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German Pages 514 [513] Year 2022
Rosenfeld
SOWJETUNION UND DEUTSCHLAND 1922-1933
Günter Rosenfeld SOWJETUNION UND DEUTSCHLAND
1922-1933
Akademie-Verlag • Berlin
1984
Zu den Abbildungen auf dem Schutzumschlag Vorderseite:
G. V. Cicerin, 1918-1930 Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR (links) Ulrich von Brockdorff-Rantzau, 1922-1928 Botschafter Deutschlands in der UdSSR (rechts)
Rückseite:
M. M. Litvinov (Mitte) und G. V. Cicerin (rechts) während der Weltwirtschaftskonferenz in Genua
(Fotos von ADN/Zentralbild)
Erschienen im Akademie-Verlag, DDR -1086 Berlin, Leipziger Str. 3-4 © Akademie-Verlag Berlin 1983 Lizenznummer: 202 • 100/112/83 Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei „Gottfried Wilhelm Leibniz", 4450 Gräfenhainichen • 6176 Einband und Schutzumschlag: Eckhard Steiner Lektor: Bernd Feldmann LSV 0255 Bestellnummer 754 211 4 (6736) 0 38 00
Inhalt
Vorwort
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Einleitung .
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I. Kapitel - Von Genua zum Dawesplan 1. Ruhrbesetzung und Curzon-Ultimatum 2. Um einen deutschen Oktober 3. Die Handelsbeziehungen 1 9 2 2 - 1 9 2 3 4. Die Konzessions-Unternehmen 5. Die Verhandlungen über die Ausgestaltung des Rapallo-Vertrages und der Polizeiüberfall auf die sowjetische Handelsvertretung II. Kapitel - Locarno 1. Zwei Stabilisierungen und antisowjetischer Aufmarsch 2. Die Gegenoffensive der sowjetischen Diplomatie 3. Die Verhandlungen über den Rechts- und Wirtschaftsvertrag 4. Der Berliner Vertrag
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110 130 148 158
III. Kapitel - Die kulturelle Zusammenarbeit 1. Anfänge und Organisationen . . : 2. Aufklärung über die Sowjetunion und kulturelle Zusammenarbeit im Zeichen der deutsch-sowjetischen Freundschaft
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IV. Kapitel - Die neue Kriegsgefahr 1. Die Durchbrechung der Finanzblockade 2. Die „Ostlocarno"-Frage 3. Der Abbruch der englisch-sowjetischen Beziehungen und der Vorstoß der Kräfte des Antisowjetismus 4. Die militärisch-technischen Kontakte 5. Die Konzeption der „Entbolschewisierung" 6. Die sowjetische Offensive für Frieden und Abrüstung und die Solidarität der Freunde der Sowjetunion V. Kapitel - Kreuzzugsstimmung 1. Zwischen Blockadepolitik und wirtschaftlicher Zusammenarbeit 2. Youngplan-Strategie
19 48 61 79
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299 326
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Inhalt
3. Der Angriff auf die Ostchinabahn 4. Gebetsfeldzug und Europa-Union 5. Neuer Aufschwung
340 347 364
VI. Kapitel - Der erste Fünfjahrplan der UdSSR und die deutsche Wirtschaft 1. Das Echo des Fünfjahrplans 2. Die Wirtschaftsbeziehungen und die Kreditfrage 1929-1930 3. Die Moskau-Reise der Konzernherren 4. Absatzsorgen und „Russenaufträge" 1931-1932
372 380 399 410
VII. Kapitel - Am Wendepunkt 1. Deutschland auf dem Weg zur faschistischen Diktatur und die Neuorientierung in Paris und Warschau 2. „Das Rapallo-Kapitel ist abgeschlossen"
421 446
Quellen und Literatur
484
Personenregister
505
Vorwort
Die vorliegende Darstellung setzt das von mir im Jahre 1960 veröffentlichte Buch „Sowjetrußland und Deutschland 1917 bis 1922" thematisch und chronologisch fort und erscheint gleichzeitig mit dessen zweiter Auflage. Das Quellen- und Literaturverzeichnis zu beiden Büchern befindet sich zusammengefaßt im Anhang dieser Darstellung. Es wurde versucht, jene Periode der deutsch-sowjetischen Beziehungen, die durch den Abschluß des Rapallo-Vertrages geprägt wurde, in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Viele Fragen und Vorgänge werden noch weiter erforscht werden müssen. Dazui gehört insbesondere die Frage, wie die in Deutschland vorhandenen politischen Kräfte mit den ihnen zugeordneten Parteien über die zeitgenössische Entwicklung in der Sowjetunion urteilten und welche Positionen sie in einzelnen Fragen der1 Gestaltung der deutsch-sowjetischen Beziehungen einnahmen. Auch angesichts dessen, daß sich die Darstellung vornehmlich mit der Problematik der Beziehungen zwischen dem imperialistischen Deutschland und der Sowjetunion befaßt, also mit jener Problematik, die durch den Begriff „Rapallo-Politik" ausgedrückt wird, müssen die Beziehungen zwischen der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung und der Sowjetunion - obgleich versucht wurde, diese immer wieder zu berücksichtigen - einer besonderen Erforschung und Darstellung vorbehalten bleiben. Die Erarbeitung des vorliegenden Buches wäre nicht möglich gewesen ohne die umfangreiche und freundliche Hilfe, die mir von Leitern und Mitarbeitern der von mir benutzten Archive und Bibliotheken zuteil wurde. Die wertvollen Gespräche und Diskussionen mit vielen Freunden und Kollegen, insbesondere auch im| Kreis der Mitarbeiter des Bereiches Geschichte der UdSSR und des sozialistischen Weltsystems an der Humboldt-Universität, die mir wichtige Anregungen und Hilfen vermittelten, kommen hinzu. Wichtige Hinweise und Bemerkungen gaben vor der Drucklegung des Manuskriptes Prof. Dr. Kurt Pätzold und Dr. Gerd Voigt. Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Sehr zu danken habe ich auch dem Verlag — besonders dem Cheflektor, Dr. Kurt Zeisler, und Bernd Feldmann, der das Manuskript lektorierte - für die Förderung und Herausgabe des Buches. Berlin-Rahnsdorf, im Mai 1983 G. Rosenfeld
Einleitung
Seit der Groden Sozialistischen Oktoberrevolution bestehen in der Welt zwei unterschiedliche Gesellschaftssysteme: das in der Revolution geborene sozialistische und das von zunehmenden Widersprüchen erfüllte kapitalistische Gesellschaftssystem. Die V ö l k e r der Sowjetunion übernahmen in der O k t o b e r r e v o l u t i o n als erste die schwierige, aber dankbare Aufgabe, der imperialistischen Kriegspolitik die Friedenspolitik der sozialistischen Staatsmacht gegenüberzustellen. D a m i t wurde die Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus zum K e r n p r o b l e m der gesamten internationalen Beziehungen. D e r Sowjetstaat trat von A n f a n g an dafür ein, diese Auseinandersetzung mit friedlichen M i t t e l n zu führen. D i e O k t o b e r r e v o l u t i o n g a b damit auch der jahrtausendealten Friedenssehnsucht der V ö l k e r eine reale Perspektive. Die von W . I. Lenin schon vor 1917 erarbeiteten theoretischen Grundlage der Friedenspolitik der Arbeiterklasse wurden in der O k t o b e r r e v o l u t i o n erstmalig v e r w i r k licht. D a s vom II. Gesamtrussischen S o w j e t k o n g r e ß am 2 6 . O k t o b e r (8. N o v e m b e r ) 1917 beschlossene D e k r e t ü b e r den Frieden proklamierte eine prinzipielle neue Außenpolitik. Es forderte die Gleichberechtigung und Souveränität aller Staaten, einen auf der Selbstbestimmung der Nationen beruhenden Frieden und hielt die Fortsetzung der Kriegführung, „um die Frage zu entscheiden, wie die starken und reichen Nationen die von ihnen annektierten schwachen V ö l k e r s c h a f t e n unter sich aufteilen sollen, . . . für das größte Verbrechen an der M e n s c h h e i t . " 1 Indem das Friedensdekret zunächst vielleicht nur als eine praktische M a ß nahme erschien, die auf die brennendste Frage, die die Volksmassen bewegte, die F r a g e von K r i e g und Frieden, eine Antwort gab, so besaß es dennoch nichtsdestoweniger eine weitreichende konzeptionelle Bedeutung. Denn es stellte nicht nur den ersten großen Schritt bei der Verwirklichung der Außenpolitik des Sowjetstaates dar, sondern enthielt auch j e n e Kern- und Leitgedanken, die der weiteren E r a r b e i t u n g des theoretischen Fundaments der sowjetischen Außenpolitik zugrundegelegt wurden. Diese war vor allem das W e r k Lenins. 2 1 W. I. Lenin, Rede über den Frieden. 26. Oktober (8. November). Werke, Bd. 26, S. 240. - Aus der großen "Zahl der zu dieser Thematik veröffentlichten Arbeiten sei auf folgende hingewiesen: Leninskie tradicii vnesnej politiki Sovetskogo sojuza. Pod red. akademika A. L. Narocnickogo, Moskau 1977; A. O. Cubar'jan, V. I. Lenin i formirovanie sovetskoj vnesnej politike, Moskau 1972; N. I. Lebedev, SSSR v mirovoj politiki 1917-1980, Moskau 1980, S. 21 f.; M. I. Trus, Sovetskaja vnesnjaja politika i diplomatija v trudach V. I. Lenina, Moskau 1977; V. I. Popov/A. Ju. Rudnickij, Vnesnepoliticeskaja i diplomaticeskaja dejatel'nost' V. I. Lenina. In: Voprosy Istorii, 1981, Nr. 1, S. 3 f.; G. Rosenleld, W. I. Le-
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Einleitung
Millionen Arbeiter, aber auch zahlreiche fortschrittliche Vertreter anderer Klassen und Schichten in den kapitalistischen Ländern erkannten in den ersten Tagen und Wochen nach Verkündung des Friedensdekretes den entschiedenen Bruch, den die Errichtung des Sowjetstaates mit der bisherigen imperialistischen Kriegspolitik bedeutete. Eine Woche nach dem Sieg des Oktoberaufstandes in Petrograd schrieb die „Leipziger Volkszeitung": „Mit unserem ganzen Herzen sind wir deutschen Proletarier in dieser Stunde mit unseren kämpfenden russischen Genossen. Sie kämpfen auch für unsere Sache. Sie sind V o r k ä m p f e r des Friedens." ' Es nimmt nicht Wunder, daß die Reaktionäre der imperialistischen Länder - vor allem jene, die an d e r Rüstung und der Kriegführung so viel verdienten - von Anfang an die sowjetische Außenpolitik mit allen Mitteln zu verleumden suchten. Die Lüge von der „sowjetischen Bedrohung" wurde von nun an in vielfacher Weise und unter Aufwendung beträchtlicher finanzieller Mittel verbreitet, um die Volksmassen in den kapitalistischen Ländern psychologisch auf Rüstung und antisowjetische Kriegsvorbereitung einzustellen/' Auch die bürgerliche Geschichtsschreibung gibt sich bis zur Gegenwart dazu her, dieser antisowjetischen Bedrohungslüge Vorschub zu leisten. 0 Lenin erarbeitete die Grundlage der sowjetischen Außenpolitik, indem er die Verteidigung der Errungenschaften der Oktoberrevolution, die Solidarität mit der ganzen internationalen Arbeiterklasse und die strikte Verfolgung des Prinzips der friedlichen Koexistenz gegenüber den kapitalistischen Staaten als eine dialektische Einheit verstand. Gerade aus dem so wichtigen Grundsatz, daß es die internationale Solidarität der Werktätigen war, „in deren Namen wir die ganze Revolution begonnen haben"'', ergab sich die hohe internationalistische Verantwortung vor der internationalen Arbeiterklasse und damit auch für die Friedenssicherung, der sich die Kommunistische Partei und die Sowjetregierung stets bewußt waren. „Unsere Außenpolitik ist aus der sozialistischen Revolution erwachsen . . . Die Errungenschaften des Oktobers verteidigen, die imperialistischen Intrigen gegen die Heimat des Sozialismus durchkreuzen, die notwendigen äußeren Bedingungen für den Aufbau der kommunistischen Gesellschaft schaffen - das ist ihre Hauptaufgabe. Eben darin sah Lenin auch die höchste internationalistische Pflicht des Sowjetstaates gegenüber der weltweiten revolutionären Bewegung." 7
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nin - der Begründer der sowjetischen Außenpolitik. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 1970, H. 3, S. 317 f. Leipziger Volkszeitung, 14. 11. 1918. Vgl. G. Kade, Die Bedrohungslüge, Zur Legende von der „Gefahr aus dem Osten", Köln 1980, Berlin 1981. Von „vielen gemeinsamen Zügen" der sowjetischen und der zaristischen Außenpolitik schreibt B. Meisner, Triebkräfte und Faktoren der sowjetischen Außenpolitik. In: Grundfragen sowjetischer Außenpolitik, hsgb. von B. Meisner und G. Rhode, Stuttgart/Köln/ Mainz 1970, S. 15; in ähnlicher Weise auch A. B. Ulam, Expansion and Coexistence. The History of soviet Foreign Policy 1917-1967, New York/Washington 1968, S. 12; D. Geyer versuchte diese Gleichsetzung von zaristischer und sowjetischer Außenpolitik mit der besonders von ihm vertretenen „Modernisierungstheorie" zu verbinden: „Im Zarenreich wie in der Sowjetunion wurde die Außenpolitik unter den Bedingungen nachholender Modernisierung formuliert." D. Geyer, Voraussetzungen sowjetischer Außenpolitik in der Zwischenkriegszeit. In: Osteuropa-Handbuch: Sowjetunion - Außenpolitik 1917-1955, Köln/Wien 1972, S. 17. W. I. Lenin, Werke, Bd. 30, S. 200. L. I. Breshnew, 50 Jahre große Siege des Sozialismus. In: L. I. Breshnew, Auf dem Wege Lenins, Bd. 1, Berlin 1971, S. 128.
Einleitung
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Das von der sowjetischen Diplomatie verfolgte Ziel, einen Zustand der friedlichen Koexistenz und Zusammenarbeit mit den kapitalistischen Ländern herbeizuführen, widersprach somit keineswegs der Tatsache, daß der Sowjetstaat nach wie vor die Interessen des Proletariats in der ganzen Welt sowie aller der kolonialen Ausbeutung und imperialistischen Unterdrückung unterworfenen Völker verteidigte. Im Gegenteil: es gab kein Land, wo nicht die Werktätigen ebenso an der Friedenssicherung interessiert waren wie der Sowjetstaat. Dabei überwand die Kommunistische Partei der Sowjetunion schon frühzeitig ultralinke Auffassungen, nach denen man die Revolution „auf den Spitzen der Rotarmistenbajonette nach Berlin tragen könne", wie Lenin auf dem VIII. Parteitag der KPR(B) im März 1919 ausführte. 8 Da die friedliche Koexistenz die Ausschaltung des Krieges aus dem Leben der Völker und, darüber hinausgehend, die Entwicklung einer für beide Seiten nützlichen politischen, ökonomischen und kulturellen Zusammenarbeit, nicht aber die Ausschaltung des Klassenkampfes bedeutete, konnte sie deshalb auch niemals eine ideologische Koexistenz sein. Insofern bildete gerade auch die ideologische Auseinandersetzung eine, wenn nicht gar die wichtigste Seite des friedlichen Wettbewerbs, zu dem der Sowjetstaat als die erste sozialistische Macht die kapitalistische Welt herausforderte. Der junge Sowjetstaat beauftragte mit der Leitung und Durchführung der sowjetischen Außenpolitik die erprobtesten und standhaftesten bolschewistischen Revolutionäre, unter ihnen viele, die jahrelang in zaristischen Kerkern gelitten oder eine entbehrungsreiche Emigration hinter sich hatten. Lenin schrieb über den Aufbau des Volkskommissariats für Auswärtige Angelegenheiten: „Wir haben dort keine einzige einflußreiche Person aus dem alten zaristischen Apparat zugelassen. Der ganze irgendwie maßgebende Apparat besteht dort aus Kommunisten." 9 Nachdem L. D. Trockij mit seiner während der Periode des Brester Friedens verfolgten abenteuerlichen Konzeption Schiffbruch erlitten hatte, wurde Georgij Vasil'evic Cicerin mit der Leitung des Volkskommissariats für Auswärtige Angelegenheiten beauftragt. 10 Im Jahre 1872 in einer Familie geboren, die zu den ältesten Adelsgeschlechtern Rußlands gehörte, erhielt Cicerin alle Möglichkeiten, sich eine umfassende Bildung anzueignen. Er besaß ein geradezu enzyklopädisches Wissen und beherrschte fließend mehrere Sprachen. Auch seine große musikalische Begabung - Cicerin war ein glänzender Pianist, und er schrieb ein Werk über Mozart 1 1 - ist hervorzuheben. Nach seinem Examen an der Philologisch-Historischen Fakultät der Petersburger Universität 1895 trat Cicerin zunächst in den Dienst des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten. Doch schon bald nahm er aktiven Anteil an der revolutionären Bewegung, und im Jahre 1905 wurde er Mitglied der SDAPR, zunächst ihres menschewistischen Flügels. Bald darauf, schon in der Emigration, trat er der Berliner bolschewistischen Sektion des Komitees der Auslandsorganisation der Partei bei. So besaß Cicerin eine große revolutionäre Erfahrung, als er das ihm übertragene Amt des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten antrat. 8 9 10
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W. I. Lenin, Werke, Bd. 29, S. 159. W. I. Lenin, Werke, Bd. 36, S. 595. Vgl. über ihn: I. Gorochow/L. Samjatinjl. Semskow, G. W. Tschitscherin. Ein Diplomat Leninscher Schule, Berlin 1976; S. Zarnickij/A. Sergeeu, Cicerin, Moskau 1966. Cicerin schloß es 1930 ab; es wurde aus verschiedenen Gründen aber erst 1970 veröffentlicht. Vgl. die deutschsprachige Ausgabe: Georgi W. Tschitscherin, Mozart. Eine Studie, Leipzig 1975.
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Einleitung
Zusammen mit G. V. Cicerin wurden nach dem Sieg der Revolution L. B. Krasin, V. V. Vorovskij, M. M. Litvinov, I. M. Majskij, A. A. Ioffe, L. M. Karachan und viele andere ehemalige bolschewistische Berufsrevolutionäre, Diplomaten Leninscher Schule, mit außenpolitischen Aufgaben beauftragt. Der ehemalige Korrespondent des „Manchester Guardian", M. Philips Price, dessen Buch über die revolutionären Ereignisse in Rußland 1917 zu den bedeutendsten Augenzeugenberichten über die Oktoberrevolution gehört, schrieb über einen Besuch im Volkskommissariat f ü r Auswärtige Angelegenheiten in Petrograd im November 1917: „Die ganze Atmosphäre, die dort oben herrschte, vermittelte den Eindruck, daß die russischen Revolutionäre einen ernsthaften Kampf um den Frieden begonnen hatten." n Man wird' die ganze Härte und die Schwierigkeiten des Ringens des jungen Sowjetstaates um den Frieden nur dann ermessen können, wenn man bedenkt, daß die herrschenden Kreise der imperialistischen Mächte seit dem Sieg der Oktoberrevolution einen erbitterten Kampf zur Vernichtung der in Rußland entstandenen neuen Gesellschaftsordnung führten oder doch zumindest immer wieder versuchten, den Prozeß des sozialistischen Aufbaus zu stören und aufzuhalten. Diesen Kampf führten sie mit unterschiedlichen Mitteln. Nach dem Scheitern der militärischen Intervention und der konterrevolutionären Feldzüge der weißgardistischen Armeen, die von den Ententemächten und den USA ausgerüstet wurden, trat die Anwendung ökonomischen Drucks in den Vordergrund. Dabei wurde die zügellose antisowjetische Hetze in verschiedensten Variationen und im Verlaufe der Zeit mit verfeinerten Methoden weitergeführt. Die Gefahr eines neuen militärischen Angriffs auf den Sowjetstaat blieb jedoch weiterhin bestehen, sie war zu bestimmten Zeiten außerordentlich akut. l:! Dem von den herrschenden Kreisen der imperialistischen Mächte verfolgten Kurs antisowjetischer Blockbildungen und Kriegsvorbereitungen stellten die Sowjetrepubliken, die sich 1922 zur Sowjetunion zusammenschlössen, die Politik des Friedens, der konstruktiven Zusammenarbeit und der militärischen Abrüstung entgegen. Mehrfach übermittelte die Sowjetregierung bereits während des von den imperialistischen Regierungen entfesselten Interventions- und Bürgerkrieges diesen Regierungen Friedensvorschläge. „Im Verlauf der ganzen Periode der Intervention", so schrieb G. V. Cicerin, „bestand Vladimir Il'ic darauf, daß wir uns an die Gegner mit Friedensvorschlägen wandten. Er fürchtete nie, damit den Eindruck der Schwäche hervorzurufen. Im Gegenteil, er hielt es f ü r eins der stärksten Mittel, den militärischen Interventionismus in den Ländern der Entente zu unterdrücken." 1 ' 1 Umfassende Friedensvorschläge für die friedliche Zusammenarbeit, verbunden mit großer Kompromißbereitschaft, unterbreitete Lenin dem amerikanischen Diplomaten William Bullitt im März 1919. 13 Die Vorschläge blieben jedoch unbeantwortet, da die Regierungen der Entente und der USA erneut auf den Sieg der Konterrevolution hofften. Am 17. Juni 1920 sagte Cicerin in einer Rede vor dem Zentralexekutivkomitee der RSFSR: „Unsere Politik ist und bleibt ein Kampf für den Frieden, doch unsere Feinde 12 13
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M. P. Price, Die Russische Revolution, Hamburg 1921, S. 227. Demgegenüber ist die bürgerliche Geschichtsschreibung vielfach bemüht, diese Gefahr zu verharmlosen. D. Geyer, a. a. O., S. 17, schreibt in diesem Zusammenhang über die von der „bolschewistischen Staatsmacht . . . feindlich empfundene Umwelt". G. V. Cicerin, Lenin i vnesniaja politika. In: Mirovaja politika v 1924 godu, Moskau 1925, S. 8. Vgl. Geschichte der sowjetischen Außenpolitik, 1917-1945, Berlin 1980, S. 133.
Einleitung
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antworten darauf mit dem Kampf zu unserer Vernichtung. Zu Beginn des Jahres schien es, als ob unser Kampf um den Frieden bereits zu solchen Ergebnissen geführt hätte, die uns die Möglichkeit eröffneten, alle Kräfte unserem inneren Aufbau zuzuwenden. Unsere Losung war und bleibt ein und dieselbe: friedliche Koexistenz mit den anderen Regierungen, welcher Art sie auch immer sein mögen. Die Wirklichkeit selbst führte uns und die anderen Staaten zu der Notwendigkeit, dauerhafte Beziehungen zwischen der Arbeiter- und Bauernregierung und den kapitalistischen Regierungen herzustellen. Zu diesen dauerhaften Beziehungen zwingt uns auch gebieterisch die ökonomische Wirklichkeit. Die ökonomische Wirklichkeit verlangt den Warenaustausch, die Aufnahme beständiger, regulärer Beziehungen mit der ganzen Welt, und die ökonomische Wirklichkeit verlangt dies auch von den anderen Regierungen, mit welchem Hag sie sich auch gegenüber unserem Aufbau verhalten mögen." 10 Erst der Sieg der Sowjetmacht über Interventen und Konterrevolution zwang die Regierungen der kapitalistischen Länder, den sowjetischen Friedens- und Verhandlungsvorschlägen größere Aufmerksamkeit zu schenken. Vor allem wirkte sich der Umstand aus, ganz wie es Cicerin formuliert hatte, daß es sich die kapitalistischen Staaten nicht länger leisten konnten, einen Staat aus der Weltwirtschaft auszuschließen, der rund ein Sechstel der Landmasse des Erdballs umfaßte. So kam die Einladung Sowjetrußlands zur Weltwirtschaftskonferenz in Genua im April 1922 zustande. In Vorbereitung auf die Konferenz von Genua entwickelte Lenin, in unmittelbarem Gedankenaustausch mit G. V. Cicerin, ein umfangreiches Programm, das die Zusammenarbeit mit den kapitalistischen Mächten im Hinblick auf die friedliche Regelung strittiger Fragen auf dem Gebiet der Abrüstung sowie auf ökonomischem Gebiet vorsah. 17 Zu letzterem gehörten insbesondere die gemeinsame Bekämpfung wirtschaftlicher Notstände sowie die ebenfalls gemeinsame Erschließung wirtschaftlicher Ressourcen zum Nutzen aller Völker. Alle diese für die Weltentwicklung so wichtigen Fragen blieben bis in die Gegenwart feste Programmpunkte in der von der Sowjetregierung verfolgten Außenpolitik. Die imperialistischen Regierungen gingen jedoch auf die in Genua unterbreiteten Vorschläge nicht ein. Und die Konferenz von Genua zeigte, daß es noch eines harten Ringens der sowjetischen Diplomatie bedurfte, um die imperialistischen Regierungen auf den Weg der friedlichen Zusammenarbeit mit dem Sowjetstaat zu führen. Um so wichtiger war es, daß es gerade während der Konferenz von Genua gelang, das von Lenin entwickelte Programm der friedlichen Koexistenz und Zusammenarbeit mit dem Abschluß des sowjetisch-deutschen Vertrages von Rapallo in einer bestimmten Form auf der Ebene der sowjetisch-deutschen Beziehungen durchzusetzen. Der Vertrag stellte den ersten entscheidenden Durchbruch bei der Verwirklichung der von der Sowjetregierung verfolgten Politik der friedlichen Koexistenz dar. Lenin bezeichnete den Rapallo-Vertrag in einem dem Zentralexekutivkomitee übermittelten Resolutionsentwurf „als den einzig richtigen Ausweg aus den Schwierigkeiten, dem Chaos und der Kriegsgefahr." 18 Welche Bedeutung die Tatsache besaß, daß gerade Deutschland den Weg der Normalisierung seiner Beziehungen mit Sowjetrußland beschritten hatte, braucht wohl 16 17
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G. V. Cicerin, Stat'i i reci po voprosam mezdunarodnoj politiki, Moskau 1961, S. 145. Vgl. V. A. Siskin, V. I. Lenin i vnesne-ekonomiceskaja politika Sovetskogo gosudarstva (1917-1923 gg.), Leningrad 1977, S. 220 f. W. I. Lenin, Werke, Bd. 33, S. 343.
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Einleitung
kaum betont zu werden. Angesichts seiner geographischen Lage und seiner politischökonomischen Potenzen hing von der Position Deutschlands in hohem Maße die Entwicklung der gesamten internationalen Situation in Europa ab. Gute Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion stellten im europäischen Bereich der Welt einen Friedensfaktor erster Ordnung dar. Eben deshalb durfte die sowjetische Diplomatie im Abschluß des Rapallo-Vertrages einen so bedeutenden Erfolg ihrer Anstrengungen um die Durchsetzung und Sicherung friedlicher Beziehungen sehen. Dem Abschluß des Rapallo-Vertrages war ein langwieriges und hartes Ringen der sowjetischen Diplomatie vorausgegangen. Diese hatte dabei die Tatsache ausnutzen können, daß der deutsche Imperialismus sich in 'einer innen- und außenpolitischen Situation befand, die seine Annäherung an Sowjetrußland begünstigte. Seine militärische Niederlage im ersten Weltkrieg sowie das starke Hervortreten der revolutionären Arbeiterbewegung und der mit ihr verbündeten antiimperialistischen Kräfte wenn sie auch in der Novemberrevolution das imperialistische System nicht stürzen konnten - , hatten ihn ernsthaft geschwächt. Es war das innenpolitische Ziel der herrschenden Kreise Deutschlands, das imperialistische System gegen die revolutionäre Bewegung zu stärken und zu erhalten. Dabei bedienten sie sich bis zum Beginn der dreißiger Jahre parlamentarischer. Herrschaftsmethoden und strebten in der Außenpolitik die Überwindung der militärischen Niederlage und die Vormachtstellung im Kampf um die Neuverteilung der Welt an. Das aber bedeutete für den deutschen Imperialismus in erster Linie die Durchbrechung des Versailler Vertrages. Seine von den Eroberungs- und Profitinteressen des Monopolkapitals der Westmächte diktierten Bestimmungen waren sowohl ein schwerer Schlag gegen die Lebensinteressen der werktätigen Massen des deutschen Volkes als auch gegen die Expansionsziele des deutschen Monopolkapitals, das die Lasten des Versailler Vertrages jetztauf diewerktätigen Massen Deutschlands abwälzte. Besonders hart wurde das imperialistische Deutschland durch die vom Versailler Vertrag festgelegten Gebietsabtretungen, durch den Verlust des Kolonialbesitzes, durch die Reduzierung der militärischen Macht Deutschlands auf ein Berufsheer von 100 000 Mann mit dem Verlust der Unterhaltung einer Luftwaffe, von schweren Waffen und großen Kriegsschiffen sowie schließlich durch die Bestimmungen über die Reparationen getroffen. Gerade die letzte Frage wurde in der Folgezeit zu einem Schwerpunkt der Auseinandersetzung des deutschen Imperialismus mit den Versailler Siegermächten. Dabei zeichneten sich unter den herrschenden imperialistischen Kreisen Deutschlands zwei taktische Linien, diejenige der sogenannten „Erfüllungspolitik" sowie diejenige der auf äußerste Zuspitzung der imperialistischen Gegensätze hinauslaufenden „Katastrophenpolitik" ab. 19 Ende Januar 1921 teilten die Ententemächte der deutschen Regierung die endgültige Festlegung der Reparationsleistungen mit: Deutschland sollte im Verlauf von 42 Jahren jährlich zunächst zwei, danach bis zu sechs Milliarden, insgesamt 200 Milliarden Goldmark zahlen. Hinzu kamen die Abgabe von 12 Prozent des Wertes seines Exports sowie die Verpflichtung, eine Zolleinnahme als Pfand zur Verfügung zu stellen. Unter allen diesen Umständen hatten die herrschenden Kreise Deutschland bereits im Jahre 1919 - nach Bekanntwerden der Bestimmungen des Versailler Vertrages eine erste, wenn auch noch zögernde und schwache Hinwendung zu Sowjetrußland unternommen, um sich dort in ihrem Ringen mit den Ententemächten einen Rückhalt 19
Vgl. W. Rüge, Deutschland von 1917-1933, Berlin 1978, S. 127 f.; W. B. Uschakow, Deutschlands Au5enpolitik 1917-1945, Berlin 1964, S. 57 f.
Einleitung
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zu verschaffen. Die nachfolgende Entwicklung, die eine weitere, schrittweise Annäherung der Weimarer Republik an Sowjetrußland brachte, verlief nicht gradlinig. Denn die Außenpolitik des deutschen Imperialismus gegenüber Sowjetrußland war von Anfang an von zahlreichen Widersprüchen erfüllt. Insbesondere wurde dabei der schon in den Tagen der Novemberrevolution hervorgetretene Versuch der imperialistischen Kreise Deutschlands, sich durch die Beteiligung am Kampf gegen das Land der Oktoberrevolution eine Milderung der Friedensbedingungen zu erkaufen, in vielfachen Varianten fortgesetzt. Noch auf der Konferenz von Genua erhoffte Walter Rathenau, als Generaldirektor der AEG einer der führenden Vertreter des deutschen Monopolkapitals und seit Ende Januar 1922 deutscher Außenminister, einen Kompromiß mit den Westmächten in der Reparationsfrage bei gleichzeitiger Verständigung über ein solidarisches Vorgehen gegen Sowjetrußland erreichen zu können. In dieser H o f f n u n g wurde er jedoch enttäuscht, und daher erklärte er sein Einverständnis, den von der Sowjetregierung schon lange zuvor vorbereiteten und mehrfach vorgeschlagenen Vertrag über die Normalisierung der deutsch-sowjetischen Beziehungen abzuschließen, nachdem der sowjetische Diplomat A. V. Sabanin dem Leiter der Ostabteilung des Auswärtigen Amtes, Baron Ago von Maltzan, in der Nacht zum 16. April 1922, dem Tage der Unterzeichnung des Rapallo-Vertrages, im Auftrage Cicerins am Telefon erneut die Unterzeichnung eines solchen Vertrages vorgeschlagen hatte. 20 Zu der Bereitschaft der deutschen Regierung, den Vertrag mit der Sowjetregierung zu unterzeichnen, führten allerdings nicht nur die Überlegungen, die die Mitglieder der deutschen Genua-Delegation in der denkwürdigen „Pyjama-Sitzung", die dem Telefonanruf Sabanins folgte, anstellten. Die Gründe waren vielmehr komplexer Natur und resultierten aus der Gesamtsituation, in der sich der deutsche Imperialismus zu Beginn des Jahres 1922 befand. In diesem Zusammenhang erhebt sich die Frage, welche Kräfte in Deutschland hinter dem Rapallo-Vertrag standen und unter welchen Bedingungen sich die mit dem Vertrag angeknüpften guten Beziehungen zum Sowjetstaat erfolgreich und zum Nutzen beider Länder weiterentwickeln konnten. 2 1 Objektiv hatten in Deutschland die verschiedensten gesellschaftlichen Kräfte zum Abschluß des Rapallo-Vertrages beigetragen, obgleich sie dabei von sehr unterschiedlichen, von ihrer Klassenposition bestimmten subjektiven Erwägungen und Zielsetzungen ausgingen. Die großen Demonstrationen, die nach Abschluß des Rapallo-Vertrages in verschiedenen deutschen Städten von den Werktätigen als Zeichen ihrer Verbundenheit mit Sowjetrußland veranstaltet wurden, zeigten, wie populär der Vertragsabschluß unter den breiten Massen war. Wie die deutschen Arbeiter 1920 und 1921 Sowjetrußland Beistand geleistet hatten, wußten sie auch, daß sie mit dem Rapallo-Vertrag die sozialistische Revolution in Rußland verteidigten. Zugleich aber hatten die deutschen Werktätigen den Rapallo-Vertrag deshalb mit Befriedigung aufgenommen, weil sie in ihm mit Recht eine Sicherung gegen die Vergewaltigung durch die Politik der Ententemächte und die Möglichkeit zur Verbesserung ihrer Lebenslage durch den Ausbau des Wirtschaftsverkehrs mit Sowjetrußland sahen. Der Abschluß des Rapallo-Vertrages entsprach somit dem Wunsch der Mehrheit des deutschen Volkes 20 21
Vgl. N. N. Ljubimov/A. N. Erlich, Genuezskaja konferencija, Vospominanija ucastnikov, Moskau 1963, S. 70. Angesichts der großen Zahl von Arbeiten, die inzwischen über das Zustandekommen des Rapallo-Vertrages und die deutsch-sowjetischen Beziehungen in den Jahren der Weimarer Republik veröffentlicht wurden, sei auf das Literaturverzeichnis verwiesen.
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Einleitung
nach friedlichen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Sowjetrußland. Diese starke Zustimmung, die der Rapallo-Vertrag in den weitesten Kreisen des deutschen Volkes, von der Arbeiterklasse bis zum Bürgertum, gefunden hatte, war Ausdruck für eine wichtige Tatsache, die als historische Erkenntnis freilich vielen Deutschen erst sehr viel später bewußt wurde: „In der neuen weltgeschichtlichen Epoche, die mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution eingesetzt hatte, war die Stellung zum Sowjetland zu einer Kernfrage der Politik in Deutschland geworden. Eine glückliche friedliche Zukunft der Nation erforderte die Zusammenarbeit mit dem Sowjetland, das die neue, aufsteigende Welt des Sozialismus verkörperte. Der Vertrag von Rapallo konnte eine Wende in den deutsch-sowjetischen Beziehungen und zugleich eine Wende der nationalen Entwicklung einleiten. Er eröffnete einem kapitalistischen Deutschland die Möglichkeit, auf friedlichem Wege, durch freundschaftliche internationale Beziehungen und durch friedliche Arbeit zu internationalem Ansehen zu gelangen. Der Vertrag entsprach damit vollauf den nationalen Interessen Deutschlands und kam den Wünschen der Mehrheit der Bevölkerung entgegen." 22 In der Pflege und Förderung der deutsch-sowjetischen Freundschaft sah deshalb die Kommunistische Partei Deutschlands eine ihrer vornehmsten Aufgaben. Sie setzte sich leidenschaftlich und unermüdlich für die Einhaltung und den Ausbau des RapalloVertrages ein. Deshalb hatte auch Wilhelm Pieck in der Massendemonstration im Berliner Lustgarten am 20. April 1922 den dort Versammelten zugerufen, daß es jetzt darauf ankäme, den Inhalt des Vertrages verwirklichen zu helfen. Dabei soll nicht verkannt werden, daß natürlich sowohl für die KPD als auch für die Völker der Sowjetrepubliken die Gestaltung der sowjetisch-deutschen Beziehungen auf der Basis des Rapallo-Vertrages nur ein Minimalziel darstellen konnte. Denn die letzte Zielsetzung und damit auch die beste Garantie für die Sicherung des Friedens in Europa und die Wahrung der nationalen Interessen des deutschen Volkes mußte natürlich das Bündnis zwischen einem sozialistischen Deutschland und den Sowjetrepubliken sein. Auch in Deutschland hatten die herangereiften gesellschaftlichen Verhältnisse längst die Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus auf die Tagesordnung gesetzt. Den Völkern der Sowjetunion war es natürlich nicht gleichgültig, wie sich die revolutionäre Bewegung in Deutschland entwickelte. Deshalb ließen die sowjetischen Werktätigen der revolutionären Bewegung in Deutschland alle Hilfe zuteil werden. Das widersprach durchaus nicht der Rapallo-Politik, sofern dabei die Prinzipien der friedlichen Koexistenz beachtet wurden. Diese aber bestanden j a gerade in der wesentlichen Erkenntnis, daß die revolutionäre Bewegung eines jeden Landes sich nach ihren eigenen Gesetzen entwickelte und daß jedes „Anpeitschen" einer Revolution verderblich war. Die Stellung der herrschenden Klassen Deutschlands zum Rapallo-Vertrag war außerordentlich widerspruchsvoll. Der Vertrag war in einer Situation zustandegekommen, in der die herrschenden Klassen Deutschlands sich gezwungen gesehen hatten, die ihnen so sehr verhaßte Sowjetregierung diplomatisch anzuerkennen. Die aus dem Klassenkampf resultierende Feindschaft gegenüber der sozialistischen Ordnung in Rußland wurde von den herrschenden Klassen Deutschlands deshalb nicht aufgegeben, und es liegt auch auf der Hand, daß die Absichten und Ziele, die die verschie22
Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung,
Bd. 3, Berlin 1966, S. 356.
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denen Gruppen der deutschen Bourgeoisie und des Junkertums mit dem RapalloVertrag verbanden, sehr vielschichtig waren. Die Palette reichte von solchen Männern wie Wirth und Rathenau, die der Politik einer wirklichen friedlichen Koexistenz ohne Vorbehalte sehr nahekamen, über jene, die sich aus dem Vertrag lediglich wirtschaftliche Vorteile erhofften und überdies oftmals durch die Hintertür wieder in das Wirtschaftsleben Sowjetrußlands einzudringen und dasselbe zu untergraben suchten, bis zu jenen, die in dem Vertrag nur einen vorübergehenden Zustand, ein Mittel zur Niederkämpfung des Versailler Vertrages sahen. Letzteres war ohne Zweifel das wichtigste Ziel, das die herrschenden Kreise Deutschlands mit dem Rapallo-Vertrag zu erreichen hofften. Studiert man die vielen Denkschriften, die in den Jahren der Weimarer Republik in der Wilhelmstraße zur Frage der Rapallo-Politik ausgearbeitet wurden und von denen man sagen kann, daß sie den politischen Kurs des deutschen Imperialismus in einer bestimmten innen- und außenpolitischen Situation widerspiegelten, so muß man immer wieder feststellen, daß dort die Zusammenarbeit mit dem Sowjetstaat auf der Basis des Rapallo-Vertrages vorwiegend als Druckmittel gegenüber den Versailler Siegermächten angesehen wurde. Nur sehr wenige Vertreter der herrschenden Kreise Deutschlands besaßen den Weitblick, um zu erkennen, daß Deutschland in jedem Falle, auch unter den Bedingungen veränderter Beziehungen zu den Westmächten, ein gutes Verhältnis zu der aufstrebenden Weltmacht im Osten brauchte. Bezeichnend für das Denken, von dem die Mehrheit der Vertreter der Monopolbourgeoisie und des Junkertums sowie ihrer Ministerialbürokratie beseelt war, ist sicherlich die von Rudolf Nadolny in seinen Memoiren angeführte Unterredung mit Rathenau, kurz nach Abschluß des Rapallo-Vertrages, in der Rathenau Nadolny die Übernahme des Botschafterpostens in Moskau antrug und von den großen wirtschaftlichen Möglichkeiten Deutschlands in seinem Verhältnis zu Sowjetrußland sprach. Nadolny entgegnete ihm mit der Erklärung, daß „wir Rußland einstweilen lediglich als bolschewistischen Popanz gegenüber den westlichen Mächten benutzen könnten", da wirtschaftlich dort nichts zu holen sei. „Eine Annäherung unserer Auffassungen kam in dieser Unterredung nicht zustande." 23 Es sind schließlich auch jene Vertreter der Bourgeoisie und der Junkerkaste zu erwähnen, die jegliche Zusammenarbeit mit Sowjetrußland rigoros ablehnten und den Kreuzzug gegen den Bolschewismus predigten. Zwar blieben sie in der Minderzahl, jedoch erhöhte sich ihr Einfluß in den späteren Jahren, je mehr der Prozeß der Faschisierung Fortschritte machte. Zu den erbitterten Gegnern des Rapallo-Vertrages gehörte auch Friedrich Ebert, wenn er auch später dies in seinem Amt als Reichspräsident nicht offen zugeben konnte. 2 '' Andererseits darf nicht verkannt werden, daß sich der Rapallo-Vertrag in weiten Kreisen des Kleinbürgertums und besonders unter der Intelligenz großer Sympathien erfreute. In der drückenden Notlage, die ihnen die Nachkriegszeit gebracht hatte, sahen sie den Ausweg sehr richtig, wenn auch mehr oder weniger klar und oftmals vielleicht nur instinktiv, in der friedlichen Zusammenarbeit mit Sowjetrußland. Was die Intelligenz anbetrifft, so fand dies, wie wir noch sehen werden, auf dem Gebiet der kulturellen Beziehungen einen deutlichen Ausdruck. 23 24
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R. Nadolny, Mein Beitrag, Wiesbaden 1955, S. 87. Hans von Raumer schrieb am 9. 5. 1922 an Walter Rathenau von „einer starken Gruppe", die den Rapallo-Vertrag ablehne und an deren Spitze Ebert stehe. PA Bonn, Büro des RM, 9 Rußland, Bd. 4, Bl. 552541. Rosenfeld
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Aus alledem geht hervor, daß der Rapallo-Vertrag keinesfalls in den Beziehungen zwischen seinen Partnern Fakten geschaffen hatte, die den Schrittmachern der friedlichen Koexistenz beider gesellschaftlicher Systeme nichts mehr zu tun übrig gelassen hätten. Die Geschichte kennt keinen Zustand der Ruhe. Sie ist in ständiger Bewegung, verursacht durch den unaufhörlichen Kampf zwischen Fortschritt und Reaktion. Und auch die Politik der friedlichen Koexistenz bedeutet kein Verharren auf der Position des einmal Erreichten. Der Rapallo-Vertrag hatte zunächst nichts weiter geschaffen als eine völkerrechtliche Basis, auf der Sowjetrußland und mit ihm alle friedliebenden Kräfte in Deutschland prinzipiell besser als zuvor für das Wohl beider Länder im Sinne der freundschaftlichen und friedlichen Zusammenarbeit kämpfen konnten. So und nicht anders war die obengenannte Beurteilung des Rapallo-Vertrages durch Lenin zu verstehen. Und es war zugleich eine Situation erreicht worden, in der die große Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus nicht mehr mit militärischen, sondern mit friedlichen Mitteln ausgetragen wurde, ohne daß dabei der ideologische Klassenkampf im Geringsten aufgehört hätte. Es ist auch hervorzuheben, daß das Wort „Rapallo-Politik" für einen Vertreter der Sowjetmacht einen anderen Sinn hatte als im Denken und Handeln eines solchen imperialistischen Politikers, dem es letztlich ganz und gar nicht auf die friedliche Koexistenz ankam, sondern der mit der „RapalloPolitik" lediglich eine Trumpfkarte gegen die Westmächte ausspielen und die deutschpolnische Grenze revidieren wollte. Man war sich andererseits aber in Moskau auch durchaus darüber klar, daß bei aller Berücksichtigung der unterschiedlichen Art und Weise, mit der die imperialistischen deutschen Politiker die „Rapallo-Politik" interpretierten, letzten Endes nur eine Frage entscheidend sein konnte: ob Deutschland eine Frontstellung gegen die Sowjetunion bezog und sein militärisches und ökonomisches Potential einem neuen Krieg gegen die Sowjetunion lieh, oder ob es den Zustand des Friedens mit der Sowjetunion, ja möglicherweise noch mehr, den Zustand freundschaftlicher Zusammenarbeit mit den Sowjetvölkern auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet - trotz prinzipieller ideologischer Gegensätze - aufrechterhielt. Mit anderen Worten: Es galt, die Frage zu beantworten, inwieweit die Beziehungen, die Deutschland in Rapallo zum Sowjetstaat eingegangen war, der Aufrechterhaltung des Friedens in Europa dienten. Der Gang der Geschichte sollte zeigen, daß die Sowjetunion rund ein Jahrzehnt lang das deutsch-sowjetische Verhältnis als einen höchst wichtigen und positiven Faktor in ihrem Kampf um die Aufrechterhaltung des Friedens verbuchen konnte.
I.
Kapitel
Von Genua zum Dawesplan
1. Ruhrbesetzung und Curzon-Ultimatum Der Rapallo-Vertrag wurde zu einem Zeitpunkt abgeschlossen, als die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik und die anderen mit ihr verbündeten Sowjetrepubliken - die Ukrainische und die Belorussische SSR, die zur Transkaukasischen Föderation zusammengeschlossenen Sowjetrepubliken Aserbaidshan, Georgien und Armenien, die Volksrepubliken Buchara und Chorezm sowie die Fernöstliche Republik bereits seit einem Jahr auf der Grundlage der Neuen Ökonomischen Politik erfolgreich die Wiederherstellung der Volkswirtschaft und den Aufbau der sozialistischen Gesellschaftsordnung vorangebracht hatten. Nachdem die revolutionären Arbeiter und Bauern Rußlands im Jahre 1917 unter der Führung der Bolschewiki die welthistorische Tat vollbracht hatten, erstmalig die politische Macht zu erringen und diese Macht gegen den Ansturm der imperialstischen Interventen und der weißgardistischen Konterrevolution drei Jahre lang siegreich verteidigt hatten, waren sie jetzt an die Lösung der zweiten Aufgabe gegangen, an die Errichtung der sozialistischen Gesellschaft. 1 Diese Aufgabe war mit außerordentlichen Schwierigkeiten verbunden, die sowohl aus den inneren Bedingungen als auch der außenpolitischen Situation resultierten, und sie war geschichtlich langfristig gestellt. Auf die Kräfte und Bedingungen, die ihre erfolgreiche Lösung garantierten, aber auch auf die Schwierigkeiten, verwies Lenin auf dem XI. Parteitag der KPR (B) im März 1922, auf dem er eine insgesamt erfolgreiche Bilanz für das erste Jahr der Neuen Ökonomischen Politik ziehen konnte. „Wir mußten infolge der Entwicklung der Kriegsereignisse, infolge der Entwicklung der politischen Ereignisse, infolge der Entwicklung des Kapitalismus im alten zivilisierten Westen und der Entwicklung der sozialen und politischen Verhältnisse in den Kolonien als erste in die alte bürgerliche Welt eine Bresche schlagen zu einem Zeitpunkt, als unser Land ökonomisch wenn nicht das rückständigste, so doch eines der rückständigsten Länder war." 2 Lenin hob in diesem Zusammenhang als eins der wichtigsten Ziele und bereits zum großen Teil erreichten Ergebnisse der NÖP hervor, daß es gelungen war, das Bündnis zwischen der Arbeiterklasse und der werktätigen Bauernschaft, die zunächst noch in individuelle Kleinwirtschaften aufgesplittert war, auf eine ökonomische Grundlage zu stellen. Die Prozesse der Festigung und Erweiterung der sozialen Basis der sozialistischen Revolution, der Weiterführung des durch den Bürgerkrieg gehemmten sozialistischen 1
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Vgl. dazu: Ot kapitalizma k socializmu. Osnovnye problemy istorii perechodnogo perioda v SSSR 1917-1937 gg. v dvuch tomach (Hauptred. Ju. A. Poljakov), Moskau 1981. W. 1. Lenin, Werke, Bd. 33, S. 253.
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Aufbaus sowie der Wiederherstellung der durch den imperialistischen Krieg und den Bürgerkrieg schwer zerstörten Volkswirtschaft entwickelten sich insgesamt erfolgreich und führten zur weiteren politischen Konsolidierung des Sowjetstaates. Die Zersplitterung der Kräfte der Arbeiterklasse, die im Kampf f ü r die Verteidigung der Sowjetmacht große Blutopfer gebracht hatte, nahm ab, und die werktätige Bauernschaft zeigte ein wachsendes Vertrauen zum Sowjetstaat und den Maßnahmen, die er zur Verbesserung des Lebens auf dem Dorfe traf. 1 Aber obgleich sich das Leben der Menschen in Sowjetrußland zunehmend verbesserte, war ihre Lage noch immer schwierig. Erst 1921 hatte Sowjetrußland eine Hungerkatastrophe größten Ausmaßes erlitten, ein Ergebnis vor allem des von den imperialistischen Interventen entfachten Bürgerkrieges. Noch immer mangelte es an wichtigsten Bedarfsgütern. Im Jahre 1923 belief sich die Bruttoproduktion der Großindustrie noch auf 35 Prozent des Vorkriegsniveaus, und im Donbass, dem Hauptzentrum der Kohleförderung, wurden 1922/23 erst 8 101 000 Tonnen Kohle gegenüber 25 288 000 Tonnen im Jahre 1913 gefördert. Erst 1925/26 wurde das Vorkriegsniveau der Industrieproduktion erreicht, wenngleich man hinzufügen muß, daß dies in einem relativ kurzen Zeitraum ganz aus eigener Kraft und zudem unter komplizierten außenpolitischen Bedingungen erfolgte. Von weittragender und entscheidender Bedeutung war es, daß Lenin trotz der kurzen Zeitspanne, die ihm hierfür belassen war, die Gesetzmäßigkeiten und grundlegenden Aufgaben des Aufbaus der neuen, sozialistischen Gesellschaftsordnung soweit erarbeitete, daß die Partei nach seinem Tod dieses theoretische Werk, das man auch als Lenins politisches Vermächtnis bezeichnete, zur Grundlage ihrer weiteren Arbeit machen konnte. Das war angesichts der sich immer deutlicher abzeichnenden Tatsache, daß der Sowjetstaat innerhalb der kapitalistischen Umkreisung allein blieb und vorerst durch weitere sozialistische Revolutionen keine Unterstützung erhielt, von weittragender Bedeutung. Aber ungeachtet dessen, daß die sozialistische Gesellschaft erst im Werden begriffen war, bedeutete doch die Gründung des Sowjetstaates und seine Behauptung gegen Intervention und Konterrevolution, wie Lenin in der obengenannten Rede auf dem XI. Parteitag ausführte, einen welthistorischen Sieg: ein Staat von proletarischem Typus ist geschaffen - und darum mag ganz Europa, mögen Tausende von bürgerlichen Zeitungen erzählen, was f ü r Mißstände und welches Elend bei uns herrschen, daß das werktätige Volk nichts als Qualen durchzumachen hat - dennoch fühlen sich in der ganzen Welt alle Arbeiter zum Sowjetstaat hingezogen. Das sind die großen Errungenschaften, die wir erzielt haben und die unverrückbar sind. Doch f ü r uns, die Vertreter der Kommunistischen Partei, bedeutet das nur, daß die Tür aufgemacht ist. Wir stehen jetzt vor der Aufgabe, das Fundament der sozialistischen Wirtschaft zu errichten . . .'"' Die internationale Wirtschaftskonferenz in Genua hatte vollauf deutlich gemacht, daß die friedliche Koexistenz der beiden unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen zu einer historischen Notwendigkeit geworden war. Nichtsdestoweniger hatte der Imperialismus den Kampf gegen die in Rußland entstandene Arbeiter- und Bauernmacht nicht aufgegeben. Nachdem der Versuch, die sozialistische Revolution mit Waffengewalt aus3 4
Vgl. Geschichte der KPdSU in sechs Bänden, Bd. IV/1, Moskau 1973, S. 300. W. I. Lenin, Werke, Bd. 33, S. 289.
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zulöschen, gescheitert war, gingen die herrschenden Kreise der imperialistischen Staaten dazu über, die Sowjetmacht mit ökonomischen Mitteln niederzwingen zu wollen. Gleichzeitig wurde die unter Aufwand großer finanzieller Mittel entfachte antisowjetische Hetze fortgesetzt. Obwohl die sowjetische Delegation in Genua, ganz im Sinne des von Lenin erarbeiteten umfangreichen Programms der friedlichen Koexistenz und Zusammenarbeit, sehr konstruktive Vorschläge mit weitgehender Kompromißbereitschaft unterbreitet hatte, sah sie sich dort einer Politik gegenüber, die auf die ökonomische Versklavung Sowjetrußlands hinauslief. 5 Dennoch war f ü r die Sowjetrepubliken das diplomtische Ringen in Genua keineswegs erfolglos .verlaufen. Es war an sich schon ein Gewinn gewesen, daß die imperialistischen Regierungen sich zu dieser ersten großen diplomatischen Begegnung mit den Vertretern des Sowjetstaates gezwungen gesehen hatten. 6 Genua hatte auch gezeigt, daß es ein vergebliches Unterfangen war, dem sozialistischen Rußland eine einheitliche imperialistische Front entgegenzustellen und ihm politische und ökonomische Bedingungen zu diktieren. Mehr noch: Deutschland, von dessen Beteiligung an einer Antisowjetfront die Wirkungskraft jeder antisowjetischen Aktion wesentlich abhing, hatte mit dem Abschluß des Rapallo-Vertrages alle weiteren derartigen Pläne sehr erschwert. Deshalb setzten sich in der Folgezeit die antisowjetischen Kräfte, sowohl in Deutschland selbst als auch im Lager der Westmächte, immer wieder zum Ziel, Deutschland aus seinen in Rapallo eingegangenen Beziehungen zu Sowjetrußland herauszulösen. Hieraus ergab sich eine wichtige Aufgabe der sowjetischen Diplomatie. Es galt, die guten Beziehungen zu Deutschland weiter zu festigen und allen Angriffen entgegenzuwirken, die mit dem obengenannten Ziel gegen die Rapallo-Politik unternommen wurden. Der Rapallo-Vertrag war deshalb durchaus kein Hindernis auch f ü r gute Beziehungen zwischen den Sowjetrepubliken und den übrigen kapitalistischen Mächten. Denn die von der Sowjetregierung verfolgte Politik der friedlichen Koexistenz verlangte zu allen Ländern ein gleichermaßen normales und gutes Verhältnis. Lenin, der f ü r den Rapallo-Vertrag allergrößtes Interesse zeigte und sich trotz seiner schweren E r k r a n k u n g wiederholt nach der Aufnahme des Rapallo-Vertrages in Deutschland erkundigte, 7 sah in diesem Vertrag ein Vorbild f ü r die Gestaltung der Beziehungen zwischen dem Sowjetstaat und der kapitalistischen Welt. Daß sich zunächst die Beziehungen des Sowjetstaates nicht zu allen kapitalistischen Ländern normalisierten, war nicht die Schuld der Sowjetregierung. Und gerade deshalb wurde es in der Folgezeit f ü r die sowjetische Diplomatie besonders wichtig, die Zusammenarbeit mit Deutschland zu fördern und auszubauen und sich in der Abwehr antisowjetischer Aktionen der Ententemächte auf die sowjetisch-deutschen Beziehungen zu stützen. Zunächst brachten die folgenden Monate des Jahres 1922 die Bestätigung der Bresche in der diplomatischen Isolierung, die Sowjetrußland 1921 geschlagen und auf der Konferenz von Genua erweitert hatte. Am 20. November 1922 erklärte Lenin in seiner 5 6
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Vgl. Geschichte der sowjetischen Außenpolitik, S. 208 f. G. V. Cicerin erklärte in einem Interview mit Ludwig Stein: „Die Tatsache des Zustandekommens der Genueser Konferenz scheint mir wichtiger als ihre politischen Ergebnisse." Vossische Zeitung, 7. 6. 1922. Und zwar unterhielt sich Lenin über dieses Thema mehrmals mit dem Medizinprofessor der Berliner Universität, Georg Klemperer, den man zur Behandlung Lenins nach Moskau gerufen hatte. Vgl. den Bericht Wiedenfelds an Rathenau, Moskau 13. 6.1922. PA Bonn, Büro d. RM, 9 Rußland, Bd. 4, Bl. 552580.
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letzten öffentlichen Rede, daß die Sowjetregierung ihren bisherigen außenpolitischen Kurs weiterverfolge. Zwar gebe es noch mehrere Staaten, die „sich mit uns nicht an einen Tisch setzen wollen. Nichtsdestoweniger kommen die ökonomischen Beziehungen und in ihrem Gefolge die diplomatischen Beziehungen in Gang, sie müssen in Gang kommen und werden ganz bestimmt in Gang kommen." 8 Trotz des Scheiterns der Konferenz von Genua konnte die Sowjetregierung daher hoffen, daß Rapallo in ihrem gegenüber den kapitalistischen Staaten verfolgten Kurs der friedlichen Koexistenz kein Einzelfall blieb. 9 Hatte doch der Rapallo-Vertrag die internationale Autorität Sowjetrußlands bedeutend erhöht und die Positionen auch jener Kräfte im Lager der Entente gestärkt, die die weitere diplomatische Isolierung Sowjetrußlands für unzweckmäßig hielten. Nicht zuletzt vertiefte sich in der „russischen Frage" auch der englisch-französische Gegensatz, der schon in Genua deutlich zutage getreten war. Die ablehnende Antwortnote Lloyd Georges vom 11.'Juni auf das Memorandum Poincares vom 2. Juni, das die imperialistischen Regierungen zu einem kollektiven Ultimatum gegenüber Sowjetrußland aufforderte, zeigte, wie sehr dieser Gegensatz mit unverminderter Heftigkeit fortdauerte. Das kollektive Vorgehen gegen Sowjetrußland, wie es in Genua versucht worden war, erwies sich dann auch in der Folgezeit wegen der imperialistischen Gegensätze als undurchführbar. Deswegen wurde die Haager Konferenz, auf der die imperialistischen Regierungen ihre Versuche der ökonomischen Unterwerfung Sowjetrußlands fortsetzten, am 20. Juli abgebrochen, da schon hier die „antirussische Front" offen auseinanderzubrechen drohte. 1 0 Die noch am letzten Konferenztag auf Druck der USA zustandegekommene Resolution, die jegliche Separatvereinbarungen über Konzessionen mit der Sowjetregierung verbot, blieb ein Stück Papier. Schon die zehn Tage später in Berlin geführten Gespräche Cicerins und Krasins mit dem amerikanischen Botschafter Houghton über die geplante Reise einer Gruppe von 25 bis 30 Vertretern der USAWirtschaft nach Sowjetrußland 1 1 zeigten, daß es die Regierung der USA selbst mit diesem Beschluß offenbar nicht sehr genau nahm. Stärker noch wurde er alsbald von der englischen Seite übergangen: Leslie Urquhart, der Präsident der Russian-Asiatic Consolidated Ltd., die ehemals über 60 Prozent der russischen Bleiproduktion verfügt hatte, sah sich gerade jetzt zur Weiterführung der schon 1921 begonnenen Verhandlungen über Konzessionen ermuntert. Vom Krupp-Konzern und der Mendelssohn-Bank wurde übrigens damals versucht, sich am Geschäft von Urquhart zu beteiligen. Die Verhandlungen mit Urquhart resultierten in einem von ihm und Krasin am 9. September in Berlin unterzeichneten Vertragsprojekt. Daß die Unterzeichnung ebenso wie die obengenannten amerikanisch-sowjetischen Gespräche in Berlin stattfanden, deutet auf den Wert, den die im Rapallo-Vertrag errungene diplomatische Position in Deutschland für Sowjetrußland besaß. Wir werden noch sehen, daß nicht nur in politischer und 8 9
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W. I. Lenin, Werke, Bd. 33, S. 422. L. M. Karachan erklärte am 2. Juni bei der Entgegenahme des Beglaubigungsschreibens des österreichischen Gesandten: „Der Rapallo-Vertrag war ein glänzendes Beispiel dafür, wie Staaten ihre Beziehungen aufbauen müssen, um weder gegenseitiges Mißtrauen und Feindschaft, noch die leiseste Unzufriedenheit zurückzulassen. Ich hoffe, dag wir früher oder später auch mit anderen Ländern diesen Weg beschreiten werden." DVP SSSR, Bd. V, S. 436. Vgl. den von M. Litvinov, L. Krasin und N. Krestinskij erstatteten Bericht über die Haager Konferenz in: DVP SSSR. Bd. V, S. 515 f. Vgl. die entsprechenden Berichte Cicerins und Krasins an das'ZK der RKP(B): Ebenda,
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wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf die Möglichkeit kulturpolitischer Ausstrahlungskraft nach Westeuropa, wenn nicht sogar nach Amerika, Deutschland für Sowjetrufjland eine hervorragende Basis bildete. Unterdessen war die Sowjetregierung bemüht, in Zusammenarbeit mit der deutschen Reichsregierung, insbesondere mit jenen ihrer Vertreter, die im Sinne des RapalloVertrages zu wirken suchten, den Inhalt des Vertrages zu verwirklichen. 12 Am 6. Mai wurde der Vertrag vom Gesamtrussischen Zentralexekutivkomitee ratifiziert. Auf deutscher .Seite geschah dies durch den Reichstag am 4. Juli 1922. In diesem Zusammenhang bestand für die sowjetische Diplomatie eine wichtige Aufgabe darin, den Rapallo-Vertrag möglichst bald auch auf die anderen Sowjetrepubliken auszudehen. Die entsprechenden Verhandlungen zogen sich jedoch bis zum Spätherbst hin, denn die deutsche Regierung war bestrebt, durch entsprechende, für die einzelnen Sowjetrepubliken geltende Klauseln ökonomische Vorteile zu erreichen. Gleichzeitig fürchtete sie negative Auswirkungen auf die Haltung der Ententemächte. 13 Schließlich wurde am 5. November 1922 der Vertrag in Berlin unterzeichnet. 14 Danach galt der Rapallo-Vertrag nunmehr auch für die Beziehungen Deutschlands mit der Ukrainischen und Belorussischen Sowjetrepublik, mit den Sowjetrepubliken Transkaukasiens sowie mit der Fernöstlichen Republik. Eine Ausdehnung des Vertrages auch auf die Volksrepubliken Buchara und Chorezm (die revolutionäre Umgestaltung führte alsbald auf ihren Territorien zur Entstehung von Sowjetrepubliken, die Bestand der RSFSR, beziehungsweise der UdSSR wurden) lehnte die deutsche Regierung jedoch mit Rücksicht auf den Widerstand Englands ab. Der Vertrag bekräftigte die einheitliche diplomatische Front der Sowjetrepubliken, mit der diese schon in Genua aufgetreten waren, und stärkte die internationale Autorität der Sowjetrepubliken insgesamt. Wenige Wochen danach erreichte ihre Zusammenarbeit eine qualitativ neue Stufe, als sie sich zur Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vereinigten. Eine nicht unwichtige Frage war es, wer die Leitung der diplomatischen Vertretungen in Berlin sowie in Moskau übernahm. Bevollmächtigter Vertreter der RSFSR (später der UdSSR) in Berlin blieb Nikolaj Nikolaevic Krestinskij, der bereits im Oktober 1921, im Ergebnis des sowjetisch-deutschen Abkommens vom 6. Mai 1921, als diplomatischer Vertreter Sowjetrußlands nach Berlin gekommen war. Im Jahre 1883 in Mogilev geboren, hatte Krestinskij sich schon seit Beginn des Jahrhunderts an der revolutionären Bewegung beteiligt und gehörte seit dem Jahre 1903 der Partei der Bolschewiki an. Er hatte an der Petersburger Universität Rechtswissenschaft studiert, und die Partei hatte ihn in allen Jahren mit verantwortungsvollen Aufgaben betraut. Auf dem VI. Parteitag der SDAPR(B) war Krestinskij zum Mitglied des Zentralkomitees gewählt worden und hatte sodann als Sekretär des Zentralkomitees sowie als Volkskommissar für Finanzen gearbeitet. Nikolaj Krestinskij vertrat die Sowjetregierung in
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S. 5 4 2 - 5 4 4 . Die Reise der amerikanischen Wirtschaftler kam nicht zustande, da es die Regierung der USA ablehnte, als Gegenleistung eine sowjetische Delegation von Wirtschaftsexperten in die USA reisen zu lassen. Vgl. dazu besonders: A. Achtamzjan, Rapall'skaja politika, Moskau 1974, S. 84 f. Vgl. Ebenda, S. 8 9 ; vgl auch die Mitteilung N. N. Krestinskijs an G. V. Cicerin vom 1 8 . 1 0 . 1 9 2 2 ; Deutsch-sowjetische Beziehungen 1922-1925, Dokumentensammlung, 1. Halbband., Berlin 1978, S. 103 f. Text des Vertrages: DVP SSSR, Bd. V, S. 658 f.
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Berlin bis zum Jahre 1930 und war danach Erster Stellvertreter des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten. 13 Auch Boris Spiridonovic Stomonjakov ist hier zu nennen, der als hervorragender sowjetischer Diplomat und Kampfgefährte Lenins in den Jahren 1920-1925 die sowjetische Handelsvertretung in Berlin leitete. Stomonjakov war gebürtiger Bulgare und war schon 1902 im Alter von 20 Jahren in die Reihen der Leninschen Partei eingetreten. Im Jahre 1904 zur Emigration gezwungen, lebte er längere Zeit im Ausland. Berlin kannte er bereits seit 1910, als er dort seinen Aufenthalt nahm. Im Jahre 1915 kehrte Stomonjakov nach Bulgarien zurück, wo er Armeedienst leisten mußte; im Jahre 1917 wurde er Mitglied der bulgarischen Gesandtschaft in Holland. Während seiner wichtigen Tätigkeit als Handelsvertreter in Berlin, wobei er mit Lenin in engster Verbindung stand, besaß er einen großen Anteil am Aufbau des sowjetischen Außenhandels und besonders an der Durchsetzung und Verteidigung des staatlichen Außenhandelsmonopols. Auch nach seiner Rückkehr in die Sowjetunion - er gehörte seit 1926 zum Kollegium des Volkskommissariats für Auswärtige Angelegenheiten und wurde später Stellvertreter des Volkskommissars - widmete er stets den sowjetischdeutschen Beziehungen große Aufmerksamkeit. 16 Sitz der sowjetischen Botschaft - wir gebrauchen hier diese Bezeichnung im allgemeinen Sinne, da die offizielle Bezeichnung damals „Bevollmächtige diplomatische Vertretung" lautete - wurde nun wieder das historische Gebäude in der Straße Unter den Linden, dessen Geschichte bis in das 18. Jahrhundert zurückreicht und das in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts von Rußland als Botschaftsgebäude erworben worden war. 17 „Die Arbeitsbedingungen im sowjetischen Haus Unter den Linden waren in den zwanziger Jahren kompliziert. Die Reaktion stachelte die deutsche Regierung immer wieder zur Konfrontation mit dem Arbeiter- und Bauernstaat auf, so daß es bald zu kleinen, bald zu größeren Schikanen gegen die Botschaft und die übrigen sowjetischen Institutionen sowie zu fortlaufenden Provokationen kam." 18 Auch die Tatsache, daß Berlin damals noch immer einen Sammelpunkt der aus Sowjetrußland geflüchteten weißgardistischen Emigranten bildete, erschwerte die Arbeit der sowjetischen Diplomaten. 19 Die wesentlichen Zentren der weißgardistischen Emigration waren damals außer Berlin die Städte Paris, Belgrad, Prag, Warschau und Konstantinopel. Auch die nördlich der Dardanellen gelegene Halbinsel Gallipoli ist zu nennen, wo sich die Reste der Armee des Generals P. N. Vrangel' befanden. Ihre zahlenmäßige Stärke belief sich Anfang 1921 auf mehr als 48 000 Mann. Nach den Plänen des „Russischen Rates", der im April 1921 auf Initiative Vrangel's in Konstantinopel gebildet wurde und zu dem mehrere ehemalige zaristische Generäle und Wür-
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Vgl. Sovetskaja istoriceskaja ènciklopedija, Bd. 8, S. 75. Vgl. zu den biographischen Daten: V. I. Lenin, Polnoe sobranie socinenij, izd. pjatoe, Bd. 45, S. 654 (Anmerkungsapparat). Vgl. P. Abrassimow, Das Haus Unter den Linden. Aus der Geschichte der russischen und der sowjetischen Botschaft in Berlin, Dresden 1978. Ebenda, S. 38. Vgl. L. K. Skarenkov, Agonija beloj émigracii, Moskau 1981 ; G. F. Barichnovskij, Idejnopoliticeskij krach beloémigracii i razgrom vnutrennoj kontrrevoljucii 1 9 2 1 - 1 9 2 4 gg., Leningrad 1978; Robert C. Williams, Culture in Exile. Russian Emigrés in Germany 1881 - 1941, Ithaca u. London 1972; H. E. Volkmann, Die russische Emigration in Deutschland 1919-1929, Würzburg 1966.
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denträger gehörten, sollten diese Truppen in einem kommenden K r i e g gegen den Sowjetstaat eingesetzt werden. Die Zahl der Emigranten, die sich zu Beginn der zwanziger J a h r e in Deutschland aufhielten, war relativ hoch. Obwohl ein erheblicher Teil von ihnen in den J a h r e n 1920 bis 1922 nach Frankreich und in die Tschechoslowakei abwanderte, lebten in Deutschland 1922 - allerdings einschließlich ehemaliger russischer K r i e g s g e f a n g e n e r rund 6 0 0 0 0 0 Emigranten, davon 100 0 0 0 in Berlin. In den nachfolgenden J a h r e n nahm ihre Zahl infolge weiterer Abwanderungen rasch ab. Sie belief sich im J a h r e 1 9 2 8 nur noch auf 150 000, im J a h r e 1934 auf 50 0 0 0 . Außer Berlin waren besonders M ü n c h e n und Hamburg die Städte, in denen sich die Emigration konzentrierte. W ä h r e n d in Berlin besonders Vertreter der Menschewiki aktiv hervortraten - ein sogenannter menschewistischer Zirkel existierte hier etwa zehn J a h r e lang - , galt M ü n c h e n vor allem als Sitz monarchistischer Emigrantengruppen. Letztere begannen sich hier um den Großfürsten Kyrill Vladimirovic, den Cousin Nikolaus II., zu sammeln, der sich am 31. August 1924 in Coburg zum „Kaiser von ganz Rußland" erklärte und enge Verbindungen zur deutschen imperialistischen Reaktion anknüpfte. W a r e n alle diese Emigrantengruppen auch in vieler Hinsicht untereinander zerstritten, so waren sie sich doch im K a m p f gegen die Sowjetmacht in Rußland nach wie vor einig. Ein Anfang 1922 für die preußische Regierung angefertigter vertraulicher Bericht b e s a g t e : „Der politische Streit der russischen Emigranten in Berlin ist recht erheblich, da in Berlin sowohl die rechten als auch die linken Parteien vertreten sind. In einem Punkt nur stimmen sie überein, und zwar, daß Deutschland eine große Rolle bei der Befreiung Rußlands von den Bolschewisten und bei seinem ökonomischen Wiederaufbau spielen wird . . ,"- u Insofern bedeutete der Abschluß des Rapallo-Vertrages für die weißgardistischen Emigranten in Deutschland einen schweren Schlag, der ihren antisowjetischen Aktionen in mancher Hinsicht Grenzen setzte. A b e r auch trotz dieser Tatsache und ungeachtet dessen, daß sich ein Teil der Emigranten von politischer Betätigung fernhielt, und viele ein Leben voller menschlicher Tragödien führten, bildeten sie auch in den folgenden J a h r e n noch immer eine Kraft, die in vielfältiger Weise den Antisowjetismus nährte. Nach wie vor genossen sie die Unterstützung durch die deutschen Behörden, die sich oft genug und mehr oder weniger versteckt, der Dienste weißgardistischer Emigranten versicherten, wenn es galt, gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung in Deutschland oder gar gegen die Sowjetunion vorzugehen. Bezeichnend ist es auch, daß S. D. Botkin, der seit November 1919 in Berlin die „Russische Delegation der K r i e g s gefangenen und Flüchtlinge" leitete, 2 1 noch bis zum J a h r e 1 9 3 0 Berichte an das in Paris befindliche „sovescanie poslov" sandte, mit dem sich ehemalige Botschafter des Zaren und der bürgerlichen Provisorischen Regierung eine „Ersatzregierung" geschaffen hatten. Noch 1924 zählte man in Berlin rund 50 Verlage, die sich in der Hand von E m i g r a n ten aus den Sowjetrepubliken befanden und, wenn oftmals auch nur in b e s c h r ä n k t e m 20
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Der Bericht wurde unter der Überschrift „Die russischen Emigranten im Ausland und ihre politische Tätigkeit" am 1 1 . 1 . 1 9 2 2 vom Preußischen Staatskommissar für öffentliche Ordnung Weißmann dem preußischen Innenminister übersandt und, wie es im Begleitschreibei heißt, von einem „genauen Kenner der russischen Emigranten Verhältnisse" angefertigt. ZStA Merseburg, Rep. 77, Tit. 856, Nr. 585, Bl. 4 8 - 5 8 . Vgl. P. E. Kovalevskij, Zarubeznaja Rojsija (1920-1970), Paris 1971, S. 301 f.
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Umfang, ihre gegen die Sowjetmacht gerichteten Publikationen verbreiteten. 2 2 Genannt sei auch das 1922 in Berlin gegründete „Russische Wissenschaftliche Institut" mit den Fakultäten Theologie, Recht und Ökonomie, in dem nach Berlin emigrierte russische Gelehrte das politische Denken der in Rußland gestürzten Ausbeuterklasse wachhielten. Nur relativ wenige dieser in das Ausland geflüchteten Vertreter der bürgerlichen russischen Kulturwelt fanden in den folgenden J a h r e n den Mut, in ihre Heimat zurückzukehren und für das neue, sozialistische Rußland tätig zu sein. Treffend urteilt Lev Dmitrievic Ljubimov, Sohn des ehemaligen zaristischen Gouverneurs in Vilnius und Kammerherrn Nikolaus II., nachdem er aus dreißigjähriger Emigration wieder in seine Heimat zurückgekehrt w a r : „Die Jahrzehnte gingen dahin, in der Geschichte eines jeden Landes wurden neue Seiten geschrieben, neue Ängste und Hoffnungen bewegten die Menschheit, die Emigration aber lebte weiter in den Interessen und Begriffen des nicht mehr existierenden zaristischen Rußland." 2 3 Unterdessen war auch in Berlin entschieden worden, wen man als Botschafter der Weimarer Republik nach M o s k a u entsenden wollte. Es war ein für die weitere Gestaltung der deutsch-sowjetischen Beziehungen günstiger Umstand, daß Graf Ulrich von Brockdorff-Rantzau diesen verantwortungsvollen Posten übernahm, auf dem er bis zu seinem Tode am 5. September 1 9 2 8 verblieb. 2 ' 1 Als Sproß eines alten holsteinischen Adelsgeschlechts im J a h r e 1869 geboren, war Brockdorff-Rantzau ein typischer Vertreter der deutschen Aristokratie und in ihren Traditionen erzogen. Es verwundert daher nicht, daß er sowohl der revolutionären Arbeiterbewegung in Deutschland als auch der sozialistischen Revolution in Rußland zutiefst ablehnend gegenüberstand. 2 5 In der Novemberrevolution stellte er sich auf den Boden der neuen bürgerlich-republikanischen Staatsmacht und war sodann als Nachfolger Solfs und erster Außenminister der Weimarer Republik bemüht, den deutschen Imperialismus aus seiner Niederlage wieder herauszuführen. E r setzte dabei zunächst die Hoffnung auf einen Kompromißfrieden mit der Entente, besonders auf die Unterstützung durch die USA. D e r Gedanke, sich durch eine Anlehnung an Sowjetrußland günstigere Positionen zu schaffen, spielte zunächst noch eine sekundäre Rolle. 2 0 Erst das Erlebnis in Versailles, wo ihn das Diktat der Friedensbedingungen geradezu wie ein Keulenschlag traf, führte ihn in seinen außenpolitischen'Überlegungen zu einer grundsätzlichen Wende. Von diesem Zeitpunkt an wurde er zu einem leidenschaftlichen 22 23 24
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Vgl. Williams, S. 84 f.; Kovalevskij, S. 320 f. L. Ljubimow, Zwischen Petersburg und Paris, Berlin 1977, S. 159. Eine wissenschaftliche Biographie Brockdorff-Rantzaus wurde bisher noch nicht vorgelegt. Wichtige Mitteilungen machte H. Heibig auf Grund der Einsichtnahme in den Nachlaß Rantzaus (vgl. H. Heibig, Die Träger der Rapallo-Politik, Göttingen 1958); die von E. Stern-Rübarth veröffentlichte korrigierte und ergänzte Zweitauflage seiner RantzauBiographie (Graf Brockdorff-Rantzau, Wanderer zwischen zwei Welten, Herfod u. Bonn 1968) geht nicht viel über die schon 1929 veröffentlichte Erstauflage hinaus; U. Wengst, Graf Brockdorff-Rantzau und die außenpolitischen Anfänge der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. 1973; verwiesen sei ferner auf die 1980 an der Humboldt-Universität vom Verfasser betreute Diplomarbeit von Johanna Klein über das diplomatische Wirken Brockdorff-Rantzaus 1922-1928, in der das Manuskript der seinerzeit von Erich Brandenburg auf Grund des Nachlasses verfaßten Brockdorff-Rantzau-Biographie ausgewertet wurde. Vgl. Grat Brockdorit-Rantzau, Dokumente und Gedanken um Versailles, Berlin 1925, S. 30. Vgl. auch G. Rosenield, Sowjetrußland und Deutschland 1917-1922, Berlin 1983, S. 242 f.; Ja. S. Drabkin, Stanovlenie Vejmarskoj respubliki, Moskau 1978, S. 71 f.
