Si quid universitati debetur: Forderungen und Schulden privater Personenvereinigungen im römischen Recht [1 ed.] 9783412523794, 9783412523770


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German Pages [421] Year 2021

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Si quid universitati debetur: Forderungen und Schulden privater Personenvereinigungen im römischen Recht [1 ed.]
 9783412523794, 9783412523770

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Inwieweit das römische Recht Vereine als Träger von Rechten und Pflichten gekannt hat, ist seit Langem Gegenstand der rechtshistorischen Forschung. Zwar ist die Existenz von Gegenständen des Vereinsver­ mögens in den Quellen belegt, doch schien damit bis­ lang kaum vereinbar, dass der Vertragsschluss durch einen Vereinsfunktionär im römischen Recht – anders als im modernen Recht – regelmäßig nicht dazu führt, dass der Verein Partei des Vertrags wird. Aufgrund der Quellenfunde der letzten Jahrzehnte kann dieser Befund erstmals erklärt werden: Wenn sich ein Ver­

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einsfunktionär für den Verein vertraglich verpflichtet, räumt ihm die Satzung hierfür einen Ausgleich aus dem Ferner kann gezeigt werden, dass nicht das Vertrags­

ver­anlasst hat, die Berechtigung bzw. Verpflichtung von Vereinen aus Forderungen und Verbindlichkeiten zu konzeptualisieren.

978-3-412-52377-0_zahn.indd Alle Seiten

Si quid universitati debetur

Bastian Zahn

recht, sondern in erster Linie die Verbreitung testamen­ 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. die römischen Juristen

Bastian Zahn

Forderungen und Schulden privater Personenvereinigungen im römischen Recht

Vereinsvermögen ein, der gerichtlich durchsetzbar ist.

tarischer Stiftungen im gesamten Reich während des

Forschungen zum Römischen Recht

03.11.21 11:13

Forschungen zum Römischen Recht Herausgegeben von Sebastian Lohsse und Ulrich Manthe 63. Abhandlung

Bastian Zahn

Si quid universitati debetur Forderungen und Schulden privater Personenvereinigungen im römischen Recht

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN

Gedruckt mit Unterstützung des Alumni- und Fördervereins der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München e.V. sowie der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung. Zugl. Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München 2020

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz und Layout: büro mn, Bielefeld Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52379-4

„Vom Rechtshistoriker wird heute häufig erwartet, dass er Geistes- oder gar Kulturwissenschaftler ist, die Geschichte der juristischen I­ nstitute und Dogmen in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte einordnet, mit hermeneutischen, philosophischen, soziologischen, anthropologischen, vielleicht auch psychologischen Reflexionen umzugehen weiß. Als Antidot dürfen die Schlusssätze des […] Aufsatzes [Alan Rodgers] ‚The Palingenesia of the Commentaries Relating to the Lex Aquilia‘ (2007) zitiert werden: ‚There is … much work for Romanists to do – somewhat dry technical stuff, to be sure […]. That is just in the very nature of much legal work, I fear […].‘ “ Dieter Nörr, JbMünch 2011, 177 (181 f.).

Inhalt

Vorwort  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Kapitel: Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1 Der ediktale Kontext  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Der Anwendungsbereich des Edikts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Zeugnis des Gaius in D. 3.4.1 (Gai. 3 ed. prov.)  . . . . . . . . . . . 1. Zur Authentizität des überlieferten Textes  . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Begriff des corpus bei Gaius  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Rezeption der stoischen σῶμα-Lehre  . . . . . . . . . . . b) Die Übernahme des Sprachgebrauchs römischer normativer Texte  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Zusammenhang mit der kaiserzeitlichen Vereinsgesetzgebung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Vereinsgesetzgebung unter Augustus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Regelungsgehalt der augusteischen Vereinsgesetzgebung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Regelungsgehalt der von Gaius kommentierten Ediktsbestimmung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Regelung zur Rechtsfähigkeit  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Regelung der Fähigkeit privater Personenvereinigungen zur Bestellung eines Prozessvertreters  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die in den Anwendungsbereich des Edikts fallenden Personenvereinigungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Anwendung auf sämtliche private Personenvereinigungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rekonstruktion der Rubrik des prätorischen Edikts  . . . . 

22 22 25 25 26 30 30 34 41 41 45 52 52 56 61 61 62

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Inhalt

3. Die Anwendung auf Augustalenkörperschaften  . . . . . . . . . . .  § 3 Die Regelungen des Edikts zum Prozessvertreter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  I. Die Aufgabe des Prozessvertreters  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  II. Die Bestellung des actor  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  III. Die Leistung der cautio de rato  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  IV. Die Indefension  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1. Die Voraussetzungen für das Vorliegen der Indefension  . . .  a) Die Defensionspflicht des actor  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  b) Die Zulassung eines extraneus zur Defension  . . . . . . . . .  2. Die Folge der Indefension  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  a) Die Regelung des Edikts  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  b) Der Grund für die ediktale Regelung  . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 4 Private Personenvereinigungen im Vollstreckungsverfahren  . . . . . . .  I. Die Vollstreckung im Aktivprozess  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  II. Die Vollstreckung im Passivprozess  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

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II. Kapitel: Die vertraglichen Obligationen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 1 Das mutuum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  I. Vereine als Darlehensgeber  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1. Die mutui datio im Namen einer Körperschaft  . . . . . . . . . . . .  2. Vereine als Darlehensgeber in gräko-ägyptischen συγγραφαί  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  3. Zur Rezeption des Formulars der συγγραφή bei Darlehen römischer Vereine  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  II. Vereine als Darlehensnehmer  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 2 Die Stipulation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  I. Forderungen des Vereins aus Stipulation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1. Die Zinsstipulation  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  a) Die Zinsstipulation beim Darlehen von Gemeindegeldern  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  b) Der Vergleich mit dem mutuum cum stipulatione von Mündelgeld  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  c) Vereine als Darlehensgeber in gräko-ägyptischen χειρόγραφα  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  d) Zur Rezeption des Formulars des χειρόγραφον bei Darlehen römischer Vereine  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  2. Die prätorischen Stipulationen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  II. Verbindlichkeiten des Vereins aus Stipulation  . . . . . . . . . . . . . . . . . 

103 103 103 103 107 112 113 117 117 117 118 122 127 129 132 134

Inhalt

1. Die novierende Stipulation zugunsten von Gläubigern einer Gemeinde  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  2. Die Strafstipulation bei Stiftungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  a) Das Zeugnis von AE 2000, 344b  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  (1) Die Sicherung des Zwecks der Stiftung von Todes wegen durch Stipulation  . . . . . . . . . . . . . .  (2) Die Struktur der Stipulation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  (3) Der Schuldner der Stipulation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  (a) Die Aussagen der Urkunde zum Parteiwillen  .. .  (b) Die Rechtsregel Nemo factum alienum promittere potest  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  (c) Die Klausel dolus malus cuius vestrum  . . . . . . .  (d) Zu einer prätorischen Haftungsüberleitung auf die Augustalenkörperschaft  . . . . . . . . . . . . . .  (4) Die Tragweite des Zeugnisses von AE 2000, 344b  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  b) Das Stipulationsversprechen als Kollektivakt  . . . . . . . . .  3. Die Verpflichtung zur Herausgabe des Stiftungsvermögens bei Stiftungen inter vivos  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  a) Die Rückgabe des Stiftungsvermögens an den Stifter  . . .  (1) Kein Fall der fiducia cum amico contracta  .. . . . . . .  (2) Zur Einordnung als Innominatkontrakt  .. . . . . . . . .  (3) Das Vorliegen einer Stipulation  .. . . . . . . . . . . . . . . . . .  b) Die Herausgabe des Stiftungsvermögens an eine andere Körperschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 3 Der Kauf  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  I. Das Zeugnis von CIL V 3411  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  II. Die Parteien eines Kaufvertrags über Gegenstände des Körperschaftsvermögens  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  III. Der Vergleich mit dem Verkauf von Gegenständen des Mündelvermögens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  IV. Die Haftung des Vertreters der Körperschaft aus dem Kaufvertrag post depositum officium  . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 4 Die locatio conductio  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  I. Der Verein als locator rei  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1. Das collegium magnum arkarum divarum Faustinarum als locator rei?  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  2. Die Haftung bei der locatio von Gegenständen des Gemeindevermögens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

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3. Der Vergleich mit der locatio von Gegenständen des Mündelvermögens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  II. Inschriftliche Zeugnisse zu Vereinen als conductores rei?  .. . . . .  1. IG XIV 830  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  2. Die lis fullonum  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 5 Das constitutum debiti  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  I. Die Erklärung des constitutum debiti gegenüber einem Vertreter oder Sklaven  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  II. Die Erklärung des constitutum debiti durch einen Vertreter  .. .  § 6 Die adjektizische Haftung der privaten Personenvereinigung für das Handeln ihrer Sklaven  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  I. Die actio quod iussu  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  II. Die actio de peculio  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  III. Die actio de in rem verso  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 7 Die Wirkung von pacta auf Forderungen und Verbindlichkeiten privater Personenvereinigungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  III. Kapitel: Die nichtvertraglichen Obligationen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 1 Die Geschäftsführung für einen Verein  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 2 Das furtum von res communes  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 3 Die Haftung wegen metus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 4 Die Haftung wegen dolus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  IV. Kapitel: Der erbrechtliche Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 1 Der Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten durch Universalsukzession  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  I. Die zivile Erbenstellung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1. Die Intestaterbfolge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  2. Die testamentarische Erbfolge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  II. Der Nachlassbesitz  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  III. Das Universalfideikommiss  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 2 Der Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten durch Vermächtnis  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  I. Das Legat  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  II. Das Fideikommiss  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1. Die Fähigkeit zum Erwerb von Fideikommissen  . . . . . . . . . .  2. Die Auslegung von Auflagen bei Stiftungen von Todes wegen als Fideikommiss  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

Inhalt

191 193 193 197 200 200 204 206 206 209 211 212 216 216 218 221 223

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Inhalt

III. Die Verpflichtung zur Herausgabe des Stiftungsvermögens bei Stiftungen von Todes wegen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1. Die Formulierung der Herausgabepflicht in der Testamentsklausel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  2. Die Einordnung als translatio legati  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  3. Die Einordnung als Fideikommiss  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  V. Kapitel: Die Obligationen aus dem Innenverhältnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 1 Die Begründung durch die lex collegii  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  I. Die Beiträge der Mitglieder  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1. Die Gebühr für die Aufnahme als Mitglied  . . . . . . . . . . . . . . . .  2. Sonstige Beiträge der Mitglieder  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  II. Die Forderungen gegen den Verein  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1. Die Forderungen der Mitglieder  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  2. Das funeraticium  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  3. Die Forderungen der Vereinsfunktionäre  .. . . . . . . . . . . . . . . . .  a) Die Sonderrechte der Vereinsfunktionäre  . . . . . . . . . . . . .  b) Der Aufwendungsersatz und die Rechnungslegungspflicht der Vereinsfunktionäre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  III. Multae  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1. Sanktionen für Amtspflichtverletzungen der Vereinsfunktionäre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  2. Sanktionen im Zusammenhang mit Stiftungen  .. . . . . . . . . . .  3. Sonstige Sanktionen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 2 Der Geltungsgrund der lex collegii im Recht der Kaiserzeit  .. . . . . . . .  I. Die Aussagen der kaiserzeitlichen leges collegii und Vereinsbeschlüsse zu ihrem Geltungsgrund  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .  II. Die kaiserzeitliche interpretatio des Zwölftafelgesetzes und die normative Grundlage für die Geltung der lex collegii  .. .  § 3 Die prozessuale Geltendmachung von Rechten aus der lex collegii  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  I. Die Klagbarkeit von Rechten aus der lex collegii  . . . . . . . . . . . . . . .  1. Die Vereinsgerichtsbarkeit  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  2. Die Klage des Gesandten gegen eine Gemeinde auf Aufwendungsersatz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  3. Die Klagbarkeit von Rechten gegen den Verein im griechischen Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  II. Die Klage aus der lex collegii  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1. Die Prozessformel der Klage  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

248 250 252 255 259 259 259 259 260 261 261 262 266 266 266 271 271 272 273 274 274 279 281 281 281 283 288 292 292

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a) Die Prozessformel in § 15 der lex rivi Hiberiensis  . . . . .  b) Die Rekonstruktion der Prozessformel der Klage aus der lex collegii  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  2. Zur ediktalen Proponierung der Klage  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 4 Die Begründung durch die cautio des Vereinsfunktionärs  .. . . . . . . . .  I. Das Zeugnis des libellus de collegio tollendo aus Alburnus Maior  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  II. Der Vergleich mit der cautio der Munizipalmagistrate  . . . . . . . .  III. Der Vergleich mit der cautio rem pupilli salvam fore  .. . . . . . . . . .  IV. Der Inhalt und die Begründung der Haftung des Vereinsfunktionärs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  VI. Kapitel: Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 1 Die ursprüngliche Regelung des Zwölftafelgesetzes zu den pactiones von sodales (XII tab. 8.27)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  I. Sodales in archaischer Zeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  II. Der Kontext des Zwölftafelsatzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1. Zur Rekonstruierbarkeit des ursprünglichen Kontextes im Zwölftafelgesetz  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  2. Der palingenetische Kontext im gaianischen Zwölftafelkommentar  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  3. Keine Regelung zur Vereinigungsfreiheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . .  III. Pactiones im archaischen Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  1. Der Vergleich mit dem griechischen Recht  . . . . . . . . . . . . . . . .  a) Die Authentizität des gaianischen Zeugnisses zur lex Solonis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  b) Die Bedeutung von διαθέσθαι in der lex Solonis  . . . . . .  (1) Beschlüsse über das Verbot der Verfügung über Vereinsvermögen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  (2) Beschlüsse über die Nutzung von Vereinsvermögen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  (3) Bußbestimmungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  c) Die lex Solonis als normative Grundlage für die Geltung der Beschlüsse der Vereinsmitglieder  . . . .  2. Die Rekonstruktion des Inhalts der pactiones  . . . . . . . . . . . . .  a) Die Regelung der Befugnis zu Verfügungen über Vereinsvermögen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

Inhalt

292 295 298 301 301 302 307 309

311 311 311 314 314 315 316 318 319 320 323 323 326 328 329 330 330

Inhalt

(1) Die Existenz von Vereinsvermögen in archaischer Zeit  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  (2) Das Regelungsbedürfnis im archaischen Recht  .. .  (3) Die Regelung der Verfügungsbefugnis als funktio­nales Äquivalent zum Aufwendungsersatz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  b) Weitere Regelungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 2 Die prozessuale Durchsetzbarkeit der pactiones im Legisaktionenverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  I. Die Zulässigkeit des lege agere alieno nomine  . . . . . . . . . . . . . . . . . .  II. Die Prozessvertretung von Vereinen im attischen Recht  . . . . . .  III. Die Rekonstruktion des lege agere für einen Verein  .. . . . . . . . . . .  1. Die legis actio sacramento in rem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  2. Die persönliche Spruchformelklage aus der pactio  . . . . . . . .  a) Die statthafte legis actio  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  b) Die Rekonstruktion der Spruchformel  . . . . . . . . . . . . . . . . 

13

330 332

334 335 336 336 339 343 343 344 345 345

VII. Kapitel: Das Wesen der Stellung als Gläubiger und Schuldner  . . . . . .  § 1 D. 3.4.7.1– 2 (Ulp. 10 ed.)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 2 Quint. inst. 5.10.111 – 118  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  § 3 Deutung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

348 348 354 360

Ergebnis   I. Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  II. Die vertraglichen Obligationen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  III. Die nichtvertraglichen Obligationen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  IV. Der erbrechtliche Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  V. Die Obligationen aus dem Innenverhältnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  VI. Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  VII. Das Wesen der Stellung privater Personenvereinigungen als Gläubiger und Schuldner  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  VIII. Gesamtergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

362 362 364 367 369 371 372 373 374

Literaturverzeichnis  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  376 Quellenregister  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  408

Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist die leicht überarbeitete und um Übersetzungen erweiterte Fassung meiner Dissertation. In Wien begonnen, wurde sie von der ­Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München im Sommersemester 2020 angenommen. Ihren Ausgang nahm sie bei der Auseinandersetzung mit der Inschrift AE 2000, 344b aus dem sacellum der Augustalen von Misenum. Meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Johannes Platschek, bin ich für die erfahrene Förderung, die große Freiheit, die er mir für meine Forschungen gewährte, und das hohe wissenschaftliche Vorbild dankbar, das er lebt und von dem ich lernen durfte. Herr Professor Dr. Dr. Dr. h. c. Alfons Bürge weckte und förderte während meines Studiums das Interesse am römischen Recht. Die Übernahme des Korreferats war gleichsam die natürliche Konsequenz, für die ich ihm von Herzen danke. Von Anfang an zeigte Herr Professor Dr. Dr. h. c. mult. Dieter Nörr (†) lebhaftes Interesse an meiner Arbeit. Sein unerschöpfliches Wissen und sein Rat waren mir eine unermessliche Hilfe. Umso mehr bedauere ich, dass er die Fertig­ stellung der Dissertation nicht mehr erlebt hat. Herrn Professor Dr. Ulrich Manthe und Herrn Professor Dr. Sebastian Lohsse danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe Forschungen zum Römischen Recht und für ihre hilfreichen Anmerkungen zu meinem Manuskript. Der Agnes-Ament-Stiftung und ihrem Vorstand, Herrn Hanspeter Beißer, bin ich für die Förderung während meines Promotionsstudiums sehr dankbar. Für wertvolle Hinweise und Anregungen danke ich Herrn Andreas ­Bartholomä, Frau Professor Dr. Kaja Harter-Uibopuu, Frau Elena Koch, Herrn Professor Dr. Philipp Scheibelreiter und Herrn Privatdozent Dr. Benedikt Strobel. Die großen Mühen des mehrmaligen Korrekturlesens meiner Arbeit hat mein Vater Günther auf sich genommen. Ich danke ihm von Herzen für diese Unterstützung, die mir sehr viel bedeutet. Ferner danke sehr herzlich Frau Dr. Susanne Zwirlein-Forschner für das Korrekturlesen mehrerer Passagen.

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Vorwort

Meine Frau Béatrice und meine Eltern Claudia und Günther haben mich mit viel Geduld und Durchhaltevermögen während der langen Jahre unterstützt, in denen ich an dieser Dissertation gearbeitet habe. Ich stehe tief in ihrer Schuld. Ihnen widme ich daher ­dieses Buch. Pöcking, im April 2021 

Bastian Zahn

Einführung

Im 10. Buch seines Ediktskommentars schreibt der severische Jurist Ulpian: D. 3.4.7.1 (Ulp. 10 ed.) Si quid universitati debetur, singulis Wenn etwas einer Gesamtheit geschuldet wird, wird non debetur: nec quod debet univer- es den Einzelnen nicht geschuldet. Und die Einzelnen schulden nicht, was die Gesamtheit schuldet. sitas singuli debent.

Der Jurist nimmt eine klare Unterscheidung vor: erstens ­zwischen der Forderung zugunsten einer Personengesamtheit (universitas) einerseits und zugunsten der Einzelpersonen andererseits, die ihre Mitglieder sind (singuli), sowie zweitens ­zwischen der Schuld einer Personengesamtheit und derjenigen ihrer Mitglieder. Eine Personengesamtheit kann also aus einer Obligation berechtigt und verpflichtet sein. Auch für Forderungen und Verbindlichkeiten gilt daher, dass die Vermögenssphären der Personenvereinigung einerseits und ihrer Mitglieder andererseits voneinander getrennt sind.1 Dieser klare Befund für das Recht am Ende der hohen Kaiserzeit ergibt sich jedoch nur für die Frage, o b eine ­solche Unterscheidung von Berechtigung und Verpflichtung existiert. Offen ist, w i e die Personengesamtheit Aktiv- und Passivforderungen erlangt. In der Forschung ist diese Frage bisher ungeklärt. Der Forschungsstand zu den vertraglichen Obligationen ist disparat. Der überwiegende Teil der Literatur – von der mittelalterlichen Glosse bis zur jüngsten einschlägigen Monographie – nimmt an, die Organe der Personenvereinigungen handelten als direkte Stellvertreter: Die Vereine würden aus vertraglichen Obligationen berechtigt bzw. verpflichtet, indem die Vereinsfunktionäre den Vertrag mit Wirkung für und gegen den Verein abschlössen.2 1 Eine Trennung der Vermögenssphären in Bezug auf dingliche Rechte ergibt sich aus D. 3.4.1.1

(Gai. 3 ed. prov.): Quibus autem permissum est corpus habere […], proprium est ad exemplum rei publicae habere res communes, arcam communem […]. Zum Ursprung dieser Unterscheidung siehe unten VI. Kap., § 1 III.2.a) (1) und (2). 2 Gl. Fierique ad D. 3.4.1.1; Waltzing II, 447, 452; Schulz, ClRL, 100 f.; Eliachevitch, Personnalité juridique, 270, 274 – 277; A. D’Ors, EJER, 424; Rabel, RP, 43; Kaser, AS II, 245 (261); ders.,

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Einführung

Soweit die Vertreter dieser Meinung hierfür überhaupt Quellenbelege anführen,3 statt offenbar moderne Vorstellungen in die Antike zu projizieren, ist die Quellenlage dünn: Nur eine einzige Digestenstelle 4 kann in diese Richtung verstanden werden; bei genauer Untersuchung trägt jedoch selbst sie nicht die These einer organschaftlichen Stellvertretung.5 Dies überrascht eigentlich nicht, denn das römische Recht kennt im Grundsatz keine direkte Stellvertretung.6 Es wäre höchst ungewöhnlich, wenn das Vereinsrecht als einziges Rechtsgebiet von der (organschaftlichen) direkten Stellvertretung geprägt wäre. Eine deutlich kleinere Zahl von Literaturstimmen nimmt die Ablehnung der direkten Stellvertretung durch die römischen Juristen ernster und gelangt zu dem Ergebnis, dass jedenfalls nach dem ius civile Personengesamtheiten nicht Vertragspartei werden können.7 Allerdings bleiben auch diese Stimmen eine überzeugende Erklärung schuldig, auf ­welche Weise Personengesamtheiten am Rechtsverkehr teilnehmen, wenn der Abschluss eines zivilen Vertrages durch einen Vereinsfunktionär dazu führt, dass nur dieser Vertragspartei wird. Zwar nimmt insbesondere Mitteis an, dass das ius honorarium die Haftung des Vereinsfunktionärs auf die Personengesamtheit übergeleitet habe.8 Doch differenziert auch diese These nur undeutlich z­ wischen den verschiedenen VertragsRP I, 261, 307, 309; De Robertis, Storia II, 279, 284 f.; Biscardi, Iura 31 (1980), 1 (11); Plescia, St. Sanfilippo I, 485 (505 mit Fn. 50, 508, 513); Ciulei, Triptyques, 71 – 73; Behrends, IuP II, 654 (679); ders., GGA 269 (2017), 194 (229 Fn. 96); Honsell/Mayer-Maly/Selb, RR, 80; Camodeca, in: Entrate, 1 (9 Fn. 26); Magioncalda, MEP 11 (2006), 193 (203); Chevreau, Mél. LefebvreTeillard, 217 (227); Groten, Corpus und universitas, 162, 317 – 319; Kaser/Knütel/Lohsse, RP,

3

4 5 6 7

8

§ 27 Rn. 3, 8, 11; vgl. auch die Annahme einer adjektizischen Haftung der Gemeinde für das Handeln ihrer Vertreter durch Aubert, CCG 10 (1999), 49 (56 – 69). Keine Quellenbelege für die These einer organschaftlichen Stellvertretung geben an Waltzing II, 447, 452; A. D’Ors, EJER, 424; Rabel, RP, 43; Kaser, AS II, 245 (261); ders., RP I, 261, 309; Biscardi, Iura 31 (1980), 1 (11); Camodeca, in: Entrate, 1 (9 Fn. 26); Magioncalda, MEP 11 (2006), 193 (203); Chevreau, Mél. Lefebvre-Teillard, 217 (227); Kaser/Knütel/Lohsse, RP, § 27 Rn. 11. D. 3.4.1.1 (Gai. 3 ed. prov.): Quibus autem permissum est corpus habere […], proprium est ad exemplum rei publicae habere […] actorem sive syndicum, per quem tamquam in re publica, quod communiter agi fierique oporteat, agatur fiat. Siehe unten I. Kap., § 3 I. Pointiert die Formulierung von Schulz, Prinzipien, 66: „Auch die direkte Stellvertretung wird, von wenigen Ausnahmefällen abgesehen, abgelehnt […]. [I]mmer nur wieder das orthodoxe Achselzucken: es geht nicht.“ Gierke, GenR III, 92 f., 156 – 158, 160 – 164; Mitteis, RP I, 382 – 385, 402 f.; Y. Thomas, Hom. Lepelley, 189 (190 – 192, 207 – 214); Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 – 382; vgl. Solazzi I, 295 (331 – 340); vgl. auch die zurückhaltenden Stellungsnahmen von Cimma, Publicani, 215; Malmendier, Societas publicanorum, 241 f. Mitteis, Stellvertretung, 73 – 77; ders., RP I, 382 f., 402 f.; ihm folgend Bricchi, in: C ­ apogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (351 – 353, 373); zurückhaltender Solazzi I, 295 (331 – 340).

Einführung

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typen.9 Ferner hat sie keinen Erklärungswert für die Zeit vor der Herausbildung des prätorischen Rechts. Angesichts der archäologischen Nachweisbarkeit von sodales in der römischen Frühzeit 10 muss die Frage beantwortet werden, wie Personengesamtheiten am Rechtsverkehr in einer Epoche teilgenommen haben, die nur das ius civile, nicht aber das ius honorarium gekannt hat. Zentrales Anliegen dieser Arbeit ist es daher zu klären, inwiefern Personengesamtheiten überhaupt Forderungen und Verbindlichkeiten erwerben können. Da sich Ulpians Aussage nicht auf vertragliche Obligationen beschränkt, sind sämtliche Arten von Obligationen im Hinblick auf diese Frage zu untersuchen. Deshalb werden nichtvertragliche Obligationen ebenso wie erbrechtliche Forderungen und Verbindlichkeiten einbezogen. Ferner muss eine Erklärung gefunden werden, wie Personengesamtheiten am Rechtsverkehr teilnehmen können, wenn infolge eines Vertragsschlusses des Vereinsfunktionärs dieser und nicht die Personengesamtheit Vertragspartei wird. Gegenstand der Untersuchung sind alle Personengesamtheiten, die unter das Edikt über die Prozessvertretung von privaten Personenvereinigungen fallen. Dies sind in erster Linie die Vereine (collegia), aber auch die als corpora organisierten Vereinigungen früherer Inhaber des Amtes der Augustalität. Für diese Personenvereinigungen kennt die römische Rechtssprache keinen einheitlichen Begriff; charakteristisch für die Quellen ist vielmehr die Häufung verschiedener Bezeichnungen, um derartige Personenvereinigungen zu benennen.11 Mit der Bezugnahme auf das Edikt ist es allerdings möglich, die privaten von den öffentlichen Personenvereinigungen abzugrenzen. Letztere fallen nicht unter ­dieses Edikt. Der römische Staat (populus Romanus) – wie sehr bald auch der fiscus Caesaris – tritt überhaupt nicht vor den ordentlichen Gerichten auf.12 Für die Prozessvertretung der Gemeinden (coloniae, municipia, civitates) gelten eigene Edikte, mit denen das Edikt über die Vertretung privater Personenvereinigungen zwar im Zusammenhang steht, aber einen von jenen geschiedenen Anwendungsbereich hat.13 Das Edikt über private Personenvereinigungen hat einen engen Bezug zur Gesetzgebung über die öffentlich-rechtliche Zulässigkeit von Vereinigungen. 9 Charakteristisch ist, dass die „Ausnahme, wenn der Vertreter durch Stipulation die Haftung 10 11 12 13

übernommen hatte“, nicht im Haupttext, sondern lediglich in der Fußnote erwähnt wird; Mitteis, RP I, 224 Fn. 68; ebenso ebd., 383 Fn. 21. CIL I2 2832a (Satricum, Latium et Campania, 6. Jhd.–480 v. Chr.); siehe unten VI . Kap., § 1 I. Siehe nur Albanese, Persone, 552 f. Fn. 3, 564 – 567 mit Fn. 46. Schulz, ClRL, 89 – 91; Kaser, RP I, 304 – 306; Albanese, Persone, 558. Siehe unten I. Kap., § 1.

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Einführung

Unter diese Gesetzgebung fallen nicht nur die collegia, sondern auch die corpora früherer Augustalen, nicht dagegen andere öffentliche Verbände wie vici und pagi.14 Aufgrund dieser von der römischen Gesetzgebung und vom prätorischen Edikt selbst getroffenen Unterscheidung ist es gerechtfertigt, dass diese Untersuchung die Augustalenkörperschaften miteinbezieht, nicht aber die vici und pagi. Der Begriff Verein wird im Folgenden nicht für die Vereinigungen früherer Augustalen gebraucht. Wenn sowohl die Vereine als auch die Augustalenkörperschaften bezeichnet werden sollen, wird von privaten Personenvereinigungen gesprochen. Als gemeinsamer Oberbegriff für diese Personenvereinigungen sowie für die Gemeinden, vici und pagi wird Körperschaften verwendet. In den erhaltenen Fragmenten der juristischen Literatur finden sich nur wenige Stellen, die sich ausschließlich mit dem Vereinsrecht befassen.15 Allein darauf gestützt, ließe sich die Stellung der Vereine als Gläubiger und Schuldner nicht rekonstruieren.16 Da die Juristen selbst oft Vereine und Gemeinden parallelisieren,17 werden auch Quellen zur Stellung der Gemeinden im Privatrecht herangezogen und daraufhin untersucht, inwiefern sie Rückschlüsse auf die Stellung der privaten Personenvereinigungen erlauben. Bei diesen Quellen ist allerdings eine öffentlich-rechtliche Überformung der Rechtsstellung der Gemeinden nicht auszuschließen. Um in derartigen Fällen unzulässige Rückschlüsse auf die Rechtslage bei privaten Personenvereinigungen zu vermeiden, wird zum Vergleich das Recht der Vormundschaft und Pflegschaft herangezogen. Die Juristen selbst vergleichen die Rechtsstellung der Magistrate und Vermögensverwalter von Gemeinden mit derjenigen der Vormünder und Pfleger.18 Eine Übereinstimmung der Rechtslage für Vertreter von Gemeinden einerseits sowie für Vormünder und Pfleger andererseits erlaubt daher sichere Rückschlüsse auf das Vereinsrecht. 14 Siehe unten I. Kap., § 2 IV.3. 15 Albanese, Persone, 565; vgl. Schulz, ClRL, 86, 88 f.; Kaser, RP I, 303; Honsell/Mayer-Maly/ Selb, RR, 76 f.; Nelson/Manthe, Kontraktsobligationen, 305; Kaser/Knütel/Lohsse, RP, § 27

Rn. 9.

16 Keine Spuren enthält die überlieferte juristische Literatur zu den Augustalenkörperschaften,

da diese zur Zeit der Kompilation nicht mehr existierten; zum Ende der Augustalität Duthoy, ANRW II.16.2, 1254 (1260, 1305 f.). 17 D. 2.4.10.4 (Ulp. 5 ed.); D. 3.4.1.1 (Gai. 3 ed. prov.); D. 3.4.2 (Ulp. 8 ed.); D. 3.4.7.2 (Ulp. 10 ed.); D. 4.2.9.1 (Ulp. 11 ed.); D. 12.2.34.1 (Ulp. 26 ed.); D. 29.2.25.1 (Ulp. 8 Sab.); D. 36.1.1.15 (Ulp. 3 fideic.); D. 36.1.6.4 (Ulp. 4 fideic.); D. 37.1.3.4 (Ulp. 39 ed.); D. 47.2.31.1 (Ulp. 41 Sab.); D. 48.18.1.7 (Ulp. 8 off. procons.). 18 D. 3.5.29 (Iul. 3 dig.); D. 4.3.15 pr.–1 (Ulp. 11 ed.); D. 4.6.22.2 (Paul. 12 ed.); D. 13.5.5.7, 9 (Ulp. 27 ed.); D. 22.1.11 pr.–1 (Paul. 25 quaest.); D. 39.2.17.2 (Ulp. 53 ed.); D. 42.1.4.1 – 2 (Ulp. 58 ed.); D. 43.24.5.10, 12 (Ulp. 70 ed.); D. 44.2.11.7 (Ulp. 75 ed.); D. 46.8.9 (Ulp. 9 ed.); D. 50.8.4 (Pap. 1 resp.).

Einführung

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Seit Theodor Mommsen 19 greifen vereinsrechtliche Untersuchungen auf die epigraphische Überlieferung zurück, die Zeugnis von der juristischen Praxis gibt.20 Erst juristische Literatur und Urkundenpraxis zusammen ergeben ein umfassendes Bild von der Rechtsstellung privater Personenvereinigungen.21 In den letzten Jahrzehnten ist eine Reihe von Inschriften publiziert worden, die für das Recht der privaten Personenvereinigungen relevant sind.22 Die jüngste Monographie zum Vereinsrecht von Groten übergeht diese neu hinzugekommenen Quellen weitgehend.23 Schon die Existenz der mittlerweile verbreiterten Quellenbasis gebietet die vorliegende Untersuchung.

19 Mommsen, De collegiis. 20 Waltzing III enthält eine umfassende Sammlung der Ende des 19. Jahrhunderts bekannten

dokumentarischen Quellen. Mennella/Apicella, Aggiornamento enthält die seitdem für Italien hinzugekommenen Quellen. 21 Nelson/Manthe, Kontraktsobligationen, 305; Bendlin, Fs. Kloppenborg, 435 (436 f.); vgl. Albanese, Persone, 565. Übermäßig skeptisch gegenüber dem juristischen Aussagegehalt der dokumentarischen Quellen Schulz, ClRL, 86; Kaser, RP I, 303, 308; Honsell/Mayer-Maly/ Selb, RR, 77. 22 Lapis satricanus (CIL I2 2832a [Satricum, Latium et Campania, 6. Jhd.–480 v. Chr.]); lex Irnitana (AE 1986, 333 [Irni, Baetica, 91]); AE 1987, 198 (Ostia, Latium et Campania, 256); AE 1987, 199 (Ostia, Latium et Campania, 254 – 256); AE 1993, 468 (Misenum, Latium et Campania, 102); AE 2000, 344a – c (Misenum, Latium et Campania, 144 bzw. 149); Suppl.It. 25 Liternum, 16 = AE 2001, 853 (Liternum, Latium et Campania, 150 – 175); Suppl.It. 25 Liternum, 17 = AE 2001, 854 (Liternum, Latium et Campania, 180 – 200); lex rivi Hiberiensis (AE 2006, 676 [Agon, Hispania citerior, 122 – 133]); AE 2008, 441 (Copia Thurii, Bruttium et Lucania, 15 – 24?); AE 2010, 242 + AE 2010, 243a (Ostia, Latium et Campania, 121); lex incerti collegii Ostiensis (AE 2012, 312 [Ostia, Latium et Campania]); AE 2013, 1578 (Milet, Asia, 131). Keine neuen Erkenntnisse für das Thema der vorliegenden Arbeit ergeben sich aus den jüngst von Eck, Fs. Lo Cascio, 299 – 319 und Koßmann, ZPE 213 (2020), 255 – 266 veröffentlichten Inschriften. 23 Nur die lex Irnitana behandelt Groten, Corpus und universitas, 265 – 268, 319 – 322 ausdrücklich. Zum lapis Satricanus (CIL I2 2832a [Satricum, Latium et Campania, 6. Jhd.–480 v. Chr.]) wird lediglich die einschlägige Sekundärliteratur (Versnel, in: Stibbe u. a., Lapis Satricanus, 95 – 150; Fiori, Fs. Serrao, 99 – 158; Humbert, AUPA 53 [2009], 27 – 53) zitiert. Die übrigen Inschriften werden überhaupt nicht erwähnt.

I. Kapitel: Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

§ 1

Der ediktale Kontext

In den Digesten findet sich die Mehrzahl der Exzerpte aus den Ediktskommentaren, die von der Prozessvertretung privater Personenvereinigungen handeln,1 im Digestentitel D. 3.4 Quod cuiuscumque universitatis nomine vel contra eam agatur. Sie stehen dort zusammen mit Exzerpten aus den Kommentierungen zur Prozessvertretung der Gemeinden 2 unter einer einheitlichen Rubrik. In der Rekonstruktion Lenels 3 steht das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen innerhalb des Titels De cognitoribus et procuratibus et defensoribus, der die Prozessvertretung insgesamt zum Gegenstand hat: 1. * Qui ne dent cognitorem. 2. * Qui ne dentur cognitores. 3. * De cognitore ad litem suscipiendam dato. 4. * De cognitore abdicando vel mutando. 5. * Quibus alieno nomine agere liceat. 6. * Quibus alieno nomine, item per alios agere non liceat. 7. * Quibus municipum nomine agere liceat. 8. * De defendendo eo, cuius nomine quis aget, et de satisdando. 9. * Quod adversus municipes agatur. 10. Quod cuiuscumque universitatis nomine vel contra eam agatur. 11. De negotiis gestis.

1 Vgl. Lenel, EP, 100 Fn. 6 – 8. 2 Vgl. Lenel, EP, 97 Fn. 4 – 5, 99 Fn. 1. 3 Lenel, EP, 86. Die Rubrikenbezeichnungen sind der Übersicht des Edikts ebd., XVII ent-

nommen; der Asterisk kennzeichnet die rekonstruierten Rubriken.

Der ediktale Kontext

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Der Titel beginnt mit den Edikten zum förmlich bestellten Prozessvertreter,4 dem cognitor (Nr. 1 – 4).5 Es folgen die Edikte zum formlos bestellten p­ rocurator 6 sowie zu tutor und curator (Nr. 5 – 6).7 Danach steht das Edikt über die Prozessvertretung einer Gemeinde (Nr. 7), das nach Lenel die Vertretung in Aktivprozessen der Gemeinde zum Gegenstand hat, also die Vertretung in Prozessen für die Gemeinde.8 Daran schließt sich das Edikt über die Defensions- und Kautionspflicht des formlos bestellten Prozessvertreters an (Nr. 8), mit dem zugleich die Reihe der Edikte beginnt, die nach der Interpretation Lenels Passivprozesse betreffen.9 Das nächste Edikt handelt von der Vertretung einer Gemeinde im Passivprozess (Nr. 9).10 Es attrahiert das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen, das an der folgenden Stelle steht (Nr. 10).11 Als letztes folgt das Edikt De negotiis gestis (Nr. 11), dessen Ursprung in der defensio der abwesenden Partei liegt und das deshalb nach Lenel ebenfalls unter die Edikte über die Passivprozesse fällt.12 Diese Rekonstruktion beruht im Wesentlichen auf zwei Beobachtungen Lenels: Die erste bezieht sich auf die Verweisungen einiger Edikte auf die voran­ gehenden. So enthält das Edikt Nr. 6 über die nicht förmlich bestellten Prozessvertreter Verweisungen auf die kognitorischen Edikte Nr. 1 und 2.13 Diese Verweisungstechnik wird bestätigt durch eine Verweisung, die Lenel noch unbekannt gewesen ist, weil sie sich in der 1981 gefundenen lex Irnitana findet: c. 70 l.Irn. = AE 1986, 333, tab. VIIIA, Z. 40 – 41 (Irni, Baetica, 91) [...] [d]um eum eligant cui per edi­ [...] sofern sie jemanden auswählen, dem es gemäß dem Edikt ctum eius qui provin/ciae praerit dessen, welcher der Provinz vorsteht, erlaubt ist, Prozessver[act]ori aut cognitori esse licebit. [...] treter [einer Personenvereinigung] oder Kognitor zu sein.

Im Rahmen der Bestimmung zur Bestellung des Prozessvertreters der Gemeinde (actor municipum) findet sich die Regelung, dass die decuriones zum actor nur Personen bestellen dürfen, die nach dem Provinzialedikt actor oder cognitor sein dürfen. Diese Bezugnahme zeigt nicht nur, dass die flavischen Stadtrechte 4 Vgl. Gai. 4.84: Cognitor autem certis verbis in litem coram adversario substituitur […]. 5 Lenel, EP, 86. 6 Vgl. Gai. 4.85: Procurator vero nullis certis verbis in litem substituitur, sed ex solo mandato et

absente et ignorante adversario constituitur […].

7 Lenel, EP, 86. 8 Lenel, EP, 99. 9 Lenel, EP, 86 f. 10 Lenel, EP, 86. 11 Lenel, EP, 86. 12 Lenel, EP, 86. 13 Lenel, EP, 86.

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

auf das Provinzialedikt Bezug nehmen,14 sondern setzt auch voraus, dass das Edikt über den actor municipum auf die kognitorischen Edikte verweist. Einen weiteren Verweis auf ein vorangehendes Edikt enthält jenes über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen: D. 3.4.1.1 (Gai. 3 ed. prov.) Quibus autem permissum est corpus habere  […], proprium est ad exemplum rei publicae habere res communes, arcam communem et actorem sive syndicum, per quem tamquam in re publica, quod communiter agi fierique oporteat, agatur fiat.

Für diejenigen aber, denen es gestattet ist, eine körperschaftliche Organisation […] zu haben, ist es kennzeichnend, nach dem Vorbild eines Gemeinwesens gemeinsame Vermögensgegenstände, eine gemeinsame Kasse und einen Prozessvertreter oder syndicus zu haben, durch den – so wie bei einem Gemeinwesen – getan werden und geschehen soll, was gemeinsam getan werden und geschehen muss.

Wenn Gaius an dieser Stelle das proprium der privaten Personenvereinigungen definiert, auf die das Edikt anwendbar ist, und dabei mit res communes und arca communis auf deren Vermögen Bezug nimmt, handelt es sich zwar unbestreitbar um Ausführungen nicht zum Prozessrecht, sondern zum materiellen Recht. Soweit der Jurist jedoch auch bezüglich des actor der privaten Personenvereinigungen festhält, dass er ad exemplum rei publicae diese vor Gericht vertritt, also wie der actor municipum, handelt es sich um eine Bezugnahme auf den Inhalt des Edikts Quibus municipum nomine agere liceat,15 die es wahrscheinlich macht, dass auch das prätorische Edikt selbst einen Verweis auf das vorangehende Edikt enthält. Die zweite Beobachtung Lenels bezieht sich auf die Verteilung der Edikte zur Prozessvertretung von Gemeinden und privaten Personenvereinigungen. Die Kommentierung dieser Edikte ist im ulpianischen Kommentar ad edictum über die Bücher 9 und 10 verteilt,16 während Gaius und Paulus sie im selben Buch ihrer Kommentare behandeln.17 Das Edikt Quod municipum nomine agere liceat kommentiert Ulpian im 9. Buch,18 dagegen im 10. Buch die Edikte Quod adversus municipes agatur und über die Prozessvertretung privater Personen-

14 González/Crawford, JRS 76 (1986), 147 (222). Vgl. Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/

Gabba, Statuti municipali, 261 (291 – 293, 308 f.); Lamberti, Tabulae Irnitanae, 120 mit Fn. 121.

15 Vgl. Lenel, EP, 100 Fn. 9; Platschek, Index 40 (2012), 617. 16 Lenel, EP, 97 Fn. 4, 99 Fn. 1, 100 Fn. 6. 17 Lenel, EP, 97 Fn. 5, 99 Fn. 2, 100 Fn. 7 – 8. 18 Für D. 3.4.3 und D. 41.1.41 ergibt sich das bereits aus der Inskription. D. 3.4.5 trägt dagegen

die Inskription Ulpianus libro octavo ad edictum. Doch dürfte dies aus einer Verlesung aus libro VIIII zu libro VIII zu erklären sein; Lenel, EP, 98; ders., Pal. II, Sp. 452 Fn. 1; vgl. ­Kaiser, SZ 134 (2017), 491 (495 – 511).

Der Anwendungsbereich des Edikts

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vereinigungen.19 Hieraus folgert Lenel eine klare Trennung der beiden Materien im prätorischen Edikt,20 die von der Rubrik in den Digesten verdeckt wird, weil sie beide Materien umfasst.21 Ein weiteres Indiz für die Trennung der Kommentierung ist die Struktur der pseudo-ulpianischen opiniones. Insgesamt lässt sich diese zwar als eine Version des Codexsystems beschreiben,22 doch abweichend von den Codices Gregorianus, Theodosianus und Iustinianus wird das Munizipalrecht bereits in den Büchern 2 und 3 behandelt.23 Daran schließt sich im 4. Buch eine Behandlung des Vereinsrechts sowie der Prozessvertretung von Einzelpersonen (cognitor und procurator) und der negotia gesta an.24 Diese Struktur weist Anklänge an die Materienfolge des prätorischen Edikts auf: Das Munizipalrecht mit seinen öffentlich-rechtlichen Inhalten wird als Annex der Edikte über die Prozessvertretung der Gemeinden aufgefasst und deshalb im Umkreis der übrigen Materien des Ediktstitels De cognitoribus et procuratoribus et defensoribus behandelt. Gleichzeitig steht es jedoch nicht im selben Buch wie das Vereinsrecht, was dafür spricht, dass auch das Edikt die Prozessvertretung der Gemeinden deutlich von derjenigen der privaten Personenvereinigungen trennt.

§ 2

Der Anwendungsbereich des Edikts

I. Das Zeugnis des Gaius in D. 3.4.1 (Gai. 3 ed. prov.) Das in D. 3.4.1 überlieferte Exzerpt des gaianischen Kommentars ad edictum provinciale ist die längste erhaltene Passage zum Edikt über die Prozessvertretung 19 D. 3.4.7, D. 12.1.27, D. 15.4.4, D. 43.16.4, D. 50.16.15, 17. 20 Lenel, EP, 100; vgl. auch ebd., 86. Soweit sich Lenel, ebd., 100 Fn. 9 allerdings auf den Wortlaut

der Digestenfragmente beruft, um eine klare Trennung der Kommentierung zur Prozessvertretung der municipes einerseits und der privaten Personenvereinigungen andererseits zu begründen, unterstellt er einen technischen Gebrauch des – von ihm zudem als interpoliert angesehenen (ebd., 100 Fn. 5) – Wortes universitas ausschließlich für private Personenvereinigungen in der Textstufe der Kompilation, der sich nicht nachweisen lässt. Wie D. 3.4 rubr. zeigt, benutzt die Kompilation universitas als Oberbegriff sowohl für Gemeinden als auch für sonstige Personenvereinigungen. Dagegen lässt sich jeweils ein unterschiedlicher Gebrauch von universitas in den Ediktskommentaren des Gaius (siehe unten I. Kap., § 2 IV.2.), des Paulus (siehe unten I. Kap., § 3 II.) und Ulpians (siehe unten I. Kap., § 3 I.; VII. Kap., § 1) belegen. 21 Rudorff, EP, 52 nimmt dagegen eine gemeinsame Generalrubrik Quod cuiuscumque universitatis nomine vel contra eam agatur bereits für das edictum perpetuum an. 22 Liebs, TR 41 (1973), 279 (304 f.); ders., HLL IV, 68; ders., SZ 134 (2017), 409 (432). 23 Liebs, TR 41 (1973), 279 (302, 305). 24 Liebs, TR 41 (1973), 279 (303 mit Fn. 106).

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

privater Personenvereinigungen. Sie beginnt mit Ausführungen dazu, dass die Bildung privater Personenvereinigungen nicht ohne weiteres erlaubt ist: D. 3.4.1 pr. (Gai. 3 ed. prov.) Neque societas neque collegium neque huiusmodi corpus passim omnibus habere conceditur: nam et legibus et senatus consultis et principalibus constitutionibus ea res coercetur. Paucis admodum in causis concessa sunt huiusmodi corpora: ut ecce vectigalium publicorum sociis permissum est corpus habere vel aurifodinarum vel argentifodinarum et salinarum. Item collegia Romae certa sunt, quorum corpus senatus consultis atque constitutionibus principalibus confirmatum est, veluti pistorum et quorundam aliorum, et naviculariorum, qui et in provinciis sunt.

Eine Gesellschaft, einen Verein oder eine andere derartige körperschaftliche Organisation zu haben, ist nicht allen ohne weiteres erlaubt. Denn diese Angelegenheit wird durch Gesetze, Senatsbeschlüsse und Kaiserkonstitutionen beschränkt. Nur in wenigen Fällen sind derartige körperschaftliche Organisationen erlaubt. So ist etwa den Gesellschaftern zur Pacht von öffentlichen Abgaben oder von Gold- oder Silbergruben und von Salzwerken gestattet, eine körperschaftliche Organisation zu haben. Ebenso gibt es in Rom bestimmte Vereine, deren körperschaftliche Organisation durch Senatsbeschlüsse und Kaiserkonstitutionen bestätigt worden ist, etwa [die Vereine] der Bäcker oder einiger anderer sowie der Schiffseigner, die auch in den Provinzen bestehen.

Nach dem Digestentext wird nicht allen erlaubt, eine societas, ein collegium oder ein ähnliches corpus zu haben (habere), da diese Angelegenheit durch leges, senatus consulta und Kaiserkonstitutionen geregelt wird. Nur in wenigen Fällen wird ein derartiges corpus gestattet (concess[um]). Gaius führt hierzu zwei Beispiele an: zum einen die socii vectigalium publicorum, zum anderen die collegia in der Stadt Rom. Für die stadtrömischen collegia präzisiert Gaius, dass ihr corpus durch senatus consulta und Kaiserkonstitutionen bestätigt wird (confirmatum); leges werden an dieser Stelle nicht mehr erwähnt. Es fällt sofort auf, dass Gaius sich nicht darauf beschränkt, nur die Rechtsverhältnisse in der Provinz darzustellen. Steuerpächter, sein erstes Beispiel, finden sich in Rom wie in der Provinz.25 Das zweite Beispiel bezieht sich auf die stadtrömischen collegia, auf die das Edikt des praetor urbanus anwendbar ist. Am Ende der Passage erwähnt schließlich Gaius, dass Vereinigungen einiger der genannten Berufszweige auch in den Provinzen bestehen. Daher kann der Text als Quelle für die Rechtsstellung sowohl der stadtrömischen als auch der provinzialen Vereine herangezogen werden. 1. Zur Authentizität des überlieferten Textes Offenkundig ist, dass der erste Satz des principium grammatikalisch nicht korrekt ist, da societas im Nominativ steht, während conceditur den accusativus

25 Vgl. nur Andreau, s. v. Publicani, DNP 10, Sp. 575 f.

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Der Anwendungsbereich des Edikts

cum infinitivo verlangt.26 Cohn hat daher vorgeschlagen, societas zu sodalicium zu emendieren.27 Er kann sich dabei auf das Zeugnis des Basilikentexts stützen, der den Beginn des principium wie folgt wiedergibt: B. 8.2.101 (Sch. A I 433; Hb. I 419) Gaíu. Οὐ πᾶσιν ἐφεῖται ποιεῖν ἑταιρείας ἢ συστήματα ἢ σωματεῖα, […].

Nicht allen ist es erlaubt, Genossenschaften, Vereinigungen oder körperschaftliche [Organisationen] zu gründen […].

Dieselbe Übersetzung findet sich in der ἑρμηνεία des Basilikentextes, die zu den älteren Basilikenscholien zählt 28: Schol. Ὁ τίτλος ad B. 8.2.101 (Sch. B I 166; Hb. I 419) […] ὁ Γάϊος διδάσκει, τίσιν ἐπιτέτραπ­ ται ἑταιρείαν ἢ κολέγιον ἢ σωματεῖον συστήσασθαι. Λέγει γάρ, ὅτι οὔτε ἑταιρείαν, οὔτε κολέγιον, οὔτε σύστημα, οὔτε σωματεῖον ἐφεῖται τοῖς τυχοῦσι χύδην ἢ ὡς ἔτυχε ἔχειν […].

[…] Gaius lehrt, wem es erlaubt ist, eine Genossen­ schaft, ein collegium oder eine körperschaftliche [Organisation] zu bilden. Er sagt nämlich, dass eine Genossenschaft, ein collegium, eine Vereinigung oder eine körperschaftliche [Organisation] zu haben, gewöhnlichen Personen nicht ohne weiteres erlaubt ist.

Dass ἑταιρεία die griechische Übersetzung von sodalicium ist, und zwar bereits eine von den klassischen Juristen selbst gebrauchte, belegt der Zwölftafelkommentar des Gaius, wenn der Jurist den Begriff sodales, der in den Zwölf Tafeln verwendet wird, mit qui eiusdem collegii sunt erläutert und hieran den Hinweis anschließt: quam Graeci ἑταιρείαν vocant.29 Dies macht es wahrscheinlich, dass die antecessores im 6. Jahrhundert n. Chr. über eine Vorlage verfügt haben, die sodalicium anstelle von societas enthalten hat.30 26 Kniep, Societas Publicanorum, 241 f.; Mitteis, RP I 396 Fn. 25; Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 153; De Robertis, Storia II, 386 f.; Cimma, Publicani, 179 – 181; Malmendier, Societas

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publicanorum, 253 Fn. 679; Fleckner, Kapitalvereinigungen, 408; Groten, Corpus und universitas, 154. Mommsen, ed. mai. I, 96 Fn. 1 und Waltzing II, 445 Fn. 3 erwägen stattdessen die Emendation haber conceditur. Cohn, Vereinsrecht, 178 f. Zustimmend Kniep, Societas Publicanorum, 241 f.; Mitteis, RP I, 396 Fn. 25; H. Krüger, SZ 29 (1908), 516 (520); Fleckner, Kapitalvereinigungen, 400 – 410; zurückhaltender Gierke, GenR III, 42 f. Fn. 22; Duff, Personality, 143 f. Ablehnend Cimma, Publicani, 186 – 190; Meissel, Fs. Sirks, 513 (523). Für die Emendation societa Groten, Corpus und universitas, 154. De Jong, Subseciva Groningana 9 (2014), 327 (330). D. 47.22.4 (Gai. 4 l. XII tab.). Zur Funktion des Vergleichs mit griechischen Ausdrücken allgemein Babusiaux, Fs. Sirks, 35 – 59. Cohn, Vereinsrecht, 176; Fleckner, Kapitalvereinigungen, 400 – 410. De Jong, Subseciva ­Groningana 9 (2014), 327 (330 f., 338, 341) nimmt dagegen – wenig plausibel – an, dass ἑταιρεία eine von D. 47.22.4 inspirierte, archaisierende Fehlübersetzung von societas sei,

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

Diese Hypothese gewinnt durch die lex Irnitana an Plausibilität, eine Quelle, die Cohn noch nicht bekannt gewesen ist: c. 74 l.Irn. = AE 1986, 333, tab. VIIIB, Z. 48 – 51 (Irni, Baetica, 91) R(ubrica). De coetu sodalicio collegio. /

Über eine Versammlung, eine Genossenschaft und einen Verein.

Ne quis in eo municipio coetum facito, neve sodalici[um] conle/50giumve eius rei causa{m} habeto, neve habeatur coniurato,  / neve facito quo quid earum rerum fiat. […]

Niemand soll in ­diesem municipium eine Versammlung durchführen, zu ­diesem Zweck eine Genossenschaft oder einen Verein haben, an einer Verschwörung teilnehmen oder bewirken, dass eines dieser Dinge geschieht. [...]

Die Vorschrift verbietet zum einen Versammlungen und zum anderen Vereinigungen, deren Zweck die Durchführung von Versammlungen ist.31 Die Vereinigungen werden in der Rubrik und im Normtext als sodalicium und als collegium bezeichnet. Gaius verwendet in seinem Kommentar des Provinzialedikts an zweiter Stelle den Begriff collegium, wenn er über die Erlaubnis von Vereinigungen schreibt. Collegium fügt sich ohne Probleme in die Grammatik des Satzes ein, was nicht für das in den Handschriften überlieferte societas gilt. Die Verwendung von collegium an zweiter Stelle einer Aufzählung von Vereinigungen findet sich sowohl bei Gaius als auch in der lex Irnitana. Daher liegt es nahe, dass sich an erster Stelle in der gaianischen Aufzählung ursprünglich sodalicium befunden hat, das sich grammatikalisch in den Satz einfügt. Dem Vorschlag Cohns ist also zu folgen und der Beginn des gaianischen Fragments wie folgt zu emendieren: D. 3.4.1 pr. (Gai. 3 ed. prov.) Neque so neque collegium neque huiusmodi corpus passim omnibus habere conceditur: […].

Zu dieser Emendation passt, dass sich sodalicium und collegium – wenngleich in vertauschter Reihenfolge – auch bei Marcian finden,32 es sich also um eine feststehende Wendung handelt.33 Wenn sich diese Begrifflichkeit in der lex I­ rnitana deren ­Verwendung in der Vorlage der antecessores sie ohne jede Problematisierung unterstellt. Eine Fehlübersetzung liegt jedoch schon deshalb fern, weil societas regelmäßig mit κοινωνία wiedergegeben wurde, wie sie selbst ebd., 337 feststellt. Zudem bleibt sie eine Erläuterung der Motive für einen derartigen Archaismus schuldig. 31 Näheres siehe unten I. Kap., § 2 II. 32 D. 47.22.1 pr. (Marcian. 3 inst.): Mandatis principalibus praecipitur praesidibus provinciarum, ne patiantur esse collegia sodalicia […]. Zum Gebrauch der beiden Ausdrücke Bendlin, Fs. Kloppenborg, 435 – 463. 33 Kniep, Societas publicanorum, 242; Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 239 Fn. 1; Duff, Personality, 112; Groten, Corpus und universitas, 268 f. Der Konjekturvorschlag c­ ollegia

Der Anwendungsbereich des Edikts

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und damit in einem normativen Text findet, ist es wahrscheinlich, dass Gaius und Marcian ihre juristischen Fachtexte in Anlehnung an die Terminologie normativer Texte formuliert haben, die Gesetzessprache also Vorbild der Fachsprache gewesen ist.34 Damit ist noch nicht geklärt, wie es zur Veränderung des gaianischen sodalicium zu societas im Digestentext gekommen ist. Ein gezielter Texteingriff ist jedoch wahrscheinlich. Der Ausdruck sodalicium erscheint im gesamten Corpus Iuris Civilis nur ein einziges Mal in D. 47.22.1 pr. (Marcian. 3 inst.), der verwandte Ausdruck sodales ebenfalls nur einmal in D. 47.22.4 (Gai. 4 l. XII tab.). Beide Fragmente entstammen dem Digestentitel D. 47.22, dessen Rubrik De collegiis et corporibus im Index titulorum des Codex Floren­ tinus mit De collegiis i l l i c i t i s et corporibus und in den Basiliken 35 mit Περὶ ἑ τ α ι ρ ι κ ῶ ν συστημάτων καὶ σωματείων […] wiedergegeben wird.36 Das Adjektiv ἑταιρικόν beschreibt den Ausdruck σύστημα näher und entspricht dem Adjektiv illicitum, mit dem im Index titulorum der Ausdruck collegium qualifiziert wird. Das Wort σωματεῖον wird – wie in der Konstitution Justinians zum erbrechtlichen Erwerb durch incertae personae 37 – substantivisch verwendet und entspricht dem lateinischen corp[us] der Digestenrubrik. Im Bedeutungshorizont der Kompilatoren stehen also sodalicium und ἑταιρεία für verbotene Vereinigungen.38 In der lex Irnitana hat sodalicium ebenso wie sodales im Zwölftafelkommentar des Gaius dagegen eine neutrale Bedeutung. Im Marcian-Text – in seiner in den Digesten überlieferten Gestalt – klingt indes eine Bedeutungsverschiebung hin zu verbotenen Vereinigungen an, wobei sich nicht ausschließen lässt, dass dieser Eindruck auf einer Kürzung der Kompilatoren beruht. Dieser Befund zum Gebrauch von sodalicium und sodales in der justinianischen Kompilation legt es nahe, dass sodalicium in D. 3.4.1 pr.–1 (Gai. 3 ed. prov.) durch societas ersetzt worden ist, um einen Ausdruck zu vermeiden, dessen Bedeutung sich für die Kompilatoren auf verbotene Vereinigungen verengt hat. Denn im Zusammenhang der Kompilation handelt D. 3.4.1 pr.–1 von den erlaubten Vereinigungen. Ein Wort, dessen Bedeutung in justinianischer Zeit ausdrücklich nur noch verbotene

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s­ odalicia von Bendlin, Fs. Kloppenborg, 435 (459 – 461) berührt nicht die Existenz einer feststehenden Wendung der Gesetzessprache an sich. Verfehlt daher der Vorwurf einer „arbiträre[n] Korrektur“ bei Mattiangeli, Societas und corpus, 340. B. 60.32 rubr. (Sch. A VIII 2937; Hb. V 668). Zur Entstehung der voneinander abweichenden Rubriken im Text der Digesten und im Index titulorum siehe unten VI. Kap., § 1 II.3. C. 6.48.1.10 (Iust., a. 528 – 529): τῷ τῶν ἰατρῶν ἢ διδασκάλων ἢ συνηγόρων σωματείῳ. Fleckner, Kapitalvereinigungen, 410; vgl. Cohn, Vereinsrecht, 178.

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

Vereinigungen erfasst, hätte die Aussage des principium des Digestenfragments gestört, dass Vereinigungen zulässig sind, die aufgrund von Gesetzen, Senatsbeschlüssen oder Kaiserkonstitutionen erlaubt sind. Aus d ­ iesem Motiv ist societas für sodalicium interpoliert worden. 2. Der Begriff des corpus bei Gaius a) Keine Rezeption der stoischen σῶμα-Lehre

Wenn sich Gaius mit den Worten sodalicium und collegium an die Gesetzessprache anlehnt, ist auch darüber nachzudenken, aus welchem Grund er als drittes Wort corpus verwendet. Eine Reihe von Autoren sieht hierin eine Rezeption der stoischen Lehre von den Körpern und ihre Nutzbarmachung für die juristische Dogmatik.39 Ihr Anknüpfungspunkt ist ein Fragment aus dem Sabinus-Kommentar des Pomponius: D. 41.3.30 pr. (Pomp. 30 Sab.) Rerum mixtura facta an usucapionem cuius­ que praecedentem interrumpit, quaeritur. Tria autem genera sunt corporum, unum, quod continetur uno spiritu et Graece ἡνωμένον vocatur, ut homo tignum lapis et similia: alterum, quod ex contingentibus, hoc est pluribus inter se cohaerentibus con­ stat, quod συνημμένον vocatur, ut aedificium navis armarium: tertium, quod ex distantibus constat, ut corpora plura non 40 soluta, sed uni nomini subiecta, veluti populus legio grex. Primum genus usucapione quaestionem non habet, secundum et tertium habet.

Es wird gefragt, ob die erfolgte Vermischung von Sachen eine vorausgehende Ersitzung unterbricht. Es gibt drei Arten von Körpern: eine, die von einem Geist zusammengehalten wird und griechisch ἡνωμένον (einheitlich) genannt wird, wie ein Mensch, ein Balken, ein Stein und ähnliche; eine andere, die aus sich berührenden, d. h. mehreren untereinander zusammenhängenden [Körpern] besteht, die συνημμένον (zusammengesetzt) genannt wird, wie ein Gebäude, ein Schiff und ein Schrank; eine dritte, die aus ausein­anderliegenden [Körpern] besteht, wie mehrere Körper, die nicht [vonein­ander] getrennt, sondern einer Bezeichnung unterworfen sind, wie ein Volk, eine Legion und eine Herde. Die erste Art spielt für die Frage der Ersitzung keine Rolle, die zweite und die dritte Art spielen eine Rolle.

39 Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 177 – 179; Orestano, Persone giuridiche, 130 – 132, 171 – 176; Behrends, IuP II, 654 (685 – 687); ders., IuP I, 366 (386 f.); ders., SZ 112 (1995), 195 (222 f.); ders., SZ 125 (2008), 25 (48); ders., Index 41 (2013), 145 (146, 149 f., 160 mit Fn. 44 f.); ders., GGA 269 (2017), 194 (194 f., 224 – 228); ders., GGA 270 (2018), 48 – 54; Groten, Corpus und universitas, 157 – 162; vgl. Kaser/Knütel/Lohsse, RP, § 27 Rn. 3. 40 So die handschriftliche Überlieferung; ed. mai. II, 522 mit Fn. 2 und App. zu Z. 18. Hierzu

Mantovani, Juristes écrivains, 96 Fn. 40.

Der Anwendungsbereich des Edikts

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Das Fragment entstammt der Kommentierung de aquirendo rerum dominio.41 Der Jurist wendet sich der Frage zu, ob die Vermischung mehrerer Sachen zu einer Unterbrechung der Ersitzung führt. Dazu referiert er folgende drei Gruppen von Körpern (corpora): Die erste Gruppe sind einheitliche Körper wie einzelne Menschen, Balken oder Steine. Die zweite Gruppe besteht aus zusammengesetzten Körpern wie Gebäuden, Schiffen oder Schränken. Die dritte Gruppe umfasst schließlich Körper, die aus mehreren Einzelkörpern bestehen und einen einheitlichen Namen tragen wie ein Volk, eine Legion oder eine Herde. Die Herkunft dieser Dreiteilung der Körper aus der stoischen Philosophie ist allgemein anerkannt.42 Die Erwähnung des populus unter den corpora ex distantibus hat die genannten Autoren dazu verführt, in der Verwendung des Ausdrucks corpus für private Personenvereinigungen bei Gaius und anderen Juristen 43 eine Rezeption der stoischen σῶμα-Lehre zu erblicken. Da Gaius Sabinianer ist und Pomponius die stoische Lehre in seinem Sabinus-Kommentar erwähnt, hat insbesondere Behrends hieraus eine spezifisch sabinianische Lehre von der Rechtsfähigkeit von Personenvereinigungen gefolgert.44 Richtig ist zwar, dass der populus Romanus der Rechtsträger des römischen Staates ist.45 Doch schon ein Blick auf die weiteren zwei Beispiele des Pomponius macht es unwahrscheinlich, dass die Rezeption der Stoa gerade mit Blick auf das P ­ roblem der Rechtsfähigkeit erfolgt wäre: Legio und grex kommen als Träger von Rechten und Pflichten nicht in Frage.46 Da diese Beispiele zudem den Beispielen der 41 Lenel, Pal. II, Sp. 138 f. 42 Sie findet sich in der juristischen Literatur in Iul. apud I. 2.20.18 und D. 6.1.23.5 (Paul. 21 ed.). 43 44

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Ausführlich zur stoischen σῶμα-Lehre Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 180 – 190; Groten, Corpus und universitas, 87 – 132, 147; Babusiaux, Fs. Sirks, 35 (37 f.). Siehe die Belege bei Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 147 – 154. Behrends, IuP I, 366 (386 f.); ders., SZ 125 (2008), 25 (48 mit Fn. 47); ders., Index 41 (2013), 145 (160 mit Fn. 44 f.); vgl. Groten, Corpus und universitas, 73 f. Die allgemeine Rezeption der stoischen σῶμα-Lehre schreiben auch Ehrhardt, SZ 70 (1953), 299 (309 – 312); Wieacker, Fs. Rabel II, 263 (284 f.); Orestano, Persone giuridiche, 130; Hammerstein, Herde, 15 f. bereits Sabinus zu. Siehe nur Mitteis, RP I, 347; vgl. Kaser, RP I, 304. Wenn Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 295 – 298 Fn. 3 eine Rechtsfähigkeit der legio mit Blick auf die Praxis des römischen Militärs annimmt, einen Teil des Soldes bei Unteroffizieren in Verwahrung zu geben und daran anknüpfend eine gemeinsame Kasse der gesamten Legion einzurichten, übersieht er, dass die Terminologie sowohl der literarischen (Suet. Dom. 7.3; Veg. mil. 2.20) als auch der dokumentarischen (P.Gen. lat. 1 = Rom.Mil. Rec. 68 [81 – 90]; P.Aberd. 133 = Rom.Mil.Rec. 70 [193 – 196]; PSI IX 1063 = Rom.Mil.Rec. 74 = FIRA2 III 126 [3. September 117]; P.Hamb. inv. 445 [2. – 3. Jhd.]) Quellen eine deutliche Nähe zum Verwahrungsvertrag erkennen lässt; siehe zuletzt Mitthof/Stauner, Tyche 31 (2016), 205 (206 – 208, 217 – 219). Eigentümer des Geldes sind also die Soldaten, nicht die militärische Einheit. Dasselbe wird auch Prämisse der kaiserrechtlichen Zuweisung von Vermögen an

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

griechischen und lateinischen philosophischen Literatur ähneln,47 ist es von vornherein gewagt, der Erwähnung des populus bei Pomponius rechtsdogmatische Bedeutung beizumessen. Plausibler ist, hierin lediglich eine Übernahme oder eine variatio der Beispiele in der Vorlage des Juristen zu erblicken. Dafür spricht insbesondere, dass Pomponius nicht von der Rechtsfähigkeit von Personenmehrheiten handelt, sondern von der Ersitzung, also nicht von Rechtssubjekten, sondern von Rechtsobjekten.48 Wenn die Stoa-Rezeption eine juristische Bedeutung haben sollte, müsste sie sich zuvörderst auf die Frage der Ersitzung auswirken.49 Wie der Fortgang des Fragments zeigt, ist dies jedoch nur sehr begrenzt der Fall: D. 41.3.30.1–2 (Pomp. 30 Sab.) 1. Labeo libris epistularum ait, si is, cui ad tegularum vel columnarum usucapionem decem dies superessent, in aedificium eas coniecisset, nihilo minus eum usucapturum, si aedificium possedisset. Quid ergo in his, quae non quidem implicantur rebus soli, sed mobilia permanent, ut in anulo gemma? In quo verum est et aurum et gemmam possideri et usucapi, cum utrumque maneat integrum.

Labeo schreibt in den Büchern seiner epistulae, dass, wenn derjenige, dem zur Ersitzung von Ziegeln oder Säulen zehn Tage übriggeblieben sind, sie in ein Gebäude einbauen lässt, dennoch ersitzen wird, wenn er das Gebäude besitzt. Was gilt also hinsichtlich der Sachen, die nicht mit unbeweg­lichen Sachen verbunden werden, sondern beweglich bleiben, wie ein Edelstein in einem Ring? Hinsichtlich dessen trifft zu, dass sowohl das Gold als auch der Edelstein besessen und ersessen werden, da beide im vorherigen Zustand bleiben.

2. De tertio genere corporum videndum est. Non autem grex universus sic capitur usu quomodo singulae res, nec sic quomodo cohaerentes. Quid ergo est? Etsi ea natura eius est, ut adiectionibus corporum maneat, non item tamen universi gregis ulla est usucapio, sed singulorum animalium sicuti possessio, ita et usucapio. Nec si quid emptum immixtum fuerit gregi augendi eius gratia, idcirco possessionis causa mutabitur, ut, si reliquus grex dominii mei sit, haec quoque

Wegen der dritten Art von Körpern muss man sehen. Eine gesamte Herde wird nämlich nicht wie eine einzelne Sache und ebensowenig wie zusammenhängende Sachen ersessen. Was gilt also? Auch wenn es ihre Natur ist, dass sie bei Hinzufügung einzelner Körper gleichbleibt, gibt es dennoch keine Ersitzung der gesamten Herde, sondern so wie es [nur] einen Besitz der einzelnen Tiere gibt, so ist es auch mit der Ersitzung. Wenn [ein Tier] gekauft und der Herde hinzugefügt wird, um sie zu vergrößern, ändert sich der Rechtsgrund des Besitzes dadurch nicht, sodass, wenn die übrige Herde in meinem Eigentum steht, auch

militärische Einheiten sein; D. 40.5.4.17 (Ulp. 60 ed.); D. 28.3.6.7 (Ulp. 10 Sab.); C. 6.62.2 = C.Th. 5.6.1 (Constant., a. 347); C. 6.62.3 (Constant., a. 349). 47 Sen. epist. 102.6: exercitus, populus, senatus; Plu. moralia 142E: στόλο[ς] καὶ στρατόπεδον; Plu. moralia 426A: ἐκκλησία καὶ στράτευμα καὶ χορός; S. E. m. 9.78: στρατιαὶ καὶ ποῖμναι καὶ χοροί; vgl. auch S. E. m. 7.102; Simp. in cat., p. 214: στρατ[ός], χορ[ό]ς. Hierin sieht den Beleg einer Schultradition Hammerstein, Herde, 14 f. 48 Ehrhardt, SZ 70 (1953), 299 (309); Holthöfer, Sachteil, 21 Fn. 43; Platschek, ZHR 181 (2017), 153 (155 f.). 49 Vgl. Holthöfer, Sachteil, 22.

Der Anwendungsbereich des Edikts

ovis, sed singulae suam causam habebunt, ita ut, si quae furtivae erunt, sint quidem ex grege, non tamen usuca­pian­ tur.

33 ­ ieses eine Schaf [in meinem Eigentum stünde]. Stattd dessen werden die einzelnen jeweils ihren eigenen Rechtsgrund [für den Besitz] haben, sodass sie, wenn sie gestohlen worden sind, zwar zur Herde gehören, aber dennoch nicht ersessen werden.

In § 1 zitiert Pomponius Labeo, demzufolge Ziegel oder Säulen ersessen werden können, wenn sie in ein Gebäude eingebaut werden, an dem Besitz besteht, auch wenn die Ersitzungsfrist für die Ziegel und Säulen vor dem Einbau noch nicht vollständig abgelaufen ist. Pomponius wirft sodann die Frage auf, ob dasselbe auch für einen Ring und für einen Edelstein gilt, der in jenen eingefügt wird, und bejaht die Ersitzbarkeit. Nach dem Schema des principium sind das Gebäude und der Ring mit dem eingesetzten Edelstein corpora ex contingentibus. Erkennbar beruht für Pomponius die Vergleichbarkeit beider Fälle darauf, dass die zusammengesetzten Sachen in dieselbe Kategorie von Körper fallen.50 Indes ist schon zweifelhaft, ob Labeo seine Entscheidung bezüglich der eingebauten Baumaterialien auf die stoische Lehre gründet.51 In § 2 wendet sich Pomponius der Ersitzung von corpora ex distantibus zu. Dabei nimmt er nur das Beispiel der grex aus dem principium auf, denn eine Ersitzung von populus und legio scheidet selbstverständlich aus. Der Jurist schreibt, dass nur eine Ersitzung der einzelnen Tiere der Herde möglich ist, nicht aber eine Ersitzung der Herde als solcher. Ausdrücklich hält er fest, dass diese Rechtsfolge gilt, obwohl es die natura der Herde als corpus ex distantibus ist, dass sie fortbesteht, wenn einzelne Tiere als Einzelkörper zu ihr hinzugefügt werden (etsi ea natura eius est, ut adiectionibus corporum maneat). Die natura der Herde ist somit unabhängig vom konkreten Bestand an Tieren. Pomponius trifft also seine Entscheidung über die Ersitzbarkeit ausdrücklich gegen die philosophische natura.52 Er stellt klar, dass die causa usucapionis für jedes Tier einzeln bestimmt wird. Ein gestohlenes Tier kann daher nicht ersessen werden. Betrachtet man die §§ 1 und 2, wird deutlich, dass die Rezeption der stoischen Lehre sich nur in einem von drei Fällen auf die Lösung des Pomponius auswirkt: Sie dient als Argument, den Fall der Einarbeitung eines Edelsteins in einen Ring dem bereits von Labeo entschiedenen Fall des Einbaus von Baumaterialien in ein Gebäude gleichzustellen, weil in beiden Fällen corpora ex contingentibus 50 Holthöfer, Sachteil, 57 Fn. 179. 51 Eine Billigkeitsentscheidung Labeos nehmen an Holthöfer, Sachteil, 57 Fn. 179; Dajczak, RIDA³ 52 (2005), 117 (121). 52 MacCormack, BIDR 75 (1972), 71 (86 f.); Dajczak, RIDA³ 52 (2005), 117 (121).

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

entstehen. Dagegen beruft sich Pomponius nicht auf die stoische Lehre, um auch die Ersitzbarkeit der eingebauten Baumaterialien zu begründen; insoweit beruft er sich allein auf die Autorität des Labeo. Keine Bedeutung hat die Lehre dagegen für die Ersitzbarkeit eines corpus ex distantibus, wie Pomponius ausdrücklich feststellt. Seine Lösung d ­ ieses Problems könnte vielmehr durch das Ersitzungsverbot der lex Atinia motiviert sein: Dieses könnte sonst dadurch umgangen werden, dass eine res furtiva als Teil eines corpus ex distantibus, an dem als Ganzem Besitz besteht, ersessen wird.53 Ob Pomponius tatsächlich aus ­diesem Grund die Ersitzbarkeit ablehnt, geht aus dem Fragment nicht eindeutig hervor. Ausdrücklich erwähnt wird die rechtsdogmatische Erwägung, dass die causa usucapionis für jede Sache individuell bestimmt wird.54 Fest steht jedoch, dass der Jurist bereit ist, die natura eines Sachverhalts, die sich aus einer philosophischen Lehre ergibt, zu ignorieren, wenn das Ergebnis, zu dem diese natura ihn führen würde, rechtsdogmatisch nicht haltbar ist. Schon die Auslegung d ­ ieses Pomponius-Fragments macht es unwahrscheinlich, dass die stoische σῶμα-Lehre einen bestimmenden Einfluss auf die römische Dogmatik der Personenvereinigungen gehabt hätte. Selbst wenn römische Juristen den Ausdruck des corpus auf Personenvereinigungen angewandt hätten, weil diese im stoischen Sinne corpora ex distantibus sind, wäre dieser Begrifflichkeit nur eine heuristische Bedeutung zugekommen. b) Die Übernahme des Sprachgebrauchs römischer normativer Texte Für die Verwendung des Begriffs corpus bei Gaius muss freilich noch ein weiteres bedacht werden: Wie oben dargestellt,55 gebraucht dieser Jurist in D. 3.4.1 pr. mit so und collegium Ausdrücke der Rechtssetzungssprache. Vor d ­ iesem Hintergrund ist zu erwägen, ob dasselbe nicht auch für corpus gilt. Und tatsächlich findet sich ein Senatsbeschluss,56 in dem corpus für eine private Personenvereinigung verwendet wird:

53 So Dajczak, RIDA³ 52 (2005), 117 (128 f.). 54 MacCormack, BIDR 75 (1972), 71 (87). 55 Siehe oben I. Kap., § 1 I.1. 56 Dagegen bezieht sich die Formulierung τούτους λειτουργεῖν οὐδὲν ἔλασον ἐμ μέρει τῷ τῶν / Ἑλλήνων σώματι κελεύω im dritten Edikt des Augustus an die Kyrener (FIRA 2 I 68

= Oliver 10, Z. 57 – 58 [Cyrene, Creta et Cyrenaica, 6/4 v. Chr.]) nicht auf eine Vereinigung der Griechen in Kyrene, sondern auf Liturgien, w ­ elche die Griechen persönlich erbringen müssen (τῷ σώματι), im Gegensatz zu solchen, die in einer Geldleistung bestehen (τοῖς χρήμασι). So de Visscher, Édits d’Auguste, 89 – 99; ders., Ét. III , 169 (177); Purpura, in: ders., Rev. FIRA I, 433 (444).

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Der Anwendungsbereich des Edikts

CIL III 7060 = ILS 7190 = FIRA2 I 48 (Cyzicus, Asia, 138 – 161)

[S(enatus) c(onsultum) de p]ostula­tione Kyzicenor(um) ex Asia / qui dicunt ut corpus quod appellatur ne/on et habent in civitate sua auctoritate / [amplissimi o]rdinis confirmetur. Scri/ 5[bendo adfue]runt M. Aelius Imp(eratoris) Titi Aeli / [Hadriani An]tonini f. Pap(iria) Aurelius Ve/[rus - - -]s M. f. Gal(eria) Verus, Marcus Hosidius / M. f. A[- - Get]a, Marcus Annius M. f. Gal(eria) Libo, Q.  / Pompe[ius] Q. f. Hor(atia) Bassianus, L. Fl(avius) L. f. / 10 Quir(ina) Iulianus, L. Gellius L. f. Ter(etina) Severus  / q(uaestores). Sententia dicta ab Appio Gallo / co(n)s(ule) desig(nato) relatione IIII concedente  / Imp(e­ ratore) Caes[are] T[ito A]elio Hadriano An/to[nino Aug(usto) Pio  -  -  -] IIII relatione sua  / 15 [-  -  - Kyzicen]os ex Asia / [- - - quos neos a]ppellant [- - -].

Senatsbeschluss über den Antrag der Bürger von Cyzicus in Asia, die begehren, dass die körper­schaftliche Organisation, die Neoi (junge Männer) genannt wird und die sie in ihrer Stadt haben, durch die Autorität des Senats bestätigt wird. Zur Niederschrift waren anwesend M. Aelius, Sohn des Kaisers T. Aelius Hadrianus Antoninus, aus der tribus Papiria, Aurelius Verus, …, Sohn des Marcus, aus der tribus Galeria, Verus, Marcus Hosidius, Sohn des Marcus, aus der tribus …, Geta, Marcus Antonius, Sohn des Marcus, aus der tribus Galeria, Libo und Q. Pompeius, Sohn des Quintus, aus der tribus Horatia, Bassianus sowie die Quästoren L. Flavius, Sohn des Lucius, aus der tribus Quirina, Iulianus und L. Gellius, Sohn des Lucius, aus der tribus Teretina, Severus. Nach Äußerung der Meinung durch den designierten Konsuln Appius Gallus, der den vierten Antrag mit dem Einverständnis des Kaisers Titus Aelius Hadrianus Antoninus Augustus Pius stellte, … in seinem vierten Antrag …, dass die Bürger von Cyzicus aus Asia …, die sie Neoi nennen …

Die Inschrift überliefert einen Senatsbeschluss, der in der Regierungszeit von Antoninus Pius auf Antrag der Stadt Cyzicus in Asia ergangen ist. Diese beantragt die Bestätigung einer Vereinigung junger Männer (νέοι), die zu den typischen Einrichtungen griechischer und hellenistischer Poleis zählt.57 Die Inschrift, deren Aufstellungsort und -zweck unbekannt sind,58 enthält lediglich den Anfang des Senatsbeschlusses.59 Nach Nennung des Titels des Senatsbeschlusses (Z. 1 – 4) werden die Namen der Senatoren angeführt, die an der Redaktion des Textes beteiligt waren (Z. 4 – 11).60 In Abweichung vom seit der Republik üblichen Formular, das die relatio des Antragstellers folgen lässt (quod verba […] fecit),61 berichtet die Inschrift die Meinung des ersten Abstimmenden (sententia dicta ab Appio Gallo, Z. 11), dem vermutlich die Mehrheit gefolgt ist.62 Die relatio ist nur fragmentarisch, der eigentliche Beschluss (decretum) dagegen überhaupt nicht überliefert.63 57 58 59 60 61

Siehe nur Wiesehöfer, s. v. Neoi, DNP 8, Sp. 823 f. Eck, QuLup 7 (2017), 31 (51). Mommsen, EpEph 3 (1877), 156. Mommsen, EpEph 3 (1877), 156 (157); Eck, QuLup 7 (2017), 31 (51). Mommsen, EpEph 3 (1877), 156 (157); ders., StaatsR III.2, 1008; Buongiorno, AUPA 59 (2016), 17 (20 – 23). 62 Mommsen, EpEph 3 (1877), 156 (157); ders., StaatsR III.2, 1009 f. 63 Mommsen, EpEph 3 (1877), 156 (158) mit einem Rekonstruktionsversuch.

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

Der Titel des Senatsbeschlusses, welcher der am besten erhaltene Teil der Inschrift ist, überliefert den Antrag der Stadt (postulati[o], Z. 1). Dieser ist auf die Bestätigung der Vereinigung, deren tatsächliches Bestehen mitgeteilt wird (habent in civitate sua, Z. 3), durch den Senat gerichtet (ut […] auctoritate / [amplissimi o]rdinis confirmetur, Z. 2 – 4). Aus dem fragmentarischen Rest der Inschrift lässt sich schließen, dass diese Bestätigung tatsächlich erteilt worden ist.64 Im Titel wird die Vereinigung der νέοι als corpus bezeichnet. Die genaue Formulierung ist instruktiv: corpus quod appellatur ne/on (Z. 2 f.). Der Titel nimmt die griechische Bezeichnung im Genitiv Plural (νέων) auf und gibt sie in lateinischen Buchstaben wieder. Eine Übersetzung mit iuvenes erfolgt trotz der institutionellen Nähe der hellenistischen νέοι zu den collegia iuvenum 65 nicht. Vielmehr greift der Text ausdrücklich die griechische Bezeichnung der Vereinigung auf. Die Einschaltung der Phrase quod appellatur verdeutlicht, dass die Bezeichnung νέοι sich auf eine Institution der antragstellenden Stadt und keine römische bezieht. Diese sprachliche Distanzierung lässt die Verwendung von corpus in einem neuen Licht erscheinen: Die Inschrift gebraucht nicht sodalicium und collegium, die in der römischen Gesetzessprache zur Bezeichnung von Vereinigungen dienen, sondern corpus. Offenbar eignet sich d ­ ieses Wort zur generischen Bezeichnung von Vereinigungen, für w ­ elche die genuin römischen Ausdrücke sodalicium und collegium zu eng wären, insbesondere im Zusammenhang mit hellenistischen Vereinigungen in der Provinz. Corpus hat in der Inschrift die Funktion, die νέοι der Stadt Cyzicus als Vereinigung zu kennzeichnen, für w ­ elche die Bestimmungen des römischen Rechts über die Erlaubnis von privaten Vereinigungen gelten.66 In c. 74 l.Irn. werden diese als sodalicium und collegium bezeichnet. Im Fall der νέοι werden diese beiden Ausdrücke offenbar für unpassend erachtet und stattdessen corpus verwendet. Die Formulierung corpus quod appellatur neon eignet sich augenscheinlich dazu, die lokale Terminologie der betreffenden Stadt aufzugreifen und in den Text des Senatsbeschlusses und damit 64 Eck, QuLup 7 (2017), 31 (51). 65 Wiesehöfer, s. v. Neoi, DNP 8, Sp. 824. Zu den collegia iuvenum ders., s. v. Iuvenes (Iuventus), DNP 6, Sp. 114 f. 66 Mommsen, StaatsR II.2, 886 f. mit Fn. 5; De Robertis, Storia I, 268 f. Fn. 139; Randazzo, BIDR

94 – 95 (1991 – 1992), 49 (60); Groten, Corpus und universitas, 297 f. Gegen das Erfordernis einer Erlaubnis für Vereinigungen von νέοι dagegen Radin, Legislation, 124 f.; Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 265, 309; de Ligt, Latomus 60 (2001), 345 (351 f.). Soweit de Ligt, ebd., 357 f. eine Parallele ­zwischen νέοι und Augustalen zieht, erlaubt diese jedoch gerade nicht anzunehmen, eine Erlaubnis zur Bildung einer Körperschaft sei entbehrlich; zur Erlaubsnispflichtigkeit der Bildung von Augustalenkörperschaften siehe unten I. Kap., § 2 IV.3.

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Der Anwendungsbereich des Edikts

einer römischen Norm zu integrieren. Der Ausdruck corpus hat eine generische Bedeutung für jede Art von privater Personenvereinigung einschließlich solcher, die einem provinzialen Rechtskreis entstammen. Wegen des fragmentarischen Erhaltungszustands der Inschrift erscheint auf den ersten Blick eine gewisse Reserve gegenüber d ­ iesem Befund angebracht. Der Ausdruck corpus wird im Titel des Senatsbeschlusses gebraucht, nicht dagegen in der relatio oder dem decretum, also den Passagen, die zum eigentlichen Beschluss gehören. Wie das Beispiel anderer inschriftlich veröffentlichter Senatsbeschlüsse zeigt, kann der Titel, den eine Inschrift wiedergibt, auf ihren Auftraggeber, muss aber nicht auf die Redaktion des Senatsbeschlusses zurückgehen.67 Vor ­diesem Hintergrund darf nicht ohne weiteres aus der Verwendung des Wortes corpus im Titel der Inschrift aus Cyzicus auf den Sprachgebrauch der Redakteure des Senatsbeschlusses geschlossen werden. Diesen Rückschluss gestattet allerdings der Fortgang der Inschrift. Denn in den erhaltenen Resten des Berichts über die sententia des ersten Abstimmenden wird das Verb appellare erneut verwendet, das sich bereits im Titel findet: In Z. 17 sind die Buchstaben PPELLANT erhalten, sodass die Ergänzung [- - - quos neos a]ppellant zulässig erscheint. Selbst wenn Einzelheiten der Ergänzung unrichtig wären, ist die Wiederaufnahme von appellare gesichert. Sie macht es sehr wahrscheinlich, dass die Terminologie im Titel der Inschrift und im Text des Senatsbeschlusses übereinstimmen. Der Ausdruck corpus wird daher von den Redakteuren des Senatsbeschlusses gebraucht worden sein. Für die Zuverlässigkeit der Überlieferung der Inschrift aus Cyzicus spricht ferner der Vergleich mit einer Inschrift aus Milet, die ebenfalls die Erlaubnis für eine Vereinigung zum Gegenstand hat: AE 2013, 1578 (Milet, Asia, 131)

Αὐτοκράτωρ Καῖσαρ θεοῦ  / Τραιανοῦ Παρθικοῦ / θεοῦ Νέρουα υἱωνὸς Τραιαν[ὸς] / Ἁδριανὸς Σεβαστός ἀρχιερ[εὺς]  / μέγιστος, δημαρχικῆς ἐξουσία[ς] / 5 τὸ ιε’, ὕπατος τὸ γ’, πατήρ / πατρίδος Μιλησίων τοῖς ἄρχουσιν / καὶ τῆι βουλῆι καὶ τῶι δήμωι / vacat χαίρειν· vacat / Ναυκλήρων οἶκον ἔχειν / 10 δίδωμι ὑμῖν καὶ τὸν νόμον / καθ’ὃν ἠξίωσαν συντετάχθαι / βεβαιῶ. vacat Ἐπρέσβευεν / Κοσσούτιος Φρόντων / καὶ Αἰλιανὸς Πολίτης / 15 vacat Εὐτυεῖτε. vacat / Ἐπὶ ὑπάτων Σεργίου Λ{ε}αίνα / Π[ον]τιανοῦ καὶ Μ(άρκου) Ἀντω[νίου / 'Ρουφίνου - - -]

Kaiser Traianus Hadrianus Augustus, Sohn des vergöttlichten Traianus Parthicus, Enkel des vergöttlichten Nerva, Oberpriester, Inhaber der tribunizischen Gewalt zum 15. Mal, Konsul zum 3. Mal, Vater des Vaterlands, grüßt die Archonten, den Rat und das Volk von Milet. Ich gestattete euch, eine Vereinigung der Schiffseigner zu haben, und bestätige die Satzung, nach der sie organisiert zu sein begehrt haben. Gesandte waren Cossutius Fronto und Aelianus Polites. Lebt wohl! Im Konsulat des Sergius Laenas Pontianus und des M. Antonius Rufinus …

67 Eck u. a., SCCPP, 126 – 130; Eck, QuLup 7 (2017), 31 (45).

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

Es handelt sich um ein Schreiben Hadrians an die Amtsträger, den Rat und das Volk von Milet. Die Initiative hierzu ist von der städtischen Vereinigung der Schiffseigentümer (ναύκληροι)68 ausgegangen, die erreicht haben, dass die städtischen Behörden eine Gesandtschaft an den ­Kaiser veranlasst haben.69 In seinem Schreiben erlaubt der K ­ aiser die Vereinigung der ναύκληροι und bestätigt ihre Satzung (Z. 10 – 13). Entscheidend ist die Formulierung, mit welcher der ­Kaiser das Bestehen der Vereinigung erlaubt: Ναυκλήρων οἶκον ἔχειν / δίδωμι ὑμῖν […] (Z. 9 f.). Die Vereinigung wird als ναυκλήρων οἶκο[ς] bezeichnet. Dabei ist οἶκος die Eigenbezeichnung der Vereinigungen von ναύκληροι, die sich an zahlreichen Orten im hellenistischen Osten findet.70 Der Wortlaut des Schreibens nimmt somit die terminologischen Gepflogenheiten der ναύκληροι auf. Das Gewicht des Zeugnisses dieser Rezeption hängt davon ab, ob die milesische Inschrift den Wortlaut des Originals des kaiserlichen Schreibens, eine offizielle Übersetzung durch die kaiserliche Kanzlei oder aber eine Übersetzung von privater Seite wiedergibt, etwa durch den Auftraggeber der Inschrift. Nur wenn es sich um eine rein privat veranlasste Übersetzung handelt, ermöglicht die Inschrift keinerlei Rückschlüsse auf die Sprachgepflogenheiten der kaiserlichen Kanzlei. Bei einem Originaltext dagegen wäre die Formulierung Zeugnis für die Terminologie römischer normativer Texte. Die römische Gesetzessprache hätte zumindest einmal die sprachlichen Usancen einer provinzialen Vereinigung aufgenommen. Bei einer Übersetzung durch die kaiserliche Kanzlei würde die Inschrift immerhin eine Adaption von Eigenbezeichnungen für die Zwecke einer amtlichen Übersetzung belegen. Die Inschrift selbst gibt keine Hinweise zur Beantwortung dieser Frage. Daher kann nur herangezogen werden, was aus anderen Quellen über die Sprache von Kaiserkonstitutionen bekannt ist. Für kaiserliche Schreiben in Briefform (epistulae) – wie dem hier vorliegenden an die Stadt Milet – kann eine Abfassung des Originals in griechischer Sprache angenommen werden,71 da seit Nero eine eigene Abteilung für griechische Briefe (ab epistulis graecis) besteht.72 Die Frage einer Übersetzung muss daher nicht mehr gestellt werden.73 Selbst wenn eine 68 Zu den Vereinigungen der ναύκληροι siehe nur Schmitz, s. v. Naukleros, DNP 8, Sp. 745. 69 Ehrhardt/Günther, Chiron 43 (2013), 199 (206). 70 Ehrhardt/Günther, Chiron 43 (2013), 199 (207 f.) m. w. N. 71 Plisecka, TR 85 (2017), 166 (173). Soweit Coriat, Législateur, 587 f. annimmt, maßgeblich

sei die Sprache des Adressaten, widerspricht dies der epigraphischen und papyrologischen Überlieferung; Plisecka, TR 85 (2017), 166 (175 mit Fn. 48 – 53). 72 J. AJ 20.183. 73 Die amtliche Übersetzung eines Briefs Hadrians an einen praefectus Aegypti ist BGU I 140 = M.Chr. 373 = FIRA2 I 78 (Alexandria?, 4. – 29. August 119).

Der Anwendungsbereich des Edikts

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s­ olche im Fall des Schreibens an die Stadt Milet erfolgt wäre, dürfte es sich um eine wortgetreue (verbum e verbo) Übertragung gehandelt haben.74 Daher ist das Schreiben Zeugnis für den Sprachgebrauch der kaiserlichen Kanzlei. Wenn diese das Wort οἶκος gebraucht, liegt darin eine bewusste Rezeption der Eigenbezeichnung der ναύκληροι. Darin mag eine besondere Rücksichtnahme gegenüber hellenistischen Gepflogenheiten liegen, die sich auch in einigen Schreiben Trajans und Hadrians findet.75 Zugleich handelt es sich um einen bewussten Verzicht, die lateinische Terminologie für Personenvereinigungen zu verwenden. Darin unterscheidet sich das milesische Schreiben von der Inschrift aus Cyzicus: Diese verwendet gezielt das lateinische Wort corpus, um die νέοι in die Terminologie der römischen Gesetzessprache einzuordnen, während die kaiserliche Kanzlei darauf bewusst verzichtet. Vor d ­ iesem Hintergrund kann mit hinreichender Sicherheit angenommen werden, dass der Titel der Inschrift aus Cyzicus die Terminologie des Senatsbeschlusses wiedergibt. Der Ausdruck corpus wird in normativen Texten für private Personenvereinigungen gebraucht, die in den Provinzen existieren und nicht unter sodalicium und collegium gefasst werden. Da Gaius in seinem Kommentar zum Provinzialedikt sich bereits durch die Verwendung dieser beiden Ausdrücke an die Gesetzessprache anlehnt, ist es wahrscheinlich, dass er aus demselben Grund auch corpus aufgreift. Tatsächlich verwendet auch er corpus als einen generischen Begriff: neque so neque collegium neque huiusmodi corpus passim omnibus habere conceditur. Der Gebrauch von huiusmodi zeigt, dass corpus für Gaius der Begriff für alle übrigen privaten Personenvereinigungen ist, die in den Anwendungsbereich des Edikts über die Prozessvertretung fallen und für ­welche die Ausdrücke sodalicium und collegium nicht passen. Dafür, dass die sprachlichen Ähnlichkeiten kein Zufall sind, spricht die zeitliche Nähe z­ wischen dem Senatsbeschluss aus Cyzicus und dem gaianischen Kommentar. Der Senatsbeschluss ist unter Antoninus Pius gefasst worden, in dessen Regentschaft auch der Kommentar ad edictum provinciale des Gaius datiert wird.76 Zudem befassen sich beide Quellen mit provinzialen Phänomenen: So 74 Zu den Einzelheiten Plisecka, TR 85 (2017), 166 (177 – 180); vgl. Mourgues, DHA 21 – 2 (1995),

105 (124).

75 So verwendet jeweils ein Schreiben Trajans und Hadrians an die νέοι von Pergamon ebenfalls allein die griechische Bezeichnung des Adressaten: Oliver 57 = IGR IV 351 (Pergamon, Asia, 114 – 116), Z. 8 – 9: [Περγαμηνῶν τοῖς] / νέοις χαί[ρειν] […]; Oliver 58A = IGR IV 351

(Pergamon, Asia, 117), Z. 12 – 13: [συ]/νόδῳ τῶν [ἐν Περγάμωι- - - νέων χαίρειν] mit der Doppelüberlieferung Oliver 58B = IGR IV 349 (Pergamon, Asia, 117), Z. 7 – 8: συνόδῳ τῶν ἐν Περγάμῳ / νέων χαίρειν. 76 Fitting, Alter, 53 f.; Liebs, HLL IV, 190.

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

wie der Senatsbeschluss corpus verwendet, um römische Regelungen zur Erlaubnis von privaten Personenvereinigungen für eine hellenistische Vereinigung operationalisierbar zu machen, so dürfte Gaius corpus gebraucht haben, weil er das Provinzialedikt kommentiert, dessen Regelungen zur Prozessvertretung gerade für Vereinigungen gelten, die dem provinzialen Rechtskreis entstammen. Gegen diesen Befund spricht auch nicht, dass Gaius im Fortgang des principium und in § 1 dann für jede Art von privater Personenvereinigung corpus verwendet, auch wenn diese als collegium bezeichnet werden und in der Stadt Rom ihren Sitz haben.77 Der Jurist betont in § 1 die Verfestigung der Organisationsstruktur, die eine Personenvereinigung kennzeichnet.78 Derselbe Gebrauch findet sich bei anderen juristischen und nichtjuristischen Autoren.79 Dabei verwendet Gaius corpus genauso als Oberbegriff 80 wie ganz zu Beginn des principium: Dort hat corpus ebenfalls eine generische Bedeutung und bezeichnet Vereinigungen, die zwar in den Anwendungsbereich des Edikts über die Prozessvertretung fallen, nicht aber unter die Begriffe sodalicium und collegium. Für Gaius bietet sich corpus als Oberbegriff geradezu an, weil für corpus der Senatsbeschluss über die Bestätigung der νέοι der Stadt Cyzicus eine generische Bedeutung belegt, sodass sich der Jurist auch insoweit an die Sprache normativer Texte anlehnt. Diese Anlehnung des Gaius an die Gesetzessprache erscheint deutlich plausibler als alternative Erklärungsversuche für seinen Gebrauch von corpus. Die These von Mitteis, corpus bezeichne die Rechtsfähigkeit,81 lässt sich nicht mit dem Gebrauch des Wortes in der Inschrift aus Cyzicus vereinbaren. Die Formulierung corpus quod appellatur neon kann nur bedeuten, dass corpus als generische Bezeichnung einer Personenvereinigung gebraucht wird. Ebenso ist die These einer Rezeption des stoischen Begriffs des corpus ex distantibus durch die römische Jurisprudenz 82 nicht mehr zu halten. Die Verwendung von corpus für Personenvereinigungen sowohl in einem normativen Text als auch in der Rechtsliteratur macht es wahrscheinlicher, dass sich die 77 D. 3.4.1 pr.: […] paucis admodum in causis concessa sunt h u i u s m o d i c o r p o r a  […]. item

collegia Romae certa sunt, quorum c o r p u s senatus consultis atque constitutionibus principalibus confirmatum est […]; D. 3.4.1.1: Quibus autem permissum est c o r p u s habere […]. 78 Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 153; Platschek, ZHR 181 (2017), 153 (157). 79 Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 148 – 152, 159 – 177. 80 Cohn, Vereinsrecht, 5 f.; Kniep, Societas publicanorum, 243; Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 153; Eliachevitch, Personnalité juridique, 265; Platschek, ZHR 181 (2017), 153 (156 f.); ebenso nur für das principium von D. 3.4.1 Cimma, Publicani, 195. 81 Mitteis, RP I, 401; ebenso Albanese, Persone, 565; Aubert, CCG 10 (1999), 49 (54). 82 Behrends, IuP II , 654 (685 – 687); ders., IuP I, 366 (386 f.); ders., SZ 112 (1995), 195 (222 f.); ders., SZ 125 (2008), 25 (48); ders., Index 41 (2013), 145 (146, 149 f.); ders., GGA 269 (2017), 194 (194 f., 224 – 228); ders., GGA 270 (2018), 48 – 65; Groten, Corpus und universitas, 157 – 162.

Der Anwendungsbereich des Edikts

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juristischen Autoren an der Gesetzessprache orientiert haben statt an philosophischen Lehren. Es müsste nämlich der Nachweis geführt werden, dass die Redakteure des Senatsbeschlusses von Cyzicus ebenfalls die stoische Terminologie übernommen hätten. Selbst dann spräche aber mehr für das Aufgreifen eines Begriffs, der zum Allgemeinbesitz jedes Gebildeten gehört hat, als für die getreue Übernahme einer philosophischen ­Theorie. Die Vorstellung, die stoische Philosophie habe für die römische Jurisprudenz oder zumindest Teile von ihr eine fertige ­Theorie der Rechtsfähigkeit von Personenvereinigungen bereitgehalten, ist bei der gegenwärtigen Quellenlage hochgradig unwahrscheinlich. Die oberflächlichen terminologischen Ähnlichkeiten haben zu lange verdeckt, dass sich die Verwendung des Begriffs corpus bei Gaius am plausibelsten damit erklären lassen, dass Gaius ebenso wie mit sodalicium und collegium einen Terminus der Gesetzessprache aufgreift.

II. Der Zusammenhang mit der kaiserzeitlichen Vereinsgesetzgebung Gaius nimmt im principium von D. 3.4.1 Bezug auf die Erlaubnispflichtigkeit von privaten Personenvereinigungen. Nach dem Bericht des Juristen ergibt sich diese aus Volksgesetzen (leges), Senatsbeschlüssen und Kaiserkonstitutionen. Eine ­solche Erlaubnis bestehe nur in wenigen Fällen (paucis admodum in causis concessa sunt huiusmodi corpora). 1. Die Vereinsgesetzgebung unter Augustus

Verbote von Vereinen sind bereits in der späten Republik und unter Caesar zum Gegenstand der Volksgesetzgebung geworden.83 Von Augustus – wie ähnlich bereits von Caesar 84 – berichtet Sueton, er habe im Anschluss an den Bürgerkrieg Vereine aufgelöst.85 Asconius überliefert in seinem Kommentar zur Cicero-Rede Pro Cornelio ebenfalls die Auflösung von Vereinen im Gefolge des Bürgerkriegs:

83 Überblick bei Kornemann, s. v. collegium, RE 4.1, Sp. 405 – 408; Radin, Legislation, 76 – 88;

De Robertis, Storia I, 79 – 146; Bendlin, in: Kippenberg/Schuppert, Verrechtlichte Religion, 65 (89); Groten, Corpus und universitas, 235 – 241. Zur lex Licinia de sodaliciis zuletzt ausführlich Stroh, Fs. Bürge, 361 – 418. 84 Suet. Iul. 42.3: Cuncta collegia praeter antiquitus constituta distraxit. 85 Suet. Aug. 32.1: Pleraque pessimi exempli in perniciem publicam aut ex consuetudine licentiaque bellorum civilium duraverant aut per pacem etiam exstiterant. Nam […] plurimae factiones titulo collegi novi ad nullius non facinoris societatem coibant. Igitur […] collegia praeter antiqua et legitima dissolvit.

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Ascon. Corn., p. 75 Cl. Frequenter tum etiam coetus factiosorum hominum sine publica auctoritate malo publico fiebant: propter quod postea collegia et S. C. et pluribus legibus sunt sublata praeter pauca atque certa quae utilitas civitatis desiderasset, sicut fabrorum fictorumque.

Damals fanden auch häufig Versammlungen parteisüchtiger Menschen ohne öffentliche Erlaubnis zum öffentlichen Nachteil statt. Deshalb wurden ­später die Vereine sowohl durch Senatsbeschlüsse als auch durch mehrere Gesetze aufgelöst, außer wenigen und bestimmten, die der Nutzen des Staates erforderte, wie diejenigen der Handwerker und der Bildhauer.

Asconius, der im 1. Jahrhundert n. Chr. lebte,86 beschreibt aus der Perspektive seiner Zeit die Auflösung einer Vielzahl von Vereinen durch Senatsbeschlüsse und mehrere Volksgesetze (pluribus legibus).87 Zudem überliefert für die Regierungszeit des Augustus eine Inschrift aus Rom, dass ein Gesetz für die Bildung von Vereinen jeder Art eine staatliche Erlaubnis verlangt: CIL VI 4416 = ILS 4966 = FIRA2 III 38 (Roma, 10 – 14)

Dis Manibus / collegio symphonia/co­rum qui sacris publi/cis praestu sunt quibus / 5 senatus C C C permisit e / lege Iulia ex auctoritate  / Aug(usti) ludorum causa.

Den Göttern der Unterwelt durch den Verein der Musiker, die bei öffentlichen Opfern zugegen sind und denen der Senat aufgrund des julischen Gesetzes und der Autorität des Augustus zum Zweck der Spiele … gestattet hat.

Die Grabinschrift, die ­zwischen 10 n. Chr. und dem Ende der Regierungszeit des Augustus zu datieren ist,88 erwähnt ein collegium symphoniacorum. Diesem ist auf der Grundlage einer lex Iulia kraft der auctoritas des Augustus gestattet worden, sich zu versammeln. Auch wenn nicht abschließend geklärt ist, wie die drei Buchstaben C C C aufzulösen sind,89 besteht Einigkeit darüber, dass die Inschrift in der Sache eine kaiserliche Erlaubnis zur Bildung des Vereins bezeugt, die auf der Grundlage eines Komitialgesetzes erteilt wird.90 86 Marshall, Commentary, 26 – 30. 87 De Robertis, Storia I, 85; Marshall, Commentary, 263; Liu, Fs. Harris, 279 (291); Groten,

Corpus und universitas, 243.

88 Manacorda, in: Atti del XI Congr. Int. di Epigr. Greca e Latina II, 249 (253 f.). 89 C(oire) c(onvocari) c(ogi): Mommsen, Ges. Schr. III , 113 (114 mit Fn. 54) im Anschluss an die fasti Praenestini (CIL I2, p. 231 [Praeneste, Latium et Campania, 9 v. Chr.–37 n. Chr.]); zustimmend Duff, RIDA 6 (1951), 79 – 81; Comand, St. Impallomeni, 107 (119). C(oire) c(on-

venire) c(ogi): Mommsen, StrafR, 876 Fn. 5. C(ollegium) c(oire) c(onvenire) oder c(ollegium) c(onstituere)/c(elebrare)/c(ondere) c(oire): Berger, Epigraphica 9 (1947), 44 (50 – 55); ders., SZ 68 (1951), 486 – 490. C(oire) c(onvenire) c(olligi): Saumagne, RHD4 31 (1954), 254 (261). C(oire) c(onvenire) c(onferre): jüngst Groten, Corpus und universitas, 289 – 293. 90 Siehe nur Kaser, RP I, 308 mit Fn. 50, 52. Dieses Gesetz wird in der Literatur häufig als lex Iulia de collegiis bezeichnet; siehe nur Mommsen, Ges. Schr. III, 113 ff.; De Robertis, Storia I, 189 ff.; Bendlin, in: Kippenberg/Schuppert, Verrechtlichte Religion, 65 (93 ff.); Groten, C ­ orpus

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Aufgrund ihres Namens allein lässt sich nicht entscheiden, ob diese lex Iulia bereits auf Caesar 91 oder erst auf Augustus 92 zurückgeht. Angesichts des Zeugnisses von Sueton über die Vereinsverbote erscheinen beide Datierungen möglich. Dagegen erlaubt ein Vergleich des c. 106 l.Urson. mit c. 74 l.Irn. eine genauere Datierung. Die Bestimmung der lex Ursonensis nimmt das traditionelle, seit den Zwölf Tafeln bestehende Verbot von Versammlungen (coetus), Zusammenkünften (conventus) und Verschwörungen (coniurationes) auf.93 Die lex Irnitana erweitert diese Verbote 94 um eines von Vereinigungen zum Zweck der Abhaltung solcher verbotenen Versammlungen: c. 74 l.Irn. = AE 1986, 333, tab. VIIIB, Z. 48–tab. VIIIC, Z. 2 (Irni, Baetica, 91) R(ubrica). De coetu sodalicio collegio. /

Über eine Versammlung, eine Genossenschaft und einen Verein.

Ne quis in eo municipio coetum facito, neve sodalici[um] conle/50giumve eius rei causa{m} habeto, neve habeatur coniurato, / neve facito quo quid earum rerum fiat. Qui adversus ea fe/cerit municip[ibus] municipi Flavi Irnitani HS X (milia) d(are) d(amnas) esto, eius/que pecuniae deque ea pecunia municipi eius municipi // qui volet cuique per hac lege licebit actio petitio persecutio / esto.

Niemand soll in ­diesem municipium eine Versammlung durchführen, zu d ­ iesem Zweck eine Genossenschaft oder einen Verein haben, an einer Verschwörung teilnehmen oder veranlassen, dass eines dieser Dinge geschieht. Wer dagegen gehandelt hat, soll den Gemeindebürgern des municipium Flavium Irnitanum 10.000 Sesterze geben, und die Klage auf ­dieses Geld und wegen ­dieses Geldes soll jedem Gemeindebürger d ­ ieses municipium, der will, durch ­dieses Gesetz erlaubt sein.

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und universitas, 241 ff.; Kaser/Knütel/Lohsse, RP, § 27 Rn. 3. Doch ist dieser Titel in den Quellen nicht belegt; zurecht sprechen daher lediglich von einer lex Iulia Mitteis, RP I, 305; Kaser, RP I, 308. Erwogen wird auch, dass die Bestimmung betreffend der collegia Teil einer lex Iulia de vi ist; so Radin, Legislation, 92 – 97; Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 259; Duff, Personality, 109; Liu, Fs. Harris, 279 (292); dagegen Bendlin, in: Kippenberg/Schuppert, Verrechtlichte Religion, 65 (94). So De Robertis, Storia I, 203 – 208; Randazzo, BIDR 94 – 95 (1991 – 1992), 49 (50); de Ligt, in: Lo Cascio, Mercati 237 (243); ders., Latomus 60 (2001), 345 (346). So Mommsen, Ges. Schr. III, 113 (115); Kornemann, s. v. collegium, RE 4.1, Sp. 408; Mitteis, RP I, 395; Duff, Personality, 109; Eliachevitch, Personnalité juridique, 251 f.; Schulz, ClRL, 96; Kaser, RP I, 308; Albanese, Persone, 568; Ausbüttel, Vereine, 92; Honsell/Mayer-Maly/Selb, RR, 78 f.; Comand, St. Impallomeni, 107; Bendlin, in: Kippenberg/Schuppert, Verrechtlichte Religion, 65 (93 – 95); Groten, Corpus und universitas, 241 – 245; Kaser/Knütel/Lohsse, RP, § 27 Rn. 3. Aus der Reorganisation des stadtrömischen collegium fabrum tignariorum im Jahr 7 n. Chr., die AE 1981, 25 (Roma, vor 233 n. Chr.) bezeugt (Panciera, ZPE 43 [1981], 271 [271 f., 276]), wird der Zeitpunkt der Reorganisation als terminus ante quem für das augusteische Vereinsgesetz gefolgert; Tran, Membres, 351 Fn. 194; Laubry/Zevi, ArchClass 63 (2012), 297 (315 Fn. 42). Text siehe unten VI. Kap., § 1 II.3. Verfehlt daher Mentxaka, BIDR 98 – 99 (1995 – 1996), 199 (210 f., 217 f.), der zufolge c. 74 l.Irn. die Regelungen der lex Licinia de sodaliciis für das Munizipalrecht umsetzt.

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

Entscheidend ist die Datierung der beiden Regelungen. Die lex Ursonensis wird entsprechend der Erwähnung Caesars als dictator in die Jahre 47 – 44 v. Chr. datiert,95 auch wenn die Inschrift erst in flavischer Zeit angefertigt wurde.96 Die lex Irnitana stammt aus dem Jahr 91 n. Chr. Sie nimmt – ebenso wie die lex Salpensana und die lex Malacitana, die ebenfalls aus flavischer Zeit stammen – in großem Umfang Bezug auf verschiedene augusteische Gesetze.97 Von besonderer Bedeutung ist c. 91 l.Irn.: Dort wird eine le[x] Iuli[a], / quae de iudicis privatis proxime lata est (tab. XA, Z. 53 f.) erwähnt,98 woraus sich ergibt, dass die Vorlage d ­ ieses Kapitels der lex Irnitana in engem zeitlichen Zusammenhang mit der augusteischen lex Iulia de iudiciis privatis entstanden ist. Während die Existenz von Vorlagen für die leges municipales gesichert ist,99 besteht Uneinigkeit über die genaue Vorlage der flavischen Stadtgesetze. Wegen der umfangreichen Bezugnahme der lex Irnitana auf augusteische leges Iuliae ist postuliert worden, dass die flavischen Stadtrechte auf einer als Komitialgesetz erlassenen lex Iulia municipalis beruhten.100 Diese ist einmal inschriftlich bezeugt: Eine Inschrift aus Patavium nennt einen IIIIvir aedili/ciae potestat(is) / e lege Iulia / municipali.101 Allerdings steht diese Erwähnung in einer Reihe mit anderen Inschriften,102 die ebenfalls Munizipalmagistrate nennen, die aufgrund einer bestimmten lex kreiert worden sind. Schon diese Parallelinschriften machen skeptisch gegenüber einer lex Iulia municipalis, die als Vorbild für eine größere Zahl von Stadtgesetzen gedient hätte, darunter die flavischen. Hinzu kommt, dass die lex Iulia municipalis als Vorlage nicht nur der lex Irnitana, sondern auch der Tabula Heracleensis 103 sowie der lex Ursonensis 104 postuliert worden ist, also keinerlei Einigkeit darüber besteht, für welches Stadtrecht sie Vorbild gewesen sein soll. 95 cc. 104, 106, 125 l.Urson. Zur Datierung Crawford, RS I, 395 – 397. 96 Crawford, RS I, 395; Galsterer, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 31 (44). 97 González/Crawford, JRS 76 (1986), 147 (150); Liu, Fs. Harris 279 (290); Mantovani, in: Capo­

grossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261.

98 c. 91 l.Irn. = AE 1986, 333, tab. XA, Z. 42–tab. XB, Z. 10 (Irni, Baetica, 91) 99 Frederiksen, JRS 55 (1965), 183 (197); Galsterer, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti

municipali, 31 (34, 46 – 48).

100 A. D’Ors, Ley Flavia municipal, 13 f.; González/Crawford, JRS 76 (1986), 147 (150). 101 CIL V 2864 = ILS 5406 (Patavium, Venetia et Histria, nach 49 n. Chr.); zur Datierung zuletzt Liu, ZPE 162 (2007), 281 (282 f.) m. w. N. 102 Nachweise bei Galsterer, RHD 4 65 (1987), 181 (182 f.); Crawford, Fs. Rickmann, 31 (32);

­Galsterer, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 31 (51).

103 Vgl. Crawford, RS I, 359. 104 X. D’Ors, SHHA 15 (1997), 63 (92); Crawford, Fs. Rickmann, 31 (42) im Hinblick auf die Erwähnung einer lege Iuli[a - - -] in AE 1991, 1020b (Urso, Baetica), Z. 3. Das Bronzefragment überliefert einen weiteren Teil der lex Ursonensis; Caballos Rufino, ZPE 147 (2004), 211 – 213.

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Demgegenüber vorzugswürdig ist, davon auszugehen, dass bei Erlass einer lex municipalis in Rom mehr oder minder anlassbezogen und entsprechend den Vorlieben der beteiligten Personen auf bereits bestehende Vorlagen zurückgegriffen worden ist, die auch Regelungen der stadtrömischen Gesetzgebung einschließen.105 Dies erklärt sowohl den tralatizischen Charakter einer Vielzahl von Materien, die in mehreren leges municipales enthalten sind, als auch deren Unterschiede. Ferner wird ­dieses Modell dem Befund gerecht, dass nicht nur die flavischen Stadtgesetze, sondern auch die z­ wischen 177 – 180 entstandene 106 lex Troesmensium auf die augusteische Gesetzgebung Bezug nimmt.107 Für die Vorlage von c. 74 l.Irn. lässt sich daraus der Zeitpunkt des Erlasses von c. 106 l.Urson. als terminus post quem gewinnen. Die zahlreichen Bezugnahmen auf augusteische Gesetze in der lex Irnitana machen es wahrscheinlich, dass c. 74 l.Irn. eine Regelung der augusteischen Vereinsgesetzgebung aufnimmt.108 Dazu passt, dass auch nach dem Zeugnis der lex Troesmensium die Regelungen augusteischer Gesetze in leges muncipales Aufnahme gefunden haben. 2. Der Regelungsgehalt der augusteischen Vereinsgesetzgebung

Damit lässt sich anhand von c. 74 l.Irn. zumindest e i n Regelungsinhalt der augusteischen Vereinsgesetzgebung rekonstruieren.109 Inhalt der Bestimmung ist das Verbot sodalicium conlegiumve eius rei causa habe[re] (tab. VIIIB , Z. 49 f.). Für Zuwiderhandlungen wird eine Geldstrafe von 10.000 Sesterzen zugunsten der Gemeindekasse von Irni angedroht.110 Der Inhalt des Verbots ist freilich umstritten: Die Formulierung eius rei causa qualifiziert das Verbot des sodalicium conlegiumve […] habe[re] und lässt sich dahingehend verstehen, dass nur ­solche Vereinigungen verboten werden, deren Zweck verbotene

105 Galsterer, RHD 4 65 (1987), 181 (191 – 199); ders., in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 31 (55 f.); Eck, ZPE 200 (2016), 565 (583 f.); ähnlich Lamberti, Tabulae Irnitanae, 233 – 239; Platschek, MEP 23 (2020), 107 (109). 106 Eck, ZPE 200 (2016), 565 (582). 107 c. 27 l.Troesm. = AE 2015, 1252, tab. B, Z. 6 – 10 (Troesmis, Moesia inferior, 177 – 180). Hierzu Eck, ZPE 200 (2016), 565 (601 – 605); Platschek, Tyche 32 (2017), 151 (162 – 164); ders., MEP

23 (2020), 107 (120 – 122).

108 A. D’Ors, Ley Flavia municipal, 159; Lamberti, Tabulae Irnitanae, 228 f.; vgl. Groten, Corpus und universitas, 266. Zurückhaltend González/Crawford, JRS 76 (1986), 147 (150, 224); Liu,

Fs. Harris, 279 (290 – 295).

109 Skeptisch dagegen Costa, IAH 12 (2020), 11 (32). 110 Vgl. die Androhung einer Geldstrafe von 500 Drachmen für ο[ἱ σύ]νοδον μένοντες in § 108

des Gnomon des Idios Logos; dazu De Robertis, Storia I, 391 f.; Arnaoutoglou, AncSoc 35 (2005), 197 (209 – 212); Liu, Fs. Harris, 279 (284) m. w. N.

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

­Versammlungen sind.111 Die Rubrik der Norm lautet dagegen: De coetu sodalicio collegio. Sodalicium und collegium sind dem (verbotenen) coetus syntaktisch gleichgeordnet, was sich als Indiz dafür verstehen lässt, dass auch sie durch die Vorschrift verboten werden.112 Um den genauen Inhalt des Verbots zu klären, lohnt sich ein Blick auf den Sprachgebrauch von c. 74 l.Irn. Das Verbot ist formuliert als neve sodalicium conle/giumve […] habeto. Verboten ist also das sodalicium conlegiumve […] habe[re]. Die wohl prominenteste parallele Formulierung findet sich im gaianischen Kommentar zum Provinzialedikt: neque so neque collegium neque huiusmodi corpus passim omnibus habere conceditur.113 Wie schon bei der Terminologie für die Personenvereinigungen, dürfte sich Gaius auch bezüglich der Konstruktion mit habere an der Gesetzessprache orientiert haben. Nicht nur die lex Irnitana spricht von sodalicium conlegiumve […] habe[re], sondern auch die bereits erwähnten Inschriften aus Cyzicus 114 und Milet 115, die jeweils die Erlaubnis für eine bestimmte Personenvereinigung überliefern, verwenden habere bzw. ἔχειν. Dieselbe Formulierung findet sich schließlich auch in mehreren Inschriften aus der Zeit Hadrians, die einen Senatsbeschluss zur Erlaubnis von collegia überliefern. Die lex collegii Lanuvini enthält einen als kaput bezeichneten Auszug 116 aus einem Senatsbeschluss: CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA2 III 35, Z. 10 – 13 (Lanuvium, Latium et Campania, 136)

Kaput ex s(enatus) c(onsulto) p(opuli) R(omani): / Quib[us – ca. 10 – c o ] n v e nire collegiumq(ue) habere liceat, qui stipem menstruam conferre vo/len[t – ca. 10 – 13 –]ra, in it collegium coeant; neq(ue) sub specie eius collegi nisi semel in men/se c[– ca.  10 – 11  – con]ferendi causa, unde defuncti sepeliantur.

Auszug aus dem Beschluss des Senats des römischen Volkes: Denjenigen ist erlaubt, … zusammenzukommen und einen Verein zu haben, die einen monatlichen Geldbetrag sammeln wollen …; sie sollen sich in ­diesem Verein versammeln und nicht unter dem Vorwand d ­ ieses Vereins … außer einmal im Monat … zum Zweck der Sammlung, womit die Verstorbenen bestattet werden sollen.

111 González/Crawford, JRS 76 (1986), 147 (223); Lamberti, Tabulae Irnitanae, 337 Fn. 120; Liu, Fs. Harris, 279 (286); Bendlin, Fs. Kloppenborg, 435 (458); Costa, IAH 12 (2020), 11 (31); vgl.

Groten, Corpus und universitas, 266.

112 Galsterer, JRS 78 (1988), 78 (85 mit Fn. 34); vgl. A. D’Ors, Ley Flavia municipal, 159 f. 113 D. 3.4.1 pr. (Gai. 3 ed. prov.). 114 CIL III 7060 = ILS 7190 = FIRA 2 I 48 (Cyzicus, Asia, 138 – 161), Z. 2 – 3: […] corpus quod

appellatur ne/on et h a b e n t in civitate sua […].

115 AE 2013, 1578 (Milet, Asia, 131), Z. 10 – 11: Ναυκλήρων οἶκον ἔ χ ε ι ν  / δίδωμι ὑμῖν […]. 116 Laubry/Zevi, ArchClass 63 (2012), 297 (319 mit Fn. 57). Dagegen soll es sich um eines von

mehreren kapita handeln nach De Robertis, Storia I, 281; Eliachevitch, Personnalité juridique, 261; Buongiorno, AUPA 59 (2016), 17 (58); Mantovani, Juristes écrivains, 255 Fn. 37.

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Der Anwendungsbereich des Edikts

Der Senatsbeschluss erlaubt Zusammenkünfte (convenire) und das collegium habere. Voraussetzung ist, dass die Vereinsmitglieder sich höchstens einmal im Monat zur Sammlung der monatlichen Geldbeiträge versammeln, aus denen dann Begräbnisse bezahlt werden. Der Inschrift lässt sich nicht entnehmen, ob es sich bei dem Senatsbeschluss um die spezielle Erlaubnis des collegium Dianae et Antinoi 117 handelt oder um die generelle Erlaubnis 118 für collegia tenuiorum, von der ein Fragment aus den institutiones Marcians berichtet: D. 47.22.1 pr. – 1 (Marcian. 3 inst.) […] Sed permittitur tenuioribus stipem menstruam conferre, dum tamen semel in mense coeant, ne sub praetextu huius­ modi illicitum collegium coeat. Quod non tantum in urbe, sed et in Italia et in provinciis locum habere divus quoque Severus rescripsit.

[…] Aber den Angehörigen des allgemeinen Standes wird gestattet, einen monatlichen Geldbetrag zu sammeln, solange sie sich nur einmal im Monat versammeln, damit sich nicht unter ­diesem Vorwand ein unerlaubter Verein versammelt. Nach einem Reskript des vergöttlichten Severus gilt dies nicht nur in der Stadt [Rom], sondern auch in Italien und in den Provinzen.

1. Sed religionis causa coire non prohi­ bentur, dum tamen per hoc non fiat contra senatus consultum, quo illicita collegia arcentur.

Aber ihnen ist nicht verboten, sich zu religiösen Zwecken zu versammeln, solange dadurch nicht gegen den Senatsbeschluss verstoßen wird, durch den unerlaubte Vereine verboten werden.

Die im principium berichtete Regelung entspricht derjenigen des kaput ex s(enatus) c(onsulto): Erlaubt wird die einmalige monatliche Zusammenkunft zur Sammlung der stips menstrua. Begünstigt sind Vereine, deren Mitglieder tenuiores sind, wobei dieser Begriff hier im technischen Sinn als Gegenbegriff zu honestiores zu verstehen ist und alle Personen umfasst, die nicht dem Senatoren-, dem Ritter- oder dem Dekurionenstand angehören.119 Marcian berichtet, dass die Geltung dieser Regelung durch ein Reskript des Septimius Severus von der Stadt Rom auf das ganze Reich ausgedehnt worden ist. Dass die ursprüngliche Regelung für die Stadt Rom durch Senatsbeschluss getroffen worden ist, wird üblicherweise § 1 des Fragments entnommen. Während die Inschrift aus Lanuvium hierfür kein Beleg ist, stellen zwei Inschriften aus Ostia ein gewichtiges Indiz für eine generelle Norm dar: 117 So Mommsen, Ges. Schr. I, 113 (115); Ausbüttel, Vereine, 27 – 29. 118 So Mommsen, De collegiis, 81; Kornemann, s. v. collegium, RE 4.1, Sp. 410; Eliachevitch, Personnalité juridique, 262; De Robertis, Storia I, 279 – 286; Kaser, RP I, 308; Randazzo, BIDR

94 – 95 (1991 – 1992), 49 (76 – 79); de Ligt, in: Lo Cascio, Mercati, 237 (246 f.).

119 Vgl. D. 48.19.28.2 (Call. 6 cogn.). Tenuiores sagt nichts über die wirtschaftliche Situation der

Angehörigen dieser Gruppe aus. Die Vorstellung, es handle sich um „kleine Leute“, ist daher irrig. Zum Ganzen Bendlin, in: Kippenberg/Schuppert, Verrechtlichte Religion, 65 (100 f.); vgl. auch Ausbüttel, Vereine, 25.

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

AE 2010, 242 + AE 2010, 243a (Ostia, Latium et Campania, 121)

[- - - T. Pomponius Antistianus, L.] Pomponius Silvanus co(n)s(ules) / [v(erba) f(ecerunt)? - - - Imp(era­ tor) Caesar Tr]aianus Hadrianus Aug(ustus) cum publi/[cae utilitati? - - - cons]ulat et cotidie pro universis nobis / [- - - ut? - - - singuli] possimus invenit quemadmodum / 5 [- - -]+ contigeret quoque caelesti se[n/tentia? - - -]m suum malluit quod ipse p[rae­ stabat  / ideoque  -  -  - a]mplissimus ordo cens[uit uti - - - / - - - coire convenire? c o l l ] e g i u m q u e h a b [ e r e liceat et?] q[ui eo]r(um)? / [funeris causa stipem menstruam conferre volent ut - - -]que eorum post obi/10[tum - - - ? in id coll]egium coeant neq(ue) / [sub specie eius collegi? - - - p]lus quam semel sin-/ [gulis mensibus conveniant aeris conferendi causa] ex quo defuncti / [sepeliantur / - - -]ano co(n)s(ulibus). / 15 [- - -]re debent / [- - -]nto. / [[[- - -]+ inf(ra) s(cript-) s(unt) / [- - -]ulerit / [- - -]uetur / 20 [- - -]+nctis / [- - -]+diem / [- - -]++]].

Die Konsuln T. Pomponius Antistianus und L. Pomponius Silvanus trugen vor  … Da sich der K ­ aiser Traianus Hadrianus um das öffentliche Wohl sorgt und ständig für uns alle … damit? wir als Einzelne … können, fand er, wie sich … ereignet … er wollte lieber, dass er selbst … Der Senat beschloss, dass es erlaubt ist, … und einen Verein zu haben, und wer von diesen zum Zweck eines Begräbnisses einen monatlichen Geldbetrag sammeln will, damit … und nach ihrem Tod … sie sollen sich in ­diesem Verein versammeln und sich nicht unter dem Vorwand d ­ ieses Vereins? … mehr als einmal in [jedem] einzelnen Monat versammeln zum Zweck der Geldsammlung, aus der die Verstorbenen begraben werden sollen …

Die Nennung der beiden Konsuln zu Beginn der Inschrift erlaubt eine Datierung des Beschlusses in das Jahr 121, auch wenn es sich mangels Ablativs nicht um ein Konsulardatum handelt.120 Es folgt eine Erwähnung Hadrians und seiner Motivation, den Senatsbeschluss zu veranlassen.121 Daran schließt sich die Erlaubnis des [- - - coll]egiumque habere an, die wohl dahingehend qualifiziert wird, dass Zusammenkünfte nur einmal monatlich im Hinblick auf die Sammlung der stips menstrua erlaubt sind. Beide Inschriften, die an verschiedenen Orten gefunden wurden,122 überliefern denselben Senatsbeschluss.123 Diese doppelte und voneinander unabhängige Überlieferung ­dieses Senatsbeschlusses in Ostia macht es wahrscheinlich, dass es sich nicht lediglich um die Erlaubnis eines spezifischen collegium handelt, sondern um eine generelle Erlaubnis für collegia tenuiorum.124 Besonderes Gewicht hat insoweit die Hervorhebung, dass der K ­ aiser eine neue gesetzgeberische Maßnahme (invenit quemadmodum) und damit eine ausdrückliche 120 Laubry/Zevi, ArchClass 63 (2012), 297 (304). Die Namen der Konsuln könnten die Wiedergabe ihrer relatio vor dem Senat einleiten; ebd., 307. Buongiorno, AUPA 59 (2016), 17 (58 Fn. 148) 121 122 123 124

nimmt dagegen eine epistula der Konsuln an, in der sie den Inhalt des Senatsbeschlusses samt Auszügen aus der kaiserlichen oratio mitteilen. Überlegungen zur Restitution des Textes bei Laubry/Zevi, ArchClass 63 (2012), 297 (304 – 307). Laubry/Zevi, ArchClass 63 (2012), 297 (298 f., 320). Laubry/Zevi, ArchClass 63 (2012), 297 (303). Laubry/Zevi, ArchClass 63 (2012), 297 (318); ähnlich Buongiorno, AUPA 59 (2016), 17 (58).

Der Anwendungsbereich des Edikts

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Änderung gegenüber der zuvor geltenden Rechtslage beabsichtigt.125 Diese lässt sich nunmehr sicher in das Jahr 121 datieren, sodass alle früheren Datierungsvorschläge 126 überholt sind. Die Inschriften aus Ostia haben erkennbar denselben Senatsbeschluss zum Gegenstand, den die lex collegii Lanuvini überliefert.127 Dennoch gibt es Unterschiede im Text. Die Inschrift aus Lanuvium bietet eine kürzere Fassung, die sich auf die Wiedergabe der Erlaubnis der Vereinsbildung beschränkt, weil darin der für das collegium Dianae et Antinoi relevante Inhalt des Senatsbeschlusses liegt.128 Die beiden Inschriften in Ostia stellen dagegen die Initiative Hadrians heraus, die zum Erlass des Senatsbeschlusses geführt hat, und könnten daher in offiziellem Auftrag angefertigt worden sein.129 Trotz dieser Unterschiede stimmen alle Zeugnisse darin überein, dass der Senatsbeschluss das collegium habere erlaubt, sich also derselben Terminologie wie c. 74 l.Irn. bedient. Was darunter zu verstehen ist, lässt sich unter Rückgriff auf die institutiones Marcians erhellen: D. 47.22.1 pr., 2 (Marcian. 3 inst.) Mandatis principalibus praecipitur praesidibus provinciarum, ne patiantur esse collegia sodalicia neve milites c o l l e g i a in castris h a b e a n t . […]

In kaiserlichen Instruktionen werden die Provinzstatthalter angewiesen, dass Vereine [und] Genossenschaften nicht geduldet werden und Soldaten keine Vereine in Militärlagern haben sollen. […]

2. Non licet autem amplius quam unum c o l l e g i u m licitum h a b e r e , ut est constitutum et a divis fratribus: et si quis in duobus fuerit, rescriptum est eligere eum oportere, in quo magis esse velit, accepturum ex eo collegio, a quo recedit, id quod ei competit ex ratione, quae communis fuit.

Es ist jedoch nicht erlaubt, mehr als einen erlaubten Verein zu haben, wie von den vergöttlichten Brüdern [Lucius Verus und Mark Aurel] festgesetzt wurde. Wenn jemand in zwei [Vereinen] gewesen ist, soll er nach dem Reskript wählen, in welchem er lieber sein will, und von dem Verein, aus dem er ausscheidet, das erhalten, was ihm aufgrund der Rechnungsführung zusteht, die gemeinsam erfolgt ist.

Danach legen an die Provinzstatthalter gerichtete kaiserliche mandata fest, dass Vereine nicht geduldet werden und Soldaten in den castra keine Vereine „haben“ dürfen. Ferner berichtet der Jurist von einem Reskript von Mark Aurel und Lucius Verus, wonach niemand mehr als einen Verein „haben“ darf. Wer Mitglied in mehr als einem Verein ist, muss sich für die Mitgliedschaft in einem 125 Laubry/Zevi, ArchClass 63 (2012), 297 (318 f.). 126 Für die Regierungszeit des Augustus de Ligt, in: Lo Cascio, Mercati, 237 (249); ders., Latomus

60 (2001), 345 (346); für die Regierungszeit des Claudius De Robertis, Storia I, 286 – 293; für das Jahr 131 Randazzo, BIDR 94 – 95 (1991 – 1992), 49 (74 – 77). 127 Laubry/Zevi, ArchClass 63 (2012), 297 (318); Buongiorno, AUPA 59 (2016), 17 (58 Fn. 148). 128 Laubry/Zevi, ArchClass 63 (2012), 297 (320). 129 Laubry/Zevi, ArchClass 63 (2012), 297 (320).

