Sitten- und Charakterbilder aus der Türkei und Tscherkessien


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German Pages 294 Year 1862

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Capitel 1. ...
Leute ärztlicherſeits genau unterſucht, worauf der Adjutant ...
Capitel 2. ...
ten durften ſich einer fehr guten Fahrt rühmen, das ...
noch mit anderen Arbeiten beſchäftigt; ein Theil derſelben ...
die meiſtens in der Eiferſucht der Muhammedaner und in ...
Durch den Thorweg der Umfaſſungemauer gelangt man ...
rechten Hand vor derſelben. Scy. hatte, wie ...
ihnen in vertraulicheren Verkehr trat. Aber auf einmal ...
Capitel 5. ...
beginnen ſollte, da wogte es mächtig von Kampfesluſt in ...
vom Ganzen fehle nicht, denn Jedem ſei es erlaubt...
Capitel 6. ...
kleider waren, bei einem deutſchen Schneider zu verſilbern. ...
Capitel 1. ...
muß man hier etwas vorſichtig zu Werke gehen und dieſen ...
der Richtung hin aus, von wo der Rauch aufſteigt...
Giaur abhielt, ſehr gelockert. Mit dem Deutſchen, ...
T ...
Capitel 4. ...
dabei in Brand gerathen. Da es nun ſo ſpät ...
am kleinen Campo diden, ſo ſteht um 10 Uhr ...
Capitel 5. ...
die Hände über dem Kopf zuſammen, und gerieth bermaßen ...
liegt, wie geſagt, am Bosporus, und iſt ...
Reichsgeſchichte des türkiſchen Volkes aus und man wird ...
Capitel 1. ...
vorläufig ohne weiteren Erfolg. Mein Freund Lewis reiſte ...
Tſcherkeſſen kamen von ihrer vorurtheilsvollen Verwechſelung ...
denkwürdig genug, daß er einer eingehenden Darſtellung ...
gewiſſe Rangordnung im Heere nach europäiſchem Vorbilde ...
Capitel 4. ...
ein corps ...
ein, ſeinen Reiter durch allerlei Manöver aus dem Sattel ...
Menſchen wird die Ader nie am Arm, fondern vorn ...
gegen die numeriſchen und localen Vortheile der Gegner ...
Außerdem müſſe für ſie auch die gehörige Bedienung ein= ...
Capitel 6. ...
Capitel 7. ...
rober Geſelle, feinen Stlaven fdon Jahre lang in einem ...
Capitel 8. ...
oft ungeheuren Andrange von Beſchwerden, dieſer großen ...
Einnahmen und Ausgaben des Landes wird eine Commiſſion ...
Infanterie in'& Leben. Zu dieſer will ich ...
meine Aufſtellung konnte er jedoch nicht beobachtet haben. ...
ſuch abzuſtatten, und rüdte nebſt Suleimam Bey mit 40 ...
meine Cavallerie hatte einbauen können, ſo war der ...
aufmerkſam. Dieſer antwortete mir aber ſehr ruhig, ein ...
Unfall von den geretteten Schiffern wieder erhielt, und einem ...
Anhang. ...
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Sitten- und Charakterbilder aus der Türkei und Tscherkessien

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Sitten- und Charakterbilder 888 70 aus der

Türkei und Tſcherkeſſien.

Von

C. Stücker, Königl. Groß-Britann . lieutenant a. D.

Berlin, 1862 Verlag von Reinhold Schlingmann.

Uit 300 s. 62 RD OLL C

AARVA

Ji ! 99 1904

LIBRARY

Prof.a. C.Coolidge

.

Sr. Soheit >

dem

Herzog von Sachſen -Coburg -Gotha in tieffter Ehrfurcht

gewidmet

vom Verfaſſer.

1

Erſtes Buch.

Die engliſch - Deutſden Legionen.

|

1.

Capitel 1 .

Einleitung.

Eintritt als Lieutenant in großbritanniſche Dienſte.

Die Werbebüreau's.

Deſerteure und Abenteurer.

,,Giner

von unſre leut“ als preußiſcher Difizier. Holländiſche Der Werber verleiten zur Deſertion . Straßenkrawalle. kleine Walberſee.

Zu Bielefeld in Weſtphalen , wo mein 72jähriger Vater, H. Stüker, früher Militair, jetzt penſionirter Steuercontroleur, lebt, erblickte ich im Jahre 1826 das Lidt der Welt. Nad bem

ich herangewachſen, empfand ich eine Zeitlang lebhaftes Ver langen , dereinſt in den geiſtlichen Stand zu treten ; ſpäter aber ward die Neigung entſchieden in mir vorherrſchend , dem Mi litairdienſte mid) zu widmen, welchem bereits drei meiner Brü der , wie meine drei Schwäger , angehörten , und ſo trat ich denn auch noch nicht volle ſechszehn Jahre alt , in ein fönig

liches Linien - Infanterie - Regiment ein. Innerhalb zweier Jahre ward ich in demſelben zum Unteroffizier befördert, als welcher ich meine dienſtfreien Stunden dem Juſtizfadye in meinem Garniſonorte widmete , weil id) beabſichtigte,

ſpäter einmal zu demſelben überzugehen ; ich ſah midy indeſ genöthigt , auf dieſen Plan wieder Verzicht zu leiſten , da in dem verhängnißvollen , „ tollen “ Jahre 1848 der Truppen

theil , bei welchem ich ſtand, ſeinen bisherigen Garniſonort wechſelte. Von nun an ward mein Leben ein vielfach be wegtes. Im Jahre 1850 trat ich aus föniglich preußiſchem Dienſte als Offizieraſpirant in ſdyleswig - holſtein'de Dienſte über; meine militairiſde Laufbahn , während weldier mir die 1

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linke Hand burdiſchoffen wurde, war jedoch nur von kurzer Dauer , denn ich erhielt , in Folge der Reduction und Auf

löſung der idyleswig -holſtein'ſchen Armee , ſchon im Monat März des Jahres 1851 meinen Abſchieb. Da meine Ver

wundung midy nun baran hinderte , fofort anderweitig wie derum in Militairdienſte zu treten , ſo entſchloß ich midy, hin= 1 fort einen ſtilleren , friedlicheren Lebensweg einzuſchlagen : ich erlernte in Hamburg die Buchführung , und ward hierauf Bürger daſelbſt und Kaufmann. Obgleich ich von dem Kauf mannsweſen keine Anſdauung hatte, wurde id) auf Empfeh

· lung mehrerer Hamburger Kaufleute, nach Abſolvirung eines

Curſus in der doppelten Buchführung , ſofort in einem Ge ſchäfte placirt, wo ich ſchon in den erſten Monaten ſtädtiſche

wie überſeeiſche Geſchäfte ganz allein beſorgte. Wenn man aber als Kaufmann kein Geld hat, bleibt man ſtets Kommis. Sobald ſich daher der Zuſtand meiner verwundeten Hand

gebeſſert hatte, zog id es vor , meine militairiſde Laufbahn wieder fortzuſetzen. Als der Krieg zwiſdyen Rußland und den Anglo- Franzoſen ausbrach, der frimfeldzug eröffnet ward, und deutſche Männer ſich unter Englands Fahnen ſammel id ver ten, da ſtürmte und wogte es gewaltig in mir, tauſchte die Feder mit dem Schwerte, und trat am 15. Auguſt 1855 als Lieutenant in die engliſd) - deutſche Legion ein.

Im Anfange fungirte ich als Adjutant bei dem Obriſten Power, Commandanten des Lagers Shorncliffe bei Sand gat in England , welcher damit beauftragt war , die für die Legion angeworbenen Leute in Empfang zu nehmen , ſie zul; muſtern und in die verſchiedenen Regimenter zu vertheilen . Die für den großbritanniſchen Dienſt Gewonnenen wurden von Seiten der auswärtigen Werbebureau's truppweiſe nach dem eben erwähnten Lager geſendet ; für Diejenigen aber, welche aus dem Königreiche Hannover und über Hamburg

behufs Anwerbung kamen , fand dieſe auf Helgoland ſtatt. Sowohl hier als im Lager Shorncliffe wurden nun die

3

Leute ärztlicherſeits genau unterſucht, worauf der Adjutant

die für tauglich befundenen zu verſchiedenen Regimentern ichidte ; Diejenigen , welche als zum Dienſte unbrauchbar ſich erwieſen , mußten die Werber auf ihre eigene Koſten

nach ihrem Heimathsorte zurüdſdyaffen. Niemand follte bei den Legionen Aufnahme finden , der das fünfunddreißigſte Lebensjahr bereits überſchritten hatte , - eine Vorſdrift,

welche indeß mehrfach außer Acht gelaſſen ward ; es kam nämlich gar nicht ſelten vor , daß aud Fünfzigjährige an geworben wurden , ſofern ſie nur die Erklärung abgaben : ,, fie ſtänden erſt in dem Alter von fünfunddreißig Jahren ;" * dies genügte ſchon ; legitimationspapiere, wie Taufidyein 2c., wurden nicht eingefordert. Ein Jeder, welcher in die legio nen ſich einreihen laſſen wollte, mußte als gemeiner Soldat eintreten , gleichviel, ob er zuvor bereits Unteroffizier oder auch Feldwebel geweſen war ; wirklich brauchbare Leute wur den jedoch oft in einer einzigen Woche vom Gemeinen zum Unteroffizier und Feldwebel befördert. Wer eine Offizierſtelle einzunehmen wünſchte, hatte zuvor über feine früheren Dienſt= verhältniſſe auf das Gründlicyſte ſidy auszuweiſen ; dann erſt durfte er darauf rechnen , von dem engliſchen Kriegs

Miniſterium durd den General-Major Baron von Stutter heim ein Offizier - Patent zu empfangen. Der eben erwähnte General hatte ſämmtliche Werbe bureau's unter fich , und die einzelnen Werber ſollten für einen jeden Legionair, welchen ſie anwarben , bei deſſen Ab lieferung fünf Pfund Sterling (nad) unſerem Gelde 33 Thlr. 10 Sgr.) erhalten.

So manche Werber betrieben ihr Ge

ſchäft in einer geradezu unerlaubten, höchſt unlauteren Weiſe ; erſt verſeşten ſie nämlich Tene, welche ſie anwerben wollten,

in trunknen Zuſtand, und verlo&ten ſie alsdann dazu, Hand geld zu nehmen ; hatten ſie die Leute nun wirklich ange worben , ſo verleiteten ſie die Ueberliſteten nach erfolgter Ablieferung , bevor dieſelben jedoch eingekleidet waren und 1*

4

den Fahneneid geleiſtet hatten, auch noch dazut, zu deſertiren, wofür ſie den Irregeleiteten eine kleine Vergütigung zukom= men ließen ! War diefes Manöver nun gelungen, ſo warben

jene gewiſſenloſen Menſchen die Deferteure zum zweiten Male, natürlid) unter einem anderen, als dem zuerſt angege benen richtigen Namen an , und fandten ſie hierauf dem com= mandirenden Offizier als friſdye Anfömmlinge zu. Beſonders waren es einige Juden , welche derartige Betrügereien ver übten ; man kam aber bald hinter dieſes abſcheulidye Treiben, und tractirte unſere Leut" ( obwohl dies in England ſtreng

verboten iſt) nid)tsdeſtoweniger mit äußerſt kraftvollen Nip = penſtößen.

Bei der Anwerbung erhielt der einzelne Soldat ein Handgeld von fedis Pfund Sterling (= 40 Thlr. preuß .), wovon ihm jedoch nur drei Pfund baar ausbezahlt wurden ; das Uebrige ward zur Anſdhaffung von Montirungsgegen= ſtänden verwendet.

Von allen Weltgegenden

her fanden

Aufnalımsbegierige ſich ein , und durften in der That audy aus allen europäiſchen Volfsſtäminen Anwerbungen ſtattfin =

den ; nur Engländer, ſowie Franzoſen und Ruſſen , waren von der Anwerbung ausgeſchloſſen ; dennoch ſchlichen ſich ſehr viele Franzoſen in die einzelnen Legionen ein , und man begeht durdhaus keinen Irrthum , wenn man annimmt, daß der dritte Theil derſelben aus Gliedern der „ großen Nation “ beſtand ; beſonders ſtark war dieſe Nationalität in

der erſten Brigade der engliſch - deutſdyen legion vertreten. Sobald das kaiſerlich franzöſide Gouvernement dies in Er fahrung gebracht hatte , forderte es natürlich von der eng= liſchen Regierung ſeine Unterthanen zurück; dieſe Reclama tion blieb indeß ohne weiteren Erfolg , und zwar aus dem einfachen Grunde , weil die von den Werbern erkauften

Franzoſen bei der definitiven Annahme ihre Abſtammung verläugnet und ſid; als Deutſche in die Stammrollen hatten eintragen laſſen. Hätte das königlich großbritanniſche Gou

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vernement dieſe franzöſiſchen Legionaire wirklich wieder aus liefern müſſen , ſo würde demſelben daraus ein äußerſt er

heblicher Verluſt erwadyſen ſein , - ein Verluſt an Mann fchaft, nicht minder aber auch ein finanzieller , indem jeder einzelne Legionair ihm auf circa 11 Pfo. St. oder 731/2 Thlr. zu ſtehen kam ; mit Anwerbungskoſten , Handgeld , Monti

rungs- und Armaturobjecten verurſadite jeder Soldat der Regierung eine Ausgabe von 16 Pfd. St. = 10623 Thlr. Die Werber , weldsen ſich ſehr häufig die Gelegenheit darbot , Franzoſen anzuwerben , ſchärften dieſen während des Transportes nadı England zu wiederholten Malen ein, „ ihr Nationale ja in deutſcher Sprache anzugeben , damit ihre wahre Abſtammung verborgen bliebe, und falls ihr uns

deutſcher Accent etwa bemerkt werden und Anſtoß erregen ſollte, auf Befragen zu erklären, „ ihr Heimathsort liege un weit der franzöſiſchen Grenze."

Wurden die Leute nun

bei ihrer Ankunft in England nach ihrem Namen , nad) Alter, Geburtsort, Religion und Stand befragt , fowie, ob

fie noch Eltern und Geſdhwiſter hätten , ſo ertheilten ſie

hierauf in der Regel auf deutſd eine vollfommen richtige Antwort ; wurde jedoch das eine oder andere Mal die Frage in Etwas verändert oder abgekürzt, ſo kamen die armen , der deutſchen Spradie durchaus nicht mädytigen Anfömm linge alſobald völlig aus dem Context , und verwediſelten

mitunter eine Frage mit der nächſtfolgenden ; ſo kam es beiſpielsweiſe vor , daß einer dieſer Deutid - Franzoſen auf

die abgekürzte Frage : „ Geboren ?" flug& ,, Nein !" antwor tete, indem er dieſe Frage mit jener nady ,,Eltern und Ge dywiſtern" verwedyfelte. Unter den zum Eintritt mit Offizierrang in die eng

liſch - deutſche Legion ſid Meldenden befand ſich auch ein Quidam , welcher auf dem Wege des Betruges es wirklich dahin brachte, daß er als Offizier , und zwar bei der Ca

vallerie, angeſtellt wurde ; er gab ſich nämlich für einen

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föniglich preußiſchen Offizier a. D. aus , und legte darüber aud Papiere vor, welche höheren Drts für richtig befunden wurden. Allerdings vermochten dieſe den rechtmäßigen Be fißer auch vollkommen zu legitimiren ; jener Quidam aber war unrechtmäßiger Beſiger derſelben , er hatte ſie nämlich geſtohlen, was denn ſpäter auch an den Tag kam. Obgleich

man im Lager fich darüber wunderte , daß er, ein vorma liges Mitglied der in Wahrheit weltberühmten preußiſchen Armee , ſo äußerſt wenig von dem theoretiſchen wie prat tiſchen Militairdienſte verſtand, fo hegte man bemohnge

achtet weiter keinen Verdacht gegen ihn. Als der (dlaue Mann, deſſen Aeußeres faſt in keiner Weiſe ſeine beſondere Abſtammung verrieth, nun aber eines Tages in der Uniform eines Offiziers der engliſch-deutſchen Legion nach Dover ſich

begab , und baſelbſt einem Aufſeher im dortigen Criminal gefängniſſe gegenüber gewaltig ſich brüſtete , erkannte dieſer in dem ſtattlichen Berrn auf den erſten Blick einen Ver

brecher, welcher nidyt lange zuvor in jenem Gefängniſſe eine Strafe verbüßt hatte. Unſer Quidam hatte nämlich in Dover einen preußiſchen Offizier, welcher in einem bor tigen Gaſthofe logirte , beſtohlen , und ihm unter anderem auch ſeine Legitimationspapiere, darunter ein Offizierpatent, entwendet , von dem er dann für ſich beſagten Gebrauch

machte ; für den im Hotel verübten Diebſtahl war er mit drei Monaten Gefängniſſtrafe belegt worden. Der Criminal

beamte hatte nichts Eiligeres zu thun , als dem General Major Freiherrn von Stutterheim von ſeiner intereſſanten Entdedung pflichtſchuldige Anzeige zu machen , worauf der Pſeudo- Offizier, welcher ſich als ein Jude reinſten Waſſers, Heimann mit Namen , entpuppte ,

fofort ohne zuvoriges 1

Kriegsgericht caſſirt, und mit Schrimpf und Sdande fortge jagt wurde, was ſo überaus (dynell vor fid ging , daß der vormalige Sträfling wohl felbft nicht redyt wußte , wie ihm

geſchah , und wie er eigentlich aus dem Lager Shorncliffe

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fortgekommen ſei. Kaum blieb dem Schneider des Sir Hei mann noch ſo viel Zeit übrig , um die gelieferten , aber noch nicht bezahlten Equipirungsgegenſtände ihm wieder ab zunehmen.

Nach erfolgter Anwerbung und Einkleidung empfingen die Leute ihr Handgeld im Betrage von drei Pfund ; da ſie

nun aber beinahe ohne alle Ausnahme dieſes hübſche Sümm

1

den von zwanzig Thalern nad unſerem Gelde auf die

leichtſinnigſte Weiſe von der Welt in allerkürzeſter Friſt durchbrachten , ſo ſtand man für die Folge von der ſofor=

tigen Áuszahlung ab , händigte das Handgeld ihnen viel mehr erſt ſpäter ein. Von dieſem Zeitpunkte an unterblieb denn auch der Unfug , daß die neuen Legionaire , wie zu

Anfang ſo häufig geſchah, ſich auf drei Tage, mitunter auch noch länger , von dem Lager Shorncliffe entfernten , wofür fie übrigens auch nicht weiter beſtraft werden konnten , da nach engliſchem Gefeße nur Derjenige als Deſerteur betrach > tet und als ſolcher beſtraft werden durfte, welcher ſich über einundzwanzig Tage von der Fahne entfernt hatte. Auf foldh' eine Zeitlänge dehnten verhältniſmäßig aber nur ſehr

Wenige ihre Excurſionen aus ; erſtredte ſich doch dieſe ge meiniglich nur auf Tavernen und namentlid, auf liederliche Orte im nächſten Umkreiſe.

Während man engliſcherſeits mit der Bildung und Aus rüſtung der einzelnen Legionen eifrigſt beſchäftigt war, be nußten Holländer die fid ihnen darbietende günſtige Gele genheit, Leute für den Militairdienſt in den niederländiſchen Colonien ohne viele Mühe anwerben zu können ; ſie kamen

mit ihren Schiffen bis dicht an Falkeſtone, welches engliſche Städtchen am Canal liegt , heran , und ſandten hierauf Werber ans Land, welche damit umgingen , für die engliſch

deutſchen Legionen bereits angeworbene Leute zum Derſer tiren zu verleiten. So ſchlau fie nun auch dabei zu Werke gingen , kam man dennoch ihrem hinterliſtigen , ſelbſtredend

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ſtreng verpönten Treiben binnen Kurzem auf die Spur. Eines Abends madyte ein Policeman ( Conſtabler) die dienſt liche Meldung , mehrere Soldaten hielten in Matroſen

kleidung ſid dicht am Strande auf.“ Sofort machte ich mich auf den Weg , nahm eine Patrouille , welche mir ge= rade entgegenkam , mit zu Hilfe , und erwiſchte wirklich

neun deſertionsluſtige, als Matroſen verkleidete Legionaire ; fie wurden arretirt und geſtanden bei der ſogleich eingelei teten Unterſudung auch jämmtlid ohne Zögern ihr Ver gehen ein. Ein Striegsgeridyt warb zuſammenberufen, deſſen

Sprudy, auf Grund des engliſden Militaircoder, milde ges nug lautete : ſie kamen mit drei Tagen Arreſt davon , weil fie ja noch nicht einundzwanzig Tage von der Fahne ſich

entfernt hatten, und weil die Deſertion, wenn auch verſucht, doch noch nid)t vollbracht war. Ein anderes Mal erſchienen Conſtabler direct vor dem Lagercommandanten , Obriſten Bower , um ihm anzuzeigen, daß zu Falkeſtone (wo nämlich ein ſehr großer Theil der

Legionaire faſt täglich verkehrte und die dortigen Sdenken zc. förmlich belagerte) verſchiebene Soldaten ſich mit hollän = bilden Werbern in Wirthshäuſern befänden , daſelbſt mit

ihnen zechten , und überhaupt mit ihnen in einem ſehr leb haften , höchſt verbädytigem Verkehre ſtänden . In Folge dieſer eingegangenen Meldung ward mir von dem Comman danten der Befehl zu Theil , unverzüglich mit einer Com=

pagnie nadh Falkeſtone zu marfdiren und in der Stadt ſelbſt eine Recognoscirung zu unternehmen. Auf dem Wege dorthin ſtießen wir auf keine holländiſchen Werber und

kam uns überhaupt nichts Verdächtiges vor ; als wir aber zur Stadt gekommen waren und daſelbſt ein uns beſonders bezeidinetes Haus durchſuchten , fanden wir in dieſem meh rere Werber und Legionaire , theile in angetrunkenem , theils

in völlig berauſdtem Zuſtande, ſo wie auch einen engliſchen Soldaten von der Cavallerie, welcher wirklich die Abſicht

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hatte, zu deſertiren und von den anwerbungsluſtigen Hollän bern Sandgelb zu nehmen. Als dieſer nun arretirt werden follte, wollte er ſich durchaus nicht fügen , und ſeşte der bewaffneten Macht gegenüber ſich ſogar zur Wehre ; er

wurde jedoch bald überwältigt und mit den anderen Per fonen, deren Verhaftung ich angeordnet , nach dem Gefäng

niſſe abgeführt. Es hielt indeß ganz beſonders ſdywer, ihn demſelben zu überweiſen ; fobald nämlich die engliſden See Leute, ſowie die Fabrikarbeiter aus Falfeſtone und der Um= gegend bemerkten , daß unter den Urretirten fid auch ein engliſder Soldat befände, wollten ſie ihn mit aller Gewalt

befreien . Um dies zu verhindern , ließ ich ihn nebſt den

anderen Verhafteten inmitten der Compagnie marjdziren . Es war bereits ſehr ſpät geworden und 11 Uhr Nachts

herangekommen ; die Beläſtigungen ſeitens der Händelſüchtigen Matroſen und Arbeiter , ſo wie anderer unruhiger Köpfe währten nody immer fort ; jene Abtheilung der Compagnie, .

welche den Rückzug deckte, hatte vollauf zu thun , um das Volk zurückzuhalten ; ebenſo hatte die , welche an der Tête marſchirte , ihre Laſt und Mühe, durd, die ohnehin nur engen Straßen ſich einen Weg zu bahnen und ihn frei zu halten. Endlid gelangten wir bis an's Rathaus, woſelbſt ſich das Stadtgefängniß befand , in welches ich die Verhafteten bringen ließ. Inzwiſchen hatten ſich über fünf= hundert Ruheſtörer vor dem Rathhauſe verſammelt , welche bis 1 Uhr Nachts nicht vom Platz widhen , indem ſie mit aller Hartnädigkeit auf der Freilaſſung des engliſden Ca

valleriſten beſtanden ; ſie würden ſich auch keinen Augenblick beſonnen haben , das Nathhaus zu ſtürmen , hätte ich nicht

der Compagnie den Befehl ertheilt , gerade vor demſelben ihre Aufſtellung zu nehmen . Gütliches Zureden half nichts ; auch die Conſtabler vermochten in keiner Weiſe die überaus aufgeregten Köpfe zu beſchwichtigen ; ſelbſt der Bürgermeiſter konnte ihnen gegenüber nicht das Geringſte ausrichten. Der

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Pöbel warb immer wilder, und ging in ſeiner Fredyheit zu=

leßt ſo weit , uns mit einem Steinhagel zu begrüßen. Es blieb mir daher nichts anderes übrig, als einen Bayonnet angriff machen zu laſſen , in Folge deſſen denn auch mehr

fache Verwundungen eintraten ; dennoch erneuerten ſich die Erceſſe, und ſtrömte auch noch immer mehr Janhagel herbei, ſo daß die Bayonnetattaque mehrmals wiederholt werden

mußte. Leider führte meine Compagnie keine Patronen bei ſich, weshalb wir auch von ſchärferen Maßregeln Abſtand nehmen mußten ; um nun aber doch zum Ziele zu kommen , nahm ich zur Liſt meine Zuflucht; ich befahl nämlich meinen

Leuten , ſie follten auf das Commando : ,,Chargiren, mit Pa tronen laden !" ftch ſo anſtellen , als ob ſie wirklich eine

Patrone in den lauf ſtedten, und blind laden. Kaum hatten die rohen Pöbelhaufen dies wahrgenommen , als ſie ſporn ſtreichs auseinander liefen , worauf id; die ſtärkſten Haufen noch einige tauſend Schritt weit verfolgen ließ. Die Straßen waren nun ſchnell geſäubert, und wenn Einer oder der An=

dere noch irgendwie Miene madyte, Widerſtand zu leiſten , ſo wurde er ſofort von den Conſtablern ergriffen und in das Gefängniß abgeführt. Gegen Tagesanbrud, marſ (hirten wir mit den Gefangenen , darunter auch der engliſche Ca valleriſt, nach dem Lager zurüd , von wo aus Letterer wie

der nach Falkeſtone transportirt , dem dortigen Magiſtrat überliefert und von dieſem nad dem engliſchen Civilgeſek= buche beſtraft ward.

Nachdem die Legionaire ihr Handgeld durchgebracht hatten , gaben ſie ſich mit voller Liebe dem Dienſte hin , und wurden in jeder Beziehung muſterhafte Soldaten. Ihrer Einübung wurde das allgemein geſchätzte , vielfach bewun

berte preußiſche Exercier-Reglement zu Grunde gelegt , wel ches in dem weithin verbreiteten Werke unſeres verdienſt vollen Generals Grafen von Walderſee jo klar dargeſtellt

iſt; die Commando's geſchahen demzufolge denn auch auf

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deutſch , und wurden von ſämmtlichen Legionairen , obwohl unter ihnen ſo viele der deutſchen Sprache nicht mächtig

waren , dennoch ſehr bald und leicht begriffen. Binnen zwei Monaten war ein aus Gliedern verſchiedener Natio

nen zuſammengeſettes Regiment in Stärke von zehn Com pagnien oder tauſend Mann bereits vollſtändig ausgebildet, jo daß man kein Bedenken mehr tragen durfte , nöthigen

fals es ſofort vor den Feind zu führen ; war ja doch ein jeder einzelne Mann des Regiments von wahrer Luft zum Soldatenſtande und Soldatenleben durchdrungen , voll von

militairiſchem Feuer und Muthe , und auch in Bezug auf Disciplin ſicherlich über jeglichen Tadel erhaben.

Capitel 2.

Einſchiffung der Legionaire vom Lager Shorncliffe nach England. Parade vor Ihrer Großbritanniſchen Majeſtät. Fahnen weihe und militairiſche Feſtlichkeiten. Einſchiffung nach dein Drient. Ein liſtiger Schuldner und ein hartnäckiger Gläu Ein leđes Schiff. biger. Ein weiblicher Rekrut. -

>

Die engliſch-deutſche Legion war ihrem größten Theile nach im Lager Shorncliffe ſtationirt; ein anderweitiger Theil derſelben befand ſich noch auf Helgoland , nämlich derjenige, welcher aus Mannſchaften beſtand, die auf dieſer Inſel an geworben waren ; auch dieſe Mannſchaften kamen mit der Zeit fämmtlich nach Shorncliffe in's Lager ; ſo oft man über fünfhundert legionaire verfügen konnte , ſchiffte man ſie nach England ein. Nachdem das im Shorncliffer Lager

befindliche erſte Jägercorps vollzählig war , hielt Ihre Großbritanniſche Majeſtät über daſſelbe eine Parade ab, welche zu ihrer vollkommenen Zufriedenheit ausfiel. A18

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die erlauchte Fürſtin, nach beendigter Muſterung, mit ihrer Begleitung wieder das Lager verließ , bradyten die Truppen ihr ein donnerndes Lebehoch aus ; Hunderte von Soldaten umringten die königlidye Equipage , ſchwenkten voll Jubels ihre Kopfbedeckung und ließen immer aufs Neue ihre Leber

hodhs erſdallen ; 3hre Majeſtät dankte zu wiederholten Ma len auf das Huldreichſte, heiteres Lädjeln umſpielte ihre Lippen, und auf ihrem Antlite prägte die innere Zufrieden = heit und Freude über dieſe fo bieberen und herzlidyen Rund gebungen deutlidiſt ſich aus.

Ausgangs Auguft des Jahres 1855 fand für das erſte, ſo eben vollzählig gewordene, leichte Infanterie - Regi=

ment der engliſch -Deutſdien Legion eine Fahnenweihe ſtatt; die Feierlichkeit ging in dem pracytvollen , bei Hythe gele

genen Sandling= Park vor fich, woſelbſt ſich ein ſehr ſchönes, dem Parlamentsmitgliede Mr. Raifes Currie gehöriges Schloß befand. Nach dieſem , etwa vier engliſche Meilen vom Lager entfernten Park rückte am 22. Auguſt genanntes

Regiment nebſt den übrigen , noch nid )t completirten Regi mentern von Shorncliffe aus , um dort zu manövriren und darauf ſeine Fahnen zu empfangen ; in England hat näm lidy jedes Regiment zwei Fahnen , - eine Regimentsfahne und eine Königsfahne, die Sägercorp8 allein ausgenommen,

weldie gar keine Fahne führen. Das militairiſche Schau ſpiel, welches ganz vortrefflich ausfiel, wurde von vorzüglich ſdyönem Wetter begünſtigt begünſtigt..

Nady beendetem Manöver

wurden die Truppen vor dem Schloſſe in Colonnen auf geſtellt, und der Feldprediger hielt vor ihnen eine auf die Tagesfeier bezügliche , gut durchdad te Rede, worauf der Herzog von Cambridge, Chef der geſammten engliſden Ar mee , dem bezeichneten Regimente die zwei neuen Fahnen

einhändigte. Hiermit war die Feierlichkeit zum Abfdluß gekommen ; die Mannſd;aften ſepten nunmehr ihre Gewehre zuſammen , ließen auf dem üppig grünen Raſenteppiche ſich

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nieder, und ſpradjen aufs Fleißigſte dem Biere, welches den großen, im Park aufgeſtapelten Fäſſern entfloß, ſo wie auch den verſchiedenen Speiſen zu, womit die ebenfalls im Freien aufgeſtellten Tafeln reichlichſt beladen waren . Hunderte

von Zuſchauern hatten ſich eingefunden , welche , ſofern es ihnen beliebte, gleichfalls an dem ſoldatiſchen Schmauſe Theil nehmen konnten , da an dieſem Tage für Alund Jeden rffene Tafel war. Für die Offiziere nebſt ihren Familien , ſowie für die von dem Parkbeſißer eigens zu dieſer ſeltenen Feſtlichkeit eingeladenen Perſonen war didyt bei dem Schloſſe

ein ſehr geräumiges und reid, geſchmücktes Zelt aufgeſdýla gen , in welchem ein ausgezeichnetes Diner ſtattfand. Eine um Schloß wie Zelt gezogene Linie, bei welcher Policemans aufgeſtellt waren , hielt von den hier veranſtalteten Feſtlich keiten alle Diejenigen fern , welche nicht durch eine von Mr. R. Currie eigenhändig au & geſtellte Einladungskarte ſich legitimiren konnten . Die durch dieſe Feſtivitäten hervorge

rufenen Koſten wurden von den Gutsbefiţern der Country Rent beſtritten. Um 9 Uhr Abends marſdirten die der überaus reichlichen Bewirthung zufolge in fröhlichſte Laune verſeşten Mannſchaften wieder nad dem Lager zurück, wohin am nächſten Morgen audy das Offiziercorps nachfolgte, dem zu Ehren ein glänzender Bal auf dem Schloßle arrangirt warb,

welcher erſt mit Tagesanbruch endete. Das 2. und 3. leichte Infanterie- Regiment erhielten erſt ſpäter, im Monat Octo

ber , ihre Fahnen, welche aber nicht von dem Generaliffimus, Herzog von Cambridge , ſondern vom Gemahl der Königin, dem Prinzen Albert , überreicht wurden ; er fam zu dieſem Behufe direct von London nach Shorncliffe und hielt , nach der Weihrebe des Feldgeiſtlichen , ebenfalls eine Anſprache an die Mannſchaften , womit die Feierlichkeit beendet war.

Leibliche Erquidkungen und Genüſſe, wie ſie den Legionen

in Sandling - Park zu Theil geworden , fielen in Shorn cliffe fort.

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Die engliſchen Legionen zerfielen in eine engliſch

Deutſche, ſchweizeriſce, amerikaniſde, italieniſche und polniſche Legion Die erſte umfaßte ungefähr 8000 Mann Infanterie und 1000 Mann Cavallerie , welche lettere indeß , da noch

während ihrer Completirung der Pariſer Friedensabſchluß erfolgte, gar nicht vollzählig ward. Die zweite beſtand nur aus Infanterie, welde an Stärke jedoch jener der engliſch deutſchen Legion nicht gleid fam ; die dritte, welche ein 1000

Mann ſtarkes Jägercorps bildete , führte davon ihren Na men , daß alle ihre Mitglieder in dem vermeintlichen Eldo rado für ſo viele europamüde Deutſche, in Amerika, an= geworben worden ; aus etwa 1000 Mann war auch die

italieniſche wie polniſche Legion zuſammengeſeßt , welche leştere übrigens erſt in dem Orient angeworben ward , und dem größten Theil nad) aus ruſſiſchen Deſerteuren ſowie aus Ungarn beſtand , die früher unter dem General Klapka gebient hatten.

Die Einſchiffung der Truppen erfolgte in der allerun = günſtigſten Jahreszeit , nämlich zwiſchen October und Ende Dezember des Jahres 1855 ; zunächſt ward das erſte Jäger corps nady Conſtantinopel eingeſchifft, welchem im November das erſte leichte Infanterie - Regiment dorthin nadifolgte ;

das zweite und dritte Regiment verließ England zu einer und derſelben Zeit , und zwar gerade am heiligen Abende vor Weihnachten .

Die Einſchiffung veranlaßte jedoch noch manchen inte reſſanten Zwiſchenfall.

Viele Offiziere der Legion hatten

Schulden machen müſſen, denn die Equipirungs-Gegenſtände koſteten mehr , als dafür vergütigt wurde. 3n England eriſtirt aber ein Geſet, wonach der Gläubiger ſeinen Schuld ner in den Schulbarreſt bringen laſſen kann, wenn derſelbe audy als Offizier auf Wache oder vor der Front ſeiner Soldaten fid, befindet. Einer der Offiziere nun, ein Irlän

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der und reicher Leute Kind , hatte fich nicht allein durch ſeine Equipicung, ſondern auch durch ſeine flotte Lebensweiſe in kürzeſter Zeit 800 Thaler Schulden aufgeladen. Der

Befehl zur Einſchiffung war jedodh fo plößlid gekommen, baß ſein Vater in der furzen Zeit nicht Kunde davon er

halten konnte. Wie nun das betreffende Regiment -zur Eiſenbahn marſchirte, um nach dem Hafenplaß zur Ein = ſchiffung zu fahren, erſchien auch der Gläubiger in der Ge ftalt eines Schneiders und in Begleitung eines Policeman, um den Offizier davor zu bewahren, ehe er ſeine Sdulden bezahlt , in der Krim erſchoſſen zu werden. Das war dem Offizier natürlich ſehr peinlich, denn er wollte den Schimpf

nicht erleben , dem Regiment wegen dieſer Schulden allein

i nachfolgen zu müſſen.

Aud keiner ſeiner Kameraden ver:

mocyte ihm auszuhelfen , denn faſt Jeder hatte Laſt genug, ſeine eigene Equipirung8 - Rechnung zu beden.

Jezt war

à guter Rath theuer. Indeß, ein Legionair muß ſich zu hel fen wiſſen. Der Offizier degradirte ſidy und marſchirte als gemeiner Soldat verkleidet mit den Uebrigen in Reih und Glied. Wie viel Mühe ſich nun auch der arme Schneider geben mochte, er vermochte ſeinen Schuldner nicht zu ent beden.

Wie ſollte er auch auf den Gedanken kommen , daß

ein Offizier als gemeiner Soldat in Reih und Glied mar diren fönnte. Der Gläubiger war aber kein Mann, der auf halbem Wege ſtehen blieb ; er beſtieg die Eiſenbahn, um ſeinen Sdyuldner bei der Einſdiffung abzufaſſen , mochte derſelbe nun wie er meinte - früher oder ſpäter als er gefahren ſein. Jedoch auch hier war er nicht glücklicher. Die Einſchiffung war beendet. Betrübt ſtand der arme . Schneider am Hafen. Da entdecte er plößlich am Borb des Schiffes ſeinen Schuldner in der vollen Offizieruniform . Aber jeßt war es zu ſpät. Das Schiff hatte bereits die Anker gelichtet. Gleichzeitig – o Wunder ! – machte ſich

auch ein Mann bemerklidy, der in einem Boote dem Schiffe

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zufuhr und in ſeiner Rechten einen ſchweren Geldſack empor hielt. Es war der Bote vom Vater des Lieutenants. Der Schneider erhielt ſein Geld und außerdem (wie man es von

einem Gentleman nur erwarten kann) die Koſten für ſeine Hin- und Rüdreiſe und ſchließlich noch 5 L. St. als Ent ( dhädigung für ſeine verſäumte Zeit. Strenger Befehl war es , außer der Marketenderin

keine weiblidie Perſon mit an Bord zu nehmen. Der Ca pitain des Schiffes ließ daher ſämmtlidie Soldaten einzeln an ſich vorbei paſſiren. Ein preußiſcher Unteroffizier, wel cher gerne ſeine Frau mitgenommen hätte, verkleidete dieſelbe. Sie erſdrien in voller Uniform , mit dem Torniſter auf dem Rüden und dem Gewehre in der Hand . Das Haar war ſo ziemlich unter der Kopfbedeckung verſteckt, aber der Schiffs capitain bemerkte die hochgewölbte Bruſt des Soldaten,

die fidy nid t hatte verbergen laſſen. Er unterſudyte näher und entbedte nun auch das verſteckte Haar , des mehr zier lichen als männlich feſten Ganges und der hohen breiten Hüften gar nid )t zu gedenken. Der arme Unteroffizier ver lor ſeinen liebſten Refruten. Derſelbe wurde ausgefleidet, d. 1. aus dem Soldatenſtande ausgeſtoßen und dann mit Marſchgeld in ſeine Heimath entlaſſen . Dem zärtlichen Ehegatten blieb ſdhließlich nichts übrig , als ein rührender Abſchied. Auf der Seereiſe nach dem Orient kamen verhältniß

mäßig nur ſehr wenige Erkrankungs- und einige Todesfälle Unter den Verſtorbenen befanden ſidy jedoch zwei Offiziere, ein Major und ein Hauptmann. Bei der Ankunft

vor.

und Ausſdiffung wurden einige Legionaire von der Cholera befallen , welche aber nicht weiter um fich griff, doch fielen ihr ein Regimentsarzt und mehrere Offiziere zum Opfer. Ungeachtet der ſo ungünſtigen Jahreszeit , des oft äußerſt ſtürmiſden Wetters , ging dennoch der Truppentransport

durchaus glüdlich von Statten , und ſämmtliche Mannſchaf

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ten durften ſich einer fehr guten Fahrt rühmen , das zweite leichte Infanterie-Regiment der erſten Brigade allein ausge= nommen, welches einmal dem Untergange bereits ganz nahe war. Als nämlich das Schiff, welches genanntes Regiment an Bord hatte , ſchon mehrere Tage ſich auf der See be fand , nahm man plößlich wahr , daß es im untern Ded, unweit der Maſchine, ſchadhaft geworden ſei , und daß dort

das Waſſer mit aller Gewalt eindringe ; alſobald eilte die geſammte Schiffsbemannung mit ihren Feldfeſſeln wie mit

anderen Gefäßen herbei , und den vereinten raſtloſen Be mühungen von mehr als tauſend Mann gelang es denn auch wirklich, das eindringende Waſſer zu beſeitigen und die Deffnung zu verſtopfen , worauf man die ſchadhaft ge worbene Stelle gründlich ausbeſſerte. Fünf Wochen lang wartete man im Orient vergebens auf die Ankunft dieſes

Schiffes , und befürchtete zuleßt, daß es verunglüdt fei. Eines Tages lief auch die Nachricht ein , das Transport the diff ſei mit Mann und Maus zu Grunde gegangen , eine Nachricht, welche ſich glücklicherweiſe nicht beſtätigte ; denn wenige Tage nach ihrem Eintreffen lief das dem Un > tergange allerdings ganz nahe geweſene Schiff im Hafen

von Conſtantinopel ein. Während der Fahrt waren auf demſelben auch noch die ſo überaus gefährlichen ſchwarzen Poden ausgebrochen , welche übrigens nicht beſonders bö8s artig auftraten, und nach erfolgter Landung auch nicht weiter um ſidy griffen. Uin größerer Ausdehnung der Krankheit möglichſt vorzubeugen , ſchlug man auf freiem Felde bei Kululee am Bosporus Zeltlazarethe auf , welche Maßregel

ſich als höchſt heilſam bewährte; denn in ganz kurzer Zeit war das tödtliche Uebel vollkommen gebannt.

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Capitel 3.

Uebungen im Lager. Ankunft im Orient. Die neunſchwäns zige Maße. Die Brügelſtrafe im engliſchen Heere. Ein Türke erhält engliſche Prügel. Balfeſt bei Lord Stratfort de Redcliffe Stalieniſche Theater in Bera.

Zu Rutulee felbſt, und zwar in einer dortigen tür fiſchen Kaſerne , war ein Theil der Truppen von der eng liſch-Deutſchen Legion untergebradyt; ein anderer Theil dieſer Mannſchaften lagerte unweit des Orts in Zelten ; die übri gen engliſchen Truppen, namentlich auch die polniſche Legion, waren bei Skutari, ebenfalls in Kleinaſien und Conſtantino

pel gegenüber gelegen , in einem Barađenlager einquartiert. Da nun die kriegführenden Mächte bereits am 30. März 1856 zu Baris den Frieden abgeſchloſſen , lo fand ſich für die einzelnen Legionen auch keine beſtimmte Verwendung mehr , und man beſchäftigte ſie daher fortwährend nur mit verſchiedenen Exercitien und Manövern , welche ſämmtlich in der aſiatiſchen Türkei, in der Nähe des Bosporus, ſtatt fanden. Trotzdem es immer nur um Uebungen ſich han delte , ſtellte ſich dennoch der Dienſt als ein ſehr anſtren

gender heraus , einmal , weil ſtets mit geſammtem Gepäck ausgerüdt, erercirt oder manövrirt wurde, fodann aber auch, weil die Hite , namentlich in dieſer Jahreszeit, für Nord länder zumal, faſt unerträglich war ; es dauerte indeſ gar

nicht lange, bis die Mannſchaften , auf deren gute Verpfle= gung man ſtets forgfältig bedacht war , fich an die Glut eines orientaliſchen Sommers gewöhnt hatten.

Um von

dieſer möglichſt wenig beläſtigt zu werden , rüdten die ein= zelnen Truppenabtheilungen gewöhnlich um die vierte More genſtunde aus ; wenn ſie nun aber , nach beendeten Uebun =

gen, zwiſchen 3 und 4 Uhr Nachmittags nach ihren Stand quartieren zurüdmarſchirten , ſo wurden ſie immer noch em pfindlich genug von der Sonnenglut betroffen. In der ! erercitienfreien Zeit waren die Mannſchaften mehrfach auch

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noch mit anderen Arbeiten beſchäftigt; ein Theil derſelben mußte z. B. alle die ſchweeren Geſchüße, die dazu gehörigen Kugeln, ſowie das anderweitige Kriegsmaterial, welches von Malta aus nach Kullulee gebracht und daſelbſt ausgeladen worden war, wieder auf die im Bosporus vor Anker liegen den Transportſchiffe zurüdſchaffen und gut verladen ,

eine anſtrengende Arbeit, zu welcher jeden Tag wohl fünf= hundert Mann verwendet wurden. Die angeworbenen Legionen waren dem engliſchen

Militaircober ganz ebenſo unterworfen , wie das ſtehende großbritanniſche Heer ; mithin war denn auch die jüngſt erſt burd Barlament& beſchluß abgeſchaffte, die menſchliche Würde

idhändende Prügelſtrafe bei den Legionen eingeführt , welche indeß über keinen der angeworbenen Soldaten , ſo lange er ſich noch im Shorncliffer-lager oder auf dem Transports ſchiffe befand , verhängt ward , vielmehr erſt im Orient zur

Anwendung kam . Obgleich nun dieſe Art von Strafe nur bei ſdweeren Vergehen , bei wirklich entehrenden Handlungen

zudictirt wurde, und auch für Mitglieder der einzelnen Le gionen nach Verhältniß nur ſelten eintrat, fo madyte ſie doch jedesmal, namentlich auf die deutſchen Legionaire, einen ſehr üblen und nicht leicht zu verwiſchenden Eindruc. Sollte die ab deuliche , jeden freien Mann ſchon bei bem bloßen Gedanken daran mit höchſter Indignation er füllende Prügelſtrafe an einem Individuum vollzogen wer den , fo wurde zu dieſem Behuf ein eigenes, drei zuſammen geſtellten Speeren ungefähr ähnliches , hölzernes Gerüſt auf geſtellt, an welches man den Uebelthäter, deſſen Körper bis an den Leib gänzlich entblößt warb, mit Händen und Füßen anſchnallte; auch legte man ihm einen ledernen Riemen un den Hals , welcher ebenfalls an dem Holzgeſtelle befeſtigt ward . Sierauf mußte ein þorniſt (einem ſolchen wurde

jedesmal dieſes traurige Geſchäft übertragen ) den verurtheil ten Kameraden mit einer Peitſche, woran mehrere Bindfaden, 2*

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ein jeder derſelben mit neun Knoten verſehen , ſich befanden,

(der ſogenannten neunſchwänzigen Kaße), die von dem Krieg8= gerichte ihm zuerfannte Anzahl Hiebe ertheilen. Der ſchimpf= lichen Erecution wohnte das betreffende Regiment jedesmal bei, welches in einem Viereck und unter dem Gewehr ſtand ;

ebenſo auch der Adjutant , welcher die kriegsgerichtliche Ver handlung nebſt Urtheil vorzuleſen , ſowie auch die einzelnen Hiebe mit lauter Stimme zu zählen hatte ; endlich war auch ſtets ein Militairarzt zugegen , welcher ganz in der Nähe

des Strafverbüßenden ſich aufhielt. Wenn die Hiebe , wie es ſeitens dieſer engliſden Strafvollſtrecer wohl ſtets ge ſchah , wirklich regelrecht ertheilt wurden , ſo war der Ge

peinigte kaum ein halbes Hundert auszuhalten im Stande, und brach alsdann in ſich zuſammen. Um dieſes Nieder

ſinken zu verhindern , hatte man eben den vorher angegebe nen Strafapparat ausgeklügelt ; ſo konnte denn der gemar terte Soldat wohl ohnmächtig werden , aber zu Boden zu fallen vermochte er , da er angeſchnallt war, nicht. Das

Minimum der zudiftirten Prügel betrug fünfundzwanzig ; es durfte durch das Kriegsgericht jedoch auch bis auf hun dert Hiebe erfannt werden . Und dies geſchah in dem ,,freien "

England , welches obenein noch ſo oft über das durch die Knute regierende" Rußland fidy in Geſpött erging ! Auch ein Türke kam eines Tages in die fehr unange uehme Lage , die engliſche knotenreiche Peitſche auf ſeinem Rüden zu fühlen. Die Veranlaſſung dazu war folgende.

Zu jener Zeit , als ich mid) mit der engliſch - deutſchen les gion in dem bei Kullulee errichteten Lager befand , ließ ich mich öfter nach Conſtantinopel überſeßen , wozu ungefähr eine Stunde erforderlich war , und fehrte gewöhnlich , wenn der Abend hereinbrady, aus der Hauptſtadt wieder nad meinem Standquartier zurüd. Eines Tages hatte ich einer

Einladung nach Conſtantinopel Folge geleiſtet, und konnte, na die Geſellſchaft, welche ich vorfand, ſehr lange zuſammen

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blieb , erſt bei Einbruch der Nacht an die Rüdfahrt denken. Zu dieſer Zeit fahren die türkiſchen Schiffer nur ſehr un gern ; wenn ſie aber dennoch eine Fahrt unternehmen , jo

>

müſſen die Baffagiere ihnen weit mehr , als fonſt üblich iſt, bezahlen ; ihre ſelbſtgemachte Tare beträgt alsdann gewöhn= lich nach unſerm Gelbe 3 Thlr. 10 Sgr. Es war eine ſehr finſtere Nacyt, als ich auf einem von zwei Türfen ge ruderten Boote nach Kululee abfuhr. Als wir uns mitten auf dem Bosporus befanden , ſtellten die Schiffer auf ein mal das unverſchämte Verlangen an mich, ihnen ſofort ein

Pfund (alſo 6 Thlr. 20 Sgr.) Fahrgeld zu bezahlen , und >

gaben mir gleichzeitig burd ſtarkes Hin- und Herſchaufeln bes Bootes deutlich zu verſtehen , daß fie midy, falls icy ihnen dieſe Summe nicht gleich einhändigte, auf der Stelle in's Meer ſtürzen würden . Als ich nun keine Miene machte, zu zahlen , erhob ſich ſchleunigſt einer dieſer frechen

Gauner, um ungeſäumt die ſinnbildlicy kundgegebene Drohung in's Werk zu ſetzen ; auch ich ſprang fofort von meinem Siße auf, riß meinen Degen aus der Scheide und verſeşte den erpreſſungsſüchtigen Sdiffern mit flacher Klinge einige Hiebe , worauf ſie ſofort auf andere Gedanken kamen und

ruhig weiterruderten. Sobald wir bei Kullulee angekommen waren , rief ich einen deutſchen Legionair an , welcher vor der bicht am Bosporus liegenden Raferne Poſten ſtand, er

griff den Rädelsführer und ließ ihn durd) die Schildwacje arretiren ; inzwiſchen nahm der andere türkiſche Schiffer die ſich ihm barbietende Gelegenheit wahr , und ruberte, das

Fahrgeld im Stiche laſſend , eiligſt davon.

Der Arretirte

wurde die Nacht über in die Kaſerne eingeſperrt; am näch

ften Morgen verhängte man über den Anhänger des Pro pheten jene Strafe, welche geſetzlich nur an einem engliſchen Soldaten *) volſtreďt werden konnte ,

er erhielt nämlic)

*) Für engliſche Marine - Soldaten kommt, außer der „ neun

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mit dem oben geſchilderten Strafinſtrumente fünfundzwanzig volwichtige Hiebe auf den Rüden. Nach dieſer Abrechnung fand denn auch jene wegen der Transportgebühren ſtatt, er empfing den bei Nachtfahrten üblichen Preis , ein halbes

Pfund für meine Herüberführung von Conſtantinopel nach Dieſe Fahrt wird ihm gewiß noch längere Zeit in fühlbarer Erinnerung geblieben ſein , ſo gut wie etwa eine orientaliſche Baſtonade ; denn als der engliſche Profoß= Rullulee.

Sergeant dem Türfen ſein Fahrlohn einhändigte , äußerte dieſer , auf das Goldſtück zeigend , „ Bono“ (gut) , auf die neunſdywänzige Rage deutend , No bono" * ) (nicht gut) ! Nachdem der Friedensabſchluß , bei welchem die Türkei

oder „ der kranke Mann ", in Wahrheit nur äußerſt Franzoſen und Engländer Ruſſen ihre Uebermadit

wie der moderne Ausdruck lautet, wenig gewann , indem nun die ſie ebenſo bitter , als zuvor die fühlen liefen , zu Paris am

30. März **) des Jahres 1856 erfolgt war , arrangirte zu deſſen Feier der damalige großbritanniſche außerordentliche Geſandte und bevollmächtigte Miniſter bei der hohen Bforte,

Viscount Stratfort de Redcliffe, in Bera ein großes Ball feſt in dem dortigen engliſchen Legationshotel. Dieſes , ge rade in der Mitte von Pera, nicht weit von dem türkiſchen Polizei-Amte gelegene , im neueſten Style aufgeführte Ge bäude iſt unbedingt das ſchönſte und prachtvollſte in ganz Bera , ein wahres Palais im ſtrengſten Sinne des Wortes, ſchwänzigen Naße“, noch eine andere Strafart zur Anwendung: man bindet den Strafwürdigen oft für mehre Tage und Nächte

an den Maſtbaum , und zwar dergeſtalt, daß er in keiner Weije fich niederzuſegen oder auszuruhen vermag.

*) Dieſe romaniſchen Worte werden türkiſcherſeits ſehr häufig ges braucht, und haben ſeit der Anweſenheit der Engländer und Franzoſen in ihrer Sprache gewiſſermaßen Bürgerrecht er. balten .

**) Die Ratification des Pariſer Friedensvertrages erfolgte zu Conſtantinopel am 10. April.

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H

und würde auch jeder anderen europäiſchen þauptſtadt zur größeſten Zierde gereichen. Das in Quadratform erbaute Fotel wird von einem vortrefflichen Garten eingeſchloſſen , welchen eine hohe Mauer umgibt ; das Portal iſt der Beraer Hauptſtraße zugekehrt ; zur rechten Seite des Portals befin = det ſich ein eigenes , für den Portier beſtimmtes Haus , zur linken das Gebäude für die Geſandtſchaft8 = Wache; von

dort aus gelangt man nach etwa fünfhundert Schritten zu dem Palais ſelbſt; dieſes war am Feſtabend auf's Glän =

zendſte erleuchtet; ein wahres Lichtmeer bildete der große Badſaal , auf deſſen Decorirung der Geſandte bedeutende Summen verwendete , und welcher in der That denn auch einen höchſt prachtvollen Anblid gewährte. Zu dieſem prunt

reichen Feſte waren Seitens Sr. Herrlichkeit Einladungen ergangen an ſämmtliche bei der ottomaniſchen Pforte accre ditirte Geſandte *) und Miniſterreſidenten , ſowie an all in der türkiſchen Hauptſtadt errichtete Conſulate und General

conſulate **); ferner an die zur Zeit in Conſtantinopel ver weilenden großbritanniſchen Offiziere, und an jene von den

engliſch -deutſchen, am Bosporus ſtationirten Legionen ; außer dem hatten auch mehrere den höheren Kreiſen angehörende engliſche Familien Einladungen erhalten, und ſelbſtverſtänd lich die in der Metropole gerade anweſenden fremden fürſt lichen Perſönlichkeiten , ſowie die geſammten hohen türkiſchen

Würdenträger zu Conſtantinopel.

Verherrlicht wurde das

Ballfeſt durch die Anweſenheit Sr. Majeſtät des Sultans,

welcher der von Seiten des engliſchen Geſandten an ihn *) Der Chef des fgl. preußiſchen Geſandtſchaftsperſonals im Jahre 1856 war der Seneral von Wildenbruch ; es beſtand daſſelbe aus einem Legationsſecretair, zwei Kanzlern, zwei Dolmetſchern und einem Geſandtſchaftsprediger.

**) Preußiſche Conſulate befanden ſich im genannten Jahre zu Beirut, Damaskus , Jeruſalem , Ruſtſchut , Saloniki, auf Cys pern und ein General -Conſulat zu Smyrna.

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ergangenen Einladung bereitwillig Folge geleiſtet hatte. Es

war das erſte Mal , daß ein Raiſer der Osmanen , ein „ mit dem Sdwerte Muhammed'e umgürteter Beherrſcher aller Gläubigen " einer derartigen , von „ Ungläubigen“ ar rangirten Feſtlichkeit beiwohnte. Mit des Großſultans Ab bul Medjid Erſcheinen auf dem Balle im britiſchen Lega tionshotel wurde gleichzeitig die ganze türkiſdie Etiquette,

und noch weit mehr als dieſe allein , zu Grabe getragen, weshalb denn auch die alt- türkiſche Partei und alle jene, noch immer nach dem Blute der „ Chriſtenhunde “ dürſtenden fanatiſchen Muhammedaner dieſen Schritt des Padiſchah mit höchſtem Unwillen betrachteten , den ſie freilich , der Madyt der Umſtände zufolge, nicht laut werden laſſen durften. Zum Empfange der einundbreißigſten Souverains vom Stamme Deman's (eines dergeſtalt von fremder Madyt abhängig ge worbenen ,,Souveraing" , daß die Anglo- Franzoſen es nach

dem Friedensabſdyluſſe ſich herausnehmen durften, ſogar um feine häuslichen Verhältniſſe ſid) zu bekümmern, und ihn zu größerer Sparſamkeit zu verpflicten) und des adytundzwan zigſten feit der Eroberung Conſtantinopels, waren von der Gartenpforte an bis zum Eingange in das Geſandtſdaft8:

Palais engliſche Truppen im Spalier und im Hotel ſelbſt die Muſikforp8 von vier Regimentern der engliſd) - deutſchen

Legion aufgeſtellt, geleitet vom Muſik - Director Brandes, einem Braunſchweiger , der nach Auflöſung der Legion als Muſik- Director des 90. engliſchen Infanterie - Regiments in Indien im Gefecht erſdoſſen wurde. Nachdem der türkiſche Kaiſer in feierlicher Weiſe empfangen und von den Ge fandten , fämmtlid in Gala - Uniform , zu dem für ihn be

reiteten prachtvollen Siße hingeleitet worden war , nahm der , durch die engliſche Damenwelt ungemein belebte Ball

ſeinen Anfang , welcher die ganze Nacht hindurch bis zum Morgen dauerte.

Während der Pauſen begaben ſich die

ſehr zahlreichen Gäſte in die feſtlich geſchmücten Neben=

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an verſchiedenen auf das Glänzendſte ausge ſtatteten Tafeln köſtlich geſpeiſt wurde. Abdul-Medjid= kehan , welcher natürlich an dem Tanze perſönlich keinen Antheil nahm, hatte ſeinen Plaß auf einen eigens für die kaiſerliche ſalons , wo

Majeſtät errichteten Balcon eingenommen , und ließ ſich das felbſt die Ballgäſte einzeln vorſtellen. Die Gemahlin des Feſtgebers, Discounteſſe de Redcliffe, war dem Großſultant

gleich bei ſeinem Erſcheinen im Palais vorgeſtellt worden ; faſt einem jeden Anweſenden wurde in jener Nacht während

der einzelnen . Tänze, die Ehre zu Theil, dem Großherrn vorgeſtellt zu werden und ſeine Fuldigungen darbringen zu können , welcher ſehr geläufig franzöſiſch ſpricht, und ſich in dieſer Sprache mit verſchiedenen Perſonen längere Zeit, und

zwar , wie allgemein verſichert wird , in höchſt leutſeliger, wahrhaft liebenswürdiger und nicht minder geiſtvoller Weiſe

unterhielt. In allen jenen Momenten , weldie von dieſen gebäuften Vorſtellungen nicht in Anſpruch genommen wur

den , wandte der in der That gutmüthige , an Characters feſtigkeit feinem Vater , dem Großſultan Mahmud -than II. weit nachſtehende Badiſchah ſeine Aufmerkſamkeit ungetheilt den mannigfaltigen Tänzen zu , und fein Auge ruhte alge

dann beſtändig auf den gewandten Tänzern , insbeſondere aber auf den ſchönen graziöſen Tänzerinnen, welche, bei den

heiteren Klängen der durch achtzig Mann ganz vortrefflich ausgeführten Muſik, fern von aller Ermüdung bis zum Tagesanbruch dahinwalzten. Auf ſeinem matten , einen hohen Grade von Erſchlaffung bekundenden , faſt todten bleidyen Antlige drückte ſich dennoch das Wohlgefallen ſowie die volle Zufriedenheit mit dem ganzen, wirklich auch ſehr ſinnigen Arrangement dieſer occidentaliſchen Feſtivität

deutlich aus. Das um etwa 10 Uhr des Abends begonnene Ballfeſt, bei welchem ſelbſt bis in das kleinſte Detail hinein die allerſtrengſte Etiquette beobachtet ward, endete erſt 4 Uhr Morgens. Alle , denen es vergönnt geweſen , daran Theil

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zu nehmen, waren durch daſſelbe auf das Höchfte befriedigt. Ein wißiger Stopf madyte jedoch die Bemerkung : ,,er wäre

noch weit mehr befriedigt worden , wenn es dem Sultan gefallen hätte , feine Sultaninnen mitzubringen ."

Als

ob der Orient eine ſolche Conceſſion dem Occident zu ma

dhen vermöchte! Wäre es unſerem Spaßvogel nach Wunſch gegangen , fo würde allerdings die Damenwelt auf den Balfeſte um ein Bedeutendes mehr vertreten geweſen ſein ;

an dem Tage indeß, wo türkiſche ,,Sultaninnen “ auf Bällen, welche Giaur's ( Chriſten) arrangirt haben , erſcheinen und wohl gar in die Reihen der Tänzerinnen eintreten , iſt die hohe Pforte gefallen und das Reich Muhammed's hat auf gehört zu exiſtiren. So weit iſt es aber mit dem „ kranken

Manne“ body noch nicht ganz , denn es gibt noch viele recht- und ſtrenggläubige Türfen . Bera, welches als ein Stadtviertel oder ais eine Vor ftabt von Conſtantinopel zu betrachten iſt , hatte früher nur ſehr felten die Ehre, den kaiſerlichen Herrn bei ſich zu ſehen ; ſeit jenem Abende indeſſen , wo der Großſultan dorthin ge kommen , um das engliſche Baufeſt durch ſeine hohe Gegens wart zu verherrlichen , beſuchte er zu wiederholten Malen

dieſen Theil von Stambul. Namentlich galt fein Beſuch dem nach dem Krimfeldzuge zu Bera errichteten italieniſchen Theater , welches der Großherrlichen Protection ſich zu er freuen hatte, und dann auch in mehrfacher Beziehung der Beachtung eben nicht unwerth war. So oft der Sultan einer theatraliſchen Vorſtellung beizuwohnen beſchloß, wurde dies regelmäßig der Direction einen Tag zuvor angezeigt und durfte dieſe alsdann weder vorher , noch auch Abends

an der Kaſſe Billets zu der von dem Badiſchah zu beſu chenden Oper verkaufen laſſen ; an einem ſolchen Abende hatten alle Schauluſtigen und nach muſikaliſchen Genüſſen Verlangen Tragenden freien Zutritt zu dem Theater , in welchem den Einzelnen der ihrem Range und Stande ent

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ſprechende Platz angewieſen wurde. Die Geſammtkoſten eines derartigen Theaterabends trug der Sultan , welcher ſtets das zur Vorſtellung kommende Stüd in ſeinem Ver laufe aufmerkſam verfolgte, und auch niemals vor dem Schluſſe der Vorſtellung das Schauſpielhaus verließ. Gewiß gereichte es der alttürkiſchen, ſtreng muhammedaniſchen Bar tei , welche noch immer über einen ſehr zahlreichen Anhang

zu gebieten hat , nicht zum Wohlgefallen, daß der Großherr, wie an abendländiſchen Bällen , ſo auch an der abendländis ſchen Bühne, und noch an gar manchem anderen rein Occi dentaliſchen ein fo lebhaftes Intereſſe nahm. Senes Miß = fallen erweiſt ſich indeß als ein durchaus ungerechtfertigtes ; denn dieſes Intereſſe entfremdete keineswegs den Badiſchah den Saßungen des 38lam ; er bekannte ſich zum Koran, wie alle ſeine Vorfahren ; der Geiſt des neunzehnten Jahr

hunderts aber war , in etwas wenigſtens, auch bis zu ihm herangedrungen , und der Toleranzbegriff war für ihn

kein ganz todter , wozu freilich Franzoſen wie Engländer durch Wort und Gewalt das 3hrige beigetragen. Im

Uebrigen war er Türke durch und durch, von denſelben hoch müthigen Herrſcherbegriffen durchdrungen , wie die breißig Großſultane vor ihm , und was ſein häusliches Leben an = belangt , jo ließ er auch darin als Türke gewiß Nichts auf ſich kommen. Denn aus der Zahl der feit ſeiner Thron = beſteigung *) bis zum März des Jahres 1855 ihm gebo renen Kinder macht das genealogiſche Taſchenbuch allein vierzehn namhaft, unter denen die beiden älteſten, der Suls tan Mehemmed - Murad - Effendi **) und Fatima, Sultane ſind. – Von dem freien Theater - Entrée machte auch ich einige Male Gebrauch , wobei es mir jedoch weit weniger um die an den fraglichen Tagen gerade aufgeführte Oper, * ) 2. Juli 1839 ( 1255 nach der türkiſchen Zeitrechnung). **) Geboren den 21. September 1840.

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welche um 8 Uhr Abends begann und etwa um 11 Uhr zu enten pflegte, als vielmehr daran zu thun war, die Ber fon des Großherrn wie ſein Gefolge näher in's Auge zu

faſſen und die aus fo verſchiedenen Nationen der Welt zu ſammengeſetzte Zuſchauerſchaar in ihrem , mitunter wirklich maleriſchen Coſtüme genauer zu betracyten. Nicht die Bühne alſo, ſondern die Zuſchauer feſſelten meine Aufmerkſamkeit: ſie bildeten für mich ein ganz beſonders anziehendes Schau ſpiel, deſſen Eindruck noch um Vieles bedeutender und har

moniſcher geweſen ſein würde, wenn das weibliche Element mehr vertreten geweſen wäre ; ſo aber wurde jenes Schau ſpiel außerhalb der Bühne, weldies für midy, wie für meine mitanweſenden Landsleute gerade von beſonderem Intereſſe

war, nur von einigen wenigen , dem abendländiſchen Boden entſproſſenen Frauengeſtalten belebt ; von ,,bezaubernd ſchör

nen " Türkinnen , von jenen vielfach beſungenen „ reizenden Weiblichkeiten" aus der Levante , und ihrer glänzenden „,wunderlieblichen " Gewandung war dagegen nichts zu be merken .

Capitel 4. Parate vor dem Sultan. Die hübſchen Mar Türkiſches Diner bei einein deutſchen Paſcha. Die Harems und die Eunuchen . Entführungen aus den Harems. Eine Türfin verſchwindet durch die Wand.

Deſertionen .

ketenderinnen.

Die Engländer in Pera. – Ein Engländer dringt in den kaiſerlichen Harem .

Die Verſchwendung der Frauen und

die pädagogiſchen Verſuche des Sultans. — Gefährliches Aben teuer eines Marine - Offiziers.

Ein Anabe für einen Hund.

Als die Legion in Klein - Aften am Bosporus lag, der ſextirten viele von den Leuten mit Sack und Pac, um nady

Perſien zu gehen und dort Dienſte zu nehmen. Einer der

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ſelben hatte ſeine Kleider auf der Reiſe mit türkiſchen Klei dern vertauſdt, aber vergeſſen , ſeine Sprache ebenfalls zu vertauſchen. In der Nähe von Skutari wurde er , weil er nicht türkiſch verſtand , von der türkiſchen Polizei verhaftet, die ſogleich einen Deferteur in ihm vermuthete * ). Eines

ſchönen Tages nun brachten die Kawaſſen einen alten ver = lumpten Türken auf den Ererzierplatz und lieferten ihn dort Man bente ſich das Gelächter ſeiner Kameraden , als ſie den Deſerteur in ihm erkannten. Einſt verjdywand ein Unteroffizier mit ſeiner ganzen

an die Wache ab.

Korporalſchaft von 15 Mann mit Gewehr, Sac und Pad. Nach 18 Tagen kehrten davon vier Mann zurück und mel deten ſich bei ihrem Compagnie - Chef. Sie gaben an , fie hätten keine Nahrung in der Wildniß finden können , auch

hätte es feine Wege daſelbſt gegeben.

( Ja , darin ſind die

orientaliſchen Wüſten nun eigenthümlidy; fie dulden weder

Wirthshäuſer noch Meilenzeiger , nicht einmal Rarwaſſen.) Die übrigen 11 Mann , ſo ſagten fie, hätten aus Furcht vor der Strafe nicht wieder zurückkehren wollen und wären ihren Weg nach Berſien weiter gegangen. Wo der Hunger

und der Durſt aus dürrem Sande und Menſchengebein ſein Lager aufgeſchlagen , da bleichen vielleicht auch ihre Gebeine in ewiger Sonnenglut. Man hat nie wieder von ihnen gehört.

Die Zurückgekehrten wurden ſämmtlich mit 8 Wochen ſtrengem Arreft beſtraft. Weil ſie noch keine 21 Tage von der Fahne entfernt geweſen, konnten ſie nach engliſchem Militairgeſet nicht als Deferteure behandelt werden. Aber in Folge ihrer traurigen Reiſebeſchreibung unterblieb das Deſertiren nady Berſien. Die Sache hatte alſo ihr Gutes gehabt. *) Die türkiſchen Poliziſten werden karwaffen , auch Kabaſſen (Karbatſchen) genannt, welche die Namensväter der bei uns ähnlich genannten türkiſch geflochtenen Lederpeitſchen zu ſein deinen.

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Am 26. Juli hatten die Truppen am Bosporus unter dem Kommando bes Generalmajor Storks ( früher Oberſt in Indien ) eine Barabe vor dem Großherrn. An einem fehr heißen Tage marſcirte die erſte Brigade der engliſch deutſchen Legion unter dem Brigade - Commandeur Oberſt

Wooldridge aus jener Kaſerne , welche lange nach dem Ab marſche der Engländer durch die Verſchwörung gegen den Sultan wieder in unſerm Gedächtniß lebendig wurde, von Kululee nach Skutari *). Hier wurden die Truppen in

Parabe- linie aufgeſtellt; auf dem rechten Flügel die erſte Brigade der Legion (ein Jäger - Corps und drei leichte 3n=

fanterie - Regimenter), daneben die polniſch - engliſche Legion und der Reſt der noch im Orient befindlichen engliſchen Cavallerie. Ihnen gegenüber ſtanden zwei türkiſdie Infan= terie - Regimenter. Der herrliche große Blaß , auf dem die

Truppenbeſichtigung ſtattfand, war auf der einen Seite vom Meere eingefaßt , auf der anderen Seite von einem ſehr großen türkiſchen Begräbnißplate, dem bekannten großen Lazarethe , das die Krim = Verwundeten barg , und dem Ba=

rađenlager der engliſchen Cavallerie und der engliſch- polni ſchen Legion. Der Sultan kam von Stambul in einem ſehr reich geſchmückten Boote über den Bosporus nach Skutari herüber , um die Parade abzunehmen. Bei ſeinem

Erſcheinen wurde präſentirt.

Zu Pferde mit einer Suite

von etwa 200 Mann zog er an uns vorüber. Sein Pferd hatte Zaumzeug von Goldborte , reid mit Brillanten be

ſegt; auch Stern und Halbmond in den Eden der Schabrace *) Wooldridge, derdiente ſchonundzu Napoleon's I. Zeiten in der eng der Gefangennehmung der franzö liſchen Marine ſiſchen Flotte im Mittelmeere beiwohnte, ließ auf der Rückkehr

der Legion aus dem Orient das Transportſchiff halten und zeigte uns das Waſſerrevier, wo die engliſde Flotte die frans

zöfiſche genommen hatte. Derſelbe ging ſpäter mit der legion nach dem Cap der guten Hoffnung.

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wurden von Brillanten gebildet. Seine Kleidung war eine ſehr einfache: gewöhnlicher ſchwarzer Rod , ein leichter ſchwarzer Mantel und als Kopfbededung ein Fez, wie jeder türkiſche Soldat ihn trägt ; außerdem führte er Säbel und

Reitpeitſche. Als einzige Auszeichnung trug er um den Hals den großen kaiſerlichen Brillantenſtern. An dieſer äußeren Einfachheit erkannte man den Großherrn , denn ſo erſchien er faſt bei allen Gelegenheiten, im Wagen, im Boote und zu Pferde , während ſeine Begleitung , beſonders die Balda's, ſo bunt gekleidet war, daß man zwiſchen den Gold Stidereien kaum das blaue Tud erkennen konnte ; aud be fanden ſich in der 200 Mann ſtarken Suite , außer den

weißen, verſchiedene farbige Geſichter, als gelbe, braune und Unſere beſondere Heiterkeit aber erregte ein

fdwarze.

Maulthier mit zwei großen Körben , das ſtets dem Sultan

folgte und alſo auch an der Front mit herunterzog. Das trabende Thier mit ſeinen Körben ſah in der brillanten Umgebung gar zu komiſch aus , und da wir nicht erfahren

konnten , was dieſelben enthielten , erſchöpften wir uns in

Vermuthungen und der Eine ſtellte die Behauptung auf : ,,es ſei der Kriegsharem des Sultans ; die Körbe enthielten Trotz aller angeſtrengteſten Bemühungen haben wir über Zwed und Bedeutung dieſes Geleites nie etwas erfahren können. Während des Vorbeimarſdies ( Parademarſch in Com= pagnie - Front) dienen den Großherrn beſonders die Mar ketenderinnen zu intereſſiren , die hinter dem Muſifcorps,

ſeine beiden Feldweiber.“

alſo vor dem Regiment, mit vorüberzogen. Es befand ſich nämlich bei jedem Regiment der engliſch - deutſchen Legion eine hübſche junge Marketenderin , die blaue Hoſen mit breiten rothen Streifen , einen kurzen blauen nur bis zum Knie reichenden Frauenrod und darüber eine rothe Uniforms Jade mit kleinen ſilbernen Knöpfen , id)warzen Aermelauf

ſchlägen und ſchwarzen umgeklappten Kragen trug ; ein Th

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rolerhut mit weißer Feter und weiße Glaçehandſchuhe vollendeten das Coſtüm , während ein weißlakirtes Bandelier, woran ein kleines zierliches Branntweinfäßdien hing, dem reizenden Figürden Rang und Charakter gab. Sämmtliche Marketenderinnen waren verheirathet; unverheirathete durf ten nicht eingeſchifft werden. Ihre Männer, faſt ohne Ausnahme Unteroffiziere, bewohnten mit ihnen ein eigenes

Zelt gemeinſchaftlich.

Eine Art Gewohnheitsgebrauch war

es geworden, daß die Marketenderin vor jeder Parade jedem

Offizier ihres Regiments die Aufwartung machte und ſich ein paar Glaçehandſchuhe ausbat, die den hübſchen Weibern, welche außerdem den großen Vorzug hatten , die Einzigen des Regiments zu ſein , wohl ſelten verweigert wurden . Der Sultan nun ſchien von der Neuheit dieſer Erſcheinung jo ſehr gefeſſelt, daß er den ſchönen Marketenderinnen auch lange nach ihrem Vorbeimarfch noch mit den Augen folgte,

und darüber unſere ſchönen Paradelinien faſt gänzlich aus dem Auge verlor, was europäiſch geſculte Offiziere und

Unteroffiziere wahrſcheinlich nur mit dem innigſten Bedauern bemerkt haben. Nachdem der Vorbeimarſch der Truppen erfolgt war , fand eine Aufſtellung nach der Mitte in Co

lonne ſtatt, Fahnen und Offiziere vor, die Front. Jest ritt der Sultan noch einmal vorüber und unterhielt ſid, mit

einigen der Offiziere in franzöſiſcher Sprache; er gab hierauf ſeine Zufriedenheit mit den Truppen zu erkennen , beſtieg ſein Boot und fuhr wieder nach Stambul zurück, wohin ihm ſeine Begleitung folgte. Die Truppen rüdten in ihre Standquartiere. Nach mehreren Tagen erhielten fämmtliche Stabsoffiziere , welche bei dieſer Parade zugegen geweſen,

Orden vom Sultan ; der intereſſanten Regimentsweiber wurde indeſſen nicht weiter gedacht.

Mit den Einwohnern im Orient , Türken , Griechen, Urmeniern, vertrugen ſich die deutſchen Legionaire fehr gut ; hin und wieder kam es zu einigen bedauerlichen Auftritten,

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die meiſtens in der Eiferſucht der Muhammedaner und in der ſocialen Stellung des weiblichen Geſchlechts ihren Grund hatten. Wie ſehr die orientaliſchen Sitten von den unſern ab

weichen , hatte ich ſchon Gelegenheit gehabt, auf einem Be ſuche bei einem deutſchen Renegaten kennen zu lernen . Mit mehreren Offizieren war ich nämlich von Fahard Paſcha

(einem gebornen Deutſchen , Stein mit Namen, früher Oberſt in öſterreichiſchen Dienſten) zu Tiſche geladen worden . Dieſe Einladung verbankten wir einem unſerer , ießt in England verheiratheten Kameraden, Capitain Dohſe, der früher, eben =

falls öſterreichiſcher Offizier, mit Stein zuſammen gedient hatte *). Stein hatte die Wittwe eines Paſchas geheirathet, was ihn jedoch nicht abhielt , nach türkiſcher Sitte ſeinen vollen Sarem , D. h. noch mehrere Weiber und Rebsweiber zu halten. Als wir in's Haus traten , wurde uns von

ſchwarzen Eunuchen die Thüre geöffnet. Bei Tiſche herrſchte die ſtrengſte türkiſche Sitte , zumal feine beiden erwachſenen Stiefſöhne (Söhne des früheren Paſchas, die im Miniſte rium des Innern angeſtellt waren) mit zu Tiſche ſaßen .

Vor dem Effen erſchien ein Diener mit filbernem Waſſer

struge, filberner Waſchdüſſel und Handtuch, denn wir waren genöthigt , nach türkifdyer Sitte mit den Fingern zu eſſen. Man denfe ſich unſere Verlegenheit. In einer Stunde follten wir derlernt haben, was wir von Jugend auf geübt,

den nüglichen Gebrauch von Meſſer und Gabel. Da es bekanntlich der Roran verbietet, gab es zu dem föſtlichen Mahle natürlich auch weder Wein noch ſonſtige geiſtige

Getränke ; wir waren genöthigt , unſern Durſt mit Waſſer *) Von Stein und ſeiner formellen Verbannung , weil er ges meinſchaftlich mit dem erſten Dragoman der engliſchen Ge ſandtſchaft, Biſani, nach dem Pariſer Friedensabſchluß den Ticherkeſſen ein Schiff mit Kriegsmaterial geſendet, werde ich ſpäterhin noch zu berichten haben. 3

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zu ftillen. Nach dem Effen Waſchbecken von Neuem und Waſſer über die Hände , um folgte ein Diener mit dem

erſchien der Diener mit dem goß uns aus dem Kruge das dieſelben zu reinigen. Dann Schibuk und ein anderer mit

dem Kaffee. Der Schibuk hatte eine Bernſteinſpiße , reich mit Brillanten beſett , und der Diener zündete den Tabak mittelſt einer glühenden Holzkohle an , die er in einer fil bernen Zange herbeitrug. Die Unterhaltung erſchien Alen

entſeßlich langweilig , denn es fehlte die europäiſche Würze, der milde Reiz der Weiblichkeit. Im ganzen Hauſe hatten wir bisher noch keine Spur von einem weiblichen Weſen

entdedt. Eine feine Anſpielung ſeines früheren öſterreichis den Kameraden , mit dem er noch immer im vertraulichen

„ Du “ ſprach , gab Feherd Paſcha zu verſtehen , wie ſehr wir wünſchten , ſeiner Gattin vorgeſtellt zu werden, und wie angenehm es uns ſein würde, ſeine übrigen Frauen kennen zu lernen. Der große ſtattliche Herr antwortete mit aus weichendem Lächeln : „ Es mag Ihnen komiſch erſcheinen , meine Herren , in den hieſigen Geſellſchaften fein weibliches Weſen zu finden ; aber es iſt ſo Sitte und man gewöhnt Und in der That , wir ſchieden aus dem ſich daran.“ Şauſe, ohne irgend etwas von einer Frau geſehen zu haben. Feherd Baſdha war ein Deutſcher ; man denke fich nun einen Türken von Geburt und Erziehung !

Die wohlhabenden Türken vertreiben ſich die Zeit in den Kaffeehäuſern und in ihrem Harem . Sie bewohnen ein

Haus, das in der Regel den Harem mit umfaßt. Die Fen ſter ſind mit eiſernen Stangen und außerdem mit einem

Holzgitter bededt. Zum Ueberfluß ſind Haus und Garten von einer hohen Mauer umgeben , ſo daß alio Niemand in die Fenſter ſehen , fidy nicht einmal bem Hauſe nähern

kann. Die Häuſer haben in der Regel nur ein Stockwerk und find faſt burchgängig von Holz gebaut.

Dach und

Fußboden ſind -von Stein ; leşterer faſt überall Marmor.

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Durch den Thorweg der Umfaſſungemauer gelangt man nicht an das Haus , ſondern zunächſt in den Gartenhof. Jene Pforte iſt ſtets verſchloſſen und wird von den Eunuchen

nur dann Männern geöffnet , wenn die Frauen nicht im Garten find , da die türkiſchen Frauen im Hauſe unver dleiert gehen.