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Verfechter einer engen politisch-diplomatischen Zusammenarbeit mit Sowjetrußland, ungeachtet dessen, daß er dessen politisch-gesellschaftliche Ordnung ablehnte. Das Programm, das sich Brockdorff-Rantzau für seine Tätigkeit in M o s k a u stellte, geht besonders aus seinen in den Sommerwochen 1922 verfaßten Aufzeichnungen und Denkschriften hervor. 2 ' Es waren im Kern zwei Gedanken, die sich durch diese Aufzeichnungen, unter denen die bedeutendste das Promemoria v o m 15. August w a r , 2 8 hindurchzogen: es war erstens die Auffassung, daß Deutschlands Außenpolitik weder eine Ost- noch eine Westorientierung im Sinne einer ausschließlichen Festlegung besitzen dürfe, und zweitens die Erkenntnis, daß Deutschland, aus seiner mitteleuropäischen Lage heraus, auf ein gutes Verhältnis zu Sowjetrußland bedacht sein müsse und zwar nicht zuletzt deshalb, weil Deutschland damit den für ihn erdrückenden und erniedrigenden Versailler Frieden am besten überwinden könne. Erinnerungen an die Zeiten Bismarcks sowie an seinen Petersburger Aufenthalt als Legationssekretär in den J a h r e n 1 8 9 7 - 1 9 0 1 mochten dabei sicherlich mitschwingen: „Es hat eine Zeit gegeben, in der Deutschland und Rußland gute Nachbarschaft hielten; zum Schaden beider Völker haben sich ihre Wege getrennt. Aber unter der Not, die das Schicksal ihnen auferlegt hat, wollen sie sich zu gemeinsamer Arbeit wieder zusammenfinden. Diese Arbeit muß friedlichen Zielen und dem wirtschaftlichen Wiederaufbau dienen." 2 9 Obwohl Brockdorff-Rantzau einen „Regierungs- und Systemwechsel in Rußland" nicht ausschloß, verwahrte er sich jedoch - und dies unterschied ihn von manchen anderen Vertretern seiner Klasse - gegen jegliche antisowjetische A k t i o n e n : „Gefährlich und unklug wäre es indessen, auf den Sturz der Sowjetregierung zu rechnen oder gar hinzuarbeiten." : 1 n Wie der Graf über die deutsch-sowjetischen Beziehungen dachte, geht auch aus einem Brief hervor, den er nach Abschluß des Berliner Vertrages 1926 an Hindenburg s c h r i e b : „. . . M e i n Bestreben seit Übernahme des hiesigen Postens ist von j e h e r darauf gerichtet gewesen, durch ein enges Verhältnis zu Sowjetrußland ein Gegengewicht gegen den Westen zu schaffen, um nicht - der Ausdruck an sich widerstrebt mir - auf Gnade und Ungnade den Ententemächten ausgeliefert zu sein. Eine reine Freude mit den hiesigen Herrschaften zu arbeiten, wird es allerdings nie sein. Unser Verhältnis zur Sowjetunion bleibt, wie ich vor J a h r e n einmal geschrieben habe, stets eine Zwangsehe, von Neigungsheirat kann nicht die Rede sein . . . Unser Verhältnis zu Sowjetrußland wird, wie ich es seit Antritt meines Postens aufgefaßt habe, stets bis zu einem gewissen Grade gewissermaßen auf Bluff beruhen, d. h. es wird nützlich sein, nach außen, unseren sogenannten Feinden gegenüber, den Eindruck einer größeren Intimität mit Rußland zu erwecken, als sie tatsächlich vorhanden ist. Politisch ist dieses Ziel durch den deutsch-russischen Vertrag erreicht worden . . ." : ! l Welche subjektiven Vorstellungen Brockdorff-Rantzau aber auch immer vom Sowjetstaat und von den deutsch-sowjetischen Beziehungen besaß, und wieviel auch die in dem Brief an Hindenburg verwandten Formulierungen taktischer Natur waren, um diesem den Berliner Vertrag schmackhaft zu machen, so war es doch von wesentlicher 27 Vgl. Heibig, S. 110 f. 28 Veröffentlichter Text in: H. Heibig, Die Moskauer Mission des Grafen Brockdorff-Rantzau. In: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, Bd. 2, Berlin (West) 1955, S. 331 f. 29 Ebenda. Denkschrift vom 8. 7. 1922. Heibig, Die Moskauer Mission . . ., S. 329 f. 31 ADAP, Ser. B, Bd. II/2, S. 98.
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Bedeutung, daß er objektiv im Sinne der von der Sowjetregierung vertretenen Politik der friedlichen Koexistenz und Zusammenarbeit wirkte und gewillt war, „mit dem russischen Volk in aufrichtiger Freundschaft und guter Nachbarschaft" zu leben. 32 Die Sowjetregierung wußte dieses um Frieden und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern bemühte Wirken des Grafen zu würdigen und zu schätzen. Besonders in G. V. Cicerin gewann Brockdorff-Rantzau einen Partner, der mit ihm vertrauensvoll zusammenarbeitete und mit dem ihn auch ein freundschaftliches Verhältnis verband. Schon am 23. Juni 1922 hatten beide in Berlin eine erste Begegnung, in der sie ihre Auffassungen offen dargelegt hatten und einander rasch nähergekommen waren. 1 '' Das Amt, das Brockdorff-Rantzau in Moskau übernahm, war nicht leicht, denn nicht gering war die Zahl derjenigen Kräfte in Deutschland, die die guten Beziehungen mit dem Sowjetstaat gern aufgegeben und sich mit den Westmächten gegen Sowjetrußland arrangiert hätten.3'* Insofern war es nicht unwesentlich, daß sich Brockdorff-Rantzau in der Botschaft sowie in der Ministerialbürokratie in Berlin auf einige, wenn auch nur wenige Mitarbeiter und Beamte stützen konnte, die - wie er selbst - den Rapallo-Kurs, ungeachtet ihrer ideologischen Gegnerschaft zur sozialistischen Revolution, bejahten und eine Frontstellung Deutschlands gegen Sowjetrußland für gefährlich hielten. In der Moskauer Botschaft war dies neben Rantzaus persönlichem Referenten Andor Hencke zweifellos auch Gustav Hilger. 35 Als Sohn eines deutschen Fabrikbesitzers 1886 in Moskau geboren, beherrschte Hilger die russische Sprache perfekt und galt als guter Kenner der russischen Geschichte und Kultur. Hilger war schon 1920 als offizieller Beauftragter der deutschen Regierung für die Rückführung der Kriegsgefangenen nach Moskau entsandt worden. Im Range eines Legationsrats stehend, blieb er an der deutschen Botschaft in Moskau bis Juni 1941, wobei er als Dolmetscher bei allen wichtigen Unterredungen zwischen den Vertretern der deutschen Regierung und der Sowjetregierung zugegen war. 30 Unter den Befürwortern des Rapallo-Kurses im Auswärtigen Amt in Berlin muß man zunächst Ago von Maltzan nennen, der ja wesentlich für den Abschluß des RapalloVertrages gewirkt hatte. Er leitete von Januar bis Dezember 1922 die Abteilung IVa (Osteuropa), wurde danach Staatssekretär und Ende 1924 deutscher Botschafter in Washington. Drei Jahre danach kam er durch einen Flugzeugabsturz ums Leben. Allerdings vertrat er den Rapallo-Kurs nicht mit jener Kompromißlosigkeit wie Rantzau, Denkschrift vom 8. 7.1922. Heibig, Die Träger der Rapallo-Politik, S. 106, führt die .von Rantzau über die Begegnung gemachte Aufzeichnung an. M Vgl. auch A. Norden, Fälscher. Zur Geschichte der deutsch-sowetischen Beziehungen, Berlin 1959, S. 246. 3 5 Nach dem Krieg verfaßte Hilger in den USA seine Memoiren, die zuerst in den USA unter Mitautorschaft eines jungen Historikers (G. Hilger/A. C. Meyer, The incompatible Allies, New York 1953), danach auch in der BRD erschienen (G. Hilger, Wir und der Kreml. Deutsch-sowjetische Beziehungen 1918-1941, Frankfurt a. M. 1956). Zwar bieten die Memoiren zahlreiche Fakten, tragen aber den Stempel des während des „kalten Krieges" in den USA entfachten Antisowjetismus. 3 6 Gerhard Kegel, als Kommunist und Widerstandskämpfer in der deutschen Botschaft in Moskau am Vorabend des Überfalls Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion tätig, bezeugt, daß Hilger für friedliche Beziehungen zur Sowjetunion eintrat und den Krieg gegen die Sowjetunion als selbstmörderisches Abenteuer verurteilte. Vgl. G. Kegel, Vor dem Überfall. Ein Kommunist in der nazideutschen Botschaft in Moskau. In: Horizont, 22/1981, S. 32. 32
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und er besaß offensichtlich als Botschafter in den USA keinen geringen Anteil an der Einleitung jener Politik, die nach Locarno führte.-17 Bedeutungsvoller für die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion im Sinne des RapalloVertrages wurde das Wirken Moritz Schlesingers. 38 Auch er tat dies freilich ganz im Rahmen seiner bürgerlichen Anschauungen. Besonders nahm er die Interessen deutscher Industrie- und Finanzkreise wahr, die am Wirtschaftsverkehr mit Sowjetrußland interessiert waren, und suchte diese Interessen in der Politik des Auswärtigen Amtes durchzusetzen. Da Schlesinger jüdischer Herkunft und Mitglied der SPD war, zog er sich - ähnlich wie Rathenau - nach Abschluß des Rapallo-Vertrages die Feindschaft extrem reaktionärer und antisowjetischer Kreise zu. Rückblickend auf diese Zeit schrieb er „über die ungeheuren mir von der Rechten und den ihr nahestehenden Angehörigen des Auswärtigen Amtes persönlich bereiteten Schwierigkeiten wegen meiner positiven Einstellung zur Sowjetunion . . .":iy Schlesinger wurde im Jahre 1886 in Magdeburg geboren und hatte sich vor dem Krieg in Persien als Außenhandelskaufmann betätigt. Seit 1915 hatte er als Vizefeldwebel im Kriegsgefangenenlager Döberitz Dienst getan und war im Januar 1919 vom Rat der Volksbeauftragten zum zweiten Leiter der Reichszentrale für Kriegs- und Zivilgefangene benannt worden, in der er bald zum ersten Leiter aufrückte. So war er frühzeitig wegen der Rückführung der Kriegsgefangenen mit der Sowjetregierung in offiziellen diplomatischen Kontakt getreten. Schon damals sprach er sich für die Aufnahme normaler diplomatischer Beziehungen aus und verurteilte die antisowjetische Interventionspolitik/' 0 Infolge seiner Verbindungen zu deutschen Industrie- und Bankkreisen wurde er ab 1922 vom Auswärtigen Amt als „Sachverständiger für russische Wirtschaftsfragen" herangezogen und erhielt im Jahre 1923 den Titel eines Generalkonsuls. Mit Brockdorff-Rantzau stand er in einem engen persönlichen Kontakt, und bis zum Ende der Weimarer Republik beeinflußte er wesentlich die Gestaltung der Beziehungen Deutschlands zur Sowjetunion, besonders der Wirtschaftsbeziehungen. Seine jüdische Herkunft und offensichtlich auch seine Einstellung zur Sowjetunion waren im Frühjahr 1933 für die Hitlerregierung Grund, Schlesinger zur Emigration zu zwingen, die ihn über Frankreich in die USA führte. Es schien freilich zunächst, als ob die Übernahme des Moskauer Botschafterpostens durch Brockdorff-Rantzau am Widerstand eines Mannes scheitern sollte, der selbst zum Zustandekommen der deutschen Rapallo-Politik nicht unwesentlich beigeträgen hatte. Es war General von Seeckt, der schon in Versailles in taktischen Fragen mit Brockdorff-Rantzau auseinandergegangen war, und der jetzt den Grafen wegen seines „Pazifismus" für den Moskauer Posten ungeeignet hielt/' 1 Spätestens 1920 muß Seeckt zu der Auffassung gelangt sein, daß die Interessen Deutschlands, und zwar ganz im imperialistischen Sinne, wie sie Seeckt verstand, ein gutes und friedliches Verhältnis zu
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Über Maltzan vgl. besonders M. Walsdorii, Westorientierung und Ostpolitik. Stresemanns Rußlandpolitik in der Locarno-Ära, Bremen 1971, S. 42 f. Vgl. auch die nach seinem Tod veröffentlichten Memoiren, die jedoch nur die Anfangsperiode seines diplomatischen Wirkens umfassen: M. Schlesinger, Erinnerungen eines A u ß e n s e i t e r s im diplomatischen Dienst. Aus dem Nachlaß herausgegeben und eingeleitet von H. Schneider, Köln 1977. Brief an den Verfasser vom 15. November 1965. Vgl. Rosenfeld, Sowjetrußland und Deutschland 1917-1922, S. 267. H. Heibig, Träger der Rapallo-Politik, S. 120.
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Sowjetrußland erforderten.'' 2 In dieser Hinsicht stimmte er mit Rantzau überein. Aber die militärischen Kontakte, die die Reichswehrleitung inzwischen zur Roten Armee hergestellt hatte und mit denen Seeckt sowohl die militärische Stärkung Deutschlands als auch diejenige eines „zukünftigen möglichen Bundesgenossen" erstrebte,'' 3 lehnte Brockdorff-Rantzau damals ab. Denn er fürchtete, daß sich daraus ein Bündnis ergeben könnte, „durch das wir zu aktivem Vorgehen verpflichtet werden". 44 Daß die Absichten Seeckts, der in Erwiderung auf das Promemoria Brockdorff-Rantzaus vom 15. August seine Auffassungen ausführlich in einer an den Reichskanzler gerichteten Denkschrift vom 11. September 1922 niederlegte 45 , von Wirth völlig unterstützt wurden, ließ Rantzau die Übernahme seines Postens in Moskau noch bedenklicher erscheinen. Insbesondere eine Aufzeichnung vom 3. August 1922, als Vorarbeit für das Promemoria vom 15. August gedacht, zeigt, wie sehr er den Reichskanzler Wirth als „Erfüllungspolitiker" haßte. 46 Erst nachdem Brockdorff-Rantzau vom Reichskanzler und vom Reichswehrminister die Zusicherung erhalten hatte, daß man ihm in seiner Moskauer Tätigkeit keine Schwierigkeiten machen werde - bald scheint auch eine gewisse Versöhnung mit Seeckt erfolgt zu sein 47 - reiste er am 30. Oktober nach der Sowjetunion ab. Wie schon erwähnt, wußte es die Sowjetregierung sehr zu schätzen, daß man in Berlin gerade den Grafen Brockdorff-Rantzau zum Botschafter berufen hatte. Auch unter der sowjetischen Bevölkerung genoß er, wie ein Bericht bezeugte, Sympathie. 48 Am 5. November 1922 überreichte Brockdorff-Rantzau dem Vorsitzenden des Gesamtrussischen Zentralexekutivkomitees, M. I. Kalinin, sein Beglaubigungsschreiben. Er wolle sich dafür einsetzen, so führte Rantzau in seiner kurzen programmatischen Ansprache aus, zu beweisen, „daß der Vertrag von Rapallo eine neue Ära eingeleitet hat für das deutsche und das russische Volk . . . Selbständig und zielbewußt wollen wir vertrauensvoll zusammenwirken, nicht nur, um wieder aufzubauen, was sinnlos zerstört wurde, sondern um der Menschheit neue Kulturwerte zu schaffen." 49 M. I. Kalinin sprach in seiner Erwiderung seine tiefe Befriedigung über die Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen aus. Der Abschluß des Rapallo-Vertrages zeige der ganzen Welt „ein Beispiel gegenseitiger Uneigennützigkeit und des Vertrauens, die als alleinige Grundlage wahrhaft freundschaftlicher Beziehungen den Völkern dienen können, und . . . den einzigen und richtigen Weg aus den Schwierigkeiten und dem Chaos, die durch den außerordentlich zerstörenden und sinnlosen Krieg hervor-
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Vgl. hierzu besonders seine Denkschrift vom 2 6 . 6 . 1 9 2 0 , abgedruckt bei O. Gefrier, Reichswehrpolitik in der Weimarer Zeit, Stuttgart 1958, S. 185 f. Vgl. hierüber Kapitel IV, Abschnitt 4. Heibig, Träger . . . . S. 122, führt eine diesbezügliche Aufzeichnung Rantzaus vom 27. August 1922 an. Vgl. den Abdruck bei O. E. Schüddekopt, Das Heer und die Republik, Hannover 1955, S. 160 f. Heibig, Träger . . . , S. 129. Der zu diesem Zeitpunkt in Moskau weilende sächsische Regierungsrat Braufje schrieb im Sächsischen Staatsanzeiger vom 2 7 . 1 2 . 1 9 2 2 : „Ich habe aus mit Vertretern der verschiedensten Bevölkerungskreise geführten Gesprächen die Überzeugung gewonnen, daß weite russische Kreise ein großes Interesse an diesem Vertreter Deutschlands nahmen." Nach dem Manuskript von E. Brandenburg. Deutsch-Sowjetische Beziehungen von den Verhandlungen in Brest-Litowsk bis zum Abschlug des Rapallo-Vertrages, Bd. II, S. 695.
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gerufen wurden". Er sei überzeugt, so schloß Kalinin, daß gemeinsame, friedliche und schöpferische Arbeit zum wahren Wohle beider Völker führen werden. 50 Zu diesem Zeitpunkt waren aber bereits Entwicklungen eingeleitet und Entscheidungen getroffen worden, die die Rapallo-Politik und damit auch das Programm Brockdorff-Rantzaus ernster Gefahr aussetzten. Schon während der Pariser Friedensverhandlungen im Jahre 1919 hatten sich die Vertreter der USA und Englands, im Gegensatz zu den Wünschen ihrer französischen Kollegen, dafür eingesetzt, daß die Machtgrundlagen des deutschen Imperialismus nicht angetastet und die ihm auferlegten Beschränkungen in gewissen Grenzen gehalten wurden. Damit wollte man nicht nur revolutionären Erschütterungen in Mitteleuropa vorbeugen, sondern den deutschen Imperialismus zu einem Bollwerk im Kampf gegen die sozialistische Revolution in Rußland machen. Diese Politik trat im Jahre 1922 in eine neue Phase, als die amerikanischen Monopole durch verstärkte Kapitalinvestitionen in Deutschland entscheidend in die Entwicklung der europäischen Nachkriegspolitik einzugreifen beabsichtigten. 51 Ein willkommenes Mittel bot hierfür die Reparationsfrage, die auf Grund der von Stinnes systematisch betriebenen Katastrophenpolitik bis Ende des Jahres 1922 eine scharfe Zuspitzung erfahren hatte. In allen diesen Zielsetzungen arbeiteten die amerikanischen Monopole mit dem englischen Imperialismus Hand in Hand, dessen Botschafter in Deutschland, Lord d'Abernon, sich ebenso wie sein amerikanischer Kollege Allan Houghton alle Mühe gab, Deutschland von der Rapallo-Politik abzubringen. Die Zusammenarbeit des amerikanischen und englischen Monopolkapitals mit dem deutschen Imperialismus konnte allerdings nur dann erfolgreich sein, wenn der Widerstand des französischen Imperialismus, des heftigsten Rivalen des deutschen Imperialismus auf dem europäischen Kontinent, überwunden wurde. Insofern durchkreuzte zunächst der nach der Konferenz von Genua von der Stinnes-Gruppe betriebene Versuch, durch einen großen deutsch-französischen Montantrust ein Arrangement mit den französischen Konkurrenten zu treffen, die in Washington und London gehegten Absichten. 52 Dem von der Stinnes-Gruppe unterbreiteten Vorschlag, den deutschen Anteil am Aktienkapital auf 50 Prozent zu bemessen, stellten die Franzosen jedoch mit dem ihrerseits erhobenen Anspruch, in einem lothringisch-rheinisch-westfälischen Montantrust mindestens 60 Prozent des Aktienkapitals zu besitzen, ein Hindernis entgegen, das dieses Projekt scheitern ließ. Auch in der Folgezeit blieben die starken Gegensätze zwischen dem deutschen und dem französischen Imperialismus bestehen. Das besaß wiederum wesentliche Auswirkungen auf die Politik der imperialistischen Mächte gegenüber der Sowjetunion. 50 61
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Ebenda, S. 696. Vgl. W. Basler, Die USA und die europäischen Mächte in den zwanziger Jahren. In: Die USA und Europa, 1917-1945, Berlin 1975, S. 8 7 f . ; K. Obermann, Die Beziehungen des amerikanischen Imperialismus zum deutschen Imperialismus in der Zeit der Weimarer Republik (1918-1925), Berlin 1952, S. 6 3 f . ; Istorija Diplomatii. Bd. III, Moskau 1965, S. 346 f.; unter Auswertung der amerikanischen Akten D. B. Gescher, Die Vereinigten Staaten von Nordamerika und die Reparationen 1920-1924, Bonn 1956, S. 1 1 0 f . ; E. Laubach, Die Politik der Kabinette Wirth 1921/22 (Historische Studien H. 402), Lübeck und Hamburg 1968, S. 280 f. Vgl. K. Gossweiler, Grogbanken - Industriemonopole - Staat, Berlin 1971, S. 1 6 9 f . ; /. Kuczynski, Studien zur Geschichte des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland 1918-1945, Berlin 1963, S. 71 f.
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Inzwischen hatten jedoch das Ende der Regierung Wirth und die Bildung der seit der Novemberrevolution reaktionärsten Regierung unter dem HAPAG-Direktor Wilhelm Cuno am 22. November 1922 eine Situation geschaffen, die die Absichten, die Politik des deutschen Imperialismus in ein dem amerikanischen und englischen Monopolkapital genehmes Fahrwasser zu lenken, b e g ü n s t i g t e . D a jetzt die Cuno-Regierung in der Reparationsfrage gegenüber Frankreich einen Konfrontationskurs einschlug, wobei sie von den „Katastrophenpolitikern" Stinnes und Helfferich beraten und unterstützt wurde, schuf sie für Frankreich den notwendigen Vorwand zur Besetzung des Ruhrgebiets. Es handelte sich somit um eine von langer Hand vorbereitete Provokation, durch die nach den Spekulationen des deutschen Imperialismus die Gegensätze unter den Westmächten verschärft und Frankreich schließlich unter dem Druck des amerikanischen und englischen Monopolkapitals zum Nachgeben gezwungen werden sollte. „Um einen höheren Profitanteil, um die Stärkung seiner Machtpositionen und nicht - wie die lautstarke chauvinistische, revanchistische Propaganda der herrschenden Klasse behauptete - um die nationalen Interessen ging es dem deutschen Monpolkapital im Kampf um das Ruhrgebiet." r/l Die Ruhrkrise wurde somit zu einer Hürde, über die der deutsche Imperialismus hinwegsteigen mußte, wenn er sich der Bedrängnis durch den französischen Rivalen mit Hilfe des amerikanischen und englischen Monopolkapitals entledigen wollte. rw Wie immer auch dabei der Vergleich mit diesem ausfiel, so mußte doch dieser Kurs logischerweise alle jene Kräfte begünstigen, die unter Revision des Versailler Vertrages Deutschland in eine Frontstellung gegen die Sowjetunion zu bringen suchten. Der englische Botschafter d'Abernon notierte daher schon am 27. November, fünf Tage nach der Ernennung Cunos zum Reichskanzler, daß die Ergebnisse des RapalloVertrages sehr gering und „die Deutschen sich des Wahnsinns einer übertriebenen Ostpolitik bewußt geworden" seien. Dies sei aber vor allem darauf zurückzuführen, daß England seinen Kontakt zu Deutschland erneuert und eine richtige Politik in der Reparationsfrage verfolgt habe. „Unsere Politik hat die sogenannte Westorientierung hier gestärkt - die Partei, die sich mehr von einer Entwicklung der Beziehungen mit Amerika und England auf wirtschaftlichem Gebiet verspricht, als von einer Entwicklung der Beziehungen mit Rußland auf politischem Gebiete." Daher werde die Haltung der Westmächte, so vermerkte d'Abernon weiter, für die „künftige Haltung Deutschlands gegenüber Rußlands" entscheidend sein.5" Die Regierung Cuno konnte deshalb der Unterstützung durch das amerikanische und englische Monpolkapital sicher sein, als sie gegen Ende des Jahres 1922 die Auseinandersetzung mit Frankreich um die deutschen Reparationsleistungen auf die Spitze trieb. Während Kanzler Cuno und sein Außenminister, der ehemalige kaiserliche Diplomat Friedrich Hans von Rosenberg, in der Öffentlichkeit ihre Absicht beteuerten, den Rapallo-Kurs unverändert aufrechtzuerhalten - Cuno und Rosenberg taten dies auch 53
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Vgl. Rüge, Deutschland von 1917 bis 1933, S. 196; M. Nussbaum, Wirtschaft und Staat in Deutschland während der Weimarer Republik, Berlin 1978, S. 98. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 3, Berlin 1966, S. 376. Vgl. G. Hortzschansky, Der nationale Verrat der deutschen Monopolherren während des Ruhrkampfes 1923, Berlin 1961; H. Koller, Kampfbündnis an der Seine, Ruhr und Spree. Der gemeinsame Kampf der KPF und KPD gegen die Ruhrbesetzung, Berlin 1963. Viscount d'Abernon, Ein Botschafter der Zeitwende, Bd. 2, Leipzig 1929, S. 163.
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in einem Gespräch mit Cicerin am 1. Dezember 1922 in Berlin 5 ' - bestätigten sie gleichzeitig dem englischen Botschafter gegenüber mit Nachdruck ihre antisowjetische Haltung. 5 8 In einem vertraulichen Bericht über die außenpolitische Lage setzte Rosenberg seine H o f f n u n g auf die englische und amerikanische Unterstützung in der Reparationsfrage. 5 9 „Verschiedene Vertreter der Vereinigten Staaten in Europa arbeiten zu unseren Gunsten, so besonders der amerikanische Gesandte in Kopenhagen, und Herr Houghton ist in Paris und London sehr verständig für uns eingetreten . . ."(i0 Rosenberg hatte sich in dieser Hoffnung auf die USA nicht getäuscht. Bereits am 29. Dezember verkündete der amerikanische Staatssekretär Hughes in seiner Rede in New Häven, daß eine internationale Konferenz von Finanzsachverständigen, natürlich unter der Führung der amerikanischen Hochfinanz, die Lösung der europäischen Probleme in die Hand nehmen müsse. Zum gleichen Zeitpunkt unterbreitete Krupp-Direktor Wiedfeldt, der deutsche Botschafter in Washington, der amerikanischen Regierung das Projekt eines Abkommens zwischen Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Belgien und Japan, in dem diese Mächte ihre Grenzen garantieren sollten. S o war im Grunde schon die Entscheidung zu Gunsten des deutschen Imperialismus gefallen, als Poincaré Anfang Januar 1923 in der Sitzung der Reparationskommission in Paris den Beschluß über die vorsätzliche Nichterfüllung der deutschen Kohlenlieferungsverpflichtungen durchsetzte und damit den gewünschten Vorwand zur Besetzung des Ruhrgebietes schuf. Mit dieser Entscheidung war zugleich jene Frontlinie abgesteckt, von der aus man den Generalangriff gegen die Rapallo-Politik führen wollte. Hartnäckig und zielbewußt begann man nunmehr von Washington und London aus, im Verein mit den deutschen imperialistischen Partnern, jenes Bollwerk aufzurüsten, dem künftighin die Hauptlast im Kampf gegen die Sowjetunion zugedacht war. Dies alles aber bedeutete zugleich den Angriff gegen die Rapallo-Politik, die eine der wichtigsten Abwehrschranken gegen einen neuen antisowjetischen Interventionskrieg und die Störung des Friedens in Europa darstellte. Allerdings standen der Schaffung dieser antisowjetischen Front mannigfache Hindernisse entgegen. Schon allein die Tatsache, daß der antisowjetische Aufmarsch im Gegensatz zu Frankreich erfolgte, nahm ihm viel von seiner Wirkungskraft. Nicht zuletzt aber sollten sich die imperialistischen Widersprüche Englands und der USA zu Deutschland selbst als hemmend erweisen. Denn es zeigte -sich, daß die deutschen Imperialisten keineswegs bereit waren, auf ihre selbständige imperialistische Politik zu verzichten und im Kielwasser der Westmächte als Juniorpartner zu segeln. 61 Sie suchten 57 58 59
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Vgl. Rosenberg an Brockdorff-Rantzau, 1. 12.1922. Deutsch-sowjetische Beziehungen 1922 bis 1925, 1. Halbbd., S. 128. D'Abetnon, Tagebucheintragung vom 9. 4.1923, Bd. 2, S. 223. Vor den Bevollmächtigten des Reichsratsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten am 16.12.1922. Bericht des sächs. Gesandten, StA, Dresden, Gesandtschaft Berlin, Nr. 275, Bl. 231 ff. Ebenda, Bl. 232. Deshalb blieben auch die antisowjetischen Pläne, die General Max Hoffmann damals in Verbindung mit Ludendorff aufstellte, nur auf dem Papier. Ende 1922 verfaßte Hoffmann eine Denkschrift, in der er vorschlug, daß die „vereinigten Mächte (Frankreich, England, Deutschland) durch eine gemeinsame militärische Intervention die Sowjetregierung stürzen müßten." Die Aufzeichnungen des Generalmajors Max Hoffmann, hsg. von K. F. Nowak, Berlin 1929, S. 364. Nichtsdestoweniger zeigte man sich in Moskau über die von HoffRosenfeld
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vielmehr in ihrer Politik gegenüber der Sowjetunion einen weitestgehend selbständigen Kurs einzuschlagen, was wiederum der Sowjetregierung die Möglichkeit gab, die Rapallo-Beziehungen weiterzuführen und auszubauen. Nichtsdestoweniger mußte sich die Sowjetregierung, als das Jahr 1922 zu Ende ging, darüber klar sein, daß die sowjetisch-deutschen Beziehungen großen Belastungen entgegengingen. So hatte Cicerin allen Grund, dem deutschen Botschafter während eines Gesprächs am 25. November seine Besorgnis darüber mitzuteilen, dafj „infolge Kabinettwechsel Änderung in unserer Haltung Rußland gegenüber eintreten könnte" sowie darüber, daß „Unterstützung russischer Gegenrevolutionäre stattfinden könnte." 62 Die außenpolitische Situation der Sowjetrepubliken wurde um so schwieriger, als der englische Imperialismus in der zweiten Hälfte des Jahres 1922 einen scharfen antisowjetischen Kurs zu steuern begann. Setzte sich doch in England mehr und mehr die von der reaktionären Kolonialbourgeoisie getragene Linie, deren Exponent Lord Curzon war, gegenüber der kompromißbereiten Politik Lloyd Georges durch. 63 Deshalb wurde auch der Urquhart-Konzessionsvertrag nicht realisiert, der am 6. Oktober 1922 vom Rat der Volkskommissare sowohl wegen der für Sowjetrußland unannehmbaren finanziellen Forderungen6'1 als auch wegen der feindseligen Haltung der englischen Regierung abgelehnt wurde. 65 Der verstärkte sowjetfeindliche Kurs, den der englische Imperialismus, besonders nach Bildung der konservativen Regierung unter Bonar Law Ende Oktober 1922, verfolgte, trat deutlich auf der Konferenz von Lausanne zutage. Denn das Ziel der englischen Imperialisten, die Meerengen für Kriegsschiffe aller Staaten zu öffnen, verbunden mit dem Versuch, auch die Türkei in eine Frontstellung gegen Sowjetrußland zu bringen, bedeutete für letzteres eine ernste Bedrohung. Allerdings ließ sich die antisowjetische Einkreisungspolitik, in der die Lausanner Konferenz nur das Glied einer Kette darstellte und in der vom englischen und amerikanischen Imperialismus Deutschland eine besondere Rolle zugedacht war, nicht wie gewünscht verwirklichen. So konnte Curzon auch die Beteiligung Sowjetrußlands an der Lausanner Konferenz nicht vermeiden, und zwar weniger wegen der englisch-französischen Widersprüche 66 als wegen der gestiegenen internationalen Autorität der Sowjetrepubliken, die sich Ende 1922 zur Sowjetunion vereinigten. Die starre antisowjetische Haltung der englischen Regierung blieb freilich bestehen. Cicerin konnte einer Mitte Dezember in Lausanne geführten Unterredung mit Curzon entnehmen, daß dieser nicht bereit war, sich mit der Sowjetregierung zu verständigen, und schloß seinen diesbezüglichen Bericht
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mann und Lud'endorff geschmiedeten Pläne besorgt. Vgl. den Bericht Rantzaus vom 23. 9.1923. PA Bonn, Büro des RM, 9 Rußland, Bd. 6, Bl. 553 225 ff. Brockdorff-Rantzau an Cuno, 2 5 . 1 1 . 1 9 2 2 . Deutsch-sowjetische Beziehungen 1922-1925, 1. Halbbd., S. 122. Vgl. Geschichte der sowjetischen Außenpolitik, S. 228 f. ; G. V. Truchanovskij, Vnesnjaja politika Anglii na pervom étape obscego krizisa kapitalizma (1918-1939 gg.), Moskau 1962, S. 114 f. Darauf verwies Lenin in einem Brief vom 12. 9 . 1 9 2 2 an Stalin. DVP SSSR, Bd. V, S. 573. Vgl. dazu die Unterredung Lenins mit dem englischen Journalisten Farbman am 27.10. 1922. In : W. I. Lenin, Werke, Bd. 33, S. 369-ff. V. Vorovskij, der damalige Vertreter Sowjetrußlands in Italien, schrieb am 2. Oktober 1922 an das Volkskommissariat für Auswärtiges: „ . . . England spekuliert offensichtlich in dieser Angelegenheit auf unsere Feindschaft mit Frankreich, und Frankreich wittert diese Intrige und fürchtet, daß England über uns mit der Türkei zum Schaden Frankreichs zusammenstößt." DVP SSSR, Bd. V, S. 607.
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mit den Worten: „Der von mir empfangene allgemeine Eindruck läßt sich dahin zusammenfassen, daß unter Curzon irgendwelche ernsthaften Abkommen mit England überhaupt nicht möglich sind." 67 Es erleichterte daher die internationale Situation der verbündeten Sowjetrepubliken, daß die französische Regierung, die sich bisher am hartnäckigsten jeglichen sowjetischen Verständigungsvorschlägen widersetzt hatte, im Verlaufe der Sommer- und Herbstmonate 1922 von ihrer bisherigen Position abzugehen begann. Die französische Regierung hatte ihre zunächst verständigungsfeindliche Haltung gegenüber Sowjetrußland mit einer scharfen Verurteilung des Rapallo-Vertrages verbunden. 6 8 Gleichzeitig zeichnete man am Quai d'Orsay ein düsteres Bild von der sowjetischen Wirtschaft, der man den vollständigen Zusammenbruch voraussagte. 6 9 Aber schon in einer Aufzeichnung vom 17. Mai 1922 stellte der dortige Leiter der „Rußlandabteilung" fest, daß es Zeit sei, „die bisherige passive Rußlandpolitik in eine Offensive zu verwandeln."'11 Und in den nachfolgenden Monaten verdichtete sich unter den herrschenden Kreisen Frankreichs die Auffassung, daß man es in Sowjetrußland mit einem stabilen Staat zü tun hatte. Besonders die am Handel mit Sowjetrußland interessierten Wirtschaftskreise dränten nach Verbesserung der französisch-sowjetischen Beziehungen. Als ihr Wortführer trat der Führer der Radikal-Sozialistischen Partei und damalige Bürgermeister von Lyon, Edouard Herriot auf, der zwei Jahre danach französischer Ministerpräsident wurde. Wesentliche Auswirkungen auf diese Entwicklung hatte die Reise, die; Herriot im September 1922 nach Sowjetrußland unternahm. 71 Der Stellvertretende Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, L. M. Karachan, schrieb in diesem Zusammenhang, daß man die Reise Herriots unterstützen und „in Verbindung mit einer möglichen Kriegsgefahr" alles tun müsse, was Frankreich beruhigen und Poincaré in einem gewissen Grade die Hände binden könne.' 2 Lenin wies damals darauf hin, daß „jede Annäherung mit Frankreich für uns außerordentlich wünschenswert" sei, und zwar besonders auch deshalb, weil die Handelsinteressen Sowjetrußlands die Annäherung „an diese stärkste Kontinentalmacht" erforderten. 7 3 Die Verbesserung der Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Frankreich wurde übrigens in den Herbstmonaten des Jahres 1922 in Berlin mit einer gewissen Unruhe verfolgt. Offenbar fürchtete man, daß bei der zu erwartenden Auseinandersetzung mit Frankreich von Sowjetrußland der gewünschte Beistand für Deutschland ausbleiben könnte. Nicht zufällig fragte d'Abernon anläßlich der Reise Herriots nach Moskau Maltzan über die Auswirkungen dieser Mission. Zwar antwortete Maltzan, man brauche dank des Rapallo-Vertrages nicht zu fürchten, daß Frankreich und Sowjetrußland auf
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G. V. Cicerin an M. M. Litvinov, 17.12.1922. Ebenda, Bd. VI, S. 89. Vgl. R. Bournazel, Rapallo, ein französisches Trauma (Originaltitel: Rapallo: naissance d'un mythe, Paris 1975), Kölp 1976, S. 119 f. Ebenda, S. 198. Ebenda, S. 202. Dabei hofften diese Kreise, wie auch Herriot selbst, auf die Stärkung der im Rahmen der Neuen Ökonomischen Politik zugelassenen kapitalistischen Elemente. Vgl. E. Herriot. La Russie nouvelle, Paris 1922, S. 294. L. Karachan an Stalin, 29. 8.1922, DVP SSSR, Bd. V, S. 565-566. In seinem dem englischen Journalisten Farbman am 27.10.1922 gewährten Interview. W. I. Lenin, Werke, Bd. 33, S. 369 f.
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der Basis des Artikels 116 des Versailler Vertrages 7 '* gemeinsam gegen Deutschland vorgehen könnten. 7 3 Aber die Besorgnis in den Kreisen der deutschen Regierung über die sowjetisch-französische Verständigung blieb offenbar weiter bestehen. Cicerin sah sich jedenfalls veranlaßt, am 9. Januar 1923 dem sowjetischen Geschäftsträger in Berlin, S. I. Bratman-Brodovskij 7 6 , in dieser Frage einige Hinweise zu geben. 77 „Ich richte Ihre Aufmerksamkeit besonders darauf", so begann Cicerin seinen Brief, „daß es wünschenswert ist, die deutsche Regierung im Zusammenhang mit dem Vorgang unserer Annäherung an Frankreich zu beruhigen. Wir geben der deutschen Regierung absolut die Versicherung, daß wir nichts unternehmen und nichts unterstützen, was den Charakter einer aggressiven Politik gegenüber Deutschland tragen könnte. Wir waren, sind und werden stets der Politik gegenseitiger Freundschaft, die uns mit Deutschland verbindet, treu bleiben." Cicerin betonte ferner, daß Sowjetrußland weder direkt noch indirekt jemals eine Aggression gegen Deutschland unterstützen werde. Dies hindere Sowjetrußland allerdings nicht daran, eine politische Annäherung an Frankreich zu verfolgen. Man hoffe zudem, daß in Frankreich sehr bald die militaristische Aggressionspolitik ein Ende finden werde. Die sich entwickelnden sowjetisch-französischen Wirtschaftsbeziehungen seien von großem Nutzen und ständen keineswegs im Widerspruch zur sowjetischen Deutschlandpolitik. Reichskanzler Wirth habe ihm, Cicerin, wiederholt versichert, daß er die sowjetisch-französische Annäherung f ü r Deutschland sogar als nützlich erachte. Darin habe er völlig recht. Sowjetrußland könne schon deshalb nicht in der Reparationsfrage den französischen Standpunkt unterstützen, weil er den Prinzipien zuwiderlaufe, die die „Grundlage unserer Existenz und unserer Politik" bildeten. Deutschland könne sich überdies nicht beklagen, daß Sowjetrußland zu wenig Aktivität zu Deutschlands Gunsten gezeigt habe. Denn Deutschland selbst sei es, das sehr wenig Aktivität zugunsten Sowjetrußlands bekundet und „insbesondere hat uns unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit, wie Sie wissen, enttäuscht." 78 Schon in den nächsten Tagen zeigte es sich mit aller Deutlichkeit, daß die Sowjetregierung, und mit ihr die Werktätigen der ganzen Union, voll und ganz f ü r die nationalen Interessen Deutschlands eintraten. Diese Interessen wurden aufs schwerste angegriffen, als am 11. Januar 1923 französische und belgische Truppen in das Ruhrgebiet einrückten. Provoziert wurde der Einmarsch durch den hartnäckigen Widerstand der deutschen „Katastrophenpolitiker" gegen die Reparationszahlungen, wobei sie sich ihrer englischen und amerikanischen Verbündeten sicher waren, die mit ihnen auf diesem Wege die Revision des Versailler Systems auf Kosten des französischen Imperialismus zu erreichen suchten. Der französische Gewaltakt bedeutete eine Verschwörung des internationalen Monopolkapitals gegen die deutschen Werktätigen. Ihnen stand in diesen schweren Monaten, als die deutsche Großbourgeoisie mit patriotischen Phrasen den deutschen Nationalismus aufputschte, nur eine einzige Macht zur Seite, die ihnen ein wirklicher Verbündeter war - die Sowjetunion. 79 74 75 76
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Der Artikel sah die „Rechte Rußlands" vor, von Deutschland Reparationen zu fordern. D'Abernon, a. a. O., Bd. II, S. 148. Er war bereits seit 1920 als Mitarbeiter V. Kopps in Berlin diplomatisch tätig. Im November 1931 wurde Brodovskij von seiner Berliner Funktion durch Botschaftsrat S. Aleksandrovskij, den späteren sowjetischen Gesandten in Prag, abgelöst. DVP SSSR, Bd. VI, S. 145f.; Deutsch-sowjetische Beziehungen 1922-1925, 1. Halbbd., S. 151. Zu den Wirtschaftsbeziehungen vgl. den 3. Abschnitt dieses Kapitels. Vgl. dazu W. Rüge, Die Stellungnahme der Sowjetunion gegen die Besetzung des Ruhr-
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An der Spitze des internationalen Proletariats stehend, in dessen Namen die internationale Konferenz kommunistischer Parteien in Essen am 6. und 7. Januar 1923 leidenschaftlich gegen die Gewaltpolitik der französischen Imperialisten protestierte, 80 suchte die Sowjetunion nunmehr mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln dem Angriff des französischen Imperialismus auf den Frieden entgegenzuwirken. Diese Haltung der Sowjetunion entsprach den ihrer Außenpolitik zugrundeliegenden Prinzipien, die ihr die Verteidigung des Rechts der Nationen zur Selbstbestimmung und der Verurteilung jeglicher Verletzung nationaler Souveränität zum Gebot machten. Der französische Angriff auf die Ruhr bildete aber auch eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit der Sowjetunion selbst. Denn der Gewaltakt des französischen Imperialismus drohte durch die Ausdehnung seiner Einflußphäre bis unmittelbar zu seinem polnischen Verbündeten, Deutschland überhaupt aus seinem friedlichen Verhältnis zur Sowjetunion herauszureißen. 81 Das Gesamtrussische Zentralexekutivkomitee verurteilte daher in seinem Aufruf „an die Völker der ganzen Welt" vom 13. Januar 1923 8 2 die Okkupation des Ruhrgebietes durch den französischen Imperialismus. „Neue schreckliche Schläge werden dem deutschen Volk beigebracht, und ganz Europa steht wieder einmal unter der Drohung einer grausamen internationalen Schlächterei." Der Aufruf verwies darauf, daß das Rußland der Arbeiter und Bauern seit jeher gegen den Versailler Vertrag aufgetreten sei und seine schreckliche Konsequenz vorausgesagt habe. Er betonte, daß aber nicht nur die französischen Imperialisten die Schuld für diesen Gewaltakt trügen. Ebenso schuldig daran seien die herrschenden Kreise Londons, Roms, Brüssels und Tokios. In eindringlichen Worten heißt es dann im Text: „Die Souveränität, das Recht des deutschen Volkes auf die Unabhängigkeit ist mit Füßen getreten worden. Die wirtschaftliche Lage Deutschlands, die ohnehin schon tief erschüttert war, hat von neuem einen tödlichen Schlag erlitten. Schreckliches Elend und unerhörte Unterdrückung bedrohen die arbeitenden Massen Deutschlands, und die Verschärfung des wirtschaftlichen Chaos bedroht ganz Europa. Die Welt ist erneut in jenen Fieberzustand gestürzt, der dem Krieg vorangeht. Durch den Vertrag von Versailles ist Europa in ein Pulverfaß verwandelt, über das die Funken tanzen." Der Aufruf schloß mit einem leidenschaftlichen Protest „gegen die Vergewaltigung des Rechts des deutschen Volkes auf Unabhängigkeit" und warnte die Völker „vor der Gefahr eines neuen Blutvergießens, die Europa heute bedroht". In Antwort auf eine Note der deutschen Botschaft von demselben Tage, in der letztere von der Besetzung des Ruhrgebietes durch französische und belgische Truppen Mitteilung machte, 83 betonte die Sowjetregierung, daß sie „mit nicht erlahmender Aufmerksamkeit den weiteren Verlauf der Ereignisse" verfolge und gab ihrer Hoffnung Ausgebietes, Berlin 1962; D. S. Dawidowitsch, Die sowjetisch-deutschen Beziehungen während
der Ruhr-Krise. In: Rapallo und die friedliche Koexistenz, Berlin 1963, S. 126 f. 80 81
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Vgl. Die Kommunistische Internationale. Kurzer Historischer Abriß, Berlin 1970, S. 214. L. B. Kamenew erklärte in dem von ihm erstatteten Rechenschaftsbericht der Sowjetregierung an den II. Unions-Sowjetkongreß am 30. Januar 1924: „Der Vormarsch der französischen Truppen weiter aus dem Rheinland in das Innere des Landes hätte alle jene Grundlagen der Festigkeit und des Gleichgewichts in der Weltlage erschüttert, auf denen die Sowjetrepublik steht." Man habe der Gefahr entgegenwirken müssen, daß „das ganze System Mitteleuropas erschüttert werden konnte". - Izvestija, 31. 1. 1924. Vollständiger Text in: Deutsch-sowjetische Beziehungen 1922-1925, 1. Halbbd., S. 154. Deutsch-sowjetische Beziehungen 1922-1925, 1. Halbbd., S. 153.
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druck, daß das deutsche Volk die schweren Hindernisse, die seiner historischen Entwicklung in den Weg gelegt wurden, überwinden werde. 8 ' 1 Unter Berücksichtigung der internationalen Situation und der Beziehung zu Deutschland verwies der sowjetische Aufruf vor allem auf die Schuld des französischen Imperialismus an der entstandenen bedrohlichen Situation. Die Sowjetregierung war sich jedoch natürlich über den Anteil, den das deutsche Monopolkapital an dieser Provokation trug, durchaus klar, und die „Pravda" vermerkte am 11. 1. 1923, daß im „Widerstand" der deutschen Regierung gegen die Ruhrbesetzung „viel mehr zur Schau getragener Lärm und Bluff" sei als ein wirklicher Protest. 8 , 1 D e r Aufruf des Zetralexekutivkomitees der U d S S R vom 13. J a n u a r - wie Reichskanzler Cuno am 23. J a n u a r feststellte, war die UdSSR der einzige Staat, der gegen die Ruhrbesetzung protestiert hatte 8 * 1 - fand in Deutschland einen außerordentlich breiten Widerhall. 8 7 Wenn die deutsche Großbourgeoisie damals diese Haltung der Sowjetunion begrüßte und sie als Verbündeten im K a m p f gegen die französische Aggression anerkannte, so hatte dies freilich weitestgehend taktische Gründe - sie suchte zugleich die Westmächte, wie bei anderen Gelegenheiten, mit der „Gefahr" eines deutsch-sowjetischen Zusammengehens unter Druck zu setzen. Eine wesentliche Rolle spielte auch der Umstand, daß viele Unternehmer infolge der durch die Ruhrbesetzung entstandenen Lage wirtschaftliche Kontakte mit der Sowjetunion suchten. Doch gab es breite bürgerliche Schichten, die aus ehrlicher Überzeugung in dieser Situation des nationalen Notstandes der Sowjetunion Sympathie entgegenbrachten. Insbesondere betraf dies Kreise der fortschrittlich gesinnten Intelligenz, aus denen im August 1 9 2 3 die „Gesellschaft des neuen Rußland" hervorging. 8 8 Auch auf Brockdorff-Rantzau muß die konsequente Haltung der Sowjetunion während der Ruhrbesetzung zweifellos einen nachhaltigen Eindruck gemacht und ihn in der Erkenntnis bestärkt haben, daß Deutschland dringend ein gutes Verhältnis zur Sowjetunion brauche. Seine im Frühjahr 1 9 2 3 nach Berlin gesandten Berichte lassen jedenfalls erkennen, daß er sich jetzt mit noch größerer Entschlossenheit für die „planmäßige, selbstbewußte Zusammenarbeit mit Rußland auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet" einzusetzen beabsichtigte. 8 9 Unterdessen hatte sich die Gefahr für den Frieden in Europa um so mehr erhöht, als die Politik der englischen Regierung an Aggressivität gegenüber der Sowjetunion zunahm. 9 0 Unter D r u c k der englischen Regierung wurde die M e e r e n g e n - K o n f e r e n z von Lausanne unterbrochen und die sowjetische Delegation zur zweiten Etappe der Konferenz, die am .23. April begann, nicht mehr zugelassen. Als V. V. Vorovskij, der Bevollmächtigte Vertreter der Sowjetunion in Italien, als Mitglied der sowjetischen Delegation in Lausanne eintraf, wurde er in einer Atmosphäre gesteigerter antisowjetischer Hysterie von dem schweizer Faschisten Konradi am 10. M a i 1923 erschossen. 84 85
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Die Antwort ist datiert vom 17.1.1923. Ebenda, S. 157. Vgl. Rüge, Die Stellungnahme der Sowjetunion gegen die Besetzung des Ruhrgebietes, S. 48. Vgl. Akten der Reichskanzlei. Das Kabinett Cuno, Boppard 1968, S. 186. Vgl. Rüge, S. 48. Vgl. dazu Kapitel III dieses Buches. Vgl. besonders den Bericht Rantzaus vom 7. 5.1923. PA Bonn, Büro des RM, 9 Rußland, Bd. 5, Bl. 552 950. Vgl. hierzu besonders F. D. Volkov, Krach anglijskoj politiki intervencii i diplomaticeskoj izoljacii sovetskogo gosudarstva (1917-1924 gg.), Moskau 1954, S. 299 f.
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Noch am Tage seiner Ermordung hatte Vorovskij von der starken antisowjetischen Hetze berichtet, der die sowjetischen Delegierten in Lausanne ausgesetzt waren: „Das Verhalten der Schweizer Regierung ist eine schimpfliche Verletzung der uns zu Beginn der Konferenz gegebenen Garantien,' denn jeglicher Angriff gegen uns ist in diesem überaus wohleingerichteten Lande nur mit Wissen und Billigung der Behörden möglich." 91 Zwei Tage zuvor, am 8. Mai 1923, hatte der offizielle britische Vertreter in Moskau der Sowjetregierung ein langes Memorandum überreicht, das als das berüchtigte „Curzon-Ultimatum" in die Geschichte einging. Die englische Regierung erhob in dem Memorandum völlig unbegründete Beschuldigungen, stellte ultimative Forderungen, die den Fischfang, „Entschädigungen" für die Verurteilung von Konterrevolutionären sowie die angebliche antibritische Propaganda in Persien und Afghanistan betrafen, und drohte mit dem Abbruch aller offiziellen Beziehungen. 92 Der vom englischen Imperialismus gegen die Sowjetunion unternommene Angriff wirkte sich sofort in einer gesteigerten Aktivität aller antisowjetischen Kräfte auch in den anderen kapitalistischen Ländern aus. Er stellte auch für die weitere Entwicklung der deutsch-sowjetischen Beziehungen eine Gefahr dar. In großer Sorge meldete daher Boris Stomonjakov, dem schon zwei Wochen zuvor E. F. Wise, erster Sekretär im englischen Wirtschaftsministerium, von dem geplanten Ultimatum mündliche Mitteilung gemacht hatte, nach Moskau: „In den letzten Tagen fiel Deutschland zweifellos unter den Einfluß Frankreichs und geht auf die Kapitulation vor Frankreich ein. Wir durchleben hier Tage, die denjenigen vor Abschluß des Versailler Vertrages ähnlich sind, als alle einflußreichen deutschen Kreise von der Notwendigkeit der Kapitulation durchdrungen, zugleich aber bestrebt waren, die Verantwortung dafür gegenseitig aufeinander abzuwälzen." Hinter den Kulissen gehe ein großer Kampf vor sich. Während Cuno es vermeiden möchte, seinen Namen mit der Kapitulation zu verbinden, strebe Stresemann nach der Unterzeichnung der letzteren durch Cuno, um danach dessen Platz einzunehmen. Stomonjakov schloß seinen Bericht mit einer düsteren Prognose: „So oder so wird Deutschland in politischer Hinsicht in bemerkenswertem Maße seine Selbständigkeit verlieren und wird nach den Anweisungen der Entente handeln, hauptsächlich Englands. Unter solchen Bedingungen wirft uns der Abbruch mit England in ökonomischer Hinsicht für einige Jahre auch in Deutschland zurück. Die deutschen Kapitalisten werden es nicht wagen, selbständig nach Rußland zu gehen, wenn England und Frankreich von ihnen das Gegenteil verlangen." 9 ' In ähnlicher Weise beurteilten damals auch Cicerin und Litvinov in wiederholten Gesprächen mit Brockdorff-Rantzau die Lage als „gespannt und bedrohlich". 9 '' Zugleich unterstrichen sie mehrmals, ganz im Sinne des Aufrufes des Zentralexekutivkomitees vom 13. Januar, daß die Sowjetunion fest an der Seite Deutschlands bei der Verteidigung seiner nationalen Interessen stehen werde. 9 '' 111 92
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V. V. Vorovskij an S. I. Brodovskij, DVP SSSR, Bd. VI, S. 285. Vgl. Geschichte der sowjetischen Außenpolitik, S. 228; W. P. u. Z. K. Coates, Vom Interventen zum Alliierten 1917-1942, Berlin 1959, S. 130. B, S. Stomonjakow an L. B. Krasin, 24.4.1923. CGANCh, Moskau, Fond 413, op. 17, d. 340, Bl. 412. Vgl. unter anderem den Bericht Rantzaus vom 16. 4.1923. PA Bonn, Büro des RM, 9 Rußland, Bd. 5, Bl. 552 913 f. Vgl. auch den Bericht Rantzaus über seine Unterredung mit Litvinov vom 11. Februar 1923. Ebenda, Bl. 552 778 f.
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Angesichts der schwierigen außenpolitischen Situation der Sowjetunion und der Gefahren, die sich für ihre Beziehungen zu Deutschland in den Frühjahrsmonaten 1923 abzeichneten, hatte Cicerin Grund genug, in seiner Rede vor dem Moskauer Sowjet am 12. Mai 1923 von „düsteren Wolken am Horizont" zu sprechen. Cicerin verwies darauf, daß die englischen Reaktionäre, schlecht informiert über die wirkliche Lage in den Sowjetrepubliken und den Charakter der Sowjetmacht, die Krankheit Lenins dahin deuteten, daß die Sowjetmacht ihre Festigkeit verloren habe. Außerdem seien die Kapitalisten enttäuscht, weil ihre Versuche, die Sowjetrepubliken zum Gegenstand unkontrollierter Ausbeutung zu machen, gescheitert seien. Diese Tatsache machten sich die extremen Reaktionäre, an deren Spitze Curzon stehe, zunutze. Die Werktätigen der Sowjetunion wüßten sich jedoch zu verteidigen. Cicerin schloß seine Ausführungen mit dem Hinweis, ein Bruch zwischen England und der Sowjetunion vergrößere die Gefahr des Krieges außerordentlich, da er zugleich die Möglichkeit gebe, das Ruhrabenteuer „zu weiteren militärischen Konflikten auszudehnen" und die militaristischen Elemente in Polen und Rumänien ermuntere. 96 Dieser Hinweis auf Polen und Rumänien war nicht unwesentlich. War doch den westlichen Nachbarstaaten der Sowjetunion von Anfang an im Versailler System die Rolle eines „cordon sanitaire" zur Bekämpfung der Sowjetmacht zugedacht worden. Polen, dessen herrschende Kreise von äußerstem Haß gegen die sozialistische Revolution durchdrungen waren und sich unter Führung Pilsudskis am Interventionskrieg gegen die Sowjetrepubliken beteiligt hatten, spielte die entscheidende Rolle. In der Herstellung gutnachbarlicher Beziehungen sah die Sowjetregierung daher nach Abschluß des Rigaer Friedens vom 18. März 1921 eine wesentliche Aufgabe ihrer Außenpolitik. 97 Aber trotz der Aufnahme diplomatischer Beziehungen und der Ingangsetzung eines für beide Seiten nützlichen Handelsverkehrs blieben die sowjetisch-polnischen Beziehungen unbefriedigend. Denn die polnische Regierung gab ihren antisowjetischen Kurs nicht auf, zu dem sowohl das Bestreben, einen gegen die Sowjetunion gerichteten Bund der „Randstaaten" unter polnischer Führung zu organisieren, als auch die Unterstützung von antisowjetischen Aktionen weißgardistischer Emigranten auf polnischem Territorium gehörten. Auch die Schwierigkeiten, die die polnische Regierung dem von der Sowjetregierung gewünschten ungehinderten Transitverkehr zwischen der Sowjetunion und Deutschland bereitete, gehörten hierzu. Insofern mußte der Versuch Frankreichs nach Beginn der Ruhrbesetzung, Polen sowie die ebenfalls stark unter französischem Einfluß stehenden Staaten der „Kleinen Entente" 98 zur Unterstützung ihres Aggressionsaktes zu mobilisieren, in Moskau Besorgnis erwecken. Dies um so mehr, als die von der Sowjetregierung im Dezember 1922 in Moskau mit Polen und den baltischen Staaten durchgeführte Konferenz zur 96 97
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DVP SSSR, Bd. IV, S. 304 f. Vgl. P. N. Ol'sanskij.Rizski) dogovor i razvitie sovetsko-pol'skich otnosenij 1921-1924, Moskau 1974; V. Daskevic (Daszkiewicz), Pol'sko-sovetskie otnosenija 1 9 2 1 - 1 9 3 2 gg. In: Ocerki istorii sovetsko-pol'skich otnosenij 1917-1977, Moskau 1979, S. 97 f.; vom bürgerlichen Standpunkt unter Heranziehung deutscher und französischer Archivalien: K. von Jena, Polnische Ostpolitik nach dem ersten Weltkrieg. Das Problem der Beziehungen zu Sowjetrußland nach dem Rigaer Frieden von 1921, Stuttgart 1980; Z. J. Casiorowski, Poland's Policy towards Soviet Russia 1921-1922. In: The Slavonic and East European Review, Nr. 131, April 1975. Vgl. A. A. Jaz'kova, Malaja Antanta v evropejskoj politike 1918-1925, Moskau 1974, S. 244 f.
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Rüstungsbeschränkung wegen der antisowjetischen Haltung der Vertreter des polnisch-baltischen Blocks ergebnislos auseinandergegangen war. Die Sowjetregierung gab jedoch in jenen Monaten den Regierungen ihrer westlichen Nachbarstaaten wiederholt zu verstehen, dafj die Sowjetunion nicht untätig zusehen werde, falls diese Regierungen antisowjetische Provokationen unternehmen oder was besonders für Polen galt - sich durch Frankreich zu einem Vorgehen gegen Deutschland anstacheln lassen sollten. Jurij M. Steklov, in den Jahren 1 9 1 7 - 1 9 2 5 Chefredakteur der Zeitung „Izvestija", schrieb in derselben am 24. Januar 1923, daß die Sowjetregierung in eigenem Interesse eine Unterwerfung Deutschlands unter Frankreich und seine Vasallen nicht dulden könne: „Ein polnischer Angriff auf Deutschland ist im gegenwärtigen Augenblick ein direkter Schlag gegen Sowjetrufjland." In diesem Sinne unterrichtete die Sowjetregierung auch mehrmals die Wilhelmstrafje." Die Besorgnisse, die man in Moskau hinsichtlich der Haltung Polens hegte, waren nur allzu berechtigt. So berief die polnische Regierung Ende Februar 1923 gewisse Kategorien von Reservisten zum Heeresdienst ein. Als der französische Generalstabschef Marschall Foch am 2. Mai 1923 in Warschau eintraf, um an polnischen Truppenmanövern teilzunehmen, bezeichnete ein Bericht der dortigen deutschen Gesandtschaft diesen Besuch als eine Demonstration, die nicht nur gegen Deutschland, sondern auch gegen die Sowjetunion gerichtet war. 100 Dieselben Ziele verfolgte Foch mit seinem darauffolgenden Besuch in der Tschechoslowakei. 101 Allerdings stand man sowohl in Prag als auch in Warschau den französischen Plänen mit reichlicher Skepsis gegenüber. Was ein Vorgehen gegenüber Deutschland anbetraf, so befürchtete man sowohl in Warschau als auch in Prag besonders wirtschaftliche Nachteile. 102 Sehr hinderlich für derartige gemeinsame Aktionen Polens und der Tschechoslowakei erwiesen sich zudem die zwischen den beiden Staaten bestehenden Gegensätze. 103 Schließlich aber 99
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Vgl. Bericht Rantzaus vom 23. 12. 1922. PA Bonn, Büro des RM, 9 Rußland, Bd. 5, Bl. 5 5 2 7 2 9 f . ; Aktennotiz Maltzans vom 23. 1. 1923 über eine durch Bratman-Brodovskij übermittelte Nachricht der Sowjetregierung, Ebenda, Bl. 552746. Bericht vom 9. Mai 1923. ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 250, Bl. 314; vgl. zu den damaligen deutsch-polnischen Beziehungen J. Krasuski, Stosunki polsko-niemieckie 1919-1932, 2. Aufl. Poznan 1975, S. 33 f. Vgl. O ceskoslovenske zahranicni politice 1918-1939. Sbornik stati za redakce V. Sojäka. Prag 1956, S. 116; V. A. Siskin, Cechoslovacko-sovetskie otnosenija v 1 9 1 8 - 1 9 2 5 godach, Moskau 1962, S. 134 f. Ein deutscher Gesandtschaftsbericht aus Warschau vom 23. August 1923 meldete, daß auch bei der „jetzigen polnischen Regierung" die Bedenken gegen die Teilnahme an den französischen Sanktionen gegen Deutschland weiterbestünden. Die Regierung habe „in den letzten Wochen verschiedentlich erkennen lassen, da§ Polen nach ihrer Ansicht unter Ruhrkrieg wirtschaftlich leidet." ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 251, Bl. 54. - Der deutsche Gesandte in Prag schrieb am 1 7 . 5 . 1 9 2 3 : „Wie ich die Situation übersehe, dürfte der Minister des Äußeren Dr. Benes auch nach dem Foch-Besuch seine ursprüngliche Haltung in der Frage der Ergreifung militärischer Sanktionen gegen Deutschland nicht geändert haben und nach wie vor jede militärische Unternehmung gegen Deutschland als eine Aktion ansehen, die dem tschechoslowakischen Staat nicht nur keine Vorteile bringen, sondern im Gegenteil dem Bestand dieses Staates in hohem Grade gefährlich werden könnte . . . " ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 250, Bl. 242. , Es ging vor allem um die Ansprüche auf das Teschener Gebiet und um Galizien. Eine informatorische Aufzeichnung des AA vom 4. Juli 1923 besagte: „Ganz unmöglich war es schließlich der Tschechoslowakei, sich auf ein solidarisches Vorgehen mit Polen gegenüber Rußland zu verpflichten. Ihre Einordnung in eine einheitliche Front gegen das
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waren sich die herrschenden Kreise sowohl in Polen als auch in der Tschechoslowakei, abgesehen von dem innerpolitischen Druck, dem sie ausgesetzt waren, über das Risiko eines militärischen Unternehmens gegen die Sowjetunion klar. Und die mehrfachen Warnungen, die die Sowjetregierung in den ersten Monaten des Jahres 1923 an die Adresse von Warschau und Prag richtete, verfehlten nicht ihre Wirkung. Der polnische Gesandte Knoll sprach dann auch bezeichnenderweise in einer Unterredung mit Cicerin am 1. März 1923 von der Absicht der polnischen Regierung, ihr Verhältnis zur Sowjetunion zu verbessern. iü1 Auch der Plan Frankreichs, die baltischen Staaten in diesen antisowjetischen Aufmarsch stärker einzubeziehen, schlug fehl. Seit 1919 hatte Frankreich daran gearbeitet, einen gegen Sowjetrußland gerichteten Bund der sogenannten „Randstaaten" zu organisieren. Zwar hatte es in dieser Hinsicht mit dem Abschluß der polnisch-rumänischen Militärkonvention vom 3. März 1921 einen Erfolg verbuchen können, aber die Bemühungen, auch die baltischen Staaten zu einem solchen antisowjetischen Bündnis mit Polen zu bewegen, waren immer wieder gescheitert. Fürchteten doch die baltischen Staaten mit Recht die Expansionspolitik der herrschenden Kreise Polens, die sich im Oktober 1920 schon des Gebietes von Vilnius (Wilna) bemächtigt hatten und jetzt nach weiteren Eroberungen auch in Lettland trachteten. Der damalige deutsche Gesandte in Riga und ehemalige Außenminister, Adolf Köster, meldete in diesem Zusammenhang am 8. 12. 1923: „Man ist sich hier darüber klar, daß nationalistische Kreise in Polen die Hoffnung auf den Hafen von Libau nicht aufgegeben haben, und man erinnert sich an die seit langem vorherrschenden Sympathiebestrebungen des polnischen Klerus mit der katholischen Bevölkerung Lettgallens. Auch weiß man, daß militärische Kreise der polnischen Republik den Eisenbahnknotenpunkt Dünaburg am liebsten in eigenem Besitz sehen würden. Hinzu kommt, daß Polen von allen Randstaaten Rußland gegenüber sich in der am meisten exponierten Lage befindet und daß man in Riga weiß, daß Rußland gegenüber den baltischen Randstaaten eine durchaus andere Stellung einnimmt als gegenüber Polen. Man hat hier zur Zeit noch keine Lust, für Warschau die Kastanien aus dem Feuer zu holen und sich ohne große Not mit einem Verbündeten zu beschweren, der sich in so schlechten Beziehungen mit dem russischen Nachbarn befindet." 10 ' Die sowjetische Diplomatie hat in jenen Jahren alle diese Gegensätze klug zu nutzen gewußt, um die Bildung einer antisowjetischen Front der „Randstaaten" zu verhindern. Daß sie sich dabei auf Deutschland stützen konnte, war sehr wesentlich. Einerseits bot die Rapallo-Politik der Sowjetunion die Möglichkeit, durch Anlehnung an Deutschland die Bildung einer solchen Front zu verhindern. Andererseits waren die herrschenden Kreise Deutschlands nicht zuletzt mit Rücksicht auf ihre Pläne bezüglich Polens und der baltischen Staaten gezwungen, ein gutes Verhältnis zur Sowjetunion zu suchen - was wiederum objektiv die Rapallo-Politik förderte. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß die herrschenden imperialistischen Kreise im Rapallo-Vertrag vor allem ein Mittel zur Durchbrechung des Versailler Systems sahen. Nach dem Abschluß des Versailler Friedens stellte die Revision der deutschpolnischen Grenze eine Kardinalfrage im Programm der Außenpolitik Deutschlands sowjetische Rußland war zwar der zweite Hauptzweck der Reise des Marschalls Foch, wurde aber gleichfalls nicht erreicht". Ebenda, Bl. 182.
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dar. 1 0 6 Und wie die Geschichte später bewies, führte die Aggressivität des deutschen I m perialismus gegenüber Polen später zur Auslösung des zweiten Weltkrieges. Sehr prägnant hatte Seeckt in seiner obengenannten Denkschrift vom 11. September 1 9 2 2 die Zielsetzung des deutschen Imperialismus in seiner Politik gegenüber Polen ausgedrückt, in der er Polens Existenz als „unerträglich und unvereinbar mit den Lebensbedingungen Deutschlands" bezeichnete und weiterhin ausführte: „Mit Polen fällt eine der stärksten Säulen des Versailler Friedens, die Vormachtstellung Frankreichs. Dieses Ziel zu erreichen, muß einer der festesten Richtungspunkte der deutschen Politik sein, weil er ein erreichbarer ist. Erreichbar nur durch Rußland oder mit seiner Hilfe." 1 "' Aus diesem Grunde hatten die deutschen Imperialisten auch den Krieg Polens gegen Sowjetrußland im J a h r e 1920 mit gemischten Gefühlen verfolgt, weil j e d e M a c h t erweiterung Polens ihren Interessen zuwiderlief. Ebenso gefährlich erschien den deutschen Imperialisten ein „Randstaatenbund", weil in ihm Polen, von den Westmächten abgesehen, den bestimmenden Einfluß ausgeübt und er die Revisionsabsichten des deutschen Imperialismus in Osteuropa durchkreuzt hätte. Köster schrieb daher im Ergebnis einer a m 28. und 29. November 1 9 2 3 in Riga veranstalteten Konferenz der deutschen Gesandten in Polen und den baltischen Staaten, daß Frankreich gegenwärtig „stark für seine polnischen Freunde" arbeite, ihre Wünsche auf Schaffung eines größeren „Randstaatenbundes" unterstütze und der „deutschen Politik auf Schritt und Tritt große und kleine Hemmnisse" in den W e g lege. Deshalb sei man hinsichtlich der deutschen Politik zu folgendem Ergebnis g e l a n g t : „Wir haben ein außerordentlich starkes wirtschaftliches Interesse an den Randstaaten, die ausgezeichnete Abnehmer unserer Waren sind. W i r haben an den Randstaaten ein wirtschaftliches Vorfeld für die Bearbeitung des russischen M a r k t e s . Politisch haben wir das größte Interesse daran, daß die baltischen Staaten sich vor einer Vereinigung mit Polen fernhalten und daß bei unseren derzeitigen Beziehungen zu Rußland alles vermieden wird, das wie eine Unterstützung eines gegen Rußland gerichteten Staatenbundes aussieht. Hier decken deutsche und russische Interessen sich vollkommen, und hier kann in gewisser Weise sogar gemeinschaftlich gearbeitet werden, ein Bündnis, das unter französischer Ägide nicht nur eine Bedrohung Rußlands, sondern auch eine solche Deutschlands bedeuten würde, mit allen Mitteln zu verhindern." 1 0 8 Bei der Untersuchung der Rolle, die die sogenannten osteuropäischen „Randstaaten" in jenen J a h r e n nach dem ersten Weltkrieg in den Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion spielten, , 0 ! ) muß man sich immer wieder vergegenwärtigen, welche Aufgabe diesen Staaten seinerzeit von den U r h e b e r n - d e s Versailler V e r t r a g e s zugedacht worden war. Einerseits sollten sie, wie schon erwähnt, den „cordon sanitaire" gegen die sozialistische Revolution in Rußland bilden. Andererseits sollten sie a b e r auch eine Postenkette gegen einen auflebenden deutschen Revanchismus darstellen. Vgl. hierzu J. Kaiisch, Kontinuität und Wandlungen der Polenpolitik des deutschen Imperialismus zwischen den beiden Weltkriegen. In: Der deutsche Imperialismus und Polen 1918 bis 1939, Studien zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen, H. 2, Wilhelm-Pieck-Universität Rostock 1978; J. Krasuski, Stosunki polsko-niemieckie 1919 bis 1932, 2. Aufl., Poznan 1975. 107 A. a. O., S. 163. 108 Köster an AA, Riga 8. 12.1923. ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 251, Bl. 372. 109 Vgl auch Ch. Arumjae, Za kulisami „Baltijskogo sojuza". Iz istorii vnesnej politiki burzuaznoj Estonii v 1920-1925 gg., Tallin 1966. 106
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Das traf in erster Linie für Polen zu. Seine herrschenden Klassen befanden sich zweifellos zwischen dem nach Revanche dürstenden deutschen Imperialismus und dem Sowjetstaat, den sie zutiefst haßten, in einer komplizierten Lage. Schon aus dem Rigaer Frieden hätten sie die Lehre ziehen müssen, daß die Lebensinteressen auch eines bürgerlichen Polens eine friedliche Zusammenarbeit mit der Sowjetunion erforderten. Jedoch waren die polnischen Kapitalisten und Gutsbesitzer verblendet genug, ihren Antisowjetismus in den folgenden J a h r e n nicht aufzugeben. Damit beraubten sie sich selbst jenes Verbündeten, der ihnen am sichersten hätte helfen können, sich eines Angriffs des deutschen Imperialismus zu erwehren. 1 1 0 Es braucht hier nicht besonders betont zu werden, daß sich die Politik der Sowjetunion und die Politik des imperialistischen Deutschlands gegenüber Polen wie auch gegenüber den baltischen Staaten in ihren Zielsetzungen prinzipiell unterschieden. J e doch mußte die sowjetische Außenpolitik, um der Bildung einer antisowjetischen Interventionsfront zu begegnen, notwendigerweise mit Deutschland taktisch zusammenarbeiten. Und im J a h r e 1927, als die akute Gefahr eines neuen antisowjetischen Interventionskrieges erwuchs, erhielt diese taktische Zusammenarbeit mit Deutschland, wie wir noch sehen werden, sogar eine erstrangige Bedeutung. Es ist charakteristisch für viele bürgerliche Darstellungen der deutsch-sowjetischen Beziehungen j e n e r J a h r e , daß sie diese taktische Zusammenarbeit der Sowjetuniön mit Deutschland in der Frage Polens und der baltischen Staaten entstellen und dabei der sowjetischen Außenpolitik dieselben Aggressionsabsichten wie dem deutschen Imperialismus zuzuschreiben suchen, denen beiden Polen gleichermaßen ausgesetzt gewesen sei. 1 1 1 Wenn die sowjetische Diplomatie in der sogenannten „Randstaatenpolitik" die Gegensätze zwischen dem deutschen und französischen Imperialismus ausnutzen konnte, um einer Antisowjetfront entgegenzuarbeiten, so galt dies auch für den Gegensatz zwischen dem französischen und englischen Imperialismus. Was Polen anbetrifft, so bedeutete die Entsendung des englischen Finanzexperten Hilton Young - der übrigens auch im Auftrag der M o r g a n - B a n k reiste 1 1 2 - im O k t o b e r 1 9 2 3 nach Warschau den ersten größeren Versuch zur Ausschaltung des französischen Einflusses und der Unterwerfung der polnischen Wirtschaft unter die Kontrolle des englischen und amerika110
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Vgl. zu dieser Problematik auch die Aufsätze sowjetischer und polnischer Historiker in: Stosunki polsko-radzieckie w latach 1917-1939 (Historikerkommission der VR Polen und der UdSSR), Warschau 1973; A. Skrzypek, Zwiqzek Baltiycki. Litwa, Lotwa Estonia i Finlandia w polityce Polski i ZSSR w latach 1919-1925, Warschau 1972; Problem polskoniemiecki w traktacie wersalskim, unter red. von J. Pajewski, Poznan 1963; von polnischnationalistischem Standpunkt und mit antisowjetischer Sicht behandelte diese Problematik J. Korbel, Poland between east and west. Soviet and German diplomacy toward Poland 1919-1933, Princeton 1963. So schreibt H.-A. Jacobseti (Osteuropa-Handbuch: Sowjetunion. Außenpolitik 1917-1955, Köln/Wien 1972, S. 228) von der „gemeinsamen Feindschaft gegen Polen"; F. A. Krummacher/H. Lange (Krieg und Frieden, Geschichte der deutsch-sowjetischen Beziehungen, München 1970, S. 387) behaupten, daß „die Verständigung zwischem dem Deutschen Reich und der Sowjetunion auf dem Rücken und auf Kosten des polnischen Volkes begründet worden ist." Vgl. den darauf verweisenden Gesandtschaftsbericht aus Warschau vom 30.8.1923. ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 251, Bl. 61 f. In dem Bericht heißt es, daß sowohl unter den polnischen Militärs als auch „bei einigen Politikern" eine antifranzösische Stimmung vorhanden sei, bewirkt sowohl durch die Verbesserung der französisch-sowjetischen Beziehungen als auch durch das Scheitern polnischer Anleiheveisuche in Paris."
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nischen Monopolkapitals. 113 Dieser Versuch führte zunächst nicht zum gewünschten Erfolg, da die polnische Regierung im Februar 1924, in unmittelbarer Rückwirkung auf die damals erfolgte Normalisierung der englisch-sowjetischen Beziehungen und in weiterer Hoffnung auf französische Finanzhilfe, sich von London distanzierte. Er sollte aber nicht der letzte bleiben. Denn alsbald gingen die USA und England mit verstärkter Energie daran, das polnische Bollwerk gegen die Sowjetunion in ihrem Sinne auszubauen, wobei sie den ihren Plänen äußerst hinderlichen deutsch-polnischen Gegensatz zu beheben suchten. Ebenso war der englische Imperialismus damals bemüht, die baltischen Staaten dem französischen Einfluß zu entreißen, und eigenen Zielen unterzuordnen.11/1 Köster betonte in seinem bereits oben genannten Bericht vom 8. Dezember 1923, außer ihm hätten auch die deutschen Gesandten in Kowno und Reval die Beobachtung gemacht, daß „England den Randstaaten seit einiger Zeit ein größeres Interesse" zuwende. Dies erstreckte sich zunächst mehr auf das wirtschaftliche Gebiet. „Es dürfte jedoch mit der Ausbreitung und Verschärfung des englisch-französischen Gegensatzes auch auf diesem westlichen Gebiet Rußlands zu rechnen sein". llr> Ein nicht unwesentliches „Glied innerhalb der Kette der englischen Bemühungen, in Lettland, ja in den gesamten Randstaaten einschließlich Polens, politisch und wirtschaftlich festeren Fuß als bisher zu fassen", 116 war der Besuch einer Delegation englischer konservativer Abgeordneter und Wirtschaftsexperten in Riga Ende August 1923. Allerdings kam es weder bei diesem Besuch noch anläßlich anderer englischer Sondierungen über die Möglichkeiten einer englisch-lettischen Militärkonvention „politisch und wirtschaftlich zu bestimmten Abmachungen", wie der lettische Ministerpräsident Meierovics dem deutschen Gesandten in einer Unterredung versicherte. Denn die lettische Regierung, so führte Meierowiczs weiter aus, müsse es sich erst reiflich überlegen, bevor sie „politisch und militärisch zwischen Rußland und England" in einer Weise optiere, die die Selbständigkeit ihres Landes in Gefahr bringen könne. Die lettische Regierung wisse, daß es „sich bei den augenblicklichen englischen Bemühungen in den Randstaaten und in Polen um eine englische Gegenbewegung gegen die französische Barrierenpolitik handelt, und so sehr sich Lettland bisher geweigert hat, ein willensloses Werkzeug in den Händen der französischen Barrierenpolitik zu werden, so sehr wird es sich dagegen sträuben, von England in einem überall zur Entwicklung kommenden Spiel gegen Frankreich benutzt zu werden." 117 Meierowiczs hatte in der Tat allen Grund, den englischen Plänen gegenüber vorsichtig zu sein. Denn Lettland konnte, wie auch die anderen baltischen Staaten und besonders in seiner geographischen Lage, nur immer der Geschädigte einer Beteiligung an antisowjetischen Aktionen bleiben. Die Versuche, die baltischen Staaten als Vorposten gegen die Sowjetunion auszubauen, wurden freilich auch in der Folgezeit fortgesetzt. Und der sowjetischen Diplomatie mußte daher umso mehr die Aufgabe zufallen, diese Staaten zu neutralisieren. 1|:!
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Vgl. dazu vor allem Z. Landau, Polskie zagraniczne pozyczki' panstwowe 1918-1926. Warzawa 1961, S. 113 ff. Vgl. Armumjae, S. 201 f. Riga, 8 . 1 2 . 1 9 2 3 , ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 251, Bl. 371. So in dem deutschen Gesandtschaftsbericht aus Riga (Köster) vom 1 0 . 9 . 1 9 2 3 . ZStA Potsdam, Nr. 251, Bl. 103; vgl. darüber auch den ausführlichen Gesandtschaftsbericht vom 6. 9.1923, ebenda, Bl. 144 f. Köster an AA, Riga, 1 0 . 9 . 1 9 2 3 , ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 251, Bl. 103.
