Sämtliche Werke: Abteilung I/Band 4 Romane in 8 Bänden. Die Verirrungen des Philosophen oder Geschichte Ludwigs von Seelberg [Photomechan. Nachdr. der Erstausg. 1787. Reprint 2015 ed.] 9783110968811, 9783598228742


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German Pages 626 [636] Year 1992

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Der Zweck dieses Buchs ist
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Eilftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Die Verirrungen des Philosophen oder Geschichte Ludwigs von Seelberg
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Eilftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
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Sämtliche Werke: Abteilung I/Band 4 Romane in 8 Bänden. Die Verirrungen des Philosophen oder Geschichte Ludwigs von Seelberg [Photomechan. Nachdr. der Erstausg. 1787. Reprint 2015 ed.]
 9783110968811, 9783598228742

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ADOLPH F R E I H E R R K N I G G E SÄMTLICHE WERKE BAND 4

Adolph Freiherr Knigge Sämtliche Werke In Zusammenarbeit mit Ernst-Otto Fehn, Manfred Grätz, Gisela von Hanstein und Claus Ritterhoff herausgegeben von Paul Raabe

BAND 4 Abteilung i Romane in 8 Bänden

Adolph Freiherr Knigge

Die Verirrungen des Philosophen oder Geschichte Ludwigs von Seelberg

K • G •Säur München • London • New York • Paris 1992

Photomechanischer Nachdruck der Erstausgabe nach dem Exemplar des Freien Deutschen Hochstifts, Frankfurt/M. Sign.: IX K 5 4 /E 15

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Knigge, Adolph Frhr. von: Sämtliche Werke / Adolph Freiherr Knigge. In Zusammenarbeit mit Emst-Otto Fehn ... hrsg. von Paul Raabe. Photomechanischer Nachdr. der Erstausg. - München ; London ; New York ; Paris : Säur. ISBN 3-598-22870-8 NE: Raabe, Paul [Hrsg.]; Knigge, Adolph Frhr. von: [Sammlung] Photomechanischer Nachdr. der Erstausg. B d.4: Abt. 1, Romane : in 8 Bänden. Die Verirrungen des Philosophen oder Geschichte Ludwigs von Seelberg. -1992 ISBN 3-598-22874-0

Printed on acid-free paper / Gedruckt auf säurefreiem Papier Alle Rechte vorbehalten / All Rights Strictly Reserved K. G. Säur Verlag GmbH & Co. KG, München 1992 A Reed Reference Publishing Company Printed in the Federal Republic of Germany Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlages ist unzulässig Druck/Printed by Strauss Offsetdruck, Hirschberg Binden/Bound by Buchbinderei Schaumann, Darmstadt ISBN 3-598-22870-8

D i

Verirrungen des Philosophen oder

Ge s c hi c ht e

Ludwigs»°» Seelberg herausgegeben » OH

A. F r e i h e r r n

von

Ä MM

Erst er T h e i l

Frankfurt am Main in der Andr eäi schen B u c h h a n d l u n g 1 7 * 7

Zweck dieses Buche ist :

zu zeigen, wie früh schon im Menschen der G ru n d zu großen, edeln Handlungen, so wie zu unzähligen Irrth ü m e rn und V e r­ gehungen gelegt werden kann;

es anschaulich zu machen, daß jedes Stämmchen in G ottes segenreichem B oden gedeien, grade aufwachsen, blühen und die herrlichsten Früchte tragen müßte, wenn es gehörig gewartet und gepflegt würde — nicht A lle Früchte einerley A r t , aber A lle gute, schöne Früchte; daß aber diese W a r­ tung von Erziehung, und- Schicksalen unb von der Richtung abhängt,

welche unste

Leidenschaften dadurch bekommen — unsre Leidenschaften, ursprünglich die wohlthätigsien, reinsten Triebe und Federkräfte, mit dann gefährlich und Unordnung anrichtend, wenn eine vor der andern voraus zu viel ge­ nährt, gereizt, verwöhnt, und dadurch ihre Harmonie unter einander zerstört wird; darzuthun, daß eben dies schon sehr früh bey der Bildung der Kindes und Jü n g ­ lings geschieht; daß alsdann die zu mächtig gewordenen Triebe die andern niederdrücken, nach und nach unsers ganzen Wesens sich bemustern, unsern W eltlauf lenken und uns Schicksale auf den H als laden, deren keines von ohngefehr kömmt, die aber endlich das aus uns machen, was wir in den Augen des Volks sind; zu beweisen, daß durch unsre jedesma­ ligen Gefühle unsre Systeme von M orali­ tät ohnmerklich umgebildet werden, wir

dann alle menschliche D in g e durch eine Z a u ­ berlaterne ansehen und in dieser V e rb le n ­ dung zuweilen das Kleinste ohnendlich groß, das W ichtigste äusserst gemein und unbedeu­ tend, das ewig W a h re zweifelhaft und irr ig , das

Widersprechendste

w a h r fin de n;

hingegen

erwiesen

daß auch der konsequenteste

Mensch selten von H a u s aus die System e ju seinen H andlungen a u f allgemein unw an­ delbare Grundsätze bauet, sondern sich seine Grundsätze nach den geheimen Wünschen seiner versteckten Leidenschaften m o d e lt; daß w ir

dadurch

A lle ,

S ophisten w erden, so a lb e rn , ist,

m ehr

oder w eniger,

und daß kein S ystem

so u nsinn ig,

so w idernatürlich

daß nicht auch der verständigste M a n n

dasselbe in einer von seinen Perioden sich und D e n e n , die so w ie er fü h le n , annehm lich, süß und zusammenhangend darstellen könnte; daß aber ein solches, noch so festbcsponncnes S ystem oft in einem einzigen Augenblicke von neuer E rfa h ru n g wieder zusammenfällt.

PI

VT

oder das O pfer einer andern, frischgereizten, aufgeweckten,

verborgen gewesenen Leidem

schaft w ir d ;

zu le h re n , daß eben daher die unzähligen W idersprüche in den H andlungen der M enschen, nach Z e it,

O rt,

G elegenheit

und A n trie b und die Verschiedenheiten der M e in u n g e n , selbst unter den W e ise n , über das w as moralisch g u t,

nützlich, möglich

und wünschenSwerth ist, entstehen;

zu B e fö rd e ru n g der D u ld u n g u n d B r u verliebe zu zeigen, w ie das U rth e il des P u ­ blikum s über den W e rth und U n w e rth eines M a n n e s und über die Konsequenz feiner H andlungen gewöhnlich n u r nach dem G e ­ genwärtigen ,

v o r Augen Liegenden

sich

ric h te , ohne Rücksicht zn nehmen a u f jene Ursachen, durch die er zu H andlungen beflu ttm t w ir d ;

zu erinnern, daß w ir nicht immer D en­ jenigen fü r den Schwächsten halten sollen, der o ft das System seiner M einungen und Handlungen zu ändern scheint, so wie nicht im m er Denjenigen fü r den Festesten, der stets in der nemlichen Gleise bleibt, weil w ir selten Veranlassung, A n trie b , stufenweise Entw icklung zu sehn im S tande sind, w eil w ir selbst in unserm Urtheile durch S y m p a ­ thie , G efühl und Leidenschaft geleitet wer­ den, und w eil E iner mehr als der Andre von Aussen her in einen W irb e l hinein getrieben w ird .

E in e r auch mehr als der Andre uns

.fein In n e re s öfnetund sich durchschauen lä ß t;

zum Trost D e re r, die Frieden und Ruhe suchen, zu beweisen, daß es dennoch einen graben, unwidersprechlich richtigen W eg zur W a h rh e it und unwandelbaren Glückseligkeit g ie b t,

den jeder verständige,

nach V o ll­

kommenheit ringende und nicht ganz ver­ wahrloset« M a n n finden kann,

und sicher

finden m uß, wenn er genau p rü ft, so viel in jeder Periode des Lebens die Umstände es erlauben, wenn er m it E rnst und gutem W illen sucht, wenn A lter und E rfahrung endlich das wilde Feuer gedampft und die Fantom e zerstreuet haben; (es müßte denn gar zu früh eine gehegte Leidenschaft ihn in einen solchen Zusammenfluß von unglück­ lichen Verhältnissen versenkt haben, daß er fich von dem entschiedenen W ege des V e r­ derbnisse- wegzureissen nicht mehr vermögte) daß wenn ihm aber die Augen des V erständ­ nisses aufgehn, er alles um sich her im w ah­ ren Lichte sieht, nicht getäuscht, nicht irre­ geführt werden kann, immer bescheiden, aber sicher, richtig und weise urtheilt, alles m it Liebe um faßt, ihn nichts w undert, er nie vor etw as zurückbcbt, nach keinen S ch altengreift, nie ängstlich sucht, nie unvorsich­ tig sich hinzudrängt, dankbar und froh ans Allem W onne zu schöpfen, aberm äßig auch das Anlockendste sich zu versagen und m itten

im Genusse zu entbehren w eiß, nie G ew alt überspannt, nie Kräfte schlafen läß t, nicht zweifelt, nicht nachlallt, duldet ohne zu billigen, ertragt ohne Theilnahm e, für Andre lebt und sich doch nicht aufopfert, das V err borgene ehrt und das Begreifliche ergründet, nur das Mögliche fordert, nur nach dem wahrhaftig WünfchenSwerthen sich sehnt— daß dies dann die Vollendung des M annes in dieser W e lt, der S egen ist, den die Vor« sehung den wenigen Bessern zusichert, die sich hier ihre Erfahrungen, die Erziehung des Schicksals, zu einer größern Laufbahn jenseit des G rabes, zu N uße machen wol­ len — D ies alles zu zeigen, ist der Zweck meines B u chs, der G eschichte L u d w ig s v o n S e e lb e rg . N eue moralische W ahrheiten, die uns noch nicht offenbart w ären, giebt es wohl nicht; also erwarte man auch hier dergleichen keine; die A rt der Zusammensetzung und

D arste llu ng aber kann einer sehr a lten , n u r o ft vergessenen, vernachlässigten Lehre, neue Fruchtbarkeit geben —

ich wünsche,

daß

dies hier der F a ll seyn möge.

O b , w as hier erzählt w ir d , Begebenheiten sind? —

wirkliche

Leser! w as in die­

ser W e lt möglicher Weise geschehen kann, das ist auch gewiß geschehen, oder geschieht in der Folge der Z e it — Ic h

A ber noch m e h r!

liefere größtentheils Skizzen von dem

Gewebe meiner eigenen Em pfindungen und herrschenden Leidenschaften, Geschichte mei­ nes eigenen,

o ft irregeführten Herzens —

n ich t, daß ich in meinem, unruhigen Leben in alle diese Labyrinthe des Verstandes und Herzens gerathen w ä re ,

durch welche ich

den H eld meiner Geschichte fü h re ; aber doch in viele derselben, und w a h rlic h ! eö ist nicht mein V e rdien st, wenn andre E in w irku n g e n , andre Begebenheiten, m ich, bey den nemlichen, ausgebildeten Anlagen zum B ösen,

nicht grade den schlimsten W eg

geführt

haben —

Leser! ich schäme mich dieses offenherzig gen Geständnisses n ich t; J e h t, vielleicht bald am Ende meiner irdischen Laufbahn, oder wenigstens, wie ich gewiß hoffe, am Ende meiner V e rirru n g e n , mögte ich nicht gern besser scheinen, obgleich ich gern besser w ä re , als ich b in , und sollte dies Gestandniß von einer S e ite in den Augen Mancher mich herabsehen, die entweder bis ih t eine bessere M einung von m ir gehabt haben, als ich verdiene, oder die nicht mögten, daß es M ode w ürde, anders als im Feierkleide, w o h l ausgepolstert, aufgepuht, geschminkt, auch, nöthigen F a lls , m it geborgten Zäh­ nen und Augen von P orzelain, im P ubliko zu erscheinen,

und die keinen S in n dafür

haben, daß man ohne Unverschämtheit und ohne Unverstand sich so zeigen könne, wie man ist; so werde ich von der andern S e ite

gewiß bey einfacher G esinnten gew innen, die sich gern vertraulich an einen arglosen M a n n schliesscn, der keine versteckte W affen unter dem Rocke trä g t, um A rm in A rm m it ihm den kleinen Rest des Lebens durchzuwandelr, — und diesen guten, lieben Menschen biete ich dann hier brüderlich die H a n d — F in ­ det I h r irgend ein heilsames Trostw ort in die­ ser Geschichte, ein W o rt, das B alsam gies­ sen könnte in die geheimen W unden E u re r H erzen; seyd I h r je in ähnlichen Lagen ge­ wesen ; habt I h r je gekämpft, wogegen ich gestritten habe und zum T heil noch streite; hat je E ure w arm e Fantasie Euch a u f Ab­ wege geführt, ein falsches Irrlic h t Euch dahin gelockt, wo E u er F u ß bey dem lei­ sesten T ritte sich in D ornen verw undete; ist je E u re emporstrebende V ern u n ft in verbo­ tene G ebiete gerathen, in welchen heiliger S chauer Euch ergriff, bey dem blendenden Fcnerglanze, der Euch entgegenströmte, in­ deß dicke N ebel den Rückweg bedeckten; seyd

I h r in überspannten, süßen Hoffnungen be­ trogen , in kindischem V ertrauen getauscht, au s dem wonnevollsten T raum e mit Unge­ stüm aufgeschreckt w o rd en ; wankte E uer S c h ritt oft au f dem ebensten, gebahntesten W e g e ; stürzte bey dem leichtesten Hauche des heissen M ittagsw indes zuweilen der Pallast e in , an welchem I h r eine halbe Lebenszeit gebauet h attet; riß je eine geheime M acht Euch dahin, wovor I h r so lange geflohen w äret, wo K um m er und R eue E u rer w ar­ teten ; wichen auch die Geprüftesten weit von E uch, sobald I h r H ülfe bedurftet; verliessen Euch B ru d e r und K in d , wenn die H and des Schicksals Euch dräuete; verriethen Euch D ie , denen I h r Euch aufgeopfert h a tte t; tra t Euch D e r m it F ü ß en , der E uer B ro d a ß ; zog D e r den Dolch gegen E uch, der so lange sicher an Ellrem B usen geschlumniert hatte — so leset diese Geschichte und erfahret, daß die S o rg fa lt des liebevollsten V a te rs aller K reaturen dies alles zu E urer größer»

Vervollkom m nng zu lenken w eiß, und daß, wenn es Euch ernstlich darum zu thun ist, I h r , nach vollendeter Erziehung, ein Glück schmecken w erdet, das ohne Wechsel ist. Und nun noch ein vielleicht verlohrneS W o rt für den lesenden großen H au fen ! I c h habe, glaube ich, vorhin gesagt, daß die Begebenheiten, welche ich erzähle, nicht grade so, wie sie da stehn, w a h r, noch wirklich vorgegangen sind, und eben das gilt auch von der Existenz der P ersonen, welche ich schildere. D ie Züge dazu sind freilich au s der wirklichen W elt entlehnt; aber die Zusammenschung ist mein eigenes W erk, doch kann es gar leicht seyn, daß irgendwo Menschen leben, denen meine G em älde voll» kommen gleichsehen. Absichtlich habe ich indessen nicht E inen Menschen nach dem Ict ben gezeichnet, obgleich ich das im G runde gar nicht für unrecht h a lte , es auch nicht übel aufnehm e, wenn m an m ir ein Gleiches

th u t, fest überzeugt, daß man Nachsicht und Duldung haben könne, ohne blind und stumm zu seyn, und daß Krankheitsgeschichten sehr viel zum Vortheil der Arzeneikunde beitra­ gen. Diese Erinnerung könnte überflüssig scheinen, und würde es auch seyn, wenn nicht unverständige und müssige Menschen bis ißt sich ein Geschäft daraus gemacht hätten, in meinen Schriften Anspielungen ans ein­ zelne Personen ihrer Bekanntschaft zu suchen, welche M ühe ich ihnen künftighin gern erspa­ ren mögte — Doch haben sie, wie sich bas versteht, darinn auch diesmal ihren freien Willen. Endlich, was den literarischen W erth betrifft, den dies B uch, als Roman betrach­ tet, haben könnte; so gestehe ich, daß ich denselben gern dem Freicorps der Rezensen­ ten preißgebe, und von dieser Seite ohne große Ansprüche bin. G e lo b t und ge­ schim pft sind meine Schriften bis itzt viel-

fällig worden ( je nachdem die Herrn Kunstrichter meiner geringen Person wohlwollten ober nicht, und je nachdem die Rezension vor oder nach Tische verfertigt w a r) b e u r­ th e ilt (welches freilich heut zu Tage ganz etwas andres ist, als rezenstrt) hat man sie selten, auch haben die guten H errn zu dieser Arbeit gewöhnlich weder K enntniß, noch Geschick, noch Erlaubniß, noch B e ru f; ES wird also auch wohl diesem Büchelchen nicht besser gehn, welches mir denn sehr gleichgültig ist, in sofern ich nur damit den Zweck erlange, den ich vorhin entwickelt habe.

Ge s c h i c h t e

Ludwigs von Seelberg. Ers t es Ka pi t e l . L u d w i g s V ater w ar ein begüterter Cavalier in S ach sen , ein M a n n , der fast alle Fehler einer vornehmen und reichen Erziehung mir sich hcrnmtrug. Verzärtelt an S eele und Leibe; gew ibnt sei­ nen Leidenschaften keine andre Grenzen zu setzen, a ls höchstens die der Nothwendigkeit, und auch diese m it M urren und großem K am p fe; einge­ nom m en von seinen in der T hat nicht geringen Fähigkeiten; durch Schmeichele« zu allem zn bewege», und zu stim m en, sowohl im H andeln a ls im U rtheilen; dmch den geringsten Wider» stand oder Widerspruch aber und durch den klein­ sten M angel an H uldigung und Aufmerksamkeit, auch gegen die edelsten Menschen und gegen die A

beste Sache einzunehmen, und solange »»versöhnlicherFeind, bis der Gegner die W affen streckte, und dann der partheiische Beschützer des Ueberwundenen; arbeitsam, kühn, unternehmend und fest im höchsten G ra d e , m it Ueberwindung aller Schwierigkeiten, w o hellklingender R uhm th u znerndten w a r; fa u l, augenblicklich abzuschrecken, kleinmüthig und furchtsam , in Geschäften, die nichts einbrachten als die stille Beruhigung Gutes gethan zu haben, und wobey er sich hatte c rtju prom ittiren können; gefühlvoll und menschen!;'«bend, theils in den A ufw allungen seines warmen B lu t s ,

theils in Augenblicken,, wo eine befrie­

digte Lieblingskeidenschaft die Ehre vom Hanse machte, und dann herzlich zufrieden m it Gottes schönen W e lt; theilnehmend, leicht zu rühren, aus Reizbarkeit schwacher, kränklicher N erven; immer zu H ü lfe eilend, w o die Sache sich m ir Gelde ausmachen ließ ; weniger b e re itw illig , wo ein herzerschütternder Anblick zu erwarten w a r ; zurückbebend vor a lle m , w as widrige Eindrücke a u f seine feinen Organen machte; bey UngkückSfa lle n , die er sich selbst zugezogen, immer sein bv'es G estirn , die Vorsehung und andre M e n ­ sche» anklagend; bey kleinen Schmerzen und W i-

derwärtigkeiten sogleich au s aller Fassung ge» bracht; bey größer« hingegen mit einem fanta­ stischen H eroiem us bewafnet, den Eitelkeit und S to lz ihm a ls ein feuriges Schwerdt in dieHranV g a b en , Und daS augenblicklich der Faust ent» schwand, sobald der R ausch, die Ueberspannung vorüber w a r , der Arm ohnmächtig hinsank, oder ein unvorhergesehener Feind ihm grade auf de» Leib g ü tig ; verständig, hellsehend, tieftindringen d , sobald Leidenschaft nicht die Augen blen» bete; w itzig, zum S p o tte , und bey gereizter E itelkeit, nie au s wahrem achten H um or; miS» Iranisch aus Bewußtseyn eigener Schw ache, also nicht eigentlich gemacht, daß Glück der Liebe und Freundschaft zu theilen; aber in beiden blindlings und unvorsichtig sich hingebend, dem , der ihm schmeichelte, nicht, daß er recht fest geglaubt h ätte, m an meine es redlich, aber w eil er sich gern tauschte, um einen Augenblick von G enuß zu haben, über welchen er sicher zu erwartend« Jah re voll Nachwche vergaß; verschwenderisch, au s M an gel an kalter Ueberlegung und Ueberrechn u n g , und dann , durch Verschwendung gezwun­ g e n , geizig, wo der Sparsam e m it vollen Hätt» den geben kann; unaufhörlich von Faunen regiert,

wovon die, welche um ihn lebten, alle Ebben und Fliithen aushalten mußten; wollüstig und gierig, um, im immerwährenden Genusse, sein Dhr gegen die Stimme der anklagenden Vernunft zu übertäuben, fand er doch bald alle Freuden, besonders die einfachern, langweilig, ermüdend, schnappte unaufhörlich nach Abwechselung, halte täglich neue Liebhabereien und darbte, wo Andre schwelgen — Und dann in den wenigen, kurzen, nüchternen, seligern Augenblicken, wo sein besse­ rer Genius ihn fest in seine Arme schloß, voll Reue, sein Unrecht einsehend, beweinend, voll Schaam, Verleugnung und Demuth, werth ganz und immer zu seyn, wozu ihn Gott und die Na­ tur aufgerufen hatten — So war Ludwigs von Seelberg Vater, und hast D u , lieber Leser! viel vornehm und reich erzogene Menschen genauer kennen gelernt; so wirst Du wohl die mehrsten unter ihnen diesem Bilde mehr oder weniger ähnlich gefunden haben. Ludwigs Mutter war die Tochter des ^dri­ ften von Treubaum, eines biedern, redlichen und verständige« alten Officiers, der, nachdem er sein Vermögen, seine besten Jahre und sein«

f Gesundheit im Dienst eines großen Königs zuge­ setzt hatte, endlich, da er sich nach Ruhe sehnte, in dem Schooße seiner Familie das Ende «einer mühseligen Laufbahn erwarten wollte. Er for­ derte desfalls seinen Abschied, und «abrn die Liebe und Achtung der Armee und ei» gnreS, reines Gewissen mit sich in seineHütte, in welcher er mit seiner Zrau und mit wilhelminen, seiner einzigen Tochter , von der kleinen Pension lebte, die sein Fürst ihm reichen ließ. Dahin nun kam Seelberg auf einer seiner Reisen, im vollen Schimmer des Reichthums, kramte, als ein fei­ ner Weltmann, allerley angenehme Talente und edle Grundsätze aus, verliebte sich, wie Leute von seinem Charakter sich verlieben können, in Wilhelminen, und hielt, voll des vornehmen Gedankens, ein armes Mädchen durch feine Hand glücklich;u machen, bey dem alten Treudaum um dieselbe an. Der gute Lbrist war bald geneigt, ihin Gehör zu geben; Es schien eine gute Versorgung für Wilbelininen; gegen den Herr» von Seelberg ließ sieh eben nichts einwen­ den; Er war noch jung, noch nicht so ausgebil­ det, wie ich ihn vorhin geschildert habe, und wenn auch schon damals mein Gemälde ihm glich;

üt S eite erfuhr, gieng er auf das Neue mit seine,» Verführer zu R a th e, und Dieser gab ihn» de» Unseligen Gedanken ein , mit ihm (der sich längst vorgenommen hatte, diesen Schritt zu thu», »veil er Schulden Und keine Hofnung sie zu bezahle» hatte) durchzugehn, sich ausser Landes anwerbe»» -u lassen , und dann seinen General um Schutz gegen seinen Vormund zu bitten, welcher Schutz ihm , als einem reichen Cavalier (a u f dessen künf­ tige glanzende Umstande, im Vorbeigehn zu sa­ gen , der Herr von w eid e! große Plane dauere) geroiß nicht würde abgeschlagen werden. Lud­ wig von Seelbcrg »var, wie »vir gehört habe», von furchtsamer, weichlicher Gemüthsart, und es kostete große M ühe, ihm einen so kühnen P lan annehmlich zu machen. Er hatte tausend ängst­ liche Einwürfe vorzubringen, bis endlich eines Abends, nach Vorstellung eines Schauspiels, (in welchem ein leichtsinniger, unternehmender J ü n g lin g , der alle Pflichten mit Füßen trat, dem aber alle- glückte, von einer hdchsteinnehtuenden, interessanten S eite war vorgestellt »vorden) w eidet die Stim m ung nützte, in welche Ludwig durch dies Schauspiel war versetzt worden,

um ihn zu dem unbesonnenst en@d)ritte zu bewegen. D ies gelnng ihm »ach einigem K am pfe; E r ließ ihm sodann keine Z eit, sich zu besinnen, sondern eilte gleich zur A usführung. I n der Kombdie hatte er hierzu alles angelegt; nach Endigung derselben erbot er sich den jungen Seelberg nach Hanse zu begleiten; (sonst pflegte m an ihm einen Bedienten mitzugeben) statt aber zu dem Rektor zu gehn, beschwätzte er ih n , m it zum S tadtthore hinauszuw andern. A nfangs uemlich verwickelte er ihn in ein langes Gespräch über seinen Zustand und über die M ittel, sich demselben zu entreiffen, die e r, so wie die Bewegungsgründe dazu au s der M o ral des eben gesehene» Schauspiels her­ n ah m ; und als sie indeß unmerklich, im Reden, bis nahe an das T hor gekommen w aren , stärkte er ihn noch einmal in dem thörichten Vorsätze, und nun — E s kam au f Einen raschen S ch ritt an — D a s T hor w ar so nahe — Weide! be­ zahlte das S p errg eld ; M an fragte nicht, wer sie w äre n ; (der Fahnenjunker hatte einen grünen Rock an ) so faßte dann der Verführer den betäub­ ten Jü n g lin g unter den A rm , und riß ihn m it sich fort. K aum waren sie int freien Felde, als es dem arm en L u d w ig zentnerschwer auf das D

Herz fie l; aber theils ließ ihm Weitzel nicht Z e it zur B esinnung, theils w a r nun der erste S c h ritt gethan, und nicht gut wieder zurückzukehren; D aS Schauspiel w a r schon vor einer S tunde gern» d ig l; gewiß hatte man ihn in WerkmannS Hause »erm iß t, ihn in der S ta d t aufgesucht, nach ihm geschickt — w as sollte er m m zur Entschuldigung seines Ausbleibens

anführen? —

S c h ritt w ar gethan;

D e r erste

und dieser erste,

klenw

S c h ritt hätt« könne« entscheidend unglücklich fü r sein ganzes Leben werden — J ü n g lin g ! K n abe! überlege w o h l, w as das sagen w i l l ! E in Augen« blick von T a u n ie l, sprung,

von Rausch;

E in Neben«

ohne nüchterne Ueberlegung gethan —

und D « bist verlohren — B lin d e r ! Schwacher! Laß einen einzigen Angenblick die D ich leitend« H and der W eisheit fahren; und D u erhaschest sie vielleicht nie wieder.

Unsre beiden irrenden R itte r waren vhnge, sehr ein« S tunde Weges gegangen,

al» ihnen

die reitende Post begegnete; D e r Pvstknecht w a r ehemals Husar gewesen; E r kannte den H c rm v o n w e id e l, bot ihm einen treuherzigen gute» Abend, ohne weiter zu fra g e n : wo hiuauS?

5t Imb so verfolgte ein jeder seinen Weg. Die jtm* gen Leute hatten den ihrigen nach einer benach» darren Reichsstadt gerichtet, weil sie wußten, daß daselbst ein preussischer Werbeofficier war. I n weniger alö drey Stunden waren sie dort; Ludwig hatte indeß nach und nach sich selbst M uth, oder vielmehr Unverschämtheit eingesprochen; Zwar zitterte er, wie ein Espenlaub, so oft sich etwas hinter ihnen rührte; als ihm aber daS Mondlicht die Thürme der S tadt ganz nahe zeigte; da war alle Furcht verschwunden, und er verdoppelte seine Schritte, um bald an daS Ziel feiner Wünsche zu kommen. Nachdem wir nun die beiden Flüchtlinge bi< hierher begleitet haben; so müssen wir doch auch hören, welchen Eindruck ihre Entweichung in bttrt Hause deS Herrn Werkmanna wirkte. Der Rek­ tor machte zuerst die Bemerkung: „die Komödie «daure heute etwas lange" AIS man aber alle Kutschen zurückkommen hörte; glaubte er, der junge Seelberg sey in dem adelichen Hause zum ßlbendrsseu eingeladen worden, und da fand er, daß eS doch nicht höflich gehandelt sey, ihm nicht einmal, wo nicht die Erlaubniß dazu abgefordert,

doch wenigstens Nachricht davon gegeben zu ha­ ben.

Um gewiß zu sey», schickte er h in ; aber

wie groß w a r sein Schrecken, als m an ihm hin­ terbrachte, Ludwig sey schon vor einer S tunde durch den H errn v o n W eisel nach Hause begleitet w orden! — „ W o ist er nun? S a g t'ic h 's nicht, „ F r a u ? das kömmt von dem verwünschten Komb« „d ie n re n n e n !" —

A lles w as im Hause Beine

h atte, wurde in der S ta d t herumgejagt;

aber

vergebens! N irgends konnte man a u f die S p u r kommen.

D a indessen des jungen W eisels A u f­

führung ziemlich bekannt w a r , und dieser sich schon oft halte verlauten lassen : er werde einmal seinen G läubigern die Fersen zejgen, wozu noch kam , daß Ludwig seit einiger Zeit unzufriedener, fauler und zurückhaltender als jemals gewesen; so fiel inan bald a u f die wahre Lage der Sache. E s wurde sogleich noch in der Nacht ein Freund hinaus a u f das Land an den V orm und abgefer­ t ig t ,

und zugleich a u f der Post und bey allen

Lehnkutschern Nachfrage gehalten: ob nicht ir­ gendwo wären Pferde gemiethet w orden; allein eS kam von allen O rten her eine verneinende A n t­ w o rt.

Gegen M orgen klopfte indessen jemand

an des NekiorS H a u s th ü r,

, 7(1,

welche jedoch die

ganze Nacht durch offengestanden hatte, denn niemand wollte zu Bette gehn; der M ann aber, der anklopfte, war der alte Postknecht, welcher die jungen Leute unterwegens gesehn, um M it­ ternacht sein Felleisen in der Post abgeliefert, und nachher, als er von ohngefehr gehört, daß Nian sich nach den Entwichenen erkundigte, mit seiner Aussage, die er nun dem Rektor wieder­ holte, den Weg angegeben hatte, ans welche«» man ihnen nachspüren könnte. Während nun dies vorgicng , stand schon die Sonne über dein Horizonte, und der durch den Bote» in Allarm gebrachte alte, bm etTTajor von Rrallheim mit seine«« Postzuge vor Werkmanns T hür, stieg aber, nach erfolgter Erklärung, weil er glaubte, es sey keine Zeit zu verliehren, wieder in seine Kallcsche, und fuhr in gestrecktem Grotte der Reichsstadt zu. Hier haben wir die beiden Jünglinge vor de«n Thore verlasse», und sind auch nicht geneigt, sie weiter z» führen; denn da das preussische Werbehanö ausser der S tad t und grade vor diesem Thore lag; so hatten sie nun den Zweck ihrer großen Unternehmung erreicht. 1711

Der werbeoffizier hatte sich noch nicht fchla» fen gelegt; E s war M itternacht; er laS aber «och, wie er vielfältig zu thun pflegte, und zwar diesmal in Thomas Abts herrlichem Werks vom Verdienste, als er durch den Lerm gestöhrt wurde, den die Ankömmlinge nebst dem Unter­ offizier machten, welcher sie hereinführte, und a ls zwey Rekruten ankündigte. D er ^«optmam* war ein liebenswürdiger, kluger, gebildeter, redlicher M an n , von feinen sanften Sitten und gefühlvollem Herzen. Sobald daher die beiden Jünglinge sich ihm vorstellen liessen; durch» fchanete er mit Einem Blicke die Geschichte ihres Abentheuers. Er sahe bald, daß an dein junge« wer'vel nichts zu verderben, daß Seelberg hin­ gegen ein irregeführter, schwacher Knabe war, den >nan zu seinen Pflichren wieder zurückführen mußte. Jener h atte, beiläufig zu sagen, (b jung er auch w a r , schon sechs Zoll über, Dieser aber noch nicht einmal das vorgejchriebene M aaß. Nachdem er daher mit feinem Unteroffizier ein paar Worte allein geredet b atte, riech er de« beiden jungen Leuten, sich zur Ruhe zu begeben, versprach für sie zu sorgen, ihre Wünsche zu be­ friedigen, und ließ für Ludwig ein Feldbette nt

still Zim m er setzen, dem Andern hingegen durch den Unteroffizier eine Kam m er unten an der Erde anweisen. Dieser schlaue Kriegsmann führte als» den ^ e r m

vo n W eise l

die Treppe

hinunter,

reichte ihm aber doch noch vor Schlafengehn ei» v tn tüchtigen T ru n k zur Erquickung, wobey au f de- großen Friedrichs Gesundheit einige Glaser ausgeleert u n d , a u f des H errn Hauptm annö Be» fe h l, dem jungen H errn zwey FriedrichSd'or aus» gezahlt w urden, um ihn zu überzeugen, wie thä» tig man sich S einer annehmen wolle.

Viertes Kapitel. #3fc\o6alb der «fcuptm ann sich m it L u d w ig allein sah,

ergriff er denselben freundlich

bey der H a n d , blickte ihm fest in die Angen, und sprach: „ N u n , junger H e r r ! W a s heißt das? „ W a r u m haben S ie nicht den M u t h , m ir grade „ i n daS Gesicht zu sehn? Schlagt das Herzgen? „ M a c h t das Gewissen V o rw ü rfe ?

Haben w ir

„einen S c h ritt gethan, dessen w ir uns itzt schä» „m en müssen? K öm m t die Reue schon so früh? „N ic h t w ahr?

daS dachten w ir nicht, als w ir

„u n s verleite» liessen, Freunden und Verwandten

„wegzulaufen, die es redlich mit unS meinten, „die aus unS einen rechtlichen Kerl bilden woll„ten, und denen wir itzt, zur Dankbarkeit, Un„ruhen, Sorgen und Bekümmeruiß machen? „Aber der Zwang gefiel uns vielleicht nicht; „W ir wollten zügellose Freiheit geniessen, woll„ten vielleicht den Kopf nicht anstrengen; oder „ geriet hcn in bbse Gesellschaften, und liessen uns „hinreissen —

Und nun stehen wir da, am

„Rande des Verderbens, haben nicht Muth ge„nug,

daß Bubenstück vollends auszuführen,

„und nicht Gradheil des Herzens genug, mite „voll zurückzukehren, und ernstlich an Besserung „zu denken — Nicht wahr, mein lieber junger „Herr! ich habe den Zustand Ihres Herzens so „ziemlich errathen? —

Aber ich sehe es Ihnen

„an, daß Sie noch nicht verhärtet im Dösen find, „und glaube, es ist der Mühe werth, Sic vor „dem Abgrunde wegzurcissen, an welchem Sie „herumirrcn.

Sagen Sie mir mir: was hat

„S ie bewogen, heimlich fortzugehn und hier „Dienste zu suchen? Haben Sie auch wohl über„legt, was Sie gethan und was Sie vorhaben? „S ie wollen Soldat werden? Doch wohl nicht, «als Gemeiner, die Muskete tragen, vordem

«Stocke zittern u n d , bey wenigen Kreuzern Löh« n u n g , schwarzem Brode »nd saurer Austren« g n n g , Ih r e Cristen; verwünsche»? Oder mei«nen S ie , man werde aus Ih n e n sogle'ch eine» « O ffiz ie r machen, man werde einem Menschen, «der nicht gehorchen kann, erlauben, Andern zu «befehlen? man könne, wann man nichts lernen « w ill,

in einem Stande sein Glück finden, zu

«welchem so viel Kenntnisse gehören? Oder was «erwarten S ie sonst von m ir? W a ru m sind S ie «zn m ir gekommen? Dachten S ie vielleicht, ei» «Werbehauö sey ein sichrer Zufluchtsort fü r jeden «Pflichtvergessenen, und es sey so eine Eigen... schüft unsers S ta n d e s, M üßiggang und A us«schweifnng zu begünstigen? N u n !

dann ir r ir »

« S ie ; aber ich w ill S ie weder beschämen noch «betrüben, sondern Ih n e n nützlich seyn; Also «ans einem andern T one! Den jungen Menschen, «welcher m it Ih n e n gekommen is t, w ill ich be« h a lte n ; E r soll der Trom m el folgen; das ist ihm «sehr gesund, und w ir wollen sehn, ob er S u b «vrdination vertragen w ir d ; S ie aber,

mein

«Lieber! w ill ich wieder in Ih re s V a te rs Hände, «oder wem S ie sonst angehören, «Erschrecken S ie n ic h t!

abliefern —

E s soll a u f die beste,

„behutsamste A rt geschehen; Verhehlen S ie mir „mir nichts! Ic h will Frieden für S ie bewirken, „und wen» S ie Ursache haben, über « w a s zu „k lag en , alles anw enden, daß Ih n en geholfen „w erde. Aber -Offenherzigkeit erwarte ich, mtb „die werde ich zn verdienen suchen. D a S ie „haben S o ld a t werden w ollen; so muß eS Ihnen „ a u f «ine schlaflose Nacht nicht ankommen; w ir „w ollen also zusammen aufbleiben, mit einander „p lau d ern , und wenn ich Ih re Geschichte werde „erfahren habe«; dann wollen w ir sehn, waS „w eiter zu thun ist." S o redete der Rapirai'n m it L u d w ig , und Dieser faßte Zutrauen und Liebe zu dem wackern und verständigen M an n e; er entdtkkle ihm seine ganze L age, wurde von dem -Offizier zu dem gnren Vorsätze aufgemun­ te r t, statt zu verzweifeln, alle K räfte aufzubie« ten, sich Kenntnisse zu erwerben und das Ver« säumte nachzuholen, und so fm n der M orgen heran. W ir haben vorhin gehört, daß der tffctior von R rallhcim früh M orgen- eilig der Reichs­ stadt zufuhr. A ls er vor daS T hor kam , w ar dasselbe noch geschlossen > D er H auptm ann stand

grabe nebst L u d w ig am Fenster,

während di«

Kutsche vorbeifuhr und stillh ie lt;

Seelberg er­

kannte seinen Better und rie f: „a c h ! mein Bor» ..m u n d !"

D e r O ffizier beruhigte ih n ,

sprang

die Treppe hinunter, bat den M a jo r auszustei­ gen, fährte ihn in ein besondres Zim mer und unterrichtete ihn von allem.

Sodann wurde der

Frieden bald geschlossen, und der junge Mensch kam m it liebevollen V orw ü rfe n und väterlichen Ermahnungen davon. mehrmals

S e in V etter führte ihm

die S anfkm m h

seiner verstorbenen

M u tte r , welche R raU heim sehr geehrt hatte, zu G em üthe; D ie s machte immer die wirksamsten Eindrücke a u f sein H e rz; und als er m it seinem Vorm unde zurück zu dem ehrlichen R e k lo rw e rk m ann fu h r, Dieser, statt böser W o rte , ihn in seine Arme schloß und nichts weiter sagte, a ls : „w o m it habe ich das um S ie verdient?"

da

dachte er zu vergehn vor Schaam und R eue, und von dem Augenblicke an wurde der Vorsatz fest riird unwandelbar in ih m ,

durch unüber­

windlichen Fleiß und gute Aufführung diesen Fehl ­ t r it t a u f immer auszulöschen —

und er hielt

W o r t — S e in Ehrgeiz erwachte: „ W ie ? " sprach f r |u sich selbst, „w a s Andre junge Stute von

6o „m einem A lter lernen sonnen, das sollte fü r „m ich ohnmöglichzn fassen seyn? H a b ' ich nicht „G e n ie , vielleicht mehr als sie? Gedächtniß und „Ueberlegnng? — Und welche E h re , wenn ich „sie in kurzer Zeit einholen,

und dann hinter

„ m ir zurücklassen könnte! W o h la n ! E s gelte um „diesen P r e iß ! ' Gedacht; gethan! E r g riff sich a n , bot alle K rä fte a u f; drey Tage lang wurde

ci'

ihm sauer; mit vierten stetig er an de» Nutzen

seines Eifers zu fühlen und sich an Arbeitsamkeit zu gewöhnen; am sechsten Tage fand er Wonne in nützlicher T h ä tig ke it, und nach vierzehn T a ­ gen w ar ihm diese Lebensart zu einem solchen Bedürfnisse geworden, daß er nicht mehr begrei­ fen konnte, wie es möglich w äre, ganze S tu n s den verstreichen zu lassen, ohne etwas Nützlichezu lernen.