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

Verein entscheiden und soll von dem Verein, den er verlässt (ex eo collegio, a quo recedit), seinen Anteil an der ratio communis erhalten. Der zweite Satz des § 2 ist der Schlüssel zum Verständnis der Wendung collegium habere. Er macht deutlich, dass das Reskript der divi fratres mit collegium habere die Stellung als Vereinsmitglied meint.130 Denn bei mehrfacher Mitgliedschaft wird der Austritt aus einem Verein vorgeschrieben. Zugleich wird mit der ratio communis der vermögensrechtliche Aspekt der Mitgliedschaft berücksichtigt, wenn ausdrücklich festgelegt wird, dass das zum Austritt verpflichtete Mitglied seinen Anteil erhalten soll. Diese Bedeutung von collegium habere findet sich auch im principium des Fragments. Denn verboten wird den Soldaten die Mitgliedschaft in einem Verein, der in einem castrum besteht.131 Zweck ist, die Bildung organisierter Gruppen unter den Soldaten zu verhindern.132 Insofern richtet sich das Verbot des collegia in castris habe[re] gegen die Organisation von collegia. Aber mit dem Verbot des „Habens“ von Vereinen ist nicht einfach gemeint, dass keine Vereine innerhalb der castra bestehen sollen, denn dies könnte eine passivische Konstruktion (etwa neve collegia in castris habeantur) vollumfänglich ausdrücken. Die aktivische Konstruktion neve milites collegia in castris habeant betont vielmehr, dass es die in castra stationierten Soldaten sind, die keine Vereine „haben“ sollen. Damit wird deutlich, dass sich die Regelung nicht gegen die Existenz des collegium als ­solche, sondern gegen die Mitgliedschaft richtet. Daraus lässt sich für den hadrianischen Senatsbeschluss zu den collegia tenuiorum sowie für c. 74 l.Irn. die Bedeutung der Formulierung collegium habere rekonstruieren: Gemeint ist die Mitgliedschaft in einem Verein.133 Im Falle der lex Irnitana wird die Mitgliedschaft in einem sodalicium oder collegium verboten; im Falle des hadrianischen Senatsbeschlusses dagegen wird die Mitgliedschaft in einem collegium – unter Vorbehalt – erlaubt. Darüber hinaus ist die Erlaubnis der Zusammenkünfte der Vereine ein wesentlicher Gegenstand der Regelung des senatus consultum. Der hadrianische Senatsbeschluss verwendet nämlich das Wort coire, um die Erlaubnis zugunsten der collegia tenuiorum auszudrücken: in it collegium coeant heißt es in Z. 12 der Inschrift aus Lanuvium, die Inschrift AE 2010, 242 überliefert 130 131 132 133

Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 357. Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 356 f. Ausbüttel, Vereine, 24; Groten, Corpus und universitas, 267 f. Ebenso Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 356 für das lanuvinische kaput ex s(enatus) c(onsulto) (CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA2 III 35 [Lanuvium, Latium et Campania, 136]). Anders Schulz, ClRL, 96 f., wonach collegium habere das Abhalten von Mitgliederversammlungen meine.

Der Anwendungsbereich des Edikts

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in Z. 10 fragmentarisch [- - - in id coll]egium coeant. Ferner sieht der Senatsbeschluss vor, dass höchstens eine Zusammenkunft im Monat erlaubt ist, wovon auch Marcian berichtet.134 In ähnlicher Weise wird die Formel quibus s(enatus) c(onsulto) coire licet in Inschriften von Vereinen gebraucht, deren Bildung erlaubt worden ist.135 Schließlich verwendet der Jurist Callistratus eine sehr ähnliche Formulierung, um erlaubte Vereine zu charakterisieren.136 Ein wesentliches Merkmal der erlaubten Vereine ist somit, dass die Zusammenkünfte ihrer Mitglieder erlaubt sind.137 Dies gilt sowohl für die Vereine, denen eine ­solche Erlaubnis gesondert erteilt worden ist, als auch für die generelle Erlaubnis der collegia tenuiorum. Im hadrianischen Senatsbeschluss bilden collegium habere und coire eine untrennbare Einheit. Einen ähnlich engen Zusammenhang lässt der Sprachgebrauch Marcians in D. 47.22.1 erkennen. In beiden Fällen geht es um die Erlaubnis der collegia tenuiorum. Diese wird dadurch ausgedrückt, dass zum einen die Mitgliedschaft im Verein (collegium habere) und zum anderen die Zusammenkünfte der Mitglieder (in it collegium coeant bzw. semel in mense coeant) erlaubt werden. Wenn der Erlaubnistatbestand diese beiden Aspekte umfasst, muss sich auch das Verbot, von dem dispensiert wird, gegen beide Aspekte richten. Wäre das collegium habere nur insoweit verboten, als sein Zweck der coetus ist, würde eine Erlaubnis des coire genügen. Denn dann würde sich das Verbot nur gegen den coetus richten, und durch die Erlaubnis des coire könnte von ihm vollständig dispensiert werden. Dass das senatus consultum von 121 dagegen neben dem coire auch das collegium habere erlaubt, bedeutet, dass im Zeitpunkt seines Erlasses auch das bloße collegium habere verboten war. Das allein bedeutet nicht, dass bereits die augusteische Gesetzgebung, die ihren Niederschlag in c. 74 l.Irn. gefunden hat, das sodalicium conlegiumve habere unabhängig vom konkreten Zweck der Vereinigung verboten hat. Zwar ist keine Änderung der Vereinsgesetzgebung in der Zeit ­zwischen Augustus und Hadrian bekannt, doch wäre zumindest denkbar, dass das augusteische Verbot im Laufe der Zeit restriktiver ausgelegt worden ist und sich erst dadurch ein Verbot des collegium habere unabhängig vom Zweck herausgebildet hat. Allerdings macht die Rubrik von c. 74 l.Irn. De coetu sodalicio collegio es wahrscheinlicher, dass 134 D. 47.22.1 pr. (Marcian. 3 inst.). 135 Übersicht einschließlich der Varianten dieser Formel bei Tran, Membres, 352. 136 D. 50.6.6.12 (Call. 1 cogn.): Quibusdam collegiis vel corporibus, quibus ius coeundi lege per-

missum est, immunitas tribuitur […].

137 Vgl. Mitteis, RP I, 395 f.; Schulz, ClRL, 96; Liu, Fs. Harris, 279 (288); Laubry/Zevi, ArchClass

63 (2012), 297 (307); Groten, Corpus und universitas, 250, 294. Zur Kontinuität des Verbots des coetus Bendlin, in: Kippenberg/Schuppert, Verrechtlichte Religion, 65 (87 – 91, 96).

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

sich die augusteische Gesetzgebung von Anfang an gegen die Mitgliedschaft in einer Vereinigung gerichtet hat. Die Bezugnahme auf den coetus als Zweck des sodalicium collegiumve lässt sich dahingehend verstehen, dass der augusteische Gesetzgeber für jede Vereinigung typisierend annimmt, dass sie zur Bildung verbotener coetus führt. Dieses typisierende Verbot ist die entscheidende Erweiterung gegenüber c. 106 l.Urson., die unter Augustus erfolgt ist und die c. 74 l.Irn. bezeugt.

III. Der Regelungsgehalt der von Gaius kommentierten Ediktsbestimmung 1. Keine Regelung zur Rechtsfähigkeit

Die in D. 3.4.1 überlieferten Ausführungen des Gaius sind immer wieder dahingehend verstanden worden, dass die Erlaubnis des Vereins Voraussetzung für dessen Rechtsfähigkeit sei.138 Gegen einen solchen Zusammenhang spricht allerdings, was Marcian über collegia illicita schreibt: D. 47.22.3 pr.–1 (Marcian. 2 iud. publ.) Collegia si qua fuerint illicita, mandatis et constitutionibus et senatus consultis dissolvuntur: sed permittitur eis, cum dissolvuntur, pecunias communes si quas habent dividere pecuniamque inter se partiri.

Wenn irgendwelche Vereine unerlaubt sind, werden sie aufgrund von kaiserlichen Instruktionen und Konstitutionen sowie Senatsbeschlüssen aufgelöst. Allerdings wird ihnen bei der Auflösung gestattet, gemeinsame Gelder, wenn sie s­ olche haben, aufzuteilen und das Geld unter sich zu verteilen.

1. In summa autem, nisi ex senatus consulti auctoritate vel Caesaris collegium vel quodcumque tale corpus coierit, contra senatus consultum et mandata et constitutiones collegium celebrat.

Zusammengefasst bildet sich ein Verein unter Verstoß gegen einen Senatsbeschluss sowie kaiserliche Instruktionen und Konstitutionen, wenn sich der Verein oder jede sonstige derartige körperschaftliche Organisation nicht aufgrund der Autorität eines Senatsbeschlusses oder des Kaisers versammelt.

Im principium berichtet der Jurist, dass collegia illicita durch kaiserliche mandata und Konstitutionen sowie durch senatus consulta aufgelöst werden. Bei der Auflösung wird den Vereinsmitgliedern gestattet, gemeinsame Gelder untereinander aufzuteilen. Im § 1 wird ausgeführt, dass die Teilnahme an einem collegium dann gegen Senatsbeschlüsse sowie kaiserliche mandata und Konstitutionen verstößt, 138 Gierke, GenR III , 96 f.; Waltzing II , 444 f.; Kornemann, s. v. collegium, RE 4.1, Sp. 430; ­Eliachevitch, Personnalité juridique, 265 f.; Behrends, IuP II , 654 (686 f., 690 f.); Aubert, CCG 10 (1999), 49 (53); Groten, Corpus und universitas, 311; Kaser/Knütel/Lohsse, RP, § 27 Rn. 2 f., 9. Ablehend De Robertis, Storia II, 241 – 246; Honsell/Mayer-Maly/Selb, RR, 78 f.

Der Anwendungsbereich des Edikts

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wenn die Versammlungen der Vereine nicht durch einen Senatsbeschluss oder durch den ­Kaiser erlaubt sind. Der Digestentext legt nahe, dass § 1 den Begriff des collegium illicitum definiert.139 Dafür spricht der Zusammenhang des Fragments an sich, besonders aber die Erwähnung von kaiserlichen mandata und sonstigen Konstitutionen sowie von senatus consulta in beiden Paragraphen. Collegia illicita sind also Vereine, denen eine Erlaubnis fehlt. Dies kann die spezielle Erlaubnis eines einzelnen Vereins sein, von der die Inschriften mit der Formel quibus ex s(enatus) c(consulto) coire licet berichten, oder die generelle Erlaubnis zugunsten der collegia tenuiorum. Fehlt eine ­solche Erlaubnis, wird nach Marcian der Verein aufgrund einer Einzelmaßnahme des Kaisers oder Senats aufgelöst. Die Auflösung erfolgt nicht von Rechts wegen, sondern bedarf einer vorausgehenden hoheitlichen Entscheidung.140 Wenn der Jurist sodann berichtet, dass im Gefolge der Auflösung die „gemeinsamen Gelder“ (pecunia[e] communes) unter den Mitgliedern aufgeteilt werden, fällt sofort auf, dass die Auflösung keine vermögensrechtliche Sanktion kennt, etwa die Konfiskation des Vereinsvermögens; auch von anderweitigen Sanktionen weiß Marcian nichts.141 Zu unterscheiden sind daher die Vereinsauflösung und die Verfolgung der Usurpation eines collegium illicitum, die im selben Digestentitel erwähnt wird.142 Mit pecunia[e] communes dürfte das gesamte Vereinsvermögen über das Geldvermögen hinaus gemeint sein, denn schon das senatus consultum de Baccha­ nalibus verwendet hierfür die Bezeichnung pecuni[a] comoin[is].143 Dieses Vermögen wird nach Marcian bei der Auflösung des Vereins aufgeteilt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass vor der Auflösung ein Vereinsvermögen in Gestalt der pecunia[e] communes bestanden haben muss, wie die parallele Terminologie 144 im Kommentar des Gaius zum Provinzialedikt zeigt:

139 Groten, Corpus und universitas, 276; vgl. De Robertis, Storia I, 358. 140 Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 237; De Robertis, Storia I, 385. Beispiele bei Liu, Fs.

Harris, 279 (295 – 300).

141 De Robertis, Storia I, 377 – 379; Groten, Corpus und universitas, 309. 142 D. 47.22.2 (Ulp. 6 off. procons.). Dazu De Robertis, Storia I, 393 f.; Groten, Corpus und uni-

versitas, 309 – 311; vgl. Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 237 f..

143 CIL I2 581 = ILS 18 = FIRA2 I 30, Z. 11 (Ager Teuranus, Bruttium et Lucania, 186 v. Chr.); vgl. Liv. 39.18.9. Ausführlich siehe unten VI. Kap., § 1 III.2.a) (1). 144 Ebenso Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 235; Kaser, RP I, 309 mit Fn. 60; Albanese, Persone, 570 mit Fn. 81; vgl. Kornemann, s. v. collegium, RE 4.1, Sp. 431 f.

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

D. 3.4.1.1 (Gai. 3 ed. prov.) Quibus autem permissum est corpus habere collegii so sive cuiusque alterius eorum nomine, proprium est ad exemplum rei publicae habere res communes, arcam communem et actorem sive syndicum […].

Für diejenigen aber, denen es gestattet ist, eine körperschaftliche Organisation unter der Bezeichnung eines collegium, eines sodalicium oder einer anderen [Organisation] zu haben, ist es kennzeichnend, nach dem Vorbild eines Gemeinwesens gemeinsame Vermögensgegenstände, eine gemeinsame Kasse und einen Prozessvertreter oder syndicus zu haben […].

Der Jurist bezeichnet das Vereinsvermögen als res communes und die Vereinskasse als arc[a] commun[is]. Im Zusammenhang mit Vereinen meint also communis das vom Vermögen der Mitglieder geschiedene Vereinsvermögen, an dem die Mitglieder ausschließlich kraft ihrer Mitgliedschaft berechtigt sind. Wenn Marcian von pecunia[e] communes spricht, bedeutet dies, dass auch das collegium illicitum ein Vereinsvermögen hat. Die Mitglieder des collegium illicitum sind nicht Miteigentümer einer communio pro indiviso.145 Vielmehr stehen ihnen die pecunia[e] communes kraft ihrer Stellung als Mitglieder zu und sind von ihrem Vermögen als Einzelpersonen zu unterscheiden.146 Erst wenn das Vereinsvermögen im Anschluss an die hoheitliche Auflösung des Vereins unter den Mitgliedern aufgeteilt wird, wird ihr Anteil Bestandteil des Vermögens, das sie als Einzelpersonen innehaben. Dies widerspricht nicht der in D. 3.4.1.1 überlieferten Äußerung des Gaius. Der Jurist schreibt nämlich n i c h t , dass das Bestehen eines Vereinsvermögens von der Erlaubnis des corpus abhängt. Vielmehr zählt er auf, was das Eigene einer erlaubten Personenvereinigung ist (quibus autem permissum est corpus habere […], proprium est): ein Vereinsvermögen, eine Kasse und ein Prozessvertreter, alles nach dem Vorbild einer Gemeinde. Soweit es um die res communes und die arc[a] commun[is] geht, meint proprium, dass die erlaubten Personenvereinigungen dadurch charakterisiert sind, dass sie ein Vereinsvermögen „haben“ (habere res communes, arcam communem).147 Diese Aussage lässt sich im Licht des Marcian-Fragments dahingehend präzisieren, dass erlaubte Vereine nicht aufgelöst werden können und ihnen deshalb nicht die damit verbundene Aufteilung des Vereinsvermögens droht. Sie „haben“ daher das Vereinsvermögen dauerhaft, weil die Erlaubnis sie vor der Auflösung, die ansonsten jederzeit möglich wäre,148 und der anschließenden Aufteilung der pecunia[e] communes bewahrt. 145 So aber De Robertis, Storia I, 379 f. 146 Mitteis, RP I, 346; Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 235 f. 147 Zum prozessrechtlichen Grund der Erwähnung der res communes und der arc[a] commun[is] siehe unten I. Kap., § 3 IV.2.a). 148 Vgl. Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 264; Eliachevitch, Personnalité juridique, 263.

Der Anwendungsbereich des Edikts

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Damit klärt sich auch das Verhältnis der augusteischen Vereinsgesetzgebung zum Zwölftafelsatz über die sodales (XII tab. 8.27). Auch collegia illicita fallen in seinen Anwendungsbereich, weil die Mitglieder eines Vereins unabhängig von seiner Erlaubtheit eiusdem collegii und damit sodales im Sinne der interpretatio der Zwölf Tafeln sind.149 Als ­solche können sie pactiones mit Bezug zum Vereinsvermögen treffen, bei dem es sich um nichts anderes als um Vermögen handelt, das in ihrem Miteigentum aufgrund ihrer Eigenschaft als Vereinsmitglieder steht.150 Wenn der Verein aufgelöst wird, endet die Stellung als Vereinsmitglied bzw. – in der Terminologie der Zwölf Tafeln – als sodalis, sodass die Befugnis zur Aufstellung von pactiones wegfällt. Zudem beseitigt die anschließende Aufteilung des Vereinsvermögens das Miteigentum und führt zur Einräumung von Einzeleigentum an den bisherigen Gegenständen des Vereinsvermögens. Damit fallen zugleich die möglichen Gegenstände von pactiones weg. Die augusteische Vereinsgesetzgebung stellt also keine Derogation des Zwölftafelsatzes dar. Vielmehr bildet sie die Grundlage für hoheitliche Einzelmaßnahmen, die in tatsächlicher Weise zwei Voraussetzungen für die Geltung des Zwölftafelsatzes beseitigen: erstens die Eigenschaft einer Mehrzahl von Personen als sodales, zweitens die Existenz von Miteigentum dieser Personengruppe. Auf diese Weise verhindert die augusteische Vereinsgesetzgebung in tatsächlicher Hinsicht, dass der Zwölftafelsatz zugunsten von collegia illicita gilt, ohne freilich in dessen Regelungsstruktur selbst einzugreifen. Die augusteische Gesetzgebung reguliert lediglich die Auflösung von Vereinen, die wie schon zur Zeit der Republik durch hoheitliche Einzelmaßnahme erfolgt.151 Damit bleibt es auch bezüglich der Fähigkeit von sodales, Eigentümer zu sein, bei dem Rechtszustand, der sich aus dem Zwölftafelsatz ergibt. Dieser setzt in faktischer Weise voraus, dass die sodales in ihrer Eigenschaft als Mitglieder Miteigentum an den Gegenständen des Vereinsvermögens haben. Die augusteische Gesetzgebung ändert an dieser Regelung nichts und wirkt sich daher nicht auf die Rechtsfähigkeit von Vereinen aus. Wenn Gaius auf sie in seinem Kommentar zum Provinzialedikt Bezug nimmt, geht es also nicht um die Rechtsfähigkeit der Vereine.

149 Siehe unten V. Kap., § 2 II. 150 Dazu ausführlich unten VI. Kap., § 1 III.2.a) (1) und (2). 151 Siehe nur Kaser, RP I, 308; Albanese, Persone, 568; Honsell/Mayer-Maly/Selb, RR, 78.

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

2. Die Regelung der Fähigkeit privater Personenvereinigungen zur Bestellung eines Prozessvertreters

Die von Gaius in D. 3.4.1 kommentierte ediktale Bestimmung muss demnach einen anderen Regelungsgehalt aufweisen. Zweifelsohne nimmt sie auf die leg[es] et senatus consult[a] et principal[es] constitution[es] Bezug, ­welche die Erlaubtheit von Personenvereinigungen regeln. Zu klären ist allerdings, wie dieser Bezug genau aussieht. Einen ersten Hinweis gibt § 1 des Fragments: D. 3.4.1.1 (Gai. 3 ed. prov.) Quibus autem permissum est corpus habere collegii so sive cuiusque alterius eorum nomine, proprium est ad exemplum rei publicae habere res communes, arcam communem et actorem sive syndicum […].

Für diejenigen aber, denen es gestattet ist, eine körperschaftliche Organisation unter der Bezeichnung eines collegium, eines sodalicium oder einer anderen [Organisation] zu haben, ist es kennzeichnend, nach dem ­Vorbild eines Gemeinwesens gemeinsame Vermögensgegenstände, eine gemeinsame Kasse und einen Prozessvertreter oder syndicus zu haben […].

Wie soeben dargelegt,152 beschreibt Gaius das proprium der erlaubten privaten Personenvereinigungen, also die sie charakterisierenden Eigenschaften. Die Eigenschaft, res communes und eine arc[a] commun[is] zu haben, ergibt sich bereits aus dem ius civile, nämlich aus dem Zwölftafelsatz zu den sodales.153 Dagegen beruht im Formularverfahren die Eigenschaft, einen actor oder syndicus zu haben, auf dem ius honorarium, weil die verschiedenen Arten der Prozessvertretung im prätorischen Edikt geregelt sind.154 Demgemäß stammt das Fragment D. 3.4.1 aus der gaianischen Kommentierung zur Prozessvertretung privater Personenvereinigungen.155 Vor d ­ iesem Hintergrund ist zu erwägen, ob die Fähigkeit, einen actor oder syndicus zu bestellen, davon abhängt, ob die betreffende Personenvereinigung über eine Erlaubnis aufgrund von leg[es] et senatus consult[a] et principal[es] constitution[es] verfügt. Das Edikt könnte nämlich die Befugnis zur Bestellung eines Prozessvertreters auf die erlaubten Vereine beschränken, um auf diese Weise collegia illicita in spezifisch prozessrechtlicher Weise zu sanktionieren. Solange diese nicht durch Hoheitsakt aufgelöst werden, wären sie zwar insoweit rechtsfähig, als sie res communes und eine arc[a] commun[is] haben. Indes wäre die Möglichkeit, ihre Rechtsstellung vor staatlichen Gerichten geltend zu machen, auf das Empfindlichste beschränkt,156 weil ihnen die Befugnis fehlte, einen Prozessvertreter zu bestellen. 152 153 154 155 156

Siehe oben I. Kap., § 2 III.1. Siehe unten VI. Kap., § 1 III.2.a) (1) und (2). Siehe oben I. Kap., § 1. Lenel, Pal. I, Sp. 194. Die Führung von Aktivprozessen wäre ihnen dadurch vollständig verwehrt. Zur Führung von Passivprozessen durch einen extraneus siehe unten I. Kap., § 3 IV.1.b).

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Der Anwendungsbereich des Edikts

Ohne diesen könnte ihnen allenfalls die Geltendmachung ihrer Rechte als Streitgenossen möglich sein.157 Dies würde freilich die persönliche Anwesenheit sämtlicher Mitglieder 158 vor Gericht erfordern und wäre daher überaus unpraktisch. Ein derartiges Vorgehen wäre zwar das prozessuale Korrelat der Vornahme von Manzipationen und Stipulationen als Gesamtakt aller Vereinsmitglieder,159 ist aber anders als diese in den Quellen nicht belegt.160 Es ist daher anzunehmen, dass die Beschränkung der Befugnis zur Bestellung eines Prozessvertreters durch private Personenvereinigungen die praktische Wirkung hat, dass collegia illicita ihre Rechte nicht vor staatlichen Gerichte geltend machen können. Die Aussage des Gaius in D. 3.4.1.1 kann ohne weiteres in diese Richtung verstanden werden. Denn in der Tat „hat“ ein erlaubter Verein einen actor oder syndicus, wenn das Edikt eine Regelung enthält, der zufolge ausschließlich erlaubte Vereine einen Prozessvertreter bestellen können, und auf dieser Grundlage ein actor oder syndicus vom Verein tatsächlich bestellt worden ist. Die These, dass das Edikt eine ­solche Regelung enthalten hat, gewinnt an Plausibilität angesichts der Regelung der lex Irnitana zur Bestellung eines actor der Gemeinde: c. 70 l.Irn. = AE 1986, 333, tab. VIIIA, Z. 33 – 41 (Irni, Baetica, 91) R(ubrica). De actore municipum consti­ Über die Bestellung des Prozessvertreters der Gemeintuendo praemio mercede/ve debürger und seinen Lohn oder seine Vergütung. eius. / Quoi quibusve mandetur permittaturve ut nomine municip/{i}um municipi Flavi Irnitani agant petantve quit is, aut, / si cum iis age[t]ur petetur quit ab , nomine eorum iudicium / accipiat, decu[r]ionum conscriptorumve cognitio consti/tutioque es[to, c]um eorum non minus quam duae tertiae / 40 partes aderu[nt, du]m eum eligant, cui per edictum eius qui provinciae / praerit [act]ori aut cognitori esse licebit. 35

Die Entscheidung über diejenige Person oder diejenigen Personen und die Bestellung derjenigen Person oder Personen, die damit beauftragt werden und denen gestattet wird, im Namen der Gemeindebürger des municipium Flavium Irnitanum zu klagen oder, wenn gegen diese geklagt wird, sich in deren Namen auf die Klage einzulassen, steht den Ratsherren zu, wenn nicht weniger als zwei Drittel von ihnen anwesend sind, sofern sie jemanden auswählen, dem es gemäß dem Edikt dessen, welcher der Provinz vorsteht, erlaubt ist, Prozessvertreter [einer Personenvereinigung] oder Kognitor zu sein.

157 Zur Streitgenossenschaft Kaser/Hackl, RZ, 208 f. m. w. N. 158 Möglich könnte die Bestellung von Prozessvertretern sein, die einzelne Mitglieder als Einzelpersonen vertreten. Die – an sich zulässige (Kaser/Hackl, RZ, 209 mit Fn. 45) – gemeinsame

Vertretung der Streitgenossen dürfte dagegen als Umgehung der von Gaius kommentierten ediktalen Regelung unzulässig sein. 159 Hierzu siehe unten II. Kap., § 2 II.2.b). 160 Als einzige dokumentarische Quelle zur Prozessvertretung von Körperschaften überliefert CIL IX 2827 = ILS 5982 = FIRA2 III 164, Z. 4 (Larinum, Apulia et Calabria, 1. Jhd.) die Verkündung eines Schiedsspruchs vor dem actor einer Gemeinde; hierzu Mommsen, Ges. Schr. I, 265 (376).

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

Das Kapitel regelt ausweislich der Rubrik die Einsetzung eines actor municipum, der die Gemeinde sowohl in Aktiv- (ut nomine municip/{i}um municipi Flavi Irnitani agant petantve, Z. 35 f.) als auch in Passivprozessen (si cum iis age[t]ur petetur quit ab , nomine eorum iudicium / accipiat, Z. 37 f.) vertritt. Seine Bestellung erfolgt durch die decuriones, wobei für die Beschlussfassung ein Anwesenheitsquorum von zwei Dritteln gilt. Sodann sieht das Kapitel vor, dass zum Prozessvertreter des municipium Flavium Irnitanum nur bestellt werden kann, wer nach dem Edikt des Provinzialstatthalters zum actor oder cognitor bestellt werden kann (Z. 40 f.). Aus dieser Bezugnahme auf das Provinzialedikt ergibt sich, dass ­dieses regelt, ­welche Personen als actor oder als cognitor fungieren dürfen. Soweit es um die Fähigkeit geht, cognitor zu sein, ergibt sich dies aus dem Edikt Qui ne dentur cognitores: Unfähig, cognitor zu sein, sind Soldaten, Frauen und Infame,161 wobei Frauen 162 und möglicherweise auch Infame 163 zumindest als cognitores in rem suam auftreten können. Aufschlussreich ist die Motivation dieser Verbote. Das Verbot für Soldaten, als cognitor in Aktivprozessen aufzutreten, stellt eine Erweiterung des bereits älteren Verbots der Vertretung in Passivprozessen dar; Caracalla begründet diese Ausweitung mit der utilitas publica.164 Die Unfähigkeit von Frauen, zum cognitor bestellt zu werden, wurzelt dagegen in sozialethischen Vorstellungen.165 Dasselbe gilt für die Unfähigkeit von Infamen, wie Gaius in seinen institutiones ausdrücklich schreibt.166 Die Formulierung cui per edictum  […] [act]ori aut cognitori esse licebit (Z. 40 f.) in c. 70 l.Irn. lässt sich nun einerseits dahingehend verstehen, dass die Ediktsklausel zum actor municipum vorschreibt, dass actor nur sein kann, wer nach dem Edikt Qui ne dentur cognitores als cognitor fungieren darf.167 Andererseits ist ein derartiges Verständnis der Konjunktion aut nicht zwingend.168 Das Provinzialedikt könnte nämlich an die Person des actor weitere Anforderungen stellen, die über das Edikt Qui ne dentur cognitores hinausgehen. Unabhängig 161 Lenel, EP, 91 – 93; Kaser/Hackl, RZ, 212. 162 PS 1.2.2. 163 Kaser, SZ 73 (1956), 220 (248); Kaser/Hackl, RZ , 212 unter Berufung auf PS 1.2.3. Anders Lenel, EP, 93 Fn. 1. 164 C. 2.12.7 (Ant., a. 223). Zur Begründung des Verbots Th. Honsell, SZ 95 (1978), 93 (128 f.); Kaser, SZ 103 (1986), 1 (54 Fn. 231); vgl. auch Lenel, EP, 91. 165 Lenel, EP, 92. 166 Gai. 4.182: […] qui prohibetur et pro alio postulare et cognitorem dare procuratoremve habere,

item procuratorio aut cognitorio nomine iudicio intervenire, ignominiosus esse dicitur. Dazu ausführlich Wolf, SZ 126 (2009), 55 (63 – 65, 68 f.). 167 So vorsichtig Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (293). 168 Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (293 Fn. 115).

Der Anwendungsbereich des Edikts

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davon, ­welche Interpretationsvariante zutrifft, steht jedoch fest, dass das Provinzialedikt an die Person des actor municipum bestimmte Anforderungen stellt.169 Soweit diese sich aus dem Edikt Qui ne dentur cognitores ergeben, sind sie im Falle von Soldaten durch die utilitas publica, im Falle von Frauen und Infamen durch sozialethische Vorstellungen motiviert. Die durch c. 70 l.Irn. bezeugte Regelung des Provinzialedikts macht sich diese Wertungen zu eigen und schließt auf ihrer Grundlage bestimmte Personengruppen von der Stellung als actor municipum aus. Damit belegt die lex Irnitana, dass das Recht der Prozessvertretung von Gemeinden nicht nur rein technische Regelungen enthält, sondern auch durch Erwägungen des Gemeinwohls und der Sozialethik geprägt ist. Vor ­diesem Hintergrund scheint es möglich, dass auch die ediktalen Regelungen zur Prozessvertretung privater Personenverbände entsprechende Wertungen rezipieren. Nach Asconius ist die utilitas civitatis wesentlicher Beweggrund dafür, ­welche Vereine aufgelöst worden sind und ­welche fortbestehen haben dürfen.170 Ein Edikt, das nur den erlaubten privaten Personenvereinigungen die Fähigkeit einräumt, einen actor zu bestellen, würde auf ähnliche Weise wie die in c. 70 l.Irn. erwähnte ediktale Vorschrift Gemeinwohlerwägungen in das Recht der Prozessvertretung von Personenvereinigungen hineintragen. Vordergründig besteht jedoch ein Unterschied ­zwischen c. 70 l.Irn. und der hier für die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen postulierten Regelung: Das in c. 70 l.Irn. erwähnte Edikt bezieht sich auf die Personen, die als actor bestellt werden können. Das für private Personenvereinigungen postulierte Edikt regelt dagegen, für wen ein actor bestellt werden kann. Dieser Unterschied ist indes nur von eingeschränktem Gewicht. Denn das prätorische Edikt kennt bezüglich des cognitor nicht nur das Edikt Qui ne dentur cognitores, das den Personenkreis festlegt, der nicht als cognitor fungieren kann, sondern auch das Edikt Qui ne dent cognitorem, in dem festgesetzt wird, wer keinen cognitor bestellen kann.171 Dies sind wiederum Infame.172 Auch ­dieses Edikt fußt auf einem sozialethischen Unwerturteil,173 das bestimmten Personen das Recht vorenthält, sich im Prozess durch einen cognitor vertreten zu lassen. Über das Verweisedikt Quibus alieno nomine, item per alios agere non liceat ist ­diesem 169 Ebenso Wolf, SZ 126 (2009), 55 (98 f.). 170 Ascon. Corn., p. 75 Cl.: propter quod postea collegia et S. C. et pluribus legibus sunt sublata

praeter pauca atque certa quae u t i l i t a s c i v i t a t i s desiderasset. Nicht nur für einen Beweggrund, sondern für eine Voraussetzung der Erlaubnis eines Vereins halten die utilitas publica Kornemann, s. v. collegium, RE 4.1., Sp. 408; De Robertis, Storia I, 229 – 234; Groten, Corpus und universitas, 243 f. 171 Zu ­diesem Edikt Lenel, EP, 89 – 91. 172 Lenel, EP, 89; Kaser/Hackl, RZ, 212; Wolf, SZ 126 (2009), 55 (68). 173 Wolf, SZ 126 (2009), 55 (68 f.).

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

­ ersonenkreis ferner die Möglichkeit zur Bestellung eines procurator genomP men.174 Das aber bedeutet, dass das Edikt für eine Personengruppe, die als sozialethisch verwerflich gilt, umfassend die Möglichkeit beseitigt, sich vor Gericht durch andere vertreten zu lassen. Es scheint somit möglich, dass in ähnlicher Weise das Edikt zur Prozessvertretung privater Personenvereinigungen den collegia illicita die Fähigkeit verwehrt, sich durch einen actor vor Gericht vertreten zu lassen. Die Edikte zur Prozessvertretung enthalten Regelungen, die bestimmten Personen aus Erwägungen der utilitas publica oder der Sozialethik verwehren, als Prozessvertreter aufzutreten oder sich im Prozess vertreten zu lassen. Die lex Irnitana belegt eine entsprechende Regelung zur Prozessvertretung von Gemeinden im Provinzialedikt. Sämtliche dieser Regelungen stehen in der Nähe des Edikts zur Prozessvertretung privater Personenvereinigungen auf dem album des Prätors bzw. des Provinzstatthalters. Insofern scheint es möglich, dass schon existierende Beschränkungen der Prozessvertretung als Vorbild für die Beschränkung der Fähigkeit privater Personenvereinigungen zur Bestellung eines actor gedient haben. Schließlich erklärt die Existenz einer solchen Regelung am einfachsten, warum Gaius seine Kommentierung des Edikts zur Prozessvertretung privater Personenvereinigungen mit Ausführungen zu ihrer Erlaubtheit beginnt. Nur die Existenz der hier postulierten Regelung wird dem lemmatischen Charakter 175 des Ediktskommentars gerecht und zwingt nicht zu der Annahme, der Jurist habe einen Exkurs zu einem Thema, das noch dazu dem öffentlichen Recht angehört, in seine Kommentierung des Provinzialedikts eingeschoben.176 Daher ist anzunehmen, dass das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen eine Regelung enthält, die nur erlaubten Vereinigungen die Fähigkeit zur Bestellung eines actor einräumt. Hieraus lässt sich eine Hypothese zur Datierung des Edikts gewinnen. Die Regelung, ­welche die Fähigkeit privater Personenvereinigungen zur Bestellung eines Prozessvertreters beschränkt, steht in einem Zusammenhang mit der augusteischen Vereinsgesetzgebung. Diese Regelung muss demnach unter Augustus eingeführt worden sein, sodass in seiner Regierungszeit eine Redaktion ­dieses Edikts erfolgt sein muss. Zugleich kann die Klausel nur dann ihre Wirkung entfalten, den collegia illicita Rechtsschutz zu verweigern, wenn diesen kein anderes Verfahren zum Schutz ihrer Rechte zur Verfügung steht. ­Wahrscheinlich 174 Kaser, SZ 73 (1956), 220 (248); Kaser/Hackl, RZ, 215. 175 Hierzu Schulz, History, 183 f., 197 f.; Wieacker, RG II, 41, 131. Kritisch Babusiaux, in: Kästle/

Jansen, Kommentare, 13 – 55.

176 Gradenwitz, SZ 12 (1891), 138 (144) nimmt – ohne ausführliche Begründung – ebenfalls an,

dass Gaius mit seinen Ausführungen zur Erlaubnis von Personenvereinigungen das Edikt kommentiert.

Der Anwendungsbereich des Edikts

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haben die Vereine bereits im Legisaktionenverfahren durch einen Prozessvertreter Rechtsschutz erlangen können.177 Erst die weitestgehende Abschaffung des Legisaktionenverfahrens durch zwei leges Iuliae 178 im Jahr 17. v. Chr.179 hat diese Rechtsschutzmöglichkeit zugunsten aller Vereine einschließlich der collegia illicita beseitigt. Die Beschränkung der Fähigkeit zur Bestellung eines actor durch das prätorische Edikt hat erst ab ­diesem Zeitpunkt das rechtspolitische Ziel erreichen können, collegia illicita vom Rechtsschutz durch staatliche Gerichte auszuschließen. Die Redaktion des Edikts, die zu der Verzahnung mit der augusteischen Vereinsgesetzgebung geführt hat, muss daher gleichzeitig oder nach den beiden leges Iuliae erfolgt sein.

IV. Die in den Anwendungsbereich des Edikts fallenden Personenvereinigungen 1. Die Anwendung auf sämtliche private Personenvereinigungen Der ermittelte Regelungsgehalt der von Gaius kommentierten Passage erlaubt es nunmehr zu bestimmen, w ­ elche Personenvereinigungen in den Anwendungsbereich des Edikts fallen. Wenn das Edikt nämlich die Fähigkeit zur Bestellung eines actor den Vereinigungen zukommen lässt, die nach leg[es] et senatus consult[a] et principal[es] constitution[es] erlaubt sind, bedeutet dies zugleich, dass das Edikt auf alle Vereinigungen anwendbar ist, die einer solchen Erlaubnis bedürfen und sie erhalten haben. Wie gesehen, richtet sich das Verbot des c. 74 l.Irn. gegen sodalicia und collegia,180 woraus sich folgern lässt, dass das augusteische Vereinsverbot seinen Anwendungsbereich mit diesen beiden Wörtern umschreibt. Gaius verwendet dieselbe Terminologie in seiner Kommentierung des Edikts zur Prozessvertretung, ergänzt um den Ausdruck corpus.181 Dieser ist ebenfalls der Gesetzessprache entlehnt und wird von dieser im Zusammenhang mit der Bestätigung einer Vereinigung durch den Senat verwendet,182 also ebenfalls im Umkreis des Vereinsverbots, diesmal allerdings in der Provinz. 177 Siehe unten VI. Kap., § 2. 178 Gai. 4.30: […] itaque per legem Aebutiam et duas Iulias sublatae sunt istae legis actiones […]. 179 Kaser/Hackl, RZ, 161 m. w. N. 180 Siehe oben I. Kap., § 2 II.2. 181 D. 3.4.1 (Gai. 3 ed. prov.): Neque so neque collegium neque huiusmodi corpus

passim omnibus habere conceditur […]. 1. Quibus autem permissum est corpus habere collegii so sive cuiusque alterius eorum nomine […]. 182 Siehe oben I. Kap., § 2 I.2.b).

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

Aus dem Gesagten lässt sich erschließen, dass das Edikt umfassend auf private Personenvereinigungen Anwendung findet. Im engeren römischen Kontext dienen hierzu die Ausdrücke sodalicium und collegium. Sodalicium bezeichnet daher in der Gesetzesprache keine besondere Art von Vereinen; vielmehr dient es mit collegium zusammen dazu, umfassend jede Art von Vereinigung zu untersagen.183 Soweit sich der weitere provinziale Kontext durch die Inschrift aus Cyzicus und den gaianischen Kommentar ad edictum provinciale erschließen lässt, hat corpus die Funktion, unabhängig von der lokalen Terminologie ebenfalls jede Art von Vereinigung zu erfassen. Für das Edikt zur Prozessvertretung bedeutet dies, dass jede Art von privater Personenvereinigung in seinen Anwendungsbereich fällt. Verfügt sie über eine hoheitliche Erlaubnis, kann sie einen Prozessvertreter bestellen, und die weiteren Regelungen des Edikts finden auf sie Anwendung. Fehlt ihr eine Erlaubnis, ist ihr die Fähigkeit zur Bestellung eines actor verwehrt. 2. Die Rekonstruktion der Rubrik des prätorischen Edikts

Damit kann auch ein Vorschlag zur Rekonstruktion der Rubrik des Edikts gemacht werden. Die Rubrik des Digestentitels D. 3.4 Quod cuiuscumque universitatis nomine vel contra eam agatur ist schon häufig für eine Schöpfung der Kompilatoren gehalten worden.184 Es kann jedoch ausgeschlossen werden, dass das Wort universitas im T e x t der Digesten eine justinianische Interpolation ist.185 Gaius gebraucht es in seinen institutiones: Gai. 2.10 – 11 = D. 1.8.1 pr. i. f. 10. Hae autem res, quae humani iuris sunt, aut publicae sunt aut privatae.

Die Sachen aber, die dem menschlichen Recht unterstehen, sind entweder öffentliche oder private Sachen.

11. Quae publicae sunt, nullius videntur in bonis esse; ipsius enim universitatis esse creduntur. privatae sunt, quae singulorum hominum sunt.

Diejenigen Sachen, die öffentlich sind, scheinen im Vermögen von niemandem zu sein; sie werden nämlich für Sachen der Gesamtheit selbst gehalten. Private Sachen sind diejenigen, die den einzelnen Menschen gehören.

183 So Liu, Fs. Harris, 279 (287); Bendlin, Fs. Kloppenborg, 435 (458); Groten, Corpus und uni-

versitas, 269 f.; vgl. Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 239 Fn. 1; Duff, Personality, 102, 111 f.; Kaser, RP I, 307; De Robertis, Storia II, 41 – 50; de Ligt, Latomus 60 (2001), 345 (357 f.). Anders noch Mommsen, De collegiis, 32 f.; Kornemann, s. v. collegium, RE 4.1, Sp. 386, 390, 409; Mitteis, RP I, 390 f.; Ciulei, SZ 84 (1967), 371 (373 f.); Ausbüttel, Vereine, 24; Mentxaka, BIDR 98 – 99 (1995 – 1996), 199 (210 f.). 184 Gradenwitz, SZ 12 (1891), 138 (144); H. Krüger, SZ 29 (1908), 516 (522 f.); Lenel, EP, 100 mit Fn. 5; Albertario I, 97 (119); Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 136 f., 144 f.; Kaser, RP I, 309 Fn. 64; Biscardi, Iura 31 (1980), 1 (14); Groten, Corpus und universitas, 352 f. Eine mit der Digestenrubrik gleichlautende Ediktsrubrik nimmt dagegen an Behrends, IuP II, 654 (688 Fn. 137, 690); ders., IuP I, 267 (277 f.); ders., GGA 269 (2017), 194 (200 – 202). 185 So freilich Albertario I, 97 (104 – 113); Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 136 f., 144.

Der Anwendungsbereich des Edikts

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Im Rahmen seiner divisio rerum schreibt Gaius, dass die Sachen menschlichen Rechts entweder öffentliche oder private Sachen sind. Von den öffentlichen Sachen heißt es, dass diese nicht im Vermögen eines Einzelnen stehen (nullius videntur in bonis esse), sondern der universitas gehören; die privaten Sachen dagegen gehören einzelnen Menschen. Damit ist der Ausdruck universitas unabhängig von der justinianischen Kompilation mit der Bedeutung Personengesamtheit überliefert.186 Da die universitas Eigentümerin von res publicae ist, meint Gaius mit ­diesem Begriff an dieser Stelle eine öffentliche Personengesamtheit, also insbesondere eine Gemeinde.187 In einem in den Digesten überlieferten Fragment gebraucht Gaius dagegen universitas für eine private Personenvereinigung: D. 3.4.1.3 (Gai. 3 ed. prov.) Et si extraneus defendere velit universitatem, permittit proconsul, sicut in privatorum defensionibus observatur, quia eo modo melior condicio universitatis fit.

Wenn ein Nichtmitglied die Gesamtheit verteidigen will, erlaubt dies der Prokonsul, wie es bei der Verteidigung von Privaten üblich ist, weil auf diese Weise die Rechtslage der Gesamtheit verbessert wird.

Der Prokonsul gestattet einem Nichtmitglied – ohne Bestellung zum Prozessvertreter –, eine beklagte universitas in einem Prozess zu vertreten, wie dies auch bei privaten Einzelpersonen erlaubt ist. Die Regelung dient der Verbesserung der Lage der universitas; es soll nämlich verhindert werden, dass sie die Folgen der Indefension treffen.188 Schon wegen der Stellung des Paragraphen am Ende des Fragments handelt es sich um ein Exzerpt aus der Kommentierung zum Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen, nicht um eines aus derjenigen zum Edikt Quod adversus municipes agatur.189 Darüber hinaus ist für die Indefension einer Gemeinde eine andere Indefensionsfolge überliefert.190 Damit ist für Gaius der Gebrauch von universitas für öffentliche wie für private Personenvereinigungen überliefert. Dasselbe gilt für andere Juristen.191

186 Orestano, Persone giuridiche, 166; Groten, Corpus und universitas, 36 f.; vgl. Duff, Personality, 48; De Robertis, Storia II, 347 f. 187 Eine Verwendung durch die klassischen Juristen n u r für öffentliche Personenmehrheiten folgern daraus H. Krüger, SZ 29 (1908), 518 (519 – 522); Groten, Corpus und universitas, 37,

44.

188 Hierzu ausführlich unten I. Kap., § 3 IV.2. 189 Lenel, Pal. I, Sp. 194. 190 D. 3.4.8 (Iav. 15 Cass.): Civitates si per eos qui res earum administrant non defenduntur nec

quicquam est corporale rei publicae quod possideatur, per actiones debitorum civitatis agentibus satisfieri oportet. Dazu Lenel, EP, 100; Mitteis, RP I, 390; zweifelnd Kaser/Hackl, RZ, 404. 191 Nachweise bei Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 59 – 68, 136 – 143.

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

Der Grund für diesen Sprachgebrauch lässt sich zwanglos aus Gai. 2.11 entwickeln, wo das Eigentum der universitas dem Eigentum der singul[i] homin[es] entgegengesetzt wird. Universitas ist das abstrakte Substantiv zu universi und meint die Gesamtheit („In-Eins-Gewendetheit“) einer Mehrzahl von Personen; Gegenbegriff sind demgemäß die singuli.192 Dieser Gebrauch trifft auf öffentliche und private Personenvereinigungen gleichermaßen zu, da sich beide Male die Gesamtheit aller Mitglieder von dem einzelnen Mitglied unterscheiden lässt. Daher ist jenen Literaturstimmen beizupflichten, die in universitas einen Ausdruck erblicken, den die römischen Juristen untechnisch für jede Art von Personenvereinigung gebraucht haben.193 Darauf aufbauend haben die Kompilatoren universitas systematisch in den Rubriken der Digestentitel verwendet, in denen die Kompilation die Rechtsverhältnisse aller – öffentlicher wie privater – Personenvereinigungen behandelt.194 Da der Begriff universitas niemals eine technische Bedeutung im Sinne von privater Personenvereinigung gehabt hat,195 kommt seine Verwendung in der Rubrik des Edikts über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen nicht in Frage. Zurecht hat bereits Gradenwitz darauf hingewiesen,196 dass der gaianische Ediktskommentar, wo er von der im Prozess zu vertretenden Personenmehrheit spricht, stets die Mitglieder im Plural nennt.197 Im Zusammenhang mit der Prozessvertretung der Gemeinde Irni sprechen die Rubrik von c. 70 l.Irn. vom actor municipum (tab. VIIIA , Z. 33) und der Text 192 Ausführlich Platschek, ZHR 181 (2017), 153 (154 f.). 193 Duff, Personality, 38; Kaser, RP I, 304 mit Fn. 5; ders., RP II, 156 mit Fn. 45; Albanese, Persone, 552 f. mit Fn. 3; Malmendier, Societas publicanorum, 257 mit Fn. 694; Platschek, ZHR

181 (2017), 153 (155); vgl. Biscardi, Iura 31 (1980), 1 (14); undeutlich Mattiangeli, Societas und corpus, 37 – 41. 194 H. Krüger, SZ 29 (1908), 518 (522 f.); Platschek, Index 40 (2012), 617 Fn. 1; Groten, Corpus und universitas, 352 f.; vgl. Albertario I, 97 (119); Philipsborn, SZ 71 (1954), 41 (64); Orestano, Persone giuridiche, 176 f.; Mattiangeli, Societas und corpus, 39. 195 So aber Behrends, IuP II, 654 (686 f., 690 f.); ders., IuP I, 366 (387, 399 – 402); ders., SZ 112 (1995), 195 (222 f.); ders., Index 41 (2013), 145 (146 – 150); ders., GGA 269 (2017), 194 f., dem zufolge die Verwendung von universitas durch einen Juristen dessen Rezeption von Lehren der skeptischen Akademie und seine Ablehnung der stoischen σῶμα-Lehre ausdrücke. Nach Groten, Corpus und universitas, 37 – 44; Kaser/Knütel/Lohsse, RP, § 27 Rn. 3 bezeichnet universitas stets eine öffentliche Körperschaft. 196 Gradenwitz, SZ 12 (1891), 138 (144). 197 D. 3.4.1 pr.–2 (Gai. 3 ed. prov.): Neque so neque collegium neque huiusmodi corpus passim o m n i b u s habere conceditur: […]. P a u c i s admodum in causis concessa sunt huiusmodi corpora: ut ecce vectigalium publicorum s o c i i s permissum est corpus vel aurifodinarum vel argentifodinarum et salinarum […]. 1. Q u i b u s autem permissum est corpus habere […]. 2. Quod si nemo e o s defendat, quod e o r u m commune erit possideri et […], si admoniti non excitentur ad sui defensionem, venire se iussurum proconsul ait. […].

Der Anwendungsbereich des Edikts

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der Norm vom nomine municipum municipi Flavi Irnitani ag[ere] pet[ere]ve (tab. VIIIA , Z. 35 f.), sodass dieser Gebrauch des Plurals auch für die Sprache von Rechtsnormen zur Prozessvertretung von öffentlichen Personenvereinigungen nachgewiesen ist. Dies macht es wahrscheinlich, dass die Rubrik des Edikts über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen diese mit dem Plural bezeichnet. Anders als Gradenwitz vermutet,198 wird die Rubrik jedoch nicht das Wort corpus verwendet haben. Denn auch wenn corpus in dem Senatbeschluss aus Cyzicus verwendet wird, dient es dort zur Bezeichnung hellenistischer Rechtszustände, die im Edikt des praetor urbanus nicht zu erwarten ist. Aufgrund des Zeugnisses von c. 74 l.Irn. ist vielmehr anzunehmen, dass die ediktale Rubrik die Ausdrücke sodalicium und collegium verwendet, zumal diese auch in der Rubrik ­dieses Kapitels der lex Irnitana erscheinen (tab. VIIIB , Z. 58). Da die Fähigkeit, einen actor zu bestellen, von der Erlaubtheit der betreffenden privaten Personenvereinigung abhängig ist, dürfte die Vermutung von Gradenwitz zutreffen, dass auch die Erlaubtheit in der Rubrik Ausdruck gefunden hat.199 Indes ist seiner Vermutung zu widersprechen, die Rubrik habe die Erlaubnis der privaten Personenvereinigung mit permittere ausgedrückt. Denn obwohl die Beobachtung zutrifft, dass permissum ein ediktales Wort ist,200 übersieht Gradenwitz, dass es sich im Edikt mit einer Ausnahme 201 stets auf eine Erlaubnis bezieht, die der Prätor erteilt.202 Anders verhält es sich mit licere, das im Senatsbeschluss über die collegia tenuiorum verwendet wird, um die g­ enerelle

198 Gradenwitz, SZ 12 (1891), 138 (145): „Quibus permissum est corpus habere …, quod eorum

nomine agatur“.

199 Gradenwitz, SZ 12 (1891), 138 (144 f.). 200 Gradenwitz, SZ 12 (1891), 138 (144). 201 D. 43.20.1.38 (Ulp. 70 ed.): Ait praetor: ‘Quo ex castello illi aquam ducere ab eo, cui eius rei ius

fuit, p e r m i s s u m est, quo minus ita uti p e r m i s s u m est ducat, vim fieri veto. Quandoque de opere faciendo interdictum erit, damni infecti caveri iubebo’. 202 D. 2.4.4.1 (Ulp. 5 ed.): Praetor ait: ‘Parentem, patronum patronam, liberos parentes patroni patronae in ius sine p e r m i s s u m e o ne quis vocet’. D. 43.17.1 pr. (Ulp. 69 ed.): Ait praetor: ‘Uti eas aedes, quibus de agitur, nec vi nec clam nec precario alter ab altero possidetis, quo minus ita possideatis, vim fieri veto. De cloacis hoc interdictum non dabo. Neque pluris, quam quanti res erit: intra annum, quo primum experiundi potestas fuerit, agere p e r m i t t a m ’. D. 43.4.1 pr. (Ulp. 72 ed.): Ait praetor: ‘Si quis dolo malo fecerit, quo minus quis p e r m i s s u m e o eiusve, cuius ea iurisdictio fuit, in possessionem bonorum sit, in eum in factum iudicium, quanti ea res fuit, ob quam in possessionem missus erit, dabo’. D. 42.8.10 pr. (Ulp. 73 ed.): Ait praetor: ‘Quae Lucius Titius fraudandi causa sciente te in bonis, quibus de ea re agitur, fecit: ea illis, si eo nomine, quo de agitur, actio ei ex edicto meo competere esseve oportet, ei, si non plus quam annus est, cum de ea re, qua de agitur, experiundi potestas est, restituas. Interdum causa cognita et si scientia non sit, in factum actionem p e r m i t t a m ’.

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

Erlaubnis dieser Vereine auszudrücken.203 Im Edikt De postulando wird es verwendet, um den Ausschluss der Postulationsfähigkeit aufgrund von anderen Rechtsnormen auszudrücken.204 Dies spricht für eine Verwendung von licere auch im Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen, denn auch dort wird die Fähigkeit zur Bestellung eines actor von der Erlaubtheit der Personenvereinigung aufgrund von leg[es] et senatus consult[a] et principal[es] constitution[es] abhängig gemacht. Daraus ergibt sich folgender Vorschlag zur Rekonstruktion der ediktalen Rubrik: Quibus sodalicium collegiumve habere licet quod eorum nomine agatur.

Wenn im Namen derer geklagt wird, denen es gestattet ist, eine Genossenschaft oder einen Verein zu haben.

3. Die Anwendung auf Augustalenkörperschaften Da der Anwendungsbereich des Edikts sämtliche erlaubte private Personenvereinigungen umfasst, fallen in ihn auch die Körperschaften, die in einigen Städten von den ehemaligen Inhabern des Jahresamts der Augustalität nach dem Vorbild der collegia gebildet wurden.205 Dass auch diese Körperschaften einer Erlaubnis bedurft haben, lässt sich aus dem Vergleich zweier Alben der Augustalen von Liternum folgern. Das ältere album enthält die Namen der Mitglieder hierarchisch gegliedert in patroni adlecti und plebs.206 Es ist folgendermaßen überschrieben: Suppl.It. 25 Liternum, 16 = AE 2001, 853 (Liternum, Latium et Campania, 150 – 175) Augustales creati ii qui in cultu domus / Die den Augustalen Angehörenden, diejenigen, die divinae contulerunt. sich in der Verehrung des Kaiserhauses vereinigt haben.

203 CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA 2 III 35, Z. 11 – 12 (Lanuvium, Latium et Campania, 136): Quib[us – ca. 10 – co]nvenire collegiumq(ue) habere liceat. Siehe oben I. Kap., § 2 II.2. 204 D. 3.1.1.8 (Ulp. 6 ed.): Ait praetor: ‘Qui lege, plebis scito, senatus consulto, edicto, decreto prin-

cipum nisi pro certis personis postulare prohibentur: hi pro alio, quam pro quo l i c e b i t , in iure apud me ne postulent’ […]. Zu ­diesem Edikt Lenel, EP, 77. 205 Dazu Duthoy, ANRW II.16.2, 1254 (1274 – 1276, 1285 – 1287). Ungenau Abramenko, Athenaeum 81 (1993), 13 (15 – 37), der drei verschiedene Phänomenen nicht hinreichend unterscheidet: erstens die creatio von zusätzlichen Inhabern des Jahresamtes über die gewöhnliche Zahl der Amtsinhaber hinaus (hierzu Costabile, MEP 13 [2008], 71 [151 – 154]), zweitens die Wahrnehmung der früheren Inhaber des Jahresamts als einer besonderen sozialen Gruppe (hierzu Duthoy, ANRW II.16.2, 1254 [1272 – 1274, 1284 f.]) und drittens die Herausbildung einer Organisation der ehemaligen Amtsinhaber nach dem Vorbild der collegia. 206 Suppl.It. 25 Liternum, 16 = AE 2001, 853 (Liternum, Latium et Campania, 150 – 175).

67

Der Anwendungsbereich des Edikts

Das jüngere album dagegen gliedert die Namen der Mitglieder in patroni adlecti, corporati und plebs, kennt also eine weite Kategorie von Mitgliedern im Rang oberhalb der plebs.207 Auch in Misenum wurde in ähnlicher Weise ­zwischen Augustales corporati und ii qui in corpore non sunt unterschieden.208 Daraus lässt sich schließen, dass sich die früheren Inhaber der Augustalität von Liternum im Zeitraum z­ wischen den beiden Inschriften körperschaftlich organisiert haben.209 Dieses jüngere album, entstanden nach der Organisation als corpus, ist folgendermaßen überschrieben: Suppl.It. 25 Liternum, 17 = AE 2001, 854 (Liternum, Latium et Campania, 180 – 200) Ex s(enatus) c(onsulto)  / Augustales creati  / ii qui in cultu domus divinae contul(erunt).

Die aufgrund eines Senatsbeschlusses den Augus­talen Angehörenden, diejenigen, die sich in der Verehrung des Kaiserhauses vereinigt haben.

Die aufgeführten Mitglieder werden als ex s(enatus) c(onsulto) / Augustales creati bezeichnet. Diese Formulierung ließe sich vordergründig dahingehend verstehen, dass die Mitglieder der Körperschaft durch Senatsbeschluss ernannt werden. Gegen eine Beteiligung des römischen Senats spricht, dass die Inhaber des honor der Augustalität stets durch gemeindliche Organe ernannt werden.210 Zudem geht auch die Einrichtung des Jahresamts aller Wahrscheinlichkeit auf gemeindliche, nicht auf zentrale Rechtsetzung zurück.211 Allerdings ist zu beachten, dass sich die Zeugnisse einer rein gemeindlichen Regulierung auf das Jahresamt der Augustalität beziehen, nicht dagegen auf die Körperschaften der ehemaligen Inhaber ­dieses Amts. Dass das jüngere album sich nicht auf den munizipalen honor, sondern auf eine s­ olche Körperschaft bezieht, zeigt die Existenz einer als corporati bezeichneten Gruppe. Mit senatus meint die Inschrift auch nicht die gemeindlichen decuriones, denn in Kampanien wird die Bezeichnung senatus nur äußerst selten für den ­Gemeinderat

207 Suppl.It. 25 Liternum, 17 = AE 2001, 854 (Liternum, Latium et Campania, 180 – 200). 208 AE 2000, 344a, Z. 8 – 9 (Misenum, Latium et Campania). Dazu D’Arms, JRS 90 (2000), 126 (131 f.); Camodeca, AION (archeol) n. s. 8 (2001), 163 (173 mit Fn. 41); vgl. auch ders., AION

(archeol) n. s. 3 (1996), 149 (164).

209 Camodeca, AION (archeol) n. s. 8 (2001), 163 (172 f.); Corazza, in: Chioffi, Mediterraneo, 217

(231 Fn. 45, 233 Fn. 51).

210 Duthoy, ANRW II.16.2, 1254 (1266 f., 1280 – 1282); Abramenko, Mittelschicht, 167; Costabile, MEP 13 (2008), 71 (144 – 146, 153 f.). 211 AE 2008, 441, Z. 15 – 16 (Copia Thurii, Bruttium et Lucania, 15 – 24?) erwähnt eine lex, bei der es sich nach Costabile, MEP 13 (2008), 71 (153 f.) um ein munizipales Gesetz handelt,

das den decuriones die Befugnis einräumt, in das Wahlverfahren der örtlichen Augustalen einzugreifen.

68

Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

v­ erwendet.212 Wahrscheinlicher ist, dass sich das Wort auf den römischen Senat bezieht. Der Vergleich mit einer anderen Inschrift vom Golf von Neapel 213 ergibt, dass die Formel ex senatus consulto […] creati sich auf die Erlaubnis einer Personenvereinigung durch den römischen Senat bezieht: CIL X 3699 (Cumae/Puteoli, Latium et Campania, 251)

Ex s(enatus) c(onsulto) dendrophori creati qui sunt / sub cura XV vir(orum) s(acris) [f(aciundis)] cc(larissimi) vv(iri).

Die aufgrund eines Senatsbeschlusses den dendrophori Angehörenden, die unter der Aufsicht der XV viri sacris faciundis von senatorischem Rang stehen.

Es handelt sich um die Überschrift des album eines Vereins der dendrophori.214 Auch hier findet sich die Bezeichnung creati. Aus zwei Gründen kann damit nicht die Ernennung der dendrophori durch den römischen Senat gemeint sein: Zum einen wird die Aufnahme in einen Verein nicht als creare, sondern gewöhnlich als adlegere oder als adrogare, adsciscere, recipere, adsumere bzw. suscipere bezeichnet.215 Zum anderen ist kein Fall belegt, in dem die Mitgliedschaft eines Vereins durch senatus consultum begründet worden wäre.216 Creati bezieht sich also nicht auf die Aufnahme in den Verein, sondern darauf, dass Personen, die in dem album namentlich werden, über die Mitgliedschaft verfügen. Creati drückt damit wie die Formulierung collegium habere im Senatsbeschluss über die collegia tenuiorum die Mitgliedschaft in einem Verein aus. Daher ist es deutlich wahrscheinlicher, dass sich die Formel auf die Erlaubnis des collegium der dendrophori durch den römischen Senat bezieht,217 auch wenn sie von der üblichen Formulierung quibus ex s(enatus) c(onsulto) coire licet abweicht. Wegen dieser Parallele z­ wischen den Alben der dendrophori und der Augustalen ist davon auszugehen, dass die ehemaligen Inhaber des Jahresamts der Augustalität ebenfalls einer Erlaubnis bedürfen, wenn sie eine körperschaftliche Organisation bilden.218 Diesen Befund bestätigt eine Inschrift aus Brixia:

212 Camodeca, AION (archeol) n. s. 8 (2001), 163 (168). 213 Für Cumae als Herkunftsort Camodeca, AION (archeol) n. s. 8 (2001), 163 (168); ders., in: Lamoine u. a., Praxis municipale, 219 (242). Für Puteoli Van Haeperen, ZPE 17 (2010), 259 (262). 214 Die Vereine der dendrophori stehen im Zusammenhang mit dem Kult der Magna Mater;

siehe nur Ausbüttel, Vereine, 50.

215 Tran, Membres, 5 f.; Van Haeperen, ZPE 17 (2010), 259 (264). 216 Van Haeperen, ZPE 17 (2010), 259 (264). 217 Camodeca, AION (archeol) n. s. 8 (2001), 163 (168); Van Haeperen, ZPE 17 (2010), 259 (264 f.). 218 Vgl. Bendlin, Fs. Kloppenborg, 435 (452).

69

Der Anwendungsbereich des Edikts

CIL V 4428 = ILS 6720 (Brixia, Venetia et Histria, nach 161)

Pietati  / Hostiliae  / Hostilianae  / VI vir(i) Aug(ustales) soci / 5 quibus ex permiss(u) divi Pii / arcam habere permiss(um) / primae benemerenti t(itulo) u(sa).

Dem Pflichtgefühl der Hostilia Hostiliana, die sich als erste verdient gemacht hat, die VI viri Augus­tales soci, denen kraft einer Erlaubnis des vergöttlichten [Antoninus] Pius erlaubt ist, eine Kasse zu haben.

Die Ehreninschrift zugunsten der Hostilia Hostiliana, die ihr die VI vir(i) Aug(ustales) soci gesetzt haben, erwähnt, dass diesen durch Antoninus Pius gestattet worden ist, eine arca zu haben. Bei den VI vir(i) Aug(ustales) soci handelt es sich um die in Brixia und Vercellae, also zwei norditalienischen Städten, belegte Bezeichnung für die Körperschaft der ehemaligen Augustalen.219 Unzutreffend ist daher die Schlussfolgerung Abramenkos, in Brixia und ganz Norditalien s­ eien s­ olche Körperschaften nicht gebildet worden, weil sich dort die Bezeichnung ordo nicht finde.220 Die Inschrift belegt vielmehr, dass der K ­ aiser den Augustalen von Brixia die Bildung einer körperschaftlichen Organisation erlaubt hat. Denn die Existenz einer arca ist nach Gaius ein wesentliches Merkmal eines corpus.221 Ferner ähnelt die Formulierung quibus ex permiss(u) divi Pii / arcam habere permiss(um) stark der Formel quibus ex s(enatus) c(consulto) coire licet, mit der gewöhnlicherweise die Erlaubnis zur Bildung von Vereinen ausgedrückt wird. Die kaiserliche Intervention führt nicht nur dazu, dass die arca der Augus­ talenkörperschaft dem Einfluss der decuriones entzogen wird, und stärkt die Position der Augustalen gegenüber der Gemeinde.222 Vielmehr erlaubt sie zugleich den früheren Inhabern des Augustalenamts die Bildung einer körperschaftlichen Organisation.223 Die Inschrift könnte die Erlaubnis zur Bildung einer Kasse hervorheben, weil es einen Konflikt mit den decuriones über die finanzielle Eigenständigkeit der Augustalenkörperschaft gegeben hat.224 Insbesondere stellt die Eigenständigkeit der arca sicher, dass die Zuwendung der Hostilia ­Hostiliana 219 Duthoy, ANRW II.16.2, 1254 (1274 mit Fn. 144); Mollo, Augustalità, 271 f., 274; dies., Mobilità sociale, 199; Gregori, Brescia romana II, 168; Buchi, in: Sartori/Valvo, Ceti medi, 67 (74). 220 Abramenko, Mittelschicht, 171. Zur Unabhängigkeit der Existenz einer körperschaftlichen 221 222 223 224

Organisation in Brixia von der Verwendung des Begriffs ordo Mollo, Augustalità, 272 – 274; dies., Mobilità sociale, 199. D. 3.4.1.1 (Gai. 3 ed. prov.). So zurecht Abramenko, Mittelschicht, 169; Gregori, Brescia romana II, 168; Buchi, in: Sartori/ Valvo, Ceti medi, 67 (74). Ebenso Mommsen, StaatsR II.2, 887 mit Fn. 3; De Robertis, Storia I, 253 – 257; Tran, Membres, 358 – 362; Liu, Fs. Bogaert, 231 (250 mit Fn. 60); Groten, Corpus und universitas, 290. Ablehnend Abramenko, Mittelschicht, 168 – 171; de Ligt, Latomus 60 (2001), 345 (357 f.). So Abramenko, Mittelschicht, 170 f.

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

dauerhaft bei den Augustalen verbleibt.225 Zugleich führt die kaiserliche Erlaubnis dazu, dass die Augustalenkörperschaft nicht mehr jederzeit aufgelöst werden kann und ihr Vermögen dabei unter den Mitgliedern aufgeteilt wird.226 In d ­ iesem Sinne sichert die Erlaubnis die Stiftung der Hostilia Hostiliana ab. Da sie die erste Euergetin der Augustalen von Brixia nach Erteilung der kaiserlichen Erlaubnis ist (primae benemerenti),227 mag die Erwähnung der arca auch den Zweck verfolgt haben, potentiellen künftigen Stiftern gegenüber herauszustellen,228 dass die Augustalenkörperschaft die Sicherheit zu einer kontinuierlichen Vollziehung der Stiftungsauflage bietet, weil durch die kaiserliche Erlaubnis eine Auflösung ausgeschlossen ist. Die Inschriften aus Liternum und Brixia sind zwar die einzigen Zeugnisse für eine hoheitliche Erlaubnis von Augustalenkörperschaften. Dabei verwenden sie nicht die stereotype Formel quibus ex s(enatus) c(consulto) coire licet, sondern eigenständige Formulierungen. Dennoch lassen diese erkennen, dass es sich jeweils um die Erlaubnis zur Bildung einer körperschaftlichen Organisation handelt. Da es weniger Augustalenkörperschaften als Vereine gab und auch die Zahl der Inschriften, die Erlaubnisse für Vereine bezeugen, begrenzt ist, spricht nichts dagegen,229 aus den zwei Zeugnissen aus Liternum und Brixia darauf zu schließen, dass auch die Körperschaften von Augustalen einer Erlaubnis bedurft haben. Aus ­diesem Grund fallen sie wie die Vereine unter das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen.

§ 3

Die Regelungen des Edikts zum Prozessvertreter

I. Die Aufgabe des Prozessvertreters Als kennzeichnend für eine erlaubte Personenvereinigung bezeichnet Gaius neben dem Vereinsvermögen die Existenz eines Prozessvertreters. Dessen Aufgabe beschreibt er wie folgt:

225 Gregori, Brescia romana II, 168; vgl. Tran, Membres, 358 f. 226 Siehe oben I. Kap., § 2 III.1. 227 Mollo, Augustalità, 299; dies., Mobilità sociale, 219; Buchi, in: Sartori/Valvo, Ceti medi, 67

(74); Tran, Membres, 358.

228 Übersicht über weitere Stiftungen zugunsten der VIviri Augustales socii bei Buchi, in: Sartori/

Valvo, Ceti medi, 67 (74 f.)

229 Ablehnend de Ligt, Latomus 60 (2001), 345 (352); ebenso wohl Abramenko, Mittelschicht,

169.

Die Regelungen des Edikts zum Prozessvertreter

71

D. 3.4.1.1 (Gai. 3 ed. prov.) Quibus autem permissum est corpus habere  […], proprium est ad exem­ plum rei publicae habere […] actorem sive syndicum, per quem tamquam in re publica, quod communiter agi fierique oporteat, agatur fiat.

Für diejenigen aber, denen es gestattet ist, eine körperschaftliche Organisation […] zu haben, ist es kennzeichnend, nach dem Vorbild eines Gemeinwesens […] einen Prozessvertreter oder syndicus zu haben, durch den – so wie bei einem Gemeinwesen – getan werden und geschehen soll, was gemeinsam getan werden und geschehen muss.

Wie bei einer Gemeinde soll durch den actor oder syndicus einer privaten Personenvereinigung dasjenige getan werden und geschehen (agatur fiat), was gemeinsam getan werden und geschehen muss. Aufgrund der Vieldeutigkeit der Verben agi und fieri erscheint der Inhalt dieser Aussage zuerst unklar. Immerhin legt der palingenetische Kontext der Quelle es nahe, dass mit agi und fieri die Vornahme von Prozesshandlungen durch den actor gemeint ist, denn die Formulierung findet sich in der Kommentierung zum Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen.230 Eindeutig ergibt sich dies freilich aus dem gaianischen Text nicht. Daher überrascht es nicht, dass sich seit jeher andere Deutungen finden. Die mittelalterliche Glosse bezieht zwar agi auf Prozesshandlungen,231 fieri jedoch auf außergerichtliches, also wohl rechtsgeschäftliches Handeln.232 Groten dagegen hat jüngst behauptet, dass Gaius überhaupt nicht von Prozesshandlungen schreibe, sondern sich agi auf „rechtserhebliche Erklärungen namens des Verbandes“ und fieri auf „rechtserhebliche, tatsächliche Handlungen für den Verband“ beziehe.233 Eine Bestimmung der lex Irnitana, in der sich die Wendung agi fieri findet, erweist jedoch diese Auffassungen als unzutreffend:

230 Lenel, Pal. I, Sp. 194. 231 Gl. Agi ad D. 3.4.1.1: Scilicet in iudiciis. 232 Gl. Fierique ad D. 3.4.1.1: Scilicet extra iudicia; vgl. Mehr, Societas und universitas, 256 mit

Fn. 1450.

233 Groten, Corpus und universitas, 319; ebenso ebd., 162. Ebenfalls als Beleg für rechtsgeschäftliche Stellvertretung fassen D. 3.4.1.1 auf Schulz, ClRL, 100 f.; Eliachevitch, Personnalité juridique, 270, 274 – 277; De Robertis, Storia II, 279, 284 f.; Plescia, St. Sanfilippo I, 485 (505 mit Fn. 50); Ciulei, Triptyques, 71 – 73; Behrends, IuP II, 654 (679); ders., GGA 269 (2017), 194 (229 Fn. 96); Honsell/Mayer-Maly/Selb, RR, 80. Zurückhaltend dagegen Cimma, Publicani,

215; Malmendier, Societas publicanorum, 241 f. Eine adjektizische Haftung der Gemeinde für das rechtsgeschäftliche Handeln des actor nach dem Vorbild der actio institoria behauptet wenig überzeugend Aubert, CCG 10 (1999), 49 (56 – 69).

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

c. 91 l.Irn. = AE 1986, 333, tab. XA, Z. 42–tab. XB, Z. 10 (Irni, Baetica, 91) R(ubrica). Quo iure in tertium denuntietur, dies diffindatur diffi/susve sit, res iudicetur, lis iudici{i} damni sit, res in iudicio / esse desinat. /

Nach welchem Recht der Verhandlungstag angezeigt werden, der Verhandlungstermin vertagt werden oder vertagt worden sein, der Rechtsstreit abgeurteilt werden, die Streitsache zu einer Haftung für den Richter führen und die Angelegenheit aufhören soll, Gegenstand eines Prozesses zu sein.

Quacumque de re privata iudices arbitri in eo municipio dati / subditi addictive h(ac) l(ege) erunt, is iudicibus arbitris et is, / quos inter ii iudices arbitrive dati subditi addictive / h(ac) l(ege) erunt, de ea re in tertium adversario iudici arbitrove  / in biduo proximo denuntiandi, diem diffindendi, dies / 50 diffis[sos] iurandi, antequam iudicent, iudicandi litem aestumandi, / per quos dies et ubi ex h(ac) l(ege) licebit oportebit, et si / neque dies diffisus neque iudicatum fuerit, uti lis iudici / arbitrove damni sit, et si intra it tempus, quod legis Iuliae, / quae de iudicis privatis proxime lata est, kapite XII  // senatusve consultis [[ad it kaput]] ad it kaput legis pertinentibus  / conprhensum est, iudicatum non sit, uti res in iudicio  / non sit, siremps lex {r} i(us) [c](ausa)que esto adque{m} uti esset si eam rem / in urbe Roma praetor p(opuli) R(omani) inter cives Romanos iudicari iussisset / 5 et de e(a) r(e), ex lege rogatione{m} quocumque plebis scito iudicia privata / in urbe Roma fient, agi, fieri, denuntiari, diem diffin[[den]]/di, diem diffisum esse, iudicari, litem iudici damni esse, rem in / iudicio non esse oporteret, praeter quam quod per alios dies  / et alio loco h(ac) l(ege) denuntiari, rem iudicari, diem diffindi opor/10tebit. [...]

In jedem privaten Rechtsstreit, in dem Richter oder Schiedsrichter in ­diesem municipium nach ­diesem Gesetz eingesetzt, ersetzt oder zugewiesen worden sind, soll für diese Richter oder Schiedsrichter und für diejenigen, ­zwischen denen diese Richter oder Schiedsrichter nach ­diesem Gesetz eingesetzt, ersetzt oder zugewiesen worden sind, in dieser Angelegenheit für die Anzeige des Verhandlungstags innerhalb der nächsten zwei Tage an den Gegner, Richter oder Schiedsrichter, für die Vertagung, für den Eid über die Vertagung, bevor [die Richter oder Schiedsrichter] urteilen, für die Urteilsfällung, für die Schätzung des Streitgegenstandes in dem Zeitraum und an dem Ort, die nach ­diesem Gesetz erlaubt sind, und, wenn der Verhandlungstermin nicht vertagt und kein Urteil gesprochen worden ist, hinsichtlich dessen, dass der Rechtsstreit für den Richter oder Schiedsrichter zu einer Haftung führt, und, wenn innerhalb des Zeitraums, der im 12. Kapitel des julischen Gesetzes, das jüngst für private Rechtsstreitigkeiten erlassen worden ist, oder in den Senatsbeschlüssen, die sich auf ­dieses Kapitel des Gesetzes beziehen, vorgesehen ist, kein Urteil gefällt worden ist, hinsichtlich dessen, dass die Angelegenheit nicht Gegenstand eines Prozesses ist, das Gesetz, das Recht und die Rechtslage so sein, wie sie wären, wenn für diese Angelegenheit in der Stadt Rom der Prätor des römischen Volkes z­ wischen römischen Bürgern zu urteilen befohlen hätte und wenn in dieser Angelegenheit, nach welchem Gesetz, Gesetzesantrag oder Plebiszit auch immer private Rechtsstreitigkeiten in der Stadt Rom geführt werden, etwas getan werden, geschehen, angezeigt werden, die Angelegenheit vertagt werden, vertagt worden sein, ein Urteil gesprochen werden, der Rechtsstreit zu einer Haftung des Richters führen oder die Angelegenheit nicht Gegenstand eines Rechtsstreits sein müsste, es sei denn, dass nach ­diesem Gesetz in einem anderen Zeitraum und an einem anderen Ort angezeigt, die Angelegenheit abgeurteilt oder vertagt werden soll.

45

Die Regelungen des Edikts zum Prozessvertreter

73

Das Kapitel ordnet an, dass die Vorschriften, die das Verfahren für ein iudicium legitimum in Rom regeln, auch für privatrechtliche Prozesse in Irni gelten sollen.234 Das Kapitel umfasst zwei lange und komplizierte Sätze;235 die Wendung agi fieri findet sich nur im ersten Satz, weshalb hier dieser allein betrachtet werden soll. Gegenstand der Regelung sind privatrechtliche Streitigkeiten, die durch iudices oder arbitri – nicht aber durch recuperatores – entschieden werden (quacumque de re privata iudices arbitri in eo municipio dati / subditi addictive h(ac) l(ege) erunt, tab. XA, Z. 45 f.).236 Das stadtrömische Verfahrensrecht soll für eine Reihe von Verfahrensschritten gelten, die teils vom iudex bzw. arbiter, teils von den Parteien vorgenommen werden (is iudicibus arbitris et is, / quos inter ii iudices arbitrive dati subditi addictive / h(ac) l(ege) erunt, tab. XA, Z. 46 – 48).237 In tab. XA, Z. 48–tab. XB, Z. 3 werden die Verfahrensschritte, die der Norm unterfallen, einzeln aufgeführt: die Anzeige des Verhandlungstags vor dem iudex bzw. arbiter (intertium denuntiare), die Vertagung (diem diffindere), der Eid über die erfolgte Vertagung (dies diffissos iurare), die Urteilsfällung (iudicare), die Schätzung des Streitgegenstandes (litis aestimatio), die Haftung des Richters für litem suam facere sowie das Erlöschen des Verfahrens wegen Fristablaufs (mors litis).238 Für diese Verfahrensschritte soll die Rechtslage gelten (siremps lex {r} i(us) [c](ausa)que esto, tab. XB, Z. 3),239 die gelten würde, wenn der Prätor eine Streitentscheidung z­ wischen römischen Bürgern in der Stadt Rom angeordnet hätte (adque{m} uti esset si eam rem / in urbe Roma praetor p(opuli) R(omani) inter cives Romanos iudicari iussisset, tab. XB, Z. 3 f.) und der entsprechende Verfahrensschritt durchgeführt werden müsste (et de e(a) r(e) […] agi, fieri, denuntiari, diem diffin[[den]]/di, diem diffisum esse, iudicari, litem iudici damni esse, rem in / iudicio non esse oporteret, tab. XB, Z. 5 – 8), sofern nicht die lex Irnitana selbst eine abweichende Regelung trifft (tab. XB, Z. 8 – 10).240 In dieser zweiten Aufzählung der Verfahrensschritte erscheint die Wendung agi fieri (tab. XB, Z. 6). Während die meisten anderen Verfahrensschritte bereits in der ersten Aufzählung in tab. XA, Z. 48–tab. XB, Z. 3 genannt werden, erscheint agi fieri nur in der zweiten Aufzählung. Allerdings stimmen die beiden 234 Johnston, JRS 77 (1987), 62 (63); Rodger, JRS 81 (1991), 74 (84); Simshäuser, SZ 109 (1992),

163 (175 f.); Wolf, Lex Irnitana, 76 (82).

235 González/Crawford, JRS 76 (1986), 147 (235 f.); Rodger, JRS 81 (1991), 74 (85); Wolf, Lex

Irnitana, 76 (81). Daraus kann jedoch entgegen A. D’Ors, Ley Flavia municipal, 178 f. keine mangelhafte Redaktion angenommen werden; vgl. nur Rodger, JRS 81 (1991), 74 (85). 236 Rodger, JRS 81 (1991), 74 (85). 237 Rodger, JRS 81 (1991), 74 (85). 238 Die Mehrzahl hiervon übersieht A. D’Ors, Ley Flavia municipal, 178 f. 239 Zu dieser Klausel und ihrer Rechtsfolge Terrinoni, in: Ferrary, Leges publicae, 157 – 168. 240 Johnston, JRS 77 (1987), 62 (63); Simshäuser, SZ 109 (1992), 163 (175 mit Fn. 32).

74

Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

Aufzählungen nicht völlig überein: dies diffissos iurare und die litis aestimatio werden nur in der ersten Aufzählung erwähnt, die erfolgte Vertagung (diem diffisum esse) dagegen nur in der zweiten. Aus der fehlenden Erwähnung von agi fieri in der ersten Aufzählung lassen sich daher noch keine Rückschlüsse auf ihre Bedeutung ziehen. Hilfreicher ist, die Funktion der beiden Aufzählungen miteinander zu vergleichen. Die erste Aufzählung definiert die Verfahrensschritte, für die das stadtrömische Prozessrecht gelten soll.241 Die zweite Aufzählung gehört dagegen zur Anordnung der Rechtsfolge, nämlich der Geltung der stadtrömischen Vorschriften über das iudicium legitimum. Dieses beschreibt die lex Irnitana anhand zweier Merkmale: zum einen anhand des Jurisdiktionsbefehls des Prätors, zum anderen der Vornahme eines der aufgezählten Verfahrensschritte. Die Funktion der zweiten Aufzählung ist, den Ablauf eines iudicium legitimum zu charakterisieren, nicht dagegen – wie die erste Aufzählung – den Anwendungsbereich von c. 91 l Irn. abzustecken. Die Auslassungen von dies diffissos iurare und die litis aestimatio in der zweiten Aufzählung lassen sich dahingehend erklären, dass diese beiden Schritte für die Charakterisierung des Ablaufs eines iudicium legitimum nicht unbedingt erforderlich sind, sondern mit iudicari (tab. XB, Z. 7) hinreichend abgedeckt werden. Mit agi fieri dagegen wird die zweite Aufzählung erweitert, um sämtliche übrigen Verfahrenshandlungen abzudecken, die bei einem iudicium legitimum vorgenommen werden. Da sich c. 91 l.Irn. nur auf das Verfahren apud iudicem bezieht,242 ist höchst zweifelhaft, ob mit agi fieri Handlungen im Verfahren in iure gemeint sind, wie González und Crawford vorgeschlagen haben.243 Die Wendung dient aber jedenfalls dazu, als generischer Begriff alle weiteren, nicht ausdrücklich genannten Verfahrenshandlungen abzudecken, um auf diese Weise den Verlauf eines iudicium legitimum zu charakterisieren.244 Für die Interpretation von agi und fieri in D. 3.4.1.1 bedeutet dies, dass sich die Wendung mit höchster Wahrscheinlichkeit auf Prozesshandlungen bezieht, die der actor für die Personenvereinigung vornimmt. Sowohl die Palingenesie des Digestenfragments als auch die einzige Überlieferung außerhalb der Digesten sprechen für eine Bedeutung im Sinne von Prozesshandlung. Dass agi und fieri dagegen nichtprozessuales, gar rechtsgeschäftliches Handeln meinen könnten, ist vor ­diesem Hintergrund fernliegend. 241 Rodger, JRS 81 (1991), 74 (85); vgl. Lamberti, Tabulae Irnitanae, 144 f., 193. 242 Simshäuser, SZ 109 (1992), 163 (175); Wolf, Lex Irnitana, 76 (83). 243 González/Crawford, JRS 76 (1986), 147 (235); vgl. auch die Übersetzung ebd., 198 mit „that

matter to be brought or dealt with“.

244 Wolf, Lex Irnitana, 76 (83); vgl. die Übersetzung bei Lamberti, Tabulae Irnitanae, 365 mit

„iniziare e portare avanti una causa“.

Die Regelungen des Edikts zum Prozessvertreter

75

Wenn Gaius das prozessuale Handeln des actor als quod c o m m u n i t e r agi fierique oporteat beschreibt, stellt er zugleich heraus, dass der actor Prozessvertreter der Personenvereinigung insgesamt und nicht der Mitglieder als Einzelpersonen ist. Derselbe Gedanke findet sich noch deutlicher im Ediktskommentar Ulpians: D. 3.4.2 (Ulp. 8 ed.) Si municipes vel aliqua universitas ad agendum det actorem, non erit dicendum quasi a pluribus datum sic haberi: hic enim pro re publica vel universitate intervenit, non pro singulis.

Wenn Gemeindebürger oder eine andere Personen­ gesamtheit einen Vertreter zur Prozessführung bestellt, kann nicht gesagt werden, dass er als von mehreren bestellt anzusehen ist. Er tritt nämlich für das Gemeinwesen oder die Personengesamtheit auf, nicht für die Einzelnen.

Nach Ulpian ist es falsch, den Prozessvertreter einer Gemeinde oder anderen Personenvereinigung als Vertreter einer Mehrzahl von Einzelpersonen zu sehen (quasi a pluribus datum). Er vertritt nämlich die Gemeinde oder universitas, nicht deren Mitglieder als Einzelpersonen (non pro singulis). Der Text handelt vom Prozessvertreter einer Gemeinde (municipes) oder einer anderen universitas. Die Erwähnung der universitas hält Lenel für interpoliert.245 Die Inskription ordnet das Fragment dem 8. Buch ad edictum zu, während das Edikt Quibus municipum nomine agere liceat im 9. Buch behandelt wird.246 Lenel selbst vermutet deshalb, dass das Fragment im Zusammenhang mit den kognitorischen Edikten steht und den actor mit dem von mehreren bestellten cognitor vergleicht.247 Dann aber besteht kein Grund zur Annahme einer Interpolation, denn sowohl der actor einer Gemeinde als auch derjenige einer sonstigen Personenvereinigung unterscheiden sich vom cognitor a pluribus datus darin, dass sie nicht mehrere Einzelpersonen, sondern die Personenvereinigung im Prozess vertreten. Offen muss indes bleiben, ob Ulpian mit universitas die privaten Personenvereinigungen meint. Aufgrund der dargelegten fehlenden technischen Bedeutung d ­ ieses Wortes erlaubt seine Verwendung allein keine eindeutigen Rückschlüsse. Ein anderer Text Ulpians macht es jedoch wahrscheinlich, dass universitas in D. 3.4.2 die privaten Personenvereinigungen einschließen, wenn nicht gar bezeichnen soll:

245 Lenel, EP, 98; ebenso Albertario I, 97 (107 f.); Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 137,

324.

2 46 Lenel, EP, 97 f. 247 Lenel, Pal. II, Sp. 447 Fn. 4; ders., EP, 98.

76

Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

D. 2.4.10.4 (Ulp. 5 ed.) Qui manumittitur a corpore aliquo vel collegio vel civitate, singulos in ius vocabit: nam non est illorum libertus. Sed rei publicae honorem habere debet et si adversus rem publicam vel universitatem velit experiri, veniam edicti petere debet, quamvis actorem eorum constitutum in ius sit vocaturus.

Wer von einer körperschaftlichen Organisation, einem Verein oder einer Gemeinde freigelassen wird, darf die Einzelnen vor Gericht laden; er ist nämlich nicht ihr Freigelassener. Aber er muss dem Gemeinwesen die Ehrbietung erweisen, und, wenn er gegen das Gemeinwesen oder die Personengesamtheit gerichtlich vorgehen will, muss er die im Edikt vorgesehene Erlaubnis beantragen, obwohl er ihren bestellten Prozessvertreter vor Gericht lädt.

Der Text kommentiert das Lemma patronum patronam 248 des Edikts, das die Ladung bestimmter Respektspersonen von einer prätorischen Erlaubnis abhängig macht 249 und bei Zuwiderhandlung eine in factum konzipierte Klage auf eine Buße verheißt.250 Ulpian stellt heraus, dass Patron im Sinne des Edikts der Verein bzw. die Gemeinde ist, sodass die Ladung eines einzelnen Vereinsmitglieds bzw. Gemeindebürgers nicht unter das Edikt fällt.251 Umgekehrt kommt es nicht auf die Person des actor an, dem gegenüber die konkrete Ladungshandlung vorgenommen wird und der als Einzelperson nicht der Patron des Freigelassenen ist.252 Maßgeblich ist vielmehr, dass dieser für die Gemeinde bzw. universitas geladen wird, sodass eine Erlaubnis des Prätors erforderlich ist. Ulpian stellt hier ebenso wie in D.  3.4.2 heraus, dass der actor für die Personenvereinigung auftritt und nicht für die singuli.253 Dies gilt gleichermaßen für den Prozessvertreter einer Gemeinde wie für denjenigen eines collegium, wie sich aus dem Text ausdrücklich ergibt. Auffällig ist dabei der unbefangene Sprachgebrauch Ulpians: Während zu Beginn des Fragments corpus als Oberbegriff für collegium und Gemeinde (civitas) verwendet wird, werden im Fortgang die Gemeinde als res publica und der Verein als universitas bezeichnet. Dass im Zusammenhang mit der Pflicht des Freigelassenen zur Ehrerbietung gegenüber seinem Patron nur die res publica erwähnt wird, macht zwar eine Kürzung des Textes wahrscheinlich.254 Der Gebrauch von 2 48 Lenel, EP, 68 Fn. 7. 249 D. 2.4.4.1 (Ulp. 5 ed.): Praetor ait: ‘Parentem, patronum patronam, liberos parentes patroni

patronae in ius sine permissu meo ne quis vocet’.

250 Gai. 4.46. Zum Ganzen Lenel, EP, 68 – 70; Kaser/Hackl, RZ, 222. 251 Ebenso D. 1.8.6.1 (Marcian. 3 inst.): […] Ideo et libertus civitatis non habet necesse veniam

edicti petere, si vocet in ius aliquem ex civibus.

252 Vgl. D. 2.4.4.13 (Ulp. 5 ed.): Semper autem hunc honorem patrono habendum, etsi quasi tutor

vel curator vel defensor vel actor interveniat patronus. Sed si patroni tutor vel curator interveniat, impune posse eos in ius vocari Pomponius scribit et verius est. 253 De Robertis, Storia II, 263, 305 – 308. 254 Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 68, 151; vgl. Groten, Corpus und universitas, 68 f.

Die Regelungen des Edikts zum Prozessvertreter

77

corpus als Oberbegriff, der die Gemeinde einschließt, ist dagegen kein Indiz für eine Interpolation,255 da der Ausdruck auch an anderer Stelle für sie verwendet wird.256 Da universitas – als Gegenbegriff zu res publica – einen Vereine bezeichnet, dürfte Ulpian es in dieser Bedeutung auch in D. 3.4.2 verwendet haben. Beide Quellen belegen also, dass der actor der Gemeinden wie der Vereine die Personenvereinigung als Ganze – strikt unterschieden von ihren einzelnen Mitgliedern – im Prozess vertritt.

II. Die Bestellung des actor Die erhaltenen Ediktskommentare überliefern nichts ausdrücklich zur Bestellung des actor privater Personenvereinigungen. Wenn Gaius bemerkt, dass diese ad exemplum rei publicae einen actor haben,257 lässt sich daraus vorsichtig schließen, dass sich die Regeln für die Bestellung des Prozessvertreters von Gemeinden und von privaten Personenvereinigungen ähneln. Über die Befugnis des actor municipum zur Prozessvertretung schreibt Ulpian: D. 3.4.3 (Ulp. 9 ed.) Nulli permittitur nomine civitatis vel Niemandem wird erlaubt, im Namen einer Ge­mein­ curiae experiri nisi ei, cui lex permittit, ­de oder eines Gemeinderats gerichtlich vorzugehen, aut lege cessante ordo dedit, cum duae außer demjenigen, dem es das Stadtgesetz erlaubt partes adessent aut amplius quam duae. oder den der Gemeinderat mangels eines Stadtgesetzes eingesetzt hat, wenn zwei Drittel oder mehr anwesend gewesen sind.

Danach ergibt sich die Stellung als Prozessvertreter entweder aus einer lex oder einem Beschluss der decuriones, für den ein Anwesenheitsquorum von zwei Dritteln vorgeschrieben ist.258 Die zweite Alternative findet sich auch in der lex Irnitana: c. 70 l.Irn. = AE 1986, 333, tab. VIIIA, Z. 33 – 41 (Irni, Baetica, 91) R(ubrica). De actore municipum consti­ Über die Bestellung des Prozessvertreters der Gemeintuendo praemio mercede/ve eius. / debürger und seinen Lohn oder seine Vergütung.

255 So aber Albertario I, 97 (105); Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 68, 151; Groten, Corpus

und universitas, 68.

256 UE 22.5: Nec municipia nec municipes heredes institui possunt, quoniam i n c e r t u m c o r p u s

est […]. Ebenso Duff, Personality, 30.

257 D. 3.4.1.1 (Gai. 3 ed. prov.). 258 Recht ausführliche Kommentierungen zur Beschlussfassung der decuriones enthalten D. 3.4.4,

6 (Paul. 9 ed.), die mit D. 3.4.5 eine Katene bilden.

78

Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

Quoi quibusve mandetur permittaturve ut nomine municip/{i}um municipi Flavi Irnitani agant petantve quit is, aut, / si cum iis age[t]ur petetur quit ab , nomine eorum iudicium / accipiat, decu[r]ionum conscriptorumve cognitio consti/tutioque es[to, c]um eorum non minus quam duae tertiae / 40 partes aderu[nt, du]m eum eligant, cui per edictum eius qui provinciae / praerit [act]ori aut cognitori esse l­ icebit […]. 35

Die Entscheidung über diejenige Person oder diejenigen Personen und die Bestellung derjenigen Person oder Personen, die damit beauftragt werden und denen gestattet wird, im Namen der Gemeindebürger des municipium Flavium Irnitanum zu klagen oder, wenn gegen sie geklagt wird, sich in ihrem Namen auf die Klage einzulassen, steht den Ratsherren zu, wenn nicht weniger als zwei Drittel von ihnen anwesend sind, sofern sie jemanden a­ uswählen, dem es gemäß dem Edikt dessen, w ­ elcher der Provinz vorsteht, erlaubt ist, Prozessvertreter [einer Personenvereinigung] oder ­Kognitor zu sein.

Der actor municipum wird von den decuriones bestellt, von denen mindestens zwei Drittel anwesend sein müssen. Die lex Irnitana sieht also für die Bestellung des actor dieselben Voraussetzungen vor, die nach Ulpian lege cessante gelten. Das genaue Verhältnis beider Quellen zueinander bedarf hier keiner weiteren Erörterung.259 Entscheidend ist, dass der Prozessvertreter einer Gemeinde durch decretum decurionum bestellt wird.260 Von einem decretum ist auch in einer Passage aus dem paulinischen Ediktskommentar die Rede: D. 3.4.6.3 (Paul. 9 ed.) Actor universitatis si agat, […] non autem compellitur cavere de rato. Sed interdum si de decreto dubitetur, puto interponendam et de rato cautionem […].

Wenn der Prozessvertreter der Personengesamtheit klagt, wird er […] aber nicht dazu gezwungen, Sicherheit für die Genehmigung der Prozessführung zu leisten. Wenn aber, wie gelegentlich, Zweifel hinsichtlich des Beschlusses bestehen, glaube ich, dass auch die Sicherheit für die Genehmigung der Prozessführung auferlegt werden muss […].

Der Prozessvertreter einer als universitas bezeichneten Personenvereinigung wird grundsätzlich nicht zur Abgabe der cautio de rato gezwungen.261 Paulus befürwortet (puto) jedoch die Kautionspflicht, wenn Zweifel an der Gültigkeit des decretum bestehen. Lenel nimmt wegen der Verwendung des Wortes universitas an, Paulus kommentiere hier das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen.262 Eine derartige technische Verwendung des Wortes lässt sich jedoch bei keinem anderen Juristen nachweisen. Dass Paulus sie gepflegt hätte, 2 59 Hierzu Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (292 Fn. 112). 260 Vgl. Prob. 6.23. Hierzu Lenel, EP , 97 Fn. 8; Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba,

Statuti municipali, 261 (292 Fn. 112).

261 Auführlich hierzu unten I. Kap., § 3 III. 262 Lenel, EP, 100 Fn. 7 und 9, 101 mit Fn. 1; ders., Pal. I, Sp. 980.

79

Die Regelungen des Edikts zum Prozessvertreter

ist ­unwahrscheinlich, da er in D. 3.4.4 und 6 pr.–2 mehrmals vom Beschluss der decuriones zur Bestellung eines actor municipum handelt, sodass es am wahrscheinlichsten ist, dass er auch in § 3 mit decretum einen solchen meint.263 Universitas meint hier also die Gemeinde, und Paulus kommentiert das Edikt über die Prozessvertretung von Gemeinden.264 Die Autorenschaft des Paulus ist von Honoré angezweifelt worden. Er nimmt an, dass hinter dem ersten Satz von D. 3.4.6 pr. eine Ulpian nennende Inskription ausgefallen sei, sodass Autor des Rests des fr. 6 Ulpian sei.265 Diese These stützt sich im Wesentlichen darauf, dass der ulpianische Ediktskommentar die hauptsächliche Vorlage der Kompilatoren gewesen sei, die sie mit kürzeren Exzerpten aus den Ediktskommentaren von Gaius und Paulus ergänzt hätten. Für die Digesten als Ganze trifft diese Beobachtung zu,266 doch ob dies auch für den Digestentitel D. 3.4 gilt, ist fraglich. Vergleicht man die Länge der Fragmente ­dieses Titels, die aus den Ediktskommentaren entnommen sind, im Codex Florentinus,267 so ergibt sich folgendes Bild: Fragment

Inskription

Zeilenzahl

1 2 3 4 5 6 7

Gai. 3 ed. prov. Ulp. 8 ed. Ulp. 9 ed. Paul. 9 ed. Ulp. 9 ed. Paul. 9 ed. Ulp. 10 ed.

36 6 5 3 3 39 16

Vorerst soll fr. 6, welches das längste Fragment aus den Ediktskommentaren ist, wegen der bestrittenen Autorenschaft außer Betracht bleiben. Das danach längste Fragment ist das Exzerpt aus dem gaianischen Kommentar zur Prozessvertretung privater Personenvereinigungen (fr. 1). Das längste Ulpian-Fragment 263 H. Krüger, SZ 19 (1908), 516 (521); Albertario I, 97 (109); Schnorr v. Carolsfeld, Juristische

Person, 141.

264 H. Krüger, SZ 19 (1908), 516 (521); Groten, Corpus und universitas, 63 – 65. Einen Bezug

zumindest auch zum Prozessvertreter privater Personenvereinigungen erwägt Duff, Personality, 42. Eine Interpolation nehmen dagegen an Albertario I, 97 (109); Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 141 f. 265 Honoré, Ulpian, 74; ders., Justinian’s Digest, 142 f. 2 66 Honoré, Justinian’s Digest, 5 – 7. 267 Hs. Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Cod. Flor. I, ff. 62vb/29 – 63va/3 (nach der Faksimileausgabe von Corbino/Santalucia, Codex Florentinus I; die Kritik von ­Kaiser, SZ 118 [2001], 133 [135] an dieser Ausgabe berührt nicht die Wiedergabe des Textes von D. 3.4).

80

Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

(fr. 7) ist deutlich kürzer, denn es umfasst nicht einmal die Hälfte der Zeilenzahl des Gaius-Fragments. Die übrigen Fragmente von Ulpian (fr. 2, 3 und 5) und Paulus (fr. 4) sind nochmals deutlich kürzer. Für den Gesamtcharakter des Titels D. 3.4 ist die Frage der Autorenschaft von fr. 6 entscheidend. Denn wenn ­dieses Fragment – wie von Honoré angenommen – weitgehend auf Ulpian zurückginge, umfassten die Exzerpte ­dieses Juristen 69 Zeilen. Ist Paulus dagegen der Autor, stammten 42 Zeilen von Paulus, 36 Zeilen von Gaius und 30 Zeilen von Ulpian. Bedeutsam ist jedoch, dass in beiden Szenarien ein starkes Gewicht des gaianischen Fragments (fr. 1) erhalten bleibt. Bei einer Autorenschaft des Paulus für fr. 6 setzte sich der Digestentitel recht gleichmäßig aus Exzerpten aller drei Kommentare zusammen. Doch selbst wenn Ulpian der Autor des größten Teils von fr. 6 wäre, stammte von Gaius Text im Umfang von immer noch mehr als der Hälfte der Exzerpte Ulpians. Auch dann entsprächen die Exzerpte der Ediktskommentare nicht dem Bild Honorés einer Dominanz Ulpians, dessen Text durch die Exzerpte der anderen Juristen lediglich ergänzt wird. Dagegen spricht bereits, dass die Kompilatoren das Gaius-Fragment an den Anfang des Digestentitels gesetzt haben. Von daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass im Titel D. 3.4 – abweichend von der üblichen Dominanz Ulpians – gleichmäßig auf alle drei Ediktskommentare zurückgegriffen worden ist. Soweit Honoré auf stilistische Indizien abstellt, muss er selbst zugestehen, dass sich Belege für die von ihm als typisch ulpianisch aufgefassten Formulierungen auch bei anderen Juristen finden.268 Dass derartige Formulierungen häufiger bei Ulpian auftreten, überrascht angesichts des relativen Anteils der Texte Ulpians in den Digesten nicht. Hinzu kommt, dass sich keines der von Honoré vorgebrachten Indizien für eine Autorenschaft Ulpians in D. 3.4.6.3 findet. Wie soeben dargelegt, meint universitas dort aber ausschließlich eine Gemeinde. Für Ulpian lässt sich dagegen anhand von D. 3.4.7 zeigen, dass er universitas nicht verwendet, wenn er Aussagen nur zu Gemeinden trifft.269 Jedenfalls für D. 3.4.6.3 lässt sich deshalb eine Autorenschaft Ulpians sicher ausschließen. Sollte die These Honorés dann noch Bestand haben, müsste der Ausfall zweier Inskriptionen angenommen werden: erstens die von Honoré vermutete, Ulpian nennende Inskription im principium und zweitens eine weitere, 268 Honoré, Ulpian, 74 für parvi refert, das auch bei Papinian (D. 13.1.17 [Pap. 10 quaest.]) belegt

ist. Ders., Justinian’s Digest, 143 Fn. 45 für et puto, das sich bei Paulus zwar seltener als bei Ulpian, aber dennoch mehrmals nachweisen lässt. Das ebd., 143 angeführte erit servandum ist außer in D. 3.4.6 pr. nur ein einziges Mal bei Ulpian (D. 3.2.19 [Ulp. 8 ed.]) belegt, was ein recht schwacher Beleg für einen vermeintlich typischen Sprachgebrauch Ulpians ist. 269 Siehe unten VII. Kap., § 1 I.

Die Regelungen des Edikts zum Prozessvertreter

81

Paulus nennende Inskription ­spätestens vor dem Beginn von § 3, wenn universitas – entgegen dem ­ulpianischen ­Sprachgebrauch – im ausschließlichen Sinne von Gemeinde gebraucht wird. Die Notwendigkeit dieser Zusatzannahme, um Honorés Annahme zu retten, spricht gegen diese; deutlich einfacher ist es, die Zuverlässigkeit der handschriftlichen Überlieferung und damit die Autorenschaft des Paulus für das gesamte fr. 6 anzunehmen. Auch wenn sich also keine Kommentierungen zur Bestellung des Prozessvertreters privater Personenvereinigungen erhalten haben, erlaubt die Terminologie von c. 70 l.Irn. eine nähere Rekonstruktion. Die Bestellung erfolgt einheitlich für Aktiv- und Passivprozesse, wie sich aus der Formulierung ut nomine municip/{i}um municipi Flavi Irnitani agant petantve quit is, aut, / si cum iis age[t]ur petetur quit ab , nomine eorum iudicium / accipiat (tab. VIIIA , Z. 35 – 38) ergibt.270 Der Bestellungsakt selbst wird als cognitio consti­ tutioque (tab. VIIIA , Z. 38 f.) bezeichnet. Seine Wirkung nach außen hin wird mit den Worten mandetur permittaturve (tab. VIIIA, Z. 35) beschrieben. Hieraus ergibt sich ein erster Hinweis darauf, dass für den actor municipum das Edikt Quibus alieno nomine agere liceat gilt. Dieses verlangt von einer Person, die als Prozessvertreter für einen anderen auftreten soll, ohne von ­diesem förmlich zum cognitor bestellt worden zu sein, im Grundsatz eine von den Juristen als mandatum bezeichnete Ermächtigung.271 Wenn die lex Irnitana mit der Verwendung von mandare diese Terminologie aufgreift, lässt sich daraus schließen, dass sie eine Geltung des Edikts Quibus alieno nomine agere liceat auch 270 Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (307 f.). Da c. 70 l.Irn.

die Bestellung des actor municipum einheitlich für Aktiv- und Passivprozesse regelt, ist es wahrscheinlich, dass auch das Edikt diese in e i n e r Klausel geregelt hat. Lenel, EP, 100 nimmt dagegen eine besondere Klausel für die Befugnis zur Defension der Gemeinden unter der Rubrik Quod adversus municipes agatur an. Neben c. 70 l.Irn sprechen dagegen freilich schon die erhaltenen Passagen des Ediktskommentars Ulpians: Das einzige von ihm stammende Fragment, das sich mit der Bestellung des actor beschäftigt (D. 3.4.5), entstammt wahrscheinlich dem 9. Buch (Lenel, EP , 98; ders., Pal. II , Sp. 452 Fn. 1), während er das Edikt Quod adversus municipes agatur im 10. Buch kommentiert. Die Bestellung des actor in Passivprozessen wird dort nicht mehr behandelt. Ferner findet sich ebenfalls im 9. Buch das Fragment D. 41.1.41, das sich nicht nur mit der Aktiv-, sondern auch der Passivlegitimation der Gemeinden für Klagen zur Herausgabe von statuae in civitatae positae befasst (cives erunt […] a d v e r s u s p e t e n t e m e x c e p t i o n e et a c t i o n e a d v e r s u s p o s s i d e n t e m iuvandi). Das Edikt Quod adversus municipes agatur regelt daher nicht alle Fragen im Zusammenhang mit Passivprozessen, da ein Teil bereits beim Edikt Quibus municipum nomine agere liceat behandelt wird. 271 D. 3.5.35 pr., 40.4 (Ulp. 9 ed.); D. 46.7.3.3 (Ulp. 77 ed.); ebenso Gai. 4.84; PS 1.3.1. Zum Ganzen Lenel, EP, 95; Kaser/Hackl, RZ, 214 f. Die Relativierung der Bedeutung des mandatum für den Prozessvertreter durch Paperi, Labeo 48 (2002), 37 – 7 1 und Klinck, SZ 124 (2007), 25 (29 – 31, 45 – 49) lässt sich mit der Terminologie der Quellen nur schwer vereinbaren.

82

Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

für den Prozessvertreter der Gemeinde unterstellt. Das mandatum des nicht förmlich bestellten Prozessvertreters liegt im Falle der Gemeinde im decretum decurionum.272 An sich ist es jedoch an keine bestimmte Form gebunden.273 Für die privaten Personenvereinigungen kann daher angenommen werden, dass ihr actor seine Ermächtigung durch die Mitglieder formlos nachweisen kann. Ob hierzu das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen eine ausdrückliche Regelung enthält,274 lässt sich anhand der überlieferten Quellen nicht mehr feststellen. Sicher ist jedoch, dass der actor schon wegen des Edikts Quibus alieno nomine agere liceat grundsätzlich einer Ermächtigung zur Prozessführung bedarf. Ein zweites Indiz dafür, dass d ­ ieses Edikt für die Prozessvertreter der Gemeinden und der privaten Personenvereinigungen gilt, ergibt sich aus c. 70 l.Irn. Es sieht vor, dass zum actor municipum nur bestellt werden kann, wer nach dem Provinzialedikt actor oder cognitor sein darf: c. 70 l.Irn. = AE 1986, 333, tab. VIIIA, Z. 40 – 4 1 (Irni, Baetica, 91) [...] [d]um eum eligant cui per edictum eius qui provin/ciae praerit [act]ori aut cognitori esse licebit [...].

[...] sofern sie jemanden auswählen, dem es gemäß dem Edikt dessen, welcher der Provinz vorsteht, erlaubt ist, Prozessvertreter [einer Personenvereinigung] oder Kognitor zu sein.

Aus dieser Passage ergibt sich erstens, dass das Edikt besondere Anforderungen an einen potentiellen actor stellt.275 Zweitens kommt als actor nur in Frage, wer als cognitor bestellt werden kann. Aus der ­kurzen Bezugnahme in der lex Irnitana geht nicht hervor, ob beide Regelungen in derselben Ediktsklausel enthalten sind. Allerdings findet sich bereits im prokuratorischen Edikt Quibus alieno nomine, item per alios agere non liceat eine Regelung, wonach der Prätor eine Bestellung nur solcher Personen als procurator zulässt, die als cognitor bestellt werden können.276 Wortlaut samt Kommentierung d ­ ieses Edikts überliefern die Fragmenta Vaticana:

272 Vgl. Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (294). Ungenau

daher Platschek, Index 40 (2012), 617 (618), der die Bestellungsakte von actor, cognitor und procurator strikt unterscheidet. 273 Gai. 4.84: Procurator vero nullis certis verbis in litem substituitur, sed ex solo mandato et absente et ignorante adversario constituitur […]. 274 Für eine Erwähnung des decretum decurionum im Edikt Quibus municipum nomine agere liceat spricht, dass Prob. 6.23 die entsprechende nota iuris D. D. aufführt; Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (292 Fn. 112). 275 Mantovani, in: Capogrosso Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (292 f.). 276 Lenel, EP, 96 f.; Kaser/Hackl, RZ, 215.

Die Regelungen des Edikts zum Prozessvertreter

83

Vat. 322 – 323 (Ulp. 7 ed.) 322. … VII. Verba autem edicti haec sunt: ‘Alieno’, inquit, ‘nomine, item p[er] alios agendi potestatem non faciam in his causis, in quibus ne dent cognitorem neve dentur, edi­ ctum comprehendit’.

Folgendes sind die Worte des Edikts. [Der Prätor] sagt: ‚Ich gewähre die Befugnis, im fremden Namen und ebenso durch einen anderen zu klagen, in den Fällen nicht, in denen das Edikt vorsieht, dass [bestimmte Personen] keine Kognitoren bestellen oder als ­solche nicht bestellt werden dürfen‘.

323. Quod ait ‘alieno nomine, item Wenn [der Prätor] sagt ‚im fremden Namen und ebenso per alios’, breviter repetit duo edicta durch einen anderen‘, wiederholt er knapp die beiden cognitoria, unum, quod pertinet ad Edikte zum Kognitor, das eine, das für diejenigen gilt, die eos qui dantur [cognitores, alterum als Kognitor bestellt werden, und das andere für diejeniad eos qui dant]; ut qui prohibentur gen, die sie bestellen. Wie diesen Personen untersagt wird, vel dare vel dari cognitores, idem et Kognitoren zu bestellen und als s­ olche bestellt zu werden, procuratores dare darive arceantur. so werden sie daran gehindert, Prokuratoren zu bestellen oder als ­solche bestellt zu werden.

Wenn aus c. 70 l.Irn. hervorgeht, dass actor municipum nur sein kann, wer nach dem Provinzialedikt zum cognitor bestellt werden kann, und das prätorische Edikt vorsieht, dass auch die Bestellung zum procurator voraussetzt, dass der Betreffende als cognitor fungieren kann, ist eine mögliche Erklärung, dass die Ediktsklausel zum procurator grundsätzlich auch für den actor municipum gilt.277

III. Die Leistung der cautio de rato Nach dem Zeugnis Ulpians muss der magister einer universitas keine cautio de rato leisten: D. 46.8.9 (Ulp. 9 ed.) Actor a tutore datus omnimodo cavet: actor civitatis nec ipse cavet, nec magister universitatis, nec curator bonis consensu creditorum datus.

Der von einem Vormund eingesetzte Prozessvertreter leistet die Sicherheit in jedem Fall. Der Prozessvertreter einer Gemeinde, der magister einer Gesamtheit und der Konkursverwalter, der mit Zustimmung der Gläubiger eingesetzt worden ist, leisten keine Sicherheit.

Ein von einem Vormund eingesetzter Prozessvertreter leistet die cautio de rato.278 Der actor einer Gemeinde, der magister einer universitas und der Konkursverwalter dagegen leisten die cautio nicht. Das Fragment entstammt der Kommentierung Ulpians zum Edikt De defendendo eo, cuius nomine quis aget, et de 277 Ohne Eingehen auf den ediktalen Regelungszusammenhang ebenso Wolf, SZ 126 (2009), 55

(98 f.).

278 Vgl. D. 26.7.24 pr. (Paul. 9 ed.). Hierzu Kaser/Hackl, RZ, 217 Fn. 70.

84

Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

satisdando.279 Danach ist jeder, der alieno nomine klagt, zur Abgabe der cautio ratam rem habere verpflichtet: D. 3.3.33.3 (Ulp. 9 ed.) Ait praetor: ‘Cuius nomine quis actionem dari sibi postulabit, is eum viri boni arbitratu defendat: et ei quo nomine aget id ratum habere eum ad quem ea res pertinet, boni viri arbitratu satisdet’.

Der Prätor sagt: ‚Wer beantragt, dass ihm eine Klage im Namen eines anderen gewährt wird, soll diesen nach dem Urteil eines redlichen Mannes verteidigen. Ebenso soll er demjenigen, gegen den er im Namen [eines anderen] klagt, nach dem Urteil eines redlichen Mannes Sicherheit leisten, dass derjenige, den diese Angelegenheit betrifft, die Prozessführung genehmigt‘.

Der procurator als nicht förmlich bestellter Prozessvertreter des Klägers leistet nach ­diesem Edikt dem Beklagten Sicherheit, dass der vom procurator Vertretene dessen Prozessführung genehmigen wird.280 Verweigert der procurator die Sicherheitsleistung, wird ihm die Klage denegiert.281 Auf diese Weise wird der Beklagte davor geschützt, zuerst vom procurator und dann noch ein zweites Mal vom Vertretenen in Anspruch genommen zu werden.282 Da magister häufig im Zusammenhang mit privaten Personenvereinigungen verwendet wird, deutet die Erwähnung des magister universitatis darauf hin, dass universitas in d ­ iesem Fragment eine private Personenvereinigung meint.283 In derselben Bedeutung gebraucht Ulpian magister auch im 4. Buch seines Ediktskommentars.284 Somit handelt es sich um einen Vereinsfunktionär, der mit der Prozessvertretung betraut ist.285 Nach Ulpian muss er keine cautio de rato leisten. Nach dem Wortlaut des Edikts trifft die Pflicht zur Sicherheitsleistung jedoch alle, die alieno nomine vor Gericht auftreten. Auch Gaius berichtet für den Vormund und den Pfleger – in Übereinstimmung mit Ulpian 286 –, dass sie nach

279 Lenel, EP, 99; ders., Pal. II, Sp. 454. 280 Vgl. Gai. 4.98; PS 1.3.3, 5, 7; Vat. 333 (? 15 resp.), 336 (Paul 1 sent.). Zur Kautionspflicht Lenel, EP, 98 f.; Kaser/Hackl, RZ, 215, 280. 281 D. 3.3.43.4 (Paul. 9 ed.). 282 Gai. 4.98. Vgl. Mecke, SDHI 28 (1962), 100 (149); Bonini, BIDR 71 (1968), 175 (177); Kaser/ Hackl, RZ, 216. 283 Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 67; Duff; Personality, 39; Fleckner, Kapitalvereini-

gungen, 285 mit Fn. 232. Zweifelnd Groten, Corpus und universitas, 69 – 7 1.

284 D. 2.14.14 (Ulp. 4 ed.): Item magistri societatium pactum et prodesse et obesse constat. Hierzu siehe unten II. Kap., § 7. 285 Vgl. Kaser/Hackl, RZ, 218 mit Fn. 81. Fernliegend ist deshalb die Annahme, magister universi-

tatis bezeichne den Geschäftsführer der Gläubiger im Konkursverfahren (magister bonorum); so aber Cohn, Vereinsrecht, 14 f.; Albertario I, 97 (105 f.); Solazzi, Concorso II, 35, 81 f. 286 D. 26.7.23 (Ulp. 9 ed.).

Die Regelungen des Edikts zum Prozessvertreter

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den verba edicti zur Leistung der cautio de rato verpflichtet sind und ihnen nur manchmal (aliquando) die Kautionsleistung faktisch erlassen wird.287 Wenn Ulpian in D. 46.8.9 den actor a tutore datus, den actor civitatis, den magister universitatis und den Konkursverwalter parallelisiert, liegt es nahe, dass in allen diesen Fällen die Rechtslage identisch ist: Nach dem Wortlaut des Edikts De defendendo eo, cuius nomine quis aget, et de satisdando besteht eine Kautionspflicht, die in der Praxis jedoch regelmäßig entfällt. Als ein Beleg für diese These wird Vat. 335 angeführt.288 Allerdings ist der tatsächlich erhaltene Text 289 ­dieses Fragments hierfür ein schwächeres Indiz, als der rekonstruierte Text glauben macht: Vat. 335 Actor municip[um etsi ex edicto et cavere de rato et defendere co-] gitur, interdum neut[rum prae­ stare necesse habet …]

Auch wenn der Prozessvertreter der Gemeindebürger nach dem Edikt gezwungen wird, Sicherheit zu leisten, dass die Prozessführung genehmigt wird, und [die Vertretenen] zu verteidigen, muss er manchmal keines von beidem leisten …

Nach dem erhaltenen Text handelt das Fragment vom actor municipum. Gesichert erscheint, die Buchstaben GITURINTERDUMNEUT zu cogitur interdum neu­trum zu ergänzen. Aus cogitur lässt sich erschließen, dass das Fragment eine ediktale Regelung referiert, deren Befolgung der Prätor erzwingt. Aus interdum neu­trum folgt erstens, dass diese Regelung zwei Regelungsgegenstände umfasst, und zweitens, dass in beiden Punkten von der ediktalen Regelung abgewichen wird. Aus dem erhaltenen Text ergibt sich dagegen nicht, w ­ e l c h e Regelung des Edikts behandelt wird. Tatsächlich verträgt sich die Annahme, das Edikt De defendendo eo, cuius nomine quis aget, et de satisdando werde behandelt, insofern gut mit dem erhaltenen Text, als d ­ ieses Edikt mit der Defensions- und der Kautionspflicht zwei Regelungsgegenstände umfasst. Die Worte etsi ex edicto sind jedoch auf keinen Fall ein Beleg dafür, dass der actor municipum nach dem Wortlaut des Edikts zur cautio de rato verpflichtet wäre, denn diese Worte gehören zum rekonstruierten und nicht zum überlieferten Text. Allerdings erlaubt ein Text aus dem paulinischen Ediktskommentar, die These von der Geltung des Edikts De defendendo eo, cuius nomine quis aget, et de satisdando für den actor einer Gemeinde zu erhärten: 287 Gai. 4.99: Tutores et curatores eo modo, quo et procuratores, satisdare debere verba edicti faciunt; sed aliquando illis satisdatio remittitur. Hierzu Lenel, EP, 99; Wenger, Actio iudicati, 194 f.; Mecke, SDHI 28 (1962), 100 (129); Bonini, BIDR 71 (1968), 175 (176 f.); Kaser/Hackel, RZ, 217; Marrone, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 305 (343). 288 Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (294). 289 Mommsen, Codicis Vaticani exemplum, 374.

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

D. 3.4.6.3 (Paul. 9 ed.) Actor universitatis si agat, compel- Wenn der Prozessvertreter einer Personengesamtheit litur etiam defendere, non autem klagt, wird er auch zur Verteidigung, nicht aber dazu compellitur cavere de rato […]. gezwungen, Sicherheit für die Genehmigung [der Prozessführung] zu leisten […].

Der Jurist hält fest, dass der actor einer universitas zur Defension, nicht aber zur Leistung der cautio de rato gezwungen wird, wenn er die universitas in einem Aktivprozess vertritt. Wie bereits gesehen, meint universitas hier die Gemeinde.290 Wenn Paulus die Geltung von Defensions- und Kautionspflicht in ein und demselben Satz abhandelt, lässt sich dies damit erklären, dass beide im Edikt De defendendo eo, cuius nomine quis aget, et de satisdando gemeinsam geregelt sind. Damit sind nicht nur das neutrum in Vat. 335, sondern auch D. 3.4.6.3 Indizien dafür, dass d ­ ieses Edikt auch für den actor municipum gilt. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die von Paulus bezeugte Befreiung von der Kautionspflicht nicht bereits aus dem Ediktswortlaut, sondern erst aus seiner praktischen Handhabung ergibt.291 Zur Frage, ob das Edikt De defendendo eo, cuius nomine quis aget, et de satisdando auch für den actor einer privaten Personenvereinigung gilt, fehlt ein direktes Zeugnis. Wegen der Ähnlichkeit seiner Rechtsstellung zum actor municipum fällt jedoch wahrscheinlich auch er unter den Wortlaut d ­ ieses Edikts. Soweit D. 46.8.9 für ihn eine Befreiung von der Kautionspflicht überliefert, dürfte ihr Ursprung in der praktischen Handhabung des Edikts liegen.

IV. Die Indefension 1. Die Voraussetzungen für das Vorliegen der Indefension a) Die Defensionspflicht des actor Wer alieno nomine vor Gericht auftritt, ist nach dem Edikt De defendendo eo, cuius nomine quis aget, et de satisdando zur Defension des von ihm Vertretenen 290 Siehe oben I. Kap., § 3 II. 291 Ebenso Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (293 f.). Eine

grundsätzliche Geltung des Edikts De defendendo eo, cuius nomine quis aget, et de satisdando für den actor municipum nimmt auch Behrends, SZ 88 (1971), 215 (251) an; ihm zufolge, ebd., 252 – 260 entfällt die Kautionspflicht jedoch nicht aus praktischen Gründen, sondern kraft des im Edikt vorgesehenen boni viri arbitrat[us]. Dagegen spricht jedoch das deutliche Zeugnis von Gai. 4.99 mit seiner Kontrastierung der verba edicti, ­welche die Kautionspflicht vorsehen, und ihrem gelegentlichen (aliquando) Entfallen.

Die Regelungen des Edikts zum Prozessvertreter

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in künftigen Prozessen verpflichtet.292 Maßstab für das Führen der Defension ist das viri boni arbitratu defend[ere]: Dies umfasst erstens, dass der Prozessvertreter den Prozess führt, als ob er der Vertretene sei, zweitens die Leistung der cautio de rato.293 Was die Prozessführung angeht, muss der Vertreter insbesondere an der litis contestatio mitwirken.294 Eine Defensionpflicht für den actor municipum überliefert Paulus: D. 3.4.6.3 (Paul. 9 ed.) Actor universitatis si agat, compellitur Wenn der Prozessvertreter einer Personengesamtheit etiam defendere […]. klagt, wird er auch zur Verteidigung gezwungen […].

Es ist bereits festgestellt worden, dass universitas in ­diesem Text die Gemeinde meint.295 Das allgemeine Edikt über die Defensionspflicht des formlos bestellten Prozessvertreters gilt somit auch für den actor einer Gemeinde.296 Für den actor privater Personenvereinigungen lässt sich die Defensionspflicht aus der gaianischen Kommentierung ad edictum provinciale erschließen: D. 3.4.1.2 (Gai. 3 ed. prov.) Quod si nemo eos defendat, quod eorum commune erit possideri et, si admoniti non excitentur ad sui defensionem, venire se iussurum proconsul ait. Et quidem non esse actorem vel syndicum tunc quoque intellegimus, cum is absit aut valetudine impedietur aut inhabilis sit ad agendum.

Wenn niemand sie verteidigt, sagt der Prokonsul, dass er anordnen wird, dass dasjenige, was ihnen gemeinsam gehört, in Besitz genommen und, wenn diese Aufforderung sie nicht zur Verteidigung ihres Vermögens veranlasst, verkauft werden soll. Dass es keinen Prozessvertreter oder syndicus gibt, nehmen wir freilich auch dann an, wenn er abwesend, durch Krankheit verhindert oder zur Prozessführung außer Stande ist.

Gaius behandelt die Indefension einer erlaubten Personenvereinigung: Quod si nemo eos defendat bezieht sich auf quibus autem permissum est corpus habere in

292 D. 3.3.33.3 (Ulp. 9 ed.); vgl. Vat. 330 (Pap. 2 resp.): Papinianus respondit, si procurator absentis

aliquam actionem absentis nomine inferre velit, cogendum eum adversus omnes absentem defendere. Hierzu Mecke, SDHI 28 (1962), 100 (147); Kaser/Hackl, RZ, 215. 293 D. 3.3.35.3 (Ulp. 9 ed.): Defendere autem est id facere quod dominus in litem faceret, et cavere idonee: nec debebit durior condicio procuratoris fieri quam est domini, praeterquam in satisdando […]; vgl. Gai. 4.101: Ab eius vero parte, cum quo agitur, si quidem alieno nomine aliquis interveniat, omni modo satisdari debet, quia nemo alienae rei sine satisdatione defensor idoneus intellegitur; sed si quidem cum cognitore agatur, dominus satisdare iubetur, si vero cum procuratore, ipse procurator. idem et de tutore et de curatore iuris est. 294 D. 3.3.35.3 (Ulp. 9 ed.): […] Praeter satisdationem procurator ita defendere videtur, si iudicium accipiat […]. 295 Siehe oben I. Kap., § 3 II. 296 Kaser/Hackl, RZ, 218 mit Fn. 83; Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (293).

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

§ 1 des Fragments.297 Rechtsfolge der Indefension ist die Gesamtvollstreckung in das Vereinsvermögen.298 Dann erwähnt der Jurist, dass ein actor und syndicus auch dann fehlt, wenn er abwesend, durch Krankheit verhindert oder zur Prozessführung unfähig ist. Der zweite Satz des § 2 handelt von weiteren Fällen (quoque), in denen es keinen actor der Personenvereinigung gibt. Auch in diesen wird die Vereinigung nicht defendiert. Zum Normalfall der Indefension schweigt sich der Paragraph dagegen aus. Allerdings muss ­zwischen ­diesem Normalfall und dem actor ein Zusammenhang bestehen, denn die im zweiten Satz erwähnten weiteren Fälle führen auch (quoque) zum non esse actorem vel syndicum. Darunter versteht Gaius freilich nicht, dass die Bestellung des actor unterblieben wäre, denn er behandelt allesamt Fälle, in denen ein bestellter actor jeweils aus einem bestimmten Grund die Personenvereinigung nicht defendiert. Daraus kann geschlossen werden, dass auch im Normalfall zwar ein actor bestellt worden ist, aber die Defension nicht übernimmt. Auf genau diese Konstellation bezieht sich das Edikt De defendendo eo, cuius nomine quis aget, et de satisdando: Ein Prozessvertreter ist formlos für einen Prozess bestellt worden. Daher zwingt ihn der Prätor zur Defension in jedem künftigen Prozess gegen den von ihm bereits Vertretenen. Indefension liegt vor, wenn der bestellte Prozessvertreter im Passivprozess nicht defendiert. Aus D. 3.4.1.2 lässt sich die Geltung ­dieses Edikts auch für private Personenvereinigungen erschließen. b) Die Zulassung eines extraneus zur Defension

Um das Vorliegen der Indefension bei Gemeinden und privaten Personenvereinigungen möglichst zu vermeiden, enthält das prätorische Edikt gesonderte Regelungen. Die Defension von Gemeinden scheint neben dem actor noch einem weiteren Personenkreis gestattet worden zu sein: D. 3.4.8 (Iav. 15 Cass.) Civitates si per eos qui res earum administrant non defenduntur nec quicquam est corporale rei publicae quod possideatur, per actiones debitorum civitatis agentibus satisfieri oportet.

Wenn Gemeinden nicht durch diejenigen, die ihr Vermögen verwalten, verteidigt werden und die Gemeinde keinen körperlichen Vermögensgegenstand hat, der in Besitz genommen werden kann, sollen die Kläger durch die Klagen gegen die Schuldner der Gemeinde befriedigt werden.

297 Albertario I, 97 (107). Grundlos zweifelnd Fleckner, Kapitalvereinigungen, 417; Groten, Cor-

pus und universitas, 43 f.

298 Ausführlich hierzu unten I. Kap., § 3 IV.2.a).

Die Regelungen des Edikts zum Prozessvertreter

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Iavolen berichtet in ­diesem Fragment, dessen Kontext von der venditio bonorum handelt,299 von den Folgen der Indefension. Eine s­ olche liegt nach dem Juristen vor, wenn diejenigen, die das Vermögen der civitas verwalten, diese nicht defendieren. Ausweislich der Formulierung qui res earum administrant handelt es sich nicht um den actor municipum.300 Dessen Aufgabe ist nach c. 70 l.Irn. allein die Führung von Aktiv- und Passivprozessen für die Gemeinde. Das ergibt sich erstens daraus, dass im Zusammenhang mit seiner Bestellung seine Aufgabe einerseits als nomine municip/{i}um municipi Flavi Irnitani ag[ere] pet[ere]ve (tab. VIIIA, Z. 35 f.) für Aktivprozesse und als nomine eorum iudicium / accip[ere] (tab. VIIIA, Z. 37 f.) für Passivprozesse beschrieben wird. Zweitens regelt die Norm darüber hinaus die Festsetzung des Betrags, den ein einzelner oder mehrere Prozessvertreter p[raemi mercedis]ve nomine (tab. VIIIA, Z. 45) erhalten.301 Da dieser Personenkreis in dieser Klausel als qui municipibus municipi Flavi Irnitani / petet pet[ent pe]titurus petiturive erunt petierit iudiciumve / eorum nom[ine a]cceperit acceperint accepturus erit accep/turive erunt (tab. VIIIA, Z. 42 – 45) bezeichnet wird, erschöpft sich seine mit d ­ iesem Betrag abgegoltene Tätigkeit in der Prozessführung. Das schließt nicht aus, dass als actor municipum eine Person bestellt wird, die das Gemeindevermögen verwaltet. Doch nimmt dann ein und dieselbe Person zwei rechtlich verschiedene Tätigkeiten wahr. Angesichts der engen Verzahnung von c. 70 l.Irn. und dem Edikt des Statthalters der Baetica 302 ist es unwahrscheinlich, dass Iavolen mit qui res earum administrant den actor municipum bezeichnet, wenn er erkennbar eine ediktale Regelung paraphrasiert.303 Stattdessen wird das Edikt den Personen, die mit der Vermögensverwaltung der Gemeinde betraut sind,304 die Defension der Gemeinde gestatten, wenn der eigentlich hierzu berufene actor municipum sie verweigert.305 Auf diese Weise ermöglicht der Prätor den Gemeinden, die für sie nachteilige Folge der Indefension auch dann zu vermeiden, wenn der actor municipum die Defension verweigert, ohne die Gemeindegläubiger völlig schutzlos zu stellen.306 299 300 301 302 303

Lenel, Pal. I, Sp. 285; Manthe, Iav. Cass., 306. So aber ohne Begründung Manthe, Iav. Cass., 306. Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (291). Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (292 – 294, 308). De Robertis, Storia II, 523 Fn. 156. Anders aber Lenel, EP, 99 f.; Duff, Personality, 76; zweifelnd Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (294 Fn. 122). 304 Offenbleiben muss, ob qui res earum administrant die Munizipalmagistrate oder diesen untergeordnete Vermögensverwalter bezeichnet. Für Munizipalmagistrate Eliachevitch, Personnalité juridique, 109; De Robertis, Storia II, 501 f., 522 Fn. 150. 3 05 Ebenso Groten, Corpus und universitas, 40 f. 306 Vgl. die Erwägungen bei Lenel, EP, 99 f.

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

Diese dem Schutz der Gemeinden dienenden Erwägungen des öffentlichen Interesses 307 greifen nicht zugunsten der privaten Personenvereinigungen ein, weshalb das Edikt für sie eine andere Regelung enthält, wie Gaius in seinem Kommentar zum Provinzialedikt berichtet: D. 3.4.1.3 (Gai. 3 ed. prov.) Et si extraneus defendere velit universitatem, permittit proconsul, sicut in privato­ rum defensionibus observatur, quia eo modo melior condicio universitatis fit.

Wenn ein Nichtmitglied die Gesamtheit verteidigen will, erlaubt dies der Prokonsul, wie es bei der Verteidigung von Privaten üblich ist, weil auf diese Weise die Rechtslage der Gesamtheit verbessert wird.

Nachdem Gaius in § 2 die Rechtsfolge der Indefension bei einer privaten Personenvereinigung dargestellt hat,308 erwähnt er, dass der Prokonsul gestattet, dass ein extraneus eine als universitas bezeichnete Personenvereinigung verteidigt. Die Verwendung von universitas hat immer wieder zu der Annahme geführt, der Text handle von öffentlichen Personenvereinigungen.309 Dagegen spricht jedoch bereits, dass in einem lemmatischen Kommentar das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen nach den Edikten über die Prozessvertretung der Gemeinden behandelt wird. Würde § 3 tatsächlich von den Gemeinden handeln, müsste man Gaius unterstellen, vom grundlegenden Aufbauprinzip der Ediktskommentare abgewichen zu sein. Ferner ist die in § 2 beschriebene Indefensionsfolge – Gesamtvollstreckung – das genaue Gegenteil der in D. 3.4.8 überlieferten Folge – Einzelvollstreckung –, sodass nicht beide Fragmente zugleich von der Indefensionsfolge für Gemeinden handeln können.310 Daher gebraucht Gaius universitas hier für private Personenvereinigungen.311 Die Formulierung permittit proconsul, die eine auffällige Parallele zu proconsul ait in § 2 bildet, macht es wahrscheinlich, dass das Edikt ausdrücklich vorsieht, dass ein extraneus die Defension übernehmen darf.312 Gaius erwähnt das rechtspolitische Ziel dieser Regelung, den Gleichklang mit den R ­ egelungen für 307 Lenel, EP, 99; Manthe, Iav. Cass., 306. 308 D. 3.4.1.2 (Gai. 3 ed. prov.); dazu ausführlich unten I. Kap., § 3 IV.2.a). 309 Cohn, Vereinsrecht, 11; Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 138; zuletzt Groten, Corpus

und universitas, 40.

310 Lenel, EP, 99. 311 Albertario I, 97 (106 f.) vermutet eine Interpolation von universitas für eos, das sich wie in

§ 2 auf eine private Personenvereinigung beziehe. Doch verwendet Gaius hier universitas im Einklang mit dem Sprachgebrauch aller Juristen untechnisch; Duff, Personality, 40 f. 312 Lenel, EP, 101; Biscardi, Iura 31 (1980), 1 (16); Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (294 f. Fn. 123).

Die Regelungen des Edikts zum Prozessvertreter

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Privatpersonen. Der Prätor lässt nämlich im Fall der Abwesenheit des Beklagten aus Utilitätsgründen jedermann zur Defension zu.313 Angesichts der Existenz dieser allgemeinen Regel stellt sich die Frage, warum der Prokonsul ein besonderes Edikt für die Zulassung des extraneus geschaffen hat. Ausgangspunkt ist, dass die allgemeine Zulassung zur Defension nur zugunsten eines absens gilt.314 Das in D. 3.4.1.3 referierte Edikt soll vermeiden, klären zu müssen, wann eine private Personenvereinigung absens ist. Stattdessen wird klargestellt, dass ein extraneus zur Defension zugelassen wird.315 Damit enthält das Edikt Sonderregelungen nicht nur zur Indefension von Gemeinden, sondern auch zu derjenigen einer privaten Personenvereinigung. In erster Linie wird ein früher bestellter Prozessvertreter nach dem Edikt De defendendo eo, cuius nomine quis aget, et de satisdando zur Defension der jeweiligen Personenvereinigung gezwungen. Verweigert er sie, können kraft ediktaler Regelungen im Falle einer Gemeinde die mit der Verwaltung des Gemeindevermögens betrauten Personen, im Falle einer privaten Personenvereinigung ein extraneus die Defension übernehmen. Nur wenn auch dies nicht geschieht, liegt Indefension vor. 2. Die Folge der Indefension a) Die Regelung des Edikts Die Folge der Indefension einer privaten Personenvereinigung ist im Edikt über deren Prozessvertretung besonders geregelt, wie Gaius berichtet: D. 3.4.1.2 (Gai. 3 ed. prov.) Quod si nemo eos defendat, quod eorum commune erit possideri et, si admoniti non excitentur ad sui defensionem, venire se iussurum proconsul ait […].