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Alle diese hier angedeuteten imperialistischen Widersprüche trugen wesentlich dazu bei, da/3 der von den englischen Reaktionären gegen die Sowjetunion unternommene Vorstoß zum Scheitern verurteilt war. Zwar bildete der einheitliche Verteidigungswillen der sowjetischen Werktätigen, wie besonders ihre großen Demonstrationen gegen die Provokation Curzons in den Maitagen 1 9 2 3 zeigten, zusammen mit den Solidaritätsaktionen der Arbeiter in England und anderen kapitalistischen Ländern das Haupthindernis für die antisowjetischen Aggressionspläne der englischen Imperialisten. Aber die imperialistischen Widersprüche waren gleichfalls sehr wirksam. Das betraf, wenn wir von dem Gegensatz zwischen Deutschland und den Ententemächten absehen, vor allem den französisch-englischen Gegensatz. Hatte die französische Regierung schon nach der Besetzung des Ruhrgebietes die Unterstützung Deutschlands durch die Sowjetunion als sehr unbequem empfunden und deshalb mehr als bisher eine Annäherung an die Sowjetunion erwogen, 1 1 8 so zeigte sie nach dem Curzon-Ultimatum eine noch größere Bereitschaft, den sowjetischen Wünschen nach Normalisierung der beiderseitigen Beziehungen entgegenzukommen. 1 1 9 Nicht zufällig gewährte sie zwei T a g e nach dem englischen Ultimatum einer Delegation des Russischen Roten Kreuzes die Einreiseerlaubnis nach M a r s e i l l e . 1 2 0 Mitte Juni reiste eine französische Handelsdelegation in die Sowjetunion, da einflußreiche Finanz- und Industriekreise auf die diplomatische Anerkennung der Sowjetregierung drängten. 1 2 1 Wenn somit die englischen Konservativen bei ihrem Angriff auf die Sowjetunion schon gar nicht auf die deutsche Unterstützung rechnen konnte, so blieb auch die M i t wirkung Frankreichs aus, das vielmehr den Absichten der englischen Konservativen direkt zuwider handelte. Ebensowenig fand das englische Ultimatum in Italien, Schweden und D ä n e m a r k die von Curzon gewünschte Resonanz. 1 2 2 Es ist in diesem Zusammenhang auch bemerkenswert, daß die antisowjetische Politik Curzons in den liberalen Kreisen der englischen Bourgeoisie sehr auf Ablehnung stieß, da die englischen Industriellen um ihr Geschäft auf dem sowjetischen M a r k t besorgt waren. Und in den Debatten des Unterhauses machte man auf die deutsche Konkurrenz in diesem Geschäft a u f m e r k s a m . 1 2 3 D e r Sowjetregierung, die alle diese gegen die Aggressionspolitik Curzons wirkenden K r ä f t e wohl zu berücksichtigen wußte, gelang es schließlich, die englische Regierung zum Einlenken zu bewegen. Wenige M o n a t e später mußte sich letztere sogar zur diplomatischen Anerkennung der Sowjetunion entschließen. D i e Normalisierung der englisch-sowjetischen Beziehungen im J a h r e 1924 schloß Der deutsche Botschafter in Paris, von Hoesch, berichtete am 10. März 1923 von dem französischen „Liebäugeln mit Rußland": „Niemand wird aber hier eine Politik Frankreichs verurteilen, die die Gefahr einer Stützung Deutschlands durch Rußland möglichst ausschließt . . . Man kann jedenfalls feststellen, daß die Sprache der Presse gegenüber Sowjetrußland vom 'Temps' an, der überhaupt auf Herrn Tschitscherin nicht mehr böse sein kann, bis zu den Blättern der scharf antibolschewistischen Rechten, wesentlich milder geworden ist". Abschrift des Berichts in: ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 249, Bl. 206 f. 119 D'Abernon, Bd. II, S. 253, notierte am 2 1 . 5 . 1 9 2 3 : „Es ist symptomatisch, daß sofort, nachdem die englische Note an Moskau abgesandt wurde, die Beziehungen sowohl mit Frankreich wie mit Japan sich besserten". 120 Vgl. den entsprechenden Notenwechsel in : DVP SSSR, Bd. VI, S. 303 ff. 1 2 1 Vgl. H. Slovès, La France et l'Union Soviétique, Paris 1935, S. 183. 122 vgl. Volkov, S. 320. 123 Vgl. ebenda, S. 315. 118
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allerdings neue antisowjetische Aktionen der englischen Reaktionäre nicht aus. Besonders nachdem im November 1924 auf die Labour-Regierung die konservative Regierung unter Baldwin mit dem reaktionären Austen Chamberlain als Außenminister folgte, begann sich wieder die antisowjetische Linie vorzuschieben. Indes wußten die englischen Imperialisten, daß ein antisowjetischer Vorstoß, wie ihn Curzon praktiziert hatte, im Alleingang wenig Erfolgsaussichten bot. Und dies vor allem dann nicht, wenn Deutschland sein bisheriges Verhältnis zur Sowjetunion aufrecht erhielt. Hier eine Änderung zu erreichen, schien den englischen Imperialisten gerade jetzt, im Sommer 1923, eher möglich als zuvor, da die französische Ruhraktion eine für sie zum Eingreifen günstige Situation heraufbeschworen hatte. Die Berechnungen der amerikanischen und englischen Monopolisten, daß das französische Ruhrabenteuer letzten Endes Schiffbruch erleiden und die französische Regierung gezwungen sein werde, Washington und London um Vermittlung zu ersuchen, erwiesen sich als richtig. Denn der französische Gewaltakt hatte lediglich zur Verschärfung der imperialistischen Widersprüche beigetragen, ohne die französischen Imperialisten ihren Zielen näherzubringen. Die Reparationsfrage blieb für die französischen Imperialisten weiterhin ein ungelöstes Problem. Statt die gewünschten Kohlenmengen aus dem Ruhrgebiet zu erhalten, mußte Frankreich in den ersten sechs Monaten der Ruhrbesetzung rund anderthalb Milliarden Francs Besatzungskosten aufbringen. Und zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in die sich die Regierung Poincaré hineinmanövriert hatte, gesellte sich ihre Furcht vor der Zuspitzung der revolutionären Krise in Deutschland. Diese Furcht teilte sie freilich mit den herrschenden Kreisen in den USA, in England und vor allem Deutschland selbst. Und deshalb beeilte man sich nunmehr vor allem in London und Washington, in die Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Frankreich einzugreifen und eine Konferenz zur Überprüfung der deutschen „Zahlungsfähigkeit" anzuberaumen. Die Erfolgsaussichten für die mit diesem Vorgehen angestrebte Revision des Versailler Systems schienen umso günstiger, als zwei Tage nach dem diesbezüglichen englischen Ultimatum an Frankreich vom 11. August 1923 in Deutschland die Koalitionsregierung unter Gustav Stresemann gebildet wurde, die den passiven Widerstand aufgab und entschieden darauf Kurs nahm, den französischen Gegner mit englischer und amerikanischer Hilfe niederzuzwingen. Inwieweit die Revision der deutsch-sowjetischen Beziehungen als Preis für diese Hilfe zu gelten hatte, sollte noch eine heiß umstrittene Frage bleiben. Allerdings war eben diese Regierung Stresemann in Folge eines Ereignisses zustandegekommen, das die Berechnungen der herrschenden Kreise in London, Washington, Paris und auch in Berlin völlig über den Haufen zu werfen drohte: ein Generalstreik des deutschen Proletariats hatte die Regierung Cuno hinweggefegt und ließ jetzt, wie Ernst Thälmann betonte, „den Funken des Bürgerkrieges durch Deutschland" springen.12'1 Damit zeichnete sich auch für das Verhältnis Deutschlands zur Sowjetunion eine gänzlich neue Perspektive ab. 124
Vgl. E. Thälmann, Reden und Aufsätze zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. I, Berlin 1955, S. 256.
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2. Um einen deutschen Oktober Seit den Tagen der Oktoberrevolution waren die Hoffnungen der sowjetischen Werktätigen darauf gerichtet, daß ihre schwierige Lage inmitten der kapitalistischen Umkreisung eines Tages mit dem Sieg der sozialistischen Revolution in weiteren Ländern, oder wenigstens doch in einem weiteren bedeutenden kapitalistischen Land ein Ende finden werde. Nicht zufällig bezogen sich diese Hoffnungen auf Deutschland. Besaß doch Deutschland eine starke Arbeiterbewegung mit reichen revolutionären Erfahrungen, und die Kommunistische Partei Deutschlands galt als eine der stärksten Abteilungen der kommunistischen Weltbewegung. Die Errichtung der Arbeiter- und Bauernmacht in Deutschland aber hätte nicht nur den Aufbau des Sozialismus in Sowjetrußland erheblich beschleunigt, sondern auch den Sieg des Sozialismus im Weltmaßstab ganz entscheidend gefördert. Darauf hatte Lenin wiederholt hingewiesen. 125 Der Verlauf der Klassenkämpfe in Deutschland hatte jedoch gezeigt, daß die Errichtung der Macht der Arbeiterklasse hier auf große Schwierigkeiten stieß. Das lag vor allem an der Spaltung der Arbeiterklasse und der Irreführung vieler deutscher Arbeiter durch die opportunistischen Führer der Sozialdemokratie. Und die junge Kommunistische Partei Deutschlands, unter Führung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs erst in den Tagen der Novemberrevolution gegründet, besaß weder die theoretische Reife der Strategie und Taktik noch die praktische Kampferfahrung, wie sie die Bolschewiki im Jahre 1917 auszeichneten. „Um in der Novemberrevolution zu siegen und die Machtfrage für sich zu entscheiden, hätte die Arbeiterklasse einer Vorhut vom Typus der Leninschen Partei der Bolschewiki bedurft. Diese Partei wurde erst an der Jahreswende 1918/1919 geschaffen. Der Verlauf der revolutionären Kämpfe hatte die Erfahrung bekräftigt, daß die Befreiung des werktätigen Volkes von der imperialistischen Herrschaft nur erreicht werden kann, wenn sich die Arbeiterklasse von allen bürgerlichen Einflüssen frei macht." 1 2 6 So kam es, daß sich die großen Hoffnungen der sowjetischen Werktätigen auf den Sieg ihrer deutschen Klassenbrüder in den Tagen der deutschen Novemberrevolution nicht erfüllten. 127 Die revolutionären Ereignisse des Jahres 1923 ließen diese Hoffnungen jedoch erneut aufleben. Wie Ende 1918/Anfang 1919 verfolgte man in der Sowjetunion das Geschehen in Deutschland mit allergrößter Aufmerksamkeit. Hier hatte die Ruhrbesetzung eine neue Etappe der revolutionären Arbeiterbewegung eingeleitet. 128 Hatten die deutschen Werktätigen schon in den Jahren zuvor infolge der verschärften kapitalistischen Ausbeutung und der Abwälzung aller Lasten des Versailler Vertrages auf ihre Schultern harte Entbehrungen ertragen müssen, so wurde ihre Notlage durch die Ruhrbesetzung noch außerordentlich verschärft. Die vom Monopolkapital beschleunigte Geldentwertung, die bis Herbst 1923 ein ungeahntes Ausmaß annahm, stürzte nicht 125 126 127
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Vgl. W. I. Lenin, Werke, Bd. 27, S. 332. Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1978, S. 40. Vgl. auch Kosenteid, Sowjetrufjland und Deutschland 1917-1922, S. 142f.; /. S. Drabkin. Die Novemberrevolution in Deutschland, Berlin 1968, S. 40 f. Vgl. hierzu: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 3, Berlin 1966, S. 375; Ernst Thälmann. Eine Biographie, Berlin 1980, S. 154 f.; Mezdunarodnoe rabocee, dvizenie. Voprosy istorii i teorii, Bd. 4: Velikij Oktjabr' i mezdunarodnyj rabocij klass (1917 bis 1923), Moskau 1980, S. 615 f.; M. I. Orlova, Revoljucionnyj krizis 1923 v Germanii i politika Kommunisticeskoj partii, Moskau 1973; D. S. Davidovic, Revoljucionnyj krizis 1923 g. v. Germanii i Gamburgskoe vosstanie, Moskau 1963.
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nur Millionen Arbeiter und Angestellte ins Elend, sondern ruinierte auch viele kleine und mittlere Gewerbetreibende, Angehörige des Mittelstandes und der Intelligenz. Während die Regierung Cuno mit der Ausrufung des „passiven Widerstandes" einen chauvinistischen Taumel entfachte und den Volksmassen weiszumachen suchte, daß Frankreich an ihrem Unglück Schuld trage, machte die deutsche Monopolbourgeoisie aus der gegebenen Situation ein großes Geschäft, wobei sie mit den französischen Konkurrenten einen Vergleich der Profitquoten auszuhandeln suchte. Die Antwort der deutschen revolutionären Arbeiter auf diese von der deutschen Monopolbourgeoisie heraufbeschworene Situation bestand in einem jähen Aufschwung der Streikbewegung. „Es sprangen hunderte heiße kleine Quellen aus einem von vulkanischen Kräften erschütterten Boden empor", so schilderte später Clara Zetkin die fortschreitende revolutionäre Bewegung in den Frühjahrsmonaten des Jahres 1923. 1 2 9 Der große Mai-Streik der Ruhrarbeiter leitete die revolutionäre Bewegung zu einer neuen Etappe über. Er lüftete zugleich den nationalistischen Schleier, mit dem die deutsche Großbourgeoisie demagogisch den Burgfrieden vorgetäuscht hatte: rief doch der stellvertretende Regierungspräsident von Düsseldorf, Lutterbeck, eilig den französischen General Degoutte um Hilfe gegen die revolutionären Arbeiter an. Dieser Vorgang zeigte erneut, daß die herrschenden Klassen Deutschlands - Junkertum und Großbourgeoisie - nicht in der Lage waren, die nationalen Interessen des deutschen Volkes zu vertreten. Sein Kampf um die nationale Befreiung konnte deshalb nur dann erfolgreich geführt werden, wenn er mit dem Kampf um die soziale Befreiung engstens verknüpft war. Nur eine einzige politische Partei zeigte damals den realen Ausweg aus der nationalen und sozialen Krise, in die die herrschenden Klassen das deutsche werktätige Volk hineinmanövriert hatten. Während die opportunistischen Führer der deutschen Sozialdemokratie mit dem Todfeind der deutschen Werktätigen, dem deutschen Monopolkapital und seiner Regierung, den „Burgfrieden" schlössen, gab die KPD schon im Januar 1923 die Losung heraus: „Schlagt Poincaré an der Ruhr und Cuno an der Spree!". Es gereicht der französische Arbeiterklasse zur Ehre, daß ihre besten Vertreter, an ihrer Spitze die Kommunistische Partei Frankreichs, sich in Solidarität mit den revolutionären deutschen Arbeitern in diesen gleichzeitigen Kampf gegen das französische und das deutsche Monopolkapital einreihten. 1 ' 50 In Erinnerung an diesen gemeinsamen Kampf schreibt Albert Norden: „Wir jungen Kommunisten beteiligten uns aktiv an der antimilitaristischen Tätigkeit während der Ruhrokkupation. Damals kam es zu vielen Gemeinschaftsaktionen deutscher und französischer Kommunisten und anderer fortschrittlicher Werktätiger." 1 3 1 Über die neue Situation,,die durch die französische Ruhrbesetzung entstanden war, beriet Ende Januar/Anfang Februar 1923 der 8. Parteitag der KPD. Er wurde durch eine Rede Clara Zetkins eingeleitet, in der sie die internationale und nationale Verantwortung der deutschen Arbeiterklasse in dieser neuen Situation darlegte. Der Parteitag dankte der Sowjetunion, daß sie als einziger Staat gegen die Besetzung des Ruhrgebietes protestiert hatte, für die Solidarität mit der deutschen Arbeiterklasse und für die „unverwischbar in die Geschichte geschriebene große Lehre, daß die Sache der 129 Protokoll des V. Kongresses der Kommunistischen Internationale, Bd. I, Berlin 1924, S. 323. 130 vgl. hierzu H. Köllet, Kampfbündnis an der Seine, Ruhr und Spree. 131 A. Norden, Ereignisse und Erlebtes, Berlin 1981, S. 39. 4
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Nation heute die Sache der Arbeiterklasse ist." 132 Indem so die KPD auf dem Parteitag herausarbeitete, daß die nationale Frage nur als Klassenfrage verstanden werden konnte, die Dialektik von Nationalem und Internationalem richtig erfaßte und darlegte, daß nur die Arbeiterklasse in der Lage war, die Lebensinteressen der Nation zu verteidigen, leistete sie eine wichtige theoretische Arbeit für den weiteren revolutionären Kampf und für die Schaffung eines breiten Bündnisses aller antiimperialistischen Kräfte. 133 Allerdings zeigte der 8. Parteitag auch zugleich, daß die KPD noch nicht über jene theoretische Reife, Geschlossenheit und Kampferfahrung verfügte, wie sie gerade jetzt, als sich in Deutschland eine revolutionäre Situation herauszubilden begann, notwendig gewesen wäre. „Im Mittelpunkt der Diskussion auf dem Parteitag standen die Probleme der Einheitsfront und der Arbeiterregierung. Diese Fragen erhielten auf Grund der sich seit dem Ausbruch des Ruhrkampfes abzeichnenden Verschärfung der Klassenauseinandersetzung noch größere praktische Bedeutung. Um ihre Klärung entbrannten auf dem Parteitag lebhafte Auseinandersetzungen. Darin zeigte sich, daß sich die Partei noch mitten im Prozeß der Aneignung der leninistischen Strategie und Taktik und ihrer Anwendung auf die konkreten Kampfbedingungen Deutschlands befand." 134 Besonders negativ wirkte es sich aus, daß die Politik der KPD sowohl von rechtsopportunistischen als auch von ultralinken Auffassungen beeinflußt wurde. „Während Clara Zetkin, Walter Stoecker und weitere Vertreter der Mehrheit eine richtige Haltung zur Einheitsfront und zur Arbeiterregierung bezogen, betonten vor allem Heinrich Brandler und August Thalheimer viel zu sehr die parlamentarischen Möglichkeiten und vertraten in der Staatsfrage Ansichten, die rechtsopportunistische Auslegungen zuließen." 135 Gleichzeitig erschwerte und gefährdete der Kurs der Ultralinken um Ruth Fischer und Arcady Maslov das Zustandekommen einer breiten antiimperialistischen Massenbewegung. Die Losung der Arbeiterregierung wurde von ihnen nur als Diktatur des Proletariats interpretiert, womit sie die so wichtigen Erkenntnisse Lenins von den Etappen, die an die Diktatur des Proletariats heranführten, mißachteten. Die Schaffung einer antiimperialistischen Einheitsfront war inzwischen für die KPD um so bedeutsamer geworden, als die deutsche faschistische Bewegung gerade im Jahre 1923 mit nationalistischen Phrasen und in verwirrender Demagogie das Wort „Sozialismus" für sich in Anspruch nehmend, nicht unerhebliche Teile der Mittelschichten, aber auch des Proletariats in das Fahrwasser des Imperialismus und Militarismus hineinzuziehen begann. Die NSDAP, die ihren ersten Reichsparteitag im Januar 1923 in München durchführte, wurde daher nicht zufällig im Verlauf der folgenden Monate reicher als bisher mit Geldmitteln aus den Kassen der deutschen Monopolbourgeoisie bedacht. 136 Wenn diese sich sodann im Herbst 1923, nachdem sie unter Einsatz der Reichswehr die revolutionäre Arbeiterbewegung niedergeworfen hatte, zur BeibehalDokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. VII, 2. Halbbd., S. 233. 133 Vgl. dazu H. Buchholz/H. Pallus, Zum ideologischen Kampf der KPD um die Meisterung der Dialektik von Internationalem und Nationalem während des Ruhrkonflikts 1923. In: Studien zur ideologischen Entwicklung der KPD 1919-1923, hg. von W. Imig und W. Kissljakow, Berlin 1981, S. 203 f. 134 Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 3, S. 382. 135 Emst Thälmann. Eine Biographie, S. 160. 136 v g l x . Pätzold/M. Weißbecker, Hakenkreuz und Totenkopf. Die Partei des Verbrechens, Berlin 1981, S. 69 f. 132
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tung der bürgerlich-parlamentarischen Herrschaftsmethode entschloß, so hielt sie doch weiter die faschistische Variante ihrer Machtausübung bereit. Die III. Erweiterte Tagung des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale vom 12. bis 23. Juni 1923 in Moskau widmete daher dem Kampf um die Einheitsfront der Arbeiterklasse gegen die faschistische Gefahr große Aufmerksamkeit. Nicht nur wegen der Entwicklung in Deutschland war diese Frage so dringend und aktuell geworden. Nach der Errichtung der Horthy-Diktatur in Ungarn im März 1920 hatten die Faschisten unter Mussolini im Herbst 1922 in Italien die Macht an sich gerissen. Und erst drei Tage vor Eröffnung der Tagung des EKKI hatte die Errichtung der faschistischen Diktatur in Bulgarien die von den Werktätigen errungenen demokratischen Errungenschaften zunichtegemacht. Am 20. Juni hielt Clara Zetkin, die bereits im Frühjahr 1923 von der Leitung der Kommunistischen Internationale zur Vorsitzenden eines Internationalen Komitees für den Kampf gegen den Faschismus berufen worden war, ihr berühmtes Referat über die faschistische Gefahr. Es war die große Aussage der Kommunistischen Internationale über das Wesen des Faschismus und daher für den Kampf der Arbeiterklasse von großer Bedeutung. „Das Proletariat", so sagte Clara Zetkin, „hat im Faschismus einen außerordentlich gefährlichen und furchtbaren Feind vor sich. Der Faschismus ist der stärkste, der konzentrierteste, er ist der klassische Ausdruck der Generaloffensive der Weltbourgeoisie in diesem Augenblick. Ihn niederzuringen ist eine elementare Notwendigkeit." 137 Es war symbolisch für die enge Verbundenheit der sowjetischen Werktätigen mit den um ihre Freiheit kämpfenden revolutionären deutschen Arbeitern, daß eine Arbeiterdelegation aus Tula auf der Tagung des EKKI Clara Zetkin eine rote Fahne für die Krupp-Arbeiter überreichte. „Wir werden nicht eher rasten," so erwiderte Clara Zetkin, „bis auch die Metallarbeiter der Firma Krupp aufhören, Arbeiter eines kapitalistischen Betriebes zu sein, und zu Arbeitern werden in einer Waffenschmiede des werktätigen Volkes." 138 Bedeutsam war auch die Rede Karl Radeks auf dieser Tagung, in der er sich mit der Problematik des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse um die nationale und die soziale Befreiung beschäftigte. Im Auftrage der KPR(B) hatte Karl Radek schon am Gründungsparteitag der KPD teilgenommen und hielt seitdem, da er mit der deutschen Arbeiterbewegung schon aus den Jahren vor 1917 vertraut war, zwischen dem ZK der KPdSU, dem er seit dem VIII. Parteitag (1919) angehörte, und der Führung der KPD eine enge Verbindung. In der „Pravda" und in der „Izvestija" veröffentlichte er in den zwanziger Jahren zahlreiche Aufsätze, die sich mit der Entwicklung in Deutschland beschäftigten. Auch am Zustandekommen des Rapallo-Vertrages besaß Karl Radek unmittelbaren Anteil, da er in seiner Eigenschaft als Kollegiumsmitglied des Volkskommissariats für Auswärtige Angelegenheiten Anfang 1922 die Vorverhandlungen mit der Reichsregierung in Berlin geführt hatte. Wegen seiner Beteiligung am Fraktionskampf der trotzkistischen Opposition wurde Radek auf dem XV. Parteitag der KPdSU (B) aus der Partei ausgeschlossen, im Jahre 1929 jedoch, nachdem er sich von seinem fehlerhaften Verhalten distanziert hatte, wieder in die Reihen der Partei aufgenommen. 139 Zitiert nach: L. Dotnemann, Clara Zetkin. Leben und Wirken, Berlin 1979, S. 492. Ebenda, S. 494. 139 ygi_ ¿ig biographischen Angaben in: V. I. Lenin, Polnoe Sobranie socinenij, Bd. 45, S. 648 (Anmerkungsapparat). 137 138
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Mit der Entwicklung des Klassenkampfes in Deutschland nach der Ruhrbesetzung hatte sich Karl Radek während eines dortigen Aufenthalts im Frühjahr 1923 unmittelbar bekanntmachen können. Als die Berliner Kommunisten dem in der Schweiz ermordeten sowjetischen Botschafter V. V. Vorovskij während der Überführung seines Leichnams nach der Sowjetunion auf dem damaligen Schlesischen Bahnhof (heute Ostbahnhof) die letzte Ehre erwiesen, nahm auch Radek daran teil. „Auf der improvisierten nächtlichen Trauerfeier mit Fackeln und roten Fahnen hatte Karl Radek die Hintermänner des Mörders angeklagt." 1 '' 0 In seiner erwähnten Rede auf der Tagung des EKKI verwies er auf die Notwendigkeit, auch die Angehörigen der Mittelschichten, die durch national klingende Phrasen vom Monopolherrn und Militaristen in die Irre geführt worden waren, deren Einfluß zu entreißen. 1 '' 1 In diesem Zusammenhang hob er als Beispiel Leo Schlageter hervor, der am 26. Mai 1923 von den französischen Besatzungstruppen wegen Sabotageaktionen im Ruhrgebiet hingerichtet worden war. Seine Opferbereitschaft, die er im Kampf für die nationale Befreiung gezeigt hatte, war, wie Radek hervorhob, von den Herren des Monopolkapitals um ihrer Profite willen mißbraucht worden. Daher machten dann auch schon damals die faschistischen Führer aus Schlageter ihren „Helden", 1/l2 und sein Name wurde von ihnen in den späteren Jahren bei ihrer chauvinistischen Hetze zu einem neuen Krieg vielfach ins Feld geführt. Es ist eine Entstellung sowohl der Politik der Kommunistischen Internationale als auch der „Schlageter-Rede" Radeks, wenn letztere in bürgerlichen Publikationen mit der sogenannten Theorie des „Nationalbolschewismus" in Zusammenhang gebracht wird.1'*3 Lenin bezeichnete in seiner Arbeit „Der ,linke Radikalismus', die Kinderkrankheit im Kommunismus" diese „Theorie" als „himmelschreiende Absurdität". 144 Zu ähnlichen Entstellungen gehört auch die in Publikationen bürgerlicher Historiker anzutreffende Behauptung, daß sich die sowjetische Außenpolitik der Komintern bedient habe, um sich in die Entwicklung anderer Länder „einzumischen" und dort die Revolution zu „entfachen". Schon während der Auseinandersetzungen um den Brester Frieden legte Lenin dar, daß Forderungen nach dem „Export der Revolution" - sie wurden damals von der Fraktion der „linken Kommunisten" erhoben - wirklichkeitsfremd sind und den Interessen des Sowjetstaates ebenso wie denen der internationalen Arbeiterbewegung widersprechen. Lenin wies mehrfach darauf hin, daß sich Revolutionen in jedem Lande auf der Grundlage ihrer eigenen Gesetzmäßigkeiten und nationalen Besonderheiten entwickelten. Zugleich war die Solidarität mit der internationalen Arbeiterbewegung f ü r den Sowjetstaat von Anfang an eine selbstverständliche internationalistische Verpflichtung. Es war auch ganz natürlich, daß die Kommunistische Partei der Sowjetunion, die erstmalig das Problem der Machteroberung gelöst hatte und die meisten Kampferfahrungen besaß, in der Komintern die führende Kraft dar140 141 142 143
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E. Honecker, Aus meinem Leben, Berlin 1981, S. 38. Vgl. Pravda, 22. 6. 1922. Vgl. Pätzold/Weißbecker, S. 72. Vgl. L. H. Leghters, Karl Radek als Sprachrohr des Bolschewismus. In: Forschungen zur Osteuropäischen Geschichte, Bd. 7, (West-)Berlin 1959, S. 273; M. L. Goldbach (Karl Radek und die deutsch-sowjetischen Beziehungen 1918-1923, Bonn 1973, S. 121) vermeidet zwar diese Bezeichnung, geht aber einer Analyse der gesellschaftlichen Situation aus dem Wege; vgl. auch E. H. Catt, A History of Soviet Russia. The Interregnum 1923 - 1924, London 1954, S. 183. Vgl. W. I. Lenin, Werke, Bd. 31, S. 61
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stellte und daß die Leitung der Komintern gerade in Moskau ihren Sitz genommen hatte, wo sie gegen imperialistische Anschläge gesichert war und wo eine kontinuierliche Arbeit ermöglicht wurde. 1 ® Das EKKI stellte in diesem Zusammenhang fest: „Nicht die Internationale ist ein Instrument der Sowjetpolitik, sondern Sowjetrußland ist der stärkste Posten der Kommunistischen Internationale." 1 4 6 Unterdessen nahm die revolutionäre Bewegung in Deutschland während der Frühjahrs- und Sommermonate 1923 rasch an Stärke und Wucht zu. „In Tausenden von Versammlungen brachten die Arbeiter zum Ausdruck, daß sie bereit sind, gegen die Intervention des ausländischen Kapitals und die Verelendungspolitik der Cuno-Regierung zu kämpfen." , / l 7 Den großen Streikkämpfen der Ruhrarbeiter folgten im Juni die Berg- und Hüttenarbeiter in Schlesien mit einem Massenstreik, Anfang Juli streikten die Metallarbeiter Berlins. Auch die Landarbeiter schlössen sich vielerorts den Streikkämpfen an. Der Massenkampf der deutschen Werktätigen gegen die kapitalistische Ausbeutung nahm Anfang August ein riesiges Ausmaß an, und an verschiedenen Orten kam es zu blutigen Zusammenstößen der Arbeiter mit der Polizei. 148 Auch der von der KPD am 29. Juli organisierte Antifaschistentag bewies die Kampfbereitschaft der Arbeiter. Die zahlreichen örtlichen Streiks wuchsen nunmehr in den ganz Deutschland erfassenden Generalstreik über, zu dem die KPD und der Reichsausschuß der deutschen Betriebsräte, nachdem ein Tag zuvor bereits der Generalstreik f ü r Berlin beschlossen worden war, am 12. August aufriefen. Noch an demselben Tag erklärte die Regierung Cuno, der geballten Kraft der einheitlich handelnden Arbeiterklasse und der sie unterstützenden kleinbürgerlichen Schichten erlegen, ihren Rücktritt. Dennoch ergab sich aus dem gewaltigen Schwung dieses Angriffs auf die Herrschaft des Imperialismus keine Veränderung der Machtverhältnisse. Das lag vor allem daran, daß die opportunistische Führung der SPD ein Zusammengehen mit der KPD ablehnte und damit das Zustandekommen der notwendigen Einheitsfront gegen den Imperialismus verhinderte. Schon nach 24 Stunden hatte die Konterrevolution eine neue Regierung, die Regierung der „Großen Koalition" aufgestellt, an deren Spitze Gustav Stresemann stand. Mit ihm wurde ein Mann Reichskanzler, der in der gegebenen Situation die Gesamtinteressen des deutschen Monopolkapitals am besten wahrnahm. 1/ ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 253, Bl. 87. ™ Vgl. Istorija Pol'si, tom III, Moskau 1958, S. 206.
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August 1925 nach den USA auf, um dort amerikanische Anleihen locker zu machen. Er mußte jedoch feststellen, daß die amerikanischen Bankleute in dieser Hinsicht sehr zurückhaltend verfuhren und, im Sinne der von der deutschen Regierung in den USA veranstalteten antipolnischen Propaganda, den polnischen Bittsteller sichtlich erst weich machen wollten. 01 Etwa zur gleichen Zeit gab der amerikanische Generalkonsul in Warschau polnischen Politikern bei Verhandlungen über Anleihen] die Empfehlung, daß Polen sich mit Deutschland über den polnischen Korridor und Danzig einig werden sollte, und wies darauf hin, daß Polen mit Litauen und dem Memelgebiet als Ausgang zur See entschädigt werden könne. 62 Ganz in diesem Zusammenhang übte das amerikanische und das englische Finanzkapital auch einen Druck auf Frankreich aus, damit dieses seinen polnischen Verbündeten aufgab. Besonders eifrig arbeitete an der Aufweichung des französischpolnischen Bündnisses 63 Sir William Tyrrell, der Unterstaatssekretär im Foreign Office und spätere englische Botschafter in Paris. Im August 1925 erwähnte er gegenüber dem deutschen Botschaftsrat Dufour-Feronce, daß Briand die französischen Verpflichtungen gegenüber Polen zu liquidieren und durch einen deutsch-polnischen Schiedsvertrag zu ersetzen wünsche. 64 Wie die polnische Botschaft in Paris im Juni 1925 meldete, herrschte unter der französischen Hochfinanz die Auffassung, daß Polen das Hindernis der Verständigung zwischen Deutschland und der Entente darstelle und daß es deshalb auf den Korridor verzichten müsse. 60 In einer Unterredung mit dem deutschen Botschafter von Hoesch am 6. August 1925 erklärte Briand, daß Deutschland und Frankreich sich verständigen müßten, anderenfalls die USA und England ihnen keine Kredite geben würden. Wenn die polnische Frage ein Hinderungsgrund sei, so habe Deutschland das Recht, auf friedlichem Wege eine Revision der Grenzen zu erwirken. Obwohl in Polen dafür gegenwärtig keine Neigung vorhanden sei, so werde Frankreich einer solchen Lösung nicht im Wege stehen. Allerdings müßte Deutschland das „Phantom" seiner Zusammenarbeit mit Rußland aufgeben, wie sie gegenwärtig durch Brockdorff-Rantzau vertreten werde. Deutschland sollte nicht vergessen, daß Rußland einen Seuchenherd darstelle, der die ganze Welt verpesten und Deutschland selbst anstecken könne. 66 Wenn die französische Regierung sich im Sommer 1925 somit bereit zeigte, ihren polnischen Verbündeten zugunsten einer Übereinkunft mit Deutschland zu opfern, so geschah das vor allem mit der Absicht, durch die Preisgabe Polens Deutschland für eine Verbindung mit Frankreich gegen die USA und England zu gewinnen und auf diese Weise die schon verlorengegangene Vorherrschaft Frankreichs auf dem Kontinent wiederherzustellen. Dies äußerte Briand später ganz offen gegenüber Streli1
Näheres darüber bei Puchert, S. 90-91. Nach einem Bericht der tschechoslowakischen Gesandtschaft aus Warschau vom 6. 5. 1925. O ceskoslovenske zahranicni politice 1918-1939, Prag 1956, S. 132. Friedrich Gaus, der langjährige Rechtsexperte des Auswärtigen Amtes, teilte von der Juristenbesprechung in London Anfang September 1925 mit, Sir Cecil Hurst habe dort erklärt, es sei eine der wichtigsten Aufgaben der europäischen Politik, das französischpolnische Bündnis zu entgiften (ZStA Potsdam, Büro des Reichspräsidenten, Nr. 687/1, Bl. 79). fi/ ' Gasiorowski, S. 43. 65 Vgl. Z. Landau, Polskie zagraniczne pozyczki panstwowe, Warschau 1961, S. 162. 06 Nach den deutschen Akten wiedergegeben von J. Köthel, Poland between east and west. Soviet and German diplomacy toward Poland 1919-1933, Princeton 1963, S. 168.
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semann während ihres Zusammentreffens in Locarno: „Der Zusammenschluß unter den europäischen Mächten sei nötig, um Amerika in die Rolle des Bankiers zurückzudrängen und nicht die des Blutsaugers spielen zu lassen." Sodann nannte, wie Stresemann selbst berichtete, Briand den von ihm gebotenen Preis: „Die Polen seien charmante Leute, habe Briand gesagt, aber sehr uninteressant, wenn es Frankreich und Deutschland gelänge, sich zu verständigen." 67 Diese französischen Versuche, Deutschland sowohl von den USA als auch von der Sowjetunion loszureißen und vor den französischen Karren zu spannen, sollten auch in den folgenden Jahren fortgesetzt werden. Auch der Vatikan hatte damals seine Hand im Spiel, um durch die deutsch-polnische „Aussöhnung" die antisowjetische Front zu stärken. Nicht zufällig schloß der Vatikan am 10. Februar 1925 mit Polen ein Konkordat, das ebenso wie die Konkordate mit Lettland (1922) und später mit Litauen (1927) die antisowjetische Vorpostenkette in Osteuropa stabilisieren sollte. In der Debatte des polnischen Sejm, die der Ratifikation am 27. März 1925 vorausging, verwies der Abgeordnete Dubanowicz als Berichterstatter der Regierung auf die „Gefahr des Bolschewismus", der von der Sowjetunion drohe, und zitierte die Worte des englischen Premierministers Baldwin, daß man die „Zivilisation des Westens" vor dem Bolschewismus retten müsse. 68 Seit dem Jahre 1917 wirkte der Vatikan am Kampf des Weltimperialismus gegen die in Rußland begonnene sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft mit. 69 Die Organisation der katholischen Kirche hatte sich in der Vergangenheit als eine der stärksten restaurativen Mächte gezeigt, wobei sie allerdings auch eine große Anpassungsfähigkeit an neue gesellschaftliche Entwicklungen bewiesen hatte. Den Kampf um die Einbeziehung Rußlands in seinen Herrschaftsbereich hatte der Vatikan seit Jahrhunderten geführt. 7 0 Während der Vatikan sofort als erbitterter Gegner der in Rußland errichteten Sowjetmacht aufgetreten war, erschien ihm zugleich die Oktoberrevolution als günstige Gelegenheit, um die von ihm bisher vergeblich erstrebte Union mit der russisch-orthodoxen Kirche herbeizuführen. Die Sowjetregierung war bemüht, auch zum Vatikan normale diplomatische Beziehungen aufzunehmen und die beiderseitigen Beziehungen in den Dienst des Friedens zu stellen. Sie hatte daher versucht, auch mit dem Vatikan während der Konferenz von Genua zu einer Übereinkunft zu kommen. Denn der Vatikan hatte für die Konferenz ein großes Interesse gezeigt und am 5. Mai 1922 seinen Spezialbeauftragten, den späteren Kardinal Giuseppe Pizzardo dorthin entstandt. Das Gespräch, das dieser am 8. Mai 1922 in Genua mit Cicerin führte, zeigte jedoch, daß der Vatikan von einer Verständigung mit der Sowjetregierung auf der Grundlage der Anerkennung der durch die Oktoberrevolution geschaffenen Tatsachen weit entfernt war. Denn wie die imperialistischen Westmächte bestand auch der Vatikan darauf, daß die Sowjetregierung in der Frage des durch die Oktoberrevolution in Rußland nationalisierten kapitalistischen Eigentums, zu dem ja auch umfangreicher kirchlicher 67
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Bericht Stresemanns über die Locarno-Konferenz vor den Vertretern der deutschen Länder am 21.10.1925. StA Weimar, Staatsministerium, Präsidialabteilung, Nr. 96, Bl. 139 f. Vgl. St. Strönski, Pierwsze Lat Dziesiec (1918-1928), Warschau 1928, S. 377; auf die antisowjetische Spitze der Konkordate verweist auch M. Mourin, Le Vaticane et l'U.R.S.S., Paris 1965, S. 59. Vgl. dazu besonders E. Winter, Die Sowjetunion und der Vatikan, Berlin 1972. Vgl. E. Winter, Rußland und das Papsttum, Teil I-II, Berlin 1960-1961.
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Besitz gehörte, Zugeständnisse machte.' 1 Auch bei dem Zusammentreffen zwischen Litvinov und dem päpstlichen Nuntius in Deutschland, Eugenio Pacelli, das am 4. Juli 1922 in Berlin stattfand, ging es um diese Frage. Dabei zeigte sich deutlich die Bedeutung der sowjetisch-deutschen Beziehungen für die Aufrechterhaltung der Kontakte zwischen der Sowjetregierung und dem Vatikan, was auch für die folgenden Jahre Geltung behielt. Sowohl Diego von Bergen, der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, als auch Botschafter Brockdorff-Rantzau, führten in dieser Hinsicht zahlreiche Gespräche über die sowjetisch-vatikanischen Beziehungen und konnten so zugleich dem Auswärtigen Amt in Berlin wichtige Inormationen zuleiten. Während die Sowjetregierung mit Hilfe dieser über Berlin laufenden Kontakte weiter um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zum Vatikan bemüht war, freilich unter Anerkennung der durch die sozialistische Revolution geschaffenen Tatsachen, schwenkte der Vatikan immer stärker in ein antisowjetisches Fahrwasser ein. Die Sowjetregierung mußte dabei natürlich alle Versuche des Vatikans, sich in die inneren Angelegenheiten der Sowjetunion einzumischen, konsequent zurückweisen. Darauf unternahm noch im Herbst des Jahres 1922 der Pater Edmund A. Walsh, ein prominenter amerikanischer Pädagoge und Vizepräsident der Georgetown-Universität, an der Spitze einer päpstlichen „Hilfskommission für Rußland" eine Reise in die Sowjetunion. 72 Ohne die dabei tatsächlich geleistete Hilfe bei der Bekämpfung der ein Jahr zuvor ausgebrochenen furchtbaren Hungersnot zu unterschätzen, ist doch festzuhalten, daß die eigentliche Aufgabe des Paters Walsh auf einem ganz anderen Gebiet lag: er sollte vielmehr die Verbindungen der in großer Zahl zum katholischen Glauben übergetretenen russischen Emigranten zu den in der Sowjetunion verbliebenen Konvertiten stärken und in diesem Sinne zugleich auch die konterrevolutionären Bestrebungen der russischen 'Emigranten fördern. Die antisowjetische Spitze der Mission des Pater Walsh trat noch mehr hervor, als seine gegen die Sowjetmacht gerichtete Aktivität sich im Jahre 1923 in Verbindung mit dem Curzon-Ultimatum und dem Aufleben antisowjetischer Bestrebungen polnischer katholischer Kreise noch mehr verstärkte. Die Sowjetregierung gab dann auch deutlich zu erkennen, daß sie zwar durchaus die „Aufrechterhaltung guter Beziehungen zum Vatikan" wünsche, sich gegen die Betätigung des Pater Walsh jedoch schärfstens verwahren müsse. 73 Brockdorff-Rantzau, der in jenen Jahren eine wichtige Rolle als Vermittler zwischen dem Vatikan und der Sowjetregierung spielte, schrieb im März 1924, daß seine Bemühungen um die Aufrechterhaltung der Beziehungen zwischen dem Vatikan und der Sowjetregierung „dadurch wesentlich erschwert" wurden. 74 Der Vatikan war weit davon entfernt, sein Verhältnis zur Sowjetregierung positiv zu gestalten. Im Gegenteil, die im Jahre 1924 mit dem Dawesplan eingeleiteten Entwicklungen bestärkten ihn sichtlich in seiner Hoffnung, daß die Sowjetmacht nicht von langer Dauer sein werde. Die Ereignisse des Jahres 1923 hatten ihn zusätzlich in höchste Unruhe versetzt, so daß der Kardinalstaatsskretär Pietro Gasparri sich mit 71
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Vgl. Winter, Die Sowjetunion und der Vatikan, S. 64; A. Manhattan, Der Vatikan und das XX. Jahrhundert, Berlin 1958, S. 321. Vgl. Winter, Sowjetunion . . . , S. 61 f. Vgl. den Bericht Brockdorff-Rantzaus vom 26.11.1923 über seine Unterredung mit Cicerin. PA Bonn, Büro des RM, 9 Rußland, Bd. 6, Bl. 553 340. Bericht vom 31. 3.1924, Ebenda, Bd. 7, Bl. 553 711.
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Besorgnis nach dem „Verhalten Deutschlands zu Sowjetrufjland" erkundigte. 7 5 Die „Gefahr" eines engeren deutsch-sowjetischen Verhältnisses und die nahe Möglichkeit einer sozialistischen Revolution in Deutschland veranlagten deshalb den Vatikan, sich schärfstens gegen die französische Ruhrbesetzung auszusprechen. 7li So ist es erklärlich, daß der Vatikan das Eingreifen des amerikanischen und englischen Finanzkapitals zur Stabilisierung der kapitalistischen Ordnung in Mitteleuropa und zum Aufbau einer Antisowjetfront eifrig unterstützte. Nicht zufällig reiste Austen Chamberlain im Dezember 1924, nur vier Wochen, nachdem er Außenminister geworden war, nach Rom, wo er mit Pius XI. die „russische Frage" - sie war nach Meldung des deutschen Botschafters beim Heiligen Stuhl das Hauptgesprächsthema - behandelte. 77 Wenige Tage zuvor hatte der deutsche Jesuitenpater P. E. Gehrmann dem Papst ein langes Memorandum über die innere und äußere Lage der Sowjetunion vorgelegt. 78 Gehrmann hatte inzwischen Walsh in der Leitung der Hilfsmission abgelöst. Diese hatte längst ihre karitative Funktion eingestellt und sich lediglich zum Ziel gestellt, die Katholiken in der Sowjetunion zu stärken und dem Vatikan Informationen zu liefern. Die Sowjetregierung besaß daher an der Aufrechterhaltung der Hilfsmission kein Interesse, mehr und das genannte Memorandum des Pater Gehrmann stellte daher den Abschlußbericht des ganzen Unternehmens dar. Es war von äußerster Feindschaft gegenüber der sozialistischen Umgestaltung in der Sowjetunion erfüllt und hob die Notwendigkeit hervor, daß der Heilige Stuhl „gegen den jetzt herrschenden Kommunismus in Rußland" einschreite. Weiter beschäftigte sich das Memorandum ausführlich mit der trotzkistischen Opposition, der es - in eklatanter Fehleinschätzung der Lage - Erfolg verhieß und auf die, wie das Memorandum verlangte, der Heilige Stuhl sich einstellen müsse. Weiterhin schilderte das Memorandum die Sowjetunion als den Feind, „der die gesamte Christenheit, ja die ganze Menschheit bedroht". Das Memorandum verwies in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf den V. Kongreß der Kommunistischen Internationale, der im Juni 1924 in Moskau stattgefunden hatte, und sprach von der Gefahr, die sich aus der revolutionären Weltbewegung und dem nationalen Befreiungskampf der Völker besonders f ü r die Kolonialmächte ergab. Es war bemerkenswert, daß Gehrmann in seinem Memorandum schließlich unter Berufung auf den Papst Leo XIII., der seinerzeit die Politik des Papsttums der kapitalistischen Entwicklung angepaßt hatte, empfahl, die sozialistische Revolution durch die Einführung sozialer Reformen zu bekämpfen. Das Memorandum war somit von grundsätzlicher Bedeutung und trug wesentlich zur Konzeptionsbildung der päpstlichen Politik auf lange Sicht bei. 79 Es war auch 75
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Meldung der deutschen Botschaft in Wien über eine Unterredung des österreichischen Bundeskanzlers Seipel mit dem Kardinalstaatssekretär, datiert Wien, 6. 4.1923. Ebenda, Bd. 5, Bl. 552 898. Vgl. den Bericht des Bayrischen Gesandten beim Heiligen Stuhl vom 6. 7.1923. PA Bonn, Büro des RM, 70 Kurie, Bd. 1, Bl. 701 620; vgl. auch den Bericht des deutschen Botschafters beim Heiligen Stuhl, von Bergen, vom 27. 6.1923, Ebenda, Bl. 701 620. Bergen an Auswärtiges Amt, Rom 12.12.1924, PA Bonn, Büro des RM, 9 Rußland, Bd. 9, Bl. 554 634. Das Memorandum betitelt „Rapport du travail de secours de la mission Vaticane ä Moscou de novembre 1922 - aoüt 1924", ist datiert vom 12. November 1924. Text in deutscher Übersetzung: PA Bonn, Polit. Abt. II, Politik 3, Bd. 1, Bl. L 233 273-L 233 293. Vgl. auch Winter, Sowjetunion . . . , S. 80.
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bezeichnend, daß Gehrmann nach Abschluß seiner Tätigkeit in der Sowjetunion Sekretär Pacellis wurde, der sich sodann als Papst Pius XII mit besonderem Eifer als Förderer einer antisowjetischen Frontbildung, besonders auch der antisowjetischen Aggressionsbestrebungen Hitlerdeutschlands, betätigte. Die Ereignisse der nächsten Monate zeigten schon, dafj der Vatikan nicht müßig blieb, um die unter der Führung des englischen Imperialismus von den antisowjetischen Kräften betriebene antisowjetische Frontbildung zu unterstützen. Es war kein Zufall, daß gerade im Frühjahr 1925, als sich bereits deutlich die Konturen jener Politik abzeichneten, die sodann als Locarno-Politik in die Geschichte einging, bei der päpstlichen Kongregation für die Ostkirchen eine „Russische Kommission" („Commissio pro Russia") eingerichtet wurde. Ziel der Kommission war die stärkere politische Einflußnahme auf die innere Entwicklung der Sowjetunion, verbunden mit der Organisierung der russischen Emigranten und den Kirchenunionsbestrebungen. 80 Als spiritus rector dieser Kommission erwies sich alsbald der französische Jesuitenpater Michel d'Herbigny, dem die Kommission auch im Jahre 1930 nach ihrer Verselbständigung unterstellt wurde. Seine Schriften zeigen, wie sehr er die sozialistische Revolution haßte und bekämpfte. 81 Auf seine Aktivität, die er im Sinne der obengenannten Zielsetzung der „russischen Kommission" entwickelte, werden wir noch in den weiteren Kapiteln zurückkommen. Noch im Jahre 1925 brach er zu seiner ersten Reise in die Sowjetunion auf, um an Ort und Stelle die Lage zu sondieren. 82 Die Sowjetregierung erwies d'Herbigny eine zuvorkommende Aufnahme. Ungeachtet der Tatsache, daß das Verhalten des Vatikans gegenüber der Sowjetunion feindseliger geworden war, versuchte die Sowjetregierung auch jetzt, jede Möglichkeit zur Verbesserung der Beziehungen wahrzunehmen. 83 Diesem Ziel dienten auch mehrere Besprechungen, die Krestinskij mit Pacelli in Berlin führte. 84 Auch Cicerin traf dort im Jahre 1925 mit dem päpstlichen Nuntius zusammen. Letzterer war freilich infolge seiner antisowjetischen Einstellung nicht gerade der geeignete Mann, um für die Verständigungsangebote der Sowjetregierung viel Entgegenkommen aufzubringen. 80 Die Gespräche verliefen daher erfolglos. Trotz aller Bemühungen, die die imperialistischen Kreise bei der Aufstellung der Antisowjetfront unternahmen, sollte es sich jedoch bald zeigen, daß ihren Hoffnungen und Wünschen mancherlei Grenzen gesetzt waren. Schon die Tatsache, daß die Sowjetunion zunehmend erstarkte, und nicht, wie zahlreiche bürgerliche Zeitungen tagtäglich prophezeiten, zusammenbrach, machte den imperialistischen Strategen einen 80
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Vgl. auch den Bericht Bergens aus Rom vom 28. 4. 1925. PA Bonn, polit. Abt. II, Politik 3, Bd. 1, Bl, L 233 317. Vgl. M. d 'Herbigny, Le front antireligieux en Russie Soviétique, Paris 1930; M. d 'Herbigny/A. Deubner, Evèques Russes en exil, Rom 1931. Vgl. auch Winter, Sowjetunion . . ., S. 82 f. Brockdorff-Rantzau berichtete am 3 1 . 3 . 1 9 2 4 : „Ich habe mit Cicerin eingehend über Beziehungen Rußlands zum Heiligen Stuhl gesprochen. Minister erklärte mir, de jureAnerkennung durch Vatikan hätte vor 2 Jahren unvergleichlich größeren Wert für Sowjetregierung gehabt als jetzt; trotzdem wünsche sie 'einen religiösen Frieden mit dem Vatikan herbeizuführen' und sei durchaus zu Verhandlungen bereit." PA Bonn, Büro des RM, 9 Rußland, Bd. 7, Bl. 553 711. Vgl. den Bericht der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl vom 10. 2 . 1 9 2 5 . PA Bonn, Polit. Abt. II, Politik 3, Die Beziehungen des Vatikans zu Rußland, Bd. 1, Bl. L 233 247. Vgl. auch E. Ruppel, Zur Tätigkeit des Eugenio Pacelli als Nuntius in Deutschland, In: ZfG, 1959, H. 2, S. 297 ff. Rosenfeld
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Strich durch die Rechnung. Dazu kamen die sich auftürmenden Widersprüche im imperialistischen Lager selbst. Vor allem gelang es nicht, das deutsch-polnische Verhältnis so auszurichten, wie man es für die Antisowjetfront brauchte. Denn die Tatsache, daß die imperialistischen Mächte zwar die deutsche Westgrenze garantieren, einem „Ostiocarno" aber aus dem Wege gehen wollten, 86 stieß ja gerade Polen von einem Zusammengehen mit Deutschland ab. Damals erfuhr außerdem das französisch-polnische Bündnis von 1921, das eine antisowjetische Spitze trug, einen entscheidenden Bruch. Es war schon durch die Normalisierung der französisch-sowjetischen Beziehungen im Oktober 1924 wesentlich entschärft worden, und wenn auch die herrschenden Kreise Polens diesen Schritt der Regierung Herriot mit Mißtrauen verfolgten, so bestärkte er doch zugleich viele ihrer Vertreter in der Auffassung, daß eine Verbesserung seiner Beziehungen zur Sowjetunion Polen in dieser Situation nur nützlich sein konnte. Ende Dezember 1924 konnte daher Cicerin in einem Artikel in der „Izvestija" feststellen, daß die Schaffung der antisowjetischen Front auf große Hindernisse stieß. 87 „Die englische Diplomatie verbreitet überall", so schrieb der Volkskommissar, „sowohl im Westen als auch im Osten, alle möglichen Erfindungen über die UdSSR und bemüht sich, gegen sie alle Regierungen aufzuhetzen . . . Jetzt ist aber bereits die Zeit vorüber, da eine solche Politik zu ernsten großen Resultaten uns gegenüber führen könnte. Der englischen herrschenden Schicht ist es offenbar unbekannt, bis zu welchem Grade sich bei uns die Sowjetordnung gefestigt hat, und unsere freundschaftlichen Beziehungen zu den Völkern Asiens sind zu fest, als daß uns auf diesem Gebiet Gefahr drohen kann. Aber auch in Europa ist das Auseinandergehen der Interessen der verschiedenen Staaten zu groß und zu offensichtlich, als daß man ernstlich auf die Schaffung einer festen und aktiven einheitlichen Front gegen die UdSSR rechnen kann." Alles das gab der sowjetischen Diplomatie die Möglichkeit, der geplanten antisowjetischen Front erfolgreich entgegenzuwirken. In erster Linie richtete sich dabei ihre Aufmerksamkeit auf Deutschland.
2. Die Gegenoffensive der sowjetischen Diplomatie Wenn Cicerin auch Ende 1924 damit rechnen konnte, daß die antisowjetische Front nicht so zustande käme, wie die Imperialisten es wünschten, so konnte doch die Sowjetregierung der sich anbahnenden Entwicklung im Herbst 1924 nicht ohne Sorge entgegen sehen. 8 8 Jedenfalls erklärte Cicerin am 26. September 1924, die Ergebnisse der Londoner Konferenz beurteilend, daß man jetzt mit der Möglichkeit einer vereinten Front der imperialistischen Mächte gegen die Sowjetunion rechnen müsse und daß „in der nächsten Zukunft von Seiten der Imperialisten neue Versuche der Intervention und der Wirtschaftsblockade der UdSSR in dieser oder jener Form durchaus möglich" seien. 89 Einen Tag, bevor Cicerin dieses in einem Presseinterview erklärte, war man in 86 87
88 89
Vgl. zu dieser Frage besonders Kapitel IV, Abschnitt 2. Der Artikel erschien am 30. 12. 1924 unter dem Pseudonym „M. Sarono", C. V. Cicerin, Stat'i i reci po voprosam mezdunarodnoj politiki, Moskau 1961, S. 334. Vgl. Achtamzjan, S. 127 f. DVP SSSR, Bd. VII, S. 474.
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Moskau hinsichtlich der Beziehungen zu Deutschland in größte Besorgnis versetzt worden. Am 25. September 1925 .hatte nämlich die deutsche Regierung den Beschluß über den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund gefaßt, und schon am nächsten Tag suchte Botschaftsrat Bratman-Brodovskij den deutschen Außenminister auf, um von ihm über dieses Vorhaben eine Aufklärung zu verlangen. 90 Aber die Beschwichtigungen, mit denen Stresemann den sowjetischen Botschaftsrat abzuspeisen suchte, konnten letzteren natürlich nicht zufriedenstellen. Schon fünf Tage später war er erneut bei Stresemann, wobei er nicht nur auf die Frage des Völkerbundes zurückkam, sondern auch die Stellung Deutschlands zu den osteuropäischen „Randstaaten" zu sondieren suchte/" In diesem Gespräch zwischen Stresemann und Brodovskij fand auch ein Brief Erwähnung, den Cicerin am 21. September 1924 an den Philosophie-Professor und Begründer der „Mittwoch-Gesellschaft" 92 Ludwig Stein gerichtet hatte und aus dem noch einmal deutlich hervorging, wie die Sowjetregierung über den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund dachte: „Deutschlands Politik kommt dadurch in Kollision mit der Rapallo-Politik. Dem eigenen Wunsch zuwider, durch die Macht der Tatsachen, wird Deutschland auf diese Weise in solche Kombinationen und Aktionen hineingezogen, welche es in Konflikte mit uns führen werden. Deutschland wird dadurch solche Faktoren einbüßen, die ein Element internationaler Stärke sind. Deutschland selbst wird zu einem Faktor der Machtpolitik der Entente-Staaten herabsinken." 93 Auch in den nächstfolgenden Wochen bemühten sich sowohl Bratman-Brodovskij als auch Krestinskij von Stresemann nähere Auskünfte über die Stellung Deutschlands zum Völkerbund zu erhalten. Wie sehr die Sowjetregierung diese Frage beschäftigte, zeigt auch das Gespräch, das Litvinov am 17. Oktober 1924 mit dem deutschen Geschäftsträger von Radowitz führte. 94 Bereits einen Monat zuvor hatte Radowitz von der Besorgnis Litvinovs berichtet, „daß die Londoner Verhandlungen auf unsere russische Politik einen wesentlichen Einfluß gehabt haben könnten." 93 In dieser neuerlichen Unterredung mit Radowitz wandte sich Litvinov gegen die in Deutschland „oft in der Presse und in Versammlungen" vorgebrachte Behauptung, die Sowjetunion wolle eher als Deutschland in den Völkerbund eintreten und Deutschland isolieren. 96 Um „ein übriges Mal der deutschen Regierung die Aufrichtigkeit unserer Politik hinsichtlich des Völkerbundes zu beweisen", bat Litvinov den deutschen Geschäftsträger, der Reichsregierung mitzuteilen, „daß die Sowjetregierung bereit ist, mit der deutschen Regierung ein formales Abkommen zu treffen, nach dem keine Seite das Recht haben sollte, ohne Einverständnis des anderen in den Völkerbund einzutreten." An ein solches Abkommen dachte die deutsche Regierung natürlich keineswegs. 90 91 92
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Vgl. Stresemann, Vermächtnis, Bd. I, S. 586. Ebenda, S. 588. L. Stein hatte sie zusammen mit E. Bassermann im Jahre 1914 gegründet. Die Gesellschaft war ein Debattier-Klub der Großbourgeoisie, in dem sich bürgerliche Politiker, Großunternehmer, Bankleute, Journalisten und Intellektuelle zusammenfanden. Stein, der mit Cicerin seit der Konferenz von Genua bekannt war, hatte ihn aufgefordert, in der Gesellschaft über diese Frage zu sprechen. L. Stein, Aus dem Leben eines Optimisten, Berlin 1930, S. 239. Vgl. die Aufzeichnung Litvinovs in: DVP SSSR, Bd. VII, S. 489. Radowitz an Maltzan, Moskau 1 3 . 9 . 1 9 2 4 . PA Bonn, Büro des RM, 9 Rußland, Bd. 8, Bl. 554 323. Darüber war insbesondere in der „Mittwoch-Gesellschaft" gesprochen worden.
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War doch für sie der geplante Pakt mit den Westmächten beschlossene Sache. Man wurde sich daher Ende Oktober 1924 in Moskau darüber klar, daß der von Deutschland eingeschlagene Kurs nicht aufzuhalten war und daß sich nach dem Eingreifen des amerikanischen Imperialismus in die Ordnung des Versailler Systems die Lage in Deutschland grundlegend gewandelt hatte. 97 „Deutschland hat ein neues Kapitel in der Geschichte seiner Politik aufgeschlagen, und dieses Kapitel ist überschrieben: Dawesplan", erklärte der Vorsitzende des Rates der Volkskommissare, A. I. Rykov, Ende November 1924 in einer Rede in Moskau. 98 Er betonte, dafj die Sowjetregierung dessen ungeachtet sich weiterhin um ein gutes Verhältnis zu Deutschland bemühe und verwies besonders auf die Bedeutung der sowjetisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen. Die Normalisierung der französisch-sowjetischen Beziehungen Ende Oktober 1924 bedeutete daher in diesem Augenblick, da sich Deutschland vom Rapallo-Kurs abzuwenden drohte, für die Sowjetunion eine gewisse Sicherung, auch wenn sie relativ schwach war. Es ist bemerkenswert, dafj man in der Wilhelmstraße dieses Ereignis mit einiger Beunruhigung aufnahm. Zumindest stärkte dieser Vorgang die Argumente jener Vertreter der deutschen Bourgeoisie, die die Weiterführung der Rapallo-Politik für notwendig erachteten, wie es auch Maltzan t a t . " Andererseits beunruhigte Brockdorff-Rantzau der Gedanke, dafj die Neugestaltung der französisch-sowjetischen Beziehungen eine Abkehr der Sowjetunion von Deutschland bedeuten könnte. In einer Aussprache, die er darüber am 4. November mit Cicerin hatte, konnte er jedoch erfahren, daß die Sowjetregierung auf gute Beziehungen zu Deutschland nach wie vor den größten Wert legte. 100 Nachdem diese ersten sowjetischen Sondierungen hinsichtlich des veränderten Kurses der deutschen Außenpolitik zu keinerlei positiven Ergebnissen geführt hatten, leitete die Sowjetregierung im Dezember 1924 gegenüber Deutschland eine diplomatische Offensive ein. Sie führte nach hartem diplomatischem Ringen zum Abschluß des Berliner Vertrages im April 1926.101 ,J7
Eine dem Zentralexekutivkomitee der UdSSR zugestellte Aufzeichnung „Die Lage in Deutschland" (undatiert, vermutlich Ende 1924 in der sowjetischen Botschaft in Berlin angefertigt) besagte: „Gegenwärtig ist die allgemeine Orientierung Deutschlands auf Amerika und das Interesse für Rußland hat sich außerordentlich vermindert, in einigen ' Kreisen entstand sogar Feindseligkeit, die früher nicht da war." (CGAOR Moskau, Fond 5283, op. 6, d. 1, Bl. 210). Izvestija, 28.11. 1924. 99 In einer Instruktion an die deutschen Missionen im Ausland vom 8. 9. 1924, in der Maltzan die Gründe für die Aufnahme des Dawesplanes erörterte, schrieb er: „Unsere Politik Rußland gegenüber bleibt durch obige Erwägungen um so weniger berührt, als sich auch zwischen Frankreich und Rußland verstärkte Verständigungsversuche bemerkbar machen." (ZStA Potsdam, Deutsche Gesandtschaft Peking, Nr. 3817, Bl. 301). 100 Brockdorff-Rantzau an Auswärtiges Amt, Moskau 4.11.1924. ZStA Potsdam, Deutsche Gesandtschaft Peking, Nr. 2 372, Bl. 100. Cicerin sagte in diesem Gespräch, daß die Rücksicht auf Deutschland „in erster Linie mitbestimmend gewesen sei", wenn man nicht Rakovskij, sondern Krasin als Botschafter nach Paris gesandt habe. Rantzau hatte seinerzeit gegen die Äußerung Rakovskijs, die sowjetisch-französische Verständigung diene dazu, um deutsche Revanchegelüste im Zaume zu halten, scharf protestiert. Weiter betonte Cicerin in dem Gespräch: „Anknüpfung der Beziehungen zu Frankreich bedeute keineswegs eine Spitze gegen Deutschland; wenn überhaupt davon die Rede sein könne, sei Spitze gegen England gerichtet . ..". 101 Die Entstehungsgeschichte des Berliner Vertrages wurde in der historischen Literatur
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Zwar konnte die Sowjetregierung gewisse Hoffnungen daran knüpfen, daß die Verhandlungen über den Rechts- und Wirtschaftsvertrag, auf die noch besonders eingegangen wird, am 15. November in Moskau wieder aufgenommen wurden. Aber Cleinow, der damals in Moskau mit Cicerin, Kopp und anderen Vertretern des Narkomindel in enger Verbindung stand, bemerkte richtig, letztere seien sich bewußt, „daß hinter den deutsch-russischen Handelsvertragsverhandlungen die sehr viel größeren europäischen Fragen stehen, und sie haben uns in dem nicht unbegründeten Verdacht, daß wir die Unterhandlungen abbrechen, wenn es die europäischen Verhältnisse bedingen. " J 0 Die Sowjetregierung hatte klar erkannt, mit welchen Mitteln die Westmächte gegenüber Deutschland operierten. Hatte sie in den Gesprächen mit den deutschen Vertretern bisher vorwiegend die Frage des Völkerbundes angeschnitten, so suchte sie nunmehr zu sondieren, welchen Wert die polnische Frage, genauer gesagt, das Problem der deutsch-polnischen Grenze, für die deutsche Regierung besaß. Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Unterredung zwischen Viktor Kopp und Brockdorff-Rantzau am 4. Dezember 1924. 1 0 3 Natürlich konnte es der Sowjetregierung nicht darum gehen, sich mit der deutschen Reichsregierung über die Veränderungen der polnischen Grenzen zu unterhalten, was die bürgerliche Historiographie der sowjetischen Außenpolitik anzudichten versucht. 10 '' Wie schon im vorangegangenen Kapitel ausgeführt, ließ die Sowjetregierung nichts unversucht, um auch die sowjetischpolnischen Beziehungen zu verbessern und friedlich zu gestalten. Schon Anfang 1920 hatte der Rat der Volkskommissare der RSFSR in einer von Lenin unterzeichneten Erklärung hervorgehoben, daß die Sowjetregierung weder mit Deutschland noch mit anderen Ländern Abkommen zum Schaden Polens getroffen habe und „daß Charakter und Sinn der internationalen Politik der Sowjetmacht die Möglichkeit derartiger Abkommen ausschließen, desgleichen den Versuch, einen Zusammenstoß Polens mit Deutschland oder anderen Staaten mit dem Ziel auszunützen, die Unabhängigkeit Polens und die Unverletzlichkeit seines Territoriums zu beeinträchtigen." ) r b Aber es liegt auf der Hand, daß die Sowjetregierung angesichts der Gefahr, die sich durch die vor allem vom englischen und amerikanischen Imperialismus angestrebte Einbeziehung Deutschlands und Polens zusammen in eine antisowjetische inzwischen mehrfach behandelt. Vgl. Achtamzjan, S. 127 f.; Änderte, Die deutsche RapalloPolitik, S. 112 f.; Nikonova, Ocerk evropejskoj politiki Germanii, S. 120 f.; W. Rüge, Zur Problematik und Entstehungsgeschichte des Berliner Vertrages von 1926. In: ZfG, 1961, Nr. 4 ; A. I. Stepanov, Sovetsko-germanskie otnosenija v 1925-1926 godach, Diss. (unveröffentlicht) Moskau 1957; G. M. Truchnov, Poucitel'nye uroki istorii, Minsk 1979, S. 138 f.; von bürgerlicher Seite: Walsdorff, S. 78 f,; Heibig, S. 164 f.; Rosenbaum, S. 113 f.; H. L. Dyck, Weimar Germany and Soviet Russia 1926-1933, London 1966, S. 13 f.; Z. Gasiorowski, The Russian Overture to Germany of December 1924. In: The Journal of Modern History, vol XXX, 1958, S. 99 f.; vgl. auch S. R. Suchorukov, Berlinskij dogovor 1926 goda v osvescenii zapadno-germanskoj burzuaznoj istoriografii. In: Istorija SSSR, 1973, Nr. 3, S. 194 f. 102 Cleinow an „Gebrüder Richters Verlagsanstalt", Moskau 17.11.1924. ZStA Merseburg, Nachla5 Cleinow, Nr. 46. 103 Vgl. Walsdorff, S. 63, der den Bericht Rantzaus vom 5. 12.1924 anführt. 104 Vgl. auch die entsprechenden Ausführungen in Kapitel I, Abschnitt 1 und Anmerkung 111 in Kapitel I. 1 0 5 „Erklärung des Rats der Volkskommissare der RSFSR über die Grundlagen der sowjetischen Politik gegenüber Polen", 28. Januar 1920. DVP SSSR, Bd. II, S. 331.
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Front abzeichnete, die „polnische Karte" in dem großen diplomatischen Ringen um die Stellung Deutschlands keineswegs nur den Westmächten überlassen wollte. Und es ging der Sowjetregierung daher in den Gesprächen mit der Wilhelmstraße letztlich nicht darum, sich mit dieser über die „polnische Frage" zu unterhalten, sondern um nach Mitteln und Wegen zu forschen, die der Verhinderung einer antisowjetischen Front der imperialistischen M ä c h t e dienen konnten. Dies alles zeigte sich sehr deutlich in den Gesprächen, die im Dezember 1924 zwischen Cicerin und Brockdorff-Rantzau über die weitere Gestaltung der sowjetischdeutschen Beziehungen geführt wurden. Die Absicht der Sowjetregierung, die deutsche Regierung hinsichtlich ihres weiteren Kurses gegenüber den Westmächten wie auch gegenüber der Sowjetunion aus der Reserve zu locken, was zunächst durch das Anschneiden der „polnischen Frage" in dem obengenannten Gespräch zwischen Kopp und Rantzau erfolgt war, hatte Erfolg. Denn am 13. Dezember wies Maltzan den deutschen Botschafter in M o s k a u an, mit der Sowjetregierung in einen „vertraulichen Meinungsaustausch" über die polnische F r a g e einzutreten und mit ihr unter Umständen über die „Zurückdrängung Polens in seine ethnographischen Grenzen" zu verhandeln. 1 W ! Als Brockdorff-Rantzau in der Nacht des 20. D e z e m b e r Cicerin aufsuchte, um ihn von dieser Absicht der Wilhelmstrage in Kenntnis zu setzen, erwiderte Cicerin allerdings enttäuscht, daß man sich deutscherseits ausschließlich auf die polnische F r a g e begrenzen wolle, während die Sowjetregierung einen Gedankenaustausch über allgemeine politische Fragen angeregt habe. 1 0 ' In der Nacht vom 25. zum 26. Dezember wurde das Gespräch zwischen Cicerin und dem deutschen Botschafter fortgesetzt. Es war insofern sehr bedeutsam, als die Sowjetregierung, nachdem sie in der Wilhelmstraße eine gewisse Bereitschaft zu einem Gedankenaustausch über die Gestaltung der beiderseitigen Beziehungen hervorgerufen hatte, in diesem Gespräch durch Cicerin der deutschen Regierung ein V e r t r a g s p r o j e k t unterbreitete, das im Kern eine Bekräftigung der Rapallo-Politik beinhaltete. Das V e r t r a g s p r o j e k t bestand aus zwei wesentlichen Punkten: Erstens sollten sich beide Regierungen verpflichten, mit keiner dritten Partei in politische und wirtschaftliche Bündnisse einzugehen, die gegen den Vertragspartner gerichtet war e n ; zweitens sollten sich beide Regierungen verpflichten, ihre Schritte hinsichtlich des Eintritts in den Völkerbund zu koordinieren. 1 0 8 Sehr beeindruckt durch den sowjetischen Vertragsvorschlag, bemerkte Rantzau zu Cicerin, daß ihn derselbe an den Bismarckschen Rückversicherungsvertrag mit Rußland erinnere. Ein solcher Vergleich, wie ihn der G r a f anstellte, schien jedoch angesichts der vorhandenen Lage wenig zutreffend zu sein. Cicerin erwiderte, daß die Verhältnisse jetzt doch anders lägen. Damals habe ein Bündnis Deutschlands mit einem anderen Staat, und zwar mit Österreich bestanden. J e t z t gelte es aber, die Front zu sichern. Deutschland solle nicht in eine Front mit England gegen die Sowjetunion eintreten, und die Sowjetunion werde ihrerseits „in keine Koalition mit Frankreich, Belgien usw. gegen Deutschland" eintreten. Brockdorff-Rantzau 106 107
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übermittelte dieses
so wichtige sowjetische
Vertragsangebot
PA Bonn, Büro des RM, 9 Rußland, Bd. 9, Bl. 554 636. Ebenda, Bl. 554 659; vgl. auch Rüge, Zur Problematik und Entstehungsgeschichte . . . . S. 871. Vgl. DVP SSSR, Bd. VIII, S. 785, wo im Anhang ein Teil der Aufzeichnung Cicerins über seine Unterredung mit Rantzau wiedergegeben ist; vgl. auch Achtamzjan, S. 134.
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am 29. Dezember nach Berlin mit der Forderung, es dem Reichspräsidenten vorzulegen und ihn persönlich in Berlin zum Vortrag zu empfangen. 109 Jedoch hatte man gerade zu diesem Zeitpunkt in Berlin, wo man sich alle Mühe gab, mit den Westmächten ins Geschäft zu kommen, anderes im Sinne, als sich mit den sowjetischen •Vorschlägen zu befassen. Es kam hinzu, daß gerade zu diesem Zeitpunkt Maltzan als Botschafter nach Washington geschickt wurde und Carl von Schubert, sein Nachfolger im Amte des Staatssekretärs, nicht der Mann war, der für die deutsch-sowjetischen Beziehungen viel Verständnis aufbrachte. Wenn auch Stresemann dem Botschafter versicherte, daß er eine dilatorische Behandlung der Angelegenheit nicht beabsichtige und Rantzau am 10. Januar 1925 Cicerin von dem allgemeinen Interesse Stresemanns an den sowjetischen Vorschlägen unterrichtete, 110 so legte man doch faktisch diese Vorschläge in der Wilhelmstraße zunächst auf Eis. Schubert motivierte dann auch diese Haltung der Wilhelmstraße in einem Telegramm an Rantzau ganz offen mit der Rücksichtnahme auf die inzwischen in Gang gekommenen Gespräche über den westlichen Garantiepakt. 111 Es ist auch bemerkenswert, daß die Londoner Regierung gerade jetzt, angesichts des sowjetischen Vertragsprojektes, von dem sie zweifellos durch ihren eng mit Stresemann im Kontakt stehenden Botschafter Kenntnis erhalten hatte, stärker die Lockspeise einer deutsch-polnischen Grenzrevision anbot. u Erst Mitte März 1925 entschloß sich Stresemann, auf die sowjetischen DezemberVorschläge zu reagieren. Dazu sah er sich gezwungen, da die deutsche Regierung inzwischen die Verhandlungen mit den Westmächten über den Garantiepakt und den Völkerbund an die Öffentlichkeit bringen mußte und nicht umhin konnte, auch die Sowjetregierung darüber zu informieren. Aber auch der inzwischen von deutscher Seite herbeigeführte Stillstand der Handelsvertragsverhandlungen mit der Sowjetregierung ließ es Stresemann ratsam erscheinen, den Verdacht der Sowjetregierung, Deutschland wolle endgültig mit der Rapallo-Politik brechen, zu zerstreuen. 11:1 Die Antwort erfolgte in Form einer langen Instruktion an Brockdorff-Rantzau vom 19. März"' 1 und bezweckte nichts weiter, als die Sowjetregierung solange hinzuhalten, bis die Verhandlungen mit den Westmächten zum Erfolg geführt hatten. Zum anderen suchte Stresemann dem Botschafter den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund schmackhaft zu machen - was Brockdorff-Rantzau mit sarkastischen Randbemerkungen kommentierte. 1 ' 5 Schließlich sollte auch die Sowjetregierung in diesem
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Heibig, S. 167-168; Walsdorü, S. 68. Vgl. Walsdorü, S. 70. Telegramm vom 12. 2.1925, Gasiorowski, S. 107. Am 16. Februar 1925 teilte Austen Chamberlain dem englischen Botschafter in Paris mit, daß für den polnischen Korridor „keine britische Regierung jemals die Knochen eines britischen Grenadiers riskieren" werde. Gasiorowski, Stresemann and Poland before Locarno, S. 34. Vgl. auch Rüge, S. 823. Text in: Locarno-Konterenz 1925, Berlin 1962, S. 70 f. Ebenda in den Anmerkungen wiedergegeben; Rantzau, dessen Ziel es ja war, mit Hilfe der Sowjetunion Deutschland von den Versailler Fesseln zu befreien, mußte mit Recht fürchten, daß nach dem Plan Stresemanns Deutschland sich noch stärker den Westmächten unterwarf. Abwegig ist es, die gespannten Beziehungen zwischen Stresemann und Rantzau auf „übertriebene Empfindlichkeit" und „Verschlechterung des Gesundheitszustandes" des letzteren zurückzuführen: Vgl. H. W. Gatzke, Von Rapallo nach Berlin.
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Sinne beruhigt werden, wie die Instruktion b e s a g t e : „Es k ä m e darauf an, die Sowjetregierung davon zu überzeugen, daß unser Eintritt nicht im entferntesten eine grundsätzliche Schwenkung unserer Politik bedeuten würde . . , " . m In ähnlicher Weise suchte Stresemann auf Krestinskij hinhaltend und beschwichtigend einzuwirken, indem er ihm am 15. April 1 9 2 5 erklärte, daß sich Deutschland niemals mit Polen zusammen gegen die Sowjetunion wenden werde. 1 1 7 Rantzau zeigte begreiflicherweise wenig Lust, mit dieser Instruktion, die auf die sowjetischen Vorschläge gar nicht einging, das Narkomindel aufzusuchen. Seine M i t teilungen, die er Ende M ä r z und Anfang April 1 9 2 5 an Stresemann richtete, zeigen, daß der G r a f sehr wohl die von der Sowjetregierung gehegten Befürchtungen verstand. M a n sei in M o s k a u , wie Litvinov ihm gegenüber erklärt habe, peinlich davon berührt, „daß die deutsche Regierung drei M o n a t e mit einer Antwort auf die russischen Vorschläge gezögert und inzwischen mit den Westmächten zu verhandeln begonnen habe, ohne die russische Regierung überhaupt von der Tatsache dieser V e r handlungen in Kenntnis zu setzen." 1 1 8 Erst nach abermaliger Aufforderung Stresemanns begab sich Brockdorff-Rantzau am 7. April zu Litvinov, der den erkrankten Cicerin vertrat, und las ihm den vollen Text der Stresemannschen Instruktion vom 19. M ä r z vor. Dies war ein zwischen Stresemann und Rantzau geschlossener Kompromiß, da Stresemann ihm gestattet hatte, so zu verfahren. „Rantzau wollte nicht die Verteidigung der gegenwärtigen politischen Linie der deutschen Regierung übernehmen", vermerkte Litvinov in seiner Aufzeichnung über diese Unterredung, „und zog es vor, daß Stresemann dies selbst tat." 1 1 9 Litvinov gab Rantzau zu verstehen, daß die Sowjetregierung jedenfalls den Eintritt in den Völkerbund und den Abschluß des Garantiepaktes als ein Abrücken Deutschlands von der Sowjetunion auffassen müsse. Denn Deutschland werde so notwendigerweise in das Fahrwasser Englands gezogen. Zu verhindern sei dies nur durch ein entsprechendes Abkommen, wie es die Sowjetregierung vorgeschlagen habe. „Ohne ein Abkommen müssen wir annehmen, daß die Logik der Dinge unweigerlich stärker sein wird als die ehrenwerten Wünsche und Bestrebungen Stresemanns, und wir werden daraus die entsprechenden Konsequenzen ziehen." 1 2 0 Die Sowjetregierung konnte sich natürlich mit einer solchen nichtssagenden Beantwortung ihrer Dezembervorschläge nicht zufrieden geben und verlangte eine klare schriftliche Fixierung des deutschen Standpunktes. Diese sowjetische Forderung suchte das Auswärtige Amt zufriedenzustellen, indem Schubert am 25. April Krestinskij zwei Schriftstücke aushändigte. 1 2 1 Aber auch hier wurde auf die sowjetischen Vertragsvorschläge nicht eingegangen und lediglich versucht, im Sinne der bereits an Stresemann und die deutsche Rufjlandpolitik. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 1956, Nr. 1, S. 5 - 6 . 116 Locarno-Konferenz, S. 79. 117 Köthel, S. 162. 1 1 8 Rantzau an Stresemann, 4. 4.1925, PA Bonn, Büro des RM, 9 Rußland, Bd. 10, Bl. 555 002. 119 Vgl. Dokumenty vnesnej politiki SSR, Bd. VIII, S. 781, wo im Anhang auszugsweise die Niederschrift Litvinovs über die Unterredung wiedergegeben ist. 120 Niederschrift Litvinovs, ebenda, S. 782; Aufzeichnung Rantzaus über die Unterredung: PA Bonn, Büro des RM, 9 Rußland, Bd. 10, Bl. 555 070. 121 Das erste war eine Zusammenfassung der von Rantzaus am 7. April Litvinov gemachten Mitteilungen, das zweite stellte eine Aufzeichnung über die Bedeutung des Artikels 16 der Völkerbundssatzung dar. Vgl. den Text in: Locarno-Konferenz, S. 84 f. und 91 f.