Welche Freude dies in w e rkm a n n »

Hause verbreitete; wie sehr L u d w ig nun vor­ gezogen, geliebt, gelobt, geehrt w u rd e , und daß dies ihn doppelt anspornte; sieh begreifen.

das alles läßt

K aum vergieng ein J a h r ;

so

w ar er seinen Mitschülern gleich, und nach drey Jahren w a r nicht n ur in des Rektors Hause, sondern a u f dem ganzen Gymnasio nicht eilt ein­ ziger junger Mensch von Seelbergs A lte r,

der

so viel Kenntnisse gehabt, und die gljnzendstcn Talente m it einem so unbcschrciblichfertigen und treue» Gedächtnisse vereinigt hätte. Dabey wurde er allen Jünglingen als ein M uster von Beschei­ denheit, feiner Lebensart und wahrer Fröm m ig­ keit vorgestellt, und in den größten Häusern bat man es sich a u s ,

daß er des Sonntags oder

sonst in seine» seltenen Feierstunden (denn alle S tunden des Tages waren eingetheilt) zuweilen hinkommen und sich zeigen d u rfte , da man dann o ft in seiner Gegenwart dem Darerlande Glück wünschte, rin solches Genie unter seinen Edelleu­ ten zu besitzen,

sich auch wohl in die Ohren

flüsterte: » D e r kann einmal in jedem Betracht „e in Mädchen glücklich machen."

O b dieser

Weihrauch seine Gehirnnerven nicht zu sehr an­ gegriffen , und wie es überhaupt m it der fernern Entwicklung seines Charakters aussah, als er im siebenzehuten Jahre aufUniversitäten gieng; daS wollen w ir hernach näher beleuchten.

Jetzt noch

e tw a s, so hier nicht am unrechten O rte steht!

E r hatte eine D e rw a n d tin n , welche P rio rin n in einem benachbarten Nonnenkloster w a r ; D a ­ hin wurde er eingeladen, zukommen, und erhielt

6L isuch die Erlaubniß däzu in b,lauern die Mädchen hinter den Büschen am „W ege des Lebens, „W anderern a u f,

lauern den unbefangenen

und ehe sie vierzehn Jahre

„ a lt sind, wissen S ie mehr Spitzbubenstreiche, „wissen besser die Schwächen auszuspähen und

„sichdurch

das am wenigsten vertheidigte T h o r

Mi „in das Herz einziischleichen, als ein ansgelern„rcr männlicher V erführer im fünf und zwanzig» „sten J a h re ." E s versteht sich, daß H err W asserhorn dies tenfelifche S y stem , (dessen W iderlegung der bes­ sere Theil des Geschlechts m ir erlauben wird auf «ine andre Zeit zu «ersparen, oder vielmehr un­ serm Ludwig selbst in der Folge bey glücklichern E rfahrungen zu überlassen) E s versteht sich, daß er dies System nicht au f einmal in seiner ganzen R auhigkeit, sondern nur stufenweise vor­ tru g , itm nicht plötzlich L u d w ig s besseres G e­ fühl zu empören. W ie wollte es auch möglich gewesen seyn, dasselbe einem Jünglinge annehm­ lich zu machen, der immer das herrlichste Id e a l, d as B ild seiner vorireflichen M utter im Kopfe, dabey die höchste M einung vom weiblichen C ha­ rakter g efaß t, und seine Liebe zu J u lie n im H er­ zen hatte! Allein nnmerklich gewöhnt man sich, auch die empörendsten Satze wenigstens kaliblü-tig anhören zu können, und dann ist schon viel gew onnen, für den, welcher uns diese Sätze aufdringen will. Einige Menschenkenntmst schien denn auch immer au s w a stc rh o rn s Deklam ation

hervorzuleuchten; das war Ludwigs Stecken­ pferd ; und so gelang es dann dem Lehrer nach und nach Seelbergen wenigstens aufmerksam und ihn glauben zu machen, der schlechtere, vielleicht gar der größere Theil der Frauenzimmer kenne diesem Bilde in einigen Zügen gleichen, beson­ ders in den S täd ten , und seine Mutter und Ju lie seyen wohl mir Ausnahmen — Und dänn kamen gewöhnlich kleine Erzählungen von alten Erfah­ rungen, auch hie und da ein Brocken anS einem großen Schriftsteller, der irgend clwas Witzigeüber die Unbeständigkeit der Weiber gesagt hatte; der neue2lmaOts erschien in dieser Zeit, mit dem M o tto : In muliebrcm levitatem ab auctoribus passim multa fcribtmtur; Der tjofmctficr

laö die angenehmsten, schönsten Stellen daranvor, und empfohl dies Werk Seclbergen, der demselben dann auch seinen Beifall nicht versagen konnte; Don Zeit zu Zeit fügte eS sich auch wohl, daß ein Buch, in welchem «»keusche Scenen mit lebhaften Farben geschildert waren, oder ein solches, in welchem mit den Grundsätzen der M oral leichtsinnig gespielt wurde, als wie von vhngefehr, aber durch Zulassung des Herrn w asterhorn, in L u d w igs Hände kam, oder daß

D ieser, bey der geringen Sorgsamkeit ves ^of» Meisters in solchen P unkten, in G bttingen in Vertraulichkeit m it jungen Leuten gerieth, die m it ihren Ausschweifungen p rallen , sich Gunst« bezeuguugen von Frauenzimmern rühmten, oder sonst schaamlos und unbescheiden redeten, au s­ schweifend lebten, und doch dabey liebenswür­ dige, glänzende Eigenschaften hatten, angenehme Gesellschafter w aren, und ihren Verirrungen ein Gew and von interessantem Leichtsinne geben konn­ te n ; Welche» Eindruck dann dies alles endlich au f die M o ralität unsers jungen Menschen machte, das brauche ich wohl nicht zu entwickeln, doch w ar er noch nicht in der T h at abgewichen voin W ege der T u g en d , aber er fieng an nachlässig, sorglos und unvorsichtig auf diesen, Wege fortzuschlendern, ans welchem er so wenig Gefährten zu haben glaubte. E r sah so V iele, und unter Diesen so viel allgemein geachtete und geliebte M enschen, einen andern, dem-Anscheine nach blum ichtern, reizendem W eg lustwandeln, da hingegen au f seinem «insamern Pfade kein Freund ihm zur S eite gieng, der ihm die H and geboten und seinen E nthusiasm us, das Ziel zu erreichen, und sollte auch nur er allein es erreichen, ange»

M4 feuert Kälte. W enn er sich also jetzt noch nicht zu unwürdigen Handlungen erniedrigte; so kam das daher, weil der sanftere G enius der Liebe noch über ihm schwebte, weil S chaam und Schüch­ ternheit, die so manchen edeln Jüng lin g vom ersten Schritte znm Laster abhalten, gegen böse An­ reizungen ran gen , und weil die verführerische Gelegenheit ihm noch nicht so nahe ful> gezeigt h atte , daß sein Temperam ent über die Habiküde gut zu handeln gesiegt h ä tte ; denn von seinen Grundsätzen wollen wir gar nicht red en ; die w ankten; der G laube an Tugend und Treue unter den Menschen au f dieser Erde wurde immer schwächer, und dies um soniehr, da endlich, nach langem W arle» , die längstgewünschle Ant­ wort von dem Z räulcin von G rä y ankam ; S ie lautete also : „M ein lieber H err von S eelb erg!" „ I h r werther B rief hat mich ans eine äuget „nehme Art überrascht; Ic h würde m ir längst „d as Vergnügen gemacht haben, darauf zu ant» „W orten, wenn nicht eine M enge Zerstreuungen „mich davon abgehalten hatten. S eit vierzehn „T ag en ist der Herzog v o n '* * hier, und da [1721

„giebt e» täglich B ä lle , Jagden, „K om ödien und dergleichen.

D ejeuners,

Vorgestern barten

„ w i r tiiic n bat cn masquc hier im i£d)(rft"v; „gestern gab der Obermarschall eine prächtige „ f u t c , nnd heute haben m ir bey der Gcheimen„rä th in n von eetm von rvallenhoh, die mitten durch seine lächerlichen ©eiten hindurchschimmerten, ja! durch dieselben nur «och mehr Erhöhung (ich mögt« lieber Re­ lief sagen) bekamen, unsern Seelberg ganz fLr ihn und seine Familie einnahmen. Diese Familie nun bestand aus einer «ackern, treueni&uwfrao und zwey heirathsfähigen Töchtern. Die Eine,

M arie , wurde von Storrmann geliebt, der, ohngeachtet feines leichtsinnigen Charakters, doch damals ernsthafte Absichten auf sie zu haben schien, und Luise, die jüngste — Doch, wie wollen erst ihr Portrait entwerfen.

US giebt eine gewisse edle, heilige Simplizi­ tä t und Reinigkeit des H erzens, die so innig froh, glücklich, friedenvoll macht, und dabey, ohne sich ihrer eigenen Größe bewußt zu seyn, mit so viel Anmuth und Hoheit auS jeder Miene hervorstrahlt, daß auch der verächtlichste Spöt­ te r, dem Religion und Tugend eine Thorheit sind, bey dem Anblicke dieser in unsern Tagen so seltenen mmschliche» W ürde, zu stummer Be­ wunderung hingerissen w ird; Diese himmlische Unschuld ruhete auf Luisen» Antlitze, S ie war schön; ob Zug vor Zug, nach dem Maaßstabe de» Zeichner», da» weiß ich nicht; aber wa» kann schöner seyn, al» eine angenehme Bildung, die durch jugendliche Blüthe (Luise war achtzehn Jah re alt) interessant, und durch Adel der Seele erhöhet wird? Sie hatte gelbe deutsche Haare und blaue A ugen; I n allen ihren Geberden herrschte eine unnachahmlich natürliche Grazie, die doch auch nicht da» Mindeste der Kunst abge­ lauert hatte; Sie war in einem einsamen Kloster, «her unter guten, einträchtigen, frommen M äd­ chen, erzogen worden, erst seit wenig Wochen wieder im väterlichen Hause, und also ganz un­ bekannt mit den Verderbnissen u n d , zu ihrem i23y

Glück«, auch mit d«m eigen«« Gefüble der man« cherley Leiden dieser Welt. Noch hatte ihr Herz keinen einzigen geheimen Wunsch gehegt, keine heftige Leidenschaft die Ruhe ihrer sanften Seel« -estöhrt, keine Kränkung von andern Menschen ihre heitre Laune verstimmt, kein Gram und keine Art von Unregelmäßigkeit, bey der einfache sten Lebensart, an der Knospe ihre» Lebens ge« nagt. Die einzigen trüben Augenblicke machte ihr der Anblick fremder Noth; D a half sie dann, wenn sie konnte, oder tröstete, oder wo sie bei« des nicht vermochte, da trauet« sie auf den all« mächtigen und allgütigen Tröster aller Leidenden, der warme Winde wehen läßt, wenn das Schaf geschoren ist. Don der damals Mod« werdenden ekelhaften Empfindsamkeit wußte sie so wenig, als von btm furore—-anglicano; S ie schmolz nicht in Wonnegefühl dahin, fiel nicht in Ohnmacht, wenn eine Fliege ertrank, und hatte nie mit Sieg» wart gewinselt, noch mit Ophelien geraset. S ie war stets fröhlich und glücklich , dabey von je« dermann geliebt und gegen jedermann wohlwol, lend und zutraulich. Ein unbefangener, Heller Verstand, ohne Schnörkel der feinen Modekul» kur, eintreffender, origineller W itz, der sich auf

die bezauberndste Weise, nicht zu oft und nicht zu selten, aber immer am rechten Orte, in den «aivesten, humoristischen Einfällen ergoß und nicht«'» einziges Bildchen erborgte, eine richtige, vnbestcchene Beurtheilungskraft, und endlich eine gänzliche Plan - und Anspruchlofigkeit — DaS alles machte Luisen zu einem seltene« Phänomen in unsern Zeiten. Ludwig hatte, wie bekannt, sehr nachthei­ lige Begriffe vom weiblichen Geschlechte gefaßt; Er war dabey ausschwrffend, und zwar systema­ tisch , denn überzeugt, daß jeder Mensch nach Gefühl handle und handeln müsse, glaubteauch er, es nicht ändern zu können, seinen Trieben zu folgen. Seit einiger Zeit hatt« er sich von allem Umgänge mit gesitteten Frauenzimmern zu­ rückgezogen , und gerieth er ja irgendwo in eine solche Gesellschaft; so führte er sich nicht (wie ehemals, als er weniger Prarin hatte) scheu und verlegen; sondern mit einer artigen, lie­ benswürdigen Frechheit auf, mischte verächtliche, bittre Anspielungen auf den Leichtsinn der Wei­ ber, auch nicht selten Zweideutigkeiten in seine Gespräche, und da er leider i in einem Zirkel von

*i6 Damen gewöhnlich ein paar fa n d , die dies« Scherz nicht nur verstanden, svndera auch wohl Freude daran hatten; so wurden fein« Begriffe von der Tugend de- andern Geschlecht- dadurch nicht erhöhet. Hier n u n , wo er uebst S to rr» m ann den größten Theil des T age- mit M a n e n und Luisen und andern jungen Leuten au- der Nachbarschaft allein zubrachte, indeß di« Alten, nahe am O fen, von Krieg und Frieden , von g u t« und böse« Zeiten und dergkeichen sprachen, wollte er auch sein« gewöhnlichen To« von muthwilligem Scherz« anstimme»; allein er sah, daß diese Art von Witz hier am unrechte» O rte stand, und Der (Brost welcher theil- bekannter mit der Denkungsart, die hier herrschte, theils auch wirklich fär sein Alter schon ein feinerer W eltmann w a r , machte ihm bald begreiflich, daß er umlenken müßte. »Also «ollen die txO» »den Mädchen die unschuldigen Vestalinnen spie­ gle«? ' sagte L udw ig Abends, als sie aus ihrem Zimmer allein w aren, zu S to rrm an n . » D u «wirst schon selbst sehn antwortete Dieser. « Ic h «kann D ir nicht- weiter sagen, aber, wennnoch «irgendwo Unschuld und Tugend herrsche«, sey « e - au« auö feste» Grundsätzen oder auö glüch»

4I7 «licher Unwissenheit; so findest D u fie hier. Ic h «tmfl wohl glauben, daß diese Mädchen »er« «führbar sind, wie alle Andern; aber wehe dem, «der einen unedel« P lan auf fie machen könnte! « Ic h habe tausendmal in dem Umgänge mit die« «sen engelreinen Geschöpfen meine Erfahrungen, «meine Menschenkenntniß und, grade herauSge» « sa g t! meine Verderbnisse verwünscht. Wie «glücklich müßte «in M ann seyn, der, wenn er, «noch nicht, wie wir, an immer wechselnde, grobe, «fianliche Freuden gewöhnt, noch nicht daS Gefühl «für Unschuld und Einfalt verlohren Hütte, ein «solche-Weib zur G attinn w ühlte!" — »und «m it ihr in eine Wüste zöge, damit fie nicht in «den «rsten-Monaten de- erbauliche« Ehestan« «des von Andern bessern Unterricht bekäme" fiel ihm Seelberg in die R ede, und fügte noch man­ ches auf seine M anier hinzu, um den G rafen zu überzeugen, daß blos die (obgleich eine- so auS« gelernten Weiberkenners unwürdige) Liebe zu M arien ihn zu der lächerlichen Schwärmerey »vn Glauben an Unschuld und Treue verleitete; daß er allenfalls zugestehe» woll« , daß beide Fräulein voow allenhoh noch ohnverderbteSit« tm und Grundsätze hätten; daß es aber an nicht-

als an Gelegenheit nnd Verführung fehlte, tun ans ihnen zu machen, was alle Uebrigen wären. „Unbwtr läugnet das?" riefStorrm -im »Ha» „bm S ie nicht Fleisch und B lut? Aber soll ich „deswegen weniger ein schönes Kleid bewundern, „in Acht nehmen und seiner schonen, weil eS „leicht möglich ist, daß boshafte Menschen mir „muthwilliger Weise Flecken darauf machenkön» „neu? Resprktirr wenigstens die glückliche Un, ..wissenheit, und mache keine Jagd auf diese „Mädchen, solange es noch genug Andre giebt, „deren Herzen schon von den Verderbnissen deö „Zeitalter- angesteckt finbl“ Ludwigen waren diese Grundsätze gewiß we» der fremd, noch zuwider, nur wunderte eS ihn, den leichtfertigen Grafen also deklamiren zu hören. Allein schon am folgenden Tage empfand er mit Beschämung, daß S torrm ann ihm nicht zu viel gesagt h a tte ; Luise machte sehr lebhafte Ein» drücke auf ihn, Eindrücke von Verehrung und Bewunderung, die auf einmal das Andenken an seine verstorbene edle M u tter , daS nun lange tu seiner Seele geschlummert hatte, lebhaft her, »erriefen. D ie, ich mögte fast sagen ansteckende

SI*

Güte de- holden Mädchens ließ ihn znm ersten» mal feit geraumer Zeit wieder etwa» empfinden, das GewissenSvorwürfen und einem Wunsche «ach Rückkehr zur Tugend ähnlich war. E r fühlte sich innerlich tief unter Luisen, und seine krastma»::ischr Selbstgenügsamkeit, die Erhaben­ heit, womit sein hohes Genie über alle mittel­ mäßigen Erdrnsöhne und Töchter hinwegzusehn pflegte, neigte wider Willen ihr Haupt vor der einfachen, prunklosen Würdigkeit eines M äd­ chen-, das weder gelehrt w ar, noch übermäßig klug zu seyn schien — S o sicher triumphiren Gradheit und Einfalt, und nöthigen Bewunde­ rung und Huldigung selbst den Verächtern und Spöttern der Tugend ab. Allein eben dieser Grad von hoher Bewunderung, wovon Luv« rvig für das jüngste Fräulein von w allenhol; erfüllt wurde, zog eine Grenzlinie zwischen ihm und ihr, und verhinderte, daß sein H er-dam als nicht eigentlich Lieb« für sie empfand. Die Bemerkung, Freundschaft unter Personen, deren eine von irgend einer Seite ein merkliche- Uebergewicht über die andre h at, nicht leicht vertraulich, enge geknüpft werden, noch

dauerhaft S ta n d halten könne, ist ziemlich a lt und gemein; O b das Nemliche in allen Fälle« von der Liebe zu sagen sey, w ill ich nicht ent­ scheiden ;

M a n hat da freilich Beispiele, daß

der blinde G o tt zuweilen Herzen von sehr ver­ schiedenem W erthe, M a a ß und Gewichte fürein­ ander in Flammen setzt; aber dennoch getraue ich m ir zu behaupten, daß, wenn das geschehen s o ll, alsdann die Eitelkeit dem geringern Theile an eingebildetem W erthe zusetzen müsse,

w as

ihm an wahrhaftem abgeht, so daß er sich, in der B erblend u n g , von manchen Seiten eben so hochschätzen zu dürfen g la u b t, als die Person, welche er liebt.

W o hingegen die innere Ueber­

zeugung unö immer sagt, und e» nicht verbergen kann, wie wenig w ir im S tande sind die Höhe zu erreichen, a u f welcher w ir den andern Gegen­ stand erblicken; da kann vielleicht Bewunderung, aber es w ird da nie Liebe S ta t t finden.

M an

liebt nicht ein Wesen, an welches man immer hinaufschaue» m u ß ,

wenn die geheime Furcht

übrig b le ib t, es mögt« dasselbe sich nicht -e r« «ach uns Herunterbücken wolle«.

DaS allgewaltige Gefühl der Liebe also, welche- Ludwigen einst zn Julien hingerissen hatte, empfand er itzt für Luisen nicht; aber dagegen ein Behagen, eine Wonne in ihrem Um­ gänge, die unbeschreiblichiüß war. Er wagte es, von dem zweiten Tage an, kaum mehr mit Storrmannen von ihr zu reden. Ware- Verle­ genheit darüber, da- er nicht wußte, wa- er mit dem Systeme seiner freien Grundsätze itzt anfangen sollte, oder wa- war eö? — genug! er nannt« ihren Namen nicht, dankte aber dem Grafen mit Wärme dafür, da- er ihn mit diesen guten Leuten bekannt gemacht hätte, und ver­ sicherte o ft, er sey in Jahr und Tag nicht so zufrieden gewesen, als hier. Auch zeigte er dain seinem ganzen Betragen ; Seine Laune nahm wieder eine sanfte, gefällige Wendung; Er war milder in seinen Manieren; Seine Unterhaltung hatte Lebhaftigkeit, ohne in wilde Fröhlichkeit auszuarten, sein Witz war gewürzt, ohne Sa­ tyr« und ohne Zwang, und Luise, das gute, sanfte, unschuldige Mädchen, fühlte, hingeris» fm von den wahrlich bezaubernden Annehmlich­ keiten unser- jungen Menschen, zum erstenmal in ihrem Leben, ein« so heftige Leidenschaft für

2LL

ih n , daß jfc beinah» nicht Meister über stch war, dies vor aller Leute Augen zu offenbaren. S ie, die fast aus der Wiege in das Kwstcr war ge« bracht worden, dort, ausser einen a lten , gar» stigen, schmutzigen Beichtvater, dem sie die Hände hatte küssen müssen, und ausser einem paar Vettern der Priorinn, davon der Eine ei« Tölpel von Juristen auS Erfurt, der Andre eia Windbeutel von Offizier, nie mit einer Manns« perfon länger alö vielleicht eine Stunde lang um» gegangen, und nun erst seit wenig Wochen in dem einsamen väterlichen Dorfe wieder angekom» men w ar, konnte wohl freilich von einem liebens­ würdigen jungen Menschen, wie man denn doch wirklich Seeibergen dafür anerkevnrn mußte, und der sich aller V orteile einer feinen «nd ge­ lehrten Erziehung bediente, um sich von einer glän­ zenden und gefälligen Seite zu zeigen, eingenom­ men werden. M it der ihr so eigene» Offenherzig­ keit bekannte sie M arien, die Thränen in den An­ gen, ihre Schwachheit. Diese (ich habe vorhin kein Gemälde von ihr entworfen) war an Vorzüge« des Kopfs und Herzens weit unter ihrer Schwe­ ster, aber ein sehr wackre-, interessantes, auf­ geweckte- und braves Mädchen, doch, beystren«

22Z ger Tugend, mehr m it der W e lt bekannt, w eil sie in W irzburg bey einer V erw andtinn w a r er­ zogen worden.

S ie riech J e n e r, dieEmpfindnn»

g m ihres Herzens nicht offenbar werden zu las» sen, wenigstens nicht eher, als bis sie erforscht haben w ürde, ob Seclberg gleiche Triebe fü r sie fü h lte ; Luise versprach es; aber fremd m it allein, w as Verstellung ähnlich sah, blieb der Zustand ih re - Herzens doch nicht lange ein Geheimniß vo r den beiden Jünglingen.

Indessen muß ich

es Seelberge» zur Ehre nachsagen, daß er diese Entdeckung nicht aus dein Gesichtspunkt einer

Lonne avanture ansah, sondern daß er gerührt von zärtlicher, hochachtungsvoller Dankbarkeit, daß sein Umgang m it Luisen von dem Augen­ blicke an w ä rm e r, aber ehrerbietiger w urde, und daß kein unedler Gedanke dabey in sein Herz kam. Welch' ein herrlicher, glücklicher Zeitpunkt wäre das fü r ihn gewesen, wenn solche sanftere E in ­ drücke hätten festere W urzel

schlagen können,

wenn er den Umgang m it diesem vortreflichen Mädchen nicht so bald wieder hätte entbehren müssen, wenn dieser Umgang ihn wieder a u f de« W eg der Tugend zurückgeführt, und ein treuer, weiser und redlicher Freund diese glückliche S tim «

mutig genützt hätte, um ihn dann im Guten zu befestigen I allein eö sollte nicht alst» seyn; Wenig Tage noch konnten die jungen Leute auf dem Landgute deS F errit von wallenholz verweilen, und diese Tage strichen für All« nur zu kurz dahin. Unterdessen fieng Seelberg in der T hat selbst an , zu glaube», auch er liebe Luisen; E r fühlte, wie sie ihm jeden Augenblick interessan­ ter, und wie schwer es ihm wurde, sich von ihr zu trennen; E r bekannte dies dem Grafen S to rr» m ann; aber eben die- Bekenntniß «nd die ruhige Gemüthsverfassung, in welcher der junge Herr dabey w a r, sagten Diesim ( d e r, so wie w ir, besser wußte, welche Symptome die Liebe, bey einem so feurigen Jünglinge als Ludwig w ar, zu zeigen pflegt) deutlich genug, er betröge sich und ihn. S to rrm an n war so redlich, seinen Freund zu beschwören, er solle wenigstens das gute Mädchm nicht täuschen, welches Dieser denn auch versprach und hielt. S ie trennten sich also, ohne «ine Erklärung; Luiseweinte die ganze Nacht durch vor der Abreise deö Geliebten, und hatte alle Mühe bey dem Abschiede, indem sie, ans ihrer Schwester dringendes B itten, sich zu­ rückhielt, vor innerm Kampfe nicht in Ohnmacht

22 5 zu sinken. Ludwig ersuchte sie ehrerbietig und zärtlich um das Glück, m it ihr einen Briefwech­ sel zu fähren, und bat die Eltern um die E r­ laubniß, bald einmal wiederkommen zu dürfen; Beides wurde ihm au f die freundlichste Art ge­ stattet , und die jungen H errn ritten nach G örtingen zurück. H ier nun gerieth S eelberg wieder in seine vorige leichtfertige Gesellschaft und wirthschaftete a u f den alten Fuß fort, doch versäumte er nicht, de» Briefwechsel mit dem F räulein von w allen» hol» anzufangen, und so cft ein p aar Zeilen von ihr ankamen (die immer in den Ausdrücken w ar­ mer Freundschaft, nicht ausserordentlich schön, aber gut und natürlich geschrieben w aren) redete er m it S to rrm a n n e n von den beiden S c h w e ­ stern , versicherte, er denke ohne Aufhören an L u isen , liebe sie zärtlich, habe sich fest vorge­ nom m en, seine Lebensart zu än d ern , und wünsche sich kein größeres G lück, als einst eine solche G attin n zu besitzen. D er G r a f antwortete nicht viel au f dergleichen, wurde auch bald darauf ohnvermuthet von seinem D aker, der auf den» Todtenbette l a g , zurückberufen, und L u d w ig

P [243]

»erlohr dadurch den Umgang eines Freundes, der' unter den übrigen jungen Leuten seines Zirkels gewiß einer der Besten w ar. Um aber die Leser m it den fernern Schicksa­ len dieses Jü n g lin g s , der noch oft in unsrer Ge­ schichte wieder auftreten w ird, bekannt zu m a­ chen ; füge ich Folgendes hinzu : D er junge G r a f kam kurz vor seines V aters Abschiede von der W elt zu Hause an ; DeS redlichen Greises w arnender, liebevoller Zuspruch au f dem Sterbe­ lager ; nachher der Umgang m it seinen Geschwi­ ster» und Verwandten , die insgesamt verstän­ dige und redliche Leute w are n , verbunden m it den guten Vorsätzen, die er schon, seit er M a ­ rien v o n w allen h o ft liebte, in der S tille gefaßt, und die e r, vielleicht auS einer A rt von falscher S c h a a m , vielleicht au s Ungewißheit, ober stark genug seyn w ürde, diese guten Vorsätze auszufüh­ re n , vielleicht auch endlich deswegen verschwiegen h a tte , weil er glaubte, es sey besser das G ute zu th u n , als viel davon zu reden; das alles wirkte in ihm eine gänzliche Aenderung des S in ­ nes und der Aufführung. E r fieng a n , sich ernstlich seiner häuslichen Geschäfte anzunehmen;

tewarb sich um eine Bedienung im Lande, und erhielt dieselbe; Nützliche Beschäftigungen tbdten die Laster, welche Müßiggang oder herumschwei­ fende Thätigkeit erzeugt haben; Nachdem er ein­ mal eine Zeit lang auf diesem guten Wege mit festen Schritten fortgewandelt war; dachte er daran, sich zu verheirathen; Er bot seine Hand Marien an, erhielt von ihr und den Eltern das Jawort, holte sie ab und Luise zog, mit Be­ willigung von Vater und Mutter, zu denjungen Eheleuten, weil die beiden Schwestern sich nicht gern trennen wollten; Dies alles gieng binnen etwa neun Monaten vor; Srorrman» wurde ein treuer Ehemann und guter Hausvater — und nun wieder zurück zu Ludwigs von Seel» berg Geschichte!

Dreizehntes Kapitel. ^ndeß die Anzahl von Ludwigs Gesellschaftern ^ durch die Abreise des Grafen von Storr mann vermindert wurde, bekamdieselbevon einer andern Seite einen nicht gar glücklichenZuwachs durch ein paar Liefländer, welche, von einer andern Universität getriebenen Unfugs wegen

22Z

verwiesen, während S eelb crg s Lustreis« , in Göttingen angekommen, m it A lw errh in B e­ kanntschaft g erath en , und von demselben den übrigen lustigen Freunden vorgestellt worden w a­ ren. Diese suchten L u d w ig s Umgang angele­ gentlichst, und er gefiel sich deswegen bey ihnen, weil sie sehr gute Toukünstler w aren, und m an­ chen W interabend m it ihm durch Musik verkürz­ ten. Ausser diesem Talente ab er, das freilich auch oft von den elendestenund schwächsten M en­ schen m it Erfolge kultivirt w ird , hatten dies« beiden liefländischen Edelleute gar kein Verdienst; S ie waren ausschweifende J ü n g lin g e , ohne Grundsätze und ohne Adel deS Herzens — H ier erlaubt m an mir einen kleinen Seitensprung! W enn ich gesagt h a b e , daß man ein guter Toukünstler und doch dabey ein sehr unedler und dummer M an n seyn könne; so habe ich zw ar, w as den ersten Punkt betrifft, das gemeine Do> urtheil aller enthusiastischen Liebhaber dieser schö­ nen Kunst gegen m ich, indem Diese 311 behaup­ ten pflegen: es sey schon «in Merkzeichen von einem guten H erzen, wenn jemand Geschmack und Gefühl für M usik habe; allein ich nehme

dennoch, und obgleich ich selbst Musiker b in , mein W o rt nicht zurück.

Freilich mag nach bett

gemeinen B eg riffe n , die man m it dem Ausdrucke:

ein gutes H e r; haben, verbindet, jene Behaup» tung w ahr seyn.

Wenn man nemlich eine ge­

wisse Reizbarkeit der N erven, vermöge welcher sie leicht allerley wahre und falsche, schädliche und nützliche Eindrücke annehmen , eine natür­ liche , von schwachen O rg a n e n , sanguinischem Temperam ente, inconsequenter Erziehung und eigener Verzartlung herrührende, weibische Weich­ lichkeit ,

Lenksamkeit und Empfindsamkeit m it

dem Ehrenttamen eines guten Herzens belegen w i l l ; so mag meinetwegen jeder Fidler und P fe i­ fer den sichersten Anspruch a u f dies Lob machen dürfen.

Wenn man aber ein gutes Herz ei«

von nüchterner V e rn u n ft geleitetes inneres B e­ streben nennt, ein Bestreben, alle seine Hand­ lungen so einzurichten, daß w ir gegen uns und Andre immer gerecht, grade und edel handeln; dann sehe ich nicht e in , was das Geigen und Blasen darauf fü r E influß haben kötine. w as die Idee b e tr ifft,

Und

daß ein guter Musiker

durchaus ein ofnerKopfseyn müsse; so läugne ich schlechterdings, daß dies gewöhnlich der F a ll bey [2471

2Z0 den blos ausübenden Tonkünstlern sey,

und

wären sie noch so geschickt, auch könnte ich diedurch manche Beispiele darthun.

Redet m an

aber von großen Tonsetzern, die tiefe Blicke in die höhere Theorie und P ra xis der Kunst gethan haben; dann gebe ich da- gern zu, und ehre den philosophischen Künstler in allen Fächern, w o ich ihn antreffe — D o c h , wohin fü h rt mich meine Feder? und w as w ird mein H e rr Verleger dazu sagen, der mich bogenweise bezahlt? — Lenken w ir geschwind wieder e in ! —• D ie

beiden liefländischen Edelleute waren

schlechte, liederliche Pursche, aber angenehme Gesellschafter;

L u d w ig fühlte d a - Bedürfniß

der Geselligkeit; 0>torrm «nrt w ar f o r t ; A lw e rrh wurde D o k to r, und gieng auch in seine V a te r­ stadt zurück; Luisens B ild in Seelbergs Herzen »erlohr immer mehr von der Lebhaftigkeit feiner Farben, seitdem er nicht mehr so o ft von ih r m it Dem G ra fe n reden konnte; E i» Btiefwechsel, der fich monatlich a u f höchstens drey B riefe und die Antw orten darauf einschränkte,

w a r nicht

hinreichend, das Feuer wieder anzufachen; und so verloschen denn nach und nach die guten E in -

[2481

drückt wieder, welche die Bekanntschaft mit die­ sem herrlichen Geschöpfe auf ihn gemacht hatte. Dazu kam, daß seine ökonomischen Umstände fich nicht in der besten Verfassung befanden. Er war nie sparsam gewesen, und als sein neuer Vormund, der Advokat Gerlach, ihm eine sorgsame Hauswirtschaft anempfohl, weil der gegen seine Verwandten verlvhrne Prozeß ihn um tie Halste seiner Einkünfte gebracht hatte; wurde eS ihm nicht nur schwer, von der einmal ge­ wöhnten Lebensart nachzulassen und manchen Bedürfnissen zu entsagen; sondern eS drückten ihn auch noch alte Schulden, die er in der letzten Zeit von Wasserhorns Führung , ohne Vorwisfen desselben, gemacht hatte. Da ihn dies in vielfache Verlegenheit setzte; so wendete er sich endlich an den Herrn Gerlach und forderte , in Ausdrücken, wie ein junger Cavalier fich zuwei­ len derselben gegen einen Advokaten bedienen z« dürfen erlaubt, einen ziemlich ansehnlichen Geld­ zuschuß; allein Jener antwortete, in dem Ton eines Vormundes , und erklärte sehr deutlich: »er könnne, ausser der ihm ausgesetzten Summe, »nicht einen Heller schicken, und wenn der junge „ Herr Lust habe, sichzum Bettler zu machen; so

[2491

2Z2 ..müsse er damit Anstand nehmen, bis er voll„bärtig sey, oder sich veniam aetatis geben lass „sen, wozu er gern die Hände biete« wolle." L udw ig gerieth fast in Verzweiflung über dies fen Bescheid; E s fehlten noch eilf Monate um die Anzahl der Jahre voll zu machen, die itt seinem Baterlande zu Erlangung der venia xtatis erfordert wurden, und da ein zweiter Versuch, den Vormund zu Zahlungen zu bewegen, eben­ falls fehlschlug ; so wurden die Gläubiger mit guten Worten hingehalten. Allein sie murrten, drängten immer mehr; und so mußten sie dem» mit terminlichen Zahlungen auf kurze Zeit abge­ speiset werden. Hierauf giengen die wenige» Baarschaften h i» , Seelberg war fast immer ohne G eld , mid mußte, zu Befriedigung sei­ ner nöthigsten Bedürfnisse, täglich neuen Kredit suchen. Eine unordentliche Haushaltung wirkt, wie bekannt, sehr nachtheilig auf die M oralität eines Menschen; Ludwig fand zu Hause Langeweile, Ueberdruß, und suchte, damit er die unange, nehmen Gedanken zerstreuen mögte, Gesellschaf­ ten; Um in feinen Stadtzirkeln willkommen zu

2ZZ

seyn, muß man freie, heitre Laune und ein ge» wisse-, aus Kleidung und andern anssern D in ­ gen hervorleuchtendes Ansehn von W ohlstand m itbringen; E s bleibt nicht lauge verschwiegen, wenn wir in ökonomischen Verlegenheiten stecken, «nd in der heutigen W elt ist diese Entdeckung hinreichend (ohne daß untersucht w ird, ob wir daran Schuld sind, oder nicht) ;u machen, daß w ir uns Andern, die in glünzenderm Aufzuge er, scheinen, nachgesetzt sehen niüffen. Ei» ehrgei­ zige- Gem üth ab er, d a- von mancher Seite sich weit über die Reichsten erhaben fü h lt, oder zu fühlen glaub t, vertrügt dergleichen Zurücksetzung n icht, und da alle diese Umstände bey S eelb er­ gen eintraten; so floh er gesittete Gesellschaften, «nd suchte die liederlichen, ungesitteten auf. Diflipat Euius curas edaces, das h e iß t: der G o tt des W eins verscheucht die nagenden S o rg en ; S eelb erg nahm seine Zuflucht dahin, und fieng also a n , zuweilen ei« Glüsgen über Gebühr zu trinken, wovor er sich bis itzt gehütet hatte; und wie dann der Wei» manche andre Begierde rege zu niachen pflegt; so gerieth er bey dieser Lebens­ a rt immer tiefer in das L abyrinth, stand fast irden M orgen mit Reue au f, und sammletedoch

2Z4 jeden Abend wieder neuen Stoff zur Reue.

Kam

ein Brief von Luisen an; so erwachte wohl das Gewissen um desto plötzlicher; aber diese Eindrücke waren vorübergehend.

Jeder ehrenfeste Mann in

Gbttingen sagte: „Schade um den jungen Men„schen, daß er so liederlich ist! Er hat viel gute „Eigenschaften."

Aber nicht Einer fand sich,

der sich die Mühe gegeben hätte, den Quellen seines Verderbnisses nachzuspüren, und ihm mit Rath und That beizustehn; sondern man that, was man leider! gewöhnlich in solchen Hallen thut, nemlich, man begegnete ihm mit einer Art von Geringschätzung, die ihn nicht besserte, son­ dern nur noch mehr gegen die Menschen, gegen das Schicksal und gegen sich selbst erbitterte. Merket es Euch, Ih r gestrengen Herrn! Durch Verachtung ist nie, so lange die Welt steht, noch kein Mensch gebessert worden, aber Mancher ver­ schlimmert; und wer gar einen Jüngling von großen Anlagen, noch erst auf halbem Wege, im Begriff an den Abgrund hinzuirren, durch Verachtung von sich stößt; der ist Mitschuldiger an seinem Verderben, wenn er zu Grunde geht.

[2521

S o stand es mit Seelbergen, als ihm S to rr mann seine nahe Verbindung mit M arien berich­ tete , und daß er im Begriffe, sey , zu seiner Braut zu reisen. Er lud seinen Freund ein, das Hochzeitsfest auf wallcnholw "» Gute mit zu feiern; allein durch einen Zufall wurde der B rief auf der Post aufgehalten , und L udw ig bekam ihn so spät, daß, obgleich er augenblick­ lich nach dem Empfange desselben sich auf den W eg machte, er doch dem Feste nicht mehr bei­ wohnen konnte, sondern die jungen Leute aus dem Punkt fand, zwey Tage nachher abzureisen. Diese Zeit war indessen hinreichend, Storrm an­ nen und Seelbcrgen gegenseitig die Veränderun­ gen wahrnehmen zu lassen, die in dem Herzen eines jeden von ihnen vorgegangen waren. L ud­ w ig sah in des Grafen Mienen und in seinem Betragen eine gewisse Würde und ruhige Heiter­ keit , die nur ein gutes Gewissen und innerer Frieden gewähren können. Diesem hingegen blieb es nicht verborgen, daß seines Freunde» sittliche Verschlimmerung auf seinem Gesichte ge­ schrieben stand; Beide Bemerkungen aber verfiimmten sie unter einander. S ie konnten nicht zusammentreffen; D ie Harmonie, welche ehe-

2Z6 mals durch die Achnlichkeit ihrer Jdeengänge und ibres Geschmacks enistand, war verschwunden. Srorrmann wußte nicht recht, was er seinem Freunde darüber sagen sollte; die Zeit war zu kurz, um eine Kur mit ihm anzufangen; Er begnügte sich also, ihn bey dem Abschiede auf die Seite zu rufen, und ihm ein paar liebevolle Worte an das Herz zu legen: „Lebe wohl, Seel« „betet! ‘ sprach er „Ic h hätte D ir wohl vieles „zu sagen ; aber es geht nun in der Eile nicht. «Ich habe Dich sehr verändert gefunden, und D u „mich auch; nicht wahr? Mögrest D u Dich so „w ohl dabey befinden, als ich! Ich beschwöre „D ic h , gehe keinen W eg, dessen D u Dich nicht „noch spat freuen könntest, nachdem D u ihn „zun'ickgelegt haben wirst! Kehre um, weil es „noch Zeit ist u n d , traue m ir! es wird Dich „nicht reuen. „ich bin.

D u siehst, wie froh, wie ruhig

Fliehe nicht das Vergnügen; aber

„wirthschafte damit, und verschwelge nicht Deine „Jugend, Deine Kräfte und Deine herrlichen „Talente!

Ich kann aus Erfahrung reden;

, Allein Du wirst so glücklich werden , als ich es „jetzt bin, wenn D u dies Glück nicht von D ir „stößest.

Luise liebt.Dich unaussprechlich; S ir

2Z7 „ist

Deiner

ganzen

„ tu n g w ü rd ig , und

Zärtlichkeit und Hochach-

sie ist

schön und reich.

ES

„h ä n g t von D ir a b , mich zu vermögen, daß ich „ü b e r sie w ache, und D ir dies Kleinod aufbe» „w a h re ; aber denke auch, daß eS meine P flich t „ is t , fü r das solide Glück meiner Schwester zu „sorgen; und eher müsse die unglückliche Seit „denschaft so lange an ihrem Herzen nagen, bis „d ie Zeit die Wunde h e ilt,

ehe ich sie einem

„M a n n e aufopfern w o llte , der Ih r e r nicht w ü r„d ig wäre.