Die Bewachung der Frauen iſt ſchwarzen Eunuchen anvertraut, welche als Verſchnittene dem neutralen Ge

ſchlechte angehören. Von Geburt an bazu beſtimmt, werden fie ſpäter fehr theuer bezahlt , da bei jener Operation viele ſterben. Die Verſchnittenen ſind die treueſten Diener , die es gibt , und beſonders ſehr gute Wächter und Wärter bei den Frauen.

Nicht jeder Türke kann mehrere Frauen haben , denn dieſe foſten entſeglich viel Geld ; erſtens müſſen ſie theuer

gekauft werden und zweitens find fie fehr koſtſpielig zu un terhalten. Eine Tíderfeſfin , nachdem ſie vom Derwiſdy unterſucht iſt, wird in Conſtantinopel mit 10,000 - 200,000 Piaſtern (500 – 10,000 Thlrn.) bezahlt. Dieſe Frauen gehen

in Purpur und Seide, und die reichen und koſtbaren Schmuck ſachen , die ſie tragen , ſind allein ſchon ein Kapital. Faſt

jede Frau will ihre eigene Equipage haben, und jede Equi page hat ihren Kutſcher und einen Eunuchen , der neben dem Wagen hergeht und die Thür bewadyt, damit Niemand

Gelegenheit finde, mit den Frauen in Berührung zu kommen. Ein Türke, der mehrere Frauen hat, hat auch einen þaushofmeiſter. Wenn die Frauen in die europäiſchen Manufactur- und Juwelierläden nach Bera kommen , ſo

kaufen ſie, was ihnen beliebt und laſſen es burdy den Haus hofmeiſter abholen und bezahlen. Die Frauen gingen in der legten Zeit zu gern in folche Läden und es kam jo weit , daß dieſe Beſuche zum öftern gemißbraucht wurden .

Wir werden ſpäter darauf zurückkommen.

Zwar war es

den türkiſchen Frauen verboten und ſie angewieſen , wenn 3*

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ſie von den Europäern taufen wollten, ſich die Waaren vor die Thüre bringen zu laſſen ; aber troß dieſes Verbots be

ſudyten ſie die Läden von Bera , denn Eva's Geidlecht iſt

eben aller Orten gleich. Es ging damit , wie mit dem Schleier. Vorſdriftsmäßig ſollen ſie auf der Straße ver ſchleiert erſcheinen, d. h. der ganze untere Theil des Geſichts

mit alleiniger Ausnahnie der Augen ſollte dicht verhüllt ſein ; aber feit dem Krimfeldzuge wurde der Sdíleier immer

dünner und zulegt unterſchied er ſich nur noch wenig von dem , wie ihn etwa eine Pariſer Griſette im Winter trägt. Ganz in der Nähe von Skutari lag der Harem eines

Paſcha, welcher ſich im Lager vor Sebaſtopol befand. Fran zöſiſche Offiziere hatten es möglich gemacht, zwei Frauen aus dieſem Harem zu entführen. Nachdem der Haushof meiſter deſſelben erfahren , daß ſich jene im franzöſiſchen Lager befänden, madyte er dem Paſcha davon Anzeige. Die ſer wandte ſich an den Commandirenden der franzöſiſchen Armee und bald erhielt der Lagercommandant von Skutari

Befehl, die Frauen auszuliefern. Dies geſchah. Eunuchen nahmen ſie in Empfang. Die unglüdlichen Weiber wurden zur Strafe beide in Säcke geſteckt, die mit Kugeln beſchwert waren, und dann in den Bosporus geworfen. Jeder Türke hat eben das Recht über Leben und Tod ſeiner Frauen und Eunuchen. In einem ſolchen Fale , wie der vorliegende, miſcht ſich keine Behörde ein. Der Beſiter des Weibes

iſt ihr eigener Richter und ſeine Diener die vollſtreder ſeiner Befehle, denen er , weil ſie ſein Eigenthum ſind, den Kopf abſdlägt, wenn ſie ihm nicht gehorchen. Die türkiſche Polizei iſt in der Regel ſehr nachläſſig

gegen das , was man in Europa Vergehen oder Verbrechen nennt. Wenn ein Dieb einem Rarwaſſen 20 Biaſter in die

Hand drückt, jo hält dieſer ihm noch die Leiter , und wenn Jemand auf der Straße todtgeſchlagen wird , fo fieht ſich der Rarwaſſe das intereſſante Schauſpiel ruhig mit an ; aber

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wenn 3emand die türkiſchen Sitten verlegt , iſt die türkiſche

Polizei unbeſtechlicher und weit ſtrenger, als ein preußiſcher Gensd'arm alter Schule , was gewiß viel ſagen will.

Vor

dem Krimfeldzuge wurde noch mit der größten Strenge bar

auf gehalten , daß keine türkiſche Frau ein dyriſtliches Haus beſuchen durfte , die Karwaſſen wachten hierauf beſonders. Wollte eine Frau einen ſolchen Beſuch machen , ſo mußte ſie es ganz verſtohlen thun. Eines Tages trat eine Türkin, als ſie ſich unbeobachtet glaubte, in einen franzöſiſden Ma nufacturladen .

Nadidem die Frau im Hauſe war , erfdie

nen nad) und nad mehrere Rarwaſſen . Man hatte ihr

ſchon ſeit längerer Zeit nadygeſpürt.

Da die Türkin zu

lange im Hauſe blieb , verlangten fie endlid, gebieterifd die Herausgabe derfelben. Sie würden chne Weiteres einge

drungen ſein und ihr Dpfer herausgeſd leift haben, wäre es ihnen geſtattet geweſen , ein europäiſches Haus ohne die ausdrückliche Erlaubniß des betreffenden Geſandten zu be Der Franzoſe fam aus ſeinem Laden hervor und

treten .

erklärte, daß keine Türfin in ſeinem Hauſe verborgen ſei. 1

Den Karwaſſen blieb nun nichts anders übrig, als Anzeige bei der franzöſiſchen Geſandtſchaft zu machen. Es war

Sommer. Zu dieſer Zeit wohnen die Geſandten faſt alle in Therapia . Dies mochte der Franzoſe wiſſen . Ehe eine Autoriſation zur Hausſuchung von dort zurück fam, fonnten acht Stunden vergeben . >

Aber die Karwaffen widhen nicht

von der Thür und nahmen feſten Poſten vor derfelben . In= zwiſchen fandte die türkiſche Polizei zum franzöſiſden Ge

fandten , um ſich die Autoriſation zur Hausſuđung zu holen. Der junge, ſchöne, ritterliche Franzoſe , der gewiß auch dann Alles aufgeboten haben würde , die reizende Türfin vor em pörenden Mißhandlungen und dem ſicheren Tode im Boss

porus zu retten , wenn ihn nicht intimere Beziehungen an dieſelbe gefeſſelt hätten , ſeşte alle ſeine Kriegsliſt in Be wegung .

Aber vergeblidh ; Nidyt8 half , nicht einmal die

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ſonſt immer fiegende Beſtechung. Im Gegentheil, die Tür ken verharrten nur deſto hartnäckiger auf ihrem Poſten, wenn ſie auch nicht wagten , nur die Schwelle des Hauſes Der junge Franzoſe nahm eine gleichgiltige Miene an , pfiff ein Liedchen , muſterte die Anweſenden mit einer kalten, verächtliden Bewegung der Lippe, und trat dann eben ſo gleidigiltig wieder in ſein Haus zurüd. Hier ſtürzte ihm die reizende Türkin verzweifelnd und mit frei

zu betreten.

idhender , von Thränen erſtickter Stimme entgegen. Aber bald -- ſo hörten wir ſpäter den Vorgang wiederholt und entwickelte ſie im Ange aus nächſter Quelle erzählen fichte des nahen Todes die ganze Fülle ihrer Zärtlichkeit, und der junge Franzoſe wurde, trotz der drohenden Gefahr,

hingeriſſen, dieſelbe zu erwiedern. Sie hatte ja nody ſieben Stunden zu leben und dieſe Stunden wollte ſie genießen in ſeiner Umarmung. Indeſſen , die ſchreckliche Wirklichkeit trat nur zu bald wieder vor die Seelen der Liebenden. Da ließ ſich ein lautes Geräuſch an der Wand des Zim = mers , welche an ' & Nachbarhaus grenzte , vernehmen. Dem

Franzoſen klang es wie das Hohngelächter der Hölle, denn dort im Nachbarhauſe wohnte ein alter deutſcher Wagen

fabrikant, mit dem er ſeit Jahren in Feindſchaft lebte. Er ſtens war der Deutſche Deutſcher und der Franzoſe Fran

zoſe , zweitens war der Deutſche Proteſtant und der Fran = zoſe Katholik und drittens wollte der Franzoſe durchaus nicht leiden , daß ihm der Deutſche das Waſſer vor die Thüre goß und dadurch ſeine ſchönen, reinlidhen Fenſterläden beſprigte, Grund genug zu den unverföhnlichſten Hadeleien . Das Geräuſch an der Wand wurde immer lauter. Dem

Franzoſen ſtanden die Haare zu Berge. Nach der eigen= thümlichen Heftigkeit ſeiner Nationalität ſtürmte er, mit den

Händen ringend und ſchlagend , im Zimmer auf und ab, während das radyſüchtige hämiſche Geſpenſt des deutſchen

Wagenfabrikanten vor ſeiner Seele emporſtieg. Das Geräuſcs

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nahm den Character an, als wenn jemand mit einem eiſer nen Werfzeuge arbeitete. Die ſchöne, vor kurzem noch ſo leidenſchaftliche Odaliske war ohnmächtig auf dem Divan zuſammengeſunken. Endlich wurde es ſtill und ein leiſes Klopfen ließ ſich an der hölzernen Wand vernehmen. Man kam auf einen neuen Gedanken und wurde ruhiger. In zwiſchen waren bereits vier Stunden vergangen. Draußen lärmte die Menge , ſo daß es betäubend burd, das Haus dalte und die Wände zu erbeben ſchienen. Ein leşter

dumpfer Ton , und an der Stelle der Wand , von wo das Geräuſd fam, machte fich die Spiße eines Bebrers bemerk= lich. Beide Häuſer – wie faſt alle in Conſtantinopel –

waren vom Grund auf aus Holz erbaut. Der Bohrer zog ſich zurück und durch die Deffnung flüſterte die Stimme des

Deutſchen: „ Na , Ihr windiger Herr Franzoſe , jetzt ſteckt Ihr ſchön in der Patſche! und wenn es mir nicht um ein armes Menſchenleben und darum zu thun wäre , dieſen fa = natiſchen Moslems eine heidniſche Freude zu verderben , ſo würde ich mir nicht meine ſchöne Wand ruinirt haben. Nun

aber thut das Eurige auch ." -- Erſt jeßt hatte der Fran 3oſe ſeine Situation begriffen. Mit überſchwänglichen Wors ten dankte er bem ebelmüthigen Deutſchen .

Dann legte er

rüſtig Hand ans Wert. Das Loch in der hölzernen Wand erweiterte fidh; aber auch die Zeit verſtrich. Schon konnte, nad ungefährer Beredynung , die türkiſche Botſchaft aus der franzöſiſchen Geſandtſchaftskanzlei zurüd ſein. Und daß die Genehmigung zur Hausſuchung ertheilt werden würde, war unzweifelhaft. Dieſelbe ließ auch nicht lange auf ſich warten. Zwei Rabaſſen der franzöſiſchen Geſandtſchaft überbrachten die Volmacht. Jede Geſandtſchaft hat nämlich ihre Rabaſſen Wache, beſtehend aus einer Anzahl berittener und Fuß-Ra

baffen, welche zum Schuße des Hauſes, zur Begleitung des Geſandten und zu geſandtſchaftlichen Polizeidienſten verwen =

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det werden. Dieſelben ſind den übrigen türkiſchen Kabaſſen vollkommen gleich und unterſcheiden ſich nur durch zwei Piſtolen in einem goldgeſtidten Gürtel, während die übrigen

nur ein Piſtol in einem Ledergürtel tragen. Die eine Hand auf dem frummen Säbel, die andere Hand auf den gelade nen Piſtolen, ſdritten die Gefandtſchaftstabaſſen den andern voran in das Haus des Franzoſen. Da der Ladenbeſißer die Anweſenheit einer Türkin auch jeßt noch beharrlich ver

läugnete, begann die Hausſudịung. Jedoch vergeblich. Nadi dem man ſämmtliche Räume des Hauſes durdyſudyt, nichts

gefunden hatte und eben im Begriff war , ſich wieder zu entfernen , madyte einer der Türfen auf einen Wandſchrank aufmerkſam . Er hatte bemerkt, daß der Franzoſe , ſo oft er fid unbeobachtet glaubte , ängſtlid verſtohlene Blide auf dieſen Wandſchrank geworfen. - „ Bei Allem , was Eud heilig iſt," – rief der Franzoſe , indem er ſich , mit zur Seite geſtredten Armen , pathetiſch vor den Wandſchrank

ſtellte , - „ nur über meine Leiche geht Euer Weg. 30 dulde nidyt länger dieſe Verlegung meiner heiligſten Rechte. Dies Haus iſt mein Eigenthum und ſo unantaſtbar, wie der Harem des Sultans.

Der Sultan iſt Herr in der

Türkei ; id aber bin Herr in meinem Hauſe !" – Die Ei nen ſchienen ſich mit lautem , höhniſchem Gelächter auf ihn ſtürzen zu wollen , da ſein Benehmen ihren Verdacht, die Türkin ſei im Schranke verborgen, nur noch mehr beſtätigte ; bie Andern dienen unſdyliffig. Höre mid}" " - ant wortete einer der beiden Sefandtidyaftsfabaffen , --- , ,,Nie-= mand wird Dein Recht dem Unfraute gleich behandeln wollen ;

wer aber gegen die Sagungen des Landes verſtößt, in dem er lebt , von dem wird Rechenſchaft gefordert. Deffne den Sdrant !" " ,,3d habe den Schlüſſel nicht." -- ...,So werden wir ihn erbrechen." " „ Wartet damit, bis ich den Sdlüſſel gefunden ." ... So ſudje ihn ." " — Der Fran

3oje ſudite und da er ſah, daß ſein Zögern ihm nichts hel

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fen und die Rabaffen mit ihrer Drohung Ernſt machen würden, zog er den Schlüſſel aus einer Taſche ſeines Rodes und öffnete ſelbſt den Sdrant. Die Rabaſſen nahmen ein Kleidungsſtück nach dem andern heraus. Der Schrank war leer. -- ,, Nun , " ſagte der Kaufmann -- „überzeugt Eudy. Ich habe die Wahrheit geſprochen. Es iſt kein Weib in

meinem Hauſe und auch keines in dieſem Schranke. Es ſind nur Kleider ohne Körper.“

Die Kabaſſen entfernten

ſidy, jedoch der eine Türke, der zuerſt auf den Sdrank auf= merkſam gemacht, Kleid nodh einmal die verſchwundene ſuchen zu müſſen .

ſchüttelte den Kopf , hob jedes einzelne auf, ſtrich es durch die Finger und ſchien Türkin in jeder Hoſen- und Weſtentaſche Endlich entfernte ſich auch dieſer. Das

Haus war leer und der Heimgeſuchte wieder alleiniger Herr in ſeinem Eigenthum. Mit der Polizei entfernte ſich audy die verſammelte Volksmenge allmählig; nur der legte Ka= baſſe blieb mißmuthig zurück und verlor die Thür des jun= gen Kaufmanns nicht aus dem Auge, der ihn mit ängſtlichen,

aber doch ſchadenfrohen Blicken verfolgte.

Der Spürer

war mit ſeinem Verdachte allerdings auf richtiger Fährte 5

geweſen ; nur hätte er die Entſchwundene nidit in , ſondern hinter dem Schranke ſuchen müſſen. Vor der Ankunft der Kabaſſen war es nämlich den vereinten Anſtrengungen noch

gelungen, die Deffung ſo weit zu vergrößern, daß die junge Frau durch die Wand in das Nachbarhaus des deutſchen

Wagenfabrikanten hinüber verſchwinden konnte. Der Kleider ſdrank war dann vor die Deffnung geſtellt worden , um dieſe den Augen der Kabaſſen zu verbergen, was auch glück = lidh gelungen.

Die Hanuken , welche die türkiſchen Frauen bewachen, gehen ſämmtlich mit Säbel und geladenen Piſtolen bewaffnet. Sie üben als Wärter und Wächter der Frauen gleichzeitig die höchſte Polizeigewalt , indem ſie vorkommenden Falles den ausgedehnteſten Gebrauch von ihren Waffen machen

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dürfen und müſſen . Eines Tages fuhren die Frauen eines Paſcha's durch die damals noch gänzlich ungepflaſterte Beraer Hauptſtraße. Dieſe war auf einigen Stellen ſo ſchmal, daß man einem Wagen nicht auszuweichen vermochte, namentlich in der Richtung nach Galata , in der Nähe des türkiſchen

Polizeiamtes ( Galatiſerei genannt) , wo man den Roth der Straße verlaſſen und ſich in die Häuſer drängen mußte, wenn ein Wagen vorüberfuhr. Und dies war die einzige fahrbare Straße in Pera, denn die nebengelegenen Straßen

waren nod weit enger , ſo daß faum zwei Menſdhen neben einandergehen , die Nachbarn von gegenüber ſich bequem aus ihren Fenſtern über die Straße hinweg die Hand rei chen konnten. Als der Wagen nun das Polizeiamt pafſirt hatte und fid) in dieſer Enge befand, wollte ein vorüber

gehender Engländer ausweichen, konnte ſich jedoch an dieſem Fleck nicht halten , da der Wagen ſo nahe an den Häuſern vorbeifuhr, und kam zum Fallen. Um nun nicht in den Roth und unter die Räder zu gerathen, ſtüßte er ſich wäh rend des Fallens auf die Wagenthür. Der Hanuf, welcher

hier nicht neben dem Wagen hatte gehen können , ging hin= ter demſelben. Kaum hatte dieſer bemerkt, wie der Ein

geklemmte die Hand auf die Wagenthür ſtüßte, ſo zog er, in dem Glauben , derſelbe habe nach den Frauen gegriffen, feinen Säbel und erſtady ihn. Pera iſt faſt ausſchließlich von Europäern bewohnt. Es würde an dem Şanuken wahr deinlich ſofort Wiedervergeltung geübt worden ſein , wenn

das türkiſdie Polizeiamt mit etwa 30 Mann Rabaſſen als Wache nicht in nädyſter Nähe geweſen wäre, welche bei dem

entſtehenden Auflauf ſogleich herbei kamen, beſonders da es ſich hier um bewaffnete Aufrechthaltung türkiſcher Sitten gegenüber den ungläubigen Fremden handelte. Der engliſche Geſandte , Lord Stratford de Redcliffe, begab ſich, in Begleitung ſeines erſten Dragomans Mr. Sa vell, fofort zum Sultan , machte demſelben energiſche Vor

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ſtellungen über das Geſchehene , und verlangte , daß ſämmt= lidhen Fanuten die Waffen abgenommen würden , widrigen = falls er das Tragen der Waffen ſämmtlichen Engländern geſtatten werde. (Das Tragen von Waffen , Piſtolen,

Degen , Dolchen , Degenſtöđen , war auf Veranlaſſung der fremden Geſandtſchaften in Conſtantinopel Jedermann ver boten. Ausgeſchloſſen von dieſem Verbote waren jedoch die

daſelbſt anweſenden Tſcherkeſſen, welche einen Dolch trugen, weil ihre Religion das Ablegen der Waffe nicht geſtattet.) Von dieſer Zeit an fah man in Conſtantinopel öffent lich keinen þanuken mit Waffen mehr , mit alleiniger Aus nahme der Sanufen des faiſerlichen Şofes , welche vollſtän = dig militairiſdi organiſirt ſind und ihre Vorgeſetzten in ver ſchiedenem Range bis zum Oberſten hinauf haben , der

ebenfalls ein ídwarzer Verſchnittener iſt. Seit dem Krimfeldzuge nahmen fich die Europäer in der Türkei ſehr viel heraus , namentlich die Engländer in

Pera, die durch das Gewicht ihrer Nationalmacht und ihres Geldbeutels Alles, was ihnen in den Weg kam , ſelbſt den

Sultan, von ſich abhängig zu machen wußten. Wurde doch > der engliſche Geſandte Lord Stratford de Redcliffe eben fo

kurz als bezeichnend der „ zweite Sultan“ genannt. Selbſt vor dem dwerſten Verbrechen in der Türkei, vor der Be

rührung mit den türkiſchen Frauen , ſchređen die ſtolzen, rüdficytsloſen Söhne Albiong nicht zurüd. Vor dem Krim feldzuge hätte es gewiß kein Europäer gewagt , eine Türkin

auf offener Straße anzureden. Später geſchah dies ſehr häufig; das türkiſche Weib, ſo ſchüchtern , beſcheiden , unter:

würfig und hingebend ihr Blic iſt, in dem ſich ihr ganzer ſocialer Character abſpiegelt, gerieth doch in folchen Fällen oft in eine namenloſe Wuth , denn ſie ſah ihren Tod dor Augen und in dem Manne, der ſie anredete, nicht den Ver führer , ſondern den Henkersknecht, ber den Sad webte , in welchem ſie im Bosporus ertränkt werden ſollte. Das ſonſt

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fo fanfte, hingebende Auge funfelte ; fie raffte Schmuß und

Steine von der Erde auf und warf ſie dem Verſucher zor = nig in's Geficyt.

Aber nad jener nationalen Berührung

verlor ſich auch dies .

Namentlid, die Engländer wurden

oft fehr vertraulich mit den Türtinnen und ſelbſt das Ein

dringen in das unverleßlichſte Heiligthum des Landes ,

in

den Harem, war ihnen keine Unmöglicykeit mehr, denn Geld vermag Alles, bei den ſtrengen Moslemims wie anderswo. Vor ſeinem Glanze erblaßt ſelbſt bie ſprüdwörtlich gewor bene Treue und Anhänglichkeit des Verſchnittenen an ſeinen

Herrn, vorausgeſett, daß Derjenige , welcher die Beſtechung übt , die gehörige Gewandtheit im rechten Gebrauche ſeines Gelbes beſigt. Auch das früher für die türfiſden Frauen ſo ſchwer verpönte Betreten der europäiſchen Häuſer und Läden war ſeit jener Zeit keine Seltenheit mehr. Wie ſchon bemerkt, die türkiſchen Frauen ſind ſehr verfd )wenderiſch. Hat doch ſelbſt der Sultan , als er ſpäter die enormen Schulden ſeines Harems erfuhr , allerhöchſt eigenhändig mit

der Reitpeitſche Ordnung ſchaffen müſſen. In Pera hatten ſeine Frauen die koſtbarſten Kleider, Brillantenſdhmuck, Ringe, Armbänder u. dgl. m. , und zwar alles auf Credit, maſſen

haft gekauft.. Der Haushofmeiſter ließ es abholen und zahlte , wenn er Geld hatte , denn Jeder creditirte ja dem Kaiſer. Ließ ſich eine der Frauen etwas Schönes machen und die andere ſah es , fo befahl ſie bem þaushofmeiſter,

für ſie daſſelbe anzuſchaffen. Und ſo wie es die Frauen des Sultans trieben, trieben es auch, in mehr oder minder beſchränkten Verhältniſſen, die Frauen der kleineren Harems ; benn womit anders, als mit der Rivalität in folchem Tand,

follen ſich dieſe armen Geſchöpfe die Zeit vertreiben ? Eines Tages erſchien eine junge Türkin in dem Laden eines Engländers in Bera. Sie hatte ſid, mehrere Gegen ſtände ausgeſucht und nach anderen Waaren gefragt , die

der Engländer augenblidlich nicht auf dem Lager hatte. Das

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Leştere war ihm am unangenehmſten, erſtens, weil eine ge

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I

wiffe Sorte von Türken gar nicht handelt und das Theuerſte gerade am liebſten fauft, und zweitens, weil ihn ein ge wiſſer Inſtinct trieb, dem ſchönen frommen Auge der Räu

ferin nach beſten Kräften gefällig zu ſein. Sie machte dem Händler bemerklich, daß ſie die Waaren abholen laſſen werde, und entfernte ſich mit ſcheuen , reizend lädhelnden Blicken, denn von einem Lächeln des Mundes konnte natürlich keine Rede ſein, da er, wie üblich, von dem Schleier bedeckt war. Der lange, langweilige, hagere , badenbärtige Engländer überlegte ſich die Sache. Er hatte erſt vor kurzem fein Geſchäft eröffnet und war daher in Conſtantinopel noch we

nig bekannt. Früher betrieb er ein Woll- und Getreide geſchäft in Breußen und Rußland , machte dabei Bankerott,

erwarb ſich dann durch Lieferungen für die Krim - Armee in kurzer Zeit wieder ein bedeutendes Vermögen 'und legte da

mit ein neues, großartiges Manufacturgeſchäft in Pera an,

Tum

wie er ſich vorgenommen hatte in nächſter Zeit entweder ganz reich oder ganz arm zu ſein. Ueberhaupt

darf man, nebenbei bemerkt, annehmen , daß dreiViertel der Europäer im Orient Abenteurer und der Auswurf der gro : Ben Städte des Weſtens ſind. — Sein Entſchluß war bald gefaßt. Er machte ſich ſelbſt auf den Weg , theils um Er kundigung über die näheren Verhältniſſe einzuziehen , im Fall beim Abholen der Sachen Credit in Anſpruch genom men werden ſollte , theils um die Schöne in ihrer Häus

lichkeit zu ſehen und bei dieſer Gelegenheit einmal das In nere eines türkiſchen Sarems fennen zu lernen. An das

Unmögliche der Ausführung eines ſolchen Wagniſfes dachte der lange hagere Engländer dabei nicht, denn er hatte ja ſchon einen Bankerott von 5 Millionen und noch man

thes Andere möglich gemacht. Er ſchaffte die fehlenden Waaren herbei und ließ einen türkiſchen Arbeiter kommen, um dieſe ſich nachtragen zu laſſen. Der türkiſche Arbeiter

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( Hamal) wollte die gute Gelegenheit benußen und machte wie gewöhnlich unverſdjämte Forderungen. Der

Engländer gab ihm vorläufig eine Abſchlagszahlung mit der Reitpeitiche , befann ſich dann , ließ die Waaren im Laden zurück und bezahlte dem Hamal den Reſt des Tragelohns ebenfalls mit demſelben Inſtrumente. Dann machte er ſich auf den Weg , indem er das Geſchäft der Obhut ſeiner Leute überließ. Dicht vor ſeiner Ladenthür hatte er die erſte unangenehme Begegnung mit einem vornehmen Türken . Der lange, hagere Engländer hatte nämlich, um die Eleganz

ſeiner äußeren Erſcheinung nicht zu verderben , keine Luſt, dem Türken auszuweichen und in den Koth der engen Gaſſe hinüber zu treten. Der vornehme Moslem wich ebenfalls nicht von der Stelle. Der Engländer erhob ſeine Reit peitiche und verſetzte dem Gegner einen kräftigen Hieb. Dieſer , der nicht vergeſſen hatte , daß er ſich im halbeuro päiſchen Bera befand , trat iegt ideu zur Seite und der

fiegreiche Giaur ſchritt ruhig ſeine Straße weiter. Um in deſſen nicht wieder in dieſelbe Verlegenheit zu kommen , be ſtieg er eine türkiſche Sänfte. Rein unmöglich war es jedoch für ihn, ſeinen langen, hageren Leichnam darin unter zubringen. Nachdem er ſich Kniee , Ropf , Naſe und Elen: bogen erfolglos gequetſcht und zerſtoßen hatte , ſtieg er wieder aus , prügelte die Träger darum , weil ihn Gott jo

lang erſchaffen hatte , warf ihnen einige Goldſtücke zu und ſeşte ſeinen Weg zu Fuße weiter fort. Bei dem bezeichneten Harem angekommen , wurde ihm von dem Fanuten , der kurz zuvor mit der Türkin im La

den des Engländers geweſen war, die Thür geöffnet. Der Engländer gab ihm ein Goldſtück und befahl ihm , nach Bera zu geben und die Waare zu holen. Der þanut, welcher nicht engliſch verſtand, war der Meinung, der Eng länder habe ihm das Goldſtüd für das Deffnen der Thür

gegeben ; da er deshalb noch nicht ging , prügelte ihn der

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Eindringling mit ſeiner Reitpeitſdhe durch, warf ihn gemüth lich zur Thür hinaus und ſchlug dieſe hinter ihm zu. So befand ſich der Hanut ausgeſperrt auf der Straße, der Engländer im Hofe des Harems, indem er meinte, der Ha

nuk ſei nach Pera zur Abholung der Waare abgegangen. Dieſer aber, der ſich erſt eine Weile befonnen hatte, wie er

wohl wieder hinein kommen könnte, da der Schlüſſel inwen = dig ſteden geblieben war , bedadyte jeßt , daß ſein Herr den Sdlüffel zu einer andern Thür habe , ſuchte dieſen nun in einem bekannten Kaffeehauſe auf und machte ihm von dem Vorfalle Anzeige. Der aufgebrađite şerr eilte ſogleich nach þauſe , öffnete die Thür und war erſtaunt, den Engländer nicht im Hofe zu finden. Dieſer war nämlich inzwiſchen

direct in den Harem eingedrungen , wo er zufälligerweiſe die geſuchte Schöne allein traf. Der eiferſücitige, wüthende Moslem eilte die Treppe hinauf , fand den Giaur in dem

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Gemache ſeines Rebaweibes und faßte ihn , da er ein kräf= tiger Mann war, muthig und entſchloſſen an. Dieſer ſeşte ſich ſo gut er konnte zur Wehre , nahm zum Boren ſeine Zuflucht, warf den glüdlich beſiegten Gegner zu Boden und ergriff die Flucht. Der Gefallene raffte ſich auf und ver

folgte, von mehreren herbeieilenden Glaubensgenoſſen unter ſtüßt, den ſchnell Dahinfliehenden. Dieſer jedoch gewann mit Hilfe ſeiner langen Beine einen Vorſprung und rettete ſich

glüdlich in das Haus eines engliſchen Schiffsmaterialien = händlers , in welchem ſich zufällig mehrere Seeoffiziere be

fanden. Während ſich vor dem Hauſe eine wüthende Menge anſammelte, verkleidete ſich der engliſche Kaufmann als See offizier, ſchnitt ſeinen Bart ab , und da das Haus hinten an den Hafen ſtieß, ſo ſprang er dort in ein Boot und kam glüdlich davon .

Von Kululee, wo die Legion im Lager ſtationirt war, madyten die Offiziere öftere Beſuche in der türkiſchen Re ſidenzſtadt. In England iſt es Sitte, daß die Offiziere bei

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dergleichen Ausflügen nicht ſelten ohne Säbel , in einer leidyten , bequemen Kleidung ausgehen. In einem ſolchen

Anzuge mit Kartuſche, die Reitpeitſche in der Hand, beſuch ten die Offiziere oftmals Pera. Dies geſchah auch vom

Lieutenant Sch ., einem gebornen Bayer. Als dieſer am Abende nach ſeinem Standquartiere zurüdfehren wollte und mehrere Lokale beſuchte, wo er Kameraden zu finden hoffte, in deren Geſellſchaft er zurüctehren wollte, aber Niemanden antraf, ſah er ſich natürlich genöthigt , allein ſeinen Weg fortzuſeßen.

Bei einbrechender Dämmerung hatte er einen

großen türkiſchen Kirchhof zu paſſiren. Hier erblickte er am äußerſten Rande der Einfriedigung eine reizende Türkin, welche ihm bei ſeiner Annäherung einen von jenen ſcheuen

Blicken zuwarf , von denen der Ausländer nicht weiß , ob ſie Furcht oder Lockung bedeuten. Sch. nahm es für das Leştere und ſtreichelte der Holden die Baden , was ſie ſich auch ruhig gefallen ließ, dabei immer auf die ſchönen Ringe blickend, die Sch., ein Freund ſolcher Pretioſen, am Finger trug, ſo daß dieſer ſich veranlaßt fand , dem guten Kinde

einen funkelnden Diamantring an den Finger zu ſtecken. Beide ſchritten ſodann in der völlig einſamen Gegend, durch Mienen und Geberden ſich unterhaltend , bei zunehmender Finſterniß durch den dunklen Cypreſſenwald des Kirchhofes, bis fie am Rande deſſelben zu einem allein liegenden Ges bäude gelangten.

Die Thür deſſelben öffnete ficy, nachdem die Schöne ſich beim Klopfen durch einige Worte zu erkennen gegeben hatte , nach türkiſcher Weiſe von ſelbſt, und fie ſtieg dann im Finſtern voran die Treppe hinauf. Sch. folgte dreiſt, keine Gefahr ahnend, und gelangte mit ſeiner Begleiterin in ein unverſchloſſenes Zimmer, worin die Türkin alsbald Licht anzündete. Auf einmal hörte Sch. vor der Thür ein Ge räuſch , ſie wurde geöffnet und Sch. erblidte einen großen , alten Türken mit finſterem Blide und einem Beile in der

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rechten Hand vor derſelben. Scy. hatte, wie ſchon angedeus tet , keine Waffen , blidte fich nad ſolchen um , fand aber nur eine ziemlich ſd were Feuerzange. Raſch verbarrikadirte er die Thür durch vorgeſchobene Tiſche und Stühle , nahm dann mit der größten Kaltblütigkeit das ſchreiende Liebchen in ſeinen Arm , ließ ſich mit ihr in aller Zärtlichkeit auf dem Divan nieder und wollte ſo die kurze Friſt ſeines Le

bens noch möglichſt angenehm hinbringen , indem er nicht hoffen konnte , lebend aus dieſem Hauſe zu entfommen. Während dieſer zärtlichen Umarmung rumorte es gewaltig am Eingange und es war klar , daß der wüthende Haus herr ſie zu ſprengen verſuchte. Nun beſchloß Sch ., doch einen etwa möglichen Rettungsverſud) zu wagen ; er blidte

aus dem Fenſter hinab , allein die Höhe war zu bedeutend, der Boden außerdem mit Mauertrümmern bedeckt, ſo daß ein Sprung ſicheren Tod gebracht hätte. Aber Noth bricht Eiſen , ſagt das Sprüchwort, Sc. fand und zerriſ Bett tüder , knüpfte dieſe aneinander und wollte ſich an dieſen von der Höhe hinablaſſen .

Aber ſiehe da, eine neue Sdywierigkeit: vor dem Fen ſter befand ſich, wie gewöhnlich, ein feſtes Gitterwerk. Dies mußte erſt zertrümmert werden , wurde aud) glüdlid zer trümmert , und Sch. entkam in dem Augenblicke aus dem Zimmer , als der grimmige Gegner daſſelbe betrat. Als dieſer den Vogel ausgeflogen ſah , warf er ihm das Beil in den Hof nadı, welches den Flüchtling aber glücklicher Weiſe nicht traf. Aus dem Hofe kam Sch. als geſchickter Turner über den Thorweg ſehr leidyt und glüdlid) hinweg

und eilte über den finſtern Kirchhof zurück, wo er noch mehrmals , wiewohl ohne beſonderen Schaden , in verfallene Gräber ſtürzte.

Aller Gefahr war er indeß noch nicht entronnen, denn als er ſich den äußern Häuſern der Stadt näherte , ward er von ganzen Sdaaren hungriger Hunde , die bekanntlid 4

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nur in der Nacht ſehr bösartig und gefährlich ſind, attaquirt. Auch hier konnte Sch. ſich nicht anders als mit Steinwür fen vertheidigen , was ihm mit Mühe gelang , bis er end lid) eine türkiſche Wache erreid)te , bei welcher er bis zum

Tagesanbruds verweilte und dann in's lager zurüdfehrte. Ein leichnam fonnte kaum bleider ausſehen , als Sd). in

Folge dieſer verſchiedenartigen , wenn audy ſiegreich beſtan denen Unfälle.

Während die deutſdı- engliſdie Legion ſich, wie mehrfach erwähnt, in der Kaſerne vor Kululee befand , war ein

Theil derſelben ſtets in einem Zeltlager einquartiert. Dies Lager befand ſidy am Abhange eines hohen Berges , welcher bis an den Bosporus grenzte. Am Fuße deſſelben Berges

befand ſich, von dem erhöhten Lager aus ſichtbar, ein Ha rem mit ſchönen Gärten , in denen die dönen Türkinnen

täglid, unverſd; leiert ſpazieren gingen. Sehr bald madyten ſidy die lauernden Offiziere den Holden burch Winfe und Zeichen bemerflidy. Der Eigenthümer des Harems , ein

Paſdha , war kurze Zeit vorher geſtorben und hatte keine nahen Erben hinterlaſſen .

Darum hielt es nidyt lower,

turd Beſtechung der Wädyter mit den vereinſamten Weibern in nähere Berührung zu kommen , denn jeden Freitag (tür kiſdier Sonntag) gingen oder fuhren ſie nad; einem ſehr (dyönen Thale , wo die Offiziere zum Vergnügen nach der

Sdyeibe ſdoſſen und wo gleidyzeitig die Muſikcorps ſpielten. Dieſes Thal , ein ſchöner ; grüner Wieſengrund , ward von

zwei hohen, ſteilen Bergen bis zum Bosporus begleitet ; am Fuße des Berges auf der redyten Seite floß ein ſanfter Bad, dahin , der ſich in den Bosporus ergoß. Auf dieſem Platze befanden ſid) Zelte für Erfriſdungen. Die Difiziere unterhielten fidy durd Beiden und Geberden mit den dyö nen Türkinnen, bis man , um fid; einander verſtändlider zu maden, einen Dolmetſdyer annahm . Bald fam es ſo weit,

daß man auch von der Mauer der Lagerſeite her oft mit

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ihnen in vertraulicheren Verkehr trat. Aber auf einmal hörte das zarte Vergnügen auf. Einſt famen nämlich die Holden , von den þanufen beobachtet, nach dem vorbezeich neten Vergnügungsplate. Hier näherten ſich mehrere Offi ziere der Wagenthüre , um , wie dies ſchon üblid war , mit ben Schönen Bonbons auszutauſchen. Die Hanufen ſtan =

den , da ihr Kopf bei dieſem Spiele ſehr gefährdet war, immer große Angſt dabei aus. Mehrere Offiziere hielten ſich diesmal einige Schritte von dem Wagen entfernt , als auf einmal eine der Frauen einen koſtbaren Schmud , ein reid) mit Diamanten beſetes Armband , in die Mitte der Offiziere warf. Natürlich wurde der Sdymud ſofort zurück= gegeben.

3eßt jagte der Stutſder auf Befehl der Hanufen

davon , worauf ein allgemeines Gejdyrei der vier Frauen und lebhafte Winke erfolgten , wahrſcheinlid, um uns anzu :

deuten , daß wir ſie vor dem ihnen bevorſtehenden ſdhref= lichen looſe ſchützen mödyten. Allein es ließ ſidy von un ſerer Seite nichtë thun ; was mit den armen Geſqyöpfen geſchehen , konnten wir aller Beſtedungen ungeadytet nicht

erfahren , nie haben wir wieder das Geringſte von ihnen geſehen oder gehört.

Auch kamen ſeit dieſer Zeit ſelten

andere türkiſche Frauen zu dieſen Vergnügungen, und hielten ſich dabei ſtets in großer Entfernung von uns. Wahr fdheinlid) geſchah dies auf ausdrüdlichen Befehl der türfiſden Behörde.

Die Offizier - Zimmer in der Kaſerne befanden fidy in dem allerſchlechteſten Zuſtande ; die Kaſernen : Verwaltung im Orient iſt keine preußiſche, denn die Fenſter hatten zer

trümmerte Scheiben und an den Thüren waren nur die Stellen dageweſener Schlöſſer wahrnehmbar ; an Ratten, Mäuſen, Scorpionen und dergleidyen Ungeziefer war Ueber fluß. Da nun ſicherer Verſchluß nid) t möglich war , mein Diener in meiner Abweſenheit aber nid )t immer dort ſein

konnte, ſo wünſdyte ich zur Bewadıung meiner Effecten einen 4*

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wadyſamen Hund.

Hunde gibt es nun zwar maſſenhaft

im Orient , allein dieſe ſind ihrer Trägheit wegen völlig unbrauchbar; nur im Innern von Klein - Aſien wohnt eine muntere, bösartige Raçe von Hunden , und ich befahl mei

nem Diener , mir einen ſoldien zu verſdyaffen . Dieſer be gab ſich in eine Art türkiſdes Dorf, und fand wirklich einen folchen geeigneten Hund, der einem armen Türken angehörte. Da mein Burſche weder Türkiſcy, nody der Türke Deutſch

verſtand , ſo war es jenem nur möglid), fid dieſem durch Seiden verſtändlich zu madyen , daß er den Hund zu unſrer Kaſerne bringen ſolle. Zufällig ſpielte gerade ein kleiner, ſechsjähriger Knabe mit dem Hunde.

Am folgenden Tage ſtellte ſich der Verfäufer auch wirklich ein , brachte aber , ſtatt des Hundes , den Knaben, der ziemlich gut ausſtaffirt war. Da ich nun gar nicht verſtand , was der Türke wollte, ließ ich den Dolmetſcher kommen und erfuhr zu meinem Erſtaunen , daß mir der Knabe verkauft werden ſollte und daß der Türke auf der

Annahme deſſelben beſtehe. Meine Kameraden lachten , und

ich fragte nach dem Preiſe des Knaben ; der Vater forderte zwei Pfund ( 13 Thlr. 10 Sgr.) , verweigerte durchaus die Zurüdnahme des Knaben , indem er auf die Kleider hins

wies, für weldie er Geld ausgegeben, und wollte , den Kna ben zurüdlaſſend, ſich entfernen.

Auch dieſer wollte die

Stube nicht mehr verlaſſen. 3d zahlte die geforderten zwei Pfund , der Verkäufer entfernte ſich ſchnell, ohne auch nur Abſdýied von ſeinem Söhndien zu nehmen . Hierauf über gab ich den Knaben dem Feldwebel der Compagnie , der ihn für meine Rechnung militairiſch einkleidete , verpfleg te und beſoldete. Der junge Zögling zeigte ſich ſehr anſtellig, lernte bald die deutſche Sprache , machte den Soldaten vie

len Spaß , ſtellte ſich immer auf den linken Flügel der Compagnie , fand ſich bei den Compagnie - Signalen , beſon ders dem Signal zum Eſſen, ſehr pünktlich und regelmäßig

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ein, grüßte Ober- und Unter: Offiziere in ganz militairiſcher Weiſe, und machte ſich bei Aden ſehr beliebt. Zum Scherz

trug er alle von Zeug aufgenähte Orden des Brigade Commandeurs, vor deſfen Thür er bisweilen ſcherzhafter weiſe Schildwacht ſtehen mußte, da er mit vollſtändiger Ar matur (en miniature ) verſehen war.

Erſt ſpäter erfuhr idy, daß die Türken außer ihren Frauen ſich audy Knaben halten , die ihnen den Sdyibuk ( türkiſche Pfeife ) nachtragen und Schibufier genannt werden. Hierzu werden gewöhnlich die jungen Hanuken , denen man

die Bewachung der Frauen noch nicht anvertrauen kann, verwendet. Auch kam es bei der Rückkehr der Armeen aus der Krim täglich vor , daß die deutſdien Legionaire von den

türkiſchen Soldaten ähnlidie Zumuthungen erfahren mußten, wobei aber mancher Türke eine tüchtige Tradit Prügel da= von trug.

Ungeachtet der Knabe beliebt und mein Eigenthum war , wurde es mir bei der Rüdfehr der Legion dennoch niçit geſtattet, ihn mitzunehmen. Id verídyenkte ihn daher, da id) den Vater nicht wieder aufzufinden vermocyte , an

einen reichen Griechen. Später, als ich nach Conſtantinopel zurückkehrte, beſudyte ich den Griechen , fand den Knaben noch vor, und da ich mit dem Inſtructeur der dortigen tür

kiſchen Kriegsſchule, Oberſt Grünewald, früherem ſchleswig holſteiniſdien Offizier, befannt war , ſo gelang es mir, mei nen ehemaligen , überzähligen , jungen Legionair bei der dortigen Kriegsidule unterzubringen, und id) hatte bei meiner Rüdfehr von den Tſcherkeſſen das Vergnügen , viel Gutes von dem jungen Menſchen zu vernehmen. Durch den Knaben , welcher, wie idyon erwähnt , Ver

anlaßung zu vielen Scherzen gab, erlebte id) übrigens nodi einen Spaß ganz eigenthümlicher Art. Eine beſondere Neigung zu ihm faßte nämlid) ein alter Militair. Er be

ſchenkte ihn häufig , um ihn ſich zu verpflichten und ihm

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eine beſondere Neigung einzuflößen. Doch es hat halt Alles einen Zweck, und man höre , wie tiefblicend der alte Haudegen, der übrigens einen ſehr ehrenwerthen Charakter beſaß, ſpeculirte. Es iſt nämlid in der Türkei meiſtentheils Sitte, die Mädchen bis zu einem gewiſſen Alter im Knabencoſtüm

umherlaufen zu laſſen. Da nun mein Knabe keinesweges ganz gewöhnlicy war , übrigens auch etwas zierlich Einneh mendes beſaß , jo hoffte der alte Soldat immer im Stillen,

daß einſt aus dem wilden Jungen plößlich eine zahme Jungfrau erſtehen werde. Und wie er nun er bekannte mir dies cffen immer eine kleine , beſcheidene Neigung für das andere Geſchledyt beſaß, ſo wollte er ſich die Puppe

warm halten , damit ihm der Schmetterling nicht entwiſchen könnte.

Als er nun aber ſah , wie ſeine Geliebte auf der

Striegsidule nad) und nach eine tiefe Tenorſtimme befam ,

auch um Mund und Wangen die erſten Kennzeichen eines mannbaren Jüngling& feimten , da mußte er mit tiefem Sdmerze den Glauben an die gehoffte Metamorphoſe auf geben.

Nun war ja audy gleichzeitig für ihn alle Hoff

nung geſtorben , jemals eine türkiſche Jungfrau an ſein Herz zu drücken , denn die Harems ſind für den Fremden ewig verſdiloſſen , und es gilt ein Leben , durch die Gitter

fenſter des Konaks in das Heiligthum einzubringen. Sonſt aber iſt von der ganzen türfiſchen Frauenwelt nicht zu ſehen und zu haben , als die türkiſchen Weiber der untern Klaſſen , die aber am nützlichſten dazu verwendet werden fönnten , ſie auf die Felber hinzuſtellen , indem dann die Saaten ſtets von den Vögeln verſdont blieben.

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Capitel 5. Rüdkehr der Legion nach England. Eine Griechin als Brigade Paſſagiergut. Blücher und Wellington. Verlegenheiten im Frieden . Lockerung der Disciplin . Smprovifirte Beluſtigungen der legion. Project der Cap - Legion.

Die politiſchen Conjuncturen hatten ( djon längſt auf gehört , bedrohlich zu ſein , die Geldmänner hatten wieder freier aufgeathmet und die Friedensgerüchte waren ſo lange durch alle Zeitungen und durch alle Gemüther gegangen, daß ſie ſchon beinahe wieder vergeſſen waren. Die deutſch engliſche Legion verkleinerte ſid) mehr und mehr. An Feind ſeligkeiten, auf die man vergebens gewartet hatte, war keine8=

wegs mehr zu denken, die Vermuthungen und Erwartungen, daß Vieles nur Maske ſei , gingen nicht in Erfüllung.

Omer Paſdja hatte längſt ſeine alten Pläne aufgegeben, deshalb die plötzlich ſich überſtürzenden Contreordres. Die abgehenden Truppenzüge wollten kein Ende nehmen ; es war ein impoſanter Anblid , ein recht lebendiges Bild in allerlei Geſtalten.

A18 ſämmtliches Kriegsmaterial aus dem Oriente zu rüdgeſchafft war, wurde auďı der Reſt der deutſdi-engliſchen Legion nach England auf dem engliſden, berühmten Sairau bendampfer Himalaya ," welcher 2000 Mann transportiren konnte , eingeſdrifft. Der lette Theil dieſer Truppen war bas dritte und ein Theil des erſten leidyten Infanterie

Regiments , welcher eine Zeitlang in Varna detadhirt gewe ſen war , ſo wie einige zum Brigade-Stab gehörige Mann ſchaften. An Bord deſſelben Schiffes befand ſich auch der

engliſche General Mansfield mit ſeiner jungen Gemahlin, einer Enkelin des berühmten Herzogs v. Wellington , die er in Conſtantinopel während des Krimfeldzuge geheirathet

hatte , und einem halbjährigen Tödyterchen.

Bei dieſem

Kinde befand ſich eine engliſche Amme und außer dieſer

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durfte vorſdriftsmäßig nur eine Marketenderin an Bord des Schiffes ſich befinden. Nun aber wünſchte ein eng

liſcher Profoß-Sergeant, der mit dem Verladen der Militair Effecten der Brigade beauftragt war , eine ſchöne, junge

Griedhin heimlich mit an Bord zu nehmen. Dieſe Sache hatte ihre großen Sdywierigkeiten. Eine Verkleidung hielt er für unthunlid ), da eine folde und deren Entdeckung ſchon

dageweſen war , er verfiel alſo auf den Ausweg , die ſchöne Griechin in einer Tonne unter der Bezeidinung : ,,Brigade Paſſagier - Gut“ zu verſtecken. Nachdem dieſe an Bord des Schiffes gebradyt war, ließ er ſie auf dem Verdede bei Seite ſtellen , damit ſie nicht im unteren Schiffsraum ver

laden würde, er ſelbſt aber mußte an Bord die Einſchiffung der Effecten beſorgen. Unterdeſſen aber wurden auch die Mannſchaften eingejdsifft, und da nun jene Tonne im Wege ſtand, fo befahl der Sdhiffs -Offizier unglüdlider Weiſe, die Tonne mit der Griechin unter Deck zu bringen .

Dieſem

Befehle wurde von den Matroſen ſofort genügt und da dieſe bekanntlich mit ſolchen Bagageſtüden nicht ſehr glimpf= lich umgehen , ſo modhte die ſchöne Griechin einige Contu fionen erhalten , die ihr ſchmerzhaft waren , und ſie rief deshalb in halbgebrochenem Engliſch : „ I'am pain " (e8 fymerzt).

Hierdurch entdecten zwei Matroſen, daß ein weibliches Weſen in der Tonne ſei , ſie öffneten dieſelbe , zogen das

ſchöne Mäddyen heraus und verbargen ſie in ihrer Kajüte, welche ſie feſt verſdiloſſen , während ſie die leere Tonne an Drt und Stelle braditen und mit recht vielem Gepäc ab ſichtlid) verbeten . Später , naddem die ganze Verpadung und Einſdiffung vollzogen war , kam aud) jener Profoß= Sergeant an Bord , fand zu ſeinem Schreden die mehr erwähnte Tonne nicht mehr an ihrer Stelle , und erfuhr,

daß ſie unten im Sdiffsraum verpackt, und es unmöglicy ſei, ſie hervorzuholen. Er war um ſo mehr in Verzweiflung,

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als er wußte , daß die Griechin ohne alle Lebensmittel ge Doch mußte er vorläufig ſchweigen und die Sache gehen laſſen. Schon hatte das Schiff die Anker gelichtet und war

laſſen war.

bereits zwei Tage in See , als der Offizier du jour bei der Viſitation vor der Thür der Matroſen - Kajüte Laute pernahm , die offenbar von einer ſeekranken weiblichen Ber fon herrührten. Er machte hiervon beim Capitain die

pflichtmäßige Anzeige, und nun erfolgte zu allgemeinem Er

ſtaunen die Entbedung der Griechin, von der Niemand wußte , wie ſie an Bord gekommen war. Sie ſelbſt wies,

als ſie darüber befragt wurde, auf eine Tonne hin, woraus ſich aber Niemand vernehmen konnte. Es ſollte nun eine allgemeine Unterſuchung ſtattfinden, ehe dieſe jedoch geſchah,

ſtellte ſich der Profoß - Sergeant , legitimirte ſich als Eigen thümer dieſer Contrebande und reclamirte ſie als ſein Eigen thum, indem er dabei ſagte, daß das Mäddyen fdyon längere

Zeit ſeine Geliebte ſei , was auch allgemein bekannt war, und er ſie zu heirathen beabſidytige. „ Gut,“ ſagte der Capitain, „ Du ſollſt ſie haben, jedoch

nicht eher , als bis wir England erreicht haben ; bis dahin bleibt Ihr getrennt." Nun begab ſich aber Folgendes. Als das Schiff in Portsmouth gelandet war , wurde die

ganze Mannſchaft ausgeſdifft , in Zeltlagern einquartiert und dem Sergeanten ſeine Griechin zu ſofortiger Heirath überwieſen .

Da nun von Seiten des Regiments der ge

ſeßliớye Heirathe - Conſens herbei gebrađịt werden ſollte, ſtellte ſich heraus , daß unſer verliebter Sergeant bereits verheirathet und Vater dreier Kinder war. Nun fand nas türlich eine polniſche Eheſcheidung ſtatt und das arme Mäd dhen mußte ſich entſd ließen , mit einem rührenden Abſchied von ihrem Geliebten auf einem engliſchen Transportſdyiffe nad Conſtantinopel zurückzukehren .

Ich füge hiernad; ergänzend und beiläufig hinzu , daß 1

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der Brigade - Stab und das zweite Regiment der deutſch

engliſchen Legion auf dem Bremer Schiffe „ Hanſa ,“ welches die Engländer während des Krim-Feldzuges als Transport ſchiff gemiethet hatten, kurz vor uns, und zwar dieſes Mal

in einer ſehr glüdlichen Fahrt , nach England zurüdgekehrt war.

So befand ſich alſo die ganze deutſch - engliſche Legion wieder auf Alt - Englands Grund und Boden , nämlich ein

Theil derſelben im Zeltlager Camp-Brown-Down , der In fel Wight, der Sommerreſidenz Ihrer Majeſtät der Königin von Groß - Britannien gegenüber , ein anderer in Alderſhott, und der dritte in Colcheſter. Dieſer leştere beſtand aus dem erſten Säger = Corp8 , in welchem damals ein gewiſſer

Offizier Blüder, aus dem Medlenburgiſden gebürtig, ftand, der ſich als Gemeiner in Helgoland hatte anwerben laſſen. Sein Name, vorzüglich aber eine ungewöhnliche, ſprechende

Aehnlichkeit mit dem alten, hodyberühmten General Vorwärts, dann auch wirkliche Tüchtigkeit, verfchafften ihm bald den Rang eines Offiziers in der Legion. Hier fand nun folgendes merkwürdige Zuſammentreffen ſtatt. Zu Colcheſter befindet ſich eine bekannte Irrenanſtalt, die von Fremden ſehr häufig beſucht und beſchenkt wird. So war unter Andern auch der Sohn des berühmten Her

30g8 von Wellington , Vater der früher erwähnten Genera lin Mansfield , daſelbſt geweſen , und hatte ſeinen Namen in das vorgelegte üblidye Fremdenbuch mit einem Geſchenke von 50 Pfund verzeidinet. Scherzhafter Weiſe ermunter ten die Kameraben unſeren Blüdyer aud), die Irrenanſtalt

zu beſuchen , und ſeinen Namen zu dem Wellington's zu zu ſetzen. Dies that Blücher , klamnierte beide Namen ein, ſchloß aber die 50 Pfund von der Klanımer aus, und ſchrieb dem Herzoge v. Wellington, daß er die Anſtalt beſucht und nun zu ſeinem Vergnügen die beiden Namen „ Wellington

und Blücher" nody einmal vereint geſehen , ſie auch einge=

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klammert, die 50 Pfund des Herzogs v. Wellington aber ausgeklammert habe , da er ſich leider nicht in der Lage be

funden , eine ähnliche Freigebigkeit zu gewähren. Der Her zog v. Wellington , der unſern Blücher unzweifelhaft für einen Neffen oder ſonſtigen Verwandten des berühmten preußiſchen Feldmarſdyalls hielt, und wahrſcheinlich aus dies ſem Grunde bei der bevorſtehenden Auflöſung der Legion etwas für unſern Blücher zu thun bereit war , ſchrieb recht

freundſchaftlich und artig zurück , daß auch ihm die vorbe merkte , wiederholte Vereinigung der Namen Blücher und Wellington ſehr angenehm geweſen ſei, und daß er zu wiſſen wünſche, womit er ihm vielleicht gefällig ſein könne. Blücher ſchrieb hierauf , von ſeinen Kameraden dazu veranlaßt , er befinde ſid für den Augenblick in Verlegenheit und könne 100 Pfund gut verwenden.

A18 hierauf die Antwort meh

rere Tage ausblieb , ſchrieb Blüdyer abermals an den Her zog : „ Hätte Blüder ſo lange Wellington bei Waterloo warten laſſen, als Sie mich jeßt auf eine Antwort, fo würde Nun ſandte der Herzog es ihm dhledyt ergangen ſein . " V. Wellington an Blüder ſehr bald die 100 Pfund.

Dieſes merkwürdige Zuſammentreffen wurde damals in allen engliſchen Blättern mitgetheilt , und Blücher als

der Neffe des Feldmarſchalls bezeichnet. Dieſer Bezeidhnung gab die Cölniſche Zeitung ein öffentliches Dementi , da der Marſdall Blüdyer einen ſolchen jungen Neffen nicht habe und auch zur Zeit gar nicht gehabt haben könne. Hierauf machte unſer Blücher wiederum bekannt, daß er ſich auch niemals für einen Neffen des Feldmarſchalls v. Blücher ausgegeben habe, daß er aber weder dafür könne,

ein Namensgenoſſe deſſelben zu fein, noch dafür , daß er jo außerordentliche Aehnlichkeit mit demſelben befäße. Unſer Blücher trat übrigens nach ſeiner damaligen Verabſchiedung

in holländiſdie Dienſte und ging mit nach Java.

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Was mit all' den Menſchen anfangen, die nun wieder dahin zurückgekehrt, wo ſie hergekommen waren ? Dieſe

Frage beſchäftigte wohl nicht blos den Staatsmann , der mit forgenvoller Miene fein ſchweres Daſein erträgt , auch nicht blos den Krieger ſelbſt, der ſich ſo recht die Frage vorlege : mußte, wozu er denn nun eigentlich da ſei , da es ia jetzt keine Menſchen zu ſchyladyten gab , ſondern auch un wilfürlich Jeden, der ſich von ungefähr dem Bienenſdywarm der Lager näherte. Der Krieg war ſo civiliſirt geweſen, fich freundſchaftlidiſt zu entfernen, und die muthigen Mannen

ſahen ihm traurig nach. Jegt galt es ein Stücdden Staats weisheit , all' dieſe Leute zu beſchäftigen. Müſſiggang iſt aller Laſter Anfang, und die liebe Göttin Langeweile erzeugt

oft viel unnütze, ja zuweilen ſogar ſtaatsgefährliche Dinge. Man frage nur Louis Napoleon ; er beſchäftigt fortwährend ſeine Leute, er findet immer neue Novellen für ſeine grande nation , denn ſie könnte fonſt leidst, wenn ſie in Ruhe lebte, zurückdenken , wie ihr Kaiſer staiſer geworden iſt. Freilich, um Attentate konnte es ſich im Lager der engliſchen Legion nicht handeln ; die Meiſten hatten ſich ſchon unbewußt das englifdie Phlegma angeeignet , und die türfiſden Sitten konnten Niemanden ein ſanguiniſdyes Temperament mitgeben. Einige hatten ſogar ſchon eine nicht unbedeutende Fertigkeit im Sißen mit untergeſd lagenen Beinen erlangt, fie gefielen fich ſehr in dieſer Stellung, und es tam ihnen gar nid)t darauf an, ſo ſtundenlang ihre Sdhibuks, oft mehrere Ellen lang, zu rauchen , ohne auch nur ein Wort zu ſprechen. Aber die Leute mußten body nady Auflöſung der Legion irgendwo bleiben , und dies war feinesweges gleichgiltig.

Da war nun der Einfall zur Cap -Legion ein ſehr geeigneter. Die Bildung dieſer Legion wurde alsbald befohlen und jetzt begann die Anwerbung. v. Stutterheim war aud) zur Bil

dung , reſp. Anwerbung der Cap -Legion beauftragt. Er hatte mit dem Cap -Gouvernement einen Contract abgeſd loſſen ,

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12,000 Mann zu liefern , mußte jedoch froh ſein , daß er

überhaupt nur noch 1500 Mann erhielt ; denn die Bedin gungen waren keineswegs günſtig, und nicht einmal ſo gün= ſtig, wie ſie wohl eigentlich hätten ſein können *) . Bei jeder Compagnie der Legion (die Legions-Compagnien waren 100 Mann ſtarf) befanden ſich 3 Offiziere, und v. Stutter heim hatte bei der Cap-Legion die Compagnien 250 Mann

ſtark eingerichtet, wozu ebenfalls nur 3 Offiziere gehörten. Wenn nun alſo wirklich 12,000 Mann nach dem Cap ge= gangen wären , ſo hätte doch eine Maſſe Offiziere zurüd

bleiben müſſen. Es war aber eigenthümlich, daß , wo die Offiziere der Compagnie ſelbſt nicht mitgingen , ſich jämmt liche Leute hierzu nicht entſ(ließen wollten. Ich war das

mals Compagnie - Chef der dritten Compagnie des dritten leichten Infanterie-Regiments , und hatte den Auftrag , eine namentliche Liſte derjenigen Peute, welche nach dem Cap der guten Hoffnung mitzugehen beabſichtigten, einzureichen. Zu dem Behufe hatte id) meinen Feldwebel beauftragt , die

Compagnie hiervon in Kenntniß zu feßen , und würde ich Nachmittags die Leute antreten laſſen ; ſie möchten ſich das während der Zeit überlegen.

3m Allgemeinen waren übrigens die Leute ſchon mit

der Sadhe bekannt gemacht, denn Aden waren bereits die nähern Bedingungen und genaueren Nadyrichten über die Be

daffenheit des Landes u. 1. w. vom Major Hoffmann, Adjutant beim General - Major v. Stutterheim , vorgeleſen. Dieſer war ſelbſt nach dem Cap geſchickt worden und hatte im Namen v. Stutterheim's mit dem Gouvernement unter handelt. Keiner konnte einen vollſtändigen Blick in ſeine Zukunft thun. *) Auf die Verwendung der Cap - Legion und deren Thätigkeit auf dem Cap, auf ihre fernere Verwendung und ihr endliches Verbleiben komme ich ſpäter zurück.

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Meine Compagnie nun wollte, ehe ſie ſich entſchloß, erſt wiſſen , was idy thäte.

Um hierüber Auskunft zu er

halten , hatten ſich die Leute erſt ſubordinationsmäßig an

den älteſten Unteroffizier gewendet und dieſer an den Feld webel , um ihm die Sadie vorzuſtellen. A18 nun mein Feldwebel zurüdfam , ſagte er mir , er ſei beauftragt, midy zu fragen , ob auch ich nadi dem Cap ginge. Id hatte

hierzu allerding8 keine Luſt , indem icy beabſichtigte , in tür fiſche Dienſte zu treten.

Die Stunde des Nachmittag8 - Appells fan heran , die Corporalſchaften waren angetreten , ich ließ im Kreiſe redyt8 und links idywenken und erklärte meiner Compagnie, da ich bereits eine andere Exiſtenz im Auge habe , ſo könnte ich nicht mitgehen nach dem Cap , es möge ſich aber dadurch Niemand von dieſer Sadie zurückhalten laſſen. Hierauf

antworteten die Leute , ſie würden nur dann gehen , wenn auch ich mitginge , und ſo trat audy nidyt ein Mann von der Compagnie in die Cap-legion ein ; ſo war es faſt bei allen Compagnien .

Wenn id; vorhin ſagte , daß nur 3 Offiziere für die Compagnie zu 250 Mann berechnet waren und ſomit eine große Anzahl von Offizieren zurückbleiben mußte, ſo habe ich dies noch dahin zu modificiren , daß auch die Uebrigen nicht zurückzubleiben braudyten ,

. 1. wenn ſie als Cadeta

Gentleman mitgehen wollten. So wurden nämlich diejeni= gen genannt, weldie nicht im activen Dienſt der Cap-Legion

ſtanden , ſondern mehr auf Acerbau und Wirthſchaft ange wieſen waren , wozu ihnen land gegeben wurde. Aber wie

Viele waren dieſer , die dazu Luſt hatten ? Bauer fann man auch in Deutſdıland werden , dazu braudyte man nid)t erſt nady dem Cap zu gehen. Die rauhen Krieger hatten ſich in die Welt geworfen, um Helden zu werden, ein idyl liſches Stillleben behagte ihnen eben nicht.

Von den drei Hauptlagern der ganzen engliſchen Legion

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war das in Camp-Brown-Down, Wight gegenüber, der

Sammelplatz für die Bildung der Cap-Legion. Seit der Rückfehr aus dem Morgenlande hatte der regelmäßige Dienſt

längſt aufgehört. Es wurde nicht erercirt, Wadyt- und Felbdienſt gab's auch nicht, und es fonnte ja auch von eigentlichem Dienſt jetzt gar keine Rede ſein, da ſämmtlidie Militairs zu ſehr die Bildung der Cap-legion beſchäftigte, und durch die Anwerbung doch viele Unregelmäßigkeiten ent ſtanden wären. Unter dieſen Umſtänden konnte es nicht fehlen, daß die Leute übermüthig wurden ; ja auch die Bande der Subordination fingen dadurch, an loſer zu werden. Da man vor lauter Langeweile gar nid)t wußte, was man an fangen ſollte, und der Menſch von Natur gewöhnlich, wenn er nichts zu thun hat, am liebſten fid, mit dem beſchäftigt, was er gern hat, ſo war alles Denken und Traditen nur darauf gerichtet, fid red;t viele Vergnügungen zu bereiten.

Man verfiel dabei auf die allerdrolligſten Einfälle, und es durfte nie an Stoff zum Lachen fehlen. So weit war es ſchon nach kurzer Zeit gefommen, daß ein großes Zelt auf geſchlagen war, wo von Morgens früh bis Abends ſpät ge tanzt wurde. An Tänzerinnen fehlte es nicht; es gab deren mehr als Jungfrauen. Der Soldat liebt ja überall, andere

Städtchen, andere Mädchen, und London lieferte eine Maſſe,

die ſich nicht lange nöthigen ließen. Die Legion konnte mit Recht fingen : Ein freies Leben führen wir. Zwar waren ſämmtliche Muſifcorps bis auf eine aufgelöſt , aber das that nichts, man wujte ſich zu helfen ; es wurde Privat-Muſik gepacytet. Das Lager war unbedingt des Anſehens werth, und es wegte audy ſtets von Zuſdauern.

Täglich wurde

es von vielen Engländern beſudyt, beſonders Sonntags ; aud Vornehme, ja höhere Herrſdiaften kamen, um ſich das Leben und Treiben anzuſehen.

Eines Tages, als ein ganz beſonders munteres Leben im Lager war, fand unter ſtarkem Regen eine Luſtbarkeit

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ganz eigenthümlicher Art ſtatt, die vieles Gelächter erregte. Es befand ſich nämlich unter den Leuten ein ehemaliger Advokat, der weiter nichts als Gemeiner war. Man wun dere fich übrigens hierüber nicht; es befanden ſich in der

Legion viele frühere Offiziere, ja ſogar deutſche, die es auch nicht weiter bradyten , ja nicht einmal Gefreite wurden , frei lich meiſt durch eigene Schuld. Dieſer Advokat war ein ſehr fähiger Menſch, und es war wirklich Schade un dies verpfuſchte Genie ; er wußte ſeine Kenntniſſe und ſeinen Wiß zur allgemeinen Heiterkeit ſehr gut anzuwenden . Vor Alem beſaß er eine wahrhaft bewunderungswürdige Fertig

keit, Al' und Jeden , und zwar auf das Sprechendſte, nach zuahmen . Eines Tages verkleidete er ſich, nachdem er ſich heimlich auf der Weide ein Pferd von einem Bauer losge=

gemacht, und fam plötlich als Oberſt Wooldrige (Brigade Commandeur) in's Lager geritten .

Er machte den General

in Stimme , Bart, Figur, überhaupt in der ganzen Erſchei nung , fo täuſchend ähnlich nady, daß anfangs Ieder glaubte, der Commandeur wäre es ſelbſt.

Es wurde plötzlich etwas

ſtiller, Alles ſtand ſtramm und honorirte ſeinen hohen Vor

geſegten . Dieſer formirte ſofort ein Bataillon und fing nun ein großes Ererciren an. Er nahm Ales durch und zeichnete wirklich den Brigade -Commandeur Wooldrige ſo treffend, wußte namentlich deſſen Eigenthümlichkeiten auf eine ſo poſſierlidhje Art hervorzuheben, daß des Lachens fein Ende So gab Wooldrige bei größerem Ererciren , da er war. nicht deutſch ſpracy, der Brigade englifdie Commando's , worauf dann deutſch nachycommandirt wurde . Auch dies ver

gaß der Pſeudo -Wooldrige, als ſolcher natürlich bald von Allen erkannt, nicht, mit einigen bezeichnenden Geberden wiederzugeben , wodurch der Effect nur um ſo größer wurde . Auch eine Attaque durfte nicht fehlen , die merkwürdigſte, die jemals auf der Welt gemacht worden , ſeitdem Saul 1000 , David aber 10000 geſchlagen hat. Denn als die Attaque

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beginnen ſollte, da wogte es mächtig von Kampfesluſt in den Seelen der blutdürftigen Krieger, und auch die, welche bis jeßt noch nicht am Exerciren Theil genommen hatten

und theils zuſehend umherſtanden, theils im Zelte ſaßen, ſtrömten nun herbei und ließen ihr Hurrah ertönen, ver gaßen jedoch, in der großen Begeiſterung, ihre Pfeifen, die fie rauchten, zurüd zu laſſen . Einige von ihnen hatten auch Schibuks orientaliſchen Andenkens im Munde, ſo daß dieſe Attaque einen nicht geringen moraliſden Effect auf den

Feind ausüben mußte. Und als nun das Bataillon in Linie baſtand, war es noch um ein viertes Glied, mit lan =

gen Pfeifen bewaffnet, herangewachſen. Sdíließlich wurde dann zum Parademarſch übergegangen ; kein Bühnenſtück kann dieſe Scene wiedergeben, ,,Wallenſteins Lager" bleibt

unſtreitig dahinter zurück. Die einzelnen Glieder bildeten eigentlich bunte Reihen, denn es hatte Jeder fein Liebchen im Arm , – ſo wurde vorbeimarſdirt.

Mancher alte Ror

poral hätte da wohl über die „Töchter des Regiments " die

Stirn gerunzelt und ihnen gern die Kniee durchgedrüdt, aber der Parademarſch war immerhin zum Anſehen, und >

jedenfalls war man ſo ziemlich „ im Tritt “ . - Pſeudos Wooldrige jah mit ziemlid gnädiger Miene die einzelnen Züge vorbeimarſchieren, und dien auch mit der weiblichen Garde, in Anbetracht, daß ſie noch Refruten wären, ſo einigermaßen zufrieden zu ſein, — doch da follte der Herr

General auf einmal ganz unangenehm geſtört werden. Denn es kam plöglich ein Bauer auf den Commandeur zu, und wollte denſelben, ohne Rüdſicht darauf, daß er jeßt gerade dienſtlich beſchäftigt war, rundweg vom Pferde werfen, in = dem er behauptete, daß dieſes ſein Pferd wäre, und man

es ihm nur von der Weide geſtohlen hätte. Es war auch wirklich ein ſtattlides Pferd, und lohnte ſchon einen Dieb ſtahl, es war nur etwas zu alt und beinahe ſelbſt für einen Sandkarren unbrauchbar ; anſtatt der Zügel hatte man ihm 5

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einen berben Strick untergeſchoben. - So ſchienen nun die

Freuden des Parademarches geendigt, denn der Comman= deur, die Seele des Ganzen, fehlte. Die geheiligte Perſon des Generals war unverzeihlich angegriffen, aber dennoch ſchien er Pardon geben zu müſſen, denn das Pferd glidy in der That dem des Bauers ebenſo, wie der Advocat a. D.

dem Pſeudo-Wooldrige. Der Streit wurde bald beigelegt, da der Parademarſd) gerade vor dem Zelte ſtattfand, wo die Offiziere ſpeiſten.

Nämlich, als der Bauer von der

Ehre, daß ſeine „ Roſinante " von einem General geritten wäre, durchaus nichts wiſſen wollte, erhob ſich einer von

den Offizieren, und gab dem Bauer zur friedlichen Beile gung des Streites eine Entſchädigung von drei Schilling (= 1 Thlr. pr. C.). Das Schauſpiel war auch dieſe Gratification wirklich werth, denn die Sache machte unge meinen Spaß. Ritter Pſeudo-Wooldrige hatte nun zwar

ſeinen Rappen verloren, doch das ſtörte feine gute Laune nicht, vielmehr fand er es für räthlich, da er ſeine Leute jetzt gerade beiſammen hatte, eine Anſprache an ſie zu halten . Er hielt daher eine Rede über die bevorſtehende Erpedition

nach dem Cap der guten Hoffnung, ſie war der ähnlich, welche der Major Hoffmann darüber officiell gehalten, um

die Leute zur Theilnahme an der Cap- Expedition zu bewe

gen ; ſie war ganz in demſelben Tone gehalten, nur traveſtirt. Hier ſah man erſt recht, welche Gewandtheit der ehemalige Advocat beſaß, denn er entwickelte eine wahrhaft ciceroniſche Beredtſamkeit. Mit guten Wortſpielen und allerlei treffen =

den Witzfunken forderte der Commandeur ſeine Leute auf, fidy Dody für die Cap-Legion anwerben zu laſſen. Er gab eine übertriebene Sdilderung der ſchönen Beſchaffenheit des

Landes, und machte darauf aufmerkſam , wie vortheilhaft die

Bedingungen wären. Das Kaffernland ſei die afrikaniſche ! Sdyweiz, ein land reiner Natur, das ſich von der Wüſte

Sahara unterſdeide wie Tag und Nad)t. Auch die Würze

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vom Ganzen fehle nicht, denn Jedem ſei es erlaubt, ſich ein Weibchen mitzunehmen. Er wolle fich weiter feine fritiſchen Aeußerungen erlauben, die Hauptſache ſei gute Behandlung, denn man thue nach der Beſdhaffenheit des Landes Ades, um ihnen den dortigen Aufenthalt ſo angenehm als möglich

zu machen.

Für die nöthigen Bequemlichkeiten ſei hin

reichend geſorgt, und die Paläſte, die ſie dort bewohnen würden, ſeien alle auf das Comfortabelſte eingerichtet. Die

Möbel verdienten wegen des Kunſtſinnes, mit dem ſie con= ſtruirt ſeien, allgemeine Bewunderung, z. B. feien die Stühle nad einem ſo vollkommenen Gleidigewidytsſyſtem gebaut, daß ſie nicht umfielen wenn man ſie mit der Lehne gegen die Wand ſtellte. Die Fenſterſcheiben ſeien ſo eingerichtet, daß

ſtets friſdie Luft einſtrömen fönne, und ſo würden ſie denn aud in den übrigen Stücken den Umſtänden nach recht gut

aufgehoben ſein 2c. z . Hiermit ſdylcß Wooldrige feine flaſ=

>

fiſche Rede und machte ſich eiligſt davon , um einen Augen blick darauf, in ſeiner Gemeinen -Uniform , feine wahre Rolle wieder aufzunehmen. Dies Toben und Lärmen nahm den ganzen Tag bis in die Nacht zum Zapfenſtreid, fein Ende, und ſolche Späße wurden täglich wiederholt. Während der Bildung der Cap Legion machten die auswärtigen Werber den Generalmajor von Stutterheim in ſeinem Unternehmen viel zu ſchaffen,

indem Buenos-Aires die ganze deutſche Legion als Coloniſten >

übernehmen wollte, und auch die holländiſden Werber dieſe Gelegenheit wieder wahrnahmen, die Leute für ſich zu ge winnen . So wußten denn eigentlid, die Werbecandidaten nicht, was ſie thun folten, auch Viele hatten beſondere

Neigung nach Buenos Aires. Es mußte endlich die eng= liſche Regierung einſdyreiten , und alle fremden Werbungen im Lande verbieten, bis Stutterheims Bentühungen ſich realiſirt hätten. 5 *

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Capitel 6. Shleunige Berheirathung der Cap - legionaire. - Heirathegeſude en gros . Trauung von vierhundert Paaren und Hymen feſt. Soldatenerceſſe und Schlägereien. Die Deutſchen in England. Weibliche Deſertionen in den Flitterwochen. Einſchiffung der Cap -legion .

Legion.

Schidſale derſelben.

Auflöſung der engliſchen Gaunereien . Abreiſe

von England.

Da nun den Cap-Legionairen eröffnet war, daß fie ſich nach ihrem Belieben aus den Töchtern des Landes eine Ehehälfte ausſuchen könnten, indem man zugleich verſprach,

dieſes liebe Angebinde ebenfalls zu verpflegen, ſo erhielt eine Anzahl zu dieſem Zwede den erforderlichen Urlaub ;

doch dieſe ganze Procedur war von manchem Unheil be gleitet. Fanden ſid, auch Mandie in dem freigebornen Eng= allerdings wohl nur der Auswurf ihres Geſchlechts,

land

ſo war die Anzahl derſelben dennoch keineswegs hin= reichend, um Ade zu verſorgen. Man mußte daher zu andern Mitteln greifen, freilich nicht den beſten, und ſo

wurden denn die Hamburger Nadiweiſungs-Bureaur beauf tragt, ſich um die Beſchaffung von Legionairinnen zu be mühen.

Es wurden in den Hamburger Blättern öffentlich

Dienſtmädchen und andere junge Damen, welche Luſt zur Auswanderung verſpürten, und nicht abgeneigt wären, in den Stand der heiligen Ehe zu treten , recht dringend auf gefordert, ſich „ vertrauensvoll “ zu melden. Hierbei wurde ihnen eine koſtenfreie Ueberfahrt zugeſidyert. Es fonnte wohl nicht fehlen, daß ſich Mädchen, freilich meiſt von der allerſchlimmſten Sorte, hierzu bereit erklärten,

und ſo wurden ſie denn ſchaarenweiſe von Hamburg nach England foſtenfrei in das Lager von Colcheſter transportirt. Wer die Koſten für dieſe Ueberfahrt bezahlt hat, iſt öffent lich nie bekannt geworden. In England angelangt, wurden

V

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die heirathsluſtigen, liebeglühenden Damen in die Tavernen geführt, wo die Legionaire ſtets verkehrten, und hier nun ohne weitere Umſtände die Herzensliaiſons angeknüpft, fofor tige Ehecontracte abgeſchloſſen und unmittelbar darauf fand die Copulation ſtatt. Der würdige ,,Seelſorger" war der

Brigade- Prediger der zweiten Brigade der engliſchen Legion. Hierauf wies man den neuvermählten Ehepaaren ein Braut gemach, reſp. Zelt an. Wohl gegen vierhundert Mann mögen fo in den Armen Hymens ihr Glück gefunden haben. Als jedoch die Sache rudybar wurde, erregte das un geſebliche Verfahren geredyte allgemeine Mißbilligung und den völligen Unwillen der engliſchen Einwohner, und der

arme Geiſtliche, der ſo viele Hunderte glüdlich gemacht, fah ſich genöthigt, in aller Stille und größter Eile Colcheſter zu verlaſſen. Als hierauf die Cap-Legion mit den Cape

legionairinnen fidh im Lager Camp-Brown-Down befand, waren dieſe in Zelten bis zu ihrer Einſchiffung einquartiert. Indeſſen dauerte es gar nicht lange, ſo mußte ein großer

Theil dieſer hoffnungsvollen Ehegattinnen, abgeſondert, ein eigenes dazu beſtimmtes Schiff einnehmen, auf welchem vier Schiffsärzte, der Beſchaffenheit der zarten Patientinnen ge mäß, ihre volle Arbeit hatten.

Auch war es Niemand,

außer den Aerzten und genannten Patienten, geſtattet, fidy an Bord des Schiffes aufzuhalten. Diejenigen Frauen, welche hergeſtellt waren und ihre lieben Ehegatten wieder beglücken fonnten, wurden bei Einſchiffung der Legionaire zugleich mit eingedifft.

Die ganze Zeit hindurch hatten ſich die ſämmtlichen Legionen gegen die Einwohner Englands nur muſterhaft benommen und nie Anlaß zu einer Klage gegeben. Eine ganz beſondere Erwähnung, wegen untadelhafter Führung, verdient die erſte Brigade der engliſch-deutſchen legion. Auch die Schweizer-Legion, welche auf ihrer Expedition nach der Krim nur bis Smyrna gekommen war, hatte ſich die ganze

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Achtung und Liebe der orientaliſchen Einwohner in vollem Maße erworben. Denn bei der Einſchiffung und Rückkehr nach England baten die Einwohner am Bosporus den commandirenden Offizier, in ihrem Namen den Leuten die vollſte Zufriedenheit über ihre Führung auszudrüden. Die Aufrichtigkeit dieſer Geſinnung der Drientalen beweiſt der

Umſtand, daß man ſtets die Obſtgärten unverſchloſſen ließ und trotdem kein Diebſtahl vorkam. Früher einmal hatte ein Dieb für eine Kirſche, die ihn verführt hatte, 50 Hiebe

erhalten. Dies war die geſetzliche Strafe für ſolche Ver gehen.