Wenn niemand sie verteidigt, sagt der Prokonsul, dass er anordnen wird, dass dasjenige, was ihnen gemeinsam gehört, in Besitz genommen und, wenn diese Aufforderung sie nicht zur Verteidigung ihres Vermögens veranlasst, verkauft werden soll […].

313 D. 3.3.33.2 (Ulp. 9 ed.): Publice utile est absentes a quibuscumque defendi […]. Ebenso Lenel, EP, 100; Eliachevitch, Personnalité juridique, 110, 272. Voraussetzung ist, dass der Zugelassene

nicht von der Kognitur und der von ihm Vertretene nicht von der Bestellung eines cognitor ausgeschlossen sind, wie der palingenetische Zusammenhang deutlich macht; dazu Lenel, Pal. II, Sp. 451 f. 314 Vgl. D. 3.3.43.6, 45 pr. (Paul. 9 ed.); hierzu Kaser/Hackl, RZ, 214 f. 315 Angesicht der Parallele zur allgemeinen Regelung, wonach jedermann den absens defendieren kann, ist die Annahme von De Robertis, Storia II, 516 Fn. 117 fernliegend, dass mit extraneus nur die Vereinsmitglieder, die nicht zugleich Funktionär sind, bezeichnet s­ eien.

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

Wie an den Worten proconsul ait erkennbar, gibt Gaius eine ediktale Klausel wieder, mit der eine besondere Regelung für den Fall der Indefension einer privaten Personenvereinigung eingeführt worden ist.316 Das Edikt sieht die Besitzeinweisung und Zwangsversteigerung des Vereinsvermögens vor. Dieses wird als quod eorum commune bezeichnet, wobei eorum ein Rückbezug auf quibus autem permissum est corpus habere in § 1 des Fragments ist. Dort hat Gaius als deren proprium neben dem Prozessvertreter die res communes und die arc[a] commun[is] aufgeführt. § 2 erhellt den Grund für diese Erwähnung: Sie dient nicht dazu, materiell-rechtliche Ausführungen zur Existenz eines eigenen Vermögens privater Personenvereinigungen, das vom Vermögen ihrer Mitglieder als Einzelpersonen getrennt ist, zu machen. Derartige allgemeine Ausführungen würden in einem Ediktskommentar befremden. Stattdessen geht es dem Juristen bereits in § 1 darum, den Gegenstand der Vollstreckungsmaßnahmen, die das in § 2 wiedergebene Edikt vorsieht, näher zu beschreiben. Eine parallele Regelung für Gemeinden bezeugt Iavolen: D. 3.4.8 (Iav. 15 Cass.) Civitates si per eos qui res earum administrant non defenduntur nec quicquam est corporale rei publicae quod possideatur, per actiones debitorum civitatis agentibus satisfieri oportet.

Wenn Gemeinden nicht durch diejenigen, die ihr Vermögen verwalten, verteidigt werden und die Gemeinde keinen körperlichen Vermögensgegenstand hat, der in Besitz genommen werden kann, sollen die Kläger durch die Klagen gegen die Schuldner der Gemeinde befriedigt werden.

Wird eine civitas nicht von den Personen defendiert, die ihr Vermögen verwalten, und ist eine Besitzeinweisung nicht möglich, weil sie über keine körperlichen Vermögensgegenstände verfügt, werden die Kläger durch Überweisung der Klagen gegen die Gemeindeschuldner befriedigt. Die Palingenesie ergibt einen Zusammenhang mit der venditio bonorum.317 Folge der Indefension 318 ist zuerst die Einweisung in körperliche Vermögensgegenstände, bei ihrem Fehlen die Überweisung von Forderungen der Gemeinde gegen ihre Schuldner. Anders als bei den privaten Personenvereinigungen handelt es sich um Maßnahmen der Einzelvollstreckung.319 Dies 316 Lenel, EP, 101. 317 Lenel, Pal. I, Sp. 285; Manthe, Iav. Cass., 306. 318 Manthe, Iav. Cass., 306. Ungenau Mitteis, RP I, 390 mit Fn. 58; Duff, Personality, 76; Kaser/ Hackl, RZ, 404 mit Fn. 5; Groten, Corpus und universitas, 41, die annehmen, dass das Frag-

ment unspezifisch von der Vollstreckung gegen die Gemeinde handelt.

319 Lenel, EP, 100; Mitteis, RP I, 390; Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (295 Fn. 124); zurückhaltend Solazzi, BIDR 16 (1904), 89 (119 – 121); Kaser/Hackl, RZ, 404.

Die Regelungen des Edikts zum Prozessvertreter

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wird deutlich durch eine Passage aus der Kommentierung Ulpians zum Edikt Quod adversus municipes agatur. Nach der Präzisierung, dass das Vermögen von Gemeinden genaugenommen zu Unrecht als bona publica bezeichnet wird,320 definiert Ulpian diese: D. 50.16.17 pr. (Ulp. 10 ed.) Inter ‘publica’ habemus non sacra nec religiosa nec quae publicis usibus destinata sunt: sed si qua sunt civitatium velut bona. Sed peculia servorum civitatium procul dubio publica habentur.

Als ‚öffentliches Vermögen‘ erachten wir nicht die h ­ eiligen, die religiösen und diejenigen Sachen, die zum öffentlichen Gebrauch bestimmt sind, sondern die Gegenstände, die den Gemeinden wie ihr Vermögen gehören. Aber das Sonder­ gut der Sklaven der Gemeinden wird ohne Zweifel als ­öffentliches Vermögen erachtet.

Unter den Begriff publica fallen nicht res sacrae und religiosae sowie Sachen, die dem Gemeingebrauch dienen, sondern allein s­ olche Gegenstände, die das Vermögen der Gemeinden bilden. Ferner gehören die peculia der Gemeindesklaven zu den publica. Diese Definition der bona publica dient zur Abgrenzung derjenigen Vermögensgegenstände, gegen die sich im Fall der Indefension einer Gemeinde die Einzelvollstreckung richtet.321 Dass Ulpian den Begriff publica definiert, lässt auf seine Verwendung im Edikt schließen. Ähnliches dürfte für die res communes der privaten Personenvereinigungen gelten. Dafür spricht, dass Gaius’ Formulierung quod eorum commune in D. 3.4.1.2 dem Wortlaut des Edikts sehr nahe kommen dürfte, wie die Formulierung proconsul ait erkennen lässt. Die dadurch plausibel gemachte Verwendung von communis im Edikt knüpft zugleich an das ius civile an: Beim Vereinsvermögen handelt es sich um ein besonderes Miteigentum der Gesamtheit der Vereinsmitglieder, das auf der Grundlage von XII tab. 8.27 ihrer kollektiven Selbstbestimmung unterliegt und insofern vom gewöhnlichen Miteigentum (communio pro indiviso) verschieden ist.322 Diese Terminologie, in der sich das Zwölftafelrecht spiegelt, findet mit dem senatus consultum de Bacchanalibus ihren ersten Niederschlag in einem überlieferten normativen Text.323 Das prätorische Edikt knüpft hieran an, um den Gegenstand von Vollstreckungsmaßnahmen im Fall der Indefension zu bezeichnen.

320 D. 50.16.15 (Ulp. 10 ed.); vgl. D. 50.16.16 (Gai. 3 ed. prov.). 321 Lenel, EP ; 99 f.; Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (295 Fn. 124, 325 Fn. 224); Bricchi, Territorio e patrimonio, 103 f.; zweifelnd Solazzi, BIDR 16

(1904), 89 (120 f.).

322 Ausführlich hierzu unten VI. Kap., § 1 III.2.b) (2). 323 CIL I2 581 = ILS 18 = FIRA 2 I 30, Z. 11 (Ager Teuranus, Bruttium et Lucania, 186 v. Chr.): pecuni[a] comoin[is]; vgl. Liv. 39.18.9. Siehe unten VI. Kap., § 1 III.2.b) (1).

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

b) Der Grund für die ediktale Regelung Es bleibt zu klären, aus welchem Bedürfnis heraus das Edikt besondere Regelungen zur Folge der Indefension von Gemeinden und privaten Personenvereinigungen trifft. Dies wird durch einen Vergleich mit den Rechtsfolgen der Indefension von Einzelpersonen deutlich. Die stadtrömische Rechtslage wird von c. 22 l.Rubr. überliefert. Die Vorschrift regelt die Folgen der confessio in iure und der Indefension bei solchen Prozessen vor den Lokalmagistraten der Gallia Cisalpina, die andere Klagen als die in c. 21 l.Rubr. geregelte actio certae creditae pecuniae zum Gegenstand haben: c. 22 l.Rubr. = CIL I² 592 = FIRA² I 19, Sp. 2, Z. 25 – 50 (Veleia, Aemilia, 49 – 42 v. Chr.) A quo quid praeter pecuniam certam creditam,  […]  / 27 petetur,  […]  / 40 s(iremps) l(ex) r(es) i(us) c(aussa) q(ue) o(mnibus) o(mnium) r(erum) e(sto), atque utei esset esseve oporteret sei is, quei ita / quid earum rerum confessus erit aut d(e) e(a) r(e) non responderit neq(ue) / se iudicio utei oportebit defenderit, de ieis rebus Romae apud pr(aetorem) / eumve quei de ieis rebus Romae i(ure) d(eicundo) p(rae)esset in iure confessus esset, / aut ibei d(e) e(a) r(e) nihil respondisset aut iudicio se non defendisset; / 45 p(raetor)q(ue) isve quei d(e) e(is) r(ebus) Romae i(ure) d(eicundo) p(raerit) in eum et in here­ dem eius d(e) e(is) r(ebus) om/nibus ita ius deicito decernito eosque duci bona eorum possideri / proscreibeive veneireque iubeto, ac sei is heresve eius d(e) e(a) r(e) in / iure apud eum pr(aetorem) eumve quei Romae i(ure) d(eicundo) {p} praesse, confessus es/set aut d(e) e(a) r(e) nihil respondisse neque se iudicio utei oportuis/50set defendisset […].

Von wem etwas anderes als eine bestimmte Darlehenssumme […] gefordert wird, […] soll das Gesetz, die Angelegenheit, das Recht und die Rechtslage für alle [Personen] in sämtlichen Angelegenheiten so sein, wie sie wären und sein sollten, wenn derjenige, der für eine dieser Angelegenheiten ein Anerkenntnis abgegeben hat oder wegen dieser Angelegenheit nicht erschienen ist und sich nicht gegen die Klage verteidigt hat, wie es sich gehört, wegen dieser Angelegenheit in Rom vor dem Prätor oder demjenigen, der in diesen Angelegenheiten in Rom der Rechtssprechung vorstünde, auf der Gerichtsstätte ein Anerkenntnis abgegeben hätte oder dort wegen dieser Angelegenheit nicht erschienen wäre oder sich nicht gegen die Klage verteidigt hätte. Der Prätor oder derjenige, der in diesen Angelegenheiten in Rom der Rechtsprechung vorstehen wird, soll gegen ihn und gegen seinen Erben wegen sämtlicher dieser Angelegenheiten so Recht sprechen, entscheiden und anordnen, sie [in die Haft] wegzuführen und ihr Vermögen in Besitz zu nehmen, [einen Versteigerungstermin] öffentlich bekannt zu machen und den Verkauf durchzuführen, als ob er oder sein Erbe wegen dieser Angelegenheit auf der Gerichtsstätte vor ­diesem Prätor oder demjenigen, der in Rom der Rechtsprechung vorstünde, ein Anerkenntnis abgegeben hätte oder wegen dieser Angelegenheit nicht erschienen wäre und sich nicht gegen die Klage verteidigt hätte, wie es sich gehört hätte.

Die Bestimmung ordnet zuerst an, dass für den Beklagten einer derartigen Klage dasselbe gelten soll, wie wenn der Prozess in der Stadt Rom vor dem Prätor oder einem anderen Gerichtsmagistraten geführt würde und es dort entweder nach erfolgter confessio in iure oder auf andere Weise zur Indefension gekommen

Die Regelungen des Edikts zum Prozessvertreter

95

wäre.324 Sodann unterstellt die Vorschrift die Entscheidung über die Rechtsfolgen dieser zwei Tatbestände 325 der Rechtsprechungsgewalt des stadtrömischen Gerichtsmagistraten. Dieser soll die Personalvollstreckung (duci) oder die Vermögensvollstreckung (bona eorum possideri / proscreibeive veneireque) gegen den Beklagten bzw. dessen Erben in derselben Weise anordnen, wie sie in einem stadtrömischen Prozess angeordnet würde. Die ediktale Herkunft der Anordnung der Vermögensvollstreckung wird durch die dem prätorischen Edikt zugeordnete nota iuris B. E. E. P. P. V. Q. I. bestätigt,326 die sich zu bona ex edicto possideri proscribi venirique iubebo auflösen lässt und mit der Formulierung in c. 22 l.Rubr. weitgehend übereinstimmt. Auch wenn sich die ediktalen Regelungen nicht genau rekonstruieren lassen,327 steht fest, dass das prätorische Edikt im Fall der Indefension gegen Klagen, die nicht auf eine certa pecunia credita gerichtet sind, vorsieht, dass der Kläger den Beklagten in Privathaft wegführen kann oder dessen Vermögen beschlagnahmen und sich in den Besitz einweisen lassen kann, um Befriedigung durch Zwangsversteigerung zu erlangen.328 Die Vollstreckungsmaßnahmen sind dabei nur vorläufig. Nimmt der Beklagte persönlich oder durch einen Prozessvertreter die Defension auf, wird die Besitzeinweisung wieder aufgehoben.329 Für die Personalvollstreckung dürfte dasselbe gelten.330 Dass die Personalvollstreckung nicht auf Gemeinden und private Personenvereinigungen angewendet werden kann, liegt auf der Hand. Ein duci iubere gegen die Gesamtheit der Gemeindebürger bzw. Vereinsmitglieder und anschließende Privathaft ist praktisch kaum möglich.331 Daher müssen die allgemeinen Indefensionsfolgen abgeändert werden. Für die Gemeinden sieht der Prätor die Einzelvollstreckung vor, von der Iavolen in D. 3.4.8 berichtet. Aus der 324 Frederiksen, JRS 54 (1964), 129 (131); Terrinoni, in: Ferrary, Leges publicae, 157 (172). 325 Ebenso Bruna, Lex Rubria, 130 – 160, 191 – 195; Laffi, Athenaeum 64 (1986), 5 (31 – 33, 36); Kaser/ Hackl, RZ, 277 mit Fn. 24; Mainino, Mem. Biscardi, 161 (180 f.); ders., Caput XXI, 55 f. Dagegen nehmen drei Tatbestände (confessus, non respondens und indefensus) an Frederiksen, JRS 54 (1964), 129 (130); Simshäuser, SZ 93 (1976), 380 (390 f.). 326 Prob. 5.24. 327 Lenel, EP, 413. 328 Lenel, EP, 414; Bruna, Lex Rubria, 225 f.; Simshäuser, SZ 93 (1976), 380 (397); Laffi, Athenaeum 64 (1986), 5 (36 f.); Kaser/Hackl, RZ, 277. 329 D. 42.5.33.1 (Ulp. 3 reg.): Defendere debitorem sicut ante, quam bona eius possiderentur, licet,

ita post bonorum quoque possessionem eius, sive ipse sui, sive alius defensionem eius suscipiat, debet satisdare, ut satisdatione interposita iudicium accipiatur et a possessione discedatur. Lenel, EP , 414; Simshäuser, SZ 93 (1976), 380 (397 f.); Laffi, Athenaeum 64 (1986), 5 (36); Kaser/ Hackl, RZ, 277 f. 330 Lenel, EP, 410; Kaser/Hackl, RZ, 278 Fn. 26. 331 Vgl. Wenger, Actio iudicati, 214.

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

­ alingenesie von Iavolens libri ex Cassio lässt sich wegen deren didaktischen P Charakters die Stellung dieser Regelung im prätorischen Edikt nicht rekonstruieren. Maßgeblich ist vielmehr, dass Ulpian den Begriff der publica im 10. Buch ad edictum kommentiert. Hieraus ergibt sich, dass die Indefensionsfolge im Edikt Quod adversus municipes agatur vorgesehen ist. Für die privaten Personenvereinigungen dagegen gilt die Besitzeinweisung in die res communes, also Gesamtvollstreckung. Diese Regelung orientiert sich an der Indefensionsfolge für Einzelpersonen. Dies macht schon die Formulierung des Gaius deutlich, der von possideri et […] venire se iussurum spricht. Sie ähnelt dem Edikt Qui fraudationis causa latitabit, dessen Wortlaut Ulpian zitiert: D. 42.4.7.1 (Ulp. 59 ed.) Praetor ait: ‘Qui fraudationis causa latitabit, si boni viri arbitratu non defendetur, eius bona possideri vendique iubebo’.

Der Prätor sagt: ‚Wer sich in Benachteiligungsabsicht versteckt, wenn er nicht nach dem Urteil eines redlichen Mannes verteidigt wird, werde ich anordnen, sein Vermögen in Besitz zu nehmen und zu verkaufen‘.

Wenn ein Einzelner sich der Ladung durch den Kläger dadurch entzieht, dass er sich in betrügerischer Absicht verbirgt,332 sieht das Edikt als Rechtsfolge die missio in bona vor.333 Die Regelung zur Indefension privater Personenvereinigungen sieht mit der Gesamtvollstreckung dieselbe Rechtsfolge wie bei der Indefension von Einzelpersonen vor. Nur die Personalvollstreckung wird vom Prätor ausgeschlossen. Wie bei den Gemeinden ist diese Regelung Teil des Edikts. Inhaltlich weicht sie klar vom Edikt Quod adversus municipes agatur ab.

§ 4

Private Personenvereinigungen im Vollstreckungsverfahren

I. Die Vollstreckung im Aktivprozess Vertritt ein actor universitatis im Erkenntnisverfahren den Kläger, wird ihm nach dem Zeugnis des Paulus die actio iudicati nur erteilt, wenn er actor in rem suam ist:

332 Lenel, EP, 415; Kaser/Hackl, RZ, 222. 333 Vgl. Gai. 3.78.

Private Personenvereinigungen im Vollstreckungsverfahren

97

D. 3.4.6.3 (Paul. 9 ed.) […] Actor itaque iste {procuratoris} partibus fungitur et iudicati actio ei ex edicto non datur nisi in rem suam datus sit […].

[…] Dieser Prozessvertreter [einer Personengesamtheit] erfüllt daher die Rolle eines Kognitors, und die Vollstreckungsklage wird ihm nach dem Edikt nicht gewährt, es sei denn, er ist in eigener Sache bestellt worden […].

Der Text handelt seinem Kontext nach vom Prozessvertreter einer Gemeinde.334 Paulus vergleicht den actor der Gemeinde mit dem cognitor, denn tritt ein solcher auf Klägerseite auf, wird die actio iudicati grundsätzlich dem von ihm vertretenen dominus erteilt.335 Daher ist das überlieferte procuratoris interpoliert für cognitoris.336 Die Formulierung iudicati actio ei ex edicto non datur zeigt jedoch, dass die actio iudicati der Gemeinde nicht kraft einer ediktalen Regelung erteilt wird. Vielmehr steht sie ex edicto an sich dem actor zu; nur die Praxis ist dazu übergegangen, sie nicht dem actor, sondern der von ihm vertretenen Gemeinde zu gewähren.337 Dies findet eine Parallele bei cognitor und procurator: Vat. 317 […] Cognitore enim interveniente iudicati [acti]o domino […] datur; non alias enim cognito[r] experi[e]tur […], q[uam] si in rem suam cognitor factus sit. Interveniente vero procuratore iudicati actio ex edicto perpetuo ipsi […], non domino […] competit.

[…] Tritt ein Kognitor auf, wird die Vollstreckungsklage […] dem Prozessherrn gewährt; der Kognitor kann die Vollstreckung nur betreiben, wenn er in eigener Sache zum Kognitor bestellt worden ist. Tritt aber ein Prokurator auf, steht die Vollstreckungsklage nach dem Edikt ihm selbst […], nicht dem Prozessherrn zu.

Führt ein cognitor einen Prozess als Kläger, wird die actio iudicati dem dominus erteilt, es sei denn, es handelt sich um einen cognitor in rem suam. Tritt dagegen ein procurator als Klägervertreter auf, steht die Vollstreckungsklage ex edicto perpetuo ihm und nicht dem dominus zu. Beim procurator referiert das Fragment ausdrücklich die ediktale Rechtslage, der zufolge die Vollstreckungsklage dem Prozessvertreter erteilt wird, weil sein Name in der condemnatio der 334 Siehe oben I. Kap., § 3 II. 335 Vat. 317. Zur Klagenkonsumtion La Rosa, Actio iudicati, 155 Fn. 59; Kaser/Hackl, RZ, 212;

Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (293); Marrone, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 305 (341). 336 Lenel, Pal. I, Sp. 980 mit Fn. 4; ders., EP, 405 mit Fn. 2; La Rosa, Actio iudicati, 155 Fn. 59, 162 Fn. 79. Verfehlt daher die Echtheitsannahme von Groten, Corpus und universitas, 65. 337 Lenel, EP, 405. Unzutreffend ist die Annahme von H. Krüger, SZ 37 (1916), 230 (272 f.) und La Rosa, Actio iudicati, 161, der Text belege, dass es eine Ediktsklausel zur Vollstreckungsklage beim Auftreten eines cognitor gebe, denn iudicati actio ei ex edicto non datur bezieht sich auf den actor als Subjekt des ersten Teils des Satzes, nicht auf das Genetivattribut procuratoris; zustimmend jedoch Medicus, SZ 81 (1964), 465 (474 mit Fn. 35).

98

Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

­ rozessformel genannt wird.338 Ebenso ausdrücklich hält der Text fest, dass dies P im Gegensatz zur Rechtslage beim cognitor steht (interveniente vero procuratore).339 Dass dem cognitor die actio iudicati – von der Ausnahme des cognitor in rem suam abgesehen – nicht erteilt wird, weicht von der ausdrücklichen Regelung des Edikts ab und beruht allein auf der Praxis.340 Angesichts dieser ausdrücklichen ediktalen Regelung überrascht es nicht, dass Paulus schreibt, die actio iudicati stehe ex edicto dem actor einer Gemeinde zu, und nur die Praxis erteile sie der Gemeinde. Zur Rechtslage bei privaten Personenvereinigungen hat sich keine Quelle erhalten. Allerdings gilt für sie wahrscheinlich dasselbe wie für Gemeinden.341 Entscheidend hierfür ist erstens der weitgehende Parallelismus der Regelungen zum actor von Gemeinden und privaten Personenvereinigungen, den Gaius in seiner Kommentierung ausdrücklich hervorhebt.342 Zweitens wird die actio iudicati – jedenfalls in bestimmten Fällen – dem Mündel erteilt, den im Erkenntnisverfahren sein Vormund als Kläger vertreten hat.343 Die Praxis dürfte daher die Erteilung der actio iudicati für alle Prozessvertreter, die kraft einer Treuhänderstellung handeln,344 einheitlich gehandhabt haben. Nachweislich wird sie der vertretenen Gemeinde bzw. dem vertretenen Mündel erteilt. Somit wird die actio iudicati auch der privaten Personenvereinigung erteilt worden sein. 338 Lenel, EP, 404; Marrone, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 305 (334 f.); vgl. Medicus, SZ 81 (1964), 465 (474). Dagegen fassen H. Krüger, SZ 37 (1916), 230 (274 f.) und La Rosa, Actio

iudicati, 160 die Worte ex edicto perpetuo in Vat. 317 als Beleg für eine Ediktsklausel auf, die ausdrücklich regle, dass die actio iudicati dem procurator erteilt wird. Wenn H. Krüger, SZ 37 (1916), 230 (272 – 275) und La Rosa, Actio iudicati, 162 die Existenz je eigener ediktaler Regelungen für cognitor einerseits und für procurator andererseits annehmen, lässt sich die Kontrastierung dieser beiden Arten von Prozessvertreter in Vat. 317 (interveniente vero procuratore) jedoch kaum erklären. 339 Lenel, EP, 405 f. 340 Lenel, EP, 405 f.; gegen eine ediktale Regelung auch Wenger, Actio iudicati, 178 f.; offengelassen bei Kaser/Hackl, RZ, 212 Fn. 25. Dagegen La Rosa, Actio iudicati, 158 – 162; Medicus, SZ 81 (1964), 465 (474). 341 So auch Eliachevitch, Personnalité juridique, 271; Kaser/Hackl, RZ , 218; Biscardi, Iura 31 (1980), 1 (12). 342 D. 3.4.1.1 (Gai. 3 ed. prov.): Quibus autem permissum est corpus habere […], proprium est a d e x e m p l u m r e i p u b l i c a e habere […] actorem sive syndicum […]. 343 D. 26.7.2 pr. (Ulp. 9 ed.): Si tutor condemnavit […], pupillo […] potius actio iudicati datur et maxime, si non se liti optulit, sed cum non posset vel propter absentiam pupilli vel propter infantiam auctor ei esse ad accipiendum iudicium […]. Aus der Verwendung von potius kann geschlossen werden, dass Ulpian seine Meinung in einer Kontroverse äußert. Die Erteilung zugunsten des Mündels kann deshalb nicht auf einer ediktalen Regelung beruhen; vgl. Lenel, EP, 99, 405. Dagegen nehmen Kaser/Hackl, RZ, 217 mit Fn. 75 eine Erteilung der actio iudicati zugunsten des Mündels ohne jede Einschränkung an. 344 Vgl. Kaser/Hackl, RZ, 210.

Private Personenvereinigungen im Vollstreckungsverfahren

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II. Die Vollstreckung im Passivprozess Tritt ein Prozessvertreter für eine Gemeinde als Beklagte auf, richtet sich die actio iudicati nicht gegen ihn, sondern gegen die Gemeinde: Vat. 335 Actor municip[um]  […] [neque ex Der Prozessvertreter der Gemeindebürger […] wird auch iudicato iudicium] accipere cogitur, nicht gezwungen, sich auf die Vollstreckungsklage einzuquod iudi[cium in ipsos municipes lassen, weil diese Klage gegen die Gemeindebürger selbst datur] … sicut in cognitore … erteilt wird … wie bei einem Kognitor …

Der actor municipum wird nicht gezwungen, an der litis contestatio der actio iudicati mitzuwirken (ex iudicato iudicium accipere). Die Vollstreckungsklage wird vielmehr gegen die Gemeinde erteilt, wie dies bei einem cognitor der Fall ist.345 Fraglich ist, ob dies auf einer ediktalen Regelung beruht. Die Klärung dieser Frage erlaubt ein Exzerpt aus dem 58. Buch des Ediktskommentars Ulpians: D. 42.1.4.2 (Ulp. 58 ed.) Actor municipum potest rem iudi- Der Prozessvertreter der Gemeindebürger kann die catam recusare: in municipes enim Urteilsschuld zurückweisen. Die Vollstreckungsklage iudicati actio dabitur. wird nämlich gegen die Gemeindebürger erteilt.

Nach einer Beobachtung Lenels deutet die Formulierung dabitur darauf hin, dass die Erteilung der Vollstreckungsklage gegen die Gemeinde nicht auf einer ediktalen Verheißung beruht, sondern lediglich die Praxis wiedergibt.346 Ähnlich ist die Lage beim Vormund: D. 26.7.2 pr. (Ulp. 9 ed.) Si tutor  […] ipse condemnatus est,  […] in pupillum potius actio iudicati datur […].

Wenn der Vormund  […] selbst verurteilt wird, wird die Vollstreckungsklage eher […] gegen den Mündel gewährt […].

Wenn der Vormund selbst verurteilt worden ist, wird die actio iudicati nach Ulpian „eher“ (potius) gegen den Mündel erteilt. Die Verwendung von potius ließe sich nicht erklären, wenn das Edikt die Erteilung gegen den Mündel

345 Vat. 317. Ebenso D. 42.1.4 pr. (Ulp. 58 ed.): Si se non optulit {procurator} , iudicati

actio in eum denegabitur et in dominum dabitur: si se optulit, in ipsum dabitur. Optulisse autem se liti videtur non is, qui in rem suam {procurator} datus sit: nam hic alia ratione recusare iudicati actionem non potest, quia hic non in alienam, sed in suam rem {procurator} factus est. 346 Lenel, EP, 405.

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

­ausdrücklich vorsähe.347 Ulpian referiert mithin eine kontroverse Praxis, die ihre Grundlage gerade nicht im Wortlaut des Edikts hat. Nach dem Ediktswortlaut wird vielmehr die actio iudicati gegen den procurator selbst erteilt, der auf Beklagtenseite auftritt: Vat. 317 Interveniente vero procuratore iudicati Tritt aber ein Prokurator auf, richtet sich die Vollstreactio ex edicto perpetuo […] in ipsum, ckungsklage nach dem Edikt […] gegen ihn selbst, non […] in dominum competit. nicht […] gegen den Prozessherrn.

Soweit bei einem procurator praesentis die Vollstreckungsklage abweichend hiervon gegen den dominus erteilt wird,348 handelt es sich um eine Entwicklung der Praxis, nicht dagegen um eine ediktale Regelung.349 Da das vom procurator handelnde Edikt Quibus alieno nomine agere liceat auch den Vormund behandelt 350 und für den actor municipum gilt,351 dürfte die in Vat. 317 referierte ediktale Regelung auch für sie gelten. Dieser Befund lässt sich aus der Palingenesie von D. 42.1.4.2 erklären. Im 58. Buch ad edictum, dem dieser Text entstammt, handelt Ulpian von der Verurteilung (de re iudicata) als Voraussetzung der Vollstreckung.352 Diese richtet sich nach der ausdrücklichen Regelung des Edikts gegen den Verurteilten, wie Ulpian im selben Buch überliefert: D. 42.1.4.3 (Ulp. 58 ed.) Ait praetor: ‘Condemnatus ut pecuniam solvat’ […].

Der Prätor sagt: ‚Dass der Verurteilte das Geld zahlen soll‘ […].

Unter den Begriff des condemnatus fällt grundsätzlich derjenige, der in der condemnatio der Prozessformel des Erkenntnisverfahrens genannt wird.353 Beim alieno nomine agere ist dies der Prozessvertreter, nicht der von ihm 347 Dies übersieht La Rosa, Actio iudicati, 166 f., 170 f., die deshalb zu weitreichenden Interpolationsannahmen greifen muss; vorsichtig daher auch Medicus, SZ 81 (1964), 465 (474). 348 Vat. 331 (Pap. 2 resp.): Quoniam praesentis procuratorem pro cognitore placuit haberi, domino

causa cognita dabitur et in eum iudicati actio.

349 Lenel, EP, 404; Marrone, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 305 (335). Anders H. Krüger, SZ 37 (1916), 230 (273, 275); La Rosa, Actio iudicati, 160 – 162. 350 Lenel, EP, 95. 351 Siehe oben I. Kap., § 3 II. 352 Lenel, Pal. II, Sp. 777 f.; ders., EP, 406. 353 Dies gilt unabhängig davon, ob die Verurteilung im iudicium legitimum, einem Prozess auf honorarrechtlicher Grundlage oder einer cognitio erfolgt; Lenel, EP, 408 f.; vgl. Kaser/Hackl, RZ, 384 m. w. N.

Private Personenvereinigungen im Vollstreckungsverfahren

101

Vertretene.354 Daher richtet sich nach dem Wortlaut des Edikts die Vollstreckung gegen den Prozessvertreter. Die Problematik dieser ediktalen Regelung wird angesichts des palingenetischen Kontexts allerdings sofort deutlich: Die zitierte Klausel gehört zu den Edikten über die Personalvollstreckung.355 Maßnahmen dieser Vollstreckungsart gegen einen Prozessvertreter zu richten, der den Prozess domini loco führt,356 erscheint unpassend. Aus d ­ iesem Grund wird sich die Paxis entwickelt haben, entgegen dem Ediktswortlaut die Personalvollstreckung nicht gegen den condemnatus, sondern gegen den Vertretenen zu richten. Im Falle der von ihrem actor vertretenen municipes bleibt die Personalvollstreckung aber problematisch. Ihrer praktischen Durchführung begegnen dieselben Bedenken wie bei der Indefension.357 Zudem stellt das Edikt sowohl im Fall der Personal-358 als auch der Vermögensvollstreckung 359 gegen Einzelpersonen den indefensus dem condemnatus gleich. Vor ­diesem Hintergrund liegt es nahe, dass die Praxis für die Vollstreckung gegen eine Gemeinde auf die Regelung zurückgreift, die das Edikt für die Indefension vorsieht, nämlich die missio in singulas res civitatis.360 Dagegen wird die actio iudicati gegen den actor gehemmt. Zu beachten ist, dass beides nicht auf einer ediktalen Regelung beruht.361 Nach dem Wortlaut des Edikts müssten sich Personal- und Vermögensvollstreckung gegen den actor municipum richten. Erst die Praxis, von der die juristische Literatur berichtet, verzichtet im Fall der Gemeinde zur Gänze auf die Personalvollstreckung und wendet die Klausel des Edikts Quod adversus municipes agatur über die Indefensionsfolge analog auf die Vollstreckung gegen die Gemeinde an. Über die Vollstreckung gegen private Personenvereinigungen gibt es keine Quellen. Indes dürfte für sie Ähnliches wie für die Gemeinden gelten. Nach dem Edikt De re iudicata wäre auch gegen den actor einer privaten P ­ ersonenvereinigung 354 Gai. 4.87: Ab adversarii quoque parte si interveniat aliquis, cum quo actio constituitur, intenditur dominum DARE OPORTERE , condemnatio autem in eius personam convertitur, qui iudicium acceperit. Duff, Personality, 136; Philipsborn, SZ 71 (1954), 41 (60 f.); Y. Thomas,

Hom. Lepelley, 189 (213 mit Fn. 68); vgl. La Rosa, Actio iudicati, 147. Dagegen nimmt Biscardi, Iura 31 (1980), 1 (14 f.) an, der Prozessvertreter werde zwar in der intentio genannt, in der condemnatio erscheine dagegen die Körperschaft, da bei Körperschaften der actor deren Organ sei. Der Sprachgebrauch der Quellen, wonach der Prozessvertreter municipum nomine handelt, spricht jedoch für eine Parallele zum alieno nomine agere beim Formelaufbau. 355 Lenel, EP, 406 – 408. 356 Vgl. Gai. 4.97. 357 Siehe oben I. Kap., § 3 IV.2.b). Ebenso Wenger, Actio iudicati, 214. 358 Lenel, EP, 410. 359 Kaser/Hackl, RZ, 390 f. 360 Siehe oben I. Kap., § 3 IV.2.a). 361 Ungenau daher Kaser/Hackl, RZ, 218.

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Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen

als condemnatus die Personalvollstreckung zu richten; ebenso wäre gegen ihn als iudicatus die Vermögensvollstreckung zu richten.362 Zugleich greifen in Bezug auf ihn dieselben Gründe, stattdessen die Vollstreckung gegen die private Personenvereinigung zu richten, wie bei allen anderen Prozessvertretern, die domini loco auftreten. Die Personalvollstreckung gegen die private Personenvereinigung zu richten, ist wiederum aus praktischen Gründen untunlich.363 Deshalb wird die Praxis auch im Falle der privaten Personenvereinigung die ediktale Regelung über die Indefensionsfolge, mithin die Gesamtvollstreckung in die res communes, auf die Vollstreckung gegen die Vereinigung analog angewendet haben.

3 62 Vgl. Gai. 3.78. 363 Siehe oben I. Kap., § 3 IV.2.

II. Kapitel: Die vertraglichen Obligationen

§ 1

Das mutuum

I. Vereine als Darlehensgeber 1. Die mutui datio im Namen einer Körperschaft

Die Vergabe von zinslosen Darlehen durch Vereine an ihre Mitglieder ist für den griechischen Osten gut belegt.1 Für den Westen sind die Zeugnisse dafür, dass Vereine ihre Mitglieder finanziell unterstützt haben, deutlich dünner.2 Doch dürfte es auch dort zur Vergabe von zinslosen mutua aus Vereinsgeldern gekommen sein. Die mutui datio durch Gemeinden belegt die lex Irnitana: c. 79 l.Irn. = AE 1986, 333, tab. VIIIC, Z. 37 – 52 (Irni, Baetica, 91) R(ubrica). Ad quem numerum decurionum conscriptorumve referri / oporteat de pecunia communi municipum eroganda. /

Bei welcher Zahl von Ratsherren ein Antrag über die Ausgabe von gemeinsamem Geld der Gemeindebürger gestellt werden soll.

Ne quis dumvir eius municipi […] / 45 […] de pecunia, quae communis municipum erit, praeterquam / ex his causis quae hoc capite exce­­[p]ta[e] sunt {h}aut alia  / parte huius legis nominatim comprehensae sunt, alienanda / dimi­nuenda eroganda mutua{nda} danda municipum nomine  / deve remission[e f]a­cienda ei, quem municipibus eius municipi  / 50 quid dare facere praestare oportebit, ne referto ad decuriones / conscriptosve, [c]um pauciores quam, qui tres quartas partis totius / numeri decurionum conscriptorumv[e] explere possint, aderunt.

Kein duumvir ­dieses municipium […] soll wegen der Veräußerung, Verminderung, Ausgabe oder Darlehenshingabe im Namen der Gemeindebürger von Geld, das gemeinsames der Gemeindebürger ist, oder wegen des Erlasses zugunsten desjenigen, der den Gemeindebürgern d ­ ieses municipium etwas geben, tun oder leisten muss, einen Antrag an die Ratsherren stellen, außer aus den Gründen, die in ­diesem Kapitel aufgeführt oder in einem anderen Teil ­dieses Gesetzes ausdrücklich enthalten sind, wenn weniger als drei Viertel der Gesamtzahl der Ratsherren anwesend sind.

1 Umfassend Baslez, in: Molin, Régulations sociales, 157 – 168. 2 Siehe nur Ausbüttel, Vereine, 83 f.

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Die vertraglichen Obligationen

Das Kapitel befasst sich mit Anwesenheitsquorum und Abstimmung der decuriones über die Verwendung der pecunia communis municipum. Den duumviri wird untersagt, Anträge bezüglich der Verwendung von Gemeindegeld den decuriones zur Abstimmung zu unterbreiten, wenn weniger als drei Viertel der Mitgliederzahl anwesend sind. Die Veräußerung, Verminderung, Ausgabe und Darlehenshingabe der pecunia communis sowie der Erlass von Verbindlichkeiten sind nur zulässig, wenn die lex municipalis den Verwendungszweck ausdrücklich gestattet. Für die Darlehenshingabe verwendet die lex Irnitana die Formulierung mutua da[re] municipum nomine. Mit dem Ausdruck nomine municipum bezeichnet die lex Irnitana regelmäßig das Handeln für die Gemeinde: So erfolgt die Verpachtung von Gemeindevermögen nomine municipum eius municipi.3 Ebenso klagt der Prozessvertreter der Gemeinde (actor) und wird nomine municipum verklagt.4 Schließlich werden die Ansprüche, die im iudicium pecuniae communis durchgesetzt werden, als quod municipum municipi Flavi Irnitani nomine petetur bezeichnet.5 Die lex Irnitana verwendet also den Ausdruck municipum nomine, um prozessuales und rechtsgeschäftliches Handeln für die Gemeinde zu bezeichnen. Diese Formulierung ist auch der entscheidende Hinweis, dass mutua da[re] municipum nomine dazu führt, dass der Gemeinde selbst die Klage auf Rückzahlung des Darlehens zusteht. Denn seit dem Juristen Aristo ist es anerkannt, dass die Darlehensvalutierung im Namen eines Dritten dazu führt, dass der Dritte die actio certae creditae pecuniae erwirbt und Gläubiger der Darlehensforderung ist. Ulpian berichtet von einer entsprechenden Entscheidung des Juristen, die Julian gebilligt habe: D. 12.1.9.8 (Ulp. 26 ed.) Si nummos meos tuo nomine de­dero velut tuos absente te et ig­norante, Aristo scribit adquiri tibi condictionem: Iulianus quoque de

Wenn ich meine Münzen in deinem Namen als deine in deiner Abwesenheit und ohne deine Kenntnis gegeben habe, schreibt Aristo, dass für dich eine condictio erworben wird. Auch Julian schreibt auf eine Anfrage

3 c. 63 l.Malac./Irn.: […] vectigalia ultroque tributa, sive quid aliut communi n o m i n e m u n i -

c i p u m e i u s m u n i c i p i locare oportebit […].

4 c. 70 l.Irn.: Quoi quibusve mandetur permittaturve ut n o m i n e m u n i c i / p u m m u n i -

c i p i F l a v i I r n i t a n i agant petantve quit is, aut, / si cum iis age[t]ur petetur quit ab , n o m i n e e o r u m iudicium / accipiat; c. 71 l.Irn.: Quicumque m u n [ i c i p u ] m m u n i c i p i F l a v i I r n i t a n i n o m i n e in / eo municipio e[x ha]c lege exve decurionum conscriptorum/ve decreto aget […]. 5 c. 69 l.Malac./Irn.: Quod m u n i c i p u m m u n i c i p i i F l a v i M a l a c i t a n i / I r n i t a n i n o m i n e petetur […].

Das mutuum

hoc interrogatus libro decimo scribit veram esse Aristonis sententiam nec dubitari, quin, si meam pecuniam tuo nomine voluntate tua dedero, tibi adquiritur obligatio, cum cottidie credituri pecuniam mutuam ab alio poscamus, ut nostro nomine creditor numeret futuro debitori nostro.

105 hierzu im 10. Buch, dass die Meinung des Aristos richtig und nicht zu bezweifeln sei, weil, wenn ich mein Geld in deinem Namen und mit deinem Einverständnis gegeben habe, für dich eine Forderung erworben wird, da wir im Alltag, wenn wir ein Darlehen gewähren wollen, das Geld von einem anderen derart erbitten, dass unser Gläubiger in unserem Namen unserem künftigen Schuldner das Geld als Darlehen auszahlen soll.

Ego hat eigene Münzen als Darlehen valutiert und dabei angegeben, dies geschehe tuo nomine, während Tu abwesend war und von der Auszahlung keine Kenntnis hatte. Aristo bejaht eine Kondiktion des Tu, ohne dass Ulpian seine Begründung überliefert hat. Stattdessen berichtet er, dass Julian die Meinung des Aristo gebilligt habe, und referiert dessen Argumentation: Tu erwerbe eine Obligation, wenn Ego sein Geld im Namen und mit dem Willen des Tu hingebe. Dies sei anerkannt, weil es alltägliche Praxis sei, Geld, das man selbst zum Darlehen geben wolle, bei einem Dritten aufzunehmen und diesen anzuweisen, das Geld direkt an den eigenen Schuldner auszuzahlen. Ausgangspunkt der Argumentation Julians ist das Anweisungsdarlehen: Der Darlehensgeber lässt sich das Darlehenskapital kreditieren und weist seinen Gläubiger an, ­dieses Kapital im Namen des Darlehensgebers an den Darlehensnehmer auszuzahlen (pecuniam mutuam ab alio poscamus, ut nostro nomine creditor numeret futuro debitori nostro). Der Darlehensgeber erwirbt die actio certae creditae pecuniae in dem Zeitpunkt, zu dem sein Gläubiger das Geld an den Darlehensnehmer auszahlt. Im Vergleichsfall, den Julian bildet, kreditiert Ego sein Geld im Namen und mit dem Willen des Tu einem Dritten, ohne Gläubiger des Tu zu sein. Dieser wird dadurch Inhaber einer Darlehensforderung gegen den Dritten. Da Ego nicht Gläubiger des Tu ist, dient diese Konstellation nicht dazu, den Zahlungsweg abzukürzen. Für den Juristen reicht es aus, dass Ego tuo nomine voluntate tua die datio vorgenommen hat, damit Tu eine Obligation erwirbt.6 Der von Aristo entschiedene Fall stellt eine weitere Variation dar. Die datio erfolgt zwar noch tuo nomine, aber nicht mehr voluntate tua. Gegenüber dem Anweisungsdarlehen fehlt nicht nur der Zweck, den Zahlungsweg abzukürzen, sondern auch das iussum des Darlehensgebers an seinen Gläubiger.7 Auch in dieser Konstellation, in der nur noch eine datio alieno nomine vorliegt, erwirbt Tu die Darlehensklage gegen den Dritten. Julian bezeichnet 6 Honsell/Mayer-Maly/Selb, RR, 113 Fn. 9; Flume, Rechtsakt, 96 f.; vgl. Claus, Stellvertretung, 250; Kaser, SZ 91 (1974), 146 (178). 7 Mitteis, RP I, 226 f. mit Fn. 79.

106

Die vertraglichen Obligationen

die ­Entscheidung Aristos als unbezweifelbar (nec dubitari). Mit Scaevola und Paulus befürworten zwei weitere Juristen den Erwerb der condictio durch denjenigen, in dessen Namen das Darlehen valutiert wird.8 Daher handelt sich um unstreitiges Recht.9 In den angeführten Quellen erfolgt die numeratio stets mit Geld des Auszahlenden, nicht des Dritten. Diese Konstellation entspricht jedoch nicht der Darlehensvergabe nomine municipum, bei der pecunia publica, also Geld im Eigentum der Gemeinde, ausgezahlt wird. Indes kommt es nicht darauf an, wessen Geld valutiert wird.10 Paulus hält dies an einer Stelle ausdrücklich fest: D. 45.1.126.2 (Paul. 3 quaest.) […] Plane si liber homo nostro nomine pecuniam daret vel suam vel nostram, ut nobis solveretur, obligatio nobis pecuniae creditae adquireretur […].

[…] Wenn freilich ein freier Mensch in unserem Namen sein eigenes oder unser Geld gibt, damit es an uns gezahlt wird, wird für uns die Forderung aus der Kreditierung des Geldes erworben […].

Dass es unerheblich ist, wer Eigentümer des Geldes ist, bestätigt ein Vergleich mit den Fällen, in denen jemand fremdes Geld als Darlehen gewährt, ohne dabei im Namen des Eigentümers zu handeln. Dann erwirbt der Eigentümer des Geldes die condictio erst, wenn der Empfänger des Geldes d ­ ieses verbraucht hat.11 Dem Auszahlenden fehlt es nämlich an der Verfügungsbefugnis, weshalb die datio nicht zu einem Eigentumserwerb des Empfängers führt. Vielmehr verliert der Eigentümer des Geldes sein Eigentum erst, wenn der Empfänger das Geld verbraucht und dadurch originär Eigentümer wird. Erst in d ­ iesem

8 D. 39.5.35.2 (Scaev. 31 dig.); zurecht für Echtheit Kaser, SZ 91 (1974), 146 (179); Flume, Rechts-

akt, 98; verfehlt dagegen v. Lübtow, St. Volterra I, 149 (152). Ferner D. 45.1.126.2 (Paul. 3 quaest.). 9 Vgl. C. 4.27.3 (Iust., a. 530). Justinian führt in dieser Konstitution den automatischen Erwerb der dinglichen Pfandklage durch den Dritten ein, in dessen Namen das Darlehen gewährt wird. Er begründet dies damit, dass die dingliche Klage mit der persönlichen condictio aus dem Darlehen gleichlaufen und nicht erst vom Auszahlenden an den Dritten abgetreten werden soll; vgl. Claus, Stellvertretung, 344 f.; Kaser, SZ 91 (1974), 146 (181); Flume Rechtsakt, 97. Die Konstitution setzt also eine bereits etablierte Rechtslage voraus, wonach die schuldrechtliche condictio dem Dritten zusteht. Sie kann daher nicht als Indiz für eine Interpolation der Digestenfragmente herangezogen werden. Dies verkennt v. Lübtow, St. Volterra I, 149 (151 f.). 10 C. 4.2.4 (Phil., a. 246); dazu Claus, Stellvertretung, 252 – 254; Kaser, SZ 91 (1974), 146 (179 f.). 11 D. 12.1.19.1 (Iul. 10 dig.) i. f.: […] nam omnino qui alienam pecuniam credendi causa dat, consumpta ea habet obligatum eum qui acceperit […]; D. 12.1.13.1 (Pap. apud Ulp. 26 ed.). Hierzu umfassend Wacke, BIDR 79 (1976), 49 (57 – 82); Manthe, Iav. Cass., 50 – 52 mit Fn. 55, 59; zuletzt Scheibelreiter, Fs. Bürge, 161 (166 f., 180).

Das mutuum

107

Moment entsteht die condictio 12 zugunsten des früheren Eigentümers. Dies richtet sich nach den allgemeinen Regeln, um den – nach sachenrechtlichen Kriterien beurteilten – Verlust des Eigentums zu kompensieren. Die condictio hat hier eine bereicherungsrechtliche, keine darlehensrechtliche Funktion.13 Für den Falle der Darlehensvalutierung alieno nomine steht damit fest, dass die Herkunft des Geldes keine Rolle dafür spielt, ob der Dritte, in dessen Namen die Auszahlung erfolgt, Gläubiger des Darlehens wird;14 entscheidend ist allein, dass die Auszahlung in seinem Namen erfolgt.15 2. Vereine als Darlehensgeber in gräko-ägyptischen συγγραφαί

Für den Erwerb der actio certae creditae pecuniae durch die Körperschaft, in deren Namen das Darlehen ausgezahlt wird, spricht ein Vergleich mit dem hellenistischen Recht. Gräko-ägyptische Papyri überliefern die Darlehensvergabe durch Vereine. Da das Kreditwesen im römischen Reich auf einer hellenistischen Vertragspraxis aufbaut,16 liegt es nahe, hellenistische Darlehensurkunden heranzuziehen, um die Vertragspraxis römischer Körperschaften zu rekonstruieren. Ein weiteres Argument lässt sich aus Quintilians institutio oratoria gewinnen, wo von einem Schuldschein einer Gemeinde die Rede ist, der nach dem Gepräge des Falles einerseits einer griechischen Urkundenpraxis entspricht, andererseits aber strikt nach römischen Recht beurteilt wird.17 Das hellenistische Formular hat sich am ausführlichsten in einer objektiven stilisierten συγγραφή 18 aus Oxyrhynchos aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. erhalten:

12 Sie wurde in der gemeinrechtlichen Literatur als condictio de bene depensis bezeichnet; Kaser/ Knütel/Lohsse, RP, § 49 Rn. 4. 13 Zimmermann, Obligations, 840; vgl. Wacke, BIDR 79 (1976), 49 (71 f., 89 f.). Unzutreffend Kaser, TR 29 (1961), 169 (205 – 207). 14 Die Texte sind daher kein Beleg für das Surrogationsprinzip; Kaser, SZ 91 (1974), 146 (179).

15 16 17 18

Griechischen Einfluss zu vermuten, liegt fern; undeutlich aber Pringsheim, Kauf, 109 f.; verfehlt Zimmermann, Obligations, 54. Gegen einen solchen Einfluss spricht bereits, dass im griechischen Recht der Darlehensgeber weiterhin Eigentümer des Darlehenskapitals bleibt, während die condictio sowohl beim Darlehen als auch beim Verbrauch von Geld grundsätzlich einen Verlust des Eigentums voraussetzt; siehe nur Wolff, SZ 74 (1957), 26 (49 f.); Kaser, RP I, 531, 594. Flume, Rechtsakt, 96 f. erblickt hierin einen Ausfluss des auf den Rechtsakt bezogenen Denkens der römischen Juristen. Platschek, Pecunia constituta, 65 – 67, 242 f., 263. Quint. inst. 5.10.111, 118; ausführlich hierzu siehe unten VII. Kap., § 2. Zu ­diesem Urkundentyp siehe nur Wolff, Recht der griechischen Papyri II, 137 – 139; ders., Papyruskunde, 55 f.

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Die vertraglichen Obligationen

P.Oxy. IV 802 = SB VI 9255 + P.Ryl. IV 586, Z. 1 – 35 (Oxyrhynchos, 17. Oktober-15. November 99 v. Chr.) Bασιλευόντων Πτολεμ[αίου τοῦ καὶ Ἀλε­ξάν­ δρου θεοῦ] / Φιλομήτορος καὶ Βε­ρε­νί­κη[ς θεᾶς Φιλαδέλφου ἔτους ἑκ­και]/­δε­κά­του, τὰ δʼ ἀλλὰ τῶν κο[ινῶν ὡς ἐν Ἀλεξανδρείαι] / γράφεται μηνὸς Ἀπελλαίο[υ – ca. ? – Φαῶφι – ca. ? –] / 5 ἐν Ὀξυρυγχω πόλει τῆς [Θηβαίδος·

In der Regierungszeit des Ptolemaios, des Sohns des göttlichen Alexander Philometor und der göttlichen Berenike, Philadelphos, im 16. Jahr, wird der Rest der gemeinsamen [Schriftstücke] wie in Alexandria im Monat Apellaios  … [im Monat] Phaophi  … in der Stadt Oxyrhynchos in der Thebais geschrieben.

(I) ἐδάνεισαν]  / Σιμάριστος Δημητρίο[υ τοῦ Simaristos, Sohn des Demetrios, …, Lakedoκαὶ …..]/ου Λάκων καὶ Δίδυμ̣[ος Μακε]/δὼν nier, und Didymos, Makedonier, haben dem Δημητρ̣[ίῳ Πέρσῃ τῆς] / ἐπιγονῆς … [– ca. ? –] / Demetrios, Perser von Abstammung, … aus 10 Ἀφροδίτης Βερ̣ε[νίκης – ca. ? –] / ἀπὸ τοῦ συσ.. dem Dorf Aphrodite Berenike von den gemein[– ca. ? –] / [– ca. ? –] .. / κοινῶν χ̣ρ̣ημ[άτων samen Geldern in gültigem Kupfergeld 53 χαλκοῦ νομίσματος]  / τάλαντα πεντ[ήκοντα Talente und … tausend Drachmen als Darleτρία δραχμὰς  …]  / χιλίας τόκου [ὡς ἐκ δύο hen gegeben, wobei der Zins 2 Drachmen für δραχμῶν τῇ μνᾷ] / 15 ἑκάστῃ τὸν μῆ[να ἕκαστον. jede Mine für jeden Monat beträgt. (II) ἀποδότω δὲ ὁ] / Δημήτριος τοῖς δεδανεικόσ[ι ἢ τῷ προ]/[– ca. ?  –] .. ηι̣  / χειρισθησομένῳ τοῦ κοι[νοῦ χρηματο]/φύλακι τὰ πεντήκοντα τρία τά[λαντα δραχμὰς …] / χιλίας τοῦ χαλκοῦ καὶ τοὺς τόκους ἐν τῶ[ι  …..]  / 20 μηνὶ τοῦ ἑκκαιδεκάτου ἔτους.

Demetrios soll den Darlehensgebern oder dem … zuvor bestellten χρηματοφύλαξ (Kassenwart) des Vereins die 53 Talente,  … tausend Drachmen Kupfergeld und die Zinsen im Monat … des 16. Jahrs zurückgeben.

(III ) ἐ[ὰν δὲ μὴ] / [ἀπ]οδῶι καθὰ γέγραπται ἀποτ[είσατω] / [Δη]μήτριος τοῖς δεδανεικόσι [ἢ τῷ]  / [π]ροχειρισθησομένῳ τοῦ κ[οινοῦ χρη]/μ̣ατοφύλακι τὸ μὲν δάνειον ἡμιό[λιον], / 25 τοὺς δε τόκους ἁπλοῦς τοῦ τε συ[γ­γε]/γραμ­ μέ­νου καὶ τοῦ ὑπερπεσόν[τος χρό]/νου.

Wenn er nicht gemäß dem Geschriebenen zurückgibt, soll Demetrios den Darlehensgebern oder dem zuvor bestellten χρηματοφύλαξ des Vereins als Strafe das eineinhalbfache Darlehen und die einfachen Zinsen für den durch Zeugenurkunde vereinbarten Zeitraum und für denVerzugszeitraum zahlen.

(IV) ἔγγυος τῶν κατὰ τὴν συγγ[ραφὴν] / [πά]ντ­ ων εἰς ἔκτεισιν αὐτοῦ Δημη[τρίου] / [γυν]ὴ Ἀσκληπίας Σωσιβίου Περσ[ίνη με]/30[τὰ τ]οῦ αὐτοῦ κυρίου.

Bürge für die Zahlung aller gemäß der Zeugenurkunde [vereinbarten Summen] ist die Ehefrau des Demetrios, Asklepias, Tochter von Sosibios, Perserin [von Abstammung], die mit ­diesem als Vormund handelt.

(V) ἡ δὲ πρᾶξι̣[ς ἔστω]  / [το]ῖς δεδανεικόσι Die Vollstreckung soll den Darlehensgebern ἢ τῶι προ[χ]ει[ρισθη]/[σ]ομένῳ τοῦ κοινοῦ oder dem zuvor bestellten χρηματοφύλαξ des χρηματοφύ[λακι] / ἔκ τε ἀμφοτέρων καὶ ἐξ οὗ Vereins gegen beide, gegen einen einzelnen, ἐὰν [αἱρῆται] / καὶ ἐκ τῶν ὑπαρχόντων αὐτοῖ[ς wenn er ergriffen wird, und gegen alles, was πάντων] / 35 καθάπερ ἐκ δίκης. ihnen gehört, wie aus einem Urteil zustehen. (VI) κυρία ἡ συγγραφή.

Die Zeugenurkunde ist wirksam.

Das mutuum

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Als Auszahlende des Darlehens treten Simaristos und Didymos auf. Sie haben κοίν[α] χρήματ[α] in Höhe von 53 Talenten an Demetrios als Darlehen ausgezahlt. Dieser verspricht, das Darlehenskapital nebst Zinsen im 16. Jahr entweder an die beiden Auszahlenden oder an den dann amtierenden τοῦ κοινοῦ χρηματοφύλα[ξ] zurückzuzahlen. Wenn er dies nicht tut, sollen Strafzinsen geschuldet sein. Asklepias, die Frau des Darlehensnehmers, verbürgt sich mit Zustimmung ihres Vaters und κύριος Sosibios für alles, was aus dem Geschäft geschuldet ist (ἔγγυος τῶν κατὰ τὴν συγγ[ραφὴν] / [πά]ντων, Z. 27 f.). Die Vollstreckung wie aus einem Urteil (πρᾶξις καθάπερ ἐκ δίκης) soll sowohl den beiden Auszahlenden als auch dem jeweils amtierenden τοῦ κοινοῦ χρηματοφύλα[ξ] zustehen. Die Urkunde schließt mit der κυρία-Klausel und der Bezeichnung der Personen, die an der Errichtung der Urkunde beteiligt gewesen sind. Die objektiv stilisierte Urkunde folgt dem typischen hellenischen Darlehensformular: (I) Der nur fragmentarisch erhaltene Beginn erwähnt die Auszahlung des Darlehens und die auszahlenden Personen.19 Die Urkunde stellt ferner die Herkunft des Darlehenskapitals fest: Es handelt sich um κοίνα χρήματα, also Gelder eines Vereins. Nicht erhalten ist dagegen ein Schuldanerkenntnis (ὁμολογεῖ ὀφείλειν) durch den Darlehensnehmer Demetrios.20 (II) Es schließt sich die Bestimmung zur Tilgung des Darlehens an.21 Die Rückzahlung kann nicht nur an die beiden Auszahler des Darlehens, Simaristos und Didymos, erfolgen, sondern auch an den Kassenwart des Vereins, dem das Darlehenskapital gehört. (III) Es folgt die Festlegung der ἡμιολία als Vertragsstrafe für den Fall, dass die Tilgungsbestimmung nicht eingehalten wird,22 sowie von Verzugszinsen, deren Höhe hier derjenigen entspricht, die für die Vertragslaufzeit vereinbart werden.23 (IV) Ferner stellt sich die Frau des Darlehensnehmers als Bürgin zur Verfügung.

19 Vgl. Rupprecht, Darlehen, 43. 20 Zum Schuldanerkenntnis als gewöhnlichem Bestandteil des Darlehensformulars Platschek,

Pecunia constituta, 247 – 249 mit Nachweisen der Urkunden ebd., 247 Fn. 713. Eine Weiterentwicklung des Formulars sehen in der Formulierung dagegen Kühnert, Kreditgeschäft, 147; Rupprecht, Darlehen, 43 Fn. 23, 56 Fn. 109; v. Soden, Homologie, 113. 21 Rupprecht, Darlehen, 64 – 70. 22 Rupprecht, Darlehen, 90 – 96; zur ἡμιολία Berger, Strafklauseln, 14 – 26; Wolff, Juristische Papyruskunde, 128. 23 Zur Frage, ob Vertragszinsen auch nach Ablauf der Vertragslaufzeit geschuldet sind, Berger, Strafklauseln, 120; Taubenschlag, Law, 346; Kühnert, Kreditgeschäft, 73; Rupprecht, Darlehen, 96 – 99.

110

Die vertraglichen Obligationen

(V) Dann kommt die πρᾶξι̣ς-Klausel.24 Das Recht zur Vollstreckung steht hier sowohl den Auszahlern als auch dem χρηματοφύλαξ zu. Inhaber des Vollstreckungsrechts sind also dieselben Personen, an die das Darlehen zurückgezahlt werden soll. (VI) Mit der κυρία-Klausel endet die Urkunde, der dadurch unwiderlegliche Beweiskraft verliehen wird.25 Es fällt auf, dass in der Urkunde der Verein nur punktuell in drei Klauseln erwähnt wird. In Klausel (I) wird erwähnt, dass es sich um Vereinsgelder handelt.26 Bemerkenswert ist dabei, dass die Urkunde nicht davon spricht, dass Simaristos und Didymos für den Verein oder in seinem Namen das Darlehen auszahlen.27 Erwähnt wird lediglich, wem das Darlehenskapital gehört, also ein rein sachenrechtlicher Tatbestand.28 Dies ist noch auffälliger, weil das Handeln des κύριος der Asklepias mit der hierfür üblichen Präposition μετά eingeführt wird,29 die Urkunde an dieser Stelle also deutlich macht, dass er als Vormund und nicht für sich selbst handelt.30 Beide Phänomene lassen sich jedoch aus dem Wesen des Vertrags im griechischen Recht erklären: Ein Vertrag hat Verfügungs-, nicht Verpflichtungscharakter; in ihm unterwerfen sich die Parteien jeweils der Haftung für die Verfehlung eines bestimmten, ­zwischen den Parteien vereinbarten Zwecks des Geschäfts.31 So unterwerfen sich der Darlehensnehmer und seine Frau in Klausel (V) der Vollstreckung, wenn das Darlehen nicht so wie in den Klauseln (II) und (III) vereinbart zurückgezahlt wird. Spricht man dem Geschäft Verfügungscharakter zu, muss nicht mehr mit dem Konzept der Stellvertretung gearbeitet werden, um zu erklären, warum die Folgen des Geschäfts nicht den Handelnden, sondern den Verein treffen. Es handelt sich um eine Verfügung des Handelnden 24 Rupprecht, Darlehen, 104 – 107. 25 Rupprecht, Darlehen, 61; Wolff, Recht der griechischen Papyri II, 145 f., 155 – 164; Wolff, Juris-

tische Papyruskunde, 64.

26 So nur zurückhaltend Kühnert, Kreditgeschäft, 85 Fn. 6. 27 Taubenschlag, Law, 63 mit Fn. 30 nimmt dennoch Handeln als Stellvertreter an („The asso-

28 29 30 31

ciation is represented by one of the members who acts for himself and for all the others.“); vgl. San Nicolò, Ägyptisches Vereinswesen II, 110 f., 114 f. Rupprecht, Darlehen, 104 f. Fn. 4 ist unsicher, ob Darlehensgläubiger die Vereinsmitglieder oder der Vorstand ist. Der Darlehensgeber bleibt nach Auszahlung des Darlehens Eigentümer des Darlehenskapitals; Rupprecht, Darlehen, 58. Wenger, Stellvertretung, 11. Der Vormund handelt indes aus eigenem Recht, nicht als Vertreter des Mündels; Wenger, Stellvertretung, 11; Rabel, Ges. Aufs. IV, 491 (493); ders., Ges. Aufs. IV, 607 (612). Die Lehre von der Zweckverfügung ist entwickelt worden von Wolff, SZ 74 (1957), 26 – 72; ders., Recht der griechischen Papyri I, 143; ders., Juristische Papyruskunde, 120 – 122. Einen Überblick über die Rezeption der Lehre bietet Jakab, in: Symposion 2003, 85 (89 – 91).

Das mutuum

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über das Recht der Vereinsmitglieder,32 das Wirkungen für und gegen diese nur entfaltet, wenn die Verfügung berechtigt erfolgt. Den Handelnden können die Rechtsfolgen des Geschäfts nur dann treffen, wenn er zugleich Rechtsinhaber ist. Sie treffen ihn aber nicht, weil er gehandelt hat, sondern weil er Inhaber des Rechts ist, über das verfügt wird, und deshalb die Verfügung berechtigterweise vorgenommen hat.33 Die Urkunde erwähnt nicht ausdrücklich, dass Simaristos und Didymos das Darlehen mit Zustimmung der Vereinsmitglieder valutieren. Allerdings bezeichnet Klausel (I) die Darlehensvaluta als κοίνα χρήματα und macht damit deutlich, dass es sich um eine Verfügung über Vereinsvermögen und nicht das Vermögen der Handelnden als Einzelpersonen handelt. Inhaber des Vollstreckungsrechts (πρᾶξι̣ς) ist neben den beiden Auszahlenden der Kassenwart des Vereins, der an der Errichtung der Urkunde nicht mitgewirkt hat.34 Indes ist allgemein anerkannt, dass das Recht der Vollstreckung auch Dritten eingeräumt werden kann,35 das griechische Recht also einen Vertrag zugunsten Dritter kennt.36 Wenn die Urkunde dem Kassenwart das Recht zur πρᾶξι̣ς einräumt, mag dies „aus zahlungstechnischen Gründen veranlaßt“ sein.37 Doch steht dies keinesfalls im Widerspruch dazu, dass Gläubiger des Darlehens der Verein ist, denn die Klauseln (II), (III) und (V) erwähnen den χρηματοφύλαξ nicht als Einzelperson, sondern als Funktionär des Vereins. Dies zeigt die Formulierung [ὁ] προχε̣ιρισθησομέν[ος] τοῦ κοινοῦ χρηματοφύλα[ξ], die deutlich macht, dass der jeweils amtierende Kassenwart gemeint ist. Die Klauseln beziehen sich also nicht auf eine konkrete Einzelperson, sondern auf den jeweiligen Inhaber eines Vereinsamts, der somit als Organ des Vereins in das Geschäft miteinbezogen wird. Dass hierin ein Bezug zum Verein als Darlehensgläubiger liegt, macht zudem die Formulierung der Rückgabe-38 und der 32 So bereits zu den σύστασις-Urkunden Rabel, Ges. Aufs. IV, 484 (486, 488); ders., Ges. Aufs. IV , 491 (492 f.); ders., Ges. Aufs. IV , 607 (612 – 615, 619). Ebenso Herrmann, Kl. Schr., 59

(66 f.); ders., Kl. Schr. 240 (247 f.); Wolff, Juristische Papyruskunde, 132. Überholt ist daher die Annahme, dass die Organe als direkte Stellvertreter für Personenvereinigungen handelten, die Wenger, Stellvertretung, 109 – 121 und San Nicolò, Ägyptisches Vereinswesen II, 110 – 133 vertreten. 33 Die Steuerung der Verfügungsbefugnis durch die Vereinsmitglieder hat ihre Grundlage in der in D. 47.22.4 (Gai. 4 l. XII tab.) überlieferten lex Solonis; ausführlich dazu unten VI. Kap., § 1 III.1.b) (1) und (2). 34 P.Oxy. IV 802 = SB VI 9255 + P.Ryl. IV 586, Z. 36 – 42 (Oxyrhynchos, 17. Oktober-15. November 99 v. Chr.). 35 Rupprecht, Darlehen, 104; Wolff, Juristische Papyruskunde, 114. 36 Wolff, Juristische Papyruskunde, 114. 37 So Rupprecht, Darlehen, 104 f. Fn. 4. 38 P.Grenf. I 31 (Pathyris, 101 – 100 v. Chr.), Z. 2 – 5: […] τὸ δὲ δάνειον τοῦτο / αποδότωι ὁ δεδανεὶς Νεχούτης / τοῖς δεδανεισμένοις Ἐριανοῦπις καὶ / οἱ συνθιασίται […].

112

Die vertraglichen Obligationen

Vollstreckungsklausel 39 in P.Grenf. I 31 deutlich, die neben den Personen, die das Darlehen auszahlen, ausdrücklich die Vereinsmitglieder als Empfänger der Rückgabe bzw. als Inhaber des Vollstreckungsrechts erwähnen.40 3. Zur Rezeption des Formulars der συγγραφή bei Darlehen römischer Vereine

Der römische Kreditverkehr rezipiert ­dieses objektiv stilisierte hellenistische Darlehensformular durch das ebenfalls objektiv stilisierte Formular der nomina arcaria,41 das sich in den kampanischen tabellae-Urkunden erhalten hat 42 und das sich folgendermaßen rekonstruieren 43 lässt: Tabellae A. Ageri /

Aufzeichnungen des Aulus Agerius.

Exp(ensos)  / N. Negidio HS tot;  / Er hat dem N. Negidius soundsoviel Sesterze ausgezahlt; petiit et numerata accepit  / domo er hat sie erbeten und abgezählt aus dem Haus aus der Kasse erhalten. ex arca. / Ac(cep)p(tos) / arcae HS tot.

Er hat für die Kasse soundsoviel Sesterze erhalten.

Die tabellae-Urkunden beginnen mit dem Titel tabellae, gefolgt von einem Namen im Genitiv; in den überlieferten Urkunden ist dies stets derjenige des Gläubigers.44 Es folgen ein Vermerk über die Auszahlung (exp) sowie ein paralleler über die Entgegennahme des Darlehenskapitals durch den Schuldner (acp). Dabei entspricht dem Auszahlungsvermerk exp(ensos) N. Negidio HS tot im hellenistischen Formular der Ausdruck ἐδάνεισεν ὁ δείνος τῷ δεῖνι τόσας δραχμάς. Wie Gaius festhält, dienen diese Urkunden nach römischen Recht allein als Beweismittel für eine mutui datio und haben keine forderungsbegründende Wirkung.45 39 P.Grenf. I 31 (Pathyris, 101 – 100 v. Chr.), Z. 14 – 18: […] ἡ δὲ / πρᾶξεις ἔστω Ἐριανοῦπι καὶ

τοῖς συν/θιασίταις ἐκ τῶν Νεχούτου καὶ ἐκ τῶ[ν] / ὑπαρχόντων αὐτῷ πάντων πράσ/σοντι καθάπερ ἐγ δίκης. 40 Wenn San Nicolò, Ägyptisches Vereinswesen II, 113 f. in P.Grenf. I 31 einen Beleg für eine Vertretung der Vereinsmitglieder durch ein Organ sieht, beruht dies darauf, dass ihm der Verfügungscharakter des griechischen Vertrags noch unbekannt ist. 41 Platschek, in: Cascione/Masi Doria, Veritas, 251 (258 – 262). 42 TPSulp. 60 – 65; TH2 70 + 71, 74, A8, A9. Ausführlich Gröschler, Tabellae-Urkunden (beachte jedoch Platschek, in: Cascione/Masi Doria, Veritas, 251 [260 f. mit Fn. 20]); Camodeca, TPSulp. I, 151 – 160; Jakab, in: Symposion 1999, 493 – 530; Platschek, in: Cascione/Masi Doria, Veritas, 251 – 275. 43 Rekonstruktion bei Camodeca, TPSulp. I, 151. 44 Dies schließt nicht aus, dass es auch tabellae mit dem Namen des Schuldners im Genitiv gegeben hat. Da die tabellae das Formular der συγγραφή rezipieren, die gleichsam „zweihändig“, also von beiden Parteien abgefasst wird, ist dies sogar wahrscheinlich. Dazu Platschek, in: Cascione/Masi Doria, Veritas, 257 – 259. 45 Gai. 3.131: Alia causa est eorum nominum, quae arcaria vocantur. in his enim rei, non litterarum obligatio consistit, quippe non aliter valet, quam si numerata sit pecunia; numeratio

Das mutuum

113

In den kampanischen Urkunden treten als Darlehensgeber stets Privatpersonen und keine Körperschaften auf. Dennoch lassen sich aus den Formularen der συγγραφή und der nomina arcaria Hypothesen über die mutui datio von Geldern eines Vereins gewinnen: Die tabellae-Urkunden geben zweimal Auskunft über die Herkunft der Darlehensvaluta, wenn erstens ihr Titel von tabellae A. Ageri spricht und zweitens die Kasse (arca/riscus) erwähnt wird, aus der das Darlehen ausgezahlt wird.46 P.Oxy. IV 802 erwähnt in der Auszahlungsklausel, dass es sich um κοίνα χρήματα handelt. Wie gesehen, ist Hintergrund hiervon der Verfügungscharakter des Darlehensvertrags im griechischen Recht.47 Das mutuum als Realvertrag hat im römischen Recht ebenfalls Verfügungscharakter.48 Dies spiegelt sich in der Erwähnung der Herkunft des Darlehenskapitals im Formular der nomina arcaria. Wie jedoch bereits festgehalten, kommt es bei der Darlehensvalutierung alieno nomine nicht auf den Eigentümer des Darlehenskapitals an; die Darlehensklage erwirbt vielmehr derjenige, in dessen Namen die Auszahlung erfolgt.49 Sollte die römische Kreditpraxis freilich das in P.Oxy. IV 802 überlieferte Formular für Darlehen von Vereinen adaptiert haben, ist die Erwähnung, dass es sich um Vereinsgelder handelt, nicht unwahrscheinlich, weil auch das Formular der nomina arcaria die Herkunft des Darlehenskapitals angibt. Zugleich könnte diese Erwähnung Anlass dafür gewesen sein, die Darlehensvalutierung als eine Zahlung im Namen des Vereins mit der Folge auszulegen, dass der Verein nach den Grundsätzen über die Darlehenshingabe alieno nomine die actio certae creditae pecuniae erwirbt und Gläubiger der Forderung auf Rückzahlung der Darlehensvaluta ist.

II. Vereine als Darlehensnehmer Im ius commune haften Körperschaften aller Art aus Darlehen nur, wenn es zu einer versio in rem des Darlehenskapitals zugunsten der Körperschaft gekommen

46 47 48 49

autem pecuniae rei facit obligationem. Qua de causa recte dicemus arcaria nomina nullam facere obligationem, sed obligationis factae testimonium praebere. Hierzu Nelson/Manthe, Kontraktsobligationen, 211 – 213. Zu letzterem Camodeca, TPSulp. I, 151 f.; Platschek, in: Cascione/Masi Doria, Veritas, 251 (259 f. mit Fn. 18). Siehe oben II. Kap., § 1 I.1. Siehe nur Kaser, RP I, 530 f.; hierin liegt nach Platschek, Pecunia constituta, 77 f. eine Parallele von griechischem und römischem Darlehensrecht. Siehe oben II. Kap., § 1 I.2.

114

Die vertraglichen Obligationen

ist.50 Grundlage hierfür ist folgendes Fragment aus der Kommentierung Ulpians zum Edikt Quod adversus muncipes agatur,51 dessen Anwendungsbereich bereits von der Glosse 52 über die Gemeinden hinaus auf sämtliche Körperschaften ausgedehnt worden ist: D. 12.1.27 (Ulp. 10 ed.) Civitas mutui datione obligari potest, si ad utilitatem eius pecuniae versae sunt: alioquin ipsi soli qui contraxerunt, non civitas tenebuntur.

Eine Gemeinde kann durch Darlehenshingabe verpflichtet werden, wenn die Gelder zu ihrem Nutzen verwendet worden sind. Ansonsten haften nur diejenigen, die das Geschäft abgeschlossen haben, nicht die Gemeinde.

Ulpian hält fest, dass eine civitas durch mutui datio verpflichtet werden kann, wenn das Darlehenskapital für Zwecke der Gemeinde verwendet wird (ad utilitatem eius pecuniae versae sunt); ist dies nicht der Fall, haften diejenigen, die das Geschäft abgeschlossen haben (ipsi soli qui contraxerunt). Ulpian greift auf das Kriterium der versio zugunsten der Gemeinde zurück, doch meint er keine Haftung der Gemeinde mit der actio de in rem verso, denn das Fragment erwähnt nicht das Auftreten eines Gemeindesklavens.53 Vielmehr gehen Freie das Darlehen ein, da sie selbst haften, wenn es zu keiner versio zugunsten der Gemeinde kommt (alioquin ipsi soli qui contraxerunt […] tenebuntur). Eine Haftung von Sklaven für von ihnen eingegangene Verbindlichkeiten ist wegen ihrer Vermögensunfähigkeit ausgeschlossen.54 Der Text zeigt, dass eine Körperschaft nicht Vertragspartei werden kann, denn eine Haftung der Gemeinde kommt nur in Frage, wenn das Darlehen zu ihrem Nutzen verwendet wird. Ansonsten haften diejenigen, die das Darlehen aufgenommen haben. Die Formulierung ipsi soli qui contraxerunt zeigt, dass Ulpian davon ausgeht, dass nur die am Vertragsschluss beteiligten Personen Partei des Darlehensvertrags werden können.55 Diese handeln als indirekte Stellvertreter der Gemeinde,56 während eine direkte Stellvertretung in Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen des römischen Rechts ­ausgeschlossen ist. Eine Haftung der Gemeinde kommt nur dann in Betracht, wenn über den 50 Coing I, 264; Mehr, Societas und universitas, 268. 51 Lenel, Pal. II, Sp. 454. 52 Gl. Versae sunt ad D. 12.1.27: Idem dici debet in cuiuslibet omnino collegiis. 53 Zur Frage der anwendbaren Klage Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (106 f.). 54 Siehe nur Kaser, RP I, 286 f. 55 Dies übersieht v. Lübtow, Mem. Koschaker II, 467 (487). 56 v. Tuhr, Actio de in rem verso, 308 f.; Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (355); vgl. Kniep, Societas publicanorum, 362; Gierke, GenR III, 164; Finazzi, in:

Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (107). Ablehnend Eliachevitch, Personnalité juridique, 134.

115

Das mutuum

Abschluss der conventio und die Valutierung des Kapitals hinaus ein gegenüber der allgemeinen Rechtslage qualifizierter Tatbestand verwirklicht wird, nämlich die versio zugunsten der Gemeinde.57 Ansonsten scheidet eine Haftung der Gemeinde aus. Ebenfalls die Verwirklichung eines zusätzlichen Tatbestandes für das Entstehen einer Darlehensschuld der Gemeinde verlangt die lex Irnitana: c. 80 l.Irn. = AE 1986, 333, tab. IX A, Z. 14 – 21 (Irni, Baetica, 91) R(ubrica). De pecunia public{a}e mutua sumenda. /

Über die Aufnahme von Geldern als Darlehen zugunsten des Gemeindevermögens.

15 S[i] quas pecunias mutuas in usus rei publicae municipi Flavi Irnitani sumendas / esse decuriones conscriptive eius municipi, cum eorum / non minus tres partes adfuerint, iurati per tabellam decreverint, eaeque / pecuniae expensae municipibus latae erunt, dum ne plura in ann/os singulos quam HS L (milia) expensa s ferantur, nisi si ex auctoritate eius q/20ei provinciae praerit, eas pecunias, quae it[a] expensae latae{que} erunt, muni/cipe municipi Flavi Irnitani {d}debeto.

Wenn die Ratsherren ­dieses municipium mit Stimmtafeln nach Ablegung eines Eides beschlossen haben, dass Gelder als Darlehen für den Gebrauch des Gemeindevermögens des municipium Flavium Irnitanum aufgenommen werden sollen, wenn von ihnen nicht weniger als drei Teile anwesend gewesen sind, und wenn diese Gelder den Gemeindebürgern ausgezahlt worden sind, solange nicht mehr als 50.000 Sesterze pro Jahr ausgezahlt werden, es sei denn mit Zustimmung dessen, welcher der Provinz vorsteht, sollen die Gemeindebürger des municipium Flavium Irnitanum diese Gelder schulden, die derart ausgezahlt worden sind.

Das Kapitel regelt die Aufnahme von Darlehen für Zwecke der Gemeinde (in usus rei publicae municipi Flavi Irnitani). Dabei handelt es sich weitgehend um Regelungen zum Verfahren, das einer Darlehensaufnahme vorauszugehen hat. Für die Beschlussfassung ist die Anwesenheit von tres partes der decuriones erforderlich, die nach Ablegung eines Eides (iurati) mit Stimmtafeln (per tabellam) abstimmen. Jährlich dürfen Darlehen von insgesamt höchstens 50.000 Sesterzen aufgenommen werden, wenn nicht der Provinzstatthalter einer höheren Kreditaufnahme zustimmt. Die Einhaltung der Formvorschriften ist neben der Auszahlung des Darlehens Voraussetzung für die angeordnete Rechtsfolge: eas pecunias […] municipe municipi Flavi Irnitani {d}debeto. Das Munizipalgesetz ordnet an, dass bei vorschriftsgemäßem Verfahren die municipe municipi Flavi Irnitani die Rückzahlung des Darlehenskapitals schulden. Lamberti meint deshalb, dass c. 80 l.Irn. regele, unter ­welchen Voraussetzungen die Bürger von der Gemeinde verpflichtet

57 Liebenam, Städteverwaltung, 340; Kaser, RP I, 307; Duff, Personality, 81; Bricchi, in: Capo­

grossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (356).

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Die vertraglichen Obligationen

werden könnten, dieser ein Darlehen zu gewähren.58 Dabei verkennt sie jedoch, dass die Formulierung municipe municipi Flavi Irnitani nach dem üblichen juristischen Sprachgebrauch die Gesamtheit der Bürger meint. Während die These Lambertis auf eine Verpflichtung der Bürger als singuli hinausläuft, zeigt die Formulierung municipe municipi Flavi Irnitani, dass c. 80 l.Irn. eine Verpflichtung der Bürger als universi herbeiführen will.59 Rechtsfolge ist also die Haftung der Gemeinde für die Rückzahlung des Darlehens. Fraglich ist, ob c. 80 l.Irn. nur deklaratorisch ist und feststellt, dass die Gemeinde nur haftet, wenn ihr ein Darlehen ausgezahlt worden ist, wie es der allgemeinen Rechtslage entspricht, oder ob die Norm konstitutiv für die Haftung der Gemeinde ist. Sie sieht zwei Voraussetzungen für die Haftung der Gemeinde vor: erstens das formgültige decretum der decuriones und zweitens die expensilatio der Darlehensvaluta. Es drängt sich auf, dass diese zweite Voraussetzung der datio beim gewöhnlichen mutuum entspricht.60 Dann entspräche das decretum der conventio. Beim Beschluss der decuriones handelt es sich jedoch um einen normativen Akt des öffentlichen Rechts, nicht um eine conventio. Ihm wird durch c. 80 l.Irn. forderungsbegründende Wirkung gegenüber den Darlehensgläubigern verliehen. Die Vorschrift hat also konstitutive Wirkung; ohne diese Bestimmung könnte die Gemeinde nicht gegenüber den Gläubigern haften. Die Gemeinde haftet nur ex lege als Darlehensschuldnerin. Die Prämisse der lex Irnitana ist dieselbe wie bei Ulpian: Eine Gemeinde kann nicht Partei eines Darlehensvertrags sein. Ein Stellvertreterhandeln ist ausgeschlossen, vielmehr setzt die Haftung der Gemeinde voraus, dass ein besonderer Tatbestand verwirklicht wird. Allerdings sehen c. 80 l.Irn. und Ulpian unterschiedliche Voraussetzungen für die Haftung der Gemeinde vor.61 Die lex Irnitana verlangt die Beachtung eines besonderen Verfahrens und verleiht dem Beschluss der decuriones im Außenverhältnis Wirksamkeit. Ulpian dagegen verlangt, dass das Darlehen zum Nutzen der Gemeinde verwendet wird. Ein direkter Zusammenhang ­zwischen beiden Regelungen besteht daher nicht. 58 Lamberti, Tabulae Irnitanae, 114 – 116. 59 A. D’Ors, Ley Flavia municipal, 166; Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti muni-

cipali, 335 (356 Fn. 62).

60 Vgl. Gai. 3.131; González/Crawford, JRS 76 (1986), 147 (226). Verfehlt ist daher die Annahme

einer obligatio litteris durch A. D’Ors, Ley Flavia municipal, 166; Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (356 Fn. 62). 61 Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (356 Fn. 62). Ungenau daher González/Crawford, JRS 76 (1986), 147 (226); Lamberti, Tabulae Irnitanae, 116.

Die Stipulation

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Auf Vereine lässt sich das Modell von c. 80 l.Irn. nicht übertragen, da es als Bestandteil einer lex municipalis nur für die jeweilige Gemeinde gilt. Die Lösung Ulpians dagegen könnte auch für Vereine gegolten haben.62 Denn angesichts der deutlichen Unterschiede zur lex Irnitana gibt der Jurist wahrscheinlich keine Regelung aus einem Stadtrecht wieder. Vielmehr findet sich im Vormundschaftsrecht eine Parallele. Eine Konstitution Gordians III . aus dem Jahr 239 sieht vor, dass ein Minderjähriger für ein Darlehen haftet, das seinem Vormund oder Pfleger ausgezahlt worden ist, wenn es in das Vermögen des Minderjährigen gelangt ist.63 Das entspricht der Haftung der Gemeinde, wenn ein Darlehen, das ihrem Vertreter valutiert worden ist, zu ihren Zwecken verwendet worden ist.64 Die Konstitution Gordians III . spricht für die Verallgemeinerungsfähigkeit der ulpianischen Lösung, zumindest für die Spätklassik. In dieser Epoche kann es daher durchaus möglich sein, dass die Darlehensaufnahme bestimmter indirekter Vertreter wie gemeindlicher Vermögensverwalter, Vormund und Pfleger dazu führt, dass die jeweils Vertretenen haften, wenn das Darlehen zu ihren Gunsten verwendet worden ist. Nimmt ein Vereinsfunktionär ein Darlehen auf, würde daher der Verein haften, wenn das Darlehen für seine Zwecke verwendet wird.

§ 2

Die Stipulation

I. Forderungen des Vereins aus Stipulation 1. Die Zinsstipulation Zahlreiche Inschriften zu Stiftungen bezeugen, dass Vereine  – ebenso wie Gemeinden – Darlehen aus dem Kapital der Stiftungen, deren Träger sie waren, gewährt haben. Die lateinischen Inschriften aus dem Westen des Reichs überliefern zwar nie, wie die Erträge erwirtschaftet werden sollen.65 Es besteht jedoch wenig Grund zu zweifeln, dass aus dem Kapital Darlehen gewährt und die Zinserträge für den Stiftungszweck verwendet worden sind.66 Besonders 62 Ablehnend Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 338. 63 C. 5.39.3 (Gord., a. 239): Si in rem minoris pecunia profecta sit, quae curatori vel tutori eius

nomine mutuo data est, merito personalis in eundem minorem actio danda est. Hierzu Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (104 f.); Harke, Actio utilis, 333 f. 64 v. Tuhr, Actio de in rem verso, 310 f.; Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (106). 65 Liu, Fs. Bogaert, 231 (245). 66 Liu, Fs. Bogaert, 231 (244 f.).

118

Die vertraglichen Obligationen

deutlich wird dies, wenn die Inschriften selbst usurae erwähnen 67 oder von faenerare sprechen 68. Durchaus möglich ist, dass Vereine deshalb Kreditgeber von bedeutendem wirtschaftlichem Gewicht waren.69 Da Darlehenszinsen nur durch Stipulation wirksam vereinbart werden können,70 werden diese Darlehen wahrscheinlich als mutua cum stipulatione gewährt worden sein, also als Darlehen, bei denen die Rückzahlung des Darlehenskapitals durch Stipulation versprochen wird.71 a) Die Zinsstipulation beim Darlehen von Gemeindegeldern Von der Stipulation über die Zinsen für pecunia publica, also Geld einer Gemeinde, das als Darlehen gewährt wird, handelt der Spätklassiker Paulus in seinen quaestiones: D. 22.1.11 (Paul. 25 quaest.) Gaius Seius qui rem publicam gerebat faeneravit pecuniam publicam sub usuris solitis: fuit autem consuetudo, ut intra certa tempora non illatis usuris graviores infligerentur: quidam debitores cessaverunt in solvendis usuris, quidam plus intulerunt et sic effectum est, ut omne quod usurarum nomine competebat etiam pro his, qui cessa­ verant in usuris, suppleatur. Quaesitum est, an illud, quod amplius ex consuetudine poenae nomine a quibusdam exactum est, ipsi Seio proficere deberet an rei publicae lucro cederet. Respondi, si Gaius Seius a debitoribus usuras stipulatus esset, eas solas rei publicae

Gaius Seius, der das Gemeindevermögen verwaltete, hat öffentliches Geld zu den üblichen Zinsen verliehen. Wenn die Zinsen nicht zu bestimmten Zeiten gezahlt wurden, war es Gewohnheit, dass höhere Zinsen auferlegt wurden. Einige Schuldner waren mit der Zinszahlung säumig, andere zahlten mehr, und so geschah es, dass alles, was der Gemeinde als Zins zustand, auch für diejenigen reichte, die mit der Zinszahlung säumig geworden waren. Es ist angefragt worden, ob das, was entsprechend der Gewohnheit als Strafzins von einigen erlangt wurde, dem Seius als Vorteil zustehen oder dem Gemeindevermögen als Gewinn zukommen solle. Ich habe geantwortet, dass dann, wenn Gaius Seius sich von den Schuldnern Zinsen hat versprechen lassen, nur diejenigen Zinsen an die Gemeinde geleistet werden sollen, die von ihnen nach der Vorschrift

67 So etwa AE 1987, 198, Z. 1 – 10 (Ostia, Latium et Campania, 256): C. Iul(ius) C. f. Cocil(ius)

Hermes, / patr(onus) et q(uin)q(uennalis) / p(er)p(etuus) col(legii) / den(drophorum) Ost(iensium), / signum M(atris) M(agnae) ex argent(i) p(ondo) III et Z et SS / VI m(ilia) n(ummum) d(ono) d(edit) ut VI / Kal(endas) Iun(ias), die natalis sui, de / X CLXXX usuras eorum epu-/ lentur et discumbentes / sportulas partiantur […]. 68 So etwa CIL III 6998 = ILS 7196 = FIRA 2 III 53, Z. 2 – 5 (Nacolia, Asia, 117 – 138): Civitati Nacolensium patriae meae amantissimae, quamvis pl[u]/rimum debeam, pro mediocritate tamen peculioli mei dari volo / HS CC (milia) n(ummum) ea condicione, uti arbitratu Corneli [Hyg]ini et Corneli [He]/syci faeneretur ea pecunia […]. 69 Aubert, CCG 10 (1999), 49 (64); Liu, Fs. Bogaert, 231 – 233, 244 f. 70 Siehe nur Kaser, RP I, 531; Zimmermann, Obligations, 154 f. 71 Hierzu Kaser, Fs. Maridakis I, 155 – 182; Zimmermann, Obligations, 155; Talamanca, Iura 50 (1999), 7 – 112; Gröschler, TR 74 (2006), 261 – 287.

Die Stipulation

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praestari oportere, quae secundum for- üblicherweise verlangt werden, auch wenn nicht alle mam ab is exigi solent, etiamsi  72 Forderungen bedient werden. omnia nomina idonea sint. 1. Quid si servus publicus obligationem usurarum rei publicae adquisiit? Aequum est, quamvis ipso iure usurae rei publicae debeantur, tamen pro defectis nominibus compensationem maiorum usurarum fieri, si non sit parata res publica universorum debitorum fortunam suscipere. Eadem fere in tutoribus Marcellus refert.

Was, wenn ein Gemeindesklave die Zinsforderung für die Gemeinde erworben hat? Obwohl die Zinsen von Rechts wegen der Gemeinde geschuldet sind, ist es dennoch billig, einen Ausgleich für die ausgefallenen Forderungen mit den höheren Zinsen vorzunehmen, es sei denn, die Gemeinde ist bereit, das Ausfallrisiko aller Schuldner zu übernehmen. Etwa das g­ leiche schreibt Marcellus im Hinblick auf Vormünder.

Das principium berichtet folgenden Sachverhalt: Gaius Seius führt die Geschäfte einer Gemeinde und gewährt mit dem Geld der Gemeinde Darlehen an mehrere Schuldner, wobei jeweils die gewöhnlichen Zinsen vereinbart werden. Ferner besteht die Gewohnheit, dass höhere Zinsen gelten sollen, wenn ein Schuldner die üblichen Zinsen über einen bestimmten Zeitraum hinweg nicht gezahlt hat. In der Folge stellen einige Schuldner ihre Zinszahlungen gänzlich ein, während andere die höheren Zinsen zahlen. Insgesamt erreichen die Zinszahlungen die Höhe der ursprünglich geschuldeten Zinsen. An den Juristen wird die Anfrage gerichtet, ob der Überschuss, der sich aus der Zahlung von Strafzinsen durch einige Schuldner ergibt, dem Gaius Seius als eigener Gewinn oder der Gemeinde zusteht. Paulus entscheidet, dass der Gemeinde nur die üblichen Zinsen zustehen, wenn sich Gaius Seius selbst die Zinszahlung von den Schuldnern durch Stipulation hat versprechen lassen, auch wenn nicht alle Darlehensforderungen bedient werden. Der Text befasst sich entsprechend seinem palingentischen Ursprung 73 hauptsächlich mit Fragen zu den Darlehenszinsen, doch erlaubt er auch Rückschlüsse auf den Abschluss des Darlehensvertrags. Sicher ist, dass die Zinsen von den Schuldnern durch Stipulation versprochen worden sind; dass dies auch für die Rückzahlung des Darlehenskapitals gilt, ist angesichts der hohen Verbreitung der mutua cum stipulatione wahrscheinlich. Gläubiger der Stipulation ist Gaius Seius.74 Dies drückt bereits das principium mit den Worten si Gaius Seius a debitoribus usuras stipulatus esset aus.75 Damit meint Paulus nicht nur, dass das 72 Nach der Konjektur Mommsens, ed. mai. I, 636 mit App. zu Z. 21 gemäß B. 23.3.11 (Sch. A III 1120; Hb. II 691). 73 Lenel, Pal. I, Sp. 1220. 74 Kniep, Societas publicanorum, 368; Solazzi, Compensazione, 220. 75 Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (379). Verfehlt daher die

Meinung von Eliachevitch, Personnalité juridique, 140 f., wonach Gläubiger ex stipulatu die

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Die vertraglichen Obligationen

Zinsversprechen gegenüber dem Gaius Seius erklärt wird, sondern auch, dass dieser der Gläubiger der Forderung ex stipulatu ist. Dies wird durch einen Vergleich mit § 1 deutlich, wo es gleich am Anfang heißt servus publicus obligationem usurarum rei publicae adquisiit und im Fortgang ipso iure usurae rei publicae debeantur. Damit wird zwar nur die Rechtsfolge der Stipulation genannt, nämlich der Erwerb der Forderung durch die Gemeinde, nicht dagegen, dass das Stipulationsversprechen gegenüber einem Gemeindesklaven erklärt wird. Doch kann in principium und § 1 das jeweils Fehlende – dort die Gläubigerstellung des Gaius Seius, hier die Abgabe des Stipulationsversprechens gegenüber dem Sklaven – ergänzt werden. Inhalt der Stipulation sind zum einen die gewöhnlichen Zinsen (usurae solitae). Zum anderen sind erhöhte Strafzinsen (usurae graviores) für den Fall versprochen, dass der Schuldner über einen gewissen Zeitraum hinaus die gewöhnlichen Zinsen nicht bezahlt. Wie aus der Sachverhaltsschilderung hervorgeht, zahlen einige Schuldner diese Strafzinsen, während andere überhaupt keine Zinsen zahlen. Der Betrag der insgesamt gezahlten Zinsen reicht nicht nur aus, die ausgefallenen Zinszahlungen zu kompensieren, sondern es fällt darüber hinaus sogar noch ein Überschuss an. Kern der Anfrage an den Juristen ist, wem dieser Überschuss zustehe. Paulus hält fest, dass der Gemeinde lediglich der Betrag geleistet werden muss, der sich ergibt, wenn sämtliche Schuldner die gewöhnlichen Zinsen gezahlt hätten. Auch wenn der Text nicht ausdrücklich klarstellt, wer diesen Betrag leisten muss, ergibt sich aus dem Zusammenhang, dass Schuldner d ­ ieses Betrags Gaius Seius ist. Denn Paulus wird gefragt, ob der Überschuss, der sich daraus ergibt, dass die Strafzinsen höher als dieser Betrag sind, entweder dem Gaius Seius oder der Gemeinde zugutekomme. Wenn aber Gaius Seius den Überschuss behalten darf, bedeutet das, dass er es ist, welcher der Gemeinde den rechnerischen Zinsertrag herausgeben muss. Grundlage ­dieses rechnerischen Betrags ist eine forma. Diese forma begründet im Außenverhältnis zu den Darlehensschuldnern keine Wirkung. Letztere sind ausschließlich dem Gaius Seius verpflichtet, nicht der Gemeinde.76 Verpflichtungsgrund ist die Stipulation, nicht die forma. Diese entfaltet ihre Wirkung dagegen im Innenverhältnis ­zwischen der Gemeinde und ihrem Vermögensverwalter, indem sie die Höhe der usurae solitae bestimmt. Die Antwort des Paulus grenzt deutlich z­ wischen dem Außen- und dem Innenverhältnis ab: Das Außenverhältnis besteht ­zwischen Gaius Seius und Gemeinde sei.

76 Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (379).

Die Stipulation

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den Darlehensschuldnern und wird durch die Stipulation bestimmt, das Innenverhältnis dagegen z­ wischen dem Vermögensverwalter und der Gemeinde.77 Im Außenverhältnis werden aus der Stipulation usurae solitae und Strafzinsen geschuldet, die auf der Stipulation beruhen, im Innenverhältnis schuldet Gaius Seius die usurae solitae.78 Das Risiko für den Ausfall des Darlehenskapitals und das Risiko, für jedes Darlehen die usurae solitae aufzubringen, trägt Gaius Seius.79 Erzielt er aufgrund der Stipulationen höhere Zinsen, als er der Gemeinde gemäß der forma schuldet, kann er diesen Überschuss behalten.80 Paulus illustriert d ­ ieses Ergebnis in § 1 anhand eines Vergleichsfalls. Dort werden die Zinsen einem Gemeindesklaven stipuliert. Der Jurist hält fest, dass dadurch die Gemeinde Gläubigerin der Forderung aus der Stipulation wird (ipso iure usurae rei publicae debeantur).81 An sich würde dies bedeuten, dass sie das Risiko für die Aufbringung der Zinsen zu tragen hat. Paulus schreibt jedoch, dass es der Billigkeit entspreche (aequum est), wenn die erzielten höheren Zinsen zum Ausgleich der ausgefallenen Zinsforderungen dienen. Die Gläubigerstellung der Gemeinde im Außenverhältnis soll also nicht zu einer vom principium abweichenden Risikoverteilung im Innenverhältnis führen.82 Vielmehr muss auch dann der Vermögensverwalter der Gemeinde im Innenverhältnis dafür einstehen, dass die Gemeinde die Zinsen erhält, die ihre forma für die Darlehensgewährung aus Gemeindegeldern vorsieht.83 Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Gemeinde bereit ist, das Ausfallrisiko für alle ihre Schuldner selbst zu tragen (universorum debitorum fortunam suscipere).84 Dann enthielte aber wohl bereits die forma eine andere Regelung; das Innenverhältnis ­zwischen Gemeinde und Verwalter wäre also anders ausgestaltet. Nach Paulus gilt im Innenverhältnis dieselbe Regelung, unabhängig davon, ob die Zinsen einem freien Vermögensverwalter oder einem servus publicus gegenüber stipuliert werden. Im Außenverhältnis dagegen hängt es von der 77 78 79 80 81

Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (378 f.). Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (379). Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (379 f.). Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (380). Kniep, Societas publicanorum, 354; Eliachevitch, Personnalité juridique, 140; Solazzi, Compensazione, 220; Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (380). 82 Vgl. Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (380 f.). 83 Es ist davon auszugehen, dass der Gemeindesklave auf ein iussum des Vermögensverwalters hin das Stipulationsversprechen der Darlehensschuldner entgegennimmt; so Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (380). Nur so lässt sich eine Haftung des Vermögensverwalters aus dem Innenverhältnis erklären; hätte der Sklave auf eigene Faust gehandelt, würde der Verwalter nicht haften. 84 Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (381).

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Die vertraglichen Obligationen

Person des reus stipulandi ab, wer Gläubiger der Zinsforderung wird. Nur wenn die Zinsen gegenüber dem Gemeindesklaven durch Stipulation versprochen werden, wird die Gemeinde Gläubiger. Erfolgt das Zinsversprechen dagegen gegenüber dem Vermögensverwalter, erwirbt dieser die Forderung auf die Zinsen. Der Gemeinde stehen nur die Zinsen zu, die im Innenverhältnis vorgesehen sind. Der Vermögensverwalter handelt also als indirekter Stellvertreter. b) Der Vergleich mit dem mutuum cum stipulatione von Mündelgeld

Die Rechtslage beim Darlehen von Gemeindegeldern entspricht derjenigen, wenn ein Vormund Mündelgeld zum Darlehen gibt und die Stipulation ihm gegenüber erfolgt. Auf diese Parallele weist Paulus am Ende von D. 22.1.11.1 hin und beruft sich dabei auf Marcellus. Wahrscheinlich bezieht sich dieser Verweis auf eine Meinung d ­ ieses Juristen, die Paulus selbst 85 in seinem Sabinuskommentar referiert: D. 26.7.16 (Paul. 6 Sab.) Cum quaeritur iudicio tutelae, quae nomina a tutore facta agnoscere pupillus debeat, Marcellus putabat, si tutor pecuniam pupilli mutuam dedisset et suo nomine stipulatus esset, posse dici nomina integra pupillo salva esse, deperdita et male contracta ad tutorem pertinere. Sed verius se putare posse tutorem eam condicionem adulescenti deferre, ut id quod gessisset tutor in contrahendis nominibus aut in totum agnoscere aut a toto recedere, ita ut perinde esset ac si tutor sibi negotium gessisset. […]

Wenn bei der Klage aus Vormundschaft strittig ist, ­welche vom Vormund begründeten Forderungen vom Mündel anerkannt werden müssen, meinte Marcellus, wenn der Vormund Mündelgeld als Darlehen gegeben habe und sich im eigenen Namen [die Rückzahlung] durch Stipulation habe versprechen lassen, könne gesagt werden, dass die werthaltigen Forderungen dem Mündel und die uneinbringlichen und notleidenden dem Vormund zustehen. Aber er halte es für zutreffender, dass der Vormund dem mündigen Minderjährigen die Entscheidung überlassen könne, die Geschäftsführungshandlungen des Vormunds bei Begründung der Forderungen entweder zur Gänze anzuerkennen oder zur Gänze zurückzuweisen, sodass es so sei, wie wenn der Vormund das Geschäft für sich selbst geführt hätte. […]

Das Fragment steht im Zusammenhang mit der actio tutelae und geht der Frage nach, ­welche Forderungen, die der Vormund begründet hat, der Mündel bei der Abrechnung im Rahmen dieser Klage anerkennen muss. Marcellus, so berichtet Paulus, habe sich mit Darlehen befasst, die der Vormund aus Mündelgeldern gewährt und bei denen er sich durch Stipulation die Rückzahlung an sich selbst habe versprechen lassen. Marcellus habe die Ansicht erwähnt, dass die werthaltigen Forderungen dem Mündel zugutekämen, der 85 Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (381). Grundlos der Inter-

polationsverdacht bei Solazzi, Compensazione, 220.

Die Stipulation

123

Vormund dagegen das Risiko für die ausgefallenen Forderungen zu übernehmen habe. Für richtiger (verius) halte Marcellus aber, dass der Vormund dem Mündel die Wahl lassen könne, ob er die Darlehensvergabe entweder insgesamt anerkenne oder ablehne, so als ob es sich um eine gewöhnliche Geschäftsführung handele. Inhaber der Forderung aus Stipulation und damit Gläubiger im Außenverhältnis ist unzweifelhaft der Vormund. Das Fragment erwähnt dies nicht näher, sondern setzt es vielmehr voraus. Insoweit entspricht der Sachverhalt demjenigen von D. 22.1.11 pr. Problematisiert wird der Ausgleich im Innenverhältnis ­zwischen Vormund und Mündel, der sich nach der actio tutelae und damit einem bonae fidei iudicium richtet. Nach einer von Marcellus erwähnten, aber verworfenen Ansicht muss der Mündel lediglich die werthaltigen Forderungen gegen sich gelten lassen, nicht aber die ausgefallenen. Er könnte sich also darauf beschränken, sich im Wege der Vormundschaftsklage lediglich die Vorteile der Darlehensvergabe vom Vormund herausgeben zu lassen, während dieser sich damit abfinden müsste, die entstandenen Verluste allein zu tragen.86 Diese Verteilung von Gewinn und Verlust scheint jedoch für Marcellus nicht der maßgeblichen bona fides zu entsprechen. Stattdessen solle der Vormund die Möglichkeit haben, sich vom mündigen Minderjährigen seine Geschäftsführung entweder als Ganze genehmigen oder zurückweisen zu lassen. Verweigert er die Genehmigung, kann er lediglich die Herausgabe des Darlehenskapitals mit der actio tutelae verlangen.87 Nur wenn der Minderjährige die Forderungen insgesamt genehmigt, kann er von entstandenen Gewinnen profitieren. Im Gegenzug muss er jedoch auch entstandene Verluste tragen.88 Marcellus befürwortet somit eine Lösung, deren Ausgestaltung sich an der bona fides der Vormundschaftsklage und damit an dem Kriterium orientiert, das für das Innenverhältnis z­ wischen Vormund und Mündel maßgeblich ist.89 Die Gestalt des Außenverhältnisses ­zwischen Vormund und Schuldnern soll sich nicht auf das Innenverhältnis auswirken.90 Dies entspricht der Lösung, die Paulus in D. 22.1.11 befürwortet.

86 Cardilli, in: Tafaro, Usura, 11 (46 f.); Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti muni-

cipali, 335 (382).

87 Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (382). 88 Cardilli, in: Tafaro, Usura, 11 (47); Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali,

335 (382).

89 Cardilli, in: Tafaro, Usura, 11 (48 f.). 90 Vgl. auch D. 26.7.47.4 (Scaev. 2 resp.); D. 26.7.7.6 (Ulp. 35 ed.); zu letzterem Solazzi, Compen-

sazione, 221.

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Die vertraglichen Obligationen

Der Grund für die strikte Scheidung von Innen- und Außenverhältnis ist, dass der Vormund – ebenso wie der Vermögensverwalter der Gemeinde – grundsätzlich indirekter Stellvertreter des Mündels ist, wenn er Darlehen aus dessen Geld gewährt.91 Dies bestätigt eine Quelle, die von einer Durchbrechung ­dieses Grundsatzes durch Julian berichtet: D. 26.7.9 pr. (Ulp. 36 ed.) Quotiens tutor pecuniam pupillarem faenori dat, stipulatio hoc ordine facienda est. Stipulari enim debet aut pupillus aut servus pupilli: quod si neque pupillus eius aetatis erit, ut stipulari possit, neque servum habebit, tunc ipse tutor quive in eius potestate erit, quo casu Iulianus saepissime scripsit utilem actionem pupillo dandam. Sed et si absens sit pupillus, oportere tutorem suo nomine stipulari nequaquam ambigendum est.

Sooft der Vormund Mündelgeld als verzinsliches Darlehen gewährt, muss die Stipulation folgendermaßen erklärt werden. Das Stipulationsversprechen muss entweder gegenüber dem Mündel oder einem Sklaven des Mündels abgegeben werden; wenn weder der Mündel das erforderliche Alter aufweist, dass das Stipulationsversprechen ihm gegenüber abgegeben werden kann, noch einen Sklaven hat, dann gegenüber dem Vormund selbst oder jemandem in dessen Gewalt; in ­diesem Fall müsse dem Mündel eine actio utilis gewährt werden, wie Julian sehr oft geschrieben hat. Aber auch wenn der Mündel abwesend ist, kann keinesfalls bezweifelt werden, dass das Stipulationsversprechen gegenüber dem Vormund in dessen eigenem Namen abgegeben werden muss.

Bei der Darlehensgewährung aus pecunia pupillaris soll das Stipulationsversprechen grundsätzlich entweder gegenüber dem Mündel selbst oder gegenüber seinem Sklaven abgegeben werden, berichtet Ulpian. Dies führt beide Male zum Erwerb der Stipulationsforderung durch den Mündel selbst.92 Wenn das Stipulationsversprechen jedoch nicht auf diese Art und Weise abgegeben werden kann, weil der Mündel noch infans ist und keinen Sklaven hat, soll das Versprechen gegenüber dem Vormund oder einer Person in dessen potestas abgeben werden. Aus dieser Stipulation soll dem Mündel eine actio utilis gewährt werden; diese Lösung geht auf Julian zurück 93 und wird von Ulpian befürwortet. Wenn der Mündel abwesend ist, soll ebenfalls der Vormund das Stipulationsversprechen entgegennehmen; auch in d ­ iesem Fall wird dem Mündel eine actio utilis zukommen. An dieser Lösung besteht nach Ulpian kein Zweifel (nequaquam ambigendum est). Die Formulierung legt nahe, dass ein Kontroversenbericht ausgefallen ist. Darauf deutet auch das einleitende sed et si hin.94 Daher lässt sich 91 Siehe nur Sachers, s. v. tutela, RE 7A.2, Sp. 1544; Albanese, Persone, 491 f.; Honsell/MayerMaly/Selb, RR, 113. 92 Claus, Stellvertretung, 217 f. 93 Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (145). 94 Zu Indizien hierfür aufgrund des handschriftlichen Befunds zu D. 28.2.8 (Pomp. 1 Sab.) in

Hs. Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Cod. Flor. I, f. 398rb/39 und zur Verallgemeiner­

Die Stipulation

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nicht mehr feststellen, auf ­welchen Juristen die actio utilis im Falle des pupillus absens zurückgeht. Sie wird sicher schon vor Ulpian diskutiert worden sein, doch bietet der Text keine hinreichende Sicherheit, sie bereits Julian zuzuschreiben. Verallgemeinert findet sich die actio utilis in einer Konstitution des Severus Alexander: C. 5.39.2 (Alex., s. a.) Etsi tutores tui, cum pecuniam pupil- Auch wenn gegenüber deinen Vormündern selbst das larem crederent, ipsi stipulati sunt, Stipulationsversprechen abgegeben worden ist, als sie utilis actio tibi datur. Mündelgeld als Darlehen gewährt haben, wird dir eine actio utilis gewährt.

Hier ist die actio utilis aus der Stipulation des Vormunds nicht mehr darauf beschränkt, dass der Mündel unmündig, ohne Sklaven oder abwesend ist.95 Vielmehr ordnet der ­Kaiser – wohl an das seit Julian bestehende Juristenrecht anknüpfend – an, dass dem Mündel eine actio utilis zukommt, wann immer der Vormund Darlehen aus Mündelgeld gewährt. Die nachklassischen pseudo-ulpinianischen opiniones 96 nehmen diese Verallgemeinerung auf.97 Wie der Beginn von D. 26.7.9 pr. erkennen lässt, gilt den Juristen das Stipulationsversprechen an den Mündel selbst oder seinen Sklaven als die gewöhnliche Vorgehensweise, wenn der Vormund ein Darlehen aus Mündelgeldern gewährt. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der Mündel selbst Zinsen ex stipulatu vom Darlehensschuldner verlangen kann.98 Wenn diese Vorgehensweise unmöglich ist und das Stipulationsversprechen gegenüber dem Vormund oder einer Person in dessen Gewalt abgegeben werden muss, soll der Mündel nicht schlechter als bei der gewöhnlichen Vorgehensweise stehen und eine Klage gegen den Darlehensschuldner erhalten.99 Dazu dient die actio utilis. In der spätklassischen Kaiserkonstitution kommt es dagegen nicht mehr darauf an, ob barkeit ­Kaiser, in: Schmidt-Recla, Sachsen, 39 (50 f.).

95 Claus, Stellvertretung, 220 Fn. 123; Finkenauer, SZ 125 (2008), 440 (473 f.). Dagegen wird

96 97

98 99

von Solazzi I, 431 f.; Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (147 f.) angenommen, dass die Konstitution die infantia bzw. absentia des Mündels nicht erwähne, weil sie eine Selbstverständlichkeit sei. Zur Datierung d ­ ieses Werks Liebs, HLL V, 68; ders., TR 41 (1973), 279 (280 – 295). D. 26.9.2 (Ulp. 1 op.); D. 12.1.26 (Ulp. 5 op.); Claus, Stellvertretung, 220 Fn. 123; Harke, Actio utilis, 331 f. Angesichts der Datierung der opiniones in die Nachklassik (Liebs, HLL V, 68; ders., TR 41 [1973], 279 [280 – 295]) erübrigen sich die Interpolationsannahmen von Solazzi I, 371 (417 – 419); Pringsheim, Kauf, 125 f.; Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (148 – 152). Claus, Stellvertretung, 217 f. Vgl. Claus, Stellvertretung, 219 f.; Harke, Actio utilis, 329 f., dem zufolge die actio utilis dem Ausgleich einer Bereicherung des Darlehensnehmers dient.

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Die vertraglichen Obligationen

der Vormund an die Stelle des Mündels oder dessen Sklaven getreten ist, weil diesen die Entgegennahme des Stipulationsversprechens nicht m ­ öglich ist.100 Daraus ergibt sich ein stärkerer Schutz des Mündels, weil dieser stets eine Klage aus der Stipulation des Darlehensschuldners erwirbt: die actio directa, wenn er selbst oder sein eigener Sklave das Stipulationsversprechen entgegennimmt, oder die actio utilis, wenn es gegenüber dem Vormund oder einer Person in dessen Gewalt abgegeben wird. Allerdings bleibt im letzten Fall der Vormund für die actio directa aktivlegitimiert.101 Wenn dem Mündel die actio utilis zugesprochen wird, liegt also kein Fall direkter Stellvertretung vor, denn dann dürfte aus der Stipulation allein der Mündel berechtigt sein. Trotz der Gewährung der actio utilis bleibt es dabei, dass der Vormund lediglich indirekter Stellvertreter des Mündels ist.102 Dieses Ergebnis für das Recht der Vormundschaft erhellt und bestätigt den Befund zu D. 22.1.11: Wird die Stipulation gegenüber einem freien Vertreter der Gemeinde abgegeben, so wird allein dieser Gläubiger. Seine Haftung gegenüber dem Vertretenen ergibt sich aus dem Innenverhältnis. Es handelt sich um einen Fall indirekter Stellvertretung. Dieses Ergebnis kann auf Vereine übertragen werden, denn die Übereinstimmung der Rechtslage bei Gemeinden und Vormundschaft zeigt, dass D. 22.1.11 keine öffentlich-rechtlich geprägten Sonderregelungen für Gemeinden wiedergibt. Aus der Darlehensstipulation gegenüber einem Vereinsfunktionär wird dieser, nicht der Verein Gläubiger der Forderung ex stipulatu. Nur wenn das Stipulationsversprechen gegenüber einem Sklaven des Vereins abgegeben wird, wird der Verein Gläubiger der Stipulation.103 Die Gewährung einer actio utilis zugunsten des Vereins, wie sie D. 26.7.9 pr. zugunsten des Mündels vorsieht, ist dagegen unwahrscheinlich, weil ein Parallelfall für Gemeinden nicht überliefert ist. Mangels hinreichend breiter Quellenbasis kann nicht vermutet werden, dass der Verein aus dem mutuum cum stipulatione eine actio utilis erworben hat. Selbst wenn dies aber der Fall gewesen wäre, dürfte mit einer solchen Lösung frühestens ab Julian zu rechnen sein.

100 Claus, Stellvertretung, 219. Die engen Voraussetzungen für die Gewährung der actio utilis in D. 26.7.9 pr. übersieht Mitteis, RP I, 222 mit Fn. 60; Harke, Actio utilis, 330 f. hält sie lediglich

für eine „Handlungsanweisung“ Ulpians an den Vormund.

101 Claus, Stellvertretung, 218 f.; vgl. Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (145). Dies übersieht Finkenauer, SZ 125 (2008), 440 (474). 102 Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (148). Anders Finkenauer, SZ 125 (2008), 440

(474).

103 Waltzing II, 453; Eliachevitch, Personnalité juridique, 277; v. Lübtow, Mem. Koschaker II, 467 (486); De Robertis, Storia II, 354 Fn. 247.

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Die Stipulation

c) Vereine als Darlehensgeber in gräko-ägyptischen χειρόγραφα Dieses Ergebnis gewinnt an Überzeugungskraft, wenn versucht wird, das Formular eines mutuum cum stipulatione von Vereinsgeldern zu rekonstruieren. Wie erwähnt, haben sich keine Urkunden erhalten, in denen unter der Geltung des römischen Rechts eine Körperschaft als Darlehensgeberin auftritt.104 Doch gibt es Papyri aus Ägypten, in denen die Darlehensvergabe durch Vereine beurkundet wird. Neben der objektiv stilisierten Darlehens-συγγραφή finden sich auch Urkunden über Darlehen aus Vereinsgeldern, die subjektiv als χειρόγραφον stilisiert sind.105 Eine unter mehreren solchen aneinandergefügten Urkunden 106 überliefert ein Papyrus mit unbekanntem Herkunftsort: SB XXIV 16296 = P.Texas inv. 8, Z. 3 – 8 (182/158 v. Chr.)

Μενεσθεὺς Χάρητος Ἡρακλεῖ δειμοσιάρ- Menestheus, Sohn des Chares, grüßt den Demosiχωι χαίρειν. archen Herakles. (I) [ὁ]μολογῶ ἔχε[ιν ἀπὸ τῶν] / κοινῶν χρημάτων χαλκοῦ τάλαντα ε’ καὶ δραχμὰς πεντακισχ[ιλίας ….,] /

Ich erkläre, von den gemeinsamen Geldern 5 Talente und 5.000 Drachmen Kupfergeld zu haben,

(II) 5 ἃς ἀποδώσω σοι ἐμ μηνὶ Μεσορεὶ τοῦ τρίτου καὶ εἰκοστοῦ ἔτους·

die ich dir im Monat Mesore des 23. Jahrs zurückgeben werde.

(III ) [ἐὰν δὲ μὴ ἀπο]/δῶ, ἐξέσται σοι Wenn ich nicht zurückgebe, wird es dir erlaubt sein, ἐνεχυ­ράζειν με παντὶ τρόπωι ᾧ ἐὰν αἱρεῖ, mich an jedem Ort, an dem du mich ergreifst, als ἀν[υπευθύνωι] / ὄντι. / ἔρρωσο? Φαμενώθ. Pfand zu nehmen, ohne dass dich ein Vorwurf trifft. Lebe wohl. Phamenoth …

Wie ein Brief beginnt die Urkunde mit dem Gruß des Darlehensnehmers an Herakles, den als δημοσίαρχος 107 bezeichneten Funktionär eines Vereins. Der Darlehensnehmer erklärt, dass er κοίνα χρήματα „habe“ (ἔχειν), also als Darlehen empfangen habe. Diese werde er dem δημοσίαρχος zum vereinbarten Termin zurückzahlen (ἀποδώσω σοι). Für den Fall, dass er das Darlehen nicht zurückzahle, räume er dem Vereinsfunktionär ein Recht zur Vollstreckung ein. Mit einem Abschiedsgruß schließt die Urkunde. Die Erwähnung der κοίνα χρήματα erlaubt es, mit Sicherheit ein Darlehen aus Vereinsgeldern anzunehmen. Dafür spricht ferner, dass das Darlehen zinslos gewährt wird; Vereine haben häufig zinslose Darlehen oder ­solche mit ­niedrigem

104 105 106 107

Siehe oben II. Kap., § 2 I.1. Zu den Typen der Urkundenstilisierung Rupprecht, Darlehen, 13 – 15. Wohl als Teil der Buchführung des Vereins; Martinez/Williams, ZPE 118 (1997), 259. Die Lesung ist allerdings nicht ganz sicher; alternativ könnte die Urkunde von einem συμποσίαρχος sprechen. Ausführlich zu beiden Wörtern mit weiteren Belegen Martinez/ Williams, ZPE 118 (1997), 259 (261 f.).

128

Die vertraglichen Obligationen

Zinssatz an ihre Mitglieder vergeben.108 Ein weiteres Indiz dafür, dass die Darlehensnehmer Mitglieder des Vereins sind, ist die Vollstreckungsklausel. Sie gewährt dem δημοσίαρχος nicht das Recht zur πρᾶξι̣ς, also zur justizförmigen Vollstreckung. Vielmehr wird die Vollstreckung beschrieben als: ἐνεχυράζειν με παντὶ τρόπωι ᾧ ἐὰν αἱρεῖ. Es handelt sich um eine Form der Personalvollstreckung, die sich auch in einem Dekret eines Vereins von Salzhändlern aus Tebtynis findet.109 Es scheint sich um eine Vollstreckungsart zu handeln, die bei inneren Streitigkeiten wenigstens einiger Vereine üblich ist.110 Dass sich der Darlehensnehmer dieser Art der Vollstreckung unterwirft, spricht zusätzlich dafür, dass er Mitglied des Vereins ist. Das χειρόγραφον enthält somit drei Klauseln: (I) Zuerst erklärt der Darlehensnehmer den Erhalt des Darlehens. Beurkundet wird die Verfügung über die κοίνα χρήματα, wobei die Urkunde keine Angaben zur Person des Auszahlenden macht. Wie bei der συγγραφή wird die Zustimmung der Vereinsmitglieder zur Verfügung nicht gesondert erwähnt.111 (II ) Als nächstes wird der Termin für die Rückzahlung festgelegt. Als ihr Empfänger wird der δημοσίαρχος vorgesehen. (III) Für den Fall, dass die Rückzahlung nicht vereinbarungsgemäß erfolgt, unterwirft sich der Darlehensnehmer der Vollstreckung durch ἐνεχυράζειν. Der Bezug des Geschäfts zu einem Verein kommt  – ähnlich wie in der συγγραφή – nur punktuell zum Ausdruck. Die Darlehensvaluta wird in Klausel (I) als κοίνα χρήματα bezeichnet, nicht aber wird erwähnt, dass die Vereinsmitglieder Gläubiger des Darlehens sind. Überhaupt fehlt jeder ausdrückliche Hinweis auf die Person des Auszahlenden. Allenfalls aus der Adressierung des χειρόγραφον an den δημοσίαρχος lässt sich folgern, dass er das Darlehen valutiert hat. Wenn der Darlehensnehmer in Klausel (II) erklärt, dass die Rückzahlung an den δημοσίαρχος erfolgen soll, wird dies dazu dienen, eine genaue Regelung über 108 Martinez/Williams, ZPE 118 (1997), 259 (260); ausführlich Baslez, in: Molin, Régulations

sociales, 157 – 168; vgl. auch Faraguna, in: Legras, Transferts culturels et droits, 129 (133 – 137); Liu, Fs. Boegart, 231 (233, 245). 109 P.Mich. V 245 = FIRA2 III 46, Z. 39 – 42 (Tebtynis, Arsinoites, 18. August 47 n. Chr.): ἐξῖναι τῷ αὐτῷ Ἀπ/[ύνχι ἐνε]χυράσζιν αὐτοὺς ἔν τε τῇ πλατέᾳ καὶ ἐν / [ταῖς οἰκί]αις καὶ ἐν τῷ ἀγρῶι καὶ παραδιδαιναι αὐτοὺς / [καθὼς πρό]κιται. Boak, TAPhA 68 (1937), 212 (214); Martinez/ Williams, ZPE 118 (1997), 259 (262); Schnöckel, Ägyptische Vereine, 86. 110 Schnöckel, Ägyptische Vereine, 86 f.; Nörr, SZ 130 (2013), 72 (93 Fn. 102). Indes kennen andere Vereine die ἐνεχυρασία als Recht zur privaten Pfandnahme; San Nicolò, Fs. Swoboda, 255 (291 – 294). Taubenschlag, Op. min. II, 135 (140 mit Fn. 24) und Schnöckel, Ägyptische Vereine, 87 nehmen daher an, dass sowohl die Personalvollstreckung als auch die private Pfandnahme möglich waren. 111 Siehe oben II. Kap., § 1 I.2.

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Die Stipulation

die Art und Weise der Rückzahlung zu treffen. Dagegen bietet die Formulierung keinen Anlass zu zweifeln, dass Darlehensgeber die Vereinsmitglieder sind; der δημοσίαρχος wird nicht als Einzelperson erwähnt, sondern als Funktionär des Vereins, der für diesen die Rückzahlung entgegennimmt. Schließlich weist die Vollstreckungsklausel einen doppelten Bezug zum Verein auf: zum einen, weil das Vollstreckungsrecht dem δημοσίαρχος zustehen soll, zum anderen, weil die Art der Vollstreckung für Vereine typisch ist. d) Zur Rezeption des Formulars des χειρόγραφον bei Darlehen römischer Vereine

Das subjektiv stilisierte Darlehensformular des hellenistischen Kreditverkehrs ist von römischer Seite als chirographum rezipiert worden. Dieses Formular ist für zahlreiche Geschäfte, insbesondere jedoch für das mutuum verwendet worden.112 Dabei wird die Beurkundung der mutui datio durch weitere Akte ergänzt, um dem Gläubiger durch die Kumulation von Schuldgründen die größtmögliche Sicherheit für die tatsächliche Durchsetzbarkeit seiner Darlehensforderung zu garantieren; am häufigsten wird dazu auf die Stipulation zurückgegriffen.113 Ein typisches Beispiel für ein solches mutuum cum stipulatione 114 ist folgende Urkunde aus dem Archiv der Sulpizier: TPSulp. 50 (Puteoli, Latium et Campania, 9. November 35)

tab. I, pag. 2, Z. 3 – 10 (scriptura exterior)

M. An[tonius M. f.] M[a]ximus

Ich, M. Antonius, Sohn des Marcus, Maximus,

(I) [scripsi] me acce/pi[sse et deber]e C. Sul[pi]cio Fau[sto HS ] MM n(ummum), / 5 [quae ab eo mutua] et n[umerata a]cc[epi] /

(I) habe geschrieben, dass ich 2.000 Sesterze empfangen habe und dem C. Sulpicius Faustus schulde, die ich von ihm als Darlehen und abgezählt empfangen habe.

(II) [e]aq[ue HS MM] nummu[m, q(uae) (II) Und dass diese oben genannten 2.000 Sesterze in s(upra) s(cripta) s(unt), p(roba) r(ecte) geprüfter Münze und ordnungsgemäß gegeben werd(ari)]  / stip[ulat]us est C. Su[lpicius den, hat sich C. Sulpicius Faustus durch Stipulation Fau­stus, spopo]ndi / eg[o] M. An­ton[ius versprechen lassen, habe ich, M. Antonius Maximus Maximus - - -], / quam summa[m - - -]+++ versprochen … diese Summe am Vortag der Iden … pr(idie) / 10 id[us - - -].

In Klausel (I) d ­ ieses Formulars erklärt der Darlehensnehmer schriftlich (scripsi), Geld erhalten zu haben (me accepisse). Im hellenistischen χειρόγραφον ­entspricht 112 Platschek, Pecunia constituta, 249 – 262. 113 Siehe nur Platschek, Pecunia constituta, 259 f. 114 Zum Formular Wolf, SDHI 45 (1979), 141 (166 mit Fn. 87); ders./Crook, Rechtsurkunden, 17 f.; Camodeca, TPSulp. I, 133; Platschek, Pecunia constituta, 3 f.; zu Varianten des Formulars

ebd., 253 f.

130

Die vertraglichen Obligationen

dieser Formulierung die Klausel ὁμολογῶ ἔχειν παρὰ σοῦ τόσας δραχμὰς. Daran schließt sich das Schuldanerkenntnis (et debere) an. Als Klausel (II) folgt die Stipulation, mit der die Rückzahlung des Darlehens versprochen wird. Die in TPS ulp. 50 nur fragmentarisch erhaltene Passage quam summa[m - - -] +++ pr(idie) / id[us - - -] (Z. 9 f.) dürfte einen Termin für die Rückzahlung benennen;115 sie entspricht der hellenistischen Klausel ἃς ἀποδώσω σοι ἐν μηνὶ.116 Es haben sich keine mutua cum stipulatione erhalten, in denen eine Körperschaft als Darlehensgeberin genannt wird.117 Daher können lediglich Hypothesen zur Rezeption des χειρόγραφον-Formulars für Darlehen von Vereinen gebildet werden. Unproblematisch ist der Fall, wenn ein Sklave des Vereins das Darlehen valutiert und reus stipulandi ist. Wie die erhaltenen Urkunden erkennen lassen, wird sein Name samt der Angabe des dominus angeführt.118 Genauso wird sicherlich verfahren worden sein, wenn es sich um den Sklaven eines Vereins handelte. Schwieriger gestaltet sich die Rekonstruktion eines chirographum, wenn das Darlehen von einem freien Vereinsfunktionär hingegeben wird. SB XXIV 16296, das die Darlehensgewährung durch einen Freien beurkundet, lässt an zwei Elementen erkennen, dass das Darlehen aus Vereinsgeldern gewährt wird: Erstens heißt es im Auszahlungsvermerk ausdrücklich, dass es sich beim Darlehenskapital um κοίνα χρήματα handelt. Zweitens wird bei der Festsetzung des Rückzahlungstermins versprochen, dass diese an den δημοσίαρχος des Vereins erfolgen soll, der auch das Darlehen valutiert hat. Ein mutuum cum stipulatione, das von einem freien Geschäftsführer gewährt wird, behandelt ein responsum des Paulus, das die – freilich objektiv stilisierte – Darlehensurkunde zitiert: 115 Camodeca, TPSulp. I, 135; zustimmend Platschek, Pecunia constituta, 4, 254. 116 Platschek, Pecunia constituta, 4 f. 117 Zu TPSulp. 56, in denen ein colonorum coloniae Puteolanae servus arcarius das Darlehenskapital entgegennimmt, siehe unten II. Kap., § 6 II. 118 TPS ulp. 51, tab. III , pag. 5, Z. 3 – 9 (Puteoli, Latium et Campania, 28. Juni 37): C. Novius

Eunus scripsi me accepisse mutua ab E u e n o   / T i . C a e s a r i s A u g u s t i l i b e r t o P r i m i a n o a p s e n t e p e r   / H e s y c h u m s e r v u m e i u s et debere ei sestertium / decem millia nummum, quae ei reddam cum / petierit; / et ea HS X m(ilia) n(ummum), q(uae) s(upra) s(cripta) s(unt), p(roba) r(ecte) d(ari) stipulatus est / H e s y c h u s E u e n i T i . C a e s a r i s A u g u s t i l ( i b e r t i ) P r i m i a n i   / s e r ( v u s ) , spopondi ego C. Novius Eunus […]; TPS ulp. 52, tab. I, pag. 2, Z. 3–tab. II , pag. 3, Z. 3 (Puteoli, Latium et Campania, 2. Juli 37): […] C. Novius Eunus / scripssi me accepisse mutua ab / H e s s c o E u n n i T i . C e s s a r i s A u g u s t i   / l ( i b e r t i ) P r i m i a n i s e r ( v o ) [[muta]] et / debere ei sestertia tr(i)a milia / nummu(m), pr(a)e(ter) alia HS X n(ummum) / qu(a)e alio chirographo meo / eidem debo, et ea sestertia / tr(i)a milia num(mum) {nummu}, / q(uae) s(upra) s(cripta) s(unt), pr(obe) {r(ecte)} recete dari // stipulatus ets H e s s u c u s E u n i   / T i . C ( a ) e s s a r i s A u g u s t i l ( i b e r t i ) P r i m i a n i   / s e r ( v u s ) , spepo(n)di ego C. Novius Eunus.

Die Stipulation

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D. 45.1.126.2 (Paul. 3 quaest.) ‘Chrysogonus Flavii Candidi servus actor scripsit, coram subscribente et adsignante domino meo, accepisse eum a Iulio Zosa, rem agente Iulii Quintilliani absentis, mutua denaria mille. Quae dari Quintilliano heredive eius, ad quem ea res pertinebit, kalendis Novembribus, quae proximae sunt futurae, stipulatus est Zosas libertus et rem agens Quintilliani, spopondit Candidus dominus meus. […]’. Subscripsit dominus. Respondi: per liberam personam quae neque iuri nostro subiecta est neque bona fide nobis servit, obligationem nullam adquirere possumus. […] quod libertus patrono dari stipulatus est, inutile est […].

‘Ich, Chrysogonus, Sklave und Verwalter des Flavius Candidus, habe in Anwesenheit meines Herrn, der unterschrieben und gesiegelt hat, geschrieben, dass er von Iulius Zosas, dem Geschäftsführer des abwesenden Iulius Quintillianus, als Darlehen tausend Denare erhalten hat. Dass diese dem Quintillianus oder seinem Erben, den die Sache angehen wird, an den nächsten Kalenden des November gegeben werden, hat sich Zosas, der Freigelassene und Geschäftsführer des Quintillianus, durch Stipulation versprechen lassen, hat Candidus, mein Herr, versprochen […]’. Der Herr hat unterschrieben. Ich habe geantwortet: Durch eine freie Person, die weder unserem Recht unterworfen ist noch uns gutgläubig als Sklave dient, können wir keine Obligation erwerben. […] Was der Freigelasse seinem Patron hat versprechen lassen, ist unwirksam […].

