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German Pages [144] Year 1962
HYPOMNEMATA
HEFT 1
HYPOMNEMATA U N T E R S U C H U N G E N ZUR U N D ZU I H R E M
ANTIKE
NACHLEBEN
Herausgegeben von Albrecht Dihle / Hartmut Erbse Wolf-Hartmut Friedrich / Christian Habicht Bruno Snell
Heft 1
iJ VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
ERNST-RICHARD
SCHWINGE
Die Stellung der Trachinierinnen im Werk des Sophokles
VANDENHOECK & R U P R E C H T I N GÖTTINGEN
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft © VandenhoeckÄRuprecht in Göttingen 1962.— Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. - Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen 7973
MEINER MUTTER
VORWORT
Die vorliegende Arbeit ist die neu durchgesehene Fassung einer Untersuchung, die im Dezember 1960 von der Philosophischen Fakultät der Universität Hamburg als Dissertation angenommen wurde. Für den Druck ist sie überarbeitet und, wo nötig, berichtigt worden. Inzwischen erschienene Literatur ist nur eingearbeitet, wo es wichtig und ohne Schwierigkeiten möglich war. Die Arbeit hätte weder geschrieben noch gedruckt werden können ohne die Hilfe, die mir, direkt und indirekt, von vielen Seiten gewährt wurde. Insbesondere danke ich meinen verehrten Lehrern, Herrn Professor Bruno Snell und Herrn Professor Hartmut Erbse, für die Anregung zu dieser Arbeit, für Unterstützung und Rat, die sie ihrem Entstehen, für Mühe und Fürsorge, die sie ihrem Erscheinen widmeten, nicht minder aber für alle Förderung, die ich während des Studiums durch sie erfahren durfte. Daneben gilt mein Dank besonders Karl Reinhardt. Wie sehr die vorliegende Untersuchung seinem Sophokles-Buch verpflichtet ist, ist leicht einzusehen und brauchte nicht ausdrücklich erwähnt zu werden. Wenn ich es dennoch tue, so deshalb, weil ich in Dankbarkeit darauf hinweisen möchte, daß es in größerem Umfang der Fall ist, als durch Verweise in der Arbeit selbst deutlich werden konnte. Weiterhin danke ich den Herausgebern der „Hypomnemata" für die Aufnahme der Arbeit in diese Reihe, der Deutschen Forschungsgemeinschaft für einen freundlich gewährten Druckkostenzuschuß, dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die saubere und korrekte Drucklegung. Den größten Dank aber schulde ich meiner Mutter für so vieles, das in Worten nicht genannt werden kann. Ihr sei die Arbeit gewidmet. Hamburg, den 1. August 1962
Ernst-Richard Schwinge
INHALT Einleitung
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A. E U R I P I D E S I. Herakles
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II. Hippolytos I I I . Die Intrigendramen 1. Medea, Hippolytos, Hekabe, Andromache 2. Medea IV. Prolog und Eingang V. Alkestis
21 24 28 34 42
B. SOPHOKLES I. Überblick über das sophokleische Werk II. Die Entwicklung des Dreigesprächs
70 73
I I I . Die Diptychonform
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IV. Die Entwicklung des Dialogs
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V. Die dramatische Verwendung der Orakel 1. Aias, Trachinierinnen, ödipus Tyrannos, Antigone — das gottgesetzte Schicksal und der menschliche Schein . . . . a) Aias und Trachinierinnen b) Der Götterspruch in der Ilias c) ödipus Tyrannos und Antigone 2. Elektra, Philoktet, ödipus auf Kolonos Ά) Elektra und Philoktet — das menschgefügte Leid . . b) ödipus auf Kolonos — der neue Wert des Göttlichen c) Elektra, Philoktet, ödipus auf Kolonos — die Entdeckung des Humanen
93 95 103 106 113 118 123
C. BAKCHYLIDES XVI
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Literaturverzeichnis
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Register
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EINLEITUNG Die Stellung der Trachinierinnen innerhalb der sieben überlieferten Tragödien des Sophokles ist seit langem 1 eines der zentralen Probleme der Sophoklesforschung. Da sie sich wie kein anderes der sophokleischen Dramen in mannigfacher Weise mit vielen Stücken des Euripides berühren, suchte man scheinbare und tatsächliche Parallelen — teils wörtliche Übereinstimmungen, teils gleiche Verwendung bestimmter Motive und Szenen — früh f ü r eine Lösung der umstrittenen Frage nutzbar zu machen. Die Arbeit von Johanna Heinz 2 scheint die Reihe dieser Versuche vorläufig zu einem Ende gebracht zu haben. Sie suchte die Abhängigkeit des Sophokles von der euripideischen Alkestis nachzuweisen und setzte damit 438, das Aufführungsjahr der Alkestis, als terminus post quem f ü r die Trachinierinnen an 3 . Daß um 1930 auch in der Frage der Trachinierinnendatierung ein völlig anderer Weg beschritten wurde, ist charakteristisch f ü r die damalige neue Situation der klassischen Philologie. Als erster stellte ausführlich Karl Reinhardt in seinem Sophokles-Buch die Behandlung des strittigen Problems auf eine Grundlage, die sich methodisch gesehen von der seiner Vorgänger radikal unterschied 4 . Er unternahm eine Interpretation des gesamten sophokleischen Werkes, suchte ausschließlich aufgrund der auf diese Art gewonnenen Ergebnisse den Trachinierinnen die ihnen zukommende Stelle zuzuweisen, und ermittelte, daß sie zwischen Aias und Antigone, also als zweites Drama, in die sieben Stücke eingeordnet werden müßten. In jüngster Zeit griff nun Pohlenz in der zweiten Auflage seines Tragödienbuches 6 das umstrittene Problem wieder auf. Er übernahm die These von Johanna Heinz und setzte die Trachinierinnen in deutlicher Wendung gegen Reinhardt erneut nach 438, also zwischen Anti1 Einen Überblick über die Frage in der Forschung geben K. Pöschl, Die Trachinierinnen des Sophokles, ihre einheitliche Abfassung und Komposition, Programm Iglau 61, 1910, S. 7ff., L. Radermacher, Sophokles, 6. Bändchen: Trachinierinnen, 7. Aufl., Berlin 1914, S. 28 und, für die letzten Jahre, A. Lesky, Die tragische Dichtung der Hellenen, Göttingen 1956, S. 118f. 2 Johanna Heinz, Zur Datierung der Trachinierinnen, Herrn. 72, 1937, S.270ff. 3 Vgl. ebenso schon A. Lesky, Phil. Woch. 55,1935,484 f. und L. Weber, Euripides Alkestis, Leipzig und Berlin 1930, S. 49 und 108. 1 K. Reinhardt, Sophokles, Frankfurt 1933, 1. Aufl., jetzt 3. Aufl., Frankfurt 1947. 5 M. Pohlenz, Die griechische Tragödie, Göttingen 19542, 2. Bd., Erläuterungen S. 86.
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Einleitung
gone und Ödipus Tyrannos, an die dritte Stelle des sophokleischen Werkes. Diese Stellungnahme gibt der vorliegenden Arbeit ihre Legitimation. Man scheint sich nämlich darüber einig zu werden, daß mit Pohlenz' letzter Äußerung jetzt das Maß von Sicherheit erreicht sei, das in solchen Fragen möglich ist1. Diese Situation beginnender Sekurität aber ist gefährlich und fordert deshalb geradezu heraus, die Frage der Einordnung der Trachinierinnen besonders in Hinblick auf Reinhardts Frühdatierung noch einmal gründlich zu untersuchen. Bei dieser hier vorgelegten Untersuchung erschien es ratsam, jede der bisher vorgebrachten Thesen, auch dort, wo es bereits geschehen ist, abermals zu überprüfen. Denn oft lehnte man zwar die Ergebnisse des Vorgängers ab, übernahm aber dessen grundsätzlichen Fehler für den eigenen Lösungsversuch, ohne es zu merken. Man versuchte, dem Problem von einer anderen Seite aus beizukommen, änderte aber nicht die Methode und beging so nur an einem anderen Ort denselben Irrtum wie derjenige, dessen Ergebnisse man kurz vorher noch mit Recht bekämpft hatte. So haben die Fehler zeitlich und sachlich weit voneinander getrennter Lösungsversuche oft dieselben Wurzeln. Wenn im folgenden also noch einmal alle Datierungsvorschläge untersucht werden, so nicht, um bereits Gesagtes zu wiederholen, sondern um den methodischen Ansatz bloßzulegen, der in fast allen Versuchen derselbe ist. Indem so die verschiedenen Fehler in ihrem gemeinsamen Ursprung aufgesucht werden, wird nicht nur für die hier zu behandelnde Frage am ehesten eine adäquate Methode gefunden werden können, sondern darüber hinaus vielleicht ein Weg gewiesen, den zu beschreiten auch für die Lösung ähnlicher Probleme fruchtbar sein könnte. Wenn dabei an einzelnen Stellen mitunter scharfe Kritik geübt wird, so immer in dem dankbaren Bewußtsein, gerade auch durch die Irrtümer oft erst den Anstoß zu festerem Zugriff erhalten zu haben. Ein grundlegender Fehler in der bisherigen Diskussion über die Trachinierinnendatierung war die Tatsache, daß man — von wenigen Ausnahmen abgesehen — fast immer glaubte, das Problem allein auf einem der beiden möglichen Wege lösen zu können. Urteilte man auf der einen Seite bis zu Pohlenz stets nur aufgrund von Merkmalen, die man in außersophokleischen Werken zu finden meinte, so auf der anderen (z.B. Reinhardt) weitgehend ausschließlich an Hand von Indizien, die im Werk des Sophokles selbst vorzuliegen scheinen. Die vorliegende Arbeit versucht eine Synthese. In einem ersten Teil sollen die bisher aufgezeigten Beziehungen zu Euripides untersucht werden2 — 1 Einen Überblick über diese Annahme in der Forschung gibt A. Lesky, Die tragische Dichtung der Hellenen, Göttingen 1956, S. 119f. 2 Die Arbeit setzt ein bei den Thesen, die Wilamowitz erstmalig 1889 in seinem Heraklesbuch (Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Euripides Herakles, 2 Bd., Berlin 1889, 1. Bd., S. 382ff.) vortrug. Auf die Behandlung der
Einleitung
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das Augenmerk wird hier primär auf dem Verhältnis der Trachinierinnen zur euripideischen Alkestis liegen —, im zweiten sollen die sophokleischen Dramen selbst von einigen Punkten aus analysiert werden — im Vordergrund wird hier das Verhältnis zur Antigone stehen. In einem dritten Teil sollen die gefundenen Ergebnisse an einer Parallele der Trachinierinnen zu Bakchylides überprüft werden. Wenn in einzelnen Abschnitten dieser Arbeit eine relativ große Zahl von Stellen aus einigen Dramen zitiert wird, so nicht aus dem Bestreben, durch möglichst viele Parallelstellen die jeweiligen Thesen zu stützen, sondern um auf das Netzwerk von Beziehungen, Entsprechungen und Verweisen aufmerksam zu machen, mit dem die Tragiker ihre Stücke überzogen, und so — wo es der Gang der Untersuchung erlaubt — auch von dieser Seite aus auf die Kunst hinzuweisen, mit der sie ihre Dramen gestalteten. Frage vor Wilamowitz gehe ich nicht ein. Ebenso erübrigt es sich heute, die früher umstrittene Echtheitsfrage der Trachinierinnen zu diskutieren. So wird auch die Literatur vor 1889 nicht berücksichtigt, einen Überblick darüber gibt Pöschl, 1. Teil S. Iff. Daß auch von der Literatur nach 1889 in diesem Rahmen nur ein Teil herangezogen werden konnte, bedarf kaum der Erwähnung. In der Arbeit selbst ist die öfter benutzte Literatur jeweils nur stichwortartig angegeben, die genauen Zitate finden sich am Ende im Literaturverzeichnis. Wo die Literatur nur einmal berücksichtigt wurde, ist sie gleich an der betreffenden Stelle aufgeführt.
A. E U R I P I D E S
Ι. E U R I P I D E S
HERAKLES
Das erste Drama, zu dem man Sophokles' Trachinierinnen in enge Beziehungen setzte, ist der euripideische Herakles. Wilamowitz, der f ü r die Aufführung des Herakles die Zeit von 424—415 erwiesen hatte 1 , meinte 2 , aufgrund der Schlafszenen beider Dramen (Eur. Her. 1042ff., Trach. 97Off.) die Abhängigkeit der sophokleischen Trachinierinnen von Euripides' Herakles annehmen zu können, und rückte damit die Trachinierinnen in die späte Zeit des Sophokles. Dieterich 3 und Tycho v. Wilamowitz 4 nahmen seine These auf und vertieften sie, der eine durch eine vergleichende Interpretation der euripideischen und sophokleischen Schlafszene 5 — Wilamowitz hatte das Argument mehr nur genannt als ausgeführt—, der andere, indem er gegen die Einwände von Zielinski 6 im wesentlichen auf Dieterichs Argumente zurückgriff, die Einführung des Schlafmotivs bei Sophokles erneut als unverständlich und damit unorganisch nachzuweisen versuchte und demgemäß die Trachinierinnen, von Euripides Herakles abhängig, in den Zeitraum von 420—410, „jedenfalls nach dem König Ödipus" (S. 98) datierte. Dieterich (S. 49) und Tycho v. Wilamowitz (S. 90) hatten beide wörtliche Anklänge als gültige Kriterien f ü r Abhängigkeitsfragen 7 abgelehnt, sie dann aber doch eifrig benutzt 8 , um die auf anderem Weg gefundene Lösung zu festigen. Metrische Analysen 9 , mit denen Wilamowitz 10 seine These zu stützen suchte, lehnte bereits Tycho v. Wilamowitz ab. Trotzdem benutzt 1
Herakles, 1. Bd. S. 134ff. Herakles, 1. Bd. S. 137 und bes. S. 152ff., vgl. auch Die griechische Literatur des Altertums S. 77. 3 Kl. Sehr. S. 48ff., vorher Rh. Mus. 46, 1891, S. 25ff. 4 Die dramatische Technik des Sophokles S. 90 ff. 5 Kl. Sehr. bes. S. 55. 6 Philol. 55, 1896, S. 596ff. und S. 626ff. 7 So auch Zielinski, Philol. 55, 1896, S. 621—632 und Pöschl, 1. Teil S. 15f. Gegen Wilamowitz, Her., 1. Bd. S. 153, vgl. auch Whitman S. 46. 8 Dieterich, Kl. Sehr. S. 60ff., T. v. Wilamowitz S. 91 Anm. 1, dagegen vgl. überzeugend Beinhardt S. 258 f. und ihm folgend Heinz S. 290 Anm. 3, es handelt sich um den wörtlichen Anklang Trach. 984 = Her. 1105. 9 Aufgrund von metrischen Erscheinungen suchte man stets das auf anderem Weg gefundene Ergebnis zu untermauern, obwohl man sich seit Dieterich allgemein der Unsicherheit derartiger Folgerungen bewußt war, z.B. Dieterich S. 65 Anm. 5, der sich auf Hosius' Material stützt, Zielinski S. 623, Pöschl, 2
Euripides Herakles
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Perrotta beide Argumente1 und hält als einziger in der neueren Forschung an Wilamowitz' These der späten Abfassung der Trachinierinnen fest, ja er geht noch weiter und datiert die Aufführung der Trachinierinnen ins Jahr 407/6 aufgrund der Parallele von Eur. Orest 228 ~ Trach. 11032. Seit Webster3 für den Aufbau der Trachinierinnen die „diptych form" und damit 431 als den terminus ante quem erwiesen hat, scheinen die Argumente, die für eine Spätdatierung vorgebracht wurden, widerlegt zu sein. Trotzdem sei auf Einzelnes eingegangen, da so das richtige Verständnis der Trachinierinnen selbst am besten vorbereitet wird. Das Hauptargument Dieterichs, Euripides sei in seiner Version der Schlafszene im Gegensatz zu Sophokles der voreuripideischen Form der Heraklessage gefolgt, haben Pöschl und nach ihm Pohlenz überzeugend widerlegt4. Der λίθος σωφρονιστήρ, von dem Pausanias 9, 11,2 berichtet 2. Teil S. 15ff., Stephany S. 4—19 u . a . m . Die völlig differierenden Ergebnisse zeigen jedoch hinreichend, daß aus metrischen Analysen kein Kriterium f ü r die Frage der Chronologie zu gewinnen ist. Besonders überzeugend h a t das aufgrund von eingehenden Analysen H . D. F . K i t t o nachgewiesen: Sophocles, Statistics, a n d t h e Trachiniae, Am. J o u r n . Phil. 60, 1939, 178ff., vgl. zum Grundsätzlichen bes. 192f. — Luisa Sirehia, Dioniso 21, 1958, 59—73, verwirft zwar, ebenfalls im Anschluß a n Kitto, metrische Analysen als Weg, eine Chronologie festzustellen, versucht aber n u n andererseits, durch Analyse der beim A u f b a u der lyrischen Partien angewandten Technik ihren Ansatz der Trach. im Mittel werk zu begründen, vgl. 60—66, bes. die Zuzammenfassung 67 f. I n ihrer Argumentation begnügt sie sich jedoch mit dem bloßen Aufweis von Ähnlichkeiten, bleibt also im Äußerlichen stecken. Die an sich richtigen Untersuchungen könnten als Begründung einer Datierung der Trach. im Mittelwerk erst überzeugend sein, wenn neben die Feststellung einer Parallelität der Nachweis träte, daß mit der im betreffenden Fall angewandten Technik ein Fortschritt gegenüber früherer P r a k t i k verbunden ist. 10 Griechische Verskunst S. 609f. verglich er Trach. 893 u n d E u r . Hekabe 892 u n d 1099 u n d folgerte aus der Mischung der metrischen Elemente die späte Abfassimg der Trachinierinnen. 1 G. Perrotta, Sofocle S. 526 metrische Analyse, S. 534 wörtliche Anklänge, vgl. dagegen schon P . Keseling, Phil. Woch. 60, 1940, 439, außerdem E a r p , CI. Rev. 53, 1939, 113 u n d Pohlenz, 2. Bd. S. 86. 2 Vgl. S. 544f. 3 Introduction S. 4, 168, 172. 4 Pöschl, 1. Teil S. 17, Pohlenz, 2. Bd. S. 85, vgl. zum ganzen Komplex auch Radermacher S. 31. Schadewaldt h a t t e die Trachinierinnen hinter Aias, Antigone, Ödipus Tyrannos, auf „der Schwelle zum Alterswerk" angesiedelt (Sophokles u n d Athen S. 16f., vgl. jetzt Hellas u n d Hesperien S. 226) u n d diese Ansicht vorsichtiger noch einmal wiederholt (Dtsch. Literaturzeitung 58, 1937, 997, vgl. jetzt Hellas u n d Hesperien S. 298f.). Seine heutige Ansicht deckt sich mit der von Heinz, s.u. S. 24. U m einen Überblick über die verschiedenen Datierungen zu geben, seien die einzelnen Ansätze in einer Übersicht zusammengefaßt. Genauer soll a n den entsprechenden Stellen auf jeden Ansatz eingegangen werden.
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Euripides
und den Euripides in anderer Form in Y. 1002ff.erwähnt—die Parallele der Stellen war für Dieterich Beweis genug, daß Euripides dem Mythos gefolgt sei —, zeigt durch seinen Namen bereits, daß er nicht in Schlaf versenkt, sondern im Gegenteil den Wahnsinnigen unmittelbar zur Besinnung zurückbringt 1 . Wenn auch Pausanias berichtet, daß Herakles in den Schlaf gesunken sei, so wird sich die Verknüpfung dieses Motivs mit dem Steinmotiv erst später in Anlehnung an die euripidische Version herausgebildet haben 2 . Mit Einführung des Schlafmotivs ist also genau das Gegenteil von dem geschehen, was Dieterich annahm: Euripides hat den Mythos, den er verwandte, nicht in der ursprünglichen Form übernommen, sondern ergänzt, also abgeändert. Für die Frage der Abhängigkeit bedeutet das, daß der Schlaf in der voreuripideischen Form der Sage, soweit uns bekannt, nicht überliefert war. Beide, Sophokles und Euripides, mußten selbständig nach diesem Motiv greifen, um es — jeder in seiner Art — dramatisch fruchtbar zu machen 3 . Zur Frage des πρέσβυς (Trach. 974) als Begleiter des schlafenden Herakles, in dem Dieterich (S. 52f.) eine Nachbildung des Amphitryon aus dem euripideischen Herakles sah, ist das Nötige von Stephany (S. 46f.) und Petersen (S. 46) gesagt worden 4 . Der Alte ist bei Sophokles dramatisch notwendig 6 . Einmal mußte der schlafende Herakles von irgend jemandem auf die Bühne® gebracht werden, zum andern um 445 443/2 vor 440 440 438—431 437—432 vor 431 um 430 430/29 zw. OT und El. 422/21 422—415 420—410 419—410 407/6 1
Hommel, N J b b 3, 1940, S. 289 Anm. 80 Zielinski, Bergk (Gr. Lit. 3, 398), Joerden, Hinterszen. Raum usw. S. 162ff. Reinhardt und, im Anschluß an ihn, Kirkwood S. 289—294 Petersen (S. 615) Heinz, Schadewaldt (Herrn. 80, 1952, S. 66, jetzt Hellas und Hesperien S. 334) Whitman S. 55 Webster Radermacher, Pohlenz, 2. Bd. S. 86, Luisa Sirchia, Dioniso 21, 1958, 59—73, bes. 67 (Nähe zum OT) Stephany (S. 93ff.) Camerer (S. 65ff.), Blumenthal (S. 181ff.) Dieterich (S. 64) U. v. Wilamowitz T. v. Wilamowitz (S. 98), Schmid (I 2, 375), Jebb Tr. Χ Χ Ι Ι Ϊ Earle, TAPhA 33, 1902, S. 14 Perrotta (S. 544).
Vgl. Radermacher, Rh. Mus. 67, 1912, 139ff. Vgl. Pöschl, 1. Teil S. 17. Vgl. schon Zielinski S. 629 „Ein Stein gegen die Brust geworfen ist ein sonderbares Schlafmittel", zum ganzen Komplex besonders Stephany S. 48ff. und Heinz S. 289f., Whitman S. 47 schließt eich Zielinski an. 4 Vgl. auch Luisa Sirchia, Dioniso 21, 1958, 67. 5 Dies erkennt gegen Dieterich auch bereits T. v. Wilamowitz S. 91 an. 6 Zum Aufbau der Bühne, bes. zu der umstrittenen Frage, ob die Bühne im griechischen Theater auf einem Podest über der Orchestra oder auf gleichem 2 3
Euripides Herakles
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mußte diese Begleitperson dem auf der Bühne wartenden Hyllos anstelle des schlafenden Herakles Rede und Antwort stehen, besonders ihm erst einmal sagen, daß Herakles nicht tot ist, sondern nur schläft1. Diese Aufklärung über den Zustand des Schlafenden braucht bei Euripides durch Amphitryon nicht mehr gemacht zu werden, nachdem sie bereits in V. 1005 gegeben war. Welch völlig andere Funktion er gegenüber dem Alten hat, wird unten deutlich werden. Schon daraus wird sich zeigen, daß der Alte und Amphitryon nicht mehr als die nahezu gleichlautenden Einleitungsworte gemeinsam haben (Trach. 974, Eur. Her. 1042). Ergab weder die Behandlung der Sage bei Euripides noch die Einführung des Alten bei Sophokles ein gültiges Kriterium für die Frage der Abhängigkeit, so schafft ein Blick auf die verschiedenartige Funktion der Szene im Aufbau der Dramen über die von der Forschung bisher ermittelten Ergebnisse hinaus die gewünschte Klarheit2. Bei Euripides ist das Erwachen ein Übergang aus dem Wahnsinn in eine abrupt eintretende Ernüchterung des Helden, bei Sophokles der Beginn eines sich langsam steigernden Schmerzensausbruchs, in dessen Verlauf die Niveau mit ihr lag, jetzt sehr gut, mit einem Überblick über die Forschung, Joerden, Hinterszenischer Raum S. 1—20. Der Ausdruck „Bühne" ist in dieser Arbeit ganz im Sinne von Joerdens These verwandt, daß die Bühne auf einer Höhe mit der Orchestra lag, ohne daß deshalb in einigen Dramen eine geringe Erhöhung völlig ausgeschlossen wäre. 1 Vgl. V. 969f. die Vermutung des Chores, die V. 976—978 dramatisch ausgeführt wird. Zu V. 969 vgl. V. 806 und bereits V. 233. 2 Diesen Weg der Lösung hatte vor Reinhardt schon Petersen (S. 44ff.) gefordert und beschritten. Er hatte damit, über T. v. Wilamowitz und dessen Vorgänger hinausgehend, als erster die Dramen als Dramen zu verstehen gesucht, also nicht aufgrund angeblich sachlicher Unstimmigkeiten geurteilt, wie es, wenigstens in dieser Frage, selbst T. v. Wilamowitz (S. 92) noch getan hatte. Gegen T. v. Wilamowitz könnte man sogar, ganz in seinen Bahnen bleibend, auf Trach. 789 άπεϊπε hinweisen und darin den Schlaf gerade durch die allzu großen Schmerzen hervorgerufen sehen, so daß genau das geschähe, was er nur dem Wahnsinn zutraut. Doch soll darauf hier nicht insistiert werden, vgl. vielmehr gegen seine Art der Argumentation grundsätzlich Reinhardt S. 258. Im übrigen fällt auch Philoktet nach einem Schmerzanfall in tiefen Schlaf, vgl. Phil. 766f., wo es geradezu als Regel dargestellt wird (V. 767 βταν . . .), fortgeführt vom Chor V. 827. Daß hier umgekehrt wie in den Trachinierinnen und im Herakles erst das Leiden und dann der Schlaf dargestellt wird, liegt in der andersartigen Funktion des Schlafes begründet, die er in diesem Drama hat. — Daß die Einführung der Schlafszene bei Sophokles weder „Bühneneffekt" noch „als eingelegter Fremdkörper herauszulösen" (T. v. Wilamowitz S. 92), sondern im Gegenteil notwendig ist, hat Pohlenz (2. Bd. Erl. S. 85) gezeigt. Wie hätte Sophokles seinen Herakles anders als schlafend auf die Bühne bringen sollen? Hätte er ihn brüllend eingeführt, wäre die Steigerung vom Erwachen bis zu den ungestümen Anklagen (V. 983—1042) unmöglich gewesen. Darauf aber zielt die ganze Szene. — Gegen die Abhängigkeit des Sophokles von der Schlafszene in Eur. Her. vgl. auch Luisa Sirchia, Dioniso 21, 1958, 67. 2 7973 Schwinge, Trachinierinnen
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Euripides
körperlichen Schmerzen zu seelischen werden1, gipfelnd im Anruf des Schicksals (Trach. 1025) und des Hades (Trach. 1040). Äußerlich ist der Unterschied zwischen Pathos auf der einen, Ernüchterung auf der anderen Seite daran zu erkennen, daß bei Sophokles Herakles zunächst (Trach. 983—1042) den Kommos V. 971ff. fortführt, bei Euripides aber die Kommosform (Her. 1042ff.) verläßt und die ersten Worte nach dem Erwachen in Trimetern spricht (Her. 1089ff.). Ein Vergleich im einzelnen macht weiteres deutlich. In beiden Dramen wird vor der Schlafszene in Form eines Berichts der Zustand des Helden geschildert, in dem er sich vor dem Schlaf befunden hat, bei Sophokles V. 772ff. die Schmerzen, die ihn überfielen, nachdem er das Nessosgewand angelegt hatte, bei Euripides V. 922 ff. der Wahnsinn, in den er von Iris und Lyssa gestürzt wurde. Was darauf folgt, macht den Unterschied deutlich: bei Sophokles wird im Erwachen das im Bericht indirekt Veranschaulichte den Zuschauern ad oculos demonstriert. Der Zustand vor dem Schlaf setzt sich auf der Bühne fort: Schreien (V. 786f., 805) und Verfluchung der Ehe mit Deianeira (V. 791, 1039), jetzt zum Wunsch nach Vergeltung gesteigert2. Bei Euripides dagegen zeigt das Erwachen Herakles in einem Zustand, der dem vorherigen genau entgegengesetzt ist. War er zuvor im Wahnsinn befangen, so ist er jetzt in völliger Ernüchterung und versucht, Klarheit über die Situation zu bekommen (V. 1088ff.). Zwischen dem Bericht, der den Zuschauern vermittelt, was hinterszenisch mit dem Helden vorgegangen ist, und dem Erwachen ist in beiden Dramen eine Szene eingeschaltet, die in Gegenwart des schlafenden Herakles dem Erwachen selbst präludiert. Bei Sophokles ist es das kurze Gespräch zwischen dem Alten und Hyllos (V. 974—982), bei Euripides das zwischen dem Chor und Amphitryon (V. 1042—1087). Bei Sophokles dient es dramatisch dazu, Hyllos über den Zustand des Herakles aufzuklären. Bei Euripides aber ist die nötige Aufklärung bereits V. 1004 ff. gegeben, der Kommos zwischen dem Chor und Amphitryon erfüllt eine andere Funktion. Beide Szenen heben damit an, daß sie zu Stille und Ruhe auffordern3, bei Sophokles, damit Herakles, erst erwacht, nicht von neuem an furchtbaren Schmerzen zu leiden hat (V. 988f.), bei Euripides aber, damit er nicht, wahnsinnig, durch weitere Mordtaten neues Unheil anrichtet. Bei Sophokles bereiten diese Verse das Folgende vor; was gefürchtet wurde, tritt ein: Herakles erwacht und leidet wie vorher im 1 Vgl. Schadewaldt, Monolog S. 167 f., zur ganzen Szene vgl. Reinhardt S. 64if. 2 Vgl. V. 786 έσπατο ~ 805 σπασμοΐσιν ~ 1082 σπασμός, freilich in der dem Kommos folgenden Rhesis. 3 Trach. 974 σίγα, τέκνον ~ Her. 1042 Καδμείοι γέροντες, ού σίγα σίγα τον ΰπνω παρειμένον έάσετ' έκλαθέσθαι κακών;
Euripides Herakles
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Bericht geschildert. Bei Euripides scheinen sie nur deshalb eingeschoben, um den Kontrast von Wahn und Ernüchterung, der ohnehin schon groß genug ist, durch ein weiteres Mittel noch nuancierter hervorzuheben. Dreimal (V. 1055f., 1074ff., 1084) äußert Amphitryon die Sorge, Herakles werde nach dem Erwachen in seinen Mordtaten fortfahren. Er — und mit ihm zwangsläufig der Zuschauer — hält also nichts anderes f ü r möglich, als daß Herakles' Wahn auch nach dem Erwachen fortdauert, ja er zieht nicht einmal die gegenteilige Möglichkeit in Erwägung. Das genaue Gregenteil seiner Vermutung aber tritt ein. Herakles erwacht in völliger Ernüchterung. Wie unerwartet, kaum glaubhaft sie Amphitryon erscheint, zeigt der erste Teil der Stichomythie zwischen Herakles und Amphitryon (V. 1111-—1122). Wiederum dreimal zeigt Amphitryon, daß er Herakles immer noch f ü r im Wahn befangen hält (V. 1117, 1119, 1121). Erst als Herakles in V. 1122 ausdrücklich versichert, nichts von einem Wahn zu wissen — ού γάρ τι βακχεύσαςγε μέμνημαι φρένας—, ist auch Amphitryon überzeugt. Es folgt in derselben Stichomythie in drei weiteren Abschnitten die Aufklärung 1 . Deutlicher konnte auf den Sinn der Szene nicht aufmerksam gemacht werden: bei Euripides ist das Verhältnis von „Vorher" und „Nachher" das eines scharfen Kontrastes, bei Sophokles das einer innerlichen, notwendigen und folgerichtigen Entwicklung der einen Szene aus der anderen. Bei dem ersten verknüpft der Schlaf also zwei Zustände und ermöglicht so deren schärfere Kontrastierung, bei dem zweiten hat er teil an der dramatischen Folge der Ereignisse. Aus ihm selbst heraus entwickelt sich bereits das Nächste: die melodramatisch sich steigernden Klagen des Herakles. Reinhardt hat in seiner Interpretation (S. 66f.) daraufhingewiesen, daß die Szenenführung der Entwicklung des einen aus dem anderen f ü r Sophokles genau so typisch ist wie die Kontrastierung im „Herakles" f ü r Euripides. Der „Steigerungs- und Schwellungsszene" in den Trachinierinnen vergleicht er die in der Antigone (V. 806—882) und die im OT (V. 1307ff.), der dem Rausch kontrastierenden Ernüchterung des Herakles dieselbe Szene in den euripideischen Bakchen (V. 1168—1329). Das Motiv des Schlafes ist beiden Dichtern gemeinsam, f ü r das Drama fruchtbar gemacht hat es jeder in eigener, nur f ü r ihn typischer Weise. Eine Abhängigkeit zu erweisen, sei es in welcher Richtung, ist von der Schlafszene aus allein nicht möglich 2 . Schon 1 a) V. 1123—1129 Weglenken vom vermeintlich Schuldigen auf die Übeltaten des Herakles, b) V. 1130—1137 Du bist der Mörder deiner Kinder, c) Y. 1138 —1145 Du bist der Mörder deiner Gattin. 2 Pöschl, 1. Teil S. 18 weist darauf hin, daß schon bei Aischylos die Eumeniden auf der Bühne schlafen, erwachen und genauso in Wut geraten wie Herakles bei Sophokles. Es besteht also ebenso die Möglichkeit, daß Sophokles von dieser Szene angeregt wurde. Auf den grundsätzlichen Unterschied der Schlafszenen weist auch Conradie S. 92, vgl. auch S. 74f., hin.
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dieses Ergebnis schließt die Priorität der Trachinierinnen gegenüber dem euripideischen Herakles nicht mehr aus. Es ist aber sogar möglich, sie als wahrscheinlich zu erweisen. Ein Vergleich der Dramen in ihrem Gesamtverlauf, wie ihn Petersen (S. 44ff.) und Heinz (S. 287ff.) durchgeführt haben — er braucht hier nicht wiederholt zu werden —, bestätigt nicht nur die an dieser Szene entwickelte Eigenart eines jeden in der Szenenführung, sondern macht es aufgrund der verschiedenartigen Zeichnimg der Heraklesgestalt immerhin wahrscheinlich, daß Sophokles diese Figur als erster auf die tragische Bühne gebracht hat1. Bei ihm haftet dem Herakles noch die 1
Diese These vertritt auch Stephany S. 66ff. Heinz (S. 288, vgl. auch S. 300) gibt zwar zu, d a ß der Herakles des Sophokles vor dem im D r a m a des Euripides die tragische Bühne betrat, stellt d a n n aber, gemäß ihrer These von der Priorität der euripideischen Alkestis gegenüber den Trachinierinnen des Sophokles, f ü r das Auftreten des Herakles in der Tragödie folgende Entwicklung a u f : bei Euripides in der Alkestis t r i t t Herakles erstmalig, nur als Nebenfigur, in der Tragödie auf, bei Sophokles in den Trachinierinnen wird er zur Hauptfigur, im euripideischen Herakles d a n n mit vermenschlichten Zügen zu einer gleichwertigen tragischen Figur neben anderen. Das erscheint zunächst plausibel. W a r nämlich Herakles in der Komödie u n d im Satyrspiel eine bekannte Figur (vgl. J e b b , Trach. X X f., u n d jetzt Conradie S. 16ff.), so liegt es nahe anzunehmen, daß er erstmalig in einer Tragödie aufgetreten ist, die anstelle eines Satyrspiels aufgeführt wurde wie die Alkestis. Diese Annahme h a t aber zur Voraussetzung, daß auch im D r a m a selbst wirklich satyrspielhafte Züge zu finden sind. Obwohl weder in der Hypothesis (σατυρικώτερον steht offenbar f ü r κωμικώτερον) noch a n anderer Stelle in der Antike darauf hingewiesen wird, daß die Alkestis, anstelle eines Satyrspiels aufgeführt, dadurch auch satyresken Charakter habe (vgl.Dale X I X ) , meinen die modernen Interpreten fast ohne Ausnahme (vgl. Schmid I 3, 339), a n einigen Stellen Rudimente des Satyrspiels sehen zu müssen. I m Mittelpunkt steht die Szene, in der Herakles, sich dionysisch gebärdend, dem Diener die Philosophie des carpe diem „predigt" (V. 747ff.). Wenn hier also auch in der Gestaltung der Heraklesfigur vordergründig gewiß komische Züge zu erkennen sind (Conradie S. 24ff. weist immerhin auf die Vermischung von tragischen u n d komischen Zügen), so darf m a n doch diese Stelle nicht f ü r sich betrachten, sondern m u ß nach dem Sinn fragen, den sie im dramatischen Zusammenhang h a t . So sei auf zweierlei hingewiesen: 1. W e n n Herakles sagt (V. 781 ff.), dem Tod könne sich niemand entziehen, noch könne ihn jemand vorausberechnen oder gar vermeiden, so ist das nicht nur zu dem Diener gesagt. Die Worte gewinnen erst Profil, wenn m a n versteht, daß sie eigentlich Admet meinen, der glaubte, sein Leben retten zu können, u n d es gerade dadurch verlor. Noch deutlicher werden die Worte auf den Hintergrund der vorhergehenden Szene, dem Streit zwischen Vater u n d Sohn. Klammerten sich dort beide bis zur Peinlichkeit ans Leben, so wird ihnen hier die Sinnlosigkeit ihres Bemühens deutlich vor Augen geführt. D a m i t gewinnen die Worte des Herakles eher einen scharf ironischernsten Charakter als einen satyresk-fröhlichen. 2. Nachdem Herakles erfahren h a t (V. 821), wer eigentlich gestorben ist, ist er sofort ernüchtert. An die Stelle der ohnehin nur scheinbaren Fröhlichkeit, t r i t t jetzt bitterer Ernst. E r verwirft sein eigenes Treiben (V. 830fF.) u n d hält einen e m s t h a f t e n Monolog (V. 837ff., vgl. dazu Schadewaldt, Monolog S. 206ff.), in dem er Alkestis zu retten beschließt. Auch dieser plötzliche Umschwung läßt es fraglich erscheinen, ob das Vorhergehende ausschließlich fröhlich gemeint war. Von einer Verwandtschaft
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Ungeschlachtheit an, die aus dem Mythos bekannt war 1 . Bei Euripides dagegen ist die Gestalt der Sage in bekannter Manier vermenschlicht 2 . Nur im Wahnsinn zeigt er Herakles noch in seinem ursprünglichen ungestümen Wesen. Danach aber läßt er ihn in ruhig — logischer Gedankenführung über seine Situation Klarheit gewinnen und darauf mit Theseus gleichsam eine Diskussion ausfechten (V. 1229ff.), in deren Verlauf er zum Nachgeben gebracht wird. Dem ehemals ungestümen Wesen des Herakles wäre das unmöglich gewesen. Neben dieser verschiedenartigen Formung der Heraklesgestalt ist es bezeichnend, daß Sophokles das Ende des Helden nach der Überlieferung des oetäischen Sagenkreises formt, Euripides aber, sich deutlich von ihm distanzierend 3 , die Sage ändert, indem er Theseus einführt und so ermöglicht, daß Herakles trotz seines furchtbaren Schicksals am Leben bleibt. Die von Sophokles benutzte Version der Sage war Euripides, zumal nach dessen Behandlung in den Trachinierinnen, von zu geringer tragischer Potenz, Wahnsinn und Mord der eigenen Kinder und Gattin auf der einen und eine humanisierte Heraklesgestalt auf der anderen Seite seinem Geschmack gemäßer 4 . Die Priorität der Trachinierinnen ist damit wahrscheinlich gemacht 5 .
II. E U R I P I D E S H I P P O L Y T O S Zeitlich das nächste Drama, von dem man die Trachinierinnen abhängig sein lassen wollte, ist die 428 aufgeführte zweite Fassung des euripideischen Hippolytos. Schadewaldt 6 sieht die Verwandtschaft der beiden Dramen in den Schmerzensszenen angelegt: Trach. 983ff. und zum Satyrspiel kann also bei der Alkestis keine Bede sein (vgl. auch v. Fritz, Antike und Abdld. 5, 1956, S. 32). Sie ist eine Tragödie wie jede andere, vgl. Lesky, Tr. D., S. 158 und schon Körte, NJbb 45, 1920, 200. Auf dem richtigen Weg ist auch Weber S. 33, wenn er auch das Stück noch als „antikes Mischspiel" „älterer Art" versteht, vgl. aber seinen auf den Vergleich mit dem Satyrspiel Kyklops gestützten, völlig richtigen Hinweis darauf, daß Euripides das ausgesprochen Satyreske ohnehin nicht lag. Mehr als die Stellung innerhalb der Tetralogie hat die Alkestis mit dem Satyrspiel nicht gemein. Eine Entwicklung, wie Heinz sie annimmt, ist also aus der Gestaltung der Heraklesfigur allein nicht ableitbar. 1 Vgl. in der Vorgeschichte V. 248ff., bes. 270ff. Herakles als der ungestüme Eroberer 351 if., 459, 472ff. von seinen Trieben überwältigt, 772ff. die Rache an Lichas; 1066ff., 1107ff., Herakles will an Deianeira Rache nehmen, obwohl sie schon tot ist, 1088ff. die Aufzählung seiner Taten. 2 Vgl. Conradie S. 123ff. 3 Vgl. Wilamowitz, Herakles 1. Bd. S. 109f. 4 Vgl. den Wahnsinn der Phaidra im Hippolytos V. 198—266, und als Ganzes die Bakchen. 5 Für die Priorität der Trachinierinnen plädiert auch Whitman S. 46f. β Vgl. Monolog S. 164ff.
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Hipp. 1347ff.1, und folgert aufgrund gemeinsamer Einzelzüge2, „daß der Einfluß des Euripides bei Sophokles offensichtlich, die Annahme einer unmittelbaren Beziehung beider Lieder freilich bei dem lückenhaften Charakter des Erhaltenen kaum erweisbar, aber immerhin möglich ist". Damit rücken die Trachinierinnen jetzt hinter das Jahr 428. Da Schadewaldts Argumentation als beispielhaft stehen darf für die Art, in der man häufig Abhängigkeitsfragen im Zusammenhang mit der Trachinierinnendatierung lösen zu können meinte, sei ausführlicher auf sie eingegangen. Schadewaldt selbst gibt nicht nur einen „Unterschied in der Formgebung des Ganzen" in beiden Szenen zu, sondern weist diesen Unterschied sogar durch eine eingehende Interpretation überzeugend nach 3 . Bei Euripides ist der „irrationale Charakter des Pathos" (S. 165) bestimmend, bei Sophokles eine klargegliederte Formung und ein durchsichtiger Bau der Szene, wodurch die Massen des Pathos geordnet werden. Zu ergänzen ist, daß schon durch die strophische Gliederung der lyrischen Partie bei Sophokles eine klare Einteilung erkennbar ist: Nach den Anapästen (V. 983—1003) folgen symmetrisch gegliedert die Strophen: a, b, 5 Hexameter, a 5 Hexameter c, b, 5 Hexameter, c Die von Herakles gesprochenen Hexameter unterbrechen jeweils durch gedankliche Äußerungen die unmittelbaren Klagen, die Partie im Ganzen wird geteilt durch die im Wechsel zwischen dem Alten und Hyllos gesprochenen fünf Hexameter V. 1018—1022, ein retardierendes Moment genau in der Mitte. Es ist bezeichnend, daß der klar herausgearbeitete Unterschied der beiden Szenen von Schadewaldt nicht in den Dienst seiner oben geäußerten These der Priorität des Hippolytos gestellt wird. Indem man aber die völlig unterschiedliche Akzentuierung der beiden Dichter nachweist, zeigt man bereits, daß zwar wiederum ein gemeinsames Motiv vorlag, dieses aber in der jedem Dichter typischen Weise ausgestaltet wurde 4 . Abhängigkeit des einen vom anderen anzunehmen, heißt dann aber die Dichter mißverstehen. 1 So schon Dieterich S. 67, Kalkmann, De Hipp. Eur. S. 9f. und Kiefer, Körperlicher Schmerz S. 20ff., der sich Dieterichs Thesen in allen Punkten anschließt und sie nur weiter ausführt. 2 Vgl. Monolog S. 165 Anm. 1. 3 Daß man bei Beachtung der Unterschiede nicht, wie Kiefer, Körperlicher Schmerz S. 29 es tut, von einem „ungeheueren Fortschritt in der Realistik der Schmerzensdarstellung, der in dieser Szene der Trachinierinnen gegenüber dem Hippolytos liegt", zu sprechen braucht, hat Schadewaldt deutlich gezeigt. 4 Vgl. Schadewaldt, Monolog S. 170.
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Ein Blick auf die „vielen gemeinsamen Einzelzüge" zeigt noch genauer, wie unbegründet die These der Priorität des Hippolytos ist. Ist nämlich das Motiv — Darstellung eines von Schmerzen geplagten Menschen — als gegeben anerkannt, so kann man sehen, daß alle parallelen Einzelzüge durch eben dieses Motiv mitbegründet und nicht spezielle Erfindungen des Dichters sind. Wären solche vorhanden, wäre eine Abhängigkeit als wahrscheinlich zu erweisen. Daß fast alle Einzelzüge ebenso auch in der Schmerzensszene des sophokleischen Philoktet (Phil. 730ff.) vorkommen, ist Beweis genug, daß diese Szene topologisch verwandt wurde 1 : 1. Anruf der Götter: Hipp. 1363, Trach. 983, 995, 1031, Phil. 736. 2. Wunsch des Todes: Hipp. 1373, 1387, Trach. 1040, Phil. 747f., bes. 797. 3. Beschreibung der Schmerzen: Hipp. 1351, 1371, Trach. 987, 1026, Phil. 743f., 783, bes. Phil. 745 = Trach. 987. 4. Äußerungen zum Gefolge, bei Philoktet zu Neoptolemos: Hipp. 1358, 1372, Trach. 1004, 1024, 1031, Phil. 816. 5. Ruf und Verfluchung dessen, der das Leid verschuldete: Hipp. 1355, Fluch des Vaters 1378, Trach. 993ff., Verfluchung der Gattin 1039, Phil. Verfluchung der Atriden 793f. 6. Im Mißverhältnis des Zustandes vor und nach der Katastrophe beruht der Sinn der sophokleischen Tragödie überhaupt. Äußerungen, die sich auf dieses Mißverhältnis beziehen, sind nichts Abnormes, zumal wenn sie in einer Schmerzensszene, der Nachwirkung der Katastrophe, gemacht werden 2 . Im Ganzen ist damit nachgewiesen, daß sich aufgrund gemeinsamer Einzelzüge die Frage der Abhängigkeit nicht entscheiden läßt 3 . Wir können kaum umhin anzunehmen, daß Schadewaldts These auf einer petitio principii beruht. Daß wir mit dieser Annahme recht haben, bestätigt er uns selbst (S. 165 Anm. 2): „Von den Beziehungen zu der Schlafszene des euripideischen Herakles, die nach Dieterichs Nachweis 1 Zum Gesamtkomplex vgl. Kiefer, Körperlicher Schmerz S. 16ff., der eingehende Interpretationen gibt. Daß die Schmerzensszene im Philoktet in Trimetern, die in den Trachinierinnen und Hippolytos in lyrischen Partien dargestellt sind, soll nicht übersehen werden. Im Philoktet ist durch diese Form des mehr alltäglichen Gesprächs aber nur ein größerer Realismus und mit ihm eine größere Verdeutlichung des Pathos ermöglicht. Andere Folgen ergeben sich nicht. 2 Vgl. neben Trach. und Hipp. Aias 437 ff. Auf die topologische Verwendung von Schmerzensszenen weist auch die beinahe wörtliche Übereinstimmung des Einganges zweier solcher Szenen: Hipp. 1347f. = OT 1307, vgl. auch Eur. Med. 96. 3 Vgl. auch Pohlenz, 2. Bd. Erl. S. 87.
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trotz neuerer und neuester Einwände für die Priorität des Herakles bestimmend bleiben . . . " Glaubt man an die Priorität des euripideischen Herakles, so ist die des Hippolytos die notwendige Folge. Daß wir die Annahme zum Urteil erheben dürfen, gestattet uns wiederum Schadewaldt selbst in seiner letzten Stellungnahme 1 , in der er Sophokles „nun doch durch Euripides (Alkestis) angeregt sein läßt, wenn auch nicht erst in den zwanziger Jahren". Er sagt dort (S. 66 Anm. 2): „Daß man mit euripideischen Anregungen bei Sophokles meist erst in der späten Zeit gerechnet hat, beruht auf reiner petitio principii." Im Gegensatz zu Schadewaldt sucht Stephany (S. llOff.) die Priorität der Trachinierinnen gegenüber dem Hippolytos nachzuweisen. Von seinen Argumenten — zweiteiliger Bau beider Dramen, parallele Verse Trach. 1008 = Hipp. 1374 (S. 113) — scheint das im Anschluß an Kalkmann 2 vorgetragene das einleuchtendste zu sein3. Der Hippolytos (V. 545ff.) zeigt in einer Chorpartie die Sagenversion über das Schicksal Oichalias und Ioles, wie sie Sophokles zur Grundlage seiner Trachinierinnen machte. Die Übernahme aus Sophokles liegt nahe, da die Sage in dieser Form bei Sophokles weit ausgeführt, bei Euripides dagegen nur in wenigen Versen angedeutet ist. Ist es jedoch auch trotz dieses Arguments noch möglich, an der Priorität der Trachinierinnen zu zweifeln, so kann sie bei Behandlung der nächsten Frage als sicher erwiesen werden. III. D I E I N T R I G E Ν DB, ΑΜΕ Ν 1. Medea, Hippolytos,
Hekabe,
Andromache
Der Hippolytos gehört zu einer Gruppe von euripideischen Dramen, die auf der einen Seite das Seelenleben der Frau zu analysieren versuchen und auf der anderen — damit verknüpft — in ihrem Ablauf wesentlich von einer Intrige, einem μηχάνημα, bestimmt sind. Es sind die von Pohlenz (1. Bd. S. 247ff.) unter dem Namen „Seelendramen" zusammengefaßten Stücke Medea, Hippolytos, Hekabe, Andromache 4 , also die Dramatik der dreißiger und zwanziger Jahre 6 . Daß sie von den späten Stücken des Euripides — 1
Herrn. 80, 1952, 66, jetzt Hellas und Hesperien S. 334. Kalkmann, De Hipp. Eur. S. 9f. 3 Bei Stephany S. 116ff. 4 Die Abhängigkeit der Trach. von der euripideischen Andromache sucht G. H. Macurdy (CI. Rev. 25, 1911, 97ff.) aufgrund von parallelen Versen nachzuweisen. Vgl. dagegen Heinz S. 296 Anm. 1. 5 Zu Stheneboia und Phoinix vgl. Solmsen, Philol. 87, 1932, S. 6 Anm. 17, Lesky, Tr. D. S. 168f., Pohlenz, 2. Bd. Erl. S. 115. Beide Dramen gehören in dieselbe Zeit und sind auch den Motiven nach zur Gruppe der Seelendramen hinzuzurechnen. Zur Stheneboia allgemein jetzt B. Zühlke, Euripides' Stheneboia, Philol. 105, 1961, Iff. und 198ff. 2
Die Intrigendramen
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Elektra, Iphigenie auf Tauris, Helena, Ion, Orest —, in denen ebenfalls die Intrige die dramatisch entscheidende Rolle spielt, abzuheben sind, hat Solmsen1 gezeigt. Ist in diesen Dramen die Intrige im Wunsch nach Rettung und glücklichem Weiterleben begründet, so entspringt sie in der ersten Gruppe ausschließlich den egoistischen, rein persönlichen, von keinem göttlichen Auftrag, wie noch bei Aischylos in den Choephoren2, legitimierten Motiven der Rache und Eifersucht, wird getragen von dem von Leidenschaften erregten Agieren einer Frau. Damit rücken diese Dramen zu einer gesonderten Gruppe zusammen. Intrigenmotiv und Erosmotiv sind in ihnen miteinander verknüpft. Mit Hilfe dieser Verknüpfung soll die Seele der Frau im Drama analysiert werden. Da die Verbindung dieser Motive auch in den Trachinierinnen für den dramatischen Ablauf bestimmend zu sein scheint, rückte man sie in unmittelbare Nähe zu den euripideischen Intrigendramen der dreißiger und zwanziger Jahre3. Solmsen gesteht 1
Vgl. Philol. 87, 1932, S. 8f. Vgl. dazu Solmsen S. 4f., der die genauen Stellen angibt. 3 Bes. F . Solmsen, Zur Gestaltung des Intriguenmotivs, Philol. 87, 1932, Iff. I. Errandonea, Mnemosyne 55, 1927, 145ff. stellt Deianeira sogar in eine Reihe mit Klytaimestra aus dem Agamemnon des Aischylos, Hermione aus der euripideischen Andromache u n d der euripideischen Medea u n d läßt sie nicht nur Lichas, sondern auch den Chor täuschen. Nur der Zuschauer, der sie als ΔΗΙΑ Ν Ε Ι Ρ Α kennt, durchschaut sie. Eine nur aus List agierende Deianeira können wir dem D r a m a nicht entnehmen. Neuerdings zeigt Errandonea, E l „ P r o b l e m a " de las Traquinias, mit Hinweis auf Plut. Per. 24,9 u n d Mor. (de plac. Phil.) 881 D, daß Deianeira nicht nur im Mythos vor Sophokles die wilde Rächerin war, sondern auch später noch als solche neben Klytaimestra und Medea nahezu sprichwörtlich figurieren konnte. W a r diese Ansicht auch vorher schon oft geäußert worden (vgl. Stoessl S. 27ff., früher J e b b , Trach. X X I u n d Stephany S. 131f.), so ist sie jetzt, gegen den allerdings früher vorgebrachten Einspruch Leskys, Tr. D. S. 117, durch das Zitat der beiden Plutarchstellen endgültig gesichert. So können jetzt auch die sonst f ü r diese These zitierten Zeugnisse, die f ü r sich genommen immer nur von Deianeira allgemein, nicht aber im Zusammenhang mit Herakles sprechen, als in dieselbe Richtung weisend angesehen werden: der Name, der jeweils als H a u p t a r g u m e n t dient (vgl. auch Radermacher S. 9) u n d freilich aufgrund seiner Etymologie — Δηϊ-άνειρα = Männermordende, vgl. H . Frisk, Gr. E t . Wörtb. — auf eine willentliche Mörderin hinweist, das auf eine andere Situation bezogene Schol. Apoll. R h . 1, 1212 u n d Apoll. Bibl. 1, 64, worauf sich J e b b besonders stützt. (Daß Stoessls A n n a h m e S. 22ff., auch Archilochos habe in seiner Fassung, vgl. Dio Chrysost. 60, 1, Deianeira als willentliche Mörderin dargestellt, falsch ist, h a t Snell, Phil. 97, 1948, 400 gezeigt, vgl. auch schon Snell, Herrn. 75, 1940, 180 Anm. 5). W e n n n u n aber bei Sophokles Deianeira eine irrende, unwillentliche Mörderin ist, so m u ß m a n schließen, daß er selbst, die gängige Überlieferung korrigierend, die Deianeiragestalt in diesem Sinn umgewandelt h a t . W e n n aber dieser Schluß richtig ist, d a n n seien, so folgert Errandonea, im D r a m a Widersprüche vorhanden, die unerklärlich oder noch nicht erklärt seien u n d nur gelöst werden könnten, wenn Deianeira auch im sophokleischen D r a m a als bewußte, schuldige Mörderin aufgefaßt werde (El „Problema" S. 478). Diese Widersprüche bestehen 2
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zwar eine spezifisch sophokleische Gestaltung des Intrigenmotivs zu 1 , läßt Sophokles aufgrund dieses Motivs dann aber doch von Euripides abhängig sein. Eine kritische Berücksichtigung dieser These verlangt einen eingehenden Vergleich der entsprechenden Tragödien. Überblicken wir zunächst die Dramen als Ganzes, so zeigt sich ein erster tiefgreifender Unterschied. Bei Euripides kommen die von den einzelnen Personen inszenierten Intrigen im Ablauf des Dramas zum gesetzten Ziel. Medea plant in V. 7 84 ff. den Tod der Glauke durch die Geschenke des vergifteten Gewandes und der Krone und in V. 792 den Tod der Kinder von eigener Hand, beides schon ab V. 214 ff. erwogen und von langer Hand vorbereitet; V. 1125 stirbt Glauke, V. 1273ff. sterben die Kinder. Phaidra bereitet im Sterben, um ihren Ruhm besorgt, den Tod des Hippolytos vor (V. 728); am Ende des Dramas stirbt Hippolytos durch die Tat seines verblendeten (V. 856ff.) Vaters Theseus. Hekabe erfährt nach Polyxenas Tod (V. 518ff.) von Polymestors Mord an Polydoros (V. 681 f.), beschließt in V. 749 sofort, Rache zu nehmen, macht Agamemnon (V. 872ff.) zu ihrem Bundesgenossen und verkündet in V. 886ff. ihren Racheplan; V. 953 kommt Polymestor, V. 989 ff. wird er von Hekabe in die gestellte Falle gelockt und V. 1035 von ihr geblendet, während seine Söhne von den troischen Frauen getötet werden 2 . Im Gegensatz zu den euripideischen Dramen tritt bei Sophokles etwas völlig anderes ein als das, was Deianeira durch die Anwendung des Liebeszaubers erreichen wollte. Gerade mit dem vom Nessosgift getränkten Gewände, mit dessen Hilfe sie das Schicksal in günstige Bahnen zu lenken wünschte, zieht sie es auf sich herab. Sie tötet Herakles, den sie zu neuer Liebe erwecken wollte, und stürzt sich daraufhin selbst ins Verderben. Die so konträr entgegengesetzten Ergebnisse der angeblich gleich inszenierten Intrigenhandlungen demonstrieren die verschiedenen Tendenzen beider Dichter. Euripides benutzt die Intrige dazu, aus ihr heraus das von den Leidenschaften der Rache und Eifersucht getriebene Handeln und damit das Wesen des Menschen und sein aus ihm resultierendes Leiden zu entwickeln. Sophokles stellt in seinen Dramen in erster Linie das Mißverhältnis von menschlichem zwar zwischen den sonstigen Gestaltungen des Mythos und der des Sophokles, sie im Drama selbst vorfinden zu wollen, ist ungerechtfertigt. Umgestaltungen eines bekannten Mythos aber gab es genug auf der attischen Bühne, vgl. ζ. B. die Achilleis des Aischylos, dazu in diesem Sinn Schadewaldt, Aischylos' Achilleis, jetzt in Hellas und Hesperien S. 166ff., bes. S. 194ff. 1 Vgl. S. 17 ,,. . . Sophokles, in dessen Gestaltung Wertungen wirksam sind, während Euripides bei der Tatsache der μηχανήματα stehenbleibt." 2 Eine genaue Interpretation des Intrigenmotivs im Ablauf der einzelnen Dramen gibt Strohm, Zetemata H. 15, 1957, S. 64ff.