Bei der Bildung der Cap-Legion und Auflöſung der

übrigen kam es oft zu Erceſſen. Die Leute wurden unge= duldig, weil ſie keine Beſchäftigung hatten. Mit der Auf löſung zögerte man abſichtlich deshalb, weil man befürchtete, keine 12,000 Mann zuſammen zu bekommen. Dieje Unzufriedenheit ging endlid fogar ſo weit, daß Leute auf ihre Vorgeſegten ſchoſſen. Folgenden Vorfall führe ich hier nur an. Als ein Theil der Cap-legion von Colcheſter nach dem Sammelplag Camp- Brown Down per Eiſenbahn erpe dirt worden war, gerieth der Oberſtlieutenant von Haade *), der mit dem Transport beauftragt war, mit dem Lager

Commandanten Wooldrige in Wortwedſel. Wooldrige dice tirte dem Oberſtlieutenant 24 Stunden Stuben -Arreſt, und da er deſſen unmittelbarer Vorgeſetter war, mußte dieſer fich hierein finden. Saade befaß aber die Kunſt, feinen *) v . Haacke, preußiſcher Landrath, wurde darauf Major und Commandeur des 9. Schleswig-Holſtein'ſchen Infanterie-Ba: taillons, ſpäter Oberſtlieutenant und Commandeur des erſten leichten Infanterie -Regiments der engliſch -Deutſchen Legion. Hierauf wurde er bei der Bildung der zweiten Brigade der engliſch- deutſchen Legionen vom Orient abberufen und ihm

das Commandoderſelben übertragen. Schließlich ſtarb erauf dem Cap als Commandeur des zweiten Regiments der Caps. Legion.

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Soldaten mit Geſchick zu ſchmeicheln, und genoß deshalb die Liebe derſelben in vollem Maße. A18 dieſe nun ver nommen, daß ihr Liebling im Arreſt ſaß, machten ſie ſich

eiligſt gegen 9 Uhr Abends auf den Weg und pflanzten ſich vor der Wohnung des Oberſtlieutenants auf. Dieſer war nicht wenig erſtaunt, als Hunderte von Stimmen ihr ,,Vivat" ertönen ließen und unter lautem Geſdirei ſeine Freigebung

verlangten. Er erklärte, daß er feinen Stuben-Arreſt hätte. Dies half aber ſehr wenig, denn die ungeſtümen Poder wollten in dieſem Falle ſeinen Degen ſehen. Vergeben8

redeten die Offiziere den Leuten zu. Zufolge deſſen wurde Generalmarſch geſchlagen. Die Regimenter formirten ſich nach der Mitte in Colonne. 3egt erſchien auch Wooldrige,

welcher gegenwärtig das Commando über die Truppen im Lager hatte, und mit ihm Oberſtlieutenant Cameron, Com = mandeur des britten leichten Infanterie-Regiments der eng

liſch -deutſchen Legion, ein geborner Engländer. Wooldrige, der eine Anſprache an die Truppen halten wollte, verſtand

gar nicht deutſch. Cameron aber ſprad, einigermaßen deutſch, war aber ſonſt ohne jedes andere militairiſche Verdienſt, da er vom Dienſt gar nichts verſtand und mitunter die größten tactiſchen Böde ſchoß, auf deren Einzelnheiten ich mich, aus Rüdſicht für ſeine Perſon, nicht einlaſſen will.

Cameron, wie geſagt, ſpielte hier den Dolmetſcher, und gab das unverblümte Engliſh des Commandeurs in

kräftigem Deutſch wieder, wobei er wohl, als Fremdling in dieſer Sprache, nicht lange nach convenablen Ausdrüden

geſucht haben mag. Die Leute verſtanden aber keinen Spaß

und nahmen die engliſch -Deutſchen Kraftausdrüde eben nicht von der beſten Seite auf, und es fam daher ſo weit, daß acht Schüſſe auf dieſe energiſche Anſprache antworteten . Es

war aber zum Glück ſo finſter, daß ſie ihr Ziel verfehlten. Dennocy hielten es Wooldrige und Cameron nicht für an

gemeſſen, hier mit ungleichen Waffen zu kämpfen. Die

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beiben Ritter eilten in geſtredtem Galopp davon und ſuchten das Weite. Da die Offiziere keinen Ausweg wußten, fan den fie es für räthlich, die Truppen wieder einrüden zu laſſen, was die Leute auch ohne Murren thaten.

Ein eigenthümlicher Fall ereignete ſich in Gosport. Hier war ein Theil der Legion im Lager Camp-Brown Down ſtationirt, und da dies der Platz zur Einſchiffung der Cap- Legionaire war, ſo badyte man hier wenig an das Exercieren und lebte jo in dulci jubilo. Da Gosport nur eine Stunde vom Lager entfernt war, fo konnte es nicht

fehlen, daß die Leute täglich in die Stadt gingen und dem Gambrinus fröhnten. El lagen aber mehrere engliſche

Kriegsſchiffe im Hafen zwiſchen Gosport und Portsmouth, weshalb auch täglich zahlreiche Seeleute ſich in Gosport

ſehen ließen. Wer die engliſche Bor- oder Raufſuđít fennt, den kann es gar nicht befremden, daß es bald zu den tüd tigſten Prügeleien fam, und ſo mußten einmal die Ein wohner von Gosport läden und Thüren ſchließen, um nicht mit in die Schlägereien verwidelt zu werden. Die Sache war überhaupt nicht ſo unbedeutend, da

auf Seite der deutſchen Legionaire noch bas englifdie leichte

24. Infanterieregiment getreten war. Erſt als aus dem Lager bewaffnete Truppen requirirt wurden, nahm der Tumult ein Ende, von den Ruheſtörern aber war gleich

zeitig nichts mehr zu ſehen. Audy in Alderſhott kam es zu gegenſeitigen Reibungen zwiſchen Engländern und Deutſchen . Ein Theil der Legion und eine Anzahl engliſcher Truppen befanden ſich hier in Baradenlagern. Obgleich die deutſchen Legionaire viermal geringer waren als die Engländer, ſo wehrten fie fich doch tapfer gegen dieſe.

Da die Streiterei

bedenklich wurde und auch Mehrere ſchon verwundet und getödtet waren, ſo konnte man ſich nicht anders helfen, als Generalmarſch zu ſchlagen. Auch hierin zeigten die Deutſchen,

wie fehr ſie an Disciplin und Gewandtheit den Engländern

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überlegen find. Blitſchnell waren ſie beiſammen , während Leştere gar nicht zur Stelle gebracht werden konnten ; dies wurde auch von allen engliſchen Offizieren gebührend aner kannt und bewundert.

Solche Vorfälle mußten natürlich ein ſchlechtes Licht auf die deutſche Legion werfen, die ſich ſonſt bisher brav und muſterhaft geführt hatte.

Auch andere legionen ſchredten ebenfalls vor derarti gen Ausbrüdyen von Rohheit nicht zurüd.

So waren in

Malta Leute aus der italieniſden Legion auf offener Straße

mit dem Meſſer auf Bürger losgegangen. Audy iſt mir ein Fall bekannt, wo ein Sdweizer-Regionair nicht nur ſeine eigene Geliebte, ſondern auch deren Sdjweſter in einem Anfall von Wuth ermordete. Seine Hiße wurde freilich gekühlt, da er gleich darauf gehängt wurde. Als man endlich die Ueberzeugung gewann, daß man

trotz aller Zögerung zu keinem Ergebniß, d. h. die Cap Legion auf die gehörige Anzahl zu verſtärken, gelangen würde, beſdiloß man die Einſchiffung der Cap-legionaire. Ueberdies war es ſelbſt denen, weldie ſich für die Erpedition beſtimmt hatten, wieder leid geworden. Sie änderten daher ihren Plan, indem ſie lieber die Abfindungsſumme von 120 Thalern nehmen wollten. Die Cap-Regionaire waren auch in pecuniärer Hinſicht falechter geſtellt, da ſie nur zwei

Pfund Handgelb und keine jährlichen Gehälter empfingen. Auf den Schiffen wurden die Mannſchaften jedoch

bald ungeduldig, und ſo konnte es an Exceſſen nicht fehlen. Die Leute wollten lieber das Schiff verlaſſen, und ſogar

auf ihre Abfindungsſumme Verzicht leiſten, als überhaupt die Expedition nach dem Cap mitmachen. Sie gingen ſo weit, daß ſie ſich gewaltſamer Weiſe ein Debarquement er zwangen. Von dieſer Kühnheit kamen fie aber bald zurüd, indem ein Offizier einen jener Meuterer dadurch von feinem Vorhaben abhielt, daß er ihm mit einem Revolver eine

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Kugel durch die Bruſt jagte ; dies war für die Brauſeföpfe ein niederſdlagendes Recept. Man zögerte nun nicht länger mehr und ſegelte nach dem Cap der guten Hoffnung ab.

Der Transport wurde auf fünf kleinen Schiffen vollzogen, von denen eins dem andern ſchnell folgte. Den Frauen mochte die Seereiſe wohl nicht behagen, denn als man, um den nöthigen Sohlenbedarf einzunehmen, bei Liſſabon landete, fo machten ſich einige Legionairinnen aus dem Staube, indem ſie angeblich die Merkwürdigkeiten der Stadt ſehen wollten, und ſo verſchwanden ſie denn ſpurlos.

Hierauf ſchrieb Oberſtlieutenant von Haade nach Eng= land, daß man ſeine Legionaire mit neuen heirathsluſtigen jungen Damen verproviantiren möchte; man folle ſich aber in Acht nehmen, daß die neuen Anfömmlinge nicht etwa

dem würdigen Beiſpiel ihrer Vorgängerinnen nacheiferten , denn es feien durch das eigenthümliche Deſertiren der Frauen viele Cap - Regionaire Wittwer geworden. Während der Reiſe ging Alles gut von Statten, und man langte glüdlich auf

dem Cap der guten Hoffnung an. Welche Schidſale hier: felbſt den Legionairen bevorſtanden, darauf werde ich ſpäter zu ſprechen kommen .

Da nun endlich die Cap-Legion eingeſchifft war, ſo begann man mit der vollſtändigen Auflöſung der Legionen und die engliſche Regierung erlaubte zugleich den Holländern jeßt, in ihrem Lande zu werben.

Bezüglich der Entlaſſung der Legionaire will ich nody Folgendes hinzufügen. Sie konnten entweder in England bleiben oder nach Amerika gehen, d. h. wo eine engliſche

Beſißung war, oder auch nach ihrer Heimath zurückehren ; freie Reiſe wurde ihnen zugeſichert. Die Meiſten von ihnen, und beſonders Leute aus der Schweizer-Legion, gingen nach

Canada, die übrigen Leute blieben bunt in England zerſtreut. Bei der Einſtellung in engliſche Dienſte erhielten , wie

ich ſchon früher erwähnt habe, die Leute 3 Pfund ; die

1

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übrigen 3 Pfund wurden für Montirungsgegenſtände in Rechnung gebracht. Die Offiziere erhielten bei ihrem Ein tritt ein breimonatliches Gehalt zur Beſchaffung der Equi

pirung. Dieſe Summe ſtand jedoc, in gar keinem Verhält= niß zu der , welche in Wirklichkeit dafür erforderlich war. Die Reiſefoſten von der Heimath bis zu der betreffenden Station wurden , wie billig , vergütet. Bei der Verabſdie

bung erhielten die Mannſchaften freie Reiſe und noch ein volles jährliches Gehalt , je nach ihrer Charge , z. B. der gemeine Soldat 120 Thlr., der Feldwebel 400 Thlr. Die

Offiziere dagegen kamen hierbei ſehr ſchlecht weg , denn dieſe erhielten nur ein breimonatliches Gehalt für die Rück= reiſe. Da aber ſpäter die Regierung in Erfahrung brachte, daß viele von den Offizieren nothwendiger Weiſe Sdulden

contrahirt hatten, bewilligte ſie ein nachträgliches breimonat liches Gehalt. Man kann zwar ſagen , daß die Offiziere bei ihrer Einſtellung idon damit bekannt gemacht worden waren , aber ſie konnten jedenfalls nicht wiſſen , daß eine

ſoldie erorbitante Summe zur Beſchaffung der Equipirung erforderlich war. Außerdem waren die gemachten Verſprechun :

gen von Avancement und Penſion bei etwaiger Verwundung nur geheime Lodſpeiſen. Auch ſelbſt die Ausſicht, bei einer

Auflöſung der Legionen im activen Dienſt bleiben zu können, realiſirte ſich eben nicht.

Die polniſche Legion , welche im Oriente angeworben war und zur engliſden Armee gehörte, wurde der türkiſchen Regierung überwieſen , um ſie entweder im Militairdienſte

zu behalten, oder , wie die übrigen Legionen, auf Rechnung ber engliſchen Regierung abzufertigen. Anderthalb Jahre nach dem Friedensabidhluß lag dieſe Legion noch in Skutari

ohne Beſchäftigung in einem Barađenlager, erhielt aber ihre regelmäßigen Competenzen.

Hierauf wurde es den Leuten

freigeſtellt, Soldat zu bleiben , oder ſich in Kleinaſien anzu fiedeln.

Das Leştere erwählte ein ganz kleiner Theil mit

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den bazu erhaltenen Mitteln, indem er fich daſelbſt in einer Gegend, ſieben Meilen von Skutari, niederließ. Was aus dieſer Colonie geworden , iſt mir unbekannt. Der größere, übrige Theil der polniſchen Legion blieb Soldat und aus

dieſen Truppen wurde das kaiſerlich türkiſch - polniſche Ro faden - Regiment gebildet. Doch waren auch ſchon Viele der polniſchen Legion vor der Bildung dieſes Cavalleries

Regiments zu dem Tſcherkeſſen- Detaſchement übergegangen, welches unter dem Commando des Sefer - Baſda in der Nähe von Anapa ftationirt war .

Die engliſche Regierung hatte vor der Entlaſſung der Legionaire mit ihrer gewohnten Sumanität an ſämmtliche deutſcje Regierungen geſchrieben , um den Leuten Straf loſigkeit und freie Rückehr in ihre Heimath zu erwirken, weil ſie ohne Erlaubniß dieſe verlaſſen und in engliſche Der engliſche Einfluß war groß genug , daß die deutſchen Regierungen , mit Ausnahme der bayeriſchen , die dies anfänglich abídlug , nachher aber doch geſtattete, hierein willigten. Bei der nun erfolgenden Entlaſſung der Leute hatte die engliſche Regierung Veranlaſſung, in Rüdſicht der Ab = findungs- und Entſchädigungsſumme fehr vorſichtig zu fein. Anfangs zahlte man den Leuten dieſe Summe baar aus. Da aber ein großer Theil der Legionairé das Geld ſofort Dienſte getreten waren.

durchbrachte und verjubelte , und nun noch auf eine koſten freie Rüdreiſe Anſpruch machte, ſo zahlte man denen , die reiſen wollten , das Geld nicht baar aus, fondern gab ihnen Anweiſungen an den Conſul in ihrer Heimath. Diejenigen, welche in England bleiben wollten , erhielten ihren Antheil baar, mußten dann aber, wie billig und redyt war , auf eine koſtenfreie Rüdreiſe gänzlich verzichten. Ungeachtet der vor erwähnten Vorſichtsmaßregel mit den Anweiſungen für die Hei math fand die Speculation dennoch Mittel und Wege, jene Anweiſungen ſchon in England ſelbſt zu Gelbe zu machen ,

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was allerdings durch die Wucherer nur mit einem Verluſte von 40-50 Procent geſchehen konnte , indem die Leute für die Anweiſungen von 120 Thlrn. gewöhnlich nur etwa 80 Thlr. erhielten. Was in England geſchehen war , fand

in Deutſchland ſeine Fortſeßung. Als die betreffenden Leute nach Hamburg tamen, ward ihnen von den Seelenverkäufern

vorgeſpiegelt, die Strafloſigkeit ſeizurüdgenommen , oder gar nicht ertheilt, was Viele mit Beſorgniß erfüllte, ſo daß ſie gar nicht in ihre Heimath zurückkehrten. Auch hier wurden jene Anweiſungen auf 120 Thlr. für 80 - 90 Thlr. ver filbert. Doch kam die auch ſonſt ſehr rührige und tüchtige

Hamburger Polizei bald hinter dieſen Wucher und wußte ihn zu hemmen.

Ich will ſdhließlich noch auf die Cap - Legion zurück gehen. Wie ſich meine Leſer erinnern werden, war dieſelbe endlich auf die Stärke von 1500 Mann gebracht worden. Die Legionaire hatte man unter dem Commando des General

Majors Freiherrn von Stutterheim als Coloniſten nach dem Cap der guten Hoffnung eingeſchifft. Es war aber an Cultivirung des dortigen Grund und Bodens gar nicht zu denken, da ſie beſtändig mit dem Kampf gegen die Kaffern Die Frauen , welche zurück (zu Hauſe kann man nicht ſagen) blieben , waren dieſer idyweren Auf gabe nicht gewadiſen. Von „ laßt uns hier Hütten bauen “ beſchäftigt waren .

konnte hier gar nicht die Rede ſein , da ihnen , außer den nothwendigſten Materialien, auch das Wichtigſte von Allem , die erforderliche Zeit, fehlte. Selbſt der Commandeur hatte eben keine Veranlaſſung, ſich an der Bequemlichkeit ſeiner Wohnung ſehr zu erbauen , denn er fonnte nicht einmal

dahin gelangen , einen Fußboden von Holz in ſeiner Hütte zu bekommen . So ſchlecht ſtand es mit dem Comfort der Legionaire. Ade jene Verheißungen von dem reizenden Cap

waren demnach nicht nur nicht in Erfüllung gegangen, fon = dern man mußte auch anfangen , ſich an eine außereuropäi

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ſche Strategik zu gewöhnen , wobei denn das Lehrgeld, wel ches man hier zu bezahlen hatte , ſehr hoch zu ſtehen kam. Unter Andern fiel der tapfere Hauptmann Ohlſen , ehema liger Hauptmann im 1. Infanterie - Bataillon der ſchleswig holſteiniſchen Armee , durch die Hand der hinterliſtigen Kaffern , denn man fand ihn eines Tages entblößt und von fieben Doldſtidhen burdibohrt. Solde Opfer könnte ich viele anführen.

Trotzdem daß nun noch andere Regimenter von Eng=

land aus nach dem Cap requirirt wurden, ſo gelangte man bald zu der Ueberzeugung, daß der Feind bei Weitem über legen ſei. Wie es mit den anderen Verſpredjungen geſtanden

Haben mag, warum ſie nicht erfüllt wurden , darüber über laſſe id; dem Leſer , ſeine eigenen Betrachtungen zu machen. Kurz, es fonnte bei ſolchen Umſtänden nicht fehlen , daß die allgemeine Unzufriedenheit der Legionaire in eine Revolte ausbrady.

Da nun gleichzeitig die Empörung in Indien eine be

denkliche Miene annahm , ſo half man ſich aus der Ver legenheit und ſchiffte die Rebellen nad Indien ein. Die Frauen, welche ihren Männern treu folgen wollten, wurden mit Gewalt von der Einſchiffung abgehalten ; es waren ſo

alſo die armen Familien auf abſcheulidye Weiſe einem un = zweideutigen Sdidfſale überlaſſen . Was jedoch ſpeziell aus ihnen geworden , und weldies jämmerliche Ende die Sap= Legion in Indien genommen haben mag , darüber habe ich trot meiner eifrigen Nachfragen nichts Genaueres erfahren .

Nur einem eigenen Zufalle verdanke ich, daß id) meinen Leſern etwas hierüber mitzutheilen vermag. Auf meiner Rüdreiſe von Tſcherkeſſien nämlich mußte ich wegen meiner

Erkrankung drei Monate auf der Inſel Malta zubringen. Nach meiner Geneſung beſtieg ich ein Transportſchiff, wel ches von Corfu kam und engliſche Truppen nady Indien

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expedirt hatte.

Zufälligerweiſe war dies daſſelbe Schiff

(Himalaya), auf dem ich früher vom Orient mit der Legion nach England zurüdgekehrt war. Hier hatte ich Gelegenheit von dem Capitain zu erfahren , daß die Truppen bei ihrer Landung in Indien ſogleich ins Gefedit famen und daß fie überhaupt entſeglich gelitten haben. Daß die deutſchen les

gionaire, als gekaufte Foreigners, glimpflicher hierbei weg= kamen , kann man ſich leicht denken , da fdyon die engliſden Regimenter furchtbar zuſammengeſchmolzen waren. Auch

der brave Muſikdirector Brandis, der gleidh anfangs beim erſten Gefecht idywer verwundet auf das Schiff gebracht wurde , ſtarb nach dreiſtündigen Qualen.

Wo indeß der

Reſt der Legionaire ſein Ende gefunden hat, bleibt ein Ge= heimniß. Ich habe zwar an den General- Major v. Stutter heim , der fidy neuerer Zeit bei Ohlau ein Rittergut gekauft hat, in Betreff dieſes Räthfels geſchrieben , da ſo vieles

von dem Schicfale der Legionaire circulirte und er allein mir den richtigen Auffdluß hierüber zu geben vermodyte. Derſelbe hat' aud) meinen Brief beantwortet, iſt aber hierauf

nicht näher eingegangen.

Da nun der Herr General

Major mir durchaus feinen Aufidluß über den Verbleib

dieſer Mannſchaften gibt , fo überlaſſe id dem Leſer , fich aus den vielen Umſtänden , die, hin und wieder von mir erwähnt , die Sadje andeuten , eine richtige Conjectur zu machen .

Viele von den Legionairen blieben im Vertrauen auf ihre Abfindungsſumme in England. Dieſe war aber , wie ſchon geſagt , nur 120 Thaler , und was will dies in Eng=

land ſagen ? Nachdem ſie nun einige Zeit höchſt vergnüg= lich gelebt , mußten ſie mit Sdirecten gewahr werden , daß

ihnen mit dem Hinfdwinden dieſer kleinen Summe zugleich auch die Hoffnung abgeſdınitten ſei, in ihr Vaterland zurück kehren zu können. Daſſelbe Schickſal, wie dieſe Legionaire, empfängt aud) die meiſten übrigen herüberwandernden Deut

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ichen. Entweder haben ſie überhaupt kein Geld und glau ben , dies eben werde ihnen in England gar nicht fehlen , oder ſie haben eine kleine Baarſchaft und dann werden ſie

eine Beute der abſcheulichſten Gauner , d. h. der deutſchen Gaſthofsbeſiter, ihrer eigenen Landsleute. Dieſe halten ſich zu jenem Zwede Commiſſionaire , welche kurz vor dem De barquement eines Paſſagierſdriffes ſich am Landungsplaße aufpflanzen und auf die Lauer legen. So wie die deutſchen Auswanderer den engliſchen Boden betreten, werden ſie von

ihnen umringt. Man ſchildert ihnen mit den ſdhwärzeſten Farben , wie ſie von einem engliſchen Gaſtwirth geprellt würden , während man nid)t Lobes genug von einem beut ( dhen Wirth zu ſagen weiß. So gehen denn die gutmüthi gen Fremden in die Falle der fpeculirteſten Prellerei. Ich habe ſelbſt dieſe hübſdhe Erfahrung gemacht und kann nicht umhin , von den engliſchen Hotelbeſikern das Gegentheil zu rühmen ; ſie bedienen einen Deutſdyen felbſt beſſer und billi

ger , als einen gebornen Engländer. Was ich bei einem Engländer für Logis und Koſt zahlte , mußte ich bei einem Deutſchen verfünffachen. So zahlte ich bei jenem nie das, was ich gar nid)t beanſprudyt, während ich bei dieſem noch theuer bezahlen mußte, was ich nie zu Geſicht bekam . Die erwähnten Commiſſionaire betreiben ihr ſauberes Ge

ſchäft wirklich mit Eifer, denn es iſt für ſie eine ſehr ergie bige Erwerbequelle, da ſie von den Wirthen ihre Courtage erhalten. Manche von den Deutſchen würden gewiß gern nach ihrem Vaterlande zurüdfehren , wenn ſie das erforderliche Reiſegelb aufzubringen vermöchten . Andere dagegen ſchä

men ſich audy, den deutſchen Boden wieder zu betreten, aus Furcht, wegen nicht erfüllter Hoffnungen verlacht zu werden . Anderen wieder iſt es ganz unmöglich, da ſie nun aus dem

Regen in die Traufe kommen , d . 5. dem Polypenarm der Polizei nicht entgehen möchten ; denn nur in England , wo

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man auf folche Bagatellen , wie Paß u. ſ. w. , nicht ſieht,

können Banqueroutiers und Schwindler aller Art eine Zu fluchtsſtätte finden. Die Noth und das Elend dieſer plan und arbeitsloſen Deutſchen in London iſt demgemäß groß ; die Gemeinde , welche 1 Hoſpital, 2 Kirchen und Sculen beſißt, iſt dieſer Laſt nicht gewachſen und unzulänglich , für die zahlloſen Vagabonden hinreichend zu ſorgen, obgleich ſie

viel leiſtet, und an der Königin und deren Prinzgemahl, for wie vielen anderen reichen Engländern, eine treffliche Stüße findet.

Es gibt freilich aber auch viele reiche Deutſche in London , die einem landsmann allenfalls mit einem Rath

(und oft ſelbſt auch mit dieſem nicyt) aushelfen wollen mit Geld — aber nicht! Warum nun die deutſchen Handwerker in England

( d. h. in London, Hull, Dover, Mancheſter, wohin ſie eben

meiſtentheils emigriren) gänzlich arbeitslos ſind, ergibt ſich aus der zahlloſen Vacanz der engliſchen Arbeitskräfte. Tauſende von müßigen engliſchen Arbeitern ſah ich täglich ſich

am

Bluttower

zuſammenrotten und auf Arbeit

warten. Ein Schiff& capitain , mit dem ich mich über dieſe armen Brotloſen unterhielt, verſicherte mir, daß er Hunderte

aus ihnen herausgreifen wollte , die gern für bloße Koſt arbeiteten . Solche Maſſen von Beſdhäftigungsloſen möchte man ſchwerlich in Deutſchland finden. Ingleichen konnte man täglich einen Trupp von 20 – 30 Arbeitern vor den Magazinen der großen Kaufleute ſehen , welche geiſtliche Lieber fangen, nicht etwa, um hiermit um Almoſen, ſondern um Arbeit zu bitten.

Einem deutſchen Handwerker muß

hier bald klar werden , daß fich das alte Sprichwort recht bewährt : „ Bleibe im Pande und nähre dich redlich." Es iſt daher eine ausgemachte Sache, daß den Deutſchen nicht zu helfen iſt, denn der Zuwachs der unbemittelt Ankommen= 6

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den ſteigt ſo erſtaunlich , daß an ihrer Rettung ganz zu zweifeln iſt.

Verſteht ein deutſcher Handwerker das Engliſche, ſo iſt es ihm ſchon eher möglich, ein Unterkommen zu finden, daſſelbe gilt auch von den weiblidhen Perſonen, da ein Enga

länder ſehr gern eine Deutſdye engagirt. Sind ſie aber der engliſchen Sprache nicht mächtig , fo führt die unaus bleibliche Hunger¬h dieſe der Proſtitution entgegen. Wie

alſo ſonſt in anderen Städten hauptſächlich Arbeitsſdheu jene Individuen vom Wege der Tugend abführt , ſo hier bitterer Mangel an Brot. Die Deutſchen haben ſich ſonſt des wohlwollenden

Schußes der engliſchen Regierung in vollem Maße zu er freuen. Zum Beleg dafür wil id; hier nur einen , übrigens fpafhaften, Fal anführen. Zum beſſeren Verſtändniß diene noch Folgendes. Das erſte Engliſch, welches ein Deutſcher fich gehörig aneignet, beſteht in den zwei Worten : All right

(ganz recht)! welche zur ſtärkſten Verſicherung der Wahr heit auf eine geſtellte Frage bienen , ſonſt aber noch dann

und wann ſehr gern auch anderswo im Geſpräch angewandt werden. Eines Morgens brachte nun ein postman ( Brief

träger) in das Lager Shorncliffe ein Pacet, an einen Offi zier adreſſirt, zum Quartier der deutſchen legion und richtete eine Frage auf Engliſch an einige Legionaire. Ein Wigbold, der ſich wenig um den tiefen Sinn dieſer Frage quälte, antwortete ganz unbekümmert : All right. Hierauf verſette der postman : „ Are you the officer's servant ?" (Sind Sie

der Burſche von dem Offizier ?), worauf der Legionair, ohne aus dem Context zu kommen , ſein monotones „All right" ertönen ließ. Der postman gab nun das Badet , da er

glaubte , daß daſſelbe ſeinen Adreſſaten gefunden habe , die ſem ohne Umſtände. Dieſer freute ſich nicht wenig über den Fang , den er eigentlid gar nicht beabſichtigt hatte, und trug kein Bedenken , denſelben ſogleich, da es Civil

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kleider waren , bei einem deutſchen Schneider zu verſilbern.

Der eigentlidye Adreſſat, der Offizier, wartete indeſſen ver geblich auf ſeinen Civilanzug und ſah ſich endlich genöthigt, an den Abſender zu ſdreiben. Als man hierauf zur bal

digen Löſung des Räthſels gekommen war , mußten der Pſeudoburſche (denn der Legionair fannte den Offizier nur dem Namen nad) und der beſagte Schneider vor die An klagebant treten. Der faljdje Adreſſat wollte ſich damit aus der Falle ziehen , daß er verſicherte, er hätte geglaubt,

es wären ihm dieſe Civilkleider von ſeinen Verwandten ge= ſdict worden, weil er beabſidytigte, nach ſeiner Heimath zu gehen. Er hätte übrigens den postman nicht verſtehen können und da ihm derſelbe das Padet ohne Weiteres aus gehändigt , ſei er in ſeinem Glauben beſtärkt worden . – Der Schneider nun erklärte , er habe die Sachen noch über den in Deutſchland üblichen Preis gekauft und ſich alſo keineswegs der Fehlerei ſchuldig gemacht. Ich war als

Dolmetſcher in dieſer Verhandlung zugegen und erklärte, daß die gezahlte Summe mit der in Deutſchland üblichen vollkommen congruire ; in Folge deſſen wurde der Schneider freigeſprochen , obgleich die Summe mit der üblichen eng= lifden durchaus nicht im Einklang ſtand, ein eclatantes

Beiſpiel , wie nachſichtig die Regierung gegen die Deutſchen iſt. – Der Legionair bagegen mußte , da noch andere Um= ſtände gegen ihn ſich geltend machten, ſein „ All right“ mit

2 Jahr Zuchthaus büßen. -- Ein Engländer würde in ſols chem Falle mindeſtens 5 Jahr bekommen haben.

Da ich nun nady meiner Verabſchiedung, 15. October 1856 , in Folge der Auflöſung der Legion nicht ſogleich England verlaſſen, ſondern noch die Einladung eines meiner Freunde benußen wollte, ſo verweilte ich in ſeinem väter lidhen Hauſe 1 Monat in Qythe (Rent). Dieſe kurze Zeit muß ich zu der glüdlichſten meines Lebens rechnen , denn nicht nur mein Wirth, ſondern auch Adle, mit denen ich be 6*

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fannt geworden war , boten nach Kräften Alles auf , um

mir den dortigen Aufenthalt unvergeßlich zu machen und

mich das engliſdie Leben von der angenehmſten Seite kennen zu lehren .

Beſonders intereſſant war für mich der dortige Fiſd= fang. Zu dieſem Vergnügen verſammelte ſich die ganze Nachbarſchaft an einem Canal in der Marſch (Kent), wel= dher in den engliſchen Canal (Pas de Calais) ausläuft. Man warf nämlid) ein Neß von ziemlidher Größe in den Canal und zwei Pferde zogen daſſelbe länge beider Ufer dahin , ſo daß man eine erſtaunliche Menge Fiſche fing.

Es handelt ſich jedoch hier nicht um den eigentlichen Werth des Fanges , ſondern das Vergnügen ſpielte die Hauptrolle, und das war es nun auch in vollem Maße, denn es wurde tüchtig dabei gezecht. Von unſeren Sagt - Streifzügen hatten wir ebenfalls manchen herzlichen Spaß , und ſo paſſirte unter Anderem

Folgendes : Wir waren nach dem landſiße des Bruders meines Freundes, ungefähr 7 engliſche Meilen von unſerem Wohnſit, gefahren. Da ſich hier auch noch andere Freunde einfanden, fo zog ſich unſer Beſuch etwas in die Länge, und idyließlich hatten wir ſchon drei Wochen mit unſerem wilden Jäger- und Nomadenleben verbrad )t, als wir Anſtalten ma dhen mußten, den bringenden Bitten der Eltern, weldie uns von Tag zu Tag vergeblich erwartet hatten , endlich Gehör

zu geben. Da wir nun den Ertrag unſerer Jagd , der überhaupt nicht allzugroß war, weil wir eigentlich nur nach un ſerem Vergnügen die Zeit verjagten, ſtets den Damen wid= meten , ſo wären wir beinahe mit leeren Händen in das elterliche Haus meines Freundes eingezogen. Deshalb fahen

wir uns nun nach einem Haſen um , und kehrten ſo reich beladen zurüd. Als wir endlich am Ziel unſerer Wander idyaft waren , hingen wir die Beute an das Schloß der Küchenthür. Nach der herzlichſten Begrüßung und nachdem

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wir lang und breit unſere Erlebniße detailirt hatten , war man doch etwas geſpannt, das Reſultat unſerer freiwöchent lichen Jagd zu ſchauen. Wir verwieſen die Neugierigen auf die Küche. Jedoch, wie weit ſie auch das Auge jdid= ten, ſo konnten fie doch vom Haſen nichts erbliden . Unſer

Erſtaunen war ebenfalls nicht gering. So ſollten wir denn auch gar nichts aufzuweiſen haben ? Dieſes fonderbare Räthfel klärte ſich bald auf , indem

ich das ärgerliche Anurren meines Hundes auf dem Hofe vernahm . Als wir dahin eilten , hatte derſelbe bereits den Haſen verzehrt. Da er nämlich eine Dogge war , ſo hatte ich ihn zur Jagd nicht mitnehmen fönnen , und er glaubte

nun gerechte Anſprüche zu haben, ſich für dieſe Zurüdfeßung zu entſchädigen , und hatte ſich alſo ohne weitere Umſtände an den Haſen gemacht; als ihn aber in ſeinem würdigen Werke die übrigen kleineren Jagdhunde ſtören wollten , ſo modte er wohl durch jenes Knurren ſein Meißfallen aus drücken und jede Interpellation von Seiten der übrigen Aſpiranten ſich verbitten wollen.

Nachdem nun noch dieſer mein letzter Aufenthalt in England von einem ſo romantiſchen und ſpaßhaften Schluſſe getrönt war , verließ ich Albions freie Inſel am 20. No vember 1856.

i

Zweites Buch.

D i e TÜ r k e i.

Capitel 1 . Eintritt in türkiſche Dienſte al8 Mirlam - Bey. Türkiſche Mode bei Vorſtellungen. Vorſtellung vor dem Seraskier (Kriegs Con miniſter ). Errichtung türkiſcher Gensd’armerie . ftantinopolitaniſche Straßenreiniger . Türkiſche Nachtigallen . -

Feuerbeſprechung durch Zauberer.

Mit den beſten Empfehlungen von Seiten Lord Bal merſton's verſehen , verließ ich nach meiner Verabſchiedung, welche auf die allgemeine Reduction erfolgte , am 20. No

vember 1856 den engliſchen Boden , um mich nachy Con= ſtantinopel einzuſchiffen . Auf der Fahrt nach Malta ereignete ſich Nichts weiter, als daß wir ber Gefahr zu ertrinken ſehr nahe waren , denn wir hatten in einer ſtürmifdyen Nacht ben Maft und

die Wände des obern Decks eingebüßt.

Nachdem ich in

Malta ein neues Schiff beſtiegen hatte , gelangte ich wohl

erhalten in Conſtantinopel am 19. Dezember d. J. an. 3d wandte mich ſofort nach meiner Ankunft an den eng lijden Geſandten Lord Stratford de Redcliffe und erhielt die Verſicherung , daß man ſich meinetwegen bei dem tür

fiſchen Kriegøminiſter verwenden werde. Nach einigen Ta gen wurde mir die Eröffnung gemadit, daß das Engagement für fremde Offiziere fiſtirt ſei. Es bliebe mir aber unbe nommen, als Mirley (Mirlam - Bey Major) in die noch

zu organiſirende Gensd’armerie zu treten, welche nach Omer Baſcha's Plan errichtet werden ſollte. Zu dieſem Zwecke

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wurde ich erſucht , die bezüglid)en Papiere einzureichen , was ich denn auch ohne Verſchub that. Von dem damaligen erſten Dragoman der engliſchen Geſandtſchaft, Revelati, welder mit dieſer Angelegenheit beauftragt war , erhielt ich nach einigen Tagen den Beſcheid, daß ich ſofort in meine Function treten fönnte , und ich wurde deshalb von ihm

dem türkiſchen Kriegsminiſter ( Seraskier) als Mirlam = Bey vorgeſtellt. Meine verehrten Leſer fennen das Kritiſch Be

deutſame einer Vorſtellung ; oft komiſdie, oft tragiſche Mo mente ſind hiermit verknüpft und es ſpielt eine ungeheure Rolle zu unſerer Zeit. Den höhern Schichten unſerer Ge ſellſchaft fann man ſich unmöglich nähern , iſt man zuvor nidyt vorgeſtellt. Hängt nicht hiervon oft ein ganzes Le bensglüd ab ? Ich erinnere an jene Anekdote, die man ſich

von einem Engländer erzählt , deſſen Nation überhaupt in allem an's Extreme Grenzenden etwas zu leiſten verſteht. Derſelbe ließ nämlich eine Dame , deren Kleider auf einem

Bal durch Unvorſichtigkeit Feuer gefaßt hatten und die ſichy

in ihrer Todesangſt in das Zimmer , wo gerade der Eng= länder allein ſaß , unter jammervolem Hilfegeſchrei ſtürzte, mit der kaltblütigſten Ruhe ein Opfer der Flammen werden. Als man ihm kurz darauf bittere Vorwürfe hierüber machte, entſchuldigte er ſich höchſt lafoniſch : ,,Sie iſt mir noch nicht vorgeſtellt.“

Aber auch ein bangendes Gefühl geht oft der Vor = ſtellung vorher , und das iſt eben die mißliche Seite dieſer

Feierlid feit. Sdüchternen Herzens ſteht z. B. der Candidat da , angethan mit weißer , heher Halsbinde und mit einem

langen ſchwarzen Leibrock. Es gilt , vor einen hohen Die ner der Kirdie , vor einen geſalbten Herrn zu treten. Mit bleichem Antlitz wartet er im Vorzimmer ; zwar ſtehen ihm

die günſtigſten Empfehlungen mehrerer Geiſtlichen zur Seite, aber wie oft fam es nid)t ſchon vor , daß Einen die hohen Herren trot allebem links liegen laſſen ! Endlich läßt der

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gefürchtete Herr fich erbliden und ein beflommenes uch ! entfährt ben Lippen des fich Vorſtellenden .

So ſchüchtern war mir freilich nicht zu Muthe , als ich in der Antichambre des türkiſchen Kriegsminiſters harrte. Ich war ja überdies mit Zeugniſſen reichlich verſorgt , was

ſchon eine ſehr gute Empfehlung iſt! An das viele Vor geſtelltwerden war ich ſchon recht gewöhnt , denn ich mußte oft ganze Tage mit dieſer geiſtreichen Ceremonie verlieren. Zudem iſt einem alten Soldaten das Vorſtellen eben nichts Neues. Beim großen Exercieren im Frühjahr wird man

beinahe jede Woche vorgeſtellt; Compagnievorſtellung, Ba taillonsvorſtellung u. f. w. u. . w. Freilich , einem tür fiſchen Kriegsminiſter war ich noch nicht vorgeſtellt worden , aber von dem Sultan war mir, wie ich früher erzählt habe,

dieſe Ehre ſchon zu Theil geworden. Der Benachrichtigung des Dragomans gemäß machten wir uns eines Tages auf und ritten zum Siraslirat (Kriegsminiſterium ) in Stambul. Es war ein herrlicher Morgen, tiefe Stille dedite nody

rings die Natur. Wie ein orientaliſcher Opal in tauſend farbigem, röthlich, bläulich, grünlichem Schimmer ſpielte die Sonne vor meinen Blicken ; ich verdoppelte die Athemzüge in der weichen, warmen Luft, die mich ſanft umwehte. Ein mit Himmel und Erde ringendes Gefühl überfam mich ; vor uns entfaltete fich nach und nach zauberhaft, wie ein Nebelgebilde, die große Konſtantineſtadt; Geſtalten um Ge ſtalten zogen an mir vorüber , halb verídleiert , halb in

Tageshelle. Adı! wie dachte idy jeßt auch an dich, mein theures, deutſdes Vaterland ! In weiter Ferne von dir um= herirrend , erſchienen mir deine Thäler uud Auen wie ein wehmüthiger Traum ; ja ſelbſt vorwärts eilend im wilden Lebensſtrudel tauchte oft plößlich der Gedanke an dich in meiner Seele auf , und mit einer Thräne im Auge über kam mid) ein Gefühl , wie den Wanderer in der Wüſte, dem man einen Labetrunk reidyt. Jahre waren hinabgefloſſen

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in das große Meer, woraus keines wiederkehrt, ſeitdem idy dich verlaſſen. Wie gut es mir auch im barbariſchen Aus land erging, wie manche Freude mich auch dort beglückte, die Erinnerung an das Baterland erfüllte ſtets mit der bitterſten Wehmuth meine Seele. 3ch, der hinauseilte in die Welt mit den Worten „ Ubi bene, ibi patria", war ge

neigt zu bekennen : „Ubi patria, ibi bene“.

Idh wurde bald aus meinen Träumen aufgeweďt, denn der Dragoman bemerkte, daß wir unſerem Ziele ganz nahe ſeien. Das Kriegsminiſterium in Conſtantinopel iſt ein in altem türkiſchen Styl von Holz aufgeführtes, großes Gebäude, ohne beſondere Herrlichkeiten. Es ſteht auf einem großen freien , von einer hohen Mauer eingeſchloſſenen Plate. Auf eben dieſem befindet ſich zugleich eine Kaferne und außer bem die Kriegsidule für die angehenden Offiziere, unter

denen fich viele junge Deutſche befinden. Der damalige Lehrer an der Schule war ein früherer ſchleswig - holſtein ſcher Offizier, Namens Grünewald. Ich kann nid)t leugnen, daß dieſer Plaß einen ſchönen, gewiſſermaßen antiken Ein = drud auf mich machte, denn unmittelbar zwiſchen dem Kriegs miniſterium und der Kriegsſchule erhebt ſich ein alter, von rohem Stein aufgeführter hoher Thurm, der eine Ausſicht auf ganz Conſtantinopel eröffnet. Wir betraten nun das Kriegsminiſterium , wo mich der Dragoman in das Zimmer des Adjutanten führte. Sogleidy braditen uns die üblichen Schibukiers, von denen id don

geſprochen habe, einen Schibut, und kurz darauf erſchien ein Diener mit einer ſilbergeſtickten Sammetdeđe um die Schulter, welcher uns Raffee ſervirte. Bei ſeinein Wega

gehen gerieth ich in fiđitbare Verlegenheit, da ich aus den eigenthümliden Manipulationen des Kaffeeſervices ſchloß, daß wir den Kaffee bezahlen müßten. Ich zog alſo ſchon

meine Börſe, um meine vermeintliche Schuld zu berichtigen, fah aber alsbald meinen Irrthum ein, da der Adjutant und

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Der Dragoman ſich des lachens nicht enthalten konnten. Ich wollte mich aus der Verlegenheit ziehen, indem ich ein

Trinkgeld zu geben beabſichtigte, dies wurde aber natürlich nicht geſtattet.

Der Adjutant führte uns nun zu dem Kriegøminiſter. Als wir bie Treppe hinaufſtiegen, welche nach türkiſcher Art,

wie der ganze Flur, mit einem Teppich belegt war, nahm

ich leider zu bald wahr, daß meine Vorſtellung beim tür fiſchen Granden eine Vorſtellung mit Hinderniſſen ſei. Rady

türkiſcher Sitte zieht man nämlich die Stiefel aus, ſobald man ein Haus betritt ; deshalb trägt faſt ein Jeder Ueber ſchuhe. Der Dragoman fowie der Adjutant ließen ihre Ueberſchuhe auf dem Flur ſtehen. 3d dagegen hatte Reit ſtiefel ohne Ueberſchuhe an. Was ſoll das werden ? dachte ich ; doch es war hier nidyt lange zu denken, denn id; wurde von der Schildwache vor der Thür tes Miniſters angehal ten, die tiefel auszuziehen. Jedoch der Adjutant wies den Poſten ſogleich zurück und ich ging geſtiefelt und geſpornt hinein. Nadidem ich vorgeſtellt war , mußten wir uns nieder Laſſen und jeßt erſchienen wiederum zwei Diener mit Kaffee und Schibuf. Als wir das Zimmer verließen, bemerkte ich, daß verſchiedene Offiziere die Treppe herauffamen, theils

mit bloßen Füßen, theils in Strümpfen und die Stiefel in der Hand. 3d betrachtete dies einen Augenblick und be merkte, daß ein türkiſcher Hauptmann mit furchtbar zerriſſe= nen Strümpfen zum Kriegsminiſter hineintrat. Id mußte unwillkürlich lachen ; zwar hatte ich idon viele Moden ge

ſehen, doch dieſe war mir ganz neu. Freilid ), wäre der Capitain ein Fürſt geweſen, fo wären augenblidlich die zer riſſenen Strümpfe modern geworden , denn das Volf ridytet fidh hinſichtlich der Moden immer nach dem Throne. König

Ludwig XIV., der bekanntlich Beulen auf dem Kopfe hatte, zwang beshalb feine Höflinge, unter der Laſt gewaltiger und foſtſpieliger Perrüden zu feufzen. Die Reifröde kamen zur

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Welt, weil eine Infantin von Spanien ungleidie Hüften

hatte, und Jedermann weiß, daß die neue verbeſſerte Auf lage der Reifröđe, die heutige Crinoline, einen ähnlichen Urſprung hat.

Zu den Vorarbeiten der zu erridítenden Gensd’armerie war eine Commiſſion unter der Oberleitung Sefer Paſcha's, eines geborenen Ungarn, eingeſetzt. Omer Baſda hatte, wie idyon geſagt, den Plan hierzu angegeben, und man ſollte fidh an die franzöſiſdie Landgensd'armerie als Vorbild halten . Jebody, wie Alles in der Türfei, ging audy das ganze

Unternehmen ungeheuer langſam von Statten, und der ärgſte Prozeß in England, den je die Kunſt der Juriſten in infinitum zu dehnen wußte, kann nur eine ſchwadie Vor

ſtellung von der Langſamkeit und abſichtlichen Zögerung türkiſcher Beaniten geben. Zur Begründung dieſer Behaup tung will ich ein Specimen anführen. Von Sfutari nady Bruſſa beabſichtigte der Sultan eine Chauſſee5 zu legen, und gab, nachdem er hiermit einen Baſdha beauftragt hatte,

Anweiſung auf die erforderlichen Gelder. Als der Sultan nun nach ſieben Jahren Luſt verſpürte, von ſeiner Chauſſee

doch etwas zu ſehen, leider aber dieſen Anblick nicht genießen konnte, ſudyte der Bajda ben Unwillen des Herriders der

Gläubigen durch die naive, ganz unterthänigſte Replit zu beſchwichtigen : daß die in Frage ſtehende Chauſſee bereits ausgemeſſen ſei.

Bei der unzulängliden türkiſden Polizei machte ſich das Bedürfniß einer organiſirten Gengd'armerie von Tag zu Tag geltender, und die immer häufiger wiederkehrenden Diebſtähle und Mordthaten veranlaßten die Geſandtſchaften , hierauf nun etwas ungeſtümer zu bringen. Es erhielt audy der Kriegsminiſter jeßt den zweiten Befehl vom Sultan, die Erridtung des genannten Corps zu beſchleunigen, und

dem Sultan ward nach dem gewohnten Zögerungsſyſtein der erfreuliche Beſcheid, daß die Uniformen bereits in Arbeit

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feien ; man werbe in Pera, Galata und Tofana den Anfang machen. Die fremden Geſandtſchaften ſahen ſich demnach genöthigt, die Polizeigewalt burd, ihre eigenen Rabaſſen aus zuüben, wobei id), der ich ebenfalls hierbei zu thun hatte, oft die wunderlidiſten Fälle beobachten konnte. Die Sache erlitt umſo mehr Abtrag, da Omer Baſdja in Ungnade und damit auch ſein Plan gefallen war. Man ſchickte das her das urſprünglich für die Gensd'armerie beſtimmte pol niſdie Regiment nach der ägyptiſchen Grenze und nahm bei der neuen Organiſation nun freilich auch Chriſten, aber dieſe nur zu Vorgeſegten, an.

Omer Pada hatte ſdon während

des Krimfeldzuges Franzoſen zum Vorbild der Polizei ein geſtellt, und dieſe berſahen daher den interimiſtiſden Dienſt, aber erſt nad 27 Jahren gelangte man in der gemächlidyen

türkiſden Weiſe zur Errichtung der Gensd'armerie. Auf ihre Thätigkeit werde ich ſpäter zurüdfommen , und will jegt ver ſuchen , dem Leſer von Stambuls Eigenthümlichkeiten eine richtige Anſdauung zu verſdhaffen. Conſtantinopel macht vom Bosporus aus einen mäch tigen Eindruck auf den Reiſenden und er wird leicht ver führt, ſich monts et merveilles von dieſer zauberhaften Reſidenzſtadt zu verſprechen. Aber leider, nur zu bald ſchwindet der ahnungsvolle poetiſche Reiz, ſobald er Stam

bul betreten hat, und die proſaiſche Gewißheit macht ſich in ihm unverkennbar geltend, daß es wohl beſſer wäre, wenn er lieber gleich umkehrte. Denn zur Sommerzeit durch

duftet ein ſo peſtilenzialiſcher Geftank die holprigen Straßen, daß es dhon einer ziemlidhen Doſis von Naſenſtumpfheit bedarf, um dieſen Gerud) nicht für einzig in ſeiner Art

baie anzuerkennen. Denn es muß wohl Jeder zugeben, daß , ſobald das Fleiſch von todtem Vieh, welches bunt auf den

Straßen umherliegt, in einen gewiſſen Zuſtand übergeht, von gewöhnlichen Wohlgerüchen nicht die Rede ſein kann.

Das Klima Conſtantinopels iſt ebenfalls nicht wenig

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befremdend, da im Sommer nur höchſt ſelten Regen fält, im Winter aber, bei ſehr erträglicher Temperatur, das Ums gekehrte der Fall iſt. Die Türken haben deshalb auch nur die ſogenannten Maniale, die ſie mit ausgebrannten Holz kohlen heizen. Dieſe Maniale erinnern ſehr an unſere

Inſtitute derſelben Gattung ; ſie dienen hier aucy zum Zu= bereiten der Speiſen. Erſt ſeit dem Krimfeldzuge tauchten unſere eiſernen Defen in Conſtantinopel auf, und bewährten

auch ihren Nußen im Jahre 1858, wo eine erceſſive Kälte die Türken in kein geringes Erſtaunen verſette, und man nicht wenig abgeneigt war, zu glauben, daß Conſtantinopel bei einer Umwälzung der ganzen Erde fich nach dem Nord pole verlaufen hätte.

Und ſo ergeht es denn dem Reiſenden nicht viel beſſer im Winter, nur daß durchgängig alle Straßen mit einem noch größeren Quantum an Unrath überhäuft ſind, und

wenn man von einer Straße zur andern will, ſo gleicht man einer steeple-chase, die hin und wieder über den Sdymuş förmlich voltigiren muß. Vor Allem verdienen die conſtantinopolitaniſchen Hunde

einer ganz beſonderen Erwähnung. Sie machen ſich nicht nur durch ihr grandioſes Bellen, ſondern auch durch ihren Nußen, den ſie der Stadt ſtiften , geltend. Auf einer Strede von 1000 Schritt finden ſich auch 100 herrenloſe Hunde. Der herzerhebende Anblic, den der Schmuß und Unrath in den Straßen Stambuls darbietet, würde jedenfalls noch großartiger werden, wenn nicht die Hunde ſich zu Straßen = reinigern dieſer ſauberen Stadt berufen fühlten. Alle ani

maliſchen Abgänge, welche die Türken ohne weiteren Scrupel der Neinlichkeit vor die Thür ihrer Häuſer werfen, werden eine Beute dieſer herumſchweifenden Herren des Schmuges.

Bei Tage, wo ſie in der größten Sommerhite ihre alte Haut in aller Gemächlichkeit pflegen, iſt es gar nicht gefähr

lich, ſich durch dieſe Herden einen Weg zu bahnen. Nur

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muß man hier etwas vorſichtig zu Werke gehen und dieſen

roben Söhnen der Wildniß gegenüber ſich etwas galant be nehmen, denn da eine ſolche Beſtie ruhig in ihrer einmal

genommenen Poſition verharrt, ſo muß man ſich hüten, ihre Exiſtenz zu ignoriren, und ſie vielleicht treten zu wollen . trübe8 Schidjal erwartet aber auch einen Hund, der, ohne

Rüdſicht auf den natürlichen Kaſtenunterſchied, ſich in ein

anderes Revier verirrt, denn ſie haben ihre gewiſſen Streden, die von keinem fremden Hunde paſſirt werden dürfen, und ſind hierin ſehr ſcrupulös.

Da die Straßen Conſtantinopels, gleich anderen tür fiſchen Städten, vom Pflaſter noch nichts zu ſagen wiſſen, jo können die Hunde die Vorſehung nicht genug preiſen, daß ſie es ihnen ſo leicht macyt, ſich Höhlen für ihre Sungen zu graben. Die Häuſer werden oft wahrhaft von ihren Neſtern unterminirt. Begünſtigt einmal in lokaler Hinſicht das Schickſal die Geburt ſoldier Beſtien, ſo werden die

Jungen oft von einen reichen Türken gefüttert. Der 08 mane überhaupt deint, wenn auch keine Affenliebe, doch eine Hundeliebe im größten Maße zu beſigen , und dies Thier läßt ihn dafür aud) ungeſchoren. Da in Pera zugleich mit den Türfen aud ihre Sdußbefohlenen den Rückzug an= getreten haben, ſo iſt man genöthigt, ſich hin und wieder dieſe holden Thiere zu verſchreiben , um ſie als Inſpectoren der Straßenreinigung anzuſtellen, wozu ſie, wie oben erwähnt, ganz beſonders geeignet ſind. Des Nachts iſt die Sache ernſter, denn außertem, daß

dann die Hunde oft den gräulichſten Lärm verurſachen, und jedem Fremden, der an dieſe Belterſcenen nicht gewöhnt iſt,

die geringſte Luft zum Einſdylafen benehmen, betragen ſie fidh auch höchſt indiskret gegen nächtliche Wanderer, und

mander „ Ungläubige “ (Giaur) muß dann an ihre Zähne „ glauben ". Den Türken dagegen geben ſie, auch in der Nadyt, nicht zu Leibe. 7

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Zu dieſem wahrhaft dämoniſchen Spectakel thun nun noch die Nachtwächter ihr Möglichſtes. Dieſe ſind ebenfalls, zwar nicht, wie es früher bei uns Sitte war, mit einem Horn, doch mit einem langen eiſernen Stab bewaffnet. Sie ſpazieren die Straßen auf und ab und ſtoßen dabei mit ihrer Hellebarde ſo ſtark gegen den Fußboden, daß man auch aus dem ſüßeſten Schlummer empor ſchređen muß, beſonders, wenn dieſelbe auf einen Stein trifft, was zum Unglück des Schläfers ſehr oft vorkommt. Und dies iſt auch der Zweck des ungeſtümen Klopfen8 ; ſie wollen näm lich (nur zu deutlid)) bemerkbar madjen, daß ſie auch wirk = lid waden.

Mandyer Leſer wird denken, dies muß eine

ercellente Race von Nachtwächtern ſein, die ſo eifrig auf ihrem Poſten iſt, während es doch bei uns oft vorkommen

mag, daß ein redlidher Wächter der Nacủt auch Luſt verſpürt, ein wenig zu ſchlummern, und lieber Gott den Herrn als Generalwädyter für ſich mitwachen läßt. Der Leſer irrt fich aber hierin ſehr, denn mit der Gewiſſenhaftigkeit eines türkiſchen Wächters iſt es eben nicht weit her, und, wenn

ſchon er audi nicht ſchläft, ſo drüdt er doch oft für ein convenables Trinkgeld ein Auge zu, und läßt Alles paſſiren ,

wa& pafſiren mag. Ein anſtändiger Dieb, der, wie geſagt, auf das Trinkgeld nicht zu ſehr ſieht, fann womöglich noch eine Leiter von ihm bekommen . Bricht dagegen ein Feuer

aus, ſo iſt der retliche Wächter wieder ganz auf ſeinem Poften und ermangelt nicht, den nöthigen Göllenlärm anzu = fangen. Nöthig iſt dieſer um fo mehr, da in Folge ihrer Bauart bei der geringſten Sögerung oft 40-50 Säuſer niederbrennen. Es iſt aber ſo natürlich, daß, ſo lange Holz

häuſer in Conſtantinopel exiſtiren, noch keine Feuerverſiche rung entrirt worden iſt, ſie würde ihre Spekulationen auf bodenloſen Grund baſiren. Es vergeht nun faſt kein Tag, wo nidyt eine Feuersbrunſt ausbridit, und in folchem Falle hängt von dem höchſten Thurme in Bera eine Laterne nach

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der Richtung hin aus, von wo der Rauch aufſteigt. Außer dem aber ruft der dem Brande zunächſt ſtationirte Wächter den Namen der Straße aus, und ſo geht der Ruf von

Straße zu Straße weiter. Mit den löſchapparaten iſt man noch ſehr im Argen, man hat hier ſogenannte Hausſprigen. Eine folde wird von 8 Mann auf den Sdultern getragen , die mit unglaublicher Sdınelligkeit und mit einem furcht baren Geſchrei nach der Brandſtätte galoppiren. Die bren nenden Häuſer ſind aber ganz der Laune dieſer Spritzen= träger anheimgeſtellt, die nur da löſchen , wo ſie das meiſte

Trinkgeld erhalten, und hierbei oft von Einem zum Andern laufen. Da die Straßen nun jämnerlid) ſchmal ſind, fo muß das Waſſer, ſtatt auf Wagen, in Lederjäden trans

portirt werden. Bei folder Unzulänglichkeit der Löſchmittel kann man ganz natürlich nur an Rettung der nod nicht dom Brande ergriffenen Häuſer denken. Obgleich ein Paſca bei folden Gelegenheiten als Brandmeiſter fungirt, ſo iſt

die Unordnung doch wahrhaft labyrinthiſch. 3d) will noch einer türkiſchen Einrichtung und anderer Gebräuche bei vorkommendem Feuer erwähnen. Da ein Wächter bei den ſdmalen und langen Straßen ſein Revier nicht gehörig überſehen kann, ſo iſt auf dem ſchon genannten

Kululee eine Batterie ſtationirt, und die ausgeſtellte Thurm wache, welche eine ungehinderte Ausſicht auf ganz Conſtan tinopel hat, giebt bei jedem ausbredenden Feuer ſucceſſive Signalſ(yüffe, bis das Feuer von den Wächtern bemerkt wird. Sener fonderbare Aberglaube, welcher leider auch in

unſerem cultivirten Weſten bei vielen Dorfbewohnern allzu tiefe Wurzeln geſchlagen hat, kann natürlich in der Türkei nicht fehlen : ich meine die Beſprechung des Feuers. Sier erbliden wir aber nicht einen alten Schäfer, der aus vers

gilbten nefromantiſchen Schwarten ſeine Kunſtſtüdchen erlernt hat, ſondern, - Wunder ! durch die Tracht eines officiellen 7*

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Feuerbeſprechers verleitet, möchte ein Fremder glauben, das ganze Feuer ſei immer eine Poſſe, eine Liebhaberei für einen zweiten Nero. Dieſer Zauberer trägt nämlich eben keine

andere Kleidung, als die eines Harlekins. Auf welche Wunderkraft man aber bei dieſem Aufzug zu deuten habe, iſt mir, nach europäiſcher Anſchauung, nie klar geworden . Um dem armen Türken in ſeinem feltſamen Glauben nicht nahe zu treten, will ich es ganz unentſchieden laſſen , ob je das wüthende Element ſich durch den Anblick dieſer ent

zückenden Tracht hat beidwören laſſen ; ich will nur bemer ken, daß gerade zur Zeit der engliſchen Bauunternehmungen das Feuer etwas eigenſinnig war, und auf die dönen

Sprüchlein der bunten Pyromanten nichts gab. Es bezieht ſich dies auf die Beraer Straße, die man zu pflaſtern und mit Gaserleuchtung zu verſchönern anfing. Um ſo auf

fallender bleibt es, daß das Feuer jo galant war, ſtets nur da ſeine Macht zu üben, wo die baufälligen Hütten der Drientalen ſtanden, dagegen aber die Bauten der Engländer

zu verſchonen. Dieſe hatten ſich ſtets alle mögliche und doch vergebliche Mühe gegeben, die türkiſchen oder arnie niſchen Eigenthümer zum Verkauf der betreffenden Häuſer

zu bewegen. Denn Leştere zogen es vor, lieber die eror bitante Miethe aus ihren Holzhütten zu ziehen, als ſich zu irgend einer convenablen Abtretung zu bequemen. Die Derwiſche , größtentheils ſelbſt Eigenthümer , ermangelten natürlich nicht, bierbei ebenfalls ihre Rolle zu ſpielen. Aber, wie geſagt, da Ades nichts half, ſo half das Feuer, und es form dann doch der Plan der Engländer zur Realiſirung. So ſahen die Türfen nun in kurzer Zeit ihre Häuſer , in Ajdhe liegen, und da Ades nichts fromute, ſo verkauften ſie endlich ihre Bauſtellen, auf denen bald europäijde, maſſive Häuſer erſtanden . Während dieſer Bauten fand man , bei läufig bemeskt, ſteinerne Töpfe von 4' Höhe und 2' Durch meſſer, auf die man bei legung der Brandmauern ſtieß.

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Dieſe Töpfe waren oben mit Rohlenſtaub angefüllt, im Innern aber ſehr inhaltsvoll an Gold- und Silbermünzen. Eben ſo mißlich, als es mit dem Feuer in Conſtanti nopel ausſieht, ſteht es mit dem entgegengeſekten Element,

dem Waſſer, und zwar dem nöthigſten, dem Trinkwaſſer. Da man ſich nämlich, wie bemerkt, auf Regen den Sommer über feine große Redinung machen darf, ſo hat man, um doch wenigſtens etwas zu profitiren, Ciſternen angelegt, die fehr an die altteſtamentliden erinnern mögen . Man hat freilich audy Brunnen, ihr Waſſer verfehlt aber ganz ſeine Beſtimmung, da es, von ſalzigem Gehalt und dylediter Qualität, nicht einmal zur Wälde zu verwenden iſt. So kann es denn Niemand wundern, wenn er hört, daß man

hier, wie an manchen einzelnen Stellen europäiſcher Städte, ſein Waſſer bezahlen muß und dies noch dazu auf eine ſehr anſtändige Weiſe , da ein Glas von unſerer Größe

2 Biaſter = 3 Sgr. 2 Pf.) gilt. Die Saffiers ( Safa= baſchi, Waſſerträger) transportiren zu dieſem Zwecke ihre Waare in ledernen Säcken,, und erinnern den Reiſenden

fehr an die ſpaniſchen Commilitonen, indem ſie wie dieſe ihren Labetrunk unter lautem Geſdirei feil bieten.

Capitel 2. Die Fremden , ihre Geſandtſitaften

Türkiſche Gerichtspflege.

und ihre Gerichtsbarkeit. heit der Polizei. und Apotheker. ſtadt treibt. Ceremonien.

Falſchmünzerei.

linbeholfens

Kirchen und Hospitäler, Charlatan: Aerzte Wie man die Türfen aus ihrer Haupt

Vermiethungen .

Osmaniſche Begräbniß

Chriſten - Begräbniſſe.

Idy will jetzt etwas ſpecieller über die hieſige Geridits pflege ſprechen, und einige Details anführen, weldie dazu

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dienen mögen, das Muſterhafte einer türkiſchen Polizei in das wahre Lidyt zu legen . Jeder Fremde, der die Abſicht hat in Conſtantinopel zu weilen, muß von der betreffenden

Geſandtſchaft eine Aufenthaltskarte löſen ; ohne eine ſolche könnte er in die peinlidiften Lagen kommen, da er, in fol dem Falle als purer türkiſcher Unterthan betrachtet, bei

eventueller Arretirung eben keinen günſtigen Begriff von dieſem Vergnügen bekommen würde. Sobald er fid) aber im Beſitz einer ſold)en befindet, kann er dem ( freilich nicht

allzuweit reichenden) Arme der türkiſdjen Polizei nie ver fallen , ſondern wird gegen Vorzeigung dieſer Legitimation feiner Geſandtſchaft überwieſen. Alle Vergehen fallen dem= nach in das Reffort der Geſandtſchaften, und nur derjenige, welcher ſich der Nothzucht oder Falſchmünzerei duldig ge macht hat, theilt das Sdidfal eines Aufenthaltsfartenloſen. In türkiſche Gerichtsarme fallen, iſt aber eines der trau rigſten Erdengeſdyice, da nicht nur ( wie Alles in der Türkei)

die Unterſuchungen ſehr langwierig ſind, ſondern auch die Straferkenntniſſe von einer vernünftigen Motivirung der Milde keine Ahnung laſſen . – Wie in allen Ländern, ſelbſt den polizeigeſchulteſten, es nicht an Gaunern und Vaga

bunden vom reinſten Waſſer fehlt, ſo kann man ſich nicht wundern , daß dieſe Genies audy in Conſtantinopel wahrhaft floriren. Aus unzähligen Fällen wil ich hier eines Falſch= münzers erwähnen, wobei man bedauern muß, daß deſſen holde Gemahlin ſich hierbei noch ungeſchickter benahm, als

es nur eine türkiſche Polizei kann. Dieſer Falſchmünzer war ein italieniſder Doctor Juris in Pera, der ſich berech tigt fühlte, jeden Staatsſduldſchein für nicht mehr anzu ſehen, als für das, was er in der That iſt, d. h. Papier. Mit dem betreffenden Stempel modhte er es ſo genau nicht

nehmen. Zudem er nun ſeine erbauliche Sunſt bisher unge = ſtört übte, und ſo manden 20- Biaſter dein in die Welt

dhidte, bekam dodh endlich und dies will viel fagen) die

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Polizei von ſeinen Praktiken Wind, und beſchloß, den Ver

brecher auf der That zu ertappen. Man befekte alſo vors läufig ſein Haus und ſchickte eiligſt zur betreffenden Geſandt

ſchaft, um ſich vorſchriftsmäßig ungehinderten Eintritt in das Baus des Italieners zu erwirken . Terapia aber, wo

den Sommer über die Geſandtſchaften reſidiren, liegt auf

4 Stunden von Bera entfernt, und ſo konnte man erſt nach achtſtündiger Belagerung des Verdächtigen zur Haus ſudjung ſchreiten. Während dieſer nicht allzukleinen Friſt

hatte es unſer Künſtler für rathſam gehalten, die Gebilde ſeiner Hände zu verbrennen.

Aber ſo ganz gewiſſenlos

wollte er doch nicht gegen ſeine Kinder handeln, und be fchloß deshalb, einige von dem Flammentode zu retten. Seine Gattin wollte nun ebenfalls die ihrem Geſchlecht an

geborne liſt geltend machen, und half hier ihrem Manne aus ſichtlicher Verlegenheit; ſie practicirte die Biaſterſcheine unter ihre umfangreiche Crinoline, indem ſie dieſelben noch

zur Vorſicht feſtnähte. Als nun die Polizei die Reviſion begann, fand man eben kein corpus delicti vor und wollte ſchon die Sache ad acta legen, als plößlich die ſichtbare Angſt der Frau, welche ſich eben entfernen wollte und auch durfte, in den erleuchteten Köpfen der Polizei einen Ver dacht erregte. Man führte die arme Sünderin zu der Ge

fandtſchaft, und begann eine eben nicht allzudelicate Durch

ſuchung. Als man das Gewünſdite gefunden hatte, ließ man ſie, wohl mit Abſicht der Geſandtſchaft, entſchlüpfen .

Der Mann jedoch wurde zur Haft gebradit, d. h. weil er ſonſt ein anſtändiger Herr war, detinirte man ihn in Galata, wo er ſein Büreau hatte, in der vierten Etage eines maſſiven

Steingebäudes, und ſtellte eine Wadie vor die Thür. Der Italiener aber zeigte bald, daß er ſeiner Nation durchaus feine Schande machen wollte, und daß er an Um ficht der türkiſchen Polizei um verſchiedene Precente überlegen

ſei. Er ließ ſich einen anſtändigen Napffudhen verabfolgen.

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Man mochte ſich freilich über den gewaltigen Appetit des Gefangenen wundern, follte aber bald Gelegenheit haben, fid noch mehr über dieſen inhaltvollen Ruden zu wundern. Denn am nädyſten Morgen war der Vogel aux dem Fenſter entflogen und hatte zum Andenken an ſeine theure Eriſtenz einen Strid hinterlaſſen. Die Ueberreſte des Napffudens zeigten nur zu flar, wie ſehr derſelbe mit dem Strid ver bunden geweſen war ! Ein zweiter Fall, der ebenfalls in Pera paſſirte, nahm nur eine etwas tragiſchere Wendung. Mit einem öſtrei dhiſchen Gaſtwirth, der eine zahlreiche Familie zu ernähren hatte, ſtand es ziemlich ſdylecht. Da er zuleßt nicht mehr wo ein wo aus wußte, hielt er es für das Gerathenſte, ſid, auf die Strümpfe zu maden und ſeine ,deutſche Hei math " (dies war nämlich die Firma ſeiner Kneipe) in Stich zu laſſen. Da er hiermit ſdon (von Deſtreid) her) ver traut war, ſo mochte ihm dieſes Deſertiren eben keine großen Abſchiedsthränen entloden. In Kleinaſien, wohin er ſein Aſyl verlegt hatte, kam er aber audy bald zur Ueber zeugung, daß es mit ſeinen Sdywindeln aus ſei, und ſo trat er wieder ſeinen Rüdzug an. Er legte von Neuem eine Kneipe an, und füllte die Stunden ſeiner Muße mit

einem ſauberen Privatſtudium aus. Er wurde zuſehende wohlhabend und Niemand wußte, wo man dieſen plötzlichen Reichthum herleiten ſollte. Nur ein Uebelſtand trug razu bei, den guten Ruf des Deſtreidyers etwas zu verdädytigen,

man wunderte ſich, daß er ſtets nur türkiſches Papiergeld ſeinen Gäſten herausgab. Der Argwohn ſtieg nod) mehr, als er fidy, im Verein mit einem Staliener, der furz zuvor nod ein pauvre père geweſen war, ein Landgut faufte.

Des Tages Arbeit wollte der reidye Gaſtwirth nidht mehr tragen, und ſo verlebte er den Tag über bis zum Abend ,

wo er in ſeiner Kneipe wieder ſeine Kunden bediente, ohne Harm auf ſeinein Gute, zu ſeiner Stellvertretung hatte er

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Kellner engagirt. Eines Abends fanden ſide aber ungebetene Rabaſſen , und mit dieſen der erforderliche

Gäſte ein

Geſandtſchaftskabaſſe , und erlaubten fid , den Gaſtwirth nebſt ſeinen unzertrennlichen Freunde in ihrer Arbeit ſtören und über die Legitimität des Papiergeldes aufklären zu wollen .

Die beiden Delinquenten hatten aber zum Aerger

der Rabaſſen die Kühnheit, ihnen zu entwifden. Leider, und

das iſt das Unglück von der Hiſtorie, mußten ſie hierbei Landgut , Kneipe und Familie im Stid, laſſen. Es wird dem Leſer nid)t unintereſſant ſein , zu erfah ren, weldies Schußes ſich die Söhne des Aeskulap in Con=

ſtantinopel zu erfreuen haben. Es hat hiermit eine ganz beſondere Bewandtniß, denn, wenn don die dortigen Aerzte, d. h. europäiſde , von den Fremden in Anſpruch genommen werden , ſo erſtredt ſich ihre Thätigkeit nicht im Geringſten etwa auf Türfen oder Armenier ; dieſe ſtellen ihre Seele und leibliche Sorge dem Dermiſds anheim. Der Derwiſch ſucht mit allerlei nekromantiſden Sprüdılein den Beelzebub zu vertreiben, und ſollte dieſer einmal nicht aus dem armen franken fahren wollen , dann erſt entſchließt man ficy mühe

vol zit einem Arzt.

Und hierin mögen die Türken auch

Recht haben. Denn wenn man dieſe größtentheils fauberen Aerzte näher betrachtet, ſo hält man es jedenfalls für das

Gerathenſte , lieber der Natur freien Spielraum zu laſſen, als fid, durch die Kunſtſtücke eines ſolchen Pfuſdiers, obenein noch für theures Geld , in Pluto: Schattenreich expediren zu laſſen. Man kann hierüber manches Lieddyen ſingen und

ich will hier einige beluſtigende Fälle anführen. So lebte in Bera ein gewiſſer Joſephus , der nicht ermangelt hatte, gleid, nach ſeiner Ankunft ſid, ein Schild mit dem Titel :

„Profeſſor der Medicin “ an ſeine Thür hängen zu laſſen. Dieſer nun practicirte auf'e Gerathewohl in die Welt hinein, denn von der Medicin verſtand er keinen Deut , ſondern war ein Erlegionair , der fid, für einen preußiſchen Garde

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Lieutenant au&gab , jedoch nannte er (aus eigenthümlichen Rüdjichten ) nie ſeinen Namen ! Daher der ſimple klaſſiſche Name Joſephus. Er madyte foldes Aufſehen in Conſtan tinopel , daß die Geſandtſchaft ſogar ſein Portrait nach

Berlin fchicte , um ihn zu recognosciren , da ihn ein eben ſo läſtiger Geſelle, ein ehemaliger Berliner Buchhändler, Sch., eines großen Verbrechens inculpirte. Nachdem ihm ein Sdwindel auch eine reiche Armenierin zur Frau ver ſchaffte, er aber dieſes Glüd nur ein Jahr lang genoß, en = digte er auf Antrieb ſeines Schwiegervaters im türtiſden Arreſt.

Wie der berühmte Mesmer , nebſt Conſorten , wenn auch in wiſſenſchaftlich begründeter Weiſe, ſeine Wunderkuren auf den thieriſchen Magnetismus begründete, und die Welt mit ſeinem Ruhme erfüllte, ſo wollte auch unſer Magnetiſeur

ſeine Pröbchen zum Beſten geben, um ſo mehr, da er hier bei ſtets das Beſte

Geld zog.

Und er verdiente auch

wirklich wahre Anerkennung , denn ſeine Schwindeleien gin = gen in's Fabelhafte , und es gelang ihm ſo den Beweis zu führen , daß es wirklich noch redyt viel Narren in der Welt gibt. Auch der Pillendoctor Biſdof in Bera verdient eine

ganz beſondere Erwähnung. Dieſer betrachtete nämlich die Pille als Univerſalmittel , und wahrſcheinlich bedauerte er

die Welt , daß ſie zu dieſer Erkenntniß noch nicht ganz ge reift war. Nach ſeinem Syſtem galt eine Verrenkung am Fuß ſoviel wie eine Erkrankung des Magens , da er Alles nur durch die allein beglückende Pide geheilt wiſſen wollte.

Dieſe „ Wohlthat für die Menſchheit" bezog er aus Deſter reich , und machte hierbei ganz anſtändige Geſchäfte. Außer jenen Quadſalbern gibt es aber in Bera wirk lich einen deutſchen , einen engliſchen und zwei italieniſche

Apotheker, von denen auch die Türfen die von ihrem Prie

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ſter ihnen vorgeſchriebene Arznei beziehen , da es ſonſt keine orientaliſche Apotheke in der Stadt gibt. 3n Pera findet man nur Europäer nebſt den Arme niern und Griechen. Die Türken vertrieb man auf eine ebenſo eigenthümliche, ale lächerlidye Manier. Es hatte nämlich ein Fremder ein Sdwein mit in ſein Haus ge nommen und hierbei nicht bedacht, daß ſeinem Nachbar, als

eingefleiſchtem Türken , das Gequieke des unreinen Thieres ſehr zuwider ſein mußte. Da nun das Schwein bei ſeinem

monotonen Geſchrei verharrte , ſein Eigenthümer aber ſich zur Abfdjaffung dieſes Störenfriedes nid)t bequemen mochte, that der Türke nichts Eiligeres , als Bera bei Nacht und Nebel verlaſſen. Dies Beiſpiel wirkte , und in kurzer Zeit hatte das gute Schwein Wunder der Tapferkeit gethan, denn alle Türken hatten ſich nach Stambul zurücgezogen.

Es erging ihnen hier , wie dem Löwen , wenn derſelbe das Krähen eines Hahnes vernimmt. Hier, wo ein Zuſammenfluß aller Nationen Statt fin= bet , kann es nidyt fehlen , daß ein wahres Sprachenbabel den Fremden begrüßt. Die dortige Jugend weiß deshalb auch ſo ziemlich mit dieſen mancherlei Sprachen Beſcheid. Borherrſchend bleibt jedoch das Türkiſche , Franzöſiſche und Italieniſche, mit deren barbariſchem Gemiſd ein Fremder vertraut ſein muß , wenn er ſich gewandt in Bera bewegen will.

Die Häuſer in Pera ſind größtentheils von Holz, und die Eigenthümer ſind meiſt Armenier und Türken , nämlich die , welche, wie ſchon erwähnt, das Faſenpanier wegen der holden Beſtie nicht ergriffen hatten. Der Türfe befünimert ſich in Betreff der Miethe nur

wenig um die europäiſde Jahreseintheilung , und fordert dieſe pränumerando jedesmal, wenn der Neumond erſcheint,

als eine neue Zahlung. Auf dieſe Weiſe hat der Europäer

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die Annehmlichkeit, ein Mal mehr die außerordentlich hohe Miethe zu zahlen , als in ſeiner Heimath.

Bei der Vermiethung herrſd)t, wenn der Miether ein Giaur iſt, eine eigenthümliche Ceremonie. Man ſieht nämlich einen ſolchen nicht für voll an und derſelbe muß ſich daher einen Reigar ( türkiſdyen Unterthan) beſchaffen , der Bürge für ihn wird.

Daber kommt es oft , daß ein reicher Kauf

mann , der jährlid) 40,000 Piaſter Miethe zu zahlen hat, einen ſeiner Hamals (Arbeitsleute) zur Caution ſtellt. Dieſe Verhandlung findet nur in der betreffenden Geſandtſchaft Statt und auf Grund derſelben wird der Contract auf der

türkiſchen Polizei vollzogen. Ohne ein ſolches vorangegan genes Verfahren hat der Eigenthümer nicht die mindeſte Befugniß , die bedungene Miethe zu fordern , und der In haber des Quartiers kann womöglid bis an ſeine letzten Lebenetage in feinem Aſyl miethefrei hauſen. Bezahlt nun ein Miether bei Ablauf eines türkiſchen Monats den Miethe

betrag nicht, ſo beehrt ihn der Eigenthümer mit einem drei maligen Beſuche, und läßt es hierbei an poetiſden Hyper

beln nach türkiſdjer Manier nicht fehlen. Verfehlen dieſe den beabſichtigten Erfolg , fo greift er zu dem allgemein üblichen Verfahren , ihn zu ermittiren , es ihm alſo anheim zu ſtellen, ſich ſo gut als möglid, sub divo einzuquartieren. Die türkiſche Regierung bezieht, beiläufig bemerkt, feine an dere Hausſteuer als 3 Procent von dem Miethsbetrage.

In Pera befindet ſid, ein franzöſiſche's, ein deutſches und ein preußiſches Hoſpital. In beiden letzteren beſorgen

Sdyweſtern und einige Aerzte die Pflege der Kranken. Zur Erhaltung dieſer Hoſpitäler exiſtiren nun die reſpectiven Vereine, denen faſt jeder Europäer in Bera mit monatlichen Zahlungen beitritt. Zu den Fonds dieſer Inſtitute ſchießen außerdem reidye Fremde bedeutende Summen zu, und die Ge

fandtſchaften laſſen es ebenfalls hieran nicht fehlen, weshalb auch auf ihr Verwenden jeder Unbemittelte leidit aufgenom

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men werden fann.

Im Vermögensfalle muß ſonſt Jeder,

der nicht zum Verein gehört, die Verpflegung bezahlen. Das franzöſijde Hoſpital nimmt auch die erkrankten Italiener mit auf.

Von Theatern findet ſich nur eine italieniſche Oper vor, von der ich ſchon früher geſprochen habe. Mehrere fatholiſche Kirchen ſind für die Armenier und Grieden gebaut. 3n dieſen fällt zur Zeit des heiligen

Weinacht8abende regelmäßig ein eigenthümlicher Unfug vor ; es herrſcht nämlich die Sitte unter den Griechen, die Geburt des Erlöjers mit Freudenſchüſſen zu begrüßen. Die Frem= den begehen den Gottesdienſt in ihren betreffenden Geſandt= ſchaftsgebäuden, von denen die größeren , wie das engliſche, preußiſde , franzöſiſche u. 1. w. , ihren beſonderen Prediger haben.