Das responsum enthält ein ausführliches Darlehens-chirographum, das der Sklave des Darlehensnehmers Flavius Candidus geschrieben und letzterer unterschrieben hat. Darin wird zuerst beurkundet, dass Flavius Candidus von Iulius Zosas, dem freigelassenen Vermögensverwalter des abwesenden Iulius Quintilianus (accepisse eum a Iulio Zosa, rem agente Iulii Quintilliani absentis), tausend Denare als Darlehen erhalten hat.119 Die Rückzahlung an Iulius Quintilianus oder seinen Erben zu den nächsten Kalenden des Novembers verspricht Flavius Candidus durch Stipulation; Empfänger des Stipulationsversprechens ist Iulius Zosas (stipulatus est Zosas libertus et rem agens Quintilliani). Die Gestalt dieser Urkunde erlaubt einen ersten Rückschluss auf die Formulierung eines chirographum über das Darlehen von Vereinsgeldern. Der Eigentümer des Darlehenskapitals wird nicht genannt. Daher wird die Erwähnung der κοίνα χρήματα im hellenistischen Formular ohne Entsprechung in der römischen Urkunde sein. Freilich gibt die von Paulus zitierte Urkunde an, dass ein Vermögensverwalter handelt. Daher ist im Fall des Darlehens von Vereinsgeldern damit zu rechnen, dass die Urkunde den Vereinsfunktionär durch eine geeignete Formulierung als solchen identifiziert. Die Urkunde in D. 45.1.126.2 sieht eine Rückzahlung an den Geschäftsherrn bzw. seine Erben vor. Wie Paulus zu Beginn seiner Antwort ausdrücklich festhält, handelt es sich um einen Fall des alteri stipulari, weshalb die Stipulation unwirksam ist.120 Eine Stipulation, in der gegenüber einem Vereinsfunktionär die Rückzahlung 119 Zum Sachverhalt ausführlich Schnabel, Solutionis causa adiectus, 146 – 148. 120 Claus, Stellvertretung, 236; Gröschler, Tabellae-Urkunden, 123; Babusiaux, Id quod actum est,

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Die vertraglichen Obligationen

des Darlehens an den Verein versprochen wird, wäre daher ebenfalls unwirksam. Umso interessanter ist, dass SB XXIV 16296 vorsieht, dass die Rückzahlung an den δημοσίαρχος des Vereins erfolgen soll, der auch das Darlehen valutiert hat. Nach römischem Recht wäre eine Klausel wirksam, in der die Rückzahlung an denselben Vereinsfunktionär versprochen wird, gegenüber dem das Stipulationsversprechen abgegeben wird. Dieser würde die Forderung ex stipulatu erwerben. Sie würde freilich ihm persönlich und nicht in seiner Eigenschaft als Funktionär zustehen. Der Verein kann das Darlehenskapital nur aufgrund des Innenverhältnisses vom Funktionär zurückerlangen. Die Überlegungen zur Rekonstruktion des Darlehensformulars bestätigen somit die indirekte Stellvertretung als Grundprinzip für das mutuum cum stipulatione von Vereinsgeldern. 2. Die prätorischen Stipulationen

Nach einer auf Mitteis zurückgehenden Ansicht sollen die prätorischen Stipulationen der direkten Stellvertretung generell leichter zugänglich sein.121 Freilich haben sich keine Quellen erhalten, die unmittelbar prätorische Stipulationen mit Bezug zu privaten Personenvereinigungen behandeln. Überliefert ist jedoch ein Fragment des spätklassischen Juristen Paulus zur Abgabe prätorischer Stipulationen gegenüber einem Vertreter einer Gemeinde, das der mittelalterliche Bologneser Jurist Vivianus Tuscus in einem casus für sämtliche Körperschaften verallgemeinert.122 Der Text des Paulus stammt aus dem 1. Buch der manualia, wohl einer Vorlesungsnachschrift,123 das von der Prozessvertretung handelt 124: D. 3.4.10 (Paul. 1 man.) Constitui potest actor etiam ad operis novi nuntiationem et ad stipulationes interponendas, veluti legatorum, damni infecti, iudicatum solvi, quamvis servo potius civitatis caveri debeat: sed et si actori cautum fuerit, utilis actio administratori rerum civitatis dabitur.

Ein Prozessvertreter kann auch bestellt werden, um Einspruch gegen ein neues Bauwerk zu erheben und um Stipulationen einzugehen, etwa [als Sicherheitleistung] für Vermächtnisse, für einen drohenden Schaden oder für die Erfüllung der Urteilsschuld, obwohl eher einem Sklaven der Gemeinde versprochen werden soll. Aber auch wenn dem Prozessvertreter versprochen worden ist, wird dem Vermögensverwalter der Gemeinde eine actio utilis gegeben werden.

82 f. mit Fn. 404; Finkenauer, SZ 125 (2008), 440 (444 f.); Schnabel, Solutionis causa adiectus, 148, 155 f. 121 Mitteis, RP I, 222 f.; ebenso Kaser, SZ 91 (1974), 146 (193); Finkenauer, SZ 125 (2008), 440 (489); Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (160). 122 Vivianus Tuscus, Casus longi, f. 17rb-17va. Zu den casus des Vivianus Horn, Handbuch I, 328 f.; Lange I, 369 f. 123 Liebs, HLL IV, 162. 124 Lenel, Pal. I, Sp. 1135 mit Fn. 1.

Die Stipulation

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Der Prozessvertreter (actor) einer civitas kann auch zur Entgegennahme prätorischer Stipulationen bestellt werden. Allerdings sollen diese Stipulationsversprechen eher (potius) einem Sklaven der civitas geleistet werden. Aber auch wenn sie gegenüber dem actor abgegeben werden, wird dem Vermögensverwalter der civitas eine actio utilis gewährt. Aus dem erhaltenen Text selbst ergibt sich nicht, wer die Klage ex stipulatu erwirbt, wenn Empfänger des Stipulationsversprechens ein Gemeindesklave ist. Nach der ἑρμηνεία des Basilikentextes wird die Gemeinde unmittelbar Gläubigerin der Stipulation.125 Dies entspricht der Rechtslage bei gewöhnlichen Stipulationen, die gegenüber einem Gemeindesklaven vorgenommen werden.126 Aus dem Stipulationsversprechen gegenüber dem actor dagegen erwirbt nicht die Gemeinde selbst,127 sondern ihr Vermögensverwalter eine actio utilis.128 Wer nach dem ius civile die actio directa erwirbt, lässt die Quelle nicht erkennen, doch wahrscheinlich steht sie dem actor zu.129 Die unterschiedliche Rechtsfolge erklärt, warum Paulus eher (potius) zur Abgabe des Stipulationsversprechens gegenüber dem Gemeindesklaven neigt: Nur in d ­ iesem Fall erwirbt die Gemeinde eine Forderung, während die Vornahme des Verbalakts gegenüber einem actor zu keinem Erwerb der Gemeinde führt. Damit bezeugt der Text einen Fall der indirekten Stellvertretung.130 Das prätorische Recht verlagert zwar die Verpflichtung gegenüber dem actor, die Forderung steht dann allerdings dem Vermögensverwalter und nicht der Gemeinde zu. Auch bei prätorischen Stipulationen gibt es keine direkte Stellvertretung der Gemeinde.131 Nicht zuletzt angesichts dieser Übereinstimmung der beiden Rechtsschichten dürfte bei privaten Personenvereinigungen die Rechtslage identisch sein. Wird die prätorische Stipulation gegenüber einem Sklaven der Körperschaft abgegeben, so erwirbt diese unmittelbar die actio directa. Erfolgt das Stipulationsversprechen dagegen gegenüber einem freien Vertreter, so steht der Körperschaft keine actio 125 Schol. Καὶ ἐπὶ τῷ παραγγεῖλαι ad B. 8.2.110 (Sch. B I 172; Hb. I 424). 126 Siehe oben II. Kap., § 2 I.1.a). 127 Unzutreffend daher Mitteis, RP I, 222 f. mit Fn. 61; Duff, Personality, 82; Eliachevitch, Per 128

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sonnalité juridique, 124, 128; Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (168); Harke, Actio utilis, 310; missverständlich Kniep, Societas publicanorum, 361. Y. Thomas, Hom. Lepelley, 189 (212); Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (360). Für die Annahme von Solazzi I, 295 (333), dass die actio utilis dem Vermögensverwalter gewährt wird, weil er anstelle des actor die Gemeinde im Prozess vertritt, bietet das Fragment keinen Anlass. Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (360 Fn. 71). Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (359 Fn. 70). So aber Finkenauer, SZ 125 (2008), 440 (449 Fn. 44); missverständlich Kniep, Societas publicanorum, 361.

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Die vertraglichen Obligationen

utilis zu, sondern es bleibt bei einer indirekten Stellvertretung der Körperschaft. Ob es darüber hinaus zu einer prätorischen Überleitung der Forderung auf einen Vereinsfunktionär kommt, wie dies der casus des Vivianus vorsieht, lässt sich dagegen nicht mit letzter Gewissheit klären.

II. Verbindlichkeiten des Vereins aus Stipulation 1. Die novierende Stipulation zugunsten von Gläubigern einer Gemeinde In den Juristenschriften findet sich die Möglichkeit einer Verbindlichkeit der Gemeinde ex stipulatu erstmals bei Papinian, der von der Novation handelt: D. 50.8.5.1 (Pap. 1 resp.) In eum, qui administrationis tempore creditoribus rei publicae novatione facta pecuniam cavit, post depositum officium actionem denegari non oportet. Diversa causa est eius, qui solvi constituit: similis etenim videtur ei, qui publice vendidit aut locavit.

Gegen denjenigen, der während seiner Amtszeit als Vermögensverwalter den Gläubigern einer Gemeinde nach erfolgter Novation eine Geldsumme versprochen hat, soll die Klage nach Beendigung des Amts nicht denegiert werden. Anders ist die Lage dessen, der die Erfüllung [der Schuld] zugesagt hat. Er scheint nämlich demjenigen zu ähneln, der öffentlich verkauft oder verdungen hat.

Der Vermögensverwalter noviert während seiner Amtszeit (administrationis tempore) den Gläubigern der Gemeinde durch Stipulation eine Geldschuld (cavit). Da ausdrücklich von creditores rei publicae die Rede ist, steht fest, dass Schuldnerin der ursprünglichen Obligation die Gemeinde ist. Papinian hält fest, dass die Klage aus Stipulation nach Beendigung der Tätigkeit als Vermögensverwalter (post depositum officium) nicht denegiert werden darf. Im Fortgang stellt er klar, dass dies anders ist, wenn ein Vermögensverwalter eine Erfüllungszusage (pecunia constituta) abgegeben oder einen Kaufvertrag oder eine locatio conductio abgeschlossen hat, wobei der Abschluss dieser beiden Verträge als publice qualifiziert wird. Da das Gemeindevermögen häufig als res publica bezeichnet wird,132 dürfte publice bei der emptio venditio die Veräußerung von Gemeindevermögen sowie bei der locatio conductio die Vergabe öffentlicher Aufträge und die Verpachtung von Gemeindevermögen meinen.133 132 Siehe nur D. 50.16.15 (Ulp. 10 ed.): Bona civitatis abusive ‘publica’ dicta sunt: sola enim ea

publica sunt, quae populi Romani sunt; D. 50.16.17 pr. (Ulp. 10 ed.): Inter ‘publica’ habemus non sacra nec religiosa nec quae publicis usibus destinata sunt: sed si qua sunt civitatium velut bona […]. 133 Platschek, Pecunia constituta, 219. Dagegen wird publice als Verweis auf die öffentlich-rechtliche Natur der emptio venditio und der locatio conductio aufgefasst von Kniep, Societas publicanorum, 374; Mitteis, RP I, 228 f., 382 Fn. 18; Solazzi I, 295 (337).

Die Stipulation

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Durch Abgabe des Stipulationsversprechens wird der Vermögensverwalter der Gemeinde selbst Schuldner aus der Stipulation, denn Papinian verneint, dass post depositum officium die Klage gegen den Vermögensverwalter denegiert wird. Das aber bedeutet, dass sich die actio directa gegen den Vermögensverwalter richtet, was voraussetzt, dass er selbst und nicht die Gemeinde während der Amtszeit Schuldner ex stipulatu ist.134 Die Quelle lässt freilich offen, warum die Klage ex stipulatu nicht denegiert wird. Zwei Erklärungen sind denkbar: entweder der novatorische Charakter der Stipulation, die darauf gerichtet ist, einen Schuldnerwechsel herbeizuführen,135 oder ihre Rechtsnatur als ziviles Formalgeschäft, die eine prätorische Haftungsüberleitung post depositum officium ausschließt.136 Während das erste Erklärungsmodell den Willen der Parteien, eine bestehende Schuld zu novieren,137 ins Zentrum stellt, knüpft die zweite Erklärung daran an, dass die Stipulation ein Formalakt ist. Das Verhältnis beider Erklärungsmodelle zueinander zu erhellen, erlaubt eine Konstitution von Diokletian und Maximinian zur Pflegschaft 138: C. 2.24.4 (Diocl./Max., a. 293) Si creditor non vestram personam, sed curatorum secutus cum ipsis contra­ ctum habuit et ab ipsis stipulatus est, nullam ei prorsus adversus vos actionem competere manifestum est.

Wenn der Gläubiger sich nicht an eure Person, sondern diejenige der Pfleger gehalten, mit diesen einen Vertrag geschlossen und sich von ihnen durch Stipu­lation hat versprechen lassen, ist es offensichtlich, dass ihm gegen euch keine Klage zusteht.

134 Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (344 f., 348 f.); Platschek, Pecunia constituta, 219 f. Verfehlt Finkenauer, SZ 125 (2008), 440 (449 Fn. 44), der das Frag 135 136 137 138

ment als Zeugnis für ein Auftreten des Vermögensverwalters als direkten Stellvertreters der Gemeinde auffasst. Vgl. Gai. 3.176. So wohl Kniep, Societas publicanorum, 374; Gierke, GenR III, 164; Solazzi I, 295 (333 f.). So Mitteis, RP I, 224 Fn. 68, 228, 383 Fn. 21; Duff, Personality, 82 f. Fn. 6; Wacke, SZ 111 (1994), 280 (350 Fn. 250); Y. Thomas, Hom. Lepelley, 189 (212). Zur Klassizität des animus novandi siehe nunmehr nur Honsell/Mayer-Maly/Selb, RR, 268; Kaser/ Knütel/Lohsse, RP, § 65 Rn. 3; vgl. auch Babusiaux, Id quod actum est, 84 Fn. 409, 86 – 88. Zur selben Konstitution gehört auch das Fragment C. 2.21.4, das von der restitutio in integrum für den Fall handelt, dass der Vertrag mit dem Minderjährigen abgeschlossen worden ist (si minorem te quinque et viginti annis fuisse, cum contraheres). Die Sachverhalte, die den beiden Codexfragmenten zugrunde liegen, schließen sich also gegenseitig aus. Darüber hinaus wird der anfragende minor in C.2.21.4 in der 2. Person Singular angesprochen, in C. 2.24.4 dagegen in der 2. Person Plural. Da jedoch der Adressat und das Datum in beiden Fragmenten identisch sind, handelt es sich um dieselbe Konstitution. Die voneinander abweichenden Sachverhalte lassen sich dadurch erklären, dass sie zum Zeitpunkt des Erlasses des Reskripts noch nicht festgestanden haben und die kaiserliche Kanzlei deshalb Auskunft für mehrere denkbare Sachverhalte erteilt hat.

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Die vertraglichen Obligationen

Der Beginn des Fragments lässt als entscheidendes Element den Willen des Gläubigers anklingen, da dieser die Pfleger als Vertragspartner in den Blick genommen hat, nicht den Minderjährigen (creditor non vestram personam, sed curatorum secutus). Allerdings zeigen das Partizip Perfekt secutus und der Fortgang des Satzes, dass dieser Parteiwille bei Vertragsschluss zum Ausdruck kommen muss, indem der Gläubiger sich ein Stipulationsversprechen von den Pflegern erklären lässt (cum ipsis contractum habuit et ab ipsis stipulatus est). Nicht der bloße Wille, mit den curatores ein Geschäft abzuschließen, sondern ihre Beteiligung am Verbalakt ist der Grund, warum eine Klage gegen den Minderjährigen ausgeschlossen ist.139 Für D. 50.8.5.1 lässt sich daraus folgern, dass Grundlage der Entscheidung Papinians das zweite Erklärungsmodell ist. Nicht der animus novandi des Vermögensverwalters führt zu seiner fortdauernden Haftung, sondern sein Auftreten als reus promittendi. Seine bloße Beteiligung führt dazu, dass er post depositum officium aus der Stipulation verpflichtet bleibt und deshalb keine actio utilis gegen die Gemeinde gewährt wird. Grund der fortdauernden Haftung ist also der Vertragstyp, die Stipulation. Der Parteiwille ist nur insoweit relevant, als er sich auf die Wahl des Vertragstyps auswirkt. Dies zeigt sich im Fortgang des Fragments, wenn Papinian bei dem ebenfalls novierend wirkenden consti­ tutum debiti die actio directa gegen den Vermögensverwalter post depositum officium verneint.140 Für Vereine fehlt ein Quellenzeugnis. Doch erlaubt die übereinstimmende Rechtslage zum Vermögensverwalter einer Gemeinde, die D. 50.8.5.1 bezeugt, und zum curator minoris, die C. 2.24.4 überliefert, einen Rückschluss auf die Verhältnisse bei Vereinen: Verspricht ein Vereinsfunktionär eine Leistung durch Stipulation, ist wahrscheinlich nur er selbst Schuldner. Auch nach Beendigung seiner Tätigkeit als Funktionär haftet er weiterhin dem Gläubiger. Die Klage ex stipulatu gegen ihn wird nicht denegiert, sodass es nicht zu einer prätorischen Überleitung der Haftung auf den Verein durch Gewährung einer actio utilis gegen diesen kommt. Offenbar bringt der zivilrechtliche Formalakt der Stipulation eine strikt an die Person des reus promittendi gebundene Haftung hervor, die durch das prätorische Recht nicht korrigiert wird. 2. Die Strafstipulation bei Stiftungen Eine wichtige Rolle spielt die Stipulation bei Stiftungen zugunsten von Vereinen. Das römische Recht kennt keine selbständigen Stiftungen mit eigener Rechts 139 Mitteis, RP I, 224 Fn. 68. 140 Siehe unten II. Kap., § 5 II.

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Die Stipulation

fähigkeit, sondern nur unselbständige Stiftungen, bei denen einer Körperschaft das Stiftungsvermögen unter der Auflage zugewendet wird, es für den vom Stifter festgesetzten Zweck zu verwenden.141 a) Das Zeugnis von AE 2000, 344b (1) Die Sicherung des Zwecks der Stiftung von Todes wegen durch Stipulation Im Falle der Stiftungen von Todes wegen können ­solche unselbständigen Stiftungen durch Legat oder Fideikommiss unter Auflage errichtet werden.142 Das ältere Institut, das zur Errichtung einer Stiftung von Todes wegen Verwendung findet, ist das förmliche Legat 143 unter Auflage. Die römische Jurisprudenz hat zwei Lösungen entwickelt, um sicherzustellen, dass der Legatar die Auflage vollzieht, das Legat also für den vom Erblasser vorgegebenen Zweck verwendet. Die erste Lösung geht auf den Juristen Trebaz und damit auf die späte Republik zurück;144 sie wird von Iavolen überliefert: D. 35.1.40.5 (Iav. 2 ex post. Lab.) Thermus minor quorum arbitratu monumentum sibi fieri vellet testamento scripserat, deinde ita legaverat: ‘Luciis Publiis Corneliis ad monumentum meum aedificandum mille heres meus dato’. Trebatius respondit pro eo habendum ac si ita legatum esset, si satisdedissent se ita id monumentum ex ea pecunia facturos. Labeo Trebatii sententiam probat, quia haec mens testantis fuisset, ut ea pecunia in monumentum consumeretur: idem et ego et Proculus probamus.

Thermus Minor hatte in seinem Testament diejenigen benannt, nach deren Ermessen er will, dass ihm ein Grabmal errichtet wird, und daraufhin folgendermaßen ein Legat ausgesetzt: ‘Mein Erbe soll den Lucii, den Publii und den Cornelii zum Bau meines Grabmals tausend geben.’ Trebaz antwortete, dies sei so auszulegen, als ob unter der Bedingung vermacht wäre, wenn sie Sicherheit geleistet hätten, dass sie ­dieses Grabmal aus d ­ iesem Geld errichten werden. Labeo billigt die Meinung des Trebaz, weil der Wille des Erblassers gewesen sei, dass ­dieses Geld für das Grabmal verwendet werden solle; dies billigen auch ich und Proculus.

Trebaz legt die Auflage als Bedingung aus: Das Legat ist erst dann geschuldet, wenn der Legatar durch cautio Sicherheit geleistet hat, dass er die Auflage 141 Pernice, Labeo III.1, 56; Mitteis, RP I, 414; Laum I, 163 – 166; Le Bras, St. Riccobono III, 21 (31 f.); Duff, Personality, 168; Bruck, Kulturgeschichte, 46 (70); Rabel, RP, 42; De Visscher, Ét. III, 187 (194); Kaser, RP I, 310; Magioncalda, in: Entrate, 175 f.; Alexander, Anstalten, 71 f.;

Chevreau, Mél. Lefebvre-Teillard, 217 (230); Blanch Nougués, Fundaciones, 74 – 76.

142 Nach ihrer technischen Bezeichnung im justinianischen Recht (legatum sub modo) werden

sie auch als Modallegate bezeichnet. Vgl. D. 35.1 rubr. De condicionibus et demonstrationibus et causis et modis eorum, quae in testamento scribuntur; C. 6.45 rubr. De his quae sub modo legata vel fidecommissa relinquuntur. Voci, DER2 II, 620 Fn. 2. 143 Zur Fähigkeit der Vereine, durch förmliches Legat zu erwerben, siehe unten IV. Kap., § 2 I. 144 Ausführlich zur Datierung Di Salvo, Legato modale, 28 – 40.

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Die vertraglichen Obligationen

vollziehen wird.145 Es wird gewissermaßen fingiert, das Testament enthalte die Bedingung si satisdedissent se ita […] facturos.146 Dieser Lösung haben sich im frühen Prinzipat die Juristen Labeo und Proculus angeschlossen, und auch Iavolen folgt ihr. Solange der Legatar die cautio nicht geleistet hat, ist das Legat nicht geschuldet. Solange denegiert daher der Prätor eine Klage auf Leistung des Legats gegen den Erblasser.147 Die andere Lösung geht auf den H ­ ochklassiker Julian zurück: D. 40.5.48 (Iul. 62 dig.) Cum in testamento scriptum est: ‘Stichum Titio lego’ vel ‘heres meus dato ita, ut eum Titius manumittat’, dixi petenti legatario Stichum exceptionem doli mali obstaturam, nisi caverit se libertatem secundum voluntatem defuncti praestaturum.

Wenn in einem Testament geschrieben ist: ‘Ich vermache den Stichus dem Titius’ oder ‘mein Erbe soll derart geben, dass Titius diesen freilässt’, habe ich gesagt, dass dem Legatar, der den Stichus verlangt, die Einrede der Arglist entgegengehalten wird, wenn er nicht verspricht, dass er die Freiheit gemäß dem Willen des Verstorbenen gewähren wird.

Julian behandelt in ­diesem Text die Auflage, einen vermachten Sklaven freizulassen. Die Auflage wird nicht als Bedingung fingiert, dass Sicherheit für ihre Vollziehung geleistet wird. Vielmehr kann der Erbe der Klage des Legatars auf Herausgabe des Legats solange die exceptio doli entgegenhalten, bis dieser die cautio leistet. Die julianische Lösung muss nicht zwingend ein Gegenmodell zu der von Trebaz entwickelten sein.148 Beide Lösungen weisen dem Prätor die entscheidende Rolle zu: Bei Trebaz denegiert er die Klage des Legatars, bei Julian gewährt er gegen diese eine exceptio doli.149 Entscheidend ist, dass die Vollziehung der Auflage indirekt durch die cautio gesichert wird; eine direkte Klage aus der testamentarischen Auflage selbst dagegen gibt es nicht.150 Da die cautio bei Stiftungen wesentlich dafür ist, dass die Vollziehung des Stiftungszwecks durchgesetzt werden kann, wird ihre Vornahme sowohl in der juristischen Literatur 151 als auch in den dokumenta 145 Pernice, Labeo III.1, 37; Mitteis, RP I, 197 mit Fn. 7; Le Bras, St. Riccobono III, 21 (46 – 49); Légier, RHD4 38 (1960), 353 (372); Grosso, Leg., 469; Kaser, RP I, 259; Voci, DER2 II, 620 f.; Johnston, JRS 75 (1985), 105 (118). 146 Voci, DER2 II, 620 f. 147 D. 32.19 (Val. 5 fid.). 148 So aber Di Salvo, Legato modale, 72 – 85. 149 Vgl. Kaser, Labeo 22 (1976), 381 (382 f.); Johnston, JRS 75 (1985), 105 (118); ders., Trusts, 240. 150 Di Salvo, Legato modale, 94; Johnston, JRS 75 (1985), 105 (118); ders.,Trusts, 240; vgl. Mitteis, RP I, 197; Kaser, RP I, 259. 151 D. 22.6.9.5 (Sev./Ant. apud Paul. sing. iur. fact. ignor.): […] Gargiliani heredes, qui, cum

ex testamento eius pecuniam ad opus aquae ductus rei publicae Cirtensium relictam sol­ verint, non solum cautiones non exegerunt, quae interponi solent, ut quod amplius cepissent

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Die Stipulation

rischen Quellen 152 erwähnt. Dagegen lassen diese Quellen keine Details zur Abgabe des Stipulationsversprechens und zu den daran beteiligten Personen erkennen. Nur ein einziges Mal ist der genaue Wortlaut einer solchen cautio zur Sicherung des Stiftungszwecks überliefert, in einer Inschrift aus dem sacellum der Augustalen von Misenum: AE 2000, 344b, Z. 1 – 42 (Misenum, Latium et Campania, 144153)

(Präambel) Quod constabat Cominium Abascantum te­ stamento institu/isse heredem Nymphidiam Monimen legasseque Augustalib(us) / corporatis Misenensium sestertia decem milia nummorum / sub ea condicione, si cavissent heredi eius eam summam se in / 5 nullo alio usu erogaturos, sed reditus eius quod annis ita dis/pensaturos ut testamento cavisset, desideraretque Nymphidia / Monime dari sibi reos, qui nomine Augustalium corporatorum / ob eam rem q(ua) d(e) a(gitur) caverent, et Plaetorius Fortunatus et Aemilius / Epagathio curatores nominati ab eis stipulatione spondere / 10 vellent, actum est ut caput ex testamento ad eas res pertinens / his tabulis subiceretur, quo notius esset spondentibus in quibus cau/sis se obligarent, ac deinde stipulatio utilis interponeretur. /

Da bestimmt worden ist, dass Cominius Abascantus durch Testament Nymphida Monime zur Erbin eingesetzt hat und den körperschaftlich organisierten Augustalen von Misenum zehntausend Sesterze unter der Bedingung vermacht hat, dass sie seiner Erbin Sicherheit leisten, dass sie diesen Betrag zu keinem anderen Gebrauch ausgeben, sondern seinen Ertrag jährlich so verwenden werden, wie er im Testament bestimmt hat, und da Nymphidia Monime verlangt hat, dass ihr Gewährsleute gestellt werden, die im Namen der körperschaftlich organisierten Augustalen wegen der Angelegenheit, um die es geht, Sicherheit leisten, und da Plaetorius Fortunatus und Aemilius Epagathio, die von ihnen als Vertreter bestellt worden sind, bereit waren, ein Stipulationsversprechen abzugeben, wurde beschlossen, dass die Testamentsklausel, die sich auf diese Angelegenheiten bezieht, dieser Urkunde beigefügt werden soll, damit den Versprechenden deutlicher ist, zu ­welchen Zwecken sie sich verpflichten, und dass dann eine dazu dienliche Stipulation eingegangen wird.

municipes quam per legem Falcidiam licuisset redderent, verum etiam stipulati sunt, ne ea summa in alios usus converteretur et scientes prudentesque passi sunt eam pecuniam in opus aquae ductus impendi, frustra postulant reddi sibi a re publica Cirtensium, quasi plus debito dederint, […]. 152 CIL XIV 2795 = ILS 272, Z. 9 (Gabium, Latium et Campania, 140): secundum exemplum codicillorum Cl(audi) Vitalis stipulatione interposita; CIL II 4511, Z. 19 – 20 (Barcino, Hispania citerior, 2. Hälfte 2. Jhd.): colon(is) Barcinonens(ibus) ex Hispania [cit]er(iore) / [apud q]uos natus sum HS C ita si cav[e]ant; CIL XIV 353 = ILS 6148, in latere, Z. 7 (Ostia, Latium et Campania, 2. Hälfte 2. Jhd.): stipulatione interposita; CIL XIV 367 = ILS 6164 = FIRA2 III 44, Z. 10 (Ostia, Latium et Campania, 182): excepta stipulatione; CIL XIV 431, Z. 8 (Ostia, Latium et Campania, 3. Jhd.): excepta stipulatione. 153 Zur Datierung Eck, Gs. Alföldy, 69 (74); ders./Pangerl, ZPE 188 (2014), 255 (257).

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Die vertraglichen Obligationen

(Caput ex testament) Augustales corp(orati) si heredi meo cave­ rent hanc voluntatem meam ratam / futuram neq(ue) in alios usus pecuniam i(nfra) s(criptam) erogaturos transferturosve / 15 et ex reditu{s} pequniae erogaturos quod annis ut infra scriptum est: /

Wenn die körperschaftlich organisierten Augus­ talen meinem Erben Sicherheit leisten, dass mein Wille befolgt werden wird und dass sie das unten genannte Geld für keinen anderen Gebrauch ausgeben oder übertragen und den Ertrag des Geldes jährlich wie unten angegeben ausgeben werden:

[Es folgen die einzelnen Stiftungsauflagen.] 27

 […] ita / dari volo Augustalibus corporatis

HS X m(ilia) n(ummorum). /

[…] dergestalt will ich, dass den körperschaftlich organisierten Augustalen 10.000 Sesterze gegeben werden.

(Stipulation) (I) Per te, Plaetori Fortunate, et per te, Aemili Epagathio, non fieri neq(ue) / 30 per Augu­­ stales corporatos Misenenses, qui nunc sunt quique pos/tea in eodem corpore erunt, quo magis ea HS X m(ilia) n(ummorum) in alio usu quam / in eo quod capite supra scripto conprehensum est erogetur trans/feratur quove minus ea omnia ita ut supra scri­ptum est quod an/nis is diebus temporibusque fiant praestentur.

(I) Durch dich, Plaetorius Fortunatus, und durch dich, Aemilius Epagathio, und durch die körperschaftlich organisierten Augustalen von Misenum, die nun der körperschaftlichen Organisation angehören und die s­ päter derselben angehören werden, geschieht es nicht, dass diese 10.000 Sesterze zu einem anderen Gebrauch als demjenigen, der in der oben genannten Klausel enthalten ist, ausgegeben oder übertragen werden oder dass all das nicht so geleistet wird, wie es oben bezeichnet jährlich an diesen Tagen und Zeiten geschehen soll.

(II) Quod si ea HS X m(ilia) n(ummorum) / 35 in alio usu quam quo supra conprehensum est translata erogata / erunt, tum HS X m(ilia) n(ummorum) dari.

(II ) Wenn aber diese 10.000 Sesterze zu einem anderen Gebrauch als dem oben enthaltenen übertragen oder ausgegeben worden sein werden, dann werden 10.000 Sesterze gegeben.

(III) Et si ea quae his tabulis ex testamen/to (III) Und wenn dasjenige, was in dieser Urkunde Comini translata trans{s}criptaque sunt ita aus dem Testament des Cominius übertragen ut ibi cautum est da/ta facta praestata non und abgeschrieben worden ist, nicht wie dort erunt, quanti quaeque earum rerum res / erit, bestimmt gegeben, getan oder geleistet worden tantam pecuniam et alterum tantum dari. sein wird, dann wird soviel Geld, wieviel dieser Gegenstand wert sein wird, und nochmals ebensoviel gegeben. (IV) Sique rei promis/40sionique dolus malus cuius vestrum d(e) q(ua) r(e) a(gitur) non afuerit, quanti / ea res erit, tantam pecuniam dari stipulata est Nymphidia Mo/nime, spoponderunt L. Plaetorius Fortunatus, Q. Aemi­ l(ius) Epagathio.

(IV) Und wenn in der Angelegenheit oder dem Versprechen, um die oder um das es geht, Arglist von einem von euch vorgelegen hat, dann wird soviel Geld gegeben, wieviel dieser Gegenstand wert sein wird. Dies hat sich Nymphidia Monime durch Stipulation versprechen lassen, haben L. Plae­torius Fortunatus und Q. Aemilius Epaga­ thio versprochen.

Die Stipulation

141

Im caput ex testamento hinterlässt der Erblasser Q. Cominius Abascantus den Augustales corporati von Misenum ein Fideikommiss 154 von 10.000 Sesterzen (Z. 28). Mit d ­ iesem sind zahlreiche Auflagen verbunden, die einen Bezug zum Totenkult des Erblassers haben.155 Die Witwe und Erbin des Stifters, Nymphidia Monime, w ­ elche die Zuwendung vollziehen muss, lässt sich in einer Stipulation die Einhaltung der testamentarischen Auflagen versprechen (Z. 10 – 14). Dazu haben die Augustales corporati eigens zwei curatores bestellt, L. Plaetorius Fortunatus und Q. Aemilius Epagathio (Z. 14 – 16), ­welche die Stipulation leisten. (2) Die Struktur der Stipulation

Klausel (I) der Stipulation formuliert die Pflicht, jede von der testamentarischen Auflage abweichende Verwendung des zugewendeten Kapitals zu unterlassen. Dabei differenziert die Klausel nochmals: Zum einen dürfen die 10.000 Sesterze nicht für einen anderen Zweck als im Testament festgelegt ausgegeben oder übertragen werden (non fieri […], quo magis ea HS X m(ilia) n(ummorum) in alio usu quam / in eo quod capite supra scripto conprehensum est erogetur trans-/ fe­ratur, Z. 29 – 33); verboten wird also, dass die Augustalen das Kapital als Ganzes weggeben. Zum anderen soll das Kapital auf keine andere Art und zu keinem anderen Zeitpunkt als testamentarisch vorgesehen verwendet werden (quove minus ea omnia ita ut supra scriptum est quod an/nis is diebus temporibusque fiant praestentur, Z. 32 f.); verboten wird demnach, von den einzelnen testamentarischen Vorgaben zur Verwendung des Kapitals abzuweichen. Positiv formuliert soll erstens das Stiftungskapital ungeschmälert erhalten und zweitens gemäß der testamentarischen Auflage verwendet werden. Klausel (II) sieht die Zahlung von 10.000 Sesterzen, also einer certa pecunia genau in der Höhe der Zuwendung, für den Fall vor, dass diese anders als im Testament vorgesehen verwendet wird (si ea HS X m(ilia) n(ummorum) / in alio usu quam quo supra conprehensum est translata erogata / erunt, Z.34 – 36). Es handelt sich um ein Strafversprechen für den Fall, dass das gesamte Stiftungskapital veruntreut wird.156 Sollte die Strafe verfallen, wird der Erbin eine Summe in der Höhe des Stiftungskapitals geschuldet, aus dem die memoria des Erblassers bestritten werden soll. Damit erhält sie das nötige Kapital, um selbst die Erinnerung an ihren verstorbenen Mann aufrechtzuerhalten.

154 Magioncalda, MEP 11 (2006), 193 (198 f. Fn. 36, 200). 155 Einzelheiten bei D’Arms, JRS 90 (2000), 126 (128, 137 f.); ebenfalls für einen Bezug zur memoria Magioncalda, MEP 11 (2006), 193 (200). Den hauptsächlichen Bezug zum Totenkult bezweifelt

Laird, Augustales, 190 f.

156 D’Arms, JRS 90 (2000), 126 (139).

142

Die vertraglichen Obligationen

Klausel (III) sieht vor, dass bei Nichtvollziehung der einzelnen testamentarischen Anordnungen über die Verwendung des Kapitals (si ea quae his tabulis ex testamen/to Comini translata trans{s}criptaque sunt ita ut ibi cautum est data facta praestata non erunt, Z. 36 – 38) das duplum des Interesses als Strafe verfallen soll.157 Klausel (III) ist ähnlich wie die zweite Unterlassungspflicht in Klausel (I) formuliert, womit ihr Zweck erkennbar ist: Sie soll jede Abweichung vom Stifterwillen bei der Verwendung des Fideikommisses sanktionieren. Die Höhe der jeweils verfallenen Strafe richtet sich nach dem Interesse an der Vollziehung der einzelnen testamentarischen Auflage (quanti quaeque earum rerum res erit), etwa dem Blumenschmuck des Stiftergrabes. Da der jeweilige Betrag des Interesses meist niedrig ist – im Falle des Grabschmucks insgesamt 32 Sesterze 158 –, soll das duplum verfallen, um die pönale Wirkung der Klausel zu verstärken. Schließlich folgt in Klausel (IV) die clausula doli (Z. 39 – 41), die den Verfall des einfachen Interesses vorsieht.159 (3) Der Schuldner der Stipulation (a) Die Aussagen der Urkunde zum Parteiwillen

Aus der Formulierung am Ende der Stipulation ergibt sich, dass Nymphidia Monime reus stipulandi, also Gläubigerin ist, und die beiden curatores nominati der Augustalen die rei promissionis. Damit steht fest, dass die curatores persönlich Schuldner der Stipulation sind. Fraglich ist jedoch, ob auch die Augustales corporati Schuldner sind.160 Klausel (I) legt dies nahe, wenn es heißt: Per te, Plaetori Fortunate, et per te, Aemili Epagathio, non fieri neq(ue) / per Augustales corporatos Misenenses, qui nunc sunt quique pos/tea in eodem corpore erunt, quo magis ea HS X m(ilia) n(ummorum) in alio usu quam / in eo quod capite supra scripto conprehensum est erogetur trans/feratur […] (Z. 29 – 33).

Diese Formulierung bezieht die Augustalen in die Pflicht zum Unterlassen einer vom Testament abweichenden Verwendung des Stiftungskapitals ein. Der Relativsatz qui nunc sunt quique pos/tea in eodem corpore erunt bezieht ausdrücklich auch die künftigen Mitglieder der Augustales corporati ein und zeigt Bewusstsein für ein Problem, das sich bei der Verpflichtung einer Körperschaft immer stellt: Soll die Verpflichtung zeitlich unbegrenzt bestehen, genügt es nicht, wenn die Körperschaft 157 D’Arms, JRS 90 (2000), 126 (139). 158 Z. 21 – 22: […] sepulcro exornando viola HS XVI item ro/sa HS XVI n(ummos) […]. 159 D’Arms, JRS 90 (2000), 126 (139). 160 So Magioncalda, MEP 11 (2006), 193 (201 – 204).

Die Stipulation

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in ihrem gegenwärtigen Mitgliederbestand verpflichtet wird. Vielmehr müssen auch die künftigen Mitglieder einbezogen werden. Ähnliche Formulierungen finden sich auch in anderen Inschriften, und immer geht es darum, dass Rechtsfolgen für künftige Mitglieder einer Personenmehrheit herbeigeführt werden sollen.161 Für eine Verpflichtung der Augustales corporati spricht zudem, dass Q. Cominius Abascantus die Sicherheitsleistung durch die Augustalen zur Bedingung für die Wirksamkeit des Fideikommisses vorgesehen hat, wie sowohl der Präambel der Urkunde 162 als auch dem Auszug aus dem Testament selbst zu entnehmen ist: Augustales corp(orati) si heredi meo caverent hanc voluntatem meam ratam / futuram (Z. 13 f.). Allerdings enthält die Urkunde auch Anhaltspunkte dafür, dass lediglich die curatores nominati Parteien der Stipulation sind. In der Präambel heißt es: desideraretque Nymphidia / Monime dari sibi reos, qui nomine Augustalium corporatorum / ob eam rem q(ua) d(e) a(gitur) caverent (Z. 6 – 8). Dies legt nahe, dass Nymphidia Monime verlangt hat, dass mehrere Personen ihr als Einzelne die Vollziehung der testamentarischen Auflage garantieren sollen.163 Die Garantie erfolgt zwar nomine Augustalium corporatorum, doch stellt diese Formulierung nur den Bezug zu den Augustalen als Träger des Stiftungsvermögens her. Im Fortgang der Präambel wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die beiden curatores nominati das Stipulationsversprechen abgeben wollten (Plaetorius Fortunatus et Aemilius / Epagathio […] stipulatione spondere vellent, Z. 8 – 10) und dass der Testamentsauszug deshalb in die Urkunde aufgenommen worden ist, damit sie deutlicher den Inhalt der Haftung erkennen können (quo notius esset spondentibus in quibus cau/sis se obligarent, Z. 11 – 12); dass die spondent[es] selbst haften, macht das reflexive se obligarent deutlich. Beides zusammen, der Wille zur Abgabe der Stipulation einerseits und die Kenntnis vom Umfang der 161 Für eine Grundstücksüberlassung CIL X 444 = ILS 3546 = FIRA 2 III 42, Z. 5 – 7 (Roma,

81 – 96): […] iis, qui in collegio / Silvani hodie essent quique postea / subissent […]; für die Bezeichnung des Eigentümers CIL X 1579 = ILS 4291, Z. 1 – 4 (Puteoli, Latium et Campania, 2. Jhd.): Hic ager iug(era) VII cum cisterna / et tabernis eius eorum possessorum / iuris est qui in cultu corporis Heliopolita/norum sunt eruntve […]; für ein Fideikommiss ILS 8376 = FIRA2 III 43, Z. 11 – 15 (Praeneste, Latium et Campania, 331 – 370): daret ac traderet collegiis Praenesti/[nae] civitatis ea condicione ut isdem vel / [cu]ique in eorum iura corpusque successerit / [a]balienandi quocumque pacto potestas / non esset […]. Vermutlich wird auf dieselbe Weise posteri in einem Mitgliederbeschluss verwendet, ILS 7215, Z. 4 – 9 (Truentum/Castrum Truentinum, Picenum, 97 – 102): Cultores Herculis universi iu/rati per I(ovem) O(ptimum) M(aximum) Geniumque Imp(eratoris) / Caesaris Nervae Traiani Aug(usti) / Ger(manici) ita censuerunt / placere sibi posterisque suis / uti […]. Vgl. zum Ganzen Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 349 – 354; De Robertis, Storia II, 320 f. Fn. 94, 399 f. 162 Z. 2 – 4: […] legasseque Augustalib(us) / corporatis Misenensium […], si cavissent heredi eius […]. 163 D’Arms, JRS 90 (2000), 126 (139).

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Die vertraglichen Obligationen

übernommenen Haftung andererseits, soll nach dem Wortlaut der Präambel sicherstellen, dass eine wirksame Stipulation zustandekommt: ac deinde stipulatio utilis interponeretur (Z. 12).164 (b) Die Rechtsregel Nemo factum alienum promittere potest

Ferner müsste die Stipulation Rücksicht auf die Rechtsregel Nemo factum alienum promittere potest nehmen, wonach es unzulässig ist, die Leistung eines Dritten zu versprechen.165 Diese Regel richtet sich nicht zuletzt gegen die direkte Stellvertretung.166 Ausführlich wird sie im Zusammenhang mit der stipulatio habere licere 167 und – wie hier im Fall der Klausel (IV) – der stipulatio doli 168 diskutiert. Die Juristen haben zwei Strategien entwickelt, um mit d ­ iesem Problem umzugehen. Erstens ist zwar das Versprechen eines factum alienum selbst unwirksam, nicht aber ein damit verbundenes Versprechen einer Vertragsstrafe oder des Interesses;169 für die Klausel ‘alium sisti’ in einem vadimonium nimmt Celsus sogar an, dass sie die konkludente Abgabe eines Strafversprechens enthält und deshalb wirksam ist.170 Zweitens legen die Spätklassiker Paulus und Ulpian das Versprechen des factum alienum dahingehend aus, dass der reus promissionis sich verpflichtet, für das Ausbleiben des Handelns des Dritten zu sorgen (curare); das factum alienum wird dadurch zu einem factum proprium umgedeutet, das wirksam versprochen werden kann.171 Es fällt auf, dass die Klauseln der Urkunde zu beiden Strategien passen. Klausel (I) lässt sich als Verpflichtung der beiden promissores interpretieren, dafür zu sorgen, dass die Augustales corporati die Stiftung des Q. Cominius Abascantus nicht 164 Vgl. Nörr, SZ 121 (2004), 152 (171). 165 D. 45.1.38 pr. (Ulp. 49 Sab.). Ob D. 45.1.83 pr. (Paul. 72 ed.): Itaque alius pro alio promittens

daturum facturumve eum non obligatur: nam de se quemque promittere oportet ebenfalls diese Regel nennt, hängt davon ab, auf welches vorangehende Wort sich eum bezieht. Bezieht es sich auf alium, meint Paulus die Unzulässigkeit des factum alienum promittere, bezieht es sich dagegen auf pro alio, ist das Verbot des Vertrags zulasten Dritter gemeint – „in einer wissenschaftlich geprägten Jurisprudenz eine Selbstverständlichkeit“, Finkenauer, SZ 125 (2008), 440 (445); vgl. auch Finkenauer, Stipulation, 112. 166 Finkenauer, SZ 125 (2008), 440 (445). 167 D. 45.1.83 pr. (Paul. 72 ed.); D. 45.1.38 pr.–2 (Ulp. 49 Sab.). 168 D. 45.1.83 pr. (Paul. 72 ed.). 169 D. 46.7.19.1 (Venul. 9 stip.); D. 45.1.38.2, 13 (Ulp. 49 Sab.). Hierzu Coing, Ges. Aufs. I, 75 (92 f.); Kaser, SZ 90 (1973), 184 (194 f.); Knütel, Stipulatio poenae, 49 f.; Sanguinetti, SDHI 65 (1999), 151 (177, 182); Nörr, SZ 121 (2004), 152 (159); Finkenauer, Stipulation, 105 – 108, 111 f. 170 D. 45.1.81 pr. (Cels. apud Ulp. 77 ed.). So Kaser/Hackl, RZ, 228; Nörr, SZ 121 (2004), 152 (169). Anders Sanguinetti, SDHI 65 (1999), 151 (199 – 202); Finkenauer, Stipulation, 115 – 117. 171 D. 45.1.83 pr. (Paul. 72 ed.); D. 45.1.50 pr. (Ulp. 50 ed.); D. 45.1.81 pr. (Ulp. 77 ed.). Hierzu Coing, Ges. Aufs. I, 75 (93); Sanguinetti, SDHI 65 (1999), 151 (185 – 187); Finkenauer, Stipulation, 112 – 115, 117 – 119, 122 f.; vgl. Kaser, SZ 90 (1973), 184 (200 f.).

Die Stipulation

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zweckwidrig verwenden; sie nimmt also die zweite Strategie auf. Auf die gegenwärtigen und künftigen Augustales corporati wird Bezug genommen, um deutlich zu machen, für das Verhalten welcher Personengruppe die beiden curatores nominati zu sorgen versprechen. Eine ausdrückliche Festlegung ­dieses Personenkreises empfiehlt sich schon deshalb, um spätere Streitigkeiten über den Umfang des curare von vornherein zu verhindern. Die Juristenschriften zeigen, dass die persönliche Reichweite von Stipulationen häufig Anlass zu Auslegungsstreitigkeiten gegeben hat.172 Die Klauseln (II) und (III) passen dagegen zur ersten Strategie, wonach eine Vertragsstrafe oder das Interesse wirksam für den Fall versprochen werden kann, dass ein factum alienum ausbleibt. Darüber hinaus sind beide Klauseln im Passiv formuliert und verdecken dadurch, wessen Verhalten den Verfall der Vertragsstrafen auslöst; möglicherweise ist die Formulierung ebenfalls ein Versuch, auf die Bedenken der Jurisprudenz gegen das Versprechen eines factum alienum zu reagieren. Auch Klausel (IV) nimmt hierauf Rücksicht, indem sie auf Zahlung des Interesses gerichtet ist. Fehlte das Interesse, hafteten die rei promissionis nur für eigenen dolus; erst das Versprechen des Interesses lässt sie auch für arglistiges Verhalten der Augustalen haften.173 In Bezug auf das Verbot des Versprechens eines factum alienum folgt die Urkunde somit getreu der Rechtslehre.174 Das aber macht es unwahrscheinlich, dass ihr Verfasser davon ausgeht, dass die curatores nominati als direkte Stellvertreter der Augustalen handeln. Damit würde er sich in einen Gegensatz zur Jurisprudenz setzen, ­welche die direkte Stellvertretung nicht zuletzt wegen des Verbots des factum alienum promittere ablehnt. Da er bei der Formulierung des Inhalts der Haftung aus der Stipulation so skrupulös auf ­dieses Verbot Rücksicht nimmt, ist es wenig wahrscheinlich, dass er es mit Blick auf den Verpflichteten aus der Stipulation ignoriert. Verpflichtete aus der Stipulation sind daher nicht nur nach der Meinung der Jurisprudenz, sondern auch nach derjenigen des Verfassers der Urkunde nicht die Augustales corporati, sondern allein die von ihnen bestimmten rei promissionis, L. Plaetorius Fortunatus und Q. Aemilius Epagathio. Obwohl die Stipulation dazu dient, die Verwendung des Stiftungskapitals zu sichern, das den Augustalen durch Fideikommiss zugewendet worden ist, sind aus ihr nicht die Augustalen, sondern zwei Einzelpersonen verpflichtet. 172 Vgl. D. 45.1.131 pr. (Scaev. 13 quaest.); D. 10.2.25.12 (Paul. 23 ed.); D. 45.1.49.1 (Paul. 37 ed.);

D. 45.1.85.3 (Paul. 75 ed.); D. 45.1.2.5 (Iul. et Pomp. apud. Paul. 12 Sab.); D. 45.1.38 pr.–1, 13 (Ulp. 49 Sab.). 173 D. 46.7.19.1 (Venul. 9 stip.); D. 45.1.38.13 (Ulp. 49 Sab.). Zum Problem Coing, Ges. Aufs. I, 75 (90 – 92); Kaser, SZ 90 (1973), 184 (195 f.). 174 Für eine hohe Technizität der Formulierung der Urkunde insgesamt D’Arms, JRS 90 (2000), 126 (139); Nörr, SZ 121 (2004), 152 (171); Magioncalda, MEP 11 (2006), 193 (208).

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Die vertraglichen Obligationen

(c) Die Klausel dolus malus cuius vestrum Die Formulierung der clausula doli ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Verfasser der Urkunde davon ausgeht, dass Schuldner der Stipulation nicht die Augustalen sind. Denn die Urkunde spricht vom dolus malus cuius vestrum (Z. 40). Diese Formulierung ist nur noch ein weiteres Mal überliefert,175 nämlich in der donatio Flavii Syntrophi: CIL VI 10239 = FIRA2 III 94, Z. 1 – 20 (Roma, 2. – 3. Jhd.)

T. Flavius Syntrophus, priusquam hortulos Epagathianos Dadu[chianos - - - ianosque]  / cum aedificio et vineis ­ maceria clusis, ita uti instructi sunt, qui sunt via Labic[ana inter miliarium II et III] / euntibus ab urbe parte laeva ad viam, Aithale liberto suo mancipio daret, test[atus est se in hanc condi]/cionem mancipare, ut infra scriptum est:

T. Flavius Syntrophus hat erklärt, bevor er die epagathia­ nischen, daduchianischen und … Gärtchen mit dem Gebäude und den Weinbergen, die durch eine Mauer abgetrennt sind, so wie sie mit Zubehör ausgestattet sind, die sich in der via Labicana ­zwischen dem 2. und dem 3. Meilenstein befinden, von der Stadt kommend auf der linken Seite zur Straße hin, seinem Freigelassenen Aithales durch Manzipation gegeben hat, dass er unter der Bedingung manzipiert, wie unten geschrieben ist:

Si tibi hortos Epagathianos Dad[uchianos  -  -  - ianosque],  / 5 qu(ibus) d(e) a(gitur), q(ui) s(upra) s(cripti) s(unt), mancipio dedero vacuamque possessionem tradidero, tum per te no[n fieri factumve iri neque]  / per heredem tuum eumve, ad quem ea res q(ua) d(e) a(gitur) pertinet pertinebit, quo minus ii ho[rti aedificiumve sit com]/mune tibi cum conlibertis tuis utriusque sexus, qui a me testamento codicillisv[e honorati erunt, cumque iis fru]/aris, parique portione inter vos reditum eius custodiatis ita, ut

Wenn ich dir die epagathianischen, daduchianischen und … Gärten, um die es geht, die oben genannt sind, durch Manzipation gegeben und dir den freien Besitz eingeräumt habe, dann wird es weder durch dich geschehen oder geschehen sein, noch durch deinen Erben oder denjenigen, dem die Sache, um die es geht, gehört oder gehören wird, dass diese Gärten und das Gebäude dir nicht gemeinsam mit deinen Mitfreigelassenen beiderlei Geschlechts, die von mir im Testament oder in Kodizillen bedacht worden sein werden, gehören und du nicht mit ihnen die Früchte ziehst und ihr nicht unter euch zu gleichen Teilen ihren Ertrag so bewahrt, dass

[Es folgen mehrere Auflagen.].   […] [Et]  / ab hac re promissioneque d o l u s m a l u s c u i u s ­v e -­ s t r u m , de quibus agitur, a[bsit. Si adversus ea f(actum) erit, q(uanti) e(a) r(es) e(rit),] / tantam pecuniam dari, et amplius poenae nomine HS L m(ilia) n(ummum) stipulatu[s est T. Flavius Synthrophus], / 20 spopondit T. Flavius Aithales libertus. […] 17

Und in dieser Angelegenheit und ­diesem Versprechen soll keine Arglist von einem von euch, um die es geht, vorliegen. Wenn dagegen gehandelt worden sein wird, dann wird soviel Geld, wie der Gegenstand wert sein wird, und darüber hinaus als Strafe 50.000 Sesterze gegeben. Dies hat sich T. Flavius Syntrophus durch Stipulation versprechen lassen, hat der Freigelassene T. Flavius Aithales versprochen. […]

175 Vgl. Finkenauer, Stipulation, 110, dessen Wortwahl „[d]ie nur hier belegte Verwendung“

jedoch verdeckt, dass die Formulierung insgesamt zweimal belegt ist.

Die Stipulation

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T. Flavius Syntrophus manzipiert seinem Freigelassenen T. Flavius Aithales schenkweise einen Garten und anliegende Liegenschaften nebst Zubehör. Mit der Manzipation sind umfangreiche Auflagen verbunden, deren Einhaltung der Erwerber in einer Stipulation gegenüber dem Veräußerer verspricht: Flavius Aithales soll diese Grundstücke im Miteigentum mit denjenigen seiner Mitfreigelassenen behalten, die in den letztwilligen Verfügungen des Flavius Syntrophus näher bezeichnet sind.176 Flavius Aithales soll die Erträge der Grundstücke mit den Mitfreigelassenen zu Terminen, die im Zusammenhang mit der memoria des Flavius Syntrophus stehen,177 gleichmäßig teilen. Der letzte überlebende Miteigentümer soll in seinem Testament die nötigen Bestimmungen aufnehmen, um die Liegenschaften der familia libertorum zu erhalten. Als letzte Klausel der Stipulation folgt die clausula doli, die folgendermaßen formuliert ist: [Et] / ab hac re promissioneque dolus malus cuius vestrum, de quibus agitur, a[bsit. …] (Z. 17 – 19). Das Schenkungsgeschäft soll nach seiner ganzen Gestaltung eine Stiftung zugunsten der familia libertorum schaffen und den Totenkult des Flavius Syntrophus sichern. Die Liegenschaften sollen dauerhaft im Miteigentum von Angehörigen der familia libertorum des Flavius Syntrophus stehen. Auf diese nimmt die Urkunde an mehreren Stellen mit vos Bezug.178 Der zivile Erbe des Flavius Aithales wird dagegen als heres tuus, der prätorische als is, ad quem ea res pertinet pertinebit bezeichnet.179 Damit ist klar, dass vos nicht den Gesamtrechtsnachfolger, sondern den Angehörigen einer anderen Gruppe meint, im Falle der donatio Flavii Syntrophi die Mitglieder der familia libertorum.180 In der clausula doli verspricht Flavius Aithales somit, für das Ausbleiben arglistigen Verhaltens sowohl durch ihn selbst als auch der familia libertorum zu haften.181 Da auf die clausula doli das Versprechen folgt, das Interesse und eine Strafe von 50.000 Sesterzen zu zahlen, verstößt dies auch nicht gegen das Verbot des 176 In welchem Kontext diese Bezeichnung erfolgt ist, etwa im Rahmen einer testamentarischen

Freilassung, bleibt wegen einer Lücke der Inschrift unklar.

177 Le Bras, St. Riccobono III, 21 (59). 178 Z. 9 – 11: [… ut] / quisque vestrum vivet, quive ex vobis geniti erunt, aut a quo vestrum quis

ma[numissus erit, ad quem unum] / pluresve portio similiter huius loci aedificiive pertinebit […]; Z. 14 – 15: [… sic horti cum aedi]/ficis instrumentoque omni, quod die mortis meae ibi habuero, usui vestro [deserviant quamdiu vivetis]; Z. 16: quive ex vobis novissimus morietur[…]. 179 Z. 6 – 7: tum per te no[n fieri factumve iri neque] / per heredem tuum eumve, ad quem ea res q(ua) d(e) a(gitur) pertinet pertinebit, quo minus ii ho[rti aedificiumve sit com]/mune tibi cum conlibertis tuis utriusque sexus […]. Pernice, Labeo III.1, 148. 180 Dies übersieht Sanguinetti, SDHI 65 (1999), 151 (183), der deshalb nur zögernd die Klausel dolus malus cuius vestrum auf die familia libertorum bezieht. 181 Huschke, Instrumentum donationis, 34; Pernice, Labeo III.1, 149; Finkenauer, Stipulation, 110; vgl. Coing, Ges. Aufs. I, 75 (92).

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factum alienum promittere.182 Vielmehr liegt eine wirksame Erweiterung der Haftung auch für das arglistige Verhalten sämtlicher Angehörigen der familia libertorum vor. Die Formulierung dolus malus cuius vestrum dient also dazu, eine Haftung für die Arglist einer bestimmten Personengruppe herbeizuführen. Wenn auch die Urkunde aus Misenum diese Formulierung gebraucht, kann sie sich nur auf die Augustales corporati beziehen. Sie sind eine hinreichend abgegrenzte Gruppe, die wie die familia libertorum des Flavius Syntrophus einen engen Bezug zur Stiftung hat. Ebenso wie die colliberti Miteigentümer der übertragenen Liegenschaften sind, steht das von Q. Cominius Abascantus gestiftete Kapital im Eigentum der Augustalen. So wie Flavius Aithales neben den colliberti Miteigentümer ist, sind die beiden curatores nominati als Mitglieder der Augustales corporati Miteigentümer des Stiftungskapitals. L. Plaetorius Fortunatus und Q. Aemilius Epagathio versprechen also, dass weder sie selbst noch die Augustalen arglistig handeln werden. Offen muss bleiben, ob die Parteien bei der Aufnahme der clausula doli an bestimmte Arten arglistigen Verhaltens gedacht haben oder ob sie lediglich einem üblichen Formular gefolgt sind. Die zweimalige Überlieferung der Formulierung dolus malus cuius vestrum belegt jedenfalls, dass die Kautelarjurisprudenz Wege gefunden hat, das arglistige Verhalten einer Personengruppe einzubeziehen, die mit einer Stiftung bestimmungsgemäß in Berührung kommt.183 (d) Zu einer prätorischen Haftungsüberleitung auf die Augustalenkörperschaft

Es stellt sich indes noch die Frage, ob die zivilrechtliche Haftung der curatores nominati nach Beendigung ihrer Funktion vom Prätor auf die Augustalen übertragen wird. Dies hängt vom Verständnis von D. 50.8.5.1 ab.184 Dieses responsum Papinians ist zwar jünger als die Stipulation aus Misenum, doch liefert es lediglich einen terminus ante quem. Es lässt sich nicht ausschließen, dass der Text einen älteren Rechtszustand wiedergibt. Die wahrscheinlichere Interpretation ­dieses Textes ist, dass Papinian eine Denegation der Klage ex stipulatu gegen den Vermögensverwalter der Gemeinde ablehnt, weil mit der Stipulation ein ziviles Formalgeschäft abgeschlossen worden ist. Auf der Grundlage ­dieses Verständnisses kommt eine Haftungsüberleitung auf die Augustalen von vornherein nicht in Frage.

182 Huschke, Instrumentum donationis, 34; Knütel, Stipulatio poenae, 283. 183 Magioncalda, MEP 11 (2006), 193 (208 Fn. 88). 184 Dazu ausführlich oben II. Kap., § 2 II.1.

Die Stipulation

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Doch selbst wenn für Papinian das entscheidende Kriterium nicht der Geschäftstyp, sondern der Geschäftsinhalt (id quod actum est) ist, dürfte die Stipulation des L. Plaetorius Fortunatus und des Q. Aemilius Epagathio nicht zu einer Haftungsverlagerung auf die Augustalen post depositum officium führen. Maßgeblich wäre dann nämlich der Geschäftsinhalt der Stipulation. Zwar geben die beiden curatores nominati die Stipulation laut der Präambel der Urkunde nomine Augustalium corporatorum ab. Damit liefert sie einen Anhaltspunkt für den Prätor, wegen d ­ ieses Bezugs zu einem Vertretenen die Haftung auf diesen überzuleiten. Allerdings ist fraglich, ob der übliche Zeitpunkt für diese Haftungsüberleitung – die Beendigung der Vertreterstellung (post depositum officium) – hier überhaupt denkbar ist. Denn die beiden promissores sind curatores nominati; sie üben ihre Funktion also nicht wie Munizipalmagistrate und Vereinsfunktionäre für eine bestimmte Amtszeit bzw. wie tutor und curator bis zum Erreichen eines bestimmten Alters des Vertretenen aus. Stattdessen sind die curatores nominati ausschließlich für den Abschluss der Stipulation bestellt worden.185 Würde der Prätor die zivilen Klagen gegen sie denegieren, sobald sie ihre Aufgabe beendet haben, also unmittelbar nach Abschluss der Stipulation, liefe dies auf eine direkte Stellvertretung nach prätorischem Recht hinaus. Dann aber wären alle erwähnten Indizien für eine persönliche Haftung der beiden promissores bloße Leerformeln. Dies ist jedoch wenig wahrscheinlich, zumal die Präambel deutlich den Willen sowohl von Nymphidia Monime als auch der beiden curatores nominati zum Ausdruck bringt, deren persönliche Haftung zu begründen. Geschäftsinhalt (id quod actum est) ist also, der Erbin des Stifters zwei persönliche Schuldner zu verschaffen, die für die Vollziehung der Stiftungsauflage einstehen. Eine Überleitung der Haftung auf die Augustalenkörperschaft würde ­diesem Geschäftsinhalt deutlich zuwiderlaufen. Jedenfalls für die vorliegende Stipulation wäre eine Haftungsüberleitung auf die vertretene Körperschaft auch dann höchst unwahrscheinlich, wenn sie bei Stipulationen grundsätzlich möglich wäre. (4) Die Tragweite des Zeugnisses von AE 2000, 344b Wie bereits erwähnt, ist die Urkunde aus Misenum die einzige Quelle, die Auskunft über den Abschluss einer Stipulation nomine Augustalium corporatorum, also für eine Körperschaft geben kann. Da die Formulierung der Stipulation auf profunde Rechtskenntnisse schließen lässt,186 verbietet es sich, 185 D’Arms, JRS 2000, 126 (137); zustimmend Magioncalda, MEP 11 (2006), 193 (199 Fn. 37). 186 Nörr, SZ 121 (2004), 152 (171); Nörr, in: Garofalo, Eccezione di dolo, 363 (369 f.).

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Die vertraglichen Obligationen

sie als Werk eines subalternen Urkundenschreibers abzutun. Vielmehr hat sie bzw. ihr Formular ein Kautelarjurist abgefasst, der die Kriterien fest im Blick gehabt hat, nach denen die Jurisprudenz das beurkundete Geschäft beurteilen würde. Wählte man das Formular, das dieser Urkunde zugrunde liegt, wäre klar, dass nur der reus promittendi aus der Stipulation verpflichtet sein würde. Die Stipulation würde nur insoweit Sicherheit für die Vollziehung der Stiftungsauflage bieten, als der reus promittendi für ein entsprechendes Wohlverhalten der Personenvereinigung sorgen könnte bzw. im Falle einer Nichtvollziehung haften würde. Das Zeugnis der Inschrift aus Misenum ist daher ernst zu nehmen, wenn man die übrigen Quellen über Stipulationen für Körperschaften interpretiert. Sofern andere Inschriften lediglich stereotyp vom Abschluss einer Stipulation berichten, ist deshalb anzunehmen, dass eine Stipulation wie diejenige aus Misenum abgeschlossen worden ist. Als Schuldner der Stipulation ist nicht die Körperschaft anzusehen, sondern Einzelpersonen, die wie die curatores nominati der Augustalen persönlich haften. Offenbar ist die Haftung Einzelner, nicht die Haftung der Körperschaft die römische Praxis. Dies mag überraschen, weil eine Stiftung auf Dauer angelegt ist, wie zahlreiche Inschriften hervorheben, in denen die Zuwendung ausdrücklich als in perpetuum erfolgt beschrieben wird. Als Garant dieser Dauerhaftigkeit erscheint gerade die „unsterbliche“ Natur einer Körperschaft.187 Umgekehrt erscheint die Haftung von sterblichen Einzelpersonen als nur schwacher Garant für die dauerhafte Vollziehung der Stiftungsauflage. Schon bei einem Ausscheiden der rei promissionis noch zu Lebzeiten aus der Körperschaft ist es mehr als fraglich, inwieweit diese noch zu einem curare für die stiftungsgemäße Verwendung der Zuwendung imstande sind. b) Das Stipulationsversprechen als Kollektivakt Dies könnte erklären, warum in einigen Inschriften von der Abgabe eines Stipulationsversprechens durch die Gesamtheit der Mitglieder einer Personengruppe die Rede ist. Es könnte sich um den Versuch der Kautelarjurisprudenz handeln, mit der Vornahme eines Gesamtaktes durch sämtliche Mitglieder der Körperschaft zu erreichen, was auf keinem anderen Weg zu erreichen ist, nämlich die Körperschaft selbst zur Schuldnerin der Stipulation zu machen. Die älteste Inschrift hierzu stammt wie die Inschrift aus Misenum aus der Mitte des 2. Jahrhunderts:

187 Vgl. nur zur „Unsterblichkeit“ der Gemeinden D. 7.1.56 (Gai. 17 ed. prov.); D. 33.2.8 (Gai. 3

de leg. ad ed. prov.).

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CIL VI 10296 (Roma, 146)



[- - -]m nomine concordiae [- - -] [- - - con]ficiat X D unde in locum eius [- - -] [- - - fue]rint eadem condicione sequantur [- - -] [- - -]mat stipulatus est T. Flavius Aug(usti) [l(ibertus) - - -] 5   [- - -]us et populus poena autem infra s[cripta - - -] [- - - commi]ssum fuerit collegium poena teneatur vel [- - -] [- - - K(alendas)] Apr(iles) quod si custos distractus non esset [- - -] [- - - sa]crilego teneretur aut HS XXX m(ilia) n(ummum) s[- - -] [- - -]us legem s(upra) s(criptam) fecerit inferre debe[bit - - -] 10 [- - -] actum Sex. Erucio C[laro II Cn. Claudio Severo co(n)s(ulibus)].

Aus dem Stein wurden einige Stücke entfernt, sodass der Text nur sehr fragmentarisch überliefert ist; erste und letzte Zeile der Inschrift sind jedoch erhalten. Soweit erkennbar, hat die Stipulation Bezug zu einer Liegenschaft (unde in locum, Z. 2); offenbar dient sie der Sicherung einer Auflage (eadem condicione, Z. 3). Da die Liegenschaft bewacht werden soll, wie die Erwähnung eines custos zeigt (Z. 7),188 und da eine Zuwiderhandlung entweder gegen die Bewachungspflicht oder gegen eine sonstige Pflicht eine Haftung wegen sacrilegium auslöst (Z. 8), liegt es nahe, an eine Grabinschrift zu denken. Die Formulierung HS XXX m(ilia) n(ummum) […] inferre debe[bit - - -] lässt sich als Sepulkralmult deuten. Die Inschrift enthält eine Stipulationsklausel (Z. 4 f.), woran selbst die Lücken an dieser Stelle des Textes nicht zweifeln lassen: [- - -]mat stipulatus est T. Flavius Aug(usti) [l(ibertus) - - -] [- - -]us et populus poena autem infra s[cripta - - -]

Der genaue Inhalt der Stipulation lässt sich nicht feststellen, immerhin ist es wegen der Erwähnung der poena wahrscheinlich, dass es sich um eine Strafstipulation handelt. Reus stipulandi ist der kaiserliche Freigelassene T. Flavius, über den freilich nichts näher bekannt ist. Dass er der einzige Gläubiger ist, ergibt sich aus dem Singular stipulatus est. Damit steht zugleich fest, dass unmittelbar im Anschluss an diesen Namen die Klausel, die den Namen des Schuldners enthält, zu ergänzen ist. Das als Einleitung zu erwartende spoponderunt hat auch leicht auf dem Stein Platz: Die auf der rechten Seite verbleibende Mindestlänge der Zeile lässt sich durch das Konsulardatum in Z. 10 ermitteln, das insgesamt 32 Buchstaben umfasst. Dem A am Beginn des Datums entspricht in Z. 4 in etwa das T des Vornamens des Freigelassenen. Ergänzt man in Z. 4 spoponderunt, ergeben sich ab ­diesem T 24 Buchstaben. Damit verbleibt ausreichend Platz für ein möglicherweise erwähntes cognomen des Freigelassenen und das spoponderunt. 188 Kaiser, ZPE 86 (1991), 163 (178).

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Die vertraglichen Obligationen

Dieses könnte auch erst in Z. 5 gestanden haben, gefolgt vom Namen der Person, die zusammen mit dem populus als reus promissionis erwähnt wird. Von d ­ iesem Namen hat sich nur [- - -]us erhalten, doch ist anzunehmen, dass er einigen Platz benötigt hat. Der reus stipulandi wird nämlich zumindest mit praenomen, nomen gentile und der Filiation Augusti libertus aufgeführt; ob auch das cognomen genannt wurde, ist wegen der Lücke im Stein unklar. Wahrscheinlich folgt der Name des reus promissionis demselben Schema. Das wiederum bedeutet, dass auf der linken Seite des Steins ein größerer Teil als auf der rechten Seite fehlt. Platzgründe sprechen also nicht gegen die Ergänzung von spoponderunt. Als rei promissionis führt die Inschrift damit sowohl eine unbekannte Einzelperson als auch den populus, also die Gesamtheit der Mitglieder des collegium auf. Die Erwähnung eines populus schließt zugleich aus, dass das collegium – dessen Name die Inschrift nicht überliefert – ein Priesterkollegium ist. In Zusammenhang mit Grabstätten, insbesondere bei Sepulkralmulten, wäre mit der Erwähnung einer Priesterschaft durchaus zu rechnen.189 Doch wird die Gesamtheit ihrer Mitglieder nie als populus bezeichnet; vielmehr ist ­dieses Wort ganz typisch für die Gesamtheit der Mitglieder eines Vereins.190 Deshalb ist nicht daran zu zweifeln, dass sich die Inschrift auf einen Verein bezieht. Die Nennung einer Einzelperson und des populus zusammen erinnert an die Nennung von immunes et curator / et pleps universa collegi eius in der donatio Iuliae Monimes.191 Dort wird eine mancipatio bezeugt, die wie die Stipulation ein Formalgeschäft des ius civile ist. Als Manzipationserwerber treten Funktionäre und die pleps universa des collegium Silvani auf, womit ebenfalls die Gesamtheit der Mitglieder gemeint ist. In CIL VI 10296 bleibt unklar, ob [- - -]us Vereinsfunktionär ist. Sicher ist jedoch, dass die Inschrift auch die Gesamtheit der Mitglieder als rei promissionis nennt. Hierin lediglich eine „Floskel“ zu erblicken,192 berücksichtigt nicht, dass die Inschrift technische Formulierungen enthält, die gut zu einer Urkunde über eine Strafstipulation passen.193 Auch wenn die sehr fragmentarische Überlieferung 189 Siehe nur CIL VI 10284 = ILS 7947 = FIRA2 III 82c (Roma, 171 – 300); hierzu Kaser, SZ 95

(1978), 15 (83 Fn. 300).

190 Waltzing I, 366; De Robertis, Storia II, 335 Fn. 147. 191 CIL VI 10231 = ILS 7313 = FIRA2 III 93, Z. 9 – 10 (Roma, 2. – 3. Jhd.). 192 So Mitteis, RP I, 380 Fn. 15; in der Sache ebenso Mommsen, De collegiis, 123; Waltzing II, 453; Simon, Stipulationsklausel, 28; vgl. auch Arangio-Ruiz, FIRA2 III, p. 119 Fn. 6; ähnlich Eliachevitch, Personnalité juridique, 277 f.; Magioncalda, MEP 11 (2006), 193 (203 f.); zweifelnd De Robertis, Storia II, 333 mit Fn. 139. 193 Z. 3: eadem condicione; Z. 4: stipulatus est; Z. 6: commissum fuerit, […] poena teneatur; Z. 7:

sacrilegio teneretur; Z. 9: legem s(upra) s(criptam) fecerit, inferre debe[bit - - -]; das Konsulardatum am Schluss der Inschrift (Z. 10).

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Die Stipulation

nur wenige sichere Schlüsse auf den ursprünglichen Text zulässt, ist es aufgrund dieser Formulierungen zumindest denkbar, dass die Inschrift den Text einer Stipulationsurkunde überliefert. Dann wäre sie ein Zeugnis dafür, dass ein hauptstädtischer Kautelarjurist in der Mitte des 2. Jahrhunderts die Abgabe eines Stipulationsversprechens durch die Gesamtheit der Mitglieder eines collegium für möglich und wirksam hält.194 Ähnliche Klauseln finden in Ostia für die Mitte des 3. Jahrhunderts: AE 1987, 199 (Ostia, Latium et Campania, 254 – 256)

C. Iulio [C. f. Pal(atina) Cocil(io) Hermeti?] / [- - - - - -] / [- - - de] X / [- - - spor-] tul/5[as partiantur; quod si observatum n]on erit, / [tu]nc s(ummam) s(upra) ­s(criptam) ho[no]ratis c[oll(egii) f]abr(um) t[ig(nuariorum) O]st(iensium) dari / volo succondi­ cione s(upra) s(cripta). St[ipul]atus est Co-/ cilius Hermes, spepond[it pl]ebs. C. Iulius C.  f.  / Pal(atina) Corne[lianu]s? [-  -  -] T+++++++COL / 10 [- - - - - -]. // Dedic(atum) VIII Kal(endis) Iun(iis) / dd(ominis) nn(os­ tris) Valeriano Aug(usto) / [- - -] et Gallieno [- - - co(n)s(ulibus)].

Dem C. Iulius, Sohn des Caius, aus der tribus Palatina, Cocilius Hermes … damit sie … von … Denaren … Geldgeschenke aufteilen. Wenn dies nicht befolgt werden wird, dann will ich, dass die oben genannte Summe den honorati des Vereins der Zimmerleute aus Ostia unter der oben genannten Bedingung gegeben wird. Dies hat sich Cocilius Hermes durch Stipulation versprechen lassen, hat die Gesamtheit der Mitglieder versprochen. C. Iulius, Sohn des Caius, aus der tribus Palatina, Cornelianus … Geweiht am 8. Tag vor den Kalenden des Juni im Konsulat unserer Herren Valerianus Augustus und Gallienus.

AE 1987, 198 (Ostia, Latium et Campania, 256)

C. Iul(ius) C. f. Cocil(ius) Hermes,  / patr(onus) et q(uin)q(uennalis)  / p(er)p(etuus) col(legii)  / den(drophorum) Ost(iensium),  / signum M(atris) M(a­ gnae) ex argent(o)  / p(ondo) III et Z et HS VI m(ilia) n(ummum) d(ono) d(edit) ut VI / 5 Kal(endas) Iun(ias) die natalis sui de / X CLXXX usuras eorum epu/lentur et discumbentes / sportulas partiantur; / quot si obserbatum non / 10 erit, tunc s(ummas)

C. Iulius, Sohn des Caius, Cocilius Hermes, ­Patron und ständiger quinquennalis des Vereins der dendrophori von Ostia, hat ein Bild der Großen ­Mutter aus drei Pfund Silber und 6.000 Sesterze geschenkt, damit sie am 6. Tag vor den Kalenden des Juni, seinem Geburtstag, von den Zinsen von 180 Denaren speisen und bei Tische liegend Geldgeschenke aufteilen. Wenn dies nicht befolgt werden wird, dann will ich, dass die oben genannten Summen den honorati des Vereins der Zimmerleute

194 Ebenso Nörr, SZ 82 (1965), 398 (401 Fn. 13); zurückhaltender Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 335 mit Fn. 5. ­Kaiser, ZPE 86 (1991), 163 (178 f.) nimmt unter Verweis auf CIL XIV 2795 = ILS 272 (Gabii, Latium et Campania, 140), die ein decretum decurionum zur Annahme einer Stiftung überliefert, an, die Stipulation des populus in CIL VI 10296 erfolge durch einen Beschluss der Mitgliederversammlung. Dabei übersieht er erstens, dass auch CIL XIV 2795

einen Hinweis auf den Abschluss einer Stipulation enthält (stipulatione interposita, Z. 9). Zweitens kommt einem Beschluss der Mitglieder nur Geltung im Innenverhältnis unter den Mitgliedern zu (siehe unten V. Kap., § 2), nicht aber im Verhältnis zu Dritten. Gegen die Annahme Kaisers spricht daher bereits, dass die Inschrift einen reus stipulandi nennt und damit erkennen lässt, dass eine Haftung im Außenverhältnis ihm gegenüber begründet werden soll.

154 s(upra) s(criptas) honoratis  / coll(egii) fabr(um) tig(nuariorum) Ost(iensium) dari / volo sub condicione s(upra) s(cripta). / Stipulatus est Cocilius  / Hermes, {i}spepond(it) plebs.  / 15 Dedicat(um) Idib(us) Ianuaris  / Maximo et Glabrione  / co(n)s(ulibus). Ob cuius d(edicationem) d(ecurionibus) dedit {i}spor(tulas) X II.

Die vertraglichen Obligationen

aus Ostia unter der oben genannten Bedingung gegeben werden. Dies hat sich Cocilius Hermes durch Stipulation versprechen lassen, hat die Gesamtheit der Vereinsmitglieder versprochen. Geweiht an den Iden des Januar im Konsulat des Maximus und des Glabrio. Anlässlich dieser Weihung gab er den Ratsherren als Geldgeschenk 2 Denare.

Im Gegensatz zu CIL VI 10296 erlaubt der Erhaltungszustand der Inschriften, die Abgabe der durch sie überlieferten Stipulationsversprechen zu rekonstruieren. Sie dienen der Sicherung von zwei Stiftungen zugunsten des collegium dendrophorum 195 von Ostia, die C. Iulius Cocilius Hermes, Patron und quinquennalis perpetuus des Vereins,196 zu Lebzeiten vorgenommen hat. Stiftungen unter Lebenden werden als Schenkung unter Auflage vollzogen.197 In AE 1987, 199, der schlechter erhaltenen Inschrift, handelt es sich um die Zuwendung einer Geldsumme, deren Ertrag als sportulae unter den Mitgliedern des collegium verteilt werden soll. Wird diese Auflage nicht vollzogen, soll die Geldsumme den honorati des collegium fabrum tignuariorum herausgeben werden, die sie unter derselben Auflage verwenden sollen.198 Die Wahrung des Stiftungszwecks lässt sich Cocilius Hermes durch eine Stipulation versprechen, als deren reus promissionis, eingeleitet vom technischen Ausdruck spepondit,199 die plebs, also die Gesamtheit der Mitglieder des collegium dendrophorum erscheint (Z. 8). AE 1987, 198 berichtet davon, dass Cocilius Hermes den dendrophori eine silberne Statue der Magna Mater und 6.000 Sesterze geschenkt hat (d(ono) d(edit), Z. 5). Der Ertrag dieser Summe soll für ein Bankett und die Verteilung von sportulae am dies natalis des Stifters verwendet werden. Da auch diese Inschrift sportulae mit derselben Formulierung wie AE 1987, 199 vorsieht, ist es wahrscheinlich, dass dort neben den sportulae ebenfalls ein Bankett vorgesehen ist. Wenn die dendrophori die Schenkung nicht für den Stiftungszweck gebrauchen, soll die Geldsumme unter derselben Auflage an die honorati der fabri tignuarii herausgegeben werden. Nicht nur diese Sanktion ist dieselbe wie in AE 1987, 199, Zu den dendrophori siehe oben I. Kap., Fn. 214. Zur Person Pellegrino, MGR 12 (1987), 183 (185 f.). Zur Schenkung unter Auflage Mitteis, RP I, 200 – 203; Kaser, RP I, 259. Zu dieser Art von Sanktion der Nichtvollziehung der Stiftungsauflage siehe unten II. Kap., § 2 II.3.b). 199 Es handelt sich um die alte Form des deutlich häufiger überlieferten spopondit; Gell. 6.9.12 – 14. Spepondit ist auch in TPSulp. 27, tab. III, pag. 3, Z. 7 (Puteoli, Latium et Campania, 4. September 48) und der donatio Flavii Artemidori (CIL VI 10241 = ILS 7912 = FIRA2 III 80d, Z. 31 [Roma]) überliefert. 195 196 197 198

Die Stipulation

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sondern auch die Formulierung dieser Klausel: Die Herausgabe wird mit dari volo (Z. 11 f.) angeordnet, es werden also für ein Fideikommiss typische verba precativa in einem Geschäft unter Lebenden verwendet.200 Die Verwendung von dari volo in beiden Inschriften deutet hier nicht auf eine Stiftung von Todes wegen; dies wird durch d(ono) d(edit) in AE 1987, 198 ausgeschlossen.201 Vielmehr ist sie ein Hinweis darauf, dass Auflage und Fideikommiss im 3. Jahrhundert sich so stark angenähert haben,202 dass verba precativa auch in Geschäften unter Lebenden zur Bezeichnung der Auflage verwendet worden sind.203 Genauso wie in AE 1987, 199 wird die Vollziehung der Auflage von der Gesamtheit der dendrophori durch Stipulation versprochen, wie die Formulierung {i}spepond(it) plebs (Z. 14) zeigt. Diese Zeugnisse für die Vornahme des Stipulationsversprechens als Gesamtakt der Vereinsmitglieder lassen sich als Versuch der Kautelarjurisprudenz deuten, auf diese Weise ein collegium zum Schuldner aus einer Stipulation zu machen. Dies setzt freilich voraus, dass das Stipulationsversprechen auch tatsächlich als Gesamtakt geleistet worden ist, denn die Stipulation setzt im klassischen Recht zur Wirksamkeit die mündliche Abgabe in Frage- und Antwortform voraus.204 Eine schriftlich beurkundete Stipulationsklausel führt im klassischen Recht nicht zur Entstehung einer Verbalobligation, wenn die Stipulation nicht tatsächlich mündlich geleistet worden ist, sondern ist lediglich ein – jederzeit widerleg­ licher – Beweis für die Vornahme des Verbalakts.205 Im weiteren Verlauf der Kaiserzeit wird zwar die schriftliche Urkunde für den Rechtsverkehr immer wichtiger, während der Verbalakt in den Hintergrund tritt. Die beurkundete Stipulationsklausel begründet in dieser Zeit die Vermutung, dass der Verbalakt tatsächlich vorgenommen worden ist.206 Doch noch die nachklassischen 207 Paulussentenzen halten daran fest, dass die Obligation nur dann wirksam begründet worden ist, wenn die Stipulation tatsächlich mündlich bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien geleistet worden ist.208 200 Insoweit zutreffend Magioncalda, MEP 11 (2006), 193 (204). 201 Verfehlt daher die Annahme von Stiftungen von Todes wegen durch Magioncalda, MEP 11

(2006), 193 (204).

2 02 Ausführlich dazu unten IV. Kap., § 2 II.2. 203 Die Worte dari volo finden sich auch in einer Stiftung unter Lebenden zugunsten der vicani Minnodunenses; CIL XIII 5042 (Minnodunum, Germania superior). 204 Gai. 3.92. 205 Nörr, SZ 82 (1965), 398 (401 f.); Platschek, Pecunia constituta, 175 f. 206 Simon, Stipulationsklausel, 30 – 33; Nörr, SZ 82 (1965), 398 (402). 207 Liebs, HLL V, 66. 208 PS 5.7.2; ebenso D. 45.1.134.2 (Paul. 15 resp.); C. 8.37.1 (Sever./Anton., a. 200). Ebenso Levy, VR, 35; Platschek, Pecunia constituta, 176 Fn. 512.

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Die vertraglichen Obligationen

Die Klausel spepondit plebs kann deshalb nur dann mit einer Anerkennung durch die Jurisprudenz und die Gerichte rechnen, wenn es tatsächlich zur Vornahme des Verbalakts durch die Gesamtheit der Mitglieder gekommen ist. Als bloße schriftliche Klausel, der überhaupt kein Verbalakt oder nur einer entspricht, an dem nicht alle Mitglieder teilgenommen haben,209 würde sie nicht zur Entstehung einer Obligation führen. Eine Kautelarpraxis, die Wert auf die Wirksamkeit ihrer Urkunden legt, kann die Formulierung spepondit plebs also nur verwenden, wenn diese Klausel als taugliches Beweismittel dafür aufgefasst wird, dass das Versprechen tatsächlich durch die plebs collegii erfolgt ist. Eine bloße „Floskel“ dürfte deshalb die Klausel nicht sein. Diese Vermutung wird dadurch erhärtet, dass in der donatio Iuliae ­Monimes, einer Inschrift von der Wende vom 1./2. Jahrhundert, eine mancipatio als Kollektivakt bezeugt ist: CIL VI 10231 = ILS 7313 = FIRA2 III 93, Z. 7 – 20 (Roma, 71 – 130)

Der Ort, an dem sich eine schola unter einem Portikus befindet, die dem Silvanus und dem Verein seiner Kultgenossenschaft geweiht ist, [ihn] haben die immunes, der curator und die Gesamtheit der Mitglieder seines Vereins von Iulia Monime und ihren Miteigentümern durch Manzipation ge­gen einen Sesterz schenkweise erhalten, [mit Zustimmung des] C. Me­­mius Orio, des Vormunds der Iulia Monime, und zu ­diesem Ort ein Wegerecht, ein Viehtriebsrecht und ein Zugangsrecht; sagrificia facere, vesci, epulari ita es soll gestattet sein, Opfer durchzuführen, zu speilicat sen und Bankette abzuhalten, 15 quandiu is collegius steterit. Quodsi aliter solange dieser Verein bestanden haben wird. Wenn anders factum fuerit, quod ad collegium pertinet gehandelt werden wird, was den Verein [Si]lvani, is locus sacratus restituetur des Silvanus betrifft, wird dieser geweihte Ort zurückerstattet werden … ohne irgendeinen Streit … [- - -]IRI sine ulla controversia haec … [- - -]ti sunt 20 …  - - - - - Locus in quo aedificata est schola sub por(ticu) consacrata Silvano et collegio eius sodalic(i), mancipio acceperunt immunes et curator 10 et pleps universa collegi(i) eius de Iulia Monime et socis eius sestertio nummo uno donationis causa, tutore C. Memio Orione Iuliaes Monimes, et ad eum locum itum actum ambitum;

Dort handelt es sich um eine mancipatio, die wie die Stipulation ein Formalgeschäft des ius civile ist. Im Rahmen einer Stiftung unter Lebenden übereignen Iulia Monime und ihre Miteigentümer ein an der via Appia gelegenes

209 So aber Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 316, 335 mit Fn. 6.

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Grundstück, auf dem sich eine schola sub porticu befindet,210 die dem Gott Silvanus geweiht ist. Empfänger der Schenkung ist das collegium des Silvanus. Die Übereignung erfolgt durch eine Manzipation nummo uno, die mit der auctoritas tutoris des Vormunds der Iulia Monime erfolgt. Als Erwerber aufgrund der Manzipation (mancipio acceperunt) werden immunes et curator et pleps universa collegi aufgeführt, also die Gesamtheit der Mitglieder des Vereins. Im Anschluss an die Manzipation des Grundstücks wird dem collegium für die Dauer seines Bestehens ad eum locum itum actum ambitum gestattet, um dort Opfer und Bankette abzuhalten. Dadurch werden ein Wegerecht (itu[s]) und ein Viehtriebsrecht (actu[s]) zum manzipierten Grundstück (ad eum locum) bestellt. Hinzu kommt das atypische Recht zum Umgang des Grundstücks (ambitu[s]). Die Bezeichnungen itu[s] und ambitu[s] sind in Inschriften vielfältig belegt und entsprechen daher der Urkundenpraxis.211 Die Inschrift endet mit einer Klausel, w ­ elche die Rückgabe des Stiftungsvermögens an die Stifterin vorsieht, wenn das Stiftungskapital entgegen ihrem Willen verwendet wird.212 Damit bezeugt die Inschrift den Versuch der Praxis, ein Grundstück durch Manzipation einer Personenvereinigung unter Einbeziehung der Gesamtheit der Mitglieder zu übereignen und zu ihren Gunsten Servituten 213 zu bestellen. Die Formulierung immunes et curator et pleps universa collegi zielt darauf ab, die Gesamtheit der Mitglieder in ihrem wechselnden Bestand einzubeziehen.214 Nicht die aktuellen Mitglieder als singuli, sondern die pleps universa soll Eigentümerin des Grundstücks und Berechtigte aus den Servituten werden. Inwiefern diese Praxis Anerkennung durch Gerichte und Juristen gefunden hat, bezeugen die Inschriften naturgemäß nicht. Kollektivakte der Gesamtheit der Mitglieder sind nur in dokumentarischen Quellen bezeugt, nicht aber in den Juristenschriften. Ob sie tatsächlich für wirksam gehalten worden sind, ist daher nicht überliefert. Immerhin stellen sie eine passgenaue Antwort der Urkundenpraxis auf die Ablehnung der direkten Stellvertretung von Personenvereinigungen durch die kaiserzeitliche Jurisprudenz dar. Lässt diese nicht zu, dass Einzelpersonen durch ihr Handeln eine Verpflichtung der Körperschaft Zum Vereinshaus der cultores Silvani siehe Bollmann, Vereinshäuser, 266 – 268. Vgl. Capogrossi Colognesi, Struttura II, 231 mit Fn. 48. Ausführlich hierzu siehe unten II. Kap., § 2 II.3.a). Ebenso Waltzing II, 451; De Robertis, Storia II, 344. Ablehnend Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 328. 214 Bruck, Kulturgeschichte, 46 (85 f.). Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 316 dagegen bezweifelt ein Handeln sämtlicher Vereinsmitglieder. Nur für eine „Floskel“ hält diese Klausel Mitteis, RP I, 380 Fn. 15; ebenso Mommsen, De collegiis, 123; Waltzing II, 450 f.; Eliachevitch, Personnalité juridique, 277 f. 210 211 212 213

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herbeiführen, so reagiert die Urkundenpraxis damit, dass sämtliche Mitglieder handeln und dadurch die Gesamtheit als s­ olche verpflichtet wird. Diese Antwort nimmt zu sehr auf die fachjuristische Diskussion Rücksicht, als dass sie als reiner Vulgarismus 215 abgetan werden könnte. 3. Die Verpflichtung zur Herausgabe des Stiftungsvermögens bei Stiftungen inter vivos

Eine Reihe von Stiftungen inter vivos enthalten eine Klausel, wonach das Stiftungsvermögen herauszugeben ist, wenn dessen ursprünglicher Träger ­dieses entgegen dem Stifterwillen verwendet. a) Die Rückgabe des Stiftungsvermögens an den Stifter Die donatio Iuliae Monimes enthält in Z. 15 – 20 eine Klausel, w ­ elche die Rückgabe des Stiftungsvermögens an die Stifterin vorsieht. Im Anschluss an die Übereignung eines Grundstücks und die Bestellung von Servituten durch Manzipation 216 wird angeordnet, dass das Grundstück an die Stifterin zurückzugeben ist (restituetur, Z. 17), wenn die Auflage nicht beachtet worden ist (quodsi aliter / factum fuerit, Z. 15 f.). Dies kann sich nur auf die unmittelbar zuvor genannte Nutzung für Opferfeiern und Bankette beziehen. Inwiefern diese Auflage gesichert worden ist, lässt sich aufgrund des fragmentarischen Zustands der Inschrift nicht mehr eindeutig rekonstruieren. (1) Kein Fall der fiducia cum amico contracta

Arangio-Ruiz 217 hat folgende Ergänzung vorgeschlagen: Quodsi aliter / factum fuerit, quod ad collegium pertinet / [Si]lvani, is locus sacratus restituetur / [- - -]IRI sine ulla controversia haec / [ i n t e r s e c o n v e n e r u n t e t p a c ] t i s u n t . Vorbild für diese Ergänzung ist die mancipatio Pompeiana, eine fiducia cum creditore contracta.218 Hintergrund d ­ ieses Ergänzungsvorschlags ist die Vorstellung, dass die Verpflichtung zur Herausgabe des Stiftungskapitals eine Treuhandabrede sei, die mit der actio fiduciae durchgesetzt werden könne.219 Gegen diesen Ergänzungsvorschlag sprechen jedoch zwei Aspekte. Erstens erwähnt die donatio Iuliae Monimes als Zweck des Geschäfts die donationis causa (Z. 11 f.). Dagegen

215 So aber Bruck, Kulturgeschichte, 46 (71 f.); De Robertis, Storia II, 321. 216 Hierzu siehe oben II. Kap., § 2 II.2.b). 217 Arangio-Ruiz, FIRA2 III, p. 298 Fn. 5. 218 CIL IV 3340 nr. 155 = FIRA2 III 91 (Pompei, Latium et Campania, 61). 219 So Mitteis, RP I, 202; Bruck, Kulturgeschichte, 46 (73 f., 88); Kaser, RP I, 259. Ablehnend Pernice Labeo III.1, 155.

Die Stipulation

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nennt eine Reihe anderer Urkunden ausdrücklich die fiducia als causa.220 Zwar ist dies nicht bei sämtlichen überlieferten Treuhandgeschäften der Fall.221 Nennt also eine Urkunde die causa fiduciae nicht, kann daraus zwar nicht geschlossen werden, dass kein Treuhandgeschäft vorliegt.222 Doch anders verhält es sich bei der donatio Iuliae Monimes, die ausdrücklich die Schenkung als causa erwähnt. Schon dies macht es unwahrscheinlich, dass die donatio Iuliae Monimes als Fall der fiducia behandelt worden wäre. Zweitens bietet der Stein nicht genug Platz für eine der mancipatio Pompeiana vergleichbare Klausel. Dort wird nämlich der Schluss des pactum fiduciae durch eine Nennung der Namen der Parteien eingeleitet: […] [Dicidi]/a Margaris, Poppea [P]risci lib(erta) Note tuto[re D. Caprasio Ampliato] / supra hec inter eas conveneru[nt pactaeque - - -] / inter se sunt […] (tab. II, pag. 3, Z. 18 – 21). Eine derartige Nennung der Parteinamen wäre auch in der donatio Iuliae Monimes aus syntaktischen Gründen zu erwarten, denn in beiden Urkunden werden die Namen in der Manzipationsformel entsprechend deren Syntax in unterschiedlichen Kasus (Erwerber im Nominativ, Veräußerer im Ablativ) gebraucht. Die Formulierung des pactum fiduciae fordert dagegen den Nominativ für den Namen beider Parteien.223 Eine entsprechende Klausel in der donatio Iuliae Monimes wäre also folgendermaßen zu rekonstruieren: [Iulia Monime et soci eius tutore C. Memio Orione et immunes et curator et pleps universa inter se convenerunt et pac]ti sunt.

220 TH 65, tab. II, pag. 4, Z. 8 (Herculaneum, Latium et Campania, 10. Januar 62); CIL II 5042 = FIRA2 III 92, Z. 3 (Lascuta, Baetica, 1. – 2. Jhd.); vgl. auch TPSulp. 85, tab. II, pag. 3, Z. 1 (Puteoli, Latium et Campania, 5. Oktober 51); TPSulp. 87, tab. I, pag. 2, Z. 14–tab. II, pag. 3, Z. 1 (Puteoli, Latium et Campania, 30. Oktober 51); TPSulp. 90, tab. I, pag. 2, Z. 8 – 9 (Puteoli, Latium et Campania, 16. Februar 61); TPSulp. 91, tab. I, pag. 2, Z. 8 – 9 (Puteoli, Latium et Campania, 22. Februar 61); TPS ulp. 92, tab. I, pag. 2, Z. 8 (Puteoli, Latium et Campania,

4. Februar? 61).

221 Die mancipatio Pompeiana (CIL IV 3340 nr. 155 = FIRA2 III 91 [Pompei, Latium et Campania,

61]) nennt die causa fiduciae nicht; siehe hierzu nur Noordraven, Fiduzia, 136; zuletzt Marra, RIDA³ 64 (2017), 177 (185 – 187). 222 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Verpflichtung des Treuhänders allein dadurch entsteht, dass der Formalakt fiduciae causae vorgenommen wird; zum Diskussionsstand Noordraven, Fiduzia, 130 – 138; zuletzt Bertoldi, Negozio fiduciario, 68 – 72. 223 Die Nebenabreden zur Verpfändung in TPSulp. 79 (Puteoli, Latium et Campania, 15. März 40) sind dagegen subjektiv stilisiert und bedienen sich daher der jeweiligen Formen der Personalpronomina ego und tu; dies entspricht dem Urkundentyp des chirographum. Soweit der Beginn der abschließenden Klausel in tab. III, pag. 5, Z. 15 – 16 grammatikalisch falsch ist (haec / mihi tecum ita convenerunt statt richtig haec ego tecum ita conveni), handelt es sich um einen einmaligen Fehler.

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Die vertraglichen Obligationen

Es ergäbe sich eine Zeilenlänge von 101 Buchstaben, die weit über der durchschnittlichen Zeilenlänge von 28 – 38 Buchstaben der Inschrift liegt und für die der Stein auch nicht ausreichend Platz bietet. Daran änderte sich auch nichts, wenn man die Klausel kürzte, etwa – entgegen der Formulierung der mancipatio Pompeiana – auf die Nennung des tutor der Iulia Monime verzichtete und – nach dem Vorbild von AE 1987, 198 – allein die pleps des collegium erwähnte; es verblieben immer noch 57 Buchstaben. Die Schwierigkeiten, die der Ergänzungsvorschlag von Arangio-Ruiz bereitet, lassen es als unwahrscheinlich erscheinen, dass eine Stiftungsauflage mit der actio fiduciae durchsetzbar wäre. (2) Zur Einordnung als Innominatkontrakt Indes könnte die Klausel in Z. 15 – 19 der donatio Iuliae Monimes als pactum ausgelegt worden sein, das einen Innominatkontrakt begründet und mit praescripta verba eingeklagt werden kann.224 Grundlage dafür ist ein Vergleich mit einer anderen Inschrift: CIL XIV 325 (Ostia, Latium et Campania, 194) (in fronte)

[- - - die]s III Kale[ndas - - -] / [P.] Clau[d(i)] Vera[ti Abascantiani] / [s]umm(as) dies VIII [I]du[s I]anuar(ias) / [dies supra s]criptos non observaverit / 5 [- - -] summas s(upra) s(criptas) rei public(ae) / [- - -] refundi sic pactus est.

3. Tag vor den Kalenden … P. Claudius Veratius Abascantianus … die Summen am 8. Tag vor den Iden des Januar … [wenn er] … die oben genannten Termine nicht eingehalten haben wird, ist vereinbart worden, dass die oben genannten Summen der Gemeinde … zurückgezahlt werden.

Die nur fragmentarisch überlieferte Inschrift lässt eine Stiftung erkennen. Ihre Erträge sollen zur Feier des Geburtstags eines P. Claudius Veratius Abascantianus verwendet werden. Empfänger der Stiftung ist aller Wahrscheinlichkeit nach das collegium dendrophorum von Ostia.225 Eine Stiftung unter Lebenden liegt vor, weil nur bei einem Geschäft unter Lebenden von pacisci gesprochen werden kann; würde es sich um eine testamentarische Stiftung handeln, wäre mit dem Wort cavere zu rechnen.226 Ferner ist die Stiftung Teil einer ganzen Reihe von Stiftungen, die der Feier der Geburtstage weiterer Familienmitglie2 24 Vgl. D. 2.14.7.2 (Ulp. 4 ed.). 225 Herz, ZPE 76 (1989), 167 (170 mit Fn. 19). Zu den dendrophori siehe oben I. Kap, Fn. 214. 226 So CIL X 114 = ILS 6469, Z. 27 – 28 (Petelia, Bruttium et Lucania, 138 – 161): […] Haec ita, ut cavi, fieri praestariqu[e] / volo […]; AE 2000, 344b, Z. 36 – 39 (Misenum, Latium et Campania,

144): […] si ea quae his tabulis ex testamen/to Comini translata trans{s}criptaque sunt ita ut ibi cautum est da/ta facta praestata non erunt, quanti quaeque earum rerum res / erit, tantam pecuniam et alterum tantum dari […].

Die Stipulation

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der dienen.227 Deren Kapital stammt offenbar jeweils aus dem Vermögen des P.  Claudius Abascantus, des Vaters des P. Claudius Veratius Abascantianus,228 der die Kosten der Inschrift CIL XIV 326 mit der Aufstellung der Stiftungen zugunsten der dendrophori übernommen hat und deshalb zu d ­ iesem Zeitpunkt noch am Leben gewesen sein muss.229 Trotz ihrem fragmentarischen Zustand lässt die Inschrift erkennen, dass das Stiftungskapital einer res publica herauszugeben ist (refundi), wenn der Stifterwille nicht beachtet wird. Diese Herausgabepflicht ist Gegenstand eines pacisci geworden. Darunter ließe sich eine Abrede verstehen, die einem Innominatkontrakt zugrunde liegt, wie ein Reskript der ­Kaiser Diokletian und Maximian bezeugt: C. 8.53.22 (Diocl./Maxim., a. 294) Cum res filio emancipato ea condicione, ut creditoribus tuis solveret, te donasse proponas, si stipulatione vel in continenti habito pacto huic rei prospexisti, creditoribus quidem non contra eum ex placito vestro, sed adversus te competit actio.

Da du vorträgst, dass du deinem aus der väterlichen Gewalt entlassenen Sohn Sachen unter der Bedingung geschenkt hast, dass er deine Gläubiger befriedigt, steht den Gläubigern aus eurer Übereinkunft keine Klage gegen ihn, sondern gegen dich zu, wenn du durch eine Stipulation oder in einer ­diesem Geschäft beigefügten Abrede hierfür Vorkehrungen getroffen hast.

1. Eum autem, cui certa lege praedia donasti, incerta civili actione ad placitorum obsequium urgueri secundum legem donationibus ­di­ctam convenit.

Gegen denjenigen, dem du mit einer genauen Bestimmung Grundstücke geschenkt hast, soll mit einer auf einen unbestimmten Gegenstand gerichteten zivilrechtlichen Klage vorgegangen werden, um eine Befolgung der Abreden gemäß der Bestimmung zu den Schenkungen [zu erreichen].

Tu, der um das Reskript ansucht, hat seinem gewaltfreien Sohn etwas unter der Auflage geschenkt, seine Gläubiger zu befriedigen. Unabhängig davon, ob die Vollziehung der Auflage durch Stipulation oder durch einfaches pactum zugesichert worden ist, steht nach Entscheidung der ­Kaiser den Gläubigern des Tu eine Klage nur gegen diesen, nicht aber gegen den Sohn zu. Tu kann denjenigen, dem unter einer Auflage (certa le[x]) Grundstücke geschenkt worden sind, mit der actio incerta civilis zur Vollziehung der Auflage zwingen. Es fällt eine Inkonzinnität ­zwischen principium und § 1 auf: Im principium ist Beschenkter der gewaltfreie Sohn, der Gegenstand der Schenkung wird nicht näher genannt, dagegen aber der Inhalt der Auflage, nämlich die Befriedigung der Gläubiger des Vaters. In § 1 bleibt dagegen offen, ob der Beschenkte der Sohn 227 CIL XIV 326 (Ostia, Latium et Campania); Herz, ZPE 76 (1989), 167 (170 f.). 228 Herz, ZPE 76 (1989), 167 (170). 229 Unzutreffend daher Herz, ZPE 76 (1989), 167 (170), der von einer „Reihe von Einzellegaten“

spricht.

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Die vertraglichen Obligationen

ist, dafür ist ein Grundstück Gegenstand der Schenkung, während der Inhalt der Auflage nicht genannt wird. Diese Inkonzinnität weist auf eine Störung des Textes hin, die sich bei einem Vergleich mit dem Text der Basiliken erhärtet: Dort werden nämlich dem Tu zwei Klagen zugesprochen, deren Abgrenzung jedoch widersprüchlich ist: B. 47.1.55 (Sch. A VI 2138; Hb. IV 583) Ἐὰν τῷ αὐτεξουσίῳ παιδὶ ἐδωρήσω Wenn du deinem aus der väterlichen Gewalt entlassenen πρᾶγμα ἐπὶ ὅρῳ τοῦ πληρῶσαι Sohn eine Sache mit der Bestimmung geschenkt hast, αὐτὸν τοὺς δανειστάς σου, οἱ μὲν dass er deine Gläubiger befriedigt, werden die Gläubiger δανεισταὶ κατὰ σοῦ ἔξουσιν, σὺ δὲ gegen dich, du aber wirst gegen deinen Sohn entweder κατὰ τοῦ υἱοῦ ἢ τὴν περὶ μελλούσης die Klage auf [Ersatz] des künftigen Schadens, wenn du ζημίας ἀγωγήν, ἐὰν ἐπηρώτησας, ἢ [dir] eine Stipulation hast versprechen lassen, oder die τὴν ἐξ ἐπερωτήσεως καὶ συμφώνου Klage aus Frage und übereinstimmender Antwort darauf ἀποκρίσεως ἀγωγήν, ἵνα πληρωθῇ τὰ haben, dass die Abreden eingehalten werden. δόξαντα.

Tu hat entweder eine Klage auf Ersatz des künftigen Schadens (περὶ μελλούσης ζημίας ἀγωγ[ή]), wenn eine Stipulation erfolgt ist (ἐὰν ἐπερώτησας), oder eine Klage „aus Frage und übereinstimmender Antwort“, mit der die Erfüllung von „Abreden“ (δόξαντα) durchgesetzt werden soll. Der Vertragsschluss durch Frage und Antwort ist im klassischen Recht Merkmal des Verbalkontrakts, also der Stipulation.230 Nach dem Basilikentext dient die Klage hieraus aber gerade der Durchsetzung einfacher Abreden. Zudem wird die Antwort als συμφώνου ἀποκρίσ[ις] qualifiziert; die Verwendung von σύμφωνον überrascht, weil ­dieses Wort üblicherweise zur Wiedergabe von pactum verwendet wird.231 Diese Terminologie vermengt Begriffe, die im klassischen Recht strikt getrennt werden, passt aber zur Entwicklung des byzantinischen Rechts seit der Aufhebung des Wortformalismus’ der Stipulation durch ­Kaiser Leo,232 die zu einer Verwischung der Unterschiede ­zwischen Stipulation und sonstigen vertraglichen Abreden führt.233 Mit der Aufgabe des Wortformalismus’ ist die Unterscheidung z­ wischen einer Stipulation und einer Abrede, die Grundlage einer actio incerta civilis ist, weitgehend hinfällig geworden. Damit taugt der Basilikentext nicht zur Behebung der Störung des Codextextes.

230 Gai. 3.92: Verbis obligatio fit ex interrogatione et responsione […]. 231 Siehe nur die Wiedergabe von D. 2.14.1.1 (Ulp. 4 ed.): Pactum […] est pactio duorum pluriumve in idem placitum et consensus durch B. 11.1.1 (Sch. A II 625; Hb. I 553): Σύμφωνόν ἐστι δύο ἢ

πλειόνων εἰς ταὐτὸν ἀρεστὸν καὶ συναίνεσις.

232 C. 8.37.10 (Leo, a. 472); I. 3.15.1. 233 Siehe nur Kaser, RP II, 382.

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Die Stipulation

Für ­dieses Ergebnis spricht ferner, dass Teile des Texts von B. 47.1.55 wortgleich mit demjenigen von B. 47.1.42 sind: B. 47.1.42 (Sch. A VI 2137; Hb. IV 581) Ἐὰν ἐπὶ ὅρῳ τινὶ ἐδωρήσω, εἰ μὲν ἐπηρώτησας, ἔχεις τ ὴ ν π ε ρ ὶ μ ε λ λ ο ύ σ η ς ζ η μ ί α ς ἀ γ ω γ ή ν · εἰ δὲ μήγε, τ ὴ ν ἐξ ἐπερωτήσεως καὶ συμφώνου ἀ π ο κ ρ ί σ ε ω ς ἀ γ ω γ ὴ ν εἰς τὸ ποιῆσαι ἢ πληρωθῆναι αὐτὰ τ ὰ δ ό ξ α ν τ α .

Wenn du jemandem [etwas] mit einer Bestimmung geschenkt hast, hast du die Klage auf [Ersatz] des künftigen Schadens, wenn du [dir] eine Stipulation hast versprechen lassen. Wenn nicht, die Klage aus Frage und übereinstimmender Antwort darauf, dass die Abreden befolgt und eingehalten werden.

Daraus lässt sich folgern, dass bereits die lateinische Vorlage, die Thalelaeus seinem Index des Codex zugrunde legt, gestört gewesen ist, weshalb er den Text von B. 47.1.55 entsprechend B. 47.1.42 ergänzt.234 Etwas anderes gilt freilich für das Scholion Ἐὰν τις des Isidorus zu B. 47.1.55: Schol. Ἐὰν τις ad B. 47.1.55 (Sch. B VII 2773; Hb. IV 583 f.) Ἐὰν τις τῷ ἐμανκιπάτῳ παιδὶ δωρήσηται πρᾶγμα ἐπὶ τῷ αὐτὸν καταβαλεῖν ὑπὲρ αὐτοῦ τοῖς δανεισταῖς, ἀλλ’ οὐδὲν ἧττον ἐνάγεται παρ’ αὐτῶν, κινεῖ δὲ τὴν πραεσκρίπτις βέρβις κατὰ τοῦ υἱοῦ, εἴγε τὸν ὅρον παραχρῆμα ἐνέθηκεν, ἐπὶ τῷ πληρωθῆναι τὰ συμφωνηθέντα, ἢ τὴν ex stipulatu, εἰ ἔτυχε καὶ ἐπερωτήσας ἀβιτουτεν γενομένης.

Wenn jemand seinem emanzipierten Sohn eine Sache mit der [Bestimmung] geschenkt hat, dass dieser für ihn seine Schuldner befriedigt, von ihnen aber dennoch verklagt wird, klagt er praescriptis verbis gegen den Sohn, wenn er die Bestimmung, dass die Übereinkunft eingehalten wird, unmittelbar festgesetzt hat, oder ex stipulatu, wenn es durch Stipulationen versprochen worden ist.

Danach ist die Klage praescriptis verbis zur Durchsetzung der Erfüllung der συμφωνηθέντα gegeben. Eine Klage ex stipulatu ist dagegen statthaft, wenn eine Stipulation abgeschlossen worden ist, wie sich dem Text trotz der Störung am Ende 235 entnehmen lässt. Diese Lösung entspricht dem zu Erwartenden: Für die Durchsetzung einer einfachen Abrede, die einen Innominatkontrakt begründet, wird mit praescripta verba geklagt; ist die Schenkungsauflage dagegen Gegenstand einer Stipulation geworden, wird aus dieser geklagt. Der Text des Scholions ist nicht wortgleich mit den beiden Scholien zu B. 47.1.42,236 sodass eine Kontaminierung der Überlieferung unwahrscheinlich ist. Vielmehr dürfte Isidorus über eine bessere Vorlage als Thelelaeus verfügt haben. 234 Vgl. ed. mai., 795 mit App. zu Z. 8. Ungenau Knütel, SCDR 20 – 21 (2007 – 2008), 257 (270

Fn. 41).

235 Siehe P. Krüger, ed. mai., 795 mit App. zu Z. 8. 236 Sch. B VII 2770; Hb. IV 581.

164

Die vertraglichen Obligationen

Auf der Grundlage des Scholion Ἐὰν τις zu B. 47.1.55 lässt sich daher der juristische Inhalt des Reskripts von Diokletian und Maximian zuverlässig rekonstruieren. Die K ­ aiser entscheiden, dass die Schenkungsauflage im Verhältnis des Schenkers Tu zu seinem Sohn, dem Beschenkten, mit einer Klage ex stipulatu durchgesetzt werden kann, wenn der Sohn die Vollziehung der Auflage durch Stipulation gesondert versprochen hat. Kommt es nicht zum Abschluss einer Stipulation, wird die Auflage als Innominatkontrakt durchgesetzt: In der Formulierung von C. 8.53.22.1 mit einer actio incerta civilis, in der Formulierung des Isidorus mit einer actio praescriptis verbis.237 Diese Lösung dürfte jedenfalls bereits in der Spätklassik entwickelt worden sein.238 Darauf deutet bereits die Formulierung convenit in § 1 hin, die erkennen lässt, dass die Reskriptenkanzlei an eine bereits früher geäußerte Rechtsmeinung anknüpft. Daneben findet sich diese Lösung auch in einem responsum Papinians: D. 39.5.28 (Pap. 3 resp.) Hereditatem pater sibi relictam filiae sui iuris effectae donavit: creditoribus here­ ditariis filia satisfacere debet, vel, si hoc minime faciat et creditores contra patrem veniant, cogendam eam per actionem praescriptis verbis patrem adversus eos defendere.

Ein Vater hat eine ihm hinterlassene Erbschaft seiner gewaltfreien Tochter geschenkt. Die Tochter muss die Erbschaftsgläubiger befriedigen oder, wenn sie dies nicht tut und die Gläubiger gegen den Vater vorgehen, mit einer actio praescriptis verbis gezwungen werden, den Vater gegen sie zu verteidigen.

Ein Vater schenkt seiner gewaltfreien Tochter eine Erbschaft, die er erhalten hat. Nach der Entscheidung des Juristen ist die Tochter verpflichtet, die Erbschaftsgläubiger zu befriedigen. Verletzt sie diese Pflicht, kann sie mit der actio praescriptis verbis gezwungen werden, ihren Vater von der Haftung freizustellen. Der Digestentext erwähnt nicht ausdrücklich, wem die actio praescriptis verbis zusteht; nach einem Scholion des Cyrillus ist dies der Schenker.239 Der Vater kann also mit praescripta verba von der Tochter die Freistellung verlangen.240 Dass ihm und nicht den Erbschaftsgläubigern die Klage zusteht, entspricht dem Verbot des echten Vertrags zugunsten Dritter im klassischen römischen Recht. Auch wenn das responsum Papinians nicht von einer ausdrücklichen Auflage handelt, passt es doch zum Reskript Diokletians und Maximians. In beiden 237 Ähnlich Knütel, SCDR 20 – 21 (2007 – 2008), 257 (269); zur Bezeichnung der Klage Kranjc, SZ 106 (1989), 434 (448 Fn. 40, 462). 238 Für eine Neuschöpfung durch Diokletian dagegen Mitteis, RP I, 202 Fn. 32; zweifelnd Kaser, RP I, 259 Fn. 79. 239 Schol. Εἰ δωρήσομαί ad B. 47.1.27 (Sch. B VII 2762; Hb. IV 575). 240 Artner, Agere praescriptis verbis, 220 f.; Knütel, SCDR 20 – 21 (2007 – 2008), 257 (271).

Die Stipulation

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Fällen ist eine Schenkung erfolgt, und der Schenker wird im Anschluss von Gläubigern in Anspruch genommen. Beide Male kann der Schenker erzwingen, dass der Beschenkte die Gläubiger befriedigt. Dies kann jeweils mit einer actio praescriptis verbis durchgesetzt werden, wenn keine Abrede in Stipulationsform getroffen worden ist. Das Reskript der ­Kaiser knüpft also an einen früheren Rechtszustand an, der bereits in spätklassischer Zeit bestanden hat, was zur bekannten konservativen Tendenz der Reskriptenkanzlei unter Diokletian passt.241 Damit lassen sich beide juristischen Quellen zur Interpretation der Stiftung zugunsten der dendrophori von Ostia heranziehen, die zeitlich in die Lebenszeit Papinians fällt. Wenn CIL XIV 325 vorsieht, dass das Stiftungskapital im Fall der Nichtvollziehung der Auflage an eine res publica herauszugeben ist, ähnelt dies der Schenkungsauflage des kaiserlichen Reskripts. Beide Male verspricht der Beschenkte dem Schenker eine Leistung an einen Dritten: im Fall des Reskripts Befriedigung der Gläubiger, im Fall der Stiftung Herausgabe an eine res publica. Mithin handelt es sich um unechte Verträge zugunsten Dritter.242 Laut Inschrift wird diese Abrede durch einfaches pactum getroffen. Diese Möglichkeit erwähnen auch die K ­ aiser und sehen dafür eine Klagbarkeit mit der actio incerta civilis vor. Aus dem responsum Papinians wiederum ergibt sich, dass diese Möglichkeit bereits zu seiner Zeit bestanden hat. Daher könnte die Stiftungsauflage ebenfalls mit der actio praescriptis verbis als Innominatkontrakt durchgesetzt werden, wenn das pactum wirksam ist. Letzteres kann freilich nicht ohne weiteres angenommen werden. Nach Ulpian begründet das pactum, das der magister einer privaten Personenvereinigung eingeht, nur die exceptio doli, nicht die speziellere exceptio pacti in einem Prozess, der im Namen der Vereinigung geführt wird.243 Der magister handelt also nicht als direkter Stellvertreter. Wenn die Inschrift aus Ostia daher von einem refundi […] pactus est spricht, stellt sich die Frage, wer das pactum eingegangen ist und auf dieser Grundlage mit der actio praescriptis verbis belangt werden kann. Bereits der Singular pactus est ist Indiz dafür, dass ein einzelner Vereinsfunktionär eine Herausgabe des Stiftungskapitals versprochen hat, der selbst aus dem pactum verpflichtet ist, so wie bei Kauf und locatio conductio allein der abschließende Vereinsfunktionär nach ius civile Partei wird.244 Für die Übertragbarkeit d ­ ieses Befundes spricht, 241 242 243 244

Honoré, Emperors and Lawyers, 183; Wieacker, RG II, 167 f. Vgl. Knütel, SCDR 20 – 21 (2007 – 2008), 257 (271). D. 2.14.14 (Ulp. 4 ed.); dazu ausführlich unten II. Kap., § 7. Ausführlich dazu unten II. Kap., § 3 II und § 4 I.1.

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Die vertraglichen Obligationen

dass die actio praescriptis verbis wie die Klagen aus den Konsensualverträgen eine bona-fides-Klausel enthält.245 Diese Verwandtschaft der Formelstruktur legt nahe, dass auch die materiell-rechtliche Frage, wer aus dem den Innominatkontrakt begründenden pactum verpflichtet ist, wie bei Konsensualverträgen zu beantworten ist. Allerdings ist diese Interpretation nicht zwingend, da sich der Singular pactus est genauso gut auf den Stifter beziehen könnte. Subjekt der Konstruktion von pascisci mit Infinitiv, wie sie hier vorliegt, können beide Parteien sein.246 Da der erhaltene Teil der Inschrift das Subjekt von pactus est nicht überliefert, kann nicht mehr festgestellt werden, ob es sich um den Stifter oder einen Vereinsfunktionär handelt. Aus der verwendeten grammatikalischen Form allein kann somit nicht darauf geschlossen werden, dass der Vereinsfunktionär Vertragspartei geworden ist. Alternativ könnte Partei des Innominatkontrakts der Verein werden, wenn das pactum von allen Mitgliedern in einem Kollektivakt eingegangen wird. Für CIL XIV 325 ist dies wegen des Singular pactum est ausgeschlossen, doch erscheint diese Erklärung für CIL VI 10231 nicht von vornherein ausgeschlossen, da dort ein Plural überliefert ist ([- - -]ti sunt). Allerdings gelten die Bedenken, die gegen die Annahme eines pactum fiduciae gesprochen haben, auch hier. Zudem ist die Vereinbarung eines pactum durch Kollektivakt nicht anderweitig überliefert. Ein solcher Akt ist nur für die förmlichen Rechtsgeschäfte des ius civile belegt, nämlich für die mancipatio durch die donatio Iuliae Monimes selbst sowie für die stipulatio in anderen Inschriften 247. Dies macht den Abschluss eines nichtförmlichen pactum durch Kollektivakt unwahrscheinlich. (3) Das Vorliegen einer Stipulation Die höchste Wahrscheinlichkeit hat die Ergänzung einer Stipulation in der donatio Iuliae Monimes, die – wie die vom Stein überlieferte Manzipation – als Kollektivakt aller Mitglieder des collegium abgegeben worden ist. Diese Ergänzung hat bereits Dessau vorgeschlagen.248 Mit dem erhaltenen Text ist eine ­solche Ergänzung vereinbar. Z. 18 der Inschrift enthält die Formulierung sine ulla controversia, die sich nicht nur im Zusammenhang mit Grabinschriften findet,249 sondern auch im Zusammenhang mit Leistungspflichten. Ein 245 Zimmermann, Obligations, 533; Kaser/Knütel/Lohsse, RP, § 56 Rn. 4. 246 ThLL X.1, s. v. pacisci, Sp. 18, Z. 82 – 84. 247 Siehe oben II. Kap., § 2 II.2.b). 248 Dessau, ILS II, p. 763. 249 Z. B. in CIL III 2386 (Salona, Dalmatia, 2. Hälfte 2. Jhd.); noch verbreiteter in Grabinschriften ist ein einfaches sine controversia, z. B. in CIL VI 22958 (Roma, 1. Jhd.).

Die Stipulation

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reddere […] sine ulla controversia im Zusammenhang mit Zahlungspflichten findet sich in einer lateinischen Urkunde aus Dakien.250 Im Zusammenhang mit einem constitutum debiti und damit ebenfalls mit einer Zahlungspflicht findet sich die Formulierung in einer Urkunde, zu der Julian ein Gutachten erteilt.251 Ferner findet sie sich in einem Fideikommiss, das Scaevola in einem responsum zitiert 252: D. 40.5.41.14 (Scaev. 4 resp.) […] ‘Stichus servus meus iubeo ut det praestet filiae et uxori meae heredibus meis sine ulla controversia tot aureos: et ut ipsum manumittant, fidei eorum committo.’ […]

[…] ‘Ich befehle, dass mein Sklave Stichus meiner Tochter und meiner Frau, meinen Erbinnen, ohne irgendeinen Streit soundsoviele aurei gibt und leistet. Ich gebe ihrer Treue auf, ihn freizulassen.’ […]

Der Sklave Stichus wird angewiesen, eine Geldsumme der Tochter und der Ehefrau des Erblassers zu zahlen, die beide seine Erbinnen sind; ihnen wird durch Fideikommiss aufgegeben, ihn freizulassen. Die fideikommissarische Verfügung umschreibt die Zahlungspflicht aktivisch mit dare praestare, ebenso wie CIL III 949 nr. 12 und P.Fouad 45 reddere im Aktiv gebrauchen. Die donatio Iuliae Monimes dagegen überliefert die Reste eines Infinitivs Passiv ([- - -]IRI, Z. 18). Die passivische Formel haec sic recte dari fieri praestarive enthält die Stipulation der donatio Statiae Irenes.253 Diese Klausel zusammen mit derjenigen aus dem responsum des Scaevola macht es wahrscheinlich, dass [- - -]IRI in der donatio Iuliae Monimes zu dari, fieri, praestari oder einer Kombination dieser Worte zu ergänzen ist. Wird eine Stipulation zur Sicherung der Stiftungsauflage angenommen, muss am Ende von Z. 19 ergänzt werden: [- - - stipula]ti sunt. Da stipulati sunt am Ende der Zeile steht, müssen nach der üblichen Gestaltung der Stipulationsklausel die 250 CIL III 949 nr. 12 = FIRA2 III 120, Z. 3 – 4 (Alburnus Maior, Dacia, 167): […] quos ei reddere deb[e]t / sine ulla controversia; ein einfaches sine controversia findet sich in P.Fouad 45 = FIRA2 III 121, Z. 5 – 8 (Alexandria, 153): […] quos et reddam […] / [tibi aut p]rocuratori heredive tuo

aut ad quem / [ea res] pertinebit sine controversia […]; dazu und zu griechischen Vorbildern der Formulierung Platschek, Pecunia constituta, 158 mit Fn. 466. 251 D. 13.5.5.3 (Iul. apud Ulp. 27 ed.): […] ‘Scripsi me secundum mandatum Seii, si quid tibi debitum adprobatum erit me tibi cauturum et soluturum sine controversia’ […]; dazu Platschek, Pecunia constituta, 155 – 161. 252 Die Doppelüberlieferung D. 40.7.40.2 (Scaev. 24 dig.) gibt die Klausel mit leicht verändertem Wortlaut wieder: […] ‘Stichus servus, qui mihi testamento patroni mei certa condicione relictus est, iubeo det praestet filio et uxori meae sine ulla controversia et eum tempore peracto manumittant.’ […]. 253 CIL VI 10247 = FIRA2 III 95, Z. 21 – 22 (Roma, 252).

168

Die vertraglichen Obligationen

rei stipulandi, also hier die Schenker Iulia Monime und ihre Miteigentümer,254 in der nächsten Zeile genannt werden. Z. 19 ist jedoch die letzte erhaltene Zeile der Inschrift. Es ist aber wahrscheinlich, dass der Text der Inschrift länger war, denn ihr Textfeld ist links und rechts von einem Rahmen umgeben, von dessen unterer Seite sich keine Spuren finden.255 Das Textfeld hat also mindestens eine weitere Zeile umfasst. Auf die Nennung der rei stipulandi folgt eine Form von spondere sowie die Namen der rei promittendi. Da die erhaltenen Zeilen ­zwischen 28 – 38 Buchstaben lang sind, ist es unwahrscheinlich, dass die Formulierung der Manzipationsklausel wiederholt wird, in der die Mitglieder des collegium in ihrer hierarchischen Gliederung aufgeführt werden. Wie AE 1987, 198 zeigt, kann aber auch lediglich die plebs collegii genannt werden. Wird Z. 20 nach ­diesem Vorbild ergänzt, so ergibt sich eine Zeilenlänge von 33 Buchstaben: [- - - stipula]ti sunt / Iulia Monimes et soci eius, spopond(it) pleps. Eine derart rekonstruierte Klausel würde die Abgabe eines Stipulationsversprechens durch die Gesamtheit der Mitglieder des collegium beurkunden, die parallel zur Vornahme der Manzipation als Kollektivakt ausgestaltet wäre. Es wäre der Versuch der Praxis, die zivilen Formgeschäfte in einer Weise vorzunehmen, die es erlaubt, das collegium – verstanden als die Gesamtheit seiner Mitglieder – zur Partei des Geschäfts zu machen. So wie der Gesamtheit der Mitglieder das Grundstück übereignet wird, so verspricht die Gesamtheit die Einhaltung der Stiftungsauflage und im Fall der Zuwiderhandlung die Restitution an die Stifterin. b) Die Herausgabe des Stiftungsvermögens an eine andere Körperschaft

Eine Reihe von anderen Stiftungen sehen dagegen nicht die Rückgabe an den Stifter, sondern die Herausgabe an eine andere Körperschaft vor, wenn der Stifterwille nicht beachtet wird.256 Den Abschluss einer Stipulation in ­diesem Zusammenhang erwähnt die Inschrift zur Stiftung des P. Horatius Chryserotes aus Ostia:

254 Einer auctoritas tutoris bedarf Iulia Monime zur Entgegennahme des Stipulationsversprechens

nicht, da schon der pupillus ihrer nicht zum Erwerb einer Forderung bedarf; D. 26.8.9 pr. (Gai. 12 ed. prov.); I. 1.21 pr. Die Veräußerung durch Manzipation dagegen gehört zu den Geschäften, bei denen eine Frau der auctoritas tutoris bedarf; Gai. 1.192. Deshalb nennt die Inschrift bei der Manzipation den tutor C. Memmius Orio. 255 Vgl. die Abbildung bei Caldelli/Ricci, in: Buonopane/Cenerini, Donna e vita cittadina, 81 (99). 256 Hierzu allgemein Mitteis, RP I, 416; Laum, Stiftungen I, 208 f.; Le Bras, St. Riccobono III, 21 (45); Mrozek, Latomus 59 (2000), 327 – 345; Magioncalda, MEP 11 (2006), 193 (206 mit Fn. 78).

169

Die Stipulation

CIL XIV 367 = ILS 6164 = FIRA2 III 44 (Ostia, Latium et Campania, 182)

P. Horatio / Chryseroti, / seviro Augustal(i) idem  / quinq(uennali) et immuni Larum Aug(usti) / 5 ex s(enatus) c(onsulto). Seviri Augustales statuam  / ei ponendam decreverunt, quod / is arcae eorum HS L m(ilia) n(ummum) dederit / ex qua summa HS X m(ilia) n(ummum) ob honorem curae / Sex. Horati Chryserotiani, et reliquorum / 10 HS XL m(ilia) n(ummum) excepta stipulatione ex usuris / semissibus et m(- - -) II s(ummae) s(upra) s(criptae) quodannis Idib(us) Marti(i)s  / natali suo inter praesentes hora II usque / ad asse(m) dividiatur, deducta ornatione statu(a)e, / et familiae Augustal(ium) HS C n(ummum); quotsi ita / 15 factum non erit, tum ea HS XL m(ilia) n(ummum)  / dari rei p(ublicae) Ost(iensium) sub eadem condicione / qua s(upra) s(criptum) est. Ob cuius dedicatione(m) dedit / decurionibus X V et Augus­talibus X V / isque honore sibi habito sumptum sta/tuae ordini Augusta­ lium remisit. // Dedic(atum) / XV Kal(endas) [Ia]nu[ar(ias)] / Mamertino et Rufo / co(n)s(ulibus).

Für P. Horatius Chrysero, sevir Augustalis, quinquennalis und immunis der Lares Augusti aufgrund eines Senatsbeschlusses. Die seviri Augu­ stales haben beschlossen, für ihn eine Statue aufzustellen, weil er ihrer Kasse 50.000 Sesterze gegeben hat  … aus dieser Summe 10.000 Sesterze wegen des Amts der cura des Sex. Horatius Chrysero und die übrigen 40.000 Sesterze nach Abgabe einer Stipulation aus den Zinsen von sechs Prozent … der oben genannten Summe jährlich an den Iden des März, seinem Geburtstag, unter den Anwesenden zur 2. Stunde bis zum letzten As aufgeteilt werden soll, nach Abzug des Schmucks der Statue, sowie für die familia der Augustalen 100 Sesterze. Wenn dies nicht getan wird, dann [sollen] diese 40.000 Sesterze der Gemeinde Ostia unter derselben Bedingung, die oben genannt ist, gegeben werden. Anlässlich dieser Weihung gab er den Ratsherren 5 Denare und den Augustalen 5 Denare. Er erließ nach Ablauf seiner Amtszeit dem ordo der Augus­ talen den Aufwand für die Statue. Geweiht am 15. Tag vor den Kalenden des Januar im Konsulat des Mamertinus und des Rufus.

Der Stifter schenkt den seviri Augustales 50.000 Sesterze; aufgrund der Erwähnung der arc[a] eorum ist von einer Barschenkung auszugehen. 10.000 Sesterze dienen als summa honoraria für Sex. Horatius Chryserotianus, der wohl ein Freigelassener des Stifters ist.257 Die restlichen 40.000 Sesterze bilden das Stiftungskapital, dessen jährliche Erträge am dies natalis des Stifters nach Abzug der Kosten des Schmucks seiner Statue und von 100 Sesterzen zugunsten der familia Augustalium verteilt werden sollen. Die Vollziehung dieser Auflage wird durch Stipulation versprochen (excepta stipulatione). Wenn der Stifterwille nicht befolgt wird, soll das Stiftungskapital von 40.000 Sesterzen unter derselben Auflage an die Gemeinde Ostia fallen: quotsi ita / factum non erit, tum ea HS XL m(ilia) n(ummum) / dari rei p(ublicae) Ost(iensium) sub eadem condicione / qua s(upra) s(criptum) est (Z. 14 – 17). Die Klausel ist unvollständig, da sie nur den Infinitiv dari enthält, während eine finite Verbform fehlt. Ob auch die Herausgabe durch Stipulation versprochen worden ist, lässt sich aus dem erhaltenen Text nicht eindeutig feststellen.

257 Arangio-Ruiz, FIRA2 III, p. 119 Fn. 4.

170

Die vertraglichen Obligationen

Ein Vergleich mit der weitgehend gleichlautenden Inschrift CIL XIV 431 aus dem Ostia des 3. Jahrhunderts bietet sich daher an.258 Dort wird ebenfalls eine Stiftung zugunsten der Augustalen der Stadt in Höhe von 50.000 Sesterzen durch Barschenkung unter Lebenden errichtet, wobei die Vollziehung der Stiftungsauflage gleichermaßen durch Stipulation versprochen wird.259 Die Klausel für den Fall der Nichtvollziehung lautet wie folgt: CIL XIV 431, Z. 11 – 13 (Ostia, Latium et Campania, 3. Jhd.)

[…] Quodsi ita / factum non erit, tunc ea HS L m(ilia) n(ummum) dari rei p(ublicae) Ostiens(ium) / sub eadem condicionem stipulatus est […].

Wenn dies nicht getan wird, dann ist durch Stipulation versprochen worden, dass diese 50.000 Sesterze der Gemeinde Ostia unter derselben Bedingung gegeben werden.

Die Formulierung ist fast wortgleich mit derjenigen in CIL XIV 367; in beiden Fällen ist das Stiftungskapital in voller Höhe an die Gemeinde Ostia herauszugeben. Nach CIL XIV 431 ist diese Herausgabepflicht Inhalt einer Stipulation. Wegen der großen Ähnlichkeiten ­zwischen den beiden Inschriften wird wahrscheinlich die in CIL XIV 367 erwähnte Herausgabepflicht ebenfalls durch Stipulation versprochen. Die juristischen Quellen zur Schenkung unter Auflage passen zu d ­ iesem Befund, da die Vollziehung der Auflage regelmäßig durch Stipulation versprochen worden ist, wie noch eine diokletianische Konstitution zeigt: C. 8.53.9 (Diocl./Max., a. 293) Legem, quam rebus tuis donando dixisti, sive stipulatione tibi prospexisti, ex stipulatu, sive non, incerto iudicio (id est praescriptis verbis) apud praesidem provinciae debes agere, ut hanc impleri provideat.

Die Bestimmung, die du für deine Sachen bei der Schenkung festgesetzt hast, musst du entweder mit der Klage aus Stipulation, wenn du für dich mit einer Stipulation vorgesehen hast, oder mit einer unbestimmten Klage, d. h. einer Klage praescriptis verbis, wenn nicht, beim Provinzstatthalter durchsetzen, damit er für ihre Befolgung sorgt.

Danach wird eine Auflage mit der actio ex stipulatu durchgesetzt, wenn dem Schenker ihre Vollziehung durch Stipulation versprochen worden ist (legem, quam rebus tuis donando dixisti, […] stipulatione tibi prospexisti), dagegen mit der actio praescriptis verbis, wenn keine Stipulation erfolgt ist. In einem weiteren,

258 Vgl. Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 335; Arangio-Ruiz, FIRA2 III, p. 119, 120 Fn. 2. 259 CIL XIV 431, Z. 6 – 10 (Ostia, Latium et Campania, 3. Jhd.): […] isque hono[re conte]/[ntus] HS

L m(ilia) n(ummum) arcae eorum [intulit] / e x c e p t a s t i p u l a t i o n e ut ex usuris [- - -] M II s(ummae) s(upra) [s(criptae)] / quodannis Idibus Iuni(i)s natali suo in [c]onventu / inter praesentes hora II usque ad asse(m) dividatur, / deducta ornatione statuae HS C n(ummum).

171

Die Stipulation

doppelt überlieferten 260 Reskript derselben K ­ aiser findet sich auch ein Hinweis darauf, wie eine Stipulation auf Herausgabe an einen Dritten durchgesetzt werden kann: Vat. 286 = C. 8.54.3 (Diocl./Max., a. 290) [Quoties donatio ita conficitur, ut post tempus] id quod donatum est alii restit[uatur, veteris iuris auctoritate rescriptum est], si is in quem liberalitatis compen[dium conferebatur stipulatus non sit, placiti] fide non servata, ei qui libera[litatis auctor fuit vel heredibus eius condicticiae actionis] persecutionem competere. Sed cum p[ostea benigna iuris interpretatione divi princi]pes ei qui stipulatus non sit [utilem actionem iuxta donatoris voluntatem] decernendam esse admi[serint, actio, quae sorori tuae, si in rebus humanis] ageret, potuit decerni, [si quae proponis vera sunt, tibi] adcommodabitur.