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Rantzau ergangenen Instruktion der Sowjetregierung den deutschen Eintritt in den Völkerbund und den Abschluß des Garantiepaktes plausibel zu machen. Sowohl Schubert als auch Stresemann, den der sowjetische Botschafter ebenfalls noch an demselben Tage besuchte, bemühten sich wiederum, dessen Bedenken zu zerstreuen: Stresemann erklärte, daß die deutsche Regierung jedenfalls nicht beabsichtige, ohne Einschränkungen dem Völkerbund beizutreten. Von Krestinskij sodann nach seiner Stellungnahme zum sowjetischen Angebot eines Neutralitätsvertrages befragt, erwiederte Stresemann, daß der Abschluß eines solchen Vertrages dem Statut des Völkerbundes widerspreche. 1 ' 2 Auch Brockdorff-Rantzau, der inzwischen in Sorge um die Entwicklung der deutschsowjetischen Beziehungen aus Moskau nach Berlin geeilt war, konnte dort nichts ausrichten. Seine damaligen Anstrengungen um die Weiterführung der Rapallo-Politik dürfen aber deshalb keinesfalls unterschätzt werden. 1 - 3 In den Kreisen der deutschen Diplomatie war er damals zweifellos der ernsthafteste Gegner Stresemanns, da er dessen Kurs auf die Übereinkunft mit den Westmächten erbittert bekämpfte. Dies wird gerade aus der Publikation der sowjetischen Akten zu dieser Problematik vollauf deutlich. Rantzau hatte sofort nach der Ernennung Stresemanns zum Reichskanzler und Außenminister erkannt, wohin das Schiff mit diesem neuen Kapitän steuerte. Am 13. August 1923 hatte er ihm deshalb aus Schleswig ein Telegramm gesandt, in dem er ihn vor dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund warnte, und zwar mit dem Hinweis, daß ein solcher Schritt die freundschaftlichen Beziehungen Deutschlands zur Sowjetunion zerstören und das Ende einer erfolgreichen deutschen Politik in Osteuropa bedeuten w ü r d e . m Herbert von Dirksen schrieb später in seinen Memoiren über Rantzau, daß er sich „eher als ein Vertreter des russischen Standpunktes erwies, als daß er den Russen die deutschen Gesichtspunkte schmackhaft gemacht hätte." 125 Mit diesem Urteil über seinen Vorgänger suchte Dirksen sichtlich dessen scharfe Opposition gegen die Westpaktverhandlungen in den Augen der bürgerlichen Leser als gleichsam unpatriotisch und womöglich verräterisch abzustempeln. In der Tat stellte sieh Rantzau damals in dieser Frage ganz auf den „russischen Standpunkt". Aber dieser Standpunkt bedeutete ja nichts anderes als die Sicherung der deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit auf der Basis des Rapallo-Vertrages und diente damit dem nationalen Interesse Deutschlands und der Erhaltung des Friedens. In dieser Hinsicht besaß die Sowjetregierung in dem deutschen Botschafter zweifellos einen aufrichtigen und festen Verbündeten. Cicerin konnte sich deshalb sehr offen über diesen ganzen Fragenkomplex mit Brockdorff-Rantzau beraten. Dies tat er auch, als Rantzau ihn noch kurz vor seiner Abreise nach Berlin am 8. April 1925 aufsuchte. 121 ' Beide tauschten ihre Sorgen über den von der deutschen Regierung beschrittenen Weg zu einer Übereinkunft mit den Westmächten aus, die - wie Cicerin betonte - die „Vereinigung mit der Entente gegen 122
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Vgl. den Bericht Krestinskijs an die Sowjetregierung vom 26. 4. 1925. DVP SSSR, Bd. VIII, S. 244 ff. D'Abernon notierte am 2. 6. 1925: „Brockdorff-Rantzau, der deutsche Botschafter in Moskau, ist für meinen Geschmack zu oft in Berlin und hat zu viel Einfluß." D'Abernon, a. a. O., Bd. III, S. 195. Korbel, S. 147. H. v. Dirksen. Moskau - Tokio - London, Stuttgart 1949, S. 66. Vgl. die Aufzeichnung Cicerins über die Unterredung. DVP SSSR, Bd. VIII, S. 210 ff.
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uns" bedeutete. Cicerin überreichte dem Botschafter Materialien, die bewiesen, daß England mit Hilfe Deutschlands eine antisowjetische Front aufbauen wollte. Rantzau nahm sie mit Dank entgegen und versprach, diese Materialien der deutschen Regierung zu übermitteln. Es zeigt, wie schwer sich Rantzau von dieser Entwicklung der deutschen Außenpolitik getroffen fühlte, daß er Cicerin seinen Entschluß mitteilte, nicht mehr auf seinen Moskauer Posten zurückkehren zu wollen, falls die deutsche Regierung diesen neuen Kurs in ihrer Außenpolitik nicht aufgab. „Ich sagte ihm", so heißt es in der Aufzeichnung Cicerins, „daß man im Kampf um eine bestimmte Linie seine sozusagen strategischen Positionen nicht aufgeben dürfe und daß sein Posten hier eine Position im Kampf um eine bestimmte Linie darstelle." Rantzau erwiderte darauf, daß er aber nur dann auf seinem Posten bleiben könne, wenn dieser auch Bedeutung und Einfluß besitze. Er wolle zwar eine tragische Rolle, nicht aber eine komische Rolle spielen. Er wiederholte, daß er als Amtsperson seine Regierung nicht kritisieren könne. „Damit gab er klar zu verstehen", so heißt es in den Aufzeichnungen Cicerins weiter, „daß er in Wirklichkeit mit seiner Regierung völlig auseinander geht. Könne man mit ihm nicht rechnen, so wolle er auch nicht hierbleiben." Sein Entschluß sei jedoch noch nicht endgültig, so betonte Rantzau, da nach geheimen Mitteilungen auch die Entscheidung der deutschen Regierung noch nicht endgültig gefallen sei. Die Situation, die Rantzau in Berlin vorfand, war allerdings, wie wir schon sahen, wenig ermutigend. In einem Gespräch mit Krestinskij, kurz vor dessen Abreise zum Sowjetkongreß nach Moskau und nach dessen obengenannter Unterredung mit Schubert und Stresemann, bestätigte er nochmals seinen Entschluß, nicht nach Moskau zurückzukehren, wenn er nicht den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund verhindern könne. Er wolle jedoch erneut eingehend mit Stresemann sprechen und überhaupt bemüht sein, während der gesamten Abwesenheit Krestinskijs „in der von uns beiden gewünschten Richtung" zu arbeiten. Er drückte Krestinskij gegenüber seinen Wunsch aus, daß die sowjetische Antwort ihn bei der Fortsetzung seiner Arbeit genügend unterstützen möge. 12 ' Verschiedene Ereignisse und Entwicklungen in den folgenden Wochen begünstigten diese Arbeit Brockdorff-Rantzaus. Stresemann selbst kamen alsbald ernste Zweifel, ob es zweckmäßig war, die Sowjetregierung weiterhin so vor den Kopf zu stoßen. Sie resultierten vor allem aus der Befürchtung, daß die Westmächte Deutschland doch nicht jene Zugeständnisse bei der Revision des Versailler Vertrages machten, wie sie die deutsche Regierung anstrebte. 1 - 8 Bemerkenswert ist die Äußerung Stresemanns gegenüber dem englischen Botschafter, daß Deutschland, wenn es durch seinen Eintritt in den Völkerbund seine „Beziehungen zu Rußland aufs Spiel" setzte, dafür eine entsprechende Entschädigung verlangen müsse: die Räumung des gesamten Rheinlandes, die Wiedergabe von Eupen-Malmedy und ein koloniales Mandat. Letzteres überhörte der Botschafter, wie Stresemann notierte. Vor allem wurde es mehr und mehr offensichtlich, daß der Widerstand Frankreichs gegen die Revision der Bestimmungen des Versailler Vertrages nach wie vor sehr groß war. Wenn Frankreich auch im August 1925 das Ruhrgebiet räumte, so blieben doch noch alle Bestimmungen des 127 128 129
Bericht Krestinskijs vom 26. 4.1925, a. a. O., S. 249. Darauf machte bereits Anderle, S. 113, aufmerksam. Aufzeichnung Stresemann über seine Unterredung mit d'Abernon am 10.6.1925 (Vermächtnis, Bd. II, S. 102).
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Versailler Vertrages über die Besetzung der rheinischen Gebiete in Kraft. Auch die Räumung der Kölner Zone, die erst im J a n u a r 1926 erfolgte, war bis dahin noch ungeklärt, ganz abgesehen von solchen großen Problemen wie die Rüstungsbeschränkung, die dem deutschen Imperialismus natürlich noch viel wichtiger waren. Das Festhalten Frankreichs an den Bestimmungen des Versailler Vertrages wurde auch in der französischen Antwortnote vom 16. Juni klar betont. 1 3 0 Schließlich war auch die französische Forderung nach einem vorbehaltlosen Eintritt Deutschlands in den Völkerbund ein M o m e n t , das die deutsche Regierung zur Vorsicht veranlagte. Die Furcht weiter Kreise der deutschen Bourgeoisie, man könne den Westmächten große Zugeständnisse machen, aber nichts dafür bekommen, ließ sie in den F r ü h j a h r s monaten 1 9 2 5 den Beziehungen Deutschlands zur Sowjetunion wieder einen größeren W e r t beimessen. Dies zeigt auch die Debatte im Reichstag im M o n a t M a i , in der Stresemann auffallend freundliche Töne gegenüber der Sowjetunion anschlug. In diesem Sinne sprachen sich verschiedene großbürgerliche deutsche Zeitungen für gute Beziehungen zur Sowjetunion aus, und es ist auch bemerkenswert, daß Dirksen, der im Februar zum Ministerialdirigenten in der Ostabteilung des Auswärtigen Amtes avanciert war, einen großen Aufsatz über die positive Bedeutung der „Rapallo-Linie" verfaßte. 1 : 1 2 Schließlich ist zu berücksichtigen, daß durch die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten im April 1 9 2 5 j e n e nationalistischen K r ä f t e Auftrieb erlangten, die überhaupt ein Paktieren mit den Westmächten ablehnten und deshalb - ungeachtet ihrer reaktionären, antikommunistischen Einstellung - eine Anlehnung an die Sowjetunion für wünschenswert hielten. ) : i : ! Alle diese V o r g ä n g e blieben der Sowjetregierung natürlich nicht verborgen, und sie gaben ihr weitere Ansatzpunkte zur Fortsetzung ihrer Bemühungen um die Weiterführung der sowjetisch-deutschen Beziehungen auf der Basis des Rapallo-Vertrages. Die Zeitschrift „Mezdunarodnaja Zizn" schrieb in ihrer M ä r z - N u m m e r 1 9 2 5 , daß nunmehr die Presse der deutschen Schwerindustrie den „russischen Ball" a u f g e f a n g e n habe, den Stresemann England und Frankreich vor die Nase gehalten habe, und daß diese Zeitungen nicht umhin kämen, die Notwendigkeit guter Beziehungen zur Sowjetunion a n z u e r k e n n e n . D a z u k ä m e die Tatsache, daß die deutsche Bourgeoisie auch weiterhin an wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion interessiert sei. Unter demselben Aspekt behandelte auch Cicerin in seiner großen Rede über die sowjetische Außenpolitik die deutsch-sowjetischen Beziehungen auf der I I I . T a g u n g des Zentralexekutivkomitees der U d S S R am 3. M ä r z 1925. „Die Politik der Entente selbst", so erklärte Cicerin, „die sich aus dem Versailler V e r t r a g ergibt, zwingt somit Text in: Locarno-Konterenz, S. 100 ff. 131 Der Journalist Paul Scheffer schrieb am 22.3. 1925 aus Moskau an Dirksen: „Ich muß in aller Bescheidenheit sagen, daß, nachdem wir einmal auf den Weg allermöglicher Zusicherungen gekommen sind, das Prinzip der Schraube ohne Ende unsere Beziehungen zu den Leuten im Westen regieren wird, ohne daß irgendetwas dauernd Wertvolles für uns daraus entsteht, aber sehr viel Konzessionen aller Art an die andere Seite." ZStA Potsdam, Nachlaß Dirksen, Bd. 3, Bl. 450. IM £j e r Aufsatz blieb unveröffentlicht. Sein Inhalt wird aus dem Dirksen-Nachlafj von Anderle, S. 134, wiedergegeben. IM VGL W R U G E/ Hindenburg. Porträt eines Militaristen, Berlin 1977, S. 234. m Mezdunarodnaja fizn', 1925, Nr. 3, S. 78-80. In dem Aufsatz wurden die „Deutsche Bergwerkszeitung", die „Deutsche Allgemeine Zeitung" und die „Frankfurter Zeitung" zitiert. 130
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Deutschland, ganz zu schweigen von anderen Gründen, an der Politik der freundschaftlichen Beziehungen zur U d S S R festzuhalten." 1 3 5 Cicerin verwies auch darauf, daß in der jüngsten Zeit das Interesse an der Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen mit der Sowjetunion in Deutschland gestiegen war. Auch in seiner Rede über die sowjetische Außenpolitik auf dem III. Unionssowjetkongreß am 15. M a i 1 9 2 5 betonte Cicerin, daß die deutsche Regierung sich einen Abbruch ihrer freundschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion nicht leisten könne. Zugleich sprach Cicerin jedoch die Warnung aus, daß die deutsche Regierung mit ihrem Eintritt in den Völkerbund und mit der Garantiepakt-Politik durch den Zwang der Dinge in eine Lage geraten könne, die es ihr erschwere, die bisherigen Beziehungen zur Sowjetunion aufrechtzuerhalten. 1 3 0 In M o s k a u war man sich in den Frühjahrswochen 1 9 2 5 völlig klar darüber geworden, daß trotz aller Möglichkeiten, die die Rapallo-Politik noch bot, die Übereinkunft Deutschlands mit den Westmächten nicht mehr zu verhindern war. Ungewiß blieb freilich, wie weit diese Übereinkunft gehen würde. O b dann allerdings die Rapallo-Politik aufrechterhalten werden könnte, war eine offene Frage. In diesem Falle mußte sich die Sowjetunion um so intensiver um die Verbesserung ihrer Beziehungen mit anderen Mächten bemühen, damit sie nicht gänzlich isoliert einer antisowjetischen Einheitsfront gegenüberstand. Es war auffällig, daß Cicerin in seiner oben genannten Rede auf dem Sowjetkongreß besonders die Beziehungen zu Frankreich und Polen hervorhob. Wir werden noch sehen, welche Aktivität die sowjetische Diplomatie in dieser Hinsicht entwickelte. Krasin, den Cicerin zu einem Vortrag am 17. M a i 1 9 2 5 in das Narkomindel über die außenpolitische Lage gebeten hatte, kam zu der Schlußfolgerung, daß angesichts des von den U S A und England ausgeübten „tausendfach gearteten ökonomischen Drucks auf die deutsche Industrie, die Finanzen und Regierung" Deutschland k a u m seine bisherige Position beibehalten werde. Aus seinen Darlegungen zog Krasin den Schluß, daß „wir einer Vereinigung der wichtigsten Regierungen des kapitalistischen Europas bei einer sehr schwachen Opposition von Seiten der Arbeiterklasse gegenüberstehen." 1 3 7 Nach diesen gründlichen Beratungen über die sowjetische Außenpolitik im M o n a t M a i übermittelte die Sowjetregierung am 2. J u n i 1 9 2 5 auf die am 25. April von der deutschen Regierung dem sowjetischen Botschafter ausgehändigten M e m o r a n d e n eine Antwortnote. 1 ® Die Sowjetregierung betonte in dieser Note, daß der Eintritt Deutschlands in den Völkerbund einen „erheblichen Schritt auf dem W e g e zur tatsächlichen Vernichtung des Vertrages von Rapallo" darstelle, da Deutschland dann gezwungen sein werde, sich der Politik der Entente gegenüber der Sowjetunion anzuschließen - selbst wenn man zuvor Deutschland von den Verpflichtungen der Artikel 16 und 17 entbunden habe. D e m Inhalt dieser Note verlieh Litvinov in einem Gespräch Nachdruck, das er, auf dem W e g e nach Marienbad, mit Stresemann am 13. Juni in Berlin führte. Litvinov wies neuerlich darauf hin, daß „die Entwicklung der Verhältnisse Deutschland zwangsläufig in eine antirussische Politik hineintreiben" würden und daß sich Deutschland dann im Fahrwasser der gegen die Sowjetunion gerichteten Politik Englands befinden werde. Nicht von ungefähr bemerkte Litvinov 135 Deutsch-sowjetische Beziehungen 1922-1925. Dokumentensammlung, 2. Halbbd., S. 520. 13ß G. V. Cicerin, Stat' i reci, S. 388. ™ Dokumenty vnesnej politiki SSSR, Bd. VIII, S. 313. 1:18 Text in: Locarno-Konierenz, S. 94 f.
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weiter in dieser Unterredung, daß sowohl Polen als auch Frankreich möglicherweise infolge der Westpaktverhandlungen eine engere Annäherung an die Sowjetunion suchen könnten. 139 Wie schon erwähnt, mußte die Sowjetunion naturgemäß versuchen, sich in dieser Situation durch eine Verbesserung ihrer Beziehungen zu Frankreich und Polen vor einer Antisowjetfront zu schützen. Dies blieb in Berlin nicht ohne Reaktion. Schon im März 1925 sandte Rantzau seinen persönlichen Referenten Andor Hencke nach Berlin, wo dieser auf die „Gefahr einer Verständigung zwischen Rußland und Polen" aufmerksam machte und die Frage aufwarf, ob man nicht mit Polen zu einem Kompromiß kommen sollte.1''0 Es zeugt auch von der diesbezüglichen Unruhe in der Wilhelmstraße, daß man Ende Mai an die deutschen Vertretungen in Moskau und Warschau die Anfrage richtete, wie es mit den polnisch-sowjetischen Kontakten bestellt sei.1/11 Rauscher antwortete jedoch am 30. Juni 1925, daß er eine Verständigung zwischen der Sowjetunion und Polen wegen des Widerstandes der polnischen Regierung nicht für wahrscheinlich halte.1'"'2 In einem Zirkularerlaß, den das Auswärtige Amt an demselben Tage, also am 30. Juni, an die deutschen Missionen versandte, wurde bezeichnenderweise vermerkt, daß man im Interesse der „Korridorfrage" an der Aufrechterhaltung schlechter Beziehungen der Sowjetunion zu Polen und an einer sowjetischen Unterstützung in der „polnischen Frage" interessiert sei.1/,:! Alles dies sowie vor allem die bereits angedeutete Stimmung in weiten Kreisen der deutschen Bourgeoisie, die einen Bruch mit der Sowjetunion fürchteten, bewog offenbar Stresemann, den sowjetischen Vorschlägen einen ersten, wenn auch sehr schwachen Schritt entgegenzukommen. Er bestand darin, daß die „Richtlinien für die Fortsetzung der politischen Verhandlungen mit Rußland", die Stresemann am 21. Juni unterzeichnete, eine Erklärung über die Weiterführung der Rapallo-Politik enthielten. Diese Erklärung war von dem Vertragsexperten der Wilhelmstraße, Friedrich Gaus, erarbeitet worden und sollte als Präambel in einen abzuschließenden Vertrag Eingang finden.1/1/1 Wann jedoch ein solcher Vertrag abgeschlossen werden sollte, wurde ebenso wie die Frage des Inhalts völlig offengelassen. -Wenn in diesem Text auch davon gesprochen wurde, im Geiste des Rapallo-Vertrages alle gemeinsam berührenden politischen und wirtschaftlichen Fragen „in dauernder freundschaftlicher Fühlung" zu behandeln, so enthielt er jedoch nicht die Übernahme konkreter Verpflichtungen im Sinne der sowjetischen Dezembervorschläge. Es war ganz offensichtlich, daß Stresemann auf diese Weise die Sowjetregierung hinhalten wollte, um zunächst weiter die Übereinkunft mit den Westmächten zu betreiben. Es war denn auch bezeichnend, daß Schubert, als Rantzau unmittelbar vor seiner Abreise mit diesem und Stresemann zusammentraf, den Grafen dahingehend instruierte, daß der Vertrag
1 i!l
Zitiert nach der Aufzeichnung Stresemanns. PA Bonn, Büro des RM, 9 Rußland, Bd. 10, Bl. 555 227; vgl. auch die wesentlich kürzer gehaltenen Aufzeichnungen Litvinovs in: DVP, Bd. VIII, S. 367. m Köthel, S. 163. W1 Ebenda, S. 164. m Ebenda, S. 165. Vgl. Walsdortt, S .113. 1 ,/ ' ' Vgl. den Text der „Richtlinien" mit dem Wortlaut der vorgeschlagenen Präambel in Locarno-Konterenz, S. 104 f.
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„unter keinen Umständen zu einem uns nicht genehmen Zeitpunkt abgeschlossen werden (dürfe). Sonst entstehe ein neuer Rapallo-Fall."|/|;i Zweifellos waren sowohl Stresemann als auch Schubert froh, endlich den ihnen unbequemen Grafen loszuwerden. Wenn auch, der' Aufzeichnung Schuberts zufolge, Rantzau diese zum Abschied gegebene Instruktion „sehr dankbar" entgegennahm,1'10 so hatten die ihm überreichten „Richtlinien" seine Bedenken keineswegs zerstreuen können. Und Dirksen, der Rantzau diesmal nach Moskau begleitete, um dort den Standpunkt des Auswärtigen Amtes zu unterstützen und sich gleichzeitig mit dem Wirtschaftsvertrag zu befassen, gab sich während der langen Bahnfahrt alle Mühe, dem Botschafter den Inhalt der „Richtlinien" plausibel zu machen.1'17 Obwohl Rantzau ursprünglich, wie wir gesehen hatten, nicht mehr nach Moskau zurückkehren wollte, hatte er wieder neuen Mut geschöpft. Während seines Aufenthaltes in Berlin hatte er nichts unversucht gelassen, um Stresemann zu einem Eingehen auf die sowjetischen Vorschläge zu veranlassen. Wie Rantzau nach seiner Ankunft in Moskau die Lage beurteilte, erfahren wir aus einer Aufzeichnung Cicerins, mit dem der Graf in der Nacht vom 28. zum 29. Juni ein längeres Gespräch führte. 148 Rantzau begann mit der Feststellung, daß „der Kampf um die Durchführung unserer Linie in Berlin äußerst schwierig" sei. Dennoch könne man mit den Ergebnissen zufrieden sein. Deutschland werde nicht ohne Vorbehalte in den Völkerbund eintreten. Rantzau erklärte weiter, daß seine Politik bei Luther und Hindenburg einen gewissen Rückhalt fände. Er habe in Berlin darauf gedrängt, endlich die sowjetischen Dezembervorschläge zu beantworten, und jedenfalls mehr erreicht, als er vor seiner Abreise aus Moskau erwartet hatte. Denn er komme zu Cicerin mit dem Vorschlag der deutschen Regierung, die Verhandlungen über eine „schriftliche Fixierung der Hauptlinie unserer gegenseitigen Beziehungen" zu eröffnen. Cicerin machte im weiteren Verlauf des Gespräches den Grafen darauf aufmerksam, daß die Vorbehalte, die die deutsche Regierung bei einem Eintritt in den Völkerbund hinsichtlich des Artikels 16 und anderer Artikel machte, wenig Bedeutung besäßen. Denn man täusche sich, wenn man annehme, Deutschland werde innerhalb des Völkerbundes eine selbständige Politik treiben können. Rantzau konnte nicht umhin, den Argumenten Cicerins zuzustimmen, zumal er in dieser Frage, wie Cicerin notierte, ohnehin eine sehr schwankende Auffassung vertrat. Rantzau sagte dann auch ganz offen, er habe selbst Stresemann darauf aufmerksam gemacht, daß auch ein Eintritt in den Völkerbund unter Vorbehalten eine Gefahr darstelle. Sehr beleidigt sei Stresemann gewesen, als er zu diesem gesagt habe: „Sie haben bereits für den Westen optiert." Zugleich überbrachte Rantzau seinem Gesprächspartner jedoch die Versicherung des Reichspräsidenten, des Reichskanzlers und Stresemanns, „daß unter allen Umständen und in jedem Falle Deutschland die gegenwärtigen freundschaftlichen Beziehungen zur UdSSR weiter aufrechterhalten wird." 1 '' 9 Wenn die von Stresemann angebotene Präambel auch einen gewissen Fortschritt darstellte, so konnte sich die Sowjetregierung damit keineswegs zufrieden geben. Am 13. Juli schlug deshalb Cicerin seinerseits den Text einer Präambel vor, die, ganz im 145 146 147 148 149
Zitiert nach Walsdorif, S. 117. Ebenda. Ebenda, S. 118. Aufzeichnung Cicerins vom 28. Juni 1925, DVP SSSR, Bd. VIII, S. 396 f. Ebenda, S. 398; vgl. auch Achtamzjan, S. 149.
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Sinne des bereits im Dezember unterbreiteten Vertragsvorschlages, der Einhaltung des Friedens zwischen beiden Ländern unmißverständlich Rechnung trug. 150 Der Text dieses Vertragsvorschlages enthielt nach der einleitend ausgesprochenen Forderung, die „gegenseitigen Beziehungen im Geiste des Rapallo-Vertrages weiter zu entwikkeln und in allen politischen und wirtschaftlichen Fragen, welche die eine oder andere Vertragsmacht berühren, eine dauernde freundschaftliche Fühlung untereinander und für Verständigung anzustreben", zwei Punkte: die Verpflichtung, keinen direkten Angriff gegeneinander vorzunehmen oder mit anderen Mächten Koalitionen gegen den Vertragspartner einzugehen sowie die bindende Erklärung, ihre Handlungen in der Frage des Eintritts in den Völkerbund zu koordinieren. Jedoch blieb auch dieser neuerliche sowjetische Vertragsvorschlag von der Wilhelmstraße unbeantwortet. Denn gerade jetzt, nach der deutschen Antwortnote an Briand vom 20. Juli, war zu erwarten, daß trotz aller bestehenden Gegensätze die Gespräche mit den Westmächten über den abzuschließenden Garantiepakt in Fluß kamen. Andererseits aber konnte sich das Auswärtige Amt nach wie vor nicht leisten, den „Draht nach Moskau" völlig abreißen zu lassen. 151 Deshalb begann das Auswärtige Amt, wie wir noch näher sehen werden, Mitte August dem Weiterverlauf der Handelsvertragsverhandlungen ein größeres Gewicht beizumessen, womit es sowohl die Sowjetregierung zufriedenstellen als auch den Westmächten gegenüber einen Trumpf behalten wollte. Die angespannte Situation, die in den deutsch-sowjetischen Beziehungen im Juli 1925 infolge der hinhaltenden Beantwortung des sowjetischen Vertragsangebotes sowie auch infolge der in den Verhandlungen über den Wirtschaftsvertrag aufgetretenen Schwierigkeiten entstanden war, wurde überdies noch durch einen weiteren Umstand kompliziert: denn der am 24. Juni in Moskau begonnene Prozeß gegen die wegen Spionageverdacht verhafteten beiden deutschen Studenten Karl Kindermann und Theodor Wolscht rief sowohl seitens der deutschen Botschaft als auch in der Wilhelmstraße heftige Reaktionen hervor. 152 Während sich so die Sowjetregierung im Verlauf des Jahres 1925 bemühte, die Einbeziehung Deutschlands in die Antisowjetfront zu verhindern, hatte sie gleichfalls nichts unversucht gelassen, um sich auch gegenüber ihren westlichen Nachbarstaaten Sicherungen zu verschaffen. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß sie dabei die imperialistischen' Widersprüche ausnutzen konnte, die letztlich dem Zusammengehen der deutschen Imperialisten mit den herrschenden Kreisen Polens im Wege standen, aber auch ein antisowjetisches Bündnis der osteuropäischen Staaten selbst verhinderten. Die Sowjetregierung hatte sich seit dem Vertrag von Riga alle Mühe gegeben, die sowjetisch-polnischen Beziehungen zu verbessern. Jedoch beschritt die polnische Regierung den Weg der Normalisierung ihrer Beziehungen zur Sowjetunion nur sehr widerstrebend. Daher wurden auch in den Jahren 1 9 2 3 - 1 9 2 4 nur geringe Fortschritte 150 151
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Vgl. DVP SSR, Bd. VIII, S. 430. D'Abernon notierte am 28. Juni 1925, daß die deutsche Regierung durch die Opposition der Rechten gegen die Garantiepaktverhandlungen eingeschüchtert sei. Hinzu käme noch die Tatsache, dafj „die russische Propaganda gegen den Pakt nicht wirkungslos blieb und viele Politiker sich fragen, ob es für Deutschland klug sei, eine Politik zu verfolgen, die derart den russischen Wünschen entgegenläuft." D'Abernon, Ein Botschafter der Zeitwende, Bd. III, S. 203. Vgl. ausführlicher Achtamzjan, S. 157; Walsdorff, S. 72.
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bei der Ausgestaltung der beiderseitigen Beziehungen im Sinne der Politik der friedlichen Koexistenz erzielt. 153 Die Verhandlungen, die die Ententemächte mit Deutschland über den Garantiepakt und den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund begonnen hatten, versetzten jedoch die herrschenden Kreise Polens mehr und mehr in Unruhe, da sie zurecht befürchten mußten, daß jetzt die Revisionsansprüche des deutschen Imperialismus hinsichtlich der deutsch-polnischen Grenze Auftrieb erhielten. Schon die Annäherung, die im Frühjahr zwischen Polen und der Tschechoslowakei erfolgte, war eine Reaktion auf diese Befürchtungen. Wichtiger aber noch war es, daß die polnische Außenpolitik eine gewisse, wenn zunächst auch noch schwache Hinwendung zur Sowjetunion unternahm. In dieser Hinsicht war es bezeichnend, was ein Memorandum des Londoner Foreign Office, im Dezember von J . D. Gregory verfaßt, feststellte: „Die Drohung seitens Deutschland, durch England unterstützt, ihm seine westlichen Provinzen zu entreißen, treibt Polen unweigerlich zu einem Bündnis mit der SSSR." 1 5 4 Das entsprach ganz dem Inhalt eines Gespräches, das Henryk Tennenbaum, Abteilungsdirektor im polnischen Ministerium für Handel und Industrie, auf dem Wege von Paris nach Warschau am 13. Dezember 1925 mit Krestinskij in Berlin führte. 15 '' Wie Krestinskij berichtete, habe Tennenbaum ihn auf Weisung des polnischen Außenministers Skrzynski aufgesucht und erklärt, daß „die im Westen entstandene Tendenz zur Bildung eines antisowjetischen Blocks Polen in nächster Zukunft zwingt, seine Politik gegenüber Rußland genau zu bestimmen. Polen steht vor der Alternative, entweder sich dem antisowjetischen Block anzuschließen oder mit uns zu verhandeln . . ." Wie Krestinskij weiter mitteilte, hielten der polnische Ministerpräsident Grabski und Skrzynski die Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen mit der Sowjetunion durch einen Vertrag für sehr wichtig. Tennenbaum verwies ferner auf den durch England und Polen ausgeübten Druck und regte den Abschluß eines weiteren Vertrages an, der die gegenseitige Anerkennung der staatlichen Territorien beinhalten sollte. Wenige Tage darauf teilte Kopp aus Moskau mit, daß man in Antwort auf die Anregungen Tennenbaums beschlossen habe, der polnischen Regierung Verhandlungen „auf breiter politischer Basis" vorzuschlagen. Auch ein Zusammentreffen Cicerins mit Skrzynski sei vorgesehen. 156 Die Unruhe der polnischen Regierung über die Auswirkungen des Garantiepaktes auf die Gestaltung der polnisch-deutschen Grenze verstärkte sich insbesondere nach Einleitung der Verhandlungen zwischen Deutschland und den Westmächten im Februar 1925. Die Fühlungnahme zwischen Moskau und Warschau über eine gegenseitige Sicherung wurde daher im Verlauf des Jahres 1925 fortgesetzt - allerdings mit großem Schwanken und Zögern der polnischen Regierung. 157 Skrzynski versicherte zwar dem sowjetischen Gesandten in Warschau, P. L. Vojkov, er werde dafür 153 vgl. V. Daskevic (Daszkiewicz), Pol'sko-sovietskie otnosenija 1921-1932 gg. In: Ocerki istorii sovetsko-pol'skich otnosenij, S. 104 f. Das Memorandum wurde dem deutschen Gesandten in Reval „von befreundeter Seite", wie er mitteilte, zur Verfügung gestellt. Er sandte es am 2 3 . 1 2 . 1 9 2 5 nach Berlin. ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 258, Bl. 381 385. i® Bericht Krestinskijs vom 13.12.1925. DVP SSSR, Bd. VII, S. 573-574. 156 Kopp an Krestinskij, 19.12. 1924. Ebenda, S. 577. 157 Vgl. die Ausführungen Cicerins in seiner Rede vom 3. 3.1925. G. V. Cicerin, Staf i i reci, S. 359. 154
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sorgen, daß man Polen nicht zu einem Instrument der Aggression in fremden Händen mache. l j 8 Doch mußte die Sowjetregierung es vermissen, daß diesen Worten die entsprechende Tat folgte. Wie sehr es der Sowjetregierung darauf ankam, mit Polen zu einem beständigen friedlichen Verhältnis zu gelangen, betonte Cicerin in seiner Rede über die Außenpolitik am 14. Mai 1925: „. . . weil kein großer militärischer Angriff auf uns ohne Teilnahme Polens unternommen werden kann. Polen würde die Avantgarde eines solchen Angriffs darstellen." 1 3 9 Auch in den weiteren Monaten des Jahres 1925 bemühte sich die Sowjetregierung, insbesondere angesichts der erhöhten Anstrengungen um die Bildung einer antisowjetischen Front seitens des englischen Imperialismus, die polnische Regierung zum Abschluß eines Vertrages zur Sicherung des Friedens zwischen den beiden Ländern zu bewegen. Am 12. Juli fand wiederum ein Gespräch mit Tennenbaum in Berlin statt, das diesmal von Karl Radek geführt wurde. Letzterer wies auf die Gefahr hin, die der Sowjetunion durch die Aufrüstung Deutschlands, wie sie England betrieb, drohte, und schlug den Abschluß eines sowjetischpolnischen Nichtangriffspaktes vor. 1 6 0 Den Abschluß von Neutralitätsverträgen sah die Sowjetregierung damals als ein wichtiges Mittel an, um die geplante antisowjetische Aggression zu verhindern. 1 6 1 Auch an die baltischen Staaten wandte sich die Sowjetregierung im Juni 1925 mit der Aufforderung, solche Verträge über Nichtangriff und Neutralität abzuschließen. Sie stieß jedoch bei den dortigen Regierungen auf Ablehnung. Erst am 28. September 1926 konnte ein sowjetisch-litauischer Nichtangriffspakt abgeschlossen werden. Es ist bemerkenswert, daß die Sowjetregierung in jenen Monaten, als sie ihre westlichen Nachbarstaaten zu neutralisieren suchte, bei ihrer diplomatischen Offensive gegenüber Polen auch die sich bietenden Möglichkeiten in Paris sondierte. In der Unterredung Cicerins mit dem französischen Botschafter Herbette am 11. August 1925 nahm die polnische Frage einen breiten Raum ein. „Dann berührte ich unter anderem", so berichtete Cicerin selbst darüber, „in vorsichtiger Weise die Möglichkeit, mit Frankreich über den gegenseitigen Nichtangriff und die Garantie der Grenzen zwischen uns und Polen zu einer Vereinbarung zu gelangen." Herbette zeigte sich dieser Anregung gegenüber, wie Cicerin vermerkte, sehr aufgeschlossen und erklärte, daß die französische Regierung an der Herstellung friedlicher Beziehungen zwischen Polen und der Sowjetunion interessiert sei. 1 6 2 Am Quai d'Orsay erwog man zu diesem Zeitpunkt eine Annäherung an die Sowjetunion auf der Linie Paris - Warschau - Moskau. Dies wird verständlich, wenn man bedenkt, daß Frankreich letzten Endes in Locarno nicht der Gewinner, sondern der Verlierer im Kampf mit dem amerikanischen und dem englischen Imperialismus war. Wir sehen jedenfalls, daß man in Paris in dem Bestreben Frankreich aus seiner isolierten Lage herauszuführen, nicht nur den Weg zu einem Bündnis mit Deutschland unter Opferung Polens - selbstverständ-
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Vojkov an das Narkomindel, Warschau 13. 2.1925. DVP SSSR, Bd. VIII, S. 155. Ebenda, S. 293. Krasuski, Stosunki polsko-niemieckie, S. 194 zitiert den Bericht Tennenbaums an Grabski aus den politischen Akten. „Und zwar besteht unsere Politik in dem Streben nach Abschluß individueller Freundschaftsverträge mit allen Staaten". Litvinov an den sowjetischen diplomatischen Vertreter in Schweden, 5 . 1 . 1 9 2 6 . DVP SSSR, Bd. IX, S. 10. DVP SSSR, Bd. VIII, S. 487. Rosenfeld
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lieh unter Wahrung der französischen Führung - im Auge hatte, sondern umgekehrt auch die Unterstützung Polens gegen den deutschen Imperialismus bei gleichzeitiger Anlehnung an die Sowjetunion mindestens in den Bereich der strategisch-taktischen Möglichkeiten einbezog. Und diese zweite Variante sollte bekanntlich zu Beginn der dreißiger Jahre verwirklicht werden. Unterdessen aber setzte die Sowjetregierung ihre diplomatische Offensive gegenüber Polen mit erhöhter Intensität fort. Unmittelbar am Vorabend des Abschlusses der westlichen Garantieverträge brach Cicerin nach Warschau auf, wo er am 27. September eintraf. Die Zeitung „Warszawianka" gab an diesem Tage die Stimmung in weiten Kreisen der polnischen Bourgeoisie wieder, als sie schrieb, daß sich die Losung „Frieden mit Sowjetrußland" nicht auf unbestimmte Gefühle, sondern auf nüchterne Überlegung stütze, die besage, daß Polen einen Druck der Deutschen von Westen und eine Spannung im Osten nicht aushalten könne. 1 6 3 Während seines dreitägigen Aufenthaltes in Warschau bemühte sich Cicerin in Gesprächen mit den führenden polnischen Politikern, Polen zum Abschluß eines Vertrages über die Regulierung der beiderseitigen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu gewinnen. In einer f ü r die Vertreter der polnischen Presse bestimmten Erklärung hob Cicerin hervor, daß man nur einen Blick auf die Karte Europas zu werfen brauche, um die große Bedeutung guter sowjetisch-polnischer Beziehungen für die internationale Situation zu begreifen. 164 Cicerin fand dann auch in Warschau eine verhältnismäßig große Resonanz - insbesondere in den Kreisen der Nationaldemokraten. 1 6 5 Wie Vojkov über den Besuch Cicerins nach Moskau berichtete, habe die öffentliche Meinung Polens in diesem Besuch eine gewisse Perspektive f ü r den Ausweg aus der hoffnungslosen Lage Polens gesehen. Denn Polen „befindet sich in der Lage einer äußersten politischen und wirtschaftlichen Isolation". Der Zustand seiner Finanzen sei katastrophal. Der Zeitpunkt des Besuches hätte deshalb hinsichtlich des psychologischen Moments kaum günstiger ausgewählt werden können. 166 Wir wissen auch aus dem Bericht Cicerins selbst, welches der Inhalt seiner Unterredung mit Skrzynski war. 167 Cicerin ging es zunächst darum, Polens Haltung gegenüber den anderen osteuropäischen Nachbarn der Sowjetunion im Zusammenhang mit den sowjetischen Sicherheitsbestrebungen zu erkunden. Diese betraf besonders die bessarabische Frage und das Baltikum. Sodann steuerte Cicerin direkter auf sein Ziel los, indem er über die Bedeutung der sowjetisch-französischen Beziehungen f ü r das Verhältnis der Sowjetunion gegenüber Polen und umgekehrt sprach. „Letzteres interessierte Skrzynski sehr. Hinsichtlich der ersteren erinnerte ich unter anderem an den Herbette gegenüber gemachten Vorschlag eines französisch-polnisch-sowjetischen Paktes. Skrzynski zeigte sich hierfür außerordentlich interessiert." Sodann dreht sich das Gespräch „rein theoretisch", wie Cicerin vermerkt, „um die Perspektiven der Garantiepakt-Verhandlungen." Cicerin erwähnte, daß man Deutschlands Ostgrenzen jedenfalls nicht in die Garantie einbeziehen werde. Diese „Binsenwahr163
St. Strönski, Pierwsze lat dziesiec 1918-1928, Warschau 1928, S. 363. Vgl. Dokumenty i materialy po istotii sovetsko-pol'skich otnosenij, Bd. IV, S. 413. 165 j ) e r einflußreiche nationaldemokratische Sejm-Abgeordnete Stronski sagte am 30. 9.1925 164
zum tschechoslowakischen Gesandten, Cicerins Besuch zeige, daß Polen sich auch ohne
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England schützen könne (O ceskoslovenske zahranieni politice, S. 131). Bericht Vojkovs vom 2.10.1925. DVP SSSR, Bd. VIII, S. 552 f. Cicerin an das Narkomindel, Berlin 2.10.1925, DVP SSSR, Bd. VIII, S. 552 ff.
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heit" habe Skrzynski jedoch als Neuigkeit aufgenommen und sich hinsichtlich der Verhandlungen in Locarno in Worten sehr gelassen gezeigt. Von besonderem Interesse ist der folgende Satz des Berichtes Cicerins über diese Unterredung, weil er uns zugleich zeigt, mit welchen Möglichkeiten man damals in Moskau rechnete: „Für ihn (Skrzynski - G. R.) war es augenscheinlich völlig neu, daß ich auf die Möglichkeit einer englisch-deutschen Annäherung einerseits und eines französisch-polnischen Bündnisses andererseits hinwies, wobei diese als auch jene die UdSSR einladen würden." Die ganze Unterredung ging jedoch über ein bloßes Sondieren der Pläne und Absichten des anderen Gesprächspartners nicht hinaus. 168 Wenn auch die polnische Regierung, wie Vojkov betonte, die Bedeutung des Besuches Cicerins stark hervorhob, vor allem als Demonstration gegenüber England und Deutschland, 169 so war sie dennoch nicht bereit, auf einen Nichtangriffsvertrag mit der Sowjetunion einzugehen. Die antisowjetischen Kräfte in Polen behielten die Oberhand. Zwar schien die Auswirkung der Locarno-Verträge auf die Stimmung in Polen für eine polnisch-sowjetische Verständigung günstig zu sein. Und Cicerin schrieb in diesem Zusammenhang, dafj man deshalb das Eisen schmieden müsse, solange es heiß sei. 170 Aber schon der Rücktritt des Kabinetts Grabski deutete eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses zugunsten einer weiteren Stärkung der antisowjetischen Politik Polens an. Ein deutscher Gesandtschaftsbericht aus Reval vom 27. November 1925 besagt, dag „die Anhänger Pilsudskis zur Zeit nicht ohne Erfolg bemüht sind, in der öffentlichen Meinung der Überzeugung Bahn zu brechen, dag der Hauptfeind Polens nach wie vor Rußland sei und daß es mehr im Interesse Polens liegen würde, das Verhältnis zu seinen westlichen Nachbarn auf friedlichem Wege zu normalisieren als sich im Osten durch irgendwelche Bindungen festzulegen." 171 Diese neuerliche antisowjetische Orientierung der herrschenden Kreise Polens erfolgte vor allem unter Druck des amerikanischen und englischen Finanzkapitals. Eine neue Phase seiner Einflußnahme auf die polnische Politik wurde durch die Ankunft des amerikanischen Finanzexperten und Gewährsmannes des Hauses Morgan, W. E. Kemmerer, im Dezember 1925 in Polen eingeleitet. Als gleichzeitiger Vertreter der Bank Dillon Read & Co. besaß er auch enge Beziehungen zum deutschen Finanzkapital. 172 Im Februar 1926 teilte ihm Hjalmar Schacht mit, daß Deutschland an der Stabilisierung der polnischen Währung mitwirken wolle, falls es dafür als Entschädigung von Polen den Korridor erhalte. 173 Die Errichtung der Diktatur Pilsudskis im Mai 1926 war in dieser Entwicklung ein weiterer wichtiger Schritt. Er stärkte die antisowjetische Frontstellung Polens in bedeutendem Maße. Und wir werden auf diese Problematik noch in einem weiteren Kapitel zurückkommen. Angesichts aller dieser Vorgänge war es für die Sowjetunion um so wichtiger, das Einschwenken Deutschlands in die antisowjetische Front zu verhindern. 168
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„In politischer Hinsicht endigte die Angelegenheit lediglich damit, daß beide Seiten sich gegenseitig sondierten." Bericht Vojkovs, a. a. O., S. 556. Ebenda.
Cicerin an Litvinov, 30.10.1925. Ebenda, S. 647.
ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 257, Bl. 25. Vgl. Z. Landau, Misja Kemmerera. In: Przegl^d Historyczny, 1957, Nr. 2, S. 270 ff. Ebenda, S. 281.
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3. Die Verhandlungen über den Rechts- und Wirtschaftsvertrag Die Bemühungen der deutschen Regierung um einen Pakt mit den Westmächten und die Gespräche, die zwischen Berlin und M o s k a u über die Gestaltung der beiderseitigen politischen Beziehungen geführt wurden, fanden eine Widerspiegelung in den parallel laufenden Verhandlungen über den sowjetisch-deutschen Rechts- und Wirtschaftsvertrag. Nach ihrer Unterbrechung durch den Polizeiüberfall auf die sowjetische Handelsvertretung wurden die Verhandlungen am 15. November 1924 in M o s k a u wieder aufgenommen. Die deutsche Delegation wurde weiterhin von Koerner geleitet, während an der Spitze der sowjetischen Delegation J . S. Hanecki stand. 1 '' 1 In seiner Eröffnungsrede verwies L. B. Krasin einleitend auf die gemeinsamen Interessen, die beide Länder am Wirtschaftsverkehr b e s a ß e n : „Beide Länder scheinen füreinander und für eine ständige wirtschaftliche Zusammenarbeit wie geschaffen. Diese Gemeinsamkeit der Interessen findet vor allen Dingen ihre Erklärung in der geographischen Lage beider Länder, in ihrer wirtschaftlichen Struktur, und in gewissem M a ß e auch in den aus der historischen Entwicklung resultierenden Beziehungen. Deutschlands machtvolle Industrie, sein ungewöhnlich vorgeschrittener, vom K r i e g e fast unberührt gebliebener Produktionsapparat, das hohe Niveau seiner Arbeitsproduktivität und seiner Technik schaffen in Verbindung mit dem steten Bedürfnis nach Rohmaterial und Erzeugnissen der Landwirtschaft für die wichtigsten Industriezentren Voraussetzungen für außerordentlich rege wirtschaftliche Beziehungen zwischen den beiden Ländern und berechtigen zu der Hoffnung, daß diese Beziehungen sich in der Zukunft immer lebhafter gestalten werden." 1 7 5 Krasin widerlegte die in den kapitalistischen Ländern oft vorgebrachten Einwände, daß die Industrialisierung der Sowjetunion dem Import industrieller Güter im W e g e stünde. Weiter ging Krasin auf die F r a g e des staatlichen Außenhandelsmonopols ein und betonte, daß die Sowjetunion nach wie vor an diesem entscheidenden Mittel zur Sicherung ihrer ökonomischen Unabhängigkeit festhalten müsse. Krasin verwies auch darauf, daß das Außenhandelsmonopol die Entwicklung des Außenhandels nicht gehemmt, sondern vielmehr gefördert habe. M i t j e d e m J a h r habe sich die Bilanz des Außenhandels verdoppelt, wenn er auch zunächst noch weit unter dem Vorkriegsumfang läge. Krasin schloß seine Ausführungen mit dem Hinweis darauf, daß die Entwicklung des sowjetischen Außenhandels wesentlich davon abhänge, ob die Sowjetunion genügend große und langfristige Kredite erhalte. M i t der Kreditfrage hatte Krasin bereits ein wesentliches Problem berührt, das sowohl in den laufenden Verhandlungen als auch in der Folgezeit bei der Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen beider Länder eine wichtige Rolle spielte. Es interessieren hier besonders die Verhandlungen über das Wirtschaftsabkommen, das im R a h m e n des am 12. Oktober 1 9 2 5 abgeschlossenen und insgesamt sieben Abkommen
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Jakob Stanislavovic Hanecki (Ganeckij) hatte als hervorragendes Mitglied der polnischen und der russischen Arbeiterbewegung bereits zusammen mit A. Warski am II. Parteitag der SDAPR teilgenommen. Als Student der Universitäten Berlin und Heidelberg hatte er sich bereits frühzeitig mit den deutschen Verhältnissen vertraut gemacht. In den Jahren 1923-1930 war er Kollegiumsmitglied des Volkskommissariats für Außenhandel der UdSSR. Vgl. den Text der Rede in: Deutsch-sowjetische Beziehungen 1922-1925. Dokumentensammlung, 2. Halbbd., S. 454 f.
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umfassenden Vertragswerkes den zweifellos wichtigsten Fragenkomplex betraf. Auf die Besonderheiten und die Entwicklung des sowjetisch-deutschen Wirtschaftsverkehrs wurde bereits im vorangegangenen Kapitel eingegangen. Im Wirtschaftsjahr 1923/24 hatte der Handel zwischen den beiden Ländern einen spürbaren Aufschwung genom-, men. Zusammen mit England, das fast gleiche Positionen einnahm, 176 stand Deutschland an der Spitze des sowjetischen Außenhandels. Trotz der starken Konkurrenz, die Deutschland von England auf dem sowjetischen Markt gemacht wurde, hatte Deutschland gerade jetzt die Möglichkeit, Vorsprung zu gewinnen. Denn die antisowjetische Politik der englischen Konservativen - die reaktionären Kreise Englands hatten inzwischen die Annulierung des am 8. August 1924 unterzeichneten englisch-sowjetischen Handelsvertrages herbeigeführt - sowie die Weigerung der englischen Banken, der Sowjetunion Kredite zu erteilen, hemmten den Handel Englands mit der Sowjetunion. Gerade deshalb legte die Sowjetregierung bei den Handelsvertragsverhandlungen mit Deutschland großen Wert darauf, von der Reichsregierung zur Unterstützung des Handels Kredite zu erhalten. Zugleich muß allerdings auch gesehen werden, daß die Annulierung des englisch-sowjetischen Handelsvertrages und das Aufleben der antisowjetischen Kräfte in England, besonders nach der Konstituierung der konservativen Regierung Baldwin Anfang November 1924, denjenigen Kräften in Deutschland den Rücken stärkten, die in den Verhandlungen mit der Sowjetunion weiterhin einen harten und vor allem gegeri das Außenhandelsmonopol gerichteten Kurs zu steuern suchten. Der weiteren Entwicklung des deutsch-sowjetischen Handels kam jedoch der Umstand zugute, daß die Sowjetunion seit der Mitte der zwanziger Jahre in verstärktem Tempo zum Aufbau der sozialistischen Industrie überging und daher den Import von Maschinen, Industrieausrüstungen und Fabrikeinrichtungen erhöhte. Gerade für solche Lieferungen aber war die deutsche Industrie in hohem Maße qualifiziert. Deutschland mußte um so mehr in der Mitte der zwanziger Jahre darauf bedacht sein, den Export nach der Sowjetunion zu erhöhen, als sein Handel mit den kapitalistischen Ländern eine passive Handelsbilanz aufwies. Die Sowjetunion war nun freilich nur unter der Bedingung in der Lage, in größerem Maße deutsche Industriegüter abzunehmen, daß ihr für diese Käufe Kredite erteilt wurden. Und dieses Geschäft ließ sich wiederum um so besser abwickeln, als man der Sowjetunion den Export von landwirtschaftlichen Produkten und industriellen Rohstoffen erleichterte. Das war vor allem eine Zollfrage - bei der allerdings die deutschen Großagrarier starken Widerstand leisteten. 177 So wird es verständlich, daß die sowjetischen Forderungen bei den sowjetisch-deutschen Handelsvertragsverhandlungen vorwiegend auf die folgenden Punkte hinausliefen: Anerkennung des Außenhandelsmonopols, Abschluß einer Veterinärkonvention, die die Einfuhr von lebendem Vieh aus der Sowjetunion nach Deutschland erleichterte, und die Klärung der Zollfrage, insbesondere die Bestimmung der Höhe des Zolls auf sowjetisches Getreide. Die Sowjetregierung verlangte ferner eine klare Bem
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Im Wirtschaftsjahr 1923/24 betrug, auf Deutschland bezogen, der sowjetische Export 61,7 Mill. Rbl., der Import 49,0 Mill. Rbl., die entsprechenden Zahlen für England waren 64,5 und 47,3 (nach „Vnesnjaja torgovlja", 30.11.1924, S. 18). Vgl. dazu auch E. Varga, Die deutsch-russischen Handelsvertragsverhandlungen und der Export Deutschlands nach der Sowjetunion. In: Aus der Volkswirtschaft der UdSSR, 1925, Nr. 4, S. 9 ff.
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Stimmung des rechtlichen Status ihrer Handelsvertretung im Sinne der Ausdehnung der Exterritorialität auf ihren gesamten Komplex, eine Regelung der Kreditfrage sowie die Frage der Meistbegünstigung in dem Sinne, daß für verschiedene, der Sowjetunion benachbarte asiatische Länder eine Ausnahme gelten sollte. Sehen wir von den Fragen der Zölle und der Kredite ab, so können wir feststellen, daß deutscherseits erhobene Forderungen im wesentlichen auf eine versteckte Durchbrechung des Außenhandelsmonopols hinausliefen. Dies betraf besonders die Forderung nach einem sogenannten Acquisitionsrecht, d. h. nach dem Recht deutscher Unternehmer, ohne Registrierung durch sowjetische Behörden, direkt mit den sowjetischen Produzenten in Verbindung zu treten. 1 ' 8 Wir wir sahen, hatte die Absicht der deutschen Monopole, mittels Aufhebung des sowjetischen Außenhandelsmonopols in die sowjetische Wirtschaft einzubrechen, schon in der ersten Verhandlungsphase bis Mai 1924 die deutsche Verhandlungspoli tik bestimmt. Dieses Ziel - verknüpft mit der starken antisowjetischen Hetze, die dann auch zum Überfall auf die Handelsvertretung geführt hatte - war sichtlich maßgebend dafür gewesen, daß das Reichskabinett am 24. April 1924 beschlossen hatte, die Verhandlungen mit der Sowjetunion auf dilatorische Weise fortzusetzen. 179 Zwar hatte man inzwischen erfahren müssen, daß sich die Sowjetunion weder durch Drohungen noch durch Provokationen einschüchtern ließ. Nichtsdestoweniger hielten die herrschenden imperialistischen Kreise Deutschlands auch jetzt noch an der Absicht fest, auf dem Wege dieser Verhandlungen einen Einbruch in das sowjetische Wirtschaftssystem erzielen zu können. Alle hier angedeuteten Fragen wurden bereits in den ersten Verhandlungen während der Monate November und Dezember 1924 aufgeworfen. 180 Es zeigte sich die ganze Kompliziertheit des Wirtschaftsverkehrs zwischen den zwei verschiedenen gesellschaftlichen Systemen - aber auch die Möglichkeit, trotz dieser Verschiedenheit eine Verständigung zu beiderseitigem Nutzen zu erzielen. Die deutschen Delegierten mufjten freilich einsehen, daß die Festigkeit des sowjetischen Außenhandels monopols nicht zu erschüttern war, wenn Schlesinger auch mit einigem Unwillen er klärte, daß die „Anerkennung des Außenhandelsmonopols und seiner Verankerung im deutsch-russischen Vertrage beinahe an eine Kapitulation erinnert." 181 Auch die Versuche, das sowjetische Außenhandelsmonopol auf verstecktem Wege zu durchbrechen, führten nicht zum Erfolg. Prof. J. Lengyel, der Leiter der Wirtschaftsabteilung in der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin, betonte in diesem Zusammenhang, daß „wir konkret die Gefahr der Durchbrechung des Systems erblicken." 182 Und Eugen Varga, der ebenfalls an den Moskauer Verhandlungen teilnahm, erklärte ganz offen, daß, „wenn die Deutschen hier Geschäfte machen wollen, sie sich dem System der Planwirtschaft anpassen" müßten. 183 178
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Vgl. auch das Protokoll einer Besprechung im Auswärtigen Amt unter Vorsitz Koerners am 1 5 . 1 0 . 1 9 2 4 . StA Dresden, Autjenministerium, Nr. 6 966, Bl. 4, f.; H. Schneider, S. 122 f. Vgl. Morgan, Political significance . . . , S. 260. Vgl. die Protokolle der Sitzungen im November und Dezember 1924 in: Archiv des Ministeriums für Außenhandel der UdSSR, Moskau, op. 7, delo 14; H. Schneider, S. 124, führt die Sitzungsprotokolle nach der Handakte Wallroths an; vgl. auch den Bericht Koerners v o m 6 . 1 2 . 1 9 2 4 in: Deutsch sowjetische Beziehungen 1922-1925, 1. Halbbd., S. 467. In der Plenarsitzung v o m 16. 11.1924, zitiert nach dem obengenannten sowjetischen Protokoll, Bl. 18. IS; In der Sitzung v o m 2. 12. 1924, ebenda, Bl. 30. Ebenda. Bl. 29.
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Als die deutschen Delegierten nach eingetretener Verhandlungspause am 17. Dezember nach Deutschland abreisten, konnten sie jedenfalls die Gewißheit mitnehmen, dag die Sowjetregierung auf den Handel mit Deutschland größten Wert legte, bei allem Entgegenkommen von ihrer Seite aber an den Grundlagen der sowjetischen Staatsordnung nicht gerüttelt werden konnte. Koerner war sich dann auch dessen bewußt, daß man deutscherseits die starre Haltung - insbesondere in der Frage des Außenhandelsmonopols - aufgeben mußte, wenn man zu einem Vertrag gelangen wollte. Schon vor Verhandlungsbeginn hatte er zu Cicerin von der Notwendigkeit beiderseitigen Entgegenkommens und der großen politischen Bedeutung des Vertrages gesprochen.18'1 In einem Bericht, den er nach seiner Rückkehr im Januar 1925 dem Auswärtigen Amt vorlegte, betonte er die Festigkeit der sowjetischen Staatsordnung, mit deren Dauer man rechnen müsse. Das sowjetische Außenhandelsmonopol habe man grundsätzlich anerkennen müssen, da „ohne diese Anerkennung jede weitere Verhandlung unmöglich war." 185 Dieser realistische Standpunkt, zu dem sich Koerner durchgerungen hatte, wurde jedoch durchaus noch nicht von allen Vertretern der Ministerialbürokratie geteilt, und innerhalb der deutschen Großbourgeoisie und des Junkertums gab es nach wie vor gegen die sowjetischen Forderungen heftigen Widerstand. Wallroth, der, wie wir sahen, ohnehin wenig Verständnis für die Entwicklung der deutsch-sowjetischen Beziehungen aufbrachte, hatte während der Moskauer Verhandlungen an Koerner geschrieben, daß die Sowjetregierung die deutschen Grundforderungen erfüllen müsse. Anderenfalls sollte man solange warten, „bis die Erkenntnis von der festgefahrenen Wirtschaft die Russen entgegenkommender macht als bisher."18® Hier traten wiederum gerade Wallroths Überheblichkeit und Unvermögen hervor, die gewaltigen ökonomischen Potenzen, über die die Sowjetunion verfügte, einigermaßen realistisch einzusehätzen. Beratungen und Stellungnahmen des Reichsverbandes der deutschen Industrie und anderer Spitzenverbände der deutschen Unternehmer zeigten zwar das Interesse am Fortgang der Verhandlungen in Moskau. Dabjäi verfolgten sie aber das Ziel, dem sowjetischen Außenhandelsmonopol eine einheitliche Front der deutschen kapitalistischen Unternehmer entgegenzustellen. 187 Heftig Sturm gegen das geplante Vertragswerk liefen die deutschen Großgrundbesitzer, wie insbesondere eine Denkschrift an die Reichsregierung vom 17. Mai 1925 zeigt. 188 Auch gegen die Ausdehnung der Exterritorialität auf die gesamte sowjetische Handelsvertretung und ihre Filialen in anderen Städten wurde starker Widerstand geleistet, was wiederum mit der drohenden „bolschewistischen Propaganda" motiviert wurde. IRn
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Vgl. die Aufzeichnung Cicerins über diese Unterredung vom 12.11. 1924 in: Dokumenty vnesnej politiki SSSR, Bd. VII, S. 538. ZStA Potsdam, Reichsministerium des Innern, Nr. 13 330/1, Bl. 108; vgl. auch Anderle, S. 109 f. Zitiert nach H. Schneider, S. 123. Vgl. Anderle, S/123. Ebenda, S. 124. So beschloß das Reichskabinett am 14. Februar 1925, datj man in der Frage der Exterritorialität der Handelsvertretung nicht über den Status quo hinausgehen dürfe. Die Handelskammer Dresden bemerkte in einem Schreiben an das Auswärtige Amt vom 4. 3. 1925, daß man die Errichtung von Zweigniederlassungen der Handelsvertretung „vom politischen
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Dies alles konnte auf den Weiterverlauf der Verhandlungen nicht ohne negativen Einfluß bleiben. Sie wurden, obgleich das sowjetisch-deutsche Protokoll vom 16. Dezember ihre Wiederaufnahme im J a n u a r 1 9 2 5 vorsah, wegen der inzwischen von Deutschland eingeleiteten Verhandlungen mit den Westmächten erst Anfang M ä r z fortgesetzt. Auch die vier Wochen ihres Verlaufes bis zur Osterpause brachten nicht die von der sowjetischen Delegation erwarteten Ergebnisse. Wenn auch Koerner Ende M ä r z in einem T e l e g r a m m nach Berlin optimistisch mitteilte, 1 9 0 daß es „nicht aussichtslos" erscheine, das Vertragswerk dem Abschluß zuzuführen, was die sowjetische Seite sehr, wünsche und wobei Rantzau und er selbst im „sachlichen Interesse" den zügigen Fortgang der Verhandlungen nach der Osterpause in M o s k a u für gut hielten, so bereitete man doch in Berlin große Schwierigkeiten. Als nämlich K o e r n e r am 4. M a i in Berlin eine Sitzung der deutschen Delegation unter Hinzuziehung von Sachverständigen der Wirtschaft durchführte, verlangten letztere - im Gegensatz zur Auffassung Koerners - die Weiterführung der Verhandlungen in Berlin sowie das Festhalten a n den deutscherseits ursprünglich aufgestellten Forderungen für das Wirtschaftsabkommen. 1 9 1 Ein von Schubert am 11. M a i verfaßter Bericht über den Stand der Vertragsverhandlungen 1 9 2 hob drei Punkte hervor, in denen man bisher keine Einigkeit mit der Sowjetregierung erzielt h a t t e : erstens stellte sich das Reichswirtschaftsministerium nach wie vor gegen die Senkung der Zölle für agrarische Erzeugnisse; zweitens wandte sich dasselbe Ministerium gegen ein Veterinärabkommen, da es die Schweinepreise gedrückt hätte; drittens habe sich eine Chefbesprechung der beteiligten Reichsministerien gegen die Ausdehnung der Exterritorialität auf die gesamte Handelsvertretung ausgesprochen. D e r Bericht Schuberts enthielt ferner „Richtlinien für die Fortführung der Handelsvertragsverhandlungen mit Rußland", die im wesentlichen noch einmal die sich aus den obengenannten drei Punkten ergebenden deutschen Forderungen präzisierten. Sie verlangten, dem „freien Handel eine erweiterte Betätigungsmöglichkeit" zu sichern, machten ein Zolltarifabkommen von der Reichstagsdebatte über die Agrarzölle abhängig und lehnten ein Viehseuchenabkommen grundsätzlich ab, was „formell" in den Verhandlungen nicht zum Ausdruck kommen sollte. Auch die Erteilung von Krediten sollte, den Richtlinien entsprechend, nicht in Aussicht gestellt werden. D e r ganze Bericht mit den „Richtlinien" wies indes einen gewissen Widerspruch auf. Denn Schubert traf in diesem Bericht die bemerkenswerte Feststellung, daß man dennoch „den Russen entgegenkommen" m ü s s e : „Ein Scheitern der Verhandlungen mit Rußland würde aber gerade in der gegenwärtigen politischen Konstellation höchst nachteilig wirken." A. Anderle wies seinerzeit erstmalig darauf hin, daß die Handelsvertragsverhandlungen mit der Sowjetunion in den Überlegungen, die in der Wilhelmstraße im Frühjahr und Sommer angestellt wurden, eine erhöhte politische Bedeutung erhielten. 1 9 3 Bereits im Februar 1 9 2 5 hatte Stresemann in einer Besprechung mit führenden VerGesichtspunkt aus" aufs schärfste bekämpfen müsse. Vgl. StA Dresden, Gesandtschaft 190 191 192
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Berlin, Nr. 1314, Bl. 136. Datiert vom 28. 3.1925. ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 294, Bl. 131-134. Vgl. Anderle, S. 132. Der Bericht war für den Reichskanzler bestimmt. Abschrift in: ZStA Potsdam, Reichsministerium des Innern, Nr. 13 330/1, Bl. 151 ff. A. Anderle, Die deutsch-sowjetischen Verträge von 1925/26. ZfG, 1957, Nr. 3.
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tretern der deutschen Wirtschaftskreise darauf hingewiesen, daß man sich keinesfalls einen „Bruch mit Rußland" leisten könne, auch wenn man in den Verhandlungen über den Handelsvertrag die sowjetische Seite nicht zu den gewünschten Zugeständnissen zwingen könne. Denn es sei „die noch immer bestehende Vorstellung der Westmächte von den Gefahren einer politischen deutsch-russischen Verständigung für Deutschland ein politisches Aktivum von beachtenswerter Bedeutung." 19 '' Die Auffassung, daß es unklug sei, sich des „russischen Trumpfes" gerade zu einem Zeitpunkt zu berauben, als man mit den Westmächten stärker ins Geschäft kam, verstärkte sich besonders im Verlauf des Monats Mai. Dirksen schlug daher in einer gemeinsamen Denkschrift 190 vor, die Verhandlungen mit der Sowjetunion über den Wirtschaftsvertrag aus politischen Gründen zu beschleunigen, gleich ob die Westpaktverhandlungen glückten oder scheiterten. Die Haltung des Auswärtigen Amtes war somit sehr widersprüchlich. Während, wie die „Richtlinien" zeigten, den sowjetischen Forderungen für die Entwicklung des Handels wenig oder gar kein Entgegenkommen gezeigt wurde, vertrat man gleichzeitig die Auffassung, wie Stresemann an Koerner schrieb, „dafj die allgemeine politische Lage es als dringend erwünscht erscheinen läßt, zu einem Abkommen mit Rußland zu kommen." 196 Nach wie vor blieb zudem der Widerstand der beteiligten Kreise des Monopolkapitals und der Großagrarier sowie der verschiedenen von ihnen beeinflußten Reichsbehörden gegen die Anerkennung der sowjetischen Wünsche stark. Daher wurde auch in der dritten Moskauer Verhandlungsrunde während der Monate Mai und Juni kein wesentlicher Fortschritt erzielt. 197 In einem Memorandum vom 13. Juli 1925 sah sich daher Stresemann gezwungen, den Mißerfolg der auf den „Richtlinien" aufgebauten deutschen Verhandlungsführung festzustellen. 198 Wie Stresemann weiter vermerkte, habe die Sowjetregierung den Versuch der deutschen Delegation, die Verhandlungen bis zum Herbst zu vertagen, als eine „Abwendung der deutschen Politik von Sowjetrußland nach dem Westen" aufgefaßt. Wie aus dem Schreiben Stresemanns weiter hervorgeht, hatte BrockdorffRantzau inzwischen den Vorschlag gemacht, ein nur vorläufiges Wirtschaftsabkommen für die Dauer von 18 Monaten sowie die sogenannten Nebenabkommen abzuschließen, um einen Abbruch zu vermeiden. Diesem Vorschlag hatte auch der Handelspolitische Ausschuß zugestimmt. Stresemann schloß seine Aufzeichnung mit dem Hinweis, daß nicht nur die genannten politischen Erwägungen, sondern auch die gespannte handelspolitische Lage Deutschlands 199 eine Verständigung mit der Sowjetregierung sehr wünschenswert machten. „Eine wenn auch nur scheinbare Verständigung mit Sowjetrußland würde eine wesentliche Entspannung herbeiführen und bei den kommenden Verhandlungen eine wesentlich günstigere Position Deutschlands schaffen." Bei den weiteren Auseinandersetzungen um die Frage, welche Zugeständnisse man 194
Nach einer Niederschrift Wallroths vom 16. 2. 1925. PA Bonn, Büro des RM, 9 Rußland, Bd. 9, Bl. 554 842. 195 H. Schneider, S. 129, führt diese vom 25. 5.1925 datierte Aufzeichnung an. 196 Ebenda. 197 Vgl. die entsprechenden Verhandlungsprotokolle im Archiv des Ministeriums für Außenhandel der UdSSR, Moskau, op. 7, delo 15. 198 ZStA Potsdam, Büro des Reichspräsidenten, Nr. 708/3, Bl. 109; vgl. auch Anderle, S. 145. 199 Dies bezog sich, wie Stresemann betonte, insbesondere auf die Schwierigkeiten in den Wirtschaftsverhandlungen mit Frankreich und Polen sowie möglicherweise mit Spanien.
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der Sowjetunion im Handelsvertrag machen dürfe, konnte sich Stresemann in der Sitzung des Reichskabinetts vom 22. Juli weitgehend durchsetzen.2'® Trotz des starken Widerstandes des Reichsinnenministers und des Reichsjustizministers 'entschied sich die Mehrheit, die Exterritorialität für das gesamte Gebäude der Handelsvertretung sowie die Immunität für einen bestimmten Personenkreis gelten zu lassen. Auch dem Wunsch der Sowjetregierung nach Erleichterung des Imports von Schlachtvieh 201 sowie nach einer Ausnahme von der Meistbegünstigung 202 wollte man entgegenkommen. Wenn aber auch das Reichskabinett hier gewisse Zugeständnisse gemacht hatte, so blieben doch wichtige sowjetische Forderungen unerfüllt. Das betraf sowohl die Zollund Kreditfrage als auch die Vieheinfuhr und die Exterritorialitätsfrage. 203 Auch die Anfang August der deutschen Delegation vom Auswärtigen Amt übermittelte Weisung, unbedingt „in Moskau zu bleiben, um mit den Russen aus politischen Gründen zum Abschluß irgendeines Vertragswerkes zu gelangen", sowie eine kurz darauf noch einmal mündlich erteilte Instruktion berücksichtigten wesentliche sowjetische Forderungen nicht.20/1 Die Verhandlungen in Moskau kamen deshalb auch im Monat August nicht weiter. Sie gerieten sogar in eine Krise, nachdem die sowjetische Delegation die am 14. August unterbreiteten deutschen Vorschläge am 29. August als Vertragsgrundlage zurückwies. 203 Rantzau stellte deshalb am 31. August die Abreise der deutschen Delegation in Aussicht. 206 In dieser Situation ergriff die Sowjetregierang die Initiative, um doch noch zu einem Ergebnis zu gelangen. In einer Aussprache zwischen Litvinov und BrockdorffRantzau am 3. September gelang es, wesentliche Hindernisse zu überwinden und einen Kompromiß herbeizuführen. 207 Die Sowjetregierung verzichtete auf den Abschluß einer Zollkonvention, die späteren Verhandlungen überlassen bleiben sollte. Auch in den Fragen der Vieheinfuhr sowie der Meistbegünstigung gab sie in ihren Forderungen nach. 208 Bis zum Abschluß des Vertrages dauerte es jedoch noch mehr als einen Monat. Das lag vor allem daran, daß das Auswärtige Amt nunmehr den Widerstand der Wirtschaftsverbände und Behörden zu überwinden hatte. Als Cicerin am Abend des 1. Oktober Stresemann in Berlin besuchte, teilte letzterer ihm mit, daß die deutsche Regierung zur Unterzeichnung des Vertragswerkes bereit sei. An demselben Tage war der Vertragsentwurf vom Reichskabinett gebilligt worden. Damit hatten die Verhandlungen nach einer Dauer von mehr als zwei Jahren ihren Abschluß gefunden. Waren auch wesentliche Forderungen der Sowjetregierung nicht erfüllt worden, so konnte das Ergebnis doch als ein Erfolg der sowjetischen Diploma200
Vgl. das Protokoll i n : ZStA Potsdam, Reichsministerium des Innern, Nr. 133 330/1, Bl. 327. Sie bezog sich auf die Einfuhr von 800 Schweinen wöchentlich auf dem Seeweg. 202 Sie sollte f ü r die Mongolei, Persien, Afghanistan und Chinesisch-Turkestan gelten. 2r,?; So beanspruchte die Sowjetregierung den Schutz des Archivs der Hamburger Filiale der Handelsvertretung. Vgl. auch Brockdorff-Rantzau an Koerner, 8. 8.1925. ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 294, Bl. 75. 20/1 Vgl. Anderle, S. 147. 20 > ' Vgl. die Aufzeichnung Brockdorff-Rantzaus vom 31. 8. 1925. ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 294, Bl. 50. 200 Ebenda. 207 Vgl. Ruga, a. a. O., S. 834. 208 Vgl. auch ]. S. Hanecki, Unser neuer Vertrag mit Deutschland. I n : Aus der Volkswirtschaft der UdSSR, 1925, Nr. 12, 3. 11 f. 201
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tie in ihren Anstrengungen um die Sicherung des Friedens und die Stärkung der Sowjetmacht gewertet werden. In diesem Sinne stellte der Vertrag auch für Deutschland einen Faktor dar, der sich politisch und wirtschaftlich in hohem M a ß e positiv auswirkte. E r stärkte objektiv die friedliche Koexistenz Deutschlands mit der Sowjetunion, wenn auch die Vertreter der deutschen Monopolbourgeoisie in den Verhandlungen Ziele verfolgt hatten, die den Prinzipien der friedlichen Koexistenz zuwiderliefen. Denn es war nicht gelungen, wie Stresemann bei Abschluß der Verhandlungen schrieb, „die alten Vorkriegsgrundlagen des russischen Geschäftes wiederherzustellen und zu diesem Zweck die innere russische Gesetzgebung, das russische Wirtschaftssystem zu durchbrechen oder umzubiegen oder die bereits gewährten Rechte einer gewissen persönlichen und räumlichen Exterritorialität wieder rückgängig zu machen." 2 0 9 D e r Ausgang der Verhandlungen zeigte, daß die Sowjetunion stark genug war, sich ökonomisch zu behaupten, und daß sie trotz des unerhörten Druckes, den die ausländische Monopolbourgeoisie an der wirtschaftlichen Front auf sie ausübte, die V e r treter der imperialistischen Welt zur Anerkennung der gegebenen Tatsachen zwingen konnte. 2 1 0 Es war ein erneuter Beweis für die Richtigkeit der von Lenin abgesteckten Generallinie für den Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion sowie der ebenfalls von Lenin begründeten Möglichkeit und Notwendigkeit friedlicher Zusammenarbeit von Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung. Am 12. O k t o b e r 1 9 2 5 wurde in M o s k a u der „Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken" von Brockdorff-Rantzau und Koerner für die Reichsregierung und Litvinov und Hanecki für die Sowjetregierung unterzeichnet. Es war mehr als nur ein Handelsvertrag, obgleich er später oftmals so bezeichnet wurde. Denn außer dem Wirtschaftsabkommen gehörten zu ihm sechs weitere Abkommen, die verschiedene Gebiete der gegenseitigen Rechtsverhältnisse betrafen. 2 1 1 D e r Vertrag regelte in umfassender und für die damalige Zeit in erstmalig beispielhafter Weise die wirtschaftlichen und rechtlichen Beziehungen zwischen den beiden gesellschaftlichen Systemen und besaß, wie J a k o b Hanecki betonte, eine „wichtige Bedeutung für die engere ökonomische und kulturelle Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und Deutschland." 2 1 2 D e r Vertrag, dessen Abschluß deutscherseits nach den Worten Schlesingers „im großen und ganzen ein Verdienst m
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Die Aufzeichnung Stresemanns fixierte die Ergebnisse der Verhandlungen und war als Vorlage für das Reichskabinett bestimmt. Undatiert, im Büro des Reichspräsidenten eingegangen am 30. 9.1925. ZStA Potsdam, Büro des Reichspräsidenten, Nr. 708/3, Bl. 114 f. Im ReichsratsauSschuß für Auswärtiges erklärte Koerner am 24.11.1925, dafj das Staatsund Wirtschaftssystem der Sowjetunion fest und lebensfähig sei. „Man wird also hieraus die Folgerung zu ziehen haben, daß man sich bemühen muß, die beiden nicht homogenen Wirtschafts- und Staatssysteme der Sowjetunion und der übrigen Kulturvölker durch entsprechende Vereinbarungen aneinander zu passen." Nach dem Bericht des sächsischen Gesandten, StA Dresden, Gesandtschaft Berlin, Nr. 1 314, Bl. 175 f. Außer dem ersten Teil mit den Allgemeinen Bestimmungen bestand das Vertragswerk aus den folgenden Abkommen: I. Abkommen über Niederlassung und allgemeinen Rechtsschutz; II. Wirtschaftsabkommen; III. Eisenbahnabkommen; IV. Seeschiffahrtsabkommen; V. Steuerabkommen; VI. Schiedsgerichtsabkommen; VII. Abkommen über gewerblichen Rechtsschutz. Vgl. den Vertragstext in: Deutsch-sowjetische Beziehungen 1922 bis 1925, 2. Halbbd., S. 766 f. J. S. Hanecki, Unser neuer Vertrag mit Deutschland. In: Aus der Volkswirtschaft der UdSSR, 1925, Nr. 12, S. 18.