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Wähnen und tatsächlichem Eintreten der Ereignisse dar, das althergebrachte Problem von Schein und Wahrheit, göttlichem Wissen und menschlichem Meinen 1 . Das μηχάνημα der Deianeira — auch hier ist von μηχανασθαί, die Rede (V. 586)2 — dient allein dazu, an einem bestimmten Fall einmal mehr die Verblendung des Menschen zu exemplifizieren, nicht aber der Explikation derjenigen Leidenschaften, die aus enttäuschter Liebe erwachsen, der Rache und Eifersucht. Gerade das geschieht in den ,,Seelendramen" des Euripides. Indem bei ihm Rache und Eifersucht zum μηχανασθα'. hinzukommen, geben sie ihm das typische Gepräge und machen es zur eigentlichen Intrige. Mehr als das Grundmotiv haben die sophokleischen Trachinierinnen und die genannten euripideischen Dramen also nicht gemein 3 . Dadurch aber, daß Euripides f ü r die Intrigendramen dies Motiv gesteigert übernahm, zeigt er deutlich, daß die Trachinierinnen sein Vorbild waren, also früher anzusetzen sind als seine Dramatik der zwanziger und dreißiger Jahre. Das kann durch Einzelnes verdeutlicht werden. Deianeira handelt weder aus Rache, noch denkt sie überhaupt daran, daß das Nessoshemd Herakles schaden könnte. Das zeigt ihre Rede V. 531 ff., in der sie mitteilt, sie wolle Herakles das Gewand übersenden. Sie ist sich nicht nur nicht bewußt, durch einen Liebeszauber etwas an sich Böses zu tun 4 , sondern betont ausdrücklich, daß sie als γυνή νοϋν έχουσα genau das Gegenteil intendiert. An drei Stellen (V. 543, 552, 582f. 5 ) die Darlegung ihres Planes unterbrechend sagt sie, daß sie selbst frei von Haß und Zorn sei und ihr Handeln in keiner Weise einer Rache gleichkomme. Beides wird ihr später wiederum dreimal im Gespräch zwischen Herakles und Hyllos bezeugt (V. 1123, 1136, 1139)®. Genau das aber, was Deianeira verwirft und als ihr wesensfremd von 1 Vgl. im ganzen dazu H. Diller, Göttliches und menschliches Wissen bei Sophokles, Kiel 1950. 2 Daß es an dieser Stelle jedoch nicht auf die Art des Spiels geht, sondern auf die Verwendung des Liebeszaubers, zeigt auch Reinhardt S. 254. 3 Für eine Trennung ist auch Whitman S. 48, ebenso wendet sich Conradie S. 81f. gegen die Annahme euripideischen Einflusses in diesem Punkt. 4 Zu den schwierigen Versen 596f. vgl. Heinz S. 291 f. 5 In Trach. V. 582—586 sah Earle, TAPhA 33, 1902, S. 18 seiner These von der Priorität der Medea treu bleibend eine Kritik des Sophokles an Euripides. Derartiges Konstruieren von unbeweisbaren Abhängigkeiten entgegen jeglicher offensichtlicher, geistiger Entwicklung fand bereits in der ihm folgenden Forschung keine Berücksichtigung mehr. 6 Die Annahme, daß Deianeira aus denselben egoistischen Motiven handele, wie sie für Euripides' Gestalten typisch sind (vgl. Solmsen S. 11), ist damit widerlegt. Wenn sie auch mit ihrem Handeln sich neben Iole behaupten will, so tut sie doch alles viel zu unbewußt, als daß man ihre Motive mit denen der euripideischen Gestalten gleichsetzen könnte. Gegen einen solchen Zusammenhang vgl. auch Lesky, Sophokles und das Humane, Alman. Akad. Wiss., Wien 1951, S. 233.
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sich weist, ist für die euripideischen Helden charakteristisch und bildet die einzige Triebfeder ihres Handelns: οργή, τόλμα, νόσος1. 2. Medea Ein besonderer Vergleich mit der Medea, dem ersten Drama der genannten Gruppe, bestätigt das Gefundene und zeigt den Unterschied in schärferer Nuancierung. Fragen wir nach dem Inhalt dieses Dramas, so sehen wir, daß er allein darin besteht, das Inszenieren der Intrige gegen Glauke und Iason, den Medea in den eigenen Kindern am tiefsten zu treffen meint, in allen Wendungen vorzuführen. Im Zentrum stehen die drei großen Monologe der Medea: V. 214 und 364ff.; 1019ff.; 1236ff. 2 , in denen Medea, die vor ihr stehende Rache in ihrer Seele auskämpfend, sich zur endgültigen Entscheidung durchringt. Die Rache an Glauke zwar wird •— zunächst verbunden mit Leidensäußerungen (V. 16ff., 160ff., 255ff.), dann für sich allein (V. 364ff. und 783ff.) — kalt geplant und nach der Täuschung des Iason (V. 869ff.) ebenso kalt ausgeführt. Zum Problem aber wird Medea die Rache an Iason. Sie auszuführen nämlich heißt, die eigenen Kinder morden (V. 791 ff., bes. 794, 803, 817, und nach dem Mord 1360, 1370 δήξεται wie 817 δηχθείη, 1398, und Iasons Bestätigung 1310, 1326, 1347ff., 1395, 1399ff.) 3 . Der Widerstreit also zwischen den mütterlichen Gefühlen auf der einen, dem wilden Verlangen nach Rache auf der anderen Seite —abstrakt formuliert in der Medeas Wesen umfassenden Antithese von βουλεύματα und θ-υμος (V. 1079) — läßt den langwierigen Kampf in der Seele der Heldin entstehen und wird so zum Inhalt des Dramas 4 . Die 1
Vgl. Schadewaldt, Monolog S. 204 u n d Lesky, Tr. D. S. 170, der geradezu von θυμός-Tragödien spricht. Die wichtigsten Stellen in den einzelnen D r a m e n sind folgende: in der Medea ist θυμός die bezeichnende Vokabel V. 8, 108, 271, 879, 883, 1056, 1079, daneben όργή V. 176, 447, 456, 615, 637, 870, 909 u n d τόλμα V. 394, 816, 859 (vgl. dazu Zürcher, Schweizerische Beitr. H . 2, 1947, S. 46—50). I m Hipp, dominiert das W o r t νόσος V. 40, 176, 186, 205, 269, 279, 283, 293f., 394, 405, 477, 479, 512, 597, 698, 730, 766, 1306, daneben όργή V. 438, 900, 1418 u n d τόλμα V. 663, 813, 937. I n der H e k a b e sind die Stellen geringer, τόλμα V. 333, 751, 1123, θυμός V. 299, 403, daß Hekabe aber primär aus ihrem θυμός heraus handelt u n d nicht aufgrund irgendeines Gesetzes, ist unübersehbar, vgl. Solmsen S. 4f. 2 F ü r den dramatischen Ablauf wichtig ist auch die in der Mitte stehende Rede V. 764ff., f ü r das typisch Euripideische ist sie jedoch nicht so entscheidend, weil Medea in ihr den Plan mehr nur mitteilt als seelisch d u r c h k ä m p f t . Eine eingehende Interpretation aller Reden gibt Schadewaldt, Monolog S. 189—199. 3 Diese Verse zeigen deutlich, d a ß der Kindermord ein wesentlicher Bestandteil der Rache ist u n d u n t e r keinem U m s t a n d von ihr getrennt werden darf, wie Zürcher es t u t (vgl. S. 56 u.ö.). 4 Daß dieser K a m p f von dem Moment an, in dem Medea die Rache beschloß, im Vordergrund steht, zeigen die Stellen V. 36, 90ff., 98ff., 112fif., 116ff., zwischendurch das Kindermotiv im Munde der P a r t n e r : V. 329 Kreon, V. 562, 593ff. u n d 914 Iason, V. 669ff. Aigeus, außerdem im Munde der Medea V. 490ff.,
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Ausführung der Rache selbst (V. 1273ff.) und die Reaktion des Iason (V. 1293ff.) nehmen damit verglichen einen kleinen Raum ein. Entwickelt Medea bei Euripides ihren Plan in drei langen Monologen vor dem Zuschauer, so tritt bei Sophokles Deianeira (V. 531) mit einem bereits gefaßten Entschluß auf die Bühne. Es bleibt ihr nur noch, 799ff., 899ff., u n d zusammenfassend die Rede V. 1019ff., auf die alles hinlenkt. I h r erster Teil bis V. 1039 meint vordergründig zwar den Abschied, der sich auf das Räumliche bezieht, hintergründig aber den endgültigen Abschied, der durch den Tod der Kinder eintreten wird, vgl. V. 1023 άεΐ ( = Tod) μητρός έστερημένοι u n d V. 1039 ές άλλο σχήμ* άποστάντες βίου. Als sie V. 1064ff. hört, daß Glauke stirbt, erscheint der zweite A k t der Rache, der Mord der Kinder, unausweichlich. D e n n sie waren es ja, die das Gewand überbrachten, u n d würden deshalb jetzt der Rache der Korinther anheimfallen (V. 1060f.). Diese kausale Verkettung der Racheakte ist jedoch n u r äußerlich. Der erste A k t gibt weder den Ausschlag f ü r den zweiten, noch ist Medea durch ihn ihrer Entscheidung enthoben. Sie ist nach wie vor Herrin ihres Handelns. Daß ihre Entscheidung frei u n d nicht gezwungen f ü r den Kindermord ausfällt, einzig darin liegt ihre ganze Tragik. Wie wären sonst im Monolog die Verse 1078ff. u n d vorher V. 1049 u n d 1061 (vgl. V. 782) u n d im ganzen D r a m a die Stellen zu verstehen, die auf diesen Entscheid vorausweisen? Auch nach der T a t zeigt Medea im Gegenüber mit Iason (vgl. die oben angeführten Stellen), daß der Mord ein A k t freier Entscheidimg war u n d als solcher einzig aus dem Willen resultierte, die Rache ganz bis zum E n d e hin durchzuführen. Dies gegen Strohm, Zetemata H . 15, 1957, S. 103 u n d Schadewaldt, Monolog S. 196f., der Medea vom Lauf der Ereignisse gezwungen handeln läßt u n d sie d a m i t doch gerade ihrer Tragik beraubt. Ebenso k r a n k t Zürchers ganze Interpretation (S. 43ff.) daran, daß er den Kindermord aus „ d e m Zwang der Verhältnisse" (S. 57, 59f. u.ö.) erklärt u n d Medeas Handeln einmal auf das θυμός-Motiv, das andere Mal auf das άνάγκη-Motiv (S. 61, 63) zurückführt. Auch der Kindermord aber entspringt dem θυμός, der Charakter der Medea ist einheitlich. Allgemein lehnt jetzt auch von Fritz (Antike u n d Abdld. 8, 1959, 45, vgl. überhaupt seine Ausführungen über die Interpretation der Tragiker S. 43ff. u n d schon Trag. Schuld S. 201, 236, Anm. 48), die Meinung ab, die antiken Dramatiker seien an der Einheit der Charaktere ü b e r h a u p t nicht interessiert gewesen. Das in Nachfolge des Sophoklesbuches von Tycho v. Wilamowitz auch f ü r Euripides zu erweisen, war gerade das Hauptziel der Arbeit Zürchers gewesen. Regenbogen, Randbemerkungen zur Medea des Euripides, Eranos 48, 1950, 46f. h a t t e den Mord immerhin als „Mord aus Rache und Mord aus N o t " erklärt. Aber auch das ist noch falsch. Folgerichtig m u ß er nach dieser These nämlich einen „Widerspruch" usw. zwischen V. 1058 u n d 1059ff. sehen u n d d a n n vorschlagen (S. 48), diesen Anstoß durch Streichung von V. 1058 zu beseitigen. Damit aber wäre doch wohl völlig verkannt, j a geradezu eliminiert, was f ü r Medea charakteristisch ist: das jeder Logik entbehrende Hin- u n d Herschwanken ihrer Seele. Die volle Bestätigung der von mir vorgetragenen Thesen findet sich jetzt in d e m letzten ausgezeichneten Aufsatz von Lesky, Gymn. 67, 1960, lOff., vgl. auch gegen Zürcher bes. S. 15—21, im selben Sinn vorher schon A. Lesky, Psychologie bei Euripides, Entretiens sur l'antiquitä classique, Tome VI, 1958, S. 125—168, bes. S. 139ff. I m Ganzen richtig urteilt auch Heinz S. 294 u n d — k a u m beachtet — bereits A. Körte, N J b b 45, 1920, 300f. in der Rezension von K . Heinemann, Die tragischen Gestalten der Griechen in der Weltliteratur, in: Das E r b e der Alten . . . Neue Folge H . 3 u n d 4, Leipzig 1920.
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diesen — auch innerhalb des sophokleischen Werkes typisch archaisch —- im nachholenden Bericht mitzuteilen. Die Entscheidung selbst ist ins Hinterszenische verlegt, ein Reifen des Entschlusses wird nicht vorgeführt. Planen und Verwerfen, langwieriges Diskutieren und kaltes Abwägen der möglichen Wege der Rache (Med. 376fF.), inneres Hinund Hergerissensein zwischen konträren Gefühlen (Med. 1021 if. zeigt einen viermaligen Umschwung) ist ihr so fremd, wie es f ü r Medea typisch ist. Diese Gegenüberstellung zeigt das Anliegen der beiden Dramatiker. Euripides interessierte in erster Linie das seelische Problem. Wird die Analyse dieses Problems auch in den anderen drei „Seelendramen" 1 zum Mittelpunkt erhoben, so zeigt die Medea doch besonders deutlich, wie ausschließüch es den Ablauf des ganzen Dramas bestimmt und zu welchen dramentechnischen Änderungen es deshalb führt. Erst damit, daß Euripides — erstmalig in der Medea — das seelische Problem zum Hauptanliegen des Dramas macht, erhebt er Selbstanrede und Selbstgespräch zur adäquaten Form f ü r die seelische Aussage 2 . Mit ihrer Hilfe kann er jetzt darstellen, was es vor ihm nicht gab: die menschliche Seele, die mit den einzelnen Phasen ihrer Entwicklung den Ablauf des Dramas bestimmt. Wie alles ausschließlich der Analyse des seelischen Problems dient, zeigen am deutlichsten die Verse 1078—1080. I n ihnen geht Medea in ihrem Grübeln so weit, daß sie von sich selbst abstrahiert, ihre seelische Situation als objektives Phänomen vor sich hinstellt und es analysierend auf die Formel βουλεύματα --9-υμός zurückführen kann 3 . In dieser letzten Antithese erkennt sie ihr eigenes und 1 Auch die Gegenüberstellung von Andromache und Hermione (Andr. 147ff.) und der lange Abschied der Andromache (Andr. 384ff.) dient wie der der Polyxena in der Hekabe (Hek. 177ff.) Euripides nur dazu, die seelische Situation der Frau zu zeichnen. Sophokles verzichtet darauf völlig: Deianeira geht V. 812 schweigend von der Bühne und d.h. nach V. 721 f. in den Tod. Das zeigt unübersehbar, daß die Erkenntnis bei Sophokles — wie hier, so in allen Dramen —• nicht als seelischer Vorgang gesehen wird, sondern als ein gleichsam von außen kommendes Ereignis. 2 Vgl. Schadewaldt, Monolog S. 200ff. Daß die Selbstanrede in allen drei Monologen bestimmend ist, zeigen die Stellen V. 402, 1056, 1242, 1244. Wenn auch Euripides nicht als erster die Selbstanrede schuf, (für das Epos und die archaische Lyrik vgl. Leo, Monolog S. 94ff., bei Sophokles finden sich Ansätze : Antig. 227, El. 285, Phil. 896ff., wo der seelische Umschwung nicht in seinem Verlauf, sondern als Ergebnis eines inneren Vorgangs berichtet wird, vgl. V. 906 πάλαι, 913, 966 und Schadewaldt, Monolog S. 201 ff.), zum zentralen Motiv gestaltete erst er sie aus, vgl. Snell, Entdeckung S. 174: „Echte Monologe gibt es erst seit Euripides." Im Gegensatz zu Aisch. Choe. 899, wo Orest sich in der Entscheidungsszene mit der Frage τί δράσω; an Pylades wendet, macht bei Euripides Medea die Entscheidung mit sich selbst aus, vgl. auch Zürcher S. 55 f. 3 Daß dieses Vermögen, aufgrund eines überscharfen Intellekts sich selbst analysieren zu können, — ganz modern — von Medea durchaus als Schicksal und Last empfunden wird, zeigen die Verse 298 ff.
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damit — nach Euripides — das menschliche Wesen überhaupt. Nicht die Einsicht, die Leidenschaft ist der Grund jeglichen Handelns 1 . Der Weg zu diesem Ergebnis, das die Entscheidung der Medea zusammenfaßt, ist der Weg des Dramas. Was man also von Deianeira gerade nicht sagen kann, wie Solmsen es t u t (S. 13), trifft f ü r Medea genau zu: „Das μηχάνημα wird zum Vehikel eines seelischen Prozesses." Interessiert Euripides die seelische Zwiespältigkeit, so Sophokles das verblendete, scheinverfangene Handeln. Sahen wir das schon bei der Behandlung des Intrigenmotivs allgemein, so wird es besonders deutlich, wenn wir uns jetzt klarmachen, daß auch Deianeira genau wie Medea zögert, ihren Entschluß auszuführen. Auch sie ist unruhig und äußert Bedenken, ehe sie den letzten Schritt tut. Doch die Art ihrer Unsicherheit ist anders. Sie entspringt weder einem Widerstreit der Gefühle, noch bezieht sie sich darauf, ob sie recht oder unrecht handelt, ob sie überhaupt Rache nehmen und welchen Weg sie wählen soll. Sie zögert, weil sie um die Möglichkeit weiß, mit ihrem Handeln im Schein befangen zu sein und so, den Ausgang nicht ahnend, ins Verderben zu stürzen, was sie retten will: V . 586
ε'ΐ τι μή δ ο κ ώ
1
πράσσειν μάταιον
V. 590f. ούτως έχει γ' ή πίστις, ώς τό μεν δ ο κ ε ΐ ν | ενεστι. Nicht also „das veränderte Verhältnis zu ihrem Gatten hat ihr die Sicherheit genommen" (Heinz, S. 295), sondern wie vorher schon f ü r sie als tragische Figur das Wissen um den stets möglichen Umschlag charakteristisch war (vgl. V. 72, 73, 192, bes. 296f., 303f.), so entspringt auch hier ihr Zögern eben diesem tragischen Wissen. Wie stets ahnt Deianeira Verhängnisvolles, aber sie sieht nicht, daß sie durch ihr eigenes Handeln das Schicksal erst auf sich herabzieht. Wo Medea aus seelischer Zwiespältigkeit zögert, schwankt Deianeira aus tragischem Wissen. Das Handeln danach geschieht bei Medea mit klarem Verstand, bei Deianeira im Schein. Sind die Intentionen der beiden Tragiker in dieser Weise gegeneinander abgegrenzt, so erscheint die Priorität der sophokleischen Trachinierinnen gegenüber den „Seelendramen" des Euripides als notwendiger 1
Als theoretische Äußerung zur Medeagestalt genau im gleichen Sinne vgl. Horaz ars poet. 123 sit Medea ferox. — Zu vergleichen ist die ebenfalls von sich selbst abstrahierende seelische Analyse der Phaidra (Hipp. 373ff.). Nach vorangegangenem Wahnsinn entwickelt Phaidra, von sich selbst absehend, die seelische Struktur des Menschen. Das Ergebnis ist dasselbe wie das in der Medea (vgl. bes. Hipp. 380f.): Leidenschaft triumphiert über Einsicht, (vgl. zu beiden Stellen bes. die Analyse von Snell, Philol. 97, 1948, 125ff., auch Entdeckung S. 172ff.). Zugleich wird hieran aber nun deutlich, daß es Euripides nicht um Psychologie im modernen Sinne ging. Sein eigentliches Anliegen gilt nicht der von erotischen Leidenschaften getriebenen Seele, sondern, nachdem er die vorgeprägten religiösen Denkformen seiner tragischen Vorgänger verlassen hatte, der Frage nach der Struktur der menschlichen Seele überhaupt.
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Schluß. Überblicken wir jetzt nämlich den durchgeführten Vergleich, so sehen wir an jedem Punkt, daß aus Sophokles' nur andeutender Skizzierung einzelne Motive bei Euripides ins Zentrum getreten und zum Angelpunkt der Handlung geworden sind. Was bei Sophokles — aristotelisch gesprochen — potentiell gegeben war, hob Euripides in die Aktualität und schuf sich so die Mittel, mit denen er das ihn interessierende Problem der menschlichen Seele im Ablauf eines Dramas darstellen konnte1. Zwei Punkte machen das deutlich: 1. Die Liebe der Deianeira setzte bei Sophokles die entscheidende Handlung in Gang, indem sie Deianeira zwang2, zu einem Liebeszauber zu greifen, um Herakles neu an sich zu binden. Zum bestimmenden Sujet des Dramas wird der Eros erst bei Euripides. Da ihn das seelische Problem interessierte und er es an einer vom Eros ergriffenen Frau am besten meinte fassen zu können, mußte er auf der einen Seite die Liebe zur Leidenschaft steigern — man vergleiche die gleichsam ruhige Liebe Deianeiras mit den pathologischen Zuständen der Phaidra, das fast passive Verhalten von Herakles' Gattin in der Begegnung mit Iole mit der gesteigerten Aktivität der Medea — und auf der anderen das μηχάνημα zur echten Intrige erheben : nur an ihr konnten Rache und Eifersucht, aus enttäuschter Liebe geboren, expliziert werden. Erosmotiv und Intrigenmotiv sind damit erst bei Euripides völlig verknüpft. Sind sie aber in so profilierter Weise erst einmal zum Angelpunkt eines ganzen Dramas geworden, scheint die Vorstellung schwierig, Sophokles habe sie dieses profilierten Charakters beraubt und in den Trachinierinnen dann in abgedämpfter Weise dramatisch fruchtbar gemacht3. So ist auch der Satz, daß „ohne Euripides' Vertiefung in die Seele der Frau" eine Deianeiragestalt nicht möglich gewesen wäre4, eher genau umzukehren. Eine „Seele der Frau" hat Sophokles weder gekannt noch interessiert. Wahrscheinlicher ist, daß Euripides, nachdem Eros und μηχάνημα bei Sophokles dramatisch angeklungen waren, beides aufgriff, verabsolutierte und dann daran die „Seele der Frau" exemplifizierte6. 1
Es entspricht euripideischer Manier, das einmal erkannte Problem in den Dramen der dreißiger und zwanziger Jahre gleich in sechsfacher Variation vorzuführen. Daß Steneboia und Phoinix hinzuzunehmen sind, sahen wir oben. 2 Den passiven Charakter des Handelns der Deianeira im Gegensatz zu dem der Medea hebt Heinz S. 293 richtig hervor. 3 Solmsen S. 12 muß zu einer derartigen Lösung greifen: „Das μηχάνημα ist hier entgiftet, und dies war offenbar notwendig, damit es überhaupt in die sophokleische Tragödie Eingang finden konnte." Auch für Dieterich S. 66 hat Sophokles das erotische Sujet übernommen. 4 Vgl. Pohlenz, 2. Bd. Erl. S. 87. 5 Es ist leicht einzusehen, daß im Grunde beide Punkte voneinander abhängen und eine Einheit bilden. Hier in der Betrachtung jedoch mußten sie getrennt behandelt werden, um klar genug hervorzutreten.
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2. Hatte Sophokles die Entscheidung der Deianeira ins Hinterszenische verlegt, so entwickelte Euripides sie ein ganzes Drama hindurch auf der Bühne selbst. Als er das seelische Problem zum Zentralproblem erhob, mußte er diesen Weg wählen. Im dramentechnischen Sinn war damit aber ein entscheidender Fortschritt geschehen. Die Verlagerung des Hinterszenischen in die Handlung selbst war auch bei dem späten Sophokles immer dominierender geworden1. Wurde dort aber die Handlung am Gegen- und Miteinander verschiedener Personen entwickelt, so rollt sie bei Euripides auf der Bühne selbst hier erstmalig im seelischen Für und Wider einer einzelnen Person allein ab. Dieser Fortschritt scheint uns unverkennbar zu sein2 und die Prioritätsfrage zugunsten der Trachinierinnen einwandfrei zu lösen. Ein weiterer, mehr äußerlicher Punkt kommt hinzu. Sowohl Deianeira (V. 580) als auch Medea (Med. 786) bedienen sich eines giftgetränkten Gewandes, um ihre Absichten durchzusetzen3. Euripides aber fügt noch eine Krone hinzu (Y. 786, 949, 1065, 1160, 1186ff.). Gewand und Kranz zusammen sollen die Rache an Glauke vollenden. Was wir bisher sahen, bestätigt sich durch eine leicht übersehbare Äußerlichkeit. Euripides übernahm das Gewandmotiv aus den Trachinierinnen, wo es durch die Sage vorgeschrieben war, und fügte ihm, das Übernommene in typischer Weise übersteigernd, die Krone hinzu4. Daß dann nicht nur Glauke, sondern auch ihr Vater Kreon durch die Geschenke vernichtet wird (V. 1204ff.), liegt in derselben Linie5. Der 1 Dies scheint Eicken-Iselin, I n t e r p r . u n d Unters, zum A u f b a u der soph. Rheseis, Diss. Basel 1942, S. 112 Anm. 3, zu verkennen. Deshalb k a n n sie den dramentechnischen Fortschritt von Trachinierinnen über Sophokles' Spätwerk zu Euripides' Medea auch nicht chronologisch auswerten. Daß das Fehlen des Seelenkampfes f ü r Sophokles ü b e r h a u p t charakteristisch ist, betont sie zu recht. 2 Vgl. bes. Reinhardt S. 255, der Ai. u n d Trach. u . a . deshalb zusammenrückt, weil sie ein Reifen der Entschlüsse nicht kennen, u n d sie aus diesem Grunde beide vor die Medea setzt. 3 Mit dem Hinweis darauf, daß die Wirkimg des Giftes bei Sophokles auf dreierlei Weise — Deianeiras (V. 680ff.) und Hyllos' (V. 749ff.) Bericht u n d Herakles' Auftreten (V. 983ff.) — illustriert wird, bei Euripides (Med. 1136ff.) aber nur einmal durch einen Botenbericht, stützt Stephany S. 132f. seine These der Priorität der Medea. I n der Medea ist der einzelne Bericht möglich, weil Medea u m die Wirkung des Giftes weiß. Deianeira aber muß erst langsam zur Erkenntnis kommen. Der Unterschied also ist im Dramenganzen begründet. *• So schon Zielinski, Philol. 55, 1896, S. 625. Die gegenteilige Ansicht vertritt T. v. Wilamowitz S. 95 Anm. 2. Wird jedoch eine Motivübernahme durch Übersteigerung so genau gekennzeichnet, wird m a n mit Argumenten wie „ K o n n t e nicht vielleicht Euripides das auch allein sich ausdenken . . . " wenig ausrichten können, zumal das Gewand f ü r Sophokles im Mythos überliefert war, f ü r Euripides aber nicht, vgl. Schol. Med. 273 u n d dazu Zielinski S. 625 mit Anm. 8. 5 Mit der Annahme, auch darin sei Euripides von Sophokles (Trach. 797f.) angeregt, geht Zielinski S. 625 zu weit. Einen Grund, „dies wiederum gerade umkehren" zu müssen (vgl. T. v. Wilamowitz S. 95 Anm. 2), sehe ich nicht.
3 7973 Schwinge, Trachinierinnen
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Bericht über den Untergang (V. 1156ff.) von beiden erinnert an den des Hyllos (V. 749ff.) über das Leiden des Herakles, übertrifft die sophokleische Darstellung aber wiederum in der drastischen Ausmalung der Leiden bei weitem. Nimmt man dies zum bisher Gesagten hinzu, so scheint die Priorität der Trachinierinnen gegenüber den euripideischen „Seelendramen" wahrscheinlich und 431 \ das Aufführungsjahr der Medea, als terminus ante quem für die Trachinierinnen die notwendige Folge zu sein.
IV. P R O L O G U N D E I N G A N G Der Prolog der Trachinierinnen scheint als einziger in den sophokleischen Dramen von der sonst üblichen Form der Prologtechnik des Sophokles abzuweichen und sich aufgrund des Anfangsmonologs der Deianeira an euripideische Vorlagen anzulehnen. Der vielfach gemachte Versuch 2 , aus diesem Grunde eine Abhängigkeit des Sophokles von Euripides anzunehmen, ist jedoch aus zwei Gründen nicht gerechtfertigt. 1. Nestle 3 hat aufgrund der entsprechenden Aristotelesstellen und der in den Sophoklesscholien auffallenden Polemik gegen die Prologtechnik des Euripides nachgewiesen4, daß die Urform der Exposition der monologische Prolog war, die undramatische Rede an den Zuschauer, in der das für das Verständnis des Dramas nötige Vorwissen mitgeteilt wird 5 . Aischylos und Sophokles hatten, in der Tendenz, diese Form zu überwinden, den Prolog in den Gang der Handlung mit einbezogen. Sie gaben die Exposition damit bereits im dramatischen Gegeneinander einzelner Personen, also gleichsam versteckt. Besonders Sophokles rühmen die Scholien in dieser Technik zwar eine bewundernswerte οικονομία nach®, völlig vermochte jedoch auch er nicht, sich von der Zweckform des alten Prologs zu entfernen 7 . Euripides greift 1
Gegen die von Pohlenz, 2. Bd. Erl. S. 87 vorsichtig vorgetragene Annahme der Priorität der Medea aufgrund der wörtlichen Anklänge Trach. 383 f. = Med. 83f. vgl. Heinz S. 295 Anm. 2. 2 Vgl. Leo, Monolog S. 14, Dieterich S. 66, gemäßigt auch Pohlenz, 2. Bd. Erl. S. 88 und Whitman S. 48. 3 Vgl. zum folgenden im ganzen sein Buch: Die Struktur des Eingangs in der attischen Tragödie, Tüb. Beitr. H. 10, 1930. Die gleichen Folgerungen wie Nestle hatte vorher schon Lesky gezogen.: Mitt. d. Vereins Kl. Philol. III (1926) p. VIII u. Wiener St. 47 (1929) insbes. S. 9ff. Zustimmend Körte, Ph. W. 1928, 1297 ff. 4 Vgl. bes. S. 6—13. 5 Vgl. auch Radermacher S. 37 und jetzt, sehr instruktiv, Heinz Schreckenberg, ΔΡΑΜΑ, Diss. Münster 1960, 111—122. « Vgl. Nestle S. 11. 7 Vgl. Nestle S. 122.
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im Gegensatz zu seinen Vorgängern wie in anderen Punkten 1 so auch hier auf die alte Technik zurück und benutzt den Prolog im Laufe seines Schaffens immer ausschließlicher dazu, den Zuschauer über den Gang der Handlung im voraus aufzuklären. Die Exposition steht bei ihm außerhalb des dramatischen Gefüges 2 . Wenn Sophokles nun in denTrachinierinnen den Prolog in dieser scheinbar euripideischen Manier beginnen läßt, so genügt zur Erklärung, daß dies die ursprüngliche Form der Exposition war. Sophokles kann genau wie Euripides auf sie zurückgegriffen haben. 2. Darüber hinaus aber Hegen f ü r ein nicht nur vordergründiges Betrachten die Unterschiede klar auf der Hand. Auch der scheinbar „euripideische" Trachinierinnenprolog unterscheidet sich als Prolog selbst schon von der Technik des Euripides 3 . Während nämlich Euripides im Verlauf seines Schaffens immer mehr dahin tendierte, die Prologreden unter Verzicht auf Ethos und Pathos, Motivierung und dramatischen Einbezug des Prologredners zur reinen Erzählung auszugestalten, ist der Trachinierinnenprolog eminent dramatisch 4 , schafft Voraussetzungen f ü r das weitere Geschehen und führt, ins Drama einbezogen, bereits selbst mitten in die Handlung hinein. Deianeiras Vorstellung geschieht, indem sie in straffer Konzentration ihre Leiden zeigt 5 . Sie analysiert nicht wie die euripideischen Prologredner, sondern reflektiert bereits im Prolog über ihre eigene Situation. Die Bezeichnung des Ortes •— ein typischer Prologtopos — gestaltet sie zu einem weiteren Argument f ü r ihr Unglück. Das Bild, das sie auf diese Weise von ihrem Schicksal zeichnet, wird das ganze Drama hindurch bestimmend sein. Ihren Namen nennt nicht sie selbst, sondern erst die ihr gegenübertretende Amme (V. 49). Ebenso sind die Aussendung des Hyllos und das Auftreten der Amme 6 mit dem Ganzen der Handlung 1 Vgl. die Bakchen: Dionysos hält in der Rolle des alten Exarchon den Prolog, vgl. Nestle S. 18 und 69. 2 Inwieweit diese Entwicklung, die erst bei Euripides zum Archaischen zurücklenkt, mit der verschiedenen Auffassung der Tragiker von der Handlung, dem „Drama", und dem Tragischen, der „Weltanschauung", zusammenhängt, kann hier leider nicht untersucht werden. Ansätze dazu finden sich bei Nestle S. lOOff. und Jens, Einleitung zu Euripides X I I ff. und jetzt Nachwort zu Euripides, Die Bakchen, Hippolytos, in: „Die Fischerbibliothek der hundert Bücher", Bd. 14, Frankfurt, Oktober 1960, S. 129ff. Form des Prologs und deus ex machin e entspringen bei Euripides einer Wurzel. Durch Distanzierung am Anfang und Offenlassen der Probleme am Ende — der deus ex machina ist eine Scheinlösung, zu dieser Frage s. u. S. 51 — soll im Zuschauer das Nachdenken über eben diese Probleme provoziert werden. 3 Vgl. Nestle S. 51: „Daß Sophokles sich tatsächlich um die Umgestaltung der erzählenden Prologreden bemühte, zeigt nichts so deutlich, als das Experiment der Trachinierinnen, wo trotz scheinbarer Ähnlichkeit gerade ihre Hauptmerkmale verschieden sind." 4 5 Vgl. Nestle S. 31 Anm. 1 und S. 123. Vgl. Nestle S. 6ff. β Vgl. dagegen die nur exponierende Funktion der Amme im Prolog der euripideischen Medea. Dort tritt die Amme im Verlauf des Dramas nicht wieder auf. 3·
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verknüpft: das erste ist die Voraussetzung für Hyllos' Bericht V.734ff., das zweite die für die Darstellung des Todes der Deianeira V. 87Iff. Hinzu kommt, daß Deianeira bereits im Prolog (V. 46 und 79ff.) das Orakel erwähnt, das im weiteren Verlauf des Dramas von entscheidender Bedeutung sein wird 1 . Auch der zweite, wohl frühere Anfangsmonolog im sophokleischen Werk, der der Ichneutai 2 , zeigt denselben Unterschied. Auch dort bereitet die Prologrede die weitere Handlung vor. Apoll ruft Götter und Menschen auf, den Rinderdiebstahl klären zu helfen. Der Monolog verfolgt einen deutlichen Zweck, ist also dramatisch und nicht im euripideischen Sinne erzählend. In der Prologform kann also kein Hinweis auf die zeitliche Einordnung der Trachinierinnen gesehen werden. Um von der Form des Eingangs aus das Verhältnis der Trachinierinnen zu den Dramen des Euripides zu klären, untersuchte man bisher in den einzelnen Tragödien stets nur die Prologe für sich, von den folgenden Teilen des Dramas getrennt. Analysiert man aber darüber hinaus die Tragödieneingänge auch im Hinblick auf die folgenden Teile, so sieht man, daß eine Abhängigkeit des Euripides von Sophokles, den Eingang betreffend, wahrscheinlicher ist als umgekehrt. Nestle definiert (p. VII) den Eingang der Tragödie als den Teil des Dramas, der sich vom „Anfang bis zur Parodos einschließlich" erstreckt. Gerade ein Vergleich der Trachinierinnen mit den Dramen des Euripides aber zeigt, daß der Eingang über die Parodos hinaus wenigstens den Beginn des ersten Epeisodions mit umfaßt, daß also die Definition Nestles nur einen Teil, nicht aber das Ganze trifft 3 . Wir betrachten zunächst die Trachinierinnen 4 . Unter dem Aspekt der dramatischen Verknüpfung der Eingangsteile ergibt sich für sie folgendes: 1
Weitere Unterschiede zur euripideischen Prologtechnik entwickeln Reinhardt S. 45 und 252f., Heinz S. 284ff., zum Ganzen vgl. auch Zielinski S. 521ff. und Conradie S. 81. 2 Vgl. E. Siegmann, Untersuchungen zu Sophokles' Ichneutai, Diss. Hamburg 1941 ( = Hamburger Arbeiten zur Altertumswissenschaft Bd. 3), S. 28f. Dort wird auch gezeigt, daß die Diktyulkoi des Aischylos ebenfalls einen in ganz ähnlicher Weise ins Drama einführenden Anfangsmonolog hatten. Daß es überhaupt erlaubt sei, ein Satyrspiel zum Vergleich heranzuziehen, stößt dennoch oft auf Widerspruch. Einmal aber wird die Form des Satyrspiels sicher noch mehr als die Komödie, besonders die Nea, durch das Vorbild der Tragödie bestimmt gewesen sein (vgl. Nestle S. 97), zum andern wissen wir vom Satyrspiel zu wenig, um sagen zu können, wie weit seine eigenen Gesetze reichen. Den Vergleich führen ebenso durch Radermacher S. 37 und Reinhardt S. 253. 3 In den folgenden Ausführungen stütze ich mich ganz auf die Ergebnisse in der Arbeit von Kjeld Matthiessen, Aufbau und Datierung der „Elektra", der „Taurischen Iphigenie" und der „Helena" des Euripides, Diss. Hamburg 1961, (masch.) S. 12—15. 4 Inwieweit der Einbezug des 1. Epeisodion in den Eingangsteil überhaupt Korrekturen an den Ausführungen Nestles nötig macht, kann hier nicht ausgeführt werden.
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Deianeira hält zu Beginn einen von euripideischer Manier innerlich verschiedenen Monolog, der ins Drama hineinführt. Vor der Parodos folgen zwei Szenen, verbunden durch einen Zwischendialog, während der Parodos ist Deianeira stumm, befindet sich aber weiterhin auf der Bühne 1 : Der Chor spricht (V. 104) von ihr in der dritten Person, V. 122 redet er sie direkt an. Im Prolog standen die Leidensäußerungen der Deianeira im Vordergrund. Auch den Inhalt der Parodos bildet die augenblickliche, vom Leiden bestimmte Lage der Heldin. Der Chor drückt sein Mitleid aus und führt so bereits aus dem Prolog bekannte Motive fort: V. 65f. = στρ α Wo ist Herakles? V. 27-—30, 49—51 = στρ α' Leiden der Deianeira V. 31 ff., 55 = στρ β Ruhelosigkeit des Herakles. Das erste Epeisodion setzt damit ein, daß Deianeira (V. 141 ff.) mit einer Rhesis in der Schilderung der Leiden fortfährt, also bereits Bekanntes abermals neu wiederholt und es lediglich steigert, indem sie die schon erwähnten (V. 47, 79ff.) Orakel genauer erklärt (V. 157ff.). Erst mit dem Auftreten des Angelos (V. 180ff.) beginnt die eigentliche Handlung. Die dramatische Kontinuität des Eingangs, vom Prolog bis ins erste Epeisodion hinein, ist also in doppelter Weise gewahrt. Einmal dadurch, daß Deianeira die ganze Zeit auf der Bühne bleibt, zum andern dadurch, daß der Inhalt aller drei Teile das Leiden der Heldin ist, das in dreifacher Wiederholung dem Zuschauer vor Augen geführt wird. Der Chor weiß in der Parodos über den Inhalt des Prologs Bescheid und führt ihn lyrisch weiter, Deianeira knüpft an den Gesang des Chores an und fügt dem Bild ihrer Leiden verschärfende Züge hinzu. Die Einheit des Eingangs ist sowohl kompositioneil als auch inhaltlich — stimmungsmäßig begründet. Betrachtet man unter demselben Aspekt die übrigen Dramen, so sieht man, daß sich diese Eingangstechnik nicht nur in den Spät1
T. v. Wilamowitz' Annahme (S. 125), Deianeira verlasse am Ende des Prologs die Bühne und betrete sie erst wieder während des Liedes — V. 141 könnte sie nicht sprechen, wenn sie V. 103 gehört hätte —, ist nicht gerechtfertigt. 1. bezieht sich dasoiv in V. 122 gerade auf die Verse 103—121, Deianeira muß sie also gehört haben, da sie V. 122 ja angeredet wird. 2. heißt άπεικάζω (V. 141, Herrn, coni. έπεικάζω) nicht vage vermuten, erraten, sondern aus einem vorliegenden Merkmal entnehmen, ersehen, vgl. OT 82, OC 16, 152, Trach. 1220 und auchThuk. 1,10 είκάζεσθαι άπό της φανερας δψεως. Diese Stellen zeigen, daß auch bei Sophokles ώς άπ(έπ)εικάζειν formelhaft vorkommt, vgl. auch noch Eur. Her. 713, Or. 1298 und Bakch. 1078. Deianeira muß also auf der Bühne geblieben sein, um V. 141 sprechen zu können; vgl. so auch Nestle S. 59, 88, 122 und Heinz S. 286.
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dramen Elektra und Ödipus auf Kolonos wiederholt, sondern auch in den euripideischen Dramen eindeutig vorherrscht. Eine Tabelle mag dies veranschaulichen1 (s. S. 39). Erklärung Obwohl in der Medea die Heldin während der Parodos nicht auf der Bühne ist, m u ß auch sie zu dieser Dramengruppe hinzugerechnet werden. Die Verbindungen zum Prolog sind so eng, daß ihre Abwesenheit nur äußerlich ist, die „innere" Anwesenheit aber nicht im Zweifel steht, ja sogar dramatisch notwendig ist. Mit έκλυον φωνάν (V. 131) k n ü p f t der Chor an die von Medea geschilderten (V. 96ff., l l l f f . ) Leiden an u n d läßt sich über den Grund u n d den Urheber der Klagen aufklären. Während der Chor singt, hört m a n Medea weiter ihre Klagen ausstoßen (V. 143ff.), der Chor (V. 148ff.) u n d die Amme (V. 168, Medea 160 = Amme 169) nehmen auf diese Worte Bezug. Der Chor redet sogar Medea an — die charakteristische Form, die Präsenz eines Spielers zu zeigen —, V. 150 in der dritten Person, V. 151ff. in direkter F o r m . V. 173ff. läßt der Chor Medea holen u n d leitet damit zum folgenden über. I n der Rede im Epeisodion n i m m t V. 226f. die hinterszenisch ausgestoßene Klage (V. 145) wieder auf. Die „innere" Anwesenheit während der Parodos ist unübersehbar. —· I n den D r a m e n der Bittflehenden übernimmt jeweils eine Person die Funktion der Hauptfigur, in den Herakliden ist es Iolaos, in den Hiketiden Aithra. — I m Herakles ist nicht der Titelheld selbst der Leidende, sondern durch seine Abwesenheit der Grund d a f ü r , daß andere leiden: Amphitryon u n d Megara. D a ß beide zusammen die F u n k t i o n des Helden übernehmen, zeigt die Anrede des Chors V. 115f. —• Das Satyrspiel Kyklops wird nur in formaler Hinsicht zu dieser Gruppe hinzuzurechnen sein. Die Anrede an den Chor (V. 40) vor u n d das Gebot zu schweigen (V. 82) nach der Parodos lassen auf Anwesenheit des Silens während der Parodos schließen. Zur F o r t f ü h r u n g der Motive des Prologs in der Parodos vgl. Nestle S. 98. — Zu Ion, Hypsipyle u n d Orest vgl. Matthiessen, A u f b a u u n d Datierung S. 13 Anm. 2. — Der Prometheus weist auch vom Eingang aus gesehen Besonderheiten auf, vgl. schon Nestle S. 108ff. Das läßt jedoch nicht a n seiner Echtheit zweifeln (so Nestle), sondern weist nur auf die besondere Stellung, die er bekanntlich innerhalb des aischyleischen Werkes einnimmt. Da darauf aber hier nicht eingegangen werden kann, werden wir ihn in der weiteren Diskussion nicht berücksichtigen. •— Die noch übrigen Dramen des Euripides sind folgendermaßen im Eingang gestaltet: Hipp., Phoinissen, Bakchen haben einen ablösbaren Prolog, die dramatische Einheit beginnt mit der Parodos. I n der Alkestis stehen die Teile unverbunden nebeneinander. I n der I p h . Aul. ist durch den A u f t r i t t des Alten im Prolog u n d im ersten Epeisodion die Verbindung zwischen diesen beiden Teilen gewahrt, die Parodos steht f ü r sich.
In allen in der Tabelle aufgeführten Dramen bildet der Eingang eine formale wie inhaltliche Einheit, die dramatische Kontinuität ist, genau wie in den Trachinierinnen, vom Prolog bis in das 1. Epeisodion hinein gewahrt2, formal durch die ständige Anwesenheit der Hauptgestalt 1
Die Tabelle ist mit geringfügigen Änderungen der Dissertation von K . Matthiesen, A u f b a u u n d Datierung S. 13 Anm. 1, entnommen. 2 Ausführlichere Diskussion der Modifikationen in einzelnen Dramen gegenüber den Trach. u n d genauere Charakterisierung der Eingangsform bei Matthiessen, A u f b a u u n d Datierung S. 13 f.
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auf der Bühne, inhaltlich durch die wiederholte Zeichnung ihrer augenblicklichen, schicksalhaften Situation. Könnte man vom Formalen aus in dem so gearteten Eingang lediglich eine unter anderen möglichen Formen sehen, so zeigt die inhaltliche Komponente, daß er, gerade durch diese Gestaltung, nicht nur, wie sonst, die dramatische Aufgabe der Exposition hatte, sondern zugleich auch die dichterische, durch Aufzeigen der πάθη des Helden sein ήθος vor den Augen der Zuschauer in aller Deutlichkeit erstehen zu lassen. Daß die letzte Aufgabe sogar im Vordergrund stand, zeigen zwei Punkte 1 : einmal scheute man sich nicht, über drei Abschnitte hin das Leiden der Hauptfigur auszumalen und dabei häufig zu wiederholen, was schon gesagt war — je intensiver der Zuschauer den πάθη des Helden konfrontiert wurde, um so größer war die Sympathie, die in ihm provoziert werden sollte —, zum andern wurde der Beginn der eigentlichen Handlung durch eine so ausführliche Zeichnung der πάθη beträchtlich, oft sogar bis hinter den Anfang des 1. Epeisodions, hinausgezögert. Das Ausmalen der seelischen Situation dominierte vor dem rein Faktischen, die Reaktion des Helden vor dem Fortgang des Dramas. Da Euripides die aufgewiesene Form des Dramenbeginns, soweit wir sehen können, sowohl in der Mehrzahl seiner Stücke als auch alle SchafFensperioden hindurch mit Vorliebe verwandte — das einmal gefundene Modell wird zwar in mannigfacher Weise variiert, im Grunde aber immer nur wiederholt —, scheint es schlecht möglich, die auf Grund der „euripideischen" Prologrede postulierte Abhängigkeit der sophokleischen Trachinierinnen von Euripides durch die neu aufgewiesene Parallele weiter gestützt zu sehen. Das Gegenteil ist wahrscheinlicher. Wir sahen oben, daß Euripides Motive aus den Trachinierinnen übernahm, sie durch Übersteigerung zum vollgültigen Intrigenund Erosmotiv ausformte und die Verbindung beider Motive in mehrfacher Variation dramatisch ausgestaltete. Die dort festgestellte Affinität des Euripides zu den Trachinierinnen scheint sich hier zu bestätigen. Die Parallelität der Eingangstechnik ist nur so erklärbar, daß Euripides auch in diesem Punkt die Trachinierinnen genau studierte und die Gestaltung des Eingangs für seine dramatischen Absichten — es kam gerade ihm am meisten von den drei Tragikern auf die seelische Situation seiner Helden, auf ihre Reaktionen und inneren Wandlungen an — als so adäquat empfand, daß er sie gleich für eine ganze Reihe seiner Dramen, von einigen Modifikationen abgesehen, übernahm. Aus der Tabelle läßt sich erkennen, daß er in den späteren Dramen wie Sophokles in der Elektra durch stereotype Verwendung der kommatischen Parodos 2 den πάθος-Charakter des ganzen Eingangs 1
Vgl. Matthiessen, Aufbau und Datierung S. 15. Daß sie Euripides eher als Sophokles verwendete, zeigt die Medea, vgl. Nestle S. 88. Daß in den späten Dramen in der Parodos eine kultisch-rituelle 2
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noch deutlicher hervorhob, also wiederum in den Trachinierinnen Angelegtes übersteigerte und zur endgültigen Form brachte. Daran ist die Abhängigkeit von Sophokles jetzt deutlich erkennbar. Es bestätigt sich, was wir bisher sahen: nicht Euripides, sondern Sophokles gab das Thema f ü r die Variationen des Nachfolgers. Exkurs Da zwei Punkte in Nestles Buch Hinweise f ü r die Einordnung der Trachinierinnen zu geben scheinen, muß kurz auf sie eingegangen werden: 1. Davon ausgehend, daß die dramatische Einheit der Eingangsteile ein gültiges Kriterium zur Feststellung einer Entwicklung ist, zeigt Nestle, daß in Sophokles' Ai., Antig., und OT Prolog und Parodos unverbunden nebeneinander stehen (S. 57f., 87f.), während in den Trach. und den späten Dramen die Einheit durch dauernde Gegenwart der Hauptfigur gewahrt ist. Einmal ist zu fragen, ob es überhaupt das „innere" Ziel der dramatischen Technik gewesen ist, die Eingangsteile zur Einheit zu formen, ob nicht vielmehr der Eingang in bestimmten Stücken unter dem Gesichtspunkt der Kontrastierung, also absichtlich „uneinheitlich" gestaltet ist (vgl. bes. die Antigone), zum andern sind die Verbindungen zwischen Prolog und Parodos auch in den genannten Dramen enger als Nestle meint. Das wird deutlich, wenn man die Eingänge der betreffenden Stücke genauer betrachtet. Aias: Die Anrede des Aias in der Parodos (V. 134) setzt seinen Auftritt im Prolog fort. Das Gerücht, das Odysseus hervortrieb (V. 21 ff.), treibt auch den Chor hervor (V. 141 ff.), er vermutet in der Parodos (V. 137, 172, 179ff.), was Athene (V. 51) im Prolog dem Odysseus zeigte: Ein Gott ist der Urheber des Wahnsinns (vgl. bes. V. 66 = 185 νόσος). Ebenso ist dem Chor durchaus der dramatische Fortschritt im Prolog bekannt. Er spricht von dem Gerede, mit dem sich das Heer über Aias' Fall freut (V. 148ff.), ja er interpretiert diese Freude sogar als Hybris (V. 153, 196). Das ist jetzt möglich, weil Odysseus, von Athene aufgeklärt, dem Heer vom Wahnsinn berichtet hat. Antigone: Der Chor greift zwar auf die Situation zurück, die vor dem Prolog liegt, f ü h r t aber auch so fort, was dort bereits (V. 11—17, 55, 57) angekündigt war. Außerdem hat er die Funktion, durch Ankündigung Kreons zum 1. Epeisodion überzuleiten, womit er wiederum an Worte des Prologs (V. 33) anknüpft, also zum Anfang zurückweist. Ödipus Tyrannos: Nachdem Ödipus nach dem Prolog abgetreten war, tritt er am Ende der Parodos wieder auf (vgl. V. 142 und 216ff.), die Verbindung über die Parodos hinweg ist damit gesichert. I n der Parodos knüpft der Chor an Stilisierung vorliegt, ist richtig, ändert aber nichts daran, daß Euripides gerado diesen Weg wählte, sein Anliegen auszudrücken.