Lord Stratford de Redcliffe bat im Jahre 1858

beim Sultan um einen Bauplatz für eine engliſche Kirche, und es wurde ihm eine der ſchönſten Stellen Bera's hierzu angewieſen , nämlich am Ende der Beraſtraße vor dem Ga latathor , wo eine ungeheure Feuersbrunſt in demſelben Jahre ſtattgefunden hatte.

Mit den Kird;höfen der Türken iſt es ein eignes Ding. Dicht neben den Wirthshäuſern iſt ein Kirchhof en minia

ture angelegt ; dieſen ziert genreiniglich eine Kapelle, welche Nadits durch eine kleine Lampe erleuchtet wird ; auf ihm erhalt der Hauseigenthümer nebſt ſeinen unmittelbaren An gehörigen eine ſolche erleudytete Ruheſtätte. Außerdem fin= ben ſich aber nocy redyt große Kirdyhöfe für die Gemeinden,

jo z. B. zählt Bera für ſeine Türfen drei , für die Euro päer einen, legteren bicht am Ausgange von Bera, die übri gen um die Stadt herum . Hat nun ein Orientale oder audy ein Fremder das Zeitliche geſegnet , ſo gönnt man ihm , aus billiger Rüdjicht auf die Einflüſſe der füdlichen Temperatur, nur noch einen Tag für dieſe Erde. Eine Prozeſſion von türkiſchen Leichenträgern kennt man nicht,

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ſondern die Hülle des Verſtorbenen wird in folgender Weiſe nach ihrem Beſtimmungsorte gebrad)t. Der Sarg , von derſelben naſenquetſdenden Conſtruction, wie der unſerer 3uden , wird vermittelſt zweier Stangen auf den Schultern von vier Trägern aus dem Hauſe getragen. Es folgt for dann eine Menge Zuſdauer, welche nach der Ehre ſchmach

ten , den Todten tragen zu dürfen. Sobald man Halt macht, um ſich auszuruhen , ſpringen ſogleich unaufgefordert vier neue Träger aus dem beiſtehenden Publikum , und ſo wiederholt ſich dieſer menſdien- und todtenfreundlidye Brauch,

bis der Sarg in die Erde geſenkt wird. Hierbei hatte ich einſt Gelegenheit zu bemerfen , wie zwei Soldaten einen Ra meraden nach dem Friedhof trugen, dabei aber das Unglüd hatten, ihn ſo fallen zu laſſen, daß der Sarg aufredyt ſtand. Solche Scenen ſind bei dem türtijden Trageſyſtem ſehr gewöhnlich.

Bei der Beerdigung eines Chriſten iſt zu bemerken, daß die Ueberreſte eines Europäers dem größten Steinhagel ausgelegt ſind , wenn nicht ein Sabaſſe von der betreffenden Geſandtſchaft tem Leidenzuge vorangeht. Man hat alſo nie außer Adyt zu laſſen , bei der Geſandtſchaft die gehörige

Meldung von dem Todesfalle zu machen , um dieſem Un fug von Seiten der Türken zuvorzukommen . Wird ein Grieche zur legten Ruh getragen , ſo bietet ſich dem Frem ben reichlicher Stoff zu Betradytungen dar. Erſtlich die Träger (hier eine Zunft) tragen eine fo grauſenerregende Kleidung, daß man eher glauben möchte , man führe einen durch Benkershand abgethanenen Delinquenten , als einen friedlich Verſdriebenen in dem Sarge. 3hre Foſe iſt näm=

lich knalroth und die Blouſe blau , die durch einen breiten Riemen um die Hüfte gegürtet iſt. Auf dem fopfe tragen

fie das gewöhnliche griedriſche Feß. Dem Todtenſdymaus ſcheinen die Griechen nicht abhold zu ſein, denn es geht ein Träger mit Wein und allerlei Lebensmitteln voran , an de

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nen man ſich dann auf dem Kirchhof ſtärkt. Sobald die Karawane nun vor ſich geht, ſtürzen alle griechiſchen Frauen und Mädchen an die Fenſter, wo ſie gerade pafſirt, und erheben ein herzzerſchneidendes Gebeul und Wehegeſdrei,

das einem burd, Marf und Bein gellt.

Dies erbauliche

Concert wächſt beinahe mit jedem Schritt, ſo lange, bis

der Zug nicht mehr von den Weibern geſehen wird. Der Leſer wird ſich demnach vorſtellen können , daß eine folche

Beerdigung wirklich einen unverlöſchbaren , paniſchen Ein fluß auf ungriedriſche Herzen ausüben muß. Ich will hier gelegentlich noch bemerken, daß bei Kullulee die Gräber nur 1 Fuß tief in die Erde gegraben werden, da dieſelbe wegen ihres ſehr ſteinigen Gehalte das Graben außerordentlich erſd)wert. Deshalb iſt es nicht ungewöhnlich, daß die herum ſdyweifenden Hunde es fich angelegen fein laſſen , den friſch

beerdigten Leidynam durch gemüthliches Verzehren vor Ber >

weſung zu wahren.

Die Mehrzahl der in Pera wohnenden Deutſchen ſind

Handwerker , die früher ihr Glüd machten ; iegt aber ſind die Zeiten für ſie andere geworden. Früher bezogen nämlich die Türken alle unentbehrlichen und Lurusartikel von ihnen

oder durch ſie aus Deutſchland. Näherer Umgang mit an = deren cultivirteren Nationen klärt aber ein Volt auf , und ſo iſt es gekommen , daß auch die Türken ſeit dem Krim feldzuge flüger geworden ſind , und ſehr bald die Quellen jener Bezüge kennen gelernt haben. Ein iegt einwandernder

Deutſcher wird ſchwerlich das Glüd madhen , wie ehemals.

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Capitel 3 .

Miſchehen und deren Folgen. Die Deutſchen in Pera. Årmenis Türkiſches Schulweſen. Erziebungs - Reſultate. ( che Prellereien . Italiener , Armenier und Griechen . Verkauf tſcherkeſſiſcher Mädchen.

Die Deutſchen halten in Allem , ſelbſtverſtändlich mit Ausnahme der prefären Geldfrage , nach alter deutſcher Treu zuſammen , was ihr Verein ,, Teutonia" in Bera be weiſt. Der Gründer deſſelben war der ehemalige Sattler geſelle Rapitän aus Bayern , jeßt Oberſt und Adjutant des Prinzen von Aegypten , des Sdywiegerſohnes des Sultans. Dieſer kam zu ſeiner eclatanten Stellung dadurch, daß er nach Aegypten ging und in Kairo zufällig für den Prinzen

arbeitete , der ihn lieb gewann , ihn 1857 , nachdem er in türkiſdie Dienſte getreten war , zum Oberſt und zu ſeinem Að utanten madite. Er verheirathete ſich mit der Todter des türkiſchen Hoftiſchlermeiſters Seefelder. Die Deutſchen verjanımeln ſich vorzüglich vor den

übrigen Europäern Abends in den Wirthshäuſern und ver pflanzen allmählich ſo das geſellige und intelligente Spieß= bürgerthum auch nach dem Orient. Ueberhaupt ſcheint mir der deutſche Midel fich auf allen Theilen der Erde ſtets treu zu bleiben , d. h. am langſamen , ſidheren Fortſchritt feſtzuhalten. In fadlicher Verlegenheit fann der Freunde in Pera eher darauf redynen , von einem Briten als von einem Germanen unterſtüßt zu werden. Weiteres habe ich über dieſen Zug ſchon bei den Deutſchen in England an geführt. Man kann hierbei eine für uns nid )t vortheilhafte Parallele ziehen zwiſden Albions und 3ſraels vertriebenen Söhnen. Beide laffen es im Auslande ihren Lands- oder Stammgenoſſen nie an unterſtügung gebrechen. Seit dein Krimfeltzuge , mit dem eine neue Epoche in der Cultur: geſchichte der Türken beginnt, hat ſich die Scheidewand,

welche den Drientalen vor all zu nahem Umgange mit dem

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Giaur abhielt, ſehr gelockert. Mit dem Deutſchen, deſſen - Grundprincip geſellige Gemüthlichkeit iſt, verträgt ſich jetzt der Türke ſehr gut ; und ein Gläubiger aus dem vorigen Fahrhundert würde bedenklich den Kopf ſchütteln , wenn er

fähe , wie nicht nur Beide mit freundſd;aftlichem Behagen i in einem Wirthshauſe biskuriren , ſondern auch das dem

I Moslem verbotene Getränt, Bier , fic arglos fredenzen.

Der aufgeklärte Türke genießt jegt, ohne weitere Gewiſſens o ſcrupel, allerlei geiſtige Getränke , und ſcheint auch an den

Kneipen , beſonders an ihrer weiblichen Bedienung , Maga retas genannt , großes Vergnügen zu finden . Der deutſche Giaur macht aber hin und wieder auch ſeine heitere Ueber 1 legenheit geltend , und ſo kommt es oft , daß ein Deutſcher

1 die üble Dispoſition eines Türken mißbraucht, um ihn ge hörig betrunken zu machen. Ein dom Waſſer des Lebens

1 berauſcyter Türke aber bietet einen wahrhaft komiſchen An blid dar, da er alsbalb, ohne die üble Beigabe einer leichten - Erregbarkeit zu Erceſſen , die allerheiterſte Laune entwickelt. In Pera , überhaupt im ganzen Orient , findet man

· viele Miſchehen. So verheirathen ſich die Deutſden ſehr

oft mit Armenierinnen, Griedyinnen, Italienerinnen u. j. w., aber alle dieſe Ehen ſind nicht durch Frieden und Eintracht geſegnet, und deshalb iſt es eine natürliche Folge , daß die - Früchte derſelben ſehr mißrathen . Der Grund ſolcher , bei

Reich und Arm vorkommenden Mißverhältniſſe liegt , wie

5 leicht zu denken , in dem zu gewaltigen Abſtand der natio - nalen Verſchiedenheiten. Die Erziehung der Kinder iſt in jeder Hinſicht vernachläſſigt. 3ſt ſchon das Beiſpiel , wels ches die Eltern in ihren Zerwürfniſſen täglich geben , ſehr verderblich für die jungen Gemüther, ſo hat man noch mehr

zu bedauern , daß , troß einer guten Schule in Bera , von Regelmäßigkeit des Unterrichts feine Rede iſt. Theilweiſe

bekümmern ſich die Eltern aus Nadıläſſigkeit nicht gehörig um ihre Kinder , theils liegt das Schulhaus (Das einzige 8

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deutſche) für Viele zu entfernt, als daß die gegen jede Aus bildung gleichgiltigen Pfleger der jungen Zöglinge es der Mühe für werth hielten , dieſe zu fortdauerndem Beſuche

der Schule anzuhalten . Da nun die deutſchen Kinder in ihren Freiſtunden große Liebhaber von Straßenamüſements find, und hierbei mit anderen Ausbunden jeder Nation ver

kehren , ſo kann man leicht ermeſſen, welche Vielſeitigkeit in jeder Art von ſchlechten Streichen dieſe Rangen bekommen . Freilich hat dieſer Umgang audy ſein Gutes , indem die kleinen Taugenichtſe wahre Mezzofanti's werden ; ſie lernen „ ſpielend“ die fremden Sprachen , und dienen deshalb dem Reijenden ſehr oft zu nüglidien Dolmetſdern. Wie in Con ftantinopel bie herrenloſen Hunde, ſo treiben ſich in Bera die

deutſchen Straßenjungen umher , mit dem Unterſchiede, daß

ſie es , wie jene , mit dem Revier nicht ſo genau nehmen und das Freie lieben , wohin ſie ſehr oft Nadtpromenaden unternehmen. Die Eltern haben wirklich eine herrliche Pä dagegit , zu beren beſſerer Beleuchtung id hier zwei Fälle anführen will.

Ein deutſcher Sattler, Namens Adolph B. , aus Weſt

phalen , hatte ſid mit einer Armenierin verheirathet und aus dieſer Ehe fieben Kinder. Er war ſchon 30 Jahre in Pera , und ſein älteſter Sohn , Forni , hatte das 15. Jahr zurüdgelegt. Zum Unglüc für die Kinder war der Vater ſehr fränklid , außerdem in Geſchäftsangelegenheiten ſehr in Anſpruch genommen. Die Erziehung war alſo ſeiner Ehe

hälfte anheimgeſtellt, und ſie fiel denn auch ſauber genug aus. Außerdem nämlich, daß ſein Forni heimlich des va ters Taſchen und Geldſdırank revidirte , ſich alſo nach Be lieben ſein Taſchengeld ſelbſt beſchaffte, verwerthete er , zu annelmbaren Preiſen , audy einige Sättel im Magazin. Der arme Vater war aber dieſem menſdhenfreundlichen Treiben des hoffnungevollen Sohne einmal auf die Spur

gekommen. Er begab ſich eiligſt nach dem Campo (außer

115

.

halb vor Bera), wo er gewiß war , ihn anzutreffen. Jorni

ließ ſich eben angelegen ſein , einen Eſel unter ſaurem

1

Schweiß die Schule zu reiten. Der Vater tractirte den munteren Cavalier unverhofft und derb mit einem tüchtigen & Anittel , und ganz empört über dieſe Gewaltſamkeit, rief

T

der Ritter die brohenden Worte :

„Paſſirt mir das noch

i einmal , ſo laſſe ich Dich arretiren !“ Der Vater kam nun 1 in ſeiner Herzensangſt zu mir , da id) wegen der zu erridia tenden Gensd’armerie von Seiten aller Geſandtſchaften in Pera polizeilich beſchäftigt war. Er bat mich mit Thränen in den Augen , ich möchte doch ſeinen ungerathenen Sohn o beſſern helfen , und ihn tüchtig züchtigen laſſen. Zu Letzte

i ' rem , erwieberte id , fei ich nicht befugt. Darauf bat er

midy, ihm meinen Diener zur Affiſtance zu geben. Dbgleich id) nun den Diener eigentlich nicyt zum Durchprügeln von ungezogenen Straßenjungen gemiethet hatte , konnte ich aus & Mitleid für den bekümmerten Vater ihm dieſe Bitte nicht 5 verſagen. Nachdem ich meinem Diener in Betreff der an

zuwendenden Südytigung die nöthige Inſtruction gegeben hatte , lockte dieſer ben Burſchen in den Pferdeſtall, wo er i oft verweilte, um Futter für ſeinen langöhrigen Grauſdim É mel zu escamotiren, band ihn mit einem ſtarfen Riemen an t einen Pfeiler feſt, und der Vater begann ihm nun eine

redyt eindringliche Lection zu ertheilen . Hierauf warf er I den Miſſethäter in einen Keller, um endlich ein energiſches Correctionsſyſtem zu befolgen. Dieſe Strafe hat in der Türkei etwas auf ſich , da der Aufenthalt in einem ſolchen Raume wegen des maſſenhaften Ungeziefers und der bö8 artigen Scorpionen höchſt unerfreulich iſt. Aber Forni ließ ſich nicht einſchüchtern und erging ſich in ſeiner Wuth und ſeinen Drohungen ſo weit, daß er dem Vater erklärte : ,,So i bald ich aus dem Keller komme , ſteđe ich Dir das Haus über dem Kopfe an !" Sein zweiter Sohn , Eduard , hatte 10 Jahre hinter 8*

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fich ; er beſaß eine ſo große Diebesvirtuoſität, daß er wo möglich ſeinen älteren Bruder übertraf. So entwendete er einſt ſeinem Vater mittelſt Erbrechung eines Geldſchrankes

40 Pfund (226 Thlr. 20 Sgr.) und trat , reichlich mit Geld ausgeſtattet, in Begleitung eines würdigen Schuſter jungen , ganz rergnügt eine kleine Landreiſe an. Aber das Leben iſt ein Traum , und verſchwendetes Geld noch mehr. Eduard® plutoniſcher Hebel ging zu Ende , und ſo ſahen ſich denn nach ungefähr vier Wochen die beiden irrenden

Ritter genöthigt , den Heimweg einzuſchlagen. Der Vater hatte aber für den jungen Sdwärmer bei der türkiſchen Polizei ſchon ein Unterkommen nachgeſudit, indem er ſich

erbot , die Verpflegung redit gern und mit jedem Preis be zahlen zu wollen.

So wurde denn unſer Strolch in ein

türkiſdjes Gefängniß geworfen und an Retten gelegt. Vier Wodyen lang hatte der Junge bei Waſſer und Brot auf dem unbequemſten Nachtlager von der Welt

Zeit genug gehabt, ſeine romantiſchen Streifzüge zu bereuen, als der Vater wegen des oben erwähnten Vorfalles mit dem älteren Bruder zu mir kam. Da er mich zugleich auch wegen Eduarde um Rath fragte , ſagte ich ihm , daß er jo

ſchnell wie möglich den Knaben aus dem Gefängniß holen möchte, da eine folche Strafe für ſeine ſchwache Conſtitution

gar nicht anwendbar fei, zugleich auch einen ſchädlichen mo raliſdhen Einfluß auf ſein ſpäteres Leben haben fönnte. Ich machte ihm dagegen den Vorſdjlag, er rolle die beiden

Taugenichtſe die Sattlerei erlernen laſſen , und hierzu ſich einen tüchtigen, geſetzten Geſellen halten, der ſie Beide ſtreng bewadyte und tüdytig zur Arbeit heranzöge. Trotzdem dies nun geſchah, ſo kam er nach wenigen Tagen wieder mit der Botſchaft zu mir, daß Eduard ſeine Weſtentaſchen durch

ſtöbert und ihm 200 Piaſter entwendet habe. Der Aeltere freilich habe Luſt zu der Arbeit , aber mehr Geſchmack für die Fleijderei.

3d erwiderte ihm , wenn er hierin ſeinem

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Sohne zu Willen wäre, könnte er ſich darauf gefaßt madjen ,

daß Forni im nächſten Jahre den Galgen ziere. Eine Stunde ſpäter ritt ich zufällig nach dem Campo und er blidte den kleinen Deſerteur , der dieſelbe Vorliebe für jene

Grauſchimmel zu haben ſchien , wie ſein älterer Bruder. Den Beſitzer und Vermiether des Gjels, einen alten Türken, der neben dem kleinen Reiter daherrannte , ließ ich ſogleich Eduards Fuß am Steigbügel feſtbinden , und den Arreſtanten fo zur Wade führen , wo auf meinen Befehl ein Rabaſſe

den verlornen Sohn zu ſeinem Vater ſchaffte. Er hatte, ſchon etwas ökonomiſcher als ſonſt , gerade noch eine Baar ſchaft von 40 Piaſtern bei ſich. Als ich den jungen Sün= der fragte, mit weldhem Fug und Recht er die Taſdien ſeines Vaters unterſuchte , antwortete er ſehr kaltblütig : „ Meine Mutter thut’s auch ſo !" Der Vater beſtätigte bies und fügte hinzu, daß ſeine theure Gattin überdies noch rauche, trinke und allerlei Confitüren naſche, und daß er des Abends nach der Rüdfehr von ſeinen Geſchäftsgängen für das Eſſen ſelber ſorgen müſſe. Um ſich den nöthigen

Proviant zu verſchaffen , hatte er nun ſeine Söhne wegge ſchickt, dieſe kehrten aber ſelten zurück, ſondern traten ſogleich mit dem Geld ihre Nachtſtreifereien an. Um dieſem Unfug zu ſteuern , rieth id) ihm , den nöthigen Bedarf aus einer

Garküche zu beziehen und ſeine beiden Söhne außer dem Hauſe im Magazin bei dem erwähnten Wertführer dylafen zu laſſen.

Später , als ich nach 18 Monaten aus Tſcherkeſſien zurückkehrte , erkundigte ich mich bei dem Sattlermeiſter B.

nach ſeinen beiden Söhnen , und hörte zu meiner größten Frende, wie der alte Meiſter ſie nicht genug loben konnte, ſie waren ehrlich, fleißig und brav geworden. Sie nahmen auch tüchtig Privatſtunden , um das Verſäumte in den Schul wiſſenſchaften eifrig nachzuholen. Ein reicher Raufmann in Stambul hatte ebenfalls das

1

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Glüd , eine Armenierin zur Frau zu haben ; daher fehlte es nicht, daß ſein einziger Sohn, Rudolph , daſſelbe Weſen trieb , wie die erwähnten beiden Sattlerbuben.

Zu ſeiner

Beſſerung ſchickte ihn nun der Vater nach Mannheim in ein Penſionat; hier war aber ſeines Weilens nicht lange,

da ihn der Vorſteher ſehr bald zurückſandte mit dem Be merken , daß an dem unverbeſſerlidhen Taugenicht8 Hopfen und Malz verloren wäre, und er denſelben um feinen Preis behalten wolle. Als nun der Burſche in Stambul ſeine

vorige Lebensweiſe , und zwar in größerem Styl , ſogleich wieder aufnahm , fo bat ber Vater den engliſden Conſul, mit dem er befreundet war , ſeinen Sohn im Conſulats

Gefängniß unterzubringen. Darauf fam er zu mir , und bat um meinen Rath. Ich ſchlug ihm vor , Rudolph bei einem tüchtigen deutſchen Schiffs- Capitain als Schiffsjungen zu placiren , ich würde ihm hierbei behilflich ſein. Als ich daher eines Mittags in Galata mit einem Schiffs-Capitain , den id genau fannte, zuſammentraf, machte ich demſelben in

Betreff des Burſden dieſen Vorſchlag. Er ging, mir zu Ge fallen, hierauf ein , und nachdem ich den Kaufmann hiervon ſchriftlich in Kenntniß geſeßt hatte, fand ſich dieſer auch ein.

Er erbot ſich, gern alle Unkoſten nebſt Beköſtigung für ſei nen Sohn zu remuneriren , wenn der Capitain nur einen vernünftigen Menſchen aus ihm machen wollte. Der finabe wurde darauf aus dem Gefängniß geholt und dem Schiffs Capitain mit allen Rechten übergeben ; der Vater nahm A6 idied von ihm und ſchloß mit folgenden Worten , die allen Anweſenden tief in's Herz brangen : „ Nun , Rudolph , das

iſt das legte ! Folgſt Du jetzt nid )t, ſo werden die Wellen Dein Grab !"

Der Knabe blieb kalt und ſtörriſd ; erſt als

der Vater die Thür hinter ſich ſchloß , fing er bitterlich an zu weinen .

Als ich auf meiner Rücreiſe aus Tſcherkeſſien wegen eines orientaliſchen Fiebers mehrere Wochen in London ver

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weilen mußte, las ich zufällig die angekündigte Ankunft des genannten Capitains mit ſeinem Shiff in Southampton. In Erinnerung an den hoffnungsvollen Schiffsjungen ſchrieb ich ſogleich an ihn , und bat ihn , da er in London gewiß

Geſchäfte abzuwideln hatte , mich doch zu beſuchen , was er auch nach zwei Tagen that. Unſere erſte Unterhaltung fiel ſogleich auf den Jungen , und zu meiner Freude hörte ich,

daß der Capitain jetzt großes Gefallen an ihm gefunden habe. Anfangs freilich ſei er gleich in Smyrna derſertirt , da er

ihn an's Land genommen , um den Dolmetſcher zu ſpielen , denn er verſtand ſehr gut Türfiſd). Er ſei aber bald wieder

in ſeine Hände gelangt, und jeßt ſei er ſo redlich und treu geworden , daß er ihn mit jeder beliebigen Summe Geldes in's Land ſiden wolle , ohne ſein Durchbrennen zu be fürchten.

Er habe dies oft verſucht , b. h. unter gehörigen

Sicherheits -Mafregeln , von denen der Burſde nichts wußte,

er ſei jedoch jedesmal zurüdgekehrt. Er ſchreibt, verſicherte er mir weiter, oft an ſeinen Vater , und dieſe Zeilen geben von ſeiner tiefen Reue einen unverkennbaren Beweis ; Bitten

um Verzeihung ſeiner früheren Therheiten und Fehler bilden ihren Hauptinhalt.

Der Vater gewährt ihm auch dieſe

...

Bitte , und erkennt die Umwandlung ſeines Charakters acha tend und lobend an.

I



Die Armenier führen dieſelbe Lebensweiſe wie die Türken ; ſie ſind als ſtreng rituale Katholiken eben ſo aber gläubiſch wie dieſe, womöglich in noch höherem Grade. Es iſt daher bei ihnen eben ſo gewöhnlich, wie bei den Mos ſemiten , bei Erkrankungen ſtatt des Arztes einen Geiſtlichen um Rath zu fragen , der erſt nach vorherbedungenem Lohne zu erorciſiren beginnt. Doch ihr orthodores Gewiſſen läßt es gerne zu , daß ſie mehr als alle Juden die ausgefeim teſten Wucherer und Geldpreller von der Welt ſind.

nun dies ehrbare Geſchäft von dem größten pecuniären Einfluß iſt, und das Geld , namentlich durch die Prellerei

1

.

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der Fremden , in ihre Taſchen fließt, ſo ſehen natürlicher weiſe ſämmtliche Armenier in Conſtantinopel keinen Grund, ihr ſauberes Handwerk mit einem anderen zu vertauſchen, und find daher insgeſammt Geldwechsler oder Handelsleute. Man ſieht ſie auf den Straßen mit einem gläſernen Käſt dhen ſtationirt, in dem ſie die verſchiedenen Münzſorten, wie engliſche, franzöſiſdye, öſterreichiſche , preußiſche , holländiſche u. 1. w. , aufgeſdyiditet haben.

Wie ſie aber bei den Wechſeln ihren gehörigen Gewinn madjen , darüber muß ich, zum beſſeren Verſtändniß , etwas ausführlidier mich auslaſſen. Durch die Thorheit der Eu ropäer wurde , und zwar zum erſtenmale, Papiergeld in die Türkei, d. h. in Conſtantinopel, eingeführt. Wie hier Alles langſam zur Ausführung und zum Credit kommt , jo darf

es den Leſec nid)t wundern , daß man 1/2 Stunde von der Hauptſtadt auf türkiſdies Papiergeld nid)t für einen Para Waare erhält, es iſt dort alſo nie gang und gäbe geworden . Aber ſelbſt in der Hauptſtadt fann fid) jeßt , wo durd, die berühmten Falſdımünzer ſo viele falſche Biaſterſcheine in die Hände der Europäer gekommen ſind, ein Fremder alle erdenkliche Mühe geben, ohne einen Schein von 20 Biaſtern

( = 1 Thlr. pr. C. ) abzuſeßen. Nimmt er irgend welche Waare von geringerem Werth, als einem Zehnpiaſterſcheine, wobei alſo der Kaufmann ſehr wenig klingende Münze

herauszugeben hat , ſo kann er das Papiergeld ſchon an wenden .

Im entgegengeſetzten Fall nimmt der Verkäufer

lieber ſeine Waare zurück und hierbei wird nun mandyer

Unfug getrieben. Wenn z. B. in einem Café ein Gaſt eine

Taffe Moffa gemüthlidy conſumirt hat, und beim Weggehen ſeinen Piaſter ( 1 Sgr. 9 Pf.) dafür an den Wirth entrich

ten ſoll , ſo gibt er ihm einen Zehnpiaſterſdein ( 15 Sgr.), und Leşterer ſagt, da er lieber ſeine Taſſe Kaffee einbüßen, als Silbergeld für Papiergeld herausgeben will : sara juk, para juk , was ſo viel ſagen will, als : „ Thut nichts, Du

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fannſt ein ander Mal bezahlen , ich habe kein klein Geld." Auch Eigarrenhändler haben meiſt daſſelbe Bedenken. So kann ein Schwindler, der Befiter, eines Zehnpiaſterſcheine

iſt, Kaffee und Cigarre eine lange Zeit umſonſt haben , er

muß nur hierbei ſtets mit den lokalen wechſeln. Iſt aber ein Verkäufer nicht von demſelben Zartgefühl, wie die oben= erwähnten Cafétiers , fo hört man auch oft die Frage : bonabak para ? (haſt Du klein Geld ?) Antwortet nun

der Kaufluſtige: juk (nein ), ſo zieht der Erſtere vor , fich in gar keinen Handel mit ihin einzulaſſen. Umgekehrt aber fudhen die Verkäufer ſtet8 in Papiergeld herauszugeben , da

ſie daſſelbe gegen bedeutend geringeren reellen Werth an genommen haben und jeßt für den vollen Werth wieder

ausgeben. Die orientaliſden Gelbjuden, die genannten Ar menier , machen auf zweifadye Weiſe ihr Geſchäft: erſtlich

nehmen ſie Papiergeld gegen klingende Münze an , d. h. mit ungeheurem Abzug , dann aber beſtimmen ſie auch täg= lich den Cours für jedes in Conſtantinopel gangbare Geld, und dieſer Cours differirt von einem Tage zum anderen

auf eine ganz erſtaunliche Weiſe. Der Grund hiervon iſt, daß die Armeniec eben fo große Börſenſpeculanten ſind, wie ſie nur in den Hauptſtädten Europa's gefunden werden. Sehen ſie voraus, daß die europ. Kaufleute in Conſtantinopel

viel Wechſel zu zahlen haben, ſo ſteigt ſogleich der Cours. Denn es bedarf weiter keiner Erörterung , daß , wenn man don

1/2 Meile außer den Thoren Conſtantinopels das türkiſche Papiergeld hödiſt ſtiefmütterlich behandelt wird, es in fremden

Ländern gewiß keinen Credit findet; der betreffende Kauf mann muß alſo ben Wedyſel in einer gangbaren Geldforte berichtigen. Da nun der Cours, wie geſagt, ſehr divergirte, jo kam es bei folder Kriſis ſehr oft vor, daß ein engliſches Pfund Sterling 180 Piaſter galt , während fein Nominal werth 125 Piaſter betrug, alſo eine Differenz von 55 Pia

ſtern (2 Thlrn. 22 Sgr. 6 Pf. pro Pfund). Das Maximum

1

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eines Schillings betrug 8 Piaſter, das Minimum 5 Piaſter,

der Abſtand alſo 3 Piaſter (5 Sgr. 3 Pf.). Beiläufig will ich hier bemerken, daß ein Piaſter gleich

40 Para ( 1 Sgr. 925 Pi.) gerechnet wird. Dies Schwanken in den Courſen erſtreckt ſich auch

auf alle übrigen Geldſorten und der enorme Verluſt traf alle europäiſchen Kaufleute. Ein öſterreichiſdes Fünfſilber groſchenſtüd ſtand meiſtentheils in dem Courſe von 6 Piaſtern,

mithin in einem plus von 5 Sgr. 6 Pf., alſo über das

Doppelte ſeines reellen Werthes. Wer alſo klingende Münze mit nady Conſtantinopel bringt, kann ein ungeheures Ge ſchäft hiermit machen. Da nun dieſes Geld in den Händen der reichen Armenier fich befindet, ſo iſt es klar, warum

dieſe die Rolle der großen Börſenſchwindler und Wechsler in Conſtantinopel ſpielen.

Die Grieden in der Hauptſtadt ſind, wie die Armenier, meiſtentheils Handelsleute, dod finden ſich unter ihnen auch einige Sandwerker. Die Tugenden der Leşteren, wie aller erzkatholiſden Südländer, fönnen bei ihnen nicht fehlen. Daher burdbohren ſie oft in ihrer Wuth, in die ſie bei

ihren Streitigkeiten ſehr ſchnell gerathen, ihren Gegner mit einem Doldy oder Meſſer, die ſie ſtets bei ſich tragen, und

machen nachher das ſimple Zeichen des Kreuzes, in dem

frommen Glauben, daß ihnen die heilige Jungfrau Maria dieſe Kleinigkeit nid)t weiter anredinen werde. Das Bild der Gebenedeiten tragen ſie als Amulet ſtets am Halſe, und küſſen es, wenn ſie von ihren Sünden abſolvirt ſein wollen . Die Ticherkeſſen, die ſich meiſtentheils in Tofana bei Bera aufhalten, errortiren aus ihrem Vaterlande weibliche Individuen im Alter von 6 bis 10 Jahren und verkaufen

dieſe an Landesgenoſſen, welche in Conſtantinopel ein förm =

liches Erziehungsinſtitut haben. Hier werden ſie bis zum reifen Alter von 13 bis 15 Jahren auferzogen, und vor zugsweiſe in der türkiſden Sprache und in Adem, deſſen

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eine türtiſche Frau in ihrer zukünftigen Stellung bedarf, unterwieſen. Nachdem ihre bisherige Reuſchheit durch die Unterſudjung des Derwiſch, der, wie ſchon früher erwähnt, das Amt eines Arztes verwaltet, officiell feſtgeſtellt, werden ſie an den Sultan, den Baſcha oder einen andern reichen

Türfen al8 Reb&weiber verkauft. Die Eltern, welche ihre Kinder veräußern, machen hierbei nur einen Tauſch gegen Waaren, da ſie Geld in Tiderkefſien nicht gut verwerthen können. Dieſe Sitte erinnert allerdings ſehr an den afrika nijden Sklavenhandel.

Erhalten nun die wandernden Tider

feſſen ihr Geld von dem Mädcheninſtitut, ſo verſchenken ſie daſſelbe meiſtentheils an ihre armen Landsleute in Conſtan = tinopel, da dieſe kein Gewerbe treiben.

Eines beſonderen Vorrechts erfreuen ſich die Tſcherkeſſen in Conſtantinopel, denn obgleich es ſtreng verboten iſt, einen Dolch bei ſich zu führen, ſo dürfen ſie ihn an ihrem Leibgurt frei und offen tragen.

Alle Tiderkeffen , welche von Conſtantinopel nach ihrer Heimath wollen , müſſen Trebiſonde paſſiren. Im Jahre 1857 fiel es der ruſſiſchen Regierung ein, folgende Ordonnanz zu erlaſſen : ,,Ade Tſdherkeſſen, weldie über Trebi

ſonde nach Conſtantinopelwollen, können ungehindert paſſiren ; dagegen alle, die von Trebifonde heimwärts wollen, find anzuhalten." Da nun jedem türkiſden Boot, welches mit ruſſiſcher Flagge an der Küſte des Schwarzen Meeres ent lang nach den ruſſiſchen Beſigungen fahren durfte, ſtreng unterſagt war, einen Tſdherkeſſen zu beherbergen , ſo tam e8

bald, daß ſich gegen 500 Mann in Trebiſonde aufhielten. Dieſe wurden aber bald ungeduldig und drohten, das ruſſiſche Geſandtſchaftshotel zu ſtürmen . Die engliſche und öſter reichiſche Geſandtſchaft legten fid) ing Mittel, und wieſen

darauf hin, welches Unrecht und welcher Unfug das ganze Berfahren wäre, und was für unangenehme Folgen es nach fich ziehen fönnte. Die ruſſiſche Geſandtſchaft wurde ends

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lich bewogen, den Tidyerkeffen die Rüdfehr in ihre Heimath zu geſtatten, indem ſie wohl ſelbſt fühlen mochte, wie witer

rechtlich es wäre, einen Feind in fremdem Lande wie in ſeinem eigenen nach Wilfür behandeln zu wollen, und ſo durften denn endlich dieſe ungeduldigen Rebellen ihre Reiſe fortſeßen .

Capitel 4. Räuberhorden in den Städten.

Kabaſſen und Hanucken .

Ein Schnelläufer in puris naturalibus.

Räuberhauptmann aus Bremen. Execution der Todesſtrafe. rus .

Ein türkiſcher

Kühlbäder für Verbrecher. Seeräuber auf dem Bospo

Paßweſen .

Die 3taliener in Conſtantinopel ſind meiſt Handels leute, viele auds Handwerker. Bei Weitem aber die Mehr zahl treiben die Profeſſion des Vagabundiren , und im Jahre 1857 florirten die Räuber- und Spitbubenbanden in folchem Maaße, daß es nur den unausgeſegten Bemü

hungen der engliſchen und franzöſiſchen Geſandtſchaft gelun gen iſt, dieſe Trupps aufzuheben. Zu dieſem Zwede boten Peştere ihnen eine freie Reiſe nach Auſtralien an, auch ver

ſpracy man ihnen noch eine Summe Geldes, die Ankunft auf jenem Erdtheil zu ihrer weiteren ausgezahlt werden ſollte. Mit Mühe brad)te dieſer Räuber zuſammen und diffte ſie ſogleich

ihnen nady Etablirung man 300 ein ; ob ſie

aber wirklich nach ihrem Beſtimmungsort gelangt ſind, kann ich nidit ſagen, möchte es auch um ſo mehr bezweifeln, da

id nid )t wüßte, was England mit dieſen Erzhalunken an= fangen ſollte. Die Fredyheit dieſer Banden ging ſelbſt fo weit, daß ſie eines Tages in das ſchwediſche Geſandtſchaft8=

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hotel drangen, den Geſandten an Händen und Füßen ban = den und deſſen Frau und Tochter auf eine abſcheuliche Weiſe mißhandelten.

Auch ich mußte anfangen, für mein leben zu fürchten. Dies wurde mir um ſo eindringlider, je mehr ich zu meinem Mißvergnügen bemerkte, daß ich trotz einer Civilkleidung von dieſen Vagabunden ſtets als Mirley erkannt wurde. Ich beſuchte eines Nachmittags, um polizeiliche Zwecke zu

verfolgen, ein franzöſiſches Café, wo die größten Tauge= nichtſe ſich ſtets aufhielten.

Kaum war ich eingetreten, ſo

zog nicht nur der Wirth ein vielſagendes Geſicht, ſondern ein Barbier, angeblic Doctor der Medicin, kam auch auf mid) zu und fragte mich mit einem ſeltſamen , freundlich fdeuen Blid, ob id nid)t der Mirlety wäre ? Da ich aber bald einfah, daß al mein feugnen feinen Glauben fand, hielt ich für das Gerathenſte, dieſer zweideutigen Rolle ein Ende zu machen und das Gaſthaus zu verlaſſen. Id requis

rirte darauf die nöthigen Geſandtſchafts- und Polizeifabaffen, begab mich gegen Mitternadit nach dieſem Raubneſt und klopfte ſtart an die Thür des Gaſthauſes, indem ich im Namen der Polizei Einlaß begehrte. Im Hintergrund des Hauſes hatte ich die Mannſchaften poſtirt, da ich wohl wußte, daß die faubre Geſellſchaft inegeſammt einen Fludstverſuch nach dem Garten hinaus machen würde. Ich hatte mich

nicht getäuſcht; ich mochte eine ziemliche Weile ſo geklopft haben, als endlich der Wirth kam , aber zugleich ſein Be dauern ausſprach, daß die Herren ſchon ſqliefen. Meine peremptoriſche Antwort machte ihm klar, daß ich ſein Be bauern nicht theilte, ſondern für diesmal die Serren in ihrer Ruhe ſtören müßte. Als ich mit meinen drei Kabaſſen, die ich zur Vorſorge bei mir behalten, endlid; eintrat, war von den Gäſten nidyt8 mehr zu ſehen. Aber ich war hier:

bei ganz gelaſſen, da ich wohl wußte, welcher Empfang ihnen bei ihrer Flucht bevorſtand. Als ich zu den übrigen Rabaſſen

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ſtieß, fand ich audy meine Herren in einer Aſſemblee von 62 Mann, alſo kein unbedeutender Fang und ein wichtiges

Moment zur Beſtätigung deſſen, was ich bisher ſchon von jener Sippſdraft angeführt hatte und noch anführen werde. Fragt nun der Lejer, warum ſolchem Unweſen nicht mit Erfolg geſteuert werde, ſo verweiſe id) erſtlid) auf das, was id) ſporadiſd von der Polizei erwähnt habe, dann aber will ich nod) auf türkiſche Sitten aufmerkſam machen, die, ſtatt die allgemeine Sicherheit zu fördern, vielmehr die ſyſte matiſdie Thätigkeit der Räuberclubs zur hödyſten Blüthe bringen. So wird z. B. ein Fremder, der von den Geſeßen der Türken nid )ts weiß, und nach 9 Uhr Abends eine un duldige Mondſcheinpromenade unternehmen will, plöglid von den Rabaſſen arretirt und zur Wadie geführt, wo ihm

bis zum nädyſten Morgen Zeit genug gelaſſen wird, der artige Promenaden zu bereuen. Der Unglüdliche hat näm= lich, aus Unfenntniß türkiſcher Sitten , vergeſſen, eine bren nende Laterne mit ſich zu führen, die ein jeder Türke nach 9 Uhr bei fich trägt. Man hat zu dieſem Zwed auch die bekannten Stodlaternen, die man nebſt zugehörigem Licht, das Stück für einen Piaſter, in den Läden bekommen kann. Einem Diebe kann ein fold fataler Caſus nie begegnen , da er vorſdriftsmäßig wohl audy, damit nidht etwa der Wind der

Flamme das Garaus mache, eine ſogenannte Taſchenlaterne trägt. Wo er aber, wie die Eule, das Licht fürchtet, da ſteckt er die Taſchenlaterne unter den Mantel und macht dann feine Räuberanfälle. Stößt er nun anſcheinend vor

ſdriftswidrig ohne Licht auf einen Kabaſſen , jo foppt er dieſen obenein, indem er ſogleich ſeine Laterne aus dem

Mantel hervorzieht und als testimonium ſeiner Ehrlichkeit fräjentirt. Auf dieſe Weiſe läßt man die Räuber paſſiren ,

ehrliche Leute ohne Laterne dagegen nicht ungefdoren. Ein zweites, durchaus nicht weiſes Geſetz verbietet, nach 9 Uhr Abends einen Stoďtegen oder Dolch bei ſich

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zu führen. Kann man vielleicht gegen meinen Tadel ein wenden , daß die Diebe etwa feinen Doldy bei ſich hätten ?

Dieſe Vorausſegung als nicht ſtichhaltig gewiß auch verſtedte haben wiſſen . Der

wird durd, die zahlloſen Morbanfälle erwieſen , da body geübte Strolchbiebe Mordwaffen eben ſo geſchickt zu hand Nachtheil des Geſetes trifft lediglich

den guten Bürger (hier Fremden ), während wiederum den Vortheil deſſelben die Banditen genießen. Mit dem Aufrechthalten der guten Ordnung bei Tage und insbeſondere bei Nacht ſteht es aber auch ſehr mißlich. Die Sabaffen verſehen ungefähr den Dienſt unſerer Sdub=

mannſd)aften , aber an Disciplin, wie ſie bei den legteren ge wiß in die Augen ſpringt, darf man bei den türfiſden nicht denfen. Sie patrouilliren nur die Straßen auf und ab ihr und beuten die ihnen gebotenen Bequemlichkeiten Sdilderhaus im größten Maßſtabe aus. Es darf nur etwas unangenehmes Wetter fich merken laſſen, fo eilen ſie unter Dbdad, und ſinken gewiß ſehr bald , mit ihrem Schis

but im Munde, in Morpheus' Arme. Sdilafen ſie nun bei Tage ſchon, dann werden ſie ſich des Nachts gewiß

nid)t geniren, und einſehen, daß ein geſunder Sdílaf auf Poſten gar kein übles Ding iſt. Leidet audy einer zufälliger Weiſe an Sdhlafloſigkeit, ſo iſt es doch mit ſeinem Dienſt eifer nicht weit her, da er ja nur auf die Laternen feine Aufmerkjamkeit zu richten hat. Ein Dieb wird durd, dieſe feltene Ausnahme nidyt aus der Faſſung gebracht, da er

weiß, daß man für Baffdyis ein Auge zudrüdt. Und nicht allein der Rabaſſe hat eine kleine Schwäche für den Baf

(dis, man kann es ſchon wagen, ſelbſt einem Polizei-Pajda ein Batſdyis anzubieten , d. \. mit gehörigem Anſtand und dem Range gemäß. Dody id; will nicht ganz den Stab über dieſe Rabaſſen

brechen, ſie halten doch auf Eins, nämlidy auf Zucht und Anſtand, in ſo fern, daß ſie nie ein türkiſches weibliches

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Individuum nach 9 Uhr Abende, trotz einer Laterne, pafſiren laſſen, ſondern nach der Wache erpediren. Indeß auch in

dieſer Beziehung iſt es mit ihrer Wadyſamkeit nicht weit her, und ich will hier dem Leſer einen ziemlich lächerlidhen Vorfall erzählen .

Eines Tages ſah ich einen verrüdten Italiener, von ungefähr 30 Jahren, ganz nadt wie ein Schnelläufer durch

Pera laufen. Als er nun ſo wunderlich umhergaufelte, beauftragte ich einen über dieſen Anblick lachenden Rabaſſen, ihn an die Polizei abzuliefern. Troßdem daß ich nun dem Kabaſſen - Paſcha vorſtellte, wie enipörend dieſer Aufzug für den öffentlidyen Anſtand ſei, und daß man, wie überhaupt auf die Frauen, fo beſonders auch auf die europäiſchen,

hierbei Rüdſicht nehmen müßte, fo fonnte ich dennoch hier: burd, nidits erzielen, denn einen Tag darauf fegte der Italiener ſeine Wanderung im bisherigen Coſtüm fort.

Wie ſchon geſagt, müſſen dieſe Räuberhorden mit der gemüthliden Nadyſicht der türkiſchen Kabaſſen zufrieden ſein, denn ihr allein verdanken fie, daß fie fo ungeſtört mandje

ihrer Stüdchen ſpielen dürfen. In Galata, welches den eigentlichen Handelsplatz Con=

ſtantinopels bildet, und wo ſich deshalb die meiſten Läden und Comptoire befinden, wird von dieſer Art Glüdsritter der größte Fund gemacht, und die Diebſtähle ſind, trotz der eiſernen Thüren und der Gamale, die bei Nacht als Spe= cialwächter fungiren, nur allzu häufig. So fand eines Morgens ein Kaufmann die Thür feines Comptoirs erbrochen, die Samals, drei kräftige Männer, an Händen und Füßen gefnebelt, und das Geld aus dem Schrank entwendet.

Die Ungeſchidlichkeit der Kabaſſen iſt oft außerordent= lich ; ſo kam einſt in der Nacht ein verſdılagener Dieb zu

einem Rabaſſen und redete ihm vor : er ſei bei der ſchlechten Beſdaffenheit der Straßen geſtolpert, und jeine Papierlaterne

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dabei in Brand gerathen. Da es nun ſo ſpät wäre, daß er keine andere in einem Laden noch kaufen könnte, und er ſich fürchte, allein im Finſtern ohne Schuß gegen die Räuber banden bis nach ſeiner Wohnung umherzutappen, ſo bäte er um ſeine Begleitung. Da er zugleich einen ſchweren blechernen Kaſten bei fich trug, der angeblich mit gekauften Werkzeugen, in der That aber mit geſtohlenem Gelde ange füllt war, ſo erſuchte er den Rabaffen auch nocy, ihm dieſen, für ein Bakſchis, tragen zu helfen, was dieſer ohne das

geringſte Bedenken that. Am nächſten Morgen fand man einen erbrochenen laden und einen ermordeten Hamal. A18

die Polizei Meldung hiervon bekam, ging dem Rabaſſen ein Licht auf, und er zeigte nun dem Polizei-Paſcha die Woh nung des Diebes ſogleid an . Der Paſcha freute ſich ſehr über die Wachſamkeit ſeiner Leute, und glaubte den Thäter ſchon in der Falle zu haben ; wie groß aber war feine Ent täuſchung, als man in dem ganz unbewohnten Hauſe zwar den leeren Staſten, aber nicht den verbrecheriſchen Inhaber Deſſelben fand ! Je rud barer es wurde, daß die Gensd'armerie wirt

lich bald errichtet werden ſollte, deſto mehr rotteten ſich die Räubercorps zuſammen. Selbſt auf offener Straße war es

Abends nicht mehr ſicher, und ganz beſonders außerhalb der Beraſtraße. Trug man noch irgend welche Werthfachen bei ficy, ſo konnte man darauf rechnen, dieſer beraubt zu werden . An Widerſtand war gar nicht zu denken, wenn man nicht etwa durch einen unausweichliden Dolch aller irdiſchen Leiden auf eins überhoben ſein wollte. Das Ban= ditenweſen griff von Tag zu Tag immer mehr um fidy, ſo daß man eines Tages u. 4. in der Mittageſtunde unweit des engliſchen Geſandtſchaftshotels in Kalonſchifoli (genannt die neue Welt, oder das Banditenviertel) einen von einem

Dolche friſch durchbohrten Menſchen fand. Auf die Poliziſten,

welche beauftragt wurden, in Civilkleidung die Thäter aus 9

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findig zu madyen, war man jo frech zu ſchießen.

Daſſelbe

Sdical theilte ein Poliziſt in Civilfleidung, welcher, ale er in Bera auf der Hauptſtraße, unweit des türkiſchen Poli

zeibüreau's, an einem italieniſchen Café vorbei fam, durd einen plöglichen Schuß von dem Gaſthauſe her getroffen zuſammenfant.

3ch felbſt war eines Tages, es mochte gegen 10 Uhr Morgens ſein, Zeuge eines Raubanfalles. Ich ritt gerade von Pera nady Galata, und als ich das Thor hinter mir hatte, und eben auf eine Quergaſſe ſtieß, weldie bergab nad Tofana führt, ſah idy, wie ein junger Italiener einem ältliden Herrn feine Uhr aus der Taſde riß. Da aber die Rette ſehr feſt an der Weſte des Letteren hing, fo griff

der Eigenthümer der Uhr ſogleich nach der Kette ; der Dieb aber, der lieber die Kette im Stich laſſen wollte, löſte die Uhr ſehr geſdickt und ſchnell von dieſer ab und rannte die Straße, obgleid, ſie mit zerbrodjenem Glas wie befät war, mit nachten

Füßen, wie ein Wettläufer, entlang. Da der Weg abſchüſſig war, ſo konnte id; dem Verbrecher nicht nachreiten , und er hatte ſein Schäfchen im Trodnen . Stumm vor Schred und Staunen wie eine Bildfäule, die Kette nod in der

Hand, ſah der beraubte Herr dem Entflohenen nadı. Eine eigenthümlidie Aufforderung wurde einem Berliner Goldſdynied, Namens Lüding, zu Theil. Unter den Räuber banden befand ſich audy ein gewiffer Otto aus Bremen . Nachdem dieſer während des Krimfeldzuges das ehrliche Amt eines Marketenders verwaltet, darauf aber ſeinen Gewinn verpraſt hatte, faßte er den ſchnellen Entſchluß, ein Räuber

hauptmann zu werden, und im Bewußtſein ſeiner hohen Charge ſchrieb er eines Tages einen imperatoriſden, in fola gende Worte gefaßten Brief an Lüding : Herr Lüding ! Wenn Sie mir nicht pünktlich 6 Uhr heute Abend 500 Piaſter in einem Sädden nach dem Waſſerbrunnen

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am kleinen Campo diden, ſo ſteht um 10 Uhr Ihr Haus in Flammen. gez. Otto , Bera, xc, 2c. Räuber - Hauptmann. Da Dtto, wie ſchon erwähnt, hanſeatiſder Unterthan

war, ſo ging Lüding zu dem Bamburgiſden Geſandten Dr. Morbtmann (Geſandter und bevollmächtigter Miniſter

der anſaftädte bei der ottomaniſchen Pforte) und fragte ihn wegen der zugeſandten Drohung um Rath. Dieſer

gab dem geängſtigten Goldfabrikanten den Beſcheid , daß er Punkt 6 Uhr ein Säckchen mit Knöpfen nach dem bezeich neten Rendez-vous tragen möchte; das Uebrige werde er veranlaſſen. Wie geſagt To gethan . Raum hatte Lüding den Brunnen verlaſſen , ſo näherten ſich die abgeſandten Leute des hohen Räuber-Hauptmannes dem Sädchen , aber

hinterher folgten zugleich die zur Berhaftung beauftragten Rabaſſen, und inan war bald ſo glüdlich, aud des An

führers ſelbſt habhaft zu werden ! Da dieſer ſdon mehrere Male wegen Diebſtahls von der Geſandtſchaft beſtraft, und hin und wieder von Dr. Morbtmann in ſehr humaner Weiſe

mit 100 Piaſtern, aber ſtets ohne Erfolg, unterſtüßt worden war, ſo übergab ihn dieſer endlich der türkiſchen Polizei. Nach Bremen konnte er ihn doch nicht wieder ſchicken, da

man ihm für dieſe freundidaftliche Zuſendung eines ſolchen Delinquenten wenig officiellen Dank gewußt hätte. Das Gefängniß für ſchwere Verbrecher in Stambul befindet ſich am Bosporus und da die Wellen manches heiße Blut fühlen, jo kann der hier eintretende ſogleich mit Dante ſagen : „ Lasciate ogni speranza voi, èh entrate.“ (Laßt alle Hoffnung fahren, ihr, die ihr hier eintretet.) Dr. Mordtmann hat über Otto weiter nicht erfahren,

dieſer wird wohl auch das allgemeine Kühlbab bekommen haben. —

Noch ein Beiſpiel von der eclatanten Schwindelei und 9*

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Betrügerei in Pera ! Ein deutſcher Klempnermeiſter erzählte mir , daß er einſt den kleinen Campo (Kirchhof) in der

Morgenſtunde paſſirte. Auf einmal geſellte ſich ein Italie ner zu ihm , der ihn , nach Art unſerer jüdiſchen Handels leute , anging , mehrere Gold - und Silberſachen für einen

Spottpreis zu kaufen.

Aus welchen Gründen er ſie ihm

ſo billig ablaſſen fönnte , würde ihm wohl einleuchten. Er ging nun mit dieſem, der ihn zu einer Cypreffe führte , an deren Fuße die geſtohlenen Sachen vergraben lagen. Da er ſehr gut wußte, wie vorſidytig man mit dieſen Sdywind lern umgehen müſſe , ſo rigte er mit einer Nadel unbemerkt

mehrere goldene Ringe , um ſie an dieſem Zeichen ſpäter wieder zu erkennen. Als er das verabredete Geld zur Stelle brachte, um die Goldſachen zu kaufen , fand er an keinem Ringe das angebrachte Erkennungszeichen , und ſo wurde denn nichts aus dem Handel. Der Klempner verſicherte mir aber , dieſe unächten Roſtbarkeiten ſeien den erſteren fo täuſchend ähnlich geweſen , daß er ſie , abgeſehen von jenem

mangelnden Zeichen , leicht für ädyt gehalten und gekauft hätte.

Während des Sommers florirte gewöhnlich zwiſchen Skutari und Bruſſa eine griechiſche Räuberbande. Zur genannten Jahreszeit nämlich paſſirten auf dieſer Stređe viele reiſende Kaufleute wegen der dort befindliden Seiden

fabriken. Der immerwährenden Raubanfälle war demnach auch kein Ende. Im Winter , wo bei der Unwegſamkeit dieſer Route die Waarentransporte aufhören , waren die Räuber zur Fortſeßung ihres Handwerkes genöthigt, ſich an die bewohnten Ortſchaften heran zu ziehen. Sie kamen im Jahr 1858 auch bis an die äußerſten Häuſer Skutari's, und überfielen in einer Nadt ein türkiſches Haus , in dem fie die Männer töbteten, die Frauen im Harem) mißbrauch:

ten und das ganze Faus ausplünderten. - In Folge die ſes abſcheulichen Frevels wurde ich beauftragt , auf die

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Stridcandidaten eine Streifiagd von Skutari nad) Bruffa vorzunehmen , zu welcher ich von den Geſandtſchaften eine

gehörige Anzahl Kabaſſen nebſt mehreren Dragonerdetache ments erhielt.

Meine Expedition ging nun dergeſtalt vor

fich , daß ich einen Theil des berittenen Detachements nebſt mehreren Rabaſſen nach Bruſſa vorausſchickte. Sie ſollten eine Tirailleurlinie formiren , deren linker Flügel ſich an die Küſte des Marmorameeres entlang ziehen mußte , während der rechte ſich bis nad Jeniſchah ausdehnte. In dieſer Formation follten ſie unter dem Commando eines türkiſden

Dragoner-Rittineiſters über Sebanjah und 38mid nach Sku tari vordringen .

Die Abtheilung, welche von Skutari nach Bruſſa einige Zeit ſpäter vorrüden ſollte , führte ich ſelbſt und ließ eben

falls hier eine Tirailleurkette formiren , deren rechter Flügel im umgekehrten Verhältniß zur erſteren an die Küſte des Marmorameeres ſtreifte , und deren linker Flügel über 18= mid Sebanjah nad Jeniſchah paſſiren mußte. Da die erſte Abtheilung mit uns faſt zu gleicher Zeit von Bruſa her zur ſicheren Erzielung unſeres Zwedes aufbrechen ſollte, ſo

rüdte ſie zwei Tage früher als wir aus. Indem wir nun drei Tage über mit der genauen Abſuchung des Terrains volle Arbeit hatten , und deshalb nur langſam zu Werke

gehen konnten , wurde bei einbrechender Dunkelheit die Ti= railleurlinie als Vorpoſtenlinie betrachtet , ferner erforderte die ſorgſame Bewachung der Arreſtanten eine Aufſtellung mehrerer kleinerer Feldwachen. – Alles , was in dieſem Terrain fich nicht als unverdächtig legitimiren konnte, wurde ohne Weiteres arretirt. Da nun die Kette begreiflicher Weiſe ſehr ausgedehnt war , ſo mußten die berittenen Sta baſſen ſowie die Dragoner - Escorte die erforderlidie Ver

bindung halten , und ſo ſtießen denn die Detachements end lich nach vier Tagen auf halbem Wege zuſammen. Der

Ertrag unſerer Entdeđungsreiſe belief ſich auf etwa 40 ber

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dächtige Individuen , von denen die Mehrzahl ſpäter als Verbrecher im großen Styl ſich ergaben. Mit dieſer Tro phäe zogen wir in Skutari ein, von wo aus wir per Dampf ſchiff über den Bosporus nach Conſtantinopel expedirt wur den. Hier hielten wir denſelben ſiegreichen Einzug wie in

Skutari und ganz beſondere Bewunderung fanden einige griechiſche Räuber wegen ihres bizarren Coſtüms, das durch rothe Hojen , kurze rothe Jade , ſowie durch ihre Mord waffen djarakteriſtiſch wurde.

Die eingeleitete Unterſuchung hatte zur Folge , daß adit , die ſelbſt ihre Sdyandthaten eingeſtanden , und früher

jhon unzählige Male mit dem türkiſchen Gefängniß Be= kanntſchaft gemacht hatten , zum Strid verurtheilt wurden. Dieſe gefährliche und mißliche Balsexpedition will ich hier erörtern .

An den belebteſten Hauptpartien Conſtantinopels wählt man die erſte beſte Brüde , ſonſt aber auch ein belie biges Haus , und ſchlägt in einen Brückenpfeiler einen ſtar ken Nagel. Man ziert nun den Deliquenten mit einem fingerdicken Strick um den Hals und hängt ihn ohngefähr drei Fuß über der Erde ſchwebend ſo, daß er oft drei Stun

den zappeln muß , ehe er das irdiſdie Jammerthal verlaſſen fann . Gegen Abend wird er von den Rabaſſen aus ſeinem

Hängepunkte gehoben und ohne irgend welche Bekleidung in die Erde verſdjarrt. Die Kleider theilen die Rabaſſen unter ſich , was den Leſer an den aus der Bibel bekannten , alt= jüdiſchen Gebrauch erinnern wird. Trotzdem , daß Abends kein Boot auf dem Bosporus fahren darf , maden body oft die Piraten einen lucrativen Fang. Deshalb reichten die Geſandtſchaften bei der tür kiſchen Regierung Vorſtellungen in Betreff diefes übertrete

nen Gefeße ein ; legtere aber gab den amtlichen Beſcheid, ſie habe es bereits verboten , und ſo blieb es beim Alten. So wurde unter Anderm ein ſchwediſches Schiff, das

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aus dem ſchwarzen Meere fam und in den Conſtantinopoli

taniſchen Hafen einlaufen wollte , gegen 11 Uhr Abends plößlich von einem Boot angegriffen. Schnell wie der Blitz waren die Corſaren auf dem Sdiffe , die Wache und der

Bootsmann niedergeſtochen. Es begann ein wüthender Rampf ;

die ganze Bemannung des Schiffes wurde theils tödtlich, theils ſchwer verwundet , ſelbſt der Capitain fiel unter den Streichen der Corſaren. Während des Kampfes war faſt die fämmtliche werthvolle Ladung auf das Boot geſchafft

worden , und als die Bande ihr Geſchäft beendet hatte, war auch das Boot nicht mehr zu ſehen. Von den ver wundeten Räubern war der Eine ein Italiener , der Andere ein Grieche. Jedes Nachforſchen und weitere Verfolgen der Thäter blieb ohne Erfolg. Solche Vorfälle empörten gerechter Weiſe die Geſandt

ſchaften , und ſie unterließen nicht, von Neuem Klage über die Sorgloſigkeit der türkiſden Regierung zu erheben. Es blieb ber bei dem ſtereotypen Beſcheid:

„ Wir haben es

ja verboten, daß Abends nach 10 Uhr kein Boot mehr auf dem Bosporus fahre!" Um etwaige Uebertreter dieſes Ge ſetzes zu ertappen , dazu wurde von türkiſder Seite Nichts gethan.

Aber nicht dieſe florirenden Räuberhorden allein fühlten fich aller Bande frei , auch bei den Deutſchen wußte ſich

die türkiſche Polizei wenig in Reſpekt zu ſeßen. So hatte unter Andern der früher erwähnte Joſephus es für das

Gerathenſte gehalten, ſich nach alter Germanen Art auf eigene Fauſt für eine erlittene Injurie Genugthuung zu ver ſchaffen. Er war nämlich von einem Kaufmann Shool bei ſeinen Schwiegereltern nicht in das beſte Licht geſtellt und hart mitgenommen worden , was einen liebe- und beſonders geldſchmachtenden Jüngling bis zum Aeußerſten treiben kann.

Auch Joſephus nahm die Auslaſſungen des Shool von gar keiner ſpaßhaften Seite auf , ſondern , ſo wie er die ver

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fängliche Nachricht vernommen, lud er fein Piſtol und wollte ſo die ftrafende Gerechtigkeit an dem armen Shool üben . Kaum war er in deſſen Laden getreten und hatte ihn über das Erwähnte zur Rebe geſtellt, als er das Piſtol aus der Taſde zog und auf den freundſdhaftlichen Verleumder zielte. Der Schuß ging los, ohne dem vor Schreck erſtarrten Kauf mann nur ein paar zu frümmen . Joſephus hatte nämlich

eine Kugel kleineren Kalibers auf die Ladung gethan, welche natürlich ſchon vorher , als er die Waffe herauszog , zur Erbe gefallen war ; ſpäter fand fie Shool in ſeinem Laden

vor. Joſephus , der ſich wenigſtens an der Höllenangſt feines Feindes geweidet hatte , ging mit halb befriedigter Rache davon. Die Rabaffen , die von außen dieſen Angriff mit angeſehen hatten , lachten ebenfalls über den heiteren Ausgang deſſelben , wiewohl ſie vorher auf eine andere Ra

taſtrophe ſehr geſpannt waren , - aber thätlich einzugreifen , dazu verſpürten ſie keine Luſt. Man kann alſo hier einen Feind gelegentlich ſehr bequem hinüber expediren. Sdhließlich will ich noch von dem Gebrauch der Päſſe hier zu Lande ſpredjen. Ein anſtändig befritzeltes Stück

Papier kann ſids ſchon als officieller Paß einſchmuggeln . Sagt nun der Fremde nody „ english “ (Engliſch), ſo kann er gewiß paſſiren. Dieſer Umſtand mag denn wohl auch den Aufenthalt ſo zahlreider Verbrecher jeder Art in der Hauptſtadt begünſtigen. So ging z. B. Bülow, der Screi ber eines engliſchen Zahlmeiſterø , zu einer gewiffen Zeit des Krimfeldzuges vom Lager mit der Raſſe burdy, und

zwar nach Conſtantinopel. Man hat aber nie ſeiner habhaft werden können ; ein ähnlicher Durchbrenner wäre den Argus augen der deutſchen Polizei ſchwerlich entgangen. Unſtreitig iſt der Paß das beſte Präſervat gegen ſolche ungebetenen Gäſte und wird trotzdem hin und wieder der Polizei ein

Sdnippchen geſchlagen , ſo mögen ganz eigenthümlide Um ſtände obwalten , wie z. B. in jener bekannten Anekdote :

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Ein öſterreichiſcher Grenzbeamter fragte einen Reiſenden nach ſeinem Baße , worauf biefer ganz ruhig erwiderte , daß ge rade in ſeinem Baß ſtände, er hätte nicht nöthig , denſelben vorzuzeigen . Der erſtaunte Beamte äußerte zwar ſein nicht

geringes Befremden , ließ aber mit der Verſicherung, daß ihm dies halt noch nit vorgekommen , den Reifenben ruhig paſſiren .

Capitel 5. Die türkiſchere Lebensweiſe der armen und reichen Türken. Hamals. Türkiſche Gaſtfreundſchaft. — Abenteuerliche Pils gerfahrt zweier Deutſchen nach Jeruſalem . Orientaliſches Kaffeehausleben. Der Sultan erfährt ſeine unbewußten Sdulden, Beſchreibung des faiſerlichen Harems.

Die armen Türken , wenn ſie nidyt gerade in größeren

Städten als beſigloſes Proletariat ihr Leben fümmerlich dahin jQjleppen, ſuchen ihren Unterhalt durch Pflanzung von Mais und Tabak zu gewinnen. Könnte bei ihnen einmal von Viehzucht die Rede ſein , ſo erſtredte ſich dieſe nur allenfalls auf einige armſelige Heerden von Schaafen und . Ziegen, neben welchen auch noch dann und wann Federvieh gehalten wird. Das lang- und rauhhaarige Rindvieb, wel ches man dort fieht , iſt einestheils ſehr felten , dann aber

auch ſo klein, daß es kaum die Größe eines mäßigen Efel8 erreicht. Trotz ſeiner großen Armſeligkeit iſt aber der Türke

nicht unzufrieden und dieſe Genügſamkeit beruht theils auf dem eigenthümlichen ſtumpfen Phlegma des Volkes , theils

auch auf dem fataliſtiſchen Kern ſeiner Religion und ſeinem Mangel an verfeinerten Anſprüchen. Eine beſondere Klaſſe unter der armen Schicht der türkiſchen Bevölkerung bilden

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die Hamals. Dieſe kommen weit aus dem Innern des Landes und pilgern nach Stambul und den Hafenpläßen des Landes ; die meiſten aus Kleinaſien über Trebiſonde. Mit der nothdürftigſten Kleidung verſehen und meiſt aller Geldmittel entblößt , ſchiffen ſie ſich von dort ein , um in der Weltſtadt durch unausgeſeßten Fleiß einige Jahre ſpä ter oft mit anſehnlichen Erſparniſſen denſelben Weg in ihre

Heimath zurückzulegen. Welche guten Vorſätze und welche ſchönen Hoffnungen mögen ſie auf der Herfahrt geleiten ! Da ſie bei ihrer Ankunft in der Hauptſtadt natürlich die Ueberfahrtskoſten nidt erlegen können , fo werden ſie von

einem Conducteur zu dem Kamalpaſcha transportirt. Dieſer deckt die geſchuldeten Reiſefoſten, welche von Trebiſonde nach Conſtantinopel gegen 150 Piaſter, alſo etwa 71/2 Thaler pro Mann, betragen. Die Bamale ſind dagegen gebunden , von ihrer Arbeit 20 Biaſter täglich zu erübrigen und dieſe dem Hamalpaſcha auf Abſdlag zu zahlen , bis die Schuld getilgt iſt. Sobald ſie ſchuldenfrei ſind, werden audy ihre übrigen Erſparniſſe bei demſelben aufbewahrt , und er re

präſentirt hierdurch das Inſtitut einer Sparkaſſe. Die le bensweiſe dieſer Hanıals iſt wahrhaft kyniſch , und zeugt,

obgleich ſie ſehr ſchönes Geld verdienen , von einer vortreff= Denn nur höchſt felten thun ſie ſich lidyen Dekonomie. eine Sdyaf- oder Ziegenleber als Delicateſſe zu gut , ſonſt

leben ſie beſtändig von Waſſer, Kaffee, ſledytem Brot und Zwiebeln, und außerdem wird hin und wieder ein Schibuk

angepafft. Nachtquartier brauchen ſie aud; nidyt, da ſie zu dieſer Zeit vor und in den Comptoiren der Kaufleute, wie ich ſchon früher erzählt habe, ſtrenge Wadye halten. Damit

fie nun auch treulich auf ihren Poſten ſind, vertreiben ſie den unwiderſtehlidyen Schlummer durch allerlei Gefänge, welche ſie mit einer ſelbſtverfertigten Sither begleiten. Mit unter hört man einen Hamal auch durch Flötenſpiel fich die Langeweile vertreiben. Außer ihrer allgemein belobten

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Wachſamkeit muß man auch ihre Redlichkeit in vollem Maße anerkennen ; denn es iſt noch nie der Fall vorgekommen,

daß ein Hamal feinen Herrn beſtahl, obgleich die Waaren in den Magazinen ihm

unverſchloffen übergeben werden.

Auf jeden vorübergehenden Fremden haben ſie jederzeit ein

wachſames Auge , und laſſen ſich lieber todtſchlagen , als von dem ihnen anvertrauten Poſten zu weichen. Dieſen

verlaſſen ſie, ſobald am Morgen der Herr des Ladens wie der in Thätigkeit tritt , und gehen nun ihrer andern Arbeit nadı. Sie begeben ſich nadı allen größeren Pläßen , von wo aus man dieſe dienſtfertigen Geiſter ſtets requiriren fann. Beſonders ſchaffen ſie, als Vertreter der hier fehlenden

Droſchken und anderer Fuhrwerke , oft die größten Laſten mit wahrhaft bewunderungswürdiger Gewandtheit und Stärke auf weite Strecen fort. Denn bei der Unwegſam keit der Landſtraßen wird eben Nicht8 per Are , ſondern Alles durch dieſe Handträger verſendet. Um von ihren

Leiſtungen ein Beiſpiel zu geben , ſo ſah ich eines Tages einen Hamal auf ſeinen Schultern eine Laſt davon tragen ,

unter welcher ein Maulthier vorher zuſammengeſunken war. Da nun die Arbeiten , zu denen man ſich eines Hamals

bedienen kann , ſehr vielſeitig ſind, ſo ſind die Leute förm lich claſſificirt, und es gibt unter andern Hamalsarten eine, welche nur mit Waſſertragen (worüber ich ſchon ausführlich geſprochen) ſich befaßt. Der Lohn für die reſpectiven Ar beiten iſt nadı einer ausführlich entworfenen Tare beſtimmt, jedoch nehmen ſie es mit einem Fremden nicht genau und fordern auch oft über Gebühr. Hiermit laufen ſie aber bei

einem Engländer oft ſchlimm an , der ſie dann sans façon mit ſeiner Reitpeitſde regalirt. Ueberhaupt haben ſie vor Britannia's Söhnen einen heilloſen Reſpekt. Man erkennt die Hamals an einer eigenthümlichen Trage, welche ſie vermittelſt zweier Riemen auf den Rücken feſtſchnallen und hiermit den Transport bewerkſtelligen.

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Nachts bient ihnen dieſer Bodt, wie dem Soldaten im Felde der Torniſter, als Ropfkiſſen. In der Mittagszeit, wo fie wegen der großen Hiße meiſt keine Arbeiten haben , lagern ſie ſich, ſo gut es geht, auf den Straßen, und halten nach Art der italieniſchen Lazzaroni ihre gemächliche Mittagsruhe. Nur dieſe Zeit und etwa noch dann und wann ein halbes Stündchen im Verlauf des Tages , wo ſie eben nicht be

ſchäftigt ſind , ſchenken ſie ihrer Erholung. Þaben ſie zwei oder drei Jahre in Conſtantinopel verbracht, ſo kehren ſie in ihre heimiſchen Gefilde zurück, und es darf nicht be fremden , wenn die Meiſten mehrere Tauſend Piaſter mit= bringen. Mag der Türke noch ſo arm ſein , ſo wird er doch, wie alle Barbaren, nie die herrliche Tugend der Gaſtfreund

ſchaft verleugnen. Unbemittelte Fremde , hiermit wohl be kannt, verlaſſen ſich gern auf dieſe gutmüthige Sitte , und machen oft , ohne auch nur einen Piaſter in der Taſche zu

haben, von Wirth zu Wirth gefördert, ſehr weite Reifen in das Innere des Landes , fogar bis nad, Jeruſalem . So hatte ich einen Diener , einen Leineweber von Profeſſion ,

der mir oft genug von derartigen eigenen und fremden Irr fahrten erzählte , denn ſo kann man ſie faſt immer nennen, da die Wanderer , ohne irgend welche Orts- und Sprach

kenntniſſe in's Blaue hineinreiſen. Er ging von Conſtan tinopel über Skutari nad) Bruſſa, um ſeinem Gewerbe ge

mäß in den hier zahlreichen Seidenwebereien zu arbeiten . Als er , feine Arbeit findend, in ſeiner Hoffnung getäuſcht war, ſchickte er ſidy, wiewohl er von dem Wege und der türkiſchen Sprache keine Ahnung hatte, ohne weitere Umſtände an , nach Jeruſalem zu pilgern. Er bemühte ſich durch aller hand Zeichen, unterwegs den Leuten ſich verſtändlich zu ma chen , daß ſein Sinn nach Jeruſalem ſtände , und kam fo auch wirklich über Karahiſſar nad Orfa. Von hier wollte er nach Damaskus, verfehlte aber den Weg und ge

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rieth abſeite in die Syriſche Wüſte. Nachdem er in dieſer mehrere Wochen, wie ein irrender Ritter, die Kreuz und

die Quer herumgelaufen war , fam er endlich nach Es Suweidah, von wo aus er nach drei Tagen das erſehnte Ziel ſeiner improviſirten Landpartie erreichte.

Auf dieſe

angenehme Art hatte er ein Vierteljahr gereiſt und ſo an muthige Erinnerungen von der ſyriſchen Wüſte zurückbehal ten, daß er gar kein Ende finden konnte, wenn man ihn einmal darauf brachte. Seinen þunger, der bei den ange

rengten Märſchen in der größten Sonnengluth ſich ein ringlich zu erkennen gab, ſtillte er dann und wann durch Beeren, die ihm der Zufall fchenkte. Als dieſe ausgingen, griff er zu Schnecken und Landſdyildkröten ; er hatte nämlich

zu gutem Glüd ſein Feuerzeug bei fich, vermittels deſſen er das ſpärliche Gras, das er zuſammenraffen konnte, in Feuer ſeşte, und fo feine Beute in einen wohlfdmedkenden Braten verwandelte. Seinen Durſt, der bei der großen Hiße fich natürlich noch fühlbarer machte, befriedigte er mit bem Safte, den er aus den erſten beſten Pflanzen fog. Vor der ſyriſchen Wüſte, wo er auf zerſtreute tür kiſche Dörfer ſtieß, hatte er feine Noth, indem man ihn bei

ſeiner Ankunft ſogleich in ein dem türkiſchen Café ähnliches Haus führte. Hierher lief nun Alt und Jung herbei, um fich den ſeltſamen Gaſt zu beſchauen . So wurde er denn, als eine Rarität, wahrſcheinlich auf Koſten der Gemeinde, recht ordentlich gefüttert und konnte ruhig ſeines Weges weiterziehen. Kurz vor Jeruſalem bei Szalt traf er mit

einem deutſchen Schloſſer zuſammen, der auf einer gleich beſchwerlichen 3rrfahrt dieſelben Leiben und Qualen ausge=

ſtanden hatte ; mit dieſem vereinigt, legte er die kurze Strecke nach 3eruſalem zurüd. Sier wurden die abgematteten Frr

linge bei den Kloſterherren anſtändig aufgenommen und be wirthet. Sie beſchauten ſich eine Zeit lang ſattſam alles Sehenswerthe und beſchloſſen dann ihre gemeinſame Rück =

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reiſe.

Für diesmal ließen ſie aber die nunmehr hinläng

lich erforſcște ſyriſche Wüſte recht gerne ſeitwärts liegen, und als ſie in bedeutend fürzerer Zeit den richtigen Weg nach Stambul zurückgelegt hatten, arbeitete der Schloſſer

wieder tüchtig darauf los und beſchäftigt zur Zeit fünf Geſellen. Sein Gefährte aber ging, da ihm die fatale Luft fahrt nicht redyt bekommen ſein mochte, ſogleich in das

preußiſche Hospital, von wo aus er in meinen Dienſt trat. Es war in der That intereſſant, wenn dieſe beiden Aven turier8 ihre Fahrten detaillirten. So hatten ſie unter Anderem eines Tages ein unerwartetes Frühſtück bekommen. Dies ereignete ſich unweit Kaiſaridh, wo eine Räuberbande von 9 Mann ſie überfiel. Als dieſe aber ſahen, welchen

argen Mißgriff ſie an den armen Teufeln gemacht hatten, regalirten ſie, ihre Raubgier in Mitleid verwandelnd, die erſchrođenen Fechter nicht nur mit einem redyt erquidlichen Frühſtück, ſondern gaben ihnen auch noch etwas Tabad mit

auf den Weg, ein Zug von natürlichem Menſchengefühl, bergleichen wir, nady manchen Berichten , bei cultivirten wie bei uncultivirten Räubern nicht felten antreffen. Die wohlhabenden Türfen vertreiben ſich die Zeit in

den Kaffeehäuſern oder auf irgend weldie andere harmlos

erbaulidye, den Geiſt natürlich nicht allzuſehr anſpannende Weiſe. Dieſes gemüthliche Rentierleben können ſie um ſo leichter burdyführen, da ſie, unterſtüßt durch den früher er

wähnten, überaus theuren Miethzins, mit ihrem Gelde ſehr vortheilhafte Gefdäfte machen. von ihren Harems und deren Bedienung habe ich wohl zur Genüge geſprochen

und werde deshalb nur bei den in größerem Maßſtabe ans gelegten Gynäceen des Sultans, des ,,Schatten der Gott heit“, auf ſie zurüdkommen. Die Equipagen der türkiſchen Frauen ſind auf das Koſtbarſte und Eleganteſte decorirt. Durch ſolchen übertriebenen Luxus an den Wagen iſt fdyon

mancher deutſcher Poſamentierer, Tapezierer und Sattler

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reich geworden. Jeßt ſind ihm aber hierbei die geldſüch tigen Armenier ins Gehege gekommen. Früher verhielten ſich dieſe nur als gewinntheilende Compagnons, indem ſie zu den fortſpieligen Auslagen dem Deutſchen das Geld voru ſtredten. Dies dauerte aber nur ſo lange, bis ſie ſelbſt die Arbeit gelernt und ihre Kunſtgriffe fich angeeignet hatten ; dann wurde der Handel fogleich gebrochen, und hatte der

Deutſche nod nicht Geld genug erworben, ſo war es jetzt mit der Arbeit aus. Die Verſdjwendungsſucht dieſer Frauen grenzt, wie bereits erwähnt, an das Fabelhafte. Wie aber alle Untugenden und Laſter von Oben herab

ſtets den größten Anſporn zur Nachahmung finden, ſo na mentlid, hier, wo die Frauenwelt, jeder höheren und edleren Bildung entblößt, ihrem natürlichen Sange zu eiteler Putz ſucht in der roheſten Weiſe unbeſdyränkt fröhnt. Die Be wohner des faiſerlichen Harems gingen mit einem würdigen

Beiſpiel voran, und betrieben das Lurusſtreben im koloſſal ſten, nur der ausgeartetſten Weiblichkeit entſprechenden Maß= ſtabe, bis endlich im Jahre 1858 der aufgeklärte Sultan

erzürnt eingriff und zum Heile der erſdyöpften Kaſſen die liebenswürdigen Ungezähmten durch höchſteigene Peitſchen

hiebe zu einiger Enthaltſamkeit zu ſchulen verſuchte. Im Intereſſe des durch die jammervollſte Armuth äußerſt geſun kenen Staatscredites war eine energiſche Einſchränkung aller dings höchſt nothwendig ; Allah ſei nur dem Halbmond gnäs dig und mache die neue Maßregel zu einer conſequenten ! Auch fanden die Frauen ihre Wagen bald zu ſchlecht und beſtellten ſidy ohne weitere Erlaubniß des Sultans die aller

prächtigſten ihrer Art. So lieferte ein Wagenfabrikant aus

Deſterreid) in kurzer Zeit gegen 70. Da er dieſe, wegen ihrer erforderlichen Eleganz, nidyt ſelbſt baute, jo ließ er fie aus Wien kommen, und dann erſt nad Wunſch aus pugen. Der größte Theil an der Equipage wurde vergola det und die innere Ausſtattung beſtand meiſt aus Seide

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und Atlas, ſelbſt Gardinen und Rouleaur fehlten nicht. Da der genannte Wagenfabrikant die enormen Ausgaben ſelbſt zu beſtreiten nicht im Stande war, ſo mußten der

Hof-Tapezierer, Sattler und Pofamentier ihre Auslagen aus eigenen Kräften beſtreiten , denn an unmittelbare Zah lung von Seiten des Harems war eben noch nicht zu denken. Das maßloſe Verſdwendungsſyſtem des Faremo fam aber bei einer Gelegenheit auf das Schredlidyſte zu Tage.

Der Prinz von Aegypten, Said Paſdıa, feierte nämlich ſeine

Vermählung mit einer Tochter des Sultans. Dieſem Prin= zen, der überhaupt ein vortrefflicher Mann zu ſein ſcheint, konnte bei ſeinem Scharfblic, und da er die ſpeciellen Ver hältniſſe der Harems-Verwaltung wohl etwas näher kannte, nicht entgehen, wie wenig diefer fabelhafte Aufwand des Harems den vorhandenen Mitteln entſpreche. Denn, indem er ſich um ſeinen eigenen Haushalt angelegentlichſt beküm merte, und ſelbſt deutſche Handwerker in großer Anzahl an ſeinem pofe beſchäftigte, fo wußte er recht gut, welche

Koſtenmaffe derartige Artikel erheiſchen. Weldjes Glüd dieſe, bei feiner großen Vorliebe für alles Germaniſche, bei ihm oft machten , kann der Leſer aus dem erzählten beſon beren Fall ſeines Adjutanten (Capitain) fich leicht entnehmen.

