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German Pages 509 [513] Year 2015
KRÖNERS TASCHENAUSGABE BAND 163
Sophokles Die Tragödien Übersetzt von Heinrich Weinstock Neu herausgegeben und eingeleitet von Bernhard Zimmermann
6., gründlich überarbeitete und neu eingeleitete Auflage
ALFRED KRÖNER VERLAG STUTTGART
Sophokles Die Tragödien Übersetzt von Heinrich Weinstock Neu herausgegeben und eingeleitet von Bernhard Zimmermann 6., gründlich überarbeitete und neu eingeleitete Auflage Stuttgart: Kröner 2015 (Kröners Taschenausgabe; Band 163) ISBN Druck: 978-3-520-16306-6 ISBN E-Book: 978-3-520-16391-2
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Inhalt Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII
Aias Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Die Trachinierinnen Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
Antigone Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
König Oidipus Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
Elektra Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
Philoktet Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
Oidipus auf Kolonos Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364
Anhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 1. Zur Übersetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 2. Aufführungsbedingungen des griechischen Dramas. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 3. Überlieferung der Tragödien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 4. Struktur und Metrik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 Stammbäume. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 Glossar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464
Vorwort I. Oidipus und Philoktet, Antigone und Elektra: Die tragischen Gestalten von sechs der sieben erhaltenen Tragödien des Sophokles bestimmen bis in die jüngste Gegenwart hinein die Spielpläne der Theater, sie reizen seit der Antike die Dramatiker zu immer neuen produktiven Auseinandersetzungen, die Philologen und Philosophen zu immer neuen Ausdeutungen. Nicht erst Aristoteles, für den Sophokles, vor allem der König Oidipus, in der Poetik (entst. wohl vor Platons Tod im Jahr 347 v. Chr.) in mehrfacher Hinsicht der Höhepunkt, das Telos der Tragödie ist, sondern schon die Zeitgenossen bewunderten den produktiven, 495 in dem attischen Demos Kolonos geborenen Tragiker, der nach seinem Debut mit gerade 25 Jahren im Jahre 470 bis zu seinem Tod im Sommer des Jahres 406 28 Tetralogien, also 112 Stücke, verfasste, zu denen noch der postum aufgeführte Oidipus auf Kolonos kommt. Die Athener schätzten ihn derart, dass er 18 oder gar 24 Siege im Wettstreit (Agon) der Tragiker errang (s. S. 444 ff.), den ersten bereits zwei Jahre nach dem Debut im Jahre 468, der ihm, wie die antike Tradition will, über Ais chylos gelang. Den dritten, also letzten Platz belegte er nie. Die Hochachtung vor dem Dichter schlug sich nach antiken Berichten auch darin nieder, dass er mit hohen Staatsämtern betraut wurde, dem Amt des Hellenotamias, des Finanzministers des attisch-delischen Seebundes, im Jahre 443/442, dem Kommando als Admiral im Samischen Krieg (441/440), das ihm aufgrund des Erfolgs der Antigone übertragen worden sein soll, und zwei weiteren Strategenämtern in der Zeit des Peloponnesischen Kriegs (428/423). Die zehn Strate-
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gen (›Feldherrn‹) waren die einzigen Beamten der attischen Demokratie, die ihr Amt durch Wahl und nicht durch Los erhielten. Dazu kommt die aus demokratischer Sicht eher anrüchige Tätigkeit als Probule (›Vorberater‹). Diese Behörde, ein oligarchisches Kontrollorgan der radikalen Demokratie zwischen 413 und 411, hatten die Athener nach der verheerenden Niederlage auf Sizilien, für die die Schuld der Demokratie zugewiesen wurde, eingeführt, um zu verhindern, dass künftig »jeder Bürger, der will« – so die offizielle Formulierung – in der Volksversammlung Anträge stellen konnte. Außerdem war Sophokles als Priester eines Heros Halon an der Einführung des Kultes des Heilgottes Asklepios in Athen beteiligt und soll dafür nach seinem Tod als Heros Dexion verehrt worden sein. Wie Euphorion, der Sohn des Aischylos, war auch Sophokles’ Sohn Iophon als Tragödiendichter tätig. Er soll 50 Stü cke verfasst haben, von denen nur wenige Verse erhalten sind. In den aristophanischen Fröschen (V. 78 f.) wird ihm Abhängigkeit von seinem Vater unterstellt, aber nicht unbedingt mangelnde Qualität. Das angebliche Zerwürfnis zwischen ihm und seinem Vater ist sicher anekdotisch, vielleicht gar aus einer Komödie gewonnen. Aus der Verbindung mit einer Theoris aus Sikyon hatte Sophokles einen zweiten Sohn namens Ariston, dessen nach dem Großvater benannter Sohn 401 den Oidipus auf Kolonos postum aufführte und im 4. Jahrhundert als Tragiker erfolgreich war. Das besondere Ansehen, das Sophokles in Athen genoss, spiegelt sich auch darin wider, dass ihn die Komödiendichter des 5. Jahrhunderts, allen voran Aristophanes, mit ihrem Spott verschont zu haben scheinen. Während Aischylos und Euripides immer wieder parodiert werden, der eine wegen seiner erhabenen Dunkelheit, der andere wegen seines Modernismus, findet Sophokles lobende Erwähnung. Aristophanes nennt ihn in den Fröschen, die etwa ein halbes Jahr nach Sophokles’ Tod aufgeführt wurden, ›in sich ruhend‹, ›in innerer Balance stehend‹, man könnte das Adjektiv εὔκολος (eúkolos)
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in V. 82 sogar mit ›klassisch‹ übersetzen. Ähnlich äußert sich der Komödiendichter Phrynichos, der in der ebenfalls 405 aufgeführten literaturkritischen, in nur wenigen Fragmenten erhaltenen Komödie Die Musen Sophokles einen rühmenden Nachruf widmet (Fr. 32, Poetae Comici Graeci, Bd. 7): Glückseliger Sophokles, der nach einem langen Leben Als glücklicher und rechtschaffener Mann gestorben ist; Er hatte einen schönen Tod, nachdem er viele schöne Tragödien Gedichtet hatte und nie ein Leid ertragen musste.
In der gesamten antiken Literaturtheorie wird durchgängig auf die Ausgewogenheit der sophokleischen Tragödien und auf seine Mittelstellung zwischen Aischylos und Euripides hingewiesen.
II. Von den 113 Stücken des Sophokles sind wie im Falle des Aischylos sieben Tragödien erhalten, deren Datierung mit der Ausnahme des Philoktetes (409) und des Oidipus auf Kolonos (postum 401 aufgeführt) umstritten ist. Für die übrigen Stü cke lässt sich eine relative Chronologie nur nach strukturellen und inhaltlichen Kriterien erstellen. Es muss jedoch betont werden, dass über diese Chronologie keineswegs Übereinstimmung in der Forschung besteht. Man sollte sich gerade im Fall des Sophokles stets vor Augen halten, dass wir nur über einen minimalen Anteil seines umfangreichen Werkes verfügen und es deshalb methodisch äußerst fragwürdig ist, auf dieser schmalen Materialbasis eine sprachliche oder inhaltliche Entwicklungslinie nachvollziehen zu wollen. Aufgrund struktureller Gemeinsamkeiten, der sogenannten ›Diptychonform‹ – die Stücke bestehen aus zwei Handlungsblöcken, die die Person des Protagonisten zusammenhält – werden Aias und Trachinierinnen in die 50er oder 40er Jahre gelegt. Nach einer antiken Nachricht sei Sophokles wegen des Erfolgs, den er mit der Antigone errungen
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hatte, zum Admiral im Samischen Krieg gewählt worden. Für die Aufführung der Tragödie kommen demnach, vorausgesetzt, die Notiz ist korrekt und keine biographische Legende, die Jahre 443/442 in Frage. Den König Oidipus hatte man früher als einen Reflex auf die große Seuche verstanden, die 430/429 in Athen wütete und der auch Perikles zum Opfer fiel. Inzwischen interpretiert man die Pest, die in Theben herrscht und die den Ausgangspunkt des König Oidipus darstellt, als literarischen Topos, wie er seit dem ersten Buch von Homers Ilias (7. Jh. v. Chr.) in der griechischen Literatur präsent ist: Durch das Fehlverhalten eines Einzelnen kommt Unheil über das ganze Gemeinwesen. Für die Aufführung des König Oidipus kommen eventuell die 30er Jahre in Frage (436 – 433). Die Elektra wird wegen der vergleichbaren Charakterzeichnung der Protagonistin in die Nähe des 409 aufgeführten Philoktet gerückt (ca. 414 – 411). Das Verhältnis zur euripideischen Elektra ist umstritten.Wenn man die Priorität der Elektra des Euripides annimmt, kann man Sophokles’ Stück als Reaktion auf die euripideische Tragödie ansehen. Beide Elektren – sowohl die des Euripides als auch die des Sophokles – kann man als Auseinandersetzung mit Aischylos, dem Altmeister der Gattung, ansehen, dem als einzigartiges Recht nach seinem Tod 456 v. Chr. das Wiederaufführungsrecht für seine Stücke zugesprochen wurde, so dass er das ganze 5. Jahrhundert hindurch auf der Bühne präsent war. Sophokles hat durch die Einführung des dritten Schauspielers die Spielmöglichkeiten des griechischen Theaters beträchtlich erweitert (Aristoteles, Poetik, c. 4, 1449a18). Die Anzahl der Mitglieder des tragischen Chores erhöhte er von 12 auf 15. Im Bereich der Inszenierung hat er – wiederum nach Aristoteles’ Poetik (c. 4, 1449a18) – die Bühnenmalerei (skenographía) erfunden. Im Gegensatz zu Aischylos nimmt in seinen Stücken das lyrische, das heißt gesungene Element einen geringen Raum ein. Nur in von höchstem Pathos bestimmten Szenen lässt er den Chor in einen Wechselgesang mit einem Schauspieler eintreten (›Amoibaion‹). Im Gegen-
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satz zu seinem Zeitgenossen Euripides vermeidet Sophokles – jedenfalls in den erhaltenen Tragödien – die im letzten Viertel des 5. Jahrhunderts beliebte Form der Soloarie (›Mono die‹). Dies weist darauf hin, dass er größeres Gewicht auf das gesprochene, reflektierende Wort als auf lyrisch-pathetische Übersteigerung legte. So nimmt es nicht Wunder, dass Aris toteles in der Poetik die Tragödien des Sophokles, insbesondere den König Oidipus, als Vollendung der Gattung ansieht, da der Philosoph aus Stageira der Vertonung (melopoiía) wie der Inszenierung (ópsis) keinen hohen Wert beimisst, sondern betont, die literarische Qualität und Wirkung einer Tragödie müsse sich allein in der Lektüre erschließen (Poetik c. 7, 1450b15 –20). In dieser Geringschätzung, die Aristoteles dem musikalischen Element entgegenbringt, dürfte auch sein Lob begründet sein, das er Sophokles für die Konzeption seiner Chöre erteilt (Poetik, c. 18, 1456 a25 –32). Indem er herausstreicht, dass Sophokles den Chor wie einen Schauspieler einsetze, verweist er implizit darauf, dass er großen lyrischen Partien in einer vollendeten Tragödie keinen Platz einräumt.
III. Den besten Zugang zu Sophokles’ Werk bietet ein Selbstzeugnis, das der frühkaiserzeitliche Autor Plutarch (45 –120 n. Chr.) in seiner Schrift Über Fortschritte in der Tugend 7, 79B dem Dichter zuschreibt. Seine Entwicklung als Dichter habe sich in drei Stufen vollzogen: Zuerst habe er sich aus der Abhängigkeit von Aischylos befreit, sodann das Herbe und Gekünstelte seiner eigenen Art abgelegt, bis er schließlich zu einer Sprachform gefunden habe, die am ›charakteristischsten‹, das heißt, die dem Charakter der handelnden Personen am angemessensten sei. Bereits die Zeitgenossen – Zeugnis sind wieder die Frösche des Aristophanes – sahen die Nähe und die Berührungspunkte der tragischen Konzeption von Sophokles und Aischylos. So erhebt in den Fröschen Sophokles im Gegensatz zu Euripides keinen Anspruch auf den Thron
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der tragischen Muse, den Aischylos innehat, sondern erweist dem Altmeister seine Reverenz (V. 786 –789), und als Aischylos am Ende der Komödie von dem Theatergott Dionysos mit hinauf in die Welt der Lebenden genommen wird, um den Athenern in der schwersten Krise der Stadt kurz vor der Niederlage gegen die Spartaner mit seinem Rat beizustehen, ernennt er Sophokles zu seinem Statthalter in der Unterwelt (V. 1515 –1519). Das Selbstzeugnis über seine Entwicklung als Dichter, die Sophokles als eine behutsame Emanzipation von Aischylos beschreibt, lässt sich bei der Interpretation der Tragödien nachvollziehen. Während bei Aischylos der Mensch in seinem Verhältnis zu Gott, das Wechselspiel von menschlicher Schuld und göttlicher Vergeltung und – im Rahmen einer großangelegten Theodizee – die Frage nach dem Sinn von Sühne und menschlichem Leid im Zentrum stehen, lenkt Sophokles den Blick auf Menschen in Extremsituationen. Bedingt durch das Exzeptionelle ihres Schicksals entfaltet sich, ausgelöst durch äußeren Druck, der außergewöhnliche Charakter einer Antigone, einer Elektra, eines Aias, Oidipus oder Philoktet. Die Überzeugung, das Rechte zu tun, treibt sie zum Handeln, lässt sie taub gegen Kritik und Einwände werden, auch wenn diese gut gemeint sind. Aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur können sie nicht anders. Sie sind autonome Persönlichkeiten, die, unabhängig von der Meinung der Umwelt, nach ihren eigenen Gesetzen leben und allein die Konsequenzen ihres Verhaltens tragen, ja, wie im Falle Antigones oder Elektras jede wohlgemeinte Hilfe schroff zurückweisen. Der Chor in der Antigone bringt im Dialog mit der tragischen Heldin diese Persönlichkeitsstruktur der sophokleischen Protagonisten auf den Punkt (V. 821 f.): »Nach deinen eigenen Gesetzen, autonom lebend, wirst du nun allein in die Unterwelt hinabgehen.« Und wenig später spricht er es deutlich aus (V. 875): »Dir hat deine selbstgewählte charakterliche Disposition (αὐτόγνωτος ὀργά/autógnotos orgá) den Untergang gebracht.« Das Wort, das am besten diese Kon-
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zeption beschreibt, ist das Substantiv αὐθαδία (authadía), gebildet aus αὐτός (autós, ›selbst‹) und ἅνδάνο (andáno, ›freuen‹), das eine Person beschreibt, die sich an sich selbst freut, die sich – und dies eher im negativen Sinne – selbst genügt. Die Kompromisslosigkeit der sophokleischen Protagonis ten grenzt häufig an ein monomanes Verhalten, bisweilen überschreitet sie sogar die Grenze zur Monomanie. Aias ist – darin Philoktet vergleichbar – unerbittlich in seinem Hass auf die griechischen Heerführer Agamemnon und Menelaos; Elektras einziger Lebensinhalt ist der abgrundtiefe Hass gegen die Mutter Klytaimestra und Aigisth. Aias ist wie Elektra unerbittlich gegen sich selbst, da er sich entehrt fühlt. Nur der Tod bleibt ihm, um die Schmach zu tilgen. Elektra sucht geradezu die Demütigung, um ihren Hass am Glühen zu halten. Ähnlich monoman ist Oidipus in seinem Trieb, die Wahrheit aufzudecken. Neben dieser Ausschließlichkeit, neben dieser Monomanie, verblassen die sozialen Beziehungen und Pflichten: Aias lässt seine Familie und seine Soldaten ohne Schutz allein vor Troja zurück, Oidipus treibt Iokas te in den Tod, Antigone und Elektra verweigern sich dem Zuspruch ihrer Schwestern Ismene und Chrysothemis, Philoktet nimmt billigend den Tod vieler Griechen vor Troja in Kauf, auch derer, die an seinem Leid keine Schuld tragen. Eng verwandt mit dieser Kompromisslosigkeit ist die Überzeugung der sophokleischen Helden, den Willen der Götter erkennen, deuten oder gar zurechtbiegen zu können.
IV. Diese tragische Konzeption wird schon in dem vermutlich ältesten Stück, dem Aias, deutlich. Einer der herausragenden Kämpfer auf griechischer Seite vor Troja ist in der homerischen Ilias Aias, der Sohn des Telamon von der Insel Salamis. Sein Mut und seine Kampfeskraft sind für die Griechen vor Troja vor allem im Kampf um die Schiffe in der zweiten Hälfte der Ilias von großem Nutzen. Obwohl Aias Odysseus
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an Redegewandtheit nicht gleichkommt, spielt er eine wichtige Rolle in der Gesandtschaft an den zürnenden Achill im 9. Buch der Ilias. Nach dem Tod Achills entbrennt ein heftiger Streit um die Waffen des Helden. Die Heerführer, Menelaos und Agamemnon, sprechen die Waffen Odysseus zu, obwohl Aias als Verwandter und größter Held nach Achill seine Ansprüche geltend gemacht hatte. Gedemütigt will Aias die griechischen Heerführer aus Rache ermorden. Doch die Göttin Athena verhindert das nächtliche Blutbad. Sie schlägt Aias mit Wahnsinn und lässt ihn anstelle der griechischen Helden Herdenvieh niedermetzeln. An diesem Punkt des Mythos beginnt das Stück des Sophokles. Der erste Teil zeichnet den Weg des Aias aus seiner Verblendung zur Erkenntnis seiner Tat, die ihm vor den Augen der Griechen einen nicht wieder gutzumachenden Ehrverlust einbringt. Nur der Selbstmord bleibt ihm als letzter Ausweg (V. 1– 865). Doch auch im zweiten Teil nach Vers 866 bestimmt der Held das Geschehen. Mit der Arroganz der Überlegenen verbieten Menelaos und Agamemnon die Bestattung des Toten. Erst Odysseus, eingedenk der mahnenden Worte der Göttin Athena, nie das rechte Maß (σωφροσύνη/ sophrosýne) zu verlassen, kann die Atriden umstimmen. Die Konzentration auf den Helden, der durch seine Entschlüsse das Denken und Handeln seiner Umwelt bestimmt, spiegelt sich in der Feinstruktur der Tragödie wider. Sophokles lässt Aias drei große Monologe sprechen. Im ersten, in den Versen 430 – 480, nach der Erkenntnis der im Wahnsinn begangenen Tat, macht Aias Tekmessa, seiner Nebenfrau, klar, dass ihm nach dieser Tat nur noch der Selbstmord bleibe. Seine zweite große Rede richtet er an seinen kleinen Sohn Eurysakes, der Monolog ist gleichsam Aias’ Testament (V. 545 – 583). Doch zum Erstaunen der salaminischen Seeleute, die den Chor bilden, scheint Tekmessa den unbeugsamen Sinn des Herrn umgestimmt zu haben. In einer langen Rede (V. 646 – 692), einer ›Trugrede‹, wie sich kurz danach zeigen wird, bekennt Aias, dass er zur Besonnenheit gekom-
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men sei (V. 677), dass der Appell Tekmessas seine Wirkung gezeigt habe und er sich an einem einsamen Ort am Strand von der Schmach reinigen wolle. In völliger Einsamkeit am Meer hält Aias seine vierte und letzte Rede (V. 815 – 865). Sophokles hat durch den Auszug des Chores während des Stücks die Möglichkeit geschaffen, den Helden in völliger Einsamkeit seine Abschiedsrede halten zu lassen, bevor er sich ins Schwert stürzt. Motiviert wird der Chorauszug – für den zeitgenössischen Zuschauer ein Signal für Ortswechsel – dadurch, dass ein Bote des Teukros, Aias’ Halbbruder, von einem Orakel des Sehers Kalchas berichtet. Nur diesen einen Tag müsse Aias im Zelt bleiben, wenn man sein Leben retten wolle. Denn nur an diesem heutigen Tag werde er vom Zorn der Gottheit verfolgt. So brechen Tekmessa und der Chor unverzüglich auf, um Aias zu suchen, obwohl nach dem Wortlaut des Orakels bereits jede Hilfe zu spät kommt. Im Aias lässt Sophokles zwei konträre Weltauffassungen, zwei unvereinbare Wertevorstellungen aufeinanderprallen. Der in den traditionellen Adelsnormen verhafteten Weltsicht des Aias, für den Ehre (τιμή/timé) der alles beherrschende Gedanke ist, stellt er in Tekmessa eine Auffassung der Verantwortung der Menschen füreinander entgegen. In ihrer Antwort auf Aias’ erste große Rede, in der er den Selbstmord als einzigen Ausweg aus seiner Schmach sieht, nimmt Tekmessa eine Interpretation der homerischen Adelsehre aus ihrer Sicht vor: Die Ehre des Helden werde gerade dadurch verletzt, wenn sie und der kleine Eurysakes nach dem Tod des Aias von Feinden verschleppt würden (V. 485 – 524). Der timé des Aias stellt sie den Begriff der aidós (αἰδώς) entgegen, der ›Achtung‹, des ›Respekts‹ vor Vater und Mutter, vor ihrem Sohn Eurysakes und vor ihr selbst, sowie die Fürsorgepflicht gegenüber all den anderen, die von Aias abhängen, gegenüber der Familie und den Matrosen von der Insel Salamis. Sie beansprucht für den privaten Bereich der Familie, für den oikos, eine gleichberechtigte Stellung neben dem heroischen Bereich, den Aias vertritt, und betont, dass Ehre auch gerade
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darin bestehe, den oikos zu schützen. Indem sie jedoch die Verantwortung allen, auch den Matrosen gegenüber betont, war ihre Auffassung für den Zeitgenossen geradezu modern, im demokratischen Verständnis des 5. Jahrhunderts verwurzelt. Denn in der Flotte, seit den Perserkriegen die Basis der athenischen Macht, leisteten attische Bürger der untersten Schicht, die ›Theten‹, Dienst als Matrosen. Für die attische Demokratie war eine der zentralen Fragen, wie der Adel in das radikaldemokratische System eingebunden werden konnte, wie sich aristokratische Einzelinteressen und Gemeinwohl zueinander verhalten sollten. Doch Aias kann die Werte, für die Tekmessa einsteht, nicht verstehen. Maßlos in seinem Hass auf die griechischen Heerführer, maßlos in seiner Selbstsucht, in seiner Fixiertheit auf seine Ehre, ist er taub für Worte der Mäßigung, ist er unfähig, ein von Maß und Einsicht (sophrosýne) geleitetes Verhalten an den Tag zu legen. Damit verstößt er gegen das göttliche Gebot, das im Prolog der Tragödie die Göttin Athena Odysseus gegenüber als wichtigste Maxime menschlichen Handelns genannt hatte, nämlich sich in seinen Taten immer am rechten Maß zu orientieren. Denn – so die Worte der Göttin – »die Götter lieben die maßvollen Menschen, und sie hassen die Schlechten« (V. 132 f.). Angesichts dieser mahnenden Worte der Göttin und mit Odysseus als positivem Gegenbild, der sich die sophrosýne zur Richtschnur seines Handelns genommen hat, ist Aias’ Verhalten pure Hybris, eine ständige Verletzung der den Menschen von den Göttern gesetzten Grenzen. Hybris, ›Grenzverletzung‹, ›Anmaßung‹, ›Frevel‹, ist denn auch das zentrale Wort der Tragödie.Von 37 Belegstellen im Werk des Sophokles finden sich allein 14 im Aias. Nur in seiner Trugrede, mit der sich Aias seine Mitmenschen vom Leibe halten will, um in Ruhe durch den Selbstmord die Schmach zu tilgen, beruft er sich auf die sophrosýne und trifft damit, ohne dies zu wollen, das Richtige. Dieser Einsatz der tragischen Ironie wird sich in den Trachinierinnen wieder finden
Vorwort XVII
Bezeichnend für die Konzeption der Tragödie ist die Rolle, die Troja und Homer, die homerischen Modelle, im Aias spielen. In zwei Episoden wird die Landschaft um Troja direkt apostrophiert. Im vierten Strophenpaar des lyrischen Dialogs, den Aias nach der Erkenntnis seiner entehrenden Tat mit Tekmessa führt, ruft der verzweifelte Held klagend die umgebende Natur an, die Meeresströmungen, die Höhlen am Strand, den Hain an der Küste, die Fluten des trojanischen Flusses Skamandros (V. 412 – 427). Die Menschen, die ihn trösten, die ihn vom Selbstmord abhalten wollen, nimmt Aias nicht wahr. Nur die trojanische Landschaft, der Ort seiner Heldentaten, ist ihm ein angemessener Ansprechpartner; zu den Menschen hat er jeden Kontakt verloren. Dies macht Sophokles schon auf der strukturellen Ebene deutlich: Der Form nach sind die Verse ein Wechselgesang, in Wirklichkeit jedoch ein Solo des Aias, eine Monodie, da er auf die anderen Stimmen nicht hört. Bezeichnenderweise sind in Aias’ Abschiedsmonolog die letzten Worte, bevor er sich ins Schwert stürzt, ebenfalls an die trojanischen Gefilde gerichtet (V. 862– 865). Die Natur – die Quellen, die Flüsse, die Ebene vor Troja – nimmt die Rolle der Mitmenschen ein, sie ist ihm Vater und Mutter zugleich. Dieser trojanische Hintergrund des gesamten Stücks wird in einer zentralen Passage durch ein nicht zu übersehendes homerisches Modell verstärkt, das bereits im Prolog anklingt – Athenas Rettung der griechischen Heerführer evoziert das erste Buch der Ilias, die Auseinandersetzung zwischen dem in seiner Ehre gekränkten Achill und Agamemnon sowie Athenas Eingreifen. Im Mittelteil der Tragödie, in einer Dreierszene von Aias, Tekmessa und dem kleinen Eurysakes, evoziert Sophokles sowohl vom Szenentyp der Abschieds situation her als auch durch wörtliche Anklänge das 6. Buch der Ilias, den Abschied Hektors von Andromache und dem kleinen Astyanax. Für Andromache ist Hektor der einzige Halt im Leben. Wenn er sterben sollte, bleibt ihr kein Trost mehr, sie wird völlig einsam und ausgeliefert sein, da Vater
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und Mutter tot sind (V. 411 ff.). Und in deutlichem HomerAnklang, wodurch die Unterschiede zwischen Hektor und Aias umso mehr auffallen, beschwört Tekmessa Aias in der sophokleischen Tragödie, zur Vernunft zu kommen, da er ihr als einziger Halt ihres Lebens geblieben sei (V. 514 ff.). Der homerische Hektor in der Ilias ist angesichts der Verzweiflung seiner Gattin Andromache von Mitleid gerührt. Aber seine Ehre verbietet es ihm, dem Kampf aus dem Wege zu gehen. Liebevoll streckt er die Arme nach seinem Söhnlein aus, das schreiend, erschreckt vom mächtigen Helmbusch des Vaters, sich an die Amme schmiegt. Lächelnd, gerührt, nimmt Hektor den Helm ab, legt ihn auf die Erde, nimmt liebevoll den Kleinen in die Arme und betet zu den Göttern, dass sie den Sohn so werden lassen, wie er selbst war. Ja, in Zukunft sollten die Trojaner sogar sagen, wenn Astyanax vom Kampf zurückkehre, dass er den Vater an Tüchtigkeit übertreffe, und die Mutter solle sich an diesem Lob des Sohnes erfreuen. Ganz anders sieht die entsprechende Szene in der sophokleischen Tragödie aus. Sophokles evoziert sogar auf der sprachlichen Ebene das homerische Modell, um die Unterschiede zwischen dem Verhalten der beiden Heroen umso deutlicher aufscheinen zu lassen: Tekmessa hat ihren Sohn nicht bei sich. Sie fürchtet angesichts von Aias’ Raserei um sein Leben. Doch unerbittlich befiehlt Aias der Frau, den Knaben unverzüglich herbeizuschaffen. Ohne auf Tekmessa zu achten, nimmt er ihn in die Arme (V. 545 – 551). So heb ihn hoch, hoch hierher! Er wird sich ja nicht fürchten, wenn er dieses frisch vergossene Blut hier sieht, wenn er denn zu Recht mein Sohn will heißen und ganz nach des Vaters Art gerät. So muß man ihn, das Fohlen, nach des Vaters rauhen Sitten zureiten und ihn ihm angleichen. Mein Sohn, werde glücklicher als dein Vater, im übrigen aber gleich. Dann wirst du wohl nicht schlecht geraten!
Vorwort XIX
Während der homerische Hektor, zwar auch er seiner Ehre verpflichtet, Mitleid mit Frau und Kind empfindet (Ilias 6, V. 484), lächelnd die Angst des Kindes sieht und auf es Rücksicht nimmt, beachtet der sophokleische Aias Tekmessa, die Mutter seines Sohnes, überhaupt nicht und schließt von vorneherein aus, dass Eurysakes sich fürchten könne – fürchten nicht vor einem wippenden Helmbusch, sondern vor dem frisch vergossenen Blut der Tiere. Die Unterschiede werden auch in den Wünschen der beiden Väter deutlich: Hektor betet zu den Göttern, Astyanax möge ihn später zur Freude der Mutter an Tüchtigkeit übertreffen. Aias verlangt, Eurysakes nach seinem Modell zu formen, ihn ›zuzureiten‹. Dann werde ihm nichts fehlen. Nur mehr Glück als der Vater möge er im Leben haben. Sophokles entwirft vor der Folie der homerischen Ilias, die er ständig ins Gedächtnis ruft, modellhaft das Aufeinanderprallen von zwei völlig konträren Weltauffassungen. Dem konsequent seinen Weg gehenden, im traditionellen Adelsdenken gefangenen Aias stellt er in Odysseus und Tekmessa entgegengesetzte Weltsichten entgegen, eine von Maß (sophrosýne) und Gottesfurcht getragene Haltung des Odysseus und Tekmessas geradezu modern zu nennenden Appell an das Verantwortungsgefühl den Mitmenschen gegenüber. Gerade vor dem homerischen Hintergrund macht Sophokles deutlich: Aias fehlen die sozialen Kompetenzen, die der Chor im berühmten 1. Stasimon der Antigone besingt (V. 355 f. ἀστυνόμοι ὀργαί/astynómoi orgaí), so dass ihm im höchsten Maße das Epitheton »außerhalb der Gesellschaft lebend« (Antigone, V. 370: ἄπολις/ápolis) zukommt. Sophokles wertet jedoch nicht explizit – und dies hat in der Forschung immer wieder zu heftigen Diskussionen über die Schuld der sophokleischen Helden geführt –, aber gerade vor dem Hintergrund des 6. Buchs der Ilias, des Abschieds Hektors von der Familie, und der demokratischen Realität des 5. Jahrhunderts wird die Fragwürdigkeit von Aias’ Verhalten deutlich.
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V. In den Trachinierinnen (Mädchen aus Trachis, die den Chor bilden) liegt eine spiegelbildliche Umkehrung der im Aias verwendeten ›Diptychonform‹ vor: Während im Aias der Held im ersten Teil der Tragödie selbst anwesend ist und im zweiten Teil durch seinen Tod den Ablauf des Geschehens bestimmt, beeinflusst in den Trachinierinnen Herakles durch die bloße Botschaft von seinem Kommen im ers ten Teil (V. 1–946) die Handlungen seiner Umwelt, bevor er im zweiten Teil selbst erscheint. Die Trachinierinnen sind eine echte Doppeltragödie. Im Mittelpunkt des ersten Teils steht Herakles’ Gattin Deianeira, die sich – ähnlich wie Oidipus im König Oidipus – durch den Versuch, dem Schicksal zu entgehen, gerade darin verstrickt, ja, es sogar durch ihr Mitanpacken beschleunigt und erst, als es zu spät ist, durch Leiden zur Erkenntnis kommt. Sophokles steht mit dieser Handlungskonzeption ganz in der Nachfolge der aischyleischen Theologie, die der persische Großkönig Dareios, von seiner Frau aus der Unterwelt herausgerufen, um die furchtbare Niederlage der persischen Großmacht gegen das kleine Athen zu erklären, in die Worte fasst (Perser, V. 742): »Aber wenn einer zu viel Eifer an den Tag legt, dann greift auch die Gottheit mit an« – und beschleunigt seinen Untergang, muss man ergänzen. Wie Tekmessa im Aias wird auch Deianeira in ihrem Denken und Handeln von Hoffnung getrieben, von der Hoffnung, durch das verhängnisvolle Liebesmittel ihren Mann zurückzugewinnen. Die Charakterisierung der handelnden Personen ist äußerst ausgefeilt: Deianeira ist eine alternde Frau, die dem offenen Konflikt ausweichen will und zu geheimen Mitteln greift, um die Liebe ihres Gatten wiederzuerlangen. Sie kann und will die Realität nicht wahrhaben; wie Aias in seiner Trugrede (V. 646 ff.) zeigt auch sie nur in der Verstellung als verständnisvolle Ehefrau, die die Macht der Liebe kennt (V. 436 – 469), die richtige Einsicht in den Lauf der
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Welt. Hyllos ist als ein zwischen den beiden Elternteilen hinund hergerissener Sohn gezeichnet. Mit Lichas und dem Boten sind zwei Verhaltensmuster von Abhängigen entworfen: Lichas als treuer Diener seines Herrn, der Bote – ähnlich wie in der Antigone der Wächter – als Opportunist, der sich in die Gunst der Herrin einschleichen will. Herakles schließlich ist der Übermensch, der Halbgott, der im Gegensatz zu Deianeira seinen Tod mit Toben begleitet und selbst auf dem Sterbebett seinen letzten Willen den anderen ohne Rücksicht aufzwingt. Der Chor der trachinischen Mädchen stellt Deianeiras Vertrauensperson dar, an die sie sich in ihren schweren Entscheidungen wendet. Er begleitet das Handeln Deianeiras voller Anteilnahme. Der Chor ist also – ganz wie im Aias – vollkommen in die Handlung integriert, gleichsam ein weiterer Schauspieler. Wie später der König Oidipus stehen auch die Trachinierinnen unter dem Vorzeichen von zwei Orakeln, deren Zusammenhang, das Ende der Mühen und der Tod durch einen Toten, der sterbende Herakles erkennt.Von Anfang an verbreitet das Orakel, in dessen Besitz Deianeira ist, eine Stimmung von Besorgnis und Unruhe über die Undurchschaubarkeit des menschlichen Lebens (V. 1–3). Dieser pessimistische Grundtenor durchzieht das ganze Stück (vgl. v.a.V. 943 ff.) und wird erst in den Schlussversen (V. 1277 f.) in einer Theodizee aufgehoben, die dem Leiden seinen Sinn in der Welt zuweist.
VI. Mit der Antigone ist die Phase erreicht, in der Sophokles die strenge Diptychonform aufgibt. Zwar stellt Antigones Abführung zum Tod (V. 943) einen gewissen Einschnitt dar; da aber Kreon das ganze Stück hindurch anwesend bleibt, kann nicht mehr von einer Zweiteilung gesprochen werden. Die Handlung der Tragödie wird bestimmt von den Antagonis ten Antigone und Kreon. Antigone ruht fest in sich selbst, konsequent bewahrt sie dieselbe Haltung. Einsam und un-
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beirrt geht sie auf dem Weg, den sie einmal als den richtigen erkannt hat; schroff weist sie jede Hilfe der Schwester zurück (V. 536 ff.), nachdem diese sie in ihrem Plan, das Verbot Kreons zu übertreten und den Bruder Polyneikes zu beerdigen, zuerst nicht unterstützt hat. Sie setzt die Werte, die sie hochhält, die Pflicht der Verwandten, ihre Toten zu bestatten, als unbedingt, für sie gibt es nur die Gegensatzpaare: richtig – falsch, edel – verwerflich, ohne jegliche Schattierungen. Treffend ist ihre Charakterisierung aus dem Mund des Chores, der sie als ›autonom‹ (V. 821) bezeichnet, als eine unabhängige, nach eigenen Gesetzen lebende Persönlichkeit. Ihre Tragik besteht darin, dass sie das, wofür sie ihr Leben opfert, die Familie, selbst nie erlangen wird. Kreon dagegen ist derjenige, der sich wandelt und zu spät (V. 1270) zur Erkenntnis kommt.Wie ein aischyleischer Held sieht er sich dem Walten eines unbarmherzigen Schicksals ausgeliefert, das seinen Verstand mit Verblendung schlug und ihn dadurch ins Verderben stürzte (V. 1271 ff.). Bis er von dem Seher Teiresias auf die Wahrheit gestoßen wird, die er zunächst nicht wahrhaben will, ist sein Denken von der ständigen Angst vor Umsturz geprägt. Überall, im Verhalten Antigones, Haimons, des Wächters und des Sehers, wittert er Verschwörung aus Macht- und Geldgier. Das Wort ›Profit‹ (κέρδος/kérdos) durchzieht als Leitmotiv alle seine Reden. Zwischen diese beiden Pole, Antigone und Kreon, sind die übrigen Personen gestellt, die durch verschiedene Bindungen an die beiden Antagonisten in ihrem Verhalten bestimmt werden. Ismene wird zwischen der Furcht vor Kreon und der Liebe zu ihrer Schwester hin- und hergerissen. Im Prolog, in der Auseinandersetzung mit Antigone, siegt ihre Furcht vor dem Machthaber. Sie fordert ihre Schwester zu einem ›normalen‹ Leben auf, zu einem Leben der Konformität. Als sie jedoch Antigone in Gefahr sieht (V. 526 – 581), lässt sie ihre vorsichtige Zurückhaltung fahren und sich von dem Impuls hinreißen, ihr zu helfen; sie beschuldigt sich der Mittäterschaft, ohne nun die Gefahr, die sie im Prolog als Argument
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vorbrachte, zu erwägen. Im Gegensatz zu ihrer Schwester neigt sie nicht zum Grundsätzlichen und Unwiderrufbaren; als Kontrastfigur zu Antigone repräsentiert sie den Durchschnittsmenschen. Haimon, Kreons Sohn und Antigones Verlobter, trägt zunächst die Spannung zwischen der Liebe zu seiner Braut und der zu seinem Vater in sich aus. Erst, als er sieht, dass Kreon mit vernünftigen Argumenten nicht beizukommen ist (V. 726 ff.), bekennt er sich offen zu Antigone. Der Wächter, der Antigone bei der Übertretung von Kreons Verbot stellt, und der Chor der thebanischen Alten führen vor, wie Normalbürger unter Zwang reagieren. Dies wird besonders im Verhalten des Chores deutlich. Er sieht zwar das Rechte, bekennt sich aber nicht offen dazu, sondern lässt nur ab und zu versteckt erkennen, auf wessen Seite seine Sympathie liegt. Das zeigt sich vor allem in den Liedern, in denen sich der Chor in allgemeine Reflexionen flüchtet, um keine direkte Stellungnahme abgeben zu müssen. Hinter diesen Reflexionen lassen sich jedoch Bezüge zum dramatischen Geschehen aufdecken, die oft, dem Verhalten des Chors entsprechend, ambivalent sind. So trifft die Bezeichnung ›heimatlos‹ (V. 370) vordergründig auf Antigone zu, die die geltenden Erlasse missachtet, auf einer zweiten Ebene jedoch auf Kreon, der das Götterrecht durch sein Bestattungsverbot mit Füßen tritt. Diese Auslegung findet ihre Stütze in den Versen 278 f., in denen der Chor in seiner ersten Überraschung die rituelle Bestattung als »gottgewolltes Werk« bezeichnet und damit implizit Kreons Gebot als gottlos deutet. Viele Interpreten sehen in der Antigone unter dem Einfluss von Hegels Ästhetik (3. Teil, 3. Abschnitt, 3. Kap., c) ein Aufeinanderprallen von zwei gleichberechtigten Positionen, von Kreons Anspruch, den Staat zu schützen, und Antigones Eintreten für die ungeschriebenen Gesetze, einen Konflikt von Staats- und Familieninteresse. Eine derartige Interpretation übersieht jedoch den Verständnishorizont des zeitgenössi schen Zuschauers. Zwar mag Kreons Versuch, nach dem furchtbaren Bürgerkrieg die Ruhe in der Stadt wiederher-
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zustellen, zunächst berechtigt erscheinen. Doch lassen von Beginn an ›Brückenworte‹, die Kreons Auffassungen in die demokratische Gegenwart der Aufführungszeit hineinholen, sein Edikt obsolet erscheinen. In seiner Staatsrede (V. 162– 210) stehen wiederholt zwei unvereinbare Begriffsfelder einander gegenüber: Polis (V. 162, 167, 178, 191) und Nomos (V. 177, 191), Stadt und Gesetz, sind für jeden Zuschauer mit dem demokratischen Athen und mit den von der demokratischen Volksversammlung erlassenen Gesetzen verbunden. Kreon gebärdet sich jedoch als Tyrann, der nicht das ganze Volk, sondern eine ihm genehme, auserwählte Gruppe einberuft (V. 164), alte, loyale Männer, die den Chor bilden, der alle Macht im Staate innehat (V. 173) und der Gesetze selbst erlässt (V. 191). Seine Aufforderung, die Mitbürger zu be spitzeln (V. 180 f.), steht in krassem Widerspruch zu demo kratischen Verhaltensweisen, wie sie modellhaft Perikles im Epitaphios (›Totenrede‹) im Geschichtswerk des Thukydides (ca. 460 –395 v. Chr.) formuliert (II 37). Überall wittert Kreon Verrat aus Habgier; die einzige Rettung sieht er in striktem Gehorsam und Unterordnung (V. 676), da sonst Anar chie drohe (V. 672). Sein persönliches Scheitern am Ende der Tragödie, seine Einsamkeit nach dem Verlust seiner Frau und seines Sohnes, sind Ausdruck seiner gescheiterten Politik.
VII. Das zentrale Motiv der sophokleischen Tragödien, das Problem der menschlichen Erkenntnisfähigkeit, das im Aias, in den Trachinierinnen und der Antigone anklingt, wird im König Oidipus breit entfaltet. Im Zentrum steht die Frage, wie der Mensch die Welt sieht und versteht. Im Aias wird dies im Verhalten Tekmessas vorgeführt. Kaum hat Aias die Bühne verlassen, um zu sterben, berichtet ein Bote von einem Orakel des Sehers Kalchas (V. 748 –761). Nur diesen einen Tag dürfe Aias sein Zelt nicht verlassen; nur heute werde er von dem Zorn der Göttin Athena verfolgt. Das Orakel kommt zu
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spät – dieses ›zu spät‹ (ὀψέ/opsé) ist das Schlüsselwort, das wir auch in den Trachinierinnen und in der Antigone finden. Und trotzdem, obwohl der Wortlaut des Seherspruchs eindeutig eine Rettung von Aias ausschließt, da Aias das Zelt bereits verlassen hat, ordnet Tekmessa an, unverzüglich nach ihrem Mann zu suchen. Zwar ist das Schicksal des Helden besiegelt, sie jedoch sieht noch einen Hoffnungsschimmer. Sie versteht von dem Orakel, das den Tod des Aias als feststehenden Sachverhalt verkündet, wenn er denn an diesem Tag das Zelt verlassen sollte, nur das, was sie verstehen will, nämlich dass er zu retten sei, ohne die Voraussetzung der Rettung wahrzunehmen, die das Orakel deutlich verkündet. Obwohl also Gott den Menschen in aller Deutlichkeit in Orakeln oder Sprüchen der Seher seinen Willen kundtut, liegt es in der Natur des Menschen, der in seinem Denken von dem ›Prinzip Hoffnung‹ getrieben wird, dass er nur partiell die Wahrheit zur Kenntnis nimmt, dass er nur das hört und versteht, was er hören und verstehen will oder hören und verstehen kann, ohne daran zugrunde zu gehen. Folge dieser anthropologischen Konstante ist, dass der Mensch daran geht, den Willen der Götter, das ihm geweissagte Schicksal, nach seinem Hoffnungsdenken zu interpretieren oder gar zurechtzubiegen – in der Meinung und Hoffnung, er könne durch sein Handeln und Denken das unabwendbare Schicksal abwenden. Das zentrale Wort in dieser sophokleischen Konzeption ist Hoffnung (ἐλπίς/elpís), die Sophokles in der Nachfolge von Hesiods Werke und Tage (frühes 7. Jh. v. Chr.; V. 96) als ambivalentes Gut versteht. In verzweifelten Lagen kann Hoffnung den Menschen am Leben halten, doch sie ist auch trügerisch und verleitet den Menschen, indem sie seine Vernunft mit Verblendung schlägt, zu leichtsinnigen Wünschen, wie der Chor in der Antigone singt (V. 611 ff.). Die im Chorlied der Antigone gnomisch geäußerte Überzeugung der ambivalenten Natur der Hoffnung dramatisiert Sophokles im König Oidipus. Exemplarisch führt er an der Person des Oidipus vor, wie nicht irgendein Mensch, son-
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dern der klügste von allen, verfangen in Hoffnungsdenken, nicht in der Lage ist, die Realität wahrzunehmen, wie sie ist und wie sie ihm der Gott Apollon im Orakel und der Seher Teiresias in deutlichen, nicht verschleierten Worten verkündet haben, sondern die Welt und den göttlichen Willen nach seinem Gutdünken interpretiert. Der König Oidipus setzt zwei Orakelsprüche voraus: den an Laios ergangenen Spruch Apolls, dieser solle keinen Sohn zeugen, da er durch dessen Hand umkommen werde, und das Oidipus gegebene Orakel des pythischen Gottes, er werde den Vater umbringen und mit der eigenen Mutter Kinder zeugen. Obwohl beide Orakel in aller Klarheit voraussagen, was kommen wird, meint Laios, als er doch einen Sohn zeugt, meint Oidipus, dass sie durch ihr Verhalten dem geweissagten Geschick aus dem Weg gehen könnten, Laios, indem er das Kind auf dem Kithairongebirge aussetzen lässt, Oidipus, indem er nicht in die vermeintliche Heimat Korinth zurückkehrt, sondern die entgegengesetzte Richtung einschlägt, obwohl er doch aus Zweifel gerade darüber, ob das korinthische Königspaar seine wirklichen Eltern seien, sich nach Delphi aufgemacht hatte. Hoffnung, die zu Verblendung (ἄτη/áte) führt, dominiert also die Vorgeschichte der Tragödie. Wie Hoffnung und Verblendung einen Menschen in den Untergang stürzen, führt der König Oidipus vor. Das dritte Orakel, das zu Beginn der Tragödie Kreon, Oidipus’ Schwager, aus Delphi bringt, wirkt als Katalysator des Erkenntnisprozesses, des apollinischen ›Erkenne dich selbst!‹: Um der Pest, die Theben belaste, Herr zu werden, müsse der Mörder des alten Königs Laios aus dem Land vertrieben werden, da er eine unerträgliche Besudelung für Theben darstelle (V. 95 – 98). Im Folgenden betreibt Sophokles ein brillantes Spiel mit der tragischen Ironie, dem Wissensvorsprung der Zuschauer, die den Mythos kennen, und dem eingeschränkten, verblendeten Wissen des Protagonisten. Besonders deutlich wird dies zum Beispiel in den Versen 103 –105: Kreon berichtet von Laios, der früher das Land regiert habe, und
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Oidipus antwortet darauf: »Vom Hören weiß ich dies; gesehen habe ich ihn nie!« Die Suche nach dem Mörder des Laios wird durch die bewusste Falschinformation des einzigen Überlebenden des Blutbads in eine andere Richtung gelenkt. Über die Identität dieses Augenzeugen fällt kein einziges Wort, erst später, am Höhepunkt des Dramas, wird sie enthüllt. Auch Oidipus denkt nicht daran, ihn zu befragen. Dieser Überlebende hatte, wie Kreon berichtet, über die Ermordung des Laios gemeldet, dass mehrere Räuber, nicht nur ein einziger, den König erschlagen hätten (V. 122 f.). In seiner Antwort wechselt Oidipus in den Singular (»der Räuber«) und nähert sich damit, ohne es zu ahnen, zum ersten Mal der Wahrheit an (V. 124 f.). Dieser zunächst nebenbei geäußerte Gedanke, ein einzelner Täter, der von einflussreichen Kreisen in Theben bestochen worden sei – von seinem Schwager Kreon, von dem Seher Teiresias –, setzt sich wie eine Wahnidee in Oidipus fest und zwingt ihn dazu, wie dies Kreon in der Antigone in ähnlicher Weise widerfährt, überall Intrigen und gegen ihn gerichtete Umsturzversuche zu wittern. So erhält auch die Äußerung des Oidipus in den Versen 120 f. eine ironische Färbung: Eines kann uns wohl zu vielem hinführen, Wenn man einen kleinen Lichtschimmer der Hoffnung sehen kann.
Hoffnung, durch Hoffnungen blockiertes Denken, hindert letztendlich den Menschen daran, die offen zu Tage liegende Wahrheit zu erkennen. Das Umkreisen oder – besser gesagt – das systematische Einkreisen der Wahrheit wird im ersten Epeisodion mit tragischer Ironie vorangetrieben. In seiner offiziellen Proklamation (V. 216 ff.), in der Oidipus zur Suche nach dem Mörder des Laios aufruft, bleibt er beim Singular und fordert dazu auf, ihm unverzüglich den Täter, möge es auch ein Fremder sein, anzuzeigen (V. 230 f.). Der Chorführer jedoch bringt im Folgenden eine neue Variante ins Spiel (V. 292 f.), die, ohne dass dies den Beteiligten klar ist, wieder
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einen Schritt näher an die Wahrheit heranführt. Er schlägt vor, den Seher Teiresias zu befragen; nur von ihm könne man sichere Kunde erhalten. Alles andere seien doch nur vage Aussagen darüber, wie es zum Mord an Laios gekommen sei. Als Oidipus insistiert, wie denn diese Aussagen lauteten, bemerkt der Chorführer nebenbei, dass es damals geheißen habe, König Laios sei von irgendwelchen »Reisenden« ermordet worden. Es folgt eine im Verhältnis zu der wohl einige Jahre früher entstandenen Antigone revolutionäre dramaturgische Neuerung. In der Antigone wird Kreon erst, als es zu spät ist, durch den Seher Teiresias auf die Wahrheit gestoßen. Im König Oidipus spricht Teiresias bereits im ersten Epeisodion die schreckliche Wahrheit aus: Von Oidipus als Ratgeber herbeigerufen, windet er sich zunächst, da er, der Seher, natürlich den Täter kennt. Erst als der König in seiner Wahnidee, dass der Täter von thebanischen Aufrührern bestochen worden sei, auch den Seher der Komplizenschaft beschuldigt, bricht Teiresias sein Schweigen und schleudert ihm die ganze schreckliche Wahrheit ins Gesicht: Er selbst, Oidipus, der angebliche Retter der Stadt, trage an all dem Leid die alleinige Schuld; er habe König Laios, seinen Vater, erschlagen und mit seiner Mutter Iokaste, die zugleich seine Frau sei, Kinder gezeugt; er allein sei die unerträgliche Befleckung, die auf der Stadt Theben laste (V. 345 –353). Im folgenden Zusammentreffen mit seinem Schwager Kreon gleitet Oidipus immer mehr in seine Wahnvorstellung, in sein Scheinwissen ab, das für ihn zur Realität zu werden droht (V. 532 ff.). Nicht die Verbannung, sogar den Tod droht er Kreon an, der für ihn hinter all den Machenschaften steckt (V. 623). Am Höhepunkt der Auseinandersetzung tritt Iokas te aus dem Palast, um den Streit zwischen Mann und Bruder zu schlichten (V. 634). Sie erreicht zunächst, dass Oidipus ihren Bruder nur verbannt, bevor sie die Ursache des ganzen Streites erfährt. Oidipus wiederholt noch einmal seine Konstruktion des gegen ihn geschmiedeten Komplotts. Erleich-
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tert antwortet Iokaste, dies sei ein erneuter Beweis für die Unzuverlässigkeit der Orakel, denn vor Jahren habe der Gott Apollon auch Laios geweissagt, er werde durch die Hand seines Sohnes umkommen. Aber den Sohn habe man drei Tage nach seiner Geburt mit durchbohrten Fersen im Gebirge ausgesetzt, wo er umgekommen sei, und Laios sei, wie man sage, von fremden, unbekannten Räubern an einem Dreiweg erschlagen worden (V. 715 f.). Die nur nebenbei gemachte Bemerkung »an einem Dreiweg« stürzt Oidipus in höchste Beunruhigung. Wie Herakles in den Trachinierinnen durch ein einziges Wort, durch die zufällige Erwähnung des Kentauren Nessos (V. 1141), auf die Wahrheit gestoßen wird, so zerreißt auch im König Oidipus das Stichwort ›Dreiweg‹ den Vorhang des Scheins, der das Denken des Oidipus verhüllte. In der Manier eines Untersuchungsrichters insistiert Oidipus auf dem Indiz ›Dreiweg‹ (V. 726 ff.) und kommt dabei der Wahrheit immer näher. Als er hört, das Laios von fünf Männern begleitet worden sei (V. 752 f.), bricht es aus ihm heraus (V. 754): »Weh mir, nun ist all dies mir klar!« Der überlebende Augenzeuge, der sich aufs Land zurückgezogen hat, soll die endgültige Aufklärung bringen. Der beunruhigten Iokaste legt Oidipus die Gründe seiner Sorge dar. Er erzählt ihr die korinthische Vorgeschichte und das an ihn ergangene delphische Orakel. Bleibe der Augenzeuge bei seiner früheren Aussage, dass Laios von einer Räuberschar umgebracht worden sei, sei er gerettet (V. 842 ff.). Iokaste betont, selbst wenn der Hirte dies nicht bestätigen sollte, könne man ganz und gar beruhigt sein, da doch das Orakel vorausgesagt habe, dass Laios durch die Hand seines Sohnes umgebracht werde. Und der sei schon lange vor seinem Vater ums Leben gekommen. Der Dialog zwischen Iokaste und Oidipus treibt das Thema der Erkenntnisfähigkeit des Menschen auf die Spitze. Oidipus entschwinden nach und nach sämtliche festen Stützen. Aufgrund der Beschreibung des Laios, die Iokaste ihm gibt, und wegen der Zahl der Begleiter des alten Königs hat Oidipus sich bereits in Vers 754 als Schuldigen erkannt, doch nur
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für einen kurzen Augenblick. Nun klammert er sich an die letzte Hoffnung, an die bevorstehende Aussage des Überlebenden und an den Plural ›Räuber‹. Iokaste ihrerseits führt eine wahre Argumentationsakrobatik vor, um die schreckliche Wahrheit nicht akzeptieren zu müssen. Zunächst versucht sie, durch den Hinweis auf die hinlänglich bewiesene Unzuverlässigkeit der Orakel die Prophezeiung des Teiresias zu entkräften und Oidipus zu beruhigen: Alle Fakten würden gegen die Orakel sprechen. Am Ende des Dialogs jedoch verwendet sie die Orakel plötzlich als positives Argument, um die Aussagekraft der Fakten zu widerlegen. Die folgende kurze Szene (V. 911 ff.) stellt eine Retardierung vor der Katastrophe dar. Ein Bote aus Korinth meldet den Tod des Königs Polybos. Oidipus wendet skeptisch ein, noch immer könne der zweite Teil des Orakels, die angedrohte Ehe mit der Mutter, in Erfüllung gehen. Doch diesen Einwand zerstreut der Bote mit dem Hinweis darauf, dass Oidipus gar nicht der Sohn des korinthischen Königspaares, sondern ein Findelkind sei. Der Hirte, der damals Oidipus dem korinthischen Hirten übergeben habe und der zugleich der überlebende Augenzeuge ist, wie sich jetzt erst herausstellt, könne dies bestätigen. Iokaste hat die Wahrheit erkannt, sie kann jedoch Oidipus nicht von der Suche nach seiner Herkunft, die sein Denken befällt, abhalten (V. 1076 f.). Schweigend geht sie ab, um sich selbst umzubringen (V. 1075). Der Höhepunkt der Tragödie ist auf eine kurze Szene komprimiert (V. 1110 –1185). Oidipus beginnt das Verhör des Hirten und Augenzeugen durch eine Gegenüberstellung mit dem korinthischen Boten. Der Thebaner, im vollen Wissen von der schrecklichen Wahrheit, ist darauf bedacht, sie zu verschleiern; der Korinther, nichts ahnend, will sie mit aller Gewalt aufdecken, was ihm schließlich auch gelingt (V. 1182). Oidipus bricht mit Worten, die ein Echo auf die erste blitzartige Erkenntnis seiner Schuld in Vers 754 darstellen, in eine verzweifelte Klage aus (V. 1182 ff.). Die Suche nach dem
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Mörder und die Suche nach seiner eigenen Herkunft laufen in einer einzigen furchtbaren Wahrheit zusammen. Die Handlung der Tragödie macht klar, dass Hoffnung für das menschliche Denken verhängnisvoll ist. Die Suche des Oidipus nach dem Mörder des Laios ist von Anfang an unter dieses Stichwort gestellt. Noch deutlicher wird dies dadurch, dass der Chor in seinem Einzugslied die Hoffnung in den Rang einer Gottheit erhebt, sie auf eine Stufe mit Zeus und den anderen olympischen Göttern stellt (V. 158). Hoffnung war es, die Laios verleitete, seinen neugeborenen Sohn im Gebirge auszusetzen, um dem sicheren, ihm von Apollon als unausweichlich vorausgesagten Tod durch die Hand des Sohnes zu entgehen. Hoffnung war es wiederum, die Oidipus zu dem Glauben brachte, er könne dem ihm geweissagten Schicksal entgehen, den Vater umzubringen und seine Mutter zu heiraten. Das dritte, an Kreon ergangene Orakel, mit dem die Tragödie eröffnet wird, wirkt gleichsam als Katalysator, da es die verhängnisvolle Suche nach dem Mörder des Laios und damit nach der Herkunft des Oidipus in Gang setzt. Je weiter Oidipus auf Geheiß des dritten Orakels auf der Suche nach dem Mörder des Laios voranschreitet, desto tiefer dringt er in die Vergangenheit ein und desto näher kommt er der Wahrheit, die die beiden ersten Orakel verkündeten. Und je mehr er sich der vermeintlichen Rettung und dem, was er für die Wahrheit hält, annähert, desto näher steht er am Abgrund der Selbsterkenntnis. Sophokles entwirft im König Oidipus jedoch auch ein Modell der menschlichen Fähigkeit, zerstörerische Nachrichten zu verdrängen, vor ihnen die Augen zu verschließen. Der König Oidipus fordert mehr als die anderen sophokleischen Dramen zum Durchspielen von Verhaltensmöglichkeiten des Protagonisten auf: Was soll ein äußerst intelligenter Mensch angesichts solch einer Aussage wie der des delphischen Orakels tun, die in ihrer Klarheit keine Deutungsmöglichkeiten zulässt? Der Weg, den Oidipus einschlägt, ist wohl eine anthropologische Konstante: zu versuchen, dem Unausweichlichen auszuweichen – mit der
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Konsequenz, klüger sein zu wollen als Gott und damit vor dem religiösen Hintergrund des 5. Jahrhundert Hybris zu begehen. Und dazu kommt im Falle des Oidipus wie bei Aias und Antigone, wie bei Elektra und Philoktet ein Zuviel an Selbstbewusstsein (αὐθαδία/authadía), an Emotion (ὀργή/orgé), an Hass, das den Menschen das rechte Maß (σωφροσύνη/sophrosýne) verfehlen lässt und ihn daran hindert, sich selbst zu erkennen und zu sich selbst zu finden (γνῶθι σαυτόν/gnóthi sautón) oder gar sich die sozialen Kompetenzen (ἀστυνόμοι ὀγαί/astynomoi orgai) anzueignen, um die Interessen und Gefühle der Mitmenschen zu achten. Die Problematik der menschlichen Erkenntnisfähigkeit führt auf die Besonderheit der Theologie des Sophokles hin. Auf die Frage des Chores in den Versen 1327 ff., wie Oidipus es über sich bringen konnte, sich selbst zu blenden, antwortet er (V. 1329 –1335): Apollon, Freunde, Apollon war’s, der dies Schlimme, dies Schlimme vollbracht hat, diese meine Leiden. Geschlagen aber hat sie kein anderer als ich selbst, ich Unglücklicher. Denn weshalb sollte ich sehen, für den es sehend ja nichts Süßes mehr zu sehen gab?
Die pathetische Anklage des Gottes zielt nicht darauf ab, Apollon die Schuld an dem Vergehen des Oidipus zuzuweisen; vielmehr verweist sie darauf, dass der Gott durch sein Orakel – ganz dem delphischen Spruch ›Erkenne dich selbst‹ entsprechend – den Erkenntnisdrang, das Streben des Oidipus, sich selbst zu erkennen, erst auslöste. Die Verantwortung für die Taten jedoch liegt allein beim Menschen. In Oidipus’ Anklage wird die Nähe zur aischyleischen Theologie deutlich, hinter seinen verzweifelten Worten erklingt die aischyleische Maxime des, ›durch Leiden lernen‹ (πάθει μάθος/páthei máthos). Man kann vielleicht sogar so weit gehen und behaupten, Sophokles habe die Frage danach, wer denn durch das Leid lernen soll, die die Tragödien des Aischylos
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unbeantwortet lassen, mit Inhalt gefüllt: Der Mensch lernt durch sein Leid, er lernt jedoch zu spät.
VIII. Eng zusammen gehören aufgrund der Charakterisierung der Protagonisten und der Handlungskonstellation Elektra und Philoktet. In beiden Stücken entspringt das menschliche Leiden nicht dem Willen einer Gottheit, sondern der Kollision verschiedener menschlicher Interessen, und die Handlung beider Stücke ist durch eine Intrige bestimmt. Elektra, die Tochter des bei seiner Heimkehr von seiner Frau Klytaimestra und ihrem Liebhaber Aigisth ermordeten Siegers von Troja, wird wegen Aigisths und Klytaimestras Furcht vor der Rückkehr und Rache des AgamemnonSohnes Orest unterdrückt. Sie stellt gleichsam das lebende schlechte Gewissen der beiden Mörder Agamemnons dar; durch ihre bloße Anwesenheit erinnert sie an das Verbrechen. In der täglichen Erniedrigung, die sie, die Fürstentochter, ertragen muss, nährt sie einen abgrundtiefen Hass auf das Herrscherpaar, alle ihre Hoffnungen richten sich auf eines: Orests Rückkehr. Die falsche Nachricht von Orests Tod (V. 680 ff.), die dessen alter Erzieher überbringt, damit sein Zögling unerkannt Einlass in den Königshof erlangen kann, lässt sie für einen Moment zusammenbrechen. Doch dann siegt der jahrelang unterdrückte Hass und treibt sie zur Tat. Da der Bruder tot ist, will sie die Rache selbst in die Hand nehmen. Sophokles zeichnet mit Elektra eine Persönlichkeit, die trotz steter Unterdrückung ungebrochen geblieben ist, ungebrochen allerdings nur aufgrund ihres verzweifelten Hasses, der sie am Leben erhält. Wie Ismene Antigone, so ist die Schwester Chrysothemis Elektra als untragisches Kontrastbild gegenübergestellt. Wie Ismene arrangiert sich Chrysothemis mit den herrschenden Zuständen, um in Ruhe leben zu können. In der Auseinandersetzung zwischen den Schwestern (V. 328 ff.) werden
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die beiden unterschiedlichen Positionen deutlich herausgestellt: Chrysothemis betont den Wert der äußeren Freiheit (V. 339 f.), Elektra hält ihr ihre innere Freiheit entgegen, die ihr ihre konsequente Haltung gewähre (V. 354). Orest geht von Anfang des Stückes an unbeirrt seinen Weg als Rächer. Voller Sendungsbewusstsein versteht er sich aufgrund von Apollons Orakel als gottgesandten, frommen ›Reiniger‹ des Hauses (V. 69 f.), der durch seine Tat sowohl das durch Greueltaten besudelte Tantalosgeschlecht als auch den Palast als den Ort von Agamemnons Tod entsühnt. Man hört nichts von den Gewissensbissen, die den Muttermörder in den Elektra-Dramen des Aischylos und Euripides peinigen, nichts von den anklagenden Worten, mit denen Orest bei Euripides dem Gott Vorwürfe macht. Für den zeitgenössischen Zuschauer konnte jedoch gerade dieser klare Schluss einen Anstoß zum Weiterdenken über Orests Tat darstellen. Die Kenntnis des Mythos und der beiden anderen großen Elektra-Stücke konnten für ihn die sophokleische Tragödie zu einem Stück mit offenem Ausgang machen. Diese Auffassung könnte in Vers 1425 eine Stütze finden, in dem Orest nach dem Muttermord zweifelnd sagt: »Wenn Apollon wirklich einen guten Rat in seinem Orakel gegeben hat.«
IX. Der Stoff des Philoktet entstammt dem trojanischen Sagenkreis. Auf der Fahrt des griechischen Heeres nach Troja wird Philoktet auf der Insel Chryse von einer Schlange gebissen. Der Gestank, den die schwärende Wunde verbreitet, belästigt die Griechen derart, dass sie auf Anraten des Odysseus den Kranken auf der menschenleeren Insel Lemnos aussetzen. Im Fall des Philoktet lässt sich klar nachweisen, wie durch eine kleine Änderung am Mythos eine völlig andere inhaltliche Gewichtung zustande kommt: Aus dem Vergleich der Philoktet-Stücke der drei Tragiker Aischylos, Sophokles und Euripides, die der kaiserzeitliche Rhetor Dion Chrysostomos
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(ca. 40 –120 n. Chr.) vornimmt (Rede 52), wird deutlich, dass die beiden anderen Tragiker, deren Philoktet-Bearbeitungen nur fragmentarisch erhalten sind, Lemnos nicht zu einer menschenleeren Insel machten, ihren Helden also nicht in völliger Isolation dahinvegetieren ließen. Vor Troja erhalten die Griechen im zehnten Kriegsjahr von dem trojanischen Seher Helenos die Weissagung, dass nur mit dem Bogen des Herakles und dessen Besitzer Philoktet sowie durch die Hilfe des Achilleus-Sohnes Neoptolemos die Stadt eingenommen werden könne. So fassen sie den Entschluss, eine Gesandtschaft unter der Leitung des Odysseus und des Neoptolemos nach Lemnos zu schicken, um Philoktet dazu zu bewegen, mit ihnen nach Troja zu segeln. Schon die Grundkonstellation des Mythos offenbart die politische Brisanz, die in ihm stecken kann. Die Gesellschaft, in diesem Fall das griechische Heer, benötigt, um zu überleben, dringend die Hilfe einer Person, die von dem Gemeinwesen vor Jahren größtes Unrecht erlitten hat. Unterhändler sollen versuchen, diese Person dazu zu bewegen, in die Gesellschaft zurückzukehren, sich also resozialisieren zu lassen. Zwei verlockende Aussichten sind mit dem Ansinnen verbunden: einerseits Ruhm und Ehre, die Philoktet erwerben werde, andrerseits das Versprechen, von der schweren Krankheit geheilt zu werden. Ständig präsent ist zudem die Möglichkeit, nach den Jahren völliger Isolierung in die menschliche Gesellschaft zurückzukehren. Verbitterung und Hass sitzen jedoch bei dem einst Ausgestoßenen zu tief, als dass er sich dazu bewegen lassen würde, sich wieder in die Gesellschaft integrieren zu lassen. Es liegt also die Grundkonstellation ›Kollektiv – Individuum‹, ›Forderungen des Kollektivs an den Einzelnen und Verweigerung des Einzelnen dem Kollektiv gegenüber‹ vor. Problematisiert wird diese Grundkonstellation durch die Tatsache, dass einerseits dem Individuum, Philoktet, von der Gesellschaft und ihren Repräsentanten unbestreitbar Unrecht angetan wurde, dass aber andrerseits der Anspruch der Ge-
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sellschaft auf Philoktets Hilfe nicht unberechtigt erscheint, müssten doch im Falle einer Weigerung des Philoktet aufgrund des lang zurückliegenden Unrechts, das nur wenige begangen haben, nun alle Griechen leiden. Dramatisiert wird die Grundsituation durch das Unterhändlerpaar: durch Odysseus, den Vertreter der alten Generation, die Philoktet Unrecht tat, und Achills Sohn Neoptolemos, den Repräsentanten der am Unrecht unbeteiligten, wohl aber unter Philoktets Weigerung leidenden Jugend. Odysseus als der Kopf des Unternehmens entpuppt sich als reiner Sophist. Gerechtigkeit, anständiges Verhalten, Ehrlichkeit sind für ihn keine Werte; alles ist relativ, dem Zwang der augenblicklichen Lage unterworfen. Er will sich des jungen Neoptolemos als Instrument in einer von ihm entworfenen Intrige bedienen. Als Sohn des Achilleus werde ihm Philoktet sicherlich Vertrauen schenken. So solle Neoptolemos Philoktet vorspiegeln, ihn von Lemnos nach Hause bringen zu wollen; tatsächlich aber wollen sie ihn nach Troja entführen. Neoptolemos weigert sich zunächst, sich auf das Intrigenspiel einzulassen. Doch Werte wie Gerechtigkeit und Ehrlichkeit, auf die sich der Sohn des Achill zu Beginn des Stückes emphatisch beruft, sind nicht gefestigt; sie werden von ihm unreflektiert im Munde geführt. So ist es kein Wunder, dass er sich von Odysseus ohne größere Schwierigkeiten, allein durch die Aussicht auf den künftigen Ruhm, für das Täuschungsmanöver gewinnen lässt. Philoktet schließlich ist der Vertreter der vorsophistischen Generation, der sich in der zehnjährigen Isolierung sein Wertesystem intakt gehalten hat. Der modernen sophistischen Auslegung der Werte und Normen durch Odysseus stellt er seine traditionelle Deutung entgegen. Für ihn sind Begriffe wie Gerechtigkeit unumstößliche, von den Göttern gegebene Normen, die die Menschen zu respektieren haben. Er kann aufgrund seiner Denkweise gar nicht auf den Gedanken kommen, dass Neoptolemos als Sohn des großen Achill ihn hintergehen könnte. Ganz im Gegensatz zu dem jungen Neoptolemos ist Philoktet uner-
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schütterlich; er ist immun gegen die Aussicht auf Ruhm und Heilung. Da ihm einst Unrecht getan wurde, bleibt er hart in seinem Hass gegen Odysseus und die Heerführer. Dem Philoktet liegt die dramatische Situation zugrunde, dass zwischen zwei alte, in ihren Meinungen und Urteilen festgelegte Männer, Odysseus und Philoktet, eine jugendliche, schwankende Person zu stehen kommt: Neoptolemos, der noch formbar ist und der eben aufgrund seines noch nicht fest gefügten Charakters sich entscheiden muss, wem er sich anschließen soll (V. 895, 974). Das Wesentliche ist, dass sich in dieser tragischen Entscheidungssituation die noch formbare Persönlichkeit zu ihrer wahren Natur und zu den traditionellen Werten bekennt. Das Mitleid mit Philoktet bringt Neoptolemos dazu, die Normen, die er bisher nur unreflektiert als bloße Floskeln im Mund geführt hat, mit Leben zu füllen. So entscheidet sich Neoptolemos, gegen den Widerstand des Odysseus, dafür, Philoktet in die Heimat zu bringen, also zu seinem Wort zu stehen. Die Struktur des Philoktet wird durch zwei Motive bestimmt: durch das Orakel des Sehers Helenos, das besagt, dass Troja in demselben Sommer durch den Bogen des Philoktet fallen werde, wenn dieser freiwillig nach Troja fahre (V. 1331 ff.), und durch das dauernd drohende Scheitern des göttlichen Willens aufgrund menschlicher Intrigen und menschlichen Eigensinns. Wie der Verlauf der Handlung zeigt, ist der Orakelspruch im vollen Wortlaut Odysseus und Neoptolemos von Anfang an bekannt (vgl. V. 839 – 842). Doch anstatt sich dem göttlichen Willen zu fügen, versucht Odysseus beständig, dem Schicksal den Weg zu ebnen; mit Aischylos (Perser, V. 742) gesprochen, legt er einen gefährlichen ›Eifer‹ an den Tag. Und so besteht am Ende der Tragödie die Gefahr, dass sich das Orakel nicht erfüllt und Neoptolemos Philoktet nicht nach Troja, sondern nach Hause bringt. Im Stück des Sophokles droht die Handlung die vom Mythos festgelegte Bahn zu verlassen, will doch Neoptolemos mit Philoktet nicht nach Troja fahren und würde doch da-
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mit die Eroberung Trojas durch die Griechen vereitelt. So benutzt der Dichter im letzten Moment das Hilfsmittel des deus ex machina: Herakles erscheint und befiehlt Philoktet, sich Neoptolemos anzuvertrauen und mit ihm nach Troja zu segeln. Dieser Schluss lässt zwei Deutungen zu, eine pessimis tische und eine optimistische. Wenn man der pessimistischen Deutung folgen will, würde durch menschlichen Eigensinn und menschliche Hybris, die sich anmaßt, den Lauf des göttlichen Schicksals ändern zu wollen, Trojas Fall verhindert. Neoptolemos führe mit Philoktet nach Hause, die Griechen müssten weitere Jahre vor Troja sinnlos leiden. Eher der konservativ-religiösen Weltsicht des Sophokles zu entsprechen scheint jedoch eine optimistische Deutung der deus-ex-machina-Szene, nach der die Entscheidung des Neoptolemos, zu seinem Wort zu stehen und sich gegen die sophistische Intrige des Odysseus auszusprechen, in der Schlussszene der Tragödie göttlich sanktioniert wird. Herakles erscheint als deus ex machina, um höchstpersönlich Philoktet den Befehl zu geben, mit Neoptolemos nach Troja zu fahren. So schlägt letzten Endes wider Erwarten und ganz entgegen den düsteren Voraussagen des Odysseus die Entscheidung des Neoptolemos zum Wohl der Allgemeinheit aus. Das bedeutet wiederum, dass es nicht darum geht, die traditionellen Normen und Werte wie Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Ehre als politische Schlagworte im Mund zu führen, wie es Neoptolemos noch zu Beginn des Stücks tut und wie es die sophistisch beeinflussten politischen Kreise Athens in der Krisenzeit der Polis zu tun pflegten. Denn dann besteht die Gefahr, dass man sie unter dem Einfluss einer raffinierten Rhetorik, wie sie Odysseus praktiziert, ohne weiteres über Bord wirft.Vielmehr sollen diese Normen, die die Basis für das Zusammenleben in der Polis sind, reflektiert verwendet und wieder mit Leben gefüllt werden. Die Kraft, die die traditionellen Normen, die die Basis des gesellschaftlichen Zusammenlebens bilden, wieder mit Leben zu füllen vermag und zum Nutzen der Allgemeinheit,
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der Polis, anwenden soll, ist die Jugend, vertreten im sophokleischen Stück durch Neoptolemos. Sie muss lernen, die Werte und Traditionen, die die Grundlagen der demokratischen Polis bilden, neu zu verstehen, zu akzeptieren und im täglichen Leben zu praktizieren.
X. Das Element der göttlichen Gunst, die ein wesentliches Element in Aischylos’ Denken darstellt, erlangt bei Sophokles in seinem Alterswerk, in dem postum aufgeführten Oidipus auf Kolonos, Bedeutung, in dem er es zur Aussöhnung zwischen Mensch und Gott kommen lässt. Zwar ist auch in diesem Stück von Anfang an das Göttliche durch ein Orakel des Apollon präsent. Doch im Gegensatz zum König Oidipus enthält dieses Orakel kein drohendes, unumgängliches Unheil, sondern eine Verheißung, die Aussicht einer göttlichen Gunst. Oidipus hat von Apollon das Orakel erhalten, er werde in Athen, im heiligen Bezirk der Eumeniden im Demos Kolonos, endlich Ruhe finden. Mit diesem Ort, dem Hain der Eumeniden, verweist Sophokles gleich zu Beginn seiner Tragödie (V. 84 ff.) auf das Abschlussstück der aischyleischen Orestie, die Eumeniden, und damit auf die aischyleische Theologie und Theodizee, vor allem auf das diese Theologie seines großen Vorgängers prägende Element der göttlichen Gunst (χάρις/cháris), die dem Menschen nach viel Leid doch zuteil werden kann. Nachdem äußere Gefahren, die das Oidipus vorausgesagte Ende nicht vereiteln, sondern nur verzögern können, durch den athenischen König Theseus und die Bürger von Kolonos erfolgreich abgewehrt sind, verkündet ein Donnerschlag das nahe Ende des Oidipus (V. 1547 ff.). Nun, da sein schmerzlich herbeigesehnter Tod naht, bedarf der blinde Greis keiner fremden Hilfe mehr. Sicher führt er den athenischen König Theseus, der Blinde den Sehenden, in den Hain, an den Ort seines Todes (V. 1588 ff.). Dort habe ihn, so berichtet ein Bote
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dem wartenden Chor, die Gottheit zu sich heimgeholt, ihn zu sich gerufen (V. 1627 f.): O du, o du, du Oidipus, was zögern wir zu gehn? Du hast nun allzu lange schon gesäumt!
So bietet das Ende des Oidipus auf Kolonos die Lösung der Problematik, die der König Oidipus offen ließ. Endete das frühere Oidipus-Drama mit der Selbstblendung, mit der Anklage der Götter durch Oidipus und mit der Erkenntnis, dass die Götter den Menschen undurchschaubar bleiben, führt der Oidipus auf Kolonos in dem brüderlichen ›wir‹, mit dem die Gottheit den Greis zu sich ruft, die Aufhebung des Gegensatzes Gott – Mensch vor. Es gibt eine gütige Gottheit, die sich des Menschen in seinem Leid erbarmt und ihm den Tod nicht als hartes Schicksal, sondern als Erlösung zuteil werden lässt. Nun ist Oidipus in der Lage, und zwar nur er, der Blinde, der Gottheit entgegenzugehen;Theseus, der allein bei Oidipus bleiben darf, kann die göttliche Anwesenheit nicht ertragen; er verhüllt sein Antlitz, als sei ihm »ein Bild des Schreckens, unerträglich anzusehn, erschienen«, berichtet der Bote (V. 1651 f.) – Verse, zu denen man den Beginn von Rilkes Erster Duineser Elegie (1923) gleichsam als Kommentar lesen könnte: Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.
XI. Die das Normalmaß überschreitende Größe der sophokleischen Protagonisten, die daraus entspringenden Probleme für ihre Mitmenschen und insbesondere die psychologische Vielschichtigkeit der weiblichen Charaktere regten vor allem im 20. Jahrhundert zur produktiven Auseinandersetzung mit Sophokles an. Hugo von Hofmannsthal (Elektra, 1903, Oper
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mit der Musik von Richard Strauss, 1909) schöpft, geprägt von Sigmund Freud, die psychologischen Dimensionen der Elektra-Gestalt aus. Er bringt eine Elektra auf die Bühne, deren einziger Lebenssinn in dem abgrundtiefen Hass auf die Mutter besteht. Nach der Rachetat bricht sie tot zusammen, da sie ihren Lebensinhalt verloren hat. In seiner Electre (1937) deutet Jean Giraudoux Elektras Hass als Versündigung gegen die Gemeinschaft. Das starre Beharren auf dem Recht zerstört Staat, Familie und Individuum. Ebenso zeichnet Jean Paul Sartre in Les Mouches (Die Fliegen, 1943) ein negatives Elektra-Bild. Während Orestes in der Tat die Freiheit als Mensch findet, ist Elektra die, die ihn – wie in der Elektra des Euripides – zum Mord treibt. Wurden in der Rezeption der Elektra die negativen Züge ausgedeutet, bleibt Antigone in modernen Bearbeitungen durchweg eine positive Figur. Walter Hasenclever macht in seiner Antigone (1917) aus dem sophokleischen Stück einen Aufruf zum Frieden. Antigone wird wie später in Bertolt Brechts Bearbeitung zur pazifistischen Märtyrerin. Jean Anouilh stellt in seiner Antigone (1942, Uraufführung 1944) der konsequenten Lebensverneinung der Protagonistin Kreons Lebensliebe entgegen. Wie bei Sophokles kann sich Anouilhs Antigone nicht mit den Alltagskompromissen abfinden und sieht als einzigen Ausweg aus der absurden Welt den Tod. Ähnlich wie Hasenclever sieht Bert Brecht die sophokleische Heldin in seiner Antigone (1948) als Kämpferin gegen Unterdrückung und Unrecht. Die Bestattung des Polyneikes, die Antigone bei Sophokles als religiöse Pflicht auffasst, wird bei Brecht zu einem Akt der Zivilcourage gegen ein Unrechtsregime. Als Manifest gegen politische Unterdrückung erscheint die sophokleische Tragödie als ›Stück im Stück‹ in dem Anti-Apartheid-Drama The Island von Athol Fugard, John Kani und Winston Ntshona (Uraufführung 1973). Zwei Gefangene proben nach der demütigenden und sinnlosen täglichen Zwangsarbeit – hier ist deutlich der Sisyphos-Mythos in Albert Camus’ Deutung herauszuhören –
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Sophokles’ Tragödie für eine Aufführung vor den Mitgefangenen, John in der Rolle Antigones, Winston in der Kreons. Das sophokleische Stück ist auf die Konfrontation zwischen Kreon, der den Unterdrückerstaat vertritt, und der für die ewigen Rechte der Götter eintretenden Antigone reduziert. »Gods of Our Fathers! My Land! My Home! Time waits no longer. I go now to my living death, because I honoured those things to which honour belongs« – sind die letzten Worte von John-Antigone. Kein anderes Stück des Sophokles wurde sowohl in der Literaturtheorie, in der philosophischen Diskussion und in anderen Disziplinen wie der Psychologie (S. Freuds »ÖdipusKomplex«, in: Die Traumdeutung, 1900) als auch von den Dramatikern und Literaten mehr zur Kenntnis genommen als der König Oidipus. Der deutschen Klassik (Schelling, Schiller) dient der König Oidipus als Modellfall einer tragischen Analyse, als Paradigma des Tragischen, das durch dialektische Spannung, durch die Einheit von Gegensätzen und vor allem durch den Umschlag des Einen in sein Gegenteil, gekennzeichnet ist. Das in der sophokleischen Tragödie zentrale Problem der menschlichen Erkenntnisfähigkeit spielt in der durch stoi sches Gedankengut und die Zeitgeschichte, die Gewaltherrschaft des Kaisers Nero (54 – 68 n. Chr.), geprägten OidipusTragödie Senecas (Zeitenwende – 65 n. Chr.) keine Rolle. Indem Seneca bereits im Prolog (V. 32 ff.) Oedipus mit Bestimmtheit aussprechen lässt, dass er selbst Schuld an der Seuche trage, ist das Thema seiner Tragödie nicht menschliches Hoffnungsdenken und Scheinwissen; vielmehr führt Seneca vor, wie ein Tyrann sich angesichts eines ungeheuren, von ihm selbst begangenen Verbrechens, unter dem die ganze Gemeinschaft zu leiden hat, verhält. Das Motiv des Richters, der über sich selbst zu Gericht sitzt, sowie die Schein-SeinProblematik stehen in Heinrich von Kleists Der zerbrochene Krug (Uraufführung 1808) – gleichsam einer Umkehrung des sophokleischen Stücks – im Mittelpunkt. Die Unaus-
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weichlichkeit des Schicksals und die Undurchschaubarkeit der Götter betont Jean Cocteau in La machine infernale (Die Höllenmaschine, 1932, Uraufführung 1934). Während die Elektra des Sophokles auf der Bühne der Gegenwart, verdrängt von Hofmannsthals Stück oder Strauss’ Oper, nicht allzu oft zu sehen ist, gehören Antigone und König Oidipus zum Repertoire des modernen Theaters; zu nennen sind auch Carl Orffs Vertonungen Antigonae und Oedipus der Tyrann (1949). König Oidipus hat in Pier Paolo Pasolinis Film Edipo Re (1967) eine Neuinterpretation erlebt. Durch die Transposition des antiken Stoffes in eine nicht lokalisierbare Gegenwart zeigt Pasolini die Aktualität des griechischen Mythos und betont gleichzeitig seine archaische Gebundenheit. Wie die Athener im 5. Jahrhundert v. Chr. im Dionysostheater im Spiegel der dramatischen Gattungen sich die Grundlagen des demokratischen Zusammenlebens im festlichen Rahmen bewusst machten, ist die griechische Tragödie in der Form der Neuinszenierung oder Neubearbeitung ein künstlerisches Medium von Zeitkritik und Zeitanalyse geblieben.
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Einleitung Der Stoff des Aias entstammt dem trojanischen Sagenkreis, den nicht überlieferten Epen Aithiopis und Kleine Ilias,Werke des sogenannten Epischen Kyklos, der in einer Vielzahl von Epen die Vor- und Nachgeschichte des trojanischen Krieges behandelte. Nach dem Tod des Achilleus entbrennt ein Streit um die Waffen des Helden. Die beiden Heerführer Agamemnon und Menelaos sprechen die Waffen Odysseus zu, obwohl Aias als Verwandter und größter Held nach Achill seine Ansprüche geltend gemacht hatte. Aus Rache plant Aias, die griechischen Heerführer zu ermorden. Die Göttin Athena verhindert jedoch das Blutbad. Sie schlägt Aias mit Wahnsinn und lässt ihn anstelle der griechischen Helden das Herdenvieh niedermetzeln. An diesem Punkt des Mythos beginnt das Stück des Sophokles. Athena berichtet Odysseus, der von den Griechen als Späher in das Lager des Aias gesandt wurde, von der in Wahnsinn begangenen Tat des Aias (V. 1 f.). Darauf ruft sie Aias aus dem Zelt, um ihn in seiner Verblendung Odysseus vorzuführen, und bringt ihn zu einem großsprecherischen Prahlen mit seiner vermeintlich erfolgreichen Rachetat (V. 71 ff.). In dem den Prolog abschließenden Gespräch weist die Göttin auf Aias als warnendes Beispiel für übermäßigen Hochmut (hýbris) hin (V. 118 ff.). Der Chor der Seeleute von der Insel Salamis, der Heimat des Aias, versammelt sich vor dem Zelt, um sich Gewissheit über das Schicksal seines Herrn zu verschaffen (V. 134 ff.). Doch auf sein Rufen erscheint nicht Aias, sondern Tekmessa, eine kriegsgefangene Prinzessin, die Geliebte des Aias (101 ff.). Sie schildert den Seeleuten die ausweglose Situation, in der sich Aias nach seiner Tat befindet.
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Da ertönt die Stimme des Herrn aus dem Zelt (V. 333 ff.). Er verlangt nach seinem Sohn Eurysakes und nach seinem Halbbruder Teukros. Das Zelt öffnet sich, und man sieht Aias selbst inmitten des erschlagenen Viehs. Der lyrische Dialog zwischen Aias, Tekmessa und dem Chor (V. 348 ff.) enthüllt die ganze Verzweiflung, in der sich der Held nach der Erkenntnis seiner Tat befindet. Als Ausweg bleibt ihm – so seine feste Überzeugung – nur der Selbstmord (V. 430 ff.). Gegen Tekmessas beschwörende Worte, die an seine Liebe und sein Verantwortungsgefühl appelliert, setzt er eine starre Adelsethik. Zögernd, da sie Schlimmes befürchtet, kommt Tekmessa schließlich dem Befehl des Aias nach und holt ihren gemeinsamen Sohn Eurysakes. Aias nimmt ihn auf den Arm und hält ihm eine lange Abschiedsrede, gleichsam sein mündliches Testament (V. 545 ff.). Der Chor beschließt die Szene mit einem Lied, in dem er sehnsuchtsvoll seine Heimat, die Insel Salamis, besingt (V. 596 ff.). Aias, ein Schwert in der Hand haltend, und Tekmessa treten wieder auf. Zum größten Erstaunen der Seeleute scheint Tekmessa den harten Sinn ihres Herrn besänftigt zu haben, denn Aias setzt ihnen auseinander, dass er an einem abgelegenen Ort sich von seiner Tat reinigen wolle. Der Chor stimmt einen Freudengesang über den Sinneswandel des Aias an (V. 693 ff.). Doch die Freude ist von kurzer Dauer. Ein von Teukros, dem Halbbruder des Aias, geschickter Bote berichtet dem Chor und der hinzukommenden Tekmessa, dass der Seher Kalchas geweissagt habe, man müsse Aias diesen einen Tag im Zelt halten, wenn man sein Leben retten wolle (V. 719 ff.). Alle machen sich sofort auf, um Aias zu suchen. Bühne und Orchestra sind leer. Die Szene verwandelt sich in eine einsame Gegend am Meer. Aias, das Schwert in der Hand, hält, an die ihn umgebende Natur gewandt, seine Abschiedsrede; dann stürzt er sich in das Schwert (V. 815 ff.). Der Wiedereinzug des Chores eröffnet den zweiten Teil der Tragödie (V. 866 ff.), den die Auseinandersetzung um die Bestattung des Toten füllt. Mit der Arroganz der Überlege-
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nen verbieten Menelaos und Agamemnon das Begräbnis des Aias. Erst Odysseus, der aus Athenas warnenden Worten gelernt hat, kann die Heerführer umstimmen (V. 1318 ff.). So kann sich der Chor zu einem Trauerzug formieren, um die Bestattung seines Herrn auszurichten (V. 1402 ff.).
Personen Pallas Athene Aias Tekmessa, seine Kriegsgefangene Eurysakes, ihr Sohn (stumme Rolle) Teukros, Halbbruder des Aias Odysseus Agamemnon Menelaos Ein Bote Der Chor, bestehend aus den Schiffsgenossen des Aias
Der Schauplatz ist zuerst vor dem Zelte des Aias, später am Strande, in der Nähe des griechischen Lagers
O d y s s e u s, A t h e n e Athene Sonst fand ich immer dich, Sohn des Laërtes, Auf Feindes Fährte! Stets als wackren Jäger! Heut seh ich dich schon lang hier bei den Zelten, Wo in der letzten Reihe Aias lagert, Wie du umherschleichst und des Mannes Spuren, Die frisch geprägten, prüfst, um zu erfahren, Ob er im Zelt ist oder nicht. Du hast Gewittert grad wie eine Sparterhündin! Der Mann ist drin im Zelt: Es trieft sein Haupt Von Schweiß, und von den Händen rinnt ihm Mord! Du brauchst nicht durch die Zelttür mehr zu spähn. Sag lieber mir, was dich so eifrig macht, Daß ich dir raten kann nach meinem Wissen. Odysseus Athene, deine Stimme, liebste Göttin, Mir wohl bekannt, wenn ich dich auch nicht sehe, Rührt mir ans Ohr und greift mir an das Herz, Wie einer Kriegsdrommete erzener Ton. Wohl sahst du richtig, wie mein Fuß den Feind, Den schildbewehrten Aias, rings umschleicht. Nach keines andern Fährte suche ich. Denn diese Nacht verübt’ er eine Tat, Die keiner, wenn er’s tat, begreifen kann. Denn noch sind wir darüber nicht im klaren, Und so nahm ich’s auf mich, es zu erforschen. Wir fanden nämlich tot in ihrem Blut, Von Menschenhänden sichtlich hingeschlachtet, Das ganze Beutevieh mitsamt den Hirten, Und jeder schiebt die Schuld auf ihn, auf Aias. Auch meldet mir ein Wächter, daß er ihn Allein mit einem frisch benetzten Schwert
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Sah durch die Felder stürmen. Ich sogleich, Ich setz mich auf die Spur, bald hab ich sie, Bald bin ich irr und find mich nicht zurecht. Du kommst zur guten Zeit. Denn deine Hand 35 Wird wie bisher auch fürder recht mich lenken. Athene Ich sah’s, Odysseus, folgte dir schon lange, Um deiner Hetzjagd freundlich beizustehn. Odysseus Bin ich auf rechter Fährte, teure Herrin? Athene Ja, denn die Tat vollführte wirklich Aias. Odysseus 40 Was hat so sinnlos seine Hand verwirrt? Athene Er grollte um die Waffen des Achill. Odysseus Und darum fällt er unsre Herden an? Athene Er glaubt, in euer Blut sein Schwert zu tauchen. Odysseus So war der Anschlag gegen uns ersonnen? Athene 45 Und wär vollführt, hätt ich euch nicht beschirmt. Odysseus Was für ein toller Plan bewegt sein Herz? Athene Euch zu ermorden, zog er nächtlich aus. Odysseus Und war er schon am Ziel? War uns schon nah? Athene Er stand schon vor dem Zelt der beiden Feldherrn! Odysseus 50 Und was hat da die gierige Hand gehemmt?