Sooft eine Schenkung so errichtet wird, dass nach einer gewissen Zeit das, was geschenkt worden ist, einem anderen herausgegeben werden soll, ist mit der Autorität des alten Rechts schriftlich geantwortet worden, dass, wenn demjenigen, auf den der Vorteil der Freigebigkeit übertragen worden ist, nicht durch Stipulation versprochen worden ist, stehe demjenigen, der Urheber der Freigebigkeit gewesen ist, oder seinen Erben bei Nichteinhaltung der Vertragstreue der Rechtsbehelf der Kondiktionsklage zu. Aber da ­später die vergöttlichten ­Kaiser in einer wohlwollenden Auslegung des Rechts zugelassen haben, dass demjenigen, dem nicht durch Stipulation versprochen worden ist, eine actio utilis nach dem Willen des Schenkers gewährt werden muss, wird die Klage, die deiner Schwester hätte gewährt werden können, wenn sie [noch] lebte, dir erteilt, wenn das, was du vorträgst, wahr ist.

Eine Schenkung wird mit der Auflage gemacht, dass der geschenkte Gegenstand nach einem gewissen Zeitraum einem Dritten herausgegeben werden soll. Wenn dem Dritten die Herausgabe nicht durch Stipulation versprochen worden ist, hat der Schenker oder sein Erbe nach der veteris iuris auctorita[s] eine condictici[a] acti[o] gegen den Beschenkten; ­später haben die divi principes durch benigna iuris interpretati[o] entschieden,261 dass der Dritte mit einer actio utilis die Durchsetzung des Willens des Schenkers erreichen kann. Deshalb erhält die Anfragende, Iulia Marcella, die Klage, die ihrer Schwester zu Lebzeiten erteilt worden wäre.262 Aus dem Referat der früheren Rechtslage geht hervor, dass eine Forderung des Dritten auf Herausgabe des zugewendeten Gegenstands eine Stipulation ­zwischen ihm und dem Beschenkten voraussetzt. Fehlt diese, kann der Dritte die Herausgabe nicht verlangen.263 Stattdessen kann allein der Schenker oder sein 260 Der erhaltene Text der Fragmenta Vaticana stimmt mit dem im Codex Iustinianus überliefer-

ten Text – von einzelnen Ausnahmen abgesehen (siehe ed. mai., 862 mit Fn. 4 – 6) – überein. Daher können die Lücken in Vat. 286 zuverlässig aus C. 8.54.3 ergänzt werden. 261 Zum Ausnahmecharakter der Entscheidung Mitteis, RP I, 201 Fn. 24, 203. 262 Ob es sich bei Iulia Marcella um die Schenkerin oder die Drittbegünstigte handelt, lässt sich dem Text nicht sicher entnehmen; Finkenauer, SZ 135 (2018), 178 (246). 263 Santoro, in: Bellocci, Teorie contrattualistiche, 83 (89).

172

Die vertraglichen Obligationen

Erbe die Rückgabe des geschenkten Gegenstands mit einer condictio verlangen. Nach einem Scholion des Isidorus handelt es sich dabei um die condictio ob rem.264 Es bedarf einer kaiserlichen Intervention, um auch beim Fehlen einer Stipulation ­zwischen Drittem und Beschenktem jenem eine Klage auf Herausgabe zu gewähren, mit der er selbst die Herausgabe an sich verlangen kann.265 Welche ­Kaiser sich hinter den divi principes verbergen,266 muss freilich ebenso offen bleiben 267 wie die Frage, welcher Klage die actio utilis nachgeformt ist.268 Bis zur Konstitution der divi principes gibt es demnach keine Möglichkeit für den Dritten, die Herausgabe gerichtlich durchzusetzen. Darin unterscheidet sich die Rechtslage für Zuwendungen unter Lebenden von derjenigen für ­solche von Todes wegen, denn dort besteht die Möglichkeit, durch Fideikommiss eine Herausgabe an den Dritten im Testament anzuordnen. Der Dritte kann dann aus dem Fideikommiss klagen, ohne dass es der Vornahme einer Stipulation bedürfte.269 Angesichts der zunehmenden Verbreitung von Fideikommissen im Laufe der Kaiserzeit könnte die Konstitution der divi principes den Versuch darstellen, durch die actio utilis einen der Klage aus Fideikommiss entsprechenden Rechtsbehelf für das Recht der Schenkungen inter vivos zu schaffen.270 Ein Indiz hierfür ist, dass mehrere Stiftungen unter Lebenden für das Fideikommiss charakteristische verba precativa in den Klauseln verwenden, die eine Herausgabe 264 Schol. Ἐάν τις ad B. 47.1.72 (Sch. B VII 2784; Hb. IV 593): ἐκεῖνος δὲ ὁ δωρησάμενος ἢ ὁ

265 266

267 268

269 2 70

κληρονόμος αὐτοῦ ἕξει τὸν ob causam dati κονδικτίκιον. Für die inhaltliche Richtigkeit dieser Überlieferung Knütel, SCDR 22 – 21 (2007 – 2008), 257 (272); ebenfalls für Echtheit Finkenauer, SZ 135 (2018), 178 (246); vgl. Kaser, RP I, 259. Hierin liegt der Unterschied zu C.  8.53.22 (Diocl./Max., a.  294) und D.  39.5.28 (Pap.  2 resp.), wonach allein der Schenker die Leistung an den Dritten erzwingen kann; siehe dazu oben II. Kap., § 2 II.3.a) (3). Um die divi fratres Mark Aurel und Lucius Verus handelt es sich nach allgemeiner Auffassung nicht; Knütel, SCDR 22 – 21 (2007 – 2008), 257 (272 Fn. 51) m. w. N. Der Text von B. 47.1.72 (Sch. A VI 2143; Hb. IV 593) spricht von οἱ πάλαι βασιλεῖς, was sich als Hinweis auf eine ständige Praxis der Reskriptenkanzlei unter mehreren Kaisern verstehen lässt. Anders Finazzi, St. Metro II, 423 (465 f.), der die divi principes für Diokletian und Maximian hält; dagegen zurecht Finkenauer, SZ 135 (2018), 178 (246 Fn. 414). Harke, Actio utilis, 296; Finkenauer, SZ 135 (2018), 178 (246). Nach einem Scholion des Theodorus versteht der antecessor Eudoxius unter der actio utilis eine actio praescriptis verbis; Schol. Ἐάν τινι ad B. 47.1.72 (Sch. B VII 2783 f.; Hb. IV 593); für die Klassizität dieser Klage Santoro, in: Bellocci, Teorie contrattualistiche, 83 (90 f.); Knütel, SCDR 22 – 21 (2007 – 2008), 257 (272 mit Fn. 52). Für eine actio utilis ex stipulatu dagegen Wesenberg, St. Arangio-Ruiz, 415 (419). Siehe unten IV. Kap., § 2 III.3. Ebenfalls an ein Fideikommiss denkt Wesenberg, Verträge zugunsten Dritter, 33, nimmt aber ein fideicommissum a debitore relictum an. Hierfür enthält die Quelle jedoch keine Anhaltspunkte; ebenfalls dagegen Harke, Actio utilis, 297 Fn. 656; Finkenauer, SZ 135 (2018), 178 (247).

Die Stipulation

173

an Dritte bei Nichtvollziehung der Stiftungsauflage anordnen.271 Soweit datierbar, entstammen diese Inschriften der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts, ebenso wie die Konstitution der divi principes von 290. Wenn diese Inschriften auf Formulierungen zurückgreifen, die für das Fideikommiss typisch sind, zeigt dies, dass die Kautelarpraxis Stiftungen – unabhängig von ihrer Errichtung durch Geschäft unter Lebenden oder von Todes wegen – als einen einheitlichen Geschäftstypus auffasst. Gut nachvollziehbar ist, dass die kaiserliche Rechtssetzung, auf der das Fideikommissrecht wesentlich beruht, darauf durch eine Anpassung des Rechts reagiert, das für Zuwendungen unter Lebenden gilt. Deshalb scheint nicht ausgeschlossen, dass die in Vat. 286 überlieferte Konstitution der divi principes durch die Entwicklung der Kautelarpraxis veranlasst ist. Zu dem Befund aus den juristischen Quellen passt, dass in CIL XIV 431 eine Stipulation im Zusammenhang mit einer Herausgabe des Stiftungskapitals an Dritte ausdrücklich erwähnt wird und dass für CIL XIV 367 die Vornahme einer Stipulation wahrscheinlich ist. Allerdings geht aus den beiden Inschriften nicht hervor, wem gegenüber die Herausgabe des Stiftungskapitals versprochen wird. Damit die res publica Ostiensium die Herausgabe verlangen kann, muss reus stipulandi ein Gemeindesklave sein, der zu ihren Gunsten eine aufschiebend bedingte Forderung erwerben würde. Erfolgt die Stipulation dagegen gegenüber dem Stifter, so haben nur er bzw. sein Erbe eine Forderung in der Höhe des Interesses, das sie an der Herausgabe an die Gemeinde haben, ebenfalls aufschiebend bedingt auf die Nichtvollziehung der Stiftungsauflage.272 Ebenfalls völlig offen bleibt, wer reus promittendi und damit Schuldner der Stipulation ist, da die Inschriften hierzu keine Angaben machen.273 Möglich ist 271 AE 1987, 198, 11 – 14 (Ostia, Latium et Campania, 256): quot is observatum non / erit tunc

s(ummas) s(upra) s(criptas) honoratis  / coll(egii) fabr(um) tig(nuariorum) Ost(iensium) d a r i   / v o l o sub condicione s(upra) s(cripta); AE 1987, 199, Z. 4 – 6 (Ostia, Latium et Campania, 254 – 256): […] quot si observatum n]on erit / [tun]c s(ummam) s(upra) s(criptam) ho[no]ratis c[oll(egii) f]abr(um) t[ig(nuariorum) O]st(iensium) d a r i   / v o l o succondicione s(upra) s(cripta) […]; CIL XIII 5042, Z. 10 – 12 (Minnodunum, Germania superior): quod si in alios ussus / transferr(e) voluerint hanc pecun(iam) incol(is) col(oniae) Aven/ticensium d a r i v o l o  […]. 272 Entgegen K ­ aiser, ZPE 86 (1991), 163 (178 Fn. 109) können Subjekt von stipulatus est nicht die Augustalen sein, weil mit dieser Formel der reus stipulandi genannt wird, der dadurch Gläubiger ex stipulatu wird. 273 Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person 335. Mangels anderweitiger Quellenbelege verfehlt sind die Annahmen von Pernice, Labeo III.1, 155, die Stipulation sei durch den „Vorstande der Genossenschaft“ abgegeben worden, und von K ­ aiser, ZPE 86 (1991), 163 (178 Fn. 109), bei der Stipulation handele sich um einen Beschluss der Mitgliederversammlung. Umgekehrt kann angesichts des vorhandenen Quellenmaterials nicht mehr eine „reine Floskel“ angenommen werden, wie Mitteis, RP I, 38 Fn. 15 dies tut.

174

Die vertraglichen Obligationen

die Abgabe des Stipulationsversprechens als Kollektivakt unter Beteiligung der Gesamtheit der seviri Augustales. Schuldner ist dann die Körperschaft, wenn diese Konstruktion der Kautelarpraxis tatsächlich vor den Gerichten Anerkennung gefunden hat. Möglich ist aber auch eine Formulierung der Stipulation wie in AE 2000, 344b mit Einzelpersonen als rei promissionis. Ist eine Einzelperson Schuldnerin der Stipulation, haftet nur diese auf eine Herausgabe des Stiftungskapitals an die res publica Ostiensium. Eine derartige Stipulation ist nicht wegen anfänglicher Unmöglichkeit der Leistung unwirksam. Zwar ist die Einzelperson nicht in der Lage, das Stiftungskapital an die Gemeinde Ostia herauszugeben, da d ­ ieses im Eigentum der seviri Augustales steht. Doch handelt es sich insoweit um einen Fall des subjektiven Unvermögens. Dagegen führt nur die objektive Unmöglichkeit zur Unwirksamkeit der Stipulation.274 Bei einem Verstoß gegen die Stiftungsauflage entstünde also eine Forderung ex stipulatu gegen den reus promittendi in Höhe des Stiftungskapitals. Daher liegt es auf der Hand, dass als reus promittendi faktisch nur eine wohlhabende Einzelperson in Frage kommt. Nur wenn eine s­ olche vorhanden ist, erscheint eine Stipulation in der Form von AE 2000, 344b sinnvoll.

§ 3

Der Kauf

I. Das Zeugnis von CIL V 3411 Eine undatierte Inschrift auf einem Grabstein bezeugt den Verkauf eines Grabplatzes durch ein collegium: CIL V 3411 (Verona, Venetia et Histria)

D(is) M(anibus).  / M. Metellus Hadrianus  / v(ivus) f(ecit) sibi,  / magister collegi(i) centona/5riorum candidatus. Ex de/creto aeorum locus emptus.

Den unterirdischen Gottheiten. M. Metellus H ­ adrianus hat [dieses Grab] zu Lebzeiten für sich errichtet, als Bewerber für das Amt des magister des collegium der Textil­gewerbetreibenden. Aufgrund eines Beschlusses von diesen wurde der Ort gekauft.

M. Metellus Hadrianus, ein magister collegii centonariorum candidatus, hat zu Lebzeiten das Grab für sich begründet. Nach dem Wortlaut der Inschrift ist der

274 D. 45.1.137.5 (Venul. 1 stip.): Si ab eo stipulatus sim, qui efficere non possit, cum alio possibile sit, iure factam obligationem Sabinus scribit. Dazu Medicus, SZ 86 (1969), 67 (83 f.); ­Zimmermann,

Obligations, 687 f.

Der Kauf

175

Grabplatz (locus)275 aufgrund eines Beschlusses des collegium durch Kauf erworben worden (emptus). Ausdrückliche Angaben zu den Parteien des Kaufvertrags enthält die Inschrift nicht. Der Kauf eines Grabes von einem Verein ist höchst selten belegt, meist wird die Übertragung des Grabplatzes mit adsignare oder permittere bezeichnet,276 was auf eine Überlassung an Mitglieder aufgrund des Innenrechts des Vereins hindeutet. Ein Erwerb durch Kauf erfolgt dagegen in der Regel von einer Privatperson.277 Die Inschrift wirft sofort die Frage nach der Wirksamkeit eines solchen Kaufvertrags auf, da ein Grab als locus religiosus eine res extra commercium ist.278 Allerdings wird ein Grundstück erst dann zum locus religiosus, wenn dort mit dem Willen des Eigentümers ein Leichnam bestattet wird.279 Extra commercium ist nur das Grab selbst, nicht das gesamte Grundstück; umfasst das Grab mehrere Bestattungsplätze, wird es mit der ersten Bestattung zu einer res religiosa.280 Dieses Problem stellt sich hier freilich nicht, da das Grab der Bestattung nur einer Person dienen soll (fecit sibi, Z. 3). Da das Grab zu Lebzeiten des Bestatteten begründet worden ist (vivus fecit, Z. 3), ist der Kauf des locus – unabhängig davon, ob damit das gesamte Grundstück oder ein unbelegenes Grabmal (monumentum) gemeint ist – kein Kauf einer res extra commercium. Die Inschrift erlaubt nur wenige Rückschlüsse auf den Abschluss des Vertrags. Wer von Seiten des collegium am Vertragsschluss beteiligt ist, wird nicht genannt. Den einzigen Hinweis auf die Durchführung des Kaufs gibt die Formulierung ex decreto aeorum emptus. Grundlage des Kaufgeschäfts ist offenbar ein decretum der Mitglieder des collegium.

II. Die Parteien eines Kaufvertrags über Gegenstände des Körperschaftsvermögens Ein Fragment aus Ulpians Kommentierung zur exceptio rei venditae et traditae 281 erhellt den Zusammenhang ­zwischen Kaufvertrag und decretum: 275 Im Zusammenhang mit Gräbern kann locus sowohl das Grundstück, auf dem sich das Grab

befindet, als auch das eigentliche Grab bezeichnen; Caldelli u. a., in: Libitina, 309 (338).

276 Caldelli u. a., in: Libitina, 309 (347 f.). 277 Caldelli u. a., in: Libitina, 309 (339). 278 D. 18.1.22 (Ulp. 28 Sab.); hierzu Kaser, RP I, 549; ders., SZ 95 (1978), 15 (36); Evans-Jones/ MacCormack, SZ 112 (1995), 330 (342). 279 Gai. 2.6; vgl. D. 11.7.6.1 (Ulp. 25 ed.). Zum Ganzen Kaser, SZ 95 (1978), 15 (30 f., 34 f.); Padovan, in: Garofalo, Beni II, 121 (125 f., 133 – 142). 280 D. 11.7.2.5 (Ulp. 25 ed.); hierzu Kaser, SZ 95 (1978), 15 (64). 281 Lenel, Pal. II, Sp. 860.

176

Die vertraglichen Obligationen

D. 50.17.160 pr.–1 (Ulp. 76 ed.) Aliud est vendere, aliud vendeni 282 con- Das eine ist zu verkaufen, etwas anderes ist, dem sentire. Verkaufenden zuzustimmen. 1. Refertur ad universos, quod publice fit per maiorem partem.

Auf alle bezieht sich, was öffentlich durch die Mehrheit geschieht.

Die durchwegs knappen Formulierungen erschweren die Rekonstruktion des zugrunde liegenden Sachverhalts. Aus der Palingenesie ergibt sich, dass ursprünglicher Kontext des Fragments die exceptio rei venditae et traditae ist und das Fragment daher vom Verkauf einer res mancipi handelt. Ob es sich hierbei um ein Grundstück handelt, weil ein solches in § 2 erwähnt wird, ist dagegen nicht sicher, da sich dieser Paragraph möglicherweise nicht auf die exceptio rei venditae et traditae bezieht.283 Auf Verkäuferseite ist eine Körperschaft beteiligt, wie die Erwähnung von univers[i] in § 1 belegt, womit die Gesamtheit der Mitglieder gemeint ist. Da ihre Tätigkeit als publice qualifiziert wird, spricht dies für eine öffentliche Körperschaft, also eine Gemeinde, einen pagus oder einen vicus.284 Die Basilken bestätigen diese Interpretation, da quod publice fit mit τὸ δημοσίᾳ γινόμενον wiedergegeben wird.285 Daher ist anzunehmen, dass Ulpian in D. 50.17.160 pr.–1 von einer öffentlichen Körperschaft handelt.286 Diese fasst mit Mehrheit (per maiorem partem) den Beschluss, dem Handeln des Verkäufers zuzustimmen (vendenti consentire). Der Beschluss wird der Gesamtheit der Mitglieder zugerechnet (refertur ad universos). Das Fragment unterscheidet deutlich die universi vom Verkäufer, ebenso wie das Verhalten der universi, das consentire, klar vom Verhalten des Verkäufers, dem vendere, abgegrenzt wird.287 Consentire bezieht sich dabei nicht auf den vertraglichen 282 Die Lesart vendendi des Codex Florentinus, die grammatikalisch keinen Sinn ergibt, emendiert Mommsen, ed. mai. II, 966 mit App. zu Z. 25 nach der Formulierung τῷ πιπράσκοντι

in B. 2.3.160 pr. (Sch. A I 62; Hb. I 75) zu vendeni.

283 So Lenel, EP, 511 Fn. 10; ders., Pal. II, Sp. 864. Ernst, SZ 132 (2015), 1 (25) nimmt dagegen an, 284

285 286

287

dass ein Grundstück Gegenstand des Kaufvertrags sei; der hierzu ebd., 25 Fn. 103 zitierte Lenel, Pal. II, Sp. 860 Fn. 1 stützt diese Annahme jedoch nicht. Mehrheitsbeschlüsse öffentlicher Körperschaften sind belegt für den pagus Vituriorum Langen­sium (CIL V 7749 = ILS 5946 = FIRA2 III 163, Z. 30 – 32 [Genua, Liguria, 117 v. Chr.]) und für den vicus Furfensis (CIL IX 3513 = ILS 4906 = FIRA2 III 72, Z. 15 – 16 [Furfo, Samnium, 58 v. Chr.]). B. 2.3.160.1 (Sch. A I 62; Hb. I 75). Ebenso Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 361; Fleckner, Kapitalvereinigungen, 293 mit Fn. 273; spezifisch für einen Gemeinderatsbeschluss Mitteis, RP I, 381 Fn. 17; Eliachevitch, Personnalité juridique, 184. Für den Beschluss von Vereinsmitgliedern dagegen Ernst, SZ 132 (2015), 1 (25). Undeutlich Ernst, SZ 132 (2015), 1 (25 f.).

Der Kauf

177

consensus, denn der Beitrag der Verkäuferseite zur vertraglichen Einigung der Parteien wird als vendere bezeichnet. Am Konsens ist allein der venden[s] beteiligt, nicht aber die universi.288 Wenn aber das Verhalten der universi nicht zum Abschluss des Kaufvertrags beiträgt, stellt sich die Frage, ­welche Funktion es stattdessen hat. Seinem ursprünglichen Kontext nach befasst sich das Fragment mit der exceptio rei venditae et traditae, also der Einrede, mit welcher der bonitarische Eigentümer einer res mancipi, die ihm vom zivilen Eigentümer verkauft und übergeben worden ist, vor Ablauf der Ersitzungsfrist dessen rei vindicatio abwehrt.289 Der Jurist problematisiert die Frage des Erwerbs vom Berechtigten. Berechtigt sind die universi als die Inhaber des Vereinsvermögens und damit Eigentümer der verkauften Sache.290 Sie müssen der Veräußerung zustimmen, damit wirksam bonitarisches Eigentum übertragen werden und sich der Käufer auf die exceptio rei venditae et traditae berufen kann. Wenn aber die Gesamtheit der Mitglieder der Körperschaft berechtigt ist, muss geklärt werden, ob sie alle ausnahmslos der Veräußerung zustimmen müssen. Dies lehnt Ulpian ab und rechnet stattdessen den Beschluss der maior pars den universi zu. Problem des Textes ist genau die Zurechenbarkeit des Mehrheitsbeschlusses an die universi. Aufgrund der geradezu sentenziösen Knappheit der Ausführungen Ulpians hierzu lässt sich jedoch annehmen, dass zu seiner Zeit diese Rechtsfrage schon geklärt ist. Dass Ulpian den Erwerb einer Sache aus dem Vermögen einer Körperschaft grundsätzlich als Erwerb vom Nichtberechtigten einordnet, zeigt ein Vergleich mit dem Verkauf durch den Mandatar aus demselben Buch ad edictum 291: 288 Die ulpianische Terminologie spricht für einen konsensualen Kaufvertrag. Daher besteht kein Grund, wie Mitteis, RP I, 381 mit Fn. 17 anzunehmen, dass der Verkauf von Gemeinde-

vermögen notwendig in den Formen des öffentlichen Rechts stattgefunden hat.

289 Siehe nur Kaser, RP I, 439. 290 Aus der materiellen Berechtigung aller Mitglieder ergibt sich jedoch nicht die prozessuale

Befugnis des einzelnen Mitglieds, die rei vindicatio im Namen der Körperschaft zu erheben; so aber Ernst, SZ 132 (2015), 1 (26). Vielmehr wird die Körperschaft im Prozess von ihrem actor vertreten; ausführlich siehe oben I. Kap., § 3. Die von Ernst, SZ 132 (2015), 1 (26 mit Fn. 105) angeführte Inschrift CIL VI 10284 = ILS 7947 = FIRA2 III 82c (Roma, 171 – 300) hat mit der Frage der Prozessvertretung einer Körperschaft nichts zu tun. Das darin erwähnte collegium ist das Pontifikalkollegium, zugunsten von dessen Kasse eine Sepulkralmult verfallen soll; ebenso Kaser, SZ 95 (1978), 15 (83 Fn. 300). Diese Kasse wiederum steht – anders als die arca communis eines Vereins – nicht im Eigentum des Pontifikalkollegiums, sondern des populus Romanus. Aktivlegitimiert zum exsequi der Mult ist dagegen [qui]cumque ex familia nostra, also jeder Angehörige der bestattungsberechtigten familia Pelagiorum; vgl. Mommsen, StaatsR II.1, 71. Die Einzelheiten ­dieses Verfahrens sind jedoch nicht erkennbar; Kaser, SZ 95 (1978), 15 (88 Fn. 332). 291 Lenel, Pal. II , Sp.  860 ordnet diesen und den folgenden Paragraphen unmittelbar vor D. 50.17.160 pr.–1 ein.

178

Die vertraglichen Obligationen

D. 21.3.1.2 (Ulp. 76 ed.) Si quis rem meam mandatu meo vendiderit, vindicanti mihi rem venditam nocebit haec exceptio, nisi probetur me mandasse, ne traderetur, antequam pretium solvatur.

Wenn jemand meine Sache in meinem Auftrag verkauft hat, wird mir diese Einrede schaden, wenn ich die verkaufte Sache vindiziere, es sei denn, dass bewiesen wird, dass ich die Anweisung erteilt habe, dass [die Sache] nicht übergeben werden soll, bevor der Preis gezahlt wird.

Ego erteilt den Auftrag, eine ihm gehörende Sache zu verkaufen. Danach erhebt er die rei vindicatio. Dieser steht jedoch die exceptio rei venditae et traditae entgegen, wenn Ego den Mandatar nicht ausdrücklich angewiesen hat, die Sache erst nach Zahlung des Kaufpreises zu übergeben. Der Kaufvertrag kommt in dieser Konstellation z­ wischen dem Mandatar des Ego und dem Käufer zustande. Die für die exceptio rei venditae et traditae erforderliche causa, der Kaufvertrag, und die traditio liegen offenbar vor. Proble­ matisiert wird dagegen die Verfügungsberechtigung des Mandatars.292 Handelt dieser im Mandatsexzess, so fehlt sie.293 Nach Ulpian liegt ein solcher aber nur vor, wenn der Mandatar die Anweisung des Ego nicht beachtet hat, die Sache erst nach ihrer Bezahlung an den Käufer zu übergeben.294 Ulpian thematisiert also die Verfügungsberechtigung des Verkäufers, der für einen anderen handelt, mehrmals in seiner Kommentierung zur exceptio rei venditae et traditae. Im Fall von D. 50.17.160 pr.–1 liegt jene bei den universi als den Eigentümern der zum Körperschaftsvermögen gehörenden Sachen. Für eine wirksame Übereignung müssen sie der traditio zustimmen, was durch Mehrheitsbeschluss geschieht. Damit wird erkennbar, weshalb sich die Formulierung ex decreto aeorum locus emptus in CIL V 3411 findet. Für die Rechtmäßigkeit einer Bestattung ist es erforderlich, dass sie mit dem Willen des Grundstückseigentümers durchgeführt wird. Indem die Inschrift von der Zustimmung des collegium als des früheren Eigentümers des locus berichtet, dokumentiert sie, dass M. Metellus Hadrianus das Grab mit Zustimmung des Berechtigten erworben hat. Wenn er von seinem Erben bestattet wird, handelt dieser als Berechtigter. Die Formulierung der Inschrift soll also die dingliche Rechtslage dokumentieren. Angaben zu den Personen, die beim Abschluss des Kaufvertrags mitgewirkt haben, sind dagegen entbehrlich, solange nur überhaupt ein Kaufvertrag abgeschlossen worden ist 2 92 Insoweit zutreffend Pringsheim, SZ 50 (1930), 333 (428). 293 Vgl. D. 21.3.1.3 (Ulp. 76 ed.). 294 Daraus ergibt sich zugleich, dass die Bezahlung oder Kreditierung des Kaufpreises keine

Voraussetzung für die Gewährung der exceptio ist; siehe auch D. 6.2.8 (Gai. 7 ed. prov.); hierzu Stagl, SZ 132 (2015), 181 (192 – 194).

Der Kauf

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und damit eine iusta causa traditionis vorgelegen hat. Für diesen Zweck genügt es völlig, dass die Inschrift mit emptus die schuldrechtliche causa erkennen lässt. Da die traditio für das collegium die Verfügung eines Nichtberechtigten ist, kommt es nicht auf die Person des Verfügenden an, weshalb die Inschrift sie folgerichtig nicht erwähnt. Wie schon der Wortlaut von D. 50.17.160 pr. ergeben hat, ist die Körperschaft nicht Partei des Kaufvertrags. Verkäufer ist vielmehr ein Einzelner, der zwar wirtschaftlich mit Blick auf die Körperschaft handelt, sie aber rechtlich nicht verpflichtet. An der schuldrechtlichen Seite des Kaufgeschäfts ist die Körperschaft nicht beteiligt. Entscheidend ist ihre Beteiligung auf dinglicher Ebene: Eine wirksame Übereignung ist nur möglich, wenn die Mitglieder durch Mehrheitsbeschlusss der Übereignung einer Sache aus dem Körperschaftsvermögen zugestimmt haben. Gegen ­dieses Ergebnis spricht auch nicht eine Passage aus der Kommentierung Ulpians zur actio de dolo 295, in der er den frühklassischen Juristen Labeo zitiert: D. 18.1.50 (Ulp. 11 ed.) Labeo scribit, si mihi bibliothecam ita vendideris, si decuriones Campani locum mihi vendidissent, in quo eam ponerem, et per me stet, quo minus id a Campanis impetrem, non esse dubitandum, quin praescriptis verbis agi possit. Ego etiam ex vendito agi posse puto quasi impleta condicione, cum per emptorem stet, quo minus impleatur.

Labeo schreibt, wenn du mir eine Bibliothek [unter der Bedingung] verkauft hast, wenn die Ratsherren von Capua den Ort, an dem ich sie aufbewahre, mir zuvor verkauft haben, und es an mir liegt, dass ich dies von den Capuanern nicht erbitte, dürfe nicht gezweifelt werden, dass mit praescripta verba geklagt werden kann. Ich glaube, dass auch aus dem Verkauf geklagt werden kann, so als ob die Bedingung eingetreten wäre, wenn es am Käufer liegt, dass sie nicht eintritt.

Tu verkauft eine Bibliothek an Ego unter der Bedingung, dass die decuriones von Capua 296 dem Ego dafür ein Grundstück verkaufen. An Ego liegt es, dass er es unterlässt, den Erwerb von den decuriones zu erbitten. Die Bedingung für den Kaufvertrag ­zwischen Tu und Ego tritt daher nicht ein. Labeo entscheidet, dass Tu deshalb mit praescripta verba klagen kann. Ulpian dagegen fingiert den Bedingungseintritt (puto quasi impleta condicione) und bejaht deshalb eine actio venditi des Tu.

295 Lenel, Pal. II, Sp. 468 Fn. 3. Wegen der Subsidiarität der actio de dolo kommt diese nicht in Frage, wenn eine andere Klage einschlägig ist; siehe nur Kaser, RP I, 246, 627. 296 Hierzu Artner, Agere praescriptis verbis, 72 Fn. 33.

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Die vertraglichen Obligationen

Die Formulierung der aufschiebenden Bedingung 297 (si decuriones Campani locum mihi vendidissent) lässt sich so verstehen, als ob die decuriones selbst Partei des Kaufvertrags wären.298 Allerdings bezeugen die flavischen Stadtrechte für den Verkauf von Sicherheiten im Rahmen der Praediatur, dass die decuriones die duumviri zwar zum Verkauf durch decretum ermächtigen müssen, doch dass die Vornahme des Verkaufs selbst Befugnis der duumviri ist: II viris, qui ibi i(ure) d(icundo) prae[e]runt, ambobus alterive eorum ex decurionum conscriptorumque decreto, […], vendere legemque his vendundis dicere ius potestasque esto.299 Der Beschluss der decuriones bereitet den Verkauf vor und ist Voraussetzung für die Befugnis der duumviri, die zugunsten der Gemeinde obligierten Vermögensgegenstände zu veräußern.300 Am eigentlichen Verkauf dagegen sind die decuriones nicht beteiligt. Dies deutet darauf hin, dass die Bedingung si decuriones Campani locum mihi vendidissent untechnisch formuliert ist und nicht ausdrücken soll, dass der Verkauf von den decuriones selbst durchgeführt wird. Dafür spricht eine weitere Überlegung: Entscheidend für den Kaufvertrag ­zwischen Tu und Ego ist nicht der Abschluss eines schuldrechtlichen Kaufvertrags über das Grundstück, auf dem die Bibliothek errichtet werden soll. Mit der Bedingung soll erreicht werden, dass Ego zum Kauf der Bibliothek nur dann verpflichtet ist, wenn er das von ihm dafür gewünschte Grundstück erworben hat. Damit geht es aber bei der Bedingung nicht um die schuldrechtliche, sondern um die dingliche Rechtslage.301 Ego soll erst dann ex empto haften, wenn er Eigentümer des Grundstücks geworden ist. Die Bedingung nimmt also keine andere Situation in den Blick als D. 50.17.160 pr.–1: Der Magistrat, der den Kaufvertrag über ein Gemeindegrundstück abschließt, verfügt als Nichtberechtigter, sofern er nicht durch decretum decurionum zu dieser Verfügung ermächtigt worden ist. Nur wenn die decuriones der Eigentumsübertragung an Ego zugestimmt haben, kann dieser das Grundstück erwerben. Aus d ­ iesem sachenrechtlichen Grund werden die decuriones in der Bedingung erwähnt, weil ihre Zustimmung für den wirtschaftlichen Zweck, der mit der Bedingung verfolgt wird, essentiell ist. Zur schuldrechtlichen Lage 297 Santoro, AUPA 37 (1983), 1 (111 f.); Artner, Agere praescriptis verbis, 71 f. 298 So Kniep, Societas publicanorum, 353; Artner, Agere praescriptis verbis, 72 Fn. 33. 299 c. 64 l.Malac./Irn. 300 Mommsen, Ges. Schr. I, 265 (306); Kniep, Societas publicanorum, 344; zweifelnd Spitzl,

Lex municipii Malacitani, 98 f. Eine Zustimmung der decuriones nur für den Fall, dass ein duumvir alleine handelt, hält erforderlich Wesener, s. v. praediatura, RE S 14, Sp. 453. 301 Zu emere und vendere als Bezeichnungen für das dingliche Verfügungsgeschäft Jahr, SZ 80 (1963), 141 (162 f., 165 – 169); Kunkel, Epigr., 193 (220 – 223).

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Der Kauf

sagt die Formulierung der Bedingung dagegen nichts aus. Etwas anderes würde auch überraschen, da sich sonst Ulpian in Widerspruch zu seiner Meinung in D. 50.17.160 pr.–1 gesetzt hätte. Stattdessen stimmen beide Texte überein: Die Beteiligung des ordo decurionum ist für die Wirksamkeit der Übereignung der verkauften Sache entscheidend, am Kaufvertrag ist die Gemeinde dagegen nicht beteiligt.

III. Der Vergleich mit dem Verkauf von Gegenständen des Mündelvermögens Dass die Beteiligung der decuriones nur auf sachenrechtlicher Ebene relevant ist, zeigt ein Vergleich mit der Vormundschaft. Der tutor steht zwar domini loco in Bezug auf das Mündelvermögen, er ist also kraft seiner Stellung als Vormund verfügungsberechtigt.302 Dies wirkt sich aber nur auf sachenrechtlicher Ebene aus. Auf der schuldrechtlichen Ebene kann er dagegen den Mündel nicht verpflichten, sondern ist stets selbst Partei des Kaufvertrags. Ein responsum des Scaevola belegt dies: D. 26.7.56 (Scaev. 4 dig.) Tutor rerum et animalium pupilli venditionem fecit, sed quaedam animalia emptoribus pretium non solventibus retinuit et apud se habuit, pretium idem rationibus pupilli accepto tulit […].

Ein Vormund hat einen Verkauf von Sachen und Tieren des Mündels abgeschlossen, als aber die Käufer nicht den Preis gezahlt haben, hat er einige Tiere zurückbehalten und bei sich behalten; den Preis hat er in den Rechnungsbüchern des Mündels als Einnahme eingetragen […].

Gegenstand der vom Vormund geschlossenen Kaufverträge sind Sachen, die im Eigentum des Mündels stehen (rerum et animalium pupilli venditi[o]). Dennoch ist nicht der Mündel Partei des Kaufvertrags, sondern der Vormund.303 Denn nur so lässt sich erklären, dass dieser den Kaufpreis als Gutschrift in die rationes pupilli einträgt. Diese Bücher zu führen ist der Vormund aufgrund seiner Stellung verpflichtet; ihre Herausgabe kann der Mündel mit der actio tutelae verlangen.304 Zugleich bilden sie die Grundlage für die Abrechnung ­zwischen Vormund und Mündel. Indem der Vormund im von Scaevola begutachteten Fall 302 D. 47.2.57.4 (Iul. 22 dig.); D. 41.4.7.3 (Iul. 44 dig.); D. 26.7.27 (Paul. 7 Plaut.); Sachers, s. v. tutela, RE 7A.2, Sp. 1545; Kaser, RP I, 360; Albanese, Persone, 438 f., 482. 303 Thilo, Codex, 208. 304 D. 27.3.1.3 (Ulp. 3 ed.); vgl. D. 2.13.9 pr. (Paul. 3 ed.); Sachers, s. v. tutela, RE 7A.2, Sp. 1546 f.;

Albanese, Persone, 489; Thilo, Codex, 203 f.

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Die vertraglichen Obligationen

eine Gutschrift in den rationes pupilli vornimmt, bereitet er diese Abrechnung vor. Der Verkauf von Sachen aus dem Mündelvermögen ist ein Geschäft des Vormunds, das dieser für Rechnung des Mündels führt, das er aber im Außenverhältnis selbst abschließt.305 Im Innenverhältnis zum Mündel wird auf der Basis der rationes pupilli abgerechnet; Maßstab hierfür ist die bona fides aus der Formel der actio tutelae. Ein Beleg für die Übertragbarkeit der Rechtslage bei der Vormundschaft auf Gemeinden findet sich in einem Gutachten Julians: D. 3.5.29 (Iul. 3 dig.) Ex facto quaerebatur: quendam ad siliginem emendam curatorem decreto ordinis constitutum: eidem alium subcuratorem constitutum siliginem miscendo corrupisse atque ita pretium siliginis, quae in publicum empta erat, curatori adflictum esse: quaque actione curator cum subcuratore experiri possit et consequi id, ut ei salvum esset, quod causa eius damnum cepisset. Valerius Severus respondit adversus contutorem negotiorum gestorum actionem tutori dandam: idem respondit, ut magistratui adversus magistratum eadem actio detur, ita tamen, si non sit conscius fraudis, secundum quae etiam in subcuratore idem dicendum est.

In einem Fall ist angefragt worden: Jemand ist durch Beschluss des Gemeinderats zum curator für den Kauf von Winterweizen bestellt worden. Ein anderer, der für ihn als subcurator bestellt worden ist, hat den Winterweizen durch Beimischung [von anderem Getreide] verschlechtert, und so ist der Wert des Winzerweizens, der für die öffentliche Hand gekauft worden war, zum Nachteil des curator beeinträchtigt worden. Mit welcher Klage kann der curator gegen den subcurator vorgehen und verlangen, dass ihm das ersetzt wird, was er seinetwegen als Schaden erlitten hat? Valerius Severus hat geantwortet, dass einem Vormund gegen den Mitvormund die Klage aus Geschäftsführung erteilt werden muss. Derselbe hat geantwortet, dass einem Beamten gegen einen [anderen] Beamten dieselbe Klage erteilt werden soll, freilich nur, wenn er keine Kenntnis vom Betrug hatte. Demgemäß muss dasselbe auch hinsichtlich des subcurator gesagt werden.

305 D. 26.9.2 (Ulp. 1 op.) zeigt, dass sich diese Rechtslage für den Kaufvertrag auch in der Nachklassik (zur Datierung der pseudo-ulpianischen opiniones siehe die Nachweise oben II . Kap.,

Fn. 96) erhalten hat: Kauft der Vormund oder Pfleger ein Grundstück für den Minderjährigen (in nomen eius), wird ­diesem eine actio utilis gewährt, um die Sache zu vindizieren. Damit kommt der Übereigung an den Vertreter zwar Wirkung für den Minderjährigen zu; vgl. Sachers, s. v. tutela, RE 7A.2, Sp. 1549; Kaser, RP I, 360, 392; Albanese, Persone, 491. Doch wird dem Mündel keine actio empti utilis gewährt; aus dem schuldrechtlichen Kaufvertrag kommen ihm also keine Rechte zu. Angesichts dieser Unterscheidung der sachen- und der schuldrechtlichen Ebene, die im Ansatz bereits Solazzi I, 371 (418) erkannt hat, erübrigen sich die Interpolationsverdächtigungen von Mitteis, RP I, 213 Fn. 31; Pringsheim, Kauf, 125 f.; Finazzi in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (148 – 152). Auch die Erwägung von Harke, Actio utilis, 331, ad rem vindicandam sei untechnisch verwendet worden, ist zu vorsichtig.

Der Kauf

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Die decuriones haben zum Kauf des Wintergetreides für die Gemeinde (in publicum empta) einen curator bestellt, dem ein subcurator beigestellt wird. Dieser hat das Getreide durch die Beimischung von anderem Getreide verschlechtert. Für den dadurch entstandenen Wertverlust haftet der curator, wobei der Text nicht ausdrücklich erwähnt, ob diese Haftung gegenüber der Gemeinde besteht.306 Der Jurist wird angefragt, mit welcher Klage der curator gegen den subcurator vorgehen kann, um Regress für den Schaden zu nehmen, der dadurch entstanden ist, dass er für das Verhalten des subcurator haftet. Julian beruft sich auf den wohl etwas älteren Juristen Valerius Severus,307 der in einem responsum entschieden hat, dass ein tutor gegen einen cotutor mit der actio negotiorum gestorum vorgehen kann.308 Derselbe Jurist hat ferner entschieden, dass Magistrate gegen andere Magistrate mit derselben Klage vorgehen können, sofern nicht der Kläger Kenntnis vom Betrug des beklagten Magistrats hat. Julian will darauf gestützt dem curator ebenfalls die actio negotiorum gestorum gegen den subcurator gewähren.309 Danach erscheint die Rechtsstellung der Munizipalmagistrate zueinander schon einem Juristen der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts analog zu derjenigen bei mehreren Vormündern. Julian knüpft daran eine weitere Analogie zu der Rechtsstellung munizipaler curatores an.310 So wie Vormünder im Außenverhältnis allein Partei des Kaufvertrags sind, so sind auch die Magistrate und curatores von Gemeinden im Außenverhältnis allein Partei.311 Nur am Innenverhältnis sind Mündel bzw. Gemeinde beteiligt, und allein aus d ­ iesem ergibt sich die Haftung des Vormunds bzw. Gemeindevertreters gegenüber den von ihnen jeweils Vertretenen.

306 So Mitteis, RP I, 386 mit Fn. 35. 307 Zu ihm Kunkel, Herkunft, 154: Möglicherweise handelt es sich um einen consul suffectus von

124.

308 Dazu Seiler, Negotiorum gestio, 193 – 195. 309 Aus dem Wortlaut des Fragments geht hervor, dass es sich nicht um eine actio utilis handelt;

Seiler, Negotiorum gestio, 194 Fn. 8; Finazzi, Negotiorum gestio I, 411 – 413. Anders Voci, St. I, 479 (548 mit Fn. 190); Kaser, RP I, 659 mit Fn. 41; Schmieder, Duo rei, 284. Sie ist daher von der jüngeren actio utilis zu unterscheiden, die Antoninus Pius als Regressklage des Vormunds gegen die Mitvormünder eingeführt hat; D. 27.3.1.13 (Ulp. 36 ed.); C. 5.58.2 (Ant., a. 212); Seiler, Negotiorum gestio, 195 f. 310 Voci, St. I, 479 (548). 311 Vgl. Seiler, Negotiorum gestio, 193.

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Die vertraglichen Obligationen

IV. Die Haftung des Vertreters der Körperschaft aus dem Kaufvertrag post depositum officium Dass im Außenverhältnis allein der Gemeindevertreter beteiligt ist, wird von einem bereits erwähnten 312 responsum Papinians einerseits bestätigt, andererseits qualifiziert: D. 50.8.5.1 (Pap. 1 resp.) In eum, qui administrationis tempore creditoribus rei publicae novatione facta pecuniam cavit, post depositum officium actionem denegari non oportet. Diversa causa est eius, qui solvi constituit: similis etenim videtur ei, qui publice vendidit aut locavit.

Gegen denjenigen, der während seiner Amtszeit als Vermögensverwalter den Gläubigern einer Gemeinde nach erfolgter Novation eine Geldsumme versprochen hat, soll die Klage nach Beendigung des Amts nicht denegiert werden. Anders ist die Lage dessen, der die Erfüllung [der Schuld] zugesagt hat. Er scheint nämlich demjenigen zu ähneln, der öffentlich verkauft oder verdungen hat.

Im Fall eines Kaufvertrags – ebenso wie eines constitutum debiti und eines Pachtvertrags – wird die actio directa gegen den Vermögensverwalter post depositum officium denegiert.313 Da Papinian die Rechtslage bei der pecunia constituta mit derjenigen beim Verkauf – und bei der Verpachtung – von Gegenständen des Gemeindevermögens vergleicht, bedeutet dies, dass die Denegation der Klage des Käufers – und des Pächters – post depositum officium zur Zeit Papinians bereits unstreitig war,314 auch wenn sie im responsum ­dieses Juristen erstmals belegt ist. Es liefert zumindest einen terminus ante quem für die Severer-Zeit.315 Wenn die Klage aus dem Kaufvertrag erst post depositum officium denegiert wird, bedeutet das, dass sie sich gegen den Vermögensverwalter richtet, während er diese Funktion ausübt.316 Ebenso lange schließt er Kaufverträge über Gegenstände aus dem Gemeindevermögen als ihr indirekter Stellvertreter.317 Diese Rechtslage entspricht derjenigen bei der Vormundschaft.318 Zugleich wird die 312 Oben II. Kap., § 2 II.1. 313 Mitteis, RP I, 223 f., 383 Fn. 21; Solazzi I, 295 (335, 338); Platschek, Pecunia constituta, 219 f.; vgl. Y. Thomas, Hom. Lepelley, 189 (212). Die Behauptung von Mitteis, RP I, 383 Fn. 20, der 314 315 316 317 318

Vermögensverwalter handle als Prozessvertreter der Gemeinde, findet keine Stütze im Text von D. 50.8.5.1. Platschek, Pecunia constituta, 219. Vgl. Mitteis, RP I, 223 Fn. 67a. Y. Thomas, Hom. Lepelley, 189 (212). Verkannt von Eliachvitch, Personnalité juridique, 119 f.; Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (350). Verfehlt daher Kniep, Societas publicanorum, 374; Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (349 – 351); Finkenauer, SZ 125 (2008), 440 (449 Fn. 44). Siehe oben II. Kap., § 3 III.

Der Kauf

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Grenze des Handelns als indirekter Stellvertreter deutlich. Nach Beendigung der Amtszeit wird der Vertreter der Gemeinde von der Haftung aus dem von ihm geschlossenen Kaufvertrag freigestellt. Die Freistellung geschieht durch denegatio actionis, mithin durch das ius honorarium. Die zivile Klage kann ab ­diesem Zeitpunkt nicht mehr geltend gemacht werden und der Vermögensverwalter wird von seiner Haftung gegenüber dem Käufer frei. Stattdessen dürfte dem Käufer eine prätorische actio utilis gegen die Gemeinde erteilt worden sein.319 Dafür spricht ein Text Ulpians zur Vormundschaft: D. 21.2.4.1 (Ulp. 32 ed.) Si impuberis nomine tutor vendiderit, evictione secuta Papinianus libro tertio responsorum ait dari in eum cuius tutela gesta sit utilem actionem, sed adicit in id demum, quod rationibus eius accepto latum est. Sed an in totum, si tutor solvendo non sit, vi­dea­mus: quod magis puto: neque enim male contrahitur cum tutoribus.

Wenn ein Vormund im Namen des Unmündigen verkauft hat, sagt Papinian im 3. Buch seiner responsa, dass nach erfolgter Eviktion gegen denjenigen, dessen Vormundschaft geführt worden ist, eine actio utilis erteilt wird, aber – wie er hinzufügt – nur auf das, was als Einnahme in seinen Rechnungsbüchern eingetragen worden ist. Wir wollen aber sehen, ob auf das Ganze, wenn der Vormund nicht zahlungsfähig ist. Dies ist eher der Fall, glaube ich. Mit Vormündern werden nämlich keine ungünstigen Geschäfte abgeschlossen.

Ein Vormund verkauft impuberis nomine Sachen, die nicht im Eigentum des Mündels stehen. Es kommt zur Eviktion beim gutgläubigen 320 Käufer. Papinian hat in einem responsum befürwortet, dass dem Käufer gegen den Mündel eine actio utilis zusteht, die indes auf den Betrag beschränkt ist, den der Vormund dem Mündel gutgeschrieben hat. Ulpian spricht sich darüber hinaus für eine Haftung des Mündels in voller Höhe bei Insolvenz des Vormunds aus; dass es sich sich um eine kontroverse Frage gehandelt hat, ergibt sich aus der Formulierung quod magis puto.321 Aus dem Text geht nicht eindeutig hervor, ob die Eviktionshaftung auf einer Stipulation oder dem Kaufvertrag beruht,322 doch ist Letzteres zumindest möglich.323 An sich haftet der Vormund für die Eviktion; die Haftung des Mündels ergibt sich erst aus der prätorischen Haftungsüberleitung mittels der actio utilis. Aus dem Text ergibt sich nicht, wie sich die zivile Haftung des Vormunds und die prätorische des Mündels zueinander verhalten, ob also der Mündel neben 319 Mitteis, RP I, 224 mit Fn. 68, 383 mit Fn. 19; Solazzi I, 295 (335). 320 Kroppenberg, Insolvenz, 454. 321 Kroppenberg, Insolvenz, 454 Fn. 93. 322 Finkenauer, SZ 125 (2008), 440 (475); Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (100);

Harke, Actio utilis, 336.

323 Knütel, Fg. Kaser, 101 (109).

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oder anstelle des Vormunds haftet.324 Nur für die Lösung Ulpians im Fall der Insolvenz des Vormunds steht fest, dass die Haftung des Mündels faktisch diejenige des Vormunds vollständig ersetzt.325 Vor d ­ iesem Hintergrund lässt sich für den Vertragsschluss durch den freien Vertreter einer Gemeinde vorsichtig folgern, dass die Gemeinde mit einer actio utilis jedenfalls dann haftet, wenn der Vertreter selbst nicht mehr haftet, weil die actio directa gegen ihn post depositum officium denegiert wird.326 Dieser Befund erlaubt es, Schlüsse zur Rechtslage bei Vereinen ziehen. Partei des Kaufvertrags nach ius civile wird der freie Funktionär des Vereins. Will er als Verkäufer einen Gegenstand des Vereinsvermögens übereignen oder als Käufer den Kaufpreis aus Mitteln des Vereins bezahlen, so verfügt er als Nichtberechtigter; berechtigt ist die Gesamtheit der Mitglieder des Vereins. Durch einen Beschluss der Mitgliederversammlung kann der Verfügung zugestimmt werden. Der Beschluss gilt als Zustimmung aller Mitglieder, wodurch die Verfügung wirksam wird. Dies ändert nichts daran, dass allein der Vereinsfunktionär obligatorisch verpflichtet ist. Erst mit Beendigung seiner Funktion greift das prätorische Recht korrigierend ein: Durch Denegation der zivilen Kaufklagen und Gewährung von actiones utilis für und gegen den Verein wird die schuldrechtliche Haftung aus dem Kaufvertrag vom Vereinsfunktionär auf den Verein übergeleitet. Erst durch das prätorische Recht entsteht also eine Haftung des Vereins aus dem Kaufvertrag seines Funktionärs.

§ 4

Die locatio conductio

I. Der Verein als locator rei Wenngleich in deutlich geringerem Ausmaß als für Gemeinden ist Grundbesitz auch für Vereine belegt, insbesondere aufgrund von Stiftungen. In Brixia hat zu Lebzeiten Valeria Ursa Grundstücke an zwei collegia übertragen, die aus den Erträgen die memoria der Stifterin und ihres Mannes begehen sollen.327 Wie diese Erträge erzielt werden, ist nicht näher bekannt, doch ist – in Parallele zu den Gemeinden – davon auszugehen, dass die Liegenschaften von den Vereinen verpachtet worden sind. 324 Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (101). Ungenau Mitteis, RP I, 223 Fn. 67. 325 Vgl. Kroppenberg, Insolvenz, 454. 326 Vgl. Mitteis, RP I, 223 f., der allerdings eine Haftung des Gemeindevertreters bereits während

dessen Amtszeit verneint. Dagegen nimmt Y. Thomas, Hom. Lepelley, 189 (212 mit Fn. 65) an, dass post depositum officium der Amtsnachfolger haftet. 327 CIL V 4489 = ILS 8370 (Brixia, Venetia et Histria). Weitere Nachweise bei Waltzing IV, 642 f.

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1. Das collegium magnum arkarum divarum Faustinarum als locator rei? Scheinbar belegt eine Inschrift aus Rom die Verpachtung durch ein collegium magnum arkarum divarum Faustinarum: CIL VI 33840 = FIRA2 III 147 (Roma, 227)

Cum sim colonus hortorum olitoriorum, qui sunt via Ostiensi, iuris / collegi magni arkarum divarum Faustinarum matris et Piae, colens in  / asse annuis HS   XXVI et quod excurrit, per aliquod annos in ho/diernum pariator, deprecor tuam quoq(ue) iustitiam, domine Salvi, sic/5ut Euphrata, v(ir) o(ptimus) collega tuus q(uin)q(uennalis) Faustinae matris, aditus a me permis(it), / consentias extruere me sub monte m[e]moriolam per ped(es) XX in quadra/to; acturus Genio ­vestro [g]ratias, si memoria mea in p ­ erpetuo const(abit)  / habitus itum ambitum. Dat(um) a Geminio Eutychete colono. /

Ich bin Pächter der Gemüsegärten, die an der Straße nach Ostia liegen und im Eigentum des großen collegium der Kassen der vergöttlichten M ­ utter Faustina und der vergöttlichten Faustina Pia stehen. Ich pachte sie zu einem Gesamtbetrag von 26.000 Sesterzen und habe, was [über diesen Betrag] geht, so viele Jahre lang bis heute berichtigt. Daher erbitte ich auch deine Gerechtigkeit, mein Herr Salvius, so wie der vir optimus Euphrata, dein Kollege, der quinquennalis der M ­ utter Faustina, es auf mein Ersuchen gestattet hat: Willige ein, dass ich unterhalb des Hügels ein kleines Erinnerungsmal von 20 Fuß im Quadrat errichte. Ich werde eurem Genius danken, wenn mein Erinnerungsmal in Ewigkeit fortbesteht, versehen mit einem Wegerecht und einem Zugangsrecht. Gegeben vom Pächter Geminius Eutyches.

Euphrata et Salvius Chrysopedi, Pudentiano, Yacintho, Sophroni q(uaestoribus) / 10 et Basilio et Hypurgo scrib(is) salutem. Exemplum libelli dati nobis a Geminio / Eutychete colono litteris nostris adplicuimus; et cum adliget allis quoq(ue) / colonis permissum, curabitis obsirvare ne ampliorem locum memoriae / extruat quam quod libello suo professus est. Dat(um) VIII kal(endas) Aug(ustas)  / Albino et Maximo co(n)s(ulibus).

Euphrata und Salvius grüßen die quaestores Chrysopes, Pudentianus, Yacinthus und Sophron sowie die Schreiber Basilius und Hypurgus. Wir haben eine Abschrift des Schreibens, das der Pächter Geminius Eutyches an uns gerichtet hat, unserem Brief beigefügt. Da er vorbringt, dass es auch anderen Pächtern gestattet worden ist, werdet ihr dafür sorgen, dass er keinen größeren Erinnerungsort errichtet, als er in seinem Schreiben erklärt hat. Gegegeben am 8. Tag vor den Kalenden des August im Konsulat des Albinus und des Maximus.

Die Inschrift gibt zwei Schreiben wieder. Das erste hat Geminius Eutyches verfasst, der colonus von Gemüsegärten ist, die dem collegium magnum arkarum divarum Faustinarum matris et Piae gehören. Er möchte auf dem Grundstück eine memoriola errichten, also ein Grabmal. Dazu hat er bereits das Einverständnis des Euphrata, des quinquennalis Faustinae matris, erhalten, und möchte nun mit seinem Schreiben auch die Zustimmung des Salvius einholen, der quinquennalis Faustinae Piae ist. Das zweite Schreiben richten die beiden quinquennales an die quaestores und scribae des collegium. Darin erklären sie unter Berufung darauf, dass auch anderen coloni das Einverständnis erteilt worden ist, ihre Zustimmung zum Vorhaben des Geminius Eutyches und beauftragen die ­Adressaten des Schreibens zu überwachen, dass die memoriola nicht die in Aussicht gestellte Größe überschreitet.

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Das collegium magnum arkarum divarum Faustinarum matris et Piae geht auf zwei Alimentarstiftungen zugunsten von Mädchen aus der Stadt Rom zurück. Die erste hat Antoninus Pius nach dem Tod seiner Gattin Faustina Mater errichtet, die zweite Mark Aurel nach dem Tod seiner Gattin Faustina Pia.328 Wie die anderen Alimentarstiftungen stammen die Mittel aus den Erträgen von Grundstücken,329 genauer – nach dem Zeugnis der vorliegenden Inschrift – aus deren Verpachtung. Beide Stiftungen haben eigene arcae, die jeweils von einem quinquennalis und weiteren Funktionären verwaltet werden.330 Trotz dieser Eigenständigkeit sind die arcae miteinander verbunden. Die beiden quinquennales und das weitere Personal bilden ein collegium, das die Inschrift als den Berechtigten an den Grundstücken bezeichnet (hortorum olitoriorum […] iuris / collegi magni arkarum divarum Faustinarum matris et Piae, Z. 1 f.).331 Dass Geminius Eutyches beide quinquennales um ihre Zustimmung zur Errichtung seiner memoriola ansucht, bestätigt dies ebenso wie ihre gemeinsame Anweisung an die quaestores und scribae, den Umfang des Bauvorhabens zu überwachen. Damit lässt sich das Grundstück dem collegium als Berechtigtem zuordnen. Daher könnte angenommen werden, dass die Gemüsegärten zum Vereinsvermögen des collegium gehören, sodass das collegium magnum arkarum divarum Faustinarum ein gewöhnlicher, dem Privatrecht unterstehender Verein wäre.332 Doch mahnt die Tatsache zur Vorsicht, dass Hauptaufgabe des collegium die Verwaltung zweier kaiserlicher Alimentarstiftungen ist, die anders als die übrigen Stiftungen organisiert sind. Gewöhnlich handelt es sich bei dem Stiftungskapital um Darlehen, die der K ­ aiser gewährt, sodass er selbst Rechtssubjekt der Alimentarstiftungen ist.333 Die Verwaltung obliegt teilweise kaiserlichen, teilweise munizipalen Beamten.334 Auch wenn nicht ausgeschlossen ist, dass Antoninus Pius und Mark Aurel für eine Alimentarstiftung in der Hauptstadt die Rechtsform einer unselbständigen Stiftung gewählt haben, deren Vermögen einem als Verein organisierten Träger gehört, wäre diese Organisation einmalig. Schon dass dieser Verein allein aus dem mit der Verwaltung 328 Mommsen, Ges. Schr. III, 71 (73). 329 Mommsen, Ges. Schr. III, 71 (73); vgl. Kaser, RP I, 310; Jongman, s. v. Alimenta, DNP 1, Sp. 492. 330 Mommsen, Ges. Schr. III, 71 (73); Scialoja, BIDR 1 (1888), 21 (27). 331 Scialoja, BIDR 1 (1888), 21 (27); Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 301 f.; Groten, Corpus und universitas, 200. Dagegen hält Mommsen, Ges. Schr. III, 71 (73) die Stiftung für

subjektlos; ebenso Wenger, Quellen, 786 mit Fn. 561.

332 So Scialoja, BIDR 1 (1888), 21 (27 – 29). 333 Pernice, Labeo III .1, 167; Wenger, Quellen, 764; Jongman, s. v. Alimenta, DNP 1, Sp. 491. Ungenau Kaser, RP I, 310. 334 Laum, Stiftungen I, 236; Eck, Organisation, 177 – 182.

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der Stiftungen beauftragten Personal als Mitglieder besteht, ist ungewöhnlich. Auch die Bezeichnung als collegium arkarum passt nicht zu den üblichen Namen von Vereinen, die nach ihren Mitgliedern benannt sind. Daher wird der Begriff collegium keinen Verein meinen, sondern in Analogie zum Beamtenkollegium verwendet sein. Schon deshalb eignet sich die Inschrift nicht als Quelle zur Verpachtung durch Vereine. Hinzu kommt, dass Zweck der Inschrift nicht die Dokumentation des Pachtverhältnisses ist. Zwar macht Geminius Eutyches Angaben zur Pacht, insbesondere betont er, dass er diese regelmäßig entrichtet hat (per aliquot annos in ho/­­diernum pariator, Z. 4 f.).335 Doch fehlen Details zum Abschluss des Vertrages. Stattdessen liegt der Schwerpunkt der Inschrift auf der sachenrechtlichen Lage. Der Pächter will eine memoriola errichten, was nur mit dem Einverständnis des Eigentümers zulässig ist. Bedeutete die Formulierung hortorum olitoriorum […] iuris / collegi magni arkarum divarum Faustinarum matris et Piae tatsächlich, dass das collegium Eigentümer des Grundstücks ist, müsste es dem Bauvorhaben zustimmen. Nach sämtlichen Quellen geschieht dies durch die Gesamtheit der Vereinsmitglieder.336 Nach der Inschrift haben jedoch nur die beiden quinquennales ihr Einverständnis erklärt. Dies spricht dafür, dass sie als Verwalter einer kaiserlichen Stiftung handeln und dass das collegium insgesamt ein Beamtenkollegium, nicht aber ein Verein ist. In jedem Fall steht im Zen­ trum beider Schreiben eine sachenrechtliche Frage. Auf den Pachtvertrag wird keinerlei Bezug genommen, was es nahelegt, dass er von den Beteiligten nicht für entscheidend gehalten wird. Damit scheidet die Inschrift als Quelle für die Verpachtung von Vereinsvermögen aus.337 2. Die Haftung bei der locatio von Gegenständen des Gemeindevermögens

Vor ­diesem Hintergrund kommt den Aussagen der Juristenschriften zur locatio von Gemeindevermögen erhöhte Bedeutung zu. Allerdings muss das Material zu den Gemeinden mit besonderer Vorsicht gepüft werden. Für die locatio conductio von Gemeindevermögen ist in besonderer Weise mit der Geltung öffentlichrechtlicher Regelungen zu rechnen.338 Die Tätigkeit des auf Seiten der Gemeinde auftretenden duumvir wird zwar als locari bezeichnet,339 doch ursprünglich führt die Vergabe von Gemeindevermögen nicht zu einer Haftung des manceps oder 335 Scialoja, BIDR 1 (1888), 21 (24). 336 Siehe oben II. Kap., § 3 II; unten VI. Kap., § 1 III.2.a) (1) und (2). 337 Unzutreffend daher Eliachevitch, Personnalité juridique, 276 mit Fn. 25. 338 Mitteis, RP I, 380 – 382; Trisciuoglio in: Rapporti contrattuali, 191 – 231. 339 c. 63 l.Malac./Irn.

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conductor, der gegenüber dem duumvir auftritt, sondern der für jenen Sicherheit leistenden praedes.340 Erst s­ päter übernimmt der manceps als idem praes ebenfalls eine Haftung,341 worin der Ursprung seiner s­ päter dann selbstverständlichen Haftung aus der locatio conductio liegt.342 Die Haftung der praedes ebenso wie der praedia und cognitores ist ein besonderes Institut des öffentlichen Rechts.343 Quellen zur locatio von Gemeindevermögen sind dementsprechend darauf zu prüfen, ob sie von der Praediatur handeln. Dann können sie keine Auskunft über die Rechtsverhältnisse von Vereinen geben. Wenn dagegen ein Bezug zu den Instituten des öffentlichen Rechts ausgeschlossen ist, kommt eine Übertragung der juristischen Aussage einer Quelle auf Vereine in Frage. Von der locatio von Gemeindevermögen handelt das schon erwähnte,344 in D. 50.8.5.1 überlieferte responsum Papinians: D. 50.8.5.1 (Pap. 1 resp.) In eum, qui administrationis tempore creditoribus rei publicae novatione facta pecuniam cavit, post depositum officium actionem denegari non oportet. Diversa causa est eius, qui solvi constituit: similis etenim videtur ei, qui publice vendidit aut locavit.

Gegen denjenigen, der während seiner Amtszeit als Vermögensverwalter den Gläubigern einer Gemeinde nach erfolgter Novation eine Geldsumme versprochen hat, soll die Klage nach Beendigung des Amts nicht denegiert werden. Anders ist die Lage dessen, der die Erfüllung [der Schuld] zugesagt hat. Er scheint nämlich demjenigen zu ähneln, der öffentlich verkauft oder verdungen hat.

Da ein freier Vermögensverwalter auftritt, handelt die Quelle wahrscheinlich nicht von einer öffentlich-rechtlichen locatio conductio, da diese durch die duumviri vorgenommen wird.345 Der freie Vertreter einer Gemeinde haftet also selbst mit der actio directa aus dem Pachtvertrag.346 Erst post depositum officium denegiert der Prätor diese Klage. Da Papinian diese Rechtsfolge ausdrücklich 340 Mommsen, Ges. Schr. I, 265 (361); Kniep, Societas publicanorum, 205; Wesener, s. v. praediatura, RE S 14, Sp. 448; Cimma, Publicani, 67; Spitzl, Lex municipii Malacitani, 72 f.; Kunkel/ Wittmann, Staatsordnung, 449 – 451; Nörr, SZ 130 (2013), 72 (117 f.). 341 Frühester Beleg ist die lex parieti faciundo Puteolana (CIL X 1781 = ILS 5317 = FIRA2 III 153,

Sp. 3, Z. 17 [Puteoli, Latium et Campania, 105 v. Chr.]); Fest., p. 137,13 – 15 L. Mommsen, Ges. Schr. I, 265 (361 f.); Wesener, s. v. praediatura, RE S 14, Sp. 448; Cimma, Publicani, 67; Kunkel/ Wittmann, Staatsordnung, 449 – 451; Nörr, SZ 130 (2013), 72 (118 f.). Unzutreffend Malmendier, Societas publicanorum, 79. 342 Mitteis, RP I, 382 mit Fn. 18; Nörr, SZ 130 (2013), 72 (119); vorsichtig Wesener, s. v. praediatura, RE S 14, Sp. 449. 343 Wesener, s. v. praediatura, RE S 14, Sp. 448; vgl. Kunkel/Wittmann, Staatsordnung, 451 f. 344 Oben II. Kap., § 2 I.1., § 3 IV. 345 c. 63 l.Malac./Irn. 346 Solazzi I, 295 (335, 338); Platschek, Pecunia constituta, 219 f.; vgl. Y. Thomas, Hom. Lepelley, 189 (212).

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mit derjenigen bei der emptio venditio vergleicht, wird die Überleitung der Haftung auf die Gemeinde mit einer actio utilis, die für diesen Vertragstyp überliefert ist, wahrscheinlich auch bei der locatio conductio erfolgen.347 Nach Beendigung der Amtszeit des Vermögensverwalters, der den Vertrag schließt, haftet kraft prätorischen Rechts also nicht mehr er selbst, sondern nur noch die Gemeinde. 3. Der Vergleich mit der locatio von Gegenständen des Mündelvermögens

Ein Vergleich mit der Rechtslage bei der Vormundschaft spricht ebenfalls für diese Annahme. Über diese Rechtslage gibt ein Reskript der ­Kaiser Diokletian und Maximinian Auskunft: C. 5.39.4 (Diocl./Max., a. 293) Si hi, qui te in pupillari aetate constituta fuerunt tutores, postea in administratione perseverantes vel curatores constituti tua praedia locaverunt, eos competenter conveni: sed ex eorum contractu utilis tibi quaeri potuit contra successores conductoris actio.

Wenn diejenigen, die in deinem Alter als Unmündiger zu Vormündern bestellt worden und s­ päter in der Verwaltung [deines Vermögens] verblieben oder als Pfleger bestellt worden waren, deine Grundstücke verpachtet haben, so belange richtigerweise sie. Es konnte aber aus ihren Verträgen eine actio utilis gegen die Rechtsnachfolger des Pächters für dich erlangt werden.

Die Vormünder des anfragenden Tu haben nach Beendigung der Vormundschaft entweder die Verwaltung des Mündelvermögens fortgesetzt oder sind zu Pflegern des Tu bestellt worden. In d ­ iesem Zeitraum haben sie Grundstücke des Tu verpachtet. Die kaiserliche Kanzlei verweist den Tu zuerst auf die Klagen gegen die früheren Vormünder (eos competenter conveni). Darüber hinaus könne er aus dem Vertrag der früheren Vormünder mit einer actio utilis gegen die Rechtsnachfolger des Pächters vorgehen. Locator der Mündelgrundstücke sind die früheren Vormünder,348 wie die Formulierung ex e o r u m contractu belegt. Tu hat daher aus d ­ iesem Vertrag keine actio directa, weshalb er in erster Linie auf die Klage gegen die früheren Vormünder aus dem Innenverhältnis verwiesen wird. Das Reskript erwähnt nicht, um ­welche Klage es sich handelt. Nach beiden Sachverhaltsvarianten ist die Vormundschaft zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses beendet, weshalb es sich nicht um die actio tutelae handeln kann. Dagegen passt die actio negotiorum gestorum zu beiden Varianten: Sie ist die Klage des Geschäftsführers ohne

347 Mitteis, RP I, 224 mit Fn. 68, 383 mit Fn. 19; Solazzi I, 295 (335). 348 Harke, Actio utilis, 333.

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Auftrag, genauso aber auch die ordentliche Klage des curator minoris.349 Daher dürfte die Klage des Tu die actio negotiorum gestorum sein.350 Darüber hinaus – und dies ist die wesentliche Neuerung des Reskripts – wird dem Tu eine actio locati utilis gegen die Erben des conductor gewährt. Für den Fall, dass die Vormünder die Verwaltung des Vermögens des Tu fortgesetzt haben, ist diese Lösung ungewöhnlich, da die früheren Vormünder zu ­diesem Zeitpunkt gewöhnliche Geschäftsführer des Mündels sind und deshalb zu erwarten wäre, dass allein sie selbst aus der locatio conductio berechtigt und verpflichtet werden. Da der Vertragsschluss nach Beendigung der Vormundschaft erfolgt, handelt es sich um keinen Fall der Haftungüberleitung post depositum officium auf den früheren Mündel,351 die bereits zur Zeit Caracallas unstreitige Praxis war.352 Vielmehr gewähren Diokletian und Maximian eine actio utilis aus dem Vertragsschluss durch frühere Vormünder, die dem früheren Mündel sofort zusteht. Für den Fall dagegen, dass die Vormünder zu curatores bestellt worden sind, ist die Gewährung der actio utilis nach Beendigung der curatela ebenfalls bereits zur Zeit Caracallas üblich.353 Ob aber die Pflegschaft über Tu bereits geendet hat, ergibt sich aus dem Reskript nicht. Den Kaisern genügt offenbar die frühere Ausübung der Vormundschaft, um aus einem Vertrag, den die ehemaligen Vormünder nach Beendigung ihrer Funktion geschlossen haben, dem früheren Mündel eine actio utilis zu gewähren.354 Das Reskript fügt sich in eine Tendenz der kaiserlichen Rechtssetzung ein, die mit Alexander Severus beginnt, der dem Mündel eine actio utilis aus dem mutuum cum stipulatione erteilt, das der Vormund aus dem Mündelvermögen gewährt hat.355 Während eine Konstitution Diokletians und Maximians noch ein Jahr nach Erlass von C. 5.39.4 klarstellt, dass derartige Reskripte nicht 349 Siehe nur Kaser, RP I, 371. 350 Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (156); Harke, Actio utilis, 333. Nach dem Zeugnis

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des Tipucitus ist sie auf die Abtretung der actio locati gerichtet; Tip. 37.9.11. Zur Eignung des Tipucitus für die Restitution eines fehlenden Basilikentextes siehe van der Wal, Subseciva Groningana 3 (1989), 143 (146 f., 148 f., 151, 154). Nach Tip.  37.9.11 wird die Klage gegen den Pächter und seine Erben τῆς ἐπιτροπῆς περαιωθείσης gewährt. Der Verfasser des Tipucitus übersieht, dass das Reskript über die bisherige Rechtslage hinausgeht, wenn eine actio utilis aus einem Vertrag gewährt wird, der erst nach Beendigung der Vormundschaft geschlossen wird. Ebenfalls übersehen von Albanese, Persone, 491 f. mit Fn. 300; Kaser, RP I, 360 Fn. 9. C. 5.39.1 (Ant., a. 213): saepe decretum. C. 5.39.1 (Ant., a. 213). Vgl. Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (157 f.). C 5.39.2 (Alex., s. a.); vgl. auch C. 5.39.3 (Gord., a. 239). Hierzu Solazzi I, 371 (431 f.); Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (147 f.); Harke, Actio utilis, 330 f.

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v­ erallgemeinert werden können,356 zeigen die pseudo-ulpinianischen opiniones aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts, dass die actio utilis des Mündels auch auf den Kaufvertrag ausgedehnt worden ist.357 Allerdings handeln die ehemaligen Vormünder in C. 5.39.4 nicht als direkte Stellvertreter, denn es bleibt dem Tu überlassen, ob er mit der actio utilis den conductor in Anspruch nimmt oder mit der actio negotiorum gestorum gegen die ehemaligen Vormünder vorgeht. Direkte Stellvertretung läge erst dann vor, wenn Tu allein auf die actio utilis verwiesen wäre.358 Insofern lässt das Reskript die ursprüngliche Rechtslage weiterhin erkennen, wonach der Vormund Vertragspartei der locatio von Mündelvermögen ist und er mit der actio directa haftet.359 In ­diesem Ausgangspunkt stimmt das Reskript mit D. 50.8.5.1 überein. Beide Male ist der freie Vertreter als locator Vertragspartei. Die Übereinstimmung ­dieses Mechanismus’ bei Gemeinden und Vormündern spricht dafür, dass dasselbe auch gilt, wenn freie Funktionäre Vereinsvermögen vermieten bzw. verpachten.

II. Inschriftliche Zeugnisse zu Vereinen als conductores rei? 1. IG XIV 830 Eine Inschrift erwähnt eine μίσθωσις der colonia Puteolana zugunsten der Gemeinschaft der Tyrer ἐν Ποτιόλοις κατοικοῦντες: IG XIV 830 = OGIS 595 (Puteoli, Latium et Campania, 174)

Ἐπιστολὴ γραφεῖσα τῇ πόλει. / Τυρίων τῆς ἱερᾶς καὶ ἀσύλου καὶ αὐτονόμου μητροπόλεως Φοινείκης καὶ ἄλλων πόλε/ων καὶ ναυαρχίδος ἄρχουσι, βουλῇ δήμῳ καὶ τῆς κυρίας πατρίδος οἱ ἐν Ποτιόλοις / κατοικοῦντες χαίρειν. / 5 διὰ τοὺς θεοὺς καὶ τὴν τοῦ κυρίου ἡμῶν Αὐτοκράτορος τύχην εἰ καί τις ἄλλη στατί/ων ἐστὶν ἐν Ποτιόλοις, ς οἱ πλείους ὑμῶν ἴσασι, καὶ ἡ ἡμετέρα ἐστὶν καὶ κόσμῳ καὶ / μεγέθει τῶν ἄλλων διαφέρουσα· ταύτης πάλαι μὲν ἐπεμελοῦντο οἱ ἐν Ποτιόλοις

3 56 357 358 359

Brief an die Stadt. Die in Puteoli ansässigen Tyrer grüßen die Archonten, den Rat und das Volk von Tyros, der heiligen, unverletzlichen und autonomen Metropole Phöniziens und anderer Städte, Herrin der Flotte und gewaltgebietende Heimatstadt. Bei den Göttern und dem Glück unseres Herrn des Kaisers. Wenngleich es andere stationes (Handelsposten) in Puteoli gibt, wie mehrere von euch wissen, zeichnet sich unsere auch in Glanz und Größe gegenüber den anderen aus. Sie wurde früher von in Puteoli ansässigen Tyrern unterhalten,

C. 5.39.5 (Diocl./Max., a. 294). D. 26.9.2 (Ulp. 1 op.); vgl. die Ausdehnung auf den procurator militis in D. 12.1.26 (Ulp. 5 op.). Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (158). Verfehlt daher der Interpolationsverdacht von Solazzi I, 371 (436); für Echtheit bereits Mitteis, RP I, 222 Fn. 60.

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κα/τοικοῦντες Τύριοι {οι} πολλοὶ ὄντες καὶ πλούσιοι· νῦν δὲ εἰς ὀλίγους ἡμᾶς περι­ έστη τὸν  / ἀριθμόν, καὶ ἀναλίσκοντες εἴς τε θυσίας καὶ θρησκείας τῶν πατρίων ἡμῶν θεῶν ἐνθά/10δε ἀφωσιωμένων ἐν ναοῖς οὐκ εὐτονοῦμεν τὸν μισθὸν τῆς στατίωνος παρέχειν κα/τ’ ἔτος X σν’ μάλιστα ᾗ καὶ τὰ ἀναλώματα εἰς τὸν ἀγῶνα τὸν ἐν Ποτιόλοις τῆς βουθουσίας / ἡμεῖν προσετέθη. δεόμεθα οὖν προνοῆσαι ὑμᾶς τοῦ διαμένειν ἀεὶ τὴν στατίωνα· δ{ε}ιαμεν/εῖ δέ, ἐὰν πρόνοιαν τῶν κατ’ ἔτος διδομένων εἰς τὴν μίσθωσιν X σν’ ποιήσσθε· τὰ γὰρ ἕτε/ρα ἀναλώματα καὶ τὰ γεινόμενα εἰς ἐπισκευὴν τῆς στατίωνος εἰς τὰς ἱερὰς ἡμέρας τοῦ / 15 κυρίου Αὐτοκράτορος συνπεσούσης ἑαυτοῖς ἐλογισάμεθα, ἵνα μὴ τὴν πόλιν βαρῶμεν. / ὑπομιμνήσκομεν δὲ ὑμᾶς, ὅτι οὐδεμία πρόσοδος γείνεται οὔτε παρὰ ναυκλήρων / οὔτε παρὰ ἐμπόρων τῇ ἐνθάδε στατίωνι ὡς ἐν τῇ {βασιδι} βασιλίδι Ῥώμῃ. παρακαλοῦμεν  / οὖν καὶ δεόμεθα ὑμῶν τῆς τύχης φροντίσασ τοῦ πρά­γματος.  ἐγράφη ἐν Ποτι/όλοις πρὸ ι’ καλανδῶν Αὐγούστων Γάλλῳ καὶ Φλάκκῳ Κορνηλιανῷ ὑπάτοιν. /

die zahlreich und reich waren. Da nun aber unsere Zahl auf wenige zurückgegangen ist und wir den Aufwand für die Opfer und den Kult der Götter unserer Heimatstadt tragen, die in den hiesigen Tempeln verehrt werden, fehlen uns die Mittel, den Pachtzins der statio von 250 Denaren jährlich aufzubringen, zumal auch der Aufwand des Rinderopfers für die Wettkämpfe in Puteoli uns auferlegt worden ist. Wir bitten euch daher, für den dauerhaften Fortbestand der statio zu sorgen. Sie besteht fort, wenn ihr dafür sorgt, dass der Pachtzins von 250 Denare jährlich gezahlt wird. Wir haben nämlich die sonstigen Aufwendungen und diejenigen für die Wiederherstellung der baufälligen statio für die heiligen Tage unseres Herrn des Kaisers selbst übernommen, um die Stadt [Tyros] nicht zu belasten. Wir erinnern euch auch daran, dass für die hiesige statio weder von den Schiffseignern noch von den Kaufleuten Einkünfte bezogen werden, wie in der Kaiserstadt Rom. Wir fordern euch daher auf und bitten euch, euch bei eurem Glück um die Angelegenheit zu kümmern. Geschrieben in Puteoli am 10. Tag vor den Kalenden des August im Konsulat des Gallus und des Flaccus Cornelianus.

20 Ἀπὸ ἄκτων βουλῆς ἀχθείσης κα’∙ Δίου τοῦ ἔτους τ’∙ ἐφημερντος Γ. Οὐαλερίου  / Καλλικράτους Παυσανίου προέδρου.  / Ἀνεγνώσθη ἐπιστολὴ Τυρίων στατιωναρίων ἀναδοθεῖσα ὑπὸ Λάχητος / ἑνὸς αὐτῶν, ἐν ᾗ ἠξίον πρόνοιαν ποιήσασθαι αὐτοῖς X σν’ εἴς τε θυσίας / καὶ θρησκείας τῶν πατρίων ἡμῶν θεῶν ἐκεῖ ἀφωσιωμένων ἐν ναοῖς / 25 καὶ μὴ εὐτονεῖν τὸν μισθὸν τῆς στατίωνος παρέχειν κατ’ ἔτος X [σν’] / καὶ τὰ ἀναλώματα εἰς τὸν ἀγῶνα τὸν ἐν Ποτιώλοις τῆς βουθουσίας αὐ/τοῖς προστεθῆναι· τῶν γὰρ ἑτέρων ἀναλωμάτων [καὶ τῶν] γεινομένων εἰς ἐπι/σκευὴν τῆς στατίωνος εἰς τὰς ἱερὰς ἡμέρας τοῦ κυρίου Αὐτοκράτορος σ[υν]/πεσούσης αὑτοῖς ἐλογίσαντο, ἵνα μὴ τὴν πόλιν βαρῶσιν· καὶ ὑπεμίμνη/30σκον ὅτι οὐδεμία πρόσοδος γείνεται αὐτοῖς οὔτε παρὰ ναυκλήρων οὔτε / παρὰ ἐμπόρων ὡς ἐν τῇ βασιλίδι Ῥώμῃ. μεθ’ ἣν ἀνάγνωσιν Φιλοκλῆς Διο/δώρου εἶπεν· οἱ ἐν Ῥώμῃ στατιωνάριοι ἔθος εἶχον ἀεί ποτε ἐξ ὧν αὐτοὶ λαμ/βάνουσιν παρέχειν τοῖς ἐν Ποτιόλοις X σν’∙ ἀξιοῦσι καὶ νῦν οἱ ἐν Ποτιόλοις / στατιωνάριοι αὐτὰ

Aus den acta des Rates, der am 21. Tag des Monats Dios des 300. Jahres unter dem Vorsitz für diesen Tag von C. Valerius Kallikrates, Sohn des Pausanias, zusammentrat: Ein Brief der tyrischen stationarii wurde verlesen, der von Laches überbracht wurde, einem von ihnen, in dem sie darum bitten, dass für sie Vorsorge wegen der 250 Denare getroffen wird, [weil] sie für die Opfer und den Kult der Götter unserer Vaterstadt, die dort in den Tempeln verehrt werden, [den Aufwand tragen], weil ihnen die Mittel fehlen, um den Pachtzins der statio von 250 Denaren jährlich aufzubringen, und ihnen die Kosten des Rinderopfers für die Wettkämpfe in Puteoli auferlegt worden sind. Sie haben nämlich die sonstigen Aufwendungen und diejenigen für die Wiederherstellung der baufälligen statio für die heiligen Tage unseres Herrn des Kaisers selbst übernommen, um die Stadt [Tyros] nicht zu belasten. Sie haben auch daran erinnert, dass von ihnen weder von den Schiffeignern noch von den Kaufleuten Einkünfte bezogen werden, wie in der Kaiserstadt Rom. Nach dieser Verlesung sagte Philokles, Sohn des Diodoros: Die stationarii in Rom hatten

Die locatio conductio

ταῦτα αὑτοῖς τηρεῖσθαι ἢ εἰ μὴ βούλονται οἱ ἐν Ῥώμῃ αὐ/35τοῖς παρέχειν, αὐτοὶ ἀναδέχονται τὰς δύο στατίωνας ἐπὶ τῇ αὐτῇ αἱρέσι. ἐ/πε­φώνησαν· καλῶς εἶπεν Φιλοκλῆς· δίκαια ἀξισι οἱ ἐν Ποτιόλοις· ἀεὶ / οὕτως ἐγείνετο καὶ νῦν οὕτως γεινέσθω· τοῦτο τῇ πόλει συμφέρει· φυλαχθή/τω ἡ συνήθεια. hedera Ἀνεγνώσθη πιττάκιον δοθὲν τὸ ὑπὸ Λάχητος Πρειμογε/νέιας καὶ Ἀγαθόποδος υἱοῦ αὐτοῦ Τυρίων στατιωναρίων στατίωνος Τυρια/40κῆς τῆς ἐν κολωνίᾳ Σεβαστῇ Ποτιόλοις, ἐν ᾧ ἐδήλουν παρέχειν τὴν ἡμετέραν / πατρίδα στατίωνας δύο, τὴν μὲν ἐν τῇ βασιλίδι Ῥώμ[ῃ - - -].

195 früher die Gewohnheit, für diejenigen in Puteoli immer 250 Denaren aus den Mitteln aufzubringen, die sie selbst erhalten. Die in Puteoli bitten nun darum, dass dasselbe für sie beibehalten wird, oder sie nehmen die beiden stationes unter dieselbe Kontrolle, wenn diejenigen in Rom [das Geld] nicht für sie aufbringen wollen. Sie riefen: Philokles hat gut gesprochen! Die in Puteoli bitten zurecht! Schon immer ist so verfahren worden, und nun soll ebenso verfahren werden! Dies ist zum Vorteil der Stadt! Die Gewohnheit soll bewahrt werden! hedera Eine Urkundentafel wurde verlesen, die von Laches, Sohn der Preimogeneia und des Agathopous übergeben worden war, einem der tyrischen stationarii der tyrischen statio in der colonia Augusta Puteoli, in der sie bekannt gegeben haben, dass unsere Heimatstadt zwei stationes gewährleistet, die eine in der Kaiserstadt Rom …

Die Inschrift enthält zwei Dokumente: Das erste ist ein Schreiben der tyrischen ἐν Ποτιόλοις κατοικοῦντες an ihre Heimatstadt (Z.  1 – 19). Darin berichten sie, dass sie nicht mehr in der Lage sind, den Pachtzins für ihre statio 360 in Puteoli an die colonia Puteolana zu zahlen. Deshalb bitten sie die Stadt Tyros um deren Hilfe. Das zweite Dokument ist ein Auszug aus den Protokollen der βουλή von Tyros über die Sitzung, in der das Ersuchen der ἐν Ποτιόλοις κατοικοῦντες Τύριοι behandelt worden ist (Z. 20 – 38). Nach Verlesen des Schreibens der Tyrer in Puteoli erläutert ihr Vertreter Laches nochmals mündlich ihre Position. Ihm tritt Philokles mit der Behauptung entgegen, dass der μισθός nicht von den στατιωνάριοι in Puteoli, sondern von denen in Rom gezahlt werde; sofern die römischen στατιωνάριοι diese Zahlung nicht mehr erbringen wollen, könnten beide stationes unter eine einheitliche Kontrolle gestellt werden (εἰ μὴ βούλονται οἱ ἐν Ῥώμῃ αὐτοῖς παρέχειν, αὐτοὶ ἀναδέχονται τὰς δύο στατίωνας ἐπὶ τῇ αὐτῇ αἱρέσι, Z. 34 f.). Im Anschluss daran findet das Anliegen der στατιωνάριοι in Puteoli allgemeine Unterstützung. Schließlich berichtet die Inschrift, dass Laches ein Dokument (πιττάκιον, Z. 39) erhalten hat, das die Existenz der beiden stationes in Rom und Puteoli garantiert (Z. 38 – 4 1).361 360 Zur Funktion der stationes der Tyrer in Puteoli und Rom Petraccia Lucernoni, Stationarii,

40 f.

361 Diese letzte Passage gehört nicht mehr zum Auszug aus den Protokollen der βουλή von

Tyros, da sie hiervon durch eine hedera abgesetzt ist; Lombardi, MediterrAnt 16 – 2 (2013),

196

Die vertraglichen Obligationen

Die ἐν Ποτιόλοις κατοικοῦντες Τύριοι (Z. 7 f.) sind eine Vereinigung von tyrischen Händlern, die sich in Puteoli niedergelassen haben.362 Derartige Gruppen von Tyrern bildeten sich sukzessive in mehreren Handelsstädten des Mittelmeerraums.363 Die Vereinigung verfügt über einen eigenen λόγος, aus dem sie die Wiederherstellung der statio für Festtage bestreitet (τὰ γὰρ ἕτε/ρα ἀναλώματα καὶ τὰ γεινόμενα εἰς ἐπισκευὴν τῆς στατίωνος εἰς τὰς ἱερὰς ἡμέρας τοῦ / κυρίου Αὐτοκράτορος συνπεσούσης ἑαυτοῖς ἐ λ ο γ ι σ ά μ ε θ α , Z. 13 – 15; vgl. Z. 27 – 29).364 Sie weist damit eines der Strukturelemente auf, die für Gaius ein Charakteristikum von privaten Personenvereinigungen sind.365 Für die Frage einer locatio conductio der statio freilich lässt sich der Inschrift nur wenig entnehmen. Während locator die colonia Puteolana ist,366 bleibt die Identität der anderen Vertragspartei unklar. In ihrem Schreiben behauptet die Vereinigung, nicht über die Mittel zur Zahlung des μισθός zu verfügen (οὐκ εὐτονοῦμεν τὸν μισθὸν τῆς στατίωνος παρέχειν κα/τ’ ἔτος X σν’, Z. 10 f.; vgl. Z. 25).367 Hieraus könnte geschlossen werden, dass die Vereinigung eine Zahlungspflicht trifft, die auf ihrer Stellung als Partei der locatio conductio beruht. Doch berichtet Philokles,368 dass der μισθός immer von στατιωνάριοι in Rom gezahlt worden sei. Die Identität des Leistenden erlaubt daher keine zuverlässigen Rückschlüsse auf diejenige des conductor, zumal das – am Ende erfolgreiche 369 – Anliegen der Vereinigung in Puteoli darin besteht, dass Tyros die Zahlung übernimmt. Der inhaltliche Schwerpunkt der Inschrift liegt eindeutig nicht auf dem Abschluss der μίσθωσις, sondern vielmehr auf der Kostentragung. Die allen Beteiligten gemeinsame Vorstellung ist, dass eine Quelle für die Finanzierung des

362 363 364 365 366 367

368 369

633 (675). Dies übersehen Sosin, Tyche 14 (1999), 275 (283 f.); Verboven, in: Hekster/Kaizer, Frontiers, 335 (336). Verboven, in: Hekster/Kaizer, Frontiers, 335 (336); Lombardi, MediterrAnt 16 – 2 (2013), 633 (650 f.). Lombardi, MediterrAnt 16 – 2 (2013), 633 (651 f.). Lombardi, MediterrAnt 16 – 2 (2013), 633 (669 – 671). D. 3.4.1.1 (Gai. 3 ed. prov.). Vgl. D’Arms, JRS 64 (1974), 104 (105). Μισθός bedeutet Mietzins für die statio; Lombardi, MediterrAnt 16 – 2 (2013), 633 (660); ebenso Verboven, in: Hekster/Kaizer, Frontiers, 335 (336). Wegen des klaren Bezugs zur statio kann die Erwägung von Sosin, Tyche 14 (1999), 275 (279 Fn. 2), μισθός bedeute in der Inschrift allgemein Zahlung, nicht überzeugen. Ihm müssen daher weitere Informationen bekannt gewesen sein, die nicht im Schreiben der στατιωνάριοι von Puteoli enthalten sind; Sosin, Tyche 14 (1999), 275 (281); Lombardi, MediterrAnt 16 – 2 (2013), 633 (674). Sosin, Tyche 14 (1999), 275 (283); Verboven, in: Hekster/Kaizer, Frontiers, 335 (336 f.). Anders Lombardi, MediterrAnt 16 – 2 (2013), 633 (677 f.), wonach die Zahlung des μισθός von den στατιωνάριοι in Rom übernommen werden soll.

197

Die locatio conductio

μισθός gefunden werden soll. Als ­solche kommen aufgrund ihrer schwierigen finanziellen Lage nicht mehr die ἐν Ποτιόλοις κατοικοῦντες Τύριοι in Frage. Stattdessen werden die Heimatstadt Tyros einerseits und die στατιωνάριοι in Rom andererseits, die über nicht näher definierte Einnahmen von Seiten der Schiffseigner und Händler verfügen, ins Spiel gebracht. Dabei ist kaum denkbar, dass die Stadt Tyros – auf deren Stellung als αὐτόνομ[ος] μητρόπολ[ις] die Inschrift ausdrücklich hinweist (Z. 2)370 – als conductor gegenüber der colonia Puteolana auftritt. Da Tyros und die römischen στατιωνάριοι parallelisiert werden, werden auch diese kaum conductor gewesen sein. Der Verlauf der Debatte in der βοθλή von Tyros zeigt vielmehr, dass die Frage von den Beteiligten als eine politische aufgefasst worden ist. Der inhaltliche Akzent der Inschrift liegt auf der Frage der Kostentragung, nicht dagegen auf den Vertragsparteien. Daher ist sie keine geeignete Quelle für die Frage, inwiefern ein Verein als conductor rei aufgetreten ist. 2. Die lis fullonum Eine als lis fullonum bekannte Inschrift gibt Äußerungen von als Richter fungierenden praefecti vigilum zu einem Streit darüber wieder, ob die stadtrömischen fullones für einen locus pensiones schulden: CIL VI 266 = FIRA2 III 165 (Roma, 244)

(in fronte) a) Herculi sacrum posuit  / P. Clodius For- Dem Herkules geweiht. P. Clodius Fortunatus, tunatus q(uin)q(uennalis) perpetuus huius ständiger quinquennalis d ­ ieses Ortes, hat es loci. / Interlocutiones // errichten lassen. Zwischenurteile b) Aeli Floriani Herenni Modestini et Faltoni  / Res(ti)tutiani, praeff(ectorum) vigil(um), pp(erfectissimorum) vv(irorum). / Florianus d(ixit): Quantum ad formam a me datam perti/net quoniam me convenis de hoc inprimis tractan/5dum est. Ita interlocutum me scio esse hesterna / die docere partem diversam oportere hoc / ex sacra auctoritate descendere ut pensiones / non dependerentur. Et respondit: Se quibus/cumque rationibus posse ostendere hoc / 10 ex sacra auctoritate observari. Et hodie hoc / dicit: Ex eo tempore, inquit, ex quo Augustus / rem publicam obtinere coepit usque in hodier(num),  / numquam haec loca pensiones pensitasse. /

der Vigilenpräfekten Aelius Florianus, Herennius Modestinus und Faltonius Restitutianus, viri perfectissimi. Florianus sagte: Was das von mir vorgeschriebene Verfahren betrifft, da du mich damit befasst, ist dies als erstes zu behandeln. Ich weiß, dass ich gestern durch Zwischenurteil entschieden habe, dass die gegnerische Partei beweisen muss, dass sich aus kaiserlicher Autorität ergibt, dass kein Mietzins gezahlt werden soll. Und [die Partei] antwortete, sie könne mit sämtlichen Rechnungsbüchern nachweisen, dass dies aufgrund der kaiserlichen Autorität eingehalten worden sei. Und heute sagt er: Von der Zeit, zu der Augustus begann, den Staat zu beherrschen, bis heute sind diese Räumlichkeiten nie mietzinspflichtig gewesen.

370 Eißfeldt, s. v. Τύρος [3], RE 7A.2, Sp. 1898, 1900.

198

Die vertraglichen Obligationen

Et infra Florianus d(ixit): Vidi locum dedicatam / 15 imaginibus sacris. Et alio capite / Modestinus d(ixit): Si quid est iudicatum, habet  / suam auctoritatem. Si est ut dixi iudicatum / interim aput me nullae probationes exhi/[be]ntur quibus doceantur fullones in pen/20[sione]m iu[r]e conveniri. Et alio capite / R[est]it[utia]nus c(um) c(onsilio) c(ollocutus) d(ixit): Manifestum est quid / iudicav[erint] pp(erfectissimi) vv(iri); nam Florianus partibus / suis diligentissime functus est qui cum in / rem praesentem venisset, locum inspexit / 25 et universis indiciis examinatis senten-//

Und weiter unten sagte Florianus: Ich habe den Ort gesehen, der mit Kultbildern geweiht ist. Und in einem anderen Abschnitt sagte Modestinus: Wenn etwas durch Urteil entschieden worden ist, kommt ihm Rechtskraft zu. Wenn, wie ich gesagt habe, ein Urteil ergangen ist, werden bei mir keine Beweismittel vorgelegt, mit denen bewiesen werden soll, dass die Walker zurecht wegen der Mietzinszahlung in Anspruch genommen werden. Und in einem anderen Abschnitt sagte Restitutianus nach Beratung mit seinem consilium: Es ist offenkundig, was die viri perfectissimi entschieden haben. Denn Florianus hat seine Aufgabe sehr umsichtig erfüllt. Nachdem er die gegenwärtige Angelegenheit aufgegriffen hatte, besichtigte er den Ort und erließ nach Untersuchung aller Ansichten ein

(in latere dextero) c) tiam de eo loco de quo cum maxime / qu(a)e­ritur protulit; a qua provoca[tum] / non est. Et infra Restitutianus d(ixit): / Modestinus quoque secutus res  / 5 a Floriano iudicatas pensiones / exigi prohibuit. Et infra / Resti­ tutianus d(ixit): Illut servabitur  / fontanis quod obtinuerunt / aput suos iudices et quod habue/10runt in hodiernum sine pensione. / Ex Alexandro Aug(usto) II et Marcello II co(n)s(ulibus) / litigatum est in / Peregrino et Aemiliano co(n)s(ulibus) / dies [- - -].

Urteil bezüglich ­dieses Ortes, über den so viel gestritten wird; dagegen wurde keine Berufung eingelegt. Und weiter unten sagte Restitutianus: Auch Modestinus folgte der rechtskräftigen Entscheidung des Florianus und verbot, Mietzins zu verlangen. Und weiter unten sagte Restitutianus: Dies wird den fontani erhalten bleiben, was sie vor ihren Richtern erhalten haben und was sie bis heute ohne Mietzins haben. Der Rechtsstreit wurde vom 2. Konsulat des Kaisers Alexander und des Marcellus bis zum Konsulat des Peregri­ nus und des Aemilianus … Tage geführt …

Die Inschrift berichtet von drei Prozessen, die jeweils vor dem amtierenden praefectus vigilum geführt werden. Beklagter sind die fullones,371 während der Kläger nicht genannt wird.372 Gegenstand des Streits ist ein locus, den die fullones benutzen. Da sich dort imagines sacrae befinden, wird es sich zumindest auch um eine kultische Nutzung handeln. Im ersten Verfahren aus dem Jahr 226 vor dem Präfekten Florianus kann der Beweis erbracht werden, dass seit der Regentschaft des Augustus keine pensiones geschuldet gewesen sind (fr. b, Z. 10 – 13). 371 Mommsen, Ges. Schr. III, 97 (98); De Robertis, ANRW II.14, 791 (792). Zur Zuständigkeit des praefectus vigilum Mommsen, Ges. Schr. III, 97 (107 f.); Alba Musca, Labeo 16 (1970), 279 (293 – 314); De Robertis, SDHI 43 (1977), 113 (151 – 159). 372 Für das aerarium oder den fiscus Waltzing II, 472. Für den fiscus Mommsen, Ges. Schr. III, 97 (100); Tran, MEFRA 119 (2007), 597 (601). Für den fiscus oder Steuerpächter Litewski, TR 43 (1975), 85; De Robertis, ANRW II.14, 791 (793). Für Steuerpächter Alba Musca, Labeo 16

(1970), 279 (289).

Die locatio conductio

199

Gegen die interlocutio des Florianus sind keine Rechtsmittel eingelegt worden (a qua provocatum non est, fr. c, Z. 2 f.).373 In einem zweiten Prozess vor dem Juristen Modestin während seiner Amtszeit als praefectus vigilum weist dieser eine erneute Klage ab, da es sich um eine res iudicata handle (fr. b, Z. 15 – 20).374 Auch im dritten Prozess im Jahr 244 weist der Präfekt Restitutianus die Klage auf pensiones ab (fr. b, Z. 20-fr. c, Z. 10). Die pensiones wären nicht geschuldet, wenn das Grundstück wegen der dort befindlichen imagines sacrae ein locus sacer wäre.375 Allerdings wird ein Grundstück nur dann zum locus sacer, wenn eine förmliche consecratio oder dedicatio aufgrund einer lex, eines Senatbeschlusses oder einer kaiserlichen Ermächtigung erfolgt ist.376 Die bloße Aufstellung von Kultbildern genügt nicht.377 Mit sacra auctorita[s] (fr. b, Z. 7, 10) bezeichnet die Inschrift die kaiserliche Entscheidung, dass keine pensiones geschuldet werden,378 nicht dagegen eine dedicatio des Ortes. Stattdessen könnte es sich um einen locus publicus handeln,379 dessen Nutzung durch den ­Kaiser gestattet werden kann.380 Sofern der locus publicus baulich genutzt wird, wird dafür ein Entgelt (solarium) geschuldet.381 Die Nutzung von loca publica durch Augustalen und Vereine ist häufiger belegt.382 Daher ist es wahrscheinlich, dass auch der streitige locus öffentlicher Grund ist. Diese adsignatio von loci publici zum Gebrauch gehört allerdings ebenso wie die Festsetzung und der Erlass des solarium zum öffentlichen Recht.383 Daher ist auch die lis fullonum nicht geeignet, die Beteiligung eines Vereins an einer conductio rei zu erhellen.384 373 Litewski, TR 43 (1975), 85; De Robertis, Storia II, 453; ders., ANRW II.14, 791 (798); Tran, MEFRA 119 (2007), 597 (602). 374 Mommsen, Ges. Schr. III, 97 (98); Litewski, TR 43 (1975), 85 (88). 375 De Robertis, ANRW II.14, 791 (797 f. Fn. 41); vgl. Mommsen, Ges. Schr. III, 97 (106 f.). Verkannt von Waltzing II, 472; Tran, MEFRA 119 (2007), 597 (600 f.). 376 D. 1.8.9.1 (Ulp. 68 ed.). Hierzu Kaser, RP I, 378; De Robertis, ANRW II.14, 791 (808 f.). 377 Dadurch kann ein sacrarium entstehen, das allerdings gerade kein locus sacer ist; D. 1.8.9.2

(Ulp. 68 ed.). Mommsen, Ges. Schr. III, 97 (100). Mommsen, Ges. Schr. III, 97 (101). D. 43.8.2 pr. (Ulp. 68 ed.). D. 43.8.2.17 (Ulp. 68 ed.). Mommsen, Ges. Schr. III, 97 (100 f.); De Robertis, ANRW II.14, 791 (793 mit Fn. 9). 382 CIL VI 814 (Roma, 77 – 81); AE 1999, 453 (Puteoli, Latium et Campania, 110 – 130); CIL XI 3614 = ILS 5918a = FIRA2 III 113 (Caere, Etruria, 130); AE 1927, 115 (Castrimoenium, Latium et Campania, 147); CIL XIII 11313 = ILS 9418 (Augusta Treverorum, Belgica, 161 – 211); CIL XIV 4570 (Ostia, Latium et Campania, 205). 383 Siehe nur Vogt, Erbbaurecht, 5, 54 – 61; Kaser, RP I, 456. 384 Ebenso Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 335 Fn. 8. Unzutreffend Waltzing II, 452 mit Fn. 8; Eliachevitch, Personnalité juridique, 276 mit Fn. 25. 378 379 380 381

200

Die vertraglichen Obligationen

Gestützt auf die Rechtslage bei der locatio rei 385 kann lediglich vermutet werden, dass der Vereinsfunktionär während seiner Amtszeit persönlich mit der actio directa haftet und diese Haftung post depositium officium mit einer actio utilis auf den Verein übergeleitet wird.

§ 5

Das constitutum debiti

I. Die Erklärung des constitutum debiti gegenüber einem Vertreter oder Sklaven Ulpian befasst sich im Rahmen seiner Kommentierung des Edikts De p­ ecunia constituta 386 mit der Erfüllungszusage, die gegenüber freien Stellvertretern abgegeben wird: D. 13.5.5.6 – 7, 9 (Ulp. 27 ed.) 6. Iulianus libro undecimo digestorum scribit procuratori consti­tui posse: quod Pomponius ita interpretatur, ut ipsi procuratori constituas te solu­tu­ rum, non domino.

Julian schreibt im 11. Buch seiner digesta, dass einem Prokurator die Erfüllung [einer Schuld] zugesagt werden kann. Dies fasst Pomponius so auf, dass du zusagst, an den Prokurator selbst zu leisten, dass du erfüllen wirst, nicht an den Geschäftsherrn.

7. Item tutori pupilli constitui potest et actori municipum et curatori furiosi.

Ebenso kann die Erfüllung dem Vormund eines Mündels, dem Vertreter von Gemeindebürgern und dem Pfleger eines Geisteskranken zugesagt werden.

9. Si actori municipum vel tutori pupilli vel curatori furiosi vel adule­ scentis ita constituatur municipibus solvi vel pupillo vel furioso vel adulescenti, utilitatis gratia puto dandam municipibus vel pupillo vel furioso vel adulescenti utilem actionem.

Wenn dem Vertreter von Gemeindebürgern, dem Vormund eines Mündels oder dem Pfleger eines Geisteskranken oder eines Minderjährigen zugesagt wird, dass an die Gemeindebürger, den Mündel, den Geisteskranken oder den Minderjährigen geleistet wird, glaube ich, dass aus Nützlichkeitserwägungen den Gemeindebürgern, dem Mündel, dem Geisteskranken oder dem Minderjährigen eine actio utilis gewährt werden muss.

Ulpian behandelt zuerst den procurator, also den freien Vermögensverwalter eines Privaten.387 Er zitiert den hochklassischen Juristen Julian, der schreibt, dass einem procurator gegenüber ein constitutum debiti abgegeben werden kann. Pomponius habe dies so interpretiert, dass Inhalt eines solchen constitutum sei, an den 385 Siehe oben II. Kap., § 4 I.2 und 3. 386 Die Passage steht im Zusammenhang mit der Kommentierung des Lemmas pecuniam debitam des prätorischen Verheißungsedikts; Lenel, Pal. II, Sp. 577 f. 387 Zum Begriff Klinck, SZ 124 (2007), 25 – 52.

Das constitutum debiti

201

p­ rocurator, nicht an seinen Geschäftsherrn zu leisten.388 Diese ­Interpretation könnte die Auffassung Julians einschränken: Möglicherweise meint dieser nicht nur, dass die Abgabe eines constitutum gegenüber dem procurator zulässig ist, sondern auch, dass die daraus resultierende actio de pecunia constituta dem Geschäftsherrn zusteht.389 Dies würde auf eine Anerkennung der direkten passiven Stellvertretung für das constitutum debiti hinauslaufen.390 Freilich lässt sich auch nicht ausschließen, dass Julian ­dieses Problem lediglich als erster Jurist aufgeworfen hat und Ulpian ihn deshalb zitiert. Dem überlieferten Digestentext lässt sich jedoch mit Sicherheit entnehmen, dass sowohl Pomponius als auch der ihn zustimmend zitierende Ulpian eine direkte passive Stellvertretung beim constitutum debiti ausschließen und eine actio de pecunia constituta nur gegen den procurator gewähren.391 In § 7 hält Ulpian fest, dass dasselbe gelte, wenn das constitutum gegenüber dem Vormund, dem actor einer Gemeinde 392 oder dem curator furiosi abgeben wird. Da Ulpian das constitutum gegenüber diesen Vertretern einem solchen gegenüber dem procurator gleichstellt, haben auch in diesen Fällen die genannten Vertreter die actio de pecunia constituta.393 Hintergrund der restriktiven Haltung gegenüber einer actio de pecunia constituta des Vertretenen aus einer Erfüllungszusage gegenüber dem Vertreter ist die Formel der direkten Klagen. In ihrer intentio nimmt diese Bezug darauf, dass dem Kläger die Erfüllung zugesagt worden ist (si paret Numerium Negidium Aulo 388 Anders Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (374), die annimmt,

dass der Schuldner ausdrücklich ipsi procuratori se soluturum versprechen müsse. Andernfalls scheint ihrer Auffassung nach das constitutum debiti unwirksam zu sein. Näher liegt jedoch anzunehmen, dass Pomponius für jedes constitutum gegenüber einem procurator unabhängig von seinem Wortlaut annimmt, dass die Erfüllung an den procurator zugesagt wird. 389 Claus, Stellvertretung, 257 f.; Wieling, MuV, 235 (261); Platschek, Pecunia constituta, 160; Harke, Actio utilis, 316; vgl. Mitteis, RP I, 221; Solazzi I, 371 (403 Fn. 25). Zweifelnd Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (172). 390 Mitteis, RP I, 221; Platschek, Pecunia constituta, 160. Ungenau Kaser, SZ 91 (1974), 146 (196 f. mit Fn. 188). 391 Mitteis, Stellvertretung, 73 f.; ders., RP I, 221; Wieling, MuV, 235 (261); Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (374); Harke, Actio utilis, 316; vgl. Solazzi I, 371 (403). Zweifelnd Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (172 f.). 392 Es wird sich um einen freien Vermögensverwalter der Gemeinde handeln, nicht um einen Prozessvertreter; Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 326 Fn. 5; Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (373). Anders Platschek, Pecunia constituta, 147 Fn. 430; Harke, Actio utilis, 316 f. 393 Solazzi I, 371 (403); Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (172); Harke, Actio utilis, 316; ähnlich Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (374 f.), die freilich annimmt, dass ein constitutum nur wirksam ist, wenn ausdrücklich die Erfüllung an den Vormund, actor oder Pfleger zusagt wird.

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Die vertraglichen Obligationen

Agerio HS tot constituisse),394 setzt also die Identität von Kläger und Empfänger des constitutum voraus. Klagt nun ein anderer als derjenige, dem die Erfüllung zugesagt worden ist, kann der Sachverhalt nicht mehr unter die intentio der Klage subsumiert werden.395 Deshalb wird es Pomponius abgelehnt haben, dem Geschäftsherrn eine Klage aus einem constitutum zu gewähren, das gegenüber seinem procurator erklärt worden ist.396 Eine Herausgabe des Geldes an den Vertretenen richtet sich damit allein nach dem Innenverhältnis und findet regelmäßig erst im Rahmen der Abrechnung nach Beendigung des jeweiligen Amtes statt. Möglicherweise ist auch dies der Grund, warum es Ulpian – zumindest an dieser Stelle – damit bewenden lässt, dass die actio de pecunia constituta dem Vertreter, nicht dem Vertretenen zusteht: Die gewöhnliche Abrechnung z­ wischen Vertreter und Vertretenem soll nicht dadurch gestört werden, dass eine Herausgabe an den Vertretenen aufgrund des constitutum debiti schon zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt.397 Nachdem Ulpian in § 8 die Haftung des freien Vertreters behandelt, der eine Erfüllungszusage abgibt,398 behandelt er in § 9 wiederum das constitutum, das gegenüber einem Vertreter erklärt wird. Zusätzlich zum actor municipum, dem Vormund und dem curator furiosi, die schon in § 7 erwähnt werden, wird der curator minoris erwähnt. Anders als in § 7 wird ausdrücklich die Leistung an den Vertretenen zugesagt. Nach der vorsichtig formulierten Meinung des Juristen (puto) soll dem Vertretenen aus Zweckmäßigkeitsgründen (utilitatis gratia) eine actio utilis zustehen. Die Gewährung einer actio utilis zugunsten des Vertretenen weicht vom Grundsatz in § 6 ab, wonach dem Geschäftsherrn eines procurator gerade keine Klage aus einem constitutum zusteht, das gegenüber dem procurator abgegeben wird, sondern lediglich der procurator selbst klagen kann.399 Wie die Erwähnung von Julian und Pomponius in § 6 erkennen lässt, handelt es sich hierbei um ius controversum. Dasselbe gilt für § 9: Ulpian referiert keine unstreitige Rechtslage, 394 395 396 397

Platschek, Pecunia constituta, 33. Platschek, Pecunia constituta, 147 f. Fn. 430. Platschek, Pecunia constituta, 147 f. Fn. 430. Unschädlich ist insoweit, dass dem Vertretenen bereits aufgrund des Rechtsverhältnisses, das die pecunia debita ursprünglich begründet hat, eine Klage zusteht; so zutreffend Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (375). Denn wenn der Vertretene mit d i e s e r Klage gegen den Schuldner vorgeht, berührt dies nicht die Abrechnung z­ wischen dem Vertretenen und seinem Vertreter. Der Vertreter hat dann nämlich nichts für den Vertretenen erlangt, sodass auch keine Pflicht zur Herausgabe an den Vertretenen besteht. 398 Siehe hierzu sogleich unten II. Kap., § 5 II. 399 Solazzi I, 371 (403); Navarra, Utilitas, 164; Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (374); Platschek, Pecunia constituta, 159.

Das constitutum debiti

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sondern führt seine eigene Meinung an (puto),400 die er mit der utilitas begründet. Auch wenn die justinianische Kompilation sich auf die Wiedergabe der Position Ulpians beschränkt,401 wird er selbst sie als Stellungnahme in einer Kontroverse aufgefasst haben. Sowohl der Beginn des § 8 mit sed et 402 als auch die gegenüber § 7 abweichende Aufzählung der Vertreter 403 sind weitere Indizien dafür, dass die Kompilatoren einen Kontroversenbericht gestrichen haben.404 Offen bleibt, ob der Vertreter eine actio directa neben der actio utilis des Vertretenen hat.405 Ferner lässt sich dem Text nicht entnehmen, w ­ elche Zweckmäßigkeitserwägungen Ulpian dazu bewogen haben, dem Vertretenen eine analoge Klage zu gewähren.406 Die Spuren einer Kontroverse, von der Ulpian nicht lediglich berichtet, sondern in der er Stellung bezieht, zeigen jedenfalls, dass die actio utilis des Vertretenen eine relative späte Entwicklung ist.407 Anders dürfte die Lage sein, wenn die Erfüllungszusage gegenüber einem Gemeindesklaven abgegeben wird. Dieser Fall ist nicht separat überliefert, doch gibt es eine allgemeine Aussage Ulpians zum constitutum, das einem Sklaven erklärt wird: D. 13.5.5.10 (Ulp. 27 ed.) Servo quoque constitui posse constat et, si servo constituatur domino solvi vel ipsi servo, qualemqualem servum domino adquirere obligationem.

Es steht fest, dass auch einem Sklaven die Erfüllung zugesagt werden kann und, wenn dem Sklaven zugesagt wird, dass an seinen Herrn oder an den Sklaven selbst geleistet wird, jedweder Sklave seinem Herrn die Obligation erwirbt.

400 Navarra, Utilitas, 166. 401 Die Wiedergabe des Textes in B. 26.7.5 (Sch. A IV 1298; Hb. III 136) erwähnt zwar die actio

4 02 403

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utilis (ἁμόζει οὐτιλία), gibt aber weder puto noch die Begründung utilitatis gratia wieder, womit nicht mehr erkennbar ist, dass es sich um ius controversum handelt. Ulpians Meinung ist also für die Byzantiner unstrittiges Recht geworden. Vgl. hierzu oben II. Kap., Fn. 94. Die Vertreter werden in einer anderen Reihenfolge als in § 7 aufgeführt: Dort steht an erster Stelle der tutor, dann folgen actor und curator furiosi. In § 9 steht an erster Stelle der actor, dann kommen tutor sowie curatores furiosi und minoris. Diese Variation könnte zusammen mit der erstmaligen Erwähnung des curator minoris auf eine Kürzung hindeuten. Unzutreffend daher der Interpolationsverdacht von Solazzi I, 371 (415 f.); Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (152 f.). Solazzi I, 371 (417 Fn. 94). Die Behauptung von Mitteis, RP I, 222 f. mit Fn. 61, die Haftung werde sofort auf die Gemeinde übergeleitet, kann sich nicht auf D. 13.5.5.9 stützen. Solazzi I, 371 (414 – 417) und Navarra, Utilitas, 165 f. erwägen, dass die Gewährung der actio utilis eine Reaktion auf die Handlungsunfähigkeit der Vertretenen sei. Wenn dagegen Harke, Actio utilis, 316 f. meint, Ulpian gewähre eine actio utilis, weil der Vertretene bereits Gläubiger desjenigen sei, der das constitutum erklärt, übersieht er, dass ein wirksames constitutum stets eine bereits bestehende pecunia debita voraussetzt und deshalb auch in D. 13.5.5.7 der Vertretene bereits Gläubiger ist. Navarra, Utilitas, 166; vgl. Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (375).

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Die vertraglichen Obligationen

Der Jurist hält fest, dass die actio de pecunia constituta vom Eigentümer erworben wird, unabhängig vom Inhalt der Erklärung. Gleichgültig, ob domino solvi oder ipsi servo [solvi] erklärt wird, erwirbt der Eigentümer die Obligation; d ­ ieses Ergebnis steht außer Streit (constat […] qualemqualem servum domino adquirere obligationem).408 Wie nach allgemeinem Recht erwirbt der Sklave die Forderung für seinen Eigentümer.409 Dass für ein constitutum gegenüber einem Gemeindesklaven etwas anderes gilt, ist nicht anzunehmen. Da Ulpian actor municipum, tutor und curator sowohl in § 7 als auch in § 9 identisch behandelt, erlauben diese Texte Rückschlüsse auf die Rechtslage bei Vereinen. Das gegenüber einem Vereinsfunktionär erklärte constitutum debiti wird grundsätzlich zu einer actio de pecunia constituta des Funktionärs geführt haben. Wird ausdrücklich die Leistung an den Verein zugesagt, dürfte ­diesem jedenfalls ab der Spätklassik eine actio utilis gewährt worden sein; ob daneben der Funktionär die actio directa hat, lässt sich nicht mehr klären. Wird das constitutum jedoch gegenüber einem Sklaven des Vereins abgegeben, erwirbt der Verein als Eigentümer die actio de pecunia constituta.

II. Die Erklärung des constitutum debiti durch einen Vertreter Inmitten der Passage zum constitutum, das gegenüber dem actor municipum, tutor oder curator erklärt wird, findet sich eine Aussage zur Erfüllungszusage, die durch einen dieser Vertreter abgegeben wird: D. 13.5.5.8 (Ulp. 27 ed.) Sed et ipsi constituentes tenebuntur.

Aber auch wenn sie selbst die Erfüllung zusagen, werden sie haften.

Geben die genannten Vertreter selbst ein constitutum ab,410 so haften sie mit der actio de pecunia constituta. Würde es sich dabei um constituta bezüglich einer eigenen Schuld der Vertreter handeln, würde Ulpian eine Selbstverständlichkeit aussprechen. Daher muss es sich um Schulden der Vertretenen

408 Solazzi I, 371 (403 Fn. 26); vgl. Platschek, Pecunia constituta, 147 f. Fn. 430. 409 Siehe nur Kaser, RP I, 162, 286. 410 Zu ipsi constituentes als Nominativ Plural Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti

municipali, 335 (375 f.). Für Dativ dagegen Duff, Personality, 83 f. Fn. 5, der jedoch die Konjektur ipsi vornehmen muss, um der Mehrzahl von Vertretern im vorangehenden § 7 Rechnung zu tragen.

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Das constitutum debiti

handeln.411 Aus der Erfüllungszusage des actor municipum, tutor oder curator haftet also der Vertreter, nicht der Vertretene.412 Ein bereits erwähntes 413 responsum Papinians zeigt, dass die Haftung des freien Vertreters einer Gemeinde zeitlich begrenzt ist: D. 50.8.5.1 (Pap. 1 resp.) In eum, qui administrationis tempore creditoribus rei publicae novatione facta pecuniam cavit, post depositum officium actionem denegari non oportet. Diversa causa est eius, qui solvi constituit: similis etenim videtur ei, qui publice vendidit aut locavit.

Gegen denjenigen, der während seiner Amtszeit als Vermögensverwalter den Gläubigern einer Gemeinde nach erfolgter Novation eine Geldsumme versprochen hat, soll die Klage nach Beendigung des Amts nicht denegiert werden. Anders ist die Lage dessen, der die Erfüllung [der Schuld] zugesagt hat. Er scheint nämlich demjenigen zu ähneln, der öffentlich verkauft oder verdungen hat.

Wer eine Erfüllungszusage abgibt,414 für den gilt dasselbe wie für denjenigen, der Gemeindevermögen verkauft oder verpachtet bzw. vermietet: Die actio de pecunia constituta gegen den Vermögensverwalter wird post depositum officium denegiert.415 Solange der Vermögensverwalter jedoch im Amt ist, haftet er mit dieser Klage,416 was der Aussage Ulpians in D. 13.5.5.8 entspricht. Post depositum officium tritt an die Stelle der actio directa gegen den Vermögensverwalter wahrscheinlich eine actio utilis gegen die Gemeinde.417 Dasselbe ist auch dann plausibel, wenn ein Vereinsfunktionär ein constitutum debiti abgibt. Während er seine Funktion ausübt, haftet er mit der actio de pecunia constituta. Hierfür spricht, dass Ulpian in D. 13.5.5.8 eine Haftung unterschiedslos sowohl für den actor municipum als auch für tutor und curator bejaht. Post depositum officium wird die actio directa gegen den Vereinsfunktionär vom Prätor denegiert und stattdessen eine actio utilis gegen den Verein gewährt.

411 Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (376); Platschek, Pecunia

constituta, 159.

412 Eliachevitch, Personnalité juridique, 128; Solazzi I, 295 (334); Bricchi, in: Capogrossi C ­ olognesi/ Gabba, Statuti municipali, 335 (376); Platschek, Pecunia constituta, 159 f. Mitteis, RP I, 383

Fn. 21 sieht hierin freilich eine „Ausnahmeentscheidung für das Konstitut“.

413 Oben II. Kap., § 2 I.1., § 3 IV., § 4 I.2. 414 Es handelt sich um denselben Sachverhalt wie in D. 13.5.5.8. Entgegen Mitteis, RP I, 383 Fn. 21

und Duff, Personality, 83 f. Fn. 5 besteht z­ wischen beiden Texten kein Widerspruch; Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (376). 415 Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (344, 376); Platschek, Pecunia constituta, 219 f. 416 Solazzi I, 295 (335, 338); Platschek, Pecunia constituta, 219 f.; vgl. Y. Thomas, Hom. Lepelley, 189 (212). 417 Mitteis, RP I, 224 mit Fn. 68, 383 mit Fn. 19; Solazzi I, 295 (335).

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Die vertraglichen Obligationen

§ 6

Die adjektizische Haftung der privaten Personenvereinigung für das Handeln ihrer Sklaven

Es ist bereits festgestellt worden, dass Sklaven im Eigentum von Körperschaften für diese Forderungen erwerben können.418 Nur sehr wenige Zeugnisse gibt es für den umgekehrten Fall, in dem ein Sklave eine Verbindlichkeit eingeht und die Körperschaft adjektizisch für diese haftet, weshalb sich zu dieser Haftung nur wenige sichere Aussagen tätigen lassen.

I. Die actio quod iussu Die einzige Quelle, die einen servus civitatis ausdrücklich erwähnt, bezieht sich auf die actio quod iussu und entstammt dem Kommentar des Ulpian zur Ediktsrubrik Quod adversus municipes agatur 419: D. 15.4.4 (Ulp. 10 ed.) Si iussu eius, qui administrationi rerum civitatis praepositus est, cum servo civitatis negotium contractum sit, Pomponius scribit quod iussu cum eo agi posse.

Wenn mit Ermächtigung dessen, der für die Verwaltung des Vermögens einer Gemeinde eingesetzt worden ist, ein Geschäft mit einem Sklaven der Gemeinde geschlossen worden ist, schreibt Pomponius, es könne wegen Ermächtigung gegen ihn geklagt werden.

Auf ein iussum des Vermögensverwalters einer civitas hin wird mit einem ihrer Sklaven ein Vertrag geschlossen. Der Jurist referiert die Meinung des Pomponius, wonach gegen den Vermögensverwalter mit der actio quod iussu geklagt werden kann. Kraft des iussum wird also nicht die civitas verpflichtet, sondern ihr Vermögensverwalter, der das iussum erteilt hat. Entgegen dem allgemeinen Recht haftet nicht der dominus des Sklaven – das wäre die civitas –, sondern deren freier Vermögensverwalter. Diesbezüglich ist der Digestentext eindeutig: cum eo agi posse kann sich nicht auf das feminine Substantiv civitas beziehen, sondern nur auf ein maskulines Nomen; dafür kommt allein eius, qui administrationi rerum civitatis praepositus est in Frage.420 Ein Abschreibefehler – eo statt eines hypothetischen 418 Siehe oben II. Kap., § 1 I.1.a), b), d) und II., § 5 I. 419 Lenel, Pal. II, Sp. 454. 420 So zutreffend Kniep, Societas publicanorum, 355; Solazzi I, 295 (334); Duff, Personality, 82 f. Fn. 6; Aubert, CCG 10 (1999), 49 (60 f. Fn. 45); Y. Thomas, Hom. Lepelley, 189 (212); Bricchi, in:

Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (357); Pulitanò, Responsabilità collettiva, 67. Unzutreffend dagegen Eliachevitch, Personnalité juridique, 123 f.; De Robertis, Storia II, 334 mit Fn. 143; Albanese, Persone, 564 Fn. 44; Biscardi, Iura 31 (1980), 1 (16); Schleppinghoff,

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ea in der Vorlage – ist unwahrscheinlich, da die Buchstabenformen von A und O in den in juristischen Werken zu erwartenden Schriften 421 zu unterschiedlich sind,422 um versehentlich falsch gelesen zu werden. Ein anderer Grund für eine Verlesung ist nicht erkennbar. Im Übrigen wird die Lesart der Digesten sowohl vom Text der Basiliken 423 als auch von einem Scholion 424 bestätigt. Damit steht fest, dass nach der Meinung des Pomponius nicht die Gemeinde als Eigentümerin,425 sondern der Vermögensverwalter mit der actio quod iussu haftet. Dies weicht vom allgemeinen Grundsatz ab, dass der Gewalthaber adjektizisch haftet.426 Allerdings gilt dieser Grundsatz nicht ausnahmslos. Zwar haftet der Eigentümer, wenn ein Vormund,427 ein Pfleger oder ein procurator 428 ein iussum für ein Geschäft erteilt, das der Sklave des von ihnen Vertretenen eingeht. Auch wer ein iussum für das Geschäft eines fremden Sklaven erteilt, haftet nicht, selbst wenn er ­später diesen Sklaven kauft und dadurch dessen Eigentümer wird.429 Dagegen haften, ohne Eigentümer zu sein, der Inhaber eines usus fructus, derjenige, dem ein Freier gutgläubig als Sklave dient,430 und ein falsus procurator 431, wenn sie ein iussum erteilen. Das aber bedeutet, dass nicht immer der Eigentümer mit der actio quod iussu haftet, sondern in bestimmten Fällen stattdessen der iubens. Ein Kriterium, anhand dessen sich die Ausnahmen erklären lassen, lassen die Quellen nicht erkennen.432 An eine Publizitätswirkung des iussum, das in der

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Actio quod iussu, 20 Fn. 55. Stolfi, Pomp. ed. II, 126 nimmt an, die Klage werde als gegen den Vermögensverwalter gerichtet bezeichnet, weil dieser als Prozessvertreter der Gemeinde auftrete; das Fragment enthält hierfür jedoch keine Anhaltspunkte. In Frage kommen in frühen antiken Handschriften Kursive und Capitalis, s­ päter Halbunziale und Unziale; siehe Ammirati, JJP 40 (2010), 55 – 110. Siehe nur Bischoff, Paläographie, 79, 88, 93, 102; zur Kursive siehe auch Thompson, Palaeography, 335 – 337. B. 18.8.4 (Sch. A III 914; Zach. Suppl. 255). Schol. Εἰ σύνδικος ad B. 18.8.4 (Sch. B III 1168; Zach. Suppl. 255). Gegen die These von Y. Thomas, Hom. Lepelley, 189 (211 f.), der Vermögensverwalter werde von den Juristen als dominus des Sklaven behandelt, spricht schon, dass Ulpian von einem serv[us] c i v i t a t i s schreibt. Siehe nur Kaser, RP I, 264, 605. D. 15.4.2 pr. (Paul. 30 ed.). D. 15.4.1.9 (Lab. apud Ulp. 29 ed.). Schleppinghoff, Actio quod iussu, 20 mit Fn. 56 nimmt unzutreffend an, dass neben dem dominus auch der curator bzw. procurator haftet. D. 15.4.2.2 (Paul. 30 ed.). D. 15.4.1.8 (Marcel. apud Ulp. 29 ed.). D. 15.4.1.9 (Lab. apud Ulp. 29 ed.). Claus, Stellvertretung, 153 f. und Schleppinghoff, Actio quod iussu, 20 – 22 sehen in D. 15.4.1.9 (Ulp. 29 ed.) und D. 15.4.2.2 (Paul. 30 ed.) Ausprägungen des Gutglaubensschutzes, können diese These aber nur mit zusätzlichen, in den Quellen nicht enthaltenen Annahmen

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Die vertraglichen Obligationen

Praxis häufig beurkundet wird,433 knüpfen die Juristen offenbar nicht an.434 Stattdessen fällt auf, dass Ulpian sich in seiner Kommentierung des edictum triplex auf andere Juristen als Autoritäten beruft und die eigene Meinung im Anschluss daran vorsichtig bekundet 435, während Paulus seine Stellungnahmen eigens begründet 436. Das aber kann nur bedeuten, dass es sich um ius controversum handelt, das noch zur Zeit der spätklassischen Juristen nicht vollends geklärt war. Daher überrascht es nicht, dass Ulpian bei der Kommentierung des Edikts Quod adversus municipes agatur Pomponius zur actio quod iussu zitiert, um sich auch an dieser Stelle auf die Autorität eines anderen Juristen stützen zu können. Die möglicherweise abweichende Meinung anderer Juristen ist hingegen nicht überliefert, genausowenig wie der Digestentext explizit erkennen lässt, ob Ulpian die Auffassung des Pomponius teilt. Immerhin ist es wegen der Berufung auf einen anderen Juristen wahrscheinlich, dass auch die Frage, wer mit der actio quod iussu für den Vertragsschluss eines servus civitatis haftet, noch in der Spätklassik umstritten ist. Dass nicht die civitas, sondern ihr Vermögensverwalter haftet, ist vor d ­ iesem Hintergrund nicht weiter erstaunlich. Dieses Ergebnis gewinnt an Plausibilität dadurch, dass auf diese Weise der Vermögensverwalter als indirekter Stellvertreter der civitas handelt.437 Er haftet allein im Außenverhältnis; die civitas ist dagegen nur am Innenverhältnis beteiligt. Ob der Vermögensverwalter auch post depositum officium weiterhin im Außenverhältnis haftet oder von dieser Haftung freigestellt wird, wie es die mittelalterliche Glosse annimmt,438 muss angesichts fehlender antiker Quellen freilich offenbleiben.

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­ egründen. Entgegen Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (63 f.) lassen sich auch b aus der Formelgestaltung keine Kriterien ableiten; so bereits Kaser, SZ 91 (1974), 146 (196). Auffällig ist bereits die Erwähnung von Urkunden in der Definition des iussum durch Ulpian: iussum autem accipiendum est, sive t e s t a t o q u i s s i v e p e r e p i s t u l a m sive verbis aut per nuntium; D. 15.4.1.1 (Ulp. 29 ed.); zum Ganzen Bürge, RP, 174 f. Zur Überlieferung von iussa im Archiv der Sulpizier zuletzt Del Sorbo, Index 39 (2011), 389 – 405 m. w. N. So aber Pulitanò, Responsabilità collettiva, 67. D. 15.4.1.8 (Ulp. 29 ed.): Si iussu fructuarii erit cum servo contractum, item eius cui bona fide servit, M a r c e l l u s p u t a t quod iussu dandam in eos actionem: q u a m s e n t e n t i a m e t e g o p r o b o ; ebenso Schleppinghoff, Actio quod iussu, 18. Ferner D. 15.4.1.9 (Ulp. 29 ed.): Si curatore […] iubente cum servo contractum sit, p u t a t L a b e o dandam quod iussu actionem in eos quorum servus fuerit […]. sed si procurator verus non sit, in ipsum potius dandam actionem i d e m L a b e o a i t . D. 15.4.2 pr. (Paul. 30 ed.): Si tutoris iussu servo pupilli creditum sit, p u t o, si  e x u t i l i t a t e p u p i l l i fuerit creditum, in pupillum esse dandam actionem […]; D. 15.4.2.2 (Paul. 30 ed.): Si iussu meo cum alieno servo contractum fuerit eumque postea redemero, quod iussu non tenebor, ne actio, quae ab initio inutilis fuerit, eventu confirmetur. Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (357 Fn. 64). So Gl. Contractum ad D. 15.4.4.

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Aufgrund ­dieses Befunds lassen sich keine sicheren Rückschlüsse auf die Rechtslage ziehen, wenn ein Sklave im Eigentum eines Vereins ein Geschäft auf das iussum eines Vereinsfunktionärs hin eingeht. Für eine Haftung des Funktionärs mit der actio quod iussu sprechen die häufige Parallelität der Rechtslage bei Gemeinden und Vereinen 439 ebenso wie die überlieferten Fälle, in denen der iubens anstelle des Eigentümers haftet. Die Zeugnisse zum iussum von Vormund und Pfleger, wonach der Eigentümer des Sklaven quod iussu haftet, warnen dagegen vor einer allzu leichtfertigen Übertragung von D. 15.4.4 auf Vereine.

II. Die actio de peculio Eine in Pompei gefundene Urkunde aus Puteoli beurkundet die Gewährung eines mutuum cum stipulatione an einen servus arcarius der colonia Puteolana durch ein Mitglied des Bankhauses der Sulpizier: TPSulp. 56 (Puteoli, Latium et Campania, 7. März 52) tab. III, pag. 5, Z. 4 – 12 (scriptura exterior)

Niceros colonorum coloniae / 5 Puteolanae servus arcarius / scripsi me accep[i]sse mutu et / debere C. Sulpicio [Ci]nnamo HS [∞]  / nummos eosque HS mille / nummos, qui s(upra) s(cripti) s(unt), p(robos) r(ecte) d(ari) k(alendis) Iulis  / 10 primis {p(robos) r(ecte) d(ari)} fide rogavit C. / Sulpicius Cinnamus, fide promisi / Niceros col(onorum) col(oniae) servus a­ rcarius.

Ich, Niceros, Kassenverwalter-Sklave der Bürger der colonia Puteolana, habe geschrieben, dass ich 1.000 Sesterze als Darlehen empfangen habe und dem C. Sulpicius Cinnamus schulde. Und dass diese oben genannten tausend Sesterze in geprüfter Münze und ordnungsgemäß an den nächsten Kalenden des Juli gegeben werden, hat sich C. Sulpicius Cinnamus auf Treue versprechen lassen, habe ich, Niceros, Kassenverwalter-Sklave der Bürger der colonia Puteolana, auf Treue versprochen.

In ­diesem subjektiv stilisierten chirographum erklärt Niceros, der servus arcarius der colonia Puteolana, von C. Sulpicius Cinnamus 1.000 Sesterze als Darlehen erhalten zu haben, und verspricht durch fidepromissio 440, das Kapital am kommenden 1. Juli zurückzuzahlen. Zinsen werden nicht vereinbart. Da der servus arcarius von Puteoli, der mit der Verwaltung der Gemeindekasse betraut ist, das beurkundete Darlehen aufnimmt, könnte dadurch die Gemeinde verpflichtet werden. Doch während der Sklave, der als reus stipulandi auftritt, seinem Eigentümer die Forderung ex stipulatu erwirbt, führt ein A ­ uftreten des 439 Für die Übertragbarkeit von D. 15.4.4 auf Vereine De Robertis, Storia II 334 mit Fn. 143. 440 Als Sklaven kann Niceros spondere nicht zum Abschluss der Stipulation verwenden; Gai. 3.93. Siehe Camodeca, Archivio, 192; ders., TPSulp. I, 147; Gröschler, Tabellae-Urkunden, 150 Fn. 9; ders., TR 74 (2006), 261 (262); Jakab, in: du Plessis, New Frontiers, 123 (138 Fn. 65).