Der Prinz konnte daher nach beendeter Podizeitsfeierlich feit nicht umhin , feinen lieben Schwiegervater auf den er wähnten Uufug etwas aufmerkſam zu machen und ihm vor Alem zu bemerken, was für foſtbare Brillanten ſich ſeine Frauen für die Hodizeit gekauft hätten. Der Sultan be orderte hierauf den Hausbofmeiſter zu ſich, revidirte die Bücher und fand in dieſen eine Sduldenlaſt von vielen

Millionen.

Als er ſich nun noch nach den früheren Rech

nungsabſchlüſſen in ſeinem Haushalte erkundigte, ergab ſich, wie leidyt zu vermuthen, ebenfalls, daß noch bei keinem Liefer ranten die ausſtehenden Poſten berichtigt wären. Der groß= herrliche Frauenbeſißer ſchlug vor Erſtaunen und vor Grauen

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die Hände über dem Kopf zuſammen, und gerieth bermaßen in Wuth, daß er nicht umhin konnte, behufs allgemeiner Beſſerung an den verſchwendungsſüchtigen Crinolinen die bereits erwähnte pädagogiſdie Maßregel in Anwendung zu

bringen. Er ließ ihnen darauf alle überflüſſigen koſtbaren Habſeligkeiten ohne Weiteres abnehmen und begann ein ſorg fältiges und ſtrenges Eramen des bisherigen Haushaltes. Hierbei madyte er noch manche andere erbauliche Entdedun

gen. Erſtlid ) erfuhr er, daß ſein Hofbaumeiſter Gelegen= heit gefunden habe, ein beträchtlides Capital auf der Bank

unterzubringen. Es ergab ſid ), daß deſſen Erſparniſſe mit ſeiner jährlichen Einnahme in gar keinem Verhältniß ſtanden. Man überſchlug die Koſten des neuen von beſagtem Bau meiſter erriditeten Balaſtes, zu welchem derſelbe das Material eines abzureißenden alten Palais (chöne koſtbare Säulen u. 1. w.) vollſtändig mit erhalten hatte. Auf Grund der für den Neubau zugegebenen Maffe hätten die Arbeitebe

rechnungen modificirt werden müſſen, aber man fand nun, daß man von dem klugen Manne, um mich populär aus zudrüden, hierbei glänzend über's Ohr gehauen war. Der Sultan ließ daher das Bankcapital ohne Weiteres confis ciren und feinen Hofbaumeiſter in Sicherheit ſeßen , gewährte

ihm aber mit faſt übertriebener Großmuth ſeinen täglichen Bebarf, und fo lebte der gleichſam penſionirte Unternehmer

obenein noch mit Beibehaltung ſeiner früheren Ehrentitel auf Koſten des betrogenen Großherrn . Sodann wurde mit den einzelnen Handwerkern und Kaufleuten , als Manufacturwaarenhändlern , Gold- und Juwelenhändlern , Uhrmachern, Schuhmachern, Wagenfabri kanten, Schneidern, Tapezierern , Tiſchlern, Schloſſern, Pola mentierern und dergleichen, die Abrechnung eingeleitet. Da aber die Forderungen dieſer Leute noch wahrhaft mährchen haft waren, ſo wußte man ſich keinen anderen Rath , al8

10 % ſtatt der ganzen Bahlung einſtweilen zu bewilligen. 10

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Zur Berhütung aller ferneren Ueberſchreitungen wurde ſo gleich in allen gangbaren Sprachen und an allen Plätzen Stambuls die Bekanntmadıung affichirt: „ Wer für den große

herrlichen Hof liefert, und nid)t ſogleich ſich bezahlen läßt, hat am nädyſten Tag keine Forderung mehr !" Dies, jo gut es gemeint war, ſeşte alle Hofarbeiter und Lieferanten in paniſchen Sdyreden , denn nun war an eine Beſtellung von Seiten der Frauen und an maſſenhaften Abſatz der Waaren

nicht leicht zu denken, und ſomit die Exiſtenz dieſer Kauf leute ſehr bedroht.

Ich wil jegt ſpecieller von den eheliden Verhältniſſen und namentlich von dem Heiligthum des Sultans, ſeinem Harem und deſſen Verfaſſung ſprechen. Der jeßige Sultan hat außer den 400 Rebeweibern nur 1 Gemahlin, die Todyter des Sdah von Perſien, wäh

rend doch ſeine würdigen Vorgänger beren eine beträchtliche

Anzahl beſaßen. Jedes Jahr nämlich wurde ihnen zur Feier des Hochzeitstages zur erſten Gemahlin noch eine neue Gattin beigegeben ; je älter alſo ein Sultan wurde, eines um ſo größeren Zuwachſe8 von Frauen konnte er ſich erfreuen. Abdul Medjid aber wies ſchon die zweite Frau zurück und lebt überhaupt in gutem Einverſtändniß mit ſeiner erſten . Man kann erwarten, daß dieſem dönen Beiſpiele auch ſeine Nadyfolger folgen werden. Der jeßige

Thronfolger iſt fein 18jähriger Sohn Sultan Afiv. Der größte Theil der Concubinen beſteht aus Tſcher

keſſinnen, welche allein im Palais als Maitreſſen fungiren und auch anderweitige kleine häusliche Dienſte verrichten . Sie gehen, wie alle Türkinnen , ftreng verſchleiert. Den anderen Theil bilden Griechinnen und Armenierinnen , die im Gegenſaß zu den Tſcherkeſſinnen ſehr leicht verſchleiert gehen und abgeſondert von Letteren wohnen. Die Mehr zahl reſtdirt in bem Palais bei Tofana, wo ebenfalls auch der Kaiſer meiſt ſeinen Aufenthalt wählt. Das Gebäude

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liegt, wie geſagt, am Bosporus, und iſt an der Landſeite von einer ſo hohen Mauer umgeben , daß man nidyt einmal das Palais fieht, vielweniger den geheimen Aufenthalt der lieb lichen Sylphiden erräth, deſſen Fenſter nady dem Waſſer

hinausgehen. Eine jede hat ihr eigenes auf das koſtbarſte eingerichtetes Wohnzimmer. Den Eingang von Tofana aus bewacht eine ſtarke Infanteriewadhe. Zuerſt ſtößt man auf ein Palais, welches der Sultan gewöhnlich im Winter be wohnt ; die Mitte des Parks deſſelben ziert ein botaniſdier Garten ; dann kommt ein zweites Palais, ein ſehr langes

und außerordentlich ſchönes Gebäude, deſſen einer Flügel wiederum Gemächer des Sultans einſchließt. So lange der Sultan und ſeine Huris anweſend ſind, iſt es unmöglich, dieſen Feenſitz etwas näher zu beſchauen. Sobald ſie aber

ihre ſeligen Wohnſitze auf eine Zeit lang verlaſſen und die Sommergärten bewohnen, dann findet man ſchon eher Ge legenheit, all' die orientaliſchen Herrlichkeiten , die hier faſt

blendend in die Augen ſpringen, zu bewundern . In jedem mit einer beſonderen Nummer verſehenen Cabinet, weldie gewiß auch die ſchöne Bewohnerin deſſelben führt, iſt der Fußboden mit grünen Seidenteppichen belegt, die an ſanfter Farbenfriſche dem herrlichſten Grün der freien Natur nichts nadigeben. Ueber dieſe dweben die holden Weſen mit den koſtbarſten türkiſchen Pantoffeln bahin, legen ſich audy wohl,

wenn ſie weiter keine höhere Beſchäftigung haben, auf ihm nieder. Zur weiteren Verfügung ſteht außerdem noch einer der prächtigſten Divans in ihrem Zimmer. Ein Glockenzug von der eleganteſten und ſauberſten Arbeit kann jeden leiſeſten Wunſch ſogleich geltend machen . Das Bettgeſtell iſt von der ſchönſten Vergoldung und der Ueberzug von bem herrlichſten rothen Atlas. Außerdem iſt das Cabinet, wie ſich von ſelbſt verſteht, noch mit einem prachtvollen Spiegel und reichlichſt mit allerhand Nipptiſch 10 *

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ſachen verziert. Dieſe und unzählige andere Herrlichkeiten müſſen durch ihren magiſden Eindrud auch das fittſamſte Auge beſtechen und gewiß würde manche, auch noch ſo un ſchuldige, junge Europäerin, in dieſe Fülle von Reizen hineingezogen, ſelbſt auf die Gefahr etwaiger großherrlicher Maßregelungen hin, für einen fo unausſprechlich ſchönen , duftig wonnigen Aufenthalt gern ihre ewige Seligkeit dahingeben. Die Nacht über ſchlafen nun dieſe ſeligen Geſchöpfe in einem gemeinſamen Schlafſaal, über den eine ſchon etwas bejahrte Frau die Inſpection führt. Am Morgen zerſtreut ſich die liebliche Sdaar und begibt ſich nad ihren eigenen Cabinets. Damit nun nicht von der Frontſeite am Boss porus aus allerhand Augengeſpräch und telegraphiſcher Un fug geübt werbe, patrouilliren hier zahreiche Schildwadien. Dieſe haben die Inſtruction , feine der lieblidhen Frauenge

bilde aus dem Fenſter ſchauen zu laſſen, zumal hier nicht, wie bei den Harems der anderen Türken, die Fenſter burch eiſerne Stäbe verwahrt ſind, ſondern offen auf den Boss

poruß hinausgehen ; wobei denn freilich die Frage iſt, ob die ſtreng inſtruirten Jünglinge aus eigener äſthetiſcher Wiß begierde dieje Anordnung nicht manchmal recht gerne über treten laſſen.

Die Frauen des Sultans haben bei ihrer Spazierfahrt einen Hanufen mehr, als die der andern Türfen, nämlich

einen zu Pferde, weldier hinterdrein reitet, und einen andern, welcher neben der Equipage läuft. Dieſe arabiſden Eunuchen

oder Hanuken, wie die Ausſprache iſt, werden von den nob= len Türken aud Harämagaſis genannt.

Die geſammte Dienerſchaft hat ihr · Dienſtgebäude zwiſchen dem Palais und der Mauer längs der Straße. Ohne Zweifel füüt der Barem mit ſeinen holden Bewoh

nerinnen eines der intereſſanteſten Capitel in der Cultur- und

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Reichsgeſchichte des türkiſchen Volkes aus und man wird mir daher um ſo eher erlauben, noch etwas bei dieſem an = muthigen Thema nebſt ſeinen Conſequenzen zu verweilen.

Capitel 6 . Türkiſche National-Harems. Der engliſche Geſandte wird arre Der Cold der Sols tirt . Gehalt8-Abzüge der Beamten . daten . Preußiſche Offiziere in türkiſchen Dienſten . - Ueber Arreſtſtrafen und Wadidienſt im tür tritt zum Moslem. Die Beſchnei tijden Heere. Feier des Ramaſanfeſtes. Die Derwiſche. bung.

Ich will deshalb nod; von jener Art Häuſer ſprechen,

welche zur Erquidung der heirathsfähigen, aber unverſorgten Jugend in allen Hauptſtädten des civiliſirten Europa, mit wenigen Ausnahnien, als nothwendige Uebel im Flor ſtehen . Auch in Conſtantinopel gibt es ein ſolches Haus. Die

lockenden Sirenen, welche hier hauſen, laufen, wie ich es durch eigene Anſdauung erfahren habe , durdy oft ideale Schönheit allen ihren europäiſchen Zunftgenoſſen unbeſtreit bar den Rang ab. So kann man es denn audi ſo man = dhem reichen Türken nicht verargen, daß er außer ſeinem treueigenen Harem aud) hier noch eine erfriſdiende Abwechſe lung ſucht. Aber nur einem Sohn des Goldes glüft es, in die geheime, inhaltsreidye Tiefe dieſes National-Harem8 vorzubringen. Daß einem der Spaß hier theuer zu ſtehen komme, war auch einem deutſchen Wagenfabrikanten ſehr wohl bekannt, weldier burc Beſtellung von Wagen Ein gang in das Feenreich erhielt. A18 er im Innern deſſelben mit der Decoration eines Wagens beſchäftigt war, unterließ die dlaue Haremsbeſiterin, eine verwittwete Frau Bajda,

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nicht, dieſen Armen durch ihre reizenden Mädchen in Ver ſuchung zu führen. Da er nicht Türkiſch verſtand, ſo be mühten fidy die Schönen , ihm durch allerlei Blide und tief

ſinnige Geſten ihre zärtlidyen Gefühle verſtändlich zu machen. Aber Ades ſchoß fehl , unſer helbenmüthiger Landsmann überſtand glüdlich den Rieſenkampf ; denn er wußte ſehr gut, daß ihm ein Schäferſtünddien den Ertrag ſeiner Arbeit aufheben würde . Durd, ein ähnlides Abenteuer fam aud) einſt der eng

liſche Geſandte , Bulwer , Nadyfolger Stratford de Red cliffe's , in eine hödyſt peinlide lage.

Er ſtieß nämlich

eines Tages auf einen Bolfsauflauf. Da er aus Neugierde nad der Urſache des Tumultes forſdite, erfuhr er, ein Eu=

ropäer habe einer Türkin, weldie aus ihrem Wagen (dyaute, (dimadytende Blicke zugeworfen und man habe dieſem auf eine fühlbare und eindrucksvolle Weiſe klar gemacht, daß man derartige Liebäugeleien nicht geſtatte. Der Geſandte wolte fidy peremtoriſch ins Mittel werfen , wurde aber ohne Weiteres ſelbſt von den Rabaſſen arretirt. Da er noch nicht perſönlich bekannt war, ſo klärte ſich der Irrthum erſt in der Wadie auf , wo er gewiß höchſt achtungsvoll ſeiner Haft entlaſſen wurde. Bulwer nahm aber die Sache ſehr

ernſt, und beklagte ſich in einer Audienz beim Sultan ohne Rüdhalt über dieſen Mißgriff und die armen Stabaſſen er hielten dann wegen ihres voreiligen Amtseifer8 allerdings ihre Strafe.

Der Sultan war überdies nidyt ſehr gut auf die tür

kiſchen Frauen zu ſprechen, da ſie durch die erwähnten , ge heim contrahirten Schulden ihm ſo arg mitgeſpieit hatten. Er gab daher ſeine Strenge und ſeinen Unwillen auch öffentlid dadurdy zu erkennen , daß er jedem Paſcha verbot,

mehr als einen Wagen für ſeine Frauen zu halten. Die Equipagen der Paſcha's unterſcheiden ſich überhaupt gar nicht von denen des Sultans , außer daß die großherrliche

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Dienerſchaft ein blaues Band bis auf die Bruſt herunter

trägt. Die überzähligen Wagen wurden demnach auf den Campo zuſammen gefahren und öffentlich verſteigert. Da die Paſdha's , burch Verminderung ihrer Wagen, ſo großer Au&gaben nicht mehr benöthigt waren , ihr mo natlidjes Gehalt alſo eigentlich nicht recht conſumiren fonn ten, ſo half ihnen der Sultan aus dieſer Verlegenheit, und machte jedem monatlich einen Abzug von 7000 Piaſtern . Und damit ſie nidyt von Anderen beneidet würden, bedachte der weiſe Großherr auch ſeine Offiziere , - mit einem

Worte faſt alle Beamten , mit einem gnädigen Gehalts abzuge von 10 % . Dafür gewährte er, um die Reform populär zu machen, dem gemeinen Soldaten eine monatliche Gehaltszulage von 30 Biaſtern. Dies that auch wirklich Noth , denn außerdem , daß die Competenzen des Leşteren höchſt gering waren, bekam er überhaupt , was noch dylim=

mer war , oft gar keine zu ſehen. Wenn ich nun ſage, daß an folden Ausfällen der Sultan keine Schulb hatte, ſo kann 3eder ſich leicht denken, an wem es gelegen. Aber nicht allein der gemeine Soldat, auch der Offizier mußte oft Jahre lang auf das Gehalt warten. So hatte unter Anderen ein preußiſcher Offizier, Namens Koch, Major in türkiſchen Dienſten , den Krimfeldzug mitgemacht, aber

in zwei vollen Jahren keinen Piaſter von ſeinen Competen zen erhalten. Obgleich der damalige preußiſche Geſandte, von Wildenbrud , ſich alle erſtaunliche Mühe gab , ihm zu

ſeinem Honorare zu verhelfen , ſo frommte dies body nichts, und Herr von Wildenbrud ſowie einige deutſche Kaufleute mußten ihm zu ſeiner Rettung Vorſdüſſe leiſten. 3dy will aber hiermit nicht ſagen , daß es etwa allen fremden Offi zieren fo traurig ergehe ; der größte Beweis hierfür iſt

wohl , daß ſich ſolche ſehr zahlreich in der türkiſchen Armee, beſonders in der Artillerie, vorfinden. Es ſteht ihnen ja frei , nach je einem Jahre aus dem Dienſte zu ſcheiden , da

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fie nicht auf längere Zeit engagirt find ; jährlich wird der Contract erneuert. Unter ſolchen Bedingungen wurden , ehe nod, die deutſch - engliſde Legion aus dem Orient zurüd fehrte, mehrere Premier- und Secondelieutenants als Oberſt lieutenants und Inſtructeure bei der Artillerie angeſtellt.

Ein folder Offizier erhielt 18 Pfund türkiſch), gleich

90 Thaler preuß. Courant , Gage , 2 Reitpferde und dazu gehörige Ration, 2 Burſdien und vierfache Portion an Pro viant , welchen letteren ſie meiſt in baarem Gelde beziehen. Sdon aus dem einen Umſtand, daß den Offizieren ihr Ge

halt etwas pünktlidyer ausgezahlt wird, ergibt ſicy klar, daß in der türkiſden Artillerie eine folde Unordnung nicht herr

iden kann wie bei anderen Truppentheilen . Der Inſpecteur der ſämmtliden türkiſchen Artillerie iſt nämlidi der General major von Kutskowskty, ein ehemaliger preußiſcher Batterie def. Es wird überhaupt bei dieſer Truppenabtheilung nur

ein preußiſder „ Artillerie - Offizier “ eingeſtellt, und er be kleidet dann als Inſtructeur die Charge eines Oberſt oder Oberſtlieutenants. Mufli Pafda , der genannte von Kuts kowsky, welcher allein die Befugniß zum Engagement frem

der Offiziere hat , ſtellt eben nur derartige Offiziere ein, weil die Artillerie nadı preußiſchein Exercier-Reglement aus gebildet wird. Die Tüd)tigkeit dieſer Truppe wird fidh demnad) von ſelbſt ergeben und ihre richtige Verwendung ſpringt jeßt überal in die Augen ; fo würde z. B. eine fremde

Flotte , wenn ſie ohne beſondere Genehmigung die Darba nellen oder die Mündung des jdwarzen Meeres paffirte, von den hier angelegten Forts fehr unangenehm begrüßt werden.

Der türkiſchen Infanterie fehlt es ebenfalls nicht an guten Offizieren , denn bekanntlich hatten nach dem fatalen Ausgange des ungariſchen Aufſtandes die flüchtigen Difiziere ein Aſyl in der Türkei gefunden , und waren auf Veran laſſung Duter Baſcha's hin bei der Infanterie oder beim

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Generalſtabe vertheilt worden. Ihre Tüchtigkeit haben ſie im Krimfeldzuge hinlänglich bewieſen. Viele von ihnen genirten ſich auch nicht, zur muha medaniſchen Religion überzutreten. Beiläufig bemerkt, wurde

dies in früherer Zeit ſehr gern von den Türken geſehen ; ſeitdem man aber zu der Ueberzeugung gekommen , welche ſchädliche Ingredienzen durch dieſen Zwitterglauben in ihren Cultus gekommen ſind, hat man ſehr gerne davon abgeſtan ben, ſo daß jeßt ein Uebertritt zum foran verpönt iſt. Eine ſchredliche Strafe erwartete den , welcher die Lehre Muha med's aufgab und wieder Chriſt wurde. Er wurde für vogelfrei betrachtet und denſelben Chancen ausgeſeßt , wie im Mittelalter ein vom päpſtliden Bannſtrahl Getroffener. Der erſte der beſte Moslem durfte ihn auf freier Straße

niederſchießen oder niederſtoßen und ſein Leichnam mußte auf der Straße drei Tage liegen bleiben ; dann erſt konnten in der darauf folgenden Nadyt ſeine Verwandten und die Kabaſſen ihn zur Ruheſtätte bringen. Unangenehme Auf tritte, welche ein ſolcher Vorfall ſtets zwiſchen Türken und

Franken hervorrufen mußte , werden ebenfalls nicht wenig zur Emanation oben genannten Verbots beigetragen haben. Außer den erwähnten Magyaren finden fich nod ). viele franzöſiſche Offiziere in der türkiſchen Infanterie, die meiſten : theils als Inſtructeure fungiren. Auch wird dieſe Truppen

abtheilung nach franzöſiſchem Erercier - Reglement eingeübt ; die Montirung dagegen iſt nad preußiſchem Schnitt, nur das Feß bleibt die einzige Nationalität für jeden Militair, ſelbſt der Sultan trägt dieſe univerſale Kopfbekleidung. Die jüngſt auf 7 Jahre beſtimmte Dienſtdauer des türkiſchen Soldaten iſt im Vergleid mit der früheren ſehr kurz zu nennen. In früheren Zeiten hatte ein Padja die Berpflichtung , aus ſeinem Bezirk eine gewiſſe Anzahl Re fruten zu ſtellen.

Zu dieſem Zwede durchſtreifte er fein

Territorium und ſtempelte Jeden , der noch nicht über das

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30. Jahr hinaus war, zum tüchtigen Sohne des Mars. Dieſe Candidaten gewährten oft den intereſſanteſten Anblick.

Ihr Haupthaar und Bart war zügellos und wild gewachſen, ihr Leib nur höchſt ſpärlich bekleidet und ſo glichen ſie in der That mehr aus irgend einem Urwalde fo eben hervor geſchoſſenen Wilden. Die Metamorphoſe wurde dann ſo gleich begonnen , erſt ſdyritt man zum Scheeren und dann

zum Baden. Waren ſie darauf bei irgend welcher Truppe eingeſtellt, ſo dienten ſie ſo lange , bis man ſie vor Alters dywäche entlaſſen mußte. Segt dagegen iſt jeder Türke

militairpflichtig, und ſein Militairverhältniß wird durch fol gende komiſche Einrichtung entſchieden : Je ſieben Mann greifen nach ſieben Strohhalmen und wer den kürzeſten zieht , wird militairfrei. Während die anderen ſechs dienen müſſen , zieht er doch wahrhaft hierbei nicht den Kürzeſten.

Läßt ſich ein Soldat etwas zu Schulden kommen , ſo wartet ſeiner , je nad Maßgabe des Vergehens , entweder die ſchon erwähnte Baſtonade oder Arreſtſtrafe. Bei leß terer wird er an die Wand geſchloſſen , und muß in dieſer angenehmen Stellung feine zudictirte Zeit abbüßen. Ueber

haupt iſt die Behandlung des türkiſchen Soldaten hödſt roh. Die Beföſtigung beſteht in dwarzem Brot , Mehl

ſuppe, Hülſenfrüdyten und abwedſelnd in Reis. Von Fleiſch bekommt der Soldat nidyt allzuviel zu ſehen , deſto mehr

bedenkt man ihn mit Zwiebeln. Ich will jetzt aphoriſtiſch über den inneren Dienſtbetrieb des türkiſden Militairs

ſprechen.

Eine Compagnie mit ihrem Hauptmann, einem

Premierlieutenant und etwa vier Secondelieutenants liegt im Winter ſtets beiſammen in einem Raume der Kaſerne,

ſo daß in einem großen Saale gegen 300 Mann beieinan = der hauſen. Die genannten Offiziere auf dem Flügel der

Compagnie. Statt der Bettſtelle erhalten ſie Strohſack und wollene Dede.

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Bei Beginn des Sommerd quartiert ſich die Compagnie aus dieſen menſchenerfüllten Sälen und ſchlägt Zelte im Freien auf, ſo daß auf je zehn Mann ein Zelt fommt. Verläßt nun eine Truppe überhaupt ganz die Garni

fon , ſo läßt ſie fäinmtliche Armaturgegenſtände zurück, und marſchirt ohne weitere Bewaffnung zu ihrer neuen Garniſon. Es entſteht auf dieſe Weiſe eine gegenſeitige Austauſdyung der Gewehre , Säbel u. dgl. Dieſer militairiſde Uſus iſt in der That don höchſt originell, aber noch auffallender iſt der türkiſche Wacht dienſtbetrieb. Es löſt nämlich hier nicht, wie in allen euro päiſchen Armeen, eine neue Wadje die alte in 24 Stunden, ſondern in 14 Tagen, nach Umſtänden auch erſt in 4 Wo chen ab , ſo daß ſich die Wache förmlich häuslich niederläßt. Dieſer gemüthlidye Dienſt würde auch wohl mandem andern europäiſdyen Soldaten behagen.

Bei einem Rendezvous , nachdem die Gewehre zuſam= mengeſet ſind , greift jeder Türke nach ſeinem Scibuf, und in Reih und Glied ſid) auf bekannte türkiſche Manier

hinter den Gewehren niederlaſſend gewähren ſie einen eigen= thümlichen Anblic.

Selbſt ein Pafda genirt ſich nicht, nach ſeinem Schi buk zu greifen, für den er ſeinen eigenen Schibukier bei ſich führt. Wenn er herumgeht , gleichviel zu Pferbe oder zu Fuß, begleiten ihn ſtets 4 Mann mit geladenem Gewehr. Obgleich die Uniform der türkiſden Offiziere von dem feinſten Tuch gefertigt iſt, und malpropre Haltung um ſo mehr ins Auge fallen muß , kann man doch ſehr oft einen

Offizier ſehen , der mit ſchleppendem Säbel , heruntergetrete nen Sduhen, bloßen Füßen und durchlöcherten Aermeln die

Straße einherzieht. So wenig Anſtand dieſer Aufzug ver räth , ſo wenig point d'honneur verſpürt man in ihrem Benehmen. Aus eigener Erfahrung will ich Folgendes er zählen. Da id; in Conſtantinopel oft des Nachts über den

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Bosporus fahren mußte , die Seuifiers (Fahrleute) aber una gern zu folder Zeit fahren , fo wandte ich mich ſtets an

die nädyſte türkiſche Wache, D. h. an deren wachthabenden Difizier , und erſuchte ihn , mir ein Reuit zu verſchaffen. Meiner Bitte wurde ſtets Gehör gegeben, da ich nicht ver fehlte, die bekannte Panacee, einen Baffdyis von 10 Silber groſdien , in Wirkung zu ſetzen. Der Offizier drüdte mir freundlichſt die Hand : Jnglisch , bono ! (Engländer , iſt gut !)

Ehe id mit meinem Leſer aus dem herrlidhen Stam bul deide, will ich nod; einen Blick auf dieſe Stadt wer fen, welche, trotz ihrer inneren Unſauberkeit, von Ferne ge fehen , einen wundervollen Anblick gewährt. Chateaubriand ſtellt für die alte Conſtantinsſtadt folgende Charakteriſtik

auf: ,,Die faſt gänzlidye Abweſenheit der Frauen, die feh lenden Fuhrwerke und die Schaaren herrenloſer Hunde wa

ren die drei unterſcheidenden Merkmale , weldie mir zuerſt im Innern dieſer außerordentlichen Stadt auffielen . " In wie weit die auf die 3eßtzeit anzuwenden ſei , wird der

Leſer aus meiner Schilderung ſich entnehmen können. Ueber die große Unordnung , mit welcher die Gebäude in der ge ſchmadloſeſten Weiſe umhergeworfen erſcheinen , äußert ſich dieſer Franzoſe wie folgt : „ Hier und da bemerkt man einige antike Monumente , die weder mit den jezigen Men ſden, noch mit den neuen Denkmälern, von denen ſie um

geben ſind, den geringſten Zuſammenhang haben ." Den her vorſtehendſten Punkt der Stadt bildet unbeſtritten das Serail, welches unſer Autor als eine zweite Stadt mitten in der gro Ben Stadt betrachtet. Ferner ſagt er : „ Die, welche Contraſte lieben, dürfen nur in das Serail fommen. Auf der einen Seite

Barbarei, vor der man zurüdidyaudert, auf der anderen Seite ſchöne Gärten und die ladjende Wohnſtätte der Wolluſt. Die Gedichte hat uns gelehrt , was in den erſten Söfen vor geht ; was das Uebrige anbetrifft, ſo hat man fidy wohl bis

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jeßt auf die Einbildungskraft der Dichter und Romanſchrei ber verlaſſen müſſen . Einige Reiſende haben jedoch bis in das Innere der Gärten bringen können ; ſie ſahen darin Alleen von Cypreſſen, Moſaikpflaſter, vergoldete Gitter, mit Buchsbaum eingefaßte Beete , Treibhäuſer , Springbrunnen,

den Winterharem, den Sommerharem, den herrlidhen Siost, 18

welchen der Sultan in der ſchönen Jahreszeit bewohnt.“ şier erwartet man nun vielleicht eine nähere Beſdireibung,

oder man rednet vielleicht auf ein Capitel aus der Ge ſchichte. Id muß aber ganz offen geſtehen , daß ich mich

kaum nach dem zu erkundigen wage, was an dieſem ſchreden = umgebenen Orte vorgeht.

Das Speciellere des Kareme,

auf das Chateaubriand an dieſer Stelle deutet , habe ich dem Leſer , ſoweit es mir möglich war , früher berichtet. Von dem Serail fährt auch der Sultan zur Seit des Ra

maſanfeſtes um 91/2 Uhr Abends ab , um präciſe 10 Uhr in der Moſchee zu Tofana am Bosporus höchſt eigenhän

dig ein Lamm zur Feier dieſes Feſtes zu ſchlachten. Wäh rend dieſes Ramaſans, der vier Wochen dauert , hört der nächtliche Lärm in der Hauptſtadt gar nicht auf , da die

Feiernden erſt nach Sonnenuntergang etwas genießen dür fen. Da ſie nun eifrigſt bemüht ſind , das Vermißte , be ſonders im Trinken , ſo gut als möglich nachzuholen , fo kann man ſid, vorſtellen , zu welchen nächtlichen Erceſſen die Entbehrung bei Tage führt. Es iſt dies aber auch eine peinliche Zeit , da ſie ſehr viel die Moſdhee beſuden, vor dem Kirchgange ſtets Füße , Hände und Geſicht was ſchen und ſich jeder Nahrung und des Raudens enthalten müſſen . Da zur Zeit de Feſtes die Hiße gewöhnlich ſchon ſehr bedeutend iſt, ſo muß es wirklich unerträglich

fein, fein Waſſer zu ſich zu nehmen.

Dies fühlen die

Türken auch ſehr gut , und da es ihnen erlaubt iſt, mehr mals des Tages den Mund mit Waſſer zu reinigen , ſo mag auch wohl mancher labende Schlud gegen das Geſet

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durch die burſtige Rehle gleiten. Das intereſſante Gemälde des ſtädtiſchen Volksleben , welches uns ſchon dieſe bedeu tende Feſtliditeit allein während ihrer Dauer bietet , wird

noch dadurch erhöht, daß von nah und fern Menſchen her bei ſtrömen , um von den Händen der Derwiſche eine ge wiſſe Weihe zu empfangen. Es iſt dies nämlich die Pro cedur der Beſchneidung und es gibt wirklich oft 30 jährige Türfen, welde aus den entfernteften Gegenden jegt hierher

kommen , um das in der Kindheit wegen Mangel an Ge legenheit Verſäumte gewiſſenhaft nadizuholen. Zu dieſem Zwede ſieht man Zelte aufgeſchlagen , unter welchen das Factotum , der Derwiſch, den feierlichen Act vollzieht.

Daß der Derwiſd ), als Geiſtlicher und als Arzt , von großer Bedeutung iſt, iſt ſchon erwähnt , außerdem aber verſieht er alle Gefdäfte eines Effendi (ſo wird ein Jeder genannt, der ſchreiben und lefen fann ). Er hat hierzu auf freier Straße ſein Bureau aufgeſchlagen und iſt für Geld

erbötig, Briefe zu leſen und zu beantworten, allerhand Con tracte zu ſtipuliren, Geſuche und Petitionen aufzuſetzen u. f. w. Man ſieht hieraus, welche Blicke ein fo gelehrter Concipent nur zu oft in das innere Familien- und Privatleben eines Türken werfen und welchen Einfluß er hiermit auf das Volt gewinnen kann. Man erkennt einen Derwiſch an dem

langen Talare , ähnlicy dem der polniſchen 38raeliten , und ſeinem grauen Feß mit weißem Turban.

Ein Derwiſch,

ungefähr 60 Jahr alt , lebt gegenwärtig in Conſtantinopel, der als wahrer Abkömmling vom Stamme Muhamed's eine gleiche Herrſchaft über alle übrigen Derwiſche ausübt , wie der römiſche Barſt über die geſammte katholiſche Geiſtlichkeit.

Als Abzeichen trägt er ebenfalls einen grauen Feß , aber mit grauem Turban.

Drittes Buch.

Td erkerien.

Capitel 1 . Einleitung.

Der weiland Mirlam- Bey tritt als General-Adju

tant Naib -Paſcha's in tſcherkeſfiſche Dienſte unter dem Titel Gefährliche Reiſe . Der Dragoman . Inglis - Paſcha. Ankunft und Empfang in Der Compaß des Capitains. Trubía. Baſcha's.

Der Einzug beim Fürſten.

Das Schloß Naib

Der Krimfrieg hatte burd, den Pariſer Frieden ſein Ende gefunden, die Anglofranken didten fich zur Heimkehr an, und die engliſch -deutſche Legion, welcher id als Offizier

anzugehören die Ehre hatte, ging ihrer Auflöſung entgege Unter ſolchen Umſtänden glaubte id) einen mir gewordenen Antrag, als Mirlam -Bey in die Dienſte des Großherrn zu treten, nicht ablehnen zu dürfen, und ſo ward ich denn

türkiſcher Offizier. Freilich konnte ich von der durch mein neues Batent mir gewordenen Beſtimmung nicht ſehr erbaut ſein ; wir ſollten nämlich, nach dem Plane Omer Paſcha's, die Organiſation eines Gensd'armeriecorps für Stambul

ausführen. Indeſſen der Soldat ſchlägt ſich durch, wie es geht , und der Er-Sdileswigholſteiner und Er-Britiſhman wurde ein dyriſtlicher Ritter des Propheten zur Beförderung

türkiſcher Ordnung, Ruhe, Sicherheit und Civiliſation. Adein jene neue Herrlichkeit als Mirlam -Bey währte nicht lange. Sowohl die Ulemas als die fanatiſirte Menge in der Hauptſtadt ſaben in dem neuen Inſtitute mit richti gem Inſtinct eine ſehr fühlbare Beſchränkung ihrer her: kömmlichen Widfürlichkeiten und ſie brachten es, troß der 11

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eifrigen Verwendung faſt ſämmtlicher Geſandtſchaften, end lich dahin, daß Omer Paſcha, der ewigen kleinlichen Heße reien müde, die Durchführung des Planes andern Händen übertrug, d. h. überhaupt fallen ließ, wodurch meine Exiſtenz abermals in Frage geſtellt warb. Inzwiſdsen hatte ich in Conſtantinopel die Bekannt idjaft mehrerer tſdyerkeſſiſchen Edlen gemacht, deren ſich eben

eine ziemlidie Anzahl daſelbſt aufhielt. Wir tauſchten im Laufe der Verbindung natürlich vielſeitig unſere Anſichten über die Defenſivkraft Tiderkeffiens aus, wobei ich fort während an Folgendem feſthielt: die tſcherfeffiſden Völker würden, ungeadytet der großen Vortheile des Terrains, immer

die Ueberlegenheit der Ruſſen empfinden, ſo lange ſie nicht eine tüdytige regulaire Infanterietruppe und wenigſtens etwas Artillerie bejäßen.

Die Nothwendigkeit der Quarreen leuchtete den einfachen Gebirgsjöhnen ohne Weiteres ein. Von der Nüglichkeit,

ja Unentbehrlid ;keit eines Infanteriecorps vermochte ich ſie, die eingefleiſchten Cavalleriſten , freilich erſt nad; vielen ſehr lebhaften Discuſſionen zu überzeugen, gewann ſie dann aber audy gründlich dafür. Sofort drangen ſie in mich, meine

Anſichten über die Organiſation von Fußtruppen in ihrer Heimath in ein Erpoſé zuſammenzufaſſen. Dies geſchah. Mein Plan wurde dem Tſcherkeſſen -Regenten , Naib Paſcha, vorgelegt, von dieſem acceptirt und mir ſowohl als einem meiner Freunde, dem Brigadeadjutanten der engliſch -deutſchen Legion, Lewis, das Anerbieten gemacht, zur Einführung der neuen Heeresorganiſation in tidherkeſfiſche Dienſte zu treten.

Wir begaben uns in dieſer Abſicht zu dem vereideten Dragoman der engliſchen Geſandtſchaft, Dr. Sarell, konnten aber den mit dem Contractsabſdyluſſe beauftragten tſhers keſſiſchen Edelmann, Namens Muſtafa, für unſere Bedin

gungen nicht gewinnen, und die Unterhandlung blieb daher

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vorläufig ohne weiteren Erfolg. Mein Freund Lewis reiſte hierauf nach) England zurück.

Staum nun hatten die Tſdherkeſſen erfahren, daß Lewis abgereiſt, und daß ich im Begriff fei, betreffe eines anderen Anerbietens, welches mir während dieſer Zeit, von der per

ſiſchen Regierung nämlich, geſtellt worden war, den Con tract abzuſchließen, ſo bot man Alles auf, um dies mög= licherweiſe rückgängig zu machen, und den von mir geſtellten

Anſprüchen in jeder Hinſicht entgegenzukommen. Unter dieſe gehörte zuvörderſt, daß das beabſichtigte Engagement nur vermittelſt der türkiſchen Regierung ſeine volle Kraft und Gültigkeit erlangte, und ſelbſtverſtändlich das eingegangene Verhältniß auch vor der Hohen Pforte geltend gemacht werden fönnte. Die Unterhandlungen mit der tſcherkeſſijden Regie

rung aber in Betreff dieſer Angelegenheit hatten ihre Sdwie rigkeit, ſie konnten nur auf indirectem Wege zu Stande kommen. Bekanntlich hatte nadı Beendigung des Krimfeld zuges die ruſſiſche Regierung die Schifffahrt im fdwarzen Meere freigegeben, ſich aber, unter Garantie der Verbün= deten, vorbehalten, jedes Schiff, welches ſich der tſcher keffiſchen Küſte mit Contrebande nähern würde, als Feind

zu betrachten und demgemäß gegen daſſelbe einzuſdireiten . Begreiflicherweiſe wurde es mir ſo faſt unmöglid), überhaupt nach Tſcherkeſſien hinüberzukommen , geſchweige denn eine

Garantie der türkiſchen Regierung hierfür zu erhalten. Das bezügliche Verbot wurde aber ſo klug umgangen, und die Schmuggelei, wie jede andere, ſo gewandt prakticirt, daß man der Regierung Nichts in die Schuhe ſchieben konnte.

Zum Beleg hierfür mag aus vielen Contrebandezügen hier

nur einer angeführt werden. Einſt ſegelte ein kleines Dampf= fdhiff der tſcherkeſſiſchen Küſte zu, hatte aber das Unglück, von einem ruffiſchen Kriegsſchiff angegriffen und ſdhließlich genommen zu werden. Der Zwed, welchen der Dampfer gehabt, zeigte ſich nur auzudeutlich, da er mit allerhand 11 *

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Kriegsmaterialien ſtark beladen war. Aus der eingeleiteten Unterſuchung ergab ſich ſpäter, daß ein türkiſcher Baſcha, Namen8 Fehard (der öſterreichiſche Oberſt Stein ), und der erſte Dragoman der engliſchen Geſandtſdaft, Biſari, bei der Expedition im Spiele waren. Bijani hatte kurz vorher

ſeinen Wunſch um Entlaſſung eingereicht, angeblich wegen eines Zerwiirfniſſes mit dem Geſandten Lorb Stratford de Redcliffe. Fehard Pajdha wurde natürlid) von dem Sultan nad Kleinaſien verbannt .

Welche Bewandtniß es aber

eigentlich mit dieſer Ungnade hatte, iſt aus dem Umſtande zu ermeſſen, daß Bijani ſpäter bei dem türfiſden Miniſte rium angeſtellt, Feharb Pajdya aber ſehr bald wieder begna digt wurde. Leşterem iſt ſein Eril auch nicht ſchwer ge fallen, da er überhaupt gar nicht in Kleinaſien, ſondern in Terapia in einem Gaſthauſe als irgend weldier fremde Prinz

logirte. Sch ſelbſt habe ihn dort befuckt, um ihn über ſein Leiden zu tröſten. Da ich alle Verhältniſſe fehr wohl kannte, fo mußte es für mich von gleichem Werthe ſein, ob die

türkiſche Regierung oder der reiche Paſcha I. dem Regenten von Tſcherkeſſien die gewünſchte Bürgidaft leiſtete. 3. näm = lid bildete den Verſtand einer Kommiſſion für tiderfeffiſche Angelegenheiten nach und aus Conſtantinopel. Nachdem id) nun den erforderlichen Contract abge

ſdiloſſen hatte, jdyidte ich mich am 15. Mai 1857 , in Be gleitung der Edelleute Muſtafa und Sefer (Bruder des

Sefer Paſca in Tjderkefſien ), nebſt meinem Dragoman, zur Reiſe nadj Tſcherkeſſien an. In Trebiſonde angekommen , mußte ich mid) mit meinem Dragoman verſteďt halten, damit die dortige ruſſiſdie Geſandtſdaft nicht Etwas wittern möchte, und zwar ſo lange, bis ſid) ein günſtiger Wind ein ſtellte, denn die nach der tidherkeſſiſchen Küſte abgebenden Boote führen nur ein Segel und müſſen ſo ſchnell als

möglid) außer Sicht von Trebiſonde kommen . Die Eigen thümer dieſer Fahrzeuge find Türfen , und ſie haben das

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Batent, unter ruſſiſcher Flagge das ſdwarze Meer, mit Ausnahme der oben erwähnten Küſte, befahren zu dürfen . Werben ſie unterweges von einem ruſſiſchen Patrouillenſchiff

angefallen, ſo geben ſie die ſtehende Antwort, daß ſie nachy Anapa ſegeln . Von dieſer ruſſiſchen und wirklich beſetzten

Feſtung aus ſtreifen täglich Patrouillenſchiffe länge der tſcher kefſiſchen Küſte hin. Die anderen vier, nächſt Anapa ge legenen, ehemals ruſſiſchen Feſtungen (Gebiet der 4 Feſtun gen, von Naib Paſcha commandirt), wurden von den Ruſſen während des Atrimfeldzuges aufgegeben und find jetzt von ben Tſdherkeſſen befeßt.

Wird demnad ein ſolches Boot

nicht in der Nähe von Anapa, fondern mehr nach der tſcher

keſſiſchen Küſte zu von dem Patrouillenſdyiff angetroffen , ſo gibt es keine Entſchuldigung mehr, die Mannſchaft wird ohne Erbarmen gebunden und kann in beſonderen Fällen auf Beſuch nach Sibirien geſandt werden . Da bies Schid ſal feineswegs beneidenswerth iſt, fo fegeln die Boote, wenn

ſie ſehen, daß ſie bei Nacht die tſcherkeſfiſche Küſte nicht mehr erreichen können, eiligſt zurück, um in der darauffol genden Abenddämmerung ihr þeil zu verſuchen. Ein gün ſtigen Falle dauert daher die Fahrt 3-4, bei ungünſtigem

Winte 8-12 Tage. Die Ladung beſteht meiſt in Silei bungsſtüden , Salz, Kaffee, Thee, Zuder, Seife u. A. und

es werden dafür Mais, Waizen, Roggen, Häute u. . w .

eingetauſcht, denn Geld exiſtirt in Tſderkejſien faſt ſo viel wie nicht. Doch um von der Fahrt nicht zu weit abzu : ſdyweifen, wollen wir kurz berichten, daß unſer Boot ſchon am vierten Tage in der Morgendämmerung ſich der Küſte näherte. Es wurden iet alle Gewehre geladen, um auf irgend welches Mißgeſchick von der Küſte her gefaßt zu ſein ; aber, o Schreden ! als der Nebel ſich zertheilte und der Tag freundlich hereinbrach, gewahrte man mit Grauſen , daß man gerade auf eine beſeşte ruſſiſche Redoute, nördlich von Trubja zufuhr. Natürlich wurde blikfdinell Kehrt gemacht,

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aus allen Leibeskräften gerudert und man entfam ohne Ein buße der Gefahr. Nur veridiebene Sdwielen in der Hand behielt man zum Andenken an jene ſchleunige Fahrt. Noch

ehe wir gewiß erfuhren, wie weit unſer Ziel verfehlt war, hatte id), durch meinen ſicheren Taſdencompaß eines ganz ganz Anderen belehrt, den Schiffspatron ſchon lange darauf aufmerkſam gemadt. Dieſer wollte indeß ſtandhaft ſeine beijere Anfidyt behaupten , da er ja ebenfalls einen Compaß hatte, ben traurigſten, der je in der Welt zu ſehen war, denn er mußte immer erſt zuſammengeſtellt werden , und fiel, wenn man eine Orientirung vornehmen wollte, bei dem heftigen Sd )aukeln des Bootes ſtets auseinander.

Als

der Shiffsherr endlich inne geworden, wie allzuſehr ſein

Compaß ibn betrogen und wie irrig er die erwähnte Feſte für Trubſa gehalten habe, warf er die Schuld auf ſeinen Knaben, der an ſeinen Compaß geſtoßen habe, und dieſer

mußte jetzt die väterliche Schuld durd) väterliche Hand auf ſeinem Rüden abbüßen.

Nachdem ich nun, meinem Weiſer folgend, die Leitung der Fahrt übernommen hatte, gelangten wir bei Anbruch des folgenden Tages (am 28. Mai) nach Trubja. Hier lagen ſdon mehrere Boote am Strande, und die Einwohner waren haufenweis herangezogen , um den in Ziegenhäute verpadten und auf Pferde geladenen Waizen gegen Kleidungsſtüce, Salz, Kaffee u . ſ. w. umzutauſden . Nadybein idy, un nidyt Aufſehen in der Volksmenge zu er

regen, mich in einen tidyerfejſijden Mantel gehüllt hatte, ſtieg id, an's Land, jenes Land, wo id) den intereſſanteſten Abſdynitt meines bisherigen Lebens durcmadien ſollte.

Man führte midi ſogleich in ein Haus, in welchem Naib und Sefer Paída, wenn ſie Trubſa beſuchten, gewöhn= lich logirten. Hier begann ich nun, ſoweit dies möglich

war , mich gemüthlidy einzuquartieren und etwas warme Speiſen einzunehmen, wovon während der fünf Reiſetage

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feine Rede geweſen war. Nach einigen Stunden, da Naib Pafcha meine Ankunft ſogleich gemeldet war, traten zwei fớon bejahrte Männer, Suleiman Bei und 38mail Bei,

in militairiſdier Haltung zu mir herein.*) Sie waren die beiden zuverläffigſten und erſten Beamten Naib'8 und in der artigen Abſicht von ihm geſchidt worden, ſich nach dem Befinden des geehrten Gaſtes zu erkundigen, ſo wie von ihm und ſeinem Bolte ihm den herzlichſten Gruß zu überbringen . Zugleid ließ mir Naib ſagen, daß idy, von der gefährlichen Reiſe gewiß ſehr ermüdet, midy nodi den ganzen Tag aus ruhen mödyte. Da ich dann morgen früh einen Beſuch machen könnte, ſo laſſe er fragen, ob er oder Sefer Paſcha

mich erwarten ſolle. Die nöthige Begleitung nebſt den erforderlichen Pferden werde bald eintreffen. Sc trug den beiden Männern auf, in meinem Namen dem Fürſten für

feine freundliche Aufmerkſamkeit vielmals zu danken ; ich würde gewiß nidit ermangeln , ihm ſogleid) morgen früh meine Aufwartung zu machen. Nady einigen Höflichkeiten empfahlen fidy hierauf die beiden Herren. Des Nadimittag meldete ſid) der Haushofmeiſter und eine zahlreide Diener dyaft Naib's bei mir, die mir ihre Aufmerkſamkeit widmeten und außerdem noch ein Abend gericht nach tſcherkeſſiſchem Schnitt bereiteten. Es beſtand

in gebackenen Eiern, ſüßer und dicker Milch, Thee, gebrate nem Geflügel, Rindfleiſd ), Suppe, Käſe, Butter und Brot.

Dieſe Leckerbiſſen kamen aus Naib's Privatfüdye. Am nächſten Morgen ſtellten ſid , dem Verſprechen Naibe gemäß, 50 Reiter mit den für mich, meinen Drago man und unſer Gepäck erforderlichen Pferden unter Sulei man und 3smail Bei bei mir ein. Nadidem idy noch ein frugales Frühſtück eingenommen , trat ich die Reiſe in das *) Dieſe beiden tſcherkeffiſchen Offiziere wurden ſchon ſeit länge ren Jahren von der Hohen Pforte beſoldet, da der Sultan

ſie aus Conſtantinopel hierher geſchickt hatte.

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Innere dieſes romantiſchen Landes an. In angenehmen

Wedhſel ging der Weg zuerſt über Gebirge, dann duro Thäler und Wälder. Je weiter wir vorbrangen, deſto mer wuchs unſer Zug, nach kaum einer Stunde war er idon

auf hundert Begleiter angeſchwollen; dies ſteigerte ſich in ſelbigem Verhältniß bis zum Ende des Rittes. Ungefähr auf halbem Wege ſtieß ein Getreuer Naib's zu uns, um einen Gruß von dem Regenten an mich zu beſtellen, und ſprengte darauf in geſtrecktem Galopp davon , um Naib unſere baldige Ankunft zu melden. Wir machten jeßt Halt, um uns und den Pferden etwas Ruhe zu gönnen.

Dieſe

wurden weiter gar nicht angebunden, ſondern ſich ſelbſt überlaſſen graſten ſie auf der Weide. Die Tſcherkeſſen ver richteten ihr Gebet, und ich rauchte meinen Schibuk. Nach etwa halbſtündiger Ruhe ließ ich wieder aufbrechen, und jeßt bekamen wir einen mannigfach abwechſelnden, ſehr müh ſamen Weg, den man nur langſam im Scritt pafſiren

konnte. Als wir endlich den Saum eines Hodwaldes er bliches Thal hinunterſtiegen , ſah man an deſſen Ende einen großartigen Felſen ſich ſteil in die Luft erheben. Rings um ihn ſchlängelte ſich ein reißender, klarer Bergſtrom , die Annäherung zu der Höhe verwahrend, die erſt nach der Hinterſeite zu beſteigbar er ſdien ; von hier führte auch ein Pfad zu ihrer Spiße em= por, wo Naib, gleich dem Adler auf ſeinem Horſt, reſidirte. Wir waren kaum in das Thal hinuntergeſtiegen, ſo begrüßte mich auch das Trommeln des Tambours und ein fortge ſegtes Gewehrfeuer. reichten und in ein hödyſt

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Capitel 2. Audienz bei Naib - Baicha. Paſcha und ſein Wirth.

Die neue Wohnung des Inglis Zweiter Beſuch beim Fürſten.

Erzählung des Fürſten.

Prinz Sefer. Streit zwiſchen

Sefer: Paſcha. Culturzuſtand des tſcherkeſſiſchen Volfes.

Naib - Baſcha und Sefer - Paſcha.

Endlich war ich und meine Rarawane bis zum Thor dieſer Felſenwohnung mühſam emporgeſtiegen. Den ganzen

Hof erfüllte eine große Anzahl von Tſcherkeſſen , links am Eingange war eine Wadie von 40 Mann poſtirt, welche unter präſentirtem Gewehr falutirte ; es waren meiſt ſchon eisgraue Krieger , bei deren Anblick fich mir allerdings un wilfürlich die Frage aufdrängte : ,,Was werden dieſe für Rekruten zum europäiſchen Exercieren abgeben ? " Hinter dem Wachlokal befand ſich das Gebäude für die Dienerſchaft

und Küche, dann das Gefängniß. Auf der entgegengeſekten Seite, rechts vom Eingange , befand ſich die Wohnung des Adjutanten, dann das Haus Naib's und ſchließlich ein Bal con , von dem man die ſchönſte Ausſicht in das erwähnte

Thal genoß. Von dieſem Balcon aus trat mir nun der Herrſcher Tſcherkeſſiens ſelbſt entgegen. Er iſt ein kräftiger, großgewadiſener Mann von ernſten Geſichtszügen. Er ſcheint ſein viertes Decennium vollendet zu haben. Seine Klei dung bei der erſten Begegnung beſtand aus einem rothen, mit filbernen Stidereien befekten Sammetrod, einem weißen , Leinenen Mantel, grünen Sammethoſen , rothen Stiefeln

und einer Pelzmüße, um die ſich ein hellgelber, ſeidener, goldgeſtidter Turban wand. Er reichte mir freundlich die Hand mit dem üblichen Gruße : Salam alaicum ! (Friede jei mit Dir !) und führte mich ſogleich auf den erwähnten

Balcon , deſſen Rand ein zierlidhjes hölzernes Geländer ein faßte , da es von hier aus jäh in das Thal hinunterging. Ich mußte mich nun nach tſcherkeſfiſcher Weiſe auf dem Fuß= boden niederlaſſen , der mit dem koſtbarſten Teppiche geziert

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war , und nadidem Naib mir gegenüber dieſelbe Stellung eingenommen , entſpann ſich ſogleich ein für mich hödiſt in tereſſanter Dialog , der von Naib'8 Seite arabiſch geführt wurde , wiewohl der Fürſt auch ſehr gut türkiſch ſpricht. Er erkundigte ſid) vorerſt nad meinem Befinden , und ob ich ſehr ermüdet wäre. Sedann ſprach er mir im Namen ſeines Volkes den wärmſten Dank für die guten Abſichten aus , weldie ich für Tjderkefſiens Wohl hegte. Nachdem id ſodann mit der erforderlidien Höflichkeit dieſen kleinen

Theil der Unterhaltung erledigt, gab er mir, was für mich bezüglid meiner künftigen Stellung hödyſt belehrend fein mußte , mande charakteriſtide Details über Land und Volf.

Nadidem er midy in Kürze mit dem Nöthigſten bekannt ge macht hatte , brady er die Unterhaltung ab , wieder darauf hinweiſend, daß ich gewiß ſehr ermüdet ſei und ihm morgen wohl ein aufmerkſameres Ohr denken würde. In dieſer Rüdſicht hatte er , ungefähr 1000 Schritt vom Orte , bei einem tidherkeſfiſchen Edelmann , ein Quartier für midi ein richten laſſen, und dicte ſich jetzt mit ausgeſuchter Höflich

keit an , mich in hödyſteigener Perſon dorthin zu begleiten. Der beſagte Edelmann , Namens Berber , hielt zu dieſem Zwecke ſchon zwei Pferde für mich und meinen Dragoman bereit , und erwartete mich am Eingange der "fürſtlichen Wohnung. Mein neues Logis lag in einem weiten, rings um mit einem hohen Zaun eingefaßten Hofe , und zwar auf der redyten Seite deſſelben . Vor der Thür ſtand zu

meiner perſönlichen Sidherheit ein Doppelpoſten mit gelade nem Gewehr , der 3eden , welcher zu mir Einlaß begehrte, erſt anzumelden hatte.

3d fand mein Zimmer von einem

wohlthuenden Kaminfeuer matt erleuchtet. Da ich wirklich ermüdet war , ließ id) mich ſogleich auf einen ſchönen Tep= pich vor dem Feuer nieder , mit eigenthümlichen Gefühlen ſtumm und unverwandt in die kniſternde Gluth fdauend. Der plötzlich eintretende Wirth ſdredte mich aus meinen

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Träumereien empor ; es war ein ſchöner Greis , der auch trog ſeiner heimiſchen Naivetät einen hohen Grad von Bila

dung in Benehmen und Unterhaltung an den Tag legte. Indem wir uns über Dies und Jenes beſprochen , wurde mittlerweile das Abendeſſen ſervirt , welches dem bereits

früher beſdhriebenen Imbiß genau glich. Id that ihm weid= lich Zuſpruch, genoß nach meiner alten Gewohnheit noch eine Taſſe Thee nebſt Zubehör , d. h. einem Sdibuk , und legte mich dann zur Ruhe nieder. Mit Anbruch des nädyſten Morgens erhob ich mich und begab mich in der ſchon erwähnten Art und Weiſe wieder zu Naib. Nadybem ich von ihm mit womöglich noch größerer Aufmerkſamkeit und Freundlichkeit empfangen war , gingen wir wiederum , unter Vermittelung des Dra=

gomans , zu einer lebhaften Unterhaltung über. Das Er gebniß derſelben von Seiten Naib'& war ungefähr Folgendes : Das Oberhaupt der Tſdyerteffen ſei Sdamyl , der zum Unglüc des Landes auf dem Gebirge Webden von den Ruſſen ſo eingeſchloſſen ſei , daß er nach dem eigentlichen,

am Meere gelegenen Tſcherkeſſien ſich keinen Weg bahnen könne. Die Umgegend von Anapa beherrſche Sefer Paſcha, ein Alttürke , der früher in türkiſchen Dienſten geſtanden und vor dem Krimfeldzuge von der hohen Pforte nach Tſcher keſſien geſchickt worden ſei. Nad Ausbruch des Krieges ſei er wieder zurüdberufen worden , habe aber dieſe Wei ſung nicht befolgt, ſondern es für beſſer befunden, auf ſeine

Stellung als Baſcha im türkiſchen Heere zu verzid;ten und Das übrige Tſcherkeſſien , nämlich das Gebiet der vier Redouten an der Küſte des ſchwarzen Meeres , von Trubſa an bis zu

in der Gegend von Anapa zu verbleiben .

der ruſſiſchen Vorpoſtenkette, im Innern des Landes , ſtehe unter ſeiner eigenen Botmäßigkeit. Er ſei ein geborner Araber , von Schamyl hierher berufen worden , und befinde ſich jeßt gegen zwölf Jahre im Pande. Er habe von den

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Ruſſen ebenfalls ſehr Vieles zu erleiden gehabt , überhaupt manches Ungemad, erlebt. So ſei er einſt auf einer Reiſe nad Stambul von den Ruſſen gefangen genommen , als geborner Araber zwar nicht nach Sibirien geſandt , aber

dem Sultan überliefert worden. Dieſer habe ihn ſogleich nach Alexandria geſdrickt, von wo aus er die Rücreiſe nad Djderfejſien unternommen .

Unter den härteſten Entbeh

rungen und Mühſeligkeiten, von Räubern unaufhörlid, ver

folgt , ſei es ihm endlid, gelungen , durd, die furdytbarſte Wildniß über den Sdam , - einem Bettier gleich, nach 21 ), Monaten fidy hierher durchzuſchlagen. Das tſcher feffiſche Volt habe er bei ſeiner erſten Ankunft außerordent lich roh gefunden ; noch bis kurz vor dem Strimfeldzuge habe es jeden nicht muhamedaniſchen Fremden als Fend betrach tet , den man , fobald man ſeiner habhaft wurde , ohne Er barmen ermordete. Anfangs habe er , bei der grauſamen Brutalität ſeiner Landsleute , ſelbſt den ſtrafenden Henker

ſpielen müſſen , und unter Andern zwölf Contravenienten mit ſeinem eigenen Säbel den Kopf abgeſchlagen, um durch

folch warnendes Beiſpiel den Erceſſen endlich eine Grenze

zu ſetzen. Auch habe er etwa 60 Sträflinge von einem hohen Felſen in den Fluß ſtürzen laſſen. Seit jener Zeit aber habe ſich der wilde Character des Volfes bedeutend

gebeſſert, auch mandie andere Uebelſtände ſeien beſeitigt Er hoffe, daß es ſeinen unausgeſeşten Beſtrebun gen endlich gelingen werde, das verwahrloſte und gefährdete

worden.

Land einer beſſeren Zukunft entgegenzuführen.

Er bemühe

fid , es durch neue und zweckmäßige Einrichtungen zu heben , und der friegeriſchen Unbeholfenheit des Volkes durch den Beiſtand des europäiſdhen Taktikers zu Hilfe zu kommen. Ueberhaupt ſei er bereit , alle meine Anordnungen jederzeit auf das Kräftigſte zu unterſtüßen , und ſo ſei zu erwarten, daß wir bei unermüdlider Ausdauer die ſiegreiche Durch

führung des Begonnenen wohl endlich erreichen würden.

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Von Seiten der Ruſſen beſorge er Nichte, da die feſte Be ſchaffenheit des Landes ſelbſt ihm die fidyerſte Schußmauer

gegen ihr weiteres Vordringen gewähre. Ueberhaupt ſei er entſchloſſen , eher ſeinen Kopf, als einen Fußbreit tſcherkeſſi der Erde zu laſſen ."

Dieſe Geringſdräßung eines ſo foloſſalen Feindes ſchien mir anfangs ein wenig zu hoch geſpannt ; ſpäter aber, nach genauerer Renntnißnahme des Terrains mußte ich der An ſicht des Fürſterr beitreten.

Er erzählte mir ferner , er ſtehe mit Sefer nicht auf freundſchaftlichem Fuße , und gab auf weitere Nachfrage

auch den Grund dieſes Zerwürfniſſes an. Zur Zeit des Krimfeldzuges verlangten nämlich die Engländer 6000 Mann Tſcherkeſſen als Mitfämpfer gegen ihren gemeinſamen Feind.

Zu dieſem Zwede war auch der engliſche Conſul in Tre bifonde, Mr. Stevens, mit dem Transport derſelben beauf

tragt worden. Naib ging auf den Wunſch der Engländer bereitwillig ein. Sefer aber rieth ſeinem Volke davon ab, indem er ihnen die Engländer in der abſdyrecfendſten Weiſe ſchilderte , und unter Anderem ſid, ſtets dahin äußerte , fie

hätten es nur darauf abgeſehen , die Tſcherkeſſen unter ihre eigene Peitſche zu bringen. Die unwiſſende und rohe Maſſe habe ſich durch dieſe Vorſtellungen einſchüchtern laſſen und ſei der damals noch überwiegenden Autorität Sefer's blind

lings gefolgt. Alsbald darauf aber ſei ſie von ihrem gros ben Irrthum zurück und zu vortheilhafterer Anſchauung von den Engländern gekommen. Einſt ſei nämlich ein mit Klei

dungsſtücken, Revolvern, anderen Waffen und vielen beſon ders für Tjderkeſſen werthvollen Gegenſtänden reich bela denes engliſches Sdriff gelandet, und der Capitain habe den höchſt lockenden Inhalt deſſelben unter die Menge verſchenkt, weldie , erfreut über dieſe Wohlthat , von der Zeit an die Engländer mit ganz beſonderer Hodhadytung und Neigung

beehrte. Seit jenem Striege würden Sefer's Anhänger von

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Tag zu Tag geringer, ſo daß deſſen Partei zu ſeiner eige

nen ein für den Erſteren nid )t befriedigendes Verhältniſ gewonnen habe.

Gerade dadurch , daß Sefer ſeine Leute

nicht nach der Krim (dhidte und ſie zu ſeiner eigenen Sicher heit zurüd zu behalten ſudite, laufe er große Gefahr , bald auch den legten Getreuen zu verlieren. Nadidem Naib dieſen verdrießlichen Punkt hatte fallen laſſen , gab er mir eine ausführliche Darſtellung der tſdier kejfiſden Fedytart, weldie gegen die Ruſſen faſt täglich an=

zuwenden ſei ; dann ſdyritt er zur näheren Beſchreibung des Terrains.

Sobald wir über Beides unſere Anſichten ausgetauſt hatten, theilte er mir mit, er habe ſchon ſichere und erfahrene Leute auserleſen , die mid nad, der Grenze führen fouten, wo id; die ruffidhen Redouten inſpiciren möchte. Wenn ich mich dieſes Auftrages entledigt , ſo wollte er ſelbſt mit

mir eine Inſpectionsreiſe länge der Küſte zu den nächſt Anapa gelegenen ruſſiſchen Redouten unternehmen. Dann wollten wir uns berathen, was in Betreff derſelben zu be ginnen ſei. Vorläufig aber follte ich noch einige Tage der Ruhe und Erholung gönnen.

An dieſer Stelle will ich in Bezug auf mich und den

erwähnten Paſcha nody Folgendes anführen.

Bei meiner

Ankunft in Tſcherkeſſien mußte ich meinen heimiſchen Titel

ablegen und erhielt die neue Bezeichnung des „ Inglis Paſca."

Die Tidyerteſſen , von mehr zutrauen erfült,

glaubten jeßt ſogar zu bemerken , daß die Engländer , zu denen ich doch gehörte , einen dem Roran nicht allzu fern liegenden Glauben bejäßen , ſonſt würde ihrem europäiſchen

Gaſte getegentlich vielleicht ein gleiches Schickſal geworden ſein, wie manchem anderen Chriſten. In dieſer erfreulichen Ahnung wurden ſie beſtärkt, da id; mitunter meine engliſche Uniform trug, die von vielen in der Türkei Geweſenen als folche mit Vergnügen erkannt wurde. Wie geſagt , die

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Tſcherkeſſen kamen von ihrer vorurtheilsvollen Verwechſelung

bald zurüd. Gegen Sefer Pafcha faßten ſie gerechten Ver dacht; im Verlauf dieſes Werkes foll noch beſonders über dieſen Mann geurtheilt werden. Im Allgemeinen ſei in

dieſer Beziehung vorläufig mitgetheilt , daß ſchon früljer ähnliche Perſonen bei ihren Landsleuten in Verdacht ge riethen. So flüchtete einſt der türkiſche Befehlshaber Os man Baſda, nach dem Verluſte der Feſtung Gelenſdet, mit Hab und Gut nad Tiderkeſſien. Als er dieſes bei ſeiner Abreiſe zurüdforderte , antworteten ihm die Tſcherkeſſen : „ Wir werden kommen und ſehen , ob Du die Wälle der Feſtung nicht haſt vertheidigen fönnen. Dies ſind wir dem Sultan ſchuldig , der uns nicht minder wie Dir die Ber theidigung derſelben übertragen hat."

Capitel 3 .

Reiſe mit Suleiman - Bey zur Grenzfeſtung. Schamyl's.

Das Leben

Nady dieſer zweiten Unterredung mit dem Fürſten durdyſtreifte ich in den folgenden Tagen die nächſte Umge gend, und ſchritt am Morgen bes fediſten Tage8 zur Aus führung der mir zugewieſenen Aufträge. Zunädyſt wollte ich die Redouten , insbeſondere die ruſſiſchen , beſichtigen. Meine Rarawane beſtand aus etwa 20 Edelleuten mit ihren

Dienern als Escorte , dem mir als Führer beigegebenen Suleiman Bey , dann aus meiner eigenen Dienerſchaft und fd ließlich aus den zum Wedfeln und für das Gepäc er forderlichen Pferden , von denen idy für mich felbſt fünf,

für meinen Dragoman zwei hatte. Als ich aber zum Auf figen fertig war , erſchien Naib und drüdte die erfreuliche

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Abſidyt aus , mich noch einige Stunden Weges begleiten zu wollen .

3d dankte ihm freundlich für dieſes Anerbieten,

und die Reiſe ging vor ſich. Unterweges machten wir oft kleine Abſtedyer zu Orten , die an verſchiedenen Mineralien ſehr reidyhaltig waren. Der Fürſt nahm hierbei meinen Rath in Anſpruch , was aus den einzelnen Orten wohl

auszubenten ſein möchte; id) gab ihn ſo weit , als meine eigenen Kenntniſſe in den betreffenden Fächern reidyten. Nachdem wir dieſes und mandies Andere in Augenſchein genommen , wurde endlid balt genadit , und Naib erklärte,

er wolle jetzt wieder umkehren und mich meinen eigenen Forſdungen überlaſſen . Während des Rittes hatte er ſehr angelegentlich und

warm von Sdamyl geſprochen und ſehr bedauert , daß ich feine Befanitidiaft nicht maden fönnte. Da ich mit dieſem

herrlichen Manne leider aud) ſpäter nid )t zuſammenfam , ſo will ich, dem Laufe der Ereigniſſe vorgreifend , mit wört

licher Benußung zweier in der Leipziger 3Uuſtrirten Zeitung (vom 1. Oct. und 3. Dec. 1859 ) veröffentlichten Artikel, Ausführlideres über das ſpätere Geſdid Schamyl's zur Er gänzung an dieſer Stelle aufnehmen. Sdy amyyl. Der Stern des merkwürdigen Imam der Tichetſchenzen ,

der ſo lange am politiſden Himmel geglänzt, iſt erloſchen. Die gewaltige Macht des Zaren, der er ein volles Menſchen =

alter heldenmüthig widerſtanden , iſt über ihn gekommen, ſeine unumſchränkte Herrſchaft gefallen und er ſelber am Abend ſeines Lebens in die wenn gleich fürſtliche Gefangen

ſchaft ſeiner Feinde gerathen. Wahrſcheinlich für immer vom Schauplaß der Geſchichte abgerufen , werden die Be ſieger der ihn einſt unterworfenen Bölfer viele Spuren ſeines Regiments tilgen, aber wie wenig davon in die Zu kunft aud übergehen möge, Schamyl's Leben war groß und

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denkwürdig genug , daß er einer eingehenden Darſtellung werth iſt. Uns ſei hier nur ein kurzer Ueberblick geſtattet. Schamyl wurde 1797 zu Himry im nördlichen Da gheſtan geboren , ſammelte unter der Obhut des Molot

Didelaleddin feine Kenntniſſe, gewann aber eine höhere Ausbildung mit eigenthümlicher religiöfer Richtung unter Raſi Mollah. Als der frieg der kaukaſiſdien Böffer 1824 gegen die Ruſſen ausbrach, ſchloß ſid, Sdamyl dem Auf ftande an und entging im Winter 1831 nur auf wunder bare Weiſe dem Tode. Inzwiſchen war der Murſchid Dagheſtans, der erwähnte Kaſi Molah, geſtorben, ſein Nach

folger, Hamſad Beg , ermordet worden und nun ſtellte ſich Schamyl 1834 an die Spige der Raufaſusvölfer und führte, beſonders ſeit 1839, den Krieg gegen die Ruſſen mit ge

waltiger Energie weiter. Von Zeit zu Zeit kamen zwar Berichte über angebliche Fortſchritte der Ruſſen, aber hinter her ermittelte man doch , wie wenig glänzende Erfolge die

größten militäriſchen Kräfte gegen die verhältniſmäßig ſchwächeren Bergvöffer errungen hatten. Allerdings eroberte General Woronzoff 1848 Schamyls damalige Reſidenz Dargo , allein nur unter fo furchtbaren Opfern , daß er

20,000 Mann Verſtärkung begehrte und fein Sieg einer ungeheuren Niederlage gleich kam. Bis dahin aber war

Schamyl im Innern ſeiner Herrſchaft nicht unthätig geblieben. Durdy eigene Gründung einer neuen auf den Islam begründeten Religion verföhnte und einigte er die lange Zeit zerſplitterten Stämme des Dagheſtan und der gemein ſame Glaube wurde bald Aden das Unterpfand gemein

famen Hafjes gegen die Ruſſen. Einige glüdlich beendigte Kriegsunternehmungen erhöhten das Vertrauen der ihm

gehorchenden Stämme ; dann ſcuf er ein neues Geſetzbuch, gründete ein ſtehendes Heer und gab durch Einführung einer neuen Verwaltung ſeiner Macht eine fichere Grundlage. Er theilte das ihm untergebene Land in Provinzen und 12

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Statthalterſchaften, von welchen jede 300 berittene Krieger zu ſtellen und zu unterhalten hatte.

Die ganze berittene

Miliz belief ſich 1843 auf etwa 5000 Mann. Doch mußten außer dieſen alle männlichen Einwohner vom 15 bis 50 Jahre in der Führung der Waffen geübt ſein und das ſtehende Heer nach Bedürfniß verſtärken. Sdiamyl felbſt umgab fidy ſtets mit einer Leibwache, deren Glieder Mur toſigatoren genannt wurden und deren Zahl etwa 1000 betrug. Sie waren ſtets der Sdyreden der ruſſiſden Heere, die Zuverſidyt Sdyamyls, die Stütze der übrigen Krieger

und nie hat ſich ein Verräther unter ihnen gezeigt. Wer unter ihnen beſiegt ward , fiel nie lebendig in die Hände

des Feindes. Zugleidy bildeten ſie Sdžamyls geheime Polizei, vor deren Späherblicken Niemand geſidyert, von denen an

geklagt ohne Weiteres geridytet zu ſein bedeutete. Sdyamyls Einkünfte beſtanden nach herfömmlider Sitte aus dem

fünften Theile der gemadyten Beute und aus den Straf beträgen übertretener Geſetze.

Im übrigen hatte er noch

gewiſſe Naturalabgaben eingeſiihrt. Gewiß ſoll ſein , daß er, weniger aus Geiz als vorſichtiger Sparſamkeit, in Andi

und in den itidyferiniſdien Wäldern große Sdätze an Gold, :)

Edelſteinen und anderen Koſtbarkeiten verborgen hielt. Für ſeine Perſon ſtets mäßig und abgehärtet wie der niedrigſte Krieger , hat er nie gegeizt , wo es feinem großen Ziele, der Gründung eines geſdýloſſenen Reichs in Dagheſtan,

galt , mädytige Stämme auf ſeine Seite zu bringen und Verdienſte zu belohnen. Während die ruſiiſden Offiziere ihre mit Blut errungenen Orden nody mit ſdhwerem Gelde

bezahlen mußten , ſtijtete Schanıyl einen Orden für Tapfer feit und dywere Verwundung , welche den Inhaber eine monatlide Penſion von drei Silberrubeln zu ſicherte. Uebri

gens führte er 1840 nody drei andere Diden ein , von der nen der hödyſte in ſilbernen Epaulets und eben ſoldier De= gentrodtel beſtand und fürſtliches Anſehen verlieh. Eine

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gewiſſe Rangordnung im Heere nach europäiſchem Vorbilde ſepte er 1842 durch. Unumſchränkt über die ihm unter : worfenen Stämme des Dagbeſtan und der Tidetſdynja

herrſdend, fuqyte er ſein Anſehen noch dadurch zu erhöhen, daß er von ſich glauben machte, er ſtände im fortwährenden Briefwedyfel mit dem türkiſden Sultan und dem Pajda von Aegypten, und daß Adah und fein Prophet ihn jährlich

ein- oder zweimal ihrer unmittelbaren Erſdeinung würdigten. Solche Wundertage wurden jährlich im ganzen Lande ver kündet , vom ganzen Lande gefeiert. Bei ſeiner ſtrengen Handhabung der Gerechtigkeit, die ſelbſt ſeine Verwandten nicht ſchonte, konnte es nid )t ausbleiben , daß er unter den Lesghiern und Tſchetſchenzen eine Menge mädytiger Feinde hatte ; längſt wäre er durch das Sdwert der Blutrache ge

fallen, wäre er nicht in der Wahl feiner Umgebung ſtets äußerſt vorſichtig geweſen. In feinem Hauſe Tag und Nadt von Wadyen umgeben, hat er ſidy nie ohne eine Bes gleitung von 500 – 1000 Reitern in die Provinzen be geben, ja da , wo er zugänglichkeit ruſſiſdyen Einfluſſes be

fürdytete, war er immer inmitten eine Gefolges von 2000 bis 5000 Mann .

Im Mai 1846 follte ein furchtbarer Schlag gegen Schamyl geführt werden, als er plötzlid) mit 10,000 Neitern und Fußgängern die ſdylagfertig daſtehende, neunmal ſtärkere ruſſiſdie Armee von der Seite her und im Rücken über rumpelte , zurücftrieb , ungeheure Zerſtörungen in den von ihnen beſeşten Dítſdaften anrichtete , verfdiedene Heeres

abtheilungen zerſprengte und mit foloſſaler Beute beladen umkehrte. Das Ades aber nur , um die Bewegungen im

ganzen Kaukaſus zu verdeden und die Eroberung der Feſtun gen Golowin und Gagra am dwarzen Meereum ſo ſicherer zu madjen. Der von den Ruſſen beabſidytigte

Sdılay mußte unterbleiben , um auf das nädyſte Jahr ver ſchoben zu werden. Unterdeſſen beunruhigte ſie Schamyl 12 *

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fortwährend. Er erſchien ſtets da , wo ihn die Heerführer

am wenigſten erwarteten , und er verſchwand nirgends, ohne reiche Beute mitzunehmen. Es ſchien , als ob er überal zugleich ſein könnte, in der Armee kurſisten die abenteuer

lidyſten Vorſtellungen von ihm , die ruſſiſche Regierung felber aber ſah bald ein , daß keine lette Unterwerfung der Tiderfeſien ohne die perſönlide Beſiegung Schamyls mög lid ſei. Die blutigen Stürme des Jahres 1847 lichteten ebenfalls ohne weſentliche Erfolge die ruſſiſchen Reihen,

und obenein war es Schamyl gelungen , die bisher unbe theiligten lesghierſtämme der oberen Kiſſugane für ſich zu

gewinnen und die von ihm bewirkte muſterhafte Organi fation trug die beſten Früchte. General Woronzoff bat um Entlaſſung, da alle Anſtrengungen , alle Opfer und Siege das feindliche Gebiet in keiner Weiſe zu veringern vermochten. Bedeutungsvoll für die Ruſſen blieben , auch die Unternehmungen der Jahre 1848 und 1849, und 1850 dehnte Schamyl ſeine Macht über mehrere längſt als ruſſiſches Eigenthum geltende Diſtrikte aus. Das nächſte Jahr fah ihn auf dem Höhepunkt ſeiner Macyt, ſeine Feinde dagegen entmuthigter denn jemals.

Allein es wird ihm der Vor

wurf gemacyt, daß er dieſe glüdlide Situation nicht ſo be

nugt, wie es hätte geſchehen können , daß das zunehmende Alter ihn an Thatkraft und Umſicht geſchwächt. Mit dem nädyſten Jahre ( 1852 ) zeigt ſid in der That das Glüď

nicht mehr als ſeine ſtete Begleiterin.

In den allſeitig

aufgenommenen Kämpfen behielten die Ruſſen die Oberhand, wenn audy von einer Unterwerfung der kaukaſiſden Stämme nicht die Rede fein fonnte.

vom

Die Erperition der Ruſien

Februar 1853 in die Tichetinja überführte jene

inimermehr von der Trefflichkeit der neuerdings eingeſchla nen Taftif, die Wälder mit der Art zu lidhten. Denn eben in der Unzugänglichkeit der Wälder , in den grundloſen Wegen und Schluchten beruhte mit die Hauptſtärke der

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Tichetſchenzen. Immer näher rücten die Truppen der Sars der Reſidenz Schamyls und am 25. April d. 3. erſtürmte

General Jembonifoff Weden , und das ganze Land nordöſt= lich des andiſden Gebirges mußte ſich ihm nun unterwerfen. In Wahrheit hat Schamyl in den legten Kämpfen nur mangelhaften Widerſtand geleiſtet und von dem Momente

an , wo die ihm Untergebenen von ihm abfielen , und die Treue in ſeiner nächſten Umgebung erſchüttert warb, mußte man für ihn das Sdidfal befürchten, dem er nun wirklich anheimgefallen .

Was die perſönliche Erſcheinung Schamyl'8 anbetrifft, fo ſchildert ihn Bodenſtedt als einen Mann von mittler

Geſtalt, blonden Haaren, grauen Augen , überſchattet von dichten, ſchön gezeichneten Brauen, regelmäßiger edelgeform ter Naſe mit kleinem Mund. Vor vielen ſeiner Stammes genoſſen zeichnet ſich ſein Geſicht namentlich durch eine be

ſondere Weiße und Feinheit der Haut aus. Eben ſo auf fallend iſt die wahrhaft elegante Form ſeiner Hände und Füße.

Die ſcheinbare Unbeweglichkeit ſeiner Arme beim Gehen deutet auf ſeinen verſchloſſenen Charakter hin. Sein Auf treten iſt durchaus edel und würdevoll. Er iſt vollkommen

Herr über ſich ſelbſt; eine unerſchütterliche marmorne Ruhe, welche ſich ſelbſt in den Augenbliden der auf'& Höchſte ge ſtiegenen Gefahr nicht verleugnete, umſchwebt ſeine Büge. Und ſo einſchüchternd und ehrfurchtgebietend ſeine ganze äußere Erſcheinung iſt, ſo begeiſternd und hinreißend iſt der

Strom ſeiner im reinſten ſonoren Metall erklingenden Sprache. Möge der romantiſche Nimbus, der ſein ganzes Weſen indis viduell und hiſtoriſch umſchwebt, nicht durch Begründung der kürzlich aufgetauchten Behauptung zerriſſen oder geſtört werden , daß er nur in ſelbſtſüchtiger Abſicht den Kampf gegen Rußland aufgegeben habe.