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Athene Ich hielt ihn ab von seiner wilden Lust, Ich trübte ihm mit schlimmem Wahn das Auge, Ich lenkt ihn auf das Vieh, die bunte Beute, Die unverteilt im Schutz der Hirten war. Dort fiel er wütend ein und hieb rings um sich Und mähte einen vielgehörnten Mord. Bald glaubt’ er die Atriden abzuschlachten, Bald fiel er einen andern Feldherrn an. So trieb ich ihn im Wahnsinn vor sich her Und schlug ihn in ein bös umstrickend Netz. Nachdem er dann die Mordbegier gesättigt, Da band er alles, was an Vieh noch lebte, Und trug die Tiere sämtlich in sein Zelt, Als hätt er Männer und nicht Vieh bezwungen. Nun peitscht er sie in Fesseln dort im Zelt. Ich will dir seinen Wahn vor Augen führen, Damit du allen es erzählen kannst. Bleib unbesorgt hier stehn! Hab keine Furcht! Ablenken werd ich seines Auges Strahl, So daß er deiner nicht gewahren wird. Ins Zelt rufend Du, der du deiner Kriegsgefangenen Arme In strengen Banden hältst, du, komm heraus! Dich mein ich, Aias, komm aus deinem Zelt! Odysseus Was tust du, Herrin, ruf ihn nicht heraus! Athene Schweig stille! Willst du etwa Feigling heißen? Odysseus Bei Zeus! Sei froh doch, wenn er drinnen bleibt. Athene Nur keine Angst! Er war auch sonst ein Mann. Odysseus Mein Feind war er und ist es immer noch.
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Athene Gibt’s süßeres Lachen als den Feind verlachen? Odysseus 80 Ich bin zufrieden, wenn er drinnen bleibt. Athene Du fürchtest dich vor einem Sinnberaubten? Odysseus Wär er gesund, so wich ich ihm nicht aus. Athene Er soll es gar nicht sehen, daß du da bist. Odysseus Wenn er noch aus denselben Augen schaut? Athene 85 Ich hüll in Dunkel auch ein sehend Auge. Odysseus Den Göttern freilich ist kein Ding unmöglich. Athene Nun bleibe stehen, wo du bist, und schweige. Odysseus Ich bleib.Viel lieber wär ich fern von hier. Athene Aias! Zum zweiten Male ruf ich dich! 90 So wenig kehrst du dich an deine Helfer? A i a s tritt aus dem Zelt Aias Sei mir gegrüßt, Athene, Kind des Zeus! Du halfst mir trefflich! Und mit goldnem Preise Bekränze ich dich für den guten Fang! Athene Das hör ich gerne. Aber sage mir: 95 Hast du das Schwert in Griechenblut gebadet? Aias Des rühm ich mich, und werd es nie verleugnen!
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Athene Und hast du die Atriden auch gefällt? Aias Sie werden nimmermehr den Aias höhnen. Athene Wenn ich dich recht verstanden, sind sie tot? Aias Tot sind sie. Laß sie jetzt nur Waffen rauben! Athene Schön. Doch wie steht’s mit des Laërtes Sohn? Welch Schicksal traf ihn? Er entkam doch nicht? Aias Du meinst doch wohl den abgefeimten Fuchs? Athene Ja, den Odysseus mein ich, deinen Feind! Aias Dort liegt er mir im Zelt, ein süßer Fang! Der Tod soll ihn so rasch noch nicht erlösen! Athene Was willst du vorher denn mit ihm noch tun? Aias Ich will ihn binden erst noch an den Pfosten – Athene Wie willst du mit dem armen Mann verfahren! Aias Und dann ihn blutig peitschen, bis er tot ist. Athene O quäle doch den armen Mann nicht so! Aias In allem bin ich dir, Athene, willig, Doch so muß er mir büßen und nicht anders! Athene Wenn es dir wirklich Freude macht, nun gut! Auf, geh ans Werk! Tu, was dein Herz begehrt!
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Aias Ans Werk, jawohl! Dich, hohe Göttin, bitt ich, Gewähr mir immer deine Huld wie heute. Ab ins Zelt Athene Erkennst du jetzt der Götter Macht, Odysseus? War je ein Mann verständiger als er 120 Und tüchtiger zu jeder guten Tat? Odysseus Ich kenne keinen, und mich jammert seiner. Er ist mein Feind, und dennoch fühl ich Mitleid Mit seinem Schicksal, das so schwer ihn schlägt. Seh ich ihn so, seh ich in ihm auch mich; 125 Denn uns erseh ich als ein Nichts, als Luft, Als leeren Schatten, uns, soviel wir leben. Athene Erkennst du dies, so rede nie ein Wort Des Übermutes gegen Göttermacht Und blase dich nicht auf, wenn andre du 130 An Reichtum übertriffst und Armes Kraft. Es hebt der Tag, es stürzt der Tag zu Boden All Menschenwerk. Und nur dem Mann von Maß Sind hold die Götter, Schlechte hassen sie. A t h e n e entschwindet. O d y s s e u s geht ab
Der C h o r zieht ein Chor O Telamons Sohn, der als Fürst du gebeust 135 Auf Salamis meerumschlungenen Höhn, Dein Glück ist unsere Freude. Doch wenn dich der Zorn des Kroniden bedroht, Und ein schimpfliches Wort von den Griechen dich trifft, Dann faßt mich Angst, und ich zittre vor Furcht,
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Wie das Auge der flatternden Taube. So hat in der jüngst entschwundenen Nacht Ein Lärmen gewaltig ans Herz uns gefaßt Mit dem bösen Gerücht: Du seist in den rossedurchwimmelten Pferch Gedrungen und habest der Danaër Vieh, Das von der Beute noch übrig war, Mit blitzendem Stahle gemordet. Odysseus ist’s, der die Kunde ersann, Und zischelnd trägt er’s von Ohr zu Ohr, Und jedermann glaubt’s. Denn was er jetzt sagt, sehr glaubhaft klingt, Und wer es hört, der freut sich noch mehr, Als wer’s erzählt, Und verhöhnt dein trauriges Schicksal. Denn wer die Großen zum Ziele sich nimmt, Der wirft nicht fehl. Nur, spräch er von mir, Dann würde ihm keiner wohl glauben. Denn nur den Gewaltigen naht sich der Neid, Und die Kleinen sind doch, von den Großen getrennt, Ein gebrechlicher Schutz für die Mauer der Stadt. Mit den Großen vereint, ist der Kleine was wert, Und der Große wird auch von den Kleinen gestützt. Doch unmöglich ist’s, das verblendete Volk Die Erkenntnis dessen zu lehren. Von solchen erhebt nun um dich sich der Lärm. Doch bist du uns fern, so fehlt uns die Kraft, Den bösen Gerüchten zu wehren, o Herr. Doch einzig, weil jetzt sie dein Antlitz nicht sehn, So lärmen sie wie der gefiederte Schwarm; Erschienst du, so würden sie zagend vor Angst Vor dem Geier, dem mächtigen, jäh im Schreck Sich schweigend ducken und lautlos.
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Sollte dich Artemis wohl, die Taurische, (O du entsetzlich Gerücht, Mutter meiner Schmach!) getrieben haben 175 In die erbeuteten Rinder? Weil du sie um des Sieges Frucht betrogen hast Oder um den herrlichen Zoll Der Waffenbeute, um den Tribut der Jagd? Wie? Oder Ares zürnt dir im ehernen Kleid 180 Und schlug dich, weil du nicht ihm die Hilfe gedankt, Zornentbrannt mit mächtigem Blendwerk? Nie noch verfehltest du dich, Telamonier, Eigenen Willens so sehr, Daß du blind in Herden einfielst. Wahnsinn wird von 185 Göttern gesandt. Aber schützen Vor bösem Ruf des Volks soll Zeus, soll Phoibos uns! Aber wenn heimlich und falsch Das bloß erdichtet unsere mächtigen Herrn Und er, der Bastard, Sisyphos’ listiger Sohn – 190 Nein, nein, nicht einsam birg dich im Zelte am Strand, Stärke nicht das böse Gerücht noch! Sondern empor von dem Sitz, Auf dem du Leid brütest! Allzu lange dauert die Ruhe, unruhvoll 195 Flammt zum Himmel das Unheil. Der Übermut deiner Feinde Geht sorglos in Sicherheit vor dem Wind, Und alle höhnen dich mit beißendem Spott. 200 Fest haftet der Gram in mir. Te k m e s s a tritt aus dem Zelt Tekmessa Fahrthelfer des Schiffs, dem Aias gebeut, Aus des erdgezeugten Erechtheus Stamm, Nun jammern wir laut, die wir, liebend besorgt
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Um Telamons Haus, in der Ferne noch sind. Denn Aias, der große, unbändig an Kraft, Liegt darnieder, erfaßt Vom Sturm der furchtbaren Krankheit! Chor Wie hat ihm in Leid verwandelt sein Glück Die gestrige Nacht! O Phrygerin, sprich, des Teleutas Kind, Da der Held dich, die speererstrittene Frau, Als Lagergenossin in Liebe umhegt, So weißt du gewiß auch die Wahrheit. Tekmessa Wie sprech ich nur aus das unsagbare Wort? Ihr vernehmt ein Geschick, so schwer wie der Tod! Es verfiel in Wahnsinn der herrliche Mann Und hat in der Nacht sich zu Schanden gemacht. Da seht ihr in seines Zeltes Gemach Schlachttiere, von seinen Händen zerfleischt, Des Mannes bluttriefende Opfer! Chor Was kündest du mir vom Feurigen Mann unerträgliche Schmach? Und muß sie dennoch tragen, Wie von den Fürsten der Danaer ruchbar gemacht, Sie sich vermehrt durch das Gerede. O weh, mir bangt, was da entsteht! Klar ist es ihm gesetzet, Zu sterben. Denn er schlug ja mit verwirrten Händen Und dem Schwert, dem dunkelroten, das Vieh und auch die Hirten alle. Tekmessa Weh mir! Von dort, ja von dorten bracht Er gefangen herein die Herden geführt, Und die einen erwürgt’ er am Boden im Zelt,
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Und die andern zerhieb er und riß sie entzwei. Zwei Widder ergriff er, weißfüßige, ach, Schnitt einem den Kopf und die Zunge ab Und schleudert’ sie fort; 240 Den anderen zog er am Pfosten empor, Ergriff einen Riemen, doppelt gelegt, Und schlug ihn mit klatschendem Peitschenhieb Unter Flüchen so schlimm, wie sie nie ein Mensch, Wie nur ein Dämon sie eingibt.
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Chor Nun ist’s Zeit, stumm das Haupt zu verhüllen und heimlich sich fort Zu schleichen leisen Schrittes, Oder sich schnell zu vertrauen dem rudernden Schiff Und auf dem Meer Rettung zu suchen. Denn furchtbar droht allen der Zorn von den Atriden beiden. Ich fürchte, daß zu Tode man mich steinigt, daß ich Muß leiden mit dem Armen, den Wahnsinn unheilbar geschlagen. Tekmessa Nicht mehr. Er ruht, wie der stürmende Süd Sich legt, wenn er ohne Gewitter sich hob. Aber jetzt bei Vernunft, erneut sich das Leid. Denn wenn sich dem Menschen ein Unheil zeigt, Das er selbst verschuldet und niemand sonst, Das quält ihn mit schrecklichen Schmerzen. Chorführer Nun, ist der Sturm vorbei, so wird’s noch gut, Auf überstandenes Leiden blickt man leichter. Tekmessa Was wär dir, hättest du die Wahl, am liebsten: Den Freund zu kränken, selber froh zu sein, Oder mit ihm zu tragen gleiches Leid?
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Chorführer Zweifaches Leid ist sicherlich das größere. Tekmessa So sind wir, ohne Leid, erst recht im Elend. Chorführer Wie soll ich dieses Wortes Sinn verstehn? Tekmessa Als Aias noch im Wahn befangen war, Da war er frohen Muts in aller Not. Nur uns Gesunden schuf sein Anblick Qual. Doch nun er von der Krankheit sich erholt, Wird er von böser Qual umhergetrieben, Und unser Schmerz bleibt unverkürzt bestehn. So wuchs aus einer Not ein doppelt Elend. Chorführer Ja, wahrlich! Und mir bangt, ob dies ein Schlag nicht Von eines Gottes Hand. Es muß so sein. Sonst wär er heiter, da die Krankheit wich. Tekmessa So ist es, Freunde, seid des überzeugt. Chorführer Wie fing die Krankheit an, Tekmessa, rede! Vertrau es den Genossen deines Grams. Tekmessa Genossen meines Grams, ja, hört mich an! Um Mitternacht, als überall die Lichter Erloschen, sprang er plötzlich auf und nahm Sein Schwert und wollte fort zur Tür hinaus. Erschrocken rief ich: »Aias, was beginnst du? Ich hörte keinen Herold, der dich rief, Noch einer Felddrommete Ton! Jetzt ruht In tiefem Schlafe ja das ganze Heer!« Er gab zur Antwort mir das alte Lied: »O Weib, des Weibes Zierde ist das Schweigen.« Drauf war ich still; er stürmte fort, allein.
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Was draußen dann geschehen, weiß ich nicht, Doch wieder kam er bald mit Rindern, Schafen Und Hunden, all gebunden und gefesselt. Nun fing das Schlachten an. Hier fiel ein Kopf, Dort würgt’ er einen, dreht’ den Hals ihm hoch Und stach ihn ab, dort band und peitscht’ er einen In schäumend wilder Wut, als wären’s Männer. Dann stürmt’ er vor das Zelt hinaus und schwatzte Dort lang mit einem Schatten, und laut lachend Sprach er von den Atriden, von Odysseus, Und wie er sich an ihnen hätt gerächt. Dann stürzt’ er wieder in das Zelt zurück, Und nun kam er allmählich zur Besinnung. Da, als er sah, was seine Wut getan, Da schrie er auf, schlug sich die Faust vors Hirn Und warf sich auf der Tiere blutigen Haufen, Die Nägel fest ins Haupthaar eingekrallt, Und blieb so lautlos liegen lange Zeit. Dann fuhr er plötzlich drohend wild mich an, Gestehen sollt ich ihm, was hier geschehn. Und ich, in meiner Angst, ihr Freunde, sagte Ihm alles, was ich wußt von seinem Tun. Da brach ein Schrei aus seiner Brust hervor, Wie ich zuvor ihn nie von ihm gehört – Denn stets pflegt er zu sagen, nur der Feige, Der winsele so, der unbeherzte Mann. Er pflegte, wenn er litt, nur dumpf und leis Zu stöhnen, wie ein Stier, nicht laut zu jammern. Doch nun, in dieses Schreckenslos versunken, Hoch auf den Tieren, die sein Schwert erwürgt, Sitzt er in stillem Brüten, trinkt und ißt nicht, Und seine Worte zeigen und sein Stöhnen: Er sinnt auf eine grauenvolle Tat. Deshalb, ihr Freunde, komm ich, euch zu bitten: O geht hinein und helft mir, wenn ihr könnt, Ein Mann wie er hört auf ein Freundeswort.
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Chorführer Entsetzlich ist es, was du uns erzählst, Tekmessa, von des Unglückseligen Wut. Aias im Zelt Weh! Wehe mir! Tekmessa Bald siehst du mehr noch. Hast du nicht gehört, Wie fürchterlich sein Jammerruf erscholl? Aias Weh! Wehe mir! Chorführer Es scheint, die Krankheit faßt ihn wieder! Oder Es faßt ihn Qual ob des Geschehenen. Aias Mein Sohn! Mein Sohn! Tekmessa Weh mir! Er ruft nach dir, Eurysakes. Wo bist du? Ach, was will er nur! Ich Ärmste! Aias O Teukros! Wo ist Teukros! Mußt du stets Auf Beute ziehn, und ich verderb indessen! Chorführer Er scheint bei Sinnen. Öffne denn das Zelt, Vielleicht bringt unser Anblick ihn zur Ruhe. Tekmessa Ich öffne. Schauet her. Nun könnt ihr sehn Des Mannes Taten und sein Jammerbild! Sie öffnet das Zelt, man sieht A i a s im Innern mitten unter den geschlachteten Tieren sitzen Aias O weh! Mein Schiffs volk, o seht, einzge Freunde mir, Die fest mir zur Seite ihr immer steht, Seht her, was für ein Wogenschwall, von blutgem SturmRings mich im Kreis umbrandet. [wind aufgejagt,
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Chorführer zu Te k m e s s a Weh! Dein Bericht, er ist nur allzuwahr. Es zeigt die Tat, welch Wahnsinn ihn erfaßt. Aias Du meer fahrend Volk, wie kennst du dich aus, Wenn hoch du zur See das Schiffs ruder schwingst! In dir, in dir allein erblick ich meinen Helfer in der Not. Auf denn, so schlag mich nieder! Chorführer Schweig ruchlos Wort! Such Heilung nicht vom Übel Im Übel! Steigre nicht das Leid der Schuld! Aias Den Kampf kühnen seht, des Herz fest und froh, Den Mann ohne Furcht im Sturm vor dem Feind! Nun schlägt seine Hand das harm lose Vieh. O Hohngelächter, wie bin ich entehrt! Tekmessa O Aias, sag das nicht, ich bitte dich! Aias Hinweg! Von hinnen! Geh mir aus dem Weg! O weh, o weh! Chorführer Gib nach doch bei den Göttern, nimm Vernunft an! Aias Ich Elender, der aus der Hand Entkommen ließ die Schurken, statt dessen jedoch In Rinder einfiel und in das rühmliche Volk Der Ziegen, Blut vergießend. Chorführer Was frommt’s, Geschehnes zu bejammern, Herr? Es macht dein Gram es nimmer ungeschehn. Aias O du, Spürhund du! Dabei überall, Wo Schand tat geschieht; ich mein dich, Odyss!
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Du durch triebner Schuft, im Heer unerreicht! Jetzt kannst du lachen wohl aus vollem Herzen. Chorführer Gott fügt’s, ob Menschen lachen oder weinen. Aias Packt ich ihn nur! Trotz aller meiner Schmach – O weh mir, weh –
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Chorführer Vermessnes Wort! Begreif doch deine Lage! Aias O Zeus, meiner Vorfahren Ahn! Ach könnt ich doch den Gleißner, den Abschaum, den Mit ihm die beiden Fürsten vernichten und dann [Schuft, 390 Zuletzt noch selber sterben! Tekmessa Dann bitte auch den Tod zugleich für mich! Was soll dies Leben mir, wenn du mir stirbst? Aias O weh! O Nacht, du mein Licht! 395 O Grab, strahlst so hell wie nichts auf der Welt! So nehmt, so nehmt mich doch heim zu euch! So nehmt mich! Niemals wieder bin ich wert, mir zu erflehn 400 Ein Glück von Göttern oder von dem Eintagsvolk der Doch das Kind des Zeus, [Menschen. Göttin stark, sie stößt Mich in Schmach und Tod. Flieh ich? Doch wohin? Und wo find ich Ruh? 405 Alles ist dahin. Die mich verderben, sind mir nah. Bei blöder Jagd ward ich gestellt.
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Das ganze Heer mit aller Macht Will mich erschlagen. Tekmessa Wie furchtbar, daß ein Mann so reden kann, Der nimmer solche Sprache hat geführt. Aias O weh! Du wild rauschend Meer, Ihr See grotten, und du Hain hier am Strand! So lange, lange schon seht ihr, seht Mich bei Troja festgebannt. Aber nimmer seht ihr mich Am Leben noch. Und wer bei Sinnen ist, begreift das wohl. O Skamander du, Nachbarlicher Strom, Freund du der Hellenen! Nie mehr siehst du mich. Und doch war mir gleich (Hört das große Wort!) Nicht einer, den man kommen sah Vom Lande der Hellenen her Nach Troja. Aber jetzt: entehrt, So lieg ich am Boden. Chorführer Soll ich dir wehren, soll dich reden lassen? Ich weiß es nicht bei solchem schweren Leid. Aias Ai! Ai! Wer konnte ahnen, daß mein Name So gut zu meinem Leiden stimmen würde! Nun muß ich zweimal, dreimal Wehe rufen, Denn so hat mein Geschick mich schwer umfangen! Mich, dessen Vater einst auf diesem Ida Den ersten Preis der Tapferkeit erstritt Und jedes Ruhmes Glanz zur Heimat brachte! Und nun muß an demselben Ort sein Sohn, Der seines Vaters Heldenkraft geerbt,
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Und dessen Taten nicht den seinen wichen, Entehrt vor allem Volke untergehn! Und dennoch weiß ich dieses fest und sicher: Wenn noch Achilleus lebte, und er selbst Entscheiden wollte, wer der Waffen würdig, Es hätte sie kein andrer mir entwandt. Nun haben die Atriden einem Gauner Sie zugeschanzt und meine Kraft verworfen. Ha, hätte Geist und Auge nicht ein Irrwahn Mir jäh erfaßt, sie fällten nimmermehr Zum zweitenmal solch ungerechten Spruch! Doch als ich schon den Arm erhob zur Rache. Da traf Athenes mächtiges Gorgoauge Mit wutvoll toller Blindheit meinen Geist, Daß ich die Hände taucht in Lämmerblut! Nun lachen jene, daß sie mir entflohn! Nicht, ging’s nach mir! Doch wenn ein Gott uns täuscht, Entrinnt der Feige auch dem Tapfersten. Was tu ich nun? Es hassen mich die Götter, Es grollt mir der Hellenen Heeresschar, Und Troja haßt mich wie die ganze Gegend. Soll ich nach Hause fliehen übers Meer? Von diesem Strand hinweg und den Atriden? Wie soll ich dann vor meinen Vater treten, Vor Telamon! Wie soll er es ertragen, Kehr heim ich ohne Sieg und ohne Kranz, Der herrlich vormals seine Stirn geschmückt! Nein, das ertrüg ich nimmer! Geh ich denn Zum Wall der Troer, fordere sie heraus Und fall in wackerem Kampfe als ein Held! Doch nein, dies freute die Atriden nur. Nein, nein! Doch eine Tat muß ich vollenden, Die meinem Vater Telamon beweist, Daß ich nicht unwert seines Blutes bin. Schmach dem, der immer noch am Leben hängt, Wenn ewige Schande er vor Augen sieht!
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Wen freut das denn? Ein Tag so nach dem andern Bringt uns dem Tode näher oder ferner. Nichts würdig ist der Mensch, der nur An eitlen Hoffnungen die Seele wärmt. Ruhmreiches Lehen oder Ruhm im Tode Ist edlen Mannes Muß. – Doch nun genug! Chorführer Niemand kann sagen, daß ein unecht Wort Du sprachst; dein eigenst Wesen wurde Wort. Doch hör nun auch der Freunde treuen Rat Und bann den finstern Geist aus deinem Busen. Tekmessa Aias, Gebieter, sieh, kein härter Leid Gibt es für einen Menschen als den Zwang. Mein Vater war in Phrygien ein Freier Und reich und mächtig, wie nur irgendeiner. Nun bin ich Sklavin. Götter fügten’s so Und deine Hand. Doch nun, o Herr, seitdem ich Dein Lager teile, hängt mein Herz an dir. Darum beschwör ich dich, bei unserm Herde, Bei unserm Bett, das uns vereinigt hat, O laß mich deiner Feinde Hohn nicht tragen, Und gib mich nicht in eine fremde Hand! Denn stirbst du und vollendest deinen Plan, Dann greift man mich am selben Tage noch Und wirft in Knechtschaft mich und deinen Sohn! Dann wird so mancher mir der Fürsten höhnend Das Herz verwunden: »Seht die Bettgenossin Des Aias, der so mächtig einstens war! Nun muß sie dienen, wo sie einst gebot!« So wird er sagen. Mich zieht fort mein Schicksal, Und dir und deinem Stamme bleibt die Schmach. Denk deines Vaters! Laß in seinem Alter Ihn nicht allein! Denk deiner Mutter, die, Gebeugt von ihrer Jahre Last, tagtäglich Um deine Heimkehr zu den Göttern betet!
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Und deines Sohnes, Herr, erbarme dich, O nimm ihm nicht den Hüter seiner Jugend, Gib ihn nicht einem harten Vormund preis! O stirbst du, welche Not für ihn und mich! Ich habe niemand auf der Welt als dich. Zerstört hast du mir meiner Ahnen Stadt, Und meine Mutter, meinen Vater nahm Ein frühes Los hinab ins dunkle Grab. Wo ist mein Vaterland, mein Hab und Gut? Du bist’s allein, du bist mein ganzes Heil. O denke meiner! Kann ein edler Mann Vergessen, wo ihm Holdes ward zuteil? Nein, Liebe muß ja Liebe stets erzeugen. O, wer genossene Huld so leicht vergißt, Der kann fürwahr ein edler Mann nicht sein. Chorführer O Aias, daß du Mitleid fühlen möchtest Gleich mir! Dann gäbst du Beifall ihrem Wort. Aias Gewiß! Den soll sie haben, ist sie nur Entschlossen, meinen Willen auszuführen. Tekmessa Mit Freuden tu ich alles, was du willst! Aias Geh, hole meinen Sohn! Ich muß ihn sehn! Tekmessa In meinen Ängsten bracht ich ihn beiseite. Aias Um meiner Krankheit willen, wie, Tekmessa? Tekmessa Aus Furcht, du möchtest ihm ein Leid antun. Aias Das freilich hätt zu allem noch gepaßt! Tekmessa Deswegen bracht ich ihn in Sicherheit.
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Aias Ich lobe deine Vorsicht. Sie war gut. Tekmessa Was kann ich sonst noch dir zuliebe tun? Aias Laß mich den Knaben sehn! Ich muß ihn sprechen. Tekmessa Er ist ganz nahe in der Diener Obhut. Aias 540 So ruf ihn also, daß er hier erscheint. Tekmessa Mein Kind, der Vater ruft! Wer von den Knechten Ihn grade an der Hand führt, soll ihn bringen! Aias Nun, kommt er endlich? Oder hört er nicht? Tekmessa Der Diener bringt ihn her. Da ist er schon. E u r y s a k e s wird von einem Diener herangeführt Aias So heb ihn denn empor und reich ihn mir! Er wird nicht zittern vor dem frischen Blut, Wenn er des Vaters echter Sprößling ist. Man soll ihn ziehn, das Füllen, in des Vaters Ganz rauher Zucht und ganz nach meiner Art. 550 Sei glücklich, Kind! Beglückter als dein Vater, Doch sonst wie er; dann wirst du niemals schlecht. Doch jetzt schon muß ich dich beneiden, Kind, Daß du von meiner Not noch nichts verstehst! Ein unbewußtes Leben ist das schönste, 555 Eh man noch weiß, was Freude ist und Schmerz! Bist du einmal soweit, dann zeige dich Des Vaters Feinden als sein echter Sohn. Bis dahin weid in leichter Luft und labe Dein junges Herz zu deiner Mutter Lust. 545
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Ich weiß es, kein Achaier wird es wagen, Ein Leid dir anzutun, auch wenn ich fern bin. Ich lasse dich in Teukros’ Hut zurück. Er wird dich treu beschützen, wenn er auch Jetzt ferne auf der Feinde Spuren jagt. Doch euch, ihr Krieger, seegewohntes Volk, Euch übertrag ich diesen Liebesdienst: Sagt’s meinem Bruder an, daß ich ihn bat, Den Knaben heimzuführen in mein Haus, Daß ihn mein Vater sieht und meine Mutter, Und daß er ihres Alters Stütze sei. Und meine Rüstung setz kein Richter aus Als Preis dem Heer, noch auch mein Todfeind gar! Du nimm den Schild, mein Sohn, nach dem du heißest Eurysakes, den siebenfach gedeckten, Den nie ein Speer durchbohrte, nimm und schwing ihn! Die andern Waffen legt mir in mein Grab. Damit genug! Hier, nimm den Knaben weg! Geschwind! Schließ zu das Zelt und weine nicht! Ein weinerliches Ding ist doch das Weib. Mach zu! Ein Arzt fängt auch nicht Zauberlieder Zu flennen an, da wo er schneiden muß. Chorführer Mit Bangen hör ich solche Reden an, Und mir mißfällt die messerscharfe Zunge. Tekmessa O teurer Aias, Herr, was hast du vor? Aias Laß deine Fragen und beherrsche dich! Tekmessa O ich vergeh vor Angst! Bei unserm Kind, Bei allen Göttern, laß mich nicht im Stich! Aias Du marterst mich zu sehr. Merkst du denn nicht, Daß ich den Göttern nichts mehr schuldig bin?
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Tekmessa Wahr deine Zunge! Aias Taubem predigst du. Tekmessa Rührt dich denn nichts? Aias Du sprichst schon viel zu lange. Tekmessa O Herr, ich bebe … Aias zu den Dienern Vorwärts! Schließt sie ein! Tekmessa Laß dich erweichen! Aias Närrin, glaubst du denn, 595 Jetzt noch den festen Sinn mir umzubilden? Ab ins Zelt, Te k m e s s a, E u r y s a k e s und Diener folgen ihm Chor O du herrliches Salamis! Selig liegst du, umplätschert von Wogen, Leuchtend ewig in hellem Glanze. 600 Doch ich, o weh! Lang ist’s schon, daß ich liegen muß Am Ida hier Wintertage und Sommermonde (Ich zähle sie nicht, die lange Zeit) 605 In auf reibendem Kampf. Und bang harr ich in Angst, Zu ziehn die dunkle Todesbahn, Vor der mir graust, zum Hades. 610
Und der schwierige Aias ward Als Genosse mir zugesellet. Wahnsinn ward ihm von Gott beschieden. Wie zog er damals aus stürmisch zum Männerstreit,
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Ein großer Held! Einsam jetzt seinen Kummer weidend, Zum Leid seiner Freunde ward der Mann. Was einst herrlich sein Arm Vollbracht, hin ist es, hin. Es war verhaßt jenem Haß Der argen Atreussöhne.
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Die Mutter sein, hochbetagt und in weißem Haar, Von Alter schwach, wenn sie hört, daß der Sohn erkrankt 625 Daß ihn der Wahnsinn packte, [ist, »Weh mir, o wehe mir!« Wird sie rufen, doch nicht zärtlichen Tones Wie die Nachtigall; nein, schneidende Klagelaute 630 Wird sie jammern, die Brüste Mit den Händen zerfleischend, Und sie wird sich die grauen Haare raufen. Ja, besser wär Todesruh als der irre Wahn. Aus edlem Haus stammt er her, in dem kampferprobten Griechischen Heer der Beste! Aber nicht treu dem Kreis Angeborener Art, wandelt er haltlos. Armer Vater, welch Los mußt du vernehmen Deines Sohnes, des Armen, Wie es niemals getroffen Einen Mann deines Stamms, des hochberühmten.
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A i a s tritt aus dem Zelt, ein Schwert in der Hand, dann erscheint auch Te k m e s s a Aias Die Zeit, die niemand mißt, hebt alles aus Nacht Ins Licht, um’s wieder dann in Nacht zu tauchen. Und nichts gibt’s, was bei ihr undenkbar wäre. Sie beugt den schwersten Eid, den sprödesten Sinn. So ward auch ich, zu harter Tat entschlossen, Wie ölgetauchter Stahl durch diese Frau
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Erweicht. Mich jammert’s, laß ich meinen Feinden Als Witwe sie und meinen Sohn als Waise. Nun geh ich hin zum grünen Meeresstrand, Um in der Flut die Schuld mir abzuwaschen Und so dem Zorn der Götter zu entgehn. An einem Ort, den nie ein Mensch betritt, Verberg ich dieses Stahls verhaßte Wehr Tief in der Erde, wo es niemand sieht. Er sei der Nacht, dem Schattenreich geweiht. Denn seit dies Schwert in meinen Händen ruht, Die Gabe Hektors, meines größten Feindes, Ward mir nichts Liebes mehr von den Argeiern. Der alte Spruch hat sich an mir bewährt: Gift ist des Feindes Gabe, bringt kein Heil. So will ich fürder mich den Göttern fügen Und will es lernen, meine Herren ehren. Herrn sind’s damit gehorcht wird; oder nicht? Naturgewalt weicht wie das Ungestümste Dem Höheren. Der Winter, schneedurchstürmt, Zieht ab, wenn sich der reife Sommer naht. Das dunkle Nachtgewölbe sinkt vorm Strahl Des Tags, der mit den weißen Rossen aufgeht. Furchtbaren Sturm läßt das empörte Meer Auch wieder ruhen. Und sogar der Schlaf, Der allgewaltige, löst, was er gebunden. Wie sollten wir nicht lernen, Maß zu halten? Ich aber – lernt ich doch erst jüngst, man dürfe Den Feind nur soweit hassen, als er Freund Kann werden, und dem Freund nur soweit helfen, Als blieb nicht stets er’s. Ist ja doch der Masse Unsicher aller Mannestreue Port. Doch lassen wir dies gut sein. Du, Tekmessa, Geh du hinein und bete zu den Göttern, Daß sie erfüllen, was mein Herz begehrt. Te k m e s s a ab
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Auch ihr, Genossen, ehret meinen Wunsch, Und saget Teukros, wenn er wiederkehrt, Er möchte mein gedenken, euch geneigt sein. Ich gehe nun, wohin ich gehen muß. Tut so! Bald hört ihr, dünkt mich, wohl, daß ich, Jetzt noch im Unglück, heil geborgen bin. Ab Chor Ein Sehnsuchtsschauer trägt mich hoch empor vor Lust. I– o, I– o, Pan, Pan! O du Pan, durch die Flut der See, Hoch vom felsigen Gipfelgrat, Den Schnee wirbelnd im Kampf umtost, Erscheine, Herr du im Götterchor, Und lehr mich Tänze nach deiner Art, Wie die Lust sie erzeugt, wenn du dabei bist! Jetzt will ich tanzen, will ich singen. Über die Wogenkämme des Meeres komm herbei, Apollon, Leibhaftig von Delos komm, Und bleib bei mir huldvoll und immerwährend. Es nahm vom Auge Ares die schlimme Angst. I– o, I– o! Nun, nun Läßt du endlich doch hell und klar Weißes Licht eines schönen Tags, O Zeus, über die Schiffe gehn, Seit Aias wieder sein Leid verwand, Seit die Opfer nach altem Brauch Ehrfurchtsvoll er vollzog aus frommstem Herzen. Nichts will für unerhört ich noch halten, seit so unerwartet Der Herr seinen Sinn gewandt Und wilden Groll gegen den Feind bezwungen.
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Ein B o t e tritt auf Bote Hört, Männer, was ich euch vor allem melde: Teukros ist eben heimgekehrt vom Mysischen Gebirg; doch als er durch das Lager schritt, Bewarf das Heer der Griechen ihn mit Schimpf. Von allen Seiten drängt’ man sich um ihn, Schmähworte hagelten von rechts und links. »Da geht des Tollen, der uns anfiel, Bruder! Werft ihn mit Steinen, laßt ihn nicht entkommen! Völlig zerschmettert, soll er elend sterben.« Und soweit war es schon gekommen, daß Die blanken Schwerter aus der Scheide fuhren. Eh es indes zum Äußersten gelangt, Da legten sich die Älteren ins Mittel. Doch wo ist Aias, daß ich ihm berichte. Denn alles muß man seinem Herren melden. Chorführer Nicht drinnen. Eben fort. Ganz umgestimmt, Hat er auch seine Pläne umgeworfen. Bote O weh, o weh! Zu spät! Hat man zu spät mich weggeschickt? Weh! Oder hab ich selber mich verspätet? Chorführer Was hast du denn versäumt bei deinem Auftrag? Bote Teukros befiehlt euch, ihr sollt Aias nicht Aus seinem Zelte lassen, bis er selber hier. Chorführer Er ging ja nur, weil sich zum Besten wandte Sein Herz, den Zorn der Götter zu versöhnen. Bote O deine Worte sind voll Unverstand, Wenn anders Kalchas richtig prophezeit.
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Chorführer Wieso? Was weißt du denn von dieser Sache? Bote Ich sag dir, was ich selbst mit Augen sah. Im Rat der Fürsten stand der Seher auf, Und ungesehen von des Atreus Söhnen, Ging er zu Teukros, drückte ihm die Hand Und bat ihn dringendlich, dafür zu sorgen, Daß diesen einen Tag sein Bruder nicht Das Zelt verlasse und sich frei bewege, Wenn ihm an seinem Leben etwas liege. Denn nur an diesem einen Tage noch Treff ihn Athenes Zorn, so fuhr er fort. Denn überheblich unbesonnen Volk, Es stürzt in schweres Leid durch Gottes Hand, Falls, sprach der Seher, jemand, menschlicher Natur entsprossen, Menschenmaß nicht wahrt. Schon als er auszog, wurde er als töricht Befunden bei des Vaters gutem Wort. Der Vater sprach zu ihm: »Mein lieber Sohn, Sei Sieger du, doch Sieger nur mit Gott!« Hochtrabend sprach darauf der eitle Tor: »Mit Götterhilfe mag ein Nichtsnutz auch Im Kampf bestehn. Ich aber traue mich, Auch ohne sie den Ruhm an mich zu reißen.« So prahlte er. Sodann ein andermal, Als Pallas, die erhabene, ihn antrieb, Den blutigen Kampf in Feindesvolk zu tragen, Rief er das ungeheure, unsagbare Wort: »Göttin, steh du den andern Kämpfern bei! Wo ich steh, wisse, wird die Front nicht reißen.« So über Menschenmaß sich überhebend Zog er der Göttin schweren Zorn auf sich. Doch überlebt er diesen heutigen Tag, Wär er mit Gottes Hilfe noch zu retten. So sprach der Seher. Und sogleich schickt Teukros
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Mit diesem Auftrag mich hierher zu dir, Daß du ihn ausführst. War’s jedoch umsonst, So lebt er nicht mehr – oder Kalchas lügt. Chorführer ins Zelt rufend Tekmessa, unglückselig Weib, du Ärmste, Komm her und höre, was der Bote bringt. Es schneidet uns ins Fleisch und keinen freut es. Tekmessa aus dem Zelt kommend Was schreckt mich euer Ruf schon wieder auf, Die ich mich kaum erholt von meinen Sorgen? Chorführer Hör diesen Boten, der uns eine Nachricht Von Aias bringt, die mich mit Furcht erfüllt. Tekmessa Weh mir! Was sagst du, Mann? Bin ich verloren? Bote Nein, dich betrifft es nicht, wohl aber Aias. Ist er nicht drinnen, steht es schlimm um ihn. Tekmessa Er ist nicht drin! O wie erschreckst du mich! Bote Du sollst im Zelt ihn halten, fordert Teukros, Und sorgen, daß er’s nicht allein verläßt. Tekmessa Wo ist denn Teukros? Warum sagt er das? Bote Gleich ist er hier. Geht Aias heute weg, So fürchtet er, es werde sein Verderben. Tekmessa O Leid auf Leid! Wer hat ihm das gesagt? Bote Der Seher Kalchas. Leben oder Tod Wird dieser Tag heut deinem Gatten bringen.
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Tekmessa O Freunde, steht mir bei in meiner Not! Ihr – eilt und rufet Teukros rasch herbei! Ihr – brecht nach Osten, ihr — nach Westen auf, Sucht in den Schluchten nach der Unglücksspur! Nun seh ich, daß ich von dem Mann betrogen Und aus der alten Liebeshuld verstoßen. Mein Kind! Mein armes Kind! Was soll ich tun? Ich darf nicht warten. Rasch, so gut es geht! Kommt, eilet all; jetzt ist nicht Zeit zu säumen. Chorführer Wir sind bereit, und nicht mit Worten nur. Die schnelle Tat, der rasche Schritt soll’s zeigen! Alle ab nach verschiedenen Seiten Ve r w a n d l u n g Einsame Waldgegend am Meere A i a s tritt auf, befestigt sein Schwert im Hintergrunde im Boden und tritt zurück Aias Der Mordstahl könnte besser gar nicht stehn, Wenn das zu prüfen wer noch Muße hätte. Geschenk von Hektor, meinem Freund, der mir Zumeist verhaßt und meinem Aug zuwider. Und in der Feindeserde Trojas steht er, Am Eisenfresser Wetzstein frisch geschärft. Befestigt von mir selbst mit aller Vorsicht, Gibt er, mein bester Freund, mir schnell den Tod. So wär ich denn gerüstet. – Nun, o Zeus, Steh du mir bei, du bist der nächste ja! Ich fleh dich nicht um große Gaben an. Schick einen Boten, der die Unglückskunde Dem Teukros überbringe, daß er mich, Wenn ich ins blutige Schwert hineingesunken, Zuerst hier findet und die Leiche birgt,
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Bevor der Feinde einer sie erblickt Und sie als Fraß den Hunden,Vögeln hinwirft. Um dies nur bitt ich, Zeus! Dann ruf ich dich, Totengeleiter Hermes, bette mich Ganz sanft, wenn zuckungslos, mit schnellem Stoß Des Schwertes Schneide durch die Brust sich bohrt. Auch euch, ihr ewigen Jungfraun, ruf ich an, Ihr, die ihr aller Menschen Jammer schaut, Hehre Erinyen, weit hinschreitende! Seht, wie des Atreus Söhne mich verderben, Die Argen! Reißt sie in den ärgsten Tod! Wie sie von eigener Hand mich fallen sehn, So mögen sie von eigener Hand auch fallen. Auf, ihr geschwinden Rachegöttinnen, Beißt an, schont keinen Mann im ganzen Heer! Du aber, Helios, dessen Sonnenwagen Den Himmel stürmt, erblickst du meine Heimat, So zieh der Rosse goldenen Zügel an, Und tu mein traurig Todeslos dem Vater, Dem greisen, und der armen Mutter kund. O welche Klage wird die unglückselige Hinsenden durch die Stadt, wenn sie dies hört! Jedoch hier gibt es keine eitlen Klagen. Nun muß ich handeln und in aller Eile. O Tod, o Tod, komm her und grüße mich! Dort unten werd ich deinen Gruß erwidern, Dich Tag, der heute strahlend sich ergießt, Grüß ich zum letzten Male und nie mehr. O Licht, o heilige Flur von Salamis, Du Heimat und du väterliches Haus, Erlauchte Stadt Athen, verwandtes Volk, Ihr Quellen, Flüsse hier, du Troerland, Die ihr mich freundlich nährtet, lebet wohl! Des Aias letztes Wort habt ihr gehört, Das nächste werd ich dort im Hades sagen! Er geht in den Hintergrund und stürzt sich in sein Schwert
Aias 37
Ein Teil des Chores tritt auf 1. Halbchor Ach, Plage bringt nur Plag auf Plag! Wo, wo? Wo denn hab ich nicht gesucht? Und keine Stelle wußte mir doch eine Spur. Doch horch, doch horch! Wieder hör ich einen Schall. Der andere Teil des Chores tritt von der anderen Seite auf 2. Halbchor Die Schiffsgefährten sind’s, auf e i n e r Fahrt. 1. Halbchor Was gibt es? 2. Halbchor Westlich der Schiffe haben wir gesucht. 1. Halbchor Und fandet? 2. Halbchor Mühsal genug, doch von ihm keine Spur. 1. Halbchor Doch auch die Gegend ostwärts, die wir streiften, Sie zeigte von dem Manne keine Spur. Chor Wer gibt Kunde mir? Ein Mann mühevoll Am Strand der See, der nachts sein Netz schlaflos wirft? Oder ihr Nymphen vom Berg und ihr Nymphen, ihr Strömebewohnende Schar? Wer hat ihn irgendwo erblickt Irrend umher im Wahn? Sagt es uns! Ist’s doch, so lang Zu schweifen, mühevoll, und stets hin und her, Ohn Erfolg, fern von dem rechten Pfad, Ohne den kranken Mann zu sehn, wo, wo er ist.
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Tekmessa vom Hintergrunde her O weh, weh mir! Chorführer Horch! Wessen Wehruf drang da aus dem Dickicht? Tekmessa Ich Unselige, weh! Chorführer Das unglückselige Weib, Tekmessa, ist’s! 895 Die Speergefangene, tief in Schmerz versenkt. Tekmessa Ich bin verloren! Ach, ich bin des Todes! Chorführer Was hast du? Tekmessa O seht, dort liegt er tot in seinem Blute! Die Brust durchdringt sein Schwert bis an das Heft! 900
Chor Wehe, ich kehr nie heim! O wehe, du tötetest mich, Deine Schiffsgenossen, uns! Armer Mann, armes Weib!
Tekmessa So ist es. Aias, Aias jammern wir. Chorführer 905 Durch wessen Hand hat er die Tat vollbracht? Tekmessa Durch eigene! Seht nur hin! Der Stahl, dem Boden Fest eingestemmt, klagt an. Er stürzt’ hinein! Chor Wehe, wie blind ich war! Einsam vergossenes Blut! 910 Und kein Freund war nah. Und ich, in allem taub, in allem so blind, Versäumte alles. Wo, wo
Aias 39
Liegt der unbeugsame Mann Unheilvollen Namens? Tekmessa Kein Auge soll ihn schaun. Ich will ihn bergen In dieses ganz verhüllende Gewand. Denn selbst ein Freund ertrüg nicht diesen Anblick. Und aus der Wunde, die er selbst sich schlug, Das schwarze Blut aus Mund und Nase quillt. Was tun? Wer von den Freunden hebt dich auf? Wo bist du, Teukros? Jetzt kämst du gelegen, Mit uns den toten Bruder zu bestatten. O Aias, welch ein Held und welch ein Los, Daß selbst ein Feind nur Tränen weinen kann! Chor Verhängt, Ärmster, war, verhängt war es dir, Daß starrsinnig du erfüllen sollst dein Geschick, Nie zu ermessende Qual des Leids. Ach, wie oft Hast du bei Nacht und bei Tag Mir vorgestöhnt in wildem Sinn Haß dem Atridenpaar! Leidenschaft war ja dein Tod. So war der Leiden Anfang doch jener Tag, Als Achills goldene Heldenwehr Herrlich als Kampfpreis ausgesetzt einst allem Heer. Tekmessa O weh mir, weh! Chorführer Ins tiefste Leben dringt ein echter Schmerz. Tekmessa O weh mir, weh! Chorführer Wohl glaub ich, daß du zweimal Wehe rufst, Nun solch ein Freund dir eben ward entrissen. Tekmessa Du glaubst nur, doch ich weiß es allzu sehr.
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Chorführer Ja, wahrlich! Tekmessa O Kind, welch Sklavenlos erwartet uns, 945 Und welche Zwingherrn sind uns schon gesetzt! Chor Wehe, du klagst in Angst Über das grausame Tun, Unerhört, des Feldherrnpaars. Doch ein Gott schütze dich! 950
Tekmessa Die Götter wollten es, sonst wär’s nicht so. Chorführer Sie häuften allzu große Bürde dir! Tekmessa Des Zeus furchtbare Tochter, Pallas, war’s, Die um Odysseus dieses Leid uns schuf.
Chor Ja, in schwarzer Brust, wie er wohl triumphiert, Der viel listge Mann! Er lacht ob solchem rasenden Weh und Ach Ein groß Gelächter. Weh! Weh! Mit ihm das fürstliche Paar, Die beiden Atriden. 960 Tekmessa Laß sie nur lachen über sein Geschick, Und hoch sich freun! Kommt einst die Not des Kampfes, Dann wünschen sie den Vielgehaßten her! Denn Toren wissen eines Gutes Wert 965 Erst dann zu schätzen, wenn sie es verloren. Ich weine, daß er scheidet, jene lachen. Er selber aber hat den Tod ersehnt Und ihn nach seines Herzens Wunsch gefunden. 955
Aias 41
Was will ihr törichtes Gelächter da? Den Göttern sank er hin, nicht ihnen, nein! Mag sich Odysseus blähn in eitlem Stolz, Er wird’s noch fühlen, daß ihm Aias fehlt. Mir aber ließ er nichts zurück als Tränen. Teukros’ Stimme hinter der Szene O weh, weh! Chorführer Still! Hör ich nicht des Teukros Stimme da? Ein Klagelied, das unserm Unglück gilt! Teukros tritt auf O liebster Aias, brüderliches Auge! So ist es wahr, und du bist wirklich hin? Chorführer Aias ist tot, o Teukros, zweifle nicht. Teukros O wehe mir! Wie schwer ist mein Geschick! Chorführer Bei solcher Fügung – Teukros Ich Unseliger ich! Chorführer Ziemt wohl ein Wehruf. Teukros Allzu plötzlich kam’s. Chorführer Ja allzu sehr. Teukros Der Ärmste! Doch was ist Mit seinem Söhnchen? Sprecht, wo habt ihr ihn? Tekmessa Er ist im Zelt. Teukros So eilt und holt ihn her! Daß nicht der Feind ihn raube und die Löwin
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42 Aias
Vergebens sucht das Junge bei der Heimkehr. Fort, eilt euch, steht ihr bei! Es liebt die Welt, Am wehrlos Toten ihren Mut zu kühlen. Te k m e s s a ab 990
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Chorführer Dies war sein letzter Auftrag noch an dich, Für ihn zu sorgen, wie es jetzt geschieht. Teukros tritt zu der Leiche Furchtbarer Anblick! Jammervolles Bild, Wie keins im Leben noch mein Auge sah! O Weg, es hat von allen meinen Wegen Mich keiner so gekränkt wie dieser hier, Mein liebster Aias, als von deinem Los Ich hörte und verfolgte deine Spur. Denn laut erscholl der Ruf von deinem Tod Durchs ganze Heer, als hätt’s ein Gott verbreitet. Schon als ich’s hörte, mußt ich Ärmster klagen; Nun da ich’s sehe, bin ich ganz dahin. Weh mir! Enthüllt ihn, laßt mich all mein Leid erblicken! Es geschieht Furchtbarer Anblick! Grauenhafte Tat! Welch Leid hat mir dein Tod ins Herz gesät! Wohin soll ich denn gehn, zu welchem Menschen, Da ich in deiner Not dir nirgends half? Wohl wird der Vater, deiner und auch meiner, Huldvoll und freundlich mich empfangen, sieht er Mich ohne dich heimkehren, er, dem selbst Das Glück kein heitres Lächeln abgewann! Wird er mich schonen? Jedes böse Wort Wird er mir sagen, mir, dem Sohn der Magd, Daß ich aus Angst und Feigheit dich verraten, Dich, liebster Aias, oder gar aus List, Damit ich deine Macht und Güter erbte. So wird der Greis, zornmütig wie er ist,
Aias 43
Der um ein Nichts ergrimmt, mich wütend ansehn. Zuletzt verstoßen, aus dem Land gejagt, Werd ich aus einem Freien noch ein Sklave. Das wartet mein zu Haus. Und was in Troja, Wo ich viel Feinde hab und wenig Freunde? Dies alles hat dein Tod mir angerichtet. Was soll ich tun? Wie soll ich dich befrein Von diesem bittern, blanken Stahl, dem Mörder, Der dir das Leben nahm? So ward zuletzt Der tote Hektor doch dein Untergang. Betrachtet, bei den Göttern, beider Los: Mit jenem Gurt, den Aias ihm geschenkt, Ward Hektor an den Wagen fest gebunden, Gewalkt, zersägt, bis er sein Leben aufgab. Und dieser, der dies Schwert erhielt von Hektor, Empfing von diesem Schwerte seinen Tod. Hat die Erinys nicht dies Schwert gestählt? Wob Hades’ wilde Meisterhand den Gurt nicht? Drum glaub ich an die Götter, die uns lenken, Sie haben dies gefügt, wie soviel andres! Wem’s freilich nicht behagt in seinem Sinn, Glaub, was er mag! Ich halte daran fest. Chorführer Genug der Worte! Sorge, daß dem Leichnam Ein Grab wird. Und zugleich sinn eine Antwort! Denn einen Feind seh ich dort nahn, der uns Verhöhnen wird, wie es die Bösen tun. Teukros Wer ist’s vom Heere, den du kommen siehst? Chorführer Menelaos, dem zulieb wir hierher zogen. Teukros Ja, in der Näh erkenn ich ihn, er ist’s. M e n e l a o s tritt auf in voller Waffenrüstung, begleitet von einem Herold
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Menelaos Du da! Ich rat dir, untersteh dich nicht, Den Toten zu bestatten, laß ihn liegen! Teukros Wer gibt zu solcher Sprache dir das Recht? Menelaos Ich will es, und so will’s, wer hier befiehlt. Teukros Und willst du mir nicht deine Gründe sagen? Menelaos Weil dieser Mann, den wir ins Feld geführt Als unsrer Sache Freund, wie wir gehofft, Als Feind sich zeigte, schlimmer als der Troer! Dem ganzen Heere hat er Mord gesonnen! Zur Nachtzeit zog er gegen uns zu Feld! Und hätt ein Gott ihm nicht den Brand erstickt, So hätte uns betroffen, was jetzt ihn! Dann lägen wir hier tot in schlimmster Schmach, Er aber lebte! Doch ein gnädiger Gott Lenkt’ seinen Grimm auf Schafe und auf Rinder. Drum ist im ganzen Heer kein Mann so stark, Daß er vermöcht, die Leiche zu bestatten. Nein, auf den gelben Meeresstrand geworfen, Soll er zum Fraß der Meeresvögel werden. Du, Teukros, brause nicht im Zorne auf! Vermochten wir ihn lebend nicht zu zwingen, Den Toten haben ganz wir in der Hand, Auch wenn du nicht willst. Der ist leicht zu lenken; Im Leben hat er nie gehorchen wollen. Der ist ein schlechter Mann, der als Gemeiner Nicht nötig hat, den Führern zu gehorchen. Denn der Gesetze Zwang wird nicht ertragen, Wo nicht die Scheu als strenger Wächter steht; Noch ist ein Kriegsheer je in Zucht zu halten, Wofern der Damm der Furcht und Scham nicht hält.
Aias 45
Der stärkste Mann soll wissen, wer’s auch sei, Daß ihn der kleinste Stoß kann niederfällen. Doch der, den Furcht und fromme Scheu beherrscht, Der Mann, das glaube mir, bleibt wohlbehalten. Wo Übermut und Willkür schalten darf – Der Staat, und führ er auch mit guten Winden, Kommt schließlich, glaub mir’s, dennoch auf den Grund. Nein, laßt mir, wo’s am Platz ist, Furcht bestehn! Glaubt nicht, man dürfe tuen, was gefällt! Man zahlt dafür mit Strafe, die mißfällt. So wechselt alles: Der stand einst im Glanz Des Übermuts, nun trag ich stolzen Sinn. Doch du begrab ihn ja nicht! Denn sonst fällt Der Totengräber in sein eignes Grab.
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Chorführer Wenn du so weise überlegst, mein Fürst, So frevle nicht an diesem Toten hier. Teukros Wer soll sich da noch wundern, wenn ein Mann Geringen Standes einen Fehl begeht, Nun einer, der sich hohen Adels rühmt, In seinen Reden derart sich vergreift. O sag’s doch noch einmal! Du also hast Den Aias eurem Heere zugeführt? So zog er nicht mit als sein eigner Herr? Du wärest wohl sein Herr? Und dir gehorchten Die Krieger wohl, die ihm hierher gefolgt? Als Spartas König kamst du, nicht als unsrer! So wenig Aias dein Gebieter war, So wenig hattest du ihm zu befehlen! Sei dort Herr, wo du’s bist! Dort kannst du drohen Und strafen, wie du willst, doch nicht bei uns! Und diesen Toten werde ich, ob ihr’s Gestattet oder nicht, du und dein Bruder, Ehrlich begraben, ohne Angst vor dir.
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Chorführer Ach, solcher Ton in solcher schlimmen Lage! Es beißt das harte Wort, auch wenn’s gerecht ist. Menelaos Der Bogenschütze denkt nicht klein von sich. Teukros Ist’s doch kein niedrig Handwerk, meine Kunst. Menelaos Wie blähtest du dich erst, trügst du den Schild! Teukros Auch unbewaffnet trotzt ich deiner Rüstung! Menelaos Wie mächtig dir das Maul die Brust doch schwellt! Teukros Groß darf fürwahr sich dünken, wer im Recht. Menelaos Das ist gerecht, wenn’s meinem Mörder gut geht? Teukros Dein Mörder? Wunderbar! Bist tot und lebst. Menelaos Hin wär ich, ging’s nach ihm. Mich schirmt’ ein Gott. Teukros So schände nicht die Götter, Gottgeschirmter! Menelaos Verletz ich denn ein göttliches Gesetz? Teukros Ja, wenn dem Toten du sein Grab verwehrst. Menelaos Dem eignen Feinde nur. Ist das nicht Recht? Teukros Wann kämpfte je mein Bruder gegen dich? Menelaos Er haßte mich, ich ihn. Das weißt du wohl. Teukros Jawohl. Du hast die Stimmen falsch gezählt.
Aias 47
Menelaos Das war der Richter Fehler, meiner nicht. Teukros Manch Schurkerei bemäntelst du recht fein. Menelaos Dies Wort wird einem einmal schlecht bekommen. Teukros Nicht mehr, denk ich, als ich vergelten kann. Menelaos Eins sag ich dir: der da bekommt kein Grab! Teukros So hör dagegen: er bekommt sein Grab! Menelaos Ich sah einst einen Zungenhelden, der Bei Sturm die Schiffer zwang, in See zu stechen. Doch als der Sturm ihn packte, ward er still Und zog den Mantel über sein Gesicht, Ein jeder durft ihn treten, dem’s gefiel. Gib acht, daß dir und deinem frechen Mund Aus einer kleinen Wolke nicht ein Sturm Entsteht, der dein gewaltig Schreien löscht. Teukros Und ich sah einen großen Toren einst, Der sich gebrüstet bei des Nachbarn Not. Ein andrer, ziemlich ähnlich mir, und auch Wie ich zornglühend, rief ihm warnend zu: Mensch, frevle nicht an Toten, laß sie ruhn! Sonst wirst du’s noch bereun! Des sei gewiß! So warnte er den hirnverwirrten Mann. Ich glaube fast, der Mann steht mir vor Augen! Kein andrer ist’s als du. Sprach ich in Rätseln? Menelaos Ich geh! Denn schmachvoll wär’s, erführe jemand, Daß ich da schelte, wo ich zwingen kann.
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48 Aias
Teukros So geh doch, denn für mich ist’s größte Schmach, Auf eines Irren albern Wort zu lauschen. M e n e l a o s ab
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Chor Hoch lodert des Streites Flamme empor. Drum eile, o Teukros, so rasch wie du kannst, Und höhle die Gruft für des Toten Leib, Wo er findet sein dunkeles, feuchtes Grab, Der Welt zum steten Gedächtnis. Te k m e s s a und E u r y s a k e s treten auf
Teukros Sieh da, zur rechten Stunde nähern sich Des toten Mannes Gattin und sein Kind, 1170 Mit mir des Ärmsten Ruhestatt zu weihen. Komm, Knabe, tritt heran wie zum Gebet, Berühre deinen Vater, der dich zeugte, Knie nieder, halt in deiner Hand die Locken Von mir, von deiner Mutter und von dir 1175 Als fromme Gabe. Wagt es aber wer, Dich mit Gewalt von diesem Grab zu reißen, Fluch dem Verfluchten! Grablos, heimatlos Dahin! Und abgemäht sein ganzer Stamm Mitsamt der Wurzel wie vom Haupt dies Haar! Er gibt dem Knaben die abgeschnittenen Locken 1180 Nimm hin und halt es, laß dich nicht vertreiben, Nein, knieend klammere dich am Vater an! Schützt ihn, bis daß ich komme und das Grab Bereitet ist, auch wenn’s kein Mensch erlaubt. Ab 1185
Chor Endet es nie? Wann ist die Zahl Endlich erfüllt stürmischer Unglückstage,
Aias 49
Die uns brachten ewige Mühen, unaufhörlich? Fluch der speer stürmenden Schlacht In Trojas Flur, die uns all erstickt! O Schmach dem Hellenenunglücksheer! Wär er verweht hoch in die Luft Oder versenkt tief in den Schlund des Hades, Jener Mann, der Hellas gelehrt des allgemeinen Waffenkriegs grausamen Sturm! O Mühn, ihr Väter nur neuer Mühn! O Krieg, der zerstört die Menschenwelt! Nicht gönnt er mir Blumen im Haar, Becher voll Wein, Gönnet mir nicht, festliche Lust Selig zu teilen; Noch reizenden Klang, Flötenmusik (Trauriges Los!), auch nicht im Schlaf Selig zu weilen. Und Lieb, Liebeslust Hat er geraubt mir Armem. So liege ich einsam hier, Regen näßt mir und Tau das Haar, Daß ich dich nie vergessen kann, Trostloses Troja.
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Und früher stets warst du mein Schutz gegen den Feind, Gegen der Nacht Schrecken und Graus, Stürmischer Aias! Nun riß ihn dahin grausam ein Gott. Was in der Welt, was kann mir noch 1215 Freude bereiten? O wär dort ich, wo Wogenumrauscht emporragt Der Fels mit dem dunklen Wald Unter Sunions steiler Höh, 1220 Daß ich dich endlich grüßen könnt, Heilig Athen!
50 Aias
Te u k r o s kommt zurück Teukros Da bin ich eilig wieder, denn ich sah Den Fürsten Agamemnon hierher eilen; 1225 Und sicher bringt er uns kein gutes Wort. A g a m e m n o n tritt auf mit Herolden
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Agamemnon Du wagst es, hör ich, ungestraft das Maul Zu frecher Rede gen uns aufzutun! Dich mein ich, dich, der Beutesklavin Sohn! Wie würdst du erst, wärst du von edlem Blute, Auf Stelzen gehen und hochtönend reden, Da du, ein Nichts, dich für ein Nichts erhebst! Verschwörst dich, uns sei Hellas’ Heer und Flotte Nicht untertan, und du, du seist es auch nicht? Und Aias zog als eigner Herr zu Feld? Ist das nicht unerhört von einem Sklaven? Von wem denn schreist du so voll Übermut? Wo ging er hin, wo stand er ohne mich? Gibt’s keine Männer sonst in unserm Heer? Es reut mich wahrlich, daß ich jenen Kampf Verkündet um die Waffen des Achill, Wenn Teukros uns jetzt überall verleumdet Und sich dem Richterspruch nicht beugen will, Der von der Mehrzahl ordentlich gefällt; Und uns verlästert oder heimlich angreift Aus keinem Grund, als weil ihr unterlagt! War solche Denkart recht, so hätte nie Bestand auch nur ein einziges Gesetz, Schiebt man beiseit den Sieger vor Gericht Und setzt den Unterlegenen an die Spitze. Dem muß man steuern! Nicht die breiten Schultern Und starke Rücken geben Sicherheit. Die Klugen haben überall die Macht.
Aias 51
Ein Stier mit mächtigem Rumpf – die schwache Geißel, Sie bringt ihn dennoch auf den graden Weg. Solch wirksam Zaubermittel wird sich auch Bei dir bewähren, nimmst du nicht Vernunft an, Statt deiner frechen Zunge Lauf zu lassen. Nimm doch Vernunft an! Denke, wer du bist! Bring einen andern, einen freien Mann, Der hier statt deiner deine Sache führt, Denn deine Reden hör ich nicht mehr an. Barbarenzunge kann ich nicht verstehn. Chorführer O lerntet ihr doch beide Mäßigung! Das ist das beste, was ich raten kann. Teukros O Dankbarkeit der Menschen gen den Toten, Wie schnell zerrinnt sie und verrät sie ihn! Der Mann hier weiß kein Wörtchen mehr davon, Wie oft du, Aias, einst im heißen Kampf Für ihn dein Leben in die Schanze schlugst. Das ist dahin und alles weggeworfen. Du hast so viel Unnützes hier gesprochen, Doch hast du ganz vergessen denn, wie damals, Als ihr, im Lagerwalle eingeschlossen, So gut schon wie vernichtet wart, bis er Allein die Wendung bracht’ und euch gerettet? Schon schlugen an den Ruderbänken hoch Die Flammen auf und in den Rumpf der Schiffe Sprang Hektor hoch hin über unsre Gräben. Wer wehrt’ ihn ab? War das nicht dieser Mann, Der, wie du sagst, niemals dabei gewesen? War’s etwa auch nicht recht, daß er das tat? Und wieder, als Mann gegen Mann, freiwillig Und nicht befohlen, er sich selber stellte, Da warf er nicht nach Feiglingsart als Los Ein feuchtes Klümpchen, nein, er nahm, was leicht Als erstes aus dem Helme springen konnte.
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Das tat der Mann für euch, und ich tat’s mit, Der Sklave, des Barbarenweibes Bastard! Mit welcher Stirn, Unseliger, sprichst du so? So weißt du nicht, daß deines Vaters Vater, Daß Pelops ein Barbar, ein Phryger war? Dein Vater Atreus, bot er nicht dem Bruder Das Greuelmahl von seiner Kinder Fleisch? Und deine Mutter ist die Kreterin, Die er in ihres Buhlen Arm ertappte, Und in das Meer den Fischen warf zum Fraß! So einer hält mir meine Abkunft vor! Ist nicht mein Vater Telamon, dem einst Als erster Kampfpreis meine Mutter zufiel Vom ganzen Heer? Sie war ein Königskind, Tochter Laomedons, und Herakles Hatt’ als erlesenen Dank sie ihm geschenkt. Und ich, ein edler Sproß von edlem Paar, Soll dulden, daß mein Blut geschändet wird? Weil er im Elend, willst du ihm sein Grab Verweigern, und du schämst dich dessen nicht? Nein, wisse: werft ihr diesen Leichnam hin, So werft uns alle drei hinaus zu ihm! Denn schöner wahrlich ist vor aller Augen Der Tod im Kampf für ihn als für ein Weib, Sei’s nun das deine oder deines Bruders. Drum kümmere dich um dich und nicht um mich! Greifst du mich an, so ist es bald dein Wunsch: O wär ich feig gewesen, statt so kühn! O d y s s e u s tritt auf Chorführer Zur rechten Zeit erscheinst du, Fürst Odysseus, Kommst du, den Streit zu lösen, nicht zu schürzen. Odysseus Was gibt’s? Von fern schon hörte ich Geschrei Der zwei Atriden bei dem toten Helden.
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Agamemnon Wir mußten hier die frechsten Reden hören, Odysseus! Dieser Mann beschimpfte uns! Odysseus Womit? Ich kann’s verstehen, wenn ein Mann Auf bösen Schimpf mit bösem Wort erwidert. Agamemnon Ich schimpfte mit dem Wort, er mit der Tat. Odysseus Was tat er, das dir wirklich Schaden bringt? Agamemnon Er will den Toten ohne Grab nicht lassen, Nein, will ihn mir zum Trotz beerdigen. Odysseus Darf dir ein guter Freund die Wahrheit sagen Und doch nicht minder dir verbunden sein? Agamemnon Sprich nur, sonst wär ich wirklich ja ein Tor. Du bist mein bester Freund im Heere doch. Odysseus So hör denn! Bei den Göttern, laß ihn nicht So grausam unbestattet liegen bleiben! Laß dich zu solchem Hasse nicht verführen Durch deine Macht, daß du das Recht verhöhnst. Auch mir war jener einst der schlimmste Feind, Seit ich Achilleus’ Waffen mir errang. Wie dem auch sei – ich würde nie mit Schimpf Mich an ihm rächen, niemals leugnen auch, Daß er der beste war von allen Helden, Die mit nach Troja zogen, nach Achill. Drum ist’s nicht recht, daß du ihn so beschimpfst. Und schmähest du mit Unrecht seinen Leichnam, Nicht ihn, der Götter Recht verletzest du. Nie soll ein Edler sich an einem Toten Vergreifen, war er auch einmal sein Feind.
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Agamemnon Du willst, Odyss, für den da mit mir streiten? Odysseus Gewiß. Ich haßte ihn, solang ich durfte. Agamemnon Du willst den Fuß nicht auf den Toten setzen? Odysseus Unedeler Erfolg soll dich nicht freuen. Agamemnon 1350 Nicht leicht ist’s einem Fürsten, fromm zu sein. Odysseus Doch soll auf guten Freundesrat er achten. Agamemnon Den Oberen gehorcht ein edler Mann. Odysseus Vom Freund besiegt zu werden, sei dein Sieg! Agamemnon Bedenke, wem du deine Gunst gewährst. Odysseus 1355 Er war mein Feind, jedoch ein edler Mann. Agamemnon Was tust du? Scheust du so den toten Feind? Odysseus Hoch über Haß steht mir die Heldengröße. Agamemnon Die Welt nennt solche Männer wankelmütig. Odysseus Wie viele sind heut Freund und morgen bitter! Agamemnon 1360 Du schätzest also solchen Mann als Freund? Odysseus Ich schätze nie ein grausam hartes Herz. Agamemnon Man wird von heute an uns feige nennen.
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Odysseus Nein, nur gerecht, im ganzen Griechenheer. Agamemnon So willst du, daß ich ihn bestatten soll. Odysseus Gewiß; lieg ich doch selber einst so da. Agamemnon So sind sie alle: jeder sorgt für sich. Odysseus Für wen soll mehr ich sorgen als für mich? Agamemnon Dann soll’s auch deine Sache sein, nicht meine. Odysseus Das halte, wie du willst; mir ist es recht. Agamemnon Du sollst nur dieses wissen, daß ich gern Noch mehr als dieses dir zuliebe tu. Der aber ist hier oben wie dort unten Mir gleich verhaßt. Tu denn, was dir gefällt. Ab Chorführer Wer leugnet, daß dir Weisheit angeboren, Der ist fürwahr, Odyss, ein eitler Tor. Odysseus Und nun ein Wort an Teukros noch! So sehr Sein Feind ich war, so bin ich jetzt sein Freund. Ich will den Toten dir bestatten helfen, Will gerne alles tun und nichts versäumen, Was Menschen ihren Helden schuldig sind. Teukros Edler Odyss, ich hab dich nur zu preisen, Und was ich mir gehofft, erfüllst du mir. Du warst sein schlimmster Feind dereinst im Heer,
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Und stehst allein ihm bei, erträgst es nicht, Als Lebender den Toten noch zu schmähen, Wie es der hirnverbrannte Feldherr tat, Er und sein Bruder; wollten sie ihn doch Hinwerfen ohne Grab zu Schimpf und Schmach. So lasse des Olympos hehrer Vater, 1390 Erinys, die gedenkt, und Dike, die vollstreckt, Die Bösen bös verderben, so wie sie Unwürdig schmachvoll ihn verstoßen wollten. Doch dich, o edler Sprößling des Laërtes, Bitt ich, des Toten Grab nicht zu berühren; 1395 Es möchte dies nach seinem Sinn nicht sein. In allem hilf uns sonst, und soll ein Mann Vom Heere noch mithelfen – mir ist’s recht. Ich tue nun das meine. Doch du wisse: Du hast als edler Mann an uns gehandelt. Odysseus 1400 Das war mein Wunsch; doch wenn dir meine Hilfe Nicht lieb ist, ehr ich dein Gefühl und geh. Ab 1385
Teukros Genug! Schon zu viel ist verstrichen an Zeit! Ihr – höhlt ihm die Gruft mit eiliger Hand! 1405 Ihr – laßt um den ragenden Dreifuß die Glut Aufflackern, macht alles zur Waschung bereit! Ihr übrigen da, ihr bringt aus dem Zelt Seines Panzers Schmuck, den er trug hinterm Schild! Sohn, fasse den Vater, so gut wie du kannst, 1410 Mit liebender Sorgfalt und heb ihn empor Zusammen mit mir. Noch sprudeln ja warm Die Quellen empor von schwärzlichem Blut. Doch jeglicher Mann, der als Freund sich bekennt, Er komme herbei und stelle sich an, 1415 Zu dienen dem edelsten Helden der Welt, Der nie einem anderen nachstand.
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Chor Gar vieles erkennet der Mensch, wenn er’s sieht. Doch eh er sie sieht, wird er niemals erschaun Die Zukunft und was sie bescheret.
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Die Trachinierinnen
Einleitung Im Mittelpunkt des Dramas stehen Herakles, der Sohn des Zeus und der Alkmene, und seine Gattin Deianeira. Der Stiefvater des Herakles, Alkmenes Gatte Amphitryon, wird wegen eines unabsichtlich verübten Mordes aus der Argolis nach Theben vertrieben. Dort heiratet Herakles die thebanische Prinzessin Megara. Von der auf Zeus eifersüchtigen Hera mit Wahnsinn geschlagen, ermordet er seine Kinder (vgl. Euripides, Herakles). Um die Tat zu sühnen, begibt er sich in den Dienst seines Vetters Eurystheus, für den er die bekannten zwölf Heldentaten verrichten muss. Nach dem Frondienst übergibt Herakles seine Frau Megara der Obhut eines Freundes und wirbt um Iole, die Tochter des Königs Eurytos von Oichalia. Dieser hatte die Hand seiner Tochter dem versprochen, der seine Söhne und ihn selbst im Bogenschießen übertreffen würde. Obwohl Herakles siegt, verweigert ihm Eurytos die Hand seiner Tochter. Da stürzt dieser Iphitos, den ältesten Sohn des Eurytos, in einem Zornesausbruch von den Stadtmauern. Zur Sühnung dieser Mordtat muss Herakles bei der lydischen Königin Omphale Sklavendienste leisten. Auf der Heimreise von Lydien freit er in Kalydon um Deianeira, die Tochter des Königs Oineus, und obsiegt in seinem Werben gegen den Flussgott Acheloos, der ebenfalls um Deianeira anhält. Auf dem Weg nach Trachis, wo er nach der Ermordung des Iphitos Zuflucht gefunden hatte, kommen Herakles und Deianeira an den Fluss Euenos. Während Herakles den Fluss durchschreitet, vergreift sich der Kentaur Nessos, der Reisende auf den Schultern hinüberzutragen pflegt, an Deianeira und wird von Herakles durch einen Pfeil getötet. Sterbend rät der Kentaur der Frau, etwas von seinem Blut aufzufangen; es sei ein Mittel, um die Liebe ihres Mannes wieder zu entfachen, wenn sie zu schwin-
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Die Trachinierinnen
den drohe.Von Trachis aus zieht Herakles noch einmal nach Oichalia, um Rache für die Schmach zu nehmen, die ihm von Eurytos angetan wurde. – Sophokles ändert in seiner Tragödie den Mythos dahingehend, dass Herakles Deianeira heiratet, bevor er um Iole anhält, und dass sich die Vergeltungsaktion gegen Eurytos unmittelbar an seinen Dienst bei Omphale anschließt. In dem Gespräch mit ihrer Amme, das das Stück eröffnet, zeigt sich Deianeira äußerst besorgt um ihren seit 15 Monaten abwesenden Gatten (V. 1 ff.). Ihr Sohn Hyllos weiß zu berichten, dass Herakles sich auf Euboia aufhalte (V. 64 ff.). Bei der Erwähnung der Insel Euboia fällt Deianeira ein Orakel ein, das ihr Herakles einst mitteilte: Entweder werde er auf Euboia sterben oder künftig ohne Sorgen leben. Sogleich schickt Deianeira ihren Sohn los, um Herakles nötigenfalls beizustehen. Mädchen aus Trachis, die den Chor bilden, erzählen Deianeira von dem Orakel und präzisieren den Inhalt: Falls Herakles nach 15 Monaten nicht zurückkehre, sei er tot (V. 141 ff.). In dieser Atmosphäre von Angst und Sorge bringt ein Bote die Nachricht von der baldigen Heimkehr des Herrn (V. 180 ff.). Die Mädchen reagieren mit einem Freudenlied (V. 205 ff.). Als Vorbote des Herakles kommt sein alter Vertrauter Lichas samt den Kriegsgefangenen, unter denen sich Iole befindet. Obwohl Lichas nichts von der Liebe seines Herrn zu der Tochter des Eurytos erwähnt, fordert Ioles Aussehen Deianeiras Neugierde heraus (V. 293 ff.). Ein zweiter Bote bringt ihr Gewissheit über Iole (V. 335 ff.). Erst als Deianeira sich verstellt und die verständnisvolle Ehefrau spielt, kann sie auch Lichas, der wieder dazugekommen ist, dazu bringen, die Wahrheit zu sagen (V. 391 ff.). Die Mädchen reagieren auf die Entdeckung der Liebe des Herakles zu Iole mit einem Hymnos auf die Macht der Liebe (V. 497 ff.). Als Lichas und der Bote sich entfernt haben, offenbart Deianeira den Mädchen ihren wahren Gemütszustand, ihre quälende Eifersucht. Um die Liebe ihres Mannes zurückzugewinnen, will sie zu dem Zaubermittel des Nessos greifen.
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Unverzüglich schickt sie Lichas mit einem Gewand los, das sie mit dem Blut des Kentauren bestrichen hat. Der Chor preist den Plan Deianeiras (V. 633 ff.). Zu spät erkennt diese die List des Kentauren: Das Wollknäuel, das mit dem Blut des Nessos durchtränkt war, hat sich im Tageslicht aufgelöst. Hyllos bestätigt Deianeiras böse Vorahnungen (V. 734 ff.): Lebendigen Leibes werde Herakles, der Deianeiras Gewand angezogen habe, zerfressen. Nun versteht der Chor den tieferen Sinn des Orakels (V. 821 ff.): Als Toter hat Herakles seine Leiden überstanden. Deianeiras Amme stürzt aus dem Palast und berichtet den Mädchen vom Selbstmord der Herrin (V. 871 ff.). Der Chor stimmt ein kurzes Klagelied an (947 ff.). Auf einer Bahre, begleitet von Hyllos, wird Herakles auf die Bühne getragen. Als sein Sohn ihm von dem Urheber des Unheils, dem Kentauren, erzählt, erkennt er den Sinn eines Orakels, das ihm sein Vater Zeus einst verkündete: Nicht durch einen Lebenden, sondern durch einen Toten werde er sterben. Seinen sicheren Tod vor Augen, verkündet Herakles sein Testament: Man soll ihn auf einem Scheiterhaufen verbrennen und so von seinen Qualen befreien. Hyllos soll Iole zur Frau nehmen. Der Auszug des Trauerzugs beschließt die Tragödie.
Personen Herakles Deianeira, seine Gemahlin Hyllos, ihr Sohn Iole, eine Kriegsgefangene (stumme Rolle) Lichas, Herold des Herakles Die Amme der Deianeira Ein Bote Ein Greis Der Chor, bestehend aus Jungfrauen der Stadt Trachis
Der Schauplatz ist vor dem Palast in Trachis
D e i a n e i r a und die Amme treten aus dem Haus Deianeira Es ist ein Spruch von alten Zeiten her: Vor seinem Tod kann man von niemand wissen, Ob gut sein Leben oder schlecht verläuft. Ich aber weiß, eh ich zum Hades schreite, Daß meines schwer und unglückselig ist. Denn schon in meines Vaters Oineus Haus In Pleuron hatt ich Angst vor einer Ehe, So schlimm wie kein Aitolisch Weib zuvor. Der Stromgott Acheloos warb um mich, Und trat in drei Gestalten vor den Vater: Leibhaftig erst als Stier, als Drache dann, Gleißend gewunden, dann mit Menschenrumpf Und Ochsenhaupt; vom dunklen Barte rann Wasser in Strömen wie aus einem Born. Solch eines Freiers mich gewärtigend, Erfleht ich Ärmste täglich mir den Tod, Eh daß ich dieses Gatten Lager teilte. Jedoch im letzten Augenblick erschien Des Zeus und der Alkmene starker Sohn, Der sich dem Gott zum Kampf entgegenwarf Und mich erlöste: Wie er ihn besiegt, Könnt ich nicht sagen. Wer das Schauspiel sah Und nicht erzitterte, der mag es sagen. Ich aber saß, von Furcht geschlagen da, Daß meine Schönheit Leid mir bringen möchte. Der Kampfeslenker Zeus hat’s gut entschieden – Wenn’s wirklich gut! Denn seit mich Herakles
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Gefreit, da nähr ich ständig Furcht auf Furcht, In Angst um ihn. Die eine Nacht bringt neu Die Sorge, die die andere vertrieb. Die Kinder, die wir zeugten, sieht er selten, So wie ein Bauer sein entlegenes Feld Nur bei der Aussaat sieht und bei der Ernte. Ein solches Leben führte mir den Mann Ins Haus und aus dem Haus in fremden Dienst. Und nun er alles dies hat überstanden, Nun senkt die Angst erst recht sich über mich: Seit er den starken Iphitos erschlagen, Sind wir verbannt, und hier in Trachis beut Ein Gastfreund den Vertriebenen ein Obdach. Doch wo er weilt, weiß niemand. Bittre Sorge Ist alles, was er scheidend mir zurückließ. Fast weiß ich sicher, daß ein Leid ihn traf. Nicht kurze Zeit erst, sondern fünfzehn Monde Ließ er mich nun schon ohne jede Kunde. Das schrecklich Unbekannte, es ist da, es ist! Solch Täflein hinterließ er mir, daß oft Ich bebe, mög es keine Unglückstafel sein.
Amme O Herrin Deianeira, oft schon sah ich 50 Dich ganz in Tränen aufgelöst und Jammer, Wenn wieder Herakles, dein Gatte, auszog. Doch jetzt, wenn eine Sklavin raten darf Der Freien, laß mich sagen, was dir frommt: So viele wackre Söhne nennst du dein; 55 Was schickst du nicht auf Kundschaft einen aus? Wär es vor allem nicht des Hyllos Pflicht, Sich nach des Vaters Schicksal umzuschaun? Sieh hin, dort kommt er eben heim; drum, Herrin, Wenn dir mein Wort nicht ganz mißfallen hat, 60 Benutze ihn und nutze meinen Rat.
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H y l l o s tritt auf Deianeira Geliebter Sohn, auch Leuten niedrer Herkunft Glückt wohl ein Wurf. So hat dies Weib, zwar Sklavin, Ein Wort gesagt, das eines Freien würdig. Hyllos Wenn ich es wissen darf, so sag mir’s, Mutter. Deianeira Sie sagt, es sei nicht rühmlich, daß der Sohn Sich nicht drum kümmere, wo sein Vater weilt. Hyllos Wenn das Gerücht nicht trügt, so weiß ich’s jetzt. Deianeira In welchem Lande soll er weilen, Kind? Hyllos In Lydien, Mutter, hab er einem Weib Den letzten Sommer als ihr Knecht gefront. Deianeira Vermocht er das, bin ich gefaßt auf alles! Hyllos Doch jetzt soll er des Joches ledig sein. Deianeira Wo weilt er jetzt denn? Lebt er? Ist er tot? Hyllos Die Stadt des Eurytos soll er berennen, So sagt man, in Euboia, oder plant es. Deianeira Und weißt du, welche sichere Prophezeiung Er über diesen Feldzug hinterließ? Hyllos Nein, Mutter, nenne mir die Prophezeiung. Deianeira Vollenden wird er seines Lebens Bahn, Oder, den Kampf bestehend, alle Zukunft
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Glückselig seines Lebens Rest verbringen. So hängt er in dem Umschwung seines Schicksals. Und du willst ihm nicht beistehn? Sind wir doch 85 Mit ihm gerettet und mit ihm verloren. Hyllos Ich gehe, teure Mutter. Hätt ich nur Die Prophezeiung früher schon gewußt, Dann wär ich längst schon dort bei meinem Vater. Sein altgewohntes Glück hat uns bis jetzt Niemals zu Furcht und Sorge kommen lassen; 90 Doch nun ich das gehört, will ich nicht ruhn, Bis ich die ganze Wahrheit hab erkundet. Deianeira So gehe, Kind! Kommt auch das Glück erst spät, So bringt uns seine Kunde doch Gewinn. H y l l o s ab Der Chor zieht ein Chor Den uns gebiert sterbend die funkelnde Nacht Und wieder bettet, wenn ihn die Flamme verzehrt, Helios, Helios, hör mich! Künd uns doch vom Sohne der Alkmene: wo weilt er, wo haust er? Du, vom Glanz der blitzenden Strahlen umloht! 100 Sei’s, daß ihn eine Bucht der See, sei’s, daß ihn auch das Sag’s an, du allbeherrschend Auge. [Festland birgt. 95
Ich weiß, wie sehr sehnenden Herzens sich bangt Die heißumkämpfte Deianeira um ihn, 105 Gleich einem trauernden Vogel. Niemals stillt sie ihrer Augen Sehnsucht nach Tränen. Angst, die ewig wache, um ihren Gemahl [Es läßt sie 110 Hinsiechen auf dem gattenlosen Bett in sehnsuchtsvollem Und bösen Schicksalsschlag erwarten. [Gram
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Wie unermüdlich der Sturmwind, Sei es von Süd oder Norden, Wogen auf Wogen durchs Meer Kommen und anstürmen läßt – So beugt’s auch ihn Herakles tief Und richtet ihn wiederum auf In mancher Not, wild wie das Meer Kretas. Indes ihn schirmt ein Gott Stets vor dem Fall und hütet ihn Treu vor dem Haus des Hades. Darum so muß ich dir tadelnd, Wenn auch in Ehrfucht, entgegnen: Laß dir die Hoffnung, die edle, Nimmer zergrämen vom Leid! Denn keinen ließ hier auf der Welt Je ohne Leid Zeus, unser Herr, Des Kronos Sohn, Herrscher des Alls. Siehe! Es dreht sich Freud und Leid Allen im Kreis, wie droben auch Ewig die Sterne kreisen. Es bleibt nicht stets dunkle Nacht Für die Menschen, auch nicht Trübsal, Auch nicht Reichtum. Alles weicht Vom einen fort zum andern hin, So Freude wie Entbehrung. Drum, Herrin, rat ich: halte stets die Hoffnung fest. Denn wer hat je Zeus gesehn ohne Rat Für eins seiner lieben Kinder? Deianeira Die Kunde meines Grams, ihr lieben Mädchen, Hat euch zu mir geführt. Was mich bedrückt, Bleib immer euch erspart. Noch kennt ihr’s nicht. Denn Jugend weidet ja auf solchem Anger, Wie er ihr eigen. Den bedrängt nicht Glut
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Der Sonne, Regen nicht und Sturmeswehn. Nein, Freude hebt ihr Leben hoch empor, Bis einst zum Weibe wird, die Jungfrau war, Und nächtlich sie ihr Sorgenteil empfängt, Um ihren Mann sich ängstend, um die Kinder. Dann erst begreift ihr wohl am eignen Los Die schweren Sorgen, die mich jetzt bedrücken. Wie manche Leiden hab ich schon beklagt! Doch eins wie nie zuvor muß jetzt ich künden: Als dieses letzte Mal der Herr zur Fahrt Von Hause aufbrach, ließ er mir zurück Ein altes Täflein, das beschrieben war Mit Weisung, wie er nie, zog er auf Kampf, Sie mir zu geben, über sich gewann. Denn wie zum Siege zog er, nicht zum Tod. Doch dieses Mal, gleich einem Todgeweihten, Bestimmte er mein künftig Wittum mir, Und was das Erbteil sei für jedes Kind. Und wenn nach einem Jahre dreimal sich Der Mond erneut, und er nicht heimgekehrt, Dann müsse er in diesem Monat sterben, Oder, wenn er den Zeitpunkt überspringe, Leb’ er den Rest des Lebens kummerlos. So werde sich der Götter Schluß erfüllen Über die Mühn des Herakles, wie einst Die alte Eiche in Dodonas Hain Mit ihrem Taubenpaar geweissagt habe. Nun ist die gottbestimmte Frist verstrichen, Nun muß es sich entscheiden und erfüllen. So fahre ich aus süßem Schlaf empor In Angst, ihr Lieben, ob ich nun auf immer Des allerbesten Mannes soll beraubt sein. Chorführerin Kein böses Wort mehr! Sieh, dort naht ein Mann, Im Haar den Kranz der Freude! Hör die Botschaft!
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Ein B o t e tritt auf Bote O Herrin Deianeira, ich als erster Will lösen dich vom Gram. Alkmenes Sohn, Vernimm’s, er lebt und bringt als Sieger heim Den Göttern seines Sieges Erstlingsgaben. Deianeira O Freudenbotschaft! Hab ich recht gehört? Bote Gleich kehrt dein hochgepriesener Gatte heim, Von dem Geleit siegreicher Kraft umklärt. Deianeira Und wer in aller Welt hat dir’s erzählt? Bote Dort auf der Rinderweide kündet es Sein Herold Lichas allem Volk. Ich rannte Gleich fort, um als der erste Freudenbote Von dir mir Lohn und Gunst so zu gewinnen. Deianeira Und er, was säumt er, wenn er Gutes bringt? Bote Mit Mühe, Herrin, bahnt er sich den Weg. Denn alles Volk steht rings um ihn herum Und fragt ihn aus; er kann nicht weitergehn. Ein jeder will ja hören, läßt nicht ab, Bis er die Wißbegierde hat gestillt. So muß er wider Willen dort dem Volk Den Willen tun; doch gleich, so ist er hier. Deianeira Zeus, Freund von Oitas nie gemähter Trift, So hast du endlich doch uns Glück gewährt. Erjauchzt, ihr Frauen, ihr, im Hause drinnen, Und draußen ihr! Ein unverhofftes Licht Ging uns hier auf, und wir genießen sein.
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Chor Jauchze nun laut im Hause auf Mit hellem Jubelruf am Herd, Du bräutlich frohe Frau! Es stimme ein der Sang Der Männer auf den guten Schützen 210 Apoll, den Schirmherrn! Lobgesang zumal Hebet an, Jungfraun ihr, den Lobgesang! Und rufet laut die Schwester auch, Artemis, Jägerin sie, von den Fackeln 215 Im Geleit der Nymphen. [umloht Es reißt mich hoch, ich folge gern Dir, Flöte, welche du mein Herz mit Macht bezwingst. So sieh, wie mich berauschet – Evoi! – des Efeus Laub! 220 Wetteifernd flieh ich in den Tanz des Bakchos. 205
I– o! I– o! Paian! O liebe Herrin, sieh! Nun darfst mit eigenen Augen Ganz deutlich du es schauen.
Der Herold L i c h a s erscheint mit einem Zuge Kriegsgefangener Frauen, darunter I o l e Deianeira Ich seh des Zuges Nahn, ihr lieben Mädchen, Und meinem wachen Aug entging er nicht. Willkommen, Herold! Nach so langer Zeit Bringst du mir Liebes – wenn es Liebes ist. Lichas Die gute Heimkehr lohnt ein guter Gruß. 230 O Herrin, unsre Taten krönt der Sieg, Und gute Tat verdient ein gutes Wort. 225
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Deianeira O lieber Mann, sag mir vor allem andern: Ich sehe meinen Gatten lebend wieder? Lichas In seines Lebens Vollkraft ließ ich ihn, Ganz blühend und von Krankheit unbeschwert.