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Motive des Prologs an: Y.19—21 ~ a', 22ff. ~ ßß', 4—5 ~ γγ'. In στρ α nimmt er das Orakel auf und stellt Überlegungen an. Nestle meint, er sei dabei über den Inhalt des Götterspruches und damit über den Fortschritt in der Handlung im Prolog nicht orientiert. Unter χρέος (V. 157) ist aber doch wohl die Sühne zu verstehen, die der Gott f ü r das μίασμα verfügt hat (vgl. Jebb zur Stelle). Der Chor kennt also den Inhalt des Orakels. Die indirekte Frage (V. 155—157) bezieht sich lediglich auf die Art der Sühne. Trachinierinnen: Der dramatische Fortschritt im Prolog besteht darin, daß Hyllos sagt, wo Herakles sich befindet (V. 74). Er soll dann auch nicht erforschen, wo Herakles ist, sondern ob und in welcher Weise sich die Orakel erfüllt haben (V. 82 ff. und 90f.). Genau die Frage stellt jedoch der Chor in der Parodos (V. 98ff.), die Hyllos vorher beantwortet hatte, d.h. „von dem innerhalb des Prologs eingetretenen Fortschritt der Handlung ist dem Chor noch nichts bekannt". (Nestle S. 57.) Gerade das aber sollte allein f ü r Ai., Antig. und OT kennzeichnend sein. Eine relative Chronologie auf die Hinweise Nestles zu gründen, scheint nicht gerechtfertigt. 2. Der Prolog der euripideischen Dramen ist meistens (vgl. Nestles Tabelle S. 86) in zwei Szenen geteilt. Da die Trach. und die El. als einzige sophokleische Dramen dieselbe Szenenzahl vor der Parodos zu haben scheinen, schließt Nestle f ü r diese Stücke auf Nähe zu Euripides. Einmal aber ist es nicht legitim zu sagen, Sophokles baue seine Prologe meistens aus einer oder drei Szenen, wenn f ü r einszenige Prologe von den sieben vorhandenen Stücken ebenfalls nur zwei (Antig., Phil.), f ü r dreiszenige nur ein Stück mehr, also drei zeugen (Ai., OT, OC vgl. Nestle S. 86). Zum andern sind in den Trach. und in der El. die „Fugen durch Zwischendialoge verdeckt". Diese Zwischendialoge kann man ebenso gut als dritte Szene auffassen. Warum sollte z.B. Trach. 49—-60 nicht eine unentwickelte Form der Pareisodos sein, wie sie in Ai., OT, OC (vgl. Nestle S. 84f.) weiter ausgeführt ist? Aber auch bei der Auffassung dieser Verse als Fuge wird man den spezifisch sophokleischen Charakter der Übergänge nicht leugnen können. Nestle betont ihn sogar selbst: „Aber die Einführung eines dritten Schauspielers in dialogischer Verbindung (Trach.) mit den beiden ersten findet sich bei Euripides nirgends und die Verknüpfung von Monolog und Monodie durch Zwischendialog (El.) widerspricht der Praxis des Euripides." (S. 123, vgl. auch S. 32). Von euripideischem Einfluß (so Nestle S. 86, 122f.) kann also auch hier keine Rede sein. V. E U R I P I D E S A L K E S T I S Finden die bisher behandelten Beziehungen der Trachinierinnen zu euripideischen Dramen nur noch vereinzelt Zustimmung, so scheint die besonders durch Heinz vertretene These von der angeblichen Abhängig-
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keit der Trachinierinnen von der 438 aufgeführten Alkestis des Euripides 1 das umstrittene Problem zu dem in solchen Fragen möglichen Abschluß gebracht zu haben. Denn obwohl Reinhardt sich in der dritten Auflage seines Sophoklesbuches (1947, S. 257f.) mit Heinz auseinandergesetzt und gegen ihre These seine Frühdatierung ausführlich verteidigt hatte, scheint es heute, besonders seit der letzten Stellungnahme von Pohlenz, aufgrund der Parallelität der Abschiedsmonologe (Trach. 900ff., Alk. 158ff.) allgemein als ausgemacht zu gelten 2 , daß Euripides' Alkestis das Vorbild f ü r die Abschiedsszene bei Sophokles war, 438 also der terminus post quem f ü r die Aufführung der Trachinierinnen ist. Es wäre leicht, diese Frage mit dem Hinweis zu lösen, es läge in den Abschiedsszenen ein Topos vor 3 : Im Augenblick des Todes nehme der tragische Held Abschied von den Dingen, die seine Welt ausmachten, der Mann von der Polis, der Stätte seiner Bewährung, die Frau von der Stätte ihrer Erfüllung, dem Brautbett 4 . Diese Annahme aber wird durch die geringe Zahl der überlieferten Dramen verboten. Außerdem geht die Parallelität gerade dieser Szene in der Alkestis und den Trachinierinnen so weit, daß mit einem Abhängigkeitsverhältnis in irgendeiner Richtung gerechnet werden muß. In beiden Dramen wird der Abschiedsmonolog mit Hilfe eines Botenberichts, also indirekt, an den Zuschauer herangetragen. Bei Sophokles berichtet ihn die Amme, bei Euripides die Dienerin. In beiden Dramen wissen die Heldinnen um den bevorstehenden Tod und treffen die Vorbereitungen f ü r den letzten Weg. Nach diesen Vorbereitungen nehmen wiederum beide in Monologen unter Anrufung des Brautbettes (Trach. 920ff., Alk. 177 ff.) Abschied von dem Teil der Welt, der die Mitte ihres Lebens war. Es ist also nötig, die genannten Thesen zu prüfen und das Abhängigkeitsproblem neu zu untersuchen. 1 Vgl. Heinz, Herrn. 72, 1937, 270ff., aber so auch schon Lesky, Phil. Woch. 55, 1935, 484f. und L. Weber, Eur. Alk. 1930, S. 49 u. 108. Lange vorher hatte bereits Earle, TAPhA 33, 1902, 5ff. — in der heutigen Literatur überhaupt nicht beachtet — aufgrund der Abschiedsszenen die Abhängigkeit des Sophokles von Euripides zu beweisen versucht (S. lOff.). Allerdings hatte er sich dabei weitgehend mit dem bloßen Aufweis der wörtlichen Parallelen, die noch um einzelne recht erzwungene außerhalb der Abschiedsszene erweitert wurden (S. 5—9), zufrieden gegeben. In der genauen Datierung der Trachinierinnen ging er dann noch weiter und folgte (S. 14) der These von Wilamowitz und Dieterich. 2 Vgl. Pohlenz, 2. Bd. Erl. S. 86f., erneut Lesky, Tr. D. S. 119f. und Gr. Lit. Gesch. S. 264, vgl. Whitman S. 48f. (die über die Abschiedsszene hinaus von ihm angeführten Parallelen, S. 49 Anm. 43, sind lediglich aus dem Szenenzusammenhang herausgelöste wörtliche Anklänge, also für die Abhängigkeitsfrage von sekundärer Bedeutung), Schadewaldt, Herrn. 80, 1952, 56, jetzt Hellas und Hesperien S. 334. Kamerbeek, Trach. S. 28 hält es für unmöglich, überhaupt eine Abhängigkeit festzustellen. 3 So Jens, Einleitung zu Euripides XI. 4 Vgl., negativ zwar, auch Antig. 857 ff. und 917 f.
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Allen genannten Versuchen, die durch Vergleich dieser offensichtlich parallelen Szenen ein Kriterium f ü r die Abhängigkeit des Sophokles von Euripides zu gewinnen suchen, ist gemeinsam, daß sie bei ihrem Urteil lediglich die parallelen Szenen nebeneinander stellten, sie also aus dem Ganzen der Handlung herauslösten und f ü r sich genommen beurteilten. Man setzte Abschied gleich Abschied, Detail gleich Detail, Wortfolgen gleich Wortfolgen 1 und vernachlässigte den dramatischen Zusammenhang, vergaß also, daß man es mit einem Drama zu tun hatte und daß darüber hinaus jeder Dramatiker sowohl in der Szenenführung, der dramatischen Technik, als auch im inhaltlichen Anliegen sich vom anderen unterscheidet. I m folgenden soll deshalb ein anderer Weg beschritten werden. Gerade in dieser Frage scheint es geraten, bei jeder Szene f ü r sich zunächst nach Ort und Funktion zu fragen, die sie im organischen Zusammenhang des Dramas hat, und erst danach die Szenen nebeneinander zu stellen und auf Grund des vertieften Verständnisses dann die Abhängigkeitsfrage einer Lösung näherzubringen. Betrachten wir zunächst die Alkestis des Euripides 2 . Damit in diesem Drama der Abschiedsmonolog richtig eingeordnet werden kann, muß der Abschnitt von V. 1—475 genauer untersucht werden. Es ist charakteristisch f ü r den euripideischen Dramenbeginn, daß in diesem ganzen ersten Abschnitt eigentlich nur ausgeführt wird, was der Prolog bereits andeutete. Die eigentliche Handlung beginnt danach mit dem Auftritt des Herakles. I n der Prologrede gibt Apoll die Exposition, das nötige Vorwissen f ü r die folgenden Ereignisse. Alkestis hatte sich, wie das Märchen berichtet 3 , dazu bereit erklärt, f ü r den Gatten zu sterben. Entscheidend wichtig ist, daß Euripides im Gegensatz zur Überlieferung des Mythos den Termin f ü r den Tod von der Hochzeit, dem Augenblick der Entscheidung, trennt und ins spätere Leben verlegt 4 . Warum, werden wir im folgenden sehen. Das Drama beginnt, als der Termin eingetreten ist (V. 20), an dem Alkestis ihr Gelöbnis in die T a t umsetzen muß. Die Zeit vom Augenblick der Entscheidung bis zur Vollstreckung ist jetzt in einem einzigen Moment zusammengerafft. 1
Diese Formulierung in Anlehnung an Reinhardt S. 66, dort allerdings in anderem Zusammenhang gebraucht. 2 Es ist klar, daß hier keine Interpretation beider Dramen insgesamt gegeben werden kann. Für die Trach. vgl. Reinhardts, zur Alk. von Fritz' Interpretation, die am ehesten mit der Meinung des Verfassers übereinstimmt. Hier soll lediglich herausgearbeitet werden, was für das Verständnis der Abschiedsmonologe vom Dramenganzen aus wichtig ist. 3 Vgl. zum Mythos A. Lesky, Wien. Sitz.-Ber. phil.-hist. Klasse Bd. 203, 2.Abh., 1925. Für die Frage des Mythos haben die Ausführungen Leskys heute allgemein Anerkennung gefunden. Daß die Interpretation nicht immer das Richtige trifft, hat v. Fritz (S. 55 Anm. 1) gezeigt, vgl. jetzt jedoch Leskys „Selbstkorrektur", Gyrnn. 67, 1960, 24ff. 1 Vgl. als Hinweis im Stück V. 420f., 523f.
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Nur daraus sind die folgenden Szenen verständlich. Ihre Spannung beruht auf diesem Kunstgriff des Euripides. Vom Beginn des Dramas an tritt Alkestis in den Mittelpunkt. Zunächst wird sie vom Prolog bis zum ersten Epeisodion von mehreren Seiten aus indirekt gezeigt, danach, erst im zweiten Epeisodion, tritt sie selbst auf. Indem die Anfangsszenen so immer schon um Alkestis und ihr Schicksal kreisen, bereiten sie die Hauptszene des ersten Abschnitts zwischen Alkestis und Admet vor und erhalten dadurch eine merkwürdige Spannung auf diese Szene hin. Ein Götterstreit bildet im Prolog den Anfang. Apoll und Thanatos kämpfen um Alkestis. Jeder möchte sie für sich gewinnen, der eine zum Leben, der andere zum Tod. Schon f ü r den Streit der Götter ist es charakteristisch, daß sie im Grunde „aneinander vorbeireden". Jeder kennt nur seinen Bereich der τιμή (V. 30, 53), keiner weicht von seinem Standpunkt. In einer Stichomythie (V. 38ff.) treffen ihre Standpunkte hart aufeinander, am Ende stehen sich die Ansprüche unvereinbar gegenüber: Apoll (V. 60): Gibst du mir Alkestis? Thanatos (V. 63): Du kannst nicht alles haben. Über diesen Streit hinaus aber wird auf das Ende verwiesen. Die Gewalt (V. 44 βία), die Apoll ablehnte und gegen die er seinen Rechtsanspruch stellte (V. 38 δίκην τοι και λόγους κεδνούς έχω), wird — Apoll sagt es selbst schon im Prolog voraus (V. 69) — Herakles anwenden und damit Thanatos besiegen. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer wird damit, typisch euripideisch, auf das „Wie" der folgenden Handlung gelenkt, das „Was" soll sie nicht interessieren. Wie nötig es ist, diesen versteckt gegebenen Hinweis zu befolgen, wird die folgende Interpretation zeigen. Der Tod geht auf Alkestis zu (V. 74), um ihr die Locke abzuschneiden (V. 76) und sie in sein Reich zu entführen. Das Drama verlagert sich in den menschlichen Bereich. Ungewißheit trägt die Stimmung des Chores in der Parodos. Das Schweigen im Haus (V. 78) veranlaßt ihn zu Schwanken, Erwartung und vager Vermutung. Lebt Alkestis, ist sie schon tot? Soll ich klagen, das Lied der Freude anstimmen oder an einen Gott mich wenden, aber an welchen? Die Situation ist ausweglos (V. 135). Neben den Götterstreit — zeitlich fern — tritt die Ungewißheit der Menschen, im Augenblick konkretisiert. Mit diesem Schritt vom göttlichen Bereich in den menschlichen wird weiter auf Alkestis hingelenkt. Zu dem ratlosen Chor tritt eine Dienerin und erlöst ihn von seiner Ungewißheit. Was der Chor vermutete, ist eingetreten. Alkestis befindet sich auf der Schwelle zwischen Tod und Leben (V. 141 καί ζώσαν ειπείν καί θ-ανοϋσαν έστι σοι), dem Zwischenreich, das f ü r die Sterbenden charakteristisch ist (vgl. Soph. Antig. 850ff.). War von Admet bisher nicht die Rede, so wird er jetzt zum erstenmal erwähnt (V. 145). V. 144 zeigt der Chor sein Mitleid mit Admet. Die Dienerin erwidert ihm mit einem leichten Tadel des Admet und zeigt damit jetzt bereits, in
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welchem Verhältnis die Gatten zueinander stehen. Admet, der König, weiß gar nicht, worum es geht, er „lebt" an der Situation der sterbenden Alkestis „vorbei" und kann deshalb nicht zu ihr hinfinden: ουπω τόδ' οίδε δεσπότης. Erst nach dem Tod, in der Praxis, nicht in der Theorie, wird er durch sein Leiden erfahren, was eigentlich geschah 1 . Über die augenblickliche Situation hinaus weist V. 145 auf den weiteren Ablauf des Dramas, besonders auf die Partie V. 86Iff., wo eintritt, was hier angekündigt wird. Mit dem verwaisten Haus konfrontiert 2 kommt Admet zur Erkenntnis: V. 940 άρτι μανθάνω. Durch sein Leiden wird er sich bewußt, was eigentlich geschehen ist: indem er seine Gattin f ü r sich sterben ließ, weil er wähnte, sein glückliches Leben fortführen zu können, vernichtete er sein eigenes Leben erst recht. Seine Frau dagegen erwählte den besseren Teil 3 . Nach diesem kurzen, wichtigen Einschub wendet sich der Blick wieder ausschließlich Alkestis zu. Der Tag ist eingetreten, an dem Alkestis sterben muß (V. 148). So leidvoll auch der Tod sein mag, Alkestis erwirbt sich damit äußersten Ruhm (εΰκλεια), sie wird die beste Frau genannt werden, die es gibt (αρίστη γυναικών). Wie ein roter Faden schlingt sich dieses Lob durch das ganze Drama 4 . Weil sie mit ihrem Sterben nicht einer schicksalgebotenen Notwendigkeit folgte, sondern aus freiem Entschluß, nur bestimmt durch ihr Ethos, in den Tod ging, konnte sie sich solchen Ruhm erwerben. Ein schicksalbestimmter Tod wie der der Deianeira kennt weder Ruhm noch Schande, er ist wertneutral und muß mit anderen Kategorien beurteilt werden. Die Dienerin erzählt im folgenden in der Form eines Botenberichtes von den letzten Verrichtungen, die Alkestis vornahm, nachdem sie 1
Daß V. 145 an Aiach. Ag. 177 πάθει μάθος anklingt, ist kaum zu bezweifeln. Beachte V. 861 f., 912 πώς εισέλθω; 924πέμπουσΙ μ' έσω, 941 πώς γάρ δόμων τώνδ' εισόδους άνέξομαι; 3 Vgl. V. 935ff., bes. 937 της μέν . . . 939 έγώ δέ . . ., sie hat einen ruhmvollen Tod, ich ein trauriges Leben. 4 άριστη γυναικών V. 83, 151, 152, 235, 241, 324, 433, 442, 741 f., 899, allgemein spricht diesen Gedanken das Chorlied V. 43äff. aus, εύκλεής wird Alkestis V. 150, 623 genannt. Von Pheres sagt Admet in deutlichem Gegensatz zu Alkestis V. 725 θανή γε μέντοι δυσκλεής, V. 938 nennt er Alkestis im starken Gegensatz zu sich selbst εύκλεής, vgl. auch 935. Alkestis selbst spricht V. 292 davon, daß die Eltern εύκλεώς hätten sterben können, vgl. weiter V. 200, 231, 333, 368, 994, 996, 1003 (hintergründig auf Alkestis angespielt), 1083. Die Stellen machen deutlich genug, daß es Euripides darauf ankam, zu zeigen, daß die Frau und nicht, wie es herkömmlicher Ordnung selbstverständlich war (vgl. z.B. Thuk. 2, 45, 2, Aisch. Sept. 187 f. und dazu Snell, Aischylos und das Handeln S.81f.), der Mann die εΰκλεια gewinnt. Darauf wird in V. 725, 938 und bes. 471f. σύ δ' έν ήβα νέα προθανοϋσα φωτός οϊχη du, eine Frau, stirbst in jungem Alter für einen Mann, und 623 f. πάσαις δ' εθηκεν εύκλεέστερον βίον | γυναιξίν noch explizit hingewiesen. Weil Euripides zeigen wollte, wie hohl die überkommene Ordnung ist, spielt er die Frau gegen den Mann aus, vgl. auch das wichtige Chorlied Med. 410ff., das dasselbe wiederholt. 2
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gehört hatte, daß sie an diesem Tag sterben muß (V. 158ff.). Jede Handlung auf der Schwelle zwischen Leben und Tod ist wichtig, nichts wird übergangen. Alkestis wäscht sich, wie man Tote wäscht (V. 160), legt sich das Totengewand an und betet zur Hestia (V. 163—169). Bei keiner ihrer Handlungen reflektiert sie über ihr eigenes Schicksal oder bemitleidet sich selbst. Allein ihre Kinder stehen im Mittelpunkt ihrer Gedanken. Gleich die ersten indirekt berichteten Worte zeigen das deutlich. Sie betet f ü r ihr glückliches Weiterleben und erwähnt ihr eigenes Geschick (V. 167) nur, um am Gegenteil recht klar zu zeigen, wofür sie bittet. Auf dem Umweg also über die Kinder denkt sie an sich, ein ausschließlich subjektives Reflektieren über ihr eigenes Leid liegt ihr fern. Nach dem Gebet tritt sie an alle übrigen Altäre (V. 170), bekränzt sie, betet von neuem. Während dieser Verrichtungen ist sie völlig gefaßt. Sie erhebt keine Klagen (V. 173 ακλαυτος, άστένακτος), das ihr bevorstehende Leid entfärbt nicht einmal ihre H a u t (V. 174 χρωτός nimmt 159 χρόα wieder auf). In detaillierter Schilderung ist gezeigt, wie Alkestis zwischen Leben und Tod innerlich ruhig bleibt und trotz furchtbaren Leidens ihre σωφροσύνη bewahrt. Der Eintritt ins Brautgemach bedeutet einen plötzlichen Umschwung. Durch ένταϋθ-α δή (V. 176) ist auch äußerlich die scharfe Cäsur deutüch markiert. Anstelle der inneren Ruhe treten jetzt Tränen (V. 176 'δάκρυσε), anstelle der Gebete f ü r die Kinder Klagerufe (V. 177ff.). Mit dem Brautgemach konfrontiert, dem Teil, der ihr Leben ausmachte und sie am meisten mit der Welt verband, wird Alkestis unsicher, bricht in Klagen aus und erkennt erst völlig, was f ü r einen Weg sie angetreten hat. Es folgt ihr Abschiedsmonolog und ihre Trennung vom Brautgemach selbst (V. 175—188). Wir lassen diese Partie hier bewußt aus, um sie nach Durchgang durch die Interpretation richtig einordnen zu können. Nach den Klagen in der Einsamkeit wendet sich Alkestis wie vorher wieder der Umwelt zu. Sie umarmt ihre weinenden Kinder (V. 189—• 191), grüßt das ebenso weinende Hausgesinde und spricht jeden einzelnen an (V. 192—195)1. Daß sie selbst auch noch weint wie vorher (V. 176), wird nicht gesagt. Wir brauchen es nicht anzunehmen. Sie denkt nicht mehr an ihr eigenes Leid, sondern ist nur noch den Kindern und Dienern zugewandt. Die frühere innere Ruhe scheint wiedergewonnen. Es kann nicht übersehen werden, daß auf allen Stufen des Abschieds von Admet mit keinem Wort die Rede ist. Erst am Ende des Berichts (V. 196ff.) weist die Dienerin in trivial klingenden Sätzen auf ihn hin und bereitet so den folgenden Auftritt vor. Indem sie in V. 202 das Stichwort (τάμήχανα) f ü r das Folgende gibt, deutet sie indirekt schon an, was im ganzen Drama f ü r die Beurteilung des Admet wichtig 1
Daß für Alkestis der Edelmut ihrem Gesinde gegenüber charakteristisch ist, zeigen auch die Verse 762, 769, 825.
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sein wird. Admet, weinend (V. 201) wie die Kinder und das Gesinde, vermag nicht zu realisieren, was eigentlich geschah. Anstatt Alkestis in ihrem Leid beizustehen, denkt er nur an sich und sucht in der Situation der Aporie das Unmögliche (V. 202 f. τάμήχανα ζητών) an einem Ort, wo er es nie erreichen wird. Gerade Alkestis, die allein um seinetwillen stirbt, bittet er, ihn nicht zu verlassen (V. 202 μή προδοϋναι λίσσεται)· Doch dies Motiv wird von der Dienerin nur angeschlagen. Nachdem sie mit Alkestis' Gruß an die Sonne den Bericht abgeschlossen hat, leiten die Verse 209 ff. zum Auftritt des Admet und der Alkestis selbst über. Wie Admet, der in seiner Hilflosigkeit den Ausweg nicht bei sich selbst, sondern bei anderen sucht, so sucht auch der Chor im 1. Stasimon (V. 213ff.) am falschen Ort. Er wendet sich stellvertretend f ü r Admet an die Götter und bittet, das τάμήχανα aus V. 202 wieder aufnehmend, um einen Ausweg aus der Aporie: V. 213 πόρος κακών, V. 214 λύσις τύχας, V. 221 έ'ξευρε μηχανάν antwortet V. 202 τάμήχανα ζητών, V. 222 πόριζε, πόριζε. πόρος und μηχανή auf der einen, άπορία und άμηχανία auf der anderen Seite sind die typischen Vokablen 1 . Ab.V. 233 lenkt der Chor dann zum Auftritt der Gatten über. War Alkestis bisher nur indirekt von verschiedenen Seiten gezeigt — vom Streit der Götter über das bange Abwarten des Chores bis zum langen Bericht der Dienerin war über drei Stufen immer mehr auf sie hingelenkt worden —, so tritt sie jetzt selbst gemeinsam mit Admet auf die Bühne. Die folgende Szene spielt sich allein zwischen den beiden Gatten ab. Es ist wichtig zu sehen, wie in ihr von Anfang an, genau wie schon vorher Apoll und Thanatos, so jetzt Admet und Alkestis mit jedem Wort, das sie sagen, „aneinander vorbeireden". Sie verstehen einander nicht, finden nicht mehr zum anderen hin. Eine Kommunikation ihrer Bereiche ist unmöglich geworden. Rein äußerlich wird das zunächst durch die Form des Kommos deutlich. Alkestis singt in lyrischen Maßen, Admet argumentiert in Trimetern. Durch diese Form der Sprechweise ist die Trennung markiert. Das innere Getrenntsein der Partner aber tritt noch deutlicher hervor. Alkestis beklagt, an kultische Formen angelehnt, das vor ihr stehende Schicksal. I m Augenblick des Todes werden alle tragischen Helden trotz früherer Entschlossenheit unsicher, sie erkennen das vor ihnen stehende Schicksal erst völlig und sehnen sich unter Klagen nach dem Leben zurück 2 . Ganz in diesem Sinne sendet Alkestis ihren letzten Gruß an die Sonne (V. 244f., vgl. schon Y. 206), an die Welt, in der sie lebte (Y. 248f.), und sieht auf der Schwelle zwischen Leben und Tod Charon herankommen und nach ihr greifen (V. 252ff., 259ff., 266ff.). Angst und Klagen erfüllen sie ganz. 1 Einen Hinweis auf diese auch sonst für Euripides typische Wortkonstellation erhielt ich durch die Euripidesvorlesung von H. J.Mette, W. S. 1959/60, Hamburg. a Vgl. Soph. Antig. 806ff., im Gegensatz zu V. 497ff.
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Während Alkestis völlig einsam nur dem Tode konfrontiert ist und auch in diesen letzten Augenblicken nur noch ihre Kinder anruft (V. 270ff. τέκνα, τέκν'. . . .) — genauso wenig wie im Bericht der Dienerin vorher spricht sie jetzt im direkten Gegenüber von Admet —, sucht Admet Verbindung und Gemeinsamkeit, wo Trennung alles beherrscht, und meint, noch ändern zu können, was schon längst entschieden ist: V. 246 όρα σέ κ ά μ έ , δύο κακώς πεπραγότας, V. 258 οία πάσχομεν, (nicht οία πάσχεις). Er sagt „wir" und denkt doch bei allem immer nur an sich: V. 250 . . . μή προδως nimmt V. 202 auf, V. 257 πικράν γε τήνδε μοι ναυκληρίαν έλεξας, V. 264 οίκτράν . . . μάλιστ' έμοί καί παισίν. Während Alkestis sich um Admets Worte überhaupt nicht kümmert, nimmt Admet stets den Satz seiner Gattin auf und f ü h r t ihn im eigenen Sinne fort. Auch daran wird sein ständiger Versuch der Anknüpfung deutlich. Er fürchtet, was Alkestis schon längst auf sich genommen h a t : in der Einsamkeit sein Leiden anzunehmen. Er zeigt mit allem, daß er nicht vollziehen kann, ja im Grunde gar nicht versteht, was eigentlich geschieht. I m anapästischen Pnigos (V. 273ff.), mit dem der Kommos abschließt und zum folgenden überleitet, wiederholt Admet, was er bisher schon sagte: V. 274 παντός έμοί θανάτου μείζον, V. 275 μή τλης με προδοϋναι, (das bekannte Stichwort aus V.202), V. 277 άνα, τόλμα. Was er daneben hier nur als Hypothese ausspricht — V. 278 σοϋ γαρ φθιμένης ούκέτ' άν ε'ίην — wird er später verstehen, wenn er erkennt (V. 940), was wirklich geschah. Jetzt aber vermag er noch nicht zu realisieren, daß er der Grund f ü r das Sterben der Alkestis ist und an sich daraus die Konsequenzen ziehen müßte. Exkurs Die Beurteilung des Admet bildet den Angelpunkt jeder Alkestisinterpretation. Zur Begründung des oben aufgestellten Urteils muß deshalb auch hier auf die Admetgestalt eingegangen werden 1 . Admet gibt der sterbenden Alkestis ausdrücklich das Gelöbnis, allen Frohsinn aus seinem Haus zu verbannen und nur noch die Trauer gelten zu lassen. Als es aber darauf ankommt, sich zu bewähren, versagt er ständig. Er nimmt Herakles (V. 509ff.) und später die fremde Frau in sein Haus auf (V. 1037ff.) und verrät damit seine Gattin von 1
Es ist leicht einzusehen, wieviel die hier gegebene Interpretation besonders in der Beurteilung des Admet der Abhandlung von Kurt v. Fritz (Antike und Abdld. 5, 1956, 27ff.) zu verdanken hat. Sie seheint mir als einzige von den neueren Deutungsversuchen das Richtige zu treffen. Daran ändert auch Vicenzis jüngst mit scharfer Kritik an v. Fritz vorgetragene Alkestisinterpretation nichts, Gymn. 67, 1960, S. 517ff., gegen v. Fritz vgl. bes. S. 518 Anm. 1, 532 Anm. 49, zum übrigen s. u. S. 51 Anm. 2. Zürchers Deutung des Admet als eines „guten Menschen" (S. 32ff.) kann nicht akzeptiert werden. Auch seine Beurteilung der Alkestisfigur (S. 26ff.) befriedigt nicht restlos. 4 7973 Schwinge, Trachinierinnen
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neuem (vgl. 1059 das Stichwort προδόντ'). I n beiden Fällen also bricht er sein Versprechen und versagt. Im zweiten ist sein Versagen noch größer. Wußte er nämlich vorher nicht, worum es eigentlich ging, so ist er inzwischen zur Erkenntnis gekommen (V. 861 if.). E r hat erkannt, was wirklich geschah, und gelitten, was Alkestis bereits vor dem Tod erfahren hat. Aber er ist bei der Erkenntnis stehengeblieben. Sich zu wandeln und umzukehren, vermochte er nicht. So versagt er von neuem. I n beiden Fällen ist der Grund f ü r sein Versagen die Gastfreundschaft. Sie zu üben, hält Admet f ü r wichtiger, als seiner Gattin die Treue zu halten. Als der Chor ihn deshalb V. 551 f. fragt, warum er Herakles aufgenommen habe, antwortet er, er befinde sich in einer Aporie: Herakles aufnehmen, heiße gegen sein Versprechen, also gegen Alkestis handeln; ihn nicht aufnehmen, heiße gegen das Gastrecht verstoßen. Diese Argumentation klingt zwar wie eine im aischyleischen Sinn (vgl. Aisch. Ag. 205ff., Choe. 899) echte tragische Aporie, in Wirklichkeit jedoch ist sie es nicht. Denn Admet sieht gar nicht, daß er nicht nur durch das Verweigern der Gastfreundschaft, sondern ebenso durch sein Handeln gegen Alkestis ein weiteres, wahrscheinlich noch größeres Übel zum bisherigen hinzufügen wird: V. 557 f. και προς κακοΐσιν άλλο τοϋτ' άν ή ν κακόν, | δομούς καλεΐσ-9-αι τους έμούς έχθροξένους. Vielmehr ist f ü r ihn der Vorstoß gegen die Gastfreundschaft das einzige jetzt mögliche Übel, das er kennt. Diese Haltung, so ehrenhaft sie nach dem Kodex der Gesellschaft ist, ist bei Admet primär in seiner ständigen Sorge um Ehre und Ansehen bei der Menge begründet, vgl. V. 537 ff., 566 f. Sogar als er zur Erkenntnis kommt, verhilft ihm erst das Urteil der Umwelt (V. 954ff.) zur endgültigen Klarsicht. V. 1057 ff. weist Admet wie schon V. 553ff. wiederum auf den doppelten Tadel (διπλήν μέμψιν) und sieht die Aporie, entscheidet sich aber wie vorher f ü r seinen Ruf und gegen Alkestis. So erscheint er in dem Bereich, in dem die rein menschlichen Entscheidungen fallen und in dem Alkestis zu Hause ist, als „klein", im Bereich der herkömmlichen Gesellschaftsordnung aber als „groß". Diese Bereiche stehen jedoch f ü r Euripides nicht gleichberechtigt nebeneinander. Indem der Dichter darauf hinweist, daß Admet die Gastfreundschaft primär aus Gründen des Renommees übt, entlarvt er den zweiten als Konvention und läßt allein den ersten gelten. Dasselbe zeigt sich auch daran, daß Admet gerade durch Alkestis' Tod aus seiner starren Welt herausgestoßen und unsicher gemacht wird (vgl. das Zögern V. 509ff. und 1037ff.). Wußte er bisher immer, was er zu tun hatte, so ist er jetzt, wo das wirkliche γενναΐον aufgetreten ist, zunächst ratlos, wendet sich dann aber doch wieder seiner alten Ordnung zu und verfehlt das Eigentliche. Zugleich wollte Euripides hierdurch genau wie später in der Aulischen Iphigenie zeigen, daß die alten Wertvorstellungen brüchig sind. Nicht der Mann, sondern die Frau, nicht das treue Verhalten gemäß der Konvention,
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sondern der ungewöhnliche, nur vom Ethos bestimmte Entschluß, das Opfer, verwirklichen die Werte in der Welt. — Um Admets Verhalten jedoch ganz zu verstehen, muß noch auf ein Weiteres hingewiesen werden. Es kann nicht übersehen werden, daß seine Gastfreundschaft vordergründig ausschließlich Lob erntet: Apoll nennt Admet schon V. 10 einen frommen Mann, der Chor, einmal überzeugt, preist ihn wegen seiner Gastfreundschaft (V. 569ff.), Herakles will aus Dank f ü r sie seine Gattin wiedergewinnen (V. 840ff.), nennt ihn wegen der Gastfreundschaft γενναίος, preist mit derselben Wendung sein Haus (V.1097) und trägt Admet am Ende (V. 1147f.) auf, weiterhin solche Gastfreundschaft zu üben, V. 823 und 857 wird Admets αιδώς lobend erwähnt. Bei aller Zustimmung meldet aber der Chor (V. 600ff.) ebenso seine Kritik an und zeigt den Weg, auf dem das Lob Admets verstanden werden muß: το γαρ ευγενές έκφέρεται προς αιδώ . . . άγαμα'., das Edle erhebt sich in seiner Scham über das Maß hinaus . . . ich wundere mich. (Vgl. die Worte des Dieners V. 809 άγαν έκεΐνός έστ' άγαν φιλόξενος.) Hinzu kommt, daß Admet bereits in der Sterbeszene an dem „vorbeilebt", was wesentlich ist. Beides zeigt hinreichend, wie es um den Wert seiner „Tugend" bestellt ist. Er übt sie aus Sorge um sein eigenes Ansehen, aus Egoismus. Um Admet in diesem Bereich der Konvention völlig zu entlarven, wird er wegen seiner Handlungen gelobt und nicht getadelt. Die vordergründige Zustimmung zeigt deutlicher die Diskrepanz zwischen konventionellem und wahrem ευγενές, zwischen Admet und Alkestis, als der direkte Tadel. Die Lobsprüche sind also eminent ironisch gemeint. I n derselben Linie liegt der Schluß des Dramas. Daß die Lösung eine Scheinlösung ist, haben v. Fritz und Reinhardt einleuchtend gezeigt 1 . Indem das Drama in der märchenhaften Sphäre endet, wird auf die Diskrepanz von Wirklichkeit und Wunschwelt deutlicher hingewiesen, als wenn die Realität demonstriert würde. Erst die Ironie der Scheinlösung zeigt die Unmöglichkeit, einen Ausweg zu finden, unübersehbar; dem so geformten Schluß hegt also dieselbe Tendenz zugrunde wie der Gestaltung des Admet überhaupt 2 . 1 Vgl. dazu v. Fritz, Antike und Abdld. 5, 1956, 64ff. und allgemein zu den euripideischen dei ex machina Trag. Schuld S. 203, Reinhardt, Die Sinneskrise bei Euripides, Eranosjb. 26, 1957, 279ff., bes. S. 313: „Der Schluß zeigt, wie es sein sollte — und nicht ist", und Jens, Einleitung zu Euripides X I V f . 2 Sowohl die Admetgestalt im ganzen Drama als auch besonders den Ausgang scheint Wilamowitz, Gr. Trag. Bd. 3, nicht richtig zu verstehen, vgl. S. 93: „Doch die Götter finden und Euripides findet, daß er nun genug gebüßt hätte, daß er ein perfekter Edelmann und ein so liebenswürdiger Egoist ist, so ganz geschaffen, auf der sonnigen Höhe des Lebens eine schöne Figur zu machen, daß sie ihm seine Alkestis zurückgeben." Weber findet Admet auf Grund seiner φιλοξενία in enger Anlehnung an Wilamowitz (vgl. S. 41 wörtlich wie Wilamowitz „ein liebenswürdiger Egoist") „sympathisch". Auch Strohm (S. 100) sieht in der Gastlichkeit des Admet eine positive Leistung. Vicenzi, Gymn. 67, 1960,
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Im folgenden wird die Szene zwischen Alkestis und Admet nach dem Kommos in bekannter Weise zu Ende geführt. In zwei nahezu gleich langen Reden 1 , verknüpft durch zwei Verse des Chors, legen Alkestis und Admet einander noch einmal ihre Standpunkte dar. In einer Stichomythie werden die Reden danach miteinander verbunden und zum Abschluß gebracht. Mit einer Apostrophe an Admet beginnend (V. 280) erklärt zunächst Alkestis noch einmal, warum sie für Admet stirbt. Sie tut es allein aus Verehrung für ihren Gatten (V. 282), daß sie es aus Liebe tue, sagt sie nicht. Anstelle von έραν ist von πρεσβεύειν die Rede 2 . Was im Kommos deutlich wurde, wird hier bestätigt: In dem Augenblick, in dem die Gattin für den Gatten stirbt, im Moment der engsten Verbindung also, sind Alkestis und Admet einander völlig entfremdet 3 . Mag in der Zeit vorher und auch in dem Augenblick, als Alkestis sich entschloß, für ihren Gatten zu sterben, die Liebe für ihr Verhältnis bestimmend gewesen sein, jetzt, wo der frühere Entschluß in die Tat umgesetzt werden muß, ist von der Liebe mit keinem Wort die Rede 4 . Euripides kam es darauf an, zu zeigen, wie die Menschen reagieren, wenn sie im Alltäglichen realisieren, was sie einst, vielleicht unkontrolliert im Rausch der Liebe, zu tun gelobten 6 . Im weiteren zeigt Alkestis noch einmal deutüch, daß sie freiwillig für Admet den Tod auf sich nimmt: V. 284ff., bes. παρόν μοι μή •9-ανεΐν, (vgl. V. 17 ήθελε, V. 379 δτε ζην χρήν μ', άπέρχομαι)6. Da sie von S. 517ff. weicht der Frage aus, indem er — recht spitzfindig — aus ηδρε Alk. 17 herausinterpretiert (S. 520 mit Anm. 13), daß Admet von „dem Beschlüsse der Alkestis . . . vorerst keine Ahnung gehabt h a t " ; der Entschluß der Alkestis sei gegen den Willen des Admet erfolgt (S. 521), er h ä t t e ihn nie „freiwillig hingenommen" (S. 520, vgl. 524 u n d bes. die konstruierende Nacherzählung der Umformimg des Märchens durch Euripides S. 529f.). U n t e r dieser Voraussetzung erhält das Leiden des Admet natürlich einen ganz anderen Charakter, die Sicht des ganzen Dramas wandelt sich. Die in Anm. 13 angeführten Parallelen f ü r ηδρε aber sind nicht treffend, denn dort wird etwas „vor"-gefunden, was gerade nicht gesucht war, in Alk. 17 jedoch etwas, was Admet deutlich suchte, vgl. V. 15 έλέγξας καΐ διεξέλθω ν. Da die Voraussetzung also falsch ist, ist das daraus Folgende auch nicht anzuerkennen. Weiter auf den Aufsatz einzugehen, ist hier kein Platz. 1 Zum Übergang von lyrischer Partie zu Rede u n d Dialog a n dieser Stelle vgl. Schadewaldt, Mon. S. 143f. 2 Schon die Dienerin sprach V. 155 dasselbe aus: πόσιν προτιμώσ', vgl. dagegen zur Verdeutlichung die Version der Sage bei Piaton Symp. 179c ους (sc. γονέας) εκείνη . . . ύπερεβάλετο τη φιλία δια τόν έρωτα . . . 3 Vgl. v. Fritz S. 39. 4 Dale scheint mir a m Sinn der Abschiedsszene vorbeizugehen: " A n d of course she loves Admetus — what else m a d e her die for h i m " , (p. X X V I ) . I m D r a m a selbst wird darauf mit keinem W o r t verwiesen. 5 Weber verkennt dies u n d damit die ganze Szene, wenn er zu Alkestis' letzten Worten sagt (S. 39): „ J a , sie würde, wenn sie noch einmal vor die freie W a h l gestellt wäre, auch d a n n noch bereit sein." 6 V. 320 heißt es δει γάρ θανεΐν με. Diese Worte aber beziehen sich nicht auf ihr Sterben a n sich, sondern auf den Augenblick, in dem der Tod, den sie frei-
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keinem Zwang veranlaßt wurde 1 , das Opfer auf sich zu nehmen, wird ihr das Sterben um so schwerer. Deutlich weist sie darauf hin, daß sie das Leben genauso liebt (V. 301) wie Admet, und trotzdem verläßt sie es um seinetwillen. Admet hatte wiederholt (V. 202, 250, 275 προδοΰναι) darum gebeten, seine Gattin möge ihn nicht verlassen. Alkestis selbst zeigt ihm nun, daß nicht sie ihn verrät, sondern seine Eltern ihn bereits verraten haben (V. 290 προύδοσαν). Ihnen wäre es zugekommen, sich mit dem stellvertretenden Tod Ruhm zu erwerben (V. 291 f.). Da die Eltern aber versagten, tritt sie, eine Frau, für sie ein und gewinnt den Ruhm, den sie hätten haben müssen 2 . Ist es nach allem Vorausgegangenen zu viel gesagt, daß diese Worte, zu Admet gesprochen, nicht nur die Eltern meinen, sondern auch ihn selbst? Denn er allein hat seine Gattin wirklich verraten, indem er sie für sich sterben ließ, um selbst weiterzuleben 3 . Euripides hört nicht auf, auf das Paradoxe der Situation hinzuweisen. Admet jammert, daß seine Frau stirbt, sieht aber weder, daß sie für ihn stirbt, er selbst also der Grund für sein eigenes Klagen ist, noch daß er, der König, versagt, indem er überhaupt eine Frau für sich sterben läßt. Nachdem Alkestis diese Überlegung mit einem lapidaren Satz (V. 297f. άλλά ταϋτα μεν | θεών τις έξέπραξεν ώσΟ·' ούτως εχειν) abgeschlossen hat, geht sie nach der Cäsur V. 298 zu den letzten Anordnungen über und nähert sich damit der bürgerlichen Sphäre Admets. Sie bittet ihren Gatten, nicht noch einmal zu heiraten. Es ist bezeichnend, daß diese Bitte wiederum nicht mit der Liebe der Eheleute zueinander begründet wird, die dann durch eine Neuheirat Admets entwertet würde, sondern mit der Sorge um die Kinder. So redet sie auch nicht Admet an, sondern eins ihrer Kinder (V. 313), als sie ausmalt, wie schlecht eine Stiefmutter sie behandeln würde. Mit V. 320 lenkt sie zum Ende. Nachdem der Gegensatz und damit die ganze Situation noch einmal scharf hervorgehoben ist — V. 323 f. σοι μέν, πόσι, | willig auf sich nahm, als ein unumgängliches „Muß" empfunden wird, weil die Liebe zum Leben alles übertrifft. Auch V. 389 (ού δήθ' έκοϋσά γ') weist darauf hin, daß erst im Augenblick des Sterbens der eigene freiwillige Entschluß als Zwang empfunden wird. 1 Aus V. 293 so etwas wie das berühmte Kalkül aus Soph. Ant. V. 908 ff. herauszulesen und Alkestis dann durch die Konstellation der Dinge gezwungen handeln zu sehen (so Weber S. 38), ist nicht richtig. Denn Alkestis wirft den Gedanken V. 293 ja ausschließlich in Hinblick auf Admets Eltern auf, nicht aber, um ihren eigenen Entschluß zu begründen. 2 Auch im Bericht der Dienerin V. 158 ff. verwendet Alkestis dieselben Worte imd setzt damit ihre Tat von dem Versagen der Eltern ab: V. 180 f. προδοΰναι γάρ σ' όκνοϋσα καΐ πάσιν θνήσκω. 3 Äußerlich gesehen ist es natürlich richtig, daß „Admet nicht der leiseste Vorwurf trifft" (so Weber S. 40, vgl. S. 38), aber ist das deshalb schon der Sinn dieser Szene und des ganzen Dramas?
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γυναΐκ' άρίστην εστι κομπάσαι λαβείν1 —, endet Alkestis die Rede wiederum mit einer Apostrophe an die Kinder (V. 325). Der Chor leitet mit zwei Versen zu Admets Rede über. Die Worte εΐ'περ μή . . . άμαρτάνει — wir sahen bereits, wie Admet später versagen wird, indem er einmal Herakles, ohne von seinem Leid zu sagen, dann sogar nach der Erkenntnis die fremde Frau aufnimmt — zeigen deutlich, unter welchem Aspekt diese Rede gesehen werden muß. Admet geht auf den Wunsch seiner Gattin mit einer Bereitwilligkeit ein, die verdächtig macht. Nie wieder will er eine Frau aufnehmen (V. 328—335), sondern im Gegenteil seiner Trauer Ausdruck geben, indem er jeden Frohsinn aus seinem Haus verbannt. Das erste Versprechen bricht er V. 1049ff., das zweite V. 536ff. Neben diesen leeren Versprechungen denkt er auch in der Rede wiederum nur an sein eigenes Leid 2 und vermag nicht zu erkennen, daß er selbst der Grund für Alkestis' Sterben ist. Er sagt, wäre er Orpheus, er würde seine Gattin aus dem Hades zurückholen (V. 357 ff.). Sähe er jedoch ein, daß er der Grund für alles ist, brauchte er nur die Konsequenzen zu ziehen und nicht zu wünschen, Orpheus zu sein. Sein Wunsch grenzt an Blasphemie. Genau wie er mit ihm im Grunde sich selbst verurteilt, trifft er auch mit dem Wort, mit dem er seine Eltern verflucht, wiederum sich selbst: V. 339 λόγω γαρ ήσαν ούκ έργω φίλοι3. Es folgt die Stichomythie, die die Reden verbindet. In ihrem ersten Teil (V. 371—379) lenkt Alkestis wiederum sofort auf die Kinder, äußerlich verdeutlicht durch die doppelte Apostrophe (V. 371, 379) am Anfang und am Ende. Sie befiehlt Admet von neuem, den Kindern die Mutter zu ersetzen, die sie jetzt verlieren. Im letzten Teil der Stichomythie wird noch einmal die Entfremdung der Gatten deutlich, wie sie schon in der ganzen Szene demonstriert wurde. Auch bis zum Ende ändert sich daran nichts. Admet, der am Leben bleibt, jammert (V. 380), Alkestis, die in den Tod geht, tröstet ihn (V. 381). Als schon alles entschieden ist -— Alkestis lebt nicht mehr, sondern hat in Wirklichkeit schon die Schwelle zum Tod hin überschritten 4 —.versucht Admet, immer noch ausschließlich an sich denkend, zu retten, wo nichts mehr zu retten ist. Er bittet Alkestis, ihn nicht zu verlassen 5 . Die letzte Anrede der Alkestis gilt wiederum den Kindern (V. 389). 1
κομπάζειν heißt prahlen, geht also auf den Ruf bei der Menge, auf den Admet solchen Wert legt. Vgl. zu κομπάζειν Aisch. Sept. 425, 436, 480, wo diese Nuance des Wortes deutlich wird durch den Gegensatz zwischen Griechen und „Barbaren", vgl. dazu Snell, Aischylos und das Handeln S. 78ff. 2 V. 341 μοι στένειν, Υ. 347 σύ γάρ μου τέρψιν έξείλου βίου, das wirkliche Verhältnis kehrt Admet also genau um. 3 Vgl. zum Gegensatz λόγος — έργον Aisch. Sept. 592. 4 V. 387 ώς ούκέτ' οδσαν ούδέν αν λέγοις έμέ und V. 390 ούδέν είμ' έτι. 5 Vgl. V. 386ff., bes. die sich wiederholenden Worte V. 386 εΐ με δή λείψεις ~ 388 μή λίπγ)ς παΐδας ~ 3 9 1 π ρ ο λ ε ί π ε ι ς ; und V. 386 άπωλόμην ~ 391 άπωλόμην.
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Die Bitten Admets werden durch ihr Sterben (V. 392) scharf abgeschnitten. Mit einer Monodie in jambisch-dochmischen Maßen 1 leitet der Knabe zum Ende des ersten Abschnitts über. In Apostrophen an Vater und Mutter zeigt er sein Leid und schließt mit dem zusammenfassenden Satz V. 414f. οίχομένας δέ σου, ματερ, δλωλεν οίκος seine Klagen ab. Es ist nicht zu übersehen, daß dem Haus 2 im ganzen Drama eine große Bedeutung zukommt. Wenn hier nun betont wird, daß es mit dem Tod der Alkestis untergegangen ist, ist das wiederum auf dem Hintergrund des Verhältnisses zu verstehen, das Admet zu diesem Hause hat. Er, der König, setzt seine ganze Ehre darein, seinem Haus bei der Umwelt einen guten Ruf zu verschaffen, indem er Gastfreundschaft übt und trotz des Todes seiner Gattin der Konvention die Treue hält (vgl. bes. V. 558 und 566f.). I n Wahrheit aber war Alkestis mit ihrem unkonventionellen, rein menschlichen Handeln die Seele des Hauses 3 und verschaffte ihm den Ruhm, der ihm zukam. So ist verständlich, daß mit ihrem Tod auch das Haus zugrunde geht. Admets Bemühen gilt einem toten Ding. I n den letzten Worten des Knaben ist also nicht von einer tiefen Hausgebundenheit die Rede, wie sie f ü r die Deianeira der Trachinierinnen charakteristisch ist, sondern allein von dem Ruf, den das Haus durch Alkestis und nicht durch Admet genießt. Nach der Monodie setzt Admet das Begräbnis fest (V. 422) und verbietet zum Zeichen der Trauer allen Frohsinn f ü r die Dauer eines Jahres (V. 426, 430f. und schon 343ff.). Der Chor beschließt den ersten Abschnitt des Dramas mit einem Preislied auf Alkestis (V. 435 ff.), bringt verborgen, die Bedenken aus V. 327 wiederholend, erneut Kritik vor (V. 463f.) und unterstreicht dies, indem er Alkestis noch einmal als die beste der Frauen in scharfen Kontrast zu ihrem Gatten stellt (V. 471 f.). 1
Vgl. dazu Henn, Untersuchungen ζιι den Monodien des Euripides, Diss. Heidelberg 1959, S. 86ff. (maseh.). 2 Es bedürfte einer eigenen Interpretation, um zu zeigen, wie praktisch das ganze Drama von der Bedeutung, die das Haus für jede Person hat, verstanden werden kann, wie das Haus damit zum stummen Mitspieler wird — besonders deutlich in der Szene V. 861 ff., wo Admet allein dem Haus konfrontiert zur Erkenntnis kommt —, wie immer wieder das Haus des Hades dem des Admet gegenübergestellt wird und wie sich so zwischen beiden das Drama bewegt. Äußerlich erkennbar ist die Bedeutung des Hauses an dem ständigen Gebrauch der Worte δώμα und δόμος: V. 1, 22, 25, 65, 68, 73, 78, 136, 157, 160, 170, 233, 286, 304, 344, 364, 477f., 508, 533, 541, 546, 553, 558, 563, 574, 597, 655f., 748, 765, 767, 807, 817, 830, 841, 852, 855, 881, 905, 912, 941, 949, 1013, 1024, 1040, 1046, 1049, 1073, 1110, 1112, 1114, daneben steht μέλαθρα V. 29, 77, 248, 567, 862, οίκος V. 9, 19, 41, 94, 415, 438, 569, 681, 872, 950 und στέγη V. 23, 87, 192, 248, 946, 1051. 3 Vgl. das Verhältnis der Alkestis zu ihren Dienern.
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Überblicken wir die bisherige Analyse, so sehen wir, daß sich zwei Punkte herausheben: 1. Alkestis nimmt freiwillig den Tod für den Gatten auf sich. 2. In dem Augenblick, in dem Alkestis für Admet stirbt, sind die Gatten einander völlig entfremdet, in der ganzen Abschiedsszene reden sie aneinander vorbei. Nirgends weist ein Wort darauf hin, daß Alkestis' Sterben aus Liebe geschieht. Ihre Sorge gilt den Kindern, nicht dem Gatten; sie stirbt als Mutter, nicht als Ehefrau1. Betrachten wir nun die Trachinierinnen, so ist leicht einzusehen, daß Deianeiras Handeln während des ganzen Dramas in genauem Gegensatz zu dem der Alkestis nur aus dem engen Verhältnis zu ihrem Gatten Herakles verständlich ist. Alles, was sie sagt und tut, entspringt so sehr aus ihrer Liebe, daß sie nur zu leben scheint, insofern sie diese Liebe üben kann. Sie wird zu ihrem einzigen Lebenselement. Da das Drama an dem Punkt einsetzt, wo ihre Liebe erneut gefährdet ist, ist es möglich, sie gleich zu Beginn in ihrer Ausschließlichkeit noch deutlicher zu zeigen, als wäre sie voll erfüllt. Bereits die Prologrede Deianeiras zeichnet ein genaues Bild ihres Charakters. Schon bevor Herakles sie zur Frau nahm, war ihr Leben Unglück (V. 5) und Furcht (bes. V. 28), weil die Liebe zu ihrem Schicksal wurde (V. 1—17). Herakles bringt ihr zwar die ersehnte Ehe (V. 27), doch auch danach verläßt sie die Furcht nicht: V. 26f. τέλος δ' εθηκε Ζευς άγώνιος καλώς, | εΐ δή καλώς. Ihre Skepsis wird bestätigt: auch aus der Liebe zu Herakles entspringt nur neues Unglück und neue Angst (V. 28). Während sie nämlich, ganz der Familie verbunden, stets im Hause weilt, strebt Herakles fort, weilt fast immer fern von seiner Gattin, sieht seine Kinder nur selten (V. 31ff.).Angst und Sorge zeigen, was für Deianeira der Inhalt des Lebens ist: die Liebe zu Herakles, die Kinder, das Haus. Die bisherigen Leiden werden durch die augenblicklichen noch übertroffen (V. 37 μάλιστα ταρβήσασ' έχω). Niemand weiß, wo Herakles weilt (V. 40f.). Ein Orakel (V. 47 und 155ff.) steigert die Ungewißheit zur Angst. Zu Hyllos gewandt sagt Deianeira, daß ihrer beider Geschick in dieser Situation auf des Messers Schneide stehe (V. 82 ff.). Ohne Herakles wäre ihr Leben sinnlos. In der Parodos stimmt der Chor in die Klagen ein (vgl. bes. V. 107). Indem Deianeira selbst diese Klagen im 1. Epeisodion fortsetzt, kommt sie dazu, ihr eigenes Schicksal in einer allgemeinen Sentenz zu begreifen: V. 147ff. 1 Vgl. bes. die häufigen Anreden an die Kinder V. 270, 272, 313, 325, 371, 379, 389. Demgegenüber wird Admet nur einmal namentlich angeredet (V. 280), und da nur, um am Anfang der Rede zu zeigen, an wen sie gerichtet ist.