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S chamyl in der Gefangenſchaft, Nachdem der Imam jene Feſtung am Andiſchen Gebirge, die in den legten Jahren ſein Aufenthalt geweſen war, ver

loren hatte, zog er ſich auf den Berg ( Dagh) Gunib zurüd. Dieſer Berg iſt ein breiter Rüden mit einer von Höhen und Felsvorſprüngen beſetten Hochebene, die einen Umfang von mehr als 4 deutſchen Meilen hat, mit Holz, Feldern

und Waſſer wohl verſehen iſt und faſt überall in ſteilen Felswänden gegen die Ebene abfält. Die ſchmalen Fuß wege, die an den Wänden ſich hinaufziehn, hatte Schamy! mit Verhauen abgeſperrt, neben denen Steinmaffen aufge= häuft waren, die auf die Feinde hinabgerollt werden ſollten.

Die einzige zugängliche, nur 160 Scritte breite Stelle dieſer natürlidien Feſtung war durch 2 Mauern, eine über der andern, geſchüßt worden. Schamyl fühlte ſich in dieſer Stellung ſo ſider, daß er die angeknüpften Unterhandlun gen über ſeine Ergebung abbrady, indem er dem Fürſten

Bariatinski fagen ließ : Der Gunib Dagh iſt hoc ), Allah

iſt noch höher und Du biſt unten. Sein großes Vertrauen würde gerechtfertigt geweſen fein, wenn der Berg eine geringere Ausdehnung gehabt hätte. Die Ruffen verfügten über Streitkräfte genug, um die beiden Mauern und alle Fußwege gleichzeitig angreifen zu fönnen. Die erſten Stürmenden erlitten auf dieſen

fdmalen Pfaden durch die herabrollenden Felſenſtücke gräß lidhje Verwundungen, aber andere Soldaten erſeşten fie und nidyt lange, ſo ftanden die ruffifchen Heerſäulen oben auf der Hodiebene. As Sdjamyl die feindlichen Bayonette in ſeinem Rüden blißen ſab, fich er voll Beſtürzung in den kleinen Aul Gunib, der in der Mitte des Bergrüdens auf

einem Felſenvorſprunge liegt. — 130-140 Muriden dedten bei der zweiten Mauer ſeinen Rückzug und wurden bis auf ben legten Mann niedergehauen. Das Dorf wurde ſo

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raſch umſtellt, daß für Schamyl kein Ausweg blieb. Eine Vertheidigung war ebenfo hoffnungslos als eine Flucht und fo bot der 3mam ſeine Unterwerfung an. Die Bedingun

gen, die er ſtellen wollte, wurden verworfen, blos ſein Leben verbürgte ihm ber Fürſt Bariatinsfi.

In der Mittagsſtunde des 25. Auguſt erſchien der

berühmte Tſdhetſchenze, von ſeinen beiden Söhnen Chaſi Mohamed und Mohamed Sdjeriff und von etwa 40 Mu riden umgeben , vor dem ruſſijchen Generalſtabe. Es be

durfte der beſtimmteſten Verſicherung von Männern, die den Imam perſönlich kannten, um dem Oberbefehlshaber den Argwohn zu benehmen, daß er einen untergeſdobenen Sdya myl vor ſich habe. Der furchtbare Feind Rußlands, der ſo oft im dichteſten Rugelregen geſtanden und den Tod in allen Geſtalten geſehen habe, blidte ſcheu um ſich und zitterte heftig. Später hat er geſtanden , er habe nicht anders ge

glaubt, als daß man ihn auf der Stelle niedermachen werde. Auf dem Ritt in das ruſſiſche tager verließ ihn dieſe Furcht und er ſudyte nun zu entfoinmen . So wenigſtens legten die Ruſſen es aus , daß er bei einbrechender Dunkelheit mehrmals vom Pferde ſtieg, und lange, einmal über eine Stunde, zu beten. Am nächſten Tage hielten die Ruſſen

eine große Parade mit Gottesdienſt und Schamyl war nun jo feſt überzeugt, man treffe Vorbereitungen zu ſeiner Hin richtung, daß er ſich idywer beruhigen ließ. Auf den erſten Tagereiſen eilten die Bergbewohner herbei, um dem Gefan

genen ihre Unterwürfigkeit zu bezeigen und ihm die Hände zu füſſen. Die Ruſſen ſaben dieſe Fuldigungen gern, da die Stämme des Raukaſus durch den Augenſchein überzeugt

wurden, daß ihr alter Anführer wirklich in den Händen der Feinde ſei. Stawropol war die erſte Stadt, die er betrat. Man feierte dort aber den Geburtstag des Großfürſten (Thronfolgers) durch eine Feſtvorſtellung im Theater und ein Feuerwerk. Sohamyl wohnte beiden Feſtlichkeiten bei

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und machte aud) mit den zwölf Begleitern, die man ihm gelaſſen hatte, einen Spaziergang im Woronzof'iden Garten. Auf ſeinen Zügen lag aber eine geiſterhafte Bläſſe, und man ſah es ihm an, daß der Kummer ihn tief zu Boden brüde.

Am 8. October traf Schamyl in Petersburg ein. Den Kaiſer, der eben die Ukraine beſuchte, hatte er unterwegs ge ſehen und war von ihm wohlwollend empfangen worden.

Das Snamenstifdhe Hotel, wohin man ihn führte, wurde in den erſten Tagen von Neugierigen nicht leer. Dem Generalgouverneur ſtellte er ſich gleich nach ſeiner Ankunft vor, und beſuchte in den beiden nächſten Tagen das Muſeum, die Academie der Wiſſenſchaften, die italieniſche Dper und das Ballet am großen Theater. Von der Kaiſerin , der Großfürſtin und Großfürſtinnen wurde er zur Tafel gezo

gen, und ſein Benehmen war immer ein würdiges. Unter den Beſuchern, die ihm förmliche Huldigungen darbrachten, liefen piele Anecdoter um , die einen nicht gewöhnlichen Geiſt beurkunden. Namentlich gefielen ſeine Aeußerungen über die Uniformirung der Truppen, wie über die Kirchen und Denkmäler, zu denen man ihn führte. Daß er auch ein feiner Hofmann ſein kann, bewies die Antwort, die er

auf die Frage gab, was ihm in Rußland am beſten gefallen habe ? „ Der Empfang beim Kaiſer," *) ſagte er, und fügte dann hinzu, der gütige Monarch habe geäußert : „ Es ſoll *) Dieſe gütige Verfahrungsweiſe gegen Schamyl wird gewiß in manchem teſer den Verdacht auffommen laſſen, daß eine ganz eigene Triebfeder dieſe ausnehmende Güte gegen den Todfeind erzeugt habe.

Man wird aber noch mehr hierin beſtärkt

werden, was ich hier anführe, daß Naib, nach ſeiner eigenen Aeußerung gegen mich, ſehrlodende Verſpredjungen und Uns erbieten von Seiten der ruſſiſchen Regierung gemacht wurden. Es wäre eigentlich zu bedauern, daß dieſer ehrenhafte Mann leider eine zu große Antipathie gegen die verzucerte ruſſiſche Knute gerade beſigen muß.

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Sie nicht gereuen, daß Sie fich mir unterworfen haben." Bei einem Beſuche, den er dem Profeſſor Kaſem - Beg, einem Drientaliſten von Ruf machte, zeigte er ſich als Gelehrter. Mit Intereſſe muſterte, er eine Sammlung orientaliſcher Werke und beklagte lebhaft den Verluſt ſeiner eigenen ſchönen Handſchriften , die von den Muriden vollſtändig geplündert worden ſeien. Bei mehreren Gelegenheiten geſtand er offen, daß die Fortſeßung des Rampfes gegen die Ruffen für ihn zur Unmöglichkeit geworden ſei. ,, Ich ergab mich nicht

eher“, waren ſeine Worte , „ als bis die Bewohner der Berge ſich von Gras nähren mußten und die Ruſſen wie fallender Sdynee über mich kamen .

Die Petersburger Neugier hatte fich noch lange nicht

geſättigt, als Schamyl am 19. October plößlich abgeführt wurde. Man erfuhr ießt, daß ihm Kaluga als Aufenthalt8 ort angewieſen worden ſei . Auf der Reiſe dorthin verließ ihn ſein Sohn Chaſi Mohamed, um die zurückgebliebene Familie des Imams abzuholen und dem Fürſten -Statthalter ein Schreiben zu überbringen, in dem Schamyl ſeine Er kenntlichkeit für den freundlichen Empfang bei dem Raiſer und der kaiſerlichen Familie ausſpricht. Er bewohnt in pl

Kaluga ein großes dreiſtöđiges Haus, das die Regierung für ihn, ſeine Familie und vier Müriden, welche bei ihm bleiben ſollen, gemiethet hat. Kaluga hat ſchon mehrere berühmte Gefangene geſehen, unter anderen Sahim Gerai, den legten Fürſten der Krim , Arungis Albugaſt, den legten Rhan der kleinen Kirgiſen horde, und þurakliewa, die regte Sarewna von Gruſien , mit einem Wort, lauter gefallene Größen, denen ſich Scha myl, der lette Imam des Haukaſus, zugeſellt.

Me

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Capitel 4. Rückkehr von den Redouten . Die Heirathegelüſte des Dragos Tiſchs man . Gaſtgebräuche. Tſcherkeſſiſche Gebände . Anzug der Kleider, Waffen und Pferde. gebräuche. Lebensweiſe des Eine reitende Tſcherkeſſin . Frauen. Wie man Wie man ſich einen Zahn auszieht. Voiks. fich zur Ader läßt.

Ich nehme den Faden meiner Erzählung wieder auf. Der Weg ging von der Stelle, wo uns Naib verlaſſen hatte, über ſteile Gebirgshöhen , bei deren Erſteigung ich (don auf halbem Wege das zweite Pferd wechſeln mußte. Auf dieſer befanden ſich einige Gehöfte, deren Bewohner uns ſchon erwarteten, denn Naib Pajda hatte fünf Stunden vor meinem Aufbruch die Couriere hierher entſandt. Nachdem wir uns durch eine tüchtige Mahlzeit und nöthige Raſt geſtärkt hatten, ſaßen wir wieder auf. Wir paſſirten nach mehreren Stunden ein ſehr anmuthiges, im Zidad durch das Gebirge fich dylingendes Thal, und ge

langten mit Sonnenuntergang zu unſerem erſten Nacht quartier. Hier erlebte ich einen ganz beſonderen Spaß. Schon unterwegs unterhielt ſich mein Dragoman , ein ruſſiſcher Sube, ſehr angelegentlich mit meiner Begleitung über einen zarten Punkt. Er hatte nämlidy, wie mir ſpäter klar wurde, kein geringeres Gelüſte, als mit irgend einer hübſchen Tſcher fefſin angenehme Bekanntſdiaft zu machen. Während er fo mit allem Eifer ſprach, brach die Begleitung oft in ein herz liches Lachen aus, welches midy, bei meiner Unkenntniß der

Sprache, den etwaigen Stoff der Unterhaltung ſo ziemlich errathen ließ. Als ich nun mein Quartier bezogen hatte, wurde ich bald, ganz gegen die Landesſitten, von einer blü henden adytzehnjährigen Tſcherfeffin bedient.

Als die holde

Geſtalt bas Zimmer geordnet hatte, verließ ſie daſſelbe noch

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nicht, ſondern nahm neben dem Gaſte auf dem Teppich ungenirt ihren Platz. Meine engere Begleitung, beſonders Suleiman Bei, konnte ſich bei dieſer reizenden Annäherung

des Lachens nicht enthalten, was unſere ſchöne Nachbarin und mich in Verlegenheit ſetzte. Der Liebhaber ließ ſich aber nidyt verwirren, ſondern rief mir, ganz verklärt, die Worte zu : „Effendi, ein herrliches Mädchen ! das Geſchäft iſt gemacht oder wird ſich noch madyen!" - Dieſe unver blümte Leußerung konnte mich über ſeine Abſidyten nicht mehr in Zweifel laſſen. Wie ich ſpäter erfuhr, hatte er

dein Wirthe aufgebunden, daß der hohe Gaſt die Honneurs der Gaſtfreundſdjaft nur von einer jungen Tjderkeſſin ent= gegennehmen würde; daher die überraſchende Sendung. Da er ſeine zarten Wünſdye oljne Umſtände auf das Conto ſeines Herrn ſetzen wollte, ſo nahm dieſer fich jegt vor ,

ihm einen Strich durch dieſelben zu machen. Während der lebhaften Unterhaltung, in welche der Dragoman mit ſeiner

reizenden Schönheit ficy vertiefte, ladyte dieſe laut auf, und man bemerkte, wie ihre vorher ſo ſchönen und unterthänigen Blide fidy allmälich ermuthigten. Jegt hielt ich es für den paſſenden Moment, mich zurückzuziehen, oder vielmehr die

Anderen ſich zurüdziehen zu laſſen, indem ich, aus allzu großer Ermüdung, den Wunſch vorſchütte, mich zur Ruhe zu begeben. Mein Beſuch verließ mich demgemäß auch, und das Abenteuer des liebeglühenden Ruſſen nahm ſo ein

froſtiges Ende. Um übrigens nicht wieder in eine ſo ver fängliche Stellung zu gerathen, verbat id, mir für die Zu

kunft jede weibliche Bedienung. Als ich ſpäter einmal, wo ich mit den Tiderkeſſen mich ſchon mehr allein verſtändigen

konnte, die Logerheit meines Dragomans häufig rügen hörte, und dieſer auch einſt bei Nacht in ein Frauengemach ein gedrungen war, ſah ich mich veranlaßt, ihn mit drei Tagen

ſtrengem Arreſt zu beſtrafen; ein Einſchreiten, welches um ſo mehr gerechtfertigt erſchien, da durch derartige Uebergriffe

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meine Uchtung bei den rohen Tſcherkeſſen leicht untergraben werden konnte.

Da unſer Weg noch fünf Tage faſt in derſelben Weiſe fich fortſeşte, chne etwas Auffallendes zu bieten , ſo wollen wir , mit Umgehung der geographiſchen Details , indeſſen die volksthümlichen Sitten und Gebräuche des Landes, welche bei einer Wanderung hauptſächlicy in Betrachtung kommen, etwas näher in's Auge faſſen.

In Tſcherkeffien hat jedes Gehöft, etwa in der Mitte

ſeiner Umzäunung , noch ein kleines Haus , das ſogenannte Fremdenhaus , welches von dem Reiſenden auch vielfach in Anſpruch genommen wird , denn dieſer kommt oft ſehr weit aus dem Innern des Landes , um an der Küſte ſein Ge treide umzutauſchen . Bei dem höchſt geringen Orade an äußerer Kultur iſt es leicht begreiflich , daß von öffentlichen Gaſthäuſern im Lande nicht die Rede ſein kann. Da es nun dem Reifenden unmöglich iſt, fid für den ganzen Weg

ausreichend zu verproviantiren , auch jedenfalls nicht ange=

nehm , ſtets unter freiem Himmel zu legiren , ſo iſt er auf dieſe Gaſtfreundſchaft angewieſen , und vergilt im vorkoms menden Falle an ſeinem eigenen eerde Gleiches mit Gleidem.

Kehrt ein Reiſender mit ſeinem Pferde bei einem ſol chen Gehöfte ein , ſo erſcheint ſogleich ein Angehöriger des Beſiter8 , um für das Thier zu ſorgen und es auf die Weide zu führen. Dann wird er ſelbſt in das erwähnte Fremdenhaus geleitet , wo er fich ohne Weiteres nach tür fiſcher Sitte auf einen Teppich niederläßt, der Dinge , die noch geſchehen ſollen , mit ruhiger Ergebenheit barrend. Jeßt kommt der Wirth , der gleich nach ſeinem Eintritt fich wie eine Bildfäule ſtumm an die Wand ſtellt.

Seber An =

gehörige , der dem Eintretenden folgt, erſcheint in derſelben Weiſe und betrachtet, gleich dem Hausherrn , den Gaſt mit unverwandten Augen. Hat dieſe Förmlichkeit, etwa nach

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5 Minuten , ihr vorſdriftmäßiges Ende erreicht, ſo geht der Wirth mit dem üblichen Gruße: Salam alaicum auf

ſeinen Gaſt zu , und beginnt mit ihm ein Geſprädy, wäh= rend deſſen Iemand, nach echt homeriſcher Weiſe, mit einem

irdenen Waſſerkruge und einer hölzernen Waſchſchüſſel fich bem Gaſte nähert (bei den reicheren Tſdherkeſſen tritt an

die Stelle deg irdenen Kruges ein fupferner ); dieſer läßt ſich nun Waſſer über die Hände gießen , um ſie von dem

Reiſeftaub zu reinigen. Hierauf bringt man einen drei beinigen runden Tiſch von 2 Durchmeſſer und 1 ' Höhe, auf welchen die verſchiedenen Speiſen aufgetragen werden, als da ſind : dicke oder ſüße Milch, in der Mitte mit Baſta, die unſerer Hirſe ſehr nahe fommt und hier das Brot ver tritt, ein Viertel gebratenes Rindfleiſch , Honig u. ſ. w. Bei jedem neuen Gange erſcheint ein neuer Tiſch , der er ſtere dagegen mit dem alten Gericht wird hinausgetragen. Die Milch ißt man mit einem Holzlöffel, den Hirſebrei fiſcht man mit den Fingern heraus, denn der Muhamedaner bedient ſich beim Eſſen bekanntlich keiner Meſſer und Ga beln ; daher ſchneidet er ſich voin Braten nicht Stüdchen vor , ſondern reißt und zerrt an dieſem ſo lange herum,

bis er ſeinen Appetit geſtillt hat.

Während des Eſſens

ſteht der Wirth mit ſeinen Angehörigen längs der Wand, fieht dem Gaſte ruhig zu und wartet , bis dieſer ein Stück

von dem Braten abreißt und es Einem von ihnen hinreicht, der gleich nach Empfang deſſelben ſich wieder auf ſeinen

Platz begibt , um es gemüthlich zu verzehren. Sobald der Gaſt dann ſeine Pflicht erfüllt, d. h. ſoviel als möglich felbſt verzehrt und auch die Anweſenden mit reichlichen Biffen verſorgt hat , wird die Duverture des Gaſtmahls erneuert, der Waſſerkrug und die Wajdſchüſſel erſcheinen wieder, und nach der Reinigung erfolgt das Finale, d. h. ein dienſt

barer Geiſt kehrt den Plaß rings um den Tiſch mit einem Beſen.

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In der bedriebenen Weiſe wird jeder Gaſt freundlich

und achtungsvoll aufgenommen , und es iſt hierbei von fei nem Belang , ob er vornehm oder gering iſt ; dieſer Unter ſdied hat nur in fo fern Einfluß , als bei einem Edelmann

die Bewirthung mit Thee eröffnet wird ; aud erhält ein folder als Bett ein Federkiſſen , nach Umſtänden auch zwei,

ein leinenes Betttuc) und eine Wattendede mit rothem At lasüberzug ; ein ärmerer Gaſt dagegen erhält nur eine Ma tratze von Sd)afwolle, ein Kopfkiſſen und eine Wattendede mit fiattun überzogen .

Das Fremdenhaus , in welchem der Gaſt aud) über nachtet, unterſcheidet ſich in äußerer und innerer Einrich tung durchaus nid )t von den übrigen Wohngebäuden , wenn man dieſe fo nennen darf. Gröftentheils , mit höchſt fel tenen, erſt ſeit dem Strimfeldzuge datirenden Ausnahmen, ſind dieſe von Holz aufgeführt, die Wände beſtehen aus

Weidengeflecht, mit darüber geſtrichenem Lehm. Die Thür iſt aus zwei Flügeln conſtruirt , gegen welche des Nachts, um unbefugten Eintritt zu verhindern , vom Innern der Hütte aus ein ſtarker Baumſtamm geflemmt wird. Die Fenſter ſind in die Wand gebrochene Löcher , welche durch eine Klappe nad Belieben verfd loſſen werden können. Den

Fußboden bildet eine aufgetragene Lehmſdyicht , weldie ſich mit der Zeit feſttritt ; in dem durd) geflochtenes Waltſtroh

hergeſtellten Dadhe vertritt eine Deffnung zum Abzug des Raudes den Schornſtein. Zu beiden Seiten des Kamines befindet ſid) eine 1/2 hohe Terraſſe , mit einem Teppiche belegt, um wälyrend des Tages hier ruhen und des Nachts idilafen zu können , wozu die oben erwähnten Deden hier: her transportirt werden .

Dieſer Kamin

ſelbſt dient aber

nicht nur zur Durdwärmung, ſondern auch zur Erlendytung des Raumes, da man von einer Lampe nod; keine Ahnung hat ; im Winter wie im Sommer wird er bei einbrechender Dunkelheit 'geheizt. Nur für einen höheren Gaſt tritt aus

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nahmsweiſe noch eine andere Beleucytung ein. Es werden nämlich zwei tienene Fadeln angezündet, welche zwei dienſt bare Geiſter halten müſſen ; dieſes Amt verwalten entweder ruſſiſche Sflaven oder , wenn foldhe nid)t vorhanden ſind,

tſcherkeſſiſdie Knaben .

Zu beiden Seiten des vornehmen

Gaſtes poſtirt, müſſen ſie ſo lange leuchten , bis derſelbe

ſein Abendeſſen beendet hat. Möbel findet man weiter gar nicht in dieſen Häuſern ; jeder Zierrath fält daher von felbſt weg, außer daß die Wände mit Waffen und Utenſilien , an hölzernen Nägeln , beſetzt ſind.

Außer dem Gaſthauſe gibt es auf einem Gehöfte noch ein Gebäude für die Herrſchaft, eines für die weiblichen , eines für die männlichen Perſonen , auch mehrere, auf vier

Pfeilern ruhende Verrathshäuſer , um das aufgeſpeicherte Korn troden zu erhalten. Zur Bergung des Viehes wäh rend der Winterzeit gibt es eine Art Remiſe, deren Dachy und Seitenwände ein ſehr dünnes Fleditwerk haben. Ein kleines Haus dient als Kapelle, in welcher der Tſdyerkeffe

fein Gebet verrichtet, d. h. abplappert , und die außer den vier Wänden feine beſonderen Ornamente zeigt. Auf dem Hofe ſelbſt ſind mehrere Nuß-, Feigen- und andere Obſt bäunie gepflanzt ; das ganze Gehöft wird durch eine gute und feſte Umzäunung geſcützt. Da nun , bei dem gänzliden Mangel an gemeinſam verbundenen Wohnſtätten , dieſe Gehöjte ſehr zerſtreut, ja nad Beſdaffenheit des Landes oft meilenweit auseinander liegen, ſo fommt es nicht ſelten vor, daß der Neiſende einen fold)en Wohnſit nid )t mehr erreidt, und dann bivouaquiren muß. Nadidem er in foldem Falle ſid) ſeinen Ruheplat für die Nacht ausgeſucht hat , jattelt er fein Pferd ab und läßt es grafen , wo es Luſt hat.

Er zündet hierauf ein

luſtiges Feuer an , und geht dann auf Entdeđungereiſen nad) türkiſdem Waizen aus, weldoen er auch gewöhnlidy fehr

bald findet, da er hier und dort auf den Feldern reichlich

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wädyſt; vielleicht hat er aud; dyon unterweges dafür geſorgt. Dieſer, über dem Feuer geröſtet , wird nun ſein Abendbrot, und ám andern Morgen ſein Frühſtüd. Sein Lager macht

er ſich aus dem Sattel und ſeinem Gepäcke zurecht. Bei Tagesanbruch ſattelt er ſein Pferd wieder und ſet die Reiſe fort, kehrt dann aber gewöhnlich bei dem nächſten Gehöfte ein , wo er nach beſchriebener Weiſe freundlich und ohne Bezahlung bewirthet wird. Da unſere Reiſeroute , wie bemerkt , ſich ſehr eintönig dabinzog , ſo will ich indeſſen noch auf andere tidherkeſfiſche Sitten und Gebräuche und zunädyſt auf die Landesbewohner ſelbſt kommen .

Ein herrlicher und ſtolzer Wuchs, der beſonders in

breiter Bruſt, ſtarken Schultern und enger Taille fich gel tend macht , hebt den Mann hervor. Die Frauen fallen vorzüglid ) durch ihre breiten und hohen Hüften auf ; ſonſt ſtehen ihre Glieder in dem ſchönſten Ebenmaß und ſie laufen in Wohlgeſtalt allen Europäerinnen unſtreitig den Rang ab. Die Augen der Tſcherkeſſen , durch die ſtarken Brauen

vortheilhaft gehoben, ſind blau oder braun ; in ihnen thront das kräftige Freiheitsgefühl des Mannes, das ſeelenvolle Leben des Weibes. Die Geſichtsfarbe läuft bei jenem etwas

in's Gelbliche, bei dieſem läßt ſie eine ſanfte Röthe durch = ſchimmern. Der Tidyerteſſe weiß ſehr wohl , mit welchen Vorzügen ihn die Natur bedadyt hat , und deshalb duldet

er bei einer Verheirathung ſehr ſelten die Einmiſchung fremden Blutes. Die Kleidung des Mannes beſteht aus einem langen, bis über die Kniee reichenden Rock, der vorn an Bruſt und Hals nicht ſdyließt und überhaupt der finöpfe und des fra :

gens entbehrt.

Unter dieſem liegt ein anderer, der bis an

den Hals hinaufreicht und deſſen Form ſehr an unſere fei= denen Steppröcke erinnert. An den beiden Bruſtſeiten des oberen Rodes laufen filberbefekte Patronentäſdidhen , die

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nach dem Wohlſtande des Beſigers, ebenſo wie die übrige Bordirung der Rodtanten , mehr oder weniger reich verziert ſind. Die Hoſen , entweder roth , grün oder ſchwarz, find theils von Tuch, theils von Sammet oder Seide, ihre Seiten nähte mit filbernen Treſſen befeßt ; ſie ſind in der Mitte und nach oben zu ſehr weit , unten ſehr eng. Die Stelle der Knöpfe und Träger vertritt ein um die Lenden gefluns gener Gurt. Die Kopfbededung iſt bei Aden dieſelbe , fie

beſteht aus einer fußhohen, über die Hälfte mit Belz beſef= ten Müße. Die Fußbekleidung bilden Stiefeln von rother, gelber oder auch ſchwarzer Farbe , deren Buntfchedigkeit an ein corps de ballet erinnert.

Sie werden Winter und

Sommer ohne Strümpfe getragen und von den Frauen verfertigt, die auch für die übrige Bekleidung forgen müſſen. Wefte , Halstuch und Manſchetten ſind für den naturwüch ſigen Ticherkeſſen natürlich unbekannte Lurusartikel. Seder Mann , ohne Ausnahme, iſt mit einem Doldye verſehen, den er des Morgens beim Aufſtehen ſogleich in ſeinen Leib gurt ſteckt und erſt Abends , beim Schlafengehen, ablegt. Selbſt Knaben, faum 5 Jahre zählend, wollen dieſes Recht ſchon genießen. Der Säbel, welder in einer Lederſcheide ſtedt, iſt ohne Bügel und hat die Form unſerer Cavallerie

Säbel. Der Griff am Säbel, wie am Dolche, iſt meiſten theils von Silber, denn die Waffen ſind ein einziges Klein od , und er würde nie auch nur ein Stück von ihnen verkaufen. Die Gewehre, an den Schäften mit Silber und Elfenbein ausgelegt, ſind durchgängig ſehr koſtſpielig. Dieſe Waffe iſt ſtets im fauberſten Zuſtande, und doch habe ich einen Tſcherkeſſen fie nie mit etwas anderem , als einem einfadyen Tudlappen, pugen ſehen. Sporen fennt er nicht, er führt nur eine Reitpeitſche bei fidh, die er ſich ſelbſt aus getrodneten Viehtärmen verfertigt. Seine Waffen und ſein Pferd muß der Mann ſich ſelbſt verſchaffen , im Unvermö

gensfalle liefern ihm die Reicheren die erforderlichen Mittel. 13

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Die nationale Tracht der Weiber unterſcheidet fich nur wenig von der männlichen . Sie tragen ebenfalls ſehr weite, ja noch weitere Hoſen , als die Männer , über dieſe einen

nicht über die Kniee reichenden Rođ. Gleich den türkiſchen Frauen tragen ſie über dieſen einen Mantel , D. h. ein

vierkantiges Stück Tudy, deſſen eine Spiße als Kragen bis 1 über die Taille herabfält, während es vorn an der Bruſt zuſammengeſchlagen wird und unten bis auf die Füße reicht.

Das reiche ſchwarze Haar laſſen ſie auf die Sdultern fallen, und ſdyneiden es bei zunehmendem Wuche ohne weitere Accurateſſe ab. Die Männer dagegen lieben ein auffallend kurzes Haar , und wenn ſie in Beſiß eines Raſirmeſſers

find, ſo ſcheeren ſie es ſich glatt ab; ein höchſt eigenthüm licher Geſchmad . Die tſcherfeſfiſchen Frauen gehen , wie die Türkinnen , verſchleiert; mit dieſem ſehr unnüşen Zier rathfieht man ſie jedoch ſelten zu Hauſe. Gleidy den Frauen der Osmanen haben die Reicheren einen Diener ( jedoch keinen Eunuchen ), der ſie bein Ausgehen oder Aus

reiten begleitet. Eine reitende Ticherkeſſin gewährt übrigens einen poſſierlichen Anblick; fie nimmt nämlich auf dem Pferde diefelbe Stellung ein , wie ein Mann , was bei der

für das Reiten beſchwerlichen und gefährlichen Beſchaffenheit des Landes in der That ſehr praktiſch iſt.

Die Pferde, welche man in dieſem Gebirgsterrain allein gebrauchen kann, ſind nicht groß, aber ſehr kräftig und von bewundernswerther Ausbauer.

Sie geben im Laufen ben

arabiſchen Nichts nach, und werden oft ohne die geringſte Fütterung den ganzen Tag hindurch bis in die ſpäte Nacht hinein geritten. Sie müſſen nicht ſelten die ſteilſten Felſen hinauf und hinunter klettern , wo ein Fußwanderer kaum

nodi gehen und folgen könnte.

Ihr Futter ſuchen ſie im

Sommer ſich ſelbſt, und im Winter nehmen ſie mit Seu vorlieb. Sie ſind fromm wie die Lämmer, und einem jun =

gen Thiere, das zum erſten Mal geritten wird, fält es nie

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ein , ſeinen Reiter durch allerlei Manöver aus dem Sattel werfen zu wollen. Sie werden mit einer einfachen Trenſe geritten und das ganze Riemenzeug beſteht aus geſchnitte nen , getrodneten Häuten , welche der Tſcherkeſſe, ohne jede

andere Zubereitung, ſich ſelbſt verfertigt. Der Sattel iſt einem ungariſchen Bodſattel ſehr ähnlich und beim Reiten wird auf ihn noch ein mit Federn oder Haaren geſtopftes Kiſſen gelegt , auf dem man einen höchſt bequemen Siß hat ; übrigens reitet man durchweg mit fehr kurzen Steig bügeln .

Die Lebensweiſe der Tſcherkeſſen iſt bei den Reichen wie bei den Armen ſo ziemlich dieſelbe. Im Sommer des Morgens gegen 4 oder 5 Uhr halten ſie ihre Hauptmahl zeit, d. 5. man ißt friſchgekochtes Rind-, Schaaf- oder Zie= genfleiſch. Sodann genießt man friſche, ſüße Milch (welche im Winter gekocht wird), und ſchließlich Baſta, dem derſelbe Zuſpruch geſchieht,

wie unſerem

Brot.

Im Laufe des

Vormittags genießt man hin und wieder diđe Mild), dann abermals Baſta und hierzu etwas Schaffäſe.

Nachmittag

daſſelbe, und Abends wiederholt ſich das Morgengericht, nur fügt man oft noch Rührei und Geflügel hinzu. Der, Wohlhabende trinkt Morgens und Abends wohl noch ſeine Taſſe Thee (hier Schei genannt) , und iſt auch mitunter etwas

Brot und Butter , d. h. unſer europäiſches, im Lande ſonſt ganz unbekanntes Brot. Er bäckt diefes auch mit Honig in einer Pfanne , aus der überhaupt manche ſchmadhafte

Gerichte zu Tage gefördert werden , wie z. B. ein Pudding nad Art des engliſchen Puddinge. - Auch ein vortreffliches Mirpiktel , aus verſchiedenen Fleiſcharten mit dem zugehö rigen Gewürz , wird in dieſem Genre producirt. Geiſtige Getränke kennt man nicht; anſtatt des Weines , Bieres und

Kaffee'd bereitet man nur den ſogenannten Buſah. Um dieſes Getränk zu gewinnen , verdünnt man Honig mit Waſſer und heißt es Faus. Wenn dieſem noch Hirſemehl 13 *

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zugeſeßt und das Ganze einer Gährung unterworfen wird, fo erhält man eine Art Meth, ber bei den Ticherkeſſen den

Namen Buſah führt. Dieſer Trank ift chne irgend weldje

berauſchende Wirkung und im Sommer höchſt erquidend. Die Einführung des Branntweins würde den Ticherkeſſen einem unfehlbaren Ruin entgegenführen.

Höchſt intereſſant iſt unter Anderm die Art und Weiſe, wie die guten Leute ſich ihre Zähne ausziehen. Natürlich ereignet ſich dies höcyſt ſelten , da ſie ein fehr geſundes,

überdies auch , wegen der Enthaltung vom Tabakrauchen, ſehr weißes Gebiß haben. in zweifacher Manier.

Die Operation geſchieht nun

Befindet ſich der Zahn im Ober

kiefer , ſo legt der Patient eine Solinge von Bindfaden oder Pferdehaar um den Zahn , bindet an das Ende des

Fadens einen Knüppel und wendet ſich mit dieſem Apparat an den erſten Beſten. Dieſer zieht nun an dem Knüppel auf einen Ruck den Bahn heraus. Befindet ſich der Zahn im Unterkiefer , zumal ein Badzahn , ſo bindet der Patient

das Ende jenes Fadens an den Aſt eines Baumes feſt, ſpringt von einer Erhöhung, die er ſich unter die Füße ge ſtellt hat , herunter , und der Zahn bleibt ſo gleichſam am

Baume hangen. Ich habe aber auch geſehen, daß ein Zahn nicht ſo willfährig war , ſondern der Arme mit dem Zahne am Aſte hangen blieb. Er wurde natürlid fogleid von dem verhängniſvollen Faden abgeſchnitten , die Schmerzen mögen aber während dieſes Zappelns nicht unbedeutend ge: weſen ſein.

Von etwas mehr Verfeinerung zeugt die Urt , wie der Aderlaß vor fich geht. Sie bedienen ſich dazur gleich unſeren Thierärzten, eines etwas kurzen Stodes , an deſſen

einem Ende eine Mefferſpite angebracht iſt.

Dieſe wird

bei Pferden unten an den Fuß über dem Hufe angeſeßt, und mit einem Knüttel in die Ader getrieben. Bei dem

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Menſchen wird die Ader nie am Arm , fondern vorn an der Stirn geſchlagen. Nachdem man das Blut eine Zeit lang hat laufen laſſen , ſtillt man es durch Auflegung von Schwamm und Verband.

Capitel 5.

Fortſegung der Heiſe. Gattin Naib Baſcha's.

Brennende Erbe. Rinderverkauf.

Beſuch bei der Ankunft in der

Feftung. - Angriff der Ruſjen. - Ruffiſche Deſerteure als tſcherfeffiſche Sclaven.

Nachdem wir nun über Tſcherkeffiens triegeriſche Be wohner , unter Vorbehalt weiterer Beridyte , Einiges erzählt haben, wollen wir getroſt unſere Reife fortſeßen. Ich hatte,

wie geſagt, fünf Tage zurückgelegt, und fand am ſechſten eine Quelle, die, wie die Einwohner verſicherten , zu jeder Jahreszeit ſehr warmes Waſſer enthielt ; ich empfahl ihnen dieſelbe zur Benußung für warme Bäder. Dann ſtieß ich auch auf einen Teich, ebenfalls von warmem Waſſer, beffen Farbe ſchwarz und deſſen Geruch terpentinartig war ; die ganze Umgegend hatte den gleichen Geruch und war alſo

wohl bituminös. Auf dem Wege an einem Felſen entdeckte

ich eine Art Thonerde , welche, weich wie Wache, ſich bes liebig formen ließ ; ich drehte aus ihr ein Licht, um einen Verſuch damit zu machen, und zündete es an . Es brannte heller und ſparſamer, als irgend ein anderes hier übliches Leuchtmittel. Die Tſcherkeffen wunderten ſich über die uns geahnte Erfindung und ahmten die Anwendung jener Thons erde ſogleich nach. Gewiß würde ein Naturforſcher, der dieſe8 land mit ſpähendem Auge burdwanderte , für die

dabei zu beſtehenden Strapazen burch reidhen wiſſenſchaft

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lichen Fund entſchädigt werden. Da ich mit hinreichenden Kenntniſſen in dieſem Zweige nicht ausgeſtattet war , ſo

mußte ich zu meinem Bedauern manche. höchſt intereſſante Erſcheinung unerklärt im Dunkel laſſen. Eine Sammlung von Mineralien und anderen Produkten hatte ich mir zur

ſpäteren Belehrung angelegt ; dieſe mußte ich in der Folge leider durch Schiffbruch einbüfen, und ſo ging mir das mit

vielem Intereſſe und Fleiß Geſammelte in einem Augen bide für immer verloren.

Am ſiebenten Tage endlich gelangten wir zu Naib's Reſidenz. Durch einen ſehr ſchönen, natürlichen Park famen wir zu dem erſten, von beſagter Reſidenz eingeſchloſſenen Gehöft. Jedes Gehöft enthielt etwa zehn Häuſer , die von ſeinen Leuten bewohnt wurden, unter ihnen befand ſich ein Frem denhaus und eine Moſchee, legtere beibe zuſammen von

einem Zaune eingeſchloſſen. Dieſe Häuſer waren ſehr ſchön, wenigſtens doch beſſer eingerichtet, als alle übrigen im Lande. Aus dieſen Gehöften beſtand die eigentliche Reſidenz Naib'8, die früher erwähnte und beſchriebene war nur pro

viſoriſch für ihn hergeſtellt. Wie dort, ſo wohnte auch hier Er hatte auch noch eine dritte , und

eine Frau Naib's.

von dieſer eine Tochter gehabt ; beide lettere waren ſchon todt und in jenem Parke beerdigt.

Seine hieſige Frau lo

girte in ſeinem beſonderen Wohnhauſe. Ich will hierbei bemerken, daß nur Naib allein, als geborener Araber, meh rere Frauen beſigt, während die übrigen Tſcherkeſſen jeder nur eine haben.

Mittlerweile hatte es zu regnen angefangen , und als ich in das Gaſtzimmer trat , fand ich es zu meinem Beha = gen fehr angenehm burdybeizt.

Es wurden ſogleid) ſehr

ſchmadhafte Gerichte aufgetragen , unter denen ein Badwerk

von der Regentin eigener Hand , wie man verſicherte, den erſten Rang einnahm . Die Ankunft des Gaſtes wurde aus

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Gründen, die man ſogleich erfahren ſoll, ein förmliches Feſt

für die Leute Naib's , und man jubelte , daß das Regen wetter , welches noch fünf volle Tage anhielt, ihn am Ab= reiſen verhinderte.

Noch an demſelben Abend machten mir

die Edelleute aus der Umgegend ihre freundliche Aufwar tung , unter Andern auch der Bruder der hochſeligen Frau Naib's , ein ſehr verſtändiger und wahrhaft nobler Tſcher

keſſe, mit dem ich mich bis ſpät in die Nacht hinein uns terhielt.

Nachdem mich dieſe Notabilität verlaſſen , begab ich midy zur Ruhe, und ich muß geſtehen , daß für mein Lager ausgezeichnet geſorgt war, indem ich außer ben ſchon früher beſchriebenen Schlafutenſilien noch mehrere Kiffen am Fuße des Bettes , zum Wärmen der Füße beſtimmt, vorfand. Auch hier war idy, wie ein Corp8 - Commandant der Hei math, durch einen Doppelpoſten bewacht. Ich ließ die zwei

Mann, wegen des ungeſtümen Wetters , in mein Zimmer hereintreten , auf einen Teppich vor der Thür niederſitzen und ſagte ihnen , ſie könnten die Gewehre an die Wand

ſtellen ; worauf ſie jedoch erwiderten , der Fürſt habe ihnen auf die Seele gebunden , die Gewehre nicht aus der Hand zu legen. So mußten ſie denn die ganze Nacht wachen, da ſie erſt nach 24 Stunden abgelöſt wurden . Daſſelbe Schidjal theilte ein Diener, der die Fadel und das Ramin= feuer in Ordnung halten mußte ; er war hierin ſo gewiſſen haft , daß er förmliche Baumſtämme in die Gluth ſtedte.

Die þiße wurde unerträglidy, ich wäre beinahe bei leben bigem Leibe gebraten. Am anderen Morgen machte ich der Gattin des Für

ſten meine Aufwartung. Dieſe war noch ſehr jung und eine vollendete weibliche Schönheit. Sie zeigte ſich anfang8 ſehr ſchüchtern , da ſte zuvor noch keinen europäiſchen Offi zier in Uniform geſehen hatte. Sie wußte vor lauter Dankbarkeit gegen mich kaum Worte zu finden , und das

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hatte ſeinen beſonderen Grund. Als ich noch in Stambul war, hatte mir der tſherkeffiſche Edelmann Muſtafa oftmals erzählt, welchen unſchäßbaren Werth allerlei Nähmaterial für die heimiſchen Frauen hätte. 3ch verſäumte deshalb nicht, mich mit einer guten Quantität Näh- und Sted nadeln, Zwirn, Wolle, buntfarbiger Seide, Bändern u.ſ..., in zierlichen Etuis , rechtzeitig zu verſehen. Als ich nach Tſcherkeſſien kam , verfehlte ich nicht, durch meinen Drago man der Frau meines jedeonialigen Wirthes mit dergleichen

Kleinigkeiten ein Geſchenk zu machen. Wie leicht zu denken, wurde es ſtets mit der größten Freude aufgenommen , und

meine Begleitung hatte nidyt8 Eiligeres zu thun , als die Glüdliche jedesmal ſchon vorher davon zu benachrichtigen . So hatte ich auch der Fürſtin noch vor meiner Viſite durch

meinen Dragoman ein vollſtändig garnirtes Nähkäſtchen überbringen laſſen. Ihre Augen hatten noch nie zuvor einen ſolchen Reidthum erblidt, fie gab hierüber eine uns

mäßige Freude zu erkennen , und die ganze weibliche Diener ſchaft, gleichfalls bedacht, ſtimmte in ihren Jubel mit ein. Wie hieraus zu erſehen , kann man das Herz einer holden

Tſcherkeſſin, abgeſehen von anderen Tugenden , ſich durch ein Paar Näh- oder Stednadeln ſehr leicht gewinnen. Da der Regen , wie bemerkt , erſt am ſechſten Tage völlig aufhörte, ſo mußte ich noch drei Tage pauſiren, zumal der an der Reſidenz fich hinziehende Fluß , den ich noth wendigerweiſe zu paſſiren hatte , ſo ſtark und reißend an

geſd;wollen war, daß jede Ueberfahrt unmöglich wurde. Ich ( machte während dieſer Zeit kleine Ausflüge in die Nach

barſchaft, ſo weit ſie für mich erreichbar war. Eines Tages beſuchte ich mit dem Schwager Naib'8 das Grab von des Letteren Frau und Todhter.

Auf dem Grabhügel befand

fidh ein ſehr ſchöner , ſchneeweißer Leidhenſtein , der wegen

ſeiner Weichheit ſehr leicht mit einem Meſſer geſchnitten werden konnte ; trozdem leidet er vom Wetter nicht, ſondern

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behält unverſehrt ſeinen reinen Glanz.

3. kenne dieſen

Stein nicht, und erinnere mich auch nicht, je einen von ähnlicher Art in Europa geſehen zu haben .

Auch die

ungemein großen Biehweiden Naib's beſuchte ich. Ich hatte hier Gelegenheit , die ſchönſten Kinder, Sdafe und Pferde zu ſehen ; jede Gattung war für ſich abgeſondert ; Alles

war in der größten Ordnung, und beſonders zeichneten fich die Wirthſchaft& gebäude durch Ordnung und Reinlichkeit aus. Eines Tages führte mich die Fürſtin , begleitet von der Dienerſchaft, in ihren Blumengarten , der, wirklich ſehr geldimadvoll eingerichtet, in dönſter Blüthe ſtand. Nicht

weit von dem Garten bemerkte ich auf einem Nebengehöft zufälligerweiſe drei Männer in europäiſcher Kleidung , mit

häuslichen und Feldarbeiten beſchäftigt. Als ich verwundert fragte, wie dieſe Leute hierher fämen , erfuhr ich , daß es

„ Moskows “ (Ruſſen ) und Sklaven ſeien. Da mein Dra= goman , als geborener Ruſſe, ihrer Sprache mächtig war, fagte id) ihm , daß ich die brei Ruſſen nach Tiſche bei mir zu ſprechen wünſchte. Sie wurden mir zur angelegten Zeit vorgeführt, und als ruſſiſche Seeleute ermittelt ; der Eine war ungefähr 50 Jahre , die beiden Anderen waren den

Dreißigen nahe. Idy fragte den Alten, wer ſie ſeien , und erhielt folgende Antwort : ,, Ich bin ruſſiſcher Capitain und fuhr eines Tage8 der ruffiſden Küſte zu. Blöglich erhob fidh aber ein gewaltiger Sturm, der mid verſchlug und an der tſcherkeſfiſchen Küſte zu landen zwang. Ich und meine Mannſchaft wurden ſogleich ergriffen und vor Naib Pajdya geführt. Die Anderen wurden nach dem Innern des Lan=

bes als Sklaven verkauft und nur ich und dieſe zwei Mann blieben hier."

Mit Thränen in den Augen kam er auf

ſeine fünf Kinder zu ſprechen , die noch in Nußland wären. Sodann fuhr er fort :

„ Ueber rohe Behandlung kann ich

mich nicht beklagen , da mir meine Arbeit für jeden Tag zugemeſſen wird , woran ich dann nach meinem Belieben

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Des Nachts ſchlafen wir alle Drei zuſam men , und zwar ſo , daß zwei immer angefettet ſind.“ Warum ſeid ihr denn nicht alle Drei angefettet ?" .

arbeiten kann .

„ Es iſt nur eine Kette vorhanden , und ſo ſchläft Einer die dritte Nacht immer ohne Kette.“

I. „ Könnt ihr denn nie

im Leben nach eurer Heimath zurückehren ? " " – „Nie im Leben .“ .. „Ich werde ſehen , was ſich für euch thun läßt. Ich will bei dem Fürſten gelegentlich ein gutes Wort

für euch einlegen. Laßt jedoch nicht die Tſcherkeſſen merken , daß ich mich für euch verwenden will."

Vor lauter

Freude ſaludýzten ſie laut auf, drüdten mir ihren innigſten Dank aus und ich entließ ſie. Bei Anbruch der Nacht be gab ich mich zu dem Schlafeck der drei Sklaven , um zu ſehen , wie es ſich mit der Kette verhielte ; ich konnte aber von dieſer Nichts fehen. Hierüber verwundert , fragte ich den Alten , und erhielt die Antwort , der Haushofmeiſter habe ſeinen Leuten befohlen , ſie nicht mehr an die Rette legen , denn jegt fämen ſie doch frei; man brauchte alſo

vor ihrem Entlaufen keine Angſt zu haben. Als ich hierüber um Auffdluß bat, erzählte mir der Alte, der Haushofmeiſter

ſei einſt in ruſſiſche Gefangenſchaft gerathen , dann aber glüdlich deſertirt. Dort habe er Gelegenheit gehabt, Ruſſiſch zu lernen , und habe ſomit den ganzen Inhalt unſerer Un= terhaltung verſtanden .

3d will bei dieſer Gelegenheit

eines eigenthümlichen Brauchs gegen einen deſertirenden

Sklaven oder Gefangenen erwähnen.

Entläuft ein ſolcher

ſeinem Herrn , ſo kommt er kaum über das nächſte Gehöft,

ohne ſogleich wieder von einem anderen Tſcherkeſſen auf gegriffen zu werden . Dieſer kann ihn als ſein Eigenthum betrachten und braucht ihn nicht wieder dem früheren Be fißer zurüdzuſtellen. Beiläufig bemerkt, können die Ruſſen ihre Gefangenen von den Tſcherkeſſen für 500 Silberrubel für den Kopf loskaufen , dieht -

was aber höchſt felten ge

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Als mir nun das Wetter erlaubte, meine Reiſe wieder

anzutreten, empfahl ich mich der Gattin Naib's und vergaß nicht, den ruſfiſchen Gefangenen durch meinen Dragoman etwas Tabak zurüczulaſſen, den ſie feit vielen Jahren hatten

entbehren müſſen. Noch war mir keine Tabatspflanzung in Tſcherkeſſien zu Geſicht gekommen ; erſt ſpäter hatte ich

Gelegenheit, einige Anfänge derſelben zu erbliden. Wir kamen allmälig der ruſſiſchen Grenz- Feſtung und ihrem Lager näher, und bezogen bald unſer zweites Quartier, wo mir ein brolliges Anerbieten gemacht wurde. Mein fdöner Säbel gefiel nämlich meinem Wirthe ſo ſehr, daß er ihn durchaus zu beſigen wünſchte. Er erſuchte mich desa halb, ihm denſelben gegen den ſeinigen nebſt Lederſcheide abzutreten. Als ich hierauf nicht eingehen wollte, ſagte er : ,,Gold haben wir Ticherkeſſen nicht; willſt du nicht dies

Mädchen dafür?" hierbei zeigte er auf ſeine ungefähr zwölf jährige Tochter. Ich ſagte lächelnd Ja. Darauf fragte ich Suleiman Bei, was ftdy benn der Mann bei dieſem Aner

bieten wohl gedacht hätte, und erhielt die Antwort, es ſei ihm allerdings voller Ernſt damit geweſen, und das Mäde

dhen habe ſich auf Conſtantinopel ſchon ſehr gefreut, wohin ich ſie doch gewiß mitnehmen würde. In dieſer Gegend beſuchte ich auch mehrere Fundorte von Erzen, wohin mich meine Begleitung bereitwillig führte. In dem Thale am Fuß des Gebirger fand ich mehrere Blei- und Silberſtufen ; id, nahm einige Proben davon mit mir und notirte dieſe anſcheinend ergiebige Ausbeute. Auch

einen weichen , braunfarbigen Feuerſtein wollte man mir in dem Thale zeigen ; ehe wir aber zu dieſer Stelle gelangten , hatten wir einen ſehr ſumpfigen Weg zurückzulegen, in deffen Mitte mein Pferd ſtecken blieb ; ich mußte daher abſteigen und zu Fuß weiter gehen. Kaum angelangt, bemerkte ich aud ſchon jene Maſſe, und erkannte ſie bei näherer Betrach

tung als den reinſten Bernſtein , von dem ich natürlich, ſo

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viel bei dem ſchlechten Wege transportabel war, mitnehmen ließ. Einige Tage carauf fand ich am Ufer eine Fluſſes

ein Erz, welches wie reines Gold und Silber glänzte ; es war Schwefelfies und Sandſtein, mit Goldadern durchzogen ; auch von ihm nahm ich eine kleine Probe mit.

Der Lefer

wird aus dieſen kurzen Mittheilungen erkennen, welche unge= tannten und unentdeckten Schäße im Innern Tſcherkeffien8 ruhen mögen. Die Ruffen wiſſen dies nur zu gut ; ſte doben ihre Borpoſten wiederholt vor und verſuchten unter

beren Schuße Bergwerke anzulegen.

Sie wurden aber ſtet8

wieder zurüdgeſchlagen und mußten mit unbefriedigter Hab gier abziehen . —

Ich verließ darauf das zweite Quartier und regte meinen Weg bis zu dem Fuße des hohen Gebirges fort. Hier wurde Şalt gemacht. Man rieth mir ab, zu dem

Gipfel emporzuſteigen, da dort oben allerlei wilde und ge= fährliche Thiere hauſten. Nur des Morgens ſei der Weg nicht ſo unſicher, da die Beſtien dann gewöhnlich noch in ihren Höhlen ſchliefen ; aber auch zu dieſer Tageszeit habe

don mancher Wagehals ſein Leben einbüßen müſſen . Ich ließ mir die Ungeheuer etwas näher bedreiben, und rieth, fo unbeſtimmt auch die Bezeichnung war, doch ſogleich auf Bater Beß, denn ſonſt gibt es hier nur noch Wolfshunde, bie ſehr böſe und untreu ſind; Kaßen ſind in Tſcherkeſſien ſehr ſelten.

Am nächſten Morgen trat ich meine Entdedungsreiſe an. Oben auf dem Gipfel angelangt, fand ich (es war in der Mitte des Sommers) noch den ſchönſten Schnee. Ich traf hier aber kein Ungethüm, ſondern hin und wieder nur Eiſen und Schwefelkies. Kaum gelangte ich am Fuße der Höhen wieder an , fo führte mir ein Tſcherteſſe ein junges

Exemplar jener Ungeheuer zu , und ſiehe da , es war wirf lich Meiſter Beg ! Der Befiger verſidyerte mir, daß er

Jahr alt und ſehr zahm ſei; er ſperre ihn bei ſeinen

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Schafen ein und füttere ihn mit Milch und rohem Fleiſch. Ich gab ihm den Rath , denſelben fogleich zu erſchießen ,

und da er nody Bedenken trug, ſtellte ich ihm die Gefahren, die das erwachſende Thier ſpäter bringen könnte , recht

dringend vor Augen. Hierdurch ließ er ſich endlich bewe

gen, den kleinen Thunidtegut zu Pulver und Blei zu bes gnadigen. - Wir ritten jegt weiter und gelangten in eine

flache Gegend, wo man mir einen ſchwarzen Stein brachte; es war Steinkohle, von der ich mehrere große Stücke mit nehmen ließ. Als ich nun Abends auf einem Teppich vor dem Kaminfeuer meinen Schibuk rauchte, mußte der Drago

man mehrere Stüde davon in's Feuer werfen ; ſie fingen natürlich auch an zu brennen, worüber bei den anweſenden Tſcherkeſſen eine allgemeine Verwunderung entſtand. Sierauf nahm ich eine kleine Thonpfeife, ſtopfte eine Steintohle

hinein, verſchloß die Deffnung des Kopfes mit Lehm und hielt die Pfeife in's Feuer. Als der Kopf anfing glühend zu werden, zündete ich einen Holzſpan an und hielt ihn an die Pfeifenſpige ; ſogleich brannte aus dieſer eine kleine

Gasflamme empor. Das allgemeine Erſtaunen über dieſes fo natürliche Kunſtſtück war außerordentlich und von der Zeit an betracytete man den Gaſt als einen Zaubermeiſter, und

brachte ihm auch jede Kleinigkeit, die man fand, um Auf= ſchluß über ſie zu erhalten. Endlid, tamen wir nahe an die Grenze, wo ſich das

bergige Terrain ringsum in eine Ebene verflacht. Ein Tſcherkeſſe ritt jegt voraus, um dem Vorpoſtencommandeur die nöthige Meldung von meiner Ankunft zu madjen. Als wir uns der Wohnung deſſelben näherten, kam er ung , ſchon mit ſeiner Suite entgegen, und führte mich in mein neues Quartier. Der Commandeur war ein bejahrter Mann und durdy zahlreiche Schußwunden faſt ganz verkrüppelt. Nach bem ich mich einige Stunden erholt hatte, kamen die Häupt=

linge dieſer Gegend und machten ihre Aufwartung. letere

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geriethen, beiläufig bemerkt, in einen heftigen Streit unter

einander, indem die Einen den Gaſt das Lager nicht inſpi= ciren laſſen wollten, bie Anderen dagegen ihm volles Zu trauen ſchenkten. Aus dieſer Verlegenheit zog id) mich aber ſehr bald, indem id Suleiman Bei die ſchriftliche Ordre des Fürſten vorzeigen ließ. Wir unterhielten uns ſodann

längere Zeit mit einander über die Art der hieſigen Vors poſtengefechte. Da meine Ankunft ſchon des Morgens früh bekannt

geworden war, ſo ſeßte ſich die ganze Umgegend in Bewe gung. Dies war aber den ruſſiſchen Recognoscirungs- und Schleichpatrouillen nicht entgangen, und ſo vermutheten die Feinde einen Angriff gegen Abend. Deshalb nahmen die Truppen in der Feſtung eine Bereitſchaftsſtellung, die der



tidherkeſfiſchen Schleichpatrouille ebenfalls nicht verborgen bleiben konnte. Nun glaubten aber auch die Tſcherkeſſen , fte hätten einen Angriff von den Ruffen zu erwarten, und

ſo zogen Tauſende von Reitern zur Verſtärkung der Vor poſtenkette aus dem Innern des Landes heran . Wie ſehr id nun audy ermüdet war, ſo konnte ich doch

nicht unterlaſſen, bei dem möglicherweiſe fidy engagirenden

Gefechte Escorte, Bei um kannten

zugegen zu ſein ; ich erhielt zur Bedeckung eine welche für mich und meinen Begleiter Suleiman ſo nothwendiger wurde, da wir bei dem unbe Terrain im Dunkeln uns doch nicht orientiren

konnten. Gegen 11 Uhr Nacht8 eröffneten die Ruſſen ein

Tirailleurfeuer, welches immer lebhafter wurde. Es geſchah aber von keiner Seite ein ernſtlicher Angriff, und fo zogen

denn die Feinde allmälig nach ihrer Feſtung ab. Die Zahl der Todten und Verwundeten war aber auf beiden Seiten nicht ſo unbeträdytlidy. In den nächſten Tagen wurden die Vorpoſtenketten bedeutend verſtärkt, und der Patrouillengang war ununterbrochen . Unter ſolchen Umſtänden wurde es mir allerdings ganz

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unmöglich, das Ziel meiner Miffion zu erreichen, d. h. die Grenze und die ruffiſche Feſtung mit Ruhe zu inſpiciren. Erſt nad; acht Tagen hatten die feindlichen Vorpoſten eine ruhigere Haltung angenommen, und ſo trat id denn mit einer Bededung von 200 Reitern und unter den nöthigen Sicherheitmaßregeln, als Avantgarde und Seitenläufern , gegen 10 Uhr Morgens den Weg an. Die Ortſchaften , auf die wir ſtießen, waren größtentheils von den Ruſſen niedergebrannt und ſtatt der ſonſt wohnlichen Häuſer lagen

ringsumher öde Schutthaufen zerſtreut; überhaupt bot dieſe Gegend einen ſehr traurigen Anblic dar. Das Terrain war im Ganzen ſehr gangbar, da es von keinem Berge coupirt war und die früheren Baum gruppen von den Ruſſen niedergehauen wurden. Hier und da ſah man noch Spuren des ehemaligen feindlichen Lagers, welches bei dem Rüdzug in die Feſtung erſt vor weni gen Monaten verlaſſen war.

Im Sommer thun die Ruſſen

keinen offenſiven Schritt gegen die Tſcherkeſſen ; erſt gegen Anfang des Serbſtes wird das Kriegslied angeſtimmt und der Grenzbewohner unruhiger. Dieſen erwartet überhaupt ein unſeliges Loos. Ich war oft Augenzeuge von all dem Jammer der Mütter und Kinder, wenn ſie ihre mühevoll erbaute Hütte in Rauch aufgeben, ihre Männer und Väter todt oder verwundet aus dem Kampfe tragen ſahen. Der bereits erwähnte Vorpoſtencommandeur verlor 1858 bei

einem heißen Gefechte ſeine drei hoffnungsvollen Söhne, ſeine ganze Behauſung wurde ein Raub der Flammen und fein Bieb gerieth in Feindeshände; nur feine Frau mit ihren kleineren Kindern entkamen der Wuth des Feindes. Nach einem etwa zweiſtündigen Ritt kamen wir an einen ziemlich großen Bady; hier wurde . Halt gemacht und

ein Gebet verrichtet; ſodann feßten wir unſern Weg fort und näherten uns einem Gebirge, das ſtellenweiß von jedem Baumwuche rafirt war. Mit dieſer Arbeit hatten die

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Ruſſen 1857 begonnen ; ich glaube aber, ſie könnten ein ganzes Fahrzehend ohne Unterbredung fortarbeiten , ohne das ſämmtliche Gehölz niederzuhauen. Von beiden Seiten des Bergrüdens fah man in eine prachtvolle Ebene, während der Rüden mit hodiſtämmigen Eichen und Buchen geſchmüdt war .

Alsbald erreichten wir den Saum dieſes herrlichen

Waldes und konnten nun von dieſem herab in die Feſtung fehen. Ein mächtiger Eid ſtamm bot ſich mir ſogleich zur Dedung, und indem ich hinter ihm fauerte und durch ein ſtarkes Fernrohr die Feſtung beobachtete, fing ich an eine Zeichnung zu croquiren. Rings um die Feſtung liefen an = ſehnliche Wäle, Laufgräben und ſtarke Paliſſaden, die mich an die ſchleswig -holſteiniſchen Schanzen der Generale von

Williſen und von der Tann zwiſchen Biſtenſee und Holz burge erinnerten. Innerhalb der Feſtung befanden ſich mehrere maſſive, mit Ziegeln gedeckte Gebäude ; dann waren Zelte aufgeſchlagen , die nach der Hinterſeite hinausliefen ; ſie konnte, nadı meiner Berechnung, mit ungefähr 10,000 Mann beſeßt ſein . Ich bemerkte ohne große Mühe ver ſchiedene Truppengattungen, als Infanterie, Cavalerie und

Artillerie, teren Kanonen auf den Wälen bedeutendes Ka liber zu haben ſchienen. Die übrigen Batterien dienen mit ſehr leichtem Geſchüt verſehen. Die Feſtung war außerdem durch einen Fluß, der ſich zwiſchen ihr und der

Anhöhe dahinzog, ſehr gut geſichert. Wollten nun auch wirklich die Tſcherkeſſen den Fluß überſchreiten , um die Feſtung anzugreifen, ſo mußten ſie befürchten, von der aus fallenden Bejazung abgeſchnitten zu werden. Obwohl bei dieſer Ungleichheit der ſtreitenden Kräfte kein Angriff zu er warten war, ſo haben die Tſcherkeſſen doch, aus Erbitterung

gegen den habgierigen ruſſiſchen Despotismus, die Feſtung mit Sturm nehmen wollen ; dieſer Angriff geſchah im Mai 1857 , von der Rüdſeite aus. Sie haben ſid ), ihrer alten

Gewohnheit gemäß, heldenmüthig geſchlagen, konnten aber

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gegen die numeriſchen und localen Vortheile der Gegner Nichts ausrichten und wurden , trotz des tapferſten Andrin= gens, leicht zurüdgeſchlagen.

Während ich noch über die Unnehmbarkeit der Feſtung in Nachſinnen verfunken und faum mit meinem Croquis

fertig war, wurden wir urplößlich durch einige Kanonen ſchüſſe begrüßt, die zum Glück nidyt einmal bis zu dem Fuß des Abhanges trugen. Gleichzeitig wurde auch Alarm geſchlagen und außerhalb der Feſtung ftanden auch ſchon mehrere Escadrons zum Abritt bereit. Sie ſchlugen in größter Eile ihren Weg zu der oben erwähnten Brüde ein,

und beabſichtigten jedenfalls, uns auf gute Manier abzu= ſchneiden. Wir waren alſo, troßdem ich und der Vorpoſten commandeur nebſt dem Dragoman die Pferde im Walde

zurückgelaſſen hatten, den Ruſſen nicht unbemerkt geblieben ; ſahen uns mithin genöthigt, auf einen ſchleunigen Abzug nebſt Dedung bedacht zu ſein. Wir ſtiegen in größter Haſt zu Pferde, und pfeilſchnell ſauſte der Zug im geſtred

ten Galopp durd; den dichten Wald. Hierbei konnte ich denn die außerordentliche Birtuoſität unſerer Reiter bewun

dern, die durch unaufhörliches Didicht eben ſo ſchnell und unbehindert wie über eine glatte Ebene dahingaloppirten. Großen Spaß machte mir auf dieſer Flucht mein hebräiſcher Dragoman , der in ſeiner Herzensangſt mit fomiſch- tragiſdem Geſichte fid) vorn und hinten am Sattel feſthielt.

Da nun

das Pferd ſich nach ſeinem ſchledyten Reiter ridhtete, und

lieber in gemäßigtem Schritt vorwärts wollte, ſo mußte ein Diener hinter ihm mit der Peitſche ben faulen Renner anfeuern, und hierbei wußte man nicht, ob man mehr über die verzweifelte Miene des vornübergebeugten Reiters oder über die furienhafte Haſt be8 machtvoll hinterber arbeitenden Dieners lachen ſollte. Obwohl wir über abgehauene Baum= ſtämme und bides Geſträuch fliegend gleid, den wilden

Jägern hinwegfegten , waren wir dod ſehr nahe daran, 14

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durch die feindlichen Escadrons abgeſchnitten zu werden, was für mich beſonders ſehr verhängnißvoll werden konnte. Die Arrièregarde wurde mit der feindliden Avantgarde

handgemein. Bald aber gelangten wir auf ein gangbares Terrain, Früchten Sodann Quartier

durdy weldies förmlide Obſtalleen, mit den dönſten geſchmüdt, fic in lieblichem Wechſel dahinzogen. erreichte der Zug ein Gehöft , in welchem mein eingerichtet war. Die Bededung hatte ſchon in

Frontaufſtellung Halt gemadt und falutirte, als wir mit

dem üblichen Gruß : salam alaicum , vorbeiritten ; hierauf zerſtreuten fie fid fröhlich nach ihren Hütten. Nur meine Begleitung von 20 Mann blieb bei mir und lagerte ſich rings um das Fremdenhaus, in welches mich der Verpoſten commandeur nebſt anderen tiderkeffiſchen Edlen geleitete. Wir geriethen in einen lebhaften Discurs ; aus allen Worten der Tſcherkeſſen leuchtete deutlid, der fehnlichſte Wunſch her vor, die Feſtung zu gewinnen und hiermit Herr einer pracht

vollen Ebene , die ſie früher einmal verloren , wieder zu werden. Ich bemühte mich nach Kräften, ihnen die Un= möglichkeit einer Ausführung unter den jeßigen Umſtänden

klar zu machen ; auf ihre beſtändige Bemerkung, daß es an Menſchen zur Erſtürmung gar nicht fehle , erwiederte ich einfacy, daß mit Cavallerie eine ſo ſtart verſchanzte und mit wirkſamen Batterieen verſehene Feſtung gar nid )t zu nehmen ſei ; vor allen Dingen alſo müſſe man erſt Infan terie und Geſchütze anſchaffen. Freilidh hätten ſie die auf

den Feſtungen längs des ſchwarzen Meeres von den Nuſſen zurüdgelaſſenen Kanonen ; dieſe feien aber wegen ihrer Sdywerfälligkeit durch das bergige Terrain bis hierher durch aus nidyt zu transportiren. Daſſelbe gelte von den bei Anapa den Ruffen fiegreich entriffenen Kanonen, die gegen wärtig unter dem Befehle Sefer Paſcha's ſtünden . Man

müſſe erſt Gießer requiriren, um die betreffenden Geſdrüße umzuſchmelzen und ihnen eine practicablere Form zu geben.

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Außerdem müſſe für ſie auch die gehörige Bedienung ein= geübt werden. Dann erſt könne man, durch eine ausge bildete Infanterie unterſtüßt, von ſeiner Tapferkeit einen nennenswerthen Erfolg erwarten . Beiläufig wil ich hier eines tſherkeſfiſchen Berkommens

erwähnen, das ich in hieſiger Grenzgegend bemerkte. Die hier oft wiederholten Meßeleien haben mehrere Kirchhöfe erforderlich gemadit, auf denen die Gräber ſehr ſchön mit Blumen geſdymüdt und von herabhangenden Zweigen naher Bäume überſchattet ſind. Zum Andenken dieſer Selden manen befindet ſich auf jedem dieſer Kirchhöfe, auf Koſten der Wohlhabenden, eine Bude mit einer Tonne, welde mit Waſſer und getrocknetem Obſt angefüllt iſt; dieſe ſteht jedem Wanderer im Sommer zur Erquicung offen. Hier ſah ich auch faſt auf jedem Gehöfte einen ruſſiſchen Sllaven ; es waren größtentheils Deſerteure, dieſe wurden

ſehr gut und gar nicht wie Sklaven behandelt; ſie hatten ihre volle Freiheit, ihre Koſt und Arbeit wie jeder Tider

keſfe. Ich fragte mehrere nach dem Grunde ihrer Deſertion ; alle antworteten mir , ſie wollten lieber tîderkeffiſche Sklaven

als ruſſiſche Soldaten ſein. Viele von ihnen ſind auch Muhametaner geworden und konnten ſich als ſolche mit Die Gefangenen dagegen Eingeborenen verheirathen. haben es theils nicht ſo gut, theils fönnen ſie auch ſelbſt, aus Sehnſucht nach der Heimath, ihr Schidſal nicht mit gleicher Geduld ertragen. Ein folcher Gefangener oder Deſerteur wird, wie ſchon früher bemerkt worden, vollſtän dig Eigenthum Desjenigen, der ihn an ſich nimmt; er fann

ihn dann behalten oder gegen Vieh umtauſchen. Hierbei will ich die Vermuthung nid)t zurüdhalten, daß wirklich auch etwas ruffiches und türtides Geld circulire, daß die Inhaber

deſſelben es nur ſorgſam verbergen. 14 *

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Capitel 6.

Inſpection der Forts und Herſtellung Rückkehr zu Naib - Paſcha. Die Redoute Parade von 5000 Reitern . der Infanterie. Ein ruſſiſches Anlegung von Schießicharten. Trubja . Patrouillenſchiff durch tſcherkeſſiſche Batterieen begrüßt.

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Beſuch der zweiten Redoute.

Nadidem ich den Zweck meiner Reiſe erreicht hatter Da ich zur Abwechſelung eine andere Route einſchlug, ſo hatte ich wieder Gelegenheit, mehrere Mineralienproben anderer Art zu ſammeln, ſo daß an den angefüllten Ziegenhäutdyen bald ein Pferd vollauf zu idleppen hatte. Nach Verlauf von ſechs Wochen war id) wieder bei Naib angelangt, dem mein Begleiter Sulei man Bei das Speciellere unſerer Reiſe unverzüglid mit theilte. Ich bezog hierauf nicht mein früheres Quartier, ſondern auf Naib's ausdrücklichen Wunſch deſſen eigene trat ich meinen Rüdweg an.

Reſidenz auf der Anhöhe, während er zu einer in der Nähe wohnenden Gattin zog. Nachdem ich mich hinreichend von der Reiſe ausgeruht hatte, kain ber Fürſt täglich zu mir

und beſprach ſidh mit mir über die unmittelbare Zukunft Ticherkeſſiens. 30 ſette ihm hierüber meine Anſicht flar

auseinander; er faßte ſie in drei Punkte zuſammen, welche er den Aelteſten des Volkes, der Grundlage der ſpäteren geſetgebenden Berſammlung, zur weiteren Prüfung vortrug. Dieſe beſtanden darin : 1 ) Diejenigen , welde fich fein Pferd beſchaffen könnten, ſollten den Infanteriedienſt tennen und

ausüben lernen. 2 ) Die Redouten längs der Küſte des fdwarzen Meeres müßten in Bertheidigung zuſtand geſetzt oder zerſtört werden, damit ſie entweder zum Schute des Pandes mit beitragen oder wenigſtens vom Feinde nicht mehr benußt werden können.

3 ) In der inneren Verwal=

tung ſei für zweckmäßige Ordnung und Handhabung der

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Geſchäfte noch manche Reform einzuführen, deren Einzeln= heiten ich ſpäterhin genauer angeben werde. Man ging vorläufig zum Nächſten und Dringendſten

über, zur Inſpection der Forts und Herſtellung der Infan= Da ich bei der Ausbildung meiner zahlreichen Re cruten nicht ſelbſt zugegen ſein konnte, ſondern , bei der Dringlichkeit der Sache, erſt die Feſtungen in Augenſchein nehmen mußte, ſo beauftragte ich mit dem Abrichten der Mannſchaften den Hadſchi Achmed, einen Tſcherkeſſen, der terie.

als Major in türkiſchen Dienſten geſtanden hatte. Dieſem wurden als Ererciermeiſter alle tidherkeſſen und Ruſſen , welche im türfiſchen oder ruſſiſchen Dienſt als Infanteriſten ausgebildet waren, zur Unterſtüßung in dem ſchwierigen Werke beigegeben. Aber nicht nur Hadidhi Admeb, ſondern auch jeder Gemeine ging mit dem lebhafteſten und au8= bauerndſten Eifer an die Sache.

Der Fürſt ſchlug mit mir denſelben Weg ein, den ich nach meiner erſten Landung zu ſeiner Reſidenz hin hatte nehmen müſſen, und nahm ungefähr auf halbem Wege mit

mir eine Parade von 5000 Reitern ab, die ebenfalls unter Hadſchi Adhmed's Commando ſtanden. Eine ganz wunder liche Sitte hatte ich hierbei Gelegenheit zu bemerken. Kurz vor jeder Ortſchaft, durch die wir paſſiren mußten, ſchlug der Tambour, der nach türkiſcher Manier, ebenſo wie der

Fahnenträger, beritten iſt; dies iſt ſtets ein Avertiſſement für die Bewohner, daß der Fürſt im Anmarfche ſei.

So

dann ſchlägt er noch einmal vor dem Gehöft, welches der Fürſt zum Quartier gewählt. Am Morgen ſchlägt er wieder das Signal zum Satteln der Pferde, da die Mannſchaft des Fürſten nicht nebeneinander, ſondern zerſtreut in den Gehöften liegt. Sodann macht er vor der Thür des Frauengebäudes einen gräßlichen Lärn , bis die zarten In= haberinnen aus Dankbarkeit für dieſe ganz beſondere Ehren bezeigung ihm ein Stüdchen Rattun oder Leinwand verehren .

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Dies iſt eine Art Trinkgeld (Bakſchis genannt) und hat durchaus keinen geringeren, wohl noch größeren Werth als

baare Münze ; und ich möchte behaupten, man würde mit dem Magazin eines Berliner Trödeljuden ganz Tſcherkeſſien erkaufen können. Außerdem beſteht bei den Reiſen des Fürſten noch die Sitte, daß mehrere Leute hinter und vor

ihm mit geladenen und jQußfertigen Gewehren zu ſeiner perſönlichen Sicherheit reiten.

Morgens früh gelangten wir zu der erſten Redoute, Trubja ; fie liegt in einem Thale und iſt von Sandſteinen

gebaut. In einer Ece, 200 Schritt von der Umfaſſungs mauer, ſteht ein bonbenfeſtes Pulvermagazin ; außerdem be finden ſich, zur Aufnahme der Beſaßung, mehrere hölzerne Gebäude im Innern der Feſtung, welche für 1200 Mann Plat hat. Vor der Redoute befanden ſich zahlreiche Lauf gräben und eine nach der Küſte hinführende Bruſtwehr. Als die Ruffen dieſes Fort anlegen wollten, brachten ſie die Steine ſchon fertig auf ihren Schiffen mit. Der Stein

war ſehr weiß, und nach ſeiner Weichheit und Form zu urtheilen, ſchien er durch eine Schneidemühle bearbeitet zu ſein ; von einer Gewehrkugel konnte er ſchon zerbrödelt werden, an Widerſtand gegen eine Sanonenkugel war gar nicht zu denken. Zum Glüd für die Ruſſen hatte man keine Kanonen zur gehörigen Verfügung.

Als ich Ades genau inſpicirt hatte, gab ich Naib fols genden Rath : er möchte die hintere, alſo nach dem Lande zu gelegene Mauer abbrechen , und aus den Steinen Häuſer in Trubſa bauen laſſen. Hierdurch wäre erſtlich der Uebel ſtand gehoben, daß der Feind die Dorffdyaft ſtets in Brand ſchöffe , dann aber auch hätten die Tſcherkeſſen bei Erſtür

mung der Redoute von Seiten der Ruſſen freien Abzug in das Innere des Landes. Denn fämen die Ruſſen einmal zur Landung, dann wäre es bei der Ueberlegenheit ihrer

Waffen auch um die Behauptung der Redoute geſchehen .

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Ebenfalls müßten die Schießſcharten und demnach auch der Eingang an der Frontſeite eingeben, und dieſe in der Rüd feite angelegt werden. Desgleichen müßten die nach der Landſeite gerichteten Ranonen nach der Seeſeite umgekehrt

werden, um den Feinden hier gelegentlich ein Stückchen vor ſpielen zu können. Der Fürſt ging auf meine Vorſchläge bereitwilligſt ein, und traf ſogleich alle zur Ausführung des

Entwurfes erforderlichen Anordnungen. Ein Uebelſtand war noch der, daß wir nicht wußten, wo wir die Kugeln hernehmen follten. Aber da fanden ſich unzählige Landsleute , welche uns einen reichen Vorrath an folchen zur Verfügung ſtell

ten. Zu dieſen war man dadurch gelangt , daß die liebe Jugend jedesmal nach einem ſtattgefundenen Rampfe die umherliegenden Kugeln mit dem größten Vergnügen aufzu leſen pflegte. Zur Ausführung alles Uebrigen erboten ſich Tauſende von rüſtigen Händen. Sierauf fehrte ich mit Naib in bas letzte Quartier

zurüd.

Nachmittag machte ich noch einmal einen Abſtecher

zur Redoute, in Begleitung Suleiman und 38mail Bei'e.

3d war erfreut, das Werk durdy den unermüdlichen Fleiß

der Tſcherkeſſen ſchon ſo weit gefördert zu ſehen.

Man

hatte nicht nur die Hintermauer eingeriſſen , ſondern auch

idon mit dem Anbau von Häuſern begonnen ; auch mit der Zumauerung des Einganges an der Front war man ſchon ziemlich weit. Desgleichen war man im Begriff, zur Anlegung von Schießidarten für die Kanonen zu ſchreiten ; gegen Anbruch des Abends vollendete man auch eine ſolche unter meiner Aufſicht, und bei hellem Mondſchein wurde noch eine Sanone hineingelegt. Man hatte deren 17 Stüd vorgefunden , unter denen die Mehrzahl von den Ruſſen

pernagelt und für den Augenblid unſchädlich gemacyt war. Gegen tauſend Kugeln hatten die Jungen herbeigeſchleppt

und ordnungsmäßig aufgeſtellt. Da ein ruſſiſcher Sklave, der bei der Artillerie geſtanden hatte , zur Bedienung der

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geſtellten kanonen ſich vorfand , ſo hatte man unbeſchreib lidhe Luſt, den Weihegruß derſelben noch heute Abend zu

vernehmen. 3d vertröſtete die Ungedultigen auf den nächſten

Morgen , wo Naib dabei ſein und die ganze Umgegend dadurch nicht, wie bei Nachtzeit, in Adarm geſetzt würde. Sie waren es auch zufrieden , und nachdem id, eine Wache bei der Kanone aufgeſtellt hatte , begab ich mich in mein Quartier. Idy theilte dem Fürſten , der auch von ſeinem

Gefdäfte, nämlich den Volksverſammlungen (von denen ich ſpäterhin (pred)en werde) , zurückgekehrt war , alle meine

Fortſchritte in der Redoute mit ; er war ſehr begierig, ſich von der Wahrheit deſſelben möglichſt bald zu überzeugen.

Am nädyſten Morgen ganz früh brachen wir nach der Re

doute auf. Der Fürſt war durch den erfreulichen Anblick ganz außerordentlich überraſcht. Als ich nun dem ruſſiſchen

Artilleriſten ein Zeichen gab , den erſten Schuß abzufeuern und der Donner der Kanone über den 'weiten Pontus

dahinrollte, da erſcholl aus allen Fehlen ein helles Freuden geſdrei. Der Fürſt überließ mir noch die Einrichtung der übrigen Redouten , wozu er mir freie Verfügung über alle

vorhandenen Kräfte gewährte , und betrieb eifrig die Zu ſammenberufung des ganzen Tſcherkeſſenvolkes zur Annahme

neuer Geſeķesvorſchläge. Meine Arbeit an dieſer Feſtung dauerte noch fedhe

volle Tage ; denn ungeachtet des größten Eifers und der lebhafteſten Unterſtützung war es gewiß feine Kleinigkeit, die erforderlichen Anlagen zu machen , und das ſchwere Geſchütz auf die Bruſtwehr hinauf zu ſchleppen , und zwar Alles ohne das nöthige Handwerkszeug, welches den Arbei= tenden ganz abging. Eine ungeheure Arbeit wurde hierbei noch vollendet.

Auf etwa 1000 Sdiritt von der Befeſtigung verſperrte ein Felſenriff, ins Meer hineinſpringend, die Ausſicht auf die eine Seite hin. Dies erleidyterte es häufig den feindlichen

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Patrouillenſchiffen , von Anapa au8 unvermerkt herumzu biegen und auf Trubja zu bombardiren. Auf dem höchſten Punkt dieſes Riffes wünſchte ich nun 2 Geſchüße aufge= ſtellt zu ſehen , um die heranſegelnden Patrouilleurs einſt

ganz unerwartet zu begrüßen. Der erforderliche Platz für die Kanonen wurde in den Felſen ausgehauen und man daffte ſie mit Rieſenfräften hinauf.