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Deianeira War das in fremdem, war’s im Heimatland? Lichas Am Strand Euboias, wo er einen Hain Dem Zeus geweiht und seinen Fruchtertrag. Deianeira Erfüllt er ein Gelübde, ein Orakel? Lichas Er hat’s gelobt, wenn er das Land genommen Der Frauen, die du hier jetzt vor dir siehst.
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Deianeira Wer sind die Frauen? Sprich, wo sind sie her? Bejammernswürdig scheint mir ihr Geschick. Lichas Als er die Stadt des Eurytos zerstört, Weiht’ er den Göttern sie und sich zum Dienst.
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Deianeira War dies die Stadt, vor deren Toren er Die ganze lange Zeit hat zugebracht? Lichas Nein; denn er war die längste Zeit im Land Der Lyder, fronte dort, wie selbst er sagt, Nicht als ein Freier. Möge dich dies Wort Nicht kränken, Fürstin. Zeus hat’s so gefügt. Verkauft an die Barbarin Omphale, Dient’ er ihr dort ein volles Jahr, so sagt Er selbst; doch nagt’ an ihm der Schande Schmerz
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So sehr, daß er mit hohem Eide schwur, Zum Sklaven den mit Weib und Kind zu machen, Der diese Schande über ihn gebracht. Er hat den Schwur gehalten! Kaum entsühnt, So warb er gleich ein Söldnerheer und zog Hin vor die Stadt des Eurytos; denn der Allein sei schuld, sagt er, an seiner Schmach. Denn als er einst in seinem Haus als Gast Verweilte, kränkte er ihn mannigfach Mit stolzem Wort und hinterhältigem Sinn. So sprach er: »Trotz der unfehlbaren Pfeile Stehst meinen Söhnen du im Kampfe nach, Sprichst wie ein Knecht, nicht wie ein freier Mann, Und rackerst ab dich.« Als er dann vom Mahl Betrunken war, warf der ihn vor die Tür. Ihn faßte Wut, und als dann jenes Sohn Nach Tiryns kam, verirrte Pferde suchend, Von einer Kuppe in Gedanken spähte, Da stößt er turmhoch den vom Fels hinab. Der Untat wegen zürnte ihm der Herr, Allvater Zeus, der Herrscher vom Olymp, Und machte ihn zum Knecht; denn nicht ertrug er’s, Daß tückisch er gemordet ihn, der fern Von Menschen war. Doch nahm er offen Rache Und tötete im Recht, verzieh ihm Zeus. Denn auch die Götter hassen Übermut. Doch nun sind alle, die ihn einst gekränkt, Im Hades drunten; ihre schöne Stadt Versank in Knechtschaft, und aus hohem Glück In tiefstes Leid gestürzt, so siehst du hier Die Frauen. Denn so hat es dein Gemahl Bestimmt, ich hab es ihm getreu erfüllt. Er selber aber kommt, das darfst du glauben, Sobald er Zeus für seinen Sieg gedankt. Viel Gutes glaub ich so gesagt zu haben, Fürstin, doch dies ist wohl das Süßeste.
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Chorführerin Nun ist die Freude, Fürstin, deutlich da. Da sind die Zeugen, und sein Wort verbürgt’s. Deianeira Wie sollt ich nicht von Herzen nun mich freuen Bei dieser Kunde von des Gatten Glück? Es muß ja Freude sich dazu gesellen. Und dennoch muß, wer rechte Einsicht hat, Sich bangen vor dem Fall des Glücklichen. Es wandelt mächtig mich die Wehmut an, Erblick ich diese Frauen hier, vertrieben In fremdes Land, heimat- und vaterlos. Sie waren früher doch wohl Kinder Freier Und müssen jetzt ein Sklavenleben führen. O Schirmherr Zeus, laß es mich nie erleben, Daß so du angehst wider mein Geschlecht! Wie schaudert’s mich, erblick ich diese Frauen.
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Zu I o l e Wer bist du, unglückseliges Mädchen du? Noch Jungfrau? Mutter schon? Dem Aussehn nach Ist dir das unbekannt, doch scheinst du edel. Iole schweigt Deianeira zu Lichas Wer ist das fremde Mädchen, Lichas? Wer Ist ihre Mutter, wer ihr Vater? Sprich! Denn sie von allen jammert mich am meisten, Wie sie’s allein auch würdig weiß zu tragen. Lichas Was weiß ich? Wozu fragst du mich danach? Mag sein, sie stammt nicht von den Letzten dort. Deianeira Ein Fürstenkind? Wohl gar des Eurytos? Lichas Ich weiß nicht, habe nicht danach gefragt.
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Deianeira Weißt auch von andern ihren Namen nicht? Lichas Ich habe schweigend meine Pflicht getan. Deianeira zu Iole 320 So sag du selbst mir deinen Namen, Ärmste! Iole schweigt Lichas Sie wird den Mund nicht öffnen; auch bisher Vernahmen wir kein Wort von ihren Lippen. Sie sagte keine Silbe, keinen Laut. 325 Nein, um ihr schweres Schicksal tief bekümmert, Vergießt die Ärmste Tränen, seit sie schied Von ihrer sturmgepeitschten Heimat. Schlimm Ist ihr Geschick, doch heischt es unsre Nachsicht. Deianeira So laßt sie denn, und mag sie sich begeben 330 Ins Haus, wie es am besten ihr gefällt. Fern sei’s von mir, daß ich ihr Leid verdopple. Sie hat genug zu tragen. Doch wir wollen Nun alle gehn; mich ruft des Hauses Pflicht. Du, Lichas, gehst, wohin dein Amt dich ruft. L i c h a s mit I o l e und den Frauen ab ins Haus; als D e i a n e i r a folgen will, hält sie der B o t e zurück Bote Bleib, Herrin, noch ein wenig da und höre Erst ohne Zeugen, wen ins Haus du einführst, Und andres Wichtige, das man dir verschwieg. Ich weiß von allem sicheren Bescheid. Deianeira Was ist? Weswegen hemmst du meinen Schritt? Bote 340 Verweil und hör. Du wirst es nicht bereuen, Wie du auch eben wichtige Dinge hörtest. 335
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Deianeira So soll ich jene wieder rufen, oder Willst du mich nur vor meinen Frauen sprechen? Bote Ja, nur vor ihnen. Jene läßt du fort. Deianeira Sie sind schon fort; du kannst nun ruhig sprechen. Bote Von allem, was der Mann dir eben sagte, Ist garnichts wahr. Er ist ein Lügenbote Vor dir jetzt eben oder früher schon. Deianeira Was sagst du da? So sprich dich deutlich aus, Denn was du jetzt gesagt, versteh ich nicht. Bote Aus seinem Mund hab ich vor vielen Zeugen Gehört, daß Herakles um diese Jungfrau Des Eurytos getürmte Stadt zerstört. Und Eros hab zum Kampfe ihn verzaubert, Kein andrer Gott, auch nicht des Dienstes Mühen Bei Omphale in Lydien, noch der Mord An Iphitos. Jetzt tut er Eros ab Und widerspricht so seinem eignen Wort. Nein, als vom Vater Herakles vergeblich Die Tochter zu geheimem Bund verlangt, Da fand er schnell sich einen eitlen Vorwand, Ihr Land zu überfallen und die Stadt Zu schleifen. Jetzt, du siehst es, kehrt er heim Und schickt dir diese, doch nicht absichtslos Und nicht als Magd. Das brauchst du nicht zu denken, Ist auch nicht glaublich; denn er brennt vor Gier. Ich hielt’s für meine Pflicht, dir das zu sagen, Wie ich’s von ihm bekam zu hören, Herrin. Und viele noch von Trachis Bürgern haben’s Gleich mir gehört und können’s ihm beweisen.
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Es tut mir leid, wenn dich mein Wort gekränkt, Doch hab ich nichts gesprochen als die Wahrheit. 375
Deianeira Weh mir! Wohin bin wieder ich geraten! O welches Unheil hab ich ahnungslos Mir selbst ins Haus geführt. Nicht namenlos Ist also jene, wie der Herold schwur?
Bote So glänzend wie ihr Aussehn ist ihr Stamm. 380 Sie nennt sich Iole und ist die Tochter Des Eurytos. Davon hat er geschwiegen, O freilich, danach braucht’ er nicht zu fragen! Chorführerin Fluch allen Frevlern und vor allem denen, Die hinter falschem Schein den Frevel bergen. 385
Deianeira Was tu ich nun, ihr Frauen? Von den Worten, Die ich da hörte, bin ich ganz erschüttert. Chorführerin Geh hin und frage Lichas, denn er wird Bekennen, wenn du ihn zur Rede stellst. Deianeira Das ist ein guter Rat; so geh ich denn.
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Bote Und ich, was soll ich tun jetzt? Soll ich bleiben? Deianeira Bleib! Denn es ist nicht nötig, ihn zu rufen, Dort kommt er schon von selber aus dem Haus. L i c h a s tritt aus dem Hause Lichas Was trägst du mir an deinen Gatten auf, O Herrin? Rede, denn ich breche auf.
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Deianeira Du kamst so spät und stürmst schon wieder fort, Bevor wir noch erneuert das Gespräch? Lichas Ich stehe dir zu Diensten, Herrin, frage! Deianeira Doch willst du auch die reine Wahrheit sprechen? Lichas Beim großen Zeus, soweit ich selbst im Bilde! Deianeira Wer ist das Mädchen, das du da gebracht? Lichas Zu welchem Zwecke hast du das gefragt? Deianeira Sag’s kühnlich nur, wenn du verständig bist. Lichas Nun, aus Euboia. Weiter weiß ich nichts. Bote Du, schau mich an! Weißt du, zu wem du sprichst? Lichas Zur Fürstin Deianeira, Oineus’ Tochter, Des Herakles Gemahlin, wenn mich nicht Mein Auge täuscht, zu meiner hohen Herrin. Bote Das eben wollt ich wissen; du gestehst, Daß du mit deiner Herrin sprichst? Lichas Gewiß. Bote So nenn die Strafe mir, die der verdient, Der diese seine Herrin frech betrügt. Lichas Ich ein Betrüger? Was für ein Geschwätz! Bote Ich schwätze nicht. Du bist es, der das tut.
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Lichas Ich gehe. Torheit war’s, auf dich zu hören. Bote vertritt ihm den Weg Nicht eher, bis du kurze Auskunft gibst. Lichas Was willst du? Frag, du bist der Stummste nicht. Bote Die Kriegsgefangene, die du hergebracht, Erinnere dich! Lichas Nun ja, was willst du denn? Bote 420 Du kennst sie nicht? Und hast doch eben noch Gesagt, sie sei das Kind des Eurytos? Lichas Wann hätt ich das gesagt? Vor welchen Menschen? Wer kann’s bezeugen, daß ich das gesagt? 415
Bote Ich habe viele Zeugen. Alle Bürger Auf Trachis’ Markte haben es gehört. Lichas Ich sprach: so hört ich. Nicht dasselbe ist’s, Etwas vermuten oder etwas wissen. Bote Wieso vermuten? Hast du nicht geschworen, Dem Herakles als Gattin sie zu bringen? Lichas 430 Ich sie als Gattin? Sag mir, bei den Göttern, Geliebte Herrin doch, wer ist der Fremde? Bote Ein Mann, der selbst von dir vernahm, daß Gier Nach ihr die ganze Stadt verdarb und nicht Die Lyderin; die Liebe war’s allein. 425
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Lichas O Herrin, bitte, heiß den Menschen gehn. Mit Narren redet ein Vernünftiger nicht. Deianeira Nein, sag mir alles, bei dem ewigen Zeus, Der über Oitas Wald hernieder donnert! Du sprichst ja nicht zu einem Alltagsweibe Und die nicht wüßte, daß der Mensch, am selben Sich nur zu freuen, nicht geschaffen ist. Wer Eros zu bestehen wagt im Ringkampf, Der ist nicht bei Verstand. Denn der regiert Sogar die Götter ganz nach seinem Willen. Und so auch mich. Warum denn andre nicht Wie mich? Toll wär ich, wenn ich tadeln wollte Den Gatten, weil ihn packt die Krankheit Oder dies Weib, Mitursach einer Sache, Die weder schimpflich noch für mich ein Übel. Das ist es nicht. Doch wenn mein Gatte dich Die Lügen lehrte, lerntest du nichts Gutes, Und wenn du selbst dein eigener Lehrer warst, So erntest du statt guten Rufs nur schlechten. Sag mir die volle Wahrheit, Mann! Der Name Des Lügners ist kein schönes Mal dem Freien, Und mich zu täuschen, das erreichst d u doch nicht. Gar mancher, der’s von dir gehört, sagt’s mir. Befürchte nichts! Du scheust dich ohne Grund; Denn nichts erregt mich mehr als Ungewißheit. Doch Wissen, was verschlägt es? Hat mein Gatte, Hat Herakles nicht viele schon gefreit? Nicht schon so vielen ja sein Herz geschenkt? Und keine noch von ihnen trug davon Von mir ein böses Wort. Die soll es auch nicht, Und schmölze sie vor Liebe. Nein, auf ihr Ruht längst mein Auge voll Erbarmen schon, Weil ihr die Schönheit zum Verderben ward.
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Schuldlos zerstörte sie das eigene Land Und bracht es in die Knechtschaft. Nun, dies mag Im Sturme treiben, wie es will. Doch du Spar deinen Trug für andre, mir gib Wahrheit. Chorführerin Gehorche ihr, du wirst es nicht bereuen. Sie und wir alle wissen dir nur Dank. Lichas O teure Herrin, nun du mir gezeigt, Wie menschlich du das Menschliche verstehst, So will ich dir die volle Wahrheit sagen. Es ist ja wirklich so, wie er gesagt. Es war um sie, daß ihn die schlimme Sucht Durchdrang, um sie ward ihre Vaterstadt, Die arme, ganz zerstört von seinem Speer. Und dies – man muß auch, was für ihn spricht, sagen – Ließ er mich nicht verbergen noch bestritt er’s. Ich ganz allein, o Herrin, hab gefehlt, Wenn dies ein Fehl dir scheint, weil ich mich scheute, Durch meine Botschaft dir das Herz zu kränken. Nun aber, da du jetzt ja alles weißt, Bitt ich um seinet- und um deinetwillen, Sei freundlich zu dem Weib und laß die Worte, Die du ihr sagtest, weiter auch gesagt sein. Er, der in keiner Schlacht je unterlag, Vermocht sich nicht des Eros zu erwehren. Deianeira So denk ich auch und handle demgemäß. Mit Göttern wag ich nicht mich in den Kampf. Ich will mein Leid nicht noch vermehren. Laß uns Ins Haus gehn, daß ich dir des Grußes Antwort Und meine Gegengabe anvertraue. Es ist nicht recht, daß du mit leeren Händen Fortgehst, der mit so reichem Zuge kam. D e i a n e i r a und L i c h a s gehen in den Palast; B o t e ab
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Chor Welch gewaltigen, machtvollen Sieg trägt Kypris doch stets Schweigen will ich [davon! Von den Göttern, und wie den Kroniden sie fing mit kluger 500 Oder den nächtlichen Hades [List, Und Poseidon, ihn, den Erschüttrer der Erde. Aber welch mächt’ge Bewerber Sich gestellt in den Kampf, Deianeira zu frein, Bis schlagumdröhnt und staubumwölkt der Streit 505 Tödlich ward durchgefochten. Und mit Hörnern und Hufen bewehrt, so erschien des Stiergestaltig: [Flußgotts Macht, Acheloos aus Oiniadai. Und es kam aus Bakchos’ Stadt 510 Theben, den Bogen gespannt, Hoch die Lanze, hoch seine Keule erhebend Herakles. Mächtig da stürzten Auf dem Plan sie zusammen in Gier nach dem Bett. Und einzig Kypris in der Mitte stand, 515 Richtend den Kampf der beiden. Da dröhnte die Faust, es klang Bogengetön, Krachend stießen die Hörner des Stiers. Ein Umeinanderklammern geschah, des Gehörns Wütendes Stoßen, Schlag so auf Schlag, und es stöhnten beide. Sie saß süß und reizend Am Hang, weit zu sehen, Wartend auf ihn, der ihr Gatte würde. Ich stand und schaut, wie ich’s nun erzähle, Und schwer umkämpft, harrt des Mädchens Auge In trauervoller Angst. Von der Mutter dann muß sie scheiden, Ein verlorenes Kälbchen.
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D e i a n e i r a tritt auf Deianeira Indes der Herold drinnen noch ein Wort Des Abschieds zu den Kriegsgefangenen spricht, Ihr Mädchen, kam ich heimlich hier heraus, Um euch zu sagen, was ich mir ersann, Und meinen schweren Gram mit euch zu teilen. Ein Mädchen – nicht mehr, nein ein liebes Weib Nahm ich ins Haus mir, lästigen Ballast Ins Schiff des Herzens, Stückgut, mir zur Schmach. Nun sind wir zwei und harren unter einem Bettlaken der Umarmung. So bezahlt Der Treue, Gute, Herakles die Hut, Die treue, lange Hut des Heims. Doch ich Vermag zu zürnen nicht dem Liebeskranken Und krank so oft an dieser Krankheit schon. Indes, in einem Haus mit jener hausen, Welch Weib vermöchte das in einer Ehe? Seh ich doch Jugend, Schönheit dort im Wachsen, Hier schwinden hin. Erst raubt des Mannes Blick Die Blüte gern, dann wendet er sich ab. So fürchte ich, daß Herakles mir Gatte Nur heiße, es der Jungen aber sei. Jedoch, ich sagt es schon, es steht gar übel Dem klugen Weibe an, dem Mann zu grollen. Hört an, was mich erleichtert und erlöst: Mir ward von einem Untier alter Zeit Einst ein Geschenk; ich barg’s in einem Krug. Als Mädchen noch erhielt ich es von Nessos, Dem zottigen, als er erschlagen starb. Der trug durch des Euenos tiefe Strömung Um Geld die Wanderer mit seinen Armen, Die Kraft des Ruders und des Segels sparend. So trug er mich auch, als des Vaters Wille Mich Herakles als Jungvermählte gab, Auf seinen Schultern. Doch in Stromesmitte
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Berührt’ er mich mit frecher Hand. Ich schrie. Da wandte sich der Sohn des Zeus und schoß, Daß dem der Pfeil, gefiedert, durch die Brust Bis in die Lunge drang. Da sprach das Untier Im Sterben: »Falls du, Kind des greisen Oineus, Mir folgst, so wird mein Dienst dir tüchtig nützen, Weil ich als letzte dich hinübertrug. Wenn du mein Blut, geronnen um den Pfeil, Mit Händen auffängst, das die schwarze Galle Der Schlange von Lernaia hat getränkt, So hast du einen Zauber für das Herz Des Gatten, daß er nie ein ander Weib, Das ihm vor Augen kommt, statt deiner liebt. Des eingedenk, ihr Freundinnen, benetzt ich Hier dies Gewand mit des Kentauren Blut. Denn wohl verwahrt hielt ich’s im Haus verschlossen, Wie er mir’s riet, und also ist’s getan. Nichts will ich wissen zwar von finsterm Treiben, Noch will ich’s lernen; pfui solch Weibervolk! Doch wenn der Liebestrank für Herakles Mich über diese Junge siegen läßt – Dazu ist dies ersonnen –, falls es nicht Ein leerer Trug; wenn doch, so laß ich’s sein. Chorführerin Wenn du dem Zaubermittel trauen darfst, So scheint uns dein Entschluß nicht schlecht, o Herrin. Deianeira Auf bloßem Glauben nur ruht mein Vertrauen, Ich habe seine Kraft noch nie erprobt. Chorführerin Wer wissen will, muß handeln. Die Vermutung Ergibt kein Wissen ohne den Versuch. Deianeira Bald werden wir es wissen. Dort kommt Lichas Schon aus der Tür, um eilig aufzubrechen.
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Nur seid verschwiegen! Wer im Dunkel sündigt, Bleibt jedenfalls vor Schande wohl bewahrt. L i c h a s tritt heraus
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Lichas Laß deinen Auftrag mich erfahren, Herrin, Denn allzulange hab ich schon gesäumt. Deianeira Ich habe gleichfalls, Lichas, dein geharrt, Indes du drinnen mit den Frauen sprachst. Nimm dieses lange Kleid, das ich gewebt, Und bring es meinem Gatten als Geschenk. Doch sag ihm, wenn du’s übergibst, daß vor ihm Kein anderer es um sich legen soll, Auch bleib es unberührt vom Strahl der Sonne, Vom Schein der Opferglut, vom Glanz des Herdes, Bis daß er selbst vor allem Volk damit Geschmückt beim Opfer vor den Göttern steht. Denn so gelobt ich: Wenn ich unversehrt Ihn säh heimkehren oder davon hörte, So sollt in dieser Tracht er vor die Götter Hinstehn, ein neuer Mensch in neuem Kleid. Als Zeugnis dessen nimm hier dieses Siegel, Er wird’s erkennen auf den ersten Blick. Und nunmehr geh! Und wahre diese Regel: Nie wolle deinen Auftrag überschreiten. So wirst du dir zwiefachen Dank verdienen Mit einer Tat:Von Herakles und mir. Lichas So wahr ich Hermes’ Botenkunst gelernt, Befolg ich treulich, Herrin, dein Gebot Und bring ihm das Gefäß, wie ich’s empfing, Und richte deine Worte treulich aus. Deianeira So gehe denn, und wie es hier im Haus Bei uns bestellt, das weißt du selber ja.
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Lichas Ich sah’s und melde, alles stehe wohl. Deianeira Auch hast du selbst dich überzeugt, wie freundlich Das junge Weib von mir empfangen ward. Lichas Ich sah’s mit freudig überraschtem Herzen. Deianeira Was hätt ich sonst noch wohl zu melden? – Ach, Als Bote meiner Sehnsucht wirst du sprechen, Eh du noch weißt, ob er nach mir sich sehnt!
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L i c h a s und D e i a n e i r a ab Chor Ihr alle, der Thermopylen Zwischen Meer und Felsenhöhn Nachbarn, und ihr, die ihr längs der Bucht von Melis Wohnt am Strand der See, Wo Artemis mit dem goldnen Bogen Waltet und das Gericht Der Griechen pflegt zu tagen! Nun hebet die Flöte süßen Klang bald an; nicht gellt sie widrig Trauergesänge, vielmehr der Leier Göttlichem Klang vergleichbar. Es eilt ja nach Haus des Zeus gewaltger Sohn, der jeden Preis Des Heldentums errungen.
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Von der Heimat entfernt zwölf Monde lang Überm Meer so weit! Wir harrten seiner So lange Zeit und erhielten von ihm nicht Kunde. Doch 650 Verzehrte sich in Tränen immerzu, [das liebe Weib
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Das arme Herz von Gram bedrückt. Doch entbrannt, endet jetzt Ares doch Die Tage ihres Grams. So erschein, so erscheine! Möge nie Ihm der hurtige Rudrer stoppen, ehe Ans Ziel er kommt nach Haus, verlassend den Opferherd am Wo jetzt er noch den Göttern Opfer bringt. [Inselstrand, 660 O kehre heim! Vom Zaubersaft Ganz durchtränkt, wie das Tier angesagt, Vom Sehnsuchtsdrang durchglüht. 655
D e i a n e i r a tritt wieder aus dem Haus Deianeira O liebe Fraun, wie bangt mir, ob ich nicht Mit meinem Tun zu weit gegangen bin! Chorführerin 665 Was hast du, Deianeira, Kind des Oineus? Deianeira Ich weiß nicht; doch mir schwant, bald wird sich zeigen, Daß Schlimmes ich in schöner Hoffnung tat. Chorführerin Du meinst wohl dein Geschenk für Herakles? Deianeira Gewiß. Unsichre Sache soll man lieber 670 Nicht übereilt betreiben, wie ich’s tat. Chorführerin Was quält dich? Rede, wenn du’s sagen kannst. Deianeira Es ist etwas geschehn, was euch, ihr Frauen, Erstaunlich, wie ein Wunder klingen muß. 675 Die weiße Flockenwolle, die ich eben, Das Prachtgewand zu salben, noch gebraucht,
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Schwand spurlos hin! Es ist im Hause nichts, Das sie zerfressen, selbst hat sich’s verzehrt Und auf des Estrichs Steinen aufgelöst. Doch weiter hol ich aus, euch’s zu erklären. Von allem, was der wilde Bergkentaur, Den bittern Pfeil im Herzen, ächzend sprach, Vergaß ich nichts, bewahrt’s wie unauslöschbar Auf erzene Tafel eingeprägte Schrift. Er hieß mich’s, und so hab ich’s stets gehalten, Das Mittel fern vom Feuer und der Wärme Des Sonnenstrahls im finstern Winkel tief Zu bergen, bis ich’s einst als Salbe brauchte. So tat ich auch. Als nun die Zeit zur Tat, Salbt ich zu Hause heimlich mein Geschenk Mit einem Flöckchen Wolle, einem Lamm Geraubt, und legt’s gefaltet, vor der Sonne Geschützt, ins hohle Kästchen, wie ihr saht. Doch jetzt ins Haus gekehrt, da sah ich etwas, Was wohl kein Wort erklärt, kein Mensch begreift: Die Wolle, die zum Salben ich gebraucht, Warf unversehens grad ich in die Glut Des Sonnenstrahls. Doch kaum ist sie erhitzt, Zergeht die Wolle und zerkrümelt sich, Am besten zu vergleichen Sägespänen, Schaut einer zu, wie Holz zerschnitten wird. So liegt sie da zerfallen. Doch vom Boden Quoll blutiger Schaum in dicken Blasen auf, Wie wenn der fette Most der blauen Frucht Des Weinstocks auf den Boden wird gegossen. Nun weiß ich Arme mir nicht mehr zu raten. Ich sah nur: grausig ist, was ich getan. Wie sollte und wofür auch mir das Tier Wohlwollen zeigen, die den Tod ihm brachte! O nein, an seinem Mörder wollt sich’s rächen, Und so betört’ es mich. Doch viel zu spät, Als daß es nützen könnte, lern ich das.
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O meine Ahnung! Ich bin’s, ich allein, Durch die mein Gatte stirbt! Ich Unglückselige! Ich weiß, der giftige Pfeil hat einen Gott, Hat Cheiron einst verderbt, und jedes Leben, Das er nur leise streift, das ist verloren! Wie sollte nicht auch ihn der Blutstrom töten, Den dieser Pfeil vergiftet! Ach, kein Zweifel! Doch ist’s beschlossen, daß, wenn jener fällt, Derselbe Schlag zugleich mich treffen soll. Ein Leben in der Schande trägt die nicht, Die stolz ist, nicht aus niederem Blut zu stammen. Chorführerin Wohl bangen muß, wer so gefährlich handelt. Doch soll man vor dem Ausgang nichts entscheiden. Deianeira Wer einer schlimmen Tat sich zeihen muß, Dem gibt die Hoffnung keinen Trost ins Herz! Chorführerin Doch die da fehlen ohne Vorbedacht, Trifft milder Zorn; das ist auch deine Strafe. Deianeira So redet nicht, wer Teil am Unheil hat, Nein, nur, wen nichts beschwert in seinem Haus. Chorführerin Halt ein! Wenn du vor deinem Sohn dich nicht Verraten willst; denn Hyllos kehrt zurück, Der seinen Vater aufzusuchen ging. H y l l o s tritt auf
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Hyllos O Mutter, wärst du doch nicht mehr am Leben, Wärst eines andern Mutter oder könntest Dir bessern Sinn eintauschen, als du hast, Von diesen dreien wünsch ich eines dir. Deianeira Was tat ich, Sohn, daß du mich so verabscheust?
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Hyllos Den eigenen Gatten, meinen Vater, hast du Dahingemordet, heut, an diesem Tag! Deianeira Weh! Welch ein Wort hast du gesprochen, Kind! Hyllos Unwiderruflich wahr! Denn wer vermöchte, Was schon ans Licht trat, ungeschehen machen? Deianeira Was sagst du, Kind? Wer hat es dir gesagt, Daß du so schwerer Tat mich zeihen kannst? Hyllos Ich selber sah mit meinen eigenen Augen Des Vaters Leid und brauchte keinen Zeugen. Deianeira Wo fandest du den Vater, warst du um ihn? Hyllos Mußt du es wissen, sei es denn gesagt! Als er die stolze Burg des Eurytos Zerstört und reich mit Beute und Trophäen Beladen abzog, kam er nach Euboia, An das vom Meer umrauschte Kap Kenaion, Und weihte dort dem Vater Zeus Altäre Und grünen Hain. Dort sah ich froh ihn wieder. Zum großen Opfer schickt’ er grad sich an, Als Lichas zu ihm kam und ihm von dir Des tödlichen Gewandes Gabe brachte. Nach deinem Wunsche legte er es an Und opferte zwölf fehlerlose Stiere, Die ersten von der Beute, insgesamt Noch hundert andre Tiere, bunt gemischt. So stand der Arme da, mit heiterer Miene, Des Festgewandes froh und betete. Doch als die heilige Opferflamme hoch Aufloderte aus Blut und Fichtenharz,
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Brach aus den Poren Schweiß, und an den Leib Schmiegt’ eng sich an das Kleid, als hätt’s ein Künstler An jedes Glied geleimt. Dann kam ein Zucken, Das drang bis auf die Knochen, und wie Gift Fraß es an ihm von einer bösen Schlange. Da schrie er laut nach dem unseligen Lichas, der keine Schuld an deiner Tat hat: In welcher Arglist er dies Kleid gebracht? Der Ärmste wußte nichts und sprach, von dir Allein sei das Geschenk, das er gebracht. Und jener, dem gerad ein neuer Krampf Die Brust umklammerte, als er das hörte, Packt’ ihn am Fuß, wo sich der Knöchel dreht, Warf ihn an einen meerumspülten Fels, Daß ihm der Schädel auseinander barst Und Blut dem Haar entquoll und weißes Hirn. Das ganze Volk schrie auf in einem Schrei, Weil dieser raste, jener lag im Blut. Doch niemand wagt’ sich an den Mann heran. Bald riß es ihn zu Boden, bald nach oben, Vom Heulen, Winseln hallten rings die Felsen, Der Lokrer Berge und Euboias Höhen. Dann schwanden seine Kräfte, und er wälzte Sich hin am Boden und verfluchte heulend Den Ehebund mit dir, du Unglückselige, Den Bund mit Oineus’ ganzem Fürstenhaus, Der seines Lebens Untergang ihm brachte. Dann hob er aus der Nacht, die ihn umfing, Das irre Auge und erblickte mich, Der in der Menge ich in Tränen stand, Und rief: »Mein Sohn, komm her und fliehe nicht, Auch wenn du mit dem Sterbenden verdirbst. Bring mich hinweg, am liebsten dorthin, wo Kein menschlich Auge mich erblicken kann. Erbarm dich mein, führ mich aus diesem Land, Eil dich, damit ich hier nicht sterben muß.«
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So bat er, und wir nahmen ihn und legten Mit vieler Mühe ihn auf einen Nachen Und brachten ihn, der wild in Qualen zuckte, An diesen Strand. Ihr sollt ihn gleich erblicken Noch lebend oder eben erst gestorben. Das, Mutter, war dein Plan, und dich verrät Die Tat. Drum soll dich Dike strafen und Erinys auch. So fleh ich, ist es recht. Und es ist recht, da du das Recht verwarfst Und mordetest den besten aller Männer Auf Erden, wie du keinen je mehr siehst. D e i a n e i r a geht stumm ins Haus Chorführerin Du gehst und schweigest? Weißt du nicht, daß du Dem Kläger recht gibst so mit deinem Schweigen? Hyllos Laßt sie! Ein guter Wind mag sie geleiten, Wenn sie aus meinen Augen flieht. Wie dürfte Sie noch der Mutter stolzen Namen tragen, Die so unmütterlich getan! Sie gehe Und freue sich! Jedoch die Wonne, die Sie meinem Vater schuf, die treff auch sie! Ab ins Haus
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Chor O seht, ihr Mädchen, wie sich so plötzlich erfüllt Das Wort, das die göttliche Stimme kündet Jener alten Prophezeiung. Die sprach, wenn einst das zwölfte Jahr vollendet erst Die Zahl der Monde, werde der Sohn des Zeus 825 Ruhe erlangen. Richtig hat es diesen Ans Ziel der Fahrt gebracht. Wie sollte er im Tode auch Noch auf sich nehmen neuer Mühen mühevollen Frondienst? 830
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Denn wenn ihm jetzt des Kentauren Betrug den Leib Zu blutgem Verhängnis salbet Und das Gift an ihm verschmilzt, Vom Tod gezeugt, vom Schuppendrachen dann genährt – 835 Wie sollte der noch schaun ein neues Tageslicht, Der ganz verschmolzen dem Gespenst der Schlange, 840 Und den der Stachel quält, Den ihm das schwarze Tier Als blutge List ersann? Nun brennt es unaufhörlich. Großes Unheil sah ihrem Haus Sie sich nahen, die Ärmste, vom neuen Bund. Und ohne Ahnung zog sie selber das Unglück Sich zu. Aber auch fremder Rat 845 Half mit: die unheilvolle Zwiesprach mit dem Tier. Wohl stöhnt sie vernichtet jetzt, Wohl weint sie der Tränen Tau, Der zarten, die immer neu – 850 Es schreitet heran das Schicksal und zeiget ein Verhängnis voll Trug und Macht. Heiß der Quell der Tränen nun rinnt. Es ergoß sich Krankheit, o wehe, wie Ein Leid, vom Feind dem hochgefeierten Mann 855 So arg jammervoll zugefügt. O weh, du Todesspitze seines Heldenspeers, Die damals so rasch die Braut Du holtest vom hohen Fels 860 Oichalias ihm im Sturm! Doch Kypris, sie waltet still, aber sichtbarlich Hat alles sie dies gewirkt. 1. Halbchor Ist’s Täuschung? Oder hör ich eben da Durchs Haus erschallen einen Jammerruf? 865 Was mag das sein?
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2. Halbchor Kein ungewisser Laut, Nein, deutlich: Wehgeschrei von neuem Leid. Die A m m e tritt auf 1. Halbchor Sieh doch, wie grambewegt mit finstern Brauen Die Alte her kommt, und sie bringt uns Kunde. Amme O Kinder, welches Leid hat dies Geschenk An Herakles schon über uns gebracht! Chorführerin O sprich! Welch neues Unheil kündest du? Amme Es ging den letzten Weg die Herrscherin, Den Weg, zu dem man keine Füße braucht. Chorführerin Doch den des Todes nicht? Amme Gewiß, das war’s. Chorführerin Die Ärmste starb? Amme Vernimm’s zum zweiten Male. Chorführerin O Trauerkunde! Welchen Tod starb sie? Amme Auf die schrecklichste Art geschah es. Chorführerin Sprich, welch Todeslos Hat sie hingestürzt? Amme Sie hat sich selbst zerstört.
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Chorführerin War’s Grimm oder war’s zerstörter Sinn, Daß sie griff zu dem scharfen Stahl Des Unheils? Wie ersann sie sich Tod noch zum Tode und hat Es alleine vollbracht? Amme Mit der Schneide Jammervollen Eisens. Chorführerin Und sahst du,Verwegne, den Frevel? Amme Ich stand in ihrer Nähe, sah es an. Chorführerin Wie konnt es geschehen? Amme Sie tat es selbst mit ihrer eignen Hand. Chorführerin Was sagst du? Amme Die Wahrheit. Chorführerin Es gebar, es gebar Diese neue Braut dem Hause Den Fluchgeist Erinys. Amme Ja, allzu wahr! Und größer wäre noch Dein Mitleid, hättst du selbst die Tat gesehn. Chorführerin Solch eine Tat hätt Weiberhand gewagt? Amme O furchtbar! Hör es und du wirst’s bezeugen! Als sie, allein ins Haus zurückgekehrt, Den Sohn im Hof sah eine Bahre rüsten,
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Um drauf den Vater wieder heimzuholen, Da barg sie sich, daß niemand sie erblicke, Und sank am Altar schluchzend hin, weil der Nun unbesorgt, und weint’, wenn sie berührte Ein Hausgerät, das täglich sie gebraucht. So wandte sie sich hier und dorten hin. So oft sie eines treuen Knechts Gestalt Erblickte, weint’ sie auf in ihrem Leid Und klagte laut ihr eignes Unheil an Und ihre Zukunft, fern von ihren Kindern. Dann plötzlich schwieg ihr Jammer, und mit Hast Enteilte sie ins Schlafgemach des Gatten. Im Schatten mich verbergend, folgt ich ihr. Da sah ich, wie auf ihres Gatten Bette Die Herrin prächtige Decken breitete. Dann sprang sie selbst hinauf und setzte mitten Sich auf des Lagers Ruhestatt und rief, Von heißen Tränenströmen überschüttet: »O Ehelager, o mein Brautgemach, Nun lebet wohl, denn nimmer werdet ihr In eurem Schoß zu sanftem Schlaf mich betten.« Dies rufend, löste sie mit rascher Hand Sich die Gewandung, wo die goldene Spange Sie überm Busen vorn zusammenschloß, Entblößte ihre Brust, den linken Arm. So schnell ich konnte, eilte ich von dannen, Um Hyllos ihr Beginnen kundzutun. Doch bis ich hin- und dann mit ihm zurückkam, Da fanden wir die Arme tot, der Stahl War in die Brust gedrungen bis ans Herz. Darauf ließ Hyllos nun in seinem Leid Nicht ab zu klagen und um sie zu weinen; Warf sich auf ihren Mund und Seit an Seite Mit ihr geschmiegt, so stöhnt’ er häufig auf, Daß er sie fälschlich böser Schuld geziehen, Und klagte, daß er doppelt sei verwaist
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Und vater-, mutterlos nun leben müsse. So steht es drinnen. Ach, ein Tor ist, wer 945 Von einem Tage auf den andern rechnet. Es gibt kein Morgen, ehe einer nicht Das Heute glücklich überstanden hat. Ab Chor Was soll ich zuerst beklagen doch? Was soll ich dann weiter bejammern noch? Kann es vor Leid nicht scheiden mehr. 950
Das eine, das haben wir schon im Haus, Das andre erwarten wir ahnungsschwer. Haben – erwarten: alles gleich!
Erhöbe sich doch ein Wind Von diesem Herde, stark und freundlich wehend, 955 Und trüg mich weit hinweg von diesem schlimmen Ort, Damit ich nicht vor Angst vergeh Allein bei dem Anblick nun, wenn Zeus’ gewaltger Sohn erscheint. Denn sie sagen: in unerträglicher Qual, 960 So naht er dem Haus; ein Anblick, Gräßlich, unaussprechlich! Schon ist es heran, das Leid, Das wir beweinten, traurig wie die Nachtigall. Es naht ein stummer Zug von fremden Leuten sich. 965 Wie tragen sie ihn sacht! Der Schritt, Der schwere, behutsam schreitet, Sorgend um den teuren Mann. O wehe! Man hört von ihm keinen Laut. Ich weiß nicht, liegt er im Tode 970 Oder nur im Schlafe?
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H e r a k l e s wird auf einer Bahre schlafend hereingetragen; ein G r e i s führt den Zug an. H y l l o s kommt aus dem Palaste Hyllos O wehe um dich! O wehe, mein Vater, wie leid ich um dich! Ich Ärmster, wie soll ich dir helfen? Der Greis Halt ein, mein Sohn, und wecke nicht neu Die zehrende Qual in dem rasenden Mann! Er liegt nur wie tot.Verbeiße den Schmerz. Er lebt noch. Hyllos Was sagst du? Er lebt noch? Der Greis O weck ihn nicht auf, den der Schlummer umfängt O jag nicht auf! O weck nicht auf Den furchtbaren Sturm Der Krankheit, mein Sohn! Hyllos Wie lastet auf mir Das unendliche Leid! Mir raset das Herz. Herakles O Zeus! Wohin kam ich? Wo lieg ich? In welchem Land? Gequält von dem unaufhörlichen Schmerz. Ich Armer, o weh! Nun fängt’s wieder an Und zerfrißt mich, der Schmerz, der verfluchte! Der Greis Ich wußte es wohl, wie heilsam es war, Sich in Schweigen zu bergen und nicht wie du Zu verscheuchen vom Haupt Und den Wimpern den Schlaf. Hyllos Ich kann nicht den Anblick Der Qualen in Fassung ertragen.
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Herakles Du Altar des Zeus auf Kenaions Höhn! Welch furchtbaren Dank für Gaben, wie reich, Erstattest du mir, dem Armen, o Zeus, Und tatest mir an welche Schmach, welche Schmach! Ach hätte ich Ärmster dich niemals gesehn, Dann hätt ich auch nie diese Blüte des Wehs, Die niemand beschwört, an mir selber erlebt. Wo ist der Beschwörer, wo ist der Arzt, Der mir dieses Graun mit geschickter Hand Beschwörte? Nur Zeus allein vermag’s. Dies Wunder erleb ich wohl niemals. Ach! Ach! So laßt mich doch, lasset mich Ärmsten endlich doch ruhn! Was rührst du mich an? Wo legst du mich hin? Bringst mich um, bringst mich um! Wie weckst du die schlummernde Qual mir auf! Ach! Da faßt es mich wieder, da kriecht es heran. Wo seid ihr, Aller Hellenen undankbarste Männer, um die ich mein Leben Ganz in Mühen verzehrt, indem ich das Meer und die Erde Reinigte einst von allem Gezücht, und nun findet sich keiner, Der mir mit Schwert oder Feuer will helfen in all meinen Ach, ach! [Qualen? Keiner kommt her und schlägt mit Gewalt das Haupt Mir ab, mir dem Verhaßten? Weh! Der Greis Sohn dieses Mannes, das Werk übersteigt doch bei weitem All meine Kräfte. So fasse du zu. Dein Auge ist voll von Stärke. Du brauchst meinen Arm nicht als Beistand. Hyllos So will ich denn helfen. Aber ein Leben, von Qualen befreit, bis zum Ende, vermag ich Nicht ihm zu schaffen. Denn solches kann Zeus alleine gewähren.
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Herakles Sohn, wo bist du, Sohn? Hier, nein hier mußt du fassen und heben mich an. Ach, ach, o weh, das Elend! Da springt’s mich, springt’s mich wieder an, Und es bringt mich um Der scheußlich unheilbare, gierige Schmerz. Weh, o wehe! Du Herrscherin Pallas, nun faßt es mich wieder. Sohn, erbarm dich des Vaters und zücke dein Schwert ohne Bangen, Bohr es mir tief in die Brust und heile den Schmerz, den die Mutter Ruchlos entfachte. Ach könnt ich sie elend am Boden doch sehen, Ganz so wie sie mich zu Boden geschlagen. Bruder des Zeus, du seliger Hades, Bette mich, bette mich! Lasse mich schwinden hin, gib mir den schnellen Tod! Chorführerin Mit Schaudern füllt mich unsres Fürsten Los. Daß einen solchen Mann solch Schicksal traf! Herakles Schon manche Not, von der man spricht, Hab ich mit Faust und Nacken ausgehalten. Doch solche Qual hat weder Hera mir Noch des Eurystheus finsterer Haß geschaffen, Wie jetzt des Oineus truggesinnte Tochter Um meine Schultern warf dies Kleid des Fluchs, Das die Erinyen mir zum Tod gewebt. Es klebt sich an die Lenden, und es frißt Sich tief ins Fleisch, saugt mir die Lungen aus Und trinkt das Blut des Lebens. Schon verschrumpft Mein Leib im blinden Zwange dieser Fessel. Kein Speer im Kampf, nicht der Giganten Schar,
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Der erdentsprossnen, auch kein starkes Untier, Noch Hellas, noch Barbarenland, so weit Ich kam, die Erde säubernd, tat mir das. Ein Weib, als Weib geboren, nicht als Mann, Das hat allein mich ohne Schwert besiegt. O Sohn, nun zeig dich als des Vaters Sproß, 1065 Laß dir nicht höher stehn der Mutter Name, Geh, schleppe sie mit deinen Händen her, Und liefre sie mir aus, damit ich sehe, Ob’s mehr dich schmerzet, mein geschändet Bild Zu sehn als sie, die Rechtens geht zu Grunde. 1070 So fasse Mut, mein Kind, erbarm dich mein, Dem viele Mitleid schenken, der jetzt aufschluchzt Grad wie ein Mädchen. Keiner kann von mir Erzählen, daß er so mich je gesehn. Stets nahm ich klaglos jede Not auf mich, 1075 Nun aber wird der Held zu einem Weibe! Komm her zu deinem Vater, tritt heran, Und schau das Elend, das mich so erniedrigt, Du sollst es sehn mit Augen, unverhüllt. 1060
Er enthüllt sich Schaut her, schaut alle dies mein Schreckensbild, Schaut alle mein bejammernswertes Leid! Ach, ach, ich Armer, ach! Von neuem glühend zuckt der Schmerz mir auf Und bohrt mir durch die Brust. O soll denn nimmer Die Qual, gefräßig, dieser Krankheit ruhn? 1085 O Hades, Herr, nimm auf mich! O Blitz des Zeus, erschlag mich! O schleudre, Herr, o schmettre das Geschoß, Den Blitz, o Vater! Ach, schon wieder frißt’s Und steht in Glut und wächst. Ihr Hände, Hände, 1090 Du Brust und Nacken, und ihr treuen Arme, Seid ihr dieselben noch, die einst den Löwen, Die unnahbare, fürchterliche Brut, 1080
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Den Schreck der Hirten in Nemea würgten, Die jene Schlange einst erlegten und Das zwiegestalte Heer der Pferdemenschen, Der überstarken, wild unbändigen, Den erymanthischen Eber und des Hades Dreiköpfigen Hund, das unnahbare Scheusal, Die Brut Echidnes und das Drachentier, Das an der Erde Saum die goldnen Äpfel hütet? Und tausend andre Mühen kostet ich, Und niemand triumphierte über mich. Jetzt lieg ich hier, gebrochen und zerrissen Von unsichtbarem Feind, der mich verwüstet, Ich, der der besten Mutter Sohn genannt Und Sohn des Zeus, der in den Sternen thront. Doch wisset dieses: bin ich auch ein Nichts, Kann nicht mehr kriechen, werd ich doch, die mir Dies angetan, erwürgen. Laßt sie kommen! An ihr sei allen Menschen offenbar: Im Leben und im Tode straf ich Böse. Chorführerin O Hellas, welche Trauer wartet dein, Wenn dieser Held dir fortgenommen wird. Hyllos Vergönne,Vater, nun auch mir ein Wort. Hör mich trotz deiner Schmerzen ruhig an. Ich will nur bitten, was mir billig zukommt. Neig dich mir zu, und gib dich nicht dem Zorn So ganz zum Raub, denn du verkennst sonst, daß du Dich fälschlich aufregst. Deine Rachlust trügt. Herakles Sprich, was du willst, doch kurz. Mein kranker Sinn Faßt nichts von dem, was du da künstlich redest. Hyllos Von meiner Mutter komm ich dir zu künden Ihr Schicksal und ihr schuldloses Vergehn.
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Herakles Verruchter! Hier vor deinem Vater nennst du Die Mutter, die den Vater dir gemordet! Hyllos Sie traf ein Los, das mich zum Reden zwingt. Herakles Nach dem mit nichten, was sie mir getan. Hyllos Hör, was geschehn, und du wirst anders sprechen. Herakles Sprich, aber – hüte dich vor schlechter Wirkung! Hyllos Sie starb soeben eines blutigen Todes. Herakles Durch wen? Dein böses Wort verkündet Wunder. Hyllos Sie starb durch eigne, nicht durch fremde Hand. Herakles Zu früh! Durch mich ja hätt sie sterben müssen. Hyllos Auch dein Herz wär gewandelt, wüßt es alles. Herakles Du fängst unglaubhaft an. Erklär den Sinn! Hyllos Die böse Tat geschah in guter Absicht. Herakles Gut, Bube, dieser Mord an deinem Vater? Hyllos Durch Liebeszauber wollte sie dich binden, Da sie die Braut da drinnen sah – und fehlte. Herakles Wer ist denn dieser Zauberer hier in Trachis? Hyllos Betört hat sie zu alten Zeiten Nessos, Dies Mittel fache deine Liebe an.
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Herakles Weh mir, Unseliger, nun bin ich verloren! Dahin, dahin! Kein Licht erscheint mir mehr. Weh mir, nun weiß ich, wie es mit mir steht. Geh, Sohn, du hast nun keinen Vater mehr, Und rufe die Geschwister alle her Und ruf Alkmene, welche Zeus umsonst Gefreit, damit ihr hört vor meinem Tod, Was alles ich von Göttersprüchen weiß. Hyllos Alkmene ist nicht hier, sie hat am Meer Tiryns zum Witwensitze sich gewählt. Auch von den Enkeln wohnt ein Teil bei ihr, Die andern sind in Thebens Stadt daheim. Doch die wir hier sind,Vater, wollen gern Dir alles tun, was dir von Nöten ist. Herakles So höre mich. Dein ist es jetzt, zu zeigen, Daß du ein Mann bist, deines Vaters wert. Vor Jahren schon hat Zeus mir einst verkündet, Durch keinen würd ich sterben, der da lebt, Jedoch durch einen, der im Hades wohnt. Nun hat mich Nessos nach des Gottes Spruch Aus seinem Grab, den Lebenden, getötet. Und noch ein andrer Spruch ward mir vor kurzem, Der jene alte Weissagung bestätigt. Des Zeus prophetische Eiche gab ihn mir Im heilgen Hain der Seller, in den Bergen. Ich schrieb ihn auf: es werd in diesen Tagen, Die wir jetzt leben, mir Erlösung werden Von allen Mühen, die mir auferlegt. Ich hoffte Glück zu schaun, nun war’s der Tod. So und nicht anders war der Spruch gemeint, Denn Tote sind von allen Mühn erlöst. Da dies nun alles, Kind, sich so bestätigt,
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So stehe du mir bei, hilf deinem Vater, Daß ich zu hartem Wort nicht greifen muß. Gewähr mir deine Hilfe frei und gern, Und mach Gehorsam dir zur schönsten Pflicht. Hyllos Mit Zagen harr ich deiner Worte,Vater, 1180 Doch will ich dir gehorchen als dein Kind. Herakles So gib mir deine rechte Hand darauf. Hyllos Wozu verlangst du dringend dieses Pfand? Herakles Willst du mir gleich gehorchen! Gib die Hand! Hyllos Hier hast du sie und ohne Widerspruch. Herakles 1185 Nun schwöre mir beim Haupt des Vaters Zeus – Hyllos Was soll ich schwören? Sprich es deutlich aus! Herakles Daß du vollendest, was ich dir befehle. Hyllos Wohlan, ich schwör es dir bei Zeus als Zeugen. Herakles Und fluche dir, wenn du meineidig wirst! Hyllos 1190 Das werd ich nicht. Doch fleh ich um den Fluch. Herakles Kennst du des Oitas Gipfel, Zeus geweiht? Hyllos Ich kenn ihn gut; oft hab ich dort geopfert. Herakles Auf diesen Gipfel trage meinen Leib Mit eigner Hand, und Freunde sollen helfen. 1175
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Dort schneide von den wurzeltiefen Eichen Gezweig und Holz vom Stamm des wilden Ölbaums, Dem knorrigen; dann lege mich darauf, Und nimm aus Fichtenholz die helle Fackel, Und zünde an, doch ohne Tränenklagen, Wenn du mein Sohn bist. Doch gehorchst du nicht – Auch drüben werd ich ewig dir zum Fluch. Hyllos Weh mir, mein Vater, wozu zwingst du mich! Herakles Es muß sein. Tust du’s nicht, so bist du nicht Mein Sohn mehr. Such dir einen andern Vater. Hyllos O weh mir abermals! Was forderst du! Ich soll dein Mörder sein mit eigner Hand! Herakles Mitnichten, Sohn. Mein Retter sollst du sein, Der Arzt, der mich von aller Qual erlöst. Hyllos Verbrenn ich dich, wie bin ich dann dein Arzt? Herakles Wenn das dich schreckt, so tu das andre nur. Hyllos Hinauf dich tragen? Ja, das tu ich gern. Herakles Und willst du auch den Scheiterhaufen schichten? Hyllos Wenn ich nicht selber Hand anlegen muß, Das andre will ich tun zu meinem Teil. Herakles Auch das genügt. Doch eine kleine Gunst Gewähr mir noch zu deinen großen Diensten. Hyllos Und wär sie noch so groß, sie wird gewährt.
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Herakles Das Mädchen kennst du doch des Eurytos? Hyllos Versteh ich dich, so meinst du Iole? Herakles So ist’s.Vernimm denn, was ich dir befehle! Willst du im Ernst ein frommer Sohn mir sein, So nimm sie, deines Eidschwurs eingedenk, Nach meinem Tod zum Weib.Versag es nicht! Kein andrer von den Menschen soll besitzen, Die mir zur Seite schlief, als du, mein Sohn. Du, Sohn, sollst sie ins Haus als Gattin nehmen. Gehorche! Warst im Großen treu, doch wirst, Im Kleinen untreu, jenes all vernichten. Hyllos Weh mir! Man zürne einem Kranken nicht! Doch wer erträgt es, ihn so krank zu sehn? Herakles Heißt das, du willst nach meinem Wort nicht handeln? Hyllos Wer könnte sie, die meiner Mutter Tod Allein verschuldet und auch dein Geschick, Wer könnte die zur Gattin wählen, wenn ihn Die Rachegeister nicht verwirrt. Denn lieber Doch tot, als mit dem schlimmsten Feind zu leben! Herakles Der Mann will, scheint’s, dem Sterbenden nicht tun, Was sich geziemt. Es wartet schon der Fluch Der Götter, wenn du meinem Wort nicht folgst. Hyllos Gleich wird sich zeigen, scheint’s, wie krank du bist. Herakles Du weckst die Krankheit wieder aus dem Schlummer. Hyllos Was soll ich tun? Ich weiß mir nicht zu raten.
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Herakles Weil du des Vaters Rat nicht hören willst. Hyllos Soll ich denn lernen gottlos sein, mein Vater? Herakles Wenn du mein Herz erfreust, bist du nicht gottlos. Hyllos Du heißest allen Ernstes mich dies tun? Herakles Zu Zeugen rufe ich die Götter an. Hyllos So will ich denn gehorsam sein. Ich tu’s. Du hast’s gewollt, die Götter werden’s wissen. Dir treu, werd ich vor ihnen wohl bestehn. Herakles Das ist ein gutes Ende. Kröne nun Dein Werk, o Sohn, und lege rasch mich, rasch, Eh Krampf und Wut mich wieder neu befallen, Hin auf den Holzstoß. Eilt euch, hebt mich auf, Denn die Erlösung bringt mir erst das Ende. Hyllos Ich bin bereit.Vollenden wir das Werk, Da dein Gebot mich dazu zwingt, o Vater. Herakles Wohlan denn! Eh neu das Leid erwacht, Mein hartes Herz, so leg in den Mund Ein Gebiß aus Stahl dir mit edlem Gestein. Verhalte den Schrei! Wohl zwingt dich der Tod, Doch grüß ihn, du hast nun vollendet. Hyllos Hebt auf ihn, Gefährten, und seid meinem Tun So mächtige Bürgen und Zeugen mir, Wie stark die Götter verleugnen hier, Ihr seht es, den herrlichsten Tatenruhm. Sie sind doch die Stifter und heißen sich
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Die Väter und schauen gelassen solch Leid. Was weiter geschieht, kann niemand erschaun, Was vor uns steht, ist ein Jammer für uns, Eine Schmach für sie, Doch die härteste Last vor allem für ihn, Der dieses Verhängnis erduldet. H e r a k l e s wird weggetragen
Chor zu I o l e 1275 O bleibe auch du nicht, Mädchen, im Haus, Wo du eben gewaltiges Sterben gesehn, Vielfältig erlittenes, großes Leid – Und nichts davon, was nicht Zeus ist.
Antigone
Einleitung Der Stoff der Antigone entstammt dem thebanischen Sagenkreis. Eteokles und Polyneikes, die Söhne des Oidipus und der Iokaste (vgl. Sophokles, König Oidipus), einigen sich nach der Verbannung ihres Vaters darauf, die Herrschaft im jährlichen Wechsel auszuüben. Nach dem ersten Jahr ist Eteokles jedoch nicht bereit, die Macht abzugeben. So zieht Polyneikes mit seinem Schwiegervater Adrastos, dem König von Argos, und fünf weiteren Heerführern gegen Theben. Im Bruderkampf fallen Eteokles und Polyneikes (vgl. Aischylos, Sieben gegen Theben). In Theben übernimmt Kreon, Iokastes Bruder, die Herrschaft. Als erste Amtshandlung erlässt er ein Bestattungsverbot für den Vaterlandsverräter Polyneikes. In dieser Situation setzt die Handlung der Tragödie ein. Antigone, die Tochter des Oidipus, fordert ihre Schwester Ismene dazu auf, gegen Kreons Verbot den toten Bruder Polyneikes zu bestatten. Da sich Ismene dem Vorschlag der Schwester verweigert, will Antigone die Tat allein vollbringen (V. 1 ff.). Alte Männer, Kreons Kronrat (der Chor), stimmen in ihrem Einzugslied (V. 100 ff.) einen Freudengesang über den Sieg an. Kreon tritt hinzu und begründet in einer ›Staatsrede‹ das Bestattungsverbot für Polyneikes (V. 162 ff.). Ein Wächter unterbricht ihn (V. 223 ff.), der meldet, dass jemand an Polyneikes die rituelle Bestattung vollzogen und damit Kreons Verbot übertreten habe. Kreon sieht hinter dieser Tat das Werk von Aufrührern und droht dem Täter mit der Todesstrafe (V. 280 ff.). Angesichts dieser Lage ergeht sich der Chor in allgemeinen Reflexionen über die ambivalente Natur des Menschen (V. 332 ff.). Der Wächter kehrt mit Antigone zurück, die er festnahm, als sie wieder ihren Bruder mit Staub bedecken wollte (V. 384 ff.). Ohne Zögern bekennt Antigone sich zu ihrer Tat. Kreon vermutet, dass auch Isme-
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ne gegen sein Verbot gehandelt habe, und verkündet das Todesurteil über beide Schwestern. Ismene kommt hinzu und bekennt sich, da sie ihre Schwester in Gefahr sieht, zu der Tat, die sie nicht begangen hat; sie wird jedoch von Antigone schroff zurückgewiesen (V. 536 ff.). Der Chor sieht das Schicksal der Schwestern als Folge des Fluches an, unter dem die Labdakiden stehen (V. 582 ff.). Labdakos, der Stammvater des thebanischen Herrscherhauses, hatte den Gott Dionysos nicht verehrt und war dafür mit dem Tod bestraft worden; sein Sohn Laios hatte trotz der Warnung des Gottes Apollon einen Sohn gezeugt (Oidipus) und war von diesem erschlagen worden (siehe König Oidipus), Oidipus schließlich hatte seine Söhne Eteokles und Polyneikes verflucht, als sie ihn als Unterpfand im Bruderkrieg vom Ort seines Asyls, dem athenischen Hügel Kolonos, nach Theben zurückholen wollten (siehe Oidipus auf Kolonos). Haimon, Kreons Sohn und Antigones Verlobter, wird von seinem Vater in einer ausführlichen Rede darüber belehrt, wie Kreon sich seine Familie vorstellt: Unterordnung unter den Vater ist das wesentliche Prinzip. Haimons vorsichtige Einwände erzürnen Kreon so sehr, dass er vor den Augen ihres Verlobten Antigone hinrichten lassen will. Haimon stürzt davon (V. 762 ff.). Kreon bleibt unerschütterlich. Antigone soll, eingemauert in ein Felsengrab, vor Hunger sterben. Ismene, deren Unschuld Kreon sieht, bleibt verschont (V. 773 ff.). Der Chor gibt in einem Lobpreis der Macht der Liebe eine Erklärung für Haimons Verhalten (V. 781 ff.). In einem Klagegesang nimmt Antigone Abschied von den alten Männern (V. 806 ff.) und legt Kreon die Gründe für ihr Handeln dar (V. 883 ff.). Der Chor beschließt die Szene, indem er andere Frauen aufzählt, die wie Antigone in einen Kerker eingemauert wurden (V. 944 ff.). Der greise Seher Teiresias versucht, Kreon von der Vollstre ckung des Urteils abzuhalten (V. 988 ff.). Doch der König wittert auch in Teiresias einen Verräter. Kreon verfluchend, entfernt sich der Seher.Verwirrt bleibt Kreon zurück.Vom Chor
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gedrängt, will er das Urteil rückgängig machen (V. 1091 ff.). Noch einmal flackert Hoffnung auf (V. 1115 ff.). Doch zu spät kam Kreons Sinneswandel: Antigone hat sich erhängt, Haimon sich erstochen (V. 1155 ff.). Eurydike, K reons Frau, die die Schreckensbotschaft mitangehört hat, geht schweigend in den Palast und begeht Selbstmord (V. 1278 ff.). In einem Klagegesang von Kreon und dem Chor klingt das Stück aus (V. 1294 ff.).
Personen Kreon, König von Theben Eurydike, seine Gemahlin Haimon, beider Sohn Antigone Töchter des Königs Oidipus Ismene Teiresias, ein blinder Seher Ein Wächter Ein Diener des Kreon
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Der Chor, aus vornehmen thebanischen Greisen bestehend
Der Schauplatz ist vor dem Palaste des Kreon in Theben
A n t i g o n e und I s m e n e treten aus dem Palast Antigone Ismene, Schwesterherz, mir blutsverwandt, Weißt du ein Leid, von Oidipus vererbt, Das Zeus Zeit unsers Lebens nicht erfüllte? Nichts gibt’s von Schmerzen, nichts von Schicksalsschlägen, Von Schmach und Schande nichts, ich hätt es denn In deinem, meinem Leiden schon gesehn. Und jetzt, was hat denn wieder allem Volk Soeben künden lassen unser Kriegsherr? Vernahmst du’s? Oder weißt du nicht, welch Leid Sich unsern Lieben naht von unsern Feinden? Ismene Über die Unsern hab ich nichts erfahren, Antigone, nichts Gutes, Schlimmes nichts, Seit uns zwei Schwestern unsre beiden Brüder Ein Tag entriß mit Doppelwechselmord. Und seit in dieser Nacht des Feindes Heer Von Theben abzog, weiß ich weiter nichts, Was glücklich mich, was elend mich gemacht. Antigone Dies dacht ich mir, und darum hab ich dich Vors Haus geführt, daß du allein es hörst. Ismene Was ist? Du sinnst, scheint mir, ein finsteres Wort. Antigone Hat nicht des Grabes Ehren unsern Brüdern Hier zugebilligt, dort verweigert Kreon? Eteokles, so heißt’s, hat er begraben, Nach heilig altem Recht und frommer Satzung Teilhaftig ihn gemacht der Totenehren.
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Des Polyneikes armen Leichnam aber Verbietet er den Bürgern öffentlich Im Grab zu bergen und ihn zu beweinen. Als süße Beute, ohne Grab und Klage Dien er den Vögeln, die den Fraß eräugen. Der ehrenwerte Kreon läßt das dir Und mir – mir auch, sag ich – verkündigen. Gleich sei er hier, es denen, die’s nicht wissen, Deutlich zu sagen, und er nehm die Sache Nicht für gering. Nein, wer sich hier verfehlt, Der soll gesteinigt werden öffentlich. So steht’s. Nun zeig, ob edel du geboren, Oder von edlem Stamm ein schlechtes Reis. Ismene Unselige, steht dies so, was soll denn ich Dazu tun? Kann’s nicht lösen und nicht schürzen. Antigone Willst Last und Tat du mit mir teilen, sprich! Ismene Von welchem Wagnis sprichst du? Worauf sinnst du? Antigone Ob du den Bruder mir begraben hilfst. Ismene Das willst du tun? Es ist der Stadt verboten. Antigone Mein Bruder ist’s, der deine! Willst du nicht, Mich wird man des Verrats an ihm nicht zeihen. Ismene O du Vermessne, Kreon hat’s verboten! Antigone Er kann mich nicht an meinen Pflichten hindern. Ismene O weh! Erinnere, Schwester, dich des Vaters, Wie ruhmlos und wie ruchlos er verdarb, Wie er ob selbstenthüllter Schuld die Augen,
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Die beiden ausstach, selbst, mit eigener Hand. Wie seine Mutter dann, sein Weib zugleich, Das Leben schmachvoll durch den Strang sich nahm, Und wie zuletzt noch unsere beiden Brüder An einem Tag sich ein gemeinsam Los Bereitet, einer durch des andern Hand! Nun sind wir zwei allein noch da und finden Den schlimmsten Tod, wenn dem Gesetz zum Trotz Der Herrscher Spruch und Macht wir übertreten. Bedenke, Schwester, daß wir Frauen sind Und zu dem Kampf mit Männern nicht geschaffen. Gehorsam ziemt uns hier und in noch Schlimmerm; Wir sind ja doch von Stärkeren beherrscht. Ich flehe zu den Toten in der Erde, Sie mögen mir verzeihn, man zwingt mich ja. Ich füg mich denen, die am Steuer sind. Maßlos zu handeln, hat doch keinen Sinn. Antigone Ich mag’s nicht fordern, und wenn du es jetzt Auch wolltest, wär’s mir keine Freude mehr. Sei, die du darfst, doch ich begrab den Bruder. Sterb ich für solche Tat, so sterb ich gern, Geliebt werd ich dann ruhn beim lieben Bruder. Fromm ist mein Frevel; denn ich muß doch länger Gefallen denen drunt als denen hier. Dort lieg ich ewig. Du, wenn’s dir gefällt, Mißachte, was den Göttern achtbar ist. Ismene Auch ich mißacht es nicht. Doch der Gewalt Des Staats zu trotzen, hab ich nicht die Kraft. Antigone So nimm nur immer dies zum Vorwand. Ich Geh hin, des liebsten Bruders Leib zu bergen. Ismene O Ärmste, wie bin ich in Angst um dich!
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Antigone Sorg nicht um mich! Acht auf dich selber nur! Ismene 85 So laß doch niemand deine Pläne wissen. Halt sie geheim. Auch ich will davon schweigen. Antigone Oh! Rede nur! Dein Schweigen hasse ich Noch mehr, als wenn du’s allen laut verkündest. Ismene Welch heißes Herz! Und kalt sind doch die Toten! Antigone Mein Herz gefällt, wem es gefallen muß. Ismene 90 Doch was du willst, geht über deine Kraft. Antigone Sobald die Kraft versagt, mach ich ein Ende. Ismene Man soll nicht jagen nach Unmöglichem. Antigone Ist das dein Sinn, so bist du mir verhaßt Und wirst verhaßt mit Recht dem Toten sein. 95 Doch mich und meine Torheit laß ertragen Das Ungeheure all. Was mich auch trifft: Ein schöner Tod ist immer mir gewiß. Ismene So gehe, wenn du mußt. Dein Weg der Torheit Ist deinen Lieben doch ein Weg der Liebe. I s m e n e in den Palast, A n t i g o n e nach der Seite ab Der Chor zieht ein Chor 100 Strahl der Sonne, du schönster Glanz, Wie die siebentorige Stadt Theben nie ihn zuvor erschaut, Erschienst endlich, goldenen Tags
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Augenlid, das sich hoch auftat Ob der Dirke strömenden Flut. Und der Mann mit dem gleißenden Schild, Schwer von Waffen dröhnt’ er heran – Hurtig in flüchtigem, hitzigem Lauf Jagtest du ihn mit dem Zügel. Polyneikes war’s, der ihn gegen das Land, Sich erhebend aus widrig kläffendem Streit, Anführte. Doch der mit schrill kreischendem Laut Wie ein Aar kreist über dem Lande, Von schimmerndem Schnee die Flügel bedeckt, Ein Wogen von Waffen, Aufblitzend die Spitzen der Helme. Hoch er über den Dächern stand. Blut’ger Lanzen Gebiß umklafft’ Thebens siebentorigen Schlund. – Und floh, eh mit unserem Blut Er den gierigen Rachen gestillt, Eh der Türme strahlenden Kranz Pechgenährtes Feuer ergriff Solch Getümmel erhob sich da Hinter dem Adler; dem hielt er nicht stand: Sieg des Drachens von Theben! Zeus haßt ja des Großmauls prahlendes Wort Unbändig, und als er sie wogen sah Mit mächtigem Schwall, in vermessenem Stolz Auf ihre goldklirrende Rüstung – Da traf sein Strahl den ersten, der schon Auf den Zinnen sich hob, Den jauchzenden Siegruf zu schmettern. Krachenden Falls auf das hallende Blachfeld fiel der Fackelschwingende Mann, der mit tobendem Ansturm Wahnbetört gen uns anschnob Eine Lohe von glühendem Haß.
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Anders ging’s, als gedacht. Anderes fiel anderen zu. Denn sie zerstampft Ares 140 Mächtigster Helfer. [gewaltig, Die Sieben um sieben Tore gestellt, Gleich gegen Gleich. Doch sie ließen die Wehr Dem Lenker der Schlachten als ehernen Preis. Nur die beiden voll Haß, die ein Vater gezeugt, 145 Eine Mutter gebar, sie bereiteten sich Mit dem zwiefachen siegreichen Stoße des Speers Das gemeinsame Schicksal des Todes. Aber es kam ja die hochgepriesene Nike, Theben, dem wagenberühmten, entgegenjauchzend. 150 Laßt den Krieg und den Graus Jetzt auf ewig vergessen sein! Auf im Tanz durch die Nacht Tempelhinein lasset uns ziehn! Er, der die Stadt 155 Bakchos sei Führer! [schütternd bewegt, Doch – Kreon, seht! des Menoikeus Sohn, Der neue Herr, den zum Herrscher der Stadt Durch neues Geschick die Götter bestimmt, Er naht. Was wälzt er in seinem Gemüt? 160 Daß er zur Versammlung schon hergebot Der Ältesten Rat, Durch Heroldsstimme geladen? Kreon Ihr Männer, nun die Götter unsre Stadt, Das sturmgepeitschte Schiff, neu aufgerichtet, 165 Hab euch vor allen Bürgern ich berufen. Wohl weiß ich ja um eure alte Treue, Mit der ihr dem Geschlecht des Laios dientet Und dann, als Oidipus der Stadt gebot. Und auch nach seinem Tod habt ihr den Söhnen 170 Die alte Treu im Herzen fest bewahrt.
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Da nun an einem Tag dasselbe Los Sie beide traf und einer durch den andern In greuelvollem Brudermord gefallen, So hab jetzt ich von ihnen Thron und Reich Als ihres Hauses nächstes Glied geerbt. Nun ist’s unmöglich, eines Mannes Art Und Geist zu kennen, eh er sich im Amt, Herrschaft ausübend und Gesetz, erprobt. Doch wer zum Lenker einer Stadt bestellt Und nicht den besten Rat ergreift und festhält, Sondern aus Furcht den feigen Mund verschließt, Der schien mir je und nun ein schlechter Fürst; Und wem der Freund mehr als das Vaterland, Der scheint nichtswürdig mir vor allen andern. Ich schwör’s bei Zeus, der alles weiß und schaut, Nie könnt ich schweigen, wenn das Vaterland Je Unheil überkäme statt des Heils. Und nimmer soll des Vaterlandes Feind Je Freund mir heißen; weiß ich doch gewiß: Der Staat ist unsre Planke auf der See; Nur wenn die hält, kann es auch Freunde geben. Nur wer so handelt, wahrt des Staates Macht. Und eben darum habe ich bestimmt, Was mit den Königssöhnen nun geschieht. Eteokles, der für die Heimat kämpfend Den Tod in tapfrer Gegenwehr erlitt, Er wird bestattet, wie es Helden ziemt, Mit einem Grab und allen heiligen Weihen. Sein Bruder aber, Polyneikes, der Vom Bann heimkehrte, seiner Heimat Land Und seiner Heimat Götter zu vertilgen Mit Feuer, er, der kam, in Bruderblut Zu schwelgen, euch ins Sklavenjoch zu beugen, Den soll, so hat’s der Herold schon verkündet, Niemand begraben, niemand auch beklagen; Nein, unbestattet lieg er da, ein Fraß
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Den Vögeln und den Hunden, nackt und bloß. Nun kennt ihr meinen Willen. Nimmer soll Der Schuft geehrt sein vor dem Redlichen. Wer aber wohlgesinnt der Stadt, der soll 210 Im Leben wie im Tod von mir geehrt sein. Chorführer Sohn des Menoikeus, Kreon, dir gefällt’s, Also zu tun dem Gegner und dem Freunde. Gesetz und Recht zu üben steht bei dir, Gilt es den Toten, gilt’s den Lebenden. Kreon 215 So sorget denn, daß mein Gebot erfüllt wird. Chorführer Die Sorge lade jüngern Schultern auf. Kreon Des Toten Wächter hab ich schon bestimmt. Chorführer Was hast du dann noch weiter zu befehlen? Kreon Nicht irgend beizustehn dem Ungehorsam! Chorführer 220 Wo ist der Tor, den’s nach dem Tode lüstet? Kreon Ja, dieses war sein Lohn! Doch manchen zog Gewinnsucht schon hinunter in den Abgrund. E i n Wä c h t e r tritt auf Wächter Herr, ich behaupte nicht, daß ich vor Eile Schwer schnaufend komme her mit hurtigem Fuß. 225 Ich mußte Sorgenstationen machen Und drehte unterwegs mich oft nach rückwärts. Denn meine Seele sprach mir immerzu: Unseliger, gehst du selbst dir ins Gericht?
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Unglücklicher, du bleibst? Erfährt das Kreon Von einem andern, wird’s dein Buckel zahlen. Das wälzend bin ich da in Eil mit Weile. Sodanach wird ein kurzer Weg dir lang. Doch hielt die Oberhand: zu dir zu gehn; Brächt ich ein Nichts auch, dies zu bringen doch. So kam ich, klammernd mich an diese Hoffnung: Mich kann nur treffen, was mich treffen muß. Kreon Was ist’s denn, das dir so den Mut benimmt? Wächter Vor allem laß mich von mir selber reden: Ich war es nicht, ich weiß auch nicht, wer’s war. Nicht recht wär’s, müßte ich drum Böses leiden. Kreon Wie klug sich dieser Bursche ringsum deckt! Ich merk es wohl, daß er nichts Gutes bringt! Wächter Ja, eine schlimme Sache macht uns bang. Kreon Wird’s endlich? Und dann schere dich von dannen! Wächter Nun denn heraus damit: die Leiche hat Soeben wer begraben, sie bedeckt, Mit Opferguß geweiht – und ist verschwunden. Kreon Was sagst du, Mann? Wer hat sich das erfrecht? Wächter Ich weiß nicht. Weder Beilhieb war zu schaun, Noch einer Schaufel Spur. Fest war ringsum Und ohne Riß der Boden, unbefahren Von Rädern; und vom Täter nichts zu sehn. Als der es, dem die erste Wache morgens Zufiel, uns zeigte, faßt’ uns Schreck und Grauen. Er war mit Sand beworfen, nicht begraben,
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Als wollte man sich vor der Sünde sichern. Auch keines Hundes, keines Raubtiers Fährte, Das etwa da gescharrt, war zu erblicken. Da fielen böse Worte bald, ein jeder Beschuldigte den andern, fast gab’s Schläge, Denn keiner war zur Hand, der dem gewehrt, Da jeder selber im Verdachte war. Doch keinem konnte man etwas beweisen. Man war bereit, durchs Feuer drum zu gehn, Ein glühend Eisen in der Hand zu tragen, Daß keiner es begangen, und daß keiner Mit einem andern drob im Bunde war. Zuletzt, als alles Suchen doch umsonst war, Da sagte wer ein Wort, darob wir alle Die Köpfe hängen ließen tief zu Boden. Denn keiner konnte was dagegen sagen, Doch wußte keiner, wie das gutgehn sollte. Der Mann schlug vor, wir müßten dir, o Herr, Das Ganze unverhohlen melden gehn. Sein Wort drang durch, und mich, mich Unglücksmann Erwischt’ das Los, dies »Glück« mir zu gewinnen. Da bin ich, ungern und nicht gern gesehn; Liebt niemand doch den Boten böser Kunde. Chorführer O Herr, schon lang erwäget mir mein Herz, Ob nicht die Gottheit hier am Werke war. Kreon Schweig, daß dein Wort mich nicht zum Rasen bringt Und du, so alt, noch als ein Narr dich zeigst. Das ist ja unerhört: die Götter sollen Besorgen grade diesen, diesen Toten! Im Überschwang von Ehre bargen sie Wohl ihren frommen Knecht, der zu verbrennen Die Säulentempel kam mitsamt den Schätzen! Zerstörer ihres Lands, ihrer Gesetze! Ja, wo erhöhen denn die Götter Böse?
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Niemals! Doch lang schon murren in der Stadt So manche wider mein Gebot und schütteln Geheim die Köpfe, weil den Nacken sie Nicht beugen wollen in das Joch der Pflicht. Sie sind es, ich durchschau es klar und deutlich, Die diese da mit Gold dazu verführt. Oh, nichts trug solch ein Unheil in die Welt Als Gold! Die Städte stürzt es in den Staub, Die Menschen treibt es weg von Haus und Herd, Des Mannes Sinn betört’s mit arger Lehre Und bringt den Guten selbst zu böser Tat. Zu Schurkerei treibt es den Menschen an, Es lehrt ihn jede gottvergessne Tat – Indes zuletzt trifft doch die Strafe jeden, Der um des Goldes willen solches tut. Nein, wenn noch Gottesfurcht mein Herz erfüllt, So sag ich dir und schwöre es dir zu: Wenn ihr den Buben, der die Tat getan, Nicht heut noch findet und ihn vor mich führt, So sollt ihr nicht bloß sterben, nein, ihr sollt Ans Kreuz lebendig, bis ihr mir gesteht Und lernt, wo ihr Gewinn zu suchen habt; Daß es nicht frommt, aus allem Geld zu schlagen! Das wisset wohl: die schmutzige Gier nach Geld, Sie bringt dem Menschen eher Leid als Glück. Wächter Darf ich ein Wort noch, oder: kehrtum ab? Kreon Merkst du denn nicht, wie dein Geschwätz zuwider? Wächter Hat’s dich ins Ohr, hat’s dich ins Herz gebissen? Kreon So fein zergliederst du den Ort des Ärgers? Wächter Der Täter kränkt das Herz, ich nur die Ohren.
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Kreon Was für ein Schwätzer ist mit dir geboren! Wächter Indes der Täter dieser Tat – niemals! Kreon Auch das! Für Geld verkauftest du dein Leben. Wächter Wie schlimm, Daß auch Maßgebende sich arg vermessen! Kreon Spitzfindele mit dem Maß nur! Bringt ihr mir 325 Den Täter nicht herbei, so sollt ihr lernen: Feiler Gewinn schafft anders nichts als Leiden. Ab Wächter Fänd man ihn, wär’s mir recht. Doch ob man ihn Erwischt, ob nicht – das wird das Glück entscheiden. Doch mich wirst nimmer hier du vor dir sehn. 330 Indes schon jetzt, ganz wider mein Erwarten Gerettet, schuld ich heißen Dank den Göttern. Ab 320
Chor Ungeheuer ist viel, doch nichts Ungeheuerer als der Mensch. Durch die grauliche Meeresflut, 335 Bei dem tobenden Sturm von Süd, Umtost von brechenden Wogen, So fährt er seinen Weg. Der Götter Ursprung, Mutter Erde, 340 Schwindet, ermüdet nicht. Er mit den pflügenden, Schollenaufwerfenden Rossen die Jahre durch Müht sie ab, das Feld bestellend. Sorgloser Vögel Schwarm umstellt Er mit garngesponnenem Netz.
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Und das Wild in all seiner Art, Wie des salzigen Meeres Brut, Er fängt’s, der Listge, sich ein, Der überkluge Mann. Beherrscht durch Scharfsinn auch der Wildnis Schweifendes Tier und er zähmt auch die mähnigen Rosse mit nackenumschließendem Jochholz, Auch den unbezwungnen Bergstier. Das Wort wie den windschnellen Sinn, Das Thing, das die Staaten gesetzt, Solches brachte er alles sich bei und lernt auch, Dem Frost da drauß zu entgehn, Sowie des Sturms Regenpfeil. Rat für alles weiß er sich, und ratlos trifft Ihn Nichts, was kommt. Nur vorm Tod Fand er keine Flucht. Doch sonst Gen heillos Leiden hat er sich Heil ersonnen. Das Wissen, das alles ersinnt, Ihm über Verhoffen zuteil, Bald zum Bösen und wieder zum Guten treibt’s ihn. Wer treulich ehrt Landesart Und Götterrecht, dieser steht Hoch im Staat. Doch staatlos, wer sich zugesellt Aus Frevelmut bösen Sinn. Nie sei der mein Hausgenoß Und nie auch meines Herzens Freund, Der das waget. A n t i g o n e wird von dem Wächter herbeigeführt Chorführer O Schrecken! Ich trau meinen Augen nicht. Ich kenne sie doch und kann darum nicht Bestreiten, daß dies Antigone ist. Unselige du
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Und eines unseligen Vaters Kind! Was soll das? Man führt dich gefangen daher, Weil ungehorsam gen Königsgebot. Du ergriffen bei törichtem Treiben? Wächter Die ist es, diese, die es hat begangen. Wir faßten sie dabei. Doch wo ist Kreon? Chorführer Dort tritt er grad zur rechten Zeit heraus. K r e o n kommt aus dem Palast Kreon Was gibt‘s? Wozu komm ich zu rechter Zeit? Wächter Herrscher, der Mensch soll niemals sich verschwören; Denn Lügen straft die zweite Sicht die erste. Nicht herzukommen hatt ich mir gelobt Von wegen deines Drohns, das auf mich prasselt’. Indes, die Freude wider jede Hoffnung, Der gleicht an Größe keine andre Lust. Da bin ich, ob durch Eide auch verschworen, Mit diesem Mädchen, die erwischt, als sie Das Grab besorgt’. Da gab’s kein Los zu schütteln. Nein, mein ist dieser Fund und keines andern. Und jetzt, Herr, nimm du sie nach deinem Willen Und untersuch und überführ! Ich – frei Bin ich nun Rechtens, ledig dieser Schuld. Kreon Die bringst du? Wie und wo ergriffst du sie? Wächter Sie hat den Mann begraben: das sagt alles. Kreon Bist du des auch gewiß? Besinne dich! Wächter Mit eignen Augen sah ich sie den Mann Bestatten gegen dein Gebot; war’s deutlich?
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Kreon Wie habt ihr sie gesehen, wie gefaßt? Wächter Hör zu, wie das geschah. Als ich zurückkam, Von deinem Zorn so grauenvoll bedroht, Da fegten wir den Sand fort von der Leiche, So daß sie modernd wieder ganz enthüllt war. Dann setzten wir uns hin auf einen Hügel, Wo uns der Wind den Leichenruch nicht zublies, Und spornten dort uns an zur Wachsamkeit Und schalten, wenn sich einer lässig wies. Dies währt’ solange, bis der Sonnenball Die Strahlen glühend aus des Äthers Mitte Senkrecht herniederschoß. Da plötzlich steigt Ein Wirbelwind vom Boden auf zum Himmel, Stürmt durch die Ebene, entlaubt die Bäume Und füllt mit Staubgewölk ringsum die Luft, So daß wir blinzelnd unsre Augen schlossen. Als endlich dann die Windsbraut sich gelegt, Sahn wir das Mädchen bei dem Toten stehn, Schrill schreiend wie ein Vogel, der in Not Leer sieht sein Nest und seine Brut geraubt. So klagt’ auch diese vor der nackten Leiche Und fluchte eine schaurige Verwünschung Auf die herab, die ihr dies angetan. Dann streut’ sie auf den Toten durstigen Sand Und goß aus schönem, erzgetriebenem Krug Dreimal die heilige Opferspende aus. Und wir, kaum daß wir’s sahn, wir stürzten vor, Ergriffen sie, die keineswegs erschrak, Und warfen ihr die beiden Taten vor. Und sie gestand die eine wie die andre. Mir ist’s erfreulich und betrüblich auch. Daß selber man aus Not entwischt, ist sicher Erfreulich. Doch in Not zu bringen, die
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Man liebt, das ist betrüblich. Nun, das war Gering zu achten vor der eignen Rettung. Kreon zu A n t i g o n e Du, die das Haupt du niedersenkst zur Erde, Gestehst du dein Vergehen oder nicht? Antigone Ja, ich bekenne, und ich leugne nicht. Kreon zum Wä c h t e r So bist du frei, kannst hingehn, wo du willst! Schweren Verdachtes bist du los und ledig. Wä c h t e r ab Kreon zu A n t i g o n e Du sprich, doch ohne Umschweif, kurz gefaßt, War dir der Ausruf des Verbotes klar? Antigone Wie sollt er nicht? Er war ja laut genug. Kreon Du wagtest mein Gebot zu übertreten? Antigone War’s doch nicht Zeus, der dieses mir geboten, Noch Dike, hausend bei den untern Göttern, Die dies Gesetz festsetzten unter Menschen. Auch hielt ich nicht für so stark dein Gebot, Daß Menschenwerk vermöcht zu überholen Das ungeschriebene, heilige Recht der Götter. Denn nicht von heute oder gestern, ewig Lebt dieses ja, und keiner weiß, seit wann. Um dieses wollt ich nicht in Strafe fallen Bei Göttern, nur aus Angst vor Menschenwitz. Daß Tod mein Menschenlos, das wußt ich so, Auch wenn du’s nicht verkündet. Sterb ich vor Der Zeit, so gilt mir das nur als Gewinn. Denn wer so heimgesucht vom Leid wie ich, Für den ist früher Tod nichts als Erlösung. Daß mich der Tod trifft, das ist mir nicht schmerzlich,
Antigone 133
Doch hätt ich meiner eignen Mutter Sohn Als Leiche unbestattet liegen lassen, Das wär ein Schmerz! Doch dieses schmerzt mich nicht. Schein ich mit meinem Tun dir eine Närrin, So zeiht, dünkt mich, ein Narr der Narrheit mich. Chorführer Des Vaters stolzen Sinn hat sie geerbt. Not beugt die starke Seele nicht, noch Unglück. Kreon Gebt acht, der starre Trotz sinkt rasch dahin, Wie eines Stahles spröd geglühte Härte Zu allererst in Stücke bricht und Splitter. Mit kurzem Zügel wird der Übermut Der Rosse schnell gebändigt. Denn es ziemt Kein Hochmut dem, der Diener ist im Haus. Doch die verstand sich schon auf Übermut, Als sie mein öffentlich Gebot verletzt. Und Übermut zum zweiten ist’s, daß jetzt Sie mit der Tat sich brüstet und mich höhnt. Ich wär nicht mehr der Mann, der Mann wär sie, Wenn solche Tat ihr ungeahndet bliebe. Nein! Sei sie meiner eigenen Schwester Kind, Ja mög sie nähern Bluts mir sein als alle, Die mir an meinem Herde Zeus beschirmt, Nicht sie, nicht ihre Schwester soll entgehn Dem schlimmsten Los. Denn die auch klag ich an, Daß sie an dem Begräbnis mitgeplant. Auch die hat Rat und Teil an ihrem Frevel. Ruft sie heraus! Noch eben sah ich sie Das Haus durchirren mit verstörtem Antlitz. Es pflegt ja das Gewissen zu verraten, Wo Böses dunkel angesponnen wird. Doch die haß ich am meisten, die der Tat, Mit dreister Stirne trotzend, noch sich rühmt! Antigone Hast du mit meinem Tod noch nicht genug?
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Kreon Vollauf genug! Doch den sollst du mir leiden. Antigone Was säumst du also? Wie mir deine Worte Nicht jetzt noch fürder je erfreulich sind, So müssen auch die meinen dir verhaßt sein. Wie aber sollte ich mir edleren Ruhm Erwerben, als indem ich meinen Bruder Ins Grab gesenkt. Auch diese würden’s loben, Wenn nicht die Furcht die Lippen ihnen schlösse. Doch hat Tyrannenmacht zu anderm Glück noch dies, Daß sie darf tun und reden, was sie will. Kreon Allein vom ganzen Volke denkst du so. Antigone Nein diese auch; nur duckt man hündisch sich. Kreon Du schämst dich nicht, daß du allein so denkst? Antigone Ist das denn Schande, eignes Blut zu ehren? Kreon War denn, der von ihm fiel, nicht deines Blutes? Antigone Ein Blut, von einem Vater, einer Mutter. Kreon Wie kannst du, jenen ehrend, diesen schänden? Antigone Zustimmung findet das nicht bei dem Toten. Kreon Doch! Wenn du ihn gleichstellst mit diesem Frevler. Antigone Kein Knecht, sein ebenbürtiger Bruder war’s! Kreon Doch Feind des Landes, der indes sein Schirm.
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Antigone Doch Hades will nur gleiches Recht für alle. Kreon Doch nicht für Gut und Böse gleiches Recht! Antigone Wer weiß, ob drunten diese Ordnung gilt? Kreon Nein! Haß wird selbst im Tode nicht zu Liebe. Antigone Nein! Haß nicht, Liebe ist der Frau Natur. Kreon Lieb drunten, wenn geliebt sein muß, sie beide! Solang ich lebe, soll kein Weib regieren. I s m e n e wird herausgeführt Chorführer Da sieh aus dem Tor Ismene sich nahn, Ihr schwesterlich Auge mit Tränen gefüllt. Ein trübes Gewölk um die Brauen entstellt Ihr glühend Gesicht Und betaut die liebliche Wange. Kreon zu I s m e n e Du, die wie eine Natter mir am Herzen lag, Geheim mein Blut aussaugte, daß ich harmlos Zwei Feinde aufzog mir und meinem Thron, Bekennst du, daß an dieser Missetat Du Teil hast, oder schwörst du rein zu sein? Ismene Was diese tat, ich tat’s mit ihr zusammen. Ich habe gleichen Teil an Tat und Schuld. Antigone Das ist nicht Rechtens, denn du wolltest nicht, Und ich hab keinen Anteil dir gewährt. Ismene Doch jetzt im Unglück fürchte ich mich nicht Und fahre deine Leidensfahrt mit dir.
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Antigone Wes Tat es war, weiß nur die Unterwelt. Die nur mit Worten lieben, lieb ich nicht. Ismene Halt mich für unwert nicht, mit dir zu sterben Als Weiheopfer für des Bruders Grab. Antigone Du sollst nicht mit mir sterben. Dein ist nicht, Was niemals du berührt. Mein Tod genügt. Ismene Was gilt mir noch das Leben ohne dich! Antigone Frag Kreon, denn um ihn hast du gesorgt. Ismene Was kränkst du mich so bitter, ach, so nutzlos! Antigone Es tut mir weh, wenn höhnisch ich dich höhne. Ismene Was kann ich anders denn für dich noch tun? Antigone Denk an dich selbst. Ich gönne dir dein Leben. Ismene Weh mir, so darf ich dein Geschick nicht teilen? Antigone Du wähltest dir das Leben, ich den Tod. Ismene Du weißt sehr wohl, warum ich das getan. Antigone Du suchtest Beifall hier, ich aber dort. Ismene Nun aber ist uns beiden gleich die Schuld. Antigone Getrost, du lebst; doch meine Seele ist Längst tot und kann nur noch den Toten frommen.