Und n u n , mein Lieber! umarme

„m ic h ! Verzeihe, daß ich so deutsch vom H er„zen weg geredet habe! D och, D u bist m ir theuer, „u n d w irst auch abwesend an m ir den wärmsten „F re u n d , aber auch einen unsichtbaren Beobach» „ ter haben.

D a s Uebrige müsse« w ir nun schrift»

, lich verabreden, da D u nicht früher hast kom„m e n können."

D e r G ra flie ß Seelbergen nicht

Z e it, a u f diese nachdrückliche Anrede zu antwor­ ten ; aber er hinderte a u f alle Weise, daß Dieser «icht Gelegenheit fa n d , Luisen allein ;n sprechen. D a s gute Mädchen wußte nicht, wie sie sich be» tragen sollte; S ie fa n d , Seel borg sahe kränk­ lich und traurig aus ; S ie hatte ihn auch gern um die Ursache g efragt, hatte überhaupt so gern

2Z8 ihrem Herze» Luft gemacht; alle», der G raf Und die junge Gräfinn liessen ihr nicht die Zen, bis die Stunde des Abschieds kam; und da wankte sie in dem Zirkel der Lieben herum, blaß und schluchzend , umarmte ihre Eltern und Ver­ wandten , ünd als sie an Ludwig kam , trat Storrmann herzu und sagte: »Auch Einen Kuß „für meinen Freund! Er wird dieser Umarmung „gedenken, so oft er eine gute That begehn will, „und so oster einen edelnMenschen kennenlernt; „Er wird ihrer gedenken, so oft ein böser Vor„satz in ihm aufkeimen mögte." — Und nun umschlang Luise den Jüngling mit ihrem Arme; Seelberg küßte sie ehrerbietig; Ihm rollten Thränen der besten Art von den Wangen herab— Sie stiegen in die Kutsche. »Die Butterbrbde „stecken in der rechten Wagentasche" rief die Mutter nach. „Vergessen Sie meine englischen „Hühnerhunde und das Wunderpflaster nicht, „Herr Sohn!" rief der alte wallenhol;. — Sie fuhren ab; Seelberg ritt nach Göttingen zurück, und schwur in seinem Herzen: «Ichwill „alle Kräfte aufbieten, Ihrer würdig zu wer„den." — Ob er Wort hielt, das wollen wie bald sehn; Soviel aber ist gewiß; wenn er da»

2 39 total# ans seiner unangenehmen Lage wäre her­ ausgerissen , dem Umgänge m it ausschweifenden Menschen entzogen, in bessere Zirkel eingeführt, ttiit Zutrauen und Achtung behandelt, a u f solche A r t m it der menschlichen Gesellschaft ausgesöhnt, endlich seiner nnruhigen G em üthsart, seiner Leb­ haftigkeit, seinem Thätigkeilstriebe ein nützlicher Gegenstand dargeboten worden; wenn ein treuer und weiser Freund ihn bewacht, wenn er Luisen

oft

gesehn, und die» kunstlose, unschuldige Ge­

schöpf soviel mehr von der erlaubten weiblichen Cvketterie verstanden hatte, als dazu gehört ha­ ben w ürde, eine« Menschen von S eelbergs Ge­ m üthsart und E rfahrung zu fesseln und d a » , w as itzt in seinem Herzen n ur ein hoher G ra d von Derehrnng w a r , in ächte, umzuschaffett —

feurige Liebe

dann würde er g e w iß ,

diesem Augenblicke a n ,

von

da» geworden seyn,

wozu ihn die N a tu r m it so herrlichen Gaben aus­ gerüstet h a tte ; A llein da die» alle» nicht der F a ll bey ihm w a r; so mußte er noch manche Prä» fttng aushalte», noch manchen F e h ltritt th n n , in manchen Ir r th u m verfallen.

Indessen hatten die Scenen au f w aflenfisl;ens G u t« , und besonders der Abschied von Luisen seine Seele für Eindrücke von sanfter und wohlwollender A rt empfänglich gemacht; S ob ald er daher nach G dttingen zurückkam, suchte er seine liefländischen G efärrhen a u f, um mit ihnen diese Empfindungen zu theilen. E r erzählte ihnen a lle s , w as vorgegangen w a r; allein diese schlauen Bösew ichte, die gar nicht ihr Konto dabey faiiden , daß L u d w ig seine Le­ bensart abändern, und den R ath seines treuen Freundes befolgen sollte, suchten, obgleich au f die vorsichtigste A r t , ihm Verdacht gegen die Redlichkeit der Absichten des G rafen S r o r r m ann einzuflößen : D aß der Mensch jetzt au f einmal so fromm geworden sey; ( E r , der sonst bekannt genug mit der W elt und m it den heili­ gen M asken gewesen, freilich aber auch nun in seinem V aterlande vielleicht seine Ursachen haben könne, eine ähnliche Larve anzulegen,) daß er diese Verkleidung sogar gegen scinen vertrautesten Freund nicht abgelegt, daß er Luisen mit sich in sein V aterland genommen habe; daß der B rief mit der Nachricht von dem bevorstehende» Hochreilsfeste grade so spät angekommen sey, da doch

24t sonst die Posten so ordentlich liefen; Seine kalte Bewillkommung; das frostige Betragen nach« her; die vorsrtzliche« Hindernisse, die der Graf einem Gespräche unter vier Augen zwischen Seel­ berg und dem Fräulein in den Weg gelegt; sei» beleidigender Vermahuungstvn, ja ! die einge­ streueten Drohungen — Das alles kam ihneli, wie sie vorgaben, sehr verdächtig, sehr unlautec vor — „Wenn ich D ir rathen soll , mein Lie„bet! ' fügte einer von den saubern Herrn hinzu „so sey auf Deiner H u t! Sobald die wenigen „Monate vorüber sind; laß Dich majorenn er» „klaren! Bis dahin kannst Du schon Kredit si'n„den.

Jedermann sagt, daß Dein Vermögen

„noch ansehnlich genug seyn soll; Warum willst „D u Leine besten Jahre als ein Kopfhänger „ und Heuchler verträumen ? Genüsse des Lebens! „die schönen Frühlingstage kommen nichtwieder. „Bist Du majorenn; dann bringe Deine Sachen „in Ordnung, und solltest Du auch ein Kapi» „laichen aufnehmen, daö Du nachher in maun„lichen Jahren (in denen doch fast jedermann zu „knickern anfängt) oder mit Hülfe einer reiche» „Frau wieder abtrügest; so gehe denn erst auf „Reisen , ehe Du Dich ans irgend eine Art in

„ein Joch giebst; Siehe z u , wo e< D ir am „besten g efällt; und da bleibe! tinb ist da»» »bas strenge, tugendhafte Fränlein von w allen« » h o l; noch immer so strenge tugendhaft, und » D u hast indeß Keine gesehn, die D ir besser ge„fiele, und D u hast denn durchaus Lust in der »großen Hahnreiherlotterie ein LooS zn nehm en; „so gehe h in , und laß Dich mit ihr kopulircn! „A ber jetzt laß die frommen Grillen fah ren!" Durch diese und ähnliche Reden verdrängten die beiden würdigen Zrennde bald jeden guten Vorsatz aus ^U towigs C etle, so daß Dieser in kurzer Zeit «»bedachtsamer und leichtfertiger als jem als d arauf los lebte. Hierzu k a m , daß S to rrm a n n ( der ohne Zweifel von der Auffüh­ rung seines Freundes unterrichtet w ar) plötzlich seinen Briefwechsel m it ihm abbrach. W eil mnt sein Herz sich so gern anschloß, und die beiden Liefländcr sehr viel Einnehmendes hatten , auch seine schwachen Seiten zu benutzen w ußten; so hieng er sich mit ganzer Seele an dieselben; Diese Unwürdigen aber misbrauchten seine Freundschaft ans eine A rt, die ihm bald , aber zu s p ä t, die Augen öfnete.

ES ist ein großer Unterschied unter zwey Em ­ pfindungen, die doch, flüchtig betrachtet, von einerley A r t zu seyn scheine», uemlich unter der Em pfindung von Unglauben an alle Festigkeit der menschliche» T u g e n d , im Ganzen genom­ m en, und dem speziellen M iskranen gegen alle einzelne Menschen, m it denen w ir leben.

Erstere

entspringt gemeiniglich aus einem innern G efühl unsrer eigenen Schwäche, indem w ir zu uns selbst sprechen: „ich w eiß , daß sogar ich, der „ic h doch wahrlich ein ganzer M a n n b in , der „Versuchung nicht würde widerstehen können/' D ie andre A rt von M is lra u e n hingegen entsteht (bey einem Gemüthe, das n ic h t, wie es bereit auch g ie b t, eine natürliche im Körperbaue ge» gründete Anlage zur M elancholie, Ungeselligkeit Und Feindseligkeit hat) d a ra u s , wenn w ir o ft oder a u f sehr schmerz!,aste A rt sind von Freunde« und Personen, aufderen Anhänglichkeit und Red­ lichkeit w ir so fest rechneten, gelauscht worden. Ersteres sagt u n s : „ D ie Menschen mögt«» gern „ g u t seyn, aber sie sind A lle schwach."

Letzte­

res ru ft uns z u : „ Traue K 'in e m : Jeder studiert „ d a r a u f, den Andern zu hintergehn.

Jenes

schadet der menschlichen Gesellschaft wenig oder

244 g ar n ich t; ES macht im Gegentheil tolerant, m acht, daß w ir unsern schwachen Brüdern gern und willig dienen, ohne D ank und Erfolg zu erw arten, daß w ir, wenigstens aus Liebe zum G uten und um unser eigenes Vergnügen zu de, fördern, G utes th u n , und doppelt froh werden, wenn wir ohnerwartet irgendwo Tugend w abr«ehrnen, di« uns wieder mit der W elt aussöhnt; Dieses hingegen macht uns feindselig, harther­ z ig , und wir fangen zuletzt an zu m einen, wir dürften unS alles erlauben, gegen eine B ande von Schelm en, b>e uns so oft angeführt habe, und die nur darauf la u re , uns bey der erste« Gelegenheit wieder das privcnirc zu spielen. On commcnce par 6trc duppe , & l’on fini, par et re fripon ; D er erste S ch ritt schlecht zu

w erden, ist wenn man Andre dafür hält. Zu jener Art von M istrauen wird immer der M ann von W elt- und Menschcnkenntniß, unwillkührlich, mehr oder weniger hingeleitet, und kann sich dessen nicht ganz erwehren; Zu dem zweiten Irrth u m e hingegen verleitet m an sich oft selbst, indem m an am Anfange seiner Laufbahn zu viel von seinen Mitmenschen fordert und erw artet, und nachher gewaltig to b t, ivcmi sie nicht w ahr-

machen, w as — sie nie versprochen hüben, wenn sie dein Bilde nicht gleiche», welches wir — m it verschlossenen Auge» gemalt hatten. Luvlvi'g v on S eclberg hatte, wie wir auS seinem Tagebuche wissen, mehr von jener unschäd­ lichen A rt von M io trau en , als daß er alle M en­ schen für Betrüger gehalten h a tte , ein M is­ tranen , wobey er selbst, mehr als A ndre, litte. H s ist w a h r, daß Iu lie n s Untreue und die Un­ dankbarkeit seiner Verwandten sein Gem üth ei» wenig erbittert hatten; allein noch w ar er von keinem Freunde betrogen, misbraucht worden; Luisen« Bekanntschaft und das Andenken an seine vvrtrefliche M u tte r hatten ihn ziemlich wie­ der m it dein weiblichen Geschlechte ausgesöhnt, so daß er wenigstens glaubte, es gäbe A usnah­ men von der Regel unter ih n en ; Dabey war sein H er; von N atur zum Wohlwollen und M it­ theilen geneigt, und sein sanguinisches Tempera­ ment stimmte ihn nicht dazu, verschlossen, tükkisch und zurückstoßend zu werden. Auch batte ich wirklich, wenn es meine Absicht w äre, de» Helden meiner Geschichte auf einen hohen Leuch­ ter zur Schau auszustellen, viel Züge von Groß«

m u lh , Ouenherzigkeit, Aufrichtigkeir, F relg« bigkeit und edler Thcilnebmung an dem Schicksal Andrer von ihm erzählen können, die er, mitten in seinen Verirrungen, nicht selten von sich blicken ließ , Z ü ge, wie sie der große Haufen und die Romanschreiber, welche demselben zu gefallen trachten, gar zu gern a ls Zeichen erhabener T u ­ genden ausposaunen, und die doch selten mehr werth sind, a ls die W ohlthaten und Almosen der Fürsten , die m an in den Zeitungen zu erheben, und di« Anekdoten, die man in unsern bunte« deut­ schen Journalen zu publiziren pflegt. Doch w ill ich diesen und jeneu nicht alles Verdienst rauben, und bin meines T heils sehr zufrieden, wenn nur d as G»re geschieht, komme es auch au s welcher Q uelle es wolle — Aber, wo sind wir denn in der Erzählung stehen geblieben? — j a ! mm weiß ich eS — S eelb erg war noch nicht von Freunden betrogen worden; das stand ihm noch b ev o r, mußte ihm bevorstehn, weil er schlecht w ählte; und dies vollendete dann seine moralische Verschlimmerung. E r hatte, a ls bev ihm der Geldm angel noch nicht so groß w a r, sehr oft seinen Freunden ge-

dien», indem er ihnen mit Vorschüssen anShalf, wenn sie deren beiitrficn und er sich dazu im S tan d e fa n d ; M anche kleine S um m e batte er nicht wieder erstattet bekomme», aber auch dar­ au f nicht gerechnet, sondern dergleichen geduldig in Ausgabe geschrieben , in sofern er nur keinen bösen W illen, sondern Unvermögen falte. W er nun ein bisge» das Leben au f Akademien kennt, wird leicht glauben, daßeS nicht an Lenken fehlte, die von dieser bereitwilligen Dienstfertigkeit G e­ brauch machten ; A ls aber nach und nach daS baare Geld bey ihm äusserst selten w u rde, und ,r selbst oft gern borgen wollte; da fand sich frei» lich nicht E in e r, der ihm erwiedert Kälte, w as er so M anchem geleistet hatte. Indessen be­ fremdete dies Seelbergen n ic h t; E r wunderte sich nicht darüber , dast nicht Jeder so dachte, wie er , und da man den abschlägigen Antwor­ ten irgend einen scheinbaren Vorw and hinzufügte; so d ach teer: „D ie Lenke haben auch nichts; „ I c h muß suchen ans andre A rt R ath zu schaf„ f m .“ Am härtesten aber drückte ihn der M an ­ ge! zeitlicher G üter und eine abschlägige A ntw ort, (W ir müssen d a s, zur Ehre seines C harakters, oder — T em peram ents; gleichviel! bekennen)

wenn E r in dem F a l l , diese abschlägige A n t­ w o rt geben zn müssen, und ganz von Gelde ent­ blöß t w a r, wie eres jetzt im m er zn seyn pflegte. Indessen besaß er allerley kostbare Kleinigkeiten, einiges E ilb e rg e rä th e , goldene Uhren und der, gleichen; ( I n , Vorbeigeb» zn sagen! M a n th u t besser, solche Sächelchen nicht m it a u f Universi­ täten zu schicken) K a in m m ein so genannter F re u n d , der seine N o th recht kläglich vorstellte; so pflegte er demselben eine U h r ,

oder eine»

Leuchter, oder so etw as hinzugeben, und zu sa­ gen:

„(S elb habe ich n ic h t, mein Lieber! aber

„ n im m dies h in , und versetze e s, b is D u m ir's „w ie d e r einlösen ka n n st! „e n tb e h re n .'

I c h kann es solange

D ie gutherzigen Freunde schlugen

das dann nicht a u s ;

allein niemand wuß:e eö

sich besser zu N utz zu m achen, a ls unsre beiden L ie fta - id e r , die ihn auch zuletzt so rein ausge­ schalt h a u e n , daß sein ganzer H a u s ra th m einem leeren K o ffe r, einem pa ar schlechten K le id u n g s ­ stücke» , w enig nothdürfkiger Wäsche und einem alten K la vie re

bestand;

D e g e n , alles w a r versetzt.

U h re n ,

S c h n a lle n ,

N ic h t zufrieden da­

m it , hatte der E ine von ihnen G relb erg en betw g m

,

fü r eine S um m e von zweihundert T h a -

lern g u t zu sagen, welche er schuldig w a r , und darüber einen Wechsel auszustellen, der so bün, big aufgeseyt w u rd e , daß kein gvttingisches K re ­ d ite d ik t, noch fin t restitutio in integ ru m , oder dergleichen

dagegen etw as

ausrichten

konnte.

E s ist ausser meinem Zwecke, von den Künsten und Lügen Rechenschaft zu geben, deren sich der T ie flä n d e r bediente,

um unsern J ü n g lin g zu

der Unterschrift zu bewegen, in welche» A rte » von Verlegenheiten ( a u f denen Ehre und Freiheit beruhe) er zu stecken, und welche S ilb e rflo tte n (die er dann wieder m it seinen Freunden zu thei­ len versprach) er aus seinem V ate rla n d « zu er­ w a rte n vorgab



W e r unter

uns hat nicht

ähnliche B e trü g e r m it Schaden kennen gelernt ? — Uebrigens wußte auch der J u d e , der lieber einen der M a jo re n n ita t nahen L a v a lie r , sen G ü te r h a tte ,

m a n n aus L ie fla n d , M o n d e la g e n ,

der in Sach­

a ls einen vorgeblichen Edel­ dessen G ü te r vielleicht im

zum S chu ld ner haben w o llte ,

die S a c h e n , bey Ausstellung des,W echsels, so süß zum a che n,

daß ein in Geldsachen äusserst

unbedachksamer junger M e n s c h , wie S ee lb erg es w a r , sich geschämt haben w ü rd e , Bedenke»

2 50 zu f t iih m ,

p r o f o r m a , w ie er m e in te ,

seinen

N am en m it zu unterschreibe».

Jetzt w a r die Z a h liin g sze it verstrichen,

der

Wechsel v e rfa lle n , und der L ie s lä n v e r bat L u d . t » t > : , die letzte G ü 'e zu h a b e n , nach « v » , w o Oer Iu V e w o h n te , zu re ite n , und denselben zu ersuchen,

den Wechsel n u r

noch ans vie r

Wochen zu ve rlä n g e rn , binnen welcher Z e it daS G eld aus

L'eftand gewiß

ankommen

müßte,

e s e r lb fr j w a r sogleich bereit dazu , und r it t h in , fan d aber den In d e n n ic h t ; die leipziger Messe gereist. berg auch int B e g r iff, beschliessen.

denn er w a r a u f

Indessen w a r S e e l­

seine U niversttatcjahre zu

E r schriebenemlich, a ls e r die Q u it­

tun g über sein vie rte ljä hriges G eld an seinen B o r m und schickte und Diesen b a t,

ih m die S u m m e

bald zu senden, esm bge ihm derselbe doch e rlau­ ben , sich v e n ia n i i t a t i s geben zu lassen und zu diesem Endzwecke nach Hause zu kommen ,

da

er ohnehin seine akademische» J a h re beschliessen zu kbnuen glaubte.

H e rr ckZerlacb hatte dagegen

nichts einzuwenden, sondern w a r vielm ehr fro h , von der S o rg e fü r einen so tm ruhigen M ü n d e l befreiet zu werden.

A ls daher diese A n tw o rt m it

iS i dem gewöhnliche» Wechsel ankam, ließSeelberg seine Gläubiger zusammenrufen und erklärte ih­ nen : daß er min in Kurzem im Stande senn werde, sie gänzlich zu befriedigen, wenn sie ihn nur ruhig die Reise unternehmen liessen, die zum Zwecke hätte, seine ökonomischen Geschäfte in Ordnung zu bringen.

Ludw ig war, bey alle»

seinen Ausschweifungen, dennoch für «inen Men­ schen bekannt, der gern Wort h ie lt; und also »rauete man ihm, versprach, ihn ruhig reisen zu lassen, und bat n u r, er mögt« bald mit einem vollen Beutel wiederkommen. D a er sich nun ;nr Reise anrüstete, kam der Lieflandrr. von dem ich eben geredet habe, mit noch einem kleinen Anliegen.

„D u bist nun bald

„a u f dem Trockenen, Brüderchen! “ sagte er „und ich hoffe gleichfalls! in Kurzem dahin zu „kommen; Allein brauchst D n denn Deinen gan„;en Wechsel jetzt gleich V Ich dächte nicht. „N ich t wahr? Schulde» bezahlstDucrst, wenn „ D u ganz abziehst, nach Deiner Zurückkunft? „Kannst Dn also auf die vier Woche»», da D u ..ausbleibe» wirst, zehn LoniSd'or entbehren; fe „thue mir den Gefallen, und hilf mit damit aus!

. JS fiiii r-u n'ifhcvK'miiiji; sollst D il ?Vm ©elb »bereit liege« finbi’tt. Ich weiß n ic h t, w as , mein Allee macht ; I t h warte jede» Posting »ängstlich au f das G eld; indessen muß ich doch »notbwendig übermorgen M ie th e , Lisch und »Wäscherinn bezahlen." E s bedurfte so vieler W orte nicht, mit B cdbergen zu bewegen, sei­ nen Drittel zu bfneit; E r theilte seinen Geldvorrath mit seinem vermeintlichen Freunde, reifete a b , und kam , da ihn sein W eg über Leipzig führte, am Abend des dritten T ages daselbst an.

Vierzehntes Kapitel. ( S p eelberg la g , ermüdet von der R eise, am folgenden M orgen um acht Uhr noch int B e tte , intest die Gasse schon von geschäftigen und von «ngtschaftig durcheinander laufenden Menschen wimm elte, wie es in den Messen zu geh» pflegt. E r la g , sage ich, noch im B ette; aber er schlief nicht. Tausend Gedanken rollten durch seine» K o p f; P lane für die Zukunft l'eschüft glen ih n ; Anschläge, welchen Gebrauch er von der Freiheit machen w ollte, die er nun bald erlangen w ürde, welcher Lebensart er sich wid-

tsj m en, und wie er sein Vermögen verwalten mög re. D er Derschlag, bevor er in Fürstendienste träte, ober sonst eine bestimmte Laufbahn sich wahlre, erst ans Reisen zu gehn, und dazu eine Sum m e aufzunehm en, gefiel ihm immer am besten; E r bildete in Gedanken diesen P la n aus und entw arf seine Reiseroute; I n vier Wochen, nachdem er alles zu Hause würde in O rdnung gebracht h aben, wollte er wieder nach Göiiingen gehn, seine Schulden bezahlen und dann die Reise an» treten; Anderthalb Jah re hielt er hinreichend dazu, und mit höchstens viertausend Thalern, meinte e r, würden die Unkosten zu bestreiten seyn. Menschen , die gern faulenzen , pflegen ein wonnevolles Vergnügen zu empfinden, wenn sie des M orgens im B e tte , (in welchem verständige Leute nur solange liegen bleiben, als sie S ch laf und Ruhe nöthig zu haben glauben) besonders im W in te r, die Arme unter die dicke Federdecke stecken, sich recht bequem leg en ; und d ann , wenn nichts als daS Köpfchen hervorblickt, in diesem Köpfchen allerley unnütze P lane durch­ einander arbeiten könne», P lane, die mehrentheilS scheitern, sobald sie aus ihrer Höhle hcrvorkrie-

che», und wieder in die W e lt zurückkehren.

Ic h

selbst habe o ft dergleichen Tagediebsanwandiungen gehabt, und gefunden, daß man sich in einem solchen warmen, Bette ganze platonische Republiken schafft,

besonders wenn man zwi­

schendurch einmal wieder einschlaft T ra u m g o tt die B ild e r vollendet.

und

der

S o gieng es

auch unserm H e ld e n ; aber er wurde bald aus feiner Illu s io n aufgeweckt; denn als e r, um fei­ nes Körpers recht zu p flegen,

bestellt hatte,

man solle ihm den Kaffee vor das B e tt bringe» (Auch eine edle G e w ohnheit!) und er wirklich eben beschäftigt w a r , denselben zu geniessrn, wobey er recht froher Laune w u rd e , und glan­ zende Schlosser in der L u ft bauete; pochte je­ mand anfangs ganz leise, und da das nicht gleich gehört w u rd e , zuletzt ziemlich herzhaft an die T h ü r.

S e e lb rrg rie f n u n : herein! und siehe d a !

«8 erschien der osterwähnte J u d e , tra t in das Z im m er, und überreichte, bevor er sich über die Absicht feines Besuchs näher erklärte, L u d w i> gen einen B r i e f ,

welchen Dieser begierig er­

brach, und la s , w as fo lg t:

2$S

„ I c h banse D ir herzlich für Deinen biöhe„rigen Beistand. Der liebe G ott wird alles „bezahlen; ich kan» es n icht, bin gleich „nach D ir m it dem von D ir erhaltenen Gelde, „so ich annehm e, als hattest D u cs m it „ a u s großmüthiger Seele zum Reisegelde „geschenkt, au s G bitingen a b , und D ir „ S c h ritt vor S ch ritt nachgereist, habe „gestern Abend hier unsern ehrlichen Jude» „aufgesucht, und demselben Deine W ohnung „angezeigt; E r wird D ir morgen früh per„ foul ich seine Aufwartung inachen; aber „alsd an n gieb D ir keine M ü h e, m ir weiter „nachzuspüren, denn ich reise noch in die„ser Nacht weiter. Bezahle noch das paar „hundert Thülerchen, mein Lieber! Danke „D einem glücklichen Gestirne d a fü r, daß „ D u so wohlfeil davonkömmst, und »im „von m ir eine Lehre a n , die D ich , m der „ F o lg e , wie ich hoffe, zu größerer Vor» ,-stchtigkeit bewegen w ird : D u bist ein ge„schentcr Pnrsche ; brauche Deinen Verstand! D u solltest billig nicht mehr geprellt „ w e rd e n , sondern andre Leute prellen. „T h u e das künftig» Brüderchen! die Men»

2Z6 „schen find wahrlich nicht- Bessere- werth. „ S e y übrigen- nicht böse über m ich! Ic h „b in auch oft genug in meinem Leben an„geführt w orden, und habe mich dafür noch „lange nicht bezahlt gemacht. Unser ge­ meinschaftlicher Freund ’:i 0 * ist auch m it „ausgezogen, und will Deine Uhr zum „ewigen Andenken aufheben. W ir empfch„len uns beiderseits gehorsamst und bestens." Und dieser B rief w ar von dem liefländischen Bö» sewichte unterschrieben. Ic h würde eö vergeben- versuchen, zu be­ schreiben, w as S eclb erg em pfand, nachdem ec de» B rief gelesen hatte. Zuerst ergriff ihn eine stille W u th , eine B etäubung — E r glaubte kaum seinen Augen trauen zu dürfen; E r las noch ein m al, und dann brach er in Fluchen und B erwünschungen a u s ; allein der Jaraelire ließ ihm nicht die Z e it, seinem Zorne viel Zunge zugeben, sondern fragte ganz bescheiden, ob er ihm jetzt den Wechsel bezahlen könne, und wolle? Lud» ivist mußte natürlicher Weise nein antw orten, doch versicherte e r, sobald er nur zu Hause an­ gekommen seyn w ü rd e, wolle er augenblicklich

M ath schaffen; Dabey entdeckte er ihm seine ganze L a g e , bewies ih m , wie ungerecht und abscheu­ lich eS von dem L ie flä nd e r gehandelt sey, ihn so anzuführen — aber der Jude hatte fü r daS alles nur Eine A n tw o rt, und die w a r: ,-N a u ! « G o tt behüt'S! ES eß mer felbens lä d , aber ich «m vß mein Geld h a b e n ,"

und als ihm die

Scene zu lange dauerte (die Zeit in derMesse ist edel) steckte er den K o p f znr T h ü r h inaus, und rie f einen kleinen manierlichen Abgeordneten der Gerechtigkeitspflege herein, den er zu diesem End­ zwecke m it sich genommen h a tte , und der m it aller möglichen Höflichkeit (welche in Leipzig auch sogar a u f die Justitz ihren wohlthätige»» E influß hat) unsern jungen H errn fra g te : „o b «er die Unterschrift unter vorliegendem Wechsel « fü r seine H and erkenne, und ob er die Sum m e

«quxstionis jetzt zu bezahlen bereit sey, oder «n ich t? '

D a s Gefühl der Verlegenheit, darinn

S eelberg w a r, und die Eindrücke, welche die Abscheulichkeit des Verfahrens seines vermeinten Freundes a u f ihn machten, gaben ihm plötzlich den Gedanken ein , seine Handschrift abzuläug, titti : „H a b e n nicht Christ und Jude gemein« «schaftliche Sache gemacht, mich zu betrügen? ' R

r;8 sprach er zu sich selbst, „ K ann es ein Verbrechen „fem t, tvctm ich ihre» P la n au f diese Art ver„ eitle, wenn ich den R ath deS saubern Lieflän« „ders befolge, und lieber sie p relle, als mich ..prelle» laste ? ‘ S o dachte er einen Augenblick, aber eine innere S tim m e , für welche fein O h r noch nicht verstopft w a r, rief ihm zu : „ p f u i , , L u d w ig !" tmd also gestand er augenblicklich die Schuld e in , wiederholte aber dasjenige, w as er vorhin betn In d en getagt hatte. Indes­ sen w ar der fretmdliche Jusrinm ant» eben so wenig geneigt, sich mit Entschuldigungen abspei­ sen zu lassen, als der Ebener. „ E s thäte ihm „herzlich leib1* sagte e r, „daß er strenge nach „seiner Vorsehrift verfahren müßte. D a s Wech„selrechr" meinte er „habe der böse Feind etfutis «den; E s sey damit gar nicht zu scherzen ; Uebri«gens müsse er bitten, daß eö dem gnädigen «Herrn gefällig seyn m bgte, ans dem Bette auf«zustebn, und sich anzukleiden, um ihm in das «Gefängniß zu folgen, oder, wenn er einen M an n „zur Wache bezahlen wolle; so stehe es auch in „seinem B elieben, H ausarrest zu halten.«

W eil nun einmal unter zwey Uebeln eines gemahlt werden m u ß te; so bat L u d w ig um H anSarrest, doch wurde derselbe »och, auf sein Ansuchen, dahin gem ildert, daß er in Gesell­ schaft einer Wache in der S ta d t herumgeh» und Geld aufzntreiben suchen durste; denn da er hier in Leipzig studiert und daselbst noch viel Bekann­ te» halte ; so schmeichelte er sich m it der Hoff­ nung , eS werde leicht Einer von ihnen, wenn er ihm sein Anliegen vortrüge, ihn auS der Verle­ genheit reisscn, Und ihm , bis er zu Hanse R ath geschafft hätte , eine kleine Sum m e vorstrecken, zumal unter ihnen theils Einige w aren, die ihm Verbindlichkeiten, theils Kanflcme und G astw irthe, die manchen schönen T haler von ihm gezogen, theils Leute, die ihm die wärmsten Freundschastsversicheruugen gegeben und gebeten h a tte n , sie nur au f die Probe zn setzen; allein er betrog sich. I n fünf oder sechs H ausern, in welche er herum lief, wurde er zwar im eisten Augenblicke äusserst ariig empfangen und aufge­ nom m en, solange, bis er in seinem Gespräche an das Gesuch kam ; K aum aber hatte er die ersten W orte davon vorgetragen; so zog sich das Gesicht jener H errn feierlich in seine Festtags-

a6o falten zurück, A n tw o r t,

und eS erfolgte eine abschlägige

die zuweilen sich nicht einmal die

M ühe g a b , das K leid einer scheinbaren Ausrede anzuziehu.

S e in letzter Gang führte ihn zu dem R a u f­ m anne, von welchem w ir im achtenKapitel gehbrr haben, daß er sich ein Geschäft daraus ge­ macht h a tte ,

den M a jo r non R ra llh e im zu

Abschaffung des ersten Hofmeisters zu bewegen, und die ökonomischen Umstande des jungen F e rrit v o n Seelberg in O rdnung bringen zu helfen. B e y Diesem aber kam er sehr unrecht a n : » Ic h »sehe« sagte er »an Ih re m ganzen Wesen und »an der A rt deS A nliegens,

welches S ie m ir

„vo rtra g e n , daß S ie fortgefahren sind, a u f dem »Wege zu w andeln, a u f welchen S ie der w ü r„dige H e rr Krohnenberger geleitet h a tte , und »das thut m ir w eh; Aber ich kann Ih n e n nicht „helfen ;

Ic h habe Frau und K inder und bin

»ein K aufm ann — zwey triftig e G ründe, die »mich abhalten, zweihundert T haler da anzule„g e n , wo ich weder w e iß , ob und wennmanmne »dieselben erstatten w i l l noch ob man kann.«

26r S o vergieng der M o rg e n und S e e lb e rg kehrte niiS m ü th ig in feinen G a sth o f zurück, um daselbst an der W irth e ta fe l zu speisen,

alö ein L h u g e -

sehr ( in dem S in n e , w ie m an gewöhnlich das W o r t Lchngcfehr n im t) ihn daselbst einen preus­ sischen O ffiz ie r antreffen ließ , der grade so v ie l Achnlichkeit m it jenem W erbeoffizicr h a tte , von welchem ich im d ritten und vierten K a p ite l gere­ det habe,

a ls ein Mensch m ir im m er m it sich

selbst zu haben pstegt, denn es w a r kein A n d re r a ls e r, der im B e g riff sta n d , nach Preussen zu reisen.

zum Regim ent«

S o b a ld ih n L u d w ig

wieder erkannte, faßte er H o ffn u n g ans ih n ; E r ha tte sich dam als bey der Werbnngsgcschichte so edel b e tra g e n ,

daß Jener nicht zw e ifelte,

werde auch diesm al sich S e in e r annehmen.

er Er

tru g ihm also nach der M a lz e it sein Anliegen v o r ; aber der O ffiz ie r antw ortete ganz offenher­ zig :

» S ie wissen, m ein H e rr von S e e lb e rg !

„d a ß w ir un s im G rund e g a r nicht genau kennen. « I c h habe S ie da m als b e w o gen,

einen J n -

«gendplan aufzugeben, und S ic h einer Lebens« a r t zu w id m e n , die m ir mehr fü r E ie gemacht « zu seyn schien, a ls das Eoldatenleben.

N ach-

« h e r habe» w ir uns nicht wieder gesehn.

S ie

l6 z «sind indeß herangewachsen, ich weiß aber nicht, ..ob S ie die freundschaftlichen Rathschläge be, « fo lg t haben, welche ich Ih n e n damals gegeben, « m it Einem W o rte , ob ich einen J ü n g lin g vor « m ir habe, der W a h rh e it, Redlichkeit und Ord» «nung lie b t, oder nicht. «ohnmöglich verdenken,

S ie können m ir 'wenn ich dies nicht

«gradehin a u f I h r W o rt glaube; Doch würde „ ic h , wäre ich reich genug dazu, den möglichen «D erlust von einem paar hundert Thalern nicht «so hoch rechnen.

Jetzt aber ninß ich diese Rück-

«ficht zu den, M iß tra u e n , wozu mich meine Unis „stände doppelt berechtigen , in die Wagschale «legen.

Ic h lebe seil st fast nur allein von mei-

«nem Traktamente.

Ic h bedaure S ie , wenn

«es w ahr is t, daß S ie , aus Freundschaft sür «einen Unwürdigen , «finden.

S ich in Verlegenheit be-

ES kömmt m ir auch nicht zu, Ih n e »

«zu Gemüthe zu fü hren, ob S ie bey dieser Sache «so vorfichtig und weise gehandelt haben, als « S ie gesollt h ätten, und ob S ie ekel genug in «der W a h l J b re r Freunde gewesen fin d ." — « O ! verschonen S ie mich, wenn ich bitten darf, « m it Ih re n -ehren , H e rr H a n p tm a n n ! wenn « S ie m ir nicht helfen wollen!« erwiederte Lud»

26z w ig , und gieng trotzig fo rt, entschlossen augen­ blicklich einen B oten au seinen V orm und ab­ zuschicken, demselben seine ganze Lage zu entde­ cken, um Hülfe zu bitten, und indeß in Leipzig den Arrest zu halten, so viel auch dieser S chritt seinen Ehrgeiz kostete; Allein ohnvermuther kam R e ttu n g , und er befand fich , noch ehe eö Abend w u rde, au f freiem Fuße — Doch bevor ich er­ zähle, wie das zngieng, muß ich m ir wiederum eine kleine Ausschweifung erlauben. Ic h hoffe nem lich, die Leser werden nicht deswegen von der menschlichen N atu r nachtheiligere Begriffe h egen , weil sie vielleicht oft die Erfahrung gemacht haben, und dieselbe in dieser Geschichte bestättigt finden, d a ß , wenn m an durch M uthwillen oder eigene Unvorsichtigkeit in einen S u m p f gerathen ist, m an auch unter den besten, dienstfertigsten Menschen nicht gleich E i­ nen findet, der Lust h ätte, nachzuspringen, um unS herauszuzichn, oder m it u n s zu versinken. N ichts ist indessen'gewöhnlicher zu hören, als daß M enschen, die in ihren Handlungen nicht »oit der V ern un ft, sondern von thörichten Fan­ tasien und Temperamentstrieben geleitet werden, [2813

2§4 wenn sie sich durch unkluges Betragen in solche Lagen versetzt haben, aus denen sie sich selbst nicht helfen können; sie eS dann jedem redliche» Merr von Leuckrenburg nicht entdalten, S eelbergen, doch auf seine eigene M a n ier, im engsten Vertrauen die Ge­ schichte von des G rafen S to rrm an n Durchreise durch Leipzig, und wie derselbe bey dem Ju d e n für ihn gutgesagt hätt«, zu erzählen — Auf seine eigene M anier, denn nicht nur gedachte er mit keinem Worte Luisens und des zärtlichen Antheils, den Diese an der Begebenheit genom­ men , sondern er drehete auch die Sache auf ein« A rt, (die solchen Personen sehr gewöhnlich ist, denn sie wollen alles gethan haben) da- die ganze Ehre der Handlung auf ihn selbst fiel: « Ic h erfuhr" sagte er ..von Ohngefehr, daß « S ie m Verlegenheit wären ; Ich war grade «nicht bey Gelde, und doch konnte ich «S ohn» «möglich zugeben , daß ein M ann von Ihrem « S ta n d e , Charakter und Vermögen, einer sol-

«chen Kleinigkeit wegen, unruhige Stunden ha» „den sollte. Ich wendete mich also an meinen «Vetter , den Grafen Storrmann, der grade «hier durchreiserr, und bar ihn, mich zu meinem «Vorhaben durch seine Bürgschaft zu unlerstü» «tzen. Ich wurde angenehm überrascht, als ich «erfuhr, daß Sie alre Bekannte zusammen „wären. Indessen wollte» wir Beide nicht «gern, daß Sie für einen so geringen Dienst «uns danken sollten; daher wurde dem Inden «befohlen, unsre Namen zu verschweigen. Zn» «dem konnte sich der Graf nicht hier aufhalten— «Sagen Sie nichts, mein Lieber! von Verbind» «lichkeit! Das kleineHäuflein verbessern, festen «Männer muß sich einander beistehn — Und «was ist denn das elende Geld in der Welt? «Sie würden gewiß nicht weniger für «inen «andern Biedermann gethan haben." Ludwig dankte, wie sich'S versteht, seinem neuen Hreunde für diese scheinbare Großmnth, und war um so geneigter, ihm das ganze Verdienst davon zuzuschreiben, da er sehr kalt und miS» trauisch gegen Storrmann geworden war, theils durch die vor Zeiten von den beiden Lieflandern gegen denselben empfangenen widrigen Ein«

2gc> drück«, theils dadurch, daß Dieser gänzlich den Briefwechsel m it ihm abgebrochen hatte, n»d nun sogar in der nemlichen S ta d t zugleich mit ihm ge» wesen w a r, ohne ihn aufzusuchen, obgleich er dir Ursachen von dicscm Allen leicht in seiner eige­ nen Aufführung hatte finden können, wenn solche Menschen gerecht genug w ären, dergleichen B e­ trachtungen anzufiellcn. E s kam nun noch d arauf a n , festzusetzen, w aö für S tä d te und Länder unsre beiden Reifen# ven besuchen , und welchen W eg sie nehmen wollten. Unter Leuten, die einen bestimmten Gegenstand zum Zweck ihrer Reise machen — und das sollte doch billig bey Je d e m , der seine H eim ath v e rlä ß t, um in fremden Gegenden um herzufahren, der F all seyn — ist es freilich eine große F ra g e , bey der W ahl eines ReisegesellschasterS, ob den G efährten grade die nemliche Absicht, wie u n s , zum Auswandern be­ w egt, und ob er diese seine Absicht au f unserm W ege gleichfalls erreichen kann; Allein bey jenen B eiden fiel diese Bedenklichkeit weg. L u d w ig reifete m it der sehr gewöhnlichen, aber höchst­ unbestimmten Id e e a u s : M enschen zu sehn —

28 l

gleich als we«« es nicht dabey wieder sehr ver» fchiedene A rten, Zwecke, Gegenstände und Ge« sichtspunkte gäbe, znm Beispiel: den intellek, tuellen, den moralischen, de» physischen, de» in bürgerlichen Verbindungen lebenden, den kor» rum pirten, den religiösen, den ländlichen, den industriosen, den Handel treibenden, den ge­ lehrten , den thörichten Meirichen, und unzäh­ lige andre Rücksichten, worauf der Beobachter sein Augenmerk heften kan» — Leuchtenburg aber zog eigentlich nur auf daS Auekdotensammlen auS, welches ein eben so schmutziges und nicht so nützliches Geschäft, alS das Lumpen» sammle», und eine in unsern eadelstichtigen T a ­ gen nicht weniger übliche Art zu reisen ist, die aber wahrlich unserm Zeitalter nicht viel Ehre macht, wenngleich sie uns Reisebeschreibungen in dicken Bänden liefert. M an h a t, glaube ich, kein Beispiel in alten Zeiten, daß ein ein­ ziger M a n n , nachdem er in einigen M onaten einige fremde Länder durchrennt, w äre, es ge­ wagt hätte, nachher entscheidend, zngleich von dem Zustande der Literatur, der Regierung, der Religion, der Künste, der Industrie, kurz! von Allem Nachricht zu geben — D as war unser«

erleuchteten Zeiten vorbehalten.