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Die vertraglichen Obligationen

Sklaven als reus promittendi nach den allgemeinen Regeln nicht dazu, dass sein Eigentümer verpflichtet ist.441 Dieser haftet nur adjektizisch, und zwar nur dann, wenn die besonderen Voraussetzungen des edictum triplex erfüllt sind. Wahrscheinlich dient das Darlehen den wirtschaftlichen Zwecken des Sklaven, nicht der Gemeinde.442 Die Urkunde erwähnt kein iussum; aufgrund der Kautelarpraxis, wie sie sonst im Sulpizier-Archiv dokumentiert ist, wäre seine Erwähnung zu erwarten, wenn es vorläge.443 Deshalb ist davon auszugehen, dass kein iussum erteilt worden ist. Damit verbleibt nur die Möglichkeit, dass die Gemeinde de peculio oder de in rem verso 444 haftet. Die Urkunde macht hierzu keine Angaben; andere Quellen fehlen. Damit lassen sich keine sicheren Angaben machen, ­welche Art der adjektizischen Haftung in TPSulp. 56 begründet wird.445 Ebenso fehlen Quellen zur Frage, wen die adjektizische Haftung trifft. In Frage kommen die Körperschaft als Eigentümer des Sklaven oder einer ihrer Funktionäre. Mit der actio quod iussu haftet derjenige Beamte, der das iussum zum Abschluss des Geschäfts erteilt hat.446 Eine parallele Regelung wäre für die actio de peculio denkbar, da der Einräumung des peculium ein voluntatives Moment innewohnt: Sie ist Ausdruck eines Willens, dass der Gewaltunterworfene generell am geschäftlichen Verkehr teilnimmt, während das iussum den Willen ausdrückt, dass der Gewaltunterworfene ein spezielles Geschäft vornimmt.447 Die Einräumung eines peculium durch einen konkreten Beamten könnte Anknüpfungspunkt für eine Haftung d ­ ieses Beamten de peculio sein. Allerdings läge hierin eine Abweichung von der allgemeinen Regel, dass sich die actio de peculio gegen den Gewalthaber richtet.448 441 Siehe nur Kaser, RP I, 287, 605. 442 Camodeca, Archivio, 192; ders., TPSulp. I, 147; zurückhaltender Jakab, in: du Plessis, New

Frontiers, 123 (138 f.).

4 43 Camodeca, Archivio, 193; ders., TPSulp. I, 147; vgl. Del Sorbo, Index 39 (2011), 389 – 405. 444 Bürge, RP, 179 f. mit Fn. 79 hält es für möglich, dass die Geschäftsführungsabsicht des Sklaven

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beurkundet wird, auf die der Geschäftsgegner eine actio de in rem verso stützen könnte, doch kann er für die These lediglich Quellen anführen, die nicht die actio de in rem verso zum Gegenstand haben. Das Fehlen einer entsprechenden Klausel in TPSulp. 56 genügt deshalb nicht, um eine Haftung de in rem verso der colonia Puteolana aus dem beurkundeten Darlehen auszuschließen. Unzutreffend ist, wenn Jakab, in: du Plessis, New Frontiers, 123 (138) aus dem Erwerb des Eigentums am Darlehenskapital durch die Gemeinde folgert, von dieser könne die Rückzahlung des Darlehens verlangt werden. Auch für die Haftung de rem verso genügt nicht der bloße Erwerb eines Gegenstandes durch den Sklaven für seinen Eigentümer. Vielmehr muss das Erlangte zu einer Bereicherung im Vermögen des Eigentümers führen; siehe nur Kaser, RP I, 607. Siehe oben II. Kap., § 6 I. Vgl. Kaser, AS II, 245 (262); Zimmermann, Obligations, 52. D. 15.1.1.4 (Ulp. 29 ed.); Kaser, RP I, 605.

Die adjektizische Haftung der privaten Personenvereinigung für das Handeln ihrer Sklaven

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Ein Vergleich mit dem Recht von Vormundschaft und Pflegschaft schafft keine Klarheit. Für die Vormundschaft hält Ulpian fest, seit Pedius sei anerkannt, dass auch impuberes aufgrund des Sonderguts haften können.449 Da der impubes jedoch selbst mit Zustimmung des Vormunds kein peculium einräumen kann,450 handelt es sich um ein peculium, das sein Vater noch zu Lebzeiten bestellt hat.451 Im unmittelbaren Anschluss stellt Ulpian fest, dass für die Pekuliargeschäfte der Sklaven eines furiosus dessen Pfleger hafte, weil er unterlassen hat, dem Sklaven Pekuliargeschäfte zu verbieten.452 Auch hier handelt sich um ein vor Beginn der Pflegschaft eingeräumtes peculium.453 Die Haftung beruht in beiden Fällen nicht auf dem aktuellen Willen des Vertretenen oder seines Vertreters, dass der Sklave am geschäftlichen Verkehr teilnimmt, sondern auf der Einräumung des peculium zu einem früheren Zeitpunkt, als die Vertretung noch nicht bestanden hat. Damit unterscheidet sich die Rechtslage bei Vormundschaft und Pflegschaft wesentlich von derjenigen bei Körperschaften, denn bei Letzteren kann das peculium nur durch einen Vertreter eingeräumt werden. Der Vergleich mit Vormundschaft und Pflegschaft ermöglich daher keine Rückschlüsse darauf, ob eine Körperschaft oder ihr Funktionär de peculio haftet.

III. Die actio de in rem verso Da Haftungsgrund der actio de in rem verso die Mehrung des Vermögens des Gewalthabers ist,454 ist zu erwarten, dass ein Verein als Eigentümer eines Sklaven dann de in rem verso haftet, wenn seinen res communes aufgrund des vom Sklaven geschlossenen Vertrags ein Vermögensvorteil zugeflossen ist. Der Vergleich mit dem Recht der Vormundschaft macht diese These plausibel, wie ein responsum 455 des Scaevola zeigt: 449 D. 15.1.3.3 (Ulp. 29 ed.): Pedius etiam impuberes dominos de peculio obligari ait: non enim cum 4 50 451 452 453 454 455

ipsis impuberibus contrahitur, ut tutoris auctoritatem spectes. Idem adicit pupillum non posse servo peculium constituere nec tutoris auctoritate. D. 15.1.3.3, 7.1 (Ulp. 29 ed.); hierzu Micolier, Pécule, 265 – 272, 274 f. Micolier, Pécule, 275. D. 15.1.3.4 (Ulp. 29 ed.): In furiosi quoque curatorem dicimus dandam de peculio actionem: nam et huius servus peculium habere potest, non si fuerit concessum, ut habeat, sed si non fuerit prohibitum, ne habeat. Micolier, Pécule, 276. Vgl. D. 15.3.1 pr. (Ulp. 29 ed.). Das Gutachten ist in den responsa überliefert, die gewöhnlich eine stärker überarbeitete und gekürzte Fassung überliefern; Liebs, HLL IV, 115 f.; Wolf, SDHI 73 (2007), 3 (60 – 66). Für den vorliegenden Text ist dies umso wahrscheinlicher, weil vom principium des Fragments

212

Die vertraglichen Obligationen

D. 15.3.20.1 (Scaev. 1 resp.) Servus absentis rei publicae causa pupilli servis pecuniam credidit subscribente tutore stipulatione in personam tutoris translata: quaesitum est, an adversus pupillum competat actio. Respondi, si, cum in rem pupilli daretur, id in rem eius versum est et, quo magis actus servorum confirmaretur, tutor spopondit, posse nihilo minus dici de in rem verso cum pupillo actionem fore.

Der Sklave einer Person, die wegen Staatsgeschäften abwesend ist, gewährte den Sklaven eines Mündels Geld als Darlehen, wobei der Vormund seine Unterschrift leistete und die Stipulation auf die Person des Vormunds überging. Es wurde angefragt, ob eine Klage gegen den Mündel statthaft ist. Ich antwortete, wenn [das Geld] für das Vermögen des Mündels ausgezahlt und [tatsächlich] seinem Vermögen zugewendet worden ist und der Vormund das Stipulationsversprechen eher deshalb abgegeben hat, um das Handeln der Sklaven zu bestätigen, könne dennoch gesagt werden, dass es eine Klage wegen Zuwendung in das Vermögen gegen den Mündel gibt.

Der Sklave einer Person, die rei publicae causa abwesend ist, gewährt dem Sklaven eines Mündels ein Darlehen.456 Der Vormund verspricht die Rückzahlung des Darlehens in einer Stipulation, aus der er selbst haftet. Der Jurist wird angefragt, ob daneben auch der Mündel hafte. Scaevola antwortet, dass eine actio de in rem verso gegen den Mündel gewährt werden kann, wenn das Darlehenskapital in das Mündelvermögen gelangt ist. Der Vormund haftet dagegen nur aus der Stipulation.457 Der Mündel haftet de in rem verso aus den Verträgen seiner Sklaven, wenn es sich aufgrund der versio in rem um ein Geschäft mit Bezug zum Mündelvermögen handelt.458 Dasselbe gilt wahrscheinlich auch für Verträge von Sklaven eines Vereins, die zu einer Mehrung des Vereinsvermögens führen. Die actio de in rem verso richtet sich dann gegen den Verein.

§ 7

Die Wirkung von pacta auf Forderungen und Verbindlichkeiten privater Personenvereinigungen

Von Ulpian ist ein Fragment überliefert, das sich mit dem pactum des Vertreters einer privaten Personenvereinigung befasst: D. 2.14.14 (Ulp. 4 ed.) Item magistri societatium pactum et prodesse et obesse constat.

Ebenso steht fest, dass die [formlose] Abrede des magister von [körperschaftlich organisierten] Gesellschaften sowohl nützt als auch schadet.

eine deutlich detailliertere und längere Fassung in D. 15.3.21 (Scaev. 5 dig.) überliefert ist; für einen Vergleich beider Fassungen Wolf, SDHI 73 (2007), 3 (31 – 34). 456 Zur subscriptio des tutor v. Tuhr, Actio de in rem verso, 172 Fn. 5, 205 f. Fn. 8; Solazzi I, 371 (455). 457 Vgl. v. Tuhr, Actio de in rem verso, 311 Fn. 25. 458 Solazzi I, 371 (455 f., 479).

Die Wirkung von pacta auf Forderungen und Verbindlichkeiten privater Personenvereinigungen

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Der Text wirft sofort zwei Fragen auf: Um w ­ elche Art von societas handelt es sich, und wem schadet und nutzt das pactum? Da von einem magist[er] societatium die Rede ist, handelt es sich um einen Vertreter einer körperschaftlich organisierten Personenvereinigung.459 Das Zeugnis des Basilikentexts ist uneinheitlich, da zwar die Mehrheit der jüngeren Handschriften den Ausdruck magistri societatium mit μαγίστρων τῶν ἑταιρειῶν wiedergeben, die älteste Handschrift jedoch nur von μαγίστρων spricht.460 Das Zeugnis der Basilikenscholien ist ebenfalls uneinheitlich: Während das Cyrillus-Scholion Ὁ σύνδικος ad B. 11.1.14 von ὁ σύνδικος τῶν κοινωνῶν spricht,461 erscheinen am Anfang des zu den älteren Scholien zählenden Scholion Ὥσπερ ad B. 11.1.14 τῶν κοινωνῶν und ἑταιρειῶν als Synonyme, im Fortgang ist jedoch auch von σῶμ[α], κολλέγιο[ν] und σύστεμα die Rede.462 Das Scholion Πρόσκειται ad B. 11.1.14 schließlich stellt ausdrücklich klar, dass es sich um Vertreter τῶν ἑταιρειῶν handelt.463 Dieses letzte Scholion nennt als Vorlage ein Werk des Anonymus, sodass es belegt, dass nach Meinung der antecessores des 6. Jahrhunderts n. Chr. der magister körperschaftlich organisierte Personenvereinigungen vertritt.464 Daher kann davon ausgegangen werden, dass Ulpian eine Frage zum Recht der Körperschaften behandelt.465 Sowohl im Text der Digesten als auch der Basiliken fehlt ein von prodesse et obesse abhängiges Objekt. Zwar liegt es nahe, dass die Wirkung bei den societat[es] eintritt,466 doch sagt dies die Quelle selbst nicht. Sicherheit schafft erst ein Scholion: Schol. Ὥσπερ ad B. 11.1.14 (Sch. B I 226; Hb. I 584) […] Οὗτος οὖν πακτευών ὀφελεῖ καὶ βλάπτει τὸ σύστημα […].

[…] Geht dieser ein pactum ein, nützt und schadet er der Vereinigung […].

Die Rechtswirkung des pactum des magister trifft demnach die Körperschaft und gereicht ihr zum Vorteil bzw. Nachteil. Diese Rechtsfolge scheint dieselbe wie bei direkter Stellvertretung zu sein, da sie nicht in der Person des magister, sondern bei der von ihm vertretenen societas eintritt.467 Gegen ein derartiges ­Verständnis 459 Fleckner, Kapitalvereinigungen, 388 f.; de Jong, Subseciva Groningana 9 (2014), 327 (334). 460 B. 11.1.14 (Sch. A II 629 mit App. zu Z. [13]; Hb. I 584 mit Fn. l). Ausführlich zur handschrift 461 462 463 464 465 466 467

lichen Überlieferung de Jong, Subseciva Groningana 9 (2014), 327 (331 f.). Sch. B I 226; Hb. I 584. Sch. B I 226; Hb. I 584. De Jong, Subseciva Groningana 9 (2014), 327 (332 f.). Sch. B I 226; Hb. I 584. De Jong, Subseciva Groningana 9 (2014), 327 (333, 337, 341). Fleckner, Kapitalvereinigungen, 284 f., 388 f.; Meissel, Fs. Sirks, 513 (529). Kniep, Societas publicanorum, 251; vgl. Fleckner, Kapitalvereinigungen, 284, 389. So versteht den Text Meissel, Fs. Sirks, 513 (529); ähnlich Kniep, Societas publicanorum, 250. Zurecht ablehnend Cimma, Publicani, 79 f.

214

Die vertraglichen Obligationen

des Textes spricht jedoch nicht nur das Verbot des alteri caveri,468 sondern auch die Palingenesie. Das Fragment D. 2.14.14 befindet sich in einer Passage, die nicht von der exceptio pacti, sondern von der exceptio doli handelt.469 Ulpian berichtet, dass die exceptio doli nach allgemeiner Juristenmeinung (plerumque solemus dicere) als subsidium […] pacti exceptionis gilt 470 und dass sie nach der Auffassung von Julian und alii plerique denjenigen zusteht, qui exceptione pacti uti non possunt.471 Als Beispiel hierfür (ut puta) erwähnt Ulpian, dass bereits Trebaz aufgrund des pactum eines procurator dem Geschäftsherrn die exceptio doli gewährt.472 Die exceptio pacti kann dem dominus nicht gewährt werden, weil es gegen das Verbot des alteri caveri verstieße, wenn das pactum des procurator zugunsten des Geschäftsherrn wirken würde.473 Dies meinen Ulpian und die von ihm zitierten Juristen, wenn er schreibt, dass die exceptio doli denen gewährt wird, qui exceptione pacti uti non possunt. Palingenesie und Vergleich mit der Rechtslage beim procurator sprechen daher dafür, dass Ulpian der Personenvereinigung eine exceptio doli gewährt.474 Die exceptio doli knüpft dabei an dolus praesens an: Wer das pactum des Vertreters nicht gelten lässt, verhält sich widersprüchlich, weil er diesen zwar mit der Geschäftsführung betraut hat, aber dessen Abreden nicht gegen sich gelten lassen will.475 Deshalb unterscheiden sich die Beweisthemen der exceptiones pacti und doli: Während bei Ersterer der Abschluss eines wirksamen pactum nachzuweisen ist, genügt bei Letzterer der Nachweis des venire contra factum 468 D. 50.17.73.4 (Q. Muc. sing. ὅρων): Nec p a c i s c e n d o nec legem dicendo nec stipulando

quisquam alteri cavere potest.

469 D. 2.14.10.2, 12, 14, 16, 22, 26 (Ulp. 4 ed.); vgl. Lenel, Pal. II, Sp. 434 f. Für fr. 29 lässt sich nicht

470 471 472 473 474 475

eindeutig ermitteln, ob es von der exceptio doli handelt. Im Digestentext bilden fr. 28 (Gai. 1 ed. prov.), das eine excepio pacti vorsieht (Finkenauer, SZ 135 [2018], 178 [200 f.]) und fr. 29 eine Katene; siehe Honoré, Justinian’s Digest, 87 mit Fn. 71. Wahrscheinlich geht es daher auch in fr. 29 um die exceptio pacti. Zur Bedeutung von subsidium Wacke, SZ 90 (1973), 220 (228, 230 f.). D. 2.14.10.2 (Ulp. 4 ed.): Plerumque solemus dicere doli exceptionem subsidium esse pacti exceptionis: quosdam denique, qui exceptione pacti uti non possunt, doli exceptione usuros et Iulianus scribit et alii plerique consentiunt […]. D. 2.14.10.2 (Ulp. 4 ed.): […] Ut puta si procurator meus paciscatur, exceptio doli mihi proderit, ut Trebatio videtur, qui putat, sicuti pactum procuratoris mihi nocet, ita et prodesse. H. Krüger, Exceptio doli I, 119 – 122; Behrends, SZ 88 (1971), 215 (290 Fn. 209); Wacke, SZ 90 (1973), 220 (229); Burdese, in: Garofalo, Eccezione di dolo, 441 (447); Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (59). Im Ergebnis ebenso H. Krüger, Exceptio doli I, 123. Ohne Begründung dagegen für eine exceptio pacti Wacke, SZ 90 (1973), 220 (230 Fn. 56). H. Krüger, Exceptio doli I, 123; Wacke, SZ 90 (1973), 220 (229 f.); Burdese, in: Garofalo, Eccezione di dolo, 441 (447); vgl. Finazzi, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 25 (59); Klinck, Fs. Krampe, 173 (181).

Die Wirkung von pacta auf Forderungen und Verbindlichkeiten privater Personenvereinigungen

215

proprium.476 Daher wird den römischen Juristen nicht gerecht, wer exceptio pacti und doli nur deshalb für austauschbar hält, weil beide exceptiones zur Klageabweisung führen.477 Vielmehr geht aus D. 2.14.10.2 klar hervor, dass eine exceptio pacti aufgrund des pactum des Vertreters wegen des Verbots des pactum in favorem tertii nach allgemeiner Auffassung abgelehnt wird. Die je nach exceptio verschiedenen Beweisthemen gebieten zusätzlich, die Unterscheidung der beiden exceptiones durch die Juristen ernst zu nehmen. Damit hat aber das pactum des magist[er] societatium genausowenig eine direkte Wirkung für und gegen die Personenvereinigung wie ein Vertrag, den ein Vereinsfunktionär abschließt. So wie aus dem Vertrag der Funktionär in erster Linie selbst verpflichtet ist, so tritt die Wirkung des pactum zuerst in seiner Person ein. Die exceptio doli leitet die Wirkung des pactum auf die vertretene Personenvereinigung über, genauso wie die actio utilis die Rechtsfolgen des Vertrags auf diese überleitet. Diese Konstellation ist jedoch kein Fall der direkten Stellvertretung, sondern der indirekten.478

476 Wacke, SZ 90 (1973), 220 (232). 4 77 So aber Mitteis, Stellvertretung, 76; ders., RP I, 221 mit Fn. 57; Finkenauer, SZ 135 (2018), 178

(198, 201 f., 206 f.).

478 Verfehlt ist, wenn Meissel, Fs. Sirks, 513 (529) in D. 2.14.14, das ausdrücklich nur pacta zum

Gegenstand hat, einen Beleg dafür sieht, dass der magister generell als direkter Vertreter der societates für diese Verträge schlösse, da ein pactum niemals eine obligatio, sondern lediglich eine exceptio hervorbringt; siehe nur D. 2.14.7.4 (Ulp. 4 ed.).

III. Kapitel: Die nichtvertraglichen Obligationen

§ 1

Die Geschäftsführung für einen Verein

Es fehlt an ausdrücklichen Zeugnissen zur Rechtslage bei negotia gesta, wenn Vereine beteiligt sind. Daher sind nur Rückschlüsse aus den Quellen möglich, in denen Gemeinden erwähnt sind. Von der Führung des Geschäfts einer Gemeinde handelt Ulpian: D. 3.5.7.1 (Ulp. 10 ed.) Item si fundum tuum vel civitatis per Ebenso wenn ich dein Grundstück oder das einer obreptionem petiero negotium tuum Gemeinde durch Erschleichung herausverlangt habe, vel civitatis gerens et ampliores quam während ich dein Geschäft oder das der Gemeinde oportuit fructus fuero consecutus, geführt habe, und mehr Früchte als geschuldet erlangt debebo hoc ipsum tibi vel rei publicae habe, werde ich dies selbst dir oder der Gemeinde leispraestare, licet petere non potuerim. ten müssen, wenngleich ich [sie] nicht herausverlangen konnte.

Ego hat Herausgabe des Grundstücks des Tu oder einer Gemeinde an sich verlangt, indem er sich als deren Geschäftsführer ausgegeben und insofern über seine Klagebefugnis getäuscht hat. In der Folgezeit hat er vom Beklagten aufgrund des Restitutionsbefehls übermäßig Früchte erhalten. Diese muss Ego dem Tu bzw. der Gemeinde herausgeben, obwohl er selbst die Früchte nicht hätte verlangen dürfen. Die Erwähnung der civitas neben dem Tu wird von Teilen der Literatur als Interpolation angesehen,1 da das Auftreten als Prozessvertreter einer Gemeinde eine Prozessvollmacht voraussetzt.2 Dieses Argument trifft aber nicht das im 1 Mitteis, RP I, 388 Fn.  41; Lenel, EP , 104. Hinweise auf eine Störung der Überlieferung

bestehen nicht. Die Lesungen der Digestenhandschriften bereiten keine wesentlichen Probleme; ed. mai. I, 101 mit App. zu Z. 3 – 5. B. 17.1.7.1 (Sch. A III 849; Hb. II 210) bestätigt die Digestenüberlieferung. 2 Mitteis, RP I, 388 Fn. 41. Zur Bestellung des actor municipum siehe ausführlich oben I. Kap., § 3 II.

Die Geschäftsführung für einen Verein

217

Text diskutierte Problem: Dort geht es um die Folgen, wenn jemand über seine Prozessführungsbefugnis getäuscht hat (per obreptionem) und deshalb t a t s ä c h l i c h im Prozess als Vertreter einer Gemeinde aufgetreten ist.3 Der Text widerspricht also nicht der Regel, dass nur der Bevollmächtigte im Namen einer Gemeinde klagen kann, sondern problematisiert die Folgen, wenn diese Regel durch Täuschung gebrochen wird. Die Palingenesie bestätigt den Zusammenhang mit der vollmachtlosen Prozessführung. Der Text entstammt der Kommentierung Ulpians zur Formel der actiones in ius conceptae wegen Geschäftsführung ohne Auftrag.4 Lenel nimmt an, dass der Jurist die intentio der Klage des Geschäftsherrn (actio directa) kommentiert,5 wozu ihn die Erwähnung der Früchte und die damit verbundene Frage des möglichen Klageinhalts bewogen haben dürften. Tatsächlich kommentiert Ulpian ab D. 3.5.7.2, also ab dem folgenden Paragraphen, die intentio der Klage des Geschäftsführers, weil der Text das contrari[um] iudici[um] ausdrücklich erwähnt.6 Für den § 1 ist entgegen Lenel eine Zuordnung zur actio directa jedoch nicht zwingend. Denn Probleme zum Inhalt und Umfang der Klageforderung thematisiert Ulpian auch außerhalb der Lemmata zur intentio der Klageformel.7 Vielmehr besteht ein Zusammenhang zu den beiden vorausgehenden UlpianTexten D. 3.5.5.14 und D. 3.5.7 pr. In beiden Texten widmet sich der Jurist der Frage, inwieweit der Geschäftsführer haftet, wenn er es unterlässt, einen Prozess für den Geschäftsherrn zu führen. In D. 3.5.5.14 fehlt ihm die Prozessführungsbefugnis, weshalb er dem dominus negotii nicht mit der actio negotiorum gestorum haftet, wenn er eine Klage unterlassen hat. In D. 3.5.7 pr. ist er dagegen zur Prozessführung befugt und haftet deshalb für die unterlassene Prozessführung. In diesen Kontext fügt sich § 1 gut ein, denn er thematisiert die Folgen, wenn der Geschäftsführer mangels Prozessführungsbefugnis nicht klagen darf, ihm aber die Prozessführung durch Täuschung tatsächlich gelingt. Wenn Ulpian in D. 3.5.7.1 der civitas die actio directa zubilligt, bedeutet dies, dass die Geschäftsführung für eine Gemeinde unter die demonstratio der Klage­ formel subsumiert werden kann. Die demonstratio der Formel lautet: Quod 3 Vgl. Finazzi, Negotiorum gestio II.2, 97 f. 4 Lenel, EP, 103 f.; ders., Pal. II, Sp. 457 f.; vgl. Seiler, Negotiorum gestio, 50; Finazzi, Negotiorum

gestio I, 10 – 15.

5 Lenel, Pal. II, Sp. 455 f. Fn. 3. 6 Zurückhaltend Finazzi, Negotiorum gestio II.2, 97. 7 Innerhalb des Lemma zur intentio der actio contraria findet sich allein die Erwähnung von

Zinsen in D. 22.1.37. Die Erwähnung von accessiones in D. 3.5.3.6 gehört dagegen zum Kommentar des Verheißungsedikts; Lenel, Pal. II, Sp. 455. Ebenfalls Zinsen werden in D. 3.5.5.14 erwähnt, den Lenel der Kommentierung der demonstratio zuordnet; ebd., Sp. 455 Fn. 3.

218

Die nichtvertraglichen Obligationen

Numerius Negidius Auli Agerii negotia gessit.8 Bei der Klage handelt es sich um eine actio in ius concepta,9 mit der eine zivile Haftung geltend gemacht wird. Die Haftung gegenüber der Gemeinde ergibt sich also aus dem ius civile. Grundlage hierfür ist das tatsächliche Führen eines Geschäfts, das dem Rechtskreis der Gemeinde zugeordnet ist. Kriterium für diese Zuordnung ist das Eigentum der Gemeinde an ihrem Grundstück. Dass diese Eigentum haben kann, steht außer Zweifel.10 Durch den Rekurs auf das Eigentum am Grundstück kann das Geschäft eindeutig in den Rechtskreis der Gemeinde eingeordnet werden. Das für Gemeinden gefundene Ergebnis lässt sich auf Vereine übertragen. Die demonstratio der Klageformel stellt allein darauf ab, dass Geschäfte des Vereins tatsächlich geführt werden. Entscheidend für die Aktivlegitimation des Vereins ist somit allein, ob eine Geschäftsführung in dessen Rechtskreis erfolgt. Da für Ulpian das dafür maßgebliche Kriterium das Eigentum der Gemeinde ist, wird dem Verein die actio directa zustehen, wenn der Gegenstand der Geschäftsführung zum Vereinsvermögen gehört.

§ 2

Das furtum von res communes

Bereits Labeo geht davon aus, dass ein furtum zulasten eines Vereins begangen werden kann. Im Zusammenhang mit dem furtum von tabulae instrumentorum parallelisiert er nämlich Gemeinden und Vereine: D. 47.2.31.1 (Ulp. 41 Sab.) Si quis tabulas instrumentorum rei publicae municipii alicuius aut subripuerit aut interleverit, Labeo ait furti eum teneri: idemque scribit et de ceteris rebus publicis deque societatibus.

Wenn jemand die Urkundentafeln des öffentlichen Vermögens eines municipium gestohlen oder zerstört hat, sagt Labeo, dass er wegen Diebstahls haftet. Dasselbe schreibt er auch über die übrigen Gemeinwesen und die Gesellschaften.

Die Passage aus dem ulpianischen Sabinus-Kommentar steht im Zusammenhang mit weiteren Ausführungen zum furtum von Urkunden.11 Im principium stellt Ulpian fest, dass nach dem dritten Kapitel der lex Aquilia haftet, wer ein Bild 8 Lenel, EP, 104. 9 Lenel, EP, 103; Seiler, Negotiorum gestio, 50. 10 Siehe nur Albanese, Persone, 562. 11 Vgl. Lenel, Pal. II, Sp. 1163 f. Vom furtum von Urkunden – nicht aber von den Urkunden von

Körperschaften – handeln auch Paulus und wahrscheinlich Pomponius in ihren Sabinuskommentaren: D. 47.2.28, 30, 32 (Paul. 9 Sab.), vgl. Lenel, Pal. I, Sp. 1277 f.; D. 9.2.41.1 (Pomp. apud Ulp. 41 Sab.), vgl. Lenel, Pal. II, Sp. 125.

Das furtum von res communes

219

oder ein Buch beschädigt. Im § 1 zitiert er sodann Labeo, dem zufolge wegen furtum haftet, wer die tabula[e] instrumentorum entwendet (subripuerit) oder beschädigt (interleverit), die zum Vermögen (re[s] public[a]) eines municipium gehören. Dasselbe schreibe Labeo für die übrigen Gemeinwesen (re[s] public[ae] ) und die societat[es]. Es fällt die uneinheitliche Verwendung von res publica auf: Während dieser Ausdruck im ersten Teil des Paragraphen das Vermögen eines municipium bezeichnet, wird er im zweiten Teil dazu gebraucht, um die übrigen öffentlichen Körperschaften außer den municipia, also coloniae und civitates, möglicherweise auch pagi und vici zu bezeichnen. Diese uneinheitliche Terminologie des Digestentextes spiegelt die Basilikenüberlieferung wieder: B. 60.12.31.1 (Sch. A VIII 2828; Hb. V 477) Ὁ πόλεως ἤ τινος συστήματος δικαιώματα Wer Urkunden oder sonstige Sachen einer Stadt oder ἤ ἕτερα πράγματα κλέπτων ἤ διαφθείρων irgendeiner Vereinigung stiehlt oder zerstört, wird ἐνάγεται τῇ περὶ κλοπῆς εἰς τὸ διπλάσιον mit der Klage wegen Diebstahls auf das Doppelte ἀγωγῇ. belangt.

Neben den δικαίωματα einer Körperschaft erwähnt der Basilikentext auch ἕτερα πράγματα, also sonstige Sachen. Offenbar hat der Anonymus 12 den zweiten Teil des Paragraphen missverstanden, wo es heißt: idemque scribit de ceteris rebus publicis deque societatibus. Mit ceter[ae] re[s] public[ae] sind hier nicht sonstige Sachen im Eigentum einer Gemeinde gemeint, wie der Anonymus den Ausdruck versteht; dann wäre der Parallelismus deque societatibus nicht verständlich. Vielmehr bezieht sich Ulpian auf die re[s] public[a] municipii alicuius am Anfang des Paragraphen, womit das gesamte Vermögen eines municipium gemeint ist. Deshalb ist ceter[ae] re[s] public[ae] Gegenbegriff zu municipii alicuius. Da zur Zeit Justinians die Unterscheidung ­zwischen municipia und den übrigen Arten von öffentlichen Körperschaften obsolet ist, überrascht das Missverständnis des Anonymus nicht. Dieses Missverständnis beeinträchtigt jedoch nicht das Zeugnis des Basilikentextes hinsichtlich der Bedeutung des lateinischen societas, das sich hier auf Vereine bezieht.13 Der Anonymus gibt es mit σύστημ[α] wieder. Mit ­diesem Ausdruck geben die Basiliken gewöhnlich das lateinische collegium wieder. Seine 12 Vgl. Hb. VI 327. 13 Cohn, Vereinsrecht, 179 Fn. 73; Albanese, Persone, 566 Fn. 54; Fleckner, Kapitalvereinigungen,

391. Dagegen Duff, Personality, 144, 159; Eliachevitch, Personnalité juridique, 264 Fn. 105; Cimma, Publicani, 176 f. Fn. 41.

220

Die nichtvertraglichen Obligationen

Verwendung in der Digestensumme des Anonymus spricht dafür, dass societas im Digestentext ein collegium und nicht den schuldrechtlichen Gesellschaftsvertrag meint.14 Von einer κοινωνία ist zwar im Schol. Ἐάν τις δικαιώματα ad B. 60.12.31,15 das auf den antecessor Dorotheus zurückgeht,16 die Rede, womit die griechische Überlieferung gewöhnlich die rein obligatorische Gesellschaft bezeichnet.17 Doch sprechen mehrere Gründe dagegen, ­dieses Scholion für die Rekonstruktion des ulpianischen Textes heranzuziehen. Erstens gibt Dorotheus das lateinische Wort societas immer mit κοινωνία wieder, was der byzantinischen Rechtslage entspricht, die er darstellen will.18 Zweitens missversteht auch er die ceter[ae] re[s] public[ae], wenn er von τῶν αλλῶν πολιτικῶν πράγματων spricht. Drittens nimmt er beim Diebstahl jeder Art von Sachen einer Gesellschaft (τὰ τῆς κοινωνίας) – also nicht nur ihrer tabulae instrumentorum – an, dass ein Gesellschafter mit der actio furti haftet (κατέχεται τῷ κοινωνῷ τῇ φούρτι). Dorotheus unterstellt also, dass das furtum von einem κοινωνός begangen wird. Seiner Meinung nach ist das entscheidende Problem des Falls die Frage, ob ein Mitberechtigter an der Sache wegen furtum haften kann. Dieses Problem wirft aber Ulpian erst im weiteren Verlauf seines Kommentars auf.19 Wenn Dorotheus ein Problem behandelt, das Ulpian erst deutlich ­später thematisiert, zeigt dies, dass sein Scholion didaktische Zwecke in Bezug auf den gesamten Basilikentitel Περὶ κλοπῆς (B. 60.12) verfolgt. Er hat nicht nur den ulpianischen Text mehrfach missverstanden, sondern es geht ihm überhaupt nicht um dessen getreuliche Wiedergabe. Damit ist das Dorotheus-Scholion nicht geeignet, Zweifel an der Zuverlässigkeit der Digestensumme des Anonymus aufkommen zu lassen. Dies gilt umso mehr, als sich für den Anonymus eine terminologisch differenzierte Wiedergabe Ulpians nachweisen lässt: Während er die societas in D. 47.2.31.1 mit σύστημα übersetzt, spricht er terminologisch präzise von einem κοινωνός,20 wenn Ulpian in D. 47.2.45 von einem socius handelt, der eine res communis stiehlt. Der Anonymus ist also im Vergleich zum Dorotheus-Scholion die vertrauenswürdigere Quelle. Daher kann angenommen werden, dass sich Labeo zu den tabulae instrumentorum von Vereinen geäußert hat. 14 Vgl. Fleckner, Kapitalvereinigungen, 404. 15 Sch. B VIII 3371; Hb. V 477. 16 Hb. VI 327; de Jong, Subseciva Groningana 9 (2014), 327 (337). 17 De Jong, Subseciva Groningana 9 (2014), 327 (337). 18 De Jong, Subseciva Groningana 9 (2014), 327 (337). 19 D. 47.2.45 (Ulp. 41 Sab.): Si socius communis rei furtum fecerit (potest enim communis rei furtum facere), indubitate dicendum est furti actionem competere; vgl. Lenel, Pal. II, Sp. 1167. 20 B. 60.12.46 (Sch. A VIII 2833; Hb. V 489): Καὶ ὁ κοινωνός μου κλέπτων τὸ κοινὸν πρᾶγμα

ὑπόκειταί μοι τῇ περὶ κλοπῆς ἀγωνῇ.

221

Die Haftung wegen metus

Bereits für die frühklassische Jurisprudenz lässt sich also ein furtum zulasten von Vereinen nachweisen. Für die actio furti aktivlegitimiert ist, wer ein rechtliches Interesse am Erhalt der Sache hat.21 In erster Linie ist dies der Eigentümer.22 Ein Vereinsvermögen existiert bereits in archaischer Zeit.23 Daher überrascht es nicht, dass sich Zeugnisse zum furtum von Sachen, die im Eigentum des Vereins stehen (res communes), schon bei einem frühklassischen Juristen finden.

§ 3

Die Haftung wegen metus

Eine prätorische Haftung von öffentlichen und privaten Körperschaften kann sich aus dem allgemeinen Edikt Quod metus causa gestum erit ergeben,24 das wie folgt lautet: D. 4.2.1 (Ulp. 11 ed.) […] ‘Quod metus causa gestum erit, […] ‘Was aus Furcht getan worden ist, werde ich nicht ratum non habebo’ […]. gelten lassen’ […]

Im Rahmen seiner Kommentierung des Lemmas metus causa gestum 25 erwähnt Ulpian verschiedene Personenvereinigungen: D. 4.2.9.1 (Ulp. 11 ed.) Animadvertendum autem, quod praetor hoc edicto generaliter et in rem loquitur nec adicit a quo gestum: et ideo sive singularis sit persona, quae metum intulit, vel populus vel curia vel collegium vel corpus, huic edicto locus erit. Sed licet vim factam a quocumque praetor complectatur, eleganter tamen Pomponius ait, si quo magis te de vi hostium vel latronum vel populi tuerer vel liberarem, aliquid a te accepero vel te obligavero, non debere me hoc edicto teneri, nisi ipse hanc tibi vim summisi: ceterum si alienus sum a vi, teneri me non debere, ego enim operae potius meae mercedem accepisse videor.

21 22 23 24 25

Es ist aber zu beachten, dass der Prätor in ­diesem Edikt allgemein und unpersönlich spricht und nicht beifügt, von wem gehandelt worden ist. Daher greift d ­ ieses Edikt, wenn es eine einzelne Person ist, die Furcht erregt hat, oder das Volk, ein Gemeinderat, ein Verein oder eine körperschaftliche Organisation. Aber wenngleich der Prätor Gewaltanwendung von jedermann erfasst, sagt jedoch Pomponius treffend, wenn ich dafür, dass ich dich vor der Gewalt der Feinde, von Straßenräubern oder des Volkes schütze oder dich aus ihr befreie, von dir etwas angenommen oder dich verpflichtet habe, dürfe ich nicht aus dem Edikt haften, es sei denn, ich selbst hätte die Gewalt gegen dich veranlasst. Wenn ich dagegen mit der Gewalt nichts zu tun habe, dürfe ich nicht haften, denn ich habe eher den Lohn für meine Mühen erhalten.

Gai. 3.203; siehe hierzu nur Nelson/Manthe, Deliktsobligationen, 190 – 193. Vgl. Kaser, RP I, 616; Zimmermann, Obligations, 933. Siehe unten VI. Kap., § 1 III.2.a) (1). Zur Struktur der Edikte zu metus Lenel, EP, 110. Lenel, Pal. II, Sp. 461 Fn. 3; ders., EP, 110. Dagegen Calore, Actio quod metus causa, 64 f., 238.

222

Die nichtvertraglichen Obligationen

Der Jurist stellt fest, dass der Prätor das Edikt allgemein und in rem formuliert hat. Durch wen das gestum 26 erfolgen muss, erwähnt das Edikt nicht. Daher findet es Anwendung, wenn eine Einzelperson, der populus Romanus, ein Gemeinderat, ein collegium oder ein corpus gedroht hat. Dasselbe gilt bei der Anwendung von vis. Ulpian zitiert dazu eine Distinktion des Pomponius: Wenn Ego den Tu vor Gewaltanwendung durch Feinde (host[es]), Straßenräuber oder das Volk geschützt oder aus ihr befreit hat, haftet Ego nicht aus dem Edikt, wenn er von Tu etwas erhalten hat (accep[isse]) oder Tu ihm gegenüber eine Verpflichtung eingegangen ist (obligav[isse]), außer Tu hat zu der vorangehenden Gewaltanwendung angestiftet. Ulpian begründet dies damit, dass Ego lediglich den Lohn für seine Mühen empfangen habe. Zentral für Ulpian ist der Wortlaut des Edikts, der unpersönlich (in rem) formuliert ist. Daher muss zum einen die Person des Beklagten keine besondere Qualifikation erfüllen.27 Zum anderen werden an den Urheber des Zwangs keine besonderen Anforderungen gestellt, sodass es unerheblich ist, ob die Drohung durch einen Einzelnen oder durch eine Personenmehrheit erfolgt.28 Dasselbe gilt für die Anwendung von Gewalt,29 wie die von Pomponius angeführten Beispiele zeigen. Das Zitat belegt zudem, dass grundsätzlich auch ein Dritter haften kann, wenn er infolge der Drohung der Personenmehrheit etwas erwirbt,30 und dass seine Haftung nur dann ausgeschlossen ist, wenn sein Erwerb als Lohn für seine Rettungsbemühungen aufzufassen ist.31 Dieser weite Anwendungsbereich ergibt sich aus der unpersönlichen Formulierung des Edikts.32 Die Möglichkeit einer Haftung von Körperschaften einschließlich von Vereinen beruht darauf, dass der 26 Nach Kupisch, In integrum restitutio, 146 – 158 ist damit die durch metus verursachte Erwerbs-

handlung des Beklagten gemeint; skeptisch Gaulhofer, Metus, 101.

27 Kupisch, In integrum restitutio, 150, 185; Pulitanò, Responsabilità collettiva, 76. 28 Kupisch, In integrum restitutio, 186; Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti muni-

cipali, 335 (362 f.). Gegen den insoweit eindeutigen Wortlaut der Quelle dagegen Philipsborn, SZ 71 (1954), 41 (60). 29 Neben metus wird vis in einer älteren Fassung des Edikts ausdrücklich erwähnt; D. 4.2.1 (Ulp. 11 ed.); vgl. Lenel, EP , 110 Fn. 8; ausführlich Kupisch, In integrum restitutio, 192 – 199. 30 Vgl. D. 4.2.9.8 (Ulp. 11 ed.): […] haec actio in rem sit scripta nec personam vim facientis coerceat, sed adversus omnes restitui velit quod metus causa factum est […]. Mitteis, RP I, 341 Fn. 6; De Robertis, Storia II , 291; Kupisch, In integrum restitutio, 186 – 188; Kaser, SZ 94 (1977), 101 (116 f.); Zimmermann, Obligations, 654 f.; Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/ Gabba, Statuti municipali, 335 (363, 366); Kaser/Knütel/Lohsse, RP , § 18 Rn. 32; Gaulhofer, Metus, 101 f. 31 Kupisch, In integrum restitutio, 187 f. 32 Duff, Personality, 91; Orestano, Persone giuridiche, 94; Kupisch, In integrum restitutio, 178, 186; Calore, Actio quod metus causa, 238 f.; Gaulhofer, Metus, 101. Verfehlt ist daher, wenn Eliachevitch, Personnalité juridique, 279 dem Text ohne nähere Qualifikation eine Haftung des Vereins „pour les faits de son organe“ entnimmt.

223

Die Haftung wegen dolus

Wortlaut des Edikts sie umfasst. Daher hat die Jurisprudenz sich nicht veranlasst gesehen, allgemeine Erwägungen zur deliktischen Handlungsfähigkeit anzustellen; vielmehr ergibt sich die Haftung aus einer eng am Wortlaut orientierten Auslegung des metus-Edikts.33

§ 4

Die Haftung wegen dolus

Wegen arglistigen Verhaltens ergibt sich eine prätorische Haftung aus dem Edikt De dolo malo: D. 4.3.1.1 (Ulp. 11 ed.) […] ‘Quae dolo malo facta esse […] ‘Wenn behauptet wird, dass etwas durch Arglist getan dicentur, si de his rebus alia actio worden ist, und es in diesen Angelegenheiten keine andere non erit et iusta causa esse videbitur, Klage geben wird und ein gerechter Grund vorzuliegen iudicium dabo’. scheint, werde ich eine Klage gewähren.’

Ulpian berichtet von einer Kontroverse (dubitatur) darüber, ob die actio de dolo gegen eine Gemeinde statthaft ist: D. 4.3.15.1 (Ulp. 11 ed.) Sed an in municipes de dolo detur actio, dubitatur. Et puto ex suo quidem dolo non posse dari: quid enim municipes dolo facere possunt? Sed si quid ad eos pervenit ex dolo eorum, qui res eorum administrant, puto dandam. De dolo autem decurionum in ipsos decuriones dabitur de dolo actio.

Aber ob gegen Gemeindebürger die Klage wegen Arglist gegeben wird, wird bezweifelt. Und ich glaube, dass sie freilich wegen ihrer eigenen Arglist nicht gegeben werden kann. Was nämlich können Gemeindebürger aus Arglist tun? Aber wenn etwas an sie aufgrund der Arglist derer gelangt, die ihr Vermögen verwalten, glaube ich, dass [die Klage] gegeben werden muss. Wegen der Arglist der Ratsherren aber wird gegen die Ratsherren selbst die Klage wegen Arglist gegeben werden.

Der Text entstammt einer Passage, in der Ulpian das Lemma iusta causa esse videbitur des Edikts De dolo malo kommentiert.34 Im principium des Fragments, also unmittelbar zuvor, diskutiert der Jurist die Haftung des Mündels für ­arglistiges ­Verhalten seines Vormunds.35 Ulpian ist der Meinung (puto), dass der ­Mündel ­haftet, wenn er deshalb bereichert ist (si factus est locupletior).36 Direkt im Anschluss an die Haftung der municipes erörtert er in § 2 den Fall, dass die Arglist eines procurator 33 Vgl. Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (365 f.). 34 Lenel, EP, 114 Fn. 14; Rodger, Fs. Humbert, 733 (734, 743). 35 Lenel, Pal. II, Sp. 469. 36 D. 4.3.15 pr. (Ulp. 11 ed.).

224

Die nichtvertraglichen Obligationen

zu einer Haftung des Geschäftsherrn führt, wenn an diesen ein Vorteil gelangt ist.37 Zugleich haftet der procurator auch selbst für sein arglistiges Verhalten. Der § 1 zu den municipes steht also im Kontext einer Kontroverse darüber, ob für arglistiges Verhalten Dritter gehaftet wird.38 Die häufige Verwendung von puto belegt dies. Kontrovers ist nicht nur die Frage der Haftung der municipes, sondern auch diejenige des Mündels.39 Die Intensität der Auseinandersetzung spiegelt sich darin, dass Ulpian mit der rhetorischen Frage argumentiert, was Gemeindebürger arglistig tun könnten. Da die actio de dolo anders als die actio quod metus causa nicht in rem scripta ist, besteht grundsätzlich eine Haftung nur für eigenen dolus.40 Daher haften die decuriones und der procurator für ihr eigenes arglistiges Verhalten in erster Linie selbst,41 auch wenn die Gemeinde bzw. der Geschäftsherr hieraus etwas erlangt hat. Eine Zurechnung des dolus der Hilfsperson findet nicht statt; vielmehr lehnt Ulpian einen dolus der Gemeinde strikt ab.42 Dies erinnert an die Ablehnung eines Besitzwillens der municipes durch Teile der Jurisprudenz,43 während gleichzeitig der Besitz durch Hilfspersonen anerkannt wird.44 Da der Wortlaut des prätorischen Edikts De dolo malo auf den dolus malus abstellt, kann eine Klage wegen des arglistigen Verhaltens von Hilfspersonen nicht direkt gegen die Gemeinde gewährt werden. Deshalb unterscheidet Ulpian 37 D. 4.3.15.2 (Ulp. 11 ed.); Lenel, Pal. II, Sp. 469. 38 Benöhr, SZ 87 (1970), 123 (174); Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali,

335 (361).

39 Vgl. auch D. 4.3.13.1 (Ulp. 11 ed.), wo Ulpian neben seiner eigenen Meinung zur Haftung des

Mündels für eigene Arglist die abweichende Labeos erwähnt.

40 Kaser, SZ 94 (1977), 101 (145); Zimmermann, Obligations, 664; Pulitanò, Responsabilità

collettiva, 76.

41 Ulpian erwähnt die decuriones als freie Vertreter der Gemeinde parallel zum procurator; Benöhr, SZ 87 (1970), 123 (173 mit Fn. 250); Pulitanò, Responsabilità collettiva, 82 f. B. 10.3.15.1 (Sch. A II 542; Hb. I 500) erwähnt nicht die decuriones, sondern nur den freien Vermögens-

verwalter der Gemeinde und hält fest, dass dieser selbst mit der actio de dolo haftet, parallel zum procurator (διοικητής), der in § 2 erwähnt wird. Dies könnte auf eine gemeinsame Vorlage von Digesten- und Basilikentext hindeuten, die decuriones, Vermögensverwalter und procurator deutlicher parallelisiert. 42 Philipsborn, SZ 71 (1954), 41 (60); Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (361 f.); vgl. Groten, Corpus und universitas, 317. 43 Zum Interdikten- und Ersitzungsbesitz D. 41.2.1.22 (Paul. 54 ed.): Municipes per se nihil possidere possunt, quia universi consentire non possunt […]. Vgl. auch die Kontroverse über den Nachlassbesitz der municipes in D. 38.3.1.1 (Ulp. 49 ed.): Sed an omnino petere bonorum possessionem possint, dubitatur: movet enim, quod consentire non possunt […]; hierzu unten IV. Kap., § 1 II. Philipsborn, SZ 71 (1954), 41 (60); Benöhr, SZ 87 (1970), 123 (173 Fn. 248); Groten, Corpus und universitas, 316 f. 44 Für den Interdikten- und Ersitzungsbesitz D. 41.2.1.22 (Paul. 54 ed.); D. 41.2.2 (Ulp. 70 ed.); für den Nachlassbesitz D. 37.1.3.4 (Ulp. 39 ed.); D. 38.3.1.1 (Ulp. 49 ed.).

Die Haftung wegen dolus

225

z­ wischen der Arglist von Gemeinden, die seiner Meinung nach begrifflich ausgeschlossen ist, und derjenigen ihrer Hilfspersonen wie Vermögensverwalter und decuriones.45 Möglich ist jedoch eine Abschöpfung des Vermögensvorteils, der an die Gemeinde aufgrund der Arglist der Vermögensverwalter gelangt ist (quid ad eos pervenit).46 Die Lösung scheint nicht unstrittig zu sein, wie das puto Ulpians anzeigt, doch ist sie parallel zur Haftung des Mündels für die Arglist seines Vormunds sowie des Geschäftsherrn für den dolus seines procurator.47 Ihr Ausgangspunkt dürfte die actio in factum gegen den Erben eines arglistig Handelnden sein, die ebenfalls auf Abschöpfung des Erlangten gerichtet ist.48 Dafür spricht, dass Ulpian seine Diskussion der Haftung von Mündel, Gemeinde und Geschäftsherrn mit einem Zitat Labeos beginnt, der eine Arglistklage gegen den Mündel nur bejaht, wenn dieser als Erbe eines arglistig Handelnden belangt wird.49 Somit wird die Klage gegen die Gemeinde ebenfalls eine actio in factum sein.50 Sie ist keine Strafklage, sondern dient allein der Abschöpfung des aus dem arglistigen Handeln Erlangten.51 Da ihr Vorbild die Klage gegen den Erben ist und Ulpian sie gleichermaßen gegen den Mündel, die Gemeinde und einen Geschäftsherrn gewährt, gilt dieselbe Lösung wahrscheinlich auch für Vereine,52 wenn deren Funktionäre arglistig gehandelt haben und daraus ein Vermögensvorteil in das Vereinsvermögen gelangt ist.

45 Benöhr, SZ 87 (1970), 123 (173). 46 B. 10.3.15.1 (Sch. A I 542; Hb. I 500): εἰς τὸ περιελθὸν εἰς αὐτοὺς; dazu Pulitanò, in: Biavaschi, Questione amministrative, 117 (127 f., 138). Ebenso Benöhr, SZ 87 (1970), 123 (173 f.); De Robertis, Storia II, 290 f., 355; Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali,

335 (362).

47 Duff, Personality, 93; Eliachevitch, Personnalité juridique, 132; Pulitanò, in: Biavaschi, Questio­ne

amministrative, 117 (129).

48 D. 4.3.25, 26 (Gai. 4 ed. prov.); D. 4.3.17.1 (Ulp. 11 ed.). Lenel, EP 114 f.; Pulitanò, in: Biavaschi,

Questione amministrative, 117 (128 f.); dies., Responsabilità collettiva, 138; Kaser/Knütel/ Lohsse, RP, § 18 Rn. 35. 49 D. 4.3.13.1 (Ulp. 11 ed): Item in causae cognitione versari Labeo ait, ne in pupillum de dolo detur actio, nisi forte nomine hereditario conveniatur. ego arbitror et ex suo dolo conveniendum, si proximus pubertati est, maxime si locupletior ex hoc factus est. 50 Benöhr, SZ 87 (1970), 123 (171 – 174); Pulitanò, in: Biavaschi, Questione amministrative, 117 (128 – 130). 51 Bricchi, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 335 (362); Pulitanò, in: Biavaschi, Questione amministrative, 117 (129 f.). 52 Diese Parallele übersieht Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 340, weshalb seine Bedenken gegen eine Übertragung der Rechtslage bei Gemeinden auf Vereine nicht durchgreifen.

IV. Kapitel: Der erbrechtliche Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten

§ 1

Der Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten durch Universalsukzession

I. Die zivile Erbenstellung Ein Verein kann Forderungen und Verbindlichkeiten auch dadurch erwerben, dass er als Erbe nach ius civile Gesamtrechtsnachfolger eines anderen wird und dadurch in dessen Stellung als Gläubiger oder Schuldner eintritt. Dies ist jedoch nur ausnahmsweise möglich,1 da ein Verein in der Regel nur Erbe seiner Freigelassenen werden kann. 1. Die Intestaterbfolge

Für die Erbschaft ab intestato ergibt sich dies aus folgender Digestenkatene: D. 40.3.1 (Ulp. 5 Sab.) Divus Marcus omnibus collegiis, quibus coeundi ius est, manumittendi potestatem dedit:

Der vergöttlichte Markus gab allen Vereinen, die das Recht haben, sich zu versammeln, die Befugnis zur Freilassung.

D. 40.3.2 (Ulp. 14 Sab.) Quare hi quoque legitimam hereditatem liberti vindicabunt.

Daher können auch diese die gesetzliche Erbschaft ihres Freigelassenen herausverlangen.

Ulpian berichtet von einem Reskript Mark Aurels, in dem dieser den collegia mit ius coeundi die Befugnis einräumt, ihre Sklaven freizulassen.2 In fr. 2 hält 1 C. 6.24.8 (Diocl./Max., a. 290): Collegium, si nullo speciali privilegio subnixum sit, hereditatem

capere non posse dubium non est.

2 De Robertis, Storia II, 359 – 363 nimmt an, das ius manumittendi habe schon vor Erlass des

Reskripts bestanden. Dagegen spricht jedoch der klare Wortlaut von D. 40.3.1.

Der Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten durch Universalsukzession

227

der Jurist fest, dass collegia die gesetzliche Erbschaft ihrer Freigelassenen vindizieren können. Beide Fragmente entstammen dem Sabinus-Kommentar Ulpians und behandeln Fragen des Erbrechts: Kontext des fr. 1 ist die Frage der Wirksamkeit einer Erbeinsetzung,3 derjenige des fr.  2 sind die bona libertorum.4 Die Aussage zum ius manumittendi hat also bereits ursprünglich im Zusammenhang mit erbrechtlichen Fragestellungen gestanden. Die Katene als Ganze stellt einen Zusammenhang z­ wischen der Verleihung des ius manumittendi und dem Intestaterbrecht der Vereine her.5 Aus D. 40.3.2 allein lässt sich diese Aussage jedoch nicht entnehmen. Hinzu kommt eine Inkonzinnität des Digestentexts: D. 40.3.2 spricht von hi, während in D. 40.3.1 mit omnibus collegiis ein Neutrum Plural steht, sodass hi ohne kongruenten Bezug ist. Deshalb hat Schnorr v. Carolsfeld angenommen, dass D. 40.3.2 ursprünglich nicht von Vereinen, sondern von municipes gehandelt habe.6 Allerdings spricht ein Basilikenscholion dafür, dass sich D. 40.3.2 bereits im Sabinus-Kommentar Ulpians auf Vereine bezogen hat: Schol. Πᾶσι ad B. 48.3.1 (Sch. B VII 2826; Hb. IV 629) […] ὅθεν ἐλευθεροῦντες οἱ τῶν collegiωn λεγίτιμοι κληρονόμοι γίνονται τῶν ἰδίων ἀπελευθέρων.

[…] Daher machen mit der Freilassung diejenigen, die den Vereinen angehören, ihre Freigelassenen zu gesetzlichen Erben.

Das Scholion, das aus dem Index des Dorotheus stammt,7 gibt das hi in D. 40.3.2 mit οἱ τῶν collegiωn wieder. Daher ist davon auszugehen, dass im ursprünglichen Kontext von D. 40.3.2 eine dem οἱ τῶν collegiωn entsprechende Formulierung gestanden hat. Für die Annahme Schnorr v. Carolsfelds, die Katenenbildung der Kompilation habe den Sinn von D. 40.3.2 geändert, besteht damit kein Grund mehr. Offen bleibt aber, ob das Reskript selbst vorgesehen hat, dass die Erbfähigkeit Folge der Verleihung des ius manumittendi ist, oder dies auf die interpretatio der Juristen zurückgeht.8 Daher lässt sich nicht mehr klären, ob die Beschränkung 3 Lenel, Pal. II, Sp. 1030. 4 Lenel, Pal. II, Sp. 1051. 5 Ebenso der Text von B. 48.3.1 (Sch. A VI 2166; Hb. IV 629), der den Inhalt der Katene als

zusammenhängende Aussage wiedergibt.

6 Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 222 Fn. 3. 7 Hb. VI 317. 8 Für eine Regelung zur Erbfähigkeit im Reskript vorsichtig Mitteis, RP I, 402; Eliachevitch, Personnalité juridique, 285; Voci, DER2 I, 423; De Robertis, Storia II, 359 – 363. Offen gelassen von Kornemann, s. v. collegium, RE 4.1, Sp. 433; Duff, Personality, 155; Albanese, Persone, 571; Groten, Corpus und universitas, 328. Dagegen Mommsen, Ges. Schr. III, 53 (67).

228

Der erbrechtliche Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten

der Erbfähigkeit auf erlaubte Vereine auf die kaiserliche Intervention zurückgeht. Allerdings dürfte die praktische Relevanz der Beschränkung nicht allzu hoch gewesen sein, weil das Reskript Mark Aurels aus der Zeit nach dem hadrianischen senatus consultum stammt, das eine allgemeine Zulassung für collegia tenuiorum geschaffen hat.9 Immerhin hält sich Beschränkung auf erlaubte Vereine bis in das justinianische Recht.10 2. Die testamentarische Erbfolge

Die Quellen zur testamentarischen Erbeinsetzung von Körperschaften sprechen dafür, dass die Erbfähigkeit auf einer Intervention des Normgebers beruht. Denn die juristische Literatur bringt gegen die Erbfähigkeit von Körperschaften Bedenken vor: UE 22.5

Nec municipia nec municipes heredes institui possunt, quoniam incertum corpus est, et neque cernere universi, neque pro herede gerere possunt, ut heredes fiant; senatus consulto tamen concessum est, ut a libertis suis here­ des institui possint […].

Weder Gemeinden noch die Gemeindebürger können als Erben eingesetzt werden, weil es sich um eine unbestimmte körperschaftliche Organisation handelt und weil alle weder den Erbschaftsantritt erklären noch sich wie ein Erbe verhalten können, um Erben zu werden; durch Senatsbeschluss wurde dennoch gestattet, dass sie von ihren Freigelassenen als Erben eingesetzt werden können.

Gemeinden können nicht als Erben eingesetzt werden. Dafür werden zwei Begründungen gegeben: erstens, weil sie ein incertum corpus sind, und zweitens, weil ihnen der Erbschaftsantritt nicht möglich ist. Weder können sie den zivilen Formalakt der cretio vornehmen, noch ist ihnen ein pro herede gerere möglich. Der erste Grund ist dogmatischer, der zweite rechtstechnischer Natur.11 Erst ein senatus consultum verleiht ihnen die Fähigkeit, von ihren Freigelassenen als Erben eingesetzt zu werden. Die Erwähnung des incertum corpus in UE 22.5 legt einen Zusammenhang mit der dogmatischen Kategorie der incerta persona nahe, die im unmittelbar vorangehenden § 4 behandelt wird.12 Dort wird die Unwirksamkeit der 9 Hierzu siehe oben I. Kap., § 2 II.2. 10 Sie findet sich in C. 6.48.1.10 (Iust., a. 528 – 529), mit der Justinian den erbrechtlichen Erwerb

durch incertae personae einschließlich der öffentlichen und privaten Körperschaften umfassend neu ordnet. Hierzu Voci, DER2, 428; Kaser, RP II, 487 f. 11 Voci, DER2 I, 421; Avenarius, Liber singularis regularum, 402 mit Fn. 79; Nörr, SZ 127 (2010), 53 (61). Vermischt bei Eliachevitch, Personnalité juridique, 155; Longchamps de Bérier, Fedec. univ., 163 f. 12 UE 22.4: Incerta persona heres institui non potest, velut hoc modo: QUISQUIS PRIMUS AD FUNUS MEUM VENERIT, HERES ESTO; quoniam certum consilium debet esse testantis.

Der Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten durch Universalsukzession

229

E ­ rbeinsetzung von incertae personae damit begründet, dass der Erblasserwille nicht hinreichend genau bestimmt sei.13 Der terminologische Unterschied von incerta persona und incertum corpus verbietet es, ohne weiteres beide Kategorien zusammenzubringen.14 Eine Fusion beider Kategorien findet sich in einer Kon­ stitution Justinians.15 Schon die hoch- und spätklassische Jurisprudenz scheint sie jedoch aufeinander bezogen zu haben:

P.Haun. 45 verso + C.Pap.Lat. 73A verso, Z. 1 – 21 (Fayum?, 4. – 5. Jhd.)16 [E][[t?]] Pap(inianus) hoc loco s[c]r(ibit) [- - -] m(anu)mitti a popu[lo?] te[- - -] [.]e distrahi ob [.]tr[- - - munici-] pum sive colonor+[um - - - emo-] 5 lumentum h[++] po[s]te[- - -] l[e]gatum iure h[ab]ere [- - - adsi-] due inquid Ul[p(ianus)] ho?]c falsum e(st) poss[e - - -] nae civitati posse legari; p(otest?) (e)ni(m) cu[- - -] qui statuer[it], q(uod) si forte, inqui[d - - -] 10 [– 2 –]andae l[– ca. 6 –] v(el) distra[hendae? - - -] [i]llud remedium po[[tes]]t et ad[hiberi? - - -] [c?]ustoditur i+++i et populo Rom[ano - - - re-] cte inquid Ulp(ianus), hoc movetur Pap(inianus) [- - -] instituiturque municipum v(el) colo[norum - - - mu-] 15 ni[ci]pum servo quam populi Roma[ni] le[- - - se-] quitur q(ui)a nec municipiis seu co[lon]iis +[- - -] similiter notat et refert Pomponi scr[ibentis? - - -] am fuisse q(ui)a municipib(us) v(el) col[o]nis l+[- - -] legari poterat quorum i n c e r t a [ p e ] r s [ o ] n [ a   - - -] 20 substantiam, unde inquid [[P]]omp(onius) ne+[- - -] falsum e(st) ergo ut et Ulp(ianus) scr(ibit) q(uod) d[– 2/3 –] pro+

Zu Beginn des Papyrus wird Papinian im Zusammenhang mit der Freilassung eines Staatssklaven (m(anu)mitti a popu[lo?], Z. 2) zitiert. Hauptsächliches Thema der Passage ist jedoch die Frage, ob Gemeinden durch Legat erwerben können (Z. 8, 19).17 Als Vergleich wird die testamentarische Erbeinsetzung herangezogen (instituiturque municipum v(el) colo[norum], Z. 14),18 wozu die beiden Spätklassiker Ulpian und Papinian zitiert werden (Z. 13). Es handelt sich um die 13 Voci, DER2, 413 f. 14 Eliachevitch, Personnalité juridique, 155 Fn. 14; Longchamps de Bérier, Fedec. univ., 164 Fn. 360; Nörr, SZ 127 (2010), 53 (62); Groten, Corpus und universitas, 164 f.; vgl. Nasti, Papyrus Hauniensis II.1, 75 Fn. 44. 15 C. 6.48.1.10 (Iust., a. 528 – 529). 16 Nasti, Papyrus Hauniensis I, 6, 14, 24, 29. 17 Nasti, Papyrus Hauniensis II.1, 57. 18 D’Ippolito/Nasti, SDHI 69 (2003), 383 (387); Nörr, SZ 127 (2010), 53 (59 f. mit Fn. 34).

230

Der erbrechtliche Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten

Erbeinsetzung nach einem freigelassenen Gemeindesklaven ([mu]/ni[ci]pum servo, Z. 14 f.),19 der wiederum mit dem Staatssklaven verglichen wird (Z. 15). Sodann kehrt der Text zur Frage der Legatsfähigkeit der Gemeinden zurück (Z. 17 – 19). Der hierzu zitierte hochklassische Jurist Pomponius beruft sich auf das Konzept der incerta [pe]rs[o]n[a] (Z. 19), wobei freilich der Inhalt seiner Stellungnahme nicht erkennbar ist. Damit bleibt offen, ob Pomponius die Gemeinden unter die incertae personae zählt oder sie lediglich mit dieser Kategorie vergleicht.20 Fest steht jedoch, dass er die Kategorie der incerta persona mit der Fähigkeit von municipia und coloniae, durch Legat zu erwerben, in Verbindung bringt.21 Damit lässt sich ein Zusammenhang dieser Kategorie mit der erbrechtlichen Erwerbsfähigkeit der Gemeinden bereits für die Jurisprudenz der hohen Kaiserzeit nachweisen. Es handelt sich also nicht um eine justinianische Innovation; vielmehr geht die Verknüpfung beider Kategorien in C. 6.48.1.10 auf kaiserzeitliche Vorläufer zurück und fügt sich in das Bild eines justinianischen Klassizismus ein.22 Als zweiten Grund für die Erbunfähigkeit der Gemeinden nennt UE 22.5 die fehlende Handlungsfähigkeit der municipes.23 Die Erwähnung eines senatus consultum in UE 22.5 zeigt, dass im Fall der Gemeinden ein Eingreifen des Normgebers vorausgegangen ist, damit diese Erben ihrer Freigelassenen werden können. Im Papyrus Hauniensis wird im Zusammenhang mit dem Erbschaftserwerb durch Gemeinden ein remedium erwähnt (Z. 11). Dies deutet darauf hin, dass ein erbrechtlicher Erwerb durch besondere prozessuale Mittel ermöglicht werden kann.24 Der genaue Regelungsinhalt lässt sich jedoch nicht mehr rekonstruieren. Wenngleich für die Vereine ein ähnlicher Rechtsetzungsakt nicht überliefert ist, überwiegt die Wahrscheinlichkeit, dass auch ihre erbrechtliche Erwerbsfähigkeit auf einer Intervention des Normgebers beruht. Denn bei der testamentarischen Erbeinsetzung gelten für Vereine und Gemeinden die gleichen Regeln: 19 Nörr, SZ 127 (2010), 53 (59). 20 Nörr, SZ 127 (2010), 53 (62). 21 D’Ippolito/Nasti, SDHI 69 (2003), 383 (387); Nasti, Papyrus Hauniensis II .1, 87 f.; zurückhaltender Nörr, SZ 127 (2010), 53 (61 f.). Die Kategorie der incerta persona wirkt sich auf die

Fähigkeit zum Erwerb sowohl der Erbschaft als auch einzelner Legate aus; Gai. 2.287; vgl. I. 2.20.27; C. 6.48.1 (Iust., a. 528 – 529). Siehe Voci, DER2 I, 413 mit Fn. 53. 22 Siehe nur Wieacker, RG II, 288. 23 Mitteis, RP I, 379; Philipsborn, SZ 71 (1954), 41 (61); Voci, DER 2 I, 421; Avenarius, Liber singularis regularum, 402; Corbo, Incertae personae, 82; vgl. Mommsen, Ges. Schr. III, 53 (67); Groten, Corpus und universitas, 163. 24 Nörr, SZ 127 (2010), 53 (62); Nasti, Papyrus Hauniensis II.1, 66.

Der Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten durch Universalsukzession

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D. 36.1.6.4 (Ulp. 4 fideic.) Item si municipes ­hereditatem Wenn Gemeindebürger zu Erben eingesetzt worden sind suspectam dicant heredes instituti, und die Erbschaft [wegen Überschuldung] als verdächtig dicendum erit cogi eos adgnoscere erklären, wird man ebenso sagen müssen, dass sie gezwunhereditatem et restituere: idemque gen werden, die Erbschaft anzutreten und herauszugeben. Dasselbe wird man auch für einen Verein sagen müssen. erit et in collegio dicendum.

Die Quelle steht im Zusammenhang mit dem Universalfideikommiss.25 Das senatus consultum Pegasianum bestimmt, dass der zivile Erbe, der wegen Überschuldung der Erbschaft ihren Antritt verweigert und daher den Erwerb des mit dem Erbschaftsfideikommiss Bedachten gefährdet, vom Prätor zum Erbschaftsantritt gezwungen werden kann, wenn der fideikommissarisch Bedachte dem Erben Sicherheit leistet.26 Ulpian hält fest, dass auch Gemeinden zum Erbschaftsantritt gezwungen werden können und dass dasselbe ebenso für Vereine gilt. Nach dem Wortlaut des Senatsbeschlusses richtet sich der prätorische Zwang nur gegen den testamentarischen Erben.27 Dem entspricht, wenn Ulpian für die Gemeinde schreibt, dass sie durch Testament zum Erben eingesetzt worden ist (municipes […] heredes instituti). Da die Gemeinde wirksam ziviler Erbe geworden ist, muss die Einsetzung durch einen Freigelassenen der Gemeinde erfolgt sein.28 Da für Vereine dasselbe gilt, wird auch sie ein Freigelassener zum Erben eingesetzt haben.29 Die Rechtslage für Gemeinden und Vereine parallelisiert ein weiterer Text Ulpians: D. 29.2.25.1 (Ulp. 8 Sab.) Servus municipum vel collegii vel decuriae heres institutus manumissus vel alienatus adibit hereditatem.

Der Sklave von Gemeindebürgern, eines Vereins oder eines Gemeinderates, der zum Erben eingesetzt worden ist, wird nach seiner Freilassung oder Veräußerung die Erbschaft antreten.

Ulpian behandelt im 8. Buch ad Sabinum den Erbschaftsantritt.30 Im Kontext der vorliegenden Quelle geht es darum, dass ein Sklave dazu ein iussum seines 25 Lenel, Pal. II, Sp. 912 f. 26 Gai. 2.258; D. 36.1.4 (Ulp. 4 fideic.). Hierzu umfassend Manthe, SC Pegasianum, 85 – 92. 27 Manthe, SC Pegasianum, 85. 28 Vgl. UE 22.5. Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 227 Fn. 4; Albanese, Persone, 564 Fn. 43; zurückhaltend Nörr, SZ 127 (2010), 53 (63 mit Fn. 61). 29 Vgl. Mommsen, De collegiis, 126. Für eine Erbeinsetzung kraft Spezialprivilegs Mitteis, RP I,

378 Fn. 12; Groten, Corpus und universitas, 329 Fn. 104. Offengelassen von Eliachevitch, Personnalité juridique, 284; Nörr, SZ 127 (2010), 53 (63 mit Fn. 61). 30 Lenel, Pal. II, Sp. 1037.

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Der erbrechtliche Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten

Eigentümers benötigt.31 Dieser wird nämlich durch den Antritt des Sklaven Erbe.32 Wenn der Jurist festhält, dass der Sklave einer Körperschaft nur nach seiner Freilassung oder Veräußerung eine Erbschaft antreten kann, muss Grund dafür sein, dass die Körperschaft als Eigentümer ein solches iussum nicht erteilen kann. Wird der Sklave hingegen freigelassen, benötigt er kein iussum mehr; wird er an eine Einzelperson veräußert, kann diese als neuer Eigentümer das iussum erteilen. Der Quelle lässt sich demgegenüber entnehmen, dass Körperschaften auch nicht durch Einschaltung eines Sklaven Erbe werden können, weil sie kein iussum erteilen und damit nicht die für den Erbschaftsantritt erforderliche Rechtshandlung vornehmen können.33 Der Text bestätigt das Argument aus UE 22.5 und dem Papyrus Hauniensis, dass ein Erbschaftsantritt einer Gemeinde an der fehlenden Handlungsfähigkeit scheitern würde, wenn er nicht durch Senatsbeschluss ausdrücklich zugelassen und durch ein besonders remedium ermöglicht würde. Darüber hinaus bezeugt die Quelle, dass der Einwand der fehlenden Handlungsfähigkeit auch bei Vereinen gilt.

II. Der Nachlassbesitz Das Problem der Handlungsfähigkeit einer Gemeinde thematisiert Ulpian auch im Zusammenhang mit der bonorum possessio: D. 38.3.1 pr.–1 (Ulp. 49 ed.) Municipibus plenum ius in bonis libertorum libertarum defertur, hoc est id ius quod etiam patrono.

Gemeindebürgern fällt das volle Recht am Nachlass ihrer männlichen und weiblichen Freigelassenen zu, d. h. dasselbe Recht, das auch ein Patron hat.

1. Sed an omnino petere bonorum possessionem possint, dubitatur: movet enim, quod consentire non possunt, sed per alium possunt petita bonorum possessione ipsi adquirere. Sed qua ratione senatus censuit, ut restitui eis ex Trebelliano hereditas possit: qua ratione alio senatus consulto heredibus eis

Ob sie aber überhaupt den Nachlassbesitz beantragen können, wird bezweifelt. Zweifeln lässt nämlich, dass sie nicht übereinstimmen können. Doch können sie durch einen anderen den [bereits] beantragten Nachlassbesitz selbst erwerben. Aber aus demselben Grund, weshalb der Senat entschieden hat, dass ihnen eine Erbschaft aufgrund des trebellianischen Senatsbeschlusses herausgegeben werden kann, aus demselben Grund ist ihnen durch einen anderen Senatsbeschluss gestattet worden,

31 Lenel, Pal. II, Sp. 1037 mit Fn. 3. 32 Siehe nur Kaser, RP I, 716. 33 Vgl. De Robertis, Storia II, 379. Verkannt von Nörr, SZ 127 (2010), 53 (62 f.); Groten, Corpus

und universitas, 328.

Der Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten durch Universalsukzession

institutis a liberto adquirere hereditatem permissum est: ita bonorum quoque possessionem petere dicendum est.

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die Erbschaft zu erwerben, wenn sie von ihrem Freigelassenen zum Erben eingesetzt worden sind; genauso muss man sagen, dass sie auch den Nachlassbesitz beantragen können.

Der Text kommentiert das Edikt, das die Erteilung des Nachlassbesitzes verheißt, wenn ein Gesetz oder – wie hier einschlägig – ein senatus consultum dies anordnet.34 Im principium stellt Ulpian klar, dass Gemeinden die bonorum possessio nach Freigelassenen wie jeder Patron beantragen können. Zu Beginn des § 1 berichtet der Jurist jedoch, dass umstritten ist, ob municipes überhaupt den Nachlassbesitz beantragen können, weil sie keinen einheitlichen Willen bilden können. Nach Ulpian können sie jedoch durch einen Vertreter (per alium) den Nachlassbesitz erwerben. Er begründet dies mit einem Analogieschluss 35: Aus demselben Grund (qua ratione), aus dem das senatus consultum Trebellianum von 55 n. Chr.36 das Universalfideikommiss zugunsten von Gemeinden zulässt und ein anderer Senatsbeschluss 37 ihnen die testamentarische Erbfolge nach ihren Freigelassenen gestattet, müsse ihnen auch der Nachlassbesitz zustehen. Aus der Frage, wie municipes einen einheitlichen Willen bilden können, ergibt sich das rechtstechnische Problem, dass ein Erwerb des Nachlassbesitzes durch die muncipes selbst nicht möglich ist.38 Die bonorum possessio muss daher per alium erworben werden.39 Ulpian rechtfertigt diese Lösung mit einem Analogieschluss zu zwei senatus consulta. Auch wenn er von keiner Intervention des Normgebers berichtet, fällt auf, dass sich seine Argumentation auf zwei Rechtsnormen stützt. Zudem spricht der palingenetische Kontext für einen Zusammenhang mit einem normativen Text. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Zulassung des Nachlassbesitzes der Gemeinden auf einer besonderen Norm beruht. Dass Ulpians Lösung auf erhebliche rechtstechnische Probleme eingehen muss, zeigt ein Text, der den Antritt des Nachlassbesitzes durch Körperschaften behandelt:

34 Lenel, EP, 360 f. 35 Mitteis, RP I, 379 f.; Avenarius, Liber singularis regularum, 403; vgl. Arcaria, Senatus censuit,

302 f.; Longchamps de Bérier, Fedec. univ., 165; Corbo, Incertae personae, 89.

36 Camodeca, ZPE 63 (1986), 201 (208); Longchamps de Bérier, Fedec. univ., 99; vgl. Manthe, SC Pegasianum, 35 Fn. 1. Überholt die Datierung bei Voci, DER2 II, 345; Kaser, RP I, 762; ungenau Honsell/Mayer-Maly/Selb, RR, 501; Kaser/Knütel/Lohsse, RP, § 89 Rn. 4. 37 UE 22.5; siehe oben IV. Kap., § 1 I.2. 38 Mitteis, RP I, 379 f.; Avenarius, Liber singularis regularum, 402 f. 39 Für die Wahrung der Antragfrist kommt es auf die Kenntnis der Verwalters der Gemeinde an; D. 50.1.14 (Pap. 15 quaest.); D. 38.3.1.2 (Ulp. 49 ed.); hierzu Voci, DER2 I, 657 f.

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D. 37.1.3.4 (Ulp. 39 ed.) A municipibus et societatibus et decuriis et corporibus bonorum possessio adgnosci potest. Proinde sive actor eorum nomine admittat sive quis alius, recte competet bonorum possessio […].

Von Gemeindebürgern, Gesellschaften, Gemeinderäten und körperschaftlichen Organisationen kann der Nachlassbesitz beantragt werden. Gleichermaßen, ob ein Prozessvertreter in ihrem Namen oder ein anderer auftritt, wird ihnen daher der Nachlassbesitz zustehen […].

Die Passage entstammt der allgemeinen Einleitung zum Nachlassbesitz aus dem Ediktskommentar Ulpians.40 Der Jurist hält fest, dass Gemeinden, societates, decuriae und corpora die bonorum possessio beantragen können. Dies kann durch einen actor oder eine andere Person geschehen. Aus der Erwähnung der corpora ergibt sich, dass der Text nicht nur die Rechtsverhältnisse der Gemeinden beleuchtet, sondern die aller Körperschaften. Ob der ulpianische Text tatsächlich von der societas gehandelt hat, ist zweifelhaft.41 Zwar wird das Wort von den Basiliken 42 und ihren Scholien 43 mit κοινωνία wiedergegeben, was die durch Konsensualvertrag begründete Gesellschaft meint. Doch gibt ihr Autor, Doro­ theus,44 das lateinische societas ausnahmslos mit κοινωνία wieder.45 Die Basilikenüberlieferung ist also kein Indiz dafür, dass societas auf Ulpian zurückgeht. Vielmehr könnte der Jurist sodalicium oder sodales geschrieben haben, während das societas des Digestentextes eine Interpolation der Kompilatoren wäre.46 Die Erwähnung des actor lässt den Ursprung der Möglichkeit erkennen, durch einen Dritten die bonorum possessio zu beantragen. Da sie durch prätorisches Dekret erteilt wird,47 ist die Antragstellung eine Prozesshandlung, die der actor einer Gemeinde oder einer privaten Personenvereinigung als Prozessvertreter vornehmen kann.48 Im allgemeinen Recht ist ferner der Antrag eines Dritten zugelassen, wenn dessen Antragstellung nachträglich genehmigt wird.49 Aus ­diesem Grund genügt es nach Ulpian, wenn der quis alius, der nicht zum actor der Körperschaft bestellt ist,50 für diese den Nachlassbesitz beantragt. 40 Lenel, EP, 342. 41 Fleckner, Kapitalvereinigungen, 404 f.; vgl. Albanese, Persone, 566 Fn. 54. 42 B. 40.1.3 (Sch. A V 1784 f.; Hb. IV 51). 43 Schol. Καὶ πόλεις ad B. 40.1.3 (Sch. B VI 2355; Hb. IV 51). 44 Hb. VI 308. 45 Siehe oben III. Kap., Fn. 18. 46 Zur Ätiologie dieser Interpolation vgl. oben I. Kap., § 2 I.1. 47 Voci, DER2 I, 606 f.; Kaser, RP I, 719. 48 TH2 A3 (Herculaneum, Latium et Campania, 8./14. Oktober 43) überliefert den Antrag eines procurator auf Erteilung der bonorum possessio secundum tabulas; Camodeca, TH I, 92. 49 D. 37.1.3.7 (Ulp. 39 ed.); ebenso D. 46.8.24 pr. (Afr. 5 quaest.); D. 29.2.48 (Paul. 1 man.). Zur Antragstellung durch Dritte Voci, DER2 I, 641; Kaser, RP I, 264. 50 Voci, DER2 I, 657 Fn. 153; Arcaria, Senatus censuit, 304 f.

Der Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten durch Universalsukzession

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Wenn Ulpian in D. 38.3.1.1 die Antragstellung per alium zulässt, wird daher ihr Charakter als Prozesshandlung – neben der Analogie zu den beiden Senatsbeschlüssen – eine Rolle gespielt haben, das Problem der fehlenden Handlungsfähigkeit zu überspielen. D. 37.1.3.4 enthält allerdings keine Aussagen dazu, in w ­ elchen Fällen Vereinen der Nachlassbesitz zusteht. Aufgrund ihrer Parallelisierung mit Gemeinden ist es jedoch wahrscheinlich, dass Vereine – wie die Gemeinden – die bonorum possessio nach ihren Freigelassenen beantragen können.51 Ob dies auf einer Intervention des Normgebers beruht, muss – wie bei den Gemeinden – offen bleiben.

III. Das Universalfideikommiss Ob zugunsten von Vereinen ein Universalfideikommiss ausgesetzt werden kann, ist nicht überliefert.52 Für Gemeinden legt ein besonderer Senatsbeschluss fest, dass sie Universalfideikommisse erwerben können.53 Vereine können jedoch als Erben zur Restitution einer Erbschaft kraft eines Universalfideikommisses verpflichtet sein: D. 36.1.1.15 (Ulp. 3 fideic.) Si autem collegium vel corpus sit, quod rogatum est restituere decreto eorum , qui sunt in collegio vel corpore, in singulis inspecta eorum persona restitutionem valere: nec enim ipse sibi videtur quis horum restituere.

Wenn aber einem Verein oder einer körperschaftlichen Organisation aufgegeben worden ist, [eine Erbschaft] durch einen Beschluss an einen von denen herauszugeben, die im Verein oder in der körperschaftlichen Organisation sind, ist die Herausgabe wirksam, weil sie im Hinblick auf sie als Einzelpersonen erfolgt. Niemand von ihnen scheint nämlich an sich selbst herauszugeben.

Ein Verein (collegium vel corpus) soll kraft Universalfideikommisses eine Erbschaft herausgeben. Die Digestenhandschriften enthalten keine Angabe, wer Begünstigter des Universalfideikommisses ist. Daher hat Mommsen cui aus dem Tipucitus ergänzt 54:

51 Ebenso Mitteis, RP I, 402; Eliachevitch, Personnalité juridique, 285; De Robertis, Storia II,

370; Albanese, Persone, 571 mit Fn. 86; Groten, Corpus und universitas, 328 f.

52 Siehe nur Voci, DER2 I, 423. 53 D. 36.4.12 (Maec. 12 fideic.); D. 38.3.1.1 (Ulp. 49 ed.); UE 22.5. Im Falle der civitat[es], quae sub

imperio populi Romani sunt, handelt es sich um das senatus consultum Apronianum; D. 36.1.27 (Paul. sing. sen. cons.). Für eine Unterscheidung der Senatsbeschlüsse zurecht Nörr, SZ 127 (2010), 53 (61 Fn. 44). 54 Ed. mai. II, 227 mit App. zu Z. 17. Zur Eignung des Tipucitus für die Restitution eines fehlenden Basilikentextes siehe oben II. Kap., Fn. 350.

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Der erbrechtliche Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten

Tip. 35.11.1 Καὶ περὶ τοῦ ἐὰν συνέδ(ριον) ἢ σωματεῖον ἀξιωθ(ῇ) ἀποκαταστῆσαι ἑνὶ τῶν τοῦ σωματείου.

Darüber, wenn einer Vereinigung oder einer körperschaftlichen [Organisation] aufgeben worden ist, [eine Erbschaft] an einen aus der körperschaftlichen [Organisation] herauszugegeben.

Begünstigter ist also ein Mitglied des Vereins, der mit dem Universalfideikommiss belastet ist. Die Herausgabe geschieht durch einen Beschluss der Mitglieder. Sie ist wirksam, wenn das Abstimmungsverhalten der Mitglieder als Handlungen von Einzelpersonen betrachtet wird (in singulis inspecta eorum persona), weil dann keiner die Herausgabe der Erbschaft an sich selbst beschließt. Kontext des Ulpian-Textes ist die Frage, ­welche Art von Restitutionshandlung genügt, um die Klagen für und gegen den Erblasser vom Erben wirksam auf den Universalfideikommissar übergehen zu lassen.55 Die Restitution erfolgt formfrei; die Klagen gehen auch dann über, wenn nicht der Erbe selbst, sondern ein Dritter die Restitution vornimmt oder der Universalfideikommissar die Erbschaft in Besitz nimmt, solange dies jeweils mit dem Willen des Erben geschieht.56 Wegen dieser geringen Anforderungen an die Restitutionshandlung kann sie durch decretum der Vereinsmitglieder erfolgen.57 Dann stellt sich jedoch das Problem, dass das Mitglied, dem die Erbschaft herausgegeben werden soll, auch Mitglied des Vereins ist und an dem decretum mitwirkt. Ein solches Insichgeschäft ist jedoch für einen Klagenübergang nach dem senatus consultum Trebellianum schädlich, wie die beiden vorangehenden Paragraphen zeigen: Wenn ein Mündel die Erbschaft an seinen Vormund herausgeben soll, kann dieser nicht wirksam die erforderliche auctoritas tutoris erteilen, weil er dann in rem suam auctor wäre.58 Seinem curator kann der Minderjährige dagegen wirksam die Erbschaft restituieren, weil er dazu nicht der auctoritas des curator bedarf.59 Ulpian vermeidet das Insichgeschäft dadurch, dass er die mitwirkenden Personen als singuli betrachtet. Als Ergebnis dieser Betrachtung hält er fest: nec enim ipse sibi videtur quis horum restituere. Im Vergleichsfall des Vormunds in § 13 liegt die unzulässige Mitwirkung darin, dass der Vormund seine auctoritas zur Restitutionshandlung des Mündels erteilt. Die auctoritas tutoris ist also notwendig für 55 D. 36.1.1.8 – 15 (Ulp. 3 fideic.); vgl. Lenel, Pal. II, Sp. 910. Fernliegend ist es daher anzunehmen, 56 57 58 59

der Verein habe die Person des Universalfideikommissars selbst aus seiner Mitte heraus frei bestimmen können; dies erwägt aber Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 226. D. 36.1.38 pr. (Ulp. 16 ed.). Voci, DER2 II, 359 f. Vorsichtig in diese Richtung Mitteis, RP I, 403 Fn. 49. D. 36.1.1.13 (Ulp. 3 fideic.); vgl. D. 36.1.38.1 (Ulp. 16 ed.). D. 36.1.1.14 (Ulp. 3 fideic.).

Der Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten durch Vermächtnis

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die Wirksamkeit der Handlung des Mündels. Die Betrachtung des collegium als singuli führt dazu, dass die Mitwirkung des Universalfideikommissars nicht mehr als notwendig für die Wirksamkeit des decretum erscheint. Notwendig wäre sie nach Auffassung des Juristen offenbar, wenn bei der Mitwirkung am Beschluss nicht die singuli, sondern das collegium in den Blick genommen werden, denn dann würde die Stimme des Universalfideikommissars notwendiger Bestandteil des Abstimmungsergebnisses sein. Betrachtet man jedoch die Stimmen der einzelnen Mitglieder als singuli, ergibt sich eine Mehrheit bei der Abstimmung, ohne dass es auf die Stimme des Universalfideikommissars ankommt. Dessen Stimme erscheint nicht mehr als notwendig für den Beschluss des decretum, ähnlich wie die Mitwirkung des curator adolescentis in § 14 nicht notwendig für die Restitutionshandlung des Minderjährigen ist. Obwohl also der Verein kraft letztwilliger Verfügung zur Herausgabe der Erbschaft verpflichtet ist,60 stellt Ulpian bei der Erfüllung dieser Verpflichtung auf die einzelnen Mitglieder als singuli ab, um eine Unwirksamkeit des Klagenübergangs wegen eines Insichgeschäfts zu vermeiden. Auch wenn Ulpian die Verbindlichkeit einer universitas kennt,61 betrachtet er die einzelnen Mitglieder, wenn es um die Frage einer wirksamen Restitutionshandlung gemäß dem senatus consultum Trebellianum geht. Im Vordergrund steht die Suche nach einem Argument, warum kein unzulässiges Insichgeschäft vorliegt. Die Analyse, wer Schuldner aus dem Universalfideikommiss ist, tritt demgegenüber zurück.

§ 2

Der Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten durch Vermächtnis

I. Das Legat Vereine können Forderungen als Begünstigte eines Legats, also eines förmlichen Vermächtnisses erlangen. Dies ist allerdings erst seit einem Senatsbeschluss aus der Zeit der Alleinherrschaft Mark Aurels – also nach Anfang 169 – möglich:

60 De Robertis, Storia II , 377 f.; zurückhaltend Mitteis, RP I, 403 Fn. 49. Dagegen nimmt

Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 225 an, Schuldner s­ eien die singuli. Er übersieht jedoch, dass die Betrachtung der singuli im Zusammenhang mit dem Verbot des Insichgeschäfts steht und keine Aussage über die Person des Schuldners des Universalfideikommisses trifft. 61 D. 3.4.7.1 (Ulp. 10 ed.); dazu unten VII. Kap., § 1.

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Der erbrechtliche Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten

D. 34.5.20 (Paul. 12 Plaut.) Cum senatus temporibus divi Marci permiserit collegiis legare, nulla dubitatio est, quod, si corpori cui licet coire legatum sit, debeatur: cui autem non licet si legetur, non valebit, nisi singulis legetur: hi enim non quasi collegium, sed quasi certi homines admittentur ad legatum.

Da der Senat zur Zeit des vergöttlichten Markus gestattete, Legate an Vereine auszusetzen, besteht kein Zweifel, dass eine Schuld besteht, wenn einer körperschaftlichen Organisation, der es gestattet ist, sich zu versammeln, ein Legat ausgesetzt wird. Wird aber einer, der dies nicht gestattet ist, ein Legat ausgesetzt, wird es nicht wirksam sein, es sei denn, das Legat ist den Einzelnen ausgesetzt. Diese werden nämlich nicht als Verein, sondern als bestimmt [bezeichnete] Menschen zum [Erwerb des] Legats zugelassen.

Inhalt des senatus consultum ist die Erlaubnis, Legate zugunsten von collegia auszusetzen. Paulus folgert daraus, dass ein Legat an ein erlaubtes corpus geschuldet wird, während ein Legat zugunsten eines nicht erlaubten Vereins unwirksam ist. An dieser Unterscheidung besteht zwar laut dem Juristen kein Zweifel (nulla dubitatio), doch wird deutlich, dass sie nicht auf den Senatsbeschluss selbst zurückgeht, sondern auf dessen Interpretation.62 Allerdings schließt diese Auslegung nicht aus, dass mehrere Einzelpersonen (singul[i]) Legatare sein können, auch wenn sie alle Mitglieder eines Vereins ohne Erlaubnis sind. Als einzelne, hinreichend bestimmte Personen (quasi certi homines) können sie ein Legat erwerben, selbst wenn ihnen ein Erwerb als Verein (quasi collegium) verwehrt ist. Diese Unterscheidung lässt erkennen, dass Paulus im collegium die Gesamtheit seiner Mitglieder sieht, nicht dagegen einen von seinen Mitgliedern verselbständigten Rechtsträger. Voraussetzung für die Einsetzung als Einzelpersonen ist jedoch, dass diese hinreichend genau bestimmt sind (certi homines).63 Damit knüpft Paulus an die Kategorie der incerta persona an, der ein Erwerb kraft Legats verwehrt ist.64 Wie gesehen,65 operiert Pomponius nach dem Zeugnis des Papyrus Hauniensis mit ­diesem Konzept im Zusammenhang mit der Legatsfähigkeit von municipia und coloniae, auch wenn außer Frage steht, dass diese schon immer legatsfähig gewesen sind.66 Lediglich den peregrinen civitates sub 62 Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 230; v. Lübtow, Mem. Koschaker II, 467 (478 f.); De Robertis, Storia II, 365; Signorini, De rebus dubiis, 81. Für eine Beschränkung auf die erlaubten Vereine schon im Senatsbeschluss selbst Waltzing II, 463; Mommsen, Ges. Schr. III, 53 (67); Kornemann, s. v. collegium, RE 4.1, Sp. 434; Eliachevitch, Personnalité juridique, 286; Arcaria, Senatus censuit, 265 – 267; Groten, Corpus und universitas, 166; skeptisch Mitteis, RP I, 399. 63 Erforderlich wird die namentliche Nennung der einzelnen Legatare sein; Eliachevitch, Personnalité juridique, 288; De Robertis, Storia II, 365; vgl. Signorini, De rebus dubiis, 83. 64 Gai. 2.238. 65 Siehe oben IV. Kap., § 1 I.2. 66 Vgl. Gai. 2.195. Mitteis, RP I, 377; Voci, DER2 I, 421; Johnston JRS 75 (1985), 105 (107 f.); Nörr, SZ 127 (2010), 53 (59, 61); Nasti, Papyrus Hauniensis II.1, 70 f.

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imperio Romano ist die Legatsfähigkeit durch senatus consultum gesondert verliehen worden.67 Offenbar greift Pomponius dennoch auf die Kategorie der incerta persona zurück und diskutiert, inwiefern sie auf municipia und coloniae Anwendung findet, wenngleich der fragmentarisch überlieferte Papyrus Details nicht erkennen lässt. Wenn Paulus in D. 34.5.20 von certi homines spricht, greift auch er auf die dogmatische Kategorie der incerta persona zurück, um die Legatsfähigkeit von privaten Personenvereinigungen zu diskutieren.68 Der Senatsbeschluss aus der Zeit Mark Aurels überwindet die dogmatischen Bedenken, die gegen eine Legatsfähigkeit von Vereinen sprechen. Erst mit der ausdrücklichen Verleihung der Legatsfähigkeit an die collegia kann die Wirksamkeit von ­Legaten zugunsten der collegia nicht mehr von der juristischen Fachdiskussion in Zweifel gezogen werden.69 Allerdings greift Paulus den Begriff der certi homines erneut auf, nachdem er den Anwendungsbereich des senatus consultum auf erlaubte Vereine eingeschränkt hat. Ob hierbei rechtspolitische Erwägungen für den Juristen den Ausschlag gegeben haben,70 erlaubt die Quelle nicht zu beurteilen. Die praktische Relevanz dieser Einschränkung erscheint freilich zweifelhaft, weil seit Hadrian eine allgemeine Erlaubnis für collegia tenuiorum besteht 71 und weil daher zur Zeit des Paulus eine große Zahl von Vereinen zu den corpor[a] cui licet coire gezählt haben werden. Doch zeigt die Zusammenschau von Paulusfragment und Papyrus Hauniensis, wie stark der Begriff der incerta persona die Diskussion über die Legatsfähigkeit von Körperschaften prägt. Ohne ein Eingreifen des Normgebers wäre es collegia wahrscheinlich nicht möglich, durch förmliches Legat zu erwerben.

II. Das Fideikommiss 1. Die Fähigkeit zum Erwerb von Fideikommissen

Nach dem Bericht des Gaius gelten die Beschränkungen für incertae personae ursprünglich nicht bei Fideikommissen: 67 UE 24.28. Mitteis, RP I, 377 f.; Avenarius, Liber singularis regularum, 470 f.; Nörr, SZ 127 (2010), 53 (59, 61 mit Fn. 42); Nasti, Papyrus Hauniensis II.1, 70 f. 68 Signorini, De rebus dubiis, 84; vgl. Voci, DER2 I, 414 Fn. 57; Nörr, SZ 127 (2010), 53 (62 Fn. 50).

Dagegen Arcaria, Senatus censuit, 266.

69 Signorini, De rebus dubiis, 84. 70 So Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 230. 71 Siehe oben I. Kap., § 2 II.2.

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Gai. 2.287 Item olim incertae personae […] per fideicommissum relinqui poterat, quamvis neque heres institui neque legari ei posset. Sed senatus consulto, quod auctore divo Hadriano factum est, idem in fideicommissis, quod in legatis hereditatibusque constitutum est.

Ebenso konnte früher einer unbestimmt [bezeichneten] Person […] etwas durch Fideikommiss hinterlassen werden, obwohl sie weder zum Erben eingesetzt noch ihr ein Legat ausgesetzt werden konnte. Aber durch einen Senatsbeschluss, der auf Veranlassung des vergöttlichten Hadrian gefasst wurde, wurde dasselbe für Fideikommisse festgesetzt, was für Legate und Erbschaften gilt.

Einst (olim) konnten zugunsten von incertae personae Fideikommisse hinterlassen werden. Gaius stellt dem die Unfähigkeit zum Erwerb von ziviler Erbenstellung und Legaten gegenüber. Die geringere Formstrenge des Fideikommissrechts ist offenbar geeignet, die Anforderungen an die Bestimmtheit erbrechtlicher Zuwendungen zu überwinden.72 Allerdings ist diese Rechtslage durch ein senatus consultum in der Regierungszeit Hadrians geändert worden, sodass für Fideikommisse dieselben Anforderungen an die Bestimmtheit der Person des Bedachten gelten wie bei der Erbeinsetzung und förmlichen Legaten.73 Zur Fähigkeit von Vereinen zum Erwerb von Fideikommissen sagt die Quelle unmittelbar nichts. Wie gesehen, fallen sie wahrscheinlich jedoch unter die Kategorie der incertae personae.74 Daher können sie wohl ursprünglich durch Fideikommiss bedacht werden.75 Offen ist allerdings die Frage, ob sie infolge des hadrianischen senatus consultum die Erwerbsfähigkeit verloren haben, bis ihnen unter Mark Aurel durch einen weiteren Senatsbeschluss die Legatsfähig­keit ausdrücklich verliehen worden ist.76 Die Passage aus den gaianischen Institutionen scheint auf den ersten Blick hierfür zu sprechen. Doch ergibt die Urkundenpraxis ein anderes Bild.77 Maßgebend können dafür allein die erhaltenen Testamentsauszüge (capita ex testamento) sein, da nur sie den genauen Wortlaut der Klauseln wiedergeben und dadurch erlauben, die Vermächtnisse eindeutig als Legat oder Fideikommiss zu klassifizieren. Soweit Augustalen oder Vereine begünstigt werden, handelt es sich stets um Fideikommisse.78 Während die Fideikommisse zugunsten der collegia nur grob datiert 72 Vgl. Amelotti, Testamento, 131. 73 Voci, DER2 I, 430; Grosso, Leg., 191; Johnston, Trusts, 36 f. 74 Siehe oben IV. Kap., § 1 I.2. 75 Kornemann, s. v. collegium, RE 4.1, Sp. 434; vgl. Waltzing II, 464; Mitteis, RP I, 399 Fn. 29.

Dagegen Eliachevitch, Personnalité juridique, 288 f.

76 Siehe oben IV. Kap., § 2 I. 77 Kornemann, s. v. collegium, RE 4.1, Sp. 434 f.; Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 331 f.;

Duff, Personality, 154 Fn. 4; Eliachevitch, Personnalité juridique, 286.

78 Fideikommisse zugunsten von Vereinen: CIL VI 9626 = ILS 7267 = FIRA 2 III 45, Z. 3 – 6

(Roma, 2. Hälfte 1. Jhd.–2. Jhd.): quitquit ex corpore mensorum / machinariorum f­ uneratici

Der Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten durch Vermächtnis

241

werden können,79 entstammen diejenigen zugunsten von Augustalen aus der Regierungszeit des Antoninus Pius,80 also aus genau der Zeit, in der nach Gaius Fideikommisse an incertae personae unzulässig waren. Zwei alternative Erklärungen d ­ ieses Befunds sind denkbar. Zum einen könnte die Kautelarpraxis den hadrianischen Senatsbeschluss schlicht ignoriert haben. Es könnte sich um einen in der Praxis gescheiterten Regulierungsversuch handeln, den das senatus consultum unter Mark Aurel korrigiert hätte. Wegen der hohen Technizität der Testamentsklauseln, die aus der Regierungszeit des Anto­ ninus Pius stammen, ist es allerdings kaum wahrscheinlich, dass die beteiligten Kautelarjuristen einfach über eine fehlende Fähigkeit zum Erwerb kraft Fideikommisses hinweggegangen wären. Wahrscheinlicher ist daher eine andere Erklärung. Der Senatsbeschluss unter Hadrian könnte ausdrücklich private Personenvereinigungen von seinem Anwendungsbereich ausgenommen haben. Der Gaius-Text schließt eine s­ olche Annahme nicht aus, weil der Jurist in den Institutionen nicht von den privaten Personenvereinigungen handelt. Daher würde es nicht überraschen, wenn er das senatus consultum nur insoweit wiedergibt, wie es für seine didaktische Darstellung erforderlich ist, und deshalb eine besondere Regelung zu collegia unerwähnt lässt. Eine Schließung dieser Lücke durch die in den Digesten überlieferte Juristenliteratur zu erwarten, wäre verfehlt. Die Kompilatoren konnten sich darauf beschränken, den Text des Paulus zur Legatsfähigkeit aufzunehmen. Infolge der Angleichung von Legaten und Fideikommissen im justinianischen Recht 81 genügte die Aufnahme des Paulus-Textes in die Digesten, um klarzustellen, dass collegia durch erbrechtliche Einzelzuwendung erwerben können. Eine detaillierte Darstellung der historischen Entwicklung hätte dem kaiserlichen Auftrag an die Kompilatoren widersprochen,82 zumal Justinian selbst das

79 80 81 82

nomi/ne sequetur reliqu(u)m penes r(em) p(ublicam) s(upra) s(criptam) / remanere v o l o  […]; CIL XI 6520 = ILS 6647, Z. 3 – 7 (Sassina, Umbria, 2. Jhd.): collegi(i)s dendropho/rorum fabrum cento/nariorum munic(ipii) Sassi(natis) / HS sena milia n(ummum) d a r i   / v o l o  […]. Fideikommisse zugunsten von Augustalenkörperschaften: AE 2000, 344b, Z. 27 (Misenum, Latium et Campania, 144): d a r i v o l o Augustalibus corporatis HS X m(ilia) n(ummum); ILS 6468 = AE 1894, 148, in latere dextero, Z. 10 (Petelia, Bruttium et Lucania, 138 – 161): […] Item Augustalibus eadem condicione X CL d a r i v o l o ; CIL X 114 = ILS 6469, in latere dextero, Z. 1 – 2 (Petelia, Bruttium et Lucania, 138 – 161): [A v]obis autem Augustales p e t o hanc voluntatem / meam ratam habeatis […]. CIL VI 9626 = ILS 7267 = FIRA2 III 45 (2. Hälfte 1. Jhd.–2. Jhd.); CIL XI 6520 = ILS 6647 (2. Jhd.). AE 2000, 344b (144); ILS 6468 = AE 1894, 148 (138 – 161); CIL X 114 = ILS 6469 (138 – 161). Siehe nur Kaser, RP II, 552 f. Vgl. c. Deo auctore §§ 4, 7 – 8 (Iust., a. 530); c. Tanta § 10 (Iust., a. 533).

242

Der erbrechtliche Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten

Recht der testamentarischen Zuwendung zugunsten von incertae personae neu geordnet hat.83 Zudem spricht das ebenfalls auf Initiative Hadrians gefasste senatus consultum de collegiis tenuiorum dafür, dass dieser K ­ aiser eine weniger restriktive Politik mit Blick auf Vereine betrieben hat.84 Dazu passt keine Maßnahme, die den collegia die seit dem frühen Prinzipat bestehende Möglichkeit nimmt, durch Fideikommiss bedacht zu werden. Daher ist es wahrscheinlicher, dass das hadrianische senatus consultum eine Ausnahme zugunsten von Personenvereinigungen enthält, von der Gaius jedoch wegen seines spezifisch didaktischen Interesses nichts berichtet und von der auch sonst nichts überliefert ist. Sieht man von dem Zeitraum ­zwischen den beiden Senatsbeschlüssen ab, ergibt sich ein sehr klares Bild. Vereine können von Anfang an mit einem Fideikommiss bedacht werden. Bis zur Regierungszeit Mark Aurels ist dies die einzige Möglichkeit, eine testamentarische Stiftung zugunsten eines Vereins zu errichten. Die Kautelarpraxis greift während des gesamten 2. Jahrhunderts auf ­dieses Rechtsinstitut zurück. Soweit es die Quellen erkennen lassen, werden Vereine nie mit Legaten bedacht. Die Praxis scheint das Fideikommiss klar bevorzugt zu haben. Auf diese Weise können private Personenvereinigungen über die gesamte Kaiserzeit hinweg durch Vermächtnis erwerben und dadurch die Stellung eines Gläubigers erlangen. 2. Die Auslegung von Auflagen bei Stiftungen von Todes wegen als Fideikommiss

Bei den Stiftungen von Todes wegen handelt es sich um Vermächtnisse unter Auflagen. Die Vollziehung der Auflage wird grundsätzlich indirekt durch Stipulation gesichert; nur aus dieser kann geklagt werden, um die Vollziehung des Stiftungszwecks durchzusetzen, nicht dagegen aus der testamentarischen Auflage selbst.85 Anders ist dies, wenn Testamentsklauseln, die eine Auflage enthalten, als Fideikommiss ausgelegt werden können. Statt eines Modallegats liegt dann ein Hauptvermächtnis vor, dessen Empfänger mit einem Unterfideikommiss belastet ist, das inhaltlich mit der Auflage des Modallegats identisch ist.86 Zur gerichtlichen Durchsetzbarkeit der Auflage bedarf es keiner cautio mehr.87 Da die Auflage als Unterfideikommiss aufgefasst wird, kann der Erbe mit der petitio fideicommissaria gegen den Zuwendungsempfänger vorgehen und die 83 C. 6.48.1 (Iust., a. 528 – 529); vgl. die Darstellung hiervon in I. 2.20.25 – 27, die gerade nicht

dem gaianischen Vorbild folgt.

84 Siehe dazu oben I. Kap., § 2 II. 85 Ausführlich siehe oben II. Kap., § 2 II.2.a) (1). 86 Voci, DER2 II, 624; Johnston, Trusts, 240. 87 Johnston, Trusts, 240.

Der Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten durch Vermächtnis

243

­ ollziehung der Auflage im Wege der cognitio vor dem praetor fideicommissaV rius bzw. dem Statthalter erzwingen.88 Ferner ist es denkbar, dass die von der Auflage Begünstigten aus Fideikommiss auf Vollziehung der Auflage klagen.89 Indes ist es nicht ohne weiteres möglich, eine Auflage als Fideikommiss aufzufassen. Zu dessen Begründung bedarf es grundsätzlich sog. verba precativa wie fidei committo, rogo, peto, dari volo oder schlicht volo.90 Die typischen Formeln für Auflagen dagegen sind ut, ita ut, die Präpositionen in oder ad, der Ausdruck ex reditu oder die untechnisch gebrauchte Bezeichnung condicio.91 Allerdings gibt es keinen numerus clausus der verba precativa, die zur Begründung eines Fideikommisses führen. Nicht zuletzt durch das Kaiserrecht, v. a. durch die Gesetzgebung Mark Aurels, haben vielfältige Ausdrücke Anerkennung als verba precativa gefunden und sind mithin geeignet, ein Fideikommiss zu begründen.92 Der Jurist Scaevola nimmt darüber hinaus selbst dann Fideikommisse an, wenn ein Vorteil lediglich indirekt einer anderen Person zugewiesen wird.93 Einen gewissen Schlusspunkt unter diese Entwicklung stellt eine Konsti­ tution des Kaisers Gordian aus dem Jahr 240 dar: C. 6.45.2 pr.–1 (Gord., a. 240) Ex his verbis: ‘Titio decem millia vel insulam relinquo, ita ut quinque millia ex his vel eandem insulam Mevio restituat’, licet antea neque legati neque fideicommissi petitio nascebatur, tamen in libertate a divo Severo hoc admissum est.

Wenn auch früher aus den Worten: ‘Ich hinterlasse dem Titius zehntausend oder eine insula, damit er davon fünftausend oder dieselbe insula dem Mevius herausgibt’, eine Klage weder aus Legat noch aus Fideikommiss entstand, wurde dies bei Freilassungen vom vergöttlichten Severus zugelassen.

1. Sed in pecuniariis causis voluntatis tuendae gratia non immerito recipiendum est, ut etiam ex huiusmodi verbis, sive ad condicionem sive ad modum respiciunt, sive ad dandum vel faciendum aliquid, fideicommissi actio omnifariam nascatur, videlicet in condicionibus post exitum earum.

Aber zurecht muss in Fällen, die Geld betreffen, zum Schutz des Willens [des Erblassers] anerkannt werden, dass auch aus derartigen Worten, gleichermaßen, ob sie sich auf eine Bedingung oder eine Auflage, auf eine Übereignung oder eine Tätigkeit beziehen, die Klage aus Fideikommiss in jedem Fall entsteht, wie bei Bedingungen nach Eintritt ihres Erfolgs.

88 Vgl. Gai. 2.278; UE 25.12. Zum zuständigen Rechtsprechungsorgan zuletzt Babusiaux, SZ 136

(2019), 140 (145 – 148).

89 Légier, RHD4 38 (1960), 353 (372 f.); Voci, DER2 II, 624; Johnston, Trusts, 240. Problematisch ist dies allerdings, wenn die Begünstigten incertae personae sind; siehe hierzu oben IV. Kap., § 2 II.1. 90 Vgl. die Beispiele bei Gai. 2.249; UE 25.1 – 2; PS 4.1.6. 91 Bruck, Kulturgeschichte, 46 (70 Fn. 4); Amelotti, Testamento, 137. 92 D. 32.39 pr. (Scaev. 20 dig.); D. 31.67.10 (Pap. 19 quaest.). Di Salvo, Legato modale, 257 f.;

Johnston, Trusts, 158 – 169.

93 D. 31.88.16 (Scaev. 3 resp.); D. 32.40.1 (Scaev. 21 dig.). Di Salvo, Legato modale, 241; Johnston,

Trusts, 173 – 176.

244

Der erbrechtliche Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten

Das principium berichtet, dass bereits Septimius Severus für die Auflage, einen Sklaven freizulassen, anerkannt hat, dass sie klageweise durchsetzbar ist.94 In § 1 dehnt Gordian die Klagbarkeit auf sämtliche pecuniariae causae aus und gewährt eine fideicommissi actio.95 Freilich finden sich Texte von Juristen, die vor der Regentschaft Gordians gewirkt haben und in denen Auflagen bereits als Fideikommisse ausgelegt werden.96 Ausführlich nimmt zu dieser Frage Ulpian im 2. Buch seiner libri de fideicommissis Stellung: D. 32.11.23 – 25 (Ulp. 2 fideic.) 23. Si in opere civitatis faciendo aliquid relictum sit, unumquemque here­dem in solidum teneri divus Marcus et Lucius Verus Proculae rescripserunt: tempus tamen cohe­re­di praestituerunt, intra quod mittat ad opus faciendum, post quod solam Proculam voluerunt facere imputaturam coheredi sum­ ptum pro parte eius.

Wenn einer Gemeinde etwas zur Errichtung eines Gebäudes hinterlassen worden ist, antworteten die vergöttlichten Markus und Lucius Verus der Procula schriftlich, dass jeder Erbe auf das Ganze haftet. Dennoch räumten sie dem Miterben eine Frist ein, innerhalb derer er die Errichtung des Gebäudes veranlassen soll. Danach wollten sie, dass allein Procula die Errichtung vornimmt und ihren Aufwand dem Erben entsprechend seinem Anteil auferlegt.

24. Ergo et in statua et in servitute Daher antwortete der vergöttlichte Markus schriftlich ceterisque, quae divisionem non reci- dasselbe für Statuen, Dienstbarkeiten und sonstige piunt, idem divus Marcus rescripsit. Gegenstände, die sich nicht teilen lassen. 25. Si quis opus facere iussus paratus sit pecuniam dare rei publicae, ut ipsa faciat, cum testator per ipsum id fieri voluerit, non audietur: et ita divus Marcus rescripsit.

Wenn jemand, dem die Errichtung eines Gebäudes aufgegeben worden ist, bereit ist, der Gemeinde Geld zu zahlen, damit sie es selbst errichtet, wird er nicht gehört werden, wenn der Erblasser wollte, dass es durch ihn selbst geschieht. Und so hat der vergöttlichte Markus entschieden.

Ausgangsfall des § 23 ist eine Zuwendung von Todes wegen (relictum), aus der die Errichtung eines Gebäudes für eine Gemeinde bestritten werden soll. Da die Passage den libri de fideicommissis entstammt, ist davon auszugehen, dass es sich um ein Fideikommiss handelt.97 Im Folgenden berichtet Ulpian von mehreren Reskripten Mark Aurels, von denen das erste noch zusammen mit seinem Mitregenten Lucius Verus erlassen worden ist. Entscheidend ist das letzte Reskript, das in § 25 erwähnt wird. Der Fideikommissar, dem die 94 Pernice, Labeo III.1, 38 f.; Grosso, Leg., 467; Voci, DER2 II, 626 – 628; Di Salvo, Legato modale,

247; Johnston, Trusts, 241.

95 Pernice, Labeo III.1, 39; Légier, RHD4 38 (1960), 353 (373); Voci, DER2 II, 627; Di Salvo, Legato

modale, 247; Johnston, Trusts, 248.

96 So D. 31.88.12, 14 (Scaev. 3 resp.); D. 34.1.13 pr. (Scaev. 4 resp.). Für die Echtheit Mitteis, RP I, 196 Fn. 5; Grosso, Leg., 466; Di Salvo, Legato modale, 248 – 265; Johnston, Trusts, 248 f. Ablehnend dagegen Voci, DER2 II, 808 f. Fn. 10. 97 Di Salvo, Legato modale, 201 – 203; Johnston, Trusts, 247.

Der Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten durch Vermächtnis

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­ rrichtung des Gebäudes auferlegt ist, will der Gemeinde die Kosten der ErrichE tung bezahlen. Der Erblasser dagegen wollte, dass der Fideikommissar selbst die Errichtung übernimmt. Mark Aurel hat durch Reskript entschieden, dass der Fideikommissar nicht gehört werden soll. Iussus könnte sich auf die Testamentsklausel beziehen; wahrscheinlicher allerdings ist, dass es sich um ein vollstreckungsrechtliches iussum handelt, das dem Fideikommissar befiehlt, die Auflage selbst zu erfüllen.98 Freilich widerspricht d ­ ieses Reskript Mark Aurels der Chronologie, die Gordian im principium seiner Konstitution entwirft, wonach erstmals Septimius Severus eine Auflage als Fideikommiss für durchsetzbar erklärt habe. Nicht zuletzt deshalb ist an der Echtheit des Textes Ulpians gezweifelt worden.99 Allerdings stellen die kaiserlichen Reskripte ebenso wie die juristische Literatur lediglich eine Reaktion auf eine Kautelarpraxis dar, die im gesamten 2. Jahrhundert n. Chr. Auflage und Fideikommiss miteinander verbindet. Ein besonders eindrückliches Zeugnis dafür ist ein Auszug aus dem Testament des M.’ Megonius Leo aus Petelia: CIL X 114 = ILS 6469 (Petelia, Bruttium et Lucania, 138 – 161)

(in latere dextero) Kaput ex testamento. / Hoc amplius rei p(ublicae) Petelinorum dari volo / HS X (milia) n(ummum) item vineam Caedicianam cum / parte{m} fundi Pompeiani ita uti optima maxi/5maq(ue) sunt finibus suis qua mea fuerunt.

Klausel aus dem Testament. Darüber hinaus will ich, dass dem Gemeinwesen der Petelini 10.000 Sesterze gegeben werden, außerdem den Caedicinischen Weinberg mit einem Teil des Pompeianischen Grundstücks derart, dass er am besten und größten ist, in den Grenzen, in denen er mir gehört hat.

(I) Volo au/tem ex usuris semissibus HS X (milium) n(ummum) comparari Augus/talium loci n(ostri) ad instrumentum tricliniorum du/um, quod eis me vibo tradidi, candelabra et lucerna[s] / bilychnes arbitrio Augustalium, quo facilius strati[o]/10nibus publicis obire possint. Quod ipsum ad utilitate[m]  / rei p(ublicae) n(ostrae) pertinere existimavi facilius subituris onus Augu[s]/talitatis dum hoc commodum ante oculos habent. /

Ich will aber, dass aus [dem Ertrag] der sechsprozentigen Zinsen der 10.000 Sesterze für die Ausstattung der beiden triclinia der Augustalen unseres Ortes, die ich ihnen zu Lebzeiten gegeben habe, Leuchter und Lampen mit zwei Lichtern nach dem Ermessen der Augustalen gekauft werden, wodurch sie leichter öffentliche Bankette veranstalten können. Ich meinte, dass dies dem Nutzen unseres Gemeinwesens dient, weil die Last der Augustalität leichter übernommen wird, solange sie diesen Vorteil vor Augen haben.

98 Grosso, Leg., 470; Johnston, Trusts, 247; vgl. Pernice, Labeo III.1, 38. Zur Naturalvollstreckung bei Fideikommissen zuletzt Babusiaux, SZ 136 (2019), 140 (144, 156 – 158). Eine öffentlichrechtliche Zwangsmaßnahme nehmen dagegen an Voci, DER2 II, 622; Kaser, RP I, 260 mit

Fn. 83.

99 Di Salvo, Legato modale, 203 f.; nur zögernd für die Echtheit Mitteis, RP I, 198 Fn. 11.

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Der erbrechtliche Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten

(II) Ceterum autem temporum usura[s] semisse[s] HS X (milium) n(ummum) ad instr[u]/mentum Augustalium arbitrio ipsorum esse volo, qu[o] / 15 facilius munus meum perpetuum conservare possint. /

Ferner will ich, dass die sechsprozentigen Zinsen der 10.000 Sesterze aus [anderen] Zeiträumen zu Ausstattungszwecken nach dem eigenen Ermessen der Augustalen verwendet werden, wodurch sie leichter meine ewige Gabe bewahren können.

(III) Neque in alios usus usuras quas ita a re p(ublica) acceperint tra(ns)/ferri volo quam si necesse fuerit in pastinationem. / […]

Außerdem will ich nicht, dass sie die Zinsen, die sie derart vom Gemeinwesen erhalten haben, auf einen anderen Gebrauch übertragen, als für die Bearbeitung des Weinbergs notwendig ist. […]

(IV ) 27 […] Haec ita, ut cavi, fieri praes- Ich will, dass dies [alles] derart, wie ich bestimmt tariqu[e] / volo. habe, geschieht und geleistet wird. (V) Hoc amplius ab heredibus meis volo praestar[i] / rei p(ublicae) Petelinorum et a re p(ublica) Petelinorum corpori Au/30gustalium ex praedis ceteris meis palum ridica[m] / omnibus annis sufficiens pedaturae vineae / quam Augusta­ libus legavi.

Darüber hinaus will ich, dass von meinen Erben dem Gemeinwesen der Petelini und vom Gemeinwesen der Petelini der körperschaftlichen Organisation der Augustalen aus meinen übrigen Grundstücken alljährlich Weinpfähle geleistet werden, die für die Maße des Weinbergs ausreichend sind, den ich den Augustalen vermacht habe.

Es handelt sich um eine von insgesamt vier letztwilligen Stiftungen des Erblassers an die Gemeinde Petelia, von denen eine weitere ebenfalls mit dem zugehörigen caput ex testamento überliefert ist.100 Das Testament stammt aus der Regierungszeit des Antoninus Pius.101 Im vorliegenden Testamentsauszug überlässt der Erblasser der Gemeinde 10.000 Sesterze und einen Weinberg durch Fideikommiss, wie an den Worten dari volo (Z. 2) erkennbar ist.102 Darauf folgen insgesamt fünf ausführliche Auflagen, wie ­dieses Stiftungsvermögen genutzt werden soll: (I) Der Zinsertrag des Geldkapitals soll zum Kauf bestimmter Gegenstände für die Ausstattung der beiden triclinia der Augustalen verwendet werden, die Megonius Leo ihnen zu Lebzeiten übergeben hat (Z. 5 – 12). (II) Später sollen die Zinsen für Einrichtungsgegenstände nach dem arbitrium der Augustalen selbst verwendet werden (Z. 13 – 15). (III) Eine anderweitige Verwendung der Kapitalerträge ist untersagt (Z. 16 f.). In Z. 18 – 27 folgen erläuternde Ausführungen, wie die vinea Caediciana zu verwenden ist. Daran schließt sich wieder eine Klausel erbrechtlichen Inhalts an. 100 Die anderen Stiftungen sind in ILS 6468, 6470 und 6472 überliefert. Zu den Stiftungen des M.’ Megonius Leo Bossu, ZPE 45 (1982), 155 – 165; Magioncalda, Fondazioni testamentarie,

33 – 59.

101 Diese Datierung ergibt sich aus dem anderen überlieferten caput ex testamento ILS 6468. 102 Amelotti, Testamento, 21; Magioncalda, Fondazioni testamentarie, 42. Bei der Formulierung

vine[a] / quam Augustalibus legavi (Z. 31 f.) handelt es sich um einen untechnischen Gebrauch von legare; Amelotti, Testamento, 21 Fn. 3, 133 Fn. 1; Magioncalda, Fondazioni testamentarie, 46.

Der Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten durch Vermächtnis

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(IV ) In einer Generalklausel 103 wird die Einhaltung sämtlicher Stiftungsbestimmungen angeordnet (Z. 27 f.). (V) Abschließend wird dem Erben auferlegt, der Gemeinde Petelia jährlich Weinpfähle zu leisten, und der Gemeinde wiederum, diese den Augustalen zu leisten (Z. 28 – 32). Entscheidend ist, dass in sämtlichen Klauseln verba precativa verwendet werden. Die Klauseln lassen sich daher als Fideikommisse auslegen,104 während sie zugleich Regelungen enthalten, die typisch für Auflagen sind. Ähnliche Beispiele finden sich im gesamten Reich: für die Regierungszeit Mark Aurels in der Africa proconsularis 105 ebenso wie in Asia bereits für die Regenschaft Hadrians 106. Die Kautelarpraxis hat also im gesamten 2. Jahrhundert und in den Provinzen ebenso wie in Italien Formulierungen gewählt, bei denen Auflage und Fideikommiss ineinander übergehen. Daher ist es zulässig, Rückschlüsse auf die Auslegung von Auflagen als Fideikommisse durch die Juristen und das Kaiserrecht zu ziehen, auch wenn zwei Aspekte scheinbar zuerst Vorsicht gebieten. Erstens ist zu beachten, dass das Testament des Megonius Leo etwa zeitgleich zu demjenigen des Q. Cominius Abascantus aus Misenum ist, das eine mustergültige Stipulation zur Sicherung der Auflage überliefert.107 Indes könnten Anlass für die Auslegung von Auflagen als Fideikommisse in Reskripten oder Gutachten s­ olche Fälle sein, in denen die Stipulation unwirksam ist. Zweitens enthalten Testamentsklauseln wie diejenigen im Testament des Megonius Leo ausdrücklich verba precativa, während die Kaiserkonstitutionen und Juristenschriften zu d ­ iesem Thema gerade keine verba precativa erwähnen. Allerdings besteht funktional kein Unterschied ­zwischen Auflagen, die mit verba precativa formuliert sind, und solchen ohne. In beiden Fällen wird der Verwendungszweck der letztwilligen Zuwendung näher bestimmt. Juristen und kaiserliche Rechtssetzung werden aufgrund dieser funktionalen Gleichheit immer mehr davon abgesehen haben, ein Fideikommiss nur bei Vorliegen von verba precativa anzunehmen. Stattdessen setzen sie immer häufiger die Vollziehung von Auflagen im Wege des Fideikommissrechts durch, unabhängig von der genauen Formulierung der Auflage im Testament. 103 Johnston, Trusts, 211; vgl. Voci, DER2 II, 588. 104 Magioncalda, Fondazioni testamentarie, 43; vgl. Amelotti, Testamento, 21 Fn. 3. 105 CIL VIII 1641 = ILS 6818 = FIRA2 III 55b. Für eine Datierung auf 175 – 180 Magioncalda, Fon-

dazioni testamentarie, 62. Zur Art der testamentarischen Verfügung Amelotti, Testamento, 23; Magioncalda, Fondazioni testamentarie, 63. 106 CIL III 6998 = ILS 7196 = FIRA 2 III 53; hierzu Amelotti, Testamento, 36; Magioncalda, Fondazioni testamentarie, 142 f. 107 Siehe oben II. Kap., § 2 II.2.a).

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Der erbrechtliche Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten

Für die Auslegung als Fideikommiss könnte noch ein weiterer, prozessualer Gesichtspunkt sprechen. Wie die Stipulationsklausel aus Misenum zeigt, ist Schuldner aus der Stipulation eine Einzelperson, nicht die Körperschaft, ­welche die Trägerin der unselbständigen Stiftung ist.108 Der Erbe des Stifters kann daher nicht ex stipulatu gegen die Trägerin des Stiftungsvermögens vorgehen, wenn die Auflage nicht vollzogen und damit der Stiftungszweck nicht verfolgt wird. Ferner fehlt ihm jeder Rechtsschutz, wenn der reus promissionis nicht greifbar ist, weil er etwa in Konkurs gefallen ist, auch wenn die Körperschaft solvent ist. Wird die Auflage dagegen als Fideikommiss ausgelegt, so wird die Körperschaft verpflichtet, und der Erbe kann gegen diese selbst klagen. Damit ist das Fideikommiss prozessual der cautio zur Sicherung des Modallegats überlegen.

III. Die Verpflichtung zur Herausgabe des Stiftungsvermögens bei Stiftungen von Todes wegen Bei einer Reihe von testamentarischen Stiftungen sind Klauseln erhalten, wonach das Stiftungsvermögen an eine andere Körperschaft fallen soll, wenn die Trägerin des Stiftungsvermögens den Stifterwillen nicht beachtet.109 In einer Inschrift aus Barcino ist eine ­solche Klausel wörtlich überliefert: CIL II 4514 = ILS 6957 = IRBarc I 35 (Barcino, Hispania citerior, 169 – 176110)

L. Caecilius L. f.  / Pap(iria) Optatus,  / (centurio) leg(ionis) VII G(eminae) Fel(icis)  / et (centurio) leg(ionis) XV Apollin(aris),  / 5 missus honesta  / missione ab Impp(eratoribus) M. / Aur(elio) Antonino et Aur(elio) / Vero Aug(ustis) alectus a Barc(inonensibus)  / inter immunes, consecut(us)  / 10 in honores aedilicios,  / II vir III , flam(en) Romae  / divorum et Augus­ torum,  / qui r(ei) p(ublicae) Barc(ino­nensium) ita leg(avit): Do lego / darique volo X VII (milia) D, ex /

L. Caecilius, Sohn des Lucius, aus der tribus Papiria, Optatus, Zenturio der 7. Legion Gemina Felix und Zenturio der 15. Legion Apollinaris, von den Kaisern M. Aurelius Antoninus und Aurelius Verus Augusti ehrenhaft entlassen, von den Barcinonenses unter die immunes aufgenommen, die ädilizischen honores erlangt, dreimal duumvir, flamen Roms und der vergöttlichten ­Kaiser, der dem Gemeinwesen der Barcinonenses folgendermaßen ein Vermächtnis ausgesetzt hat: Ich gebe, vermache und will, dass gegeben werden 7.500 Denare. Ich will, dass aus [dem Ertrag] der sechsprozen­tigen Zinsen jedes Jahr für bis zu 250

108 Siehe oben II. Kap., § 2 II.2.a) (3). 109 AE 1940, 94 (Ostia, Latium et Campania, 1. – 2. Jhd.); CIL V 4488 (Brixia, Venetia et Histria, 2. Hälfte 1. Jhd.–2. Jhd.); CIL XI 1436 = ILS 7258 (Pisae, Etruria, 2. Hälfte 1. Jhd.–2. Jhd.); CIL II 4514 = ILS 6957 = IRBarc I 35 (Barcino, Hispania citerior, 169 – 176). Eine Herausgabe soll erfolgen an das aerarium populi Romani in CIL VI 1925 = ILS 1919 (Roma) und an den fiscus in CIL VI 9626 = ILS 7267 = FIRA2 III 45 (Roma, 2. Hälfte 1. Jhd.–2. Jhd.). 110 Zur Datierung Magioncalda, Fondazioni testamentarie, 119.

Der Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten durch Vermächtnis

quorum usuris semissibus  / edi volo quoannis spectac(ulum)  / pugilum die IIII Iduum Iuni(arum) / usque a X CCL et eadem die / ex X CC oleum in thermis public(is)  / 20 populo praeberi. Haec ita praes/tari ea condicione volo, ut / liberti mei item libertorum meorum / libertarumque liberti quos / honor // 25 seviratus contige/rit ab omnibus mu/neribus seviratus ex/cusati sint. Quo si quis / eorum a munera / 30 voctus fuerit, / tum ea X VII (milia) D a / rem pub(licam) Tarrac(onensium)  / transferri iubeo / sub eadem forma / 30 specta­ culorum quo  / s(upra) s(criptum) est edendorum  / Tarracone. // L(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum). 15

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Denare am 4. Tag vor den Iden des Juni ein Faustkämpferwettbewerb veranstaltet und am selben Tag aus [den verbleibenden] 200 Denaren in den öffentlichen Thermen Öl für das Volk bereitgestellt wird. Ich will, dass dies unter der Bedingung geleistet wird, dass meine männlichen Freigelassenen und ebenso die männlichen Freigelassenen meiner männlichen und weiblichen Freigelassenen, denen der honor des Sevirats zuteil geworden ist, von allen Lasten des Sevirats befreit sind. Wenn jemand von ihnen zu den Lasten herangezogen wird, befehle ich, dass dann diese 7.500 Denare auf das ­Gemeinwesen der Tarraconenses übertragen werden, wobei die oben genannte Anordnung für die Ausrichtung der Wettkämpfe [auch] in Tarraco [gelten soll]. Der Aufstellungsort wurde durch einen Beschluss der ­Ratsherren zur Verfügung gestellt.

L. Caecilius Optatus vermacht der Gemeinde Barcino 7.500 Denare, deren Erträge dazu verwendet werden sollen, einmal jährlich Faustkämpfe zu veranstalten und Öl kostenlos unter den Bürgern zu verteilen. Zugleich sollen die Freigelassenen des Erblassers selbst und deren Freigelassene nicht verpflichtet sein, die munera zu tragen, wenn sie zu seviri Augustales gewählt werden. Es folgt die Klausel, ­welche die Herausgabe des Stiftungskapitals an die res publica Tarraconensium enthält: Wenn entgegen der Auflage munera getragen werden müssen, soll das Stiftungsvermögen der Gemeinde Tarraco gehören. Für die Zuwendung des Stiftungskapitals wird die Formel do lego darique volo verwendet, ­welche die förmliche Aussetzung eines Vindikationslegats (do lego) mit der Aussetzung eines rein obligatorisch wirkenden Fideikommisses (dari volo) kombiniert.111 Eine genaue Zuordnung der Zuwendung zu einem bestimmten Vermächtnistyp ist daher nicht möglich.112 Die Auflagen dagegen lassen sich eindeutig als Fideikommisse einordnen, da sie jeweils unter Verwendung des Wortes volo angeordnet werden.113

111 Amelotti, Testamento, 24, 132 mit Fn. 3; Magioncalda, Fondazioni testamentarie, 114. Pauschal für ein Vindikationslegat Le Bras, St. Riccobono III, 21 (39). Für ein Damnationslegat A. D’Ors, EJER 421, da eine Geldsumme vermacht ist. 112 Zur Konversion von Legaten in Fideikommisse Grosso, Leg., 117 – 122; Amelotti, Testamento,

132 Fn. 1; Johnston, Trusts, 198 – 213; Strobel, Testamentsurkunden, 46 f.

113 Dagegen für eine Vermischung von Auflage und Fideikommiss Magioncalda, Fondazioni testamentarie, 115; für eine Auflage A. D’Ors, EJER, 421.

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Der erbrechtliche Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten

1. Die Formulierung der Herausgabepflicht in der Testamentsklausel Die Verpflichtung zur Herausgabe an die Gemeinde Tarraco wird unter Verwendung der Worte tranferri iubeo angeordnet. Laut der nachklassischen didaktischen Literatur ist iubere ein verbum imperativum,114 mit dem ein Damnationslegat ausgesetzt wird: UE 24.4

Per damnationem his verbis:  […] HEREDEM MEUM DARE IUBEO.

Mit schuldrechtlicher Wirkung [vermachen wir etwas] mit diesen Worten: […] ICH BEFEHLE, DASS MEIN ERBE GIBT.

In den Digesten überlieferte Testamentsklauseln legen jedoch eine zurückhaltendere Interpretation nahe: D. 33.7.12.43 (Ulp. 20 Sab.) […] Sed et ipse Papinianus eodem libro responsorum ait patrem mercatorem ac faeneratorem, qui duos filios totidemque filias heredes instituerat, ita legasse: ‘filiis maribus domum meam instructam do lego darique iubeo’, merces et pignora an contineantur, quaeri posse: sed facilem iudici voluntatis coniecturam fore ceteris patris facultatibus examinatis.

[…] Aber auch Papinian selbst sagt in demselben Buch seiner responsa, dass ein Vater, der Kaufmann und Geldverleiher ist und der zwei Söhne und ebensoviele Töchter als Erben eingesetzt hatte, folgendermaßen ein Vermächtnis ausgesetzt habe: ‘Ich gebe, vermache und befehle, dass gegeben wird meinen Söhnen mein Haus samt Zubehör’. Man könne fragen, ob Waren und Pfandsachen mitumfasst sind. Aber für den Richter sei eine Ermittlung des Willens [des Erblassers] leicht, wenn er das übrige Vermögen des Vaters untersucht hat.

Ulpian zitiert Papinian; aufgrund des Kontexts wird sich eodem libro auf das 7. Buch der responsa beziehen.115 Dieses ist den Legaten gewidmet, während Fideikommisse erst im 8. und 9. Buch behandelt werden.116 Allerdings durchbricht Papinian seine eigene Gliederung und behandelt auch schon im 7. Buch einzelne Fragen des Fideikommissrechts.117 Aus der Palingenesie lässt sich also kein sicheres Indiz gewinnen, welcher Art von Vermächtnis die Klausel zugeordnet wird. Fest steht daher allein, dass mit den Worten do lego ein Vindikationslegat ausgesetzt wird. Nach den Ulpiani Epitome wird mit dare iubeo ein Damnationslegat angeordnet. Dann ist D. 33.7.12.43 jedoch Beleg für eine Vermischung der ­verschiedenen Legatstypen durch die Kautelarpraxis.118 Diese Vermischung steht 114 115 116 117 118

Grosso, Leg., 81. D. 33.7.12.23, 45, 47 (Ulp. 20 Sab.). Lenel, Pal. I, Sp. 910 Fn. 2. D. 33.7.12.40, 45 (Pap. apud Ulp. 20 Sab.). Grosso, Leg., 94 mit Fn. 3; Voci, DER2 II, 588 mit Fn. 2; Amelotti, Testamento, 132 Fn. 2. Zur Vermischung der Legatstypen Voci, DER2 II, 587 – 589; Amelotti, Testamento, 132 f.; Strobel,

Der Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten durch Vermächtnis

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in diametralem Gegensatz zu den Kategorisierungen der didaktischen Literatur, ­ elche die verschiedenen Typen strikt unterscheidet. Da es sich jedoch um w Anfängerlehrbücher handelt, überrascht es nicht, wenn die Praxis Lösungen verwendet, deren Komplexität die didaktischen Kategorien sprengt. In diese Richtung weist ein responsum Modestins: D. 31.34.6 (Mod. 10 resp.) Lucius Titius relictis duobus filiis suis heredibus diversi sexus institutis addidit caput generale, uti legata et libertates ab his heredibus suis praestarentur: quadam tamen parte testamenti a filio petit, ut omne onus legatorum in se sustineret, in hunc modum: ‘ea quaecumque in legatis reliqui vel dari praecepi, ab Attiano filio meo et herede dari praestarique iubebo’ […].