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Kreon Wahnsinnig sind die beiden Mädchen! Die Seit eben erst, die andere schon von Kind an. Ismene Es bleibt selbst angeboren klarer Sinn Im Leid nicht fest, gerät oft außer sich. Kreon Der deine ja, seit du im Bund mit Bösen. Ismene Was ist das Leben ohne sie, allein? Kreon Nenn sie nicht weiter, denn sie ist nicht mehr. Ismene Du willst die Braut des eignen Sohnes töten? Kreon Es gibt noch andre Felder zu bepflügen. Ismene Doch nicht, wie er und sie verbunden sind. Kreon Ich will kein schlechtes Weib für meinen Sohn. Antigone So, lieber Haimon, schmäht dein Vater dich! Kreon Ich hab genug von dir und deinem Bett. Chorführer Du willst den eignen Sohn der Braut berauben? Kreon Der Tod ist’s, der die Ehe bald beendet. Chorführer Entschieden ist, so scheint es, daß sie stirbt. Kreon Bei dir und mir! Nun nicht mehr lang gezögert! Führt sie ins Haus und laßt sie nicht mehr frei! Gebunden müssen diese Weiber sein.
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Denn auch der Freche wendet sich zur Flucht, Wenn er den sichern Tod vor Augen sieht. A n t i g o n e und I s m e n e werden ab geführt
Chor Glückselig, wer niemals im Leben Leid gekostet! Wenn ein Gott erschüttert ein Haus, unaufhörlich 585 Wirkt der Fluch, von Geschlecht zu Geschlecht fort- Gleichwie des Meeres Wogenschwall [schleichend Braust im bösen Wind von Nord, Der mächtig wirbelnd jaget dahin die salzge Flut, Und tief, tief wühlt er auf 590 Den Meer sand dicht und schwarz, Vom Sturm gejagt. Es stöhnt und ächzt die flutgepeitschte Küste hin und wider. Ich sehe das uralte Haus der Labdakiden Schwinden hin, geschlagen von Jammer und Jammer. Ein Geschlecht nach dem anderen, endlos stürzt es Von Gottes unversöhnter Hand. War erschienen schon ein Licht 600 Dem letzten Blütenreis vom Stamme des Oidipus. Nun löscht’s aus, blutigrot, Sand, aufs Grab gestreut Nach Totenrecht, und blinder Toren Sinn und Gier nach Rache. 595
Denn, Zeus, wer von den Menschen kann Deiner Macht übertretend trotzen? Nein auch nicht der Schlaf zwingt sie, der Allumgarner Auch nicht der Monde Wechsel. Ewiger Herr, siehe du hältst in Händen Des Olympos Veste, 610 Strahlend im Marmorglanze. Und so gilt in alle Zukunft, Gleich wie in der alten Zeit 605
Antigone 139
Dies Gesetz: es ist kein Glück rein uns beschert, welches der Fluch nicht träfe. Denn aus schweifend die Hoffnung ist, Oft dem Menschen zum Heil, doch öfter Leicht fertigem Wunsch trügerisch falsche Lockung. Ach, und man spürt’s nicht eher, Bis man den Fuß heiß an der Glut versengt hat. Ein berühmtes Wort aus Wissendem Munde lautet: Es erscheint schnell gut, was schlecht ist, Dem, welchem ein Gott das Herz In Verblendung führte. Ach, kurz ist die Frist, daß ihn verschont das Unheil. Chorführer Sieh Haimon dort, den Jüngsten des Stamms! Wie tief bekümmert kommt er daher Wohl um der Verlobten unseliges Los Und um seiner Ehe Zerstörung? Kreon Das wissen wir bald klarer als die Seher! H a i m o n tritt auf Kreon Du kennst, mein Sohn, den Spruch gen deine Braut. Sprich, grollst du oder darf ich wohl erwarten, Du seist, was ich auch tue, stets für mich? Haimon Dein bin ich,Vater. Immer folg ich gern, Führst du mich weise, richte mich danach. Und nimmer gilt ein Ehebund mir mehr Als Rat von dir, der guten Weg mich führt. Kreon So ist es recht, mein Sohn, das halte fest, Daß du den Vater höher stellst als alles. Deshalb erbeten Männer sich ja Kinder,
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Daß sie gehorsam ihnen sind im Haus, Daß ihres Vaters Feinde ihre sind Und ihres Vaters Freunde ihre Freunde. Doch wer unnütze Kinder sich erzeugt, Der hat nur lauter Mühsal sich geschaffen Und groß Gelächter allen seinen Feinden. Verlier, mein Sohn, nicht deinen klaren Sinn Durch Weiberreiz und Sinnenlust und wisse: Frostig wird die Umarmung bald genug Mit schlechtem Weib im Hause und im Bett. Ein schlechter Freund – welch schlimme Eiterbeule! So spei sie aus wie einen bösen Feind, Und laß sie drunt im Hades Hochzeit halten. Denn sie allein von unsrer ganzen Stadt Hab ich gefaßt bei offnem Ungehorsam. Zum Lügner will ich vor der Stadt nicht werden. Sie sterbe! Laß sie doch den Schirm des Blutes, Zeus, anflehn! Aber wer gehorcht mir noch, Wenn ich im eignen Haus nicht Ordnung halte? Denn nur wer tüchtig ist im eignen Haus, Wird auch im Staat sich als gerecht erweisen. Wer die Gesetze übertritt und frevelt, Gar seinem Herrn Vorschriften machen will, Der soll niemals ein Lob von mir erhoffen. Nein, wen die Stadt bestellt, dem gilt Gehorsam Im Kleinen und im Rechten und im Gegenteil. Nur einem solchen Mann kann man vertrauen, Daß er befehlen und gehorchen kann, Daß er im Sturm der Schlacht an seinem Platz Aushält, ein rechter, wackerer Kamerad. Kein größer Übel als Zuchtlosigkeit! Städte zerstört, Häuser verwüstet sie, Löst auf der Bündner Schar. Doch festen Reihen Rettet Gehorsam meistens Leib und Leben. Drum gilt es einzutreten für die Ordnung Und niemals eines Weibes Knecht zu sein.
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Besser der Tod durch Manneshand! Doch nie Darf man sich Weibersklave schimpfen lassen. Chorführer Wenn Alter nicht den Sinn uns trübt, o Herr, So hast du ein verständig Wort geredet. Haimon Ja,Vater, von den Gaben, die uns Gott Geschenkt, ist wohl Besonnenheit die schönste. Ich wüßte und vermöcht auch nicht zu sagen, Daß du mit alledem nicht recht gesprochen, Und dennoch könnt ein andrer anders denken. Für dich nun muß der Sohn auf alles achten, Was einer denkt und spricht und wohl auch tadelt. Denn der gemeine Mann scheut sich, vor dir Ein Wort zu reden, das dir nicht gefällt. Ich aber hör es, wie die ganze Stadt Im stillen dieses Mädchens Los beklagt, Daß sie, die rein vor allen andern Weibern, Für ihre edle Tat soll elend sterben. Sie, die des Bruders Leib, der unbestattet Im Blute lag, den gierigen Hunden nicht, Den Vögeln nicht zum Fraße überließ, Verdiente sie nicht goldener Ehre Lohn? So schleicht im Dunkeln heimliches Gerede. O Vater, deine Wohlfahrt und dein Glück Stehn höher mir als alles auf der Erde. Ist nicht des Vaters Glück des Sohnes Stolz, Sowie des Sohnes Wohl der Stolz des Vaters? So sei doch nicht der einen Ansicht nur, Bloß deine Meinung und sonst nichts sei richtig. Denn wer sich selbst allein für weise hält, Für klug und für begabt und stark im Wort, Der wird, entfaltet, bald als hohl erkannt. Es schändet nämlich auch den Weisen nicht, Noch viel zu lernen, nichts zu überspannen. Du siehst in hochgeschwollener Flut den Baum,
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Der nachgibt, unversehrt an seinen Zweigen; Den trotzenden jedoch siehst du entwurzelt. Und wer zu Schiff das straffe Segeltau Im Sturm nicht nachläßt, der schlägt elend um Und treibt auf umgestürztem Kiel dahin. So gib auch du nach! Ändere deinen Sinn! Darf auch der Jüngere seine Meinung sagen: Es wär weit besser, meine ich, ein jeder Wär von Natur jeglichen Wissens voll. Doch da das nicht zu sein pflegt, ist es gut, Von dem zu lernen, der verständig spricht. Chorführer Herr, hör auf deinen Sohn! Er riet dir recht; Du auf den Vater! Beide spracht ihr gut. Kreon Von diesem jungen Menschen da soll ich In meinem Alter noch Vernunft annehmen? Haimon Nur in gerechter Sache. Bin ich jung, Acht meine gute Sache, nicht mein Alter. Kreon Und Ungehorsam ehren, nennst du gut? Haimon Für schlechte Sachen tret ich niemals ein. Kreon Ist sie nicht krank an einer schlechten Sache? Haimon Das ist die Meinung nicht von Thebens Volk. Kreon Ja, soll die Stadt denn meine Herrschaft regeln? Haimon Siehst du, du redest wie ein rechter Jüngling. Kreon Für wen denn als für mich soll ich regieren?
Antigone 143
Haimon Staat ist das nicht, was e i n e s Mannes ist. Kreon Und nicht des Herrschers also ist der Staat? Haimon Herrliche Herrschaft, einsam in der Öde! Kreon Mir scheint, der kämpft im Bunde mit dem Weib. Haimon Wenn du das Weib. Um dich nur sorg ich mich. Kreon Nichtswürdiger, du rechtest mit dem Vater? Haimon Weil du in schrecklich Unrecht dich verirrst. Kreon Ist Achtung meiner eignen Macht denn Unrecht? Haimon Mißachtung ist es, trittst du Gottesfurcht. Kreon Schmutzige Art und noch dem Weibe hörig! Haimon Nie findest du mich einer Schande hörig. Kreon All dein Gerede gilt ja doch nur ihr. Haimon Und dir und mir und auch den Göttern drunten. Kreon Genug! Im Leben wirst du sie nicht freien. Haimon Sie stirbt und zieht im Tode einen mit. Kreon Zu drohen wagst du, trotziger Bube, mir? Haimon Ich drohe nicht, ich kämpfe gegen Wahnsinn.
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Kreon Das wirst du, selbst wahnsinnig, mir bereuen. Haimon 755 Du bist mein Vater, sonst nennt ich dich unklug. Kreon Du Weiberknecht, laß doch die Heuchelworte! Haimon Du willst nur immer reden, doch nicht hören. Kreon So? Wirklich? Ha, ich schwör’s dir beim Olymp, Dein dreister Hohn soll dir nicht gut bekommen. 760 Her mit dem Scheusal! Her! Sie stirbt sofort Hier, vor den Augen ihres Bräutigams. Haimon Nein, bilde dir nicht ein, daß hier sie stirbt Vor meinen Augen. Doch du wirst vor deinen Nie mehr mein Haupt erblicken und dann tobe 765 Dich aus vor denen, die dran Freude haben! Er eilt ab Chorführer O Herr, im Zorne stürzt der Jüngling weg. Im Leid sinnt Düsteres oft ein junges Herz. Kreon Und mag er Übermenschliches ersinnen, Das Los der beiden wird er doch nicht ändern! Chorführer 770 So sollen sie denn alle beide sterben? Kreon Nein, die Unschuldige nicht. Da hast du recht. Chorführer Und welchen Tod hast du für sie bestimmt? Kreon Wo in der Öde sich der Pfad verliert, Soll sie lebendig steigen in ein Grab,
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Mit soviel Brot wie Gottesfurcht bedingt, Daß nicht Befleckung schände unsre Stadt; Soll dort um Rettung dann zum Hades beten, Den sie allein von allen Göttern ehrt, Oder erkennen wenigstens zuletzt: Hades zu ehren sei verlorene Mühe. Ab Chor Eros, du All sieger im Streit, Eros, du beut gieriger Aar! Auf des Mägdeleins Wange zart Hältst du über die Nacht hin Wache. Du schweifst hinaus über das Meer, Ländlich Gehöft suchst du. Kein Unsterblicher ist je dir entflohn, Auch kein sterblicher Mensch entgeht dir. Wen du ergreifst, der raset. Verlockst auch oft rechtlichen Sinn Zu ungerecht schandbarer Tat. Hast Verwirrung nun auch erregt Bei den Männern verwandten Blutes. Der Sehnsuchtsblick, deutlicher Strahl Bräutlichen Augs, sieget. Hoch sitzt sie in der Macht allem Gesetz Bei, dem großen, und unbezwinglich Lockt uns die Liebesgöttin. Chorführer Nun reißt’s auch mich aus der Bahn heraus Der Satzungen, da ich das sehen muß. Und halte nicht länger der Tränen Quell, Da ich schaue, wie dort Antigone geht In des Grabes allbergendes Brautbett.
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Antigone O seht mich an, Bürger des Vaterlandes, Wie ich den letzten Weg Schreite, wie ich zum letztenmal Schau der Sonne leuchtendes Licht. Niemals wieder. Sondern mich führt, Der das Bett uns allen einst macht, Lebend davon zum Tode. Tönet kein Brautlied, Kein Hochzeitslied seinen Klang, Und nie wird mir zuteil solch Los, Sondern Acheron wird mich jetzt freien. Chor Doch steigst du hinab in die Totenkluft, Mit Lob geschmückt und umstrahlt von Ruhm. Nicht schwandest du hin von Krankheit erfaßt, Nicht traf dich des Schwertes tödlicher Lohn, Nach eignem Gesetz gehst von allen allein Du lebend hinunter zum Hades. Antigone Ich hörte doch, welch einen Tod erlitten Niobe jammervoll. Auf dem Grat des Berges erstickt Sie der langsam wachsende Fels, Der wie Efeu sie eng umrankt. Um die schmerzzerfließende Frau Rinnt, so erzählt man, Regen, Schnee unaufhörlich. Das Naß entströmt ihren Braun Den Berg rücken hinab. Auch mir Steht ein steinernes Bette jetzt offen. Chor Doch Göttin war jene, von Göttern gezeugt. Wir aber sind sterblich und sterblichen Stamms.
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Und dennoch! Wie herrlich: dasselbe Los Mit Göttern zu teilen als sterbliches Weib Im Leben und auch noch im Tode! Antigone O weh, der Spott! Eh ich noch tot bin, warum, sprich, Bei den Göttern der Väter spottest du mir ins Antlitz? 840 Stadt, meine Stadt, und ihr Der Stadt mächtige Bürger! O weh, Dir kes Flut, weh, du Hain meiner Wagenberühmten Stadt! 845 Alle ruf ich als Zeugen an, alle, Wie unbeweint von Freunden, bar jeden Rechts, Ins Felsverließ ich steige, dieses unerhörte Grab für Oweh! Ärmste ich! [mich. Ich bin Schatten noch nicht, nicht Mensch mehr, 850 Bin nicht dem Tod, nicht dem Leben eigen. Chor Du schrittest vor zum letzten Trotz, Und an des Rechtes hohem Thron Bist heftig du gescheitert, Kind. Des Vaters Ringen mußt du büßen.
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Antigone Du rührst den Gram, welcher der schwerste ist, mir an, Meines Vaters so oft beklagte Not und des ganzen Edelen Hauses Los, 860 Das Los unsers Geschlechtes. O Fluchbett, in dem einst die Mutter dem Vater, den selbst sie gezeugt, 865 Meinem Vater sie beigewohnt! Wehe! Von was für Eltern stamm ich ab, Ärmste ich!
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Zu ihnen, fluchbedeckt und unvermählet, geh ich in O weh, Bruder mein, [den Tod. Dir schuf bitteres Leid die Ehe! Du hast im Tod noch zerstört mein Leben. Chor Ja Liebesdienst ist Gottesdienst. Macht aber, wo die Macht im Recht, Die duldet Übertretung nie. Dich schlug dein selbstgewähltes Trachten. Antigone So trostlos, freundlos, ehelos auch Schreite ich armes Geschöpf diesen Weg, mir bestimmt. Nimmer das heilige Auge des Sonnenlichts Soll ich Ärmste schaun. Doch mich und mein Geschick niemand beklagt, Auch kein Freund weiht ihm eine Träne.
K r e o n tritt auf Kreon Wenn Klagen uns vom Tod erretten könnten, So käm wohl keiner je damit zu Ende. 885 Hinweg mit ihr! Tut, was ich euch gebot, Und schließt sie in das Gruftgewölbe ein; Dort lasset sie allein. Mag sie dort sterben, Mag sie am Leben bleiben, unsere Hände Sind rein, was immer ihr geschehen mag. 890 Doch unsern Tag soll sie nicht länger teilen! Antigone O Grab, o Brautgemach und o du Haus Aus Stein, das ewig mich umschließen soll, In das ich wandre zu den meinen allen, Die schon Persephone bei sich empfing.
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Die letzte bin ich, die unseligste. Ich sterbe, ehe ich mein Ziel vollendet. Die eine Hoffnung aber tröstet mich: In Liebe wird der Vater mich empfangen, In Liebe auch die Mutter und auch du, O teures Bruderhaupt; im Tod hab ich Euch alle einst gewaschen und geschmückt. Und weil ich deinen Leib, o Polyneikes, Bestattete, so ernt ich solchen Lohn. Doch alle Guten preisen meine Liebe. Denn niemals hätte ich für meine Kinder, Noch wenn ein Gatte mir hinmoderte, Der Stadt zum Trotz dies Leid mir ausgewählt. Doch welcher Satzung tat ich das zuliebe? Für einen toten Gatten gab’s Ersatz, Für totes Kind von anderm Mann ein andres. Da Mutter mir und Vater ruhn im Hades, Kann mir ein Bruder nimmermehr erstehn. Nach solcher Ordnung mußte ich dich ehren, Ob’s Kreon auch für ein Verbrechen hält Und unerhörte Frechheit, liebes Bruderhaupt! Darum nun reißt er mich gewaltsam fort Von Hochzeit, Brautlied, Ehe und bevor Aus meinem Schoß ein Kind ich aufgezogen. Lebendig soll ich steigen in die Gruft, Warum? Welch göttlich Recht hab ich verletzt? Wie soll ich noch aufblicken zu den Göttern, Erflehen ihre Hilfe? Zahl ich doch Für Gottesfurcht nun mit Gottlosigkeit. Doch wenn’s die Götter wollen, daß ich leide, So lerne ich im Tod wohl meine Schuld. Wenn aber meine Feinde schuld, dann treffe Dasselbe Schicksal sie, das mir verhängt! Chorführer Noch immer erschüttert derselbe Sturm Gewaltig ihr Herz.
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Kreon zu den Dienern Nun führt sie hinweg! Sonst büßet noch ihr Ihre Klagen, weil ihr so säumet. Antigone Weh mir! Es nahet der Tod. Dies Wort Verkündet sein Kommen. Kreon 935 Laß fahren vergeblicher Hoffnungen Trug, Ergib dich. Dein Schicksal erfüllt sich. Antigone O Heimatstadt, o Thebanerland, O Götter der Ahnen! Man schleppt mich dahin, ohne Zögern, o weh! 940 Ihr Männer, ihr Edlen Thebanischen Lands, Seht her, was ich leide, seht her, von wem! Die die letzte ich bin aus dem Königshaus, Weil ich Heiliges heilig gehalten. Sie wird abgeführt Chor Mußte Danae auch himmlisches Licht einst 945 Gegen Kerkerverließ tauschen, aus Erz gebaut. Und sie umschloß Grabesgruft, schauriges Brautgemach im Tod. War doch auch von Geschlecht edel wie du, mein Kind. 950 Und den Regen aus Gold, Samen des Zeus, hütete sie im Schoß. Fürchterlich ist wahrlich des Schicksals Macht. Davor vermag nicht Gold noch Mut, Noch Turm, noch dunkelfarbenes Schiff, Vom Meere gepeitscht, uns zu retten. 955
Nieder unter das Joch wurde gebeugt einst Auch der Thrakierfürst, der Dionysos kränkt Frech mit dem Wort, spitz und bös. Felsenverließ umschloß ihn tief.
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Da versickerte bald trotzig der wilde Drang Seines schäumenden Wahns. Lernte zu spät, daß er 960 gewagt, den Gott Selbst zu bestehn frech mit dem spitzen Wort. Die Frauen, die des Gottes voll, Die hemmt’ er und den Fackelzug Und schalt die flötenfrohen Weisen. 965 An den blauen, zwei Meeren gehörenden Wellen Liegt dem Bosporos nahe ein thrakisches Räubernest: Salmydessos, wo einst Ares erblickte Die Phineussöhne, die zwei, Jämmerlich zugerichtet. Des Phineus Weib blendet sie im Jähzorn. Die Augensterne, die zerstörten rufen laut Nach Rache. Mörderhand durchstach sie; Der Spindel ganz spitzer Stahl ihr Dolch war. Und sie härmten sich ab um das Leid, die Unseligen, Das die traurige Ehe unselig geschaffen Ihrer Mutter. Die war aus des Erechtheus Uraltem Stamme gezeugt. Fern in des Vaters Höhlen, Des Windgotts, sturm reichen, aufgezogen, Flog rosseschnell sie steile Bergeshöhn hinan, Ein Kind der Götter. Dennoch traf sie Des Schicksals Schlag, Kind, das ewig waltet. Te i r e s i a s tritt auf, von einem Knaben geführt Teiresias Ihr Edlen Thebens, seht, wir nahen euch Zu zwein, der eine muß für beide sehn; Denn Blinde gehn die Wege ihres Führers. Kreon Was bringst du Neues, Greis Teiresias?
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Teiresias Du sollst es hören. Folg dem Seher nur! Kreon Ich habe stets mich deinem Rat gebeugt. Teiresias Drum steuerst du auch richtig unsern Staat. Kreon Daß mir’s genützt, bezeug ich aus Erfahrung. Teiresias Doch heute steht dein Glück auf Messerschneide. Kreon Was sprichst du da? Mit Schaudern rührt’s mich an. Teiresias Hör, welche Zeichen mir geworden sind. Ich saß zur Vogelschau am alten Ort, Wo aller Vögel Sammelplatz mir war. Da hört ich, wie ich’s niemals noch vernommen, Ein krächzend Kreischen und verworrenen Lärm, Und wie sie sich mit mörderischen Krallen Zerfleischten; denn es rauschten laut die Flügel. Voll Sorge prüfte ich den Opferbrand Auf dem Altar. Doch schlug die Flamme nicht Empor zum Opfer, sondern zischend floß Das Fett der Knochen in die Asche nieder, Und spritzte auf und qualmte. Darauf quoll Die Galle auf und platzte, und entblößt Und ausgeschmolzen lagen nackt die Knochen. Von diesem Knaben, der mein Führer ist, Wie ich der andern Führer, weiß ich dies, Wie uns das Opfer zeichenlos mißglückt. Nur deinetwegen ist die Stadt so krank. Denn alle Opferherde sind entweiht Durch Hund und Vögel, welche sich vom Fleisch Des unglückseligen Königssohnes nährten. Drum hört kein Gott auf unsre Opferbitten,
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Nimmt kein Brandopfer an von unsrer Hand. Und von den Vögeln, die sich von dem Mordblut Gemästet, schrillt kein Schrei des Heils. Bedenke das, mein Sohn! Wohl ist den Menschen Gemeinsam, ihnen allen, daß sie fehlen. Doch nach dem Fehl – der ist nicht mehr verkehrt Und nicht verblendet, der nach bösem Fall Auf Heilung sinnt und nicht in sich erstarrt. Doch Eigensinn macht blind und unbelehrbar. So folge meinem Rat! Quäl nicht den Toten! Welch Heldenstück, den Toten nochmals töten! Ich sag dir das zum Guten. Guten Rat Zu hören, der Gewinn bringt, ist das Beste. Kreon Greis! Wie die Schützen auf ein einzig Ziel, So zielt ihr allesamt nach meiner Brust. Sieh da, die Seherzunft ist auch dabei! Freilich, von dieser Gilde bin ich längst Verkauft wie eine Ware und verfrachtet. So schachert doch mit Persergold und wuchert Mit Bernstein, wenn ihr wollt, aus Inderland! Ins Grab bekommt ihr diesen Toten nicht! Auch nicht, wenn ihn Zeus’ Adler sich als Fraß Aufpackten und ihn trügen an Zeus’ Thron. Nie werde ich aus Angst vor der Befleckung Das Grab ihm geben; weiß ich doch gewiß, Daß Menschen Götter nicht beflecken können. Es stürzen aber, Alter, auch Gewaltige Schmählichen Sturz, wenn mit erhabenem Wort Sie schmählich reden, dem Gewinn zulieb. Teiresias Ach! Weiß wohl ein Mensch und denkt er wohl daran – Kreon Heraus mit dem Gemeinplatz! Also woran?
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Teiresias Daß nichts so wertvoll als Besonnenheit. Kreon Und nichts so wertlos als wie Unverstand. Teiresias An diesem Übel eben krankest du. Kreon Ich schweig, den Seher will ich nicht beschimpfen. Teiresias Du schmähst mich, wenn mein Seherwort dir Lüge. Kreon 1055 Die ganze Seherzunft liebt nur das Geld. Teiresias Die Fürstenzunft liebt schmählich nur die Macht. Kreon Du greifst den Fürsten an. Weißt du das nicht? Teiresias Ich weiß. Mein Rat ließ Theben dich bewahren. Kreon Ein kluger Seher bist du, doch voll Arglist. Teiresias 1060 Der Brust Geheimnis treibst du mir heraus. Kreon Heraus denn! Aber hoffe nicht auf Lohn. Teiresias Dein Lohn ist es, was ich zu sagen habe. Kreon Glaub nur nicht, daß du mich verkaufen kannst! Teiresias So sollst du also wissen, daß nicht viele 1065 Umdrehungen die Sonne wird vollenden, Bis du aus deinem eigenen Blut als Sühne Den Toten einen Toten hast geliefert Dafür, daß du von droben warfst nach drunten Ein Leben schmählich in des Grabes Haus. 1050
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Doch was den Göttern drunt ist, hältst du hier: Die grab- und grabesweihnberaubte Leiche. Daran hast du nicht Anteil noch die obern Gottheiten. Das ist Vergewaltigung! Drum lauern dir der Unheilstifter Hades Und die Erinyen auf, die göttlichen, Dich eben wegen dieser bösen Tat zu fassen. Sieh zu, ob ich bestochen also rede. Das wird erweisen bald in deinem Haus Ein Wehgeschrei von Männern und von Weibern. In Haß geht jede Stadt wirr gen sich selbst, Die Leichen Hunden zur Besorgung läßt, Raubtieren oder Vögeln, und die tragen Ruchlosen Ruch zur Stadt, der Götter Herd. Die Pfeile sende ich, weil du mich schmähst, Ein zorniger Schütze dir genau ins Herz, Und ihrem Brand entrinnst du nimmermehr. Du aber, Knabe, führe mich nach Haus, Daß er den Groll auf Jüngere entlade Und seine Zunge besser lern beherrschen Und gutem Rat sich endlich fügen wolle. Ab Chorführer O Herr, mit grausem Spruch ging er hinweg, Und wir, wir wissen, seit sich uns das Haar Aus dunkler Locken Fülle hat gebleicht, Daß er der Stadt kein Lügenwort je sagte. Kreon Ich weiß es selbst und fühle mich erschüttert. Hart ist es, nachzugeben; aber hart Ist’s auch, verblendet wilden Trotz zu büßen. Chorführer Laß gut dir raten, Sohn du des Menoikeus! Kreon So ratet mir, was soll ich tun; ich folge.
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Chorführer Befrei die Jungfrau aus der Felsengruft, Und gib dem Unbestatteten sein Grab! Kreon Das rätst du? Nachzugeben scheint dir gut? Chorführer Ja, Herr, und schleunigst. Denn der Götter Strafen, Leichtfüßig holen sie den Bösen ein. Kreon 1105 Schwer wird es mir. Doch will ich mich bezwingen, Denn niemand kann der Macht des Schicksals trotzen. Chorführer Auf, tu es selbst! Verlaß dich nicht auf andre! Kreon So geh ich, wie ich bin. Ihr Diener, auf, Ihr da! Und holt die andern auch herbei! 1110 Nehmt Spaten rasch zur Hand und eilt im Wettlauf Hin, wo der Tote bei den Wächtern liegt. Ergeben hab ich mich, und also will ich, Die ich gebunden selbst, auch selber lösen. Ich habe Angst, ob’s nicht das Beste sei, Gültige Satzung bis zum Tod zu ehren. 1100
Ab mit den Dienern Chor Du gepriesener Bakchos, du der Kadmostochter Stolz, du Sohn des Donnerers Zeus! Du schirmst die Flur Italiens 1120 Uns, die berühmte, hütest im Eleusistale die Flur, Aller Hort. Bakchos, der Bakchen Herr, In Theben, der Mutterstadt, Am Ismenosgestad, Dem feuchten Strom, wo ja die Saat 1125 Des wilden Drachen aufging. 1115
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Es begrüßt dich auf Bergeshöhn der Qualm der Fackeln, Leuchtend, wenn beim bakchischen Fest Die Nymphen ihren Reigen drehn An der Kastalschen Quelle. Und Euboias bergiger Hang, Efeugrün, saftig frisch, traubenreich, Er sendet dich her zur Feier. Und der göttliche Sang Hallt wieder, wenn jubelnd das Volk In Thebens Gassen jauchzet. Das du hoch hobst empor Aus allen Städten, da dort Schlug der Blitz die Mutter tot. Komm auch jetzt, da schwer Krankheit uns betraf, Uns und unsere ganze Stadt. O komm und bring uns Heil! Überquer hoch den Sund, Der laut dröhnt, und auch den Parnaß im Fluge. Sternenlicht lenker du Im Purpurglanze der Nacht! Führer auch im Chorgesang! Zeusentsprossener du, Herrscher, erschein, Von der trunkenen Schar umschwärmt, Die wild dich feiert; rasend im Tanz nächtelang Um dich, Bakchos, Walter des frohen Reigens. Ein D i e n e r des Kreon tritt rasch auf Diener Ihr Bürger unsrer alten Kadmosstadt, Wie wandelbar ist aller Menschen Los! Nie nenn ich jemand glücklich oder elend. Das Schicksal hebt, das Schicksal stürzt hinab, Ob du im Glück, ob du im Unglück bist. Und in die Zukunft sah noch kein Prophet. Wie war nicht Kreon einst beneidenswert,
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Von Feinden hat er dieses Land befreit, Die ganze Herrschaft nahm er in die Hand, Und Glück umblühte ihn in seinen Kindern. 1165 Und nun ist alles hin. Denn wenn die Freude Den Menschen flieht, so zähl ich ihn nicht mehr Als lebend – lebend ist er eine Leiche. Laß prangen ihm von Schätzen den Palast, Laß ihn ein Leben führen Fürsten gleich – 1170 Wenn Freude fehlt, so kauf ich ihm nicht ab Um Rauches Schatten all das gegen Freude. Chorführer Welch neues Leid bringst du dem Herrscherhaus? Diener Tot sind sie, und die Lebenden sind schuld. Chorführer Wer ist der Mörder? Wer ist tot? So sprich! Diener 1175 Haimon liegt tot in seinem Blute da. Chorführer Von Vaters Händen oder von den eignen? Diener Den eignen; grollend seinem Mördervater. Chorführer O Seher, wie hat sich dein Wort erfüllt! Diener So ratet, was nunmehr geschehen soll. Chorführer 1180 Dort naht Eurydike, des Königs Gattin. Vernahm die Ärmste wohl von ihrem Sohn, Oder hat Zufall sie hierher geführt? E u r y d i k e tritt aus dem Palast Eurydike Ihr Bürger, welche Rede drang zu mir! Als ich hinaus aus meinem Hause trat,
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Um Pallas anzugehn um ihren Schutz, – Noch hatte ich den Riegel in der Hand – Da dringt zu meinem Ohr ein schrecklich Wort Von schwerem Leid, das neu mich hätt betroffen, Daß ich den Mädchen in die Arme sinke. Doch wie die Nachricht lautet, sagt noch einmal! Ihr sprecht zu einer, der das Leid bekannt. Diener Herrin, wie ich’s gesehn, so meld ich’s dir, Und nichts verschweig ich von der ganzen Wahrheit. Wozu auch mildern, wo der Augenblick, Der nächste, schon mich Lügen straft? Nur Wahrheit Besteht. – Ich folgte deinem Ehgemahl Zum hohen Blachfeld, wo, von Hunden schmachvoll Zerrissen, Polyneikes’ Leiche lag. Wir flehten Pluton an und Hekate, Sie möchten huldreich ihren Groll anhalten, Und wuschen dann mit heiligem Bad die Reste Und ließen sie auf frischem Holz verbrennen, Aus Heimaterde einen Hügel wölbend. Dann gingen wir zur hohlen Felsenkammer, Dem Brautgemach der armen Todesbraut. Fernher vernahm schon einer scharfen Wehruf, Der von dem weihelosen Grabe scholl, Und eilt’, es unserm König anzusagen. Undeutlich schwoll um ihn der Jammerlaut. Da, wie er nähertritt, da bricht er aus Und stöhnt und klagt: »Ich armer Mann! Bin ich ein Seher? Geh den schlimmsten Weg Von allen Wegen, die ich je betrat? Es ist mein Sohn, der ruft. Ihr Diener, auf, Eilt schleunigst hin, eilt mir voran zur Gruft, Zwängt euch durch eine Fuge in der Gruft, Dringt bis zur Mündung, seht, ob’s Haimon ist, Der klagte, oder ob ein Gott mich täuscht.«
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Wir taten, was er angstvoll uns gebot. Da sahn wir in der Höhle düsterer Tiefe Das Mädchen, eine Schlinge um den Hals, Die sie geknüpft aus ihrem Schleiertuch. Und es umschlang der Sohn den Leib der Braut, Dem Räuber fluchend seines Eheglücks, Dem Vater, der die Hochzeit ihm gerüstet. Wie Kreon ihn erblickt, da stöhnt er auf, Und geht hinein zu ihm und ruft aufschluchzend: »Unseliger, was tust du hier? Was sinnst du? In welch Verderben hast du dich gestürzt? O komm hervor, fußfällig bitt ich dich!« Der starrt mit wildem Blick den Vater an, Speit stumm ihm ins Gesicht, faßt nach dem Griff Des Schwertes, zieht – es flüchtet schnell der Vater Von dannen –, der stößt fehl, kehrt nun die Wut Wild gegen sich und stemmt sich auf das Schwert Und treibt sich’s mitten in die eigene Brust. Bei Sinnen noch umfängt er matt die Braut. Ausröchelnd einen jähen Strom von Blut, Färbt er mit rotem Naß die bleichen Wangen. E u r y d i k e verschwindet stumm im Palast So hat der Tod sie beide nun verbunden Zum Hochzeitsfeste in der Toten Land, Im Beispiel zeigend, wie die Leidenschaft Der Übel größtes für die Menschen ist. Chorführer Verstehst du das? Die Königin ging fort Und sprach kein gutes, sprach kein böses Wort. Diener Auch mich befremdet’s, doch ich hoffe dies: Den wehen Schmerz um ihres Sohnes Tod Mag sie nicht laut vor aller Welt enthüllen. Im Stillen wird sie mit den Frauen weinen. Sie ist besonnen, wird sich nicht vergehn.
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Chorführer Wer weiß! Zu tiefes Schweigen scheint nicht minder Bedrohlich als vergeblich laut Geschrei. Diener So will ich selbst erforschen, ob sie nicht Geheimes im erregten Herzen birgt. Ich folge ihr ins Haus. Ja, du hast recht, Auch allzu tiefes Schweigen kündet Unheil. Ab in den Palast Chorführer Dort nahet der König und hält mit dem Arm Das Zeugnis, das deutlich die Schuld beweist. Ich wage das Wort: nicht fremde Schuld, Nein, die er selber begangen. K r e o n tritt mit Gefolge auf, den Arm um die Leiche H a i m o n s gelegt, der auf einer Bahre getragen wird Kreon O weh! Des Sinns, bösen Sinns, der uns fallen läßt In Schuld, Todesschuld! Mörder seht, Opfer seht Ihr hier beide, sind von ganz gleichem Blut. Weh um den unheilvollen Sinn, meinen Sinn! Mein Sohn! Dich entriß so früh früher Tod! O Qual, o Qual! Du starbst, gingst dahin Durch mein, nicht durch dein, so wahn blindes Tun. Chorführer O weh, wie konntest du zu spät das Rechte sehn! Kreon Ich Ärmster hab gelernt. Es schlug aufs Haupt Ein Gott damals mich, so schwer, damals mich Und schleuderte mich auf die böse Bahn, Zertrat mein Glück, o weh, mit seinem Fuß. Weh! Weh! Menschenlos, wie sehr Jammerlos!
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Der D i e n e r kommt wieder aus dem Palast Diener O Herrscher, schwer getroffen, wie du bist, Trägst schon ein Unglück auf dem Arm, das andre Wirst du sogleich im Haus zu sehn bekommen. Kreon Was ist denn schlimmer noch als dieses Schlimme? Diener Dein Weib ist tot. Ganz Mutter dieses Toten, Starb ihm die Arme nach von eigner Hand. Kreon O weh! O weh! Unversöhnlich, du Todesschlund! Verschlingst du mich jetzt? Unglückspost bringst du mir Von Leid, schlimmem Leid. Wie hieß doch das Wort? »Wehe, den toten Mann du machst nochmals hin.« Ein neu Mordgeschick, wie war’s? sagtest du. O weh! o weh! Mein Weib, Ärmster ich! dahin in des Sohnes Geschick mitgerissen! Oh, neues Leid! Chorführer Sieh hin, das Haus verbirgt es dir nicht mehr. Die Palasttüren werden geöffnet Man sieht die Leiche der Königin am Altar Kreon O weh! Da seh ich Ärmster jetzt mein neues, zweites Leid. Welch Leid, welches Leid bedroht jetzt mich noch? Kaum halt ich in den Armen eine Leiche, Da seh ich Ärmster eine zweite schon. O weh! Arme Mutter! Weh! Armes Kind! Diener Vom Stahl getroffen sank sie sterbend nieder Am Hausaltar, und eh ihr Auge brach,
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Klagt’ sie den Schlachtentod des einen Sohnes, Dann diesen andern da, und schließlich fluchte Sie dir, dem Kindesmörder, alles Böse zu. Kreon O weh, o weh! In Angst flieg ich auf. Warum stößt mir nicht Ein zwei schneidig Schwert ein Mensch in die Brust? O weh! Ärmster ich! In Leid, Qual und Schmerzen tief, tief verstrickt!
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Diener Wohl! Da der Schuld an aller beider Tod Im Sterben dich dein Weib hat angeklagt. Kreon O sprich, wie schied die Königin vom Leben? Diener Mit eigener Hand durchbohrte sie ihr Herz, Als sie des Sohnes schlimmen Tod vernahm. Kreon O weh! Diese Tat nimmt kein Mensch mir ab. Es bleibt meine Schuld, es ist meine Tat! Denn ich, armer Sohn, ich war’s der dich schlug. Ja ich! Laut bekenn ich’s. Kommt Diener, kommt! Führt schnell mich davon! Ja, führt schnell mich fort, Den Mann, der vernichtet, mehr als ein Nichts.
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Chorführer Das ist das Beste noch in solchem Leid. Es abzukürzen ist das Beste doch. Kreon So komm, so komm! Erschein, letzter Tag, erschein, schönster mir! Du bringst endlich mir das Ziel meiner Qual. So komm, komm doch nur! Und laß nimmer schaun mich je andern Tag!
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Chorführer Das birgt die Zukunft. Heute gilt’s zu handeln. 1335 Die Zukunft aber liegt in andrer Hand. Kreon Nur meines Herzens Wunsch erbat ich mir. Chorführer Erbitte nichts. Kein Mensch kann dem entrinnen, Was ihm im Rat des Schicksals vorbestimmt. Kreon So führt denn hinweg den un selgen Mann, 1340 Der dich, liebes Kind, erschlug willenlos, Und dann dich, du Arme. Weiß nicht, wohin Ich schaun soll, wohin ich gehn soll? Wohin? 1345 Es wankt alles mir, es traf mich aufs Haupt Ein Schlag, Schicksalsschlag so hart, furchtbar hart. Er wird abgeführt Chor Von allen Glücksgaben ist Einsicht ins Recht 1350 Die erste. Nie darf gegen Gottesgebot Man freveln. Es tilgt sich vermessenes Wort In unermeßlichem Schicksalsschlag Und lehrt im Alter noch Einsicht.
König Oidipus
Einleitung Der Stoff der Tragödie stammt wie der der Antigone aus dem thebanischen Sagenkreis. Die Zeit des Geschehens liegt eine Generation vor der Handlung der Antigone. Der thebanische König Laios erhielt ein Orakel, das ihm riet, keinen Sohn zu zeugen, da er durch dessen Hand sterben werde. Als er trotz Apollons Warnung einen Sohn zeugt, lässt er ihn von einem Hirten im Kithairongebirge aussetzen. Aus Mitleid vertraut der Hirte jedoch das Kind, dessen Fersen durchbohrt und mit einem Strick zusammengebunden worden waren, einem befreundeten korinthischen Hirten an, der es dem kinderlosen Herrscherpaar von Korinth übergibt. Wegen seiner geschwollenen Füße erhält das Kind den Namen Oidipus (›Schwellfuß‹). Nach Jahren wird Oidipus von Freunden verspottet, dass er nicht der rechtmäßige Königssohn sei. Sofort macht er sich nach Delphi auf, um Apollon wegen seiner Herkunft zu befragen. Der Gott gibt ihm das Orakel, er werde seinen Vater töten und mit seiner Mutter Kinder haben. Erschreckt beschließt Oidipus, nie mehr nach Korinth zurückzukehren. An einem Dreiweg trifft er auf den thebanischen König Laios, der ihn barsch aus dem Weg zu gehen heißt. In einem Zornesausbruch erschlägt Oidipus Laios, seinen Vater. Auf seiner Reise kommt er nach Theben. Die Stadt wird von einem Ungeheuer, der Sphinx, heimgesucht, die allen Vorbeikommenden unlösbare Rätsel stellt und sie tötet, wenn sie das Rätsel nicht lösen. Oidipus meistert die Aufgabe, die die Sphinx ihm stellt, und das Ungeheuer stürzt sich in den Abgrund. Als Dank erhält Oidipus die Herrschaft über Theben und die Hand Iokastes, der Gattin des Laios, seiner Mutter. Doch Theben wird nach Jahren wegen des unaufgeklärten Mordes an dem König von einer Pest heimgesucht.
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König Oidipus
Um der Stadt Rettung zu bringen, schickt Oidipus seinen Schwager Kreon nach Delphi, um Apollon zu befragen. In dieser Situation beginnt das Stück. Thebanische Bürger unter der Führung eines Priesters haben sich versammelt, um Oidipus zu bitten, dass er die Stadt von der Pest befreie, wie er sie von der Sphinx errettet habe. Kaum hat Oidipus die Bürger darüber informiert, dass er Kreon nach Delphi geschickt hat, kommt dieser zurück und teilt zögernd vor dem Volk das Orakel Apollons mit: Unverzüglich müsse die Blutschuld gesühnt werden, die seit dem Tod des Laios auf der Stadt laste (V. 95 ff.). Oidipus erfährt von Kreon, dass Laios von einer Räuberschar, nicht von einem Einzelnen erschlagen worden sei. Sofort sagt er die Aufdeckung und Sühnung des Verbrechens zu (V. 132 ff.). Thebanische Älteste (der Chor) stimmen voller Hoffnung ein Freudenlied an (V. 151 ff.). Oidipus gibt bekannt, dass jeder, der den Mörder kenne, dies anzeigen solle (V. 216 ff.). Im Dialog mit dem Chor ergibt sich eine leichte Verschiebung gegenüber der Information Kreons: Es ist nicht mehr von Räubern, sondern von Reisenden als Mördern des Laios die Rede (V. 292). Teiresias, der greise Seher, den Oidipus auf Kreons Rat holen ließ, weicht den Fragen des Herrn aus und hüllt sich in dunkle Andeutungen (V. 3l6 ff.). Erst auf barsche Worte des Königs hin wird der Seher deutlich: Oidipus selbst sei der Täter (V. 353, 362); zudem lebe er in inzestuöser Ehe mit seiner Mutter (V. 366f.). Außer sich beschuldigt Oidipus ihn der aufrührerischen Komplizenschaft mit Kreon; doch Teiresias schleudert ihm noch einmal die ganze Wahrheit ins Gesicht (V. 447 ff.). Bestürzt erklärt der Chor seine Loyalität gegenüber Oidipus, bis die Sache endgültig geklärt sei (V. 463 ff.). Kreon eilt herbei, um sich zu rechtfertigen, stößt aber bei Oidipus auf taube Ohren (V. 513 ff.). Iokaste, die zu schlichten versucht, kann erreichen, dass Kreon nur aus den Augen des Oidipus verbannt wird (V. 634 ff.). Im Gespräch mit ihrem Mann erfährt Iokaste von den Anschuldigungen des Tei-
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resias und ist erleichtert: Habe man doch Laios geweissagt, er werde von seinem Sohn ermordet werden, und offensichtlich sei er doch an einem Dreiweg durch Räuberhand umgekommen (V. 707 ff.). Das Stichwort ›Dreiweg‹ bringt Oidipus mit einem Schlag zur Erkenntnis der Wahrheit (V. 754f.). Er berichtet Iokaste von dem Spott, den er am korinthischen Hofe zu erdulden hatte, und von Apollons Orakel (V. 771 ff.). Nur der überlebende Augenzeuge könne Gewissheit bringen. Der Chor reagiert auf die aufwühlenden Ereignisse mit Gedanken über den Wert von Orakelsprüchen (V. 863 ff.). Ein Bote aus Korinth erscheint und meldet Iokaste, Polybos, der König von Korinth und vermeintliche Vater des Oidipus, sei eines natürlichen Todes gestorben (V. 924 ff.). Iokaste sieht triumphierend ihre Meinung über die Wertlosigkeit von Sehersprüchen bestätigt. Doch der Bote stürzt sie in die furchtbare Gewissheit:Vor Jahren habe er Oidipus im Gebirge von einem Thebaner erhalten und ihn dem kinderlosen korinthischen Herrscherpaar übergeben. Erschüttert geht Iokaste in den Palast (V. 1071 ff.). Der Chor erkennt die Wahrheit noch nicht und stimmt ein Freudenlied an (V. 1086 ff.). Durch den Hirten, der einst Oidipus aussetzen sollte und gleichzeitig auch der einzige überlebende Augenzeuge des Mordes an Laios ist, wird die ganze Wahrheit ausgesprochen. Der Chor nimmt den Sturz seines Königs zum Anlass, sich allgemein über die Scheinhaftigkeit des menschlichen Lebens zu äußern (V. 1186 ff.). Ein Diener berichtet dem Chor, dass Iokas te sich erhängt und Oidipus sich geblendet habe (V. 1223 ff.). Klagend tritt Oidipus aus dem Palast (V. 1297 ff.). Er erhält von Kreon den Befehl, im Palast bleiben, bis er ein Orakel über ihn eingeholt habe (V. 1422 ff.). Auf seine Töchter Antigone und Ismene gestützt, wankt Oidipus in den Palast zurück.
Personen Oidipus, König von Theben Iokaste, seine Gemahlin Kreon, ihr Bruder Teiresias, ein blinder Seher Ein Priester des Zeus Ein Bote Ein Hirte Ein Diener Der Chor, bestehend aus thebanischen Greisen
Der Schauplatz ist vor dem Königspalast in Theben
Ein Zug von Knaben und Jünglingen, geführt von dem Priester des Zeus an der Spitze von Greisen, alle in Trauerkleidern und mit Zweigen, die von Wollfäden umwickelt sind, in den Händen, zieht ein und ordnet sich um den Altar.
O i d i p u s tritt aus dem Palast, begleitet von zwei Speerträger n Oidipus Ihr Kinder, junger Sproß vom alten Stamm, Was sitzt ihr an des Altars Stufen hier, Bewehrt mit Zweigen, welche Hilfe heischen? Von Weihrauchduft ist rings die Stadt erfüllt, Und Bittgesang und Stöhnen trifft mein Ohr. Das sollten andre, Boten, nicht mir klären, Nein, selber komm ich her, ich, Oidipus, Des Name überall ja hoch berühmt. Sprich du, ehrwürdiger Greis, dir kommt es zu, Sprich du für alle, sprich, was treibt euch her? Ist’s Furcht? Ergebung? Redet! Jeden Beistand Gelob ich euch; denn herzlos müßt ich sein, Blieb ich bei diesem Anblick ungerührt. Priester O meiner Heimat Herrscher, Oidipus! Um deinen Altar siehst du uns gelagert, Jedweden Alters; dort unflügge Jugend, Gebeugtes Alter hier, bei uns den Priestern, So ich des Zeus; und hier die Jünglinge, Erkorene. Aber alles andre Volk Drängt betend auf die Märkte und zum Tempel Der Pallas wie zu Phoibos’ Opferstätte. Denn sieh, es schwankt im Sturm das Schiff der Stadt,
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Mit Mühe nur enthebt’s das Haupt der Tiefe, Die blutig aufdräut aus dem Schlund des Strudels. Sie stirbt dahin: es fault der Feldfrucht Keim. Sie stirbt dahin: das Vieh geht ein, es stirbt Im Mutterschoß das ungeborene Kind. Und ach, der Flammengott schießt seine Pfeile Verheerend auf die Stadt, der Gott der Pest. Leer wird das Haus des Kadmos, doch der schwarze Hades wird reich an Stöhnen und an Seufzern. Darum, so nahen deinem Altar wir, Die hier und ich. Denn bist du auch kein Gott, So bist du doch der erste von den Menschen, Gewachsen jedem Schicksal, jeder Fügung. Hast du denn nicht, kaum daß du uns genaht, Vom Schreckenszoll uns einst erlöst der Sphinx? Und zwar nicht unterwiesen und belehrt Von uns; nein, durch der Götter Beistand wissend, Hast du uns aufgerichtet, sagt und glaubt man. Drum fleht auch jetzt dein ganzes armes Volk Zu dir, o machtgekröntes Haupt, empor. Errett uns, Herr! Ob dir ein Gott vom Himmel, Ob dir ein Mensch den Weg zur Rettung zeigt. Dem Kundigen gedeihn selbst Schicksalsschläge, Wir sehen es, zum Glück durch seinen Rat. Größter der Menschen, auf! Hilf deinem Volk! Ja hilf, denn jetzt schon nennt das Volk dich Heiland, Weil es dich damals hilfsbereit erfand. Nie mög es deiner Herrschaft so gedenken, Daß sie uns hob, um tiefer nur zu stürzen. Nein, richte sicher abermals die Stadt auf! Du halfst uns einmal, hilf uns heute wieder. Der Götter Huld wird wieder mit dir sein. Du bist des Landes Herrscher, sei’s denn auch! Was ist ein König, dessen Land verödet? So wenig wie ein Schiff, ein fester Turm, Bei dem die Mannschaft fehlt und die Besatzung.
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Oidipus Ihr armen Kinder! Oh, nur allzugut Kenn ich das Elend, das ihr klagt. Ich weiß: Krank seid ihr; doch wie krank auch – so wie ich Ist keiner hier, der gleichermaßen krankte. Von euch trägt jeder seinen Schmerz allein Für sich und keinen andern. Doch mein Herz Sorgt sich um dich und mich und um euch alle. Denn nicht aus Träumen habt ihr mich gerissen, Vielmehr aus Tränenstürzen, die ich weinte, Den Weg zu eurer Heilung angstvoll suchend. Nur einen einzigen sah ich, und den ging ich: Den Sohn Menoikeus’, meinen Schwager, Kreon, Hab ich gesandt nach Delphi, zu erforschen, Wie ich mit Rat und Tat euch retten könnte. Schon ist die Frist verstrichen, ja, mich bangt, Daß er noch immer säumt. Denn länger schon, Als nötig und als billig, bleibt er aus. Doch kehrt er heim, wär ich ein schlechter König, Tät ich nicht alles, was der Gott enthüllt.
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K r e o n mit Begleitern wird sichtbar Priester Welch schöner Zufall! Eben sprichst du noch, Und schon wird mir gemeldet: Kreon naht. Oidipus Herrscher Apollon, mög es Heil bedeuten, Was seinen Blick in leuchtend Feuer taucht! Priester Heil muß es sein, denn sonst trüg er das Haupt Nicht mit des Lorbeers frohem Zweig umkränzt! Oidipus Gleich wissen wir’s; schon hört er meinen Ruf. O Fürst, Menoikeus’ Sohn, mein Bruder, sprich, Mit welcher Botschaft kommst du uns zurück?
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Kreon Mit guter. Denn erfreulich nenn ich auch Das Schwere, wenn’s nur Heil und Rettung bringt. Oidipus Wie sprach der Gott zu dir? Denn diese Botschaft Macht mir das Herz nicht leichter und nicht schwerer. Kreon Willst du, daß ich vor allen frei hier rede? Ich bin bereit; sonst gehen wir hinein. Oidipus Nein, sprich vor allen; dieses Volkes Leid Geht meinem Herzen näher als mein eignes. Kreon So höre, was der Gott dir sagen läßt. Mit klarem Wort gebietet dir Apoll, Die Blutschuld, die in diesem Lande wuchert, Unheilbar nicht zu machen – auszutreiben! Oidipus Doch was für eine Sühne? Welche Schuld? Kreon Ihn zu verbannen oder Blut mit Blut Zu sühnen. Blut befleckt das Land. Oidipus Doch wessen Schicksal meint der Gott damit? Kreon Bevor du Thebens Steuer nahmst, o Herr, Regierte hier ein andrer Herrscher, Laios. Oidipus Ich hab von ihm gehört, doch sah ihn nie. Kreon Für dessen Tod heißt Phoibos Rache nehmen An seinen Mördern. Das ist sein Befehl. Oidipus Wo aber sind die Mörder? Schwer zu finden Ist doch die Spur so alter Missetat.
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Kreon Dies Land verbirgt sie, sprach er. Suchen sollst du, So wirst du finden. Säumst du, bleibt’s verhüllt. Oidipus Traf ihn im eignen Haus der Mörder denn? Fiel er auf freiem Feld, in fremdem Land? Kreon Nach Delphi zog er einstens über Land Und ist von dort nicht mehr zurückgekehrt. Oidipus War kein Begleiter bei ihm, der zurück kam, Und nun darüber Auskunft geben kann? Kreon Sie fielen bis auf einen, der entrann, Und der weiß eines nur, sonst nichts zu sagen. Oidipus Jedoch was sagt er? Hier ist alles wichtig! Hier kann das Kleinste uns die Richtung geben. Kreon Es hätten Räuber, sagt er, ihn erschlagen, Nicht einer, sondern eine ganze Schar. Oidipus Wie? Hätten Räuber dies gewagt? Doch nur, Wenn sie von hier mit Gold gedungen waren! Kreon Wohl wahr. Doch jedenfalls blieb Laios’ Mord In jenen Drangsalzeiten ungerächt. Oidipus Und welche Drangsal war denn da so schlimm, Daß ihr nicht rächen konntet Königsmord? Kreon Die Sphinx, Herr, zwang mit ihren Rätseln uns, Zuerst aufs nächste unser Aug zu richten.
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Oidipus So will denn ich es wiederum erhellen. Gut ist’s, daß Phoibos, gut auch ist’s, daß du Den Blick auf diese Tat zurückgelenkt. In eurem Bunde seht ihr Rechtens mich. Dem Gotte dien ich und dem Vaterlande. Auch ist es nicht für ganz entfernt Verwandte, Selbst für mich selbst will ich die Schandtat sühnen. Wer jenen mordete, ist schnell bereit, So blutige Hand auch gegen mich zu heben. Rache für Laios dient mir selbst zum Heil. Drum auf, erhebt Euch von den Stufen, Kinder, Und nehmt die Zweige fort von dem Altar. Ein andrer sammle Kadmos’ Volk hierher. Ganz setze ich mich ein, wie es auch komme. Das wird sich zeigen: ich bin Gottes Knecht. Priester So laßt uns aufstehn, denn um weiter nichts, Als was wir eben hörten, kamen wir. Dein Wort, o Phoibos, haben wir vernommen, Sei Heiland uns und ende unsre Not! Der P r i e s t e r zieht mit der Bittprozession ab Auch K r e o n entfernt sich
Der Chor zieht ein Chor O süßtönende Stimme des Zeus, die du kamst von Delphis Ganz goldnem Sitz in Thebens Glanz! 155 Bebend vor Furcht ist mein Herz und gespannt in Er- So hilf uns doch, Heiland von Delos! [wartung. Ehrfurchtsvoll nah ich dir, ob du nun neue mir Hilfe gewährst oder alte, bewährt im Kreislauf der Jahre. Sag es mir, Kind du der goldenen Hoffnung, unsterbliche Stimme!
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Dich ruf als erste ich an, du Tochter des Zeus, Athene. 160 Die Schwester dann, des Landes Schutz, Artemis, sitzend am Rande des Markts auf dem Throne des Und Phoibos, den Herrn des Bogens. [Ruhms, Helfer ihr drei in der Not, so erscheinet doch! Habt ihr doch einst in der früheren Not aus dem Lande die 165 Unserer Leiden gescheucht. So kommt und [Flamme helfet auch jetzt uns! O wehe! Unzählige Leiden muß Ich tragen. Es krankt das ganze Land, Und es gibt keine Wehr, keine Waffe Wider das Leid, und es reifen die Früchte des Gepriesenen Landes nicht mehr, und keine Geburt will Das Seufzen, Stöhnen der kreißenden Frauen mehr enden. Und Schar auf Schar, endlosen Zugs in sausendem Fluge, Schneller als reißendes Feuer sie stürzen Zum Strand der Nacht des Todes.
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Die Zahl unsrer Toten zerstört die Stadt. Erbarmungslos liegen sie hingestreckt 180 Und tragen den Tod immer weiter. Seht: die ergrauenden Mütter, die Gattinnen Erheben im Wehegeschrei ihr Leiden, 185 Bald hier, bald da zum Altare und bitten um Hilfe. Und Heilgebet, Jammern und Stöhnen, es mischt sich Goldene Tochter des Zeus, so sende uns [zusammen. Den holden Glanz der Hilfe! 190 Des Schlachtengotts zehrende Glut, ohne Wehr und Waffen jetzt, Versengt mich, rings umjammert. Hör mein Flehen: Ach, laß ihn doch den Rücken kehren meinem Lande, Mit schnellem Wind flüchten ins 195 Meeresgemach, das große. Noch besser zum Thrakischen Strand, der feind ist allen Denn was die Nacht verschont, das wird [Schiffern.
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Niederschlagen noch der Tag. Drum du, der Flammenkraft Feuerträchtger Blitze Herr, O Vater Zeus, mit dem Donnerkeil vernicht ihn!
Apollon, Herr! Möchtest du uns entsenden dein Geschoß Von der goldnen Sehne! Keiner entgeht den Pfeilen. So sende sie zum Schutz und auch die Fackelglut, Die Artemis schwingt hoch empor Über die Lykischen Berge. 210 Auch ihn mit dem goldenen Stirnband ruft, den Herrn des Purpurner Bakchos, hell umjauchzt, [Landes! Vom Mänadenschwarm umkränzt, Er nahe flammend sich, Und er schleudre hin die Glut 215 Der Fackel auf den verhaßten Gott der Seuche! 205
Oidipus Ihr betet; was ihr betet – euch zuteil Wird Hilfe und Erlösung von dem Leiden, Falls ihr gehorsam helft, die Pest zu bannen. 220 Fremd wie ich diesem Götterausspruch bin Und fremd der Tat, käm ich auf meinem Weg Allein nicht weit, da jeder Hinweis fehlt Und ich erst Bürger ward nach Laios’ Tod. Drum wend ich mich vertrauensvoll an euch. Wer irgend unter Euch von Laios’ Tod 225 Etwas vernommen, wer ihn umgebracht, Der meld es mir. Er rede ohne Furcht, Und müßt er auch sich selbst beschuldigen. Denn ich versprech, es soll ihm nichts geschehn, Er gehe ungekränkt aus unserm Land. 230 Wer aber einen weiß, der ihn ermordet, Durch fremde – eigne Hand, der hehl es nicht! Ich will’s mit Gold belohnen und mit Gunst. Wenn aber einer etwas weiß und schweigt,
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Aus Sorg um einen Freund, aus Furcht für sich, Was dem geschieht, das hört und prägt euch ein: Den Mann verbann ich, sei’s auch, wer es sei, So weit mein Zepter reicht und meine Macht. Kein Dach soll ihn beschützen, keine Stimme Den Gruß ihm bieten; von der Götter Festen, Von Opfer und Gebet sei er geschieden; Von seiner Schwelle stoß ihn jedermann. Denn er ist’s, der das Land verpestet hat. So hat’s der Gott mit klarem Wort verkündet. Dies ist der Beistand, den ich selbst dem Gotte Und dem erschlagenen Manne leisten kann. Und so verfluch ich auch den Mörder selbst, Ob’s heimlich einer war, ob andre mit. Er halte sich versteckt, gezeichnet ist er, Elendig soll im Elend er vergehn. Und hätt ich selbst an meinem eignen Herd Ihn wissentlich empfangen und beschützt, So fall mein eigener Fluch auf mich herab. Euch aber leg ich’s brennend auf die Seele: Des Gottes Sache führt ihr und die meine Und die der Vaterstadt, der toddurchseuchten. Denn hätt der Gott auch nicht dies Werk gefordert, Ihr durftet das nicht unbereinigt lassen, Den Tod des ersten Mannes, eures Königs. Da ich nun seines Zepters Erbe bin, Sein Ehgemahl nun meine Gattin ist, Die Kinder, wär ihm nicht dies Glück versagt, Geschwister meiner eignen Kinder wären – So will für ihn ich wie für meinen Vater Den Kampf aufnehmen bis zum äußersten, Will fahnden nach dem Täter dieses Mordes An dem erlauchten Sohn des Labdakos, Dem letzten Enkel aus dem Stamm des Kadmos. Und wer sich meinem Willen widersetzt, Auf den ruf ich der Götter Fluch herab.
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Der Erde Schoß versag ihm Frucht und Brot, Den Sohn versag ihm seines Weibes Leib, Und es vernichte ihn ein Todeslos Noch grauenvoller als der Tod der Pest. Euch andern aber, Kinder ihr des Kadmos, Die ihr mir helft, mög Dike gnädig sein 275 Und alle andern Götter ewiglich. 270
Chorführer Wie mich dein Fluch gebunden, Herr, so red ich. Ich bin der Mörder nicht, noch kenn ich ihn. Der Gott hat uns zu forschen anbefohlen. Warum denn nennt er nicht den Mörder gleich? 280
Oidipus Wohl hast du recht; doch niemand kann den Göttern Abzwingen, was ihr Wille uns versagt. Chorführer Ich wüßt vielleicht noch einen andern Rat. Oidipus Und wenn du zwei noch wüßtest, nenne sie.
Chorführer Was Phoibos sieht, sieht auch Teiresias. 285 Er ist ein Fürst der Seher, wie Apoll. Von ihm erfährst du sicherlich die Spur. Oidipus Auch ich hab schon an ihn gedacht; noch mehr, Auf Kreons Bitte hab ich zweimal schon Nach ihm geschickt. Mich wundert, daß er säumt. 290
Chorführer Sonst alles ist nur leer und alt Gerede. Oidipus Gerede? Prüfen will ich jedes Wort. Chorführer Nicht Räuber, Wanderer hätten ihn erschlagen.
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Oidipus Das hört ich auch schon; aber wer bezeugt’s? Chorführer Wenn noch ein Rest von Furcht ihn zittern macht, So hält er deinen schweren Fluch nicht aus.
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Oidipus Schreckt den ein Wort, der vor der Tat nicht bebte? Chorführer Es lebt, der ihn entlarvt! Dort führen sie Den gottgeweihten Seher, dem allein Von allen Menschen Wahrheit eingeboren. Te i r e s i a s, von einem Knaben geführt, tritt auf Oidipus Alles trägst du im Sinn, Teiresias, Was offen – heimlich, Himmel – Erde birgt. An welcher Pest die Stadt erkrankt, weißt du, Auch wenn du es nicht siehst. Du bist allein Uns Schirm und Heil, mein Fürst, und niemand sonst. Apoll – vielleicht hast du’s noch nicht gehört – Tut kund durch unsern Abgesandten uns, Daß uns Erlösung dann nur kommen werde, Wenn Laios’ Mörder wir entdeckt, die Frevler Getötet oder aus dem Land gejagt. Hat dir ein Gott nun diese offenbart, Mißgönn uns nicht der Vogelstimmen Spruch, Noch wenn du es erfährst auf andere Weise. Rette dich selbst, die Stadt und rette mich Und rette alles, was vom Mord befleckt. Wir sind in deiner Hand; und helfen, wie Und wo er kann, ist Mannes schönstes Mühn. Teiresias Ach, ach! Schrecklich ist Wissen, wo’s nicht frommt Zu wissen. Dieses sah ich klar, und doch Vergaß ich’s; niemals kam ich sonst hierher.
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Oidipus Was ist? Was hast du? Was verstört dich so? Teiresias Laß mich nach Haus! Du wirst das deine leichter Und ich das meine tragen, folgst du mir. Oidipus Das ist nicht recht noch freundlich, weigerst du Der Stadt dein Wissen, die dich aufgezogen. Teiresias Ich sah ja, daß auch dir dein Wort zum Guten Nicht ausgeht; daß nun mir das nicht begegne – Er wendet sich zum Gehen Oidipus O bei den Göttern, wende dich nicht ab! Ganz Theben liegt zu deinen Füßen hier. Teiresias Ganz Theben weiß auch nichts. Ich sage dir Kein Wort mehr, denn ich müßt dein Unglück sagen. Oidipus Was? Was? Du weißt es, und du willst nicht reden, Willst uns verraten und die Stadt verderben? Teiresias Ich will nicht mich, ich will nicht dich verletzen. Du drängst umsonst; ich gebe keine Antwort. Oidipus Du Kerl! Du Kerl! – Ja einen Stein kannst du Zum Rasen bringen – willst den Mund nicht auftun, Willst ungerührt und unerbittlich bleiben? Teiresias Die Bosheit schimpfst du, meine; doch die deine, Die eigene merkst du nicht, beschimpfst nur mich. Oidipus Wer muß bei solchen Redensarten nicht Sich bosen, die das eigene Land mißachten?
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Teiresias Es kommt zu Tag, auch wenn ich ewig schweige. Oidipus Wenn’s doch kommt – gut, so kannst du’s ruhig sagen. Teiresias Kein Wort mehr! Magst du, wenn du willst, darüber Auch rasen in der wildesten Empörung. Oidipus Das will ich, ja, denn tief bin ich empört. Du bist erkannt, ich schweige nicht mehr länger: Du hast die Tat gesät und auch vollbracht, Nur nicht mit eigner Hand. Doch wärst du sehend, So sagte ich, du seist allein der Täter. Teiresias So? Wirklich? Nun so sag ich dir,Verruchter, Gedenke deines Fluchs, den du erlassen, Und sprich von dieser Stunde an nicht mehr, Zu diesen Bürgern nicht und nicht zu mir: Du bist die Pest, der Greuel dieser Stadt. Oidipus Wirfst schamlos dieses Wort mir ins Gesicht Und glaubst, du werdest meinem Zorn entrinnen? Teiresias Bin schon entronnen – durch die Kraft der Wahrheit. Oidipus Wer gab sie dir? Doch niemals deine Kunst! Teiresias Du selbst; du machtest ja den Stummen reden. Oidipus Was reden? Sag’s noch einmal, deutlicher! Teiresias Noch nicht verstanden? Soll ich mehr verraten? Oidipus Noch nicht genau verstanden. Wiederhol!
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Teiresias Der Mörder, sag ich, den du suchst, bist du! Oidipus Das sagst du nicht zum zweitenmal so ruhig! Teiresias Willst du noch mehr, um deinen Grimm zu schüren? Oidipus Soviel du willst. Es ist ja doch Geschwätz. Teiresias Du ahnst nicht, sag ich dir, daß mit den Nächsten Du greulichen Verkehr hast, blinder Tor. Oidipus Glaubst du, du kannst so ewig weiterschmähen? Teiresias So lange noch die Wahrheit ist in Kraft. Oidipus Sie ist’s, doch nicht in dir; du kennst sie nicht. Du bist auf Ohr und Hirn und Auge blind. Teiresias Du Ärmster, höhnst an mir, was bald An dir die ganze Welt wird höhnen müssen. Oidipus Du lebst in lauter Nacht; wie kannst du mich, Wie andre, die die Sonne schauen, kränken? Teiresias Dir ist ja nicht verhängt, von mir zu fallen. Apoll ist stark genug. Sein ist das Werk. Oidipus Hat Kreon das, hast du es ausgeheckt? Teiresias Kreon heißt nicht dein Leid; du selbst, du – dir! Oidipus O wie doch Reichtum, Macht und jede Leistung, Die überragt in dieser Welt voll Ehrgeiz,
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Vom Neide überall begleitet ist! Um dieses Zepter, das mir Thebens Bürger Freiwillig übertrugen, unerbeten, Stellt Kreon, er, mein alter Freund, der Treue, Mir heimlich nach und sucht mich zu entthronen; Setzt diesen Gaukler, Ränkeschmied mir an, Den Bettelpfaffen, der auf ’s Gold nur schaut, Jedoch in seiner Seherkunst ganz blind ist. Wann, sag mir, hast du jemals wahr gesagt? Als die Mißholdin ihre Rätsel sang, Sprachst etwa du der Stadt das Lösungswort? Und war ein Rätsel doch, das nicht der erste Und beste lösen konnt, nein, nur ein Seher! Da zeigt’ es sich: kein Vogel wollt dir helfen, Kein Gott. Da mußt ich kommen, Oidipus, Der Ungelernte, und ein Ende machen Allein mit meinem Kopf, mir half kein Vogel. Und nun willst du mich stürzen, weil du denkst, Der erste dann zu sein an Kreons Thron? Ihr sollt mir beide büßen, du und er Für die Art Sühnung. Wärst du nicht so alt, Dich würde Leiden lehren, was du bist. Chorführer Wer ruhig prüft, muß sagen, daß der Zorn Euch alle beide hingerissen hat. Doch wie des Gottes Sprüche wir am besten Auflösen, das allein gilt es zu sehn. Teiresias Du bist der Herr; doch hab ich Recht und Macht, Mit gleicher Münze Antwort dir zu zahlen. Ich bin dein Knecht nicht, bin der Knecht Apolls Und brauche auch den Kreon nicht zum Vormund. Du schmähtest mich, den Blinden, doch ich sag dir: Mit sehenden Augen siehst du nicht, in was Für Greul du steckst, noch wo, bei wem du hausest. Weißt du denn, wessen Sohn du bist? Unwissend
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Bist du der Feind der deinen hier wie drunten. Einst jagt aus diesem Lande dich hinweg Des Vaters und der Mutter Doppelfluch. Dein jetzt so helles Auge deckt bald Nacht. Dann hallt von jeder Meeresbucht dein Wehruf Und weckt das Echo von Kithairons Höhen, Wenn du den Unglücksport der Ehe merkst, In den du mit geschwellten Segeln lenktest. Und noch nicht siehst du dann das andre Leid, Das dich ja gleichstellt deinen eignen Kindern. So magst du Kreon und mein Seherwort Beschimpfen; denn so greulich wird kein Mensch Wie du mit Stumpf und Stiele ausgerottet. Oidipus Wie lang noch soll ich diese Frechheit tragen? Tod und Verderben dir! Heb dich hinweg! Aus meinen Augen! fort! Du stehst noch da? Teiresias Du riefst mich her, sonst wär ich nie gekommen. Oidipus Hätt ich geahnt, daß du ein Narr geworden, Ich hätte dich zu rufen mich gehütet. Teiresias So bin ich denn ein Narr in deinen Augen, Bei deinen Eltern galt ich als ein Weiser. Oidipus Bei meinen Eltern? Bleib! Wer waren sie? Teiresias Noch dieser Tag gibt dir Geburt und Grab. Oidipus Du sprichst in allzu rätselhaften Rätseln! Teiresias Und bist du nicht der Held, der Rätsel löst? Oidipus Verhöhn mich nur! Das ist doch meine Größe.
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Teiresias Die Kunst ist’s grade, die dich niederstürzt. Oidipus Erlöste ich die Stadt, so wiegt mir’s leicht. Teiresias Dann kann ich gehen. Knabe, führe mich. Oidipus Ja, geh nur, geh! Du brachtest nur Verwirrung! Wir atmen auf, wenn wir dich nicht mehr sehn. Teiresias Doch vorher höre, was mich kommen hieß. Ich fürcht dein Antlitz nicht, noch deine Rache. Ich sag dir nur: der Mörder, den du suchst, Und den du hier vor allem Volk verflucht, Der Königsmörder, er ist unter uns. Noch gilt er hier als Fremder, aber bald Enthüllt er als ein Sohn des Kadmos sich, Und nimmer wird ihn diese Wandlung freuen. Aus Sehendem macht sie ihn bald zum Blinden, Aus einem reichen Mann zum armen Bettler, Der tastend mit dem Stab die Fremde sucht. Das eigene Kind nennt Vater ihn und Bruder, Der eigenen Mutter ist er Sohn und Gatte, Des eigenen Vaters Schwieger und sein Mörder. Nun geh hinein und rate dieses Rätsel, Und wenn du findest, daß ich Lügen sprach, Dann hast du recht, und meine Kunst ist Irrsinn. Er geht ab, O i d i p u s ab in den Palast
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Chor Wer war es, den, kundig der Zukunft, Delphis Felsen meinte? 465 Geschah Unerhörtes denn nicht von blut’gen Ha! Schneller als schnellstes Roß [Mörderhänden? Soll hurtig davon zur Flucht
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Den Fuß er bewegen. Denn gewaffnet mit Brand und mit Feuerblitz 470 Springt ihn an Apollon, der Sprößling des Zeus. Und es folgen ihm grimmig, Unentrinnbar die Keren. Es flammte auf eben vom schneebedeckten Parnaßgipfel Befehl: jeder solle den unbekannten Täter jagen. Es schweift durch den wilden Wald, Durch Höhlen und Felsgestein Der flüchtige Stier jetzt. Unselig allein mit unseligem Fuß, 480 Will entweichen er dennoch dem Delphischen Spruch. Doch immer lebendig Rauschen um ihn die Flügel. 475
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Furchtbar erschreckt Mich der Prophet, Furchtbar der Mund, Welcher es weiß. Glaub ich dem Wort? Streit ich es ab? Weiß mir nicht ein, Weiß mir nicht aus. Und ich schweb Ahnungsvoll hin. Seh nicht, was ist, Seh nicht, was wird. Dennoch nie Hörte ich doch, Daß Kreons Geschlecht, Oidipus’ Haus Lagen im Streit Ehemals je Oder auch heute. Und was gibt mir den Halt, Der mir erlaubt,
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Daß ich den Ruhm, Der im Volke weit glänzt, Oidipus’ Ruhm, Angreifen darf: Rächer zu sein Für den heimlichen Tod Unseres Herrn? Aber es sind Zeus und Apoll Wissende ja Allen Geschicks. Ob ein Prophet Menschlicher Art Weiter als ich Schaut und erkennt – Dafür gibt’s Keinen Beweis. Sei es auch, daß Wissen ja oft Wissen weit, Weit übertrifft. Doch nie soll bei mir, Eh ich das Wort Lästernden Volks Richtig befand, Beifall es finden. Denn ich sah, als auf ihn Rauschenden Flugs Stürmte die Sphinx, Wie die Probe er hielt, Klug und als Freund Unserer Stadt. Nimmermehr drum Will ich klagen ihn an Ruchloser Tat.
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Kreon Ihr Bürger, ich vernahm, welch schwerer Schuld Der König mich verklagt. So eil ich her. Denn ich ertrag das nicht! Wenn er von mir Annehmen kann, daß ich in Wort und Werk Ihm schaden wollt in dieser Zeit der Not, Dann will ich keine Stunde länger leben. In diesem Ruf zu stehn! Der Vorwurf trifft Nicht einfach mich; es trifft mich in den Kern, Wenn ich Verräter an der Stadt,Verräter An dir und an den Freunden heißen werde. Chorführer Bedenk, im Zorn sprach er den Vorwurf aus, Des Herzens innere Meinung war es nicht. Kreon Doch wie nur kam er drauf, zu sagen, mir Zu dienen, hab der Seher ihm gelogen? Chorführer So war’s. Doch weiß ich nicht, wie er’s gemeint. Kreon Ward denn mit offnem Blick und klarem Sinn So schwere Klage gegen mich erhoben? Chorführer Weiß nicht. Des Herrschers Taten prüf ich nicht. Dort tritt er selbst aus dem Palast heraus.
O i d i p u s tritt wieder aus dem Palaste Oidipus Du hier? Du wagst es? Hast die freche Stirn, Dich meiner Schwelle noch zu nahn? Der du Ganz offenbar mich hast ermorden wollen 535 Und unverhohlen mir den Thron entreißen. Sag nur, um Gotteswillen, hieltst du mich Für feige oder dumm, daß du das plantest?
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Ich käm nicht hinter deine Schliche, meinst du? Und wenn, ich ließ aus Feigheit dich gewähren? Seht doch den Narren an, der sich’s getraut, Die Hand nach einer Krone auszustrecken, Die man mit Geld und Anhang nur erwirbt! Kreon Vor allem rat ich: höre erst mich an, Was ich entgegne, und dann richte mich. Oidipus Du bist ein guter Redner, ich ein schlechter Zuhörer, da ich dich als Feind erkannt. Kreon Darüber eben höre, was ich sage. Oidipus Darüber eben schweig; du bleibst ein Schuft. Kreon Wofern du meinst, ein sinnlos starrer Trotz Sei etwas Gutes, irrst du dich gewaltig. Oidipus Wofern du meinst, du könntest ungestraft Verraten deinen Schwager, irrst du auch. Kreon Darin geb ich dir nur vollkommen Recht. Doch sag mir endlich: was hab ich getan? Oidipus Hast du den Rat gegeben oder nicht, Den hochehrwürdigen Seher zu befragen? Kreon Ich wüßte jetzt noch keinen bessern Rat. Oidipus Wie lange Zeit ist’s her, daß König Laios – Kreon Was ist mit Laios? Ich versteh dich nicht. Oidipus Ermordet ward und spurlos hier verschwand?
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Kreon Seither sind viele Jahre schon vergangen. Oidipus Betrieb der Seher damals schon sein Handwerk? Kreon So weise schon und so geehrt wie heut. Oidipus Hat meinen Namen damals er genannt? Kreon 565 In meinem Beisein nicht, mit keinem Wort. Oidipus Und habt ihr nie dem Mörder nach geforscht? Kreon Wir forschten wohl, doch hat sich nichts gefunden. Oidipus Und warum sprach der Kundige damals nicht? Kreon Ich weiß es nicht, und also schweig ich lieber. Oidipus 570 Jedoch von dir weißt du und wirst es sagen. Kreon Was meinst du? Weiß ich’s, werd ich’s nicht verhehlen. Oidipus Daß niemals dieser Seher mich beschuldigt, Stünd er im Bunde nicht mit dir: das mein ich! Kreon Ob er das tut, mußt du ja wissen. Jetzt 575 Laß ebenso mich fragen, wie du fragtest. Oidipus Frag! Frage nur! Mich machst du nicht zum Mörder! Kreon Sag mir, hast du zum Weib nicht meine Schwester? Oidipus Das kann ich allerdings nicht leugnen. Weiter!
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Kreon Mit ihr teilst du die Herrschermacht im Lande? Oidipus Was sie auch wünscht, wird ihr von mir gewährt. Kreon Und bin ich nicht in eurem Bund der dritte? Oidipus Um so verruchter zeigt sich dein Verrat! Kreon Nein! Überlegtest du nur so wie ich! Denn wer, zum ersten, glaubst du, würde lieber In ständiger Furcht die Königsherrschaft führen, Der bei der gleichen Macht kann ruhig schlafen? Mir liegt ein solch Gelüsten wahrlich nicht, König zu sein – schalt ich doch wie ein König. Und auch kein andrer will das, der Vernunft hat. Jetzt hab ich alles ohne Furcht durch dich, Als Fürst müßt oft ich wider Neigung handeln. Wie sollte mir die Königswürde lieber Als Macht und Einfluß ohne Sorge sein? Noch bin ich so verblendet nicht, zu wünschen Mir anderes als ehrenvollen Nutzen. Jetzt bin ich jedem Freund, ein jeder grüßt mich, Ein jeder ruft mich an, der dir sich naht, Weil ich dem Wunsch Gewährung kann verschaffen. Das sollte ich verschmähn um einen Titel? Glaub, kein verständiger Sinn kehrt sich zum Bösen. Ich habe zu solcher Denkart nie geneigt, Und niemand könnte mich dazu verführen. Schau selber nach, geh hin nach Delphi, frag, Ob ich des Gottes Spruch nicht treu gemeldet, Und merkst du, daß ich mit dem Zeichendeuter Verrat gesponnen, dann kannst du mich richten, Dann stimm ich selber deinem Urteil bei. Nur richte nicht auf bloßen Argwohn hin!
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Denn Unrecht ist es, ohne jeden Grund Den Guten bös, den Bösen gut zu nennen. Wer einen Freund, der’s redlich meint, verstößt, Der nimmt sich selbst sein bestes Gut, das Leben. Die Zeit wird’s dich noch lehren, glaube mir. Denn nur die Zeit allein bewährt den Edlen, 615 Den Schlechten kennst du schon nach einem Tag! Chorführer Er warnte dich mit klugem Wort, o König. Wer allzu rasch ist, der kommt leicht zu Fall. Oidipus Wenn Feindeslist mir rasch und tückisch naht, Muß ich zur Abwehr rasch entschlossen sein. 620 Doch bleib ich ruhig, bald ist dann sein Spiel Gewonnen, meines aber schnell verloren. Kreon Was willst du also? Willst du mich verbannen? Oidipus Verbannen? Nein! Nein, sterben sollst du mir! Kreon Erst zeige mir, worin mein Haß besteht. Oidipus 625 Du trotzest noch? Glaubst wohl, ich scherze bloß? Kreon Du bist ja nicht gescheit! Oidipus Für mich genug! Kreon So sei es auch für mich! Oidipus Für den Verräter? Kreon Doch wenn das Unsinn ist? Oidipus Dennoch gehorche! 610
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Kreon Auch schlechtem Herren? Nie! Oidipus Der Staat! Der Staat! Kreon Auch mir ist Teil am Staat, nicht dir allein! Chorführer Ihr Fürsten, haltet ein! Zur rechten Zeit Seh ich Iokaste aus dem Hause treten. O leget euren Streit in ihre Hand! I o k a s t e tritt aus dem Palast, begleitet von zwei Dienerinnen Iokaste Unselige! In welch sinnlosem Hader Find ich euch. Schämt euch doch, des Landes Not Mit euern eigenen Händeln noch zu mehren. Mein Gatte, komm! Du Kreon, geh nach Haus, Macht nicht ein Nichts zur allgemeinen Not! Kreon O Schwester, weißt du, was mir Schreckliches Dein Gatte sinnt? Verbannung oder Tod. Nur zwischen diesen beiden schwankt er noch. Oidipus So ist’s. Denn eines ruchlos listigen Anschlags Gegen mein Leben ist er überführt. Kreon Ich sei verflucht mit jedem bösen Unheil, Wenn ich nur etwas gegen dich gefehlt! Iokaste O bei den Göttern, glaub ihm, Oidipus! Laß seinen heiligen Schwur dir Bürge sein, Bürgen auch mich und diese Männer hier. Chorführer Ich bitte dich: hab Vernunft, Folge ihm, gib doch nach!
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Oidipus Was willst du, daß ich tuen soll? Chorführer Der niemals je töricht war, Schweren Eid schwur er jetzt. So acht ihn auch! Oidipus Und weißt du, was du willst? Chorführer Jawohl. Oidipus So sag’s! Chorführer Den un schuldgen Freund, der hoch sich verschwor, Ihn wirf grundlos nicht in solch schwere Schmach! Oidipus Weißt du, daß dies nichts andres fordern heißt, Als mich verbannen oder aber töten? Chorführer O Sonne, aller Götter erster Gott! So ganz ohne Freund, so ganz ohne Gott Will gehn ich zum Tod, wenn dies je mein Sinn. Unheilvoll geht mein Land mir zu Grund. Das Herz frißt es mir wenn zum alten Leide noch Kommt dieses neue Leid, das ihr euch tut. Oidipus So soll er gehn! Wär’s auch mein eigener Tod, Und stieße man mich ehrlos aus dem Land. Ihr habt mit euren Bitten mich gerührt, Nicht seine Worte. Dir bleibt doch mein Haß. Kreon Du gibst im Zorne nach. Doch ist der Zorn Verraucht, bereust du. Solche Menschen leben Sich selber nur zur Last, und so ist’s Recht.
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Oidipus Hör auf und fort mit dir! Kreon Ich gehe schon, Von dir verkannt; doch Theben kennt mich gut. K r e o n ab Chorführer zu I o k a s t e O Herrin, was säumst du noch? Gehst du nicht heim ins Haus? Iokaste Erst will ich wissen, was geschah! Chorführer Ein böser Arg wohn stieg auf. Quält uns doch unverdienter Vorwurf schwer. Iokaste Von ihnen beiden? Chorführer Ja. Iokaste Was war es denn? Chorführer Genug Leid, genug lastet auf dem Land. Laß ruhn, laß es ruhn und laß das doch sein. Oidipus Seht ihr, das kommt heraus bei eurer Weisheit: Mich gebt ihr preis, und lau wird euer Eifer. Chorführer O Herr! Wie oft beteuerte ich schon, Ich wär wahnsinntoll und bar jeden Sinns, Wenn dich, dich ich ließ im Stich, ja im Stich, Der mein Land, liebes Land, aus dem Strudel, Der’s verschlang, aufgerichtet, heimgesteuert. So sei auch jetzt der rechte Lenker!
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Iokaste So sag auch mir, bei allen Göttern, endlich: Was brachte gegen Kreon dich in Zorn? Oidipus So höre, denn du giltst mir mehr als diese, Was Kreon wider mich ersonnen hat. Iokaste Sprich, wenn du wirklich ihn bezichtigen willst. Oidipus Des Laios Mörder wagt er mich zu nennen. Iokaste Aus eigener oder fremder Wissenschaft? Oidipus Den alten Gaukler schiebt er vor, den Seher. Wohlweislich hütet er die eigene Zunge. Iokaste Den Seher? Dann laß deine Sorge fahren, Und laß dir sagen, daß noch nie ein Mensch Je Seherkunst besessen hat. Dafür Bring ich dir den Beweis. Demselben Laios Ward einst geweissagt, nicht von Phoibos selbst, Das sag ich nicht, doch von des Phoibos Priestern, Ihm sei bestimmt, durch seinen eigenen Sohn, Den ich ihm schenken würde, einst zu fallen. Nun haben Laios, wie ein jeder weiß, An einem Kreuzweg Räuber umgebracht. Das Kind jedoch ward, kaum drei Tage alt, In einem Waldgebirg durch Sklavenhand, Gebunden an den Füßen, ausgesetzt. Und also hat Apoll es nicht erreicht, Daß es zum Vatermörder, noch daß Laios, Wie er gebangt, des Sohnes Opfer wurde. Laß doch solch Zeug, verhängt uns durch Orakel! Wenn Gott uns nützen will, so ist’s ein Leichtes Für ihn, es selber uns zu offenbaren.
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Oidipus Wie wird mir plötzlich, Weib, bei deinem Wort? Mir stockt das Herz, mein Sinn verwirrt sich schwer. Iokaste Welch neue Sorge überfällt dich wieder? Oidipus An einem Kreuzweg, sagtest du nicht so, War es, daß Laios erschlagen wurde? Iokaste So hieß es damals, heißt es heute noch. Oidipus Wie heißt der Ort, an dem die Tat geschah? Iokaste Das Land heißt Phokis, und es kreuzt sich dort Der Weg von Delphi und von Daulia. Oidipus Und wieviel Jahre sind seitdem vergangen? Iokaste Kurz, ehe du den Thron bestiegst von Theben, Ward uns die Schreckensnachricht zugebracht. Oidipus O Zeus, was hast du über mich verhängt! Iokaste Was ist geschehen? Was erregt dich so? Oidipus Frag mich noch nicht! Sprich, wie sah Laios aus? Wie war sein Wuchs? In welchem Alter stand er? Iokaste Groß war er, eben bleichte ihm das Haar, An Wuchs und Aussehn glich er ziemlich dir. Oidipus Weh mir! So hätte ich soeben furchtbar Mich selbst verflucht und wußte es doch nicht! Iokaste Was sagst du? Kaum wag ich dich anzusehn!
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Oidipus Mir schwant, mir schwant, der Seher war nicht blind! Sag eines noch, dann wird sich alles klären. Iokaste Mich bangt. Doch frage nur. Ich werde reden. 750
Oidipus Wie groß war sein Gefolge? War es klein? Ging er als Fürst von großem Troß umgeben? Iokaste Im ganzen fünf, ein Herold war darunter. Im einzigen Wagen fuhr der König selbst.
Oidipus Ah! Klar ist alles! Allzu klar! Doch sprich, 755 Wer war’s, von dem ihr diese Kunde habt? Iokaste Ein Diener, der allein sich retten konnte. Oidipus Ist dieser Diener noch im Hause hier? Iokaste Nicht mehr. Denn als er heim kam und die Herrschaft In deinen Händen sah und Laios tot war, 760 Fiel auf die Kniee er vor mir und bat mich, Als Hirt ihn wegzuschicken auf das Land, Daß er die Stadt nicht mehr zu sehen brauche. Ich ließ ihn gehn, ich hätte gern noch mehr Für ihn getan, war er auch nur ein Sklave. Oidipus 765 So laß ihn holen und so schnell wie möglich! Iokaste Er kommt. Doch sprich, wozu verlangst du ihn? Oidipus Ich fürchte nur, ich hörte schon zuviel Von dem, weswegen ich ihn kommen lasse.