Nadidem ich die Redoute einigermaßen durch eine hin= reichende Beſaßung geſichert und weitere Anordnungen zu den übrigen Arbeiten gegeben hatte , trat ich meine Reiſe zu der nächſten, zweiten Redoute an . Da auch Naib ſeine

Verſammlungen fortſeßen mußte, ſo begleitete er mich wieder auf meinem Wege. Unterwegs fanden wir an der Küſte mehrere Schiffer, welche die ihnen von den Ruſſen beſchä digten Sd»iffe wieder ausbeſſerten. Wir madyten auch einen Abſtecher von einer Tagereiſe in's Land hinein , wo mir Naib mehrere Mineralien zeigte. Im Quartiere erhielten

wir ſchon eine erfreuliche Nachricht. Ein Patrouillen ſchiff jei nach alter Gewohnheit von Anapa gekommen und habe auf Trubſa bombardirt. Aber nach kaum ſieben Schüſſen ſei es vom Felfen und der Redoute aus durch ſeine

eigenen Geſchüße höchſt anſtändig begrüßt worden . habe nur noch 3 Schuß gethan und dann Kehrt gemacht. Man behauptete fogar , es ſei ſehr beſchädigt worden , da es gegen ſeine Gewohnheit nach Anapa , und nicht, wie ſonſt, längs der tſcherkeſfiſchen Küſte weiter gefahren ſei. Dieſe Freudenbotſchaft ermuthigte die Tſcherkeſſen außer ordentlich zu der beabſichtigten Arbeit an der zweiten Re boute, und dieſe ging auch hurtig von Statten .

Dies Fort

hatte dieſelbe Conſtruction wie das vorige, nur in kleinerem

und zierlicherem Maßſtabe; es faßte nur gegen 800 Mann. Im Innern hatte es ſehr comfortabel eingerichtete Räume

für die Offiziere der Beſaßung ; außer dem Pulvermagazin fand ich auch noch einen Badofen, viele Mauer- und Dadi

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ſteine nebſt anderen Baumaterialien vor. Ueberhaupt bot es in ſeinem Ganzen einen ſolideren , weniger zerfahrenen Anblid , als das erſte. Die Geſchüße beſtanden au8 27 Kanonen und 3 Mörſern. Es wurde nun auch hier Alles

nach meiner Anweiſung eingerichtet.

Als die Arbeit in

Gang gebradyt war , reiſte Naib mit mir weiter zu der

dritten Redoute , da er auch in der dortigen Gegend Ver ſammlungen in& Leben rufen wolte.

Capitel 7.

Schickſale mehrerer ruſſiſcher Sklaven in Tſcherkeſſten. Neue Befeſtigungen. bei der dritten Redoute.

Ankunft Robe Bes

handlung eines erkrankten Sklaven .

Unſer Weg ging hart am Waſſer entlang , da die felſigen Ufer ſehr fteil in '& Meer liefen und ſich nur hin und wieder bei einem Thalgrunde verflochten. An ſolchen

Vertiefungen hatten die Ruſſen den Ort für ihre projectirten Befeſtigungen gewählt. So famen wir auch an ein Thal, welches ſich mit ſeinen Viehweiden , Wieſen und beſtellten

Feldern in ununterbrochener reidyſter Schönheit gegen zwei Stunden lang dahinzog. Auf ſeinen an beiden Seiten auf ſteigenden Felswänden ſchwebten hin und wieder Gehöfte, die ebenfalls mit fruchtbaren Fluren umgürtet waren. Gegen Abend erreichten wir unſer Quartier , ein Gehöfte auf einer Anhöhe , das einem reichen Edelmann gehörte.

Hier erblidte ich wieder einen ruſſiſchen Sklaven in National

tracht. Da mein Dragoman ſich ſeiner Landsleute ſtets auf's wärmſte annahm , fo fiel es ihm nicht ſchwer, fie für die Reinigung und Stopfung meines Schibuks zu engagiren.

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Die Tiderkefſen kennen die Leidenſchaft des Rauchens nicht und deshalb würde ein Schibukier, der allen Pflichten uud Sorgen für eine Pfeife gewiſſenhaft nad käme, im Lande nicht zu beſchaffen ſein. Auf nähere Erkundigung erfuhr ich, daß dieſer Sklave fich in derſelben Lage befand, wie die Sklaven bei Naib , auf deren Freilaſſung ich ſchon beim Fürſten zu wirken verſucht hatte. Dieſer verſicherte mir, daß er mir meine Bitte gewiß nicht abſchlagen werde;

Doch würde ich wohl ſelbſt einſehen , daß das Volk bei den neuen erſt einzuführenden Geſetzesformen durch derartige

Wilführlidykeiten ſehr leicht ſtußig und argwöhniſch gemacht werden könnte. Man mußte alſo die Befreiung der armen Sklaven vorläufig noch der Zeit anheimſtellen.

Dieſer

Sklave, ein Mann von etwa 50 Jahren, hatte das Unglück, durch den Krimfeldzug ſeiner ganzen Habe verluſtig zu werden.

Er faßte daher den Plan , mit ſeiner Frau und

ſeiner zwölfjährigen Tochter nach Tiflis zu flüchten. Ein Schiffer , der nach Batum fahren wollte, nahm ſie auf ; das Schiff aber ſtrandete in Folge eines heftigen Sturmes

an der tſcherkeſſiſchen Küſte. Er hatte mit ſeiner Familie kaum den Boden betreten , fo fiel er auch mehreren vorbei ziehenden tfdherkeſſiſchen Reitern in die Hände. Er und feine Frau wurden hierhergeführt, ſeine Tochter anderswohin an einen reichen Tſcherkeſſen verkauft. Ebenſo erging e8 dem Führer des Schiffes und ſeinen 3 Ruberern.

Er lebte

nun mit ſeiner Frau auf ein und demſelben Gehöfte etwa 3 Monate , worauf ſie, alles ſeines Bittens und Fleheng ungeachtet, an einen anderen Tſcherkeſſen verkauft wurde. Seine Tochter befand ſich in der Nähe von hier und be nachrichtete dann und wann ihren alten Vater ; ſie hatte es ganz erträglich, denn ſie machte ſich der dortigen Familie

burch Anfertigung von Kleidern und Belz unentbehrlich. Ich konnte es , beim Anblic der flehenden Miene dieſes Unglüdlichen, nicht über mich gewinnen, ihm jede Hoffnung

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zu benchmen , und beauftragte meinen Dragoman , ſich Ort und Namen des Sklaven zu notiren. Naib , dem ich das

Schidſal dieſer ruſſiſchen Familie vorſtellte, fprad, mit dem Beſiter des Sklaven , meinem Hauswirth, der mit dem Re genten fehr intim ſtand. Dieſer fürchtete aber auch den

Argwohn des Volfes , und um doch ſeine gute Geſinnung gegen mich zu bekunden , ſchenkte er mir ein prachtvolles Pferb. Suleiman Bei , der zugegen war , ſagte ſpaßhaft: Hätteſt du ihm doch lieber den Musko gegeben !" Hierauf

verſeşte Naib : „Ach, er giebt ihm ſchon lieber eins ſeiner Mädchen!“ worauf der Tſcherkeſſe ſchmunzelnd erwiederte : „ Þeira“ ( jawohl). Jedoch benahm mir der Fürſt meine

Hoffnungweiter nicht, ſondern fügtenur noch hinzu : ,,Samper, ſamper“ ( langſam , langſam) ! Während am nächſten Morgen wieder eine Verſammlung der Aelteſten ſtattfand, ritt ich ohne den Fürſten mit Suleiman Bei zur zweiten Redoute , um zu ſehen , wie weit bort inzwiſden das Werk vorgeſchritten

ſei. Nachdem id Alles zu meiner größten Zufriedenheit gemuſtert und nur noch Weniges anzuordnen hatte, fdlugen wir den þeimweg zu unſerem Quartier ein. Da es bald gegen 2 Uhr Nachmittag war , mußten wir vorher noch irgendwo einkehren, um uns zu erquiden. Ich benutte dieſe

Gelegenheit für meine Wünſche und bat Suleiman Bei, das Gehöft aufzuſuchen, in welchem die Frau des ruſſiſchen Sklaven ſich befand. Zu dieſem Zweđe mußten wir in ein Thal einlenken und rechts eine Anhöhe erſteigen ; nach dem wir verſchiedene Höhen und Schlucten paſſirt hatten, erreichten wir jene Gehöft, ſtiegen ab und wurden auf's freundlichiſte empfangen. Es dauerte auch nicht lange , ſo ſtürzte der Wirth , der gerade außerhalb des Hauſes be ſdhäftigt war, haſtig in das Zimmer herein, um mir wegen der Ehre, die ich ihm angethan, feinen freudigen Dank auszu ſprechen, indem er mir dabei unaufhörlich die Hände füßte. Dies iſt nämlich das höchſte Stadium tſcherkeſfiſcher Ehr

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furchtsbezeigung. Ich hatte Suleiman Bei von meiner Ab= ficht unterrichtet, und er unterließ auch nicht den alten Greis, unſeren Wirth, hiervon in Renntniß zu legen. Da ich nicht eher eſſen wollte , als bis ich meine Bitte erfült jähe, jo konnte er mir nicht genug verſichern, daß er gerne bereit ſei, mir die Sklavin zu überlaſſen ; dies hatte indeß noch

einen tieferen Grund. Ein Ticherkeſſe nämlich kann ſich nicht tiefer entehrt fühlen , als wenn ſein Gaſt entweder Nichts

bei ihm genießen will, oder auch ſeine Wohnung verläßt und ein anderes Fremdenhaus auffudit.

Beiläufig bemerkt,

erſieht unſer Leſer hieraus , daß ſelbſt in Tſdherkeſſien die

Concurrenz ſchon Eingang gefunden hat ; der Unterſchied gegen europäiſche Gaſtwirthe möchte nur der ſein, daß dieje,

gleichgültig gegen die aus ihren Gäſten ihnen erwachſende Ehre , lediglich auf die Börſe derſelben ipeculiren. Aus jenem leicht reizbaren Ehrgefühl mödyte ich mir die in ſolchen Angelegenheiten auffallende Elaſticität der Tſcherkeſſen er klären . Um aber die Sadie aud) vor Zeugen in Richtigkeit

zu bringen , mußte ihm Suleiman Bei des Scheines wegen 1 L. (türfiſch) als Kaufpreis zahlen. Des Abends gegen 8 Uhr kehrten wir nach Hauſe zurück, wohin der Alte uns

noch eine gute Strede begleitete. Als wir Naib erzählten, daß wir eine Sklavin gekauft hätten, lachte er, die Schlau heit unſeres Verfahrens ſehr gut errathend. Auch der Wirth freute ſich über unſere Handlungsweiſe, und er hätte gewiß fehr gerne zu jeder Stunde ſeinen Sklaven freigegeben, wenn er es nur vor dem Volke gewagt hätte. Doch wir waren mit unſerem Geſchäfte nod) nicht fertig , denn noch fehlte uns die Tochter, und die wollte der Wirth, mit Un

terſtützung des Fürſten , am nächſten Tage an ficy kaufen. Jetzt ging es wieder luſtig über Thal und Gebirge, immer die Küſte entlang , bis zu der dritten Redoute. Sie

war von den bisherigen die größte und an ſtärkſten be feſtigte, mochte etwa 500 Sdritt vom

Meere entfernt

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fein und Raum genug für 12,000 Mann haben. Auf ihrer rechten Seite ging ein Fluß vorbei in's Meer, der durch

einen Seitengraben mit dem Befeſtigungsgraben an der Front in Verbindung gelegt werden konnte. Dieſes Waſſer

pflegt bei dem geringſten Regenwetter fo gewaltig anzu ſchwellen, daß es jeden Uebergang verwehrt , welcher oft ſelbſt bei heiterem Wetter nicht rathſam iſt. Der Be=

feſtigung &graben bot , wie geſagt , durch ſeine Verbindung mit dem Fluſſe der Redoute einen ſehr bedeutenden Vortheil vor den beiden andern. Auf ihrer entgegengeregten linken Seite an der hintern Ede befand ſich ein Ausfauthor, weldes über Erdwälle und eine Zugbrücke durch den Waſſer

graben in die Laufgräben führte. Ferner lag auf der vor deren Ede derſelben Seite, etwa 200 Schritt von der Re

doute nach dem Meere hin, ein kleiner Thurm , deſſen Mauern bei hoher See das Waſſer beſpülte. Dieſer hatte drei Etagen ; offenbar war jede derſelben mit Kanonen be

feßt geweſen ; jetzt aber lagen dieſe Geſchüge auf dem un terſten Fußboden , denn die nur von Holz erbauten Stoc = werke hatten die Ruſſen durchbroden und ſo die Kanonen

hinuntergeworfen, um ſie für die Feinde unbrauchbar zu machen. Von dieſem Thurme führte ein unterirdiſcher Gang in das Innere der Feſtung; dieſer Ein- und Ausgang war ſehr verſtedt; ich fand ihn erſt, nachdem id alle Geſdüşe

und ſonſtige Hinderniſſe hatte wegräumen laſſen. 3d ſtieß hierbei auch auf ein reidylid verſorgtes Pulvermagazin. So

gelangte man endlich zum Eingang, der ganz mit Schieb karren , Spaten , Haden , Beilen und dergleichen für die Tſcherkeſſen ſchätzbaren Werkzeugen angefüllt war. Als ich dieſe Maſſen aus dem unterirdiſchen Gange hatte herauss idyleppen laſſen , konnten die Arbeiter den Ausgang nicht finden ; id) begab mich deßhalb wieder auf die obere Seite ,

um ihn von hier aus zu ermitteln . Dort fand ich auch

bald einen Haufen von Schutt und Mauerſteinen ; ich

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ahnte , daß dies der geſuchte Ort fein möchte , und richtig, nachdem die Maſſe weggeräumt war , erſchien eine ſteinerne Treppe, welche geradesweges zu dem Labyrinthe führte. Bei näherer Unterſuchung ergab ſich, daß an dieſem Platze ſich

früher ein Arreſtlocal befunden haben muß, da ich noch an dem Fußboden (für ſtrengen Arreſt) Latten bemerkte. Uebrigens befanden ſich auf dem Thurme zwiſchen den in jeder Etage poſtirten Kanonen noch zahlreiche Sdjießidyarten für Gewehr feuer. Den Eingang von der Seeleite aus bildete ein etwa 600' großer, mit einer 12' hohen Mauer eingefaßter Hof. Zu dem Haupteingang an der Frontſeite gelangte man durch das Thor; er war in einem Ziczac gebaut und mit zahlreichen Schießidyarten verſehen. Hier mußte den

Eindringenden ein mörderiſdyes Feuer empfangen. Auf bei den Seiten der Redoute erheben ſich mächtige Berghöhen, die aber weit über die Tragweite einer Gewehrkugel von

ihr entfernt lagen, und zugleich eine freie Ausſicht auf fie geſtatteten. Während meiner Entdeđungen in dem unters irdiſchen Gange war es oben Abend geworden . Da der Fluß ſchlecht zu paſſiren war, nahmen wir dieſſeits deſſelben ein Quartier.

Am nächſten Tage ging der Fürſt den Verſammlungen nady; ich begab mich mit Suleiman wieder nach der dritten

Befeſtigung. Da ich hier nur wenig Neues anzuordnen

hatte, brachen wir ſdon früh wieder auf, um nady den Ver ſammlungen zu reiten, wo wir den Herrn der Sklaventodyter

zu finden hofften. A18 Suleiman Bei, den ich hiermit be auftragte, unſern Wirth daran erinnern wollte, kam er uns

mit der erfreulichen Verſicherung entgegen , daß er bereits das Mädchen an ſich gekauft habe ; dieſelbe werde noch heute Abend ihre Aeltern wiederſehen . Dies war vorläufig

Alles , was ich für jene unglücklidye ruſſiſche Familie thun konnte; eine Rückkehr nady Europa ließ ſid, erſt ſpäter, nach Einführung der neuen tidherkeſfiſchen Gefeße, bewerkſtelligen .

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Hierauf nahmen wir wieder das legte Quartier, von wo aus der Fürſt täglich die Verſammlungen in der gan zen Umgegend veranſtaltete, und ich mit Suleiman Bei

Ausflüge zu der Befeſtigung unternahm . Die Gebäude in der Redoute wurden wieder hergeſtellt, der Graben ſtets

mit Waſſer angefült, der Eingang, mit der Zugbrücke von der Seeſeite aus , wurde vermauert, die Brücke abgeriſſen. Dagegen blieb das Ausfallsthor mit der Zugbrüde als Ein- und Ausgang. Außerdem wurden noch Laufgräben von der Redoute aus bis zum Fuß der Gebirge hin auf geworfen, und die braud baren Geſchüte auf die See ge riditet. Ferner widmete ich dem Thurme meine ganze Aufmerkſamkeit. Die Fußbören in den Etagen mußten wieder hergeſtellt und die Ainonen hinaufgeſdıleppt werden. Letzteres war bei dem Mangel an den erforderlidhen In

ſtrumenten, wie dion früher, außerordentlich ſdhwierig ; an Baumaterialien für die Etagen fehlte es nid )t. Der Ein gang von der Seeſeite wurde aufgehoben und nur der unter: irdiſdie Gang diente fortan zum Ein- und Ausgang. Es

waren überhaupt noch mandie Abänderungen nöthig, die ich weiter nicht mehr überwachen konnte. Einſtweilen legte ich noch von der neuen Infanterie eine ſtarke Beſatzung in die

Feſte, weldie die nöthigen reſtirenden Arbeiten verrichten mußte.

Hierauf ging die Reiſe mit Naib vier Tage weiter in das Land , wo wir noch drei Tage verweilten. Dieſer längere Aufenthalt wurde durch die , wegen der ausnehmen=

den Rohheit der dortigen Küſtenbewohner, nothwendig zahl reicheren Verſammlungen veranlaßt.

Dann bradhen wir

unſeren Aufenthalt hier ab , und ritten nach der vierten Redoute zu, wieder näher zur Küſte bin . Unterwegs mußte ich das tiefſte Elend eines ruffiſden Gefangenen anſchauen. Der Zufal führte mich nämlich zu einem Ticherkeſſen in das Quartier, der, als ein ziemlich

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rober Geſelle, feinen Stlaven fdon Jahre lang in einem Viehſtal hauſen ließ. In dieſem hatte ihn mein Drago

man aufgeſpürt, deſſen patriotiſchem Späherauge , ſelbſt in dem ärgſten Winkel , keiner ſeiner unglüdlichen Landsleute entging. Als er mir von dem empörenden Ungemach des armen Gefangenen und daß er außerdem ſchwer krant dar niederliege, Meldung machte, ſdicte ich ihn ſogleich ab, ſich zu erkundigen , ob er auch hinreichend Lebensmittel erhalte,

worauf er mir eine verneinende Antwort brachte. Ueber dieſes mehr als thieriſche Betragen gegen den armen Musto ſtellte ich nun den Wirth zur Rede , der ſich damit ent

ſduldigen wollte , daß er ſich um ſeinen Sklaven gar nicht bekümmere, ſondern dies ſeinen Leuten überlaſſe; er wiſſe auch nicht, daß derſelbe erkranft fei, und habe ihm deßhalb

die nöthige Hülfe nicht reichen können. Jetzt zögerte er nicht, den Leidenden ſogleid, in ein wohnliches, mit reinlicher Shlafſtätte verſehenes Zimmer zu bringen , ihn auch mit allerlei Speiſen zu bewirthen , von denen der Patient aber nichts mehr annahm . Abende, als id; meinen Thee trank, überſdicte ich ihm durd, meinen Dragoman und einen Tſcherkeſſen eine Taſſe von dem Getränt. Da der Thee

hier zu Lande eine Seltenheit und ſehr koſtſpielig iſt, ſo wunderten ſich alle Umſtehenden und fragten neugierig, von wem der Sdyei (Thee) tomme. Mein Wirth verſeşte ruhig : ,,Bom Giaur." Da mir dies mein Drageman wörtlicy

überbrachte, ſo hatte ich nichts Eiligeres zu thun, als Su leiman Bei rufen und alle meine Begleiter fatteln und auf ſitzen zu laſſen. Suleiman Bei wunderte ſich nicht wenig, daß ich ſchon aufbredhen wollte; ich gab ihm den Grund

dieſes ſchnellen Quartierwedyſel8 an. Er wollte eiligſt zum Wirth und dieſen wegen ſeines unverzeihlidhen Benehmens zur Nede ſtellen. Ich ließ dies jedoch nicht zu, ſondern bezog nicht weit von hier ein anderes Quartier. Es war bereits 11 Uyr Abends, als der Wirth noch mit flehender 15

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Miene und in der größten Verzweiflung zu mir kam und midy bat , id möchte ihm doch verzeihen , es habe ja nur

ſeine Frau jenes unüberlegte Wort ausgeſtoßen. Ich möchte ihm doch dieſe ſo große Schande nicht anthun und ſein Quartier verídymähen. 3ch wies ihn aber rund ab. Am

nädyſten Morgen war der unglüdliche Sklave verſchieden, und da id Naib von dieſer Brutalität in Kenntniß geſet hatte, ſo erhielt mein liebloſer Wirth eine fräftige Strafrede. 3eßt ging es gerade8 Weges auf die vierte Redoute

zu. Die herrlidyſten Waldungen von ſtarkem Buchsbaum holz begrüßten unſern Marſch, und wir fanden hier zahl reidie Sdhiffer, die mit dem Fällen der ſchönſten Bäume beſchäftigt waren . Hiezu bedürfen ſie keiner beſonderen Er laubniß. Sie ſdhmuggeln die abgehauenen Stämme nach der Türkei hinüber, wo dieſelben von den Engländern ge

ſucht und ſpäter nach England transportirt werden. Die Zeit drängte wegen der Verſammlungen und wir mußten jeßt umkehren , denn der Fürſt, der wegen der Nohheit der Bewohner dieſer Gegend für ſein eigenes Leben beſorgt ſein konnte , wollte mich unter keinen Umſtänden allein zu= rüdlaſſen. Nachdem ich dieſe Redoute alſo nur oberflächlich

hatte ſehen können , wandte ich mich mit ihm ohne Verzug, faſt mehr in (dleunigem Rüdzuge als in einem Reiſemarſche, nad dem Wohnorte bei Radidi ; wir ritten von 5 Uhr

Morgens bis 8 Uhr Abends , und gönnten uns täglich zweimal nur eine halbſtündige Ruhe.

Olgleid) wir den

kürzeſten, freilich ſehr mühſamen Weg direct durch das Ge birge nahmen , braditen wir auf ihm dody 13 Tage zu. Nach dieſen Strapazen endlich am Ziele angelangt , witme ten wir fünf Tage der Ruhe und Erholung, um ſodann unſere Fauptarbeit zu beginnen.

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Capitel 8 . Die Eheſchlies Noch Einiges über den Charakter des Volkes . fungen . Wie man ſich eine Frau ſtiehlt. Hochzeits

gebräuche. - Entbindungen. - þaushalt.-- Acerbau, Bieb zucht. Ein tịcherteſfiſches Duel. Blutige Kämpfe der Bewohner. Markgraf Hage's Tod und Naib's Strafgericht. Ein Mörder erhält Urlaub . Gerichtspflege.

Schon früher erzählte ich, wie ich mit dem Fürſten zahlreiche Konferenzen über des Landes Wohl und Zukunft gehalten habe. Nadidem wir eine ungefähre Reform ent worfen , ſchritt Naib zur Ausführung unſerer projectirten Verfaſſung. Die Art und Weiſe , wie dieſe veröffentlicht und aufgenommen wurde , entſprad, natürlich dem Charakter

eines Volkes , welches die erſte Sproſſe ſtaatlicher Civiliſa tion ſoeben zu betreten hatte. Unbeholfene , ſtarre Wider

feßlichkeit gegen die neue Umgeſtaltung trat der Regierung, wie wir ſehen werden , unverkennbar entgegen. Im Allgemeinen iſt das tſcherkeſſiſche Volk , bei dem Mangel alles Verkehres und da die Schätze des Landes aus

Unfenntniß und Unfähigkeit nicht an's licht gefördert werden, wie leicht zu ermeſſen , durchaus arm. Hauptſächlich durch ſeine gefährlichen nördlichen Nachbarn von jeder Berührung mit auswärtigen Völkern und Verhältniſſen zurückgeſdirect, fchon als Gebirgebewohner von Geldledyt zu Gefdyledyt auf

ſeinen engen heimiſchen Bezirk angewieſen , erhält es eine Ahnung von europäiſchen Dingen und Zuſtänden nur aus

dem , was die eingeführten Artikel der Sdymuggler und die Mittheilungen gereiſter und gebildeter Landsleute ihm zer ſtreut zuführen. Die Wohlhabenden leben mit den Aerme

ren faſt in derſelben Weiſe. Denn da überhaupt kein Ge= werbe und Handwerk im Lande geübt wird , ſo können ſie felbſt durch Geld (weldies , wie ſchon bemerkt, hier wenig gekannt iſt ſich nur ſolche Bequentlichkeiten verſchaffen , weldie ihnen von Außen als Contrebande zufließen ; ſonſt 15 *

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haben ſie, vermöge jenes Hebels , die Wahl , ihre Kinder entweder in halbtieriſcher Rohheit aufwachſen , oder , was

häufig in Anwendung kommt, ſie in Stambul ein wenig europäiſche Bildung genießen zu laſſen. Schulen , ſowie Gelehrte irgend eines Wiſſenszweiges gibt es natürlich nicht. Die ärmeren Eltern , ſelbſt ohne höhere Bedürfniß, ſorgen

ſelbſt für die Ausbildung ihrer Kinder , welche, außer der für den Krieg vorbereitenden Uebungen im Gebrauche der Pferde und der Waffen , nur in einer höchſt dürftigen und

unvollfommenen religiöſen Tradition und im Anhalten zu unbedingtem Gehorſam beſteht. Man findet eine gewiſſe Frömmigkeit im Volfe ; ich habe den Tjderkefſen , ſei es im Freien oder in der Hütte , täglich viermal ſein Gebet mit Andacht verrichten fehen, wobei nur freilich zu bedauern

iſt, daß das Gebetbuch, eine ſchriftliche , auf Blättern be wahrte Sammlung , in officieller, arabiſcher Sprache ver faßt, den guten Betern unverſtändlich iſt und ſo , nach Art

der fatholiſdy - lateiniſchen Litaneien , alle Andacht zulet in ein ſinn- und herzlojes Geplapfer verflüdytigt. Feſttage

gibt es im tſcherfejſiſchen Kalender nicht; überhaupt fehlt es an jeder Form eines religiöſen Gemeindelebens; ein Mangel, der nebenbei wieder das Gute hat, daß die Gläu bigen nicht, wie in manchem civiliſirten Lande des Weſtens, durch die Despotie eines äußerlichen , heudzleriſch:phariſäiſtia dhen Formelweſens gemaßregelt und gefnedytet werden.

Mit dem nordwärts importirten chriſtlichen Glauben erging es den Tidyerteſſen ungefähr ebenſo , wie vor Zeiten den eingebornen Wilden Amerika's, denen man ihn durch Feuer

und Sdwert einäßen wollte. In dem national ruſſiſdien, an ſich ſterilen und für jede höhere Kultur unfähigen Fe=

tiſdhismus überkamen ſie nur das witerlidhe Afterbild des Chriſtenthums, das ſie als freie Gebirgsſöhne ſchon ſeiner verhaßten Träger wegen zurüdweiſen und verabideuen mußten. So iſt es allerdings begreiflich, daß ſie von den

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Engländern , welche ſich als Menſchen und Freunde gegen fie benahmen , anfangs gar nicht glauben modhten , daß ſie

gleichfalls Chriſten ſeien , und erſt nach vollſtändiger Be ſeitigung ihres bisherigen Mißtrauens in die wohlwollenden

Abſichten derſelben den wunderlichen Widerſpruch einiger maßen zu löſen wußten . Wil in Tſdherkeſſien ein Mann heirathen und hat er

fich ſeine Lebensgefährtin ſchon augerleſen , ſo geht er ein = fach zu dem Vater derſelben und fragt nach ihrem Kauf preiſe , denn gekauft wird eine jede Frau. Hat er keine Mittel zu dieſem Geſchäfte, ſo macht er furzen Broceß, und führt ſich ſeine Gattin aus. Dies bewerkſtelligt er auf folgende Weiſe. Des Nacht8 reitet er mit mehreren Freun den in die Nähe des Gehöftes , wo ſein Liebchen weilt. Da nun die weiblichen Glieder einer Familie (wie ſchon früher erzählt) des Nachts in einem beſonderen Hauſe

ſchlafen und außerdem hier zu Lande für gewiſſe Bequem lichkeiten gar nicht geſorgt iſt, mithin 3eder zu ſeiner Er leichterung das Freie ſuchen muß, ſo kommt das Glüd un ferm ichmachtenden laurer entgegen. Dieſer wartet nämlich, nachdem er die bellenden Hunde durch Fleiſdy beruhigt hat,

ganz ruhig in der Nähe des Frauenhauſes ; es kommt doch einmal vor, daß ſeine heißgeliebte Jungfrau, „ keines Ueber falls gewärtig ," irgend ein Bedürfniß für einige Minuten aus dem Hauſe treibt.

Alsbald wird ſie von ihrem aus

dem Hinterhalt hervorbrechenden Berehrer ergriffen , ſchnell zu den wartenden Freunden auf ein Pferd getragen und in geſtredtem Galopp entführt. Oft dauert eine ſolche Em bu&quade mehrere Monate lang . Erfahren die Eltern wirt

lich , wohin ihre Todter entführt iſt, ſo vertlagen ſie den

räuberiſchen Schwiegerſohn beim Fürſten. Dieſer fordert ihn nun auf , bis zu einem gewiſſen Tage , als Erſatz des zu leiſtenden Kaufpreiſes , eine gewiſſe Summe an Vieh u. dgl. an ſeine unfreiwilligen Schwiegereltern zu entrichten.

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Kann oder will der Verflagte an dem herangerücten Ter mine nicht zahlen , ſo bittet er um Verlängerung der ge: währten Friſt. Spricht er ſich aber offen vor dem Fürſten aus, daß er nicht bezahlen wolle, ſo wird er als Sdyuldner eingeſperrt. 3n der Regel ſucht der junge Ehemann feinen Termin fo weit hinauszuſdieben , bis ihn ſeine Frau mit

dem erſten Pfande ber liebe beglüdt. Die Eltern kommen dann, um das Kind zu beſchenfen , und von Bezahlung der Frau iſt dann weiter keine Rede. Zurücgenommen wird nach einer ſolchen Entführung das Mädchen, aus guten

Gründen, in keinem Falle. Im Allgemeinen beobachtet man nun bei ſolchem Ehekaufe die kleine Etiquette , daß ein '

Edelmann feine Tochter nur an einen Adeligen oder in billiger Rüdſidyt ausnahmsweiſe an einen ſehr begüterten Plebejer abtritt. Bei der rein geſchäftlichen Behandlung

der Sache iſt es natürlich von keinem Belang, ob das Mäd djen ihren reidhen oder ' armen Bewerber liebt oder nicht,

und auf eine zarte und innige, wohl gar zu ſchwärmeriſcher Romantik verſponnene Neigung iſt unter folchen Formen der Annäherung felbſtverſtändlich nicht zu ſchließen. Zu bemerken iſt nod), daß bei dieſem Geſchäfte (abgeſehen von

gewaltſamer Entführung) kein Debet oder Kredit ſtattfindet; wenn am anberaumten Hodizeitstage der Bräutigam feine

Zukünftige nicht baar bezahlen kann, ſo bleibt dieſe daheim

und man hatte einfach gepaßt. Wird die Braut gelöſt (was , beiläufig bemerkt , während meines Aufenthaltes im Pande ſchon oft in türkiſchem oder arabiſdem Gelde , nicht

bloß in Vieh und ſonſtigen Naturalien geſchah ), ſo gibt es einen tüchtigen Schmaus, wozu 3ung und Alt aus der ganzen Umgegend ungeladen fideinfinden kann. Außer dieſer Efförmlichkeit wird auch ein großer thé dansant veranſtaltet, wobei die oft wunderlichen, mit vielfachen Rom = plimenten drollig verſchlungenen Sprünge mich ſehr be

Luſtigten.

Die Tanzordnung iſt folgende: vier Perſonen

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ſtellen ſich in einen Kreis , ein Jeder vier Schritt von dem

Andern entfernt. Einer ſpringt nun in die Mitte vor, und raſ't , abwechſelnd auf einem Beine , in den gewaltſamſten und heftigſten Schwingungen ſo lange, bis ihm der Sdyweiß von der Stirne rinnt , während die Anderen das lächerliche Solo mit einem monotonen : la la la la begleiten. Die Entbindung, will ich hier beiläufig bemerken , fält einer Tſcherkeſſin ſehr leicht, na die freie Entwickelung ihres Kör pers von den künſtlichen Verſchönerungsmitteln europäiſcher Erfindung durchaus nicht gehindert wird. Die Hoffnungs volle kniet bei eintretender Kriſis auf einem Lager nieder

‘ und biegt den Oberkörper etwas vor , während eine Betia ( Hebamme) durch Herunterſtreichen am Leibe die Mutter von ihrer Laſt zu befreien ſucht. Noch an demſelben Tage verrichtet die Wöchnerin , wie ſonſt , ihre häuslichen Ge ſchäfte. Der þaushalt der Dicherkeſſen iſt, wie ſchon bemerkt,

in jeder Beziehung höchſt einfach, da ſie faſt nach weiter nicht8 Anderem fich umſehen , als was die hinreidend er giebige Natur des Landes von ſelbſt ihnen bietet. Hätten fie mehr Luſt und Kenntniſſe, fo würde die Landwirthſchaft

einen größeren Aufſchwung bei ihnen nehmen. Die Haupt fächlichſten Erzeugniſſe des fruchtbaren Landes ſind folgende : In größter Menge wird der Mais ( türkiſche Waizen) ge wonnen , der hier noch höher und ſtärker als in der Türkei wädyſt. Zu ſeinem Anbau bearbeitet man den Boden nicht, ſondern ſtößt mit einem Stabe Löcher in die Erde, in welche man das Korn hineinwirft und dann feſtdrückt. Für die Ausſaat des Roggens locfert man den Ader ein wenig mit einem elenden Spaten oder einer Art Kartoffelhade. Nur zweimal habe ich im ganzen Lande einen , nach Zuſammen

ſegung und Gebraud indeß wirklich bemitleidenswerthen, Pflug geſehen. Er war nämlich mit acht Kindern beſpannt, und der Adermann ſaß auf ihm , damit er die Erde recht

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tief faſſe; fo fam ex denn , daß er in einer halben Stunde

wirklich eine Strede von 150 Schritt zurüdlegte. Wai zen wird auf dieſelbe Art wie Roggen geſät ; beide Getreide arten finden ſich aber nur auf den Feldern der Reicheren .

Baſta wird in gleicher Weiſe ausgeſät ; er kommt an Ge halt und Geſchmad der europäiſchen Hirſe nahe und wird von Reich und Arm gebaut und vertritt in den Gerichten, wie don erwähnt, unſer Brot. Zum Gebrauch der Tafel werden Suppenfraut und Zwiebeln gezogen ; ebenſo Erbſen und Bohnen ; doch vermißt man hier jede Art von Rohl, aud beſonders, wie im ganzen Orient und im Süden über haupt , die Kartoffel.

Heu wird durch das üppigſte und ſchönſte Gras ge wonnen , welches eine dreimalige Ernte im Jahre zuläßt. Um das Gras zu trodnen , haut man etwas ſtark belaubte Aeſte von den Bäumen und wirft es auf dieſe , um es, in Ermangelung der hier unbekannten Wagen, ſpäter auf ihnen fortziehen zu fönnen. U18 Sdut vor dem Regen während des Trockneng dient dem Graſe das dichte Laubwerk eines Baumes, an deſſen Fuß man es aufgehäuft hat. 3m Win

ter wird das ſämmtliche Vieh allein hiermit gefüttert , und

man ſieht wohl ein , daß der Fausherr ſich deshalb einen ziemlichen Vorrath aufſpeichern muß. Hanf und Flachs zieht man auc); der erſtere wird ſehr groß und zur Ver:

fertigung von Stricken benußt ; dieſer wird zu gleichem Zweđe verarbeitet , da man theils die erforderlichen Wert: zeuge , theils die nöthigen Kenntniſſe der Spinnerei nicht beſigt. Für den Mangel vieler feineren und künſtlichen Produkte iſt der Tſcherkeſſe durch allerlei Obſt überreichlich entſ (jädigt; die laubreichſten und fruchtbarſten Wälder von Aepfel-, Birn- , Pflaumen-, Pfirſich-, Feigen- und eten Kaſtanienbäumen machen einen überaus erfreulichen Eindrud .

Nicht minder üppig und zierlich fdlingt fidh der Wein , wie

man dies auch im europäiſchen Süden ſieht, an den mäch

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tigen Eichen und Buchen ringelnd empor ; er hat einen ſehr milden und füßen Geſchmack, und es iſt zu bedauern , daß

er zum größten Theil ungepflüđt vertrođnen muß. Man fammelt ſich von jeder Frucht nur fo viel, ale man gerade für den Winter bedarf und aufbewahren kann . Tabat wird hin und wieder nur von den ruffiſden Sklaven gepflanzt, aber ſonſt nicht verbraucht; ein jeder dieſer Gefangenen

ſorgt nur für ſeinen eigenen jährlichen Bedarf.

Es gibt

freilidy ſchon Tſcherkeſſen, welche rauchen, doch geſchieht dies nur heimlich und von folden, welche in der Türkei geweſen ſind und es dort gelernt haben. Dieſer Tabak iſt ſehr ſtark, ſchön von Farbe und erinnert in Geruch und Geſchmad ein wenig an den deutſchen Pfälzer. Ueber den Viehbeſtand möchte ich hier noch einige Bes merkungen einflechten , um das früher barüber Geſagte zu

vervollſtändigen. Eine Schilderung der Pferde habe ich be reits gegeben , ſie mag mir an dieſer Stelle erlaſſen ſein. Das Rindvieh iſt bedeutend größer als das unſere ; die Büffel ſind von ganz derſelben Art , wie man ſie in Ame

rifa findet. Die Schafe zerfallen in zwei Klaſſen , von der nen die kleinere an Größe unſere Schafe erreicht, die grö

fere ſie bedeutend übertrifft. Bei den Ziegen gibt es eine Art , welche beinahe ſo groß wie ein kleines Rind wird.

Ejel , ſowie Maulthiere , ſonſt in Gebirg&gegenden üblich, gibt es in Tſcherkeffien nicht. Das größere Bieh bleibt den ganzen Sommer über Tag und Nacht auf ſeinen Wei den , das kleinere wird beſonders gehütet. Milch , Butter und Käſe liefert es in ganz vorzüglicher Güte. Das Feder: vieh iſt zahlreich vertreten durch Gänſe , Hühner , Enten, Pfauen , Tauben , Trut- und Berlhühner , beren Eier ber

tſcherkeſſiſden Tafel manches ſchmadhafte Geridht liefern. Wild findet man in den großen tſcherkeſfiſchen Wäl

bern faſt gar nicht; es iſt äußerſt ſelten nur im höchſten,

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von menſchlichen Wohnſtätten entblößten Gebirge anzutreffen. Dort ſtreifen auch noch Bären und Wölfe umher.

Zum Schluß dieſer Darſtellung noch ein weniges über die Induſtrie der Tſcherkeſſen. Das Nöthigſte zur

Bearbeitung des maſſenhaften Getreides, eine Mühle , fehlt ihnen ganz, und die Art , wie man zu einem ſehr zweideu tigen Mehl fommt, iſt eben ſo naiv wie charakteriſtiſch. Man legt das Korn zwiſchen zwei Steine , und reibt es ſo

lange, bis es eine Ahnung von Mehl zurüdläßt. Dieſes einfach alterthümliche Verfahren findet aber nur bei den Reidheren ſtatt, deren Sklaven die mühſelige Arbeit ver richten müſſen ; der Aermere iſt zu faul hierzu. Handwerker gibt es überhaupt gar nicht im Lande ; die einfachſten In

ſtrumente , wie Säge , Hammer , Zange , Bohrer u. 1. W., finden ſich als ein unſchäßbares Kleinod ebenfalls nur bei Wohlhabenden. Nur das Beil iſt Jedem unentbehrlich, da er ſein Haus nebſt der nothwendigſten inneren Ausſtattung

ſich ſelbſt zimmern muß. Mit dieſem fält er die größten Bäume und ſpaltet ſie ſodann mittelſt eines eingetriebenen Reiles. Da das Holz umſonſt zu haben iſt, ſo geht die

Verſchwendung in dieſem Artikel ſehr weit ; das föſtliche Buchsbaumholz benußt man, weil man es nicht weiter ver werthen kann , gleichfalls zum Häuſerbau. Da ſich nun der Ticherteffe, wie aus allem Angeführ ten leidyt erhellt, durch häusliche Arbeiten wenig oder gar nicht und dies auch nur in dringenden Fällen , wie z. B. dem Hausbau , in Anſpruch nehmen läßt, ſondern folche Mühen ſeiner Frau überläßt , ſo kann ſich der Leſer von

ſeinem Müßiggang und ſeiner langen Weile einen Begriff machen. Wo nun dieſe den Menſchen , zumal einen ganz unkultivirten, beſchleichen, da verfällt er ſehr oft auf allerlei Streiche, die mitunter einen heftigen , blutigen Charakter annehmen.

Zum Belege hierfür einige Borfälle , welche

geeignet ſind , die Geiſtesverwandtſchaft unſerer Gebirg&be

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wohner mit den europäiſchen Südländern in Bezug auf wilde und ungezähmte Reizbarkeit darzuſtellen.

Als ich einige Zeit in der Nähe der dritten Redoute wohnte, ward ich einſt ſehr unangenehm aus meinem Mits tagsſchlummer emporgeſchreckt; zwei Gewehrſchüſſe donnerten plößlich aus der Richtung eines nahe an meiner Thür ge=

legenen Buſchwerke&. 3ch ſtürzte auf dies friegeriſche Zei chen ſogleich aus meinem Bimmer hinaus und fand zwei Gegner in ihrem Blute liegen. Ein Knabe ſtand dabei und erzählte mir , er habe ſeine Heerde länge des Weges getrieben , und die beiden Männer auf dieſer Straße bei

ſammen reiten ſehen.

Sie hätten ſich heftig um eine

Reitgerte gezankt, und plößlich die Säbel auf einander ge zogen. Der Süngere ſei hierbei ſo in Wuth gerathen, daß

er auf einmal zu ſeinein geladenen Gewehre griff, was auch der Aeltere ſchleunigſt that ; fo hätten ſie denn im Anſchlag gelegen , bis die beiden Schüſſe faſt gleichzeitig erfolgten. Der Abſtand zwiſchen beiden Gegnern betrug

etwa 120 Schritt, und dicht neben ihnen graſten ruhig die Pferde. Ich unterſuchte die Leichen und fand, daß der Aeltere dicht unter dem Bruſtkaſten , der Süngere bagegen

links in der Nähe des Herzens tödtlich getroffen war. Die Kugel des Legteren war unterhalb des rechten Armed an

dieſer Seite durchgedrungen , wodurch ſich klar ergab, daß der Jüngere nach gethanem Schuſſe eine Wendung nach rechts gemacht haben mußte. Es wurden jeßt ſchleunigft

kleine Bäume abgehauen, mit Weidengeflecht verbunden und die beiden Verunglücten auf dieſe Bahre gelegt ; hinterher folgten die Pferde mit den Waffen . Einen anderen Fall erlebte ich in der Gegend der vierten Redoute. Leute , welche auf dem Felde arbeiteten , hörten eines Tages einen Schuß und ſahen , aufgeſchredt, einen Menſchen vom Pferde fallen. A18 fie dem Verwun

deten zu Şilfe eilen wollten , gewahrten ſie, wie zur Seite

236

plößlich Jemand in ein Gebüſch (frang.

Man verfolgte

dieſen fogleich, verlor aber ſehr bald ſeine Spur und kehrte erfolglos um. Als idy herzufam , ſah ich wohl , daß hier ein Meuchelmord begangen war , denn der Todte hatte die Kugel in den Rüden bekommen. Nachdem ich mehrere ge

wandte Leute mit dem Signalement des Verbrechers abge= ſchickt hatte , wurden mir auch bald zwei verdächtige Indi

viduen vorgeführt , von denen ich den Einen ſogleich als unſchuldig entließ, den Anderen aber, trotz ſeines Leugnens, Denn erſtlich war er nid)t im Stande, ſein alibi zur betreffenden Zeit anzugeben,

Des Morded incriminiren mußte.

zweiten: ſprach auch ſein Gewehr gegen ihn , und ganz be fonders die Behauptung , daß er ſchon ſeit adyt Tagen fei nen Schuß gethan habe. Denn als ich mir ſein Gewehr

zeigen ließ , ſo war freilich die Mündung wie das Feuer Ichloß von Pulverſchleim frei ; aber als ich den lauf mit einein Stođe unterſuchte, 30g ich leşteren ganz mit Schleim überzogen heraus ; auch hatte er vergeſſen , den Ladeſtod gänzlich zu ſäubern ; das delictum war hier alſo under kennbar. Seiner Lügen überführt, geſtand er auch ſchließ =

lich den Meuchelmord ein. Der Grund, der ihn dazu ver anlaßt haben modyte, blieb mir unbekannt. Ich ſchicte ihn zur weiteren Verhörung und Verurtheilung an den Fürſten. Ein anderer Mortanfall geſchah eines Mädchens halber. Ein Ticherkeſſe hatte nämlich eine Geliebte auf die übliche Art entführt. Ihr Bruder aber hatte einen Freund , der fie durchaus heirathen wollte, und deshalb verſuchte er mit mehreren anderen Freunden , ſeine Schweſter wieder zu be freien , was denn auch gelang. Bei ter nun ſtattfindenden

Hochzeit jenes Freundes mit dem armen Mädchen fand ſich auch der feindliche Bewerber ungebeten ein und feuerte dem Bruder eine Kugel auf den Kopf. Dieſe ging zum guten

Glüd durch beide Baden, und der Verwundete wurde auch ſpäter wieder hergeſtelt. Der Thäter aber wurde zu einer

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Geldſtrafe reſp: Entſchädigung oder Schmerzensgeld für den Verwundeten verurtheilt, welche Strafe mit 12 Schafen zu büßen war.

Eine ähnliche Aufwallung des Sähzorns mußte der Fürſt an ſeiner eigenen Berſon erfahren. Als er eines Tages Gericht hielt, um die vorfommenden Beidwerden und

Anklagen zu vernehmen , und jeden verübten Fredel zu be ſtrafen , wurde auch ein Verbrecher vorgeführt , der einen Knaben , weil er eine Heerbe Ziegen auf ſeiner Weide hü tete , erſchoſſen hatte. Nadıdem die Zeugen hierüber ver hört waren und der Mörder ſelbſt ſeine That eingeſtanden hatte , verurtheilte ihn Naib zu einem Schadenerſatz an den Vater des Todten , der darin beſtand , daß er 2 Knaben von gleidiem Alter mit dem des Ermordeten, im Unver mögensfalle 2 kräftige Mosfos beſchaffen foute.

418 der

Verbrecher hierauf ſidy weigerte , einen ſolchen Schadenerſatz zu leiſten, modificirte ihn Naib auf 20 Schafe oder 5 Odys ſen, widrigenfalls auf Freiheitsſtrafe. Dieſe Erklärung ver ſeşte den Trokigen in eine ſolche Wuth , daß er zu ſeinem Gewehr griff und mit einem vielſagenden Blid auf daſſelbe kurz antwortete : ,,Ehe Du mid; einſperrſt , lieber ſchieße id, aud Did nod tobt !" Auf dieſes herausfordernde

crimen laesae majestatis ſprang Naib auf, griff zu ſeinem Piſtol, und wollte dem Hodiverräther eine Kugel durch den Kopf jagen , als auch ſchon ſeine Begleiter ihn ergriffen, entwaffneten und an einen Baum ſtellten. Aus einem Winte Naib's verſtand er , daß es um ſein Leben geſchehen ſei , und indem er den Kopf in die Hand und an den Baum ſtüşte, fant er auch ſchon unter zwei Kugeln zuſam men . Der Fürſt fuhr , al8 ob gar nichts Beſonderes ge ſchehen wäre , mit der Abhaltung des Gericht8 fort.

Sdließlich will ich noch einen durch feire Originalität intereſſanten Fall anführen , zu beffen beſſerem Verſtändniß

eine kleine Erläuterung vorauszuſchiđen iſt. Der werthvollſte

238

und heiligſte Gegenſtand des Tſcherkeſſen iſt ſein Gebetbuch, ein Raſten , in welchem alle Gebete in arabiſcher Sprache verzeichnet liegen. Dieſe Budy nun vertritt vorkommenden Fals unſer Krucifir, oder den Altar , da ein auf daſſelbe

geleiſteter Schwur jedem Tſcherkeſſen unverleßlich iſt. Eines Tages kam ein Verbrecher zu Naib , um ihn , und zwar gleich auf längere Zeit , um Urlaub zu bitten.

Der Fürſt

hatte Nichts dagegen , ſondern befahl ihm , auf das heilige Buch zu ſdwören , daß er nicht zu den Feinden deſertiren wolle.

Dies that Sener und konnte feine Weges gehen.

Sehr erſtaunt über dieſe Farmloſigkeit des Verfahrens bat id ben Fürſten um Aufſchluß über daſſelbe, und erhielt das

bereits oben Angegebene als Erläuterung von ihm . Außer dem bedeutete er mir , dies ſei freilich ein Mörder , mit einem Morde nähmen es indeß die Tſcherkeſſen nicht ſo

genau, die Verlegung eines Eidid wurs dagegen gelte ihnen für einen unſühnbaren Frerel. Ueberdies babe fid) bis jeßt noch kein Verwandter des Erniorteten gefunden , der einen Schadenerſaß an Stlaren oder Vieh forderte. Melde fidh überhaupt Reiner , ſo werde er ihn wieder frei laſſen , denn wo kein Kläger , iſt audy fein Rid ter.

Der Mörder

ſtellte ſich auch wirklich jeden Abend wieder ein, wo er dann, was mir allerdings nicht fehr folgeridtig erſdjien, an etten gelegt wurde.

Bei ſolchen zahlreichen Erceſſen und der unvollfomme

nen Gerid,tspflege iſt allein zu begreifen , wie dringend nothwendig mandie Neuerungen waren, um überhaupt land und Velt zu einer höheren Stufe der Kultur allmählich zu erheben. Die Leute kamen oft 10 15 Meilen weit aus dem Innern des Landed , um ihre gerichtlichen Klagen anzubringen. Waren dieje nun etwas complicirt oder mußte gar in contumaciam verfahren werden, ſo läßt ſich denken, wie langſam hier , bei dem Mangel aller Verkehrsniittel, Jeder zu ſeinem Redte fam.

Der Fürſt war , bei dem

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71

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11

239

oft ungeheuren Andrange von Beſchwerden, dieſer großen Aufgabe allein nicht mehr gewachſen , und er bradyte daher in den Verſammlungen dieſen Punkt zuerſt zur Sprache.

Capitel 9.

Die Verſammlungen zur Reorganiſation des Landes.

Verfiin

digung der neuen Geſebe. Naib ſeçt Markgrafen ein und läßt das Volk den Eid der Treue ſchwören . Er gibt ſeine Sklaven frei. Die Bildung der neuen Infanterie. Milis tairiſche Sdulung. Freude und Luſt der Soldaten an den Uebungen.

In dieſen öffentlichen Berſammlungen, die gewöhnlich in einem Thale abgehalten wurden, nahm Naib unter einem ſchattigen Baum auf türkiſche Weiſe Plaz. Rings um ihn her lagerten ſich die Aelteſten der ganzen Umgegend, und zu ſeinen beiden Seiten ſtand die Begleitung mit gelatenen Gewehren. Er ſprachy, wahrſcheinlich um einen würdevolleren Eindruď

zu machen, zu dem Volfe immer arabiſch), das ein Drago man den Verſammelten interpretirte. Eine ſolche Sitzung dauerte oft lange, bis gegen 7 Stunden, und wurde dann von dem Vorſigenden mit einem Gebete geſchloſſen. Der Fürſt legte gewöhnlid ſeine mit mir vereinbarten

Borjdläge dem Rathe der Zelteſten vor , und ließ über

deren Annahme oder Ablehnung durch Stimmenmehrheit entſcheiten. Es waren ſehr viele tſcherkeſſijde Adelige, die ſchon in Conſtantinopel längere Zeit gelebt, und demnach europäiſche Zuſtände und Cultur , in ihrem erſtaunlidien Abſtand gegen die Verhältniſſe in der Heimath, kennen ge lernt hatten. Dieſe fonnten einen vollſtändigen Umſdwung der tſcherkeſſiſchen Zuſtände nur dringend wünſden , und von ihnen , wie von allen Begabteren und Einſichtigeren,

240

wurde der Fürſt in ſeinen wohlmeinenden Plänen aufs fräftigſte unterſtüßt. Nachdem es ihm mit vieler Mühe

gelungen war, dem Bolfe ein ungefähres Bild der aus einer Umgeſtaltung unfehlbar zu erwartenden Früchte zu entwer:

fen, gingen dann ſeine Verordnungen durch und traten bald in Kraft. Folgendes ſind einige Punkte der neuen Ber: faſſung.. 1 ) Da des Fürſten Thätigkeit in gerichtlichen Geſchäften über die Möglichkeit hinaus ſtets in Anſpruch genommen iſt, ſo wird feſtgeſett, daß in einem Umkreiſe von je 10 Meilen ein Mäfemä ( Gerichtshaus) errichtet werde , und

daſſelbe ein Richter bewohne, der, von dem Volfe frei ge wählt, alle Streitigkeiten deſſelben entgegenzunehmen und zu ſchlichten hat. In allen kleineren Vergehen ſoll er volle Strafgewalt haben ; nur größere Verbrechen, wie Diebſtahl, Mord und dergleichen, ſollen nach eingeleiteter Unterſuchung dem Fürſten zur endgültigen Entſdeidung überwieſen werden. Bei dieſem Mäkemä ſollte gleichzeitig ein Arreſtlocal für die Verurtheilten erbaut werden. 2) Dieſer Ortsrichter hat die Befugniß und Anwei ſung , den Sehnten von ſeinem Gebiete zu erheben und dieſen dem Fürſten zu überſenden. 3) Ades bis jegt unbewohnte land, als Felder, Ge

birge und Flüſſe, iſt Staatseigenthum und Niemand hat die Erlaubniß, fidy irgendwo anders anzuſiedeln , ohne dazu

die vorſdriftsmäßige Genehmigung der Regierung bei dem Fürſten eingeholt zu haben. 4) Zum Erſat für dieſe Beſchränkung der allgemeinen Freiheit ſollen alle aus den erwähnten Landestheilen noch

zu ziehenden Einnahmen zum Beſten des Landes verwendet werden . Unter dem Beſten des Landes iſt hier vorläufig die Andaffung von Waffen und Bereinziehung von ge didten europäiſden Dandwerkern zu verſtehen .

5 ) Zur richtigen Beſtimmung und Verwaltung der

241

Einnahmen und Ausgaben des Landes wird eine Commiſſion aus den fähigſten und zuverläſſigſten Männern Tſcherkeſſtens erwählt.

6) Es follen ſo bald als möglich Bergwerksleute aus Conſtantinopel herübergeſchmuggelt werden, die unverzüglich

die von Inglis Paſcha bezeichneten Stellen zu bearbeiten haben. a ) Das aus dem Erz gewonnene Gold und Silber wird zu Münzen geprägt. (Ein höchſt wichtiger Paragraph !)

b) Das Eiſen foll zum Kanonenguß verwendet werden. c) Das Blei follzu fugeln gegoſſen und dieſe unter

die Waffenfähigen vertheilt werden. d) Niemandem ſteht das Recht zu , irgend ein Ery oder Metall, ſobald an betreffender Stelle Einrichtungen

zum Bergbau getroffen ſind, für eigenen Gebrauch zu ver arbeiten. Das gewonnene Erz oder Metall ſteht allein zur

Verfügung der erwähnten Commiſſion für Einnahmen und Ausgaben, welde durch die neuen Einrichtungen veranlaßt wurden, deren leştere, unter Borbehalt des Erſatzes im Ver

mögensfalle des Landes, vorläufig aus des Fürſten eigener Kaffe zu beſtreiten find.

7 ) Sämmtliche antommenden Schiffe zahlen ein feſtge ſettes Lagergeld. Zur richtigen Controlirung dieſer Ein nahmen werden Leute beſtellt. Der Ertrag dieſer Einnahmen foll zur Anlegung von Häfen verwendet werden . Dieſe Häfen ſollen nur an irgend einem Thale, alſo geſchüßt vor

den feindlichen Patrouillenſchiffen, angelegt werden.

8) Der Verkauf von Kindern ſol mit der Zeit gänz lich aufhören ; vorläufig iſt es nur noch erlaubt, ein Glieb der Familie zu veräußern. 9) Feder Fremde, weldien das Unglück an der feffiſchen Küſte ſtranden läßt, muß vor den Fürſten werden , und hat daher Niemand das Recht, einen ohne Weiteres als Sklaven zu behandeln. Wer von 16

tſcher geführt folden ſolchen

242

Leuten feines Inrechte gegen die Tſcherfeffen überführt werden kann, iſt ſogleich der zugehörigen Geſandtſchaft in

Trebiſonde zu überliefern. Es iſt überhaupt die größte Schande für Tſcherkeſſien geweſen, gegen ſolche Unglüdlichen, wie es leider oft vorgekommen, ſich ohne deren Verſchulden brutal zu benehmen. 10) Es iſt Jedermann unbenommen , aus richtigem Ehrgefühl ſeine Sllaven freizugeben ; Naib Paída wird ſelbſt hiermit den Anfang machen. ( Durch dieſen Paragraph war demnach auch für meine Schützlinge geſorgt , von denen ich früher erzählt habe.

Sie waren die erſten, welche nach Trebiſonde geſchickt wurden und den heimathlichen Boden wieder betraten . ) Zur Einführung und Aufredythaltung dieſer angeführten

Beſtimmungen war es nun nody erforderlich, daß 1 ) die gewählten Ortsridyter dem Fürſten vorgeſtellt,

beſtätigt und in dieſem Amte mit der nöthigen Inſtruction verſehen wurden ;

2) das Volk einzeln dem Fürſten den Eid der Treue leiſtete, D. h. Alles, was jegt in den Verſammlungen ge nehmigt, treu zu befolgen und zu beobachten ſchwöre. Die Eidesleiſtung geſdyah, wie leicht zu errathen , unter Auflegung zweier Finger auf das heilige Gebetbud). Da wir von Kreis z11 Kreis, deren jeder ſeine beſondere Nummer führte, reiſen mußten, um die neuen Unterthanen ſchwören zu laſſen, ſo bradyten wir hiermit zwei volle Monate zu. Ueber dieſe ſo einfachen , für des Landes Zukunft aber

hödyſt wichtigen Beſtimmungen hatte man ſo denn dod eine geraume Zeit berathen und verhandelt. Nun erſt trat Alle8 in Kraft, und die Vollſtreder der neuen Gefeße, meiſtentheils alte, ehrwürdige Tſdherkeſſen mit ſchneeweißem Haupte, über nahmen ihre amtlide Function.

Gleichzeitig mit der Abhaltung der Berſammlungen trat audy, wie früher fdyon angedeutet, die Ausbildung der

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Infanterie in'& Leben . Zu dieſer will ich jeßt zurüdfehren.

Hadſchi Ahmed fowie noch Andere hatten während der Zeit alle meine vorläufigen Anordnungen genau befolgt, und über wachten die Ausführung in ihrem Umkreiſe von 10 Meilen, worin fie drei Sammelplätze beſtimmt hatten .

Dieſe Aus

bildung beſtand in Stellung, Wendungen auf der Stelle,

Marſd; im Allgemeinen, Schießen , Griffen mit dem Gewehr, Fällen des Gewehres, Chargirung. 3d muß jedoch be merken, daß vom erſten Augenblicke an mit dem Gewehre ererciert wurde, da ein Tſcherkeffe daſſelbe bei größeren

Trupps, wie hier, nie ablegt. Ferner wurde zwar anfange Ades nach Zählen, dann aber nach Commando geübt ; bei

der Chargirung jedoch war dieſes Verfahren unmöglich, da es für die im Laden unglaublich gewandten Leute, welche überdies die Patronenbüchſe der Eine in der Tajde, der Andere vorn an der Bruſt zu tragen pflegen, nur zu einer nuglofen Quälerei geworden wäre. Es wurde beminad

gleich vorweg nach Commando geladen . - Den zweiten Theil bildete das Erercieren im Trupp, als Aufſtellung in Drei Gliedern, Richtung, Bewegungen des Truppe, Abbrechen , Aufmarſch, Schwenkungen auf der Stelle und während des Mardhes.

Als ich die Feſtungen inſpicirt und wieder freie Zeit hatte, nahm ich eine Vorſtellung dieſer Recruten ab, und muß geſtehen, daß ich nicḥt wußte, ob ich mehr ihre außer

ordentliche Gewandtheit oder ihre unverkennbare Freude und Luſt an dieſen Uebungen bewundern ſollte. Za Beſtrafun gen kam es eigentlich gar nicht, außer daß Naib den be treffenden Uebertreter vor die Front treten ließ und ihm einen Hieb mit der Beitiche gab , worauf der Beſtrafte lachend Kehrt machte und wieder in Reih' und Glied trat.

Die weitere und complicirtere Ausbildung der Infan= terie übernahm ich jeßt ſelbſt. 3d theilte die Mannſchaften

in Compagnien und jeder einen Chef reſp. Führer zu. 16 *

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Peştere wählte ich aus den Geübteſten, von denen einige auch ſchon in türkiſchen Dienſten geſtanden hatten ; in gleicher

Weiſe die Unteroffiziere. Hierauf wurde das ganze Com pagnieerercieren eingeübt, worin ich bei dem verſchiedenen Sammeln die freudigſte Munterfeit der Soldaten bemerkte.

Dann ging ich zu dem zerſtreuten Gefecht über, wobei den Leuten ihre frühere Gefechtart ſehr zu Statten kam , und worin ſie den europäiſchen Tirailleuren bald den Rang ab

laufen konnten. Signale wurden ebenfalls von den neuen Korniſten eingeübt , und konnten dann erſt aUmälig von dieſer Truppe aufgenommen werden.

Die Hörner und

Trompeten, von den Ruſſen erobert, waren ausreichend vor

handen. Dann übte ich den Vorpoſtendienſt, was mir nicht ſehr erſchwert wurde, da ihn ein großer Theil früher ſchon als Cavalleriſten kennen gelernt hatte. Außerdem widmete

ich mandie freie Stunde der Einübung des Feſtungsdienſtes, der überhaupt mein Lieblingsthema war. Denn die Bes ſapung ſchien mir vor Allem der Ausbildung benöthigt, um

einer etwaigen Offenſive von Seiten der Ruſſen kräftig entgegenzutreten. So viel von der Infanterie.

Capitel 10 . Die erſten Bergwerks -Arbeiten. Mord des Ortsrichters Achmed Barcha.

Blutrache der Bewohner. Bombardement der Sefer- Paſcha . Manoeuvre.

Feſtung durch die Ruſſen.

Mußenbeđers (Muſa Bey) Rüdkehr aus ſeiner preußiſchen Erzählung ſeiner Deſertion , Kampf bei Inowraclaw und ſeine Gefangenſchaft in Weichſelmünde. Audienz deſſelben bei König Friedrid Wilhelm IV . - Mufd Gefangenſaft.

Bey wird General-Commandant der Feſtungen am ſchwarzen Meere und Ortsrichter.

Wie große Förderniſſe auch der Bergbau in Ticher feffien verſprad), ſo hatte Naib in dieſer Beziehung doc

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große Schwierigkeiten , da er die erzhaltigen Bergpartien erſt an eine engliſche Compagnie in Conſtantinopel ver pachten wollte, um dann ſpäter, noch Unbohrung ihres ſchweren Baues, allein für das Land die Ausbeute über nehmen zu können .

Da er es durchaus nicht mit dem

Volte verderben wollte, das ſich ja überdies ſo viel ſchon hatte gefallen laſſen, fo engagirte er italieniſche Bergleute,

welche gegen Zuſicherung eines ſehr hohen Lohnes die gefähr liche Reiſe zu uns unternahmen. Ihre Arbeiten waren erfolgreich, und es gehörte hierbei gar nicht zu den Selten= heiten, wenn ſie Silberbarren von etwa 2 Pfd. zu Tage förberten .

Dieſe Arbeit begann erſt gegen Anfang des

Herbſtes 1858 und ich konnte deshalb nicht mehr lange

Augenzeuge ihrer Leiſtungen fein, da id) aus Geſundheits rüdſichten das Land bald darauf verließ. Wie die projec tirte Verpachtung der Bergwerke, fo fand überhaupt die

ganze neue Umgeſtaltung des Landes namentlich bei dem roberen Theile des Bolkes den heftigſten Widerwillen. Es tam , wenn noch dazu der Ortsrichter ein abſtoßender Mann war , nicht ſelten zu heftigen , ſogar blutigen Auftritten. Zum Belege hierfür fann ich einen Fall anführen, deſſen Folgen ſehr verderblich wurden. Es iſt dies die Ermor dung Hadſchi Achmeds, eines der geſchickteſten und tüchtigſten Tſcherkeſſen, der ſich mit voller Liebe der eingeleiteten Refor

men annahm, unglüdlicherweiſe aber gegen ſeine Bezirks untergebenen ein ſehr hartes , ſtolz abweiſendes Benehmen zeigte. Seine oft übertriebene Rüdſichtsloſigkeit erſchien geradezu herausfordernd ; er war eben ein guter Soldat und ſuchte den militairiſchen Geiſt, welcher ihn beſeelte, auf ſeine Untergebenen zu übertragen, wobei er oft zu den abſchreckendſten Strafen ſeine Zuflucht nahm. Wie löblich

hier auch der Zwed , ſo verfehlt war doch die Art ; ich hatte dem Fürſten meine Befürchtungen für Hadſchi Achmed bereits

mitgetheilt. Seiner ſaumſelig ſtolzen Gewohnheit gemäß

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hatte er das Volt in einer von ihm anberaumten Berſamm

lung wohl don an 5 Stunden auf ſich warten laſſen. Der Ort der Verſammlung war auf der Spiße eines

Berges, und als Hadſchi Admed eben den Gipfel deſſelben erſteigen wollte, fant er, von vier Kugeln burdbohrt , von

ſeinem Rappen. Sein Ortsrichteramt umfaßte das Gebiet von Trubſa, und die Bewohner deſſelben waren freilich noch ſehr roh, aber dywerlid würden auch die anderen Landes kinder , ihrem natürlichen Freiheitsſinne gemäß , mit fick haben ſpaßen laſſen. Der Unglüdsfall des trefflichen Mannes war um ſo betrübender, als er ſich erſt vor einigen Tagen vermählt hatte, und ſeine junge Gattin nun ſo früh Wittwe wurde ; doch mit dem Blute des verhaßten Anführers nody

nicht zufrieden, gingen die Empörer in ihrer Wuth ſo weit, ſeine Reſidenz, einen Anbau ſehr ſchöner Gehöfte, durch eine gewaltige Feuersbrunſt zu zerſtören. In dieſem Augenblick befand ich mich gerade in der Nähe der Küſte, Naib dagegen mehr im Innern des Landes. Wir erhielten gegen 11 Uhr Abends die Nachricht von dem Vorfalle, und um 3 Uhr Nacht8 traf ich nebſt einer zahl reichen Begleitung und Suleiman Bei hier ein. Ich ließ ſogleich die Thäter ermitteln und in Gewahrſam bringen, und begab mich fodann nach dem größten Gehöft in dieſer

Gegend, woſelbſt auch Naib etwas ſpäter eintraf. Nachdem die von mir Arretirten ihre That eingeſtanden hatten, ließ fie Naib am nädyſten Morgen 8 Uhr an der Stelle, wo

die einſt ſchöne Wohnſtätte Adımebs in Flammen aufgegan= gen war, vor verſammelter Menge erſchießen.

Er hielt

hierauf eine lange Standrede über heilſame Subordination und Statuirung unangenehmer Beiſpiele, und erinnerte ſie eindringlich an ihren für die Innehaltung der Gefeße ge leiſteten Eid. Dieſe Geſete feien ihin zum Beil und Ruhme Tſcherkeſſiens von Gott eingegeben und die Vorgeſegten wiederum zur Aufredythaltung derſelben von ihm beſtellt

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worden . Er werde deshalb in Zukunft jede Auflehnung gegen einen Vorgeſepten oder gegen ein Geſet ebenſo nach fichtslos beſtrafen , wie ſie es jegt vor Augen gehabt hätten.

Gleichzeitig befahl ich die dortige Infanterie zum Erer citium für den folgenden Tag. Alles ging gut und es zeigte ſich nicht die geringſte Spur einer gereizten oder

rebelliſchen Stimmung. Bei den Tſcherkeſſen iſt nämlich, wie bei vielen alten und neueren , beſonders muhameda=

niſchen Barbarenvölkern, die ſogenannte Blutradhe in Ge- : brauch. Auge um Auge, Zahn um Zahn, heißt es dann ,

und der nädyſte Verwandte des Ermordeten hat die heilige, nie zu verſäumende Pflicht, das vergoſſene Blut an dem

Mörder ſelbſt oder ſeiner Verwandtſchaft zu rächen. Dieſe uralte Sitte hat, wie leicht zu denken, bei dieſem ſchon von Natur leidyt reizbaren Volfe häufig zu den anhaltendſten

blutigen Auftritten Anlaß gegeben. Wie unheilvoll ſich hier zum Theil unſere Neuerungen bewährten, um ſo glänzender zeigten ſie ſich an den fürz

lich hergeſielten Redouten. Von ihnen ſagte einſt Lord Palmerſton : ſie dienten zum Schutze der ruſſiſchen Truppen gegen die Bergvölker ; ich kann aus Erfahrung jetzt ſagen : fie dienen zum Schuß der Bergvölfer gegen die ruffiſden See-Truppen. Die Ruſſen nämlich hatten fidy einfallen

laſſen, unter engliſcher Flagge im Juni 1858 an der Küſte entlang bis Gelenſchil zu fahren, wo ſie dann anferten und, als Alt und Sung herbeigeſtrömt war, plößlich die ruſſiſche Flagge aufſtedten und ein ununterbrochenes Kanonenfeuer

auf die erſchreckte Maſſe eröffneten. Es war ihnen nicht fremd geblieben, daß die Engländer bei den Tjderkefſen in großer Liebe und Achtung ſtanden, und da alle Verſuche zur Wiedernahme der leichtſinnig im Stich gelaſſenen Feſten ſcheiterten, ſo griffen ſie zu dieſer ganz widerrechtlichen, üb rigens echt ruſſiſchen Täuſchung.

Das

Bombardement

dauerte wohl gegen eine Stunde, dann wurde es ſchwächer,

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zuleßt fielen nur einzelne Schüffe. Ich war 4 Meilen von Gelenſchit, aber trotz der Entfernung konnte ich es ſehr gut hören, brach eiligſt auf und legte ſchon in 1 ' / 2 Stunde den ganzen Weg über Gebirge und Thäler faſt in geſtred tem Galopp zurüd.

Als ich anlangte , waren auch ſchon Tauſende von

Streitern herangezogen. Doch hier war auf den unver hofften Gruß nur mit gleicher Waffe zu antworten. Zwei Meilen vom Drte ſtanden 6 Kanonen unter dem Commando

Sefer Bajda's ; die Bedienungsmannſchaft beſtand aus Un garn , welche früher mit Klapka nach der Türkei geflüchtet waren .

Da die Kanonade das größte Unheil angerichtet

und ſchredlich, ſelbſt unter Frauen und Kindern , gewüthet hatte, ſo waren die Tſcherkeſſen in ihrer Verlegenheit auf:

Ueußerſte erbittert, daß Sefer Baſda mit ſeiner Batterie immer noch nicht zur Hülfe herbeieilte. Ich machte mich eiligſt auf den Weg und erſuchte Sefer Paſcha in freund lichem Tone, die Batterie doch ausrüden zu laſſen. Er ant wortete mir aber mit der größten Seelenruhe: er bekümmere ſich ſchon ſehr lange nicht mehr um die Tſcherkeſſen, da fie

ihm ja doch ſchon längſt den Gehorſam auffagten. Ich bat hierauf ohne Weiteres den Batteriechef Jacoby Bey, ehe maligen ungariſchen Offizier, ſeine Batterie auffißen zu laſſen und nach Gelenfchif auszurüden. So wurde denn Sefer Paſcha zum Glück für Tſcherkeſſien ſeine legte Waffe aus der Hand gewunden . Das herbeieilende Geſchüß that natürlich ſeine beſte Wirkung, um ſo mehr, da die Feinde auf ein derartiges Compliment gar nicht gefaßt waren ; und ſo war für diesmal der angerichtete Schaden für uns freilich ſehr bedeutend , der beabſichtigte Erfolg für die Ruſſen aber gleich Null. Ich ließ nun die Kanonen hier, wo ſie eigentlid bie beſte Wirkung hatten, unter dem Com mando des Jacoby Bei für immer ſtationiren. Kaum waren meine Anordnungen in Kraft getreten, fo näherte ſich auch

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feindliches Patrouillenſchiff mehr der tſcherkeffiſchen

tein

Küſte.

Zur Erläuterung des legten Vorfals will ich hier die früher verſprochene Charakteriſtik Sefer Baſda's geben. Er hatte, noch bevor ich nach Tſcherkeſſien fam , mehrere fremde

Offiziere, welche vom Sultan hierher geſdict waren, nach Conſtantinopel zum Sultan zurücführen laſſen, indem er fte anſchuldigte, mit dem Feinde unterhandelt zu haben ; dies war aber nur der grobgewebte Dedmantel ſeines eigenen Verraths, der häufig auffallend genug vor Augen lag. Die beſchuldigten Offiziere wurden, wie leicht zu denken, vom Sultan jedesmal freigeſprochen, und da ſie ſogleich in per fiſche Dienſte traten , hatte ich leider keine Gelegenheit, von ihnen nähere Angaben über Sefer Paſcha's Pläne zu erhal ten. Einſt erzählte mir ſein eigener Bruder, daß er nebſt acht jungen Mädchen, welche er verkaufen wollte, auf einer

Reiſe nach Stambul von den Ruſſen gefangen genommen wurde. Auf Vermittelung Sefer Baſda's ſei er aber ohne Weiteres wieder freigelaſſen worden . Die Mädchen frei lich hätten eine Verſorgung bei den Ruſſen finden müſſen. Als ich ihn nun fragte, ob denn ſein Bruder mit den Ruſſen

in ſo freundſchaftlichem Verhältniſſe ſtände, gab mir ſein pfiffiges Lächeln einen höchſt genügenden Aufſchluß. Jacoby Bey erzählte mir, daß Sefer Paſcha dem Detachement oft ein Fäßichen Branntwein zum Beſten gab, und daß dann ſtets

bald darauf ein unerwarteter Angriff von Seiten der Ruſſen geſchah. Auch ſei es ihm ſtets ein Räthſel geblieben, woher Sefer den Branntwein bezogen , wenn er ſich nicht die

ſelbſtredende Antwort : „ aus ruſſiſcher Quelle“ geben wollte.

Ein andermal ſei der Paſcha noch ſpät in der Nacht zu einem anderen Offizier gekommen , und habe dieſem aufge= tragen, einen Brief in das ruffiſche Lager zu beſorgen. Da diefer ſich gegen die verrätheriſche Zumuthung auf

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lehnte, ſo ſuchte ihn der Paſcha gleichfalls beim Sultan zu verdächtigen. Ich kam mit Sefer Paſcha ſpäter noch einmal zuſam= men, und auf ſeine Frage, ob denn das Volt wirklich dem Naib ſo ergeben ſei , und wie er denn bei dieſer unbeug famen Maſſe ſich ſo willigen Gehorſam verſchafft hätte, antwortete ich ihm kurz : „ Weißt du nicht, wie ein Vorge fetter, wenn er ſeine Achtung vergibt, die Disciplin ſeiner

Untergebenen von ſelbſt auflöſt, und wohin, im Gegentheil, ernſtes und würdevolles Benehmen ſelbſt ein rohes Volf führen kann ? " Da ich ſo unverhohlen genug auf ſein Be nehmen angeſpielt hatte, jo brad, er ein weiteres Geſpräch ab, und empfahl ſich mit einer artigen Berbeugung. Später theilte ich dem engliſchen Poſthalter in Bera, Mr. Bleß, dieſen Vorfall mit, und da er mit dem Redacteur der Times

korreſpondirte, wurde jener geſegwidrige Ueberfall der Ruſſen in einer Nummer der Zeitung behandelt. Seit dieſer Zeit haben die Ruſſen nicht mehr gewagt, unter dem erborgten Sdymude der engliſchen Flagge mit einer ſo erbärmlichen Hinterliſt die Feinde zu überrumpeln.

Ich kehrte hierauf in mein Quartier zurück, und weil ich mit der Ausbildung der Infanterie in der Gegend der

vier Redouten eigentlich zu Ende war, und ſchon nächſtens die Vorpoſten mit 5000 Mann zu beziehen beabſichtigte, ſtellte ich noch dyließlich verſchiedenartige Manöver an . Einſt hatte ich ein Nachtmanöver gehabt, und in einem Zelte von Waldſtroh, welches man aus großer Liebe für

mich aufgeſchlagen, übernachtet. Sogleich mit Anbruch des Morgens meldete man mir, der Fürſt ſei in der Nacht an =

gekommen und werde mich beſuchen ; und in der That, nach dem hellen Gruß zu urtheilen , der rings im Lager ertönte, mußte er ſdon im Anzuge ſein. Dieſe freudigen Ausrufe kamen auch ſchnell meinem Zelte ſo nahe, daß ich hinaus eilte, um Naib zu begrüßen. Statt des Fürſten fam ein

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ſtattlicher fremder Tſcherkeſſe mit dem freundlichen deutſchen Gruße auf mich zu : „ Guten Morgen, mein Freund, wie geht es ? " Dieſe Begegnung war allerdings überraſchend ; wie kommt dieſer Tſcherkeſſe zu dem fertigen Deutſch ? war die ungeſtüme Frage, welche auf mich eindrang und mich auf den unerwarteten Gruß ſprachlos verſtummen ließ. Er

kam meiner ſichtbaren Verlegenheit zu Hülfe, indem er ſich mir als Mutzenbeder vorſtellte. Hierbei will ich gleich be

merken, daß ſein eigentlicher Name Muſa Bey iſt (adeliger Fürſt, denn das Wort Bey Bertritt gleichſam bas Abels

diplom ) und daß dieſer Name von den Ruſſen wie von

den Deutſchen in der angegebenen Weiſe corrumpirt wurde. Mittlerweile war auch der Fürſt herbeigekommen und theilte

mir mit, daß Mußenbeder aus Preußen gekommen und zur Vertheidigung ſeines Vaterlandes wieder herbeigeeilt ſei. Anfangs wußte ich nicht, wie ich dieſen Worten Glauben fchenken ſollte; jedoch die entſchiedenen Abſichten , welche Mußenbeder während meiner Unterhaltung mit Naib im

fertigſten Deutſch hin und wieder ausſpracy, löſten alle Zweifel. Als ich mit dem Fürſten ſo viel als möglich dis cutirt hatte, begab ſich dieſer aus dem Zelte, in welches ich die beiden hohen Gäſte eingeladen, wieder in das Lager, und ließ mir Zeit zu einer ausführlicheren , höchſt inter eſſanten Unterhaltung mit meinem neuen Gaſte. 3d will hier verſuchen , den Hauptinhalt derſelben Seiten des be rühmten Tſcherkeſſen in directer Rede anzuführen : „Ich, ein geborener Tſcherkeſſe, wurde auf einem un glüdlichen Streifzuge von den Ruſſen verwundet und ge= fangen genommen. Man transportirte midy nady Rußland und ſtellte mich in St. Petersburg bei dem ſogenannten tſcherkeffiſchen Regimente ein. Die Sehnſucht nach meinem

Vaterlande aber ſowie der angeborene Haß gegen die Nufſen brachten in mir den Entſchluß zur Reife, bei der nächſten

Gelegenheit mit mehreren meiner Landsleute zu beſertiren.

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Da ich zugleich in Petersburg über Se. Majeſtät den König von Preußen das größte und allgemeine Lob hatte

ausſprechen hören, ſo verabredete ich mit meinen Genoſſen, an der preußiſchen Grenze unſer Heil zu ſuchen . ,,Eines Morgens, bei einer paſſenden Gelegenheit, ließ

ich meine Kameraden auffißen und in geſtredtem Galopp ging es Breußens Grenze zu. Als wir in die Gegend von Inowraclaw kamen, ſahen wir von weitem eine Esca =

dron Huſaren auf uns zureiten. Ich glaubte nicht anders, als daß man uns dieſe Escadron als Ehrenescorte ent

gegenſchicken wolle. Nach der Begrüßung jedodh, die uns von ihnen zu Theil wurde, enttäuſchte ich mich bald über meine heitere Vorausſeßung; man verlangte von uns nichts Geringeres, als die Waffen abzulegen. Dieſe Forderung zeigte uns, wie höchſt armſelige Begriffe die Preußen von des Tſcherkeſſen Ehre hatten ; wir antworteten auf die uns billige Zumuthung mit einem verächtlichen Lächeln. Die Gegner genirten ſich nun auch weiter nicht, ſondern hieben weiblich auf uns ein . Dieſen Angriff erwiederten wir auf tſcherfeffiſche Weiſe ſo nachdrüdlich , daß wir die ganze preußiſche Escadron alsbald in die traurigſte Unordnung brachten. Ich nahm hierauf in einer nahe liegenden Scheune eine vortheilhafte Dedung. Unmittelbar darauf erſchienen

zwei preußiſche Füfiliercompagnien, welche ein lebhaftes Feuer auf uns eröffneten. Meine Mannſchaft ſchmolz natürlich entfeßlich und war ſchließlich von 11 auf 4 Mann reducirt. Auf preußiſcher Seite , waren 32 Verwundete. Um mich herum lagen meine Kameraben im Blute.