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άλλ' ήδοναϊς άμοχ·9·ον εξαίρει βίον ές τοΰθ·1, έως τις άντι παρθένου γυνή κληθ-7), λάβν) τ' έν νυκτί φροντίδων μέρος, ήτοι προς άνδρός ή τέκνων φοβουμένη. Mit der Heirat beginnen f ü r jede Frau die Leiden. Sorgen um Kinder oder Gatten nehmen kein Ende. Alles andere verliert daneben an Gewicht. Die Schilderung der Leiden (V. 153ff.) zeigt immer deutlicher, daß Deianeira ohne Herakles nicht leben kann (vgl. bes. V. 175—177, wie schon 29f.). Zeigten bisher Angst und Sorge die ausschließliche Liebe Deianeiras zu ihrem Gatten und ihre Gebundenheit an Haus und Familie, so tritt diese Abhängigkeit im folgenden nach Beginn des eigentlichen Dramas durch ihre Handlungen und Reaktionen noch deutlicher in den Mittelpunkt. Der Chor hatte in der Parodos als Trost auf den steten Wechsel von Leid und Freude hingewiesen (V. 122ff.). Genau in diesem Sinn tritt jetzt f ü r einen kurzen Moment anstelle des Leidens Hoffnung und Beglückung. Deianeira erfährt durch einen Boten, daß Herakles lebt (V. 182), und freut sich — im Gegensatz zur vorhergehenden Furcht dramatisch äußerst wirksam — in überschwenglicher Weise (V. 201 ff.); der Chor stimmt in ihre Freude ein und singt ein Tanzlied (V. 205ff.) 1 . Der dem Tanzlied folgende Teil des 1. Epeisodion teilt sich in zwei Abschnitte, die Cäsur liegt bei Y. 334/5. I m ersten stellt Deianeira mit Lichas ein Verhör an, im zweiten wird sie durch den Boten über die wahre Lage der Dinge aufgeklärt. Damit wird die Enthüllung der Wahrheit zum Inhalt der ganzen Szene 2 . Nachdem Lichas die frohe Kunde des Boten bestätigt hat, stellt Deianeira zunächst die Frage, ob sie Herakles lebend empfangen werde: V. 233 εί ζώνθ-' 'Ηρακλή προσδέξομαι, vgl. schon V. 176f. Damit gibt sie das Stichwort f ü r das weitere Geschehen. U m nichts anderes als um die Beantwortung dieser Frage wird es im folgenden gehen. Erst nach Hyllos' Bericht jedoch wird sich Deianeira selbst durch ihr Handeln die Antwort geben können und •— müssen. Lichas weicht im Augenblick noch aus. Er antwortet nur, daß Herakles zur Zeit am Leben sei und von keiner Krankheit beschwert werde: V. 235 κού νόσω βαρύν. Auch diese Worte jedoch haben zweideutigen Sinn, sind nur vordergründig richtig und weisen im Grunde voraus. Lichas spricht f ü r Nichtsahnende von einer rein körperlichen Krankheit, verbirgt sich aber dahinter, um nicht erzählen zu müssen, was wirklich geschah, daß nämlich Herakles von einer 1 Äußerungen der Freude als einziger Ruhepunkt im Drama unmittelbar vor der Katastrophe sind für die frühen Dramen kennzeichnend: Ai. 693, OT 924ff. Daß darin eine schon in der Antike bekannte Erscheinung vorliegt, zeigt dieDefinition Donats (zu Ter. Ad. 2 9 7 ) . . . περίστασος tragica est: gaudiorum introductio ante funestissimum nuntium, vgl. auch Lesky, Tr. D. S. 110 Anm. 2. 2 Vgl. dazu Reinhardt S. 49 ff.
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„seelischen Krankheit" befallen ist, von der Liebe zu Iole. Gerade das aber ist mit νόσος gemeint, in V. 445, 491, 544 wird die Liebe mit diesem Ausdruck bezeichnet. Unter dem Schein der guten Botschaft zeigt sich schon jetzt, was das verhängnisvolle Handeln Deianeiras in Bewegung setzen wird. Nach den ersten Erkundigungen über Herakles wendet sich Deianeira den Mädchen zu (Y. 242), die Lichas begleiten 1 . Das gibt Lichas Gelegenheit, in einem langwierigen Bericht (V. 248ff.) darzulegen, daß Zeus der einzige Grund für Herakles' langes Fortsein ist: V. 251 Ζεύς 8του πράκτωρ φανη; die Rede des Lichas bringt Deianeira jedoch nicht davon ab, sich eingehender nach dem Schicksal der Gefangenen zu erkundigen. Sie lenkt damit immer weiter zur Enthüllung des wahren Tatbestandes. Nachdem sie, wie schon in V. 27, trotz aller Freude von neuem aus ihrem tragischen Wissen heraus die Furcht geäußert hat vor dem stets möglichen Umschlag (V. 293ff., bes. 297 ταρβεΐν τον εύ πράσσοντα, μή σφαλΫ] ποτε), bemitleidet sie die Gefangenen wie schon vorher (V. 299ff., vgl. V. 243 οΐκτραί ~ V. 298 οίκτος). Ihr furchtbares Schicksal veranlaßt sie, sofort an ihre eigenen Kinder zu denken. Sie bittet Zeus, ihnen solches Leid zu ersparen (Y. 303ff.). Alles, was sie denkt, denkt sie von ihrem Standpunkt als Frau und Mutter. Die Furcht, die für Deianeira als tragische Gestalt typisch ist, bringt sie auch jetzt auf die richtige Spur. Sie wendet sich von neuem Iole zu und fragt sie (V. 307) und Lichas (V. 310), wer sie sei. Als Lichas nur eine ausweichende Antwort gibt, fragt sie noch einmal (V. 321), erfährt aber wiederum nichts. Die Wahrheit wird ihr abermals verschwiegen. Dies Hinauszögern ist nicht dramatisches Raffinement, sondern hat einen besonderen Sinn. Der Trug dient dazu, daß Deianeira gezwungen wird, aus eigenem Antrieb die Wahrheit zu erforschen und dann zu finden. Damit wird sie für Deianeira radikaler und furchtbarer, als wenn sie ihr von außen zugetragen würde. Ihr unbedingter Wille, sich Klarheit über die Lage zu verschaffen — V. 458 τό μή πυθ-έσδ-αι, τοϋτό μ' άλγύνειεν αν —, ist für sie so charakteristisch wie für alle sophokleischen Helden (vgl. Ai. 311ff.). Was das ganze Drama des König Ödipus ausmachen wird, ist hier im kleinen vorgezeichnet 2 . Daneben spielt sich, wiederum im kleinen, bereits in diesem Verhör ab, was sich im selben Drama später im großen wiederholen wird. Gerade dadurch, daß Lichas Deianeira durch den Trug vor der schrecklichen Erkenntnis bewahren wollte, stürzt er sie erst recht in die Enttäuschung hinein. 1 Daß bei Sophokles das Auftreten des Lichas zusammen mit den gefangenen Mädchen und Iole, die direkte Konfrontation der Deianeira und Iole also, dramatisch die Enthüllung durch Deianeira erst ermöglicht, zeigt Beck (Herrn. 81, 1953, lOff.). Zur Funktion der stummen Iole vgl. überhaupt diesen Aufsatz. 2 Vgl. OT 1054ff., bes. 1067 τά λφστα τοίνυν ταϋτά μ' άλγύνει πάλαι. Auf den Unterschied in der dramatischen Durchführung geht Reinhardt S. 50 f. ein. Zum ganzen vgl. auch Beck S. 18 f.
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Genauso wird bald darauf Deianeira selbst das Schlimmste, was geschehen kann, gerade durch die Handlung auf sich ziehen, durch die sie es vermeiden wollte. Nach der Cäsur in V. 334 — Lichas hat die Bühne verlassen, Deianeira will fortgehen — tritt der Bote wieder auf und bringt eilfertig die gesuchte Erklärung. Nicht Zeus (Y. 251) — die Polemik gegen Lichas ist unverkennbar —, sondern Eros (V. 354 und 433) ist der Grund f ü r Herakles' Fortbleiben. Das Mädchen, nach dem Deianeira fragte, ist genau das, das Herakles zu Liebe entflammte und ihn veranlaßte, so lange von Deianeira fernzubleiben. Sein Name ist Iole. Sie ist die Tochter des Eurytos, des Königs von Oichalia (V. 380ff.). Keine Antwort auf die selbstgestellte Frage hätte Deianeira so treffen können wie diese Botschaft. An ihren Klagen (V. 375ff.) wird wiederum deutlich, wie ausschließlich die Liebe zu Herakles ihr Leben bestimmt. Durch ein Verhör des Boten (V. 402) und eine „Trugrede" Deianeiras (V. 436ff.) 1 gezwungen gibt Lichas zu, daß er selbst gelogen, der Bote aber die Wahrheit gesagt hat 2 . Obwohl Deianeira jetzt weiß, daß Iole der Grund f ü r das furchtbare Geschehen ist, bleibt sie ihrem Wesen treu. Sie zeigt wie vorher Mitleid mit Iole 3 , denn sie hat eingesehen, daß Iole ja nur schuldlos (V. 466 ούχ έκοϋσα) der Anlaß f ü r alles geworden ist. Weil sie wie V. 303ff. wiederum ihre eigene Liebe und das daraus resultierende Schicksal zum Maßstab ihres Denkens und Urteilens erhebt, vermag sie aus ihrem Ethos heraus statt Iole zu hassen, sie zu bemitleiden. Denn wie f ü r Deianeira selbst die Schönheit von früh an der Grund f ü r ihr Leiden war, so ist auch Iole dieselbe Schönheit zum Verhängnis geworden, V. 465 weist deutlich auf V. 25 zurück 4 : V. 25 μή μοι. το κάλλος άλγος έξεύροι ποτέ. V. 465 τό κάλλος αύτης τον βίον διώλεσεν. Der Chor greift im folgenden (V. 497ff.) das Erosmotiv aus V. 354, 433, 489 auf, singt ein Lied auf diesen Gott und beschreibt den Kampf, in dem Herakles gegen Acheloos Deianeira gewann. Die tragische Ironie ist unverkennbar. I n dem Augenblick, in dem Deianeira erkennt, daß die Liebe von Herakles nicht erwidert wird, erinnert der Chor an den glücklichen Anfang und f ü h r t damit Deianeiras Leiden dem Zuschauer noch schärfer vor Augen. Zugleich ist das Lied Scharnier zwischen den 1
Zur Trugrede vgl. Reinhardt S. 54ff. Vgl. V. 476 ίμερος, V. 489 έρωτος entspricht V. 354 Έρως. 3 Vgl. V. 243 οίκτραί ~ V. 298 οίκτος ~ V. 312 ώκτισα ~ V. 464 ώκτιρα, vgl. V. 62 7 f. 4 Gegen die Athetese von V. 25 hat Reinhardt S. 253f. das Nötige gesagt. Die hier aufgewiesene Parallelität stützt seine Ansicht von neuem. Auf die Parallelsetzung des Schicksals der Deianeira und der Iole verweist auch Beck S. 11 Anm. 1. 2
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beiden Szenen. Genauso verlassen wie am Ende (V. 527ff.) Deianeira in der Vergangenheit geschildert wird, ist sie auch in der Gegenwart 1 . Nachdem Deianeira nun den wahren Sachverhalt erkannt hat, versucht sie im 2. Epeisodion durch eine Gegenhandlung rückgängig zu machen, was geschehen ist 2 . Sie beschließt, Herakles mit Hilfe des Nessoszaubers neu an sich zu binden. Auch dieser letzte Versuch resultiert nicht aus Zorn und Haß 3 , sondern allein aus Liebe. Trotz der großen Enttäuschung durch Herakles bleibt Deianeira ihrem Wesen treu. Sie kann nicht aus Rache, sondern muß aus Liebe handeln. Bis zum Ende bleibt diese Liebe die Mitte ihres Lebens. Würde sie aus Rache handeln wie die euripideischen Gestalten, so würde sich außerdem ihre Tragik und damit das Anliegen des Sophokles nicht erfüllen. Denn nur weil sie glaubt, Gutes in Bewegung zu setzen, kann sie der Verblendung durch ihren Dämon anheimfallen. Indem sie so in Schein (V. 586) und Blindheit zu retten versucht, was verloren schien, zerstört sie durch einen Irrtum gerade das, was sie zu retten erhoffte. Denn durch dasselbe Gewand, durch das sie Herakles zu neuer Liebe wecken wollte, tötet sie ihn und beraubt sich selbst der Mitte ihres Lebens. Sie vollendet genau das Gegenteil von dem, was sie intendierte. Wie sie vorher die Katastrophe selbst erkennen mußte, deren Grund Herakles' Liebe zu Iole war, so muß sie auch jetzt selbst einsehen, welch Verhängnis sie durch ihre Tat in Bewegung gesetzt hat. In der Einsamkeit ihres Gemaches erkennt sie, daß sie Herakles mit dem Nessosgewand vernichtete. Von Furcht erfüllt (V. 663, 671) berichtet sie dem Chor von ihren Vermutungen (V. 663 ff.). Dadurch daß sie nicht sofort von außen durch einen Boten über das Übel unterrichtet wird, hat sie Gelegenheit, noch einmal auf die Unwissenheit hinzuweisen, mit der sie die Untat ausführte. Sie betont, daß sie nur das Gute gewollt hat: V. 667 κακόν μέγ' έκπράξασ' άπ' έλπίδος καλής. Obwohl ihr eine Intrige völlig fern Hegt, ist das Furchtbare geschehen. Ein unerhofftes Ereignis 4 hat ihr gezeigt, was sie angerichtet hat (V. 674ff.). Deianeira erkennt (V. 706) ihr gräßliches Werk: sie selbst ist die Mörderin ihres Gatten. Mit dieser Erkenntnis wandelt sich jetzt die δόξα zur πίστις (vgl. V. 589f.). Die Wahrheit tritt Deianeira vor die Augen. Aber auch sie erkennt — wie alle sophokleischen Helden —, als es zu spät ist: V. 672ff., bes. V. 710f. ών έγώ μεθ-ύστερον, |δτ'ούκέτ' άρκεϊ, τήν μά&ησιν άρνυμαι. Der letzte Rest von Hoffnung, mit ihrer 1
Vgl. Beck S. 11 Anm. 1. Daß sie überhaupt handeln muß, weil sie nicht anders kann, als ihre Liebe zu erhalten, zeigt sie V. 536—540 und 545—551. Auch in diesen Erwägungen ist sie ganz die liebende Frau. Nachsicht und Nachgeben wären nicht Liebe, sondern Verleugnen der Liebe, widersprächen ihr genau. 3 Vgl. V. 543, 552, 582f. und später V. 1123, 1136, 1139, auch schon V. 935, 940. 4 Wiederum steht mit V. 667 korrespondierend in V. 673 θαϋμ' άνέλπιστον. 2
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Erkenntnis zu irren 1 , wird von Hyllos zerstört. Er bestätigt bereits mit seinen ersten Worten Deianeiras Vermutung: V. 739f. antwortet V. 712f„ \
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τον ανορα τον σον ισθι, τον ο εμον λεγω πατέρα, κατακτείνασα -njS' έν ημέρα. I n der Form des Botenberichtes zeigt Hyllos dann weiter das Leiden des Herakles (V. 749ff.), das ihm mit dem Zaubergewand von Deianeira zugefügt wurde und an dem er zugrunde gehen wird. Das Gewand, mit dem Deianeira Liebe erwecken wollte, wurde zum Todesgewand (V. 758 θ-ανάσιμον πέπλον), die Hand, die Herakles retten sollte, schickte ihn ins Verderben. Deianeira hört die Rede schweigend an und geht, nachdem Hyllos geendet hat, schweigend von der Bühne. Der Zuschauer weiß, daß dieser schweigende Abgang der Weg in den Tod ist. Schon V. 720 hatte Deianeira gesagt, sie werde mit Herakles sterben, wenn wirklich eintrete, was sie befürchte. Sie begründete diesen Entschluß mit denselben Überlegungen, mit denen auch Aias 2 seinen freiwilligen Tod motivierte. Wer schlecht handelt, wer gegen die Gesetze der göttlichen Ordnung verstößt, paßt nicht in die Welt. Er muß sie verlassen, wenn er vorzieht, in gutem Ruf zu leben. Hinter dieser Einsicht tritt jetzt selbst f ü r Deianeira das Motiv zurück, daß f ü r sie ein Leben ohne Herakles sowieso sinnlos ist. War dieser Gedanke früher 3 bestimmend gewesen, so erkennt sie jetzt, daß sich ihr Schicksal so erfüllt, daß sie die Welt verlassen muß. Eine andere Wahl bleibt ihr nicht. So nimmt sie ihr Schicksal an, nachdem sie gesehen hat, was ihr Dämon sie zu vollenden zwang, und gibt sich den Tod. Dieser Gehorsam dem Schicksal gegenüber hindert sie nicht, wie alle tragischen Helden in dem Augenblick, als sie direkt dem Tod konfrontiert ist, sich dem Leben zuzuwenden und in laute Klagen ausbrechend die Welt zu grüßen, von der ihr Leben erfüllt war 4 . Wie der letzte Weg (V. 874f.) der Deianeira aussah, erfährt der Zuschauer durch den Bericht der Amme. Nachdem der Chor (V. 82Iff.) in einem vierstrophigen Lied das Geschehen betrachtet hat, tritt sie mit Klagen auf (V. 871 ff.), sagt nach kurzem Wortwechsel, daß Deianeira tot sei (V. 877), und berichtet dem Chor in einer längeren Rede von dem Ende ihrer Herrin. Sie allein (V. 900) ist ihr in die Todeseinsamkeit gefolgt und hat gesehen, wie Deianeira von der Welt Ab1
Vgl. V. 712f. ει τι μή ψευσθήσομαι γνώμης. Vgl. Ai. 479 und auch El. 989. 3 V. 83ff. spricht sie bereits aus, daß mit Herakles' Tod auch ihr Leben beendet wird. 4 Diese Form des Abschieds ist charakteristisch für alle sophokleischen Helden, vgl. Ai. 856ff., Antig. 891 ff., OT 1391 ff., El. 1126ff., Phil. 936ff„ 1453ff. und auch Trach. 1089ff. 2
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schied nahm. Der Bericht der Amme (V. 901 ff.) ist klar gegliedert. Er teilt sich in drei Abschnitte 1 : 1. V. 901—906: Deianeira will in der Einsamkeit ihrem Ende entgegengehen. Sie verbirgt sich vor jedem, der sie sehen könnte, fällt vor den Altären nieder und klagt beim Anblick der verschiedenen vertrauten Hausgeräte. 2. V. 907—911: Sie geht durch die einzelnen Gemächer des Hauses, weint, wenn sie einen der Diener sieht, und ruft zuletzt ihren Dämon an (V. 910). Damit erkennt sie ihr Schicksal, nimmt es an und sieht im Augenblick des Todes, daß in allem, was geschah, ein Gott gehandelt hat (vgl. V. 1278). Ein Diskutieren der Schuldfrage, wie es der Chor V. 727 beginnen wollte — auch da bereits lehnte es Deianeira scharf ab (V. 729f.) —, ist ihr fremd. Sie weiß, daß sie damit am wesentlichen vorbeiginge. 3. V. 912—926: Der letzte Abschnitt ist durch eine deutliche Cäsur (V. 912 εξαίφνης) von den vorigen Abschnitten getrennt. Der Grund dafür liegt in seinem Inhalt. Nachdem Deianeira die verschiedenen Stationen der ihr vertrauten Umwelt hinter sich gelassen hat, kommt sie jetzt zu dem, was den eigentlichen Inhalt ihres Lebens bildete. Sie stürzt in ihr Brautgemach, wirft sich auf das Lager des Herakles, zerreißt unter Tränen die Decken und ruft zuletzt die Lagerstätte selbst an: ώ λέχη τε κχΐ νυμφεΓ έμά, τό λοιπόν ήδη χαίρεθ', ώς εμ' οΰποτε δέξεσθ-' έτ' έν κοίτη σι ταϊσδ' εύνάτριαν. Es ist bezeichnend, daß zweimal (V. 913, 916) der Name des Herakles fällt, einmal in Verbindung mit dem Brautgemach (V. 913), einmal in Verbindung mit den Decken des Bettes (V. 916), die Deianeira aus Verzweiflung hin- und herwirft. Der Abschied vom Brautbett, dem Ort der tiefsten Gemeinsamkeit mit Herakles und der eigentlichen Erfüllung ihrer Liebe, steht f ü r den Abschied vom Gatten. Ihm gilt der letzte Gruß. So macht auch der Schluß noch einmal deutlich, daß die Liebe zu Herakles der Inhalt ihres Lebens war und daß sie in ihr das Teuerste verliert, das sie besaß. Damit aber schließt sich der Ring. I n der Prologrede (V. 27) war das λέχος als der Ort bezeichnet, der Deianeiras Schicksal bestimmt. Demselben λέχος gilt hier am Ende ihr letzter Gruß. Deianeiras Geschick beschließt sich an demselben Punkt, an dem es begann. Leben und Ehe fallen f ü r sie zusammen 2 . 1
Vgl. Reinhardt S. 257. Daß Ehe, Haus und Kinder bei Sophokles allgemein die Welt bilden, die allein das Leben der Frau ausmacht, zeigen vom Negativen her die Frauen2
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Nach dem Anruf des Brautlagers macht Deianeira ihrem Leben ein schnelles Ende (V. 923ff.). Die Amme geht fort und ruft Hyllos. Als sie zurückkommen, finden sie Deianeira tot auf dem Brautlager. Auch der Sohn erkennt, was geschehen ist, als es zu spät ist (V. 934), wie Deianeira vorher (V. 71 Of.) kommt auch Hyllos zur Erkenntnis, als alles entschieden und nichts mehr zu ändern ist. Mit einer Gnome über die menschliche Gebrechlichkeit, mit der das Spiel begann (V. 1£F.), schließt die Amme ihren Bericht ab (V. 943—946). Pohlenz hat als Ausgangspunkt f ü r seine Behandlung des zur Rede stehenden Abhängigkeitsproblems (2. Bd. Erl. S. 86) die Frage gestellt, bei welchem Dichter die Abschiedsszene naturgemäßer aus der Situation des Dramas entspringt. Machen auch wir uns diese Fragestellung zu eigen, wenn wir jetzt auf dem Hintergrund der gegebenen Interpretationen das Abhängigkeitsproblem zu lösen versuchen! Die Analyse des ersten Teils der Trachinierinnen hat hinreichend gezeigt, daß f ü r Deianeira nichts so sehr Inhalt und Mittelpunkt, Sinn und Gehalt ihres Lebens war wie die Liebe zu ihrem Gatten. Daß sie auch zuletzt einzig aus dieser Liebe das Verhängnis auf sich herabzog, war das deutlichste Zeugnis dafür. Von der inneren Form des Dramas her ist also nichts so folgerichtig, als daß das Leben der Deianeira an dem Ort endet, von dem aus es seinen ganzen Sinn erhielt, daß Deianeiras letzter Abschied ihrem Gatten gilt, dem ihr ganzes Leben gegolten hatte, in der Abschiedsszene symbolisiert durch das Brautlager, auf dem Deianeira stirbt. Der Abschied vom Lager ist damit nicht nur höchst organisch in den Ablauf des Geschehens eingebaut, sondern scheint geradezu — durch den ganzen ersten Abschnitt des Dramas vorbereitet — das einzig mögliche, notwendig sich ergebende Ende zu sein. Das zeigt sich auch noch an einem weiteren Punkt. Würde nach dem schweigenden Abgang nur berichtet, daß Deianeira sich ermordet hat, bliebe der Zuschauer darüber im unklaren, mit welcher Gesinnung gegenüber Herakles sie in den Tod gegangen ist. Durch die Abschiedsszene aber wird er darüber unterrichtet, daß Deianeira nicht etwa aus Trotz, Verzweiflung, Haß gegen Herakles oder eigenem Schuldbewußtsein —- die Tragödie höbe sich selbst damit auf — ihr Leben beendete, sondern ihrem Wesen treu blieb, ihr Schicksal annahm und gerade dadurch die Liebe zu Herakles bewahrte 1 . Damit der Zuschauer nicht zu einer falschen Ansicht über den Tod der Deianeira kommt, wird ihr gestalten, die dies auf Grund ihres Schicksals nicht verwirklichen können (vgl. Antig. 813ff., 867, 876, 917f.; El. 164f., 187f., 962f., 1183; OC 351f., 751f.) und ein Werk auf sich nehmen müssen, das dem Manne zukommt: Antig. 61, 484 = El. 997 = OC 1367 f. 1 Vgl. Reinhardt S. 257: „Ja, wäre die Amme nicht heimlich nachgegangen, Deianeiras Tod erschiene gar noch als Geständnis ihrer Schuld. So wenig liegt ihr noch daran, sich zu rechtfertigen."
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letzter Weg indirekt genau beschrieben. Auch von diesem Aspekt aus ist die Abschiedsszene in den Trachinierinnen dramatisch notwendig1. Wir erinnern uns daran, daß für den ersten Teil des euripideischen Dramas die Entfremdung zwischen Admet und Alkestis bestimmend war. Sie war in dem Augenblick am deutlichsten hervorgetreten, in dem der eine für den anderen stirbt, in dem also an sich die Verbundenheit ihren tiefsten Ausdruck erhalten sollte. Wenden wir den Blick jetzt noch einmal auf den Bericht der Dienerin über die letzten Verrichtungen der Alkestis (V. 157ff.). Eine deutliche Cäsur (V.176 ενταύθα 8ή) trennt den Abschied vom Brautgemach von den übrigen letzten Handlungen der Heldin. Auch sie selbst nimmt eine veränderte Haltung ein. War sie vorher gesammelt und innerlich ruhig, so bricht sie jetzt in Tränen aus und klagt in lauten Rufen, indem sie ihr Brautbett anredet und zu ihm spricht wie zu einer lebendigen Person (V. 177ff.)2. Nehmen 1
Pohlenz, 2. Bd. Erl. S. 86 konzediert zwar, daß „die Szene der Trachinierinnen ohne Vorbild verständlich" ist (vgl. auch S. 87: „Natürlich h a t er aber etwas ganz Eigenes geschaffen."), meint aber doch, einen Widerspruch feststellen zu können: „Deianeira m u ß t e alles d a r a n liegen, eilig u n d unbemerkt ihren Selbstmord auszuführen", u n d trotzdem erregt sie durch ihr „Aufbrüllen", ihre Klagen usw. in solchem Maße Argwohn, daß die Wärterin ihr ins Schlafgemach folgt und sie belauscht. Die Annahme, daß Deianeira etwas „ d a r a n liegen mußte, eilig u n d unbemerkt ihren Selbstmord auszuführen", h a t doch wohl zur Voraussetzung, daß Deianeira sich im modernen Sinne als schuldig erklärt. Davon jedoch k a n n keine Rede sein. Sie geht schweigend von der Bühne (V. 813) u n d verbirgt sich bei ihren letzten Verrichtungen (V. 903), weil sie so von ihrem Schicksal überwältigt ist, daß sie meint, es in Einsamkeit vollenden zu müssen. D a ß sie trotzdem laute Klagen ausstößt, widerspricht dem nicht. Wie jeder tragische Held bricht sie im Angesicht des Todes zusammen u n d sucht an der Welt festzuhalten, die f ü r sie sinnlos geworden ist. Weil sie aber sieht, daß ein Weiterleben unmöglich geworden ist, bricht sie, ohne überhaupt a n die Umwelt zu denken, in laute Klagen aus. F ü r Alkestis dagegen fordert Pohlenz, daß sie, bevor sie ihr Gelübde vollendet, noch einmal in Klagen ausbreche, damit recht deutlich werde, daß sie ein Opfer auf sich nimmt. („So war es f ü r Euripides eine künstlerische Notwendigkeit, eine Szene einzulegen . . . " usw.). Abgesehen von der Frage, ob der Opfergedanke „die Seele der ganzen Alkestisdichtung" ist — in der Antigone des Sophokles, die Pohlenz zum Vergleich heranzieht, ist er es gewiß nicht —, m u ß dazu folgendes bemerkt werden: Alkestis t r i t t nach dem indirekt berichteten Abschied noch einmal selbst auf die Bühne u n d beklagt (V. 244—272) ausführlich das vor ihr stehende Geschick. D a m i t aber ist ganz im Pohlenzschen Sinne hinreichend dafür gesorgt, daß durch lautes Klagen unübersehbar auf die Größe des Opfers hingewiesen wird. Zu diesem Zweck die Abschiedsszene einzuführen, bestand also keine „künstlerische Notwendigkeit". Auch Pohlenz' Lösungsversuch krankt daran, daß er nicht die Abschiedsszene a u s der Funktion heraus versteht, die sie im Dramenganzen h a t , s. o. S. 44. 2 Wie Pohlenz tritt auch J o h a n n a Heinz (S. 285ff.) aufgrund der parallelen Abschiedsszenen f ü r die Priorität der euripideischen Alkestis ein. Heinz gibt zwar zu, „daß die Beeinflussung (bei Sophokles) nicht so weit geht, daß m a n das Stück wie eine Einlage herauslösen könnte, so gern m a n auch bei 904 die obere Grenze des Einschubs sehen möchte" — Argumente wie das letzte sollten in der Philologie keinen Platz haben, sie entlarven sich selbst zu sehr als petitiones
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wir mit Reinhardt (S. 258) an, daß auch in der Alkestis der Abschied vom Lager an Stelle des Abschieds vom Gatten selbst steht1, so müssen wir nach allem Bisherigen fragen, welchen Sinn er hier hat. Was soll bei einer so unübersehbaren Entfremdung der Gatten ein so tränenreicher Abschied zwischen ihnen? Hat er vielleicht die Funktion zu zeigen, daß Alkestis um eine Liebe trauert, die sie einst erfüllte, die ihr jetzt fremd geworden ist und die sie bald völlig verlieren soll ? Wir glauben es nicht. Freilich erinnert Alkestis selbst daran, daß sie auf diesem Brautlager zur Frau wurde (V. 177) und daß sie jetzt für ihren Mann stirbt (V. 178, 180); daß sie aber wie zur Zeit des Gelöbnisses, so auch in diesem Augenblick aus tiefer Liebe zu Admet in den Tod geht, könnte einzig dieser Stelle entnommen werden, alle anderen widersprechen dem deutlich. So liegt der Schluß nahe, daß Euripides die Abschiedsworte an das Brautlager von Sophokles übernommen und in den Todesweg der Alkestis eingebaut hat. Darauf weist auch die Funktion des Abschieds innerhalb der ganzen Szene. Die Abschiedsworte sollen nicht wie bei principii, als daß m a n ihnen Glauben schenken könnte —, verficht d a n n aber doch die Abhängigkeit des Sophokles von Euripides, in erster Linie mit folgendem Hinweis: I m Charakter der Deianeira sei ein Bruch festzustellen. Dokumentiere sie zunächst durch ihren schweigenden Abgang ihre feste Entschlossenheit zum Tod — expressis verbis ist auch das nur V. 721 f., bereits vor dem Bericht von der Katastrophe V. 749ff., gesagt! —, so zeige sie der Abschied doch wieder unentschlossen: sie irre im H a u s herum, weine beim Anblick der Diener, stoße laute Klagen aus. Heinz übersieht bei dieser Argumentation wie Pohlenz, was f ü r jeden tragischen Helden charakteristisch ist: Der Entschluß zu sterben gelingt leicht. I n dem Augenblick aber, in dem den Helden nichts mehr vom Tode trennt, erkennt er erst, was wirklich geschieht, u n d ermißt das Ausmaß dessen, was er verliert. I n dieser Situation wendet er sich zum Leben zurück. Obwohl die Welt f ü r ihn sinnlos geworden ist, versucht er, an ihr festzuhalten. N u r durch diesen „Bruch im Charakter" des Helden gewinnt der Tod tragische Bedeutung. E i n heroisches Sterben ist der Tragödie unbekannt u n d würde sie aufheben (vgl. Soph. Antig. 497ff. u n d dazu als Gegensatz 806ff., wo sich Antigone in der gleichen Situation genauso verhält wie Deianeira). Der scheinbare Widerspruch also ist begründet in der tragischen Situation (vgl. Reinhardt S. 257f.). I m übrigen verhält sich Alkestis, von der Heinzschen Fragestellung aus gedacht, doch viel paradoxer. I h r Tod war freiwillig gewählt. Trotzdem bricht sie beim E i n t r i t t ins Brautgemach in Klagen aus. Deianeiras Tod dagegen ist v o m Schicksal erzwungen. Ihre Klagen sind in einer tragischen Situation begründet, die der Alkestis nur in der rein menschlichen, daß sie Angst h a t vor dem Sterben. Wie die Plausibilität der Abschiedsszenen davon abhängig sein soll, daß die Umwelt lange vorher von dem notwendigen Tod der Heldin weiß —- bei Alkestis weiß sie es, bei Deianeira nicht —, ist mir unverständlich. Zu den übrigen Argumenten von Heinz h a t Reinhardt (S. 258) das Nötige gesagt. Ganz allgemein wendet sich gegen die Ergebnisse von Heinz a u c h H o m m e l , N J b b 3, 1940, S. 289 Anm. 80. D a ß sowohl bei Heinz als auch bei Pohlenz Argumente wieder aufleben, die bereits T. v. Wilamowitz (S. 95 Anm. 1) vorbrachte, ist leicht einzusehen. 1 Vgl. das Nebeneinander von λέχος u n d πόσις in V. 180 προδοϋναι γάρ σ* όκνοϋσα καΐ πόσιν. 5 7973 Schwinge, Trachinierinnen
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Sophokles zum letzten Mal die tiefe Liebe der Gattin dokumentieren, sondern die seelische Situation verdeutlichen, in der sich Alkestis im Tode befindet. Wir sahen schon bei der Interpretation der Medea, daß Euripides mit Geschick urtümliche Szenen psychologisch fortführt und ausweitet, um die seelische Lage eines Helden genau analysieren zu können. Nichts anderes geschieht hier. Die Form des Abschiedsmonologs weist selbst darauf hin. Dadurch, daß Euripides Alkestis vor dem Abschied vom Lager völlig ruhig und gesammelt erscheinen, bei dem Abschied aber unter Klagen zusammenbrechen läßt, stellt er sie in einen „psychologischen Kontrast" 1 . Es kam ihm darauf an, die seelische Situation zu zeigen, wie ein Mensch trotz aller innerlichen Ruhe (σωφροσύνη) von einer zu großen inneren Last überwältigt zusammenbricht. Dazu benutzte er für Alkestis den Abschied vom Brautgemach, weil dieser Ort, mit dem jede Frau natürlicherweise am engsten verbunden ist, den seelischen Umschwung am plausibelsten erscheinen läßt. Daß es Euripides auf die Analyse der seelischen Situation und speziell des seelischen Umschwungs der Heldin ankam, zeigt am deutlichsten die Art, wie er den Abschied vom Lager ausgestaltete. Bei Sophokles stürzt Deianeira auf das Brautlager, wälzt die Decken (V. 916), zerreißt sie (V. 919) und redet das Bett an. Bei Euripides — wie in der Medea sind die Motive in typischer Weise gesteigert — küßt Alkestis das Bett, steht auf, wendet sich ab, kehrt zurück, wirft sich von neuem auf das Lager und wiederholt dasselbe mehrere Male (V. 183 ff.). Diese Ausmalung der seelischen Situation rührt an die Grenze des Sentimentalen. War der klagende Abschied bei Sophokles dämonisch-elementar, so rückt er bei Euripides in die Sphäre des Rührseligen. Damit aber wird er hier zum psychologischen Detail, das Drama ist ohne ihn so verständlich wie mit ihm. War er bei Sophokles natürlich und dramatisch notwendig, so ist er bei Euripides künstlich und gesucht, notwendig ist er nicht. Damit aber ist die Frage der Priorität zugunsten des Sophokles entschieden. Drei weitere Punkte kommen hinzu: 1. Bei Sophokles ist der Abschied vom Lager das Letzte. Was danach kommt, ist die Reaktion der Umwelt. Über den Weg der Heldin selbst ist aber mit dem Abschied alles Notwendige gesagt. Er schließt die vorhergehende Handlung — wir haben es oben gezeigt — folgerichtig ab. Ein Weiterführen oder ein andersartiges Ende wäre undenkbar. Bei Euripides dagegen ist der Abschied vom Brautlager kein notwendiger Abschluß. Alkestis tritt danach noch einmal auf und bleibt eine ganze Szene lang auf der Bühne. Durch den Abschied vom Lager wird hier also nicht vom endgültigen Ende berichtet, sondern Alkestis nur von 1 Reinhardt S. 258, vgl. oben, den Kontrast in der Schlafszene des euripideischen Herakles.
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einer weiteren Seite aus indirekt gezeigt und damit ihr Auftritt mit Admet vorbereitet. Schließt der Bericht vom Abschied bei Sophokles ab, so bereitet er bei Euripides das Folgende vor. Daß ihm damit aber bei Sophokles ein wesentlich größeres Gewicht zukommt, ist leicht einzusehen. Genau dasselbe wird auch in den Abschiedsreden vom Inhaltlichen her deutlich. Alkestis vermag auch schon in ihrem Abschiedsmonolog, über ihr Ende hinaus, die Folgen zu bedenken, die durch ihren Tod entstehen werden. Sie weiß nicht nur, daß sie Platz macht für eine andere Gattin Admets (V. 181 σέ δ' άλλη τις γυνή κεκτήσεται), sondern denkt sogar daran, daß das Leben dieser Frau glücklicher werden möchte (V. 182). Daß sie später, als sie selbst auf der Bühne steht, aus Sorge für die Kinder vorwiegend an die Zukunft denkt (V. 300 ff.), ist dann nicht mehr verwunderlich. Für Deianeira dagegen ist mit dem Tode alles zu Ende: V.921 f. ώς εμ' ουποτε |δέξεσθ' έτ' έν κοίτησι ταΐσδ' εύνάτριαν. In derselben Linie liegt es, daß Alkestis sich durchaus vorstellen kann, daß sie ihr Leben fortsetzt (V. 295ff.). Für Deianeira dagegen wäre jede Stunde, die sie weiterlebt, die größte Schmach, die sie treffen kann: V. 721 ζην γαρ κακώς κλύουσαν ούκ άνασχετόν. Der Tod muß für sie notwendig eintreten. 2. Alkestis betont ausdrücklich, daß es ihr möglich gewesen wäre, anstelle des Todes das Leben zu wählen (V. 284). Sie nimmt ihren Tod also nicht auf fremden Befehl hin auf sich, sondern aus freier Wahl. Das Gegenteil ist bei Deianeira der Fall. Vordergründig zwar gibt auch sie sich mit eigener Hand den Tod. Sieht man aber genauer hin, so geschieht ihr Selbstmord nicht aus freiwilligem Antrieb wie bei Alkestis. Indem sie in den Tod geht, bejaht sie nur, was schon längst entschieden ist. Sie muß ihr Schicksal, und d.h. jetzt ihren Tod annehmen (V. 910), da sie den Weg zu Ende zu gehen hat, den sie von ihrem Dämon geführt wurde. Sie muß sterben, weil sich ihr Schicksal erst im Tode vollendet. Bleibt Alkestis' Tod in der rein menschlichen Sphäre — sie vermag sich deshalb mit ihm auch höchsten Ruhm zu erwerben —, so ist der Tod Deianeiras dämonisch — elementar. Die Kategorie „freiwillig — unfreiwillig" läßt sich auf sie genauso wenig anwenden wie die „schuldig — unschuldig". Der Tod ist damit bei Sophokles unlösbar mit dem tragischen Geschehen verwoben, dessen Abschluß er bildet. Bei Euripides steht er gleichsam am Anfang und ist nur insofern mit dem dramatischen Geschehen verknüpft, als er Reaktionen der Umwelt auslöst, die dann ihrerseits das dramatische Geschehen bestimmen. Der Abschied ist bei Sophokles organischer ins Ganze des Dramas eingebaut als bei Euripides. 3. Bevor Deianeira in das Brautgemach stürzt, nimmt sie Abschied von der übrigen Welt, die verbunden mit der Liebe zu Herakles den Inhalt ihres Lebens ausmachte (V. 900—911). Zeigt der Abschied vom 6·
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Brautgemach Deianeira in ihrer Liebe, so der von den Altären, dem Hausgerät (V. 904—906) und den Dienern (V. 908) in ihrer Bindung an alles, was mit dem Haus zusammenhängt. Wie die Liebe zu Herakles das ganze Drama hindurch immer wieder deutlich wurde, der Abschied vom Brautlager also eng mit dem Ganzen der Handlung verknüpft ist, so ist auch dieser Abschied vom Haus dadurch mit dem Vorhergehenden verklammert, daß Deianeira schon vorher immer in ihrer Hausgebundenheit gezeigt wurde: die nächtlichen Sorgen (V. 29), die Sorge um die Kinder; während Herakles kaum kommt, um sie anzuschauen, bleibt Deianeira im Haus (V. 31 if.), Herakles' letzte Verfügungen (V. 155ff.), das „Hausgeld", das der treulose Gatte ihr schickt 1 . Wie die Liebe zum Gatten so bildet auch das Haus — eins durch das andere bedingt — für Deianeira die Mitte ihres Lebens und hat damit in gleicher Weise Anteil an ihrem Schicksal. Daß neben dem Abschied vom Brautgemach der vom Haus steht, ist nicht verwunderlich. Erst beides zusammen bildet den folgerichtigen Abschluß des tragischen Geschehens. Genau wie Deianeira nimmt auch Alkestis im Bericht der Dienerin nicht nur Abschied vom Brautlager, sondern auch von den Altären, dem Gesinde, den Kindern, also dem „Haus" (V. 158 —175, 189—195). Dieser Abschied jedoch steht bei Euripides für sich. Alkestis' Schicksal ist, daß sie sich entschloß, sich zu opfern. Ihr Opfer gilt aber nicht dem Haus, dem Gesinde oder den Kindern, sondern dem Gatten. Der Abschied vom Brautgemach also mag wenigstens vordergründig noch mit diesem ihrem Schicksal in Verbindung stehen. Der Abschied vom „Haus" tut es nicht. Er ist weder mit dem dramatischen Geschehen im ganzen noch in der Abschiedsszene selbst mit dem Abschied vom Brautlager innerlich verbunden 2 . Damit ist evident, daß er wiederum der Analyse der seelischen Situation dient und als ausschmückendes psychologisches Detail den Umbruch V. 176ff. vorbereitet, im Drama selbst aber nicht die geringste dramatische Funktion hat. Das „Haus" wird damit zu etwas Ablösbarem, ist Requisit der bürgerlichen Sphäre und charakterisiert das umgebende Milieu3, 1
Vgl. zum Ganzen Reinhardt S. 63 f., dem ich mich hier auch in der Formulierung anschließe. 2 Lesky vermischt in seinem Einwand gegen Reinhardt (Phil. Woch. 55, 1935, 481 ff.) die beiden Abschiede miteinander. Natürlich ist Alkestis ein Maß von Hausgebundenheit dadurch erwachsen, daß Euripides zwischen Gelöbnis und Einlösen des Opfers einen Zeitraum einschaltete, vgl. die Bitten für die Kinder. Lesky aber übersieht, daß der Tod der Alkestis, ihr Schicksal, mit dieser Hausgebundenheit nichts zu tun hat. Sie jammert, weil sie verliert, was sie nicht will, Deianeira, weil sie verliert, was sie verlieren muß. Auf der anderen Seite ist natürlich der Abschied vom Lager mit dem Opfer eng verklammert; wie es aber um beides in Wirklichkeit steht, sieht Lesky nicht. ' Vgl. Reinhardt S. 63, dem ich hier fast wörtlich folge. Mit dem hier Festgestellten stimmt zusammen, was oben über die Bedeutung des Hauses gesagt wurde. Sie steigt in dem Maße, in dem es Ansehen bei der Umwelt genießt.
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während es bei Sophokles mit dem Schicksal der Heldin verknüpft ist, im Abschied also folgerichtig erwähnt wird. Die Priorität der sophokleischen Trachinierinnen 1 ist dadurch neu gestützt und 438, das Aufführungsjahr der euripideischen Alkestis, als terminus ante quem für die Trachinierinnen als wahrscheinlich erwiesen. Sie rücken damit in die frühe Schaffensperiode des Sophokles. 1 Für die hier vorgetragene Ansicht der Priorität der Trachinierinnen entscheiden sich neben Reinhardt ausdrücklich Zielinski S. 593 f. und Petersen S. 614f.
Β. S O P H O K L E S I. Ü B E R B L I C K Ü B E R DAS S O P H O K L E I S C H E W E R K Die bisherigen Untersuchungen gehen von Beziehungen aus, die die Trachinierinnen mit außersophokleischen Dichtungen verbinden. Wenn ihnen auch bereits dadurch ein annähernd fester Platz in der Reihe der überlieferten sieben sophokleischen Dramen zugewiesen wird, so muß doch durch Vergleich der Trachinierinnen mit den sophokleischen Dramen selbst diese Stellung innerhalb des Werkes neu geprüft werden. Nur wenn das bisher ermittelte Ergebnis durch eine solche Analyse bestätigt wird, kann es richtig sein. Überblicken wir unter dem Aspekt der chronologischen Reihenfolge zunächst das sophokleische Werk als Ganzes. Nur zwei der sieben Dramen sind durch antikes Zeugnis fest datiert: Der Philoktet ist 409 (vgl. 2. Hypothesis), der Ödipus auf Kolonos 401 (vgl. 2. Hypothesis), also postum aufgeführt. Reinhardt hat nachgewiesen (S. 145ff.), daß die Elektra aufgrund von Szenenform und dramatischer Technik den Altersstil des Sophokles erkennen läßt, wie er aus Philoktet und Ödipus auf Kolonos bekannt ist. Daraus ist zu schließen, daß die Elektra zu diesen Dramen rückt. Diese drei Stücke schließen sich damit zu einer gemeinsamen Gruppe des Spätwerks zusammen 1 . Daß der Ödipus Tyrannos in der Mitte des sophokleischen Werks steht, ist heute allgemein anerkannt. Man wird ihn aufgrund der Beziehung zu den 425 aufgeführten Acharnern des Aristophanes2 mit 1
Auch durch den Vergleich mit der euripideischen Elektra wird sich ein annähernd festes Datum für die sophokleische Elektra wohl nicht gewinnen lassen. Einmal ist das für die euripideische Elektra meist angenommene Datum413 selbst nicht sicher, vgl. G. Zuntz, The political Plays of Euripides, Manchester 1955, S. 64ff., zum anderen das zeitliche Verhältnis der beiden Dramen zueinander heftig umstritten. Die Gegensätzlichkeit der Standpunkte kennzeichnen hinreichend die Stellungnahmen von T. v. Wilamowitz S. 228—264 und Whitman S. 51—54 (mit· einer Übersicht über die Frage in der Forschung) für die Priorität des Sophokles und Pohlenz, 2. Bd. Erl. S. 309f. für die des Euripides. Im Augenblick neigt man dazu, die Frage unentschieden zu lassen, so Lesky, Tr. D. S. 124 mit Anm. 2, Zürcher S. 143 Anm. 47, Joerden, Hinterszenischer Raum S. 241 Anm. 1. Mit gewichtigen Argumenten plädiert Matthiessen, Aufbau und Datierung S. 86—95 neuerdings wieder für die Priorität des Sophokles. Das zu prüfen, ist hier kein Raum. 2 Vgl. OT 629 ~ Aristoph. Ach. 27, 271, 275f. (Oxf.), vgl. bes. Pohlenz, 2. Bd. Erl. S. 93 und Lesky, Tr. D. S. 121.
Überblick über das sophokleische Werk
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Recht in die ersten der zwanziger Jahre datieren dürfen1. Daß er den Übergang zum Alterswerk darstellt und sich damit deutlich von den drei übrigen erhaltenen Dramen Aias, Trachinierinnen und Antigone abhebt, zeigt sich rein äußerlich am klarsten daran, daß im OT zum ersten Mal die Diptychonform der früheren Dramen völlig überwunden ist — Ödipus steht vom Anfang bis zum Ende auf der Bühne — und die Technik des Dreigesprächs jetzt vollkommen gehandhabt wird2. Aias, Trachinierinnen und Antigone rücken damit als zweite geschlossene Gruppe zum Frühwerk zusammen3. Obwohl Wilamowitz4 und T. v. Wilamowitz5 der Antigone den ersten Platz unter den erhaltenen Dramen zuwiesen, ist man sich heute weitgehend darüber einig6, daß der Aias diese Stelle einnehmen muß. Bei Reinhardt7 und Pohlenz8 finden sich die nötigen Hinweise. Wie weit man in der Datierung dieses Stückes hinaufzugehen hat, bleibt unsicher9. Daß die letzten der fünfziger Jahre am ehesten in Frage kommen, scheint nach den in dieser Arbeit ermittelten Ergebnissen wahrscheinlich10. Die Antigone dürfen wir trotz aller gebotenen Vorsicht gegenüber der Anekdote11, daß dieses Drama Sophokles das Strategenamt im Samischen Krieg einbrachte, wenn auch nicht gerade auf das Jahr 44212 1 Die Pest in Athen aus dem J a h r 430 (vgl. Thuk. 2, 47ff.) als Anregung des Sophokles anzunehmen u n d daraus als Zeitpunkt f ü r den OT d a n n auch die J a h r e u m 429 abzuleiten, ist möglich, so z.B. mit Literaturangaben W h i t m a n S. 49 f. Als wahrscheinlicher aber erscheint das literarische Vorbild der Pest aus der Ilias A 33 ff. 2 Siehe dazu unten, S. 74 f. 3 Eine gleiche Gruppierung des sophokleischen Werkes findet Webster, Introduction S. 144f. u n d schon S. 3 u n d Herrn. 71, 1936, 268ff. aufgrund von Untersuchungen zum Wortschatz des Sophokles. 4 Vgl. Berl. Klass. Texte V, 2, 71, dagegen vgl. Reinhardt S. 243ff. 5 Vgl. S. 51 Anm. 1. 6 N u r P e r r o t t a S. 163—184 n i m m t Wilamowitz' These auf, vgl. dazu Pohlenz, 2. Bd. Erl. S. 77 u n d Lesky, Tr. D. S. 109 Anm. 1. Ebenso datiert Buchwald, Studien zur Chronologie S. 49 den Aias mit Hinweis auf E u r . f r . 723 Ν — Ai. 1102 spät, u n d zwar n a c h 438, vgl. dagegen Reinhardt S. 245. 7 Vgl. Herrn. 69, 1934, 233ff., bes. 260 weist Reinhardt die F o r m des Prologs als archaisch nach. 8 Vgl. 1. Bd. S. 181 u n d 183, bes. mit Hinweis auf die Nähe zur aischyleischen Tragik, u n d 2. Bd. Erl. S. 78 in der Argumentation gegen Wilamowitz. 9 Vgl. Lesky, Tr. D. S. 109 Anm. 1. W h i t m a n S. 45f. versucht aufgrund der historischen Parallele im Leben des Kimon (gest. 449) das D r a m a ins J a h r 447 zu setzen. Daß auch dies Hypothese bleibt, sagt er selbst. 10 Siehe u n t e n den Bakchylidesabschnitt. 11 Vgl. die Hypothesis des Aristophanes. 12 So S c h m i d - S t ä h l i n i , 2, S. 325, bes. Anm. 10 u n d auch S. 317 Anm. 7, Hoffmann, Chronologie S. 50, Pohlenz, 1. Bd. S. 184, W h i t m a n S. 45, Lesky, Tr. D. S. 113 u n d bes. Ehrenberg S. 167f. E r hält durchaus f ü r möglich, was Reinhardt S. 251 bezweifelt: daß Sophokles nämlich während seiner Amtszeit als Hellenotamias 443/2 a n der Antigone gearbeitet h a t . Die Ansicht, daß die
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Sophokles
— ein festes Datum zu ermitteln, hält schon Wilamowitz 1 für unmöglich —, so doch in die letzten der vierziger Jahre datieren. Das propter hoc der Anekdote wird man dabei aus einem post hoc entstanden denken müssen 2 . Obwohl dies post hoc rein logisch nach oben hin unbegrenzt ist 3 , wird man trotzdem die Aufführung nicht allzu hoch ansetzen, da die Anekdote sich doch wohl nur halten konnte, wenn kein zu großer Zeitraum Aufführung der Antigone und Zeitpunkt der Strategie voneinander trennte. Daß die Trachinierinnen besonders auf Grund der zweiteiligen Komposition vor den Ödipus Tyrannos rücken, dürfte nach der Arbeit von Johanna Heinz kaum noch bestritten werden 4 . Wir hatten oben das Jahr 438, das letzte greifbare Datum, als terminus ante quem für die Trachinierinnen erwiesen. Damit ist nicht nur die Priorität gegenüber dem Ödipus Tyrannos neu erhärtet — die folgende Analyse der dramatischen Technik wird aus dem sophokleischen Werk selbst die Bestätigung bringen —, sondern auch der Weg zu einer neuen Behandlung des Verhältnisses Antigone — Trachinierinnen geöffnet und der Reinhardtschen These der Priorität der Trachinierinnen die Möglichkeit der Richtigkeit neu eingeräumt 6 . Notwendigerweise werden sich also die folgenden Ausführungen über die Stellung der Trachinierinnen innerhalb der übrigen sophokleischen Dramen primär auf die Frage des Verhältnisses von Antigone und Trachinierinnen konzentrieren müssen. Die Untersuchung selbst wird sich in erster Linie auf die dramatische Form der einzelnen Stücke beziehen. Zunächst soll diese an einigen Erscheinungen in den Dramen bis zum Ödipus Tyrannos, zuletzt von einem Aspekt aus im ganzen sophokleischen Werk analysiert werden. Antigone deshalb „mit der frischen Erfahrung eines Staatssekretärs des Reichsschatzamtes verfaßt ist" (so Wilamowitz, Die griechische Literatur des Altertums S. 75), dürfte heute nur noch philologiegeschichtliches Interesse finden. Das Jahr 441 scheidet schon deshalb aus, weil da Euripides siegte (vgl. Marm. Par. 60 und Hoffmann T. 12, 6) und die Wahl zum Strategen im Anthesterion, also vor dem Elaphebolion, dem Monat der Dionysien, stattfand, vgl. Ehrenberg S. 167. 1 Vgl. Aristoteles und Athen, Berlin 1893, 2. Bd. S. 298 Anm. 14. 2 Vgl. so schon Wilamowitz, Aristoteles und Athen 2. Bd. S. 298 Anm. 14. 3 So u.a. Reinhardts Einwand S. 251. 4 Vgl. Lesky, Tr. D. S. 119, Whitman S. 49 und Kamerbeek, Trachinierinnen S. 28f. 5 Reinhardts Frühdatierung schließt sich gegen Heinz auch Hommel an, Ν Jbb 3, 1940, 289 Anm. 80. Er will sogar die Reihenfolge Trachinierinnen — Aias nicht als unmöglich ausschalten, auf jeden Fall aber für etwaige Gleichzeitigkeit mit dem Hinweis plädieren, daß in Herakles' Euboia-Expedition die 446/5 vollzogene Unterwerfung der Insel durch Perikles nachwirken könne. Zur Vorsicht bei dieser und ähnlichen „datierungsgründenden Zeitanspielungen" mahnt völlig zu Recht Lesky, Tr. D. S. 118 Anm. 4.
Die Entwicklung des Dreigesprächs
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Immer wird dabei die Frage bestimmend sein, wie sich die Handlung, also das f ü r das Drama primär Charakteristische, in jedem Stück ausdrückt, wo sie mehr, wo sie weniger bestimmend ist.