König Oidipus 201
Iokaste So soll er kommen! Doch auch ich bin wert, Daß ich erfahre, was dich so erschreckt. Oidipus Du sollst es auch; ja, da vor solcher Aussicht Ich bangend steh, wer wäre mir wohl näher, Daß er von mir erführ mein seltsam Schicksal? Mein Vater, Herr Korinths, war Polybos, Aus Doris meine Mutter, Merope, Und als des Throns erklärter Erbe galt ich, Bis mich ein Zufall traf, sehr seltsam zwar, Doch nicht des Eifers wert, der mich ergriff. Beim Gastmahl höhnte mich ein trunkener Mann, Ich sei nicht meines Vaters echter Sohn. Mühsam beherrschte ich mich jenen Tag. Am andern aber trat ich vor die Eltern Und fragte sie. Die zürnten drauf gewaltig Dem Trunkenen, dem das Wort entfahren war. Dies freute mich; und dennoch ließ es länger Mir keine Ruh; es sprach sich weit herum. So ging ich heimlich denn von Hause weg, Und zog nach Delphi. Doch der Gott gab Antwort Auf meine Frage nicht, verkündet’ aber Mir anderes Unheil, furchtbar, grauenhaft: Mir sei bestimmt, zu zeugen mit der Mutter Mir ein Geschlecht, für Menschen unerträglich, Und meines Vaters Mörder würd ich sein. So sprach der Gott, ich aber floh Korinth, Nur an den Sternen seine Lage messend, Damit ich niemals dort erleben müßte, Wie sich der Seherspruch erfüllen würde. So kam ich wandernd denn zu jenem Ort, Wo Laios, wie du sagst, erschlagen ward. Und nun sag ich die volle Wahrheit, Weib. Als ich an jenen Kreuzweg wandernd kam,
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Begegnet’ mir ein Herold, hinter ihm Auf einem Wagen sitzend kam ein Greis, Wie du ihn schilderst. Aus dem Wege drängen Der Lenker und der Greis mich mit Gewalt, Und auf den Lenker schlug im Zorn ich los. Der Alte sieht es, wartet ab, bis ich Vorbei am Wagen geh, da schlägt er mir Mit seiner Peitsche mitten über’n Kopf. Das muß er doppelt büßen. Denn im Nu Trifft ihn aus meiner Hand der Wanderstab, So daß er rücklings aus dem Wagen rollt. Darauf erschlug ich alle. – Hatte jener Nun einen Tropfen Blut von Laios nur, Wo lebte dann ein Mensch, so unglückselig, So gottverhaßt wie ich in aller Welt? Kein Fremder und kein Bürger darf ja doch Mir Obdach geben, niemand darf mich sprechen; Ein jeder muß mich von der Schwelle stoßen. Und ich bin’s selbst, der so mich hat verflucht! Ha! Dieser Arm, der ihn gemordet, schändet Das Bett des Toten! Wie bin ich verrucht, Mit Fluch beladen, wenn ich flüchten muß! Und darf doch zu den Meinen nicht, darf nicht Die Heimat sehen! Denn dort droht mir ja, Daß ich der Mutter Ehebett besteige Und morde meinen Vater Polybos. Wenn einer eines bösen Dämons Hand Hier wirken sähe, hätte der nicht recht? Nein, nein! Du heilig reine Göttermacht, Laß nimmer diesen Unglückstag mich schauen, Laß lieber spurlos vorher mich vergehn, Eh daß ich dieses Fluches Schandmal trage!
Chorführer Wir zittern mit dir, Herr. Doch noch ist Hoffnung. 835 Erst hör den Zeugen, ehe du verzweifelst.
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Oidipus Ich will ihn hören, ja, ich muß ihn hören. In seinem Wort liegt meine letzte Hoffnung. Iokaste Welch eine Hoffnung setzest du auf ihn? Oidipus Wenn dieser Mann dein Wort bestätigen kann, Dann, Frau, dann war ich’s nicht und bin gerettet. Iokaste Was hab ich denn so Wichtiges gesagt? Oidipus Du sagtest, jener habe dir gemeldet, Daß Räuber ihn erschlugen, mehrere. Bleibt er bei dieser Zahl, dann war ich’s nicht, Denn einer kann nicht eine ganze Schar sein. Doch spricht er nur von einem einzigen Mann, Dann wälzt des Laios Mord sich mir aufs Haupt. Iokaste Geheißen hat es so.Verlaß dich drauf! Er kann sein eigen Wort nicht widerrufen. Nicht ich allein, die ganze Stadt war Zeuge. Und geht er auch davon ein wenig ab, So war doch nie der Mord an Laios Richtig geweissagt. Kündet’ doch Apoll, Er sterbe durch des eigenen Sohnes Hand. Und doch hat niemals ihn das arme Kind Erschlagen können, denn es starb schon vor ihm! Drum wend ich an Orakelsprüche fürder Kein Auge mehr nach rechts noch auch nach links. Oidipus Du hast ganz recht; doch laß den Hirten mir Sofort herholen, unterlaß es nicht. Iokaste So schnell wie möglich. Doch nun komm ins Haus. Ich tu ja alles nur nach deinem Wunsch. O i d i p u s und I o k a s t e ab in den Palast
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König Oidipus
Chor Vergönnte doch mir das Schicksal, fromme Reinheit zu bewahren jederzeit 865 In Worten und in Werken, dem Gesetz gehorsam. Über der Welt wandelt es hoch Dahin. Im Himmelsäther ist’s entsprungen, Des himmlischen Vaters Kind, Nicht sterblicher Menschen Saat. 870 Und nimmer wird Vergessenheit müde es ein schläfern. Denn groß ist Gott ja in ihm und nie alternd. Vermessenheit zeugt Tyrannen. Sinnlos übernimmt Vermessenheit sich stets 875 An allem, was sich nicht gebührt und fruchtet. Hoch auf den Grat strebt sie hinauf, Um jählings abzustürzen in den Abgrund, Wo keinerlei Halt der Fuß Mehr findet. Indes den Streit 880 Zum Heil der Stadt, den edelen, nie möge ihn Gott lähmen! Wie auch ich nicht lasse von Gott, dem Schirm herren. Aber wer die Bahn des Bösen geht in Worten und im Werk Und scheut nicht das Recht und fürchtet nicht der Götter heilgen Sitz, Den greifet ein schlimmes Schicksal, seines frevlen Trotzes Wenn er nicht rechtlich redlichen Gewinn sucht, [Lohn, 890 Sich nicht der bösen Tat enthält Und frech mit eitlem Sinn am Heiligen rüttelt. Und prahlt er noch: sicher sei vor Gottes Pfeil 895 Seine Brust – was hilft es ihm? Wenn aber solches böse Tun Was soll ich noch tanzen? [man preist und ehrt, 885
Nie mehr zeuch ich frommer Waller dann zu Delphis Nabelstein, 900 Und nicht zu Apollons Tempel und auch nicht nach Olympia,
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Wenn nicht es zu Tage kommt, daß jeder es mit Händen greift. Nein, starker Zeus, Allherrscher, wenn du Ohren Zu hören hast, so darf dir das, Darf deiner Allmacht nicht entgehen! 905 Es schwindet schon Götterspruch dahin, und schon Macht man ihn zu schanden. Nirgends strahlt Apollons Dahin ist die Gottheit. [Ehrenglanz mehr klar und rein. 910
I o k a s t e, begleitet von ihren Dienerinnen, tritt aus dem Palast, mit Zweigen und Opfergaben in der Hand Iokaste Ehrwürdige Häupter dieser Stadt, mit Zweigen Und Räucherwerk seht ihr mich nahn, der Götter Hochheilige Tempel flehend anzugehn. Denn furchtbar ringt des Oidipus Gemüt Mit mannigfachen Sorgen. Nicht wie sonst Mißt er das Neue am Vergangenen, Nein, hört auf jedes Wort, das bange macht. Ermahnung fruchtet nichts, ich sprach umsonst. Zu dir, Apollon, denn du bist der Nächste, Komm flehend ich mit diesen Gaben. Heiland, Gib eine gute Lösung unsrer Not! Denn alle lähmt uns bange Angst, nun er, Der Steuermann des Schiffs, in Furcht verzagt. Ein B o t e tritt auf Bote Ihr guten Männer, kann ich wohl von euch Erfahren, wo das Haus des Königs steht? Am liebsten, wenn ihr’s wißt, wo ist er selbst? Chorführer Dies ist sein Haus, Freund; drinnen triffst du ihn. Doch hier – sein Weib und Mutter seiner Kinder.
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Bote Sie möge glücklich leben allezeit, Und Glück umgebe sie, die hohe Frau! Iokaste Das Gleiche wünsch ich dir, der du so freundlich Mich grüßest, Fremder. Sag, was führt dich her? Was bringst du uns? Was hast du zu berichten? Bote Nur Gutes für dein Haus und deinen Gatten. Iokaste Was für ein Gutes? Wer hat dich geschickt? Bote Ich komme von Korinth und bringe Freude; Vielleicht auch Leid. Wie könnt es anders sein? Iokaste Was ist’s, das Freud und Leid zusammen bringt? Bote Zu ihrem Herrscher wollen sie ihn machen Im Land am Isthmos – also sagt man dort. Iokaste Wie? Herrscht nicht mehr der alte Polybos? Bote Nicht mehr. Der Tod hat ihn ins Grab geschickt. Iokaste Was sagst du, Fremder? Polybos ist tot? Bote Ich selbst will tot sein, wenn’s nicht wahr ist, Herrin. Iokaste zu einer ihrer Dienerinnen Mädchen, sofort hinein und sag’s dem König So schnell wie möglich! O, ihr Göttersprüche, Wo seid ihr? Den floh Oidipus aus Angst, Den Mann, daß er ihn töten könnt. Und nun Stirbt der im Bett, doch nicht von seiner Hand. O i d i p u s tritt aus dem Palast
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Oidipus Mein Weib, Iokaste, sprich, geliebtes Haupt, Was läßt du mich aus meinem Hause rufen? Iokaste Hör dieses Mannes Botschaft an, schau zu, Wohin sie sind, die hehren Sehersprüche! Oidipus Wer ist der Mann, was hat er mir zu sagen? Iokaste Er meldet dir aus deiner Vaterstadt: Dein Vater Polybos ist tot, dahin. Oidipus Was sagst du, Fremder? Rede selbst! Ist’s wahr? Bote Ja, wenn du dies zuerst vernehmen willst. Ja, Polybos ist tot; das ist gewiß. Oidipus An einer Krankheit? Oder durch Gewalt? Bote Leis sinkt die Waage – und ein Greis schläft ein. Oidipus So hat ihn eine Krankheit weggerafft? Bote Und auch sein hohes Alter, ganz natürlich. Oidipus Oh, oh! Wie sollte jemand jetzt noch schauen Nach Delphis Tempel oder auch zum Himmel Nach Vogelkreischen. War’s nicht deren Wille: Erschlagen sollt ich meinen Vater? Tot Ruht der nun unterm Rasen; ich, ich hier Rührte kein Schwert an. Starb er nicht aus Sehnsucht Nach mir – dann starb er freilich doch von mir. Nein, nein! Den Fluch hat er ins Grab genommen. Nun ruht er dort verweht und ganz verwest.
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Iokaste Hab ich dir das nicht längst vorausgesagt? Oidipus Du hast. Ich aber war vor Angst halb irr. Iokaste Nun denke nie an diese Dinge mehr. Oidipus Und doch droht noch der Mutter Ehebett. Iokaste Was hat der Mensch zu fürchten? Heißt sein Herr Nicht Zufall? Wozu sich vorausbedenken? Leben, wie’s geht! Leben, so gut man kann! Laß doch die Angst vorm Ehebett der Mutter. Es haben viele Menschen schon im Traum Der Mutter beigelegen. Solche Dinge Blas in den Wind – und leicht wird dir das Leben. Oidipus Das alles wäre schön und gut, wenn nicht Die Mutter mir noch lebte. Aber so Bleibt meine Furcht bestehn trotz deiner Worte. Iokaste Ein großes Licht ist doch des Vaters Tod. Oidipus Doch meiner Mutter Leben – große Sorge! Bote Vor welcher Frau bist du so sehr in Sorge? Oidipus Vor Merope, der Frau des Polybos. Bote Was hast du denn von ihr zu fürchten, Herr? Oidipus Ein Götterwort, unheimlich, lieber Freund! Bote Ist’s ein Geheimnis, oder darf ich’s wissen?
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Oidipus Du darfst. Geweissagt hat mir einst Apoll, Ich müsse meiner Mutter mich vermählen Und meines eigenen Vaters Blut vergießen. Drum floh ich aus Korinth vor langer Zeit. Es war zu meinem Heil, o ja! und doch –, Was ist denn teurer als der Eltern Antlitz? Bote Deswegen also bist du fern geblieben? Oidipus Um meines Vaters Mörder nicht zu werden. Bote Ach, Herr, weshalb hab ich von dieser Angst Dich nicht befreit? Ich will dir ja nur wohl. Oidipus Und reicher Dank ist dir dafür gewiß. Bote Ich muß gestehn, die Hoffnung hegt ich auch, Daß du mir in Korinth gewogen wärest. Oidipus Nein, niemals kehr ich heim zu meinen Eltern. Bote O Sohn, du weißt, scheint’s, gar nicht, was du tust. Oidipus Was meinst du damit, Freund? Belehre mich. Bote Wenn du die Heimat deshalb meiden willst! Oidipus Ich fürchte, daß sich Phoibos’ Spruch erfüllt. Bote Daß du an deinen Eltern dich befleckst? Oidipus Ja, eben dies ist meine stete Angst. Bote So wisse denn, du zitterst ohne Grund!
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Oidipus Wieso? Solang dies meine Eltern sind. Bote Du bist nicht aus dem Stamm des Polybos! Oidipus Was sagst du? Polybos ist nicht mein Vater? Bote So wenig als ich selbst dein Vater bin. Oidipus Wie wär der Vater dem gleich, der mir nichts ist? Bote 1020 Er hat so wenig dich gezeugt als ich. Oidipus Weswegen hieß ich aber denn sein Sohn? Bote Aus meinen Händen nahm er als Geschenk dich. Oidipus Ein fremdes Kind hätt er so warm geliebt? Bote Die Kinderlosigkeit bracht ihn dazu. Oidipus 1025 Du aber hattest mich gekauft, gezeugt? Bote Ich fand in einer Schlucht dich im Kithairon. Oidipus Wie kamst denn du in diese öde Gegend? Bote Ich hütete die Herden im Gebirge. Oidipus Du wandertest als Hirt, als Tagelöhner? Bote 1030 Dein Lebensretter ward ich damals, Kind. Oidipus Aus welcher Not befreite mich dein Arm? 1015
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Bote Das sagen dir die Knöchel deiner Füße. I o k a s t e wendet sich in jähem Schreck dem Boten zu Oidipus Wie kommst du nur auf diesen alten Makel? Bote Die Fessel vom durchbohrten Fuße löst ich. Oidipus Dies Schandmal trag ich von der Wiege an. Bote Deswegen heißest du ja Oidipus. Oidipus Wer hieß mich so? Sprich! Vater oder Mutter? Bote Weiß nicht; der dich mir gab, wird’s besser wissen. Oidipus So fandest du mich nicht? Es war ein andrer? Bote Ja, Herr, ein anderer Hirte gab dich mir. Oidipus Wer ist es? Kannst du seinen Namen nennen? Bote Es war ein Knecht des Laios, wenn mir’s recht ist. Oidipus Des Laios, der hier einst König war? Bote Jawohl, in dessen Diensten stand der Knecht. Oidipus Und lebt er noch, daß man ihn sehen kann? Bote Das wissen hier die Bürger wohl am besten! Oidipus O saget mir, ist einer unter euch, Der jenen Hirten kennt, von dem er spricht?
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Hat einer ihn gesehn, hier oder draußen? So sagt es mir, denn ihn gilt’s jetzt zu finden. Chorführer Ich glaub, es ist derselbe Mann vom Land, Nach dem du vorhin schon verlangt hast, Herr! Am besten aber weiß es wohl dein Weib. Oidipus Was glaubst du, Königin, ist es derselbe, Den dieser meint und den wir herbestellt? Iokaste, die mit allen Zeichen innerer Erregtheit der Entwicklung gefolgt ist Wie? Wen er meinte? Laß das! Das Gerede Schlag aus dem Kopf! Ist alles nur Geschwätz. Oidipus Weib, wenn mir Zeichen werden, wer ich bin? Fern sei’s von mir, daß ich sie nicht enthülle! Iokaste Nein, nein, bei Gott! Ist dir dein Leben lieb, Laß das Gefrage! Quäle mich nicht weiter! Oidipus Nur keine Angst! Dir fällt nichts aus der Krone, Bin ich auch Sohn und Enkelsohn von Knechten. Iokaste Und dennoch fleh ich, folg mir, frag nicht weiter! Oidipus Ich ruhe nicht, bevor ich Klarheit habe. Iokaste Ich will ja nur dein Bestes, folge mir! Oidipus Dies Beste grade quält mich lange schon. Iokaste O daß du nie erführest, wer du bist! Oidipus Man rufe mir den Hirten! Rasch! Sie mag Indes sich ihres edlen Blutes freuen.
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Iokaste Weh dir, Unseliger! Dies eine Wort noch Hörst du von meinen Lippen und nun nichts mehr! Sie stürzt in den Palast Chorführer O König, sprich, was jagte deine Gattin In wilder Angst von dannen? Herr, ich fürchte, Aus diesem Schweigen bricht ein schweres Unheil. Oidipus Soll brechen, was da will! Doch meine Herkunft, Und sei sie noch so niedrig, will ich wissen. Indes sie – denn sie ist ein Weib und eitel – Schämt sich vielleicht des unvornehmen Mannes. Ich aber heiße mich des Glückes Sohn, Des guten Glücks; das macht mir keine Schande. Denn dies ist meine Mutter. Meine Brüder, Die Monde, steigen – sinken grad wie ich. So ist mein Wuchs, und mir entflieh ich nicht; Derselbe, weiß ich nie auch, wie ich heiße.
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Chor Gab mir ein Gott Seherkraft und Einsicht meinem Menschensinn, Dann, beim Olympos, erfährst du, o Kithairon, Morgen bei des Vollmonds Schein, 1090 Wie dich ehret überaus Oidipus als sein Heimatland, Auch als Amme und als Mutter; Und wie wir im Tanz dich feiern, weil du so Holdes Meinem Herrscherhause. [bescheret 1095 O Heiland und Helfer, sei’s auch dir genehm, Phoibos! Wer doch, mein Sohn, wer gebar dich von der ewigen Nymphen Schar? Eine, die Pan, dem Gebieter der Berge, bräutlich nahte, 1100 Oder die das Lager teilt’
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König Oidipus
Mit Apoll, dem Freund der Fluren und Herden allzumal? Oder schenkt’ dich eine Nymphe 1105 Blanken Augs dem Gotte Bakchos, der im Gebirge ja Ahnungslos empfänget [hauset? Der Gott das Geschenk, der mit den Mädchen oft koste.
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Der H i r t wird von Dienern herbeigeführt Oidipus Irr ich mich nicht, so kommt uns dort der Mann, Den wir erwarten. Zwar ich kenn ihn nicht, Doch stimmt sein Alter ganz zu dem Bericht, Und meine Diener sind’s, so scheint es mir, Die ihn begleiten. Doch du weißt es besser Als ich, du hast ihn früher schon gesehn. Chorführer Ich kenn ihn, Herr, er ist es, sei gewiß, Des Laios treuster Knecht vor allen andern. Oidipus So frag ich dich zuerst, Freund aus Korinth: Hast du den Mann gemeint? Bote Ja, diesen da. Oidipus zum H i r t e n So sieh mich an, mein Freund, und gib Bescheid Auf meine Fragen. Warst du Laios’ Knecht? Hirte Ja, Herr, gekauft nicht, doch im Haus gezogen. Oidipus Was hattest du in seinem Dienst zu tun? Hirte Die Herden hab ich meistens ihm gehütet. Oidipus In welcher Gegend pflegtest du zu weiden? Hirte Auf dem Kithairon oder in der Nähe.
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Oidipus So kennst du wohl von damals diesen Mann? Hirte Von damals? Herr, wie meinst du das? Und wen? Oidipus auf den Boten deutend Hier den da! Oder trafst du sonst ihn schon? Hirte Nicht, daß ich mich so schnell erinnern könnte. Bote Kein Wunder, Herr, doch bring ich ihn schon drauf. Ich weiß genau, er muß sich noch erinnern, Wie wir einst auf den Plätzen im Kithairon, Er mit zwei Herden, ich mit einer nur, Drei Sommer durch vom Frühling bis zum Herbst In guter Nachbarschaft verkehrt, bis dann Bei Winteranfang wir uns trennten, ich Das Vieh in meine Hürde trieb und er Zu Laios’ Ställen in die Ebene zog. Zu dem Hirten Nun, hab ich wahr gesprochen oder nicht? Hirte Lang ist es her, jedoch du sprichst die Wahrheit. Bote Und weißt du noch, wie du ein Kind mir brachtest, Damit ich’s als mein eigenes mir aufzog? Hirte Was soll das? Warum fragst du mich danach? Bote Das Kind von damals, guter Freund, steht hier. Hirte Daß du ersticktest! Halte deinen Mund! Oidipus Halt da! Laß diesen mir in Frieden, Alter! Wenn einer Schelte hier verdient, bist du’s!
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Hirte Was hab ich denn verbrochen, bester Herr? Oidipus Daß du das Kind verleugnest, das er meint. Hirte Er schwatzt nur dummes Zeug, woran nichts ist. Oidipus Wenn du nicht Rede stehst, so zwing ich dich! Hirte O Herr! Mißhandle nicht mich alten Mann! Oidipus zu seinen Begleitern Die Hände auf den Rücken ihm gebunden! Hirte Weh mir, wofür? Was willst du wissen, Herr? Oidipus Ob du das Kind ihm gabst, nach dem er fragt? Hirte O wär ich damals besser doch gestorben! Oidipus Das trifft dich heute noch, wenn du nicht redest. Hirte Es trifft mich mehr noch, wenn ich reden muß. Oidipus Laß deine Winkelzüge, Mann! Gesteh! Hirte Ich hab’s ja schon gesagt, ich gab es ihm. Oidipus Doch woher hattest du’s? Gehört’ es dir? Hirte Nein, mir gehört’ es nicht; man gab es mir. Oidipus Aus wessen Hand, aus wessen Hause, sprich! Hirte O bei den Göttern, frag nicht weiter, Herr!
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Oidipus Du bist des Todes, muß ich nochmals fragen! Hirte Nun denn: in Laios’ Haus war es geboren. Oidipus War’s ihm verwandt, war es von einem Sklaven? Hirte Weh, jetzt muß ich das Grauenhafte sagen! Oidipus Und ich es hören, doch ich muß es hören! Hirte Es sei ein Kind des Laios, sagte man. Am besten sagt’s die drinnen, deine Frau. Oidipus Hat sie das Kind dir übergeben? Hirte Ja. Oidipus In welcher Absicht? Hirte Daß ich’s töten sollte. Oidipus Die eigene Mutter? Hirte Ein Orakel fürchtend. Oidipus Welches? Hirte Den eignen Vater werd es töten. Oidipus Doch warum gabst du es dem Alten hier? Hirte Aus Mitleid, Herr. Ich dacht, er nehm es mit Ins fremde Land, woher er kam. Nun hat er
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Gerettet es zum Fluch. Denn wenn du bist Der, den er meint – bist du ein Unglücksmann. Oidipus Weh mir, es ist erfüllt! Klar, klar ist alles! Dich Himmelslicht seh ich zum letzten Mal! Mich zeugte, der’s nicht durfte, mich umarmte, 1185 Die’s nicht gedurft, ich schlug, den ich nicht sollte! Er eilt in den Palast, gefolgt von seinen Dienern; B o t e und H i r t e ab 1180
Chor Weh! Menschengeschlechter ihr! Ach, wie muß ich so ganz für nichts Euer Leben doch achten! Wer, wer von den Menschen trägt 1190 Mehr Glückseligkeit denn davon, Als so viel ihm ein Wahn gewährt, Wahn, der bald dann versunken? Wer dein Beispiel vor Augen hat Und dein schrecklich Verhängnis, deins, 1195 Armer Oidipus, nie mehr preist Der Menschengeschicke. Er, er über alles Maß Traf ja zielend dem Glück ins Herz, War in allem der Herr des Segens. Krumm klauiges Mädchentier, 1200 Rätselsängerin trieb er fort. Zeus, und vor alle Tode stand Wie ein Turm er dem Lande. Seitdem heißest du König und Warst auch herrlich geehrt im Land, Herrschtest als der Thebanerstadt Groß mächtiger König. 1205
Doch jetzt! Von wem kann man hören größer Leid? Wer wohnt tief so in Schuld und in wilder Not,
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In jähem Wechsel seines Glücks? O weh! Edles Haupt des Oidipus, Daß im selben Port, der als Sohn dich barg, Dir als Vater ehelich dann gefiel zu ruhn! Wie denn nur, wie nur konnte dich Deines Erzeugers Saatgefild Schweigend so lang, Ärmster, dich ertragen? Nur ungern deckt auf, die alles sieht, die Zeit Die Ehe, die Nichtehe, längst verdammt, Wo Zeuger und Erzeugter eins. O weh! Sprosse du des Laios, Hätt ich, hätt ich dich doch nie gesehn! Jammern muß ich, jammern im Übermaß des Leids. Aber es bleibt mir doch bestehn: Atmete auf mein Herz, warst du’s! Schlummert ich ein, du nur bist’s gewesen. Ein D i e n e r kommt aus dem Palast gestürzt Diener Ihr hohen Häupter Thebens, wenn ihr noch Ein Herz habt für das alte Haus des Laios, Was müßt ihr hören, was mit Augen schaun, Was müßt ihr jetzt beklagen, was bejammern! O, keiner von der Erde Strömen wäscht Die Greuel weg, die dieses Haus umschließt, Und immer neue drängt’s hinaus ans Licht! O neues Leid von eigener Hand! Nichts rührt Uns tiefer doch als selbst geschaffenes Leid! Chorführer Noch mehr der Greuel? Uns genügte schon Der Jammer, den wir schaudernd miterlebt. Diener Rasch ist das Wort gesagt und rasch gehört: Tot ist Iokastes königliches Haupt.
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König Oidipus
Chorführer O Unglückselige! Sprich, wie ihr’s geschah. Diener Sie starb durch eigene Hand. Euch blieb das Schlimmste Von dem, was dort geschah, erspart: der Anblick. Doch wie es mir noch vor dem Auge steht, Der Armen letzte Not, ihr sollt sie hören. Als sie in wilder Hast ins Haus geeilt, Mit beiden Händen sich das Haar zerraufend, Stürmt in die eheliche Kammer sie, Und schließt, kaum drinnen, sich die Türe ab. Den toten Gatten hören wir sie rufen, Den Liebesbund beschwört sie, dessen Sproß Den Vater mordete, und der die Mutter Dem eignen Sohn zur Gattin hinterließ, Um ein verflucht Geschlecht mit ihr zu zeugen. Dem Lager flucht sie, wo den Gatten sie Dem Gatten zeugte, Kinder mit dem Kind. Wie sie dann umgekommen, weiß ich nicht; Denn abgelenkt ward unser Blick: laut schreiend Kommt Oidipus hereingestürzt, und wir Verfolgen ihn mit unserm Blick, wie er Sein Schwert verlangt und also nach der Frau, Nein nicht der Frau, dem Doppelmutterschoß Von ihm und seinen eignen Kindern ruft. Wir alle schweigen, die wir um ihn stehn. Aufbrüllend stürmt er an die Doppeltür, Als werde ihm der Weg gezeigt, und krachend Brechen die Riegel, der stürmt ins Gemach – Da sehen wir die Königin erhängt An einem Stricke hängend überm Bett. Bei diesem Anblick schreit der König auf, Des Seiles Schlinge löst er ab, so daß Der Leichnam nieder auf die Erde sinkt. Und nun – entsetzlich war es anzuschaun – Die goldnen Spangen, die der Königin
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Das Kleid zusammenhielten, reißt er ab, Holt aus und stößt sie sich in beide Augen Und ruft: »Sie sollen nichts von dem mehr sehn, Was ich erlitt und was ich Böses tat. Nacht decke, was ich niemals sehen durfte, Und ungesehen bleib, was gern ich sah.« So schreiend, stößt er noch und noch ins Auge Mit aufgerissenen Lidern sich; es strömt Das Blut herab, nicht spärlich rinnend nur, Ein Schauer schwarzen Blutes netzt sein Antlitz. So sind nun beide, Mann und Weib, gefällt. Gemeinsam schlang sie ein Verderben weg. Der alte Segen war fürwahr dereinst Ein Segen. Heute aber bleibt nur noch Gram, Schuld und Tod und Schmach und alles Böse. Chorführer Hat nun der Ärmste etwas Ruh gefunden? Diener Er ruft, man soll die Türen alle öffnen, Dem Kadmosvolk den Vatermörder zeigen, Den Mutter – nein, das Wort sprech ich nicht nach. Verbannen will er sich, nicht länger bleiben Im Haus. So flieht er vor dem eigenen Fluch. Doch braucht er eine Stütze, einen Führer. Das Leid, es ist so schwer, er kann’s nicht tragen. Sieh hin, gleich siehst du ihn: schon öffnet sich Die Pforte, und ein Schauspiel zeigt sich dir, Das selbst des Feindes Herz zu Mitleid rührt. O i d i p u s wird mit geblendeten Augen herausgeführt Chor O furchtbarer Anblick für Menschen, dies Leid! So furchtbar wie keines von allen, die mir Bisher noch begegnet! Welch rasende Wut Fiel an dich! Welch Dämon mit mächtigem Sprung
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König Oidipus
Sprang an dich und fügte auch das noch hinzu Zu deinem unseligen Schicksal? Unseliger, weh! Ich kann dich nicht anschaun und wollte doch gern 1305 Erfragen soviel, erkunden soviel Und schauen soviel! Doch so – ich wende mich schaudernd. Oidipus O weh, o weh! Ach, ach, ich Unseliger! Wohin trägt 1310 Mein Fuß mich, wohin ist die Stimme verweht, Wohin hat mich mein Schicksal verschlagen? Chorführer In Leiden, nicht zu schauen, nicht zu hören. Oidipus O du, der Nacht Gewölk, mir ein Graun; der Sturm trägt dich her, 1315 Und nie zieht es fort, und nie wird es hell! Weh mir! Und nochmals weh! Wie bohrt sich tief ins Herz Der spitze Stachel, der Erinnerung Qual! Chorführer Kein Wunder ist’s, wenn du in solchem Leid 1320 Zwiefach dich härmst und zwiefach dich beklagst. Oidipus O du, mein Freund, So treu mir zu Diensten, stehst fest mir bei Und harrst bei mir aus, besorgst Blinden mich! Weh, weh! 1325 Wohl kann ich dich erkennen, blieb mir doch Bei Nacht auch deine Stimme klar im Ohr. Chorführer O Graun! Wie konntest du der Augen Quell Vertrocknen lassen? Welcher Gott befiel dich?
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Oidipus Apoll war das selbst, Apoll war es, Freund! Der Leid, Leid vollendet, all dies, all mein Leid. Doch führt’ kein anderer den Stoß, ich Ärmster tat es selbst. Was braucht ich noch zu sehn, Dem gar nichts Süßes mehr zu sehen blieb? Chor Es war genau so, wie du sagst. Oidipus Was bleibt mir noch sehenswert, liebenswert, und wessen Trost Möcht wohl mein Ohr noch hören? Ach, mein Freund! So jagt aus dem Land mich fort, schnellstens fort! So jagt, Freunde, doch das Un heil davon! So fluch-, fluchbedeckt und selbst Göttern auch Der Haß aller Welt! Chorführer Du, der mit Wissen minder nicht als Leid Geschlagen, hätt ich dich doch nie gesehn! Oidipus Verflucht, wer’s auch war, der mir das böse Band Vom Fuß löste, der dem Tode mich entriß Und auf der Trift mich rettete! Mir tat er’s nicht zum Dank. Denn blieb ich damals tot, So ward ich nicht den Meinen, nicht mir selbst zur Qual. Chor Da stimme ich dir gerne bei. Oidipus Dann gab es nie Vatermord, niemals hieß ich in der Welt Gemahl der Frau, die einst geboren mich. Nun gott los ich selbst und Ruch loser Sohn, Und e i n Bett, in dem ich zeugt und gezeugt! Gibt’s Leid irgendwo, das Leid übersteigt – Es trifft Oidipus!
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König Oidipus
Chorführer Ich weiß nicht, ob du recht beraten warst. Dir wäre besser tot zu sein als blind.
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Oidipus O gebet jetzt mir keinen Rat, ihr Freunde, Und saget nicht, dies sei nicht wohlgetan. Mit welchem Auge soll ich meinem Vater Drunten begegnen? Wie der armen Mutter? Hab ich an beiden Taten doch begangen, Für die kein Strang genug der Buße wäre. Sollt ich mich nach der Kinder Antlitz sehnen, So mir erwachsen, wie sie mir erwuchsen? Auch meine Stadt darf nimmermehr ich schaun, Die Burg nicht, noch der Götter heilige Stätten. Ich selbst, ich selbst hab’s ja geboten, Freunde, Als Glanz und Macht mein frevelnd Haupt noch krönte, Den auszustoßen, der als Frevler sich Enthüllte an der Gottheit und an Laios. Und nun ich selbst der böse Schandfleck bin, Nun sollt ich euch ins Auge schauen dürfen? Nein! Nein! Ja, ließ der Quell sich des Gehörs Verstopfen tief im Ohr, ich tät’s, ich tät’s, Verschlösse meinen Kopf vor aller Welt, Um nichts von ihr zu hören, nichts zu sehn. Süß sind Gedanken, wo kein Grauen haust. Warum, Kithairon, nahmest du mich auf? Was gabst du mir nicht gleich den Tod, daß nie Den Menschen ich enthüllte, wer ich bin! O Polybos! Korinth! Mein Vaterhaus, – Ich nannt dich so – was habt ihr mich gepflegt, Ein bös Geschwür, das eitel Schönheit log, Erkannt als Frevler, der von Frevlern stammt? O Kreuzweg du, verborgene Schlucht, du Busch Von Eichen, wo sich dreifach kreuzt der Pfad, Die ihr mein Blut von meinen Händen trankt,
König Oidipus 225
Des Vaters Blut! Denkt ihr noch, was ich tat, Was hier ich weiter tat? Du Bett, du Bett, Du zeugtest mich, und wieder weiter zeugend Gebarst du aus demselben, meinem Samen Blutschandebrut von Vätern, Brüdern, Söhnen, Von Töchtern, Weibern, Müttern! Bunt Gezücht Von allem Greuel, der auf Erden wächst. Doch was zu sehn ein Graus, soll man nicht sagen. Drum bei den Göttern! Schnell, verbergt mich wo Da drauß! Noch besser: tötet mich, ja werft mich, Daß ihr mich nicht mehr sehen müßt, ins Meer! Auf, leget Hand an mich! Befürchtet nichts! Mein Fluch befleckt euch nicht: denn meine Leiden Vermag kein Mensch zu tragen außer mir. Chorführer Zur rechten Zeit für deinen Wunsch, o Herr, Naht Kreon dort, der raten wird und helfen. Denn seinem Schutz sind wir nun überlassen. Oidipus Weh mir! Mit welchem Wort sprech ich ihn an? Wie kann ich noch bei ihm auf Hilfe zählen? Ich habe schweres Unrecht ihm getan. K r e o n tritt auf Kreon Nicht dein zu spotten, komm ich, Oidipus, Noch dir das alte Böse vorzuhalten. Zu den Dienern Ihr aber, wenn ihr Menschen auch nicht scheut, So scheut, die alles nährt, die Sonne doch Des Himmelsherrn und zeigt nicht unverhüllt Solch Greuel, den die Erde nicht erträgt Und nicht der heilge Regen noch das Licht. Auf! Führet schleunigst ihn ins Haus hinein! Denn nur Verwandte sollen von Verwandten Nach frommem Brauch solch Frevel sehn und hören.
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König Oidipus
Oidipus O, der du meine Sorge scheuchest, Kreon, Der du so liebreich dem Verworfenen nahst, Nur eines bitt ich, nicht für mich, für dich. Kreon Was ist der Dienst, den du von mir erflehst. Oidipus Verstoß aus diesem Land mich, setz mich aus, Wo fern den Menschen ich verenden kann. Kreon Das hätt ich schon getan, gewiß; doch erst Muß ich vom Sehergotte Weisung haben. Oidipus Die ist doch völlig klar: der Vatermörder, Der Gottverfluchte soll zugrunde gehn. Kreon So sagt’ er einstmals; doch in dieser Lage Ist’s besser, nochmals seinen Rat zu hören. Oidipus Um solch unseligen Mann schickt ihr zum Gott? Kreon Ja, und auch du wirst jetzt wohl an ihn glauben. Oidipus So höre meine letzte Bitte noch: Der Toten dort im Hause gib ein Grab. Du tust nur deine Pflicht an deiner Schwester. Mich aber soll in ihrem Schoße nimmer Lebendig dulden meine Vaterstadt. Nein, laß mich ferne hausen im Kithairon, In meinem Reich, das meine Eltern einst Dem Lebenden als Grab bestimmt. Sie gaben Dem Tod mich; wie sie wollten, sterb ich nun. Und dennoch weiß ich, daß mich weder Krankheit Noch auch ein Unfall hinrafft; vor dem Tod Ward ich bewahrt, um schwerstes Leid zu leiden.
König Oidipus 227
Doch mag mein Schicksal fallen, wie es will. Die Kinder aber – nicht die Knaben mein ich, Die finden sich als Männer einst zurecht, Jedoch die armen, mitleidswerten Mädchen, Für die nie ohne mich der Tisch gedeckt ward; Von meinen Speisen hatten sie ihr Teil – O, derer nimm dich an! Ach, laß noch einmal Sie mich umarmen und ihr Los beklagen! So laß sie holen, Fürst! Faßt meine Hand Sie, sind sie mein, als sähe ich sie noch. Die b e i d e n M ä d c h e n werden herausgeführt Ihr Götter, hör ich meine Lieblinge Nicht schluchzen? Hat sich Kreon mein erbarmt? Schickt er die lieben armen Kinder mir? Ist’s wahr denn? Kreon Ja, es ist wahr! Ich ließ sie sorglich holen. Ich weiß, wie glücklich sie dich stets gemacht. Oidipus So sei gesegnet! Möge dich dafür Ein Gott getreuer leiten als wie mich! Wo seid ihr, liebe Kinder? Kommt und laßt mich Mit diesen Bruderhänden euch berühren. Seht, diese Hände sind’s, die eures Vaters Hellstrahlend Augenlicht in Nacht getaucht, Weil euer Vater ahnungslos euch zeugte Mit einem Weibe, das ihn selbst gebar. Ich seh euch nicht mehr, nur noch weinen kann ich, Denk ich an eures Daseins bittern Rest, Wie ihr das Leben fortan fristen müßt. In welchem Haus könnt ihr willkommen heißen, Zu welchem Feste gehn, von dem ihr nicht In Tränen heimkehrt, statt beglückt von Freude? Und seid ihr einst zu Jungfraun aufgeblüht, Wer wird als Freier euch sich nahn, wer wird
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König Oidipus
Die Schande auf sich nehmen, die zugleich Euch wie auch meine Eltern hat vernichtet? Da fehlt ja keine Schande. Euer Vater Erschlug den eignen Vater, und die Mutter, Die eigene, hat er sich zum Weib genommen. Von der erhielt er euch, die ihn gebar. Nie wird der Vorwurf enden. Nein, kein Freier Wird euch erscheinen, Kinder. Ohne Gatten Ist euch bestimmt, unfruchtbar hinzuwelken. Sohn des Menoikeus, sei den Armen Vater! Tot sind, die sie gezeugt; sie sind verwaist. O laß sie, die von deinem Blute sind, Laß sie nicht bettelnd in die Fremde ziehn, Mach nicht ihr Los dem Los des Vaters gleich. Erbarm dich ihrer ungeschützten Jugend! Wenn du versagst, so sind sie ganz verlassen. Gelob mir’s, reich die Hand mir, edler Mann! K r e o n reicht ihm die Hand Euch, Kinder, gäb ich gern noch manche Lehre, Doch könnt ihr’s noch nicht fassen. Jetzt nur dies: Lebt wohl! Lebt glücklich! Mög ein besseres Los Als eurem Vater euch beschieden sein! Kreon Laß genug es sein der Tränen. Komme jetzt und geh ins Haus! Oidipus Folgen muß ich, wenn’s auch schwer fällt. Kreon Jedes Ding hat seine Zeit. Oidipus Doch du weißt, was ich verlange. Kreon Rede frei und ohne Furcht. Oidipus Laß mich in die Fremde ziehen.
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Kreon
Das entscheidet nur der Gott.
Oidipus Bin ich nicht verhaßt den Göttern? Kreon Um so eher wird’s gewährt. Oidipus Auch von dir? Kreon Was nicht mir ernst ist, sag ich nicht 1520 zum Schein bloß zu. Oidipus Nun, so führe mich von hinnen. Kreon Laß die Kinder denn und komm! Oidipus Nein, die Kinder laß ich nimmer! Kreon Laß dein trotzig Wollen jetzt! Was du dir errangst im Leben, sieh dich um, was folgt dir nach? Oidipus Bürger meines Landes Theben! Schaut, dies hier ist Oidipus. Der das Wunderrätsel wußte, und der erste Mann im Land. 1525 Den kein Bürger sehen konnte ohne Neid auf solches Glück. Bis wie tief zum Grund des Elends furchtbar stürzte er hinab! So ein Sterblicher noch jenem letzten Tag entgegenblickt, Hütet euch, sein Los zu preisen, eh er nicht gewonnen hat Seines Lebens Ziel und Ende ohne Schmerz und ohne Leid. 1530
Elektra
Einleitung Agamemnon und Menelaos, die beiden Söhne des argivischen Königs Atreus, heiraten die Töchter des spartanischen Königs Tyndareos, Klytaimestra und Helena. Als Helena von dem trojanischen Prinzen Paris nach Troja entführt wird, unternehmen die Griechen unter dem Kommando des Agamemnon einen Rachefeldzug gegen die Stadt. Um der Flotte die Ausfahrt zu ermöglichen, opfert Agamemnon auf Rat des Sehers Kalchas seine Tochter Iphigenie der Göttin Artemis. Iphigenie stirbt jedoch nicht durch die Hand des Vaters, sondern wird von der Göttin zu den Taureren entrückt (Euripides, Iphigenie in Aulis, Iphigenie bei den Taureren). Während der Abwesenheit Agamemnons gewinnt Aigisthos die Liebe Klytaimestras, die ihren Gatten wegen Iphigenies Opferung hasst. Sie fassen den Entschluss, Agamemnon bei seiner Heimkehr zu ermorden. Um freie Hand zu haben, lässt Klytaimestra vorsorglich ihren Sohn Orestes nach Phokis zu Strophios bringen (Aischylos, Agamemnon,V. 877 ff.). Die Handlung der Elektra spielt 20 Jahre nach Agamemnons Tod. Orestes, Agamemnons Sohn, von seiner Schwes ter Elektra vor den Nachstellungen des Aigisthos und der Klytaimestra gerettet, verbringt seine Jugend bei Strophios in Phokis. Von Apollon erhält er den Auftrag, die Rache an den Mördern seines Vaters »mit List und ohne Waffenmacht« (V. 36) zu vollziehen. Das Stück beginnt mit dem Auftritt des Orestes und des Pylades, die von ihrem alten Erzieher begleitet werden. Um Apollons Befehl auszuführen, planen sie eine Intrige. Der Erzieher soll sich als Bote des Strophios ausgeben und melden, Orest sei bei dem Wagenrennen der Delphischen Festspiele ums Leben gekommen. Plötzlich erschallt aus dem Palast ein Klagelaut. Orest vermutet, dass es Elektra sei. Doch
234 Elektra
er wird von dem Erzieher gedrängt, zuerst das von Apollon befohlene Opfer an Agamemnons Grab zu verrichten. Kaum sind die drei abgetreten, erscheint Elektra. Sie klagt über ihre hoffnungslose Lage am Königshof, über ihre Vereinsamung und Erniedrigung (V. 86 ff.). Einheimische Mädchen (der Chor) versuchen, sie in ihrem Leid zu trösten. Doch ihre beschwichtigenden Worte veranlassen Elektra zu immer neuen Ausbrüchen ihres Hasses auf die Mutter und Aigisthos (V. 121 ff.). Der erregten lyrischen Szene folgt die rationale Darlegung (V. 251 ff.): Aufgrund ihres edlen Charakters und ihrer edlen Herkunft könne sie sich nicht mit der Lebensweise der Mutter abfinden. Zudem schwinde ihre Hoffnung auf die Heimkehr des Orestes täglich. Chrysothemis, Elektras Schwester, neigt nicht zum Grundsätzlichen wie ihre Schwester. Sie will Elektra den Wert eines ruhigen Lebens schmackhaft machen, das sich mit den Verhältnissen arrangiert (V. 328 ff.). Doch sie erntet nur Ablehnung. Die Drohung des Herrscherpaars, sie in einen Kerker werfen zu lassen, quittiert Elektra gar mit einer verzweifelten Freude. Chrysothemis verlässt die Schwester, um im Auftrage Klytaimestras ein Opfer an Agamemnons Grab darzubringen. Die Mutter habe nämlich einen unheilvollen Traum gehabt: Agamemnon sei zurückgekehrt und habe sein Szepter eingepflanzt, aus dem ein Baum entstanden sei, der ganz Mykene beschattet habe (V. 417 ff.). Elektra schöpft wieder Hoffnung, da sie den Traum auf Orestes bezieht. Nach dem Chorlied, in dem die Mädchen über den Fluch reflektieren, der über den Nachkommen des Tantalos lastet (V. 472 ff.), erscheint Klytaimestra (V. 516 ff.). Es entwickelt sich eine hitzige Auseinandersetzung zwischen Mutter und Tochter. Elektra wirft Klytaimestra vor, dass sie Agamemnon nicht aus Schmerz über die Opferung Iphigenies getötet habe, sondern um mit Aigisthos ungestört leben zu können. Der alte Erzieher unterbricht die Frauen und berichtet vom Tod seines Zöglings Orestes (V. 660 ff.). Von Klytaimestra verhöhnt, bricht Elektra zusammen (804 ff.). Der Chor kann
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sie in ihrem Schmerz nicht trösten (V. 823 ff.). Voller Freude kehrt Chrysothemis vom Opfer zurück: Das Grab des Vaters sei mit einer Locke geschmückt, die nur von Orest stammen könne (V. 871 ff.). Überzeugt vom Tod ihres Bruders, versucht Elektra ihre Schwester ohne Erfolg dazu zu bewegen, mit ihr zusammen die Rache durchzuführen. Der Chor nimmt den Wortwechsel zum Anlass, Elektras edlen Charakter zu betonen (V. 1058 ff.). Orestes und Pylades erscheinen mit der Urne, die angeblich Orests Asche enthält (V. 1098 ff.). Elektra stimmt die Totenklage um den Bruder an (V. 1126 ff.). Da gibt sich Orest der Schwester zu erkennen (sog. Anagnorisis, V. 1174 ff.). Der Erzieher unterbricht die Wiedersehensfreude und treibt Orest an, die Rache zu vollziehen (V. 1326 ff.). Im Geist bei Orest weilend, sieht der Chor die Rachegöttinnen den Palast betreten (V. 1384 ff.). Aus dem Haus erschallt, von Elektra sarkastisch kommentiert, Klytaimestras zweimaliger Todesschrei (V. 1415f.). Aigisthos, der auf die Nachricht von Orests Tod herbeigeeilt ist (V. 1442 ff.), erkennt die Falle zu spät, in die er geraten ist (V. 1466 ff.). Orest heißt ihn, in den Palast zu gehen, damit er an derselben Stelle sterbe, wo Agamemnon umgebracht wurde.
Personen Aigisthos,Tyrann von Argos und Mykene Klytaimestra, seine Gemahlin,Witwe Agamemnons Elektra Töchter des Agamemnon und der Chrysothemis Klytaimestra Orestes, ihr Bruder Pylades, sein Freund (stumme Rolle) Der Pfleger des Orestes
}
Der Chor, bestehend aus Jungfrauen von Mykene
Der Schauplatz ist vor dem Palaste in Mykene
O r e s t e s tritt auf mit P y l a d e s und dem P f l e g e r Pfleger O Sohn des Feldherrn, der im Troerland Dereinst gebot, Sohn du des Agamemnon, Hier schaust du endlich, das du lang ersehntest, Dein Ziel, das alte Argos, Ios Land, Aus dem sie Heras wilde Bremse jagte. Da ist der Wolfsmarkt; seinen Namen trägt Er nach dem Wolfsgott. Und zur Linken dort Ist Heras stolzer Tempel. Aber hier Erblickst du jetzt das goldene Myken. Hier ist der Pelopiden Mörderhaus. Dort hab ich dich nach deines Vaters Tode Aus deiner Schwester Händen einst empfangen Und trug dich weg und zog zum Mann dich auf, Damit du deines Vaters Ende rächtest. – So halte Rat, Orest, mit Pylades, Dem besten aller Freunde, was zu tun ist. Doch eilt euch; denn schon weckt der Sonne Strahl Mit seinem Glanz der Vögel Morgenlied, Und von uns wich die schwarze Sternennacht. Bevor noch jemand aus dem Haus kommt, Vereinbart einen Plan. Es ist nicht Zeit Zu zögern mehr; jetzt gilt es schnell zu handeln. Orestes Du lieber alter Diener, wie dein Herz Die Zeichen seiner Treue mir enthüllt! Denn wie ein edles Roß, auch wenn es alt ist, Doch in Gefahr nicht seinen Mut verliert, Nein, hoch das Ohr stellt – also treibst auch du Uns an und hältst dich selber immer vorn.
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Ich will dir sagen, was ich mir ersann, Du leihe meinem Wort ein scharfes Ohr, Und traf ich nicht das Rechte, so belehr mich. Als ich zum delphischen Orakel kam, Zu fragen, wie ich meines Vaters Tod An seinen Meuchelmördern rächen sollte, Da gab Apollon diesen Wahrspruch mir: Ich soll allein, ohn Schild und Heeresmacht Mir meines Arms gerechten Mord erlisten. Da dies nun des Orakels Wille ist, Geh du, sowie Gelegenheit sich gibt, Ins Haus hinein und forsche alles aus, Daß du uns zuverlässige Kunde bringst. Hab keine Sorge vor Verdacht; dich schützt Dein Silberhaar, die lange Zeit, dein Alter. Gib vor, du seist ein Fremder, kämst aus Phokis, Im Auftrag eines Mannes Phanoteus; Der ist der mächtigste von ihren Bündnern. Dann melde, und beschwör’s mit hartem Eid, Daß den Orest ein Unfall hingerafft. Er sei beim pythischen Wettkampf aus dem Wagen In voller Fahrt gestürzt; so heißt die Meldung. Wir weihn mit Opfern seines Vaters Grab Und mit der Locke, mir vom Haupt geschnitten, Nach dem Geheiß. Dann kehren wir zurück, Im Arm die erzgetriebene Aschenurne, Die ich im Buschwerk, wie du weißt, verborgen, Und bringen täuschend die willkommene Kunde, Wie längst mein Leib zu Asche ward und Staub. Was soll’s mich grämen, bin ich tot im Wort, Und leb in Taten, die mir Ruhm erwerben? Mich dünkt, kein Wort ist schlimm, das Nutzen bringt. Von manchem Weisen hab ich schon gehört, Von fälschlich Totgesagtem; kam er dann Zurück, so ward er nur noch mehr geehrt. So werd auch ich dies Trugwort überleben
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Und als ein Stern ob meinen Feinden glänzen! – Wohlan, du Vaterland, ihr Heimatgötter, Bewahrt mich wohl auf diesem meinem Weg! O Vaterhaus, mich senden ja die Götter Mit Recht zu deiner Reinigung hierher! So stoßet mich nicht ehrlos wieder aus! Laßt mich des Hauses alten Glanz erneuern! Doch nun genug der Worte. Alter, du, Laß deinen Auftrag dir befohlen sein. Wir aber brechen auf; es ruft die Stunde, Der mächtige Lenker allen Menschenwerks. Sie wenden sich zum Gehen Stimme der Elektra aus dem Hause Weh mir! Ich Unglückselige! Pfleger umkehrend Mir deucht, soeben hört ich aus dem Hause Die Weheklagen einer Magd, mein Sohn. Orestes War’s nicht Elektras Stimme? Meinst du nicht, Wir bleiben hier und horchen, was sie klagt? Pfleger Mit nichten! Erst vollziehn wir, was der Gott Befahl, beginnen mit den Grabesweihen Für deinen Vater; denn ich weiß, das wird Uns Sieg verleihn und Kraft bei unserm Werk. Sie gehen ab E l e k t r a tritt aus dem Palaste Elektra O heiliges Licht, O himmlische Luft, wie oft vernahmt Von mir ihr Klagelieder, Von mir ihr dumpfe Schläge, Womit ich die Brust mir blutig zerschlug,
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So oft noch die finstere Nacht entwich! Das verhaßte Bett, es kennt nur zu gut Meine nächtlichen Feste der Qual im Haus; Wie oft um den Vater ich Arme geweint, 95 Dem im Land der Barbaren der Schlachtengott, Der blutige, nicht den Todesgruß beut’, Nein, dem meine Mutter und mit ihr Aigisth, Der Buhle, das Haupt mit blutiger Axt Gespalten wie Fäller die Eiche. 100 Und ist keine andre, die um dich klagt, Als ich, mein Vater, und fandest doch Solch fürchterlich, jämmerlich Ende!
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Doch niemals will Ich enden der nagenden Klagen Gram, Solang ich erblicke den flimmernden Glanz Der Sterne, erblicke den hellen Tag. Wie die Nachtigall, die getötet ihr Kind, So laß ich die Klage vor Vaters Tür Erschallen für alle im Widerhall. Persephones du und des Hades Reich Erdgeist Hermes und Fluchgöttin du, Ihr hehren Erinyen, du göttlich Geschlecht, Die ihr auf den ruchlos Ermordeten schaut Und auf das ehbrucherlistete Bett, Herbei, zur Hilfe, zur Rache! – Mord Erschlug uns den Vater. So sendet mir her Den Bruder.Vermag ich doch nimmermehr Alleine des Grams Schwer wuchtende Schale zu heben. Der Chor zieht ein Chor Kind, o Kind der schrecklichen Frau, Ach, Elektra, ewiger Gram Unersättlichen Leids, er zehrt hin dich
Elektra 241
Um Agamemnon den Vater. Ihn schlug deine Gottlose Mutter, die listige, tückische. Mit böser Hand verriet sie ihn. Der Mörder sei Verflucht, wenn ihm dein Mund darf fluchen. Elektra Töchter aus edlen Häusern, Daß ihr zum Trost mir in Mühsal und Leiden erScheinet, das weiß und versteh ich; wie sollt ich es Nicht? Aber nie will ich lassen je, um meinen Vater zu jammern, den elend erschlagenen. Mannigfaltige Liebe erwidertet ihr mir, ihr Treulichen, So laßt mich meinem Wahnsinn! Ach, ach, ich bitt euch. Chor Nicht mit Klagen, nicht mit Gebet Rufst du dir den Vater zurück Aus dem Schlunde des Tods; der schlingt alles. Stets überschreitest im Jammern du doch jedes Maß und vernichtest dich durch das Unmögliche. So gibt es keine Rettung mehr vor deinem Leid. Begehr nicht, was du nicht kannst tragen.
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Elektra Der ist ein Tor, der seiner 145 Elend gestorbenen Eltern vergessen kann. Doch mir erquicket den Busen die schluchzende, Immer den Itys, den Itys beklagende Schüchterne Botin des Frühlings, die Nachtigall. Und auch dich, allduldende Niobe, acht ich den Göttern 150 Die du im Felsengrabe [gleich, Weh, wehe klagest. Chor Nicht dir allein, mein Kind, ward Erdenleid verhängt. Was gibst du dich mehr als die dem Leid hin,
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242 Elektra
Die dir verwandt, bluts- und stammverwandt sind? Da doch Chrysothemis lebt und Iphianassa, die Schwestern, Und er, des Jugend leidlos. 160 Wie glücklich ihn empfängt Das herrliche Myken einst, Wenn als Erbe der göttlichen Vorfahren Mit frohem Fuß das Land betritt: Orestes. Elektra Sein harr ich unermüdlich, kinderlos noch, 165 Und unvermählt bleib ich stets, ich Arme, Tränenzerfressen, den Jammer, den endlosen Tragend der Leiden. Doch er, er vergißt, was von Mir ihm geschah und gewiesen. Zu mir aber 170 Kommt nur Botschaft, die immer enttäuschen muß. Er sehnt, sehnt stets sich her, Doch nie treibt Sehnsucht ihn zu kommen. Chor Nur Mut, nur Mut, mein Kind! Noch herrscht im Himmel 175 Der große Herr; alles sieht und führt er. [Zeus, Vertrau des Grolls Übermaß ihm fromm an. Sollst deine Feinde zu sehr nicht hassen, doch auch nicht Die Zeit, sie ist ein Heiland. [vergessen. 180 Und er, den Krise jetzt, Das Rinderland beherbergt, Nie wird der Sohn Agamemnons vergeßlich sein, Und auch der Gott der Unterwelt wird nie vergessen. Elektra Doch mir ist schon des Lebens größter Teil hin. Die Hoffnung schwand. Länger nicht ertrag ich’s, Daß ich von Eltern verlassen hinwelken soll, Und auch kein liebender Mann mich beschützen soll. Eine unwürdige Magd, muß ich niedrigen 190 Dienst in den Kammern des Vaters verrichten. 185
Elektra 243
Mein Kleid, ach, wie so schlecht, Der Tisch leer, such ich mir die Reste. Chor Ein Wehruf bei der Heimkehr, Ein Wehruf auf der Väter Sitz, Als gegen ihn des Bronzebeiles Hieb Sie schwang mit scharfem Schlage. Berater war List und Mörder war Lust, Sie zeugten im Greuel die Greuelgestalt, Ob’s ein Gott nun war oder war’s ein Mensch, Der die Tat vollbrachte. Elektra O Tag, du bist mir so verhaßt, Wie keiner meiner Tage. O Nacht, und du des Schreckenmahls Unsagbar Graun! Das schuf bitteren Tod Von den Händen der beiden dem Vater mein. Mein Leben auch haben sie Ganz ausgeliefert und zerstört. Du großer Herrscher vom Olymp, Mit Pein und Klage plage sie, Verdirb das freche Frevlerpaar! Nie sollen sie freuen sich froh des Glanzes mehr, Die solche Tat vollbrachten. Chor Besinne dich und schweige! Begreifst du nicht, warum du jetzt So leiden mußt? Daß du gestürzt In diesen Gram dich selber? Denn Leid über Leid hast du selbst über dich Durch deinen störrischen Sinn gebracht, Immer neuen Kampf. Du vergißt das Wort. Streite nicht mit Starken!
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Elektra Es zwang das Unerhörte mich Zu Unerhörtem. Maßlos, Ich bin’s, das weiß ich nur zu gut. Doch dies Verhängnis hemm ich nicht, 225 So lang ich leb, Weil’s ganz unerhört. Doch, wer sagt mir ein Wort, ihr Gespielen mein, Ein gutes Wort, heilsam mir? Erspart, erspart mir euren Trost. 230 Dies ist ein Leid, das niemand löst. Nimmermehr gibt es ein Ziel meiner Bitternis, Und endlos ist mein Jammer.
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Chor Ich rate dir im Guten, Wie eine treue Mutter: Zeug Leiden nicht aus Leid dir!
Elektra Wo ist das Maß der Gemeinheit? Wer mag es denn Billigen, daß man der Toten vergessen kann? Gibt’s einen Menschen, der solches im Herzen trägt? Nie will ich bei solchen in Ehren stehn, 240 Nie, wenn nicht ganz verworfen ich bin, Mit solchen friedlich hausen zum Leid Des Vaters und hemmen den Schwingenflug Vom Schrei meines Grams. 245 Wenn der tot daliegt als Staub, weiter nichts, Arm und ungeehrt, doch die Mörder nicht Zahlen müssen mit Blut für Blut – 250 So wär dahin alle Scham und Frömmigkeit auf Erden. Chorführerin Mein Kind, die Sorge trieb mich her um dich, Wie auch um mich. Doch wenn ich unrecht hab, So geb ich nach. Denn dir will ich gehorchen.
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Elektra Ich muß mich schämen, Frauen, wenn ihr findet. Daß ich zu oft und allzu maßlos klage. Jedoch mich zwingt die Not zu solchem Tun. Verzeiht! Wie kann ein Weib von edler Art Das Leid des Vaters sehn und ruhig bleiben? Und ich seh’s täglich, nächtlich immerzu Nur üppiger blühn, und sollte doch hinschwinden. Denn erstlich ist’s mein Los, der eignen Mutter Von Grund verhaßt zu sein. Im eignen Haus Leb ich sodann mit meines Vaters Mördern Zusammen, meinen Herren; die entscheiden, Ob ich erhalten oder darben soll. Und weiter: was für Tage, glaubt ihr wohl, Sind das, seh ich Aigisthos auf dem Thron Des Vaters sitzen, sehe ihn dieselben Gewänder tragen, seh ihn Opfer bringen Am selben Herd, an dem er ihn erschlug. Und endlich noch den letzten aller Frevel: Der Mordgeselle in des Vaters Bett In meiner Mutter Armen, – wenn man die Noch Mutter nennen kann, die ihm sich hingibt, So frech ist, sich dem Blutbesudelten Zu schenken, und die Rache nimmer fürchtet; Die wie zum Spott auf ihre Freveltat Die Wiederkehr des Tags, an welchem sie Einst meinen Vater trügerisch ermordet, Mit Reigen feiert und allmonatlich Den Göttern, – ihren Rettern! – Lämmer opfert. Bei diesem Anblick härme ich mich ab, Beklage und beweine jenes Fest, Das nach dem Vater gräßlich wird benannt, Allein für mich. Auch klagen darf ich nicht So heftig, wie mein Herz danach begehrt. Dann fährt sie mich, die edle, die sie ist Dem Worte nach, mit böser Rede an:
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»Gottloser Auswurf! Starb für dich allein Der Vater denn und trauert niemand sonst? Verdirb an deinem Jammer! Und dich mögen Die Götter drunten nie davon erlösen!« So frevelt sie; doch sagt ihr jemand gar, Orestes werde kommen, rasend dann Stürzt sie herbei und schreit: »Das bist du schuld! Das ist dein Werk! Du hast Orestes heimlich Mir aus dem Arm gestohlen, weggeschafft. Doch sollst du dafür nach Verdienst auch büßen!« So bellt die Hündin, und daneben steht Der edle Buhle noch und hetzt sie an, Der Kerl ganz ohne Mark, ein reiner Nichtsnutz, Der nur mit Weiberhilfe kämpfen kann. Doch ich schau immer nach Orestes aus, Dem Retter, und vergeh an meinem Leid. Denn ewig will er handeln, aber immer Hat er mir jede Hoffnung noch zerstört. In solcher Lage, liebe Fraun, ist Maß, Ist fromme Scheu unmöglich. Nein, man muß Im Bösen – großes Muß! – selbst Böses treiben. Chorführerin Wo ist Aigisth, daß du so zu mir sprichst? Ist er im Hause, oder ist er fort? Elektra Wie dürfte ich hier außen sein, wenn er Hier wäre. Er ist über Land gegangen. Chorführerin Wenn das sich so verhält, so kann auch ich Wohl mutiger mit dir mich unterhalten. Elektra Frag, was du wissen willst; er ist nicht da. Chorführerin So sag: vernahmst du nichts noch von Orest? Wird er bald kommen? Oder zaudert er?
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Elektra Versprochen hat er’s oft. Doch hält er nichts. Chorführerin Wer große Taten sinnt, pflegt wohl zu zaudern. Elektra Doch hab ich ihn gerettet ohne Zaudern. Chorführerin Getrost! Er ist von edler Art; die hilft. Elektra Ich glaub’s, sonst hätt ich nicht so lang gelebt. Chorführerin Sprich jetzt nicht weiter! Deine Schwester kommt Soeben aus dem Haus, Chrysothemis, Auch deines Vaters, deiner Mutter Kind, Grabspenden in der Hand, wie’s Brauch für Tote. C h r y s o t h e m i s tritt auf mit Opfergaben in den Händen Chrysothemis Was stehst du wieder draußen vor der Tür, Ergehst in lauten Reden, Schwester, dich? Hast denn in langer Zeit noch nicht verlernt, Maßlosem Zorn zu tun den leeren Willen? Das weiß ich auch von mir, wie sehr ich leide An unserm Zustand. Hätt ich nur die Kraft, Ich zeigte, was ich über diese denke. Jedoch im Sturm muß man die Segel reffen, Mit Tat nicht drohn, wenn man nicht treffen kann. O tätest du doch endlich nur das Gleiche! Freilich, das Recht ist nicht in meinen Worten, Ist nur in deiner Wahl. Soll ich indes Frei leben, muß den Mächtigen ich gehorchen. Elektra Seltsam, daß du des Vaters ganz vergißt, Des Kind du bist, und nur der Mutter denkst! All was du eben mir geraten hast, Das stammt von ihr, von dir kein einzig Wort!
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Du hast zu wählen: sei entweder töricht, Oder sei klug, und dann vergiß die Deinen. Du sagtest eben, hättest du die Macht, Du würdest ihnen deinen Haß schon zeigen. Doch mir, die ich den Vater rächen will, Versagst du dich, ja hinderst mich sogar! Ist das nicht Feigheit noch zu unserm Elend? Belehr mich oder lasse dich belehren: Was hab ich denn gewonnen, wenn ich nachgeb? Leb ich nicht? Elend zwar, doch mir genügt’s, Zum Ärger jener beiden und zur Ehre Des Toten, wenn er’s dort noch fühlen kann. Du sprichst von Haß, doch Haß ist nur im Wort, Und in der Tat stehst du den Mördern bei. O böte man mir alle Herrlichkeit, An der du dich ergötzest, nimmer würd ich Mich ihnen unterwerfen! Setze du dich An volle Tafeln, leb im Überfluß. Mir sei es einzige Weide, mich nicht selbst Zu trüben. Deine Ehre lockt mich nicht, Lockte auch dich nicht, wärst du einsichtsvoll. Nennst dich der Mutter Kind, und könntest doch Des besten Vaters Tochter sein.Verrat Ist das am toten Vater und an uns. Chorführerin Bei allen Göttern, keine Bitterkeit! In beider Worten lag ein guter Rat, Und jede könnte von der andern lernen. Chrysothemis Ich, Frauen, bin gewohnt schon solche Reden Und hätt geschwiegen, falls ich nicht gehört, Daß schwerstes Unheil diese jetzt bedroht Und ihre trüben Klagen schnell erstickt. Elektra Ei, nenne doch das Unheil! Ist es schwerer Als meines jetzt, dann widersprech ich nimmer.
Elektra 249
Chrysothemis Ich will dir alles sagen, was ich weiß. Sie wollen, wenn du nicht zu klagen aufhörst, Verbannen dich, daß nie das Sonnenlicht Du schaust. Lebendig eingemauert kannst du Fern diesem Land dann Klagelieder singen. Bedenke dies und schilt im Leid nicht später Auf mich. Noch ist es, klug zu werden, Zeit. Elektra Das haben sie in Wahrheit mit mir vor? Chrysothemis Gewiß, sobald Aigisthos heimgekehrt. Elektra Was das betrifft, so komm er möglichst schnell! Chrysothemis Was fluchst du, Ärmste, da auf dich herab? Elektra Er soll nur kommen, wenn er das im Sinn hat! Chrysothemis Was willst du leiden? Bist du ganz von Sinnen? Elektra Damit ich euch entflieh, soweit als möglich! Chrysothemis Und dieses Leben achtest du für nichts? Elektra O ja, es ist ein wundervolles Leben! Chrysothemis Das könnt es sein, wenn du nur klug sein wolltest! Elektra Lehr mich nicht Böses gegen meine Lieben! Chrysothemis Ich lehre dich nur Demut vor den Großen. Elektra Du Schmeichlerin! Wie fremd doch meiner Art!
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Chrysothemis Das ist kein Ruhm, durch Torheit nur zu fallen. Elektra Ich falle, muß ich, für des Vaters Recht. Chrysothemis 400 Ich weiß es, daß der Vater uns vergibt. Elektra Das ist ein Wort, das loben nur die Feigen. Chrysothemis So hörst du nicht auf mich und folgst mir nicht? Elektra Niemals! Denn nie will ich so sinnlos sein. Chrysothemis So geh ich denn, wohin man mich geschickt. Elektra 405 Wohin denn? Halt! Wem gelten diese Spenden? Chrysothemis Dem Grab des Vaters. Unsre Mutter schickt mich. Elektra Was sagst du? Opfer ihrem ärgsten Feind – Chrysothemis Den selbst sie schlug – das wolltest du doch sagen. Elektra Wer riet ihr dies? Wer brachte sie dazu? Chrysothemis 410 Ich glaub, ein Traum hat sie zur Nacht geängstigt. Elektra O Götter unsers Hauses, hülft ihr endlich! Chrysothemis Schöpfst du aus ihrer Angst dir wieder Mut? Elektra Wenn du den Traum erzählst, kann ich’s dir sagen. Chrysothemis Es ist nur wenig, was ich sagen kann.
Elektra 251
Elektra Doch sag’s! Wie oft hat nicht ein kleines Wort Die Menschen schon erniedrigt und erhöht! Chrysothemis Es heißt, sie hat geschaut, wie unser Vater Zur zweiten Heimkehr sei ans Licht gestiegen. Und habe wieder sich mit ihr vereint. Den Herrscherstab Aigisths hab er ergriffen, Der einst der seine war, und habe ihn Auf unsres Hauses Herde eingepflanzt. Und gleich so schoß ein frischer Zweig empor, Der alles Land Mykenes überschattet. Dies sagte jemand mir, der Zeuge war, Wie sie dem Helios ihren Traum vertraute. Das war’s, was ich gehört, sonst weiß ich nichts, Als daß sie mich aus Angst ans Grab geschickt. Nun bitt ich dich bei unsrer Ahnen Göttern, Folg mir und stürze nicht durch deine Torheit. Stößt du mich fort, kehrst du in Leid zurück. Elektra Nein, Liebe, was du da in Händen trägst, Davon darf nichts des Vaters Grab berühren. Es wäre Sünd und Frevel, brächtest du Dem Vater Opfer vom verhaßten Weib. Streu’s in die Lüfte, oder birg es tief Im Schoß der Erde, wo es nimmermehr Des Vaters Ruhestatt entweihen kann! Heb’s auf als Schmuck für ihre eigne Gruft! Ja! Wär sie nicht das frechste Weib auf Erden, Sie kränzte mit des Hasses Gaben nimmer Die Gruft des Mannes, den sie selbst erschlug. O sag doch selbst, wie kann der Tote sich Der Gaben freun, die dieses Weib ihm schickt, Das schmachvoll ihn erschlug und ihn zerstückte Wie einen Feind; an seinem Haar wischt’ sie
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Das Beil zur Sühne ab. Ja, glaubst du denn, Du brächtest Sühnegaben für den Mord? Nein, fort mit diesen Gaben! Schneide dir Von deinem Haupt die Spitzen deiner Haare. Nimm auch von mir, und ist es wenig auch. Und auch den schlechten Gürtel spende hier Und bete, daß er huldreich aus der Erde Erstehe und uns vor den Feinden schirme; Und daß Orestes lebend wiederkehre Und seinen Fuß auf ihren Nacken setze, Damit wir fortan dann mit reicheren Händen Sein Grab bekränzen können als wie jetzt! Mir ahnt, mir ahnt, er selber war am Werk, Ihr dieses böse Traumgesicht zu senden. Doch gleichviel, Schwester! Diene dir und mir Und ihm, der uns der liebste aller Menschen, Dem teuren Vater, der im Grabe ruht. Chorführerin Die Schwester sprach ein frommes Wort. Du aber, O Liebe, wenn du weise bist, gehorche. Chrysothemis Gewiß! Was recht ist, bietet keinen Grund Zum Streite, nein, es fordert schnelles Tun. Doch wag ich diesen kühnen Schritt, ihr Lieben, So seid, bei allen Göttern, auch verschwiegen, Denn wenn die Mutter je davon vernimmt, So müßt ich dieses Wagnis bitter büßen. Sie schneidet von ihrem Haar ab, empfängt Haar und Gürtel von E l e k t r a und geht ab
Chor Wenn ich nimmer nur im Wahne Seher bin, Und jeder weisen Gesinnung bar, 475 Naht mit Seherblick nun Uns Dike, und sie trägt das Recht in starker Hand.
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Sie naht, mein Kind, wartet nun nicht lange mehr. Und neuer Mut regt sich, Seitdem eben ich den süßen Hauch des Traums vernahm. 480 Dein Vater hat doch nichts vergessen, er, der Griechen Fürst, Noch auch des alten Beiles Doppelschneide ganz aus Erz; 485 Das mordet’ ihn in Grausamkeit und schmachvoll hin. Hundertfüßig, hundertfüßig wird sie nahn, Versteckt noch furchtbar im Hinterhalt, Ehernen Fußes die Rache! Sie stiegen in kein Ehebett, das Mörderpaar. Der blutge Rausch riß sie hin so unerlaubt. Mir schwant dabei wahrlich: Es kommt niemals, niemals dieser Traum, der uns genehm, Umsonst den Tätern und Mittätern. Wahrlich, niemals sagt Uns wahr ein böser Traum und auch kein Götterspruch, Führt dieses Gesicht der Nacht uns nicht zum guten Ziel. O wehe, du des Pelops Leidvolle Wagenfahrt, Du brachtest ewig Fluch Diesem Land, Seit Myrtilos, ins Meer Gestürzt, zur Ruhe kam. Vom goldnen Wagen Stieß Undank ihn schnöde Mit jähem Stoß hinab. Nie seitdem Blieb dies Haus vom Fluche frei Und jammervoller Schmach. K l y t a i m e s t r a tritt auf Es folgen ihr Dienerinnen mit Opfergaben in den Händen Klytaimestra zu Elektra Frei treibst du, scheint es, wieder dich umher. Aigisth ist ja nicht da, der stets dich abhielt, Am Tor zu stehn, die Deinen dort zu schmähen.
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Nun jener fort, was frägst du viel nach mir! Trotzdem erzählst du allen überall, Ich sei dir eine harte, böse Herrin, Und ich verhöhnte dich und dein Gefühl. Ich kenne keinen Hohn und schmäh nur wieder, Weil ich so oft mich schmähen lassen muß. Stets kommst du mit dem alten Vorhalt mir, Der Vater sei durch meine Hand gefallen. Nun ja! so ist’s, ich weiß und leugne nicht. Doch ihn traf Dike und nicht ich allein. Du mußtest, warst du recht gesinnt, ihr helfen. Denn dieser Vater, den du stets beweinst, Vermocht allein im Heere, deine Schwester Zu opfern. Hatte ja auch nicht geteilt Mit mir die Mutterwehn, er, der Erzeuger. Doch sei’s; nur sag mir, wem er sie zulieb Geopfert? Für die Griechen? Hatten die Ein Recht auf meine Tochter, sie zu töten? Und gab er gar für seinen Bruder hin Mein Kind – wie sollte er mir das nicht büßen? Hat Menelaos nicht auch selbst zwei Kinder, Die wahrlich eher hätten sterben müssen? Denn ihrer Eltern wegen ging die Fahrt. Wie? Oder dürstete der Hades mehr Nach meinen Kindern als den seinigen? Der Vater, der verderbte, fühlte nichts Für meine Kinder? Nur für seinen Bruder? Ist das nicht eines bösen Vaters Art? So denk ich, fühl ich anders auch als du. Und könnt die Tote reden, spräch sie ähnlich. Mein Herz beschwert es nicht, was ich getan. Und scheint es dir verkehrt, so bild dir erst Ein richtig Urteil, und dann schilt die Nächsten! Elektra Jetzt kannst du doch nicht sagen, daß ich dich Zuerst gekränkt und deinen Zorn entfacht!
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Doch spräch ich gern zu dir ein offen Wort Von meines Vaters Tod und dem der Schwester. Klytaimestra Begännst du deine Reden immer so, So könnte ich dich hören. Rede also. Elektra Wohlan! Des Vaters Mord hast du gestanden. Was brächte schlimmere Schande als dies Wort? Ob’s nun gerecht war oder nicht. Ich sage: Es gab kein Recht zum Mord, doch dich riß hin Das Wort des schlechten Mannes, deines Buhlen. So frage Artemis, die Jägerin, Warum sie jeden Wind in Aulis band! Sonst hör’s von mir – denn sie darf man nicht fragen: Als einst der Vater sich im Hain der Göttin Ergötzte, scheucht’ er einen raschen Hirsch Mit buntem Fell und vielen Enden auf, Und nach dem Schuß entschlüpft ein Prahlwort ihm. Darob erzürnt, hielt Artemis das Heer So lang zurück in Aulis, bis der Vater Zur Sühne für das Wild die Tochter gab. So wurde sie geopfert, niemand wäre Nach Hause sonst gekommen noch nach Troja. Deshalb gab er, gedrängt, nach langem Sträuben Sein Kind dahin, und nicht für Menelaos. Und hätt er auch, gesetzt, du hättest recht, Um Menelaos’ willen es getan, Gab dies dann dir ein Recht, ihn zu erschlagen? Stellst du ein solch Gesetz den Menschen auf, Gib acht, daß du’s nicht selbst bereuen mußt! Wenn’s recht ist, daß man Mord mit Mord vergilt, Dann stürbst wohl du zuerst nach Fug und Recht. Sieh ein, daß das ein leerer Vorwand ist, Und sag mir deutlich, wenn es dir gefällt, Was dich zu dieser Schande jetzt gebracht, Daß du das Lager teilest mit dem Mörder,
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Mit dem vereint du meinen Vater schlugst, Ihm Kinder schenkst und dafür die verstoßest, Die rein in reiner Ehe sind gezeugt? Soll ich auch das noch loben? Sagst du etwa Hier auch, du rächtest deine Tochter nur? Schmachvoll, auch wenn du’s sagen willst! Der Tochter Zuliebe seinem Feind sich zu vermählen! Doch freilich darf man solches dir nicht sagen! Schreist gleich mit vollem Mund, ich lästerte Die Mutter. Doch ich seh viel mehr in dir Die Herrin als die Mutter. Leb ich doch Ein elend Leben voller Schmach, das ihr, Du selbst und dein Geselle, mir bereitet. Und er, der kaum nur deiner Hand entkam, Orest, verzehrt sein Leben in der Fremde. Du hast mich oft beschuldigt, daß ich ihn Zum Rächer auferzöge. Glaube mir, Ich tät es, wenn ich könnte. Also geh Und schrei’s in alle Welt, ich sei verderbt, Ein Lästermaul und voll Schamlosigkeit. Denn wenn mein Blut zu solchem fähig ward, Mach deinem Blut ich sicher keine Schande. Chorführerin So braust sie auf im Zorn. Doch ob das Recht Auf ihrer Seite, kümmert sie nicht mehr.
Klytaimestra Soll es auch mich nicht kümmern, was sie sinnt, Die ihre eigene Mutter derart lästert! Und das in diesem Alter! Glaubst du nicht, 615 Daß sie zu allem schamlos fähig ist? Elektra So wisse denn: ich schäme mich all dessen, Wenn du es auch nicht glaubst. Und ich begreife, Daß das nicht meinem Alter ziemt noch mir. Doch deine Bosheit aus dir, deine Taten,
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Sie zwingen mit Gewalt zu solchem Tun. Denn schlechte Tat ist schlechter Lehre Frucht. Klytaimestra Schamlose Brut! Wie machen doch beredt Ich, meine Worte, meine Taten dich! Elektra Du bist beredt, nicht ich. Dein ist die Tat. Und Taten finden freilich ihre Worte. Klytaimestra Bei Artemis, kehrt erst Aigisthos heim, So sollst du mir noch diese Frechheit büßen. Elektra Siehst du! Der Zorn reißt dich hinweg und hast doch Mir freies Wort gewährt. Du kannst nicht hören. Klytaimestra Wirst du mich opfern lassen ohne Lärm, Nachdem ich lang genug dich reden ließ? Elektra Wie gern! Auf, opfre! Sollst dich über mich Nicht mehr beklagen, denn ich werde schweigen. Klytaimestra zu einer Dienerin So heb empor die Opferfrüchte, Mädchen, Damit ich mein Gebet zum Gott aufsende Um Rettung aus der Furcht, die mich erfüllt. O Schirmherr Phoibos, höre mein Gebet Und leises Flehn. Denn nicht vor Freundesohren Sprech ich zu dir, nicht darf ich all mein Leid Dem Licht entfalten, hier in ihrer Nähe. Sonst streut mit neidisch zungenreichem Mund Sie falsch Gerücht aus durch die ganze Stadt. Nein, hör mich so, nur so kann ich’s dir sagen, Was meinem Geiste letzte Nacht erschien. Des Traums zweideutig Bild, o laß es, Phoibos, Wenn es mir freundlich, in Erfüllung gehn; Doch ist es feindlich, wend es auf die Feinde!
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Wehr jedem Feinde, der mit arger List Aus unserm Glück in Leid mich stürzen will. 650 Laß mich, verschont von allem Herzeleid, Als Herrin stets im Haus des Atreus wohnen, Vereint den Lieben, die mich jetzt umgeben, Beglückt durch Kinder, die nicht bittern Haß Und Groll im Busen tragen wider mich. 655 O Gott Apollon, höre mein Gebet, Und gib uns huldvoll, was wir uns erflehn. Das andre alles, wenn ich’s auch verschweige, Eracht ich dir, dem Gotte, wohlbekannt; Du bist der Sohn des Zeus, du siehst ja alles. Der P f l e g e r tritt auf Pfleger Ihr fremden Frauen, könnt ihr mir wohl sagen, Ob dies das Haus des Herrn Aigisthos ist? Chorführerin Du hast es wohl getroffen, Freund, so ist’s! Pfleger Vermut ich recht, so ist dies seine Gattin? Denn ihre Würde zeigt die Fürstin an. Chorführerin 665 Du hast’s erraten, ja, du stehst vor ihr. Pfleger Heil, Fürstin, dir! Ich bringe gute Botschaft Von einem Freund für dich und für Aigisth! Klytaimestra Dein Wort sei mir willkommen. Doch zuerst Sag mir vor allem, wer dich hergesandt. Pfleger 670 Mich schickt Phanoteus mit gewichtiger Botschaft. Klytaimestra Und welche? Rede! Wenn ein solcher Freund Dich schickt, so bringst du sicher gute Kunde. 660
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Pfleger Tot ist Orestes. Dies ist kurz mein Auftrag. Elektra O weh mir! Dieser Tag gibt mir den Tod! Klytaimestra Was sagst, was sagst du, Mann? Hör nicht auf sie! Pfleger Tot ist Orest. Ich sag es noch einmal. Elektra Hin bin ich, Arme; gar nichts bin ich mehr! Klytaimestra zu E l e k t r a Bekümmere dich um dich! zum P f l e g e r Du aber sag mir, Wahrheitsgetreu, wie er den Tod gefunden. Pfleger Dies zu berichten, bin ich ja entsandt. Er zog zu Hellas’ stolzen Kampfesspielen Nach Delphi, um den Siegespreis zu kämpfen. Sobald der Herold laut zum Wettlauf rief, Der stets der erste Kampf ist, trat er strahlend Hin in die Bahn, von allen rings bewundert. In stolzem Lauf durchmaß er bald die Bahn Und trug den ersten Siegespreis davon. Ich weiß bei all der Fülle wahrlich nicht, Wie ich dir kurz soll seine Taten nennen. Nur das: in jedem Wettkampf, den der Ordner Ausrief, fiel stets des Sieges Lohn ihm zu. Beglückwünscht ward er rings als Held von Argos, Sein Nam ward ausgerufen, seine Herkunft: »Orest ist’s, jenes Agamemnon Sohn, Der einst der Griechen stolzes Heer geführt!« So fing es an. Doch auch ein Held entrinnt Dem Gotte nicht, der sein Verderben will. Am andern Tag, als mit dem frühen Morgen
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Der raschen Rosse Kampf begann, da trat er Nebst vielen andern wieder in die Schranken. Erst ein Achaier, dann aus Sparta einer, Zwei Libyer auf ihren Viergespannen; Dann kam er selber mit thessalischen Rossen Als fünfter; als sechster ein Aitoler dann Mit braunen Füllen; siebtens ein Magnesier; Mit weißen Rossen achtens ein Ainiane; Der neunte aus der Götterstadt Athen, Und als der letzte, zehnte, ein Boioter. Sie standen, wie die Ordner es bestimmt, In langer Reihe, jeder nach dem Los. Da tönte die Drommete, alle schütteln Die Zügel, rufen laut den Pferden zu, Und durch die Rennbahn tost der dumpfe Lärm; Die Räder rasseln, Staub erfüllt die Luft. Von allen im Gedränge sparte keiner Die Geißel, jeder drängt’, zu überholen Die Naben und die schnaubenden Gespanne, Die schon des Vormanns Rücken und die Räder Mit ihrer Nüstern weißem Schaum bespritzen. Orest umbog so scharf, daß er sie streifte, Die Säule stets, ließ rechts die Zügel los Dem Leinpferd, nahm jedoch das linke kurz. Und anfangs ging’s mit allen Wagen gut, Bis daß die Fohlen mit den harten Mäulern Des Ainianen durchgehn bei der Wendung Schon nach der sechsten oder siebten Runde. Der eine Fehl bracht alles in Verwirrung, Stoß kam auf Stoß und Fall geschah auf Fall, Und Wagentrümmer füllten rings das Feld. Dies sah der kluge Lenker aus Athen, Bog aus, hielt an, um erst vorbei zu lassen Den Pferdeschwall, der mitten sich gestaut. Orest, der auf das Ende sich verließ, Hatt klüglich sein Gespann zurückgehalten.
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Jetzt, als er sieht, daß nur noch jener übrig, Pfeift dem Gespann die Peitsche um die Ohren. Es folgt, bald fliegt es Joch an Joch mit jenem Die Bahn entlang, und bald war der, bald dieser Um eines Pferdehalses Länge vor. Nun hatte alle Runden sicher schon Vollbracht der Arme, fest im festen Wagen, Da läßt er, als das linke Roß die Säule Umbiegen will, die Zügel los, sein Rad Prallt an, und mitten bricht die Achse durch. Er taumelt aus dem Wagen, er verfängt sich Im Riemenwerk; als er zur Erde stürzt, Da gehn die Pferde durch grad in die Bahn. Als ihn das Volk vom Wagen stürzen sah, Erhob sich lautes Schreien um den Jüngling, Den solch ein Los nach solchen Taten traf. Am Boden ward er hingeschleift, dann hoch Emporgeschleudert. Als die Wagenlenker Mit Mühe seine Rosse bändigten, Ihn losbekamen, war er so entstellt, Daß ihn im Schreckensbild kein Freund erkannte. Die Flamme nahm ihn, und ein kleiner Krug Birgt jetzt den armen Staub des mächtigen Mannes. Ihn bringen Phoker, denen aufgetragen, Daß er ein Grab in Heimaterde fände. So hat sich dies begeben. Schon zu hören Ein Schmerz; zu sehn jedoch, wie wir’s gesehn, Das größte Elend, das ich je geschaut. Chorführerin Weh! Weh! So ist der alte Herrscherstamm Bis auf die letzte Wurzel ausgetilgt! Klytaimestra Was soll ich dazu sagen? Ist’s ein Glück? Ist’s fürchterlich und dennoch gut? Welch Jammer, Daß mir mein eigen Leid das Leben rettet!
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Pfleger Warum so mutlos bei so froher Kunde? Klytaimestra Furchtbar Geheimnis: Mutterschaft! Auch wenn Die Brut uns schlägt, so können wir nicht hassen. Pfleger So bin ich also, scheint’s, umsonst gekommen. Klytaimestra Nein, nicht umsonst! Wie wär dies Wort umsonst, Bringst du mir Kunde von des Sohnes Tod, Der Leben doch von meinem Leben war, Mir von der Brust und aus der Pflege floh, Mir ganz entfremdet, der nach seiner Flucht Nie mehr nach mir gesehn, doch Vatermord Mir ewig vorwarf unter bösem Drohn, Daß nicht bei Nacht mich Schlummer deckte, süßer, Und nicht bei Tage; jegliche Minute War je und je Geleiter in den Tod. Nun aber – dieser Tag befreit von Angst Vor ihr und ihm. Mit ihr saß mir im Haus Der größre Fluch; denn ewig trank sie mir Das lautere Blut des Lebens. Jetzt kann ruhig Trotz ihrer Flüche meinen Tag ich leben. Elektra O weh, ich Arme! Jetzt ist erst dein Los, Orestes, zu bejammern, da die Mutter Noch triumphiert darob. Ist das nicht herrlich? Klytaimestra Für dich nicht, wohl für ihn; er hat es gut. Elektra O Rachegeist des Toten, höre sie! Klytaimestra Er hat gehört und herrlich es gewendet. Elektra Ach, höhne nur! Du stehst ja jetzt im Glück.
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Klytaimestra So willst du mit Orest mich nicht mehr schlagen? Elektra Wir sind geschlagen, schlagen niemand mehr. Klytaimestra Dein Kommen, Greis, verdiente reichen Dank, Wenn ihr dein Wort aufs Lästermaul geschlagen. Pfleger So kann ich wieder gehn, nun alles gut ist? Klytaimestra Es wär nicht würdig meiner noch auch des, Der dich gesandt hat, ließ ich so dich gehn. Tritt ein mit mir. Und die mag vor dem Tor Ihr Leid und ihrer Freunde Leid bejammern! K l y t a i m e s t r a und P f l e g e r ab in den Palast Elektra Nun, saht ihr, wie vor Leid und bitterm Schmerz Sie furchtbar weinte, schluchzend jammerte Um ihres Sohnes Tod, die arme Mutter? Nein, lachend ging sie fort. Ich Ärmste, ach! Liebster Orest! Wie tötet mich dein Tod! Du gehst dahin und reißest mir vom Herzen, Was meine letzte, winzige Hoffnung war: Du solltest kommen, ein lebendiger Rächer Des Vaters und der Schwester. Doch was nun? Allein bin ich, um dich betrogen und Den Vater. Also muß ich wieder Sklavin Bei diesen Menschen, die ich hasse, sein, Den Vatermördern. Ja! Nur recht und billig! Nein! Nein! Ich will mit ihnen nimmermehr Zusammen hausen! Sondern hier am Tor Verström ich mich, verdorr mein freundlos Leben. Komm einer her, erschlag mich, wenn sie’s ärgert, Die drinnen. Dank noch meinem lieben Mörder! Leben ist Last, da nichts vom Leben lockt.
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Chor Wo bleibt des Zeus Blitz, und wo bleibt Flammenumloht Helios auch, Wenn sie das sehn Und gelassen es dulden? Elektra Ach, ach! Weh, weh! Chor Mein Kind, warum weinst du? Elektra Weh!
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Chor Nein, schrei nicht so furchtbar! Elektra Ich vergeh! Chor Wie?
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Elektra Ach, Täuschest du noch Hoffnung mir vor, Da ihn gewiß Hades verschlang? Trittst mich noch mehr, Da ich doch schon Schmelze dahin Tief im Gram?
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Chor Den Seherfürst Sandte sein Weib Einst in den Tod. Goldenes Netz Strickte sie ihm; Aber drunten im Hades – Elektra Ach, ach! O weh!
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Chor Da herrscht er lebendig. Elektra Weh! Chor Ja, wehe! Er bezwang sie. Elektra In den Tod. Chor Ja! Elektra Ja, Jenem erschien, Da er im Leid, Rächend der Sohn. Mir aber bleibt Keiner nun mehr, Seit mir der Tod Grausam entriß Einen Mann.
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Chor Unglück trifft dich, du Unglücksfrau. Elektra Ich kenn das gut! Ich kenn es zu gut! Es treibt ein Strom Von lauter Graun Mir Mond für Mond Durchs Leben.
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Chor Wir sehn all dein Leid. Elektra Nimmer nun, Nimmermehr Lenk mich ab, Wo doch –
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Chor
Wo was? Elektra Mir keine Hoffnung bleibt auf den Bruder, den Sohn Edlen Geblüts, als Rächer.
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Chor Sterben müssen wir alle doch. Elektra Doch nicht zerstampft von der Hufe Schlag, Wie er, der Ärmste, der sich verwirrt Ins Riemenzeug seiner Zügel. Chor Entstellt, beispiellos!
