wie die Schultern sich entspannen. Konzentrieren Sie sich nun auf Ihre Atmung und spüren Sie nach, wie sich Ihr Brustkorb beim Ein- und Ausatmen hebt und senkt. Spüren Sie nach, welche Bereiche Ihres Körpers von Ihrem Atem bewegt werden. Spüren Sie Ihren Atemzyklus: das Einatmen, das Ausatmen, die Atempause. Bleiben Sie für wenige Minuten in der Haltung und sammeln Sie weitere Eindrücke. Dann lösen Sie die eingenommene Haltung. Spüren Sie nach, was Sie erlebt haben. Sie können diese Übung auch im Stehen durchführen. Dazu stellen Sie sich bitte ohne Schuhe auf den Boden. Die Füße stehen hüftweit auseinander, die Zehen sind leicht nach außen ausgestellt, damit Sie sicher stehen. Die Knie lassen Sie beim Stehen locker und den Beckenkamm bewegen Sie wieder, wie bei der Übung in der Sitzhaltung, leicht nach vorne. Sie werden eine Aufrichtung in der unteren Wirbelsäule spüren. Stellen Sie sich ein goldenes Band vor, das Sie sanft von Ihrem Brustbein aus gesehen zur Decke zieht. Sie werden eine Aufrichtung in der Brustwirbelsäule spüren. Stellen Sie sich ein weiteres goldenes Band vor, das Sie von der mittleren Schädeldecke ebenfalls sanft bis zu Decke zieht. Sie werden eine Aufrichtung in der Halswirbelsäule spüren. Lassen Sie nun Ihre Arme locker an den Körperseiten hängen.
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ATEMÜBUNGEN Die Schultern entspannen sich. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Atmung und spüren Sie nach, wie sich Ihr Brustkorb beim Ein- und Ausatmen hebt und senkt. Spüren Sie nach, welche Bereiche Ihres Körpers von Ihrem Atem bewegt werden. Spüren Sie Ihren Atemzyklus: das Einatmen, das Ausatmen, die Atempausen. Bleiben Sie für wenige Minuten in der Haltung und sammeln Sie wertfrei Eindrücke. Dann lösen Sie die eingenommene Haltung. Spüren Sie nach. Sinn der Übung: Spüren Sie Ihren eigenen bewussten, ruhigen und unangestrengten Atem. Übung: Atmen ist Tönen – Atemrhythmus und Strömungslaute – Einzelübung Bleiben Sie im Stand. Die Füße stehen hüftweit auseinander, die Zehen sind leicht nach außen ausgestellt. Kombinieren Sie Ihren Atemrhythmus mit einer langsamen Armbewegung über die Seite nach oben und wieder herunter, als hätten Sie Vogelflügel. Beim Einatmen und so lange das Einatmen dauert, bewegen Sie an Ihren Seiten die Arme langsam nach oben in Richtung Kopf. Dort warten Sie in dieser Position, bis Ihr Körper Ihnen das Signal gibt, das nun das Ausatmen beginnt. Lassen Sie beim Ausatmen langsam die Arme nach unten sinken, so lange, wie das Ausatmen reicht. Ist das Ausatmen beendet, die Arme aber noch nicht unten angelangt, wandern die Arme mit dem letzten bisschen Ausatmen an die Seiten Ihres Körpers. Warten Sie in dieser Position darauf, bis Ihr Köper Ihnen signalisiert, dass das Einatmen wieder beginnt. So begleiten Sie Atemzug für Atemzug mit einer schwingenden Armbewegung. Variieren Sie diese Übung und tönen Sie beim Ausatmen auf sogenannte Strömungslaute: „w“ oder „f“ oder „s“ oder „sch“. Halten Sie den ausgewählten Laut bis zum Ende Ihres Ausatmens. Erkennen Sie Unterschiede bei den einzelnen Strömungslauten? Welcher Laut fällt Ihnen leicht, welcher weniger leicht? Was geschieht mit Ihrem Atemrhythmus? Sinn der Übung: Unterstützen Sie die Ausbreitung Ihres Atems und vergrößern Sie das Atemvolumen.
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LOCKERUNGSÜBUNGEN Übung: Locker im Fluss – Ausschütteln des Körpers – Einzelübung Diese Übung beginnt an Ihren Füßen. Sie müssen sich während der Übung auf ein Bein stellen. Wenn Sie sich wackelig dabei fühlen, suchen Sie bitte einen festen Halt. Es geht nicht darum, den Einbeinstand zu lernen, sondern darum, das jeweilige andere Bein vom Boden zu lösen. Beginnen Sie mit dem rechten Fuß. Lösen Sie diesen vom Boden. Schütteln Sie Ihren rechten Fuß durch kreisförmige Bewegungen aus, bewegen Sie Ihre Zehen kreisförmig. Lassen Sie die Schüttelbewegung in das rechte Knie wandern, kreisen Sie Ihr Bein in verschiedene Richtungen. Ihre Bewegung wandert nun in die rechte Hüfte. Nutzen Sie kreisförmige Bewegungen, um das gesamte Bein zu lockern. Setzen Sie das rechte Bein ab. Lösen Sie den linken Fuß vom Boden und gehen Sie ebenso vor. Schütteln Sie Ihr linkes Bein durch kreisförmige Bewegungen von den Zehen bis zur Hüfte aus. Dann setzen Sie den linken Fuß ab. Lassen Sie Ihr Becken waagerecht kreisförmig in der Form einer liegenden Acht bewegen. Nutzen Sie langsame Bewegungen und kosten Sie die Rundungen der Bewegung aus. Beginnen Sie mit einer Schüttelbewegung in der rechten Hand und in den Fingern der rechten Hand. Gehen Sie dann mit der Schüttelbewegung in den rechten Arm bis zum Ellbogen, dann weiter bis zu den Schultern. Nutzen Sie alle Bewegungsmöglichkeiten des rechten Arms aus, wobei die Schüttelbewegung nun durchgehend von den Fingerspitzen bis zur Schulter läuft. Wechseln Sie zu Ihrer linken Seite und schütteln Sie die linke Hand, Finger, Arm und Schulter aus. Heben Sie beide Arme bis zur Decke und dehnen Sie Ihren gesamten Körper so, als würden Sie die Decke erreichen wollen. Lassen Sie sich mit dem nächsten Ausatmen in die Rumpfbeuge fallen, pendeln Sie mit den Armen aus und richten Sie dann sehr langsam Wirbel für Wirbel wieder auf. Achtung: Die langsame Aufrichtung ist sowohl für Ihren Kreislauf als auch für Ihre Wirbelsäule sehr wichtig. Sinn der Übung: Lockern Sie Muskelpartien, die den Atmenvorgang unterstützen.
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LOCKERUNGSÜBUNGEN Übung: Lockere Grimassen – Gesichtsmuskellockerung und Kieferlockerung – Einzelübung Diese Übung wird im Stehen durchgeführt. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Nasespitze. Ziehen Sie Ihre Nasespitze kraus. Verziehen Sie das Gesicht, runzeln Sie Augenbrauen, ziehen Sie die Lippen zusammen, runzeln Sie die Stirn. Spannen Sie die verzogenen Gesichtsmuskeln an, halten Sie die Spannung. Spannen Sie die Nacken- und Schultermuskulatur an. Die Arme spannen sich an, die Fäuste ballen sich. Spannen Sie die Bauchmuskeln an, die Gesäßmuskeln, die Beine. Halten Sie die Spannung im gesamten Körper. Zählen Sie innerlich drei Sekunden und lösen Sie alle angespannten Körperpartien auf dem Ausatmen auf ein langgetöntes „pffft“. Sinn der Übung: Lockern Sie Gesichtsmuskulatur und das Kiefergelenk. Anmerkung: Sie kennen diese Übung bereits aus „Eine Sache der Haltung – Die Spielhaltung“, des Puppenspielers, siehe Seite 20. Übung: Eine Zunge ist lang – Zungenlockerung – Einzelübung Diese Übungen kann im Stehen oder im Sitzen ausgeführt werden. Stellen Sie sich vor, Sie hätten gerade ein Karamellbonbon gegessen. Das Karamell hat sich um jeden Zahn gewickelt. Sie versuchen mit Ihrer Zungenspitze jeden einzelnen Zahn Ihres Ober- und Unterkiefers zu umkreisen, um das Karamell wieder zu lösen. Drehen Sie Ihre Zungenspitze dreimal in der linken Wangentasche, dann springen Sie mit Ihrer Zungenspitze in die rechte Wangentasche und kreisen dort dreimal. Wechseln Sie die Seiten, bis jede Wangentasche mindestens dreimal an der Reihe war. Gönnen Sie sich eine Pause und beginnen Sie die Übung von vorne. Wiederholen Sie die Übungen bis zu dreimal. Achtung: Das ist anstrengend. Nicht zu viel auf einmal machen. Sinn der Übung: Entspannen und lockern Sie die Zungenmuskulatur. Übung: Grinsemund und Rüsselchen – Lippenlockerung – Einzelübung Diese Übungen können im Stehen oder im Sitzen durchgeführt werden. Ziehen Sie Ihre Mundwinkel nach oben, so als würden Sie jemanden angrinsen.
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LOCKERUNGSÜBUNGEN Halten Sie Ihre Lippen in dieser angespannten Stellung und zählen innerlich drei Sekunden. Entspannen Sie die Lippenmuskeln und wiederholen Sie die Übungen dreibis fünfmal. Ziehen Sie Ihre Lippen kraus, als würden Sie ein Rüsselchen oder einen Kussmund machen wollen. Halten Sie Ihre Lippen in dieser Stellung und zählen innerlich drei Sekunden. Entspannen Sie die Lippenmuskeln und wiederholen Sie die Übungen drei- bis fünfmal. Sinn der Übung: Lockern Sie die Lippenmuskulatur und fördern Sie die Durchblutung der Lippen.
Die folgenden Übungen sollen Ihnen helfen, die Stimme Ihrer Puppe kennenzulernen.
ARTIKULATIONSÜBUNG Übung: Zwei-Finger-Weit – Variation der berühmten Korkenübung – Einzelübung Die Korkenübung ist eine klassische Sprechübung und wohl die bekannteste Sprechübung. Dabei wird ein Korken zwischen den Ober- und Unterkiefer geklemmt und mit dem Korken zwischen den Zähnen werden Texte gesprochen. Diese Übung hat einen Nachteil: ich habe nicht immer einen Korken in der Hosentasche. Also verändere ich diese Übung und nehme statt des Korkens meinen Zeige- und Mittelfinger und halte diese zwischen meinen Ober- und Unterkiefer. Achtung: Es reicht, wenn die Fingerkuppe zwischen den Zähnen liegen. Bitte beißen Sie nicht in Ihre Finger. Die brauchen Sie noch. Sobald Sie Ihre Zähne auf Ihren Finger spüren, ist das der Hinweis, den Mund beim Sprechen weiter zu öffnen. Sprechen Sie nun einen beliebigen Text, Zungenbrecher, Gedicht oder zählen Sie langsam von 1 bis 60. Sprechen Sie dabei laut und deutlich, mit den Fingern zwischen den Zähnen. Sie sollten diese Übung mindestens 2 Minuten durchhalten.
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ARTIKULATIONSÜBUNG Dann nehmen Sie Ihre Finger als Widerstand aus dem Mund heraus und sprechen den gleichen Text nochmals laut. Beobachten Sie, was sich bei Ihrer Aussprache verändert hat. Sie werden sehr klare Unterschiede, in der Deutlichkeit, Lautstärke und Rhythmus Ihres Sprechens erkennen. Sinn der Übung: Verbessern Sie die Artikulation und Deutlichkeit Ihrer Aussprache. Übung: Stimmige Stimme – Emotionales Sprechen – Einzelübung Um sich die Bandbreite unterschiedlicher Stimmlagen bewusst zu machen, suchen Sie sich einen beliebigen Zungenbrecher oder einen kleinen Artikel aus Ihrer Tageszeitung. Schreiben Sie den gleichen Text auf mehrere Seiten. Als Überschrift wählen Sie jeweils eine der folgenden Emotionen: • Freude
• Angst
• Traurigkeit
• Neugierde
• Wut
• Ekel
• Verliebtsein
Lesen Sie den ausgewählten Text laut und deutlich in der jeweiligen Stimmung. Die Übung verstärkt sich, wenn Sie den Text auswendig sprechen und sich der Stimmung entsprechend bewegen oder eine entsprechende Körperhaltung einnehmen. Beobachten Sie sich selbst oder nehmen Sie mit einer Videokamera diese Übung auf und schauen Sie sich das Ergebnis an. Sinn der Übung: Erkennen Sie, wie viele Klangfarben Ihre eigene Stimme hat. Übung: Stimme und Rolle gehören zusammen – Rollenabhängiges Sprechen – Einzelübung Suchen Sie sich einen einfachen Text, das kann auch der Text aus der vorhergegangenen Übung sein. Dieses Mal brauchen Sie den Text nur einmal. Dann denken Sie sich zwei sehr gegensätzliche Rollen aus, z. B. das Puppenmädchen und der Mafiaboss. Unterteilen Sie ein weiteres Blatt Papier in zwei Hälften. Jede Hälfte bekommt als Überschrift eine der beiden Rollen. Schreiben Sie in jede Hälfte alles, was Ihnen zu den Rollen einfällt, z. B.:
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ARTIKULATIONSÜBUNG • Ist die Figur groß oder klein? • Ist die Figur alt oder jung? • Ist die Figur dick oder dünn? • Ist die Figur ein Kind, ein Mann oder eine Frau? • Ist die Figur gebildet oder ungebildet? • Ist die Figur arm oder reich?
• Ist die Figur extrovertiert oder introvertiert? • W elche Haltung hat die Figur? Sitzt sie? Liegt sie? Steht sie aufrecht? Oder steht sie gebückt? • Welche Emotion hat die Figur? (Beispiele für Emotionen finden Sie in der obigen Übung. Sie können diese Liste nach Belieben erweitern.)
Versuchen Sie, sich die Figur so genau wie möglich vorzustellen. Wenn Sie das Gefühl haben, die Figur ist in Ihnen zum Leben erwacht, lesen oder noch besser sprechen Sie den ausgewählten Text auswendig. Beobachten Sie sich selber oder zeichnen Sie die Übung mit einer Videokamera auf. Reflektieren Sie das, was Sie sehen und hören. Sinn der Übung: Erkennen Sie, wie viele Variationsmöglichkeiten Ihre eigene Stimme hat. Übung: Eine Puppe – ein Wort – eine Stimme – Welche Stimme gehört zu meiner Puppe? – Teamübung Diese Übung dient dazu, dass Sie die Stimme Ihrer Puppe kennenlernen. Deswegen macht es Sinn, diese Übung mit Ihrer Puppe durchzuführen. Setzen Sie sich in der lebendigen Grundhaltung Ihrem Spielpartner gegenüber. Lassen Sie die Puppe etwas erzählen. Es ist völlig nebensächlich, was die Puppe erzählt, es sollte nur etwas sein, was die Puppe gerade erlebt hat und was ihr sehr wichtig ist. Nutzen Sie die Klangfarbe Ihrer Stimme, von der Sie ausgehen, dass sie der Puppe von der Figur und von der Emotion her entspricht. Lassen Sie sich von Ihrem Spielpartner ein Feedback geben. Variieren Sie ggf. die Stimmlage und lassen Sie sich erneut von Ihrem Spielpartner ein Feedback geben. Sinn der Übung: Finden Sie die authentische Stimme Ihrer eigenen Puppe.
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Basics des Puppenspiels
Die Klappe, die Mimik und die Gestik der Puppe
„Ich habe eine große Klappe.“
Sabine: „Ja, in der Tat. Deswegen gehört Julchen ja auch zu den Klappmaulpuppen. Wegen ihrer großen Klappe.“ „Bäh.“
Zu den nonverbalen Kommunikationsmöglichkeiten einer Puppe gehören die Bewegungen des Mundes, die Mimik und die Gestik der Puppe. Die Puppe kann den Mund bewegen, sie hat ein Gesicht und sie hat Hände, um ihr Sprechen mit gestischen und mimischen Elementen zu unterstützen. Um die Puppe authentisch sprechen zu lassen, braucht sie nicht nur eine Stimme, sie braucht auch die entsprechenden synchronen Mundbewegungen zum Sprechen. Damit die Mundbewegungen dem Sprechen der Puppe anpasst sind und ein möglichst lebendiger Spieleindruck entsteht, sind einige Sachverhalte zu beachten. Der Mund sollte sich beim Sprechen der Puppe öffnen und schließen und zwar entsprechend der Lautbildung synchron. Am einfachsten kann dieses durch einen Trick erlernt werden. Lassen Sie Ihre Puppe zunächst nur in Silben sprechen, wobei für jede Silbe, der Mund eine Klappbewegung durchführt.
Sabine: „Julchen sage einmal: Guten Morgen.“
„Gu-“ (Klapp) „ten“ (Klapp) „Mor-“ (Klapp) „gen.“
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Julchen
Sabine: „Haben Sie es gesehen? Gut. Dann ist es ja klar. Ach so, das ging zu schnell? Dann also noch mal langsam.“
Jede Silbe erhält beim Sprechen eine Klappbewegung. „Gu-“ – der Mund der Puppe klappt einmal auf und zu – „ten“ – wieder klappt der Mund auf und zu – „Mor-“ eine weitere Klappbewegung „gen“, die letzte Klappbewegung. Und am Ende der letzten Silbe schließt sich der Mund wieder. Sonst würde die Puppe mit offenen Mund dasitzen und nicht sprechen. Das macht keinen guten Eindruck.
„Dann sehe ich ganz blöd aus. Und jeder kann sehen, ob ich mir die Zähne geputzt habe.“
Nach und nach steigern Sie beim Silbensprechen das Tempo. Während Sie am Anfang sehr langsam und fast abgehackt die Silben sprechen, wird sich das Sprechen der Puppe nach und nach von alleine zu einem flüssigen Sprechen wandeln. Achten Sie darauf, dass Sie den Mund der Puppe bewegen, wenn sie spricht. Wenn der Puppenmund beim Sprechen geschlossen bleibt, wird Ihre Puppe stark nuscheln.
„Mit der Klappe kann ich sogar laut und leise reden. Mache ich den Mund ganz weit auf, rede ich ganz laut. Mache ich den Mund nur ein wenig auf, dann kann ich ganz leise reden.“
Neben der Mundbewegung unterstützen mimische und gestische Elemente die Kommunikation der Puppe und geben ihr einen lebendigen Eindruck.
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Basics des Puppenspiels
Julchen ist traurig.
Julchen ist wütend.
Um diese Elemente einsetzen zu können, ist es wichtig, sich ein bestimmtes Repertoire an verschiedenen Mimik- und Gestikelementen für die Puppe zu erarbeiten. Nutzen Sie bei der Erarbeitung dieser Elemente die Puppenhand ebenso wie die Kopfhaltung der Puppe, ihre Körperhaltung, den Bezug zum Spieler und/oder die Blickrichtung der Puppe. Sie können anhand der Liste der Grundgefühle7 vorgehen: –– Freude, –– Traurigkeit, –– Wut, –– Verliebtsein, –– Angst, –– Neugierde, –– Ekel. 7 Siehe Übungsteil, „Sprechübungen“, Seite 41.
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Julchen
Julchen ist verliebt.
Traurig Julchen senkt den Kopf und hält sich die Hände vor die Augen. Sie schmiegt sich eng an mich und rückt auf meinem Oberschenkel ganz an meinen Körper. Wenn sie weint, sieht man, dass sie zittert. Und ab und zu hört man ein leises Schluchzen. Wütend Julchen hat einen direkten Blickkontakt zu ihrem Gegenüber. Sie sitzt aufrecht, sehr weit vorne auf meinem Oberschenkel und lässt ihr Gegenüber nicht aus den Augen. Sie schlägt ihrer kleinen Faust auf ihr Bein. „Pah“, hört man sie sagen. Verliebtsein Julchen hat in der Gruppe einen Mann entdeckt. Der könnte ihr Prinz sein. Sie schmiegt sich an seinen Unterschenkel, schaut intensiv und hält den Blickkontakt. Sie lässt ihren Prinzen nicht aus den Augen. Und manchmal seufzt sie ganz leise: „Ach.“
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Basics des Puppenspiels
Was liegt wohl in der Hand?
Ein Funkelstein.
ÜBUNG ZUM EMOTIONALEN SPRECHEN Übung: Die Gefühle liegen auf der Hand – Erarbeitung eines Ausdrucksrepertoires – Teamübung Setzen Sie sich mit Ihrem Spielpartner im 90 Grad Winkel zueinander auf zwei Stühle. Nehmen Sie mit der Puppe die lebendige Grundhaltung ein und setzen Sie die Puppe auf die Mitte einer Ihrer Oberschenkel. Ihr Spielpartner hat nun die Aufgabe, eine Hand als Faust vor die Brust zu halten. Dann bewegt Ihr Spielpartner die Faust langsam nach vorne in Richtung seiner eigenen Beine und streckt den Arm aus. Liegt die Faust auf seinem Bein, öffnet Ihr Spielpartner die Faust. Die Puppe hat die Aufgabe, der Faust mit ihren Augen zu folgen und in die geöffnete Faust zu schauen. Lassen Sie die Puppe darin etwas entdecken – etwas, was nur die Puppe sieht. Das kann das weiche, kleine Hamsterbaby Herminchen sein, ein rosa Gummibärchen oder ein zweimal durchgekauter alter Kaugummi. Wie reagiert Ihre Puppe auf das, was sie dort auf der Hand liegen sieht? Machen Sie sich selbst keine Gedanken dazu, was darin ist, sondern lassen Sie die Puppe reagieren. Die Puppe nutzt bei dieser Übung keine verbale Kommunikation. Sinn der Übung: Erproben Sie verschiedene gestische und mimische Ausdrücke.
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Julchen
Wer bin ich und wer bist du? – Die Rolle des Puppenspielers Der Puppenspieler hat in der Aktivierungsarbeit mit Klappmaulpuppen nur eine Nebenrolle. Er ist nur derjenige, der der Puppe seine Stimme und seine Hände leiht, damit sie agieren kann. Das ist nötig, um der Puppe möglichst viel Spielraum zu geben. Wenn die Puppe in den Vordergrund tritt, dann werden die Kommunikation und Interaktion zwischen Puppe und Gast aufgebaut. Aber wie gelingt es, den Puppenspieler, der offensichtlich wahrzunehmen ist, in den Hintergrund treten zu lassen?
Der Puppenspieler: –– –– –– –– –– –– ––
vermeidet den direkten Blickkontakt mit dem Gast, schaut auf den Hinterkopf der Puppe, verfolgt das Geschehen aus den Augenwinkeln, schweigt, gibt der Puppe seine Stimme, die anders ist, als seine eigene „normale“ Stimme, spielt die Puppe mit einem bestimmten Abstand von seinem eigenen Körper, überlässt der Puppe die Spielführung.
Die Puppe: –– –– –– –– –– ––
schaut in die Augen des Gastes, spricht mit ihrer eigenen Stimme, fragt und antwortet, bewegt sich und agiert, übernimmt die Spielführung, verdeckt den Puppenspieler.
Zudem ist es sinnvoll, dass der Puppenspieler sich unauffällig kleidet, z. B. in dunklen, grauen oder dunkelblauen Tönen, schlicht und ohne Muster. Dadurch rückt der Spieler in den optischen Hintergrund und bietet zudem der fröhlich bunten Puppe einen perfekten ruhigen Hintergrund.
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Basics des Puppenspiels
Was passiert, wenn der Puppenspieler in das Spiel einbezogen wird? Bei manchen Spielsituationen kann es sein, dass der Gast zwischen der Ebene der Puppe und der Ebene des Spielers hin- und herwechselt. Das kann darin begründet sein, dass der Gast sich nicht sicher ist, wer eigentlich zu ihm spricht. Das kann aber auch darin begründet sein, dass Sie als Spieler und Mensch hinter der Puppe wahrgenommen werden. Und weil Sie wahrgenommen werden, wird Ihnen eine Rolle in diesem Spiel zugewiesen. Die logische Rollenzuweisung ist dabei fast immer die Rolle der Puppenmama oder des Puppenpapas.
BEISPIEL: FRAU FREUNDLICH Julchen sitzt auf dem Schoß von Frau Freundlich. Frau Freundlich hat eine mittlere Demenz, ist eher extrovertiert. Sie ist fröhlich und immer zu Späßen aufgelegt. Frau Freundlich hat zwei Töchter, zu denen sie einen guten Kontakt hat und die sie regelmäßig besuchen. Julchen: „Ich bin schon so alt.“ (Julchen hält Frau Freundlich fünf ausgestreckte Finger hin.) Frau Freundlich: (schaut nicht auf die Puppenfinger, sondern schaut mich an): „Au fein.“ Julchen (Julchen stellt sich auf Frau Freundlichs Schoß): „Hallo, hier bin ich. Schau mal, so alt bin ich schon.“ Frau Freundlich (schaut zu Julchen). Julchen (zählt an ihren Puppenfingern): „Eins – Zwei – Drei – Vier – Fünf.“ Frau Freundlich lächelt Julchen an: „Fein hast du das gemacht.“ (Dann schaut sie mich an): „Sie werden so schnell groß, nicht wahr?“ Damit hat Frau Freundlich mich für einen Moment ins Spiel geholt. Doch bleibt der Spielfaden nicht bei mir. Die Puppe soll möglichst schnell selbst wieder den Spielfaden zurückbekommen. Doch ignorieren kann ich Frau Freundlichs Frage nicht.
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Sabine: „Da haben Sie recht.“ Julchen: „Ich bin schon so groß. Ich komme in die Schule.“ Frau Freundlich (beugt sich zu Julchen runter): „Freust du dich?“ Und das Spiel findet wieder zwischen Julchen und Frau Freundlich statt.
Anhand dieses kleinen Beispiels erkennen Sie, dass es in der Aktivierungsarbeit darum geht, der Puppe den Spielfaden zu geben. Ich greife als Puppenspieler in den seltensten Fällen ein. Das hört sich meistens schwieriger an, als es ist. In der Praxis hat es oft damit zu tun, in wie weit ich in der Lage bin, darauf zu vertrauen, dass die Puppe jede Situation meistern kann. Es geht darum, dass sich ein Puppenspieler freispielen darf, wie Olaf Möller, Puppenspieler, Spiel- und Theaterpädagoge es formuliert. 8 „Spiele mit dem, was da ist.“ Das war für mich der wichtigste Satz, den ich beim Puppenspielworkshop von Olaf Möller9 gelernt habe. „Spiele mit dem, was da ist“ – bedeutet, der Puppe die Spielführung zu überlassen. In meiner langjährigen Ausbildungspraxis ist die Erkenntnis, dass die Puppe die Spielführung übernimmt, für viele angehende Puppenspieler ein Aha-Erlebnis. Oftmals haben die Alltagsbegleiter, die ich ausbilde, bereits einmal eine Klappmaulpuppe ausprobiert. Doch oft haben sie erlebt, dass die Puppe nicht wahrgenommen wird. Durch die Spielführung der Puppe entsteht eine große Spielfreiheit für den Spieler selbst. Den meisten angehenden Puppenspielern wird in diesem Zusammenhang klar, woran es gelegen haben könnte, dass die Puppe nicht so angenommen wurde, wie der Spieler es sich gewünscht hatte: Die Puppe braucht in dieser Aktivierungsmethode mehr Platz. Sie ist die Hauptperson. Sie hat alle Fäden in der Hand. Das macht es zum einen schwierig, weil man sich selbst als Spieler zurücknehmen muss. Zum anderen macht es die Arbeit einfach, denn sie wächst aus sich selbst heraus. Wie eine solche Spielführung durch die Puppe aussehen kann, dazu ein Beispiel. 8 Vgl. Möller, Olaf: Große Handpuppen ins Spiel bringen, Ökotopia Verlag, S. 61 9 Bei Olaf Möller habe ich einen Zweitagesworkshop zum Spiel mit den großen Handpuppen erlebt. Ich habe dort viel gelernt.
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Es kommt immer mal wieder vor, dass der Puppe nicht einfällt, was sie noch sagen kann. Also verhält sich Julchen entsprechend.
BEISPIEL: HERR RAT Julchen und Herr Rat sitzen im Wintergarten. Julchen ist bei Herrn Rat auf den Schoss geklettert und beide schauen zum Fenster raus und schweigen. Julchen: „Mir fällt überhaupt nichts ein. Ich weiß jetzt gar nicht, was ich sagen soll.“ Herr Rat: „Das kenne ich.“ Julchen: „Was machst du denn dann?“ Herr Rat (lacht): „Däumchen drehen.“ (Er dreht seine Daumen.) Julchen: „Dann drehe ich Blumen.“ (Julchen dreht die kleine Blume an ihrem Schuh.) Beide lachen. Julchen: „Ich mag Blumen.“ Herr Rat: „Ich hatte einen großen Garten.“ Und so geht das Spiel weiter.
Doch die Spielfreiheit hat auch Grenzen. Im Gegensatz zu der Spielfreiheit gegenüber orientierten Menschen, die über Grenzen hinausgeht, sie ja zum Teil sogar bewusst missachtet, hat das Spiel mit und für Menschen mit Demenz Grenzen. Im Spiel mit orientierten Menschen führt eine Missachtung der Grenzen oft zu fantastischen, kreativen und skurrilen Situationen, an denen alle Beteiligten Freude haben. Anders ist das Spiel mit Menschen mit Demenz. Hier ist die Gefahr offensichtlich, dass bei Missachtung der Grenzen negative Erinnerungen und Gefühle geweckt werden können, welche die Betroffenen aufgrund ihrer Krankheit kaum oder schlimms-
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tenfalls gar nicht äußern, reflektieren und/oder verarbeiten können. Das schränkt die Spielfreiheit der Puppe im Spiel mit Menschen mit Demenz ein. Sicherlich ist es nicht möglich, sämtliche negativen biografischen Erfahrungen und Erinnerungen der Gäste auszuschließen, aber der Puppenspieler muss achtsam mit seiner Puppe bei Themen sein, die solche negativen Erinnerungen und Erfahrungen auslösen könnten. Auch hierzu ein Beispiel. Es handelt sich um ein fiktives Beispiel und nicht wie bei den anderen um ein Beispiel aus meiner eigenen Spielpraxis.
BEISPIEL: HERR GROSS Herr Groß war im Zweiten Weltkrieg in der Wehrmacht als Infanteriesoldat im Russlandfeldzug. Ein Granatentreffer hat sein rechtes Bein zerfetzt. Es musste amputiert werden. Herr Groß hat nur mit knapper Not überlebt und ist danach in russische Gefangenschaft gekommen. Erst in den 50er-Jahren konnte er heimkehren. Er hat noch heute mit 94 Jahren Phantomschmerzen und sitzt im Rollstuhl. Julchen: „Hallo, ich bin Julchen. Und wer bist du?“ Herr Groß: „Guten Tag, ich bin Walter.“ Julchen: „Walter, du hast ja nur ein Bein. Schau mal, ich habe zwei Beine. Warum hast du nur ein Bein? Dann kannst du ja gar nicht Fußball spielen mit mir.“ Herr Groß schweigt und wendet sich ab. Betrachtet man das Beispiel aus Sicht eines fünfjährigen Mädchens, das Julchen als Puppe darstellt, ist das sicherlich keine rein hypothetische Situation. Kinder fragen oft geradeheraus das, was sie wissen wollen. Und es kann durchaus sein, dass ein Kind wissen will, warum Herr Groß nur ein Bein hat. In dieser Situation handelt Julchen aber nicht wie ein Kind, sondern wie eine Puppe unter meiner Führung. Deswegen lesen Sie bitte das korrigierte Beispiel.
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Julchen: „Hallo, ich bin Julchen. Und wer bist du? Herr Groß: „Guten Tag, ich bin Walter.“ Julchen: „Darf ich mal auf deinen Schoß?“ Herr Groß: „Aber sicher.“ Julchen klettert vorsichtig auf das gesunde Bein. Julchen: „Von hier aus kann ich ja alles sehen. Oh, das gefällt mir.“ Julchen wird auf das amputierte Bein in diesem konstruierten Fall niemals von alleine eingehen. Sollte Herr Groß von alleine darüber sprechen wollen, stellt sich der Fall natürlich noch anders dar. Dann darf die Puppe in einem gewissen Rahmen das Thema ausführen. Die Puppe kann dann das Thema nicht mehr ignorieren.
MERKSATZ Die kleinen, fröhlichen Puppenkinder dürfen manchmal über die Stränge schlagen, sie dürfen altklug sein und fordernd, aber sie dürfen niemals verletzen!
Spielübungen Die folgenden Übungen, die Sie mit Freunden oder Vertrauten durchführen oder auch für sich selbst gestalten können, sollen Ihnen helfen, die ersten Spielschritte zu machen und sich frei zu spielen. Wenn Sie selbst Freude am Spiel haben, dann ist sicherlich der Funke nicht nur bei Ihnen, sondern auch bei Ihrem Gegenüber übergesprungen.
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ÜBUNG ZUR SPIELFREIHEIT Stell dir vor, was mein Hamster gestern gemacht hat – eine Spielgeschichte erfinden – Teamübung Setzen Sie sich mit Ihrem Spielpartner zusammen. Nehmen Sie Ihre Puppe in der lebendigen Grundhaltung auf den Schoß. Ihre Puppe hat die Aufgabe, zu erzählen, was gestern der Hamster gemacht hat. Mehr gibt diese Übung nicht vor. Sie gibt nur den ersten Impuls, um zu erzählen. Lassen Sie dem Spiel Ihrer Puppe freien Lauf. Reflektieren Sie mit Ihrem Spielpartner, was Sie zu dritt erlebt haben. Sinn der Übung: Erleben Sie Ihre Fantasie. Übung: Geschichtenkarussell – schnelle Spielimprovisation – Teamübung Für diese Übung brauchen Sie einen Spielpartner, der Ihnen Impulse für das Spiel gibt. Sie können Ihrem Spielpartner die freie Wahl lassen und/oder Sie nutzen die Impulsliste der Übung. Der Spielpartner entscheidet selbst, wann er einen neuen Impuls für die Puppe nennt. Die Puppe hat die Aufgabe, umgehend zu reagieren. Die Puppe kann jederzeit den Spielpartner mit in das Spiel ziehen, es kann aber auch ein Puppenmonolog werden.
Pelle und Lottchen haben etwas Spannendes entdeckt.
Die Ausgangsituation ist wieder die lebendige Grundhaltung im Sitzen. Der Spielpartner kann Ihnen gegenüber oder auch neben Ihnen sitzen.
Pelle ist entrüstet. Die Keksschachtel auf der Hand ist leer.
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ÜBUNG Impulsliste: • Die Puppe erwacht und hatte in der Nacht einen unmöglichen Traum. • Die Puppe erzählt ihrem besten Freund den Traum. • Die Puppe glaubt, je mehr sie erzählt, desto mehr daran, dass das alles kein Traum war, sondern wirklich geschehen ist. • Die Puppe merkt, dass ihr bester Freund ihr nicht glaubt. • Die Puppe wird traurig, weil ihr nicht geglaubt wird. • Die Puppe wird wütend und will die Freundschaft beenden. • Die Puppe wird richtig zornig, packt ihr Bündel und geht unter Tränen und Wutausbrüchen fort. • Die Puppe kommt auf eine einsame Insel. • Die Puppe fühlt sich so alleine. • Die Puppe wünscht sich den besten Freund zu sich her. • Die Puppe sieht einen fliegenden Teppich mit mit dem besten Freund. • Die Puppe versöhnt sich mit dem besten Freund. • Die Puppe sieht am Abend mit dem besten Freund den Sternenhimmel. • Die Puppe sieht eine Sternschnuppe und wünscht sich was. • Die Puppe erwacht aus einem schönen Traum. Sinn der Übung: Entdecken Sie, dass sich das Spiel durch das schnelle Umsetzen der Impulse verselbstständigt. Sie können die Übung auch variieren, in dem Sie keinen menschlichen Spielpartner wählen, sondern eine zweite Puppe, die von Ihrem Spielpartner gespielt wird.