Lucius Titius hinterließ zwei Kinder verschiedenen Geschlechts, setzte sie als Erben ein und fügte [in seinem Testament] eine allgemeine Klausel hinzu, dass die Vermächtnisse und Freilassungen von seinen Erben erfüllt werden sollen. Dennoch verlangt er an einer Stelle des Testaments von seinem Sohn, die ganze Last der Vermächtnisse selbst zu tragen, auf folgende Weise: ‘Was nach meiner Anordnung als Vermächtnisse hinterlassen oder gegeben werden soll, befehle ich, dass es von meinem Sohn und Erben Attianus gegeben und geleistet wird.’

Das Testament enthält ein caput generale,119 das den Kindern des Lucius Titius als seinen Erben die Erfüllung der legata und die Vollziehung der Freilassungen aufgibt. An anderer Stelle findet sich eine Klausel, die allein dem Sohn Attianus, einem der Erben, die Leistung der legata aufgibt, wozu die Formulierung dari praestarique iubebo verwendet wird. Der Codex Florentinus und die Mehrheit der mittelalterlichen Handschriften überliefern das Futur iubebo, das dem in drei mittelalterlichen Handschriften überlieferten Präsens iubeo als lectio difficilior vorzuziehen ist.120 Schon die Verwendung des Futurs lässt daran zweifeln, ob mit iubere ein verbum imperativum verwendet wird. Für ein Fideikommiss spricht die Palingenesie. Während Modestin im 9. Buch von den Legaten handelt,121 ist das 10. Buch den Fideikommissen gewidmet.122 Es wäre ungewöhnlich, wenn D. 31.34.6 davon abweichend ein Legat behandeln würde.123 Daher lässt sich festhalten, dass der Befund bezüglich der Verwendung von iubere nicht eindeutig ausfällt. Während das Zeugnis der späten didaktischen

119 120 121 122 123

Testamentsurkunden, 45 – 47. Hierzu Grosso, Leg., 118 f.; Voci, DER2 II, 588 f. Ed. mai. II, 45 mit App. zu Z. 17. Lenel, Pal. I, Sp. 748. Lenel, Pal. I, Sp. 749 f. Offen gelassen von Amelotti, Testamento, 132 f. Fn. 4. Für ein Legat dagegen Johnston, Trusts, 204 Fn. 78, weil dem Sohn aufgegeben wird, legata zu erfüllen. Allerdings könnte dieser Begriff untechnisch für Vermächtnisse allgemein verwendet worden sein; vgl. nur Amelotti, Testamento, 133. Ferner folgt aus der Pflicht, ein förmliches Legat zu erfüllen, nicht, dass diese Pflicht ebenfalls durch ein Legat begründet wird.

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Literatur dafür spricht, dass es sich um ein verbum imperativum handelt, mit dem Legate ausgesetzt werden, scheint es aufgrund der in den Juristenschriften erhaltenen Testamentsklauseln auch möglich zu sein, dass ein verbum precativum vorliegt, das zu einem Fideikommiss führt. 2. Die Einordnung als translatio legati Für die ersatzweise Begünstigung eines Dritten gelten unterschiedliche Regeln, je nachdem, ob es sich um ein förmliches Legat oder ein Fideikommiss handelt. Bei einem Legat liegt eine translatio legati in Gestalt der Auswechselung der Person des Begünstigten vor.124 Zu dessen dogmatischer Konstruktion gibt es widersprüchliche Zeugnisse.125 Einigkeit besteht darüber, dass das Legat zugunsten des Dritten aufschiebend bedingt ist.126 Dagegen ist umstritten, ob das Legat zugunsten des ursprünglich Begünstigten durch die translatio konkludent widerrufen wird: In der nachklassischen didaktischen Literatur findet sich der Grundsatz, wonach der Widerruf (ademptio legati) durch einen ausdrücklichen actus contrarius zu erfolgen habe.127 Gleichzeitig bringen die Juristen die beiden Rechtsinstitute der translatio und der ademptio legati miteinander in Verbindung.128 Dabei fällt auf, dass die didaktisch orientierten Klassiker Pomponius und Gaius das Verhältnis beider Institute nicht problematisieren, sondern zwanglos annehmen, dass in einer translatio legati ein konkludenter Widerruf liegt.129 Deutlich differenzierter äußert sich dagegen Ulpian: 124 D. 34.4.6 pr. (Paul. 5 l. Iul. Pap.); vgl. I. 2.21.1; Medicus, SZ 79 (1962), 469 (471) nimmt an,

dass dies der Ursprungsfall der translatio legati ist.

125 Medicus, SZ 79 (1962), 469 (470). 126 Légier, RHD4 38 (1960), 353 (369). 127 UE 24.29: Legatum, quod datum est, adimi potest vel eodem testamento, vel codicillis testamento

confirmatis; dum tamen eodem modo adimatur, quo modo datum est. Vgl. I. 2.21 pr.: Ademptio legatorum, sive eodem testamento adimantur sive codicillis, firma est, sive contrariis verbis fiat ademptio, veluti si quod ita quis legaverit ‘do lego’ ita adimatur ‘non do non lego’, sive non contrariis, id est aliis quibuscumque verbis. Die Erwähnung der non contrari[a] […] verb[a] muss nicht dahingehend verstanden werden, dass dadurch die konkludente ademptio gemeint ist und insofern ein Widerspruch zum Beginn des principium besteht; so aber Liebs, Sympotica Wieacker, 111 (126); Knütel, SZ 88 (1971), 67 (77 Fn. 58). Wie die Institutionenparaphrase des Theophilus zeigt, sind damit Klauseln gemeint, die keine contrari[a] verb[a] enthalten, sondern in freierer Formulierung den Widerruf erklären; PT 2.21.1: […] ἰδοῦ ταῦτα contrária λέγεται, ὅτι δι’ ὥν δέδωκα, διὰ τῶν αὐτῶν ἀφαιροῦμαι προσθεὶς τὸ ‘non’· τὸ γὰρ ‘do’ τῷ ‘non do’ contrárion. εἰ δὲ καὶ ἑτέροις, καὶ οὕτως ἰσχύει […]. 128 D. 34.4.20 (Pomp. 1 Qu. Muc.); D. 34.4.5 (Gai. 2 ed. pr. urb.); D. 34.4.6.1 – 2 (Paul. 5 l. Iul. Pap.); D. 34.4.7 (Ulp. 24 Sab.); ebenso I. 2.21. Für Klassizität zurecht Grosso, Leg., 331; Medicus, SZ 79 (1962), 469 (472); Liebs, Sympotica Wieacker, 111 (125 – 128). 129 D. 34.4.5 (Gai. 2 ed. pr. urb.): […] ‘quod Titio legavi, id Seio do lego’: quae res in personam Titii tacitam ademptionem continet; vgl. D. 34.4.20 (Pomp. 1 Qu. Muc.). Für einen Ausgang der Annäherung beider Rechtsinstitute von den Schuljuristen Medicus, SZ 79 (1962), 469 (473).

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D. 34.4.3.4 (Ulp. 24 Sab.) Si quis ita legaverit: ‘heres meus Titio fundum dato et si Titius eum fundum alienaverit, heres meus eundem fundum Seio dato’, oneratus est heres: non enim a Titio fideicommissum relictum est, si alienasset fundum, sed ab herede ei legatum est. Heres igitur debebit doli exceptione posita prospicere sibi cautione a Titio de fundo non alienando.

Wenn jemand folgendermaßen ein Vermächtnis ausgesetzt hat: ‘Mein Erbe soll dem Titius ein Grundstück geben und, wenn Titius ­dieses Grundstück veräußert hat, soll mein Erbe dasselbe Grundstück dem Seius geben’, ist der Erbe beschwert. Das Grundstück wurde nämlich nicht als Fideikommiss mit Titius [als dem Beschwerten] hinterlassen, wenn dieser es veräußert hatte, sondern es wurde ihm mit dem Erben [als dem Beschwerten] vermacht. Der Erbe wird daher mit der Einrede wegen Arglist dafür sorgen müssen, dass ihm von Titius für die Nichtveräußerung des Grundstücks Sicherheit geleistet wird.

Ein Erblasser vermacht ein Grundstück dem Titius durch Damnationslegat.130 Wenn dieser das Grundstück veräußert, soll es dem Seius vermacht sein. Ulpian diskutiert zwei mögliche Konstruktionen: Zum einen könnte dem Legatar Titius ein aufschiebend bedingtes Unterfideikommiss zugunsten des Seius auferlegt sein,131 zum anderen könnte die Pflicht, das Grundstück an Seius zu übereignen, dem Erben durch Legat auferlegt worden sein. Da die Testamentsklausel ausdrücklich den Erben als Verpflichteten gegenüber Seius nennt, liegt ein aufschiebend bedingtes Legat zu dessen Gunsten vor, aus dem der Erbe verpflichtet ist.132 Damit muss die Klausel zugleich einen aufschiebend bedingten Widerruf des Legats zugunsten des Titius enthalten. Denn nur wenn d ­ ieses Legat widerrufen ist, kann der Erbe die Rückübereignung des Grundstücks verlangen, um es sodann weiter an Seius zu übertragen.133 Für Ulpian entscheidet über das Vorliegen einer ademptio legati der Wille des Erblassers. Sieht die Testamentsklausel vor, dass der Erbe verpflichtet ist, bei Verstoß gegen das Veräußerungsverbot das Grundstück an einen Dritten zu übertragen, so liegt ein Widerruf des ursprünglichen Legats vor. Enthält die Klausel dagegen keine ausdrückliche Verpflichtung des Erben, dann kann die ersatzweise Einsetzung eines Dritten als Fideikommiss zu dessen Gunsten ausgelegt werden, aus dem der Legatar verpflichtet ist. Die Lösung Ulpians differenziert nach dem Erblasserwillen;134 zudem bezieht sie das Fideikommissrecht 130 Talamanca, Translatio legati, 247; Voci, DER2 II, 554 Fn. 76; Johnston, SZ 102 (1985), 220 (257). 131 Légier, RHD4 38 (1960), 353 (369). 132 Johnston, SZ 102 (1985), 220 (257). 133 Vgl. D. 34.4.7 (Ulp. 24 Sab.): Quod si alii legetur sub condicione, quod alii pure datum est,

non plene recessum videtur a primo, sed ita demum, si condicio sequentis exstiterit: ceterum si hoc animo fuerit testator, ut omnimodo recessum a primo putaverit, dicendum erit a primo ademptum legatum. Johnston, SZ 102 (1985), 220 (257). 134 Ebenso entscheidet der Wortlaut der Klausel über die Annahme der ademptio legati in D. 34.4.6.1 (Paul. 5 l. Iul. Pap.): Sed si id, quod a Titio dedi, a Maevio dem, quamvis soleant

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in die Lösung des Falles mit ein. Dass Juristen, die stärker didaktisch orientiert sind, einfachere Lösungsmodelle vertreten, entspricht dem üblichen Spektrum möglicher juristischer Meinungen. Fasst man die Klausel ea X VII (milia) D a / rem pub(licam) Tarrac(onensium) / transferri iubeo (Z. 31 – 33) im Testament des L. Caecilius Optatus als förmliches Legat zugunsten der res publica Tarraconensium auf, so läge darin zugleich der konkludente Widerruf des Vermächtnisses zugunsten der Gemeinde Barcino. Da der Stifter ein erhebliches Interesse daran hat, dass die Ersatzklausel wirksam ist, muss angenommen werden, dass die Kautelarpraxis den konkludenten Widerruf für ausreichend gehalten hat. Die Forderung der Lehrbuchliteratur nach einem ausdrücklichen actus contrarius dürfte also weitgehend didaktischen Zwecken geschuldet sein, in der Praxis dagegen keine Rolle gespielt haben. Die ademptio des Legats zugunsten der Gemeinde Barcino wäre aufschiebend bedingt auf den Fall, dass die Gemeinde die Freigelassenen des Stifters zu den muner[a] seviratus heranzieht. Nach der Lösung Ulpians müsste dem Erblasser durch cautio versprochen werden, dass die Gemeinde Barcino derartige Lasten den liberti nicht auferlegt.135 Die translatio legati für den Fall der Nichtvollziehung der Stiftungsauflage verstößt nicht gegen das Verbot eines legatum poenae nomine.136 Dieses soll verhindern, dass der Erblasser den Legatar zu einem Verhalten zwingt, zu dem eine direkte Verpflichtung unzulässig ist, indem er d ­ ieses Verhalten zum Inhalt einer Bedingung für ein Legat macht.137 Die Klausel, ­welche die translatio legati anordnet, übt jedoch nur Druck aus, den Stifterwillen zu beachten. Solange dieser nicht gegen die Gesetze verstößt,138 begründet die translatio legati keinerlei indirekten Zwang zu einem unzulässigen Verhalten. Daher liegt kein verbotenes legatum poenae nomine vor, wenn der Testator die ersatzweise Zuwendung an einen Dritten anordnet.139

esse duo eiusdem rei debitores, tamen verius est hoc casu ademptum esse legatum: nam cum dico: ‘quod Titium dare damnavi, Seius damnas esto dare’, videor dicere, ne Titius det. Allgemein Voci, DER2 II, 650. 135 Zur Stipulation von Körperschaften ausführlich oben II. Kap., § 2 II.2. und 3. 136 Gai. 2.235; UE 24.17. 137 Grosso, Leg., 44 – 49, 431 f.; Voci, DER2 II, 793 f.; Strobel, Testamentsurkunden, 167 f. 138 Ein gesetzeswidriger Stiftungszweck findet sich in D. 33.2.16 (Mod. 9 resp.), wo der Stifter die Veranstaltung eines spectaculum anordnet, dessen Durchführung in der entsprechenden civitas verboten ist. Da das Testament keine translatio legati anordnet, wird die Problematik des legatum poenae nomine nicht diskutiert. Zu ­diesem Fragment Johnston, JRS 75 (1985), 105 (115 f.); Magioncalda, in: Entrate, 175 (203 f.). 139 Mitteis, RP I, 199; vgl. Amelotti, Testamento, 156 f. Dagegen Pernice, Labeo III.1, 45 f. Fn. 5.

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3. Die Einordnung als Fideikommiss Deutlich einfacher stellt sich die ersatzweise Begünstigung eines Dritten dar, wenn es sich um ein Fideikommiss handelt: D. 32.38.5 (Scaev. 19 dig.) Quindecim libertis, quos nominaverat, praediolum cum taberna legaverat et adiecerat haec verba: ‘Sibique eos habere possidere volo ea lege et condicione, ne quis eorum partem suam vendere donareve aliudve quid facere alii velit: quod si adversus ea quid factum erit, tunc eas portiones praediumve cum taberna ad rem publicam Tusculanorum pertinere volo’. Quidam ex his libertis vendiderunt partes suas duobus collibertis suis ex eodem corpore, emptores autem defuncti Gaium Seium extraneum here­ dem reliquerunt: quaesitum est, partes quae venierunt utrum ad Gaium Seium an ad superstites collibertos suos, qui partes suas non vendiderunt, pertinerent. Respondit secundum ea quae proponerentur ad Gaium Seium pertinere. Idem quaesiit, an partes venditae ad rem publicam Tusculanorum pertinerent. Respondi non pertinere. ­C LAUDIUS : quia non possidentis persona, qui nunc extraneus est, respicienda est, sed emptorum, qui secundum voluntatem defunctae ex illis fuerunt, quibus permiserat testatrix venundari, nec condicio exstitit dati fideicommissi Tusculanis.

Eine Erblasserin hatte fünfzehn Freigelassenen, die sie namentlich aufführte, ein kleines Grundstück mit einer taberna vermacht und folgende Worte hinzugefügt: ‘Ich will, dass sie es für sich mit der Bestimmung und unter der Bedingung haben und besitzen, dass keiner von ihnen es unternimmt, seinen Anteil zu verkaufen, zu verschenken oder etwas anderes zugunsten eines anderen zu tun. Wenn dagegen gehandelt worden sein wird, dann will ich, dass diese Anteile oder das Grundstück mit der taberna dem Gemeinwesen der Tusculani gehören.’ Einige Freigelassene verkauften ihre Anteile an zwei ihrer Mitfreigelassenen aus derselben Gruppe, die Käufer aber hinterließen sie nach ihrem Tod dem Gaius Seius als Außenerben. Es wurde angefragt, ob die verkauften Anteile dem Gaius Seius oder ihren übrigen Mitfreigelassenen gehörten, die ihre Anteile nicht verkauft haben. Er antwortete, dass sie gemäß dem Vorgetragenen dem Gaius Seius gehörten. Ebenso fragte man an, ob die verkauften Anteile dem Gemeinwesen der Tusculani gehören. Ich habe geantwortet, dass sie ihm nicht gehören. CLAUDIUS : Denn nicht auf die Person des Besitzers, der jetzt ein Außenstehender ist, kommt es an, sondern auf diejenige der Käufer, die entsprechend dem Willen der Verstorbenen aus der Gruppe derer stammten, an die zu verkaufen die Erblasserin gestattet hatte, und die Bedingung des Fideikommisses zugunsten der Tusculani ist nicht eingetreten.

Eine Erblasserin vermacht fünfzehn namentlich in ihrem Testament aufgeführten Freigelassenen ein Grundstück. Durch Fideikommiss (habere possidere volo ea lege et condicione) verbietet sie den Freigelassenen, ihren Eigentumsanteil am Grundstück an einen alius zu veräußern; aus dem Fortgang des Fragments ergibt sich, dass damit alle gemeint sind, die nicht der familia libertorum der Erblasserin angehören. Anderenfalls sollen die Anteile der Gemeinde Tusculum gehören. Einige Freigelassene verkaufen ihre Anteile an zwei Mitfreigelassene, die testamentarisch den Gaius Seius zum Erben einsetzen, der extraneus der familia libertorum ist. Die erste Frage an Scaevola ist, ob die verkauften Grundstücksanteile dem Gaius Seius oder den übrigen Mitfreigelassenen gehören, die ihre Anteile nicht verkauft haben. Der Jurist bejaht das Eigentum des Gaius Seius. Die zweite Frage geht dahin, ob die verkauften Anteile der res publica Tusculanorum

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gehören, was Scaevola verneint. Sein Schüler Claudius Tryphonin gibt in einer nota die Begründung hierfür: Entscheidend für den Verfall an die Gemeinde sei, ob Käufer ein extraneus ist. Da die Erblasserin den Verkauf an Angehörige der familia libertorum gestattet habe, sei die Bedingung für das Fideikommiss zugunsten der Gemeinde nicht eingetreten. Aus der Anmerkung Tryphonins wird deutlich, dass die Ersatzbegünstigung der Gemeinde durch ein aufschiebend bedingtes Fideikommiss umgesetzt wird. Dafür spricht auch die Formulierung der entsprechenden Testamentsklausel: quod si adversus ea quid factum erit, tunc eas portiones praediumve cum taberna ad rem publicam Tusculanorum pertinere volo.140 Mit volo verwendet die Klausel ein eindeutiges verbum precativum. Municipia besitzen die Fähigkeit, kraft Singularfideikommisses zu erwerben.141 Die Gemeinde kann daher das Fideikommiss zu ihren Gunsten erwerben. Es ist aufschiebend bedingt auf den Fall, dass ein Freigelassener seinen Anteil an einen extraneus veräußert. Fraglich ist die juristische Konstruktion der Ersatzbegünstigung zugunsten der Gemeinde. Infrage kommt erstens eine konkludente ademptio fideicommissi 142: Die Erblasserin würde das Fideikommiss zugunsten der liberti aufschiebend bedingt für den Fall widerrufen, dass diese ihre Eigentumsanteile verkaufen. Da die Klausel keinen ausdrücklichen Widerruf enthält, wäre dieser konkludent erklärt.143 Zugleich würde sie ein neues, auf diesen Fall aufschiebend bedingtes Fideikommiss zugunsten der Gemeinde enthalten. Grundlage dieser Lösung ist eine Klausel, der zufolge das aufschiebend bedingte neue Legat dem Erben zur Last fällt.144 Der Erbe hätte sich dann von den Freigelassenen durch cautio versprechen lassen müssen, dass sie ihre Anteile nicht verkaufen würden, und hätte bis zur Leistung der cautio die Herausgabe des Grundstücks mit der exceptio doli verweigern können.145 Allerdings enthält der Text keine Spur von einer cautio.146 Enthält die Klausel dagegen keine ausdrückliche Belastung des Erben, ist eine zweite Konstruktion möglich: Den liberti, die Begünstigte des Fideikommisses über das Grundstück sind, wird das aufschiebend bedingte Unterfideikommiss auferlegt, an die res publica Tusculanorum die Anteile herauszugeben, wenn diese 140 Johnston, SZ 102 (1985), 220 (258); Spina, Successione testamentaria, 390. 141 Mitteis, RP I, 378; Voci, DER2 I, 421; Nörr, SZ 127 (2010), 53 (61). 142 Erwogen von Johnston, SZ 102 (1985), 220 (258). 143 D. 34.4.3.11 (Ulp. 24 Sab.). 144 D. 34.4.3.4 (Ulp. 24 Sab.): Si quis ita legaverit: ‘heres meus Titio fundum dato et si Titius eum

fundum alienaverit, heres meus eundem fundum Seio dato’, oneratus est heres: non enim a Titio fideicommissum relictum est, si alienasset fundum, sed ab herede ei legatum est […]. 145 D. 34.4.3.4 (Ulp. 24 Sab.); ausführlich hierzu oben IV. Kap., § 2 III.2. Diese Grundsätze zur ademptio legati gelten nach § 11 des Fragments auch für den Widerruf von Fideikommissen. 146 Johnston, SZ 102 (1985), 220 (258).

Der Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten durch Vermächtnis

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verkauft werden.147 Die Abgrenzung beider Konstruktionen ist eine Frage der Auslegung. So nimmt Scaevola in einem anderen responsum ein aufschiebend bedingtes Unterfideikommis an, wenn die Klausel lautet: ‘Libertis libertabusque meis et quos in codicillis manumisi fundum, ubi me humari volui, dari volo, ut qui ab his decesserit, portio eius reliquis adcrescat, ita ut ad novissimum pertineat: post cuius novissimi decessum ad rem publicam Arelatensium pertinere volo […]’.148 In ­diesem Fall soll ein Grundstück in der familia libertorum gehalten werden und deshalb sollen die Eigentumsanteile der früher versterbenden Freigelassenen ihren Mitfreigelassenen anwachsen. Nach dem Tod des letzten soll das Grundstück an die res publica Arelatensium fallen. Die Klausel nimmt ausdrücklich auf den Tod des Letztversterbenden Bezug. Daraus folgert Scaevola, dass er Schuldner des Fideikommisses zugunsten der Gemeinde ist.149 Für D. 32.38.5 lässt sich daraus vorsichtig folgern, dass auch dort ein Unterfideikommiss zulasten derjenigen Freigelassenen vorliegt, die ihre Anteile veräußern. Denn auf den Erben als Verpflichteten des Fideikommisses wird nicht ausdrücklich Bezug genommen. Eine ausdrückliche Regelung zur Person des Belasteten fehlt zwar in der Testamentsklausel. Da Ulpian in D. 34.4.3.4 ein Unterfideikommiss im Zusammenhang mit einer Klausel verwirft, die ausdrücklich den Erben als Verpflichteten nennt,150 erlaubt dies den vorsichtigen Gegenschluss, dass ein Unterfideikommiss immer dann angenommen werden kann, wenn das Testament nicht ausdrücklich eine Verpflichtung des Erben vorsieht. Nimmt man daher für die Stiftung des L. Caecilius Optatus an, dass die Gemeinde Tarraco ersatzweise durch ein Fideikommiss begünstigt wird, dann ist es wahrscheinlicher, dass es sich um ein aufschiebend bedingtes Unterfideikommiss zulasten der res publica Barcinonensium handelt. Denn das caput ex testamento nennt nicht denjenigen, der zur Herausgabe an die Gemeinde Tarraco verpflichtet ist. Daher gibt es keinen Grund, einen konkludenten, aufschiebend bedingten Widerruf des Fideikommisses zugunsten der Gemeinde Barcino anzunehmen, der mit einem weiteren, ebenfalls aufschiebend bedingten Fideikommiss zugunsten der Gemeinde Tarraco verbunden ist. Stattdessen trifft die Pflicht zur Herausgabe die Gemeinde Barcino direkt, wenn die aufschiebende Bedingung eingetreten ist, wenn nämlich die Freigelassenen des Stifters zu den munera des Sevirats herangezogen werden. 147 So wohl Spina, Successione testamentaria, 392 f. Dagegen Johnston, SZ 102 (1985), 220 (258). 148 D. 33.2.34 pr. (Scaev. 18 dig.). Zur Textkonstitution Platschek, Fs. Nishimura, 241 – 255. 149 D. 33.2.34 pr. (Scaev. 18 dig.): […] Respondit secundum ea quae proponerentur posse ita verba

accipi, ut eius legatarii, qui novissimus decederet, fidei commissum videatur […]. Di Salvo, Legato modale, 269; Spina, Successione testamentaria, 418; Platschek, Fs. Nishimura, 241 (244). 150 Siehe oben IV. Kap., § 2 III.2.

258

Der erbrechtliche Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten

Für die Vereine hat sich keine vergleichbare Klausel im Zusammenhang mit testamentarischen Stiftungen erhalten. Allerdings finden sich in Stiftungen unter Lebenden zugunsten von Vereinen entsprechende Klauseln,151 die verba precativa enthalten: AE 1987, 199, Z. 5 – 7 (Ostia, Latium et Campania, 254 – 256)

[…] [quod si observatum n]on erit, / Wenn dies nicht befolgt werden wird, dann will ich, dass [tu]nc s(ummam) s(upra) s(criptam) die oben genannte Summe den honorati des Vereins der ho[no]ratis c[oll(egii) f ]abr(um) Zimmerleute aus Ostia unter der oben genannten Bedint[ig(nuariorum) O]st(iensium) gung gegeben wird. dari  / volo succondicione s(upra) s(cripta) […]. AE 1987, 198, Z. 9 – 12 (Ostia, Latium et Campania, 256)

Quot si obserbatum non / 10 erit, tunc s(ummas) s(upra) s(criptas) honoratis / coll(egii) fabr(um) tig(nuariorum) Ost(iensium) dari / volo sub condicione s(upra) s(cripta).

Wenn dies nicht befolgt werden wird, dann will ich, dass die oben genannten Summen den honorati des Vereins der Zimmerleute aus Ostia unter der oben genannten Bedingung gegeben werden.

In Rechtsgeschäften unter Lebenden ist die Verwendung von verba precativa funktionslos, da das Fideikommiss ein Geschäft von Todes wegen darstellt. Dass sie dennoch von Kautelarjuristen verwendet werden, zeigt, dass es sich um eine bei Stiftungen übliche Klausel handelt. Ihre Verwendung in Urkunden von Stiftungen inter vivos lässt den Schluss zu, dass derartige Klauseln auch in testamentarischen Stiftungen verwendet werden. Da beide Inschriften verba precativa verwenden, kann daraus gefolgert werden, dass die ersatzweise Heraus­ gabe an Dritte üblicherweise als aufschiebend bedingtes Unterfideikommiss konstruiert wird.

151 Eine weitere ­solche Klausel findet sich in einer Stiftung inter vivos zugunsten von vicani; CIL XIII 5042, Z. 10 – 12 (Minnodunum, Germania superior): quod si in alios ussus / transferr(e)

voluerint hanc pecun(iam) incol(is) col(oniae) Aven/ticensium dari volo […].

V. Kapitel: Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

§ 1

Die Begründung durch die lex collegii

I. Die Beiträge der Mitglieder In den leges collegii finden sich zahlreiche Bestimmungen, ­welche die Vereinsmitglieder entweder zu einer Leistung an den Verein verpflichten oder sie berechtigen, eine ­solche vom Verein zu fordern. 1. Die Gebühr für die Aufnahme als Mitglied Einige leges collegii verlangen, dass neue Mitglieder bei ihrer Aufnahme in den Verein eine Geldsumme zahlen.1 Fraglich ist der Geltungsgrund dieser Aufnahmegebühr, da die Mitgliedschaft erst mit der Aufnahme erlangt wird, davon aber die Geltung der lex collegii abhängt. Denn wenn das Zwölftafelgesetz den Mitgliedern von Vereinen die Befugnis einräumt, für sich selbst Regelungen zu treffen,2 ist damit zugleich eine Geltung für Nichtmitglieder ausgeschlossen. Zwei juristische Konstruktionen können ­dieses Geltungsproblem lösen: Entweder wird die Zahlung der Aufnahmegebühr als aufschiebende Bedingung für die Aufnahme in den Verein aufgefasst, oder aber die Aufnahme erfolgt unbedingt und mit der Begründung der Mitgliedschaft entsteht die Verpflichtung zur Zahlung der Geldsumme. Aus der lex collegii Lanuvini geht hervor, dass die Vereine offenbar die zweite Konstruktion zugrunde legen: 1 Lex collegii ebrorariorum et citriariorum (CIL VI 33885 = ILS 7214 = FIRA2 III 33, Z. 21 – 22 [Roma, 117 – 138]); lex collegii Lanuvini (CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA2 III 35, Sp. 1, Z. 17 – 21 [Lanuvium, Latium et Campania, 136]); lex collegii cornicinum legionis III Augustae (CIL VIII 2557 = ILS 2354 = FIRA2 III 34, Z. 30 – 31 [Lambaesis, Numidia, 203]); lex collegii tubicinum legionis III Augustae (ILS 9096 = AE 1906, 10, Z. 47 – 48 [Lambaesis, Numidia, 209 – 211]).

Zum Ganzen Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 355; zur Aufnahmegebühr der Soldatenvereine Ginsburg, TAPhA 71 (1940), 149 (152 f.); Ausbüttel, Vereine, 82 f. 2 D. 47.22.4 (Gai. 4 l. XII tab.): […] His autem potestatem facit lex pactionem quam velint s i b i ferre […]. Ausführlich dazu unten V. Kap., § 2 II.

260

Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA2 III 35, Sp. 1, Z. 17 – 21 (Lanuvium, Latium et Campania, 136)

[…] Tu, qui novos in hoc collegio / intrare vole[s, p]rius legem perlege et sic intra, ne postmodum queraris aut heredi tuo / controver[si]am relinquas. Lexs collegi. /

Du, der du neu in diesen Verein eintreten willst, lies zuerst die Satzung durch und tritt so ein, dass du dich nicht bald darauf beklagst oder deinem Erben eine Streitigkeit hinterlässt. Satzung des Vereins.

[Plac]uit universis ut quisquis in hoc collegium intrare voluerit dabit kapitulari nomine / HS C n(ummos) et vi[ni] boni amphoram […].

Es fand die Zustimmung aller, dass jeder, der in diesen Verein eintreten will, als Aufnahmegebühr 100 Sesterze und eine Amphore guten Weins geben wird.

20

Die erste Klausel der lex collegi sieht die Zahlung einer als kapitulari[um] bezeichneten Aufnahmegebühr von 100 Sesterzen und die Gabe einer Amphore Weins vor. In der unmittelbar vorangehenden Passage der Präambel wird das künftige Mitglied aufgefordert, vor dem Beitritt die lex aufmerksam zu lesen (prius legem perlege et sic intra), um auf diese Weise Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten eines Mitglieds und seines Erben zu vermeiden. Wenn auf diese Aufforderung die erste Klausel zur Aufnahmegebühr folgt, kann dies nur bedeuten, dass auch diese als Ausfluss der Stellung als aufgenommenes Mitglied verstanden wird. Die Verpflichtung zu ihrer Zahlung beruht also wie alle Pflichten und Rechte, die sich aus den folgenden Klauseln ergeben, auf der Unterwerfung des beitretenden Mitglieds unter die lex collegii. Die Freiwilligkeit dieser Unterwerfung herauszustellen, ist ausdrückliches Anliegen des Verfassers der lex. Geltungsgrund der Verpflichtung, die Aufnahmegebühr zu zahlen, ist also die Unterwerfung unter die kollektive Autonomie des Vereins. 2. Sonstige Beiträge der Mitglieder

Darüber hinaus sehen mehrere leges collegii die Zahlung weiterer Beiträge durch die Mitglieder vor. Einen regelmäßigen monatlichen Mitgliedsbeitrag erwähnt die lex collegii Lanuvini.3 Doch sind monatliche Sammlungen unter allen Mitgliedern (stips menstrua) zur Aufbringung des Begräbnisgeldes (funeraticium) bei vielen Vereinen verbreitet.4 Davon abweichend sieht die lex familiae Silvani vor, dass beim Tod eines Mitglieds dessen funeraticium dadurch aufgebracht wird, dass jedes Mitglied acht Sesterze zahlt und die decumani des Vereins d ­ ieses

3 CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA2 III 35, Sp. 1, Z. 21 (Lanuvium, Latium et Campania, 136):

item in menses sing(ulos) a(sses) V; hierzu Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 363.

4 D. 47.22.1 pr. (Marcian. 3 inst.): […] Sed permittitur tenuioribus stipem menstruam conferre,

dum tamen semel in mense coeant, ne sub praetextu huiusmodi illicitum collegium coeat […]. Zur Aufbringung des funeraticium Mommsen, De collegiis, 99; Ausbüttel, Vereine, 63; Flambard, in: Hinard, La mort, 209 (232).

Die Begründung durch die lex collegii

261

Geld binnen drei Tagen sammeln.5 Die Mitglieder der Militärvereine dagegen sind zur Zahlung von Geldsummen bei einer Beförderung verpflichtet.6 Damit verwandt ist die Bestimmung in der lex collegii Lanuvini, dass ein Sklave, der Mitglied ist, bei seiner Freilassung dem Verein eine Amphore Weins geben soll.7

II. Die Forderungen gegen den Verein 1. Die Forderungen der Mitglieder Ferner enthalten die leges collegii Bestimmungen über verschiedene Arten von Geldzuwendungen an die Mitglieder. Dazu gehören die sportulae, Verteilungen von Bargeld an die Mitglieder bei besonderen Anlässen 8 und bei Soldatenvereinen die Erstattung von Reisekosten (viaticum)9. Die lex collegii ebrorariorum et citriariorum formuliert dabei stereotyp: [placere, uti] sportulae ex arca darentur.10 Die lex ordnet damit an, dass die sportulae aus der Vereinskasse bestritten werden. Diese Terminologie drückt zum einen aus, dass die lex eine Forderung auf Erhalt der sportulae begründet. Zum anderen macht die Erwähnung der arca deutlich, dass diese Forderung sich gegen den Verein richtet. Wenn die Vereinskasse dabei an anderer Stelle als arca n(ostra) bezeichnet wird,11 lässt dies erkennen, dass der Verein nicht als abstrakte Einheit, sondern als die Gesamtheit seiner Mitglieder gedacht wird.12 5 AE 1929, 161 = FIRA2 III 37, Z. 10 – 11 (Trebula Mutuesca, Latium et Campania, 60); hierzu

Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 364; Ausbüttel, Vereine, 65 f.; Buonocore/Diliberto, MEP 11 (2006), 211 (248). 6 Lex collegii cornicinum legionis III Augustae (CIL VIII 2557 = ILS 2354 = FIRA2 III 34, Z. 39 [Lambaesis, Numidia, 203]); lex collegii tubicinum legionis III Augustae (ILS 9096 = AE 1906, 10, Z. 51 – 52 [Lambaesis, Numidia, 209 – 211]); hierzu Ginsburg, TAPhA 71 (1940), 149 (153 – 155). 7 CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA2 III 35, Sp. 2, Z. 6 – 7 (Lanuvium, Latium et Campania, 136): Item placuit, ut quisquis servus ex hoc collegio liber factus fuerit, is dare debebit vini [bo]/ni amphoram […]; hierzu Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 363 Fn. 4. 8 Lex collegii ebrorariorum et citriariorum (CIL VI 33885 = ILS 7214 = FIRA2 III 33, Z. 5 – 15 [Roma, 117 – 138]); lex collegii Aesculapii et Hygiae (CIL VI 10234 = ILS 7213 = FIRA2 III 36, Z. 8 – 17 [Roma, 153]); zum Ganzen Mommsen, De collegiis, 109 – 111; Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 371 f.; Ausbüttel, Vereine, 56. 9 Lex collegii cornicinum legionis III Augustae (CIL VIII 2557 = ILS 2354 = FIRA2 III 34, Z. 31 – 32 [Lambaesis, Numidia, 203]); lex collegii tubicinum legionis III Augustae (ILS 9096 = AE 1906, 10, Z. 53 – 55 [Lambaesis, Numidia, 209 – 211]); zum Ganzen Ginsburg, TAPhA 71 (1940), 149 (153); Ausbüttel, Vereine, 80 f. 10 CIL VI 33885 = ILS 7214 = FIRA2 III 33, Z. 9, 11, 13 (Roma, 117 – 138). 11 CIL VI 33885 = ILS 7214 = FIRA2 III 33, Z. 5 (Roma, 117 – 138). 12 Gradenwitz, SZ 12 (1892), 138 (143 f.).

262

Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

Darüber hinaus sieht die lex collegii eborariorum et citriariorum vor, dass die jährlichen Überschüsse der Vereinskasse unter den Mitgliedern verteilt werden: CIL VI 33885 = ILS 7214 = FIRA2 III 33, Z. 21 – 23 (Roma, 117 – 138)

[Singulis annis k(alendis)  -  -  - quod supere]sset in arca corporis curatores dividerent aequis  / [portionibus, aut si quid tardius] inferrent centesim(is) datis a curatorib(us) sing(ulis) / [mensibus - - -]. […]

Jedes Jahr an den Kalenden … sollen die curatores das, was in der Kasse der körperschaftlichen Organisation übriggeblieben ist, zu gleichen Teilen aufteilen oder, wenn [Mitglieder] zu spät einzahlen, soll von den curatores für jeden Monat ein Prozent [Zinsen] verlangt werden …

Die Verteilung erfolgt an einem bestimmten Tag zu gleichen Teilen für jedes Mitglied. Die curatores nehmen diese Aufgabe wahr. Gleichzeitig haben sie sicherzustellen, dass die Mitglieder nicht mit der Zahlung des Mitgliedsbeitrags in Verzug kommen, ansonsten werden Verzugszinsen geschuldet.13 Die Verteilung des Kassenüberschusses zeigt, dass die Gesamtheit der Mitglieder als Inhaber des Vereinsvermögens aufgefasst wird,14 sie diese Stellung aber nur nach Maßgabe der lex collegii ausüben kann. 2. Das funeraticium Eine besonders zentrale Leistung des Vereins ist das funeraticium, eine Geldsumme, die im Fall des Todes eines Mitglieds ausgezahlt wird.15 Sie kann vom Empfänger zur Deckung der Begräbniskosten verwendet werden, ohne dass dieser zu einer derartigen Verwendung verpflichtet ist.16 Die ausführlichste Regelung hierzu findet sich in der lex collegii Lanuvini: CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA2 III 35, Sp. 1, Z. 21–Sp. 2, Z. 2, 5 – 6 (Lanuvium, Latium et Cam-

pania, 136)

[…] Item placuit, ut quisquis mensi­ b(us) / contin[uis se]x non pariaverit et ei humanitus acciderit, eius ratio funeris non habebitur, / etiamsi [test]a­mentum factum habuerit.

Ebenso fand Zustimmung, dass, wer sechs Monate hintereinander seine Rechnung nicht begleicht und wen das menschliche Schicksal ereilt, keinen Zuschuss für sein Begräbnis erhalten wird, auch wenn er ein Testament errichtet hat.

13 Gradenwitz, SZ 12 (1891), 138 (141). 14 Gradenwitz, SZ 12 (1891), 138 (143 f.). 15 Lex collegii Lanuvini (CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA2 III 35, Sp. 1, Z. 23–Sp. 2, Z. 2 [Lanuvium, Latium et Campania, 136]); lex collegii cornicinum legionis III Augustae (CIL VIII 2557 = ILS 2354 = FIRA2 III 34, Z. 35 [Lambaesis, Numidia, 203]); wohl auch lex incerti collegii Ostiensis (AE 2012, 312, Z. 2 – 5, 7 – 8 [Ostia, Latium et Campania]); vgl. auch libellus de collegio tollendo (CIL III, p. 924 seq. = ILS 7215a = FIRA2 III 41, tab. II, pag. 3, Z. 1 – 9 [Alburnus Maior, Dacia,

167]).

16 Mommsen, De collegiis, 103; Bendlin, in: Öhler, Aposteldekret, 207 (254).

Die Begründung durch die lex collegii

263

Item placuit: quisquis ex hoc ­corpo/re n(ostro) pariatu[s] decesserit, eum sequentur ex arca HS CCC n(ummi), ex qua summa decedent exe/25quiari nomine HS L n(ummi), qui ad rogus dividentur: exequiae autem pedibus fungentur. /

Ebenso fand Zustimmung: Wer aus unserer körperschaftlichen Organisation verstorben und wessen Rechnung beglichen ist, dem werden aus der Kasse 300 Sesterze folgen. Aus dieser Summe werden 50 Sesterze als Geld für die Begräbnisfeierlichkeiten abgezogen, das beim Scheiterhaufen verteilt wird. Das Begräbnis aber wird zu Fuß durchgeführt.

Item placuit: quisquis a municipio ultra milliar(ium) XX decesserit et nuntiatum fuerit, eo exire debebunt / electi ex corpore n(ostro) homines tres, qui funeris eius curam agant, et rationem populo reddere debebunt / sine dolo m[al]o: et si quit in eis fraudis causa inventum fuerit, eis multa esto quadruplum. Quibus / [funeraticium] eius dabitur, hoc amplius viatici nomine ultro citro sing(ulis) HS XX n(ummi).

Ebenso fand Zustimmung: Wenn jemand jenseits des 20. Meilensteins vom municipium entfernt verstorben und dies mitgeteilt worden ist, werden drei Männer, die aus unserer körperschaftlichen Organisation gewählt worden sind und die für sein Begräbnis sorgen sollen, hinausgehen und der Gesamtheit der Mitglieder ohne Arglist Rechnung legen müssen. Und wenn bei ihnen eine arglistige Handlung festgestellt wird, soll sie eine Buße auf das Vierfache treffen. Ihnen wird sein Begräbnisgeld und darüber hinaus jedem einzelnen jeweils 20 Sesterze als Reisegeld gegeben werden.

Quod si longius / 30 [a municipio su]pra mill(iarium) XX decesserit et nuntiari non potuerit, tum is qui eum funeraverit testa/[tionem tabu]lis signatis sigillis civium Romanor(um) VII , et probata causa funeraticium eius, sa/[tis dato ampli]us neminem petiturum, ­deductis commodis et exequiario e lege collegi dari / [sibi petito a co]llegio: dolus malus abesto.

Wenn er vom municipium weiter entfernt als der 20. Meilen­stein verstorben ist und dies nicht mitgeteilt werden konnte, dann soll derjenige, der ihn bestattet hat, nachdem Urkundentafeln von sieben römischen Bürgern gesiegelt worden sind und der Grund nachgewiesen worden ist, vom Verein verlangen, dass ihm das Begräbnisgeld nach Abzug der [ersparten] Vorteile und des Geldes für die Begräbnisfeierlichkeiten gemäß der Satzung des Vereins gegeben wird, nachdem er Sicherheit geleistet hat, dass es niemand sonst verlangen wird. Dies soll ohne Arglist geschehen.

Neque patrono neque patronae neque d[omino] // neque d[o]minae neque creditori ex hoc collegio ulla petitio esto, nisi si quis testamento heres / nomina[tu]s erit. Si quis intestatus decesserit, is arbitrio quinq(uennalis) et populi funerabitur. / […] /

Kein Patron, keine Patronin, kein Herr, keine Herrin und kein Gläubiger soll gegen diesen Verein ein Klagerecht haben, es sei denn, jemand ist im Testament als Erbe eingesetzt worden. Wenn jemand ohne Testament verstirbt, wird er nach dem Ermessen des quinquennalis und der Gesamtheit der Mitglieder bestattet werden. […]

 […] Item placuit: quisquis ex quacum- Ebenso fand Zustimmung: Wer sich aus irgendeinem que causa mortem sibi adsciveri[t], / eius Grund das Leben nimmt, wird seine Rechnung für ratio funeris non habebitur. das Begräbnis nicht erhalten. 5

Beim Tod eines Mitglieds erhält dessen testamentarischer Erbe die Summe von 300 Sesterzen, von denen allerdings 50 Sesterze einbehalten werden, um sie während der Verbrennung der Leiche zu verteilen.17 Wie sich aus den 17 Zur Beteiligung des Vereins an den Begräbnisfeierlichkeiten Bendlin, in: Öhler, Aposteldekret,

207 (254).

264

Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

folgenden Klauseln ergibt, gilt diese Regelung freilich nur, wenn das Mitglied in Lanuvium verstirbt. Stirbt das Mitglied nämlich innerhalb einer Entfernung von 20 Meilen von Lanuvium, werden drei Mitglieder mit der Durchführung der Bestattung beauftragt. Sie erhalten anstelle des Erben das funeraticium.18 Stirbt das Mitglied dagegen in noch größerer Entfernung, erhält derjenige, der es bestattet hat, das funeraticium abzüglich der ersparten Aufwendungen 19 und der hier als exequarium 20 bezeichneten 50 Sesterze, die stets zugunsten des Vereins einbehalten werden.21 Wer ohne Testament verstirbt, wird nach dem Ermessen des quinquennalis und der Gesamtheit der Mitglieder (popul[us]) bestattet. In zwei Fällen ist dagegen die Zahlung des funeraticium ausgeschlossen: zum einen, wenn ein Mitglied in sechs aufeinanderfolgenden Monaten die stips menstrua nicht geleistet hat, zum anderen im Falle eines Selbstmords. Als Gläubiger des funeraticium sieht die lex collegii grundsätzlich den heres scriptus vor. An seine Stelle treten die drei vom Verein bestimmten Mitglieder, ­welche die Bestattung vornehmen, wenn das Mitglied innerhalb von 20 Meilen verstorben ist, oder ein Dritter, der die Bestattung vorgenommen hat, wenn das Mitglied in größerer Entfernung verstorben ist. Der Erbe und der Dritte sind nicht notwendigerweise Mitglied des Vereins, doch räumt ihnen die lex collegii die Stellung als Gläubiger ein. Fraglich ist, ob diese Begründung einer Forderung zugunsten eines Nichtmitglieds nach ius civile wirksam ist, obwohl, wie erwähnt,22 das Zwölftafelgesetz den Mitgliedern von Vereinen nur die Befugnis einräumt, für sich selbst Regelungen zu treffen. Bereits der heres scriptus, dem nach der Konzeption der lex das funeraticium im Normalfall zustehen soll, ist nicht Mitglied des collegium.23 Dass die lex collegii schon für den Normalfall des funeraticium eine Regelung trifft, die nach dem ius civile unwirksam wäre, ist jedoch unwahrscheinlich.

18 Zum funeraticium als funktionalem Aufwendungsersatz sogleich unten V. Kap., § 1 II.3.b). 19 Dazu Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 367. 20 Vgl. lex incerti collegii Ostiensis (AE 2012, 312, Z. 2 [Ostia, Latium et Campania]). 21 Hierzu Bendlin, in: Öhler, Aposteldekret, 207 (254 f.). 22 Siehe oben V. Kap., § 1 I.1. 23 Buonocore/Diliberto, MEP 11 (2006), 211 (249 – 251) vermuten für die lex familiae Silvani (AE 1929, 161 = FIRA2 III 37, Z. 16 – 17 [Trebula Mutuesca, Latium et Campania, 60]) und die lex collegii Aesculapi et Hygiae (CIL VI 10234 = ILS 7213 = FIRA2 III 36, Z. 5 – 7 [Roma,

153]), dass die Vereinsmitglieder ihre Mitgliedschaft (locus) testamentarisch einem Dritten zuwenden können; dagegen meint locus die Grabstätte des Mitglieds nach Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 378; Ausbüttel, Vereine, 66 f. Die lex collegii Lanuvini enthält jedoch keine Anzeichen für eine testamentarische Übertragbarkeit der Mitgliedschaft.

Die Begründung durch die lex collegii

265

Dies wird noch deutlicher beim funeraticium zugunsten des Dritten, der die Bestattung vorgenommen hat. Erste Voraussetzung seines Forderungsrechts ist, dass er durch testatio die Vornahme der Bestattung nachweist.24 Derartige testationes sind im Zusammenhang mit Bestattungen zahlreich. Typischerweise dienen sie dazu, den Fremdgeschäftsführungswillen des Bestattenden zu beweisen, damit dieser mit der actio funeraria beim Bestattungspflichtigen den Ersatz der Begräbniskosten verlangen kann.25 Das in der lex collegii Lanuvini vorgesehene Forderungsrecht hat allerdings nichts mit der actio funeraria zu tun,26 da das collegium für die actio funeraria nicht passivlegitimiert ist.27 Vielmehr soll die testatio Beweis über die Tatsache der erfolgten Bestattung und die Höhe der gemachten Aufwendungen erbringen.28 Das Forderungsrecht ist nämlich funktional als Aufwendungsersatz ausgestaltet, denn es ist ein Abzug vorgesehen, wenn sich der Dritte Aufwendungen erspart.29 Zweite Voraussetzung für das Forderungsrecht des Dritten ist, dass der Bestattende Sicherheit dafür leistet, dass kein anderer das funeraticium verlangen wird. Dafür kommt nur der heres scriptus in Frage. Zweck der satisdatio ist zu verhindern, dass neben dem Dritten auch der Erbe das funeraticium vom Verein fordert, zumal der Dritte die Erstattung der Begräbniskosten vom Erben mit der actio funeraria verlangen kann.30 Auch hier wird deutlich, dass das funeraticium zugunsten des Dritten die Funktion eines Aufwendungsersatzes hat. Es ist kaum wahrscheinlich, dass eine derart differenzierte Regelung getroffen wird, wenn sie nach ius civile unwirksam wäre.31 Vielmehr ist anzunehmen, dass die Satzungsautonomie des Vereins auch die Begründung einer Obligation zugunsten eines Nichtmitglieds umfasst. Denn auch wenn dadurch eine Person begünstigt wird, die nach dem Zwölftafelgesetz nicht zu den Trägern der Satzungsautonomie zählt, trifft die Verpflichtung nur 24 Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 367. 25 D. 29.2.20.1 (Ulp. 61 ed.); D. 11.7.14.7 – 8, 13 (Ulp. 25 ed.). Hierzu Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 366 Fn. 3; Bürge, RP, 179 f. Fn. 79. 26 Ebenso Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 368 f. 27 Passivlegitimiert sind: der zivile oder prätorische Erbe, D. 11.7.14.17 (Ulp. 25 ed.); bei einer

28 29 30 31

verheirateten Frau der Inhaber der dos, D. 11.7.16, 20, 22, 24, 27 (Ulp. 25 ed.); bei einem Soldaten der Rechtsnachfolger für das peculium castrense, D. 11.7.31 pr. (Ulp. 25 ed.); bei einem Sklaven der Eigentümer, D. 11.7.31.1 (Ulp. 25 ed.). Zum Ganzen Lenel, EP, 231; Ph. Thomas, Fs. Pool, 321 (324 – 329); Unger, Actio funeraria, 121 – 126. Vgl. Mommsen, De collegiis, 104 f.; Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 366 f. Vgl. Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 367. Mommsen, De collegiis, 106. Zum Umfang der Ersatzpflicht nach der actio funeraria Ph. ­Thomas, Fs. Pool, 321 (331); Unger, Actio funeraria, 139 – 142. Maßstab der Ersatzpflicht ist das aequum, D. 11.7.14.6 (Ulp. 25 ed.); hierzu Lenel, EP, 229 – 231. Vgl. Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 367 f.

266

Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

die Gesamtheit der Vereinsmitglieder. Diese aber können sich nach dem Zwölftafelgesetz durch kollektive Normgebung verpflichten.32 3. Die Forderungen der Vereinsfunktionäre a) Die Sonderrechte der Vereinsfunktionäre Einige leges collegii sehen vor, dass die Vereinsfunktionäre während ihrer Amtszeit gegenüber einfachen Mitgliedern bevorzugt behandelt werden. Nach der lex collegii eborariorum et citriariorum stehen ihnen commoda zu.33 Nach dem Kontext der Klausel, in der es um die Verteilung von Geldern aus der Vereinskasse geht, dürften damit besondere Zahlungen aus dieser gemeint sein. Nach der lex collegii Lanuvini sind die quinquennales einerseits von der Zahlung der sigilla befreit, andererseits steht ihnen bei jeder divisio unter den Mitgliedern des Vereins das Doppelte im Vergleich zu einem einfachen Mitglied zu.34 Scriba, viator und ehemalige quinquennales des Vereins erhalten bei Verteilungen das Anderthalbfache.35 Die herausgehobene Position der Funktionäre spiegelt sich also darin, dass die lex collegii ihnen ein höheres Forderungsrecht gegenüber dem Verein einräumt als den einfachen Mitgliedern. b) Der Aufwendungsersatz und die Rechnungslegungspflicht der Vereinsfunktionäre

Darüber hinaus sieht eine Reihe von Bestimmungen vor, dass die Funktionäre vom Verein ganz oder teilweise Ersatz ihrer Aufwendungen für ihre Tätigkeit erhalten. Ersatz der Aufwendungen für die sacra des Vereins 36 sieht die lex familiae Silvani vor:

32 Ausführlich hierzu unten V. Kap., § 2 II. 33 CIL VI 33885 = ILS 7214 = FIRA2 III 33, Z. 19 – 20 (Roma, 117 – 138): […] Item placere, / [qui curatores facti erunt, u]t sui anni commoda cuncta acciperent. Hierzu Gradenwitz, SZ 12 (1891),

138 (141).

34 CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA2 III 35, Sp. 2, Z. 17 – 19 (Lanuvium, Latium et Campania, 136):

Item placuit, ut quisquis quinquennalis in hoc collegio factus fuerit, is a sigillis eius temporis, / quo quinquennalis erit, immunis esse debebit, et ei ex omnibus divisionibus partes dupl[as] / dari […]. Hypothesen zur Bedeutung von sigilla bei Mommsen, De collegiis, 106 f.; als Vorteil zugunsten der quinquennales fasst die Regelung auf Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 372. 35 CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA2 III 35, Sp. 2, Z. 19 – 22 (Lanuvium, Latium et Campania, 136): […] item scribae et viatori a sigillis vacantibus partes ex omni divisione sesquip[las] / dari placuit. / Item placuit, ut quisquis quinquennalitatem gesserit integre, ei ob honorem partes se[squi]/plas ex omni re dari, ut et reliqui recte faciendo idem sperent. 36 Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 372.

267

Die Begründung durch die lex collegii

AE 1929, 161 = FIRA2 III 37, Z. 2 – 5 (Trebula Mutuesca, Latium et Campania, 60)

[…] Qui ex familia magistri facti erunt  / ad sacrum faciendum deo accipient  / ex arca HS CCXL , suo quique die, et ne  / 5 minus adicere debeat ap se HS CCV.

Diejenigen, die aus der familia zu magistri gemacht worden sind, werden für die Durchführung des Opfers an den Gott aus der Kasse 240 Sesterze erhalten, jeder für seinen Tag, und jeder wird nicht weniger als 205 Sesterze aus seinem Vermögen hinzufügen.

Die magistri des Vereins sollen aus der arca 240 Sesterze für das Opfer an Silvanus erhalten und darüber hinaus 205 Sesterze aus ihrem eigenen Vermögen für das Opfer aufwenden. Diese Verbindung von Aufwendungsersatz aus der Vereinskasse und dem Aufbringen eigener Mittel findet sich auch in Bestimmungen zu den Vereinsbanketten. Die lex collegii eborariorum et citriariorum sieht dazu vor: CIL VI 33885 = ILS 7214 = FIRA2 III 33, Z. 12 – 14 (Roma, 117 – 138)

[Item - - - natali I]uli Aeliani spor­ tulae ex arca darentur X III et a cur(atoribus)  / [pan(em) et vinum et caldam pas]sive praestari placuit iis qui ad tetrastylum epulati / [fuerint] […].

Ebenso  … fand Zustimmung, dass am Geburtstag des Iulius Aelianus als Geldgeschenke aus der Kasse 3 Denare gegeben sowie von den curatores Brot, Wein und heißes Wasser unterschiedslos denen gestellt werden sollen, die im Säulenhof speisen werden.

Beim Bankett zum Geburtstag des Iulius Aelianus, eines Patrons des Vereins,37 sollen sportulae in Höhe von drei Denaren unter den Mitgliedern verteilt werden. Sie werden aus der arca des Vereins genommen. Darüber hinaus sollen die curatores Brot, Wein und warmes Wasser unterschiedslos 38 unter den am Bankett teilnehmenden Mitgliedern verteilen.39 Da die arca nur im Zusammenhang mit den sportulae erwähnt wird, ist anzunehmen, dass die curatores die Kosten für die Nahrungsmittel tragen.40 Diese Kombination von Aufwendungsersatz aus Vereinsmitteln und Verpflichtung des Vereinsfunktionärs, die Mittel für seine Amtstätigkeit selbst aufzubringen,41 weist Ähnlichkeiten zur Stellung der Inhaber gemeindlicher honores auf, die ebenfalls zum Teil eigene Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben aufbringen müssen.42 Die Innehabung eines Vereins- wie eines Gemeindeamtes steht in 37 Gradenwitz, SZ 11 (1890), 72 (82). 38 Siehe Arangio-Ruiz, FIRA2 III, p. 95 Fn. 6. 39 Gradenwitz, SZ 11 (1890), 72 (82 f.). 40 Zweifelnd Gradenwitz, SZ 12 (1891), 138 (141). 41 Flambard, in: Hinard, La mort, 209 (223); Buonocore/Diliberto, MEP 11 (2006), 211 (148); Bendlin, in: Öhler, Aposteldekret, 207 (266 – 269). Zweifelnd Arangio-Ruiz, FIRA2 III, p. 110

Fn. 2.

42 D. 50.4.14 pr. (Callist. 1 cogn.): Honor municipalis est administratio rei publicae cum digni­

tatis gradu, sive cum sumptu sive sine erogatione contingens. Hierzu Bonini, Libri de

268

Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

einem engen Zusammenhang mit dem kaiserzeitlichen Euergetismus.43 Dieser findet auch in den leges collegii Niederschlag, wenn sie die Vereinsfunktionäre verpflichten, die Aufwendungen teilweise selbst zu tragen, die ihnen während ihrer Amtszeit entstehen.44 Daher überrascht es nicht, dass ein vollständiger Ersatz sämtlicher entstandener Aufwendungen nur ein einziges Mal überliefert ist und gerade nicht dem Inhaber eines Vereinsamts zugutekommt. Die lex collegii Lanuvini sieht vor, dass für das Begräbnis eines Mitglieds, das innerhalb von 20 Meilen von Lanuvium gestorben ist, die speziell damit beauftragten drei Mitglieder des Vereins Aufwendungsersatz erhalten: CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA2 III 35, Sp. 1, Z. 26 – 29 (Lanuvium, Latium et Campania, 136)

Item placuit: quisquis a municipio ultra milliar(ium) XX decesserit et nuntiatum fuerit, eo exire debebunt / electi ex corpore n(ostro) homines tres, qui funeris eius curam agant, et rationem populo reddere debebunt  / sine dolo m[al]o; et si quit in eis fraudis causa inventum fuerit, eis multa esto quadruplum. Quibus / [funeraticium] eius dabitur, hoc amplius viatici nomine ultro citro sing(ulis) HS XX n(ummi). […]

Ebenso fand Zustimmung: Wenn jemand jenseits des 20. Meilensteins vom municipium entfernt verstorben und dies mitgeteilt worden ist, werden drei Männer, die aus unserer körperschaftlichen Organisation gewählt worden sind und die für sein Begräbnis sorgen sollen, hinausgehen und der Gesamtheit der Mitglieder ohne Arglist Rechnung legen müssen. Und wenn bei ihnen eine arglistige Handlung festgestellt wird, soll sie eine Buße auf das Vierfache treffen. Ihnen wird sein Begräbnisgeld und darüber hinaus jedem einzelnen jeweils 20 Sesterze als Reisegeld gegeben werden.

Die electi tragen die funeris […] cur[a], haben also die Bestattung durchzuführen. Sie erhalten vor ihrer Abreise zusammen das funeraticium in Höhe von 300 Sesterzen und zusätzlich jeder ein viaticum in Höhe von 20 Sesterzen.45 Nach ihrer Rückkehr sollen sie dem populus collegii Rechnung über die tatsächlichen Kosten der Bestattung legen.46 Ausdrücklich erwähnt die lex, dass die Abrechnung ohne Arglist vorgenommen werden muss, und sieht

43 44 45 46

c­ ognitionibus I, 39 f., 42; Grelle, in: Entrate, 137 (143 f.); Lo Cascio, in: Capogrossi Colognesi/ Gabba, Statuti municipali, 673 (683). Zu entsprechenden Bestimmungen der Stadtgesetze über die Kostentragung für die Spiele Cappelletti, in: Harter-Uibopuu/Kruse, Sport und Recht, 167 – 194. Siehe nur Eck, Actes du Xe Congr. Int. d’Épigr. Grecque et Latine, 305 (307 – 309); Tran, Membres, 174 – 203. Vgl. auch die zahlreichen Zuwendungen von Vereinsfunktionären ob honorem; hierzu Tran, Membres, 191 – 194. Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 365. Ebenfalls im Zusammenhang mit einer Bestattung durch die curatores sieht die lex collegii incerti Ostiensis (AE 2012, 312, Z. 8 [Ostia, Latium et Campania]) eine Rechnungslegung gegenüber dem populus collegii vor; Laubry/Zevi, ArchClass 63 (2012), 297 (330 f.).

269

Die Begründung durch die lex collegii

als Sanktion das quadruplum vor.47 Ob die electi den nicht für die Bestattung aufgewendeten Restbetrag des funeraticium für sich behalten dürfen,48 bleibt ebenso offen wie die Frage, ob tatsächlich entstandene höhere Aufwendungen für die Bestattung vom Verein übernommen werden. Für eine Erstattung des tatsächlich entstandenen Aufwands spricht die Verpflichtung zur Rechnungslegung, deren Bedeutung durch die Androhung des quadruplum als multa noch hervorgehoben wird. Die Verpflichtung der Vereinsfunktionäre zur Rechnungslegung findet ihre Parallele in derselben Verpflichtung der Munizipalmagistrate.49 Die lex Irnitana legt fest: c. 67 l.Irn. = AE 1986, 333, tab. VIIC, Z. 26 – 36 (Irni, Baetica, 91) […] Quique rationes communes nego­ tiumve quot / commune municipum eius municipi gesserit trac/taverit, is heresve eius, isve ad quem ea res pertinebit, / in diebus XXX proximis quibus ea negotia easve rati/30ones gerere tractare desierit quibusque decuriones / conscriptive habebuntur rationes edito reddito/que decurionibus conscriptisve, cuive de is accipiendis cognoscendis ex decreto decurionum conscripto/rumve, quod decretum ­factum erit cum eorum partes / 35 non minus quam duae tertiae adessent, negotium da/tum erit […].

Wer die gemeinsamen Rechnungsbücher oder ein gemeinsames Geschäft der Gemeindebürger ­dieses municipium geführt oder verwaltet hat, dieser, sein Erbe oder derjenige, den diese Sache angehen wird, soll innerhalb von 30 Tagen, nachdem er aufgehört hat, diese Geschäfte oder diese Rechnungsbücher zu führen oder zu verwalten, wenn dann eine Sitzung der Ratsherren stattfindet, den Ratsherren oder demjenigen Rechnung legen, dem durch Beschluss der Ratsherren, der in Anwesenheit von nicht weniger als zwei Dritteln von ihnen gefasst worden ist, die Aufgabe übertragen worden ist, die Rechnungslegung entgegenzunehmen und zu prüfen.

Wer mit den Büchern der Gemeinde betraut ist oder ein Geschäft der Gemeinde geführt hat, ist verpflichtet, den decuriones oder ihrem Beauftragten binnen 30 Tagen Rechnung zu legen;50 dieselbe Verpflichtung trifft den zivilen oder prätorischen Erben dieser Person.51 Wie beim collegium Lanuvinum ist eine Rechnungslegung nach Beendigung der Geschäftsführung für die Gemeinde vorgesehen. In beiden Fällen erfolgt sie vor einem Gremium, beim Verein vor 47 Allerdings ist dessen Bezugspunkt unklar. Kontext und Syntax sprechen dafür, dass sich das

quadruplum an der Höhe des funeraticium orientiert.

48 So vorsichtig Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 365. 49 l.Tarent. = CIL I² 590 = ILS 6086 = FIRA² I 18, Sp. 1, Z. 21 – 25; hierzu A. D’Ors, Ley Flavia

municipal, 151 f.; Laffi, Colonie e municipi, 191 (213 f.). cc. 13, 80 l.Urson.; hierzu Caballos Rufino, Nuevo bronce de Osuna, 206 f. 50 Zum Umfang der Rechnungslegungspflicht Lamberti, Tabulae Irnitanae, 97; Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (276 – 279); vgl. auch D. 35.1.82 (Callist. 2 quaest.). 51 Lamberti, Tabulae Irnitanae, 116 f.

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Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

dem populus collegii, bei der Gemeinde grundsätzlich vor den decuriones, wenn diese nicht einen besonderen Beauftragten bestimmt haben.52 Die Pflicht zur Rechnungslegung ist ein Charakteristikum von Geschäftsführungsverhältnissen.53 Sie dient dazu, die Herausgabepflichten und den Aufwendungsersatz des Geschäftsführers festzustellen. Beim collegium Lanuvinum soll festgestellt werden, ob die electi einen Teil des erhaltenen funeraticium herauszugeben verpflichtet sind, das ihnen zur Deckung ihres Aufwands überlassen worden ist. Bei der Gemeinde soll geklärt werden, ob die Munizipalmagistrate Gemeindegelder herauszugeben verpflichtet sind.54 In beiden Fällen wird auf diese Weise geklärt, ob die Geschäftsführung pflichtgemäß erfolgt ist. Ist dies nicht der Fall, steht in beiden Fällen ein weiteres Vorgehen im Raum: Die lex collegii droht eine multa auf das quadruplum an, für die Gemeinde kann das iudicium de pecunia communi angestrengt werden.55 Die Vorschriften der leges collegii zum Aufwendungsersatz und zur Rechnungslegungspflicht erlauben eine Erklärung des Phänomens, dass bei Verträgen mit Dritten im Außenverhältnis regelmäßig die Vereinsfunktionäre haften, nicht der Verein. Denn wenn die lex collegii oder ein einfacher Beschluss der Vereinsmitglieder den Funktionären das Recht gibt, aus dem Vereinsvermögen Ersatz der Aufwendungen zu erlangen, die ihnen durch das Eingehen einer Verbindlichkeit im Außenverhältnis entstanden ist, entspricht dies dem Grundsatz der indirekten Stellvertretung,56 den das römische Recht im Gegensatz zur direkten Stellvertretung von alters her kennt.57 Die Vereinsfunktionäre sind also in der Regel indirekte Stellvertreter. Sofern sie ein Geschäft für den Verein eingehen und aus ­diesem selbst verpflichtet werden, können sie Aufwendungsersatz nach Maßgabe der lex collegii erlangen. Die Rechnungslegungspflicht stellt sicher, dass das Vereinsvermögen nicht veruntreut wird. Dass die erhaltenen leges collegii nur einmal einen vollständigen Aufwendungsersatz vorsehen, liegt, wie gesehen, daran, dass von den Vereinsfunktionären erwartet wird, ihr eigenes Vermögen für den Verein einzusetzen.

52 Spitzl, Lex municipii Malacitani, 113 f. 53 Vgl. die Pflicht des Vormunds zur Rechungslegung nach Beendigung der Vormundschaft,

Gai. 1.191: […] ubi pupillorum pupillarumve negotia tutores tractant, eis post pubertatem tutelae iudicio rationem reddunt; Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (274 Fn. 55, 277). 54 Hierzu Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (272 – 276). 55 Dazu Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 – 334. 56 Honsell/Mayer/Maly/Selb, RR, 112 f. 57 Siehe nur Schulz, Prinzipien, 66; Flume, Rechtsakt, 81 – 84.

271

Die Begründung durch die lex collegii

III. Multae 1. Sanktionen für Amtspflichtverletzungen der Vereinsfunktionäre

Die leges collegii enthalten zahlreiche Bestimmungen, ­welche die Verletzung einer Amtspflicht der Vereinsfunktionäre sanktionieren. Eine ­solche findet sich etwa in der lex familiae Silvani: AE 1929, 161 = FIRA2 III 37, Z. 2 – 6 (Trebula Mutuesca, Latium et Campania, 60)

[…] Qui ex familia magistri facti Diejenigen, die aus der familia zu magistri gemacht worerunt  / ad sacrum faciendum deo, den sind, werden für die Durchführung des Opfers an accipient  / ex arca HS CCXL, suo den Gott aus der Kasse 240 Sesterze erhalten, jeder für quique die, et ne  / 5 minus adicere seinen Tag, und jeder wird nicht weniger als 205 Sesterze debeat ap se HS CCV;  / si ita non aus seinem Vermögen hinzufügen. Wenn er dies nicht so fecerit, d(are) d(ebeat) HS CCC […]. getan hat, soll er 300 Sesterze geben müssen.

Den magister trifft eine multa von 300 Sesterzen, wenn er das Opfer für Silvanus nicht entsprechend der Regelung der lex vollzieht. Diese sieht vor, dass der magister zur Deckung des Aufwands, der mit dem Opfer verbunden ist, 240 Sesterze aus der Vereinskasse entnehmen und weitere 205 Sesterze aus dem eigenen Vermögen aufwenden soll. Dieser Kontext macht deutlich, dass die multa in erster Linie erreichen will, dass der magister einerseits keinen höheren Betrag aus der Vereinskasse und andererseits keine niedrigere Summe aus dem eigenen Vermögen entnimmt. Nur indirekt bezweckt diese Regelung, den angemessenen Vollzug des Kults zu gewährleisten.58 Wie ihre Höhe vielmehr zeigt, dient die multa dem Schutz des Vereinsvermögens: Sie liegt mit 300 Sesterzen über den Beträgen, die der magister jeweils aus dem Vereinsvermögen und seinem eigenen Vermögen aufwenden soll, und entfaltet daher abschreckende Wirkung.59 Auch die lex collegii Lanuvini sieht multae beim Verstoß der Vereinsfunktionäre gegen Amtspflichten vor. Neben dem quadruplum, das bei einer betrügerischen Rechnungslegung für die Bestattung eines Mitglieds vorgesehen ist,60 findet sich auch eine Bestimmung, die sicherstellen soll, dass die Vereinsbankette satzungsgemäß abgehalten werden: CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA2 III 35, Sp. 2, Z. 8 – 9 (Lanuvium, Latium et Campania, 136)

[…] Item placuit: quisquis magister suo anno erit ex ordine al[bi]  / ad cenam faciendam et non observaverit neque fecerit, is arcae inferet HS XXX n(ummos).

Ebenso fand Zustimmung: Wer als magister in seinem Jahr nach der Reihenfolge des Mitgliederverzeichnisses für die Ausrichtung eines Banketts zuständig ist, dies nicht beachtet und nicht getan hat, soll in die Kasse 30 Sesterze einzahlen.

58 So aber Schnorr v. Carolsfeld, 377. 59 Buonocore/Diliberto, MEP 11 (2006), 211 (248). 60 Siehe oben V. Kap., § 1 II.3.b).

272

Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

Wer als magister für die Ausrichtung der Bankette zuständig ist, diese Aufgabe aber nicht wahrnimmt, hat eine multa von 30 Sesterzen zu zahlen. Auch diese Vorschrift sanktioniert also nicht nur die Verletzung einer Amtspflicht, sondern dient dem Schutz des Vereinsvermögens, da der magister die Aufwendungen für Wein und Brot bei den Banketten zu tragen hat.61 Schädigt ein Vereinsfunktionär das Vereinsvermögen dadurch, dass er einen Aufwand nicht trägt, den er nach den Bestimmungen der lex collegii zu tragen hat, wird die Amtspflichtverletzung mit der multa sanktioniert. 2. Sanktionen im Zusammenhang mit Stiftungen

Die lex collegii Aesculapii et Hygiae sieht Sanktionen vor, die im Zusammenhang mit zwei Stiftungen inter vivos zugunsten des collegium stehen: CIL VI 10234 = ILS 7213 = FIRA2 III 36, Z. 19 – 22 (Roma, 153)

[…] Quodsi ea pecunia omnis, quae s(upra) s(cripta) est, quam dedit donavit collegio s(upra) s(cripto) / 20 Salvia C. f. Marcellina et P. Aelius Aug(usti) lib(ertus) Zeno, in alios usus convertere voluerint quam in eos usus, qui s(upra) s(cripti) s(unt), quos ordo collegi n(ostri) decrevit, et uti / haec omnia, q(uae) s(upra) s(cripta) s(unt), suis diebus ut ita fiant dividantque: quodsi adversus ea quid fecerint sive quid ita non fecerint, tunc q(uin)q(uennalis) vel curato/res eiusdem collegi, qui tunc erunt, si adversus ea quid fecerint, q(uin)q(uennalis) et curatores s(upra) s(cripti) uti poenae nomine arkae n(ostrae) inferant HS XX m(ilia) n(ummum).

Wenn sie d ­ ieses ganze Geld, das oben genannt ist, das dem oben genannten Verein Salvia, Tochter des Gaius, Marcellina und P. Aelius, Freigelassener des Kaisers, Zeno gegeben und geschenkt haben, zu anderen Zwecken verwenden wollten als zu den Zwecken, die oben genannt sind, w ­ elche die Versammlung unseres Vereins beschlossen hat, und all das, was oben genannt ist, an den jeweiligen Terminen anders als so, wie es geschehen und verteilt werden soll; wenn sie dagegen gehandelt haben oder nicht so gehandelt haben, dann sollen der quinquennalis oder die curatores ­dieses Vereins, die dann amtieren werden, wenn sie dagegen gehandelt haben, sollen der quinquennalis und die curatores, die oben genannt sind, als Strafe in unsere Kasse 20.000 Sesterze einzahlen.

Salvia Marcellina hat dem collegium ein Grundstück samt Zubehör sowie 60.000 Sesterze mit der Auflage geschenkt, die Schenkung für Bankette und sportulae zugunsten der Vereinsmitglieder zu verwenden.62 Ihr Schwager P. Aelius Zenon hat dem collegium weitere 10.000 Sesterze ebenfalls für sportulae geschenkt.63 Die Inschrift überliefert ein decretum (Z. 23) der als ordo (Z. 20) bezeichneten Gesamtheit der Mitglieder. Für den Fall, dass die gestifteten Gelder zu anderen 61 CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA2 III 35, Sp. 2, Z. 14 – 16 (Lanuvium, Latium et Campania, 136):

Magistri cenarum ex ordine albi facti qu[- - -]o ordine homines quaterni ponere debeb[unt] / vini boni amphoras singulas et panes a(ssium) II, qui numerus collegi fuerit, et sardas n[u-]/ mero quattuor, strationem, caldam cum ministerio. 62 Flambard, in: Hinard, La mort, 209 (237 f.). 63 Flambard, in: Hinard, La mort, 209 (238).

Die Begründung durch die lex collegii

273

Zwecken als den von den Stiftern vorgesehenen verwendet werden 64 oder dass die Verteilung der sportulae nicht wie beschlossen erfolgt, sieht das decretum vor, dass der quinquennalis oder die curatores eine multa von 20.000 Sesterzen an die Vereinskasse zahlen müssen. Die Inschrift trägt den Titel Lex collegi(i) Aesculapi et Hygiae (Z. 1) und belegt, dass einzelne Beschlüsse der Vereinsmitglieder dieselbe Rechtsnatur wie leges collegii haben.65 Mit derartigen Beschlüssen nimmt die begünstigte Körperschaft die Zuwendung des Stiftungskapitals an.66 Der Annahme wird regelmäßig eine längere Verhandlungsphase vorangegangen sein,67 seit der Stifter seinen Willen zur Errichtung der Stiftung erstmals in einer epistula bekundet hat.68 Wie die epigraphische Praxis des griechischen Raums erkennen lässt, enthält bereits diese Ankündigung des Stifters (ἐπαγγελία) Bestimmungen zum Stiftungszweck und zu dessen Sicherung; rechtliche Verbindlichkeit erlangen diese Vorschriften jedoch erst, wenn die Körperschaft, die Trägerin des Stiftungsvermögens werden soll, sie durch einen mit der ἐπαγγελία korrespondierenden Beschluss annimmt.69 Im Westen des Reichs hat sich kein vollständiges Dossier erhalten, das sowohl epistula als auch decretum umfasst. Die lex collegii Aesculapii et Hygiae enthält lediglich den Annahmebeschluss, der eine multa für die Vereinsfunktionäre vorsieht, die den Stifterwillen nicht vollziehen.70 Auf diese Weise stellt die lex sicher, dass das Stiftungsvermögen nur für den Stiftungszweck verwendet wird. 3. Sonstige Sanktionen

Die leges collegii umfassen ferner Vorschriften, die sonstiges Verhalten der Mitglieder sanktionieren. So sieht die lex collegii Lanuvini vor:

64 Zur Formulierung quodsi ea pecunia omnis […] in alios usus convertere voluerint (Z. 19 f.)

Laum, Stiftungen I, 187.

65 Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 387 f.; vgl. Flambard, in: Hinard, La mort, 209 (237). 66 Laum, Stiftungen I, 211 f.; Le Bras, St. Riccobono III, 21 (43 f.); Johnston, JRS 75 (1985), 105 (112); Magioncalda, in: Entrate, 175 (194 – 196); dies., MEP 11 (2006), 193 (196). 67 Als einziges Zeugnis dieser Phase hat sich das Dossier AE 1998, 282 (Lavinium, Latium et Campania, 227/228) erhalten; hierzu Magioncalda, MEP 11 (2006), 193 f.; Liu, in: Bodel/

Dimitrova, Ancient Documents, 248 – 262.

68 Epistulae überliefern CIL V 1978 = ILS 6690 (Opitergium, Venetia et Histria, 71 – 130); CIL XII 4393 = ILS 7259 (Narbo, Gallia Narbonensis, 149); lediglich erwähnt wird die epistula des Stifters in CIL X 4643 (Cales, Latium et Campania). Zum Ganzen Magioncalda, MEP 11

(2006), 193 – 196.

69 Laum, Stiftungen I, 213 – 216; Wolff, Iura 13 (1962), 265 (269); vgl. Wörrle, Stadt und Fest, 22 – 31. 70 Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 374; Le Bras, St. Riccobono III, 21 (57); Flambard,

in: Hinard, La mort, 209 (238).

274

Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA2 III 35, Sp. 2, Z. 25 – 28 (Lanuvium, Latium et Campania, 136)

Item placuit, ut quisquis seditionis causa de loco in alium locum transierit, ei multa es/to HS IIII n(ummi). Si quis autem in obprobrium alter alterius dixerit aut tu[mul]/tuatus fuerit, ei multa esto HS XII n(ummi). Si quis quinquennali inter epul[as] / obprobrium aut quit contumeliose dixerit, ei multa esto HS   XX n(ummi).

Ebenso fand Zustimmung, dass eine Buße von 4 Sesterzen trifft, wer zum Zweck des Störens von einem Platz zu einem anderen Platz gegangen ist. Wenn aber jemand zur Beleidigung eines anderes etwas gesagt hat oder sich empört hat, soll ihn eine Buße von 12 Sesterzen treffen. Wenn jemand zum quinquennalis während der Bankette eine Beleidigung oder etwas Verächtliches gesagt hat, soll ihn eine Buße von 20 Sesterzen treffen.

Für störendes Verhalten bei Vereinsbanketten wird eine Buße von vier Sesterzen vorgeschrieben.71 Die Beleidigung eines anderen Mitglieds oder eine Störung durch Empörungen wird mit zwölf Sesterzen geahndet. Schwerer wiegt die Beleidigung eines quinquennalis, da sie mit einer multa von 20 Sesterzen sanktioniert wird. Derartige Strafbestimmungen dienen nicht dem Schutz des Vereinsvermögens, sondern der Aufrechterhaltung der Ordnung bei Veranstaltungen des Vereins.72

§ 2

Der Geltungsgrund der lex collegii im Recht der Kaiserzeit

I. Die Aussagen der kaiserzeitlichen leges collegii und Vereinsbeschlüsse zu ihrem Geltungsgrund Einige der überlieferten leges collegii, die allesamt aus der Kaiserzeit stammen, machen Aussagen zu ihrem Geltungsgrund. Die lex collegii Lanuvini wird in der Präambel als le[x] ab ipsis constitut[a] bezeichnet.73 Sie ist also Ausdruck der kollektiven Selbstbestimmung der cultores Diaenae et Antinoi, auf die sich ipsis bezieht. Im Fortgang der Präambel wird dies noch deutlicher: CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA2 III 35, Sp. 1, Z. 15 – 17 (Lanuvium, Latium et Campania, 136)

[…] bene adque industrie contraxerimus, ut / [e]xitus d[efu]nctorum honeste prosequamur. Itaq(ue) bene conferendo universi consentire  / debemus, u[t long]o tempore inveterescere possimus. […]

Wir sind gut und eifrig übereingekommen, damit das Hinscheiden der Verstorbenen ehrenvoll begangen wird. Daher müssen wir alle darin übereinstimmen, unsere Beiträge zuverlässig zu leisten, damit wir über einen langen Zeitraum bestehen können.

71 Vgl. die Sanktion von Störungen der sacra des Vereins in der lex familiae Silvanae (AE 1929, 161 = FIRA 2 III 37, Z. 6 – 9 [Trebula Mutuesca, Latium et Campania, 60]): […] Cum ad /

sacrum ventum erit, ne quis litiget / neve rixam faciat neve extrane/um invitet ea die; si ita fecerit, d(are) d(ebeat) HS XX. 72 Vermutungen zum Hintergrund derartiger Regelungen bei Bendlin, in: Öhler, Aposteldekret, 207 (243). 73 CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA2 III 35, Sp. 1, Z. 6 (Lanuvium, Latium et Campania, 136).

Der Geltungsgrund der lex collegii im Recht der Kaiserzeit

275

Die Festlegung des Zwecks des Vereins, die Totenbestattung, wird als contrahi bezeichnet. Die Beschlussfassung über die lex collegii selbst wird als consentire der universi, mithin als Übereinstimmung des Willens aller Mitglieder bezeichnet. Die erste Klausel der lex wird mit [plac]uit universis, die weiteren Klauseln mit item placuit eingeleitet;74 auch diese Formulierungen führen die einzelnen Bestimmungen auf den Willen der Gesamtheit der Mitglieder zurück. Auch einfache Vereinsbeschlüsse haben ihren Geltungsgrund im übereinstimmenden Willen der Gesamtheit der Mitglieder. Bei der lex collegii Aesculapii et Hygiae handelt es sich um einen Beschluss, mit dem die Mitgliederversammlung des Vereins zwei Stiftungen unter Lebenden annimmt: CIL VI 10234 = ILS 7213 = FIRA2 III 36, Z. 19 – 24 (Roma, 153)

[…] Quodsi ea pecunia omnis, quae s(upra) s(cripta) est, quam dedit donavit collegio s(upra) s(cripto) / 20 Salvia C. f. Marcellina et P. Aelius Aug(usti) lib(ertus) Zeno, in alios usus convertere voluerint quam in eos usus, qui s(upra) s(cripti) s(unt), quos ordo collegi n(ostri) decrevit, et uti / haec omnia, q(uae) s(upra) s(cripta) s(unt), suis diebus ut ita fiant dividantque: quodsi adversus ea quid fecerint sive quid ita non fecerint, tunc q(uin)q(uennalis) vel curato/res eiusdem collegi, qui tunc erunt, si adversus ea quid fecerint, q(uin)q(uennalis) et curatores s(upra) s(cripti) uti poenae nomine arkae n(ostrae) inferant (sestertium) XX m(ilia) n(ummum). /

Wenn sie d ­ ieses ganze Geld, das oben genannt ist, das dem oben genannten Verein Salvia, Tochter des Gaius, Marcellina und P. Aelius, Freigelassener des Kaisers, Zeno gegeben und geschenkt haben, zu anderen Zwecken verwenden wollten als zu den Zwecken, die oben genannt sind, w ­ elche die Versammlung unseres Vereins beschlossen hat, und all das, was oben genannt ist, an den jeweiligen Terminen anders als so, wie es geschehen und verteilt werden soll; wenn sie dagegen gehandelt haben oder nicht so gehandelt haben, dann sollen der quinquennalis oder die curatores ­dieses Vereins, die dann amtieren werden, wenn sie dagegen gehandelt haben, sollen der quinquennalis und die curatores, die oben genannt sind, als Strafe in unsere Kasse 20.000 Sesterze einzahlen.

Hoc decretum ordini n(ostro) placuit in conventu pleno, quod gestum est in templo divorum in aede divi Titi V id(us) Mart(ias) C. Bruttio Prae/sente A. Iunio Rufino co(n)s(ulibus), q(uin)q(uennali) C. Ofilio Hermete, curatorib(us) P. Aelio Aug(usti) lib(ertus) Onesimo et C. Salvio Seleuco.

Dieser Beschluss fand die Zustimmung unserer Versammlung bei einer Zusammenkunft aller, die im Tempel der vergöttlichten ­Kaiser im Heiligtum des vergöttlichten Titus am 5. Tag vor den Iden des März im Konsulat des C. Bruttius Praesens und des A. Iunius R ­ ufinus abgehalten wurde, als C. Ofilius Hermes quinquennalis und P. Aelius, Freigelassener des K ­ aiser, Onesimus und C. Salvius Seleucus curatores waren.

74 Placere findet sich in derselben Bedeutung auch in der lex incerti collegii Romae (CIL VI 1932a = 5179 [Roma, 1. Jhd. n. Chr.]) und der lex collegii eborariorum et citriariorum (CIL VI 33885 = ILS 7214 = FIRA2 III 33 [Roma, 117 – 138]).

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Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

Am Ende des Beschlusses (decretum) wird eine multa für Vereinsfunktionäre festgesetzt, die das Stiftungsvermögen entgegen dem Stifterwillen verwenden.75 Danach wird festgestellt, dass dieser Beschluss von den hier als ordo bezeichneten Mitgliedern bei einer Vollversammlung (conventus plenus) gebilligt worden ist (placuit), worauf Ort und Datum folgen. Das decretum gibt damit als seinen Geltungsgrund den Willen der Gesamtheit der Mitglieder an. Dasselbe ergibt sich aus einer Inschrift aus dem sacellum der Augustalen von Misenum. Wie die lex collegii Aesculapii et Hygiae enthält sie einen Beschluss, mit dem eine Stiftung inter vivos angenommen wird: AE 1993, 468, Z. 1 – 22 (Misenum, Latium et Campania, 102)

L. Iulio Urso Serviano II   / L. Licinio Sura II co(n)s(ulibus), / III Nonas Ianua­ r(ias), / Miseni in templo Aug(usti) quod est Augustalium, petente  / 5 Tullio Eutycho curatore perpetuo, de confirmand(a) / voluntate pollicitationis suae HS triginta mill(ia)  / nummorum, cuius summae incrementum omnibus  / annis Augusta­ lib(us) corporatis dividatur, idque perpetua  / securitate confirmaretur, placuit:  / 10 Cum Tullius Eutychus largissima voluntate sua rem / communem n(ostram) locupletaverit offerendo arcae n(ostrae) / HS XXX m(ilia) n(ummorum), cuius summae reditum quod annis pr(idie) idus / Iunias natale municipi corpori nostro viritim divisio / fiat, sitque nobis sollemne hanc benefici eius / 15 largitionem perpetuo conservare,  / placere itaq(ue) Augustalibus omnib(us) annis pr(idie) idus Iunias / ex incremento HS XXX m(ilia) nummor(um) Augusta­lib(us) corporatis  / divisionem fieri idque curatores sui cuiusque anni  / opservare neve quid aliter curator quisve alius fecisse  / 20 referreve neve adversus hoc decretum aliud inter/posuisse sancisseq(ue) velit. Qui adversus ea curator / Augustalisve quid fecerit fierive passus erit, is rei / communi Augustalium HS quinquaginta millia n(ummorum) / damnas esto dare […].

Im 2. Konsulat des L. Iulius Urso und des L. Licinius Sura, am 3. Tag vor den Nonen des Januar, in Misenum im Tempel des Augustus, der den Augustalen gehört, fand die Bitte des curator perpetuus Tullius Eutychus um Billigung seiner Absicht einer Zuwendung von dreißigtausend Sesterzen, deren Ertrag jedes Jahr an die körperschaftlich organisierten Augustalen verteilt und dies durch eine dauerhafte Sicherung bestätigt werden soll, die Zustimmung: Da Tullius Eutychus mit freigebigem W ­ illen unser gemeinsames Vermögen bereichert hat, indem er unserer Kasse 30.000 Sesterze angeboten hat, aus deren Ertrag jährlich am Vortag der Iden des Juni, dem Geburtstag des municipium, eine Verteilung an jeden in unserer körperschaftlichen Organisation erfolgen soll, und da es nach dem Herkommen unsere Aufgabe ist, d ­ ieses Geschenk seiner Wohltat dauerhaft zu bewahren, fand deshalb die Zustimmung aller Augus­ talen, dass jedes Jahr am Vortag der Iden des Juni eine Verteilung des Ertrags der 30.000 Sesterze an die körperschaftlich organisierten Ausgustalen erfolgen, dass dies jeder curator in seinem Amtsjahr beachten, dass kein curator und kein anderer anders gehandelt haben, einen Antrag stellen oder es unternehmen soll, entgegen ­diesem Beschluss etwas anderes festzusetzen oder zu bestimmen. Wer hiergegen als curator oder Augustale gehandelt oder geduldet hat, dass hiergegen gehandelt wird, soll dem gemeinsamen Vermögen der Augustalen fünfzigtausend Sesterze geben.

75 Ausführlich hierzu oben V. Kap., § 1 III.2.

Der Geltungsgrund der lex collegii im Recht der Kaiserzeit

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Vorbild für die Stilisierung des Beschlusses ist das übliche Formular eines decretum decurionum.76 Zu Beginn wird daher die relatio des antragstellenden Vereinsfunktionärs wiedergegeben. Ob dies der Stifter Tullius Eutychus selbst ist, dessen Namen schon zu Beginn erwähnt wird (petente / Tullio Eutycho curatore perpetuo, Z. 4 f.),77 lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen; immerhin wird an dieser Stelle gewöhnlich der Name des antragstellenden Vereinsfunktionärs wiedergegeben.78 Tullius Eutychus hat die Absicht (volunta[s] pollicitationis suae, Z. 6), den Augustalen 30.000 Sesterze zu schenken, deren Erträge jährlich am dies natalis des municipium unter ihnen verteilt werden sollen. Es folgt der Beschluss der Augustalen, in dem sie die Stiftungsauflage bestätigen und anordnen, dass jeder curator in seinem Amtsjahr den Beschluss zu beachten hat. Daran schließt sich eine Strafklausel an, wonach jeder curator und jedes gewöhnliche Mitglied eine Strafe von 50.000 Sesterzen an die Augustalenkörperschaft zahlen müssen, wenn sie entgegen dem Beschluss gehandelt haben (fecisse, Z. 19), einen Antrag stellen (referre, Z. 20) oder eine ihm entgegenstehende Regelung treffen (adversus hoc decretum alius inter/posuisse sancisseque, Z. 20 f.). Wenn als Thema des Beschlusses de confirmand(a) / voluntate pollicitationis suae angeben wird, macht dies deutlich, dass die Stiftung zur Wirksamkeit der Annahme durch die Augustalen bedarf.79 Allerdings fällt auf, dass das Stiftungskapital offenbar bereits in die Kasse der Augustalen eingezahlt worden ist, bevor die Augustalen den Annahmebeschluss fassen. Dieser wird nämlich folgendermaßen eingeleitet: cum Tullius Eutychus largissima voluntate sua rem / communem n(ostram) locupletaverit offerendo arcae n(ostrae) / HS XXX m(ilia) n(ummorum) (Z. 10 – 12). Details, wie die Einzahlung des Geldes in die Kasse erfolgt ist, sind freilich nicht erkennbar, insbesondere fehlt eine Quittung, ­welche die am Zahlungsvorgang beteiligten Personen genau erkennen ließe.80 Zumindest möglich ist, dass der Stifter das Stiftungskapital in der Sitzung selbst in die Kasse 76 Laird, Augustales, 75; vgl. D’Arms, JRS 90 (2000), 126 (128 f.). 77 So wohl Magioncalda, MEP 11 (2006), 193 (197 Fn. 25). 78 So zwei weitere Dekrete aus dem sacellum von Misenum; AE 1993, 473, Z. 3 – 5 (Misenum,

Latium et Campania, 112/113): Miseni in templo Aug(usti), quod est / Augustalium, referente L. Tullio / Eutycho; AE 2000, 344c, Z. 3 – 5 (Misenum, Latium et Campania, 149): Miseni in templo Aug(usti), quod est Augustalium corpor(atorum) / Misenensium, ibi referentib(us) Atinio Trophimo / et Valerio Epaphrodito curatorib(us) anni. 79 Vgl. Laird, Augustales, 171. Da Empfänger des Stiftungsvermögens die Augustalen sind, wird pollicitatio untechnisch gebraucht. Zur pollicitatio gegenüber Gemeinden, die ein echtes einseitiges Geschäft ist, siehe Kaser, RP I, 604; Lepore, Rei publicae polliceri I, 115 – 211. 80 Den Erhalt des Stiftungskapitals quittieren jeweils Sklaven im Eigentum der Körperschaft, die Trägerin des Stiftungsvermögens ist, in AE 1998, 282, fr. IIIc, Z. 1 – 7 (Lavinium, Latium et Campania, 227/228) und AE 2000, 344b, Z. 43 – 45 (Misenum, Latium et Campania, 144).

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Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

eingezahlt hat und dadurch ein enger zeitlicher Zusammenhang z­ wischen der Übereignung des Stiftungsvermögens und dem Annahmebeschluss besteht.81 Die Strafklausel versucht, den Stiftungszweck umfassend zu sichern, indem eine Vielzahl von Verhaltensweisen mit der Strafe von 50.000 Sesterzen sanktioniert wird. Von besonderem Interesse sind die Verbote des referre und des adversus hoc decretum aliud inter/posuisse sancisseque. Referre bezieht sich darauf, als curator einen Antrag auf Änderung des Annahmebeschlusses zu stellen. [A]dversus hoc decretum aliud inter/posuisse sancisseque meint dagegen den Erlass einer von dem gefassten Beschluss abweichenden Regelung. Insbesondere das Verbot des referre, also einer Handlung im Vorfeld einer Änderung, ähnelt Vorschriften, die in griechischen Stiftungsinschriften überliefert sind und eine Abänderung des Beschlusses verbieten, mit dem die Körperschaft, die Trägerin des Stiftungsvermögens ist, den Stiftungszweck festgelegt hat.82 Da die Körperschaft diesen Beschluss jederzeit ändern kann,83 richten sich Abänderungsverbote regelmäßig bereits gegen Handlungen zur Vorbereitung einer solchen Beschlussfassung, etwa schon gegen die Stellung eines entsprechenden Antrags.84 Das Abänderungsverbot im Beschluss der Augustalen zeigt, dass sie ihn an sich ebenfalls jederzeit ändern könnten. Um dies zu verhindern und um eine Bindung an den in ihm niedergelegten Stifterwillen zu erreichen, sanktioniert der Beschluss Handlungen bereits im Vorfeld einer Abänderung. Dies erklärt auch die auffallende Höhe der Buße von 50.000 Sesterzen, die deutlich über dem Betrag des Stiftungsvermögens von 30.000 Sesterzen liegt. Der Verfall einer derart hohen Buße steht in keinem Verhältnis mehr zum Nutzen, der bei einer Verwendung des Stiftungsvermögens entgegen dem Stifterwillen entstehen könnte. Aus dem Abänderungsverbot ergibt sich, dass Grundlage für die Geltung des Beschlusses der Wille der Mitglieder der Augustalenkörperschaft ist. 81 Zwar lässt sich die Anwesenheit des Stifters nicht aus der Formulierung petente / Tullio Euty-

cho curatore perpetuo (Z. 4) erweisen, doch erwähnt eine andere Inschrift ausdrücklich, dass der Stifter bei der Fassung des Annahmebeschlusses persönlich anwesend gewesen ist; CIL XIV 353 = ILS 6148, in latere dextero, Z. 1 – 7 (Ostia, Latium et Campania, 2. Hälfte 2. Jhd.): In aede Romae et Augusti placu[it] / ordini decurionum praesente / Fabio patre uti sportulas / die natal(i) Hermogenis fili(i) / eius praesentibus in foro ante / statuas ipsius dividi / stipulatione interposita. 82 Grundlegend dazu Harter-Uibopuu, Tyche 28 (2013), 51 – 53, 66 – 96. 83 Für eine Polis ergibt sich dies aus ihrer Rechtssetzungsgewalt; Harter-Uibopuu, Tyche 28 (2013), 51. Vereine können Beschlüsse aufgrund ihrer Satzungsautonomie ändern; siehe unten V. Kap., § 2 II. 84 Harter-Uibopuu, Tyche 28 (2013), 51 (66 – 70, 72 – 75).

Der Geltungsgrund der lex collegii im Recht der Kaiserzeit

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II. Die kaiserzeitliche interpretatio des Zwölftafelgesetzes und die normative Grundlage für die Geltung der lex collegii Für Gaius ist der Wille der Vereinsmitglieder die Grundlage der pactiones, die sie treffen und von denen er in seinem Kommentar zum Zwölftafelgesetz berichtet: D. 47.22.4 (Gai. 4 l. XII tab.) Sodales sunt, qui eiusdem collegii sunt: quam Graeci ἑταιρείαν vocant. his autem potestatem facit lex pa­ ctionem quam velint sibi ferre, dum ne quid ex publica lege corrumpant. sed haec lex videtur ex lege Solonis tralata esse. nam illuc ita est: ἐὰν δὲ δῆμος ἢ φράτορες ἢ ἱερῶν ὀργίων ἢ ναῦται ἢ σύσσιτοι ἢ ὁμόταφοι ἢ θιασῶται ἢ ἐπὶ λείαν οἰχόμενοι ἢ εἰς ἐμπορίαν, ὅτι ἂν τούτων διαθῶνται πρὸς ἀλλήλους, κύριον εἶναι, ἐὰν μὴ ἀπαγορεύσῃ δημόσια γράμματα.

Sodales (Genossen) sind diejenigen, die demselben Verein angehören; dies nennen die Griechen ἑταιρεία (Genossenschaft). Ihnen aber verleiht das Gesetz die Befugnis, sich die Übereinkünfte zu geben, die sie wollen, wenn sie nur nicht etwas aus einem öffentlichen Gesetz beeinträchtigen. Aber ­dieses Gesetz scheint aus dem Gesetz des Solon übernommen worden zu sein. Denn dort heißt es folgendermaßen: Wenn eine Deme oder die Mitglieder einer ­Phratrie, einer Genossenschaft für Kultmähler, Seeleute, die Mitglieder eines Bankettvereins, eines Begräbnisvereins, einer Kultgenossenschaft oder einer Vereinigung zu Plünderungen oder für den Handel untereinander etwas festsetzen, soll es wirksam sei, wenn es nicht den Beschlüssen des Volkes widerspricht.

Das Fragment besteht aus drei Elementen 85: An erster Stelle steht die Erklärung des Ausdrucks sodales, der Mitglieder desselben collegium unabhängig von dessen jeweiligem Namen bezeichnet. Derartige Worterklärungen finden sich oft in der gaianischen Kommentierung der Zwölf Tafeln.86 Der Begriff sodales wird höchstwahrscheinlich in der von Gaius kommentierten Bestimmung verwendet,87 doch nach der interpretatio des Zwölftafelgesetzes findet die Bestimmung Anwendung auf sämtliche collegia.88 Als zweites paraphrasiert 89 Gaius die Norm: Die lex – gemeint sind die Zwölf Tafeln – verleiht den sodales die Befugnis, sich pactiones mit jedem Inhalt zu geben, der ihrem Willen entspricht, solange sie nicht gegen eine Bestimmung aus einer lex publica 85 Fiori, Fs. Serrao, 99 (133); ders., in: Cursi, XII Tabulae II, 681 (687). 86 Diliberto, Index 18 (1990), 403 (404); ders., Materiali, 52. 87 Ciulei, SZ 84 (1967), 371 (374); Behrends, IuP II , 654 (680); Welwei, SZ 110 (1993), 60 (73); Fiori, Fs. Serrao, 99 (134); ders., in: Cursi, XII Tabulae II , 681 (688); Humbert, AUPA 53

(2009), 27 (38). Einen Ursprung der gaianischen Lemmata lediglich in der interpretatio des Zwölftafelgesetzes nimmt an D’Ippolito, Index 20 (1992), 279 – 285; ders., Problemi, 142 – 145. 88 Eliachevitch, Personnalité juridique, 223; De Robertis, Storia I, 53; Fiori, in: Cursi, XII Tabulae II, 681 (687). 89 Welwei, SZ 110 (1993), 60 (73); Groten, Corpus und universitas, 208; vgl. Fiori, Fs. Serrao, 99 (137 – 139); ders. in: Cursi, XII Tabulae II, 681 (687).

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Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

verstoßen. Als drittes vergleicht Gaius die Bestimmung mit einer Norm der solonischen Gesetze.90 Als Grundlage der pactiones bezeichnet Gaius das velle, den Willen der sodales. Nur für diese gelten die pactiones, denn ihr Beschluss wird als sibi ferre bezeichnet. Beides entspricht den Aussagen der kaiserzeitlichen leges collegii und Vereinsbeschlüsse, die als ihren Geltungsgrund den Willen der Vereinsmitglieder nennen. Wenn Gaius feststellt, dass sodales die Mitglieder jeder Art von collegium meint, nimmt er eine Aktualisierung vor.91 Er geht davon aus, dass der Zwölftafelsatz in der Kaiserzeit die normative Grundlage für die Geltung der leges collegii ist.92 Dies passt zum Anliegen des Juristen, die fortwährende Bedeutung der Zwölf Tafeln herauszustellen,93 und zu weiteren deswegen in seine Kommentierung aufgenommenen Anpassungen an die Verhältnisse des Prinzipats.94 Nach der kaiserzeitlichen interpretatio des Zwölftafelgesetzes werden also Satzungen und Beschlüsse als pactiones aufgefasst.95 Als Schranke für die Wirksamkeit der pactiones erwähnt Gaius das Komi­ tialgesetz (lex publica).96 Das Zwölftafelgesetz als normative Grundlage der Geltung der pactiones ebenso wie die lex publica als ihre Schranke gehören zum 90 Hierzu ausführlich unten VI. Kap., § 1 III.1. 91 Vgl. Humbert, AUPA 53 (2009), 27 (31, 35); ders., XII Tables, 654, 656. 92 Mommsen, De collegiis, 35 f.; Waltzing II , 469; San Nicolò, Ägyptisches Vereinswesen II , 18; De Robertis, Storia II, 26 f.; Honsell/Mayer-Maly/Selb, RR, 79; Nörr, SZ 125 (2008), 108 (117 Fn. 38); Humbert, AUPA 53 (2009), 27 (36); ders., XII Tables, 654; ders., in: Babusiaux/ 93

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Mantovani, Istituzioni di Gaio, 97 (106); Laubry/Zevi, ArchClass 63 (2012), 297 (333); vgl. Eliachevitch, Personnalité juridique, 224. D. 1.2.1 (Gai. 1 l. XII tab.): Facturus legum vetustarum interpretationem necessario prius ab urbis initiis repetendum existimavi, non quia velim verbosos commentarios facere, sed quod in omnibus rebus animadverto id perfectum esse, quod ex omnibus suis partibus constaret: et certe cuiusque rei potissima pars principium est […]. Hierzu Honoré, Gaius, 105 f.; Morgese, in: Modello di Gaio, 109 (124 f.); Diliberto, Index 18 (1990), 403 (405 f.); ders., Materiali, 56 – 59; Mantovani, Juristes écrivains, 146 – 148; Humbert, XII Tables, 3; ders., in: Babusiaux/ Mantovani, Istituzioni di Gaio, 97 (113 – 115). D. 50.16.233.1 (Gai. 1 l. XII tab.): vota pro salute principis; D. 44.6.3 (Gai. 6 l. XII tab.): duplum utrum fisco an adversario praestandum sit, nihil exprimitur; D. 50.16.238 pr. (Gai. 6 l. XII tab.): ‘Plebs’ est ceteri cives sine senatoribus. Die Erwähnung der vota pro salute principis zeigt eindeutig, dass Gaius Aktualisierungen vornimmt; dies entspricht seiner im prooe­ mium dargelegten Motivation. Der Interpolationsverdacht gegen die Erwähnung des fiscus und der Senatoren anstelle der Patrizier bei Lenel, Pal. I, Sp. 245 Fn. 5, 7 ist daher unbegründet. Zum Ganzen Diliberto, Index 18 (1990), 403 (405 – 408); ders., Materiali, 54 – 63. Eliachevitch, Personnalité juridique, 274; Albanese, Persone, 570 Fn.  82; Laubry/Zevi, ­ArchClass 63 (2012), 297 (333). De Robertis, Storia I, 43 f. Fn. 8; Fiori, Fs. Serrao, 99 (146); ders., in: Cursi, XII Tabulae II, 681 (696).

Die prozessuale Geltendmachung von Rechten aus der lex collegii

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ius civile.97 Nach der kaiserzeitlichen interpretatio, die Gaius überliefert, verleiht der Zwölftafelsatz den leges collegii und den sonstigen Vereinsbeschlüssen somit Wirksamkeit nach ius civile.

§ 3

Die prozessuale Geltendmachung von Rechten aus der lex collegii

I. Die Klagbarkeit von Rechten aus der lex collegii 1. Die Vereinsgerichtsbarkeit Ein Weg zur prozessualen Durchsetzung der Obligationen aus der lex collegii ist die Vereinsgerichtsbarkeit, die jedoch für das römische Recht nur schwach belegt ist.98 Die lex collegii aquae enthält als einzige Satzung hierzu Bestimmungen: CIL VI 10298 = FIRA2 III 32, Z. 17 – 23 (Roma, 1. Jhd. v. Chr.–14 n. Chr.)

[In eum, qui contra h(anc) l(egem) fulloniam fecerit cretulentumque exe­g]e­­rit, ex h(ac) l(ege) magister magi­ stri­ve iudicium danto. Qui 99 iuraverit / [paratum se esse excipere iudicium praeto]ris, recuperatorem unum communem adeunto simulque iuranto / [se non calumniae causa fecisse facturumve esse:] ni ita iurassit, multa esto a(ssium) D. /

Gegen denjenigen, der entgegen d ­ iesem Gesetz die Walkerei ausübt und Kreideerde verlangt hat, sollen der magister oder die magistri eine Klage aus ­diesem Gesetz erteilen. Wer nicht geschworen hat, bereit zu sein, sich der Gerichtsbarkeit des Prätors zu unterwerfen, soll sich an den gemeinsamen recupertator unus wenden und zugleich schwören, den Prozess nicht rechtsmissbräuchlich zu führen oder führen zu werden. Wenn er dies nicht geschworen hat, soll ihn eine Buße von 500 As treffen.

[Quem magister ex h(ac) l(ege) iudicare iusserit, is ni] iudicassit ita uti s(upra) s(criptum) e(st), multa esto recuperator un quotque  / [ei i(n) c(onsilio) e(runt) in singulos a(ssium) V, praeterquam si cui non liquebit; qua de re mag(ister) fac]ito uti iuret, isque sibi testium causa esse dicet magis quam / [iuris rem dubiam. Qui s(upra) s(cripti) s(unt) ex magistrorum edictis perpe]tuis rem iudicanto:

Wenn derjenige, dem der magister befohlen hat, nach ­diesem Gesetz Recht zu sprechen, nicht so, wie oben vorgeschrieben, Recht gesprochen hat, soll den recuperator unus und diejenigen, die seinem consilium angehören werden, jeweils eine Buße von 5 As treffen, es sei denn, ein non liquet liegt vor. In ­diesem Fall soll der magister veranlassen, dass er schwört, und er wird erklären, dass die Angelegenheit für ihn eher wegen der Zeugen als wegen der Rechtslage zweifelhaft ist. Die oben Genannten sollen aufgrund des ständigen Edikts der magistri in der Angelegenheit Recht sprechen.

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97 Siehe nur Kaser, RP I, 199. 98 Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 375; Nörr, SZ 125 (2008), 108 (156). 99 Das handschriftlich überlieferte iniuraverit ist ein Hapax legomenon (siehe Mommsen, Ges. Schr. III, 108 [112]; ThLL VII.1, s. v. iniuro, Sp. 1685, Z. 26 – 28), das Mommsen, Bruns, p. 395 zu iuraverit emendiert; ebenso Arangio-Ruiz, FIRA2 III, p. 93.

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Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

ni ita iudicarint, ita multa esto recu- Wenn sie nicht derart Recht sprechen, soll den recuper(atore) / [uno quotque ei in consilio peratur unus und diejenigen, die seinem consilium erunt, uti s(upra) s(criptum) e(st)] […]. angehören werden, eine Buße treffen, wie oben vorgeschrieben ist.

Der magister bzw. die magistri des collegium sollen eine Klage gegen denjenigen gewähren (iudicium danto), der entgegen der lex collegii die Walkerei ausübt und Kreideerde dafür verwendet. Als Klagegrund wird mehrmals ausdrücklich die lex genannt.100 Über die Klage entscheidet ein recuperator unus,101 an den sich der Judikationsbefehl des magister richtet. Leistet der recuperator oder ein Mitglied seines consilium ­diesem Befehl nicht Folge, so trifft ihn eine Buße, außer es liegt ein non liquet vor. Damit ähnelt das Verfahren einem öffentlichen Multprozess,102 in dem ebenfalls recuperatores entscheiden.103 Nach der Ergänzung Mommsens 104 deutet die lex darüber hinaus eine konkurrierende Gerichtsbarkeit des Prätors an.105 Der Beklagte kann die Einsetzung des recuperator unus durch den Eid abwenden, sich der Jurisdiktion des Prätors zu unterwerfen. Leistet er diesen Eid, so wird das Verfahren nicht vor der Vereinsgerichtsbarkeit durchgeführt, sondern im ordentlichen Rechtsweg vor dem Prätor. Damit hat der Beklagte die Wahl, vor welchem Gericht der Prozess geführt wird. Diese Ergänzung der lex collegii aquae gewinnt an Plausibilität durch den Text von c. 69 l.Irn. Für das iudicium pecuniae communis, bei dem eine Haftung aus dem Innenverhältnis gegenüber der Gemeinde geltend gemacht wird,106 wird dem beklagten Gemeindebürger (municeps) oder -einwohner (incola) die Wahl des Gerichts eingeräumt: Z. 11 – 12: [Nuntius, per quem quis ita se excusavit, tempore ius]to si non denuntiarit, ipsius multam sufferto, / [aut cum eo tantae pecuniae, quantae quis ita multatus erit, e x h a c ] l e g e actio esto; Z. 13: [Magister si cui fulloni e x h ( a c ) l ( e g e ) multam dicere volet,] liceto […]; Z. 17: [In eum, qui contra h(anc) l(egem) fulloniam fecerit cretulentumque exeg]erit, e x h ( a c ) l ( e g e ) magister magistrive iudicium danto […]; Z. 20 – 21: [Quem magister e x h ( a c ) l ( e g e ) iudicare iusserit, is ni] iudicassit ita uti s(upra) s(criptum) e(st), multa esto recuperatore uno quotque / [ei i(n) c(onsilio) e(runt) in singulos a(ssium) V […]. Nörr, SZ 125 (2008), 108 (157). 101 Nörr, SZ 125 (2008), 108 (157); zweifelnd Mommsen, Ges. Schr. III, 108 (112); vgl. Rudorff, ZGRW 15 (1820), 203 (267 f.). 102 Mommsen, Ges. Schr. III, 108 f.; Weiß, SZ 45 (1925), 87 (109); Nörr, SZ 125 (2008), 108 (157); vgl. Magdelain, Loi, 48 f. 103 Schmidlin, Rekuperatorenverfahren, 71 – 79; Simshäuser, Iur., 158 f., 161 f.; Kaser/Hackl, RZ, 164 f. 104 Mommsen, Bruns, p. 395; ebenso Arangio-Ruiz, FIRA III2, p. 93. 105 Weiß, SZ 45 (1925), 87 (108 f.); Nörr, SZ 125 (2008), 108 (157); vgl. Magdelain, Loi, 49. Dagegen nimmt Rudorff, ZGRW 15 (1820), 203 (267, 272) nur für die Vollstreckung den Rechtsweg zum Prätor an. 106 Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (303 – 305).

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Die prozessuale Geltendmachung von Rechten aus der lex collegii

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c. 69 l.Irn. = AE 1986, 333, tab. VIIIA, Z. 10 – 15 (Irni, Baetica, 91) Quod municip{i}um municipi Flavi Irnitani nomine petetur ab eo, qui / eius municipi munic[ep]s incola{e}ve erit, quodve cum eo agetur, quod / pluris HS D sit neque tanti sit ut de eo, si privatim ageretur, ibi invito / alterutro actio non esset, et {i}107 is, quocum agetur, ibi agi nolet 108, de / eo decurionum conscriptorumve cogni­tio iudicatio litisque aestu/15matio esto […].

Wenn im Namen der Gemeindebürger des municipium Flavium Irnitanum von jemandem, der Gemeindebürger oder Einwohner ­dieses municipium ist, etwas klageweise verlangt wird oder wenn gegen ihn [wegen eines Gegenstandes] geklagt wird, der mehr als 500 Sesterze und nicht soviel wert ist, dass es deshalb in einem privaten Rechtsstreit dort keine Klage gegen den Willen einer Partei gäbe, und derjenige, gegen den geklagt wird, dort nicht verklagt werden will, soll den Ratsherren die Entscheidung, Urteilsfällung und Schätzung des Streitgegenstands hierüber zustehen […].

Liegt der Streitwert ­zwischen 500 Sesterzen (quod / pluris HS D sit) und 1.000 Sesterzen, der Streitwertgrenze für die Gerichtsbarkeit der Gemeinde Irni (neque tanti sit ut de eo, si privatim ageretur, ibi invito / alterutro actio non esset)109, so kann der Beklagte wählen (is, quocum agetur, ibi agi nolet), ob der Streit wie ein gewöhnlicher munizipaler Zivilprozess vor dem duumvir als Gerichtsmagistrat oder vor den decuriones geführt werden soll.110 Das Verfahren wird zwar in beiden Fällen vor munizipalen Instanzen geführt. Doch ist im gewöhnlichen munizipalen Zivilprozess die Zuständigkeit der decuriones nicht eröffnet, sondern nur im iudicium pecuniae communis, wenn also der Streit das Innenverhältnis ­zwischen der Gemeinde und einem ehemaligem Magistraten bzw. dessen Rechtsnachfolger betrifft. Die in c. 69 l.Irn.bezeugte konkurrierende Zuständigkeit von ordentlichem Verfahren und besonderer Gerichtsbarkeit lässt es plausibel erscheinen, dass auch in Fällen, die das Innenverhältnis bei einem Verein betreffen, eine konkurrierende Zuständigkeit von Prätor und Vereinsgerichtsbarkeit bestanden hat.111 2. Die Klage des Gesandten gegen eine Gemeinde auf Aufwendungsersatz

Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass Obligationen der Gemeinde aus dem Innenverhältnis auch vor dem Prätor klagbar sind. Im Rahmen seiner Kommentierung des Edikts Quod adversus municipes agatur erwähnt Ulpian den Aufwendungsersatz zugunsten des Gesandten einer Gemeinde:

107 108 109 110

Zu dieser Emendation Laffi, ZPE 103 (1994), 147 – 153. Zur Authentizität des überlieferten NOLET Johnston, ZPE 111 (1996), 199 (201 f.). Zu dieser Formulierung Rodger, ZPE 84 (1990), 147 (150); Johnston, ZPE 111 (1996), 199 (202). Wolf, Lex Irnitana, 9 (37); Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (289 f., 313 – 315); vgl. Johnston, ZPE 111 (1996), 199 (202); Nörr, SZ 125 (2008), 108 (157). 111 Vgl. Nörr, SZ 125 (2008), 108 (157 f.).

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Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

D. 3.4.7 pr. (Ulp. 10 ed.) Sicut municipum nomine actionem praetor dedit, ita et adversus eos iustissime edicendum putavit. Sed et legato, qui in negotium publicum sumptum fecit, puto dandam actionem in municipes.

Wie der Prätor eine Klage im Namen der Gemeindebürger gegeben hat, so hat er es für höchst gerecht gehalten, auch gegen sie [eine Klage] im Edikt zu verheißen. Ich glaube aber, dass auch dem Gesandten, der in einer öffentlichen Angelegenheit Aufwendungen gemacht hat, eine Klage gegen die Gemeindebürger gegeben werden muss.

Zuerst stellt Ulpian in einer laudatio edicti fest, dass das Edikt Quod adversus municipes agatur mit dem Edikt Quibus municipum nomine agere liceat korres­ pondiert und dies der Gerechtigkeit entspricht.120 Daraufhin äußert der Jurist seine Meinung (puto), dass auch dem Gesandten einer Gemeinde eine Klage gegen diese zustehe, um Ersatz der Aufwendungen zu verlangen, die er für ein Geschäft der Gemeinde (negotium publicum) gemacht hat. Der Anschluss des Falls des Gesandten mit sed et macht es wahrscheinlich, dass das Digestenfragment gegenüber dem ulpianischen Kommentar gekürzt worden ist.113 Die Palingenesie zeigt, dass Ulpian in seiner Kommentierung des Edikts Quod adversus municipes agatur eine ganze Reihe von Fällen zur Passivlegitimation der Gemeinde als Beklagte behandelt.114 Es ist gut denkbar, dass die Kompilatoren bei weitem nicht alle Beispiele Ulpians in die Digesten übernommen haben.115 Es fällt auf, dass Ulpian seine Auffassung vorsichtig mit puto einleitet. Die Frage des Aufwendungsersatzes dürfte daher umstritten sein. Platschek hat diese zurückhaltende Ausdrucksweise damit erklärt, dass der Wortlaut des Edikts Quod adversus municipes agatur lediglich contractus umfasse, während die Tätigkeit des Gesandten auf einem decretum beruhe.116 Dagegen spricht jedoch 120 Zur laudatio edicti unten VII. Kap., § 1. 113 Siehe hierzu oben II. Kap., Fn. 94. 114 Lenel, Pal. II, Sp. 454. 115 Die ἑρμηνεία zum Basilikentext (Schol. Ὥσπερ ὀνόματι ad B. 8.2.107 [Sch. B I 170; Hb. I 422]), die auf Stephanus zurückgeht (Hb. VI 230), erwähnt statt des Gesandten den ἄκτω[ρ] oder

συνδίκ[ος] der Gemeinde, der Aufwendungen zu ihren Gunsten gemacht hat, während das Schol. Ὥσπερ κινοῦσιν ad B. 8.2.107 (Sch. B I 171; Hb. I 422) des Cyrillus (Hb. VI 230) und das Schol. Περὶ ad B. 8.2.107 (Sch. B I 171; Hb. I 422) des Anonymus (Hb. VI 230) wie der Digestentext vom Aufwendungsersatz des πρεσβευτ[ής] handeln. Die Erwähnung des Prozessvertreters durch Stephanus mag dessen eigenständige Interpretation des Digestentextes sein, könnte aber auch auf Ulpian zurückgehen, der neben dem Aufwendungsersatz des Gesandten auch denjenigen des actor municipum problematisiert haben könnte. Für beide sieht die lex Irnitana eine pauschale Entschädigung vor, deren Höhe im Ermessen der decuriones liegt (c. H und c. 70 l.Irn.); vgl. González/Crawford, JRS 76 (1986), 147 (149). 116 Platschek, Index 40 (2012), 617 (619).

Die prozessuale Geltendmachung von Rechten aus der lex collegii

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bereits, dass Ulpian im Rahmen seiner Kommentierung ­dieses Edikts 117 auch die Haftung der municipes nach dem Interdikt unde vi 118 für den Fall einer deiectio behandelt, die nomine municipum erfolgt 119: D. 43.16.4 (Ulp. 10 ed.) Si vi me deiecerit quis nomine municipum, in municipes mihi interdictum reddendum Pomponius scribit, si quid ad eos pervenit.

Wenn mich jemand im Namen der Gemeindebürger durch Gewalt aus dem Besitz vertrieben hat, schreibt Pomponius, dass mir ein Interdikt gegen die Gemeindebürger erteilt werden müsse, wenn etwas an sie gelangt ist.

Ego wird gewaltsam aus dem Besitz eines Grundstücks von einer Person verdrängt, die nomine municipum handelt. Pomponius erteilt hierfür ein Interdikt gegen die municipes. Nach Ulpian wird das Interdikt nur bei einer Bereicherung der municipes gewährt.120 Der Grund hierfür erklärt sich durch einen Vergleich mit der actio de dolo 121: Bei beiden Rechtsbehelfen gelangt Ulpian zu einer reinen Bereicherungshaftung der Gemeinde. Beiden ist gemeinsam, dass ihre Formeln nicht in rem scripta sind, sondern die Personen ausdrücklich nennen, die tatbestandlich handeln.122 Im Falle des Interdikts unde vi verwirklicht die tatbestandliche Handlung nur derjenige, der den Ego gewaltsam verdrängt, nicht dagegen die Gemeinde, für die er handelt. Die Beschränkung der Haftung auf die Bereicherung der Gemeinde ergibt sich also nicht daraus, dass das Edikt von contractus spräche, worunter die deie­ ctio als rein faktische Handlung nicht fällt. Denn das Fragment problematisiert nicht, ob das Interdikt unde vi unter das Edikt Quod adversus municipes agatur fällt.123 Vielmehr wird allein der Umfang der Haftung der municipes diskutiert. Die Bereicherungshaftung ist Ulpians Reaktion darauf, dass die Formel des Interdikts den tatbestandlich Handelnden als Passivlegitimierten nennt, nicht aber auf den Wortlaut des Edikts Quod adversus municipum nomine agatur. 117 Lenel, Pal. II, Sp. 454. 118 v. Lübtow, Quod metus causa, 229; Stolfi, Pomp. ed. II, 128 Fn. 211. 119 Ausführlich zu ­diesem Fragment Stolfi, Pomp. ed. II, 127 f.; Pulitanò, Responsabilità collettiva,

65 – 72.

120 v. Lübtow, Quod metus causa, 229 stellt zurecht fest, dass si quid ad eos pervenit in direkter

Rede steht. Die Echtheitszweifel ebd., 229 f. und bei Nicosia, Acquisto del possesso, 354 f. Fn. 21, 356 Fn. 23 sind angesichts der Möglichkeit der Geldkondemnation im Interdiktenverfahren unbegründet; hierzu Kaser, RP I, 399; Kaser/Hackl, RZ, 420 f. Ebenfalls für Echtheit Mitteis, RP I, 387 f. Fn. 40; Pulitanò, Responsabilità collettiva, 70; zweifelnd aber Stolfi, Pomp. ed. II, 128 Fn. 212. 121 Ausführlich hierzu oben III. Kap., § 4. 122 Zur Formel des Interdikts unde vi siehe Kaser, RP I, 399. 123 Vgl. Stolfi, Pomp. ed. II, 128; zurückhaltender Pulitanò, Responsabilità collettiva, 66.

286

Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

Gegen Platscheks Ansicht spricht ferner, dass sie unterstellt, die Ersatzfähigkeit von Aufwendungen eines Gesandten sei nach materiellem Recht unstreitig gewesen. Dies ist aber gerade nicht der Fall. Die lex Irnitana sieht vor, dass die Gesandten des municipium ein Tagegeld (diarium) erhalten: c. H l.Irn. = AE 1986, 333, tab. VB, Z. 46 – 48 (Irni, Baetica, 91) R(ubrica). Quantum legatis detur. /

Wieviel Gesandten gegeben werden soll.

Legatis singulis diariorum nomine Den einzelnen Gesandten soll der duumvir als Tagegeld II vir tantum dato, quantum  / dan- jeweils soviel geben, wieviel die Ratsherren beschlossen dum esse decurion[es] conscripti{s}- haben, dass gegeben werden soll. ve censuerint.

Seine Höhe wird von den decuriones festgesetzt und der duumvir zur Auszahlung der festgesetzten Summe ermächtigt.124 Von einem separaten Aufwendungsersatz ist nicht die Rede, vielmehr handelt es sich um eine pauschale Entschädigung des Gesandten.125 Diese Rechtslage erhält sich bis in nachklassische Zeit, wie die pseudo-ulpianischen opiniones zeigen: D. 50.7.3 (Ulp. 2 op.) His, qui non gratuitam legationem susceperunt, legativum ex forma restituatur.

Diejenigen, die eine nicht unentgeltliche Gesandschaft übernommen haben, sollen eine Gesandschaftsvergütung nach der Vorschrift erhalten.

Der Gesandte, der seine Aufgabe nicht unentgeltlich wahrnimmt, erhält eine legativum genannte Entschädigung.126 Diese wird ex forma gezahlt, also aufgrund einer Vorschrift;127 dabei wird es sich um das decretum decurionum handeln.128 Die Rechtslage, die das Fragment beschreibt, entspricht demnach genau derjenigen in c. H l.Irn. Damit ist der Gesandte einer Gemeinde aber vom Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. bis zum Beginn des 4. Jahrhunderts n. Chr. grundsätzlich auf eine pauschale Enschädigung beschränkt. Für den Ersatz von Aufwendungen, die er für ein negotium publicum macht, bildet die forma gerade keine Rechtsgrundlage. In eine ähnliche Richtung weist eine Passage von Paulus: 124 Lamberti, Tabulae Irnitanae, 131. 125 Vgl. Liebenam, Städteverwaltung, 87. 126 Vgl. D. 50.4.1.12 (Arc. sing. mun. civ.): Legati quoque, qui ad sacrarium principis mittuntur, quia

viaticum, quod legativum dicitur, interdum solent accipere, sed et nycostrategi et pistrinorum curatores personale munus ineunt. 127 Liebenam, Städteverwaltung, 87. 128 Dagegen nimmt Williams, Historia 16 (1967), 470 (473) an, forma beziehe sich auf die Formel in kaiserlichen Schreiben, mit welcher der Gemeinde die Zahlung des Reisegeldes an den Gesandten empfohlen wird; hierzu Kienast, s. v. Presbeia, RE S 13, Sp. 580 f.; Ehrhardt/Weiß, Chiron 25 (1995), 315 (318 – 321).

Die prozessuale Geltendmachung von Rechten aus der lex collegii

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D. 50.7.11.1 (Paul. 1 sent.) = PS 1.1a.26 Si quis in munere legationis, antequam ad patriam reverteretur, decessit, sumptus, qui proficiscenti sunt dati, non restituuntur.

Wenn jemand während seines Dienstes im Rahmen einer Gesandtschaft verstorben ist, bevor er in seine Heimatstadt zurückgekehrt ist, wird der Aufwendungsersatz, der bei seiner Abreise gegeben worden ist, nicht zurückerstattet.

Ein Gesandter verstirbt vor der Rückkehr in seine Heimatstadt. Das Geld, das er bei seiner Abreise erhalten hat (sumptus), kann nicht zurückverlangt werden. Wenn der Jurist von sumptus spricht, macht er damit deutlich, dass ­dieses Geld zur Deckung des tatsächlichen Aufwands des Gesandten dient. Da aber der Tod des Gesandten seine Tätigkeit früher als erwartet beendet hat, erweist sich der gezahlte Betrag als zu hoch, weil jedenfalls für die Rückreise kein Aufwand mehr entstehen kann. Das Rückzahlungsverlangen der Gemeinde stützt sich also darauf, dass die Zahlung bei Abreise den Zweck verfolgt hat, den tatsächlich entstehenden Aufwand zu ersetzen.129 Wenn Paulus dennoch eine Rückzahlung ablehnt, greift er wieder den Gedanken auf, dass der Gesandte einen pauschalen Aufwendungsersatz erhält. Von dieser fest etablierten Regelung setzt sich Ulpian in D. 3.4.7 pr. ab, wenn er dem Gesandten uneingeschränkt die Möglichkeit einräumt, von der Gemeinde den Ersatz seiner tatsächlichen Aufwendungen zu verlangen. Während Paulus noch in einem Fall, in dem er selbst eine Zahlung als Ersatz der tatsächlichen Aufwendungen (sumptus) einordnet, ganz dem Gedanken der Pauschalierung folgt, spricht sich Ulpian für eine andere materiell-rechtliche Lösung aus: Der Gesandte soll Ersatz für das in negotium publicum sumptum erhalten. Der Jurist setzt sich damit vom bisherigen Rechtszustand – der pauschalen Entschädigung – ab. Aus ­diesem Grund gebraucht er das vorsichtige puto. Diese Formulierung ist entgegen der Meinung Platscheks nicht dadurch motiviert, dass Ulpian über den Wortlaut des Edikts hinausgeht, sondern sie beruht darauf, dass der Ersatz der tatsächlichen Aufwendungen eines Gesandten materiell-rechtlich eine Neuerung darstellt. Damit scheidet D. 3.4.7 pr. als Beleg dafür aus, dass Rechte aus dem Innenverhältnis nicht vom Wortlaut des prätorischen Edikts Quod adversus municipes agatur umfasst ­seien. Vielmehr wird die Einklagbarkeit des pauschalen Aufwendungsersatzes von den Quellen seit dem ausgehenden 1. Jahrhundert n. Chr. als selbstverständlich vorausgesetzt.130 Zwar ist nicht bekannt, mit welcher

129 Verfehlt ist daher die Annahme von Liebenam, Städteverwaltung, 87 und Kienast, s. v. Presbeia, RE S 13, Sp. 580, der Text handle vom pauschalierten Reisegeld des Gesandten. 130 Vgl. Kienast, s. v. Presbeia, RE S 13, Sp. 580.

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Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

Klage diese Rechte geltend gemacht werden können.131 Doch hält die lex Irnitana selbst fest, dass die Verfahrensvorschriften für das iudicium pecuniae communis nur in eo municipio gelten,132 was bedeutet, dass die damit geltend gemachten Rechte auch anderorts – und das kann nur vor dem Statthalter bedeuten – eingeklagt werden können.133 Wenn aber Rechte aus dem Innenverhältnis z­ wischen Gemeinde und Magistrat einer konkurrierenden Gerichtsbarkeit von Gemeinde und Statthalter unterliegen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass auch die Rechte aus dem Innenverhältnis ­zwischen Verein und Vereinsfunktionär einer konkurrierenden Gerichtsbarkeit von Vereinsgerichtsbarkeit und ordentlichen Gerichten unterliegen. 3. Die Klagbarkeit von Rechten gegen den Verein im griechischen Recht Ein Vergleich mit dem griechischen Recht, das mit der lex Solonis dem Innenverhältnis ebenfalls materiell-rechtliche Geltung verleiht,134 macht dies noch wahrscheinlicher. Für Athen erlaubt allerdings die Quellenlage keine eindeutigen Aussagen. Zwar erwähnt Aristoteles unter den Klagen, die von besonderen Beamten (εἰσαγωγείς) vor Gericht eingeführt und binnen eines Monats entschieden werden müssen (δίκαι ἔμμηνοι), die δίκαι ἐρανικαί und die δίκαι κοινωνικαί.135 Die Funktion beider Klagen lässt sich allerdings nicht sicher rekonstruieren. Sie könnten dazu dienen, Streitigkeiten aus dem Innenverhältnis von Personenvereinigungen (κοινωνίαι)136 und bestimmten Vereinen (ἔρανοι)137 vor Gericht zu bringen. Doch kann die Existenz der Klagen auch anders erklärt werden. Da mit κοινωνία in der Regel eine Handelsgesellschaft 131 Vgl. Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (309 Fn. 169). Ver-

132

133 134 135

136 137

fehlt ist allerdings die ebd. geäußerte Auffassung, D. 3.4.7 pr. handle ausschließlich von Klagen aus dem Innenverhältnis, denn der palingenetische Kontext erwähnt überwiegend Klagen im Außenverhältnis; vgl. Lenel, Pal. II, Sp. 454. c. 71 l.Irn. = AE 1986, 333, tab. VIIIA, Z. 48 – 52 (Irni, Baetica, 91): Quicumque mun[icipu]m​ municipi Flavi Irnitani nomine i n   / e o m u n i c i p i o e[x ha]c lege exve decurionum conscriptorum/50ve decreto aget c[um] municipe incola{e}ve eius municipi petet/ve quid ab eo, ei tes[ti]bus denuntiandi municipibus incolis/que eius municipi d[u]mtaxsat decem ius potestasque esto […]. Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (309 mit Fn. 170). Ausführlich hierzu unten VI. Kap., § 1 III.1.b) und c). Arist. Ath. 52.2: κληροῦσι δὲ καὶ εἰσαγωγέας ε’ ἄνδρας, οἳ τὰς ἐμμήνους εἰσάγουσι δίκας, […]. εἰσὶ δ᾽ ἔμμηνοι προικός […]: ἔτι δ᾽ αἰκείας καὶ ἐρανικὰς καὶ κοινωνικὰς […]. Zu den δίκαι ἔμμηνοι Lipsius, Attisches Recht I, 84 – 86; Harrison, Law of Athens II, 21 – 23; Rhodes, Commentary, 582 f. Harrison, Law of Athens II, 22; Jones, Associations, 36. Anders Lipsius, Attisches Recht II.2, 771 f., wonach es sich um Klagen handelt, an denen ein Verein als Partei beteiligt ist. ­Arnaoutoglou, Thusias, 139 nimmt eine erbrechtliche Teilungsklage an. Zweifelnd Jones, Associations, 16 mit Fn. 62.