II. D I E E N T W I C K L U N G D E S D R E I G E S P R Ä C H S Obwohl Sophokles den dritten Schauspieler einführte, ist auch bei ihm die Technik, ein Gespräch zwischen drei Spielern darzustellen, nicht von Anfang an ausgebildet 1 . Das zeigt zunächst der Aias. In diesem Drama hätte am ehesten die Diskussion um das Begräbnis des Helden (V. 1226ff.) einen Ansatzpunkt f ü r ein Dreigespräch gegeben. Eine Reihe unverbundener Dialoge jedoch tritt an seine Stelle: V. 1226—1315 Agamemnon — Teukros V. 1318—1373 Odysseus — Agamemnon V. 1376—1401 Odysseus — Teukros. Besonders der Auftritt des Odysseus hätte ein Dreigespräch auslösen können. Teukros hätte seinen Helfer begrüßen und ihm seine Ansicht im Gegenüber mit Agamemnon vortragen können. Dagegen sind die Dialoge sukzessiv aneinandergereiht und die Übergänge sogar jeweils noch durch zwei Verse des Chorführers markiert, die die Dialoge miteinander verbinden. In den Trachinierinnen hätte sich bereits am Anfang aus dem Gegenüber von Deianeira, der Amme und Hyllos ein Dreigespräch entwickeln können. Daß die dramatische Technik aber auch in diesem Drama noch auf der Stufe des Aias steht, zeigt besonders deutlich die Verhörszene V. 385ff. Nach zwei langen Gesprächen der Deianeira — das erste mit Lichas (V. 229—334), das zweite mit dem Angelos (V. 335—382) — und einigen Überleitungsversen spricht Deianeira zunächst wieder mit Lichas (V. 393-—401). Der Bote greift mit einer scharfen Wendung an Lichas ein und f ü h r t mit ihm das Gespräch allein fort (V. 402—433). Durch eine abrupte Hinwendung zu Deianeira (V. 434) lenkt Lichas auf Deianeira zurück, veranlaßt sie zu ihrer Trugrede und führt mit ihr den Dialog zu Ende (V. 434—496). Wiederum also stehen drei Gespräche nebeneinander 2 . 1
Vgl. allgemein zum Dreigespräch Listmann, Die Technik des Dreigespräcbs in der griechischen Tragödie, Diss. Gießen 1910, bes. S. 13ff. und Jens, Stichomythie, Zetemata H. 11.—• Unter Dreigespräch soll in dieser Arbeit nur das Gespräch zwischen drei Schauspielern, nicht das zwischen zwei Schauspielern und dem Chor verstanden werden. 2 Daß das Fehlen des Dreigesprächs ein Argument für die frühe Abfassung der Trach. sei, bestreitet Luisa Sirchia, Dioniso 21, 1958, 68f., indem sie „Stilgründe" für eben das Fehlen verantwortlich macht: Das Schweigen Deianeiras von V. 402—435 und die erst dann folgende Bede lasse ihr Wesen besonders deutlich werden. Hätten kurze Einwürfe von Seiten Deianeiras das verhindert ?
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Sophokles
Die für Aias und Trachinierinnen charakteristische Technik der sukzessiven Dialogreihung scheint erstmals, wenigstens im Ansatz, in der Antigone überwunden zu sein. Kreon hatte von V. 384-—440 in Gegenwart der Antigone mit dem Wächter einen Dialog gehalten, V. 441 schloß sich in der bekannten Form ein zweites Gespräch mit Antigone an. Als aber Ismene aus dem Haus tritt (V. 526), wendet sich Kreon plötzlich mit der Frage an sie, ob sie an dem Begräbnis beteiligt sei. Die Antwort, die Ismene gibt (V. 536f.), ist durchaus an Kreon gerichtet, weist aber zugleich schon auf Antigone: εί'περ ήδ' όμορροθ-εΐ. Den ihr zugeworfenen Ball fängt Antigone auf und führt dann mit Ismene das Gespräch alleine fort (V. 538ff.). Daran schließt sich dann in bekannter Form ab V. 561 ein weiterer Dialog zwischen Kreon und Ismene an 1 . Die Antwort der Ismene zeigt, daß das Gespräch nicht nur im Gegenüber zu einer Person, sondern im Gegenüber zu zweien eine neue Wendung nimmt. Unverkennbar ist damit — zum ersten Mal bei Sophokles — ein Ansatz zum Dreigespräch gegeben, der sich in Aias und Trachinierinnen noch nicht fand. Die volle Ausbildung erfährt das Dreigespräch im Ödipus Tyrannos 2 . Das zeigen besonders zwei Stellen. Nachdem ab V. 532 Ödipus und Kreon bereits in einem langen Dialog ihren Streit auf die Spitze getrieben haben, äußerlich daran kenntlich, daß das Gespräch ab V. 626 in Antilabai ausläuft, schaltet sich in V. 634 lokaste ein. Es entwickelt sich ein Gespräch zwischen lokaste, Kreon und Ödipus. Das Hin und Her wird durch das Eingreifen des Chores noch verstärkt. Alle drei Schauspieler beteiligen sich selbständig an der Handlung, jeder markiert im Gegenüber zu den beiden anderen seinen eigenen Standpunkt. Ein zweites, bis ins Letzte ausgearbeitetes Dreigespräch findet sich in der Verhörszene V. 1117ff.3. In Υ. 1128 stellt Ödipus den Hirten und den Boten einander gegenüber, in V. 1132 kann der Bote eingreifen, weil er dem Gespräch gefolgt ist, und, nachdem er sich zuerst Ödipus zugewandt hat, den Hirten zum Bekenntnis der Wahrheit zwingen. Das nimmt Ödipus auf und führt es bis zur völligen Erkenntnis fort (V. 1182). Da die Parallelität der Verhörszenen in den Trachinierinnen und dem Ödipus Tyrannos bis in Einzelheiten hinein verfolgt werden kann, kann ein Vergleich gerade dieser beiden Szenen den Fortschritt in der 1 Auch die hier aufgewiesene Technik der Gesprächsführung zeigt deutlich, daß in V. 572 Ismene und nicht Antigone spricht. 2 Die Entwicklung des Dreigesprächs bei Sophokles sieht auch Listmann so, Wie es hier vorgetragen ist. Für die Chronologie aber zieht er falsche Folgerungen, wenn er S. 38 Trach. und OT auf die gleiche Stufe stellt. — I n den drei letzten Dramen ist das Dreigespräch dann etwas Selbstverständliches, vgl. El. 660ff., Phil. 974ff„ OC 887ff. 3 Daß daneben auch im OT die alte Form der Aneinanderreihung von Dialogen fortbesteht, zeigt Listmann S. 24f.
Die Diptychonform
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Technik des Dreigespräches von den Trachinierinnen zum ödipus Tyrannos besonders deutlich zeigen. Diesen Vergleich selbst genau durchzuführen, ist nicht nötig, da bei Jens 1 eine eingehende Analyse gerade dieser parallelen Szenen vorliegt. Wichtig ist für unsere Fragestellung, daß der Ödipus Tyrannos sich eindeutig von den drei frühen Dramen abhebt, zugleich aber auch schon die Antigone sich durch einen Ansatz zum Dreigespräch von Aias und Trachinierinnen absondert 2 . Daß sich in diesem Punkt auch schon Aias und Trachinierinnen voneinander scheiden — dort wurden die Übergänge zwischen den Dialogen durch den Chor, hier durch die Personen selbst motiviert —, hat Heinz (S. 276f.) gezeigt. Die damit angedeutete Entwicklungslinie Aias, Trachinierinnen, Antigone, Ödipus Tyrannos muß weiter verfolgt werden. III. D I E
DIPTYCHONFORM
Daß sich die ersten drei Dramen auch aufgrund ihrer Gesamtkomposition vom Ödipus Tyrannos und den drei Stücken des Alterswerkes abheben, wird seit Websters Ausführungen kaum noch bezweifelt. Er hat daraufhingewiesen 3 , daß diese Dramen zweiteilig komponiert sind, und für diesen Aufbau den Ausdruck „diptych form" geprägt. Durch den Tod des Helden, des Aias, der Deianeira 4 , der Antigone, ist im Ablauf des Geschehens jeweils eine deutliche Cäsur gesetzt, die die Stücke in zwei Teile aufspaltet. Erstmalig im Ödipus Tyrannos ist die dramatische Kontinuität gewahrt, und zwar dadurch, daß die Hauptfigur von Anfang bis Ende auf der Bühne bleibt. Rücken damit Aias, Trachinierinnen und Antigone eng zusammen, so ergeben sich doch einer genaueren Betrachtung auch in der Durchführung der Diptychonform einige Differenzierungen, die eine Entwicklung ahnen lassen. In Aias und Trachinierinnen ist der Beginn des neuen Abschnittes nicht nur durch den Tod des Helden markiert, sondern daneben noch durch das Auftreten einer neuen Figur. Im Aias ist es Teukros (V. 974) — von Anfang an war durch Nennung seines Namens (V. 342, 562, 720ff., 827, 921) immer mehr auf ihn hingelenkt und zugleich wie durch die Figur des Hyllos in den Trachinierinnen die Verbindung zwischen den beiden Teilen des Dramas geschaffen —, in den Trachinierinnen ist es Herakles (V. 983). Daß auch er indirekt schon immer im ersten 1
Vgl. Zetemata H. 11, 1955, S. 75ff., vgl. auch Heinz S. 274ff. Vgl. so sogar Heinz S. 277. 3 Vgl. Introduction bes. S. 102ff., vgl. auch S. 4, 168, 172. 4 Da die Trachinierinnen eine Doppelschicksalstragödie sind, muß von Herakles in gleicher Weise als vom Helden des Dramas gesprochen werden, ausführlicher dazu s. u. S. 78 mit Anm. 1. 2
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Teil anwesend war, braucht nach der oben vorgetragenen Interpretation nicht weiter ausgeführt zu werden. Vom Prolog an kreist Deianeiras ganzes Denken und Handeln einzig um ihren Gatten. Eigenartigerweise ist bisher, soweit wir sehen, in der Literatur nicht darauf geachtet worden, daß es in der Antigone eine in ähnlicher Weise nach dem Tod des Helden neu auftretende Figur nicht gibt. Einig ist man sich nur darüber, daß hier Kreon die entsprechende Gegenfigur zu Antigone darstellt. Daß er aber von Teukros und Herakles rein äußerlich dadurch unterschieden ist, daß er sich von Anfang bis Ende selbst auf der Bühne befindet, also nicht erst nach Antigones Tod die Szene betritt, wurde nicht hervorgehoben 1 . Von Beginn an jedoch greift er deutlich ins dramatische Geschehen ein, nicht nur durch seine politischen Anordnungen (V. 162ff.), sondern auch durch seine scharfe Auseinandersetzung mit Antigone (V. 441 ff.) nach deren Tat und besonders dann dadurch, daß er Antigone töten läßt. War in Aias und Trachinierinnen durch wiederholte Hinweise auf die im zweiten Teil neu auftretende Person die Verbindung zwischen den beiden Teilen des Dramas geschaffen, so ist in der Antigone bereits durch die ständige Präsenz dieser Gegenfigur selbst die dramatische Kontinuität gewahrt. Damit aber ist schon in der Antigone die Diptychonform von einer Seite aus überwunden. Die Antigone hebt sich als dramatisch entwickelter von Aias und Trachinierinnen ab und rückt in die Nähe des Ödipus Tyrannos. Die Ausführungen, die Heinz (S. 277) zu diesem Punkt macht, veranlassen uns, kurz darauf hinzuweisen, daß die hier aufgezeigte Entwicklung auch vom Inhaltlichen her ihre Bestätigung findet. Den zweiten Teil der genannten Dramen bestimmen jeweils Gestalten, die, zum Helden des Dramas in deutlichem Kontrast stehend, die Folie bilden für das Verständnis seines Denkens und Handelns. Im Aias sind es die beiden starren, feilschenden Könige Menelaos und Agamemnon, in den Trachinierinnen ist es Herakles, in der Antigone — bereits das ganze Drama über — Kreon. Während das Königspaar im Aias noch nicht vom tragischen Geschehen ergriffen wird, also noch ohne eigenes Schicksal ist 2 , haben Herakles — er erwacht aus dem Wahn, als Nessos genannt wird (V. 1141), und erkennt sein Schicksal in der Erfüllung der Orakel — und Kreon — er ist nicht bloße Kontrastfigur, ähnlich Menelaos und Agamemnon, wie Heinz meint — neben der Hauptfigur ein 1
Kirkwood S. 46f. weist immerhin kurz daraufhin, daß in der Ant. die Kontrastfiguren nicht nur indirekt aufeinander bezogen sind wie in Ai. und Trach., sondern direkt im Drama aufeinanderstoßen. 2 Von diesem Aspekt aus könnte man vielleicht das Scholion zu Ai. 1123 verstehen, das das Aiasdrama auf Grund des zweiten Teils negativ beurteilt. Daß der zweite Teil aber auch im Aias dramatisch notwendig ist, zeigen die Interpretationen bei Reinhardt und Lesky, Tr. D. S. 112.
Die Diptychonform
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eigenes Schicksal1. Doch auch zwischen Antigone und Trachinierinnen besteht in diesem Punkt noch ein Unterschied. In den Trachinierinnen 1
E s ist klar, daß hinter dieser These, insofern sie Kreon betrifft, ein ganz bestimmtes Verständnis der Antigone steht, das genau ausgeführt werden müßte. D a das aber eine eigene Arbeit erforderte, m u ß es hier genügen, auf die Interpretation von Reinhardt zu verweisen (zu diesem P u n k t siehe besonders S. 73— 75), die von den bisherigen Deutungsversuchen a m ehesten das Richtige zu treffen scheint. Gesagt sei nur, daß mit den „zwei Schicksalen", dem der Antigone u n d dem des Kreon, in keiner Weise der Hegeischen Antigoneinterpretation (vgl. Jubiläumsausgabe Bd. 14 Ästhetik 3. Bd. S. 551, 556 u n d Bd. 16 Philosophie der Religion 2. Bd. S. 133f.) Folge geleistet wird, die die Deutung dieses Dramas lange bestimmte. Auch Schadewaldts Interpretation (Neue Wege zur Antike V I I I , 1929, 59ff.) steht noch ganz unter dem Einfluß Hegels (vgl. bes. S. 99ff. H e u t e allerdings bezeichnet Schadewaldt selbst diese Arbeit als überholt, vgl. Hellas und Hesperien S. 1048). Das D r a m a zeigt nicht zwei Prinzipien, die einander gleichwertig gegenüberstehen, sondern zwei Schicksale, die sich, durchaus ungleichwertig, im D r a m a erfüllen. Was Antigone u n d Kreon vertreten, begründet nicht einen Anspruch, sondern ist Ausdruck der Wertigkeit ihres Schicksals. I m Verlauf des Dramas erfüllt sich ein Doppelschicksal (vgl. R e i n h a r d t S. 73f.). Auch der letzte durch Eberlein (Gymn. 68, 1961, 16ff.) unternommene Versuch, Hegels Deutung doch wenigstens bis zu einem gewissen Grade aus dem Antigonetext heraus zu untermauern u n d so zu rechtfertigen, m u ß als mißglückt angesehen werden. Eberleins Grundthese ist, daß Antigone u n d Kreon sich entwickeln (S. 22 „Dieser Mann u n d dieses Weib entwickeln sich"), Antigone von der Verfechterin des Prinzips der Familienliebe zum f r o m m e n Mädchen, das n u r noch ein göttliches Gebot erfüllt, Kreon vom K ä m p f e r f ü r ein göttlich legitimiertes Staatsprinzip zum tyrannisch-egoistischen Usurpator (S. 32 „Der König entwickelt sich von den Göttern weg zu egozentrischer Subjektivität"). Analog e r f ä h r t das D r a m a im ganzen eine Wende, der Aspekt der „Waagrechten" wird abgelöst von dem der „Vertikalen" (S. 23), der Prinzipienaspekt vom „moralischen" (S. 22) oder „persönlichen ethischen" (S. 23). Dieser „Übergang zur theologischen Sicht" (S. 26) vollzieht sich nach der Tat Antigones. I n V. 1—220 also soll das Stück eine „Prinzipientragödie" (S. 17) im Hegelsehen Sinne sein, in V. 221 bis zum Ende d a n n primär ein „Prinzipiendrama, wo der Sieg der höchsten Geltung nicht ausbleiben k a n n " (S. 17). Dazu m u ß zweierlei gesagt werden: 1. Auch wenn vor der Tat Antigones expressis verbis nicht auf den „ethischen Aspekt" hingewiesen wäre, unter dem Antigones u n d Kreons Handeln d a n n zum E n d e hin immer expliziter gestellt wird, d ü r f t e n beider Äußerungen nicht von den späteren isoliert betrachtet werden u n d d a n n ausschließlich auf die Prinzipien Familienliebe bzw. Staatsraison hin interpretiert werden. Das Spätere ist a m Anfang doch immer schon latent vorhanden. Eine Entwicklung findet nur insofern statt, als durch Antigones u n d Kreons Aktionen gegenseitig ans Licht gezogen wird, was sich n u r zunächst, als die Gegner noch nicht aufeinandergestoßen waren, als „Prinzip" darbieten konnte. 2. wird aber auch bereits vor Antigones T a t darauf verwiesen, d a ß das Wirken der Kontrahenten von Beginn an unter den „ethischen" Aspekt gestellt ist. Antigone erwähnt V. 77 die Götter, mit V. 89 zusammengenommen ist dieser Hinweis so stark, daß m a n ihn ernster nehmen muß, als es Eberlein S. 24 t u t . Eine eingehende Interpretation der Thronrede Kreons V. 163ff. würde Kreon bereits von Anfang an als den Tyrannen zeigen, als der er sich zum E n d e hin immer mehr e n t p u p p t . Hier k a n n n u r auf V. 205f. verwiesen werden, wo Kreon bereits deutlich zeigt, daß er über die Kompetenzen eines „rechtmäßigen
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stehen zwei völlig gleichwertige Schicksale nebeneinander, das der Deianeira ist so erfüllt wie das des Herakles. Äußerlich läßt sich das daran erkennen, daß jedes Schicksal sich auch im Drama selbst ganz für sich entfaltet. Die Personen sind nicht direkt verflochten, nur ein innerer Zusammenhang verbindet sie und damit die beiden Teile des Dramas. Diese Kongruenz von doppeltem Schicksalsgeschehen und dramatischer Form zeigt, daß die zweiteilige Komposition nirgends so scharf durchgeführt ist wie in den Trachinierinnen1. In der Antigone dagegen sind einmal die Schicksale im Drama selbst direkt miteinander verflochten — Kreon ist die ganze Zeit über auf der Bühne —, zum andern besteht zwischen ihnen ein deutlicher Unterschied. Das Schicksal der Antigone ist erfüllt, ihre große Verpflichtung hebt es auf eine hohe Stufe, das des Kreon dagegen ist leer. Seine Hybris steigert sich bis zuletzt (vgl. bes. V. 988ff.); als er erkennt, ist es zu spät (V. 1270), sein Schicksal bleibt trotz aller Klagen auf der niedrigen Stufe der Hybris2. Entsprechen einander nun nicht mehr wie in den Trachinierinnen zwei gleichwertige, sondern zwei ungleichwertige Schicksale, so bedingt das, vom Dramatischen aus gesehen, daß sie als Schicksal und Gegenschicksal aufeinander bezogen sind, und das heißt, daß aus dem Gegensatz eine neue dramatische Spannung erwächst. Diese Spannung ist die des Kontrastes3. Standen in den Trachinierinnen Schicksale und Personen unverflochten nebeneinander, so sind sie in der Antigone aufgrund der ungleichen Wertigkeit auch inhaltlich von Anfang an miteinander verkettet. Damit treten erstmalig in der Antigone zwei Herrn der Polis", der er f ü r Eberlein anfangs „sicher" (S. 28) ist, weit hinausgeht. (Wie m a n sagen k a n n : „. . . daran soll offenbar jetzt noch nicht erinnert werden, würde doch Kreon sonst belastet", ist mir unverständlich). Sind diese Hinweise auch sparsam angebracht, so doch deutlich genug. Daß sie so sparsam sind, liegt im Anfang des Dramas begründet, der immer nur verborgen enthält, was der Gang des Dramas entfaltet. So ist die indirekte Forderung Eberleins (S. 24), Antigone h ä t t e sich gleich a m Anfang auf die „ungeschriebenen Gesetze" berufen müssen, wenn sie ihr Handeln schon eingangs ganz unter das Gebot der Götter stellte, doch wohl einfach eine Verkennung dessen, was m a n als dramatischen Ablauf bezeichnet. 1 E s ist möglich, das durch den N a m e n des Dramas bestätigt zu sehen. Die Trachinierinnen sind u n t e r den überlieferten Stücken die einzige Tragödie des Sophokles, die nach dem Chor und nicht nach einer der Gestalten benannt ist, vgl. Pohlenz, 1. Bd. S. 207. Man k a n n hier weder von Deianeira noch von Herakles als der Hauptfigur des Stückes sprechen. Dillers Versuch (Wien. Stud. 69, 1956, 83 u n d Antike u n d Abdld. 6, 1957, 164), Herakles zu dieser Hauptfigur u n d die Trach. zu einer reinen Heraklestragödie zu machen, ist nicht gerechtfertigt. 2 Vgl. zum Ganzen die Interpretation Reinhardts, zur Gestalt des Kreon besonders Jens, Antigone — Interpretationen, Festschrift Weinreich S. 43ff. 3 Vgl. Reinhardt S. 102: „ E b e n daß das eine Schicksal leer ist, m a c h t es erst zum Gegenbild gegen des anderen Fülle."
Die Entwicklung des Dialogs
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Schicksale ins dramatische Spiel1, eine verbindende Figur wie Hyllos ist — auch vom Inhaltlichen her gesehen — nicht mehr nötig2. Nicht also in den Trachinierinnen, wie Heinz meint, sondern in der Antigone ist die Diptychonform, ganz entsprechend dem Ergebnis der formalen Analyse, auf den Höhepunkt ihrer Entwicklung gebracht und damit fast schon überwunden3. IV. D I E E N T W I C K L U N G D E S D I A L O G S Eine Untersuchung der Dialogtechnik in den Dramen Aias, Trachinierinnen und Antigone soll die ermittelte Entwicklung neu bestätigen. Wir betrachten im Aias zwei, in den Trachinierinnen und der Antigone je einen Dialog4. Bei der Analyse dieser Dialoge soll die Frage im Vordergrund stehen, inwieweit in den Gesprächen selbst ein dramatischer Fortschritt erreicht wird. Im Aias kreist der zweite Teil um das Begräbnis des Helden. Im wesentlichen sind es zwei klar ausgeführte Dialoge, die den Kampf um dieses Begräbnis zum Inhalt haben5, der erste zwischen Menelaos und Teukros V. 1047—1162, der zweite zwischen Odysseus und Agamemnon V. 1318—1373. Eine kurze Stichomythie (V. 1040—1046) zwischen dem Chor und Teukros kündigt Menelaos an und bildet damit die Basis für das folgende Streitgespräch6. In einer weiteren kurzen Stichomythie 1
Vgl. Reinhardt S. 102. Neoptolemos wird später im Philoktet als Verbindungsfigur ein weit größeres Gewicht u n d eine ganz andere, vom inneren Geschehen her begründete Funktion erhalten u n d damit zur fast gleichwertigen Hauptfigur neben Odysseus u n d Philoktet werden. 3 Es wäre besser gewesen, wenn Heinz ihre Argumentation nicht ausschließlich auf ihren Widerspruch gegen einen Satz Reinhardts (bei ihr zitiert S. 278) aufgebaut h ä t t e . H ä t t e sie nämlich Reinhardts Ausführungen genau gelesen, so h ä t t e sie auch bereits in der ersten Auflage (S. 75f. u n d 104) finden können, daß Reinhardt auch die Antigone als Doppelschicksalstragödie interpretiert. U m die Richtigkeit ihrer These zu beweisen, h ä t t e diese Interpretation widerlegt werden müssen. Das aber geschieht nicht. 4 Vgl. zu den übrigen Dialogen in den erhaltenen Tragödien des Aischylos u n d Sophokles Jens, Zetemata H . 11, 1955. D a ß die von uns ausgewählten Dialoge als exemplarisch f ü r die entsprechenden Dramen gelten dürfen, ist aus dieser Arbeit ersichtlich. — Wie sehr der folgende Abschnitt der Studie von Jens verpflichtet ist, dürfte leicht einzusehen sein. Daß sich bei dieser Themastellung oftmals Berührungen ergeben, ist selbstverständlich. 5 I m Gegenüber Agamemnon — Teukros V. 1226ff. sind die Standpunkte n u r in zwei langen Reden dargelegt, zu einem Dialog, stichomythisch ausgeführt, k o m m t es nicht. • I n V. 1042 (έχ&ρόν φώτα) u n d V. 1043 (κακούργος άνήρ) charakterisiert der Chor Menelaos schon als den Mann, als den ihn auch der folgende Dialog entlarven wird. 2
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(V. 1047—1051) werden die Standpunkte der Streitenden geklärt. Menelaos gibt mit den ersten Worten seine Ansicht kund: V. 1047 ούτος, σέ φωνώ τόνδε τον νεκρόν χεροϊν μή συγκομίζειν. Damit ist der genaue Gegensatz zu Teukros bezeichnet, dem alles darum geht, Aias zu begraben. Menelaos beruft sich auf Agamemnon, den Führer des Heeres (V. 1050), Teukros aber fragt nach dem Grund seiner Ansicht (V. 1051). Das f ü h r t zu zwei langen Reden, in denen jeder der Partner seinen Standpunkt begründet. Zunächst spricht Menelaos (Y. 1 0 5 2 — 1 0 9 0 ) A n den Anfang seiner Rede stellt er die aktuelle Tat des Aias (Y. 1052—1061). Ehe er dann zu allgemeinen Maximen übergeht, wiederholt er seinen Standpunkt: V. 1062 ών οΰνεκ' αύτόν ουτις έ'στ' άνήρ σθένων τοσούτον ώστε σώμα τυμβεΰσαι τάφω, und warnt Teukros, dagegen einzuschreiten (V. 1066). Danach weitet er die Deutung des durch Aias Geschehenen zu einer allgemeinen Staatsphilosophie aus. E r beruft sich auf die Gesetze der Polis 2 , fordert Furcht und Scheu vor ihnen 3 und sieht im Freveln gegen sie den Untergang jedes Staates vorbereitet 4 . Am Ende wendet er sich zum Aktuellen zurück, nennt Aias einen solchen Frevler 5 , wie er ihn eben beschrieben hat, und wiederholt wörtlich, nun schon zum dritten Male, den Standpunkt des Anfangs: V. 1089 καί σοι προφωνώ τόνδε μή &άπτειν ~ V. 1047f. ούτος, σέ φωνώ τόνδε τον νεκρόν χεροϊν | μή συγκομίζειν. Eine Todesdrohung an Teukros (Υ. 1090) soll seinen Worten rückwirkend das rechte Gewicht verleihen. Zwei Verse des Chores leiten zur Teukrosrede über. Sie rücken die Rede des Menelaos zugleich in das Licht, in dem man sie sehen soll. Über die Einseitigkeit seiner scheinbar so gültigen Staatsphilosophie (vgl. V. 1091 γνώμας . . . σοφάς) kann Menelaos selbst zu dem Frevler werden — V. 1092 υβριστής ~ V. 1088 ύφβριστής —, als welchen er Aias bezeichnet hat. 1 Unter historisch-inhaltlichem Aspekt untersucht die Grundlagen der Argumentation des Menelaos und Agamemnon Camerer, Gyrnn. 60, 1953, 313f. 3 V. 1073 έν πόλει νόμοι, ebenso macht später Agamemnon in V. 1247 das Gesetz zur Grundlage seiner Argumentation. 3 V. 1074 δέος ~ 1079 δέος ~ 1084 δέος, V. 1076 φόβου πρόβλημα μηδ' αίδοϋς, 1079 αισχύνη. 1 Vgl. Υ. 1081 ff. ύβρίζειν. Die politische Theorie, die Menelaos hier andeutet, wird Kreon in der Antigone als geschlossenes System vorführen, vgl. das Gespräch mit Haimon V. 635ff., aber auch schon V. 163ff. und 473ff. Die Atriden im Aias sind die Vorläufer des Kreon, zum Unterschied vgl. Ehrenberg S. 65f. 5 Vgl. V. 1088 υβριστής und schon V. 1061 ößpiv, auf Aias bezogen.
Die Entwicklung des Dialogs
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Teukros beginnt, an den Chor gewandt, sofort mit einer indirekten Verurteilung des Menelaos (V. 1093—1096). Sich an den Gegner selbst wendend (V. 1097) gründet er seine Widerlegung dann darauf, daß er Menelaos jeglichen Herrschaftsanspruch über Aias bestreitet 1 , zunächst in der Form von vier Fragen (V. 1097—1101), dann als klare Aussage vorgetragen: Y. 1105 ούχ δλων στρατηγός, ώστ' Α'ΐαντος ήγεΐσθ-αί ποτε. Als Konsequenz daraus stellt er dem Verbot des Menelaos (V. 1047, 1066, 1089) seine Weigerung gegenüber: V. 1109f. ές ταφάς εγώ | θήσω δικαίως. Wie Menelaos mit einer Drohung so endet Teukros mit einer stärkeren Betonung seines Standpunktes (V. 1115ff.). Er werde nicht weichen (V. 1117 ουκ άν στραφείην), auch wenn Menelaos mit einer Verstärkung aus dem Heer zurückkäme. Wiederum leitet der Chor mit zwei Versen über (V. 1118f.) und unterstreicht nun die Starrheit des Teukrosstandpunktes (V. 1119 σκληρά). In der folgenden Stichomythie prallen die Standpunkte dann direkt aufeinander. Zunächst greift Menelaos an. Das Thema des Begräbnisses wird verlassen, die Gegner beschimpfen sich. Menelaos beschuldigt Teukros der Großsprecherei: V. 1122 μέγ' άν τι κομπάσειας. V. 1124 ή γλωσσά σου τον θυμόν ώς δεινον τρέφει. Mit V. 1125 wendet sich das Blatt. Teukros beginnt Menelaos zu attackieren. Er beruft sich darauf, das Recht auf seiner Seite zu haben. Die folgenden Verse sind durch enge Verknüpfung herausgehoben: V. 1125 V. 1126 V. 1128 V. 1132
δικαίω ~ 1126 δίκαια, κτείναντα ~ 1127 κτείναντα, θεός ~ 1129 θεούς — θεοΐς, πολεμίους ~ 1133 πολέμιος.
Menelaos aber lenkt zum Thema zurück. Er bezeichnet Aias als Mörder (V. 1126) und führt seine Rettung nur auf die Hilfe der Götter zurück (V. 1128). Teukros greift das Argument der Götter auf und wendet es sofort gegen Menelaos: er entehre die Götter, wenn er Aias nicht begrabe (V. 1129, 1131). Damit ist jetzt direkt auf die Einseitigkeit des Menelaosstandpunktes hingewiesen, die der Chor schon vorher andeutete (V. 1091 f.). Seinen Gesetzen der Polis (V. 1073) treten die der Götter gegenüber (V. 1130 δαιμόνων νόμους)2. Menelaos aber fährt fort 1 Vgl. die sich wiederholenden Ausdrücke des Herrschens: V. 1099 αύτός . . . ώς αύτοϋ κρατών, 1100 στρατηγείς, 1101 άνάσσειν, 1102 άνάσσων, κρατών, 1104 άρχής, 1106 στρατηγός, ήγεΐσθαι, 1107 ώνπερ άρχεις άρχε. 2 Dasselbe wird später Odysseus Menelaos und Agamemnon entgegenstellen: V. 1343f. τούς θεών νόμους φθείροις άν.
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und nennt Aias einen Landesfeind (V. 1132 πολεμίους), Teukros greift das wiederum auf und zeigt durch seine Frage (V. 1133), daß es nicht πολέμιος, sondern εχθρός hätte heißen müssen 1 . Damit ist der Inhalt der nächsten vier Verse angegeben (V. 1134—1137), er betrifft die persönliche Feindschaft zwischen Menelaos und Aias. Nach V. 1137 ist Menelaos in die Enge getrieben. Er rettet sich mit einer Drohung an Teukros. Das Gespräch ist zu Ende, eine klare Richtung hat es nicht erhalten. Man beschimpfte sich, statt miteinander zu diskutieren, man sagte immer wieder nur die eigene Meinung, statt mit klaren Argumenten auf die des anderen einzugehen und so — sei es im Positiven, sei es im Negativen — aufeinander zuzugehen. Daher treten die hinlänglich bekannten Standpunkte 2 , am Schluß so unvereinbar wie am Anfang, noch einmal unmittelbar nebeneinander: V. 1140 V. 1141
εν σοι φράσω' τόνδ" εστίν ουχί ·9·απτέον. σύ δ' άντακούστ) τοϋτον ώς τεθ-άψεται.
Zwei kurze Reden schließen den Dialog ab. Menelaos (V. 1142—1149) wiederholt die Schmähung, daß Teukros nur mit dem Munde groß sei (V. 1142 γλώσση ~ 1124 γλώσσα). Teukros nimmt das Argument des Chores (V. 1092 υβριστής) auf, beschuldigt Menelaos indirekt des Frevels (V. 1151 ύβριζε), den der vorher Aias vorwarf (V. 1081, 1088, 1061), und schließt nun seinerseits mit einer Drohung: Wer gegen die Toten frevelt, wird büßen müssen (V. 1154f.). Die Abschlußverse, mit denen sich die Gegner unter erneuten Drohungen trennen, sind noch einmal herausgehoben: V. 1159
άπειμι . . . αΐσχρόν ~ 1161 άφερπε . . . αΐσχιστον.
Der Dialog bringt in seinem ganzen Verlauf keinerlei Fortschritt. Jeder der Gesprächspartner verharrt auf seinem Standpunkt. Sie reden aneinander vorbei, aber nicht zueinander hin. In dieser Form hätte das Gespräch beliebig lange fortgeführt werden können — geändert hätte sich nichts 3 . Der zweite Dialog, zwischen Agamemnon und Odysseus, der ebenfalls um das Begräbnis des Aias kreist (V. 1318—1373), scheint vordergründig einen Fortschritt zu enthalten, in Wirklichkeit aber unterscheidet er sich durch nichts von dem ersten. Odysseus, vom Chor angekündigt (V. 1316f.), tritt mit der typischen Frage dessen auf, der sich über die Lage vergewissern will: V. 1318 τί S' εστίν...; er bezeichnet zugleich mit dem lobenden Wort άλκίμω die Stellung, die er Aias gegenüber einnehmen wird, und gelobt auf der anderen Seite, Agamemnon 1
Vgl. Jens, Stichomythie S. 42 Anm. 3. Für Menelaos vgl. V. 1047, 1089, für Teukros V. 1109. Vgl. Reinhardt S. 40f.: „Die Haltung der Streitenden am Ende ist nicht anders als am Anfang, der Streit tobt mit Heftigkeit, aber er kommt nicht von der Stelle." 2 3
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gegenüber Nachsicht zu haben (V. 1322). Sein Wille, zu vermitteln, ist von Anfang an deutlich. Die übrigen Verse bis Y. 1327 dienen der Klärung der Situation: V.1325 W a s t a t dir Teukros? V.1326f. E r will Aias begraben. Damit ist das Thema des Gespräches angegeben. E h e es ausgeführt wird, stellt Odysseus „die entscheidende Frage, ob er seine Meinung frei sagen d ü r f e " 1 u n d trotzdem die Freundschaft zwischen ihm u n d Agamemnon erhalten bleibe (V. 1328f.). Agamemnon bejaht beides (V. 1330f.). Völlige Gemeinsamkeit also kennzeichnet die Situation des Anfangs (V. 1328 φίλω ~ V. 1331 φίλον μέγιστον). I n einer kurzen Rede erklärt Odysseus seinen S t a n d p u n k t . Gleich mit den ersten Worten setzt er sich in genauen Gegensatz zu Agamemnon: V. 1332 άκουέ νυν. τον άνδρα τόνδε προς θεών μή τλγ]ς άθαπτον ώδ' άναλγήτως βαλεΐν. Dem menschlichen Anspruch stellt er die Götter (V. 1332 προς θεών), der Gewalt u n d dem H a ß (V. 1334 βία, V. 1335 μισεϊν) das Recht (V.1335 δίκην) gegenüber u n d exemplifiziert an sich selbst, was er von Agamemnon verlangt. Obwohl auch er Aias gehaßt hat, h a t er ihn nicht entehrt (vgl. V. 1336f. u n d schon V. 121). Darin soll ihm Agamemnon folgen (V. 1339 ούκ ούν άτιμάσαιμ' άν ~ 1342 ούκ αν . . . άτιμάζοιτό σοι)· Nicht die Gesetze der Menschen, auf die sich Agamemnon berief (V. 1247 νόμου), sondern die der Götter (V. 1343 θεών νόμους) sind der Maßstab, der in der Frage des Begräbnisses zu gelten hat. Die Worte des Eingangs werden am E n d e wiederholt: V. 1332 θεών ~ 1343 θεών, V.1335 μισεϊν ~ 1345 μισών, V.1335 δίκην ~ 1344 δίκαιον. Nach der Rede werden die Gegensätze wiederum in einer Stichomythie ausgetragen (V. 1346ff.). Agamemnon fragt, hier noch allgemein, ob Odysseus gegen ihn auf der Seite des Aias stehe. Odysseus bejaht deutlich mit εγωγ' und n i m m t wieder auf, was er V. 1335f. schon gesagt hat. Das f ü h r t zu einer Reihe von Gnomen (V. 1349—1352). Agamemnon bezieht sich mit εύσεβεΐν (V. 1350) auf die Göttergesetze, die Odysseus als entscheidendes Argument angeführt h a t t e (V. 1343), Odysseus auf die Freundschaft (V. 1351 φίλοις), deren er sich in V. 1328f. versichert hatte. Agamemnon aber stellt dem den Gehorsam gegenüber, den m a n den Führenden schulde (V. 1352), Odysseus jedoch läßt sich auf das Schema Herrscher •— Untergebene nicht ein u n d verweist — von der Gnome mit παΰσαι (V. 1353) fortführend — von neuem auf die Freundschaft (V. 1353 φίλων). Odysseus möchte an der Gemeinsamkeit des Anfangs festhalten, Agamemnon sucht dagegen als neue Gemeinsamkeit die des Hasses gegen Aias. Während er noch einmal die Feindschaft betont, die sie doch beide (Odysseus: V. 1336 κάμοί γάρ ήν ποθ' οδτος εχθιστος) gegen Aias verbindet (V. 1354, die folgenden Verse sind 1
e·
Jens, Stichomythie S. 43.
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eng verbunden, V. 1355 εχθρός ~ 1356 έχθρόν ~ 1357 έχθρας), betont Odysseus die άρετή des Aias, die diese Feindschaft überwindet: V. 1357 νικα γαρ άρετή με της έχθρας πολύ (vgl. schon V. 1339f. und 121). Durch einen Hinweis auf den schnellen Wechsel von Freundschaft und Feindschaft 1 versucht er, sein Argument zu verstärken. Agamemnon aber ist durch nichts umzuwandeln. Odysseus nennt ihn starr (V. 1361 σκληράν ψυχήν), Einsicht und Weichen sind ihm fremd 2 . Odysseus erinnert erneut an das, was recht ist (V. 1335 δίκην, 1344 δίκαιον, 1363 ενδίκους). Agamemnon bricht den Streit in dieser Form ab; was er in Y. 1346 allgemein fragte, fragt er jetzt konkret: V. 1364 άνωγας οδν με τον νεκρόν θάπτειν έαν; Odysseus bejaht es genau wie oben (V. 1347) mit έγωγε (V. 1365). Er wiederholt damit nur, was seit V. 1332 bekannt war. Die folgenden Verse sind durch πονεΐν verknüpft: V. 1366 πονεϊ ~ 1367 πονεΐν. Auf Agamemnons resigniertes Einlenken (V. 1366) antwortet Odysseus wieder mit einer Gnome (V. 1367); Agamemnon gibt nach, zeigt aber mit seiner Antwort sofort, daß er seinen Standpunkt nicht aufgibt: V. 1368 σον αρα τουργον, ούκ έμδν κεκλήσεται. Er will mit dem Begräbnis nichts zu tun haben, er gibt zwar äußerlich seine Einwilligung, aber nicht wirklich seine Zustimmung. Trotzdem lobt ihn Odysseus: V. 1369, χρηστός entspricht dem ενδίκους (V. 1363). Um aber jedes Mißverständnis darüber auszuschließen, daß er keine Handbreit von seinem anfanglichen Standpunkt gewichen ist, betont Agamemnon in einer abschließenden kurzen Rede, daß er Odysseus zwar nachgebe (V. 1370f.), die Feindschaft gegen Aias aber bestehen bleibe wie zuvor: V. 1372 οδτος δέ κάκεΐ κάνθάδ' ών έμοιγ' δμως εχθιστος εσται. σοι δέ δραν εξεσθ' α. χρή 3 . Zu Fortschritt oder Wandlung hat dieses Gespräch also genauso wenig geführt wie das erste zwischen Menelaos und Teukros. Die am Beginn stehende Gemeinsamkeit (V. 1328—1331) bleibt auch am Schluß bestehen, am Anfang äußerlich akzeptiert, weil die Standpunkte noch nicht genannt waren und man aufgrund altbewährter Freundschaft (V. 1331) eine Gegensätzlichkeit f ü r unmöglich hielt, am Ende genauso äußerlich beibehalten, weil Agamemnon seine Starrheit nur der Form nach aufgibt, in Wirklichkeit aber nicht weicht. Die Freunde bleiben befreundet, ihre Gemeinsamkeit wandelt sich nicht zu unüberbrückbarer Feindschaft. 1
V. 1359, vgl. dazu Aias' Worte in der Trugrede Y. 679—683. V. 1360 und 1361 sind durch έπαινεΐν verbunden. 3 Ich lese in V. 1373 mit Kamerbeek (vgl. zur Stelle) das von den. codd. gebotene χρή und nicht die meist akzeptierte Konjektur χρης, die auf Dindorf zurückgeht. 2
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Ebenso wenig ändern sich ihre Standpunkte 1 . So unvereinbar sie am Anfang aufeinander trafen -— V. 1326f. der des Agamemnon, V. 1332 f. der des Odysseus—, so gegensätzlich stehen sie sich auch am Ende gegenüber, V. 1365 der des Odysseus, V. 1372 der des Agamemnon. Wiederum redeten die Partner ständig aneinander vorbei, anstatt im Miteinander durch Argumente, die auf den Gegner eingehen, die Lage zu klären. Wiederum hätte das Gespräch in der Art, wie es bis V. 1367 hin- und herlief, beliebig lange fortgesetzt werden können. Daß Agamemnon wenigstens äußerlich nachgibt, setzt ihm ein Ende. Er ist überredet, aber nicht überzeugt 2 . Auch in diesem Punkt bringt der Dialog keinen Fortschritt. In den Trachinierinnen findet sich ein Gespräch, das dem zwischen Agamemnon und Odysseus in der Struktur bis in Einzelnes hinein gleicht. Es ist der Dialog zwischen Hyllos und seinem Vater Herakles von V. 1179—1258. Am Ende seiner Rede, in der Herakles, zur Erkenntnis gekommen, die Vorgeschichte entfaltet hat, verlangt er von Hyllos, ihm zu gehorchen 3 . Hyllos willigt trotz Bedenken (V. 1179) sofort ein. Damit steht am Anfang wiederum die völlige Gemeinsamkeit der Dialogpartner, äußerlich dokumentiert durch die Parallele V. 1178 πει&αρχεΐν ~ 1180 πείσομαι. Die folgenden Verse bis V. 1190 dienen der Festigung dieses Einklangs. In V. 1181 gibt Herakles den ersten Befehl: Hyllos soll ihm zur Bekräftigung seines Gehorsams die Hand geben. Hyllos weicht zunächst aus (V. 1182), dem wiederholten heftigeren Befehl (V. 1183)4 beugt er sich: V. 1184 κούδέν άντειρήσεται. Auch die folgenden vier Verse treten zusammen, die V. 1181 -1184 entsprechen in ihrem Verlauf genau den V. 1185—11885, die durch Verknüpfung noch wieder hervorgehoben sind: V. 1185 δμνυ, 1186 ή μήν, 1187 ή μήν, 1188 ομνυμ', also von den Versanfängen aus gesehen chiastisch gebaut sind. Am Anfang dieser Versgruppe steht ein weiterer Befehl des Herakles: Hyllos soll seinen Gehorsam beschwören (V. 1185). Wieder hält Hyllos zunächst ein -— V. 1186 ή μήν τί δράσειν; —, wieder fügt er sich erst der zweiten stärkeren Aufforderung (V. 1187), die sagt, worauf sich der Schwur bezieht. Er schwört, die Tat zu vollenden, die der Vater ihm befiehlt. Die parallelen Verse des Vaters und des Sohnes unterstreichen seinen Willen zu gehorchen: 1 Daß Agamemnon im letzten nicht überwunden wird, zeigt auch Camerer, Gymn. 60, 1953, 315. 2 Vgl. Jens, Stichomythie S. 43. 3 Dies geschieht in viermaliger Wiederholung: V. 1175 σύμμαχον, 1176 μή 'πιμεΐναι τούμόν όξϋναι στόμα, 1177 είκαθόντα συμπράσσειν, 1178 πει&αρχεϊν πατρί. 4 Die Verse sind eng verbunden: V. 1182 πίστιν ~ 1183 άπιστήσεις. 5 Vgl. Jens, Stichomythie S. 52.
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V. 1185 βμνυ Διός νυν τοϋ με φύσαντος κάρα. V. 1188 δμνυμ' εγωγε, Ζην' έχων έπώμοτον. Die beiden folgenden Verse (V. 1189f.) zeigen Vater und Sohn dann in völliger Übereinstimmung: V.1189 λαβείν ~ 1190 λάβω, V.1189 εΰχου ~ 1190 εύχομαι. Zugleich versichert Hyllos noch einmal seinen Gehorsam : V. 1190 δράσω γάρ. Die nächsten beiden Verse (V.1191f., 1191 οϊσθ·' οδν ~ 1192 οϊδ') lenken auf die folgende Rede des Herakles (V. 119a—1202), in der er die Tat befiehlt, f ü r die er vorher Hyllos' Gehorsam gefordert hat. Sein Sohn soll ihn auf den Berg Öta tragen, einen Scheiterhaufen errichten und ihn verbrennen. Hyllos reagiert mit einem Wehruf (V. 1203 οΐμοι) und weicht zunächst wieder aus. Verglichen mit der vorhergehenden Stichomythie ist aber sein Widerstand jetzt stärker geworden. Wußte er dort nämlich nur Allgemeines, so hat er jetzt konkrete Einzelheiten erfahren. Herakles beruft sich sofort auf Hyllos' Gelöbnis: V. 1190 δράσω γάρ ~ 1204 δραστέ' εστίν. Hyllos wiederholt seinen Wehruf (V. 1206 οί'μοι, die Verse sind auch sonst parallel: V. 1203 οΐμοι, πάτερ, τί εΐπας; οΐά μ' εΐργασαι, V. 1206 οΐμοι μάλ' αύθις, οΐά μ' έκκαλη, πάτερ) und f ü h r t als Gegenargument an, daß er so zum Mörder des Vaters werde (V. 1207). Herakles aber wendet das Argument um: er solle nicht Mörder, sondern Arzt des Vaters werden (V. 1208f.). Hyllos antwortet mit einer Frage. Die Art dieser Frage zeigt den schwindenden Widerstand 1 (V. 1210, vgl. 1209 ιατηρα ~ 1210 ίώμην). Herakles nutzt das aus, er kommt seinem Sohn entgegen und versucht, ihn zur Einwilligung zu bringen (V. 1211). Hyllos bietet daraufhin einen Kompromiß an (V. 1212, 1214f.), Herakles willigt ein (V.1216). Man hat sich geeinigt ; die Gemeinsamkeit des Anfangs ist gewahrt geblieben, die Dialogpartner trennen sich nicht als Feinde, sondern bleiben als Freunde zusammen. Das Gespräch aber ist noch nicht zu Ende. Mit dem zweiten Teil des V.1216 deutet Herakles an, daß er noch ein Weiteres von Hyllos wünscht. Hyllos antwortet zustimmend: V. 1218 εί και μακρά κάρτ' έστίν, έργασθ-ήσεται. Bevor Herakles seinen Wunsch äußert, ist wie am Anfang des ersten Gesprächteils damit auch hier die völlige Gemeinsamkeit betont 2 . Gleich darauf nennt Herakles das entscheidende Moment (V. 1219). Hyllos versteht sofort, daß Iole gemeint ist (V. 1220). Die Einführung des Neuen geschieht in derselben Weise, in der es auch im ersten Gesprächsteil erfolgte: V. 1191 οΐσθ·' οδν entspricht V. 1219 οίσθα δήτα. Wie vorher ist damit in zwei Versen (V. 1219f.) auf die 1 a
Vgl. Jens, Stichomythie S. 52, dessen Formulierung ich übernehme. V. 1180 πείσομαι und 1190 δράσω entsprechen 1218 έργασθ-ήσεται.
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Rede hingelenkt, die den Wunsch des Herakles erläutert (V. 122Iff. entspricht V. 1193ff.). Er bittet Hyllos, Iole zu heiraten (V. 1224, 1227), erinnert an die Eide (V. 1223), die Hyllos geschworen hat, und warnt ihn, neben der großen Gunst, die er ihm vorher gewährt hat, die zweite kleine zu verweigern 1 . Hyllos reagiert wie auf die erste Rede mit einem Wehruf (V. 1230 οΐμοι ~ 1203 οί'μοι) und weicht dem Befehl mit einer Gnome aus (V. 1230). Wie nach der ersten Rede beruft sich Herakles auf das Gelöbnis des Sohnes: V. 1232 έργασείων ~ 1218 έργασθήσετοα, vgl. V. 1204 δραστέ' ~ 1190 δράσω. Daraufhin sieht sich Hyllos gezwungen, in einer kurzen Rede den Grund seines Widerstandes zu entfalten (V. 1233—1237). Trotzdem bleibt Herakles bei seiner Forderung, er verweist von neuem, jetzt mit einer Drohung verbunden (V. 1239 θ-εων άρά), auf die Pflicht des Gehorsams (V. 1240 άπιστήσαντα, vgl. 1183, 1229). Hyllos wiederholt zwar seinen Klageruf (V. 1241 οϊμοι ~ 1230 οΐμοι), sein Widerstand aber schwindet: in V. 1243 nennt er seine Situation bereits eine Aporie, hält also nicht mehr nur eins f ü r möglich, und antwortet in V. 1245, nachdem Herakles noch einmal auf den versprochenen Gehorsam verwiesen hat (V. 1244 κλύειν entspricht V. 1180 πείσομαι), mit einer Frage 2 . Auf die Befürchtung des Hyllos, zur Gottlosigkeit erzogen zu werden (V. 1245), antwortet Herakles, daß er mit der Tat nicht einen Frevel begehe (V. 1245 δυσσεβεΐν ~ 1246 θυσσέβεια), sondern ihn erfreuen werde. Wie Agamemnon im Aias bricht Hyllos jetzt die Argumentation ab und stellt Herakles eine eindeutige Frage. Sie gleicht der im Aias deutlich: Trach. 1247 πράσσειν ανωγας ουν με πανδίκως τάδε; Ai. 1364 ανωγας οδν με τον νεκρόν θάπτειν έαν; Wie im Aias Odysseus, antwortet auch hier Herakles mit έγωγε und unterstreicht seine Antwort durch Anrufung der Götter (V. 1248). Damit ist nun die Lage völlig geklärt. Hyllos gibt nach, zeigt aber zugleich — wie Agamemnon im Aias — durch die Art seiner Antwort, daß er mit der Tat nichts zu t u n haben will: Trach. 1249 τοιγάρ ποήσω, κούκ άπώσομαι, το σον •9-εοΐσι δεικνύς έργον. Ai. 1368 σον άρα τουργον, ουκ έμόν κεκλήσεται. Hyllos will zwar dem Vater die Treue wahren (V. 1251), weist aber deutlich darauf hin, daß er seinen Standpunkt nicht geändert hat. Er stimmt äußerlich zu, in Wirklichkeit aber bleibt sein Widerstand bestehen. Die letzten Verse (V. 1252—1258) führen zur Vollendung der versprochenen Tat. Hyllos betont zum Schluß noch einmal — wiederum wie Agamemnon im Aias V. 1370ff. —, daß er nur gezwungen, 1
V. 1228f., die Worte V. 1228 πιστεύσαντ' und 1229 άπιστεϊν weisen zurück: V. 1182 πίστιν, 1183 άπιστήσεις. 2 Vgl. die Frage in V. 1210 im ersten Gesprächsteil.
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nicht aber überzeugt die Tat auf sich nehme: V. 1258 έπεί κελεύεις κάξαναγκάζεις. Wurde im ersten Teil des Dialogs (V. 1179—1216a) die Gemeinsamkeit der Partner durch einen Kompromiß gewahrt, so bleibt im zweiten (V. 1216b—1258) die Übereinstimmung des Anfangs durch das Nachgeben des Hyllos bis zum Ende hin gewahrt. So äußerlich sie am Anfang war — Hyllos ahnte nicht, worauf Herakles in Wahrheit hinaus wollte —, so äußerlich ist sie am Ende — Hyllos distanziert sich von seiner Einwilligung. Die anfängliche Gemeinsamkeit wandelt sich nicht zur offenen Feindschaft. Ebenso wenig ändern sich die Standpunkte der Partner. Wiederum sind sie bis V. 1246 nur aufeinander gestoßen, das Gespräch hätte in diesem Stil beliebig lange fortgeführt werden können. Mit der Frage in Y. 1247 aber wird es beendet. Dieses Ende entwickelt sich nicht aus dem Dialog selbst, sondern bricht gleichsam von außen herein. Hyllos zeigt sich überwunden. Er gibt seinen Standpunkt äußerlich auf, in Wirklichkeit weicht er genauso wenig wie Agamemnon. Wie Agamemnon ist auch er nur überredet, aber nicht überzeugt. Wandlung und Umschwung finden im Dialog nicht statt, in den Trachinierinnen so wenig wie im Aias. In der Antigone betrachten wir den Dialog zwischen Teiresias und Kreon V. 988—1090 und als Ergänzung die anschließende Partie zwischen Kreon und dem Chor V. 1091-—1114. Nach drei Auftrittsversen des Teiresias (V. 988—990) beginnt die Einleitungsstichomythie, durch die die Wichtigkeit der Situation gekennzeichnet wird. Kreon fragt, was geschehen ist (V. 991). Gleich mit dem ersten Vers, mit dem Teiresias diese Frage beantwortet, stellt er das Verhältnis klar, das zwischen ihm und Kreon während des Gespräches herrschen wird: ich werde lehren, du wirst gehorchen (V. 992). Während sonst stets Kreon Gehorsam verlangte, z.B. gegenüber Haimon (V. 640), ist es jetzt an ihm, einem anderen zu gehorchen. Während er sich weigerte, von Haimon zu lernen (V. 726f. διδαξόμεσ&α . . .), muß er sich jetzt gefallen lassen, von einem blinden Seher belehrt zu weiden (V. 992 διδάξω). Das Verhältnis ist also gegenüber der sonstigen Haltung genau umgekehrt. Kreon aber willigt ein, zeigt, daß er auf den Seher immer gehört hat (V. 993), ja er bezeugt (V. 995), daß Teiresias ihm schon in der Vergangenheit nützliche Ratschläge gegeben habe. Damit steht am Anfang wiederum eine deutliche Gemeinsamkeit, die Dialogpartner befinden sich in vollkommener Übereinstimmung. Die nächsten beiden Verse leiten zur Rede über und zeigen, wie entscheidend die Situation ist. Teiresias sagt Kreon indirekt alles das, was er in der folgenden Rede entfalten wird: V. 996 φρονεί, βεβώς αυ νυν έπΐ ξυροϋ τύχης
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dein Schicksal steht auf des Messers Schneide. Bisher ist also noch nichts entschieden, noch einmal wird Kreon Zeit zu Einsicht und Umkehr gegeben. Er versteht die Andeutung nicht, wiederholt seine Frage τί δ' εστίν; — zeigt jedoch durch den Zusatz, daß er sich der Schwere der Situation bewußt ist: V. 997 ώς εγώ το σον φρίσσω στόμα. In seiner Rede (V. 998ff.) berichtet Teiresias von Zeichen, die erkennen lassen, daß sich die Götter von der Stadt abgewandt haben (V. 998—1011). Den Grund dafür sieht er im Handeln Kreons: Y. 1015 και ταϋτα της σης έκ φρενός νοσεί πόλις. Teiresias mahnt zu Einsicht (V. 1023 φρόνησον, 996 φρόνει) und Nachgeben (V. 1029 άλλ' εϊκε τω θανόντι) und stellt das Lernen als den wahren Gewinn hin: V. 1031
τδ μανθάνειν δ' ήδιστον εδ λέγοντος, εί κέρδος φέρει.