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Die Qual der Wahl.
Die Qual der Wahl – Welche Puppe gehört zu mir? Die Grundvoraussetzung für ein gelungenes Puppenspiel ist, dass der Spieler sich mit seiner Puppe identifiziert und wohlfühlt. Es ist wichtig, seine eigene Puppe zu finden. Da es aber die Klappmaulpuppen in vielen Ausgestaltungen und Größen gibt, ist die Wahl nicht so einfach. Zudem können Klappmaulpuppen von verschiedenen Herstellern erworben werden. Bekannte Hersteller sind: –– Folkmanis, –– Kumquats, –– Living Puppets10. Es gibt auch kleinere Herstellerfirmen, die Puppen auf Wunsch anfertigen. Diese Puppen sind hauptsächlich für professionelle Puppenspieler gedacht. Doch wie findet der Spieler nur SEINE Puppe? 10 Im Literaturverzeichnis finden Sie auch die Bezugquellen für Klappmaulpuppen.
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Puppen in drei Größen.
Sie erinnern sich sicherlich noch an Emmas Geschichte vom Beginn des Buches. Als ich damals in das Geschäft ging, um eine Puppe zu kaufen und sah, wie viele verschiedene Puppen dort in den Regalen saßen, dachte ich: „So viele? Welche soll ich nur nehmen?“ „Hallo du! Ich bin Emma. Holst du mich runter? Mir ist so langweilig“, sagte Emma damals. Erst habe ich mich gefragt, ob ich verrückt geworden bin und unsichtbare Stimmen höre. Nein, das war es sicherlich nicht. Aber ich hatte augenblicklich, als ich die Puppe
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sah, mit ihrer Puppenstimme gedacht. Wäre das nicht passiert, hätte ich Emma wohl nicht vom Regal runtergenommen und schon gar nicht mit nach Hause genommen. So aber war mir klar, dass ich mit Emma werde spielen können.
Puppengrößen In der praktischen Anwendung zeigte sich bald, dass Emma für mich zu groß war. Emma gehört zu den großen Klappmaulpuppen und ist ca. 60 cm hoch. Wie ich an anderer Stelle schon angemerkt habe, ich bin selbst nicht gerade groß. Setze ich nun Emma auf meinen Schoß, so reicht sie mir bis zum Kinn. Ich kann so zwar wunderbar hinter die Puppe in den Hintergrund treten, habe aber dadurch auch viel weniger Möglichkeiten, aus den Augenwinkeln die Spielsituation zu beobachten. So kam die Idee, das Spiel mit einer kleineren Puppe auszuprobieren und ich fand Julchen. Julchen ist ca. 40 cm groß und gehört zu den mittelgroßen Puppen. Bei Julchen trat der gleiche Effekt wie bei Emma ein. Sobald ich die Puppe sah, quatschte sie los. Meine Hände rutschten in Julchens Puppenkopf nicht so hin und her wie in Emmas Kopf. Julchen kletterte auch gleich auf meinen Schoß. Als ich beim Spiel auf Julchens Hinterkopf blickte, konnte ich ihre Nasenspitze noch sehen. Sie passt in der Größe viel besser zu mir. Die meisten Puppenmodelle gibt es mindestens in zwei, wenn nicht sogar in drei verschiedenen Größen. Die Größen der Puppen liegen um 60 cm, um 40 cm oder um 30 cm. Mit der Höhe der Puppe variieren aber auch Kopfumfang und Puppenhandgröße und damit natürlich auch die Einstiege für die Spielerhände. Die kleinsten Puppen (um die 30 cm Höhe) haben manchmal Hände, die nicht bespielbar sind. Das sollte man bedenken, wenn man eine Puppe auswählt. Denn ohne bespielbare Hände sind die Puppen für diese Art der Aktivierung nicht geeignet.
Puppengeschlecht Es gibt Puppenmädchen und Puppenjungen. Für Frauen ist es weniger schwierig, beide Geschlechter zu spielen, da Kinderstimmen, egal ob Junge oder Mädchen, ähnlich hoch sind. Für Männer ist es sicherlich weniger leicht, ein Mädchen zu spielen.
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BEISPIEL: PUPPENPAPA Im Verlauf des Puppenspielprojektes im Seniorenheim Haus Dorette in Osnabrück11 hatte ich zwei Puppen dabei. Julchen, mein Puppenmädchen, und Timmi, ihren kleinen Bruder. Im Laufe des Projektes habe ich die Alltagsbegleiter der Einrichtung im Puppenspiel ausgebildet. Darunter war auch ein Mann. Zu Beginn des Projektes schauten mir die Alltagsbegleiter zunächst bei der Aktivierung über die Schulter. Zeitgleich wurden alle Alltagsbegleiter von mir geschult und übernahmen sukzessive die Aktivierungsarbeit selbst. Bei einer Aktivierungseinheit mit einer Kleingruppe von fünf Damen spielte ich zunächst selbst Julchen und leitete über, so dass der Alltagsbegleiter das Spiel übernehmen konnte. Ich hatte damit gerechnet, dass der Begleiter nach Timmi griff – ist dies doch Julchens kleiner Bruder. Aber der Begleiter nahm das Puppenmädchen Julchen und führte mein angefangenes Spiel weiter. Er sprach das kleine Mädchen mit hoher Stimme. Für einen Moment waren alle fünf Damen sehr verdutzt. Dann lachten alle fünf zeitgleich schallend. „Heute, Julchen, hast du wohl deinen Papa mitgebracht!“, sagte eine Dame lachend.
Für die Gäste ist es eher nebensächlich, ob es sich im Spiel um ein Puppenmädchen oder um einen Puppenjungen handelt. Beide Geschlechter sprechen zunächst einmal die Beschützerrolle im Gast an. Sicherlich bietet ein Puppenjunge ganz andere Spielthemen als ein Puppenmädchen.
„Timmi, mein kleiner Bruder, will Fußballer werden. Dabei ist er doch noch kleiner als ein Fußball. Ich aber werde Prinzessin mit rosa Kleid und rosa Pferd.“
11 Im nächsten Buchteil werden Sie über das Projekt „Julchen kommt zu Besuch“ im Seniorenheim Haus Dorette in Osnabrück noch mehr erfahren, denn in diesem Projekt habe ich verschiedene Aktivierungseinheiten entwickelt, die ich Ihnen vorstellen möchte.
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In der Praxis macht es Sinn, auf beide Puppengeschlechter zugreifen zu können, also zwei Puppen zur Auswahl zu haben. Diese werden der Situation entsprechend eingesetzt. Es ist übrigens nicht die Regel, dass Herren eher mit Puppenjungen Kontakt aufnehmen und die Damen eher mit den Puppenmädchen. Für beide Geschlechter ist der Zugang zu beiden Puppengeschlechtern gleich gut. Auch Männer finden zu den Klappmaulpuppen einen Zugang. Das liegt an dem folgenden Zusammenhang. Frauen haben höchstwahrscheinlich zwei Lebensbereiche in ihrem Leben erlebt, die in Verbindung mit den Puppenkindern stehen. Der größte Teil der Frauen hat in der Kindheit mit Puppen gespielt. Und der größte Teil der Frauen hat im Leben Kontakt zu Kindern gehabt: eigene Kinder, Enkelkinder, Nichten und Neffen, kleinere Geschwister oder im Beruf. Männer haben höchstwahrscheinlich nur einen Lebensbereich in ihrem Leben erlebt, der in Verbindung mit den Puppenkindern steht. Das ist die Erfahrung mit Kindern: eigene Kinder, Enkelkinder, Nichten und Neffen, kleinere Geschwister oder im Beruf. Es ist eher unwahrscheinlich, dass Männer mit Puppen gespielt haben. Das bedeutet, sowohl Frauen als auch Männer lassen sich höchstwahrscheinlich über die Beschützerrolle, Mutter- und Vaterrolle, in das Spiel mit den Puppenkindern einbeziehen. Frauen lassen sich zusätzlich über ihre Erinnerungen an das eigene Puppenspiel ihrer Kindheit in das aktuelle Spielgeschehen einbeziehen.
Themenpuppen Die Auswahl in der Ausgestaltung der Puppen ist sehr vielfältig. Neben Puppenmädchen und Puppenjungen gibt es Oma und Opa, Krankenschwester, Pastor, Clown und Hexen, Feuerwehrmänner und Feen, die ebenfalls als Klappmaulpuppen einsetzbar sind. Diese Themenpuppen sind für die Aktivierungsarbeit wesentlich weniger geeignet als die Puppenmädchen und Puppenjungen, denn sie haben einen kleineren Spielradius.
BEISPIELE: THEMENPUPPEN Eine Clownspuppe wird eingesetzt. Dieser Puppe ist von Anfang an ein Thema vorgegeben. Egal, was diese Puppe macht, sie ist ein Clown und wird immer ein Clown bleiben. Ein Clown kann lustig
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sein, er kann traurig sein, er kann verliebt sein, er kann dumm sein, aber er kann nicht so wie ein Kind ernst genommen werden. Selbst dabei bleibt er ein Clown. Julchen kann sich eine rote Clownsnase aufsetzen und sagen: „Ich bin jetzt ein Clown“. Dann setzt sich Julchen die rote Nase wieder ab und ist wieder Julchen, das Puppenkind. Eine Kinderpuppe hat einen größeren Spielradius. Die Puppe Feuerwehrmann wird eingesetzt. Auch hier ist von Anfang an das Thema des Spiels vorgegeben. Die Puppe, die wie ein Feuerwehrmann aussieht, wird nicht authentisch sagen können, dass sie nicht weiß, wie sie das Feuer löschen muss, wenn sie doch Leben retten soll. Es wäre unlogisch, einen Feuerwehrmann zu spielen, der kein Retter ist. (Bitte beachten Sie, hier geht es um die Aktivierung von Menschen mit Demenz! Nicht um die Aktivierung von orientierten Menschen, die sicherlich Spaß an einem Feuerwehrmann hätten, der nicht weiß, wie das Feuer löschen geht.) Die Rolle eines Feuerwehrmannes ist für die Gäste mit Erfahrungen und Erinnerungen verknüpft, z. B. Krankentransport, Krankenhaus etc. Es können negative Erinnerungen durch die Puppe als Feuerwehrmann wachgerufen werden. Es können Abwehrhaltungen provoziert werden, weil Ängste und Unsicherheiten ausgelöst werden. Eine Kinderpuppe hat ein wesentlich geringeres Risiko mit ihrem kindlichen, fröhlichen Aussehen, negative Erinnerungen und Erfahrungen zu wecken. Ein Kind ist klein und hilflos. Es ist ungefährlich. Ich als Erwachsener werde immer stärker sein als die Puppe, das Kind. Außerdem kann Julchen sich jederzeit einen Feuerwehrhelm aufsetzen und Feuerwehrmännin spielen. Wer hat das als Kind nicht auch mal getan. Doch dann ist Julchen wie Julchen, das Puppenkind. Auch Männer mögen das Spiel mit der Puppe.
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Eine Kinderpuppe hat also nicht nur einen größeren Spielradius, sondern sie ist auch „ungefährlicher.“
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Eine weitere Themenpuppe soll detaillierter vorgestellt werden. Das ist der Opa. Das Einsetzen von Opa ist oftmals für viele Alltagsbegleiter ein logischer Schritt, denn die Puppe „Opa“ entspricht dem Erfahrungshorizont der Gäste und kann somit eine Identifikation ermöglichen. Aber das gelingt nur vordergründig. Gehen wir zur genaueren Betrachtung dieser Situation noch einmal einen Schritt zurück. In der Begleitung von Menschen mit Demenz ist es das Ziel, ihnen Kompetenz, Fertigkeiten und Fähigkeiten zurückzugeben, die scheinbar verloren gegangen sind, und sei es nur für einen Augenblick, um Selbstbewusstsein, Selbstwirksamkeit und Zufriedenheit zu stärken. Deswegen begegnen wir ihnen auf Augenhöhe. Sie haben für uns den gleichen Status.
MERKSATZ Als Status bezeichnen wir das Machtgefälle in der Beziehung zwischen zwei Rollen. In der Theaterarbeit wird der Status einer Rolle von dem sozialen Status unterschieden. Der Status der Rolle ist unabhängig von dem sozialen Status.12 „Eigentlich müsse ich von Dominanz und Unterwerfung sprechen.“13 Es gibt einen Hochstatus, d. h. Macht, Dominanz, Herrschaft, Aufrichtung, Beschützer. Es gibt einen Tiefstatus, d. h. Unterordnung, Unterwerfung, Machtlosigkeit, Gebückt-Sein, Hilflosigkeit.
Ein Puppenkind kommt in die Spielsituation. Eine Puppe, die wie ein Kind aussieht. Sie hat eindeutig einen niedrigeren Status, befindet sich im Tiefstatus, gegenüber dem Gast, dem Erwachsenen. Das Puppenkind ist hilflos. Es will beschützt werden, es ist klein und vor allem ist es ungefährlich. Gehe ich von diesen unterschiedlichen Statusformaten in der Beziehung zu den Gästen aus, die erwachsene Menschen sind, bleibt der Gast im Spiel mit einem Puppenkind immer in der höheren Statusposition, im Hochstatus, er übt Macht aus, er ist der Beschützer. 12 Vgl. Johnstone, Keith: Improvisation und Theater, Alexander Verlag Berlin, S. 57 ff. 13 Johnstone, Keith, ebenda S. 57
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Basics des Puppenspiels
Im Laufe der Demenz verlieren die Betroffenen Fertigkeiten, Fähigkeiten und Wissen. Sie rutschen in ihre Erinnerungswelten zurück bis in die Kindheit. In dem Zusammentreffen mit einem Puppenkind kann es dann sein, dass beide auf annähernd gleich hohen Statuspositionen angekommen sind. Kehren wir nun zur Puppe „Opa“ zurück. Opa kommt als ein zu klein geratener, alter Mann mit buschigen Augenbraunen, Brille und Gehstock in die Spielsituation. Er ist wie ein Spiegel und spiegelt den Gast in seinem gegenwärtigen Lebensalter. Ist der Gast in diesem Spiel orientiert, kann es zu wunderbaren, lustigen und skurrilen Spielsituationen kommen. Ist der Gast aber an Demenz erkrankt, verliert seine Kompetenzen, seine Selbstständigkeit, seine Selbstsicherheit, steht ihm im Spiel eine Puppe gegenüber, die einen höheren Status hat, als er selbst. Der Puppen-Opa verdient Respekt und Unterordnung. Der Puppen-Opa ist dann in der Machtposition und der Gast, der Mensch mit Demenz, in einer schwächeren, untergeordneten Position. Damit kippt das Spiel, dessen Hauptziel die Stärkung des Menschen mit Demenz ist. Es kann zu einer Verweigerungshaltung von Seiten des Gastes kommen und/oder zur Auslösung negativer Erinnerungen mit Autoritätspersonen. Hier kann auch die Gefahr entstehen, dass sich die Gäste eher für „dumm verkauft fühlen“, sie fühlen sich zu Kindern gemacht, die von einem Puppen-Opa an die Hand genommen werden. Unter den Klappmaulpuppen gibt es auch Tierpuppen. Zum Beispiel die Hündin Roswitha. Roswitha ist kuschelig, man sieht bei ihr manchmal nicht, wo hinten und vorne ist und sie hat eine lange rosa Zunge. Roswitha lädt zum Kuscheln ein, wenn sie auf meinem Arm sitzt. Aber Roswitha ist ein Hund. Ein Hund kann nicht authentisch agieren, indem er den Gast bittet, mit ihm ein Lied zu singen. Für orientierte Menschen würden sich herrlich skurrile Spielsituationen ergeben, für Menschen mit Demenz ergeben sich so eher unverständliche Situationen. Zudem können bei den meisten Tierfiguren nur das Maul, nicht aber die Pfoten bespielt werden. Damit ist die Hündin Roswitha in ihren Einsatzmöglichkeiten beschränkt und nicht authentisch.
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Romeo und Julia fällt heute aus – Die Puppenbiografie In der Aktivierungsarbeit mit Klappmaulpuppen gibt es kein festes Theaterstück, keine feststehenden Dialoge, Abläufe oder Regieanweisungen. Die Aktivierungsarbeit beruht auf einer Spielimprovisation, in der die Impulse von der Puppe aufgegriffen werden, die der Gast im Spiel anbietet. Das hat den großen Vorteil: Der Spieler muss keinen Text auswendig lernen. Der Nachteil: Der Spieler muss sich auf seine eigene Improvisationsfähigkeit, seine Kreativität und Spontanität verlassen. Am Anfang ist es nicht so einfach, diese Hemmschwelle des Nicht-Wissens zu überwinden. Es braucht ein wenig Mut, aber die kleinen Helfer helfen uns Spielern im freien Spiel. Im Grunde spielen die Puppen sich selbst und nicht wir als Spieler. Wir leihen den Puppen nur unsere Hände und unsere Stimme. Den Rest macht die Puppe selbst, siehe dazu auch das Kapitel „Die Rolle des Puppenspielers“, Seite 49. Als Basis für die Spielimprovisation ist es sinnvoll, der Puppe eine eigene Biografie zu geben, um daraus Geschichten, Spielszenen und Gesprächsimpulse ableiten zu können. Dabei werden die wichtigsten Informationen aus der Biografie der Puppe zusammengestellt: –– Name, –– Alter, –– Herkunft und Zuhause, –– Familie, Geschwister, Freunde, –– Vorlieben, –– Abneigungen, –– Hobbies, –– Lieblingssachen: Lieblingsfarbe, Lieblingstier, Lieblingsfußballverein, –– Berufswunsch, –– Haustier. Diese Informationen sollten Sie schriftlich festhalten. Im Folgenden finden Sie zu den einzelnen Aspekten der Puppenbiografie Anregungen. Besonders wichtig wird die Puppenbiografie, wenn mehrere Spieler mit einer Puppe spielen. Wenn sich die Spieler auf puppenbiografische Rahmeninformationen einigen, erhöht das die Möglichkeit, authentisch die immer gleiche Puppe zu
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spielen. Das erhöht den Wiedererkennungswert der Puppe für die Gäste, unabhängig vom Spieler.
Der Puppenname Jede Puppe braucht ihren Namen. Bitte wählen Sie einen Namen für die Puppe unter nachfolgenden Gesichtspunkten aus: 1. Der Name sollte Ihnen selbst gefallen. 2. Der Name sollte einfach, kurz und leicht auszusprechen sein. 3. Der Name sollte dem Erfahrungshorizont der Gäste entsprechen, z. B. Julia – Julchen, Max – Mäxchen, Helene – Lenchen. Weniger gut sind Namen geeignet, die aus anderen Sprachkulturen stammen, Doppelnamen, komplizierte Namen oder Fantasienamen, wie „Regenbogenschlawinchen“. Manche Puppen werden von mehreren Spielern abwechselt gespielt, s. o., die Puppe sollte dabei immer den gleichen Namen haben. „Ich heiße Julchen. Eigentlich heiße ich ja Julia. Aber das sagt die Mama nur, wenn sie böse auf mich ist und ich etwas ausgefressen habe. Die Oma sagt immer „Schätzchen“ zu mir. Das mag ich auch gerne.“
Das Alter Sobald Sie der Puppe ein Alter geben, legen Sie eine Vielzahl verschiedener Geschichten fest. Ein Kind im Kindergartenalter wird Ihnen etwas anderes zu berichten haben als ein Kind im Grundschulalter. Ein Kind im Kindergarten wird erzählen vom Sandkastenspiel, von Bauklötzen und von der Erzieherin, die tolle Geschichten erzählen kann. Ein Kind in der 2. Grundschulklasse wird erzählen vom Diktat, von Rechenaufgaben und vom Spielen auf dem Pausenhof.
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Julchen
„Ich bin schon fünf Jahre alt und komme im nächsten Jahr zur Schule. Jetzt gehe ich aber noch in den Kindergarten. Dort gibt es eine Puppenecke. Da spiele ich am liebsten Prinzessin.“
Herkunft und Zuhause Stellen Sie sich das Zuhause der Puppe vor. Wohnt die Puppe in einem Einfamilienhaus am Stadtrand? Auf dem Bauernhof im klei- Julchen will unbedingt Prinzessin nen Kuhdorf oder in der 14 ½ Etage des werden. Es fehlt nur noch der Prinz. Hochhauses in der Großstadt? Das Zuhause der Puppe lässt eine große Auswahl neuer Geschichten entstehen. Ein Kind, das auf dem Bauernhof lebt, wird erzählen, dass die Katze Junge bekommen hat. Ein Kind, das im Hochhaus lebt, wird vom Müllschlucker erzählen, der auf allen Etagen ist und in den man einfach den Müll reinwerfen kann. Wenn Sie das Zuhause der Puppe festlegen, denken Sie noch einmal an Ihre Gäste. Woher kommen diese? Oftmals macht es Sinn, ähnliche Heimatszenarien für die Puppe zu entwerfen, wie sie Ihre Gäste erlebt haben. Leben bei Ihnen in der Einrichtung viele Gäste, die auf dem Land gelebt haben, macht es Sinn, dass die Puppe auch auf dem Bauernhof lebt oder zu mindestens die Lieblingsoma Isolde einen Bauernhof hat.
Familie, Geschwister, Freunde Wichtiges Hintergrundwissen für das Improvisationsspiel sind Gedanken zur Puppenfamilie. Sie werden erstaunt sein, wie schnell Ihnen die Gäste als Spieler die Rolle der Eltern, Mutter oder Vater geben. Das ist für die Spielsituation folgerichtig. In den meisten Fällen erkennen die Gäste, dass ihnen eine Puppe gegenübersitzt. Sie erkennen, dass Sie die Puppe mitgebracht haben. Ein Puppenkind. Dann muss derjenige, der sie trägt und führt, die „Puppenmutter“ oder der „Puppenvater“ sein. Das ist folgerichtig. Folgerichtig ist für die Gäste aber auch die Frage nach den anderen Familienangehörigen.
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Basics des Puppenspiels
BEISPIEL: HERR BAHN Herr Bahn: „Julchen, wo ist denn dein Papa?“ Julchen: „Der ist arbeiten.“ Herr Bahn: „Was arbeitet denn dein Papa?“ Julchen: „Briefe stempeln.“ Herr Bahn: „Ach, dein Papa ist bei der Post? Ich war auch bei der Post.“
Sie sollten sich auch ein paar Gedanken darüber machen, wo die Großeltern der Puppe wohnen, und ob die Puppe Geschwister hat. Sollten Sie in der Einrichtung mehrere Puppen haben, wäre es sinnvoll zu überlegen, wie die Puppen zueinanderstehen: Sind es Geschwister oder Freunde? So lassen sich auch schnell Spielsituationen mit zwei Puppen improvisieren.
„Das ist Timmi. Das ist mein kleiner Bruder. Der ist voll blöd. Der ist ja erst vier.“
„Das ist gemein. Nur weil ich kleiner bin.“
„Winzling!“ „Blödmann!“
„Stimmt nicht. Ich bin eine Frau!“ „Dann eben Blödfrau!“
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Julchen
Und das ist mein kleiner Bruder Timmi.
Vorlieben, Abneigungen, Hobbies, Lieblingssachen Das ist der Bereich der Puppenbiografie, der sich immer wieder verändert, so wie es bei Kindern im wahren Leben ist. Mal möchten sie dieses, dann möchten sie wieder jenes. Mal mögen sie Spaghetti mit Tomatensoße, dann lieber Leberwurstbrot mit Sirup drauf. Hier ist der Spielspaß schon vorprogrammiert und bietet viele Spielmöglichkeiten.
BEISPIEL: FRAU MAUS Frau Maus hat eine mittlere Demenz. Sie verliert in Gesprächen oft den Faden und kann sie nicht zu Ende führen. Julchen sitzt bei Frau Maus auf dem Schoß. Julchen: „Weißt du, was mein Lieblingstier ist?“ Frau Maus: „Nein.“ Julchen: „Ein Elefant.“ Frau Maus: „Der ist groß.“ Julchen: „Der hat große Elefantenohren.“
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Frau Maus: „Heute scheint die Sonne.“ Julchen: „Elefanten gibt es im Zoo.“ Frau Maus: „Der hat große Ohren.“ Julchen: „Hast du auch so große Ohren?“ Frau Maus (lacht): „Ich hoffe nicht.“ Julchen: „Soll ich mal nachsehen?“ Frau Maus: „Heute scheint die Sonne.“ Julchen: „Gehen wir in den Zoo?“ Frau Maus: „Mal sehen.“ Julchen: „Wenn die Sonne scheint?“ Beide schauen aus dem Fenster. Beide: „Es regnet.“ Frau Maus: „Dann müssen wir warten.“
Berufswunsch Wie jedes Kind haben auch die kleinen Puppen einen Wunsch, was sie einmal machen wollen, wenn sie groß sind. Und wie bei jedem Kind ist es auch bei den Puppenkindern manchmal ein sehr ungewöhnlicher Berufswunsch.
BEISPIEL: FRAU ZAHL Frau Zahl hat eine mittlere Demenz und starke Wortfindungsstörungen. Sie arbeitete als Buchhalterin in leitender Position. Sie ist gebildet und kultiviert. Sie hat sich stets eloquent ausgedrückt. Nun sind ihr in der Demenz die Worte verloren gegangen. Sie leidet sehr darunter. Oft ist sie traurig und schweigt. Julchen sitzt auf dem Tisch in Blickhöhe und schaut Frau Zahl an. Julchen: „Ich will Prinzessin werden.“ Frau Zahl: „Ich. Ich. Gut.“ Julchen: „Was willst du werden, wenn du groß bist?“
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Julchen
Frau Zahl: „Ich. Ich.“ Julchen: „Bist du denn auch was geworden?“ Frau Zahl: „Ja. Sicher.“ Julchen: „Was denn?“ Frau Zahl: „Da sind Zahlen. Auf der einen und auf der anderen Seite. Die habe ich gerechnet. Dann wusste ich, was herauskam.“
Frau Zahl hat in diesem Beispiel versucht, mit einfachen Worten dem kleinen Puppenmädchen zu erklären, was Buchhaltung ist. Mit Fachbegriffen brauchte sie einem Puppenmädchen den Beruf der Buchhalterin nicht zu erklären, das hätte ein Kind nicht verstanden. Sie nutzte einfache Worte und kurze Sätze, damit das Kind sie verstehen konnte. Und sie strahlte dabei über das ganze Gesicht. Über die Frage nach dem Beruf gelangen wir in der Puppenaktivierung in den wichtigen Bereich der Biografiearbeit.
„Ich will Delphindompteur werden.“
„Timmi ist doch erst vier. Der weiß gar nicht, was das ist.“
„Klar, weiß ich das.“ „Winzling.“ „Blödfrau.“
Sabine: „Ruhe, ihr beiden. Streitet euch nicht immer, was sollen denn die Leser denken?“
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Basics des Puppenspiels
Haustier Haustiere sind uns oft ans Herz gewachsen, sie sind wichtig für uns, erfüllen das Kuschelbedürfnis oder auch unseren Wunsch, Beschützer zu sein und Verantwortung zu tragen. Haustiere haben Namen und eine Vielzahl von Geschichten. Auch Puppen haben Haustiere und kommen so ins Gespräch mit Menschen mit Demenz über Haustiere.
BEISPIEL: HERR KATZE Herr Katze hat eine mittlere Demenz. Er mag sich nicht an Gesprächen beteiligen, zeigt Desinteresse an Aktionen und schaut meistens aus dem Fenster. Julchen steht vor Herrn Katze auf den Boden und schaut ihn an. Julchen: „Ich habe einen Hamster. Der heißt Hermann.“ Herr Katze schweigt und schaut Julchen nicht an. Julchen: „Weißt du, was der gestern gemacht hat?“ Herr Katze (schaut Julchen nicht an): „Weggelaufen.“ Julchen: „So ähnlich. Er war im Staubsauger.“ Herr Katze (schaut Julchen an): „Was hat er denn da gemacht?“ Julchen: „Dreckig hat er sich gemacht.“ Herr Katze (schaut Julchen an): „Katzen sind immer sauber. Sie putzen sich.“ Julchen: „Brauchen die Katzen keinen Staubsauger dafür?“ Herr Katze (schaut Julchen an und lacht): „Nein.“ Julchen: „Darf ich auf deinen Schoß? Und mit dir kuscheln?“ Herr Katze (lacht): „Komm nur.“ Julchen klettert auf den Schoß, kuschelt sich an und schnurrt wie eine Katze.
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Julchens Biografie Name: Julchen oder Schätzchen, eigentlich Julia Alter: 5 Zuhause: bei Mama und Papa hinter der alten Mühle Familie: Mama, Papa, der kleine Bruder Timmi, Opa Waldemar und Oma Isolde, Freundin Lilly Vorlieben, Hobbies, Abneigungen: Mag Pommes mit Ketchup; alles was rosa oder worauf eine Krone ist; mag nicht, wenn das Badewasser kalt ist. Berufswunsch: Prinzessin werden. Es fehlt nur noch der Prinz. Timmi ist zu klein dafür. Haustier: Hamster Hermann, der Held des Staubsaugers.
Sie haben sicherlich gemerkt, wie einfach die Puppenbiografie es ermöglicht, spontan Gesprächsanlässe zu schaffen. Wenn Sie möglichst nahe an Ihrer eigener Biografie oder an Ihrem eigenen Erleben mit Kindern in dem Alter, in dem die Puppe ist, bleiben, wird es noch einfacher für Sie werden, mit Ihren Gästen ins Puppengespräch zu kommen.
Das Puppen-Du oder Kindersprache An den kleinen Beispielen im Text haben Sie entdeckt, dass Julchen die Gäste stets mit „Du“ anspricht. Das ist normal für ein Kind mit fünf Jahren. Deswegen beginnt jedes Zusammentreffen von Gast und Puppe nach demselben Schema.
BEISPIEL: FRAU SONNE Julchen: „Guten Tag, ich bin Julchen.“ (Julchen gibt die rechte Puppenhand) Frau Sonne: „Guten Tag, Julchen.“ Julchen: „Wer bist du?“ Frau Sonne: „Ich bin Frieda.“ Julchen: „Guten Tag, Frieda. Spielst du mit mir?“
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Normalerweise wird ein Gast mit seinem Vornamen auf Julchens Frage „Wer bist du?“ antworten. Es kann aber auch sein, dass der Gast mit seinem Nachnamen antwortet: Frau Sonne: „Ich bin Frau Sonne.“ Julchen: „Du, Frau Sonne, spielst du mit mir?“
Selbst wenn der Gast mit seinem Nachnamen antwortet, bleibt die Puppe bei dem „Du“, so wie es ein kleines Kind von 4 oder 5 Jahren tun würde. Kinder in der Grundschule sprechen ihre Lehrer oft noch mit „Du“ an. Über das „Du“ in der Kommunikation zwischen Gast und Puppe ergibt sich eine andere Gesprächsebene, als würden zwei Erwachsene, z. B. Gast und Alltagsbegleiter, miteinander sprechen. Es ist die vertraute Ebene eines Erwachsenen mit einem Kind. Erwartungsgemäß reagiert der Erwachsene aus seiner Beschützerrolle heraus. Dementsprechend muss das Puppenkind ein kindgerechtes Verhalten und eine kindgerechte Sprache zeigen. Eine Puppe gebraucht keine Fremdwörter und wenn doch, dann natürlich falsch. Julchen und ich kommen an einem Schild vorbei. Darauf lese ich „Ambulanz für Gerontologie und Geriatrie“. „Was steht da?“
Sabine: „Ambulanz für Gerontologie und Geriatrie.“
„Was ist das?“
Sabine: „Dort gehen Omas und Opas hin, wenn es ihnen nicht gut geht.“
„Dann muss da Oma-und-Opa-Gesundmachhaus auf dem Schild stehen. Das Schild ist dumm.“
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Julchen
Geben Sie von Anfang an der Puppe eine kindgerechte Sprache. Sie darf und soll sich verhalten wie ein Kind: aufgeweckt, fordernd, neugierig, schüchtern, kuschelbedürftig, quirlig, ein bisschen frech und etwas vorlaut. Nur eines darf die Puppe nicht: verletzen.
Waschmaschine Ahoi – Die Puppenpflege und Aufbewahrung Wie Sie sicherlich erkannt haben, gehen die Puppen mit den Gästen in Körperkontakt. Gerade das ist ihre wichtigste Aufgabe und ihr größter Wert. Menschen haben ein Kuschelbedürfnis, auch Menschen mit Demenz. Doch gerade diese haben wenig Möglichkeiten, ihr Kuschelbedürfnis auszuleben. Die Puppen werden gestreichelt, gekuschelt, geküsst. Ihnen werden die Zöpfe geflochten, die Schuhe angezogen und die kleinen Latzhosen werden hochgezogen. Die Puppen sitzen auf Stühlen, Tischen, stehen auf dem Boden. Die kleinen Helfer werden schmutzig werden, und was für die Arbeit in Einrichtungen noch wichtiger ist, sie kommen in Kontakt mit Bakterien und Viren. Das erfordert, dass die Puppen gewaschen werden müssen! Und das können sie auch. Im Grundsatz sind die Puppen waschbar. Ich habe in meiner langjährigen Arbeit noch keine Klappmaulpuppe erlebt, die nicht waschbar ist.14 In den Beschreibungen, die die Puppen mitbringen, wird auch darauf eingegangen. Wenn Sie eine Puppe waschen wollen, entfernen Sie bitte alle Kleidungsstücke, Accesscoirs und Schuhe, die Sie ohne Probleme entfernen können. Waschen Sie bitte diese Stücke einzeln. Geben Sie die Puppe in einen Wäschesack oder Kopfkissenbezug. Legen Sie die Puppe in die Waschmaschine und stellen Feinwäsche, 30 Grad, ein. Nutzen Sie gegebenenfalls die Möglichkeit, die Schleuderdrehzahl der Waschmaschine auf 600 bis 800 Umdrehungen zu reduzieren. Geben Sie ein Feinwaschmittel (ohne Bleichmittel!) Ihrer Wahl dazu und in den Spülgang einen Hygienespüler.
14 Ich arbeite seit Anfang an mit Puppen der Firma „Living Puppets“. Es gibt aber noch weitere Firmen, die Handpuppen herstellen, siehe Literaturverzeichnis.
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Timmi liebt seine Badewanne.
„Waschmaschinenfahren ist toll. Da geht es immer rund und rund und rund. Aber Timmi ist einfach ein Angsthase, der will immer nur in die Badewanne. Aber der ist ja auch noch klein.“
„Das ist gemein. Nur weil ich kleiner bin.“
„Winzling.“
„Blödfrau.“
Sabine: „Jetzt ist aber Ruhe. Und ab in die Badewanne.“
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Natürlich ist auch eine Handwäsche möglich. Es ist aber deutlich schwieriger, die Puppe nach einer Handwäsche zu trocknen, da sie schlecht auszuwringen sind. Zum Trocknen setzen oder hängen Sie bitte die Puppen auf einen Wäscheständer. Vor dem Trocknen sollten Sie die Haare schön aufplustern, da sie im nassen Zustand schnell aneinanderkleben. Aber nicht fönen! Bitte geben Sie die Puppen nicht in einen Trockner! Wenn Sie Ihre Puppe regelmäßig einsetzen, werden Sie sie auch regelmäßig waschen müssen. Und dadurch wird selbstverständlich, auf Dauer gesehen, das Material der Puppe leiden. Wenn Sie nur Bakterien oder Viren abtöten wollen, können Sie die materialschonendere Methode des Einfrierens verwenden. Dazu sollte die Puppe mindestens 48 Stunden im Tiefkühlschrank eingefroren bleiben. Aus hygienischen Gründen sollten Sie die Puppen, die in der Einrichtung eingesetzt werden, nicht zu Hause einsetzen und umgekehrt. Letztendlich, mögen sie uns noch so sehr an unser Herz wachsen, unsere kleinen Helfer, sie sind Arbeitsmaterial und es kann durchaus nötig sein, sie irgendwann zu ersetzen.