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Rantzaus" war, 213 stärkte nicht nur allgemein den „Geist von Rapallo", sondern war gleichsam die „Durchführungsbestimmung" des Rapallo-Vertrages für die verschiedensten Gebiete der gegenseitigen Beziehungen. Die für die Sowjetunion so wichtige Kreditfrage war zuvor aus den Vertragsverhandlungen ausgesondert worden und hatte inzwischen ebenfalls eine erste Lösung gefunden. Der ursprünglich geäußerte sowjetische Wunsch, einen Kredit zum Einkauf deutscher Industrieprodukte in Höhe von 600 Millionen Mark zu erhalten, konnte freilich nicht verwirklicht werden.-1'1 Mitte August einigten sich führende Vertreter der deutschen Industrie und der Banken mit Stresemann, der Sowjetunion einen Kredit in Höhe von 100 Millionen Mark zui Verfügung zu stellen.-1"' Ebenso wie Stresemann den Handelsvertrag als politisches ^Beruhigungsmittel" gegenüber der Sowjetregierung ansah, hielt er auch die Kreditvergabe aus diesen politischen Erwägungen für notwendig. 210 Am 22. Oktober 1925 wurde in Moskau zwischen der sowjetischen Staatsbank und einem unter der Führung der Deutschen Bank stehenden Konsortium ein Vertrag über einen Kredit in Höhe von 100 Millionen Mark abgeschlossen. Davon wurden 75 Millionen der Sowjetregierung direkt zur Verfügung gestellt, während die restlichen 25 Millionen über die jeweiligen Lieferanten aufgenommen werden sollten. Die Rückzahlung der Kreditsumme sollte in etwa 4 bis 5 Monaten erfolgen. Es war die erste größere Bresche, die die Sowjetunion in die Mauer der Finanzblockade der imperialistischen Mächte schlagen konnte. Das Abkommen bildete den Auftakt für eine Reihe weiterer großer Kreditabkommen mit Deutschland. Das deutsch-sowjetische Vertragswerk vom 12. Oktober 1925 fand in der deutschen Öffentlichkeit eine große und vorrangig positive Resonanz. Nicht nur von den Vorkämpfern der deutsch-sowjetischen Freundschaft, vor allem den Vertretern der revolutionären Arbeiterbewegung, sondern auch von der übergroßen Mehrheit der Bourgeoisie wurde der Vertragsabschluß begrüßt. Das zeigte, wie populär die Beziehungen Deutschlands zur Sowjetunion auf der Grundlage des Rapallo-Vertrages weiterhin waren. Der Vertrag war aber auch ein Ausdruck dafür, daß sich die herrschenden Kreise des imperialistischen Deutschlands gezwungen sahen, in den zwischenstaatlichen Beziehungen mit der Sowjetunion die Realitäten anzuerkennen. Diese positive Aufnahme des Vertrages ist um so bemerkenswerter, als ja die Bestrebungen nach Durchbrechung des sowjetischen Außenhandelsmonopols und der Untergrabung der sowjetischen Gesellschaftsordnung, wie wir sahen, unter den Vertretern der herrschenden Klassen Deutschlands weit verbreitet waren. In der Reichstagsdebatte vom 1. Dezember 1925 fand der Vertragsabschluß die Zustimmung fast aller Parteien, lediglich ein kleiner Teil der Deutschvölkischen stimmte dagegen. Im Namen der KPD ergriff dort Walter Stoecker das Wort. Er verwies auf die politische Zielsetzung, die die Reichsregierung am Vorabend der Locarno213
Schlesinger an Maltzan, 6.10.1925. PA Bonn, Handakten Schlesinger, Bd. II, Bl. E 242 067. ' Vgl. das zwischen Hanecki und Schlesinger in Moskau am 27. 3. 1925 unterzeichnete Protokoll über die entsprechenden Verhandlungen. ZStA Potsdam, Reichswirtschaftsministerium, Nr. 12 656, Bl. 78 ff. 215 Ebenda, Bl. 112-114. 216 Die Kreditvergabe an die Sowjetunion aus „politischen Erwägungen" betonte Stresemann in einem Schreiben an den Staatssekretär der Reichskanzlei vom 27.10.1925. Ebenda, Bl. 109 f. 21/
Rechts- und Wirtschaftsvertrag
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Konferenz mit dem Vertragsabschluß verfolgt hatte. Ungeachtet aller subjektiven Zielsetzungen der Regierung, so fuhr Walter Stoecker fort, anerkenne die KPD jedoch die objektive Wirkung und Bedeutung des Vertrages: Die Kommunistische Partei Deutschlands werde alles tun, „um die Handelsbeziehungen mit Rußland auch heute, auch innerhalb des kapitalistischen Deutschlands zu ermöglichen und zu fördern im Interesse der deutschen Arbeiter, Angestellten und Beamten . . .'"-'' Bemerkenswert waren die Ausführungen des Sprechers der Deutschen Demokratischen Partei, Ludwig Haas, 218 da sie einen Standpunkt zum Ausdruck brachten, der für nicht wenige bürgerlich-demokratische Kräfte charakteristisch war. Man müsse sich auf die Realität des sowjetischen Außenhandelsmonopols einstellen, auch wenn es den eigenen Wünschen nicht entspreche, so führte Haas aus. „Schon mit dem RapalloVertrag und auch jetzt wieder mit diesem Vertrag bringen wir zum Ausdruck, daß wir auch mit diesem politisch und wirtschaftlich ganz anders organisierten Rußland gute Beziehungen unterhalten wollen. Wir stellen uns auf den Standpunkt, daß es uns nichts angeht, wie sich Rußland im Innern seinerseits organisiert . . . Weil wir in Freundschaft miteinander leben wollen, wollen wir uns gegenseitig in unsere inneren Verhältnisse nicht einmischen . . . Wir hoffen, daß der Geist, in dem der Vertrag ausgeführt wird, sein möge der Geist des gegenseitigen Verstehens, der Geist aufrichtiger Freundschaft, der Geist ehrlicher Zusammenarbeit." 21 " Auch die Ausführungen des ehemaligen Reichswirtschaftsministers Hans von Raumer, der als Mitglied der Deutschen Volkspartei und Geschäftsführer des Zentralverbandes der deutschen Elektrotechnischen Industrie unmittelbar die deutsche Monopolbourgeoisie vertrat, zeigten, daß auch in diesen Kreisen die Wichtigkeit der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion erkannt wurde. 220 Raumer verteidigte in der Reichstagsdebatte die Auffassung, daß man sich in die inneren Angelegenheiten der Sowjetunion nicht einmischen dürfe und „daß wir mit einem Volk zusammenarbeiten wollen, das vielleicht mehr als alle Völker der Welt die größten Entwicklungsmöglichkeiten hat und das vielleicht für Deutschland das aussichtsreichste Gebiet seiner Zukunftsbetätigung werden wird." 221 So eröffnete sich auf dem Boden des neuen Vertrages für den Wirtschaftsverkehr zwischen den beiden Ländern im Sinne der friedlichen Koexistenz eine günstige Perspektive. Aber schon bald sollte sich zeigen, daß die vielfach gehegten Hoffnungen der deutschen Monopolbourgeoisie, an einem Einbruch in die Gesellschaftsordnung der Sowjetunion auf ökonomischem Wege teilzuhaben, keineswegs aufgegeben waren. Im Gegenteil, sie sollten schon in nächster Zeit in enger Wechselwirkung mit der Zuspitzung der englisch-sowjetischen Beziehungen neu aufleben. Und die Sowjetunion stand auch auf diesem Gebiet ihrer Beziehungen zu Deutschland noch vor schweren Kämpfen und Aufgaben. 217 218
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Verhandlungen des Reichstages. Stenographische Berichte, Bd. 388, S. 4 685. Ludwig Haas (1875-1930) setzte sich in der Weimarer Republik für ihre bürgerlichdemokratische Ausgestaltung ein. Als Gegengewicht gegen den Rechtsdruck gründete er 1926 zusammen mit Josef Wirth und dem sozialdemokratischen Reichstagspräsidenten Paul Lobe die „Republikanische Union". Ihre Wochenschrift „Deutsche Republik" trat in der Folge aktiv für eine antifaschistische Abwehrfront von Marxisten und Nichtmarxisten auf. Verhandlungen des Reichstages. Stenographische Berichte, Bd. 388, S. 4 687. Vgl. auch H. v. Raumer. Aufgaben der deutschen Handelspolitik, Leipzig 1926. Verhandlungen des Reichstags. Stenographische Berichte, Bd. 388, S. 4 679.
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4. Der Berliner Vertrag Zu demselben Zeitpunkt, als in Moskau von Deutschland und der Sowjetunion der Vertrag über die Rechts- und Wirtschaftsbeziehungen unterzeichnet wurde, in den Tagen vom 5. bis 16. Oktober 1925, fand in dem Schweizer Kurort Locarno die Konferenz über den Garantiepakt statt. Vertreten waren durch ihre Außenminister sieben Länder: Deutschland, England, Frankreich, Belgien, Italien, Polen und die Tschechoslowakei. Zusammen mit Stresemann war auch Reichskanzler Luther nach Locarno gereist. Ziel der Konferenz war die Neuordnung des Versailler Systems. Wie schon auf der Pariser Konferenz im Jahre 1919 war es auch auf der Konferenz von Locarno die „russische Frage", die den dortigen Diskussionen und Beschlüssen den Stempel aufdrückte. Denn hinter allen Überlegungen zur Überwindung der vorhandenen Gegensätze untereinander stand die Absicht, eine einheitliche Front der imperialistischen Mächte zur Bekämpfung der Sowjetunion aufzustellen. Daß das Zustandekommen dieser Front entscheidend von der Stellung des deutschen Imperialismus abhing, wurde bereits dargelegt. „Nichts ist in Europa möglich ohne Deutschland, und im Verein mit ihm "wird alles möglich sein." So hatte Churchill schon 1919 betont, als er den Interventionskrieg gegen Sowjetrußland organisierte. 222 Man konnte diese These allerdings auch anders, positiv formulieren, in der Weise, wie es die führenden sowjetischen Staatsmänner wiederholt in jenen Jahren taten: friedliche Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion waren zugleich auch die entscheidende Grundlage des Friedens in Europa. Aber eben gerade gegen diese Grundlagen des Friedens in Europa richtete sich, ungeachtet aller subjektiven Wünsche und Vorstellungen der daran beteiligten Politiker, das Vertragswerk, das in Locarno zurechtgezimmert wurde. 223 Denn welche Formulierungen sich auch immer die bürgerlichen Rechtsexperten ausdachten, um die imperialistischen Widersprüche zu überbrücken und wie sehr auch die dort anwesenden imperialistischen Politiker die „Aussöhnung" zwischen den Siegern und Besiegten feierten, so blieben sie dennoch jenem nach Profit, Expansion und Völkermord drängenden imperialistischen System verbunden, dessen Natur Lenin im Jahre 1916 in seiner klassischen Arbeit „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" aufgedeckt hatte: „Der Imperialismus ist die Epoche des Finanzkapitals und der Monopole, die überall den Drang nach Herrschaft und nicht nach Freiheit tragen. Reaktion auf der ganzen Linie, gleichviel unter welchem politischen System, äußerste Zuspitzung der Gegensätze auch auf diesem Gebiet - das ist das Ergebnis dieser Tendenzen. Insbesondere verschärfen sich auch die nationale Unterdrückung und der Drang nach Annexionen, d. h. nach Verletzung der nationalen Unabhängigkeit . . ," 2Vi Wie schwach auch zunächst der deutsche Imperialismus nach seiner Niederlage im Weltkrieg war und wie sehr sein Außenminister Stresemann auch in Locarno vom Frieden sprach, so bedeuteten doch die dort gefaßten Beschlüsse nichtsdestoweniger bereits den ersten entscheidenden Schritt, der dem deutschen Imperialismus den Weg zur Neuaufteilung der Welt ebnete. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann aus dem noch Schwachen 222 223
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W. Churchill, Nach dem Kriege, Zürich 1930, S. 23. Vgl. dazu auch die von W. Rüge verfaßte Einleitung zu: Locarno-Koniezenz lin 1962. W. 1. Lenin, Werke, Bd. 22, S. 302.
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der Stärkere unter den imperialistischen Rivalen wurde. „Denn unter dem Kapitalismus ist f ü r die Aufteilung der Interessen- und Einflußsphären, der Kolonien usw. eine andere Grundlage als die Stärke der daran Beteiligten, ihre allgemeinwirtschaftliche, finanzielle, militärische und sonstige Stärke, nicht denkbar. Die Stärke der Beteiligten aber ändert sich ungleichmäßig, denn eine gleichmäßige Entwicklung der einzelnen Unternehmungen, Trusts, Industriezweige und Länder kann es unter dem Kapitalismus nicht geben." 225 Die Geschichte der Beziehüngen zwischen Deutschland und den Versailler Siegermächten bestätigte nach Locarno schon bald die Richtigkeit dieser von Lenin getroffenen Aussage. Es zeigte sich, daß der deutsche Imperialismus in den nachfolgenden Jahren die in Locarno f ü r ihn geschaffenen .Ausgangspositionen systematisch nutzte, um jene Ziele zu verwirklichen, die Stresemann in seinem berüchtigten Brief an den preußischen Kronprinzen vom September 1925 darlegte: Lösung der Reparationsfrage zugunsten Deutschlands, Aufhebung der Rheinlandbesetzung und Schaffung der Voraussetzungen für das Wiedererstarken Deutschlands, „Schutz" der Auslandsdeutschen, Revision der deutsch-polnischen Grenze, „Anschluß" Österreichs und Wiedergewinnung des deutschen Kolonialbesitzes. 226 Damit war der Kampf um die Neuverteilung der Welt - der, wie die Geschichte zeigte, in den zweiten Weltkrieg einmündete - vorgezeichnet. Angesichts der vorhandenen imperialistischen Gegensätze stießen dann auch die Versuche, eine einheitliche antisowjetische Front unter Einbeziehung Deutschlands aufzustellen, auf wesentliche Hindernisse. Deutlich zeigte sich das in der Frage des geplanten Eintritts Deutschlands in den Völkerbund, bei der es hauptsächlich um die Artikel 16 und 17 ging. Ganz selbstverständlich verband man das Inkrafttreten dieser Artikel mit einem Krieg gegen die Sowjetunion, wobei dann Deutschland mindestens den Truppen der Westmächte das Durchmarschrecht gewähren sollte. Reichskanzler Luther, der in Locarno diese Frage ausführlich mit Briand erörterte, schrieb später: „Bei diesem Durchmarschrecht handelte es sich damals, obgleich das wohl selten ausgesprochen wurde, um den gedachten Fall einer Exekution der Westmächte gegen Rußland." 227 Auch andere Dokumente, darunter besonders die Sitzungsprotokolle der Konferenz in Locarno, beweisen, daß die Anwendung der genannten Artikel auf die Bekämpfung der Sowjetunion gemünzt war. 2 2 8 Schon dies allein zeigt, daß die imperialistischen Politiker in Locarno alles andere als ein Fundament des Friedens begründeten, wie es bürgerliche Historiker bis auf den heutigen Tag immer wieder hinstellen. 229 Aber wie es sich schon in den Vorverhandlungen gezeigt hatte, lehnten es die Vertreter der deutschen Regierung auch in Locarno ab, die beiden Artikel f ü r Deutschland bei seinem Eintritt in den Völkerbund vorbehaltslos gelten zu lassen. Auch diesmal betonten sie, 225 226 227 228
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Ebenda, S. 300. Vgl. Stresemann, Vermächtnis, Bd. 2, S. 553. H. Luther, Politiker ohne Partei, Stuttgart 1960, S. 378. Vgl. die Aufzeichnung Dirksens über die Sitzung vom 8.10.1925 (locarno-Konierenz, S. 161), in der ebenfalls vom Krieg gegen die Sowjetunion als Präzedenzfall gesprochen wurde. So heifjt es in dem von H. Rößler/E. Hölzle für die Rankegesellschaft herausgegebenen Band „Locarno und die Weltpolitik 1924-1932", Göttingen 1969, zu Beginn des Vorwortes: „Locarno war der entschiedene Schritt zu einer Versöhnung des westlichen Europa."
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daß ein unbewaffnetes Deutschland kein Partner der Westmächte in einem K r i e g gegen die Sowjetunion sein könne. 2 3 0 Das war sicherlich nicht nur ein M i t t e l der Taktik, um das Recht zur Wiederaufrüstung zu erlangen. Denn daß die Vertreter eines wiederaufgerüsteten imperialistischen Deutschlands sich der Sowjetunion gegenüber anders verhalten hätten, sollte sich später schließlich furchtbar bewahrheiten. 2 3 1 Deshalb stellte die Unterzeichnung des Locarno-Paktes durch die deutsche Regierung für die Sowjetunion eine potentielle Gefahr dar, da der Pakt, ungeachtet aller vorhandenen Widersprüche und Vorbehalte, der Konzeption einer antisowjetischen Front der imperialistischen M ä c h t e entsprach. Und trotz der in der Anlage F des Locarno-Paktes enthaltenen Klausel, die besagte, daß Deutschland seinen Verpflichtungen gegenüber dem Völkerbund nur in einem solchen M a ß e zu entsprechen brauchte, „das mit seiner militärischen Lage verträglich ist und das seiner geographischen Lage Rechnung trägt", 2 3 2 b e g a b sich Deutschland damit auf eine politische Linie, auf der es, wie die Sowjetregierung wiederholt warnte, zwangsläufig in einen Krieg gegen die Sowjetunion geraten könnte. Die Gefahr, die dem europäischen Frieden aus der Locarno-Politik erwuchs, ergab sich nicht nur schlechthin daraus, daß Deutschland in eine Kampffront gegen die Sowjetunion gebracht werden sollte. Denn der deutsche Imperialismus - würde ihm der W e g zu Wiederaufrüstung und Aggression geebnet - mußte notwendigerweise auch wieder zu einem gefährlichen Gegner der anderen Locarno-Mächte selbst werden. Dies wurde durch die Geschichte sehr bald bestätigt. W a r dies alles in Locarno auch noch sehr verschleiert und für viele schwer erkennbar, so sollte die spätere Stufe der Locarno-Politik - das Abkommen von Müncheij - diese Konsequenzen schon sehr viel deutlicher offenbaren. 2 3 3 Es sollte sich auch alsbald zeigen, daß gerade die unterschiedliche Behandlung der Grenzfragen - die Grenzen Deutschlands mit Frankreich und Belgien, nicht aber diejenigen mit Polen und der Tschechoslowakei unterlagen der Sicherheitsgarantie den K e i m neuer und den Frieden gefährdender Konflikte in sich barg. Stresemann bezeichnete in diesem Zusammenhang Locarno als einen „Waffenstillstand"^ der die Möglichkeit der Rückeroberung des „deutschen Territoriums im Osten" bot. 2 3 ' 1 Das 230
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Stresemann sagte am 27. 3.1926 in einem Gespräch mit dem österreichischen Bundeskanzler Ramek: „Wir haben noch einmal festgestellt (in Locarno - G. R.), daß wir uns weder an kriegerischen Maßnahmen gegen Rußland beteiligen, noch den Durchmarsch gestatten, noch an wirtschaftlichen Maßnahmen teilnehmen. Man machte uns wegen dieser Haltung in Italien Vorwürfe, denen ich aber entgegenhielt, daß das nur eine Folge der von der Entente verfügten Entwaffnung Deutschlands sei." ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 258, Bl. 103; vgl. auch Andetle, S. 191. . Es ist bemerkenswert, was in diesem Zusammenhang Georg Cleinow dem in Locarno weilenden Staatssekretär von Schubert am 1 0 . 1 0 . 1 9 2 5 schrieb: „Gegen die Zerreißung des Dokumentes von Versailles würde ich in keinem Augenblick zögern, unsere Beziehungen zu Rußland und Polen einer einschneidenden Revision zu unterziehen; Polen sollte sich ruhig bis an das Schwarze Meer ausdehnen und zur Düna vordringen können . . . " ZStA Merseburg, Nachlaß Cleinow, Nr. 91, vol. III. Locarno-Konterenz, S. 215. Der ehemalige französische Ministerpräsident Paul Reynaud schrieb in seinem Buch „La France a sauvé l'Europe" (Paris 1947) : „In Locarno steckte bereits der Geist von München." Zit. nach P. Wandycz, France and her eastern Allies 1919-1925, Minneapolis 1962, S. 367. In einem Brief an Keudell, 27.11.1925. Gasiorowski, Stresemann and Poland after Locarno. Journal of Central European Affairs, vol. XVIII, 1958, S. 292.
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aber war letztlich nur durch Krieg zu verwirklichen, was später mit geradezu unheimlicher Logik eintrat. Insofern kann man J . Jacobson nur zustimmen, wenn er in seinem Buch über die Locarno-Diplomatie urteilt, daß „Locarno nicht ein Friedenspakt, sondern eine Übereinkunft zu einem Krieg unter gewissen Eventualitäten" war. 2 3 3 Es gehört mit zu den historischen Verdiensten der Kommunistischen Partei Deutschlands, dag Ernst Thälmann in ihrem Namen im November 1925 von der Tribüne des Reichstags auf diese Konsequenzen, die sich aus dem Locarno-Kurs ergaben, hinwies: „Schon schlagen die Herzen der Militärs der deutschen Reaktion höher. Schon träumt die deutsche Reaktion, zunächst einmal mit dem polnischen 'Erbfeind' aufzuräumen. Wir müssen heute vor der deutschen und der internationalen Arbeiterschaft der Ostpolitik der deutschen Bourgeoisie die Maske herunterreißen. Was hier von der deutschen Bourgeoisie im Stillen organisiert wird, kann morgen zu einem ungeheuren blutigen Abenteuer werden. Die deutschen Arbeiter müssen achtgeben, dafj die Versuche der deutschen Bourgeoisie zur Rückeroberung der verlorengegangenen Ostprovinzen nicht die Einleitung zum nächsten Krieg bedeuten. Die deutschen Arbeiter müssen ihr Augenmerk darauf lenken, daß die Tendenzen innerhalb der deutschen Bourgeoisie wachsen, durch den polnischen Korridor in einen neuen Krieg hineinzutaumeln." 236 Zugleich wies Ernst Thälmann die antisowjetische Stoßrichtung der Locarno-Politik nach und hob hervor, daß die Alternative zur Locarno-Politik der Großbourgeoisie im Kampf der Arbeiterklasse für die nationale Unabhängigkeit Deutschlands, für die Fortsetzung der Rapallo-Politik und der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion bestehen mußte. 237 Die Warnung, daß aus der Politik von Locarno ein neuer Krieg hervorgehen werde, wurde auch von der Tribüne des XIV. Parteitages der KPdSU (B) an die Welt gerichtet. In einer entsprechenden Resolution stellten die Delegierten des Parteitages fest: „Die relative Stabilisierung und die sogenannte 'Befriedung' Europas unter der Hegemonie des anglo-amerikanischen Kapitals führten zu einem ganzen System ökonomischer und politischer Blöcke. Der letzte ist die Konferenz von Locarno mit den sogenannten 'Garantieverträgen' und richtet sich mit seiner Spitze gegen die UdSSR. Diese Blöcke und Verträge, die durch den sich pazifistisch gebärdenden Völkerbund und den verlogenen Lärm der II. Internationale über die Abrüstung getarnt werden, bedeuten in Wirklichkeit nichts anderes, als die Kräfteaufstellung für einen neuen Krieg". 2 3 8 Die Reaktion innerhalb der herrschenden Klassen Deutschlands auf die LocarnoVerträge war nicht einheitlich. 230 Während der größte Teil in den Locarno-Verträgen den Weg zur Wiedererrichtung der alten imperialistischen Machtstellung sah - auch die Führung der SPD erging sich in Begeisterung für die Locarno-Verträge - , lehnte ein geringerer, wenn auch nicht unbedeutender Teil der Bourgeoisie und des Junker235 236
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}. Jacobson, S. 37. E. Thälmann, Reden und Aufsätze zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. I, Berlin 1955, S. 287. Vgl. Ernst Thälmann. Eine Biographie, S. 270f.; N. Madloch, Der Kampf der KPD 1925 gegen den Locarno-Pakt und für eine demokratische und friedliche deutsche Außenpolitik. ZfG, 1964, Nr. 2, S. 231 f. KPSS v rezoljucijach i resenijach, Bd. 3, S. 245. Vgl. auch die von W. Rüge verfaßte Einleitung zum Dokumentenband Locarno-Konferenz, S. 37 f. Rosenfeld
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tums Locarno als Unterwerfung unter die Westmächte ab. Nun beruhte zwar diese nationalistische Opposition gegen Locarno, zu der besonders die Deutschnationalen zählten, in vieler Hinsicht auf vorübergehenden taktischen, besonders innerpolitischen Erwägungen, um die vorhandenen echten nationalen Strömungen in den verschiedenen Schichten und Klassen des deutschen Volkes aufzufangen. 240 Und deshalb darf die Bedeutung dieser nationalistischen Opposition gegen Locarno nicht überschätzt werden. Aber bis zu einem gewissen Grade konnte sich die sowjetische Diplomatie doch auf diese Opposition stützen. „Die Russen haben einen Druck auf die öffentliche Meinung ausgeübt und insbesondere in preußischen konservativen Kreisen Erfolg gehabt, wo sich die Phrase ausgebildet hat, daß die Russen und Preußen zusammengehören und keine Politik gemacht werden darf, die uns mit Rußland entzweit", erklärte Stresemann. 2 '' 1 Viele Vertreter der deutschen Bourgeoisie und des Junkertums, wie zum Beispiel auch Seeckt, 2 '' 2 die Locarno ablehnten, suchten ihre Stellung durch Anlehnung an die Sowjetunion, wenn auch vielfach nur vorübergehend, zu stärken. Dazu gehörten auch verschiedene nationalistische Verbände, ungeachtet ihrer scharf antikompiunistischen Einstellung. Auch Brockdorff-Rantzau ist natürlich in diesem Zusammenhang, unter den Gegnern des Locarno-Vertrages zu nennen. Im Unterschied zur Mehrheit der Locarno-Gegner sah er freilich das Verhältnis Deutschlands zur Sowjetunion sehr viel realistischer. Rantzau befürchtete, daß sein ganzes Werk nunmehr der Zerstörung preisgegeben war und eilte im November 1925 nach Berlin. 2 4 3 Er erreichte von Hindenburg, daß sich am 17. November unter dessen Vorsitz ein Ministerrat noch einmal mit den LocarnoVerträgen beschäftigte, ohne allerdings dieselben rückgängig zu machen.2''''1 Das darauf von Rantzau verfaßte Gesuch um seine Entlassung von dem Moskauer Posten blieb jedoch unabgesandt, nachdem ihn Hindenburg in einer Unterredung am 28. November zum weiteren Verbleiben in seinem Amt veranlassen konnte. 2 4 5 Er ließ sich von Hindenburg davon überzeugen, daß er gerade jetzt in Moskau bleiben müsse, da man dort die Abwendung Deutschlands von der Rapallo-Politik befürchtete. Dabei spielte sichtlich die Tatsache keine geringe Rolle, daß Hindenburg die Ansichten Rantzaus bezüglich des deutschen Eintritts in den Völkerbund und der Bedeutung der Sowjetunion für Deutschland in einiger Hinsicht teilte. 2 4 6 An dieser Stelle erhebt sich die Frage, inwieweit nun der Abschluß der LocarnoVerträge die bisherigen Beziehungen Deutschlands zur Sowjetunion, das heißt die Rapallo-Politik, beeinträchtigte. Es wurde schon betont, daß auch jetzt noch alle jene Faktoren wirksam waren, die seinerzeit zum Abschluß des Rapallo-Vertrages geführt Vgl. die Reichstagsrede Clara Zetkins vom 27.11.1925. Verhandlungen des Reichstags. Bd. 388, S. 4 632. 241 In der oben zitierten Unterredung mit dem österreichischen Bundeskanzler Ramek am 27. 3.1926. ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 258, Bl. 103. 242 So sprach sich Seeckt in der Sitzung des Reichskabinetts am 24. 6. 1925 entschieden gegen die Paktverhandlungen mit den Westmächten aus. Vgl. K. Dichtl/W. Rüge, Zu den Auseinandersetzungen innerhalb der Reichsregierung über den Locarno-Pakt 1925. In: ZfG, 1974, Nr. 1, S. 69. 243 vgl. seine Aufzeichnung über die Ergebnisse der Locarno-Konferenz vom 7.11.1925. In: Locarno-Konferenz, S. 220 f. 244 Vgl. Heibig, S. 139. 245 Vgl. Aufzeichnung Brockdorff-Rantzaus vom 28.11.1925 sowie Brief Hindenburgs an Stresemann von demselben Tage. Ebenda, S. 224 f.; Walsdorti, S. 156. 246 Vgl. Luther, Politiker ohne Partei, S. 397. 240
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hatten - ungeachtet der Tatsache, daß Locarno bereits eine bestimmte Verlagerung in der Strategie und Taktik der Außenpolitik des deutschen Imperialismus herbeigeführt hatte. Unter den herrschenden Kreisen der Westmächte, besonders in London und Washington, gab es zahlreiche Stimmen, die ihre Zufriedenheit mit den in Locarno getroffenen Entscheidungen äußerten. Die Zeitung „New York Times" schrieb am Tage' nach dem Abschluß der Locarno-Konferenz: „Folge der Herstellung von Frieden und Sicherheit in Westeuropa ist die politische und moralische Isolierung Sowjetrußlands."2''17 Hier war offensichtlich der Wunsch der Vater des Gedankens. In ähnlicher Weise notierte d'Abernon, daß man als Ergebnis von Locarno „die Schwächung oder sogar Aufgabe der Basis des Rapallo-Vertrages" verzeichnen könne.2,18 Einem Bericht des polnischen Außenministeriums zufolge, äußerte Chamberlain in einer Unterredung mit Skrzynski im Dezember 1925, daß sich Deutschland nunmehr auf einem Wege befände, der zum völligen Bruch mit der Rapallo-Politik, wie sie vor Locarno bestanden hatte, führen müsse. 249 In der Tat, dies wurde schon betont, konnte der vom deutschen Imperialismus in Locarno eingeschlagene Kurs in letzter Konsequenz darauf hinauslaufen, die bisherigen Beziehungen Deutschlands zur Sowjetunion grundsätzlich zu verändern. Dies lag um so mehr im Bereich der Wahrscheinlichkeit, als sich die führenden Vertreter des deutschen Monopolkapitals in ihrer Mehrheit - und dies drückte sich auch in den Überlegungen aus, die in der Wilhelmstraße angestellt wurden - für die Wiedergewinnung der Machtpositionen des deutschen Imperialismus von einem Arrangement mit den Westmächten mehr versprachen als von der Rapallo-Politik. Eben darin unterschied sich grundsätzlich die Konzeption Stresemanns von derjenigen BrockdorffRantzaus. Schubert bezeichnete dann auch in einer Mitteilung an den deutschen Botschafter in London, Friedrich Sthamer, die Locarno-Politik als den „Kernpunkt unserer Außenpolitik." 250 Sthamer, der ebenso wie Botschafter von Hoesch in Paris Anfang 1926 vom Auswärtigen Amt in die Erörterungen über die Rückwirkungen des Locarno-Paktes auf die deutsche Ostpolitik stärker eingeschaltet wurde, 251 hatte die Situation recht klar erfaßt, als er im Januar 1926 Schubert schrieb: „Ich gehe davon aus, daß durch den Vertrag von Locarno Deutschland eine starke Annäherung an die Westmächte vollzogen hat, daß sie einer Option für den Westen tatsächlich sehr nahe kommt, zumal mit einer Vertiefung dieses Verhältnisses in der Zukunft gerechnet werden muß, sowohl durch Deutschlands Eintritt in den Völkerbund, der äußerlich eine Neugruppierung der europäischen Mächte unter Ausschluß Rußlands ist, wie durch Fortsetzung der in Locarno begonnenen Zusammenarbeiten zur weiteren Befriedung " Zitiert nach: Istorija Diplomatie, Bd. III, S. 427. D'Abernon, Bd. III, S. 240. "2VJ Stepanov, S. 208, führt diesen Bericht ohne Angabe des Datums unter Bezugnahme auf das Archiv des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR an. Offenbar handelt es sich um eine dem Narkomindel übermittelte Information. 2 5 0 Es hieß dort: „Der Kernpunkt unserer Außenpolitik ist das, was man als LocarnoPolitik zu bezeichnen pflegt. Seit der deutschen Initiative haben wir unter dieser Politik eine ständig enger werdende Annäherung zwischen Deutschland und den Westmächten verstanden." Schubert an Sthamer, 28. 7. 1928. ZStA Potsdam, Büro des Reichspräsidenten, Nr. 696, Bl. 136. 2
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Vgl. auch Walsdorff,
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Europas. Ich halte deshalb eine gewisse Beunruhigung Rußlands vom russischen Standpunkt aus f ü r berechtigt, gleichfalls auch das russische Mißtrauen gegen England f ü r nicht unberechtigt. Solange eine konservative Regierung in England am Ruder ist, und dies ist noch f ü r längere Zeit der Fall, wird mit einer antibolschewistischen Politik Englands gerechnet werden müssen, und die russische Befürchtung eines Wirtschaftsboykotts hat durchaus realen Hintergrund. Wie weit sich solche Tendenzen im Völkerbund durchsetzen können, ist natürlich eine Frage f ü r sich, aber ob Deutschland auf die Dauer sich ihnen widersetzen kann, möchte ich nicht unbedingt bejahen. Hauptziel Deutschlands muß und wird bleiben, vom Versailler Vertrag soviel wie möglich abzubauen. Da aber auf freiwilligen Verzicht der Gegenseite nicht zu rechnen ist, das völlig ausgepumpte Deutschland aber keine ins Gewicht fallende Gegenkonzessionen machen kann, so erwächst die Gefahr, daß politische Konzessionen und Maßnahmen gefordert werden, die sich gegebenenfalls gegen Rußland wenden können. O b in solcher Lage Deutschland wirklich volle Aktionsfreiheit haben würde, abhängt davon, was ihm geboten wird, und die Wahl zwischen Osten und Westen, wenn sie jetzt noch zu vermeiden ist, könnte in einem solchen Dilemma Deutschland aufgenötigt werden. Mit solchen Eventualitäten wird Rußland aber sicher jetzt schon rechnen und deshalb sein Drängen nach einer Bindung Deutschlands." 252 Hier wurde die Gefahr, die Locarno f ü r die deutsch-sowjetischen Beziehungen bedeutete, klar zum Ausdruck gebracht. Dabei ist freilich hinzuzufügen, daß die Einschätzung Sthamers insofern einseitig bleiben mußte, als er die dem deutschen Imperialismus selbst innewohnenden Aggressionstendenzen naturgemäß außer Acht ließ. Und dieser Faktor war schließlich entscheidend. V. M. Chvostov urteilte in diesem Zusammenhang treffend: „Das weitere Schicksal der sowjetisch-deutschen Beziehungen hing ebenso wie das allgemeine Schicksal Deutschlands vom Ausgang des inneren Kampfes in Deutschland ab, in dem die KPD die Interessen des Proletariats und des gesamten werktätigen Volkes verfocht und der Faschismus, die nationalsozialistische Partei Hitlers, das reaktionäre Monopolkapital vertrat." 2 5 3 In der Tat sollte der weitere Verlauf der Geschichte zeigen, daß die Entwicklung des Klassenkampfes in Deutschland, die sieben Jahre nach Locarno zur Errichtung der faschistischen Diktatur führte, auch die Gestaltung der deutsch-sowjetischen Beziehungen bestimmte. Zwar konnte die Politik der imperialistischen Kreise der Westmächte in dieser oder jener Weise diese Beziehungen beeinflussen. Letztlich aber hing ihre Entwicklung immer wieder von den gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland selbst ab. Bei allen Gefahren, die somit die Locarno-Politik in sich barg, blieb sie vorerst noch eine Tendenz, eine Kraft, die negativ auf die Rapallo-Politik einwirkte, sie aber unter den gegebenen Umständen nicht beseitigte. 2 y ' Obwohl Locarno die deutschsowjetischen Beziehungen gleichsam wie ein düsterer Schatten überzogen hatte, gab die ganze innen- und außenpolitische Situation des imperialistischen Deutschlands der deutschen Rapallo-Politik, die wir auch hier wiederum als Komplex verschiedener Tendenzen und Kräfte zu verstehen haben, hinreichenden Rückhalt. Selbst die Verfechter der Locarno-Politik in Deutschland mußten in der gegebenen Situation auf die Beibehaltung guter Beziehungen zur Sowjetunion Rücksicht nehmen. 252 253 254
Sthamer an Schubert, 23.1.1926. PA Bonn, Büro des RM, 9 Rußland, Bd. 13, Bl. 556 657. V. M. Chvostov, Fünfzig Jahre sowjetisch-deutsche Beziehungen. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 1967, H. 6, S. 960. Vgl. auch Rüge. Deutschland von 1917 bis 1933, S. 278.
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A. V. Lunacarskij, der zur Zeit der Locarno-Konferenz in Deutschland weilte, stellte fest, daß nicht nur die Gegner der Locarno-Politik die Anlehnung an die Sowjetunion suchten, sondern daß auch die eigentlichen „Locarnisten" nicht weit von einer solchen Anlehnung an die Sowjetunion entfernt seien. So habe ihm der ehemalige Reichswirtschaftsminister Hans v. Raumer in einem Gespräch auseinandergesetzt, daß Deutschland trotz Locarno gute Beziehungen zur Sowjetunion brauche. 255 Das entsprach dem, was Raumer, wie wir sahen, auch im Reichstag erklärte. Nach wie vor besaß die von der KPD geführte revolutionäre deutsche Arbeiterbewegung einen entscheidenden Anteil daran, daß die herrschenden Kreise Deutschlands gezwungen waren, die Rapallo-Politik gegenüber der Sowjetunion weiterzuführen. Gerade im Locarno-Jahr, im Sommer 1925, reiste die erste deutsche Arbeiterdelegation in die Sowjetunion. 25 '' Diese Reise von 58 Arbeiter-Delegierten aus ganz Deutschland wurde zum Auftakt einer mächtigen Delegationsbewegung. Indem die aus der Sowjetunion zurückgekehrten Arbeiter in Wort und Schrift die Wahrheit über das Leben im ersten Arbeiter- und Bauernstaat verbreiteten, halfen sie, das Netz der antisowjetischen Lügenpropaganda zu zerreißen und stellten den Kräften der imperialistischen Antisowjetfront die internationale Arbeitersolidarität entgegen. Ernst Thälmann schrieb in diesem Zusammenhang anläßlich des 8. Jahrestages der Oktoberrevolution: „Während sich in Locarno die Herrscher von Versailles mit den Kapitalisten des besiegten Deutschlands zur Vorbereitung des Angriffskrieges gegen die Sowjetunion vereinigt haben, während die sozialdemokratischen Führer ihre antibolschewistische Kampagne verstärken, vollzieht sich in den Reihen der westeuropäischen Arbeiterschaft eine tiefgehende Wandlung . . . Die Entsendung von Arbeiterdelegationen aus England, Deutschland, Schweden, der Tschechoslowakei, Österreich und Belgien ist der Beginn einer Neuorientierung des internationalen Proletariats gegenüber der Sowjetunion. Die Idee der Arbeiterdelegationen, die Sympathie für die Sowjetunion ergreifen immer breitere Massen. Das ist eine Erscheinung von größter Bedeutung für die Zukunft des proletarischen Klassenkampfes. Der Anschauungsunterricht der proletarischen Diktatur wirkt stärker für den Sozialismus, als es siebzig Jahre geduldiger Agitationsarbeit bis zum November 1917 vermochten." 20 ' Auch in weiten Kreisen des Kleinbürgertums, der liberalen Bourgeoisie und nicht zuletzt unter den Angehörigen der Intelligenz, worauf wir im folgenden Kapitel eingehen, war die Aufrechterhaltung guter Beziehungen zur Sowjetunion populär. Ein wesentlicher Faktor, der die Weiterführung der deutschen Rapallo-Politik begünstigte, bestand aber auch in den Wirtschaftsbeziehungen, an deren Entwicklung nicht nur ein großer Teil der Großbourgeoisie, sondern auch mittlere und kleine Unternehmer interessiert waren. Schließlich aber, und das wurde schon ausgeführt, war man sich in der Wilhelmstraße darüber klar, daß trotz des mit der Locarno-Politik beschrittenen Kurses die Abwendung von der Rapallo-Politik die außenpolitische Stellung Deutschlands ganz wesentlich geschwächt hätte, welche ideologischen Positionen die herrschenden Kreise Deutschlands auch immer gegenüber der Sowjetunion bezogen. 233 236
A. V. Lunacarskij, Na zapade, Moskau 1927, S. 14. Vgl. C. Remer, Deutsche Arbeiterdelegation in die Sowjetunion. Die Bedeutung der Delegationsreisen für die deutsche Arbeiterbewegung in den Jahren 1925/26, Berlin 1963. E. Thälmann, Reden und Aufsätze zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. I, S. 2 7 0 - 2 7 1 .
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Alle diese f ü r die Weiterführung der Rapallo-Politik wirkenden Kräfte und Faktoren konnte die Sowjetregierung nutzen, als sie im Herbst 1925 ihre Anstrengungen verstärkte, um durch den Abschluß eines Vertrages über Nichtangriff und Neutralität die sowjetisch-deutschen Beziehungen im Sinne der friedlichen Koexistenz und Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten und den von der Locarno-Politik ausgehenden Gefahren zu begegnen. Der von der Sowjetregierung der Reichsregierung am 13. Juli 1925 übermittelte Entwurf f ü r ein politisches Abkommen, das einem Vertrag über Nichtangriff und Neutralität gleichkam, war unbeantwortet geblieben. Daher sah sich die Sowjetregierung veranlaßt, einen neuerlichen diplomatischen Vorstoß zu unternehmen, um auf dem Wege der Vertragsverhandlungen mit Deutschland - wie wir sahen, ging es zu diesem Zeitpunkt darüberhinaus auch noch um den Rechts- und Wirtschaftsvertrag voranzukommen. Dieser diplomatische Vorstoß wurde von Cicerin selbst unternommen, als er, von Warschau kommend, am 30. September in Berlin eintraf und dort, wie schon erwähnt, am 1. Oktober Stresemann zu einem ersten Gespräch aufsuchte. Der Gesundheitszustand Cicerins hatte sich im Sommer 1925 merklich verschlechtert, und auf Anraten der Ärzte verband er seine Reise, die ihn nach Warschau, Berlin und Paris führte, mit einem Kuraufenthalt. 2 5 8 Das erste Gespräch zwischen Cicerin und Stresemann begann in Anwesenheit Krestinskijs am späten Abend des 1. Oktober und endete erst gegen einhalb zwei Uhr früh. 2 5 9 Cicerin berührte zunächst die deutschen Antworten auf die sowjetischen Vertragsvorschläge. Sie seien, wie Cicerin mit Ironie vermerkte, eher für einen Trinkspruch geeignet gewesen. „Man könne sie mit Goethe 'Bekenntnisse einer schönen Seele' nennen." Stresemann gab in dem weiteren Gespräch, das am 2. Oktober folgte, 200 zu, daß der deutsche Präambelentwurf sich durch Unverbindlichkeit ausgezeichnet hatte. Er versprach seinem Gesprächspartner, nach der Rückkehr aus Locarno einen Vertragsentwurf zu übermitteln, der genauer und bestimmter gehalten war. Cicerin sondierte in beiden Gesprächen jedoch noch zwei weitere Fragen, die ebenfalls schon in den Vorverhandlungen eine Rolle gespielt hatten und die sowohl für die Sowjetregierung als auch f ü r die deutsche Regierung in Locarno von Wichtigkeit waren: sie betrafen erstens die Frage der deutsch-polnischen Grenze und zweitens die Frage der deutschen Vorbehalte zu Artikel 16 der Völkerbundssatzung. 2 6 1 Während sich Cicerin von Stresemann bestätigen ließ, daß die Reichsregierung in jedem Fall eine Garantie der bestehenden deutsch-polnischen Grenze ablehnen werde, war auch 258 259
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Vgl. Corochow/Samjatin/Semskow, G. W. Tschitscherin, S. 204. Vgl. die Aufzeichnung Stresemanns über diese Unterredung. ZStA Potsdam, Büro des Reichspräsidenten, Nr. 708/3, Bl. 169f.; Walsdortt, S. 133f.; Achtamzjan, S. 168f. Wie Walsdorff (ebenda) vermerkt, dürfte die von Stresemann selbst gegebene Datierung auf den 30. September falsch gewesen sein, da die Entscheidung des Reichskabinetts über den Handelsvertrag, worüber Stresemann in diesem Gespräch Mitteilung machte, erst am 1. Oktober fiel. Mithin wäre dann das Gespräch erst am Abend des 1. Oktober gewesen. Dies stimmt auch mit der kurzen Mitteilung Cicerins an das Narkomindel vom 2. Oktober überein, in dem er von dem Gespräch mit Stresemann „gestern abends" sprach. Vgl. DVP SSSR, Bd. VIII, S. 558. Vgl. die Aufzeichnung G. V. Cicerins über dieses Gespräch. DVP SSSR, Bd. VIII, S. 571. Eine Aufzeichnung Cicerins über das Gespräch vom 1. Oktober ist dort nicht enthalten. Vgl. auch Walsdotü, S. 137.
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die zweite Auskunft, daß Deutschland von seinen Vorbehalten gegenüber Artikel 16 nicht abgehen werde, von wesentlicher Bedeutung. Bedenkt man, dafj inzwischen das englische und amerikanische Finanzkapital alle Anstrengungen unternahm, um Deutschland und Polen in einem antisowjetischen Block zu vereinen, was wir in einem weiteren Kapitel noch eingehender behandeln werden, 262 so liegt auch die Wichtigkeit der erstgenannten Frage für die Sowjetregierung auf der Hand. Und welche Motive die deutschen Imperialisten auch dazu bewogen, in Locarno auf der Nichtgarantierung der deutschen Ostgrenzen zu beharren, so lag doch für die sowjetische Diplomatie eben in dieser Tatsache eine wichtige Ansatzmöglichkeit, um der Gefahr der Antisowjetfront entgegenzuwirken. Ungeachtet der Tatsache, daß Stresemann auch jetzt noch eine Konkretisierung des von der Sowjetunion gewünschten Vertragsabschlusses aufschob, konnte Cicerin doch die aus dem Munde Stresemanns gegebene Mitteilung über den deutschen Standpunkt in den beiden obengenannten wichtigen Fragen als einen Erfolg der sowjetischen Diplomatie am Vorabend der Locarno-Konferenz verbuchen. 263 Was die Auskunft Stresemanns betrifft, Deutschland wolle nicht vorbehaltlos dem Völkerbund beitreten, so erschien diese Mitteilung Cicerin jedenfalls wichtig genug, um sie noch einmal, gesondert und ergänzend zu seinem an demselben Tage schon erstatteten Bericht über die zweite Unterredung mit Stresemann, nach Moskau weiterzuleiten.2(*'1 Cicerin nutzte seinen Berliner Aufenthalt, um dort auch mit vielen anderen Politikern, Journalisten und Vertretern des Wirtschafts- und Kulturlebens zu sprechen. Am 3. Oktober, nachdem die deutsche Delegation bereits nach Locarno abgereist war, gab er eine Pressekonferenz. Er verwies dort insbesondere auf die insgesamt erfolgreich verlaufende Wirtschaftsentwicklung der Sowjetunion, was angesichts der bevorstehenden Unterzeichnung des Rechts- und Wirtschaftsvertrages bedeutsam war, und umriß zugleich die, Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen der Sowjetunion mit anderen Ländern. Ausführlich beschäftigte sich Cicerin sodann mit der gegen die Sowjetunion gerichteten Politik der englischen Regierung und ihren Bemühungen, die bisherigen Beziehungen Deutschlands zur Sowjetunion zu verändern. Auch in diesem Zusammenhang ging Cicerin auf die beiden wichtigen Fragen ein, die am Tage zuvor Inhalt seines Gespräches mit Stresemann gewesen waren: „Die englischen Minister traten gegen uns nicht nur mit kriegerischen Reden auf, sondern haben auch alle Staaten zur heiligen Allianz gegen uns aufgerufen. Aus meinen Darlegungen ist klar zu ersehen, wie brennend unter solchen Umständen die Nichtanerkennung des Artikels 16 des Völkerbundes durch Deutschland ist. Die Ablehnung des Artikels 16 durch Deutschland ist ein Faktor des allgemeinen Friedens. In demselben Sinne, das heißt als Friedensfaktor, wird die Stabilisierung freundschaftlicher Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Polen wirken, weil die Stabilisierung dieser Beziehungen ausschließlich auf friedliche Ziele ausgerichtet ist. Es ist uns auch bekannt, daß unlängst die französische und die italienische Regierung negativ auf die englischen Vorschläge antworteten, gegen uns kollektive Schritte zu unternehmen." 2 *" Indem Cicerin hier in der Öffentlichkeit so nachdrücklich auf die Bedeutung des Artikels 16 sowie auf die sowjetisch-polnischen Beziehungen einging, unternahm er Vgl. Kapitel IV, Abschnitt 2. Dies betont auch Achtamzjan, S. 170. Datiert vom 4. Oktober 1925. DVP SSSR, Bd. VIII, S. 573. 265 D V P S S S R < B d . VIII, S. 561. m
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eine diplomatische Kampagne, die auf die Verhandlungen nicht ohne Auswirkung blieb. Und es war ebenfalls nicht zufällig, daß er auch die unterschiedlichen Positionen, die Frankreich und Italien gegenüber der antisowjetischen Einkreisungspolitik Englands bezogen, herausstellte. „Die Gespräche Cicerins in Berlin lenkten die Aufmerksamkeit der Weltpresse auf sich. Die englischen und französischen Zeitungen, die anfangs kein besonderes Interesse an der Reise des sowjetischen Volkskommissars gezeigt hatten, wurden unruhig und begannen über den 'bedeutenden Erfolg' Cicerins zu schreiben. Sie äußerten sogar die Auffassung, daß Cicerin unsichtbar, 'als unerwarteter Partner', auch in Locarno anwesend sei." 266 Cicerin konnte während seines Berliner Aufenthaltes feststellen, daß trotz der inzwischen eingeleiteten Locarno-Politik die Faktoren, die in Deutschland für die Aufrechterhaltung der bisherigen Beziehungen zur Sowjetunion wirkten, noch stark waren. Nichtsdestoweniger mußte die Sowjetunion ihre Bemühungen fortsetzen, um sich gegen die Gefahren, die von der Locarno-Politik und damit auch von einem in Zukunft durchaus möglichen Einschwenken Deutschlands in eine antisowjetische Front ausgingen, zu schützen. Hatte Cicerin vor seinem Eintreffen in Berlin Warschau aufgesucht, so richtete sich nunmehr seine Aufmerksamkeit auf Paris. Cicerin reiste aus Berlin nach Wiesbaden weiter, um dort die ihm von den Ärzten verordnete Kur anzutreten. Ihr schloß er Ende November einen weiteren Kuraufenthalt in Südfrankreich an. Sowohl auf dem Wege dorthin als auch auf dem Rückweg machte Cicerin in Paris Station, um dort mit führenden Politikern Gespräche zu führen. Am 26. November traf Cicerin mit Briand, Painleve, der als Ministerpräsident zwei Tage danach durch Briand abgelöst wurde, und Berthelot, dem Generalsekretär des französischen Außenministeriums, zusammen. 267 Ging dieses erste Gespräch nicht viel über allgemeine Erörterungen und Sondierungen hinaus, so war das Gespräch, das Cicerin auf der Rückreise, am 16. Dezember mit Briand und Berthelot führte, bereits konkreter. 268 Während auch in diesem zweiten Gespräch die Auswirkungen der englischen Politik eine Rolle spielten, kamen die Gesprächspartner nach einem kurzen Streifen der Wirtschaftsbeziehungen zum Meinungsaustausch über die Außenpolitik Polens und damit in engem Zusammenhang über die weitere Entwicklung der sowjetisch-französischen Beziehungen. Cicerin nahm dabei auf den ihm von Herbette in einer Unterredung am 11. August 1925 überbrachten Vorschlag der französischen Regierung Bezug, sich „angesichts der neuen Erscheinungen in der internationalen Politik" gegenseitig auf dem Laufenden zu halten. Als Cicerin die Frage des Abschlusses eines Nichtangriffspaktes zwischen der Sowjetunion und Polen anschnitt sowie auf die enge Verzahnung der sowjetisch-polnischen mit den sowjetisch-französischen Beziehungen hinwies, erklärte Briand „mit großem Eifer", daß ihn die Frage eines solchen Vertrages sehr interessiere und versicherte Cicerin, auf die polnische Regierung im Sinne des sowjetischen Vorschlags einwirken zu wollen. „Indem wir uns verabschiedeten", so heißt es weiter in der Aufzeichnung Cicerins, „konstatierten wir beide, daß unsere Begegnung durchaus nicht umsonst war und vielleicht höchst bemerkenswerte Folgen für unsere Politik haben könnte." 269 Wie die weitere Entwicklung zeigte, gewann später, als Deutschland von der Ra266 267 268 269
Gorochow/Samjatin/Semskow, G. W. Tschitscherin, S. 206. Aufzeichnung Cicerins. DVP SSSR, Bd. VIII, S. 690. Aufzeichnung Cicerins, ebenda, S. 730 f. Ebenda, S. 735.
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pallo-Politik abwich und auch in seiner Außenpolitik gegenüber Frankreich und Polen zunehmend revanchistisch und aggressiv auftrat, der hier von der Sowjetunion eingeschlagene Kurs auf die Intensivierung der Zusammenarbeit mit Frankreich und Polen zur Friedens Sicherung in Europa wachsende Bedeutung. Es zeigte sich aber auch, daß die sowjetische Diplomatie noch große Schwierigkeiten und Hindernisse überwinden mußte, bis ihr die Verbesserung der Beziehungen zu Frankreich und Polen durch den Abschluß von Nichtangriffsverträgen im J a h r e 1 9 3 2 gelang. Aber auch danach brachen die antisowjetischen Tendenzen in der französischen und polnischen Außenpolitik immer wieder so stark hervor, daß sie den K a m p f der Sowjetunion für den Frieden in Europa schwer belasteten und behinderten. Es soll hier nicht weiter interessieren, inwieweit es Briand mit einer V e r b e s s e r u n g der französisch-sowjetischen .Beziehungen wirklich ernst war. Für Berlin bedeutete jedenfalls der Besuch Cicerins in Paris wiederum einen deutlichen Wink, daß Deutschland nicht alleiniger Verhandlungspartner der Sowjetunion war. Einen beachtlichen Erfolg in der Abwehr der antisowjetischen Einkreisungspolitik stellte der am 17. D e z e m b e r 1 9 2 5 abgeschlossene sowjetisch-türkische V e r t r a g über Freundschaft und Neutralität dar. Zusammen mit dem sowjetisch-afghanischen Nichtangriffs- und Neutralitätsvertrag vom 31. August 1 9 2 6 schirmte er die Sowjetunion gegen einen Angriff im Nahen und Mittleren Osten a b und entzog hier dem englischen Imperialismus eine Aufmarschbasis. Auch im Fernen Osten hatte die Sowjetunion inzwischen ihre Positionen festigen k ö n n e n : schon am 31. M a i 1 9 2 4 war ein sowjetischchinesisches Abkommen unterzeichnet worden, das die Aufnahme diplomatischer und konsularischer Beziehungen vorsah. Große Bedeutung besaß auch die sowjetischjapanische Konvention, die am 20. J a n u a r 1 9 2 5 in Peking unterzeichnet wurde und die beiderseitigen Beziehungen auf die Grundlagen friedlicher Koexistenz stellte. Schließlich ist zu erwähnen, daß es damals der Sowjetunion gelang, ihre Beziehungen mit einer Reihe lateinamerikanischer Länder zu verbessern und offizielle diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Einen erneuten diplomatischen Vorstoß unternahm die Sowjetregierung gegenüber Deutschland, als sie am 21. November 1 9 2 5 durch Krestinskij das P r o j e k t eines Neutralitätsvertrages überreichen ließ. Es stellte eine Weiterführung des A n f a n g J u l i gemachten sowjetischen Vorschlages dar und sah die Fassung des Vertrages in fünf Punkten v o r . 2 ' 0 Die wichtigste Festlegung enthielt der vierte Punkt, der f ü r , d e n Fall des Eintritts des einen Vertragspartners in einen K r i e g die uneingeschränkte W a h rung einer freundschaftlichen Neutralität durch den anderen Vertragspartner vorsah. Gerade einer solchen Abmachung über Neutralität aber suchte das Auswärtige Amt aus dem W e g e zu gehen. Stresemann ließ die Katze aus dem Sack, als er in der Reichstagsdebatte über die Locarno-Verträge erklärte, daß Deutschland kein Recht auf Neutralität haben könnte, wenn der Angreifer als solcher qualifiziert s e i . 2 ' 1 D a r überhinaus aber wollte Stresemann natürlich jetzt um so weniger etwas v o m Abschluß eines Neutralitätsvertrages wissen, als die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund auf der nächsten Sitzung in Genf bevorstand. Dies gab auch Schubert ganz offen zu verstehen, als er, zusammen mit Stresemann, Krestinskij zur E n t g e g e n n a h m e des obengenannten sowjetischen Vertragsentwurfes empfing. Krestinskij müsse ver-
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Vgl. den Text in: DVP SSSR, Bd. VIII, S. 674; vgl. auch Achtamzian, Vgl. Verhandlungen des Reichstages, Bd. 388, S. 4 536.
S. 183.
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stehen, so erklärte Schubert, daß Deutschland gerade jetzt, da es in den Völkerbund eintreten wolle, einen solchen Vertrag nicht abschließen könne, der dem Statut des Völkerbundes widerspreche. 2 7 2 Erst M i t t e Dezember entschloß man sich im Auswärtigen Amt in Beantwortung des neuen sowjetischen Entwurfes eigene Gegenvorschläge anzufertigen. 2 7 3 Sie wurden unter maßgeblicher Mitwirkung von Gaus fertiggestellt, und stellten für das Auswärtige Amt die Grundlage für die Gespräche mit Cicerin dar, als dieser auf der Rückreise von Paris nach M o s k a u wiederum in Berlin Aufenthalt nahm. Cicerin traf zunächst a m 19. Dezember mit Schubert zusammen, danach am 21. und 22. D e z e m b e r mit Stresemann. 2 ' 4 Auch mit Brockdorff-Rantzau, der, wie schon erwähnt, sich zu diesem Zeitpunkt in Berlin aufhielt, um seinen Protest gegen die Locarno-Verträge einzulegen, hatte Cicerin am 20. Dezember eine Begegnung. 2 7 5 Die Verhandlungsbasis Cicerins war jetzt, nach dem Besuch in Paris und dem soeben unterzeichneten sowjetisch-türkischen Vertrag, zweifellos stärker, als sie Anfang O k t o b e r gewesen war. Und nicht zufällig verwies Cicerin in diesen Gesprächen recht ausführlich auf die sowjetisch-französischen Beziehungen. Schon in dem Gespräch mit Schubert suchte Cicerin, in Fortsetzung der bisherigen sowjetischen Vertragsvorschläge, seinen Gesprächspartner von der Notwendigkeit eines Abkommens über gegenseitige Neutralität zu überzeugen, wobei er neuerlich auf die Gefahren hinwies, die von der englischen Politik ausgingen. Aber ebenso wie Schubert wich auch Stresemann wiederum dem Angebot eines Neutralitätsvertrages aus und beteuerte erneut, daß der Eintritt Deutschlands in den Völkerbund keine Gefahren für die deutsch-sowjetischen Beziehungen in sich berge und daß Deutschland seine bisherigen Beziehungen zur Sowjetunion nicht verändern wolle. Auch sei Locarno keineswegs gegen die Sowjetunion gerichtet. Statt eines politischen Vertrages, wie ihn die Sowjetunion vorgeschlagen hatte, bot Stresemann nunmehr der Sowjetregierung den Entwurf eines Protokolls an, das gegenwärtig im Auswärtigen Amt erarbeitet werde. D e r Protokollentwurf wurde Cicerin von Stresemann sieben T a g e danach, am 30. Dezember, zu „privater Information" übersandt. 2 ' 6 Obwohl sein Inhalt den sowjetischen Vorschlägen entgegenkam, schwächte er doch die sowjetische Formulierung in der entscheidenden F r a g e der Neutralität ab. Gewiß konnte die sowjetische Diplomatie diesen Entwurf als einen Teilerfolg werten. Aber zufriedengeben konnte sich die Sowjetregierung damit in der nach Locarno entstandenen Situation nicht. Denn der Protokollentwurf enthielt zwar die Fixierung gewisser Tatsachen, legte aber den Partnern keine bindenden Verpflichtungen auf. Letzteres betonte Cicerin nachdrücklich in seiner Stresemann übermittelten Stellungnahme zu dem deutschen Entwurf. 2 ' 7 Er wies darauf hin, daß man sich nicht damit einverstanden erklären könne, den Völkerbund, wie es der deutsche Entwurf tat, als ein „Instrument des Friedens" zu bezeichnen.
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Vgl. Krestinskij an Litvinov, 24.11.1925. DVP SSSR, Bd. VIII, S. 680. Vgl. Walsdorft, S. 159 f. Vgl. die Aufzeichnung Schuberts und Stresemanns in: ADAP, Ser. B^Bd. II/l, S. 38 f.; Aufzeichnung Cicerins in: DVP SSSR, Bd. VIII, S. 746 f. Aufzeichnung Cicerins, ebenda. Vgl. ADAP, Ser. B, Bd. II/l, S. 65; DVP SSSR, Bd. VIII, S. 814. Vgl. Cicerin an Stresemann, 12.1.1926. DVP SSSR, Bd. IX, S. 21; ADAP, Ser. B, Bd. II/l, S. 102.
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Schließlich vermisse er auch die genaue Definition der Begriffe „Vertrag", „Abmachung", „Kombination" und „Block". Die vom Auswärtigen Amt im Monat Januar 1926 'vorgenommene Überarbeitung des Protokollentwurfs brachte keinen Fortschritt. Erst als Mitte Februar bekannt wurde, daß die Erteilung eines Ratssitzes für Deutschland im Völkerbund wahrscheinlich auf Schwierigkeiten stoßen werde, entschloß man sich im Auswärtigen Amt, der Sowjetregierung statt des Protokollentwurfs nunmehr einen Vertragsentwurf zu unterbreiten. Dabei ist es bemerkenswert, daß in den internen Diskussionen, die dem Vertragsentwurf vorausgingen, wiederum Sthamer und Hoesch eingeschaltet waren und daß gerade Leopold von Hoesch - er hatte sich bisher heftig gegen ein neues Abkommen mit der Sowjetunion gewandt und war von der Tatsache, daß man mit der Sowjetregierung über ein konkretes Protokoll verhandelt hatte, unangenehm überrascht - jetzt dafür eintrat, der Sowjetregierung entgegen zu kommen. 2 7 8 Dem Text des Vertragsentwurfs wurde außerdem der Entwurf eines „Abschlußprotokolls" beigefügt, das noch einmal den bei den Vertragsverhandlungen berührten Fragenkomplex umriß. 2 ' 9 Nach Bestätigung durch das Reichskabinett ließ Stresemann diese beiden Dokumente durch Schubert am 25. Februar dem sowjetischen Botschafter überreichen. 2 8 " Mit der Vorlage dieser Dokumente nahm die deutsche Regierung auf den bereits von sowjetischer Seite am 21. November 1925 unterbreiteten Vertragsentwurf Bezug. Dies konnte die Sowjetregierung zweifellos als einen Erfolg in den Verhandlungen werten. Zufriedenstellend war der Entwurf für sie aber nicht. Das betraf vor allem die Formulierung des Artikels 2, der die Neutralität für die beiden Vertragspartner nur für den Fall gelten ließ, daß der Angriff auf den betreffenden Vertragspartner „nicht von seiner Seite provoziert" war. Die Sowjetregierung hatte in ihrem Entwurf dagegen die uneingeschränkte Neutralität vorgeschlagen. Außerdem besagte der Artikel 3 des beigefügten Protokollentwurfes, der die Stellung Deutschlands zu den Artikeln 16 und 17 des Völkerbundstatus behandelte, daß Deutschland selbst befinden sollte, ob die Sowjetunion die angreifende Seite darstellte oder nicht. In beiden Fällen wurde so der Sowjetunion die Möglichkeit unterstellt, überhaupt angreifender Teil sein zu können. Unter diesen Umständen war es erklärlich, daß Krestinskij bei der Entgegennahme dieser beiden deutschen Entwürfe Schubert gegenüber betonte, „daß Moskau kaum die vorgeschlagenen Texte als befriedigend anerkennen werde." 2 8 1 In seinem diesbezüglichen Bericht an Litvinov vertrat Krestinskij allerdings die Auffassung, daß dieser deutsche Vorschlag „das letzte 'Wort" von deutscher Seite sei. Zu dieser Überzeugung sei er nach zahlreichen Gesprächen mit Stresemann und Schubert gelangt. Die Deutschen könnten vielleicht noch verschiedene unwesentliche Verbesserungen des Vertragsentwurfes annehmen, jedoch, so betonte Krestinskij, würden sie in der Neutralitätsfrage nichts anderes mehr sagen. Es gelte daher zu entscheiden, ob man den deutschen Entwurf akzeptiert oder ob man es bei dem Rapallo-Vertrag beläßt und damit auf einen besonderen Neutralitätsvertrag verzichtet. Er selbst, so schrieb Krestinskij, sei der Ansicht, daß der Abschluß dieses Ver278 279 280 281
Vgl. Walsdorfi, S. 165 f. ADAP, Ser. B, Bd. II/l, S- 179 f.; DVP SSSR, Bd. IX, S. 137. Krestinskij an Litvinov, 26. 2.1925. DVP SSSR, Bd. IX, S. 130. Ebenda.
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träges, wie ihn die Deutschen vorlegten, „den Rapallo-Vertrag bestätigt und verstärkt". Wenn man dies jetzt nach Locarno tue, unterstreiche man vor der breiten deutschen Öffentlichkeit, d a ß Rapallo in Kraft bleibt. Trete jedoch die Sowjetunion von der Unterzeichnung dieses Vertrages zurück, so könnte angesichts der Tatsache, daß von den Verhandlungen bereits verschiedene Nachrichten in die Öffentlichkeit gesickert seien, der Eindruck entstehen, als ob ein Bruch zwischen der Sowjetunion und Deutschland eingetreten sei. 2 8 2 ~ Litvinov antwortete angesichts dieser Situation am 4. M ä r z , daß die Sowjetregierung den deutschen Wünschen entgegenkommen wolle und daß sie es für möglich halte, den Vertrag noch vor Eintritt Deutschlands in den Völkerbund zu unterzeichnen. In diesem Zusammenhang übermittelte Litvinov einige Vorschläge zur Veränderung des Vertragstextes, die Artikel 2 und 3 betrafen sowie die Umwandlung des Protokolls in einen Notenwechsel zum Inhalt hatten. 2 8 3 Diese recht pessimistische Einschätzung der Situation durch Krestinskij sollte sich jedoch durch die weitere Entwicklung der Ereignisse nicht bestätigen. Es zeigte sich, daß das letzte W o r t in der Frage des Vertragsabschlusses tatsächlich noch nicht gesprochen war. Dies hing ganz wesentlich mit der außerordentlichen Tagung des Völkerbundes zusammen, auf der die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund zur Debatte stand. Die Taktik Stresemanns hatte in den bisherigen Verhandlungen über den Neutralitätsvertrag in einem Hinhalten der sowjetischen Seite bestanden. Solange er mit den Westmächten nicht überein gekommen war, wollte er j e d e feste Abmachung mit der Sowjetunion vermeiden. Lediglich den Wirtschaftsvertrag vom 12. O k t o b e r hatte er unterzeichnet, um einerseits die Sowjetregierung damit zu beruhigen und andererseits den Westmächten gegenüber einen „Trumpf" zu besitzen. Rantzau wurde daher von Stresemann am 26. Februar vertraulich informiert, „daß die Zeichnung des Vertrages erst erfolgen kann, wenn die bevorstehende Genfer Tagung des Völkerbundes eine endgültige Entscheidung über unseren Eintritt oder Nichteintritt gebracht h a t . " 2 M Das Ergebnis der Genfer Tagung bereitete der deutschen Regierung eine h e r b e Enttäuschung. Denn die F r a g e der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund wurde a m 16. M ä r z bis zu seiner nächsten Tagung im September verschoben. Die Tatsache, daß es die deutsche Regierung entschieden ablehnte, mit Polen zusammen dem Völkerbundsrat anzugehören - daran scheiterte schließlich der Eintritt Deutschlands in den Völkerbund zu diesem Zeitpunkt überhaupt - machte neuerlich die imperialistischen Widersprüche deutlich, die das gemeinsame Vorgehen gegen die Sowjetunion erschwerten. 2 8 5 Cicerin schrieb daher unter Hinweis auf die V o r g ä n g e in Genf vom „Zusammenbruch der antisowjetischen Einheitsfront". 2 8 0 Die Genfer Ereignisse besaßen auf die Politik der deutschen Regierung gegenüber Stresemann an Brockdorff-Rantzau, 26. 2.1926. » Litvinov an Krestinskij, 4. 3.1926. DVP SSSR, Bd. VIII, S. 148. 284 PA Bonn, Büro des RM, 9 Rußland, Bd. 13, Bl. 556 843. 2 8 5 Hindenburg bezeichnete in einem Brief an 'den Reichskanzler vom 27. Februar 1926 „eine zeitlich zusammenhängende Aufnahme Deutschlands und Polens in den Rat in irgendeiner Form für unerträglich". ZStA Potsdam, Büro des Reichspräsidenten, Nr. 695, Bl. 87. 2 8 6 Pravda, 6. 4. 1926.
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der Sowjetunion eine bedeutsame Auswirkung. Der sowjetische Historiker A. S. Erusalimskij schrieb damals in einer seiner so scharfsinnigen zeitgenössischen Betrachtungen zur Außenpolitik des deutschen Imperialismus: „Nachdem der deutschen Regierung eine Lektion über den Geist von Locarno erteilt worden war, nahm sie Verhandlungen mit der Sowjetunion über den Abschluß eines Neutralitätsvertrages auf". 287 Charakteristisch für die Überlegungen, die man im Auswärtigen Amt anstellte, war die Mitteilung, die Schubert am 1. April 1926 an Hoesch sandte. 288 Er stellte zunächst fest, daß „wir seit Genf der weiteren Entwicklung der Locarno-Politik leider mit einer gewissen Skepsis entgegensehen müssen." Bei einem Scheitern der Locarno-Politik würde man sich jedoch, wollte man gleichzeitig das sowjetische Vertragsangebot zurückweisen, „glattweg zwischen zwei Stühle gesetzt" haben. „Wir haben uns aber gleichwohl zum Abschluß mit Rußland entschlossen, da dieser für uns wenigstens den Vorteil hat, die Sowjetregierung einigermaßen bei der Stange zu halten und sie nicht zu einer direkt feindseligen Einstellung übergehen zu lassen. Eine solche feindselige Einstellung wäre auch, wie uns die Erfahrungen des letzten Jahres gezeigt haben, aus innerpolitischen Gründen für die Fortsetzung der Locarno-Politik eine Gefahr gewesen. Rein taktisch haben wir uns nach dem Scheitern der Verhandlungen in Genf zunächst überlegt, ob es nicht möglich und angebracht sein würde, den deutsch-russischen Abschluß bis nach unserem Eintritt in den Völkerbund, also mindestens bis zum Herbst hinauszuzögern. Wir sind uns aber sehr bald darüber klar geworden, daß die Russen hierauf nicht eingegangen wären und daß jedes dilatorische Verhalten auf unserer Seite die Gefahr eines direkten Bruches mit Rußland heraufbeschworen haben würde." Auch diesmal spielte die Frage der Beziehungen der Sowjetunion sowie Deutschlands zu Polen wiederum in die deutsch-sowjetischen Beziehungen hinein. Während die Sowjetunion, wie wir schon sahen, versuchte, angesichts der von der LocarnoPolitik ausgehenden Gefahren, Polen zum Abschluß eines Nichtangriffsvertrages zu bewegen, begann man in der Wilhelmstraße, unter Nutzung der durch den LocarnoPakt geschaffenen neuen Situation, die Revisionspolitik hinsichtlich der deutsch-polnischen Grenze auf eine neue Stufe zu heben. Wie noch in einem weiteren Kapitel ausführlicher dargelegt wird, 289 glaubten die herrschenden imperialistischen Kreise Deutschlands im Zusammenwirken mit dem englischen und französischen Finanzkapital, Polen so sehr unter ökonomischen Druck setzen zu können, daß es den Revisionsforderungen des deutschen Imperialismus nachgab. 290 Insofern stellten die Bemühungen der Sowjetunion, mit Polen einen Nichtangriffsvertrag abzuschließen, gerade jetzt einen Vorgang dar, der die auf die Schwächung Polens hinauslaufende Politik des deutschen Imperialismus durchkreuzte. So verwundert es nicht, daß Dirksen im Januar 1926, die sowjetisch-polnischen Beziehungen kommentierend, schrieb: „Für uns wäre es natürlich äußerst unerwünscht, 287
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-I'• PA Bonn, Handakten Schlesinger, Bd. 2, Bl. E 242 290 f. 12
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Die hier entwickelte „Schlesinger-Linie" wurde nach weiteren Diskussionen im Herbst 1926 vom Auswärtigen Amt der zukünftigen Wirtschaftspolitik gegenüber der Sowjetunion zugrundegelegt und in einem Erlaß des Auswärtigen Amtes vom 7. August 1926 ausdrücklich bestätigt. 13 Die Konzeption der Zusammenarbeit mit den anderen imperialistischen Mächten gegenüber der Sowjetunion wurde allerdings noch durch einen anderen wesentlichen Gesichtspunkt erweitert: man glaubte in der Wilhelmstraße annehmen zu können, daß die Sowjetunion dem gemeinsamen wirtschaftlichen Druck der imperialistischen Mächte nicht standhielte und entscheidende politische Zugeständnisse machte. Diesen Augenblick aber wollte man auf keinen Fall verpassen. Am 30. Dezember 1926 unterzeichnete Stresemann ein geheimes Memorandum, das diese Konzeption zum Ausdruck brachte. 16 Er wies einleitend auf das „außerordentliche Kreditbedürfnis der Sowjetunion hin", das in letzter Zeit erheblich gewachsen sei und dessen Befriedigung von den „jeweilig interessierten deutschen Kreisen" unterstützt werde. Stresemann äußerte sich zunächst zur Frage, ob man der Sowjetunion auch reine Finanzkredite geben könne. Seine Antwort war negativ, denn die Frage von Anleihen sei der „Hebel zur Lösung der grundlegenden politischen Fragen zwischen Sowjetrußland und der übrigen Welt, auch der Frage einer Regelung der Vorkriegsforderungen an Sowjetrußland". Deshalb sei die Gewährung eines Finanzkredites an die Sowjetunion durch Deutschland „ein Schritt von ausgesprochen politischer Bedeutung." Was die Gewährung von Warenkrediten anbetraf, so bestätigte Stresemann die günstige Auswirkung des 300-Millionen-Kredits auf die deutsche Wirtschaft. Dennoch verhielt er sich zu einer weiteren Vergabe von Warenkrediten über die 300-Millionengrenze hinaus ablehnend. Denn einerseits sei ein starkes finanzielles Engagement für Deutschland deshalb eine Gefahr, weil „bei Komplikationen innen- oder außenpolitischer Art in Rußland" Deutschland seine dortigen Interessen nur sehr schwer verteidigen könne; andererseits müsse man damit rechnen, daß „in absehbarer Zeit eine Verständigung der Sowjetunion mit anderen Industriestaaten zustande kommt, die dann den Russen uns gegenüber eine wesentlich größere Bewegungsfreiheit gestatten würde." Um einer solchen Eventualität des Ausgeschaltetwerdens zu begegnen, müsse man auf die Zusammenarbeit mit anderen Ländern, insbesondere mit Amerika und England bedacht sein. Wie sehr Stresemann damals mit der Möglichkeit rechnete, daß die Sowjetregierung dem ökonomischen Druck der imperialistischen Mächte nachgab, geht aus seinen weiteren Ausführungen hervor: Deutschland könne der Sowjetunion keine weiteren Warenkredite gewähren, weil andere Regierungen diese Kredite von der Regelung der alten Schulden abhängig machten. „Wir würden uns sonst des einzigen Mittels berauben, das uns für die Schuldenverhandlungen zur Verfügung steht, sobald nach dem Rapallo-Vertrage die Möglichkeit der Verhandlungen gegeben ist." 17 Strese15
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In dem von Schubert unterzeichneten Erlaß hieß es: „Der Zustrom fremden Kapitals bzw. die Gewährung von Industriekrediten ist erwünscht, um den politischen Gefahren zu begegnen, die sich aus einer isolierten deutsch-russischen Stellung ergeben können. Es muß aber versucht werden, den Zustrom durch uns zu leiten, damit die wirtschaftliche Erstarkung Sowjetrußlands nicht zu einer von uns unabhängigen politischen Entwicklung führt." AD AP, Ser. B, Bd. n / 2 , S. 174. ZStA Potsdam, Reichswirtschaftsministerium, Nr. 19631, Bl. 7 - 1 2 ; AD AP, Ser. B, Bd. 1/2, S. 481 f. Nach Artikel 2 des Rapallo-Vertrages verzichtete Deutschland auf die Rückerstattung des
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mann verlangte deshalb in diesem Memorandum ausdrücklich, auf „Versuche von Sowjetorganen oder deutschen Wirtschaftlern, die eine Erhöhung auf Reichsausfallgarantie gestützter Kreditgewährung betreiben", nicht einzugehen. In dieser Hinsicht habe er mit Ministerialdirektor Schäffer vom Reichswirtschaftsministerium und Generalkonsul Schlesinger Einverständnis erzielt. Indem Stresemann sich hier auf den Rapallo-Vertrag berief und formell vorgab, sich an seine Buchstaben halten zu wollen, hatte er sich jedoch vom eigentlichen Geist des Rapallo-Vertrages weit entfernt. Und wenn er in dieser Denkschrift nur davon sprach, daß er der Sowjetunion zu gegebener Zeit die Forderung nach Erstattung der russischen Vorkriegsschulden präsentieren wollte, so offenbarte er wenige Monate später, wie wir sahen, auf der Genfer Aufjenministerkonferenz sein Streben nach dem Einbruch in das sowjetische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Der Sowjetregierung war natürlich diese veränderte Position der Wilhelmstraße in der Kreditfrage nicht entgangen. Anfang Juli 1927 wies Cicerin in einem Brief an Krestinskij darauf hin, daß die deutsche Regierung zwar noch nicht alle Karten aufgedeckt habe; nichtsdestoweniger sei es klar, „daß ihr Hauptziel darin besteht, den englisch-sowjetischen Konflikt auszunutzen, um bei uns sehr viel bedeutendere ökonomische Positionen zu erobern. Was jetzt auf deutscher Seite vor sich geht, ist ein Vorbereitungsmanöver. Das wirkliche Ziel Deutschlands besteht darin, bei uns irgendwelche ökonomische Positionen zu erobern, von denen es bis zum englischsowjetischen Bruch nicht träumen konnte." 18 Uns interessiert zunächst, ob sich die von der Wilhelmstraße angestrebte Zusammenarbeit mit dem französischen und amerikanischen Kapital auf dem sowjetischen Markt verwirklichen ließ. Dabei ist es notwendig, sich den damaligen Stand der sowjetisch-französischen Beziehungen zu vergegenwärtigen. 19 Im Februar 1926 hatten zwischen Moskau und Paris Verhandlungen begonnen. Sie hatten die Frage von französischen Kreditgewährungen an die Sowjetunion zum Inhalt. Die Sowjetregierung hatte sich, unter der Voraussetzung, daß die Kreditfrage zufriedenstellend gelöst wurde, zu einer Befriedigung der französischen Forderungen nach Rückzahlung der Schulden der zaristischen Regierung bereiterklärt. Nach der Bildung des Kabinetts Poincaré im Juli 1926 gewannnen jedoch die reaktionären Kreise in Frankreich an Einfluß. Joseph Noulens, der an der Spitze der „Generalkommission für die Verteidigung der französischen Interessen in Rußland" stand und seit jeher einer der schärfsten Einpeitscher des antisowjetischen Kurses in Frankreich gewesen war, verlangte auch jetzt wieder die Regelung der Schuldenfrage im internationalen Rahmen. Die französisch-sowjetischen Verhandlungen endeten deshalb ohne Resultat. Die Rückwirkung dieser Verhandlungen auf Deutschland bestand darin, daß auch die französische Regierung den Wunsch äußerte, mit Deutschland auf dem sowjetischen Markt gemeinsam zu arbeiten. Das hätte für die französische Monopolbourgeoisie einen dreifachen Vorteil gehabt: erstens hätte sie den wirtschaftlichen Druck auf die Sowjetunion verstärken können, zweitens wäre ihr die deutsche Erfahrung zugute gekommen und drittens hätte sie bis zu einem gewissen Grade die deutsche Zusammenarbeit mit London und Washington abgeschwächt.