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Elektra Ja fürwahr! Fremde Hand, Und nicht meine Hand –
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Chor O weh! Elektra Sie barg ihn. Keines Grabes teilhaftig er ward, Auch nicht der Klagerufe. C h r y s o t h e m i s tritt eilig auf Chrysothemis O Liebste, voller Freude eil ich her Und rascher, als der Anstand es erlaubt. Ich bring dir Freude: aus ist alles Leid, Worin du schmachtetest und ewig klagtest! Elektra Wie willst du Hilfe finden für mein Leid, Für das es nirgends eine Heilung gibt? Chrysothemis Orestes ist gekommen! Hör’s und glaub’s! So sicher, als ich selber vor dir stehe! Elektra Unselige! Hat ein Wahnsinn dich erfaßt, Daß du mit unserm Leid noch solchen Spott treibst? Chrysothemis Bei unsres Vaters Herd, ich spotte nicht, Ich sage dir, Orestes, er ist da! Elektra Weh mir! Aus wessen Munde ward dir denn Die Nachricht, daß du ihr so fest vertraust? Chrysothemis Mit meinen eignen Augen sah ich Zeichen, Untrügliche, und denen glaube ich.
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Elektra Unselige, was hast du denn gesehn, Daß du in unheilbarem Feuer glühst? Chrysothemis Bei allen Göttern, hör mich erst, bevor 890 Du mich vernünftig oder töricht nennst. Elektra So rede, wenn dir reden Freude macht.
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Chrysothemis Ich will dir alles, was ich sah, erzählen. Als ich an unsres Vaters Grab gekommen, Sah ich vom Hügel Bäche frischer Milch Ablaufen, sah des Vaters Ruhestatt Ringsum bekränzt mit Blumen aller Art. Der Anblick nahm mich wunder, und ich spähte, Ob nicht ein Mensch sich nahe mir herumtrieb. Doch sah ich überall nur tiefen Frieden. Da schlich ich näher, und am Rand des Grabes Sah ich ein Büschel Haare, frisch geschnitten. Da blitzt sogleich in meiner Seele auf Ein trautes Bild und sagt mir, daß dies Zeichen Vom liebsten aller Menschen kommt, Orest. In heiligem Schweigen tast ich’s mit der Hand, Und Freudentränen netzen mir die Wangen. Und hier wie dort leb ich der Zuversicht, Von keinem sonst als ihm ist dieser Schmuck. Denn wem oblag dies außer mir und dir? Und ich tat’s nicht, das muß ich doch wohl wissen; Und du noch weniger, darfst du doch das Haus Selbst nicht zum Beten ungestraft verlassen. Und auch der Mutter Sinn steht nicht danach. Und wenn sie’s tat, so wüßten wir darum. O nein, Orestes hat das Grab geschmückt. Drum Mut, geliebte Schwester, wandelbar Sind die Unsterblichen in ihrer Gunst.
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Hat uns bisher die Gottheit schwer gegrollt, So kann sie heute unser Glück begründen. Elektra O diese Blindheit! Kind, du dauerst mich! Chrysothemis Was ist dir? Freut dich meine Nachricht nicht? Elektra Du weißt ja nicht, wohin du dich verirrst. Chrysothemis Ich werd doch wissen, was ich deutlich sah! Elektra Orest ist tot! Die Hoffnung ist zeronnen. Schau nimmer mehr, du Ärmste, nach ihm aus! Chrysothemis Weh über mich! Woher denn weißt du das? Elektra Von einem Manne, der ihn sterben sah. Chrysothemis Wo ist der Mann? Mich faßt Entsetzen an! Elektra Im Hause bei der Mutter, hochwillkommen! Chrysothemis O weh mir, weh! Von wem in aller Welt Sind dann die Spenden auf des Vaters Grab? Elektra Ich möchte glauben, jemand legte sie Als Ehrengabe für Orest aufs Grab. Chrysothemis O jammervoll! Und ich lief so voll Freude Mit meiner Botschaft her und ahnte nichts Von allem unserm Leid, und muß nun hier Das alte wiederfinden und noch neues! Elektra So ist es. Doch wenn mir du folgen willst, Wirst du erleichtern unsrer Leiden Last.
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Chrysothemis Kann ich denn Tote auferwecken, Schwester? Elektra Das mein ich nicht. So sinnlos bin ich nicht. Chrysothemis Was ist es also, das ich leisten soll? Elektra Du sollst das wagen, was ich raten werde. Chrysothemis Ja, wenn es etwas nützt, lehn ich’s nicht ab. Elektra Du weißt, daß ohne Mühe nichts gelingt. Chrysothemis Ich weiß es; was ich kann, das will ich tragen. Elektra Hör an, was ich zu tun entschlossen bin. Auf Freundeshilfe dürfen wir, das weißt du, Nun nicht mehr rechnen. Denn der Hades nahm Sie alle fort, wir stehen ganz allein. Solang ich hörte, daß der Bruder noch In Kraft und Jugend blühe, hofft ich stets, Er komme einst und räche seinen Vater. Doch nun er tot ist, blick ich hin auf dich Und bitt dich: reich mir deine Schwesterhand, Und zaudre nicht, den Mörder unsers Vaters Mit mir zusammen zu erschlagen jetzt, Aigisth. Nun muß ich es dir offen sagen. Worauf noch harrst mit leichtem Herzen du? Was gibt’s zu hoffen noch? Du kannst nur klagen, Daß man des Vaters Erbe dir genommen. Und kannst nur jammern um dein künftig Leben, Das ehelos und ohne Hochzeit altert. Glaub nicht, man werde dich noch glücklich machen! So töricht ist Aigisth doch nicht, zu dulden, Daß ihm aus deinem oder meinem Stamm
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Ein Sprosse aufwächst, der ihn stürzen kann. Doch wenn du meinem Plane folgst, so trägst Zuerst du Ehr und Dank davon vom Vater Dort unten und zugleich von unserm Bruder. Dann heißt du wieder, was von Blut du bist: Freie und findest eine würdige Ehe. Denn nach dem Adligen blickt jeder gern. Preisworte – siehst du nicht, wie sehr du die Für dich und mich gewinnst, wenn du mir folgst? Denn welcher Bürger, welcher Fremde, der Uns sieht, wird nicht mit solchem Preis uns grüßen: »Seht diese beiden Schwestern da, ihr Freunde, Die ihrer Väter Haus erretteten, Die ihren Feinden, hoch in Macht und Glanz, Das Leben wagend, ihren Tod besorgten. Man muß sie lieben, jeder muß sie achten, Und in den Festen, in der Volksversammlung Gebühret Ehre ihrer Tapferkeit!« So wird ein jeder von uns beiden reden. Im Leben und im Tod währt unser Ruhm. So folge, Liebste, hilf mit mir dem Vater, Wirk für den Bruder, ende meine Not, Ende die deine. Dies bedenke, daß Ein schmählich Leben Schmach für Edle ist. Chorführerin In solcher Lage ist Besonnenheit Ein Bündner dem, der spricht, und dem, der hört. Chrysothemis Ja Fraun, sie hätte vor dem Reden noch, Wär sie nicht ganz von Leidenschaft erfüllt, Die Vorsicht wohl bewahrt, die sie verloren. Wohin erhebt dein Auge sich, daß du Dich solcher Kühnheit waffnest, mich dazu? Bist du denn blind? Ein Weib bist du, kein Mann; Dein Arm ist schwächer als der deiner Feinde. Ihr Schicksal ist beglückt von Tag zu Tag,
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Wogegen unseres ins Nichts zerrinnt. Wer diesen Mann zu stürzen sich vermißt, Der soll leidlos entgehn dem Untergang? Sieh zu, daß wir zum Leid nicht größer Leid Erwerben, wenn dich einer reden hört. Wie kann uns das erlösen, wie uns nützen? Herrlicher Ruhm als Frucht schmählichen Todes! Der Tod ist noch das Schlimmste nicht, vielmehr: Den Tod ersehnen und nicht sterben dürfen. Drum bitt ich dich, beherrsche deinen Haß, Damit du uns nicht ganz zugrunde richtest Und unser Stamm veröde. Deine Worte Will ungesagt und ungetan ich hüten. Du aber lerne klug sein, wenn auch spät, Und in der Ohnmacht dich der Macht zu beugen. Chorführerin Folg ihrem Rat! Bedenk, Besonnenheit Und Vorsicht ist des Menschen höchstes Gut. Elektra Kein einzig Wort kam unerwartet; wußte Ich doch zuvor, daß alles du verwarfst. So muß mit eigner Hand allein die Tat Ich tun. Ich geb es unversucht nicht auf. Chrysothemis Ach! Wärst du bei Vaters Tod schon so gesonnen Gewesen, wäre alles längst vollbracht. Elektra Ich war es, doch mein Geist war noch zu schwach. Chrysothemis Bewahr dir solchen Geist dein Leben lang! Elektra Wer nicht will handeln, rede nicht von Geist! Chrysothemis Wer Böses anfaßt, dem wird’s böse gehn.
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Elektra Die Klugheit neid ich, doch die Feigheit haß ich. Chrysothemis Ich werde auch dein Lob noch tragen müssen. Elektra Darunter wirst du nie zu leiden haben. Chrysothemis Darüber wird die Zukunft einst entscheiden. Elektra Geh fort! Bei dir ist Hilfe nicht zu finden. Chrysothemis Sie ist’s! Doch du nimmst keine Lehren an. Elektra Geh nur, der lieben Mutter alles klatschen! Chrysothemis Nie folge ich im Hasse dir soweit. Elektra Begreif doch, wie du mich in Schande treibst! Chrysothemis In Schande nicht, nur in Besonnenheit. Elektra Nur deinem Rechten soll ich also folgen? Chrysothemis Wenn du verständig bist, so sollst du führen. Elektra Wie schlimm: die schönen Worte – alle falsch! Chrysothemis Ganz recht! Dies Übel eben ist dein Fall. Elektra Du leugnest wirklich, daß bei mir das Recht? Chrysothemis Doch kann’s geschehen, daß das Recht uns schadet. Elektra Nach diesem Grundsatz will ich nimmer leben.
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Chrysothemis Wenn du es tust, gibst du mir einst noch recht. Elektra 1045 Ich tu es auch, du schreckst mich nicht zurück. Chrysothemis Du tust es wirklich? Gehst nicht neu zu Rat? Elektra Nichts hass ich mehr als einen schlechten Rat. Chrysothemis Nichts, scheint es, billigst du von meinen Worten? Elektra Es ist beschlossen längst und nicht erst jüngst. Chrysothemis 1050 So geh ich denn. Du kannst ja meine Worte Nicht billigen – und ich nicht deinen Sinn. Elektra Geh nur! Ich werde nimmermehr dir folgen, Auch wenn du’s noch so dringend wünschst. Wie dumm, Solch einem leeren Wunsche nachzujagen! Chrysothemis 1055 Du hältst dich nun einmal allein für weise. So sei denn weise. Bist du aber erst In Not, dann lobst du meine Worte noch. Ab Chor Wir sehn ja doch droben die Vögel voll Verstand Nahrung besorgen denen, die 1060 Ihnen das Leben und dazu Vielerlei Gutes schenkten einst. Warum denn tun wir nicht auch dasselbe? Doch beim blitzenden Strahl des Zeus, Bei des Himmels Gerechtigkeit! 1065 Lang bleibt solches nicht straflos. Unterweltstochter, Pheme du,
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Schrei doch einen Jammerruf Allen Atriden drunten zu, Bring die traurige Schmach zu ihnen! Wohl war ihr Haus lang schon erkrankt in jedem Teil. Aber der Kinder Doppelstreit Findet den Ausgleich nimmermehr Feindlicher Scheidung liebevoll. Einsam gestoßen ins Sturmgebrause, Klagt Elektra, die Arme, stets Um den Vater so jammervoll, Wie die Nachtigall klaget. Sorgt um den Tod sich nicht. Bereit, Nimmer das Licht zu schauen mehr, Jagt sie dem Mörderpaare nach. Liebe zum Vater, wo blüht sie edler?
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Und kein edel Geborener Läßt Hoch ruhm namenlos in Schmach vergehn, Lebend in Schmach, Kind, Kind! So zogst auch du Trauer vor lebenslang um Tote, 1085 Bekämpftest stets Gemeinheit du; trugst davon Das beste Kind, weise auch zu heißen. [Doppelruhm: Leben sollst du so hoch einst In Reich tum über deinen Feinden, wie Jetzt ihre Hand dich beugt! Ich fand, du hast deinen Fuß in ein Los, untadelig, Gesetzt. Jedoch was höchst Gebot ewig war, darin hast Den ersten Preis du erkämpft durch Frommsein.
O r e s t e s tritt auf mit P y l a d e s und Dienern; einer hat die Aschenurne im Arm Orestes Ihr Frauen, sagt mir, sind wir recht berichtet, Und sind wir auf dem rechten Weg zum Ziel?
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Chorführerin Was suchst du, und weswegen kommst du her? Orestes Ich möcht erfahren, wo Aigisthos wohnt. Chorführerin Dann hat man dich den rechten Weg gewiesen. Orestes Ist jemand da, der drinnen melden möchte, Es seien hochwillkommne Gäste da? Chorführerin Das tut am besten hier das Kind des Hauses. Orestes So gehe, Weib, und sag es drinnen an: Männer aus Phokis fragen nach Aigisth. Elektra Weh mir! Ihr bringet uns doch nicht die Zeichen, Die unsre Kunde klar bestätigen? Orestes Ich weiß nicht deine Kunde. Strophios Hat mich mit Botschaft von Orest gesandt. Elektra Mit welcher, Freund, ich zittere vor Angst. Orestes In dieser kleinen Urne, die wir tragen, Ruht alles, was von ihm noch übrig blieb. Elektra O wehe mir! So ist es also wahr? Und mir vor Augen liegt mein ganzes Leid? Orestes Wenn deine Tränen um Orestes strömen, So wisse, dies Gefäß birgt seinen Leib. Elektra O habt ihr wirklich seinen Staub darin, So gebt es mir und laßt es mich umfassen,
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Damit ich mich und mein unselig Haus Zugleich mit diesem Staub bejammern kann. Orestes Reicht ihr die Urne hin, wer sie auch sein mag! Aus Feindesherz kommt diese Bitte nicht, Sie war ihm Freundin oder blutsverwandt. Elektra O Denkmal du des liebsten aller Menschen, O einziger Rest von ihm, wie sandt ich ihn Voll Hoffnung aus, und wie kehrt er zurück! Nun halt ich dich, ein Nichts, in meinen Händen, Und sandte strahlend dich, mein Kind, hinaus. Ach, hätt ich längst mein Leben doch gelassen, Eh ich mit meinen Händen dich dem Mord Entrissen, in die Fremde dich geschickt! Dann wärest du an jenem Tag gestorben Und ruhtest mit dem Vater in der Gruft. Nun starbst du in der Fremde, jammervoll, Fern von der Heimat und der treuen Schwester! Ich durfte nicht mit meiner Hand dich baden, Dich schmücken, durfte nicht die Jammerlast Der Flammenglut entheben, wie sich’s ziemt. Es tat dir fremde Hand den letzten Dienst. Als kleines Häuflein kommst in kleinem Krug du. Weh mir! So hab ich denn vergeblich dich Gewartet und gepflegt mit süßer Sorgfalt! Denn nie warst du dem Mutterherzen teurer, Als du dem meinen warst. Es pflegten dich Nicht Wärterinnen, ich war deine Amme, Und mir, der Schwester, galt dein kindlich Wort. Nun starb mir alles dies an einem Tag Mit dir hinweg; du schiedest wie ein Sturmwind, Der alles fortreißt. Tot ist längst der Vater, Ich bin dahin, und du bist auch nicht mehr. Die Feinde lachen, die Unmutter Mutter, Sie rast vor Lust. Wie oft hast insgeheim
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Du Botschaft mir geschickt, du würdest kommen Als Rächer. Doch der unglückselige Dämon Von dir und mir hat alles weggerafft. So schickt er statt der teuersten Gestalt Ein Häuflein Asche, einen nichtigen Schatten. O weh mir! O Jammerleib, o, o! O grauenhaften Pfad – weh mir! – Hierhergesandt zu meinem Tod, du Liebster, Zu meinem Tode, brüderliches Haupt! So nimm auch mich zu dir in dies dein Haus, Mich Nichts ins Nichts, damit ich mit dir drunten Hinfürder hause. Als du droben warst, Teilt ich mit dir dein Los; so will auch jetzt Im Tod ich nicht in deinem Grabe fehlen. Ich weiß: im Tod gibt’s keine Trauer mehr. Chorführerin Kind, sterblich war dein Vater, sterblich auch Orest. Drum klage nicht zu sehr, Elektra! Wir edle sind dem gleichen Los verfallen. Orestes Was soll ich sagen? Weh! Ich bin ganz ratlos, Ich kann die Zunge länger nicht beherrschen. Elektra Wie soll ich das verstehn? Was macht dir Kummer? Orestes Bist du Elektras edles Frauenbild? Elektra Ihr Jammerbild, mein Freund, das bin ich, ja! Orestes O weh mir um dies unglückselige Los! Elektra Was klagst du, Fremdling, über mein Geschick? Orestes O Leib, so ehrlos, gottlos auch verwüstet!
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Elektra Das gilt von keiner andern als von mir. Orestes Weh um dein ehelos und freudlos Leben! Elektra Was schaust du mich so an und klagst um mich? Orestes Nichts wußte ich bisher von meinem Leid. Elektra In welchem Wort von mir erkennst du das? Orestes Da ich dich sah von vielem Schmerz gezeichnet. Elektra Und siehst doch wenig nur von meinem Leid! Orestes Kann’s denn noch größeres Leid als dieses geben? Elektra Daß ich mit Mördern muß zusammen hausen. Orestes Mit welchen Mördern? Worauf deutest du? Elektra Den Mördern meines Vaters muß ich dienen! Orestes Doch wer in aller Welt zwingt dich dazu? Elektra Mutter heißt sie, von Mutter hat sie nichts. Orestes Womit? Mit Hunger oder mit Gewalt? Elektra Gewalt und Hunger und sonst alles Böse. Orestes Und hast du keinen Helfer, der dich schützt? Elektra Nein, den ich hatte, dessen Staub ist dies.
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Orestes Wie schau ich dich schon längst voll Mitleid an! Elektra 1200 Du bist der einzige, der sich mein erbarmt. Orestes Der einzige auch, der mitfühlt deine Qual. Elektra Du bist uns doch nicht irgendwie verwandt? Orestes Ich würde reden, wenn dies Freunde wären. Elektra Sie sind es ja, du redest nur zu Freunden. Orestes 1205 Tu erst die Urne fort; dann sag ich alles. Elektra Nein, bei den Göttern, tu mir das nicht an! Orestes Gehorche mir! Es wird kein Fehler sein. Elektra O nimm mir nicht mein Teuerstes, ich bitt dich. Orestes Du sollst es lassen! Er nimmt ihr die Urne weg Elektra O ich Ärmste! Nimmt 1210 Man mir hinweg, Orestes, deine Asche! Orestes Schweig dieses Wort! Du klagst ja ohne Grund. Elektra Den Tod des Bruders klag ich ohne Grund? Orestes Du hast kein Recht, von seinem Tod zu sprechen. Elektra So hat der Tote mich denn ganz verschmäht?
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Orestes Verschmäht? Mitnichten! Doch dies ist nicht dein. Elektra Es ist’s, wenn anders dies sein Leichnam ist. Orestes Er ist es nicht. Zum Schein war’s nur getan. Elektra Wo ist denn dann des Unglückseligen Grab? Orestes Ist nirgends; der Lebendige hat kein Grab. Elektra Was sagst du, Knabe? Orestes Keine Lüge sag ich. Elektra Er lebt noch? Orestes Wenn ich noch am Leben bin. Elektra Du bist es, du? Orestes Sieh hier den Siegelring Des Vaters und erkenne, wer ich bin. Elektra O Tag des Heils! Orestes Des Heils! So sag auch ich. Elektra Die Stimme! Kamst du? Orestes Lausch auf keine andre! Elektra In meinem Arm? Orestes Die ganze Zukunft, ewig!
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Elektra O teure Frauen meiner Vaterstadt, Seht hier Orest, den List hat totgesagt, Und den uns List jetzt glücklich heimgebracht! Chorführerin Ich sehe ihn, und, froh ob deinem Schicksal, Schleicht eine Träne sich in’s Auge mir. Elektra O, heil dir, Sproß! Du Sproß jenes Leibs, von mir heiß geliebt! Du kamst endlich doch! Orestes Ich bin’s. Doch harre noch und schweige still. Elektra Was ist? Orestes Schweig still, damit uns niemand drinnen hört! Elektra Doch nein, nein! Bei der ew’gen Jungfrau Artemis, Ich will niemals fürchten mehr jenes Volk Von Weibern, das mir drinnen Zur Last allzusehr ward. Orestes Gib acht! In Weibern auch wohnt Ares wohl. Du mußt es selber aus Erfahrung wissen. Elektra O weh, o weh, o weh! Du trafst unverhüllt, Was nie mehr sich löst, Nie sich verschmerzt! Unser, ach, großes Erleiden, wie es war! Orestes Ich weiß auch dieses. Aber lasse jetzt Erinnrung ruhen, bis es an der Zeit.
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Elektra Ach, jede Zeit Ist recht, daß ich meine Qual klagen darf, Und jetzt mehr als je; Gewann ich kaum doch Freiheit meinem Mund.
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Orestes Gewiß, doch sorge, daß es auch so bleibt! Elektra Womit? Orestes Wo’s nicht am Platz, sprich nicht soviel! Elektra Ach, wer hätt, da du uns erschienst, vertauschen wollen Sein laut Jubelwort mit stumm ernstem Gruß! So unerwartet kamst du Uns heim, so ungeahnt!
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Orestes Erst, als die Götter mahnten, wollt ich kommen. Elektra Die Freud ist größer noch, Die dies Wort mir bringt, Wenn dich hergesandt Uns heim ein Gott. Gottes Wink gnädig Erkenn froh ich jetzt. Orestes Ich wehre ungern deiner Freude, Schwester, Jedoch mir bangt, du freust dich allzusehr. Elektra O, der du nach so lang, langer Zeit Den Weg hochwillkommen erst beschreiten wolltest, So laß der Gramverzehrten doch – Orestes Was soll ich? Sprich.
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O laß mir doch die Freude, Und raub mir nicht die Lust, zu sehn dein Antlitz! Orestes Bei meinem Zorn! Das soll dir niemand wehren. Elektra Du sagst ja? Orestes Warum nicht? Elektra Als ich hörte diese Kunde unerwartet, Hielt ich stumm meinen Jammer, Schrie nicht laut ich Arme auf bei der Kunde. Doch jetzt halt ich dich, du brachtest Mir dein teures, liebes Antlitz, Das ich selbst im Leid nun nie vergesse. Orestes Tu ab nun alle überflüssigen Worte, Erzähle nicht der Mutter Schlechtigkeit, Noch wie Aigisth des Vaters Hab und Gut Gedankenlos verschleudert und verschenkt. Das Wort verdrängt den günstigen Augenblick. Doch sage mir, was jetzt vor allem not tut, Wie wir verborgen oder wie wir offen Der Feinde Hohn ein Ende machen können. Du lasse ja kein heiteres Antlitz leuchten, Wenn wir hineingehn, daß es uns verrät. Nein, klage laut, als wäre jenes Unheil Nicht falsch berichtet. Sind wir dann am Ziel, Dann darfst frohlocken du und hellauf lachen, Elektra Ich richt in allem mein Verhalten ein, Wie du es wünschest, Bruder; hab ich doch Von dir empfangen all mein Glück. Ich möchte Dich nicht im kleinsten kränken, hätt ich selber
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Den größten Vorteil auch. Ich diente sonst Der Gottheit schlecht, die uns gewogen ist. Das nächste, was zu tun ist, weißt du selbst. Aigisth ist nicht zu Hause, wie du hörtest, Jedoch die Mutter. Fürchte nicht, daß sie Ein heiter Lächeln seh auf meinem Antlitz. Denn tief gewurzelt hat mein alter Haß, Und seit du kamest, wein ich immerzu Vor Freude. Ach, wie sollt es anders sein, Da ich an einem Tage tot dich sah Und wieder lebend. Wunder sind geschehn, So daß, wenn unser Vater jetzt erschiene, Ich’s nicht als Wunder nähme, sondern glaubte. Da du nun solchen Wunderweg gekommen, Führ du nach deinem Sinn; blieb ich allein, Hätt ich ein Ziel gewiß erreicht von zweien: Herrlichen Sieg – herrlichen Untergang. Orestes Sei still jetzt. Denn ich hör von innen jemand Der Schwelle nahn. Elektra mit lauter Stimme Ihr Gäste, geht hinein, Ihr bringt, was keiner drinnen von sich weist, Und wer’s empfängt, wird dennoch sich nicht freun. O r e s t e s geht mit P y l a d e s auf das Haus zu Der P f l e g e r tritt heraus Pfleger Seid ihr denn ganz von Sinnen? Seid ihr toll? Liegt euch denn gar nichts mehr an eurem Leben? Wie? Oder habt ihr nicht soviel Verstand, Daß ihr nicht merkt, ihr seid nicht der Gefahr Nur nahe, nein ihr seid schon mitten drin. Hätt ich an dieser Türe nicht schon lange Wache gestanden, längst wär euer Plan Ins Haus gedrungen, eh ihr selber drinnen.
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So hab ich euch das Unheil abgewendet. Jetzt aber laßt die langen Reden endlich, Und hemmt den Freudenschrei, so unersättlich! Hinein! Bei solchen Dingen zaudern, führt Ins Unglück. Macht ein Ende, es ist Zeit! Orestes Wie geht es weiter, wenn ich drinnen bin? Pfleger 1340 Gut. Ist’s doch sicher, daß dich niemand kennt. Orestes So hast du drin verkündet, daß ich tot sei? Pfleger Du bist für sie schon lang im Hades drunten. Orestes Und freut sie das? Was haben sie gesagt? Pfleger 1345 Davon nachher, wenn wir am Ziele sind. Ist alles gut für uns, auch ihre Bosheit. Elektra Wer ist der Mann, mein Bruder, bei den Göttern? Orestes Kennst du ihn nicht? Elektra Vergeblich sinn ich nach. Orestes Du weißt nicht, wem du einst mich übergabst? Elektra Was sagst du? Wem – Orestes Der mich in seinem Arm 1350 Dank deiner Vorsicht zu den Phokern brachte. Elektra Der war es also, den ich unter vielen Allein getreu fand bei des Vaters Tod? 1335
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Orestes Er ist’s. Du brauchst nicht weiter mehr zu fragen. Elektra O holder Tag! Du bringst des Hauses Retter, Den einzigen! Du bist es also wirklich, Der ihn und mich aus soviel Not gerettet? Ihr lieben Hände und du süßer Dienst Der Füße! Warst so lang schon da und birgst dich, Und zeigst dich nicht, nein, tötest mich mit Worten, Und wußtest doch die schönsten Taten mir! Heil,Vater! Ja, du bist wie Vater mir. Und wisse, daß kein Mensch an einem Tage Mir so wie du verhaßt – willkommen war. Pfleger Genug! Genug! Noch mancher Tag wird kreisen Und manche Nacht, wo wir erzählen können, Was alles sich inzwischen hat begeben. Zu O r e s t e s und P y l a d e s Euch aber frage ich, was steht ihr müßig? Ihr müßt jetzt handeln. Klytaimestra weilt Allein im Hause, niemand ist bei ihr. Säumt ihr, bedenkt, daß ihr mit vielen andern Und klügeren dann noch zu kämpfen habt. Orestes Komm, Pylades, so laß uns nicht mehr schwatzen! Laß uns zuerst zum Herd der Götter treten, Die hier die Pforten hüten. Dann hinein! Alle wenden sich zum Altar des Apollon Elektra Herrscher Apollon! Gnädig höre die Und mich mit ihnen, die ich häufig dir Mit karger Gabe willig doch genaht. Doch jetzt, Apollon, zwar mit leeren Händen, Fleh, knie ich und beschwöre ich: Sei gnädig Ein Schirmer uns bei dieser unsrer Tat,
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Und zeige du den Menschen, wie die Götter Ehren und lohnen gottverfluchten Sinn. Alle ab in den Palast Chor Schauet hin! Seht, er naht! 1385 Rache schnaubt Ares jetzt, Blut und Tod. Und eben schleichen unter dieses Dach sich ein Die Spür hunde, witternd stets böse Tat; Entgeht ihnen nichts. Nicht lange wird der Angsttraum 1390 Vor meiner Seele in der Schwebe bleiben. Und ins Haus schleichet jetzt Racheschritt listig sich leis hinein Zum Herrschersitze seines Vaters, uralt, reich. Den Stahl frisch geschärft, ihn hält fest die Hand. 1395 Ihn führt Maias Sohn Und hüllt ihn listig dunkel ein, Doch gradeaus aufs Ziel, er säumt nicht mehr. E l e k t r a tritt aus dem Palast Elektra Ihr liebsten Frauen, eben jetzt vollenden Die Männer ihre Tat. Doch schweigt und harrt! Chorführerin Wie denn? Was tun sie? Elektra 1400 Sie bekränzt die Urne Zum Grabesfest, und beide stehn bei ihr. Chorführerin Weshalb kamst du heraus? Elektra Um hier zu wachen, Daß nicht Aigisth uns plötzlich überrascht.
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Stimme der Klytaimestra im Palast Ah, ah! o weh! Das Haus Ist voll von Mördern und von Freunden leer! Elektra Es ruft von drinnen! Hört ihr’s, liebe Fraun? Chorführerin Ach, unerhört war, was ich hören mußte, schaurig! Stimme der Klytaimestra Weh über mich! Aigisthos, ach, wo bist du? Elektra Sieh da, es schreit schon wieder! Stimme der Klytaimestra Kind! Mein Kind! Erbarmen mit der Mutter! Elektra Fand denn er Bei dir Erbarmen oder auch sein Vater? Chorführerin O meine Stadt, o du armer Stamm! Ach, endlich Schwindet dir heute der Fluch dahin, dahin! Stimme der Klytaimestra O weh, das traf! Elektra Triff, wenn du kannst, nochmal! Klytaimestra Weh mir! Schon wieder! Elektra Wär Aigisth dabei! Chorführerin Erfüllt der Fluch. Die im Grab schon geruht, leben auf, Und ihren Mördern Blut für Blut entziehen sie, Die Toten, sie, die längst gestorben. O r e s t e s und P y l a d e s kommen mit dem P f l e g e r aus dem Palast
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Chorführerin Da kommen sie, und von des Ares Opfer Trieft blutig noch die Hand. Ich kann’s nicht tadeln. Elektra Wie steht’s, Orest? Orestes Gut steht es drinnen, gut, 1425 Wenn anders Phoibos gut gesprochen hat. Elektra So ist sie tot? Orestes Befürchte nichts mehr! Nimmer Wird dich ihr mütterlicher Hohn verletzen. Chorführerin Seid still, ich seh dort Aigisth. Ja, er ist es sicher. Elektra Hinein! Hinein, ihr beiden! Orestes Wo, wo ist er? 1430 Elektra Dort kommt er heitern Blickes von der Vorstadt. Chorführerin Tretet eilig zurück hinter’s Tor, so schnell wie möglich! Ist euch das erste geglückt, so glückt auch dies. Orestes Nur Mut! Es glückt. Elektra Nun schnell zu deinem Plan! 1435 Orestes Schon bin ich fort. Mit P y l a d e s und dem P f l e g e r ab in den Palast Elektra Hier draußen laß mich sorgen.
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Chorführerin Es wär wohl gut, diesem Mann leis ins Ohr freund- Ein Wort zu sagen, daß er blinden Sinnes stürzt [schaftlich 1440 Zum End kampf um des Rechtes Rache. A i g i s t h o s tritt auf Aigisthos Weiß jemand, wo die fremden Männer sind, Die uns die Nachricht bringen, daß Orest Durch einen Sturz vom Wagen umgekommen? Zu E l e k t r a Dich mein ich, dich ja, dich! Warst früher ja So frech. Doch da es dich am meisten angeht, Kannst du es auch am allerbesten sagen. Elektra Ich kann’s. Wie sollt ich nicht? Ich müßte sonst Ganz fremd dem Schicksal meiner Liebsten sein. Aigisthos Wo sind sie also denn, die Fremden, sprich! Elektra Da drin; sie trafen eine liebe Wirtin. Aigisthos Und ist die Nachricht sicher, daß er tot? Elektra Sie melden nicht nur, bringen gar den Toten. Aigisthos So ist die Leiche da, man kann sie sehn? Elektra Ja, und der Anblick ist nicht neidenswert. Aigisthos Du sprachst, ganz ungewohnt, ein Wort der Freude. Elektra So freu dich, wenn dir das erfreulich ist.
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Aigisthos Schweigen gebiet ich! Öffnet weit das Tor! Ganz Argos schaue, was geschehen ist. Daß jeder, der von leerer Hoffnung noch Auf ihn getragen war, die Leiche sehe Und meinen Zaum annehme, daß ihn nicht Erst harte Zucht von mir verständig macht. Elektra Ich tu das meine schon. Ich hab gelernt Mich endlich zu den Stärkeren zu halten! Sie öffnet das Tor, man sieht einen verhüllten Leichnam; O r e s t e s und P y l a d e s stehn daneben Aigisthos O Zeus! Welch Zeichen von der Götter Neid! Doch red ich sündhaft, sei es ungesagt. Nehmt fort die Hülle, daß ich ganz ihn schaue Und dem Verwandten eine Träne weihe! Orestes Nimm selbst sie fort. Nicht mein ist, sondern dein Der Anblick und ein liebevoller Gruß. Aigisthos Ja, du hast recht. Gut denn! Zu E l e k t r a Du aber, Weib, Ruf doch, wenn sie im Haus ist, Klytaimestra! Orestes Sie ist dir nah; such sie nicht anderswo! A i g i s t h o s hebt die Decke von der Leiche Aigisthos Weh mir! Was seh ich! Orestes Was erschreckt dich denn? Aigisthos In welcher Männer Netz bin ich geraten? Ich Armer!
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Orestes Merkst du denn noch nicht, daß du Lebendige als Tote angesprochen? Aigisthos Weh, ich verstehe dich! Du bist Orest! Kein andrer konnte dieses zu mir sagen.
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Orestes Und ein so guter Seher irrt’ so lang! Aigisthos Ich bin verloren; nur ein kleines Wort Vergönn mir noch. Elektra Kein Wort vergönn ihm, Bruder! Nein, töt ihn möglichst schnell und wirf die Leiche Zum Fraß den Wärtern hin, die er verdient, Weit fort aus unsern Augen! Dies allein Mag mir nach langem Leid Erlösung schenken. Orestes Hinein ins Haus mit dir! Nicht mehr mit Worten Wird jetzt gekämpft, jetzt geht es um dein Leben! Aigisthos Wozu hinein? Ist deine Tat gerecht, Wozu bedarf ’s des Dunkels? Zauderst du? Orestes Laß dein Befehlen! Wo du meinen Vater Erschlagen hast, genau dort stirbst du auch. Aigisthos O soll denn dieses Haus das ganze Leid Der Pelopiden jetzt und immer schauen? Orestes Das deine, ja! Das prophezei ich dir. Aigisthos Die Kunst hat dir dein Vater nicht vererbt!
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Orestes Laß dein Geschwätz und halte mich nicht auf! Hinein! Aigisthos Ich folge dir! Orestes Du gehst voran! Aigisthos Daß ich nicht fliehe? Orestes Nein, damit du nicht 1505 Nach deinem Wunsche stirbst: Hart soll dir’s werden! O träfe jeden Frevler doch der Tod, Der das Gesetz zu übertreten wagt! Dann gäb es in der Welt nicht soviel Frevler. Alle ab in den Palast
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Chor Du Atreussame, wohl littest du viel, Doch beugtest dich nicht, schwer rangst du dich durch. Heut brachte der Sturm dich zum Ziele.
Philoktet
Einleitung Der Stoff des 409 v. Chr. aufgeführten Philoktetes stammt aus dem trojanischen Sagenkreis. Bei der Fahrt des Griechenheers nach Troja wird Philoktet auf der Insel Chryse von einer Schlange gebissen. Der Gestank, den die Wunde verbreitet, belästigt die Griechen derart, dass sie auf Anraten des Odysseus den Kranken auf der Insel Lemnos aussetzen. Vor Troja erhalten die Griechen jedoch von dem trojanischen Seher Helenos die Weissagung, dass nur durch den Bogen des Herakles und die Hilfe von Achills Sohn Neoptolemos die Stadt fallen werde. Der Bogen aber ist Eigentum des Philoktet. Er hatte ihn einst von Herakles geschenkt bekommen, da er sich bereit erklärt hatte, auf dem Berge Oita den Scheiterhaufen anzuzünden und dadurch den Leiden des Heros ein Ende zu bereiten (vgl. Sophokles, Trachinierinnen). So fassen die Griechen den Entschluss, eine Gesandtschaft unter der Leitung von Neoptolemos und Odysseus nach Lemnos zu schicken, um in den Besitz der siegverheißenden Waffe zu gelangen. Im Prolog des Stücks entwickelt Odysseus einen Plan, wie man sich der Waffe bemächtigen könnte. Neoptolemos soll vor Philoktet so tun, als sei er aus Zorn darüber, dass die Waffen seines Vaters Odysseus zugesprochen wurden, von Troja abgesegelt. Eine gütliche Einigung mit Philoktet schließt Odysseus aus. Zu sehr hasse dieser alle Griechen. Nur widerwillig willigt Neoptolemos ein, die Intrige mitzuspielen (V. 1 ff.). Odysseus entfernt sich, um Philoktet nicht zu treffen. Der Chor, Matrosen des Neoptolemos, zeigt Mitleid mit dem verlassenen Philoktet. Durch die Worte des Neo ptolemos wird schon im Einzugslied des Chores deutlich (V. 135 ff.), dass die unabdingbare Voraussetzung für Trojas
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Fall die Anwesenheit Philoktets ist. Ohne seinen Besitzer ist der siegverheißende Bogen des Herakles wertlos. Schmerzenslaute aus der Ferne kündigen Philoktet an (V. 190). Erfreut, nach zehn Jahren endlich wieder Menschen zu sehen, holt er zu einer langen Erzählung über seine Leiden aus, in der sein Hass auf Odysseus immer wieder anklingt (V. 154 ff.). Neoptolemos stimmt in die Schmähungen auf Odysseus ein und erzählt, vom Chor unterstützt, die geplante Lügengeschichte (V. 343 ff.). Philoktet erkundigt sich nach dem Schicksal der griechischen Helden vor Troja (V. 403 ff.). Neoptolemos dringt jedoch plötzlich darauf, zu den Schiffen zurückzukehren (V. 464 f.). Bestürzt bittet Philoktet, ihn mitzunehmen. Ganz im Sinne der Intrige unterstützen ihn die Seeleute in seiner Bitte (V. 506 ff.). Um die Intrige zu beschleunigen, erscheint, wie im Prolog bereits festgelegt wurde, ein Gesandter des Odysseus, getarnt als Kaufmann (V. 542 ff.). Er berichtet, man habe ein Geschwader ausgesandt, um nach Neoptolemos zu fahnden und um Philoktet von Lemnos wegzuholen. Die List scheint Erfolg zu haben. Philoktet drängt zur Eile (V. 628 ff.). Zuvor will er noch, bemitleidet vom Chor (V. 676 ff.), einige heilende Kräuter aus seiner Höhle holen. Plötzlich wird Philoktet von einem Krankheitsanfall gepackt (V. 732 ff.). Schmerzgekrümmt übergibt er seinen Bogen Neoptolemos zu treuen Händen, bevor er in einen tiefen Schlaf fällt. Der Chor preist den Schlaf als Quelle der Genesung (V. 827 ff.) und fordert seinen Herrn auf, ohne Philoktet mit dem Bogen abzusegeln. Doch, in Orakelstil verfallend, weist Neoptolemos darauf hin, dass der Bogen nur in der Hand seines rechtmäßigen Besitzers seinen Zweck erfülle. Philoktet erwacht (V. 867 ff.). Er rühmt die Treue des Neoptolemos und bringt dadurch den jungen Mann dazu, beschämt die Intrige einzugestehen, die Odysseus ins Werk setzte. Entsetzt wirft der Getäuschte dem Neoptolemos die Verletzung aller menschlichen Rechte vor (V. 927 ff.). In der tragischen Lage, in der sich Neoptolemos befindet, erscheint Odysseus und zwingt seinen Begleiter,
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sich mit dem Bogen zum Schiff zu begeben. Vergeblich bemüht sich der Chor, Philoktet zur Mitfahrt zu überreden (V. 1081 ff.). Doch überraschenderweise kehrt Neoptolemos zurück, um Philoktet den Bogen zurückzugeben (V. 1218 ff.). Sein edler Charakter setzt sich gegen die pragmatischen Argumente des Odysseus durch. Odysseus will zu den Schiffen zurückkehren, aber er versteckt sich nur im Gebüsch, um die Übergabe des Bogens zu verhindern (V. 1293 ff.) – doch vergebens. Neoptolemos teilt Philoktet den vollen Wortlaut des Orakels mit, das den Untergang Trojas und die Heilung des Philoktet voraussagt (V. 1314 ff.). Aber auch dieser letzte Überredungsversuch scheitert. Philoktet besteht darauf, dass Neoptolemos sein Ehrenwort einlöse und ihn in die Heimat bringe. Da erscheint Herakles als deus ex machina und ordnet die ausweglose Lage (V. 1409 ff.). Erst die göttliche Autorität vermag Philoktet zu überzeugen, mit nach Troja zu fahren.
Personen Philoktet Odysseus Neoptolemos Ein Diener, als S c h i f f s h e r r verkleidet Herakles Der Chor, aus den Schiffsleuten des Neoptolemos bestehend
Der Schauplatz ist auf der Insel Lemnos; im Hintergrund eine Höhle mit zwei Eingängen.
O d y s s e u s und N e o p t o l e m o s treten mit einem Diener auf Odysseus Wir sind am Strand des meerumrauschten Lemnos, Von Menschen nicht betreten, nicht bewohnt. Hier war’s, o Sohn Achills, du tapfrer Sproß Des größten Griechen, Neoptolemos, Wo ich den Melier einst ausgesetzt, Des Poias Sohn, nach unsrer Feldherrn Wort. Denn ihm zerfraß den Fuß ein Giftgeschwür. Kein Opfer konnten wir in Ruhe halten, So füllte er uns immerdar das Lager Mit Flüchen an und Stöhnen und Geschrei. Jedoch genug davon. Jetzt ist nicht Zeit Zu langen Reden; sonst erfährt er noch, Daß ich gekommen, und es ist geschehn Um meine List, die ihn ja fangen soll. Doch deine Sache ist es, nun zu helfen. Schau, ob du eine Felsenhöhle siehst, Die an zwei Seiten offen, daß man sich Bei Kälte sonnen mag, und daß bei Hitze Den Schlaf erquickt ein Durchzug durch die Höhle. Ein wenig abwärts findest du zur Linken, Wenn es noch nicht versiegt, ein frisches Wasser. Schleich leis dich hin und gib durch Zeichen an, Ob wir am rechten Ort sind oder nicht. Dann hörst du gleich von mir den weitern Plan. Ich weise an, doch wirken wir zusammen. Neoptolemos geht nach dem Hintergrunde Dazu brauch ich nicht weit zu gehn, mein Fürst. Mir scheint, ich seh die Höhle, die du meinst.
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Odysseus Ich sehe nichts. Dort oben? Oder unten? Neoptolemos Hier oben ist sie, Schritte hör ich nicht. Odysseus Sieh zu, ob er nicht grad im Schlafe liegt. Neoptolemos Leer ist die Wohnung, und kein Mensch ist drin. Odysseus Und auch kein Hausrat, der sie wohnlich macht? Neoptolemos Laub seh ich, wie zum Lager aufgehäuft. Odysseus Sonst alles leer und weiter nichts darin? Neoptolemos Ein Trinkgefäß, von ungeschickter Hand Aus Holz geschnitzt, und ein paar Feuersteine. Odysseus Da hast du alle seine Kostbarkeiten. Neoptolemos O weh, o weh! Da hängen auch noch Lumpen Zum Trocknen, voll vom Eiter böser Wunden. Odysseus Kein Zweifel mehr! In dieser Höhle wohnt er Und weilt gewiß nicht ferne. Denn ein Fuß Mit solcher alten Krankheit trägt nicht weit. Vielleicht, daß er sich draußen Nahrung sucht, Vielleicht ein Kraut, das ihm die Schmerzen stillt. Drum stell den Diener hier als Wache auf, Daß er nicht unversehens mich entdeckt. Mich fing er lieber als das ganze Heer. Der D i e n e r geht nach dem Hintergrund Neoptolemos Schon geht er, und die Pfade sind bewacht. Nun laß mich wissen, was du weiter planst.
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Odysseus Du mußt bei diesem Werk dein edles Blut Bewähren, Sohn Achills, nicht nur im Kampf. Auch wenn ich Unerhörtes von dir fordre, Gehorch! Du bist ja zum Gehorchen hier.
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Neoptolemos Was forderst du? Odysseus Du mußt den Philoktet Mit List und schlauer Rede hintergehn. Sobald er fragt, wer und woher du seist, So sagst du ohne Hehl: Achilleus’ Sohn; Du fährst nach Hause, hast der Griechen Flotte In heller Wut verlassen, da sie dich Zuerst von Haus mit Bitten fortgelockt, Weil Troja nur durch dich zu nehmen sei; Und hätten dann dir deines Vaters Waffen, Die du nach Recht und nach Gebühr begehrt, Entzogen und sie mir dafür geschenkt. Auf mich schmäh nur so viel du magst und kannst, Es kränkt mich nicht. Doch tust du jenes nicht, So bringst du Trauer über alles Heer. Denn wenn wir nicht des Mannes Bogen haben, So wirst du Troja nimmermehr erobern. Begreif, daß der Verkehr mit ihm für dich, Doch nicht für mich, ganz ungefährlich ist. Dich hat kein Zwang, kein Eid auf Fahrt gebracht, Noch warst du bei dem ersten Zug dabei. Von mir kann ich das alles nicht behaupten. Drum, komm ich ihm zu nah und seinem Bogen, So ist’s um mich und auch um dich geschehn. Daher kommt alles darauf an, daß du Den unfehlbaren Bogen ihm entwendest. Ich weiß, mein Sohn, dich hat Natur geschaffen Zu solchem schlechten Tun und Reden nicht.
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Doch süß ist es, des Sieges Kranz erringen! Drum wag es! Redlich sind wir später wieder. Jetzt ohne Scham für einen kurzen Tag Sei mein! Nachher magst du dein ganzes Leben Als Reinster auf der Welt dich preisen lassen. Neoptolemos Wovon zu hören mir schon schmerzlich ist, Das zu erfinden, ist mir ganz verhaßt. Ich bin für böse Ränke nicht geschaffen, So wenig als mein Vater, wie man rühmt. Ich bin bereit, ihn mit Gewalt zu zwingen, Doch nicht mit Lügen. Unsrer Übermacht Ist er, der eine Mann, doch nicht gewachsen. Ich kam gewißlich mit, um dir zu helfen. Doch bin ich kein Verräter. Lieber ehrlich Das Ziel verfehlen, als mit Falschheit siegen! Odysseus Des besten Vaters Sohn! Auch ich als Jüngling Braucht nur die Faust und ließ die Zunge ruhn. Nun weiß ich aus Erfahrung, daß das Wort Die Welt regiert und nicht die Kraft der Fäuste. Neoptolemos Jedoch du forderst, daß ich lügen soll! Odysseus Mit List sollst du ihn fangen, weiter nichts. Neoptolemos Warum denn List? Warum nicht Überredung? Odysseus Weil er nicht folgt. Und auch Gewalt hilft nichts. Neoptolemos Wie? Ist denn seine Stärke so zu fürchten? Odysseus Die Pfeile sind’s, die sichern Tod bescheren. Neoptolemos So darf man es nicht wagen, ihm zu nahn?
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Odysseus Man fängt ihn nur mit List, ich sagt es schon. Neoptolemos Und immer lügen! Ist denn das nicht schimpflich? Odysseus Nein, wenn die Lüge einzig Rettung bringt. Neoptolemos Wie kann man ihm dabei ins Auge sehn? Odysseus Wer nach Gewinn strebt, darf nicht heikel sein. Neoptolemos Was nützt es mir, wenn er nach Troja kommt? Odysseus Durch sein Geschoß allein wird Troja fallen. Neoptolemos So bin nicht ich der Sieger, wie ihr sagtet? Odysseus Du brauchst den Bogen und der Bogen dich. Neoptolemos Dann freilich müssen wir den Bogen haben. Odysseus Es ist ein Doppelpreis, den du erringst. Neoptolemos Erklär mir das! Dann zögere ich nicht mehr. Odysseus Der Kluge wirst du heißen und der Tapfere. Neoptolemos So sei’s! Ich tu’s. Es fahre Scham dahin! Odysseus Wirst du bedenken auch, was ich dir riet? Neoptolemos Sei ruhig, wenn ich einmal zugesagt. Odysseus So bleibe du denn hier und wart auf ihn. Ich werde gehn, bevor er mich bemerkt.
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Den Späher nehm ich wieder mit zum Schiff, Und finde ich, daß ihr zu lange säumt, Dann schick ich ihn verkleidet wieder her, 130 Als wär’s ein Schiffsherr. Aus den bunten Reden, Die er dann führen wird, nimm, was du brauchst. Ich geh und überlaß dich deinem Auftrag. Es schütze Hermes dich, der Gott der List, Und die mich stets beschirmt, Athene Nike! Er winkt dem Diener und geht mit ihm ab 125
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Der C h o r zieht ein Chor Was soll, was soll ich, fremd im fremden Lande, Herr, Gestehn oder verhehlen ihm, der uns mißtraut? So sprich! Geschickter als alles Geschick Ist dessen Geist, dem in die Hand das Zepter Des Zeus göttlich gegeben ist. Auf dich, mein Sohn, ist von Alters her Jegliche Kraft übertragen. Drum sage mir, Womit soll ich dir beistehn? Neoptolemos Gelüstet es euch, die Höhle zu schaun Dort hoch in dem Fels, wo sein Lager er hat, So tut es getrost. Doch kehrt er zurück, Der gefürchtete Wandrer, verlaßt sie sogleich, Und kehret zurück und seid mir zur Hand, Der Befehle des Führers gewärtig. Chor Was mir schon lang am Herzen liegt, das forderst du: Zu sehn wie ich dir helfen kann im Augenblick. So zeig Die Stätte mir, die er bewohnt, Und wo er jetzt weilet. Denn dies zu wissen, Das tut sicherlich doch mir Not.
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Daß unerwartet er mich nicht trifft. Sag, wo er wohnt, wo er weilt und umherschweift, Ob drinnen oder draußen? Neoptolemos Hier schaust du sein Dach, sein felsiges Haus Mit der doppelten Tür. Chorführer Wo ging er denn selbst, der Unselige, hin? Neoptolemos Nach Speise zu suchen, vom Hunger gequält, Schleppt er in der Nähe sich wohl umher. Denn also führt er, so sagt’s das Gerücht, Sein Leben in mühvoller Mühe und Pein Und jagt mit gefiedertem Pfeile das Wild, Doch nimmer ist ihm Wohl Heilung der Wunden beschieden.
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Chor Wie beklage ich doch den Mann, 170 Den kein Mensch auf der Welt betreut Und kein freundlicher Blick bewacht. Stets verlassen, der Arme! Es plagt grimmiges Leiden ihn. Er weiß nicht zu helfen sich, wenn Mangel je ihn befällt. Wie denn nur, wie hält es der Arme 175 O, um der Götter Macht! [aus? O, wie trifft das schwerste Geschick Doch die Großen der Erde. 180 Aus dem ältesten Hause stammt Er, und keinem wohl steht er nach, Und nun hauset, von allem bloß, Einsam er und verlassen 185 Mit Wild, zottig und bunt gefleckt. Leid und Hunger und Schmerz niemals gestillt quälen Und mit geschwätzgem Mund [ihn immerzu.
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Gibt das Echo dem Schmerzensschrei Aus der Ferne die Antwort. Neoptolemos Davon ist nichts verwunderlich mir. Denn, wenn auch ich es beurteilen darf, Hat ein Gott ihm gesandt jenen Unfall schon, Der ihn bei der grimmigen Chryse traf. Und sicher hat wieder ein Gott es gefügt, 195 Daß er hier im Elend verlassen sich härmt, Damit er der Götter verderblichen Pfeil Nicht eher entsende auf Troja hin, Bis die Zeit sich erfüllt, da es heißt, daß die Stadt 200 Muß fallen durch seine Geschosse. Chor Schweige, mein Sohn! Neoptolemos Was gibts? Chor Kam nicht ein Laut, Wie ein leidender Mann qualvoll ihn ausstößt? Dorther kam er, oder von da. 205 Deutlich trifft’s, deutlich mein Ohr, Wie von einem Mann, der sich schleppt Keuchend; deutlich höre ich jetzt Dieses tiefe Stöhnen von fern. Laut ertönt eines geplagten Mannes Schrei. 190
Jetzt passe auf! Neoptolemos Worauf? 210 Chor Es droht Gefahr! Fern ist er nicht mehr jetzt, sondern ganz nahe. Und es klingt wie Flöte auch nicht, Die der Hirt bläst auf dem Feld.
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Nein, wie wenn er heftig sich stieß, Schreit er laut und ferne hinaus. Oder nirgends sieht er ein Schiff Wo am Strand. Fürchterlich klingt sein Weheschrei. P h i l o k t e t tritt auf Philoktet Wer seid ihr, Fremde, die an diesen Strand, Der hafenlos und unbewohnt, gerudert? Zu welchem Lande, welchem Volk gehört ihr? Das Aussehn eurer Kleidung deutet wohl Auf Hellas, mein geliebtes Hellas hin. Doch laßt mich eure Stimme hören, zögert nicht Und bangt euch nicht vor meinem wilden Anblick! Ich bin ein armer Mann und ganz allein, Ohn’ Freund und Hilfe, so erbarmenswert. Wenn ihr als Freunde kamt, so redet doch, Gebt Antwort! Denn nicht billig wär’s, wenn wir Einander Red und Antwort nicht gewährten. Neoptolemos Wenn du nach unsrer Herkunft fragst, o Fremdling, Vernimm zuerst, daß wir Hellenen sind. Philoktet O süßer Laut! Wie traurig, daß so lang Ich eine solche Stimme nicht gehört! Mein Sohn, was führt dich her, was suchst du hier? Sprich, welcher holde Wind dich hergebracht? Sag alles, daß ich höre, wer du bist. Neoptolemos Die Insel Skyros ist mein Heimatland, Ich segele heimwärts, und ich nenne mich Den Sohn Achills, den Neoptolemos. Philoktet O teuren Freundes, teuren Landes Sohn, O Pflegesohn des greisen Lykomedes, Wie kommst du nur an diesen Strand? Woher?
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Neoptolemos Ich komm mit meinem Schiff von Ilion. Philoktet Von Ilion? Du zogst doch damals nicht Mit uns hinaus, als wir den Krieg begannen? Neoptolemos Ja, warst du denn bei jener Fahrt dabei? Philoktet So weißt du also nicht, wer vor dir steht? Neoptolemos Wie sollt ich! Hab ich dich doch nie gesehn! Philoktet So hast du denn auch meinen Namen nie Und nie von meinem schlimmen Leid gehört? Neoptolemos Von allem, was du fragst, weiß ich kein Wort. Philoktet Wie arm bin ich und wie verhaßt den Göttern, Daß keine Kunde selbst von meinem Elend Nach Hellas und in meine Heimat drang! Die mich hier ausgesetzt, die gottverfluchten, Sie lachten mein und schwiegen, während mir Die Pein tagtäglich wuchs und um sich fraß! O Sohn Achills, sieh, ich bin jener Mann, Von dem du wohl gehört, daß Pfeil und Bogen Des Herakles in seinen Händen ruhn. Der Sohn bin ich des Poias, Philoktet, Den einst des Atreus Söhne und Odysseus In dieser Wüste schmachvoll ausgesetzt, Siech durch die böse Wunde, die der Biß Der giftigen Natter tödlich mir versetzte. Mit dieser Wunde setzten sie mich aus, Als sie von Chryse kommend hier am Ufer Mit ihrer Schiffe Zug vor Anker lagen. Ermüdet durch den starken Seegang, war ich
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Am Felshang hier in festen Schlaf versunken, Da flohn sie weg und ließen mich allein. Zerrissne Lumpen, wie sie Bettler tragen, Und etwas Brot, das ließen sie zurück. Nun stelle, Kind, dir mein Erwachen vor, Als jene fort und ich vom Schlaf erwachte. O mög es ihnen selbst einmal so gehn! Was für ein Tränenausbruch, welcher Jammer, Als ich die Schiffe, die mich hergeführt, Verschwunden sah, und nirgends jemand war, Der mich betreute und dem Kranken half! Vergeblich späht ich, nichts war zu entdecken. Nichts anders gab’s, als was mein Leid vermehrt; Doch davon, Kind, die Hülle und die Fülle. Seit jener Zeit floß Jahr um Jahr dahin. In dieser Höhle, einsam wie ich war, Mußt ich mich selbst bedienen. Meinen Hunger Stillt ich notdürftig durch den Bogen hier. Waldtauben schoß ich, aber hatte nun Der Pfeil getroffen, mußt ich selber mich Mit meinem kranken Fuß zur Beute schleppen; Und quälte mich der Durst, und wenn im Winter, Da alles war erstarrt im Frost, es galt, Brennholz zu hauen, hinkt ich selbst hinaus, Mir’s zu beschaffen. Dann gebrach’s an Feuer, Und ich rieb Stein an Stein, bis endlich ich Die Glut herausgelockt, die mich erhält. Ein wohnlich Dach und Feuer noch darunter Gewährt ja alles, nur Gesundheit nicht. Nun muß ich dir das Eiland auch beschreiben: Kein Schiffer naht freiwillig sich dem Strand. Hier gibt es keinen Hafen, wo man Waren Absetzen könnte, noch ein gastlich Haus. Es lenkt kein kluger Mann sein Schiff hierher. Muß einer aber wider Willen halten, Wie dies in langer Zeit wohl einmal vorkommt,
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Dann hat man Mitleid wohl mit mir mit Worten Und schenkt mir aus Erbarmen hier und da Auch etwas Nahrung und ein Kleidungsstück. 310 Doch eins will keiner, wenn ich daran rühre: Mich in die Heimat retten. Und so sind’s Zehn Jahre schon, daß mich verzehrt der Hunger, Und daß ich stille meiner Krankheit Gier. Das haben die Atriden und Odysseus 315 An mir getan! O, mögen sie die Götter Mit meinem ganzen Leid vergeltend strafen! Chorführer Gleich allen Fremden, die du landen sahst, So fühl auch ich, o Sohn des Poias, Mitleid. Neoptolemos Ich selbst bin Zeuge, daß du wahr gesprochen. 320 Ich weiß es, denn ich habe selbst erlebt Unbill von den Atriden und Odyß. Philoktet So haben diese Unheilsmenschen denn Auch dich gekränkt, auch deinen Zorn erregt? Neoptolemos Könnt ich ihn sättigen mit meiner Faust! 325 Es sollten Sparta sehen und Mykene, Daß Skyros auch noch tapfre Männer zeugt! Philoktet Das hör ich gern. Doch was ist dir geschehn, Daß du mit solchem Zorne sie beschimpfst? Neoptolemos Hör, Poias’ Sohn, wenn auch das Wort mir schwer fällt, 330 Mit welcher Unbill man mich dort beschimpft, Nachdem Achill gefallen nach dem Schicksal. Philoktet Weh mir! Was hör ich! Sprich nicht weiter, Kind! Laß erst mich hören: Ist Achilleus tot?
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Neoptolemos So ist’s. Nicht Menschenhand hat ihn bezwungen, Des Phoibos Bogen, sagt man, fällte ihn. Philoktet So fiel ein Götterheld durch Götterhand! In Zweifeln steh ich, ob ich ihn beweinen, Oder nach deinem Leid erst fragen soll. Neoptolemos Du trägst genug an deinem eigenen Schicksal, Als daß du fremdes noch beweinen solltest. Philoktet Du sprichst die Wahrheit! So erzähl denn weiter, Wie jene Übermütigen dich gekränkt! Neoptolemos Auf bunt geschmücktem Schiffe kamen sie, Odysseus und der Pfleger meines Vaters, Und sagten, – war es Lüge oder Wahrheit? Gleichviel! — es sei nach meines Vaters Tod Nur meiner Hand vergönnt, die Burg zu nehmen. Mit solchen Reden brauchte es nicht lange, Bis ich das Schiff bestieg in aller Eile. Vor allem hätt ich gern den toten Vater, Bevor sie ihn begruben, noch gesehn; Ich kannte ihn ja nicht. Und dazu lockte Das stolze Wort mich, ich sollt Troja nehmen. Am andern Tage ließ der günstige Wind Uns landen an Sigeions bittrem Strand. Kaum ausgestiegen, ward ich schon umringt Vom ganzen Heer, und jeder schwur mir zu, In mir den Toten neu belebt zu sehn. Doch er lag starr und leblos. Trauernd weihte Ich ihm ein Tränenopfer, und dann ging ich Sogleich zu den Atriden – Freunden, dacht ich, Und bat um meines Vaters Waffenschmuck Und sonstige Habe. Und da sprachen sie:
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»O Sohn Achills, des Vaters ganze Habe, Die steht dir zur Verfügung, doch die Waffen, Die hat ein andrer schon, die hat Odysseus.« Da fuhr ich zornig auf, und schmerzerfüllt Gab unter Tränen ich die Antwort ihnen: »Ihr Frechen, ohne mich zu fragen, gabt ihr Die Waffen, die mein eigen, einem Fremden?« Da sprach Odysseus, der daneben stand, »Jawohl, man gab sie mir mit vollem Recht; Denn ich entriß dem Feind sie samt der Leiche!« Und wie nun ich in meinem Zorn sie schmähte Mit jedem Schimpfwort und nicht eins vergaß, Wenn er des Vaters Wehr mir vorenthielte, Da kam sein sonst so kühles Blut derart In Wallung, daß er mir erwiderte: »Du, der du dich zu Hause feig verkrochen, Statt hier zu stehn, du wagst es so zu reden? Du nimmst die Waffen nicht nach Skyros mit!« Derart behandelt und mit dieser Antwort Fahr heim ich, um des Vaters Gut beraubt Durch diesen Erzschuft, Sohn von lauter Schuften. Doch mehr noch klage ich die Fürsten an. Denn wie ein Staat sich richtet nach dem Fürsten, So auch ein Heer. Zuchtlose Menschen wurden Nur durch die Worte ihrer Lehrer schlecht. Das ist’s! Genug! Wer die Atriden haßt, Der ist mein Freund, wie er’s den Göttern ist.
Chor Die alles nährt, Berggöttin Ga, Mutter auch selbst des Zeus, Die du am großen Goldstrom des Paktolos wohnst! 395 Schon dort, hehre Mutter, rief ich dich an. Als frech meinen Herrn kränkten schwer Atreus’ Söhne Und sie seines Vaters Wehr fortgeschenkt,
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Ein solches Wunderwerk, an Odysseus. O, sel’ge Göttin Blut gier’ge Löwen kühn reitest du! Philoktet Auf Grund der gleichen Kränkung, scheint es mir, Wie ich, ihr Fremden, seid ihr abgefahren, Mit mir im Einklang, und in euerm Schicksal Erkenn ich die Atriden und Odyß. Ich weiß, bei jedem Trug ist seine Zunge Dabei und jeder Schandtat, wenn er nur Ein ungerechtes Ziel erreichen kann. Das nimmt mich nimmer wunder; aber daß Der große Aias das geschehen ließ!
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Neoptolemos Der war nicht mehr am Leben, Freund. Ja, dann Hätt man mich nimmer meines Rechts beraubt. Philoktet Was sagst du da? Auch Aias ist gestorben? Neoptolemos Auch er sieht dieser Sonne Licht nicht mehr.
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Philoktet Weh! Diomed nur und des Sisyphos Gezüchte, das Laertes mit in Kauf nahm, Die sterben nicht, weil sie den Tod verdient! Neoptolemos Sei des gewiß, sie leben! Und sie stehn In großem Ansehn bei der Griechen Heer.
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Philoktet Was aber macht mein guter alter Freund, Der Pylier Nestor, dessen Rat so oft Der beiden Hinterlist vereitelt hat? Neoptolemos Er lebt, doch sank sein Herz in tiefe Trauer. Ihm nahm der Tod Antilochos, den Sohn.
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Philoktet Weh mir! Zwei Namen wieder, deren Tod Ich wohl am wenigsten erwartet hätte! O weh, o weh! Worauf soll man noch hoffen, Wenn die dahin sind und Odysseus lebt, Da er an deren Statt doch tot sein sollte! Neoptolemos Er ist ein schlauer Ringer, aber glaub mir, Es kommt der Tag, wo auch der Schlauste strauchelt. Philoktet Doch sprich, wo war, bei allen Göttern, damals Patroklos, deines Vaters bester Freund? Neoptolemos Auch er war schon gestorben. Laß mich dir’s In kurzem Wort nur sagen. Nicht die Schlechten, Die Tüchtigen sind es, die der Krieg verschlingt! Philoktet Wahr! Wahr! Und grade darum muß ich fragen Nach einem minderwertigen Manne noch, Doch zungenfrech und schlau. Wie geht es dem? Neoptolemos Wen kannst du anders meinen als Odysseus? Philoktet Nicht doch. War einer da, Thersites hieß er, Der schwatzt’ in einem fort, wenn niemand ihn Anhören wollte. Weißt du, ob der lebt? Neoptolemos Ich sah ihn nicht, doch hört ich, daß er lebe. Philoktet Natürlich! Kam doch nie noch Schlechtes um. Nein sorgsamlich behüten das die Götter. Was tückisch ist und schuftig, schicken sie Sogar vom Hades wieder an das Licht. Was brav und bieder ist, verstoßen sie.
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Wie soll ich das verstehen, wie bejahen, Find ich die Götter und ihr Handeln schlecht. Neoptolemos Ich werde, Sohn des Herrschers der Oitaier, In Zukunft nur noch aus der Ferne schaun Zu den Atriden hin und Ilion, Wo Schlechte höher gelten als der Gute, Der Brave stürzt, der Feige triumphiert. Nein, solche Leute kann ich nicht ertragen. Mein Felseneiland Skyros wird mir künftig Genügen, und dort will ich glücklich sein. – An Bord denn! Lebe wohl, o Sohn des Poias! Mög dich ein Gott aus deiner Pein erlösen, Wie du es wünschst. Leb herzlich wohl, wir müssen Uns trennen, denn sowie ein guter Gott Uns guten Wind schickt, stoßen wir in See. Philoktet Ihr wollt schon wieder fort? Neoptolemos Die Stunde drängt, Beim Schiff auf Wind zu warten und nicht hier. Philoktet Nun denn, bei deinem Vater, deiner Mutter, Bei allem, was zu Hause lieb dir ist, Bitt ich dich flehend, laß mich nicht zurück! Laß mich nicht hier allein in diesem Elend; Du hast’s gesehn, du hast es selbst gehört. Nimm als Ballast mich mit. Ich weiß es wohl, Es wird die Fracht dir manchmal lästig sein, Jedoch ertrag’s! Dem Edlen ist das Schlechte Allein verhaßt, und Edelmut ist Ruhm ihm! Verläßt du mich, wird dir kein schöner Ruhm; Gewährst du, wird dir höchsten Ruhmes Preis, Komm ich lebendig heim zum Oitaland. Wag’s! Sieh, du hast die Last kaum einen Tag.
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Und wirf mich dort hin, wo es dir gefällt: Ins Vorderschiff, ins Hinterdeck, den Kielraum, Wo ich am wenigsten euch lästig bin. Erhöre mich, bei Zeus, dem Gott der Hilfe! Sprich ja! Sieh her, ich falle dir zu Füßen, Gelähmt, entkräftet, elend wie ich bin. Nur laß mich nicht zurück in dieser Wüste! Nimm mich in deine Heimat mit dir, oder, Wenn das zu viel ist, bring mich nach Euboia; Von dort hab ich nicht weit mehr dann zum Oita, Zu Trachis’ Höhen und zum stolzen Strom Spercheios. Gib mich meinem Vater wieder, Um den ich lange schon in Sorge bin, Ob er nicht starb. Oft gab ich denen, die Hier landeten, die heiße Bitte mit, Er möge selbst zu Schiffe heim mich holen. Er muß wohl tot sein, oder meine Boten – Wie leicht verständlich – nahmen meine Sache Für leicht und drängten schnell der Heimat zu. Nun wend ich mich an dich als Boten und Zugleich Geleiter: Rette mich aus Mitleid! Wie schlimm ist doch das Leben! Stets bedroht Der Wechsel ja von Wohl und Weh die Menschen. Wer frei von Leid, muß grade drauf gefaßt sein; Und lebt er glücklich, dann am meisten vorsehn, Daß er nicht stürzt, eh daß er es bemerkt.
Chor Erbarm dich, Herr! Er sprach von Kampf, vielem Leid, schwerer Not. Wie’s keinen meiner Lieben treffen möge je! 510 Du haßt der Atriden, Herr, böses Paar. Doch ich würde ihm ihre Tat gerne rechnen 515 Zum Heil, und wohin er strebt, möcht ich ihn In guter Fahrt zu Schiff treu geleiten, schnell heim nach Wär so der Götter Hand gern entflohn. [Haus, und
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Neoptolemos Sieh zu, daß du nicht allzu leicht gewährst, Und ob, wenn dir der Kranke lästig nahe, Du nicht mehr stehst zu diesem deinem Wort. Chorführer Nein, niemals, Herr! Du wirst es nicht erleben, Daß du mit Recht mir diesen Vorwurf machst. Neoptolemos So wär’s beschämend, wenn ich minder willig Dem Freunde in der Not mich zeigen wollte. Wohlan, an Bord! Du, rüste, Freund, dich schnell! Das Fahrzeug wird dich ohne Sträuben tragen. So rettet, Götter, uns aus diesem Lande Dahin, wohin von hier wir fahren wollen! Philoktet O holder Tag der Freude! Teurer Mann, Ihr wackren Männer, könnt ich durch die Tat Beweisen, daß ihr mich zum Freund gewannt. Auf denn, mein Sohn! Doch mein unhäuslich Haus Laß uns noch einmal grüßen, daß du siehst, Was ich durchlitt, wie stark mein Herz gewesen. Ein andrer hätte nicht einmal den Mut Gehabt, auch nur den Anblick zu ertragen. Ich habe durch die Not gelernt zu leiden. Chorführer Bleibt noch, denn dort seh ich zwei Männer nahn, Der eine ist von unserm Schiff, jedoch Den andern kenn ich nicht. Hört sie erst an. Der als S c h i f f s h e r r verkleidete D i e n e r tritt mit einem andern Diener auf Schiffsherr Sohn des Achill, ich fand den Schiffer hier, Der mit zwei anderen dein Schiff bewachte, Und bat ihn, mir zu sagen, wo du seist.
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Ein Zufall führte mich an diesen Strand Und ließ mich hier dich unvermutet treffen. Ich bin ein Kaufmann, der mit kleinem Zug Heimfährt zu Peparethos’ Rebenhügeln. Von Ilion komm ich; und da hörte ich, Du seist der Herr von diesen Schiffen hier. Da wollt ich denn nicht still vorübergehn, Daß ich dich nicht um kleinen Lohn gesprochen. Denn schwerlich wirst du wissen, was vor kurzem Das Heer der Griechen wider dich beschlossen; Das heißt, nicht nur beschlossen, sondern auch Sofort und ungesäumt ins Werk gesetzt. Neoptolemos Den Dank für deine Sorge werd ich gern Dir zahlen, wie es edlem Manne ziemt. Jedoch erklär dich deutlicher und sage, Was man in Troja wider mich ersann. Schiffsherr Um dich zu fahen, sind mit vollen Segeln Dir Phoinix und des Theseus Söhne nach. Neoptolemos Um mich mit Güte oder Zwang zu holen? Schiffsherr Das weiß ich nicht. Ich sag nur, was ich hörte. Neoptolemos Und wollen Phoinix, und die mit ihm sind, So sehr für die Atriden sich ereifern? Schiffsherr Sie wollen nicht, sie tun’s schon, mußt du wissen. Neoptolemos Wie kam’s denn, daß Odysseus selber nicht Dazu bereit war? War’s ihm zu gefährlich? Schiffsherr Der zog mit Diomedes, als ich abfuhr, Um einen anderen zu fassen, aus.
Philoktet 321
Neoptolemos Wer ist der andre, den Odysseus sucht? Schiffsherr Das ist ein Mann – doch sage mir zuerst, Wer ist der da, doch sage es mir leise. Neoptolemos Das ist der weitbekannte Philoktet. Schiffsherr So frag nicht weiter, eil dich, pack zusammen Und fliehe diesen Strand, so rasch du kannst! Philoktet Was sagt er, Sohn? Will mich der Handelsmann Verkaufen, daß er leise mit dir tuschelt? Neoptolemos Ich weiß nicht, was er will. Er selber mag Es offen sagen, mir und dir und allen! Schiffsherr Sohn des Achill, verklag mich als Verräter Beim Heere nicht! Ich bin ein armer Kaufmann Und steh mit ihm in lohnend regem Austausch. Neoptolemos Ich hasse die Atriden, drum ist dieser Mein bester Freund, weil er sie gleichfalls haßt. Und wenn du unser Freund sein willst, so darfst du Uns nichts von dem verschweigen, was du weißt. Schiffsherr Bedenke, was du forderst! Neoptolemos Längst bedacht! Schiffsherr Du hast die Schuld zu tragen! Neoptolemos Sei es drum!
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Schiffsherr Nun gut. Um diesen hier zu suchen, gingen Laertes’ Sohn und Diomed zu Schiff. Verschworen haben sie sich, ihn mit List, Und geht’s mit List nicht, mit Gewalt zu holen. 595 Das hat Odysseus öffentlich verkündigt, Und alle hörten’s. Denn er hatte mehr Vertrauen zum Erfolg als Diomedes. Neoptolemos Was lenkte der Atriden Sorge jetzt Nach soviel Jahren wieder auf den Mann, 600 Den ihre Hand so schmählich einst verstoßen? Woher der Eifer? Oder trieb sie Furcht, Die Götter möchten ihren Frevel rächen?
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Schiffsherr Weil du davon noch nichts zu wissen scheinst, So höre. Einen Seher gab es dort Aus Priams edlem Blute, Helenos. Ihn fing der listige Odysseus einst, Des Namen jede Schmach und Schande trägt, Als er zur Nachtzeit einst alleine auszog, Und brachte seinen edlen Fang dem Heer. Und der nun prophezeite unter andrem, Sie würden Trojas Veste nie zerstören, Wenn’s ihnen nicht gelänge, diesen Mann Vom Eiland, wo er hauset, wegzulocken. Kaum daß Odysseus dieses Wort gehört, Vermißt er sich sofort, den Mann zu holen Und ihn dem Heer vors Angesicht zu stellen. Er werde ihm schon willig folgen, sprach er; Wo aber nicht, so brauche er Gewalt, Und dafür setz er seinen Kopf zum Pfande. Nun weißt du alles. Drum rat ich zur Eile Dir selbst und dem, für den du Sorge trägst.
Philoktet 323
Philoktet Ich Unglücksmann! Der Schandfleck also schwört, Er werde listig mich zum Heere locken? Nein, eher wird er aus dem Hades mich Zu Tage locken, wie sein Vater tat. Schiffsherr Nun, das ist deine Sache. Lebet wohl! Ich wünsch euch gutes Glück, ich kehre heim. Ab Philoktet Nun, ist es nicht empörend, daß Odysseus Hofft, mich mit glatten Worten fortzulocken Aufs Schiff und so dem Heer mich vorzuführen? Oh, lieber will ich doch der gottverfluchten Natter gehorchen, die mich lahm gemacht! Doch da der Mensch zu jeder Schandtat fähig In Wort und Werk, so kommt er sicher jetzt. Auf, laß uns eilen, daß des Meeres Flut Uns weit vom Schiffe des Odysseus trenne. Komm fort! Bringt Eile doch zur rechten Zeit Nach überstandner Mühe Schlaf und Muße. Neoptolemos So wie der Wind vom Bug sich hat gelegt, Der jetzt uns hindert, stechen wir in See. Philoktet Ein jeder Wind ist gut für einen Flüchtling. Neoptolemos Auch unsre Feinde haben Gegenwind. Philoktet Solch Räubervolk kennt keinen Gegenwind, Wo es zu stehlen und zu rauben gibt. Neoptolemos Nun, wenn du meinst, so gehn wir. Doch zuvor Nimm mit, wes du bedarfst und was dir lieb ist.
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Philoktet Ich habe wenig und ich brauch nur eins. Neoptolemos Was ist’s, das du nicht auch an Bord erhältst? Philoktet Da ist ein Kraut, mit dem ich gern die Wunde Behandle, daß der Schmerz sich gänzlich legt. Neoptolemos So hol’s. Und brauchst du etwas andres noch? Philoktet Vielleicht ist mir ein Pfeil noch aus dem Köcher Gefallen, und den soll kein andrer finden. Neoptolemos Ist das denn da der hochberühmte Bogen? Philoktet Er ist es, ja. Ich habe keinen andern. Neoptolemos Oh, darf ich ihn betrachten aus der Nähe, Betasten, küssen wie ein Heiligtum? Philoktet Dein ist, mein lieber Sohn, ja dies wie alles, Was dir von meinem Hab und Gut gefällt. Neoptolemos Ich möchte gar zu gern; so gerne möchte ich! Darf ich, so will ich; darf ich nicht, so laß! Philoktet Wie brav du redest! Ja, du darfst, mein Sohn! Der du der Sonne Licht mir wieder schenkst, Die Heimat mir zurückgibst, du, nur du! Den Vater, meine Lieben. Und mich selbst, Der Feinde Raub, den läßt du triumphieren. Frisch zu, du wirst ihn tasten dürfen, nehmen Und wieder geben; rühmen dich allein, Du Redlicher, du habest ihn berührt. Dank ich ihn selbst doch einer guten Tat.
Philoktet 325
Neoptolemos Nicht reut’s mich, daß zum Freund ich dich gewonnen. Wer Wohltat weiß mit Wohltat zu vergelten, Der ist als Freund so köstlich wie kein Schatz. Nun geh hinein. Philoktet Ich bitt dich, führe mich, Denn meine Krankheit macht den Helfer nötig. Beide ab in die Höhle
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Chor Ich hab es wohl gehört, doch sah mit Augen nie, Wie den Ixion, welcher dem Ehebett Des Zeus sich genaht, auf ein Rad, auf ein drehendes, Geflochten der Allmächtige. Aber von keinem sonst hab ich gehört, sah auch bei kei- 680 Daß ihn schlimmer als Philoktet ein Leid traf, [nem je, Der niemals Böses tat und nie Gewalt, Sondern gerecht zu jedem war. 685 Unverdient erlitt er’s, und ich kann’s nicht fassen, Wie er es, wie ertragen konnt, Einzig den Braus der See im Ohr; Wie er ertrug des Lebens so 690 Tränenerfüllten Jammer. Hier war er ganz allein mit schwer gehemmtem Fuß. Hatte im Leid auch keinen zum Nachbarn, Zu klagen den Jammer, den hallenden, fressenden Um seine blutge Wunde; 695 Keinen, der ihm das Blut, das ihm so heiß eitrig vom Sanft mit lindernden Kräutern stillen könnte, [Fuße quoll, Die froh er fand, der Kranke, dort, wo sie Sprossen im fetten Boden auf. 700 Ach, er kriecht herum, schleppt sich umher, der Arme,
326 Philoktet
Grad wie ein Kind, der Amme fern: Wo er vielleicht beschaffen könnt 705 Nahrung, sobald der Schmerzen Wut, Die ihn zerfressen, nachläßt. Nahrung gab ihm die Frucht heiliger Erde nicht, Nicht was sonst noch der Geist findiger Menschen ersann. 710 Nur was hurtig der Pfeil traf, den der Bogen Sausend schoß, diente zur Nahrung ihm, dem Armen. Trostlos Leben, ach! 715 Daß er nie einen Trunk Weines genoß nun schon das Und mußte suchen stets, ob er fände wo [zehnte Jahr! Ein stehendes Wasser. Aber, nun er den Sohn adliger Helden fand, Wird er glücklich und groß schließlich aus Leiden erstehn. Auf dem furchenden Kiel bringt ihn nach vielen Monden der fort in der Väter Heimatfluren, Malischer Nymphen Sitz, 725 Am Sperchaiosgestad, wo sich der Held, stark mit dem Schild, als Gott Zu Göttern schwang im göttlichen Feuerglanz Vom Gipfel des Oita. 720
N e o p t o l e m o s und P h i l o k t e t kommen wieder aus der Höhle Neoptolemos 730 Nun, bitt ich, komm! Doch sag mir, was verstummst du So plötzlich ohne Anlaß? Was verstört dich? Philoktet Ah! Ah! Ah! Ah! Neoptolemos Was ist dir? Philoktet Ach, nichts Schlimmes! Geh nur, Sohn!
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Neoptolemos So hast du Schmerzen von dem alten Leiden? Philoktet Nein, nein. Ich fühle mich jetzt schon viel besser. O Götter! Neoptolemos Warum stöhnst du zu den Göttern? Philoktet Ich bitte sie um Schutz für unsre Fahrt. – Ah! Ah! Ah! Ah! Neoptolemos Was fehlt dir denn? So sprich doch! Sei doch nicht So stumm! Man sieht ja, daß du Schmerzen leidest. Philoktet O Kind, ich bin verloren! Länger kann ich Die Qual nicht hehlen. Ah – o weh! Es geht Mir durch und durch. Ich Ärmster, o wie weh! Ich bin verloren, Sohn. O, wie das brennt! Um Gottes willen, Sohn, wenn du ein Schwert hast, Hau mir den Fuß, ich bitte dich, den Fuß ab! Schnell, schnell! O schone doch mein Leben nicht. Neoptolemos Was hat dich denn so plötzlich angepackt, Daß du so lauten Jammerruf erhebst? Philoktet Du weißt es ja! Neoptolemos Was weiß ich? Philoktet Ach, du weißt’s! Neoptolemos Nichts weiß ich, rede! Philoktet Ach, du weißt von nichts?
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Neoptolemos Schrecklich, wie dieser Sturm des Leidens wächst! Philoktet O schlimmer als ich sagen kann. Erbarm dich! Neoptolemos Was soll ich tun? Philoktet Hab keine Angst und bleib! Das kommt von Zeit zu Zeit nur, treibt sich um, Bis es genug hat. Neoptolemos
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Ärmster, jetzt erst seh ich An allem deinem Leid, wie arm du bist. Willst du, daß ich dich halte und dich stütze?
Philoktet Nein, laß mich lieber; aber nimm den Bogen, Um den du eben batest, bis die Wut 765 Des Anfalls wieder nachgelassen hat. Hüt ihn für einige Zeit. Denn wie der Anfall Mich jetzt verlassen hat, so faßt mich Schlaf, Und vorher hört’s nicht auf. Laß mich nur ruhig Ausschlafen. Doch wenn während dieser Zeit 770 Die Feinde kommen, so beschwör ich dich: Gutwillig nicht, nicht mit Gewalt noch List Laß ihnen diesen, daß du nicht dein eigener, Sowie mein, deines Schützlings, Mörder wirst. Neoptolemos Sei unverzagt, denn außer dir und mir 775 Wird keiner ihn bekommen, uns zum Glück. Philoktet So nimm ihn hin. Doch fleh erst, daß der Neid Der Götter dich nicht trifft, der Bogen nicht Dir Leiden bringt wie mir und Herakles!
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Neoptolemos empfängt den Bogen O Götter, so gescheh es! Möge aber Uns hurtig gute Fahrt dorthin geleiten, Wohin ihr fordert und der Kiel verlangt. Philoktet Ich fürchte, Kind, dein Flehn bleibt unerfüllt. Denn wieder quillt in Bächen mir das Blut Schwarzrot hervor – und wieder bricht es los. Ah! Ah! Weh! O weh, mein Fuß, wie quälst du schrecklich mich! Jetzt kommt es! Jetzt kommt’s heran! O weh, ich Allerärmster! Nun seht ihr alles! Flieht mich aber nicht! O wehe! Weh! O Kephallener, bohrte dieser Schmerz Sich dir durch deine Brust! O wehe! Weh mir Und aber weh! Und ihr, ihr Heeresfürsten, Agamemnon, Menelaos, möchtet ihr Auch diese Qual die gleiche Zeit erdulden! Weh über mich! O Tod, Tod, süßer, den ich Tag um Tag Gerufen, kannst du denn nicht endlich kommen? Mein Sohn, du edles Herz, komm, pack und wirf mich Ins Feuer, das im Inselkrater brennt! Tu’s edles Herz! Hab ich doch auch dem Sohn Des Zeus als Dank für diese Waffe einst, Die du jetzt hast, denselben Dienst erwiesen. Was sagst du, Sohn? So sprich! Du schweigst? Was ist? Wo bist du, Kind? Neoptolemos Ich leide schmerzlich unter deinem Leid. Philoktet Verlier den Mut nicht, lieber Sohn. Es geht So plötzlich wieder weg, wie es gekommen. Nur eines bitt ich dich! Verlaß mich nicht!
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Neoptolemos Getrost, wir bleiben! Philoktet Bleibst du? Neoptolemos 810 Sicherlich. Philoktet Ich traue dir, du brauchst mir nicht zu schwören. Neoptolemos Mir ist bestimmt, nicht ohne dich zu fahren. Philoktet Gib mir die Hand darauf. Neoptolemos Hier nimm. Wir bleiben. Philoktet hält die Hand fest Nun dorthin … dorthin … Neoptolemos Wohin? Philoktet Dort hinauf … Neoptolemos 815 Du redest irr! Was starrst du in den Himmel? Philoktet Nein, laß mich! laß mich! Neoptolemos Wie? Philoktet So laß mich doch! Neoptolemos Ich werde doch … Philoktet Weg! Deine Hand ist Tod! Neoptolemos läßt seine Hand los Ich laß dich schon. Geht es nun etwas besser?
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Philoktet O Erde, nimm mich auf, so wie ich bin. Die Krankheit läßt mich nicht mehr aufrecht stehn. Er sinkt zurück und schläft ein Neoptolemos Nicht lange mehr, und süßer Schlummer fällt Auf ihn herab. Schon sinkt sein Haupt zurück, Am ganzen Leib tropft ihm der Schweiß hervor, Und an der Ferse dort zerriß die Ader Und strömt von schwarzem Blut. Kommt, laßt ihn ruhn, Gefährten, daß er bald in Schlummer fällt.
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Erster Halbchor Schlaf, der du Qualen nicht kennest, nicht Schmerzen, Komm doch mit sanftem Hauche! Bleib lang, lang, o Herr! 830 Halte den Glanz ihm fest, Der jetzt ihm über den Lidern ruht. O komm, o komm, Heiland! zu Neoptolemos Doch du bedenke, was du Tuen willst, was weiter soll geschehen. 835 Denn dieser schläft. Siehst du? Handle! Worauf noch warten? Der Herr aller Welt, Der Augenblick, Gewinnt auf der Stelle meist den Sieg. Neoptolemos Merkst du, er höret uns nicht. Doch ich sehe, die Beute des Bogens Tragen umsonst wir davon, so wir fahren ohne den Herren. 840 Sein ist der Kranz ja, und ihn befahl uns der Gott ja zu holen. Halben Erfolges verlogen sich brüsten, bringt Schimpf nur und Schande.
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Zweiter Halbchor Aber, mein Sohn, überlaß das dem Gotte doch! Gibst du mir aber Antwort, Nur leis, lieber Sohn, Schicke die Stimme her. Des Kranken Schlummer ist, wach und hell, Kein Schlaf, alles hört er. Doch halte weit voraus nur Eins im Auge: nur mit Vorsicht Bringst du’s gut fertig. Weißt ja, wovon ich rede. Doch wenn seinem Wunsch Du folgen willst, So türmst schlimmes Unheil du uns auf.
Chor Guter Fahrwind, ja guter Wind! Hilflos liegt er in Schlaf gestreckt und Ohne zu sehn, was geschieht. Ach, wie gut so ein Schlaf ist! Hand nicht und Fuß und kein Glied sonst gehorcht ihm. 860 Liegt wie im Tode gebettet am Boden. Gib acht! Begreif jetzt den Wink der Stunde. Soweit mein Es faßt: bringt doch die Tat stets den Sieg, [Geist Die ohne Furcht vollzogen. 855
Neoptolemos Still! Schweiget, sag ich! Seid auf eurer Hut! Er hebt das Haupt und öffnet seine Augen. Philoktet O Sonne, die den Schlaf vertreibt, und ihr, Ich hab es nicht gehofft, ihr treuen Wächter! 870 Wie konnt ich hoffen, lieber Sohn, daß du Aushalten würdest mitleidvoll mein Leid. Nie hätten die Atriden das zu tragen 865
Philoktet 333
Vermocht, so leicht wie du, die Preisherzöge! Doch du bist edel und von edlem Stamm, Obwohl Geschrei dich abstieß und Gestank. Nun, da der Anfall sich zu geben scheint Und eine Pause mir vergönnt, mein Sohn, So richte mich und hebe mich empor, Daß wir, sobald die Müdigkeit entwichen, Sogleich zu Schiffe gehn und nicht mehr zögern. Neoptolemos Mit Freuden seh ich, wie du neubelebt Den Blick emporschlägst; kaum hatt ich’s gehofft. Denn wie ein Toter lagst du vor mir da, Als dich der Anfall übermannte. Nun, Erhebe dich, doch wenn dir’s lieber ist, So tragen die dich weg. Sie tun es gern, Wenn ich und du es einmal so beschlossen. Philoktet Hab Dank und heb mich auf, wie du gemeint. Doch laß die Leute, daß der Wunde Pesthauch Sie nicht belästigt, eh es nötig ist. Ich mach euch auf dem Schiff noch Last genug. Neoptolemos Sei’s, Freund! Nun stehe aber, halt dich fest! Philoktet Getrost! Nun hält mich die Gewohnheit aufrecht. Neoptolemos steht unschlüssig Weh, weh! Was soll ich denn nun jetzt nur tun? Philoktet Was hast du, Sohn, wohin verlierst du dich? Neoptolemos Ich bin ganz ratlos, finde nicht das Wort. Philoktet Worüber ratlos? Sprich nicht so zu mir! Neoptolemos Ich stecke schon zu tief in dieser Qual.