Julchen wohnt in ihrer höchst privaten Wohntasche.
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Basics des Puppenspiels
Werden die Puppen nicht gebraucht, sollten sie artgerecht aufbewahrt werden. Sie können in einer Tasche, einem Koffer oder einer schönen Kiste wohnen.
„Ich wohne in meiner höchstprivaten Wohntasche. Das ist eine Plopp-Up-Wohntasche und wenn ich auf einen Knopf drücke, habe ich nicht nur ein rosa Prinzessinnenhimmelbett, sondern auch den Pferdestall und ein großes Blubberschwimmbad mit rosa Blubber.“
Wichtig ist, die Puppen nach dem Spiel, nach dem Einsatz, aus dem Blickfeld des Gastes zu nehmen. Setzen Sie die Puppe im unlebendigen Zustand nicht in ein Regal oder auf einen Sessel im Sichtfeld der Gäste. Geben Sie die Puppe nicht aus der Hand und lassen Sie die Gäste nicht selber damit spielen. Die Puppe lebt nur durch Sie. Sobald Ihre Hände die Puppe verlassen, verschwindet die Lebendigkeit der Puppe, die Illusion des Spiels verliert sich und manch einer reagiert mit Wehmut und Unverständnis auf eine solche Situation.
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
Der Einsatz der Klappmaulpuppen ist vielfältig und kann individuell auf die Bedürfnisse des Gastes, des Raumes und auf die Situation abgestimmt werden. Bei allen Einsatzmöglichkeiten sind zwei Aspekte des Puppenspiels besonders wichtig:
Die Puppe und das Lachen Durch ihr freundliches, fröhliches und buntes Aussehen animieren die Klappmaulpuppen zum Lachen. Sie aktivieren durch ihr Kindchen-Schema in dem Gast den Beschützerinstinkt. Sie sind hilfsbedürftig, kindlich, aber auch wagemutig und ein bisschen frech. Diese Kombination regt fast alle Gäste zum Lachen an. Lachen aber macht etwas mit dem, der lacht und mit dem, der das Lachen hört. Durch das Lachen verändert sich in unserem Körper vieles. Die Atmung und der Herzschlag verändern sich. Menschen werden wach und aktiv. Lachende Menschen sind im Hier und Jetzt. Das Lachen verändert den Gemütszustand des Lachenden und des Hörenden. Freude kehrt ein, Fröhlichkeit und gute Laune.
Die Puppe und das Kuscheln Julchen und ihre Geschwister sind weich und warm. Sie laden zum Kuscheln ein, denn sie sind haptisch erlebbar. Julchen kann auf den Schoß klettern, sie kann sich in den Arm kuscheln, sie kann streicheln und kann gestreichelt werden. Sie will liebgehabt werden und selbst liebhaben. Menschen haben das Bedürfnis nach Nähe, nach Berührung, nach Wärme. Menschen mit Demenz erleben auch noch im schweren Stadium körperliche Nähe. Im Laufe der Demenz gehen Kommunikationsmöglichkeiten verloren. Um mit Julchen zu kommunizieren, reicht es oft, sie einfach zu fühlen. Die Puppe kommuniziert zu einem großen Teil alleine über ihre Nähe. Für die Puppenspieler ist es zu lernen, dass das haptische Erleben der Puppe oftmals in einer Aktivierung viel wichtiger ist als die verbale Kommunikation der Puppe. Das bedeutet, wir als Spieler müssen dem Gast die Möglichkeit geben, die Puppe haptisch erleben zu können. Eine Puppe, die einen halben Meter entfernt auf einem Stuhl sitzt, gibt dem Gast keine Möglichkeit, sie haptisch zu erleben.
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
„Und dann frage ich einfach, ob ich auf den Schoß darf. Weil das so schön kuschelig ist. Und dann sitze ich auf dem Schoß und werde einfach nur liebgehabt. Das mag ich ganz besonders gerne.“
Überblick: Einsatzmöglichkeiten Julchen und ihre Geschwister können grundsätzlich in zwei Bereichen eingesetzt werden: –– zur Unterhaltung, –– zur zielgerichteten Aktivierung. Die Grenze zwischen diesen beiden Bereichen ist fließend. Dennoch sind sie auch klar voneinander zu unterscheiden. Werden die Klappmaulpuppen als Unterhaltung eingesetzt, steht im Vordergrund der Aktivierung das Ziel „Lachen, Freude, Kuscheln“, aber auch „Kommunikation“. Geht es aber um eine zielgerichtete Aktivierung, stehen hinter dem Aufbau einer Aktivierungseinheit sehr klar formulierte Ziele, individuell formuliert für jede Einzelperson aufgrund ihrer individuellen Situation zur Unterstützung von Ressourcen, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Während der erste Bereich weniger Vorbereitungen erfordert, spontan und improvisiert eingesetzt werden kann, braucht der zweite Bereich eine Vorbereitungs- und Nachbereitungszeit. Beide Bereiche werden im Folgenden näher beschrieben. Grundsätzlich finden sich unzählige Themen, die mit der Aktivierungsarbeit mit Klappmaulpuppen be- und erarbeitet werden können. Hier eine Auswahl: –– Motorische Aktivierung –– Kognitive Aktivierung Gedächtnistraining Biografisches Arbeiten –– Verbale Aktivierung –– Psychosoziale Aktivierung Biografisches Arbeiten
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Bewältigung von Konflikten, Auseinandersetzungen, Krisen Emotionaler Zugang, Freude, Spaß und Lachen Öffnung der Isolation, Kontakt mit anderen, Ankommen in der Gruppe Kuschelfaktor und Zärtlichkeit –– Aktivierung bei schwerer Demenz –– Aktivierung bei Bettlägerigkeit.
Zielgruppe: Aufbau und Auswahl Der Einsatz der Klappmaulpuppen ist im Prinzip für jeden geeignet, unabhängig vom Geschlecht, vom Alter oder von der Demenz. Jedoch ist das Spiel für die einzelnen Zielgruppen unterschiedlich strukturiert und thematisiert. Ein Spiel für eine orientierte Gruppe wird einem anderen Thema folgen als das Spiel für eine Gruppe mit schwerer Demenz. Das bedeutet, es ist im Vorfeld wichtig zu wissen, für wen ich meine Puppe einsetze. Ein weiteres wichtiges Entscheidungskriterium für die Aktivierung ist die Frage nach einer Einzel-, Team- oder Gruppenaktivierung. Alle Formen sind denkbar. Im weiteren Verlauf finden Sie Beispiele dazu. Die Einzelaktivierung eignet sich dabei vor allem für Menschen mit schwerer Demenz oder mit problematischen Grundvoraussetzungen, wie Trauer, Depression, Ängsten, innerer Isolation etc. und für eine zielgerichtete individuelle Aktivierung. Die Teamaktivierung ist eine Aktivierung im Zweiersetting, z. B. auch für Paare geeignet. Die Gruppenaktivierung hat grundsätzlich einen hohen Unterhaltungswert und ist damit für eine unterhaltende Spielszene mit der Puppe bestens geeignet. Sie ist aber auch für eine zielgerichtete Aktivierung möglich. Bei einer Gruppenaktivierung ist die Frage nach der geeigneten Gruppengröße im Vorfeld zu beantworten.
Wie groß ist eine Gruppe? Eine Gruppe beginnt i. d. R. bei fünf Personen. Nach oben sind theoretisch gesehen keine Grenzen gesetzt. Dennoch setzt die Aktivierungsart dem Puppenspiel Grenzen.
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
MERKSATZ Die Gruppe darf nur so groß sein, dass es für jeden Einzelnen noch möglich ist, das Geschehen wahrzunehmen, wenn die Puppe gerade bei demjenigen ist, der am weitesten entfernt ist. Das setzt auch eine bestimmte Art und Weise der Sitzordnung voraus, dazu aber später mehr. Es ist nachvollziehbar, dass, wenn es darum geht, ob jemand wahrnehmen kann, was ein anderer gerade mit der Puppe erlebt, der Grad der Demenz ein wichtiger Ausgangsfaktor für die maximale Gruppengröße ist.
MERKSATZ Je schwerer die Demenz vorangeschritten ist, desto eingeschränkter ist die Wahrnehmungsfähigkeit des Betroffenen, dazu kommen Einschränkungen im Hören und Sehen.
TIPP Aus meiner Erfahrung liegt eine geeignete Gruppengröße zwischen fünf und zehn Personen bei leichter Demenz, fünf bis sieben Personen bei einer mittleren Demenz, max. fünf Personen bei einer schweren Demenz.
Nicht nur die Gruppengröße und der Grad der Demenz haben Auswirkungen auf die Zielgruppe, sondern selbstverständlich auch die persönlichen Vorlieben der Gäste. Wenn Menschen positiv auf Puppen, auf spielerische Aktivierungen reagieren, kann eine Gruppe größer sein. Wenn Menschen eher sehr zurückhaltend oder streitbar auf Puppen und eine spielerische Aktivierung reagieren, sollte die Gruppengröße eher geringgehalten werden. In solchen Fällen bietet sich auch die dritte Variante der Teamaktivierung, also die Aktivierung zu zweit, an. So kann der Puppenspieler besser wahrnehmen, was bei dem
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einzelnen Menschen gerade passiert, wo er eingreifen und was er aufgreifen kann. Der Gast kann sich langsam auf den Kontakt mit der Puppe vorbereiten. Er hat eine Rückzugsmöglichkeit, ist aber trotzdem im Geschehen. Für den Spieler besteht in einer Teamaktivierung jederzeit die Möglichkeit, den Spielpartner zu wechseln und die Aufmerksamkeit von dem eher zurückhaltenden Gast auf den anderen Gast umzulenken.
Ein „Nein“ zur Puppe? Aus meiner Erfahrung heraus reagieren die meisten Menschen positiv auf die Klappmaulpuppen. Doch jeder Mensch ist anders und braucht eine individuelle Ansprache, eine individuelle Aktivierung. Es kann also sein, dass ein Mensch nicht positiv auf eine Puppe reagiert bzw. nicht in den Kontakt mit der Puppe gehen kann.
BEISPIEL: FRAU LUSTIG I Frau Lustig, mittlere Demenz, und Frau Ehrlich, mittlere Demenz, umsorgen zusammen eine Babypuppe. Sie reagieren sehr positiv auf die Babypuppe, ziehen diese an, füttern sie und legen sie ins Bett. Beide Damen tun das oft zusammen, wobei Frau Lustig grundsätzlich gegenüber anderen Personen sehr offen ist, Frau Ehrlich eher sehr zurückhaltend. Beide Damen werden in eine Teamaktivierung mit den Klappmaulpuppen geführt. Frau Lustig und Frau Ehrlich sitzen im Wohnbereich nebeneinander. Die erste Aktivierungseinheit Julchen kommt ins Spiel. Sie begrüßt zunächst Frau Ehrlich, wobei Julchen auf dem Boden vor Frau Ehrlich steht und ihr die Hand reicht. Julchen: „Guten Morgen. Ich bin Julchen und wer bist du?“ Frau Ehrlich schweigt. Julchen: „Guten Morgen, ich bin Julchen und wer bist du?“ Frau Ehrlich dreht sich weg, vermeidet den Blickkontakt mit der Puppe und schweigt. Daraufhin geht Julchen zu Frau Lustig. Julchen: „Guten Morgen, ich bin Julchen und wer bist du?“
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
Frau Lustig: „Da komm einmal zu mir. Ich bin die Anneliese.“ Es entwickelt sich ein fröhliches Spiel zwischen Julchen und Frau Lustig. Frau Ehrlich schaut dabei immer noch zur Seite und vermeidet jeden Blickkontakt mit Julchen, mit Frau Lustig und mit der Situation. Sie fühlt sich sichtlich unwohl. Julchen beendet das Spiel schnell. Julchen: „Ich muss jetzt leider nach Hause.“
In dieser Situation stellt sich die Frage, ob die Spielsituation für Frau Ehrlich verändert werden kann, so dass sie wie auf ihre Babypuppe, die sie mit Frau Lustig gemeinsam versorgt, positiv auf Julchen reagieren kann. Ich entscheide mich, das nächste Mal den positiven Effekt, den das Spiel mit Frau Lustig hervorgerufen hat, als Einstieg zu nutzen.
BEISPIEL: FRAU LUSTIG II Die zweite Aktivierungseinheit Julchen kommt ins Spiel. Sie begrüßt zunächst Frau Lustig, wobei sie auf dem Boden vor Frau Lustig steht und ihr die Hand reicht. Frau Ehrlich dreht sich zur Seite. Julchen: „Guten Morgen. Ich bin Julchen und wer bist du?“ Frau Lustig: „Da komm einmal zu mir. Ich bin die Anneliese.“ Julchen: „Darf ich auf deinen Schoß?“ Frau Lustig: „Auf meinen Schoß? Komm nur.“ Aus den Augenwinkeln entdecke ich, dass Frau Ehrlich sich der Situation zuwendet. Daraufhin beendet Julchen das Spiel mit Frau Lustig, klettert vom Schoß und wendet sich Frau Ehrlich zu. Julchen: „Guten Morgen, ich bin Julchen und wer bist du?“ Frau Ehrlich wendet sich ab: „Nein.“ Wieder fühlt sich Frau Ehrlich sichtlich in der Situation unwohl. Julchen beendet das Spiel schnell. Julchen: „Ich muss jetzt leider nach Hause.“
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Es wird deutlich, dass die Veränderung der Situation Frau Ehrlich den Kontakt zur Puppe ebenfalls nicht ermöglicht hat. Wie kann die Spielsituation so verändert werden, dass Frau Ehrlich einen Bezug zu der Puppe aufbauen kann? Vielleicht ist die Puppe für Frau Ehrlich nicht geeignet. In der nächsten Spielsituation wird von mir eine andere Klappmaulpuppe eingeführt, Julchens Bruder, Timmi.
BEISPIEL: FRAU LUSTIG III Die dritte Aktivierungseinheit Timmi kommt ins Spiel. Er begrüßt zunächst Frau Lustig, wobei Timmi auf dem Boden vor Frau Lustig steht und ihr die Hand reicht. Frau Ehrlich dreht sich zur Seite. Timmi: „Guten Morgen. Ich bin Timmi und wer bist du?“ Frau Lustig: „Da komm einmal zu mir. Ich bin die Anneliese.“ Timmi: „Darf ich auf deinen Schoß?“ Frau Lustig: „Auf meinen Schoß? Komm nur.“ Aus den Augenwinkeln entdecke ich, dass Frau Ehrlich sich nach einiger Zeit der Situation zu wendet. Daraufhin beendet Timmi das Spiel mit Frau Lustig, klettert vom Schoß und wendet sich Frau Ehrlich zu. Timmi: „Guten Morgen, ich bin Timmi und wer bist du?“ Frau Ehrlich wendet sich abrupt ab: „Nein.“ Sie scheint ärgerlich zu wirken, fühlt sich in der Situation sichtlich unwohl. Timmi beendet das Spiel schnell. Timmi: „Ich muss jetzt leider nach Hause.“ In der nachfolgenden Analyse beschließe ich, Frau Ehrlich aus der Teamaktivierung zu nehmen und mit Frau Lustig in einer Einzelaktivierung weiter zu arbeiten. Obwohl aus der Vorgeschichte davon auszugehen war, dass eine spielerische Aktivierung mit einer Klappmaulpuppe von Frau Ehrlich positiv aufgenommen wird, da sie bereits das Spiel mit der Babypuppe als sehr positiv empfand, konnten weder Julchen noch Timmi in eine positive Interaktion mit Frau Ehrlich kommen. Letztendlich gilt es bei einer Ablehnung der Puppe zunächst einmal die Situation selbst zu analysieren. Dabei sind folgende Fragen wichtig:
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
–– Kann ich etwas im Setting, im Ablauf, in der räumlichen Situation verändern, was möglicherweise negativ auf die Spielsituation gewirkt hat? –– Kann ich etwas am Thema ändern, was möglicherweise negativ auf die Spielsituation gewirkt hat? Hat die Puppe möglicherweise etwas angesprochen, was negativ besetzt ist? –– Kann es sein, dass die Puppe selbst eine negative Reaktion durch ihr Äußeres hervorruft? Ein Aktivierungserfolg ist nicht garantiert, aber sehr oft stellt er sich ein. Doch wenn jemand mehrere Male nicht ins Puppenspiel einsteigen kann, deutlich ablehnende Reaktionen, wie zur Seite drehen, Blickkontakt meiden, „Nein“-Sagen, zeigt, dann kann es sein, dass diese Art der Aktivierung für denjenigen nicht geeignet ist. Und sie sollte nicht weiter stattfinden. Es werden sich andere Aktivierungsmöglichkeiten finden, die positiver von diesem Gast aufgenommen werden können.
Spielort Der Spielort kann für die Aktivierung so vielfältig sein wie die Aktivierungsinhalte selbst. Eine Aktivierung kann auf dem Wohnbereich, in einem Zimmer, in einem Gruppenraum, im Flurbereich usw. stattfinden. Der Einsatz der Puppen ist nicht von einem bestimmten Raum abhängig. Das macht ihren Einsatz sehr flexibel. Verschiedene Aspekte des Raumes können die Aktivierungsarbeit erleichtern und unterstützen.
Einzelaktivierung Sinnvoll für eine Einzelaktivierung ist das Setting abseits anderer Geschehnisse, um die Aufmerksamkeit des Gastes zu fokussieren und zu erhöhen. Es macht Sinn, dass andere Gäste möglichst nicht in die Spielsituation einbezogen werden, auch räumlich nicht. Eine Einzelaktivierung kann sowohl im Setting mit Tisch oder ohne Tisch erfolgen. Die Aktivierung am Tisch ermöglicht es, die Puppe abzusetzen und/oder Materialien einzubringen. Gleichzeitig schränkt sie die Bewegungsfreiheit und damit die Spontanität des Spielers ein. Für Gäste, die bereits in der schweren Demenz sind, ist ein Anspielen vom Boden aus immer sinnvoller als ein Anspielen von einem Tisch aus. Beobachten Sie Ihre Gäste und entscheiden Sie individuell, von welcher Seite, von welcher
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Höhe die Puppe das Spiel beginnen kann, um die Hemmschwelle der Kontaktaufnahme für einen Gast möglichst gering zu halten.
BEISPIEL: FRAU STILL Frau Still sitzt im Rollstuhl. Sie hat eine schwere Demenz und zeigt kaum eigenständige Bewegungen. Sie sitzt zusammengesunken und hält ihren Blick zum Boden. Spielvariante 1 ohne Tisch Frau Still sitzt in ihrem Rollstuhl. Der Platz vor ihr ist frei. Ich komme mit Julchen ins Blickfeld und spiele die Puppe vom Boden aus. Julchen schiebt sich dabei ganz langsam von einer Seite in das Blickfeld von Frau Still. Frau Still muss, um mit Julchen in Kontakt gehen zu können, weder den Blick heben noch sich umwenden. Die Hemmschwelle ist in der Spielvariante 1 niedrig. Spielvariante 2 mit Tisch Frau Still sitzt mit ihrem Rollstuhl am Tisch. Ich stehe ihr gegenüber und setze Julchen ebenfalls Frau Still gegenüber auf dem Tisch. Frau Still muss, um mit Julchen in Kontakt gehen zu können, den Blick heben. Sie muss sich nicht umwenden. Die Hemmschwelle ist erhöht. Spielvariante 3 mit Tisch Frau Still sitzt mit ihrem Rollstuhl am Tisch. Ich stelle einen Stuhl neben Frau Still. Julchen beginnt ihr Spiel und sitzt vor mir auf dem Tisch, also neben Frau Still. Frau Still muss, um mit Julchen in Kontakt zu gehen, ihren Blick heben und sich zu Julchen wenden. Die Hemmschwelle ist hier am höchsten.
MERKSATZ Achten Sie immer darauf, dass die Puppe sich langsam bewegt und bereits im Blickfeld des Gastes ist, sobald sie spricht und agiert. Ruckartige Überraschungsangriffe von hinten sind kontraproduktiv.
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
TIPP Achten Sie darauf, dass die Puppe solange sie noch nicht lebendig ist, noch nicht im Blickfeld des Gastes ist. Aber sobald die Puppe im Blickfeld ist, muss sie lebendig sein.
Gruppenaktivierungen Vergleichbar der Ausführungen bei der Einzelaktivierung ist es auch bei der Raumgestaltung einer Gruppenaktivierung. Das Spiel mit dem Tisch und ohne Tisch ist möglich. Wichtig ist, dass Sie die Gruppe so setzen, dass alle Beteiligten das Geschehen verfolgen können. Deswegen bietet sich sowohl bei einer Tischgruppe als auch bei einem Stuhlkreis die Anordnung der Gäste im Halbkreis an.
Einzelaktivierung Bettlägerige Die Einzelaktivierung für Bettlägerige ist räumlich gesehen die größte Herausforderung, weil durch die Bettlägerigkeit viel Spielfläche genommen wird. Machen Sie sich vor dem Beginn einer Aktivierungseinheit ein genaues Bild über die räumliche Situation. –– Von welcher Seite ist das Bett erreichbar? Steht es frei im Raum oder steht es an einer Wand? –– Gibt es die Möglichkeit, einen Tisch in Blickhöhe des Gastes zu nutzen? –– Zu welcher Seite wendet sich der Gast lieber? –– Wie ist der Blickwinkel des Gastes? Gibt es Möglichkeiten, den Blickwinkel durch Hochstellen des Kopfteils zu verändern? –– Wo hat die Puppe Platz, sich hinzusetzen oder hinzustellen?
Aktivierungsdauer Die Aktivierungsdauer ist nicht festgelegt, in der Regel wird sie zwischen 10 und 20 Minuten schwanken. Verlassen Sie sich auf Ihre Intuition, wann die Puppe die Situation beenden sollte. Folgende Gründe sprechen für ein Beenden des Spieles:
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–– Unruhe, Unzufriedenheit oder Ablehnung durch den Gast, –– Plötzliche Veränderung im Setting, z. B. Personen kommen dazu. –– Versuchen Sie, die Aktivierung stets mit einem positiven Gefühl zu beenden.
Was passiert, wenn eine Puppe nicht gehen soll, aber gehen muss? BEISPIEL: FRAU BLUME Frau Blume sitzt im Rollstuhl. Sie hat eine schwere Demenz. Sie kann nicht mehr verbal reagieren, äußert aber ihren Unmut durch Lautieren. Julchen und Frau Blume sind in einer Spielsituation. Julchen sitzt dabei auf Frau Blumes Schoß. Frau Blume hält Blickkontakt mit Julchen. Ich will die Spielsituation beenden. Julchen: „Ich muss jetzt nach Hause gehen. Darf ich noch mal wiederkommen?“ Frau Blume antwortet nicht, aber ihre Atmung verändert sich bei diesen Worten. Die Atmung wird flach, schnell, angespannt. Ich interpretiere das als ein „Nein, bleibe noch bei mir.“ Julchen: „Ein bisschen Zeit habe ich aber noch. Darf ich noch mal mit dir kuscheln?“ Frau Blume antwortet nicht, aber ihre Atmung verändert sich wieder. Sie wird langsamer, tiefer, entspannter. Ich interpretiere das als ein „Ja, bleibe noch bei mir.“ Nach einiger Zeit beginnt Julchen erneut, die Spielsituation zu beenden. Julchen: „Ich muss jetzt nach Hause. Das Mittagessen ist bestimmt schon fertig. Darf ich noch mal wiederkommen?“ Frau Blume antwortet nicht, aber ihre Atmung verändert sich erneut bei diesen Worten. Die Atmung wird flach, schnell, angespannt. Wieder interpretiere ich das Geschehen als ein „Nein, bliebe noch bei mir.“ Julchen: „Ein bisschen Zeit habe ich aber noch. Darf ich noch mal mit dir kuscheln?“ Nach einiger Zeit beginnt Julchen erneut, die Spielsituation zu beenden.
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
Julchen: „Ich muss jetzt nach Hause. Meine Mama wartet bestimmt schon mit dem Mittagessen. Darf ich noch mal wiederkommen?“ Frau Blume antwortet nicht, aber ihre Atmung bleibt bei diesen Worten entspannt, tief und gleichmäßig. Sie ist bereit für eine Verabschiedung. Julchen (streichelt Frau Blume zum Abschied über die rechte Hand): „Dann gehe ich jetzt. Aber ich komme wieder, versprochen.“
In diesem Beispiel wird deutlich, wie sehr die Intuition des Spielers und das Gespür für den Gast die jeweilige Spielsituation bestimmt. Dazu gibt es kein Drehbuch, keine Regieanweisung.
Was passiert, wenn eine Puppe nicht mehr losgelassen wird? Die Puppen gehen schnell in den Körperkontakt, sie klettern auf den Schoß und werden gekuschelt. Das ist für viele Gäste eine sehr angenehme Situation und viele Gäste möchten diese angenehme Situation aufrechterhalten. Dennoch muss die Puppe irgendwann gehen. Manche Gäste werden dann handgreiflich und lassen die Puppe nicht mehr los.
BEISPIEL: FRAU ENERGISCH Frau Energisch sitzt im Rollstuhl. Sie hat eine mittlere Demenz. Sie kann sich verbal äußern, neigt aber in Situationen, die ihr nicht zusagen, dazu mit aggressiven Reaktionen, wie lautem Rufen oder auch mit Festhalten, zu reagieren. Julchen sitzt bei Frau Energisch auf dem Schoß. Ich will die Spielsituation beenden. Julchen: „Ich muss jetzt nach Hause gehen.“ Frau Energisch: „Nein.“ Frau Energisch hält Julchens Hand fest. Ich spüre in der Puppenhand, dass die Hand von Frau Energisch sehr festhält. Julchen: „Ich bleibe noch ein bisschen.“ Frau Energisch lockert ihren Griff.
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Julchen nach einer Weile: „Ich muss jetzt nach Hause gehen.“ Frau Energisch: „Nein.“ Frau Energisch hält Julchens Hand sehr fest. Julchen: „Au. Bitte halte meine Hand nicht so fest. Das tut mir weh.“ Frau Energisch lockert ihren Griff. Julchen nach einer Weile: „Ich muss jetzt nach Hause gehen.“ Frau Energisch: „Nein.“ Frau Energisch hält Julchens Hand fest. Julchen: „Darf ich noch mal wiederkommen? Morgen?“ Frau Energisch lässt die Puppenhand los. Julchen kann die Situation verlassen.
Eine solche Spielsituation zu beenden, ist wohl eine der herausforderndsten Situationen für den Spieler in der Aktivierung mit Klappmaulpuppen. Hier ist es immer wieder wichtig und hilfreich, in der Rolle der Puppe zu bleiben. Die Puppe ist ein Kind. Wie würde ein Kind sich verhalten, wenn es spürt, der andere möchte nicht, dass das Kind geht? Folgende Möglichkeiten gibt es: –– Immer wieder verdeutlichen, dass die Puppe wiederkommt. „Darf ich noch mal wiederkommen?“ –– Etwas zum Festhalten zu geben, ein Geschenk, z. B. das Lieblingskuscheltier der Puppe. „Kannst du auf meinen Teddy so lange aufpassen, bis ich wiederkomme?“ –– Die Puppe sagt: „Ich bin so müde, ich muss ins Bett gehen.“ –– Die Puppe hat ein dringendes Bedürfnis, z. B. Hunger oder muss mal auf die Toilette. –– Die Puppe sagt: „Ich freue mich schon, bald wiederzukommen. Darf ich dann wieder mit dir spielen?“ Falls Ihre Puppe in eine solche Situation gerät, interpretieren Sie diese Situation als positiv. Es ist ein Kompliment an die Puppe und an die Art der Aktivierung, wenn der Gast nicht zulassen will, dass sie zu Ende geht. Vermeiden Sie folgende Reaktionen der Puppe: –– Die Puppe fängt an zu weinen: „Ich will nach Hause“ – Diese Reaktion könnte eigene Erinnerungen in dem Gast ansprechen, z. B. den Wunsch, nach Hause zu gehen.
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
–– Sie greifen als Spieler selbst ein: „Frau Energisch, jetzt lassen Sie aber die Puppe los.“ – Damit wird das Vertrauensverhältnis zwischen Puppe und Gast gestört, Sie eröffnen eine weitere Spielebene, das kann verwirrend sein. –– Sie entziehen die Puppe gewaltsam und Sie hinterlassen damit eine negative Erinnerung an die Spielsituation. –– Sie nehmen Ihre Spielhände aus der Puppe und hinterlassen eine „leere“, unlebendige Puppe auf dem Schoß des Gastes. Der Spieleindruck erlischt. Es kann zu Unverständnis und Verwirrung kommen.
Aufbau einer Aktivierungseinheit In dem Aufbau der Aktivierungseinheit geht es darum, individuelle Aktivierungsangebote zu formulieren und umzusetzen, um den Gast in seinem Sein zu unterstützen. Wie jede andere Form der Aktivierung erfolgt dabei die Aktivierung über Puppen, ob als unterhaltende oder als zielgerichtete Aktivierung, dem Drei-Punkte-System: Einleitung/Begrüßung, Hauptteil/Inhalt, Schluss/Verabschiedung. 1
Ablauf einer zielgerichteten Aktivierungseinheit Um zielgerichtet aktivieren zu können, ist es Voraussetzung, eine Ist-Analyse zu erarbeiten, eine konkrete Zieldefinition zu formulieren und eine abschließende Reflexion zu erarbeiten. Durch diese Punkte wird das übliche Drei-Punkte-System erweitert (s. Ablaufplan Seite 93). Zu den einzelnen Schritten finden Sie hier Erläuterungen.
Vorbereitung: Ist-Analyse Zur Ist-Analyse gehören neben der grundlegenden Erhebung der Biografie des Gastes, die in den Einrichtungen im Normalfall vorliegen wird, Fragen nach dem momentanen Zustand des Gastes. Sind besondere Vorkommnisse geschehen? Gibt es aktuelle Einschränkungen? Hier können und sollen auch Rückschlüsse aus bisherigen Aktivierungseinheiten, aus der Reflexion der vorherigen Aktivierung, einfließen. Es ist wich1 Vgl. Lindner, Elfriede: Aktivierung in der Altenpflege, Urban & Fischer Verlag, S. 4 ff.
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Ablauf einer zielgerichteten Aktivierungseinheit Inhalt Vorbereitung Ist-Analyse: Erhebung der Ist-Situation des Gastes Zieldefinition: Schriftliche Festlegung des Zieles Spielort: Vorbereitung, ggf. Festlegung der Sitzordnung
Dauer Ca. 5 – 20 Minuten, je nach Gruppengröße
Transfer der Gäste Einleitung Begrüßung der Gäste
Ca. 5 – 7 Minuten
Begrüßungslied (bei Grupppenangeboten!) Orientierung (bei Gruppenangeboten!) Zeit, Ort, Grund Hauptteil Begrüßung: Spieler
Ca.15 – 25 Minuten, je nach Gruppengröße
Überleitung zum Puppenspiel Begrüßung der Puppe Namen und Handschlag, Du-Ebene Puppenspiel Gesprächsanlass Interaktion Verabschiedung der Puppe Schluss Verabschiedung: Spieler
Ca. 5 – 20 Minuten, je nach Gruppengröße
Schlusslied (bei Gruppenangeboten!) Verabschiedung der Gäste Handschlag und Feedback Transfer der Gäste Reflexion Reflexion, schriftlich
Ca. 5 – 15 Minuten, je nach Gruppengröße
Dokumentation Zieldefinition, Vorformulierung des nächsten Ziels
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
tig, dass die Gedanken schriftlich festgelegt werden. Im Anhang finden Sie dazu einen beispielhaften Erhebungsbogen: „Aktivierung mit Klappmaulpuppen: Erhebungsbogen Ist-Analyse“.
Vorbereitung: Zieldefinition Für jede Aktivierungseinheit wird für den Gast ein individuelles Ziel erarbeitet und formuliert. Es gibt verschiedene Modelle zur Zieldefinition, z. B. in der Pflegeplanung oder Projektplanung. In manchen Einrichtungen sind bestimmte Formulierungsformen bereits erarbeitet und vorhanden. Es macht daher Sinn, sich zunächst auf die in der Einrichtung vorhandenen Strukturen zu konzentrieren. Sollten keine Zielformulierungsstrukturen vorhanden sein, kann nach dem folgenden, einfachen Zieldefinitionsschema ein Ziel formuliert werden. Dabei sollte das Ziel schriftlich festgehalten werden.
Zieldefinitionsfragen: Eindeutigkeit: Ziele müssen eindeutig formuliert sein. In ihnen muss enthalten sein: Wer? Was? Wann? Messbarkeit: Ziele müssen messbar sein. Da es in der Aktivierungsarbeit nicht um das Messen von Daten gehen kann, muss die Messbarkeit auf anderen Aspekten beruhen, z. B. eine deutliche Zunahme an Bewegungsmöglichkeiten, Ausdrucksmöglichkeiten usw. Akzeptanz: Ziele brauchen Akzeptanz beim Gegenüber. Erfolgt in einer Aktivierung eine Spielverweigerung, also steigt der Gast nicht in das Spiel ein, dann fehlt die Akzeptanz und ein formuliertes Ziel ist nicht mehr realistisch. Realistisch: Ziele müssen realistisch sein. Geht es z. B. darum, einen Gast in der Handmotorik über das Puppenspiel zu aktivieren, da er mit den Händen stark zittert, ist ein realistisches Ziel vielleicht das Festhalten der Puppenhand. Das Ziel, dass er mit der Puppe Bauklötze stapelt, ist für diesen Gast eher unrealistisch, weil es nicht leistbar wäre.
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Zeit: Ziele brauchen einen Zeithorizont, in dem ein Ziel erreicht werden soll, z. B. in der folgenden Aktivierungseinheit, in der nächsten Woche etc. Oft neigen wir dazu, das Erreichen von Zielen zu bewerten. Wenn ich ein Ziel formuliere und es am Ende nicht erreiche, bewerte ich das negativ. „Ich habe es nicht geschafft.“ Nur, wenn ich das Ziel erreiche, dann bewerte ich es positiv: „Ich habe es geschafft.“ Bitte denken Sie um! Denn bei Zieldefinition, Zielüberprüfung und Zielerreichung geht es um die Reflexion, nicht um eine Bewertung oder um eine persönliche Bewertung des Puppenspieles. Es geht darum, einen roten Faden zu erkennen und individuelle Aktivierungsangebote formulieren zu können, die den Gast in seinem Sein bestätigen. Wenn ich entdecke, dass ein Gast ein Ziel nicht erreichen kann, ist es nötig, die Zieldefinition anzupassen und realistischer zu gestalten, damit der Gast in der Spielsituation einen Erfolg erlebt. Jeder erlebte Erfolg bedeutet eine Bestätigung des Ichs, die Aufwertung des Selbstbewusstseins und der Selbstwirksamkeit. Es geht dabei nicht darum, die Ziele für den Gast unseren eigenen Bedürfnissen als Spieler anzupassen. Letztendlich dient eine Aktivierung, egal, mit welcher Methode sie durchgeführt wird, der Selbstbestätigung des Gastes. Der Bestätigung: Du kannst. Du bist wichtig. Du wirst geschätzt.