Der Rede des Sehers folgt die des Königs (V. 1033 ff.). Während im Gespräch zwischen Kreon und Haimon (V. 635 ff.)1 die Rede des Haimon als zweite die Thesen der ersten nur durch neue Momente ergänzte und der Streit erst in der Stichomythie (V. 726ff.) begann, bricht er hier gleich mit der Rede des Kreon aus2. Nach den ersten Worten des Teiresias nämlich hat sich Kreon am Gegner gewandelt. Er faßt die Rede des Sehers von Beginn an rein negativ auf 3 . Die anfängliche Gemeinsamkeit ist, von Kreon aus gesehen, zur Feindschaft geworden. Kreon, der im Gewinn stets das Grundmotiv für das Handeln seiner Gegner sah (vgl. V. 222, 293ff., 322), bleibt auch jetzt dem wahren κέρδος gegenüber verblendet. Wie er immer reagierte, so reagiert er auch hier: er vermutet hinter den Warnungen des Teiresias eine Verschwörung (V. 1033—1038, 1037 κερδαίνετ') und verharrt starr auf seinem Standpunkt: V. 1039 τάφω δ' εκείνον ούχί κρύψετε, gleich drei Verse später noch einmal wiederholt, V. 1042 f. ούδ' . . . θάπτειν παρήσω κεϊνον. Seine Hybris steigert sich noch weiter. Er meint immer noch, festes Wissen um die Götter zu haben, und trifft doch nur sich selbst (V. 1043f.). Er beendet seine Rede mit einer Schmähung. Auch Teiresias wirft er vor, bestochen zu sein: V. 1047 τοϋ κέρδους χάριν. Damit aber zeigt er deutlich, daß er genau das κέρδος verfehlt, das ihm Teiresias als wahren Gewinn vor Augen stellte (V. 1032). In einer Stichomythie (V. 1048ff.)werden die beiden Reden verbunden. J e mehr sich in ihr die Verfeindung der Partner steigert, um so mehr kommt die Verblendung des Kreon zu ihrem Höhepunkt. War sie vorher immer nur im Gegenüber mit Menschen seiner Umwelt deutlich geworden, so wird sie hier, durch die Figur des Sehers, im Gegenüber mit den Göttern offenbar. 1 2 3
Vgl. dazu bes. Strohm, Zetemata H. 15, 1957, S. 94ff. Vgl. Jens, Stichomythie S. 61. Vgl. Jens, Stichomythie S. 61.
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Gleich dem ersten Vers des Teiresias (V. 1048) antwortet Kreon mit einer Schmähung (V. 1049). Gerade der, der im Drama so viele „allgemeine Weisheiten" geäußert hat, beschuldigt Teiresias, mit πάγκοινα zu operieren. Daß Kreon aber mit diesem Vorwurf wiederum nur sich selbst trifft, zeigt er schon im nächsten Vers. Er antwortet Teiresias mit einem typischen πάγκοινον1: V. 1051 δσωπερ, οΐμαι, μή φρονεϊν πλείστη βλάβη. Genau das, was Kreon hier fordert, hatte ihm Teiresias schon zu Beginn des Gespräches ans Herz gelegt: V. 996 φρόνει, 1023 φρόνησον. Teiresias wendet deshalb den Ausspruch sofort gegen Kreon und zeigt, daß er abermals nur sich selbst verurteilt hat (V. 1052). Kreon hält sich noch einmal zurück und gibt sich den Schein des Gehorsams (V. 1053). Gleich darauf aber bricht sein ganzer Haß gegen den Seher hervor: V. 1055 τό μαντικον γάρ παν φιλάργυρον γένος. Was Kreon V. 1047 andeutete, spricht er jetzt klar aus. Für ihn sind alle bestochen, die ihm Widerstand leisten: die politischen Gegner (V. 222), der Täter (V. 293ff.), der Wächter (V. 322) und jetzt auch der Seher. Wiederum wendet Teiresias das Argument gegen Kreon zurück (V. 1056), dem φιλάργυρον entspricht αΐσχροκέρδειαν, lieben die Seher das Geld, so die Tyrannen die schändliche Gewinnsucht. E r will Kreon die Vergangenheit als Maßstab hinstellen, indem er darauf hinweist, daß Kreon mit seiner Hilfe die Stadt gerettet hat (V. 1058). Kreon stimmt zu (V. 1059), spricht aber noch im selben Vers den Vorwurf aus, daß Teiresias die Ungerechtigkeit liebe. Damit hat der Streit seinen Höhepunkt erreicht. Die Schmähung ist so ungeheuer, daß zwischen Kreon und Teiresias nun keine Gemeinschaft mehr möglich ist. Das Wortgefecht kann nicht wie in den Stichomythien der vorigen Dramen noch beliebig fortgeführt werden, sondern muß sofort zum Abschluß kommen. Teiresias kann nicht mehr länger schweigen (V. 1060). Wie in der vorigen Antwort geht Kreon auch auf diese Drohung ein (V. 1061 κινεί. ~ 1060 τάκίνητα), läßt aber wiederum eine Warnung folgen, die das bekannte κέρδος-Argument wiederholt (V. 1061). Bis zuletzt glaubt er, Teiresias sei bestochen oder habe gar vor, ihn selbst zu bestechen (V. 1063 'μπολήσων). Bis zum Ende also bleibt er verblendet. Teiresias aber spricht aus, wozu ihn Kreon gezwungen hat 2 . Damit wird jetzt deutlich, daß auch f ü r ihn an die Stelle der anfänglichen Freundschaft die absolute Feindschaft getreten ist. In seiner Rede verleiht er dieser Wandlung den adäquaten Ausdruck, indem er gegen Kreons ständige Schmähungen jetzt dessen völlige Verurteilung stellt. Weil Kreon das 1
Vgl. Jens, Stichomythie S. 61. Stichomythie und nachfolgende Rede sind eng verknüpft: V. 1063 ϊσθι ~ 1064 κάτισίΗ. 2
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Reich des Hades mit dem des Lebens, das Oben mit dem Unten vertauscht hat (V. 1068—1073), wird er Tribut zahlen müssen. Sein Sohn Haimon wird sterben müssen, er selbst wird von den Erinyen verfolgt werden. Teiresias fragt, ob er auch das bestochen sage, was er noch mehr an Furchtbarem zu prophezeien habe (V. 1077ff.). Indem er Kreons κέρδος-Argumentation ironisiert, verurteilt er das Denken des Königs jetzt völlig. Erst jetzt also hat Teiresias die Pfeile gegen Kreon abgesandt (V. 1084), die dieser schon viel früher gegen sich gerichtet sah (V. 1033). War Teiresias aber dort noch in vollem Einklang mit Kreon und wollte er nur sein Gutes, so hat sich jetzt auch f ü r ihn das Verhältnis zur völligen Entzweiung gewandelt. Er geht fort, damit Kreon wenigstens durch die unverhüllten Drohungen zur Erkenntnis kommt (V. 1089 γνω ~ 998 γνώση). Die Partner, die in völliger Gemeinsamkeit das Gespräch begonnen hatten, trennen sich in völliger Feindschaft. Der Chor kommentiert den Abgang des Teiresias mit denselben Worten, wie vorher den des Haimon: V. 1091 άνήρ, άναξ, βέβηκε δεινά θεσπίσας. V. 766 άνήρ, άναξ, βέβηκεν έξ όργης ταχύς. und weist Kreon vorsichtig darauf hin, daß der Seher Teiresias bisher noch immer die Wahrheit gesagt habe (V. 1094, vgl. dagegen V. 1054). Erst durch die Drohung des Teiresias ist Kreon plötzlich völlig gewandelt. Von Furcht vor ihrer Erfüllung getrieben erkennt er die Wahrheit — mit seinem ersten Wort V. 1095 εγνωκα antwortet er dem ersten (V. 998 γνώση) und dem letzten (V. 1089 γνω) des Teiresias —, aber die Wahrheit ist so furchtbar, daß ihm nur die Verwirrung der Sinne übrigbleibt: V. 1095 ταράσσομαι φρένας. Wozu Teiresias ihn am Anfang aufforderte, das befolgt Kreon jetzt, als es zu spät ist (V; 992 πι&οϋ ~ 1099 πείσομαι). Was schon längst genannt war, wird f ü r Kreon erst jetzt akut 1 . Teiresias hatte ihn zum φρονεΐν gemahnt (V. 996, 1023), jetzt muß er sich vom Chor sagen lassen, daß ihm das φρονεΐν fehle, ja daß er κακόφρων sei (V. 1104). Gegen Ananke nützt kein Widerstand (V. 1106), es bleibt nur die Einsicht. War sie aber zu Beginn des Gespräches noch möglich (vgl. bes. V. 1025—1029), so ist es dafür jetzt zu spät. Im Augenblick sieht Kreon das noch nicht (V. 1099 τί δήτα χρή δραν;), wenig später wird es ihm der Chor sagen: V. 1270 ο'ίμ' ώς εοικας όψέ τήν δίκη ν ϊδεΐν. Der besprochene Dialog der Antigone ist durch zwei Punkte von denen des Aias und der Trachinierinnen unterschieden. Was dort noch nicht erreicht wurde, ist hier erfüllt: 1 V. 1029 είκε ~ 1096 είκαθεϊν ~ 1102 παρεικαθεϊν, V. 1050 ευβουλία ~ εύβουλίας.
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1. War der Einklang der Personen in Aias und Trachinierinnen für den Anfang so charakteristisch gewesen wie für das Ende, so ist hier in der Antigone aus der anfänglichen Gemeinsamkeit bis zum Ende hin schärfste Entzweiung geworden. Im Dialog zwischen Menelaos und Teukros bleiben zwei Feinde verfeindet, in dem zwischen Agamemnon und Odysseus und Herakles und Hyllos zwei Freunde befreundet. Hier aber haben sich zwei Menschen im Dialog selbst aneinander gewandelt und entschieden. Aus anfänglichen Treunden sind erbittertste Feinde geworden 1 . 2. Im Aias und den Trachinierinnen hatten die Dialogpartner am Anfang denselben Standpunkt wie am Ende. Eine wirkliche Überzeugung des einen durch den anderen fand nicht statt. Auch hier in der Antigone scheinen zunächst beide bis zum Ende des Dialogs auf ihrer Meinung zu verharren. Teiresias will Kreon zur Einsicht bringen, Kreon aber faßt alle Mahnungen negativ auf. Im Dialog ändert er sich nicht, ja er wird nicht einmal überredet wie Agamemnon und Hyllos. Die letzte Rede des Teiresias aber, seine Drohungen und sein abrupter Abgang bewirken eine Umkehr. Sofort nach der Rede ist Kreon zur Erkenntnis gekommen und damit völlig gewandelt. Eine Gegenüberstellung des letzten Verses vor und des ersten nach dem Abgang des Teiresias zeigt die Änderung deutlich 2 : V. 1063 ώς μή 'μπολήσων ϊσίΗ την έμήν φρένα. V. 1095 εγνωκα καυτός και ταράσσομαι φρένας. Der Dialog also ist nicht eigentlich zu Ende, als der eine Partner die Bühne verläßt. Von der Rede des Teiresias, nicht mehr monologisch •— pathetisch gehalten wie die in Aias und Trachinierinnen 3 , sondern deutlich zu Kreon hingesprochen, geht über das äußere Ende des Gesprächs hinaus eine sichtbare Wirkung auf den Partner aus. Was in Aias und Trachinierinnen noch nicht möglich war, findet damit in der Antigone statt. Auf der Bühne wird ein Mensch durch den anderen zur 1
I m wesentlichen geht die Untersuchung in diesem Punkt auf Jens, Stichomythie, Zetemata H. 11, 1955, bes. S. 53ff. zurück. Dort wird auch gezeigt, daß Sophokles die neue Möglichkeit des Dialogs, zwei Menschen auf der Bühne sich aneinander entscheiden zu lassen, in der Antigone gleich dreimal verwandt hat, im Gespräch Antig. — Ism. Υ. 1 ff., in dem zwischen Haimon und Kreon V. 635ff. und dem hier besprochenen, vgl. dazu auch Jens, Antig.-Interpr. S. 43f. Wir wählten den letzten Dialog, weil er noch eine weitere, bisher unbekannte Möglichkeit des Gesprächs zeigt. Zur Entwicklung des Dialogs vor und nach der Antig. vgl. Jens, Stichomythie im Ganzen. Dort ist auch (S. 63ff.) der nötige Erweis dafür erbracht, daß die einmal angewandte Technik im OT weiter vervollkommnet ist. 2 Vgl. Jens, Stichomythie S. 62. 3 "Vgl. Reinhardt bes. S. 27ff. und 43fF. Er charakterisiert diese Form der Rede als „stationäre Pathosform".
Die dramatische Verwendung der Orakel
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Aufgabe seines Standpunktes gebracht. Kreon ist nicht wie Agamemnon und Hyllos überredet, sondern klar überzeugt1. Beide Punkte zeigen einen Fortschritt der dramatischen Technik, wie er für uns erstmalig in der Antigone greifbar ist. Was bisher immer schon abgeschlossen vor das Publikum hingestellt wurde, wird nun auf der Bühne von den Spielern im Dialog ausgetragen. Durch Wandlung der Personen aneinander kann das Geschehen von jetzt an vor den Augen der Zuschauer eine neue Wendung erfahren. Die Ergebnisse werden nicht mehr mitgeteilt, sondern auf der Bühne entwickelt. Damit ist aus der kontrastierenden Technik der beiden frühen Stücke eine entwickelnde Dramatik geworden, die, zum erstenmal in der Antigone angewandt, im König Ödipus ihre Vollendung erfahren wird2. Die reine Handlung, also das, was das Drama ausmacht, ist reicher geworden. Dieser Umstand ordnet die Antigone einer zeitlich späteren Stufe zu als die Trachinierinnen3.
V. D I E D R A M A T I S C H E V E R W E N D U N G DER ORAKEL 1. Aias, Trachinierinnen, Ödipus Tyrannos, Antigone — das gottgesetzte Schicksal und der menschliche Schein
Es ist von der Forschung seit langem erkannt worden4, daß gerade in den Trachinierinnen die Orakel eine für den Gang der Ereignisse 1 Diller, Wien. Stud. 69, 1956, S. 76, 82 sieht in Kreon die einzige sophokleische Figur, die im Grundsätzlichen schließlich nachgibt. Dieser These k a n n ich n u r bedingt zustimmen. Auch im OT 634 ff. findet eine deutliche U m k e h r s t a t t . Iokaste schlichtet den Streit zwischen Kreon und Ödipus, indem sie Ödipus zum Weichen überredet. Nachdem der Chor V. 649ff. die Argumente Iokastes wiederholt hat, gibt Ödipus nach (V. 669). Wenn Ödipus dazu auch mehr gezwungen als durch eine innere Notwendigkeit überzeugt zu werden scheint (vgl. V. 673), so ist doch auch dieses Nachgeben in Hinblick auf das Ende von grundsätzlicher Bedeutung. Ging die Suche vorher in die Irre, so k a n n sie sich jetzt auf Ödipus richten, die Wahrheit wird näher eingekreist. — Daß das Nachgeben des Neoptolemos (Phil. 120) dem der frühen D r a m e n ähnelt, ist richtig bemerkt worden. Dieses Nachgeben aber wird im späteren Umschwung ab V. 895 (vgl. bes. die Stellen, die sich auf die Physis des Neoptolemos beziehen, V. 79, 88 u n d d a n n 874, 902 f., 1014, 1310, 1372) wieder völlig rückgängig gemacht. Es ist also nicht endgültig wie in den frühen Dramen, weder in Hinblick auf das innere seelische Geschehen noch in Hinblick auf den äußeren dramatischen Ablauf. 2 Vgl. R e i n h a r d t ' S . 75f. 3 Genau dieselbe zeitliche Einordnung der Trach., wie sie in dieser Arbeit vorgeschlagen wird, vertritt jetzt auch Klaus Joerden, Hinterszenischer R a u m u n d außerszenische Zeit, Diss. Tübingen 1960 (masch.), vgl. E x k u r s I I I : Die Datierung der Trachinierinnen S. 162ff. 4 Vgl. bes. Kranz, A u f b a u u n d Gehalt der Trachinierinnen des Sophokles, Sokrates 47, 1921, 32ff.
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wichtige und notwendige Rolle spielen. In welcher besonderen Weise sie aber gerade hier durch Aussage und Auflösung mit dem dramatischen Ablauf des Ganzen verknüpft sind, wurde bisher kaum untersucht. Ebensowenig wurde beachtet 1 , daß in den Orakeln ein Motiv vorliegt, das nicht nur für die Trachinierinnen, sondern für das sophokleische Werk als Ganzes von zentraler Bedeutung ist. Um zuletzt einen Überblick von dieser, wie uns scheint, wichtigen Seite über das gesamte Werk des Sophokles zu gewinnen und dadurch den Trachinierinnen die ihnen darin zukommende Stellung neu zuzuordnen, soll deshalb im folgenden dieses Motiv durch die uns erhaltenen Dramen verfolgt werden. Es wird dabei primär um die Frage gehen, wie die Orakel in den einzelnen Stücken verwendet und mit dem Dramenganzen verknüpft sind. Zwangsläufig jedoch wird sich die Analyse von dieser rein formalen Untersuchung lösen, zugleich den „Sinn" der einzelnen Stücke berühren und damit von einem Aspekt aus auf das Verständnis des sophokleischen Werkes insgesamt hinführen. Die bisher gefundenen Ergebnisse über die Stellung der Trachinierinnen sollen so neu geprüft werden 2 . Überblicken wir die erhaltenen sophokleischen Dramen, so sehen wir, daß es in ihnen drei Formen gibt, in denen sich das Göttliche im Drama selbst aussagen kann. Die erste ist die, daß die Götter selbst auftreten, die zweite, daß Figuren des Stückes das Wirken eines Gottes verkünden, die dritte, daß das Göttliche durch Orakel ins Geschehen eingreift. In der ersten Form geschieht es bei Sophokles nur im Aias 3 . Dieser Umstand darf wohl als ein weiterer Hinweis auf dessen Nähe zu Aischylos (vgl. Eum.) verstanden werden. Die zweite Form taucht erstmalig in der Antigone auf, und zwar dort im Bericht des Wächters (Y. 407ff., vgl. V. 421 θείαν νόσον), in den Warnungen, die Teiresias aus1 Eine Ausnahme bildet Diller, Göttliches und menschliches Wissen bei Sophokles, Kiel 1950. Der folgende Abschnitt hat seiner Untersuchung manche Anregung zu verdanken. — Obwohl auch Kirkwood in dem Kapitel Oracles and Dramaturgy S. 72—82 das Orakelmotiv in allen sophokleischen Dramen untersucht, sind seine Ausführungen unergiebig, im wesentlichen, weil er die Orakel nur in Hinblick auf ihren zuweilen im selben Drama unterschiedlichen Wortlaut betrachtet, nicht aber in ihrer Aussage und Auflösung innerhalb des Dramenganzen interpretiert. 2 Da ich nicht darauf eingehen werde, welche Bedeutung die Orakel für die religiöse Haltung des Sophokles haben, sei auf Webster S. 22f. verwiesen. Er würdigt die Orakel als Zeugnis für den Glauben des Dichters und sieht ihre zentrale Stellung in dem Bestreben des Sophokles begründet, sich damit bewußt gegen die destruktiven Tendenzen seiner Zeit zu stellen. Zur Bedeutung, die die Orakel im 5. Jh. auch bei anderen führenden Köpfen der Zeit hatten, vgl. Bowra S. 152 und — für Hellanikos — M. van der Valk, On Apollodori „Bibliotheca", Rev. Et. Grec. 71, 1958, S. 137 und 141. 3 Vom Herakles im Phil. 1409ff. wollen wir hier absehen; zu dessen besonderer Funktion s. u. S. 114 Anm. 2.
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spricht (V. 998ff., vgl. 1019f. ού δέχονται... θεοί), und in dem Handeln der Antigone selbst (vgl. Y. 454f.). Weiter findet sie sich dann im Ödipus Tyrannos, und zwar dort wiederum in der Wahrsagung des Sehers Teiresias (V. 300ff.). Die am häufigsten verwandte Form, in der sich das Göttliche den Menschen im Drama kundtut, ist jedoch die der Orakel. a) Aias und Trachinierinnen
Schon im ersten Drama, im Aias, wird an wichtiger Stelle ein Orakel verkündet (V. 748ff.). Es besagt, daß Aias nur dann gerettet werden kann, wenn er an diesem Tag sein Zelt nicht verläßt; verläßt er es, muß er sterben. Denn gerade an diesem Tage verfolgt ihn der Zorn der Athene (V. 756f.) 1 . Die Form, in der das Orakel verkündet wird, ist die der Alternative. Zwei Möglichkeiten scheinen offenzustehen; welche von beiden sich erfüllt, bleibt ungewiß. Das Orakel im Aias hat zunächst eine rein dramatische Bedeutung. Einmal muß es das Stadium der Ungewißheit zwischen der freudigen Hoffnung nach Aias' scheinbarer Sinnesänderung und der Verzweiflung nach Auffinden des Toten (V. 891 ff.) bezeichnen 2 , zum andern soll es die Suche nach Aias motivieren. Diese Erklärung aber trifft nur das Vordergründige 3 . Neben der rein dramatischen Funktion hat das Orakel noch einen anderen Sinn. Es soll zeigen, wie die Menschen — es sind im Aias nur die Nebenpersonen, noch nicht der Held selbst — sich gegenüber der göttlichen Wahrheit verhalten. Gleich nachdem es verkündet ist, sieht man auf der Bühne, wie Aias sich in sein Schwert stürzt und stirbt (V. 815ff.). Daran wird deutlich, daß von den zwei Möglichkeiten, die das Orakel nannte, schon bei seiner Verkündigung in Wirklichkeit nur noch eine existierte. Daß er an diesem Tag unter dem Zorn der Athene steht (V. 756f.) — nur diese Aussage nannte das Schicksal des Aias in Wahrheit — hieß nicht, daß an diesem Tag die Entscheidung über Leben und Tod des Aias fallen wird, sondern daß über sein Leben bereits entschieden ist 4 . Den Menschen aber wurde das Orakel in der Form einer Alternative gesagt, so daß sie glaubten, noch etwas ändern zu können 5 , als die Götter schon alles entschieden hatten. Sofort nachdem sie dann mit der Suche begonnen 1 Vgl. schon als Vorausweis V. 131. Zur Übersetzung dieses Verses Reinhardt, Herrn. 78, 1943, U l f . und zum Zusammenhang von V. 131 und 756, 778 mit Literaturangaben Camerer, Gymn. 60, 1953, 295f. 2 Vgl. Diller, Göttliches Wissen S. 11. 3 Meistens läßt man es bei dieser Deutung bewenden, so Lesky, Tr. D. S. 111, anders Diller, Göttliches Wissen S. 9 ff. 4 Wenn man will, kann man einen unzweideutigen Hinweis darauf auch schon in den Worten Athenes V. 131 sehen. Denn nur in κλίνει steckt die wirkliche Aussage dieses Verses (vgl. Reinhardt, Herrn. 78, 1943, l l l f . ) , und genau das geschieht ja mit Aias entgegen dem Wähnen der Menschen. 5 V. 778f. τάχ' αν γενοίμεθ' . . . σωτήριοι, V. 812 σωζειν θέλοντες άνδρα.
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haben, tritt ihnen die volle göttliche Wahrheit direkt vor Augen. Ihr Wähnen ist zuschanden geworden, sie finden Aias, aber er ist bereits tot (V. 866ff.). Kaum ist das Orakel gegeben, so ist es auch schon für alle gelöst. Einen Weg zwischen Verkünden und Auflösung des Götterspruches - dramatisch ausgeführt — gibt es im Aias noch nicht. Doch auch hier wird schon deutlich, wie die Menschen sich verhalten, wenn das Göttliche in ihre Welt eingreift. Kommt dem Orakel im Aias eine mehr episodenhafte Bedeutung zu, so nimmt es in den Trachinierinnen eine wichtigere Rolle ein 1 . Um es dort im Dramenganzen richtig zu verstehen, läßt es sich nicht vermeiden, die entsprechenden Stellen im einzelnen und im Zusammenhang zunächst eingehender zu interpretieren, da die Ansichten über die Beziehungen dieser Stellen zueinander teilweise erheblich divergieren. Schon in der Prologrede berichtet Deianeira (V. 43—48), daß Herakles jetzt bereits fünfzehn Monate fort sei. Das bedeute etwas Schlimmes (V. 46). Er hinterließ ihr nämlich eine Tafel, von der sie sich nur wünscht, daß sie ihr kein Leid bedeuten möge2. Als Deianeira im Gespräch mit Hyllos erfahren hat, daß Herakles sich auf Euboia befindet, um gegen Oichalia zu ziehen (V. 74f.), sagt sie, daß dies das Land sei, über das Herakles ihr den Orakelspruch hinterließ 3 . Gerade auf Euboia, so hieß es, werde sich entscheiden, ob Herakles sterben oder nach erfolgreichem Sieg für immer ein glückliches Leben führen werde (V. 79—81). Das vorher nur Angedeutete wird damit hier spezifiziert. Die Aussage über die Zeit wird mit dem Aufenthaltsort des Herakles in Verbindung gebracht, die Erregung der Deianeira damit aufs Höchste gesteigert 4 . Erst in der Rede nach der Parodos erhält der Zuschauer völlige Klarheit. Deianeira berichtet noch einmal, nun aber im Zusammenhang, 1 Vgl. ausführlich zu den Orakeln in diesem Drama Kranz, Sokrates 47, 1921, 32 ff. und T. v. Wilamowitz S. 119—133. 2 Der Athetese der Verse 46—48 durch T. v. Wilamowitz S. 124 wird heute, soweit ich sehe, nicht mehr Folge geleistet. Auch Kranz S. 34 behält die Verse bei. τοιαύτην (V. 46) weist deutlich auf den Zusammenhang, der zwischen dem τι δε Lvov πημα und der δέλτος besteht, vgl. auch die Parallele δεινόν πημα — πη μονή ς άτερ. 3 Daß χώρας in V. 77 nicht zu ändern ist, zeigt T. v. Wilamowitz S. 119 Anm. 1. 4 T. v. Wilamowitz S. 120, 122 verstand die in V. 77 genannten μαντεία als ein zweites Orakel neben dem V. 157ff. genannten. Das ist kaum möglich, wenn die Verse 46—48, in denen mit δέλτος auf den Orakelspruch ausdrücklich hingewiesen ist, erhalten bleiben. Außerdem ist zu bedenken, daß erst, wenn gegenwärtiger Ort des Herakles und gegenwärtige Zeit Bedingungen desselben Spruches sind, die Wichtigkeit des gegenwärtigen Augenblicks ganz hervorgehoben wird. Für die Identität ist auch Kranz S. 35, vgl. auch Kamerbeek zur Stelle.
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welches Orakel Herakles ihr mit der Tafel hinterlassen hat (V. 157 ff.). Nach fünfzehn Monaten Abwesenheit werde der Zeitpunkt kommen, an dem sich entscheide, ob er sterben müsse oder in Zukunft ein Leben ohne Leiden führen könne. Dieser göttliche Spruch (V. 169 προς θεών είμαρμένα) — wiederum als Alternative formuliert — ist Herakles einst vom Orakel in Dodona verkündigt worden (V. 172). Die Bedingung der fünfzehn Monate ist in dem Moment erfüllt (V. 173f.), in dem Deianeira das Orakel erklärt. Von Beginn des Dramas an ist sie deshalb in größter Sorge und Unruhe (V. 175ff.) um das Geschick ihres Gatten. Nachdem durch den Bericht des Hyllos die Katastrophe bekannt geworden ist, singt der Chor (V. 82 Iff.) ein Lied, in dem er das Orakelmotiv neu aufnimmt1. Es fällt auf, daß hier nun von zwölf Jahren und nicht von fünfzehn Monaten die Rede ist, wie bisher2. Y. 821 ΐδ' οίον, ώ παίδες, προσέμειξεν άφαρ τουπος τό θεοπρόπον ήμΐν τας παλαιφάτου προνοίας, δ τ' έλακεν, οπότε τελεόμηνος έκφέροι δωδέκατος άροτος, άναδοχάν τελεΐν πόνων τω Διός αύτόπαιδι. Das ist nicht anders zu erklären, als daß ursprünglich das dodonäische Orakel Herakles bereits vor zwölf Jahren gegeben worden ist, er aber Deianeira erst später davon sagte, als noch fünfzehn Monate an der Vollendung der Zeit fehlten3. Herakles hat also das Orakel erst verkündet, als es ihm richtig erschien, nicht aber, als der Gott es ihm sagte. 1 Daß schon in V. 647 ff. wieder auf das Orakel angespielt worden war, k a n n hier unbeachtet bleiben. E s m a c h t a n dieser Stelle allerdings Schwierigkeiten, daß der Chor von zwölf Monaten u n d nicht von fünfzehn Monaten Abwesenheit spricht, wie es sonst geschah. J e b b (zur Stelle) erklärt diesen Widerspruch mit Ungenauigkeit, T. v. Wilamowitz S. 130 mit einem Versehen des Sophokles. Richtiger scheint Kamerbeek zu urteilen, der sich gegen diese Annahme wendet u n d eine analoge Beziehung zu den zwölf J a h r e n (V. 825) oder den zwölf Monaten des Dienstes bei Omphale (V. 252f.) a n n i m m t . 2 D a ß dieser Zeitraum nicht mit den bei Apollodor 2, 4, 12 genannten zwölf J a h r e n in Zusammenhang zu bringen ist — so T. v. Wilamowitz S. 128, Rader macher zur Stelle u n d vorsichtig Kamerbeek —, h a t Reinhardt S. 260 gezeigt. I m übrigen ist es müßig zu fragen, woher der Chor jetzt plötzlich den genauen Zeitraum weiß, obwohl er vorher noch von niemandem genannt wurde, vgl. Radermacher u n d Kamerbeek zur Stelle. J e b b erklärt wiederum mit Übersehen und Vergeßlichkeit des Dichters. Dies Urteil jedoch scheint nicht gerechtfertigt. Der Chor steht über dem Geschehen u n d weiß immer mehr als der Spieler auf der Bühne. Das zeigen an dieser Stelle noch zwei andere Dinge. E r kennt nicht n u r den genauen Zeitpunkt, sondern ebenso den genauen Wortlaut u n d sogar die richtige Lösung des Orakels (V. 828—830). Man sollte also vorsichtiger urteilen, als J e b b es t u t . 3 So erklären auch T. v. Wilamowitz S. 127 und Kamerbeek u n d J e b b zur Stelle.
7 7973 Schwinge, Trachinierlnnen
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Verhielt sich Herakles schon damit dem Orakel gegenüber verhältnismäßig frei, so tut er es noch mehr in dem, was den Inhalt betrifft. Wiederum spricht erst der Chor den wahren Wortlaut des Orakels aus. War der Spruch vorher immer in der Form der Alternative berichtet (V. 79ff., 166ff.), so ist er jetzt als eindeutige Aussage hingestellt. Nach Ablauf der genannten Zeit, so sagte der Götterspruch (V. 822 τουπος τό θ-εοπρόπον), werde Herakles Ruhe finden von seinen Mühen (V. 825f.). Nicht zwei Möglichkeiten, sondern ein einziger Weg war — gemäß der Version des Chores — vom Orakel gewiesen. Damit aber scheinen zwei sich widersprechende Aussagen über dasselbe Orakel vorzuliegen. Der Widerspruch löst sich, wenn wir die letzte Stelle betrachten, an der das Orakel genannt ist. Nachdem Hyllos im Gespräch mit Herakles den Namen des Nessos fallen gelassen hat (V. 1141), erkennt Herakles den Sinn dessen, was bisher geschah, und berichtet nun selbst von dem Orakel, das er einst in Dodona erhalten hat 1 . Er führt aus, dieser Spruch habe ihm einst für den jetzt eingetretenen Augenblick Ruhe von den Mühen verheißen, die jahrelang auf ihm lasteten: V. 1169 ή μοι χρόνω τω ζώντι και παρόντι. νυν έφασκε μόχθων των έφεστώτων έμοί λύσιν τελεΐσθαι2. Diese Worte des Herakles kommen sowohl inhaltlich als formal genau mit der früheren Äußerung des Chores (V. 821 ff.) zur Deckung. Wie dort ist auch hier von der Befreiung von den Mühen die Rede, wie dort ist der Orakelspruch als eindeutige Aussage formuliert. Daß der wirkliche Spruch nicht in der Alternative vorlag, die Deianeira erzählte, sondern erst jetzt wiedergegeben ist, zeigt gleich darauf seine Auflösung. Nicht ein glückliches Leben war gemeint, als die Befreiung von allem Übel prophezeit wurde, sondern das Ende des Lebens, der Tod: V. 1172 τό δ* ην αρ' ούδέν άλλο πλήν θανεϊν έμέ. τοις γαρ θανοΰσι μόχθος ού προσγίγνεται3. 1 Daß es sich wirklich um dasselbe Orakel handelt, wie das von Deianeira V. 157ff. erwähnte, zeigt die Parallele V. 171 φηγόν und 1168 δρυός. Beidesmal ist die Eiche gemeint, die auch von Herodot 2, 55 im Zusammenhang mit Dodona erwähnt wird. 2 Das Wesen derartiger Göttersprüche, allerdings in Hinblick auf den Gott in Delphi, kennzeichnet gut das Wort Heraklits fr. 93 Β Diels ό άναξ, ού τό μαντεΐόν έστι τό έν Δελφοΐς, ουτε λέγει ουτε κρύπτει άλλά σημαίνει. 3 Auch diese Worte stimmen mit der früheren Deutung des Chores überein: V. 828ff. πώς γάρ αν 6 μή λεύσσων £τι ποτ' ϊτ' έπίπονον ϊχοι θανών λατρείαν; Daß V. 1173 als Sprichwort in einer Tradition steht, hat Beinhardt S. 260 gezeigt. Neben der bei Reinhardt genannten Stelle OC 955 kann aus Sophokles noch auf El. 1170 verwiesen werden.
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Denn auch so erfüllt sich, was prophezeit war, freilich auf andere Weise, als der Mensch es sich gedacht hatte. Herakles wird frei sein von allen Mühen, denn im Tod kann ihn nichts mehr treffen. Erst als er stirbt, erkennt er, was der Spruch wirklich meinte. Und erst nachdem er das erkannt hat, nennt er das Orakel in der Version, in der es ihm wirklich gegeben war 1 . Wenn also in der eindeutigen Aussage der wahre Orakelspruch vorliegt, erhebt sich die Frage, warum Sophokles den Wortlaut am Anfang zu einer Alternative änderte. Wie im Aias liegt zunächst wiederum ein äußerer dramatischer Grund vor. Um eine Ausgangsbasis für das Geschehen zu gewinnen, mußte eine Situation an den Anfang gestellt werden, die von Ungewißheit erfüllt ist. Sie war gegeben, wenn Deianeiras sorgenvolles Dasein in einem Zustand neuer, über das Übliche hinaus gesteigerter Angst und Sorge gezeigt wurde. Das aber wurde am besten durch ein Alternativorakel ermöglicht, das sowohl positiven als auch negativen Ausgang offenließ. Nur so können Angst und Hoffnung sich die Waage halten, und nur so entspringt aus beiden zusammen höchste Ungewißheit. Eine eindeutige Aussage dagegen hätte dramatisch nichts in Bewegung gesetzt. Deianeira hätte die „Befreiung von den Mühen" zwangsläufig im positiven Sinne verstanden und es bei freudevoller Erwartung bewenden lassen. So aber wird sie durch Angst und Sorge zu den Handlungen gezwungen, durch die das Geschehen ausgelöst wird. Diese rein dramatische Notwendigkeit ist jedoch wiederum nur der vordergründige Anlaß für die Änderung des Orakels2. Ein zweiter, innerer Grund kommt hinzu. Wie im Aias hatten auch hier die Menschen gemeint, die eindeutige Aussage des Orakels in irgendeiner Form auch im positiven Sinne verstehen zu müssen — Herakles selbst weist am Ende daraufhin: V. 1171 κάδόκουν πράξειν καλώς—,und hatten deshalb geglaubt, sie in ihrem Sinn modifizieren zu können. So wich Herakles der Klarheit des Spruches aus und machte aus der eindeutigen Aussage eine Alternative. Sein Handeln wird für Sophokles exemplarisch für das menschliche Handeln überhaupt. Der Mensch meint wie 1 Bowra S. 151 meint, für Herakles sei der Spruch immer eindeutig gewesen und nicht er, sondern Deianeira selbst habe den Spruch am Anfang umgedeutet und dann zur Alternative abgeändert. Daß dies nicht richtig ist, zeigen die Stellen. Sowohl in V. 76ff. als auch in V. 156ff. (vgl. auch V. 46f.) sagt Deianeira ausdrücklich, daß Herakles es war, der ihr das Orakel in Form einer Alternative hinterlassen hat. 2 Es ist charakteristisch für das Buch von T. v. Wilamowitz, daß er (S. 132) die Inkongruenz allein aus der besonderen Technik erklärt, die Sophokles am Dramenanfang anwenden mußte. Daß diese Interpretation auch hier nicht ausreicht, hat Diller, Göttliches Wissen S. 15 ff. deutlich gezeigt. Auch Kirkwoods Erklärimg der Widersprüchlichkeit durch das jeweilige dramatische Anliegen (vgl. allgemein S. 72—82, für die Trach. bes. S. 78f.) ist an sich zwar völlig richtig, als einziger Grund vorgebracht aber eben doch nicht voll zutreffend. 7*
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Herakles, den Göttern die in Wahrheit schon vollzogene Entscheidung abnehmen und noch immer die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten nach eigenem Ermessen treffen zu können. Der Ausgang soll in seine Hand verlegt werden. Damit ist jetzt deutlich, warum das ursprüngliche Orakel in den Trachinierinnen in modifizierter Form an den Anfang gestellt ist und erst am Ende im wahren Wortlaut verkündet wird. Es soll auch hier genau wie im Aias das Verhalten verdeutlicht werden, das die Menschen einnehmen, wenn das Göttliche durch ein Orakel in ihren Bereich eingreift. Deianeira und Herakles hatten also das Orakel gerade nicht, wie T . v. Wilamowitz S. 132 meint, „richtig verstanden", wenn sie am Anfang den Tod nur als eine von zwei Möglichkeiten annahmen, die Entscheidung also vor sich sahen. Sie waren vielmehr beide dem Irrtum verfallen, indem sie das Orakel nicht als göttliche Aussage über eine bereits eindeutig festgelegte Zukunft aufgenommen, sondern es in menschlicher Weise hatten verstehen wollen. Das Irren Deianeiras zeigt das noch deutlicher. Sie meint, das Orakel habe sich im positiven Sinn erfüllt, als der Bote die Nachricht bringt, daß Herakles lebt. Daß aber nicht der Krieg in Euboia, sondern sie selbst durch ihr Handeln das Verhängnis auf Herakles herabziehen soll, ahnt sie nicht. Sie erkennt es nachher, als sie sieht, daß sie, in Blindheit befangen, genau das Verhängnis auslöste, das sie vermeiden wollte. Der Grund für ihr Irren liegt in den Worten des Nessos. Es ist interessant, daß sie genau die gleiche Zweideutigkeit haben wie der dodonäische Orakelspruch: V.
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εσται φρενός σοι τοϋτο κηλητήριον της Ή ρ α κ λ ε ί α ς , ώστε μήτιν' είσιδών στέρξει γυναίκα κείνος άντί σου πλέον,
v g l . V . 1169
ή μοι χρόνω τ ω ζώντι καΐ παρόντι νϋν εφασκε μόχθων των έφεστώτων έμοί λύσιν τελεΐσθ-αι.
Nur weil Deianeira diese Verheißung so verstand, wie sie vordergründig auch einzig zu verstehen ist, konnte sie das Verhängnis auslösen. Es war gesagt, daß Herakles, wenn er den Liebeszauber empfangen hätte, keine Frau mehr lieben würde als Deianeira. Damit war jedoch nicht gemeint, daß der Liebeszauber ihn zu ausschließlicher Liebe gegen seine Gattin entflammen, sondern daß er ihn töten würde. Auch so wird sich die Prophezeiung erfüllen. Denn im Tode ist es Herakles unmöglich, andere Frauen als Deianeira, geschweige denn überhaupt zu lieben. Die Wahrheit erkennt also Deianeira genauso wie Herakles, als die Katastrophe bereits eingetreten und es zu spät ist, sie zu verhindern 1 . 1 V g l . V . 705ff., bes. 710f. ών έγώ μεθύστερον, | δτ' ούκέτ* άρκεΐ, τήν μά&ησιν άρνυμαι.
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Neben den Spruch von Dodona tritt zuletzt ein zweites Orakel (V. 1159—1163), an das sich Herakles ebenfalls erinnert, als Hyllos den Namen des Nessos nennt1. In diesem zweiten Orakel, einem Spruch des Zeus (V. 1159), war gesagt, daß Herakles von der Hand eines Toten sterben werde. Wie sich dieser Spruch auflöst, erkennt Herakles wiederum erst nachher, als alles geschehen ist. Der vom Orakel Gemeinte war der Kentaur Nessos, der Herakles durch das Liebesgift aus seinem Blut tötet, als er selbst schon längst im Hades weilt. Dadurch, daß hier zum Schluß beide Orakel nebeneinander genannt sind, wird in gesteigerter Form darauf hingewiesen, daß sich der Wille des Zeus am Ende doch gegen jegliches menschliches Kalkulieren so durchsetzt, wie es von Anfang an prophezeit war2. Das Dodonaorakel über den Zeitpunkt und das Zeusorakel über die Art des Todes kommen im gleichen Geschehen und zur gleichen Zeit zur Erfüllung. Der Mensch hatte gemeint, es mit zwei verschiedenen Orakeln zu tun zu haben. Der göttliche Wille aber hatte sich nur von zwei Seiten kundgetan, mit beiden Orakeln jedoch war dasselbe gemeint. So fügt Herakles auch jetzt erst, da die Orakel in einem einzigen Ereignis zur Deckung gekommen sind, dem ersten das zweite, bisher überhaupt noch nicht genannte hinzu. Sowohl jeden Spruch für sich als auch den Zusammenhang zwischen beiden vermochte er erst nach der Katastrophe, nicht aber schon zu dem Zeitpunkt zu verstehen, als die Orakel gegeben wurden. Diese weit ausholende Interpretation war nötig, um jetzt zeigen zu können, welche Rolle die Orakel im dramatischen Ablauf der Trachinierinnen spielen. Blicken wir zunächst auf die Art der Auflösung, so sehen wir, daß sie in der archaischen Weise geschieht, wie sie aus den Novellen Herodots (vgl. z.B. I, 31; I, 91; III, 64) hinreichend bekannt ist 3 . Das Schema ist einfach: ein Orakel wird gegeben, im folgenden aber nicht weiter erwähnt; ein Geschehen, völlig losgelöst von dem Orakel, rollt ab; an seinem Ende steht ein Ereignis, das niemand erwartete. Dieses Ereignis ruft die Erinnerung an das einst gegebene Orakel wach. Indem beides zur Deckung gebracht wird, erkennt man die Wahrheit: das vor langer Zeit gegebene Orakel meinte nichts anderes als eben dieses unerwartete Ereignis. Sein Verständnis ist identisch mit dem des Götterspruchs. 1
Ihm gegenüber wird jetzt das Dodonaorakel als „neu" bezeichnet (V. 1165), um es von dem anderen zu unterscheiden. Daß es vorher V. 157, 823 als „alt" bezeichnet war, darf ebenfalls aus diesem Grunde nicht befremden, vgl. Kranz S. 37. 2 Vgl. auch dazu den letzten Vers des Dramas V. 1278 κούδέν τούτων δ τι μή Ζεύς. 3 Vgl. Webster S. 22f., Reinhardt S. 71. Über das Verhältnis des Sophokles zu Herodot allgemein Lesky, Tr. D. S. 102 Anm. 3, Reinhardt bes. S. 251 und 266, Stoessl S. 64 und auch Wilamowitz, Einleitung S. 32 Anm. 57.
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Dieser Typus der Orakelauflösung in den Trachinierinnen läßt sich auch innerhalb des sophokleischen Werkes als archaisch bezeichnen. Das zeigt die dramatische Verwendung. Während im Aias bereits sofort nachdem das Orakel ausgesprochen ist, seine Auflösung erfolgt, geschieht sie in den Trachinierinnen erst, nachdem eine komplizierte Handlung abgelaufen ist. Wenn damit auch offenbar dem Orakel eine beherrschendere Rolle zukommt, so darf dieser rein äußerliche Umstand doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch in den Trachinierinnen das Orakel nur in geringer Weise das dramatische Geschehen bestimmt. Am Anfang zwar hat es, in der Form der Alternative vorgetragen, die Funktion, eine Situation entstehen zu lassen, von der aus das Geschehen seinen Ausgang nehmen kann. Für die Bewegung des Geschehens selbst aber ist es nicht von Belang 1 . Äußerlich wird das daran deutlich, daß das Orakel während des eigentlichen dramatischen Spiels nicht mehr erwähnt wird 2 . Erst nachdem es abgelaufen und zu seinem verhängnisvollen Ende gekommen ist, wird das Orakel wieder aufgenommen (V. 1164ff.), durch ein zweites ergänzt, das bisher überhaupt noch nicht genannt war (V. 1159ff.), und mit dem neuen zusammen durch einen Rückblick auf das Geschehen zur Lösung gebracht. Hinzukommt, daß das Dodonaorakel am Anfang auch nur in einer falschen Version und erst jetzt in seinem wahren Wortlaut verkündet wird, also de facto das ganze Drama über genauso unbekannt war wie das Zeusorakel 3 . Die Orakel, die das Geschehen voraussagten, werden erst genannt, als das Geschehen selbst vorüber ist. All das zeigt, daß dramatisches Geschehen und Auflösung der Orakel voneinander getrennt sind. Beides steht unverknüpft nebeneinander. Als Herakles durch ein Stichwort ganz plötzlich zur Erkenntnis kommt, interpretiert er sie durch den nachholenden Bericht der Orakel. Dieser Bericht schließt sich an eben das Stichwort an, das die Erkenntnis auslöste. Das Drama kreist also nicht von Anfang an um die Enthüllung der Wahrheit, sondern die Erkenntnis der Wahrheit bricht herein, ohne dramatisch vorbereitet zu sein. Da sie so aber unverständlich ist — der Zuschauer 1
Das Alternativorakel exemplifiziert zwar das menschliche Verhalten gegenüber der göttlichen Wahrheit, ist aber in dieser Hinsicht für den dramatischen Ablauf von sekundärer Bedeutung, da auch die Exemplifikation rückblickend geschieht, am Geschehen also keinen Anteil hat. 2 Von der Äußerung des Chores V. 821 ff. dürfen wir absehen, weil ein Stasimon ja ohnehin nicht direkt mit einem Ρ unlit des dramatischen Ablaufs verknüpft ist. An dieser Stelle wird das besonders daran deutlich, daß auch die richtige Interpretation, die der Chor dem Götterspruch gibt (V. 828ff.), für das Geschehen keine Bedeutung gewinnt. 3 Wäre das Orakel im vollen Wortlaut an den Anfang gestellt, so wäre entweder überhaupt kein Drama entstanden oder die Enthüllung dieses Orakels, also der Wahrheit selbst, wäre zum Inhalt des ganzen Geschehens geworden. Äußeres Geschehen und inneres dämonisches Geschehen wären eng miteinander verknüpft gewesen. Gienau das aber geschieht erst im König Odipus.
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hat kein Vorwissen, weil ihm die Orakel unbekannt sind und er erst mit den Spielern zur Erkenntnis kommt —, muß sie nachträglich interpretiert werden. Das aber kann nur in der Form eines Berichtes geschehen, der Dinge nachholt, die bisher nicht bekannt waren 1 . So erzählt Herakles erst jetzt den wahren Wortlaut der Orakel und zeigt durch ihre Auflösung, warum er in ihnen sein Schicksal erkennt. Die Orakel werden damit zur äußeren Bestätigung dessen, was während des Dramas innerlich geschah 2 . Die Enthüllung der Wahrheit geschieht in der undramatischen Form des Berichts, als selbständiges dramatisches Spiel ist sie den Trachinierinnen noch fremd. b) Der Götterspruch in der Ilias
Wir sahen, daß im Aias und in den Trachinierinnen ein an sich eindeutiger Götterspruch an bestimmter Stelle als Alternative formuliert ist und daß diese Änderung in beiden Dramen sowohl aus einem dramatischen als auch aus einem inhaltlichen Anliegen resultierte. Geht man von Sophokles aus zeitlich weiter zurück, so fällt auf, daß bereits in der Ilias, dem ersten Werk der griechischen Literatur, an einer Stelle in ganz ähnlicher Weise wie bei Sophokles der als völlig eindeutig bekannte Götterspruch über das Schicksal des Achill in der Form einer Alternative genannt ist. Weil dafür dort ebenfalls ein doppelter Grund vorzuliegen scheint, Sophokles in diesem Punkt seines Frühwerks also von Homer angeregt sein kann, sei kurz auf die Ilias eingegangen, bevor wir in der Analyse des sophokleischen Werkes fortfahren. Im ersten Buch wissen sowohl Achill selbst (A 352) als auch Thetis (A 416f., vgl. Σ 95), daß sein Leben kurz sein wird (vgl. auch Ρ 197). Wird dieses von Zeus gesetzte Schicksal (Σ 116; 431 und ff.) am Anfang nur als allgemeines Wissen mitgeteilt, so gewinnt es im folgenden bis zum Ende hin in verschiedenen Äußerungen immer konkretere Züge. J e mehr eine Situation des Geschehens dazu angetan ist, eine weitere Enthüllung des Spruches zu ermöglichen, um so mehr wird von ihm mitgeteilt. Die von Stufe zu Stufe genaueren Erklärungen des Götterspruches werden damit umgekehrt zu einem Mittel, den jeweiligen Geschehenszusammenhang schärfer herauszukehren. In I 650ff., 1 In der gleichen Weise geschieht wiederum auch die Erkenntnis der Deianeira. Da sie sich bei ihr sogar noch hinterszenisch vollzieht, demonstriert sie zunächst durch einen Bericht nachträglich, wie sie überhaupt zur Erkenntnis der Wahrheit und damit des ihr verhängten Schicksals kam (V. 680ff.). Am Ende steht dann, genau wie bei Herakles die Deutung des Orakels, so hier die Deutung der orakelähnlichen Worte des Nessos V.576f. (s.o. S. lOOf.): V. 709f. άλλα τον βαλόντ' άποφθίσαι | χρήζων ίθελγέ με. Diese Parallele im selben Stück erhärtet die durchgeführte Analyse. Den Bericht als Mittel, hinterszenisch geschehene Ereignisse auf der Bühne wirksam zu machen, würdigt ausführlich Joerden, Hinterszenischer Raum S. 85—90. 2 Vgl. Reinhardt S. 48.
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vgl. schon I 618f., ist Achill entschlossen, vor Troja zu bleiben. Nach I 412 heißt das, daß er nie mehr nach Griechenland zurückkehren wird (1413). Dieser genauere Hinweis auf das Achill-Schicksal wird in der sogenannten Entscheidungsszene 1 fast wörtlich wieder aufgenommen, zunächst von Thetis (Σ 59f. = Σ 440f.) — sie kann ihrem Sohn nicht mehr helfen (Σ 62 = Σ 443) und beklagt ihn mit den Meermädchen zusammen bereits wie einen Toten 2 —, dann von Achill (Σ 89f., 101). Er erblickt in der Rache für Patroklos die Aufgabe seines Lebens und erkennt zugleich, daß sich darin sein eigenes Schicksal erfüllen wird (Σ 90-—93). Thetis ergänzt die alte allgemein gehaltene Voraussage noch dadurch, daß sie den Tod auch zeitlich festlegt: Achill wird „gleich nach Hektor" sterben (Σ 96). Achill selbst akzeptiert den Willen des Zeus (Σ 115f. = X 365f.), er will die Rache und muß in ihr sein Schicksal annehmen 3 . In den folgenden Büchern weiß Achill dann immer mehr um seinen herannahenden Tod 4 ; sein Ende wird von Stufe zu Stufe deutlicher umrissen, er wird sterben durch einen Menschen und einen Gott, durch Paris und Apoll5. Dieser sich über das ganze Epos erstreckende Zusammenhang von eindeutiger Voraussage des frühen Todes und bis zum Ende hin ständig wachsender Erfüllung der Prophezeiung® könnte an der Stelle durchbrochen erscheinen, an der der Schicksalsspruch als Alternative verkündet wird, Achill also offenbar noch Tod und Leben als zwei Möglichkeiten offenstehen (I 410—416). Es scheint so, als ob erst durch den Entschluß, vor Troja zu bleiben (I 650ff.), sein Schicksal von ihm selbst entschieden wird. In Wirklichkeit aber standen auch bei der Nennung der Alternative nicht mehr zwei Möglichkeiten offen. Einmal ist ja schon vorher völlig eindeutig gesagt, daß Achill ein kurzes Leben bestimmt ist (A 352 und 416), zum andern wird dann auch im Buch Σ 1 Vgl. Σ 1—147, zur ganzen Szene Schadewaldt, Die Entscheidung, bes. S. 245ff. 2 Vgl. Σ 50ff., dazu Schadewaldt S. 250 mit Anm. 3 Vgl. Schadewaldt, Entscheidung S. 267: „Er will, man kann auch sagen: Er muß." Es ist klar, daß hier keine Entscheidimg im eigentlichen Sinne vorliegt, wie sie etwa später in der Tragödie gefordert wird, vgl. Snell, Philol. Suppl. Bd. X X , 1928, Η. 1, schon deshalb nicht, weil es nach dem Ehrenkodex der homerischen Gesellschaft eben nur die Möglichkeit der Rache gab und nicht auch die, sie zu umgehen. Zur Problematik, die für modernes Denken bei dieser „Entscheidung" in dem Ineinander von menschlichem Wollen und gottgesetztem Müssen liegt, auch in der Unterscheidung von der Tragödie, Schadewaldt, Entscheidung S. 266f., auch 245, 253f. « V g l . Σ 329; T 335ff.; T400ff.; Φ 106ff.; €>273ff.; X 3 5 5 f f . ; Ψ 244; Ω 131 f.; Ω 540; auch Ω 85f., 91ff., 104f. 6 Τ 416f.; Φ 277f.; X 359, vgl. zur Art des Todes auch Φ 113. • Obwohl das rein faktische Sterben das Epos nicht abschließt, ist der Tod Achills doch bes. zum Ende hin im höheren Sinn immer mehr gegenwärtig, vgl. Schadewaldt, Entscheidung S. 264.