Freilich ist bie­

der sicherste Weg, wenn man seine herumschwei­ fende Aufmerksamkeit auf so vielerley Arten von Dingen ausdehnt, in alle», Oertern der Welt Stoff zu finden, ein leeres Gehirn und eine leer« Schreibtafel zu beklecksen; allein das Herz wird durch solches Reisen nicht gebessert,

der Kopf

hingegen mit einem Chao- verwirrter Bilder an­ gefüllt, und da, bey der Menge der verschiede­ nen Gegenstände, vhnmöglich alles genau ge­ prüft werden kann;

so wird Manches schief

gesehn, grundfalsch, oder wenigstens ohnbestimmt aufgeschnappt und der Welt wieder erzählt, wozu noch kömmt, daß rin solcher fahrender wilder Anekdotenjäger gewöhnlich ein Augenglas mit auf den Weg nimt, welches aus einer geschmol­ zene» Komposition seiner LieblingSideen geschliffen ist, und durch welches er den Himmel und die Erde in allen Ionen beschauet, da dann dieser würdige, allsehende Polyhistor in allen Ecken sieht, was er darinn sehn w ill, indem seinGlas die Gegenstände, von denen er nicht- versteht, in solche Formen prismatisch umschafft, daß sie zu den Kindern seiner Fantasie passe».

So fin­

det der M an«, der von Regentenkritik angesteckt

is t, und ans Jo u rn alen erfahren h a t / daß in einem gewisse» Lande die Regierung sorglos und inkonsequent sey, wenn er in dies Land kömmt, tausend D inge zu tad eln , die in seinem V aterlande grade eben also sind, nur daß er bort nie achtsam darauf gewesen, weil S taatsk un st nicht sein Fach w ar. Ic h könnte ein p aar sehr tref­ fende Beispiele von der Art au s ganz neueren Zeiten anführen, wenn ich Lust h atte, mich ein wenig m it ungeschliffenen Halbgelehrten herum­ zuschimpfen , und wenn ich nicht in meiner E rzäh­ lung weiter kill« — Also kurz! B eiden, S e e lbergcu und Letrchtenburgeu w ar es ziemlich gleichgültig, welchen W eg sie nehmen mögtcn, daher beschlossen sie durch Sachsen und Böhm en nach Oesterreich, von da durch B a ie rn , S ch w a­ be» , Franken und de» Rheingegenden nach Frankreich, zuletzt aber nach Ita lie n zu gehn. Seelberg bezahlte erst i» Göttingen seine S chul­ den, wurde dort von seinem Gesellschafter auf­ gesucht, und fuhr mit demselben und einem J ä ­ g er, N am ens T rille r, ab.

E n d e des er s ten Theils.

D i t

Verirrungen des Philosophen oder

Geschi cht e

Ludwigs»°» Seelberg herausgegeben » en

A.

Freiherrn

Zweiter

von

Ä * * * *

Theil

Frankfurt am M a i n in der AndreLischen Buchhandlung 1 7

8 7

Ge s c h i c h t e

Ludwigs von Seelberg. Z w e i t e r

T h e i l .

Erstes Kapitel. O u fö r d e r s t versichre ich, daß es mich herzlich ^

freuet, den Helden meiner Geschichte end»

lich einmal m it Ehren über seine Universitäts­ jahre hinausgeführt zu haben.

M a n macht eini­

gen unsrer neuern deutschen Schriftsteller nicht ohne G rund den V o r w u r f, sie stellten in ihren Romanen n u r Studentencharaktere d a r ,

und

m e in t, es sey doch etwas gar Langweiliges fü r einen gesetzten,

vernünftigen M a n n ,

wenn

m an ihn in keine andre Gesellschaft, a ls solcher ungebildeten Menschen fü h rte , die int Grunde noch gar keinen Charakter hatten.

Indessen d a rf

m an sich darüber nicht w u n d ern , wenn man

bedenkt, daß die wehesten D e re r, die Romane schreiben, so wie überhaupt die mehrst«» unsrer heutigen Büchcrmacher, entweder selbst nur noch ««bärtige J ü n g lin g e , oder Leute sind, die keine andre W e lt, als die akademische kennen. ist nun zwar bey m ir der F a ll nicht ,

D as

folglich

kann ich mich dieser Entschuldigung nicht bedie­ ne», wenn man mein Buch wegen des nemlichen Fehlers anklagt; allein ich habe etwas viel Besse­ res, wie ich m ir einbilde, zu meiner Rechtfertig gnng zu sagen.

D e r Zweck meines Buchs ist

nemlich, zu zeigen, durch welche M odifikationen sich in meinem Helden C h a ra kte r, Neigungen, G efühle und Systeme nach und nach g eform t, entw ickelt,

und ihn »um Denken und Handeln

bestimmt haben.

D a nun der G rund hierzu bey

ih m , so wie bey allen Menschen, vorzüglich in den K in d e r- und Jünglingsjahren gelegt worden; so mußte ich auch bey diesen Perioden seines Le­ bens mich langer aufhalten und in mehr D e ta ils eingehn, als ich in der Folge thun werde, indem ich entschlossen b in , von mm an die Zeiträume enger zusammenzufassen.

Um zu zeigen, daß es m ir m it dieser Abkür­ zung ein wahrhafter Ernst is t; w ill ich S ie anch, hvchgeneigte Leser! m it der genaueren RcisebeSchreibung der beiscir iungen ^ v r r n von einer S ta d t zur andern verschonen.

Dagegen aber

müssen S ie m ir gestalten, dam it ich mein H a u p t­ augenmerk nie aus dem Gesichte verliehre, I h ­ nen ,

bevor w ir weiter gehen, eine allgemeine

Skizze von S e e lb rrg « C harakter, wie er jetzt w a r , vorzulegen; und dann wollen w ir sehen, a u f welche gute und böse Wege ihn diese S tim ­ mung in der größer» W e lt ,

in welche er nun

tr a t, führte.

Ic h habe im dreizehnten K a p ite l des ersten T h e ils dieser Geschichte einen Unterschied festge­ setzt, unter zwcierley Gattungen von M is tra n e n gegen Rechtschaffenheit lind T re u e , und dabey e rw ä h n t, daß L u d w ig damals nur noch von jener «»schuldigen A rt von Unglauben an die W ürde der Menschen angesteckt w a r, von dcm U nglauben, der sich ans Selbsterkenntnis!, auf Bewußtseyn eigener Schwäche gründet, sich aber dennoch m it D u ld u n g , Bruderliebe und W o h l­ thätigkeit ve rträ g t; Jetzt hingegen, da er von

vermeintlichen Freunden so schändlich w a r betro­ gen worden u n d ,

wie er g la u b te ,

auch nicht

einen einzigen ganz «dein Menichen angetroffen h a tte ,

jetzt bekam er täglich eine größere M e i­

nung von seinem eigenen werthen I c h und eine schmakigerr von andern Lenken.

E r besuchte

also ftemde S tä d te und Länder so, wie ein neu­ gieriger hartherziger M a n n N a rre n - Krankenund Zuchthäuser besucht;

nicht a ls A rzt und

P hilosoph, der die Krankheiten des Leides und der Seele studieren w il l, um M itte l zur Hülfen Besserung und Erleichterung zu finden; sondern a ls E in e r, dem die Fratzen der N arren und die Verwünschungen der Eingekerkerten S paß ma­ chen , rüdem er sich dabey seiner Gesundheit nnd seiner Sicherheit freuet.

E r suchte aller O rte n

G enuß , Lust, Abwechselung; E s fiel ihm nicht mehr der Gedanke e in ,

fü r Andre zu leben,

Andern zu dienen, sondern sein Ic h w a r ihm der M itte lp u n k t alles W irkens.

W a r er vorher,

ans Temporamentshang nnd M a n g e l an Ueber» legnng, freigebig nnd verschwenderisch gewesen; so sie,!'- er nun a n , de» W erth deS Geldes ken­ nen zu lernen u n d , um nicht wieder in Verle­ genheit kommen zu können, rin guter W irth $u

werden, das heißt, bey solchen Menschen: da zu sparen, wo ihm daS Geld keine sinnliche Freude« verschaffen konnte, um immer einen ge­ spickten Benkel zu haben da, wo sich Geiezcnheit fand, zu geuiessen und zu schwelgen.

Hat­

ten ihn aber vorher die Anforderungen seines reizbaren Körpers und seine verwöhnten Begier­ den, ohne feine Auswahl, zu allerley Ausschwei­ fungen hingerissen, über welche ihm, nach ge­ schehener That mehrentheils seine Vernunft Vor­ würfe machte; so kalkulirte er jetzt besser; Er sündigte mit Raffinement, mit Vorsatz, so oft für den sinnlichen Genuß üppige Freuden zu er­ warten und keine gefährliche Folgen zu befürch­ ten waren, und die Ueberzeugung, daß niemand ihm helfen könnte noch würde, wenn er Vermö­ gen oder Gesundheit (denn er hatte eben sonach­ theilige Begriffe von der Geschicklichkeit der Aerzte, als von der Gutwilligkeit der Reichen) aufopferte, hielt ihn jetzt von Handlungen zu­ rück, gegen welche ehemals bie Stimmen bei Sie* ligion und der Tugend vergebens gewarner hak­ ten , denn für diese Stimmen hatte er lein Ohr mehr.

Er glaubte nicht mehr an Unschuld und

Tugend,

weil diese Gefühle in ihm schliefen,

s und der Umgang m it schlechten Menschen und das Lese» schlechter Bücher den S in n dafür erstickt hatten. W a s die Religion betrifft; so haben wir schon gehört, daß sie seit langer Zeit nicht mehr ein Gegenstand seiner warme»«, innigen H erzensergiessung, sondern seines kalten RaisonuemcntS geworden w a r , und von dieser Periode an konnte man sagen, daß er den ersten S ch ritt zu seiner sittlichen Verschlimmerung ge­ than hatte; D en» »ras vermag die bescheidene V ernunft gegen ein feuriges Tem peram ent und gegen stürmische , unaufhörlich die sanftere S tim in e überschreiende B eg ierden ? W ie leicht wird nicht der S ophist m it jener fertig werde»», wenn seine E m pfindungen gegen ihre G rü n d e streite»» ? K u r z ! Raisomiement ist zu schwach gegen Leidenschaft, und sollen Religion »mb T u ­ gend die bösen Begierden in u ns ersticken; so müssen beide auch einen G rad von Leidenschaft in uns erregt haben, deren reines Feuer jede wilde Flam m e niederschlagt. 9tur ein von heiliger Liebe z» dem unendlichgüiigen V ater durch­ drungenes Herz kann sich von niedrigen, uned­ len Trieben losreissen, und ein einziger B o rw urf des geängsteten G ew issens, trenn es u ns sagt,

daß w ir «ns der höchsten Liebe unwerth machen, der Liebe deS W esens, an welchem w ir mit gan­ zer Seele hänge», und daß wir das heiligste, süßeste B an d zwischen unserm V ater im Hirne mel und u ns zerreissen, E in solcher V orw urf ist für D e n , welcher je die W onne dieses V er­ hältnisses geschmeckt h a t, m ächtiger, unS vom Bösen ab zu h alten , a ls hundert Appellationen an die gesunde V ernunft. I s t nicht, selbst im bürgerlichen Leben, der W unsch, Liebe und Zu­ neigung nicht zu verscherzen, ein schärferer S p o r n , g ut und freundlich zu handeln, als die I d e e , die Gerechtigkeit nicht zu verletzen? W ir sind nun einmal sinnlich. S o b ald S celb erg «rst eine gewisse habitm le im Laster erlangt h atte; so suchte er auch Gründe hervor, welche die zuweilen sicherhebenden inner» Anklagen widerlegen m ögten, und schuf sich ein Lehrgebäude, bey welchem er als ein ehrlicher M an » — ausschweifen k ön nte, und da ihm hierbey die R eligion, auch als System betrach­ te t, im W ege stand; so mußte dieselbe forrphilosophirt werde» , welches nicht viel M ühe ko­ stete, da der S ch ritt vom Zweifel zum Unglau»

IO

den nicht groß ist, und da ich (d as gestehe ich frey) alle theoretische Beweise für die Aechtheit der geoffenbarten Religion a p r i o r i , alle B e­ weise, die stch nicht au f daS Gefühl des Herzens und die Erfahrung von der W ohlthätigkeit ihrer Lehren gründen, für ohnmöglich überzeugend zu führen halte. Ic h meine wahrlich, die D ogm a­ tik sey ein gänzlich unnütze- D ing , wovon die guten Apostel, welche so herrliche Pflichten pre­ digten , gar nichts gewußt h ab en ; Ic h meine ferner, wer überzeugt sey , daß die Lehre Jesu ihn glücklich mache» könne, der bedürfe keines weilern Beweise- für ihre Aechtheit, und wer das nicht sey, und ihre K raft auch nicht prak­ tisch an sich prüfen möge, für D en sey eö wohl einerley, waS er glaube; Auch habe ich noch immer gefunden , daß D e r , welcher gradeweg und treu seine Christenpflichten erfü llte, sich'g ar nicht einfallen ließ, über gewisse dunkle Leh­ ren ängstlich nachzugrübeln, Beweise von W un­ dern , Weissagungen und dergleichen aufzusu­ chen; fuhr ihm aber einmal ein Zweifel von der A rt durch de» K opf; so w ar er sehr bald dam it fertig und überließ solche Grübeleien den H err» Geistlichen, deren Fach daö ist. W o ich hin-

gegen Unglauben, oder gar Religionsspott fand, da tr a f ich auch immer unreine S itte » a n , und si> wie ein böser Nachdrucker sich ein P rivile g iu m von eben dem Fürsten zu erschleichen w eiß , der schon über das nemliche B u c h , aber unter an» derm T it e l, dem rechtmäßigen Verleger ein aus­ schließliches Recht ertheilt h a t;

so erzwingen

solche sogenannte Freigeister von der V e rn u n ft, a u f deren göttlichen Ursprung sie pochen, einen FreiheitSbrief gegen die deutlichen Dokumente, die der Schöpfer selbst in unser Herz geschrieben h a t, und wovon d a s, w as in der B ib e l steht, n u r eine Kopie ist,

S obald

also S eelberg anfieng regelmäßig

auszuschweifen (wenn ich mich diese- Ausdrucks bedienen d a rf) und nachher, als er allen G la u ­ ben an Tugend und den S in n fü r Unschuld und Rechtschaffenheit v e rlo h r; da verwandelten sich auch seine ReligionSzweifrl in offenbare Verach­ tung und D erlangnung derselben. er darüber ein Gespräch

m it

Einst Innre

einem redlichen

frommen Geistlichen, zu dem er von Ohngefehr in Gesellschaft gerieth — fe h r, denn er flo h ,

ich sage: von Ohnge­

und das thun gewöhnlich

die Leute seiner A r t ,

diesen ehrwürdigen S ta n d ,

wie der D ieb dm Polizcidiener.

Nach man­

cherley Gesprächen über R e lig io » , zu welchen er den P fa rre r nöthigte, forderte er ihn a u f, indem er a u s rie f: „ S a g e n S ie m ir doch, ob denn der «Verbrecher weniger geworden füi6 ,

seit unS

«d as Licht der Religion leuchtet? Sagen S ie « m ir doch, ob S ie der g ro ßen , edlen Thaten «m ehr aufweisen können und der Schurkereien «und Schelmereien w eniger, seit der Z e it, «das Christenthum ausgebreitet is t,

« a ls ehemals unter den blinden H e id e n , «Griechen und Röm ern? «ob vorm als « Kronen -

den

S ag en S ie m ir doch,

mehr K ö n ig S m o rd c,

Lander -

da

w eniger,

S traßen-

und Ehrenraubereien als

«gegm w ärtig vorfielen? Sagen S ie m ir doch, ob nicht in solchen P rovinzen, in welchen am eifrig» «sten die christliche Religion gelehrt und getrie«ben w ir d , am mehrsien Laster im Schwange „gehn? S agen S ie m ir doch, ob man je etwas « in der W e lt von Verfolgungen um des G la u „bens willen gehört gehabt, „d a das Christenthum ,

als seit der Z e it,

welches doch so herrlich

„D u ld u n g und Bruderliebe p re d ig t,

die M e n -

„schm gelehrt h a t, sich, verschiedener Mein»»,, „g e n wegen,- zu erw ürgen?" „W e n n ich durchaus a u f dies alles antworten „ s o ll, mein H e r r ! " erwiederte Ser P fa rre r „so „h ö re n S ie denn dies W enige! D e r Verbrecher „m ögen wohl vielleicht nicht weniger geworden „s e y n , w eil die christliche Religion d it menschliche „ N a t u r nicht umschaffen kann; aber sie hat unS „einenW eg gezeigt, der den Bösewicht vor V e r„zw e iflu n g zu bewahren verm ag, indem sie ihn „ v o r Verstockung w arnet und verspricht, ihn m it „liebreicher H and in den Schooß deö besten BaterS „zurückzuführen, wenn er sich bessert; S ie hat „ u n S , ansser den innern und aussern Vortheilen, „welche Rechtschaffenheit und Tugend gewähren, „noch einen Bewegung-grund mehr gegeben, gut „ z u seyn, nem lichdtn, daß w ir , durch Ausübung „je d e r P flic h t, dem gütigsten, liebreichsten W e„sen gefallen,

und ihm näher kommen.

ES

„ka n n seyn, daß unter den Heiden manche la u t „gepriesene schimmernde Tugenden, die aber oft » n u r glanzende Verbrechen, oder wenigstms Fan» „ta sm cn sind, in größerer Z a h l und in höherem „G ra d e geherrscht haben, alS bey u n s ; allein mehr

»stille, unerkannte, von niemand als dem eine «zigen G otte gesehene edle T haten werden gewiß »unter den Christen au sgeüb t, weil diese mehr »V eranlassung, mehr Gründ« da;u haben; weil »unsre Religion uns m it manchen Tugenden be­ g a n n t m a c h t, die von den Heiden verkannt » w u rd e n , w ie , zum B eispiel, die Liebe der »Feinde; weil sie uns andre von einer so lie»benswürdigen S eite vorstellt, daß ein gutgear»teteS Gem üth m it Enthusiasm us dafür erfüllt „w erden m uß; weil sie uns die Abscheulichkeit »m ancher Laster und mancher leidenschaftlichen »A usbrüche, wie zum Beispiel der R ache, m it »lebhaften Farben schildert. W a s S ie übn»genS unter den Landern verstehen, in welchen »die christliche Religion am eifrigsten getrieben » w ird , weiß ich nicht. S ie werde» doch wohl »nicht die H äufung gottesdienstlicher Caremo„nien und kirchlicher Versammlungen für wcsent»liche Kennzeichen h alten , daß an solchen O er» te rn , wo diese die besten Stunden des TageS » a u sfü lle n , am mehrsten Religion herrsche? » D ie acht« Religion Christi , das lassen S ie » S ich sagen, ist kein D iu g , so tn L ändern ge»trieben w i r d , wie S ie Sich vorhin ausdrück«

„ten, sondern ein Fener, das nur die Herze» „einzelner Menschen aus allen Kirchen, in allen „Gegenden der Erde erwärmt, und die, welche „eS erwärmt, auch gewiß glücklich und zugute» „Menschen macht.

Nicht die Lehre Jesu, fort;

„betn der Geist des Zeitalters und die Herrsch­ sucht der Menschen hat die Religionsverfolgun« „gen verursacht.

Indessen ist eS auch nicht sehr

„zu verwundern, wenn eine Lehre, die sowenig „gemacht ist, den bösen Leidenschaften derMcn„schen zu schmeicheln, zu Widersprüchen und „sophistischen Auslegungen Anlaß gegeben, doch „waren die, welche sich verschiedener Meinungen „wegen verfolgten, gewiß keine ächte Christen, „sondern sie nahmen die Religion zum Vorwände „ihrer unfriedlichen Gesinnungen, und würden „leicht einen andern gefunden haben, sich die „Halse zu brechen, wenn dieser nicht gewesen „wäre.

Sind nicht unsre Deisten, unsre Pfaffcn-

„feinde und unsre gelehrten Journalisten zehnfach „intoleranter und feindseliger, als unsre neueren „Orthodoxen?“ Ludwig wandte hiergegen wiederum man« cheö ein, persifflirte, wo seine Gründe nicht

hinreichten, und tarn dann auf einige spezielle Lehren der Religion, gegen welche er längst wi­ derlegte, auö den Büchern, die er ehemals in Gdttingen gelesen, geschöpfte Einwürfe vor­ brachte , zum Beispiel: von dem natürlichen Hange, den der Mensch zum Bösen hätte, für dessen Urheber er den Schöpfer erklärte, welcher, wie jeder Künstler, die Unvollkommenheiten sei­ nes Werks verantworten müßte, worauf ihm der Pfarrer nur antwortete: „daß das Universum „höchstvvllkommen erschaffen, daß der Mensch .-nicht der Mittelpunkt der ganzen Schöpfung, „und daß der freie Wille, womit Jener ausge..rüftet, die Gewalt, einen für ihn selbst guten „oder schlimmen Weg zu gehn , ein herrliches „Geschenk sey, das ihn in den Stand setzte, „sein eigenes Glück zu bauen, daß, wenn ihn „aber seine Begierden öftrer auf Abwege als auf „die rechte Straße leiteten, dies von der üblen „Lenkung dieser-seiner Federkräfte, nemlich der „Leidenschaften herrühre, die aber eben sowohl „auch den edelsten Handlungen den Ursprung „gaben, daß übrigens der Misbrauch seiner so „unschätzbaren Freiheit im Grunde niemand als „ihm selbst wesentlich schade, und daß dadurch

i? „b ie Vollkommenheit des ganzen Gebäudes im „M indesten nicht gestöhrt w erde."

Sodann kam S eclberg a u f das Erlösungs­ w erk, und fa n d : „daß es lächerlich sey, anzu­ n e h m e n , G o tt habe je darüber zürnen können, „d a ß die Menschen also sind, w ie fie ih re r schwa­ lchen N a tu r nach nothwendig seyn müssen, und „e s habe einer A r t von Aussöhnung, besonders „eines BlutopferS b e d u rft, um den über die «Unvollkommenheiten seines eigenen W erks er„zürnten Schöpfer zufrieden zu stellen."

H ie ra u f sprach er überhaupt von M o ra litä t und freiem W ille n : „W e n n der S chöpfer" sagte er „den T rieben, die in uns w irke n , eine solche „ K r a f t gegeben h a t,

daß sie uns m it G e w a lt

„ z u gewissen Handlungen hinreisse», trotz allen „künstlichen, konventionellen Vorkehrungen, die „d a s D in g so w ir V e rn u n ft nennen dagegen;n „treffe» sucht;

Wenn Furcht vor S tra fe und

„S c h a n d e , Ueberzeugung des Bessern, AuS„sichten von E le n d , Schmerz und Jam m er und „n ic h t zurückzuhalten vermögen,

diesen N a tu r-

„ trieben zu folgen, wie w ir denn täglich davon ScelbergsGesch.il. Th.

[319]

B

„bisaß hfpirfe wahrnehinen; so sehe ich nichtein, „ w ie w ir V erantw ortung davon haben können, „w e n n w ir diesen T rie b e n , das h e iß t, der Na« „ f ü r gemäß handeln , „ s in d ,

da diese Triebe stärker

alS a lle s , w as w ir ihnen entgegen 3 *

„setzen versuche», «nd w arum ein Mensch des„w egen verdammt werden sollte, w eil er seine „ N a m r nicht hat verlangnen können."

D e r P fa rre r wußte w o h l, daß man in der W e lt nie den M a n n überzeugt, dessen H e rz , bey dem Gegentheile dessen, w as w ir ihm bewei­ se» w o lle n , sich besser zu befinden g la u b t; E r s tritt deswegen sehr ungern über Glaubenslehren, w e il er w u ß te ,

daß ein solcher S tre it immer

mala fide geführt w ird ; doch konnte er auch den Gedanken

des V o rw u rfs

nicht e rtra g e n ,

er

schweige darum bey solchen A nfallen , w eil er nichts zum Besten seiner Sache zu sagen wüßte. In

dieser Verlegenheit befand er sich auch itzt.

W aS er also a n tw o rte te ,

sollte weniger eine

förmliche W iderlegung der so oft schon wider­ legten E in w ü rfe , a ls vielmehr ein Zeugniß seyn, daß ihin die Lehren, welche S eelberg angriff, tbener und heilig w ären.

„ M e in H e rr" sagte er

also »diese Gegenstände sind so oft in den vor»treflichsten Werken solcher M ä n n e r, die von der »W a h rh e it der ReligionSlehren zwar nicht mehr »überzeugt a ls ic h , aber geschickter w a re n , den » G ru n d ihrer Ueberzeugung Andern vor Augen „z u legen, daß ich mich in meinem ober Ih re m „N a m e ij schämen m ü ß te , „ w o ll t e ,

wenn ich glauben

S ie stritten über dergleichen Gegen«

„stände, ohne d a ö , w as hierüber schon so viel» fä llig ist vorgebracht w orden, gelesen und dnrch»dacht zu haben.

Also nur so vie l! DaS große

»VersdhnungSopfer Christi ist wohl von einigen »Lehrern

der R eligion nicht immer auS dem

»rechten Gesichtspunkte betrachtet worden.

D ie s

»göttliche Geheimniß von der Menschwerdung »G vtteS ist zwar auch w eit über unsern Gesichts» »Punkt erhaben, und w arum sollte es auch das »nicht seyn, da so sehr v ie l, ja beinahe alles in »der N a tu r, uns Geheimniß ist ? Wenn w ir nicht »begreifen können, wie es zugeht, daß lebendige «Geschöpfe wiederum ihres Gleichen zeugen köii» n e n ; wenn w ir nichts wissen von dem Wesen »des uns belebenden Geistes und von dem Z „ »sammenhange der sichtbaren und unsichtbaren » W e lt ;

so ist es wohl nicht zu verwundern,

„ro tn ii w ir noch weniger fassen können, wie eS „möglich gewesen, daß die höchste G ottheit sich „ m it der menschlichen N a tu r habe vereinigen kön„ n e n , daß es dieser Vereinigung bedurft, »m eine „durch den F a ll der Menschheit zerrissene B e r„bindung mir der göttlichen Urquelle wieder an» „zuknüpfen,

und wie diese göttliche N a tu r auch

„ a lle Leiden und V erfo lg u i^ en habe erdulden, „ j a ! selbst den schimpflichsten T od sterben müs„sen, den die widerstrebende Bosheit dem G o tt„menschen zubereitete, und der zugleich Bestätti„gung seiner göttlichen Sendung und der Vor» „treflichkeit seiner Lehre w a r.

Ic h sage, w ir

„begreifen das nicht, können aber fest überzeugt „seyn ,

daß G o t t , unser liebreicher Schöpfer,

„nicht zugeben w ürde, daß so viel tausend seiner „Geschöpfe G lü c k ,

Seelenruhe und Seligkeit

„au s einen Ir r t h u m baueren, und darauf lebten „und stürben, wenn es wirklich Irrth u m w äre. „U n d was bedarf es abstrakter Beweise für eine „L eh re,

deren wohlthätige Folgen fü r die ganze

„Menschheit so sichtbar sind, eine Revolution, „der w ir A u fkläru n g , Freiheit und Berichtigung „ a lle r

unsrer moralischen

„ griffe zu danken haben?

und politischen D r Uebrigens,

mein

„Sperr! w undert es mich gar n icht, d aß , nach «den Id e e n , welche S ie von M o ralität zu habe« «scheinen, von der Befugniß jedes Menschen, «feinen Trieben zu folgen, und von der Unmög«lichkeit, gewisse Leidenschaften nach und nach «durch vernünftige Vorstellungen und M ittel zu « d äm p fen , daß S ie bey diesen Gesinnungen «lieber nicht an die W ahrheit der christlichen «R eligion glauben. W a s soll m an m it einem «beschwerlichen Hofmeister m achen, wenn m an « s i c h vorgenomnien h a t, ihm nicht zu folgen? « I n diesem AngenbÜcke würden die stärksten «Beweise S ie weder überzeugen noch beruhigen: «aber ich verfichre S i e , daß D e r, dessen H er; „den wohlthätigen Einfluß des Christenthums « a n sich selbst em pfindet, D e r, dessen inneres «m oralisches, nicht verw ahrlostes Gefühl in «allem m it diesen Lehren harm onirt, der seine» «W andel nach etw as einrichtet, d a s , wie P rio r « s a g t, erhabener als der S chul - Ja rg o n von «T ugend nnd La st e r , und Heber ist als der «todte Buchstabe des Gesetzes, daß D er gar «keine Beweise für die Acchtheit der scligma„chtndsien Lehre fordert. Ic h hoffe, dieses Ge«fühl wird auch einst in Ih n e n erwachen —

rr «D o ch , noch e in s! Wissen S ie irgend eine bes„sere Lehre, die beruhigender und vernünftiger » is t, die unS mehr T rost g ie b t, mehr Zweifel «auflöset,

eine gesundere Philosophie e n th ä lt,

»uns tiefere Blicke in die menschliche N a tu r und „ i n das In n e re der Schöpfung thun lä ß t, und »uns bestimmtere Nachricht von unserm vergan„genen und künftigen Zustande giebt; so beglü„cken » Ic h

S ie

mich durch M itth e ilu n g

bin b e re it,

derselben!

sie anzunehmen, und mein

„C hristenthum öffentlich zu verläugnen."

S eelberg that nun bey diesen und ähnlichen Beantw ortungen seiner E in w ü rfe d a s, was die Franzosen battrc la Campagne nennen; E r kam aus dem Hundertsten in daö Tausendste, hielt sich bey einzelnen S tellen der W iderlegung auf, wo etwa der Ausdruck nicht bestimmt genug ge­ wesen, wo nicht alles w a r gesagt w orden, w as m an hatte sagen können, und gegen das W e­ nige , so der Vertheidiger vorgebracht, sich man­ ches noch erinnern ließ.

Sodann kramte er sein

Systemchcn a u s , welches er sich a u f seine eigene H and

vom Universum zufammcngcstickt hatte,

ein S y s te m , d a - freilich unendlich mehr Lücken,

2Z als das der Theologen ,

und oben drein noch

eine ungeheure Menge von Widersprüchen zeigte, im Ganzen aber, seiner M einung n a c h , ganz neu w a r , obgleich es aus acgri fo m n iis bestand, d ie ,

vor ih m ,

ältere Philosophen,

E p ik u r,

C artesius, B o u la n g e r, S pinoza und H elvetius, und G o tt weiß wer sonst noch! sehr viel zusam» menhängender geträum t hatten.

A llein das ist

das Fach solcher neuern Weltwciscn n ic h t, der­ gleichen Werke zu lesen, unbestimmten Id e e «

aus welchen sie ihre

berichtigen,

oder wenig­

stens sich und Andern viel unnütze W orte erspa­ ren könnten, wenn sie lesen w o llte n , wie man ihre Ideen schon vor Jahrhunderte» gehabt hat. D a kam denn aber ein Gemische von M a te ria ­ lis m u s und Id e a lis m u s und Atheism us zum Vorschein.

D e ism u s

und

B a ld waren das

Universum und die G ottheit E i n s ;

bald w a r

alles von E w igkeit her also gewesen; bald halte sich alles durch S ym pathie nach und nach har­ monisch vereint und g e fo rm t; bald w a r alles, w as w ir sehen, hören, denken und empfinden, Täuschung;

bald w a r die M o ra l die von der

N a tu r selbst geordnete Richtschnur zu E rhaltung der H a rm o n ie ; bald diese nemliche M o ra l ein

Fantom — Doch, Armseligkeiten.

ich schweige von solchen

So sahe e- indessen mit Ludwigs Sittlich» keit und Religiofität aus, und in ihm schlief jede Federkraft, jedes Streben, etwas Nützli­ che- für W elt, Menschen und Gesellschaft zu thun. Alles konzentrirte sichauf den abgeschmack­ testen Egoismus, wozu dann noch eine unermeß, liche Einbildung von seinen Verstandeskräften und seinem Vermögen , über Gegenstände aus allen Fächern der Gelehrsamkeit zu entscheiden, eine Verkalkung des Herzens, eine Begierde witzig zu seyn, alles, auch das Ernsthafteste und Ehrwürdigste von der lustigen Seite anzusehn, und ein Hang zu hämischem Spotte und zu kleinen, unedlen Neckereien fich gesellte. Dies B ild , so wie ich es da aufgestellt habe, lieb« Leser! ist wohl das Bild eines sehr verächtlichen Charakters, und man wird sagen, daß nicht leicht eine Schurkerey gedacht werden könne, deren nicht ein Mensch fähig seyn sollte, welcher aus Grundsätzen untugendhaft, ein Ver­ ächter der Religion, eitel, Egoist, sparsam in

Geldsachen, ohne solide Gelehrsamkeit, unthätig und nntheilnehmend ist, keinen Freund und keine Geliebte, aber einen Hang. zur schlimmsten Art von Satyr« hat

— Und doch verzweilfle ich

nicht daran, Sie noch einst mit dem Helden mei­ ner Geschichte wieder auszusöhnen, ja ! um I h ­ nen dies wahrscheinlich zu machen; so erlauben Sie m ir, Ihnen Folgendes vorzustellen: Lud­ wig mar noch kein M an n , folglich hatten gute und böse Dispositionen bey ihm noch nicht, durch die Fertigkeit, seinen Systemen gemäß zu han­ deln , irgend einen Grad von Festigkeit erlangt. I n den JänglingSjahren hat man in der That noch keinen bestimmten Charakter, besonders wenn man, wieSeclberg, sanguinischen Tempe­ raments, folglich leicht zu reizen, leicht umzu­ stimmen , leicht froh zu machen und in der Fröh­ lichkeit fähig ist, Empfindungen deS Wohlwol­ lens in sich erregen zn lasse».

Dazu kam dann

auch noch eii» Ueberrest von den ersten Eindrükken ans seiner zarten Jugend, die nicht so leicht verlöschen, ein gewisser Instinkt, ein heimliches Sehnen nach einer friedenvollern Cristen; und ein Thatigkeitstrieb — welches a ü e $ itzt zwar in ihm schlummerte,

aber oft nnwillkührlich

erwacht«, wie ich davon ein paar Beispiele bey Gelegenheit zweier V o rfä lle erzählen werde, die ihm a u f seiner Reise begegneten.

Jetzt wurde aber w irklich von vielen Seiten alles dazu beigetragen, ihn in feiner V e rirru n g zu erhalten.

L e u c h re n b n rg , fein Reisegcfell-

schafter, suchte aller O rten die Fehler der M e n ­ schen a u f, um seine Anekdotensucht zu befriedi­ gen.

E r besuchte in allen Städten die m it ihm

brüderlich verwandten R e fo rm a tio ns- und A u fklärungszünfte, und schloß sich an den H aufen der Malkontenten ,

die deswegen a u f Fürsten,

Regierungen und Klerisey schimpften ,

w eil sie

nicht an der Spitze standen, sondern eine kleine F ig u r im S ta a te spielten.

H a tte nun beuchten»

b ü rg entweder in Seelbergs Gesellschaft oder, wenn Dieser

sinnlichen

Vergnügungen

nach­

rennte, ohne ihn den ganzen T a g durch sich so herumgetrieben; so kramte e r , wen» sie des Abends mitemmtber allein w a re n , seinen ganzen D o rra th von gesammleten hämischen Bemerkun­ gen ant.

Selten begegnete eS ih m , zu erzäh­

le n , er habe eine nicht viel Seim machende edle H andlung e rfa h re n ,

eine» w ahrhaftig großen

M a n n entdeckt; denn die großen Leute dringen sich den Reisenden nicht a u f, sind auch mebrentheilS die am wenigsten Bemerkten, Unbekann­ testen im V o lk e , und wenig Reisende haben Ge­ legenheit dazu und S in n d a fü r ,

die stille n ,

häuslichen Verdienste zu bemerken,

und den

großen M a n n in seinen Familienverhältnisscn ken­ nen zu lernen, da doch hiernach allein der wahre W erth eines Menschen bestimmt werden kann. D ie öffentlichen, a u f dem bürgerlichen Schau­ platze vorgehenden H andlungen werden theils von Konventionen re g ie rt, denen sich Verfasser und Schauspieler unterwerfen müssen, und die fast allen diesen Handlungen eine gewisse Gleich­ förm igkeit geben; theils w irk t der Zauber der K u n s t, die Schm inke, der Putz und die E r­ leuchtung durch ihre Illu s io n so m ächtig, daß man daö W ahre nicht von dem Falschen unter­ scheiden kann, und endlich ist es überhaupt un­ b illig , wenn man auch n ur a u f einen Augenblick vergißt, vast man va n u r Schauspieler siehe, denen ihr P rin z ip a l, das Schicksal, eine R olle zugetheilt h a t, die ihnen oft unnatürlich genug ist.

D a aber S celdcrg hierauf wenig Rücksicht

n ahm ; so sahe er freilich D inge genug, die seinen

W iderw illen gegen die Menschen vermehrten — A ller

O rten

Schein fü r W ahrheit

verkauft,

Heuchele», für Tugend und Gottesfurcht; D u m m ­ heit und Unwissenheit in dem Gewände verschlos­ sener W eisheit oder prahlender Unverschämtheit; D ie

a u f die höchsten S tu fe n

Erhabenen ,

irdischer Hoheit

die von dem V olke als die Besten

und Weisesten Gepriesenen o f t ,

in der Nähe

betrachtet, die gemeinsten, mittelmäßigsten M e n ­ scheu;

Berühmte Gelehrte und Bücherschreiber,

deren Manche im gemeinen Leben nicht fähig w a re n ,

ein einziges verständiges,

zusammen­

hängendes Gespräch, das nur gesunde V ern u n ft verrathen hatte, über irgend einen Gegenstand z u fü h re n ; Philosophen und S ittenprediger, die niedrige S klave» der unmäßigsten Begierden w a ­ ren ,

und Künstler ,

w o rau f die N a tio n stolz

w a r , die kein Kunstgefühl, nicht den geringsten philosophischen S i n n ,

nicht einen G ra n eigenen

Geschmacks, O rig in a litä t, noch w ahren, feinen S tu d iu m s h atten ,

und mehr dergleichen E r ­

scheinungen.

W as

sodann Seelbergg religiöse S tim m u n g

betraf; so wurde auch diese a u f seiner Reise nicht

veredelt.

Er traf, besonders in den katholische»

Ländern, unter dem vornehmen und gemeinen großen Haufen (und den kleinern lernte er ja nicht kennen, wie wir gehört haben) nur zwey äusserste Punkte an, nemlich entweder die nie­ drigste, platteste Bigotterie, oder die frecheste Irreligiosität und, von Zügellosigkeit der Sitten begleitete Verspottung alles dessen, was den Bessern das Ehrwürdigste ist; Geistliche, welche die Religion lästerten, sich aber doch reichlich dafür bezahlen liessen, die Diener und Verkün­ diger dieser Religion zu seyn (welches nun freilich höchstschändlich und abscheulich ist). Alle diese Beobachtungen nun wirkten in Seelbergs Denkungsart und Charakter Bestär­ kung in den bösen Anlagen, mit welchen er ausgereiset war.

D a er ferner, bey dem Herum­

ziehen, täglich mit andern Menschen von so ver­ schiedenen Arten lebte;

so interesfirte ihn fast

Keiner mehr; Er lernte auch, für jede Gesell­ schaft einen andern Ton annehmen,

weil sein

Genuß vermehrt und seiner Eitelkeit geschmeichelt wurde, indem man ihn gern sah, wenn er sich den Leuten gleichstellte,

und der ganze Zweck

feiner Reise kein andrer w a r , als der: sich zu belustigen.

Ueber diese Geschmeidigkeit und öftere

Umkleidung in andre Formen aber, gieng nach und nach alle Eigenheit und Bestimmtheit verlohren.