Beispiel für eine Zieldefinition: Fall: Frau Unruhig hat eine motorische Einschränkung. Ihre Hände zittern stark. Sie kann Dinge festhalten, aber kann dabei ihre Bewegungen wenig koordinieren. Zieldefinition: In der heutigen Aktivierungseinheit möchte ich, dass Frau Unruhig mit der Puppe mindestens drei Bauklötze zu einem Turm zusammenstellt.
Vorbereitung: Spielort Aufgrund der Zieldefinition können Rückschlüsse auf die räumlichen Anforderungen des Spielortes gezogen werden. Dabei können folgende Aspekte wichtig sein: –– Aufbau eines Stuhlkreises oder Tischgruppe
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
TIPP Denken Sie daran, egal ob es sich um einen Stuhlkreis oder um eine Tischgruppe handelt, die Sitzplätze im Halbkreis aufzubauen. Die geöffnete Kreisform ermöglicht Ihnen einen ungehinderten Zugang zu allen Gästen! Und zugleich wird allen Gästen das Wahrnehmen des Geschehens bei den anderen Gästen ermöglicht. –– Entfernen bzw. Umstellen vorhandener Möbel? –– Festlegung der Anspielrichtung?
TIPP Es ist wichtig, sich im Klaren darüber zu sein, von welcher Seite das erste Anspielen der Puppe erfolgt. Legen Sie die Richtung fest und überprüfen Sie Ihre Wahl daraufhin, ob sie durchführbar ist. Steht nichts im Wege? Können alle Gäste die Vorgänge wahrnehmen? –– Auswahl möglicher Requisiten und deren Platzierung –– Auswahl des Aufbewahrungsortes der Puppe
TIPP Denken Sie daran, dass sich die Puppe bis zu ihrem lebendigen Einsatz außerhalb des Blickfeldes der Gäste befinden sollte. So hat der Spieler die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, ob und wann er die Puppe ins Spiel bringt. –– Fürsorge für sich selbst
TIPP Die Spielaktivierung ist eine körperliche und stimmliche Arbeit für Sie. Achten Sie auf Ihr Wohlergehen! Suchen Sie für sich Möglichkeiten, um die Arbeit zu erleichtern, z. B. mit bestimmten Sitzmöbeln, Polster etc. Und denken Sie auch an ein Glas Wasser für Ihre Stimme!
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Transfer der Gäste Wenn die Gäste sich normalerweise nicht in dem Raum, in dem die Aktivierungseinheit stattfinden soll, aufhalten, müssen Sie den Transfer organisieren. Planen Sie Zeit und ggf. Unterstützung durch Kollegen ein.
Einleitung: Begrüßung Begrüßen Sie nach Möglichkeit die einzelnen Gäste schon beim Ankommen im Raum. Zeigen Sie die möglichen Sitzplätze. Unterstützen Sie die Gäste beim Ankommen in der Situation durch Small Talk. Die Begrüßung der gesamten Gruppe kann erfolgen, wenn alle zu erwartenden Gäste eingetroffen sind und in Ruhe Platz genommen haben. Die Begrüßung kann durch den Spieler stattfinden oder durch eine andere Person.
BEISPIEL: KLEINGRUPPE Die Aktivierungseinheit einer Kleingruppe erfolgt im Wintergarten der Einrichtung. Es werden fünf Gäste erwartet. Der Transfer wird von Kollegen durchgeführt. Der Spieler verbleibt im Raum und nimmt die Gäste in Empfang. Der Spieler platziert die Gäste an die vorher festgelegten Sitzplätze und begrüßt jeden Einzelnen mit Namen und Handschlag. Sabine: „Guten Morgen, Frau Freundlich. Ich bin Sabine Meyer. Schön, dass Sie heute Zeit haben, zu unserer Stunde zu kommen.“ Frau Freundlich: „Guten Morgen.“
Einleitung: Begrüßungslied In vielen Einrichtungen ist es üblich, zu Beginn einer Aktivierungsstunde gemeinsam zu singen. Nutzen Sie vorhandene Rituale. Denn Rituale geben besonders Menschen mit Demenz Rückhalt und Orientierung. Ein Begrüßungslied bietet sich in der Regel bei Gruppenaktivierungen an, weniger bei Einzelaktivierungen.
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
Einleitung: Orientierung In vielen Einrichtungen ist es üblich, vor Beginn einer Aktivierung eine zeitliche und inhaltliche Orientierung zu geben. Nutzen Sie vorhandene Rituale. Denn Rituale geben besonders Menschen mit Demenz Rückhalt und Orientierung. Das Einbringen von Orientierungsinformationen bietet sich in der Regel bei Gruppenaktivierungen an, weniger bei Einzelaktivierungen.
BEISPIEL: KLEINGRUPPE Begleiterin: „Heute ist Dienstag, der 3. März 2018. Draußen scheint die Sonne und es riecht schon nach Frühling.“
Hauptteil: Begrüßung Spieler Sollte eine andere Person als Moderator die Gäste zu Beginn begrüßt haben, begrüßt anschließend der Spieler selbst die Gäste in der Runde. Dieser Teil würde entfallen, wenn der Spieler alleine die Gruppe führt und bereits zu Beginn die gesamte Gruppe begrüßt hat. Die Begrüßung würde sich doppeln. Während dieser gesamten Einleitungssphase ist die Spielpuppe außerhalb des Blickfeldes der Gäste. Bitte bedenken Sie, dass es ein Unterschied ist, ob jeder Einzelne oder die Gruppe selbst begrüßt wird.
BEISPIEL: KLEINGRUPPE Alle fünf Gäste wurden beim Eintreffen von mir begrüßt und haben Platz genommen. Sabine: „Guten Morgen. Mein Name ist Sabine Meyer. Und ich danke Ihnen allen, dass Sie sich heute die Zeit genommen haben, zu unserer gemeinsamen Stunde zu kommen.“
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Dieser einleitende Teil der Aktivierung ist wichtig, damit die Gäste sich langsam auf das Geschehen einlassen können. Er dient als Warm-up, beim dem der Spieler, der Raum und ggf. die anderen Gäste wahrgenommen werden können. Er ist für den Spieler wichtig, da er sich so orientieren und seinen vorherigen Eindruck von den Gästen überprüfen kann. Wenn alle Gäste begrüßt wurden, wird zum eigentlichen Spiel übergeleitet. Die Spielpuppe wird eingeführt.
BEISPIEL: KLEINGRUPPE Beispiel 1 Sabine: „Ich habe Ihnen heute jemanden mitgebracht.“ Herr Schnell: „So, wen denn?“ Sabine: „Ein fröhliches, kleines Mädchen. Es heißt Julchen. Und Julchen ist auch schon ganz aufgeregt, weil es heute zu Ihnen kommen durfte.“ Herr Schnell: „Wo ist sie denn?“ Sabine: „Ich hole Julchen.“ Anmerkung: Ich drehe mich um und gehe aus dem Blickfeld der Gäste. Hier ziehe ich die Puppe an und kehre mit der Puppe in lebendiger Grundhaltung auf dem Arm in die Spielsituation zurück. Beispiel 2 Ich habe eine Tasche dabei, die die Puppe verbirgt. Um die Puppe ins Spiel zu bringen, greife ich in die Tasche und ziehe in der Tasche die Puppe an. Erst wenn ich die Puppe lebendig spielen kann, lasse ich sie aus der Tasche herauskommen. Sobald die Puppe in das Blickfeld der Gäste kommt, darf sie agieren. Julchen: „Hallo, ich bin Julchen.“ Julchen winkt allen zu, klettert aus der Tasche und geht zu jedem Gast, um diesen mit Handschlag zu begrüßen. Julchen: „Hallo, ich bin Julchen.“ Julchen gibt jedem die Hand. Herr Schnell: „Hallo Julchen.“ Julchen: „Und wie heißt du?“ Herr Schnell: „Ich bin der Hans.“
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
TIPP Exkurs: Die Du-Ansprache Es ist wichtig, dass der Gast schnell Vertrauen zu der Puppe fasst und sich auf eine vertraute Beziehungsebene einlässt. Die Du-Ebene bietet dabei mehr Möglichkeiten als die Sie-Ebene. Sie wirkt vertrauter, emotionaler und vor allem logischer. Der Spieler spielt die Puppe als ein Kind im Alter von 4 bis 5 Jahren. Kinder pflegen in diesem Alter das Gegenüber mit „Du“ anzusprechen. Es handelt sich um ein kindgerechtes, in diesem Fall puppengerechtes, Verhalten (siehe auch Kapitel „Romeo und Julia fällt heute aus – Die Puppenbiografie“, Seite 65.
Es kann passieren, dass die Gäste bereits zu Beginn der Aktivierungseinheit, in der nur der Spieler zu erleben ist, erkennen, wer heute zu Besuch kommt. Gerade, wenn die Puppe regelmäßig eine feste Gruppe besucht, geschieht es oft, dass wenigstens einer der Gäste weiß, wer zu Besuch gekommen ist und auch noch den Namen der Puppe kennt.
BEISPIEL: PRAXISERFAHRUNG Langzeitprojekt Seniorenheim Haus Dorette, fünfte Aktivierungseinheit Kleingruppe: fünf Damen, mittlere bis schwere Demenz Sabine: „Ich habe Ihnen heute jemanden mitgebracht.“ Damen, mehrere: „Julchen!“ Sabine: „Ja, richtig, Julchen ist heute wieder da. Warten Sie, ich hole die Kleine einmal.“ (Daraufhin wende ich mich ab, ziehe die Puppe außerhalb des Blickfeldes der Gäste an und gehe mit der Puppe in der lebendigen Grundhaltung auf dem Arm zurück in die Spielsituation. Julchen: „Guten Morgen.“ Damen, mehrere: „Guten Morgen, Julchen.“
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Anmerkung: Der Effekt des Erkennens in dem Projekt im Haus Dorette war nachhaltig. Selbst einige Monate nach dem Projektende erkannten die Gäste mich, wenn ich in die Einrichtung kam und fragten nach Julchen.
Es ist ein fließender Übergang zwischen Begrüßung des Spielers, Überleitung zum Puppenspiel und der Vorstellung der Puppe selbst. Dieser Übergang wird abhängig von der jeweiligen Situation gestaltet.
Hauptteil: Puppenspiel – Gesprächsanlass und Interaktion Um eine Aktivierung einzuleiten, braucht es einen Gesprächsanlass, der letztlich zur Interaktion zwischen Gast und Puppe führt. Auch hier ist der Übergang zwischen der Einführung der Puppe und dem Gesprächsanlass fließend. Der Gesprächsanlass stellt das verbindende Element zwischen der Zieldefinition (siehe oben) und der Puppenbiografie (siehe Kapitel „Romeo und Julia fällt aus – Die Puppenbiografie“, Seite 65) dar.
BEISPIEL: FRAU ANDERS Ist-Situation: Frau Anders hat eine mittlere Demenz. Sie reagiert auf Ansprache oft mit herausforderndem Verhalten. Sie verweigert sich einer Ansprache oder dem Versuch einer Aktivierung mit den Worten: „Das ist Kinderkram.“ Frau Anders hat eine motorische Einschränkung in den Händen durch ein beständiges Zittern. Frau Anders sitzt bereits mit vier anderen Gästen im Halbkreis um zwei zusammengestellte Tische. Julchen sitzt auf dem Tisch. Zieldefinition: Kombination kognitive Aktivierung „Zählen“ mit einer psychosozialen Aktivierung „Kontaktaufnahme mit Julchen“. Frau Anders soll in der Aktivierungseinheit mit Julchen mindestens einmal mit den Fingern bis Fünf zählen. Julchen (sitzt auf dem Tisch): „Kannst du mit mir zählen üben?“ Frau Anders (schaut Julchen nicht an): „Zählen? Das ist Kinderkram.“ Julchen: „Ja, ich bin ja auch ein Kind. Und ich kann schon bis vier zählen.“ Frau Anders (schaut Julchen an): „So, kannst du das?“
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
Julchen: „Ja, klar, guck mal hier: Eins. Zwei. Drei. Vier. (Julchen zählt an ihren Finger ab.) Aber was kommt dann?“ (Julchen schaut Frau Anders an.) Frau Anders: „Fünf.“ Julchen: „Fünf? Stimmt das?“ Frau Anders nickt. Julchen: „Zeig mal.“ Frau Anders hält ihre Hand hoch und gemeinsam zählen die beiden und strecken dabei die Finger aus. Als sie bei Fünf ankommen, lachen beide.
TIPP Es kann passieren, dass Gäste sagen, dass das Puppenspiel Kinderkram und kindlich ist. Die Puppen sind nur Puppen. Nur Puppenkinder. Sie können dieses ruhigen Gewissens bestätigen. Julchen: „Ja, richtig, ich bin eine Puppe. Ein Puppenkind.“
Im weiteren Verlauf finden Sie verschiedene Aktivierungseinheiten mit unterschiedlichen Zielsetzungen.
Hauptteil: Verabschiedung der Puppe Irgendwann wird es Zeit sein, die Spielsituation zu beenden. Dann muss sich die Puppe wieder verabschieden. Die Puppe verabschiedet sich von dem Spieler, nicht gemeinsam mit dem Spieler. Sie hat die Situation als Letzte betreten und verlässt als Erste die Spielsituation wieder. Die Puppe verabschiedet sich dabei jedes Mal sinngemäß mit der Frage: „Darf ich noch mal wiederkommen?“ Diese Frage dient dazu, dem Gast das Wiederkommen der Puppe zu signalisieren. So kann möglicher Abschiedsschmerz von der Puppe positiv umgewandelt werden. Für den Spieler bietet diese Frage eine gute Überprüfungsmöglichkeit über das Gelingen der vorherigen Spielszene, da die Gäste geneigt sind, die Frage auch zu beantworten.
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Nach der Verabschiedung sollte der Spieler die Puppe aus dem Blickfeld der Gäste nehmen oder in die Tasche zurücklegen. Erst wenn die Puppe aus dem Blickfeld der Gäste verschwunden ist, wird sie wieder leblos und der Spieler kann seine Hände aus der Puppe herausnehmen.
MERKSATZ Gehen Sie nicht vor den Augen der Gäste aus der Puppe heraus. Sie zerstören so den lebendigen Eindruck. Die Puppe wirkt sofort leblos, wenn sie nicht mehr sprechen kann oder sich bewegen kann. Die Gäste identifizieren sich mit der lebendigen Puppe und bauen zu ihr eine emotionale Beziehung auf. Die Illusion der Lebendigkeit zu zerstören, wird auch diese Beziehung zerstören und die Gäste in Verwirrung bringen.
Schluss: Verabschiedung des Spielers Wenn sich die Puppe verabschiedet hat und aus dem Blickfeld der Gäste verschwunden ist, kehrt der Spieler zurück, bedankt sich und verabschiedet sich ebenfalls. Es kann nötig sein, um die Puppe aus dem Blickfeld des Gastes oder Gruppe zu bringen, den Spielort komplett zu verlassen, sogar den Raum zu verlassen.
BEISPIEL: HERR GRAU Julchen: „Ich muss jetzt aber nach Hause. Das Mittagsessen ist bestimmt schon fertig.“ Herr Grau: „Das ist aber schade.“ Julchen: „Darf ich denn noch mal wiederkommen?“ Herr Grau: „Aber sicher.“ Julchen: „Auf Wiedersehen.“ (Julchen gibt die Hand, winkt noch einmal. Ich trage die Puppe aus dem Blickfeld und lege sie ab. Dann gehe ich zu dem Gast zurück).
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
Sabine: „Vielen Dank, Herr Grau, dass Sie heute Zeit für das Julchen hatten. Sie freut sich immer so, wenn sie bei Ihnen sein darf. Hat es Ihnen denn auch gefallen?“ Herr Grau: „Kommen Sie bald wieder?“ Sabine: „Ja, sicherlich, Herr Grau. Auf Wiedersehen. Ich gehe aus dem Blickfeld des Gastes.
Eine andere Situation wird sich ergeben, wenn der Spieler mit der Gruppe alleine ist, d.h. wenn es keine weitere Person gibt, die die Einleitung (siehe oben) und den Schlussteil übernimmt. Wenn das der Fall ist, kann der Spieler den Raum komplett verlassen und der Begleiter bleibt bei dem Gast oder der Gruppe zurück. Dann leitet der Begleiter die letzten Punkte der Aktivierung ein.
Schluss: Schlusslied In vielen Einrichtungen ist es üblich, dass am Ende einer Aktivierungseinheit ein Lied gesungen wird. Nutzen Sie auch hier wieder Rituale, die bereits eingeführt sind, als Unterstützung für die Gäste. Ein Schlusslied ist kein Muss. Es bietet sich hauptsächlich bei Gruppenaktivierung an, weniger bei Einzelaktivierungen.
Schluss: Verabschiedung der Gäste Wenn der Spieler alleine agiert, übernimmt er alleine die Verabschiedung der Gäste. Auch dieses Mal mit Handschlag und mit einer Bitte um ein Feedback, wie Sie es im obigen Beispiel gesehen haben.
Transfer der Gäste Wenn die Aktivierungseinheit beendet ist, schließt sich ggf. ein erneuter Transfer an. Planen Sie Zeit und ggf. Unterstützung durch Kollegen ein.
Reflexion: Schriftliche Reflexion Nach der Aktivierungseinheit ist es wichtig, eine Reflexion schriftlich festzuhalten. Das kann in Stichworten oder anhand eines Formulars sein. Ein Beispiel für einen Ergebnis- und Zielbogen finden Sie im Anhang „Aktivierung mit Klappmaulpuppen: Ergebnisbogen“, Seite 197.
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Bei der Reflexion sind vor allem folgende Punkte wichtig: –– Was ist geschehen? –– Wie wurde vorgegangen? –– Welche Impulse wurden von dem Gast aufgenommen? –– Hat sich im Laufe der Aktivierungseinheit das formulierte Ziel verändert? Gab es einen Impuls, der das Ziel verändert hat? –– Wurde das definierte Ziel erreicht? Wenn nein, was könnte das Erreichen des Ziels verhindert haben? –– Was kann verbessert werden? –– Wie habe ich mich selbst in der Situation gefühlt? Was hat mir gutgetan? Was war für mich schwierig? Was hat mich unterstützt? Was hat mich behindert?
Reflexion: Dokumentation In vielen Einrichtungen gibt es verschiedene Dokumentationssysteme. Hierfür können Sie z.T. Ergebnisse Ihrer Reflexion nutzen. Es gibt aber einen Unterschied zwischen Reflexion und den einrichtungsbezogenen Dokumentationssystemen. Die Reflexion dient vor allem Ihnen selbst. Sie ermöglicht Ihnen, Ihre Erfahrungen aus der vorhergegangenen Aktivierungseinheit zu sortieren und festzuhalten, damit Sie später Rückschlüsse ziehen können. Viele Dokumentationssysteme in den Einrichtungen bieten dafür nicht genügend Spielraum.
Reflexion: Zieldefinition, Vorformulierung Auf der Basis der Reflexion formulieren Sie ein vorläufiges Ziel für die nächste Aktivierungseinheit und halten es schriftlich fest. Vor der nächsten Aktivierungseinheit gleichen Sie das vorläufige Ziel mit der Ist-Situation nach den Zieldefinitionsmerkmalen aus dem Punkt „Vorbereitung: Zieldefintion“ ab. Es kann sein, dass Sie das Ziel dann ggf. modifizieren müssen.
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
Ablauf einer unterhaltenden Aktivierungseinheit Das Ziel einer unterhaltenden Aktivierungseinheit ist es, Spaß, Freude und Lachen zu schenken. Hierzu bedarf es wenig Vorbereitung, denn das Spiel ist mehr oder weniger ein reines Improvisationsspiel, bei dem die Puppe das aufgreift, was die Gäste ihr präsentieren. Die unterhaltende Aktivierungseinheit folgt dem Drei-Punkte-System: Einleitung/Begrüßung; Hauptteil/Inhalt; Schluss/Verabschiedung.2
Ablauf einer unterhaltenden Aktivierungseinheit Inhalt Ggf. Vorbereitung des Spielortes und Transfer der Gäste Einleitung Begrüßung der Gäste
Dauer Ca. 5 – 7 Minuten
Begrüßungslied (bei Grupppenangeboten!) Orientierung (bei Gruppenangeboten!) Hauptteil Begrüßung: Spieler
Ca.15 – 25 Minuten, je nach Gruppengröße
Überleitung zum Puppenspiel Begrüßung der Puppe Namen und Handschlag, Du-Ebene Puppenspiel Verabschiedung der Puppe Schluss
Ca. 5 – 7 Minuten Verabschiedung: Spieler Schlusslied (bei Gruppenangeboten!) Verabschiedung der Gäste Handschlag und Feedback
Transfer der Gäste
2 Vgl. Lindner, Elfriede: Aktivierung in der Altenpflege, ebenda, S. 4 ff.
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Vorbereitung: Spielort Bei der unterhaltenden Aktivierung sind dabei zwei räumliche Anforderungen wichtig: –– Aufbau eines Stuhlkreises oder einer Tischgruppe
TIPP Denken Sie daran, egal, ob es sich um einen Stuhlkreis oder um eine Tischgruppe handelt, die Sitzplätze im Halbkreis aufzubauen. Die geöffnete Kreisform ermöglicht Ihnen einen ungehinderten Zugang zu allen Gästen! Und zugleich wird allen Gästen das Wahrnehmen des Geschehens bei den anderen Gästen ermöglicht.
–– Festlegung der Anspielrichtung
TIPP Es ist wichtig, sich im Klaren darüber zu sein, von welcher Seite das erste Anspielen der Puppe erfolgt. Legen Sie die Richtung fest und überprüfen Sie Ihre Wahl darauf, ob sie durchführbar ist. Steht nichts im Wege? –– Sichtmöglichkeit aller Gäste auf das Geschehen –– Besonders bei der unterhaltenden Aktivierungseinheit ist es wichtig, dass alle Gäste eine freie Sicht auf das Geschehen haben. Das steigert den Effekt des gemeinsamen Erlebens genauso wie das Mitlachen, Mitmachen und Mitspielen. –– Auswahl möglicher Requisiten und deren Platzierung Natürlich können auch bei einer unterhaltenden Aktivierungseinheit Requisiten eingesetzt werden. Hier ist im Vorfeld zu überlegen, wo diese Requisiten platziert werden. –– Auswahl des Aufbewahrungsortes der Puppe Bei einer unterhaltenden Aktivierungseinheit macht es oft Sinn, die Puppe in einer Tasche, einem Koffer oder Karton mit in die Spielsituation zu bringen oder mit der Puppe in lebendiger Grundhaltung die Spielsituation als Spieler zu betreten.
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
Julchen: „Na ja, meine höchst private Wohntasche kennt ihr ja. Aber wenn meine Mama, die Sabine, auf Workshop Reise geht, dann nimmt sie einen ganzen Koffer mit der ganzen Familie mit. Da ist immer große Party bei uns im Koffer. Wir sind so viele darin, dass ich manchmal sogar Lillys Zöpfe im Mund habe. Aber das stört beim Tanzen nicht. Nur Opa will nicht mitmachen. Der macht dann immer sein Hörgerät aus und schläft ein. Und der schnarcht ganz laut.“
TIPP Denken Sie daran, dass sich die Puppe bis zu ihrem lebendigen Einsatz außerhalb des Blickfeldes der Gäste befinden sollte. –– Fürsorge für sich selbst
TIPP Die Spielaktivierung ist eine körperliche und stimmliche Arbeit für Sie. Achten Sie auf Ihr Wohlergehen! Suchen Sie für sich Möglichkeiten, um die Arbeit zu erleichtern, z. B. mit bestimmten Sitzmöbeln, Polstern etc. Und denken Sie auch an ein Glas Wasser für Ihre Stimme!
Transfer der Gäste Wenn die Gäste sich normalerweise nicht in dem Raum aufhalten, in dem die Aktivierungseinheit stattfinden soll, müssen Sie den Transfer organisieren. Planen Sie Zeit und ggf. Unterstützung durch Kollegen ein.
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Julchen
Einleitung: Begrüßung Begrüßen Sie nach Möglichkeit die einzelnen Gäste mit Handschlag und Namen schon beim Ankommen im Raum. Zeigen Sie die möglichen Sitzplätze. Unterstützen Sie die Gäste beim Ankommen in der Situation durch Small Talk. Eine weitere Begrüßung der gesamten Gruppe kann erfolgen, wenn alle zu erwartenden Gäste eingetroffen sind und in Ruhe Platz genommen haben. Die Begrüßung kann durch den Spieler stattfinden oder durch eine andere Person.
Hauptteil: Begrüßung Spieler Sollte eine andere Person zu Beginn die Gäste begrüßt haben, begrüßt anschließend der Spieler selbst die Gäste. Dieser Teil würde entfallen, wenn der Spieler alleine die Gruppe führt und bereits zu Beginn begrüßt hat. Die Begrüßung würde sich sonst doppeln. Während dieser gesamte Einleitungssphase ist die Spielpuppe außerhalb des Blickfeldes der Gäste.
BEISPIEL: KLEINGRUPPE Alle fünf Gäste wurden beim Eintreffen vom mir begrüßt und haben Platz genommen. Sabine: „Guten Morgen. Mein Name ist Sabine Meyer. Und ich danke Ihnen allen, dass Sie sich heute die Zeit genommen haben, zu unserer gemeinsamen Stunde zu kommen.“
Dieser einleitende Teil der Aktivierung ist wichtig, damit die Gäste sich langsam auf das Geschehen einlassen können. Er dient als Warm up, beim dem der Spieler, der Raum und ggf. die anderen Gäste wahrgenommen werden können. Es ist für den Spieler wichtig, sich zu orientieren und seinen vorherigen Eindruck von den Gästen zu überprüfen. Wenn alle Gäste begrüßt wurden, wird zum eigentlichen Spiel übergeleitet. Die Spielpuppe wird eingeführt. Wie bei der zielgerichteten Aktivierungseinheit kann auch bei der unterhaltenden Aktivierungseinheit die Puppe jeden Einzelnen begrüßen.
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
Um den Effekt des gemeinsamen Erlebens zu verstärken, kann auch ein Spielintro, an dem alle gleichzeitig beteiligt sind, den Anfang der Spielphase darstellen.
BEISPIEL: KLEINGRUPPE Zu der Aktivierungseinheit kommen sieben Gäste einer Einrichtung. Ich habe die Plätze im Halbkreis aufgestellt. Es gibt keine Tische. Vor dem geöffneten Halbkreis steht mein Stuhl. Julchen wird von mir in ihrer höchst privaten Wohntasche vorher neben meinem Stuhl auf den Boden abgestellt. Die Gäste kommen herein und werden von mir einzeln, mit Namen und Handschlag, begrüßt. Dann setze ich mich auf meinen Stuhl. Sabine: „Heute ist ein besonderer Tag. Denn ich habe mir heute Verstärkung mitgebracht. Diese Verstärkung heißt Julchen. Und Julchen ist ein kleines Mädchen.“ Herr Schnell: „So, wo ist sie denn?“ Sabine: „Nun, Julchen ist eine Langschläferin. Ich habe sie heute Morgen gar nicht wachbekommen. Da habe ich das einzig Vernünftige getan. Ich habe Julchen mitsamt ihrem Bett in ihrer Wohntasche mitgebracht“. (Ich hebe die Tasche auf meinen Schoß.) „Und hier ist sie.“ Herr Schnell: „Schläft sie noch?“ Sabine: „Ich sehe einmal vorsichtig nach.“ (Vor den Augen der Gäste öffne ich den Reißverschluss der Tasche und schaue hinein.) „Sie schläft noch. Da hilft es ja nichts, wir müssen sie wecken. Es ist ja schon Nachmittag. Können Sie mir einmal helfen und Julchen wecken? Rufen Sie doch einmal Julchen.“ (Während ich rede, gleite ich schon mit den Händen in die Tasche und beginne die Puppe in der Tasche anzuziehen, ohne dass die Gäste es sehen.) Gäste, im Chor: „Julchen. Aufstehen!“ Dann klettert Julchen ganz langsam aus der Tasche heraus. Sie steckt erst nur den Kopf raus. Dann schaut sie in die Runde, langsam schaut sie jeden an.
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Julchen
Herr Schnell winkt Julchen zu. Julchen winkt zurück. „Hallo.“ Herr Schnell: „Hallo.“ Julchen: „Ich bin Julchen. Darf ich mal zu dir kommen?“ Herr Schnell nickt. Julchen klettert ganz aus der Tasche und ich führe die Puppe auf den Boden zu Herrn Schnell. Jetzt beginnt die Puppe, jeden einzelnen Gast zu begrüßen. Herr Schnell: „Hallo Julchen.“ Julchen: „Wie heißt du?“ Herr Schnell: „Ich bin der Hans.“
Es ist ein fließender Übergang zwischen Begrüßung des Spielers, Überleitung zum Puppenspiel und der Vorstellung der Puppe selbst. Dieses vorgestellte Spielintro kann ritualisiert werden. Das bedeutet, dass Julchen jedes Mal in der Tasche zu Besuch kommt und die Gäste jedes Mal „Julchen“ rufen, damit das Spiel beginnen kann. Julchen kann dann auch mit unterschiedlichen Emotionen aus der Tasche hervorkommen, mal verschlafen, mal aufgeregt, mal hat sie eine Krone in der Hand und sucht ihren Prinzen und so weiter.
Hauptteil: Puppenspiel Natürlich braucht es auch bei einer unterhaltenden Aktivierungseinheit einen Gesprächsanlass, aus dem sich eine Interaktion der Puppe mit dem Einzelnen, aber auch mit der ganzen Gruppe entwickelt. Entweder kann der Gesprächsanlass, wie bei der zielgerichteten Aktivierung, ein Thema aus der Puppenbiografie (siehe Kapitel: „Romeo und Julia fällt aus – Die Puppenbiografie“ Seite 65) sein oder die Puppe entwickelt ganz spontan aus der jeweiligen Situation in der Gruppe den Gesprächsanlass. Bei der unterhaltenden Aktivierungseinheit ist es wichtig, Gesprächsthemen auszuwählen, zu denen jeder in der Gruppe etwas beisteuern kann. Themen für eine unterhaltende Aktivierungseinheit sind: –– Berufswunsch: „Was willst du mal werden, wenn du groß bist?“ –– Außergewöhnliches Geschehen: „Stell dir vor, was mein Hamster gestern gemacht hat.“
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
–– Urlaubsreise: „Mama sagt, ich soll meinen Koffer packen. Wir fahren ans Meer. Aber was soll ich mitnehmen?“ –– Essen: „Mein Lieblingsessen sind Nudeln mit Tomatensoße.“ –– Feste: „Morgen ist Weihnachten. Ob das Christkind mir wohl etwas bringt?“ –– Hobbies: „Ich habe gestern mein erstes Tor im Kindergarten geschossen.“
Hauptteil: Verabschiedung der Puppe Irgendwann wird es Zeit sein, die Spielsituation zu beenden. Dann muss sich die Puppe wieder verabschieden. Um die Verabschiedung einzuleiten, ist es sinnvoll, den Impuls, der gerade im Spiel genutzt wird, als Grund für das Zurückkehren der Puppe in die Tasche oder für das Verlassen der Gruppe zu nutzen.
BEISPIEL: HERR SCHNELL Julchen und Herr Schnell treffen im Verlauf der Aktivierungseinheit wieder aufeinander. Julchen ist in dieser Aktivierungseinheit auf der Suche nach ihrem Prinzen. Neben Herrn Schnell sind sechs Damen in der Runde. Julchen (wendet sich an Herrn Schnell): „Bist du vielleicht ein Prinz?“ Herr Schnell: „Ich weiß nicht.“ Julchen (kommt näher): „Willst du mein Prinz sein?“ Herr Schnell: „Ja, das will ich wohl.“ Julchen (lehnt sich an Herrn Schnells Bein): „Heiratest du mich dann?“ Herr Schnell: „Du bist aber noch klein.“ Julchen: „Werde ich denn noch größer?“ Herr Schnell: „Bestimmt wirst du größer. Aber das dauert.“ Julchen: „Wie lange?“ Herr Schnell: „Nicht lange.“ Julchen: „Morgen?“ Herr Schnell: „Bestimmt.“ Julchen: „Und wenn ich groß bin, heiratest du mich?“ Herr Schnell (lächelt): „Bestimmt.“
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Julchen
Julchen: „Huch, wenn das aber schon morgen ist, dann muss ich schnell nach einem Brautkleid suchen. Oh, ich muss schnell nach Hause. Bis morgen!“ Julchen geht zu ihrer Tasche zurück und klettert wieder rein. Herr Schnell (winkt Julchen hinterher): „Bis morgen.“ Julchen dreht sich um: „Und morgen heiratest du mich?“ Herr Schnell (lacht): „Bestimmt.“ Julchen (zu allen anderen): „Dann kommt ihr alle morgen zur Hochzeit! Tschüss, bis morgen!“ Alle Gäste: „Bis morgen.“
Bei der Verabschiedung gilt, dass die Puppe immer als Erste die Spielsituation verlässt und zwar auf demselben Wege, wie sie in die Spielsituation hineingekommen ist. Das bedeutet, wird die Puppe mit der Tasche eingeführt, kehrt sie nach der Spielsituation in die Tasche zurück und geht nicht ohne Tasche aus der Spielsituation heraus. Die letzte Frage, die die Puppe stellen kann, ist wie bei der zielgerichteten Aktivierungseinheit „Darf ich noch mal wiederkommen?“ So wird das Wiederkommen der Puppe signalisiert und bietet für die Gäste eine gute Möglichkeit, sich auf weitere Treffen mit der Puppe einzustellen. Für den Spieler ist es eine gute Einleitung bei der nächsten Aktivierungseinheit. Erst wenn die Puppe aus dem Blickfeld der Gäste verschwunden ist, wird sie wieder leblos und der Spieler kann seine Hände aus der Puppe herausnehmen.
MERKSATZ Gehen Sie nicht vor den Augen der Gäste aus der Puppe heraus. Sie zerstören so den lebendigen Eindruck. Die Puppe wirkt sofort leblos, wenn sie nicht mehr sprechen kann oder sich bewegen kann. Die Gäste identifizieren sich mit der lebendigen Puppe und bauen zu ihr eine emotionale Beziehung auf. Die Illusion der Lebendigkeit zu zerstören, wird auch diese Beziehung zerstören und die Gäste in Verwirrung bringen.
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Aktivierungsmethode: Puppenspiel
Schluss: Verabschiedung des Spielers Wenn sich die Puppe verabschiedet hat und aus dem Blickfeld der Gäste verschwunden ist, kehrt der Spieler zurück, bedankt sich und verabschiedet sich ebenfalls, es sei denn, es gibt eine weitere Person, die die Einleitung und den Schlussteil übernimmt.
Schluss: Schlusslied In vielen Einrichtungen ist es üblich, dass am Ende einer Aktivierungseinheit ein Lied gesungen wird. Nutzen Sie auch hier wieder Rituale, die bereits eingeführt sind, als Unterstützung für die Gäste. Ein Schlusslied ist kein Muss.
Schluss: Verabschiedung der Gäste Wenn der Spieler alleine agiert, übernimmt er alleine die Verabschiedung der Gäste. Auch dieses Mal mit Handschlag und mit einer Bitte um ein Feedback, wie Sie es im obigen Beispiel gesehen haben.
Transfer der Gäste Wenn die Aktivierungseinheit beendet ist, schließt sich ggf. ein erneuter Transfer an. Planen Sie Zeit und ggf. Unterstützung durch Kollegen ein.