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von der Sowjetmacht konfiszierten deutschen Kapitals, vorausgesetzt, daß die Sowjetregierung „ähnliche Ansprüche dritter Staaten nicht befriedigt". Cicerin an Krestinskij, 8. 7. 1927. DVP SSSR, Bd. X, S. 333. Vgl. auch Borisou, S. 61 f.
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Schon im Frühjahr 1926 hatten Briand und Berthelot in diesem Sinne in Berlin vorgefühlt, waren dort jedoch auf Ablehnung gestoßen. 20 Im Herbst 1927 wurden diese Angebote zur Zusammenarbeit mit Deutschland erneuert. Dabei bedienten sich die Franzosen Otto Wolffs als Mittelsmann zur deutschen Regierung. Im November 1927 erstattete Wolff im Auswärtigen Amt Bericht über seine Unterredungen mit „maßgebenden französischen Persönlichkeiten", darunter auch mit Anatole de Monzie, der damals von französischer Seite die Verhandlungen mit der Sowjetregierung leitete. 21 Angesichts dieser Verhandlungen rechnete Wolff - ganz wie Stresemann schon ein Jahr zuvor - mit der Möglichkeit, daß Deutschland „auf Grund des Rapallo-Vertrages die gleiche Regelung der Vorkriegsschulden verlangen werde", und zwar verbunden mit einer entsprechenden Kreditgewährung. 22 In seinen Gesprächen mit Wolff schlug de Monzie vor, auf dem sowjetischen Markt gemeinsam aufzutreten und eine deutsch-französische Exportkreditbank zu gründen. 23 Anfang Januar 1928 wurde auch der französische Botschafter de Margerie in dieser Angelegenheit in der Wilhelmstraße vorstellig. Und einige Wochen später besprach Briand mit Wolff und dem ehemaligen kaiserlichen Staatssekretär von Kühlmann in Paris einen detaillierten Plan der „deutsch-französischen Zusammenarbeit", der als deutsche Mitglieder des zu bildenden gemeinsamen Komitees neben Wolff je einen Vertreter der Deutschen Bank und des Norddeutschen Lloyds sowie Felix Deutsch von der AEG vorsah.-'1 Die imperialistischen Widersprüche waren jedoch stärker als alle diese Pläne. In der Wilhelmstraße bekam man bald starke Bedenken, als man' von der Theorie zur Praxis übergehen sollte. Fürchtete man doch, sich hierbei auf eine enge Bindung an Frankreich einzulassen - was der Durchbrechung der Versailler Fesseln mit englischer und amerikanischer Hilfe sehr hinderlich gewesen wäre. 25 Letztlich war man sich im Auswärtigen Amt auch darüber klar, daß sich die Sowjetunion der Bildung einer gegen sie gerichteten ökonomischen Front der imperialistischen Mächte entschieden widersetzte und daß man mit einem solchen Vorhaben die deutsch-sowjetischen Beziehungen empfindlich gestört hätte. 26 Die Sowjetregierung gab jedenfalls sowohl der deutschen als auch der französischen Seite zu verstehen, wie sie über solche Pläne dachte. 27 Rantzau riet daher dringend, von dem beabsichtigten Projekt Abstand zu nehmen.2i< Nachdem man in der Wilhelmstraße in den Monaten Januar 20
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Vgl. die Ausführungen Dirksens in einer Unterredung mit Otto Wolff und Ministerialdirektor Ritter im Auswärtigen Amt über „Verhandlungen Otto Wolff/de Monzie über Rußlandgeschäft", Berlin 23. 1. 1928. ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft, Nr. 440, Bl. 28 f.; vgl. auch Heibig, S. 183. Aktenvermerk Ritters vom 26. 11. 1927. ZStA Potsdam, Reichswirtschaftsministerium, Nr. 12661, Bl. 438. Ebenda. Vgl. Schreiben Wolffs an de Monzie vom 22. 12. 1927 und 16. 1. 1928. ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 440, Bl. 22 ff. Meldung der deutschen Botschaft Paris (Rieth), an AA, 23. 2. 1928. PA Bonn, Büro des RM, Rußland, Bd. 20, Bl. 5 5 9 4 5 0 ff. Vgl. E. Hoerisch-Ruppel, Die deutschen Monopolisten und ihre Gläubiger 1930/31, Habilitationsschrift, Humboldt-Universität zu Berlin 1963, S. 131. Ritter verwies in der oben zitierten Unterredung mit Dirksen und Wolff auf die „politischen Nachteile", die in London und Moskau entstehen müßten. Vgl. die Aufzeichnung Cicerins über seine Unterredung mit Herbette vom 3. 3. 1928. DVP SSSR, Bd. XI, S. 133. Bericht Rantzaus vom 22. 2. 1928. PA Bonn, Geheimakten, Bd. 37, Bl. H 10 9332. Rosenfeld
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und Februar 1928 über diese Frage eingehend Diskussionen geführt hatte, wurde Botschafter von Hoesch in Paris instruiert, daß man „wegen Rücksicht auf die Russen" die amtliche Behandlung der französischen Vorschläge ablehne. 29 Auch die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Kapital kam wegen der entgegengesetzten imperialistischen Interessen nicht zustande, obwohl man auf deutscher Seite hier weniger Hemmungen besaß. Es kam hinzu, daß einflußreiche Kreise des amerikanischen Monopolkapitals die Beseitigung der sozialistischen Ordnung in der Sowjetunion zur Vorbedingung machten. 30 Unterdessen zeigte der von der Reichsregierung Ende 1926 eingeleitete neue wirtschaftspolitische Kurs gegenüber der Sowjetunion, daß die mit ihm verknüpften Absichten und Erwartungen wenig der Wirklichkeit entsprachen. Das bezog sich nicht nur auf den Kardinalfehler, den man in der Einschätzung der Stabilität der Sowjetunion beging. Zunächst erwies sich gleich Anfang 1927, wie sehr dieser Kurs entgegen den Interessen der deutschen Industrie lag. Sie brauchte ja nach wie vor die Sowjetunion als Absatzmarkt und strebte deshalb nach der Verlängerung der Reichskreditgarantie. 31 Dies zeigte sich sofort, als Ende März die sowjetischen Bestellungen auf den 300-Millionen-Kredit abliefen. 32 Besonders die großen Monopole der Elektroindustrie wollten auf das „russische Geschäft" nicht verzichten und verlangten die Weitervergabe der Reichskreditgarantie, was übrigens von vielen kleinen und mittleren Firmen mit Unbehagen angesehen wurde, weil sie bei der Kreditgarantievergabe von den Monopolen übervorteilt zu werden fürchteten. 33 Anfang Februar 1927 traf eine Gruppe von Direktoren großer deutscher Maschinenbauwerke in der Sowjetunion ein, und die Siemens-Schuckert-Werke beteiligten sich damals am Bau einer großen Hochspannungsringleitung rund um Moskau. 3/ ' Das Interesse der deutschen Wirtschaft am Handel mit der Sowjetunion wurde um so größer, als die Sowjetregierung nach dem Londoner Polizeiüberfall viele Bestellungen und Handelsoperationen von England nach Deutschland verlegte. Wichtiger aber noch war die Tatsache, daß die von der englischen Regierung unternommenen antisowjetischen Aktionen ohne Erfolg blieben; das veranlaßte viele einflußreiche Vertreter der deutschen Bourgeoisie zur neuerlichen Überprüfung der bisherigen Wirtschaftspolitik gegenüber der Sowjetunion. 29
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Dirksen an Hoesch, 6. 3. 1928. Ebenda, Bl. H 10 9303; vgl. auch Schubert an Rantzau, 11. 2. 1928. ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 440, Bl. 21. Felix Deutsch sagte in einer Unterredung mit Schubert über die Eindrücke seiner Reise in die USA, die er zum Zweck der „Betätigung des amerikanischen Kapitals in Rußland" unternommen hatte: „Er habe durchweg eine sehr kühle Ablehnung seiner Anregung erfahren. Überall sei ihm gesagt worden, ehe eine solche Betätigung Amerikas in Rußland erfolgen kann, müsse Rußland seine starke antikapitalistische Stellung aufgeben." Aufzeichnung Schuberts vom 17. 11. 1927. AD AP, Ser. B, Bd. VII, S. 264. Schon die bisherige aus dem 300-Millionen-Kredit stammende Garantiesumme mußte wegen Überschreitung der Lieferungen vom Reichstag am 7. 4. 1927 um 23,5 Millionen Mark erhöht werden. „Auf der einen Seite ist zwar das Interesse der Industrie an einem Fortbestand der Garantie zur Ermöglichung weiterer Lieferungen nach Rußland vorhanden, auf der anderen Seite aber fürchtet man, ein zu großes Risiko einzugehen lind die staatliche Garantie sozusagen für den gesamten russischen Exporthandel zu verewigen." Bericht des sächsischen Gesandten v. Holtzendorff vom 17. 2. 1927. StA Dresden, Gesandtschaft Berlin, Nr. 1321, Bl. 174. Ebenda. Holtzendorff führt hier die sächsischen Firmen an. Die Volkswirtschaft der UdSSR, Jg. 1927, Nr. 3, S. 65.
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Ende Oktober 1927 unternahm der einflußreiche deutsche Bankier Carl J . Melchior, Mitinhaber des Bankhauses M. M. Warburg und Präsidialmitglied des Reichsverbandes der deutschen Industrie, eine Reise nach Moskau. Nach seiner Rückkehr fertigte er einen langen Bericht an, der in der Feststellung gipfelte, daß jegliches Hoffen auf den Zusammenbruch des Sowjetstaates und den Erfolg politischer und ökonomischer Erpressungen vergeblich war. Die Sowjetunion, so führte Melchior aus, sei ein organisierter Staat mit einer festen Verwaltung und keine Kraft sei vorhanden, die die Regierung stürzen könnte. Melchior hielt es auch nicht für wahrscheinlich, daß „bald eine wirtschaftliche Evolution im Sinne weiterer Privatisierung" stattfinden werde. „Würde es - was vielleicht zur Zeit des Abbruchs der Beziehungen seitens Englands dort in einigen Kreisen erwogen wurde - gelingen, die kapitalistischen Mächte zu einer Art Wirtschafts- und Finanzblockade gegen Rußland zu vereinigen, um zu versuchen, die russische Propaganda zu ersticken, so würde ein solcher Schritt Rußland zwar in eine außerordentlich schwierige wirtschaftliche und finanzielle Lage bringen, aber m. E. nicht dazu führen, die jetzige Regierung zu stürzen." 35 In den Herbstmonaten 1927 verstärkte sich dann auch in den maßgebenden deutschen Wirtschaftskreisen die Auffassung, daß die Sowjetunion nicht zu erschüttern war und daß man sich letzten Endes selbst Schaden zufügte, wenn man auf das „Rußlandgeschäft" verzichtete. Ministerialdirektor Schäffer vom Reichswirtschaftsministerium, der sich zuvor mit dem Stresemannschen Memorandum einverstanden erklärt hatte, nahm schon Ende August 1927 eine andere Position ein. In einer Unterredung mit dem sächsischen Gesandten3** bestätigte er, daß die deutschen Kredite in der Sowjetunion trotz des Abbruchs der englisch-sowjetischen Beziehungen absolut sicher seien. Komplikationen, die man nach dem Abbruch befürchtet habe, seien nicht eingetreten. Selbst die englische Wirtschaft mache nach wie vor mit der Sowjetunion verschiedene große Geschäfte. Schließlich wies Schäffer darauf hin, daß auch die USA neuerdings große Geschäftsabschlüsse mit der Sowjetunion tätigten, wobei sie gegenwärtig mit einem deutschen Konzern zusammenarbeiteten: „Für Deutschland jedenfalls wird die Sicherheit der russischen Kredite dadurch sehr erhöht werden, wenn maßgebende amerikanische Geldleute an diesen Geschäften mit interessiert sind." Der hier von Schäffer erwähnte deutsche Konzern war der Otto-Wolff-Konzern, der zusammen mit den Vereinigten Stahlwerken und unter maßgeblicher Mitwirkung amerikanischer Kreditgeber dieses Geschäft mit der Sowjetunion beabsichtigte. 37 Es handelte sich um die Kreditierung der Lieferungen von Hochofenanlagen und Maschinen im Werte von 40 Millionen Dollar. Nun wollte sich auch die ein Jahr zuvor gegründete „Demag" 38 hinzugesellen. Die Finanzierung sollte zusammen mit der amerikanischen Farquhar-Monopolgruppe sowie der Dillon-Read-Bank erfolgen. Dabei sollten die deutschen und die amerikanischen Teilhaber jeweils die Hälfte der 35
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Carl J. Melchior, Moskauer Eindrücke, Hamburg, November 1927; ZStA Potsdam, Deutsche Reichsbank, Nr. 14, 3 2 - 6 6 , Bl. 57 f. Bericht Holtzendorffs vom 26. 8. 1927. StA Dresden, Gesandtschaft Berlin, Nr. 1322, Bl. 407. Bericht Holtzendorffs vom 14. 11. 1927. Ebenda, Bl. 4 5 9 ; Aufzeichnung Hahns vom 11. 10. 1927. AD AP, Ser. B, Bd. VII, S. 64 f. Deutsche Maschinenfabrik - AG.
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Finanzierung übernehmen. Nach dem Wunsch Otto Wolfis sollte das Reich für 60 Prozent des deutschen Kreditanteils die Reichsgarantie übernehmen. Das Geschäft, das, wie der sächsische Gesandte aus Berlin nach Dresden meldete, „in dem sowjetfeindlichen England große Entrüstung hervorgerufen hat", stieß jedoch im Auswärtigen Amt auf Widerstand. Und zwar deshalb, wie der Gesandte berichtete, „weil man, wie ich streng vertraulich erfahre, aus allgemeinen politischen Gründen und mit Rücksicht auf die Beziehungen zu den Westmächten den Eindruck einer größeren Intimität mit Rußland zur Zeit vermeiden möchte." Es sei allgemein erwünscht, daß auch andere Mächte sich zusammen mit Deutschland „in Rußland engagierten und sich zu einer Interessengemeinschaft mit Deutschland für die Erhaltung geordneter Zustände in Rußland zusammenschließen." '" Eine negative Stellungnahme zum Otto-Wolff-Projekt sowie zu weiteren Kreditaktionen zu gunsten des Handels mit der Sowjetunion wurde am 11. Oktober 1927 von Wallroth an Stresemann mit der Maßgabe weitergeleitet, daß „eine Rechtfertigung für die Erteilung neuer Reichsgarantien für Geschäfte mit Sowjetrußland gegenwärtig nicht gegeben ist."/|0 Wallroth schloß sich dabei der Argumentation Hahns, des Wirtschaftsreferenten der Ostabteilung an, der in seinem Memorandum besonders die „Unfreundlichkeit" Englands sowie die französisch-sowjetischen Verhandlungen ins Feld führte, nach deren Abschluß auch Deutschland dieselben Forderungen für seine „Rußland-Gläubiger" erheben könnte.'51 Diese negative Stellungnahme des Leiters der Ostabteilung des Auswärtigen Amtes stand nun allerdings im Gegensatz zu den Forderungen bedeutender IndustrieKreise, besonders der Eisen- und Stahlverarbeitenden Industrie. Holtzendorff verwies in dem obengenannten Bericht darauf, daß der zuständige Referent im Reichswirtschaftsministerium den „lebhaften Wunsch" der deutschen Werkzeugmaschinenfabriken erwähnt habe, zwecks weiterer Lieferungen die „Russengarantien" zu erneuern. Unter diesen Umständen wurde daher im Auswärtigen Amt die Diskussion vom Frühjahr 1927 über die Frage, welche Politik der Sowjetunion gegenüber weiter zu verfolgen sei, im Herbst 1927 unter dem Gesichtspunkt vor allem der Wirtschaftspolitik und der Kreditfrage weitergeführt. Zunächst ist zu erwähnen, daß Schubert, als er Brockdorff-Rantzau am 5. August 1927 vor dessen Rückreise nach Moskau zu einem Gespräch empfing, diesem mitteilte, er möge Cicerin übermitteln, „man stehe seitens der deutschen Regierung eventuellen Kreditwünschen der Russen wohlwollend gegenüber." 42 Aber schon wenige Wochen danach zeigte ein Briefwechsel zwischen Ludwig Kastl, dem Geschäftsführenden Präsidialmitglied des Reichsverbandes der deutschen Industrie, und Stresemann, daß es mit diesem „Wohlwollen" doch nicht so günstig stand. Kastl machte in einem Brief an Stresemann'' 3 darauf aufmerksam, daß „in der Frage der Kreditgewährung an die Wirtschaftsorgane der UdSSR mit dem Abbruch der englisch-russischen Beziehungen eine große Beunruhigung innerhalb der deutschen Wirtschaftskreise entstanden ist, die sich in einer zunehmenden Abneigung gegen die Einräumung von 39 40 41 42 43
Bericht Holtzendorffs, a. a. O. AD AP, Ser. B, Bd. VII, S. 64. Ebenda. Aufzeichnung Schuberts, 5. 8. 1927. Ebenda, Bd. VI, S. 187. Datiert vom 27. 8. 1927. Ebenda, S. 326.
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Krediten geltend macht." Wenn auch Kastl für die Einhaltung der Verpflichtungen, die aus dem Geschäft mit dem 300-Millionen-Kredit resultierten, eintrat, so empfahl er dennoch, mit weiteren Geschäften so lange zu warten, bis man auf „eine günstigere Ausgestaltung der Verträge" hoffen könnte. In seinem Antwortschreiben sprach sich Stresemann für die Aufrechterhaltung des Vertragswerkes vom 12. Oktober 1925 aus, empfahl jedoch die Aussprache abzuwarten, die das Auswärtige Amt auf Anregung der Sowjetregierung über die Wirtschaftsbeziehungen führen wollte/1'1 Solange sollte die deutsche Wirtschaft „die durch die gegebenen Verhältnisse gebotene Vorsicht bei weiterer Kreditgewährung walten lassen", jedoch zugleich auch „von einem übereilten Hinausgehen aus dem sowjetrussischen Geschäft" zurückgehalten werden. In diesem Sinne instruierte Stresemann am 22. Oktober auch Brockdorff-Rantzau/' 5 Er habe der Sowjetregierung, so teilte er dem Botschafter mit, eine „freundliche Aussprache" zugesagt, mit der den Enttäuschungen der Sowjetregierung und ihrer Sorge vor einer Abwendung der deutschen Wirtschaft von der Sowjetunion entgegengewirkt werden sollte. Stresemann hatte sichtlich allen Grund, den Botschafter und auch die Sowjetregierung in dieser Weise beruhigen zu wollen, denn die Sowjetregierung mußte in der Tat über die in den deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen entstandene Situation besorgt sein/' 6 Rantzau begrüßte daher die Mitteilung Stresemanns über die in Aussicht gestellten Verhandlungen und teilte Stresemann mit, daß er Cicerin von dieser Absicht in Kenntnis gesetzt habe/' 7 In einer Zusammenkunft mit A. I. Mikojan am 22. November 1927 übermittelte Rantzau ebenfalls diesen Wunsch Stresemanns nach einer „freundlichen Aussprache"/' 8 So „freundlich" sollten allerdings die Ziele, mit denen Stresemann in diese Aussprache hineingehen wollte, gar nicht sein. Denn schon im August 1927 hatte das Auswärtige Amt die Auffassung vertreten, das „Russengeschäft" nur dann fördern zu können, wenn man von der Sowjetunion „besondere politische Vorteile" erlangte/' 9 Eine am 18. Oktober 1927 durchgeführte Beratung im Auswärtigen Amt unter Anwesenheit führender Vertreter der Wirtschaft kam unter Bezugnahme auf das Schreiben Kastls an Stresemann zu dem Ergebnis, daß man in den beabsichtigten Verhandlungen von der Sowjetregierung die Auflockerung des staatlichen Außenhandelsmonopols erreichen müsse.°ü Auch die „Rußland-Gläubiger", wie wir noch deutlicher sehen werden, wirkten dabei im Hintergrund. In diesem Zusammenhang sind die Auffassungen von Interesse, die Dirksen, Brockdorff-Rantzau und Wallroth in den letzten Wochen des Jahres 1927 über die Wirtschaftspolitik gegenüber der Sowjetunion, aber auch über die Rapallo-Politik insgesamt äußerten. Sie verdeutlichen die Überlegungen, die damals im Auswärtigen Amt angestellt wurden. ' Stresemann an Kastl, 28. 9. 1927. Ebenda, S. 513. « Ebenda, Bd. VII, S. 109. /,e „Seit einigen Wochen" herrsche deshalb unter den verantwortlichen Vertretern der Sowjetregierung eine „starke Verstimmung". Brockdorff-Rantzau an Stresemann, 10. November 1927. Ebenda, S. 199. ''' Brockdorff-Rantzau an Stresemann, 14. 11. 1927. Ebenda, S. 242. 4 8 Rantzau an AA, 23. 11. 1927. Ebenda, S. 308. /l9 So festgestellt in einer Sitzung im Reichswirtschaftsministerium am 12. 8. 1927. ZStA Potsdam, Reichswirtschaftsministerium, Nr. 19631, Bl. 364. 5 0 Vgl. Achtamzjan, S. 224. v
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Dirksen tat dies in einem langen Brief an Brockdorff-Rantzau, den er am 18. Oktober 1927 im Urlaub auf Mallorca verfaßte. 1 ' 1 Er beschäftigte sich darin vornehmlich mit der Kreditfrage: „Ich persönlich bin ja der Ansicht, daß wir um eine Kreditgewährung in irgendwelcher Form nicht herumkommen werden, wenn wir unsere Wirtschaftsbeziehungen zu Rußland nicht ganz einschlafen lassen wollen und nicht den Vorsprung wieder aufgeben wollen, den wir uns durch Ausfallgarantie usw. mit Mühe verschafft haben. Rußland ist nun einmal unser wirtschaftliches Betätigungsfeld für die Zukunft." Auch wenn wegen des gegenwärtigen Konflikts mit England „die Russen weniger kreditwürdig erscheinen", so schrieb Dirksen, brauche man nicht besorgt zu sein. Denn man werde schließlich immer sein Geld erhalten, auch eine „Nachfolgerin der Sowjetregierung" müsse dies berücksichtigen. Dirksen befaßte sich dann mit der Rücksichtnahme auf die Westmächte und betonte, daß Frankreich sich selbst um den sowjetischen Markt bemühe, es also unklug sei, den Franzosen das Feld zu überlassen. „Ich habe auch keine solche Angst vor England, daß ich aus diesem Grunde keine weiteren Kredite an Rußland befürworten würde; es muß schon möglich sein, so zu manövrieren, daß die Engländer ihrem Ärger keinen offenen Ausdruck geben können." Zwar könnte man den Dawesplan als Argument gegen die Kredite anführen; hingegen sollte man bedenken, daß man ja gerade durch die Steigerung der Ausfuhr und damit also durch die „Russenkredite" dem Dawesplan zur Realisierung verhelfen könne. Es wäre deshalb notwendig, daß man mit dem Reparationsagenten über diese Frage Rücksprache halte. Dirksen befürwortete aus diesem Grunde auch sehr das Otto-Wolff-Projekt, das „alle wertvollen Elemente für unsere Betätigung in Rußland zu enthalten scheint: langfristige Installationen, Fußfassen in den wertvollen Teilen Rußlands, Möglichkeit der Ausdehnung der Konzessionen und vor allem Zusammengehen mit den Amerikanern". Unterschätzte Dirksen hier auch sehr die Festigkeit der Sowjetmacht, so war doch sein Standpunkt viel realistischer als die vom Auswärtigen Amt verfolgte Linie. Besonders krass unterschied er sich damit vom Standpunkt Wallroths. Die negative Haltung Wallroths gegenüber der Rapallo-Politik wurde bereits erwähnt, und es ist an dieser Stelle noch einmal auf das bereits zitierte Memorandum Wallroths vom 20. November 1927 hinzuweisen, in dem er „die früher oder später sicher eintretende Abwirtschaftung des Sowjetsystems" vorauszusagen suchte, dessen außenpolitische Situation als hoffnungslos einschätzte und daher auch der Rapallo-Politik jeden weiteren Wert absprach."'2 Mit einer solchen Einschätzung konnte sich Dirksen nicht einverstanden erklären. In sarkastischer Weise schrieb er an Schlesinger über die Denkschrift seines unmittelbaren Vorgesetzten Wallroth: „. . . Ich habe ihr schon den Untertitel gegeben: 'Der Russenfriedhof' - denn sie ist derartig schwarz in schwarz, sieht Rußland als völlig unbeachtlichen Faktor an, tritt für Abbau der Russenpolitik und Hinwendung zum Westen ein - , daß deren Befolgung jede Wirtschafts- und Außenpolitik mit Rußland totmachen würde." Er könne deshalb die „Russenpolitik" der Ostabteilung nicht mehr weiter ansehen, so schrieb Dirksen weiter. In einer Besprechung mit Ministerialdirektor Schäffer vom R'eichswirtschaftsministerium habe Wallroth jede Initiative in den 51 52
Im Urlaubsort Puerto Pollensa. ZStA Potsdam, Nachlaß Dirksen, Bd. 3, Bl. 399. Vgl. Kapitel IV, Abschnitt 5.
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deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen totgeschlagen und sich nur an die „Schuldenanerkennung" geklammert. „Ich habe die Sache gründlich satt." 53 Es war sichtlich nicht zufällig, daß Dirksen seinem Herzen gerade in einem Brief an Schlesinger Luft machte. Denn in Schlesinger als auch in Brockdorff-Rantzau wußte er einen Verbündeten, wenn es jetzt um die Weiterführung der Rapallo-Politik ging. Auch Brockdorff-Rantzau suchte sich in dieser kompliziert gewordenen Situation für die Weiterführung der Rapallo-Politik, wie er es schon im Frühjahr getan hatte, wiederum einzusetzen und sprach sich damit auch für die Fortsetzung der Wirtschaftsbeziehungen aus. Er tat dies in einer Denkschrift vom 26. November 1927.r/l Obgleich er auch hier wiederum seine Abneigung gegenüber der sozialistischen Gesellschaftsordnung zum Ausdruck brachte, unterstrich er doch die Notwendigkeit, die RapalloBeziehungen aufrechtzuerhalten. „Hier bietet sich die Hoffnung auf ein weites Feld künftiger Arbeit, für die Deutschland günstige Voraussetzungen besitzt. Neben diesem in die Ferne gerückten wirtschaftlichen Aktivum stellt die Sowjetunion für uns das Gewicht dar, das, beginnend mit Rapallo, die Geltung unserer auswärtigen Politik erhöht und diese in den letzten Jahren nicht nur gestützt, sondern ermöglicht h a t . . ."55 Allerdings stellte Rantzau die weitere Politik gegenüber der Sowjetunion in Abhängigkeit von der Frage, „ob die politisch-wirtschaftliche Entwicklung sich hier in maßvollen Bahnen bewegen und Formen annehmen wird, die eine Vertiefung und Ausgestaltung unserer freundschaftlichen, als Gegengewicht gegen eine bedingungslose Abhängigkeit vom Westen in höchstem Maße bedeutungsvollen Beziehungen weiter ermöglichen oder ob diese Entwicklung die Aufrechterhaltung der deutsch-russischen Beziehungen trotz ihrer Bedeutung für die Weltgeltung Deutschlands in Zukunft überhaupt noch gestattet." 5fi Wir lassen es hier dahingestellt, was Rantzau unter „maßvollen Bahnen" der politisch-wirtschaftlichen Entwicklung der Sowjetunion verstand und inwieweit er sich hier der im vorigen Kapitel erörterten Konzeption der „Entbolschewisierung" annäherte. Wesentlich ist, daß er in dieser Situation, als die reaktionärsten imperialistischen Kreise die Sowjetunion mit der Wirtschaftsblockade niederzuzwingen suchten, die Rapallo-Politik verteidigte. Darin unterschied sich Rantzau, wie auch Dirksen, prinzipiell von solchen Auffassungen, wie sie Wallroth vertrat. Dieser antwortete dann auch dem Botschafter am 31. Dezember, daß er - entgegen dem von Rantzau geäußerten Standpunkt — an dem Inhalt seines eigenen Memorandums festhalten wolle. 5 ' Einen Einblick in die Auseinandersetzungen, die damals in der Wilhelmstraße über die Wirtschaftspolitik gegenüber der Sowjetunion geführt wurden, erhalten wir auch aus den Stellungnahmen, die im Auswärtigen Amt zur Frage der Auflösung der beiden deutschen Konzessionsunternehmen „Russtransit" und „Mologa - AG" angefertigt wurden. Die „Russtransit" wollte im Jahre 1927 wegen finanzieller Schwierigkeiten ihre Liquidation anmelden, was jedoch von der Sowjetregierung aus wirtschaftlichen und 53
Dirksen an Schlesinger nach Moskau, 25. 11. 1927. ADAP, Ser. B, Bd. VII, S. 354. > „Das 10-jährige Bestehen der Sowjetunion, ein Rück- und Ausblick". Aufzeichnung Brockdorff-Rantzaus vom 26. 11. 1927. Ebenda, S. 366 f. 55 Ebenda. 50 Ebenda, S. 370. 57 Ebenda, Anmerkungsapparat. y
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politischen Gründen als unerwünscht bezeichnet wurde. Die Sowjetregierung erklärte sich sogar bereit, den Bilanzverlust des deutschen Partners zu übernehmen. 58 Aber auch im Auswärtigen Amt suchte man die Liquidation der „Russtransit" zu verhindern. Denn anderenfalls sehe die Sowjetregierung darin den Beweis, so argumentierte Wallroth, daß „die deutsche Regierung keinen Wert auf die weitere Zusammenarbeit mit Sowjetrußland legt und sich im Zusammenhang mit dem englisch-sowjetischen Konflikt von Sowjetrußland abwendet." Ein solcher Eindruck sei unerwünscht und müsse vermieden werden. 59 In ganz ähnlichem Sinne äußerte sich Ministerialdirektor Gerhard Köpke, der Leiter der Westabteilung des Auswärtigen Amtes, in einer Denkschrift, die er in Vertretung des Staatssekretärs verfaßte. 60 Die deutschen Konzessionen in der Sowjetunion seien von jeher mehr als nur geschäftliche Unternehmungen gewesen, sondern vielmehr „ein wichtiges Glied in der Wirtschaftspolitik, die Deutschland seit Rapallo Sowjetrußland gegenüber bewußt getrieben hat und die auch heute noch nicht aufgegeben werden kann." Wie Köpke weiter anführte, seien „zwingend politische Erwägungen und Gründe" maßgebend, um dem Reichskabinett die Hilfeleistung für die deutschen Konzessionen zu empfehlen. Die Konzessionen seien unendlich mehr als nur Rohstoffquellen, „sie sind die unerläßlichen und notwendigen Vor- und Beobachtungsposten Deutschlands in Rußland. Deutschland hat heute einen Vorsprung gegenüber seinen ausländischen Konkurrenten. Wir haben durch die intensive Pflege der russischen Beziehungen wieder etwas von dem Fingerspitzengefühl für die russischen Dinge zurückgewonnen, das wir vor dem Kriege hatten und auf dem zum großen Teil unsere Vormachtstellung beruhte . . . Entscheidend sind aber die politischen Gründe . . ." Daher müsse die Mologa-Konzession durch das Reich unter allen Umständen gestützt werden. Köpke führte abschließend auch das Argument ins Feld, daß die Sowjetregierung die Aufgabe der Mologa-Konzession „als ein neues Abrükken Deutschlands von Rußland" auffassen könnte. Man kann offensichtlich die widersprüchliche Haltung des Auswärtigen Amtes sowie insgesamt der Reichsregierung hinsichtlich der Wirtschaftspolitik gegenüber der Sowjetunion nur durch die verschiedenen Tendenzen erklären, die die Gruppen der deutschen Monopolbourgeoisie damals in der Politik gegenüber der Sowjetunion verfolgten. Das zeigte sich auch in einer Mitteilung des sächsischen Gesandten Holtzendorff, der damals „wegen der Verlängerung der sogenannten Russengarantien" in ständiger Fühlung mit der Reichsregierung stand: „Während das Reichswirtschaftsministerium geneigt wäre, diese Garantie wenigstens in beschränktem Umfange zu erneuern, zeigt sich das Auswärtige Amt und überdies ein Teil der Spitzenverbände ziemlich abgeneigt." 01 Auch die Auseinandersetzungen in der Frage der Errichtung von Filialen der sowjetischen Handelsvertretung in Köln und München - sie war von der Sowjetregierung 58
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Brockdorff-Rantzau an AA, 13. 8. 1927. ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 302, Bl. 20. Wallroth an den Reichswirtschaftsminister, 22. 8. 1927. Ebenda, Bl. 11. „Denkschrift über die Frage der Gewährung eines Kredits von Seiten des Reiches an die Mologa-AG.", 7. 3. 1927. ZStA Potsdam, Reichswirtschaftsministerium, Nr. 20032, Bl. 149 f.; ADAP, Ser. B, Bd. IV, S. 486 f. Holtzendorff an die sächsische Regierung, 14. 2. 1928. StA Dresden Wirtschaftsministerium, Nr. 297, Bl. 32.
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beantragt worden - deutet diese verschiedenen Tendenzen in der deutschen Großbourgeoisie an. Gegen die ablehnende Entscheidung des Reichswirtschaftsministeriums, des Auswärtigen Amtes und des preußischen Innenministers 62 wandte sich bezeichnenderweise Konrad Adenauer - damals Oberbürgermeister von Köln. 0,1 Seine engen Beziehungen zur „Dillon-Read-Bank in New York, die das Otto-Wolff-Projekt mit finanzieren wollte, mögen dabei von Bedeutung gewesen sein. Man fragt sich an dieser Stelle, weshalb die deutsche Monopolbourgeoisie auch Ende 1927 und Anfang 1928 weiterhin so starken Schwankungen in ihrer Politik gegenüber der Sowjetunion unterlag und weshalb auch jetzt noch viele ihrer Vertreter die Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen mit der Sowjetunion boykottierten, da doch der von London ausgehende Angriff gegen die Sowjetunion inzwischen als völlig gescheitert angesehen werden mußte. Die Erklärung für dieses Verhalten der deutschen Monopolbourgeoisie liegt zweifellos in den großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Sowjetunion, die gerade um die Jahreswende 1927/1928 offenbar geworden waren. Sie bestanden vor allem im Rückgang der landwirtschaftlichen Marktproduktion, was sowohl durch die große produktionstechnische Rückständigkeit der Landwirtschaft, die fortgeschrittene Aufsplitterung der Bauernwirtschaften, als auch durch den Widerstand der Kulaken verursacht wurde. Schon im Jahre 1927 hatte deshalb der Getreideexport eingeschränkt werden müssen. Anfang 1928 mußte der staatliche Erfassungsplan für Getreide ein Defizit von 128 Millionen Pud verbuchen, und der sowjetische Getreideexport, der in den Jahren zuvor einen nicht unbeträchtlichen Teil der Importe gedeckt hatte, wurde deshalb im Wirtschaftsjahr 1928/29 fast gänzlich eingestellt. Diese Lage in der Landwirtschaft zwang dann bekanntlich die Sowjetregierung, die Bildung von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zu beschleunigen.0'' Die Schwierigkeiten der Getreidebeschaffung trugen wesentlich dazu bei, daß der sowjetische Export nach Deutschland in der ersten Hälfte des Wirtschaftsjahres 1927/28 nur mit 113,8 Millionen Rubel gegenüber 130,5 Millionen Rubel in der gleichen Periode des Vorjahres beziffert werden konnte. Umgekehrt waren auch die Bestellungen der Handelsvertretung in Deutschland in der Periode Oktober/März des Wirtschaftsjahres 1927/28 auf 113,5 Millionen Rubel von 153 Millionen Rubel in der gleichen Zeit des Vorjahres zurückgegangen/" Darüberhinaus begannen viele deutsche Firmen, unter dem Eindruck des von den deutschen Reichsbehörden verfolgten neuen Kurses in den Wirtschaftsbeziehungen zur Sowjetunion sowie beeinflußt durch die in der deutschen bürgerlichen Presse auflebende antisowjetische Propaganda, sich mit der Ausführung der bei ihnen aufgegebenen sowjetischen Bestellungen zurückzuhalten.06 Andererseits waren gerade diese Firmen an der Weiterführung 62 63
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ZStA Merseburg, Rep. 120, C XIII, 6 a, Nr. 35 a, Bd. 4, Bl. 33. Vgl. das Schreiben Adenauers an den preußischen Minister für Handel und Gewerbe vom 8. 12. 1927. Ebenda, Bl. 38. Vgl. Istorija socialisticeskoj ekonomiki SSSR, Bd. 3, S. 328. Vgl. Die Volkswirtschaft der UdSSR, 1928, Nr. 13, S. 6. Das Bulletin der Handelsvertretung der UdSSR in Berlin wies darauf hin, daß sich in der Handelsvertretung viele Briefe befänden, in denen „maßgebende deutsche Industriefirmen mit Berufung auf die Beschlüsse der Spitzenorganisationen (Reichsverband der Deutschen Industrie etc.) die Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen ablehnen bzw. einer solchen Erfüllung ausweichen." Die Volkswirtschaft der UdSSR, 1928, Nr. 5/6, S. 5.
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ihrer Geschäfte mit der Sowjetunion außerordentlich interessiert. Dieser Widerspruch im Verhalten gegenüber der Sowjetunion zeigte sich damals auch bei der Deutschen Bank. Obgleich sie während des J a h r e s 1 9 2 8 einen stark sowjetfeindlichen Kurs steuerte, erklärte ihr Direktor, Paul Bonn, in Antwort auf eine Anfrage Schäffers, daß er trotz der Schwierigkeiten in der sowjetischen Wirtschaft an eine dortige „politische Veränderung" nicht glaube und deshalb weitere Handelsgeschäfte mit der Sowjetunion für zweckmäßig halte.'" Die ungeklärte und unbefriedigende Situation im deutsch-sowjetischen Wirtschaftsverkehr machte daher die Aufnahme entsprechender Verhandlungen sehr dringlich. Wie wir schon sahen, versuchte die deutsche Regierung bei diesen Verhandlungen einen neuen Angriff gegen das sowjetische Wirtschaftssystem zu führen. Nur als Gegenleistung für erhebliche sowjetische Zugeständnisse, darunter auch in der Frage des staatlichen Außenhandelsmonopols, wollte sich die Reichsregierung zur weiteren Kreditierung des Handels bereitfinden/ 1 8 Am 21. J a n u a r 1 9 2 8 händigte Schubert dem sowjetischen Botschafter Krestinskij die Wünsche der Reichsregierung in Form eines Exposés a u s : der Wirtschaftsvertrag vom 12. O k t o b e r 1 9 2 5 habe nicht zu den von deutscher Seite erhofften Resultaten geführt, und in den deutschen Wirtschaftskreisen habe über die bisherigen E r g e b nisse der Wirtschaftsbeziehungen „Enttäuschung" um sich gegriffen. 1 '" Eine Aufzeichnung, die Wallroth am 7. Februar 1 9 2 8 für die taktische Behandlung der sowjetischen Kreditwünsche anfertigte, war in dieser Hinsicht schon deutlicher. Er empfahl die ganze F r a g e bis zum Abschluß der sowjetisch-französischen Verhandlungen zurückzustellen. Seine Begründung war folgende : „Wir könnten zwar auf Grund des Rapallo-Vertrages die Anerkennung der alten Schulden von Rußland z. Z. noch nicht fordern. Wenn wir aber jetzt zu neuen Krediten Stellung nehmen sollen, bevor nicht endgültig feststünde, ob die Russen eine solche Schuldenanerkennung nicht anderen Staaten gegenüber alsbald vornähmen, so würde man uns aus einer solchen erneuten Vorleistung von Krediten mit Recht die schwersten Vorwürfe aus den Kreisen der deutschen Rußlandgläubiger und der deutschen Bankwelt überhaupt machen. Daher sei eine 'Vertagung' der Frage für uns unerläßlich."'" So hatte man auf der deutschen Seite von vornherein entschieden, die Verhandlungen ergebnislos enden zu lassen, bevor sie überhaupt noch begonnen hatten. Zu den Verhandlungen über die Wirtschaftsbeziehungen' 1 traf Anfang F e b r u a r 1 9 2 8 eine sowjetische Delegation in Berlin ein. Zu ihr gehörten der Volkskommissar für Verkehrswesen, J a . E. Rudzutak, der Präsident der sowjetischen Staatsbank, A. L. Sejnman, sowie die Mitglieder des Kollegiums des Volkskommissariats für 07
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„Die an mich gerichtete Frage, ob es sich derzeit für die deutsche Industrie empfiehlt, die im Rahmen der 300-Millionen-Aktion läufenden Verträge wegen Lieferungen von Fabrikaten nach Rußland weiter zu erfüllen, oder aber im Hinblick auf etwaige Gefahren die weitere Erfüllung zu unterlassen, glaube ich trotz meiner Auffassung über die gegenwärtige Lage in Sowjetrußland für meine Person in ersterem Sinne beantworten zu sollen." ZStA Potsdam, Reichswirtschaftsministerium, Nr. 7632, Bl. 45. Vgl. den aufschlußreichen Bericht des sächsischen Vertreters in Berlin, Plodeck, vom 13. 2. 1928 über seine diesbezüglichen Unterredungen im Auswärtigen Amt. StA Dresden, Außenministerium, Nr. 6966, Bl. 187 ff. DVP SSSR, Bd. XI, S. 34 f. Aufzeichnung Wallroths vom 7. 2. 1928. ADAP, Ser. B, Bd. VIII, S. 151 f. Vgl. auch Achtamzjan, S. 226.
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Innen- und Außenhandel, I. O. Slejfer, der auf sowjetischer Seite die Leitung der Verhandlungsführüng übernahm, und M. Kaufmann. Eine orientierende Vorbesprechung fand am 6. Februar bei Stresemann statt. An ihr nahmen Rudzutak, Sejnman, Krestinskij und Bratman-Brodovskij teil. 72 Rudzutak umriß in seinen Ausführungen die umfangreichen Bauvorhaben der UdSSR im Rahmen der sozialistischen Industrialisierung, besonders auf schwerindustriellem Gebiet, und hob hervor, daß die Sowjetregierung nach wie vor den größten Wert darauf lege, ihre Bestellungen in Deutschland zu vergeben. Die Höhe dieser Bestellung bezifferte er auf 600 Millionen Mark, die Deutschland der Sowjetunion wiederum in Form eines Kredits vorschießen sollte. Er habe den Wunsch, so erklärte Rudzutak, die prinzipielle Antwort der Reichsregierung zu hören, „da eine solche Antwort uns die Möglichkeit geben würde, so oder anders unseren wirtschaftlichen Aufbau für die folgenden Jahre zu planen." Es käme also der Sowjetregierung darauf an zu wissen, ob Deutschland auch weiterhin mit der Sowjetunion wirtschaftlich zusammenarbeiten wolle. Die Antwort Stresemanns auf die von Rudzutak gestellte Anfrage war jedoch wenig befriedigend. Er operierte wiederum mit der „Enttäuschung" der deutschen Wirtschaftskreise, und wenn er auch die positive Auswirkung der vorausgegangenen sowjetischen Bestellungen für den 300-Millionen-Kredit auf die deutsche Industrie nicht leugnen konnte, so war doch seine Einstellung zu weiteren Kreditgeschäften negativ. Das entsprach ganz der Taktik, wie sie Wallroth dargelegt hatte. Angesichts dieser Zielsetzungen auf deutscher Seite brachten denn auch die am 11. Februar begonnenen Verhandlungen 73 keinerlei Resultate. Zwei Tage nach Verhandlungsbeginn kommentierte Krestinskij in einem Bericht an Litvinov die Situation: „Wenn Sie meine persönliche Meinung wissen wollen, so ist die Kreditfrage von Ihnen zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt gestellt worden. Erstens gibt es hier keine handlungsfähige Regierung, und bis zur Bildung einer neuen Regierung nach den Reichstagswahlen wird ein Beschluß in der uns interessierenden Frage nicht Zustandekommen. Zweitens herrscht unter den Industriellen eine gewisse Enttäuschung, und das findet einen Ausdruck in der Stimmung der Deutschen Volkspartei, der Curtius und Stresemann angehören. Erst nach Überwindung der Meinungsverschiedenheiten, wie sie sich in den gegenwärtigen Verhandlungen in Berlin ergeben, wird sich die Möglichkeit ernster Verhandlungen über Kredite ergeben. Drittens ist auch die außenpolitische Situation gegenwärtig ungünstig." 7 ' 1 Die sowjetische Delegation suchte in diesen Verhandlungen drei Ziele durchzusetzen: erstens die Bildung neuer Filialen der sowjetischen Handelsvertretung in Deutschland, zweitens die Gewährung verschiedener Zollvergünstigungen und drittens die Fortführung der Kreditaktion. 7 '' Die sowjetische Delegation lehnte natürlich die deutschen Forderungen nach Unterhöhlung des sowjetischen Außenhandelssystems strikt ab. Die deutsche Seite hingegen 72
Aufzeichnung Krestinskijs vom 6. 2. 1928. DVP SSSR, Bd. XI, S. 59 f., Aufzeichnung Wallroths vom 6. 2. 1928. ADAP, Ser. B, Bd. VIII, S. 140 f. 73 Vgl. auch das auszugsweise in russischer Sprache veröffentlichte Verhandlungsprotokoll: DVP SSSR, Bd. XI, S. 698 ff. n Krestinskij an Litvinov, 13. 2. 1928. DVP SSSR, Bd. XI, S. 83 f. 7: ' Vgl. auch den Bericht Plodecks vom 6. 3. 1928. StA Dresden, Aufjenministerium, Nr. 6966, Bl. 194 f.
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aber machte die Erfüllung der sowjetischen Wünsche von der Verwirklichung ihrer schon genannten Ziele abhängig. Dies war der Stand der Verhandlungen, als sie von der deutschen Seite auf Grund eines Beschlusses des Reichskabinetts am 15. M ä r z abgebrochen w u r d e n . G r u n d dafür war nicht nur die Tatsache, daß man den Versuch, die Sowjetunion mittels wirtschaftlicher Erpressung zur Aufgabe des staatlichen Außenhandelsmonopols zu zwingen, als gescheitert ansehen mußte. 7 7 Auch die Rücksichtnahme auf die Westmächte spielte eine Rolle. Denn seit Ende 1927 hatte die deutsche Regierung Kurs auf die Revision des Dawesplanes genommen. Und sie fürchtete jetzt wie auch in den späteren Jahren, durch V e r g a b e von Krediten an die Sowjetunion die Lösung der Reparationsfrage zu stören. 7 8 Aus allen diesen Gründen bot die Verhaftung und gerichtliche Anklage von drei deutschen Ingenieuren, die im Sachty-Kohlenrevier des Donbass tätig waren, der Reichsregierung den gewünschten Vorwand, die Verhandlungen abzubrechen. Die Ingenieure, von denen zwei bei der A E G arbeiteten, standen im Verdacht, in eine großangelegte Sabotage-Aktion verwickelt zu sein, die von einer konterrevolutionären Organisation - ihre führenden Mitglieder waren ehemalige Grubenbesitzer und Ingenieure - durchgeführt worden w a r . ' 9 T A S S wies dann auch auf den Umstand hin, daß die Tatsache der Verhaftung einiger deutscher Ingenieure kein überzeugendes Motiv für den Abbruch der Verhandlungen war. 8 0 Und Stresemann selbst erkannte in einem vertraulichen Gespräch mit Andor Hencke, der sich gerade in Berlin aufhielt, an, daß möglicherweise „die A E G Unvorsichtigkeiten begangen" habe. 8 1 Obzwar Stresemann versicherte, daß „an eine politische Frontänderung" in den Beziehungen Deutschlands zur Sowjetunion nicht gedacht sei, 8 2 gab die deutsche Regierung mit ihrem Verhalten allen Gegnern der Rapallo-Politik Auftrieb. Insbesondere waren natürlich die imperialistischen Kreise in London über den Abbruch der deutsch-sowjetischen Verhandlungen erfreut, und man sprach dort bereits von der bevorstehenden „Beerdigung" der Verträge von Rapallo und Berlin. Nicht zufällig reiste deshalb Lord Birkenhead, der „wütende Sowjetfresser", wie Lloyd George ihn einmal bezeichnete, 8 ' 1 im April 1 9 2 8 nach Berlin. Er gab sich jetzt wiederum alle M ü h e , Deutschland in eine antisowjetische Koalition hineinzuziehen. 8 ' 1 Natürlich fand er bei Rechberg und dessen Gesinnungsfreunden hierfür auch größte Bereitschaft. Schacht zeigte sich diesen Plänen gegenüber ebenfalls sehr aufgeschlossen. Dirksen teilte dem sowjetischen Geschäftsträger auf dessen besorgte Anfrage mit, daß Birken76 77
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Der Beschluß wurde ebenfalls am 15. März gefaßt. ADAP, Ser. B, Bd. VIII, S. 339. Wallroth erklärte in der Abschlußsitzung der deutschen Delegation vom 23. 3. 1928, in der die Verhandlungsergebnisse ausgewertet wurden: „Es hat den Anschein, als ob auch bei einer Weiterführung der Verhandlungen kaum weitere Fortschritte und Erfolge durchzusetzen gewesen wären." ZStA Merseburg, Rep. 120, C XIII, 6 a, Nr. 35, Bl. 84. Vgl. auch die Aufzeichnung Stresemanns vom 31. 3. 1928. Vermächtnis, Bd. III, S. 343. Der Sachty-Prozeß fand vom 18. Mai bis 6. Juli statt. Unter Anklage standen 53 Personen, vorwiegend Ingenieure und Techniker. Zwei der drei deutschen Angeklagten wurden freigesprochen, während der dritte zu Haft verurteilt, jedoch danach begnadigt wurde. TASS-Meldung vom 17. 3. 1928. DVP SSSR, Bd. XI, S. 167. Am 28. 4. 1928 in Berlin, ADAP, Ser B, Bd. VIII, S. 546. Im Ausw. Ausschuß des Reichstags am 21. 3. 1928. Nach dem Bericht des sächsischen Vertreters. StA Dresden Außenministerium. Nr. 6966, Bl. 197. In einer Unterredung mit I. M. Majskij. Vgl. I. M. Maiski, Memoiren eines sowjetischen Botschafters, Berlin 1967, S. 69. Vgl. Coates, S. 334.
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head mit verschiedenen Bankiers und anderen Personen über seine antisowjetischen Bündnispläne verhandelt habe. 85 Wenn Dirksen aber dem Geschäftsträger erklärte, daß Birkenhead mit „offiziellen Leuten" der Regierung über diese Fragen nicht gesprochen habe, so entsprach das nicht der Wahrheit. Denn eine Woche zuvor hatte Birkenhead bereits mit Stresemann gefrühstückt und dem deutschen Imperialismus das Kompliment gemacht, er habe „in schwierigster Lage der bolschewistischen Welle einen Damm entgegengesetzt". Dabei hatte er dem deutschen Außenminister „in starken Worten die Notwendigkeit eines engen Zusammengehens zwischen England und Deutschland" vor Augen geführt. Stresemann war allerdings auch diesmal vorsichtig genug, als daß er auf dieses Angebot eingegangen wäre und vermied es deshalb, sich seinem Besucher gegenüber festzulegen. 86 Wie stark die Bestrebungen zum Einschwenken in eine antisowjetische Front in Deutschland waren, zeigte der Beitritt einer Gruppe deutscher Banken zum „Internationalen Komitee zum Schutz der Inhaber russischer Anleihen", das am 23. Oktober 1928 in London unter dem Vorsitz von Lord Revelstoke gebildet wurde. Zu dieser deutschen Bankgruppe gehörten die Mendelssohn-Bank, das Bankhaus Bleichröder und die Disconto-Gesellschaft. Diese Banken hatten schon im Jahre 1926 versucht, eine „Schutzvereinigung der deutschen Gläubiger von russischen Staatsanleihen und staatlich garantierten Eisenbahnobligationen" zu bilden. Indem diese Banken die Reichsregierung dazu drängten, ihre Bestrebungen offiziell zu billigen, griffen sie direkt den Rapallo-Vertrag an. Denn Artikel 2 hatte ja ausdrücklich den Verzicht auf die Rückerstattung des in Sowjetrußland nationalisierten kapitalistischen Eigentums zum Inhalt. Das Auswärtige Amt lehnte diese Forderungen der Banken ab. Denn es mußte befürchtet werden, daß die Bildung einer solchen Vereinigung die RapalloPolitik torpedierte, was gerade nach Abschluß des Berliner Vertrages gegen die Gesamtinteressen des deutschen Imperialismus verstoßen hätte. Besonders BrockdorffRantzau hatte sich schärfstens gegen das Auftreten der Banken gewandt. 8 ' Aber auch der Eintritt der Banken in das internationale Komitee im Herbst 1928 erfolgte nicht mit Billigung der Reichsregierung. Trotz allen Schwankens in ihrer Wirtschaftspolitik gegenüber der Sowjetunion und aller Versuche, von der Sowjetunion politische Zugeständnisse zu erpressen, entsprach dieser Schritt der drei Banken nicht der Gesamtpolitik der deutschen Regierung gegenüber der Sowjetunion. 88 Auch die Deutsche Bank, der im Unterschied zur Disconto-Gesellschaft, die vornehmlich die Ruhrindustrie vertrat, die neuen Industriezweige, wie die chemische und die Elektroindustrie zugeordnet waren, nahm eine schroff antisowjetische Haltung ein. In dem Bericht der „Garkrebo" 89 für das Jahr 1928 heißt es: „Die feindseligste Position zu den sowjetischen Angelegenheiten nahm im Jahre 1928 die Deutsche Bank 83
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Vgl. die Aufzeichnung Bratman-Brodovskijs vom 23. 4. 1928. DVP SSSR, Bd. XI, S. 284. Stresemann an Brockdorff-Rantzau, 16. 4. 1928. PA Bonn, Büro des RM, 9 Ru51and, Bd. 20, Bl. 559508. Vgl. Rantzau an AA, 23. 6. 1926. ADAP, Ser. B, Bd. II, 2, S. 40; Rantzau an Schubert und Stresemann, 26. 6. 1926. Ebenda, S. 58. In einer Beratung im Auswärtigen Amt am 30. 4. 1928, an der u. a. auch Dirksen und Schlesinger teilnahmen, wurde der Beitritt der Banken zum internationalen Komitee als „politisch untragbar" bezeichnet. Aufzeichnung Dirksens vom 1. 5. 1928. Ebenda, Bd. IX, S. 1. Garantie- und Kreditbank für den Osten. Die Garkrebo war eine sowjetische Institution und im Jahre 1924 zur Finanzierung des deutsch-sowjetischen Handels gebildet worden.
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ein."90 Die Deutsche Bank sperrte sämtliche Kredite für sowjetische Handels- und Wirtschaftsorganisationen, worin, wie wir dem Bericht weiter entnehmen, ihr auch andere deutsche Banken, wie die Darmstädter Bank, die Commerz- und Privatbank, folgten. Zudem sei die Konjunktur im ersten Halbjahr 1928 immer noch so hoch gewesen, daß die deutschen Banken Geschäfte mit der Sowjetunion nicht benötigten. „Dieser Umstand machte die Banken besonders empfänglich für jede Nachricht über Komplikationen der Sowjetunion in der internationalen Situation." Im letzten Viertel des Jahres 1928 aber hätten sich die deutschen Banken mit den Geschäften, die sie mit der deutschen Industrie machten, allein nicht zufrieden geben können. „Eine Reihe von Krediten blieb bei ihnen nicht ausgelastet, und dies trieb die deutschen Banken wieder zu einer günstigeren Einstellung zu den sowjetischen Angelegenheiten." Der Bericht schloß mit dem Hinweis, daß sich, ungeachtet der von den deutschen Banken bereiteten Schwierigkeiten, der sowjetisch-deutsche Warenaustausch gesteigert habe und die sowjetischen Bestellungen in Deutschland zugenommen hätten. Unterdessen erörterte man in den Kreisen der deutschen Monopolbourgeoisie, wie weit man im wirtschaftlichen Boykott der Sowjetunion, für den man jetzt nach der Verhaftung der Ingenieure einen günstigen Vorwand besaß, gehen sollte. Die anfängliche Absicht, sofort alle deutschen Techniker und Spezialisten aus der Sowjetunion abzuberufen, wurde indes nicht verwirklicht. Die Ursache für dieses Schwanken ist aus einem entsprechenden Briefwechsel zwischen dem Auswärtigen Amt und der Direktion der AEG ersichtlich, der, wie schon erwähnt, zwei der verhafteten Ingenieure angehörten. 91 Fürchtete man doch in der Direktion der AEG, sich durch eine solche Maßnahme selbst um das profitable Geschäft mit der Sowjetunion zu bringen. Auch im Auswärtigen Amt schreckte man davor zurück, den Bogen zu überspannen. Höchst aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Aufzeichnung Dirksens über eine Unterredung mit Geheimrat Bücher 92 von der AEG.9:) Bücher gab im Zusammenhang mit dem in Moskau bevorstehenden Sachty-Prozeß zu, daß „doch die russischen Ingenieure zum Teil in ziemlich kompromittierenden Beziehungen zu russischen Emigrantenkreisen" stünden und daß es „wohl nicht ganz ausgeschlossen" sei, daß „einzelne der deutschen Angeklagten Unvorsichtigkeiten begangen hätten". Sodann führte Bücher „die schon bekannten Argumente gegen das Außenhandelsmonopol ins Feld und kam zu dem Schluß, daß ein Zusammenbruch der Sowjetwirtschaft, infolge eines sich immer mehr steigernden Versagens der Ausfuhr, unvermeidlich sei. Er frage sich nur, wann dieser Zusammenbruch eintreten werde." Dirksen schloß sich dieser pessimistischen Prognose „über die Durchführbarkeit der Wirtschaftsprinzipien der Sowjetregierung" an. Auch er war der Ansicht, daß „bei einem dauernden Beharren am gegenwärtigen Kurse die Sowjetwirtschaft zum Scheitern verurteilt sei", und stellte die Frage, ob die Sowjetregierung nicht vielleicht „in absehbarer Zeit wieder einen vernünftigen Kurs steuern werde." 90
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Tätigkeitsbericht der Garkrebo vom 24. 6. 1929. CGANCh Moskau, Fond 7590, op. 3, d. 383, Bl. 2 f. Vgl. Stresemann an die AEG, 11. 4. 1928, und die Schreiben der AEG an das AA vom 29. 3. und 16. 4. 1928. ZStA Potsdam, Reichswirtschaftsministerium, Nr. 7632, Bl. 57 f. Hermann Bücher war bis zum 1. 4. 1925 Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Reichsverbandes der deutschen Industrie und wurde danach Generaldirektor der AEG. Die Unterredung fand am 4. 5. 1928 statt. Eine Aufzeichnung sandte Dirksen an das Reichswirtschaftsministerium. ZStA Potsdam, Reichswirtschaftsministerium, Nr. 19645, Bl. 262 f.; vgl. auch ADAP, Ser. B, Bd. IX, S. 12 f.
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Trotz dieser so dunklen Perspektive, die die beiden Gesprächspartner der Sowjetunion in völliger Verkennung des dort vor sich gehenden Prozesses des sozialistischen Aufbaus gaben, waren sie sich „darin einig, daß es richtig sei und gewesen sei, daß Deutschland in engere Wirtschaftsbeziehungen zur Sowjetunion getreten sei". Man habe nämlich dadurch das „Fortbestehen der russischen Wirtschaft" ermöglicht und „die Gesamtwirtschaft vor einem unabsehbaren und nicht wiedergutzumachenden Zusammenbruch bewahrt." Deshalb sei auch der 300-Millionen-Kredit gerechtfertigt gewesen. Bei der gegenwärtigen „aussichtslosen Wirtschaftspolitik der Sowjetregierung" kämen hingegen Kreditaktionen größerer Art nicht in Frage. Außerdem sei die deutsche Wirtschaft „aus eigenen Kräften zur Kreditgewährung" nicht in der Lage, und so müsse man abwarten, bis die Sowjetregierung „wieder vernünftiger" werde. Diese Illusion über das wirkliche Kräfteverhältnis zwischen Deutschland und der Sowjetunion - sie war gewiß nicht auf Deutschland angewiesen, wenn sich auch ihr wirtschaftlicher Aufbau mit Hilfe der Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland rascher verwirklichen ließ - trat in den weiteren Ausführungen Büchers noch stärker hervor. Er erklärte, daß „wir gegenwärtig mit irgendwelchen Mitteln dazu beitragen müßten, daß das Sowjetsystem sich während der nächsten Jahre noch am Leben hielte, und zwar aus allgemein politischen Gründen. Uns käme es in erster Linie darauf an, daß das Reparationsproblem gelöst und der Dawesplan revidiert würde. Es sei für uns unerwünscht und schädlich, wenn vor diesem Augenblick das Problem Rußland akut würde, denn wir kämen in eine sehr schwierige Lage und können unser Interesse an einer Beteiligung an einem Wiederaufbau Rußlands nicht genügend wahrnehmen. Außerdem könne uns Rußland die Tragung unserer Reparationslasten erheblich erleichtern." Letzteres stellte sich Bücher so vor, daß ein Teil der Reparationen in Devisen an die Westmächte, ein Teil in Sachwerten an die Sowjetunion geliefert werden sollte, wofür diese Zahlungen an die Reparationsgläubiger zu leisten hatte. Dieses Verfahren entsprach also ganz der im Zusammenhang mit dem Dawesplan entwickelten Konzeption. „Geheimrat Bücher erörterte alsdann noch den Plan, daß ein internationales Konsortium der Sowjetunion eine Anleihe etwa in Höhe von 1 Milliarde Dollar gegen politische Konzessionen anbieten solle. Das Geld dafür sei zweifellos vorhanden. Er meinte schließlich, daß es für Deutschland wesentlich darauf ankäme, seinerseits den Augenblick nicht zu verpassen, an dem die internationale Sanierung Rußlands in Angriff genommen werde." Daß Bücher mit dieser Einschätzung der Sowjetunion nicht allein stand, bestätigt die Schlußfolgerung, zu der auch Schubert Anfang Juli 1928 gelangte. 9 '' „Sowjetrußland, als außenpolitischer und weltwirtschaftlicher Faktor genommen, hat in seiner Bedeutung in den letzten Jahren ständig abgenommen." Deshalb werde auch „das deutsche Interesse an Rußland" erlahmen, so vermerkte Schubert weiter. Die Wirtschaftspolitik der NÖP sei verlassen worden. „Nach unseren allgemeinen wirtschaftlichen Anschauungen und nach unseren Beobachtungen in Rußland führt die von der Sowjetregierung eingeschlagene Wirtschaftspolitik auf abschüssiger Bahn abwärts." Infolgedessen verliere das Land „auch für seine willigsten Freunde an Anziehungskraft." Angesichts dieser sehr deutlichen Bestrebungen des deutschen Monopolkapitals, unter Ausnutzung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der UdSSR einen Einbruch 94
Schubert an Brockdorff-Rantzau, 9. 7. 1928. ADAP, Ser. B, Bd. IX, S. 298.
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in ihre Gesellschaftsordnung zu erzwingen, wird die Bildung des „Rußlandausschusses der deutschen Wirtschaft" im August 1928 durchaus verständlich." 5 Seine Träger waren der Reichsverband der deutschen Industrie, der Deutsche Industrie- und Handelstag, der Reichsverband des deutschen Groß- und Überseehandels, der Centraiverband des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes und der Deutsch-Russische Verein zur Pflege und Förderung der gegenseitigen Handelsbeziehungen. 96 Der Ausschuß sollte den Operationsstab des deutschen Monopolkapitals in der Wirtschaftspolitik gegenüber der Sowjetunion bilden und dieser die geschlossene Front des deutschen Monopolkapitals entgegenstellen. Ein engerer Arbeitsausschuß hatte die Aufgabe, sich laufend mit der gegenüber der Sowjetunion zu verfolgenden Wirtschaftspolitik zu beschäftigen. Zum Vorsitzenden des „Rußlandausschusses" wurde der bisherige Vorsitzende des Deutsch-russischen Ausschusses des Reichsverbandes der deutschen Industrie und Aufsichtsratmitglied zahlreicher Aktiengesellschaften, Hans Kraemer, gewählt, der ebenfalls damals vom baldigen Zusammenbruch der Sowjetmacht träumte. 9 ' Der Reichsverband der deutschen Industrie war Hauptträger des Ausschusses, in dessen Leitung insbesondere der äußerst sowjetfeindliche IG-FarbenKonzern wesentlichen Einfluß besaß. 98 Es ist bezeichnend, daß wichtige Firmen, die auf den Wirtschaftsverkehr mit der Sowjetunion'großen Wert legten, wie z. B. Siemens-Schuckert, in der Leitung nicht vertreten waren. 99 Der Rußlandausschuß wurde zu einem Zeitpunkt gebildet, als die Konjunktur in der deutschen Wirtschaft merklich nachzulassen begann. Und gerade im Rußlandausschuß mußte man sich überlegen, ob man nicht die profitablen „Rußlandgeschäfte" auch ohne die gleichzeitige Forderung nach Durchbrechung des sowjetischen Außenhandelsmonopols weiterführte. Die aus dem 300-Millionen-Kredit resultierenden Geschäfte waren bisher zur Zufriedenheit aller Beteiligten abgewickelt worden. 100 Die am Handel mit der Sowjetunion interessierten deutschen Industriellen wünschten ihre Geschäfte mit Hilfe weiterer Kredite fortzusetzen. 101 Aber auch der deutschsowjetische Handel außerhalb des Garantiekredits hatte sich während des Wirtschaftsjahres 1927/28 trotz aller Reserviertheit der deutschen Regierung und der oben erwähnten Störmaßnahmen des Finanzkapitals erfolgreich entwickelt und übertraf bei weitem das vorausgegangene Jahr. Die Sowjetregierung hatte es inzwischen verstanden, durch Umstellung des Exportplanes das mangelnde Getreide durch andere Güter zu ersetzen. Nicht gering war die Sorge der am Geschäft mit der Sowjetunion interessierten Vgl. K. Laset, Der Rußlandausschufj der deutschen Wirtschaft 1928-1941. ZfG, 1972, Nr. 11; Ktoop, Die Ursachen für die Bildung des Rußlandausschusses der deutschen Wirtschaft und seine Bedeutung für den Handel mit der Sowjetunion, Diplomarbeit a. d. Wirtsch.-Wiss. Fak. der Humboldt-Universität zu Berlin 1963; G. Höhne, Der Rußlandausschuß der deutschen Wirtschaft. In: Jenaer Beiträge zur Parteiengeschichte, 1968, Nr. 24. 96 Vgl. Rundschreiben des Reichsverbandes der deutschen Industrie vom 13. 8. 1928. ZStA Potsdam, Reichswirtschaftsministerium, Nr. 7632, Bl. 107. 97 Vgl. seinen Vortrag vom 6. 12. 1928 in: Die Ostwirtschaft, 1928/29, Nr. 9/10, S. 129 ff. 9 8 Vgl. die Charakteristik des Rußlandausschusses in der „Pravda", 16. 5. 1930. 99 Änderte, S. 214, führt eine entsprechende Charakteristik des Rußlandausschusses durch die sowjetische Handels tertretung in Berlin an. 100 ygj Bericht Holtzendorffs vom 1. 6. 1928 über die Sitzung des Beirats für den Interministeriellen Ausschuß für die „Russenbürgschaft" im Reichswirtschaftsministerium. StA Dresden, Gesandtschaft Berlin, Nr. 1323, Bl. 74. 101 Vgl. Bericht Holtzendorffs vom 15. 12. 1928, ebenda, Bl. 191. 95
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deutschen Unternehmer vor der wachsenden ausländischen Konkurrenz. Begannen doch gerade jetzt die amerikanischen Industriellen sich stärker für den sowjetischen Markt zu interessieren. 102 Der von der Sowjetregierung am 9. Oktober 1928 in New York abgeschlossene Vertrag mit der General Electric Company, der Lieferungen im Werte bis zu 10 Millionen Dollar bei langfristigen Krediten vorsah, 103 wirkte unter den deutschen Industriellen alarmierend. Ähnlich beunruhigend waren die Meldungen aus England, wo sich die Handelstätigkeit mit der Sowjetunion wieder belebt hatte und wo man jetzt die nach dem Abbruch der deutsch-sowjetischen Verhandlungen entstandene Situation auszunutzen suchte.10/1 Es begann sich im Laufe des Jahres 1928 immer deutlicher herauszustellen, daß der von den imperialistischen Kreisen Deutschlands im Frühjahr unternommene Vorstoß gegen die Rapallo-Politik auf heftige Widersprüche stieß. Trotz der starken Versuchungen, in Ausnutzung der Situation in das sowjetische Gesellschaftssystem einzubrechen, und trotz des starken Drucks, den die Gegner der Rapallo-Politik ausübten, war man in der Wilhelmstraße nicht gewillt, den „russischen Trumpf" so leichtfertig aus der Hand zu geben. Der sowjetische Botschafter in Paris, V. S. Dovgalevskij, urteilte damals sehr treffend, als er in einem Bericht schrieb, daß Deutschland zwischen zwei Stühlen sitze, es jedoch vermeide, sich voll auf den westlichen Stuhl zu setzen, weil die Revision des Dawesplanes und die Frage der Rheinlandräumung auf eine Reihe von Schwierigkeiten gestoßen seien. Deutschland benötige nach wie vor politisch und wirtschaftlich die Sowjetunion als Stütze. „Alles dies zeugt nicht nur von dem Erstarken der Locarno-Tendenzen in Deutschland, sondern auch davon, daß es seinen Löwenanteil auf dem sowjetischen Markt erhalten und seine Konkurrenten auf ihm verdrängen oder mit ihnen eine Allianz unter seiner Führung herstellen möchte, um so sein Eindringen auf dem sowjetischen Markt unter für uns schlechteren Bedingungen zu gewährleisten." Dovgalevskij empfahl, die Wirtschaftsbeziehungen mit England und Frank102
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Am 15. 3. 1928 schrieb die „Deutsche Industrievereinigung für den Osten", daß die Lieferungen amerikanischer Traktoren nach der Sowjetunion zu Ungunsten Deutschlands sehr zugenommen habe. ZStA Potsdam, Reichswirtschaftsministerium, Nr. 20057, Bl. 64. Aus gutem Grund wies das Bulletin der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin darauf hin, dafj mit diesem Vertrag die General Electric ausdrücklich auf die Rückerstattung ihres seinerzeit nationalisierten Vermögens verzichtet habe. Die Volkswirtschaft der UdSSR, 1928, Nr. 20/21, S. 5. Sthamer meldete dem AA aus London am 6. 6. 1 9 2 8 : „Weiterhin darf aber nicht außer Acht bleiben, dafj die Sowjetherrschaft dadurch, dafj sie sich nunmehr so lange zu behaupten verstanden hat, doch allmählich hier in manchen Kreisen das gegen sie bestehende Mißtrauen zu überwinden beginnt; man sagt sich in diesen Kreisen: Es ist mit den Sowjets solange gegangen, obwohl das Zusammenbrechen immer wieder als dicht bevorstehend angekündigt worden ist, daß es nun wohl auch noch ein oder zwei J a h r e weiter mit ihnen gehen wird. In dieser Zeit können wir ruhig Geschäfte machen. Diese Auffassung hört man wenigstens in der City. - Unter diesen Umständen ist es nicht unverständlich, wenn m a n hier gerade den Zeitpunkt benutzt, an dem die deutschrussischen Handelsbeziehungen durch den Prozeß wegen der Vorgänge im Donetz-Bekken getrübt sind, um in ein Geschäft hereinzukommen, das sich im Gegensatz zu früheren Erwartungen als ganz lukrativ erwiesen hat und, zum wenigsten für die nächste Zeit, auch einigermaßen sicher zu sein scheint." ZStA Potsdam, Reichswirtschaftsministerium, Nr. 7632, Bl. 32. Rosenfeld
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reich zu stärken und „indem wir diese ausnutzen, Deutschland einen Anschauungsunterricht und eine Warnung zu erteilen." 1 0 5 In der Tat waren es sowohl wirtschaftliche als auch politisch-diplomatische Erwägungen, die es der Ende Juni 1928 unter der Kanzlerschaft Hermann Müllers' gebildeten Koalitionsregierung ratsam erscheinen ließen, die unterbrochenen Wirtschaftsverhandlungen mit der Sowjetunion wieder aufzunehmen. Als Cicerin Mitte September 1928 in Berlin weilte, erhielt er von Ministerialdirektor Röpke, der damals Schubert im Auswärtigen Amt vertrat, die Versicherung, daß die deutsche Regierung weiterhin um die Aufrechterhaltung freundschaftlicher Beziehungen zur Sowjetunion bemüht sei. 1 0 6 Die „russische Karte" gewann in der Wilhelmstraße besonders wieder an Wert, nachdem Stresemann in seinem Gespräch mit Poincaré am 27. August in Paris in der Rheinlandfrage eine neuerliche Abfuhr erhalten hatte. Der französische Widerstand gegen die Auflockerung des Versailler Systems war um so hartnäckiger, als die USA es strikt ablehnten, die Frage der interalliierten Schulden mit der Reparationsfrage zu verbinden - wie man es in' Paris wollte. 107 Und trotz der verheißungsvollen Bildung des Sachverständigenausschusses zur Reparationsfrage im Dezember 1928 bezeichnete Stresemann kurz danach die außenpolitische Situation als „miserabel" und erklärte, daß er auf die Beziehungen zur Sowjetunion „großen Wert" lege. 1 0 8 Überdies war inzwischen der von der deutschen Regierung gebrauchte Vorwand zur Unterbrechung der Verhandlungen entfallen, nachdem zwei der deutschen Ingenieure freigesprochen und der dritte zwar zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, darauf aber begnadigt worden war. Um die Wiederaufnahme der Wirtschaftsverhandlungen hatte sich seit ihrem Abbruch besonders Brockdorff-Rantzau in engster Zusammenarbeit mit Cicerin bemüht. In dieser so kritischen Situation war daher der Tod Rantzaus am 8. September 1928 ein um so größerer Verlust. Noch auf dem Sterbebett quälte ihn die Sorge um das Schicksal der Beziehungen Deutschlands zur Sowjetunion. Angesichts des nahenden Todes diktierte er seinem Zwillingsbruder einen Brief, der seinen letzten Gruß an Cicerin und Litvinov enthielt und dem Volkskommissar die „letzte und zuversichtliche Hoffnung" des Sterbenden mitteilte, daß „das deutsche und das russische Volk in gemeinsamer Arbeit das von ihm erstrebte Ziel erreichen würden." 109 Nirgendwo als in Moskau verstand man besser, welch ein schwerer Verlust der Tod des Grafen für die deutsch-sowjetische Zusammenarbeit bedeutete. „In der Person des Grafen Brockdorff-Rantzau", so erklärte Litvinov in seinem an Stresemann gerichteten Beileidstelegramm, „verlieren wir einen der bedeutendsten Kämpfer für die Entwicklung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Graf Rantzau stellte in den letzten sechs Jahren seines fruchtbaren Lebens auf verantwortlichem Posten alle seine Kräfte und sein Wissen in den Dienst dieser hohen Aufgabe. 105 Dovgalevskij an Cicerin, 15. 6. 1928. DVP SSSR, Bd. XI, S. 393. 106 Telegramm Cicerins aus Berlin vom 18. 9. 1928. Ebenda, S. 517. 107 Hoesch berichtete deshalb am 15. Juni 1928 aus Paris, dafj „die Aussichten für eine etwaige politische Aktivität Deutschlands auf dem Gebiete der behandelten großen Fragen" (Reparationen und Rheinlandräumung, G. R.) sehr gering seien, was man „bei der Festlegung unserer politischen Richtlinien" berücksichtigen müsse. ZStA Potsdam, Deutsche Botschaft Moskau, Nr. 441, Bl. 244. 108 Im Reichstagsausschuß für auswärtige Angelegenheiten am 28. 1. 1929. Zitiert von Anderle, S. 219. 109 vgl. den Abdruck des Brieftextes bei Norden, Fälscher, S. 246.
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In dankbarer Anerkennung seiner hohen Verdienste werden wir ihn in freundschaftlichem Andenken behalten." 110 Unterdessen hatte Stresemann in einem Brief vom 20. August 1928 an den Reichskanzler seine Bereitschaft zur Wiederaufnahme der Verhandlungen mit der Sowjetunion erklärt, zu deren besonderen Beschleunigung er allerdings „weder aus wirtschaftlichen noch aus politischen Gründen Anlaß" fand. Erst Ende Oktober wollte er den Verhandlungsbeginn einleiten, um dann den „wirklichen Verhandlungsbeginn" bis zum Anfang des Jahres 1929 zu verschieben, „da bis zum 1. Januar 1929 größere Rückzahlungen der Russen auf den 300-Millionen-Kredit, und zwar in Höhe von ca. 80 Millionen Mark, erfolgt sein müssen." 111 Die Mitteilung des Auswärtigen Amtes an Krestinskij, daß es zur Wiederaufnahme der Wirtschaftsverhandlungen bereit sei, erfolgte allerdings schon am 28. August - bemerkenswerterweise am Tage nach dem bereits erwähnten Gespräch Stresemanns mit Poincaré. Für den Entschluß des Auswärtigen Amtes, die Verhandlungen mit der Sowjetunion nicht mehr länger hinauszuzögern, waren jedoch nicht nur die Erwägungen über das Verhältnis zu den Westmächten maßgebend. Offensichtlich wollte man nach der Bildung des „Rußlandausschusses" sowie dem Beitritt der deutschen Banken zum Londoner „Gläubiger-Komitee" die Sowjetunion nicht noch mehr brüskieren. 112 Von wesentlicher Bedeutung aber war die Tatsache, daß die Beteiligung an einer gegen die Sowjetunion gerichteten Blockadepolitik den Interessen der deutschen Wirtschaft nur geschadet hätte, zumal der Konjunkturanstieg, der noch im Frühjahr zu verzeichnen gewesen war, nachließ. Ein Runderlaß Stresemanns vom 24. November 1928 hob dann auch im Hinblick auf die bevorstehende Wiederaufnahme der Verhandlungen mit der Sowjetunion den Nutzen hervor, den die Wirtschaftsbeziehungen bisher für Deutschland gebracht hatten. Die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Sowjetunion sei zwar für künftige Kreditverhandlungen nicht ermutigend. „Solange aber die Sowjetregierung ihren finanziellen Verpflichtungen pünktlich nachkommt und insbesondere, solange sie den Umfang ihrer Bestellungen mit ihrem tatsächlichen Zahlungsvermögen in Einklang bringt, was gegenwärtig durchaus der Fall ist, besteht auf deutscher Seite zweifellos ein Interesse, gewinnbringende Industrielieferungen nach Rußland zu erleichtern. Welchen Wert die russischen Aufträge für die deutsche Wirtschaft haben, ergibt sich schon daraus, daß der Durchschnitt der russischen Bestellungen in den letzten Jahren nach russischen Angaben mehr als 400 Millionen Reichsmark beträgt." 113 Die Sowjetregierung war unterdessen bemüht, durch verschiedene Maßnahmen auf dem Gebiet des Außenhandels den Wirtschaftsverkehr mit Deutschland zu fördern und eine für die Wiederaufnahme der Verhandlungen günstige Situation zu schaffen. Dazu gehörte auch ein Dekret vom 25. Oktober 1928, das den Transitverkehr durch die Sowjetunion von und nach Ländern, die mit der Sowjetunion in einem Vertragsverhältnis standen, freigab. Denn Deutschland war in hohem Maße am Transitverkehr durch die Sowjetunion interessiert. Nicht zufällig erfolgte kurz vor Aufnahme der 110 111
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Litvinov an Stresemann, 9. 9. 1928. DVP SSSR, Bd. XI, S. 511. Stresemann an den Staatssekretär in der Reichskanzlei, 20. 8. 1928. AD AP, Ser. B, Bd. IX, S. 602. Auch Norden, Fälscher, S. 171, sieht hierin einen Grund für die Vorverlegung der Verhandlungen. ADAP, Ser. B, Bd. X, S. 403.