W e il indessen doch ein Mensch von so

viel Ansprüchen,

wie S e e lb e rg ,

gern etwas

Ausgezeichnetes vorstellen m ag; so nahm er zw i­ schen durch w ieder, besonders im Aeussern, eine gewisse Bizarrerie a n , die er sich selbst fü r O r i­ g in a litä t verkaufte, und w o rin n auch S ig n o r Leuchtenburg ihn bestärkte.

D ie beiden itm gcit

H e rrn kleidete« sich daher a u f eine ganz aus­ gezeichnete W eise,

redeten eine gewisse K ra ft­

sprache, und machten allerley Geniestreiche, so, daß sie in einer S ta d t den R u f von angenehmen Gesellschaftern, in einer andern den von sonder­ baren Menschen h a tte » ,

indeß man ihnen in

einer dritte» das Zeugniß g a b , es fehle ihnen zw ar nicht an V erstände, aber es sey noch nicht recht geordnet in ihren K ö p fe n , und man sie in mancher S ta d t fü r Thoren h ie lt, aber aus kei­ ner einzigen ihnen nachsagte: „ D a reiset wieder „e in P a a r recht edler Jünglinge h in !"

Zl

Zweites Kapitel. ^ c h habe vorhin versprochen, ein paar Hand« ^

lungen von Seelberg zu erzählen, die er

a u f der Reise a u sü b te ,

und die D i r ,

lieber

Leser! beweisen sollten, daß dieser jungeM ensch noch nicht so sehr verderbt w a r, daß er nicht fähig gewesen w ä re , zuweilen zu bessern Gefühlen zu erwachen, gute Thaten m it Entschlossenheit zu begehn, und m it W ärm e und Uneigennützigkeit zu handeln — H ie r ist die Erzählung da vo n !

A lS er an einem Nachmittage in B e rlin allein durch eine von den schlechtesten Gasse» gieng, sahe e r, am ofnen Fenster eines m itte l­ mäßigen Hauses

im obersten Stockwerke, ein

junges hübsches Frauenzimmer stehen,

die ein

Tuch vor ihre Augen h ie lt, als wenn sie weinte, doch aber, sobald sie ihn gewahr w u rd e , sich zn einer heitern, anlockenden M iene z w a n g ,

und

ihn ohnabläßlich m it den Augen begleitete.

Da

Seelbergen diese Augensprache nicht unbekannt w a r ; da das Ansehn des HauseS , darinn das Mädchen sich aufhielt und ih r zieinlich bescheide­ ner , reinlicher Anzug ihn berechtigten, zu glau-

ben, eö sey dieS Frauenzimmer weder ein öffent­ liches Freudenmädchen, noch auch zu strenge ge­ s in n t; da ferner der U m stand, d a -s ie geweint hatte, das Abentheuer doppelt interessant machte; so blieb L u d w ig einen Augenblick nicht fern vom Hause stehn, betrachtete so,

daß die Schöne

seine Absicht merken konnte, das Gebäude ge­ nau , um eS wieder zu kennen, nahm hierauf freundlich seinen H u t a b , sahe noch einmal starr nach der H a u sth ü r h in , dann nach dem Fenster h in a u f, und gieng fort.

AIS er nach Hause kam , schickte er den J ä ­ ger T r ille r a u s , der, im Vorbeigehn zu sagen, sein M e rku r in Liebesangelegenheiten w a r, be­ schrieb demselben Gasse und H a u S ,

und tru g

ihm a u f, sich zu erkundigen, wer das Mädchen sey, und wie er eS anfangen könne, sie zu spre­ chen.

T r ille r , welcher vorm als bey einem D om ­

herrn gedient hatte, wußte m it solchen Geschäf­ ten vortreflich umzugehn. den W e g ,

E r machte sich a u f

noch ehe eS dunkel w u rd e ,

gieng

grade in da- H aus und stieg die Treppe hinauf, ohne sich zu besinnen, bereit, wenn ihn jemand über seine K ühnheit angefahren oder ihn aufge»

haltet» haben würde, sich »nieder gewöhnlichen Entschuldigung . er habe das unrechte Haus ge» „troffen" diesmal wieder zu empfehlen, und eine andre Gelegenheit zu erlauer»; allein er kain sicher bis vor das Zimmer und klopfte an; nun rief: .herein!" und er öfnere die T hür, da er dann die Schöne, mit dickverwcnue» Augen, auf einein Ruhebette sitzend antraf,

Herr T r il­

ler hielt einen B rief von Ludw ig in der Hand, und so war denn sein Gewerbe bald angebracht. Das Billet enthielt: ..die gervöhnliche» Bersi» „cherungen von der Wirkung, weiche dl« Schön„heit der Demvisille auf Seelberga Herz ge» ..macht, und den Wunsch, ihr diese Empfin« „düngen persönlich an den Tag legen zu dürfen, „wozu er sich die Erlaubniß, nebst Bestiimnlmg „v«»Zeit und O rt auebak, und dafür dievoll„ko«nmenste Erlenutlichkeit versprach.'

DaS

Frauenzimmer nahm diesen B rief sehr menschen­ freundlich auf ..und ließ sich dem Herrn gehor„samst »vieder empfehlen, mit derDersicheruug, „obgleich sie nicht das Glück hätt«, ihn zu ken«nen; so werde es ihr doch, wenn er ctrvas mit „ih r zu reden hatte, viel Ehre seyn, ihn bey sich „zu sehn; Sie überlasse die Stunde , wenn t( Seelbcrgs Gesch. ii. Th. E

„kommen w o lle ,

seiner B estim m ung;

fie sey

„im m e ra lle in , ih r eigener H e r r , und könne V e­ rsuche anuehmen, von wem sie w o lle ."

K aum hatte L u d w ig diese Nachricht vernom­ men ; so «»achte er sich a u f den Weg zu seiner Schönen.

E r fand sie geputzter als vo rh in ,

doch aber in der T h a t sittsam genug gekleidet, neben einem kleinen Tische,

lesend in einem

Buche, welches e r, als er einen B lic k a u f das aufgeschlagene B la t t w a r f,

fü r Gellerts »nora-

lische Vorlesungen erkannte.

D e r J n n h a lt dieses

B u c h s , der Auzug des Frauenzimmers und ih r bescheidener,

g a r nicht frecher A n sta n d ; das

alles kontrastirte so sonderbar m it der Absichr, derentwegen er fie besuchle, und welche sie durch die höfliche Annahme seines Briefes

und die

darauf ertheilte mündliche A n tw o rt zu begünsti­ gen geschienen hatte, daß er wirklich nicht »rußte, in welchen Ausdrücken er seinen A ntrag mache» s o llte : „Mademoiselle 1“ sagte er endlich „ E s „k a m m ir diesen N a ch m itta g , als ich S ie am „Fenster sahe, v o r, als weinten S ie , und als „sehnten S ie S ich nach jem and, der Ih n e « in „d e r Lage, in welcher S ie S ich befinden, und

„b ie vielleicht nicht die angenehmste is t, beisteheu «mögt« —

Ic h konnte ohnmbglich so schön«

„A n g e n in Thränen schwimmen sehn" (dabey er» g riff er ihre H a n d , die sie nicht zurückzog, und drückte dieselbe) „ohne von M itle id und Verlan» „g e n Ih n e n nützlich zu werden, gerührt zu seyn. „ I c h komme also, Ih n e n meine Dienste anzu» „bieten.

W ie sehr mich Ih r e Schönheit bezau-

„b e rt h a t, das hat Ih n e n mein B r ie f schon ge» « s a g t; Jetzt erwarte ich n ur von Ih n e n den „A u ssp ru ch , ob S ie fü r einen Menschen, wie „ic h b in , einiges G efühl von Zutrauen und Zu» „neigung empfinden können, oder nicht.'

D ie

Schöne antwortete hierauf m it niedergeschlagenen A u g e n : » Ih re Person, mein H e rr ! m is fä llt „ m ir gar nicht, und ich zweifle auch nicht daran, „d a ß I h r M itle id e n m it meinem Zustande ernst» „lic h is t; aber S ie können m ir nicht helfen, und „niem and a u f der W e lt kann das.

Ic h werde

„n ie keine frohe S tunde wieder haben — Reden „ w i r lieber nicht ferner d a v o n !" —

Seelberg hatte das Gespräch tu einem zu feierlichen Tone angefangen, als daß er nun a u f einmal hätte abbrechen und zu drin Hauptzwecke

36 feint# Besuch# , ncmlich zu feinen materiellen XiebeSanträgen übergehn können; Auch gestehe ich, so sehr er Aiidschweifungen init Frauenzim­ mern ergeben w a r; so hatte doch für ihn , dessen Steckenpferd immer Menschenkenntniß gewesen, eine Erzählung von allerley wunderbaren Schick­ salen etwa# zu Interessante#, als daß er nicht zuerst darauf bestanden w ä re , mehr von der Geschichte de# Frauenzimmer# zu erfahren. ..M adem oiselle" sagte er daher „ E s giebt kein „Unglück in der W elk , für welches sich nicht „ M itte l finden liessen, wo nicht zur gänzlichen „ T ilg u n g , doch zur M ilderung. S ollten e# „n u n gar blo# Verlegenheiten in Geldsachen seyn, „weswegen S ie so viel Kummer leiden; so „w ürde ich — wofern ich im S tan d e dazu «wäre — Freilich bin ich nicht sehr reich; aber „wenn Ih n en m it einigen Pistolen geholfen seyn „könnte" — Hier zog er feinen Geldbeutel her­ vor , und wollte einige Friedrichsd'or daran# holen, als ihn das M ädchen aufhielt, indem sie sagte: „Bemühen C ie Sich nicht! Ic h bin „nicht eine# von den Frauenzim m ern, die durch „G eld zu erkaufen sind. Ic h brauche wenig, „leide jetzt keinen M a n g e l, und könnte, wenn

..ich des Gelde- bedürfte, durch meiner Hände ..A rbeit so viel erwerben, als zu meinem Unter» «halte nöthig w äre." —

Diese Uneigennützigkeit an einer Buhldkrne — mtb

dafilr mußte

sie doch Seelbcrg haken,

sowohl nach der B e re itw illig k e it, m it welcher sie seinen Besuch und seine Liebe-erklärung ange­ nommen h atte , a ls nach ihrer Gesicht-bildung zu u rth e ile n , in welcher e r, der auch Physiognvmist w a r, verlohrne Unschuld, zu ftü h verblä» hete J u g e n d ,

M a n g e l an Seelenfrieden und,

in den unfichern, zuweilen schielenden, irrenden B licken, Beängstigungen des Gewissens zu lesen glaubte ■ — Diese Uneigennützigkeit,

sage ich,

befremdete ih n ; S e in guter Genius flüsterte ihm dann z u :

,,D a - Mädchen scheint einer bessern

«Leben-art w ü rd ig , scheint seit noch nicht langer « Z e it a u f d'er B a h n de- Lasters zu g e h n ,

ist

„vielleicht v e rfü h rt, und kämpft jetzt zwischen «der Habitüde schlecht zu handeln

und dem

»Wunsche, einen Retter zu finden, der sie wie«der m it ihr selbst aussöhnte,

und sie an ein

«T ageslicht zöge, an welches sie eigenmächtig «hervorzutreten nicht M n ih genug h a t."

D ir«

ftr gute Gedanke verband sich mit Ludw igs Neugier, mehr von der Geschichte zu erfahren, t'cvmogtt ihu, alle Liebkosungen einzustellen, und dagegen dringend um Erzählung ihrer Be» gebenheiten zu bitten. B as Frauenzimmer war nur mit Mähe zu bewegen, mit einer Geschichte hervorzurücken, deren Mittheilung, wie sie sagte, ihr dvchkei» neu Nutzen bringen , ihr Schicksal um nichtleidlicher machen könnte; doch ließ sie e-sich end, sich gefallen einzelne Bruchstücke daraus zu erzählen, ließ noch Manche- errathen, Man» che- sich ausfragen, und da Seelberg nachher Gelegenheit fan d , durch da- Zeugniß andrer Personen, an- diesen Fragmente» ein Ganzezu machen; so will ich S ie jetzt, nach allen diesen Nachrichten, in der Kürze mit den Schicksalen des jungen Frauenzimmers bekannt machen.

,

Auguftine (Ih re n Familiennamen werden Tie in der Folge erfahren) war die jüngste Loch» ter eine- geschickten Schulmanne- in einer ziem» sich großen S ta d t, eines M anne-, der mehr

Kenntnisse von ein« gelehrten, als von einer häuslichen Erziehung, am Wenigsten aber von demjenigen h a tte , waS zur Bildung junger Frauenzimmer gehört. E r liebte dieses fein jüng­ stes Kind vorzüglich vor den andern, weil eS, wenn er ausruhen wollte von ernsthaften Ge­ schäfte«, uni ihn herumft'Ielte, scherzte, und ihn aufm unterte, ind«fi die andern, mehr erwach­ sene» Töchter, schon die ihrem Geschlechte so ei­ genen Launen hatten, über irgend eine unbedeu­ tende Kleinigkeit das M aul hängen liessen, von thörichten Fantasten und Wünschen verstimmt wurden, fich unter einander zankten, den alten B arer viel zu langweilig fanden, m it Einem W o rte ! ihm wenig Freude machten. E r ver­ wendete also, seiner M einung nach, viel S o rg , fält auf die Erziehung der kleinen A ugusiine; wirklich versprach auch da< Mädchen recht viel, und w ürde, wenn sie immer in guten Händen gewesen w äre, keine Hoffnung vereitelt haben; allein der B a t« starb, a l- sie erst zwölf Zahre alt w ar; für die M utter hatten die Kinder immer wenig Ehrerbietung gehabt; zwar fehlte es der­ selben nicht an gu:em W illen , und sorgte sie d afü r, daß die Mädchen weibliche Arbeite» a ll«

A r t lernten; von Aufmerksamkeit a u f die kleinem Züge und Nüancen der Charaktere hingegen und von feiner B ild u n g deS Herzen- wußte d a - gut« W eid nicht viel.

Neben de- R ektor» Hanf« a n , wohnte eine hohe tN a g is tra rs p e rfo n ,

nemlich ein Bürger»

Meister m it seiner F a m ilie ,

und da in diesem

Hause eine Tochter von gleichem A lte r m it Lu« guffineri w a r; so lie f Diese oft zu J e n e r, und die A rau R ekrorinn machte sich eine A r t von Ehre d a ra n » , daß ih r K in d in so vomehmen Verbindungen stand.

N u n aber w a r die F ra u B ürgerm eisterinn «in schändliche» W e ib , von den schlechtesten S it» te n ,

j a l ihre A ufführung w a r von der A r t ,

daß , wenn sie eine gemeine B ü rg e r-fta « gewe» sen w ä r e ,

der H e rr Bürgerm eister sie ohne

Zweifel den Polizridienern besten- würde em« pfvhlen haben, statt daß sie jetzt den Befehlshaber der Polizey nach W illk ü h r beherrschte, ihn g la u , den machte, w a - ih r g e fie l, und wenn er ja einen Berdacht bekommen w o llte ,

ihn durch

Künste aller A r t und ein Gewebe von Lägen von

13421

4 1

der S p u r ihrer LiebeShändrl abzuleiten wußte. Die« abscheuliche Geschöpf begnügte sich «.icht, selbst Tugend/ Religion und Ehre zu verläug» ne«/ sondern fi: suchte auch ihre eigene Tochter und A ugust,neu ;» gleicher Lebensart zu verfüh­ ren. S ie erfüllte die Fantasie dieser unschuldi­ gen Kinder mit wollüstigen B ildern, lenkte ihre Aufmerksamkeit ab von der stillen, häuslichen Glückseligkeit, von den frirdenvollen, segenrei­ chen Freuden, die eine redliche H ausfrau schinek» ke», und um sich her verbreiten kann, und un­ terrichtete sie dagegen in der K unst, M änner — nicht dauerhaft, durch gewonnene Achtung und erwiederte treue Liebe, zu fesseln, sondern — her­ anzulocken , zu täuschen, z«, blenden, sie un­ merklich zu binden, so oft sie aus dem Netze springen wollen; zu gleicher Zeit mehrere Lieb­ haber festzuhalten, so daß jeder sich für den ein» zig Erhörten halten, und selbst in ihren A'.men, nn Besitz ihrer höchsten Gunstbezeugungen, immer glauben «mißte, er sey der E rste, fcmt sie dies -Opfer brächten; ihre ganze Eristenz in den üppigen Genuß brsta'id'g wechselnder frivo­ ler sinnlicher Freuden zu s>Yen; der heiligen Re­ ligion zu spotten, G'bek und gotteSdicnstliche

Uebungen zu vernachläßigen; den Umgang ver­ ständiger Menschen zu flieh», nur fü r körperliche Reize S in n zu haben, kein Gefühl fü r Schön­ heit der Seele; m it schamloser Frechheit die M e i­ nung des Publikum s und keuschen R u f zu ver­ achten , v o ll Zuversicht a u f den Schutz D erer, die sie durch ihre Buhlkünste a u f ihre Seite ge­ bracht hatten; sich jeden B etrug zu erlauben, um innerlich und äusserlich anders zu scheinen, a ls sie wären —

und also nicht Rücksicht zu

nehmen a u f die Folgen einer solchen Lebensart im hohen A lt e r , welches doch auch Diejenigen zuweilen wider W ille « erreichen, die am ärgsten a u f ihre Gesundheit losstürm en, wo dann allge­ meine V erachtung, häßliche G e s ta lt, die das Register der Ausschweifungen a u f der S tirn e t r ä g t , Kränklichkeit, Gebrechlichkeit d e - halb­ verfaulten K ö rp e rs , Ueberdrnß, zu späte Reue und Verzw eiflung der Preist der so herrlich genos­ senen Jugend sind; N icht Rücksichtzu nehmen a u f den lctzten entscheidenden Augenblick, wenn das von Lastern befleckte Herz brechen m u ß , und «im offen da lie g t, wenn die S tim m e des Rich­ ters Rechenschaft fordert —

A lle in

die F ra u &Srgemti(hrinn ließ



auch nicht einmal bey diesem theoretischen Unter­ richte bewenden, sondern sucht« den jungen M ä d ­ chen Gelegenheit zu verschaffen, praktisch auszuüben.

ihre Lehren

S ie führte sie zn gewissen

höchstunnatürlichen Ausschweifungen a n ,

und

suchte ihnen Ltebhaber herbeizuziehn, m it denen sie ih r Probestück machen mußten. sie a u f M a s k a ra d e n , sowohl daselbst,

S ie führte

und sorgte d a fü r ,

daß

als a u f andre A r t und z«

H a u fe , durch Lesen verführerischer S ch rifte n , der ganze S in n der beiden jungen Mädchen auf Liebe, oder —

daß ich diesen heiligen Namen

nicht entweihe! — a u f viehischeWollust u n d U n , zucht gerichtet w a r.

Noch hatte A u g u ffin e nicht

das

fünfzehnte

J a h r erreicht; (sie w a r siebenzehn a l t , als S e e l­ berg sie in B e rlin a n tta f) so w a r sie schon an Leib und Seele ihrer Unschuld beraubt, und bald in einer solchen Gewohnheit zn b uhlen, daß sie auch nicht einen einzigen Menschen von irgend leidlicher Gestalt sehen konnte, ohne ihre großen blauen Augen anfzureissen, und ihn so lange m it Blichen zu lochen, bis er ih r einige Aufmerksam»

feit widmen mußte.

N un fanden sich unter dem

Haufen von Jünglingen immer sowohl derglei­ chen , die sich das zn Nutze machten, und da einkehrten, wo man ein so hübsches S child aushieng, als auch A n d re , die wirklich lle dünne fo i verliebt tu sie wurden, und ihr so lange m it ganzer Seele anhiengen, bis sie sie näher kennen lernten; doch wußte sie das a lle s , ihrer redlichen Verwandten wegen (die freilich weiser gethan hätten, wenn sie achtsamer bey der W a h l ihreUmgangs gewesen wären) äusserst geheim anzu­ fangen, wozu ihr denn ihre Lehrerinn die feinste Anweisung gab.

E s würde die ehrliche M u tte r

in das G rab gestreckt haben, wenn sie das alles gewußt hätte; E s konnte indessen nicht fehlen, daß

»cht endlich die Verwandten / vhngeachtet

ihrer unbeschreiblichen Verstellung ,

Lügen und

heimlichen M achinationen, gemerkt hätten, a u f welchem Wege A ugnffm e zu waitdeln anfieng; A lle in , daß es schon so weit m it ihr w ä re , das liessen sie sich nicht träumen.

D as

Sonderbarste dabey w a r ,

daß das

ittnec M aschen in der T h a t weder romanhaft überspannt, von einem zu fühlbaren Herzen irre»

geführt, noch durch sehr reizbare N erven, durch Temperament hingerissen wurde —

N e in ! sie

w a r an Geist und Körper mehr kalt als feurig; folglich hatte sie auch nicht Ein« Entschuldigung fü r die V e rirru n g e n ,

denen sie E h re , zeitliche

und ewige Glückseligkeit aufopferte.

S ie spielte

ganze R om ane, w oran ih r H erz nicht den ge­ ringsten A ntheil n a h m , oft zwey b i- drey zu gleicher Z e it, und schlief dabey sehr ruhig.

ES

w a r ih r zur andern N a tu r geworden, ihre ganze Aufmerksamkeit a u f nicht- anders als a u f solch« Gegenstände zu richten; fü r alle-U ebrige hatte sie den S in n verlohren.

S ie w a r stumm und

«ntheiluehmend in gesitteten Gesellschaften, un­ empfindlich fü r ächten W itz und unschuldigen Scherz ; K inder und alte Leute waren ihr. zum E kel, d a - häu-liche Leben und die süßen Go» schäfte und Freuden einer H a u -m u tte r ein Gegen­ stand ihre- S p o tte -, und so wurde ihre zügellose Leben-art und die grobe Coketterie d a- Einzige, « a - ih r zu einer A r t von E ristrnz übrigblieb, wurde ih r so zum Bedürfnisse, wie man sich die ekelhaftesten Gewohnheiten , zum Beispiel d a Tabakrauchen, Tabakkäuen und andre schmutzige Unanständigkeiten nothwendig machen kann —

S o tief, meine Freunde! könne» Unschuld und Schönheit sinken, wenn Wachsamkeit fehlt t Sobald M utter und Verwandte gewahrwur­ den, auf welcher Bahn Augustine wandelte; fiengen sie von der einen Seite an, sie ernstlich zu vermahnen, und von der andern, sie nie aus den Augen zu verliehren, sondern sehr einge­ schränkt zu halten; Allein w as können trockene Bermahnnugen auf ein Herz wirken, das für den Werth der Wahrheit keine» S inn mehr hat, besonders wenn diese, wie es hier oft der Fall w ar, in einem Gewände erscheint, das wenig äusser« Reiz hat? Und was die persönliche Auf­ sicht betraf; so glaube man doch nicht, daß eS möglich sey, ein Mädchen zu hüte», daS sich selbst nicht bewachen, nicht respektiren will! Augustine vereitelte daher den Zweck aller Dermahnungen, stellte sich äusserst sittsam, und hintergieng die Wachsamkeit der Aufseher so, daß wirklich die Derwandten ihr voriges Betragen nur für kindische Unvorsichtigkeit hielten , und glaubten, es werde jetzt, bey reifern Jahren, anders werden.

ES w ar unter >ihren Liebhabern in ihrer V a ­ terstadt ein junger hübscher Mensch, ein gewisser Sahnen,unker, von dort weg in preussische Dienste gegangen, und hatte nun aus einer Garnison im Brandenburgischen Augustinen geschrieben: sie mögt« doch suchen, zu entwischen und ihm zu folge»; er wolle sich bemühen, sie als Kam merjungfer anzubringen, und dann könnten sie uugestöhrt ihren Umgang fortsetzen. N un w ar zwar daS junge Mädchen nicht unternehmend g enug, einen so raschen P la n , als der fortzulau­ fen w a r , au f ihre eigene H and auszuführen; indessen gefiel ihr doch die Id e e , als Kammer­ jungfer in Dienste zu treten , und dadurch in Freiheit zu komm en, ohngemein. S ie schlug dies also ihrer M utter vor: „ Unsre Dermögenöum stände" sagte sie „sind nicht die besten; „M ein Unterhalt kostet S ie G eld, da ich doch „im S tan d e und ti meine Pflicht w äre, denscl„ben durch meinen Fleiß zu erwerben; Lasse» „ S ie mich von hier zu einer guten Herrschaft „ a ls Kammerjungfer gehn! S o komme ich auch „ a n s aller Verbindung mit der böse» Nach­ b a r in n , und werde mich gewiß so betragen, daß ..S ie Freude an m ir erleben sollen. Die 'tfU.n-

te r w illig te ungern in die Entfernung ihrer Toch­ te r :

„ A c h " sprach sie » D u w irst m ir gewiß

»Herzeleid machen —

Und wenn D u unsrer

»ehrlichen Familie einen Schandflecken anhien»gest, D ich verführen liessest — W enn ich mich »D einer schämen;

wenn ich da-

in meinem

»grauen A lter erleben müßte — o G o tt! dann »würde ich vor Schmerz de» Todes sehn, und ..m it Jam m er und Kum m er die Augen schlies« „ s i u " — A llein die übrigen Geschwister berede­ ten die gute schwache F ra u , und so gab sie denn endlich ihre E in w illig u n g .

M a n erkundigte sich

a u s w ir t- nach einer guten S te lle , und eS fand sich eine rechtschaffene Dame im Braunschweigi­ schen,

die eine Kam m erjungfer suchte,

und,

nachdem ihr Lagustrne durch gute Leute w ar empfohlen w o rd e n , annahm.

dieselbe kommen ließ und

Jetzt meinte daö fange M ädchen a u f

dem G ipfel de- Glücks zu seyn, fest entschlossen, nicht lange bey der Dame zu bleiben, sondern ihre Freiheit zu nützen, bald den Abschied zu fo rd e rn ,

und ihren ehemaligen Geliebten im

Srandenburgischen aufzusuchen.

Lie Lam e , von der wir reden, war edel und gut gesinnt, und hielt auf strenge Sittlich« feit unter ihren Domestiken. Hätten Aug«» skinen» Verwandte aufrichtig genug gehandelt, ihr da- Kind zu besonderer Aufsicht zu empfeh, len und etwa- von Besorgniß in Ansehung ihrer Aufführung mit einfliessen zu lassen; so würde sie sich de< fange« Mädchen« mütterlich ange­ nommen und sie strenge beobachtet haben; allein jetzt argwöhnte sie nicht- von der Art, verliesich anfAugaftinen« gute Erziehung, und ahn­ dete nicht einmal, daß ein Mädchen, in so jun­ gen Jahren schon, da- kostbarste G u t, mehr al- aller Reichthum der Welt werth, die Un­ schuld könne verlohren haben. Zwar machten manche Leute, die sich ein wenig auf Gesicht»bildung verstanden, sie bemerken: ..ihre »am» „metfungfcr sey zwar ganz hübsch, sehe aber «für ihre Jugend schon so verblüht aus, und «habe etwa» gar Sonderbare- in den Augen." — «Sie haben Recht!' pflegte dann-die Dame zu antworte« „Auch ist da» arme Kind sehr schwäch» «lich" — und so blieb e- dabey.

Seelbergr Gesch.il rh.

[351]

D

JO

Indeß nun hier Augustine mit ausgezeichne, ter Liebe und Güte und nicht wie gemeine Dienst­ boten behandelt wurde , konnte sie doch ihren unedel» , niedrigen Hang zu Ausschweifungen nicht unterdrücken.

Es befand sich ein Friseur

im Hause, ein Mensch von sehr verderbten S it­ ten , der aber den Heuchler bey seiner Herrschaft spielte und, besonder- weil er sehr geschickt und -msig in seiner Arbeit, bey dem Herrn und der grau gut angeschrieben war.

Sobald dieser

Mensch die neue Kammerjungfer erblickte; so !aS er eS auf ihrem Gesichte, daß sie nicht leichi «inen jungen Kerl ans Grausamkeit sterben liesse. Selten irren sich ausschweifende MannSperso, neu in dieser Art von Horoskopen, und man ha« wahrlich nicht Unrecht zu sagen, daß ein Frauen» ziinmer immer Gelegenheit dazu giebt, wenn eine Mannsperson sich Freiheiten gegen dasselb« erlaubt.

ES giebt einen Blick voll Würde, de,

so sichtbar das Gepräge von Adel des Herzen, und Reinigkeit der Sitten trägt,

daß auch bi

roheste Frechheit davor ehrerbietig zurückweicht Es ist kein strenger,

ernsthafter Prüdenblick

aber ein milder S tra h l, ein Unschuldsglanz gegen welchen das Laster eS nicht w agt, di

Augen aufzuschlagen — Einen solchen Blick nun hatte Augustine nicht, und so faßte dann der Herr Friseur bald den M uth, mit seiner Er« kltrung hervorzutreten, die auch nicht lange um erhört blieb. S ie trieb darauf eine Zeitlang einen heimlichen Umgang mit diesem Menschen, der in der That in jedem Betrachte Ih rer un« werth w ar, als endlich die Köchinn, durch Ei» fersucht getrieben, daö Verständniß entdeckte, und der Herrschaft anzeigte. Nun that die ade» licht D am e, waS freilich in solchen Fällen ge» wöhnlich geschieht, aber auf keine Art zu ent­ schuldigen ist, denn statt den Verführer fortzu­ schaffen, und das junge Mädchen durch fauste M ittel auf bessere Wege zu leiten, verabschiedete sie Dieses und behielt den Bösewicht, weil er ein geschickter Haarkräusler w ar, im Hause. Lugustme hatte indeß den Briestvechsel mit ihrem ehemaligen Geliebten fortgesetzt, und da ihr derselbe geschrieben, daß ersetzt bey einem Regimente, so in Berlin in Garnison läge, als Offizier angesetzt sey; so nahm sie sich vor, dahin zu reisen. DeSfallS schrieb sie an ihre M u tte r: „sie habe in B ttlin eine sehr Vortheil»

vivjfrc Ämbitinn flrfmihen , »nd sc» gewillt, . daS Haus ihrer irsiige» itnnC'icv» fln ii zu »er» „lasten, sie i'hnehin manche Ausichinn» , -,e« *r» nnln'ichr,denen inngen.affilieren, die „Verwandten ihrer Herrschaft waren, leibeit , müstte." Sehr zufrieden waren M utter nnv (Mchwifler nicht von diesem Schritte; allein er war schon gethan, als sie die Nachricht davon bekamen. Wie erschracken sie aber, als sie durch einen Brief der adelichen Dame den ganzen Zn» fammenhang der Sache erfuhren! Doch versa» he» sie es auch hier in den Maaßregeln, die sie bitten ergreifen müssen, denn weit entfernt dem unglücklichen Mädchen nachzureisen, und eS dein SBerbcrben zu entziehen, schrieb die M utter ihr in ein paar grausamen Zeilen: »Sie solle ihr „nie wieder vor die Augen kommen; sie erkenne „sie nicht mehr für ihre Tochter " und so ferner. Da auf diese Art das verirrte Rind von jeder» mann verlassen w ar; so warf sie sich verzweif» lungsvoll dem Schicksale in die Arme. So viel Geld, als zu einer Reife auf dem Postwagen aus dem Braunschweigische» nach Ber'in gehört, hatte sie; also unternahm sie die»

. selbe. D on H alberstadt auS reifete eine ehrliche B ü rg e rsfra u au s B erlin m it ih r, und da berfeU Len d«S junge M ädchen hauptsächlich deswegen gefiel, weil eS immer «uterwegen» etw as arbei­ tete, rechtlich gekleidet w a r, und sich auch sitt­ sam betrug ; so fragte sie A u g u ftin en : ,.w a» „ fü r Geschäfte sie in B erlin h ä tte ? - und als sie zur A ntw ort bekam : „sie suchte a ls K annner„jn ng fer anzukom men; ihre letzte Herrschaft sey „gestorben, und sie sey eine W aise« erbot sich die g ute F r a u , sie in ihr H anS aufzunehm en, bis sie ihr eine S telle ausgemacht haben würde» K aum w ar v as Jüngferchen in B erlin ange­ kommen; so erkundigte sie sich unter der H and nach ihrem Offizier , und schrieb demselben ein E inladungsbriefchen, w orauf sie denn fleißig »on ihm besucht wurde. Doch mogte ihn unter­ dessen entweder eine andre bereitwillige Schöne gefesselt, oder er wogte erfahren h ab en , daß A ugustine noch ein p aar andre Bekanntschaften gemacht hatte, genug! nachdem eine Woche vor­ über w a r , fieng er a n , ihr m it mehr als K älte vnd Gleichgültigkeit, ja ! m it Verachtung zu begegnen, und gleich darauf blieb er gänzlich

trrg, ohne auch sein Versprechen zu erfüllen, für ihr Unterkommen zu sorgen. Der D ürgersfrau missiel gleich in den ersten Tagen manches in den Manieren des jungen M ädchens; die geringe Schamhaftigkeit, welche sie bey ihrem Auö* und Ankleiden zeigte; ihr« Weise, stundenlang Mienen und Geberden vor dem Spiegel zu studieren; ihre Gespräche, die nie einen heitern Kopf, nie ein grubt#, ruhige#, sär das G ute, Edle und Große warmes Herz verriethen, und viel andre solche Züge mehr. Als aber gar die Besuche der Herrn Offiziere angiengen; da merkte die gute Frau wohl, wen fie vor sich hatte, war also nicht geneigt, ein solche# Geschöpf als Kammerjuvgfer zu empfeh­ len, sondern bat Augustinen vielmehr, baldmög­ lichst sich nach einem andern Quartiere umzusehn. D a Diese solchergestalt gezwungen w a r , die# Hau# zu räume» ; so miethete fie sich, unter einem andern N am en, in jenem ein, in welchem Ludw ig sie am Fenster stehen sahe. S ie war damals nur erst seit wenig Tagen dort gewesen, und noch unschlüssig, wozu sie sich in der Folge bestimmen sollte. Bo» jedermann verlassen,

preßte die Rückerinneruvg an ihre erste sorglose Jugend ihr oft Thränen auS; zu einer andern Zeit aber sagte ihr der Leichtsinn dann wieder: ein junge- Mädchen von so hübscher Figur könne sich schon durch die Welt helfen — ES kam viel­ leicht noch auf eine Woche a n ; so hätte sic sich für den Rest ihrer Tage einer Lebensart gewid­ met, die ihr nicht mehr erlaubt hätte, mit freier Stirne in ehrliche Gesellschaft zu treten — Seel» berg, der an keine Tugend glaubte, war von der Vorsehung bestimmt, sieln die Arme der Tugend zurückzuführen. Roch hatte er, als er durch ihre abgebroche­ nen Erzählungen einen Theil dieser Begeben­ heiten , freilich in viel vortheilhafterm Lichte, als wir sie dargestellt haben, erfuhr, nicht nach dem Namen des Hraueirrimmers gefragt; allein da verschiedene einzelne Stellen in dieser Ge­ schichte und die Erwähnung gewisser Personen ihn aufmerksam machten, und etwas in 2t»gu|ii« itena Gesichtszügen ihm sehr bekannt vorkain, so wie auch sie gleich Anfangs gesagt hatte: sie meinte ihn schon mehr gesehen zu haben; so fragt« er endlich r «Wollten Sie, Mademoiselle!

„m ir wohl Ih ren rechten Namen vnd den de» „jungen Offiziers entdecken, dem zu Gefallen « S ie hierhergereiset sin d , und den S ie schon «zu Hanse gekannt haben? Ich frage nicht au» «bloßer Reugier; Seyen S ie , wenn S ie kbn» «tun , dies einzigem«! aufrichtig , und gewiß «soll es S ie nicht reuen!" — „W enn S ie mich «nicht verrathen wollen" erwiederte sie „ja ! so „w ill ich Ihnen sagen, wer ich bin. Ic h heisse „A ugust: ne w erk m an n ; mein Baker war Rek» «tor in D er Offizier aber, von dem ich « Ih n en geredet habe, ist ein H err von W eisel, «der in meiner Vaterstadt als Fahnenjunker «stände und mich in meiner ersten Jugend fett* «neu lernte, indem er zuweilen einen jungen «Edelm ann besuchte, der bey meinem V ater in „Pension war. M it demselben entwich er auch «heimlich, um in preussische Dienste zu gehn. « I h m gelung eS, den ^ e m t von Seelberg hin­ g e g e n ( S v hieß der junge ssavalier) holte m an «wieder ein" — „Und dieser ist e6v riefL udw ig, und umarmte Augustinen , so ohne alle unkeusche Gefühle, als je ein Kuß keusch ist gegeben wor­ den „der jetzt vor Ihnen steht, und der eS nie «erwartet H üne, daß er die kleine niedliche

..A u g u ste, m it der er so oft »»schuldig gespu l t, „d ie er so oft a n s kindischer Zürilichleic geküßt „ u n d au f seinen Schoost gesetzt h a r, tu solchen „U m ständen hier wiederfinden w ü rd e." E in fluiqeartftc» G em üth kann durch eine Folgenreihe von B erirru n g en rief stuken, kann gew altig angegriffen von V erderbnissen, ver­ schloß» für edlere G e fü h le , verharior nerven gegen den leisem Z u ru f der W ahrheit > »tuii» es kommen A ugenblicke, tu welchen die T ugend plötzlich ihre Rechte re k la n tirr, in toclchr.i die B orsehung eme S .in n n e erweckt, die vae g atijf W esen durchschallt, eine Z n n b .rstm n n e, die in­ nerliche Erschetuungen, G esichter, B ilder tiu< den seligen Zeilen der verlorn um N ube wieder vor die Fantasie zieh t, G estalten , deren jede «inen Dolchstich dein Herzen g ie b t, daö an der T ugend zum D errLther geworden — £ ! solange noch solche Erscheinungen den Irre n d e n erschüc« lern und w a rn en , solange hat der sanftere Schutz­ engel noch nicht seine H an d abgezogen von detn S ü n d e r — K aum w a r der -käm e w e rk m a n n über Augustiner»» Lippen gefahren; so rief dieser S c h a ll die E rinnerung aller der glücklichen und

nützlich verlebten Tage, die Ludwig in dem Hause seiner redlichen Pflegeeltern genossen hatte, in seine Seele zurück, von dem Augenblicke an, da man ihn den Händen eben deS schändlichen Verführers, des jungen weivels, der auch in Augustinen« Geschichte eine Hauptrolle spielte, euniffcn, und er nun, mij guten Vorsätzen auS» gerüstet, sich den Wissenschaften gewidmet hatte, bis zu der Periode, alö er mit Rrohnenberger nach Leipzig gieng, und damals die itzt vereitel­ ten Hoffnungen Aller, die ihn gekannt hatten, mit dahin nahm. Daß diese Bilder seiner Jugendjahre den bösen Vorsatz, mit dem er zu dem Frauenzimmer ge­ kommen w a r, aus seiner Seele verdrängten, läßt sich leicht begreifen — Er hätte ein gänzlich »erlohrner, verstockter Bösewicht seyn müssen, wenn er die Absicht, mit der Tochter feines Leh, rers und Wohlthäters unter diesen Umständen auszuschweifen, nicht augenblicklich aufgegeben hätte; aber er that mehr als das; er entwarf den P la n , sie mit der beleidigten Ehrbarkeit und mit ihrer erzürnten Mutter wieder auSzusöhnen, sie in den Schooß ihrer Familie zurück»

zuführen, und für ihr künftige» Glück zu sor» gen — « S ie müssen zu Ih re r lieben M utter «zurück, A ugnstine!" sprach er »B ey (Sott! «da» müssen S ie ! " — „ O ! um alles in der « W elt nicht! ' erwiederte sie »ich kan», ich m ag, «ich d arf nicht!" — „M äd ch e n !" rief er da «W eißt D u auch, au f welchem W ege D u itzt «w andelst? H ast D u schon viel ruhige, stieden« volle, glückliche S tunden gehabt, seit der Zeit, « d a D u die Buhlerey zum Handwerke machst? «O der ist Deine Seele nicht mehr empfänglich «sür die innere E h re , für die höheren, reineren «Freuden verständiger, redlicher und gefühlool«ler M ensche»; so denke wenigsten» einmal nach, „über die äusser« Folge« D einer Leben-art! „ D ü wirst Deine würdige M u tte r, die Dich so „innigst g elie b t, die Dich unter ihrem Herze«, „g etragen, gew artet, gepflegt, ern äh rt, fftr „D ich gew acht, gearbeitet, gesorgt, um Dich „so manche T hräne der Besorgniß geweint hat, „in die G rube stürzen; Jederm ann sieht au f Dei« »ner S tirn e da» B ild von Deinen S itte n , und «je länger D u au f dieser B ahn fortwandelst, uin «desto deutlicher wird D ein Gesicht red m ; Ge» „fttttte Leute werden Dich fliehen; D u wirst

6o «abgeschnitten seyn von der bürgerlichen Gesell» «schafr; W enn D u unter einen Haufen von Men» »schen treten, wo D u unbekannt zu seyn glau» «ben w irs t; so darfst D u keinen Augenblick D ich «sicher halte» , daß nichtein frecher K e rl, irgend «Einer von D enen, die D u m it Deinen unkeu» «schen Armen umfangen hast, und der itzt Deiner «müde is t, vor D ich tre te ,

D ir ins Gesicht

«höhne, und D ich öffentlich preißgebc, da dam« «der brandmarkende Name >jure D ir aus allen „Ecken entgegenschallen w ird ; D u m ußt, wenn « D u noch erröt he» kannst, so oft errörhen, al» « D u einem Menschen begegnest, der Dich kennt; «D ie Aussicht zu Deinem Lebensunterhalte ist «höchstungewiß und fchlüpsrich;

Welche Frau

«von Ehre w ird D ich zur Kam m erjungfer anneh» „m e n , ohne vorher nach Deinen S itte n zu for» «schen? Welcher redliche M a n n w ird D ich hei» «rathen? D u w irst also die süßesten Freudende» «Leben-, die geselligen, häuslichen und ehelichen, „d ie Freuden einer M u tte r und G a ttin n entbeh» « ren; oder findet sich ein P in s e l, der dumm «genug is t, von Leidenschaft geblendet, durch «Deine Künste angelockt, D ir seine Hand zu «geben; so w ird Deine Eherine H ölle aufE rd e a

6t »seyn; Du hast keine der Eigenschaften, die zu »»einer Hausfrau erfordert werden; Daö Laster »ist Dir zur Gewohnheit geworden; Du wirst ..Deinem Manne untreu seyn, und merkt er, »oder erfahrt er von vorigen Zeiten her, daß Du ..ihn betrogen hast; so wird er Dich Dein Leben ..lang dafür quälen; Roch mehr! Eine einzige »Ausschweifung ist jetzt hinreichend, Dich zur »Mutter eines Kindes zu machen , das keinen »rechtmäßigen Vater, keinen Stand hat; Ber»zweiflnng und Roth können Dich dann in dem »Augenblicke der Versuchung verleiten, Mör„der,nn zu werden, und Dich auf das Blutgerüst »führen; Oder trifft Dich auch dies Unglück ,,nicht; so ist doch eine einzige Ausschweifung »mit dem vornehmsten, schönsten Herrn hinrei» »cheqd, Deinem Körper eine Krankheit mitzu»theilen, die Dich Dir selbst zum Abscheu und »Ekel macht, Dir Fleisch und Knochen zernagt, „das Mark vertrocknet, alles in Fäulniß setzt, «die besten Säfte in Eiter verwandelt, Deine „edelsten Glieder lähmt, Nase, Ohr und Zunge »wegfrißt; Dein Gesicht zu der scheuSlichstea „Larve macht, und wenn Dich dann jedermann »von sich stößt, Dir auf verfaultem Stroh, oder

» auf freier S tra ß e , oder, wenn D n recht glück« »licfo b ist, in einem HoSpirale, unter dem grau« »samen Messer des W undarztes, den Tod b rin g t, »bey abwechselndem B rü lle n und Handeringe« »und 3 liefen

und

Fluchen

und Winseln —

»Glaube nicht, ich übertriebe diese S childerung! » D u bist a u f diesem Wege.