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Julchen
Praxisbeispiele
Im folgenden Kapitel können Sie verschiedene zielgerichtete Aktivierungseinheiten als Ideengeber kennenlernen. Die Aktivierungseinheiten sind unterteilt in Einzel- und Kleingruppenaktivierungen. Sie können die unterschiedlichen Impulse, die Sie in den einzelnen vorgestellten Aktivierungseinheiten entdecken, auch anders kombinieren, z. B. Impulse aus der Einzelaktivierung in eine Kleingruppenaktivierung übernehmen und umgekehrt. Es sind keine statischen Abläufe, an die Sie sich bei Ihren eigenen Aktivierungseinheiten halten müssen. Vielmehr sollen Ihnen diese Beispiele helfen, eigene Ideen zu entwickeln. Bitte bedenken Sie auch, dass die Grenzen der Aktivierungskategorien fließend sind, i. d. R. ist es nicht möglich, „nur“ eine verbale Aktivierung oder „nur“ eine kognitive Aktivierung durchzuführen. Die Zuordnung in die einzelnen Kategorien erfolgt zum besseren Verständnis aufgrund des formulierten Aktivierungszieles. Ich möchte Ihnen einen bunten Blumenstrauß an Möglichkeiten schenken. Entscheiden Sie bitte selbst, welche der schönen Blumen am Ende für Sie, Ihre Puppe und Ihre Gäste die richtige Blume ist. Zu Beginn der vorgestellten Aktivierungseinheiten stelle ich Ihnen in kurzen Worten die Gäste bzw. die Gästegruppe in einer Ist-Analyse vor. Zudem sehen Sie dort für teilnehmende Gäste die formulierten Ziele. Die Gesprächstexte, die in den Einheiten wiedergegeben sind, sollen Ihnen als Inspirationsquelle dienen. Denken Sie daran, es geht in der Aktivierung mit Klappmaulpuppen um Improvisation und nicht um das Wiedergeben kleiner Theaterstücke. Deswegen sind die Aktivierungseinheiten nicht als Regiebuch zu verstehen, anhand dessen Sie Texte auswendig lernen können, um diese dann mit Ihrer Puppe nachspielen zu können, denn „Romeo und Julia fällt heute aus!“
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Praxisbeispiele
Zielgerichtete Einzelaktivierungen Motorische Einzelaktivierung Durch eine Mobilisation soll die körperliche Beweglichkeit der Gäste erhalten werden. So wird verhindert, dass sich Muskelgewebe weiterhin abbaut. Zudem fördert Bewegung die Herz-Kreislauftätigkeit, Atmung und verbessert das Körpergefühl. Eine spielerische motorische Aktivierung kann Freude und Spaß aufbauen. Zudem kann durch Erfolge in der Bewegung das Selbstbewusstsein gestärkt werden.1
FALLBESCHREIBUNG: FRAU GRÜNDLICH Frau Gründlich, 83 Jahre, mittlere Demenz, wohnt bereits seit vier Jahren in der Einrichtung. Sie ist motorisch stark eingeschränkt. Seit ca. sechs Monaten sitzt sie im Rollstuhl. Diese körperliche Einschränkung belastet sie sehr. Frau Gründlich ist im Grundsatz ein freundlicher, aufgeschlossener Mensch, der gerne Kontakt zu anderen Menschen hat.
Vorbereitung: Ist-Analyse Frau Gründlich sitzt am Tag der Aktivierungseinheit im Wohnbereich und schaut immer wieder durch das Fenster in den Garten. Sie wirkt müde, traurig und in sich gekehrt. Sie hat der Pflegekraft gesagt, dass sie in der Nacht schlecht geschlafen habe, da die Beine ihr weh taten. Eine unterstützende motorische Bewegung der Beine zur Schmerzlinderung lehnte sie ab. Frau Gründlich kennt die Spielpuppe Julchen bereits aus vorherigen Aktivierungseinheiten. In diesem Fall wird vorausgesetzt, dass der Spieler zugleich Moderator der Aktivierungseinheit ist.
1 Vgl. Elfriede, Lindner: Aktivierung in der Altenpflege, ebenda. S. 24 f.
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Julchen
Vorbereitung: Zieldefinition In der heutigen Aktivierungseinheit möchte ich, dass Frau Gründlich mit der Puppe eine unterstützende motorische Bewegung mit mindestens einem Bein ausführt. Die motorische Bewegung soll mindestens den Umfang besitzen, dass Frau Gründlich einen Fuß anhebt.
Vorbereitung: Spielort Frau Gründlich sitzt im Wohnbereich im Rollstuhl. Sie hat den Rollstuhl selbst so hingestellt, dass sie aus dem Fenster schauen kann, d. h. vor ihr befindet sich das Fenster zum Garten. Vor ihr und auf der von ihr aus gesehen rechten Seite ist viel Platz zum Puppenspiel. Den Rücken hat Frau Gründlich zum offenen Raum gekehrt. Es ist nicht nötig, den Spielort zu verändern. Als Anspielrichtung wird die rechte Seite, vom Boden aus, festgelegt.
Transfer der Gäste Entfällt.
Einleitung: Begrüßungslied und Orientierung Beide Punkte können entfallen, da es sich um eine Einzelaktivierung handelt.
Hauptteil: Begrüßung Spieler Da der Spieler zugleich der Moderator der Aktivierungseinheit ist, begrüßt der Spieler zunächst alleine Frau Gründlich. Die Spielpuppe wird außerhalb des Blickfeldes des Gastes in ihrer Tasche aufbewahrt.
BEISPIEL: FRAU GRÜNDLICH Ich gehe auf Frau Gründlich zu und nähere mich von der rechten Seite, so dass Frau Gründlich mich sehen kann. Sabine: „Guten Morgen, Frau Gründlich. Mein Name ist Sabine Meyer.“ (Ich gebe Frau Gründlich die Hand.) Frau Gründlich nimmt Blickkontakt auf: „Guten Tag.“ (Sie blickt wieder aus dem Fenster.)
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Praxisbeispiele
Sabine: „Frau Gründlich, ich habe Ihnen heute jemanden mitgebracht. Ein kleines Mädchen. Das kennen Sie schon. Das ist Julchen.“ Frau Gründlich schaut mich an: „Ja?“ Sabine: „Soll ich Julchen einmal holen?“ Frau Gründlich: „Ja.“
Ich wende mich ab und ziehe außerhalb des Blickfeldes des Gastes die Puppe an. Dann kehre ich zurück und führe die Puppe in die gleiche Spielrichtung, die ich genommen habe, von der rechten Seite an Frau Gründlich heran, bis die Puppe direkt vor Frau Gründlich steht. Ich habe so das Fenster im Rücken. Die Puppe habe ich, sobald ich davon ausgehen konnte, dass Frau Gründlich die Puppe entdecken könnte, gehend über den Boden geführt. Dann gehe ich in die Hocke und spiele die Puppe weiterhin von unten nach oben.
Hauptteil: Puppenspiel – Gesprächsanlass und Interaktion Um das motorische Aktivierungsziel in einen Gesprächsanlass und eine Interaktion zu überführen, habe ich mir überlegt, dass Julchen im Kindergarten einen Kindertanz gelernt hat, der erfordert, dass die Puppe abwechselnd ein Bein hochhebt.
BEISPIEL: FRAU GRÜNDLICH Julchen steht vor Frau Gründlich auf dem Boden. Frau Gründlich hält den Blickkontakt mit der Puppe. Julchen: „Guten Morgen. Ich bin Julchen. Und wer bist du?“ Frau Gründlich gibt Julchen die Hand: „Guten Tag, ich bin Ruth.“ Julchen: „Ruth, soll ich dir mal zeigen, was ich im Kindergarten gelernt habe?“ Frau Gründlich: „Ja.“ Julchen: „Ich habe einen Piratentanz gelernt. Soll ich dir das mal zeigen?“ Frau Gründlich: „Ja.“
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Julchen
Julchen: „Aber ich weiß nicht, ob ich das schon richtig mache.“ Frau Gründlich: „Das macht nichts.“ Julchen: „Das geht so.“ Julchen hebt erst das rechte Bein, dann das linke Bein. (Anmerkung: Die Puppe kann selbstverständlich nicht alleine das Bein hochheben. Da ich aber als Spieler meine Hände nicht aus der Puppe nehmen kann, nimmt Julchen mit ihrer rechten Puppenhand selbst ein Bein nach dem anderen in die Hand und hebt es hoch.) Julchen singt dabei und hebt bei jeder Silbe ein Bein hoch: „Pi – ra – ten – tan – zen hoch das Bein!“ Frau Gründlich: „Das hast du aber gut gemacht.“ Julchen: „Alleine macht das aber gar keinen Spaß. Machst du mit?“ Frau Gründlich: „Das kann ich nicht. Dafür bin ich zu alt.“ Julchen: „Versuch doch mal.“ Julchen tanzt noch mal. „Pi – ra – ten – tan – zen hoch das Bein!“ Frau Gründlich wippt leicht mit den Zehenspitzen mit. Julchen: „Ich hab‘s gesehen, du machst das mit den Zehen. Toll! Lass uns nochmal tanzen.“ Frau Gründlich wiederholt mit Julchen den Piratentanz mit den Zehen. Julchen: „Wollen wir mal versuchen, ob wir wie Piraten stampfen können?“ Gemeinsam mit Julchen hebt Frau Gründlich nun erst den rechten, dann den linken Fuß. Julchen bietet als nächstes die Bewegung des Beines an. Aber Frau Gründlich kann nur das rechte Bein hochheben. Julchen kehrt wieder zum erfolgreichen Fußheben zurück. Daran haben beide Spaß.
Hauptteil: Verabschiedung der Puppe Mit einem guten Erfolgsgefühl von Frau Gründlich und viel Lachen kommt die Aktivierungseinheit zum Ende.
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Praxisbeispiele
Irgendwann ist es Zeit, die Spielsituation zu beenden. Julchen muss sich wieder verabschieden. Die Puppe ist immer zuerst dran. Sie hat die Situation als Letzte betreten und verlässt die Situation als Erste wieder. Sie verabschiedet sich dabei mit der Frage „Darf ich noch mal wiederkommen?“ Diese Frage dient dazu, dem Gast das Wiederkommen der Puppe zu signalisieren. So wird ein möglicher Abschiedsschmerz von Julchen positiv umgewandelt.
BEISPIEL: FRAU GRÜNDLICH Julchen: „Ich will meinem Papa zu Hause zeigen, was wir Tolles gemacht haben. Darf ich noch mal wiederkommen, um mit dir den Piratentanz zu machen?“ Frau Gründlich: „Gerne. Komm nur wieder.“ Julchen (Julchen gibt Frau Gründlich die Hand): „Auf Wiedersehen.“ Frau Gründlich: „Auf Wiedersehen.“
Julchen winkt und geht aus dem Blickfeld. Dabei wird sie von mir so lange gehend über den Boden geführt, bis sie komplett aus dem Blickfeld des Gastes verschwunden ist. Dann erst nehme ich die Puppe hoch und lege sie zurück in ihre Tasche.
Schluss: Verabschiedung des Spielers Ich gehe zurück zu Frau Gründlich, um mich selbst zu verabschieden.
BEISPIEL: FRAU GRÜNDLICH Sabine: „Vielen Dank, Frau Gründlich, dass Sie mit Julchen gespielt haben. Die Kleine freut sich immer so, wenn sie zu Ihnen kommen darf. Hat es Ihnen denn auch Freude gemacht?“ Frau Gründlich lacht: „Sehr.“ Sie wippt mit den Füßen. Sabine: „Auf Wiedersehen, Frau Gründlich.“ Frau Gründlich: „Auf Wiedersehen.“
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Julchen
Ich gehe aus dem Blickfeld. Frau Gründlich lächelt und schaut aus dem Fenster. Ab und zu wippt sie mit den Füßen.
Schluss: Schlusslied Ein Schlusslied ist in diesem Zusammenhang nicht sinnvoll, da es sich um eine Einzelaktivierung handelt.
Schluss: Verabschiedung der Gäste Da es in dieser Aktivierungseinheit nur einen Spieler gibt, der zugleich Moderator ist, entfällt die Verabschiedung des Gastes durch den Moderator.
Transfer der Gäste Da Frau Gründlich weiterhin im Wohnbereich verbleibt, entfällt in diesem Fall der Transfer.
Reflexion: Schriftliche Reflexion An diesem Beispiel können Sie erkennen, dass die Zielerreichung erfolgreich umgesetzt werden konnte. Frau Gründlich konnte relativ leicht mit den Zehen wippen, den Fuß anheben konnte sie auch, aber das Bein anzuheben, vor allem das linke Bein hochzuheben, vermochte sie nicht. Deswegen habe ich am Ende wieder die für sie einfachere Form des Fußanhebens angeboten. Da Frau Gründlich dabei gelacht hat, war zu erkennen, dass es ihr einerseits Freude machte, andererseits die Beschwerden bei dieser Bewegung weniger wurden. In der schriftlichen Reflexion wird als nächstes vorformuliertes Ziel festgehalten: In der nächsten Aktivierungseinheit möchte ich, dass Frau Gründlich mit der Puppe eine unterstützende motorische Bewegung mit ihren Beinen ausführt. Die motorische Bewegung soll mindestens den Umfang besitzen, dass Frau Gründlich abwechselnd ihre Füße hochhebt. Es soll versucht werden, die Bewegung auszuweiten, indem Frau Gründlich ihre Knie dabei bewegt und die Füße nach vorne streckt.
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Praxisbeispiele
Julchen braucht Hilfe beim Bauklötzespiel.
PRAXISERFAHRUNG In einer Aktivierungseinheit hatte ich das Ziel, eine Dame, die unter starkem Zittern in der rechten Hand litt, motorisch zu aktivieren. Julchen sollte mit der Dame zusammen Bauklötze stapeln. Zu Beginn gelang es den beiden, zwei Steine aufeinander zu setzen, beim dritten Stein fiel der Turm durch das Zittern der Hand um. Julchen wurde von einem anderen Gast in der Runde angesprochen. In der Zeit stapelte die Dame weiter die Bauklötze übereinander. Als es ihr gelang, drei Steine übereinander zu stellen, rief sie: „Julchen, schau mal!“ Julchen war begeistert und klatschte Beifall.
Kognitive Einzelaktivierung Kognitive Aktivierungen können Symptome der Demenz kompensieren, im besten Falle hinauszögern. Die kognitive Aktivierung beschränkt sich dabei nicht nur auf das
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Julchen
reine Wissen, sondern auch auf Erinnerungen, um die zeitliche, örtliche, situative und zur Person gehörende Orientierung auszudehnen. Durch das Schaffen positiver Erlebnisse werden das Selbstwertgefühl, die Aufmerksamkeit und die Konzentration gefördert.2
FALLBESCHREIBUNG: HERR KLUG Herr Klug ist 75 Jahre alt. Er hat eine mittlere Demenz, die zeitweise bereits in das schwere Stadium übergeht. Herr Klug ist seit 2 Jahren in der Einrichtung. Seine Tochter besucht ihn nur einmal im Monat, da sie weit entfernt mit ihrem Mann und ihrem vierjährigen Sohn wohnt. Herr Klug erkennt seine Tochter nicht mehr jedes Mal, wenn sie ihn besucht. In seinem Berufsleben war Herr Klug Schreinermeister mit eigenem Betrieb, in dem er auch ausgebildet hat.
Vorbereitung: Ist-Analyse Herr Klug wirkt vor der Aktivierungseinheit aufgeregt. Seine Tochter war am Tag zuvor dagewesen. Herr Klug findet keine Ruhe. Er ist zeitweise traurig, dann wütend. Herr Klug kennt Julchen aus vorherigen Aktivierungseinheiten. In diesem Fall wird vorausgesetzt, dass der Spieler zugleich Moderator der Aktivierungseinheit ist.
Vorbereitung: Zieldefinition In der heutigen Aktivierungseinheit möchte ich Herrn Klug kognitiv zum Thema „Holz“ aktivieren, um ihn von seiner Unruhe abzulenken. Er soll mit der Puppe über verschiedene Bäume sprechen und mindestens drei verschiedene Bäume nennen.
Vorbereitung: Spielort Herr Klug ist in seinem Zimmer. Er sitzt in seinem Sessel. Sein Blick wandert ruhelos durch das Zimmer. Eine Vorbereitung des Spielortes ist nicht nötig. 2 Vgl. Lindner, Elfriede: Aktivierung in der Altenpflege, ebenda, S. 18
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Praxisbeispiele
Um die Puppe ins Spiel zu bringen, muss überlegt werden, wie die Puppe an den Spielort gelangt. Es wird festgelegt, dass die Puppe in das Zimmer in lebendiger Grundhaltung getragen wird, um dann die eigentliche Anspielrichtung vor Ort situativ festzulegen.
Transfer der Gäste Entfällt.
Einleitung: Begrüßungslied und Orientierung Beide Punkte können entfallen, da es sich um eine Einzelaktivierung im Zimmer handelt.
Hauptteil: Begrüßung Spieler Der Spieler ist zugleich der Moderator. In der Situation einer Einzelaktivierung im Zimmer tritt zunächst der Spieler ohne Puppe ein. Er begrüßt den Gast und stellt sich selbst vor. Die Spielpuppe ist außerhalb des Blickfeldes des Gastes, außerhalb des Zimmers.
BEISPIEL: HERR KLUG Ich klopfe an die Tür und trete ein. Sabine: „Guten Morgen, Herr Klug. Mein Name ist Sabine Meyer.“ (Ich gehe zu Herrn Klug und gebe ihm die Hand.) Herr Klug nimmt meine angebotene Hand, schaut aber weiterhin ruhelos durch das Zimmer und spricht nicht. Sabine: „Herr Klug, haben Sie einen Augenblick Zeit für mich? Ich habe Ihnen nämlich jemanden mitgebracht, der vor der Tür wartet.“ Herr Klug schaut mich an. Sabine: „Unser kleines Puppenmädchen Julchen wartet vor der Tür. Sie kennen ja Julchen schon, Herr Klug.“ Herr Klug nickt. Sabine: „Soll ich das Julchen einmal holen?“ Herr Klug nickt.
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Julchen
Ich wende mich ab und gehe vor die Zimmertür. Außerhalb des Blickfeldes des Gastes ziehe ich die Puppe an. Ich nehme die Puppe in lebendiger Grundhaltung3 auf meinen Arm und kehre in das Zimmer zurück.
Hauptteil: Puppenspiel – Gesprächsanlass und Interaktion Um das kognitive Aktivierungsziel in einen Gesprächsanlass und eine Interaktion zu überführen, habe ich mir überlegt, dass Julchen mit ihrer Kindergartengruppe im Wald war. Und sie viele Bäume gesehen hat.
BEISPIEL: HERR KLUG Julchen sitzt auf meinem Arm und winkt. Julchen: „Guten Morgen. Ich bin Julchen.“ Herr Klug wendet sich zu uns: „Guten Morgen.“ Julchen wird von mir näher zu Herrn Klug getragen und auf den Boden vor ihn gestellt. Ich hocke mich hinter die Puppe. Julchen: „Guten Morgen. Ich bin Julchen. Und wer bist du?“ Herr Klug: „Ich bin der Walter.“ Julchen: „Walter, die Mama hat mir gesagt, dass du viel über Holz weißt.“ Herr Klug nickt. Julchen: „Ich war im Wald mit den anderen Kindern.“ Herr Klug: „Im Wald ist es schön.“ Julchen: „Da sind so viele Bäume.“ Herr Klug: „Das stimmt.“ Julchen: „Kennst du die alle?“ Herr Klug: „Früher mal. Jetzt habe ich das vergessen.“ Julchen: „Echt? Ich weiß nur einen Baum. Äh, Buche.“ Herr Klug: „Und Eiche.“ Julchen: „Und zu Weihnachten …“ Herr Klug: „Tanne.“ Herr Klug lächelt. 3 Vgl. „Basics des Puppenspiels“, Kapitel, „Die lebendige Grundhaltung der Puppe“, Seite 26.
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Praxisbeispiele
Julchen: „Das ist toll. Du weißt aber viele Bäume.“ Julchen und er zählen noch weitere Bäume auf: Birke, Kiefer, Esche und Kastanie.
Hauptteil: Verabschiedung der Puppe Mit einem guten Erfolgsgefühl von Herrn Klug und viel Lachen kommt die Aktivierungseinheit zum Ende. Irgendwann ist es Zeit, die Spielsituation zu beenden. Julchen muss sich wieder verabschieden. Die Puppe ist immer zuerst dran. Sie hat die Situation als Letzte betreten und verlässt die Situation als Erste wieder. Sie verabschiedet sich dabei mit der Frage „Darf ich noch mal wiederkommen?“ Diese Frage dient dazu, dem Gast das Wiederkommen der Puppe zu signalisieren. So wird ein möglicher Abschiedsschmerz von Julchen positiv umgewandelt.
BEISPIEL: HERR KLUG Julchen: „Ich muss jetzt nach Hause. Und dann gehe ich in den Wald und suche die Kastanien. Darf ich noch mal wiederkommen und dir Kastanien bringen?“ Herr Klug: „Vielleicht findest du auch Eicheln. Komm nur wieder.“ Julchen (Julchen gibt Herrn Klug die Hand): „Auf Wiedersehen.“ Herr Klug: „Auf Wiedersehen.“
Julchen winkt und wird wieder von mir auf den Arm genommen. Ich trage sie in der lebendigen Grundhaltung aus dem Zimmer. Vor der Tür und außerhalb des Blickfeldes des Gastes lege ich die Puppe ab und komme ohne Puppe wieder in das Zimmer.
Schluss: Verabschiedung des Spielers Ich gehe zurück zu Herrn Klug, um mich selbst zu verabschieden.
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Julchen
BEISPIEL: HERR KLUG Sabine: „Vielen Dank, Herr Klug. Sie haben Julchen sehr geholfen. So vieles hat sie heute über Bäume gelernt. Buchen, Eichen, Birken, Kastanien, Kiefern.“ Herr Klug: „Tanne. Ich habe immer mit meiner Tochter den Tannenbaum zu Weihnachten selbst im Wald geschlagen.“ Sabine: „Das macht bestimmt viel Spaß, Herr Klug.“ Herr Klug: „Meine Tochter war gestern da.“ Sabine: „Sie kommt bestimmt bald wieder, Herr Klug. Und ich komme mit Julchen auch bald wieder. Auf Wiedersehen, Herr Klug.“ Herr Klug: „Auf Wiedersehen.“ Ich gehe aus dem Blickfeld. Herr Klug bleibt zufrieden und ruhig in seinem Zimmer zurück.
Schluss: Schlusslied Ein Schlusslied ist in diesem Zusammenhang nicht sinnvoll, da es sich um eine Einzelaktivierung handelt.
Schluss: Verabschiedung der Gäste Da es in dieser Aktivierungseinheit nur einen Spieler gibt, der zugleich Moderator ist, entfällt die Verabschiedung des Gastes durch einen Moderator.
Transfer der Gäste Da die Aktivierungseinheit im Zimmer des Gastes stattfand, entfällt in diesem Fall der Transfer.
Reflexion: Schriftliche Reflexion An diesem Beispiel können Sie erkennen, dass die Zielerreichung erfolgreich umgesetzt werden konnte. Herr Klug konnte viele Bäume beim Namen nennen. Besonders hervorzuheben war, dass er sich an einen biografischen Zusammenhang er-
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Praxisbeispiele
Spieglein, Spieglein an der Wand.
innerte, an den Weihnachtsbaum. Und darüber konnte er sich erinnern, dass seine Tochter bei ihm war. In der schriftlichen Reflexion wird als nächstes vorformuliertes Ziel festgehalten: In der nächsten Aktivierungseinheit möchte ich, dass Herr Klug Baumfrüchte mit Julchen sortiert, dazu wird Julchen Tannenzapfen, Kastanien, Bucheckern, Eicheln und Nüsse mitbringen. Es soll versucht werden, Herrn Klug weiter in seinem Wissen zu fördern und zu bestätigen.
PRAXISERFAHRUNG Julchen bringt zu einer Aktivierungseinheit in einer Kleingruppe mit sieben Gästen, Männer und Frauen, leichte bis mittlere Demenz, ihre Lieblingsprinzessinnenkrone mit. Ein Herr reagiert sehr schnell auf die Prinzessinnenkrone und den Handspiegel, den Julchen auch noch mitgebracht hat und sagt: „Spieglein,
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Julchen
Spieglein an der Wand.“ „Wer ist die Schönste im ganzen Land?“, erwidert eine Dame. Julchen: „Das ist ja das Märchen!“ „Das ist Schneewittchen“, sagt eine Dame. „Kennt ihr noch andere Märchen?“, fragt Julchen aufgeregt. Und dann beginnen die Gäste über Märchen zu erzählen. Sie zählen Märchen auf, erinnern Märchenreime und erzählen, wie sie Märchen als Kinder gehört haben. Oft lässt sich sehr gut eine kognitive Aktivierung mit Biografiearbeit verknüpfen. Das ist ein großer Mehrwert, denn über die Biografiearbeit wird die Aktivierungsarbeit persönlicher und damit nachhaltiger.
Verbale Einzelaktivierung Im Verlauf der Demenz nimmt die verbale Kommunikation ab, Wörter gehen in ihrer Bedeutung verloren, Laute können nicht mehr geformt werden und das Kurzzeitgedächtnis verliert die Merkfähigkeit, um sich an das gerade Gesagte zu erinnern. Da aber unsere Beziehungswelt zu einem großen Teil auf Worten und Sätzen basiert, erleben viele Menschen mit Demenz die verbale Kommunikation als belastend. Die Lust an der Sprache geht verloren, weil ihr Einsatz mit negativen Erfahrungen gleichgesetzt und verknüpft wird. Um hier gegenzusteuern, ist es wichtig, wertschätzende Anreize zur Kommunikation zu schaffen, ohne die Kommunikation an sich dabei zu bewerten. Es gilt eine einfache, sinnvolle Kommunikation mit Freude und Vergnügen erlebbar zu machen.
FALLBESCHREIBUNG: FRAU HOF Frau Hof hat eine mittlere Demenz. Sie ist 81 Jahre alt und seit 2 Jahren regelmäßig in der Tagespflegeeinrichtung. Sie leidet unter starken Wortfindungsstörungen und vermag es nicht, einen Satz zusammenhängend zu sprechen. Frau Hof ist hoch gebildet. Sie war als Professorin lange Jahre im Bereich Literaturwissenschaften an der Hochschule tätig. Frau Hof leidet sehr darunter, dass sie sich nicht mehr ausdrücken kann. Mit ihrer Tochter, die sie außerhalb der Tagespflegeeinrichtung in ihrem gemeinsamen Zuhause pflegt und betreut, redet Frau Hof kaum noch.
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Praxisbeispiele
Vorbereitung: Ist-Analyse Frau Hof sitzt im Rollstuhl in einer kleinen Gruppe von sechs Tagespflegegästen, die sich zum Teil unterhalten. Frau Hof redet mit, immer nur ein oder zwei Wörter eines Satzes, dann verstummt sie und findet die weiteren Wörter nicht. Im Laufe des Vormittags werden ihre Sprechansätze immer weniger. Dann schweigt sie und beteiligt sich nicht mehr. Frau Hof kennt die Klappmaulpuppe Julchen noch nicht. In diesem Fall wird dem Spieler eine Betreuungskraft zur Seite gestellt, welche die Rolle der Moderatorin übernimmt.
Vorbereitung: Zieldefinition In der heutigen Aktivierungseinheit möchte ich, dass Frau Hof mit Julchen mindestens einen klar zu verstehenden kompletten Satz spricht. Dieses Sprechen soll in einer freudigen Atmosphäre ohne Druck erfolgen.
Vorbereitung: Spielort Frau Hof sitzt im Kreis mit den anderen Gästen im Wohnbereich. Um zu verhindern, dass andere Gäste in die Kommunikation mit der Puppe eingreifen und damit Frau Hof in ihrer Ausdrucksfähigkeit unter Druck setzen, begleitet die Betreuungskraft Frau Hof in eine geschützte Ecke des Wohnbereiches. Dort sitzt Frau Hof so, dass beide Seiten des Rollstuhls für den Spieler zugänglich sind. Als Anspielrichtung wird die Seite gewählt, von der Frau Hof einfacher den Blickkontakt zum Spieler und zur Puppe aufbauen kann.
Transfer der Gäste Entfällt.
Einleitung: Begrüßungslied und Orientierung Beide Punkte entfallen, da es sich um eine Einzelaktivierung handelt.
Hauptteil: Begrüßung Spieler Die Betreuungskraft übernimmt als Moderatorin die Begrüßung und die Einführung des Spielers. Danach kommt der Spieler zum Gast und stellt sich vor. Erst danach holt der Spieler die Puppe und kommt mit der Puppe in lebendiger Grundhaltung auf dem Arm in die Spielsituation.
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BEISPIEL: FRAU HOF Betreuungskraft: „Liebe Frau Hof, wir haben heute einen Gast im Haus. Der würde gerne einmal zu Ihnen kommen und Sie kennenlernen. Sie heißt Sabine Meyer.“ Frau Hof: „Ja (...) ich (...).“ Betreuungskraft: „Frau Hof, ich hole Frau Meyer einmal zu Ihnen.“ Frau Hof: „Ich (...) ja.“ Die Betreuungskraft holt mich in den Raum. Ich gehe zu Frau Hof und stelle mich vor. Sabine: „Mein Name ist Sabine Meyer. Guten Tag. Sie sind Frau Hof, nicht wahr?“ (Ich reiche Frau Hof zur Begrüßung die Hand.) Frau Hof nickt: „Ich (...).“ Sie ergreift meine Hand. Sabine: „Liebe Frau Hof, ich bin heute gar nicht alleine zu Ihnen gekommen. Ich habe Ihnen ein kleines Puppenmädchen mitgebracht. Das Mädchen heißt Julchen. Und sie ist schon ganz aufgeregt. Darf Julchen auch zu Ihnen kommen?“ Frau Hof nickt.
Ich wende mich ab und gehe vor die Zimmertür. Außerhalb des Blickfeldes des Gastes ziehe ich die Puppe an. Ich nehme die Puppe in lebendiger Grundhaltung auf meinen Arm und kehre in das Zimmer zurück.
Hauptteil: Puppenspiel – Gesprächsanlass und Interaktion Um das kognitive Aktivierungsziel in einen Gesprächsanlass und eine Interaktion zu überführen, habe ich mir überlegt, dass Julchen versucht, in den Körperkontakt mit Frau Hof zu kommen, um auf den nonverbalen Ebenen mit Frau Hof kommunizieren zu können. Alles Weitere überlasse ich den Reaktionen von Frau Hof.
BEISPIEL: FRAU HOF Ich trete mit der Puppe in lebendiger Grundhaltung zu Frau Hof. Julchen winkt. Frau Hof winkt zurück.
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Praxisbeispiele
Ich knie mich auf den Boden vor Frau Hof und Julchen steht vor mir. Julchen: „Guten Tag, ich bin Julchen!“ (Julchen gibt Frau Hof die Hand.) Frau Hof: „Du (…). Du (…) bist (…) Julchen: „Ja, ich bin Julchen. Und wer bist du?“ Frau Hof: „Grün.“ Julchen: „Ach, du meinst meine grüne Bluse.“ Frau Hof nickt. Julchen: „Das ist meine Lieblingsbluse. Wie heißt du denn?“ Frau Hof: „Irmgard.“ Frau Hof beginnt an Julchens blonden Zöpfen zu spielen. Dazu muss sie sich sehr in ihrem Rollstuhl hinunterbeugen. Das ist anstrengend für Frau Hof. Julchen: „Darf ich mal auf deinen Schoß? Dann kannst du besser meine Haare in Ordnung bringen.“ Frau Hof: „Oh (…) Ja.“ Julchen klettert auf den Schoß und ich stelle mich so, dass ich halb hinter Frau Hof stehe und die Puppe bequem führen kann. Julchen kuschelt sich in Frau Hofs Armbeuge. Julchen: „Das ist aber schön hier. Ich kuschel so gerne.“ Frau Hof lacht: „Oh (…) ich (…).“ Julchen: „Weißt du, was meine Mama macht, wenn sie mit mir kuschelt?“ Frau Hof: „Nein.“ Julchen: „Sie singt mir ein Lied vor.“ Frau Hof lacht. Julchen: „Singst du mir auch ein Lied vor?“ Frau Hof: „Das muss ich mir erst erarbeiten.“ Julchen: „Wir können ja zusammen singen. Ich fange an und du hilfst mir?“ Frau Hof: „Ich will das versuchen.“ Und dann singen die beiden aneinander gekuschelt: „Guten Abend, gute Nacht.“
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Julchen
Hauptteil: Verabschiedung der Puppe Mit einem guten Erfolgsgefühl für Frau Hof und viel Lachen kommt die Aktivierungseinheit zum Ende. Irgendwann ist es Zeit, die Spielsituation zu beenden. Julchen muss sich wieder verabschieden. Die Puppe ist immer zuerst dran. Sie hat die Situation als Letzte betreten, sie verlässt die Situation als Erste wieder. Sie verabschiedet sich dabei mit der Frage: „Darf ich noch mal wiederkommen?“ Diese Frage dient dazu, dem Gast das Wiederkommen der Puppe zu signalisieren. So wird ein möglicher Abschiedsschmerz von Julchen positiv umgewandelt.
BEISPIEL: FRAU HOF Julchen: „Ich muss jetzt nach Hause. Darf ich noch mal wiederkommen und wir singen wieder zusammen?“ Frau Hof: „Du darfst gerne wiederkommen. Ich (…) ja.“ Julchen (Julchen gibt Frau Hof die Hand): „Auf Wiedersehen.“ Frau Hof: „Auf Wiedersehen.“
Julchen winkt und wird wieder von mir auf den Arm genommen. Ich trage sie in der lebendigen Grundhaltung aus dem Zimmer. Vor der Tür und außerhalb Frau Hofs Blickfeld lege ich die Puppe ab und komme ohne Puppe wieder in das Zimmer.
Schluss: Verabschiedung des Spielers Ich gehe zu Frau Hof, um mich selbst zu verabschieden. Die Betreuungskraft als Moderatorin begleitet mich.
BEISPIEL: FRAU HOF Sabine: „Vielen Dank, Frau Hof. Julchen hat sich so gefreut, dass Sie mit ihr gesungen haben.“ Frau Hof: „Ich (…) oh. Lied.“
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Praxisbeispiele
Betreuungskraft: „Frau Hof, darf Julchen denn noch mal wiederkommen?“ Frau Hof: „Ja.“ Sabine: „Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Frau Hof. Und gerne kommen Julchen und ich wieder. Auf Wiedersehen.“ Frau Hof: „Auf Wiedersehen.“ Ich gehe aus dem Blickfeld. Frau Hof und die Betreuungskraft bleiben zusammen zurück.
Schluss: Schlusslied Ein Schlusslied ist in diesem Zusammenhang nicht sinnvoll, da es sich um eine Einzelaktivierung handelt.
Schluss: Verabschiedung der Gäste Die Betreuungskraft wird sich in diesem Fall später von Frau Hof verabschieden. Sie wird Frau Hof wieder in die Runde zurückbringen.
Transfer der Gäste Da die Aktivierung im Wohnbereich stattfand, entfällt in diesem Fall der Transfer.