3d felbft war

nicht mehr vertheidigungsfähig, denn ich erhielt eine Rugel durch die Bruſt, die zum Glüd an einer Medaille abpralite, eine durch die Baden, eine durch das linke Bein und einen

Säbelhieb quer über den Mund. Åls uns nach dem an geſtrengteſten Widerſtande die Kräfte verlaſſen hatten, wurden wir in ein Hospital geſchafft.

Nach unſerer Wiederhers

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ſtellung führte man uns vor ein Schwurgericht, wie ſie es nannten .

Wir wurden als „ Räuber und Mörder“ anges

klagt. Wir faßen auf einer Bank , rings mit einem Gitter umgeben , welches mich an unſere tidherkeſfiſchen Schafſtälle erinnerte und mich im Unklaren ließ , ob dies ein beſonde

rer Ehrenplatz oder vielmehr eine verhöhnende Anſpielung auf unſer geduldiges Weſen ſein ſollte. Später erfuhr ich,

daß es die Sünderbank war.

Nadidem unſer Anwalt ſich

ſehr ereifert und einen entſeßlichen Lärm angeſchlagen hatte, ſo daß ihm der Schweiß von der Stirne rann, und ich ihn mit den Worten beruhigte : „Iſt ja gleich, ob Todtſchießen oder 10 Jahre, Herr Doctor !" hieß es ſchließlich: „ als Ruheſtörer." Alle Zuhörer, in ungeheurer Menge hier verſammelt , waren auf das Schlußwort dieſer Sißung ge ſpannt, und endlich hieß es auch: ,,Smuldig " und „,4 Jahre Strafgefangene.“ ,, Ich verſtand damals zu wenig Deutſch und glaubte „ſtets Gefangene“ gehört zu haben. Da überkam mich doch ein ſehr unbehagliches Gefühl und ich hätte mich in dieſem Augenblic lieber nach Rußland zurück gewünſcht. Wir wurden hierauf ſogleich nach Danzig abgeführt , und dort faſt täglich von den Einwohnern als eine Rarität beſucht. Ich fand es hier indeß bald weit beſſer, als ich mir ge =

dacht hatte , denn ich durfte in der Stadt umherſpazieren, wie es mir beliebte. Alles wie in Tſcherkeffien ; in keinem Fremdenhaus oder Wirthshaus, wie es dort heißt, brauchte

ich Etwas zu bezahlen.

Auch erhielt ich ſehr viele Ein

ladungen und manche anlodende Geſchenke von den Damen, welde ich bald für fehr liebenswürdig zu halten den uns

trüglichſten Anlaß erhielt. Man machte uns oft fogar das heimliche Anerbieten , uns auf einem Kauffahrteiſchiffe nach

Stambul zu befördern ; wir ſehnten aber dieſe Freundlichkeit jederzeit ab , da wir dem Könige von Preußen treu bleiben und unſere vierjährige Strafe , die ich jeßt endlich richtig

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begriffen hatte, vollſtändig abbüßen wollten, zumal mir dieſe Strafe jeßt viel angenehmer wurde, als es ſelbſt die ehren vollſte Stellung in Rußland geweſen wäre." ,, Nachdem wir nun unter den beſten Berhältniſſen un

fere vier Jahre beendet hatten, wurden wir in Freiheit ge feßt . Die ruſſiſche Regierung hatte inzwiſchen unſere Aus

lieferung beanſprucht, welche die preußiſche Regierung unter der Bedingung vollziehen wollte , daß eine weitere Beſtra

fung über uns nicht verhängt würde. Rußland , dem eß Doch eigentlich nur hierum zu thun war, wollte darauf nicht

eingehen und ſo blieben wir denn in der neuen Heimath. Wir begaben uns jegt nad Berlin und mein erſter Gang war zu dem verehrten Landesherrn.

Als ich das Palais

betrat, wurde id ringe mit ſtaunenden Blicken gemuſtert, und ein Diener wies mich nach dem Kabinet , in welchem

ſich gerade der König aufhielt. Die Schildwache hielt mich mit der Frage an : ,,Wo wollen Sie hin ? " – „ 3u Friedrich Wilhelm , König von Preußen," antwortete idy ſchnell, und da der Poſten mich wohl für einen außerordentlichen Fremden oder wegen meiner tſcherfeffiſchen Kleidung gar für einen Hofnarren hielt , fo burfte id) ungehindert das Zimmer be treten. Se. Majeſtät empfing mich gnädigſt mit den Wor=

ten : „ Willkommen , mein lieber Tſcherkeſſe!" Nach einer längeren Unterhaltung erbat ich mir meine und meiner Ka meraden Waffen zurück. Se. Majeſtät wollte aber hierauf nicht eingehen, ſondern wünſchte aus beſonderer Gnade uns ſogleidy im töniglichen Marſtall anzuſtellen. Da ich ſelbſt nod nicht mit mir einig geworden , wohin ich jeßt gehen

follte, ſo nahm id das Anerbieten mit Dank an."

,,Daſſelbe Leben , wie ich es in Danzig genoſſen , be gann auch wieder in Berlin , nur in nod größerem Maß ſtabe, und ich fann ſagen , daß ich von meinem dortigen Aufenthalt ſehr angenehme Erinnerungen geſammelt habe.“ ,,Später ging ich nach England , und von dort aus

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nad Conſtantinopel, wo ich während des Krimfeldzuges als Major in türkiſche Dienſte trat. Nach Beendigung des Krieges privatiſirte ich und verzehrte auf dieſe Weiſe mein in Preußen erworbenes Geld. Als dieſes zu Ende ging, und ich noch überdies erfuhr, daß der erſte Adjutant Naib's

ein Preuße ſei , fdhiffte ich mich wieder nach Tſcherkeſſien ein .“

Manchem meiner leſer wird dieſer Bericht unſeres Freundes etwas fabelhaft vorkommen, und mir ſelbſt erſchien er fo. Aber noch in vielen ſpäteren Gefechten hatte idy Gelegenheit , ihn durch die unübertrefflide Tapferkeit und Gewandtheit der tſcherfeffifden Reiter glänzend beſtätigt zu

finden. Nach jener heiteren Unterhaltung berathidlagte ich mit Naib und ſtellte ihm vor, ob er nicht Mußenbeder zum Generalcommandanten der vier Feſtungen am (dwarzen

Meer ernennen wollte, während ich noch den Vorpoſtendienſt weiter einzuüben gedachte. Nicht nur dies geſchah, ſondern er wurde auch auf Grund der vielen Erfahrungen , die er

auf ſeinen Reiſen , beſonders in Preußen , geſammelt hatte, zum Ortsridyter eines Kreiſes ernannt.

Capitel 11 .

Alarmirung. Attaque der Ein ruſſiſcher Kriegsſchiff landet. Cavallerie - Angriff. Rückzug des Feindes. Tſcherkeſſen. Anlegung von Ver Reiſe in's Innere des Landes.

ſchanzungen . - Glüdliches Gefecht mit den Kuſſen. - Gefecht bei Jeſek.

Am anderen Morgen kehrte eine Batrouille , welche

längs des Strandes fich hingezogen hatte, mit der Meldung zurück, daß ein ruſſiſdes Kriegsſchiff von Anapa aus ſich

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unſerem Thale nähere. 3 begab mich hierauf felbft an den Meeresſtrand und beobachtete durch ein Fernrohr eben

falls, daß das feindliche Schiff die Richtung auf unſer Thal genommen hatte ; nach Anzahl der an Bord befindlichen Geſchüße konnte es etwa 500 Mann Befaßung faſſen. Ich

ließ ſogleich alarmiren und die Bewohner der Gehöfte, weldje wegen ihrer Nähe an der Küſtedem unzweifelhaften Bombardement zuerſt ausgelegt waren , mit Bab und Gut abziehen. Dieſer Plaß war für einen Angriff ganz beſon ders günſtig, was auch die Ruſſen ſehr gut wußten, da fie in früheren Jahren zu verſchiedenen Malen hier gelandet waren. Unverkennbar beabſichtigten die Feinde jeßt wiederum einen Ueberfall, denn die Boote, in welchen die Mannſchaft

das Land beſteigen ſollte , wurden plößlich losgebunden. Alles ſtand auf dem Deck unter Gewehr. 3eßt hielt das Schiff in einiger Entfernung von der Küſte, ohne Anker zu werfen.

Das Thal lief nach der Küſte aus ; zu ſeinen beiden Seiten erhoben ſich hohe , ſteile Felswände , deren eine ſich an einer Stelle etwas krümmte und ſo der hier gelegenen Ortſchaft eine Art Dedung bot ; ſie konnte jedoch in drä ger Richtung von dem Feinde beſtrichen werden. Die Stärke meiner Truppen betrug 400 Mann Infanterie und 70 Mann Cavallerie. Auf den Höhen , in einiger Entfer nung vom Rande der beiden Felswände, ließ ich Tirailleur

linien formiren und ſtellte die mir noch übrigen 100 Mann Infanterie im Grunde des Thales als erſtes Treffen auf. Sodann folgten als zweites Treffen die 70 Mann Cavallerie. Die Tirailleurs auf den Bergen avertirte ich , daß, ſobald

id das Signal zum Retiriren gegeben, fie nach dem Rande der Felswände avanciren und dem vordringenden Feinde in die Flanten fallen ſollten.

Der Feind ſchien fich ganz ſicher zu fühlen , als er ben mit ihren Heerden abziehenden Thalbewohnern nachſahi

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meine Aufſtellung konnte er jedoch nicht beobachtet haben. Als 6 Boote gelandet waren, befanden ſich wohl 200 Mann dhon auf dem Lande. Der Feind rückte jeßt mit einer Tirailleurlinie in das Thal vor.

Da dieſe fich links und

rechts an den Abhängen entlang 309 und Miene machte, die Gipfel der Berge zu gewinnen , ſo gab ich das oben erwähnte Signal, worauf meine Tirailleurs vorrüdten und auf

die unvorbereiteten und deđungsloſen feindlichen Tirailleurs und fließlich auf das Gros ein kräftiges Feuer eröffneten.

Zugleich machte ich mit dem zweiten Treffen der Cavallerie eine Attaque auf das Gros , die aber abgeſchlagen wurde, da meine Cavallerie von der ruffiſchen Infanterie in Carré formation mit einer Salve begrüßt wurde. Der zweite Angriff wurde bedenklicher und der Feind gezwungen , ſichy nach der Küſte zurüdzuziehen . 3d ließ die Tirailleurlinie auf der rechten Seite des Thales ſchnell durch ſämmtliche Infanterie verſtärken und auf den Feind , welcher in dem zunächſt gelegenen Thale eine neue Poſition gewinnen wollte, ein kräftiges Feuer

eröffnen.

Durdy dieſen wirkſamen Flankenangriff ſah er

ſich gezwungen , den Plan aufzugeben und ſo dined al8

möglich die Boote wieder zu beſteigen. Dieſen günſtigen Moment benußte ich und macyte auf den retirirenden Feind einen Cavallerie - Angriff.

Mein Verluſt war aber nicht

geringer als der des Feindes, da wegen des durch die Küſte und die anſtoßenden Berge beengten Terrains meine Reiterei

nidyt völlig aufmarſchiren , ſondern nur als ein 311g ein hauen fonnte. Die noch im Thale befindlichen nachdringen den Reiter litten ſtark burdy das vom Schiff aus auf ſie

gerichtete Ranonenfeuer. Im Ganzen hatte ich 14 Todte,

11 ſdwer und 9 leicht Verwundete. Der Verluſt des Fein: des war nicht zu berechnen , da er ſeine Todten wie Ver

wundeten auf die Boote ſchaffte , und nur 7 Todte in un

ſere Hände fielen. Mein Wunſch war von jeher geweſen, 17

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auf dieſen ſteilen Anhöhen Batterien zu errichten.

Aber

leider fehlte es mir an Kanonen und an Zeit, die vorläufi gen Einrichtungen hierzu zu maden. Dem Feinde wäre es dann unmöglidy geworden , ungeſtraft derartige Ausflüge zu wiederholen . Aber gut Ding wild Weile haben und mein Troſt iſt, daß , ehe Rußland Tiderkefſien vollſtändig

erobert, doch noch mander Guttaperdja - Soldat anzuſchaffen wäre.

Wie (dyon bemerkt, erhielt Muſa Bey das Commando der Truppen in den Feſtungen , und ich reiſte jegt (am 1. Mai 1858) mit Ismail und Suleiman Bey und den 5000 Mann Infanterie in das Innere des Landes der

Grenze zu . Naib blieb mehrere Tage bei uns und fehrte dann nach ſeiner Reſidenz zurüc. Auf dem diesmaligen Wege fand ich ſehr fruchtbare Gefilde und ſchönen Wieſengrund bis zu der Gebirgskette, in deren Nähe fid) die bereits oben erwähnte ruſſiſdie Grenz feſtung befand. Ehe ich die Vorpoſten ſelbſt bezog , übte ich die Mann djaft ned 14 Tage in Anlegung von Ber danzungen , Wolfegruben und anderem Pionierdienſt, indem

id Bäume abhauen und Brücken über kleine Gewäſſer, fo

gut es gehen wollte , ſdylagen ließ. Dann formirte ich erſt eine ſehr ſdywadie Vorpoſtenkette und ſtellte die erforderlidhen Ein ernſter Angriff war jeßt eigentlich vom Feinde nicht zu erwarten, da es noch lange Zeit hatte, bis das Laub von den Bäumen fiel. Doch unterließ ich

Feldwadyen aus.

nidyt, zahlreidye Recognoscirungs- und Sdyſeid patrouillen zur Uebung auszuſchiden , wobei es oft zu einem heißen Scharmütel fam .

So machte mir einſt eine Schleichpatrouille die Mel dung , daß faſt täglid, eine feindliche Recognoscirungs patrouille, etwa 1 Compagnie ſtark, am Abhange der Ges birgsfette in einem Obſtgarten Rendezvous mache.

3

beſchloß demgemäß eines Tages , dieſer Batrouille einen Bea

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ſuch abzuſtatten , und rüdte nebſt Suleimam Bey mit 40 Reitern und einer Avant- und Arriere- Garde von 32 Mann

Infanterie nach dem Obſtgarten aus. A18 wir das Ge birge erreichten , brachte man mir die Meldung , daß der

Feind etwa 200 Mann ſtark hinter dem Dickicht des Buſch werkes die Gewehre zuſammengeſetzt, an der Außenſeite des Gebüſches Boſten und an dem über das Gebirge führenden Wege eine Wache ausgeſtellt habe. Wir konnten alſo nicht weiter vorwärts und mußten beinach auf Seitenwegen die

Wadie umgehen. Schritt auf dieſe Weiſe noch 1/2 Stunde, ehe ich das Gebirge unbemerkt überfdyreiten konnte. Ich ließ nun die Infanterie auf den Höhen zurück,

um mit dieſer den Kampf ſpäter aufzunehmen ; mit der Cavalerie wollte ich dem Feinde in den Rücken fallen. Wir ritten zu 3 abgebrochen und ſo viel als möglich von

dem Buſchwerk gebedt.

Plöglich bemerkte uns ein Poſten

und gab den Signalf(yuß. Das Avertiſſement war aber dhon zu ſpät , denn auf ein verabredetes Zeichen mit dem

Säbel ließ ich die Cavallerie in Front aufmarſchieren und in geſtredtem Galopp den erſchredten Feind angreifen. Es liefen Viele ſogleich in das Gebirge, Andere griffen zu den Gewehren , Andere zu den Helmen und ſtürzten ohne Ge wehre davon. Das Unerwartete des Angriffs und die daraus erfolgende Vertheidigungsunfähigkeit that hier nicht

weniger als die gut gezielten Hiebe meiner verfolgenden Cavallerie. Während noch rechts und links ein Ruſſe unter Säbelhieben zuſammenſank, hörte ich auch ſchon ein luſtiges Tirailleurfeuer vom Gebirge her. Der Feind war hier alſo wieder auf unerwarteten Hinterhalt geſtoßen , hätte

freilich meine Infanterie , wegen ihrer kleinen Anzahl, noch überwältigen können , zog es aber aus Furcht vor einem neuen Ueberfal vor , das Gebirge ganz zu verlaſſen , und ſich rechts am Abhange deſſelben zurückzuziehen. Hierbei

erhielt er von meinen nad;folgenden Tirailleurs noch hin 17 *

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und wieder einen kleinen Nachgruß. Ich ließ jedoch ſam meln und kehrte mit formirter Arriere- Garde in das Lager zurüd.

Ich hatte 3 leicht Verwundete von der Cavallerie

und 2 von der Infanterie , außerdem 1 Todten und einen Verluſt von 6 Pferden. Der große Verluſt an Todten, den der Beſitzer der Guttaperchaſoldaten hier wieder erleiden mußte , iſt durch den gelungenen Angriff meiner Cavallerie erklärlich. Außerdem erbeuteten wir über 60 Gewehre, ebenſoviel Helme und 2 Trommeln. So geht es , wenn man in anderer Leute Obſtgärten die Bäume bepflückt! Ein ähnliches Gefecht hatte ich bei Jefet , einer Ort daft von mehreren Gehöften , welche wegen häufiger Be unruhigungen ruſſiſcherſeits von den tſcherkeſſiſchen Bewoh= nern verlaſſen worden war.

Da ich von der Zeit an, wo

ich die Vorpoſten bezogen , ſtets zahlreiche Patrouillen aus dhidite , ſo wurde der Feind aufmerkſam und verſäumte nicht, ebenfalls häufig bedeutende Recognoscirungspatrouillen auszu=

ſchicken , die gewöhnlich die erwähnte Ortſchaft zu einem Ren= dezvous benutten. Eines Tages machte man mir die Meldung,

daß ein Trupp von 5 – 600 Mann mit den gewöhnlichen Sicherheitsmaßregeln auf dieſe Ortſchaft im Anmarío fei. Ich madyte mich bald hierauf mit Suleiman und 38mail

Bey , fowie mit 230 Mann Cavallerie und 150 Mann Infanterie auf den Weg.

Vorher hatte ich unverzüglich

eine Schleichpatrouille entſandt , die bald mit der Meldung zurüdkehrte , daß der Feind bereits die Gehöfte beſeßt und länge des Grabens eine Poſtenkette ausgeſtellt habe. Die

feindlichen Patrcuillen ſowie die Ablöſungen kehrten auf einem offenen Wege nach dem mittleren Gehöfte zurück, auch brenne in den Häuſern ein Feuer , was deutlich aus dem aufſteigenden Rauche zu erkennen fei.

Da es ſchon Nacht geworden war, und der Feind über haupt, troß ſeiner guten Stellung, auch die größte Vorſicht anzuwenden ſchien , jo hielt ich es für rathſam , einen An

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griff zu unterlaſſen und bis auf den Morgen zu verſchieben. Ich zog mid deshalb, unter Zurüdlaſſung von 2 Cavallerie Sdleidipatrouillen zur Beobachtung der etwaigen Bewegun

gen des Feindes , zurück, und ſeşte mich nad Mitternacht wieder in directen Maríd zu den Gehöften. Unterweges ſtieß eine Schleichpatrouille mit der Meldung auf mich,

daß der Feind ſeine Stellung weiter nicht verändert habe. In dem mittleren Gehöfte müſſe das Gros liegen , da aus demſelben Leute zum Waſſerholen abgeſdhidt wären. Auch eine Patrouille ſei von hier noch abgegangen , aber nach 12 Uhr wieder zurückgekehrt. Etwa eine Stunde vor dem

feindlichen Lager detachirte ich 2 Truppe von je 80 Mann. Der eine , unter dem Commando Suleiman Bey's , hatte den Auftrag , als recytes Flankendetachement vorzugehen, den Fluß , in den der Bach ablief , über eine etwas weiter gelegene Brücke zu paſſiren , und dann, im Verein mit 38

mail Bey , dem Feinde in den Rücken zu fallen. Der an dere hatte, als linke$ Flankendetachement, den Auftrag, übe den ſchmalen Bach zu reiten , und auf einem nahen Kirdy hofe Halt zu machen. Da Suleiman Bey einen viel wei teren Weg zu machen hatte , ſo ließ ich Ismail Bey erſt

ſpäter aufbredjen. Nach meiner Abſicht befanden ſich alſo dann dieſe Detachements im Rüden des Feindes. Ich hatte fie ferner inſtruirt, daß ſie erſt auf eine Salve und nicht auf ein ausbrechendes Tirailleurfeuer ihren Poſten verlaſſen und den Feind in der Queue angreifen follten . Als ich glaubte , daß die Detachements ihren Marſch zurücgelegt hätten , brach ich ſelbſt auf , mit der Abſicht,

den Feind über den Bach aus ſeiner günſtigen Stellung zu loden. Der anbrechende Morgen fäumte ſchon den Horizont, als ich zu den Gehöften vordrang, und als die ausgeſchwärm ten Schüßen das Gefecht eröffneten , war es ſchon heller

Tag geworden. Die au &geſtellten feindlichen Poſten zogen ſich ſogleich zu einer Tirailleurkette zuſammen. Zugleidy

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rüdte ein ſtarker Soutien aus dem Gehöfte aus , und die übrige allarmirte Mannſchaft blieb unterm Gewehr , ohne

daß der Feind irgend weiter Miene machte, uns zum Rüd= zug zu nöthigen, was id) eigentlich beabſichtigte. Auf jeden

Fal mußte id), ſelbſt wenn mein Plan fehlſchlug , meine Detadrements in Wirkung bringen , und gab deshalb , nach dem ich bis zum Badie ſchnell avancirt war, die verabredete Salve. Die feindlichen Tirailleure zogen ſich ſogleich zur rück, und das erſte Treffen ſchloß ſich als Schüßen in die Intervalle dem Soutien an.

Nad ) der Salve hatte ich

Kehrt gemacht, und verließ im Marſdmarſch den Bach. Hierbei erhielten wir auch eine feindlide Salve, burdy welche mir mein Pferd unter dem Leibe weggeſdoffen wurde. Zu

gleich ließ der Feind ſeine nach beiden Flanken ausgedehn= ten Tirailleure vordringen , und nöthigte ſo meine Schüßen

zu einem unverzüglichen Rüdzuge aus dem Badhe. Es war jest hohe Zeit , daß ich etwas von meinen

Detadrements zu ſehen bekam , denn ohne deren Ankunft konnte id) einen zweiten Angriff nicht wagen, da ich durch den erſten ſchon eine bedeutende Mannſchaft verloren hatte.

Plötzlich ſah ich , wie das zweite Treffen (das Gros) ſich im Marſdımarſd nach dem mittleren Gebäude zurüdzog , ein Zeichen , daß ſich ein Detachement hatte bliden laſſen . Audy das erſte Treffen trat ſeinen Rüdzug nad einem ſeitwärts liegenden Gebäude an. 3d) rügte ſogleich vor und gab dem erſten Treffen noch eine Salve mit auf den

Weg. Mit meinen 70 Mann Cavallerie avancirte ich zu Indeſſen ſtand der Feind ſchon in einem gånzlich retirirenden Verhältniß und das Gros be

der Mitte des Gehöftes .

fand ſich bereits mit meinem linken Flankendetachement 38= mail Bey im Gefechte. Er hatte demnad, feine Zeit mehr,

ein Carré zu formiren , ſondern zog ſich eiligſt über die hinter den Gehöften gelegenen Wieſen , die mit ſehr dichtem Gebüſch durchſtreut waren , nach einem Walde ab.

Bis

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hierher verfolgte ich ihn mit meiner Cavallerie, und ein

großer Verluſt bezeichnete den confuſen Rückzug. Das erſte Treffen aber war auf keinen weiteren Widerſtand , wie ich es von Seiten Suleiman Bey's vermuthete , geſtoßen und hatte gegen meine es bedrängenden Tirailleure Keyrt gemacht.

3dh eilte ihnen deshalb mit meiner Cavallerie zu Hilfe, und da der nun abziehende Feind wegen des Kreuzfeuers (von

den Tirailleuren und 38mail Ber) nothwendiger Weiſe einen Bogen machen mußte , ſo hatte ich noch Zeit , ihn zu erreichen und mit dem größten Verluſte in die Flucht zu idylagen. Hierauf fehrte ich nach den Gehöften zurück, da

bei den Gebüſchen , wo kaum noch Infanterie hindurch fonnte, gewiß für mich keine Lorbeeren mehr zu pflücken waren.

Hinter dem Gehöfte , wo ich zugleich mit meinem linken Flügelbetadement zuſammentraf, war der Plat didyt mit

Todten bedeckt, was um ſo weniger befremden kann, da der

Feind kein Carré mehr formiren und alſo an Widerſtand gar nicht denken konnte. Hier hieß es nur : Sauve qui peut in die Büſche ! Jegt erſchien auch Suleiman Bey, der auf ein unvor

hergeſehenes Hinderniß geſtoßen war.

Er hatte nämlich

eine Brüde zu paſſiren ; dieſe hatte der Feind aber , aus

mir unbekannten Gründen , durch die erwähnte Batrouille noch in der Nacht zerſtören laſſen. So mußte er noch etwa

3/4 Stunden weiter reiten , ehe er eine paſſirbare Stelle fand. Wir ſuchten jeßt unſere Tobten und Verwundeten auf, und traten ſchnell den Rückzug an. Dies that ich nur, um den Feind ſeine Bleſſirten nadyholen zu laſſen , was ich natürlich vor den Ticherkeſſen nicht laut werden ließ. 3d will hierbei bemerken , daß der Tſcherkeſſe feindliche Ver wundete wie Todte auf der Stelle liegen läßt , ohne ſich

weiter um ſie zu bekümmern.

Unſer Verluſt beſtand in

22 Todten , 14 leicht und 3 ſchwer Verwundeten , ſowie 5 tobten und 9 verwundeten Pferden. Da hier wieder

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meine Cavallerie hatte einbauen können, ſo war der bedeu tende Verluſt, der ſich aus dem gegebenen Ueberblice be: urtheilen läßt , leicht erklärlich. 3d muß zur Erläuterung

noch hinzufügen, daß der tiderkeffiſche Reiter eine ungeheure Schnelligkeit im Laden während des Reitens beſigt. Bei dem Angriff greift er mit der Rechten nady dem Piſtol und nimmt Zügel und Säbel in die linke. Hat er ſeinen wohlgezielten Sduß abgegeben , ſo läßt er das durch einen Riemen an den Sattel befeſtigte Piſtol ſchnell fallen und haut wie ein Blit mit dem Säbel unbarmherzig ein. Was demnach in die Nähe der tſcherkeſfiſden Cavallerie kommt, iſt meiſt verloren.

Capitel 12. Beſchreibung des tſcherkeſſiſchen Lagers.

Ein Spion , fein Vers

hör und ſein Tod . Kampf mit den Ruſſen am 5. Juli Verwundung des Inglis Paſcha. 1858 . Rüdzug der Ruſſen . Rüdkehr nach Deutſchland. Schiffbruch.

Nochmalige Einſdiffung, Erkrankung und Abſegung auf Malta. It is all paid . Ankunft in London und Nückkehr nach Deutſdland .

Nadidem ich den Leſer mit dieſen wir faſt täglid, bekamen , unterhalten eine Beſdireibung des Lagers geben. Lagers befand ſich die Lagerwache, zu

Scharmüßeln , deren habe , will ich jetzt An der Front des

beiden Seiten Flan

kenwadyen, und an der Queue ſtand die Brandwadhe. Por

der Lagerwache war das Piquet und Repli , und unmittel

bar vor dieſem die Laufgräben. Sodann folgten die Feld waden , die zwiſchen je zwei Wolfsgruben ihre Stellung hatten. Dieſen parallel lief ein Graben , der von einem

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Fluß abgeleitet und mit Holzreiſig und Raſen zur Täuſchung des Feindes forgſam bedeckt war. An einzelnen Stellen jedoch war er pafſirbar, und zu dieſen führten kleine Lauf

gräben aus dem größeren. Sollte der Feind wirklich bis zu dieſem mit Waſſer gefüllten Graben vordringen, ſo konnte

man noch ſchnell die einzelnen Stellen ebenfalls für den Uebergang unbrauchbar machen . Zwiſchen diefem abgeleiteten Graben und den urſprünglichen Fluſſe befanden ſich eben

falls Wolføgruben. Der Fluß dagegen , auf welchen der Feind zuerſt ſtoßen mußte , wurde von den Vorpoſten zur Dedung benußt. Das ganze Terrain war überdies nodi von der rechten Seite durch einen breiten Strom ( Bsiset von den Tſcherkeſſen genannt) gedeckt, über welchen , in der Nähe der Feldwadyen, eine Brüde geſchlagen war. An ihr war eine ſtehende Patrouille, um bei Annäherung des Fein= des die Brücke ſogleich abzubredjen . Die einzelnen Ba trouillen überſdritten auch an dieſer Stelle den Strom , um den Feind von der rechten Seite zu beobachten. Sie 302

gen ſich nun an den Strom , bis zu einer Stelle entlang , wo ebenfalls eine Brücke geſchlagen , aber durchfägt war. Durch allerlei bekannte Manipulationen wurde der Feind glauben gemacht, daß die Brüde paffirbar ſei und überhaupt den einzigen Uebergang in das Lager biete. Die Front decten ſanft anſteigende Höhen und in der linken Flanke

zogen ſich mehrere hohe Berge entlang . Alle dieſe decen den Poſitionen wurden von ausgedehnten Vorpoſtenlinien überwacht.

Dem Feinde war es eigentlich gar nicht möglich, dieſes

Lager zu nehmen. Nahm er den von den Vorpoſten be ſetten Graben , ſo wurde ihm dieſe Eroberung und ſein Avanciren durch die jeßt folgenden Wolføgruben ſehr ſchlecht

gelohnt. Namen auch hier Einige mit heiler Haut davon, ſo verfielen ſie um ſo unfehlbarer der Tücke des mit Raſen gedecten Grabens. Arbeiteten ſich auch hier wieder Einige

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hindurc), ſo machte ihnen ein mörderiſches Feuer aus dem großen und kleinen Laufgraben ein fidyeres Garaus. So ſchön nun auch das Ganze angelegt war , was

wegen des großen Mangel& an Handwerkszeug ungeheure Sdywierigkeiten dargeboten hatte , ſo waren doch alle unſere Arbeiten ganz vergebens , da der Feind von allem unſeren

Beginnen ſtets unterrichtet war und deshalb keinen Angriff unternehmen mochte. Hierzu bot ein tſcherkeſſiſcher Spion die Hand ; dieſer war früher einmal in ruſſiſche Gefangen

ſchaft gerathen und dann in ruſſiſche Dienſte getreten , ſo daß er die fremde Spradie vollkommen gelernt hatte. Im Jahre 1847 war er wieder in ſeine Heimath zurüdgekehrt, 1

aber in ſeinen Sitten wie in ſeiner Kleidung konnte man eine bedeutende Veränderung bemerken ; auch ſeine Vermö=

gensumſtände hatten eine auffallende Wendung genommen. Seine Nachbarn konnten ſich nicht erklären , woher ihm ſo plößlich dieſer geheimniſvolle Reichthum zugefloſſen , und machten ſich allerlei ungünſtige Vermuthungen. Da ſein Gehöft ſo hart an der Grenze lag , wunderte es midy , bei

einem Beſuche, außerordentlich, daß er ſeinen Wohlſtand ſo völlig ungeſtört gegen die Feinde hatte behaupten fönnen. 3ch rief alſo einſt Suleiman Bey bei Seite , und brachte

dies verdächtige Räthſel auf's Tapet. „ Man ſagt, er ſpio nire," antwortete dieſer kurz mit einem vielfagenden Achſel zuden. Auf ſorgfältige Nachfrage bei den Nachbarn dieſes Doppelgängers erfuhr idy, daß er ſehr oft bei Anbruch des Tages von der Grenze zu ſeiner Wohnung zurücfebre. Um untrüglichen Aufſchluß hierüber zu bekommen , poſtirte ich

eine Batrouille in die Gegend ſeiner Viehweiden, über welche er , wie man ſagte , gewöhnlich den Rüdweg einzuſchlagen pflegte. Dieſer gelang es am 4. Tage endlich, die untrüg= lidyſten Beweiſe feiner nächtlichen Beſuche zu den Ruſſen zu erhalten. Er war gegen Abend ausgegangen und wurde jo bei ſeiner Rückkehr aus dem feindlichen Lager abgefaßt.

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Man hatte ihm ſogleich die Waffen abgenommen, und in dieſem entehrenden Aufzuge mußte er neben ſeinem Pferde einherlaufen. Dies war alſo das Zeichen, daß man ſoeben

es einen Spion arretirt; den Zulauf und die Wuth der Tſcher keſſen kann man ſich denken. Als er zu mir geführt wor den war , nahm ich ihn in Gegenwart Suleiman und 38= mail Bey'8 in nachſtehendes Verhör: 3 : Was haſt Du auf der Grenze heute Nacht allein gemacht ?

Spion : Mir iſt ſchon mehrere Male Vieh geſtohlen worden , und ich lag deshalb auf der Lauer , um den Dieb om es zu erwiſchen. 30 : Haſt Du denn Deine Wächter nicht hierzu ? Spion : 3a , aber ich verdächtige ſie ſelbſt des Diebſtahls.

30 : Woher haſt Du Deine Reichthümer ? Spion : Von einem ruſſiſchen Offizier, dem ich wäh=

rend meiner Gefangenſchaft treu diente, und der mir bei ſeinem Tode eine ſehr große Summe ausſeşte. 3 : Faſt Du noch von dem Gelbe ? (Hier ſtodte

die Antwort.) Haſt Du Geld bei Dir, oder haſt Du alles de zu Hauſe ? Spion : Das werde ich mich hüten Jemandem zu

i ſagen ; ſonſt ſtehlen ſie mir mein Geld auch noch. Ich befahl hierauf , ihn zu viſitiren ; es fanden ſich 11 Silberrubel bei ihm vor. Ich : Wo haſt Du dies Geld her ? Spion : Aus Rußland mitgebracht. 3 : Rannſt Du leſen ?

Spion : Ja , ein wenig.

(Ganz fonnte er es nicht

ableugnen, da er für einen Effendi bekannt war.) 3ch : So lies die Sabreszahl.

Spion : Ja , die kenne ich nicht. 30h : Dein Ruſſe muß ſich aber ſehr geirrt haben,

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da er Dir Rubel vom Jahre 1850 hinterließ , und doch ſchon 1847 ſtarb. Bekenne alfo , ſonſt (dide id ; Dich zu

den Leuten hinaus , die Dir bald das Garaus machen würden.

Spion : Ich habe ſie die Nacht von einem ruſſiſchen Viehhändler , den id auf der Grenze traf, für zwei Ochſen erhalten .

3 d : Haſt Du ſonſt kein Geld mehr ? Spion : Nein ! Das iſt Alles , was id; beſite. Ich ſdhidte hierauf Suleiman Bey zur Hausviſitation nach dem Gehöfte ab. Nicht lange hierauf fehrte er mit etwa 700 Silber - und Papierrubeln zu mir zurück. 3

: Woher haſt Du dieſes Geld ?

Er konnte nidyt länger leugnen und verſpracy, Adler zu bekennen , wenn id) ihn nur nicht dem Volke übergeben wollte. Ich ſagte ihm dieſes zu mit dem Bemert, daß ſeine Beſtrafung lediglich von Naib abhängen würde. Hierauf

erzählte er , daß er oft nady dem ruſſiſchen lager gegan gen ſei.

3d : Haſt Du dem Feinde audy die Beſchaffenheit unſeres Lagers entdeďt ?

Spion : So Etwas.

Id verließ hierauf mein Zelt und berieth mich mit Suleiman Bey in Betreff des Spions. Ich war entſchloſſen, ihn hinrichten zu laſſen und das Geld an Naib zu über ſenden. Ich ließ ſogleich allarmiren und die Truppen ſid in Carréformation ſammeln. Suleiman Bey ſtellte hierauf dem Volfe in tícherteſfiſcher Sprache vor , wie nun ſchon ſeit mehreren Jahren durch ſolch abſcheulides Handwerk dieſes Spions viele Familien überfallen und in's Unglüd geſtürzt ſeien , und daß er für ſeinen Verrath am Vater lande jeçt endlich ſeine Strafe erleiden werde. Nach dieſer

Standrede wurden dem Verbreder die Augen verbunden und 6 zu der Erecution deſignirte Mann traten aus dem

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Carré hervor , welche ihn auf ein gegebenes Zeichen mit ihren Kugeln ſo gut trafen , daß er regungslos zu Boden fant. Ein ſolches Beiſpiel mußte hier auf der Stelle ſta tuirt werden , da wohl noch andere daſſelbe Geſchäft im Stillen prakticiren mochten. Dem Fürſten machte ich die

gehörige Meldung und ſchicte ihm das confidcirte Geld ein. Nad jenen verrätheriſchen Mittheilungen des Spions waren alſo unſere Bemühungen vergeblich, den Feind nady unſerem Lager zu loden ; wir wären alsdann im überwie

genden Vortheil geweſen und hätten, deſſen wir am meiſten

:)

bedurften, Kanonen zur Dedung der Grenze erobern können.. So dlugen nun aber unſere ſchönen Hoffnungen fehl und wir mußten jetzt auf andere Wege ſinnen.

Auch den Fürſten hatte ich von jener Vereitelung un ſeres Vorhabens in Stenntniß gelegt. Nach einigen Tagen kam er mit Tauſenden von Reitern aus dem Innern her

bei, um jeßt einen kräftigen Angriff auf das ruſſiſche Lager zu machen. Ich ſollte hierbei mit den 5000 Mann In fanterie die Avantgarde formiren und demnach ben Feind zuerſt angreifen. 38mail Bey follte mit 2000 Mann das erſte, Suleiman Bey das zweite Treffen bilden. Ich ſelbſt

wolte mit den übrigen 1000 Mann Infanterie in einer ausgedehnten Schüßenlinie das Gefecht einleiten. Naib Baidya

blieb in großer Entfernung in einem Walde zurüd, ſo daß er vom Feinde nicht bemerkt werden konnte, und wollte erſt, Au wenn ich mit der ganzen Infanterie im Gefecht wäre , mit der Reiterei vorgehen. Von ſeinem Cavalleriegros detachirte er nur einzelne Reitertrupps zu Flankenbedungen , die aber

auch erſt ſpäter den Feind in die Flanke faffen ſollten . Ich ſtellte Naib anfangs vor , mir doch einen Soutien Reiterei

* mitzugeben, da ich bei einem etwaigen Cavallerieangriff von ruſſiſcher Seite ganz bloßgeſtellt war, und wegen Mangels an Bayonetten , die an tſcherkeſiiſden Gewehren nicht vor handen ſind , ein wirkſames Carré nicht formiren konnte.

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Naib fchien aber zu guter Hoffnung zu ſein, daß die Feinde bei meinem Avanciren fidy nur zurüdziehen und feinesweges einen Angriff wagen würden. Da meine Gegenvorſtellun gen Nichts halfen, fo fing ich an, mich mit meiner Schüßen linie allmälig auszubehnen .

Es war am Morgen des 5. Juli 1858 gegen 4 Uhr. Ich kam unbemerkt in die Nähe des Feindes , ließ ſchnell avanciren und überrumpelte ſo die ruſſiſchen Vorpoſten , in Folge deſſen der" Feind das Lager eiligſt aufgab und ſid

ſdynell zurüdzog. Da ich von unſerer Cavallerie noch Nichts erblickte, wozu es body die höchſte Zeit war, ſo hielt ich es für nicht gerathen , dem Feinde zu folgen. Indeſſen hatte dieſer eine defenſive Stellung angenommen , und in die Intervalle ſeiner Infanterie - Bataillone Cavallerie poſtirt.

Außerdem fuhren ſeine Batterien unter großer Infanterie: bededung am linken Flügel auf. Gleidyzeitig aber mit mei nem Halt ſprengte eine Abtheilung kojadiſder lanciers in geſtrectem Galopp auf uns ein.

3d ließ im Nehrt

Maridymarſch Carré formiren und gab , als uns die jau beren Gäſte erreid): hatten, eine kräftige Decharge ab. Jegt waren wir rettungslos verloren, wenn nicht plötzlich Cavalle rie zu unſerer Hilfe erſdien. Die Roſaden ſtießen meiner Infanterie ihre Lanzen weidlich durch den Leib , und es entſtand bei dem ungeheuren Gedränge ein entſeßliches Ge meţel. Meine Sdüşen vertheidigten ſich mit dem ftolben und dem Dolch bis auf'& Aeußerſte. Mitten in dem Hand gemenge erhielt auch ich einen unſanften Fieb über die Stirn und ſtürzte mit meinem verwundeten Pferde zuſam

men ; ich verlor bald die Beſinnung , und als ich aus dem Gefecht getragen wurde , glaubte ich Naib'e wilde Reiter an mir vorüberſauſen zu hören.

Dies war zum Glüde kein Traum . Kaum hatten nämlich die Rojaden auf uns eingehauen , ſo erfdien Naib, der eigentlich zu ſpät aufgebrodjen war , auf dem Rampf

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platz und ſprengte, um feinen Fehler wieder gut zu machen, in geſtrecktem Galopp zu meiner Hilfe herbei. Gleichzeitig war auch mein zweites Treffen wie im Blitz herumgeſdhwenkt und hatte mit tüdytigem Salvenfeuer den linken Flügel der Ruſſen begrüßt , und in Verbindung mit mehreren der er wähnten Flankendetachements 2 Kanonen erobert. Unſer Carré hatte entſeßlich gelitten, aber Naib'8 Cavallerie zeigte fidh an dieſem Tage erſt in ihrem wahren Glanze, und bie Kojaden wird es fünftig nach einer Attaque wahrſcheinlichy nicht ſo bald gelüſten .

Ich wurde nach dem nächſten Gehöft getragen , um dort verbunden zu werden. Kurz darauf ließ id) mich zu einem tſcherkeſſiſchen Edelmann transportiren , der in der Nähe der Küſte wohnte , und bei dem ich ſchon früher ein= mal während der Ausbildung der Infanterie ſehr angenehme

Tage verlebt hatte. Hier wurde mir außer der Pflege ſieben liebenswürdiger Töchter auch die größte Aufmerkſam =

keit dieſes Edelmannes und der ganzen Umgegend zu Theil. Man hatte früher, zum Theil wohl wegen meiner auffallen den Zuvorkommenheit gegen ruſſiſche Sklaven , ſelbſt ver muthet , daß ich mit den Landesfeinden unter einer Dede

ſpiele. Dieſen 3rrthum mußte ihnen , nady ſo heißer Ge fahr , jeßt wohl mein Zuſtand benommen haben , und Alle

waren der frohen Ueberzeugung, daß id) nur für Tſcher keſſiens Freiheit als Kämpfer aufgetreten ſei.

Naib Paſcha

ganz beſonders ſuchte mich mit dem Scherze zu tröſten , er wolle in Zukunft jedem Infanteriſten einen Cavalleriſten mitgeben, damit jener beim Retiriren ſich mit auf das Pferd ſegen könne.

3ch müſſe ihm ſeinen argen Fehler ſchon

verzeihen , da er von der 3nfanterie Nichts verſtehe. Er hätte ja doch den Roſaden für bie&mal den Spaß verborben . Außerdem verſicherte er mir , er habe ein fo heiße Gefect

mit den Ruſſen vorher noch nicht gehabt , und dieſe hätten

unter den Säbelhieben noch entſeblicher gelitten als unſer

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Ihre Artillerie habe vor dem gräßlichen armes Carré. Handgemenge gar nicht zur Wirkung tommen tönnen , und

es ſeien ihnen dhließlich zwei Kanonen entriſſen worden, deren Eroberung uns über unſern Verluſt tröſten müßte. — 3d war bereits wieder hergeſtellt, aber während mei ner Heilung hatte ſich aus den ſucceſſiven Wundfiebern almälig ein Wechſelfieber gebildet , welches fo ausartete, Daß ich nad) folchen Anfällen nicht im Stande war , allein auszugehen. Da hier im Lande , wie leicht zu denken , die Kunſt des Aeſculap noch ſehr im Argen liegt , ſo hielt idy es , in Berüdſidytigung meiner Zukunft , für rathſam , mich nach Conſtantinopel einzuſdiffen , um mid dort in die Be: handlung eines europäiſchen Arztes zu begeben. Der Tag der Abreiſe war beſtimmt, und unter Begleitung Naib'e , 38mail und Suleiman Bey'8 und zahlreidher Tidereffen,

mit denen ich auf dem vertraulichſten Fuße ſtand, nahm ich meinen Weg länge der Küſte zum Abfahrtsort. Idy beſtieg am 26. Auguſt 1858 ein Boot , welches bis zum Ded hinauf faſt überall mit Waizen , und nicht

etwa in Säcken, ſondern ohne jede Enballage, beladen war. Dieſer Uebelſtand mußte natürlidy Befürchtungen bei einem

etwaigen Led während der Reiſe in mir erregen. Aber da dies Fahrzeug allein vorhanden war , ſo blieb mir weiter teine Wahl. A18 ich nun von fo viel Freunden auf bal diges Wiederſehen herzlichen Abſchied genommen, verließ idi Tſcherkeſſien. Wir hatten ſehr günſtigen Wind , und eben deshalb , obgleich es noch ſehr früh Morgens war, und dieſe Boote, aux Furcht vor den rulliden Patrouillen , nur

des Abends, bei einbredender Dunkelheit, zu fahren pflegen, hatten wir die Fahrt gewagt. Raum hatten wir vom Ufer

abgeſtoßen , ſo erzitterte plößlich der ganze Kiel von einem gewaltigen Rud. Da in der Nähe der Küſte faſt überall Felſen dicht unter der Waſſerfläche zerſtreut liegen, ſo machte

id den Schiffer auf das Gefährliche unſerer Weiterfahrt

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aufmerkſam . Dieſer antwortete mir aber ſehr ruhig , ein folcher Stoß ſei eben keine Seltenheit und habe Nicht8 weis ter zu bedeuten. Als wir ſo weit hinausgekommen waren , daß wir kaum Iemand mehr an der Küſte erkennen konnten, bemerkte ich zu meinem äußerſten Schreden , daß das Boot

immer tiefer ging. Aber der gute Schiffer ſdien ſich hieran nicht zu tehren , bis plößlich einer ſeiner Ruberer die der

fängliden Worte : Su su ! (Waſſer) augrief. Wie wir uns felber überzeugen konnten , quod dieſes ſichtbar durch die Waizenladung empor. Seßt war guter Rath theuer , denn zurüd konnten wir nicht ſchnell genug fahren , da wir dann

gegen den Wind freuzen mußten , und der Wellenſchlag ziemlich groß und ungeſtüm wurde. Alsbald war das Ded ſchon im Niveau des Waſſers. Zum Glück war das Boot eines von denen , welche ein Rettungsboot bei ſich führen. Dieſes befand ſich neben meinen Sabſeligkeiten auf dem Ded. Es wurde ſogleich über Bord gelaſſen, und ich hatte gerate noch ſo viel Zeit , daß id) meine Reiſetaſche hinaus werfen konnte. Indem ich aber meinen ſchweren Koffer,

der ſämmtliche aufgeſparte Schäße enthielt , ebenfalls noch retten wollte , verfäumte ich den Augenblick , wo eine Welle das ruderloſe Boot mit der Mannſd )aft in das Meer ſtieß ;

jeder Verſuch, es zu meiner Rettung dem Schiffe zu nähern, ſcheiterte.

So von jeder äußeren Hilfe entfernt und auf mich ſelbſt angewieſen , empfahl ich mich den Nereiden zu weite= rer Verfügung und ſtürzte midy in die thürmenden Wogen. Anfangs ruderte ich mit voller Kraft entſchloſſen vorwärts, aber trotz aller Anſtrengung von dem heftigen Elemente beſiegt, überließ ich mich der ſchaukelnden Bewegung der

Wellen, und ſo gelang es mir endlich, mit halber Wendung, mid der Küſte zu nähern . Dieje war nody zahlreid, von meinen verlaffenen Freunden bejegt , weldie in der größten

Spannung meine Sdwimmfahrt aus der Ferne beobachteten ; 18

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unter ihnen war auch Naib nebſt ſeinen Vertrauten , mit einem Fernrohr bewaffnet , unſerer Fahrt und dem ſchred lichen Verlaufe derſelben gefolgt. Leider konnte er hier nicht

helfen, da fein anderes Sdìiff vor Anker lag, um zur Ret= tung herbeizueilen . tend , mehr einem erſehnte Küſte , als rung ihres Lebens ,

So erreidyte id denn, raſtlos fortarbei Todten als einem Lebenden gleich , die mehrere Tſdherkeſſen , faſt mit Aufopfe ſich auf ihren Pferden in das Meer

ſtürzten und midy , den die Kräfte idyon gänzlich verließen, an das land zogen. Naib bot ſogleid) Alles auf , um die gefährliden Folgen einer ſoldhen Waſſerpartie nodh recht zeitig abzuwenden. Id) wurde in das erſte beſte Haus ge tragen und ſdnell in ein Bett geſchafft. Allerdings war id) von dieſer außergewöhnlidien Probe meiner Sdwimm kraft zu ſehr erſdyöpft, um mir nod irgend eines anderen Eindrude bewußt zu bleiben , als daß ich ſogleich feſt ein

ſdylief. Bald darauf erwadyte ich wieder mit etwas mehr

Beſinnung und einem eigenthümlidien , matt bacchantiſchen Gefühle. Ich hatte nämlich aus den ſalzigen Fluthen des Pontus ein wenig über den Durſt getrunken , und dieſe

Uebertretung des ne quid nimis nöthigte mich zu einer qualvollen körperlichen Uebung. Unter folden Umſtänden und auf Grund deſſen , was

mich veranlaßte , das Land überhaupt zu verlaſſen, konnte es nicht befremden , daß ich von einem wüthenden orienta liſchen Fieber befallen wurde. Naib fühlte ſich deshalb be fugt , mir das Weiterreiſen geradeweg zu unterſagen. Nach adyt Tagen jedodi, da das Fieber feine ſo be denklidie Miene mehr hatte , ſette ich es bei ihm durch ,

daß id) wieder nady Conſtantinopel abſegeln durfte. Das hierzu beſtimmte Boot durfte aber nur halb laden und

führte außerdem ein vollſtändig eingeridytetes Bett für mich. Mit anſehnlidyen Geſchenken von Seiten Naib’8 , außerdem meiner Reiſetaſche , die ich am zweiten Tage nach jenem

275

:

Unfall von den geretteten Schiffern wieder erhielt, und einem Diener verſehen, ſchiffte ich mich am 3. September 1858 nady Kleinaſien ein . Da mir nicht unbekannt war, daß ich vor Trebifonde

unbedingt 10 Tage Quarantaine halten mußte, ſo umging ich dieſes verdrießliche Hinderniß dadurch, daß ich (am 8. September) fchon 2 Stunden vom Hafen an der Küſte landen ließ ; und ich legte darauf mit meinem Diener, der

mein Gepäc tragen mußte, den Weg nad Trebifonde zu E Fuß zurüc. Nadidem ich hier zu meiner vorläufigen Er : quidung etwas verweilt und der engliſchen, öſterreichiſdien und neapolitaniſchen Geſandtſchaft meine Aufwartung gemacht

: hatte, diffte ich mich am 10. September auf einem öſter reichiſchen Dampfer ein. Am 14. September in Conſtanti * nopel angelangt, verweilte id nur 3 Tage Daſelbſt, da mir von den Aerzten gerathen wurde, keine Zeit weiter zu ver 5 lieren ; erſt mit dem Berlaſſen des Orients fönne mich mein Fieber verlaſſen .

Unterwegs erkrankte ich aber auf einem engliſchen Dampfer der Art, daß der Capitain, jo leid es ihm that, fich aus Mangel an Aerzten gezwungen fah, midy am 26. September vom Schiff abzulegen und in Malta zu laſſen.

✓ Hier befand ich mich zeitweilig in jeder Beziehung in dem qelendeſten Zuſtande. Naib hatte mir nämlich 10,000 Piaſter

in türkiſchem Gelde und ruſſiſchen Silberrubeln mitgegeben, weldie ich ſorgfältig in meiner Reiſetaſche verſteckt hielt.

Während meines beſinnungsloſen Zuſtandes auf dem Schiffe ,, Damaskus" aber hatte ein Sdiffejunge dieſe Taſche durchs ſtöbert, den Sdya herausgetrennt und mich ſo audy der kleinſten Hülf8mittel entblößt. In Smyrna, wo wir unter Die wegs landeten, hatte er, nachdem er auch noch dem Steuer mann ſeine Uhr entwendet, die ihm günſtige Gelegenheit benutt und ſich jeder ferneren Nachforſchung entzogen.

So lag ich denn ſcheinbar von Allem verlaſſen auf dem 18 *

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Krankenbette, und ein Glüd war es für mich, daß id vor

Sd)wädhe gar nicht zur Erkenntniß meines grenzenloſen Elends fommen fonnte. Erſt ſpäter erfuhr id , daß mir

beim Auskleiden 5 engliſdie Pfund aus der Taſche gefallen waren, die natürlich nur der engliſde Schiffscapitain mir hatte zuſtecken fönnen . Trop dieſer unerwarteten Generoſt tät, die ich im Stillen freudig anerkannte, war ich dennod bald auf den legten Pfennig reducirt, und wußte nicht mehr wo ein wo aus .

Da erhielt ich eines Tages eine Karte nebſt einem

Padet vom preußiſchen Conſul Ferro ; es enthielt Wäſche und hinreidiende Kleidung. Am nächſten Morgen beehrten mich der preußiſde Conſul und Mr. Stevens, Notar in Malta und Bruder des engliſchen Conſuls in Trebiſonde,

mit ihrem Beſuch. Beide hatten von meinen Erlebniſſen und Unfällen ſdon gehört und verſicherten mir, daß ich nur getroſt wieder auf Gott und auf ſie vertrauen möchte.

Nad

mehreren Tagen beſuchte mich auch der Oberſtlieutenant und Commandeur des in Malta ſtationirten 4. Jägercorp8,

und nadidem er mir einen zuverläſſigen Militairfranken wärter zugeordnet und ſich nach meinen ſonſtigen Bedürf niſjen mit liebevollſter Beſorgniß erkundigt hatte, erhielt ich aud alles Nöthige durch das dortige Offiziercorps. Bon dieſem empfing ich täglich Beſudie, die midi in meinem

Leiden wohlthätig aufheiterten und zerſtreuten. Sobald id daher ohne Hülfe allein wieder ausgeben fonnte, bat id úm Erlaubniß, mich bei all' den verehrten Gönnern berab

fähieden zu können. Es wurde mir , was nur engliſchen activ Dienenden zuſteht, geſtattet, mit dem erſten britiſchen Kriegøjdiiffe nach Old - England mitzufahren. Dies war zufälligerweiſe der Dampfer Himalaya ", der von Rorfu er: wartet wurde, und ſo befand ich mich denn auf bekannten Brettern, denn auf ihm hatte ich in die Fahrt aus dem Drient mit der Freindenlegion ſchon mitgemacyt.

Um 18.

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November 1858 gegen 4 Uhr Nachmittag beſtieg idy, in Begleitung der Herren Ferro und Stevens, fowie zahl reicher Jägeroffiziere, das Schiff, und da mittlerweile die Zeit des Diners herangeriidkt war, lud uns, nach altem

Sdiffbrauch, der Capitain Ade zur Tafel. Nachdem mich meine Wohlthäter mit Glüdwünſchen aller Art überſchüttet hatten , verließen ſie den Bord des Schiffes gegen Abenb. Raum waren die Anker gelichtet, fo überbrachte mir der Steward (Kellner) ein gewichtiges Billet. 3d erbrach es und ſah mich in meiner freudigen Vermuthung nicht ge

täuſcht; es enthielt 30 Pfund nebſt den Worten : Several of your dear friends (Mehrere liebe Freunde von Ihnen). Ich konnte ſachgemäß keine andere Conjectur machen , als daß dieſe freundliche Sendung den Oberſtlieutenant, das

Offiziercorps und die Herren Ferro und Stevens zu ihren anonymen Urhebern hatte. Beigefügt wurde zu angenehmer Erquicung noch ein Rorb mit ſchwerem Weine und feinen Cigarren. Als wir am 4. December 1858 in Bort8ntouth lande

ten, forderte ich meine Rechnung und erhielt eine bill for Mr. Stücker Gentleman mit der Quittung : It is all paid. Das war engliſche Art ! Von hier auß reiſte id weiter nad London.

Dort

mußte ich, obgleich ich von Malta bis nach England keinen Fieberanfall gehabt hatte, wieder etwa vier Wochen hindurch das Bett hüten. Sobald es thunlich war, reiſte ich am 24. December nad Bremen, wo ich, trotz der Nähe des väterlichen Hauſes (Bielefeld) durch einen letzten Krankheits anfall noch fünf Wochen zurüdgehalten wurde. Endlich hatte ich die Freude, meine Vaterſtadt und meine Angehör rigen wiederzuſehen.

Anhang. Ueber die bisher erſchienenen S driften und Berichte über Tiderfejſien. Zum Sdiluß will ich meinen Selbſterlebniſſen noch ein kleines Kriterion über die Reiſewerke, die von Tſcher feſſien handeln und mir zu Händen gekommen und gleich

zeitig einen Nachtrag zu etwa Uebergangenem in aller Stürze hier beifügen. Der Leſer wird mir dieſen Abſprung um ſo eher ver

zeiben, da ich erſtens theils ja nach den Eindrüden, welche Zeit und Ort auf meiner Reiſe und in meinem Wir:(

ken auf midy machten , dieſe Selbſterlebniſſe aufzeichnete,

zweitens aber durchaus auf ein ſyſtematiſch aufgeſtelltes culturhiſtoriſches Wert auch nicht den leiſeſten Anſpruch madhe. Nur Wahres zu erzählen war die Idee , welche mich in dem bisher Erzählten leitete, und Falſches zu be richtigen die, welche aud dieſen kritiſchen Theil entſtehen

ließ . Alle Schriftſteller, welche bisher über Tſcherkeſſien geſdrieben haben , ſind immer nur bis zur Grenze des wahren Kernes der Tſcherkeſſen gekommen , und ſchildern

uns nur die Sitten und Gebräuche der bereits unterworfe nen Tſcherkeſſen, zu denen ſie durch ruſſiſdie Vermittelung gelangt ſind . Aber auch dieſe Werke thun fich nicht nur durd, die dreiendſte Unwahrheit, ſondern auch oft durch die unerhörteſte, abſichtliche Fabelei meiſterhaft hervor. Hier bei geht es nun wie bei allem Ungewiſſen, daß jeder nach

folgende Schriftſteller nicht nur ſeinen Vorgänger in dem etwa Richtigen badhorniſirt, ſondern uns auch noch neue Märchen aus ſeiner eigenen Fabrik aufbinden will. Dieſe Bemerkung hat ſeinen eigentlichen Bezug auf die älteſten Schriftſteller. Da ſich nun die Unwahrheiten von Schrift

ſteller zu Sdriftſteller potenzirten, ſo iſt es nur erklärlich, wie ich ſo oft unter Anderem in ihren Werken eine ſo aus

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führliche Statiſtik der Einwohner und dergleichen fand, ob gleich dieſe Reiſenden gar nicht in den einzelnen Theilen des Landes geweſen waren , und in manchen gar nicht fein konnten !

So ſdreibt Neumann in ſeinem ,,Rußland und die Tiderkeſſen " Seite 34 : „ Unter dieſen Adeligen gibt es viele, wovon ein Verwandter den andern todtſchlägt, am

meiſten geſchieht dies unter Brüdern. Wenn nun ein Bruder den andern getödtet hat, ſo ſchläft er die nächſte Nacht bei ſeiner Schwägerin, der Frau des Verſtorbenen ; denn es iſt bei ihnen erlaubt, mehrere Frauen zu haben, welche ſie fämmtlich für rechtmäßige halten . " Dieſe Fabelei iſt aber nicht etwa eine glüdliche Luft greiferei des obigen Schriftſtellers , ſondern, wie er ſelbſt

ſagt, eine getreue Ueberſeßung aus dem Werke des Giorgio Interiano. Und was iſt dies für ein Gewährsmann ? frage icy. Neumann ſagt ſelbſt: ,,Klaproth und Dubois , Voyage autour du Caucase chez les Tscherkesses et les Abkhases, en Colchide , en Giorgie , en Arménie et en Crimée,

Paris 1839, behaupten, Interiano ſei 1552 im Lande der Tſcherkeſſen geweſen ; dem iſt aber nicht ſo." Alſo Interiano war früher in Tſcherkefſien. Was helfen uns aber nun Nachrichten über die Tſcherkeſſen vor 300 Jahren, wenn ſie nur auf dieſe beſchränkt ſind ? Ich behaupte , daß die ganze angeführte Stelle ſich als der lächerlidiſte Unſinn durch das Gegentheil in der Neuzeit erweiſt. Der Einwurf, Daß fich vieles verändert haben kann, würde einerſeits fich ſelbſt dlagen, da ich dann folche Charakteriſtiken nicht noch für die Neuzeit geltend aufgetiſcht haben möchte; anderſeits iſt er aber ſehr ungerechtfertigt, da ein Volf, ſich ſelbſt über laſſen und in ſich abgeſchloſſen, doch in 300 Jahren ſo ſehr ſeinen Nationaltypus nicht verläugnen konnte. Denn erſtlich

haben die Ticherkeſſen nur eine Frau und zweitens herrſcht das Geſetz der Blutracje, wodurch ſich die letzte Hälfte der

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obgenannten Stelle als eine bewundernswürdige Ungereimtheit und lächerliche Inconfequenz erweiſt. Was uns aber bei all' dieſer Fabelei nod, läderlicher

werden muß, iſt, daß ein Schriftſteller mit dem wichtigſten Sdyeine der Autorität den Andern Lügen zeihen will,

während er nur noch neue hineinpracticirt. Derſelbe Neumann (dreibt über Klaproth : „ Die be kannte Leid: tfertigkeit und das gewiſſenloſe Verfahren dieſes

legtern Gelehrten (nämlid Klaproth’s) audi in Beziehung ſeiner Reiſe in den Kaufaſus, die man bis jeßt für ſein

beſte8 Werk hielt, ſind erſt vor Kurzem aufgebeđt worden . Der Staatsrath Stewen, ſdreibt Herr Szögren, hat mir brei Actenſtüde in Bezug auf Klaproth's Aufenthalt in

Tiflis und Gruſien mitgetheilt, weldie ich meinerſeits für Pflicht erachte, beiliegend der Academie zum beliebigen Ger

brauch zu überſenden. Sie werfen ein neues Licht auf das Weſen und Wirken jenes in aller Art Charlatanerie meiſter haften Mannes, und machen es ſehr wahrſcheinlic ), baß er,

wenn vielleicht nicht alle, doch die meiſten Ercurſionen , die

er laut ſeiner Reiſebeſchreibung von Tiflis aus unternom men haben will, gar niçit gemacht, ſondern nur nach frem den mündlichen oder ſdhriftlidhen Nachrichten und Papieren zufanımengeſchrieben und mithin in Bezug auf ſich ſelbſt erlogen habe.“

Wenn hier die Schriftſteller ſelber der Eine die Glaub

würdigkeit des Andern in Zweifel feßen, welche Wahrheit kann dann eigentlich für den Leſer gewonnen werden ! Sdließlich war Niemand im Lande, und dennoch liefern ſie uns vollſtändige Notenſammlungen mit tſcherkeffidhen Kriegeliedern.

Ueberhaupt finde ich es ſehr eigenthümlich, daß Herr Neumann den genannten Klaproth hierbei wieder zu Ehren bringen will, obgleich er ihn erſt kurz zuvor ſo arg mitge nommen.

Er kommt mir demnach ſo vor, als handelten

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die þerren Schriftſteller in Bezug auf Lob und Tadel jo ganz nach ihrer Bequemlichkeit, und zögen, wenn ſie den armen Sünder recht abgehegt haben, vor demſelben wieder den Hut, um nur noch mehr von all’ den Charlatanerien anführen und dem confuſen Bombaft ihrer Plagiate nach

Umſtänden einen gelehrten Anſtrich geben zu können. Ich meinerſeits würde nicht die Tollfühnheit gehabt

haben, über ein Land, das ich gar nicht einmal betreten hätte, allerlei nidyt im Geringſten verbürgte Notizen mit emſigem Fleiß zuſammen zu tragen, wie es Herr Neumann gethan hat.

In wie fern Herr Neumann burd ſein Wert der

Wiſſenſchaft, gemäß ſeinem Verſprechen , gefrommt hat, kann ich nicht recht einſehen, da die Ungenauigkeiten, welche früher über Tſcherkeſſien ſchon herrſchten , ebenſo vage geblieben ſind, wie vorher. Dem Gebildeten , wie Serr Neumann die Wiſſenſchaftsloſen zu benamſen beliebt , wird er nun

aber aud, keine allzu amüſante Lectüre bieten, da das Buch wirklich einen ſehr gelehrten Geruch hat, ſo daß es dent Leſer vor den Tauſenden von angeführten Namen beinahe

ſo ergehen muß, wie dem Schüler in Göthe's Fauſt, wo Mephiſto den Magiſter ſpielt. Doch Herr Neumann fönnte ſich etwa beklagen, daß

ich gerade ihm hier ein Ehrendenkmal zu ſeßen wünſchte. Es iſt jedoch gar nicht meine Abſicht, ihn gerade wegen

ſeines intereſſanten Werkes zu bevorzugen. Sollte ich ſpäter noch Zeit gewinnen , ein Mehreres über Tſcherkeſſien zu ſchreiben, ſo werde ich gewiß nicht verabfäumen, zu feiner Beruhigung auch über die anderen Herren Autoren etwas ausführlicher und fritiſcher zu ſpredjen . 3eßt zu Tſcherkeſſien wieder zurück. Wer über die Tiderkeffen, ſo wie ſie charakteriſtiſch vor der kaukaſiſchen Völkergruppe hervortreten , und ihre Unabhängigkeit und ihren wahren Typus noch behaupten,

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mit Wahrheit und aus eigener Anſchauung ſchreiben will, der muß dod) gewiß in dieſem Lande geweſen ſein. Die

Schilderungen, die wir in all den bisher exiſtirenden Reiſe werken über Tjderfejſien finden, können deshalb nur ſich auf die doon lange unterworfenen Tſcherkeſſen und auf Völferſdaften beziehen , welche irrthümlich wegen großer Aehnlicyfeit mit den nach ruſſiſchem Syſtem ſchon civili firten Ticherkeſſen für Leştere gehalten werden. Daß Erſtere ihren wahren Typus fdon lange verloren haben, da ſich

dieſer mit dem rujſijden unbedingt verſdımelzen mußte, liegt wohl klar vor Augen .

Nad; dieſer Einleitung wird wohl der Leſer einſehen, das dies für mich ein Grund mehr war , der mich zur Veröffentlidung dieſer Memoiren treiben fonnte. Da ich ſdon in meiner Jugend jo Manches über bies

romantiſche Land geleſen hatte, ſo war eigentlich mein fehn ſidſter Wunſd ), einſt dies land ſelbſt betreten zu fönnen . Da ich aber Manches ganz anders fand, als es meine

Einbildungskraft und jene lectüre mir vorgedichtet hatte, ſo fand ich mich bei Abfaſſung meiner Memoiren veran

laßt, hier bei Tſcherkeſſien die früheren Schriftſteller in ihr wahres Lidt zu ſetzen. Das tſcherfeffiſche Volt, das von den Ruſſen noch nicht

unterworfen iſt und auf welches ſich dieſe Bogen bezogen, bewohnt das Gebiet von Anapa bis zu Gagra , ſchließt alſo die vier von den Ruſſen aufgegebenen Redouten längs des (dwarzen Meeres in fich. Hier iſt Naib Paſcha der einzige und alleinige Führer und Regent der Tſcherkeſſen. Die einzelnen Völfer des Kaukaſus bekämpften bekanntlid in früheren Seiten ſich gegenſeitig und verbanden ſich erſt,

als Rußland hier auf der Kriegebühne einen neuen Auf zug eröffnete.

Ganz der Natur der Sache gemäß , war Tſcherkeſſien ein Freund der Türkei und , als Rußland im Jahre 1828

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am 17. April der hohen Pforte den Krieg erklärte und mit einem Geſchwader von 8 Linienſchiffen, 4 Fregatten, mehre

ren Corvetten und Transportſchiffen unter dem Commando des Viceadmirals Greigh von Sebaſtopol nach Anapa ſegelte , wurden die Tſdherkeſſen den Türken ein getreuer Bundesgenoſſe.

Als nun Anapa am 22. Juni deſſelben Jahres er ſtürmt wurde , fand der commandirende Padja Namens

Osman Paſcha eine ſichere Zuflucht in tſcherfeffiſchen Ge=

birgen. Rußland war ſehr glüdlich und nahm die meiſten Landung$ = Plage des nördlichen Geſtades des Schwarzen Meeres .

Es fann eben nicht befremden , daß Rußland in den

ſpäteren Jahren wegen der ungeheuren Hülfsquellen , die ihm zu Gebote ſtanden , einen immer glänzenderen Erfolg hatte , wohl aber etwas , daß es die Grenzen feiner Welt

in dem eigenthümlichen Tíderkeffien fand , über das meine Bogen handeln. Folgende Stelle aus Roche Reiſe durch Rußland nach dem faukaſiſden 3ſthmus in den Jahren 1836 , 1837 und

1838" wird das Hinderniß erklären , auf das Rußland un erwartet ſtieß und welche feinen Träumereien über eine die

Tiderkeſſen knechtende Zukunft ein Ende machen mußte :

„ Frei, wie der Steinbock bei ihnen von einem Felfen zum andern ſpringt, um ſich die gewürzhaften Kräuter an ſchauer

lichen Abgründen zu ſuchen , bewegt ſich der Abaſſe in ſeinen unzudringlichen Bergen , in denen noch kein Freunder Fuß gefaßt hat, und lebt glüdlich in ſeiner Armuth u. f. w ." Weiter heißt es : „ Rußland hat noch nicht verſucht, dieſe fernen Staufafier zu unterwerfen und fein ruſſiſcher Soldat betrat die Marken ihres Vaterlandes."

Sehr wahr und ridytig ſind ferner folgende Worte : „ Die Tſcherkeſſen, mit denen damals die Kriege lebhafter

als je geführt wurden, waren die erſten Märtyrer der Freis

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heit , und da wirklich dieſes Volt durch einen ritterlichen Geiſt, der nicht leicht wo anders gefunden wird , ſich aus

zeichnet , ſo lag die Sympathie , die Jedermann für die Tſdyerteſſen ergriff, nahe , und das Siegesgeſchrei derſelben hallte, wie früher das der Polen, durch ganz Europa. So ſteht es mit dem Intereſſe Tſcherkeſſiens!“ Id ſeße hin zu : „ So ſteht es auch wohl noch heute ! “ Bei Kody muß id) Folgendes noch beiläufig bemerken , worauf ich ſchon bei Neumann hingewieſen habe. Er nimmt nämlich den Reifenden Bell, der, ſowie noch zwei andere Engländer

Longworth und Stewart, Tjderkeffien durchkreuzt haben ſoll,

ſehr arg mit , daß er trotz ſeines langen Aufenthaltes die Ticherkeſſen nicht von den Abaſſen habe unterſcheiden lernen , und Stämme von beiden durch einander geworfen habe. Aud Spencer , ein anderer Reiſender , geht bei ihm nicht wohlfeiler aus : „ So lange Spencer aber nicht mehr Bes weiſe von ſeinem Aufenthalte in Tíderkefſien bringt , fo lange muß ich wenigſtens die Wahrheit ſeiner Reiſe bezwei feln. Von allen den neuen Dingen , deren Bell ſo viele

erwähnt, erzählt Spencer nichts , und viele feiner Namen gehören ohne Zweifel nicht in das Reich der Wirklichkeit. Sein ganzes Buch iſt voller Widerſprüche, und nur die ( chöne bilderreiche Sprade in demſelben iſt, wie der Weihs rauch , den er feinen Landsleuten ſpendet , die Urſache, daß

es zwei oder gar drei Auflagen erlitten hat.“ 3c wil hier nodi hinzufügen , daß die Wort Koche wohl auf die meiſten über Tiderkeffien erſchienenen Werke anwendbar ſind. Denn oft habe ich nidit genug bewundern können , wie freigebig dieſe Sdhriftſteller mit ausführlichen Tabellen und Namen über ein Land, das ſie gar nicht be treten, ſtets bei der Hand find. Rody ſagt felbſt, daß trog

der neueſten Reiſebeſchreibungen eines Dubois de Mon= pereur, eines Bell, Longworth und dgl. der Begriff Tſcher keſſiens unerklärt geblieben iſt. Wenn demnach wirklich ſo

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viele tſcherkeſſiſche Stämme exiſtirten , wie man ſie dußend weis aufgeführt finden kann, ſo hätte es doch ihren

Bemühungen gelingen müſſen, etwas Licht in dieſe heilloje Confuſion zu bringen. Ich habe oft die angeſehenſten und gebildetſten Greiſe in Tſcherkeſſien gefragt, welche Bewandt niß es mit dieſen unzähligen Stämmen eigentlich habe, und erhielt zur Antwort, daß Alles, was Sicherkeſſe iſt, auch dieſen Namen führe.

Es würde gewiß jeden Wahrheitsliebenden nicht ſo empören , wenn dieſe Sdịriftſteller ſich nur mit dem unter worfenen Theile Tſcherkeſſiens begnügten und den echten

Kern Tſcherkeſſiens mit ihrer Beſchreibung und Eintheilung verſdjonten , um ſo mehr , da ſie ja ſelbſt, wie ich ſchon angeführt, zugeſtehen , daß noch kein Fremder hier Fuß gefaßt hat. Folgende Behauptungen finden wir ebenfalls :

1 ) daß die Tſcherkeſſen das Kreuz verehrten , was nur auf die don unterworfenen Tiderkeffen anwendbar iſt

und wobei ich wiederholt ſagen muß , daß das Kreuz den wahren dyerteſſen ein Gräuel iſt;

2) daß die Sonn- und Feſttage, ſowie die ganze Zeit redinung, beinahe ganz ſo wie bei uns wären. Hier von iſt bei den Ticherkeſſen gar keine Rede, und nur

die Adligen , welche in Conſtantinopel geweſen ſind, haben hiermit ſchon Bekanntſchaft gemacht und feiern die türkiſdjen Feſttage; 3) daß die Aerzte ſich einer hohen Achtung erfreuten ; wogegen ich ſagen muß, daß ich noch nicht Gelegenheit hatte, dort überhaupt einen Arzt zu fehen. Wo man den Blural hernimmt, bleibt mir ein Räthfel.

Ich will mich weiter nicht aufhalten , folde irrthüm liche Behauptungen aus den bisher erſchienenen Büchern

hier zuſammen zu tragen, denn wollte ich hierbei nur etwas

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gewiſſenhaft zu Werke gehen , ſo würde ich ſehr bald eine Schrift für ſich zu Stande bringen. Es kann ferner auch nicht in meinem Intereſſe liegen, die don unterworfenen Völkerſchaften weiter zu berückſich tigen, da man einestheils die Beſdreibung derſelben in den

genannten Werken finden kann, und ich anderes Theils nicyt in ruſſiſchen Dienſten , ſondern als Generaladjutant Naibs fungirte. Meine Bejdyreibung erſtreckte ſidy demnach nur auf

das Tſcherkeſſien, wo bisher kein anderer Fremde, als ich, den Boden betrat .

Unzählige Feldzüge wurden alſo ſchon von den Ruſſen

unternommen , und alle andere mögliche Verſuche argeſtellt, Tíderfeſjien zu erobern. Es fehlte den Ruffen gewiß nidit an Muthund Ausdauer , denn beide Eigenſchaften beſitzen fie im vollen Maße. Aber die friegeriſchen angeborenen Talente der Tjderkeſſen , die natürliche Beſchaffenheit des Bodens, und die oft kräftige Unterſtütung der Engländer und Türfen durch Verſdaffung von Munition und Waffen verhinderten jeden Eingriff in das Heiligthum ihrer Freiheit. Die Ticherkeſſen vernieiden auch jedes größere Treffen und

unternehmen nur in kleinerer Anzahl Streifzüge gegen die Ruſſen . Einer ſolchen Abtheilung reitet der Führer, der umſid )tigſte und gewandteſte Tſdherkeſſe, voran und bildet

ſo die Spiße einer Art Avantgarde. Ferner reiten links und rechts in größerer Entfernung von dieſer Abtheilung Flankenbedeckungen.

3e nad, ben Umſtänden des Terrains

theilt ſich auch dieſer Trupp auf Seitenwege und trifft ſpäter wieder zuſammen. Die größte Stille wird beobachtet und durch Zeichen hat der Führer feine Mannſchaft an

der Hand. So madıt 3. B. der Trupp unverzüglich Halt, wenn er den Finger auf den Mund legt. Giebt er einen bekannten Wint, fo ſprengen die Reiter im geſtreckten Galopp dahin. Weiſt er auf die Erde, fo fißt die ganze Mannſchaft ab.

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In der Nacht wird dieſe Art Tirailleurlinie ſchon ge idyloſſener und die Aufmerkſamkeit noch geſpannter. Der Führer reitet in etwas kleinerer Entfernung voran, begleitet von einer Bebedung mit geſpanntem Sahn. Unverwandten Blides lauert er auf die geringſte Bewegung der Ohren ſeines Pferdes ; auch das kleinſte Geräuſch entgeht ihm nicht. Wie die Wilden in Amerika , ſo legen ſich auch hier zeit weiſe die Flankenbededungen mit dem Dhre auf die Erde,

um ein Geräuſch in der Ferne zu belauern. 3d habe ſelbſt

beobachtet, daß die Tſcherkeſſen auf dieſe Weiſe den Tritt verſchiedener Thiere ſehr gut unterſcheiden können. Was die Schriftſteller über die übrigen Völfer des Kaukaſus in Betreff der Zeit und des Orts erzählen , bleibt auch hier wahr. Man orientirt ſich nämlich während einer ſternhellen Nadyt nach dem Polarſterne und nach dem kleinen und großen Bären. Nach dem Nebengeſtirn der Lager berechnet

man die Stunden. Iſt nun aber der Himmel umwölkt, ſo ſteigt der Führer einer ſolchen Patrouille auf eine An höhe , birgt die Hand in den Buſen und ſtredt fie nady

einiger Zeit , erwärmt , in die Luft. Wo fie am fälteſten afficiut wird, da liegt für ihn der Norden.

Wenn nun ein

dider Nebel des Nadits das weite Sehen verhindert , und

die einzelnen Trupps anfangen ſich zu ſehr zu zerſtreuen , ſo werden Funken von einem Feuerſtahl geſlagen. Auf dieſe Weiſe kommen ſie oft unentdedt mitten in das lager des Feindes.

Daß ſie bei den hierdurch ausbredenden Scharmüteln im Vortheil ſind , läßt ſich wohl denken und habe ich auch aus eigener Erfahrung kennen gelernt. Die Ejderkeſſen löfen ihre Todten , die ſie nicht mehr von dem Kampfplaş tragen konnten , wieder ein.

Da das

Geld, wie ſchon oft erwähnt, hier nicht courfirt, fo bezahlen ſie die Forderungen der Ruſſen mit Vieh.

Der mit dieſer Ausgleichung beauftragte Parlamentair

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macht ſich von ferne dem Boſten durch das Wehen mit einem weißen Tude erkennbar. Kommt er in nähere Di ſtance des Poſtens, jo figt er ab , zäumt ſein Pferd zum Grajen ab, nimmt die Feuerſteine von Gewehr und Piſtol

und übergiebt folde dem unterdeſſen herbeigefommenen Graminirtrupp. Mit verbundenen Augen wird er jeßt in das Lager geführt. 3ft ſein Auftrag erledigt , ſo verläßt

er das Lager unter denſelben Ceremonien. Natürlich nimmt man zu ſold;en Unterhandlungen meiſt nur vornehme und der ruſſiſdien Sprache mädytige Tſcherkeſſen. Dies ganze Verfahren weidyt gar nicht von dem preu

Biſdien Parlamentairweſen ab , wie ich audy in Schleswig Holſtein ſah.

Hierbei will ich noch bemerfen, daß die Ruſſen zu der Zeit, als id die Vorpoſten init 5000 Mann bezog , ver ſudyten, mir einen argen Streich durd, einen Parlamentair zu ſpielen. Sie wollten nämlich den Parlamentair Hadichi Haſſan durch die glänzendſten -Verſprechungen verlocken , mid oder den engliſden Räuberhauptmann Inglis Paſcha , wie ſie mid, aus Artigkeit nannten, lebendig oder todt zu überliefern. Wäre ich weniger unverzagt geweſen und hätte ich erſt

weniger in meinem Leben gewagt, ſo mußte id; um daſſelbe anfangen beſorgt zu werden .

Aber die Antwort, weldie Hadidji Haſſan den Ruſſen gab, hätte mir deutlich zeigen fönnen, wie ſehr ich von den Ticherkeſſen geliebt war. ,,Lieber lege ich Eudy," verſeşte Habidhi

Hafſan, ,,meinen Kopf zu Füßen und lieber gibt Naib Eudy einen Theil ſeines Gebietes , als unſern Inglie Baſcha." Aber ſelbſt folde Betheuerungen allein , auf die ich bei

einem Muhamedaner gar nicht gab, konnten mich eben nicht ſehr beruhigen, wenn ich nicht hundert andere Beiſpiele von der Wahrheit dieſer Worte an mir erfahren hätte. Druc der Hofbuddruderei (6. A. Pierer) in Altenburg.