D u würdest nicht

»das erste Mädchen seyn, das einst die H offnung »einer edel» F a m ilie ,

die Freude tugendhafter

»E ltern w a r , und nachher ein so schmähliches »Ende nahm.

Noch lockt Deine Gestalt die

»B uhler feinerer A r t und vornehmem Standes »heran; aber bald w ird Deine Schönheit ver» »blüht seyn;

( B e y D einer Lebensart verwelkst

» D n nur zn schnell)

Noch wenig J a h re , und

»da» Feuer Deiner Augen w ird verlöschen; Diese »Zähne werden schwarz werden;

D ein Othem

»w ird jeden verscheuchen, der Busen einfallen, »die Hände werden verdorren, und endlich w ird »D ein Gesicht, vo ll Runzeln, wenn auch Schminke »und Putz ihm zu H ü lfe kommen, dennoch kein« »andre Bewunderer mehr fin d e n , al» Wollüst» »linge au» dem niedrigsten Pöbel und Menschen, »die aller O rten

zurückgewiesen werden > D u

».wirst den M än nern nachrennen, und sie w e rd «

6Z »mit Ekel daö Gesicht von D ir wegwenden — »,Wo wirst Du dann Schutz, Freunde, Trost »finden? Der Zirkel gesitteter Menschen wird für »Dich verschlossen seyn; Reichthümer wirst Du »nicht gesammlet haben, D u , die den Werth »des Geldes nicht zu kennen scheinst, und auch »darinn Deinen Bnhlfchwestern ähnlich bist, »unter denen Wenige Schätze sammle»! Ver» »zweiflung und MiSmnth werden Dich dann er« »greifen; Du wirst Gewinnst auf den Straßen »suchen müssen, und waS fehlt dann, um D ir, »so wenig Du daS itzt ahndest, ein Ende zu »bereiten, wie ich Dir'S vorhin geschildert habe? »Und hättest Du auch das schändliche Glück, »die Maitreffe eines wollüstigen Fürsten zu wer»den ! — Wie Manche schon, die, zum Preiß »ihres unzüchtigen Lebens, in vergoldeten Kut» »schen durch die Residenz rollte, funk so tief »herab, daß sie sechs Jahre nachher nicht sicher »war, von jedem Musketier einen T ritt in den »Hintern zu bekommen!" ES war freilich eine sonderbare Erscheinung, einen Menschen, der, wie Seelberg, allen Glauben an Tugend und Würde der Menschheit

verlaugnet |u haben schien, m it so viel W arm e der Keuschheit das W o rt reden zu hören; allein, wenn man bedenkt, daß er sich doch hier nur am mehrsten bey Betrachtung der physischen und andern äusser« Folgen des Lasters verw eilte, hin« gegen wenig von der innern W onne »nd B e ru ­ higung sprach,

welche di«' Tugend gew ahrt;

daß eS übrigens aber in unsern Tagen nichts Seltenes is t, einen Redner m it der größten Ueber­ zeugung und S a lb u n g über W ahrheiten deklam iren zu hdren,

denen er täglich durch seinen

W andel Trotz bietet, und endlich, daß es bey einem schdnen Geiste überhaupt eine Nebensache is t, w a s er sagt, wenn er es nur gut und zier­ lich sagt; so kann uns auch jenes nicht befrem­ de« — W a r doch GellertS M o r a l, das Buch, in welchem S eelberg Lugustm en lesend a n tr a f, auch ein Geschenk, so ih r einer ihrer sehr unmo­ ralischen Liebhaber gemacht h a tte ! —

D och,

lasset uns gerecht gegen unfern Helden seyn! S e in doch nicht von G rund aus verderbtes Herz w ar durch die Rückerinnerung an die unschuldi­ gen Jahre seiner Kindheit erw ärm t und sein« Fantasie

hdher gespannt worden;

er w a r in dem

65 Augenblicke wirklich durchdrungen ven der W ahr« bei» dessen,

was

er sprach —

Anguskiiie wurde heftig erschüttert ven dieser Rede ; sie z itte rte , rang die H ände, und be­ theuerte : sie wolle gern umkehre» und ihre Le­ bensart ändern, wenn es m ir nicht ;n spät wäre, und wenn sie nur irgend ein M itte l wüßte, ihre Lage zn verbessern , und bey einer guten H e rr­ schaft als K am m crjungfer in den Dienst zn tre­ ten. — »Wenn es I h r E rnst ist, A ugustine!" sagte darauf S eelberg „künsiig „W e g zu w andeln;

einen bessern

so ist ,S grade Zeit daz»;

„ S ie sind so jn it g , daß das Laster Ih n e n noch „n ic h t zur andern N a tu r geworden seyn kann. „ I c h w ill fü r daS Aenssere sorgen, nemlich fü r „ I h r e n künftigen A u fe n th a lt; aber das ist n u r „Nebensache.

DaS Hauptaugenmerk muß I h r

„ I n n e r e s , Ih r e Besserung seyn,

und

„k a n n niemand als S ie selbst arbeiten. „ S i e alle K rä fte a u f,

daran Bieten

zu einem Venen Leben zu

„erw achen! Fliehen S ie den M ü ß ig g a n g ! De»« „ken S ie der W o n n e , die man im Schooße der « F a m ilie empfinden kann und den Pflichten einer „ F r a u und M u tte r n a ch , um S ich einst da;»

SceIbergsGesch.il. U v 1367]

Q

„vo. zubereiten ! S o b ald S ie tr itt er in einem „guten Hause sind; so fangen S ie a n , S ich um „häusliche Geschäfte zu beküm m ern! — D a s „ ist I h r e B estim m un g ! Vernichten S ie alle „D okum ente I h re r S ch an d e, alle B riefe, G e­ schenke , Gemälde von Liebhabern und reiffen „ S i e S ich von Allem lo s , waS I h r e Anfmerk„samkeit au f solche D in g e , die bis jetzt I h r „Unglück gedanet haben, leiten und den vorigen „ H a n g zu einem leichtfertigen Leben in Ih n e n „w ieder erwecken könnten! Lesen S ie solche B ü „ch er, die S ie in guten Vorsätzen bestärken, „u n d kömmt Ih n e n A nfangs der Jn n h a lt dersel„ b e n , so wie der Umgang m it den bessern M en„ scheu, zu trocken vor; so lassen S ie Sich da„durch nicht abschrecken! S ie werden bald mehr „Geschmack an V ernunft und W ahrheit finden, „u n d mehr wahrhaftigfrohen G enuß schmecken, „ a ls S ie je gekannt haben. Jederm ann wird «dann Ih re innere Besserung au f Ih re m Ge„ sichte lesen; D on dem Augenblicke a n , da S ie „ m it S ich selbstzufrieden seyn werden, werden „ S i e jedermann Achtung einflößen; D a s U m „sichre und Schielende in Ih re n Augen wird verschwinden; S ie werden wieder blühen, jugend-

J ld ) au-seh», und bald wird jede innere und «äussere Spur Ihrer ehemaligen Verirrungen «auf immer vertilgt seyn. Lin ehrlicher Mann «wird sich um Ihre Hand bewerben, und Sie «werden ihn, al- rin treue- Weib, ganz glück«lich machen; — Man ist ohnverführbarer, «wenn man die Gefahr der Verführung mit «Schaden hat kennen gelernt — Schreiben Sie «jetzt an Ihre Verwandten; Bitten Sie um «Verzeihung; Bekennen Sie alle- ! Wer sich «schämt, die begangenen Fehler zu gestehe», «dem ist e- noch kein rechter Ernst mit der Besse«rung. Nehmen Sie Sich v o r, von nun an «allen Künsten, allen Winkelzügen zu entfa«gen! -r- Erzählen Sie mir frey, welchen «Mann-personen Sie die größten Vertrau» «lichkeiten erlaubt haben! Ich will Diesen, «schriftlich und mündlich, durch gelinde oder ge» «wallsame M itte l, Stillschweigen aufzulegen «suchen. Sie sollen Ihnen Ihre Briefe heraus» «geben — Doch, hier ist e- besser zu handeln, «als zu plaudern — Ich »erlasse Sie itzt; «Vielleicht komme ich noch heute wieder; Halten «Sie Sich indeß eingezogen, und denken Sie «demnach, was ich Ihnen gesagt habe!"

L udw ig gierig nun fort, und suchte die ehr» liche B ärgersfrau auf, welche sich vormals (V gütig deS iungeit M ädchens angenommen hatte. E r erzählte ihr alles, und b a t, sie mögt« ihn in dem Vorhaben unterstützen, 2(ugufrmcn vom Verderben zu erretten, und sie zu sich nehmen. Nach einigen Schwierigkeiten willigte die gute F rau ein; Auguftme wurde gleich am folgenden M orgen zu ihr abgeholt; Seelberg drang der» selben, vhngeachtet sie sich weigerte etwas zu nehm en, fünfzig Thaler au f, Auguftme aber kam nun in eine strenge, doch liebreiche Aufsicht; S ie wurde beschäftigt, ermahnt, ermuntert; M an w arf ihr Vergehen ihr nicht vor, aber man warnet« zuweilen, und suchte ihr kleine, unbe­ deutend scheinende, doch unanständige, freche Manieren und Geberden abzugewöhnen ; An, fangS gefiel dem irmgenM ädchen die Einschrän­ kung nicht; aber nach und nach gewöhnte sie sich daran, erkannte eS, wie gut man es mit ihr m einte, und fühlte den Werth wahrer Freund­ schaft. S o wie sie nach und nach moralischbesser wurde, gestattete man ihr mehr Freiheit; sie wurde in gute Gesellschaften geführt, nahm den bessern, feinern Ton a n , gefiel, interessirte,

«nd fühlte ihren eigenen und andrer Menschen Werth. Seelberg hatte gleich Anfangs an die M u tter geschrieben, und einen B rief von Augu­ sten , mit ihrem offenherzigen Geständnisse (w ozu er sie freilich nur mit M ühe vermögt«) beigelegt; Zugleich hatte er veranstaltet, daß die Vttwandten nicht sogleich mit der Verzei­ hung bereit seyn dursten, sondern erst Zeugnisse von der Besserung hören wollten; Endlich kam denn auch die Versöhnung zu S ta n d e , und nun fühlte sich Auguste tcieber unaussprechlich glücklich. Seelberg hatte indeß längst Berlin verlassen; doch will ich h ier, als am bequemsten O rte, daö Ende von Augustmen» Geschichte erzählen. D rey Jahre hatte sie sich in dem Hanse der ehr­ lichen Bürgersstau aufgehalten, und (ohngeachtet mancher Prüfungen und Versuchungen) unta­ delhaft betragen; als sich eine Aussicht für sie zeigte, den Preiß ihrer Rechtschaffenheil einzu«rndten. D ie gute Frau liebte daS M ädchen, wie ein eigenes Kind ; S ie war eine wohlha­ bende W itw e , und hatte mir einen einzigen S o h n ; Dieser, der Gesandtschastssekrerair gewe-

fett, kam nun nach Berlin zurück, wo er in königlichen Diensten bey demFinanzdepartement angesetzt wurde. Ihm gefiel Auguste; er redete mit seiner Mutter darüber, daß er sie zur Gat­ tinn wählen wollte; die Mutter war sehr ftoh über diese Entschliessung , und trug die Sache dem jungen Mädchen vor; allein Dieses dachte -u fein, um eher in eine solche Verbindung zu willigen, bevor fie mit edler Offenherzigkeit dem M anne, der um ihre Hand bat, Rechenschaft von ihren ehemaligen Fehlttitten gegeben hätte. Dieser war so ohne Dorurtheile, daß, weit ent­ fernt dadurch abwendig gemacht zu werden, diese Auftichtigkeit vielmehrAugustinen in seinen Augen einen größern Werth gab. Er heirathete fie, und sie machen bis auf diese Stunde ein sehr glückliches Paar auS. Zutrauen und treue Liebe befestigen dies Band; Augustine erfüllt als Gattinn und Mutter von zwey gesunden Kin­ dern ihre Pflichten auf daS Treueste; die Reke tonnn werkmann lebt seit vorigen Sommer bey ihr — und Ludwig ist der Schöpfer dieses Glücks — Sein Andenken segnen zwey red­ liche Familien.

D r i t t e s Kapitel. < ^ ic

zweite gute H a n d lu n g , die ich a ls Cha­ rakterzug von S eelberg zu erzählen habe,

w a r eine Folge der erstem, in sofern das Herz, durch Ausübung E iner edeln T h a t, zum fernern W ohlthun gestimmt zu werden p fle g t, und es wahrlich nur darauf anköm m t, den A nfang m ir Einem paar S ch rille n a u f der B a h n der Tugend zu machen, um bald weiter hingezogen zu wer­ den a u f einem W ege, a u f welchem der Fuß des Wanderers nicht ermüdet, sondern immer neue K r a ft bekömmt. L u V w ig hatte e s, wie w ir wissen, über­ nommen, m it dem ^ e r m v o n W eisel zu reden, um denselben zu vermögen, A u gustiner» B riefe herauszugeben.

Zugleich w a r es ihm interessant,

einen Menschen wieder zu sehn,

m it dem er

«inst, als K nabe, einen abentheuerliche» P la n entw orfen, und schon den A nfang m it der Ausführung desselben gemacht hatte ( ' ) .

E r gierig

aber oft vergebens in sein Q u a rtie r, denn wenn ( * ) W ie aus dem dritten K apitel des ersten Theils bekannt ist.

der junge Herr nicht auf der Wache/ noch auf der Parade war; so brachte er seine Zeit in den Kaffeehäusern oder andern lustigen Gesellschaften zu, so daß er den ganzen Tag über nicht zu finden war. Endlich erfuhr Ludwig einmal, daß Jener des Nachmittags, eine halbe Stunde von Berlin, in einem Garten anzutreffen sey« würde, inwelchemzugleich «in Wirthshaus war. Das Wetter war schön, Leuchrenburg andrer Orten versagt; vnd sobeschloßdann unser Freund, einen Spazier­ gang nach dem Garten hin zu machen. Vorher sprach er bey der Bürgersfrau vor, und freuete fich, zu sehn, wieAugustme anfieng gut und heiter zu werden, und die Zuneigung ihrer Wir­ thinn zu gewinnen. DaS frohe Bewußtseyn, dieö Mädchen vom Untergange errettet zu haben und daS Bild ihrer künftigen Glückseligkeit be­ schäftigten unterwegen» seine Fantasie auf eine sehr wohlthätige Weise; und soschlenderte er, ohne sich viel umzusrhn, zum Thore hinaus. Der Weg nach dem Garten war ihm genau beschrieben morden; Er mußte unter andern durch

einen engen P a ß zwischen zwey Lecken hin; Als er nun eben daselbst forlwandelte, sprang von der einen Seite ein ziemlich wohlgekleideter M a n n mit der Miene der Verzweiflung hervor, ergriff ihn bey der Kehle, und forderte mit Unge­ stüm seinen Geldbeutel von ihm. L udw ig w ar nicht sehr stark, aber gelenkig, hurtig und behende, der Angreifer hingegen ein starker, aber steifer M a n n , zwischen fünfzig und sechzig Ja h re alt. Beide waren ohne andre Waffen, alö daß jeder von ihnen einen Spazierstock in der Hand trug. Nachdem Seelberg eine kurze Zeit mit dem M an n e gerungen hatte, wurde er Meister über ihn, und w arf ihn zu Boden, da dann Dieser flehentlich b a t: er mögte ihm nur da- Leben nehmen, das ihm doch zur Last wäre, »der ihn wenigstens den Gerichten überantworten. Seelberg sahe wohl, daß die äusserste Ver­ zweiflung auS dem M anne redete und ihn ver­ leitet hatte, einen Schritt zu wagen, den er mit so wenig Geschick unternahin. Er sprach ihm also gelinde zu : „ W a s bewegt S ie " sagte er «mich hier mörderischer Weise zu überfallen? «W arum fordern S ie nicht ein Almosen, wenn

..S ie arm ftubY I c h würd« e s Ih n e » gern ge.',e» «den haben.« — „ O , mein H e rr!« erwiederte der Fremde „W e n n S ie meine Lage kennten— «A ch! ich bitte S i r flehentlich, liefern S ie mich »in die Hände der Ju stitz!«

L u d w ig suchte den M a n n zu beruhigen, bat ihn um M itth e ilu n g der Geschichte seiner unglück­ lichen Begebenheiten, und versprach ihm als­ dann, so viel n ur irgend in seinen K rä fte n stehe» w ü rd e , H ü lfe zu leisten.

M i t einiger M ühe

beredete er ihn d a ra u f, m it nach dem G arten zn gehn, und ließ, a ls sie dort ankamen, sich ein besonder- Zim m er anweisen,

bekümmerte sich

vorerst nicht um den H errn von W e is e l, sondern forderte eine Flasche W e in , setzte sich m it seinem neuen Bekannten h i n ,

und ließ sich erzählen,

waS fo lg t:

„ I c h bin in ° » h ab en ; Binnen dieser Zeit nun studierte er die Charaktere und gewann die Menschen vom Könige an bi§ z» dem geringsten D ien er, und dies hauptsächlich durch eine gewisse so feine Nachgiebigkeit, S a n stm u th , Dem uth und unmerkliche Schmeicheley, die wahrlich ei­ nem Assistenten de- Jesuitengenerals Ehre ge, macht haben w ürde; Auch waren es diese schlauen geistlichen H e rrn , denen er die K unst, sich in alle Herzen einzuschleichen, abgelernt hatte. Ic h habe nemlich gesagt, es sey A lw errh in der Jugend in einer öffentlichen Erziehungsanstalt gebildet w orden; Diese aber w ar keine an dre, a ls daS Jesuiterkollegium in * * # , wohin ihn sein V ater, obgleich er ein Protestant w a r, auS Vorliebe für die große Gelehrsamkeit dieser H errn, in Pension gethan hatte. D ie schlauen Jesuiten merkten b ald , wie viel Genie und Anlage indem Ju n g e n steckte, und liessen daher nichts unver­ sucht, sowohl ihn der römischkatholischen Kirche zuzuführen, als auch besonders, ihm Lust zu dem E intritte in die Gesellschaft Jesu beizubrin­ gen. E s lag auch wirklich weder an ihm , noch «n seinen Lehrern, daß in beiden Stücken ihr

n8 P la n nicht ausgeführt wurde. Storni nach seine» V ater» Tode holten die Verwandten ihn uner­ w artet von dort a b , und brachte» ihn au f ein protestantisches G ym nasium , von woher er end­ lich nach G dttingen gieng, da er dann au s al­ ler Verbindung m it jenen geistlichen H errn kam. Doch seine Anhänglichkeit an ihre Grundsätze, die Bewunderung ihrer Feinheit, Geschmeidig­ keit , M äßig keit, Vorsichtigkeit, praktischen K lugheit, ihrer sonderbaren, gewiß einzigen, unnachahmlichen Geschicklichkeit, M enschen, auch in den geringsten Kleinigkeiten, au f Einen T on zu stimm en, Menschen anS allen Klassen zu regieren, durch Erforschung ihrer Lieblingsleidenschaften zu beherrschen, sie handeln zu las­ sen, nach ihrer W illkühr nnd Einw irkung, sie m it E nth usiasm us, ; a ! m it Schwärmerei) für jede beliebige S ache zn erfüllen — Diese A n­ hänglichkeit, dieser ächte Geist des Jesm tism us, den der Orden durch Priester nnd Laien, durch sichtbare nnd unsichtbare, gar nicht zn beschrei­ bende M itte l, Jed em , der eine Zeitlang m it ihnen lebte, oder au f den sie sonst ein Augen­ merk hatten, einzuhauchen verstand, so daß sie

U9 unter Menschen aller A rt, die das oft selbst nicht einmal merkten, j a ! sogar unter ihren geschwo« eenen Feinde«, Schüler ihrer M arim en , und folglich Beförderer ihrer P lane hatten — Dieser Geist w ar nie von A lw creh gewichen, weicht auch'schwerlich je von dem , au f welchem er m it seiner Zauberkraft ruht. E r hatte oft schon in G öttingen m it S eelbergen über das System ge­ sprochen, und den Ehrgeiz dieses J ü n g lin g s , der sich sehr viel au f seine Menschenkenntniß zu gut th a t, dabey eine hohe M einung von sich selbst und eine sehr geringe von Andern hatte, zu un­ bestimmten P lanen voll Herrschsucht angefeuert. S ie hatten m it einander die Lebenebeschreibungen solcher M änner gelesen, die dadurch sich einen N am en in der Geschichte gemacht, daß sie ihre größer« Talente zu Unterdrückung ihrer B rüder gernisbraucht haben. Ih n e n gefielen nur alle fantastischen H elden die einer Donquiroterie das Leben und di« Ruhe vieler Tausenden aufgeopfert halten, da sie hingegen, den W erth stiller T u ­ genden zu fü h le n , die ohn« Aufsehn S eg en , W ohlthat, W onne und Ueberfluß verbreiten, keinen S in n hatten. K arl der zwölfte w ar ihnen mehr werth als G ustav W asa, Ludwig der vier-

,

zehnte merkwürdiger als Heinrich der »irrte; ja ! die eminenten Verbrecher fanden an ihnen.Be» wunderer, in sofern sie nur mit Feuerkraft und Schlauigkeit ihre Plane ausgeführt hatten. M it innigster Wonne lasen beide Jünglinge die Be« fchreibung der teufelischen Ränke, durch welch« Richelieu und Mazarin ganz Europa in immer» »ährender Gährung zu erhalten, und sich Jedem furchtbar zu machen wußten; Allein damals war Seelberg «och zu jung, hieng zu sehr an sinn« lichen Freuden, war noch nicht in der Lage, in welcher er härte ahnden dürft«, diese Grundsätze je im Große« und ander- als höchstens im ge­ meinen Leben anwende« zu können; Er. hatte auch eine ganz andre Art von Erziehung genos­ sen, so daß, wem» auch sein Ehrgeiz sich an de« Bildern dessen weidete, w'as ei« listiger Kops aus ander« Menschen m ach« kann, doch daB erlan gm , die Begierde nach einer ähnliche« Herrschaft in ihm nicht so lebhaft kochte, a ls i« Alwerthe» i der diese Grundsätze gleichsam mit der Muttermilch eingesogen hatte. Allein um desto feuriger wirkte da- alles gegenwärtig in sei­ ner Fantasie, da er sich ans einen Schauplatz ge« stell» sahe, wo er es in Ausübung bringen konnte.,

Beide Freunde waren über ihr« sogenannten Grundsätze sehr einig: „Der Klügere*' (wohl zu bemerken, daß sie mit diesem Motte einen ganz andern Sinn verbanden, als, wie ich hoffe, wir Alle) „Der Klügere" sagten sie, «ist von „der Natur zum Herrschen, und der Schwächere „an Verstände zum Gehorchen bestimm; Wo «also Dieser, gegen die Ordnung der Natur, den «Kopf emporstrecken will; da muß ihn Jener an „seinen Platz zurückweisen. Die weniger» Klü» «gern sind also die von der Gottheit verordntten «Vormünder des größer» Haufens, den man, „wie die ungezogene» Kinder, in steter Unter» «würfigkeit und Demuth erhalten muß, weil „Freiheit und zu viel Genuß ihm schaden; denn „er misbraucht seine geringen Kräfte, sobald „man ihn einen Augenblick loslaßt. D a aber „dieser große Haufen nicht durch Vernunft „lenken, nicht zu bedeuten ist, den wenigem „Klägern dieseVormundschaft freiwillig zu über, „lassen, und diese Wenigern natürlicher Weise „an physischen Kräften weit schwächer sind, als „der blinde Haufen; so muß man andre Mittel, „das heißt solche, die auf das Intellektuelle und „Moralische der Menschen wirken, anwenden,

„ m e jenem Hanfe» die Hände zu binde«.

D ie

„ W a h l dieser M itte l »ruß man nach den Umstän„d e n und Bedürfnissen einrichten.

ES wäre zn

«wünschen, daß man alSdan« stets diegradesten „w ä h le n dürste; allein das geht nicht im m e r, „doch find alle M itte l g u t, in sofern sie zu dem „groß en Zwecke führen, welcher der O rdnung „d e r N a tu r gemäß is t, nemlich zu dem Zwecke, «den K lägern

die gebührende Vormundschaft

«stber die D äm m ern zuzusichern.

Endlich aber

«dünken sich o ft Lusscrstmittelmäßige G enies, «die nur eine lebhaftere E in b ild u n g skra ft, mehr „K ü h n h e it und eine etwas feinere O rganisation « a ls Andre habe«, auch groß, und bilde« sich « e in , gleichfalls zu der F am ilie der privikegirten «Herrscher zu gehbren.

M i t diesen Leuten, die

« s ic h dann gegen d«S Joch sträuben, so man

«ihnen a u fle g t, muß man oft wider W ille n ge„w a ltfa m e M itte l anwende«.

D a m it nun aber

„überhaupt die Klägern sicher diesen großen P la n «der N a tu r, w ie eS ihre P flic h t ist, unterstützen «können, müssen sie all« diejenige« K ö p fe , di« «w erth fin d , an der Regierung der W e lt T h e il „z u n e h m e n , sorgfältig aufsuchen, dieselben zu «gew innen, a u f E in rn .T v u zu stim m e n , nvd

»2Z „«ach festm Grundsätze« im Leussern und In n e r« „zu bilden sich bemühen. Diese Grundsätze müs» „fett au f die feinste Kenntniß de» menschlichen ..H e rz e n -, au f schlaue Vorsichtigkeit, au fB e» „kanntschaft m it allen Lokal» und Temporalbe» „dürfnissen, au f G ew alt über alle äussere Aus» „bräche ihrer eigenen Leidenschaften beruhen. « R u r W enige besitzen diese Eigenschaften, und „dabey G egenw art des G eiste-, ein einschmei» „chelndeS AeusserllcheS, Beredtfamkeit und die „übrigen so nbthigen V orzügen; nur Wenige „find also gem acht, an dieser H auptregierung „T h eil zu nehmen. Alle Uebrigen müssen, nach „den Um ständen, durch F urch t, V erblendung, „W ohlthaten oder durch andre M itte l, für d a„ Interesse der W enigen eingenom men, oder „w enigsten- so gefesselt werden, daß sie nicht „entgegenwirken kdnnen. D ies ist zwar auch „v on jeher die A rt zu handeln aller D erer gerne» „se n , welche das Menschengeschlecht m it Fein» „heit regiert haben — D ie Sanktion des Pfaf» „ fe n - und Fürstenstandes beruht d a ra u f— Aber „die Jesuiten waren die E rsten , welche diese „Grundsätze in ein zusammenhängende-, allge» „m ein anwendbare- System gebracht haben.«

D>e§, liebt Leser! w ar die Theorie, nach welcher unsre beiden Weltregierer jetzt ihre Ope­ rationen einzurichten begannen, und von welcher A lw e rrh so bezaubert w a r, als nur je ein S o h n Lojola's eö seyn kann.

E r studierte T ag und

Nacht d a ra u f, sich ganz im In n e rn und Aeus» feni nach jenem Ide a le zu bilden, und e6 gelang ihm herrlich damit.

O b er nicht unter der H and

selbst m it jenen geistlichen H errn wieder in D e r, bindung getreten w a r, und Diese die schöne Ge­ legenheit ergriffen hatten,

E in flu ß ans die Re­

gierung eines Reichs zu bekcmmen, in welchem sie bis dahin gar keinen Anhang gehabt hatten, das w ill ich nicht entscheiden; V iele haben eS geglaubt.

D a sich indessen a lle s , w a s A lw e rrh

in Gemeinschaft m it Seelberg und allein fü r sich th a t, recht gut erklären lä ß t, ohne dies anzuneh­ men; da es eine bekannte Sache ist, wie anstekkend fü r einen feinen K o p f und fü r ein ehrgeizi­ ges Gemüth die M a rim e n sind,

nach welchen

die Gesellschaft Jesu gewirkt h a t,

und vielleicht

noch w irk t,

und wie manche Menschen,

die

wahrlich in ihrem Leben keinen Jesuiten und keine Z eile, von einem Jesuiten geschrieben, gelesen haben,

G o tt weiß

aus

welchem

narrischen

Triebe wichtig oder gefährlich zu scheinen! Muth« w illig e r Weise den Verdacht von sich erwecken, sie stünden in solchen geheimen, ihnen wahrhaf­ tig

keine Ehre machenden V e rb in du n g e n ;

da

endlich-das Gegentheil nicht erwiesen ist; so Mag ich nicht in den Modeton m it einlallen, den ei­ nige M änner aus guter Absicht angegeben, und den dann Diele vachgebrüllt haben, um sich an­ genehm z>t machen,

und w eil sie kein anders

M itt e l wußten, Aufmerksamkeit a u f sich ztt leü» ken, und einigen Anschein von Verdienst um daS P ublikum zu gewiim rn.

Ic h m a g , sag« ic h ,

diesen Modeton nicht m itla lle n , der aller O rte n , w o etwas vorgeht, daß nicht ganz klar ist, aus­ ru ft:

„D a h in te r

stecken

wieder

Je s u ite n !"

UebrigenS verdienen manche dieser H e rrn allen freundlichen D a n k , wenn sie nur so gütig seyn w o llte n , m it ein wenig minder intoleranter G rob­ heit (um nicht Flegeley zu sagen) und übermü­ thigem L o h n e , j a ! m it V erleum dung, V erun­ glim pfung ehrlicher N a m e n , über M ä n n e r, die bey ihre« Zeitgenossen in guter Achtung stehen, herzufallen, wenn diese unglücklicher Weise nicht sehn können, w as sie sehen, und es wagen, m it Bescheidenheit ihre Zweifel dagegen vorzubrin«

gen. —

D o ch , nichts fü r u n g u t! — Ic h bin

von der Hauptsache abgekommen, und w ill also lieber ein neue- K a p ite l anfangen, zählen,

um zu er­

wie w eit diese jesuitischen Grundsätze

und Operationen unsre beide» jungen M ä n ne r fährten.

Fünftes Kapitel. haben im vorigen K a p ite l gehört, daß A lw e rc h sich ganz zu einem Jesuiten ge­ bildet hatte, haben gehört, daß bey ihm n atür­ liche A nlage,

Temperament, erste Erziehung

und äussere Verhältnisse, k u rz! alles sich verei­ n ig te , seinen Charakter nach dem Id e a le zu b il­ den, das er sich zur Nachahmung vorgestellt hatte. schaffen.

M i t S eelberg w a r es nicht ganz so be­ D a s Aeuffere davon nahm er zwar an,

wie jede andre F o rm , zu welcher er sich modeln w o llte ; allein die Eindrücke, die er in der frühen Jugend bekommen hatte, sein zu sanguinisches Temperament und ein gewisses moralisches Ge­ fü h l, das gegen manche harte Weltbeherrschersfttz« sich empörte, und ihn o ft «nw illkührlich a u f einen bessern W eg hinzog, als der w a r, den ihm

der immer kalkulirende, vorauslauschende Geist de- Jcsuitismus vorschrieb, dlirchkreuzten manche von Alwerch so listig ausgesounene Plane.



fehlte ihm auf keine Art an der Gabe, dieMenschcn zn gewinnen; Er war ein hiureissendange«ehmer Gesellschafter,

wo er es nöthig fand

Schmeichler, Stutzer, Beförderer der schöne« Künste; aber eben diese hübschen Talente und Liebhabereien führten ihn auch pst weiter als sie sollten, und statt daß 2flroertf> zu allen Zeiten aus sich zu machen wußte, was er jedesmal nach den Uniständen nöthig fand; so war Jener meh» rentheils tout de bon, was er war, ließ sich hinreisten durch Geselligkeit, Tanz, Musik, und dann öfnete sich sei» Herz, dann verließ ihn die fb nöthige Achtsamkeit, Wachsamkeit.

Verschlossenheit und

Alwerch war mehr Meister über

sich, ertrug alle Arren von Menschen, und die» nicht eine kurze Zeit, und wenn er grade bey Laune war, sondern immer, hatte für jeder­ mann, zu allen Zeiten das nemliche sanfte, menschenftenndliche Gesicht bereit; Seelberg er­ müdete leicht über solche Hingebungen, fühlte zuweilen einen nicht zu verbergenden Ekel gegen mittelmäßige, langweilige Leute, und beleidigte

I»8 dadurch M anch e , deren er mchr hätte schonen solle«.

A lw e rrh behielt immer den Anstrich von

S im p liz itä t und B ouhom m ie; S eelberg «ahm äußerlich all« S itte n de- HofmannS a n , versprach Jedem , der b a t, auch d a , wo er vor­ a u s w ü ß te , daß er nicht würde W o rt halten köu«e», interessttte sich im Grunde de- Herzenrvohl fü r niemand a l- sein eigene- I c h ,

war

äusserst siüvol, und also tt ti sehr unsichrer Freund, hatte aber doch- Augenblicke, in denen er sich Kreundewünfchre, nnd sich entrüstete, wenn er die E rfahrung machte, d a - vielleicht nicht E iner von de« unzähligen Menschen, die sich unter ihm schmiegten, a u - wahrhaftem Herzenshange ihm zugethan w a re n ,

sondern daß sie n u r entweder

seinen Schutz erbetteln, oder durch seinen Um* gang sich geehrt wissen w ollten.

A lle r S in n fü r

E in fa lt und N atU r schien in ih m erstorben zu fty n , und doch riß ihn unw illkührlich seine sanf­ tere G em üth-neigung, sein besserer In s tin k t hi» zu ediern Gefühlen.

E r konnte stundenlang sich

an den unschuldigen S vielen der K inder ergötzen, ja ! an ihrem Umgänge Vergnügen finden.

S e in

ganze- Bestreben und seine Aufmersamkeit schie­ nen nur gerichtet a u f S tu d iu m der Mensche«

129 und doch irrte er sich jeden Augenblick in Beur« theilung der Cbaraktere. A lw erth w ar M eister über jeden Ausbruch seiner Leidenschafien, kam nie au s dem Gleichgewichte seines G em üths; S eelb erg hingegen w ar sehr wankelniülhig, und nicht fäh ig , die H auptrcvolutionen, die in ihm »orgiengen, zu verberge». S ein Ehrgeiz blickt« mitten aus der angenommenen Dem uth »nd B e­ scheidenheit hervor; M an sahe, daß er aller Or» len der Erste oder der Letzte seyn w ollte, und wenn er sich stellte, als verachtete er das Urtheil des großen H au fen s; so las m an doch ans sei» «em Gesichte, welchen Eindruck die gute oder schlimme M einung Andrer ans ihn machte. D st überraschte ihn in m untrer Gesellschaft eine Am­ w andlung von jener natürlichen, ungezwunge­ nen Fröhlichkeit, die seine M utter ihm aufgeerbt h atte , und die m it dem studierten Charakter einefeinen H vfm anns sonderbar genug komrastirte, und ebeir so oft entwischten ihn» eben so unschick­ lich kleine S aiy ren und S pötteleien, »voran er, »vie wir wissen, schon in seines V aters Umgänge den Geschmack gewann. E r verbarg es nicht, wie frey er über positive Religio» dachte, statt daß A llv e rth , obgleich er im Herzen nicht weniSeelbergr Gesch. Il Th. I [431]

iz o ger Freigeist war, auch über diesen Punkt seiner Zange den Zanm anlegte.

Er lebte nicht s»

müßig im Essen und Trinken, als ein Man« thun soll, dessen Kopf immer gleichheiter, dessen Laune immer die nemliche seyn muß.

Wenn ihn

jemand gekränkt oder beleidigt hatte; so konnte er sich nicht erwehren, ihn ein wenig seine Rach» sucht fühlen zu lassen.

Endlich sprach er auch zu

viel, und enthüllte dadurch, wonicht seinePlane, doch seine Grundsätze, und »nachte, daß die Leute ihn zu genau kennen lernten. — M it Ei­ nem Worte!

Alrverrh war schlimmer als er

schien, und Seelberg wollte schlimmer scheinen, als er war.

Nun versäumte zwar Alwerch keine

Gelegenheit, unsern Helden in seinem Systeme zu bestärken und auf Festigkeit bey ihm zu drin­ gen; allein er fand-räglich mehrmals Ursache unzufrieden mit seinem Schüleo zu seyn. Indessen fiengen sie ihre Operationen an. Um den Monarchen von alle» Regierung-ge­ schäften zu entfernen, in welchen die ältern Herrn vom Miuisterio durch Rathgeben viel Einfluß hatten,

überzeugte unser Leibarzt ihn,

er

müsse, seiner Gesundheit wegen, die man M it-

i3i ttl fand für schwach auszugeben, eine Zeitlang au f dem Lande, entfernt von aller Anstrengung des G eistes, zubringen. D o rt sorgte S eelberg d afü r, daß Zerstreuungen und Lustbarkeiten al­ ler A rt ihm H ang zu einem müssiaen, wollüsti­ gen Leben voll Abwechselung einflößien, welche» bey Fürsten nicht schwer zu halten pflegt. I n ­ deß hatte sich der G ünstling da» besondre G e­ schäft auftragen lassen, aus solchen D in g en , die daS M inisterium nicht für sich abthun konnte, dem K önige zu referiren, dagegen jedem Andern untersagt w urde, sich in ernsthaften Angelegen­ heiten an den M onarchen zu wenden. Hierdurch erlangte L u d w ig , d a ß , statt E ines D eparte­ m e n ts, in welchem er bis itzt gearbeitet halte, er nun von Allem Wissenschaft bekam, daß alle» durch seine Hände gieng, daß er von diesen D in ­ gen (einem H errn grade so viel vortrug, als er nöthig fa n d , und daß eS von ihm abhieng, w a n n , w o und w ie er dieselben vortragen wollte, folglich auch, w as d arauf beschlossen werden sollte. Nachdem nun der K önig die angenehmsten M onate also au f dem Lande verschweigt und ge-

rzr sehn hatte,

daß dennoch die Staatsgeschäfte —

D ank sey es der S o rg fa lt des immer thätigen «nd geschickten S e e lb c rg « ! — ihren G ang fo rtgierige» ; so w a r er um so leichter zu stimmen, eine längst vorgehabte Reise durch den schbnsten T heil von Europa zu unternehmen.

ES ver­

steht sich, daß die Personen, welche das Reisegefolge ausmachten, vorsichtig gewählt wurden, daß der L e ib a rzt unter Diesen w a r, daß derselbe den M onarchen nicht aus den Augen lassen, »nd den genauesten Briefwechsel m it Seelbergen un­ terhalten m ußte, welcher indeß, m it einer ziem­ lich unumschränkten V ollm acht versehn, in der Residenz blieb.