Reflexion: Schriftliche Reflexion An diesem Beispiel können Sie erkennen, dass in der Puppenaktivierung eine andere Kommunikationsebene eingenommen wird. Im Zusammensein mit einem kleinen Kind sind einfache Worte sinnvoll, einfache Sätze und einfache Themen. Das setzt die Hemmschwelle für Menschen mit Demenz auch mit Wortfindungsstörungen herunter, die verbale Kommunikation zu nutzen. Durch die vergnügliche, einfache und erfolgsgekrönte Kommunikation mit der Puppe erlebt Frau Hof andere Kompetenzen als in der Kommunikation mit einem Erwachsenen, die oftmals mit negativen Erfahrungen und Misserfolgen erlebt wird. Diese Wirkung scheint nicht lange anzuhalten, im Verlauf des Beispiels nehmen ihre Fähigkeiten wieder ab. Aber das ist nebensächlich. Es geht darum, Frau Hof immer wieder Augenblicke zu schenken, in denen sie erfolgreich verbal kommunizieren kann. Das ist eine nachhaltige Entwicklung.
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Julchen
Julchen spricht mit den Augen.
In der schriftlichen Reflexion wird als nächstes vorformuliertes Ziel festgehalten: In der nächsten Aktivierungseinheit möchte ich, dass Frau Hof Julchen aus einem Kinderbuch vorliest.
PRAXISERFAHRUNG Julchen hatte zu einer Inhouseschulung für Alltagsbegleiter ihre ganze Familie mitgebracht. Die Workshopteilnehmer teilten sich in Zweierteams mit jeweils einer Puppe auf, um eine kleine Szene zu zweit zu entwickeln. So kam es, dass in der ganzen Einrichtung verteilt mehrere Teams auf Fluren und Sitzecken saßen und mit einer Puppe spielten. Ein Team berichtete nach der Arbeitsphase: „Wir saßen im Eingangsbereich in der Sitzecke. Da kamen aus dem Fahrstuhl zwei Gäste und sahen uns. Beide Damen haben eine mittlere Demenz, das wussten wir. Sie nahmen uns als Spieler
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Praxisbeispiele
gar nicht wahr und traten sogleich zu der Puppe und unterhielten sich mit der Puppe. Aber als unsere Übungszeit vorbei war und wir wieder in den Workshopraum zurückkehren mussten, verabschiedeten sich die beiden Damen liebevoll von der Puppe. Dann gingen wir den Flur entlang und die beiden Damen blieben in der Sitzecke sitzen. Wir konnten sie reden hören: „Das war ja mal was.“ Und sie lachten beide.
Psychosoziale Einzelaktivierung In einer psychosozialen Aktivierung geht es vor allem um die Förderung der Kontaktfähigkeit zu anderen Personen und der sozialen Verhaltensweisen.4 Vorzugsweise sind diese Aktivierungen natürlich in einer Kleingruppe durchzuführen. Manche Gäste lassen sich aber nicht in einer Kleingruppe integrieren. In der psychosozialen Einzelaktivierung geht es darum, die Kontaktfähigkeit mit der Klappmaulpuppe zu fördern, um sie im späteren Verlauf eventuell in eine Kleingruppenarbeit zu überführen. Gerade die sozialen Aktivitäten sind für Menschen mit Demenz wichtig, um Wohlbefinden und Lebensqualität zu erleben.5
FALLBESCHREIBUNG: HERR NEUER Herr Neuer, 81 Jahre, mittlere Demenz, ist vor einigen Tagen in die Einrichtung gezogen. Bis dahin hatte er sich alleine zu Hause selbst versorgt. Nachdem Herr Neuer sich aufgrund seiner Demenz nicht mehr alleine versorgen konnte, hat der Sohn seinen Vater in die Einrichtung gebracht. Der Sohn lebt weit entfernt. Herr Neuer war ein sehr kontaktfreudiger Mensch, so beschreibt der Sohn den Vater. Seit er in der Einrichtung ist, weigert sich Herr Neuer, an Aktivitäten in der Einrichtung teilzunehmen. Er will sein Zimmer nicht verlassen. Er ist mobil und kann mithilfe eines Rollators sein Zimmer eigenständig verlassen. 4 Vgl. Lindner, Elfriede: Aktivierung in der Altenpflege, a.a.O., S. 14 5 Vgl. Haberstroh, Dr., Julia, Pantel, Prof. Dr., Johannes, Neumeyer, Katharina: Kommunikation bei Demenz, a.a.O., S. 11
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Julchen
Vorbereitung: Ist-Analyse Herr Neuer sitzt seit dem Frühstück, das er auf seinem Zimmer eingenommen hat, vor dem Fernseher in seinem Zimmer und schaut den Sportkanal. Beim Eintreten einer Pflege- oder Betreuungskraft spricht er nicht und wendet sich nicht vom Fernseher ab. Herr Neuer kennt die Klappmaulpuppe Timmi noch nicht. Es wird vereinbart, dass der Spieler allein in das Zimmer geht.
Vorbereitung: Zieldefinition Ich entscheide mich in diesem Fall für die Klappmaulpuppe Timmi, da Timmi authentischer das Thema „Sport“ darstellt. In der heutigen Aktivierungseinheit möchte ich, dass Herr Neuer mit Timmi Kontakt, in welcher Form auch immer, aufnimmt. Eine Reaktion auf die Kontaktaufnahme der Puppe durch Blickkontakt, Berührung oder Worte seitens Herrn Neuer wären möglich.
Vorbereitung: Spielort Da Herr Neuer sich bereits in einer festen Position vor dem Fernseher im Zimmer befindet, die er nicht verlassen will, kann der Spielort nicht verändert werden. Ich entscheide mich, zunächst vom Boden aus, die Klappmaulpuppe zu spielen, ggf. verändere ich die Spielrichtung auf Augenhöhe, z. B. indem ich im späteren Verlauf Timmi auf die Armlehne des Sessels setze.
Transfer der Gäste Entfällt.
Einleitung: Begrüßungslied und Orientierung Die beiden Punkte entfallen, da es sich um eine Einzelaktivierung im Zimmer handelt. Zudem läuft der Fernseher, was ein gemeinsames Singen als Begrüßungslied zunächst ausschließt und Herr Neuer bisher auf keinerlei Ansprache in der Art reagiert hat.
Hauptteil: Begrüßung Spieler Der Spieler führt sich selbst in die Spielszene ein. Da es sich in diesem Fall um eine Situation handelt, in der der Gast auf keinerlei Ansprache reagiert, macht es hier Sinn, dass der Spieler bereits mit der Klappmaulpuppe im Arm den Raum betritt. Die Spielsituation beginnt untermittelbar mit dem Eintritt
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Praxisbeispiele
des Spielers und der Puppe. Das bedeutet, die Klappmaulpuppe muss von Beginn an in der lebendigen Grundhaltung auf dem Arm gehalten werden. Eine Begrüßung des Spielers entfällt in diesem Fall, da die Puppe selbst die komplette Spielführung, auch die Begrüßung übernimmt.
Hauptteil: Puppenspiel – Gesprächsanlass und Interaktion Im Vorfeld habe ich mir überlegt, dass die Klappmaulpuppe Timmi über das Thema „Sport“ in die Aktivierung eintritt, da Herr Neuer sehr oft Sportsendungen anschaut und auch in diesem Augenblick damit beschäftigt ist. Als Gesprächsanlass nehme ich Timmis Wunsch, Torwart in der Fußballgruppe seines Kindergartens „Bunte Bälle“ zu werden.
BEISPIEL: HERR NEUER Ich klopfe an die Zimmertür von Herrn Neuer. Es kommt keine Reaktion. Dann öffne ich die Tür einen Spalt und schiebe Timmi in lebendiger Grundhaltung auf meinem Arm durch die Tür, dass er zu sehen ist. (Ich selbst nutze den Moment, um über Timmis Kopf hinweg zu schauen, um mich im Zimmer zu orientieren.) Timmi: „Da ist Fußball im Fernsehen. Darf ich mitgucken?“ Herr Neuer wendet sich nicht um und schaut weiter. Timmi: „Fußball ist cool. Ich will auch Fußball spielen. Darf ich mitgucken?“ Herr Neuer wendet sich nicht um und schaut weiter. Ich gehe langsam mit Timmi auf dem Arm zum Sessel, in dem Herr Neuer sitzt, und kurz bevor ich da bin, gehe ich in die Hocke und setze Timmi auf den Boden, so dass er das letzte Stück über den Boden geht. Er steht nun am Sessel. Timmi: „Wann fällt denn da ein Tor?“ Herr Neuer brummt und schaut weiter. Timmi: „Du! Wann fällt denn da ein Tor?“ Timmi kommt näher an Herrn Neuer und lehnt sich etwas an dessen Bein. Herr Neuer schaut zu Timmi runter und brummt. Dann schaut er weiter.
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Julchen
Timmi: „Nun sag schon, wann fällt ein Tor?“ Ungeduldig zupft Timmi vorsichtig am Hosenbein. Herr Neuer schaut zu Timmi: „Wer bist du?“ Timmi: „Ich bin Timmi und ich will Torwart bei den bunten Bällen werden. Ich bin im Kindergarten.“ Herr Neuer schaut Timmi an: „So, so. Bist du nicht etwas zu klein dafür?“ Timmi: „Ich bin schon vier.“ Herr Neuer: „Gut.“ Herr Neuer schaut wieder das Fußballspiel an. Timmi: „Ich kann nicht richtig sehen hier unten. Darf ich auf deinen Schoß?“ Herr Neuer: „Quatsch.“ Timmi: „Oder auf die Sessellehne. Dann kann ich besser gucken, wenn das Tor fällt.“ Herr Neuer schweigt. Und Timmi klettert auf die Sessellehne. Timmi: „Kommt jetzt das Tor?“ Herr Neuer: „Sicher.“ Timmi: „Wie heißt du denn?“ Herr Neuer schaut Timmi an: „Kurt.“ Er lächelt ein wenig.
Hauptteil: Verabschiedung der Puppe Herr Neuer und Timmi schauen noch ein wenig zusammen Fernsehen. Und es fällt noch ein Tor, über das die beiden sich freuen. Irgendwann ist es Zeit, die Spielsituation zu beenden. Timmi muss sich wieder verabschieden. Die Puppe ist alleine in Erscheinung getreten. Die Verabschiedung findet so auch nur mit der Puppe statt. Der Spieler, der nicht in Erscheinung getreten ist, verabschiedet sich nicht. Die Puppe verabschiedet sich dabei mit der Frage „Darf ich noch mal wiederkommen?“ Diese Frage dient dazu, dem Gast das Wiederkommen der Puppe zu signalisieren. So wird ein möglicher Abschiedsschmerz von der Puppe positiv umgewandelt.
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Praxisbeispiele
BEISPIEL: HERR NEUER Timmi: „Ich muss jetzt nach Hause. Darf ich noch mal wiederkommen?“ Herr Neuer: „Ja.“ Timmi: „Spielen wir dann Fußball?“ Herr Neuer: „Das sehen wir dann.“ Timmi: „Fein. Auf Wiedersehen.“
Timmi gibt Herrn Neuer seine Hand und Herr Neuer schüttelt die kleine Puppenhand zum Abschied. Dann nehme ich Timmi wieder auf den Arm und gehe mit Timmi raus. Herr Neuer sieht uns hinterher.
Schluss: Verabschiedung des Spielers In diesem Fall entfällt die Verabschiedung des Spielers. Es war nur ein Spiel zwischen Gast und Klappmaulpuppe.
Schluss: Schlusslied Ein Schlusslied ist in diesem Zusammenhang nicht sinnvoll, da die Wirkung des Puppenspiels, bei dem die Puppe alleine in Erscheinung getreten ist, stark abgeschwächt würde.
Schluss: Verabschiedung der Gäste Entfällt in diesem Fall.
Transfer der Gäste Entfällt in diesem Fall.
Reflexion: Schriftliche Reflexion Bewusst wurde in diesem Beispiel die Spielpuppe in den Vordergrund geschoben. Der Spieler trat als Person nicht auf. Wäre der Spieler als Person aufgetreten, hätte die Gefahr bestanden, dass Herr Neuer wie üblich mit einer Verweigerung auf eine Ansprache reagiert. Herr Neuer konnte auf die Kontaktaufnahme der Puppe reagieren, mit Blick, mit Worten und mit Berührung.
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Beziehungsaufbau durch Blickkontakt.
In der nächsten Aktivierungseinheit möchte ich, dass Timmi mit Herrn Neuer Ball spielt, um den Blick vom Fernseher abzulenken. Erst in weiteren Aktivierungseinheiten wird Timmi Herrn Neuer bitten, mit in den großen Gruppenraum zu kommen, um dort mit den anderen zu kegeln.
PRAXISERFAHRUNG In vielen Fällen braucht die Klappmaulpuppe Geduld. Lassen Sie sich nicht verunsichern! Überprüfen Sie Ihre Zielformulierung, ob nicht vor dem jetzigen gedachten Ziel erst etwas anderes erreicht werden muss. Bei Herrn Neuer wäre das Ziel, ihn zum Kegeln bei der ersten Begegnung mit Timmi in den Gruppenraum zu holen, unrealistisch gewesen. Hier muss zunächst das Vertrauensverhältnis zwischen Puppe und Gast erspielt werden.
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Der Fall von Herrn Neuer entstammt aus einem Fallbeispiel, das ein Workshopteilnehmer zu einer Fortbildung bei mir aus seinem realen Berufsleben mitgebracht hat. Er hat die vorgestellte Spielszene nach dem Workshop in die Praxis umgesetzt, so schrieb er mir nach einigen Wochen. Herr Neuer (der Name ist fiktiv) und Timmi sind ein gutes Team geworden. Aber erst nach vier Aktivierungseinheiten mit Timmi auf dem Zimmer war es möglich, Herrn Neuer mit Timmi zu einer Gruppenaktivität zu bewegen.
Einzelaktivierung bei schwerer Demenz Im Stadium der schweren Demenz kommt die verbale Kommunikation zum Erliegen. Die motorischen Einschränkungen führen oftmals zu einer Bewegungslosigkeit, auch in der Gesichtsmuskulatur. Mimische Ausdrücke scheinen wie eingefroren. Sehkraft und Hörsinn lassen nach. Das bedeutet, die Kommunikationsmöglichkeiten der Betroffenen sind stark eingeschränkt. Ein Sinn bleibt den Betroffenen aber erhalten – das Gefühl. Damit können die kleinen Puppenkinder arbeiten, denn sie sind haptisch zu erleben und zu begreifen. Sie sprechen das Fühlen und das emotionale Gefühl an.
FALLBESCHREIBUNG: FRAU KLEIN Frau Klein, 83 Jahre, schwere Demenz, ist schon seit einigen Jahren in der Einrichtung. Nach einem Klinikaufenthalt vor sechs Monaten hat Frau Klein die verbale Kommunikation eingestellt. Sie redet nicht mehr. Aber sie lautiert vehement und lautstark, wenn sie etwas nicht will. Frau Klein meidet Blickkontakt zu anderen Personen. Und sie lässt keine Nähe zu. Sie lautiert laut, wenn sie angefasst wird, z. B. um sie zu waschen. Oftmals sind ihre Unterarme aufgrund einer Schmerzproblematik geschient. Frau Klein sitzt bewegungslos im Rollstuhl. Sie bewegt weder die Beine noch Arme oder Hände. Nur mit den Augen verfolgt sie Bewegungen im Raum.
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Julchen
Vorbereitung: Ist-Analyse Frau Klein ist an diesem Morgen beim Waschen sehr laut geworden. Sie wirkt angespannt und aufgebracht. Die Unterarme wurden wegen anhaltender Schmerzen geschient. Frau Klein hat die Klappmaulpuppe Julchen bereits einmal kurz auf dem Wohnbereich kennengelernt. Heute soll die erste längere Aktivierungseinheit mit der Spielpuppe durchgeführt werden.
Vorbereitung: Zieldefinition In der heutigen Aktivierungseinheit möchte ich, dass Frau Klein mit Julchen Kontakt, in welcher Form auch immer, aufnimmt. Eine Reaktion auf die Puppe wäre dabei durch Blickkontakt, Berührung oder Worte seitens Frau Klein möglich.
Vorbereitung: Spielort Um die Aktivierung in einer geschützten, störungsfreien Atmosphäre durchführen zu können, wird als Spielort ein kleiner Wintergarten, in dem nur wenig Mobiliar steht, ausgewählt. Der Tisch wird vorher zur Seite gestellt, um dafür zu sorgen, dass genügend Bewegungsfreiheit um Frau Kleins Rollstuhl für den Spieler bleibt.
Transfer der Gäste Eine Betreuungskraft begleitet Frau Klein in den Wintergarten. Dort wird der Rollstuhl so positioniert, dass Frau Klein aus dem Fenster schauen kann. In ihrem Rücken liegt so der Zugang zu dem Wintergarten.
Einleitung: Begrüßungslied und Orientierung Beide Punkte entfallen, da es sich um eine Einzelaktivierung handelt.
Hauptteil: Begrüßung Spieler Die Betreuungskraft, die Frau Klein zum Spielort gebracht hat, führt den Spieler, der sich im Hintergrund gehalten hat, in die Situation ein. Danach tritt sie in den Hintergrund, bleibt aber im Raum.
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Praxisbeispiele
BEISPIEL: FRAU KLEIN Betreuungskraft: „Liebe Frau Klein, ich habe Ihnen heute einen Gast mitgebracht. Der würde gerne einmal zu Ihnen kommen und Sie kennenlernen. Sie heißt Sabine Meyer.“ Frau Klein spricht nicht und schaut aus dem Fenster. Betreuungskraft: „Frau Klein, ich hole Frau Meyer einmal zu Ihnen.“ Frau Klein spricht nicht und schaut aus dem Fenster. Die Betreuungskraft holt mich in den Raum. Ich gehe zu Frau Klein und stelle mich vor. Sabine: „Mein Name ist Sabine Meyer. Guten Tag. Sie sind Frau Klein, nicht wahr?“ Ich reiche Frau Klein zur Begrüßung die Hand. Frau Klein schaut mich nicht an, sie nimmt nicht meine Hand. Sabine: „Liebe Frau Klein, ich bin heute gar nicht alleine zu Ihnen gekommen. Ich habe Ihnen ein kleines Puppenmädchen mitgebracht. Das Mädchen heißt Julchen. Und sie ist schon ganz aufgeregt. Darf Julchen auch zu Ihnen kommen?“ Frau Klein schaut mich nicht an, sie schweigt.
Im Vorfeld wurde erklärt, dass Frau Klein ihre Worte verloren hat. Wenn ihr aber etwas nicht zusagt, lautiert sie. Ich werte in diesem Moment ihr Schweigen als Zustimmung und nicht als Ablehnung.
Hauptteil: Puppenspiel – Gesprächsanlass und Interaktion Im Vorfeld habe ich mir überlegt, dass in diesem Fall die Anspielrichtung von unten erfolgte sollte. Damit könnte ich es Frau Klein, da sie selbst eher den Blick zu Boden richtet als nach oben, einfacher machen, Julchen anzuschauen. Als Gesprächsanlass habe ich nur den allgemeinen Begrüßungsimpuls ausgewählt. Da es hier um Beziehungsaufbau mit der Spielpuppe geht, wäre ein inhaltliches Arbeiten, z. B. ein Lied singen, bis Fünf zählen oder Ähnliches, zu viel Input.
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BEISPIEL FRAU KLEIN Ich betrete den Wintergarten und trage Julchen in lebendiger Grundhaltung auf dem Arm. Ich nähere mich von Frau Kleins rechter Seite und nehme, kurz bevor ich in ihr Blickfeld komme, Julchen vom Arm und lasse sie das letzte Stück über den Boden laufen. Julchen bleibt vor Frau Klein in gerader Blickrichtung vor dem Rollstuhl stehen. Julchen: „Guten Tag, ich bin Julchen.“ Julchen reicht Frau Klein die Hand. Frau Klein nimmt nicht die Puppenhand. Sie schweigt. Aber sie schaut Julchen an. Julchen: „Guten Tag, ich bin Julchen. Und wer bist du?“ Frau Klein schweigt weiter, bewegt sich nicht. Sie hält Blickkontakt mit der Puppe. Julchen legt ihre kleine Puppenhand an Frau Kleins Bein: „Hallo, ich bin Julchen und ich habe mich schon so auf dich gefreut.“ Frau Klein schweigt trotz der Puppenhand, die an ihrem Bein liegt, bewegt sich nicht, aber sie hält Blickkontakt mit der Puppe. Julchen: „Darf ich mal auf deinen Schoß? Dann kann ich dich besser sehen.“ Frau Klein hält Blickkontakt mit der Puppe. Julchen klettert vorsichtig auf den Schoß und kuschelt sich in Frau Kleins Armbeuge. Dann beginnt Julchen, ganz vorsichtig über die Hände von Frau Klein zu streicheln. Frau Klein schaut Julchen an. Sie schweigt. Sie lautiert nicht und lässt die Puppe gewähren.
So sitzen die beiden eine ganze Weile zusammen. Julchen auf dem Schoß, streichelt die geschiente Hand und erzählt leise ein bisschen aus dem Kindergarten. Ab und zu wechselt Julchen die Seiten auf dem Schoß. Frau Klein entspannt sich unter den Berührungen der Puppe zusehends. Ab und zu fallen Frau Klein die Augen zu. Dann öffnet sie die Augen wieder und schaut die Spielpuppe an.
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Praxisbeispiele
Da ich als Spieler durch die Position der Puppe, die auf dem Schoß sitzt, Frau Klein sehr nahe bin, kann ich ihre Atmung verfolgen. Zu Beginn der Spielsituation, als Julchen auf den Schoß kletterte, war Frau Kleins Atmung angespannt, flach, schnell. Im Laufe des Spiels veränderte sich der Atmungsrhythmus auffällig. Ein kleiner Seufzer glitt über Frau Kleins Lippen, dann wurde die Atmung entspannter, ruhiger und tiefer.
Hauptteil: Verabschiedung der Puppe Irgendwann ist es Zeit, die Spielsituation zu beenden. Julchen muss sich wieder verabschieden. Die Puppe ist immer zuerst dran. Sie hat die Situation als Letzte betreten, sie verlässt die Situation als Erste wieder. Sie verabschiedet sich dabei mit der Frage „Darf ich noch mal wiederkommen?“ Diese Frage dient dazu, dem Gast das Wiederkommen der Puppe zu signalisieren. So wird ein möglicher Abschiedsschmerz von Julchen positiv umgewandelt.
BEISPIEL: FRAU KLEIN Julchen: „Ich muss jetzt nach Hause. Darf ich noch mal wiederkommen?“ Frau Klein spricht nicht, sie hält den Blickkontakt zur Puppe. Ich kann spüren, dass sich Frau Kleins Atmung ändert. Sie wird schneller und flacher. Ich werte das als Signal, dass Frau Klein noch nicht möchte, dass die Puppe geht. Julchen: „Ach, ein bisschen Zeit habe ich noch. Darf ich mich noch mal ankuscheln?“ Frau Klein reagiert mit einer entspannten Atmung. Nach einer Weile startet Julchen einen zweiten Versuch, die Spielszene zu beenden. Julchen: „Ich muss jetzt nach Haus.“ Frau Klein reagiert mit schneller Atmung. Julchen: „Dann bleibe ich noch.“
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Es war ein langer Prozess des Abschiednehmens von der Puppe, der erst dann von mir beendet wurde, als Frau Klein bei einer entspannten Atmung bleiben konnte. Dann konnte Julchen mit dem Versprechen wiederzukommen aus der Spielsituation gehen.
Schluss: Verabschiedung des Spielers Nachdem ich die Puppe aus dem Blickfeld gebracht hatte, kehrte ich zurück, um mich selbst zu verabschieden.
BEISPIEL: FRAU KLEIN Sabine: „Vielen Dank, Frau Klein. Julchen hat sich so gefreut, dass sie heute bei Ihnen sein durfte.“ Ich streiche dabei sanft über die gleiche Stelle der Hand, über die auch Julchen gestreichelt hat. Frau Klein schaut mich an. Sabine: „Hat es Ihnen auch Freude gemacht?“ Frau Klein schweigt und schaut mich an. Sabine: „Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Frau Klein. Und ich komme mit Julchen gerne wieder. Auf Wiedersehen.“ Frau Klein schaut mir nach.
Schluss: Schlusslied Ein Schlusslied ist in diesem Zusammenhang nicht sinnvoll, da es sich um eine Einzelaktivierung handelt.
Schluss: Verabschiedung der Gäste Nachdem ich aus dem Blickfeld gegangen bin, kehrte die Betreuungskraft zurück.
BEISPIEL: FRAU KLEIN Betreuungskraft: „Liebe Frau Klein, hat es Ihnen gefallen?“ Frau Klein schweigt. Sie hält zur Betreuungskraft Blickkontakt.
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Praxisbeispiele
Betreuungskraft: „Soll Julchen noch mal wiederkommen?“ Frau Klein schweigt. Sie hält zur Betreuungskraft Blickkontakt.
Transfer der Gäste Die Betreuungskraft bringt Frau Klein wieder zurück auf ihr Zimmer.
Reflexion: Schriftliche Reflexion In einem gemeinsamen Reflexionsgespräch mit der begleitenden Betreuungskraft wurde der Erfolg dieser Spieleinheit, die sich real so abgespielt hat, erst völlig deutlich. Frau Klein hat nicht nur Blickkontakt mit der Puppe aufgenommen, sie hat auch die Nähe, das Berühren, das Streicheln der Puppe angenommen. Sie hat durch ihre Atmung sehr klar kommuniziert, dass die Situation für sie positiv besetzt war. Sie wollte die Situation nicht verlassen, das zeigte ihre angespannte Atmung bei den ersten Verabschiedungsversuchen der Puppe. In der nächsten Aktivierungseinheit möchte ich, dass Julchen in dem gleichen Muster mit Frau Klein arbeitet. Ich möchte durch die Wiederholung, Frau Klein Sicherheit im Umgang mit Julchen geben.
PRAXISERFAHRUNG Die Geschichte mit Frau Klein ging noch weiter. Über ein halbes Jahr habe ich Frau Klein mit Julchen begleitet. Es gab immer den gleichen Ablauf in den Begegnungen der beiden. Und Frau Klein reagierte auf unterschiedliche Art und Weise auf Julchen. In einer weiteren Aktivierungseinheit hob Frau Klein, als Julchen auf ihrem Schoß saß, von sich aus ihre Hand und drückte Julchen an sich. In einer weiteren Aktivierungseinheit geschah Folgendes: Nachdem sich Julchen verabschiedet hatte, ging ich zu Frau Klein, um ihr zu danken und mich zu verabschieden. Auf meine Frage, ob es ihr Spaß gemacht hätte, schaute sie mich an. Dann formten ihre Lippen ein fast stimmloses „Ja.“
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Ein Spiel entsteht auch abseits von Worten.
Einzelaktivierung bei Bettlägerigen Bettlägerigkeit kann durch viele Ursachen entstehen, es kann eine starke motorische Einschränkung vorliegen, eine schwere Demenz oder andere Krankheitsbilder. Die Bettlägerigkeit beeinflusst weniger die Inhalte der Einzelaktivierung, sondern vielmehr die Ausführung. Die räumliche Situation, dass der Gast liegt und der Platz in einem Zimmer sehr begrenzt ist, verändert das Puppenspiel an sich. Außerdem lassen sich nur begrenzt Requisiten bei der Arbeit einsetzen.
FALLBESCHREIBUNG: FRAU BAUM Frau Baum, 85 Jahre, leichte Demenz, ist aufgrund körperlicher Einschränkungen seit einiger Zeit bettlägerig. Sie hat starke Schmerzen. Sie ist bereits seit einigen Jahren in der Einrichtung. Frau Baum war stets ein aktiver Mensch. Seit sie bett-
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Praxisbeispiele
lägerig ist, ist eine Teilnahme an Aktivitäten nicht mehr möglich. Sie zieht sich innerlich zurück. Beim Besuch ihres Sohnes und ihres Enkelsohns Emil taut Frau Baum auf und lacht. Aber der Sohn kann aufgrund der großen Entfernung zu seinem Heimatort nur selten zu Besuch kommen. Andere Besucher kommen nicht.
Vorbereitung: Ist-Analyse Frau Baum ist an diesem Morgen sehr traurig. Sie weint und klagt über Schmerzen. Sie wirkt müde und abwesend. Frau Baum kennt die Klappmaulpuppe Julchen noch nicht.
Vorbereitung: Zieldefinition In der heutigen Aktivierungseinheit möchte ich, dass Frau Baum Julchen kennenlernt und einen Kontakt zu der Puppe aufbaut. Ich möchte Frau Baum wenigstens einmal in der Aktivierungseinheit lachen hören.
Vorbereitung: Spielort Aufgrund der Bettlägerigkeit von Frau Baum wird die Aktivierung im Zimmer stattfinden. Da ich vorher das Zimmer noch nicht betreten habe, lasse ich mir von der Pflegekraft den Stand des Bettes erklären. Sie soll, wenn sie mich Frau Baum vorstellt, den Beistelltisch zur Seite stellen und Frau Baum möglichst eine Sitzposition durch das verstellbare Rückenteil des Bettes einstellen. Das Bett steht so, dass Frau Baum zur Tür sehen kann.
Transfer der Gäste Entfällt.
Einleitung: Begrüßungslied und Orientierung Beide Punkte können entfallen, da es sich um eine Einzelaktivierung handelt.
Hauptteil: Begrüßung Spieler Die Betreuungskraft betritt Frau Baums Zimmer. Ich halte mich mit der Klappmaulpuppe auf dem Arm so, dass Frau Baum mich nicht sehen kann.
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Julchen
BEISPIEL: FRAU BAUM Betreuungskraft: „Liebe Frau Baum, ich möchte Ihnen heute gerne einen Gast vorstellen. Sie heißt Sabine Meyer und wartet vor der Tür.“ Frau Baum wendet ihren Kopf langsam (weinerlich): „Die kenne ich nicht.“ Betreuungskraft: „Das stimmt. Frau Meyer ist heute auch das erste Mal hier bei uns. Darf ich Ihnen das Rückenteil etwas höherstellen, dann können Sie Frau Meyer besser sehen. Sie hat für Sie etwas Lustiges mitgebracht.“ Frau Baum (weinerlich): „Nein. Nicht hochstellen. Das tut mir zu weh.“ Die Betreuungskraft stellt das Bett nicht hoch, stellt aber den Tisch zur Seite. Dann holt sie mich in das Zimmer und stellt mich vor.
Hauptteil: Puppenspiel – Gesprächsanlass und Interaktion Da das Rückenteil nicht verstellt werden konnte, muss in diesem Fall anders als in den anderen Beispielen vorgegangen werden. Der Blickwinkel von Frau Baum ist stark eingeschränkt. Ein Anspielen vom Boden aus, wäre für Frau Baum unmöglich zu sehen. Das muss ich in meiner Aktivierung berücksichtigen. Ich lege als Anspielrichtung nun fest, dass die Klappmaulpuppe in lebendiger Grundhaltung auf meinem Arm sitzt. Als Gesprächsanlass nutze ich Julchens Puppenbiografie. Sie wird aus dem Kindergarten berichten. Dort gibt es einen großen Sandkasten. Das ist ihr Lieblingsplatz.
BEISPIEL: FRAU BAUM Ich betrete das Zimmer und trage Julchen in lebendiger Grundhaltung auf dem Arm. Da Frau Baum uns vom Bett her beim Eintreten sieht, muss Julchen, sobald sie das Zimmer betritt, lebendig sein. Julchen: „Guten Tag, ich bin Julchen.“ (Julchen winkt noch aus der Tür.) Frau Baum dreht langsam den Kopf: „Hm“. (Sie sieht mich und Julchen in der Tür stehen.)
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Praxisbeispiele
Ich: „Guten Tag, Frau Baum, mein Name ist Sabine Meyer.“ (Ich gehe zum Bett und schlüpfe zeitgleich aus der rechten Puppenhand und reiche Frau Baum meine Hand.) Frau Baum versucht meine Hand zu nehmen. Aber es tut ihr weh. Sie verzieht das Gesicht. (Ich schlüpfe wieder in die rechte Puppenhand.): „Und das ist Julchen.“ Julchen: „Hallo. Ich bin Julchen. Und wer bist du?“ (Julchen berührt zur Begrüßung vorsichtig Frau Baums rechte Hand.) Frau Baum: „Ich bin die Grete.“ Julchen: „Hallo Grete! Weißt du schon, dass ich in den Kindergarten gehe?“ Frau Baum (schaut Julchen an): „Nein, so was.“ Julchen: „Ja, ich bin ja schon fünf Jahre alt.“ Frau Baum (schaut Julchen an): „Komm doch mal her.“ Julchen: „Was? Darf ich mich zu dir auf das Bett setzen?“ Frau Baum: „Ja, aber ganz vorsichtig. Weißt du, ich habe Schmerzen.“ Julchen: „Och, Schmerzen sind blöd. Ich bin ganz vorsichtig.“ (Ich setze Julchen vorsichtig auf dem Bettrand ab.) Frau Baum: „Schmerzen sind ganz blöd.“ Sie lächelt etwas.
So sitzen die beiden eine ganze Weile zusammen. Julchen erzählt aus dem Kindergarten und von Sandburgen im Sandkasten. Frau Baums Augen beginnen zu glänzen und um ihre Augen tauchen unzählige Lachfältchen auf. Dann beginnt Frau Baum, Julchen von Emil zu erzählen, ihrem Enkelsohn, der auch in den Kindergarten geht.
Hauptteil: Verabschiedung der Puppe Irgendwann ist es Zeit, die Spielsituation zu beenden. Julchen muss sich wieder verabschieden. Die Puppe ist immer zuerst dran. Sie hat die Situation als Letzte betreten und verlässt die Situation als Erste wieder. Sie verabschiedet sich dabei mit der Frage„Darf ich noch mal wiederkommen?“ Diese Frage dient dazu, dem Gast das Wiederkommen der Puppe zu signalisieren. So wird ein möglicher Abschiedsschmerz von Julchen positiv umgewandelt.
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Julchen
BEISPIEL: FRAU BAUM Julchen: „Ich muss jetzt nach Hause. Darf ich noch mal wiederkommen?“ Frau Baum: „Oh, da würde ich mich sehr freuen.“ Julchen: „Ich mich auch.“ (Julchen streichelt Frau Baum über den Arm.) Frau Baum hebt ihre Hand und streichelt Julchen über den Kopf. Julchen und Frau Baum finden das beide so schön, dass die Verabschiedung noch etwas länger dauert.
Schluss: Verabschiedung des Spielers Ich nehme Julchen wieder in lebendiger Grundhaltung auf den Arm, um mich selbst zu verabschieden. Dazu schlüpfe ich mit meiner rechten Hand aus Julchens Puppenhand.
BEISPIEL: FRAU BAUM Sabine: „Vielen Dank, Frau Baum, dass Sie heute Zeit für Julchen hatten. Die Kleine war so gerne bei Ihnen.“ (Ich reiche Frau Baum die Hand und sie ergreift meine Hand.) Frau Baum: „Kommen Sie bald wieder, ja?“ Sabine: „Ja, das mache ich gerne, Frau Baum.“ (Dann gehe ich zur Tür und lasse Julchen über meine Schulter schauen.) Julchen: „Auf Wiedersehen, Grete!“ Frau Baum: „Auf Wiedersehen, Julchen!“
Schluss: Schlusslied Ein Schlusslied ist in diesem Zusammenhang nicht sinnvoll, da es sich um eine Einzelaktivierung handelt.
Schluss: Verabschiedung der Gäste Die Betreuungskraft geht, nachdem ich das Zimmer verlassen habe, zu Frau Baum. Sie berichtet mir später in der Reflexion, dass Frau Baum immer noch lächelte.
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Praxisbeispiele
Transfer der Gäste Entfällt in diesem Fall.