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Philoktet Hat Ekel über meine Krankheit dich Nun doch bestimmt, mich nicht aufs Schiff zu bringen? Neoptolemos Alles ist Ekel, wenn ein Mensch die eigne Natur verrät und tut, was ihr nicht frommt. Philoktet Doch du weichst nicht von deines Vaters Art, 905 In Wort und Werk nicht, wenn du mich beschirmst. Neoptolemos Schlecht bin ich, klar ist’s; längst schon quält es mich. Philoktet In deinen Taten nicht. Mir bangt: im Wort. Neoptolemos Was tu ich, Zeus? Ich doppelter Verbrecher: Ein schlimmer Schweiger, ein verruchter Sprecher. Philoktet 910 Täuscht meine Ahnung nicht, so will er mich Verraten wohl und ohne mich abfahren. Neoptolemos Nicht ohne dich! Doch mit dir ist für dich Viel schmerzlicher. Das quält mich lange schon. Philoktet Wie meinst du das? Ich kann dich nicht verstehn. Neoptolemos 915 Heraus damit denn: Troja gilt die Fahrt Zu den Atriden und dem Griechenheer. Philoktet Weh mir! Was sagst du? Neoptolemos Hör erst, eh du klagst! Philoktet Was muß ich hören? Was willst du mir tun? 900
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Neoptolemos Heilen zunächst das Leid dir; aber dann Mit dir vereint Burg Troja niederwerfen. Philoktet Das willst du wirklich tun? Neoptolemos Notwendig ist Es unbedingt. So hör mir ruhig zu! Philoktet So bin ich denn verraten und verloren! Das tatst du mir! Gleich gib den Bogen wieder! Neoptolemos Unmöglich! Was die Führer mir geboten, Das heißt mich Pflicht und Vorteil treu vollziehn. Philoktet Du Höllenbrand! Du Scheusal! Ausgeburt, Verhaßte, jeder Schurkerei! Was hast Du mir getan, Betrüger! Schämst dich nicht, Ins Aug zu schaun dem armen Schützling, Schuft? Mit diesem Bogen raubst du mir das Leben! Gib ihn zurück, ich bitt dich, gib ihn, bitte! Bei allen Göttern, nimm mir nicht das Leben! O wehe mir, er gibt mir keine Antwort Und kehrt sein Antlitz mir verweigernd ab. So ruf ich euch, ihr Buchten, euch, ihr Klippen, Benachbart Bergwild, dich mein Felsenhaus, Euch ruf ich an, denn niemand hab ich sonst. So ruf ich euch, die immer mich gehört. Hört, was mir des Achilleus Sohn getan! Er schwur, mich heim zu führen, und nun geht’s Nach Ilion. Auf Handschlag gab ich ihm Den heiligen Bogen hin des Herakles. Er will ihn als Beweis den Griechen zeigen, Als hätt er mich, den Starken, überwältigt. Und schlug nur eine Leiche tot, ein Scheinbild,
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Nur Rauches Schatten. War ich kräftig, nie Bezwang er mich; selbst so doch nur mit List. Betrogen ward ich! Was beginn ich nun? Gib ihn zurück! Sei wieder, der du bist! Was sagst du? Schweigst du? Weh mir, nun ist’s aus! So komm ich wieder denn zu dir zurück, Du Felsenkluft mit deinem Doppeltor. Ich kehre wieder, arm und nackt und bloß, Um in der Höhle einsam zu verschmachten. Doch werd ich keinen Vogel und kein Wild Mit meinem Bogen mehr erlegen, nein, Ich werd im Tode nähren, die mich nährten; Und die ich jagte, werden jetzt mich jagen. So zahl mit Tod für Tod ich Armer Sühne Dank dem, der gar kein Arg zu kennen schien. Verdammt – doch nein! Will sehn, ob du noch änderst Den Sinn; wenn nicht, so sollst du elend sterben. Chorführer Was tun wir, Herr? Bei dir liegt die Entscheidung. Befiehlst du Abfahrt? Oder gibst du nach? Neoptolemos Ein tiefes Mitleid hat mich überfallen Mit diesem Mann, nicht jetzt erst, sondern längst. Philoktet Erbarm dich bei den Göttern, Sohn, und lade Dir Schande nicht aufs Haupt als feiger Dieb. Neoptolemos Was soll ich tun? Ach, hätt ich nie verlassen Die Heimat. Dieses hier ertrag ich nicht. Philoktet Du bist nicht schlecht, du warst bei schlechten Menschen Gewiß in schlimmer Lehre. Überlaß Das andern! Gib den Bogen und fahr wohl! Neoptolemos Was tun, ihr Männer?
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Indem er eine Bewegung macht, wie um den Bogen zurückzugeben, tritt plötzlich O d y s s e u s mit zwei Bewaffneten hinter dem Felsen hervor Odysseus Halt! Was tust du, Schurke? Zurück! Gleich gibst du mir den Bogen her! Philoktet Wer ist der Mann? Weh mir! Odysseus’ Stimme! Odysseus Odysseus’ Stimme hörst du, siehst mich selbst! Philoktet Verloren und verkauft! Du also warst es, Der mich betrog und mir den Bogen stahl! Odysseus Kein anderer als ich, du hast’s getroffen! Philoktet zu Neoptolemos Gib mir den Bogen, gib ihn, Sohn! Odysseus Das tut Er nicht, selbst wenn er wollte. Und du selbst Gehst mit uns, gütlich oder mit Gewalt! Philoktet Du Schurke aller Schurken! Unverschämter! Du willst mich zwingen? Odysseus Wenn du mir nicht folgst! Philoktet O lemnisch Eiland, mächtiger Feuerstrom Aus des Hephaistos Schmiede! Duldet ihr, Daß dieser mich von dieser Insel schleppt? Odysseus Zeus ist’s, gib acht, Zeus, der auch hier regiert, Zeus, der das so beschloß; ich dien ihm nur.
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Philoktet Verruchter, dichte keine Fabeln, mache Die Götter, sie berufend, nicht zu Lügnern! Odysseus Ich rede Wahrheit, und du gehst mit uns. Philoktet Ich sage nein. Odysseus Ich sage ja. Du mußt. Philoktet So bin ich denn im Sklavenjoch geboren? 995 Hat mich mein Vater denn nicht frei gezeugt? Odysseus Der besten bist du einer, und du sollst Mit ihnen Troja nehmen – und vernichten. Philoktet Nein, nie! Und sollt ich auch das Schlimmste leiden. 1000 Noch bleibt mir ja der Fels mit jähem Sturz. Odysseus Was sinnst du da? Philoktet Mich von dem Fels zu stürzen, Daß mir das blutbespritzte Haupt zerschellt! Odysseus So packt ihn doch! Das muß verhindert werden. Er wird festgehalten Philoktet Was müßt ihr Hände ohne euern Freund, 1005 Den Bogen, dulden, so von diesem Mann Umklammert. Du gemeine Sklavenseele! Wie ging ich dir ins Netz, weil du dich stecktest Schlau hinter diesen Knaben Unbekannt, Der deines Schlages nicht, der meines ist,
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Der nur verstand, Befohlenes zu tun. Merkt man doch deutlich noch, wie schwer er’s trägt, Was er mir antat, was ich von ihm litt. Doch deine Lehre, Schlitzaug, hat’s bewirkt, Obwohl Gemeines er nicht kann noch will, Daß er jetzt Meister schlechter Künste ist. Nun willst du mich,Verruchter, von dem Strand Wegschleppen, wo du einst mich ausgesetzt, Von Freunden fern und Heimat, lebend tot! Ach! Verdirb! Schon oft war das mein Fluch für dich. Jedoch mir tun die Götter nichts zulieb. Du lebst in Freuden, doch mir ist das Leben In lauter Elend nur noch eine Qual, Verlacht von dir und den Atriden beiden, Für die du diese Schergendienste tust. Und bist doch selbst durch List nur und Gewalt Zur Fahrt bewogen, während ich freiwillig Beibrachte sieben Schiffe. Sie verstießen, So sagst du, mich – sie schieben es auf dich. Was wollt ihr jetzt? Wohin mit mir? Weshalb? Der ich ein Nichts bin, längst für euch gestorben. Wie, o du Gottverfluchter, bin ich nicht Mehr stinkend, lahm? Wie könnt ihr denn den Göttern, Bin ich an Bord, noch Opfer zünden, spenden? Das war doch einst der Vorwand, mich zu bannen. Hol euch der Tod! Er holt euch, weil ihr dies Mir tatet, wenn noch Recht die Götter üben. Ich weiß, daß sie es üben! Niemals kämt Ihr sonst zu mir, dem unglückseligen Mann, Wenn nicht ein Gottesstachel euch getrieben! O Vatererde, helle Götteraugen, O strafet, strafet nach so langer Zeit Die ganze Brut, wenn ihr euch mein erbarmt! Erbärmlich leb ich, doch ich fühlte mich Der Krankheit ledig, säh ich sie vernichtet.
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Chorführer In schwerem Zorn sprach er ein schweres Wort. Das Schicksal hat ihn nicht gebeugt, Odyß.
Odysseus Ich könnte seinen Worten viel erwidern. Doch tut jetzt Eile not. Drum nur ein Wort: Tut’s not, daß ich so handle, bin ich so; 1050 Doch wo’s Gerechtigkeit und Tugend gilt, Da triffst du keinen, der so fromm wie ich. Doch immer freilich will ich eines: siegen! Nur über dich nicht! Darum geb ich nach. Laßt ihn nur los, rührt ihn nicht an und laßt ihn 1055 Hierbleiben; denn wir brauchen dich ja nicht. Den Bogen haben wir. Ihn zu regieren, Versteht auch unser Teukros. Und ich selber Vermesse mich, nicht schlechter ihn zu spannen, Zu zielen als du selbst. Was braucht es dich? 1060 Stolzier du lustig nur auf deiner Insel! Wir fahren ab. Bald wird dein stolzes Prunkstück Den Ruhm mir geben, den du haben könntest. Philoktet Weh! Was beginn ich Armer? Du willst dort Vorm Griechenheer mit meinen Waffen prangen? 1065
Odysseus Spar weitre Worte; denn du siehst, ich gehe. Philoktet O Sohn Achills, so hast auch du für mich Kein freundlich Wort mehr? Gehst du so von mir? Odysseus zieht N e o p t o l e m o s fort Komm her, sieh ihn nicht an ! Du bist so edel, Du könntest uns den ganzen Plan verderben.
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Philoktet zum Chor Auch ihr, ihr Fremden, geht hinweg und laßt mich Erbarmungslos in meinem Elend sterben?
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Chorführer Der Jüngling hier ist unsres Schiffes Herr. Was der dir sagt, das gilt zugleich für uns. Neoptolemos Zwar werd ich hören, daß ich mitleidsvoll, Doch sei’s. (Zum Chor.) Verweilt noch, wenn es ihm gefällt, Bis daß die Schiffe sind zur Fahrt gerüstet Und wir der Götter Segen noch erfleht. Vielleicht daß er sich noch besinnen wird Und tut, was wir verlangen. Gehn wir also, Ihr kommt uns rasch dann nach, wenn wir euch rufen. N e o p t o l e m o s und O d y s s e u s ab Philoktet O du hohles Felsengemach, Heiß und wieder so kalt wie Eis! Niemals soll ich, ich armer Mann, Dich verlassen, du wirst noch einst Mich umschließen im Tode. O weh mir, weh! O du Grotte, du warst ja stets Voll von Trauer und meinem Gram. Was beginn wieder ich morgen? Woher soll ich mir jetzt denn noch Hoffnung gewinnen, ich Armer, auf Unterhalt? Es mag um mein Haupt Jagen sogar die schüchterne Taube – Ich kann mich nicht mehr wehren.
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Chor 1095 Du selbst, du selbst, du schwer Geschlagner, hast es so gewollt, dich zwang In dieses Leid nicht eine stärkere Macht, da dir frei doch stand das Bessere Los, aber du zogst dieses dein schlimmres Los vor. 1100
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Philoktet Ach wie arm, wie arm bin ich, Von der Last der Mühen geplagt, Und ich werde nun fürderhin Ohne einen Gefährten hier Wohnen einsam und sterben. O weh, o weh! Keine Nahrung mehr bring ich heim Mit gefiedertem Bogen, den Ich regiert’ mit den Fäusten. Doch mich täuschten, ich ahnt es nicht, Tückischen Herzens verlogene Worte. Ich möcht sehn, wie ihn, Wie den Verbrecher doch gleichlange Jahre noch Dieselben Qualen träfen.
Chor Von Gott ist dir verhängt dies, aber kein Verrat von meiner Hand 1120 Hat dich gefällt, richte darum deinen Fluch immer nur auf andre. Möcht doch auch ich daß du die Hand stößest nicht fort des Freundes.
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Philoktet Ach, wie schmerzt es, daß er am Strand Sitzt der schäumenden See und lacht Meiner, wenn er den Bogen Schwingt, der einstens ernährt mich hat, Und den keiner bisher berührt. Bogen, lieber, aus lieber Hand Bist du jetzt mit Gewalt geraubt. Hast du Empfindung, so siehst du bekümmert wohl, Daß fürder niemals wieder Er, der die Waffen doch Erbte von Herakles, dein sich bedienen mag.
Philoktet 343
Durch Tausch hat ein andrer Mann, Ein durchtriebener, jetzt dich erhalten. 1135 Nun siehst du oft schlimmen Betrug, Die schlimme Saat, welche der Kerl, Allen verhaßt, tausendfach sät. Niemals ward uns ähnliches Leid ersonnen. Chor Jeder soll das Gerechte gelten lassen. Gilt es aber – hämisches Schmähn Soll dem Mund dann nimmer entgehn. Was Odysseus, von vielen Abgesendet, tat, war Befehl Aller, tat er zum Schirm und Schutz der Freunde.
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Philoktet Flügelwild mit dem funkelnden Aug, Raubtiervolk, das das Waldgebirg Dieser Insel ernähret! Ihr braucht nun nicht mehr davonzufliehn 1150 Vor mir. Denn der Geschosse Wehr Hab ich nimmer, wie’s früher war. Ach, wie bin ich so hilflos jetzt! Lässig nur kann ich den Platz noch verteidigen. Ihr braucht mich nicht zu fürchten. 1155 Schleichet nur näher jetzt. Jetzt könnt das Maul ihr euch stillen nach Herzenslust An mir, meinem faulen Fleisch. Denn das Leben muß bald ich verlassen. Wo nähm ich auch Nahrung mir her? Wer kann sich bloß nähren von Luft, 1160 Wenn über nichts er Macht mehr hat, was uns die allnährende Erde spendet? Chor Ach, bei Zeus! Ehrest du noch den Freund, begegne Ihm, wie er begegnete dir.
344 Philoktet
O bedenk, bedenke: bei dir Liegt’s, der Pein zu entkommen. Qual ist’s, sie zu warten, und nie Erträgt all das Leid sie, das ihr beiwohnt.
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Philoktet Schon wieder, schon wieder rufst du mir alte Pein Bester aller Fremden hier. [bös zurück, Was quälst du mich? Was tatst du mir?
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Chor Was soll das heißen? Philoktet Wenn in Trojas gräßliches Land Anders du mich hofftest zu bringen.
1175
Chor Ja, das halt ich für das Beste. Philoktet So verlaßt mich alle endlich! Chor Nur zu gern, nur zu gern sei getan willig getan, Von hinnen, von hinnen, [was du forderst. Wo auf dem Schiff unser Posten.
1180
Philoktet Bleibt doch! Beim Zeus, welcher den Fluch hört, ich beschwör euch! Chor Halt, beherrsch dich! Philoktet So bleibt doch, Bei den Göttern! 1185
Chor Welch Geschrei!
Philoktet 345
Philoktet O weh, o weh! mein Fluch, mein Fluch! Jetzt ist alles dahin! Fuß, mein Fuß, was soll künftig ich Mit dir machen, ich armer Mann? Fremdlinge, kehret doch wieder zurück mir!
1190
Chor Doch wozu? Bist anderen Sinns Du geworden, als erst sich zeigte? Philoktet Wer nimmt es denn übel, Wenn wer, irr im Sturme der Qual, Worte stammelt, die sinnlos sind.
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Chor Komm denn, Unglücksmann, wie wir es forderten. Philoktet Nimmermehr, nimmermehr! Fest steht es, glaubt es mir! Selbst wenn flammend der Schleudrer der Blitze Kommt im Donnerstrahl mich zu treffen, Ilion fahre dahin und sie alle, 1200 Die das ertrugen, daß man mich nur wegen des Fußes verstoßen! Doch, Freunde, gewährt einen einzigen Wunsch mir! Chor Sprich, was du meinst mit dem Wunsch. Philoktet Eine Axt, auch ein Schwert oder sonst eine Waffe, o gebt sie mir! Chor Aber was ist deine Absicht damit denn? Philoktet Abzuhacken den Kopf, alle Glieder! Ich denke nur Mord noch.
1205
346 Philoktet
Chor Wozu denn? Philoktet Den Vater zu suchen. 1210 Chor Und wo? Philoktet Im Hades. Denn er weilt nicht im Licht mehr. O mein Land, Stadt meiner Väter, wie soll ich je dich wiedersehn, ich armer Mann, 1215 Der ich deinen heiligen Strom nur verließ, Um den Griechen, den bösen, zu helfen. Nun bin ich nichts mehr. Ab in die Höhle Chorführer Wir wären längst zu unserm Schiff zurück Gegangen, hätten wir nicht eben dort 1220 Ganz nah Odysseus und den Sohn Achills Hierher die Schritte wieder lenken sehn. O d y s s e u s und N e o p t o l e m o s treten rasch auf Odysseus Willst du mir denn nicht sagen, was dich so In ungestümer Eile hier zurückführt? Neoptolemos Das Unrecht will ich sühnen, das ich tat. Odysseus 1225 Du redest seltsam! Welches Unrecht meinst du? Neoptolemos Daß ich gehorsam dir und allem Heer – Odysseus Vollbrachtest welche Tat, die dir nicht anstand?
Philoktet 347
Neoptolemos Ich hab den Mann mit schmutziger List getäuscht. Odysseus Wen? Ha! Du hast doch keine Torheit vor? Neoptolemos Das nicht. Dem Sohn des Poias aber will ich – Odysseus Wie? Was? Ich fürchte fast – du willst doch nicht? – Neoptolemos Hier diesen Bogen, den ich ihm geraubt – Odysseus Willst du ihm wiedergeben? Gute Götter! Neoptolemos Durch Unrecht, schmählich, hab ich ihn gewonnen. Odysseus Geht das vielleicht auf mich? Bei allen Göttern! Neoptolemos Wenn du durch Wahrheit dich betroffen fühlst? Odysseus Was sagst du da, du Sohn Achills? Was ist’s? Neoptolemos Soll ich’s noch zwei- und dreimal wiederholen? Odysseus Ich hätt es schon nicht einmal hören sollen. Neoptolemos Dann sei versichert, daß das alles ist. Odysseus Es lebt noch einer, der dir das verwehrt! Neoptolemos Der wäre? Nenn mir den, der mir’s verwehrt! Odysseus Das ganze Griechenheer, darunter ich! Neoptolemos Du kluger Mann! War dies Wort etwa klug?
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348 Philoktet
Odysseus Du aber sprichst und handelst gar nicht klug. Neoptolemos Wenn’s redlich ist, ist’s besser doch als klug. Odysseus Heißt das denn redlich handeln, wenn du das, Was meine List errungen, wieder wegwirfst? Neoptolemos Ich werfe Schuld und Schande nur von mir. Odysseus 1250 Und scheust du nicht das Heer bei solchem Tun? Neoptolemos Bin ich im Recht, so lach ich deiner Furcht. Odysseus So lache nur, doch zwingt dich meine Rechte. Neoptolemos Auch deiner Rechten werd ich nicht gehorchen. Odysseus So wärst denn du, nicht Troja unser Feind. Neoptolemos Es komme, was da will! Odysseus legt die Hand ans Schwert Schon liegt die Rechte Am Schwertgriff, sieh! Neoptolemos gleichfalls 1255 So wirst dasselbe du Bei mir zu sehn bekommen unverzüglich. Odysseus nach einem Augenblick der Unschlüssigkeit Tu, was du willst! Ich kümmre mich nicht drum, Doch melde ich’s dem Heer; das wird dich strafen. Ab Neoptolemos ihm nach Wie klug gehandelt! Machst du’s immer so, 1260 So dankst du deine heile Haut den Beinen! 1245
Philoktet 349
In die Höhle rufend: Du, Sohn des Poias, höre, Philoktet! Verlaß die Höhle, komm zu mir heraus! Philoktet kommt wieder aus der Höhle Was soll der neue Lärm vor meiner Kluft? Was ruft ihr mich, was wollt ihr, fremde Männer? Er erblickt den N e o p t o l e m o s Weh! Sicher gilt es Schlimmes. Kommt ihr nicht, Um neues Leid zum alten mir zu bringen? Neoptolemos Getrost! Vernimm erst, was mich zu dir führt. Philoktet Ich habe Angst. Denn deinen schönen Worten Zu folgen, ist mir eben schlecht bekommen. Neoptolemos So ist’s nicht möglich, daß den Sinn man ändert? Philoktet So sprachst du auch, als du den Bogen raubtest, In Worten redlich und im Herzen falsch. Neoptolemos Doch jetzt nicht mehr, und also frag ich dich, Ob’s fest beschlossen, daß du hier bleibst oder Nun mit uns fährst? Philoktet O still! Kein Wort davon! Es ist vergeblich, was du sagen willst. Neoptolemos Du bist entschlossen? Philoktet Fester, als ich’s sage. Neoptolemos Zwar wünscht ich wohl, du folgtest meinem Rat. Doch paßt dir nicht, was ich zu sagen habe, So schweig ich stille.
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350 Philoktet
Philoktet Alles ist umsonst! Nie machst du meine Seele dir geneigt, Der du mit List mein Leben mir geraubt, Und nun mit weisem Rate vor mir stehst, Du, eines edlen Vaters schlechter Sohn. Fluch über die Atriden! Fluch Odysseus! 1285 Und Fluch auch dir! Neoptolemos Halt ein und fluch nicht weiter! Da, nimm den Bogen hier aus meiner Hand. Philoktet Was hör ich? Willst du nochmals mich betrügen? Neoptolemos Nein, bei des höchsten Gottes Majestät! Philoktet 1290 O teure Worte, wenn du Wahrheit sprichst! Neoptolemos Das soll die Tat dir zeigen. Streck die Hand Nur aus und nimm die Waffen hier zurück! 1280
Er übergibt Bogen und Pfeile dem P h i l o k t e t Odysseus hinter der Deckung Im Namen der Atriden und des Heers – Die Götter sind mir Zeugen! – ich verbiet es. Philoktet 1295 Wer redet da? War’s nicht Odysseus’ Stimme, Die ich vernahm? Odysseus springt vor Sie war’s; hier steht er selbst Und führt dich mit Gewalt nach Ilion, Ob der da einverstanden oder nicht. Philoktet Das geht nicht gut, wenn mir der Bogen trifft. Er legt auf O d y s s e u s an
Philoktet 351
Neoptolemos fällt ihm in den Arm Bei allen Göttern, schieß den Pfeil nicht ab! Philoktet Bei allen Göttern, laß die Hand mir los! Neoptolemos Ich laß sie nicht.
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O d y s s e u s entweicht Philoktet Weshalb hieltst du mich ab, Den schlimmsten Feind mit meinem Pfeil zu töten! Neoptolemos Es wäre das für dich und mich kein Ruhm. Philoktet So wisse wenigstens: die Ersten dort Im Griechenheer, die wackern Lügenboten, Worthelden sind sie, doch im Kampfe feig. Neoptolemos Mag sein. Jedoch du hast den Bogen nun Und keinen Grund zu Zorn und Tadel mehr. Philoktet Gewiß! Du hast gezeigt, aus welchem Blut Du stammst, und daß nicht Sisyphos dein Vater, Sondern Achill, den man den Besten hieß Im Leben einst und so im Tode noch. Neoptolemos Mich freut’s, des Vaters Lob von dir zu hören Und auch das meine. Hör denn meine Bitte: Was Götter schicken, muß der Mensch ertragen, Doch wer freiwillig sich ins Unglück bringt Wie du, der Mann verdient es nicht, daß ihm Man Nachsicht schenket oder Mitleid gar. Verbittert bist du, weisest Freundesrat Von dir, und wer mit wohlgemeintem Wort Dich mahnt, dem zürnst du, nennst ihn deinen Feind.
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Und dennoch will ich reden. Zeus sei Zeuge! Du aber hör’s und präg es dir ins Herz. Die Götter haben dir dies Leid gesandt, Weil du der Schlange allzu nahe kamst, Die heimlich Chryses Heiligtum bewacht. Und wisse: nie wirst du Genesung finden, Solange noch die alte Sonne sich Von dort erhebt und dorten unter geht, Bevor du willig gegen Troja ziehst, Wo des Asklepios Söhne dich befrein Von deiner Krankheit. Dann wird Ilion Von meiner Hand und deinem Bogen fallen. Du fragst, woher ich dieses weiß? Vernimm: Es fiel in unsre Hände ein Trojaner, Ein Seher, Helenos, der uns beteuert, So wolle es das Schicksal; und noch mehr: In dieses Sommers Lauf, so sei’s verhängt, Soll Troja fallen. Und zum Pfande, daß Er wahr gesprochen, bot er seinen Kopf Nun weißt du alles. Widersteh nicht länger! Welch schöner Lohn, als erster Held der Griechen Vom Heer erkoren, durch geschickte Hand Geheilt, und dann das vielumseufzte Troja Zu nehmen und den höchsten Ruhm zu ernten. Philoktet Verhaßtes Dasein, warum hältst du mich Im Lichte noch und schickst mich nicht zum Hades? Was soll ich tun? Darf ich dem Mann mißtrauen, Der mit so wohlgemeintem Wort mir zurät? Soll ich ihm folgen? Aber darf ich dann Ans Licht mich wagen? Wer wird mit mir sprechen? O, die ihr alle meine Leiden saht, Ihr Augen, trüget ihr’s, den zwei Atriden, Die mich verdarben, mich gesellt zu sehn, Die mich in dieses Elends Nacht gestürzt, Und dem Odysseus, diesem ganz Verruchten?
Philoktet 353
Denn weniger schmerzt mich, was ich schon erduldet, Als was mir noch in Zukunft Böses droht. Ich seh’s voraus; denn wem sein Herz zur Mutter Von Bösem ward, dem zieht es böse Kinder. Und über dich muß ich erstaunen, Sohn! Du selber solltest nicht nach Troja ziehn, Sollst mich dran hindern, da sie dir die Waffen Des Vaters frech geraubt. Doch stehst du ihnen Noch bei im Kampf und willst mich dazu zwingen. O Lieber, tu es nicht! Nein, wie du schwurst, Bring mich nach Haus. Du selber bleib in Skyros Und laß die Bösen böse untergehn. Für dieses beides ist mein Dank dir sicher Wie der des Vaters. Hilfst du Schlechten nicht, So sagt man auch nicht, daß du schlecht von Art. Neoptolemos Du sprachst zwar gut, doch bitt ich dennoch dich: Trau auf die Götter und auf meinen Rat Und komm mit mir, ich bin ja doch dein Freund. Philoktet Nach Troja meinen kranken Fuß zu schleppen, Zu den Atriden, meinen ärgsten Feinden? Neoptolemos Zu denen, die des Fußes Eiterwunde Dir heilen, dich von aller Not befrein. Philoktet Du rätst mir schlimmen Rat. Sprich, was begehrst du? Neoptolemos Was beide uns mit Ruhm und Ehre krönt. Philoktet Das sagst du? Schämst dich vor den Göttern nicht? Neoptolemos Wer braucht sie, wenn er Freunden hilft, zu fürchten? Philoktet Wem hilfst du – den Atriden oder mir?
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354 Philoktet
Neoptolemos Dir bin ich gut, und gut ist auch mein Rat. Philoktet Mir gut, der mich an meine Feinde preisgibt? Neoptolemos O lerne Mäßigung in deiner Not! Philoktet Ich kenne dich, du lockst mich ins Verderben. Neoptolemos Wahrhaftig nicht. Ich seh’s, du willst nicht lernen. Philoktet 1390 Ich weiß, daß die Atriden mich verstießen. Neoptolemos Die dich verstießen, wollen jetzt dich retten. Philoktet Mit meinem Willen seh ich Troja nie! Neoptolemos Was bleibt mir übrig, wenn du jedem Wort Und jedem Rate starr dein Ohr verschließest? 1395 Am besten schweig ich, lasse hier dich leben So, wie du jetzt lebst, ohne Hilf und Rettung. Philoktet Laß du mich dulden, was ich dulden muß. Doch, was du in die Hand mir hast versprochen, Das halte mir! Bring mich nach Haus, mein Sohn! 1400 Komm, zaudre nicht! Laß uns von Troja schweigen! Ich hab genug der Tränen drum geweint. Neoptolemos nach stummem Ringen Willst du, nun so laß uns gehen! Philoktet Jüngling, welch ein edles Wort! Neoptolemos Stütze dich auf deinen Fuß nur. Philoktet Gern, so gut es irgend geht. 1385
Philoktet 355
Neoptolemos Doch mich trifft des Heeres Vorwurf. Philoktet Sorge du dich nicht darum. Neoptolemos Wenn sie mein Gebiet verwüsten? Philoktet Dann steh ich dir treulich bei. 1405 Neoptolemos Welche Hilfe kannst du bieten? Philoktet Hier des Herakles Geschoß. Neoptolemos Wie? Philoktet Es hält den Feind dir ferne. Neoptolemos Grüße Lemnos noch und komm! H e r a k l e s erscheint vom Himmel in einer Wolke Herakles Halt ein! Nicht eh du mein Wort gehört, O Poias’ Sohn! Denn wisse, du schaust Des Herakles Antlitz, und was du vernimmst, Spricht Herakles’ Mund. Aus Liebe zu dir Verließ ich den Himmel, der Götter Sitz Und eilte hierher, Des Zeus Beschlüsse dir kund zu tun Und den Weg zu hemmen, den falsch du gehst, So höre denn, was ich dir sage. Zuerst betrachte meinen eigenen Weg, Nach wie viel Mühen, die ich all durchlief, Ich Götterruhm errang, wie du hier siehst.
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Auch dir hat so das Schicksal Leid bestimmt, Doch nach den Mühen ein ruhmreiches Leben. Du wirst mit diesem Mann gen Troja ziehn. Dort wird zuerst man deine Krankheit heilen. Dann wirst du, als erkorener erster Held, Den Paris, der des Unheils Stifter ist, Mit diesen Pfeilen um sein Leben bringen. Wirst Troja stürzen und die Beutestücke, Die du vom Heer erhältst, nach Hause senden Zum Vater Poias an des Oita Höhn. Doch was du sonst an Beute noch erringst, Bringst du als Opfer hin zum Oita, wo Ich einst verbrannt. Doch dir, Sohn des Achill, Dieselbe Mahnung. Du kannst ohne ihn Nicht Troja nehmen, er nicht ohne dich. So haltet euch zusammen gleich zwei Löwen, Beschützt einander. Senden will ich dir Asklepios, der deine Krankheit heilt. Zum zweiten Male muß mein Bogen Troja Erobern. Doch vergebt, wenn ihr die Stadt Zerstört, die Ehrfurcht vor den Göttern nicht! Denn alles andere achtet Zeus gering. Die Gottesfurcht bleibt übern Tod hinaus, Im Leben und im Tod vergeht sie nicht. Philoktet O Stimme, solang schon von mir ersehnt, Bist endlich nun da! Ich will deinen Worten gehorchen gern. Neoptolemos Auch ich stimm dieser Meinung zu.
Herakles So säumet nicht länger, es drängt die Zeit, 1450 Drum auf zur Fahrt! Von Steuerbord weht uns der Fahrwind. Verschwindet
Philoktet 357
Philoktet So nimm denn, o Insel, des Scheidenden Gruß! Leb wohl, du mein Dach, das mich treulich geschirmt, Quellnymphen lebt wohl auf grünender Au, Du Meeresdonner ums schäumende Kap, Wo oft bei den Stößen des stürmenden Süd Mein Haar sich näßte im Dunkel der Kluft, Wo oft mein klagendes Wehgeschrei Des Hermes heiliger Berg mir zurück Als donnerndes Echo der Stimme warf! Und ihr Quellen, du Trank, den Apollon mir gab, Ich scheide von euch, ich fahre dahin. So hoch verstieg meine Hoffnung sich nie. Leb wohl, mein Lemnos, umflutetes Land, Gib glückliche Fahrt und lenke den Kiel, Wohin das erhabene Schicksal mich führt Und der Freunde Rat wie der Götter Macht, Die dies allwaltend gefügt hat. Chor Auf! Auf! Im Gedränge zu Schiff, zu Schiff! Doch flehen wir erst zu den Nymphen der See: Führt unsere Heimfahrt zum Heile!
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Oidipus auf Kolonos
Einleitung Aus Theben verstoßen, erhält der blinde Oidipus von Apollon das Orakel, dass er in Attika auf dem Hügel Kolonos im Heiligtum der Eumeniden, der »wohlmeinenden Göttinnen«, sein Leben beschließen werde. Das Stück setzt mit einem Dialog zwischen Oidipus und seiner Tochter Antigone ein. Sie sind, wie sie von einem hinzukommenden Bürger erfahren (V. 36 ff.), im Heiligtum der Eumeniden angelangt. Während der Bürger abgeht, um Athens König Theseus zu holen (V. 75 ff.), erzählt Oidipus seiner Tochter von Apollons Orakel, das ihm Ruhe von seinen Leiden verheißt (V. 81 ff.). Bürger von Kolonos (der Chor), die von der Ankunft der Fremden gehört haben, ziehen ein, um sich nach dem Grund der Anwesenheit der beiden zu erkundigen (V. 117 ff.). Entsetzt darüber, dass Oidipus bei ihnen Zuflucht sucht, wollen sie ihn sofort des Landes verweisen. Oidipus besteht auf dem Recht, das er als Schutzsuchender hat (V. 258 ff.), und kann damit immerhin erreichen, dass die Angelegenheit König Theseus zur Entscheidung vorgelegt werden soll. Ismene, die zweite Tochter des Oidipus, kommt aus Theben, um Vater und Schwester über die Lage in der Heimat zu informieren (V. 361 ff.): Die Brüder und Kreon sind wegen der Macht in Theben in Streit geraten. Der jüngere Eteokles hat den älteren Polyneikes aus der Vaterstadt vertrieben. Dieser will nun mit der Unterstützung seines Schwiegervaters Adrastos, des Königs von Argos, Eteokles stürzen (vgl. Aischylos, Sieben gegen Theben). Ismene warnt ihren Vater vor Kreon, der Oidipus in seine Gewalt bringen will (V. 395 ff.). Voller Zorn verflucht Oidipus seine Söhne (V. 421 ff.). Der Chorführer, der gehört hat, dass Oidipus’ Grab von Nutzen für die Stadt sein kann, rät diesem, zunächst die Gottheiten
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Oidipus auf Kolonos
zu versöhnen und dann die Gastfreundschaft und den Schutz Athens zu genießen (V. 461 ff.). In einem Wechselgesang berichtet Oidipus darauf dem Chor von seinem Schicksal (V. 510 ff.). Theseus kommt hinzu und gewährt Oidipus Asyl und Schutz vor den Nachstellungen seiner Söhne (V. 551 ff.). Der Chor stimmt einen Lobpreis auf Kolonos und die Stadt Athen an (V. 668 ff.). Kaum hat er sein Lied beendet, erscheint schon Kreon, um Oidipus nach Theben zurückzuholen (V. 728 ff.). Da Oidipus sich weigert, sich den Thebanern anzuschließen, will Kreon ihn und seine Töchter gewaltsam wegführen. Die Mädchen werden entführt; die Verschleppung des Oidipus wird durch Theseus verhindert (V. 887 ff.), der nach einem heftigen Wortwechsel mit Kreon die Verfolgung der Entführer aufnimmt. Der Chor, der bei Oidipus zurückbleibt, malt die Verfolgungsjagd und den Kampf in einem Lied aus (V. 1044 ff.). Theseus hat die Entführer abgefangen und bringt die Mädchen zurück (V. 1096 ff.). Der Chor reflektiert angesichts des Schicksals des Oidipus über den Wert des menschlichen Lebens (V. 1211 ff.).Von Antigone angekündigt, erscheint Polyneikes (V. 1249 ff.). Er will seinen Vater dafür gewinnen, mit ihm und den argivischen Heerführern gegen Theben zu ziehen, und verspricht ihm, ihn in seine alten Rechte wiedereinzusetzen. Doch der Vater bleibt unerbittlich und verflucht seine machthungrigen Söhne (V. 1348 ff.). Unverrichteter Dinge muss Polyneikes abziehen. Plötzlich ertönen mächtige Donnerschläge (V. 1447 ff.) – das Oidipus geweissagte Zeichen seines nahen Todes. Unverzüglich lässt er Theseus holen, dem er von der segensreichen Kraft berichtet, die sein Grab für Athen haben wird (V. 1500 ff.). Theseus allein darf die Stelle des Grabes wissen. Begleitet von Theseus und seinen Töchtern geht Oidipus ab, um zu sterben. Der Chor stimmt einen Hymnos auf die Eumeniden an (V. 1556 ff.). Ein Bote erscheint und berichtet den wartenden Bürgern vom Tod des Oidipus und der göttlichen Stimme, die den blinden Alten zu sich rief (V. 1579 ff.). Ismene und Antigone stimmen die Totenklage
Einleitung 363
an (V. 1670 ff.) und bestürmen Theseus, ihnen die Stelle des Grabes zu zeigen (V. 1751 ff.). Doch der athenische König verweist sie auf den letzten Willen ihres Vaters. So beschließen die Mädchen, nach Theben zu ziehen, um zu versuchen, das drohende Blutvergießen zu verhindern.
Personen Oidipus, der vertriebene König von Theben Antigone seine Töchter Ismene Kreon, sein Schwager Polyneikes, sein Sohn Theseus, König von Athen Ein Bewohner von Kolonos Ein Bote Diener und Gefolge
}
Der Chor, bestehend aus Greisen von Kolonos
Der Schauplatz ist vor dem Hain der Eumeniden bei Kolonos in Attika
O i d i p u s, in Bettlerkleidung, blind und alt, tritt auf, von A n t i g o n e geführt Oidipus Des blinden Mannes Kind, Antigone, Wo sind wir? Welche Stadt ist’s, welche Gegend? Wer wird den heimatlosen Oidipus Mit karger Gabe heute wohl empfangen? Ach, wenig heischt er nur, und weniger noch Trägt er davon; doch laß ich’s mir genügen. Denn mich zu fügen lehrte mich das Leid, Die langen Jahre und zu dritt mein Stolz. Doch siehst du, Kind, mir einen Ruheplatz Am Wege oder einen Götterhain, Halt an und setz mich hin, daß wir den Ort Erkunden. Muß der Fremde auf die Leute Am Ort doch hören, sich nach ihnen richten. Antigone Mein armer Vater, ach, weit in der Ferne Erscheinen erst der Stadt getürmte Zinnen. Doch heilig scheint der Ort, den wir betraten, Von Lorbeer strotzt er, Reben und Oliven, Und süß erschallt der Nachtigallen Chor. Ruh denn auf diesem rauhen Stein die Glieder. Das war ein langer Weg für einen Greis. Oidipus So setze mich, und wache bei dem Blinden. Antigone Die lange Zeit hat es mich längst gelehrt. Oidipus Weißt du mir nun zu sagen, wo wir sind?
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Oidipus auf Kolonos
Antigone Den Ort hier nicht. Doch ist die Stadt Athen. Oidipus 25 Das hat ja jeder Wanderer uns gesagt. Antigone So soll ich nach dem Orte fragen gehn? Oidipus Ja, Kind, wenn anders dieser Ort bewohnt. Antigone Er ist bewohnt. Jedoch ich brauche nicht Zu gehn, dort seh ich einen Mann sich nahn. Oidipus 30 Bewegt er sich und kommt er auf uns zu? Ein E i n w o h n e r von Kolonos tritt auf Antigone Da ist er schon. Frag, was du wissen willst, Und rede mit dem Mann, er steht vor dir. Oidipus O Fremder, dieses Mädchen, das für mich Und sich zugleich sieht, sagt: Du kommst grad recht, 35 Als Sehender zu sagen, was uns unklar – Der Koloner Bevor du weiter sprichst, steh auf vom Sitz, Denn du betratst unnahbar heiligen Ort. Oidipus Was für ein Ort und welchem Gott geweiht? Der Koloner Unnahbar, unbewohnt; es hausen hier 40 Des Dunkels und der Erde schlimme Töchter. Oidipus Mit welchem hehren Namen ruf ich sie? Der Koloner Die allerspähenden Eumeniden nennt sie Ringsum das Volk. Sonstwo nennt man sie anders.
Oidipus auf Kolonos 367
Oidipus So mögt den Schützling gnädig ihr empfangen! Nun geh ich nimmer fort von diesem Sitz. Der Koloner Was heißt das? Oidipus Meines Schicksals Losungswort. Der Koloner Dich wegzuweisen, wag ich nicht, bevor Die Stadt entschieden. Also geh ich’s melden. Oidipus O bei den Göttern, Fremder, zürne nicht Dem armen Wandrer, hör auf seine Bitten. Der Koloner Ich zürne nicht. Frag, was du wissen willst. Oidipus Was ist das für ein Ort, an den wir kamen? Der Koloner Ich will dir alles sagen, was ich weiß. Heilig ist rings der Grund; Poseidon ist er Geweiht und auch dem feuerspendenden Titan Prometheus. Doch der Platz, worauf Du stehst, wird dieses Landes eherne Schwelle, Schutzwehr Athens genannt. Die Gaue rings Berühmen sich als ihres Stammesherrn Des reisigen Kolonos, und so sind Nach ihm sie auch gemeinsam all benannt. Die Gegend ist, o Fremder, nicht durch Sagen Geehrt, nein, nur durch alten Stammesbrauch. Oidipus So wohnen Menschen in der Gegend hier? Der Koloner Und nennen sich nach jenes Gottes Namen. Oidipus Führt sie ein König oder herrscht das Volk?
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Oidipus auf Kolonos
Der Koloner Dort in der Stadt der König ist der Herrscher. Oidipus Wer ist es, dessen Wort und Macht hier herrscht? Der Koloner Theseus, des edlen Aigeus Sohn und Erbe. Oidipus 70 Geht einer wohl von euch zu ihm als Bote? Der Koloner Ihn herzuholen? Oder was zu melden? Oidipus Für kleine Hilfe großen Lohn zu bieten. Der Koloner Was kann ein blinder Mann wohl Großes bieten? Oidipus Hellsehend ist’s, was ich ihm sagen werde. Der Koloner 75 Am besten, Fremder, – denn du scheinst mir edel, Wenn auch ein Gott dich schlug – du wartest hier, Bis ich des Gaus Bewohnern, nicht der Stadt, Bericht erstattet; und die sollen dann Entscheiden über dich, ob weiter du 80 Mußt ziehen oder hier verweilen darfst. Ab Oidipus Hat uns der fremde Mann verlassen, Kind? Antigone Er ist gegangen, und so kannst du dich In Ruhe äußern; ich nur bin bei dir. Oidipus O hehre, strenge Wesen, deren Sitz 85 In diesem Lande ich zuerst betreten, O zürnt mir nicht, und zürnet nicht dem Phoibos,
Oidipus auf Kolonos 369
Der, alle meine Leiden mir verkündend, Erlösung einst verhieß nach langen Jahren, Wenn ich das Land erreicht, wo euer Sitz, Ihr hohen Frauen, huldvoll mich empfinge! Dort schlöß ich meines Lebens müden Lauf, Zum Heile denen, die mich aufgenommen, Zum Fluche denen, die mich einst verbannt. Das Zeichen werde sein, verhieß er mir, Erdbeben, Donner und der Blitz des Zeus. Nun seh ich klar, ihr wart’s, die diesen Weg Bis her in diesen Hain mich habt geführt. Nicht hätt ich sonst euch hier zuerst gefunden, Nicht säß an heiligem Ort auf rohem Stein Der arme Mann, den süßer Wein nicht stärkt, Wie ihr ihn auch verschmäht. O hehre Frauen, Vergönnet denn nach Phoibos’ Seherspruch Entwirrung meinem Leben, gönnt ein Ende, Wenn’s euch noch nicht zu klein scheint, was ich litt, Der ich das allerschlimmste Elend trug! O kommt, ihr süßen Töchter ewiger Nacht, Komm, Stadt der stolzen Pallas du, Athen, Vor allen andern Städten ehrenreich, Erbarmt euch meines armen Schattenbildes; Es ist der alte Oidipus nicht mehr.
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Antigone Still,Vater, Männer kommen dort. Sie sind Schon alt an Jahren, spähn nach deinem Sitz. Oidipus Ich schweig. Du aber führ vom Weg mich fort, Und birg im Hain mich, daß uns ihr Gespräch Verrate, was sie wollen. Denn nur Wissen Gibt uns für unser Handeln Sicherheit. O i d i p u s und A n t i g o n e ab in den Hain
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Oidipus auf Kolonos
D e r C h o r zieht ein Chor Seht zu, wer es war, wo er weilt! Wohin entwich er vom Flecke fort, Der all-, allerfrechste Mensch auf der Welt? Erspäht ihn, entdeckt ihn Und sucht ihn ringsum hier! Ein Land streicher ist der Greis, unbekannt, Nicht von hier, denn er setzte sonst Nie den Fuß in den heilgen Hain Dieser schrecklich gewaltigen Fraun. Mit Angst nennt man sie Und schleicht still vorbei, Den Blick tief und ohne Laut, ohne Wort, Scheu in Ehrfurcht und andachtsvoll. Doch seht! Dieser, der kommt des Weges, Und es kümmert ihn nicht. Doch wo mag er sein? Ich erspäh ihn nicht in dem ganzen Bezirk, Weiß nicht, wohin er entschwunden.
O i d i p u s tritt mit A n t i g o n e aus dem Gebüsch hervor Oidipus Ich bin’s, den ihr sucht! Denn es sieht euch mein Ohr, Das die Stimme vernimmt. Chorführer 140 O weh, o weh! Mich schreckt die Gestalt, und es schreckt mich sein Wort. Oidipus Ich flehe, ach seht mich als Frevler nicht an! Chorführer Barmherziger Zeus! Wer ist er, der Greis? Oidipus Ihr Hüter des Gaus, der Greis ist ein Mann, 145 Des Schicksal nicht eben beneidenswert ist. Nicht führte mich sonst eines anderen Blick Und ich stützt’ mich nicht schwer auf die Schwache.
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Chor O wehe, du hast dir doch nicht Selber zerstört dein Augenlicht? So lang währet schon dies Leid, wie mich dünkt. Doch häuf nicht, das rat ich, Noch Fluch auf dein Elend! Zu weit, nicht zu weit, nein, wag dich nicht vor In den schweigenden Grund des Hains, Wiesenreich, wo der Wasserstrahl Süß im Krug mit dem Trank sich mischt. Davor hüte dich! Nein, schnell, Armer, fort! Zu lang ist der Weg, und du schaffst es nicht. Hörst du, wandernder, müder Greis? Doch wenn du ein Gespräch dir wünschest, Komm heraus aus dem Hain, wo erlaubt es ist, Zu reden. Schweige bis dahin. Oidipus Was soll ich beginnen? Was rätst du mir, Kind? Antigone Mein Vater, wir tuen, was Brauch ist im Land, Wir hören auf ihn und gehen ihm nach. Oidipus So gib mir die Hand. Antigone Hier hast du sie schon. Oidipus O Fremde, tut mir nichts Böses doch an! Ich hab euch vertraut und verließ meinen Sitz. Chor Es soll dich kein Mensch, das glaube mir, Greis, Mit Gewalt von hinnen vertreiben! Oidipus nähert sich einige Schritte Noch näher? Noch mehr?
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Noch näher heran!
Oidipus weiter vortretend Genug? Chorführer Immer näher noch, Mädchen, Heran, du verstehst mich. Antigone So komm doch, so komm mit dem zagen Schritt, Vater, her, wie ich führe dich. Chorführer Füg dich, Fremder, dem fremden Land. Hasse du, Dulder, was dem Volk Verhaßt und fremd; doch was es schützt, Solltest auch du verehren. Oidipus So führe mich, Kind, Wo die Frömmigkeit mir gestattet zu gehn, Wo ich sprechen darf, wo ich hören darf. Mit dem Schicksal laß uns nicht streiten. Chorführer Halt! Nun ist’s genug! Bleib stehn und tritt Nicht über die Schwelle von Fels hinaus! Oidipus So recht? Chorführer Ja, gut, wie du hörst. Oidipus Hinsetzen? Chorführer Zur Seite ein wenig, Hin setz dich auf den Stein! Antigone ihn unterstützend Vater, nur ruhig! So laß mich doch!
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Oidipus Weh mir, weh! Antigone So füge nur Schritt zu Schritt. Stütz den Leib nur, von Alter schwach, Auf den Arm, den die Liebe beut. Oidipus O weh, trauriges Schicksal! Chorführer Nun du meinem Worte gehorcht, Sag, wer du von den Sterblichen bist! Wie heißt du Kummerreicher? Wo Finde ich deine Heimat? Oidipus Bin vertrieben. Ach nein! Fragt nicht mehr! Chorführer Was verbirgst du, Alter, mir? Oidipus Nein, nein, nein! Ihr dürft nicht fragen! Fragt, forschet nicht weiter mich aus! Umsonst! Chorführer Wie denn? Oidipus Schrecklich ist mein Stamm. Chorführer Sprich! Oidipus Ach, was sag ich liebe Tochter? Chorführer Sollst uns sagen dein Geschlecht, Deinen Vater, fremder Mann. Oidipus Weh mir, was fang ich nun an? Sag es mir, Kind. Antigone Sprich, sie treiben dich ganz in die Enge.
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Oidipus Sei es denn; gibt’s doch für mich nirgends ein Hehl. Chorführer Nicht solang gezögert! Beeilt euch! Oidipus Wißt ihr von Laios’ Sohn? Chorführer 220 Weh, o wehe! Oidipus Vom Geschlechte des Labdakos? Chorführer O Zeus! Oidipus Oidipus’ heillos Geschick? Chorführer Bist du es denn? Oidipus So erschreckt doch vor nichts, was ich sage. Chorführer Ach, o weh, weh! Oidipus Unglücksmann! Chorführer Oh, oh! Oidipus 225 Meine Tochter, was wird jetzt geschehen? Chorführer Hinweg! Sogleich verlasset das Land! Oidipus So haltet ihr euer Gelöbnis? Chorführer Keinem verwehret das Schicksal, dafür sich zu 230 Rächen, was selbst er zuvor noch erfuhr, da man Einen Trug mit dem anderen zahlet; so Gibt es nur Leiden, nicht Lust als Vergeltung zu
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Kosten. Du aber, du hebe dich wieder vom Sitz und verlasse mein Land und entferne dich, Daß du nicht weiter noch Dem Lande Schlimmes antust. Antigone Ihr Fremden milden Sinns, Wenn ihr meinen Vater, Den armen, alten Mann Dulden nicht wollt, da ihr Hörtet seine schuldlosen Taten – O, so erbarmet euch meines Geschickes, ihr Fremden, erbarmt meiner euch! Die für den leidenden Vater so flehentlich, Flehentlich bittet, und nicht mit verloschenen Augen ins Auge euch blickt, als wär ich aus Eurem Blute entsprungen. Erbarmt euch doch Dieses Armen. Bei euch liegt wie bei den Göttern all unser Heil. So kommt und gewährt uns doch Euere Gunst, unverhofft! Was dir nur teuer, bei allem beschwör ich dich, Blickt doch hinein in das Leben, ob einer wohl Entrinnen kann, Wenn ein Gott ihn treibet.
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Chorführer O glaub es, Kind des Oidipus, tief rührt uns Dein Los und deines Vaters schweres Schicksal. Doch vor dem Zorn der Götter stehn wir zitternd Und können nichts an unsern Worten ändern.
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Oidipus O glanzbedeckter Name, stolzer Ruhm, Was frommst du uns, zerrinnst du gleich in Nichts? Vor allen Städten nennt man fromm Athen. Hier wären Fremde, die ein Leid verfolgt, Hier wären sie, wie nirgends sonst, geborgen. Und wo ist das für mich? Erst lockt ihr mich
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Von meinem Sitz, dann treibt ihr mich von dannen. Bloß einen Namen fürchtet ihr, nicht doch Den Leib da, meine Taten. Denn die Taten Sind mir erlitten, doch nicht frei gewollt – Dürft ich dir das von Vater, Mutter sagen, Warum du mich verabscheust; ganz genau Weiß ich’s. Und doch, was ist da schlecht an mir? Der nur Gewalt vergalt; selbst wenn er kalt Und klar gehandelt, war er doch nicht schlecht. Nun kam ich unbewußt, wohin ich kam, Indes mein Tod von Wissenden beschlossen. Drum fleh ich euch bei allen Göttern an, Wie ihr mich aufgetrieben, schützt mich auch; Und achtet nicht, aus Gottesfurcht, für nichts Die Macht der Götter, und bedenket wohl: Ihr Auge sieht die Guten in der Welt, Ihr Auge sieht die Bösen. Kein Entrinnen Bleibt dem Gottlosen auf der ganzen Erde. Ihr dürft mit ihrer Hilfe nicht verdunkeln Den Glanz Athens durch solch ein gottlos Werk. Da sich der Schützling gab in eure Hand, So schirmt und schützt ihn auch und wendet euch Nicht ab beim Anblick des entstellten Hauptes! Denn heilig bin ich und geweiht und bringe Dem Lande Segen. Wenn der König erst, Wer es auch ist, erscheint, der hier gebietet, So sollst du alles hören und verstehn. Doch unterdessen frevle nicht an mir.
Chorführer Was du zu meinem Herzen redest, Greis, Zwingt mich zu Scheu und Achtung. Denn nicht leicht Wiegen die Worte, die du mir gesagt. 295 So mög denn unser Herrscher hier entscheiden. Oidipus Wo weilt er denn, ihr Fremden, euer Fürst?
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Chorführer In seines Vaters Stadt. Doch holt ihn schon Der Wächter, der auch uns hierher beschied. Oidipus Und wird er auch um einen blinden Greis Sich soviel kümmern, daß er selbst erscheint? Chorführer Er wird es, wenn er deinen Namen hört. Oidipus Wer aber nennt ihm den und sagt’s ihm an? Chorführer Wohl ist der Weg nicht kurz, doch das Gerücht Pflegt rasch zu schweifen, und hat er’s vernommen, So kommt er auch, verlaß dich drauf. Dein Name Drang ja zu allen Menschen. Läg er selbst Im Schlaf und hörte ihn – schnell käm er her. Oidipus Mög er denn kommen, euch und mir zum Heil. Denn welcher Edle suchte nicht sein Glück? Antigone O Zeus, was sag ich? Seh ich recht, mein Vater? Oidipus Was gibt’s, mein Kind Antigone? Antigone Ich sah Ein Weib dort näher kommen, das auf einem Sizilischen Maultier sitzt, und vor der Sonne Schützt ein thessalischer Hut ihr das Gesicht. Was sag ich? Ist sie es, ist sie’s nicht? Irrt sich mein Sinn? Ich schwanke hin und her, kenn mich nicht aus. Sie ist’s! Sie ist’s! Sie lächelt heiteren Auges Im Näherkommen uns entgegen. Ja! Das kann nur eine, nur Ismene sein.
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Oidipus Was sagst du, Kind? Antigone Die Schwester ist’s, die Tochter, Gleich wirst du sie an ihrer Stimme kennen. I s m e n e tritt auf Ismene O Vater! Schwester! Süßer Doppellaut! 325 Kaum fand ich euch, und nun ich euch gefunden, Kann euch mein Auge kaum vor Tränen schaun. Oidipus Mein Kind, du kamst? Ismene Unseliger Anblick,Vater! Oidipus O meine Tochter! Ismene O, welch eine Armut! Oidipus Mein Kind, du kamst? Ismene Nicht ohne viel Beschwerden. Oidipus Umarme mich. Ismene Schon fasse ich euch beide. Oidipus 330 Sie und auch mich? Ismene Und mich selbdritt im Leid. Oidipus Was führt dich her? Ismene Um dich die Sorge,Vater!
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Oidipus Aus Sehnsucht nur? Ismene Und um dir selber Botschaft Zu bringen mit dem letzten treuen Knecht. Oidipus Doch wo sind deine jungen, starken Brüder?
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Ismene Laß die nur, wo sie sind. Da steht es schlimm. Oidipus O diese Knaben! Die ein Leben führen, Ganz wie es in Ägypten Sitte ist. Dort bleibt der Mann zu Haus und sitzt am Webstuhl, Indes das Weib das Haus verläßt und draußen Des Lebens Notdurft mühevoll erringt. So hüten jene, deren Pflicht es wäre, Für mich zu sorgen, Mädchen gleich das Haus; Ihr aber teilt statt ihrer meine Not Und ladet meines Lebens Last auf euch. Hier diese, kaum zur Jungfrau aufgeblüht, Zog rastlos mit mir meinen irren Weg Und wartete den Greis. Im wilden Wald, Auf nackten Füßen oft und ohne Nahrung, Von Regenschauern und von Sonnenbrand Gequält, macht sie sich nichts aus häuslichem Behagen, wenn der Vater nur besorgt. Und du schlichst heimlich oft aus Kadmos’ Stadt Und brachtest jeden Götterspruch mir zu, Der über mich ergangen, warst mein Wächter In Treue, seit ich dort vertrieben bin. Und jetzt, Ismene, welche neue Botschaft Bringst du zu mir? Was führt von Haus dich fort? Ich weiß, du kommst mit leeren Händen nicht, Du kommst mit einer neuen Schreckenspost.
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Ismene Was ich erlitten,Vater, auf der Suche Nach dir und deinem Aufenthalt, laß mich’s Verschweigen nur; denn nicht zum zweiten Mal Will ich mein Leid, im Worte so, erleben. Das Unheil, welches deine Söhne jetzt So schwer bedrängt, das komm ich dir zu melden. Sie eiferten zuerst, den Thron dem Kreon Zu lassen und die Stadt nicht zu beflecken, Des Fluchs gedenkend, der seit alter Zeit Dein unglückseliges Haus ergriffen hat. Da hat ein Gott und ihre Leidenschaft Zu Zank gereizt die dreimal Unglückseligen, Der Herrschaft zu begehren und des Thrones. Der Jüngere in Jugendüberschwang Hat Polyneikes, deinen Erstgeborenen, Vom Thron gestürzt und aus dem Land getrieben. Der Flüchtling – so erzählt man in der Stadt – Entkommt ins Tal von Argos und gewinnt Sich neuen Sippenbund und Waffenfreunde, Daß Argos siegreich unsre Stadt erobre, Oder ihr Ruhm verschaffe, himmelhoch. Dies sind nicht eitle Worte,Vater, nein, Sind schlimme Taten! Aber wo die Götter Dein Leiden enden wollen, seh ich nicht. Oidipus So trugst du Hoffnung, daß die Götter einst Von meinem Leid erbarmend mich erlösten? Ismene Ich hofft es nach dem jüngsten Götterspruch. Oidipus Wie lautet er, wie sprach der Gott, mein Kind? Ismene Nach dir verlangen müßten sie daheim, Lebendig oder tot, zu ihrem Heile.
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Oidipus Wem brächte Heil ein Mann, wie ich es bin? Ismene In dir, so heißt es, ruhe ihre Macht. Oidipus Wenn ich ein Nichts bin, bin ich eine Macht? Ismene Jetzt heben dich die Götter, die dich stürzten. Oidipus Als Greis den heben, der als Jüngling fiel! Ismene Und eben deshalb wird’s nicht lange währen, Bis Kreon hier erscheint, das mußt du wissen. Oidipus Was will er hier? Erkläre es mir, Kind! Ismene Um bis an Thebens Grenze dich zu bringen, Daß sie dich haben, aber nicht im Land. Oidipus Wie nütz ich ihnen, ruh ich außerhalb? Ismene Dein ehrlos Grab wär ihnen schwere Last. Oidipus Auch ohne Gott begreift das eigene Einsicht. Ismene Deswegen will man nahe an die Grenze Dich bringen, nicht dir selbst dich überlassen. Oidipus So wollen sie mit Thebens Staub mich decken? Ismene Das läßt ja deine Blutschuld niemals zu. Oidipus Dann sollen sie auch niemals mich besitzen!
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Ismene Dann fällt ein schweres Leid auf die Thebaner. Oidipus Und wann und wie erfüllt sich dieser Fluch? Ismene Durch deinen Zorn, wenn sie an deinem Grab stehn. Oidipus Von wem erfuhrst du alles dies, mein Kind? Ismene Von Delphi, aus dem Mund der Opferboten. Oidipus Das hätte Phoibos über mich gesagt? Ismene So sagten sie, von Delphi heimgekehrt. Oidipus Und haben’s meine Söhne auch gehört? Ismene Sie wissen’s alle beide ganz genau. Oidipus So hörten es die Schurken? Aber dennoch Gilt ihnen mehr als Kindespflicht die Krone? Ismene Es schmerzt dein Wort mich, und doch muß ich’s tragen. Oidipus So soll kein Gott die Zwietracht ihnen löschen! In meinen Händen liege die Entscheidung Des Kampfes, den sie mit geschwungenem Speer Erhoben, daß nicht der, der jetzo Thron Und Zepter hält, verbleib, noch der Verbannte Je wieder heimkehr, da sie ihren Vater So schmählich aus dem Vaterland vertrieben, Nicht hielten und nicht schätzten; nein, sie ließen Das Urteil der Verbannung ruhig zu. Sagt nicht, mir wäre nur nach Wunsch geschehen Und mir als Gnade sei es nur gewährt.
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Mitnichten. Denn an jenem Tage selbst, Als mir das Herz noch brannte und am liebsten Ich sterben wollte und gesteinigt werden, War niemand da zu dieser Liebestat. Doch als im Lauf der Zeit mein Gram gemildert Und ich begriff, daß ich zu weit gegangen, Und daß ich mehr mich strafte als ich fehlte, Da erst vertrieb die Stadt mich mit Gewalt, Nach Jahren. Aber sie, statt mir zu helfen, Die Söhne ihrem Vater, wollten nicht. Es hätte sie ein kleines Wort gekostet. Sie ließen mich als Bettler flüchtig gehn. Nur diese schwachen Mädchen gaben mir, Soweit die Kraft reicht’, was mein Leib bedurfte, Ein leidlich Obdach, eine sichere Bleibe. Indes die Söhne zogen ihrem Vater Das Zepter vor und ihre Herrschermacht. Doch nimmer werde ich ihr Kampfgenoß, Noch sollen sie der väterlichen Herrschaft Sich je erfreuen. Dessen bin ich sicher. Der Spruch verheißt’s, den diese mir verkündet, Und auch das alte Wort, das Phoibos einst An mir erfüllt. Drum mögen sie nur Kreon Hersenden, und wer sonst in Theben herrscht. Denn seid ihr, Fremde, willens, mit den Frauen, Den dreimal hehren, die des Landes walten, Mir beizustehn, so schafft ihr eurer Stadt Den starken Heiland und den Feinden Not.
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Chorführer Wohl ist des Mitleids wert das schwere Los, Das dir und deinen Töchtern fiel. Und da Als Heiland diesem Land du dich verkündet, Will ich mit Rat dir gern zur Seite stehn. Oidipus Ja, Lieber, hilf mir; gerne folg ich dir.
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Chorführer Versöhne denn zunächst die heiligen Frauen, In deren Hain zuerst du eingedrungen. Oidipus Wie dient man ihnen? Sprich, belehre mich! Chorführer Zuerst schöpf Wasser aus dem heiligen Quell, 470 Dem unversiegbaren, mit frommer Hand. Oidipus Und hab ich nun das lautere Naß geschöpft? Chorführer Da stehen Krüge, eines Künstlers Werke. Umkränze deren Rand und beide Henkel. Oidipus Mit Zweigen, oder Fäden, oder wie? Chorführer 475 Mit eines Lammes jüngst geschorenem Vließ. Oidipus Und wie vollend ich dann das Weitere? Chorführer Gieß Guß auf Guß, nach Osten hin gewandt. Oidipus Aus jenen Krügen, die du mir genannt? Chorführer Gieß dreimal und den letzten Krug ganz leer! Oidipus 480 Was füll ich in den dritten? Sag noch dies. Chorführer Wasser und Honig, aber keinen Wein. Oidipus Und wenn den Guß der schwarze Boden trank? Chorführer Leg Ölbaumzweige, dreimal neun, beidhändig Darüber und verrichte dein Gebet.
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Oidipus Sprich weiter, denn das ist das Wichtigste. Chorführer Daß sie, die wir die Gnadenreichen nennen, Den Flüchtling gnadenreichen Sinns empfangen. So bete selbst, wenn’s nicht ein andrer tut. Unhörbar sprich, erhebe nicht die Stimme. Dann gehe, ohne dich mehr umzuschaun. Verfährst du so, steh ich getrost dir bei, Wo nicht, so muß ich, Fremdling, um dich bangen. Oidipus Vernahmt ihr, Kinder, was er mir gesagt? Antigone Gewiß, bestimme, was geschehen soll. Oidipus Ich kann den Weg nicht gehn. Des Körpers Schwäche Und meiner Augen Nacht verwehrt es mir. So mag’s von euch denn eine für mich tun. Denn Tausend selbst sühnt eine einzige Seele, So glaub ich, wenn sie guten Willens ist. Auf! Eilt damit! Doch laßt mich nicht allein; Denn meinem Leib gebricht es an der Kraft, Allein zu wandeln ohne einen Führer. Ismene Ich will es tun. Doch möcht ich vorher wissen, Wo ich den heiligen Ort zu suchen habe. Chorführer In jenem Hain. Gebricht’s noch sonst an etwas, So ist ein Wächter dort, der Auskunft gibt. Ismene Ich geh. Antigone, du bleibst beim Vater. Denn in dem Dienst der Eltern kennt ein Kind Ja keine Müh, auch wenn es mühsam ist. I s m e n e ab in den Hain
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Chor Ach, furchtbar ist’s, zu wecken alles Leiden aus dem Schlummer, fremder Alter! Und dennoch möcht ich’s hören. Oidipus Was meinst du? Chor Dein Leiden unselig, das einbrach, Dein unwiderstehlich Schicksal. Oidipus 515 Nein, decke nicht auf des Gastes Schlimm schamlose Taten, Lieber! Chor Was weit doch bekannt, nie auch verschollen, Das laß mich doch, Fremder, vernehmen. Oidipus O weh! Chor Erfüll doch die Bitte! Oidipus Ach, ach! Chor 520 Gib nach! Ich auch hab erfüllt, was du wünschtest. Oidipus Ich trug doch Allerschlimmstes, ja, ich trug es, bei den Göttern, wider Willen. Doch gar nichts wollt ich selber. Chor Doch wer denn? Oidipus 525 Nichts ahnt ich, mich band ja die Stadt einst Fluch voll in den Bund der Ehe. Chor Das Lager der Mutter hast du Schmach voll, wie man sagt, gewonnen? 510
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Oidipus Ach, wehe, mein Tod ist’s, das zu hören! Die Zwei hier, ihr Fremden, die Kinder! 530 Chor Wieso? Oidipus Zwei Kinder, zwei Flüche! Chor O Zeus! Oidipus Entsproßt dem nämlichen Schoß wie ich selber. Chor So sind sie deine Kinder und – Oidipus 535 Geschwister auch des Vaters sie. Chor O weh! Oidipus O weh! Wahrlich! Tausendfaches Leid ward mir zuteil. Chor Dich traf – Oidipus Mich traf unsäglich Leid. Chor Verschuldet. Oidipus Nicht verschuldet. Chor Wie? Oidipus Geschenkt als Lohn, 540 Herzzerbrechender, welchen doch nimmermehr Der Retter seiner Stadt erhalten dürfte.
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Oidipus auf Kolonos
Chor Unselger, gabst du nicht den Tod – Oidipus Wieso? Was willst du wissen noch? Chor Dem Vater? Oidipus Halt! Nicht den zweiten Schlag! Du gibst mir Stich auf Stich. Chor Du schlugst? Oidipus 545 Ich schlug, doch war ich wohl – Chor Was denn? Oidipus Im Recht. Chor Wieso im Recht? Oidipus Ich sag es euch. Wußte nicht, wen ich erschlagen und tötete. Ich tat’s unwissend, rein vor dem Gesetze. T h e s e u s tritt auf mit Gefolge Chorführer Dort eben naht der König, Aigeus’ Sohn, 550 Theseus, nach deinem Wunsche kommt er her. Theseus An deines Augenlichtes blutiger Tilgung, Worüber ich schon viel gehört zuvor, Erkenne ich dich, Sohn des Laios. Und was ich unterwegs erfuhr, bestärkt mich. 555 Ja, dies Gewand, dies schmerzensreiche Haupt
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Spricht deutlich, wer du bist. Aus Mitgefühl Will ich dich fragen, armer Oidipus, Was dich ließ flüchten nach Athen zu mir, Dich und die Arme, die da bei dir steht. Sprich’s aus! Es müßte wahrlich Schlimmes sein, Was du begehrst, wenn ich’s verweigerte. Ich selbst wuchs ja heran in fremdem Land Gleich dir und rang mit Fährnis in der Fremde Um meinen Kopf wie kaum ein andrer Mann. Drum werd ich einem Fremden wie jetzt dir Nie meine Hand entziehen. Weiß ich doch, Daß ich ein Mensch bin und daß mir vom Morgen Kein Bißchen sicherer gehört als dir. Oidipus Dein Adel hat in wenig Worten sich Enthüllt, so daß ich kurz mich fassen kann. Denn wer ich bin und welches Vaters Sohn, Aus welchem Land, du hast es schon gesagt. Und nichts bleibt übrig mir, als mein Begehren Dir zu gestehen, und schon bin ich fertig. Theseus So sprich, was du begehrst, und laß mich’s wissen. Oidipus Ich biete meinen armen Leib dir an. Zwar ein Geschenk, fürs Auge ohne Reiz, Doch hat er größern Wert als Wohlgestalt. Theseus Worin besteht, meinst du, der hohe Wert? Oidipus Die Zeit wird’s lehren, nicht der Augenblick. Theseus Wann aber offenbart der Segen sich? Oidipus Wenn ich gestorben und von dir begraben.
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Theseus Du bittest um das Letzte; das Davor Vergißt du oder achtest es für nichts. Oidipus Mit jenem wird auch dieses mir zuteil. Theseus Klein ist die Gunst, die du von mir begehrst. Oidipus Doch ist der Kampf nicht klein, bedenk das wohl. Theseus Meinst du damit die Deinen oder mich? Oidipus Man will mich mit Gewalt nach Theben bringen. Theseus Sie wollen, und du ziehst Verbannung vor? Oidipus Als ich es wollte, ließen sie’s nicht zu. Theseus Im Unglück taugt kein trotziger Sinn, du Tor! Oidipus Wenn du mich hörtest, richte! Doch nicht eher! Theseus So sprich! Nicht darf ich ohne Kenntnis richten. Oidipus Ich litt entsetzlich, Theseus, Leid auf Leid. Theseus Du meinst das alte Unheil deines Hauses. Oidipus O nein! Das kennt ja doch ganz Griechenland. Theseus Was littest du denn über Menschenmaß? Oidipus So steht’s mit mir: es hat mein eigen Blut Mich aus dem Land gejagt, und nimmer soll Ich wiederkehren, ich, der Vatermörder.
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Theseus Und dennoch wollen sie dich heimwärts holen? Oidipus Der Mund des Gottes wird sie dazu zwingen. Theseus Was haben sie nach diesem Spruch zu fürchten? Oidipus Daß sie von deinem Land geschlagen werden. Theseus Wie käm’s zum Schlimmsten zwischen mir und ihnen? Oidipus O liebster Sohn des Aigeus, nur den Göttern Ist Alter nicht gesetzt und nicht der Tod. Sonst alles stürzt allmächtig doch die Zeit. Die Kraft des Erdreichs schwindet und des Leibes, Es stirbt die Treue, Untreu sprießt hervor. Derselbe Geist bleibt niemals unter Freunden Beständig, nie auch zwischen Stadt und Stadt. Heut wandelt hier, dort morgen Süßes sich In Bitterkeit und wieder dann in Freundschaft. Noch lächelt Frieden dir von Theben jetzt. Doch werden aus der Zeit endlosem Schoße Noch Tage einst und Nächte sich entwinden, Da jene Hände, die jetzt treu sich drücken, Zum Streit sich lösen aus dem kleinsten Grund. Dann trinkt, in tiefer Erde still gebettet, Mein todeskalter Leib ihr warmes Blut, Wenn Zeus noch Zeus ist und Apollon wahr. Doch diese Dinge will ich nicht berühren. Laß mich bei meinen ersten Worten bleiben. Halt dein Versprechen, und du sollst nie sagen, Daß du mich unnütz aufgenommen hast, Wenn anders mich die Götter nicht belügen. Chorführer Mit ähnlichem Versprechen bot sich schon Der Fremde unserm Lande vorhin an.
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Theseus Wie könnt ich seine Wohltat von mir weisen? Gebührt ihm doch nach altem Gastrecht schon Ein ständiger Ehrenplatz an meinem Herd. Und nun hat er der Götter Schutz gesucht Und bringt uns Heil und Segen in das Land. Ich achte seine Gunst und weise sie Nicht ab. Er soll als Bürger bei uns bleiben. Gefällt’s dem Fremden, hier zu bleiben – gut, Bleib er in eurer Hut, sonst komm er mit mir. Ich stell es gänzlich deiner Wahl anheim, Mein Oidipus, und gern willfahr ich dir. Oidipus O Zeus, verleihe diesen Männern Glück! Theseus Was willst du lieber? Mit mir nach Athen? Oidipus Wie gerne möcht ich! Doch an diesem Ort – Theseus Was ist mit diesem Ort? Ich wehr dir nichts. Oidipus Hier soll ich über meine Feinde siegen. Theseus Groß wäre deines Bleibens Segen dann. Oidipus Vorausgesetzt, daß du dein Wort mir hältst. Theseus Vertrau mir ganz. Ich will dich nicht verlassen. Oidipus Dein Wort genügt. Nur Schlechte brauchen Eide. Theseus Mein Wort gilt dir soviel als wie ein Eid. Oidipus Wie wirst du handeln?
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Theseus
Was quält dich am meisten?
Oidipus Es kommen Männer. Theseus Die da geben acht. Oidipus Wie? Du gehst fort? Theseus Ich weiß, was mir obliegt. Oidipus Vergib, mich ängstigt – Theseus Mein Herz fürchtet nichts. Oidipus Du weißt nicht, wie sie drohn. Theseus Ich weiß, daß dich Gen meinen Willen niemand hier entführt. So manche Drohung und manch leeres Wort Wird ja im Zorn gesagt; doch ist der Geist Erst seiner Herr, so ist die Drohung fort. Auch jene mögen sich gewaltig brüsten, Daß sie dich holen; bald, gewiß, erscheint Der Weg hierher als Meer, wüst, unbefahrbar. Drum Mut! Hat Phoibos wirklich dich gesandt, So bist du sicher auch schon ohne mich. Und bin ich nicht bei dir, so weiß ich doch, Mein Name schützt dich schon vor allem Bösen. Ab mit Gefolge Chor Freund, zum herrlichsten Fleck der Welt Hier im rosseberühmten Lande kamst du,
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Oidipus auf Kolonos
Nach Kolonos, dem weißen Hang, Wo die Nachtigall baut ihr Nest Und hell schluchzet ihr Klagelied Im Grund tief aus dem Dunkel. Im wein farbigen Efeu weilt 675 Sie gern, wie in des Gottes Busch, Blätterreich, früchteschwer, schattig auch, weilet sie, Dem heilgen, der geborgen Vor Sturm. Schweift Dionysos doch 680 Dort, der Schwärmende, mit der Schar der Nymphen Gern, welche ihn einstmals nährten. 670
Blühen unter des Himmels Tau Hier Narzissen mit schönen Traubendolden, Allgeheiligter Schmuck der zwei 685 Großen Göttinnen; Krokus auch Im Gold glanz. Des Kephissos Flut Versiegt nimmer und schlummert nicht Und strömt rastlos dahin im Fluß. Und all täglich und immerzu Wieder befruchtend so sucht er die Ebenen Der breiten Brust der Erde 690 Mit klar lauterem Naß. Da bleibt Fern nicht der Chor der Nymphen, Aphrodite Nicht, goldenen Zügel lenkend. Es wächst hier, was ich niemals hab vernommen, daß im Osten, 695 Daß im Eiland, in dem großen Land des Pelops und der Dorer es gewachsen: Ein Baum, dem nichts schaden kann, der selber Sich fortpflanzt, den der Feind selbst schont. 700 Der blühet hier, mächtig hier im Lande, Silberglänzend, volkernährend: unser Ölbaum. An ihm soll nie Jugend nicht noch Alter Sich vergreifen, mit der Hand ihn frech zerstören; denn es schirmt ihn der wache Blick
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Des Zeus, unseres Schicksals Herr, Und hell äugig Athene.
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Ein Lob noch, ein gewaltges, darf ich singen meiner Heimat, Dies Geschenk wohl eines Gottes, eines großen. Unser Stolz ist’s, unser größter: 710 Heißt Rossezucht, Reiterkunst und Seemacht. O Sohn des Zeus, du schenktest uns Ja diesen Stolz, Herrscher du, Poseidon. Denn du legtest ja den Zügel, der es bändigt, Zum ersten Mal hier im Gau dem Roß an. 715 Und das Holz, das sich erstaunlich in die Hand paßt, um zu fliegen durchs Meer, es tanzt, Von Meer mädchen begleitet rings In zahl losem Gewimmel. Antigone Nun ist es Zeit, o ruhmgeschmücktes Land, Nun zeige, daß du deinen Ruhm verdienst. Oidipus Was gibt es Neues? Antigone Kreon seh ich dort, Er kommt nicht ohne Kriegerschar, mein Vater. Oidipus Ihr lieben Greise, möge doch von euch Zum letzten Male jetzt mir Rettung werden! Chorführer Getrost, wir schützen dich! Sind wir auch alt, Noch nicht gealtert ist die Macht Athens. K r e o n tritt auf mit bewaffnetem Gefolge Kreon Ihr Männer, edle Bürger dieses Landes! In euren Mienen lese ich Bestürzung,
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Die über mein Erscheinen euch ergreift. Besorget nichts, und sprecht kein böses Wort. Ich komme nicht in böser Absicht. Bin ich Doch schon ein alter Mann, der sehr wohl weiß, Daß keine Stadt Athen an Größe gleicht. Man sandte mich, um diesen alten Mann Mit sanftem Wort nach Theben heim zu bringen. Nicht einer, nein, die ganze Bürgerschaft Gab mir den Auftrag, weil ich sein Verwandter Und mehr wie andre sein Geschick mich angeht. Hör mich denn an, mein armer Oidipus. Kehr wieder heim. Des Kadmos Volk verlangt dich Mit allem Recht, und keiner mehr als ich. Denn gäb’s auf Erden größere Schlechtigkeit, Wenn dein Geschick nicht mich am meisten schmerzte? Dich so zu sehn, als Bettler in der Fremde, Auf Wanderung stets, mit einer einzigen Stütze Und aller Notdurft bar! Ich hätte nie Geglaubt, daß sie so tief hätt sinken müssen In Schmach, wie jetzt das arme Mädchen sank. Um dich zu pflegen und dein Haupt, lebt sie Ein Bettlerleben, in der Jahre Blüte Noch ehelos, des ersten Besten Raub. Doch trifft die schlimme Schmach – ich Ärmster ich! – Nicht dich und mich und unser ganzes Haus? Denn sie ist offenbar und nicht zu bergen! Drum birg du sie, bei unsres Stammes Göttern! Kehr willig heim in deiner Väter Burg. Entbiete dieser Stadt dein Lebewohl! Sie ist es wert, doch muß dir über sie Die Heimat gehn, die deine Amme war. Oidipus Schamloser Mensch, der selbst aus jedem Rechtsgrund Sich listig einen Strick zu drehen weiß! Versuchst du mich zum zweiten Mal ins Netz
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Zu locken, das mich halten soll in Qual? Damals als krank von selbstgewirktem Leid, Ich nach Verbannung aus dem Land mich sehnte, Da wolltest meinen Wunsch du nicht erfüllen. Doch als mein Herz des Grames sich gesättigt, Und mir daheim das Leben süß erschien, Da stießest du, da warfst du mich hinaus, Und die Verwandtschaft war dir gar nicht lieb. Kaum siehst du, daß die Stadt und alles Volk Mir treulich beistehn, willst du mich entführen Und gibst der frühern Härte sanfte Namen. Die nicht begehrte Gunst erquickt uns nicht. Das ist, wie wenn dir einer auf dein Flehn Nichts geben will und auch nicht helfen will; Doch wenn dein Herz gestillt all sein Begehren, Dann schenkt er, da die Gunst nicht mehr erwünscht. Ist das nicht eine Freude ganz umsonst? Das ist die Liebe, welche du mir bietest: Edel im Wort, doch in der Tat gemein! Auch denen zeig ich deine Schlechtigkeit: Du willst mich holen, aber nicht nach Haus, Nein, bis zur Grenze nur, daß deine Stadt Entgeh dem Unheil, das dies Land ihr droht. Glaub nicht, daß dir das glückt! Nur das erreichst du, Daß ewig haust im Land mein Rachegeist; Und meinen Söhnen wird von Thebens Erde Nur soviel, als genug ist für ein Grab! Liegt Thebens Schicksal heller nicht vor meinem Als deinem Blick? Denn meines Wissens Quelle Ist Phoibos und sein Vater selber, Zeus. Du kommst hierher mit einem Mund voll Lügen, Mit einem frechen Mund. Ach, all dein Reden Trägt dir doch viel mehr Böses ein als Heil. Ich weiß, ich kann dich nicht belehren. Geh! Uns aber laß hier leben. Denn auch so Leben nicht schlecht wir, wenn’s nur uns behagt.
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Kreon Wer, glaubst du, blickt verkehrter bei dem Streit? Du für dich selber oder ich für mich? Oidipus Ich bin zufrieden, wenn du weder mich Noch diese hier mit deinem Wort berückst. Kreon So kamst du mit der Zeit nicht zu Verstand? 805 Trotz deinem Alter wirst du zum Gespött. Oidipus Du bist ein Wortheld. Aber keinen fand ich Noch redlich, der von allem trefflich spricht. Kreon Viel reden ist noch lang nicht gut geredet. Oidipus Ja, kurz und gut ist alles, was du sagst. Kreon 810 Nur nicht für Leute solchen Sinns wie du! Oidipus Fahr hin! sag ich in deren Namen auch. Umlaure mir nicht meine Ruhestätte! Kreon Nicht dich, die Männer ruf ich an als Zeugen, Wie du mein Wort erwiderst. Hab ich dich – Oidipus 815 Du hast mich nicht, denn diese schützen mich. Kreon Dir droht schon anderes, was dir nicht gefällt! Oidipus Was hast mit dieser Drohung du im Sinn? Kreon Die eine deiner Töchter hab ich eben Abführen lassen. Und nun kommt die zweite. Oidipus Weh! 800
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Kreon Bald hast du noch bessern Grund zum Wehruf. Oidipus Mein Kind in deiner Hand? Kreon Gleich auch die andre! Oidipus O Freunde, handelt! Und verlaßt mich nicht! Jagt ihr den Frevler nicht zum Land hinaus? Chorführer Schnell fort, du Fremder! Denn es ist nicht recht, Was jetzt du tust und was du schon getan. Kreon zu seinem Gefolge Jetzt ist es Zeit, das Mädchen fortzuführen. Geht sie nicht willig mit, so braucht Gewalt! Antigone Wo flieh ich hin, ich Arme? Ach, kein Gott, Kein Mensch schützt mich. Chorführer Was tust du, Fremder? Kreon Ihn laß ich euch, doch diese ist mein Eigen. Oidipus Ihr Herrn des Landes! Chorführer Halt! Das ist nicht recht. Kreon Ist’s doch! Chorführer Wie denn? Kreon Ich nehm, was mir gehört. Oidipus O Stadt, vernimm’s!
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Chorführer Was soll’s, Fremder? Laß sie los, oder gleich macht die 835 Faust es aus. Kreon Zurück! Chorführer Nicht vor dir, wenn du solches wagst! Kreon Mit Theben hat’s zu tun, wer mir ein Haar krümmt! Oidipus Ach, hab ich’s nicht gesagt? Chorführer Gib auf der Stelle Das Mädchen Frei! Kreon Befiehl nicht, wo du machtlos! Chorführer 840 Laß los, sag ich! Kreon Und ich sag: Aus dem Weg! Chorführer Herbei! Kommt herbei, ihr Leut, kommt herbei! Die Stadt greift man an, die Stadt mit Gewalt. Herbei! Kommt herbei! Antigone Man schleppt mich fort! Erbarmen! Freunde, Freunde! Oidipus Wo bist du, Kind? Antigone Gewalt! Man schleppt mich fort! 845 Oidipus Gib mir die Hand, mein Kind! Antigone Ich kann’s nicht mehr!
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Kreon Hinweg mit ihr! A n t i g o n e wird von den Kriegern ab geführt Oidipus Ich armer, armer Mann! Kreon An diesen beiden Krücken wirst du nimmer Des Weges ziehn. Doch da du siegen willst Nun über deine Freunde und dein Land, Für die ich kam, obwohl ich König bin, So siege nur! Die Zeit wird es dich lehren, Daß du dir selbst nichts Gutes angetan, Wie früher, wenn du taub für deine Freunde Dem Zorn dich hingabst, der dich stets beschmutzt. Er will gehen Chorführer vertritt ihm den Weg Nicht von der Stelle, Mann! Kreon Die Hände weg! Chorführer Gib deinen Raub heraus, sonst bleibst du hier! Kreon Ihr werdet bald noch größeres Lösegeld Mir zahlen. Denn noch bin ich hier nicht fertig. Chorführer Du willst noch mehr? Kreon Den hier nehm ich noch mit. Chorführer Ein großes Wort! Kreon Sofort wird es geschehn! Chorführer Daß nur der Fürst des Landes dir’s nicht wehrt!
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Oidipus Schamloser, auch an mir vergreifst du dich? Kreon Du hast zu schweigen! Oidipus Laßt mir, hohe Frauen, 865 So lang noch Stimme, bis ich ihm geflucht, Dem feigen Räuber, der dem blinden Greis Sein einzig Licht mit frecher Hand genommen! Für diese Tat soll dir und deiner Sippe Der Gott, dem nichts verhüllt ist, Helios, Ein Alter geben grade wie das meine. Kreon 870 Habt ihr’s gesehn, ihr Bürger dieses Landes? Oidipus Sie sehen mich und dich und wissen wohl, Daß ich Erlittenem nur mit Worten wehre. Kreon Ich halte meinen Zorn nicht, brauch Gewalt, 875 Wenn ich allein auch bin und altersschwach. Er ergreift den O i d i p u s Oidipus O weh, o weh! Chorführer Du hast großen Mut dir hier mitgebracht, traust du dir das zu? Kreon Ich trau’s. Chorführer Nimmer dann ist dies mehr ein Staat. Kreon 880 Des Schwachen Recht besiegt des Starken Kraft! Oidipus Hört, wes er sich vermißt!
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Chorführer Doch nie vollendet, Bei Zeus! Kreon Er weiß das besser wohl als ihr! Chorführer O Frevel! Kreon Frevel, den ihr tragen müßt! Chorführer Heran alles Volk! Heran Landesherr! Herbei! Eilt euch doch! Herbei dieses nun, Dies geht doch zu weit!
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T h e s e u s erscheint mit bewaffnetem Gefolge Theseus Was für ein Geschrei? Was gibt’s hier? Welche Angst denn störte mich, Als ich Farrenopfer brachte am Altar des Herrn der See, Unsers Gaues hohem Schirmherrn? Sprecht, damit ich alles weiß, Das mich trieb hierher zu kommen, schneller als den Füßen 890 lieb. Oidipus An deiner Stimme, Fürst, erkenn ich dich. Hier dieser Mann tat schweres Leid mir an. Theseus Was ist geschehen? Wer hat dich gekränkt? Oidipus Da steht er, Kreon! Feig hat er geraubt 895 Mir meine Töchter, meinen einzigen Trost. Theseus Was sagst du da? Oidipus Nur was mir angetan.
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Theseus Sofort jetzt vom Gefolge einer fort Zu den Altären, rufe alles Volk Zu Fuß, zu Pferde von den Opfern weg! Sie sollen mit verhängten Zügeln eilen, Wo sich die beiden Straßen kreuzend einen, Daß uns die Mädchen nicht entgehn und ich, So übermannt, dem Gast zum Spotte werde! Fort! Eilet ungesäumt! Ein Teil des Gefolges ab Der aber da – Ließ ich gerechtem Zorne freien Lauf, Sollt er mit heiler Haut mir nicht entgehn! Doch werd er nach demselben Recht behandelt, Mit dem er eindrang hier in unsern Gau. Du kommst mir nicht mehr fort aus diesem Lande, Eh du die Mädchen nicht hier vor mich bringst. Du tatest was nicht meiner würdig ist, Noch deiner Ahnen, noch auch deines Landes. Du dringst hier ein in einer Stadt Gebiet, Die Recht übt, ungesetzlich nichts vollführt; Verwirfst des Landes Satzungen, fällst ein Und holst dir mit Gewalt, was dir behagt. Meinst du, ein Sklavennest sei diese Stadt, Von Männern leer, und ich sei nur ein Nichts? Und doch hat Theben so dich nicht erzogen. Auch Theben züchtet Rechtsverächter nicht. Und Beifall wirst du nimmer finden, hört man, Wie an den Göttern und an mir du schandvoll Dich hier vergingst! Schutzflehende zu rauben! Meinst du, wenn ich in dein Gebiet gekommen, Und hätt ich selbst das allerbeste Recht, Ich würde ohne Willen seines Herrn Wegführen oder -schleppen irgendwen? Ich kenn des Gastes Pflichten in der Fremde, Du aber bringst die eigene Stadt in Schande,
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Die’s nicht verdient. Dich haben wohl die Jahre Zum Greis gemacht, doch der Vernunft beraubt. So wiederhole ich, was ich gesagt: Bring mir die Mädchen her und zwar sofort! Sonst zwinge ich dich, wenn du auch nicht willst, Dich anzusiedeln hier. Das habe ich Nicht nur im Munde, sondern auch im Sinn.
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Chorführer zu K r e o n Du siehst, wohin du kommst. Nach deiner Abkunft Scheinst du ganz gut, doch du bewährst dich schlecht. Kreon Nicht acht ich diese Stadt für männerlos, O Sohn des Aigeus, auch nicht unberaten Hab ich dies Werk getan. Ich ahnte nicht, Daß euch ein solcher Eifer für die Meinen Befiel, daß ihr sie mir zum Trotze hegtet. Ich glaubte, daß ihr keinen Vatermörder, Der unrein ist, aufnähmt und keinen Sohn, Des Mutter lebte in verruchter Ehe. Auch wußt ich Ares’ Hügel hier im Land So wohl beraten, daß er nicht gestatte, Es wohn ein solcher Wandrer in der Stadt. Drauf bauend hab ich dieses Wild bezwungen Und hätt es unterlassen, wenn er nicht Mit Flüchen mich und mein Geschlecht verwünscht. Vergelten wollt ich, was er mir getan. Zorn kennt ja auch kein Altern, kennt allein Den Tod; nur Tote rührt kein Zorn mehr an. Nun handle, wie du willst. Ich bin allein, Und bin ich auch im Recht, so ohne Macht. Doch werd ich deine Taten mit Vergeltung Zu treffen suchen, bin ich auch schon alt. Oidipus Schamloser Mann! Wen glaubst du denn zu schmähen? Mich hier, den Greis? Wie? Oder nicht dich selbst?