Jetzt w a r er freilich H e rr und M eister, aber jetzt, da e r, sich selbst überlassen, ans seines Hofm eisters Augen w a r,

begieng er auch die

großen Fehler, die ihm hernach so viel Verdruß zuzogen. Höhere Kraftgenies pflegen nicht viel Ehrer­ bietung gegen a lte , ehrwürdige S itte n und Ge­ bräuche,

Gerechtsame „n d Gesetze zu hegen,

ohngeachtet diesen gewöhnlich sehr weise, vie l-

Kicht nicht bey jedem ersten Anblicke merkbare, ganz von dem Volkegeist beseelte, in die G rund­ feste deS Reichs verwebte Ursachen die Entstehung gegeben haben.

S ie stürzen gar zu gern, klei­

ner Gebrechen wegen, eine ganze Verfassung über den H au fe n , ehe sie wissen, ob sie eine bes­ sere, ans Lokalnmstande und Zeitalter passende, an deren S telle errichten können, ohne zu beden­ ken, daß ein fehlerhaftes S y s te m , nach w c ltbem man ans G e w o h n h e it und Anhänglich» keil konsequent und unveränderlich h a n d e lt, o ft v ie l m ehr w e rth is t,

als ein neues, an

welchem m a n , wenn es nicht recht p a ß t, im ­ mer ausflicken m u ß , w äre dieses auch im G an­ zen besser als das vo rig e .

S o gieng es denn

auch unserm H errn v o n S e e lb c rg ; E r drehet« u m , verbesserte, v e rw a rf, und fand dann hinrrnnach nicht nur unendliche, unübersteigliche Schwierigkeiten in der Ausführung des Neuern, sondern brachte auch den Kern der N a tio n , de­ ren Verfassung er in seinem Wcltregiererstiegel umschmolz, heimlich gegen sich anf. sten alten D ie n e r,

D ie mehr-

welche Gegenvorstellungen

w agten, oder auch nur m it ihren lauge gebrauch­ ten alten Knoche» und ein wenig phlegmatischen

Tem peram enten, weniger schnell bey D urch­ setzung der neuen Reformen w aren , wurden ver­ abschiedet, in Pension gesetzt, oder zogen sich freiwillig m it Seufzen zurück. E s entstand ein allgemeines M istran e n , wie e -in Ländern, wo Jefuitism uS oder überhaupt eine gewisse unreine P o litik , ein System herrscht, dessen Grundsätze nicht jedem der Geringsten vom Volke entwickelt werden können, nicht zu vermeiden ist. Auch das Beste geschahe m it einem Anstriche von M ysteriosität, wie wenn nur Werke der Finster­ niß getrieben w ürden, und eö schien, man mache sich ein Verdienst d arau s, immer zu scheinen als gehe man schiefe W ege — E in vermaladeieter T o n , der an so manchen Höfen herrscht, wo m an auS Allem Geheimniß m acht, und jedem Wirken und H andeln, — ja ! wenn es noch Unthaten w ären! — aber jedem mmhwilligen Knabenspielwerke den Stem pel der Politik ans, drückt! W o Zutrauen und Offenherzigkeit fehlen, und Gradheit im Denken und Handeln kein V er­ dienst giebt, da wird jeder Antrieb zn edeln, großen Handlungen unterdrückt, jeder gute

lZ5 Keim erstickt, und wo in einem Staate von oben herab Verachtung dessen, was allein im Leben und Sterben Ruhe und sichern Trost geben kann, bis zu dem Volke hinunter allgemein um sich greift) wo achte Gottesverehrung nicht dem Throne zur Seite steht, nicht über den Monar­ chen wacht, feine Hand leitet, seinen Befehle» die höhere Sanktion giebt, nicht die Gemüther stimmt, dem segnendcn Wohlthäter mit Freu­ den zu gehorchen, auch im Stillen wo niemand als der höchste Richter eS sieht, mit ihm zu gleichen, höhern Zwecken, ihre Pflichte« zu er­ füllen ; da verschwindet auch jedes sittliche Ge­ fühl, Moralität sinkt, und Jeder thut für sich im Verborgenen, was er glaubt ohne öffentliche Ahndung thun zu können — Das war denn hier der Fall! Uebrigens läßt sich nicht läugnen, daß Seelberg auch mancher einzelnen guten Ein­ richtung die Entsteh,mg gab, daß er auf Recht und Gerechtigkeit (nach dem gemeinen, weitern Sinne dieser Worte) hielt, und-daß er so we­ nig darauf bedacht war, sich zu bereichern, daß er vielmehr in manchen Gelegenheiten eine Unei­ gennützigkeit zeigte, die bey ihm, der jetzt kein Verschwender war, sondern, ohngcachlet alle-

iz6 Aufwandes den er machte,' und auch machen konnte, den W erth deS Geldes recht gut kannte, in der T h a t wohl Lob verdiente.

Uebcrhaupt

kam sein ganzes Treiben und W irken aus übel» geordnetem Tharigkeirstriebe her, aus «»ächtem Ehrgeize, aus dem D ra n g e , eine R olle zu spie­ le n , aus falscher Ruhmbegierde, aus M a n ge l an S in n fü r wahre Größe und aus unrichtigen Begriffen von Sraarskunst.

D o ch , es ist Z e it, daß ich auch ein paar W orte über Luisens Betragen bey diesen S c h rit­ ten ihre- G alten sage.

Ic h habe im vorigen

K a p ite l erw ähnt, daß ihre äussere Verhältnisse sie von beiden Theilen abhielten, in ihren Um­ gang denjenigen G rad von freundschaftlicher V e r­ traulichkeit zu mischen, der unter Eheleuten von rninder vornehmer Lebensart ein B a n d mehr zu wahrer häuslicher Glückseligkeit is t, wo alle Zu» rückhaltung w e g fa llt, kein G ch e im n iß S ta tt hat, w o man alle- gemeinschaftlich tra g t und tragen h i lf t , sich gemeinschaftlich freuet, sich gemein­ schaftlich

tröstet —

E in

solche- V e rh ä ltn iß

herrschte nicht unter Seelbergen und feiner F ra u . D azu k a m , daß sie ihm keine Kinder gebahr,

fo lg lich auch dieser Gegenstand fe h lte , der den Z irke l häuslicher Glückseligkeit enger zusammen­ zieht und H a u s v a te r und H a u s m ü tte r im M i t ­ telstände ,

m it sauften Fesseln an ihren F a m i-

lienheerd festbindet.

Jeder von ihnen gieng also

seinen eigenen W e g ;

die gnädige F ra u brachte

ihre T age in ihrem A ppartem ent oder a u s w ä rts in glänzenden Gesellschaften z u , der H e rr S ta a ts ­ m in ifie r aber tum m elte sich a u f seinem p o liti­ sche» Steckenpferde vo r den Augen der ganzen N a tio n herum.

D och wünsche ich , m an möge

das nicht so verstehn,

a ls habe eine gewisse

K ä lte und G leichgültigkeit unter ihnen geherrscht; n e in ! in den wenigen S tu n d e n , in denen sie sich sahen, begegneten sie sich gewiß m it aller ersinn* lichen Liebe und Aufmerksamkeit. H e rz w äre w o h l

F ü r Ln ise n »

eine bürgerlichere Lebensart

m ehr gemacht gewesen; a llein m an gewöhnt sich an a lle s , und W eiber gewöhnen sich am leich­ testen an d a s ,

w a s die Eitelkeit

schmeichelt.

UebrigenS sprach G ee lbe rg m it seiner F ra u nie von seinen Geschäften; sie bekümmerte sich nicht d a ru m ; andre Leute wagten es nicht, sie davon zu un terha lten,

der H a usfreu nd L e u ch te n b u rg

w o llte es auS guten G ründen n ic h t, und so blieb

«s dann b e rr,

der doch

z w e im a l vo r ih r vorbeigegangen w a r ,

(jedoch

ohne sie zu bemerken, denn es w a r kein Licht in dem Z im m e r "angezündet) sie nicht aufgeweckt hatte.

A ls der M o rg e n bald anbrechen w o llte ,

erwachte sie,

und gierig nun , w ie ge w ö hnlich ,

in die K a m m e r, um das buhlerische P a a r zu wecken, und den F e r r it v o n L e u c h te n b u rg w ie­ der auS dem Hanse zu begleiten. a u f,

Dieser stand

a lle in er fand einen seiner Schuhe n ic h t,

und bald verm ißte m an auch den D a m e n ö p a n toffe l.

M a n suchte aller O rte n m it der größten

Aufm erksam keit, ohnbegreiflich,

aber vergebens.

Es

schien

w ie «S zugegangen seyn könn«,

daß diese Stücke w ären auS der K a m m e r getra­ gen w o rd e n , z u m a l, da die J u n g fe r hoch und »Heuer schwur, sie habe kein Auge geschlossen.

N u» schaffte sie zwar vorerst einen andern Schuh herbey, m it welchem der H err vo» Leuchrenb ü rg nach Hanse schleichen konnte, aber Luise w ar damit nicht beruhigt; vielmehr drang in ihr H erz die bangrste A hndung, die beinahe zur Ge­ wißheit w urde, als sie schon um sieben Uhr ein B illet von Leuchtenburg erhielt, in welchem nur die W orte standen: „D ein M an n hat vom So» „n ige die Freiheit geschenkt erhalten, und ist „vorgestern von der Festung abgereiset; Ic h „komme zu D ir , sobald ich angekleidet bin ." N un zweifelte Luise nicht einen Augenblick an dem , w as wirklich geschehen w a r; S ie riß sich die H aare a u s , schrie ü berlau t, und w ar noch in dieser V erfassung, als der Kaumierdiener m it S eelb erg s Briefe ankam , welcher sie dann in einen Zustand versetzte, dem wahrlich auch der hartherzigste Tngcndprediger und die strengste, häßlichste alte Jungfer ihr M itleiden nicht würden versagt haben. C ie w ar eben au s der zweiten Ohnm acht wieder zu sich selbst ge­ kommen, als sie draussen Leuchtenburgg Stim m e hörte; Sogleich raffie sie sich a u f, eilte in ihr S a b iu e t, verschloß die T hür hinter sich, und

weigerte sich auch bis zu ihrer Abreise standhaft, diesen schandi'chcu Verführer zu sehn. Cie nahm wenig '.iahrung z» |n'. z vu sirl, a!S die ersten tobenden Anfalle dev Schmerzes vorüber waren, in eine tiefe Mrlaiicholcy, beftigre pünktlich den Befehl ihres Galten, reifete ab, laut in an, fühlte aber bald nachher, wie fthr schwäch­ lich sie wurde; Sie wagte es nie, nach ihrem Gemahl zu fragen, viclweuiger auf feine Ver­ zeihung Plan zu mache»; Ein schleichendes Fie­ ber ergriff sie; Sie zehrte sichlbarlich ab; Seel­ berg ließ ihr alles, was nur möglich war zu ihrer Erleichterung und Rettung reichen;

ES

wurde ritt geschickter Arzt gebraucht; aber der niedergeschlagene tiefgebeugte Geist konnte dem Körper nicht zu Hülfe eilen, und so schwanden dann nach und nach die Kräfte.

Seelberg gab

der (fm tfiim Seorrmann Nachricht von den Um­ ständen, in welchen sich ihre Schwester befand; die gute Frau reifete mit ihren Kindern zu ihr hin; Die erste Zusammenkunft' war für Beide äusserst erschütternd, aber für vie Rrance von sehr nachiheiligen Folgen, obgleich die O ni finit ihr liebreich begegnete, und ihr nicht die gering­ sten Vorwürfe, machte.

Der ciifte Monat nach

r?6 ihrer A nkunft a u f dem Gute machte ihrem Leie den ein Ende; S ie starb reuevoll, und nahm die Verzeihung von ih re m G a tte n ,

welche er ih r

schriftlich zusicherte, m it in jene W e lt.

E r erbte

ih r große-Verm ögen; D ie G rä fin n besuchte

ib*

ren S c h w a g e r , nachdem sie Luisen die Augen zugedrückt hatte, und reifete dann a u f ihre G ü ­ ter zurück.

Ehe ich nun erzähle, wie Seelberg in dieser und der folgenden Z eit lebte, w ill ich erst den H e rrn v o n Leuchtenburg abfertigen. Ic h denke, eS w ird nnS Allen ganz angenehm seyn, diesen elenden Menschen auS dem Gesichte zu vcrliehren, nnd doch mögt« ich nicht gern so sehr gegen die gemeinen Znnstregeln anstoßen, daß ich in die­ sem Buche einen M a n n erst eine wichtige R olle spielen liesse,

nnd nachher a u f einmal gänzlich

von ihm schwiege.

ES dient also Folgendes hier­

über zur N achricht! Leuchtenburg verhielt sich bey der

traurigen Entwicklung

von Luisens

Schicksale, so wie man e- von einem Menschen erwarten konnte,

dem alle Pflichtn» nnd edele

Gefühle S pielw erk waren.

E r führte m m sein

Wesen am Hofe fo r t, allein nicht immer gelungen

ihm seine Bubenstücke so g u t, wie die gegen S e c lb rrg getriebene Tcufeley. M an bediente sich Seiner tu allerley R anken, aber m an verachtete i h n , wie «S immer solchen Leuten geht; Doch half er sich so ziemlich fort, so lang« er nur eine subalterne Rolle spielte; indessen begnügt« er sich damit endlich nicht mehr. E r wollte auf seine eigene H and Kabalen anzetteln, -egen Leute, denen er nicht gewachsen w a r, ja ! «S kam ein Anschlag gegen de» K önig» eigene P er­ son an den T a g , der größtentheilS unsern H errn von Leuchtenburg zinn Urheber hatte; nnd da machte m an dann nicht viel Umstände mit ihm. E r wurde gefangen gesetzt, und m an würde ihm vermuthlich sein W eltreformators-Köpfchen von den Schultern abgehoben haben, wenn er nicht M ittel gefunden hätte, aus dem Gefängnisse zu entkomme», wozu ihm sein Jä g e r T rille r, der dafür noch jetzt den K arrn in der Festung zieht, behülflich w ar. D a nun seine G üter in des Kö­ n ig - Ländern lagen; so wnrdeii diese eingezogen, nnd er behielt gar kein Dermbgen übrig. Doch ein G enie, wie da- seinige, findet immer Hülst» quellen in sich selbst; E r zweifelte nicht daran, in Amerika eine große Rolle spiele» zn können, Eeelderg» Gesch.n. Th. M

giftig also d ahin; mußte sich im ersten Ia h te kümmerlich behelfen; Niemand wollte in ihm den großen Geist erkennen, wofür er sich selbst schätzte; E r hielt eine deutsche Schule. AIS aber der Krieg m it England losbrach; da hoffte e r, m an werde sich seiner großen Talente bedienen, um betn neuen S ta a te die beste Form zu geben; allein er betrog sich; M an machte ihn zum Lieu­ tenant bey der M ilitz. V or SI» nes, und endlich, daß sie so hübsch

v ü -, daß Mancher alle Betrachtungen darüber . e/c nscn haben würde — M it Einem W orte! f< u-lbcrg ließ, als er nun bald wieder das Zim­ mer verlassen konnte,

gegen Ernestine»» ein

Wörtchen von seiner Absicht fallen, wurde von ih r, wie sich's versieht, züchtiglich an ihren V a­ ter gewiesen, und wendete sich, sobald er voll­ kommen hergestellt w ar, an denftlhen. Sinn Tonnen, wie man behaupten w ill, mit großer Frönnnigkeit dennoch ein wenig Stolz und Eitelkeit recht gut bestehn; M an dürfte also viel, leicht annehmen, den alten «v-denfeld habe die Idee, fiiu ii so vornehmen Tochtcrmann.zn be­ kommen , ein wenig gekitzelt; Ohne indessen die Sache ans eine so lieblose Art zu erklären, brau«

chm w ir nur zu b t M f e n , daß t t Seelbergen hochschätzte, stimm te,

daß ihre DenknngSart überein­

und daß auch von der 6!onon;in?x :i

Seite diese P arthie nicht zu verachten w ar — Genug er gab sehr bald seine E in w illig u n g , ö.us Verlöbuiß w u rd e , so wie bald nachher die Hoch-z e it, ohneLerm, doch anständig, in Gegenwart einiger Verwandten und andrer S tille n im Lande gefeiert, G venfeld gab seine Haushaltung auf, und zog m it seiner Tochter auf S e rlb c rg s G üter, entschlossen da den Rest seines LebeuS sorgenlos und in frommen Uebungen hinzubringen.

A n A lw e rch schrieb Seelberg und gab ihm Nachricht von dem S c h ritte , sobald er de6 J a ­ w o rt halte.

Derselbe sahe nun w o h l, daß hier,

m it seine Plane zum Besten seine- FrmndeS schei­ terten ; E r hatte große Absichten m it ihm gehabt, wie w ir in der Folge hören werden; D a ra n w ar nun aber vorerst nicht zu denken; E r wünschte ihm also herzlich Glück, und beküinmerte sich dann ein paar Jahre hindurch wenig oder gar nicht nm unsern Helden.

2o6

Zehntes Kapitel. E in fö r m ig e r und unthätiger kann nichts erdacht werden, als nun das Leben w a r , welches S eelberg m it feiner F rau und feinem Schwieger­ vater führte —

Doch mögte es immerhin tha-

tenlcer und ohne Abwechselung gewesen seyn, wenn es nur übrigens ein glückliches Leben gewe­ sen w äre! A b er, leider! w a r es das gar nicht, und schon vor A b la u f des ersten JahrS dieser E h e , binnen welcher Zeit Ernestine ihrem M a n » einen jungen S o h n Kumm rrwo'kcn

über

gebahr, zogen sich neue Scelbcrgs

Haupt

zu­

sammen.

D a s fromme W eibchen, daS als Mädchen so sanflmürhig und geduldig schien wie ein Lamm , auch wirklich bey jederm ann, der es nicht täg­ lich fortgesetzt sahe,

dafür g a lt,

einen milden

Charakter zu haben, hatte darum nicht weniger ihr Köpfchen und schlimme Launen, in Augen­ blicken ,

wo vielleicht der böse Feind au f V e r­

suchung der Heiligen ausgieng.

D a sie selbst

sehr reine C itren hatte; so w ar sie auch äusserst strenge und

unduldsain gegen fremde Fehler,

lästerte nicht eigentlich, sahe bri|?Iteutcnant3 erzählen, und seine intellek­ tuellen und physischen natürlichen A nlagen, sein Temperament,

kurz! alles schildern, was in

diesem Erdenleben E influß a u f unsre Systeme h a t, und das würde mich sehr w eit von meinem Zwecke ableiten — Lenken w ir wieder e in !

S eelb erg hatte die Bekanntschaft diese« tN a n n e s erneuert, und nebst A lw erehen seine Gesellschaft gesucht. ES w ar ein so genannter gelehrter Clubb in * * * errichtet; D ah in kam V bers-birm wöchentlich einm al; übrigens hatte er beinahe gar keinen Um gang. H ier sahen ihn unsre beiden W eltreform atorn, redeten m it ihm von Gegenständen aller A rt, und bewunderte« den S charfsinn, die Gründlichkeit, die K larheit der Begriffe, die Bestim mtheit im Ausdrucke und den Zusam m enhang, der in Allem herrschte, w a« «Vberschi'rm vorbrachte, seine ganz eigene kör» nichte L aune, und endlich die seltene Freim üthig­ keit, m it welcher er jedesmal über alles seine w ah re, grade M einung heraussagte, und zwar oft sehr kräftig und schneidend, ohne die geringste Rücksicht au f Personen und andre Umstünde zu nehmen. „D ie W ahrbeil" pflegte er zu behaup­ ten , „stifte immer N utzen, .schlage W urzel, «auch d a , wo sie m it W iderwillen aufgenom« «m en w erde, und sollte m an auch die Frucht «der K ö rner, die m an säet, erst sp ät, oder nie «gew ahr werden." I h n kümmerte e» w en ig , ob der H e rr, dem er die W ahrheit sag te, eS ungnädig aufnahm , oder nicht; denn er verlangte

s5661

niemands G u n st, a ls die des verständigen M a n ­ nes, und die verlohr er nicht dadurch.

ES läßt sich begreifen, daß unsre beiden Helden a u f diesen geschickten,

helldenkenden und

festen M a n n gar bald J a g d machten, um den­ selben m it in ihren W e lt und Menschen umschaf­ fenden P la n zu zieh«;

S ie suchten daher alle

Gelegenheit ans, von Glück der W e lt, von A u f­ klärung , von Freiheit und von dergleichen großen Modegegenstanden m it ihm zu reden.

Schon

hakte Seelberg ein J a h r hindurch nach dem Systeme gearbeitet, und manchen widrigen V o r­ fa ll erlebt, aber überwunden, als eine- Tages E iner von der Z u n ft a u f einer Apostelreise zu ihm kam.

Um Diesen nun m it den merkwürdig­

sten Leuten in

bekannt zu machen, w ollte

er ihn auch zu dem H errn von Oberschirm füh­ ren.

E r gieng also vo ra u s, dev Fremden anzu­

melden, u n d A lw e rth sollte m ir demselben nach­ folgen.

» Ic h komme" sagte S c c lb e rg , als er

zu brrfdnmt in die T h ü r tra t „ I c h komme, „ H e r r Obristlieutenant! um Ih n e n einen Frein» „den zuzuführen, einen gescheuten M a n n , einen „ M a n n ohne V o ru n h e ile , und der aller O rten

„A u fk lä ru n g ju verbreiten sucht." —

„F ra u !

„ F r a u ! " rie f darauf betfdurm „d a n n hüte „m einen Geldbruicl und unsre T o c h te r!

D er

« T e u fe l traue heut zu Tage den Leuten ohne « V orurtheile und die aller O rten ihre A ufklärung „v e rb re ite n ."

A us dieser kleinen Probe können

die Leser ohngefebr die sonderbare S tim m u n g dieses originellen M annes kennen lernen. Solche und ähnliche Scenen veranlaßten

aber,

daß

A lw e rc h und Seelberg endlich einmal ganz deut­ lich m it ihm von der Sache sprachen, und ihm ihren ganzen P la n ausführlich vor Augen legten. Nachdem sie alles wohl zergliedert hatten, ant­ wortete ihnen V b e rfc h irm ohngcfchr Folgende»:

« I h r P la n macht Ih re m Herzen mehr Ehre, „ a ls Ih re m Verstände; D a s ganze D in g ist ein „fantastisches Hirngespinst, und w ir d , neben „d e m Schicksale aller menschlichen Anstalten, „noch insbesondre das Schicksal solcher kompo» „n irte n Maschinen erleben, und das sehr bald. „F a s t alle Vereinigungen der Menschen, die , „so lange die W e lt steht, sind gestiftet w orden, „V erbindungen in Gesellschaften und S ta a te n , „haben ohngefehr ans den nrmlichen Endzwecken

«beruht, wie die Ihrige; Sogar die schlechtesten «waren ursprünglich schwerlich je zum Triumpfe «der Bosheit und zu Unterdrückung des Guten «gestiftet; qber sie wurden in der Folge von «Jedem nach seinen Leidenschaften gemodelt, und «daher nach und nach, was Ih re Gesellschaft «sehr früh.werden w ird, und was sie (der gan«zen Anlage gemäß, die zu allen schiefenWegen «R aum läßt, ja Fingerzeige giebt) werden mnß. «Ihnen dies weitläustig zu beweisen, würde der» «lohrue Zeit. seyn. Solche heisse Köpfe müssen «durch Erfahrung klüger und gewahr werden, ;,daß«s in der Welt in natura ganz anders aus«sieht, als auf dem Papiere. Ich lasse mich «schon deswegen auf gar keine geheime Derbin. «düng ein, weil ich von der Richtigkeit des ge, «meinen Satzes überzeugt di«, den man fteilich «jetzt als Bvlkswahn als PdbelSvorurtheil zu «betrachten pflegt, der aber heilige Wahrheit «enthält, nemlich: daß gute werke nicht no* «thr'g haben das Licht ?u scheuen. Kaum kann «ich zugeben, daß es zuweilen nützlich seyn könne, «etwas insgeheim zu lehren; daß es Wahrhei,,ren gäbe, die man nicht aller Lrten laut sagen „dürfe; aber insgeheim wirken, daö führt gewiß

„im m er zu schiefen Streichen. D och, ich will „gegen die übrigen geheimen Verbindungen nicht„erinnern, sondern jetzt nur von der Ih rig en „reden, und da muß ich bekennen, daß ich die „ganze T heorie, w orauf I h r System gegründet „ist, von G rund au s falsch, so wie Ih re M ittel „höchstunzweckmäßig finde.« „ E s ist nicht w a h r, daß in dieser W elt alle„verkehrt hergeht. E s geht alles so, wie eS n ur „allein und nicht ander- gehn kann. D ie Zeit „bringt zur R eife, w as w ir unS vergeben- be« „mühen würden m it unsern Operationen zu «beschleunigen.« „ E s ist nicht w a h r, daß die Menschheit tief „gefallen ist; S ie ist noch so, wie sie zu S alo« , mon» Zeiten w ar. Ic h bin sehr zufrieden von „der W e lt, und Jed er kann eS seyn, der au f „feinem Flecke, ohne sich an andre Menschen zu „kehren, seine Bestim mung in seinem Hause er« „füllen will. D ie W eltreform atorn sind (»er« „steht sich, S ie ausgenom m en!) mehrentheils ganz erbärmliche M an n lein , die an sich selbst «noch genug zu rcfvrmiren hätten , wenn es ihnen

„ein E rnst m it der Reformation w äre, und dann „w ü rd e ihr Beispiel mehr Gutes bewirken, als „ ih r loseö Einmischen in fremde Händel.«

«ES ist nicht w a h r, daß die Bösen den M e i„ flk r spielen.!

Freilich tragen w ohl m it unter

„Schurken und Pinsel Ordensbänder und Scep..te r, haben Reichthüm er, und geben Befehle; «aber der Weise und G ute ist immer H e rr und „fre y , wenn er über sich selbst H e rr is t, wenn er „seine Begierden bezähmen le rn t, und er kann „m ehr a ls reich werden, wenn er sich von V v r„urtheilen losreißt, wenig Bedürfnisse h a t, und „dann kann ihn kein Mensch a u f G o tte - Erdbv« „den zum Sklaven und zum B e ttle r machen. „ E r w ird K önig seyn hinter dem P flu g e , und „des

Tirannen lachen,

der zwar M illio n e n

«Menschen a u f die Schlachtbank fü h rt,

aber

„tanzen muß nach der Pfeife einer H ure oder „e in e - KammerdienerS und unruhige Nächte hat, „w e n n er zu viel fr iß t, oder wenn närrische Fan„tasien ihm den K o p f verwirren und schändliche „Lüste sein Herz umwühlen.

Niemand kann

„m ic h fesseln, wenn ich meinen stillen, grade» «W eg fortgehe.

ES giebt wenig Länder in der

« W e lt, in welchen man de» ruhigen B ü rg e r, «ohne weitre Umstände, berauben und zu Grunde «richten dürfte, und noch wenigere, auß denen «ich nicht auswandern könnte,

wenn ich den

«elenden Q uark im Stiche lassen w il l, der ohne„ h in

den Weisen nicht glücklich macht.

Ic h

«finde dann aller O rten B r o d , wenn ich meine «gesunden Glieder brauchen w i l l , «ein D espot nehmen kann,

und waö m it

daö ist nicht deS

«kleinsten Wunsches eines verständigen M annes « w e rth ."

«ES ist nicht w a h r, daß die Weisen undBes«sern unthätig sind; aber sie find thätig nach « der natürlichcn O rd n u n g , wirken m it V e rn u n ft, «zuerst das N a h e , vor Augen Liegende, finde« «dann dabey so V ieles zu th u n , daß sie an das «Entferntere gar nicht denken können, und thäte «Jeder ein Gleiches; so würde alle» gut gehn. « W ir haben eS übrigens gar nicht zn verant«W orten, wenn Andre nicht «in Gleiches thun. « S ie ,

mein H e rr von Seclberg!

haben nun

«seit ein paar Jahren fremde Menschen erzogen, «und neulich habe ich von ohngefehr Ih re n eige«nen S ohn m it seinem Hofmeister gesehn; da

27 t „habe ich gefunden, daß der Junge ein ungezo» „gener V n b e , nnd sein Hofmeister ein Tauge, „n ic h ts is t; A lle in , daran haben S ie bis itzt „n ic h t Zeit gehabt zu denken, weil S ie m it wich„tig e rn Dingen beschäftigt waren — Sehen S ie „a b e r ! das sind die Folgen Ih r e r weitaussehen„den P la n e ! “

(D ie Sache w a r wirklich w a h r,

und ich.w üß te n ic h t,

was aus dem Knaben

geworden seyn w ürde,

wenn S eelberg nicht

bald nachher von seinem Systeme zurückgekom­ men w äre.)

„W e n n E in Mensch nur einen,

höchsten-

«zwey Menschen bilden kann; wenn dies seine „ganze Aufmerksamkeit, seinen ganzen Fleiß er„fo rd e rt, wie eö doch gewiß ist; so fangen S ie „doch um Gottes W ille n erst bey Ih re m Weibe, „b e y Ih re m K in d e ,

Hey Ih re m Gesinde a n ,

„ m i t dem die N a tu r S ie in Verbindung gesetzt „ h a t , und ermuntern S ie Jeden, durch Lehre „u n d Beispiel eben so viel zu th u n ,

und sich

„seine häuslichen Pflichten angelegen seyn zu „lassen! D a n n thun S ie a lle s, was man von „ I h n e n verlangen kann; D azu bedarf eö aber „keiner H ü lfe von

geheimen M achinationen;

«O der haben S ie zu der Erziehung kein T a le n t, «keinen B e ru f; so übernehmen S ie ein A m t im « S ta a te ,

gleichviel welches!

«beste, und thun S ie d a ,

daS erste d a -

w as ein andrer,

«m inder guter und weiser M a n n nicht thun « w ü rd e !"

« Ih r e Ide e von Fürstensanktiou ist so ziem« «lich nach dem Geschmacke der. neuern jungen «Philosophen; aber versuchen S ie es e in m a l, «w enn S ie können, die M einung allgemein gel« trn zu machen: daß Jeder sich selbst regieren «könne,

oder daß nur der Weisere das Recht

«habe zu befehlen, und sehen S ie z u , ob S ie «nicht in jedem Dörfchen hundert Weisere finden, «die A lle , m it dem K n ü tte l in der F aust, sich «einander ihren Herrschersberuf vordemonstriren «w erden! Und dann würde das alte Lied wieder «von fern angehn, denn der, welcher den besten « P rü g e l fü h r t, w ird Sorge tra g e n , daß ihm «die Andern nicht wieder in die H aare gerathen «können, das heißt: er w ird einen S ta a t errich, «ten.

Eine Slaatsverfassung ist freilich besser

« a ls die andre; aber im Ganzen sind die unsri«gen so übel nicht, und nach gesunden B egriffen

„v o n Freiheit kann jeder verständige M a n n in „R epubliken , so wie in M onarchien, L lig a r« „chien «. s. f. ftey seyn.

Und w as Ih r e Erkla»

„m a tio n r» gegen Pfaffenkünste b e trifft; so tön« „« e n auch die einem freien M a nne nicht schaden; « W e r sich von Pfaffen etwas aufhenken lä ß t, «dem geschieht schon Recht, wenn sie ihn zu „einem T ö lp e l, zum B e ttle r oder zum Sklaven „m achen."

„A llgem eine A u fklä ru n g , allgemeines Glück „ansErden, allgemeines S ittenregim ent; Schlar« „a ffe n la n d ! —

D u lieber H im m e l! haben S ie

„denn gar nichts gelesen? Wissen S ie denn nicht, „b a ß schon vor beinahe zweitausend Jahren di« „klügsten und thätigsten M ä nner überzeugt W6< „ r e u , das alles seyen kindische C him ären?"

„W a ru m die Menschen leichter zum Bösen

„als

zum G uten in Feuer zu setzen sind?

Eyl

„ w e il das Böse m it unsern herrschenden Leidem „schäften und Begierden übereinstimmt, die sich „n ic h t wegphilosophiren lassen, die ohne Unter„ la ß in uns a rbeiten; „K a m p f,

die Tugend

D erläugnung erfordert,

SeeldergsGesch.il V ).

S

hingegen wozu nm

2?4 „w e n ig Menschen fähig sind;

w e il die Folgen

„d e r Tngend weiter entfernt scheinen, der schöne „G e n u ß aber deS Verbotenen ganz nahe vor an6 „ i s t , und daS Nahe lebhaftere Eindrücke macht, „ a l - das Entfernte.

D e r , welcher w e g n im r,

„w e n n er sicher z« seyn g la u b t, nicht ertappt „ z u w erden, genießt in dem Augenblicke, da er „z u g r e ift, und sieht, w as er h a t, sobald er «S „ fe s th ä lt; D e r Freigebige,

welcher w eggiebk,

„e n tb e h rt in dem Augenblicke, da er hinschenkr, „u n d der künftige Segen und die Freude, welche „d ie - ihm eintragen kann, das alles steht weit „ in der Z u ku n ft, vielleicht in jener W e lt ;u er „w a rte n .

Doch liesse sich noch w o h l, w as den

„Eigennutz b e trifft, träum en, man könne sosehr „d a s Uebergrwicht in der W e lt erlangen,

daß

„m a n den Redlichen auch schon hier den Lohn „seiner G rvßm nth einerndten liesse;

(obgleich

„dem w ahrhaftig Edel« d a- 'gar nicht e in fa llt, „a n der Tugend Desjenigen aber, dem dies ein­ f ä l l t , wenig gelegen ist) allein was wollen S ie „denn m it den Begierden anfangen, die unm it«telbar in dem Körperbaue ihren G rund haben, „w ozu ein innerer Reiz unaufhörlich tre ib t, und „gegen Ih r e Philosophie käm pft? Beweisen S ie

«einm al einem W o llüstigen,

einem Menschen,

,.d«r H ang zn unzüchtigen Ausschweifungen hat, «beweisen S ie ihm das Interesse jilc b ttg )n seyn/ «und sehen S ie z u , ob er weniger o ft zu seiner »Maitresse schleichen w ir d , wenn die körperlichen »Begierden in ihm dringend werden! Oder giebt ,»eS vielleicht gewisse p rivilegirte Laster, die E ie « Ih re n Zöglingen erlauben, zum Beispiel, ein «bisgen Unzucht treiben? — » S ie denn nie überlegt,

N u n ! so haben

wie leicht der M a n n ,

«dem man erlaubt zu seiner Mailresse zu schleichen, «einer B uhlerinn zu gefallen, T ir a n n , bestech« «barer R ichte r, M ö rd e r, und alles werden kann, »u«'d wie M a n ch e r, dessen erster F e h ltritt ein »Räufchgen w a r, nachher Verbrechen a u f Der« «brechen häufte, bis er sein Leben a u f dem Rade »endigte.«

„ S ie wollen eines Jeden Lieblingsleidenschaf, „ten zu guten Zwecken leiten?

Ic h hoffe, S ie

„verstehen daö n u r von Leidenschaften edlerer „ A r t , wie etwa vom Ehrgeize, denn sonst mögt« „ich doch sehn, wie turnt es etwa anfangen könnte, »G eldgier, W ollust u. dgl. zu guten Zwecken nützen.«

«E s ist nicht w a h r, daß man sich der nem,,lichen schlauen M itte l zum Guten bedienen könne «und dürfe, welche die Jesuiten zum Bösen au­ fgewendet haben.

Erstlich werden S ie doch

»wohl einräumen, daß man sich wirklich schlech«ter M itte l auch zu den besten Zwecken nie bedie„nen dürfe; N u n nenne ich alles schlecht, w as »zu Winkelzügen fü h r t; D a s Ausspähen aber »und Erforschen der Menschen; das K o n trv llire n ; „das S tudieren der herrschenden Leidenschaften; „d a s Bestreben, Jeden in der Verbindung sin„den ;n lassen, w as er sucht, folglich das ganze «System unter tausendfache» Gestalten darzu«stellen, nach Zeit nnd Umständen; daS V e r« fo lg rn , oder vielmehr in Schrecken setzen D erer, »die Einen von den Ih rig e n antasten, das alles «leitet znvcrläßig zu Ränken und Kabalen, zn «Falschheit,

V e rste llu n g ,

Je su itism n s,

„w ürde also Ih r e Sache verderben,

nnd

wäre sie

„auch die beste Sache — D och, zergliedern w ir «auch ein wenig genauer Ih r e M it t e l,

Ih re »

..O perationsp la n !" « S ie wollen alle Ih r e Leute a u f Einen Ton «stimmen? — N u n ! das wäre denn wohl die

„verderblichste A rb e it, die S ie treiben M im ten— „ G o tt sey gedankt fü r die herrliche Verschieden, „h e it der S tin im m ig e n , der M einungen, der „W ünsche, Richtungen, Temperamente und Le» „bensarten unter den Menschen! Ic h mdgte nicht „einen Augenblick leben unter einem Hansen sol, „cher abgerichteten P uppen, die, wie in einem „Iesuiterkollegio, A lle einerley S c h n itt, einer, „le y heilige, bescheidene M iene hätten, einerley „Geberden, einerley Sprache führten, nicht an, „der» als m it Entzücken von de» hochwürdigen „O bern sprächen, und denn doch den Teufel im „Herzen führten; denn den alten B e lia l, der in „jedem Erdenklose a u f eine andre M a n ie r sein .„S p ie l h a t, treiben S ie doch ans Ih re n ganz „gehorsamen Zöglingen

nicht heraus.

Znm

„G lück aber lassen sich auch, ausser den Heuch„le rn und einigen Enthusiasten, die aber nicht „lange S tich ha lte n ,

nur höchstmittelmäßige

„Menschen in einen solchen geistig-moralisch-poli» „lisch - scientifischen tournecuisse einschrauben; „die Uebrigen springen heraus, und halten sich „a n die bürgerliche Gesellschaft, in welcher sie „w a h rh a ftig ,

bey allem Z w ange, doch mehr

„F reiheit im Denken und Handeln finden, als

„ u n te r dem Schutze I h r e r , F reih eit und Gleich» „ h e it predigenden O be rn —

K u r z ! S ie reden

„im m e r von F re ih e it, und w ollen doch a lle M e n ,,sche« in I h r e F o rm giessen; S ie w o lle n ,

daß

„Z e d e r sich selbst regieren so lle , und verlangen „doch blinden G ehorsam ; S ie w o lle n , daß n u r „ d ie Weisen herrschen solle«, und erlauben doch „ I h r e m J ü n g e r n ic h t, die Leute zu kennen und „ z u p rü fe n , von denen er Befehle em pfängt. „ S ie

sagen z w a r ,

S ie

forderten n ic h ts , a ls

„ w a s zu eines Jeden G lück gereichte, verlangen „a b e r

dagegen,

daß Jed er den unbekannten

„F ü h re rn a u f ih r W o r t glauben solle, alles w a s „ ih m

befohlen werde gereiche zu seinem Glücke.

„ E r soll das G anze nicht übersehn, weiß also „ n ic h t ,

w o h in mancher W in k am Ende f ü h r t ,

„ d a doch auch der böseste P la n in ein sehr reizen­ d e s G ew and gehüllt seyn kann. ner

keine

D a S ie fer­

öffen rlich privileg irte Z w a n g s m itte l

„h a b e n , fo lg lich J e d e r, der I h n e n trotzen w ill,

„sich in

di« A rm e der bürgerlichen Gesellschaft

„w e rfe n k a n n ; „e rre g e n ,

so müssen S ie ,

um Furcht zn

zu kleinen verfluchten Ränken und

M eckereien I h r e Z ufluch t nehmen —

und heißt

„d a s nicht dem Geiste der I n t r ig u e und K a b a le ,

„dem ärgsten Derfolgungsgeiste, unter der Hülle „des Geheimnisses, T hor und T hür ofnen ? — „U nd welchen Ersatz könne» S ie gegen alle diese „w ahrhaftig tirannische Sklaverei) versprechen? „ S in d S ie gew iß, daß S ie je so viel M acht er« „langen w erden, Ih re treuen A nhänger, die, „welche sich Ih n e n aufopfern, gegen unbillige, „miStrauische Landesregierungen, gegen Schick« „sale, gegen K abalen andrer geheimen Gesell„schaften schützen zu können? und müssen S ie „nicht auch dazu wiederum heimliche, gefähr« „liche M ittel einschlagen?“ „ S ie wollen alle Dorurtheile bekämpfen! S a „gen S ie m ir doch, meine H e rrn ! w as eigent* „lich Dornrtheil ist, und woran ich es erkennen „soll, daß S ie von allen Menschen, die je in „der W elt gelebt haben, die Einzigen sind, die, „ganz rein von allen B orurtheilen, einen so Hö­ chen G rad von Heller V ernunft besitzen, daß „ S ie in dieser irdischen Hülle das-ewig uinva»„delbar W ahre von dem Irrig e n unterscheiden „können l“

„ I h r e wissenschaftlichen Operationen mögten „w o h l viel Z eit wegnehmen und n ur lauter mit» „te lm L -ig e Fabrikgelehrte und Buchstabenmen» „scheu auS Ih re n Zöglingen machen; doch.ist „dieser T heil Ih r e s P la n » gewiß der unschul, „digste.«

„ B ie l gefährlicher aber find Ih r e politischen „O perationen.