Reflexion: Schriftliche Reflexion In einem gemeinsamen Reflexionsgespräch mit der begleitenden Betreuungskraft wurde der gemeinsame positive Eindruck der Spielszene bestätigt. Frau Baum hat sehr offen auf den Kontakt mit der Puppe reagiert. Es hat ihr sichtlich Spaß gemacht und für den Augenblick war Frau Baum von ihren Schmerzen abgelenkt. In der nächsten Aktivierungseinheit möchte ich, dass Julchen den Kontakt mit Frau Baum vertieft und vor allem die haptische Aktivierung durch Kuscheln intensiviert.
PRAXISERFAHRUNG Die Geschichte mit Frau Baum ging noch weiter. Als der Sohn erfuhr, dass seine Mutter regelmäßig von einer Puppe besucht wurde, war er befremdet. Seine Mutter sei doch kein Kind. Die Betreuungskraft stellte dem Sohn die positiven Ergebnisse der Aktivierung vor. Aber der Sohn blieb skeptisch. Eines Tages trafen Julchen und ich zufällig auf Frau Baums Sohn und den Enkelsohn Emil. Julchen saß bei Frau Baum auf dem Bett. Das Rückenteil war hochgestellt und Julchen kuschelte sich gerade an. Als der Sohn mit dem Enkelsohn eintrat, war er sehr erstaunt. Frau Baum: „Schau mal, Julchen, da kommt noch mehr Besuch. Das ist mein Sohn Kurt und mein Enkelsohn Emil. Komm mal her, Emil.“ Frau Baum lachte über das ganze Gesicht. Emil, Julchen und Frau Baum hatten viel Spaß miteinander. Ich aber beendete die Situation recht zügig, um der Familie den nötigen Platz und die kostbare Zeit nicht zu nehmen. Nach der üblichen Verabschiedungszeremonie ging ich mit Julchen aus dem Zimmer. Der Sohn folgte mir. „Danke“, sagte er und lächelte.
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Julchen
Julchen ist ein Fliegengewicht. Sie kann sich gut ankuscheln.
Zielgerichtete Kleingruppenaktivierung Wie bereits an verschiedener Stelle beschrieben, ist es für Menschen mit Demenz wichtig, ein positives und wertschätzendes soziales Beziehungsgeflecht zu erleben. Daraus ziehen Menschen mit Demenz ebenso wie orientierte Menschen Selbstbewusstsein. Deswegen ist generell im Rahmen der Aktivierungsarbeit die Form der Kleingruppe wichtig. Das gilt auch für die Aktivierungsmethode Puppenspiel. Beim Puppenspiel werden durch das gemeinsame Gruppenerleben die positiven Effekte verstärkt. Wenn einer anfängt zu lachen, lachen die anderen mit. In dem vorliegenden Beispiel wird eine Aktivierungseinheit einer Kleingruppe von fünf Gästen, zwei Herren und drei Damen, vorgestellt.
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Praxisbeispiele
FALLBESCHREIBUNG: ROT, BLAU, GELB, GRÜN, WEISS Frau Rot, 73 Jahre, Beginn der schweren Demenz, sitzt im Rollstuhl. Sie nimmt kaum Kontakt mit ihrer Umwelt auf, spricht kaum noch und ist schnell müde. Herr Blau, 75 Jahre, mittlere Demenz und starke Wortfindungsstörungen. Er kann an einem Rollator mit Hilfestellung gehen. Frau Gelb, 72 Jahre, mittlere Demenz, kann sich alleine fortbewegen. Das Kurzzeitgedächtnis ist beeinträchtigt, zusätzlich zeigt sie bei Ansprache oftmals aggressive Tendenzen. Frau Grün, 75 Jahre, mittlere Demenz, kann mit Unterstützung gehen. Sie ist sehr introvertiert, wirkt abwesend und redet wenig. Herr Weiß, 80 Jahre, mittlere Demenz, ist ein kommunikativer Mensch, lacht gerne, kann aber auch sehr deutlich zeigen, dass ihm etwas nicht gefällt. Das Kurzzeitgedächtnis ist beeinträchtigt. Er kann sich mit einem Rollator selbstständig fortbewegen. Alle fünf Gäste haben die Klappmaulpuppen einmal auf dem Wohnbereich kurz kennengelernt. Sie sind in unterschiedlichen Bereichen des Hauses untergebracht. Einige von ihnen hatten vorher schon untereinander Kontakt und kennen sich, andere nicht.
Vorbereitung: Ist-Analyse Frau Rot ist an diesem Tag sehr müde. Sie hatte gerade eine Erkältung, die sie geschwächt hat. Herr Blau freut sich sehr auf das bevorstehende Treffen. Er weiß, dass „irgendetwas“ gezeigt wird. Er wirkt wach und offen. Frau Gelb ist etwas verstimmt, der Grund ist nicht offensichtlich. Frau Grün wird von Herrn Weiß unterstützt. Herr Weiß redet sehr heiter mit Frau Grün, die schweigt.
Vorbereitung: Zieldefinition In der heutigen Aktivierungseinheit geht es um ein gemeinsames Gruppenziel. Ich möchte, dass es Julchen gelingt, zu allen fünf Gästen in Beziehung zu treten und es zu einer Kommunikation, verbal oder nonverbal, kommt. Für jeden Gast wurde in der Zieldefinition festgehalten, was „in Beziehung“ sein bedeutet. Für Frau Rot und Frau Grün ist eine Beziehung aufgebaut, wenn es Julchen ge-
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Julchen
lingt, den Blickkontakt herzustellen und eine Weile zu halten. Bei Herrn Blau und Herrn Weiß geht es um eine verbale Kommunikation. Bei Frau Gelb wurde als Zieldefinition festgehalten, dass es Julchen gelingt, Frau Gelb zu bewegen, einen Kontakt mit der Puppe, in welcher Form auch immer, zuzulassen.
Vorbereitung: Spielort Die Aktivierungseinheit wird in einem Wohnbereich stattfinden. Dort wird ein Halbkreis mit Stühlen, auch aber mit Leerräumen für Rollstühle, aufgebaut. Der Halbkreis ist so gestellt, dass alle fünf Gäste zueinander Blickkontakt haben. Die geöffnete Seite des Halbkreises wird als Anspielrichtung gewählt. Um genügend Platz für den Halbkreis zu schaffen, wurden die im Raum vorhandenen Tische zur Seite gestellt.
Transfer der Gäste Die Gäste werden von Betreuungskräften begleitet. Eine Betreuungskraft übernimmt dabei die Moderation der Aktivierungseinheit.
Einleitung: Begrüßungslied Die begleitende Betreuungskraft stimmt, wie es in der Einrichtung üblich ist, zu Beginn der Aktivierungseinheit das Volkslied „Schön ist die Welt“ an.
Einleitung: Orientierung Die begleitende Betreuungskraft begrüßt die fünf Gäste. „Guten Morgen, heute ist Donnerstag, der 1. März. Wir treffen uns heute in dem Wohnbereich, weil wir heute einen Gast erwarten. Das ist Sabine Meyer.“
Hauptteil: Begrüßung Spieler Die Betreuungskraft führt mich als Spieler ein. Ich gehe zu jedem Gast, begrüße sie oder ihn mit Handschlag und stelle mich vor. Danach stelle ich mich vor den Halbkreis, so dass alle Gäste mich gut sehen können und leite zur Puppe über, die während dieser Zeit außerhalb des Blickfeldes der Gäste wartet.
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Praxisbeispiele
BEISPIEL: ROT, BLAU, GELB, GRÜN, WEISS Sabine: „Ich habe Ihnen heute jemanden mitgebracht, ein kleines Puppenmädchen, Julchen. Vor ein paar Tagen waren wir beiden schon mal hier bei Ihnen und haben kurz „Guten Tag“ gesagt. Aber heute haben wir etwas mehr Zeit mitgebracht.“ Herr Weiß nickt bereits: „Ja, ja.“ Sabine: „Dann hole ich einmal Julchen zu uns.“
Ich wende mich ab und gehe aus dem Blickfeld. Ich hole die Puppe hervor und lasse Julchen vor mir über den Boden gehen. Dabei winkt Julchen, sobald sie im Blickfeld der Gäste ist. Vor dem Halbkreis bleibt Julchen stehen.
Hauptteil: Puppenspiel – Gesprächsanlass und Interaktion Da das gemeinsame Gruppenziel dieser Aktivierungseinheit der Aufbau einer Beziehung der Puppe zu den fünf Gästen ist, ist der Gesprächsanlass unkorrekter als in den Einzelaktivierungen. Heute kommt Julchen einfach „nur“ auf Besuch. Ich nutze den allgemeinen Begrüßungsimpuls der Puppe als Interaktionsbeginn. Den weiteren inhaltlichen Ablauf der Aktivierung bestimmen die von den Gästen gezeigten Reaktionen.
BEISPIEL: ROT, BLAU, GELB, GRÜN, WEISS Julchen (von der Mitte aus, für alle fünf Gäste zu sehen): „Guten Morgen, ich bin Julchen!“ Herr Blau: „Ach, wie schön. Komm doch mal her.“ Julchen nimmt den angebotenen Impuls an und beginnt ihre Begrüßung bei Herrn Blau. Herr Blau: „Ach, du bist ja hübsch.“ Er beugt sich herunter und streichelt die langen Zöpfe der Puppe. Dann klopft er sich auf die Oberschenkel. „Komm doch mal her.“ Julchen: „Darf ich auf deinen Schoß?“
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Julchen
Herr Blau: „Aber sicher.“ Julchen klettert auf den Schoß. Herr Blau: „Jetzt können wir zusammen lachen.“ Julchen: „Au fein.“ So beginnt ein kurzes Spiel. Das Julchen nach einiger Zeit beendet und zum nächsten Gast wandert. Frau Gelb: „Da bist du ja.“ (Sie beugt sich runter und gibt Julchen die Hand.) Julchen: „Guten Morgen, ich bin Julchen. Und wer bist du?“ Frau Gelb: „Hilde.“ Julchen: „Du Hilde, darf ich auch auf deinen Schoß?“ Frau Gelb (lächelt): „Auf meinen Schoß willst du?“ Julchen: „Ja bitte.“ Julchen kuschelt sich schon mal an Frau Gelbs Bein. Frau Gelb: „Dann komm mal rauf.“ So beginnt auch dort ein kurzes Spiel.
Nach und nach begrüßt die Puppe jeden Gast mit einem kleinen individuellen Spiel, hier singt sie ein Lied, dort zählt sie bis fünf und so weiter. Sie greift gegebene Impulse auf und fügt sie in das Geschehen ein. Auffällig ist dabei, dass die Damen und Herren bald darauf gleichzeitig in das Spiel involviert sind. Während Julchen bei Frau Rot auf dem Schoß sitzt, spricht Herr Blau, der gegenübersitzt, ebenfalls mit der Puppe. Unter den Gästen entstehen Seitengespräche. Es wird viel gelacht.
Hauptteil: Verabschiedung der Puppe Irgendwann ist es Zeit, die Spielsituation zu beenden. Julchen muss sich wieder verabschieden. In einer Kleingruppe verabschiedet sich die Puppe zunächst von jedem einzelnen Gast, um dann noch einmal die Gruppe gemeinsam zu verabschieden. Die Frage der Puppe „Darf ich noch mal wiederkommen?“ an alle gibt dabei ein positives Gefühl.
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Praxisbeispiele
BEISPIEL: ROT, BLAU, GELB, GRÜN, WEISS Julchen geht zu Frau Rot, um sich zu verabschieden. Frau Rot hat die Augen geschlossen. Julchen: „Ich muss jetzt nach Hause. Darf ich auch zu dir wiederkommen?“ Frau Rot reagiert nicht. Die Augen sind geschlossen. Julchen legt sanft eine weiche Puppenhand an Frau Rots Bein. „Darf ich noch mal wiederkommen?“ Frau Rot öffnet langsam die Augen und nimmt Blickkontakt auf. Julchen: „Warte mal, ich komme noch mal auf deinen Schoß.“ Julchen klettert auf den Schoß und kuschelt sich ein weiteres Mal bei Frau Rot an. „Darf ich noch mal wiederkommen?“ Frau Rot schaut nun auf die Puppe auf ihren Schoß, sie schaut Julchen in die Augen, nickt und sagt ganz leise: „Ja.“ Julchen: „Ich freue mich schon jetzt darauf.“ Frau Rot nickt wieder. Julchen klettert vom Schoß herunter. Nachdem Julchen sich bei jedem einzelnen Gast verabschiedet hat, verabschiedet sie sich von der ganzen Gruppe. Julchen singt und winkt dabei mit der Hand: „Auf Wiedersehen. Auf Wiedersehen.“ Die Gäste fallen in das Lied ein. Sie singen oder summen mit Julchen das Lied zu Ende und winken alle. Julchen geht über den Boden aus dem Blickfeld, dann hebe ich die Puppe hoch und trage sie zurück zu ihrer Puppentasche. In meinem Rücken höre ich das Lachen der Gruppe.
Schluss: Verabschiedung des Spielers Ich gehe noch einmal zur Gruppe zurück. Jedem einzelnen Gast danke ich für die Zeit, die sie Julchen geschenkt haben. Ich frage, ob es ihnen gefallen hat.
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Julchen
Julchen geht zu jedem in der Gruppe.
BEISPIEL: ROT, BLAU, GELB, GRÜN, WEISS Sabine: „Frau Grün, vielen Dank, dass Sie sich heute für das Julchen Zeit genommen haben. Hat es Ihnen gefallen?“ Frau Grün: „Ja. Sehr.“ Ich gehe, nachdem ich mich von jedem Gast verabschiedet habe, aus dem Blickfeld.
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Praxisbeispiele
Schluss: Schlusslied Die begleitende Betreuungskraft übernimmt die Schlussmoderation. Als Schlusslied wird ein zweites Mal gemeinsam „Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen“ gesungen.
Schluss: Verabschiedung der Gäste Die begleitende Betreuungskraft verabschiedet jeden Gast.
Transfer der Gäste Es kommen weitere Betreuungskräfte, die die Gäste zurück in ihre Wohnbereiche bringen.
Reflexion: Schriftliche Reflexion In der abschließenden Reflexion wurde das Erleben mit jedem Gast reflektiert, aber auch das Gruppenerlebnis. Eine besonders auffällige Entwicklung hat in dieser Einheit Frau Gelb erlebt. Sie war leicht verstimmt zur Aktivierungseinheit erschienen, das führt in der Regel bei ihr dazu, dass sie aggressiv auf Ansprache reagiert. Sie reagierte auf Julchen sehr sanft und offen. Sie lachte fröhlich und ließ sich vom Spiel verzaubern. Sie ging gut gelaunt aus der Aktivierungseinheit hinaus. In der nächsten Kleingruppenaktivierungseinheit möchte ich mit der Gruppe biografisch arbeiten. Julchen wird ihre Krone mitbringen, um zu erzählen, dass sie Prinzessin werden will. Daraus soll sich ein gemeinsames Gespräch über das Berufsleben ergeben.
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Julchen
PRAXISERFAHRUNG In einer Kleingruppe entstehen durch das Gruppenerlebnis immer wieder lustige Situationen. Das ist aber nicht nur bei Menschen mit Demenz so, das ist auch in Gruppen mit orientierten Menschen und auch mit sehr großen Gruppen so. Julchen und ich waren zu einem Fachkongress eingeladen, um aus unserer Arbeit zu berichten. Da Julchen aber furchtbar neugierig ist, ließ sie es sich nicht nehmen, bei der Anmeldung gleich jeden der fast 80 Teilnehmer mit Handschlag zu begrüßen. Sie saß dabei auf einem Stehtisch und winkte, quatschte, begrüßte, kicherte und traf Verabredungen zum Schokoladeessen. Sie war voll in ihrem Metier. Als Julchen nun aber auch auf die große Bühne musste, um von ihrer Arbeit zu berichten, war sie mit einem Mal ganz kleinlaut und verkroch sich in meinem Arm. Sabine: „Julchen, jetzt sag doch mal „Hallo.“ Julchen (murmelt in meine Armbeuge): „Trau mich nicht.“ Sabine: „Julchen, aber warum denn nicht?“ Julchen: „Sind so viele hier, die zugucken. Und ich weiß gar nicht, ob die mich mögen. Ich kenne die gar nicht.“ Sabine: „Du kennst doch hier schon liebe Menschen.“ Julchen: „Nö.“ Sabine: „Vielleicht fragst du mal, ob da einer bei ist, der dich kennt?“ Julchen: „Ok. Mache ich.“ (Sie taucht langsam aus der Versenkung auf.) „Wenn mich hier einer schon kennt und mag, dann soll der mal aufstehen, ganz doll winken und „Hallo Julchen“ rufen.“ Achtzig Teilnehmer sprangen von ihren Stühlen, winkten ekstatisch und riefen im Chor: „Hallo Julchen.“ Jeder schaute verdutzt seinen Nachbarn an. Und bald darauf lachten alle. Und die Fachtagung konnte losgehen.
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Praxisbeispiele
Besondere Aktivierungseinheiten Aktivierung mit Schwerpunkt Biografiearbeit Das Thema der Biografiearbeit ist im Rahmen der Aktivierungsarbeit, egal mit welcher Methode gearbeitet wird, grundsätzlich sehr wichtig. Über biografische Erinnerungen werden Bilder und Emotionen wachgerufen, die im Leben der Gäste wichtige Aspekte darstellen. Es ist aber offensichtlich, dass dort wo biografisch gearbeitet wird, die Gefahr besteht, nicht nur positive Erinnerungen wachzurufen. Deswegen ist ein sehr behutsames Vorgehen sehr wichtig. In der Biografiearbeit stellen sich Lebensthemen dar: –– Familie, –– Zuhause, –– Kindheit und Jugendzeit, –– Liebe, –– Feste und Feiern, –– Beruf. Gerade das Thema „Beruf“ ist ein wichtiges Thema, da wir Menschen uns sehr über den Beruf identifizieren. In dem vorliegenden Beispiel wird eine Aktivierungseinheit einer Kleingruppe von fünf Gästen, zwei Herren und drei Damen vorgestellt. Es handelt sich hierbei um die gleich Kleingruppe, wie im Kapitel 2 unter „Zielgerichtete Kleingruppenaktivierung“, Seite 155, bereits dargestellt. Die im weiteren Verlauf dargestellte Aktivierungseinheit mit Schwerpunkt Biografiearbeit erfolgte im Abstand von einer Woche auf die in Punkt 2 vorgestellte Aktivierung.
FALLBESCHREIBUNG: ROT, BLAU, GELB, GRÜN, WEISS Frau Rot, 73 Jahre, Beginn der schweren Demenz, sitzt im Rollstuhl. Sie nimmt kaum Kontakt mit ihrer Umwelt auf, spricht kaum noch und ist schnell müde. Herr Blau, 75 Jahre, mittlere Demenz und starke Wortfindungsstörungen. Er kann an einem Rollator mit Hilfestellung gehen.
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Julchen
Frau Gelb, 72 Jahre, mittlere Demenz, kann sich alleine fortbewegen. Das Kurzzeitgedächtnis ist beeinträchtigt, zusätzlich zeigt sie bei Ansprache oftmals aggressive Tendenzen. Frau Grün, 75 Jahre, mittlere Demenz, kann mit Unterstützung gehen. Sie ist sehr introvertiert, wirkt abwesend und redet wenig. Herr Weiß, 80 Jahre, mittlere Demenz, ist ein kommunikativer Mensch, lacht gerne, kann aber auch sehr deutlich zeigen, dass ihm etwas nicht gefällt. Das Kurzzeitgedächtnis ist beeinträchtigt. Er kann sich mit einem Rollator selbstständig fortbewegen. Alle fünf Gäste haben die Klappmaulpuppe einmalig auf dem Wohnbereich in der vergangenen Aktivierungseinheit kennengelernt und sind mit ihr in Beziehung getreten. Sie sind in unterschiedlichen Bereichen des Hauses untergebracht. Einige von ihnen hatten vorher schon untereinander Kontakt und kennen sich, andere nicht.
Vorbereitung: Ist-Analyse Frau Rot ist auch an diesem Tag sehr müde. Die Erkältung, die sie überstanden hat, hat sie weiterhin geschwächt. Herr Blau hat noch am Morgen mit einer Betreuungskraft über Julchen gesprochen. Er freut sich sehr auf das bevorstehende Treffen mit Julchen. Frau Gelb ist sehr traurig und still. Frau Grün ist an diesem Morgen sehr in sich gekehrt. Sie scheint verwirrt. Sie wird von Herrn Weiß unterstützt. Herr Weiß redet sehr heiter.
Vorbereitung: Zieldefinition In der heutigen Aktivierungseinheit geht es um ein gemeinsames Gruppenziel. Ich möchte, dass es Julchen gelingt, ein Gespräch unter allen fünf Gästen entstehen zu lassen, das sich mit dem Thema „Beruf“ auseinandersetzt. Für jeden Gast wurde dabei in der Zieldefinition festgehalten, wie eine Beteiligung am Gespräch aussehen könnte, denn hier sind Abstufungen notwendig, was für Herrn Blau einfach ist, ist für Frau Rot nicht einfach und so weiter. Daraus ergeben sich folgende individuelle Ziele: Für Frau Rot und Frau Grün ist eine Gesprächsbeteiligung durch eine Kombination aus Blickkontakt zum Sprechenden und bestenfalls eine nonverbale oder kleine verbale Äußerung durch Nicken oder Wörter wie „ach“, „ja“ möglich.
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Praxisbeispiele
Für Herrn Blau und Herrn Weiß bedeutet Gesprächsbeteiligung, dass sie sich verbal beteiligen, aber auch wahrnehmen, dass andere aus der Gruppe etwas beitragen und ihnen Raum lassen. Für Frau Gelb bedeutet Gesprächsbeteiligung an diesem Morgen, dass sie sich etwas aus ihrer Traurigkeit lösen kann.
Vorbereitung: Spielort Die Aktivierungseinheit wird in einem Wohnbereich stattfinden. Dort werden zwei Tische zusammengestellt, so dass die Gruppe in der Runde um die Tische sitzen kann. Die Stühle bzw. Rollstühle werden so gestellt, dass alle fünf Gäste zueinander Blickkontakt haben. Die geöffnete Seite des Halbkreises wird als Anspielrichtung gewählt.
Transfer der Gäste Die Gäste werden von Betreuungskräften begleitet. Eine Betreuungskraft übernimmt dabei die Moderation der Aktivierungseinheit.
Einleitung: Begrüßungslied Die begleitende Betreuungskraft stimmt, wie es in der Einrichtung üblich ist, zu Beginn der Aktivierungseinheit das Volkslied „Schön ist die Welt“ an.
Einleitung: Orientierung Die begleitende Betreuungskraft begrüßt die fünf Gäste. „Guten Morgen, heute ist Donnerstag, der 8. März. Wir treffen uns heute in dem Wohnbereich, weil wir heute einen Gast erwarten. Das ist Sabine Meyer. Sabine Meyer war schon in der letzten Woche hier im Haus.“
Hauptteil: Begrüßung Spieler Die Betreuungskraft führt mich als Spieler ein. Ich gehe zu jedem Gast, begrüße sie oder ihn mit Handschlag und stelle mich vor. Danach stelle ich mich vor den Halbkreis, so dass alle Gäste mich gut sehen können und leite zur Puppe über, die während dieser Zeit außerhalb des Blickfeldes der Gäste wartet.
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Julchen
BEISPIEL: ROT, BLAU, GELB, GRÜN, WEISS Sabine: „Ich habe Ihnen heute wieder jemanden mitgebracht ...“ Herr Weiß nickt bereits: „Ja, ja. Julchen.“ Sabine: „Oh, ja richtig, Herr Weiß. Julchen. Dann hole ich einmal Julchen zu uns. Sie hat sich schon den ganzen Morgen auf Sie gefreut.“
Ich wende mich ab und gehe aus dem Blickfeld. Ich hole die Puppe hervor und trage sie in lebendiger Grundhaltung auf dem Arm. Aufgrund der Situation, dass die Gruppe am Tisch sitzt, kann ich die Puppe nicht vom Boden spielen. Für den Großteil der Gruppe wäre so das Spiel nicht erkennbar. Ich setze Julchen deswegen auf den Tisch, wobei ich für meinen Standpunkt die geöffnete Seite des Halbkreises wähle.
Hauptteil: Puppenspiel – Gesprächsanlass und Interaktion Um in das biografische Arbeiten zum Thema „Beruf“ einzuführen, habe ich aus Julchens Puppenbiografie ihren Berufswunsch „Prinzessin“ als Gesprächsanlass ausgewählt.
BEISPIEL: ROT, BLAU, GELB, GRÜN, WEISS Julchen (von der Tischmitte aus, für alle fünf Gäste zu sehen): „Guten Morgen, ich bin Julchen!“ Herr Blau: „Julchen ist wieder da. Komm doch mal her.“ Julchen winkt Herrn Blau zu: „Hallo. Ich komme gleich zu dir.“ Dann geht Julchen über den Tisch zu Frau Gelb, um dort mit ihrer Begrüßung zu beginnen. Julchen (zu Frau Gelb): „Guten Morgen, ich bin Julchen. Und wer bist du?“ Frau Gelb schweigt. Julchen versucht, in den Blickkontakt von Frau Gelb zu kommen, indem sie näher an Frau Gelb heranrutscht: „Hallo.“ Frau Gelb schweigt.
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Praxisbeispiele
Julchen streichelt Frau Gelbs Hand, die auf dem Tisch liegt. Julchen: „Magst du heute nicht reden?“ Frau Gelb nickt. Julchen: „Darf ich gleich noch mal wiederkommen?“ Frau Gelb blickt hoch und nickt. Julchen geht zum nächsten Gast und begrüßt jeden nach der Reihe, so dass sie bei Herrn Blau die Runde beendet. Herr Blau: „Da bist du ja.“ Er streichelt die langen Zöpfe der Puppe. Julchen: „Weißt du, was ich werden will, wenn ich groß bin?“ Herr Blau: „So, so, wenn du groß bist?“ Julchen: „Prinzessin will ich werden.“ Herr Weiß (neben Herrn Blau): „Das ist schön.“ Julchen zu Herrn Weiß: „Was willst du denn werden, wenn du groß bist?“ Herr Weiß lacht: „Ich bin schon groß.“ Herr Blau lacht auch: „Das ist ja mal eine Frage.“ Julchen zu Herrn Blau: „Und bist du auch schon groß geworden?“ Herr Blau: „Ja. Ich bin schon groß.“ Julchen: „Was hast du denn gemacht? Gearbeitet?“ Herr Blau: „Spaß habe ich gemacht, wie du.“ Während des kleinen Gespräches zu dritt bemerke ich, wie Frau Grün aufblickt und in Richtung Gesprächspartner schaut.
Nach und nach begrüßt die Puppe jeden Gast mit einem kleinen individuellen Spiel. Sie stellt überall dieselbe Frage: „Was willst du werden, wenn du groß bist?“ Frau Grün ist in der Lage, dem Gespräch mit dem Blick zu folgen. Als Julchen zu ihr kommt, lächelt sie und nickt auf die Frage als Antwort. Sie findet keine Worte. Frau Rot bleibt in sich gekehrt, die Augen fallen ihr zu. Sie beteiligt sich nicht an dem Gespräch, weder verbal noch nonverbal. Frau Gelb sitzt mit gesenktem Blick am Tisch. Sie verfolgt das Gespräch nicht. Sie reagiert weder verbal noch nonverbal.
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Julchen
Herr Blau und Herr Weiß unterhalten sich rege mit der Puppe und miteinander. Sie erzählen von ihren Berufen, Herr Blau war Lehrer, Herr Weiß Kaufmann.
Hauptteil: Verabschiedung der Puppe Irgendwann ist es Zeit, die Spielsituation zu beenden. Julchen muss sich wieder verabschieden. In einer Kleingruppe verabschiedet sich die Puppe zunächst von jedem einzelnen Gast, um dann noch einmal die Gruppe gemeinsam zu verabschieden. Die Frage der Puppe „Darf ich noch mal wiederkommen?“ an alle gibt dabei ein positives Gefühl.
BEISPIEL: ROT, BLAU, GELB, GRÜN, WEISS Julchen geht zu Frau Grün, um sich zu verabschieden. Frau Grün schaut die Puppe an. Julchen: „Ich muss jetzt nach Hause. Darf ich auch zu dir wiederkommen?“ Frau Grün nickt: „Ja.“ Sie streichelt Julchen über den Kopf. Julchen: „Ich freue mich schon jetzt darauf.“ Frau Grün nickt wieder. Julchen geht über den Tisch zu Frau Gelb. Julchen: „Darf ich das nächste Mal auch zu dir kommen?“ Frau Gelb blickt auf: „Ich bin traurig.“ Frau Gelb nimmt Julchens Hand und hält sie fest. Julchen lehnt ihren Kopf bei Frau Gelb an die Schulter. Nach einiger Zeit lässt Frau Gelb Julchens Hand los. „Willy“, sagt Frau Gelb leise. Julchen: „Wer ist Willy?“ Frau Gelb: „Mein Bruder, er ist tot.“ Julchen: „Oh, soll ich nochmal deine Hand halten?“ Frau Gelb nickt. Sie schweigt. Nach einer Weile… Julchen: „Darf ich nächste Woche noch mal wieder zu dir kommen?“ Frau Gelb nickt.
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Praxisbeispiele
Julchen verabschiedet sich von den anderen Gästen und dann noch mal von der ganzen Gruppe. Julchen singt und winkt dabei mit der Hand: „Auf Wiedersehen. Auf Wiedersehen.“ Herr Blau und Herr Weiß singen mit. Frau Grün summt hinter vorgehaltener Hand. Frau Rot hat die Augen geschlossen. Frau Gelb schaut zu.
Schluss: Verabschiedung des Spielers Ich gehe noch einmal zur Gruppe zurück. Jedem einzelnen Gast danke ich für die Zeit, die er Julchen geschenkt hat. Ich frage alle, ob es ihnen gefallen hat.
BEISPIEL: ROT, BLAU, GELB, GRÜN, WEISS Sabine: „Herr Blau, vielen Dank, dass Sie sich heute für das Julchen Zeit genommen haben. Hat es Ihnen gefallen?“ Herr Blau: „Kommen Sie bald wieder, ja?“ Sabine: „Ja, Herr Blau, nächste Woche komme ich mit Julchen wieder.“ Ich gehe, nachdem ich mich von jedem Gast verabschiedet habe, aus dem Blickfeld.
Schluss: Schlusslied Die begleitende Betreuungskraft übernimmt die Schlussmoderation. Als Schlusslied wird ein zweites Mal gemeinsam „Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen“ gesungen.
Schluss: Verabschiedung der Gäste Die begleitende Betreuungskraft verabschiedet jeden Gast.
Transfer der Gäste Es kommen weitere Betreuungskräfte, die die Gäste zurück in ihre Wohnbereiche bringen.
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Julchen
Julchen will Prinzessin werden.
Reflexion: Schriftliche Reflexion In der abschließenden Reflexion wurde das Erleben mit jedem Gast reflektiert, aber auch das Gruppenerlebnis. Herr Blau und Herr Weiß waren sehr an dem Gespräch beteiligt. Sie konnten ihre Aufmerksamkeit auch aufeinander richten, so dass sogar ein Gespräch zwischen den beiden Herren entstand. Frau Grün hat sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten ebenfalls an dem Gespräch beteiligt. Frau Rot hat in dieser Aktivierungseinheit keine Möglichkeit gefunden, sich zu beteiligen. Es wird deswegen im Folgenden festgehalten, dass Frau Rot in einer Einzelaktivierung von Julchen besucht wird. Das Ziel der Einzelaktivierung wird es sein, herauszufinden, ob Frau Rot mit weniger Störungen aus einer Gruppe heraus, den Kontakt mit Julchen aufbauen und über längere Zeit halten kann.
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Praxisbeispiele
Frau Gelb war noch die nächsten Tage sehr traurig. Nach der Aktivierungseinheit beim Transfer erfuhr die begleitende Betreuungskraft, wer „Willy“ war. Es ging nicht um ihren Bruder, denn aufgrund der Biografieerhebung war deutlich, dass Frau Gelb keine Geschwister hat. Ein bekannter Mensch war gestorben, den Frau Gelb sehr verehrt hatte. Sie hatte diese Nachricht erfahren, aber niemanden etwas davon sagen können, warum sie so traurig war. Julchen hat sie ihre Traurigkeit erklärt. Sie erkennen in der Vorstellung dieser Aktivierungseinheit, dass auch oftmals unerwartete Sachverhalte auftauchen. In der nächsten Kleingruppenaktivierungseinheit möchte ich mit der Gruppe biografisch weiterarbeiten. Das Osterfest steht vor der Tür und Julchen möchte etwas von Ostern erfahren. Daraus soll sich ein gemeinsames Gespräch über das Feiern des Osterfestes ergeben.
PRAXISERFAHRUNG In dem Beispiel von Frau Gelb konnten Sie eine Grenzerfahrung für die Puppe kennenlernen. Solche Situationen entstehen nicht oft, aber sie können entstehen. Wichtig ist es hier, die Puppe in ihrer Rolle wertschätzend und vorsichtig weiterzuspielen. Julchen durfte die Situation nicht verstärken, z. B. dadurch, dass Folgendes geschieht: Julchen: „Bist du jetzt traurig?“ oder „Ist das schlimm, wenn man tot ist?“ Auch ein Spiegeln der Emotionen sollte die Puppe nicht durchführen. Spiegeln würde Julchen, z. B. dadurch, dass das Folgende geschieht: Julchen: „Ich bin auch ganz traurig“ oder „Ich muss immer weinen, wenn ich traurig bin.“ Die sinnvollste Herangehensweise ist Geduld und die Aktionen der Puppe auf ein Minimum zu reduzieren. Bitte haben Sie vor Augen, Sie spielen die Puppe als ein Kind. Die wenigsten Erwachsenen würden mit einem Kind besprechen, dass der Bruder gestorben ist. Durch das Spiel wurde etwas Wichtiges deutlich, nämlich der Grund für die Traurigkeit von Frau Gelb. Wie auf diese Traurigkeit im Einzelnen zu reagieren ist, konnte nicht mehr Aufgabe der Puppe sein, das erforderte in diesem Fall wieder ein Erwachsenen-Ich in Form einer Betreuungskraft.
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Julchen
Aktivierung mit Schwerpunkt Requisiteneinsatz In der Aktivierungsarbeit mit Klappmaulpuppen besteht die Möglichkeit, Requisiten einzusetzen. In den Kapiteln „Motorische Einzelaktivierung“, Seite 118, „Kognitive Einzelaktivierung“, Seite 124, konnten Sie bereits zwei Einsatzmöglichkeiten für Requisiten kennenlernen. Als Requisiten eignen sich viele Dinge, die einzige Voraussetzung ist, dass die Puppe sie authentisch einbringen kann. Eine Klappmaulpuppe, die ein Fahrrad mitbringt, ist weniger authentisch, als ein Puppenmädchen, das einen roten Ball mitbringt. Hier eine kleine Auswahl von Requisiten, die ich selbst in Aktivierungseinheiten einsetze: –– Bälle (ca. tennisballgroß oder so weich, dass man in sie hineingreifen kann, z. B. weiche Softbälle, –– Prinzessinnenkrone und Spiegel (möglich wären aber auch andere Kostümierungen, an denen Kinder Freude haben: Piratenhut, Feenzauberstab, Marienkäferflügel), –– –– –– –– –– ––
Bücher (Bilderbücher, Lesebücher mit Kinderreimen, aber auch Fotoalben), Kinderspiele wie Memory, Würfel oder Ähnliches, Blumen (ein kleiner Strauß Gänseblümchen oder eine kleine Rose aus dem Garten), Waldmaterialien (Blätter, Kastanien, Eicheln), Tierfiguren (aus Holz, aus Stoff oder aus Kunststoff ), Schreib- und Malmaterial (Tafel mit Kreidestiften, Papier mit dicken Buntstiften).