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Du hast ja Bluttat, Heirat, all mein Elend Durch deinen Mund gezogen. Doch mich Armen, Mich traf ’s unwillentlich; die Götter wollten’s, Die lange grollten meiner Sippe wohl. Doch an mir selber findest du kein Fehl Mir vorzuwerfen, nichts, wofür so schwer, Ich wider mich, die Meinen fehlen sollte, Daß sie so schwere Sühne auf mich luden. Wenn meinem Vater ein Orakel ward, Er falle durch des eignen Sohnes Hand, Wie kannst du mir die Schuld zurechnen, der ich Noch nicht geboren, noch des Lebens Keim Vom Vater und der Mutter hatt empfangen? Wenn ich, zum Unheil da, seit da ich war, Dem Vater in den Arm lief, ihn erschlug, Nicht wußte, was ich tat, noch wem ich’s tat, Wie kannst du schelten solch unwissend Tun? Auch zwingst du mich, Schamlosester, zu reden Von meiner Mutter Ehe – du, der Bruder! Wohlan, so red ich! Nicht mehr darf ich schweigen, Da du dich ruchlos hast soweit vergessen. Ja, Mutter war sie, Mutter, ach mein Elend! Nichts ahnend zeugte sie den Ahnungslosen, Und schenkt dem Sohne Kinder, sich zur Schmach! Dies eine weiß ich, daß mit vollem Wissen Du mich und sie geschmäht. Doch unfreiwillig Hab ich gefreit, und unfreiwillig sprech ich. Nein, diese Ehe schändet mich nicht, noch Der Vatermord, des du mich immerfort Mit bitterem Hohn und schnödem Vorwurf zeihst. Gib Antwort nur auf eins, das ich dich frage: Wenn einer rechtlos jetzt hier auf der Stelle Dich blutig anfiel, fragtest du ihn erst, Ob er dein Vater, oder schlügst du drein? Ich meine, wenn dir lieb dein Leben ist, Du schlügst und fragtest nicht erst lang nach Recht.
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In solche Frevel führten mich die Götter. Und stünd mein Vater jetzt vom Tode auf, Er widerspräch mir nicht. Du aber, der, Wahrhaftig kein Gerechter, jedes Wort, Ob sagbar oder nicht, für richtig hält, Beschimpfst mich ungescheut vor diesen da! Dem Theseus schmeicheln, ja, das scheint dir gut, Und wie Athen so gut verwaltet sei! Doch während du sein Lob singst, hast du wohl Vergessen, daß, wenn irgendwo ein Land Die Götter ehrt, Athen es übertrifft. Hier willst du einen schutzbedürftigen Greis Entführen, hast die Töchter ihm verschleppt. Drum heb ich meine Stimme rufend auf Zu dieses Haines Göttinnen und flehe, Daß sie mir rächend, rettend nahn und du Lernst, welche Männer diese Stadt bewachen. Chorführer Fürst, edel ist der Gast, sein Los ist freilich Ganz heillos, aber aller Hilfe wert.
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Theseus Genug geredet! Müßig stehn wir hier, Indessen sie mit ihrem Raub enteilen! Kreon Was forderst du von mir, dem schwachen Mann? Theseus Zeig mir den Weg und geh voran als Führer, Daß, wenn du in der Näh die Mädchen bargst, Den Ort du zeigst! Doch fliehn sie mit dem Raube, So braucht’s der Mühe nicht, dann eilen andre Schon ihnen nach, aus deren Hand kein Räuber Entwischt zu sein, den Göttern danken wird. Voran! Merk’s: Räuber werden selbst zur Beute, Dich Jäger fing im eigenen Garn das Schicksal,
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Und ungerecht erlistet Gut zerrinnt. Hast keinen Blinden vor dir. Weiß ich doch, Daß du dich nicht allein und ungerüstet 1030 An diese Tat des Übermuts gewagt! Ist einer da, dem du den Plan vertraut. Ich bin auf meiner Hut, und nimmer soll Die Stadt sich schwächer zeigen als ein Mann. Verstanden? Oder schlägst du’s in den Wind 1035 Wie eben, als du deine Tat begannst? Kreon Ich schweige hier zu allem, was du sagst. Zu Hause weiß ich, wie zu handeln ist. Theseus Droh nur! Doch geh! Und du, mein Oidipus, Bleib hier in Frieden und vertraue mir. 1040 Ich raste nicht, es zwäng mich denn der Tod, Bis ich die Kinder dir zurückgebracht. Oidipus O, lohne Gott dir deinen edlen Sinn Und deine Rechtlichkeit, die für mich sorgt! T h e s e u s mit K r e o n und Gefolge ab
Chor O, wäre ich, wo der Feind 1045 Bald kehrt machen muß zum Kampf Mit ehernem Schlachtgeschrei. An Gott Apollons heilgem Strand, Am Fackelgestade, 1050 Wo heiliger Weihn walten die Hehren für das Volk Der Menschen, und es schließt den Mund Eingeweihten goldner Schlüssel und zumal der Priesterschaft. Dort wohl weckte den Kampf auf 1055 Theseus und auch das Schwesternpaar, Die Jungfrauen beide.
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Es mischt ihr Geschrei sich mit hinein Weit durch die Lande. Viel leicht auch nach Westen hin Schnee reichem Gebirge zu 1060 Vom Wiesengefild her Entfliehn mit hurtigem Wagen sie Im Wettlauf der Pferde. Er holt sie ein. Kühn ist der Kampfgeist hier zu Land 1065 Und kühn des Königs Theseus Heer. Jeder Zügel blitzt und jeder Reiter stürmt mit Macht heran, Zaumverhängtes Geschwader. 1070 Treue Verehrer sind sie all Der reisigen Göttin Athene, Poseidons auch des MeerHerrschenden Gottes. Geht’s drauf? Oder zögern sie? Es ahnt mir mein Geist, 1075 Daß bald zurück kehren, Die furchtbar litten, furchtbar traf sie Leid von blutsverwandter Das wirkt gewiß heute noch Zeus. [Hand. Ich künde einen schönen Ausgang. Könnt ich doch 1080 Im sturmesschnellen Taubenflug Durch luftige Wolken so hoch hinfliegen, könnt mein Auge Dann Aus schau halten nach dem Kampfe. O Zeus, Herr der Götter all, 1085 Du siehst alles ja Verleih dem Herrn Theseus, Daß er mit siegreich starker Hand den Anschlag glücklich Athene auch, Hehre du, hilf! [führ zum End. 1090 Auch ruf Apoll, den Jäger, ich und Artemis, Befreundet mit dem schnellen Hirsch, Dem farbig gefleckten; sie beide rufe ich zu Hilfe Dem Land hier und den Bürgern allen. 1095
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Chorführer O Fremder, sieh, dein Schützer trog dich nicht! Dort kommen deine Kinder wieder, sieh, Mit raschem Schritt geleitet von den Unsern. T h e s e u s, A n t i g o n e und I s m e n e treten mit Gefolge auf Oidipus Wo? Wo? Was sagst du? Antigone O mein Vater,Vater! O gäb ein Gott das Augenlicht dir wieder, 1100 Damit du unsern edlen Retter siehst! Oidipus Mein Kind, ich hab euch wieder! Antigone Theseus’ Arm Hat uns befreit, und seine treuen Diener! Oidipus Kommt her, ihr Kinder! Laßt mich euern Leib 1105 Umfangen, den ich nie mir mehr erhofft! Antigone Dein Wunsch ist eins mit unsrer Sehnsucht,Vater. Oidipus Wo seid ihr, wo? Antigone Hier sind wir alle beide. Sie umarmen ihn Oidipus Ihr liebsten Kinder! Antigone Alle liebt der Vater. Oidipus Des Greises Stützen! Antigone Schwach, nur deine Schwachen!
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Oidipus Mein Liebstes hab ich wieder. Ganz unselig Wird nimmer mir mein Tod, nun ihr mir beisteht. O Kinder, schmiegt euch rechts und links an mich, Umfanget euern Vater, laßt mich ausruhn Von meiner einsam jammervollen Irrfahrt. Und sagt mir, was geschehn, so kurz als möglich. Ein kurzes Wort genügt für junge Mädchen.
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Antigone Hier steht der Retter,Vater, ihn hör an. Sein ist die Tat, so ist das Meine kurz. Oidipus zu T h e s e u s Nicht staune, Freund, ob meines Überschwanges Bei meiner Kinder unverhoffter Rückkehr. Ich weiß es, niemand anders dank ich sie. Denn du hast sie gerettet und kein andrer. O lohnten dir’s die Götter mit dem allem, Was ich dir wünsche, dir und deinem Land; Denn solche Milde, Gottesfurcht und Treue Fand ich allein bei euch auf dieser Erde. Ich weiß, wie sehr ich diesen Dank dir schulde; Ich habe, was ich habe, nur durch dich. Reich deine Hand mir, Fürst, daß ich sie drücke, Und laß dein Haupt mich küssen, wenn ich darf. Jedoch, was sag ich? Darf ein Unglücksmensch Berühren einen Mann, in dessen Brust Kein Stäubchen Böses wohnt? Ich darf es nicht, Auch wenn du wolltest. Nur wer selbst im Leid, Vermag wohl mitzutragen dies mein Leid. So sei gegrüßt dort, wo du stehst, und nimm Dich treulich meiner an, so wie bisher! Theseus O Freund, ich kann’s verstehn, daß dir der Mund Ob deiner Vaterfreude überströmt, Und daß du erst an sie das Wort gerichtet.
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Du hast mich damit keineswegs gekränkt. Denn nicht mit Worten möchte ich dem Leben Den Glanz verleihen, nein, mit Taten nur. So hab ich dir gehalten, was ich schwur, Die Kinder brachte ich dir lebend wieder Und unversehrt von allem Angedrohten. Wie mir’s gelang? Was soll ich damit prahlen? Du wirst’s erfahren aus der Töchter Mund. Doch eine Nachricht bringe ich für dich, Die eben mich ereilt; die überlege! Rasch ist’s gesagt, ist’s auch verwunderlich. Man soll kein menschlich Ding geringe achten. Oidipus Was ist es, edler Sohn des Aigeus, sprich! Ich weiß noch nichts von dem, was du erfahren. Theseus Es sei ein Mann, zwar nicht aus deinem Land, Doch wohl mit dir verwandt, herangestürzt Und hab sich an Poseidons Herd gesetzt, An dem ich opferte, bevor ich aufbrach. Oidipus Wo kommt er her? Was will er am Altar? Theseus Er bittet, heißt es, um ein kurz Gespräch. Es würde dir nicht lästig fallen, sagt er. Oidipus Man sitzt doch am Altar nicht um Geringes. Theseus Er bittet, daß du ihm ein Wort gewährst, Und daß er fahrlos wieder ziehen könne. Oidipus Wer mag das sein, der am Altare sitzt? Theseus Lebt kein verwandter Mann in Argos dir, Der diese Gunst von dir erbitten könnte?
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I s m e n e flüstert mit A n t i g o n e; A n t i g o n e flüstert O i d i p u s etwas zu Oidipus Halt ein! Nicht weiter, Freund! Theseus Was ist mit dir? Oidipus O frage nicht! Theseus Was nicht? So sprich doch, Freund! Oidipus Ich hör es von den Kindern, wer es ist. Theseus Wer ist es, den ich hier abweisen soll? Oidipus Mein Sohn ist’s, Herr, Haß über ihn! Sein Wort Kränkt von den Menschen mir mein Ohr am meisten. Theseus Kannst du ihn denn nicht hören und noch immer Dich dann entscheiden? Graut’s dir schon vorm Hören? Oidipus Verhaßt wie nichts ist diese Stimme mir. Verschone mich und zwing mich nicht dazu! Theseus Bedenk, ob nicht der heilige Ort dich zwingt Und du dem Gotte Ehrfurcht schuldig bist. Antigone Mein Vater, hör mich, bin ich auch noch jung! Laß diesen Mann dem eigenen Sinn willfahren Und auch dem Gotte, so wie er es will. Uns aber gönne, daß der Bruder kommt. Befürchte nichts! Wenn dir sein Wort mißfällt, So wird er deinen Willen doch nicht ändern. Was schaden Worte! Es verrät sich ja
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In seinen Worten, wenn er Böses sinnt. Jedoch er ist dein Sohn, und hat er auch Sich noch so schwer an dir versündigt,Vater, Es ziemt dir nicht, mit Bösem zu vergelten. Nein, laß ihn kommen. Sieh, auch andre haben Mißratne Kinder und ein stolzes Herz; Doch zähmt den Sinn beschwörend Freundeswort. Denk doch an früher, nicht an jetzt, ans Leid, Das du von deinen Eltern hast erlitten. Dann sagst du sicherlich, daß böser Zorn Nur böses Ende schmählich nach sich zieht. Ein warnend Zeugnis trägst du an dir selbst, Des Augenlichts beraubter, blinder Mann. Drum hör auf uns! Nicht ziemt sich’s, daß so lange Ein guter Wunsch muß bitten; und wer Gutes Empfing, muß das Empfangene auch vergelten. Oidipus Ihr zwinget eine schwere Gunst mir ab. Doch mag es denn geschehn, wie’s euch gefällt. Nur eines bitt ich, Herr, wenn er nun naht: O gib mein Leben nicht in fremde Hände! Theseus Laß dies mich nicht zum zweiten Male hören, O Greis! Ich prahle nicht, doch glaube mir, So lang mich Götter schützen, schütz ich dich! Er geht ab Chor Wer ein längeres Leben wünscht Über mäßiges Maß hinaus, Torheit heget nur dessen Herz. Sicher ist dieses und überdeutlich. Es bringt vieles die lange Zeit, Was dem Leide doch näher ist. Lust, die findest du nimmermehr,
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Wenn einer mehr als billig lebt. Einzger Helfer er, der allem gleiches Ende Gibt, der Hades. Ohne Brautlied, Sanglos, klanglos tut er auf sich. Tod, das ist das Ende. Nicht geboren zu sein, das geht Über alles; doch lebst du schon – Dorthin wieder, woher du kamst, Schleunigst zu eilen, das nächste Beste. Denn schwand Jugend erst einmal hin Mit der Torheiten leichter Last, Wer bleibt denn fürder von Leiden frei, Wohnt nicht ständig in Mühen drin? Und Neid und Unruh, Zwist und Kampf, Mord und Tod, das böse Alter schließlich noch, Kraftlos, ungesellig, freudlos, Hausen doch mit ihm zusammen, Aller Übel Übel. Das ist sein Los und nicht nur meins allein. Wie im Nord den Strand von allen Seiten Wogenumtost peitschen die Winterstürme, So peitscht auch diesen hier Leid schwall ganz fürchterlich. Und Leiden auf Leiden sie kommen ewig. Bald von des Helios Untergang, Oder vom Aufgang her, Oder vom Mittagsstrahle Und auch aus dem finsteren Norden. Antigone Da ist der Fremde,Vater, wie mir scheint; Doch ohne Mannschaft. Aus dem Auge rinnt Die Träne, wie er einsam kommt des Weges. P o l y n e i k e s tritt auf
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Oidipus Wer ist’s? Antigone Er, er, den wir vermuteten. Dein Sohn ist’s, Polyneikes steht vor dir.
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Polyneikes Weh, Schwestern, wo beginnen? Soll ich erst Mein eigen Leid beweinen oder das Des greisen Vaters? Hier im fremden Land, Verstoßen, find ich ihn mit euch zusammen, In Lumpen, deren widerlicher Schmutz So alt den alten Mann umhaust, den Leib Zerfrißt, und auf dem augenlosen Haupt Da flattert ungekämmt sein Haar im Wind. Und dieser Tracht ist gleich wohl auch die Kost, Die er im armen Ranzen mit sich trägt. Verworfener ich, der ich so spät dies sehe! Ich selbst bezeuge – keines andern braucht’s – Vor deiner Not: Ich bin der schlimmste Mensch. Doch neben Zeus sitzt auf dem Thron die Gnade Bei allem, was er tut. So nimm auch du Sie dir zur Seite,Vater! Meine Schuld Ist noch zu heilen, doch zu häufen nicht. Du schweigst? O rede,Vater, wende dich nicht ab! Wie? Bin ich keiner Antwort wert? Du schickst Mich ohne Wort hinweg? Selbst deinen Groll Entlädst du nicht? O meine Schwestern, helft, Versucht, ob ihr des Vaters starren Mund, Den unversöhnlichen, wohl öffnen könnt, Damit er mich, der sich dem Gott befohlen, Nicht ohne Antwort schmählich stößt davon. Antigone Erzähle selbst, Unseliger, was dich herführt! Der Rede reicher Strom, mag er nun Freude
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Erwecken oder Mitleid oder Zorn, Gibt oft dem stummen Mund die Sprache wieder. Polyneikes Du rätst mir gut, o Schwester: ich will reden. Doch erst ruf ich den Schutz des Gottes an, Von dessen Altar Theseus mich hinweg rief, Nachdem er Red und Antwort mir gewährt Und freie Rückkehr mir hat zugesagt. Und dies erbitt ich auch von euch, ihr Fremden, Wie von den Schwestern und von meinem Vater. Du aber höre, was mich zu dir führt: Verbannt bin ich aus meiner Vaterstadt, Weil ich auf deinem allgewaltigen Thron Begehrt zu sitzen als der Erstgeborene. Darum hat mich Eteokles vertrieben, Der jüngere Sohn, nicht zwar mit Gründen Sieger, Noch ließ er’s zum Entscheidungskampfe kommen. Doch er gewann das Volk. Ich geb die Schuld Zumeist daran dem Fluchgeist unsres Hauses. Bestätigt haben’s außerdem die Seher. Als ich ins Dorerland nach Argos kam, Gewann ich mir die Schwagerschaft Adrasts Und schloß ein Bündnis ab mit allen Helden, Die groß sind und berühmt in Apia. Mit sieben Heeren zieh ich nun gen Theben, Um ehrenvoll zu fallen, oder aber Vom Thron zu stoßen den, der mir das tat. Gut denn. Doch weshalb kam ich wohl zu dir? Mit flehentlichen Bitten komme ich Und zwar in meinem Namen und der andern, Die jetzt mit sieben Heeren, sieben Lanzen Das ganze Blachfeld Thebens rings umstehn. Es schwingt Amphiaraos dort den Speer, Gewaltig als ein Held und als ein Seher. Dann nenn ich Tydeus aus Aitolia, Des Oineus Sohn; Eteoklos aus Argos.
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Den vierten sandt sein Vater Talaos: Hippomedon. Und Kapaneus, der fünfte, Schwört, Thebens Stadt mit Feuer zu zerstören. Als sechster kommt uns aus Arkadien Parthenopaios, Atalantes’ Sohn, Benannt nach seiner Mutter langem Magdtum. Dann ich, dein Sohn, und bin ich’s nicht, so Sohn Des bösen Schicksals, doch nach dir genannt. Gen Theben führe ich dies tapfre Heer. Wir alle nun beschwören dich und flehen, Bei deiner Seele, ach, bei deinen Töchtern, Nimm deinen Zorn hinweg von meinem Haupt, Nun ich mich an dem Bruder rächen will, Der mich verbannt, der Heimat mich beraubt hat. Denn lügen unsre Sehersprüche nicht, So ist der Sieg bei dem, den du gesegnet. Drum bitt ich dich, bei Thebens heiligen Quellen, Bei unsres Stammes Göttern,Vater, hilf! Sind wir doch beide Bettler und verbannt, Und tragen gleichen Fluch: wir müssen schmeicheln Um eine Wohnstatt, du so gut wie ich. Doch jener – Schande! – sitzt zu Haus als Herr, Lacht über uns und brüstet sich im Prunk. O, wenn du meiner Sache dich vereinst, Zermalm ich ihn in kurzer Frist und leicht. Dann führ ich dich ins Vaterland zurück Und mich, vertreibe jenen mit Gewalt. Und dessen rühm ich mich, wenn du mir beistehst, Doch ohne dich vermag ich keine Rettung. Chorführer Dem Theseus bist du’s schuldig, Greis, den Sohn Nicht ohne Antwort wieder ziehn zu lassen. Oidipus Wohl! Hätt ihn Theseus nicht, des Landes Herr, Ihr Männer, hergeschickt und es für Recht
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Erachtet, daß ich diesem Antwort gebe, Er hätte meine Stimme nie vernommen. So mag er des gewürdigt sein und hören, Was nie sein Leben wieder fröhlich macht: Als du,Verworfener, Zepter noch und Thron Besaßest, die dein Bruder jetzt besitzt, Da triebst du selbst den eigenen Vater fort, Nahmst ihm die Heimat, ließest ihm die Lumpen, Die jetzt dich weinen machen, weil in Not Und Elend du jetzt lebst, genau wie ich. Ich aber darf nicht weinen, muß es tragen, Und nenn mein Leben lang dich meinen Mörder. Du hast mir all den Jammer aufgewälzt, Daß ich verbannt, daß ich an fremden Türen Umirrend mir mein Brot erbetteln muß. Dir dank ich’s, dir! Und hätten nicht die Töchter Für mich gesorgt, ich wäre längst schon tot. Sie warten meiner, sie umhegen mich, Sie leiden mit wie Männer, nicht wie Weiber. Euch hat ein anderer gezeugt, nicht ich. Drum liegt des Gottes Aug auf dir; zwar jetzt Noch nicht so ganz, wie bald, wenn deine Scharen Vorrücken gegen Theben. Nie geschieht’s, Daß du die Stadt zerstörst. O nein, zuvor Mußt du im Blut mit deinem Bruder liegen. Solch Flüche sandt ich früher schon euch zu; Ich ruf sie mir zu Hilfe neu herbei, Damit ihr lernet, Kindespflicht zu üben, Und euch nicht schämt, daß euer Vater blind, Ihr großen Herrn! – Die Töchter sind ja anders. Die Flüche halten deinen Sitz und Thron In ihrer Hand, wenn noch seit Urzeit sitzt Das Recht bei Zeus mit seinen Urgesetzen. Drum fort! Ich spei dich aus, bin nicht dein Vater. Du Schand und Aberschand! Pack ein die Flüche, Die ich dir fluche. Niemals soll bezwingen
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Dein Speer die Heimat, nie auch kehre wieder Nach Argos! Nein, im Bruderkampfe falle Und fälle den, der dich vertrieben hat! Das ist mein Fluch, und Zeuge sei des Hades 1390 Verhaßtes Dunkel, daß es dich entraffe, Zeugen die Hehren hier und Zeuge Ares, Der diesen bösen Haß in euch geworfen. Mit dieser Kunde geh, ja geh und melde Sie dem Thebanervolk und all den treuen 1395 Mitkämpfern, die du hast, daß Oidipus Solch Ehrengaben austeilt seinen Söhnen. Chorführer O Polyneikes, deine früheren Wege Mißfallen mir; doch nun hinweg mit dir! Polyneikes Weh mir, der Weg und alles ist mißlungen! 1400 Weh mir und euch, Gefährten! Welch ein Ende Wird unsre Fahrt jetzt nehmen? Weh! So schlimm Erscheint’s, daß ich es keinem sagen kann. Doch kann ich sie auch nicht mehr rückwärts lenken, Stumm muß ich meinem Los entgegengehn. 1405 Ihr aber, Schwestern, die den harten Fluch Ihr hörtet, den der Vater mir verhängt, O bei den Göttern, wenn er sich erfüllt Und ihr zurückgekehrt ins Vaterhaus, O gebt dann meinen Leib der Schmach nicht preis 1410 Und gönnet ihm ein Grab und Todesweihen. Dann füget ihr dem Lobe, das ihr euch Erwerbt um euren Vater, noch eins zu, Das nicht geringer ist: den Dienst an mir. Antigone O Polyneikes, ich beschwöre dich – 1415
Polyneikes Was willst du noch von mir, geliebte Schwester?
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Antigone O führ das Heer nach Argos rasch zurück, Richte nicht dich und unsre Stadt zugrunde. Polyneikes Unmöglich! Floh ich einmal, kann ich dann Je wieder führen dieses selbe Heer? Antigone O brause doch nicht gleich so zornig auf! Was hast du denn davon, wenn Theben fällt? Polyneikes Ich bin der Ältere, und ich sollte feige Vorm Jüngeren fliehn und mich verlachen lassen? Antigone Weh, so erfüllest du den Seherspruch, Daß einer durch des andern Rechte fällt! Polyneikes Der Vater wünscht es ja! Ich kann nicht weichen! Antigone O weh mir Armen! Doch wer wird dir folgen, Der unsres Vaters Rachefluch gehört? Polyneikes Verschweigen muß ich ihn. Ein guter Feldherr Tut nur das Gute kund und nicht das Schlimme. Antigone So bist du also, Lieber, fest entschlossen? Polyneikes Ja! Halte mich nicht länger! Dieses ist Mein böser Unglücksweg, den mich der Vater Mit seinen Rachegeistern führen will. Euch segne Zeus für euern letzten Dienst! Laßt mich! Lebt wohl! In diesem Leben sehen Wir uns nicht wieder! Antigone Wehe, wehe mir!
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Polyneikes Bewein mich nicht! Antigone Ich soll dich nicht beweinen, 1440 Wenn du dem offnen Grab entgegenstürmst? Polyneikes Es ist mein Schicksal. Ich erfüll’s. Antigone Nein, folg mir! Polyneikes Es kann nicht sein! Antigone O, nun noch dich verlieren! Polyneikes Das steht, so oder so, nur bei den Göttern. 1445 Zu ihnen bete ich, daß euch nichts Böses Je zustößt; sind doch darin alle einig, Daß ihr es nicht verdient, in Leid zu kommen. Er geht rasch ab Chor Es kam aufs neue neues Leid, Ein Un heil so schwer, vom Mann blind bewirkt, 1450 Wenn das Schicksal nicht eingreift noch. Man kann wohl sagen, daß der Götter Wille niemals eitel sei. Ihn schaut, ihn schaut stets die Zeit, und manchmal erst nach Jahren, 1455 Doch oft bald und schnell erhöht Niederes sie. Ein Donnerschlag Dröhnt schon der Himmel, Zeus, uns? Oidipus Ihr Kinder, habt ihr einen bei der Hand, Der euren edlen Theseus ruft hierher? Antigone Zu was denn,Vater? Wozu wünschst du ihn?
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Oidipus Des Zeus beschwingter Donner führt mich rasch Hinab zum Hades. Eilt und holet ihn. Erneute Donnerschläge
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Chor Wie mächtig er hernieder kracht Der Blitz strahl so laut. Es sträubt mir sich schon 1465 Angstvoll auf dem Haupt jäh das Haar. Es duckt mein Herz sich. Hoch vom Himmel loht schon wieder jetzt der Blitz. O Gott, welch Ziel springt er an? Ich zittre, denn ver- Entfährt nie er, ohne Leid kommt er nie. [geblich 1470 Mächtiger Himmel, Zeus, hilf! Oidipus Des Lebens gottverheißenes Ziel ist da, Ihr Kinder; keine Wende gibt es mehr. Antigone Welch Zeichen hat dir das verkündet,Vater? Oidipus 1475 Ich weiß es fest. Ihr aber eilet rasch Und holt des Landes Herrscher mir herbei. Chor O sieh, nun schon wieder drängt rings heran Des Lärms Flammenschlag. Verschon, Wettergott, verschon, wenn du bringst 1480 Vielleicht unsrer Flur nun licht lose Nacht. Begegne gnädig mir, des schuldgen Mannes Anblick möge Mir ein tragen nicht noch arg schlimmen Dank! [doch Dich ruf, Zeus, ich an. 1485 Oidipus Ach, ist er noch nicht da? O, daß er mich Noch lebend finde und noch klaren Geistes!
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Antigone Was willst du ihm noch anvertrauen,Vater? Oidipus Was Liebes er an mir getan, das will 1490 Ich ihm vergelten, wie ich’s ihm versprach. Chor Halloh! Sohn, so komm, so komm, wenn du auch Im Hain drinnen noch Dem Meer gotte hehr, Posei don dem Herrn, 1495 Ein Stier opfer bringst. So komm, komme doch! Denn dieser Fremde möchte dir und unsrer Stadt und allem Den Dank statten ab für all deine Huld. [Volk So eil, Herrscher, dich! T h e s e u s tritt auf mit Gefolge Theseus Was ist das für ein allgemein Geschrei? Sprecht, hat ein Blitz getroffen? Fuhr der Hagel Zerschmetternd nieder? Alles ist zu fürchten, Wenn so der Donnergott im Wetter fährt. Oidipus 1505 Ersehnt hab ich dich, Herr. Es hat ein Gott Dir selbst zum Heil dich diesen Weg gesandt. Theseus Was gibt es Neues, edler Sohn des Laios? Oidipus Mein Leben neigt sich. Laßt mich sterbend denn Euch nun erfüllen, was ich euch gelobt. Theseus 1510 Woher ward dir die Kunde deines Todes? Oidipus Der Götter Heroldstimme spricht zu mir, Und ihre Zeichen lügen nimmermehr. 1500
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Theseus Doch welche Zeichen haben sie gesandt? Oidipus Im Donner, rastlos rollend, Schlag auf Schlag, Im Blitz, der niederfährt aus starker Hand.
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Theseus Ich glaube dir. Denn deine Seherkraft Trog nie. So sag mir, was geschehen soll. Oidipus Hör, Sohn des Aigeus, hör, welch hohes Glück Für alle Zeiten deiner Stadt erblüht. Gleich führ ich selbst, von keiner Hand geführt, Dich zu dem Orte, wo ich sterben soll. Doch du darfst meines Grabes Stätte niemand Verraten, niemand auch die Gegend nennen. Dann schützt sie euch vor Feinden, schützt euch besser Als viele Schilde und der Nachbarn Heer. Auch ein Geheimnis, das kein Wort berührt, Wirst du erfahren, wenn allein du folgst. Vertrauen darf ich’s keinem dieser Bürger, Selbst meinen Töchtern nicht, den vielgeliebten. Du aber birg’s im Herzen bis zum Ende, Und sag es deinem Erben ganz allein, Und der enthüll es wiederum dem seinen. Dann wohnst du sicher stets in deiner Stadt Vor Thebens Männern. Ungezählte Städte, Auch gut regiert, verstiegen sich zu hoch. Die Götter sehn genau, ob spät auch, wenn Man sie vergißt und Menschenmaß verliert. Vor diesem Unglück, Theseus, hüte dich! Doch was ermahn ich dich? Du weißt es selbst. Auf denn, des Gottes Stimme ruft mich mächtig. Laßt uns dorthin nun schreiten ungesäumt! Folgt mir, ihr Kinder! Habt ihr früher mich Geführt, will ich jetzt euer Führer sein.
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So kommt! Doch nicht berühren! Laßt mich selbst Die heilige Stätte finden, wo mein Leib In dieser Erde endlich ruhen soll. Kommt hierhin, hierhin! Hierhin leitet mich Hermes, der Führer, und der Schatten Göttin. O Licht, das ich nicht sehe, einst auch mein, 1550 Berühr zum letztenmal mein Angesicht! Nun wanke ich, um meines Lebens Ende In Hades’ Nacht zu bergen. Du, mein Freund, Du mögst gesegnet sein, du und dein Land Und alles, was dir dient. Ergeht’s euch wohl, 1555 So denkt in eurem Glück auch mein, des Toten. O i d i p u s ab; T h e s e u s mit dem Gefolge, A n t i g o n e und I s m e n e folgen ihm 1545
Chor Darf ich, Göttin dich, rufen in Ehrfurcht an, Die im Verborgnen hauset. Du auch der Schatten Herr, 1560 Aidoneus, Aidoneus, hör mein Flehen, laß ihn schmerzlos Und ohn schwere Qual doch vollenden den Weg Zum Blachfeld des Todes ins Haus des Styx, das uns Beher bergt einst all. 1565 Für all das Leid, ohne Schuld ihm beschieden, möge Gerecht ein Gott hoch ihn nun erheben. [doch Der Nacht Töchter ihr! Furchtbarer Höllenhund, Der du dein Lager hast am 1570 Ehern verschlossenen Tor, Als Wachhund des Abgrunds, böse knurrend, unbe- Wie uns schon die uralte Sage gelehrt – [zwinglich, O Tod, Sohn des Abgrunds der Erde, hör mich an! 1575 O laßt unversehrt
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Den fremden Mann niedergehn! Leite ihn ins Toten- Ich rufe dich, Gott des ew’gen Schlafs an. [reich
Ein B o t e tritt rasch auf Bote Soll ich mit wenigen Worten kurz mich fassen, So höret: Oidipus hat ausgekämpft. Doch was bei seinem Tode all geschah, Das ist mit knappen Worten nicht erzählt. Chorführer So ist er tot, der Arme? Bote Sei gewiß: Er ist aus diesem Leben abgeschieden. Chorführer Und nahm ein göttlich sanft Geschick ihn weg? Bote So ist es, und es ist ein Wunder, schier. Du selber sahst ja, wie er uns verließ, Und keine liebe Hand hat ihn geführt; Er selber schritt als Führer uns voraus. Doch als zum Rand er kam der finstern Kluft, Die ehern stufend tief im Grunde wurzelt, Da blieb er stehn auf einem von den Wegen, Den vielverschlungenen, nahe bei der Höhle, Wo Theseus mit Peirithoos den Bund schloß. Inmitten zwischen dieser und dem Birnbaum, Dem hohlen, und dem steilen Felsenstein, Da kniet’ er hin, löst’ sein beschmutzt Gewand, Und hieß die Töchter klares Wasser schöpfen Zur heiligen Waschung und zur Opferspende. Sie eilten nach dem Hügel Demeters Und taten so nach ihres Vaters Wunsch.
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Und wie’s des Opfers heiliger Brauch erheischt, Versahn sie ihn mit Bad und mit Gewändern. Und als er froh dies alles sah vollendet Und nichts vergessen, was er sich gewünscht, Da scholl ein Donnerruf tief aus der Erde. Bei diesem Ton stürzten die Kinder weinend Hin zu des Vaters Knieen und zerschlugen Die Brüste sich mit lautem Wehgeschrei. Doch, als er plötzlich diesen Schrei vernahm, Umfing er mit den Armen sie und sprach: »Ihr habt fortan nun keinen Vater mehr. Schon nahm der Tod mich hin. Und keines Dienstes Bedarf ich mehr und keiner schweren Mühe. Hart war sie, Kinder! Aber alles Leid, Das ihr getragen, wiegt ein Wort euch auf: Kein Mensch auf Erden hat euch mehr geliebt, Als euer Vater, dessen nun beraubt Ihr ferner euer Leben führen müßt.« So hielten sie sich fest in ihren Armen Und weinten lang. Wie sich zuletzt der Jammer Gesättigt und der Klage Laut verstummt, War Stille. Plötzlich hallt von irgendher Ihn Zuruf an, daß allen uns die Haare Zu Berge stiegen hoch vor jäher Angst. So ruft ihn oft und aberoft der Gott: »Du, Oidipus, merk auf! Was zögerst du Zu gehn? Zu lange währt dein Säumen schon.« Als Oidipus des Gottes Ruf vernommen, Da rief er Theseus nah zu sich, den Herrscher. Und als der kam, da sprach er: »Liebes Haupt, Gib zum Gelöbnis meinen Kindern hier Die Hand, und ihr gebt ihm die eure, Kinder. Gelobe mir, daß du dich ihrer annimmst Als treuer Freund und nimmer sie verläßt!« Der klagte nicht, und als ein edler Mann Verspricht mit seinem Eid er, so zu tun.
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Als das geschehn, da tastet rasch der Greis Mit blinder Hand nach seinen Kindern, spricht: »Ihr Kinder, tragt es stark mit edlem Sinn. Ihr müßt jetzt scheiden. Denn ihr dürft nicht schaun, Noch hören, was jetzt hier geschehen wird. Eilt schnell von hinnen; nur dem es bestimmt, Nur Theseus darf vernehmen, was geschieht.« Dies war sein letztes Wort, das wir gehört. Mit heißen Tränen eilten wir hinweg, Wir und die Mädchen. Aber kurz danach, Als wir zurück uns wandten, sahn von fern Ihn wir, ihn selber nirgends mehr, nur noch Den König, der, die Augen schattend, sich Die Hand hob an die Stirn, als wenn ein mächtig Schreckbild ihn blendet, das kein Aug erträgt. Danach jedoch in kurzem sahn wir den Zur Erde sich in Demut neigen und Zum Götterhimmel hin in e i n e m Flehn. Welches Geschick ihn aber hingerafft, Weiß keiner von den Menschen außer Theseus. Denn weder hat ihn Gottes Feuerträger, Der Blitz, hinweggelöscht, noch macht’ vom Meer Windsbraut sich auf in jenem Augenblick. Ein Götterbote kam, der Unterwelt Glanzlose Schwelle tat sich gnädig auf. Ganz ohne Schmerzen, unversehrt von Krankheit Berief ’s ihn ab. Nein, niemals schied ein Mensch So wunderbar. Dünkt wen, ich rede irre – Der bleib mir ferne, den das Irrsinn dünkt. Chorführer Wo sind die Mädchen und die andern alle? Bote Ganz in der Nähe, schon hörst du sie klagen, Ihr Jammer kündet uns, daß sie uns nahn. A n t i g o n e und I s m e n e treten auf
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Antigone O weh, weh! Jetzo muß ich Arme Klagen, was alles zusammen verschuldete Des Vaters Mord, der uns im Fluch vererbt ward. Darum erfuhren wir Früher schon ständiges Leid. Unbegreifliches Ist uns indes jetzt am Ende beschieden noch Zu schauen und zu leiden. Chorführer Was ist‘s? Antigone Es ist anzudeuten, Freunde, nur. Chorführer So schied er? Antigone Schöner kann sich’s niemand wünschen wohl. Hingerafft nicht im Krieg, Nicht vom Meer hinweggezogen. Dunkle Tiefe schlang hinab ihn, Unsichtbar raffte ihn Tod dahin. Ich Arme, mir hat Todesnacht Auf die Augen sich gesenket. Wie denn wird fremdes Land, Wie wird Meereswoge Uns Vertriebnen denn den schweren Unterhalt gewähren je? Ismene Weiß es auch nicht. Ließ der blutge Tod mich sterben doch zugleich Mit dem alten Vater, Mich Arme! Ist das Leben doch Nimmer lebenswert mir. Chor O, ihr zwei besten Kinder ihr! Was uns Gott Schickt, das muß man würdig tragen.
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Braust nicht auf so allzuhitzig, Und scheltet sein Schicksal nimmer! Antigone So gibt’s auch Sehnsucht nach dem Elend. Was uns doch niemals erfreut’, war erfreulich noch, Solang ich ihn in meinem Arm durft halten. Vater, du Teuerer, Der du auf immer dich hülltest in Grabesnacht, Sollst meine Liebe entbehren auch drunten nicht, Auch nicht der Schwester Liebe.
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Chorführer Vollbracht er?
Antigone Ja, wie er sich’s gewünscht hat. Chorführer
Wieso? Antigone Er wünschte sich in fremdem Land den Tod. Drunten hat seine Ruh Ewig er im Grabesschatten; Ließ zurück viel Trauertränen. Dies mein Aug weint um dich, Vater mein, In Leid. Ich weiß nicht, wie ich soll Stillen meinen Schmerz, ich Arme, Der mich quält nur um dich. Weh mir! Wünschtest doch den Tod in fremdem Lande, aber Starbst so einsam, ohne mich. Ismene O, ich Arme! Welches Schicksal Wartet meiner, vaterlos Hilflos in der Fremde? Und wartet deiner, Liebe du, Vaterlose Schwester?
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Chor Seliger Tod erlöste ihn, Lieben ihr, Schenkte ihm ein gutes Ende. Höret auf mit dieser Klage! Vom Leide verschont bleibt keiner. Antigone So kehren wir zurück! Ismene Was willst du dort denn tun? Antigone Sehnsucht faßt mich. Ismene 1725 Wonach? Antigone Den heiligen Erdensitz zu sehn. 1720
Ismene Von wem? Antigone Vom Vater, Ärmste ich! Ismene Wie aber wäre das erlaubt? Siehst du denn nicht – 1730
Antigone Welch ein Vorwurf! Ismene
Außerdem –
Antigone Schon wieder etwas?
Ismene Grablos schied er, ohne Zeugen. Antigone Ach, so töte mich dazu noch!
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Ismene Oh, oh, Ärmste ich, wie soll ich So verlassen, ohne Hilfe Ein elend Leben führen? Chor Ihr Lieben, banget nicht! Antigone Indes, wohin entfliehn? Chor Du entkamst immer – Antigone Wem? Chor Daß euch kein Mißgeschick ergriff. Antigone Ich will – Chor Was trägst du noch im Sinn? Antigone Wie wir nach Haus gelangen einst, Weiß ich nicht. Chor Drum sorge nimmer! Antigone Schwer bedrückt’s. Chor Auch früher drückt’ es. Antigone Damals schwer, doch jetzt viel schwerer. Chor Ja, ein Meer von Leid umfängt euch. Antigone Weh, weh, Zeus! Wohin sich wenden? Welchen Ängsten treibt mich jetzo Ein Gott wohl zu von neuem?
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Theseus Hört auf mit den Klagen, ihr Mädchen, denn wo Der Tod so erwünscht gekommen ist, Wär Klagen doch nur ein Frevel. Antigone O Aigeus’ Sohn, wir flehen dich an! Theseus Sprecht, was ihr begehrt? Was heischt ihr von mir? Antigone Wir wollen nun sehn Mit eigenen Augen des Vaters Grab. Theseus Es kann nicht sein. Antigone O mächtiger König, was sagst du mir da? Theseus Er selber gebot’s, kein Sterblicher soll Sich jemals nahn dem geweihten Bezirk. Kein menschlicher Laut darf die Stätte entweihn, Die heilige Gruft, die ihn jetzt umschließt. Stets will ich sein Wort befolgen getreu. Dann herrsch ich im Lande stets kummerlos. All was wir gelobten, gehört hat der Gott Und Horkos, der Wächter der Eide. Antigone Wenn dieses sein Wunsch war und sein Gebot, So bescheiden wir uns. Doch sende uns du Nach Theben heim, der uralten Stadt, Ob’s dort uns gelingt, zu verhindern den Mord, Der die Brüder bedroht. Theseus Auch dies will ich tun und alles, was sonst Ich zu tun vermag zum Nutzen von euch
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Und dem Toten zulieb, der jüngst von uns schied. Das soll mir niemals zuviel sein. Chor So höret denn auf und wecket nicht mehr Um den Toten den Schmerz! Das hat nun sein gültiges Ende.
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1. Zur Übersetzung Aus dem Vorwort zur ersten Auflage 1941 Ich habe den Sophokles immer für unübersetzbar gehalten und habe das auch in meinem Sophoklesbuch (1931) ausgesprochen. Daß ich mich nun trotzdem selber zu einer Übersetzung versteige, ist der Krieg schuld. Seit seinem Beginn im Heeresdienst, entbehrte ich immer schmerzlicher die gewohnte Arbeit am Schreibtisch, für die zwar die dienstfreien Abende die schönste Zeit boten, die wissenschaftlichen Hilfsmittel aber nicht zur Stelle waren. Als daher der Verlag Kröner anfragte, ob ich bereit sei, eine in seinem Besitz befindliche Übersetzung der Tragödien des Sophokles von Heinrich Schnabel aus dem Jahre 1910 neu herauszugeben, war mir damit eine auch unter den Waffen zu leistende Aufgabe gestellt; brauchte ich doch zur Überprüfung und leisen Besserung der Übersetzung nur den griechischen Text, während ich Einführungen und Erläuterungen auf Grund meiner langjährigen Bemühungen um Sophokles ohne weitere Hilfsmittel schreiben konnte. Mit der leichten Nachbesserung des Schnabel war es dann freilich nichts. Denn es zeigte sich, daß dieser die Sprache des Dichters nicht ernst genug genommen hatte, sondern daß er wie die vielen anderen deutschen Übersetzungen aus einer verschwommenen Vorstellung von »edler Einfalt und stiller Größe«, die bei Sophokles wie in allen Werken der griechischen Klassik als Formgesetz walten sollte, mit glatt fließenden, überall auf eine ausgeglichene Mittellage abgestimmten Versen einem Werke zu genügen glaubte, das die dargestellten ungemeinen Leidenschaften in ungemeiner, wenn auch bewältigter Unmittelbarkeit Wort und in einer so eigenwilligen Kühnheit Bild werden läßt, daß auch ein Kenner des Griechischen
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immer wieder seine Mühe hat, das leuchtende Dunkel dieser gewaltigen Beschwörungen zu durchdringen. Nein, diese Sprache ist nicht milde Glätte, sondern kühne Gewalt. Am stärksten in den Chorliedern, die Schnabel wie fast alle anderen Übersetzer in ganz freier Umschreibung gibt. Sie also mußten ganz neu geschrieben werden (während in den Gesprächsteilen hier und da, besonders wo es sich nicht um entscheidende, sondern etwa rein berichtende Stücke handelte,Verse Schnabels übernommen werden konnten). Denn dies scheint mir, wenn denn eine Sophokles-Übersetzung ernsthaft gewagt werden soll, unerläßlich zu sein: Die Chorlieder müssen getreu in den Versmaßen des Originals gegeben werden (weswegen ich auch die Übertragungen von Wilamowitz für verfehlt und die ihnen zu Grunde gelegte Lehre vom Übersetzen, so einleuchtend sie auch zunächst wirkt, im Tieferen für irrig halte), wie Schwieriges damit auch der deutschen Sprache zugemutet wird. Aber das wunderbare Wesen dieser Lieder liegt in der ungetrübten Verbindung des Plastisch-Bildhaften der Worte mit dem musikalischen Urelement des Rhythmus. Diese künstlerische Leistung, die noch dadurch gesteigert ist, daß der ständig wechselnde Rhythmus auf die ungezwungenste Weise aus dem wechselnden Stimmungsgehalt quillt, obwohl die Freiheit dieses Wechsels sich durch den Zwang zum rhythmischen Gleichbau der sich entsprechenden Strophen selbst bindet – diese Leistung findet, ich wage es zu behaupten, ihresgleichen in der europäischen Literatur nicht wieder. Freilich stellt sie die höchsten Ansprüche an den Leser, oder besser Hörer. Denn der moderne Leser wird zum Genuß dieser Lieder nie kommen, wenn er sie eilig dahinliest. Er muß sich vielmehr durch immer neues Lautlesen in ihren Fluß hineinhören, um dann gerade das, was ihn beim üblichen Lesen stößt, beglückt als die eigentliche Schönheit zu vernehmen. Diese Bemühung zu erleichtern, habe ich die zahlreichen ungeheuer ausdrucksvollen Synkopen, die den Bruch der Gefühle oder das Herausstoßen leidenschaftlicher Ausdrücke
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unmittelbar vernehmbar machen, die aber uns Heutigen in der Lyrik ebenso fremd, wie in der Musik geläufig sind (so in dem sehr häufigen Dochmius ◡–/–◡–; vgl. Luther: Der alt böse Feind, Mit Ernst ers jetzt meint), durch L ücken im Druck angezeigt. Dasselbe geschieht bei dem jonischen Maß, das uns, so fremd in der Wortkunst (Grundform ◡◡ – –), doch wiederum musikalisch durchaus geläufig ist. (Vgl. die Melodie des Liedes: Weißt du, wieviel Sternlein stehen an dem großen Himmelszelt?) Man glaubt neuerdings, im Putz rhetorischer Kunstmittel das Wesen Sophokleischer Sprachkunst entdeckt zu haben. Daß diese Sprache einer hochentwickelten Kunstübung den damals ebenfalls hoch entwickelten rhetorischen Schmuck auch verwendet, ist selbstverständlich; aber sie tut es geradezu sparsam, so daß diese Mittel keinerlei wesentliche Bedeutung für Sophokles haben. Wie überhaupt der Begriff des Schmuckes gar nicht dieser Sprache gemäß ist. Auch die schon erwähnten Bilder dienen nicht der Hebung der Sprache in eine höhere Sphäre, sondern sie sind der unmittelbare und notwendige Ausdruck einer erschütterten Seele, welche Erlebnisse nicht in Bilder überträgt, sondern sie bildhaft hat. (Den modernen Leser vermag ich zum Vergleich nur auf die Bilder in der Sprache des späten Rilke zu verweisen.) Für die Gesprächsteile habe ich nicht den jambischen Trimeter des Originals, sondern das klassische Maß der deutschen Bühne, den fünfhebigen Blankvers, gewählt. Man mag darüber streiten. Entscheiden kann nur der Erfolg, und ich mußte feststellen, daß der griechische Vers im Deutschen zu Zerdehnungen führt, was wohl erstlich seinen Grund in den zahllosen Partikeln des Griechischen hat, die hier ihre leise, aber erfüllte Bedeutung haben, während sie, im Deutschen nachgebildet, meist zu leeren Füllworten entarten. (Im Platonischen Dialog wird das noch deutlicher.) Der Wille dieser Übersetzung war also, Wort und Fluß der Sophokleischen Sprache so treu wiederzugeben, wie es die deutsche Sprache gestattet – womit freilich die Vergewalti-
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gungen ausgeschlossen sind, die Hölderlin, der einzige dem Dichter ebenbürtige Übersetzer, deswegen der deutschen Sprache antat, weil er der Gewalt des Urbildes nichts nehmen wollte; aber nun verfehlt seine Leistung ihren Zweck, weil man Hölderlin nur versteht, wenn man den griechischen Text daneben liest. 1. 3. 1941
Heinrich Weinstock
Anmerkung des Herausgebers: Heinrich Weinstock (1889 –1960) war nach dem Studium der Klassischen Philologie, Germanistik und Philosophie in der Weimarer Republik in der Schulverwaltung tätig und publizierte in dieser Zeit eine Reihe von Aufsätzen zu Fragen der Bildung. Nach dem Zweiten Weltkrieg bekleidete er eine Professur für Philosophie und Pädagogik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main und widmete sich vor allem Fragen der humanistischen Bildung (besonders Die Tragödie des Humanismus. Wahrheit und Trug im abendländischen Menschenbild, Heidelberg 1953). Die Sophokles-Übersetzung Weinstocks ist in ›historischer‹ Form, also in der von Weinstock verwendeten Orthographie wiedergegeben.
2. Aufführungsbedingungen des griechischen Dramas I. Tragödien- und Komödienaufführungen fanden im Athen des 5. Jahrhunderts bei zwei Dionysosfesten statt: den Städtischen oder Großen Dionysien, nach dem attischen Kalender im Monat Elaphebolion, unserem März oder April entsprechend, und den Lenäen im Monat Gamelion (Januar/ Februar). Die Lenäen waren das ältere Fest. Zuständig für ihre Ausrichtung war der Archon Basileús (wörtlich: der Beamte ›König‹), der für den Kult verantwortliche Staatsbeamte; sein Name verweist auf die vordemokratischen Wurzeln des Amtes. Sie waren vor allem das Fest der Komödie und gingen erst spät im 5. Jahrhundert v. Chr. in die offizielle Organisation der Polis über. Erst ab 440 gibt es dort staatliche Komödien-, erst ab 432 staatliche Tragödienaufführungen. Im Gegensatz dazu waren die prächtigen Städtischen oder Großen Dionysien seit dem 6. Jahrhundert ein durch die Polis organisiertes Fest. Die Ursprünge der Dionysien liegen im Dunkeln und sind in der Forschung umstritten. Jedenfalls sind sie ein relativ junges Fest, das entweder von dem Tyrannen Peisistratos in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts neu organisiert und mit Aufführungen von Tragödien und Dithyramben, dem Chorlied zu Ehren des Dionysos, ausgestattet oder gar erst nach 510 als ein Element der demokratischen Reformen des Kleisthenes eingeführt wurde. Zuständig für die Organisation des Festes war der höchste Staatsbeamte des demokratischen Athen, der Archon epónymos, der Beamte, der dem Jahr seinen Namen gab (also z.B. »unter Kallias«). Die Gattung ›Tragödie‹ wurde nicht aus dem Nichts geschaffen. Ihre Wurzeln reichen bis in prähistorische Zeit zurück. Gesang und einfache mimische Darbietungen waren
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wie das Tragen von Masken seit je mit den verschiedenen Kulten verbunden. So steht das griechische Wort tragōdía (τραγῳδία) für ›den Gesang, der anlässlich eines Bockopfers (zu Ehren des Gottes Dionysos) vorgetragen wurde‹. Inhalt dieses Gesanges waren wohl Begebenheiten aus dem Leben des Gottes. Dass Dionysos, dem Gott der Fruchtbarkeit, des Weines und der Mysterien, die ein Leben nach dem Tode verheißen, Dramen geweiht waren, lässt sich aus bestimmten Merkmalen des Kultes erklären: Im Rausch tritt der Mensch aus sich heraus (›Ekstase‹); er wird zu einem anderen, wie im Drama ein Schauspieler, indem er eine Maske anlegt, in die Rolle eines anderen schlüpft. Die große Leistung der athenischen Dramatiker bestand darin, dass sie aus diesen kultischen Chorvorträgen, die für verschiedene Gebiete der griechischsprachigen Welt bezeugt sind, das Drama entstehen ließen. Die den Chorliedern, besonders der Konstellation Chorführer – Chor, innewohnenden dramatischen Elemente wurden erkannt und ausgenutzt. Thespis, der ›Erfinder der Tragödie‹, dessen Historizität allerdings umstritten ist, war in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts der Erste, der dem Chor einen Schauspieler entgegenstellte und damit die Möglichkeit zu einem Dialog und einer rudimentären Handlung schuf.Von Aischylos wurde der zweite Schauspieler, von Sophokles der dritte eingeführt. Aus dem statischen Chorvortrag war die dramatische Gattung ›Tragödie‹ entstanden. Das attische Drama kannte jedoch nie mehr als drei Schauspieler, so dass es in der Regel nötig war, dass ein Schauspieler mehrere Rollen im Stück innehatte. Schauspieler waren immer Männer, so dass auch Frauenrollen von Männern übernommen wurden. Den Hauptgrund für diese Innovationen muss man in dem institutionellen Rahmen der Großen Dionysien sehen. Denn die Aufführung von Tragödien und später auch Komödien fand als Wettkampf (›Agon‹) der Dichter statt, die insgesamt vier Stücke, eine ›Tetralogie‹, bestehend aus drei Tragödien (›Trilogie‹) und einem Satyrspiel, einreichen mussten. Er-
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folg in diesem Agon konnte nicht durch die Wiederholung des immer Gleichen, sondern nur durch ständigen Neuerungswillen errungen werden. Aus der Zahl derer, die sich um das Aufführungsrecht bewarben – die offizielle Formulierung lautete, die ›für sich einen Chor verlangten‹ –, hatte der Archon epónymos drei Dichter auszuwählen, denen er ›einen Chor zuteilte‹ und damit das Aufführungsrecht zusprach; dazu hatte er einen reichen Athener zur Finanzierung der Aufführung zu verpflichten. Diese sogenannte Choregie (›Leitung eines Chores‹) war eine Art indirekter Besteuerung (›Leiturgie‹). Die Entscheidung, wer von den drei Dramatikern jeweils den ersten Platz belegen sollte, oblag einem in einem komplizierten Modus gewählten Gremium von zehn Schiedsrichtern. Diese Situation des Wettstreits, das agonale Element, das seinen Ursprung im Kult hat, spornte den Dichter zu Neuerungen an, zumal er jedes Mal, wenn er ›sich um einen Chor bewarb‹, neue Stücke einreichen musste. Dramen und Dithyramben durften an den Dionysien und Lenäen als geistige Opfergaben der Stadt an den Gott Dionysos bei demselben Fest nur einmal aufgeführt werden. Wiederaufführungen wurden erst ab 386 v. Chr. zugelassen. Nur Stücke des Ais chylos genossen bereits im 5. Jahrhundert – als postume Ehrung des Dichters – das außergewöhnliche Recht der Wiederaufführung. Neben der agonalen Situation, in der Dramen zur Aufführung gelangten, müssen die Bedingungen des attischen Theaters als ein Element angesehen werden, das die Entwicklung der Gattung erheblich vorantrieb. Die Spielstätte, das am Südhang der Akropolis gelegene Dionysostheater in Athen, bestand seit den 50er Jahren des 5. Jahrhunderts aus einer leicht erhöhten Bühne (›Skené‹), auf der vor einem Hintergrund mit bis zu drei Türen die Schauspieler agierten, und der ›Orchestra‹, dem ›Tanzplatz‹, in der der Chor sang und tanzte. Diese schlichte Anlage bot keine großen Möglichkeiten, eine realistische Szenerie zu gestalten. Ebenso verbieten die
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zwei Theatermaschinen der attischen Bühne eine realistische Deutung der Aufführungen des 5. Jahrhunderts: Das ›Ekkyklema‹, ein kleiner, aus den Türen des Bühnenhintergrunds herausfahrbarer Wagen, diente dazu, Interieurs gleichsam als Tableaus darzustellen. Am Kran (›Géranos‹ oder ›Mechané‹) schwebend erschien der vor allem bei Euripides beliebte deus ex machina, der Ordnung in das von den Menschen geschaffene Chaos zu bringen pflegte. Die Masken schließlich, die von den Schauspielern getragen wurden, verhinderten natürlich die Wiedergabe irgendwelcher Gefühlsregungen durch die Mimik. So kam es allein auf die evozierende Kraft des dichterischen Wortes an, die dem Publikum die Emotionen der handelnden Personen nahebrachte und die vor dem inneren Auge der Zuschauer die erforderliche Kulisse entstehen ließ. Es ist dies ein Verfahren, das Eric W. Handley (The Dyskolos of Menander, London 1965, 23) treffend als verbal scene painting, als ›verbale Bühnenmalerei‹, bezeichnete. Die größte Herausforderung stellte die Konvention dem athenischen Dramatiker des 5. Jahrhunderts bei der inhaltlichen Konzipierung seines Stückes. Das Handlungsgerüst der Tragödien war durch den Mythos vorgegeben. Die Leistung des Dichters bestand demnach nicht in der Erfindung der Fabel – historische Stücke kommen nur in der Frühzeit der Gattung und später im 4. Jahrhundert vor, frei erfundene Stoffe erst bei Agathon (Ende 5. Jh.) –; vielmehr galt es, den durch den Mythos vorgegebenen Rahmen, der in seinen wesentlichen Elementen nicht verändert werden durfte, durch Motivation und Charakterisierung, durch das Hervorheben und Verschleiern von Handlungsfäden, durch das Einfügen von Nebenfiguren, kurz gesagt, durch die neue Deutung eines vorgegebenen Stoffes neu zu füllen. So ist es nicht weiter erstaunlich, dass gewisse Mythenkomplexe wie das Schicksal der Atriden (Agamemon, Elektra, Orest, Iphigenie) und Labdakiden (Oidipus und seine Nachkommen Antigone, Polyneikes und Eteokles) immer wieder behandelt wurden. Der Anreiz für den Dichter be-
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stand gerade darin, in einer Art agonalen Dialogs die Auseinandersetzung mit anderen Bearbeitungen desselben Stoffes – auch über Jahre hinweg wie im Falle der Elektra-Dramen – aufzunehmen. Die Spannung des Publikums war demnach nicht auf den Ausgang des Stücks gerichtet, sondern darauf, wie es der Dichter zu dem durch den Mythos vorbestimmten Ende kommen ließ. Die Zuschauer waren aufgrund ihrer Theatererfahrung, die sie sowohl durch die Mitwirkung bei einer Tragödienaufführung als Mitglied eines Chores (›Choreut‹) als auch durch den Theaterbesuch erworben hatten, dazu in der Lage, das ständige Ringen der Dichter mit den Theaterkonventionen und dem Mythos zu genießen und zu würdigen. Der Dichter seinerseits konnte diese Erfahrung des Publikums für seine Zwecke einsetzen, indem er mit der Erwartung der Zuschauer sein Spiel trieb, Handlungen anbahnte oder verzögerte, ja sogar drohte, den Rahmen der Fabel zu durchbrechen, dann aber doch wieder das Geschehen in die Bahn, die der Mythos forderte, zurücklenkte.
II. Der Ablauf der Großen Dionysien lässt sich bei aller Unsicherheit etwa folgendermaßen rekonstruieren: Am 8. Elaphebolion fand der ›Proagon‹, der ›Vorwettkampf‹, statt, seit 440 in dem von Perikles an der Flanke des Dionysostheaters errichteten ›Odeion‹ (›Gesangshalle‹, ›Auditorium‹). Der Dichter präsentierte zusammen mit den Schauspielern und dem Chor, die bekränzt, aber ohne Masken auftraten, sein Stück. Der Proagon, also das, was vor dem eigentlichen Wettkampf (›Agon‹) der Dichter und Chöre stattfand, hatte die Funktion eines Theaterprogramms. Die Nennung des Titels lenkte die Erwartung der Zuschauer in eine bestimmte Richtung. Bei der Tragödie konnte, wenn das Stück nach einem Protagonis ten wie Oidipus oder Agamemnon benannt war, die Handlung in groben Zügen erahnt werden. Tragödien wie die
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Phönizierinnen des Euripides zeigen jedoch, dass die Dichter Titel auch bewusst zur Irreführung der Publikumserwartung einsetzten: Bei dem Titel Phönizierinnen konnte der Zuschauer kaum darauf kommen, dass die Tragödie das Schicksal der Oidipus-Söhne Eteokles und Polyneikes behandelt. Vor allem konnte sich das Publikum nach Einführung des Schauspieleragons (ca. 449 für die Tragödie und zwischen 329 und 312 für die Komödie) ein Bild davon machen, in welchen Stücken welche Schauspieler auftraten. Ebenfalls am 8. oder 9. Elaphebolion (oder früher) wurde das alte Kultbild (›Brétas‹) des Dionysos Eleuthereus, mit Efeu bekränzt, aus dem Dionysostempel in die außerhalb der Stadtmauern an der Straße nach der Ortschaft Eleutherai gelegene Grotte der Akademie und dann in einem Fackelzug zurück in den Tempel gebracht (›Eisagogé‹). Die P rozession wiederholte den Gründungsakt des Festes, das Dionysos Eleuthereus (›Dionysos aus dem Dorf Eleutherai‹) geweiht war, verband symbolisch Stadt und Land und unterstrich den Herrschaftsanspruch Athens über das Land, vor allem die Grenzgebiete wie Eleutherai. Das Dionysosfest begann offiziell am 10. Elaphebolion mit einer Prozession (›Pompé‹), deren genauer Weg nicht bekannt ist, vom Dipylon, dem Stadttor am Kerameikos, zum heiligen Hain (›Témenos‹) des Dionysos am Südhang der Akropolis. Die prunkvolle Prozession stellte in ihrer Zusammensetzung einen Querschnitt durch die Bürgerschaft dar und betonte durch die mitgeführten Utensilien, vor allem die Weinschläuche und den von Epheben, den jungen Männern, geleiteten Bullen, aber auch durch hölzerne Phalloi, den dionysischen Charakter. Im Anschluss daran fand die als Wettkampf der zehn demokratischen Verwaltungseinheiten (›Phylen‹) organisierte Aufführung von Dithyramben, der dem Gott Dionysos geweihten Chorlieder, statt. Je zehn, aus 50 Sängern bestehende Chöre – zehn Epheben- und zehn Männerchöre – traten gegeneinander an. Allein die schiere Größe der Chöre und die Tatsache, dass als Sieger nicht der Dichter, sondern
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die Phyle ausgerufen wurde, zeigen den eminent politischen Charakter des Dithyramben-Agons, in dem die demokratische Polis, vertreten durch ihre Verwaltungseinheiten, die ›Phylen‹, im ›Lied der Polis‹ sich selbst feierte. Bis zu diesem Zeitpunkt stellten die Großen Dionysien ein zwar prunkvolles, aber in der Verbindung von Riten und Chorliedern ›normales‹ Götterfest dar. Die Abfolge und die Anzahl der den Dramen gewidmeten Tage, durch die sich die Dionysien in besonderem Maße von anderen Festen unterschieden, ist in der Forschung umstritten. Communis opinio war bis vor wenigen Jahren, dass vor und nach dem Peloponnesischen Krieg (431– 404 v. Chr.) am 11. Elaphebolion, nachdem 486 v. Chr. die Komödie offizieller Bestandteil des Festprogramms geworden war, fünf Komödien und vom 12. bis 14. Elaphebolion je eine tragische Tetralogie aufgeführt wurden. Eine andere Möglichkeit könnte darin bestehen, dass am ersten Tag der dithyrambische Ephebenagon, am zweiten der dithyrambische Agon der Männerchöre und am dritten bis fünften Tag der Wettstreit der Tragiker stattfand und jeder Tag durch eine Komödie abgeschlossen wurde. Teilweise wird in der Forschung angenommen, dass in den Krisenjahren des Peloponnesischen Krieges nur drei Komödien als Abschluss der tragischen Tage aufgeführt wurden Die Platzierung der Komödien im Ablauf des Festes hat, was in der Forschung häufig ausgeblendet wird, beträchtliche Folgen für das Rezeptionsverhalten des Publikums. Denn es führt zu einer völlig unterschiedlichen Rezeption, wenn man fünf Komödien hintereinander sieht oder wenn eine Komödie als Abschluss nach drei Tragödien und einem Satyrspiel bzw. nach zehn Dithyramben vorgetragen wird, wobei dies nicht nur Auswirkungen auf die Rezeption der Komödie, sondern auch auf die der vorangehenden Stücke hat. Vor den Tragödienaufführungen, wann auch immer man sie im Festkalender ansetzt, kam es zu einer Reihe von religiösen und politischen Aktionen. Nach der rituellen Reinigung des Theaters und der von den zehn Strategen darge-
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brachten Weinspende wurden von einem Herold die Namen verdienter Bürger und Wohltäter der Polis, die mit einer goldenen Krone ausgezeichnet wurden, bekanntgegeben. Als Zeichen attischer Macht und attischen Reichtums wurden bis zum Zusammenbruch Athens die Tribute der Bundesgenossen, deren Abgesandte im Theater saßen, in der Orchestra ausgestellt. Die Söhne der Kriegsgefallenen wurden von der Polis mit einer Rüstung geehrt und durften als Zeichen besonderer Auszeichnung in der ersten Reihe, der ›Prohedrie‹, Platz nehmen. Schließlich wurden die Schiedsrichter bestimmt, die die Entscheidungen in den dramatischen Wettbewerben zu treffen hatten. Es ist schlecht vorstellbar, dass alle diese politischen Aktionen keinen Einfluss auf die Rezeption der nachfolgenden Tragödienaufführungen gehabt haben. In der Forschung war lange heftig umstritten, ob auch Frauen die Teilnahme an den Theateraufführungen gestattet war. Als communis opinio galt hier lange Zeit, dass im 5. Jahrhundert Frauen nicht zugelassen waren. Inzwischen deutet sich ein Meinungsumschwung an und man nimmt eher an, dass Frauen im Theater anwesend waren. Diese Auffassung lässt sich durch den kultischen Charakter des Festes stützen. Frauen nahmen an der das Fest eröffnenden Pompe teil, und es ist kaum vorstellbar, dass sie danach von dem Fest ausgeschlossen wurden. Neben den Großen Dionysien spielten die anderen Feierlichkeiten des dionysischen winterlichen Festzyklus nur eine Nebenrolle. Dramenaufführungen sind an den Ländlichen Dionysien für die größeren attischen Demen (›Ortschaften‹, ›Dörfer‹) belegt. Offensichtlich, nach einer ironischen Bemerkung in Platons Staat zu schließen (475d), stimmten die Demen das Datum der Feste untereinander ab, so dass ein regelrechter ›Festspieltourismus‹ möglich war. Dramatische Aufführungen fanden wie in der Stadt auch hier in agonaler Form statt. Über die Zahl der Stücke ist nichts bekannt. ›Synchoregie‹, d.h. die Teilung der Kosten einer Choregie, war, nach den Inschriften zu schließen, möglich.
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Ebenfalls wenig ist über die Lenäen bekannt, deren Leitung der Archon Basileus innehatte. Erwähnenswert ist, dass Sophokles offensichtlich gern an diesem Fest antrat und ein Viertel seiner Siege an den Lenäen errang. Zwischen 440 und 430 wurden Dramen, zunächst Komödien, dann Tragödien, Bestandteil des älteren Dionysosfestes. Bis 284 wurden – mit Ausnahme der Zeit des Peloponnesischen Kriegs – an den Lenäen fünf Komödien aufgeführt, während die Tragiker mit nur zwei Stücken zum Agon antraten. Die Lenäen waren das weniger renommierte Fest, vor allem weil zum Zeitpunkt des Festes eine geregelte Seefahrt noch nicht möglich war, es also kein ›internationales‹ Publikum gab, sondern die Athener ganz ›unter sich waren‹, wie Aristophanes in seiner Komödie Die Acharner (V. 503 f.) schreibt. Dramatische Aufführungen an den Anthesterien, dem ›Blütenfest‹ im Frühjahr ebenfalls zu Ehren des Dionysos, sind aller Wahrscheinlichkeit nach eines spätes Phänomen des ausgehenden 4. Jahrhunderts v. Chr.
3. Überlieferung der Tragödien Die Tatsache, dass wir von 80 Tragödien des Aischylos und 113 des Sophokles je sieben und von 90 des Euripides 19 vollständig besitzen, ist das Ergebnis eines jahrhundertelangen Überlieferungs- und Selektionsprozesses. Die Wiederaufführung der Tragödien des 5. Jahrhunderts nach 386 – besonders Euripides erfreute sich größter Beliebtheit – brachte es mit sich, dass Regisseure und Schauspieler die Texte bearbeiteten und dem Geschmack ihres Publikums anpassten. Dies hätte unweigerlich zu einer völligen Durchwucherung der klassischen Tragödien durch Zusätze und Änderungen (›Interpolationen‹) geführt, wenn nicht im Jahre 330 der Redner und Politiker Lykurgos einen offiziellen, verbindlichen Text für die drei Tragiker hätte herstellen lassen, an den die Schauspieler ihre Handexemplare anzugleichen hatten. In der Folgezeit befasste man sich mit den Tragikertexten wie mit der griechischen Literatur überhaupt in dem kulturellen Zentrum der hellenistischen Zeit, in Alexandria, wo in der großartigen Bibliothek des Museion (›Musentempel‹) die bedeutendsten Gelehrten ihrer Zeit Texte sammelten und an ihnen arbeiteten. In dem Bestreben, den Originaltext wiederherzustellen, verglichen sie vorhandene Exemplare, gaben die Texte neu heraus und versahen sie mit Erklärungen. Mit den Tragikern befassten sich Alexander von Aitolien (ca. 1. Hälfte 3. Jh. v. Chr.) und Aristophanes von Byzanz (ca. 257–180 v. Chr.), der die Ergebnisse seiner Vorgänger sichtete; auf ihn gehen die kurzen Inhaltsangaben (›Hypotheseis‹) mancher Tragödien zurück. Als Grundlage der Tragikerausgabe diente das athenische Staatsexemplar, das die Alexandriner gegen eine ungeheure Summe als Pfand ausgeliehen und nicht mehr zurückgegeben hatten. Mit der Kommentierung der Texte scheinen schon die alexandrinischen Gelehrten eine
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Auswahl getroffen zu haben, die die zu ihrer Zeit beliebten Stücke enthielt. Dieser Selektionsprozess setzte sich in der römischen Kaiserzeit fort, wobei man sich hier nach den Bedürfnissen des Schulunterrichts richtete. In Ausgaben wurden je sieben Stücke des Aischylos und des Sophokles und zehn des Euripides zusammengestellt. Die neun zusätzlichen Tragödien des Euripides, die nicht mit einem Kommentar versehen sind, verdanken wir einem glücklichen Zufall der Überlieferung. Sie sind Bestandteil einer alphabetischen Gesamtausgabe (Helena, Elektra, Herakliden, Herakles, Hiketiden, Iphigenie in Aulis, Iphigenie bei den Taurern, Ion, Kyklops), die in einer privaten Sammlung die Zeiten überdauerte und später in eine Handschrift übertragen wurde. Zwei entscheidende Einschnitte in der Überlieferung der antiken Literatur fallen in die byzantinische Zeit: In den kulturfeindlichen Zeiten des Bildersturms (726 – 842 n. Chr.), den ›Dunklen Jahrhunderten‹, erlahmte das Interesse an der heidnischen antiken Literatur. Erst in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts befasste man sich in dem Kreis um den Patriarchen Photios (ca. 810 – 897) wieder mit der Literatur der Antike. Man sammelte die übriggebliebenen Texte und übertrug sie in die damals übliche Minuskelschrift. Diese vorübergehende Blüte in Konstantinopel wurde jäh durch den Einfall der durch die Venezianer fehlgeleiteten Kreuzfahrer (1204) beendet. Die Zerstörungen im Zuge dieser Eroberung sowie der Wiedereroberung (1261) brachten den Verlust noch manchen antiken Autors mit sich. In der Folgezeit setzte eine Renaissance in der Beschäftigung mit Texten der Antike ein. Philologen wie Maximos Planudes (ca. 1250 –1310), Thomas Magister (ca. 1270 –1325), Manuel Moschopulos (1265 –1315) und Demetrios Triklinios (1280 –1340) beschäftigten sich vorwiegend unter textkritischen und metrischen Aspekten mit den Tragikern. Wie die Gelehrten der alexandrinischen und römischen Zeit konzentrierten auch sie sich besonders auf wenige Stücke der drei
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Tragiker, die sogenannte ›byzantinische Trias‹, das heißt auf je drei Stücke (Aischylos: Prometheus, Sieben gegen Theben, Perser; Sophokles: Aias, Elektra, König Oidipus; Euripides: Hekabe, Orestes, Phönizierinnen). Die Ergebnisse ihrer Forschungen bestimmten wesentlich die Gestaltung der ersten Drucke des 15. und 16. Jahrhunderts und bildeten somit das wichtigste Verbindungsglied zwischen Antike und Renaissance.
4. Struktur und Metrik Bei der Konzipierung einer Tragödie musste sich der Dichter nach den am dramatischen Spiel beteiligten Gruppen richten, den Schauspielern und dem Chor. Aus dem Wechsel von Chor- und Schauspielerpartien ergibt sich die typische Struktur der klassischen Tragödie, die Aristoteles im 12. Kapitel der Poetik beschreibt. Bei den Chorliedern unterscheidet er zwischen ›Parodos‹ (Einzugslied des Chors) und ›Stasimon‹ (Standlied, d.h. alle Chorlieder nach der Parodos). Durch diese Chorlieder zerfällt der Rest einer Tragödie in ›Prolog‹ (»der ganze Teil der Tragödie vor dem Einzug des Chors«), ›Epeisodion‹ (»ein ganzer Teil der Tragödie zwischen ganzen Chorliedern«) und ›Exodos‹ (»der ganze Teil der Tragödie nach dem letzten Chorlied«). Der Prolog entfällt natürlich in Stücken, die mit der Parodos beginnen, wie die Perser und Hiketiden des Aischylos. Dem Dichter bot sich nun die Möglichkeit, diese Struktur aufzulockern: Er konnte den Chor enger in die dramatische Handlung einbinden, indem er ihn in einen lyrischen Dialog (›Kommos‹ [wörtlich ›Klagegesang‹] oder ›Amoibaion‹ [›Wechselgesang‹]) mit einem oder mehreren der Schauspieler verwickelte, oder er verlagerte das lyrische Element aus der Orchestra auf die Bühne und ließ die Schauspieler Arien (›Mondien‹) oder Duette singen. Der Aufbau einer Tragödie ist geprägt durch den Wechsel von gesungenen, rezitierten und gesprochenen Partien. Für uns lässt sich ein gewisser Eindruck von der musikalischen Komposition einer Tragödie aus der Vielzahl der metrischen Formen gewinnen, die die Dichter verwendeten. Die antike Metrik ist quantitierend, das heißt ein Vers besteht nicht aus der Abfolge von betonten und unbetonten Silben, sondern von Kürzen (◡) und Längen (–), wobei an bestimmten Stellen entweder eine kurze oder eine lange Silbe
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stehen kann (sog. ›Anceps‹, x). Die gesprochenen, rezitierten und gesungenen Partien sind in je verschiedenen Rhythmen gehalten: Die Schauspieler sprechen im iambischen Trimeter, in der dreimaligen Wiederholung der Sequenz x – ◡ –. In rezitierten Partien findet vor allem der trochäische Tetrameter Verwendung. Dieses Versmaß setzt sich zusammen aus der Abfolge – ◡ – x, die dreimal wiederholt wird; im letzten, vierten Metrum fehlt ein Element (– ◡ –), wodurch eine kurze Pause vor dem nächsten Vers zustande kommt (›Katalexe‹). Bei der Komposition der gesungenen Partien konnte sich der Dichter einer Vielzahl rhythmischer Formen bedienen, die ihren Platz teilweise in der Lyrik, teilweise in kultischen oder volkstümlichen Gesängen hatten. Indem der Dichter den gesungenen Teilen eine je verschiedene metrische (d.h. rhythmische und musikalische) Form gab, konnte er beim Zuhörer Assoziationen erwecken – einerseits an gewisse aus dem alltäglichen Leben bekannte Gesänge wie Hochzeitslieder oder Hymnen, andrerseits an Kompositionsformen anderer Gattungen. So ist z.B. in den Troerinnen des Euripides (V. 308 ff.) Kassandras Arie an auffälligen Stellen wie dem Refrain in den für Hochzeitslieder typischen äolischen Maßen gehalten, die aus einem choriambischen Kern (–◡◡–) bestehen, an den Kürzen und Längen angesetzt werden können. Da jedermann weiß, zu welch einer ›Hochzeit‹ Kassandra als Beute Agamemnons geführt wird, zum Tod durch die Hand der Klytaimestra, erhält das Lied schon aufgrund seiner metrischen Struktur eine grausige Doppeldeutigkeit. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für den ›Signalcharakter‹ metrischer Formen ist der Ioniker (◡◡ – –), das ›Barbarenmotiv‹ der griechischen Tragödie. Die Musik, die in diesem Rhythmus gespielt wurde, muss in hohem Maße die Sinne erregend gewesen sein; sie galt deshalb als verweichlicht und orientalisch. Große Teile der lyrischen Partien der Perser des Aischylos sind in Ionikern komponiert. So verlieh Aischylos der Tragödie auch durch die metrische Gestaltung persisches Kolorit.
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Außerdem konnte der Dichter die rhythmische Form dazu einsetzen, den Zuschauer zum Aufmerken zu bringen. So sind beispielsweise die erzählenden Teile der Parodos des aischyleischen Agamemnon in sogenannten Daktyloepitriten gehalten, in einem Metrum, das besonders in der narrativen Gattung Dithyrambos Verwendung fand und durch seine daktylischen Bestandteile (–◡◡) an das Epos erinnert. In der zentralen Partie der Parodos jedoch, im Zeus-Hymnos, schlägt das Metrum zu einfachen Trochäen (– ◡ – x) um. Das metrische Signal zwingt den Zuhörer dazu, seine Aufmerksamkeit auf den Inhalt des Abschnitts zu richten, der sich metrisch aus seiner Umgebung heraushebt. Daneben gibt es Versmaße, die die Dichter dazu verwendeten, starke Gefühlsregungen der Singenden auch rhythmisch auszudrücken, vor allem den Dochmius, ein Metrum mit sehr vielen Variationsmöglichkeiten, das z.B. hervorragend zur Panik der Frauen in der Parodos der Sieben gegen Theben des Aischylos passt und typisch für die Tragödie ist. Insbesondere in der musikalischen Gestaltung der Tragö dien des Euripides lässt sich eine Entwicklung nachvollziehen, die nach den Perserkriegen zunächst insbesondere den Dithyrambos, dann aber auch die dramatischen Gattungen betraf. Während in den Dithyramben des Pindar die Flöte lediglich die Aufgabe eines Begleitinstruments hatte und der Inhalt des Gesangs im Vordergrund stand, wurde in der Folgezeit (ca. ab 450) die Musik das Wesentliche. Es kamen Darbietungen von Solisten auf, die eine Art Programmmusik boten. Donnergrollen und das Pfeifen des Windes, Hagelschlag und das Knarren von Rädern, der Klang von Trompeten und anderen Musikinstrumenten, ja sogar das Bellen von Hunden, Blöken von Schafen und Zwitschern von Vögeln wurden nachgeahmt, wie es Platon im Staat heftig kritisiert (397a1–7). Der Klang und die Klangeffekte wurden reicher. Überraschende Rhythmenwechsel und sogar Mischungen der Tonarten wurden üblich. An die Stelle eines mehr oder weniger einheitlichen metrischen Leitthemas traten Kom-
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positionen, in denen verschiedene Rhythmen einander abwechseln (›Polymetron‹). Die traditionelle Kompositionsform, die Gliederung einer Gesangspartie in Strophe und Gegenstrophe, wurde allmählich aufgegeben. Diese Art des Gesangs eignete sich nicht für einen Chor, der als eine Gruppe nicht dazu in der Lage war, die vielfältigen Rhythmenwechsel in Tanz und Gesang nachzuvollziehen. So finden sich im Spätwerk des Euripides immer zahlreicher Soloarien von Schauspielern.
Literatur 1. Ausgaben Sophodis fabulae, hg. von H. Lloyd-Jones und N. G. Wilson (Oxford Classical Texts), Oxford 1990. Sophodis tragoediae, hg. von R.D. Dawe (Bibliotheca Teubneriana), 2 Vol., Stuttgart 31996. Fragmente: Tragicorum Graecorum Fragmenta,Vol. 4: Sophocles, hg. von S. Radt, Göttingen 21999.
2. Kommentare (in Auswahl) Kommentare zum Gesamtwerk: R. Jebb, Cambridge 1883 – 96 (mehrfach nachgedruckt); F.W. Schneidewin – A. Nauck, bearbeitet von A. Bruhn – L. Radermacher, Leipzig 1909 –14; J. C. Kamerbeek, Leiden 1953 – 84. Zu einzelnen Stücken: Aias: W.B. Stanford, London 1963, New York 1979; A.W. Garvie, Warminster 1998; M. Griffith, Cambridge 1999; P.J. Finglass, Cambridge 2011. Antigone: G. Müller, Heidelberg 1967; M. Griffith, Cambridge 1999. Elektra: J.H. Kells, Cambridge 1973; P.J. Finglass, Cambridge 2007. König Oidipus: R.D. Dawe, Cambridge 1982; J. Bollack, 4 Bde., Lilie 1990. Philoktetes: T.B.L. Webster, Cambridge 1970; R.G. Ussher, Warmins ter 1990; G. Avezzù, Fondazione Lorenzo Valla 2003. Oidipus auf Kolonos: G. Avezzù – G. Guidorizzi, Fondazione Lorenzo Valla 2008. Trachinierinnen: P.E. Easterling, Cambridge 1982; M. Davies, Oxford 1991. Fragmente: A.H. Sommerstein – D. Fitzpatrick – T. Talboy, Sophocles, Selected fragmentary plays, Vol. I, Oxford 2006; A.H. Sommerstein – T.H. Talboy, Sophocles, Selected fragmentary plays, Vol. II, Oxford 2012.
3. Einführende Literatur zur Tragödie J. Latacz, Einführung in die griechische Tragödie, Göttingen 22003. A. Lesky, Die tragische Dichtung der Hellenen, Göttingen 31972.
460 Anhang G.A. Seeck (Hg.): Das griechische Drama, Darmstadt 1979. B. Seidensticker, Das antike Drama, München 2010. B. Zimmermann, Europa und die griechische Tragödie, Frankfurt a.M. 2000. B. Zimmermann, Die griechische Tragödie, Düsseldorf 32005. B. Zimmermann, »Die attische Tragödie«, in: ders. (Hg.), Handbuch der griechischen Literatur der Antike, 1. Bd.: Die Literatur der archai schen und klassischen Zeit, München 2011, 484 – 554.
4. Zu den Aufführungsbedingungen H.D. Blume, Einführung in das antike Theaterwesen, Darmstadt 31991. E. Csapo – W.J. Slater, The context of ancient drama, Ann Arbor 1994. A. Pickard-Cambridge, The dramatic festivals of Athens, revised by J. Gould and D.M. Lewis with a new supplement, Oxford 1988.
5. Zur Überlieferung M. Landfester (Hg.), Geschichte der antiken Texte, Stuttgart – Weimar 2007.
6. Zur Rezeption H. Flashar, Inszenierung der Antike. Das griechische Drama auf der Bühne, München 22009. W. Frick, Die mythische Methode. Komparatistische Studien zur Transformation der griechischen Tragödie im Drama der klassischen Moderne, Tübingen 1998. B. Zimmermann, Spurensuche. Studien zur Rezeption der antiken Lite ratur, Freiburg – Berlin – Wien 2009.
7. Einführende Literatur zu Sophokles H. Diller (Hg.), Sophokles, Darmstadt 1967. H. Flashar, Sophokles. Dichter im demokratischen Athen, München 2000. E. Lefèvre, Die Unfähigkeit, sich zu erkennen. Sophokles’Tragödien, Leiden – Boston – Köln 2003. A. Markantonatos (Hg.), Brill’s companion to Sophocles, Leiden – Boston 2012. K. Reinhardt, Sophokles, Frankfurt a.M. 41976.
Literatur 461 R.P. Winnington-Ingram, Sophocles. An interpretation, Cambridge 1980. B. Zimmermann, »Sophokles«, in: ders. (Hg.), Handbuch der griechi schen Literatur der Antike, 1. Bd.: Die Literatur der archaischen und klassischen Zeit, München 2011, 573 – 586.
Stammbäume 1. Labdakiden (Aischylos, Sieben; Sophokles, Antigone, König Oidipus, Oidipus auf Kolonos; Euripides, Phönizierinnen): Hera
Aphrodite
Ares Kadmos
Harmonia Nykeïs
Polydoros Menoikeus Kreon
Dione
Zeus
Labdakos
Eurydike
Iokaste
Laios Oidipus
Magareus Menoikeus Haimon Antigone Ismene Eteokles Polyneikes
2. Herakles (Sophokles, Trachinierinnen; Euripides, Herakliden, Rasender Herakles): Perseus
Andromeda
Astydameia
Alkaios
Alkmene
Amphitryon Iphikles
Automedusa
Iolaos
Anaxo
Elektryon Zeus Herakles
Megara Deianeira
Hvllos
Iole
Stammbäume 463
3. Aiakiden (Sophokles, Aias, Philoktetes; Euripides, Andro mache): Endeïs
Aiakos Hesione
Telamon
Teukros
Eriboia Aias
Tekmessa
Eurysakes
Peleus
Thetis
Achilleus
Deïdameia
Neoptolemos
Andromache
Glossar Achaier: wie Danaer Gemeinname der Griechen. Apia: die Peloponnes. Ares: Gott des Krieges wie überhaupt der Vernichtung. Areopag: der Hügel des Ares in Athen. Artemis: Göttin der Jagd. Asklepios: Gott der Heilkunst. Seine Söhne Podaleirios und Machaon sind Ärzte im Griechenheer vor Troja. Cheiron: ein Kentaur, wurde vom giftigen Pfeil des Herakles tödlich verwundet. Da er unsterblich war, konnte er von seinen Qualen nicht erlöst werden, bis Zeus ihm den Eingang in die Unterwelt gestattete, wo er nun als Fährmann die Toten über den Totenfluss setzt. Danaer: s. Achaier. Dike: Göttin des Rechtes, gehört zu den unterirdischen Gottheiten. Dirke: Bach bei Theben. Dodona: Ort in Epirus (Nordgriechenland). Hier wurde aus dem Rauschen der Ei-
chen geweissagt. Ein Taubenpärchen soll zuerst auf das Orakel aufmerksam gemacht haben und war wohl in einer Eiche bildlich dargestellt. Die Seller als Umwohner des Haines waren Hüter des Orakels. Erechtheus: König von Athen, aus der Erde entsprossen. Eurysakes: ›Breitschild‹, nach dem Schild seines Vaters Aias so genannt. Gorgonen: geflügelte Jungfrauen mit Schlangenhaaren und mit Schlangen gegürtet, Bilder der Nacht und des Todes. Ihr Auge ist so grauenvoll, dass wer sie anschaut, vor Schreck zu Stein wird. Perseus schlug der Gorgo Medusa auf Rat Athenes mit Hilfe eines Spiegels das Haupt ab und übergab es der Göttin, die es an ihrer Brust befestigte; daher: Athenes Gorgoauge. Hades: Bruder des Zeus, Herr der Unterwelt, der Todesgott; übertragen: die Unterwelt.
Glossar 465
Helios: der alles sehende Sonnengott. Hephaistos: der Schmiedegott; das Feuer der Vulkane kommt aus seiner unterirdischen Schmiede. Hera: Gattin des Zeus, die Götterkönigin, Feindin des Herakles. Hermes: Sohn der Maia, der Götterbote, Geleiter der Seelen in die Unterwelt, daher auch Erdgeist; zugleich als der Listige der Gott der Kaufleute. Ida: Berg in Kleinasien. Io: in Argos verehrt; ihr Liebhaber Zeus verwandelte sie in eine Kuh, um sie vor Heras Eifersucht zu schützen. Diese schickte eine Bremse, die sie bis nach Ägypten jagte. Ismenos: Bach bei Theben. Itys: Tereus, mit Prokne verheiratet, entführte deren Schwester Philomele, tat ihr Gewalt an, schnitt ihr die Zunge heraus und sperrte sie ein. Durch ein Gewebe meldete sie der Schwester ihr Leid. Diese schlachtete zur Rache ihren Sohn Itys und setzte ihn dem Tereus vor. Der wollte sich an den Schwestern rächen, aber die Götter verwandelten Prokne in die Nachtigall, die
nun immer Itys ruft, Philomele in die Schwalbe, Tereus in den Wiedehopf. Keren: ursprünglich die unheilstiftenden Seelen der Toten, dann die Todesgötter. Kithairon: Gebirge südlich Theben. Krise: die Flur am Korinthischen Meerbusen, wo die Pythischen Spiele stattfanden. Kronos: Vater des Zeus, der daher der Kronide heißt. Lokrer: Volksstamm gegenüber Euboia an der Ostküste des Festlandes. Maia: Mutter des Hermes, den sie mit Zeus zeugte. Mysien: die Landschaft, in der Troja liegt. Nike: die Siegesgöttin; auch Beiname für Athene. Niobe: Königin von Theben, wurde in Stein verwandelt, weil sie sich vor der Göttin Leto, die nur zwei Kinder, Apollon und Artemis, hatte, ihrer vierzehn Kinder rühmte. Paris: trojanischer Königssohn, der durch die Entführung Helenas den trojanischen Krieg hervorrief. Parnass: Gebirge bei Delphi. Pelops: Großvater des Agamemnon, soll, aus Phrygien vertrieben, in die nach ihm
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genannte Peloponnes gekommen sein. Peparethos: eine der sporadischen Inseln an der nördlichen Ostküste Griechenlands. Pheme: lateinisch fama, die ›Sage‹. Phoinix: der greise Erzieher des Achill. Phokis: Landschaft in Nordgriechenland, in der Delphi liegt. Pluton: s. Hades. Sigeion: Ort an der trojanischen Küste. Skamander: Fluss der trojanischen Ebene.
Sunion: Kap an der Südspitze Attikas. Spercheios: Fluss in Malis, gegenüber dem Nordteil von Euboia. Sisyphos: mythischer Gauner, nach einigen Varianten Vater des Odysseus. Teukros: Halbbruder des Aias, Bogenschütze im Griechenheer vor Troja. Wolfsgott: Apollon mit dem Beinamen Lykeios, ›Wolfsgott‹, wohl als Schutzgott junger Männer, die als Epheben wie Wölfe eine gewisse Zeit außerhalb der Stadt lebten.
Antike Tragödien bei Kröner
Aischylos Die Tragödien
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