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Verhandlungen die Bildung der deutschen Sektion in der Handelskammer der U d S S R für den Westen. Die Handelskammer selbst war ein J a h r zuvor unter Leitung von L. M . Chincuk, dem späteren sowjetischen Botschafter in Deutschland, gegründet worden. D e r deutschen Sektion gehörten sowohl deutsche als auch sowjetische M i t glieder a n . w D i e Wiederaufnahme der von der Reichsregierung am 15. M ä r z unterbrochenen Verhandlungen erfolgte am 26. November 1928 in Moskau. Die deutsche Delegation stand unter der Leitung von Ministerialdirektor Hans Posse vom Reichswirtschaftsministerium, die Leitung der sowjetischen Delegation hatte B. Stomonjakov übernommen, da I. O . S l e j f e r erkrankt war."-' Ziel der Verhandlungen war nicht der Abschluß eines neuen Vertrages, sondern die Präzisierung des Vertragswerkes vom 12. O k t o b e r 1925, womit zugleich der Rapallo-Vertrag erneut bestätigt wurde. Das Verhandlungsergebnis bestand in einem Protokoll, das a m 21. Dezember 1928 von B. Stomonjakov und I. Pankratov für die Sowjetregierung und von H. Posse und G. Martius für die Reichsregierung in M o s k a u unterzeichnet w u r d e . u ü Das Protokoll enthielt in sieben Artikeln, zusätzlich einer Bestätigung des Konsularabkommens und der Vereinbarung über den Rechtsschutz, Ergänzungen und Präzisierungen zu dem Vertragswerk v o m O k t o b e r 1925. Wesentlich war, daß beide Seiten sich darüber verständigten, den Wirtschaftsverkehr zu fördern und daß die deutsche Seite damit erneut das Außenhandelsmonopol der U d S S R anerkannte. Die Sowjetregierung k a m den deutschen Wünschen entgegen, indem sie den unmittelbaren mündlichen und schriftlichen V e r k e h r der Wirtschaftsabteilung der deutschen Botschaft mit sämtlichen Volkskommissariaten zu Informationszwecken zuließ. Auch der direkte V e r k e h r von Reedern und Transportgesellschaften mit den Erporteuren des anderen Landes sollte gestattet sein. Die Sowjetregierung hatte allerdings ihr Entgegenkommen von der Klärung einer wichtigen F r a g e abhängig g e m a c h t : sie verlangte, daß sich die Reichsregierung in dem Protokoll offiziell von dem Beitritt deutscher Banken zu dem Londoner „Gläubiger-Komitee" distanzierte. Die Sowjetregierung konnte jedoch erst nach heftigen Auseinandersetzungen mit der deutschen Seite im Verlauf der Verhandlungen eine sie zufriedenstellende Lösung erzielen, da die deutsche Regierung die von M o s k a u vorgeschlagenen Formulierungen abzuschwächen suchte. 1 1 7 Auch hierin k a m schließlich die Sowjetregierung der deutschen Seite in einigen Formulierungen entgegen, da sie eine Unterbrechung der Verhandlungen, auch nur für zwei Wochen, „im Hinblick auf die allgemeine internationale Lage für ganz unzulässig" hielt. 1 1 8 Jedenfalls erreichte sie es, daß die deutsche Regierung in dem Protokoll sich offiziell von dem Schritt der deutschen Banken distanzierte und ihn als unvereinbar mit dem RapalloVertrag sowie mit den allgemeinen politischen Beziehungen Deutschlands zur Sowjetunion erklärte. 114
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Vertreten waren die IG-Farben, die AEG, der Kaukasische Grubenverein, die „Russtransit" sowie die Siemens-Bau-Union. Vgl. Die Volkswirtschaft der UdSSR, 1928, Nr. 23, S. 22 f. Vgl. Litvinov an Krestinskij, 12. 11. 1928. DVP SSSR. Bd. XI, S. 572. Text in: DVP SSSR, Bd. XI, S. 6 2 3 f . ; deutschsprachig: Die Volkswirtschaft der UdSSR, 1929, Nr. 1, S. 19 f. Vgl. die Aufzeichnung Krestinskijs über seine Unterredung mit Stresemann am 21. 12. 1928. DVP SSSR, Bd. XI, S. 618 f. Litvinov an Krestinskij, 22. 12. 1928. Ebenda, S. 751.
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Keine geringen Auswirkungen auf den Verlauf dieser Verhandlungen besaß zweifellos das Ergebnis der Völkerbundstagung in Lugano Anfang Dezember. Schubert warf hier den Engländern mangelnde Unterstützung Deutschlands gegenüber Frankreich vor und bedauerte, daß die Zusammenarbeit Deutschlands mit England und Frankreich im Sinne von Locarno nicht zustandegekommen sei, obzwar, wie Schubert hervorhob, es doch die gemeinsame Aufgabe dieser drei Mächte sei, „das Problem der wirtschaftlichen Zukunft Europas sowie das außerordentlich schwierige russische Problem" zu behandeln. 119 Nicht anders äußerte sich in Lugano Stresemann zu seinem französischen Kollegen Briand, dem er vorwarf, sich nicht an die Abmachungen von Thoiry gehalten zu haben. 120 Eine wichtige Frage war allerdings in den Verhandlungen nicht erörtert worden: die Kreditfrage. Hier zeigte sich die deutsche Regierung weiterhin ablehnend. 121 Und die Sowjetregierung vermied es, um die Verhandlungen insgesamt nicht zu gefährden, diese Frage auf zuwerfen. Schließlich war die Sowjetunion stark genug, wenn es nicht anders ging, auch ohne Kredite auszukommen. Die deutsche Regierung hingegen sah sich schon im folgenden Jahre auf Grund der Bedürfnisse der deutschen Wirtschaft und der steigenden ausländischen Konkurrenz gezwungen, weitere Garantiekredite zu bewilligen. Insgesamt wurde das Ergebnis der Verhandlungen von der Sowjetregierung recht günstig bewertet. Es lag nicht allein auf der wirtschaftlichen Ebene. Denn die Erklärung über die Fortsetzung der Rapallo-Politik, die das Protokoll im Kern beinhaltete, schwächte nicht unwesentlich die gegen die Sowjetunion gerichteten imperialistischen Interventionstendenzen und bildete somit in einer bedrohlichen Situation einen Faktor für den Frieden. An demselben Tage, an dem das Protokoll unterzeichnet wurde, meldete Dovgalovskij aus Paris, daß der erfolgreiche Verlauf der deutschsowjetischen Verhandlungen das Interesse der französischen Wirtschaftskreise für den sowjetischen Markt außerordentlich gestärkt habe und daß deshalb die Versuche Schachts, die „Banque de la Union Parisienne" an der Finanzierung des französischsowjetischen Handels zu hindern, gescheitert seien. 122 Eine weitere Bestätigung der Rapallo-Partnerschaft stellte das in Moskau von Litvinov und Dirksen unterzeichnete Abkommen vom 25. Januar 1929 über ein Schlichtungsverfahren dar. I2:! Es kam dem Einbau einer Sicherung gleich, die das Funktionieren des auf dem Rapallo-Vertrag aufgebauten Vertragssystems gewährleisten sollte. Die Bildung einer paritätisch zusammengesetzten Schlichtungskommission zur Behebung • auftretender Streitfälle war ein bisher beispielloses Ereignis im Verkehr der Sowjetunion mit der kapitalistischen Welt. Die sowjetisch-deutsche „Tech119
Aufzeichnung Schuberts über sein Gespräch mit dem Privatsekretär Austen Chamberlains, Selby, in Lugano am 9. 12. 1928. ZStA Potsdam, Nachlafj Trautmann, Nr. 1, Bl. 51 f.; AD AP, Ser. B, Bd. X, S. 465 f. 120 Aufzeichnung über die Unterredung Stresemanns mit Briand in Lugano am 9. 12. 1928. ZStA Potsdam, Nachlaß Trautmann, Nr. 1, Bl. 57 f. 121 Vgl. auch den Bericht Holtzendorffs vom 15. 1. 1929. StA Dresden, Wirtschaftsministerium, Nr. 298, Bl. 9. Die Zentrumszeitung „Germania" hielt es am 7. 12. 1928 für „bedenklich", der Sowjetunion große Kredite „auf eine ungewisse Zukunft hin" zu gewähren. 122 Dovgalevskij an Litvinov, 21. 12. 1928. DVP SSSR, Bd. XI, S. 626 f.
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I. M. Majskij (Maiski), Memoiren eines sowjetischen Botschafters, Berlin 1967, S. 24. „Falls die Nazis oder gar Hitler an leitender Stelle in das Kabinett eintreten, würde ich die bisher verfolgte Rußlandpolitik für noch mehr bedroht sehen als bisher." Dirksen an Röpke, 22.11.1932. ZStA Potsdam, Nachlaß Dirksen, Bd. 51, Bl. 436.
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In der zweiten Jahreshälfte 1932 nahm die Besorgnis über das Anwachsen der Aktivitäten der Nazipartei in den Berichten des sowjetischen Botschafters in Berlin zu, und auch die sowjetische Presse schenkte dieser Frage größere Aufmerksamkeit als zuvor. Ein „Pravda"-Artikel vom 18. August 1932 behandelte ausführlich das den Interessen des Monopolkapitals dienende Programm der N a z i p a r t e i . S c h o n Ende Dezember 1931 hatte ein Leitartikel in derselben Zeitung darauf hingewiesen, daß Hitler dann seine Rolle in der Regierung übernehmen werde, wenn ihn die deutsche Bourgeoisie zum offenen T e r r o r gegen die Arbeiterklasse brauche, wenn „das letzte demokratische Feigenblatt" von der Diktatur der Bourgeoisie abgenommen werde. 1 5 0 Wenige T a g e vor Bildung der Regierung Schleicher berichtete L. Chincuk erneut über die zunehmende G e f a h r der Übernahme der Regierungsgewalt durch die Nazipartei: „Es ist völlig klar, daß in dem Augenblick, wenn das Kabinett eine nationalsozialistische Spitze besitzt, der faschistische Terror gegen die Kommunistische Partei beginnt, die dann in die Illegalität getrieben wird." 1 "' 1 Für die Führung des Sowjetstaates gab es daher keinen Zweifel über die Konsequenzen, die der Machtantritt der Faschisten in Deutschland nicht nur für die Gestaltung der Beziehungen Deutschlands zur Sowjetunion, sondern auch für das Leben der Werktätigen in Deutschland selbst, vor allem für die deutschen Kommunisten und alle anderen demokratischen K r ä f t e und Freunde der Sowjetunion mit sich bringen mußte. E s ist in diesem Zusammenhang auch hervorzuheben, daß die K P d S U an der Erarbeitung einer wissenschaftlichen Analyse des gesellschaftlichen Charakters des Faschismus durch die Kommunistische Internationale einen entscheidenden Anteil besaß. Nicht zufällig suchen daher antikommunistische Ideologen die K P d S U gerade in diesem Zusammenhang zu verleumden. 1 3 2 Nichtsdestoweniger aber schuf natürlich der Machtantritt der Faschisten in Deutschland eine Situation, die in ihrer konkreten Auswirkung auch für die K P d S U und die Sowjetunion neuartig war und für die Weiterführung ihrer Außenpolitik gegenüber Deutschland sowie gegenüber den imperialistischen Ländern insgesamt eine sorgfältige Analyse erforderte. Die Entwicklung der sowjetisch-deutschen Beziehungen nach dem 30. J a n u a r 1 9 3 3 soll hier nur noch insoweit dargestellt werden, als es zur Verdeutlichung des Endes der Rapallo-Politik, wie sie zwischen den beiden Ländern seit 1922 bestanden hatte, erforderlich ist. 1 5 3 M i t der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler begann die ErrichDer Artikel trug die Überschrift „Die Hitleragentur des Finanzkapitals". „Die Verschärfung der Krise in Deutschland." Pravda, 21.12.1931. 1 3 1 Chincuk an Krestinskij, 20.11.1932. DVP SSSR, Bd. XV, S. 621. 152 Dazu gehört besonders die Behauptung, daß die KPdSU den Aufstieg Hitlers gefördert habe. So schreibt Richard £öwenthal im Vorwort zum Buch seines Schülers Thomas Weingartner, Stalin und der Aufstieg Hitlers, Berlin (West) 1970, S. VIII, dafj Stalin die Gefährlichkeit des Faschismus nicht erfaßt und sogar „seinen bedeutsamen Beitrag zum Aufstieg Hitlers" geleistet habe. 1 5 3 Über die Anfangsperiode der Beziehungen zwischen Hitlerdeutschland und der Sowjetunion vgl. besonders I. F. Maksimycev, Diplomatija mira protiv diplomatii vojny. Ocerk sovetsko-germanskich diplomaticeskich otnosenij v 1933-1939 godach, Moskau 1981 ; V. Ja. Sipols, Vnesnjaja politika Sovetskogo sojuza 1933-1935 gg. Moskau 1980; die Aufsätze von S. Z. Sluc (Die Außenpolitik des faschistischen Deutschlands 1933-1939) und Z. S. Belousova (Die UdSSR im Kampf für die Sicherheit in Europa) in: Evtopa v mezdunarodnych otnosenijach 1917-1939, Moskau 1979; Deutschland im zweiten Weltkrieg. Von einem Autorenkollektiv unter Leitung von W. Schumann:'G. Hass, Bd. 1, Berlin 1974; 1. K. Kobljakov, Die UdSSR im Kampf für den Frieden, gegen Aggressionen, 149
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tung des faschistischen Regimes, das das organisierte Verbrechen an den Angehörigen des deutschen Volkes sowie an anderen Völkern zur Staatsmaxime erhob. 1 5 ' 1 „Der deutsche Faschismus wies viele gemeinsame Züge mit dem in anderen Staaten auf. A b e r gerade er wurde zur bestialischsten und menschenverachtendsten F o r m des Faschismus, die charakterisiert wird durch: den besonderen Eifer bei der Erfüllung des Klassenauftrags der M o n o p o l e ; die enge Bindung der Naziführer an das M o n o p o l kapital; den wütenden Antikommunismus, den offenen Chauvinismus, die Politik des blutigen T e r r o r s ; die umfassende, fieberhafte Vorbereitung des Weltkrieges zum Zweck der Erreichung des Hauptziels - der Weltherrschaft, der Beseitigung kapitalistischer Konkurrenten und der Liquidierung des Klassengegners, der S o w j e t u n i o n . " 1 " Das geeinte Handeln der deutschen Arbeiterklasse hätte auch jetzt noch die Errichtung der faschistischen Diktatur abwenden können. Die K P D tat alles, was in ihrer Kraft stand, um die Antifaschistische Aktion zur Wirkung zu bringen. Noch am 30. J a nuar übermittelte das Zentralkomitee der K P D dem Parteivorstand der S P D eine entsprechende Aufforderung, gemeinsam die dem deutschen Volk drohende G e f a h r zu verhindern. Jedoch auch diesmal lehnte die Führung der S P D das Zusammengehen gegen den gemeinsamen Feind ab. Durch dieses Handeln entwaffnete die Führung der SPD nicht nur die Arbeiterklasse, sondern trug darüberhinaus dazu bei, daß auch die bürgerlich-demokratischen Kräfte, die ehrlich humanistische Ideale und Traditionen vertraten und von denen viele aus innerer Überzeugung für eine friedliche und freundschaftliche Zusammenarbeit mit der Sowjetunion eintraten, dem faschistischen Terror ausgeliefert wurden. 15 ® Unter den Bedingungen der Illegalität nahm die Kommunistische Partei Deutschlands nunmehr den opferreichen Widerstandskampf gegen die faschistische Diktatur auf. Über die Härte dieses Kampfes ließ Ernst Thälmann in seinem Referat auf der illegalen Tagung des Zentralkomitees der Partei am 7. F e b r u a r 1 9 3 3 in Ziegenhals bei Berlin keinen Zweifel, verwies aber auch auf neue W e g e und Möglichkeiten, die zum Erfolg des Kampfes führen konnten. Zugleich arbeitete Ernst Thälmann in diesem Referat den Charakter der Hitlerregierung, die Ursachen, die zu ihrer Errichtung geführt hatten sowie ihre Zielsetzungen heraus. 1 1 " Besonders hob er in diesem Zusammenhang die Auswirkung hervor, die die Errichtung der faschistischen Diktatur auf das Verhältnis Deutschlands zur Sowjetunion b e s a ß : „Mit Hitler ist der M a n n Reichskanzler geworden, der die K r i e g s e r k l ä r u n g an die Sowjetunion zur Richtschnur seiner Außenpolitik gemacht hat. Das Proletariat und die Werktätigen der ganzen Welt blicken auf uns und auf das deutsche Proletariat. Die russischen Arbeiter und Bauern blicken auf uns . . . J e t z t sind in höchstem
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Moskau (Progress) 1977; von bürgerlicher Seite: Dean Scott McMurry, Deutschland und die Sowjetunion 1933-1936, Köln/Wien 1979; H.-A. Jacobseti, Nationalsozialistische Außenpolitik 1933-1938, Frankfurt a. M./Berlin (West) 1968; K. Niclauss, Die Sowjetunion und Hitlers Machtergreifung, Bonn 1966; A. Kuhn, Das nationalsozialistische Deutschland und die Sowjetunion. In: M. Funke (Hg.), Hitler, Deutschland und die Mächte, Düsseldorf 1976; K. D. Bracher, Das Anfangsstadium der Hitlerschen Außenpolitik. In: Von Weimar zu Hitler 1930-1933. Hg. von G. Jasper, Köln/Berlin (West) 1968, S 483 f. Vgl. Pätzold/Weifibecker, S. 204 f. Geschichte des zweiten Weltkrieges Bd. 1, S. 176. Vgl. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 5. S. 9 f. Vgl. Ernst Thälmann, Eine Biographie, S. 649 f.
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Grade entscheidende Wochen. D e r Kampf, der vor uns liegt, ist der schwerste, den die Partei zu bestehen hat. E r kann nicht verglichen werden mit den J a h r e n seit 1923. Er gibt j e d e m Kommunisten eine noch höhere Verantwortung, als selbst in der damaligen Situation . . ." u > 8 Wie es für die Außenpolitik der Hitlerregierung nach dem 30. J a n u a r insgesamt charakteristisch war, so wurde auch ihre Politik gegenüber der Sowjetunion von dem Widerspruch zwischen den offiziellen Erklärungen und den tatsächlichen Zielsetzungen bestimmt. Diese Taktik der Hitlerregierung ergab sich aus ihrem Bemühen, außenpolitische Konflikte solange zu vermeiden, als die materiellen und politisch-ideologischen Voraussetzungen für die Verwirklichung ihrer Aggressionsabsichten noch nicht vorhanden waren und der Stabilisierungsprozeß des faschistischen Regimes noch nicht die entsprechenden Fortschritte gemacht hatte. 1 5 9 Sowohl die deutschen
Diplomaten
bekundeten in ihren Gesprächen mit den Vertretern der Sowjetregierung, daß Deutschland an der Politik guter Beziehungen zur Sowjetunion festhalten wolle, 1 6 0 als auch in seinen öffentlichen Erklärungen Hitler selbst. Obwohl dieser am 2. M ä r z im Berliner Sportpalast wiederum Drohungen gegen die Sowjetunion ausgestoßen hatte, sah er sich doch dazu veranlaßt, in seiner Reichstagsrede am 23. M ä r z zu versichern, daß die Reichsregierung die bisherigen guten Beziehungen zur Sowjetunion aufrechterhalten wolle. l r , t Jedoch begannen die • faschistischen Führer sofort nach dem 30. J a n u a r mit der systematischen Vorbereitung ihres Aggressionsprogramms, über das sie sich schon lange zuvor mit den Herren des deutschen Monopolkapitals verständigt hatten. Dazu gehörten sowohl die Kursnahme auf die verstärkte militärische Aufrüstung als auch die langfristige politisch-diplomatische Vorbereitung des Krieges auf außenpolitischem Gebiet. 1 0 2 Während die Hitlerregierung ihr außenpolitisches P r o g r a m m in der Öffentlichkeit mit Friedensphrasen tarnte, ließ Hitler in internen Ausführungen keinen Zweifel darüber, daß er gewillt war, seine Aggressionspläne, wie er sie schon in „Mein K a m p f " dargelegt hatte, in die T a t umzusetzen. Dazu gehörten insbesondere die schon am 3. Februar 1 9 3 3 in der Wohnung General Hammerstein-Equords gehaltene Rede vor Befehlshabern des Heeres und der M a r i n e , 1 6 3 die oft zitierten Gespräche, die Hitler Anfang 1934 mit Hermann Rauschning führte, 1 6 1 sowie auch die inzwischen ver-
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Geschichte der deutschen Arbeiterbeiuegung, Bd. 5, S. 446. Vgl. Deutschland im zweiten Weltkrieg, Bd. 1, S. 73; H.-A. Jacobsen, Zur Struktur der nationalsozialistischen Außenpolitik 1933-1945. In: M. Funke (Hg.), S. 138 f. Neurath informierte am 22. Februar 1933 Dirksen, er habe dem sowjetischen Botschafter mitgeteilt, „daß eine Änderung in unserer politischen Linie gegenüber Rußland nicht erfolgen wird." AD AP, C, Bd. 1/1, S. 70. „Gegenüber der Sowjetunion ist die Reichsregierung gewillt, freundschaftliche, für beide Teile nutzbringende Beziehungen zu pflegen." Dokumente der deutschen Politik, hg. von P. M. Benneckenstein. Bd. 1, Berlin 1935, S. 34. Vgl. Deutschland im zweiten Weltkrieg, Bd. 1, S. 7 3 f . ; Geschichte des zweiten Weltkrieges, Bd. 1, S. 206 f. Vgl. M. Domarus, Hitler-Reden und Proklamationen 1932-1945, Bd. I, Würzburg 1962, S. 197 f. „. . . Aber wir bleiben fürs erste bei unserem Konzept, im Bolschewismus unseren Todfeind zu sehen . . . Es gilt nach wie vor, die drohende Masse des allslawischen Imperiums für alle Zeit zu zerschlagen." H. Rauschning, Gespräche mit Hitler, Zürich 1940, S. 826.
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öffentlichten Äußerungen, die Hitler in dieser Hinsicht gegenüber Otto W a g n e r 1 6 3 und dem Chefredakteur der deutschnationalen Zeitung „Leipziger Neueste Nachrichten" 1 6 6 , Richard Breiting, machte. Diese Äußerungen über die Aggressionsabsichten der faschistischen Führung, in denen immer wieder die Niederwerfung der Sowjetuion als hauptsächliches Eroberungsziel genannt wurde, galten als intern und vertraulich. Doch sickerte schon damals x manches durch, von dem auch die Sowjetregierung Kenntnis bekam. W i e aus den sowjetischen Aktenveröffentlichungen hervorgeht, führte Litvinov am 28. Oktober 1933 ein längeres Gespräch mit Karl Wiegand, dem Vertreter der „Hearst"-Presse. Dieser hatte bereits seit einigen J a h r e n mit Hitler in Verbindung gestanden und war am T a g e vor seinem Zusammentreffen mit Litvinov von Hitler wiederum zu einem vertraulichen Gespräch empfangen worden. Hitler habe ihm erklärt, so teilte es Wiegand darauf Litvinov mit, er sei bereit, gegen die ganze Welt zu kämpfen. Allerdings hoffe er, daß sich Amerika und England in den K a m p f nicht einmischen werden, ebenso rechne er mit der Unterstützung Mussolinis. In niedergedrückter Stimmung h a b e er, Wiegand, Hitler verlassen, weil er von der Unausweichlichkeit kriegerischer Zusammenstöße schon in nächster Zukunft überzeugt sei, sofern Hitler sein P r o g r a m m verwirkliche. „Es besteht kein Grund zur Annahme", so notierte Litvinov, „daß W i e g a n d mir dies mit irgendeinem bestimmten Ziel mitgeteilt hat. Doch muß man annehmen, daß er sich das Gespräch mit Hitler nicht ausgedacht und nicht verfälscht hat." E s sei auch nicht wahrscheinlich, so vermerkte Litvinov weiter, daß Hitler dies W i e g a n d mitgeteilt hatte, damit er es an andere weiterberichtete. 1 6 7 In derselben Weise, wie sich die faschistische Diktatur konsolidierte und mit brutaler Unterdrückung jeder andersgerichteten K r ä f t e und Meinungen, auch aus dem Lager der bürgerlichen Demokratie, ihr innenpolitisches Hauptziel, die Niederhaltung der Arbeiterklasse, erfüllte, wurde auch das Auswärtige Amt in den Dienst der faschistischen Aggressionsvorbereitung gestellt. Bei allen Ressentiments, die die zumeist aristokratischen Angehörigen der höheren Beamtenschaft in der Wilhelmstraße, einschließlich der Botschafter und Gesandten, gegenüber den Naziführern besitzen mochten, fanden sie sich letztlich doch mit diesen sowohl auf der gemeinsamen Grundlage des Antikommunismus als auch des Revanchismus und des Strebens nach der Ausweitung der internationalen Machtstellung des deutschen Imperialismus zusammen, wobei sie auch den Krieg einkalkulierten. Insofern war ein „Dualismus zwischen Diplomatie und N S D A P " 1 6 8 , wenn man insbesondere die Tätigkeit des von Alfred Rosenberg geleiteten Außenpolitischen Amtes der N S D A P berücksichtigt, allenfalls for165 Er wurde 1929 Stabschef der SA und 1933 Leiter des Wirtschaftspolitischen Amtes der NSDAP. Wie W. notierte, wollte Hitler im Bündnis mit England und anderen „germanischen Völkern" die Sowjetunion vernichten. Vgl. Hitler aus nächster Nähe. Aufzeichnungen eines Vertrauten 1929-1932. Hg. von H. A. Turner, Frankfurt a. M. 1978, S. 290. 166
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Vgl. E. Cälic, Ohne Maske. Hitler - Breiting, Geheimgespräche 1931, Frankfurt a. M. 1968, S. 77. Aufzeichnung Litvinovs vom 28.10.1933. DVP SSSR, Bd. XVI, S. 592. Litvinov hatte auf der Reise nach den USA in Berlin Aufenthalt genommen. So überschreibt H.-A. Jacobseti, Nationalsozialistische Außenpolitik 1933-1938, Frankfurt a. M./Berlin (West) 1968, S. 34, einen entsprechenden Abschnitt; McMurry, S. 29, meint, daß sich die Beamten des Auswärtigen Amtes der „sich entfaltenden Politik (oder Nichtpolitik) Hitlers der Sowjetunion gegenüber anpaßten oder wenigstens nicht aktiv dagegen auftraten", ohne jedoch auf die Ursachen dafür einzugehen.
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mell, keineswegs jedoch prinzipiell vorhanden. Hierin liegt schließlich auch die Erklärung dafür, daß die verantwortlichen Diplomaten in der Wilhelmstraße sehr bald auch bei der Änderung des außenpolitischen Kurses gegenüber der Sowjetunion mitwirkten, auch wenn einzelne von ihnen, wie Dirksen, mehr noch sein Nachfolger auf dem Botschafterposten, Rudolf Nadolny, vor den verderblichen Folgen einer Abkehr von der Rapallo-Politik zu warnen suchten. Weil sie bürgerlich-nationalistischen Denk- und Verhaltensweisen verhaftet waren, handelten diese Beamten, ähnlich wie das höhere Offizierskorps, indem sie sich das Programm der NSDAP so sehr zu eigen machten, daß sie den auf den Krieg gerichteten außenpolitischen Kurs mitsteuerten."' 9 Insofern war es sicherlich keine erzwungene Solidarisierung mit der faschistischen Führung, als Neurath am 4. Februar 1934 in der „Nationalsozialistischen Beamtenzeitung" schrieb: „Das ganze Ideengut des Nationalsozialismus war der Mentalität der Beamtenschaft des Auswärtigen Amtes deshalb nicht nur verständlich, sondern hat ihre freudige Zustimmung gefunden." 1 7 0 Es erhebt sich hier die Frage, wie die Sowjetregierung auf die Nachricht von der Bildung des Kabinetts Hitler - Papen reagierte und in welcher Richtung sie ihre Politik gegenüber dem nunmehr faschistischen Deutschland weiterführte. Noch eine Woche vor der faschistischen Machterrichtung hatte V. M . Molotov als Vorsitzender des Rats der Volkskommissare in seiner Rede über den Volkswirtschaftsplan vor dem Zentralexekutivkomitee der U d S S R wiederum die große Bedeutung, die die Sowjetunion im Rahmen ihrer internationalen Beziehungen Deutschland beimaß, hervorgehoben: „Ein besonderer Platz in diesen gegenseitigen Beziehungen gehört Deutschland. Von allen Ländern, mit denen wir diplomatische Beziehungen unterhalten, ist es Deutschland, mit dem wir die stärksten wirtschaftlichen Verbindungen besaßen und besitzen. Und das ist nicht zufällig. Es resultiert aus den Interessen beider L ä n d e r . " 1 ' 1 Diese von Molotov getroffene Feststellung war zugleich an die Adresse der deutschen Regierung gerichtet und gab zu verstehen, daß die Sowjetregierung nach wie vor um die Weiterführung der guten Beziehungen zu Deutschland bemüht war. Die Nachricht von der Errichtung der faschistischen Diktatur mußte jedoch die Sowjetregierung über den außenpolitischen Kurs Deutschlands noch mehr beunruhigen als zuvor. Die Berichte, die Dirksen nach dem 30. J a n u a r nach Berlin sandte, vermerkten mehrfach diese erhöhte Sorge, von der die Führung der Sowjetunion erfüllt w a r . 1 / 2 Wie schon erwähnt, war sich die Sowjetregierung über die folgenschweren Auswirkungen der Errichtung der faschistischen Diktatur sowohl auf die innen- als auch auf die außenpolitische Lage Deutschlands völlig klar. Standen die K P d S U und die Sowjetregierung, und mit ihnen alle Werktätigen der Sowjetunion, in leidenschaftlicher Solidarität fest an der Seite aller derjenigen, die von den faschistischen Machthabern verfolgt wurden, so gaben sie doch unmißverständlich zu verstehen, daß sie auch gegenüber dem faschistischen Deutschland die Politik der friedlichen Koexistenz weiter169 170
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Vgl. auch Kuhn, S. 643. Zitiert nach einer Abschrift in: ZStA Potsdam, Deutsche Gesandtschaft Peking, Nr. 3 818, Bl. 21; vgl. auch Jacobsen, Nationalsozialistische Auftenpolitik, S. 31. Rede vom 23. 1. 1933. DVP SSSR, Bd. XVI, S. 50. Die Berufung des Kabinetts Hitler - Papen habe „hier eine lebhafte Beunruhigung ausgelöst." Dirksen an Bülow, 31.1.1933. ADAP, Ser. C, Bd. 1/1, S. 13; am 8. 2. 1933 berichtete Dirksen wiederum von der „grofjen Besorgnis über Einstellung neuen Kabinetts zur Frage der Fortführung bisheriger deutscher Rufjlandpolitik." PA Bonn, Büro RM, 9 Rußland, Bd. 28, Bl. 562 410.
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führen wollten. Wie aus den veröffentlichten sowjetischen Akten ersichtlich ist, stellte man sich in diesem Zusammenhang in M o s k a u auch die Frage, ob die Naziführer, nachdem sie an der M a c h t waren, tatsächlich an einem so selbstmörderischen Kurs festhalten wollten, indem sie sich in ihrer Außenpolitik gegenüber der Sowjetunion von den Gedankengängen, wie sie Hitler, Rosenberg und andere Naziführer entwikkelt hatten, leiten ließen. „Vor der Machtübernahme durch die 'Nazis'", so äußerte sich Litvinov im Juni 1934 in einem in Berlin mit Neurath geführten Gespräch „hielten wir es für möglich, daß sie sich im geeigneten Augenblick von ihrem antisowjetischen P r o g r a m m lossagten und hinsichtlich der U d S S R die Politik der früheren deutschen Regierungen fortsetzen würden. Und wir hielten selbst die Zusammenarbeit mit ihnen auf denselben Grundlagen wie früher für möglich. Leider war jedoch die M a c h t übernahme durch die 'Nazis' von einer ganzen Reihe von Taten begleitet, die sehr bald zeigten, daß sie entschlossen waren, das in dem Buche Hitlers verkündete Programm zu verwirklichen." 1 7 3 Angesichts der neuen Situation, wie sie nach dem 30. J a n u a r entstanden war, und der dringenden Anfragen seitens der Sowjetregierung, ob die neue deutsche Regierung an der Aufrechterhaltung der bisherigen Beziehungen interessiert sei, wandte sich Dirksen an das Auswärtige Amt mit dem Wunsch, in Berlin selbst darüber eine Aussprache zu führen. 1 7 4 Die Reise kam allerdings erst Mitte M a i zustande. Zuvor, am 22. Februar, erhielt Dirksen einen Erlaß Neuraths, der ihn ermächtigte, mit der Sowjetregierung über den Stand und die Probleme der deutsch-sowjetischen Beziehungen in einen grundsätzlichen Meinungsaustausch zu treten. 1 7 0 Ein erstes Gespräch darüber fand zwischen Dirksen und Krestinskij am 27. F e b r u a r statt. 1 7 6 I h m folgte eine weitere Unterredung, diesmal mit Litvinov, a m 7. M ä r z , 1 7 7 nachdem dieser bereits am 1. M ä r z mit Neurath in Berlin den Stand der sowjetischdeutschen Beziehungen erörtert hatte. 1 7 8 Bereits aus dem ersten Gespräch wurde der Versuch Dirksens deutlich, und damit stimmte er auch mit den vielfachen E r k l ä r u n g e n überein, die Neurath und Bülow in ihren Gesprächen mit den Vertretern der S o w j e t regierung abgaben, den Antisowjetismus der Hitlerregierung zu verharmlosen und der Sowjetregierung die Schuld für die Verschlechterung der Beziehungen zuzuschieben. Schließlich hob Dirksen hervor, Hitler h a b e in einem Gespräch mit Neurath versichert, daß er zwischen den M a ß n a h m e n gegenüber den Kommunisten in Deutschland und d e r Außenpolitik gegenüber der Sowjetunion unterscheide und die Beziehungen gegenüber der Sowjetunion nicht verändern wolle. M i t diesen Erklärungen konnte sich jedoch Krestinskij wenig zufriedengeben. „Wir Aufzeichnung Litvinovs vom 13. 6.1934. DVP SSSR, Bd. XVI, S. 387; vgl. auch Maksimycev, S. 17. i v ' So schon am 3 1 . 1 . 1 9 3 3 in dem Bericht an Bülow. Am 1 2 . 2 . 1 9 3 3 , wiederum an Bülow: „Man möchte gern, daß ich die hiesige Stimmung mündlich interpretiere; Krestinskij hat mich schon wiederholt gebeten und gefragt, wann ich führe." ZStA Potsdam, Nachlaß Dirksen, Bd. 51, Bl. 458. 175 Vgl. Niclauss, S. 88. 176 Aufzeichnung Krestinskijs vom 27.2.1933. DVP SSSR, Bd. XVI, S. 1 1 7 f . ; Dirksen an Neurath, 28. 2.1933. ADAP Ser. C, Bd. 1/1, S. 86. 177 Aufzeichnung Litvinovs vom 7 . 3 . 1 9 3 3 . DVP SSSR, Bd. XVI, S. 148; Dirksen an AA. 11. 3. 1933 .ADAP, Ser. C, Bd. 1/1, S. 138. 178 Aufzeichnung Litvinovs vom 1. 3.1933. DVP SSSR, Bd. XVI, S. 134; Aufzeichnung Neuraths vom 1. 3.1933. PA Bonn, Büro des RM, AA, 1 c, Nr. 1, Bd. 3, Bl. 35 991. 173
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wollen und werden keine Veränderung in unserer Politik gegenüber Deutschland verfolgen." So begann er seine Ausführungen. Noch habe man die antisowjetischen Vorschläge des ehemaligen Reichskanzlers und jetzigen Vizekanzler von Papen nicht vergessen, und es genüge auch keineswegs, wenn man von deutscher Seite nur „unter vier Augen" freundliche Erklärungen abgebe, ohne dies der Weltöffentlichkeit mitzuteilen oder sogar parallel dazu Gegenteiliges sage. Was Dirksen über die Absichten Hitlers mitgeteilt habe, könne man keineswegs als bindend betrachten, zumal Hitler dies nur im Kabinett geäußert habe. Die Ausführungen Dirksens enthielten „einige Vorwürfe an unsere Adresse" so betonte Krestinskij, jedoch „keine Darlegung der Position Deutschlands über die Hauptfragen der Außenpolitik und über die Beziehungen zu anderen Ländern." 179 Noch am Abend dieses Tages, als Krestinskij und Dirksen über den Stand der deutsch-sowjetischen Beziehungen sprachen, steckten die Naziführer den Reichstag in Brand. Die Brandstiftung gab das gespenstische Signal für eine umfassende Welle des Terrors und der Verfolgung aller fortschrittlichen Kräfte, vor allem der Kommunistischen Partei. Zugleich setzte in Deutschland eine antisowjetische Hetzkampagne ein, die diejenige des Frühjahrs 1930 um ein Vielfaches übertraf. Zu Angriffen auf die Sowjetunion in den Zeitungen gesellte sich eine große Zahl provokatorischer Anschläge auf Sowjetbürger und sowjetisches Eigentum in Deutschland, darunter auch auf exterritoriale Institutionen. Am 19. März 1933 wurde der Vertrieb der Zeitungen „Pravda" und „Izvestija" in Deutschland verboten. Auch die schon erwähnte Rede Hitlers im Sportpalast vom 2. März diente dieser von den Faschisten entfachten antikommunistischen und antisowjetischen Hetze. Die sowjetische Presse wurde zur Eröffnung des neuen Reichstages am 21. März nicht zugelassen. Die antisowjetischen Provokationen nahmen in den folgenden Wochen und Monaten ein riesiges Ausmaß an. Besonders schwerwiegende Folgen besaßen die Anschläge auf die Filialen der sowjetischen Gesellschaft „Derop" in mehreren deutschen Großstädten. Während die sowjetische Gesellschaft „Derunapht" f ü r die Einfuhr von sowjetischem Öl nach Deutschland gegründet worden war, oblag der „Derop", die in Deutschland über ein Netz von rund 2 000 Tankstellen verfügte, der Verkauf sowjetischen Treibstoffs. Es liegt auf der Hand, daß f ü r die Sowjetunion durch diese Übergriffe auf die „Derop" ein schwerer wirtschaftlicher Schaden entstand. Er wurde vom sowjetischen Handelsvertreter Ende April auf rund 30 Millionen M a r k beziffert. 1 8 0 Am 1. April 1933 verübten Gruppen der SA und der Polizei einen Anschlag auf die Filiale der sowjetischen Handelsvertretung in Leipzig, wobei sie deren Leiter und seinen Stellvertreter verhafteten und acht Sowjetbürger mißhandelten. Erst am 18. August 1934 (!) entschloß sich das Auswärtige Amt nach einem langen Briefwechsel mit der Leipziger Polizei, den Vorfall „aufrichtig zu bedauern". 1 8 1 Zahlreiche andere Überfälle, darunter auch auf die Klubs der Angestellten der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin und ihrer Filiale in Hamburg, können hier nur summarisch genannt werden. Wie Chincuk am 7. März gegenüber Neurath bei der Überreichung einer Protestnote 179 180
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Aufzeichnung Krestinskij, a. a. O. Aufzeichnung Bülows vom 19.4.1933 über den Besuch des sowjetischen Botschafters L. Chincuk und des sowjetischen Handelsvertreters I. I. Weizer. ADAP, Ser. C, Bd. 1/1, S. 302. Vgl. Text der Verbalnote des AA an die Botschaft der UdSSR in: StA Dresden, Gesandtschaft Berlin, Nr. 339, unpaginiert.
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erklärte, habe die ganze sowjetische Öffentlichkeit mit großer Empörung von den in Deutschland verübten antisowjetischen Provokationen Kenntnis genommen. 1 8 2 Die weiteren Protestnoten, die der sowjetische Botschafter in den folgenden Wochen und Monaten dem Auswärtigen Amt übermittelte, häuften sich und erreichten bis zum Jahresende die Zahl von 216 Noten, wobei jedesmal sehr konkret die antisowjetischen Übergriffe aufgezählt wurden. 183 Die „Pravda" kam daher schon Anfang April zu der Feststellung, daß „noch nie und in keinem, Lande die Hetze gegen die Sowjetunion solche Ausmaße und einen solchen Charakter angenommen hat wie im gegenwärtigen faschistischen Deutschland." Weiter hieß es in der Zeitung: „Keine einzige bürgerliche Regierung hat sich solche Handlungen erlaubt, wie sie zur alltäglichen Praxis der deutschen Behörden gehören . . . Der deutsche Faschismus wird zu einer Gefahr für den Frieden in Europa. In Berlin weiß man das nicht schlechter als wir. Aber anscheinend hat man dort endgültig die Fähigkeit zu überlegen verloren." 18 ' 1 Die weiteren Gespräche, die zwischen den Vertretern der Sowjetregierung mit denjenigen der Hitlerregierung nach dem 27. Februar geführt wurden, standen daher unter dem düsteren Schatten, den alle diese antisowjetischen Provokationen geworfen hatten. Es verwundert daher nicht, wenn Neurath in seiner Aufzeichnung über das Zusammentreffen mit Litvinov am 1. März in Berlin einleitend notierte, daß Litvinov „im Gegensatz zu seiner sonstigen Haltung ziemlich aufgeregt" erschien. 1 8 5 Es konnte denn auch Litvinov kaum beruhigen, als Neurath in dieser Unterredung die üblichen Versicherungen über die Unveränderlichkeit der deutsch-sowjetischen Beziehungen, unabhängig von der Zusammensetzung der Regierung, wiederholte." 1 8 6 Die sowjetischen Diplomaten mußten jedenfalls in allen Gesprächen, die sie in diesen Wochen mit den Vertretern der Hitlerregierung führten, auf den eklatanten Gegensatz hinweisen, der zwischen den Taten der Hitlerregierung und ihren gegenüber der Sowjetunion abgegebenen Erklärungen bestand. Ausführlich beschäftigte sich auch die sowjetische Presse mit der Politik des faschistischen Deutschland, zumal die Bürger der Sowjetunion nach dem 30. Januar mit noch größerer Aufmerksamkeit als zuvor die Geschehnisse in Deutschland und die Entwicklung der sowjetischdeutschen Beziehungen verfolgten. „So gebärden sich nur Narren auf' dem Thron! Mit einer solchen Politik kommt man nicht weit", kommentierte die „Pravda" die Hitler-Rede vom 2. März. 1 8 7 Der Leitartikel der „Izvestija" von demselben Tage trug die Überschrift „Unkluge Leute" und stellte die Frage, weshalb der nationalsozialistische „Führer" ausgerechnet gegen jenen Staat auftrete, der keinerlei feindliche Gefühle gegenüber Deutschland hege. 1 8 8 Ab Mitte März 1933 gab man sich in der Wilhelmstraße größere Mühe, die Besorgnis der Sowjetregierung über die Entwicklung der Beziehungen Deutschlands zur Sowjetunion zu zerstreuen. 1 8 9 Insgesamt suchte man, der generellen außenpolitischen 182 Chincuk an Litvinov. 7. 3.1933. DVP SSSR, Bd. XVI, S. 149. 183 N a c h den sowjetischen Akten mitgeteilt von Maksimycev, S. 30. 184 Pravda, 3. 4.1933. 185 Aufzeichnung Neuraths vom 1. 3.1933. A. a. O. 186 Nach der Aufzeichnung Litvinovs, A. a. O. 187 Pravda, 4. 3.1933. 188 Izvestija, 4. 3.1933. 189 „Inzwischen sind wir, wie Sie wissen, bemüht geblieben, die russischen Befürchtungen
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Taktik entsprechend, auch der Sowjetunion gegenüber durch Erklärungen über den Wunsch nach freundschaftlicher Zusammenarbeit den Anschein zu erwecken, daß man den bisherigen außenpolitischen Kurs weiterverfolgen wollte. In einer Aufzeichnung über die außenpolitische Lage vom 13. M ä r z k a m Bülow zu der Feststellung, „daß wir die russische Rückendeckung gegen Polen nicht entbehren können" und daß man, ungeachtet der Bekämpfung der Kommunisten in Deutschland selbst, die Beziehungen zur Sowjetunion nicht beeinträchtigen wolle. 1 9 0 In diesem Sinne hielt auch Neurath in der Ministerbesprechung am 7. April, an der Hitler teilnahm, über die Außenpolitik einen V o r t r a g . 1 9 1 Auch Hitler selbst entschloß sich aus taktischen Gründen, den sowjetischen Botschafter zu einer Unterredung zu empfangen. Sie fand unter Teilnahme Neuraths am 28. April statt. 1 9 2 Hitler erging sich, wie er es bei solchen Gelegenheiten oft zu tun pflegte, in langen Ausführungen über die innere Lage und die Außenpolitik Deutschlands und versicherte Chincuk, daß er in den bisher guten Beziehungen zwischen Deutschla/id und der Sowjetunion keine Änderung eintreten lassen wolle. Dabei verwies er sowohl auf gemeinsame politische als auch wirtschaftliche Interessen. Insofern machte Hitler auch dem sowjetischen Botschafter die Zusicherung, die Beschwerden und Forderungen, die Chincuk ihm in Form eines Memorandums während der Unterredung übergab, 1 9 - 1 berücksichtigen zu wollen. Diese betrafen besonders die Ratifizierung des Protokolls über die Verlängerung des Berliner Vertrages sowie den sowjetischen Wunsch nach Förderung des Wirtschaftsverkehrs durch Berücksichtigung der sowjetischen Exportinteressen. 1 9 / ' W e d e r diese Versicherungen Hitlers noch der Austausch der Ratifikationsurkunden zum Verlängerungsprotokoll des Berliner Vertrages, der am 5. M a i zwischen Litvinov und Dirksen vollzogen wurde, konnten allerdings die Sowjetregierung sehr beruhigen. Während sie sich ihrerseits weiterhin alle M ü h e gab, gegenüber der Hitlerregierung ihre Bereitschaft zur Aufrechterhaltung der bisherigen Beziehungen zu betonen, was übrigens auch in den Kommentaren der sowjetischen Presse zum Austausch der Ratifikationsurkunden zum Ausdruck k a m , 1 9 5 blieb die tatsächliche Situation unverändert, j a verschlechterte sich weiter. Denn die Reihe der antisowjetischen Provokationen und Ü b e r g r i f f e in Deutschland setzte sich fort. Zudem fanden sich die Befürchtungen der Sowjetregierung über die wirklichen Ziele der Hitlerregierung erneut bestätigt, als Alfred Rosenberg - er wurde Anfang April 1 9 3 3 zum Leiter des Außenpolitischen Amtes der N S D A P ernannt - während seines Londoner Aufenthaltes vom 5. bis 15. M a i
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nach Möglichkeit zu zerstreuen." Bülow an Dirksen, 13. 3.1933. ZStA Potsdam, Nachlaß Dirksen, Bd. 51, Bl. 460. Text der Aufzeichnung abgedruckt in: H.-A. Jacobsen, Mißtrauische Nachbarn, Düsseldorf 1970, S. 85 f. AD AP, Ser C, Bd. 1/1, S. 255. Aufzeichnung Chincuks vom 28.4.1933. DVP SSSR, Bd. XVI, Bl. 271; Aufzeichnung Neuraths vom 28. 4.1833. ADAP, Ser. C, Bd. 1/1, S. 352. DVP SSSR, Bd. XVI, S. 272 f. Zu den deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen nach dem 30. Januar 1933, auf die hier nicht mehr eingegangen werden kann, vgl. K. Laser, Die Wirtschaftspolitik des deutschen Monopolkapitals gegenüber der UdSSR 1933-1936. Phil. Diss. a. d. HumboldtUniversität zu Berlin 1971; McMutry, S. 421 f. „Die öffentliche Meinung der Sowjetunion billigt zweifellos die Erneuerung des Berliner Vertrages. Ungeachtet ihrer Einstellung zum Faschismus wollen die sowjetischen Volksmassen mit Deutschland in Frieden leben." Izvestija, 6. 5. 1933.
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im Kreise prominenter englischer Politiker und einflußreicher Journalisten Pläne über die Aufteilung der Ukraine zwischen Deutschland und Polen darlegte. 1 9 6 Der Zeitpunkt des London-Besuches war sichtlich nicht zufällig gewählt. Denn erst kurz zuvor, mit Wirkung vom 26. April 1933, hatte die Regierung MacDonald ein Embargo für die Einfuhr sowjetischer Waren nach Großbritannien verhängt. Sie nutzte damit die Verurteilung zweier in der UdSSR wegen Wirtschaftsspionage verurteilter britischer Ingenieure der Firma „Metro-Vickers" aus - und zwar auch diesmal wieder in der Hoffnung, die Sowjetunion unter Druck setzen zu können. Mit seinen Plänen stand Rosenberg nicht allein da. Denn die Konzeption, zunächst zusammen mit Polen die Sowjetunion anzugreifen, um sich danach Polens zu bemächtigen, war, wie wir sahen, schon in der Mitte der zwanziger Jahre von Papen und anderen Zentrums-Führern entwickelt worden. Anfang 1932 hatte auch Hermann Göring gegenüber dem amerikanischen Botschaftsrat Wiley einen solchen antisowjetischen Kriegsplan, der ein Zusammengehen mit Polen vorsah, dargelegt. 1 9 7 Man muß annehmen, daß der Vorstoß Rosenbergs in London in Absprache mit Hitler erfolgte. Offensichtlich diente er ihm dazu, die Stimmung in den herrschenden Kreisen Englands zu testen, auch im Zusammenhang mit der Wendung, die zu diesem Zeitpunkt die deutsch-polnischen Beziehungen genommen hatten. Nur drei Tage vor der Abreise Rosenbergs nach London, am 2. Mai, hatte Hitler den polnischen Gesandten Alfred Wysocki empfangen, womit eine neue Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen eingeleitet wurde. Sie führte einige Monate danach zur Unterzeichnung der deutsch-polnischen Nichtangriffserklärung vom 26. Januar 1934. 1 9 8 Die Initiative hierzu ging von polnischer Seite aus. Bereits die Ablösung August Zaleskis durch Jösef Beck als neuer polnischer Außenminister im November 1932 hatte diese Kursänderung in der polnischen Außenpolitik angedeutet. Ihr Ziel war, die von neuem drohende Gefahr einer deutsch-polnischen Grenzrevision, die sich im Zusammenhang mit dem sich anbahnenden Viererpakt zwischen Deutschland, Italien, Frankreich und England sowie angesichts der Versuche einer Verständigung zwischen dem deutschen und französischen Imperialismus abzeichneten, zu begegnen. Von Seiten der Hitlerregierung wurde dieser außenpolitische Schritt Polens aus taktischen Gründen aufgegriffen, weil der der Tarnung der Aggressionsvorbereitungen diente und Hitlerdeutschland half, aus seiner internationalen Isolierung herauszukommen. Es liegt auf der Hand, daß diese Annäherung zwischen Deutschland und Polen sich vor allem gegen die Sowjetunion richtete. Wie wir sahen, hatte diese Gefahr auch schon in den vergangenen Jahren stets bestanden, und die sowjetische Diplomatie hatte sich bei ihrer Abwehr erfolgreich auf die Beziehungen Deutschlands zur Sowjetunion stützen können. Die Kursnahme Hitlerdeutschlands auf ein Zusammengehen mit den herrschenden Kreisen Polens gegen die Sowjetunion schuf in dieser Hinsicht eine gänzlich neue Situation. Hitler bezeichnete dann auch in seiner ersten Unterredung mit dem polnischen Gesandten die Sowjetunion als „die für uns gemeinsame Bedrohung Vgl. Maksimycev, S. 35; McMurry, S. 80. Wiley an das State Department, Berlin 17. 2. 1932. Papers relating to the Foreign Relations of the United States, 1932, vol. II, S. 285. 198 vgl. J. Kaiisch, Zur Genesis der deutsch-polnischen Nichtangriffserklärung vom 26. Januar 1934. In: Wiss. Zeitschrift der Wilhelm-Pieck-Universität Rostock, Gesellsch.- u. Sprachwiss. Reihe, 1976, H. 2, S. 171 f.; vgl. M. Wojciechowski, Die polnisch-deutschen Beziehungen 1933-1938, Leiden 1971 (Poznan 1965), S. 20 f. 196
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des größten Feindes der westlichen Zivilisation". 199 Auch am 13. Juli, als er Wysocki zu einer zweiten Unterredung empfing, ließ sich Hitler in dieser Weise über die Sowjetunion aus. 200 Damit fand Hitler gerade bei Pilsudski ein offenes Ohr. Es ist bemerkenswert, daß Hitler auch während seiner Unterredung mit Dirksen Ende Mai, in der er sich für die Aufrechterhaltung freundschaftlicher Beziehungen zur Sowjetunion aussprach, zugleich seine Absicht ausdrückte, zu einer Einigung mit Polen zu gelangen. 201 Darin lag für die Sowjetunion auch die Gefahr, daß die antisowjetische Frontstellung der baltischen Staaten gefördert würde. Dirksen hatte inzwischen seine schon im Februar geplante Reise nach Berlin unternommen, um dort von der Hitlerregierung "AufSchluß über die gegenüber der Sowjetunion verfolgte Politik zu erhalten. Noch vor Abfahrt nach Berlin hatte er sich in seinem politischen Bericht vom 5. Mai wiederum für die Aufrechterhaltung der RapalloPolitik ausgesprochen. 202 Die Unterredungen, die er in Berlin mit Hitler, Göring, Frick und Goebbels führte, schienen seine Meinung zu bestätigen, daß es möglich war, auch nach Bildung der Hitlerregierung den Rapallo-Kurs fortzusetzen. 203 Auch die erneute Versicherung Neuraths, daß „in unseren Beziehungen sich nichts verändert hat" - er erklärte dies in einer Unterredung mit Litvinov am 29. Mai in Berlin, an der auch Dirksen und Chincuk teilnahmen 204 - , konnte diesen Anschein erwecken. Wir lassen es hier dahingestellt, inwieweit Dirksen sowie die leitenden Männer im Auswärtigen Amt von dem, was sie sagten, selbst überzeugt waren und inwieweit sie sich über die bereits tatsächlich eingetretene Lage Illusionen machten. Zumindest unternahmen sie selbst nichts, um dem inzwischen eingeleiteten antisowjetischen Kurs der Außenpolitik Hitlerdeutschlands entgegenzuwirken, sondern arbeiteten vielmehr als Hitlers Diplomaten an der zu einem neuen Krieg führenden Politik mit. Staatssekretär von Bülow, der über die in London abgegebenen Erklärungen Rosenbergs höchst beunruhigt war und sogar schon ein Entlassungsgesuch konzipierte - denn er sah durch den Rosenberg-Plan die von ihm verfaßte und bereits oben genannte außenpolitische Konzeption vom 13. März, die dann auch eine Bestätigung im Reichskabinett gefunden hatte, durchkreuzt - , sandte jedenfalls dieses Entlassungsgesuch nicht ab und blieb weiter im Amt. 205 Es änderte sich nichts an der nach dem 30. Januar zunehmend schwieriger gewordenen Situation in den deutsch-sowjetischen Beziehungen, als Dirksen - inzwischen nach Moskau zurückgekehrt - am 3: Juni Krestinskij seine Eindrücke von den in Berlin geführten Gesprächen mitteilte. 206 Krestinskij konnte dem Botschafter lediglich erwidern, daß die Sowjetregierung im Zweifel gewesen sei, „ob Deutschland seine bisherige Politik der Sowjetunion gegenüber fortsetzen wolle." Die in Deutschland ver199 200 201 202
203 204 205 206
Ebenda, S. 22. Vgl. McMurzy, S. 98. Dirksen, Moskau - Tokio - London, S. 122. „Auch heute noch sind dieselben Gründe, die 1922 zum Abschluß des Rapallo-Vertrages und 1926 zum Abschluß des Berliner Vertrages geführt haben, lebendig und wirksam." Dirksen an AA, 5. 5.1933, AD AP, Ser. C, Bd. 1/1, S. 384 f. Dirksen an Neurath, 5. 6.1933, ADAP, Ser. C, Bd. 1/2, S. 513 f. Aufzeichnung Litvinovs vom 29. 5.1933. DVP SSSR, Bd. XVI, S. 322. Vgl. McMurty, S. 98. „Aufzeichnung über eine Unterhaltung mit dem Stellvertretenden Volkskommissar Krestinskij am 3. Juni 1933". PA Bonn, Büro des RM, 9 Rußland, Bd. 28, Bl. 562 458 f.; Dirksen an Neurath, 5. 6 . 1 9 3 3 . A. a. O.
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übten antisowjetischen Ausschreitungen hätten die sowjetische Öffentlichkeit sehr beunruhigt. Jedoch hätte die Sowjetregierung weiterhin den Wunsch nach Fortführung der bisherigen positiven Politik gegenüber Deutschland. Krestinskij berührte auch die Beziehungen der Sowjetunion zu Frankreich, indem er Dirksen darauf hinwies, dafj die Sowjetunion auch um die Verbesserung ihrer Beziehungen zu anderen Ländern bemüht sei und dabei besonders Frankreich erwähnte. 2 0 7 Dieser Hinweis Krestinskijs - wie wir sahen, war diese F r a g e bereits seit J u l i 1 9 3 1 mehrfach Gegenstand der Erörterungen zwischen M o s k a u und Berlin gewesen - k a m nicht von ungefähr. Er machte den Botschafter darauf aufmerksam, dafj die Sowjetunion nicht untätig war und antisowjetischen Koalitionen und Bestrebungen entgegentrat. Wir können an dieser Stelle nur in Kürze auf die Tendenzen zur Bildung einer antisowjetischen Front der imperialistischen M ä c h t e eingehen, die nach der Errichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland auflebten. Wie wir sahen, waren derartige Bestrebungen immer wieder an den Gegensätzen unter den imperialistischen M ä c h t e n gescheitert. Wenn auch der nach Revision und Neuverteilung der Welt drängende Kurs des faschistischen Deutschlands diese Gegensätze zunehmend verschärfte, so blieb die Tendenz zur antisowjetischen Front, wie sie vor allem durch die Loçarno-Politik zum Ausdruck gekommen war, bestehen. Sie bestimmte später vor allem das Zustandekommen des M ü n c h e n e r Vertrages, der die Auslieferung der Tschechoslowakei an Hitlerdeutschland besiegelte. Dieselben Kreise des englischen Imperialismus, die schon in den zwanziger J a h r e n für die Einbeziehung Deutschlands in eine geschlossene Front der imperialistischen M ä c h t e gegen die Sowjetunion gewirkt hatten, sahen in der Hitlerregierung neue Möglichkeiten zur Verwirklichung ihrer Pläne. 2 0 8 Große Unterstützung erhielt das deutsche Monopolkapital bei der militärischen Aufrüstung durch das der U S A . 2 0 9 Auch in Frankreich hatten die Bestrebungen, sich mit dem deutschen Monopolkapital zugunsten einer antisowjetischen Frontbildung zu einigen, nicht aufgehört. Wenn auch die entsprechenden Vorschläge Papens von Herriot zurückgewiesen worden waren, zeigten doch die Gespräche, die im April 1 9 3 2 in Luxemburg und Ende J a n u a r 1 9 3 3 in Paris zwischen Vertretern des französischen und des deutschen Monopolkapitals geführt wurden, daß die Bestrebungen zur Ü b e r brückung der vorhandenen Gegensätze mit dem Ziel einer antisowjetischen B l o c k bildung weitergingen. 2 1 0 Ein wesentlicher Gesprächsgegenstand war dabei wieder die F r a g e der deutsch-polnischen Grenzrevision. Als ein eifriger V e r f e c h t e r des Zusammengehens mit Hitlerdeutschland gegen die Sowjetunion erwies sich Edouard D a l a d i e r , der zum gleichen Zeitpunkt, als die Faschisten in Deutschland die M a c h t e r g r i f f e n , das Amt des französischen Ministerpräsidenten übernahm. Auch A. François-Poncet — 1 9 3 1 - 1 9 3 8 französischer Botschafter in Berlin und ein Gewährsmann des „Comité des Forges" - war um eine enge Verbindung mit Hitlerdeutschland bemüht. E r wurde erstmalig am 8. April 1 9 3 3 von Hitler empfangen, der dem Botschafter seine V o r stellungen über die gemeinsame Bekämpfung der Sowjetunion entwickelte. 2 1 1 Ahnlich wie in den Monaten, als die Locarno-Politik eingeleitet wurde, wirkte auch 207 208 209 210 211
30»
Ebenda. Vgl. Truchanovskij, S. 220 f. ; Geschichte des zweiten Weltkrieges, Vgl. ebenda, S. 238 f. Vgl. Duxoselle, La Décadence, S. 64 f. Vgl. Bozisov, Sovetsko-francuzskie otnosenija, S. 197.
Bd. 1, S. 228 f.
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jetzt im Hintergrund der Vatikan, um den antisowjetischen Aufmarsch, der so oft versucht und doch immer wieder gescheitert war, unter den in Deutschland eingetretenen neuen Bedingungen zustandezubringen. 212 Besonders Pacelli, der inzwischen Kardinalstaatssekretär geworden war und im Jahre 1939 zum Papst gewählt wurde, nahm sich eifrig der Zusammenarbeit mit der Hitle.rregierung an, um das „Dritte Reich" zum Kampf gegen die Sowjetunion" mobilisieren zu helfen. Dem deutschen Botschafter von Bergen wurde vom Kardinalstaatssekretariat die „Anerkennung" mitgeteilt, die Papst Pius XI. mit seiner Konsistorialrede vom 13. März 1933, ausgesprochen hatte. Er griff dort scharf die Gesellschaftsordnung der Sowjetunion an und lobte zugleich indirekt den deutschen Reichskanzler wegen seines „entschiedenen und unerschrockenen Vorgehens . . . gegen den Kommunismus". 213 Berücksichtigt man alle die hier nur knapp angedeuteten Aktivitäten, die nach der Bildung der Hitlerregierung mit der Zielsetzung einer antisowjetischen Front der imperialistischen Mächte auflebten, so wird begreiflich, daß das von Hugenberg am 14. Juni 1933 auf der Londoner Weltwirtschaftskonferenz vorgelegte Memorandum, in Moskau wie ein neues Alarmzeichen wirkte. 21 ' 1 Es forderte die Wiederherstellung der Macht des deutschen Imperialismus, einschließlich des Kolonialbesitzes, und bezeichnete in seinem Schlufjteil den revolutionären Prozeß auf dem Territorium der Sowjetunion als einen „zerstörenden Vorgang", den man „abstoppen" müsse. 215 Ohne hier weiter zu erörtern, inwieweit das Memorandum Hugenbergs zugleich innerpolitisch motiviert war - Hugenberg mußte um die Stellung der DNVP als Koalitionspartner Hitlers besorgt sein und wurde dann auch schon zwei Wochen später zum Rücktritt gezwungen - , entsprach es nichtsdestoweniger dem Expansionsprogramm des deutschen Imperialismus. Es sollte zugleich gegenüber den Westmächten sondieren, inwieweit diese bereit waren, sich mit ihrem deutschen Rivalen zugunsten einer antisowjetischen Front zu einigen und ihn auch finanziell zu unterstützen. Das Memorandum verfehlte allerdings seine Wirkung. Denn es scheiterte an den vorhandenen imperialistischen Widersprüchen. Vor allem war man in London nicht bereit, den deutschen Forderungen nach Kolonialbesitz entgegenzukommen, sondern empfand diese Forderungen vielmehr als einen Affront. Daher beeilte sich Neurath schon am darauffolgenden Tag, sich von dem Vorgehen Hugenbergs zu distanzieren, und der „Völkische Beobachter" nannte das Memorandum eine „Privatarbeit" Hugenbergs. 216 Angesichts dessen, daß Hugenberg als Mitglied der Reichsregierung das Memorandum vorgelegt hatte, besaß die Sowjetregierung jedenfalls Anlaß genug, gegen diesen neuen sowjetfeindlichen Vorstoß am 22. Juni offiziellen Protest einzulegen. 21 ' Bülow bemühte sich allerdings bei Übergabe der Protestnote durch Botschafter Chincuk, die Bedeutung des Memorandums herunterzuspielen, und versicherte dem Botschafter, daß „Deutschland hinsichtlich der UdSSR unverändert auf dem Standpunkt der traditionellen freundschaftlichen Beziehungen zur UdSSR steht, sich niemals an irgend213 213 214 215
216 217
Vgl. Winter, Sowjetunion und Vatikan, S. 141 f. Bergen an AA, 13. 3.1933. PA Bonn, Pol. Abt. II, Politik 19, Bd. 1 (unpaginiert). Vgl. auch Maksimycev, S. 37 f.; McMurry, S. 83 f. „Krieg, Revolution und innerer Zerfall haben in Rußland und in großen Teilen des Ostens den Anfang gemacht . . . Dieser zerstörende Vorgang läuft einstweilen noch weiter. Ihn gilt es abzustoppen." ADAP, Ser. C, Bd. 1/2, S. 557. Völkischer Beobachter, 17. 6.1933. Vgl. DVP SSSR, Bd. £VI, S. 359 f.
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welchen interventionistischen Plänen gegenüber der UdSSR beteiligt und auch keinerlei territoriale Ansprüche erhebt." 2 1 8 In ähnlicher Weise reagierte Neurath, als er am 3. Juni Chincuk zur Überreichung der Antwort empfing, in der die Hitlerregierung den sowjetischen Protest mit der Begründung zurückwies, daß die Sowjetregierung das Hugenberg-Memorandum falsch interpretiert habe. Damit konnte sich Botschafter Chincuk allerdings nicht zufriedengeben. Er wies Neurath vielmehr auf die Tatsachen hin: das Memorandum müsse im Zusammenhang mit dem Vorstoß Rosenbergs, mit den Überfällen auf die „Derop" und andere sowjetische Einrichtungen in Deutschland, mit der antisowjetischen Kampagne der deutschen Presse und schließlich auch mit der Duldung und Förderung der weißgardistischen Emigrantenorganisation „ROND" 2 1 9 gesehen werden. „Weiter verwies ich auf die Tatsache", notierte Chincuk, „daß die deutsche Geheimpolizei ohne jeglichen Grund fast täglich Sowjetbürger nur deshalb inhaftiert, weil sie Sowjetbürger sind. Sind dies etwa Beweise der Freundschaft uns gegenüber? Ich weiß, daß meine Regierung ihren Standpunkt hinsichtlich der Beziehungen zu Deutschland nicht geändert hat, jedoch zeigen die von mir aufgezählten Fakten, daß die Deutschen sich selbst der Schattenseiten entledigen müssen, die uns beeinträchtigen." 2 2 0 Obwohl Hugenberg mit seinem Memorandum wegen der genannten Widerstände und Widersprüche scheiterte, darf man doch nicht übersehen, daß es in einer Situation vorgelegt wurde, in der sich inzwischen unter den imperialistischen Mächten die Aktivitäten zur Bildung eines antisowjetischen Blocks wesentlich verstärkt hatten. Dazu gehörten besonders die Verhandlungen über den sogenannten Viererpakt, der die Linie der Locarno-Politik fortsetzen sollte. Er wurde am 15. Juli 1933 zwischen Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien in Rom unterzeichnet. 221 Der Vertrag war Mitte März von Mussolini vorgeschlagen worden. Wenn auch in dem Vertragstext vom Frieden, von der Hoffnung auf den Erfolg der Abrüstungskonferenz und vom wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas die Rede war, so trat doch die mit dem Vertrag verfolgte Absicht deutlich hervor: er sollte der Stabilisierung des faschistischen Regimes in Deutschland dienen und war gegen die Sowjetunion gerichtet. 2 2 2 Deshalb wurde sein Zustandekommen auch vom Vatikan sehr begrüßt. 2 2 3 Dieser gab sich damals große Mühe, um Hitlerdeutschland durch den Abschluß des Konkordats vom 20. Juli 1933 moralisch und politisch zu stärken. 2 2 4 Schrieb doch Neurath Mitte 218 219
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Aufzeichnung Chincuks vom 22. 6.1933. Ebenda, S. 360 f. Die weifjgardistische Organisation „Rossijskoe Ob-edinenie Narodnogo Dvizenija" (ROND) wurde in Berlin bald nach Errichtung der faschistischen Diktatur gegründet. Ihr Leiter war der ehemalige zaristische Offizier deutscher Abstammung, von Püchau, der auch in der „Freiwilligenarmee" Denikins gekämpft hatte. Vgl. Skarenkov, S. 146. A. a. O. Vgl. dazu Zbignicw Mazur, Pakt Czterech, Poznan 1979. Vgl. V. Ja. Sipols, Vnesnjaja politika Sovetskogo Sojuza 1933-1935 ff., Moskau 1980, S. 58 f. „Der Vatikan mißt dieser Vereinbarung um so größeren Wert bei, als - wie sich mir gegenüber ein vatikanischer Würdenträger äußerte - doch eine gewisse Einheitlichkeit in der Auffassung derjenigen Mächte festzustellen ist, von denen die friedliche Ordnimg der Dinge in Europa hauptsächlich abhängt." Der deutsche Botschafter in Rom, von Hassel, an AA, 9. 6.1933. Nach einer Abschrift in: StA Dresden, Gesandtschaft Berlin, Nr. 279. Bl. 88 b. Vgl. H. Seidowsky, Das Reichskonkordat vom 20. 7.1933 als Beitrag der politisch-klerikalen Kräfte der katholischen Kirche in Deutschland und des Vatikans zur Stabilisierung
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Juni aus London an Hindenburg von der isolierten Stellung Deutschlands, gegen das sich „eine Atmosphäre des Mißtrauens" verbreite. 2 2 3 In M o s k a u war man sich dann auch über die mit dem Viermächtepakt verfolgte Absicht, eine Front gegen die Sowjetunion zu bilden, sehr klar. Das wurde von sowjetischer Seite den Vertretern der imperialistischen M ä c h t e mehrfach zu verstehen gegeben. 2 2 6 Zugleich begünstigte der' Pakt aber auch die revisionistischen Ziele des deutschen Imperialismus gegenüber den osteuropäischen „Randstaaten". Das gab wiederum der sowjetischen Diplomatie bestimmte Möglichkeiten, die Zusammenarbeit mit diesen zu verstärken. Der Viermächtepakt selbst brach schließlich wegen der unter seinen Teilnehmerstaaten bestehenden Gegensätze auseinander und wurde nicht ratifiziert, nachdem Hitlerdeutschland im O k t o b e r 1 9 3 3 aus dem Völkerbund austrat. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß zwar Mussolini während seiner Gespräche mit dem englischen Premierminister M a c D o n a l d und dem englischen Außenminister Simon am 18. M ä r z in Rom den Vorschlag zu einem solchen Viererpakt unterbreitet hatte, deshalb keineswegs jedoch der alleinige Urheber des Paktes war. V o r allem wirkte der englische Imperialismus für den Zusammenschlußi der Locarno-Mächte mit antisowjetischer Stoßrichtung. 2 2 7 Es war für die sowjetische Diplomatie nicht unwichtig zu wissen, daß Mussolini trotz seiner ideologischen Feindschaft gegenüber der Sowjetunion aus zahlreichen Gründen damals eine negative Politik gegenüber der Sowjetunion nicht für zweckmäßig hielt. Eine wesentliche Rolle spielte nicht nur das Interesse der italienischen Wirtschaft am sowjetischen M a r k t , sondern auch der imperialistische Gegensatz zu Frankreich sowie die Furcht, daß Hitlerdeutschland durch den Griff nach Österreich und dem Balkan, den Expansionsbestrebungen des italienischen Imperialismus dort einen Riegel vorschob. Sehr aufschlußreich ist das Gespräch, das Mussolini am 10. Juli, fünf T a g e vor Abschluß des Viererpaktes, mit dem sowjetischen Botschafter in Rom, V. P. Potemkin, führte. 2 2 8 Letzterer legte dem „Duce" ausführlich dar, daß die Sowjetregierung infolge der veränderten Stellung, die Hitlerdeutschland gegenüber der Sowjetunion bezogen hatte, über die dadurch heraufbeschworenen Gefahren besorgt sein mußte. Obwohl die Sowjetregierung wisse, daß Italien „zum gegenwärtigen Zeitpunkt engster Partner Deutschlands auf dem Gebiet der Außenpolitik" sei, wolle sie doch die freundschaftliche Zusammenarbeit mit Italien weiterentwickeln. Mussolini versicherte dem sowjetischen Botschafter, daß der Viererpakt sich nicht gegen die Sowjetunion richten solle und erklärte, daß auch er sich für die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen Italiens mit der Sowjetunion einsetzen wolle. Nicht von ungefähr sprach sich Mussolini in diesem Zusammenhang sehr negativ über die französische Außenpolitik aus, verwies auf die antisowjetischen Angriffe in der dem „Comité des Forges" nahestehenden Presse und betonte, daß „die Sowjetunion den freundschaftlichen Beteuerungen seitens Frankreichs nicht zu sehr vertrauen dürfe." Ihm, Mussolini, sei auch bekannt, daß es
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der faschistischen Diktatur in Deutschland, Phil. Diss. Humboldt-Universität zu Berlin 1965, S. 86 f. Neurath an Hindenburg, London, 19. 6.1933. ZStA Potsdam, Büro des Reichspräsidenten, Nr. 737/4, Bl. 114. Vgl. Sipols, S. 61. Vgl. Belousova, S. 108 f. Aufzeichnung Potemkins, 10. 7.1933. DVP SSSR, Bd. XVI, S. 426 f.
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in dem kürzlichen zwischen Hitler und Frangois-Poncet geführten Gespräch um ein Militärbündnis gegen die Sowjetunion gegangen sei. Weiter notierte Potemkin über das G e s p r ä c h : „Mussolini erklärte, er sei verdrossen und beunruhigt über die V e r schlechterung der Beziehungen zwischen Deutschland und der U d S S R , jedoch verliere er nicht die Hoffnung, daß der Druck der realen Situation die Hitlerregierung zur Vernunft bringen und sie zwingen werde, zu jenen Prinzipien der Außenpolitik Deutschlands zurückzukehren, die in Rapallo und Berlin festgelegt wurden. Die italienische Regierung werde in jeglicher Weise auf Berlin einzuwirken suchen, um sie möglichst bald zur Vernunft zu bringen. D e r italienisch-sowjetische Pakt, sei nach seiner, M u s s o linis, M e i n u n g für Deutschland ein ernstes Warnsignal. E r werde Deutschland daran erinnern, daß, wenn es sich in ein gegen die Sowjetunion gerichtetes Abenteuer stürze, das faschistische Italien es in keinem Falle unterstützen und ihm auf diesem verhängnisvollen W e g e nicht folgen werde." Es gehört nicht mehr in den Rahmen dieser Darstellung, auf die Außenpolitik des faschistischen Italiens, das in der Folgezeit zum wichtigsten Verbündeten Hitlerdeutschlands auf dessen Aggressionskurs wurde, einzugehen. Die Ausführungen M u s solinis deuten jedoch - ungeachtet der damit beabsichtigten taktischen W i r k u n g e n auf die starken Widersprüche hin, die auch zwischen dem faschistischen Deutschland und dem faschistischen Italien hinsichtlich ihrer Politik gegenüber der Sowjetunion bestanden. Für die Sowjetunion war es jedenfalls in "dieser komplizierten Situation des J a h r e s 1 9 3 3 ein wichtiger außenpolitischer Erfolg, daß sie am 2. September 1 9 3 3 mit Italien einen „Vertrag über Freundschaft, Nichtangriff und Neutralität" 2 2 9 unterzeichnen konnte. Die von Hitlerdeutschland ausgehenden Aktivitäten zur Bildung einer antisowjetischen Front wurden von der Sowjetregierung aufmerksam verfolgt, und sie g a b sich über die daraus für den Frieden entstehenden Gefahren keinerlei Täuschungen hin. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang zwei Briefe Krestinskijs, die I. F. M a k s i mycev in diesem Zusammenhang aus dem Archiv der Außenpolitik der U d S S R anführt. In einem Brief an Chincuk vom 19. M a i 1 9 3 3 schrieb Krestinskij, daß auch dann, wenn die Hitlerregierung eine äußere Normalisierung ihrer Beziehungen zur Sowjetunion vornehme, diese keineswegs eine endgültige Neuorientierung der Hitlerregierung mit einem Abrücken von ihrer früheren Konzeption bedeuten würde. „Das würde uns nur eine bestimmte Atempause verschaffen, die um so länger dauern würde, j e günstiger die allgemeine internationale Lage der U d S S R sein wird."2'®0 In einem weiteren Brief vom 27. J u n i , ebenfalls an Chincuk gerichtet, drückte Krestinskij erneut diesen Gedanken a u s : trotz der wiederholten Erklärungen Dirksens, Neuraths, Görings und Hitlers, die Politik freundschaftlicher Beziehungen mit der U d S S R fortsetzen zu wollen, werde sich die Hitlerregierung „nicht von jenen außenpolitischen Ideen lossagen, die die Nationalsozialisten in allen ihren theoretischen und agitatorischen Schritten in den J a h r e n , als sie um die M a c h t kämpften, entwickelt haben. D i e deutsche Regierung ist bereit, sich an militärischen Koalitionen gegen uns zu beteiligen, sie ist bereit, in einem Krieg gegen uns die militärischen Hauptkräfte zu stellen, und fordert dafür nur zwei D i n g e : Rüstungsfreiheit und Kompensation auf Kosten der U d S S R . " Die sowjetische Diplomatie müsse daher auf die Gefahren achten, die vom
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Vgl. den Vertragstext ebenda, S. 494 f. Maksimycev, S. 41.