Es ist auch möglich, persönliche Gegenstände der Gäste einzusetzen, z. B. ein Fotoalbum oder Erinnerungsbuch. Die Möglichkeiten des Requisiteneinsatzes sind vielfältig, sie lassen sich besonders gut für die motorische und kognitive Aktivierung einsetzen, aber auch zur verbalen Aktivierung bieten Requisiten mögliche Ergänzungen in der Aktivierungsarbeit mit Klappmaulpuppen. In dem nächsten Beispiel wird ein Buch mit Kinderreimen als Requisite für eine verbale Aktivierung eingebracht. Lesen Sie dazu bitte noch einmal das Beispiel für eine verbale Einzelaktivierung, siehe Kapitel „Verbale Einzelaktivierung“, Seite 130, da das folgende Beispiel die Fortsetzung dazu darstellt. In diesem Beispiel haben Sie Frau Hof bereits kennengelernt.
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Praxisbeispiele
FALLBESCHREIBUNG: FRAU HOF Frau Hof hat eine mittlere Demenz. Sie ist 81 Jahre alt und seit 2 Jahren regelmäßig in der Tagespflegeeinrichtung. Sie leidet unter starken Wortfindungsstörungen und vermag es nicht, einen Satz zusammenhängend zu sprechen. Frau Hof ist hoch gebildet. Sie war als Professorin lange Jahre im Bereich Literaturwissenschaften an der Hochschule tätig. Frau Hof leidet sehr darunter, dass sie sich nicht mehr ausdrücken kann. Mit ihrer Tochter, die sie außerhalb der Tagespflegeeinrichtung in ihrem gemeinsamen Zuhause pflegt und betreut, redet Frau Hof kaum noch. Frau Hof hat bereits eine Einzelaktivierung mit Julchen mit dem Ziel der verbalen Aktivierung erlebt. In der Einzelaktivierung ging es darum, dass Frau Hof einen klar zur verstehenden kompletten Satz mit Julchen in einer freudigen Atmosphäre formulieren sollte. Das ist gelungen.
Vorbereitung: Ist-Analyse Frau Hof sitzt an dem Morgen auf dem Wohnbereich im Kreis anderer Gäste. Eine Betreuungskraft hat ihr bereits beim Frühstück erzählt, dass Julchen heute kommt. Daraufhin lächelte Frau Hof. Sie scheint sich zu freuen.
Vorbereitung: Zieldefinition In der heutigen Aktivierungseinheit geht es um eine weitere verbale Aktivierung. Frau Hof soll Julchen etwas aus einem Kinderbuch vorlesen.
Vorbereitung: Spielort Frau Hof wird an diesem Tag für die Aktivierung in einen anderen Wohnbereich gebracht. Es ist wichtig, ihr einen geschützten Rahmen für die Aktivierung zu geben, in dem kein anderer Gast eingreifen und sie mit seinem vorschnellen Handeln unter Druck setzen kann. In dem separaten Wohnbereich steht ein Tisch am Fenster. Davor ist Platz für Frau Hofs Rollstuhl. Ich lege als Anspielrichtung den offenen Tischbereich fest, so dass Frau Hof das Spiel auf dem Tisch verfolgen kann, mir aber Platz genug bleibt, die Puppe auf
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Julchen
Frau Hofs Schoß klettern zu lassen. Da das Spiel auf dem Tisch beginnt, muss ich die Puppe in lebendiger Grundhaltung in den Raum bringen.
Transfer der Gäste Frau Hof wird durch eine Betreuungskraft in den anderen Wohnbereich gebracht. Eine Betreuungskraft übernimmt dabei die Moderation der Aktivierungseinheit.
Einleitung: Begrüßungslied und Orientierung Die beiden Punkte entfallen, da es sich um eine Einzelaktivierung handelt.
Hauptteil: Begrüßung Spieler Die Betreuungskraft führt mich als Spieler ein. Ich gehe zu Frau Hof, begrüße sie mit Handschlag und stelle mich vor. Auch wenn ich vor einer Woche da war, ist es wichtig, die Begrüßung erneut mit meinem Namen anzubieten, um Frau Hof die Orientierung zu erleichtern. Die Puppe wartet außerhalb des Raumes darauf, dass ich sie hole und ins Spiel einbringe.
BEISPIEL: FRAU HOF Betreuungskraft: „Liebe Frau Hof, wir haben heute einen Gast im Haus. Der würde gerne einmal zu Ihnen kommen. Sie heißt Sabine Meyer.“ Frau Hof: „Ja (...) ich (...).“ Betreuungskraft: „Frau Hof, ich hole Frau Meyer einmal zu Ihnen.“ Frau Hof: „Ja(...) ja.“ Die Betreuungskraft holt mich in den Raum. Ich gehe zu Frau Hof und stelle mich vor. Sabine: „Mein Name ist Sabine Meyer. Guten Tag. Sie sind Frau Hof, nicht wahr?“ (Ich reiche Frau Hof zur Begrüßung die Hand.) Frau Hof nickt: „Ich (...).“ Sie ergreift meine Hand und lächelt. Sabine: „Liebe Frau Hof, ich bin heute gar nicht alleine zu Ihnen gekommen. Ich habe Ihnen ein kleines Puppenmädchen mitgebracht.“
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Praxisbeispiele
Frau Hof nickt: „Julchen.“ Ich: „Ja, Frau Hof, Julchen wartet draußen, soll ich sie holen?“ Frau Hof nickt und lächelt.
Ich wende mich ab und gehe aus dem Blickfeld. Ich hole die Puppe hervor und trage sie in lebendiger Grundhaltung auf dem Arm in den Raum. Aufgrund der Situation, dass Frau Hof am Tisch sitzt, kann ich die Puppe nicht vom Boden spielen. Ich trage sie zum Tisch und setze Julchen auf den Tisch. Julchen trägt unter dem Arm ein kleines Kinderbuch mit Kinderreimen.
Hauptteil: Puppenspiel – Gesprächsanlass und Interaktion Um in die verbale Aktivierung zu kommen, habe ich mir überlegt, dass Julchen ein Buch zum Geburtstag geschenkt bekommen hat. Aber niemand hat Zeit, ihr etwas vorzulesen und sie ist doch erst fünf und kann noch nicht lesen. Sie wird Frau Hof bitten, ihr etwas vorzulesen. In dem Buch sind alte Kinderreime zu lesen, wie z. B. „Hopp, Hopp, Hopp, Pferdchen, lauf Galopp.“
BEISPIEL: FRAU HOF Julchen (sitzt auf dem Tisch vor Frau Hof): „Guten Morgen, ich bin Julchen!“ Frau Hof: „Ich. Ich. Ja.“ Julchen geht zu Frau Hof über den Tisch und gibt ihr die Hand. Julchen: „Guten Morgen, ich bin Julchen und wer bist du?“ Frau Hof: „I ... Irmgard. Komm“ Julchen: „Darf ich auf deinen Schoß?“ Frau Hof nickt. Julchen klettert auf den Schoß und die beiden kuscheln eine Weile miteinander. Julchen: „Du, ich habe heute etwas mitgebracht. Mama und Papa haben mir ein Buch geschenkt.“ Frau Hof: „Ach.“
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Julchen
Julchen: „Ich hole das mal.“ (Julchen holt das Buch.) Julchen: „Kannst du mir etwas vorlesen?“ Frau Hof: „Ich … Ich … will versuchen.“ Julchen schlägt das Buch auf. Der Kinderreim „Hopp, hopp, hopp, Pferchen lauf Galopp“ ist zu sehen. Es sind die Wörter und auch Bilder zu sehen. Frau Hof: „Pferd.“ (Sie zeigt auf das Pferd.) Julchen (etwas aufgeregt): „Lies doch mal vor!“ Frau Hof hält das Buch so, dass sie und Julchen hineinschauen können und liest den Kinderreim fehlerfrei vor. Julchen ist begeistert und klatscht Beifall.
Nach dem ersten Kinderreim suchen die beiden sich gemeinsam noch einen zweiten Reim aus, „Die kleine Hexe“. Bevor Frau Hof anfängt zu lesen, sehen sich die beiden die Bilder an und benennen die Gegenstände, die sie dort sehen. Frau Hof lacht sehr viel.
Hauptteil: Verabschiedung der Puppe Irgendwann ist es Zeit, die Spielsituation zu beenden. Julchen muss sich wieder verabschieden. Die Puppe ist immer zuerst dran. Sie hat die Situation als Letzte betreten, sie verlässt die Situation als Erste wieder. Sie verabschiedet sich dabei mit der Frage „Darf ich noch mal wiederkommen?“ Diese Frage dient dazu, dem Gast das Wiederkommen der Puppe zu signalisieren. So wird ein möglicher Abschiedsschmerz von Julchen positiv umgewandelt.
BEISPIEL: FRAU HOF Julchen: „Irmgard, ich muss jetzt nach Hause gehen. Darf ich noch mal wiederkommen?“ Frau Hof lacht: „Hopp, hopp, hopp, lauf Galopp.“ Julchen: „Dann komme ich im Galopp wieder zu dir!“
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Praxisbeispiele
Frau Hof nickt und lacht noch ein bisschen mehr. Julchen klettert zu Frau Hof noch mal auf den Schoß. Frau Hof: „Ich hab‘ dich lieb.“ Julchen: „Ich dich auch.“
Es passiert öfter, dass die Gäste sehr intensive Beziehungen zu der Puppe aufbauen. Die Worte: „Ich mag dich“ „Ich habe dich lieb“ oder auch Koseworte wie „Komm doch einmal her, mein Schätzchen“, sind Äußerungen, die die Puppe oft hört.
Schluss: Verabschiedung des Spielers Ich bringe die Puppe in der lebendigen Grundhaltung aus dem Raum und komme dann wieder zurück, um mich selbst zu verabschieden.
BEISPIEL: FRAU HOF Sabine: „Liebe Frau Hof, vielen Dank, dass Sie sich heute für das Julchen Zeit genommen haben. Julchen hat sich so gefreut. Hat es Ihnen heute gefallen?“ Frau Hof nickt und lacht: „Hopp, Hopp, Hopp.“ Ich lache auch. Wir geben einander die Hand. „Julchen und ich kommen bald wieder.“ Ich gehe aus dem Blickfeld.
Schluss: Schlusslied Ein Schlusslied wird nicht gesungen, da es sich um eine Einzelaktivierung handelt.
Schluss: Verabschiedung der Gäste Die begleitende Betreuungskraft betritt den Raum und fragt Frau Hof, ob es ihr gefallen hat. Das bestätigt die Dame.
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Julchen
Julchen hat heute ein Buch mitgebracht.
Transfer der Gäste Die Betreuungskraft bringt Frau Hof zurück auf ihren Wohnbereich.
Reflexion: Schriftliche Reflexion In der abschließenden Reflexion wurde deutlich, dass das Sprechen in Reimen für Frau Hof erheblich einfacher war. Es hat ihr viel Spaß gemacht. Um an diesen Erfolg anzuknüpfen, wird als Ziel für die nächste Aktivierungseinheit formuliert: In der nächsten Aktivierungseinheit möchte Julchen mit Frau Hof ein Gedicht lernen. Da gerade die Weihnachtszeit beginnt, eignet sich das alte Weihnachtsgedicht „Von Drauß‘, vom Walde komm ich her“.
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Praxisbeispiele
PRAXISERFAHRUNG Durch die langandauernde Aktivierung mit der Klappmaulpuppe Julchen hat Frau Hof Sprache wieder mit Freude und Lachen erlebt. Dieser Effekt war nicht nachhaltig im Sinne, dass sie wieder angefangen hätte, flüssig zu sprechen. Doch noch heute, nach über zwölf Monaten, erkennt sie mich im Flur der Einrichtung und fragt nach Julchen.
Der Puppenkaffeeklatsch (Aktivierung mit mehreren Spielpuppen) Eine besondere Form des Puppenspiels ist das Puppenspiel mit mehreren Puppen. Das setzt natürlich voraus, dass es in der Einrichtung mehrere Puppen gibt und auch mehrere Puppenspieler. Von dem Grundcharakter des Puppenspiels ist diese Aktivierungseinheit eine unterhaltende Kleingruppenaktivierung. Im Gegensatz zu den zielgerichteten Aktivierungseinheiten in den vorhergehenden Beispielen ist diese Aktivierung ein reines Improvisationsspiel, in dem die Puppen auf die Impulse der Gruppe und auf die Impulse der anderen Puppen reagieren. Deswegen werden Sie einige Punkte aus dem Ablauf für zielgerichtete Aktivierungen in dem folgenden Beispiel nicht finden. Wichtig für das Improvisationsspiel ist es, im Vorfeld die Beziehung zwischen den spielenden Puppen zu klären. Sind es Geschwister oder Freunde, die zu Besuch kommen? Und für jede Puppe sollte im Vorfeld die Puppenbiografie ausgearbeitet sein, siehe auch Kapitel „Romeo und Julia fällt heute aus – Die Puppenbiografie“, Seite 65. Die Kleingruppe besteht aus fünf Personen, zwei Männern und drei Damen. Alle fünf Gäste leben in einer Einrichtung. Sie sind zwischen 75 und 84 Jahre alt. Sie haben alle fünf eine mittlere Demenz. Weitere Angaben sind für eine unterhaltende Aktivierungseinheit nicht notwendig.
Vorbereitung: Ist-Analyse Dieser Punkt entfällt bei einer unterhaltenden Aktivierungseinheit.
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Julchen
Vorbereitung: Zieldefinition Dieser Punkt entfällt bei einer unterhaltenden Aktivierungseinheit.
Vorbereitung: Spielort Der Spielort ist ein Gruppenraum in der Einrichtung. Dort werden zwei Tische zusammengestellt, so dass die Gruppe in der Runde um die Tische sitzen kann. Die Stühle bzw. Rollstühle werden so gestellt, dass alle Gäste zueinander Blickkontakt haben. Die geöffnete Seite des Halbkreises wird als Anspielrichtung gewählt.
Transfer der Gäste Die Gäste werden von Betreuungskräften begleitet und in den Gruppenraum gebracht. Eine Betreuungskraft bleibt vor Ort.
Einleitung: Begrüßungslied Dieser Punkt kann bei einer unterhaltenden Aktivierungseinheit entfallen.
Einleitung: Orientierung Dieser Punkt kann bei einer unterhaltenden Aktivierungseinheit entfallen.
Hauptteil: Begrüßung Spieler Da die begleitende Betreuungskraft nicht die Moderatorin der Aktivierungseinheit ist, führen sich die Spieler selbst ein. Sie gehen zu jedem Gast, begrüßen sie oder ihn mit Handschlag und stellen sich vor. Dann leitet ein Spieler zu den Puppen über, die während dieser Zeit außerhalb des Blickfeldes der Gäste warten.
BEISPIEL: KAFFEEKLATSCH Sabine: „Wir haben Ihnen heute jemanden mitgebracht ...“ Gast 1: „So?“ Spieler 2: „Ja, zwei Geschwister, ein Mädchen und einen Jungen. Sie heißen Julchen und Timmi und warten ganz aufgeregt draußen vor der Tür. Wir holen sie einmal zu uns.“
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Praxisbeispiele
Beide Spieler gehen kurz aus dem Raum, um die Puppen anzulegen, und kehren mit den Puppen auf dem Arm in lebendiger Grundhaltung in den Raum zurück. Das Spiel beginnt ab dem Moment, in dem die Puppen den Raum betreten und im Blickfeld der Gäste sind. Aufgrund der Situation, dass die Gruppe am Tisch sitzt, kann keiner der Spieler eine Puppe vom Boden aus spielen. Beide Spieler setzen ihre Puppen sichtbar auf den Tisch. Die Puppen stellen sich selbst vor.
Hauptteil: Puppenspiel – Gesprächsanlass und Interaktion Als Gesprächsanlass und Interaktionsimpuls wird in der unterhaltenden Aktivierungseinheit auf die Biografie der beiden Puppen zurückgegriffen. Sie sind Bruder und Schwester. Weitere Interaktionsimpulse werden spontan aus den Reaktionen der Gäste entwickelt.
BEISPIEL: KAFFEEKLATSCH Julchen (sitzt auf dem Tisch neben Timmi): „Das ist mein Bruder Timmi. Der ist noch voll klein. Der ist erst vier.“ Timmi: „Und das ist meine große Schwester Julchen. Die ist fünf. Und die ärgert mich immer, weil ich noch so klein bin.“ Beide Puppen gehen in den Kontakt mit den Gästen. Sie gehen zu jedem, stellen sich vor und begrüßen. So entstehen verschiedene Gesprächsinseln. Timmi spricht mit einem Mann. Timmi: „Ich will Torwart werden. Spielst du auch Fußball?“ Gast 1: „Das habe ich getan.“ Zeitgleich redet Julchen mit einer Dame. Julchen: „Ich habe eine Nase. Hast du auch eine Nase?“ Gast 2: „Natürlich.“ Julchen: „Willst du mich mal an meiner Nase kitzeln?“
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Julchen
Ein Puppenkaffeklatsch.
Die Gesprächsinseln können immer wieder über die Puppen auch zu einem gemeinsamen Gespräch werden. Da die Puppen sich kennen, können sie eingreifen und sich gegenseitig unterstützen.
Hauptteil: Verabschiedung der Puppe Irgendwann ist es Zeit, die Spielsituation zu beenden. Beide Puppen müssen sich verabschieden. In der Kleingruppe verabschiedet sich auch bei einem Puppenkaffeeklatsch die Puppe zunächst von jedem einzelnen Gast, um dann noch einmal die Gruppe gemeinsam zu verabschieden. Die Frage der Puppen „Dürfen wir noch mal wiederkommen?“ an alle gibt dabei ein positives Gefühl, auch im Moment des Abschiednehmens.
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Praxisbeispiele
BEISPIEL: KAFFEEKLATSCH Julchen: „Timmi, wir müssen nach Hause.“ Timmi: „Och nö. Ich will noch spielen.“ Julchen: „Du bist viel kleiner als ich. Du musst auf mich hören.“ Julchen (wendet sich an einen Gast): „Timmi und ich müssen jetzt nach Hause gehen.“ Gast 1: „Das ist aber schade.“ Timmi (quengelt): „Ich will aber noch hierbleiben.“ Der Gast lächelt und streichelt Timmi über den Kopf. Julchen: „Dürfen wir denn noch mal wiederkommen?“ Die Gäste nicken und sagen im Chor: „Ja, gerne!“
Schluss: Verabschiedung des Spielers Die Spieler tragen die Puppen aus dem Raum und kehren ohne Puppe noch einmal zur Gruppe zurück. Jedem einzelnen Gast danken sie für die Zeit, die sie den beiden Geschwister geschenkt haben. Die Spieler fragen, ob es den Gästen gefallen hat. Dabei sollten sich die Spieler die Gäste aufteilen und nicht jeder Spieler jeden Gast befragen, um Doppelungen zu vermeiden.
BEISPIEL: KAFFEEKLATSCH Ich gehe zu Gast 1: „Vielen Dank, dass Sie heute Zeit für uns hatten. Hat es Ihnen gefallen?“ Gast 1: „Oh ja. Kommen Sie bald wieder?“ Sabine: „Sehr gerne.“ Spieler 2 wendet sich an Gast 2: „Vielen Dank, dass Sie heute Zeit für Julchen und Timmi hatten. Hat es Ihnen Spaß gemacht?“
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Schluss: Schlusslied Dieser Punkt kann bei einer unterhaltenden Aktivierungseinheit entfallen.
Schluss: Verabschiedung der Gäste Da es keinen Moderator in dieser Aktivierungseinheit gibt, endet die Aktivierungseinheit mit der Verabschiedung der Spieler.
Transfer der Gäste Es kommen weitere Betreuungskräfte, die die Gäste zurück in ihre Wohnbereiche bringen.
Reflexion: Schriftliche Reflexion Dieser Punkt kann bei einer unterhaltenden Aktivierungseinheit entfallen.
PRAXISERFAHRUNG Entstanden ist die Idee des Puppenkaffeeklatsches im Verlauf des Langzeitprojektes im Seniorenheim Haus Dorette. Am Ende des Projektes war ein offizieller Pressetermin mit Fotograf, Redakteur, Betreuungskräften, Puppen und Gästen geplant. Nachdem erst nur Julchen im Spiel war, tauchte mit einem Mal Timmi ebenfalls auf. Und gleich stritten sich die beiden Geschwister mal wieder, wer kleiner und wer größer ist. Und so wurde eine neue Spielidee, die sich in der Praxis bewährt hat, geboren. Lassen Sie den Puppen Freiraum, geben Sie Ihnen die Spielführung und Sie werden erstaunt sein, welche wundervolle Spielszenen entstehen, ohne dass Sie selbst Texte auswendig lernen, Abläufe trainieren und Regiebücher studieren. Spielen Sie sich frei.
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Über die Autorin Die Osnabrücker Erzählerin Sabine Meyer, Jahrgang 1966, ist ausgebildete Erzählerin. Seit 2005 tritt sie als Erzählerin auf. Im Dezember 2008 gründete sie das „Erzähltheater Osnabrück“ und erzählt für Kinder und Erwachsene klassische Märchen und eigene Geschichten. Mittlerweile hat sie drei MärchenCDs mit eigenen Geschichten produziert und veröffentlicht. Seit 2007 ist ein Schwerpunkt ihrer Arbeit das Erzählen für Menschen mit Demenz. Sie leitete 2009 das einjährige Forschungsprojekt „Märchenstube – ressourcenaktivierende Arbeit mit demenziell erkrankten Menschen“ im Auftrag des Diakonischen Werkes Osnabrück. Seit 2009 unterrichtet Sabine Meyer als Dozentin bundesweit Betreuungskräfte und andere Berufsgruppen zum ressourcenaktivierenden Erzählen. Sie hat diverse Fachartikel in Fachzeitschriften über die ressourcenaktivierende Märchenarbeit veröffentlicht. 2018 erschien im Verlag an der Ruhr ihr erstes Fachbuch zum ressourcenaktivierenden Erzählen für Menschen mit Demenz „Die Märchenstube – Aktivierung leicht gemacht. “ Über das Märchen erzählen für Menschen mit Demenz entdeckte Sabine Meyer das Spiel mit Klappmaulpuppen als weitere Aktivierungsmethode für Menschen mit Demenz. 2014 lernte sie den Puppenspieler und Spielpädagogen Olaf Möller kennen. In seinem Puppenspielworkshop entdeckte Sabine Meyer Julchen als ihre Spielpuppe und setzt sie seitdem in vielen Einrichtungen bundesweit ein. 2015 initiierte sie zu diesem Thema das Projekt „Julchen kommt zu Besuch“. Die Studie über 9 Monate befasst sich mit Aufbau und Durchführung verschiedener Aktivierungseinheiten mit Klappmaulpuppen. Im Zuge dieser Arbeit sind bundesweite Workshops und Weiterbildungen an verschiedenen Bildungsinstituten entstanden. Über ihre Arbeit mit Julchen sagt sie: „Julchen ist mein Alter Ego. Wenn ich Julchen zuschaue, wie sie sich benimmt, wie sie redet und was sie manchmal für Ideen in ihrem kleinen Schaumstoffkopf hat, dann sehe ich mich als Fünfjährige.“
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Literaturverzeichnis
Haberstroh, Dr. Julia, Pantel, Prof. Dr. Johannes, Neumeyer, Katharina: Kommunikation bei Demenz, Springer Medizin Verlag, Berlin, Heidelberg, 2011 Johnstone, Keith: Improvisation und Theater, Alexander Verlag Berlin, 4. Auflage 1998 Lindner, Elfriede: Aktivierung in der Altenpflege, Urban & Fischer Verlag, München, 2005 Meyer, Sabine: Darf ich auf deinen Schoß? , in: Aktivieren, Vincentz Verlag, Hannover Ausgabe Juni 2016 Meyer, Sabine: Die Märchenstube – Aktivierung leicht gemacht, Verlag an der Ruhr, Mühlheim, 2018 Möller, Olaf: Große Handpuppen ins Spiel bringen, Ökotopia Verlag, Münster, 2011 Ohne Verfasser: Meine ersten Fingerspiele & Reime, FX Schmid Verlag, Bernau, 2014 Rethschulte, Dr. Antje und Meyer, Sabine: Kurzbericht Projekt „Märchenstube – ressourcenaktivierende Arbeit mit Märchen mit Menschen mit Demenz“, 2009. Der Kurzbericht kann beim Erzähltheater Osnabrück kostenfrei angefordert werden.
Bezugsquellen für Klappmaulpuppen Folkmanis: Folkmanis-Puppets-Jochen Heil, Am Haag 11c, 97234 Reichenberg, www.folkmanis.de Kumquats: L. Bodrik KG, Ölbronner Str. 2/1, 75248 Ölbronn-Dürrn, www.kumquats.de Living Puppets: Matthies Spielprodukte GmbH & Co. KG, Kurt A. Körber Chaussee 64, 21033 Hamburg, www.living-puppets.de Es gibt auch Puppenmanufakturen, die Klappmaulpuppen individuell nach Spielerwünschen anfertigen.
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Danksagung, Schluss und weiter
„Ich bin so müde.“
Sabine: „Ja, Julchen, ich weiß. Es ist spät geworden.“
„Mein Hamster Hermann schläft auch schon. Ich höre ihn schnarchen.“
Sabine: „Wir gehen auch gleich schlafen, Julchen. Aber vorher möchte ich noch ‚Danke’ sagen.“ „Wem denn?“
Das ist eine einfache Frage. Ich möchte mich bei denen bedanken, die mir und Julchen geholfen haben, dieses Buch, das Sie, lieber Leser, gerade in den Händen halten, zu schreiben. Ein Buch ist immer das Werk von vielen Menschen. Zuallererst möchte ich meinem Mann Olaf danken, der in kurzer Zeit ein zweites Buch mit Stolz, Kaffeekochen und Pralinenschachteln begleitet hat. Ohne ihn und seine schier unerschöpfliche Geduld wären diese Seiten nicht entstanden. Aber auch ohne seine Spielfreude nicht, denn seit Emma und Julchen bei uns wohnen, wohnt auch Pelle bei uns. Und Pelle gehört zu Olaf wie Julchen zu mir. Meinen ganz besonderen Dank möchte ich meinen Eltern Ursula und Horst aussprechen. Voller Stolz verfolgten sie das Entstehen des Buches, nicht nur indirekt, sondern auch sehr direkt als Fotomodelle für viele der begleitenden Fotos in diesem Buch. Ohne Freunde ist das Leben weniger bunt und ein Buch viel schwerer zu schreiben. Freunde, die wunderbare Fotos machen, Freunde, die zu einem spontan impro-
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Danksagung, Schluss und weiter
visierten Puppenworkshop kommen, Freunde, die Korrektur lesen, Gedanken teilen und Kraft schenken. Und so sind wir, Sie, Julchen und ich, auf der letzten Seite des Buches angekommen.
„Das war jetzt die letzte Seite. Das Buch ist leer.“
Sabine: „Julchen, das heißt, dass Buch ist jetzt zu Ende.“
„Nein, das muss heißen, das Buch ist leer.“
Sabine: „Wieso denn das?“
„Ist doch klar. Der Leser hat doch alles ausgelesen. Dann kann das Buch nur leer sein.“
Vielleicht hat Julchen recht, lieber Leser, und nachdem Sie nun das Buch gelesen haben, ist es tatsächlich leer geworden. Ich wünsche mir, dass, wenn auch dieses Buch „ausgelesen“ ist, Ihr Herz und Ihr Kopf voller wunderbarer Ideen sind. Ich wünsche Ihnen, dass es weiter geht mit Ihrer Klappmaulpuppe, mit einer wertschätzenden und spielerischen Aktivierung und mit viel Lachen. „Genau. Das meinte ich doch. Das Buch ist leer und dein Herz voll.“
Sabine: „Das hast du schön gesagt, Julchen.“
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„Weiß ich doch.“
Sabine: „Dann verabschiede dich doch noch von unserem Leser.“
„Auf Wiedersehen und, und, und, vergiss mich nicht!
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Anhang Aktivierung mit Klappmaulpuppen: Erhebungsbogen Ist-Analyse Datum der Ist-Analyse: ________________ Uhrzeit: ______________________________ Gast: ______________________________ Spieler: ______________________________ Vorformuliertes Ziel der letzten Aktivierungseinheit (wenn vorhanden): Motorisches Ziel Kognitives Ziel Verbales Ziel Psychosoziales Ziel Zieldefinition (Eindeutigkeit, Messbarkeit, Akzeptanz, Realistisch, Zeit): ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ Form der letzten Aktivierungseinheit (wenn vorhanden): Einzelaktivierung Teamaktivierung, mit: _________________________________________________ ______________________________________________________________________ Gruppenaktivierung mit: _______________________________________________ ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ Verhaltensdokumentation, Ist-Analyse ( = trifft nicht zu, = kann nicht beurteilt werden, = trifft zu) Der Gast Nimmt Kontakt zu anderen auf Zeigt Freude und / oder Herzlichkeit Nutzt Fähigkeiten / Ressourcen Zeigt Wachsamkeit / Aufmerksamkeit
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Anhang
Der Gast Hat eine entspannte Mimik Hat eine entspannte Körperhaltung Zeigt Humor (Lachen, Lächeln) Zeigt Aktivitätsbereitschaft Bringt Wünsche, Bedürfnisse und Vorlieben zum Ausdruck Zeigt keine Ängste Äußert keinen negativen Laut (Rufen, Schreien)
Aktuelle Einschränkungen seit der letzten Aktivierung? ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ Besondere Vorkommnisse seit der letzten Aktivierung? ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ Festgelegtes Ziel der folgenden Aktivierungseinheit (wenn geplant): Motorisches Ziel Kognitives Ziel Verbales Ziel Psychosoziales Ziel Zieldefinition (Eindeutigkeit, Messbarkeit, Akzeptanz, Realistisch, Zeit): ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ Form der folgenden Aktivierungseinheit (wenn vorhanden): Einzelaktivierung Teamaktivierung, mit: _________________________________________________ ______________________________________________________________________ Gruppenaktivierung, mit: ______________________________________________ ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________
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Aktivierung mit Klappmaulpuppen: Ergebnisbogen Datum der Aktivierungseinheit: ____________ Uhrzeit (von/bis): ________________ Gast: __________________________________ Spieler: ________________________ Festgelegtes Ziel der Aktivierungseinheit: Motorisches Ziel Kognitives Ziel Verbales Ziel Psychosoziales Ziel Zieldefinition (Eindeutigkeit, Messbarkeit, Akzeptanz, Realistisch, Zeit): ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ Form der Aktivierungseinheit: Einzelaktivierung Teamaktivierung, mit: _________________________________________________ ______________________________________________________________________ Gruppenaktivierung mit: ______________________________________________ _______________________________________________________________________ _______________________________________________________________________ Ablaufskizze: (Grobe Skizzierung des Ablaufs, Intro, Fragestellungen, Interaktionen, eingesetzte Requisiten etc., ggf. Rückseite nutzen) ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________
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Anhang
Verhaltensdokumentation in der Aktivierungseinheit ( = trifft nicht zu, = kann nicht beurteilt werden, = trifft zu) Der Gast Nimmt Kontakt zu anderen auf Zeigt Freude und / oder Herzlichkeit Nutzt Fähigkeiten / Ressourcen Zeigt Wachsamkeit / Aufmerksamkeit Hat eine entspannte Mimik Hat eine entspannte Körperhaltung Zeigt Humor (Lachen, Lächeln) Zeigt Aktivitätsbereitschaft Bringt Wünsche, Bedürfnisse und Vorlieben zum Ausdruck Zeigt keine Ängste Äußert keinen negativen Laut (Rufen, Schreien) Möchte die Situation nicht verlassen
Verhaltensdokumentation in der Aktivierungseinheit in Bezug auf die Puppe ( = trifft nicht zu, = kann nicht beurteilt werden, = trifft zu) Der Gast Nimmt Kontakt zur Puppe auf Zeigt Freude und / oder Herzlichkeit Nutzt Fähigkeiten / Ressourcen Zeigt Wachsamkeit / Aufmerksamkeit Hat eine entspannte Mimik Hat eine entspannte Körperhaltung Zeigt Humor (Lachen, Lächeln) Zeigt Aktivitätsbereitschaft Bringt Wünsche, Bedürfnisse und Vorlieben zum Ausdruck Zeigt keine Ängste Äußert keinen negativen Laut (Rufen, Schreien) Möchte die Situation nicht verlassen
Besondere Vorkommnisse in der Aktivierung? (Positive Impulse, Störungen, Veränderung in der Zielformulierung, Veränderung im räumlichen Aufbau, Eintreffen weiterer Personen) ________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ _______________________________________________________________________
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Selbstbeobachtungen? (Positives Erleben des Spielers Störungen) ______________________________________________________________________ _______________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ _______________________________________________________________________ Vorformuliertes Ziel der folgenden Aktivierungseinheit (wenn geplant): Motorisches Ziel Kognitives Ziel Verbales Ziel Psychosoziales Ziel Zieldefinition (Eindeutigkeit, Messbarkeit, Akzeptanz, Realistisch, Zeit): ______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________ _______________________________________________________________________ ________________________________________________________________________ Vorüberlegte Form der folgenden Aktivierungseinheit: Einzelaktivierung Teamaktivierung, mit: _________________________________________________ _______________________________________________________________________ Gruppenaktivierung, mit: ______________________________________________ _______________________________________________________________________ ______________________________________________________________________
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Sabine Meyer ist ausgebildete Erzählerin. 2008 gründete sie das Erzähltheater Osnabrück. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind das Erzählen für Menschen mit Demenz und die Durchführung verschiedener Aktivierungseinheiten mit Klappmaulpuppen. Mit ihren Spielpuppen besucht sie viele Einrichtungen, ihr Wissen vermittelt sie bundesweit in Workshops und Weiterbildungen.
„Wir lachen zusammen. Manchmal erzählen wir Geschichten oder was wir später mal werden wollen, wenn wir groß sind, und welche Zahl nach Vier kommt. Manchmal singen wir auch“, so erzählt Julchen von ihren Begegnungen mit Menschen mit Demenz. Als kleine Helfer an der Seite derjenigen, die in der Aktivierung alter Menschen tätig sind, gelingt es den Klappmaulpuppen in besonderer Weise, Kontakt aufzunehmen. Sie schaffen eine Spielsituation, die Sicherheit bietet: Sie benutzen einfache Worte, wählen einfache Themen und schenken Vertrauen. In der Regel nehmen auch Menschen mit Demenz wahr, dass die kleinen Helfer Puppen sind. Sie haben Spaß an dem Spiel und erleben sich in ihrer Rolle gegenüber der Puppe als Beschützende, Wissende und Helfende. Das unterstützt das Selbstbewusstsein, was für Menschen mit Demenz besonders wichtig ist. Dieses Buch ist ein Handbuch. Auswahl der Puppe, Grundhaltung des Puppenspielers, lebendige Grundhaltung, Stimme der Puppe u.v.m. sind die Themen, die als Basics des Puppenspiels ausführlich erläutert sind. Verschiedene zielgerichtete Einheiten – als Ideengeber für die Einzel- und auch die Kleingruppenaktivierung – zeigen, wie vielfältig die Puppen im Alltag eingesetzt werden können, z.B. in der Einzelaktivierung bei Bettlägerigen oder als Aktivierung mit dem Schwerpunkt Biografiearbeit. Ablaufpläne, zahlreiche Praxistipps und die wörtliche Wiedergabe beispielhafter Dialoge geben dem Leser Sicherheit beim Einsatz von Klappmaulpuppen in der Aktivierung.