Ih r e Günstlinge a u f Unkosten

„a n d re r, vielleicht viel besserer Mensche«, die „a b e r unglücklicher Weise nicht in Ih r e r Armee „dienen, aller O rten hinaufschieben und an die „S p itze setzen z» w ollen, das ist ein sehr unge­ rechtes Unternehmen, da» offenbar in die Rechte „d e r S taaten g re ift."

„ D a - K on tro llire n der Handlungen Andrer, „d a s Anfsammlen von Anekdoten, das dffeut» „liche an den P ranger S te lle » , wie S ie es «en» „ n e « , ist nicht w rniger impertinent.

W er giebt

„ Ih n e n dazu ein R echt? W er macht S ie zum „R ich te r über die Handlungen Ih r e r B rü d e r? „S o rg e n S ie doch fü r I h r Hau» !

Niem and

„kann mehr als ich ein B erthridiger der P u b li­ z i t ä t seyn; aber avohl verstanden! wer öffent»

28 l „Ii'ch a n k la g t, der m uß sich auch öffentlich a ls „A n k lä g e r nennen.

H e iß t das P u b liz itä t, wenn

„e in geheimer Ankläger «inen M a n n öffentlich „beschimpfen d a rf?

W a re ich ein F ü r s t;

so

„w ü rd e ich Jeden schützen, der m it seines N a „m e n s U n te rschrift, auch gegen die Dornehm „ste n im S ta a te , j a ! gegen mich selbst au fträ te , „u n d ei« Bubenstück bekanntmachte; aber wehe „d e m Jo u rn a lis te n , der m ir m it einer anonymen „B esch uldig un g angezogen käme, und w äre sie „au ch w a h r — E s müßte denn seyn, daß er ein „A ktenstück, r in D okum ent vorbrachte, wodurch „d a s F aktum bewiesen w ä re ; dann thäte freilich „d e r N a m e nichts zur Sache —

Ausserdem sollte

„ e r m ir in dem Zuchthaus« ra s p e ln , b is er den „E insender preißgabe."

„ D ie s a lle s , meine H e rrn ! haben S ie w o hl „n ic h t so genau durchgedacht und werden auch „ w o h l jetzt nicht die S tä rk e meiner G ründe fü h „ le n ,

w e il S ie nicht m it kaltem B lu ie urthe i­

l e n ; die E rfa h ru n g aber w ird S ie überzeugen, „d a ß ich I h r S ystem von der rechten S e ite an„gesehn habe.

E s w ird scheitern,

oder S ie

„m ü ß te n es denn gänzlich nach andern G ru u d -

28r „sähen umarbeiten; doch zum Glücke der Welt „führen solche künstliche Anlagen in sich selbst „den Keim der Vergänglichkeit mit sich, und „schwerlich werde» Sie mir irgend etwa- bauet* „haft Gute- erzählen können, da- durch der„gleichen Verbindungen in der Welt wäre gesttf„tet worden."

Vierzehntes Kapitel. ^ c h überlasse jedem unpartheiischen Manne, ^ die Wichtigkeit oder Unwichtigkeit dieser Gründe zn prüfen; Seelberg und Llwerrh aber waren keine unpartheiische Männer, denn das System, welches 4>berfc6t"rm angriff, war daö Kind ihrer Fantasie, und Eltern sind nie kalt, blutige Richter über ihre Kinder. DeSfallS nun fanden auch Beive, wenigstens in den ersten zwey Jahren, da sie dies Geschäft trieben, deS Herrn Obriftliemenant» Einwürfe ziemlich uw, bedeutend, und ihr Umgang mit ihm wurde, durch seine Freimüthigkeit, seltener und kälten. AIS aber Seelberg nach und nach durch Erfah­ rung lernte, wie sehr dieser Mann in manchen Stücken Recht gehabt hatte, und endlich, als

J e n e r sich gänzlich von der Gesellschaft trennte; da suchte er denselben wieder a u f, bekannte ih m : k b trfd )irm angenommen hatte, blickte doch o ft ein so weiches, warmes Herz auS ih»n hervor, daß man sich in der T h a t nicht enthalten konnte, ihn zu lieben, und sich zu ihin hingezogen zn fühlen.

Gewährte nun der G rä fin n S t o r r :

m ann die Gesellschaft ihres S ch w a g e rs V e r­ gnügen; so schöpfte doch Dieser aus der ihrigen noch w eit mehr und wesentlichcrn Nutzen.

Ge­

spräche unter Menschen von K o p f und Herz

-leiben nicht lange auf leeren Gegenständen und auf den Alltagsmärchen haften, auf deren An­ geln der Jargon des großen Haufens Jahre lang sich umdreht.

Die liebenswürdige und verstän­

dige Zra« und unser Philosoph redeten daher bald von interessanter» Dingen:

von wahrem

Glück in dieser W elt; von Seelenfrieden; von dem, was man sich und Andern schuldig ist; von ächter Philosophie des Lebens, und was sie sagte, war Balsam für sein Herz.

ES schien

diesem vortrefflichen Weibe vorbehalten, die Er­ ziehung unsers Mannes zu vollenden, ihm Hei­ terkeit und dauerhafte Ruhe zu verschaffen, seine Grundsätze mit seinen Gefühlen auszusöhnen, und ihm für den Rest seines Lebens eine unwandelbarselige, genußvolle Eristenz zuzusichern. Dies gelung ihr nach und nach in vielfachen Unterredungen, in welchen sie ihn auf die lieb­ reichste, bescheidenste und behutsamste Art zu­ rechtwies, mit sanfter Hand, und aus ihrer engelreinen Seele Trost und Heiterkeit in sein Gemüth senkte.

Mögte jeder steife Philosoph

«ine so herrliche Wegweiserinn haben! Der Raih eines weisen und tugendhaften Weibes wäre so Manchem von diesen überklugen Herrn heilsam—

Doch ich will einige der freundlichen G ründe, deren sich die G räfinn bediente, hierhersetzen. „ I h r S ystem " sagte sie unter andern „ I h r „S ystem von Freiheit und Unabhängigkeit von «I« „lern, waS Dorurtheil und unnützer Zwang ist; „ I h r Bestreben, nie die sichre H and verleitenden „gesunden V ernunft fahren zn lassen; I h r B e„griff von der strengen Gerechtigkeit, welche im „G runde alle übrigen Tugenden in sich schließt— „ D a s alles ist wohl ohnwiderleglich w ah r, und „w enn eS einen Menschen in der W elt giebt, der „ganz und immer nach diesem System e handeln „k ann ; so zweifle ich nicht, daß dieser M ann „eine große S um m e isol irrer Glückseligkeit „schmeckt , und daß er auch positiv nie die Glück­ seligkeit Andrer stöhren w ird, sowie der M an n , „welcher sich in vier W anden einschließt und „niemand vor sich lä ß t, weder Gefahr läuft auf „der Landstraße angefallen noch gereizt zu wer„d en , Andre anzufallen; Allein, mein lieber „ B ru d e r! eben gegen jene Vordersatze und gegen „verschiedene entferntere Folgerungen, die man „d arau s zieh» kann, habe ich sehr viel zu erin„ncrn. Ich glaube zuerst nicht, daß ein Mensch

„ i n der W e lt eristire,

b tr so sehr Meister über

„seine unw illkübrlichm Gefühle, Leidenschaften, „T rie b e , Anreizungen, Schwächen seines K ö r„p e rS , und so sehr von allen möglichen D o ru r„th e ile n frey w ä re , daß er immer gleich richtig „u n d kalt kalkuliren,

seine V e rn u n ft zu jeder

„ Z e it lauter und ohngetrübt erhalten, stet- aus „dem Kopfe unpartheiisch handeln könnte, ohne „ je von Menschlichkeit — denn ach! ich mdgte „e s doch nicht gern Schwachheit nenne» — uns „ w illk ü r lic h hingezogen zu werden, zu einem G e , „genstände,

der nicht in das System gehörte.

„U n d diese Möglichkeit gleichwohl angenommen; „so zweifle ich dennoch, ob ein solcher Mensch „a lsd a n n wirklich dem A ufrufe der menschlichrn „ N a tu r gehörig folg te ,

seine Bestimmung er-

„ f ü llt e , und ob eS genug wäre a u f dieser Erde, „w e n n man nur isolirt glücklich fü r sich lebte, „u n d nie fremde Ruhe stöhrte.

Freilich hätte

„m a n dann mehr gethan, alö nuzähliche andre „M enschen; aber hätte man auch schon alles ge„rh a n , wozu der Schöpfer uns m it Geist und „K ö rp e r ausgestattet, die er nicht umsonst so „in n ig m it einander vereinigt, nicht umsonst un„sern Nerven Reizbarkeit und unserm B lu te

„W ä rm e gegeben hat? O ! es giebt Freuden der „F a n ta sie , die ich um alle Schatze der W e lt „ m ir nicht wollte wegraisonniren lassen; ja ! «S „g ie b t dergleichen, die unsrer V e rn u n ft höheren „S ch w u n g geben; die «ns fähig machen, aus„zndauern; Schwierigkeiten und W iderw ärtig„keiten zu ertragen; nicht muthlos zu werden; „große Handlungen zu begeh«, deren E rfolg „z w a r nicht klar vor Augen lie g t, wovon aber i,a«ch der wahrscheinliche E rfo lg verdient, daß „ w ir etwas daranwagen, indeß der kalte K alku„ la t o r , die sichre Ungemächlichkeit und mögliche „Verdrießlichkeit gegen

den unendlichgroßen,

„aber ungewissen Nutzen abw iegt, und also He* „ b r r diesen aufopfert.

M ic h , mein bester B ru»

„d e r ! hat eS nie gereuet, wenn ich, in der Auf» „w a llu n g eines zu warmen Herzens, etwas zum „V o rth e ile meiner Nebenmenschen gethan hatte, „ w a r auch die W irkung meiner Bemühungen „nicht meinen Wünschen gemäß, wurde ich auch „ m it Undank

belohnt,

oder verkannt —

ich

„schlief dann doch ru higer, alS in der Nacht „nach einem T a g e , an welchem ich eine V e ra » , „lassung nützlich zu seyn von m ir geschoben hatte, „a u s F urcht, mich in irgend eine A rt von B e r-

3*o „legenheit zu setzen — S e y eS immer Schwache! „aber ich w ill wahrlich lieber eigene Freude ent„behren, wenn ich nur Andre glücklich machen „kann.

E s ist w a h r, ich leide durch fremden

„K u m m er oft m ehr,

als durch eigene W id er-

„w ärtig kriten ; aber wie herzlich kann ich mich „auch dagegen nicht freuen m it den Fröhlichen! „W en n man immer strenge ausrechnen w ill, ob „m an nicht die Pflichten der Gerechtigkeit gegen

„sichund

die Seinigen ü b e rtritt,

indem mau

„ fü r Andre sorgt; so fürchte ich, man w ird zu„letzt finden, daß a lle s , w as m ir zu erlangen „ is t, für unser liebes Ic h muß herbeigeschafft „w erden, daß niemand unsre S o rg fa lt verdient, „a ls w ir und unsre F a m ilie , „doch,

und ich dachte

das führte dann zu dem der Gesellschaft

„so schädlichen E goism us, zum Geize und viel„leicht zu manchem andern Laster.

G ew iß ist

„u n s die D ernnuft zugeordnet, um sie als Lei„terinn unsrer Gefühle zu Rathe zu zieh»; aber „auch diese Gefühle haben w ir doch wohl nicht „umsonst.

S ie scheinen uns gegeben zu seyn,

„d am it die Dinge ausser un§ darauf wirken sol» „ le n , um uns hinzuzieh» m it Liebe und B e rlan „gen zu Gegenständen, die unsrer Aufmerksam»

goi „keit, unsrer S o rg falt werth sind. Gestehen „ S ie e s , ttieiu F reun d ! ob nicht im Grunde „ I h r System die edelsten Gefühle der Mensch« „h eit, die der Gegenstand des LobeS der W ei„festen in allen Zeitaltern gewesen find, ob es „nicht Liebe, Freundschaft, M itleiden, Enthu­ s ia s m u s , V aterlandsliebe, warme Goltesver„eh ru n g , Dankbarkeit und alle kleinen Freuden „deS Lebens, alle unschuldigen Ergötzlichkeiten, „die keinen ernsthaften Zweck haben, ausschließt ? „Freilich ist eS mir erlaubt, jemand die Gerech„tigkeit wiederfahren zu lassen, ihn hochzuschätzen; „«kt mit ganzem Herzen mich an ihn zu hänge», „te> fe«rf ich nicht; Ich darf mich nicht gräme», „wenn mein treuer G atte stirbt, den» eS giebt „ ja noch andre Menschen in der W elt, die eben „so viel werth sind, als er, der Tod ist einG rund„gesctz der N a tu r, und Kummer schadet meiner „G esundheit; Ic h darf dem M anne nicht dan„ken, der mir Leben, Ehre oder Vermögen ge„rettet h a t, denn er beförderte ja sein eigenes „V ergnügen, indem er mir diente, that seine „ P flic h t, im Fall ich seiner Hülfe würdig w ar, „oder handelte strafb ar, wenn ich dieselbe nicht „verdiente; Ich darf dem liebm G ott dieGerech-

„tigkeit wiederfahren lassen, einznsehn, daß er „daS allervollkommenste Wesen ist; aber ich darf „nicht mit warmer Fantasie mich ahndungSvoll „zu ihm hinaufschwingen, nicht mit gerührtem „Herzen ihn mir gegenwärtig denke», und dann „mein Anliegen im andächtigen schmerzlindern„den Gebete ihm vortragen — Kurz! alles was „das Leben unter Menschen süß, angenehm und „leicht macht, das wird da wegphilosophirt, „alle schönen Künste, alle unschuldigen Freunde „und Spiele verbannt — Lieber Gott! giebt eS „denn keinen Mittelweg zwischen dem Misbranche „und dem mäßigen, vorsichtigen Genuss« wahrer „und eingebildeter Güter? Und setzen 0ientm „den Fall,

ein feindseliges Schicksal verfolgte

„Sie — Zwar behaupten S ie , ein Mann von „so festen Grundsätzen könne nie unglücklich wer„den —

Aber können nicht körperliche Leiden,

„ein Armbruch, eine ansteckende Seuche, gegen „welche auch Mäßigkeit und Vorsicht nicht „schützen, Sie auf das Krankenlager hinstrecken „und in Armuth stürzen; Neid, Verfolgung „und Kabale Sie um Vermögen und Freiheit „bringen ? — Glauben Sie dann, aus der Dcr„uunft gesponnene T r o s tg r ü n d e wären in

solchen

„F ä lle n

immer hinreichend

gegen körperliche

„Schmerzen imb anders Unglück, da hingegen „ E in R it t in das Land der Fantasie, Eine kleine „unschuldige Zerstreuung, S ie I h r Leiden ver„gessen machen, und sympathetische nnd andre „G e fü h le , welche S ie wegraisonniren wollen, „andre Menschen bewegen können, Ih n e n ju „H ü lfe zu eilen?“

„ I c h w ill Ih n e n aber offenherzig bekennen, „d a ß ich es Ih re m ganzen Systeme ansehe, daß „ S ie es einem Andern abgeborgt haben, und „glauben S ie m ir auch, es paßt nicht fü r S ie , „n n d das macht Ih n e n in meinen Augen keine „S ch a n d e , sondern vielmehr Ehre.

S ie haben

„z u viel und zu w enig, um so zu seyn, wie S ie „gern scheinen mögten; zu viel gutes, mensch­ lic h e s G e fü h l, und zu wenig festen, unerschüt„terlichen S in n , bey einem zu schwachen, reiz„baren Körper.

S ie sind durch mannichfaltige

„Schicksale zu sehr

hernntergestinmit.

Eine

„M aschine, die oft in die Höhe und wieder her„adgespannt worden,

w ird am Ende schlaff,

„ h ä lt nicht mehr eine so starke Anstrengung auS, „u n d ein H e r;,

d as,

von der ersten Jugend

.,a n , so vielfä ltig ist verwundet worden, behält „im m e r S te lle n ,

die nicht vö llig gebellt sind,

„oder die leicht wieder aufgerissen werden, und „w enn dann nicht wieder wirkliche Wunden ent„stehn; so erzeugen doch di« schmerzhaften S tellen „Empfindungen von böser Laune, und das alles „p a ß t ja nicht in I h r S ystem ; Ih r e Unglücks,,falle haben S ie ein wenig kleinmüihig gemacht; „ S ie haben nicht so viel Entschlossenheit, Znver„stcht zu S ich selbst,

als dazu gehört,

einer

„Philosophie gemäß zu handeln, die so sehr von „d e r Philosophie der übrigen Menschen absticht. „D ie s kann S ie nicht beleidigen, denn wirklich „ist diese Zuversicht und Festigkeit, die manchem „gurrn M anne fe h lt, auch zuweilen das E rbtheil „des ärgsten Bdsewichts.

S ie würden durch den

„geringsten Umstand auS Ih re m Konzepte ge­ b r a c h t werden — N e in ! das ist keine Philoso„phie fü r S ie .

S ie brauchen, Ih r e r K onstim -

„tio n und Ih re m jetzigen Zustande gemäß, eine „freundlichere,

gefälligere Leiterinn a u f ebenem

„W e g e , dis S ie wieder ein bischen gestärkt w or„den sind, und dann wagen S ie immerhin, wenn „S ie noch Lust haben, so eine Reise über Stock „u n d B lo c k !"

„Bizarrerie und S to lz , daß ich es grade her­ aussage! haben jenes System erfunden, in sofern es übertrieben ist; denn, »nie gesagt, daß „m an seine Gefühle nicht gänzlich Meister über „die Vernunft werben lasse; daß man in wich­ tig e » Dingen seiner Ueberzeugung folge; daß „m an nicht der Sklav elender Borurtheile werde; „daß man sich Ander» nicht gänzlich ausopfre; „daß man Wünsche einschränke, »nd sich durch „Schicksale nicht niederbeugen lasse — das ist „eines verständigen Mannes werth — Aber las­ te n Sie uns dabey nicht unsre Menschheit ans„ziehn, und auch unter den Menschen lassen Sie „unS nicht durchaus Aufsehn erregen, durchans „die Ersten oder die Letzten sey» wolle,.! Für ei„nen M a n n ,

der in sich K ra ft suhlt groß zu

„seyn, ist es wahrlich hohe Tugend, vertrage» „zu können, daß nur ein schivaches Licht auf ihn „scheine, sich andern Menschen gleist) zu stellen, „und nicht ausgezeichnet, sondern auf dem ganz „gewöhnlichen Wege nützlich zu werden, und „wenn er etwas mehr kann, und w ill, aufdie„srm alltäglichen Wege schnellern »nd fester» T rin s zu gehn, als gemeine Menschen." Seclbcrgs Gesch, ii Th. [607]

U

306 „ E s ist keine K u n s t, ein System zn erfinden, „d a s herrlich und groß k lin g t, hübsch zu erzäblen „ u n d m it Bestimmtheit und Feuer zu reden; aber „im m e r unwandelbar diesen Grundsätzen gemäß „z u handeln, ohne sich je von einer Lieblingslei» „denschaft einen S treich spielen zu lassen —

das

„is t eine ganz andre Sache!“

„ I c h habe immer grade am wenigsten De­ in e n getrauet, die den Faden zu dem Gewebe „ ih re r Handlungen a u f den Fingern abzuwickeln „w issen, und habe gefunden, daß die Personen „ a m konsequentesten und weisesten handeln, die „a m wenigsten von Grundsätzen und V e rn u n ft „p la u d e rn , so wie D ie am gesundesten sind, die „a m wenigsten an Gesundheit denken, und D ie „jenigen mehren theils am redlichsten handeln, „d ie nie die Apologie ihrer Handlungen machen. „G ro ß scheinen wollen und groß seyn, das sind „zw e y sehr verschiedene D in g e — Ach! wie we„ n ig Menschen, unter denen, welche an hohen „PicdestalS hinaufkriechrn, erheben sich durch „H e rz und K o p f wirklich über das Gemeine, „u n d wie Viele unter denen, die demüthig unter

„hu

Bildsäule» der Große» wegschleichen, find

..in der That groß, durch Reinheit, Einfalt und „Kinderflnn, Gradheit und Treu«! ES giebt «wahrlich sehr viel mehr gute, schätzbare Men» „scheu, alS man gewöhnlich glaubt unter dem „Haufen derer, die wirft» stolz übersehen und „Wenige auS deren Umgänge man nicht etwas „lernen könnte; aber wir müssen unsre Erwär„tungen nicht zu hoch spannen. W ir verlangen „lauter Virtuos! zu sehn, wollen nur Helden und „Halbgötter bewundern, und haben keinen „S in n für die ächte Größe, die in treuer, un» „ermüdeter Erfüllung häuslicher und geselliger „Pflichten beruht, die eben deswegen von so viel „größerm Werthe ist, weil fle, ohne Ansprüche „a u f Glanz und Nachruhm, überseh», ostgänz„lich verkannt, all« Bewegungsgründe au- rei» „ner Liebe zum Guten hernehmen muß.« „Lassen Sie uns tolerant seyn gegen die „Schwächen Andrer, besonders gegen die Fehler „der Mensche« besserer A rt! Auf feinem weissen „Grunde fleht man freilich jeden Flecken leichter; „aber eS giebt auch solche Flecke, die man, ohne „Gefahr die seine Glasur weg;nschaben, und

5°8 «ohne die wesentliche Masse m it anzugreifen, „schwerlich abreiben kann." »E hren wir alle S tä n d e , die daS Gesell„ schaftsband zusammenhalten! ohne ihre Nntz„barkeit strenge gegen einander abzuwiegen! ..Welchen würden w ir nicht reform irrn, wenn „w ir die Menschen zu ihren ursprünglichen B e«dürfuissen zurückführen w ollten!" »Ehren w ir d as hohe Alter! H a t eS auch „nicht immer studierte W eisheit gesammlet; so „ist doch die S um m e erworbener Erfahrungen „u n d eine Laufbahn, ohne Schande und ohne „N achtheil uiisrer Mitmenschen zurückgelegt, «viel w erth ; und wer so lange gegen die W ider, „wärtigkeiten des Lebens gekämpft h a t, verdient „w ohl, daß wir ihm die Abendstunden heiter „m achen." „Suchen wir nicht angelegentlich neue B e­ k ann tsch aften, aber fliehen wir den Umgang „nicht! S am m le» wir uns in der Einsamkeit, »und treten d aun , gestärkt mit guten Vorsätzen, „wieder in die Gesellschaft! E s ist gut m it wei-

3°9 »ft« Menschen um ,»gehn, um von ihnen zu ln» „ n n t, aber eS ist auch Pflicht die Schwächer» »nicht zu fliehn, damit Dies« von un- lerne» „können; allein immer von dümmer» Geschöpfen »umgeben zu sey«, da- taugt auch nicht, den» „dadurch kommen wir nicht nur nie weiter, fon„dern im Gegentheil zurück, und unsre Eitelkeit, „unsre Zuversicht zu un» selbst, wächst zum höch» „sten Grade de» Hochmuth» heran." «W ir find unsern Brüdem und Schw efln» «Gefälligkeit und Dienstfertigkeit schuldig; Nicht, »da- wir un- Jedem preißgäben und aufopfer» „ to t; aber daß wir zu guten Zwecken ihnen di« „Hände bieten, und unsre Kräfte mit den ihn, „gen vereinigen, zum Wohl des Ganzen, nach „unsrer Ueberzeugung, wäre auch b n Erfolg „ungewiß. W ir dürfen nachgebend, geschmri» „big seyn in unschuldigen D ingen, müssen nicht „offenbar affektiren, immer unsern eigenen W eg „gehn, un» auszeichnen, und die Sitten und „Gebräuche der Menschen, die mit un» leben, „verachten zu wollen. Freilich wo es Charakter „und Pflichten gilt; da soll jeder unerschättert „seinen Grundsätze« und seinem Gewissen folgen;

3 io „ab er in gleichgültigen D ingen, in K leidung, „ in Gebräuchen u. dgl. w as schadet da ein bis­ schen Gefälligkeit, und wie sehr fttjh "man nicht „durch das Gegentheil Leute zurück, au f welche „m an zum G uten wirken könnte, wenn m au „weniger strenge w äre? Auch sind-wir schuldig, ,.11116 solche Eigenschaften zn erw erben, die unS „zu angenehmen Gesellschaftern m achen, unsre „Launen nicht frembe Mensche» empfinden zu „lassen, Langeweile und Zwang zuweilen ohne „M u rren zu ertragen; denn gewiß bildet nichts „so sehr den C harakter, lehrt Geduld und A us„ dauern, stahlt den M u th , macht uns stark „und fest gegen die unvermeidlichen Streiche „d es Schicksals, als wenn wir uns in guten „T a g e n an einigen Zwang und an D erläugnung „gewöhnen. E in bischen Kasteiung schadet „nicht, und mag auch Cpikurö System noch so „a rtig gewendet, aufgestützt, und auf eine mo„ralische S eite herausgekehrt werden; so kann „ich mich doch nicht überzeugen, daß irgend ein „ System in dieser W elt ruhig und glücklich machen „könne, daß nur gemessen und nicht entbehren „leh rt; man gebe auch dem W orte G enu,; die „reinste und modifizirteste B edeutung!"

3«r « D ir tnehrsten Mensche» verbinden, mei«ner M einung nach, einen fälschen Begriff m it ..dem Aufdrucke Heftigkeit. D o» dem einmal «anerkannten ohn fehlbaren W ege zur W ahrheit «und T ugend, von einem edel», unwidersprech«lichguten, wichtigen Borsatze nie abgeleitet «zu w erbe», weder durch 'sophistische G ründe, «noch durch Leidenschaft, noch durch gefährliche «Gelegenheit und lose- Geschwätz Andrer »er« « fü h rt; das ist Festigkeit ! Aber-durch bessere «G ründe überzeugt, durch Erfahrung belehrt, «nicht unsern Irrth u m bekennen; nicht abstehn «wollen oojt dem , w orauf unsre Eitelkeit ein« «m al ihr Petschaft gedeckt h a t; Einen höchst« „unbrdeutenden P la n , bey veränderter Lage der « S a c h e , oder vorgefallenen Schwierigkeiten, «nach Zeit und Umständen, durchaus nicht ab« «andern w ollen, weil wir den Orakelspruch ge«th an haben, w ir wollten also handeln; da«ist nicht Festigkeit, sondern närrischer Eigen« „sinn und H ochm uth! Uebrigen- ist eS freilich « P flich t, unaufhörlich an sich selbst zu arbeiten «und zu verbessern, sich von Dorunheilen und «bösen Gewohnheiten loszumachen, immer „zweckmä-ig und so zu handeln, daß man sich

zir „Rechenschaft geben könne von dem nützlichen „Zwecke jedes unsrer Schritte, und wo möglich „jeden Abend sich selbst fragen dürfe,« wie weit „m an es heute in größerer Dervollkommung ge„ bracht habe? Don schädlichen Fertigkeiten und „bösen Gewohnheiten darf man nicht denken, „sich nach und nach losmachen zn können; M an „muß de» M uth habe«, das Uebel herzhaft auf ^einmal mit der Wurzel au»z«reiffen. D ann „kostet e» einen-einzige« schmerzhaften Augen„ blick und ein bischen Nachwehe, und die Kur „ist vollbracht; auf andre Art hingegen rottet „m an es nicht aus. Am schwersten aber wird „die Ueberwindung verjährter, mit unS aufge­ wachsener Dorurtheile. Auch der vollkommenste „M ann ist hiervon, und von einer gewisse» Bor„liebe vor lange gehegte Meinungen nicht ftey. „Jedes Geschlecht hat dann auch seine ihm eige„nen Fehler; Ich glaube aber, man thue uns „Weibern Unrecht, wenn man unserm Ge» „schlechte mehr dergleichen aufbürdet, als dem „Ihrigen. Unsre Bestimmung, unsre Erziehung, „und ein gewisser Zwang der Kvnvenienz geben „unserm Verstände und Herzen eine Wendung, „die von derjenigen sehr unterschieden ist, zn

«welcher S ir gebildet werden; Durch die Zurück» „H a ltu n g , deren w ir «nS von Jugend a u f be„ fleiß igen,

hinter welcher w ir die wärmste«

„E m pfindungen verschleiern müssen; durch die „G e w iß h e it, daß unsre ganze bürgerliche und «moralische Eristenz d arauf beruht, den M i n „n e rn zu gefalle»,

werde« w ir leicht zu D e r,

„ste llu n g und Koketterie verleitet; I s t eS daher « W u n d e r, wen« auch zuweilen da» dümmst« „W e ib stch a u f die K u n s t, ander» zu scheinen, „ a ls fl« is t, besser al» der klügste M a n n versteht, „w e n n auch die häßlichste alte F rau nicht ohne „Ansprüche a u f Eroberungen is t,

und n x n n

«m an auch das edelste Frauenzimmer zuweilen „ a n s Verheimlichungen und a u f kleineBuhlkünste „e rta p p t?

„ S ie haben, dünkt m ich, sehr recht, wenn „ S i e allgemeine A ufklärung fü r ohnmöglich hal, „re n .

Ic h glaube sogar,

daß, so schändlich

„auch Diejenigen von jeher in der W e lt gehan« d e lt haben und noch handeln, die alles um sich „h e r zu verfinstern suchen, dam it sie dann im „D u n k e ln m it den kostbarsten Schätzen des Le„benö davonrennen können, man auch sehr vor-

16151

3*4 Wichtig seyn müsse in AuSbreitmch gewisser Sätze, «vot» deren W ahrheit m an fest überzeugt ist. »W enn auch hier nicht menschlicher Irrth u m uns «oft verleiten könnte, uns in unsern M einungen üüber D inge zu täuschen, über welche der liebe «Schöpfer in dieser W elt einen Schleier gezogen « h a t; so sollte m an doch auch nie vergessen, daß «gemisse B orurtheile zu fest i« unsre S ta a ts» «systeme und bürgerlichen Derfassuugen verwebt „ sie b , a ls daß m an die Einen wegreissen könnte, «yhne die Andern zu erschüttern; daß m an dies «der alles entwickelnden Zeit überlassen und «nichts nehmen solle, ohne Ersatz. W a s-w ir «gewöhnlich Aufklärung nennen, das heißt Rei«nigung gewisser in unsre Religionssysteme ein» «geschlichener zu materieller Begriffe, und Weg» «räum ung gewisser politischer V orurtheile; das «m acht den gemeinen M ann und den M ann von «m ittlern F akultäten, in der jetzigen Lage der « S a c h e n , gewiß nicht einmal glücklicher, nicht « ru h ig er, erleichtert nicht die Last des gedrückten « B a u e rn , de- unter mancherley Leiden und Ab» «hängigkeit Seufzenden, sondern läßt ihn nur «sein Elend härter empfinden. Uebertriebene «R eligiosität erhält die Tugend manche[6161

3*5 „schwachen WeibeS (deren Effekt wenigstens f4r „die bürgerliche Gesellschaft und das Familien„b and wohlthätig ist; sey auch der BewegungS» „gründ verständig oder nicht!) und erhalt die „Hoffnung manches D erpotensklaven, auf die „unm ittelbare Vorsehung seines G o ttes, so daß « er auSdauert, bis indeß bessere Zeiten kommen." . „ I c h mbgte nicht der religiösen Schwärme» ,-rey und Andächteley, am wenigsten derHeuche» '„ley daö W ort reden; aber das getraue ich mir „doch zu behaupten, daß eine bloße Religion deö K o p fs, besonders für Menschen von alltag» „lichen G ab en , gar keine Religion sey, so wie „Freundschaft und Liebe,-die blos au f Raison» „nem ent beruhen, mehrentheilS Falte, lose „B a n d e sind, und d a ß , wenn durchaus kein „M ittelw eg möglich seyn sollte, im Kopfe und „H erzen gewöhnlicher Menschen, Aberglauben „weniger Unglück anrichtet, alS Unglauben. „ I n den Händen ränkevoller Pfaffemund herrsch» „süchtiger Afterphilosophen aber sind FanarisinuS „nnd Freigeisterey zwey gleichgefährliche Mord» „gew ehre, befördern gleichviel Unsittlichkcit «nd „B erfvlgnngsgeist, und ich wüßte kaum zu

3i6 „w ählen , wenn ich durchaus entweder ein B on„ z m , wie @ ce in H o v s oder SR0 6 * in i,H . . . oder in H an die S pitzt „einer Hildebrandischen Hierarchie setzen m üßte."

S e c h z e h n t e s Kapitel. ^ ^ i « Leser werden leicht begreifen, daß meine gute D am e alle diese schönen Sachen nicht in Einem -Odem fort also hererzählte, sondern daß dies nur der H auptinnhalt ihrer Gespräche' m it S eelberg zu verschiedenen Zeiten w ar. J a ! die Grundsätze, welche ich hier entwickelt h abe, kamen nicht einmal alle a u - der G räfin n Kopfe, sondern ich habe m it ihren M einungen dasjenige verbunden, w a - unser Zreund auö seinem V er­ rathe von Ideen hinzufiigte, die aber freilich durch die sanfte Philosophie der edel» F rau berich­ tigt und zu einem festen Systeme für den Rest seines Leben- wurden. Und die- S ystem , nach welchem er ernstlich beschloß von nun an zu han­ deln , und auch diesem Borsatze treu blieb, dies S y ste m , welche- weder zu strenge, noch zu leicht, nicht überspannt, sondern au f V ernunft und Liebe gegründet w a r, gab dann endlich fei*

tum Herzen die R u h e, nach welcher er sich so lange vergebens gesehnt hatte. ES nährte in ihm die edelsten Tugenden, zu welchen der Keim in seinem Herzen immer gelegen h arte, von ihm «her nicht immer gehdrig w ar gewartet worden. D ie strengste W ahrhaftigkeit herrschte in seinen W orten , E infalt in seinen S itten . E r entsagte allem falschen Glanze und aller thörichten P racht. E r h ie lt, weil er reich w a r , ziemlich viel Ge« finde; aber weniger zu seiner B ediennng, als um Menschen glücklich zu machen. D esfallS sorgte er dafür, daß sie immer au f «übliche Art beschäftigt w aren, daß sie moralischbesser vom» de» und sich bildeten, nach dem Grade der Auf­ klärung , den er für ihr intellektuelles Bedürfniß für zweckmäßig hielt. E r widmete sich eifrig und m it fortgesetzter Aufmerksamkeit der bis jetzt ziemlich vernachlässigten Erziehung seines S o h ­ n e s, und so wie er sich nach und nach diesen süßen häusliche» Sorgen ergab, verschwanden auch närrischer Ehrgeiz und unruhiges S trebe» zu wirken und in Allem seine H ände zu haben, an s seinem Gemüthe. Allein er w ar nicht m u th ä tig , nicht fa u l, wenn er Gelegenheit fand, Auf grobem offenen Wege seinem Nebenmenscheu

3i8 zu dienen, und etwas zur Freude und zum zeit, lichen und geistigen H e il seiner B rüder beizutra­ gen.

E r w ar ohneruiüdct dienstfertig, ohne sich

zuzudrängen,

ohne sich aufzuopfern und ohne

sich in Verlegenheit zu stürzen.

E r w ar ein guter

W ir th , ohne geizig, ein fteigebiger W ohlthäter, ohne Verschwender zu sey«.

E r wendete Sorg»

fä lt aufseine Gesundheit, ohne Arngstlichkeit, a u f seine F igu r und a u f seine K leidung, m it Ge­ schmack,

aber ohne Eitelkeit.

E r ehrte sich,

ohne E goism us, und A ndre, ohne Partheilich»

feit.

E r w ar verschwiegen, verschlossen und

vorsichtig, ohne ungerechtes M iS tra u e n , offen und treuherzig, ohne Geschwätzigkeit und Kom» prom ittirung.

E r w a r m äß ig,

nüchtern und

keusch, und sta tt, daß so viel Menschen sich schä­ men einfacher und .ärmlicher zu leben als Andre ihres Gleichen ; so machte er sich eine Ehre dar­ aus , von Einem Gerichte satt werden zu kbnnen, und nur zwey Röcke in seiner Garderobe zu ha­ ben —

Ic h sage, so w a r itzt S eelberg, aber

jch hätte vielmehr sagen sollen: er bemühere sich, also zu seyn, täglich mehr zu werden, und in Vollkommenheit zu wachsen; denn immer noch kämpfte er m it Tcinperamentsfehlern und Übeln

3*9 Gewohnheiten; aber der Kampf dagegen wurde ihm stündlich leichter, angenehmer und stegvoller. S ein e zu große Lebhaftigkeit spielte ihm manchen Schelmenstreich, lief zuweilen mit der kaltblütigen Ueberlegung davon, und verleitete ihn zu kleine» Uebrreilungen. S ein schwächlicher, reizbarer Körper verstimmte oft seine Laune, und diese umwölkte dann seine Vernunft. Zm Ge­ dränge von Gefühlen und fremden Gedanken, die ihn ^erstreueten, das Gleichgewicht seineGemüths stdhrten und ihm die Gegenwart deGeistes raubten, redete und handelte er oft ver­ worren und unbestimmt, besonders wenn er überrascht würde. Besser gieng eS, wenn er stch vorher in seinem Kämmerlein sammlen und einen Entschluß fassen konnte, deswegen schrieb er auch besser a ls er sprach. 8 r war voll Ge­ fühl für alles G u te, Große und für fremde Lei­ den und Freuden, ohne närrische Empfindsam­ keit und fanta/kischen Schwung. Er war ein treuer, herzlicher Freund, und e - that ihm wehe, einen Menschen um sich sehn zu müssen, der ihm ganz gleichgültig, der ihm gar nichts gewesen wäre; aber er war kälter a ls ehemals, doch Seelbergs Ge sch. II TI). 3E

nicht frostig.

Er

Gegenständen

trennen,

konnte sich to n geliebte« ohne zu verzweifeln,

ohne daß sein Herz grausam erschüttert w urde, indem auch die entferntere H offnung zur Wieder» Vereinigung Trost und wohlthätige Empfind«»« gen in ihm erweckte.

E r schwärmte auch nicht

mehr um alle Zweige der Wissenschaften h e ru m , sondern nahm sich v o r, zu einer Zeit immer ernsthaft E in H auptstudium zu treibe», und da er daS einfachste, fü r den Menschen so interes­ sante S tu d iu m der N a tu r bi» itzt verabsäumt h a tte , nun aber sein Geschmack sich durch E in ­ fa lt veredelte; so fieng er auch a n , das große Buch v o ll unerschöpflicher W e ish e it, das B uch der N a tu r zu studieren, und immer mehr Wonne daraus zu zieh».

Aber in den ErholungSstun«

den von wichtigern Geschäften, verstieß er auch die schönen Künste n ich t,

unter denen er der

M u sik den V orzug gab.

S celberg wurde innigst b etrübt,

a l- di«

G rä fin n S ro rrm a n n sich, nach einem sechs­ wöchigen A ufenthalte, zu ihrer Abreise rüstete, eben da er noch kaum ,

m it diesen guten {Bor*

3il sitzen, deren Schöpferinn sie zum Theil w a r, ausgerüstet, seine neue Lebensart angefangen hatte. I h r U m gang, ihre seelenvvlleu Gespräche tmb der Anblick ihrer guten R ind er (S eclb erz liebte die kleinen Geschöpfe vhngemein) das alles w a r ihm zu einem süßen Bedürfnisse geworden. E r bat um die E rlaub niß , sie au f ihrem G ute zu besuchen; Diese wurde ihm willig zugestan­ den; C r reifete hin, blieb drey M onate d o rt, »rennte sich dann noch einmal m it schwerem H er­ zen von der lieben F am ilie, reifete im folgenden S om m er noch einmal h in , u n d — denn meine Leser werden doch wohl erw arten, daß dieser R o m a n , so wie die mehrsten seiner B rü d er, m it einer H eirath endigen solle — die wärmste Freundschaft unter diesen beiden L eu te .,, die a u f gegenseitige Hochachtung, Gleichheit von D enkungsart nnd S ym pathie gegründet w a r, verwandelte sich unvermerkt in eine Zuneigung von zärtlicherer A rt; Seckberg bat seine S e b w a . gerinn im folgenden Ja h re itm ihr« H a n d , und erhielt dieselbe; das Herz hakte er schon. S ie vereinigten ihr Schicksal und leben jetzt in dem glücklichsten, friedenvollsten Zustande, von al-

tzrr I«i Gute« geliebt und verehrt; Sie sind der Trost ihrer Kinder, deren Erziehung ihr wichtig­ stes Geschäft ist, die Wohlthäter ihrer Dienst, boten, denen sie das Joch der Abhängigkeit so leicht machen, die Hülfe der Armen und Leiden, den, die Rathgeber der Nachbarn, und die Dorsehuug segnet und belohnt ihre Tugend durch Wohlstand, Freude und Gesundheit. Noch muß ich etwas von den Schicksalen einiger Personen nachholen, deren Geschichte in diesem Buche nicht fortgeführt worden. Der jetzigen Stau von Seelberg Eltern, *j«rr und Zrau von rvallenhol), find gestorben; Auch der alte