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die Frage der Wahl überhaupt nicht diskutiert 1 . Es gibt für Achill als homerischen Helden par excellence nur Rache und Ruhm und darin die Annahme des von Zeus bestimmten Todes: I 413 ώλετο μέν μοι νόστος, άτάρ κλέος άφθιτον εστοα, der erste Teil wurde schon von da an als geschehen angesehen2, der zweite erfüllt sich jetzt: Σ 121 νϋν δε κλέος έσθλον άροίμην. Wenn also auch in I 410fF. nicht mehr zwei Möglichkeiten vorhanden sind, so ist die Alternative an dieser Stelle — so scheint es — doch offenbar sinnlos. Gibt man sich aber nicht mit dieser von der Homer-Analyse so oft geübten Argumentation zufrieden, sondern fragt weiter, so zeigt sich, daß die genannte „Sinnlosigkeit" in Wahrheit einen ganz bestimmten Sinn hat. Es gibt, wenn ich recht sehe, zwei Erklärungen. Achill hatte schon vorher in seiner Rede (I 308ff.) gesagt, daß er entschlossen sei, nach Griechenland zurückzukehren (I 356—363, 393, nachher 417f. und 427—429). Diesen Entschluß will er mit dem Alternativspruch weiter unterstreichen. Die Bedingung nämlich lautet Heimkehr oder Bleiben vor Troja. Im ersten Fall ist ihm ein langes, aber ruhmloses, im zweiten ein kurzes, aber ruhmreiches Leben prophezeit. Im Augenblick wendet sich Achill dem ersten zu. Daß der Spruch hier als Alternative genannt ist — genau wie bei Sophokles —, ist in der Situation des Geschehens begründet. Was wir schon an den anderen Stellen sahen, wird damit hier bestätigt. Der Götterspruch wird erst in dem Moment genannt, in dem ihn Homer zur Profilierung der Szene gebrauchen kann 3 , und darüber hinaus hier sogar den anderen Stellen gegenüber abgeändert, weil es der Situation dienlich ist. Doch diese Erklärung träfe nur Vordergründiges. Es kommt — genau wie bei Sophokles •—• ein innerer Grund hinzu. In der ganzen Szene soll in erster Linie deutlich gemacht werden, daß Achill sich so in seinen Zorn hineinsteigert, daß er blind wird für sein eigenes Schicksal und sich innerlich von ihm abwendet. Gerade das aber ist durch die Alternative ermöglicht. So kehrt sich Achill auch prompt gegen sein eigenes Wesen, das ja zugleich sein Schicksal ist. Er will das Leben und nicht den Ruhm 4 . Die Alternative dient also nicht dazu, auf eine noch freie Wahl hinzuweisen, sondern gerade an der durch sie ermöglichten 1 Daß weder in I 41 Off. noch in Σ Iff. von einer wirklichen Wahl und einer freien Entscheidung des Achill gesprochen werden kann, hat von einer anderen Seite aus Snell deutlich gezeigt: Aischylos und das Handeln S. 21—23 und — in Widerlegung von Wolff, Gnom. 5, 1929, bes. 391f. — Das Bewußtsein von eigenen Entscheidungen im frühen Griechentum, Philol. 85, 1930, 141 ff., vgl. bes. S. 147—150. 2 Vgl. die zitierten Stellen. 3 Vgl. später auch die Prophezeiung über den Tod des Patroklos Σ 8ff., die vorher nie genannt war. 4 Vgl. I 401—409 stellt er das Leben als das höchste Gut hin, vgl. dagegen Σ 98, wo er, sich selbst treu, sagt αύτίκα τεθναίην.
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Abwendung vom Schicksal das lange festgesetzte Schicksal schärfer herauszukehren. So deutlich die Parallele zu Sophokles in der Verwendung der Alternative ist, so deutlich ist freilich der Unterschied in Hinblick auf innere Handhabe und äußere Verwendung der Göttersprüche im Ganzen. Während in der Ilias ein von Anfang an klarer Spruch vorliegt, der nur immer weiter entfaltet wird — für das Geschehensganze ist er von sekundärer Bedeutung —, sind die Göttersprüche bei Sophokles, wenigstens bis zum Ödipus Tyrannos, verschlüsselt und bedürfen der Dechiffrierung, für den dramatischen Ablauf sind sie damit von größerer Relevanz. So ist der zweite Grund ja auch nur insofern bei Sophokles und Homer gleich, als er ein innerer Grund ist, in dem aber, worauf mit der Alternative gewiesen werden soll, unterscheiden sie sich völlig. Das Wissen um Schein und Wahrheit, Irren und Erkennen, im Zusammenhang mit Orakelsprüchen auch bei Herodot vorhanden, ist der Objektivität der Ilias noch fremd. c) Ödipus Tyrannos und Antigone
Waren die Orakel in den Trachinierinnen nur für das nachträgliche Verständnis des dramatischen Geschehens von Wichtigkeit, so bilden sie im König Ödipus die Grundlage des Geschehens selbst 1 . Gleich am Anfang setzt ein Orakel des pythischen Apoll das Drama in Bewegung. Es verkündet (V. 96ff.), daß Theben nur durch Tilgung eines Schandmals von der Pest befreit werden könne, von der es befallen ist. Dieses Schandmal ist die ungesühnte Ermordung des Laios, des einstigen Herrschers des Landes. Wenn der Mörder gefunden und an Laios gerächt wird, soll die Stadt von der Plage befreit werden. Die vom Orakel aufgetragene Suche des Laiosmörders wird zur eigentlichen Handlung des Dramas. Dadurch, daß der Seher Teiresias Ödipus als den gesuchten Mörder bezeichnet (V. 350ff., 362, 449ff., 460), dessen Schandtat gegen die eigene Mutter nennt (V. 366, 458f.) — beides leugnet Ödipus zunächst energisch — und andeutet, daß er wisse, wer Ödipus' Eltern sind (V. 436) — nur dieser Hinweis macht Ödipus unsicher 2 —, bekommt die Suche bald eine bestimmte Richtung. Sie wird noch genauer festgelegt durch zwei weitere Orakel, die im folgenden berichtet werden. Einstweilen sieht sich Ödipus durch die unbestimmte Erwähnung seiner Eltern jetzt vor eine doppelte Aufgabe gestellt. Auf der einen Seite muß er den Laiosmörder suchen, auf der anderen seine eigene Herkunft erforschen. Daß beides im Zusammenhang steht, ahnt er nicht, trotz des deutlichen Hinweises des Teiresias. Zunächst tritt 1 Allein von den Orakeln aus interpretiert den OT auch Peter Szondi, Tragik des Ödipus, Die Neue Rundschau 1958, 485 ff. 2 Vgl. V. 437, zwei Fragen in einem Vers.
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die zweite Aufgabe zurück. Um Ödipus von der Sorge zu befreien, der Mörder des Laios zu sein (V. 703), berichtet lokaste das erste der noch ausstehenden Orakel (V. 711—714, vgl. V. 1176). Sie erzählt, daß Laios einst vom Gott in Delphi einen Spruch empfing, der besagte, daß er von seinem eigenen Sohn getötet werden würde 1 . Da aber, wie es heißt, Räuber Laios an einem Dreiweg erschlugen (V. 716, vgl. schon V. 122) und da außerdem der Sohn des Laios längst tot sein muß (V. 717ff.), könne Ödipus ganz ohne Sorge sein (V. 724). Das Orakel müsse geirrt haben (V. 720ff.). — Das Wort Dreiweg (V. 716, 730) hat Ödipus aufs tiefste erschreckt. Er erinnert sich, daß er selbst einst an solch einem Ort einen Mann erschlagen hat. Von furchtbaren Ahnungen getrieben, fragt er sofort weiter, zunächst nach dem Ort (V. 732) und dem Zeitpunkt (V. 735) der Ermordung des Laios, dann nach der Gestalt des Königs (V. 740) und seiner Begleitung (V. 750f.). Die Antworten der lokaste bestätigen die Befürchtungen (vgl. V. 738, 744f., 754, auch 767 f.), die Worte des Teiresias scheinen zur Wahrheit zu werden (V. 747). Um zu erklären, wie es dazu kam, daß er einst an einem Dreiweg einen Mann erschlug, berichtet Ödipus das zweite Orakel. Vor langer Zeit sei ihm vom pythischen Apoll geweissagt worden (V. 788—793, vgl. 994—996), daß ihm bestimmt sei, seine Mutter zu heiraten und seinen Vater zu töten. Um der Erfüllung dieses Götterspruches zu entgehen, sei er aus Korinth vor seinem Vater Polybos und seiner Mutter Merope geflohen. Auf der Flucht habe er dann an einem Dreiweg aus Notwehr einen fremden Mann getötet (V. 800ff.). Die erneut geäußerte Ahnung, in diesem Fremden (V. 813) den König Laios gemordet zu haben, schließt seinen Bericht ab (V. 814ff., bes. 819f.). Im Augenblick vermag Ödipus beide Sprüche noch nicht unter einer Lösung zusammenzufassen 2 . Für den wahren Sachverhalt bleibt er auch weiterhin blind, weil zwei Dinge den Orakeln zu widersprechen scheinen: 1. Über die Widerlegung des Laiosorakels durch lokaste (V. 717ff., 855f.) hinaus werden die Ahnungen des Ödipus noch einmal durch das Gerücht zerstreut, daß nicht ein Einzelner, sondern mehrere Räuber (V. 122, vgl. 716, 842) Laios getötet haben. Die einzige Hoffnung also, die Ödipus bleibt, ist der Hirte, der dies berichtete (V. 836f.) 3 . Er wartet, daß er kommt 4 , um durch sein Zeugnis die eigenen bösen Ahnungen als falsch erwiesen zu sehen (V. 842—847). 1 Daß Sophokles in der Mitteilung dieses Orakels von Aisch. Sept. 743 und Eur. Phoin. 17 in einer Weise abweicht, die für seine Dramatik bezeichnend ist, zeigt Diller, Göttliches Wissen S. 18. Auf den Unterschied verweist auch Szondi S. 486. 2 In der Formulierung folge ich hier Diller, Göttliches Wissen S. 20. 3 Vgl. V. 120f., schon dort knüpfte sich an den Hirten die einzige Hoffnung, 121 έλπίδος ~ 836 έλπίδος. 1 V. 837, 859f., schon 765 hatte er nach ihm geschickt.
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2. Das Ödipusorakel scheint durch einen Boten aus Korinth widerlegt zu werden, der meldet, daß Polybos, der vermeintliche Vater des Ödipus, gestorben sei (V. 939ff.). Damit kann jetzt die zweite Aufgabe, die Frage nach der Herkunft des Ödipus, in den Mittelpunkt rücken 1 . Ödipus kann also zunächst in den neuen Triumph der lokaste über die falschen Orakel (V. 946ff.) mit einstimmen (V. 964ff.). Als er aber dem Boten seine Sorge darüber erklärt, daß seine Mutter noch lebt (V. 985ff.), ihm von dem Orakel erzählt, das er einst selbst empfangen hat (V. 994ff.), und sich aufgrund dieses Orakels weigert, mit nach Korinth zurückzukehren (Υ. 1007), sagt der Bote, daß Polybos gar nicht sein Vater ist (V. 1016—1020), sondern daß er selbst ihn einst als kleines Kind im Kithairon (V. 1026) von einem Hirten des Laios empfangen (V. 1038—1044) und dem Polybos nur als Geschenk gegeben habe (V.1022ff.)· Die Frage der Herkunft des Ödipus gewinnt durch diese Erklärungen einen völlig neuen Aspekt. Sie rückt so eindeutig in den Blickpunkt des Geschehens, daß Ödipus' Bemühungen sofort nur noch ihrer Lösung gelten (V. 1059, 1068, 1076ff., 1085). Aber auch jetzt sucht er in der falschen Richtung. Anstatt das bisher Erfahrene mit in Rechnung zu stellen, wendet er sich geradezu davon ab. Er glaubt, von niedriger Herkunft zu sein (V. 1062f., 1076ff. und als Gegensatz auch 1070), und verliert sich nur immer tiefer im Schein, wenn er meint, diese Vermutungen gegen Iokastes beschwörende Warnungen — V. 1056f. und 1068 zeigen deutlich, daß sie alles durchschaut — wiederholt aussprechen zu müssen. Immer noch vermag Ödipus nicht, die beiden Orakel unter einer Lösung zusammenzufassen. Meinte er vorher, bis zum Auftritt des Boten aus Korinth, die vom Orakel aufgetragene Suche des Laiosmörders zum Ziel führen zu können, ohne sich dabei zugleich um die Lösung des an ihn selbst gerichteten Orakels zu kümmern, so meint er jetzt, es sei möglich, sein eigenes Orakel, die Frage seiner Herkunft zu lösen, ohne andererseits auf die nach dem Laiosmörder mit einzugehen. Daß er aber mit der Beantwortung dieser zweiten Frage jetzt zuletzt trotz seines isolierenden Denkens auch die nach dem Laiosmörder beantworten wird, ahnt er nicht. Erst der Hirte des Laios — zunächst herbeigewünscht, um zu bestätigen, daß Räuber Laios ermordeten, um also die Frage nach dem Laiosmörder lösen zu helfen, jetzt nur noch 1
Daß Ödipus bei den Ahnungen, der Laiosmörder zu sein, noch nicht im geringsten daran gedacht hat, in Laios zugleich seinen eigenen Vater gemordet zu haben, also mit der Suche nach dem Laiosmörder auch bereits evtl. das an ihn selbst gerichtete Orakel zur Lösung zu bringen, zeigen die Verse 823—827. Beide Fragen sind noch immer deutlich getrennt. Erst mit dem Boten aus Korinth tritt das an ihn selbst gerichtete Orakel als Problem in seinen Gesichtskreis und dient nicht mehr wie zuvor nur der Erklärung einer vergangenen Tat.
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herbeigesehnt (V. 1069), damit er die Frage nach Ödipus' Herkunft löse — wird mit einem Wort auf beide Fragen die gesuchte Antwort geben1. Durch die Konfrontation dieses Hirten (V. 1117) mit dem Boten aus Korinth nämlich werden in der Tat gleich darauf beide Orakel gegen alle Erwartung durch eine Lösung zur Deckung gebracht (vgl. Ödipus' Erkenntnis V. 1182 τά πάντ' άν έξήκοι σαφη). Die Antwort auf die eine Frage war auch die auf die andere: Ödipus ist Sohn und Mörder des Laios zugleich. Die Interpretation zeigt deutlich, daß die Orakel im Ödipus Tyrannos nicht wie in den Trachinierinnen zur nachträglichen Interpretation dessen dienen, was vorher geschehen ist, sondern das dramatische Geschehen selbst bereits in seinem ganzen Ablauf bestimmen. Rein äußerlich ist das am besten daran zu erkennen, daß die Orakel nicht am Ende, sondern am Anfang verkündet werden, die Richtung des Geschehens also einzig durch sie festgelegt wird. Ihre Auflösung erfolgt deshalb auch nicht nachträglich, also in der archaischen, aus Herodot bekannten Weise, sondern ausschließlich durch das Geschehen selbst; das ganze Drama gilt von Anfang an einzig der Enthüllung der Göttersprüche2. Erfuhren Deianeira und Herakles ihr Schicksal nahezu völlig unabhängig von den Orakeln und machten sie es sich erst nachträglich durch Nennen der Orakel richtig verständlich, so gehen im Ödipus Tyrannos Schicksalsenthüllung und Orakellösung Hand in Hand. Was in den Trachinierinnen getrennt war, ist hier eine unlösliche Verbindung eingegangen. Damit ist erstmalig im König Ödipus nur noch die Enthüllung der Wahrheit zum Inhalt des dramatischen Geschehens geworden. Der Fortschritt gegenüber den Trachinierinnen, in denen die Wahrheitserkenntnis durch einen nachholenden Bericht dramatisch wirksam wurde, ist unverkennbar3. 1 Von Anfang an wird indirekt auf ihn hingelenkt: V. 118, 715, 754ff., 837, 842ff., 1051—1055. Daß der Hirte, der als einziger von Laios' Begleitern entkam und dann berichtete, Räuber hätten ihn erschlagen (V. 122, 716, 842), identisch ist mit dem, der den Ödipus einst an den Hirten des Polybos übergab, welcher jetzt als Bote gekommen ist, zeigen die genannten Stellen, bes. V. 1051 ff. 2 Wie fruchtbar es f ü r die dramatische Gestaltung war, zwei scheinbar verschiedene, in Wahrheit aber gleiche Orakel zum Grund des Geschehens zu machen, h a t die Interpretation gezeigt. Obwohl auch in den Trach. zwei Orakel durch eine Lösung zur Deckung kommen, fallen sie dort unverkennbar auseinander und ergeben keinerlei dramatische Spannung. Das Zeusorakel (V. 1159ff.) könnte genauso gut fehlen. Das Fehlen eines Orakels im OT wäre unmöglich. 3 Daß die hier vorliegende Wertung von Bericht und dramatischem Spiel nicht von modernen Kategorien bestimmt wird, ist an sich selbstverständlich, wird aber durch eine theoretische Äußerung des Horaz deutlich bestätigt, ars poetica 179ff.: aut agitur res in scaenis aut acta refertur. | segnius inritant animos demissa per aurem | quam quae sunt oculis subiecta fidelibus et quae | ipse sibi tradit spectator. — Daß die Enthüllung der Wahrheit nicht zu dem gehört, was Horaz ins Hinterszenische verbannt (a.p. 182ff.), ist leicht einzusehen. Daß gerade auf der tragischen Bühne aber auch bestimmte Vorgänge wie z.B. Mord,
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Den bisher behandelten Dramen Aias, Trachinierinnen, Ödipus Tyrannos ist folgendes gemeinsam. Der Mensch ist gegenüber dem Schicksal, das ihm vom Gott gesetzt ist, im Schein befangen. Er verfällt aufgrund seiner Blindheit dem Irrtum und handelt so, daß er unwissend 1 sein eigenes Schicksal vollendet. Mit der Erfüllung des Schicksals tritt die Erkenntnis der Wahrheit ein, die er vorher nicht sah. Aus dem Verkennen der göttlichen Wahrheit aber entspringen Tragik und Leid. Vollzieht sich in Aias und Trachinierinnen immer noch das, was als Schicksal des Helden enthüllt werden muß, können hier also immer noch — wenigstens scheinbar—, durch ein Alternativorakel ausgedrückt, zwei Möglichkeiten des Ausgangs existieren, so setzt der Ödipus Tyrannos ein, als bereits alles geschehen ist, was das Schicksal des Helden ausmacht, freie Wahl ist auch als Scheinmöglichkeit nicht mehr vorhanden. Indem damit das Drama ausschließlich noch der Enthüllung der Wahrheit dienen kann, ist im König Ödipus die letzte Konsequenz aus dem gezogen, was die sophokleische Tragödie bis zu diesem Zeitpunkt bestimmt: das Verhältnis von absolutem, göttlichem und relativem, menschlichem Wissen, von unbedingter Wahrheit und menschlichem Schein, von klarer Gewißheit und blindem Meinen2. Um dieses Verhältnis durch die Handlung deutlich werden zu lassen, benutzt Sophokles die Orakel, im Aias nur in einem Teilgeschehen, in den Trachinierinnen, um mit ihnen das Verständnis des Schicksalsgeschehens nachträglich zu ermöglichen, im König Ödipus, indem er das Geschehen selbst ausschließlich auf ihre Lösung gründet und so den Helden schon immer während des Geschehens Schritt für Schritt sich der endgültigen Erkenntnis seines Schicksals nähern läßt. Die Orakel enthalten die göttliche Wahrheit. Sie mißverstehen, heißt die göttliche Wahrheit verkennen, sie auflösen, das gottgesetzte Schicksal annehmen. Blutvergießen, Blendung gleichsam gesetzmäßig ausschließlich im Hinterszenischen ihren Platz haben und nur auf indirektem Wege (zur Art dieses Weges im einzelnen jetzt Klaus Joerden, Hinterszenischer Raum und außerszenische Zeit S. 85ff.) mit dem Geschehen auf der Bühne verknüpft werden können, ist bekannt. Die Art dieser Geschehnisse im einzelnen und der Grund gerade nur ihrer indirekten Demonstrierung müßte gesondert untersucht werden, vgl. in Andeutungen dazu Kiefer, Körperlicher Schmerz S. 103ff., Joerden S. 60ff. bes. S. 66, und die Tabelle S. 73f. und bes. Matthiessen, Aufbau und Datierung S. 164 mit Anm. 3. 1
Zur „Schuldfrage" in der griechischen Tragödie und bes. im OT vgl. den grundlegenden Aufsatz von Kurt von Fritz, Tragische Schuld und poetische Gerechtigkeit in der griechischen Tragödie, Stud. Gen. 8, 1955, 194ff. und 219ff., ebenso ist immer mit heranzuziehen Kurt Latte, Schuld und Sühne in der griechischen Religion, Archiv f. Relig.-Wiss. 20, 1920/21, 254ff., zum richtigen Verständnis dessen, was die Griechen unter άμαρτία verstanden, dort bes. S. 272. 2 Vgl. zum Ganzen Diller, Göttliches Wissen S. 18.
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In der Antigone sind keine Orakel verwandt. Daß aber auch sie zur Gruppe der genannten Dramen gezählt werden muß, ist leicht einzusehen. Wie dort ist auch hier der menschliche Schein gegenüber dem göttlichen Willen das Bestimmende. Während Antigone von Anfang an in Übereinstimmung mit der göttlichen Wahrheit steht, ja sich in ihr der göttliche Schicksalswille ausdrückt, meint Kreon 1 , seine menschlich bedingten Ansichten als unbedingt betrachten und das Göttlich-Unbedingte in seinem Sinne handhaben zu können. Damit aber befindet er sich der göttlichen Wahrheit gegenüber im Schein. Als der Wächter berichtet, daß Polyneikes begraben sei (V. 245f.), und der Chor Kreon darauf aufmerksam macht, daß das Begräbnis ein vom Gott verhängtes Werk sein könne (V. 278f.) — von Beginn an ist damit dem menschlichen Schein die göttliche Wahrheit gegenübergestellt —, weist Kreon das scharf von sich (V. 282 fif.). Er meint, die Götter auf seiner Seite zu haben und über sie aus seiner Sicht verfügen zu können. Das Göttliche in seine Überlegungen einzubeziehen, ist ihm fremd. Die einzigen Motive, die er f ü r eine solche Tat gelten läßt, sind Geld und Gewinn. Er meint, alles, was ihm nicht paßt, auf Bestechung zurückführen zu müssen 2 . Ehe der Wächter zum zweitenmal auftritt, hatte bereits der Chor auf Antigone als Täterin vorausgewiesen (V. 378). Trotzdem muß er erst dreimal beteuern, daß Antigone, ein Mädchen, die Täterin ist, (V. 395, 402, 404), ehe Kreon es glaubt und damit zugibt, daß seine Konzeption aus einer Richtung zerschlagen ist, aus der er es am wenigsten vermutet hätte. Auch dann aber fragt er noch Antigone selbst, ob sie es wirklich getan habe (V. 442), und Antigone bejaht diese Frage Wort f ü r Wort 3 . Damit ist Kreon jetzt zum erstenmal direkt in seiner Scheinverfangenheit gezeigt. Antigone aber geht noch weiter. Sie stellt seinen menschlichen Gesetzen (V. 449, vgl. schon 287 und 382) die ungeschriebenen göttlichen Gesetze gegenüber (V. 454f.) 4 , seinem menschlichen Schein die Macht der Götter. Sind damit bereits ihre Bereiche scharf voneinander geschieden, so wird im weiteren Gespräch (vgl. bes. V. 497ff.) dann immer deutlicher, daß in Antigone der Schicksalswille mächtig ist, der sich in den anderen Dramen in den Orakeln kundtat, und daß Kreon ihm gegenüber blind ist genau wie Deianeira, Herakles 1 Zur Gestalt des Kreon vgl. bes. Ehrenberg S. 67—75, sehr gut auch Rudolf Bultmann, Polis und Hades in der Antigone des Sophokles (1936), jetzt in Glauben und Verstehen 2. Bd., Tübingen 1958 2 , S. 20ff. 2 Vgl. V. 289ff., schon 221f. und später 310ff., 322, 326, 1035ff., 1047, 1055, 1061, 1063. Die gleichen Argumente gebraucht Ödipus, OT 124f., 380ff., 542, einen Vergleich zwischen Ödipus und Kreon aus der Antigone führt Ehrenberg S. 82 ff. durch. 3 V. 443, vgl. φής ~ φημί, καταρνη ~ ουκ άπαρνοϋμαι, δεδρακέναι ~ δρασαι. 4 Vgl. ΟΤ 865, speziell zur Stelle Ehrenberg S. 25 ff., allgemein dazu R. Hirzel, δγραφος νόμος, Abh. phil.-hist. Kl., Sachs. Ges. Wiss. Nr. 1, Leipzig 1900.
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und Ödipus. Er verharrt weiter starr auf seinen Gesetzen (V. 480ff.) und verurteilt Antigone zum Tode. Obwohl auch Haimon seinem Vater Kreon den göttlichen Bereich gegenüberstellt (V. 683) und ihn zu Weichen (Y. 705, 707, 710f., 718) und Lernen (V. 710, 723) bewegen will, bleibt Kreon starr 1 , in zwei Versen stoßen Schein und Wahrheit unmittelbar aufeinander2. Am deutlichsten wird Kreons Scheinverfangenheit im Gespräch mit Teiresias (V. 988ff.), der als Seher seiner Verblendung die göttliche Wahrheit gegenüberstellt, ihm zeigt, daß die Stadt offensichtlich durch seine, des Herrschers Schuld unter dem Unwillen der Götter leidet (V. 1015 und ff.) und nun Kreons κέρδος-Argumentation gegen ihn selbst wendet, indem er ihm Weichen (V. 1029) und Einsicht als wahren Gewinn vor Augen stellt (V. 1031f.). Kreons Verblendung aber steigert sich zur Hybris (V. 1040f., 1047, 1055, 1061, 1063). Erst als sich die Aussage des Sehers zu einer Drohung zusammenzieht (V. 1064 ff.), bricht seine Scheinwelt zusammen (V. 1095ff.). Doch auch jetzt glaubt er, noch handeln zu können (V. 1099, 1108ff.). Das volle Ausmaß seiner Verblendung erkennt er erst, als es zu spät ist (V. 1261 ff., 1270 όψέ, 1272 εχω μαθών, rückbezogen auf 710, 723, 1031). Er wünscht sich in letzter Isolation (V. 1341 f.) den Tod (V. 1324f., 1329ff., 1339) und muß leben (V. 1334f., 1337f.), Antigone, nicht weniger vereinsamt (V.850f., 919—923), wünschte zuletzt zu leben (V. 896, 939) und mußte sterben. Jede Gestalt erscheint auch zuletzt erst durch die andere im rechten Licht. Es ist klar, daß der Schein des Kreon verschieden ist von dem, dem die Menschen in Aias, Trachinierinnen und Ödipus Tyrannos unterworfen sind. Während er dort die Haltung des Menschen gegenüber dem ihm vom Gott verhängten Schicksal kennzeichnet und als tragischer Schein im Mittelpunkt steht, rührt er hier aus einer hybriden Haltung den Göttern gegenüber. Doch auch dies hat Kreon als Schicksal auszutragen. Ist aber das der Deianeira, des Herakles, der Antigone, des ödipus erfüllt, so ist das seine leer, ist das eine groß, so ist dies hier erbärmlich und gering. Da jedoch die Scheinverfangenheit den Göttern gegenüber bestehen bleibt und als solche das ganze Drama wesentlich bestimmt — Antigones Gestalt wird nur deutlich auf der Folie des Kreon und umgekehrt —, rückt die Antigone zu der Gruppe der bisher besprochenen Dramen. Wo sie dort einzuordnen ist, ist früher untersucht worden. 1 Vgl. bes. V. 734 als Antwort auf Haimons Warnung 733, vgl. dieses Argument schon 509, 693. Allein aufgrund des Verses 734, vgl. aber auch 667 und 738, kann von einem Staatsprinzip im Hegeischen Sinne, dem familiären Anspruch der Antigone gleichberechtigt, nicht die Rede sein, es sei denn, wir hätten es mit einem völlig pervertierten Herrscherprinzip zu tun. a V. 744 τάς έμάς άρχάς, nicht mehr τάς της πόλεως, 745 τιμάς γε τάς θεών πατών.
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2. Elektra, Philoktet, Ödipus auf Kolonos Daß die Orakel auch in den drei Altersdramen Elektra, Philoktet und Ödipus auf Kolonos eine für den Ablauf des Geschehens unerläßIiche Rolle spielen, ist leicht zu bemerken. Ebenso deutlich ist, daß sie hier in völlig anderer Weise verwendet sind als in den Dramen bis zum König Ödipus. Gleich in der Elektra und im Philoktet fällt auf, daß die Göttersprüche, verglichen mit dem Ödipus Tyrannos, für das Gesamtgeschehen von ungleich geringerer Bedeutung sind. Dieser Umstand könnte dazu verleiten, die unter dem Aspekt der Orakel bisher aufgezeigte Entwicklung als ein Argument für die frühe Abfassung der Trachinierinnen nicht anzuerkennen, ja die aufgestellte These widerlegt zu sehen. Es ist jedoch erwiesen1, daß sich die drei späten Dramen im ganzen und im einzelnen von den Werken bis einschließlich zum Ödipus Tyrannos abheben und mit anderen Kategorien zu beurteilen sind. Es muß daher gefragt werden, ob nicht auch die geringere Bedeutung der Orakel in Elektra und Philoktet in diesem allgemeinen Unterschied zu den vorhergehenden Dramen begründet ist. Unter diesem Aspekt sollen im folgenden die Orakel in den späten Stücken genauer untersucht werden. a) Elektra und Philoktet — das menschgefügte Leid
Den Dramen Elektra und Philoktet ist gemeinsam, daß das dramatische Geschehen in ihnen jeweils durch ein Orakel in Bewegung gesetzt wird, das — im Gegensatz zum Frühwerk — nicht mehr ein Schicksal, sondern einen Auftrag verkündet. In der Elektra befiehlt ein Spruch Apolls dem Orest (V. 32—37, vgl. 82, auch 1264ff., 1425), daß er die Ermordung des Agamemnon an Klytaimestra durch eine List (V. 37 δόλο tat, vgl. V. 649 δόλοισι auf dasselbe bezogen) rächen soll. Der Ausführung dieses Befehls ist bei Sophokles nur der kurze Schlußteil des Dramas gewidmet (V. 13981F.). Ihn interessierte in seiner Version der Orestsage nicht der Muttermord und die sich aus ihm ergebende, für Aischylos (Choe.) und Euripides (El.) so wichtige Problematik 2 , sondern lediglich das, was aus dem Trug 3 des Orest entspringt: die Reaktionen der Elektra. Sie allein füllen das Drama. Die Bedeutung des Orakels bleibt damit auf die Funktion beschränkt, das Geschehen 1 Vgl. Diller, Göttliches Wissen S. 22 und Reinhardt S. 145 und allgemein seine Interpretation der drei späten Dramen. 2 Über diesen Punkt herrscht, soweit ich sehe, heute Einigkeit, vgl. Tycho v. Wilamowitz S. 174, 216, 219f., Reinhardt S. 145ff., Lesky, Tr. D. S. 125f., und Hum. S. 236. Auch V. 1425 'Απόλλων εί καλώς έθέσπισεν zeigt als Rudiment der aischyleischen Gestaltung der Orestsage lediglich das Wissen des Sophokles um die im Stoff liegende Problematik und kann deshalb nicht als bestimmend für seine Dramatisierung angesehen werden. 3 Vgl. zur Konzeption des Truges V. 44—50.
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auszulösen. Für den Ablauf der dramatischen Handlung selbst ist es bedeutungslos, nicht anders als am Ende die Ausführung dessen, was es befahl. Im Philoktet wird durch einen Spruch des troischen Sehers Helenos den Griechen verkündet, nur wenn der auf Lemnos zurückgelassene Philoktet mit seinem Bogen nach Troja komme, könne die Stadt genommen werden (vgl. V. 603ff., 1316ff., auch 839ff. und 1423ff.). Odysseus versucht zusammen mit Neoptolemos, diesem Orakel mit einer List 1 zum Erfolg zu verhelfen. Wie in der Elektra ist das eigentliche Geschehen des Dramas nun wiederum mehr der Vorbereitung als der Vollendung der Tat gewidmet. Im Mittelpunkt der Tragödie stehen die Reaktionen des Philoktet, die durch das trügerische Handeln des Odysseus in immer neuen Wendungen ausgelöst werden. Die Erfüllung des Orakels ist wieder ganz ans Ende gerückt (V. 1409if.). Sie steht im Philoktet sogar so sehr am Rande, daß ein deus ex machina bemüht werden muß, um das Geschehen entgegen dem sich andeutenden Ausgang in die dem Mythos adäquaten Bahnen zu lenken2. Das Orakel gibt also nur die Voraussetzung dafür, daß alles so abläuft, wie es das Drama zeigt, im Geschehen selbst spielt es keine Rolle. Dazu stimmt, daß in der Prologszene zunächst nur unbestimmt ausgesagt wird (V. 55, 68, 7 5ff.,90,101,113) und der Zuschauer nicht genau weiß, ob es nur auf den 1
Vgl. V. 55 λόγοισιν έκκλέψεις (El. 37 δόλοισι κλέψαι) u n d wörtlich δόλος V. 91, 101, 107, 1282, 1288. 2 W e n n m a n auch die Gestalt des Herakles nicht auf genau dieselbe Stufe mit den euripideischen dei ex machina stellen sollte — Unterschiede geben Lesky, Tr. D. S. 130, Pohlenz, 1. Bd. S. 331 f., Reinhardt S. 200f. —, so können wir doch nicht umhin, diese F o r m des Schlusses als äußerlich anzusehen. Eine mögliche Deutung, wie es dazu kommen kann, daß ü b e r h a u p t Tragödien in dieser Art zu Ende geführt werden, gibt Wilamowitz, Einleitung S. 119. Anders freilich interpretieren Lesky und Reinhardt. Beide Deutungen aber befriedigen nicht ganz. W e n n Sophokles es f ü r wichtig gehalten hätte, das D r a m a aus sich heraus zu E n d e zu führen, h ä t t e er es sicher getan. Daß er es aber nicht t a t , m u ß als Hinweis verstanden werden. E r h a t offenbar das dem Mythos widersprechende E n d e des Dramas ernster genommen als seine Interpreten. Das zeigen bes. die bisher k a u m bemerkten Verse 1404—1406, in denen Neoptolemos u n d Philoktet über den einfachen Entschluß, nach Griechenland zurückzusegeln, hinaus sogar die Folgen dieses Schrittes genau überlegen, also auch bereits das zukünftige Geschehen als dem Mythos zuwiderlaufend angedeutet wird. Eine mögliche Deutung des von Sophokles bewußt so geformten Schlusses soll bei den Ausführungen über das H u m a n e vorgeschlagen werden, s . u . S. 125f. — E s ist mir klar, daß die hier geäußerte Ansicht bes. nach den letzten Arbeiten von Karin Alt (Schicksal u n d ΦΥΣΙΣ im Philoktet des Sophokles, Herrn. 89, 1961, 141— 174) u n d Andreas Spira (Untersuchungen zum Deus ex machina bei Sophokles und Euripides, Kallmünz/Opf. 1960 [Diss. F r a n k f u r t 1957], bes. S. 12—32) ausführlicherer Erörterung bedürfte. D a f ü r ist hier jedoch kein R a u m . W e n n ich meine Ansicht trotzdem hier so stehen lasse, so nur, u m daraufhinzuweisen, daß sich a n ihr nichts geändert h a t . Ich hoffe, die versäumte Begründung an anderer Stelle nachholen zu können.
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Bogen ankommt oder ob auch Philoktet selbst vor Troja erscheinen muß1. Denn dadurch wird nicht etwa eine schnellere Vollendung der vom Orakel befohlenen Tat vorbereitet, sondern im Gegenteil nur eine größere Entfaltung der Umschwünge ermöglicht, die den späteren Verlauf der Ereignisse bestimmen2. Bilden Nennung und Erfüllung der Orakel in Elektra und Philoktet also gleichsam nur den Rahmen des Dramas, so bilden die Leiden des Helden den Inhalt des eigentlichen Geschehens3. Beides ist dadurch miteinander verknüpft, daß dem Befehl der Göttersprüche mittels einer Intrige4 zur Vollendung verholfen werden soll, durch eben diese Intrige aber der Held in immer tiefere Leiden gestoßen wird. Schon die Situation, in die Elektra infolge ihrer ständigen Klagen, mit denen sie das Gedächtnis an den Vater und die Notwendigkeit der Rache wachhalten will (V.132ff., 145f., 236ff., 254ff.), im Haus der Klytaimestra und des Aigisth gestellt ist, ist die eines permanenten Leidens (vgl. schon V. 77, dann 86ff. und die Parodos 121ff.). Bis zum neuen Auftritt des Pädagogen (V. 660) geschieht im Grunde nichts anderes, als daß diese Situation immer von neuem demonstriert wird, zunächst im Gespräch Elektras mit Chrysothemis (V. 328—471) — Elektra soll jetzt sogar in ein lichtloses Gelaß gesperrt werden, wenn sie die Klagen nicht aufgibt (V. 378ff.) —, darauf im Dialog mit Klytaimestra (V. 516—633). Erst nach dem Erscheinen des Pädagogen werden die Leiden dann Schritt für Schritt über das alltägliche Maß hinaus bis zum äußersten gesteigert, zunächst durch die Nachricht vom Tode Orests5 (V. 673)6, durch die Elektra der letzten Hoffnung (vgl. V. 810, und schon 305f.) auf Rache beraubt wird — die lange Aus1 Auch Odysseus meint V. 1055f., noch ohne Philoktet auskommen zu können. 2 So auch T. v. Wilamowitz S. 277. Von einem Mißverstehen der göttlichen Aussage wie im Frühwerk, so vielleicht bes. veranlaßt durch V. 1055 f., kann nicht die Rede sein, schon allein deshalb nicht, weil der Befehl dee Orakels nur im Ungewissen bleibt, nicht aber — auch nicht von Odysseus — durch menschliches Mißverständnis auf eine eindeutige Version festgelegt wird. Während zwar i n V . 68, 75flf., 113 nur der Bogen erwähnt wird, ist bereits in V. 55, 90, 101 eindeutig von Philoktet die Rede, vgl. Wilamowitz, Trag. I V , S. 18. Gegen Bowra S. 261, der den Philoktet genau wie den König Ödipus gerade aufgrund dieser Stellen als ein Spiel von menschlichem Schein und göttlicher Macht verstehen möchte, hat Lesky, Tr. D. S. 130 das Nötige gesagt. 3 Zur Elektra in diesem Sinne auch Schadewaldt, Monolog S. 57. 4 Daß die Intrigenform als solche von Euripides übernommen ist, sich aber von der dortigen Anwendung unterscheidet, zeigen Reinhardt S. 146, 172f. und Lesky, Tr. D. 128. 5 Schon vorher wird auch nach Orests Abgang (V. 85) immer mehr auf ihn hingelenkt: V. 117, 163ff„ 294ff„ 317ff„ 455f„ 602ff. 6 Vgl. die Reaktion der Elektra V. 674 ολωλα, 677 άπωλόμην δύστηνος, ούδέν είμ' έτι und bes. 804ff., 808 ώς μ' άπώλεσας.
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malung des Todes (V. 680 ff.)1 intensiviert die Wirkung noch mehr —, dann als die Freudenbotschaft (V. 871 ΰφ' ηδονής) der erneut auftretenden Chrysothemis, daß Orest gekommen sei (V. 877), an sich die Wahrheit sagt, ihr aber gerade die Erfüllung des Wunsches vorgaukelt, der ihr eben zerstört wurde, und sie nun zu dem Entschluß kommen läßt, die Rache selbst auszuführen (V. 947ff.), und zuletzt, als sie aus Orests eigener Hand die Asche dessen erhält (V. 1119), den sie tot wähnt, der aber in Wahrheit lebend vor ihr steht. Nachdem Elektra damit zum äußersten ihrer Leiden und in der folgenden Rede zum Höhepunkt ihrer Leidensäußerung gekommen ist (V. 1126ff.) 2 , kündet sich im langsam beginnenden Anagnorismos (V. 1174ff.) 3 sofort die Peripetie an. Erst nach der maßlosen Freude Elektras 4 und dem έτερος άναγνωρισμός (V. 1346—1363, vgl. Schol. 1346) — die Rache tritt immer noch hinter der Stimmung zurück5 — kommt es dann zur Ausführung des Mordes (V. 1398ff.) und damit zum raschen Ende des Dramas. Was in der Elektra den Inhalt des eigentlichen Geschehens ausmachte, wiederholt sich in größerem Rahmen im Philoktet. Wiederum ist der Held schon durch die äußere Situation — Krankheit und Einsamkeit bilden die Welt, in der Philoktet leben muß — zum Leidenden kat'exochen gestempelt®, wiederum wird das bisherige Maß der Leiden durch die Intrige vergrößert, die die Gegenspieler ins Werk setzen. Wird auch zunächst durch die Aktionen, die Neoptolemos auf Veranlassung des Odysseus unternimmt (vgl. bes. V. 343ff.), bei Philoktet Freude und Befreiung hervorgerufen (V. 530ff.), so kehrt sich diese 1 Zum Botenbericht vgl. T. v. Wilamowitz S. 188 if. Es liegt in der Tendenz von Tychos Buch begründet, wenn er meint, der Bericht solle in erster Linie den „Zuschauer" täuschen. Mindestens in gleichem Maß soll er, spiel-immanent, die Leiden Elektras noch weiter steigern, vgl. so auch Lesky, Tr. D. S. 127, Reinhardt S. 162. 2 Vgl. die gleichen Reaktionen wie vorher: V. 1152 τέθνηκ' έγώ σοι, 1163f. ώς μ' άπώλεσας· άπώλεσας δήτ'. 3 Auch die Hinauszögerung des Anagnorismos bis V. 1217, bes. der Streit um die Urne V. 1205—1216, dient immer noch lediglich der Ausmalung der seelischen Situation der Elektra und d.h. der äußersten Leiden, nicht aber der Intensivierung der „Spannung des Zuschauers" (T. v. Wilamowizt S. 210). Gut gegen T. v. Wilamowitz zu dieser Stelle Reinhardt S. 279, richtig auch Schadewaldt, Monolog S. 60 Anm. 1. 4 Daß die Maßlosigkeit in der Freude mit der vorherigen im Leid und der letzten beim Vollzug der Rache korrespondiert, ist offenbar: V. 1172 μή λίαν στένε, V. 1272 δέδοικα λίαν ήδονη νικωμένην, V. 1415 παϊσον . . . διπλήν. 5 Vgl. Τ. ν . Wilamowitz S. 215: „Wie gleichgültig ist der Mord." • Vgl. V. 40ff., 159ff., bes. 172f. μόνος άεί, νοσεί μέν νόσον άγρίαν, 183 μοϋνος, 227f. μόνον, έρημον, ίίφιλον, dann 254ff., das Gespräch Ne.-Phil. bis 506 und gleich darauf die direkte Demonstration durch den Anfall V. 730ff., 1004ff. Die Einsamkeit durch die Situation ist bei Sophokles gegenüber den Philokteten der anderen beiden Tragiker noch gesteigert, vgl. Dion Chrysost. or. 52 und dazu Reinhardt S. 172, Lesky, Tr. D. S. 127f.
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Reaktion immer mehr in ihr Gegenteil, als Philoktet von Stufe zu Stufe erkennen muß, daß er in Wahrheit nur ein Spielball ist in den Händen der trugspinnenden Gegner. Odysseus läßt aus List durch den Emporos den inszenierten Trug genau darlegen (V. 603fF.), Neoptolemos verkündet, vom Leiden des Philoktet überwunden — V. 895 kündet sich die Wende an —, die Wahrheit (V. 915): Auch er hatte Philoktet nicht retten, sondern mit seinen Versprechungen nur betrügen wollen 1 . Den Höhepunkt erreichen die Leiden, als Odysseus auftritt (V. 974), Philoktet den Trug nun völlig durchschaut und von Neoptolemos und Odysseus ohne Bogen in noch größerer Einsamkeit und Verzweiflung zurückgelassen wird als vorher (V. 1080)2. Wiederum wird das Drama dann nach den bis zum äußersten gesteigerten Leiden und einigen später zu behandelnden Wendungen rasch und hier fast gewaltsam (s.o. S. 114, Anm. 2) zu Ende geführt. Sowohl in der Elektra als auch im Philoktet ist das eigentliche dramatische Geschehen — die Analyse hat es deutlich gezeigt — vorwiegend von dem Leiden bestimmt, in das der Held durch den Trug seiner Gegenspieler immer tiefer hineingestoßen wird. Daß dieses durch den Menschen verursachte Leiden ein Hauptmerkmal für beide Stücke ist, zeigt ein Vergleich mit den Dramen bis zum König Ödipus. War der Mensch dort in Schein und Ungewißheit gegenüber dem ihm vom Gott gesetzten Schicksal und resultierten seine Leiden aus dem damit verbundenen Verfehlen der göttlichen Wahrheit, so befindet er sich hier im Schein gegenüber dem Trug, in den er durch menschliche List verstrickt wird. War das Leiden dort vom Gott verhängt, so ist es hier ausschließlich vom Menschen ausgelöst3. Der Mensch steht nicht mehr dem Gott, sondern nur noch dem Menschen gegenüber. Das Göttliche ist als schicksalssetzende Macht zurückgetreten4. Wo aber nur noch der Mensch den Menschen in Schein und Leiden stürzt, kann eine dämo1
Vgl. die Reaktion Philoktets V. 927 ff. Vgl. den Dialog Odysseus — Philoktet V. 974ff., die Rede Philoktets V. 1004ff. u n d den Kommos 1081ff., dazu bes. Reinhardt S. 196. Die erste Reaktion auf die Enttäuschungen ist jeweils wörtlich dieselbe, wie die der E l e k t r a : V. 923 άπόλωλα τλήμων, προδίδομαι, 951 ούδέν εΐμ' ό δύσμορος, 978 οίμοι · πέπραμαι κάπόλωλ'. 3 So auch Reinhardt S. 149, 215f., 222f. Daß das Leiden d a m i t in seiner Furchtbarkeit wächst, scheint Schadewaldt, Sophokles u n d das Leid, jetzt in Hellas und Hesperien, S. 231 ff., zu verkennen, da er zwischen Früh- u n d Spätwerk in diesem P u n k t keinen Unterschied macht. Erhielt das Leiden aber im Frühwerk in der Erkenntnis nachträglich immer noch einen bestimmten Sinn, weil es im Göttlichen begründet wurde, so ist es jetzt dieser Sinngebung beraubt und steht gleichsam bloß da. 4 Zu dem damit zusammenhängenden Unterschied der Tragik im Spätwerk gegenüber der Schieksalstragik in den vier f r ü h e n Stücken Reinhardt S. 160f., 187f., 197, 199. D a ß dies nicht mit der auch bei Euripides nur zeitweilig auftretenden Götterkritik verglichen werden kann, haben Lesky, Gr. Lit. Gesch. S. 271 u n d Pohlenz, 1. Bd. S. 351 gezeigt. 2
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nisch-tragische Verstrickung, wie sie am deutlichsten im Ödipus Tyrannos gestaltet war, nicht mehr stattfinden. Auch das tragische Geschehen bleibt auf das Menschliche beschränkt. Das Göttliche tritt zurück und bildet nur noch den Hintergrund, vor dem sich das rein menschliche Geschehen abspielt1. Damit ist erklärt, warum die Orakel in Elektra und Philoktet von geringerer Bedeutung sind als in den Dramen bis zum Ödipus Tyrannos. Da sich das Göttliche durch die Orakel aussagte, um in den menschlichen Bereich einzugreifen, muß deren Gewicht notwendigerweise dann verlorengehen, wenn das Göttliche nicht mehr die zentrale Stelle einnimmt, die es bisher hatte. Wie die Götter, so tritt auch die Bedeutimg der Orakel zurück. Sie setzen kein Schicksal mehr, sondern geben einen Auftrag und bleiben so auf eine nur auslösende Funktion beschränkt. Der vorgenommenen Einordnung der Trachinierinnen kann von Elektra und Philoktet aus also nicht widersprochen werden. Die geringere Bedeutung der Orakel in den beiden späteren Stücken beruht auf einem inneren Grund, nicht auf einer unentwickelten dramatischen Technik. b) Ödipus auf Kolonos — der neue W e r t des Göttlichen
„Der zweite Ödipus steht für sich". Dieses Urteil Leskys (Tr. D. S. 140) wird durch eine Analyse der in diesem Stück vorkommenden 1 Bisher ist nur mit Andeutungen auf diese Entwicklung hingewiesen worden, so Lesky, Tr. D. S. 126: „Aber es ist, als wäre der metaphysische Hintergrund wenn schon nicht weggezogen, so doch in unendliche Ferne gerückt . . .", vgl. auch S. 144 und Gr. Lit.-Gesch. S. 271 f., 272 z . B . : „. . ., daß die Elektra zwar tragische Situationen von großer K r a f t u n d Tiefe zeigt, im Ganzen aber nicht Ausdruck einer tragischen Weltsicht ist, wie etwa der Ödipus", vgl. außerdem Sophokles u n d das H u m a n e S. 235, Ehrenberg S. 28 u n d in Anschluß a n Reinh a r d t bes. Schadewaldt, Sophokles u n d Athen, jetzt Hellas u n d Hesperien S. 225ff. Auch Diller sieht den Unterschied sehr deutlich (Göttliches Wissen S. 22: „Was in den Tragödien des Achtzig- bis Neunzigjährigen, in Elektra, Philoktet u n d Ödipus auf Kolonos Gestalt gewonnen h a t , sieht n u n unverkennbar anders aus"), sagt aber nicht, worin er besteht. Da er auch das Spätwerk allein von der Thematik göttliches — menschliches Wissen aus betrachtet, diese Problematik dort aber nur andeutungsweise, nämlich bei den Gegenspielern vorzufinden ist, interpretiert er die Dramen lediglich von ihnen aus. Die Akzente aber liegen doch offenbar anders. Nicht, daß die Gegenspieler die Orakel in ihrer Weise handhaben u n d damit die göttliche Wahrheit verfehlen, sondern daß sie damit den Helden in immer größeres Leid stoßen, ist das Wesentliche. Einen gewissen Unterschied sieht auch Pohlenz, 1. Bd. S. 348ff., jedoch wiederum, ohne ihn scharf hervorzuheben. H . D. F . Kitto, (Sophocles, Dramatist a n d Philosopher, London 1958) f r a g t auch in den Kapiteln Divine Drama, S. 21ff. u n d H u m a n and Divine Drama, S. 42 ff. nur, inwieweit das Göttliche als handlungsbestimmender F a k t o r in den Dramen selbst glaubwürdig ist, und versucht zuletzt eine Darstellung der Religion des Sophokles, die wohl doch nicht immer das Richtige trifft (vgl. die Interpretation des OT S. 57ff., die Trach. werden bezeichnenderweise überhaupt nicht berücksichtigt).
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Orakel bestätigt. Zunächst scheint es so, als ob die Orakel im letzten Drama des Sophokles 1 wieder in derselben Weise verwandt sind wie im Frühwerk. Auf der einen Seite kommt ihnen — es sind zwei wie in den Trachinierinnen und im Ödipus Tyrannos — im Gesamtgeschehen wieder eine größere Bedeutung zu, auf der anderen hat das im Drama an zweiter Stelle genannte Orakel dieselbe Struktur wie die Alternativorakel im Frühwerk. Wir betrachten es hier als erstes. Ismene, von Theben kommend (V. 324), berichtet Ödipus ein Orakel (V. 389ff.), dasApoll seinen Söhnen undKreon verkündet hat (V.413ff.). Es besagt, nur wenn Theben im Besitz des Ödipus ist, gleich ob lebend oder tot (V. 390), habe es Macht gegen seine Feinde, vornehmlich gegen Athen: V. 392 έν σοι τά κείνων φασί γίγνεσθαι κράτη. Ein Krieg zwischen diesen Parteien wird die Entscheidung bringen2. Kann sich Theben des Ödipus nicht bemächtigen, muß es eine Niederlage erleiden, weil Ödipus den Schutz den Theben erhielte, Athen gewährt. Wie im Frühwerk gibt das Orakel nur eine Teilwahrheit. Theben glaubt, die Prophezeiung noch im eigenen Sinne zum Guten wenden zu können. Denn noch scheinen beide Möglichkeiten offen zu sein, die Entscheidung über Rettung oder Untergang steht noch bevor. Theben wird deshalb versuchen, Ödipus auf seine Seite zu ziehen: V. 389 f. σέ τοις εκεί ζητητδν άνθρώποις ποτέ θανόντ' έσεσθ-αι ζώντά τ' εύσοίας χάριν. Dieser Versuch gewinnt im Drama in zwei parallelen Handlungen Gestalt 3 . Zunächst kommt Kreon, von Ismene angekündigt (V. 396f., vgl. 653, 656, und seinen Auftritt 728), und versucht, im Namen der ganzen Stadt (V. 737, 741), Ödipus nach Theben zurückzuholen. Daß er durch den Besitz des Ödipus zugleich auch gegen Polyneikes Macht 1 Zum OC ist jetzt immer die umsichtig-kluge Interpretation von H a n s Werner Schmidt mitheranzuziehen: Das Spätwerk des Sophokles. Eine Strukturanalyse des Oidipus auf Kolonos, Diss. Tübingen 1961 (masch.). D a mir diese Arbeit erst während der Drucklegung der vorliegenden Studie bekannt wurde, konnte sie hier nicht mehr berücksichtigt werden. 2 Vgl. V. 411, 605, 619ff., 785ff. und auch 451f., wo es ebenfalls deutlich wird, daß das Orakel an Theben gerichtet und von seinem Aspekt aus gegen Athen gemeint war. V. 418f. zeigt, daß Theben es hörte, bevor die Brüder sich entzweiten. Ob von dem Krieg zwischen Theben u n d Athen auch schon im Orakel an Ödipus (s.u. S. 120)die Rede war, ist dem Text nicht zu entnehmen. Immerhin weiß auch Ödipus nach Ismenes Worten (V. 411) darum, daß das Orakel den Söhnen zugleich verkündet hat, sie würden im Lande Athens geschlagen, falls sie sich seiner nicht bemächtigen könnten (vgl. die eben genannten Stellen). Mit dem Orakel in V. 603 aber k a n n nur das gemeint sein, von dem Ism. V. 389ff. berichtete. Auch der Zeitpunkt des Kampfes bleibt ungewiß. Daß er in unbestimmter Zuk u n f t liegt, zeigt die Anordnung des Ödipus, die Gabe solle von Theseus an immer an den jeweiligen Nachfolger vererbt werden (V. 1530ff.), vgl. auch die allgemein gehaltene Voraussage der ständigen Leidlosigkeit Athens V. 1764f. 3 Zum Unterschied der Polyneikes- u n d Kreonszene vgl. Reinhardt S. 224ff.