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Westen ausgingen. „Vor allem müssen wir daran denken, daß man den freundschaftlichen Beteuerungen der deutschen Regierung nicht glauben darf, daß die ferneren politischen Pläne Deutschlands den Krieg gegen uns einschließen und daß die gegenwärtige Lage nur eine vorübergehende Atempause darstellt."- 31 Die Sowjetregierung war sich somit über die Gefahren, die ihr von Hitlerdeutschland drohten, sehr klar. Die Situation wurde inzwischen um so bedrohlicher, als sich immer mehr die Zusammenarbeit Hitlerdeutschlands mit dem militaristischen Japan abzeichnete. Besonders mußte die Sowjetregierung die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß bei einem japanischen Angriff auf den sowjetischen Fernen Osten Hitlerdeutschland zusammen mit Polen im europäischen Bereich gegen die Sowjetunion aktiv würde. 232 Am 19. Juni 1933 schrieb Stomonjakov in einem Brief an Antonov-Ovseenko nach Warschau, daß Polen zwar einerseits durch die „internationale Situation und den gegenwärtigen Stand der sowjetisch-polnischen Beziehungen" zu einer Vertiefung dieser Beziehungen gezwungen werde. Andererseits jedoch verstärke sich in Polen das Bestreben, mit Hitlerdeutschland zusammenzuarbeiten. „Die Tendenzen der Annäherung an Deutschland werden in Polen aus zwei Quellen gespeist: aus den Bestrebungen der abenteuerlichen Kreise der Pilsudski-Leute, einen möglichen Krieg Japans gegen uns auszunutzen und Hitlerdeutschland zu unterstützen,- andererseits aus der Klassensympathie der Nationaldemokraten für die Hitlerbewegung. Wenn auch die internationale Situation zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Vereinbarung Polens mit Deutschland nicht begünstigt, so stellen diese Tendenzen doch eine ernste Gefahr dar, und das zwingt uns, die Aufmerksamkeit und Wachsamkeit gegenüber der polnischen Politik zu verzehnfachen". 233 Um allen diesen Gefahren zu begegnen, bemühte sich die sowjetische Diplomatie vor allem in den folgenden Richtungen zu wirken: erstens suchte §ie weiterhin das Forum der Abrüstungskonferenz zu nutzen, um die Völker vor der drohenden Gefahr eines neuen Krieges zu warnen und die imperialistischen Großmächte für die Durchführung von Maßnahmen zur Friedenssicherung zu gewinnen; zweitens suchte sie die durch die Nichtangriffsverträge mit Polen und Frankreich geschaffene Grundlage auszuweiten. Von großer Bedeutung war es, daß die Sowjetunion im Rahmen der Zusammenarbeit mit Frankreich dazu überging, nicht mehr nur durch bilaterale Nichtangriffsverträge, sondern vorrangig durch ein multilaterales Vertragssystem den Frieden zu sichern. Grundlage und Ausgangspunkt dieser auf die Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa abzielenden Politik wurde ein vom Zentralkomitee der KPdSU (B) gefaßter Beschluß. Er sah fünf Maßnahmenkomplexe vor und wurde am 19. Dezember 1933 vom Politbüro des ZK der KPdSU (B) bestätigt. 234 Drittens schließlich konnte die sowjetische Diplomatie im Ringen um die Friedenssicherung die gewachsene wirtschaftliche Stärke und ,die gestiegene internationale Autorität der Sowjetunion in die Waagschale werfen. Das war der wesentliche Grund dafür, daß weitere Länder diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion aufnahmen, wobei vor allem die Normalisierung der Beziehungen zu den USA von großer Bedeutung war. Diese Normalisierung im November 1933 wurde begünstigt, nachdem F. D. Roosevelt die Präsidentschaft übernommen hatte. Zwar blieben die antisowjetischen Ten231 232 233 234
Ebenda, S. 242. Vgl. auch Sipols, S. 18 f. DVP SSSR, Bd. XVI, S. 355. Vgl. ebenda, S. 876; Geschichte
der sowjetischen
Außenpolitik
1917-1945, S. 374 f.
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denzen in den herrschenden Kreisen der USA bestehen, und Gruppen des amerikanischen Monopolkapitals liehen Hitlerdeutschländ ihre Unterstützung. Jedoch ergab sich unter der Präsidentschaft Roosevelts für die sowjetische Diplomatie die Möglichkeit, mit den USA gegen die von Hitlerdeutschland und Japan ausgehenden Gefahren, die beide in zunehmendem Mage auch die USA bedrohten, zusammenzuarbeiten. Wie Litvinov in einem Gespräch mit Roosevelt am 8. November 1933 in Washington feststellen konnte, sah auch der amerikanische Präsident Japan und Deutschland als die beiden Quellen der Kriegsgefahr an. „Er unterstrich", so notierte Litvinov, „dag wir uns zwischen diesen beiden Gefahren befinden, und daß wir zusammen mk Amerika vielleicht diese Gefahren abwenden könnten." 2 3 5 Es ist an dieser Stelle hervorzuheben, dag die erhöhten Anstrengungen der KPdSU und der Sowjetregierung zur Sicherung des Friedens auch jetzt wiederum in völliger Übereinstimmung und im Zusammenwirken mit den Parteien der Kommunistischen Internationale unternommen wurden. Obwohl das XIII. Plenum des E K K I Ende 1933 noch bestimmte fehlerhafte Schlugfolgerungen beibehielt - zu ihnen gehörte sowohl die Annahme, dag die Errichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland zu einem revolutionären Aufschwung führen werde, als auch die Einschätzung der Sozialdemokratie als Hauptstütze der Bourgeoisie - , gelangte das Plenum doch zu der wichtigen Schlugfolgerung, dag es angesichts des vorhandenen Kräfteverhältnisses, vor allem angesichts der gewachsenen Stärke der Sowjetunion und der mit ihr im Kampf für . den Frieden verbündeten Kräfte, durchaus möglich war, erfolgreich gegen die Kriegsgefahr zu kämpfen. 2 3 6 Das XIII. Plenum erarbeitete auch jene Einschätzung des Klassencharakters der faschistischen Diktatur, die sodann, wie schon erwähnt, von Dimitroff auf dem VII. Komintern-Kongreg vorgetragen und durch dessen Beschlüsse bestätigt wurde. Die Magnahmen und Schritte, die die sowjetische Diplomatie im Rahmen der obengenannten Hauptrichtungen und Hauptaufgaben ergriff, müssen wir wenigstens in Kürze streifen, um die neue Situation zu erfassen, die inzwischen in den sowjetischdeutschen Beziehungen eingetreten war. Während die sowjetische Diplomatie sich in der Periode der Rapallo-Politik auf die Beziehungen zu Deutschland stützen konnte, um den Frieden zu sichern, war es jetzt umgekehrt: Hitlerdeutschland stellte jene imperialistische Macht dar, von der im europäischen Bereich die Hauptgefahr einer möglichen Aggression ausging. Schon am 6. Februar 1933 hatte Litvinov im Namen der Sowjetregierung auf der vier Tage zuvor eröffneten zweiten Tagung der Genfer Abrüstungskonferenz einen wichtigen Vorschlag unterbreitet. Es handelte sich um den Entwurf für eine Deklaration über die Definition des Aggressors. 2 3 7 Wenn auch die Annahme dieser Deklaration infolge des Widerstandes der imperialistischen Grogmächte nicht zustandekam, so fand sie doch unter jenen Staaten Resonanz, die sich hauptsächlich durch den Aggressionskurs des deutschen Imperialismus bedroht fühlten. Das betraf vor allem die osteuropäischen Staaten, zumal sich gerade gegen sie die vom Viererpakt ausgehenden Revisionsabsichten richteten. 2 3 8 Die Gelegenheit, mit diesen Staaten zu einem Abkommen über die Definition des 233 236 237 238
Aufzeichnung Litvinovs vom 8.11.1933. DVP SSSR, Bd. XVI, S. 6Ö9. Vgl. Mezdunatodnoe räbocee dviZenie, Bd. 5, S. 253; Sipols, S. 27 f. Vgl. Sipols, S. 80 f. Vgl. ausführlicher V. Bystricky/L. Deak, Europa na prelome, Bratislava 1974, S. 315 f.
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Aggressors zu gelangen, ergab sich für die Sowjetunion auf der Weltwirtschaftskonferenz in London, die in der Zeit vom 12. Juni bis 27. Juli tagte. Angesichts der scharfen imperialistischen Gegensätze ging die Konferenz ergebnislos auseinander. Auch das von Litvinov im Namen der Sowjetregierung unterbreitete Angebot, gegen die Bereitstellung entsprechender Kredite in den kapitalistischen Ländern W a r e n im Werte von einer Milliarde Dollar zu kaufen, sowie der Vorschlag eines wirtschaftlichen Nichtangriffsvertrages wurden von den kapitalistischen Ländern abgelehnt. Insofern stellten die von der U d S S R am 3., 4. und 5. Juli in London mit insgesamt 10 Ländern abgeschlossenen Konventionen über die Definition des Aggressors' 2 3 9 - als elftes Land schloß sich durch eine am 22. J u l i in M o s k a u unterzeichnete Konvention auch Finnland an - einen wichtigen Teilerfolg der Konferenz dar. Die Konventionen legten vor allem den Revisionsabsichten des deutschen Imperialismus einen Riegel vor und waren deshalb auch ein wirksames Gegengewicht gegen den Viererpakt. Dies wurde so auch in Berlin empfunden, wie der tschechoslowakische Gesandte am 10. J u l i 1 9 3 3 berichtete. 2 , 1 0 Außerdem gelang es Litvinov in London, in Verhandlungen mit der englischen Regierung die Aufhebung des Handelsembargos zu erreichen. Die Sowjetregierung hatte die Verhandlungen über die Konventionen mit einem entsprechenden Vorschlag eingeleitet, den sie am 19. April 1 9 3 3 dem polnischen Gesandten in M o s k a u , J . Eukasiewicz, übermittelte. Das auf diese Weise zwischen M o s k a u und Warschau aktivierte diplomatische Gespräch stand in engem Zusammenhang mit den Bemühungen der Sowjetregierung, die Beziehungen mit Polen auf der Grundlage des Nichtangriffspaktes zu vertiefen und Polen nicht wieder in das Lager einer antisowjetischen Front - sie begann sich j a gerade jetzt zwischen Hitlerdeutschland und Polen abzuzeichnen - abgleiten zu lassen. 2 ^ 1 Die Atmosphäre in den polnisch-sowjetischen Beziehungen war dann auch nach dem Abschluß der Konvention über die Definition des Aggressors günstiger geworden. Den Absichten der Sowjetregierung, die Beziehungen zu Polen vor allem im Hinblick auf die Friedenssicherung in Osteuropa zu festigen, kam sehr entgegen, daß Beck am 23. November 1933 in einem Gespräch mit Antonov-Ovseenko den Vorschlag machte, zwischen Polen und der Sowjetunion „einen ständigen engen Kontakt" herzustellen und, indem er angesichts der von Hitlerdeutschland ausgehenden Gefahren die baltischen Staaten als einen „weichen Punkt" auf der Karte Europas bezeichnete, daß er sich dafür aussprach, Polen und die Sowjetunion sollten gemeinsam ökonomische und politische M a ß n a h m e n ergreifen, um die Lage der baltischen Staaten zu festigen. 2 '' 2 Es stellte sich allerdings bald heraus, daß es der polnischen Regierung mit diesem Angebot wenig ernst war und daß sie offensichtlich damit nur ein taktisches M a n ö v e r verfolgte, nachdem acht Tage zuvor die Wölfische Nachrichtenagentur die Mitteilung über die beabsichtigte deutsch-polnische Nichtangriffserklärung verbreitet hatte. Denn als die Sowjetregierung am 14. Dezember der polnischen Regierung den Entwurf einer gemeinsamen Deklaration über die Sicherung des Friedens in Osteuropa und über die Unabhängig-
Die UdSSR schloß an diesen Tagen Konventionen mit den folgenden Staaten ab: Estland. Lettland, Polen, Rumänien, Persien, Türkei, Afghanistan, Tschechoslowakei, Jugoslawien und Litauen. Vgl. DVP SSSR, Bd. XVI, S. 388 f. 2''° O ceskoslovenske zahranicni politice 1918-1939. Sbornik stati Prag 1956, S. 216. 2 4 1 Vgl. A. Sksipek (Skrzypek), Pol'sko-sovetskie diplomaticeskie otnosenija 1933-1939 gg. in Ocerki istorii sovetsko-pol'skich otnosenij 1917-1977, Moskau 1979, S. 155 f. 2/ ' 2 Antonov-Ovseenko an Stomonjakov. 1.12. 1933. DVP SSSR, Bd. XVI, S. 697 f. 239
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keit der baltischen Staaten vorlegte, 2 ' , : ! stieß sie in Warschau auf Ablehnung. Und nach dem 26. J a n u a r 1934 traten die antisowjetischen Tendenzen in der polnischen Außenpolitik wieder stärker hervor. Inzwischen hatte die sowjetische Diplomatie auch neue Anstrengungen unternommen, die Zusammenarbeit mit Frankreich im Interesse der europäischen Friedenssicherung enger zu gestalten. Die widersprüchliche Politik des französischen Imperialismus gegenüber Hitlerdeutschland, die sowohl von der Furcht vor dem deutschen Revisionismus als auch von dem Bestreben charakterisiert war, sich mit ihm zugunsten einer antisowjetischen Frontstellung zu einigen, wurde schon erwähnt. Dies erschwerte es der Sowjetregierung, dem genannten Ziel näherzukommen. Insofern wirkte sich auch zunächst die Teilnahme Frankreichs am Viermächtepakt negativ auf die französisch-sowjetischen Beziehungen aus - was j a ganz in der Absicht des englischen Imperialismus lag. Das Scheitern des Viermächtepaktes und der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund am 14. Oktober stärkten jedoch in Frankreich wiederum die Tendenz der Annäherung an die Sowjetunion.-' 5 ' 1 Die Sowjetregierung hatte schon zu Beginn des J a h r e s dem französischen Sicherheitsinteresse gegenüber Hitlerdeutschland Rechnung getragen, als Litvinov in der erwähnten Rede am 6. F e b r u a r in Genf den im November 1932 von Herriot und Paul-Boncourt 2 / 1 3 vorgelegten Plan, der die Abrüstung durch ein Sicherheitssystem ersetzen wollte, unterstützte. Dies hatte in den Regierungskreisen Frankreichs ein positives Echo ausgelöst. Das Gespräch zwischen M o s k a u und Paris über die europäische Friedenssicherung wurde sodann intensiviert, als der französische Außenminister Joseph Paul-Boncourt am 31. O k t o b e r Litvinov während seines Besuches in Paris gemeinsame M a ß n a h m e n zur Gewährleistung der gegenseitigen Sicherheit vorschlug. Dies geschah unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die von Hitlerdeutschland ausgehende Kriegsgefahr. 2 , 1 0 Dieser französische Vorschlag entsprach ganz den Zielsetzungen der Sowjetregierung. Litvinov vermerkte über das G e s p r ä c h : „Ich sagte, daß wir nicht nur über den Westen, sondern auch über den Osten nachdenken müßten und darüber, daß Frankreich daran interessiert sein muß, daß wir keine Komplikationen im Osten haben. W i r waren uns darüber einig, daß er und ich über die mögliche Art und W e i s e der Zusammenarbeit nachdenken werden." 2 ' 1 7 Die neue Qualität, die sich im Herbst 1 9 3 3 in den französisch-sowjetischen Beziehungen durchzusetzen begann, wurde in der Folge für die europäische Friedenssicherung von großer Bedeutung. Zugleich reflektierte sie die veränderte Position, die der deutsche Imperialismus inzwischen in den internationalen Beziehungen eingenommen hatte, besonders gegenüber der Sowjetunion. In diesem Zusammenhang muß man auch darauf hinweisen, daß sich aus dem Bemühen der Sowjetunion, mit den vom faschistischen Deutschland bedrohten Staaten zum Zwecke der Friedenssicherung zusammenzuarbeiten, für die sowjetische Außenpolitik eine wichtige Konsequenz ergab. Sie bestand darin, daß die Sowjetunion nunmehr nachdrücklich für die Erhaltung des durch den Versailler Vertrag geschaffenen '' Vgl. den Text des sowjetischen Deklarationsprojektes: DVP SSSR, Bd. XVI, S. 747. Vgl. Belousova, S. 145 f. 215 Joseph Paul-Boncourt war zu diesem Zeitpunkt französischer Kriegsminister und übernahm Ende 1932 den Posten des Außenministers, den er bis Ende Januar 1934 behielt. 2 4 6 Aufzeichnung Litvinovs vom 31.10.1933. DVP SSSR, Bd. XVI, S. 595. 2 " Ebenda.
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Staatensystems auftrat, ungeachtet dessen, dag sie nach wie vor diesen Vertrag als einen imperialistischen Raubfrieden charakterisierte. 2 '' 8 Der Kampf gegen die von den deutschen Faschisten propagierte Losung von der Revision des Versailler Vertrages - dabei ging es, von der Rüstungsfrage abgesehen, fast ausschließlich nur um die Frage der Grenzen, da die anderen Vertragsbestimmungen ohnehin bereits beseitigt worden waren - war jetzt infolge der von Hitlerdeutschland betriebenen friedensgefährdenden Revisionspolitik mit dem Kampf für die europäische Friedenssicherung identisch geworden. Und insofern erhielt in der sowjetischen Augenpolitik die Frage eines „Ostiocarno" einen neuen Inhalt. Denn es kam jetzt darauf an, die Grenzen der osteuropäischen Staaten gegen die Aggressionsbestrebungen Hitlerdeutschlands zu stabilisieren, was allerdings die Zusammenarbeit dieser Staaten mit der Sowjetunion voraussetzte. In einem von der „Pravda" am 10. Mai 1933 veröffentlichten Artikel hieg es daher: „Das internationale Proletariat - ein Feind des Versailler Friedens - kann nicht auf der Seite jener imperialistischen Kräfte stehen, die im Brand eines neuen imperialistischen Krieges die Neuaufteilung der Welt durchführen wollen. Der Kampf gegen die Gefahr eines neuen imperialistischen Krieges wird zur zentralen Aufgabe des internationalen Proletariats." In dem Mage, wie die Stellung der Sowjetunion gegenüber dem Versailler Vertrag diese neue Akzentsetzung enthielt,«nahm die sowjetische Augenpolitik Ende 1933 auch eine neue Orientierung gegenüber dem Völkerbund vor. Der bereits genannte Beschlug des Politbüros des ZK der KPdSU vom 19. Dezember 1933 über die Kursnahme auf ein System der kollektiven Sicherheit hielt den Eintritt der UdSSR in den Völkerbund „unter gewissen Bedingungen" für möglich.2',,J Unterdessen gab sich die Sowjetregierung alle Mühe, die weitere Zuspitzung der deutsch-sowjetischen Beziehungen aufzuhalten. In den Gesprächen, die auf diplomatischer Ebene in den Sommermonaten 1933 zwischen Moskau und Berlin stattfanden, wurde von sowjetischer Seite immer wieder der Wunsch betont, mit Deutschland im Sinne der friedlichen Koexistenz weiter zusammenarbeiten zu wollen. Besonders zeigen dies die Ausführungen des Vorsitzenden des Rats der Volkskommissare, V. M. Molotov, in seinem Gespräch mit Dirksen am 4. August. 2r, ° Das Gespräch begann damit, dag Dirksen, ähnlich wie er es auch schon in den Monaten zuvor in Unterredungen mit Litvinov und Krestinskij getan hatte, die Reichstagsrede Hitlers vom 23. März und die nunmehr auch deutscherseits vorgenommene Ratifikation des Berliner Vertrages als „Beweis" dafür anführte, dag „von deutscher Seite alle Voraussetzungen für die normale Entwicklung der früheren Beziehungen" geschaffen worden seien. Zugleich suchte er wiederum die „antideutschen Tendenzen" in der sowjetischen Öffentlichkeit als Ursache der Verschlechterung der Beziehungen ins Feld zu führen, wobei er auch auf die ablehnende Haltung der Sowjetunion hinsichtlich der Revision des Versailler Vertrages anspielte. In seiner Antwort hob Molotov hervor, dag die Sowjetunion in ihrer Augenpolitik weiterhin „als Hauptprinzip die Erhaltung und Festigung freundschaftlicher Beziehuny,s 249
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Vgl. auch Maksymicev, S. 47 f. Vgl. auch die Unterredung Stalins mit dem Berichterstatter der „New York Times", Duranti, vom 25.12.1933. J. W. Stalin, Werke, Bd. 13, S. 247 f. Die Ausführungen stützen sich auf die Aufzeichnung Molotovs vom 4.8.1933. DVP SSSR, Bd. XVI, S. 476 f.; wesentlich knapper ist die Aufzeichnung Dirksens über dieses Gespräch, die er Bülow übersandte. AD AP, Ser. C, Bd. 1/2, S. 708 f.
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gen mit allen Ländern" verfolge und mit dem Rapallo-Vertrag diesem Prinzip erstmalig gegenüber Deutschland Geltung verschafft habe; davon lasse sich die Sowjetregierung in ihrer Politik gegenüber Deutschland auch gegenwärtig leiten. Was die Innenpolitik der deutschen Regierung anbetreffe, so vertrete die Sowjetunion die Linie der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. Allerdings könne die Sowjetregierung nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß es in Deutschland während der letzten Monate zu zahlreichen Übergriffen gegenüber Sowjetbürgern gekommen sei. Nicht zu übersehen sei es auch, daß es neben der Deklaration freundschaftlicher Beziehungen auf deutscher Seite auch offizielle Persönlichkeiten gebe, die sich offen gegen solche Beziehungen wendeten. Die Sowjetregierung sehe ich daher gezwungen, „die Frage nach den wirklichen Tendenzen auf dem Gebiet der Beziehungen zur UdSSR zu stellen." Molotov ging sodann ausführlich auf die Stellung der Sowjetunion zum Versailler Vertrag ein. Dies tat er ganz offensichtlich angesichts der Tatsache, daß die Presse Hitlerdeutschlands das sowjetische Auftreten gegen die Revision des Versailler Vertrages als einen „deutschfeindlichen" Akt hinstellte, und auch Dirksen motivierte so gegenüber Molotov die angebliche „Abkehr der Sowjetregierung von ihrer bisherigen Politik Deutschland gegenüber". 251 „Unser Verhältnis zum .Versailler Vertrag", so erklärte Molotov, „wird durch das Bestreben nach der Erhaltung des allgemeinen Friedens bestimmt. Dieses Bestreben nach der Erhaltung und Festigung des allgemeinen Friedens sowie das Prinzip der freien nationalen Entwicklung aller Völker waren und sind Grundlagen der Politik der Sowjetunion, solange sie existiert. Diese Prinzipien bestimmen auch unser Verhältnis zum Versailler Vertrag. Weiter erklärte ich, ich könnte dem Herrn Botschafter versichern, dafj unsere Position in dieser Frage keiner Veränderung unterlegen ist und unsere weiteren Beziehungen zu Deutschland werden somit ausschließlich davon abhängen, welche Position Deutschland gegenüber der UdSSR einnehmen wird. Wenn es eine Politik wie früher verfolgen wird, so wird es auch bei uns keinen Grund geben, unsere Einstellung zu ändern." 2 ' )2 Die Ausführungen Molotovs blieben auf den deutschen Botschafter offensichtlich nicht ohne Eindruck. „Die von ihm geäußerte Besorgnis über künftige Einstellung deutscher Politik gegenüber Rußland schien mir echt zu sein." So notierte Dirksen über das Gespräch. 233 Auch in seinem Bericht vom 14. August an das Auswärtige Amt schrieb er von dieser Besorgnis der Sowjetregierung, die seiner Auffassung nach „freundschaftliche Beziehungen zu allen Staaten" erstrebe.25'1 Dirksen sprach sich in dem Bericht für „eine Bestandsaufnahme der deutsch-russischen Beziehungen" aus und schlug vor, „selbst die Initiative zu ergreifen und die Sowjetregierung zu einer grundlegenden Aussprache zu veranlassen." Dirksen schlug in diesem Zusammenhang weiter vor, daß der für September geplante Kuraufenthalt Krestinskijs in Bad Kissingen hierfür genutzt werden sollte. 205 Eine solche von Dirksen geforderte Klärung der Situation in den deutsch-sowjetischen Beziehungen lag auch ganz im Interesse der Sowjetregierung - vorausgesetzt allerdings, daß die Hitlerregierung wirklich ehrlich an einer Verbesserung der Bezie231 Nach der Aufzeichnung Dirksens, a. a. O. 252 253 254 255
Aufzeichnung Molotovs, a. a. O. A. a. O. Dirksen an AA, 14. 8. 1933. AD AP, Ser. C, Bd. 1/2, S. 735 f. Ebenda.
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hungen interessiert war und dies durch ihre Taten bewies. Krestinskij erklärte sich dann auch damit einverstanden, nach Beendigung seines Kuraufenthaltes in Berlin über den Stand und die weitere Gestaltung der deutsch-sowjetischen Beziehungen Gespräche zu führen. 2 5 6 Das zeigte jedenfalls, daß die Sowjetregierung nichts unversucht lie5, um die Beziehungen zu Deutschland einer Besserung zuzuführen, auch wenn die von den Hitlerfaschisten verfolgte Politik dafür wenig Hoffnung bot. Litvinov sah sich veranlaßt, in einer Unterredung mit Botschaftsrat von Twardowski am 14. September „mit ungewohnter Heftigkeit" festzustellen, wie es in der Notiz Twardowskis heißt, „daß zwar die Reichsregierung in ihrer Regierungserklärung gute deutsch-sowjetische Beziehungen proklamiert habe, daß aber die Handlungen der deutschen Regierungsorgane und der O r g a n e der deutschen Nationalsozialistischen Partei, also der Regierungspartei, das volle Gegenteil von dem bewiesen, was der Herr Reichskanzler gesagt habe. Es verginge kein Tag, ohne daß Sowjetbürger belästigt würden, daß Sowjet-Institutionen beschimpft würden, daß die deutsche Presse mit Unterstützung amtlicher Stellen eine Hetzkampagne gegen die Sowjetunion führe. Jetzt sei sogar eine Broschüre mit amtlichem M a t e r i a l und mit amtlichen Mitteln verbreitet worden, die offizielle Sowjetpersönlichkeiten und Sowjetinstitutionen in übelster Weise beschimpfe und angreife . . . "-•'7 Bei der von Litvinov genannten Broschüre handelte es sich um eine üble Hetzschrift, die in Goebbels' Propagandaministerium hergestellt worden war und als deren Verfasser Adolf Ehrt zeichnete. Wie Rosenberg war auch er im zaristischen Rußland geboren und ebenfalls von fanatischem Haß gegen die Oktoberrevolution erfüllt. Im J a h r e 1 9 3 4 übernahm er die von den Hitlerfaschisten gebildete Organisation „Antikomintern", die sich in den darauffolgenden J a h r e n die antikommunistische und antisowjetische Hetzpropaganda zur Aufgabe machte und so wesentlich den Krieg gegen die Sowjetunion ideologisch vorbereiten half. Ebenso wie die Verbreitung der EhrtBroschüre die schon gespannte Situation in den deutsch-sowjetischen Beziehungen noch mehr vergiften mußte, so stand auch der Überfall von SA-Trupps auf den Klub der Angestellten der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin am 16. September in krassem Gegensatz sowohl zu dem durch Dirksen angeregten Krestinskij-Besuch als auch zu der am 15. September abgegebenen Presse-Erklärung Neuraths, „daß sich die nun schon eine Reihe von J a h r e n bewährten freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion auch weiterhin fruchtbar gestalten werden." 2 5 8 So stand die geplante Einladung Krestinskijs zu einem B e s u c h J n Berlin jedenfalls unter schlechten Vorzeichen, als eine weitere antisowjetische Provokation der Hitlerfaschisten die Situation in den deutsch-sowjetischen Beziehungen in j ä h e r Weise noch mehr zuspitzte. D e r Vorfall ging als „Journalistenkonflikt" in die Geschichte ein und wurde dadurch ausgelöst, daß auf direkte Anweisung Hitlers 2 0 9 der Zutritt sowjetischer Journalisten zu dem am 2 1 . September in Leipzig eröffneten Reichstagsbrandprozeß, mit dem sich Hitlerdeutschland als Bollwerk gegen die kommunistische Weltbewegung ausweisen wollte, verboten wurde. Damit nicht genug, wurden in den M o r genstunden des 22. September Lilly Keith, Deutschland-Korrespondentin der „Iz256 zur Planung und Vorbereitung des Krestinskij-Besuches vgl. Dirksen, London, S. 128; Maksimycev, S. 54; Niclauss, S. 135; McMutry, S. 107. 257 258 259
Moskau - Tokio -
Aufzeichnung Twardowskis vom 14. 9.1933. ADAP, Ser. C, Bd. 1/2, S. 805. Niclauss, S. 137. Datiert vom 19. 9.1933. Vgl. ADAP, Ser. C, Bd. 1/2, S. 788 (Anmerkung 3).
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vestija", und TASS-Korrespondent I. Bespalov in ijiren Hotelzimmern in Leipzig verhaftet. L. Keith war übrigens schon einmal, und zwar in der Nacht des Reichstagsbrandes, von den Faschisten verhaftet worden, während sie in ihrer Wohnung eine Haussuchung vornahmen. Wenn die beiden sowjetischen Journalisten auch noch am selben Tag nach energischem Einschreiten der sowjetischen Botschaft wieder freigelassen wurden, stellte der Vorgang insgesamt doch eine schwerwiegende Diskriminierung der Sowjetunion dar. 260 Die Sowjetregierung, die schon am 20. September gegen die Nichtzulassung der sowjetischen Korrespondenten zum Reichstagsbrandprozeß protestiert hatte,-1-'' jedoch auch nach zwei weiteren Protesten ohne Antwort blieb, reagierte am 26. September in scharfer Form:'sie berief sämtliche sowjetische Journalisten aus Deutschland ab und forderte zugleich alle in der UdSSR befindlichen deutschen Journalisten auf, innerhalb von drei Tagen das Land zu verlassen. 262 Diese sehr scharfe sowjetische Reaktion resultierte daraus, daß es sich bei dem deutschen Vorstoß nicht nur um eine Diskriminierung der gesamten sowjetischen Presse handelte, sondern auch aus der Tatsache, daß die Nichtzulassung der sowjetischen Journalisten zum Leipziger Prozeß nur den Kulminationspunkt einer langen Kette antisowjetischer Provokationen darstellte, gegen die die Sowjetregierung viele Male protestiert hatte. Darauf wies Litvinov ausdrücklich hin, als er Twardowski, der Dirksen in dessen Abwesenheit vertrat, den sowjetischen Standpunkt in dieser Frage darlegte. 263 Twardowski gab dem Auswärtigen Amt diesen Standpunkt weiter, indem er telegraphierte: „Hierdurch entstandener Konflikt ist für Sowjetunion von größter prinzipieller Bedeutung, er ist Kampf um Aufrechterhaltung Basis, auf der ihre Beziehungen zu Kapitalisten-Staaten aufgebaut sind. Ein Abgehen von ihrer Forderung völliger Gleichberechtigung der Sowjetpresse ist nicht möglich. Denn wenn heutige Sowjetpresse zu einem Prozeß nicht zugelassen wird, weil sie kommunistisch ist, so können morgen Häfen Sowjetdampfern verschlossen werden, weil sie aus kommunistischem Land kommen, oder Sowjetdiplomaten Agrément verweigert werden, weil sie kommunistischer Partei zugehören." 264 An demselben Tage, als die Sowjetregierung ihre Gegenmaßnahme gegen die Provokation der Hitlerregierung verkündete, am 26. September, fand in Berlin im Anschluß an eine Kabinettssitzung unter Vorsitz Hitlers eine Ministerbesprechung statt, in der die Strategie und Taktik der faschistischen Führung in ihrer Politik gegenüber der Sowjetunion erneut zur Diskussion stand. 265 Die Einleitung gab Bülow: er sah sich gezwungen, die sowjetischen Beschwerden über die Behandlung der Sowjetbürger in Deutschland als begründet anzuerkennen und hielt eine weitere Verschärfung der deutsch-sowjetischen Beziehungen, wie sie durch die sowjetische Gegenmaßnahme eingetreten war, für „außenpolitisch schwer tragbar". Man könnte, so legte Bülow dar, „für den Bruch mit Rußland außenpolitisch nichts eintauschen", und man 260 361 262 203
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Vgl. zum „Journalistenkonflikt" besonders Maksimycev, S. 50 f.; McMurry, S. 108 f. DVP SSSR, Bd. XVI, S. 524. Vgl. die von Litvinov an Twardowski übersandte Note vom 26. 9.1933. Ebenda, S. 536. Vgl. ebenda und die Aufzeichnung Litvinovs über das Gespräch mit Twardowski am 26. 9.1933. Ebenda, S. 538 f. Twardowski an AA, 30. 9.1933. ADAP, Ser. C, Bd. 1/2, S. 869. Aufzeichnung Bülows vom 26. 9.1933. Ebenda, S. 839.
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könnte „in unserer außenpolitischen Lage nur schwer auf den 'russischen Schatten' verzichten." Sodann sprach Hitler. Es war erstmalig in dieser Sitzung, daß er vor den Ministem und Vertretern des Auswärtigen Amtes seine eigentlichen Ziele offen aufdeckte. Bülow notierte: „Der Reichskanzler legte in längeren Ausführungen dar, dag eine Wiederherstellung des deutsch-russischen Verhältnisses unmöglich sei, da die Neugestaltung in Deutschland jede Hoffnung der Russen auf Durchführung der Weltrevolution vernichtet habe. Ein scharfer Antagonismus zwischen Deutschland und Rußland werde naturgemäß bleiben, er sei aber nicht dafür, die deutsch-russischen Beziehungen unsererseits abzubrechen oder den Russen Vorwände für diesen Abbruch zu geben. Deshalb sei er einverstanden, daß ich dem russischen Botschafter beruhigende Zusicherungen mache, und sei auch bereit, so unsympathisch ihm dies sei, Krestinskij zu empfangen . . ,"266 Es war offensichtlich, daß auch Hitler gerade in dieser Situation, als er sich anschickte, die Mitgliedschaft Deutschlands im Völkerbund aufzukündigen und eine Auseinandersetzung mit Frankreich zu erwarten war, auf den von Bülow zitierten „russischen Schatten" nicht völlig verzichten wollte. Die Sowjetregierung mußte angesichts der entstandenen Lage in ihrer Politik gegenüber Deutschland vor allem zwei Fragen prüfen: erstens die Frage, inwieweit die Hitlerregierung gewillt war, nach den entschiedenen Gegenmaßnahmen der Sowjetregierung im „Journalistenkonflikt" einzulenken, und zweitens die Frage, ob es in dieser komplizierter gewordenen Situation überhaupt sinnvoll war, daß Krestinskij von Bad Kissingen nach Berlin fuhr. Eine Sondierung, die sie bei Twardowski am 2. Oktober vornehmen ließ, 2 " 7 ergab die Auskunft, daß „deutscherseits zur Zeit keine Initiative ergriffen werden könnte, Krestinskij nach Berlin einzuladen". Twardowski hielt es lediglich für möglich, daß „eine Reihe interessanter Gespräche geführt werden könnte", sofern die sowjetische Botschaft das Auswärtige Amt offiziell wissen lasse, daß Krestinskij in Berlin sei. 268 Es kam hinzu, daß Bülow schon am 26. September gegenüber Chincuk geäußert hatte, er halte es für unmöglich, während des Reichstagsbrandprozesses eine „öffentlich sichtbare Entspannung" herbeizuführen. 2 6 9 Und wenn auch Chincuk durch Bülow sodann über die Bereitschaft Hitlers, mit Krestinskij zu sprechen, informiert wurde, so blieb doch eine direkte Einladung von deutscher Seite aus. Krestinskij reiste unter diesen Umständen nicht über Berlin, sondern über Wien nach Moskau zurück, zumal er in Wien noch einen Arzt konsultieren mußte. I. F. Maksimycev führt aus dem Archiv einen Brief Litvinovs an Chincuk vom 17. Oktober an, der die Überlegungen, die in Moskau im Zusammenhang mit dem geplanten Berlin-Besuch Krestinskijs angestellt wurden, näher beleuchtet: „Da uns die Klagen Dirksens 270 bekannt waren", so schrieb Litvinov, „wollten wir schon N. N. (Krestinskij, d. Aut.) nach Wien telegraphieren, daß er dennoch nach Berlin fahre. Das wurde je266 267 268 269 270
Ebenda. Vgl. Twardowski an AA, 2.10.1933. Ebenda, S. 869. Ebenda, S. 870. Niclauss, S. 140. Gemeint waren die Warnungen Dirksens, der sich zu diesem Zeitpunkt in Berlin befand, gegenüber dem Auswärtigen Amt, man könnte die Gelegenheit zur Verbesserung der Beziehungen verpassen.
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doch dadurch verhindert, dag wir an diesem Tage die Mitteilung über den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund und der Abrüstungskonferenz erhielten. In diesem Moment erschien uns ein Treffen.mit Hitler besonders ungeeignet." 2 7 1 Die Sowjetregierung war sich somit sehr darüber klar, daß ein Besuch Krestinskijs in Berlin gerade in diesem Augenblick in der internationalen Öffentlichkeit wie eine direkte Unterstützung der gegen den Völkerbund und die Westmächte, vor allem gegen Frankreich gerichteten Aktion Hitlerdeutschlands gewertet worden wäre. Nichtsdestoweniger war die Sowjetregierung nach wie vor an einer Entschärfung der deutsch-sowjetischen Beziehungen, besonders an der Beilegung des „Journalistenkonflikts" interessiert, was Litvinov in einer mit Twardowski am 16. Oktober geführten Unterredung deutlich zu verstehen gab. 2 7 2 Die Hitlerregierung sah sich schließlich dazu gezwungen, mit der Sowjetregiemng in dieser Frage eine Verständigung herbeizuführen, die ihren Ausdruck in einem gleichzeitig von der deutschen und von der sowjetischen Presse am 31. Oktober veröffentlichten Kommunique über die Beilegung des „Journalistenkonflikts" bestand. Mit der Wiederzulassung der Tätigkeit der Journalisten auf beiden Seiten wurde auch den Korrespondenten von TASS und „Izvestija" die Genehmigung zum Besuch des Leipziger Prozesses erteilt. Wenngleich Sich im „Journalistenkonflikt" Standfestigkeit und Konsequenz der Sowjetregierung behauptet hatten und seine Beilegung als ein diplomatischer Erfolg der UdSSR gewertet werden konnte, hatte er jedoch wiederum - und dies in sehr grellen Farben - den von den Hitlerfaschisten herbeigeführten Tiefstand der deutschsowjetischen Beziehungen deutlich gemacht. Alle Beteuerungen, die seitens der Hitlerregierung über die Aufrechterhaltung guter Beziehungen abgegeben wurden, konnten die Sowjetregierung nicht darüber hinwegtäuschen, daß der faschistische deutsche Imperialismus Deutschland aus dem Partner von Rapallo zum gefährlichsten Feind der Sowjetunion an ihren europäischen Grenzen gemacht hatte. Der Jahresbericht der sowjetischen Botschaft in Berlin für das J a h r 1933 gelangte daher zu der Einschätzung: „Diese Beteuerungen waren nichts anderes als Manöver, die einerseits das Ziel haben, zu beruhigen und die Schuld für den Terror gegenüber den sowjetischen Einrichtungen und Bürgern von den zentralen Regierungsorganen Deutschlands abzuwälzen, und andererseits Zeit zu gewinnen und den örtlichen Machtorganen die Möglichkeit geben wollen, den neuen antisowjetischen Kurs voll auszuschöpfen, ohne dafür irgendwelche Verantwortung zu tragen." 2 7 3 Dirksen mochte die verhängnisvollen Folgen, die die völlige Abkehr der Hitlerregierung von der Rapallo-Politik vor allem für Deutschland selbst bedeutete, ahnen, als er nach dem Scheitern seiner Hoffnung, durch den von ihm angestrebten Besuch Krestinskijs in Berlin eine Wende herbeiführen zu können, im Oktober 1933 noch für einige Tage aus Berlin nach Moskau zurückkehrte. Er tat dies, um sich dort zu verabschieden, bevor er seinen neuen Botschafterposten in Tokio antrat. Die betont freundschaftliche Verabschiedung Dirksens durch die Vertreter der Sowjetregierung Anfang November bedeutete sichtlich nicht nur, daß die Sowjetregierung das Wirken Dirksens insgesamt positiv bewertete. Sie drückte auch zugleich, wie Dirksen die
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Maksimycev, S. 56. Aktennotiz Twardowskis vom 16.10. 1933. ADAP, Ser, C, Bd. IV\, S. 15 f. DVP SSSR, Bd. XVI, S. 812. Rosenfeld
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Abschiedsrede Krestinskijs kommentierte, den Wunsch aus, „mit Deutschland überhaupt in freundschaftlichen Beziehungen zu leben." 27 '' Vier Tage bevor Dirksen über seine Verabschiedung in Moskau Bülow Mitteilung machte, am 30. Oktober, hatte er seinen letzten politischen Bericht aus Moskau verfaßt, der mit dem Satz endete: „Das Rapallo-Kapitel ist abgeschlossen." 275 Dies stimmte in der Tat. Die letzte Seite dieses Kapitels hatten die reaktionärsten Kräfte des deutschen Imperialismus jedoch schon umzuschlagen begonnen, bevor noch die Hitlerfaschisten die Macht antraten. Als Volkskommissar M. M. Litvinov am 29. Dezember 1933 vor dem Zentralexekutivkomitee der UdSSR eine Bilanz der außenpolitischen Situation vornahm, widmete er den Beziehungen der UdSSR zu Deutschland umfangreiche Ausführungen. 276 „Zehn Jahre lang", so begann Litvinov, „verbanden uns mit Deutschland enge wirtschaftliche und politische Beziehungen. Wir waren die einzige Großmacht, die mit dem Versailler Vertrag und seinen Folgen nichts gemein haben wollte. Wir1 verzichteten auf alle Rechte und Vorteile, die uns aus dem Vertrag hätten erwachsen können. Deutschland nahm in unserem Außenhandel den ersten Platz ein. Aus den hergestellten politischen und ökonomischen Beziehungen zogen sowohl Deutschland als auch wir außerordentliche Vorteile." Weder der Eintritt Deutschlands in den Völkerbund noch der Abschluß von Nichtangriffsverträgen der UdSSR mit Frankreich und Polen, führte Litvinov aus, hätten ein Grund für die Verschlechterung der Beziehungen sein müssen. Dennoch hätten sich die Beziehungen zwischen der UdSSR und Deutschland innerhalb eines Jahres so verändert, daß sie nicht wiederzuerkennen seien. „In Deutschland gab es Reden, Erklärungen und Handlungen, die nicht nur unseren früheren Beziehungen nicht mehr entsprechen, sondern vielmehr Anlaß zu der Auffassung geben, daß sich diese Beziehungen in ihr Gegenteil verwandelt haben." Litvinov umriß sodann die Ursachen, die zu dieser Umwandlung der Beziehungen geführt hatten. Er verwies darauf, daß bereits im Jahre 1932 ein Politiker - damit war Papen gemeint - „zum Zeitpunkt unserer besten Beziehungen" offen gegen diese Beziehungen aufgetreten sei. „Danach kam es in Deutschland zu einem Umschwung, und es kam eine neue Partei an die Macht, die die krassesten antisowjetischen Ideen propagierte. Der Begründer dieser Partei entwickelte in seinen Schriften die entsprechende Konzeption der Außenpolitik Deutschlands. Nach dieser Konzeption soll Deutschland nicht nur alle Territorien, die nach dem Versailler Vertrag von Deutschland abgetrennt wurden, durch Krieg zurückerobern, nicht nur Länder unterwerfen, in denen es überhaupt nur eine deutsche Minderheit gibt, sondern sich auch mit Feuer und Schwert den Weg der Expansion nach Osten bahnen und auch vor den Grenzen der Sowjetunion nicht haltmachen und die Völker der Union unterjochen." Litvinov verwies weiter auf das gegen die Sowjetunion gerichtete Auftreten auch anderer Naziführer und die zahlreichen antisowjetischen Übergriffe und Provokationen, die sich in Deutschland ereignet hatten. „Ich hielt es für notwendig, dies offen zu sagen", so fuhr Litvinov fort, „weil von deutscher Seite nicht selten der Versuch unternommen wird, uns die Initiative für die Veränderung der Beziehungen zuzuschieben und diese mit unserer Abneigung gegenüber dem gegenwärtigen deutschen Regime zu begründen, mit der Verfolgung Dirksen an Bülow, 3 . 1 1 . 1 9 3 3 . AD AP, Ser. C, Bd. II/2, S. 75. Ebenda, S. 310. Der Bericht wird hier von Nadolny zitiert. 276 D V P S S S R Bd. XVI, S. 791 f. 274
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der Kommunisten und so weiter. Wir haben natürlich unsere Meinung über das deutsche Regime, und wir fühlen natürlich mit den Leiden unserer deutschen Genossen, aber am wenigsten kann man uns Marxisten zum Vorwurf machen, daß wir unsere Politik von Gefühlen beherrschen lassen. Die ganze Welt weiß, daß wir gute Beziehungen mit den kapitalistischen Staaten jeden beliebigen Regimes unterhalten können und unterhalten, einschließlich des faschistischen. Darum geht es nicht. Wir mischen uns weder in die inneren Angelegenheiten Deutschlands noch anderer Länder ein, und unsere Beziehungen zu ihm werden nicht durch seine Innen-, sondern durch seine Außenpolitik bestimmt." Mehrmals hätten die offiziellen Vertreter der deutschen Regierung von ihrem Wunsch; gesprochen, mit der Sowjetunion gute Beziehungen zu unterhalten. Doch käme es nicht nur auf schöne Deklarationen, sondern auf Taten an. Die Sowjetunion wolle mit Deutschland wie auch mit allen anderen Ländern in Frieden leben, weder im Westen noch im Osten verfolge sie irgendwelche expansionistischen Ziele. „Wir wollen, daß Deutschland uns dasselbe sagt und daß es keine Fakten gibt, die diesem widersprechen. Wir möchten sicher sein, daß solche Deklarationen sich nicht nur auf die Gegenwart beziehen, sondern auch auf den Zeitpunkt, da Deutschland über größere Kräfte verfügen wird, um jene Aggressionsideen zu verwirklichen, die seine gegenwärtigen Führer schon propagierten, bevor sie zur Macht kamen, und einige von ihnen sogar auch noch gegenwärtig propagieren." Die Sowjetunion reichte den faschistischen Machthabern in Deutschland trotz deren blutigen Terror-Regimes, um den Frieden zu erhalten, die Hand zur Verständigung. Die Hitlerfaschisten hatten die Weichen jedoch schon anders gestellt. Die Fahrt ging in die Katastrophe.
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Personenregister
Abendroth, Hermann, 208 D'Abernon, Edgar Viscount, 31-33, 46, 121, 137, 138, 143, 163, 231 Abusch, Alexander, 54, 203, 378 Adenauer, Konrad, 313 Adöratskij, V. V., 216 Aleksandrovskij, S. S„ 36, 417 Alvensleben, Bodo von, 357 Alvensleben, Werner von, 263, 358 Antonov-Ovseenko, V. A„ 436, 472, 474 Arco, Georg Graf von, 194, 200, 220 Aroseev, A. Ja., 252 Aschoff, Ludwig, 194 Atatürk, Mustafa Kemal, 291 Auhagen, Otto, 210 Baläzs, Béla, 205 Baldwin, Stanley, 47, 119, 253 Baron, Erich, 192, 193, 194, 195, 215 Bassermann, Ernst, 131 Becher, Johannes R., 195, 204, 297, 377 Beck, Józef, 465 Becker, Karl, 196 Begge, Karl, 231 Beljajev, E. E., 218 Bell, G. E„ 261 Benes, Edvard, 41 Bergen, Diego von, 127, 128, 129, 265, 349, 350, 468 Bernhard, Henry, 263 Bernstorff, Graf Johann Heinrich, 291 Berthelot, Philippe, 168, 305 Bertram, Adolf, Kardinal (Fürstbischof von Breslau), 352 Berzin, R. I., 274 Besonov, S., 184 Bespalov, I., 479 Biefang, Hans, 379 Birkenhead, Lord, 262, 316, 317 Biskupskij, V. V., 96 Bismarck, Otto von, 180, 490
Blomberg, Werner von, 276, 277 Blücher, V. K., 276, 341 Boenheim, Felix, 297 Bölitz, Kultusminister, 187 Bogdanov, P. A., 76, 82 Bonn, Paul, 314 Boothby, kobert, 334 Borah, William Edgar, 336 Borbert, Generaldirektor, 400 Borsig, Conrad von, 400 Bosch, Carl, 395 Botkin, S. D., 25 Botzenhardt, Johannes, 96, 97 Brandler, Heinrich, 50, 60 Bratman-Brodovskij, S. I., 36, 39, 41, 107, 131, 248, 250, 315, 317, 338, 367 Braun, Friedrich, 187 Braun, Otto, 70 Bräutigam, Otto, 209 Breiting, Richard, 459 Breitscheid, Rudolf, 177 Briand, Aristide, 120, 125, 143, 159, 168, 169, 176, 251, 258, 259, 262, 285, 287, 292, 300, 305, 325, 340, 356, 357, 359, 360, 432, 446 Brockdorff-Rantzau, Ulrich Graf von, 26 bis 31, 34, 35, 39, 41, 70, 72, 75-78, 87, 94, 95, 102, 105, 106-109, 113, 121, 125, 127, 129, 132-138, 141, 142, 152-155, 162, 163, 172, 174-177, 179, 187, 189, 190, 195, 209, 210, 212, 214, 230, 234, 235, 242, 246, 247, 250 bis 252, 263, 264, 267, 272, 274, 275, 279 bis 282, 286, 288, 293, 294, 302, 305, 306, 308-312, 317, 319, 322, 326, 333 Bruce-Lockhardt, R. H„ 122 Brüning, Heinrich, 358, 359, 366, 369, 403, 407, 410, 412, 423, 429, 434, 435, 443, 446, 448 Bucharin, N. I., 65, 268, 286, 287, 373 Bücher, Hermann, 85, 318, 319, 356, 405 Bullitt, William, 12 Bülow, Bernhard von, 358, 359, 416, 422,
506 429, 434, 440, 442, 450, 4 6 0 - 4 6 2 , 464, 466, 476, 479, 480, 482 Busch, William, 400 Buz, Richard, 400 Cachin, Marcel, 348 Cecil, Lord Robert, 291 Chalatov, A. B„ 216 Chamberlain, Austen, 47, 118, 119, 120, 122, 128, 135, 163, 176, 180, 243, 250, 251, 253, 283-285, 325, 334 Childs, Sir William, 262 Chincuk, L. M„ 219, 301, 324, 384, 400, 402, 416, 417, 439, 440, 446, 447, 449, 452, 453, 456, 4 6 2 - 4 6 4 , 466, 468, 469, 471, 480 Churchill, Winston, 158, 339 Cicerin, G. V., 1 1 - 1 3 , 15, 2 1 - 2 3 , 28, 3 3 - 3 6 , 39, 40, 42, 46, 75, 78, 94, 9 7 - 9 9 , 106-108, 115, 116, 118, 119, 126, 127, 129-140, 142 bis 147, 151, 154, 156, 162, 166-170, 174, 175, 180, 190, 209, 2 3 9 - 2 4 2 , 2 4 8 - 2 5 2 , 263, 264, 267, 272, 281, 286-288, 300, 304, 308, 309, 322, 326, 334, 354 Cimmermann, R. R„ 218 Cleinow, Georg, 67, 109, 133, 160, 352 Cooper, Hugh, 405 Coudenhove-Kalergi, Richard Graf von, 356, 361 Cubar, V. J „ 79 Cuno, Wilhelm, 32, 34, 38, 39, 47, 49, 53, 272, 301 Curtius, Julius, 219, 232, 235, 237, 253, 276, 315, 344, 349, 354, 357, 3 6 0 - 3 6 2 , 366, 368, 369, 393, 394, 397, 403, 407, 409, 434, 435, 449 Curzon of Kedleston, Lord, 34, 35, 40, 46 Daladier, Edouard, 467 Dawes, Charles G., 329 Dessau, Paul, 208 Deterding, Henry, 69, 259, 261 Deutsch, Felix, 85, 200, 229, 305, 306 Diamand, Hermann, 244, 249 Dibelius, Otto, 352, 357 Dienstmann, Karl, 400 Dietrich, Hermann, 354 Dimitroff, Georgi, 423, 473 Dirksen, Herbert von, 76, 89, 137, 139, 142, 153, 174, 177, 184, 208, 214, 220, 231, 236, 241, 243, 246, 247, 264, 265, 2 7 4 - 2 7 7 , 279, 282, 283, 293, 294, 302, 305, 306, 309-311, 316-318, 325, 328, 333-344, 3 4 6 - 3 5 1 , 353, 354, 358-360, 362-366, 370, 372, 375, 379, 388-396, 3 9 8 - 4 0 3 , 406, 409, 4 1 3 - 4 1 5 , 420, 426, 4 2 9 - 4 3 1 , 435', 440, 4 4 1 - 4 4 3 , 445-453, 455, 458, 4 6 0 - 4 6 2 , 464, 466, 467, 471, 476 bis 482
Personenregister Dolléans, Édouard, 408 Dorofeev, J . G., 218 Dovgalevskij, V. S., 321, 322, 325, 432, 438 Dreiser, Theodore, 257, 378 Dubanowicz, Edward, 126 Dubrovskij, S. M., 216 Duden, Paul, 395 Dufour-Feronce, Albert, Frhr. von, 125, 243 Duisberg, Carl, 236, 301 Duncker, Hermann, 202 Duranti, Journalist, 476 Eberlein, Hugo, 60 Ebert, Friedrich, 17, 54, 116, 272 Egorov, A. I., 271, 452 Egorov, D. N., 216 Ehrenburg, Ilja, 54 Ehrhardt, Hermann, 262, 263 Ehrt, Adolf, 478 Einstein, Albert, 186, 192, 200, 204, 209 Eisenstein, S. M„ 194, 204, 205 Eisler, Hanns, 208 Engels, Friedrich, 202, 214 Erusalimskij, A. S., 173 Erzberger, Matthias, 123 Farbman, Journalist, 34, 35 Faulhaber, Michael von, Kardinal (Erzbischof von München und Frey sing), 352, 353 Federovskij, N. M., 186 Fersman, A. E., 194, 214 Ficker, Heinrich von, 213, 218 Filchner, Wilhelm, 218 Fischer, Major, 275 Fischer, Ruth, 50 Foch, Ferdinand, 41, 42, 258, 262 Förster, Otfried, 223 Fran^ois-Poncet, André, 451, 467, 471 Frei, Bruno, 377 Freytag, Hans, 201, 208 Freytag-Loringhoven, Axel Frhr. von, 431, 443 Frick, Wilhelm, 466 Frumkin, M. I., 7 2 - 7 4 , 85, 90, 91 Fuchs, Eduard, 297 Fucik, Julius, 378 Furtwängler, Adolf, 217 Furtwängler, Wilhelm, 208 Gabor, Andorf, 204 Gasparri, Pietro, 127 Gehrmann, P. E„ 128, 129 George V., 254 Gerster, Ottmar, 208 Geftler, Otto, 177, 274 Gibson, Hugh S., 292 Gincburg, M. J „ 207
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Personenregister Goebbels, Josef, 450, 466, 478 Goethe, Johann Wolfgang von, 214 Goldschmidt, Alfons, 196, 297 Goldstejn, J„ 77, 210 Gorbunov, N. P„ 212-214, 218 Gorgulov, 438 Göring, Hermann, 450, 465, 466, 471 Gorki, Maxim, 204 Graap, Carl, 73 Grabowsky, Adolf, 355 Grabski, Ladislaus, 144, 145, 147 Gregory, J. D„ 118, 144, 259 Groener, Wilhelm, 123, 261, 354 Gropius, Walter, 207 Grosmann, Grigorij, 335 Grosz, George, 204 Grünberg, Karl, 204 Grünberg, Z. C„ 186, 187, 209 Grzesinski, Albert, 330 Guerard, Theodor von, 354 Gumanskij, Aleksandr, 118 Gurevic, M. G., 387 Haas, Ludwig, 157 Haber, Fritz, 209 Haeckel, Ernst, 222 Hager, Paul, 400 Hahn, Bruno, 234, 279, 307, 308 Halm, Generalmajor, 277 Hammerstein-Equord, Kurt Frhr. von, 276, 428, 458 Hanecki (Ganeckij), Ja. S„ 148, 154-156 Hanisch, Erdmann, 215 Harnack, Adolf von, 209 Harries, K. D„ 188 Harriman, W. A „ 88, 233, 234 Hartenstein, Regierungsrat, 386 Hartmann, Otto, 277 Hauschild, Herbert, 99-101 Heartfield, John, 204, 206 Heckert, Fritz, 196 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, 214 Heintze, Ministerialdirektor, 397, 407, 419 Helfferich, Karl, 32 Helldorff, Wolf-Heinrich Graf von, 450 Hencke, Andor, 28, 141, 316, 335, 342, 346, 353, 362, 363, 367, 402 Henderson, Arthur, 348, 361, 376, 389, 407 Hensch, Bankier, 434 Herbette, Jean, 120, 145, 146, 258, 292, 305, 344 Herbigny, Michel d', 129, 349, 350 Herriot, fidouard, 35, 100, 438, 450-453, 467, 475 Herzfelde, Wieland, 204 Hesnard, Oswald, 262, 357 Hey, Siegfried, 79, 174
Heye, Wilhelm General, 275 Heydt, Eduard von der, 392 Hilferding, Rudolf, 354 Hilger, Gustav, 28, 69, 78, 214, 220, 386, 420, 451 Hindenburg, Paul von, 27, 139, 143, 162, 172, 333, 449, 470 Hirsch, Siegmund, 401 Hitler, Adolf, 164, 261, 422, 423, 436, 438, 447, 449, 453, 455-466, 468, 471, 476, 478 bis 481 Hodann, Max, 196, 378 Hoernle, Edwin, 221 Hoesch, Leopold von, 46, 125, 163, 171, 173, 176, 306, 322, 338, 363 Hoetzsch, Otto, 113, 189, 190, 197-201, 209, 210, 213-217, 220, 222, 294, 375, 376, 388, 389 Hoffmann, Max, 33, 260-262 Hollitscher, Arthur, 297 Holöwko, Tadeusz, 362 Holtzendorff, Hans Graf von, 238, 306-308, 312, 320, 325, 385, 398, 410, 412, 413, 415, 418-420 Honecker, Erich, 374 Hoover, Herbert, 234, 390 Hopp, Hans, 207 Hörne, Sir Robert, 301 Houghton, Allan, 22, 31, 33, 98 Hugenberg, Alfred, 361, 468, 469 Hughes, Charles Evans, 33 Hurst, Sir Cecil, 125 Ioffe, A. A., 12, 186 Ipat'ev, V. N., 200 Ishii, Kikujiro, 284, 285 Jakir, I. E„ 271 Javorskij, M. I., 216 Jessenin, S. A., 205 Johannsen, Erich, 206 Jonas, Hans, 210, 216 Jouvenel, Henry de, 251 Junghanns, Kurt, 207 Junghans, Regisseur, 205 Junkers, Hugo, 83, 271, 273 Jürgens, Adolf, 211 Jurinec, V. A., 216 Just, W. A „ 109, 195 Kaas, Ludwig, 359 Kalinin, M. I., 30, 31, 212 Kamenev, L. B„ 37, 58, 65, 115, 225 Kameneva, O. D„ 192-195, 210, 213-215, 220 Karachan, L. M „ 12, 22, 35, 336, 437 Karumidse, Schalwa, 261, 262
508 Kastl, Ludwig, 301, 308, 309, 397 Kaufmann, M., 315 Kegel, Gerhard, 28 Keith, Lilly, 478, 479 Keller, Friedrich von, 285 Kellermann, Bernhard, 192 Kellogg, Frank Billings, 292 Kemmerer, W. E., 147, 242 Kerenskij, A. F., 254 Kessler, Generalkonsul, 188 Keudell, Walter von, 160 Kindermann, Karl, 143 Kirdorf, Emil, 261 Kirov, S. M., 409 Kisch, Egon Erwin, 378 Kläber, Kurt, 204 Klemperer, Georg, 21, 185 Klemperer, Otto, 208 Klöckner, Florian, 358 Klöckner, Peter, 400-403, 411-414, 435 Klönne, Moritz, 261, 262 Klotzbach, Arthur, 400,411 Knoll, Roman, 42 Koenen, Wilhelm, 273 Koerner, Paul Ernst Geheimrat von, 92, 94, 95, 103, 151-155 Kollwitz, Karl, 195, 297 Kollwitz, Käthe, 192, 195, 204, 297 Konev, N. (Stejn, B. E.), 354, 355, 444 Konradi, 38 Köpke, Gerhard, 109, 251, 312, 322, 337, 339, 389, 442, 443, 446, 447, 453, 455 Kopp, Viktor, 36, 58, 59, 82, 106, 133, 134, 144, 184, 205 Kornilov, L. G„ 54 Korsenevskij, N. L., 218 Köster, Adolf, 42, 43, 45, 59, 240, 248 Köstring, Ernst, 272, 277 Röttgen, Karl, 400, 404, 411 Kraemer, Hans, 320, 357, 396, 398, 404, 405, 411, 416 Krähe, Franz, 400 Krasin, L. B„ 12, 22, 39, 64, 65, 70, 72, 74 bis 76, 86, 90, 94, 104, 105, 107, 119, 132, 140, 148, 243 Krestinskij, N. N„ 22, 23, 70, 84, 96, 102, 129, 131, 136-138, 144, 166, 169, 171, 172, 175-179, 193, 233, 247-250, 252, 273, 281, 293, 295, 304, 314, 315, 323, 324, 328, 336, 338, 341, 349, 354, 356, 367, 368, 384, 397, 402, 429, 431, 438, 439, 441, 446-448, 453, 456, 461, 462, 466, 467, 471, 476, 477, 478, 480, 481 Kreuger, Ivar, 397 Krug, 430 Krüss, 187
Personenregister Krupp von Bohlen und Halbach, Gustav 84, 405 Krupskaja, N. K„ 188, 221 Krylenko, N. V., 218 Krzizanovskij, G. M„ 200 Kuczynski, Jürgen, 377, 378 Kuczynski, Max, 189 Kuczynski, Robert, 195, 297 Kühlmann, Richard von, 261, 305, 338, 339, 403 Kurella, Alfred, 196, 203, 354, 377 Kutepov, A. P„ 254, 360 Kuusinen, O. V., 427 Kyrill, Großfürst Kyrill Vladimirovic, 25, 263 Lamont, Th„ 330 Lamont, W., 98 Lampel, Martin, 205 Lask, Berta, 377 Laue, Max von, 209 Laurant, Theodore, 99 Laval, Pierre, 433, 434, 437, 446 Law, Bonar, 34 Lazarev, P. P., 212 Lee, Ivy, 390 Lehmann-Rufjbüldt, Otto, 297 Lengyel, Julius, 150, 337, 397, 398 Lenin, W. I., 9-13, 18-21, 24, 34, 48, 52, 56 bis 58, 60, 61, 65, 66, 79, 80, 82, 85, 98, 111-114, 133, 155, 158, 159, 183, 184, 186, 200, 202, 204, 212, 223, 268, 279, 329, 363, 372, 380 Lenz, Friedrich, 222 Leo XIII., 128 Levitin, S. A. 200 Lezava, A. M., 80, 82, 84 Lichtenstein, Bankier, 390 Liebknecht, Karl, 48, 54, 55 Liebknecht, Kurt, 207 Lindsay, R„ 433 Lippe, Georg von der, 388 Litvinov, M. M„ 12, 22, 35, 39, 67, 70, 76, 84, 95, 98, 106, 127, 131, 136, 140, 141, 145, 147, 154, 155, 170-172, 176, 177, 213, 233, 247, 248, 250, 252-254, 274, 281, 289-291, 293, 294, 315, 322-325, 328, 334, 345, 346, 349, 354, 360-363, 366, 391, 394, 398, 409, 431, 437, 438, 440-443, 445-448, 451-453, 455, 459, 461, 463, 466, 473-476, 478-482 Ljubavskij, M. K„ 216 Ljubimov, I. E., 383, 394 Ljubimov, L. D., 26 Lloyd George, David, 22, 34, 239, 316 Löbe, Paul, 121, 356 Locker-Lampson, O. 261, 262 Loehrs, 109
Personenregister Lorbeer, Hans, 204 Lubarsch, Otto, 189 Lubersac, Jean Graf de, 269 Ludendorff, Erich, 33, 34, 123 Lüders, Heinrich, 212 Ludwig, Emil, 441 Ludwig, Max, 275, 276 ' Lukasiewicz, Juliusz, 474 Lunacarskij, A. V., 165, 183, 188, 194, 199 bis 201, 210-212, 216, 221, 360 Luther, Arthur, 199 Luther, Hans, 142, 158, 159, 177, 178, 233, 273, 403, 405 Lutterbeck, 49 Luxemburg, Rosa, 48, 54, 55 MacDonald, James Ramsay, 118, 344, 407, 427, 451, 465 Maier-Einscheit, 400 Majakovskij, V., V., 54, 205 Majskij, I. M „ 12, 316, 454 Makowskij, 233 Maltzan, Ago Frhr. von, 15, 28, 41, 70, 76, 82, 99, 103, 104, 106, 116, 131, 132, 134, 135, 156, 184, 190, 430 Mann, Heinrich, 192 Mann, Thomas, 192 Manstein, Erich von, 333 Manuil'skij, D. Z., 57, 58 Marchlewski, Julian, 56 Marchwitza, Hans, 204 Margerie, Bruno F. M. Jacquin de, 305 Marr, N. J„ 217 Martens, L. K., 200 Martius, Georg, 324 Marx, Karl, 202, 214 Marx, Wilhelm, 88, 180, 251, 260 Maslov, Arcady, 50 Matschoö, Conrad, 200, 220 May, Ernst, 207 May, Ferdinand, 196 Mayer, Gustav, 215 Mehnert, Klaus, 222 Meierovics, Siegfried, 45, 118 Meissner, Otto, 89 Melchior, J. Carl, 307 Mellon, Andrew, W., 117 Meyer, Eduard, 209, 212, 213, 217 Meyer, Ernst Hermann, 208 Meyer, Richard, 412, 440, 442, 443 Mikojan, A. I., 231, 309, 380, 390-392, 394, 396 Milkau, Fritz, 211 Miller, E. K„ 360 Miller, Oskar von, 220 Mitscherlich, Eilhard, 221 Molotov, V. M., 82, 429, 460, 476, 477
509 Moltke, Hans Adolf von, 176, 369 Monzie, Anatole de, 100, 305 Moreau, Emile, 242, 243 Morgan, J. P., 258, 330 Mofjdorf, 420 Muckermann, Friedrich, 352 Mühlen, Friedrich Wilhelm, 395 Müller, August, 73 Müller, Hermann, 322, 330, 354 Müller, Oscar, 367 Münzenberg, Willi, 56, 196, 204 Muratov, K. N „ 83 Mussolini, Benito, 51, 259, 447, 459, 468, 470, 471 Nadolny, Rudolf, 17, 333, 448, 460, 482 Nagel, Otto, 192, 206 Nagel, Walli, 206 Nansen, Fridtjof, 183 Nemenov, M. I., 186 Nemirovic-Dancenko, V. I., 205 Neubauer, Theodor, 196, 433 Neuberg, C„ 210 Neurath, Konstantin von, 449, 451-454, 458, 460-464, 466, 468-471, 478 Niedermayer, Oscar von, 272, 274 Nikolaj, Grofjfürst Nikolaj Nikolaevic, 254 Nikolaus II., 25, 26 Nixon, 407 Nobel, Emanuel, 261 Noe, 401 Nollets, General, 262 Norden, Albert, 49, 203, 378, 413 Norman, Montagu, 99, 230, 242, 243, 301 Noske, Gustav, 177 Noulens, Joseph, 304 Ol'denburg, S. F., 188, 209-212 Ordzonikidze, G. K „ 399-402, 411 Osborn, Marx, 192 Osinskij, V. V., 300 Ossietzky, Carl von, 352 Ovey, Sir Esmond, 361, 376, 406 Pacelli, Eugenio, 127, 129, 264, 349, 350, 358, 468 Painleve, Paul, 168 Pankratov, I., 324 Papen, Franz von, 266, 357, 413, 424, 438, 448-453, 460, 462, 465, 467, 482 Pasukanis, E. B., 187, 216 Patek, Stanislaw, 251, 252, 436-438 Paul-Boncourt, Joseph, 475 Petrowski, 362 Pfeffer, August, 400 Piceta, V. I., 216 Pieck, Wilhelm, 16, 56, 202, 273, 378
Personenregister
510 Pieper, J„ 67, 72 Püchau, 469 Pilsudski, Józef, 40, 147, 241-244, 250, 252, 287, 361, 436, 466, 472 Pinkevic, A. P„ 188, 199 Piscator, Erwin, 205 Pius XI., 128, 349, 468 Pius XII. (siehe auch Pacelli), 129 Pizzardo, Giuseppe, 126 Pjatakov, G. L„ 65, 76, 77, 404, 407, 413, 419 Pjatnickij, I. A„ 60 Planck, Max, 209, 212, 213, 362 Plass, Rudolf, 400 Platanov, S. F., 216 Plodeck, 314, 315, 415 Poensgen, Ernst, 400, 411, 412 Poetzsch, 70 Poincaré, Raymond, 22, 33, 35, 47, 49, 105, 259, 262, 292, 323, 338, 434 Pokrovskij, M. N., 188, 194, 216 Pompiii, Kardinalvikar, 349 Ponsonby, Arthur, 118 Posse, Hans, 324 Potemkin, V. P„ 470, 471 Price, M. Philips, 12 Prittwitz u n d Gaffron, Friedrich von, 405 Pudovkin, V. I., 205, 219 Pünder, Hermann, 357, 369 Quiring, Franz,
246,
411,
100,
293,
353, 357, 390, 396
Radek, Karl, 51, 52, 145, 241 Radowitz, Otto von, 131, 206 Rakovskij, Ch. G„ 132 Ramek, Rudolf, 160, 162 Rasch, Ferdinand, 82 Rathenau, Walter, 15, 17, 21, 29, 72, 121, 337, 430 Raumer, Hans von, 17, 157, 165, 328, 370, 396-399, 416 Rauscher, Ulrich, 124, 245 Rauschning, Hermann, 458 Rechberg, Arnold, 123, 261-263, 316, 339 Reinecker, E„ 400 Reinhardt, Max, 194, 205 v Reisner, Larissa, 60 Remmele, Hermann, 377, 378 Renn, Ludwig, 204, 377 Reusch, Paul, 301 Reuter, Wolfgang, 400, 404 Revelstoke, Lord, 317 Rheinbaben, Werner Frhr. von, 87, 294, 364, 403 Richter, Regisseur, 205
85, 369,
338,
334,
Richter, Ministerialdirektor, 219 Rickmers, W. R„ 218 Ritscher, S., 230 Ritter, Theodor, 82, 234, 305, 394 Rockefeller, John D., 390 Rodenberg, Hans, 205 Rodenwaldt, Gerhart, 217 Rohm, Ernst, 450 Roosevelt, Franklin D., 472, 473 Rosenberg, Alfred, 261, 459, 461, 464-466, 469, 478 Rosenberg, Friedrich Hans von, 32, 33 Rotstejn, F. A. 106, 108, 180, 240 Rowohlt, Ernst, 192 Rozenberg, M. I., 451 Rozengolc, A. F., 272 Rubiner, Frieda, 203 Rudzutak, Ja. E., 314, 315 Rumbold, Sir Horace, 348, 361, 389, 451 Rykov, A. I., 68, 132, 234, 286, 287, 373 Sabanin, A. B„ 15, 94 Sacco, Nicola, 296 Sack, Rudolf, 385 Sackett, M. Frederic, 412 Sadathieraschwili, Basilius, 262 Sadoul, Jacques, 268 Saefkow, Anton, 378 Saposnikov, B. M., 276 Saposnikov, N. N., 90 Scerbakov, D. I., 218 Schacht, Hjalmar, 67, 99, 104, 147, 243, 258, 316, 325, 330, 339 Schäffer, Hans, 231, 304, 307, 310, 314, 395, 397 Schätzel, Georg, 354 Schaxel, Julius, 222 Scheffer, Paul, 139, 352 Scheidemann, Philipp, 273 Schiller, Friedrich von, 214 Schiller, Otto, 222 Schlageter, Leo, 52 Schleicher, Kurt von, 263, 424, 448, 452-454, 456 Schlesinger, Moritz, 29, 76, 78, 155, 184, 230, 233, 279, 280, 302, 304, 310, 317, 389, 408, 410, 415, 416, 419 Schmidt, Hans, 207 Schmidt, O. J., 218 Schmidt-Ott, Friedrich, 189, 198, 209, 212-214, 216, 217, 219, 220 Schneidratus, Werner, 207 Schneller, Ernst, 54, 180, 196, 202 Schoenaich, Paul von, 196 Schreiber, Christian S., Bischof, 357 Schreiner, Albert, 196 Schubert, Carl von, 99, 135, 137, 142,
242, 337,
449, 156, 311,
210,
152,
Personenregister 160, 163, 164, 169-171, 173, 176-179, 231, 248, 249, 252, 272-276, 279-281, 286, 293, 302, 303, 306, 308, 314, 317, 319, 322, 325, 328, 342, 351, 367, 389, 395, 396, 429 Schurman, J. G., 176 Schwendemann, K„ 291 Scialoja, Vittorio, 284, 285 Seeckt, Hans von, 29, 30, 43, 54, 162, 270, 272, 273, 430, 443 Seipel, Xgnaz, 128 Sejnman, A. L., 314, 315, 351 Semasko, N. A„ 190, 211, 215, 222, 223 Serebrovskij, A. P„ 229 Sergej, Metropolit, 349 Sering, Hans, 220 Severing, Carl, 109 Seyda, Marian, 59 Siemens, Carl Friedrich von, 86 Silverberg, Paul, 358 Simon, Sir John, 406, 470 Simson, E. V., 301 Sjöberg, Ministerialrat, 74 Skirmunt, Konstanty, 436 Skoropadskyj, P. P. 261, 263, 358 Skrzynski, Alexander Graf, 124, 144, 146, 147, 163 Slejfer, I. O., 315 Smirnov, J. A., 232 Sokol'nikov, G. Ja., 65 Solmssen, Dr. Georg, 352 Sorge, 301 Speidel, Helm, 271 Stählin, Karl, 190, 215, 217 Stalin, J. W., 34, 35, 65, 73, 85, 114, 225, 255, 256, 286, 287, 347, 374, 375, 379, 426, 441, 442, 476 Stange, A. A., 76, 208, 215 Stanislavskij, K. S„ 205 Stasova, Elena D., 56 Stegerwald, Adam, 354 Stein, Ludwig, 21, 131 Stejn, B. E„ 81, 246, 290, 291, 354, 366, 444, 448 Steklov, J. M„ 41 Stern-Rubarth, Edgar, 121 Sthamer, Friedrich, 163, 164, 171, 180, 231, 238-240, 243, 245, 250, 253, 254, 301, 321 Stimson, Henry Louis, 341 Stinnes, Hugo, 32, 84 Stoecker, Walter, 50, 69, 156, 157, 196, 338 Stöcker, Helene, 192, 196, 197 Stolper, Gustav, 334, 359, 375, 393, 401 Stomonjakov, B. S., 24, 39, 66, 70, 72-75, 77, 82, 84-86, 90, 200, 231-234, 247, 252, 293, 324, 336, 338, 343, 390, 391, 394, 436, 472, 474 Stresemann, Gustav, 39, 47, 53, 60, 96, 97,
511 99, 102, 104-109, 120-122, 131, 141, 142, 152-156, 158, 160, 162, 167, 169-172, 174, 177-180, 214, 235, 241, 242, 244, 245, 249-253, 267, 272-275, 280-285, 287, 288, 300, 303, 304, 308, 309, 315-318, 328, 330, 333, 336, 338-341, 354, 362, 391 Strong, Benjamin, 242, 243 Strónski, St., 126, 146 Stücklen, Daniel, 351 Studnicki, Wladislaw, 123, 124 Sumarokov, Michael, 336 Suric, Jakov Sacharovic, 448 Syrmus, Julius E„ 207
135-139, 163, 166, 232, 234, 258, 263, 292, 294, 322-325, 359, 361,
Tardieu, André, 357, 434, 437, Taut, Bruno, 207 Tennenbaum, Henryk, 144, 145 Thalheimer, August, 50 Thälmann, Ernst, 47, 55, 60, 113, 161, 165, 295, 296, 331, 362, 376, 379, 424, 457 Thyssen, 84 Tolstoi, Leo, 204 Tomskij, M. P„ 373 Tournes, Militàrattaché, 262 Trautmann, Oscar, 105, 220, 241, 253, 275, 276, 282, 283, 325, 358, 365, 366, 372, 394, 395, 412, 440 Trautmann, Reinhold, 215 Treviranus, Gottfried, 362 Trockij, L. D„ 11, 63, 67, 112, 115, 225 Tschang Tso-lin, 286 Tschiang Kai-schek, 253, 283, 295, 340, 342 Tuchacevskij, M. N., 271, 276, 277, 452 Twardowski, Fritz von, 277, 344, 380, 392, 394, 439, 440, 478-481 Tyrrell, William Sir, 125, 262, 339, 433 Uborevic, I. P., 271, 275 Ulbricht, Walter, 53 Unslicht, I. S., 272, 275 Urquhart, Leslie, 22, 72, 81 Vandervelde, Emile, 284, 285 Vansittart, Sir Robert, 436 Vanzetti, Bartolomeo, 296 Varga, Eugen, 71, 88, 90, 149, 150, 199, 210 Vasmer, Max, 219 Vavilov, N. I., 213 Vejcman, S. E„ 68 Veller, R„ 193, 215 Vierkandt, Alfred, 215 Vinter, A. V., 386 Vladimirskij, M. F., 223 Vogeler, Heinrich, 206 Vogler, Albert, 330, 339, 405, 412 -
512 Vogt, Oskar, 222, 223 Vojkov, P. L„ 144-147, 180, 250 Voldemaras, Augustin, 253 Vorosilov, K. E„ 275-277, 336, 441, 442 Vorovskij, V. V., 12, 34, 38, 39, 52, 289 Vrangel', P. N., 24, 254 Wagner, Otto, 459 Wagner, Richard, 214 Walch, General, 262 Waldhauer, Oscar, 217 Wallroth, Erich, 76, 77, 92, 93, 99, 151, 153, 240, 243, 279, 281, 284, 302, 308-312, 315, 316 Walsch, Edmund A„ 127 Walter, Bruno, 208 Walther, Andreas, 215 Wangenheim, A. Frhr. von, 348, 370, 414 Warmbold, Hermann, 417 Warski, Adolf, 148 Wassermann, Oscar, 301 Weber, Eugen, 261 Weiskopf, F. C„ 204, 377 Weifj, Regierungsdirektor, 96 Weismann, 336 Weizer, I. I., 462 Weizsäcker, Ernst von, 291, 432, 449 Westarp, Kuno Graf von, 263, 294, 358 Westphal, Wilhelm, 188, 189, 209, 220
Personenregister Wetzell, General Georg von, 273 Wiedenfeld, Kurt, 21, 70, 74 Wiedfeldt, Otto, 33, 116 Wiegand, Karl, 459 Wiley, Botschaftsrat, 465 Wilson, Thomas Woodrow, 292 Winkler, Martin, 215 Wirth, Joseph, 17, 30, 32, 36, 87, 88, 103, 157 265, 354, 367 Wise, E. F., 39 Wissel, Rudolf, 354 Wolf, Friedrich, 205 Wolff, Otto, 84-86, 229, 230, 234, 236, 305, 308, 358, 418 Wolscht, Theodor, 143 Wyneken, Gustav, 221 Wysocki, Alfred, 465, 466 Young, Hilton, 44 Young, Owen D„ 329, 330 Zaleski, August, 241, 245, 362, 465 Zamoyski, Maurycy Graf, 124 Zech-Burkersroda, Julius Graf von, 264 Zechlin, Walter, 336, 351 Zetkin, Clara, 49-51, 56, 162, 194, 202, 221 Zinov'ev, G. E„ 60, 65, 115, 117, 225 Zörgiebel, Karl, 330, 335