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gewinnen will, der von Argos gegen Theben heranzieht (Y. 377ff.), ist hier nicht gesagt. Bei Polyneikes, der als zweiter kommt, steht dies Motiv aber deutlich im Vordergrund. Als er aufgetreten ist (V. 1254ff.), angekündigt von Theseus (V. 1156ff.) genau wie zuvor Kreon von Ismene, und zunächst auf die Verbannung als Basis der Gemeinsamkeit verwiesen hat(V. 1291 ff., 1335ff.), so wie vorher Kreon auf das gemeinsame Alter (V. 733, 744), sagt er offen, daß er ödipus auf seine Seite bringen will, um mit dessen Hilfe den Kampf um Theben gegen seinen Bruder zu gewinnen (Y. 1291 ff.). Auch er meint, das Orakel, das dem die Macht verspricht, der Ödipus besitzt 1 , in seinem Sinn modifizieren zu können. War der Spruch aber eigentlich für ganz Theben gegen Athen gemeint und suchte schon Kreon die göttliche Prophezeiung seinen Zielen anzupassen, so versucht es Polyneikes jetzt noch in weit größerem Maße. Er wünscht den Beistand des Ödipus nicht wie Kreon in einem Verteidigungskampf für, sondern bei einem Eroberungszug gegen das eigene Land. Beide, Polyneikes noch mehr als Kreon, meinen, die göttliche Aussage in ihrem eigenen Sinn handhaben zu können. Beide wollen über Ödipus, der, einst verstoßen, plötzlich durch einen Schicksalsspruch neuen, unvermuteten Wert bekommen hat, wie über ein Mittel verfügen, das in der Hand des Menschen verwendbar ist. Daß sie damit aber nur wie die Menschen im Frühwerk ihre Blindheit zeigen gegenüber der vollen göttlichen Wahrheit, wird durch das andere Orakel deutlich, das Ödipus selbst einst verkündet worden ist 2 . Gleich am Anfang des Dramas, nachdem Ödipus nach viermaliger Frage (V. lf., 12, 23, 38) erfahren hat, daß der Ort, an den er gekommen ist, der Hain der Eumeniden bei Athen ist (V. 42), gelegen im Demos Kolonos (V. 59), nennt er das Orakel, das ihm für diesen Ort gegeben ist (V. 86-—93, vgl. schon 46, 72). Wieder ist es eine Prophezeiung Apolls (V. 86, 454, 665). Sie besagt folgendes: 1. Der Eumenidenhain ist der Ort, an dem Ödipus endgültige Ruhe von seinen Leiden finden (V. 88) und sein Leben enden soll (V. 91). Hier in Kolonos wird sein Grab sein. 2. Durch seinen Tod wird er denen, die ihn aufnehmen Gewinn bringen (V. 92 κέρδη ~ 72 κερδάνη), denen aber, die ihn verstießen, Unheil zufügen: V. 93 ατην δέ τοις πέμψασιν, ο'ί μ' άπήλασαν. Der Segen wird Athen, der Schaden Theben zuteil werden: V. 459
τηδε τη πόλει μέγαν σωτηρ' άρεΐσ&ε, τοις δ' έμοΕς έχ&ροϊς πόνους.
1 Υ. 1332 οις αν σύ προσθ-η, τοΐσδ' ϊφασκ' είναι κράτος ~ V. 392 έν σοι τά κείνων φασί γίγνεσθαι κράτη. 2 Auch im Drama selbst sind die Orakel äußerlich geschieden. Ödipus nennt sein Orakel „ a l t " gegenüber dem, das an Theben gerichtet ist, V. 454.
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Die Gabe der Sicherheit, die Athen mit Ödipus gewinnt, wird im Verlauf des Dramas immer wieder genannt 1 . Der Grund f ü r diese Gabe, das Mysterium, das mit Ödipus' Grab verbunden ist, bleibt den Spielern und Zuschauern außer Theseus ausdrücklich verborgen (V. 1522ff., 1526ff., 1643ff., 1758, 1760—1763). Der Grund aber, warum Ödipus Theben Schaden zufügt, ist genannt: seine Söhne verstießen ihn aus Theben, als seine Untaten bekannt wurden (V. 93, 427ff., 591 ff., 765ff., 1354ff.). Ödipus befindet sich also von Anfang an in vollem Wissen. Das Orakel ist ihm nicht nur in seiner ganzen Wahrheit genannt, sondern zu Beginn des Dramas, als er es verkündet, bereits in seinem ersten Teil erfüllt. Aus diesem Wissen — V. 453f. συννοών τε τάξ έμοϋ παλαίφαθ' — kann Ödipus, schon bevor die Thebaner irgendeinen Versuch gemacht haben, das ihnen gegebene Orakel zum eigenen Nutzen zu wenden, voraussagen, daß dieser Versuch in jedem Fall mißlingen wird: V. 450 αλλ" ου τι μή λάχωσι τοϋδε συμμάχου, ούδέ σφιν άρχής τησδε Καδμείας ποτέ ονησις ήξει. Die Wahrheit dieser Voraussage bestätigt sich im Verlauf des Dramas. Kreon zieht unverrichteter Dinge wieder ab (V. 1037), Polyneikes wird von Ödipus verflucht (V. 1348ff.) 2 . Was sich am Anfang zu erfüllen begann, vollendet sich trotz aller Widerstände am Ende. Das Orakel hatte prophezeit, daß seine endgültige Erfüllung durch Donner, Erdbeben und Blitz bezeugt würde (V. 94f.). Als sich Ödipus' Leben, ganz wie der Gott es voraussagte, dem Ende zuneigt (V. 1472 f. θ-έσφατος βίου τελευτή und 1508 ροπή βίου), treten die Zeichen ein (V. 1447ff., bes. 1461). Stand Ödipus schon mit dem Eintritt in den Hain von Kolonos in Übereinstimmung mit der göttlichen Aussage, so kommt es jetzt zwischen dem Gott und ihm zu völligem Einklang (vgl. V. 1627 „wir"). Er entzieht sich dem Bereich der Menschen und geht ein in das Reich der Götter. Wenn man jetzt die Hauptgestalt in die Betrachtung mit einbezieht, läßt sich deutlich erkennen, welch wesentlicher Unterschied trotz scheinbarer Verwandtschaft zwischen dem zweiten Ödipus und den Stücken bis zum Ödipus Tyrannos besteht. War der Held dort im Schein befangen gegenüber dem von den Göttern in den Orakeln ausgesagten Schicksal und zeigte der Gang der Handlung, wie er zur Erkenntnis dieses Schicksals kommt, so hat der Held hier von Anfang an über die Orakel ein völlig klares Wissen. Was im Früh werk f ü r den 1 Vgl. V. 287f., 459f., 576ff., 621 ff., 1524f. und zuletzt 1764f., wo die Verheißung zur ständigen Leidlosigkeit Athens ausgeweitet ist. 2 Vgl. überhaupt die Verfluchung der Söhne V. 421 ff., 789ff., 1370ff., 1383ff.
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Helden charakteristisch war, trifft hier nur noch auf die Gegenspieler zu. Sie sind aufgrund eines ambivalenten Orakels der göttlichen Wahrheit gegenüber blind und kommen erst im Laufe des Geschehens zu vollem Wissen. Auch diese Erkenntnis aber ist nicht wie früher Erkenntnis eines Schicksals, sondern Einsicht in eine göttliche Wahrheit, die die Gegenspieler aber nur in zweiter Linie betrifft. Auch die Analyse der Funktion der Orakel im zweiten Ödipus zeigt, daß das letzte Drama des Sophokles, sieht man es von Ödipus, der Hauptgestalt, aus, nicht mehr eigentlich im menschlichen Bereich spielt, sondern die Schwelle zum Göttlichen hin bereits überschritten hat. Waren die Götter in Elektra und Philoktet zurückgetreten, so gewinnen sie hier ganz zuletzt eine völlig neue Bedeutung. Wie dort ist zwar auch hier die Problematik von göttlicher, schicksalssetzender Macht und menschlicher Scheinverfangenheit — f ü r das Frühwerk von zentraler Wichtigkeit —, von der Hauptgestalt aus betrachtet, aufgegeben. Ödipus selbst sieht seine einst begangenen Taten nicht mehr als Resultat eines von den Göttern verhängten Schicksals, dem gegenüber er in Blindheit befangen war (so z.B. OT 1369ff.), sondern nur noch als Schuld, an der er gleichsam unbeteiligt ist und die er verneint, weil er sie unwissend und unfreiwillig beging 1 ; er erkennt nicht mehr eine dämonisch-tragische Verstrickung an, sondern sieht in allem ein unfreiwilliges Fehlen 2 . Demgegenüber hat das Göttliche im letzten Drama aber eine völlig neue Bedeutung gewonnen. Es bildet nicht nur wie in Elektra und Philoktet den Hintergrund, vor dem sich das rein menschliche Geschehen abspielt, sondern ist der Bereich, in den das Menschliche einmündet und zuletzt — in der Gestalt des Ödipus — völlig übergeht. Wo aber das Göttliche nur noch in der Weise im Drama wichtig ist, daß es zuletzt das Menschliche in seinen Bereich aufnimmt, wandelt sich notwendigerweise der Charakter der Orakel. Das Orakelverständnis, wie es f ü r das Frühwerk kennzeichnend war, tritt zurück und bleibt auf die Gegenspieler beschränkt. Der Spruch, der an die Hauptgestalt gerichtet ist, steht am Anfang und ist bereits dort im ersten Teil seiner Aussage erfüllt. Er setzt nicht mehr ein Schicksal, das sich mit dem Tod oder der Vernichtimg des Helden am Ende erfüllt, sondern gibt eine Prophezeiung, die dem leidenden Ödipus gerade die Erlösung 1
Vgl. Reinhardt S. 215. Am deutlichsten verteidigt er sich mit diesem Argument gegen die Anschuldigungen Kreons Y. 960ff. Diese Sicht aber liegt dem ganzen Drama zugrunde: V. 240, 266ff., 521ff., die Worte άκων und άιδρις sind charakteristisch, z.B. 522 άέκων, 523 αύθαίρετον ουδέν, 525 ουδέν ϊδριν, 547 άνους, 548 όάδρις, 964 άκων, 977 ακον πραγμ', 983 οΰκ είδότ', 987 άκων . . . άκων. Dem könnte widersprechen V. 964 θεοΐς γαρ ήν οΰτω φίλον und 998 θεών άγόντων. Diese Äußerungen aber sind im OC nur vereinzelt und zudem nur ein schwacher Nachklang derer, die sich im OT wiederholt auf das gottgesetzte Schicksal bezogen, vgl. Beinhardt S. 288. 2
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von seinem Schicksal verheißt. Aus dem verschlüsselten „Schicksalsorakel" ist ein von Beginn an klares „Entrückungsorakel" geworden. Der Unterschied zeigt, daß auch vom Ödipus auf Kolonos aus der vorgenommenen Einordnung der Trachinierinnen nicht widersprochen wird. c) Elektra, Philoktet, Ödipus auf Kolonos — die Entdeckung des H u m a n e n
Der aufgewiesene tiefe Unterschied zwischen dem Früh- und Spätwerk des Sophokles, an der gewandelten Funktion des Göttlichen sichtbar geworden, kann noch von einer anderen Seite her bestätigt werden, von der aus gesehen die drei späten Dramen nun doch gegenüber dem Frühwerk auf eine Stufe zusammentreten. Die Tatsache, daß das Göttliche nicht mehr schicksalssetzend in den menschlichen Bereich eingreift, bedeutet nicht nur Verlust, sondern hat in gleichem Maße einen deutlichen Gewinn zur Folge. Denn erst jetzt ist es möglich, daß im menschlichen Bereich eine Kraft auftritt, die es zuvor in eigentlicher Ausprägung nicht gab: das Humane 1 . Es ist das Entscheidende für den Ablauf der späten Stücke, daß ihr Geschehen nun doch nicht nur durch die Leiden bestimmt wird, die die Menschen einander zufügen, sondern ebenso durch den Umstand, daß sie helfend aufeinander zukommen, ein Gefühl der Verbundenheit untereinander entdecken und in engere Gemeinschaft miteinander treten, also durch das Menschliche, das Humane 2 . 1 Daß das H u m a n e — wohl stets — erst in dem Augenblick a u f t r i t t , in dem die Götter f ü r den Menschen in die Ferne gerückt sind (vgl. E u r . Her. 1340— 1346), h a t scharfsinnig natürlich bereits Euripides erkannt. Über Sophokles hinausgehend hat er diese einander korrespondierenden Vorgänge auch abstrakt formuliert, wenn er Theseus zu Herakles sagen läßt, E u r . Her. 1337—1339: νϋν γάρ εΐ χρειος φίλων, θεοί δ' οταν τιμώσιν, ουδέν δει φίλων· άλις γάρ ό θεός ώφελών, δταν θέλη.
Vgl. ebenso Orest zu Monelaos, E u r . Or. 665—668: τους φίλους έν τοις κακοϊς χρή τοις φίλοισιν ώφελεΐν· δταν δ' ό δαίμων ε·3 διδω, τί δει φίλων; άρκεΐ γάρ αύτός ό θεος ώφελεΐν θέλων. 2 Lesky, Sophokles und das Humane, sucht das H u m a n e als Charakteristikum des gesamten sophokleisehen Werkes aufzufassen (zum Frühwerk dort S. 222— 234), betont aber auch selbst, daß es erst im Spätwerk eigentliche Bedeutung gewinnt (S. 235). Daß dieser Vorgang jedoch nur die Kehrseite desjenigen ist, der durch die gewandelte Funktion des Göttlichen charakterisiert ist, deutet er nur a n (S. 235). Gerade im OT, dem Stück, in dem das Verhältnis von göttlicher Wahrheit u n d menschlichem Schein, gottgesetztem Schicksal und menschlichem Irren in der reinsten F o r m dargestellt ist, findet sich vom H u m a n e n nicht die geringste Andeutung (so auch Lesky, H u m . S. 234). Auch in den anderen frühen Stücken liegen die H a u p t a k z e n t e gerade nicht an den Stellen, an denen sich das
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In der Elektra offenbart Elektra vor Orest ihr wahres menschliches Wesen am tiefsten, als sie aus seiner Hand die Urne mit der Asche dessen empfängt, der lebend vor ihr s t e h t D e r Schein und damit das Leiden Elektras ist so 'sehr ausgeweitet, daß Orest seine Schwester erkennt (V. 1177) und es ihm nun unerträglich wird, die Täuschung auch vor Elektra weiter aufrechtzuhalten. Durch die tiefe menschliche Rührung seiner Schwester überwältigt und zu Mitleid bewegt (V. 1179, 1181, 1183) durchbricht er den Trug — bereits V. 1174 kündigte sich die Wende an — und sagt die Wahrheit (V. 1217, 1219, 1221), nachdem er auch selbst langsam ganz zu Elektra hingefunden hat 2 . Können die rein menschlichen Motive, die zu dieser Handlung des Orest führen, in der Elektra noch durch geschwisterliche Verwandtschaft erklärt werden, so ist es im Philoktet nicht mehr möglich, die Reaktionen des Neoptolemos durch solche Deutungen plausibel zu machen. In Philoktet und Neoptolemos stehen sich zwei Menschen gegenüber, die weder durch Blutsbande noch durch irgend etwas anderes aneinander gebunden sind. Trotzdem aber bleibt es nicht bei Leiden auf der einen und Trug und Schein auf der anderen Seite. Als, durch den Anfall V. 730 ff. aufs deutlichste demonstriert, Philoktets Leiden und — in genauer Analogie zur Elektra — damit zugleich der Trug in unerträglicher Weise ausgeweitet ist, wird Neoptolemos durch rein menschliches Mitfühlen dazu bewegt, seinen Standort zu wechseln und auf Philoktets Seite überzutreten. Er gibt den Schein auf und sagt die Wahrheit3, zieht aber auch da noch nicht die letzte KonH u m a n e äußert. (Daß der berühmte Vers Antig. 523 mit Lesky, H u m . S. 230f. als eindeutige Äußerung des H u m a n e n zu verstehen sei, ist auch nach Leskys letzter Äußerung, Herrn. 80, 1952, 95—99, m . E . noch zweifelhaft, wenn m a n ihn im Zusammenhang des ganzen Stückes sieht, vgl. jetzt auch W. Jens in der Besprechung von Leskys Literaturgeschichte, Gnom. 33, 1961, 324, vorher schon Antigone-Interpretationen S. 52). Die hier aufgezeigte Entwicklung ist damit aufs deutlichste bestätigt. 1 Vgl. Y. 1119ff., bes. ihre Klage 1126ff., 1165 wünscht sie sich den Tod, u m wenigstens im Hades mit dem Bruder vereint zu sein. Zur ganzen Szene Reinh a r d t S. 165ff., S. 168 sagt er ganz in dem hier erörterten Sinn: „Noch einmal werden Schein u n d Wahrheit im Geschehen vertauscht, damit die innere Wahrheit, die Seele sich erweise." 2 Dazu ausgezeichnet Reinhardt S. 169 f. 3 Vgl. den Umschwung V. 895, parallel zu dem des Orest El. 1174f.; zur Szene wiederum Reinhardt S. 191 ff., bes. gut sein Hinweis auf die Steigerung der Mißverständnisse genau wie in der Elektra. T. v. Wilamowitz deutet sowohl den Umschwung Orests (zur Erkennungsszene der Elektra S. 202—210) als auch den des Neoptolemos (zu dieser Szene im Philoktet S. 295—302) lediglich als durch den Gang der Handlung bedingt und aus der Wirkung heraus, die damit auf den Zuschauer („ganz ausschließlich auf den Zuschauer berechnet . . ." S. 209, ähnliche Wendungen häufiger) ausgeübt werden soll. S. 297: „ U n d wodurch k o m m t Neoptolemos zu dem Entschluß, die Wahrheit zu sagen? Keineswegs weil er durch sein Mitleid mit Philoktet n u n nicht mehr imstande ist, seine Heuchelei
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sequenz aus dieser Wendung, sondern wehrt Philoktets Bitten um den Bogen ab (vgl. V. 924, 932 und als Antwort Neoptolemos' 925f.) und geht nach dem Dazwischenkommen des Odysseus (V. 974) mit dem Bogen fort (V. 1079f.). Als er aber sieht, daß Philoktet dadurch in noch größeres Leid gestoßen wird 1 , setzt er das Mitleid, das er eigentlich schon immer für ihn empfand (V. 965f.), endgültig in die Tat um. Im Augenblick der äußersten Not und Verlassenheit tritt damit, genau wie in der Elektra, die endgültige Rettung in Kraft. Neoptolemos bekennt nicht nur seinen Fehler (V. 902f., 1224, 1248f. und als Gegensatz 95, vgl. auch 1012), sondern korrigiert ihn, indem er gegen den Willen des Odysseus umkehrt 2 und Philoktet nun endgültig den Bogen zurückgibt (V. 1287, 1292), den er vorher von ihm durch den Trug empfangen hatte (V. 762fF., vgl. schon V. 652ff.). Damit findet Neoptolemos zu seinem wahren Wesen zurück 3 und handelt jetzt am Ende so, wie er es von Beginn an gegen Odysseus gewollt hatte 4 . Ja, als er Philoktet nicht überreden kann, trotz allem mit nach Troja zu kommen (V. 1314ff., bes. 1373ff.), achtet er sogar aus Mitleid nicht mehr darauf, ob sich die Orakel erfüllen, sondern ist bereit, mit Philokfortzusetzen, keineswegs weil er sich nach langen inneren K ä m p f e n entscheidet, die Wahrheit zu sagen, sondern weil er sich nicht mehr zu helfen weiß . . .", d . h . f ü r Tycho, weil er sich aufgrund der „Angst vor der durch die Entdeckung seines Betruges unmittelbar bevorstehenden Schande" (S. 298) (was schon sachlich nicht einzusehen ist, diese Angst h ä t t e Neoptolemos d a n n doch von Anfang a n haben müssen) aus der durch das Geschehen entstandenen Situation nicht anders heraushelfen kann, u n d das hieße d a n n doch wohl, weil Sophokles dramatisch nicht „weiter w u ß t e " . Gegen Tychos einseitige Wertung aus dem Technischen h a t Lesky, Tr. D. S. 129 zum Philoktet das Nötige gesagt (vgl. H u m . S. 238). Das dort Ausgeführte gilt mutatis mutandis ebenso f ü r die betreffende Elektrastelle. Dramatisch gut gestaltete Situationen sind eben auch im Beagieren der Personen, im Seelischen — jenseits von allem Psychologischen —,,richtig'' u n d umgekehrt. Es m u ß t e auch hiernach der psychologisierenden Deutung (z.B. Kaibels) durch Tycho wohl erst das andere E x t r e m vertreten werden, ehe m a n zur richtigen Einsicht gelangte. 1 Vgl. V. 927 ff. u n d bes. den Kommos 1081—1217, wiederum ist es dieselbe Reaktion: V. 1172 (zwar zum Chor) τί μ' ώλεσας; τί μ' ειργασαι.; 1187 άπόλωλ' ό τάλας, 1217 Ιτ' ουδέν είμι. Genau wie Elektra (1165) wünscht sich auch Philoktet in diesem tiefsten Leid den Tod: 1158f., 1204—1207. 2 V. 1222ff., diese Wende kündigte sich schon vorher an, in Neoptolemos ratlosen Fragen V. 969, 974 a, Odysseus' abwehrenden Worten a n den seit seinem Auftreten (974) schweigenden Neoptolemos (dazu Reinhardt S. 194) V. 1068f. u n d Neoptolemos letzten Sätzen vor dem Abgang V. 1074ff. 3 Vgl. V. 1310, 1371f. u n d schon 902f., 950, 1014. 4 Vgl. V. 79, 88 und Philoktets Urteil V. 874, 970f. Zur adligen A b k u n f t des Neoptolemos vgl. V. 96, 242, 904, 1068, 1284. Genauer zum φύσις-Begriff a n diesen Stellen mit Literaturangaben Lesky, Tr. D. S. 128f. Wilamowitz' Ansicht (Griechische Tragödien I V S. 16, ähnlich S. 20), der Anfang des Dramas führe uns in Odysseus u n d Neoptolemos den General mit dem L e u t n a n t vor, ist heute nur noch insofern interessant, als sie f ü r die so oft geübte Interpretationsweise dieses großen Philologen bezeichnend ist.
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tet nach Griechenland zurückzukehren (V. 1402). Die Lüge des Anfangs (V. 526—529) soll jetzt am Ende zur Wahrheit werden. Das Geschehen droht aufgrund des Humanen ein dem Mythos widersprechendes Ende zu nehmen. Erst ein Gott muß kommen, um es in die richtigen Bahnen zu lenken. Was in Elektra und Philoktet als das Bestimmende im Gegensatz zur Trughaltung im Charakter des Orest und Neoptolemos erst durch das Spiel hervorgelockt werden mußte, indem das Leiden des Gegenüber bis zum Äußersten gesteigert wurde, ist bei der Theseusgestalt des zweiten Ödipus a priori vorhanden und deshalb von Anfang an im Drama wirksam; was sich bisher andeutete, ist damit im letzten Drama des Sophokles zum Idealbild gesteigert. Neben das MenschlichGrausame, das in Kreon seine furchtbarste Form annimmt 1 , tritt hier die reinste Ausprägung des Menschlich-Guten, neben das Leiden — auch im zweiten Ödipus ist es vom Menschen zugefügt 2 —• die vom Menschen dargebrachte Hilfe. Theseus verkörpert das Humane wie keine zweite sophokleische Gestalt 3 . Er nimmt am Anfang den leidenden Ödipus auf 4 , verspricht Ödipus seinen Schutz gegen alle drohenden Gefahren (V. 656ff.), holt dann die von Kreon entführten Töchter des Ödipus zurück (V. 897ff., 1097 erfüllt) und darf am Ende aufgrund dieser Taten als einziger (V. 1522ff., 1526, 1643f.) das Mysterium erfahren, kraft dessen seinem Lande Schutz geschenkt wird. Durch Theseus ist Ödipus, schon bevor er ins Göttliche eingeht, dem Zugriff der Menschen (Kreon, Polyneikes) entzogen und von seinen Leiden erlöst. Ja, durch die Aufnahme in Athen, von Theseus vollzogen, ist die endgültige Erlösung durch die Götter am Ende (V. 1472)5 schon zu Anfang aufgrund des Humanen antizipiert. Wir hatten gesehen, daß das Göttliche in den späten Dramen des Sophokles eine vom Frühwerk deutlich unterschiedene Funktion erhält und zugleich in dieser Tatsache den Grund dafür erblickt, warum die Orakel in Elektra und Philoktet an Bedeutung verlieren, im zweiten Ödipus aber zuletzt wieder eine größere, jedoch völlig neue Bedeutung gewinnen. Indem das erste jetzt, durch seine Kehrseite, den parallelen Vorgang des Aufkommens des Humanen®, ergänzt, neu und erst ganz 1
2 Vgl. Reinhardt S. 219. Vgl. Reinhardt S. 215f. Zum Unterschied gegenüber dem Theseus aus Euripides' Herakles vgl. Reinhardt S. 221 und Lesky, Hum. S. 242. 4 Vgl. V. 551 ff., bes. 637; zum Menschlichen, begründet in der Identifikation mit dem Leidenden, V. 562—568, ausführlicher zu dieser Szene Lesky, Hum. S. 242ff., zur Theseusgestalt im ganzen Drama Rheinardt 216, 221 f. 5 Daß es falsch ist, das Ende des OC „christlich" zu deuten, zeigt neben anderen (z.B. Lesky, Tr. D. S. 132) in Abwehr gegen G. Nebel, Weltangst und Götterzorn, Stuttgart 1951, S. 235ff., bes. gut v. Fritz, Trag. Schuld S. 202. 6 Es ist bekannt, daß das Menschliche, das Humane, wie wir es heute verstehen, seine Wurzeln im 4. Jh. hat (vgl. Snell, Die Entdeckung der Menschlichkeit und unsere Stellung zu den Griechen, in: Die Entdeckung des Geistes 3
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verständlich geworden ist, ist auch das zweite tiefer begründet. Die aufgrund der Entwicklung von Stellung und Funktion der Orakel in den einzelnen Dramen vorgenommene Einordnung der Trachinierinnen ist damit abermals bestätigt. S. 333ff.) lind d a n n durch Cicero u m die Mitte des 1. J h . seine eigentliche Ausprägung erhielt (vgl. Snell, Entdeckung S. 343 u n d Friedrich Klingner, Humanit ä t u n d Humanitas, in: Römische Geisteswelt, München 19614, S. 690ff.). Die in dieser Arbeit gemachten Ausführungen zeigen aber, daß neben Euripides (vgl. Snell, Entdeckung S. 338) im 5. J h . auch bereits beim späten Sophokles zumindest Ansätze f ü r ein Gefühl f ü r das H u m a n e vorhanden waren, wenigstens also Sophokles' Alterswerk bei einer Betrachtung des H u m a n e n mit berücksichtigt werden sollte, vgl. so auch Lesky, H u m . bes. S. 245—247.
C. B A K C H Y L I D E S XVI Gegen die Einordnung der Trachinierinnen, wie sie aufgrund von innersophokleischen Indizien im letzten Teil ermittelt wurde, könnte der Einwand erhoben werden, daß Sophokles im Alter, genau so wie er vollendete Formen der Dramatik anwandte, auch auf archaische Formen zurückgegriffen haben kann, daß also die unentwickelte Technik kein legitimes Argument dafür ist, die Trachinierinnen ins Frühwerk vor die Antigone zu rücken1. Dieser Einwand wird hinfällig, wenn wir zuletzt eine weitere außersophokleische Parallele näher untersuchen. Bakchylides hat in seinem sechzehnten Gedicht die Sage vom Tod des Herakles in derselben Version dargestellt wie Sophokles in den Trachinierinnen. Obgleich in verschiedenem Genos vorgetragen, sind die Beziehungen der beiden Fassungen zueinander so mannigfaltig2, daß man nicht, wie es vielfach geschieht, eine gemeinsame Vorlage als Grund für die Parallelität annehmen kann3. Analysiert man beide Fassungen eingehender, so zeigt sich vielmehr, daß Bakchylides' Darstellung nur verständlich ist, wenn man Sophokles' Trachinierinnen mit hinzunimmt4. 1
An sich h a t bereits Reinhardt S. 190 gegen diesen Einwand alles Nötige gesagt. 2 Auf die Ähnlichkeiten verweist kurz auch Luisa Sirchia, Dioniso 21, 1958, 62, ohne jedoch das daraus resultierende Problem zu erwähnen, geschweige denn darauf einzugehen. 3 Pohlenz, 2. Bd. Erl. S. 88 erwägt mit Hinweis auf Stoessl, Tod des Herakles S. 35 als gemeinsame Quelle Panyassis v. Halikarnaß, Lesky, Tr. D. S. 117 verweist auf Hesiods Katalogpoesie oder die Oichalias Halosis des Kreophylos v. Samos. F ü r letzteres entscheidet sich auch Severyns S. 134 Anm. 2. PrellerRobert S. 569, 595 meint, Unterschiede zwischen Sophokles u n d Bakchylides auf der einen u n d der Oichalias Halosis auf der anderen Seite feststellen zu können (vgl. dazu auch Schol. Soph. Trach. 266), u n d n i m m t deshalb S. 596 eine andere gemeinsame Quelle f ü r Sophokles u n d Bakchylides an, f ü r die er Hesiods Katalogpoesie immerhin erwägt, S. 596 Anm. 6. E i n Reflex vom Epos des Kreophylos findet sich bei Kallimachos Epigr. V I Pf. Allgemein zu Kreophylos Wilamowitz, Die Ilias u n d Homer, Berlin 19202, S. 435ff. u n d Euripides Herakles, 1. Bd. S. 70ff. Gentiii, Bacchilide S. 55 glaubt zwar, m a n könne die Quelle des Sophokles u n d Bakchylides nicht genau bestimmen — die Oichalias Halosis scheidet er aus (S. 54, 56), weil darüber nichts Sicheres zu ermitteln ist —, hält aber doch aufgrund einer Scherbe aus dem Heraion Argivum (dazu s. u. S. 132 Anm. 4) a n der These einer gemeinsamen literarischen Quelle fest (S. 55f.). Gemeinsames Vorbild nehmen ebenso an Radermacher S. 16 f. u n d Beck, Herrn. 81, 1953, S. 10, ohne es jedoch näher zu fixieren. 4 Zum folgenden vgl. weitgehend Stoessl S. 58ff. Welche epische Darstellung Sophokles vorlag u n d inwieweit er ihr folgte oder sie änderte, ist f ü r das Verhältnis von Bakchylides zu Sophokles unwichtig.
Bakchylides X V I
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Das Bakchylidesgedicht ist am Anfang stark verstümmelt. Der Teil, in dem der Mythos berichtet wird, ist jedoch heil überliefert. Er beginnt mit Y. 13. Die Erzählung der Sage teilt sich in zwei Abschnitte, im ersten, bis V. 22, ist von Herakles die Rede, im zweiten, der bis zum Ende reicht, von Deianeira. Genau wie bei Sophokles — die Diptychonform ist in keiner seiner Tragödien so klar durchgeführt wie in den Trachinierinnen — sind also die Geschicke beider Gatten auch bei Bakchylides in der Erzählung voneinander getrennt, lediglich die Reihenfolge ist umgekehrt. Jeder Abschnitt teilt sich für sich von neuem in zwei Hälften. Am Anfang (V. 13—16) steht eine nur skizzenhaft andeutende. Szene, die Herakles auf seiner Rückkehr von Oichalia zeigt. Es folgt ein schärfer gezeichnetes Bild (V. 17—22): Herakles' Opfer amKenaion. Im Deianeirateil steht umgekehrt eine Szene mit scharfen Umrissen am Anfang (V. 23—30): Deianeira erfährt von der Liebe, die Herakles zu Iole gewonnen hat. Ihr Schicksal vollendet sich, indem sie unwissend eine Gegenhandlung in Bewegung setzt. Den Abschluß des Gedichts bildet als Motivierung dieser Gegenhandlung eine Szene der Vergangenheit, die wie die erste Szene des Heraklesteils das Geschehen mehr nur andeutet als ausführt (V. 31—35). Deianeira empfing einst von Nessos das furchtbare Liebesmittel (V. 35), durch den Neid des Kentaum (V. 31) und die eigene Verblendung (V. 32f.) richtet sie sich selbst damit unwillentlich zugrunde. Die Erzählung ist also in der Form der Ringkomposition durchgeführt. In der Mitte stehen zwei klargezeichnete Szenen der Handlung in der Gegenwart, am Anfang und Ende jeweils ein nur andeutungsweise berichtetes Ereignis, das, bezogen auf die Szenen in der Mitte, in der Vergangenheit liegt. Durch diese Komposition sind die Schicksale der Gatten, obwohl jedes in einem Hauptteil für sich dargestellt ist, auch äußerlich miteinander verbunden. Wörtliche und sachliche Parallelen zeigen weitere Beziehungen. Die wörtlichen Parallelen hat Stoessl S. 62 aufgeführt. Sie beziehen sich auf die Lokalitäten, die im Heraklesgeschehen wichtig sind, einmal auf den Ort des Heraklesopfers, das Kenaion, zum andern auf Oichalia, die Heimatstadt Ioles. Wenn auch bei Schlüssen aufgrund von wörtlichen Entsprechungen stets äußerste Skepsis geboten ist, so sind die Parallelen im vorliegenden Fall doch deshalb bemerkenswert, weil — Stoessl hat das gezeigt — die Lokalisierung von Oichalia auf Euboia in der Antike durchaus nicht sicher war 1 , Sophokles und Bakchylides darin aber völlig übereinstimmen. Die sachlichen Parallelen jedoch führen weiter. Wie bei Sophokles bereitet Deianeira auch bei Bakchylides durch ihre Gegenhandlung unwillentlich Herakles und damit sich selbst den Untergang. Ihr 1
Vgl. dazu auch Wilamowitz, Euripides Herakles, 1. Bd. S. 76 mit Anm. 142 und Preller-Robert S. 569 mit Anm. 3 und 4. 9
7973 Schwinge, Trachlnierinnen
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Dämon hat sie so verblendet 1 , daß sie genau das Verhängnis auf sich herabzieht, das sie vermeiden wollte. Die Gegenhandlung selbst setzt sie, wiederum genauso wie bei Sophokles, erst dann in Bewegung, als sie von einem Boten (Bakch. 16, 26 άγγελίαν, Trach. 335fF.) erfahren hat, daß Iole der Grund für Herakles' Untreue ist. Das Mädchen, das Herakles als neue Gattin nach Hause geschickt hat, steht bereits wie bei Sophokles vor Deianeira, als diese die Kunde erfährt 2 . Zu V. 30 τάλαιν' vgl. Sophokles Trach. 877 τέθνηκεν ή τάλοανα; der Fluß, der bei Bakchylides (V. 34) Lykormas genannt ist, ist mit dem Euenos bei Sophokles Trach. 559 identisch 3 . Wie bei Sophokles empfängt Deianeira auch bei Bakchylides (V. 35) den Liebeszauber von Nessos. Sie ahnt auch hier nicht, daß das Blut, mit dem giftigen Pfeil des Herakles vermischt, selbst Gift ist und tötet, wen es berührt. Die Ermordung des Nessos durch Herakles hängt auch bei Bakchylides also mit dem Tod des Herakles zusammen. Können die genannten Parallelen immer noch mit dem Hinweis auf ein gemeinsames Vorbild erklärt werden, so wird die Abhängigkeit des Bakchylides von Sophokles nahezu ganz deutlich, wenn man erkennt, daß Bakchylides in seiner Erzählung keinen Wert auf einen klaren Ablauf der Ereignisse legt. Es vermag nur der das Gedicht als Ganzes zu verstehen, der über eine genaue Kenntnis des Geschehenszusammenhangs verfügt. Das zeigt sich besonders an drei Punkten: 1. Es wird weder gesagt, daß Iole der Grund dafür war, daß Herakles Oichalia zerstörte, noch darauf hingewiesen, daß Deianeira mit ihrer Gegenhandlung auf dieses Ereignis antwortet. Der Hörer selbst muß den Zusammenhang erschließen. 2. Nachdem Deianeira in den V. 25—29 von der Untreue des Herakles erfahren hat, entlädt sich das tragische Geschehen in dem subjek1
Vgl. Bakch. 16, 23 άμαχος δαίμων ~ Trach. 910 αυτή τον αύτης δαίμον' άγκαλουμένη. 2 Vgl. Stoessl S. 59 und 62. Beck S. 12f. weist mit Recht darauf hin, daß πέμποι (Bakch. 16, 29) auch perfektiven Sinn haben, Iole also durchaus schon anwesend sein kann (vgl. Soph. El. 406 μήτηρ με πέμπει πατρί τυμβεϋσαι χοάς, wo μ' έπεμψεν metrisch genauso möglich wäre), er zieht dann aber aufgrund von V. 26 die, wie es scheint, falsche Folgerung, daß Iole nicht anwesend, sondern noch auf dem Weg nach Trachis sein müsse. „Deianeira empfängt eine schmerzliche Nachricht, noch nicht das Mädchen selbst.", vgl. ebenso Kamerbeek, Trach. S. 6f., der deswegen eine gemeinsame epische Vorlage annimmt. Dies kann man jedoch aus V. 26 kaum herauslesen. Deianeira erfährt wie bei Sophokles durch den Boten die Wahrheit über Iole, daß Herakles sie nämlich als seine Geliebte geschickt habe: πύθετ' άγγελίαν ταλαπενθέα, Ίόλαν 8τι λευκώλενον . . . όίλοχον λιπαρών . . . πέμποι. Der Akzent liegt auf Ίόλαν α λ ο χ ο ν nicht auf πέμποι. Bezeichnenderweise paraphrasiert Kamerbeek έπεί πύθετ' άγγελίαν ταλαπενθέα, Ίόλαν δτι . . . πέμποι. Ich sehe keinen Grund, die Anwesenheit Ioles bei Bakchylides zu leugnen. Vgl. gegen Beck auch Conradie S. 40f. Inwieweit damit Becks Thesen überhaupt in Frage gestellt werden, müßte besonders untersucht werden. 3 Vgl. R E X I I I 2385 Lykormas.
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tiven Ausruf des Dichters: V. 30 ά δύσμορος, ά τάλαιν', οίον έμήσατ[ο. Daß mit diesem Ausruf nicht an die Enttäuschung gedacht wird, die Deianeira, wie kurz vorher erwähnt, von Herakles empfangen hat, sondern wirklich das tragische Ende gemeint ist, zeigen die Worte οίον έμήσατ[ο. Die Art dieser Äußerung freilich ist im Genos der Lyrik begründet, nicht aber der Umstand, daß Bakchylides den Handlungszusammenhang als solchen darüber unbeachtet läßt. Mit dem Ausruf stellt er nämlich lediglich das Ende eines tragischen Geschehens vor den Hörer hin. Wie es dazu kam, zeigt er nicht. Der Hörer erfährt weder von Deianeiras Unglückstat, der Absendung des unseligen Gewandes, noch von den Folgen, dem Tod des Herakles und der daraus resultierenden Vernichtung der Deianeira. Bakchylides deutet ein Geschehen, dessen Ablauf und Zusammenhang er nicht mitteilt. 3. In der letzten Szene wird berichtet, wie Deianeira einst von Nessos die verhängnisvolle Wundergabe (V. 35 δοαμόνιον τέρ[ας) empfing und wie sie damit durch fremden Neid (V. 31 φθόνος, natürlich ist der Neid des Nessos gemeint) und eigene Verblendung (V. 32 f. δνόφεόν τε κάλυμμα των ύστερον έρχομένων) vernichtet wurde. Zwischen beiden Ereignissen sieht der Dichter einen Zusammenhang: Mit der Annahme der Wundergabe bricht das Verhängnis über Deianeira herein. Wie aber diese Wundergabe angewandt wird, wie sie Herakles und Deianeira vernichtet, wie sie also das tragische Geschehen der Gegenwart auslöst und wie der Tod des Nessos mit dem des Herakles zusammenhängt, erfährt der Hörer nicht. Der Umstand, daß Bakchylides die Ereignisse des Handlungszusammenhangs stark verkürzt wiedergibt und seine Fassung deshalb ohne Kenntnis einer anderen Version nicht verständlich ist, läßt darauf schließen, daß er einer Vorlage gefolgt ist, die genau das berichtete, was er fortließ 1 . Er traute seinen Hörem zu, trotz seiner nur andeutenden Erzählung den Mythos rekonstruieren zu können. Das konnte er nur, weil gerade vorher Sophokles' Trachinierinnen aufgeführt worden waren und die Zuschauer da den Mythos in klarem Zusammenhang ad oculos demonstriert bekommen hatten. Nach dem bisher Ermittelten ist es dann auch nicht verwunderlich, daß gerade die Trachinierinnen in jedem Punkt die Lücken zu füllen vermögen, die bei Bakchylides das Verständnis unmöglich machen. Den wahren 1
Es könnte der Einwand erhoben werden, daß diese „auslassende" Erzählweise im Genos der Lyrik begründet sei und deshalb auch im 16. Gedicht des Bakchylides nichts Besonderes darstelle. Nun ist es richtig, daß die Lyriker beim Erzählen eines Mythos stets einige Szenen und Situationen herausgreifen und besonders breit darstellen, andere dagegen nur eben erwähnen und andeuten. Aber auch dann ist der Mythos doch immer noch, selbst bei Pindar — wie sich zeigen ließe —, als Ganzes aus dem Gedicht selbst rekonstruierbar. Das aber ist hier gerade nicht mehr möglich.
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Grund für die Zerstörung Oichalias erfährt Deianeira V. 351 ff. Wie sie die Gegenhandlung inszeniert, indem sie Herakles das mit Zaubergift getränkte Gewand sendet, berichtet sie V. 53Iff. Die Erkenntnis ihres Irrtums zeigt sie V. 672ff. Die Verse 555ff. berichten vom Nessosabenteuer, V. 680ff. endlich wird gezeigt, wie das Nessosblut Herakles töten kann, wie also beider Tod miteinander zusammenhängt. Am deutlichsten jedoch, wie uns scheint, zeigt sich die Abhängigkeit des Bakchylides von Sophokles daran, daß auch er, der Lyriker, die Erzählung unter einen tragischen Aspekt stellte1 und darüber hinaus noch genau die Weise der tragischen Sicht wählte, in der gerade Sophokles das Ganze sah. Bei Bakchylides setzt ein Dämon, gegen den Deianeira machtlos ist, das tragische Geschehen in Bewegung2. Bei Sophokles ruft Deianeira ihren Dämon an, als sie erkannt hat, was geschehen ist (Trach. 910). Hier wie dort also ist die Katastrophe das Werk des Dämons. Weil er Deianeira mit Blindheit schlägt, verfällt sie dem Irrtum und handelt im Schein. Sie zieht das Verhängnis auf sich, das sie vermeiden wollte. Daß diese Form der Tragik typisch sophokleisch ist, braucht nicht eigens ausgeführt zu werden3. Daß aber Bakchylides diese speziell sophokleische Form der Tragik für die Erzählung derselben Sage übernimmt, läßt es jetzt nahezu als eindeutig erscheinen, daß sein sechzehntes Gedicht in engster Anlehnung an die Trachinierinnen geschaffen ist 4 . 1
Vgl. bes. den freilich im Genos der Lyrik begründeten emotionalen Ausruf V. 30 ä δύσμορος, ά τάλαιν', allgemein dazu auch Kamerbeek, Trach. S. 6, der bes. Trach. 841—850 vergleicht. 2 V. 23ff. τότ* δμαχος δαίμων Δαϊανείραι πολύδακρυν ΰφα[νε μήτιν έπίφρον', vgl. V. 35 δαιμόνιον τέρ[ας. Es ist leicht einzusehen, daß a n den anderen Stellen im uns überlieferten Werk des Bakchylides (3, 37; 5, 113 u n d 135; 9, 26; 14, 1; 17, 46; fr. 13; fr. 25, 1) das W o r t δαίμων im konventionellen, seit Homer bekannten Sinn gebraucht ist. Die Sicht der sophokleischen Tragik, daß ein Dämon dem Menschen ein Schicksal „ a n s e t z t " (Bakch. ύφα[νε), findet sich nur im 16. Gedicht. 3 Vgl. z.B. Ai. 534, Antig. 832, OT 1194, 1311, Phil. 1187, 1468. 1 Wie Preller-Robert S. 569 ist auch Gentiii S. 57 f ü r die Priorität des Bakchylides. Seine Begründung allerdings — s u p r a t t u t t o per la nuova intuizione del tragico dissidio di Deianira, che preannuncia con il suo pathos il carattere della protagonista del drama sofocleo — ist wenig einleuchtend, weil sie so genauso gut, wenn nicht noch besser, f ü r das umgekehrte Verhältnis angeführt werden könnte. Denn schließlich war Sophokles der Tragiker und zudem h a t er die DeianeiraGestalt wesentlich ausführlicher dargestellt als Bakchylides. — I n der Rezension von Gentiiis Buch lehnt jetzt auch Viktor Steffen die These der Priorität des Bakchylidesgedichtes vor den Trachinierinnen ab u n d plädiert — in Anschluß an Snell — f ü r das umgekehrte Verhältnis, vgl. Gnom. 31, 1959, 559. F ü r die These der Priorität des Sophokles h a t t e Snell von ganz anderer Seite ein weiteres Argument zu den bereits genannten hinzugefügt. I m Berliner P a p y r u s 16 140, den er Bakchylides (fr. 64) zuwies (Herrn. 75, 1940, 182f.; vgl. auch Diehl, Anth. Lyr. 2 suppl. p. 49 sqq.) wird derselbe Teil der Heraklessage berichtet wie im Dithyrambus 16, jedoch mit dem wesentlichen Unterschied, d a ß Herakles da den Nessos nicht mit Pfeil u n d Bogen, sondern mit der Keule
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Für die zeitliche Einordnung der Trachinierinnen und des sechzehnten Bakchylidesgedichtes ergibt sich daraus folgendes. Da Bakchylides spätestens 518 geboren wurde, muß er sein sechzehntes Gedicht in hohem Alter verfaßt haben, wenn er Sophokles noch als Vorlage benutzt hat. Da sein Leben sich etwa bis zum Jahr 450 verfolgen läßt1, muß er das Gedicht etwa zu dieser Zeit geschrieben haben2. Damit rücken die Trachinierinnen aber eindeutig in die frühe Schaffensperiode des Sophokles. Ob sie nun vor oder nach 450, in den frühen vierziger Jahren, aufgeführt wurden — im letzten Fall würde man Bakchylides XVI noch unter das von Severyns angesetzte Ende herabrücken können (vgl. so Stoessl S. 63) —, ist für unsere Frage nicht von Belang, da ohnehin nur eine relative Chronologie der sophokleischen Dramen möglich ist. Auf jeden Fall können durch den Vergleich mit Bakchylides XVI die bisherigen Ergebnisse als bestätigt gelten und die Trachinierinnen eindeutig dem Frühwerk zugeordnet und vor die Antigone gerückt werden. tötet (vgl. Snell, Herrn. 75, 1940, 180). Da bisher aus älterer Zeit nur bildliche Darstellungen bekannt waren, die ebenfalls die „Keulen"version zeigten (vgl. Quilling, bei Roscher, M. L. I I I 1,282 über Nessos u n d Oldfather, RE-Artikel Nessos, 86), lag der Schluß nahe, daß Bakchylides sich in fr. 64 dieser offenbar altbekannten F o r m der Sage anschloß, im Dithyrambus 16 d a n n aber einer neuen Version folgte, in der der Pfeilschuß die Grundlage des Mythos bildete. Der Gedanke, Sophokles als Erfinder dieser Version anzunehmen, war verlockend (so Snell, Herrn. 75, 1940, 182, vgl. Bacch. praef. p. 48 u n d 53sq.), blieb jedoch nicht lange unwidersprochen. Dugas, Rev. E t . Anc. 45, 1943, 18—26, versuchte, in erster Linie aufgrund einer Scherbe des 7. J h . aus dem Heraion von Argos (Hoppin, Arg. Her. I I pl. 67,3, vgl. Baur, Centaurs in ancient a r t , 1912, Nr. 227), nachzuweisen, daß die „Pfeil"-version bereits auch in der Zeit vor Sophokles bekannt war. Gentiii, der sich seiner Ansicht anschloß (S. 51 f. u n d 55), u n d T . B . L . Webster ( J H S 80, 1960, 206) fügten weitere archäologische Zeugnisse als Beweise f ü r diese Ansicht hinzu. W a r aber aufgrund all dieser Beispiele Snells These noch nicht einwandfrei widerlegt — wie bei der Scherbe aus dem Heraion von Argos (vgl. dazu Kamerbeek S. 5 Anm. 1) war auch bei den anderen Darstellungen die Interpretation durchaus nicht gesichert —, so m u ß sie jetzt doch als falsch angesehen werden. Auf einer H y d r i a aus Cerveteri, jetzt in der Villa Julia (etwa 530, vgl. Maria Santangelo, Mon. Piot 44, 1950, pl. I, 2 u n d I I I , 1), ist, allem Zweifel enthoben, dargestellt, wie Herakles den Nessos mit dem Pfeil t ö t e t (vgl. auch Mon. Piot 41, 1946, pl. VI). Die Frage des zeitlichen Verhältnisses von Sophokles Trach. u n d Bakchylides 16 läßt sich also nur mit philologischen, nicht aber mit archäologischen bzw. mythologischen Argumenten entscheiden. 1 Vgl. Severyns, Bacchylide S. 146 u n d schon A. Körte, Bacchylidea, Herrn. 53, 1918, 145. 2 Obwohl Gentiii die Abhängigkeit von Sophokles leugnet, setzt auch er das 16. Gedicht in die letzten J a h r e des Bakchylides (S. 52f.). Severyns S. 134 Anm. 2 dagegen ist f ü r frühe Abfassung, äußert diese Ansicht allerdings mit großer Vorsicht.
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REGISTER DER B E H A N D E L T E N STELLEN es 16 16, 16, 16, 16, 16, 64
Herodot 1, 31 1, 91 3, 64
1 2 8 - 1 3 3
23 23ff. 26ff. 30 35
mit Α. 1
1 3 0
1 3 2 , 1 3 2
A . 2
A.2
1 3 0 1 3 1
A.2 A.4
1 3 2 1 3 2
1 0 1 1 0 1 1 0 1
Homer II. I 410-416 Σ Iff.
1 0 4
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1 0 3 - 1 0 6
Pausamas
Euripides 1-475 157 ff. 158 ff. 158-175 175-188 176ff. 177ff. 181 182 189-195 213ff. 280ff. 284 295ff. 300ff. 328ff. 371 ff. 414f. 557 f. 600ff. 747 ff. 781 ff. 861 ff. 940 1002 ff. 1042 ff. 1337 ff. 373ff. 545 ff. 1347 ff. 364 ff. 786 1019ff. 1078ff. 1156ff. 1236ff. 665ff.
9, 11,2
4 4 - 5 6 64f. 43,
Sophokles Ai. 748 ff. 1047-1162 1226-1401 1318-1373 1364 1368 Ant. 384-572 523 536f. 988ff. 988-1114 El. 32 ff. 1174ff.
47
6 8 6 4 - 6 6 6 8 4 3 67 67 6 8 4 8 5 2 - 5 4 67 67 67
15f.
9 5
f.
7 9 - 8 2 7 3 8 2 - 8 5 84,
87
84,
87
7 4 1 2 3
A.2
74 1 1 2 8 8 - 9 3 1 1 3 1 2 4
5 4 54f. 5 5 5 0 5 1
20
A.l A.l
46,
50
20
46 1 6 1 4 - 2 1 1 2 3 3 1
Α. 1 A.l
2 4 2 2 - 2 4 28 3 3 28, 30
28
A.4
f.
3 4 2 8 1 2 3
Α. 1
Ichneutai-Prolog OC 86ff. 389ff. 7 28 ff. 1254ff. OT 9 6 ff. 532-648 711 ff. 7 88 ff. 1117-1185 Phil. 603 ff. 730ff. 895ff. 1222 ff. 1316ff. 1402 Trach. 27 43 ff. 77ff. 79 ff. 103 ff.
3 6 1 2 0
mit A. 2 f.
1 1 9 1 1 9
f.
1 2 0 1 0 6 7 4 107 107 7 4 114f. 2 3 1 2 4 1 2 5 114f. 1 2 6 6 2 9 6 9 6 9 8 37
A.l
139
Sachregister 141 147 ff. 157 ff. 166 ff. 225-334 334-496 385-496 497 ff. 53 Iff. 575ff. 586 720 721 749 ff. 821 ff. 900ff. 900-911 90 Iff.
A.l 56/.
910
97
916 919 920ff. 921 f. 970ff. 974 983ff. 1159ff. 1169ff. 1172f. 1179-1258 1247 1249 f.
37
98 57-59 59 73 59 f. 27 100 27 61 67 34 97 f.
130
mit
A.l,
132
67, 66 66 43 67
14-21 16f. 21-24 101 98,100 98f. 85-88 87 87
43 67 f. 62f.
SACHREGISTER Abschiedsmonolog 42-49, 52-69 Admetgestalt 49-51 Alkestis an Stelle eines Satyrspiels 20 Α. 1 Charakteristik d. soph. Frühwerks 110 Charakteristik des soph. Spät werks 117
f.
Datierung der soph. D r a m e n 70-72 deux ex machina 51,51 A. 1, 114, 114 A.2 Dialogtechnik 79-93 Diptychonform 75-79 Dreigespräch 73-75 Eingangstechnik 36-41 Erosmotiv 25-28 Hegels Antigoneinterpretation 76f.,
77
Α.
1
Hinterszenisches 109 A. 3 Intrigenmotiv 24—28 Kommatische Parodos 39f.
Medea, Entscheidung 28-34 Medea, Rache 28-34 Mehrszenigkeit des Prologs 42 μηχάνημα 24-28 Monolog 30, 30 A.2 Monologischer Prolog 34-36 Orakel 93-127 Homer Ilias 103-106 Sophokles 93-103, 106-127 Ai. 95 f. El.
113-118
OC
118-123
OT
106-110
Phil. 113-118 Trach. 96-103 Orakelauflösung 101-103, Schlafszene 14—21 Schmerzensszene 21-24 Verhältnis Antigone-Kreon Ulf.
109
76-79,
CARL B E C K E R
Das Spätwerk des Horaz 1962. Etwa 264 Seiten, Leinen etwa 22,— DM Hier knüpft der Marburger Ordinarius f ü r klassische Philologie an die neuere Horaz-Forschung an, die gerade die Werke im letzten Jahrzehnt seines Dichtens eingehend untersucht hat, und sucht die isolierte Betrachtung der einzelnen Werke zu überwinden. Auf den inneren Zusammenhang der literarischen Gattungen, auf Eigenart und Leistung der ganzen horazischen Dichtung und auf die Stellung des Horaz zu Augustus fällt neues Licht.
KARL R E I N H A R D T
Die Ilias und ihr Dichter Herausgegeben von Uvo Hölscher 1961. 540 Seiten und 3 Abbildungen, hart. 29,— DM, Leinen 36,— DM , , . . . In diesem Werk ist etwas ganz Seltenes, in unseren trüben Jahren besonders Tröstliches erreicht. Der Leser wird durch Betrachten aus immer anderer Ferne so nah an das Geheimnis einer Dichtung herangebracht, daß sie sich ihm erschließt . . . " Dr. Rudolf Hirsch in „Die Weitwoche"
Tradition und Geist Gesammelte Essays zur Dichtung. Herausgegeben von Carl Becker 1960. 448 Seifen, Leinen 25,— DM „Es ist der Widerhall eines weiten, von künstlerischer Leidenschaft durchglühten Herzens, das den reinen Ton hoher Dichtung aufzunehmen und lebendig werden zu lassen vermag, wie es nur wenigen vergönnt ist. So wird der Band auch selbst Widerhall bei vielen — und gewiß bei den Besten — finden." „Die Welt"
Vermächtnis der Antike Gesammelte Essays zur Philosophie und Geschichtsschreibung Herausgegeben von Carl Becker 1959. 418 Seiten, Leinen 23,— DM „Wie Nietzsche war Beinhardt unter der Maske des Philologen insgeheim Philosoph, nur mit ungleich schärferer Kenntnis der eigenen Grenzen. Darum mögen seine streng geführten Untersuchungen, selbst in historischen Details, fast immer auch den Laien fesseln . . . Reinhardts Sprache, ein herrlich, fast herrisch-präzises Deutsch . . . " „Frankfurter Allgemeine Zeitung"
Sophokles, Antigone Griechisch-Deutsch. Übersetzt und eingeleitet von Karl Reinhardt Kleine Vandenhoeck-Reihe 116117. 3. Auflage 1961. 119 Seiten, englisch broschiert 3,60 DM „Vielleicht ist Reinhardt der letzte gewesen, der das Wissen des Wilamowitz-Erben mit der Interpretationskunst unserer Zeit zu vereinigen wußte." W. Jens in „Die Zeit"
Aischylos als Regisseur und Theologe 168 Seiten, gebunden 9,60 DM (Das Werk ist bei A. Francke/Bem erschienen, kann aber über unseren Verlag bezogen werden)
VANDENHOECK & R U P R E C H T I N GÖTTINGEN U N D
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