Die prozessuale Geltendmachung von Rechten aus der lex collegii

289

bezeichnet wird,138 liegt es am nächsten, darin eine Klage entsprechend der römischen actio pro socio zu sehen, die auf Abrechnung unter den Gesellschaftern gerichtet ist.139 Freilich lässt sich nicht ausschließen, dass sie auch Anwendung auf das Innenverhältnis bei Vereinen findet,140 da Aristoteles für diese ebenfalls die Bezeichnung κοινωνία verwendet.141 Als ἔρανος werden sowohl bestimmte Vereine als auch ein zinsloses Darlehen bezeichnet.142 Daher muss offen bleiben, ob die δίκη ἐρανική tatsächlich einen Bezug zu den ἔρανοςVereinen hat oder vielmehr nur im Zusammenhang mit der Durchsetzung des zinslosen Darlehens 143 steht. Aufgrund dieser Unsicherheiten lässt sich für Athen nicht zuverlässig klären, ob die δίκαι ἔμμηνοι das prozessuale Korrelat zur lex Solonis darstellen. Ergiebiger sind dagegen Quellen aus dem ptolemäischen Ägypten. Es handelt sich um nominell an den König, tatsächlich aber an königliche Beamte gerichtete Eingaben (ἐντεύξεις)144: P.Enteux. 20 recto (Magdola, Arsinoitis, 26. Februar 221 v. Chr.) Β[α]σιλ[εῖ Πτολεμαίωι χαίρ]ειν [Κράτεια, τῶν] ἐκ τῆς Ἀλεξάνδρου Νήσου. ἀδικοῦμαι ὑπὸ / Φιλίπ[που καὶ Διονυσίου. τ]οῦ [γὰρ ἐμοῦ ἀδελ]φοῦ Ἀπολλοδότου συνθιασιτεύοντος αὐτοῖς / μετ[– ca. ? –]ω[– ca. ? –]υδιος τῶι Μάρωνος, ὄντες ὃ μὲν ἱερεύς, ὃ δὲ / ἀρχιθιασί[της, τελευτήσα]ντο[ς τοῦ Ἀπ]ολλοδότου, πρὸς τῶι μήτε θάψαι μήτε / 5 ἐξακολ[ουθῆσαι αὐτῶι κα]τὰ [τὸν θιασι]τικὸν νόμον, οὐδὲ τὸ γινόμενον αὐτῶι ταφικὸν / [ἀ]ποδεδώκ[ασιν. δέομαι] οὖν σου, βασιλεῦ, εἴ σοι δοκεῖ, προστ[ά]ξαι Διοφάνει τῶι στρα/[τ]ηγῶι ἐπαναγκάσαι ἀποδοῦναί μοι τὸ ταφικόν. τ[ού]του [γ]ὰ[ρ γε]νομένου, ἔσομαι / διὰ σέ, βασιλεῦ, τοῦ δι[καί]ου τετευχυῖα. vacat? εὐτύχει.  / vacat? /

Den König Ptolemaios grüßt Krateia, die aus Alexandrou Nesos stammt. Mir wurde von P ­ hilippos und Dionysios Unrecht angetan. Mein Bruder Apollodotos war mit ihnen zusammen Mitglied des Vereins … für Maron, wobei der eine Priester und der andere ἀρχιθιασίτης (Vorsteher des Vereins) war. Als mein Bruder starb, sorgten sie nicht für sein Begräbnis, gewährten ihm nicht gemäß der Satzung des Vereins das Totengeleit und zahlten auch nicht das Begräbnisgeld aus, das für ihn angefallen war. Ich bitte daher dich, König, wenn es dir gefällt, dem Strategen Diophanes zu befehlen, sie zu zwingen, mir das Begräbnisgeld auszuzahlen. Wenn dies ­geschehen ist, wird mir durch dich, König, Gerechtigkeit geschehen sein. Lebe wohl.

138 Biscardi, DGA, 157; Rupprecht, Einführung, 129; Fleckner, Kapitalvereinigungen, 401; vgl.

Ogereau, Paul’s Koinonia, 215 – 219. Ismard, Cité des réseaux, 147. Ablehnend Gernet, in: Taddei, Gernet e le tecniche, 65 (137). Ismard, Cité des réseaux, 147. Arist. E. N. 1160a. Finley, Land and Credit, 100 f.; Faraguna, in: Legras, Transferts culturels et droits, 129 (131 – 137). Lipsius, Attisches Recht II.2, 772; Harrison, Law of Athens II, 22; Rhodes, Commentary, 585; Arnaoutoglou, Thusias, 73; Ismard, Cité des réseaux, 148 f. 144 Rupprecht, Einführung, 143; ausführlich zum Formular der ἐντεύξεις Di Bitonto, Aegyptus 47 (1967), 5 – 57. 139 140 141 142 143

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Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

(II manus) [– ca. ?  – ἐπισκ]εψάμενος τὸν Nach Prüfung der Satzung des Vereins sollst du θιασιτικὸν νό(μον), ἐπανάγκασον τὰ δίκαια [sie] zwingen, zu einer gütlichen Einigung zu ποιῆ[σαι] / 10 [– ca. ? – ἐὰ]ν δέ τι ἀντιλέγωσιν, kommen … Wenn sie dem widersprechen, schiἀπό(στειλον) αὐτοὺς πρὸς ἡμᾶς. / (ἔτους) α’, cke sie zu uns. Im 1. Jahr, am 28. Tag des Monats Gorpiaos, dem 12. Tag des Monats Tybi. Γορπιαίου κη’, Τῦβι ιβ’.

Der Bruder der Antragstellerin Krateia hat einem Verein (θίασος) angehört. Die Vereinssatzung sieht vor, dass der Verein seinen verstorbenen Mitgliedern das Totengeleit gibt und ein Begräbnisgeld (τάφικον) auszahlt. Beides ist beim Tod des Bruders der Antragstellerin unterblieben. In ihrer Eingabe trägt sie vor, zwei Vereinsfunktionäre, der Priester und der ἀρχιθιασίτης, hätten sie dadurch in ihren Rechten verletzt (ἀδικοῦμαι, Z. 1), und bittet darum, dass der König den Strategen anweist, die Zahlung des τάφικον an sie zu erzwingen. Die von einer zweiten Hand ausgeführte subscriptio enthält die Anweisung, nach Prüfung der Vereinssatzung eine gütliche Einigung ­zwischen den Parteien herbeizuführen, andernfalls sie an den König zu verweisen. Die Antragstellerin leitet ihre Sachverhaltsdarstellung mit der Behauptung ein, ihr sei durch die beiden Vereinsfunktionäre Unrecht geschehen (ἀδικοῦμαι ὑπὸ / Φιλίπ[που καὶ Διονυσίου], Z. 1 f.). Dies ließe sich dahingehend verstehen, dass sie keine von ihrem Bruder abgeleitete, sondern eigene Rechte geltend machen möchte.145 Indes erklärt sich die Verwendung von ἀδικοῦμαι aus dem Formular der ἐντεύξεις, da mit ­diesem Wort im 3. Jahrhundert v. Chr. immer, im 2. – 1. Jahrhundert v. Chr. häufig die Eingaben eingeleitet werden, die wie hier Bezug zu einem Rechtsstreit haben.146 Ob das geltend gemachte Recht originär der Antragstellerin zusteht oder sie es von ihrem Bruder ableitet, lässt sich dieser Formulierung daher nicht entnehmen. Deutlich wird hingegen im Fortgang der Eingabe, dass das Recht auf das Totengeleit und das τάφικον aus der Vereinssatzung hergeleitet werden. So beginnt die Darstellung des Sachverhalts mit der Erwähnung der Mitgliedschaft des Bruders der Antragstellerin im Verein ([τ]οῦ [γὰρ ἐμοῦ ἀδελ]φοῦ Ἀπολλοδότου συνθιασιτεύοντος αὐτοῖς, Z. 2).147 Ferner beruft sich die Antragstellerin ausdrücklich auf die Vereinssatzung als Grundlage ihres Rechts ([κα]τὰ [τὸν θιασι]τικὸν νόμον, Z. 5).148 Schließlich wird der Stratege in der subscriptio angewiesen, im Rahmen der Güteverhandlung die Satzung zu prüfen (ἐπισκεψάμενος τὸν θιασιτικὸν νόμον, Z. 9). Auch wenn das Ziel der V ­ erhandlung eine gütliche E ­ inigung und 145 146 147 148

Vgl. Wolff, St. Paoli, 725 (738). Di Bitonto, Aegyptus 47 (1967), 5 (12 – 14). Di Bitonto, Aegyptus 47 (1967), 5 (38). Wolff, St. Paoli, 725 (737).

Die prozessuale Geltendmachung von Rechten aus der lex collegii

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keine streitige Entscheidung ist, setzt dies voraus, dass die Satzung über das Ausmaß der Rechtsstellung der Parteien Auskunft und insoweit für einen Vergleich Orientierung geben kann. In P.Enteux. 21, einer anderen Eingabe, weist der Stratege den Epistates an, den Streit der Parteien über das τάφικον zu schlichten. Wenn dies dem Epistates nicht gelingt, sollen sie vor dem Strategen im ordentlichen Verfahren (δικαστήριον) erscheinen.149 Die Geltendmachung des τάφικον erfolgt also nicht ausschließlich im ἔντευξις-Verfahren, sondern kann auch vor die ordentlichen Gerichte gebracht werden, wenn Schlichtungsversuche scheitern. Von beiden Eingaben nimmt nur P.Enteux. 20 ausdrücklich Bezug auf die Vereinssatzung. Beide ἐντεύξεις erwähnen jedoch die Stellung der verstorbenen Angehörigen als Vereinsmitglieder, sodass wahrscheinlich hierin – in Verbindung mit der Satzung – der Rechtsgrund für das τάφικον liegt.150 Auch wenn die Antragsteller auf das außerordentliche Verfahren der ἔντευξις für die Durchsetzung ihres Rechts zurückgreifen, zeigt P.Enteux. 21, dass die Rechte aus der Mitgliedschaft auch vor dem δικαστήριον durchsetzbar sind. Zurecht hat Wolff darauf hingewiesen, dass Haftungsgrund in den gräkoägyptischen Vereinssatzungen die ungerechtfertigte Vorenthaltung des τάφικον ist, bei dem es sich um Geld des verstorbenen Vereinsmitgliedes handle, das für ­dieses bereitliege und mit dessen Tod fällig geworden sei.151 In den ἐντεύξεις machen die Kläger keine obligatio ex lege collegii geltend, weil das griechische Recht nur Haftung, aber keine Obligation im Sinne eines vinculum iuris kennt.152 Doch auch wenn der geltend gemachte Haftungsgrund die ungerechtfertigte Vorenthaltung des τάφικον ist, ändert dies nichts daran, dass Grundlage des geltend gemachten Rechts die Bestimmungen der Satzung sind. Ungerechtfertigt ist die Vorenthaltung des τάφικον, weil sie im Widerspruch zur Vereinssatzung steht. Wenn P.Enteux. 20 ausdrücklich auf die Vereinsatzung Bezug nimmt, lässt sich das nur dadurch überzeugend erklären, dass sein Verfasser in der Satzung das Kriterium sieht, das über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Einbehaltung des τάφικον entscheidet. Der Deliktscharakter der in P.Enteux. 20 und 21 geltend gemachten Haftung ergibt sich also konstitutiv aus der Satzung.

149 P.Enteux. 21 recto, Z. 11 (Magdola, Arsinoites, 13. Januar 218 v. Chr.): Πτολεμαίωι. μά(λιστα)

δι(άλυσον) αὐ(τοὺς)· εἰ δὲ μή, ἀπ(όστειλον) πρ(ὸς) ἡμ(ᾶς) `ἐκ τῆς δεκάτης τοῦ Χοία[χ]´ ὅπ(ως) ἐπὶ τοῦ κα(θήκοντος) δι(καστηρίου) δι(ακριθῶσιν) […]. Zum Verhältnis des ἔντευξιςVerfahrens zum δικαστήριον Wolff, Justizwesen, 148 – 150; Rösch, Rechtsschutzbitten, 63 – 69. 150 Wolff, St. Paoli, 725 (737 f.); vgl. Di Bitonto, Aegyptus 47 (1967), 5 (37 f.). 151 Wolff, St. Paoli, 725 (738 f.). 152 Wolff, Juristische Papyruskunde, 114.

292

Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

Über die Vollstreckungsmaßnahmen, mit denen die Rückzahlung des τάφικον durchgesetzt wird, enthalten P.Enteux. 20 und 21 keinen Hinweis. Beide Eingaben beschränken sich darauf, um die Anwendung direkten Zwanges (ἐπαναγκάζειν) zur Durchsetzung der Rückzahlung des τάφικον zu bitten;153 sie beschreiben das verfolgte Rechtschutzziel also unspezifisch.154 Doch geben die Verfasser damit gleichzeitig zu erkennen, dass sie eine zwangsweise Durchsetzung für selbstverständlich halten.

II. Die Klage aus der lex collegii 1. Die Prozessformel der Klage a) Die Prozessformel in § 15 der lex rivi Hiberiensis Es stellt sich die Frage, mit welcher Klage Rechte aus der Vereinssatzung geltend gemacht werden können. Die lex rivi Hiberiensis, die gewisse Ähnlichkeiten mit einer lex collegii hat,155 enthält eine Prozessformel: § 15 l. r. H. = AE 2006, 676, Sp. 3, Z. 39 – 43 (Agon, Hispania citerior, 122 – 133156) […] Iudex esto. Quitquit parret e lege / 40 [rivi? Hiberiensis?] quae lexs est ex conventione paga/[nica? omnium? C]aesaraugustanorum Gallorum Cas/[cantensium Bels]inonensium paganorum illum / [illi d(are) f(acere) oportere 157, ei]us 158 iudex illum illi c(ondemnato), s(i) n(on) p(arret) a(bsolvito).

Richter soll sein. Alles, was es sich erweist, dass dieser jenem gemäß der Satzung des Kanals des Ebro, die eine Satzung aufgrund der Übereinkunft aller pagani ist, der Galli Caesaraugustani und der Belsinonenses Cascatenses, geben oder tun muss, dazu sollst du, Richter, diesen jenem verurteilen; wenn es sich nicht erweist, sollst du freisprechen.

153 P.Enteux. 20 recto, Z. 6 – 7 (Magdola, Arsinoitis, 26. Februar 221 v. Chr.): […] προστ[ά]ξαι

Διοφάνει τῶι στρα/[τ]ηγῶι ἐπαναγκάσαι ἀποδοῦναί μοι τὸ ταφικόν […]; P.Enteux. 21 recto, Z. 8 (Magdola, Arsinoites, 13. Januar 218 v. Chr.): […] ἀποστεῖλαι αὐτὰς ἐπ[ὶ] Διοφάνην ὅπως ἐπαναγ[κασ]θῶσι ἀποδοῦναι ἡμῖν. 154 Vgl. Wolff, Justizwesen, 128. 155 Nörr, SZ 125 (2008), 108 (117 f.). 156 Zur Datierung Beltrán Lloris, in: Maganzani/Buzzacchi, Lex rivi Hiberiensis, 55 (61 f.); zustimmend Buzzacchi, Lex rivi Hiberiensis, 14, 57; Einheuser, Studien, 10 f. 157 Bereits erwogen von Nörr, SZ 125 (2008), 108 (134 mit Fn. 124) unter Verweis auf die nota iuris T. M. D. F. O. (Prob. 6.13), die sich zu te mihi dare facere oportere auflösen lässt. Bei Verwendung der Abkürzung d(are) f(acere) erlaubt der Platz auf der Bronzetafel auch die Ergänzung von illi; vgl. hierzu Crawford/Beltrán Lloris, JRS 103 (2013), 233; Maganzani, in: dies./Buzzacchi, Lex rivi Hiberiensis, 181 (198). 158 Crawford/Beltrán Lloris, JRS 103 (2013), 233; ebenso bereits Nörr, SZ 125 (2008), 108 (134 mit Fn. 125).

Die prozessuale Geltendmachung von Rechten aus der lex collegii

293

Die Formel besteht aus Richtereinsetzung, Klagebegehren (intentio) und condemnatio. Beim Klagebegehren handelt es sich um eine unbestimmte intentio iuris, wie sie auch bei Gaius überliefert ist: Quitquit parret […].159 Die Klageformel ist also der condictio incerti zuzuordnen.160 Auffällig ist, dass die condemnatio keine taxatio enthält, mit der eine Höchstsumme bei einer Verurteilung festgesetzt wird, obwohl Gaius die Klage auf ein incertum als typisches Beispiel für eine condemnatio cum taxatione anführt.161 Grund für das Fehlen in der Formel der lex rivi Hiberiensis dürfte sein, dass mit ihr regelmäßig feste Geldsummen, insbesondere multae eingeklagt werden.162 Von den bei Gai. 4.41, 131 erwähnten Formeln unterscheidet sich die intentio der lex rivi Hiberiensis darin, dass die Grundlage des Klagerechts angeben wird, nämlich die lexs […] ex conventione paga/[nica? omnium? C]aesaraugustanorum Gallorum Cas/[cantensium Bels]inonensium paganorum.163 Das Klagerecht wird also primär durch die lex rivi Hiberiensis, sekundär durch die ihr zugrunde liegende conventio der Mitglieder der beteiligten pagi und die sanctio des kaiserlichen Legaten begründet.164 Dieser sekundäre Rechtsgrund verhindert angesichts des weiten römischen Gebrauchs des Begriffs lex gerade im Prozessrecht 165 indes nicht, dass die Formel dem Bereich der condictio ex lege zugeordnet werden kann.166 Als terminus technicus geht diese Bezeichnung auf die Kompilatoren zurück.167 Sie findet sich in den Rubriken je eines Titels der Digesten und des Codex Iustinianus,168 ferner in zwei Konstitutionen Justinians 169 und s­ chließlich 159 Gai. 4.41, 131. Nörr, SZ 125 (2008), 108 (134 Fn. 124, 139 – 143); Buzzacchi, Lex rivi Hiberiensis,

65 – 68; Maganzani, in: dies./Buzzacchi, Lex rivi Hiberiensis, 181 (183 – 186); vgl. Kaser/Hackl, RZ, 312 mit Fn. 8, 8a. 160 Nörr, SZ 125 (2008), 108 (142); Buzzacchi, Lex rivi Hiberiensis, 69 f. 161 Gai. 4.51: Incertae vero condemnatio pecuniae duplicem significationem habet. Est enim una cum aliqua praefinitione, quae vulgo dicitur cum taxatione, velut si incertum aliquid petamus; nam illic ima parte formulae ita est: [EIUS], IUDEX, NUMERIUM NEGIDIUM AULO AGERIO DUMTAXAT SESTERTIUM X MILIA CONDEMNA. SI NON PARET, ABSOLVE […]. Hierzu Kaser/Hackl, RZ, 316; Grzimek, Taxatio, 7 – 19. 162 Nörr, SZ 125 (2008), 108 (142 Fn. 169). 163 Nörr, SZ 125 (2008), 108 (143); vgl. Buzzacchi, Lex rivi Hiberiensis, 69. 164 Nörr, SZ 125 (2008), 108 (138); vgl. Maganzani, in: dies./Buzzacchi, Lex rivi Hiberiensis, 181 (216). 165 So subsumiert Gai. 4.28 unter den Begriff lex sowohl das Zwölftafelgesetz als auch die lex censoria; dazu Nörr, SZ 125 (2008), 108 (150); Maganzani, in: dies./Buzzacchi, Lex rivi Hiberiensis, 181 (215). 166 Nörr, SZ 125 (2008), 108 (144); vgl. Maganzani, in: dies./Buzzacchi, Lex rivi Hiberiensis, 181 (214 – 217). 167 Liebs, Ess. Honoré, 163 (182); Saccoccio, Si certum petetur, 559 – 562; Nörr, SZ 125 (2008), 108 (144). 168 D. 13.2 rubr.: De condictione ex lege; C. 4.9 rubr.: De condictione ex lege et sine causa vel iniusta causa. 169 C. 2.55.4.4 (Iust., a. 529); C. 3.31.12.1c (Iust., a. 531); C. 6.30.22.6 (Iust., a. 531).

294

Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

in den justinianischen Institutionen, die an dieser Stelle Bezug auf Reformkon­ stitutionen Justinians nehmen.170 Freilich finden sich Vorläufer in den Schriften der römischen Juristen, an deren Authentizität zu zweifeln wenig Anlass besteht, weil sie Ausdruck dezidiert aktionenrechtlichen Denkens sind. So behandelt Paulus die Frage, ob weiterhin mit der dezemviralen actio de arboribus succisis geklagt werden kann, obwohl auch mit einer actio de arboribus caesis geklagt werden kann, deren Grundlage die lex Aquilia ist.171 Das 9. Kapitel der lex Iulia de adulteriis sieht vor, dass dem Eigentümer eines Sklaven, der wegen Ehebruchs angeklagt wird, der doppelte oder einfache Wert des Sklaven erstattet werden muss.172 Die entsprechende Klage bezeichnet der Spätklassiker Marcian als condicti[o], quae ex lege descendit.173 Dazu passt, dass Modestin, ein weiterer Spätklassiker, im Rahmen seiner Einteilung der Obligationen ein obliga[ri] […] lege kennt.174 Die lex als Entstehungsgrund von Obligationen wie als Klagegrund findet sich also bereits in der spätklassischen Jurisprudenz.175 Hinzu kommt, dass sämtliche Konstitutionen im Codextitel De condictione ex lege et sine causa vel iniusta causa von Diokletian und Maximian stammen.176 Die Kompilatoren haben also auf früheres Material zurückgegriffen und es unter dem Begriff condictio ex lege versammelt, wobei sie an die spätklassische Rechtslehre anknüpfen konnten.177 Die Formel in § 15 l. r. H. fügt sich in d ­ ieses Bild ein und ergänzt es um eine Facette: Neben Kaiserkonstitutionen und Jurisprudenz späterer Zeiten kennt auch die hadrianische forensische Praxis das oportere ex lege.178

170 I. 4.6.24 unter Bezugnahme auf C. 3.10.2 (Iust., s. a.) und I. 4.6.25 unter Bezugnahme auf

C. 3.2.5 (Iust., a. 530).

171 D. 44.7.41 pr. (Paul. 22 ed.); Mayer-Maly, RIDA³ 12 (1965), 437 (445 f.); zur Rekonstruktion der actio legis Aquiliae auf der Grundlage von § 15 l. r. H. Nörr, SZ 125 (2008), 108 (145 f. mit

Fn. 184); Nörr, Fs. Knütel, 833 – 848.

172 D. 48.5.28.15 – 16 (Ulp. 3 adult.). 173 D. 48.5.29 (Marcian. 1 iud. publ.); für einen ursprünglichen Zusammenhang des Fragments mit der lex Iulia de adulteriis Lenel, Pal. I, Sp. 675. Hierzu Mayer-Maly, RIDA³ 12 (1965), 437

(446); Liebs, Ess. Honoré, 163 (181).

174 D. 44.7.52 pr. (Mod. 2 reg.); hierzu Nelson/Manthe, Kontraktsobligationen, 61 f.; Maganzani,

in: dies./Buzzacchi, Lex rivi Hiberiensis, 181 (215).

175 Mayer-Maly, RIDA³ 12 (1965), 437 (442 – 447). 176 C. 4.9.1 (Diocl./Maxim., a. 294); C. 4.9.2 (Diocl./Maxim., a. 293); C. 4.9.3 (Diocl./Maxim.,

a. 294); C. 4.9.4 (Diocl./Maxim., a. 294).

177 Mayer-Maly, RIDA³ 12 (1965), 437 (444 – 447); Nörr, SZ 125 (2008), 108 (144). 178 Vgl. Nörr, SZ 125 (2008), 108 (141 f.); Maganzani, in: dies./Buzzacchi, Lex rivi Hiberiensis, 181 (214 f.); vgl. ferner Sturm, SZ 82 (1965), 211 (213, 215 – 220).

Die prozessuale Geltendmachung von Rechten aus der lex collegii

295

b) Die Rekonstruktion der Prozessformel der Klage aus der lex collegii Dieser Befund erlaubt eine Rekonstruktion der Klagbarkeit von Obligationen aus der lex collegii. Die in der lex rivi Hiberiensis überlieferte Formel macht es wahrscheinlich, dass eine entsprechende Klage aus der lex collegii ebenfalls eine intentio incerta aufweist. Alternativen gäbe es zwar,179 doch ist es aufgrund der Nähe der lex rivi Hiberiensis, die für eine – wenngleich öffentlich-rechtliche – Wassergenossenschaft gilt, zum Vereinsrecht wahrscheinlicher, dass die Klage aus der lex collegii ebenfalls auf ein incertum gerichtet ist. Etwas weniger eindeutig ist die Frage zu beantworten, ob die intentio der Klage aus der lex collegii wie die Formel in § 15 l. r. H. keine taxatio enthält. Für eine taxatio spricht nicht nur, dass mit c. 20 l.Rubr. ein Munizipalgesetz eine ­solche in einer Klageformel vorsieht.180 Ungleich gewichtiger ist die Formel der actio tutelae directa, die P.Yadin 28 – 30 überliefern und die eine taxatio enthält.181 Zwar handelt es sich um ein bonae fidei iudicium, während die Klage aus der lex rivi Hiberiensis eine actio stricti iuris ist. Doch kann der Vormund mit der actio tutelae contraria Ersatz seiner Aufwendungen verlangen,182 dessen Höchstbetrag sich mittels der taxatio bereits im Verfahren in iure festlegen lässt,183 etwa aufgrund der in ­diesem Verfahrensabschnitt edierten Urkunden oder anderen Beweismittel.184 Auch die Klage aus der lex collegii dient dazu, Aufwendungsersatz zu verlangen, wie entsprechende Bestimmungen in den überlieferten leges collegii erkennen lassen.185 Sofern diese nicht von vornherein einen festen Betrag festsetzen, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Klage aus der lex collegii – wie die Formel der actio tutelae directa in P.Yadin 28 – 30 und anders als die Formel der lex rivi Hiberiensis – eine taxatio enthält. Schließlich passt die Angabe der lex als Klagegrund in § 15 l. r. H. auf die Klage aus der lex collegii. Insofern besteht eine auffällige Übereinstimmung mit Formulierungen in den dokumentarischen Quellen. Eine erste Parallele findet sich in der lex collegii Lanuvini. Diese sieht vor, dass unter bestimmten Voraussetzungen ein Dritter, der ein Vereinsmitglied bestattet hat, dessen funeraticium vom Verein verlangen kann:

179 Nörr, SZ 125 (2008), 108 (145 f.). 180 Ausführlich hierzu Grzimek, Taxatio, 58 – 65. 181 Nörr, Mél. Magdelain, 317 (328 – 330); Grzimek, Taxatio, 38 – 40. 182 Siehe nur Kaser, RP I, 367. 183 Vgl. Grzimek, Taxatio, 40 – 46. 184 Zur editio der Beweismittel Bürge, SZ 112 (1995), 1 (25 – 41); Kaser/Hackl, RZ, 220 f.; Babusiaux, TR 77 (2009), 23 (27 – 41). 185 Siehe oben V. Kap., § 1 II.2 und 3.b).

296

Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA2 III 35, Sp. 1, Z. 30 – 33 (Lanuvium, Latium et Campania, 136)

[…] is qui eum funeraverit  […] /  […] funeraticium eius, [...] / [...] deductis commodis et exequiario e l e g e c o l l e g i dari / [sibi petito a co]llegio […].

[…] derjenige, der ihn bestattet hat, […] soll vom Verein verlangen, dass ihm das Begräbnisgeld nach Abzug der [ersparten] Vorteile und des Geldes für die Begräbnisfeierlichkeiten gemäß der Satzung des Vereins gegeben wird […].

Auffällig ist die Formulierung funeraticium […] e lege collegi dari, die der in der lex rivi Hiberiensis überlieferten Formel ähnelt. Wie dort wird mit der lex collegii der Grund des Forderungsrechts benannt, dessen Inhalt mit dari umschrieben wird. Der folgende Satz in der lex collegii Lanuvini gebraucht den Begriff petitio für das Verlangen auf Auszahlung des funeraticium.186 Die Ausdrucksweise dieser Passage lehnt sich also an die prozessrechtliche Terminologie an, sodass sich wahrscheinlich auch die Formulierung e lege collegi dari an eine Prozessformel anlehnt.187 Diese Vermutung erhärtet der libellus de collegio tollendo aus Alburnus Maior. Er beschreibt den Zweck seiner Abfassung folgendermaßen: CIL III, p. 924 seq. = ILS 7215a = FIRA2 III 41 (Alburnus Maior, Dacia, 167) tab. II, pag. 3, Z. 6 – 9 (scriptura interior)

Seque i[d]circo per hunc libellum publice testantur / ut, si quis defunctus fuerit, ne putet se colle/gium abere aut ab eis aliquem petitio/nem funeris abiturum.

Sie erklären daher durch d ­ ieses Schreiben öffentlich, dass, wenn jemand versterben wird, er nicht der Auffassung sein soll, einen Verein zu haben oder gegen sie [die erklärenden Vereinsfunktionäre] irgendeine Klage wegen der Bestattung haben zu werden.

Mit der Urkunde soll öffentlich bekannt gemacht werden, dass das collegium aufgelöst worden ist, woraus sich zwei Rechtsfolgen ergeben: Zum einen ist die Mitgliedschaft im Verein erloschen (ne putet se colle/gium abere),188 zum anderen ist eine Klage gegen den Verein auf das funeraticium künftig ausgeschlossen (ne putet […] ab eis aliquem petitio/nem funeris abiturum).189 Dass auch diese Quelle 186 CIL XIV 2112 = ILS 7212 = FIRA2 III 35, Sp. 1, Z. 33–Sp. 2, Z. 2 (Lanuvium, Latium et Campania,

136): […] Neque patrono neque patronae neque d[omino] // neque d[o]minae neque creditori ex hoc collegio ulla p e t i t i o esto, nisi si quis testamento heres / nomina[tu]s erit […]. Hierzu Eliachevitch, Personnalité juridique, 303; De Robertis, Storia II, 325 f. Fn. 109. 187 Die Verwendung von dari in der lex collegii Lanuvini spricht für die Ergänzung von d(are) in § 15 l. r. H. = AE 2006, 676, Sp. 3, Z. 43 (Agon, Hispania citerior, 122 – 133); vgl. Maganzani, in: dies./Buzzacchi, Lex rivi Hiberiensis, 181 (198 f., 211 – 213); erwogen von Nörr, SZ 125 (2008), 108 (134 Fn. 124, 141). Nur facere ergänzen dagegen Crawford/Beltrán Lloris, JRS 103 (2013), 233. 188 Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 356; zustimmend Arangio-Ruiz, FIRA2 III, p. 115 Fn. 7. 189 Ähnlich Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 370.

Die prozessuale Geltendmachung von Rechten aus der lex collegii

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den Ausdruck petitio gebraucht, deutet darauf hin, dass das funeraticium eine Klage gegen den Verein begründet.190 Aufgrund der Ähnlichkeiten, die ­zwischen der in der lex rivi Hiberiensis überlieferten Formel und der Formulierung der lex collegii Lanuvini bestehen, dürfte es sich um eine condictio ex lege handeln. Darüber hinaus ähnelt der Geltungsgrund der Satzungsbestimmungen demjenigen der lex rivi Hiberiensis. Als ihre Grundlage geben die leges collegii die Willensübereinstimmung der Mitglieder an, der nach der kaiserzeitlichen interpretatio der Zwölf Tafeln Geltung nach ius civile zukommt.191 Dem entspricht, dass die lex rivi Hiberiensis ihre Geltung auf eine conventio der pagani stützt, der durch die hinzutretende statthalterliche sanctio von staatlicher Seite Geltung verschafft wird. Die Geltung der lex ergibt sich in beiden Fällen aus dem Zusammenwirken von kollektiver Normgebung und Bestätigung von staatlicher Seite. Die conventio der lex rivi Hiberiensis und die pactiones des gaianischen Zwölftafelkommentars können also parallelisiert werden. Mit einer Bezugnahme auf die pactiones der Vereinsmitglieder ist daher auch in der Formel der Klage aus der Satzung zu rechnen. Die Verwendung des Wortes pactio ist jedoch weniger wahrscheinlich, da zweifelhaft ist, ob ­dieses überhaupt dem Wortlaut der dezemviralen Norm entstammt.192 Das Wort conventio ist dagegen durch § 15 l. r. H. für eine Prozessformel sicher belegt. Eine Parallelisierung der Beschlüsse von pagani und Vereinsmitgliedern ist möglich, weil für beide das Verb placere gebraucht wird. Es findet sich sowohl in den leges collegii 193 als auch in einem inschriftlich überlieferten Beschluss, mit dem die pagani seu vicani Forulani einen Patron ernennen.194 Der Beschluss entspricht dem üblichen Aufbau für decreta von Personenvereinigungen, die wiederum mit demjenigen für decreta decurionum übereinstimmen.195 Wenn das Verb placere für Beschlüsse von pagani bzw. vicani und Vereinsmitgliedern verwendet wird, dürfte auch dasselbe Substantiv gebraucht werden, nämlich conventio. Seine Verwendung in der Prozessformel der Klage aus der lex collegii ist daher wahrscheinlich. Wenn Gaius für das von den Zwölf Tafeln verwendete Wort sodales die interpretatio seiner Zeit qui eiusdem collegii sunt wiedergibt,196 könnte dies dafür sprechen, dass auch die Formel der Klage aus der lex collegii insoweit nicht mehr 190 191 192 193 194 195 196

Vgl. De Robertis, Storia II, 325 f. Fn. 109. Dazu oben V. Kap., § 2. Dazu unten VI. Kap., § 1 II.2. Siehe oben V. Kap., § 2 I. Suppl.It. 9 Amiternum, 38 = AE 1937, 121, Z. 20 (Amiternum, Samnium). Vgl. Suppl.It. 9, p. 92. Dazu oben V. Kap., § 2 II.

298

Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

an den Wortlaut des Zwölftafelgesetzes anknüpft. Vielmehr könnte Gaius seine Formulierung dem Wortlaut der Formel entnommen haben. Diese kann daher wie folgt rekonstruiert werden: QUIDQUID PARET E LEGE COLLEGII ILLORUM QUAE LEX EST EX CONVENTIONE EORUM QUI ILLORUM COLLEGII SUNT ILLUM ILLIS 197 DARE FACERE OPORTERE , EIUS IUDEX ILLUM ILLI  198 (DUMTAXAT SESTERTIUM X MILIA ) CONDEMNATO, SI NON PARET ABSOLVITO.

ALLES, WAS ES SICH ERWEIST, DASS DIESER JENEN GEMÄSS DER SATZUNG DES VEREINS JENER , DIE EINE SATZUNG AUFGRUND DER ÜBEREINKUNFT DERER , DIE DEM VEREIN JENER ANGEHÖREN, GEBEN ODER TUN MUSS, DAZU SOLLST DU , RICHTER , DIESEN JENEM (ZU HÖCHSTENS 10.000 SESTERZEN) VERURTEILEN; WENN ES SICH NICHT ERWEIST, SOLLST DU FREISPRECHEN.

2. Zur ediktalen Proponierung der Klage In der lex rivi Hiberiensis wird die Gewährung der Klage ausdrücklich verheißen: [is? qui? cum? ali]quo hac lege aget petetve hanc for/[mulam accipi]to (Sp. 3, Z. 38 f.).199 Durch die statthalterliche sanctio lässt sich ihre Geltung auf den Gerichtsmagistraten zurückführen.200 Damit stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Klage aus der lex collegii zum prätorischen Edikt. Da mit der Klage eine Haftung geltend gemacht wird, die mit dem Zwölftafelgesetz eine gesetzliche Grundlage hat, ist mit einem Verheißungsedikt nicht zu rechnen; einer zusätzlichen prätorischen Rechtsschutzverheißung bedarf es deshalb nicht mehr.201 Im Edikt könnte allerdings die Klageformel proponiert sein.202 In den Ediktskommentaren lassen sich keine Spuren einer Klage aus der lex collegii nachweisen. Ulpian schreibt zwar, dass mit der condictio aus jedem Rechtsgrund geklagt werden kann, und führt dabei mit der lex Aquilia eine lex publica sowie senatus consulta an.203 Doch handelt es sich dabei um die auf

197 In der intentio werden – je nach Art des geltend gemachten Rechts – als Aktiv- oder Passivlegitimierte die ii qui eiusdem collegii sunt genannt worden sein; vgl. Nörr, SZ 125 (2008),

108 (140); insoweit ähnlich Biscardi, Iura 31 (1980), 1 (15).

198 In der condemnatio wird der Name des actor des Vereins erschienen sein. Dagegen vermutet

Biscardi, Iura 31 (1980), 1 (15) bei einer Klage für oder gegen eine Körperschaft, dass diese entgegen Gai. 4.86 auch in der condemnatio genannt worden sei. 199 Zur Formulierung Nörr, SZ 125 (2008), 108 (135 – 137). 200 Nörr, SZ 125 (2008), 108 (134, 138 f.). 201 Wieacker, RG I, 453, 462. 202 Vgl. Wieacker, RG, I, 463; Magdelain, Actions, 11 – 21. 203 D. 12.1.9 pr.–1 (Ulp. 26 ed.): Certi condictio competit ex omni causa, ex omni obligatione, ex qua certum petitur, sive ex certo contractu petatur sive ex incerto: licet enim nobis ex omni contractu certum condicere […]. 1. Competit haec actio etiam ex legati causa et e x l e g e A q u i l i a . Sed et ex causa furtiva per hanc actionem condicitur. Sed et si e x s e n a t u s c o n s u l t o agetur, competit haec actio […]. Hierzu Saccoccio, Si certum petetur, 53 – 93; kritisch Sturm,

Die prozessuale Geltendmachung von Rechten aus der lex collegii

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eine certa pecunia gerichtete condictio,204 während die Klage in § 15 l. r. H. auf ein incertum gerichtet ist, weshalb auch bei der Klage aus der lex collegii mit einer intentio incerta zu rechnen ist. Sie kann also nicht unter das von Ulpian in D. 12.1.9 pr.–1 kommentierte Edikt fallen. Allerdings lassen sich nicht alle Klagen, die eine gesetzliche Haftung umsetzen, im prätorischen Edikt nachweisen. Für die dezemviralen actiones de arboribus succisis und de via recepta ist nicht erwiesen, dass ihre Formeln im Edikt proponiert sind.205 Damit gerät eine andere Möglichkeit in den Blick, nämlich aus dem Gesetz selbst zu klagen. Von ihr spricht Paulus an einer Stelle: D. 13.2.1 (Paul. 2 Plaut.) Si obligatio lege nova introducta sit nec Wenn eine Verpflichtung durch ein neues Gesetz eingecautum eadem lege, quo genere actio- führt und in d ­ iesem Gesetz nicht festgelegt worden ist, nis experiamur, ex lege agendum est. mit welcher Art von Klage wir vorgehen sollen, muss aus dem Gesetz geklagt werden.

Die Palingenesie erlaubt keine sicheren Rückschlüsse auf den ursprünglichen Kontext des Fragments.206 Die Möglichkeit, ex lege zu klagen, wird aber durch andere Texte bestätigt.207 Bedeutsam ist, dass sich eine ähnliche Formulierung in der lex collegii aquae findet: CIL VI 10298 = FIRA2 III 32, Z. 17 (Roma, 1. Jhd. v. Chr.–14 n. Chr.)

[In eum, qui contra h(anc) l(egem) fulloniam fecerit cretulentumque exeg]erit, e x h ( a c ) l ( e g e ) magister magistrive iudicium danto.

Gegen denjenigen, der entgegen d ­ iesem Gesetz die Walkerei ausübt und Kreideerde verlangt hat, sollen der magister oder die magistri eine Klage aus ­diesem Gesetz erteilen.

Es handelt sich um eine Art Rechtsschutzverheißung im Rahmen der Vereinsgerichtsbarkeit;208 insofern besteht eine Parallele zu § 15 l. r. H. Entscheidend ist, dass auf diese Rechtsschutzverheißung – anders als in der lex rivi ­Hiberiensis – SZ 124 (2007), 513 (514 f.); aufgeschlossener Nörr, SZ 125 (2008), 108 (126 f. Fn. 86); ders.,

Fs. Knütel, 833 (839 Fn. 41).

204 Lenel, Pal. II, Sp. 569 mit Fn. 4; Liebs, Ess. Honoré, 163 (180 f.). 205 Lenel, EP, 195, 337. 206 Lenel, Pal. I, Sp. 1149 und Mayer-Maly, RIDA³ 12 (1965), 437 (445) nehmen einen Zusammen-

hang mit der lex Aquilia an. Dies ist jedoch überaus unsicher, da angesichts der wenigen erhaltenen Fragmente aus dem 2. Buch ad Plautium eine sichere Zuordnung des überaus knappen Fragments zu einer Ediktsrubrik kaum möglich ist. Genauso gut könnte man das Fragment im Hinblick auf D. 12.1.9 pr.–1 (Ulp. 26 ed.) dem Kondiktionenrecht zuordnen. 207 Nachweise bei Mayer-Maly, RIDA³ 12 (1965), 437 (441, 446). Evtl. auch D. 48.5.28.16 (Ulp. 3 adult.); hierzu Wolf, Iura 62 (2014), 47 (58 f.). 208 Vgl. Nörr, SZ 125 (2008), 108 (157).

300

Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

keine Klageformel folgt. Der Text setzt vielmehr voraus, dass ex h(ac) l(ege) geklagt werden kann. Die lex collegii aquae folgt in vielem dem staatlichen Prozessrecht,209 sodass es plausibel ist anzunehmen, dass dies auch für die Möglichkeit einer Klage ex h(ac) l(ege) gilt. Vielleicht war die Existenz einer Klage ex lege derart selbstverständlich, dass es dazu keiner magistratisch proponierten Formel bedarf. Vor ­diesem Hintergrund ist zu erwägen, ob nicht umgekehrt die Proponierung der Formel in § 15 l. r. H. die Ausnahme darstellt und sich aus Besonderheiten der provinzialen Rechtspflege erklärt. Im stadtrömischen Prozess hätte die Klage ex lege einer Formelproposition nur dann bedurft, wenn der Prätor die gesetzliche Haftung modifiziert hätte und für besondere Fälle eine eigene Klageformel hätte einführen wollen.210 Dieser Befund gewinnt an Plausibilität, wenn man ihn mit den fehlenden Zeugnissen für eine ediktale Proponierung von dezemviralen Klagen kombiniert. Die zugrunde liegenden Haftungstatbestände sind deutlich älter als das prätorische Edikt und sind ursprünglich mit legis actiones geltend gemacht worden. Wann diese endgültig durch Prozessformeln ersetzt worden sind, ist nicht mit Sicherheit zu rekonstruieren; der Erlass der beiden leges Iuliae im Jahr 17. v. Chr. ist lediglich ein terminus ante quem.211 Dass dezemvirale Klagen teilweise nicht in das Edikt Aufnahme gefunden haben, könnte sich daraus erklären, dass die Haftung durch das Edikt nicht modifiziert wird. Für eine honorarrechtliche Anpassung der Haftung aus dem Zwölftafelsatz zu den sodales gibt es keine Hinweise. Vielmehr ist anzunehmen, dass unabhängig von der Art des Prozesses auf die Summe gehaftet wird, die in der lex collegii jeweils festgesetzt ist. Somit gibt es keinen Grund, eine Formel für die Klage aus der lex collegii zu proponieren. Vielmehr kann ex lege geklagt werden, wie es der Wortlaut der überlieferten Satzungen nahelegt. Das Fehlen einer ediktalen Formel ist dadurch erklärt. Die angeführten Indizien machen es hochgradig plausibel, dass Forderungen zugunsten und gegen den Verein, die in der lex collegii begründet werden, in der staatlichen Gerichtsbarkeit mit der condictio ex lege durchsetzbar sind.212 Mit der 209 Siehe oben V. Kap., § 3 I.1.; vgl. Nörr, SZ 125 (2008), 108 (156 f.). 210 Grund für die Proponierung der dezemviralen actio de modo agri könnte die Litiskresenz im Falle des infitiari des Beklagten sein; PS 1.19.1; so Kaser, RP I, 134 mit Fn. 12, 153; Kaser/ Hackl, RZ, 135 mit Fn. 24; vgl. Watson, Obligations, 81 f.; für einen dezemviralen Ursprung der Haftung auf das duplum Liebs, SZ 85 (1968), 173 (244 f. Fn. 303); vgl. Lenel, EP, 195. Im

Falle der lex Aquilia ist an die – umstrittene – actio confessoria zu denken; siehe nur Rodger,

SZ 124 (2007), 145 (146 Fn. 6); nunmehr aber Nörr, Fs. Knütel, 833 (842 – 844). 211 Kaser/Hackl, RZ, 161 m. w. N. 212 Nörr, SZ 125 (2008), 108 (156 mit Fn. 240); vgl. Waltzing II, 470; Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 364, 367 f.; Eliachevitch, Personnalité juridique, 303; De Robertis, Storia II, 325 f.

Die Begründung durch die cautio des Vereinsfunktionärs

301

Quellenlage nicht vereinbar ist es, die Durchsetzbarkeit derartiger Forderungen gänzlich 213 oder zumindest im ordentlichen Rechtsweg 214 abzulehnen.

§ 4

Die Begründung durch die cautio des Vereinsfunktionärs

I. Das Zeugnis des libellus de collegio tollendo aus Alburnus Maior Außer durch die lex collegii kann das Innenverhältnis auch durch eine cautio ausgestaltet sein, mit der sich ein Vereinsfunktionär einer Haftung unterwirft. Im libellus de collegio tollendo aus Alburnus Maior wird eine ­solche cautio des magister erwähnt, des höchsten verbliebenen Funktionärs des collegium Iovis Cerneni: CIL III, p. 924 seq. = ILS 7215a = FIRA2 III 41 (Alburnus Maior, Dacia, 167) tab. I, pag. 2, Z. 4–tab. II, pag. 3, Z. 1 (scriptura interior)

Artemidorus Apolloni, magister collegi Artemidorus, Sohn des Apollonus, magister des Iovis Cerneni et / 5 Valerius Niconis et Vereins des Jupiter Cernenus, sowie Valerius, Sohn Offas Menofili, questores collegi eius-/ des Nico, und Offas, Sohn des Menofilus, quaestodem, posito hoc libello publice testantur: / res d ­ ieses Vereins, erklären durch Aushang d ­ ieses Schreibens öffentlich: Ex collegio s(upra) s(cripto), ubi erant ho[m(ines)] LIIII, ex eis non plus / remasisse ad Alb(urnum) quam quot h(omines) XVII; Iulium Iuli quoque, / commagistrum suum, ex die magisteri sui non accessisse / 10 ad Alburnum neq(ue) in collegio: seque eis, qui pre/sentes fuerunt, rationem reddedisse, et si quit / eorum abuerat, reddedisset sive funeribus, // et cautionem suam, in qua eis caverat, recepisset.

Aus dem oben genannten Verein, in dem 54 Männer waren, s­ eien von diesen in Alburnus nicht mehr als 17 Männer übriggeblieben. Iulius, Sohn des Iulius, sein commagister, sei seit dem Datum des Amtsantritts als magister nicht nach Alburnus und zum Verein gekommen. Er habe denjenigen, die anwesend gewesen s­ eien, Rechnung gelegt, wenn er etwas von ihnen gehabt habe, es zurückgegeben oder für Begräbnisse [aufgewendet] und seine Sicherheitsleistung zurückerhalten, in der er ihnen Sicherheit geleistet habe.

Es handelt sich um eine durch Aushang bekanntgemachte 215 testatio des magister und der beiden quaestores des collegium. Da die Mitgliederzahl des collegium Iovis Cerneni von 54 auf 17 zurückgegangen ist und der designierte commagister sein Amt nicht angetreten hat, soll der Verein aufgelöst werden. Daher legt der verbleibende magister den anwesenden Vereinsmitgliedern Rechnung (eis, qui pre/sentes fuerunt, rationem reddedisse) und erstattet ihnen ihren Anteil am 213 Kornemann, s. v. collegium, RE 4.1, Sp. 435; Schulz, ClRL, 100; Kaser, RP I, 309; Magdelain,

Loi, 47.

214 So Mitteis, RP I, 347 Fn. 21, der eine Klagbarkeit nur in der extraordinaria cognitio annimmt. 215 tab. I, pag. 2, Z. 1 – 3; hierzu Huschke, ZGRW 12 (1845), 173 (189 – 207).

302

Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

Vereinsvermögen (si quit / eorum abuerat, reddedisset).216 Daraufhin erhält der magister die cautio zurück, die er den Mitgliedern geleistet hat (cautionem suam, in qua eis caverat, recepisset). Diese Formulierung deutet darauf hin, dass dem magister eine Urkunde physisch zurückgegeben wird.217 Zugleich steht das cautionem recipere im Zusammenhang mit der Rechnungslegung und der Rückerstattung der Anteile am Vereinsvermögen, sodass es ebenfalls zur Abwicklung des Vereins gehört. Mit recipere wird daher die Lösung des magister aus seiner Haftung gegenüber den Mitgliedern bezeichnet, die er mit einer cautio übernommen hat. Um diese Lösung faktisch zu bewirken, erhält der magister die Urkunden zurück, die über seine cautio errichtet worden sind. Mit der Rückgabe des bedeutendensten Beweismittels für die Leistung der cautio wird die Inanspruchnahme des magister faktisch ausgeschlossen. Damit ist jedoch noch nichts über die Rechtsnatur der cautio gesagt. Dem üblichen juristischen Sprachgebrauch entspräche es, wenn es sich um eine Stipulation handelte,218 über deren Abgabe die Urkunde lediglich aussagt, dass sie gegenüber den Mitgliedern erfolgt ist (eis caverat).219 Als Vergleich bietet sich zum einen die cautio des Munizipalmagistraten vor Amtsantritt, zum anderen die cautio rem pupilli salvam fore an.

II. Der Vergleich mit der cautio der Munizipalmagistrate Nach der lex Tarentina müssen die gewählten duumviri und Ädilen vor der Renuntiation des Wahlergebnisses 220 unter Stellung von praedes 221 eine cautio abgeben: 216 Vgl. Biró, in: Andreev, Gesellschaft und Recht II, 1 (5 f.); Ciulei, Triptyques, 72. Zur Rechnungslegungspflicht siehe auch oben V. Kap., § 1 II.2 und 3.b); zur Aufteilung des Vereinsvermögens bei Auflösung siehe auch oben I. Kap., § 2 III.1. 217 Biró, in: Andreev, Gesellschaft und Recht II, 1 (8); Ciulei, Triptyques, 72 f. 218 So Ciulei, Triptyques, 73; ebenso Huschke, ZGRW 12 (1845), 173 (188), der allerdings unter

Vernachlässigung des Kontexts annimmt, Inhalt der Stipulation sei die Forderung des Vereinsmitglieds auf Auszahlung des funeraticium. Wieder anders Biró, in: Andreev, Gesellschaft und Recht II, 1 (9 – 12), der eine provinzialrechtliches Rechtsinstitut mit konstitutiver Schriftform annimmt. 219 Verfehlt Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 372, dem zufolge eis die Anwesenden der Liquidationsversammlung meint. Ebenfalls unzutreffend Ciulei, Triptyques, 73, dem zufolge der magister das Stipulationsversprechen gegenüber den quaestores des collegium abgegeben haben soll; damit verbindet Ciulei, ebd., 71 – 73 die Vorstellung einer organschaftlichen direkten Stellvertretung. 220 Zur Einbettung in den Wahlakt Laffi, Colonie e municipi, 191 (212). 221 Zu praedes in den leges municipales siehe nur Spitzl, Lex municipii Malacitani, 70 – 73.

Die Begründung durch die cautio des Vereinsfunktionärs

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l.Tarent. = CIL I2 590 = ILS 6086 = FIRA2 I 18, Sp. 1, Z. 14 – 20 (Tarantum, Apulia et Calabria, 1. Hälfte 1. Jhd. v. Chr.222) […] quique quomqu[e] comitia duo­ vireis a[ed]ilibusve rogandeis / 15 habebit, is antequam maior pars curiarum quemque eorum, quei / magistratum eis comitieis petent, renuntiabit, ab eis quei petent praedes / quod satis sit accipito, [q]uae pequnia publica sacra religiosa eius municipi / [ad] quemque eorum in eo magistratu pervenerit, eam pequniam municipio  / Tarentino salvam rec[te] ess[e futu]ra[m ei]usque rei ration[e]m redditurum / 20 ita utei senatus ce[nsu]erit, [i]dque in [tabul]eis publiceis scri­ ptum sit, facito.

Wer die Komitien zur Wahl der duumviri oder der Ädilen abhält, soll, bevor die Mehrheit der Kurien einen von denen, die sich um das Amt in diesen Komitien bewerben, [als Wahlsieger] bekanntmachen wird, von denjenigen, die sich bewerben, genügend Bürgen dafür stellen lassen, dass, welches öffentliche, heilige oder religiöse Vermögen d ­ ieses municipium an einen von ihnen während seiner Amtszeit gelangt sein wird, d ­ ieses Vermögen dem municipium Taren­ tinum ordnungsgemäß erhalten bleibt und sein wird sowie dass er Rechnung darüber derart legen wird, wie der Senat beschlossen hat; ferner soll er veranlassen, dass dies auf öffentlichen Urkundentafeln nieder­ geschrieben wird.

Mit der cautio verspricht der Gewählte, dass die pequnia publica sacra religiosa der Gemeinde, die an ihn im Rahmen seiner Amtsausübung gelangt, salvam recte esse futuram und er darüber Rechnung legen wird. Gegenstand der cautio ist die pequnia publica sacra religiosa, also das gesamte Gemeindevermögen,223 unabhängig von seiner Verwendung zu profanen oder religiösen Zwecken. Dies wird besonders deutlich, wenn Ulpian diskutiert, ob die Bürgen der Munizipal­ magistrate einem Mündel haften, wenn der Magistrat keinen geeigneten Vormund bestellt hat: D. 27.8.1 pr. (Ulp. 36 ed.) In ordinem subsidiaria actio non dabitur, sed in magistratus, nec in fideiussores eorum: hi enim rem publicam salvam fore promittunt, non pupilli. […]

Gegen den Gemeinderat wird die subsidiäre Klage nicht gegeben, sondern gegen den Magistraten, aber nicht gegen seine Bürgen. Diese nämlich versprechen, dass das Vermögen der Gemeinde erhalten bleibt, nicht dasjenige des Mündels. [...]

Der Magistrat haftet dem Mündel mit der actio subsidiaria.224 Ulpian untersucht, ob der Mündel die Klage auch gegen andere Personen richten kann. Die Bestellung des Vormunds erfolgt durch den Magistrat aufgrund eines decretum decurionum, doch schließt Ulpian eine Haftung des ordo grundsätzlich aus.225 222 Vgl. Crawford, RS I, 302. 223 Gnoli, Fs. Dell’Oro, 1 (2, 13); Troubnikova, MEP 9 – 10 (2004 – 2005), 279 (281); Mantovani, in:

Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (318 – 328); Laffi, Colonie e municipi, 191 (204). 224 Zu dieser Klage Sachers, s. v. tutela, RE 7A.2, Sp. 1581 – 1583; Albanese, Persone, 511 – 513. 225 Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (328 mit Fn. 234).

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Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

Sodann stellt sich die Frage, ob die Bürgen für die Amtsführung der Magistrate 226 aus der actio subsidiaria haften. Ulpian verneint dies, weil diese versprechen, rem publicam salvam fore, nicht aber für das Mündelvermögen einzustehen. Gegenstand der cautio der Bürgen für die Munizipalmagistrate ist daher das Gemeindevermögen.227 Der Inhalt der Haftung wird mit salvam fore umschrieben. Paulus überliefert eine Erörterung Julians dazu: D. 50.8.9 (Paul. 1 ed.) Si filius familias volente patre magistratum gesserit, Iulianus existimavit in solidum patrem teneri in id, quod eius nomine rei publicae abesset.

Wenn ein Haussohn mit dem Willen seines Vaters ein Amt ausgeübt hat, meint Julian, dass der Vater voll für das haftet, was aus d ­ iesem Grund dem Gemeindevermögen fehlt.

Da ein filius familias, der eine Magistratur ausübt, nicht selbst in Anspruch genommen werden kann, haftet für seine Amtsführung sein Vater gegenüber der Gemeinde.228 Inhalt dieser Haftung ist nach Julian das id, quod eius nomine rei publicae abesset. Es handelt sich also um eine Haftung für jede Verminderung des Gemeindevermögens.229 Dabei scheint es sich um eine verschuldensunabhängige Haftung zu handeln: Haftungsbegründend ist nach Julian jede Handlung des Munizipalmagistrats (si […] magistratum gesserit), die Bezug zur pecunia publica hat. Dieser Befund wird durch ein Fragment Ulpians, der den Begriff gestum definiert,230 ebenso wie durch eine Konstitution Alexanders 231 bestätigt. Von vis maior abgesehen, würde der Munizipalmagistrat für jede Handlung haften, durch die das Gemeinde­ vermögen vermindert wird.232

226 Möglicherweise ist fideiussores für praedes interpoliert, da nach den Stadtrechten praedes

für die Amtsführung der Magistrate haften; so Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/ Gabba, Statuti municipali, 261 (328); ebenfalls für eine Interpolation Lenel, Pal. II , Sp. 673 Fn. 2; Sachers, s. v. tutela, RE 7A.2, Sp. 1581. Allerdings könnten bis zu Beginn des 3. Jahrhunderts fideiussores bereits an die Stelle der praedes getreten sein, sodass der überlieferte Text von Ulpian stammt; vgl. hierzu Mitteis, RP I, 382 Fn. 18; Partsch, SZ 29 (1908), 403 (408 Fn. 6). 227 Mantovani, in: Capogrossi Colognesi/Gabba, Statuti municipali, 261 (328). 228 D. 50.1.2 pr. (Ulp. 1 disp.). Hierzu Lovato, Ulp. disp., 138 – 140. 229 Partsch, SZ 29 (1908), 403 (408 – 410). Ebenso für die lex Tarentina Gnoli, Fs. Dell’Oro, 1 (13). 230 D. 50.1.2.1 (Ulp. 1 disp.): Gestum autem in re publica accipere debemus pecuniam publicam tractare sive erogandam decernere; hierzu Lovato, Ulp. disp., 139 Fn. 95. 231 C. 11.39.1 (Alex., s. a.): Fenoris rei publicae, quod n o n t u a c u l p a perditum esse apparuerit, sufficit sortis damnum, non etiam usurarum sustinere. 232 So Partsch, SZ 29 (1908), 403 (409 f.).

Die Begründung durch die cautio des Vereinsfunktionärs

305

Einige Reskripte aus dem 2. Jahrhundert lassen jedoch Merkmale einer Verschuldenshaftung erkennen.233 Dabei handelt es sich indes nicht um eine späte Entwicklung,234 wie ein erst vor kurzem gefundendes Kapitel der lex Ursonensis zeigt: c. 13 l.Urson. = AE 2006, 645, Sp. 1, Z. 1 – 10 (Urso, Baetica, 47 – 44 v. Chr.) XIII . Quicumque II viri praefective in

col(onia) Gen(etiva) Iul(ia) facti crea-/ tique erunt, ii duumviri, ante quam quisquam eorum / magistratum inierit, praedes dato praediaque subsig/[n]ato ad du(u)mvir(os) prae­fctosve arbitratu decur(ionum), dum  / 5 ne minus XXV adsint, cum ea res consulatur, quod eius  / pecuniae publicae colon(orum) colon(iae) G(enetivae) I(uliae) sibi datum traditum / erit quodque exegerint acceperintve, id se II vir(is) proxmis / praefectisve, qui se sequentur, omne arbitratu decurionu(m)  / quod eius extabit s(ine) d(olo) m(alo) traditurum rationemque arbi/10tratu eorum redditurum.

Wer als duumviri oder Präfekten in der colonia Genetiva Iulia bestimmt und gewählt worden ist, diese duumviri sollen, bevor jeder einzelne von ihnen sein Amt antritt, nach dem Ermessen der Ratsherren, wenn bei der Beratung dieser Angelegenheit nicht weniger als 25 anwesend sind, dafür Bürgen stellen und Grundstücke für die duumviri oder Präfekten verpfänden, dass sie, was ihnen vom öffentlichen Vermögen der Bürger der colonia Genetiva Iulia gegeben und übergeben sein wird und was sie vereinnahmt und angenommen haben werden, den nächsten duumviri oder Präfekten, die ihnen nachfolgen werden, alles, was davon vorhanden sein wird, nach dem Ermessen der Ratsherren ohne Arglist übergeben und nach deren Ermessen Rechnung legen werden.

Das Kapitel regelt die Leistung der cautio der duumviri oder praefecti unter Stellung von praedes und praedia; im Unterschied zur lex Tarentina erfolgt sie nach Abschluss des Wahlakts, aber vor dem Amtsantritt.235 Der Umfang der Kautionsleistung wird arbitratu decur(ionum) festgelegt. Gegenstand der cautio sind zum einen die pecuniae publicae, die bereits vor Amtsantritt der Gemeinde gehören und zu denen der Magistrat im Rahmen seiner Amtstätigkeit Zugang hat (datum traditum), zum anderen die Gelder, die der Magistrat während seiner Amtszeit für die Gemeinde vereinnahmt hat (quodque exegerint acceperintve).236 Alle diese Gelder hat der Magistrat seinem Nachfolger s(ine) d(olo) m(alo) herauszugeben und darüber den decuriones Rechnung zu legen. Die Herausgabepflicht besteht also nicht verschuldensunabhängig, vielmehr haftet nach c. 13 l.Urson. der Magistrat lediglich für das vorsätzliche Behalten von Gemeindegeldern. Es fragt sich, wie sich dieser Befund zur älteren lex Taren­ tina und zu den jüngeren flavischen Stadtgesetzen 237 verhält, deren jeweilige 233 D. 50.8.12.1, 5 (Papir. 2 const.). 234 So aber Partsch, SZ 29 (1908), 403 (410). 235 Zum Zeitpunkt der Kautionsleistung Caballos Rufino, Nuevo bronce de Osuna, 191 – 193. 236 Caballos Rufino, Nuevo bronce de Osuna, 206. 237 c. 60 l.Malac./Irn.

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Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

Formulierungen keine Beschränkung auf Vorsatz erkennen lassen. Denkbar ist, dass verschiedene leges municipales unterschiedliche Haftungsmodelle vorsehen. Möglich ist aber auch, dass nur die lex Ursonensis die dolus-Haftung ausdrücklich erwähnt, während die anderen Stadtgesetze sie lediglich als selbstverständlich voraussetzen. Für einen derartigen flexiblen Umgang mit dem Vorsatz-Kriterium spricht ein Fragment aus dem Ediktskommentar Ulpians: D. 50.8.8 (Ulp. 1 ed.) Magistratus rei publicae non dolum Die Beamten einer Gemeinde müssen nicht nur für Argsolummodo, sed et latam neglegen- list, sondern auch für grobe Fahrlässigkeit und darüber tiam et hoc amplius etiam diligen- hinaus auch für [einfache] Sorgfalt einstehen. tiam debent.

Der Kontext des Fragments lässt sich kaum sicher rekonstruieren.238 Doch steht fest, dass es sich um eine Haftung gegenüber der Gemeinde handelt, und es scheint nicht ausgeschlossen, dass Ulpian eine generelle Aussage über den Haftungsmaßstab für Munizipalmagistrate tätigt.239 Ausgangspunkt des Gedankengangs ist die Haftung für dolus, die der Jurist auf lata negligentia und diligentia ausdehnt. Dass er dolus ohne weiteres akzeptiert, könnte im Zusammenhang damit stehen, dass die cautio der Munizipalmagistrate wie in c. 13 l.Urson. eine Vorsatzhaftung vorsieht. Die Ausdehnung auf Fahrlässigkeit durch die Juristen könnte sich ursprünglich aus einer Formulierung der cautio wie in der lex Tarentina und den flavischen Stadtrechten entwickelt haben, die jeweils keine dolus-Klausel enthalten. Deren Aufnahme in das Formular der cautio könnte eine Reaktion auf eine ausdehnende Interpretation des Formulars ohne Vorsatzkriterium darstellen, das die lex Tarentina und die flavischen Stadtgesetze überliefern. Das Ulpian-Fragment würde allerdings davon zeugen, dass alsbald auch das Formular mit dolus-Klausel erneut extensiv ausgelegt worden wäre. Ulpians Erwähnung der dolus-Haftung als Ausgangspunkt wäre ein reines Lippenbekenntnis zum Wortlaut der Kaution, im Ergebnis aber ohne jede Bedeutung. Vor ­diesem Hintergrund lässt sich der Haftungsmaßstab für Munizipalmagistrate nur schwer konturieren. Die Quellen sind widersprüchlich, und ein diachrones Oszillieren ­zwischen reiner Vorsatz-, Verschuldens- und verschuldensunabhängiger Haftung erscheint nicht ausgeschlossen.

238 Lenel, Pal. II, Sp. 421 mit Fn. 3 ordnet das Fragment einer allgemein einleitenden Rubrik Ad legem municipalem zu. Der von Partsch, SZ 29 (1908), 403 (410 Fn. 1) behauptete Zusammenhang mit der actio subsidiaria ist keinesfalls zwingend; siehe nur Lenel, SZ 2 (1881), 14

(26 – 29).

239 Lenel, SZ 2 (1881), 14 (28).

Die Begründung durch die cautio des Vereinsfunktionärs

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Die Haftung des Munizipalmagistrats aus der cautio wird durch Stellung von praedes und praedia begründet; es handelt sich also um eine Haftung nach öffentlichem Recht.240 Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zur cautio des magister des collegium Iovis Cerneni, der selbst haftet, da nur so zu erklären ist, dass er die cautio zurückerhält (recepisset). Die cautio des Munizipalbeamten liefert also keinerlei Anhaltspunkte dafür, wie die Haftung eines Vereinsfunktionärs aus der cautio begründet wird.

III. Der Vergleich mit der cautio rem pupilli salvam fore Ein genuin privatrechtliches Rechtsinstitut ist dagegen die cautio rem pupilli salvam fore, eine mit Bürgenstellung verstärkte Stipulation (satisdatio).241 Sie dürfte sich im Zusammenhang mit der Bestellung von Vormündern erst durch die Konsuln, dann die Prätoren herausgebildet haben.242 Später leisten testamentarische Vormünder die cautio, um das Mündelvermögen allein verwalten zu dürfen;243 gesetzliche oder magistratisch bestellte Vormünder werden zu ihrer Abgabe vom Gerichtsmagistraten gezwungen.244 Der Inhalt der Haftung aus der cautio rem pupilli salvam fore entspricht in klassischer Zeit demjenigen der actio tutelae.245 Aufgrund von deren bonafides-Klausel haftet der Vormund grundsätzlich für dolus, was die spätklassische Jurisprudenz zu einer Haftung für jedes Verschulden ausdehnt.246 Haftungsinhalt ist eine wirtschaftlich vorteilhafte Verwaltung des Mündelvermögens: D. 46.6.11 (Ner. 4 membr.) Cum rem salvam fore pupillo cavetur, committitur stipulatio, si, quod ex tutela dari fieri oportet, non prae­stetur: nam et si salva ei res sit, ob id non est, quia, quod ex tutela dari fieri oportet, non solvitur.

Wenn Sicherheit dafür geleistet wird, dass das Vermögen des Mündels erhalten bleiben wird, verfällt die Stipulation, wenn nicht geleistet wird, was aus der Vormundschaftsklage gegeben und getan werden muss. Denn auch wenn ihm das Vermögen erhalten bleibt, bleibt es das [in Wirklichkeit] deshalb nicht, weil nicht das geleistet wird, was aus der Vormundschaftsklage gegeben und getan werden muss.

2 40 Zur praediatura des öffentlichen Rechts Wesener, s. v. praediatura, RE S 14, Sp. 447 – 455. 241 D. 46.6.4.1 (Ulp. 79 ed.). Kaser, RP I, 364; Albanese, Persone, 508 f. 242 Vgl. I. 1.20.3; Nörr, SZ 118 (2001), 1 (70); Kordasiewicz, in: Urbanik, Culpa, 105 (107). 243 Kaser, RP I, 364. 244 Gai. 1.198 – 199 für die Stadt Rom; zur Erzwingung in municipia Nörr SZ 118 (2001), 1 (70 f.). Zum Ganzen Kaser, RP I, 365; Albanese, Persone, 510. 245 D. 46.6.4.6 (Ulp. 79 ed.). Hierzu Kaser, RP I, 364; Albanese, Persone, 509 mit Fn. 413. 246 So D. 27.3.1 pr. (Ulp. 36 ed.); hierzu Kordasiewicz, in: Urbanik, Culpa, 105 (109 f.). Zum Ganzen Kaser, RP I, 365 f.; Albanese, Persone, 509 mit Fn. 394; undeutlich Sachers, s. v. tutela, RE

7A.2, Sp. 1565.

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Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

Neraz hält fest, dass die Stipulation verfällt, wenn der Vormund nicht das leistet, was aufgrund der actio tutelae geschuldet ist. Er stellt klar, dass es nicht genügt, wenn das Mündelvermögen ungeschmälert erhalten bleibt (si salva ei res sit), sondern darüber hinaus aktiv all das geleistet werden muss, was aufgrund der actio tutelae geschuldet ist. Die Formulierung lässt erkennen, dass Neraz eine Ausdehnung der Haftung behandelt. Offenbar ist die cautio, ihrem Wortlaut folgend,247 ursprünglich dahingehend verstanden worden, dass sie nur bei einer Verminderung des Mündelvermögens verfällt. Dagegen weist Neraz darauf hin, dass der Haftungsumfang auch jedes Unterlassen einer von der bona fides gebotenen Mehrung des Mündelvermögens umfasst.248 Wahrscheinlich ist die cautio ursprünglich auf die unverminderte Herausgabe des Mündelvermögens nach Beendigung der Vormundschaft gerichtet.249 Erst s­ päter dehnen die Juristen die Haftung aus und lassen den Vormund auch für das Unterlassen einer Mehrung des Mündelvermögens haften. Der Vormund und seine Bürgen leisten die cautio rem pupilli salvam fore grundsätzlich gegenüber dem Mündel, sofern dieser tatsächlich zur Mitwirkung in der Lage ist (fari potest).250 Ist der Mündel dagegen zum fari nicht in der Lage oder ist er abwesend, so soll die cautio einem Sklaven in seinem Eigentum geleistet werden,251 wodurch der Mündel die actio ex stipulatu erwirbt.252 Wenn der Mündel keinen Sklaven hat, soll einer für ihn gekauft werden.253 Scheidet auch diese Möglichkeit aus, kann die cautio einem servus publicus 254 oder dem Munizipalmagistraten 255 bzw. in Rom einem freien Dritten 256 geleistet werden. Die actio ex stipulatu erwirbt im Falle des Sklaven die Gemeinde als sein Eigentümer, im Fall eines freien reus stipulandi dieser selbst. Auf den Mündel muss sie deshalb mit einer actio utilis übergeleitet werden.257

2 47 Lenel, EP, 541. 248 Vgl. auch D. 46.6.9 (Pomp. 15 Sab.): […] non solum quae in patrimonio habet, sed etiam quae 249 250 251 252 253 254 255 256 257

in nominibus sunt ea stipulatione videntur contineri […]. Kordiasiewicz, in: Urbanik, Culpa, 105 (110 – 113). Kordiasiewicz, in: Urbanik, Culpa, 105 (113). D. 46.6.6 (Gai. 27 ed. prov.); D. 27.8.1.15 (Ulp. 36 ed.); D. 46.6.2 (Ulp. 79 ed.). D. 46.6.6 (Gai. 27 ed. prov.); D. 27.8.1.15 (Ulp. 36 ed.); D. 46.6.2 (Ulp. 79 ed.). Albanese, Persone, 509; Finkenauer, SZ 125 (2008), 440 (448 f.). D. 46.6.2 (Ulp. 79 ed.). D. 27.8.1.15 (Ulp. 36 ed.); D. 46.6.2 (Ulp. 79 ed.). D. 27.8.1.15 (Ulp. 36 ed.). D. 46.6.3 (Ulp. 35 ed.). D. 27.8.1.16 (Ulp. 36 ed.); D. 46.6.4 pr. (Ulp. 79 ed.). Zum Ganzen Sachers, s. v. tutela, RE 7A.2, Sp. 1571; Albanese, Persone, 509; Finkenauer, SZ 125 (2008), 440 (449).

Die Begründung durch die cautio des Vereinsfunktionärs

309

IV. Der Inhalt und die Begründung der Haftung des Vereinsfunktionärs Aus ­diesem Vergleich lassen sich einige Rückschlüsse für die Haftung des Vereinsfunktionärs aus der cautio ziehen. In jedem Fall wird er für den ungeschmälerten Erhalt des Vereinsvermögens gehaftet haben, denn diesbezüglich stimmen alle Zeugnisse zum Munizipalrecht und zur Vormundschaft überein. In diese Richtung weist auch der libellus aus Alburnus Maior, wenn beurkundet wird: si quit / eorum abuerat, reddedissit (tab. I, pag. 2, Z. 10 f.). Das Vereinsvermögen wird nach erfolgter Rechnungslegung zwar wegen der Liquidation des Vereins den Mitgliedern zurückgegeben. Wäre er nicht aufgelöst worden, sondern hätte er fortbestanden, wäre das Vermögen möglicherweise den Amtsnachfolgern zu übergeben gewesen. Deshalb deutet diese Passage aus dem libellus darauf hin, dass die cautio auf Erhalt des Vereinsvermögens gerichtet ist.258 Offen muss jedoch bleiben, ob auch für das Unterlassen eines Erwerbs gehaftet wird. Die cautio rem pupilli salvam fore ist auch hierauf gerichtet. Die lex Tarentina und die flavischen Stadtrechte machen hierzu allerdings keine Aussagen, und auch die lex Ursonensis sieht lediglich vor, dass der tatsächliche Erwerb zugunsten der Gemeinde an den Amtsnachfolger herauszugeben ist. Bereits der Vergleich mit der Haftung von Munizipalmagistrat und Vormund deutet – bei allen Unsicherheiten im Detail – auf eine verschuldensabhängige Haftung hin. In diese Richtung weist auch der Eid des magister des stadtrömischen collegium aquae: CIL VI 10298 = FIRA2 III 32, Z. 2 – 6 (Roma, 1. Jhd. v. Chr.–14 n. Chr.)

[Cui magisteriu]m ex h(ac) l(ege) capere gerere licebit, s[i is magister / factus erit, ei, nisi luci pal]am in conlegio aquae intra paticabulum, quo die mag(isterio) / [abibit, iuraverit se hoc conlegium re]mque hoiusce conlegi, quod quidquid penus sese venit,  / 5 [recte administravisse, neque se adversus h(anc)] l(egem) fecisse scientem d(olo) m(alo) in suo magisterio, suosque prohibuisse / [quominus adversus h(anc) l(egem) facerent, quod eius sat]is sit, a(ssium) D multa esto.

Denjenigen, dem es gestattet sein wird, das Amt des magister nach dieser Satzung anzutreten und auszuüben, soll eine Buße von 500 As treffen, wenn er magister geworden ist und nicht am hellen Tag vor aller Augen im collegium aquae unter freiem Himmel an dem Tag, an dem er aus dem Amt ausscheiden wird, geschworen hat, ­dieses collegium und das Vermögen ­dieses collegium, was davon an ihn gelangt ist, ordnungsgemäß verwaltet, während seiner Amtszeit nicht gegen diese Satzung wissentlich und arglistig gehandelt sowie den Angehörigen seiner familia verboten zu haben, gegen diese Satzung zu handeln, was genügt.

Der magister des collegium muss unter freiem Himmel auf dem Gelände des collegium aquae schwören, dass er das Vereinsvermögen rechtmäßig verwaltet, selbst 258 Ebenso Ciulei, Triptyques, 73.

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Die Obligationen aus dem Innenverhältnis

nicht arglistig gegen die lex collegii verstoßen und seiner familia derartige Verstöße verboten hat. Leistet er den Eid nicht, verfällt eine Buße von 500 As. Wegen der Ähnlichkeiten der Passage zur lex latina tabulae Bantinae 259 wird vermutet, dass ein Eid am Ende der Amtszeit vorgesehen ist.260 Gesichert ist dieser Zeitpunkt wegen der fragmentarischen handschriftlichen Überlieferung der Inschrift freilich nicht. Zweck des Eides ist, erstens das Vereinsvermögen zu s­ chützen und zweitens die Einhaltung der Satzung sicherzustellen. Die auf das Vermögen bezogene Formulierung [re]mque hoiusce conlegi, quod quidquid penus sese venit weist gewisse Ähnlichkeiten mit den Kautionen des Munizipalmagistrats und des Vormunds auf: Das Vereinsvermögen ist gefährdet, weil der magister Zugriff darauf hat, so wie das Gemeinde- und das Mündelvermögen gefährdet ist, weil sie von einer anderen Person als dem Inhaber verwaltet werden. Insofern ist der Eid funktionales Äquivalent zu den cautiones. Darüber hinaus verspricht der magister, gegen die lex nicht scien[s] d(olo) m(alo) gehandelt zu haben. Aufgrund der syntaktischen Stellung von scien[s] d(olo) m(alo) könnte sich das Erfordernis arglistigen Verhaltens nur auf die Zusicherung beziehen, nicht gegen die Satzung verstoßen zu haben, nicht aber auf den Erhalt des Vereinsvermögens. Doch ist diese Einschränkung des Bezugs nicht zwingend, sodass die Inschrift ein Indiz dafür ist, dass Vereinsfunktionäre aufgrund ihrer cautio regelmäßig nur für Vorsatz haften. Dagegen lässt sich auf die cautio des Vereinsfunktionärs das Auftreten eines servus publicus oder eines Freien als reus stipulandi nicht übertragen. Dies ist offenkundig eine Ausnahmeregelung, die nicht zuletzt darauf beruht, dass die Abgabe der cautio rem pupilli salvam fore vom Gerichtsmagistraten erzwungen wird. Sehr wohl ist dagegen die Abgabe gegenüber einem Sklaven im Eigentum der Körperschaft denkbar, der für diese die Forderung ex stipulatu erwirbt. Im libellus aus Alburnus Maior ist freilich von cautionem suam, in qua eis caverat die Rede. Dies deutet darauf hin, dass der magister die cautio gegenüber den einzelnen Mitgliedern abgegeben hat. Da zum Zeitpunkt seines Amtsantritts lediglich 17 Mitglieder vorhanden sind, erscheint es durchaus praktisch durchführbar, dass der magister gegenüber jedem Einzelnen eine cautio geleistet hat. Auch beim ursprünglichen Bestand von 54 Mitgliedern wäre eine Abgabe gegenüber jedem Mitglied möglich.

259 CIL I2 582 = FIRA2 I 6, Z. 17 – 19 (Bantia, Apulia et Calabria, 91 – 70 v. Chr.): […] palam luci

in forum vorsus et eidem in diebus V apud q(uaestorem) iouranto per Iovem deosque / [Penateis, seese quae ex h(ace) l(ege) oport]ebit facturum neque sese advorsum h(ance) l(egem) facturum scientem d(olo) m(alo) neque seese facturum neque intercesurum / [esse …]. 260 Mommsen, Ges. Schr. III, 108 (110 f.). Anders noch Rudorff, ZGRW 15 (1850), 203 (237).

VI. Kapitel: Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

§ 1

Die ursprüngliche Regelung des Zwölftafelgesetzes zu den pactiones von sodales (XII tab. 8.27)

Die wichtigste Quelle zum archaischen Vereinsrecht ist der Bericht des Gaius 1 über eine Bestimmung des Zwölftafelgesetzes zu sodales (XII tab. 8.27): D. 47.22.4 (Gai. 4 l. XII tab.) Sodales sunt, qui eiusdem collegii sunt: quam Graeci ἑταιρείαν vocant. his autem potestatem facit lex pactio­nem quam velint sibi ferre, dum ne quid ex publica lege corrumpant. sed haec lex videtur ex lege Solonis tralata esse. nam illuc ita est: ἐὰν δὲ δῆμος ἢ φράτορες ἢ ἱερῶν ὀργίων ἢ ναῦται ἢ σύσσιτοι ἢ ὁμόταφοι ἢ θιασῶται ἢ ἐπὶ λείαν οἰχόμενοι ἢ εἰς ἐμπορίαν, ὅτι ἂν τούτων διαθῶνται πρὸς ἀλλήλους, κύριον εἶναι, ἐὰν μὴ ἀπαγορεύσῃ δημόσια γράμματα.

Sodales (Genossen) sind diejenigen, die demselben Verein angehören; dies nennen die Griechen ἑταιρεία (Genossenschaft). Ihnen aber verleiht das Gesetz die Befugnis, sich die Übereinkünfte zu geben, die sie wollen, wenn sie nur nicht etwas aus einem öffentlichen Gesetz beeinträchtigen. Aber ­dieses Gesetz scheint aus dem Gesetz des Solon übernommen worden zu sein. Denn dort heißt es folgendermaßen: Wenn eine Deme oder die Mitglieder einer Phratrie, einer Genossenschaft für Kultmähler, Seeleute, die Mitglieder eines Bankettvereins, eines Begräbnisvereins, einer Kultgenossenschaft oder einer Vereinigung zu Plünderungen oder für den Handel untereinander etwas festsetzen, soll es wirksam sei, wenn es nicht den Beschlüssen des Volkes widerspricht.

I. Sodales in archaischer Zeit Mit dem Begriff der sodales nimmt Gaius höchstwahrscheinlich den Wortlaut der Zwölftafelbestimmung wieder auf.2 Über die Bedeutung d ­ ieses Worts in

1 Zur Struktur des Digestenfragments siehe oben V. Kap., § 2 II. 2 Siehe oben V. Kap., § 2 II.

312

Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

archaischer Zeit gibt der im Jahr 1977 gefundene, nach seinem Fundort benannte lapis Satricanus Auskunft: CIL I2 2832a (Satricum, Latium et Campania, 6. Jhd.–480 v. Chr.3)

[- - -]iei steterai Popliosio Valesiosio / suodales Mamartei.

Der Stein wurde in einem bedeutenden Heiligtum von Satricum, dem Tempel der Mater Matuta, gefunden.4 Der Text ist nicht vollständig erhalten, da an der linken Seite des Schriftfeldes ein Stück des Steins fehlt.5 Das erste Wort ist deshalb unvollständig erhalten, die Lesung des ersten I nicht völlig sicher.6 Das abgebrochene Stück erstreckt sich auch auf die zweite Zeile, sodass auch vor suodales ein Wort gestanden haben könnte.7 Da der erhaltene Text der zweiten Zeile jedoch in der Mitte des Schriftfeldes positioniert ist, dürfte der Text symmetrisch angeordnet sein, wofür sich Parallelen in zeitgenössischen griechischen und jüngeren lateinischen Inschriften finden.8 Die zweite Zeile dürfte also vollständig erhalten sein. Damit lässt sich der Inhalt der Inschrift rekonstruieren: Die Genossen (suodales) des Poplios Valesios haben dem Mars ein Denkmal gesetzt. Es handelt sich um das älteste Zeugnis zu sodales, die traditionell für Kultgenossen gehalten werden.9 Diese Deutung ist aufgrund des lapis Satricanus zu korrigieren. Zutreffend ist zwar, dass die suodales eine Weihung an einen Gott vornehmen, die Inschrift also direktes Zeugnis einer kultischen Handlung ist.10 Doch ihre wesentliche Eigenschaft ist, dass sie die Genossen des Poplios Valesios sind, den man vorsichtigerweise mit einem Angehörigen der römischen gens Valeria identifizieren darf, der das praenomen Publius trägt.11 Prominenteste 3 Hartmann, Frühlateinische Inschriften, 427, 432 – 434. 4 Stibbe, in: ders. u. a., Lapis Satricanus, 21; Versnel, Gymnasium 89 (1982), 193 (194 f.). Lucchesi/

Magni, Lapis Satricanus, 21 f. bezweifeln, dass dies der ursprüngliche Aufstellungsort ist.

5 Stibbe, in: ders. u. a., Lapis Satricanus, 21 (31); Colonna, in: Stibbe u. a., Lapis Satricanus, 41;

Versnel, Gymnasium 89 (1982), 193 (195 f.).

6 Colonna, in: Stibbe u. a., Lapis Satricanus, 41; Versnel, Gymnasium 89 (1982), 193 (197). Für 7 8 9 10 11

eine Übersicht über die bisherigen Ergänzungsvorschläge Lucchesi/Magni, Lapis Satricanus, 83 – 85. Lucchesi/Magni, Lapis Satricanus, 26 – 30. Colonna, in: Stibbe u. a., Lapis Satricanus, 41 (42); Versnel, Gymnasium 89 (1982), 193 (196). Dagegen Lucchesi/Magni, Lapis Satricanus, 26 – 30. Zurückgehend auf Mommsen, De collegiis, 1 – 7; historiographischer Überblick bei Fiori, in: Cursi, XII Tabulae II, 681 (691 f.). Vgl. Versnel, in: Stibbe u. a., Lapis Satricanus, 95 (121); ders., Gymnasium 89 (1982), 193 (205, 228); Welwei, SZ 110 (1993), 60 (74); Fiori, Fs. Serrao, 99 (152); Lucchesi/Magni, Lapis Satricanus, 72 f. De Simone, in: Stibbe u. a., Lapis Satricanus, 71 (81 f.); Versnel, in: Stibbe u. a., Lapis Satricanus, 95 (132).

Die ursprüngliche Regelung des Zwölftafelgesetzes zu den pactiones von sodales (XII tab. 8.27)

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Träger d ­ ieses Namens an der Wende vom 6. zum 5. Jahrhundert v. Chr. sind P. Valerius Publicola, Konsul des ersten Jahres der Republik, und sein gleichnamiger Sohn, der den Konsulat in den Jahren 475 und 460 bekleidete.12 Die Verbindung der suodales mit dem Angehörigen einer patrizischen Familie deutet darauf hin, dass die Genossenschaft neben kultischen auch politische und militärische Zwecke verfolgt.13 Die Bildung von Gefolgschaften aus vornehmlich jungen Männern um einen Anführer findet sich in sämtlichen frühen indogermanischen Gesellschaften.14 Neben den bei Homer erscheinenden ἑταῖροι erwähnt die römische Tradition einen globus iuvenum als Begleiter von Romulus und Remus vor der Stadtgründung.15 Von derartigen sodales berichtet Livius für den gesamten Zeitraum, in den der lapis Satricanus datiert wird.16 Charakteristisch für diese Gefolgschaften ist – neben der Konzentration auf einen Anführer – das Spannungsverhältnis, in dem sie in einer frühen Entwicklungsstufe zur sonstigen Gesellschaft stehen.17 Erst mit der Zeit werden sie zu einem politischen Akteur i n n e r h a l b der Gesellschaft, wie es die suodales des Poplios Valesios aller Wahrscheinlichkeit nach waren.18 Ab ­diesem Zeitraum kann mit rechtlichen Regelungen des Verhältnisses der Genossen zur städtischen Gesellschaft gerechnet werden; in diese Richtung wird der Inhalt der Zwölftafelbestimmung zu rekonstruieren sein.19

12 De Simone, in: Stibbe u. a., Lapis Satricanus, 71 (82); Versnel, in: Stibbe u. a., Lapis Satricanus,

95 (134 – 136); ders., Gymnasium 89 (1982), 193 (201).

13 Versnel, in: Stibbe u. a., Lapis Satricanus, 95 (115 – 118); ders., Gymnasium 89 (1982), 193 (204, 228); Welwei, SZ 110 (1993), 60 (74); Fiori, Fs. Serrao, 99 (132, 156); ders., in: Cursi, XII Tabulae II, 681 (690, 693 f.); vgl. Humbert, AUPA 53 (2009), 27 (33); ders., XII Tables, 656; Minasola, IAH 11 (2019), 129 (142 f.). 14 Bremmer, ZPE 47 (1982), 133 (137 – 145); Fiori, Fs. Serrao, 99 (117); ders., in: Cursi, XII Tabulae II, 681 (690, 692). 15 Bremmer, ZPE 47 (1982), 133 (137); Fiori, Fs. Serrao, 99 (112 – 115); ders., in: Cursi, XII Tabulae II, 681 (690, 692 f.). 16 Versnel, in: Stibbe u. a., Lapis Satricanus, 95 (112 f.); ders., Gymnasium 89 (1982), 193 (204). 17 Bremmer, ZPE 47 (1982), 133 (137, 145 – 147); Fiori, Fs. Serrao, 99 (123 f., 154 f.); ders., in: Cursi, XII Tabulae II, 681 (693). 18 Fiori, Fs. Serrao, 99 (125 – 132, 155 – 158); ders., in: Cursi, XII Tabulae II, 681 (693 f.); Humbert, AUPA 53 (2009), 27 (33); Minasola, IAH 11 (2019), 129 (143). 19 Fiori, in: Cursi, XII Tabulae II, 681 (695); Minasola, IAH 11 (2019), 129 (146).

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Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

II. Der Kontext des Zwölftafelsatzes 1. Zur Rekonstruierbarkeit des ursprünglichen Kontextes im Zwölftafelgesetz

Um den Regelungsgehalt der Bestimmung zu klären, ist ein Vergleich mit dem Kontext der Norm erforderlich. In erster Linie ist an den Kontext innerhalb der Zwölf Tafeln zu denken. Dieser lässt sich jedoch nicht mit Sicherheit rekon­ struieren.20 Allein die Bestimmung über die Ladung vor Gericht (si in ius vocat) lässt sich sicher dem Beginn des Gesetzes zuweisen.21 Alle weiteren Rekon­ struktionsversuche sind auf einen sekundären Leittext angewiesen, aus dem das Rückgrat für die Verteilung der einzelnen Bestimmungen gewonnen wird; weitere Belege zu Normen der Zwölf Tafeln werden an den Stellen eingeordnet, an denen sie vom Leittext attrahiert werden. Als Leittext wird traditionell der Kommentar des Gaius herangezogen und dabei angenommen, dass jedes seiner sechs Bücher jeweils zwei Tafeln kommentiert.22 In jüngerer Zeit hat Diliberto als alternativen Leittext die Noctes Atticae des Aulus Gellius vorgeschlagen.23 Diese können jedoch nur für die Rekonstruktion der ersten Tafeln verwendet werden.24 Eine Einordnung der Bestimmung zu den sodales in den Zusammenhang des Gesetzes erlauben sie nicht. Damit bleibt für die Ermittlung des Kontexts allein der Kommentar des Gaius. Eine Überprüfung, inwiefern er den Gesamtzusammenhang der Zwölf Tafeln widerspiegelt, ist indes nicht möglich. Wegen dieser Unsicherheit soll im Folgenden nicht der Versuch unternommen werden, die Bestimmung zu den sodales in den Kontext der Zwölf Tafeln selbst einzuordnen, sondern lediglich in den Kontext des gaianischen Kommentars. Die Reichweite der gewonnenen Erkenntnisse wird dadurch zwar geringer, doch gewinnen sie an Sicherheit.25 20 Siehe nur Wieacker, RG I, 290; Diliberto, in: Humbert, Dodici Tavole, 217 (223); ders., in: Cursi, XII Tabulae I, 31 (34); Humbert, XII Tables, 2. 21 Cic. leg. 2.9; Gell. 20.1.25; Wieacker, RG I, 290; Diliberto, in: Humbert, Dodici Tavole, 217 (234); ders., in: Cursi, XII Tabulae I, 31 (36); Humbert, XII Tables, 8. 22 Dirksen, Zwölf-Tafel-Fragmente, 108; Wenger, Quellen, 369; Morgese, in: Modello di Gaio,

109 (113 f.); vgl. Diliberto, Index 18 (1990), 403 (403, 415 – 4 18); ders., Materiali, 49, 106 – 110; ders., in: Cursi, XII Tabulae I, 31 (36); Crawford, RS II , 564 f. Kritisch Wieacker, RG I, 290; Humbert, XII Tables, 13 – 22; ders., in: Babusiaux/Mantovani, Istituzioni di Gaio, 97 (110 – 113). 23 Diliberto, Materiali, 338 – 346, ders., in: Humbert, Dodici Tavole, 217 (229 – 234). Kritisch Crawford, RS II, 566. 24 Vgl. Diliberto, Materiali, 383 – 386; vgl. ders., in: Humbert, Dodici Tavole, 217 (234 f.). 25 Vgl. Fögen, Rg 5 (2004), 218 (219).

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2. Der palingenetische Kontext im gaianischen Zwölftafelkommentar In den überlieferten Fragmenten des 4. Buchs seines Kommentars 26 behandelt Gaius neben den sodales den Grenzstreifen bei Grundstücken,27 die Brandstiftung,28 die Vergiftung 29 und den Überfall von Früchten auf das Nachbargrundstück 30. Die Regelungen gehören also teilweise dem Privatrecht, teilweise dem Strafrecht an.31 Eine eindeutige Zuordnung der Bestimmung zu den sodales ist damit nicht möglich. Immerhin lässt sich feststellen, dass drei Fragmente 32 einen Bezug zum Schutz des Eigentums haben.33 Wie gesehen, gebraucht Gaius das Wort pactio im Zusammenhang mit der kaiserzeitlichen interpretatio der Zwölf Tafeln, wonach der Wille der Vereinsmitglieder die Grundlage der leges collegii und Vereinsbeschlüsse seiner Zeit ist.34 Deshalb erlaubt dieser Begriff keinen sicheren Rückschluss auf den Gesetzeswortlaut.35 Sehr wohl aber kann nach einem verwandten Begriff i n n e r h a l b d e s g a i a n i s c h e n K o m m e n t a r s gesucht werden. Tatsächlich spricht der Jurist im 3. Buch von pacisci: D. 2.14.48 (Gai. 3 l. XII tab.) In traditionibus rerum quodcumque pa­ Es ist völlig offensichtlich, dass alles wirksam ist, was ctum sit, id valere manifestissimum est. bei der Übergabe von Sachen vereinbart wird.

Der Jurist hält fest, dass offensichtlich (manifestissimum) wirksam ist, was bei der traditio von Sachen vereinbart wird. Es liegt auf der Hand, dass traditio interpoliert für mancipatio ist, und mit pactum die nuncupationes bei Libralakten 26 Siehe Lenel, Pal. I, Sp. 242 – 246. 27 D. 10.1.13. 28 D. 47.9.9. 29 D. 50.16.236 pr. 30 D. 50.16.236.1. 31 Vgl. Diliberto, in: Humbert, Dodici Tavole, 217 (226). 32 D. 10.1.13; D. 47.9.9; D. 50.16.236.1. 33 Sollte D. 50.16.236 pr. die Vergiftung eines Sklaven zum Gegenstand haben, wie sie im Zusam-

menhang mit dem ersten Kapitel der lex Aquilia von den Juristen erörtert wird, würde auch ­dieses Fragment vom Eigentumsschutz handeln; vgl. Diliberto, Index 18 (1990), 403 (416 f.); ders., Materiali, 112 f. Allerdings lässt der Wortlaut des Fragments einen Beweis dieser Vermutung nicht zu. 34 Siehe oben V. Kap., § 2 II. 35 Für Authentizität dagegen De Robertis, Storia I, 42 f.; Fiori, Fs. Serrao, 99 (138 f., 144 f.); ders., Cursi, XII Tabulae II, 681 (688 f.); Albanese, AUPA 47 (2002), 88 (90); ders., AUPA 48 (2003), 31 (36). Für pacionem im Text der Zwölf Tafeln Biscotti, Pacere, 84 – 86. Für pacere oder p­ acisci Humbert, AUPA 53 (2009), 27 (39 – 42); ders., XII Tables, 659 – 661; vgl. auch Magdelain, Loi, 47. Skeptisch zur Überlieferung des Wortlauts des Zwölftafelgesetzes Fögen, Römische Rechtsgeschichten, 71 – 74. Optimistisch dagegen Wieacker, RG I, 290 f.; Crawford, RS II, 556.

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Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

gemeint sind.36 Pacisci bezieht sich also auf ein Institut des Privatrechts. Damit ist es wahrscheinlich, dass die pactiones der sodales ebenfalls einen privatrechtlichen Inhalt haben. 3. Keine Regelung zur Vereinigungsfreiheit

Zugleich steht fest, dass kein Zusammenhang z­ wischen dem Zwölftafelsatz und der Vereinigungsfreiheit besteht, wie immer wieder von Literaturstimmen behauptet worden ist.37 Ein Grund für die Annahme, dass die Bestimmung des Zwölftafelgesetzes die Gründung von Vereinen erlaubte, dürfte der Kontext des Gaius-Fragments in den Digesten sein. Alle übrigen Fragmente des Digestentitels D. 47.22 befassen sich in der Tat mit der öffentlich-rechtlichen Erlaubtheit von Vereinen. Wohl deshalb lautet die Rubrik des Titels im Index titulorum des Codex Florentinus 38 De collegiis i l l i c i t i s et corporibus,39 während sie im Text der Digesten De collegiis et corporibus lautet. Das Gaius-Fragment ist das einzige Fragment in D.  47.22, das der Papi­ niansmasse entstammt; die übrigen drei Fragmente sind aus der Sabinusmasse.40 Möglicherweise gibt der Index titulorum einen Arbeitstitel wieder, der auf den Texten aus der Sabinusmasse beruht. Inhaltlich passt das Fragment D. 47.22.4 wenig zu diesen Texten. Einziger Berührungspunkt ist die Beschränkung der pa­ ctiones durch die lex publica. Im Gefolge der Aufnahme des Gaius-Textes könnte die Rubrik im Digestentext durch Streichung von illicitis angepasst worden sein, während eine Anpassung der Vorlage des Index titulorum unterblieben wäre. Für die Interpretation des Gaius-Textes ist der Digestenzusammenhang freilich unerheblich. Er ist lediglich Zeugnis dafür, wie zur Zeit Justinians der gaianische Text verstanden wurde. Die beiden verschiedenen, für D. 47.22 überlieferten 36 XII tab. 6.1: CUM NEXUM FACIET MANCIPIUMQUE , UTI LINGUA NUNCUPASSIT, ITA IUS ESTO. Siehe nur Lenel, Pal. I, Sp. 244. 37 Pernice, Labeo I, 290; Mommsen, StrafR, 875; ders., Ges. Schr. III, 53 (65); Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 259 f.; Ciulei, SZ 84 (1967), 371 (372); Diliberto, Index 18 (1990), 403 (418); ders., Materiali, 113, 116 f.; ders., in: Cursi, XII Tabulae I, 31 (37); Chevreau, Mél. LefebvreTeillard, 217 (224); Costa, IAH 12 (2020), 11 (15); Kaser/Knütel/Lohsse, RP, § 27 Rn. 10; vgl. Crawford, RS II, 694 f. Dagegen Cohn, Vereinsrecht, 33 Fn. 47; Waltzing I, 79; Kornemann, s. v. collegium, RE 4.1, Sp. 404 f.; Mitteis, RP I, 395; Radin, Legislation, 71; Duff, Personality,

103; Eliachevitch, Personnalité juridique, 224; De Robertis, Storia I, 45 – 48; Behrends, IuP II, 654 (680); Groten, Corpus und universitas, 208; vgl. Humbert, AUPA 53 (2009), 27 (32); ders., XII Tables, 654. 38 Da der Index die Einteilung der Digesten in partes wiedergibt, die der justinianischen Studienordnung zugrunde liegt, steht er mit dieser in Zusammenhang; ­Kaiser, SZ 118 (2001), 133 (168). 39 Siehe oben I. Kap., § 2 I.1. 40 Ed. mai. II, 792 f.

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Rubriken zeigen jedoch, dass sich das Verständnis des Zwölftafelsatzes während des Kompilationsvorgangs gewandelt hat und daher selbst die Kompilatoren keinen eindeutigen Zusammenhang zur Erlaubtheit von Vereinen gesehen haben. Darüber hinaus ist das Gaius-Fragment mit dem Verbot nächtlicher Versammlungen (XII tab. 8.26) in Verbindung gebracht worden 41: Decl. in Catil. 65 […] XII tabulis cautum esse cognosci­ - Wir erkennen, dass im Zwölftafelgesetz festgemus, ne quis in urbe coetus nocturnos agi- setzt ist, dass niemand in der Stadt nächtliche tat […]. Versammlungen veranlassen soll.

Danach haben die Zwölf Tafeln coetus nocturnos in der Stadt Rom verboten. Für eine Verbindung mit der von Gaius überlieferten Bestimmung spricht zuerst einmal nichts: Regelt diese pactiones, verbietet jene Versammlungen. Dass beide Bestimmungen nacheinander auf der 8. Tafel gestanden hätten, ist eine moderne Rekonstruktion,42 für ­welche die Quellen selbst keinen Anhaltspunkt bieten, da der Ort beider Bestimmungen auf den Tafeln völlig unbekannt ist.43 Vielmehr führt nur ein modernes Vorverständnis, wonach der gaianische Text eine Regelung zur Vereinigungsfreiheit enthalte, dazu, dass ­diesem die Bestimmung über coetus nocturnos zugeordnet wird. Ab wann ein Zusammenhang z­ wischen dem Versammlungsverbot und dem Vereinsrecht besteht, lässt sich aber präzise rekonstruieren. Die lex Ursonensis, die ­zwischen 47 – 44 v. Chr. erlassen wurde,44 enthält ein Verbot von Versammlungen: c. 106 l.Urson. = CIL II2 1022 = ILS 6087 = FIRA2 I 22, tab. III, Sp. 5, Z. 31 – 32 (Urso, Baetica, 47 – 44 v. Chr.) CVI . Quicumque c(olonus) c(oloniae) G(enetivae) erit, quae iussu C. Caesaris dic(atoris) ded(ucta)  / est, ne que in ea col(onia) coetum conventum coniu[rationem - - -]

Jeder, der Bürger der colonia Genetiva sein wird, die auf Geheiß des Diktators C. Caesar gegründet worden ist, soll in dieser colonia keine Versammlung, Zusammenkunft, Verschwörung …

Verboten werden Versammlungen – auch am Tag – sowie Zusammenkünfte und coniurationes. Einen Bezug zu Vereinen stellt die lex Ursonensis nicht her. Ganz anders dagegen die lex Irnitana: 41 Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 259 mit Fn. 8; Crawford, RS II, 695; vgl. Kofanov, BIDR 100 (1997), 457 (463). Dagegen Mommsen, De collegiis, 33 f.; Waltzing I, 79; vgl. Cohn,

Vereinsrecht, 31 – 33.

42 Sie geht zurück auf Dirksen, Zwölf-Tafel-Fragmente, 452. Kritisch zu den modernen Rekon­

struktionsversuchen Fögen, Römische Rechtsgeschichten, 72 – 74.

43 Humbert, AUPA 53 (2009), 27 (30); Humbert, XII Tables, 653 f. 44 Zur Datierung Crawford, RS I, 395 – 397.

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Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

c. 74 l.Irn. = AE 1986, 333, tab. VIIIB, Z. 48 – 51 (Irni, Baetica, 91) R(ubrica). De coetu sodalicio collegio. /

Über eine Versammlung, eine Genossenschaft und einen Verein.

Ne quis in eo municipio coetum facito, neve sodalici[um] conle/giumve eius rei causa{m} habeto, neve habeatur coniurato, / neve facito quo quid earum rerum fiat. […]

Niemand soll in d ­ iesem municipium eine Versammlung durchführen, zu ­diesem Zweck eine Genossenschaft oder einen Verein haben, an einer Verschwörung teilnehmen oder veranlassen, dass eines dieser Dinge geschieht.

Wie in der lex Ursonensis werden Versammlungen und coniurationes verboten, darüber hinaus aber auch das sodalici[um] conle/giumve […] habe[re], wenn Zweck der Vereinigung das Abhalten von Versammlungen ist.45 Das Kapitel nimmt die augusteische Vereinsgesetzgebung auf, die das Bestehen von Vereinen von einer öffentlich-rechtlichen Erlaubnis abhängig macht.46 Die lex Ursonensis, die aus der Zeit vor Augustus stammt, kennt ­dieses Verbot noch nicht. Hätte bereits im Zwölftafelgesetz ein Zusammenhang ­zwischen dem Versammlungsverbot und dem Vereinsrecht bestanden, müsste man erklären, warum er sich in der lex Ursonensis nicht findet, obwohl von ihr eine Traditionslinie zur lex Irnitana führt. Die einfachere – und damit wahrscheinlichere – Erklärung ist, dass dieser Zusammenhang erst unter Augustus hergestellt worden ist. Zur Zeit der Zwölf Tafeln hat noch kein Zusammenhang ­zwischen dem Verbot von Versammlungen und dem Vereinsrecht bestanden. Die bei Gaius überlieferte Bestimmung zu sodales hat also nichts mit der Vereinigungsfreiheit zu tun.

III. Pactiones im archaischen Recht Als Regelungsgehalt des Zwölftafelsatzes gibt Gaius an, dass sodales sich pactiones geben können, solange sie nicht gegen eine lex publica verstoßen. Da andere Quellen zum archaischen Recht ebenfalls den Ausdruck lex publica überliefern,47 ist das gaianische Zeugnis glaubhaft. Nach dem Zwölftafelgesetz ist also das Komitialgesetz Inhaltsschranke für die pactiones.48 45 46 47 48

Zum Inhalt ­dieses Verbots siehe oben I. Kap., § 2 II.2. Siehe oben I. Kap., § 2 II.1. Gai. 2.104, 3.174; Prisc. gramm. II 382.3; Prob. 6.34. Eliachevitch, Personnalité juridique, 224; De Robertis, Storia I, 44 Fn. 8; Fiori, Fs. Serrao, 99 (146, 158); ders., in: Cursi, XII Tabulae II , 681 (689, 695 f.); Albanese, AUPA 47 (2002), 88 (95 Fn. 14); Groten, Corpus und universitas, 208. Für staatliche Gesetze allgemein als Schranke Kornemann, s. v. collegium, RE 4.1, Sp. 404 f.; San Nicolò, Ägyptisches Vereinswesen II , 18;

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Dem Wortlaut des Gaius-Fragments lassen sich zur Bedeutung des Wortes pactio nur zwei Aspekte entnehmen: Erstens liegt der Ursprung der pactiones in der Willensübereinstimmung der sodales (quam velint),49 und zweitens beanspruchen sie nur für diese selbst Geltung (sibi ferre)50. Damit ist es unwahrscheinlich, dass pactio ein Nachklang des anderorts in den Zwölf Tafeln belegten pacere im Sinne des Abschlusses eines prozessualen Vergleichs ­zwischen Angehörigen verschiedener sodalitates ist.51 1. Der Vergleich mit dem griechischen Recht Gaius vermutet mit großer Zurückhaltung (videtur), dass die Bestimmung des Zwölftafelgesetzes auf die solonischen Gesetze zurückgeht.52 Als Begründung für seine Vermutung gibt er allein die inhaltliche Übereinstimmung an (nam illuc ita est).53 Wenn aber Gaius die lex Solonis für inhaltlich identisch mit dem Zwölftafelsatz hält, kann sie herangezogen werden, um den Inhalt der Zwölf Tafeln zu ermitteln.54 Gaius bietet folgenden Text für die Bestimmung der solonischen Gesetze:

Ciulei, SZ 84 (1967), 371 (372); Kaser, RP I, 308; vgl. Behrends, IuP II , 653 (679). Dagegen für einen Anachronismus Humbert, AUPA 53 (2009), 27 (36 f.); ders., XII Tables, 658. 49 Magdelain, Loi, 47; Sturm, AC op. IV , 149 (154); Albanese, AUPA , 48 (2003), 31 (42); vgl. Manenti, Pacta, 71; Biscotti, Pacere, 89. Für die Annahme von Fiori, Fs. Serrao, 99 (144, 153); ders., in: Cursi, XII Tabulae II, 681 (694 f.), die fides sei Grundlage der pactiones, gibt das Gaius-Fragment keinen Anlass. 50 San Nicolò, Ägyptisches Vereinswesen II , 21; ähnlich Albanese, AUPA 47 (2002), 88 (91). Dagegen Magdelain, Loi, 47. Die Annahme von Biscotti, Pacere, 86 f., 89 – 93, die pactiones hätten einen gegenseitigen Güteraustausch zum Gegenstand, lässt sich nicht aus der gaianischen Formulierung herleiten; so zurecht Albanese, AUPA 48 (2003), 31 (40 f.). 51 Vgl. XII tab. 1.6 – 7, 3.5, 8.2. So aber Humbert, AUPA 43 (2009), 27 (43); ders., XII Tables, 659 – 661; zurecht ablehnend Sturm, ACop. IV, 149 (154). 52 De Robertis, Storia I, 50 f. Fn. 31; Fiori, Fs. Serrao, 99 (137); ders., in: Cursi, XII Tabulae  II, 681 (687); Biscotti, Pacere, 92; vgl. Ciulei, SZ 84 (1967), 371 (375); Wieacker, St. Volterra III, 757 (770). Für einen vorsichtigen Vergleich spricht auch die Wiedergabe mit δοκεῖ im Schol. Ἐπιτρέπει ad B. 60.32.4 (Sch. B IX 3620 f.; Hb. V 669); Arnaoutoglou, LR 5 (2016), 87 (95). Verfehlt daher Kofanov, BIDR 100 (1997), 457 (460), der videtur mit „evidente“ wiedergibt. 53 Fast dieselben Worte (nam illic ita est) gebraucht Gaius, wenn er die Regelung zum Grenzstreifen auf die solonischen Gesetze zurückführt; D. 10.1.13 (Gai. 4 l. XII tab.); vgl. Röhle, SZ 124 (2007), 336 (337 f.); Arnaoutoglou, LR 5 (2016), 87 (95). 54 Grundlos daher die ablehnende Haltung von Crawford, RS II, 695; Humbert, AUPA 53 (2009), 27 (37); ders., XII Tables, 663. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob es einen griechischen Einfluss auf die dezemvirale Gesetzgebung gibt; diese Frage soll hier ausdrücklich offengelassen werden. Für einen Überblick über die ältere Literatur Wieacker, RG I, 300 – 304; seitdem Martini, Labeo 45 (1999), 20 – 37; Amelotti, ASG, 95 – 104; Wolf, Recht im frühen Rom, 9 – 20; Monteverdi, Iura 66 (2018), 392 – 453.

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Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

Ἐὰν δὲ δῆμος ἢ φράτορες ἢ ἱερῶν ὀργίων ἢ ναῦται ἢ σύσσιτοι ἢ ὁμόταφοι ἢ θιασῶται ἢ ἐπὶ λείαν οἰχόμενοι ἢ εἰς ἐμπορίαν, ὅτι ἂν τούτων διαθῶνται πρὸς ἀλλήλους, κύριον εἶναι, ἐὰν μὴ ἀπαγορεύσῃ δημόσια γράμματα.

Wenn eine Deme oder die Mitglieder einer Phratrie, einer Genossenschaft für Kultmähler, Seeleute, die Mitglieder eines Bankettvereins, eines Begräbnisvereins, einer Kultgenossenschaft oder einer Vereinigung zu Plünderungen oder für den Handel untereinander etwas festsetzen, soll es wirksam sei, wenn es nicht den Beschlüssen des Volkes widerspricht.

Der Text führt eine Reihe von Vereinigungen an, die er – von den Demen abgesehen – nach ihren Mitgliedern im Plural 55 bezeichnet: Demen, Phratrien, Kultgenossenschaften, Vereinigungen von Seeleuten, Bankettvereine, Begräbnisgenossenschaften, Kultgenossenschaften sowie Vereinigungen zum Zweck von Plünderungen und für den Handel. Was diese untereinander festsetzen (διαθῶνται πρὸς ἀλλήλους), soll wirksam (κύριον) sein, sofern es nicht gegen Volksbeschlüsse verstößt. a) Die Authentizität des gaianischen Zeugnisses zur lex Solonis Der Text, den der Codex Florentinus überliefert, ist an einer Stelle korrupt: Der Genitiv ἱερῶν ὀργίων bezieht sich auf kein anderes Nomen.56 Statt ναῦται überliefert ein auf den Index des Dorotheus zurückgehendes 57 Basilikenscholion ἱερῶν ὀργίων μηνυταί,58 womit sich die Passage auf „Verkünder heiliger Kulte“ bezöge, zugleich aber ναῦται entfiele. Zwei Aspekte sprechen jedoch dagegen, dass das Scholion einen besseren Text bietet. Zum einen ist die Hauptbedeutung von μηνυτής „Verräter“ oder „Ankläger“;59 dies wäre eine Person, die Einzelheiten über den Kult verrät. Derartige Personen fügen sich jedoch nicht in die aufgeführten Vereinigungen ein, sodass die Lesung des Basilikenscholions ebenfalls korrupt ist.60 Zum anderen belegt eine Passage aus dem Kommentar zu den solonischen Gesetzen des Grammatikers Seleukos aus dem 1. Jahrhundert n. Chr.,61 dass die Gesetze ὀργεῶνες genannt haben.62 Damit steht aber fest, dass die Gesetze Vereinigungen von Kultgenossen erwähnen, nicht dagegen

55 Zutreffend zur geringen juristischen Aussagekraft d ­ ieses Sprachgebrauchs Harrison, Law of Athens I, 242 Fn. 1. Verfehlt daher Arnaoutoglou, LR 5 (2016), 87 (95). 56 Für einen Überblick über Konjekturvorschläge Arnaoutoglou, Thusias, 44 – 48; Röhle, SZ

124 (2007), 336 (337 f.).

57 Hb. VI 330. 58 Schol. Ἐπιτρέπει ad B. 60.32.4 (Sch. B IX 3620 f.; Hb. V 669). 59 LSJ , s. v. μηνυτής, 1128; Arnaoutoglou, Thusias, 47. 60 Röhle, SZ 124 (2007), 336 Fn. 2; vgl. Arnaoutoglou, Thusias, 48. 61 Zu seiner Person und seinem Werk Baumbach, s. v. Seleukos [13], DNP 11, Sp. 365 f. 62 Seleuc. FHG II 500 = Ruschenbusch, Σόλωνος νόμοι, F 76b.

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von Personen, die deren Kultwissen weitergeben.63 Deutlich weniger sicher ist, ob das Gesetz tatsächlich ναῦται oder stattdessen ναύκληροι 64 bzw. ναύκραροι 65 anführt. Für Letztere spräche zwar, dass ihr Vorkommen in den solonischen Gesetzen durch andere Quellen bezeugt ist,66 doch als Kollegium von Flottenbeamten passen sie ebenfalls nicht zu den bei Gaius genannten Vereinigungen. So muss eine Korruptel des Textes festgestellt werden.67 Es stellt sich jedoch die Frage, ob der von Gaius zitierte Text tatsächlich auf die solonischen ἄξονες 68 zurückgeht. Gaius selbst kann diese nicht mehr gesehen haben, da sie ­zwischen 200 – 130/50 v. Chr. zerstört wurden.69 Deshalb ist die Authentizität des von ihm zitierten Texts in Zweifel gezogen worden. Bestritten wird erstens, dass die aufgeführten Vereinigungen bereits im archaischen Athen bestanden haben.70 Diese Kritik ist jedoch unberechtigt: Die attischen Demen existieren bereits zur Zeit Solons und gehen nicht erst auf die Reformen des Kleisthenes zurück.71 Phratrien werden bereits im Mordgesetz Drakos erwähnt.72 Vereinigungen von ὀργεῶνες kennt bereits ein homerischer Apollo-Hymnus.73 Seeleute finden sich schon in archaischer Zeit.74 Die gemeinsame Einnahme von Mahlzeiten ist zwar für den dorischen Raum typisch, doch verwendet Aristophanes σύσσιτοι generisch für Bankette,

63 64 65 66 67 68

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72 73 74

Ismard, Cité des réseaux, 46. Anders Arnaoutoglou, Thusias, 46 f., 54 f. Erwogen von Jones, Associations, 315. So Jones, Associations, 315 f.; erwogen von Lambert, Phratries, 250 f. mit Fn. 27. Ruschenbusch, Σόλωνος νόμοι, F 79-F 80. Ebenso Lambert, Phratries, 250; Arnaoutoglou, Thusias, 44; ders., LR 5 (2016), 87 (93); Leão/ Rhodes, Laws of Solon, 134. Zur Veröffentlichung der solonischen Gesetze auf Gesetzestafeln, die um eine Achse gedreht werden können, Ruschenbusch, Σόλωνος νόμοι, 23 – 32; Stroud, Axones and Kyrbeis, 41. Dagegen für eine Verwendung von ἄξονες erstmals im 5. Jahrhundert v. Chr zur Veröffentlichung einer Neuredaktion der solonischen und anderer Gesetze Davis, Historia 60 (2011), 1 (17 – 21). Ruschenbusch, Σόλωνος νόμοι, 37 f. v. Wilamowitz-Moellendorf, Antigonos von Karystos, 278 f.; Whitehead, Demes, 14; Arnaoutoglou, Thusias, 52 – 57, der einen Zusammenhang der gaianischen Vorlage mit der Wieder­ einführung der drakonischen und solonischen Gesetze unter Hadrian annimmt; ebenso ders., LR 5 (2016), 87 (115 – 117). Für eine Bezugnahme auf die archaischen Demen Radin, Legislation, 40; Jones, Associations, 312 f.; Ismard, Cité des réseaux, 48 – 50; vorsichtig bejahend Lambert, Phratries, 250 f. Fn. 27; Für eine nachkleisthenische Datierung dagegen v. Wilamowitz-Moellendorf, Antigonos von Karystos, 278 f.; vgl. Whitehead, Demes, 14; Leão/Rhodes, Laws of Solon, 134. Jones, Associations, 313; Ismard, Cité des réseaux, 50; vgl. Radin, Legislation, 40; vorsichtig bejahend auch Lambert, Phratries, 250 f. Fn. 27. Radin, Legislation, 41; Ismard, Cité des réseaux, 50. Vorsichtig bejahend Lambert, Phratries, 250 Fn. 27; Ismard, Cité des réseaux, 51.

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Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

sodass mit Bankettvereinigungen auch in Athen zu rechnen ist.75 Die Existenz von Gemeinschaftsgräbern in Attika – zumindest vor der Römerzeit – ist häufig bezweifelt worden, doch sind Grabhügel (tumuli) zur Bestattung mehrerer Personen auf dem Kerameikos und an anderen Orten in Attika für das 6. Jahrhundert v. Chr. archäologisch belegt.76 Θίασοι des Herakles lassen sich wenigstens für die 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. nachweisen.77 Gemeinschaften zum Zweck des Handels passen ebenfalls zu den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen Athens an der Wende vom 6. zum 5. Jahrhundert v. Chr.78 Gemeinschaftliche Plünderzüge schließlich entsprechen einer archaischen Gesellschaft mehr als einer entwickelten.79 Damit spricht die überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass alle in der Bestimmung aufgeführten Vereinigungen bereits zur Zeit Solons existiert haben und die Bestimmung die gesellschaftlichen Verhältnisse Attikas im 6. Jahrhundert v. Chr. spiegelt. Zweitens ist die Erwähnung der δημόσια γράμματα als Argument gegen die Authentizität der lex Solonis angeführt worden,80 weil ein zentrales städtisches Archiv unter dieser Bezeichnung erst im Athen des 4. Jahrhunderts v. Chr. belegt ist.81 Indes meint der Ausdruck hier nicht das Archiv der Polis, sondern wird metonymisch für die Gesetze der Stadt gebraucht.82 Tatsächlich könnte dieser Gebrauch darauf hindeuten, dass Gaius nicht die ursprüngliche Fassung des Gesetzes selbst zitiert.83 Ihm könnte die lex Solonis in der Fassung ihrer Neuredaktion in den Jahren 410 – 399 v. Chr. vorgelegen haben,84 oder er 75 Radin, Legislation, 44; Ismard, Cité des réseaux, 52; ebenfalls für Echtheit Jones, Associations,

316. Ablehnend dagegen Arnaoutoglou, Thusias, 56; Leão/Rhodes, Laws of Solon, 134.

76 Ismard, Cité des réseaux, 52 – 54; Radin, Legislation, 45 f. und Jones, Associations, 317 verstehen

ὁμόταφοι als Bezugnahme auf eine Abstammungsgemeinschaft. Ablehnend Arnaoutoglou, Thusias, 55 f.; Faraguna, in: Symposion 2011, 165 (169 f.). 77 Ismard, Cité des réseaux, 55; ebenfalls für Echtheit Radin, Legislation, 47 f.; Jones, Associations, 317 f. 78 Ismard, Cité des réseaux, 55; ebenfalls für Echtheit Radin, Legislation, 49; Jones, Associations, 318. 79 Vgl. die Erwähnung der συστρατιῶται als Beispiel einer κοινωνία mit Gewinnerzielungsabsicht (χρημάτων […] ὀρεγόμενοι) bei Arist. E. N. 1160a. Für Echtheit daher Jones, Associations, 318; Ismard, Cité des réseaux, 56; vgl. Radin, Legislation, 48 f.; vorsichtig bejahend Lambert, Phratries, 250 f. Fn. 27; Leão/Rhodes, Laws of Solon, 134. Ablehnend Arnaoutoglou, Thusias, 53. 80 Ismard, Cité des réseaux, 45; vgl. Arnaoutoglou, Thusias, 50. 81 Sickinger, Public Records, 109 f., 115 f.; zur Veröffentlichung von Gesetzen ders., in: Harris/ Rubinstein, Law and Courts, 93 – 109. 82 Arnaoutoglou, Thusias, 50. 83 Leão/Rhodes, Laws of Solon, 134. Für eine Kommentierung als Vorlage Arnaoutoglou, LR 5 (2016), 87 (98 f., 109 – 111). 84 Ferguson/Nock, HThR 37 (1944), 61 (65 f.); zustimmend Ismard, Cité des réseaux, 46 f. Zur Gesetzesredaktion von 410 – 399 v. Chr. Ruschenbusch, Historia 5 (1956), 123 – 128; ders., Σόλωνος νόμοι, 36 f.; Rhodes, JHS 111 (1991), 87 – 100.

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könnte sie nach der Kommentierung der ἄξονες durch Aristoteles zitieren,85 die mit Sulla im Jahr 82 v. Chr. nach Rom gelangt sind.86 Beide Vorlagen sind zu einer Zeit entstanden, als das städtische Archiv bereits den Namen δημόσια γράμματα trägt, und könnten daher diesen Ausdruck meto­nymisch für die dort aufbewahrten Gesetze und Beschlüsse der Volksversammlung verwenden. Dies schließt jedoch nicht aus, dass die von Gaius referierte Regelung auf die solonischen ἄξονες zurückgeht. Wenn sie vorsieht, dass Beschlüsse von Vereinsmitgliedern nur dann wirksam sind, wenn sie nicht gegen das Recht der Polis verstoßen, verfolgt sie den Zweck, die Vereine in die Polisgesellschaft einzugliedern, indem zwar einerseits ihre Beschlüsse als wirksam anerkannt werden, andererseits diese Wirksamkeit unter den Vorbehalt gestellt wird, dass nichts gegen die Ordnung der Polis festgesetzt werden darf. Eine derartige Regelung fügt sich in die solonische Gesetzgebung ein.87 b) Die Bedeutung von διαθέσθαι in der lex Solonis Damit stellt sich die Frage, was die lex Solonis mit der Formulierung ὅτι ἂν τούτων διαθῶνται πρὸς ἀλλήλους, κύριον εἶναι meint. Mit διαθέσθαι bzw. διατιθέσθαι werden regelmäßig Verfügungen bezeichnet. Am häufigsten wird das Wort für die Errichtung eines Testaments (διαθήκη) verwendet.88 Doch auch darüber hinaus findet sich der Ausdruck im Zusammenhang mit jeder Art von Verfügung über vermögenswerte Rechte.89 Die lex Solonis spricht von διαθ[έσθαι] πρὸς ἀλλήλους, womit Regelungen insbesondere zu Verfügungen gemeint sein könnten, ­welche die Mitglieder über das gemeinsame Vereinsvermögen treffen. (1) Beschlüsse über das Verbot der Verfügung über Vereinsvermögen Tatsächlich findet sich eine Inschrift aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. – allerdings aus dem dorischen Raum –, die eine Verfügung von Mitgliedern eines Vereins über Sachen bezeugt, die dem Verein gehören:

85 Hierzu Ruschenbusch, Σόλωνος νόμοι, 40 – 42. 86 Plu. Sull. 26; Ruschenbusch, Σόλωνος νόμοι, 39 f. 87 Radin, Legislation, 51; Arnaoutoglou, Thusias, 51; Ismard, Cité des réseaux, 57; vgl. Dimo-

poulou, in: Symposion 2013, 249 (267 f.); zurückhaltend Lambert, Phratries, 250; undeutlich Jones, Associations, 35 – 45, der als Regelungsgehalt „validation“ und „regulation“ von Vereinigungen annimmt. 88 Biscardi, in: Symposion 1979, 21 (27, 29 – 33, 35). 89 Biscardi, in: Symposion 1979, 21 (27 f., 33 f.).

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Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

SEG 11, 244, Z. 1 – 3 (Sikyon, Peleponnes, ca. 500 v. Chr.)

Τούτονδε κοινὰ ἔστο τὸ ἐστιατόριον Den Folgenden sollen das Banketthaus, die Ölpresse, καὶ τὰ ὄρε καὶ ho χαλκιὸν / καὶ τἄλα das bronzene Speisegerät und das übrige gemeinsam ϝοικέουσιν γα καὶ τὰ τέλε φέρουσιν: gehören, wenn sie ortsansässig sind und Abgaben zahlen. πολεῖν δὲ / μεδὲ σθναλάζεσθαι ἐξέστο. Zu verkaufen oder zu beleihen soll nicht erlaubt sein.

Zu Beginn hält die Inschrift fest, dass bestimmte Sachen den am Ende namentlich aufgeführten Personen 90 gehören. Dabei handelt es sich um ein Speisehaus, Ölpressen, eine Kammer zur Aufbewahrung von Geräten und weitere, nicht näher aufgeführte Sachen.91 Voraussetzung für die Berechtigung an den Sachen ist, dass die genannten Personen in der Polis ansässig sind und ihre Abgaben entrichten.92 Sodann wird festgesetzt, dass niemand die Sachen verkaufen oder über sie in sonstiger Weise verfügen darf. Die Nennung der Namen von Einzelpersonen am Ende der Inschrift deutet darauf hin, dass diese Personen kollektiv eine Regelung für Sachen treffen, die ihnen gemeinsam gehören. Dazu legen sie zuerst fest, ­welche Sachen zu ihrem gemeinsamen Vermögen gehören sollen. Die Formulierung κοινὰ ἔστο zeigt, dass es sich nicht lediglich um die Feststellung schon vorher bestehenden Miteigentums handelt, sondern dass d ­ ieses erst durch den Beschluss begründet wird. Es folgt ein Verbot jedweder Art von Verfügung über die gemeinsamen Sachen. Daraus lässt sich folgern, dass grundsätzlich jedes Mitglied als Einzelner zur Verfügung berechtigt ist, wie es für Miteigentümer im griechischen Recht allgemein gilt.93 Diese Verfügungsbefugnis wird erst durch den Beschluss der Vereinsmitglieder aufgehoben.94 Hieraus ergibt sich, dass die Gesamtheit der Mitglieder als Berechtigter am Vereinsvermögen aufgefasst wird,95 nicht dagegen der Verein als abstrakte Einheit. Allerdings führt die Möglichkeit, durch einen Beschluss der Mitglieder die Verfügungsbefugnis zu beschränken, dazu, dass das Vereinsvermögen einer Bindung an den kollektiven Willen der Mitglieder unterliegt. Damit unterscheidet es sich vom sonstigen Vermögen der Mitglieder, das diese als Einzelpersonen innehaben und über das sie selbst v­ erfügen 90 91 92 93

Koerner, Gesetzestexte, 70. Koerner, Gesetzestexte, 70 f. Koerner, Gesetzestexte, 71. Biscardi, in: Berneker, Griechische Rechtsgeschichte, 559 (573, 586, 590 f.); ders., DGA, 208; Kränzlein, Eigentum, 131 – 134. Zu einem ius prohibendi jedes Miteigentümers Biscardi, in: Berneker, Griechische Rechtsgeschichte, 559 (597 – 604); Harrison, Law of Athens I, 241; einschränkend Kränzlein, Eigentum, 132 – 134. 94 Biscardi, in: Berneker, Griechische Rechtsgeschichte, 559 (574, 591, 596); Kränzlein, Eigentum, 131 f. 95 Biscardi, in: Berneker, Griechische Rechtsgeschichte, 559 (571 – 573); ders., DGA, 206; Kränzlein, Eigentum, 136 f.; Harrison, Law of Athens I, 241 f.

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können. Indem die Vereinsmitglieder Verfügungsbeschränkungen für das Vereinsvermögen erlassen, wird ­dieses zu einer ihrer kollektiven Selbstbestimmung unterliegenden, insoweit aber gleichzeitig gebundenen Vermögensmasse.96 Auch wenn die Mitglieder grundsätzlich als die Inhaber auch ­dieses Vermögens aufgefasst werden, handelt es sich um ein Vermögen, das anderen Regeln folgt als ihr Vermögen als Einzelpersonen.97 Eine Inschrift aus Attika belegt, dass auch nach attischem Recht für das Vereinsvermögen Verfügungsverbote erlassen werden können: IG II2 2631 (Makropolis, Attika, 4. Jhd. v. Chr.)

Ὅρος χωρίου κοι/νοῦ Εἰκαδέιων · / μὴ συνβάλλειν / εἰς τοῦτο τὸ χω-/ ρίον μηθένα / 5 μηθέν.

Grenzstein des gemeinsamen Grundstücks der Eikadeis. Niemand gewähre ein Darlehen auf d ­ ieses Grundstück in irgendeiner Weise.

Es handelt sich um einen von zwei Grenzsteinen,98 die ein Grundstück des Vereins der Εἰκαδεῖς kennzeichnen.99 Der Verein verbietet, auf das Grundstück ein Darlehen zu gewähren, also die Belastung des Grundstücks mit einer Kreditsicherheit. Die beiden ὅροι dienen dazu, Dritte darüber zu informieren, dass das einzelne Vereinsmitglied nicht zu einer Verfügung über das Grundstück befugt ist, obwohl es an d ­ iesem an sich mitberechtigt ist.100 Da das attische Recht keinen Erwerb vom Nichtberechtigten kennt,101 schaffen die ὅροι keine Publizität im Rechtssinn, die einen solchen Erwerb verhindern würde.102 Vielmehr soll sie ihn faktisch ausschließen, indem jeder Dritte anhand des Grenzsteins erkennt, dass der Darlehensempfänger nicht verfügungsberechtigt ist.103 Damit 96 Vgl. San Nicolò, Ägyptisches Vereinswesen, 197 f., der in Anschluss an Gierke, GenR II ,

97 98 99 100 101 102

103

325 – 347 von „korporative[m] Gesamteigentu[m]“ spricht, bei dem die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis beim Verein, das Nutzungsrecht dagegen bei den Mitgliedern liegt. Allerdings vernachlässigt er dabei die Stellung der Vereinsmitglieder als Eigentümer. Arnaoutoglou, Thusias, 134 – 138 lehnt es dagegen ab, aus den Veräußerungsverboten Rückschlüsse auf den rechtlichen Status des Vereinsvermögens zu ziehen. Auf dem anderen Grenzstein befindet sich die gleichlautende Inschrift IG II2 2632 (Makropolis, Attika, 4. Jhd. v. Chr.). Zum Grundbesitz der Εἰκαδεῖς Papazarkadas, Sacred and Public Land, 183 – 186. Biscardi, in: Berneker, Griechische Rechtsgeschichte, 559 (573); Kränzlein, Eigentum, 132; Harrison, Law of Athens I, 241. Kränzlein, Eigentum, 116 f. Publizität schaffte vielmehr der bei Thphr. Nomoi 21.1 (ed. Szegedy-Maszak) = Stob. 4.2.20 (ed. Hense) erwähnte sechzigtägige behördliche Anschlag vor einem Grundstücksverkauf (προγραφή); hierzu Partsch, Fs. Lenel, 77 (98 – 102); Wolff, SZ 70 (1953), 411 (420); Faraguna, Chiron 30 (2000), 65 (71 – 74); Zelnick-Abramovitz, in: Jakab, Sale and Community, 41 (43 f.). So wohl Biscardi, in: Berneker, Griechische Rechtsgeschichte, 559 (573 Fn. 62); vgl. Finley, Land and Credit, 98.

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Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

lässt sich nachweisen, dass spätestens ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. Vereine in Attika Verfügungsverbote für Gegenstände des Vereinsvermögens erlassen.104 (2) Beschlüsse über die Nutzung von Vereinsvermögen Ferner ist für dasselbe Jahrhundert belegt, dass attische Vereine Regelungen zur Nutzung des Vereinsvermögens treffen: IG II2 1361, Z. 8 – 15 (Piraios, Attika, 330 – 324/3 v. Chr.)

[…] ὅπως δ’ ἂν ἡ οἰκία καὶ / τὸ ἱερὸν ἐπισκε[υ]άζηται, τὸ ἐν[οίκιον τῆ]ς οἰ[κίας] καὶ τὸ ὕδωρ ὅσου ἂμ πραθῆι, ε/10[ἰς τὴν ἐ]πισκευὴν τοῦ ἱεροῦ [καὶ τῆς] οἰκίας, εἰς ἄλλο δὲ μηδὲν ἀναλίσκειν, ἕ/[ως] ἂν [τὸ ἱερὸ]ν ἐπισκευ[ασ]θῆι κ[αὶ ἡ οἰκία], ἐὰν μή τι ἄλλο ψηφίσωνται οἱ ὀργεῶνε[ς] / ..ασε…ν εἰς τὸ ἱερόν. vacat ὑπολι[μπά]νειν δὲ ὕδωρ τῶι ἐνοικοῦντι ὥστε χρῆσθ[αι]. / [ἐὰ]ν δ[έ τι]ς [ε]ἴπ[ηι] ἢ ἐπιψηφίσηι παρὰ τόνδε τὸν νόμον, ὀφειλέτω πδ’ δραχμὰς τῆι / [θεῶι] ὅ τ[ε εἰπὼν καὶ] ὁ ἐπιψηφίσας καὶ μὴ μετέστω αὐτῶι τῶν κοινῶν. ἀναγράφειν δ/15[ὲ αὐτὸν ὀφείλο]ντα τῆι θεῶι τοῦτο τὸ ἀργύριον εἰς τὴν στήλην τοὺς ἐπιμελητά[ς].

Um das Haus und das Heiligtum instand zu setzen, sollen die Einnahmen aus der Vermietung des Hauses und dem Verkauf des Wassers für die Instandsetzung des Heiligtums und des Hauses, nicht aber für einen anderen Zweck verwendet werden, bis das Heiligtum und das Haus instand gesetzt sind, es sei denn, die Kultgenossen beschließen etwas anderes … für das Heiligtum. Sie sollen Wasser für den Bewohner des Hauses zurückhalten, damit er es ­nutzen kann. Wenn jemand entgegen dieser Satzung einen Antrag stellt oder zur Abstimmung bringt, soll derjenige, der den Antrag gestellt oder zur Abstimmung gebracht hat, 50 Drachmen der Göttin schulden, und er darf nicht an gemeinsamen Veranstaltungen teilnehmen. Die ἐπιμελῆται (Aufseher) sollen auf einer Stele diejenigen verzeichnen, die der Göttin d ­ ieses Geld schulden.

Der aus attischen Bürgern bestehende Kultverein der thrakischen Göttin Bendis 105 setzt fest, dass die Einkünfte aus Mietzins für ein Haus, das im Eigentum der ὀργεῶνες steht, und aus dem Verkauf von Wasser für die Reparatur des Hauses sowie des Heiligtums des Vereins verwendet werden sollen. Der Mieter des Hauses soll allerdings Wasser für seinen Gebrauch erhalten. Sodann werden eine Buße von 50 Drachmen und der Ausschluss von Vereinsveranstaltungen für jeden angeordnet, der einen Antrag zur Änderung ­dieses Beschlusses stellt oder zur Abstimmung bringt.

104 Dagegen sprechen auch nicht Inschriften wie IG II2 1289 (Attika, 3. Jhd. v. Chr.), in denen

Vermögen, das von Vereinen genutzt wird, als einer Gottheit gehörend bezeichnet wird, da die Weihung an die Gottheit lediglich als zusätzliche, sakralrechtliche Sicherung der Unveräußerlichkeit der Vermögensgegenstände dient. Dazu Arnaoutoglou, Thusias, 134 – 137; Papazarkadas, Sacred and Public Land, 203 f. 105 Zur Bendis-Verehrung Auffarth, s. v. Bendis, DNP 2, Sp. 558 f. Zu den Vereinen der Bendis Ferguson/Nock, HThR 37 (1944), 61 (96 – 107); Jones, Associations, 256 – 262; Ismard, Cité des réseaux, 261 – 273.

Die ursprüngliche Regelung des Zwölftafelgesetzes zu den pactiones von sodales (XII tab. 8.27)

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Die Vereinsmitglieder legen damit die Art und Weise der Nutzung von Gegenständen des Vereinsvermögens fest. Die Erträge von Haus und Wasser sollen für die Reparatur von Liegenschaften des Vereins verwendet werden. Dem Mieter des Hauses wird die Nutzung des Wassers gestattet. Das Abänderungsverbot 106 soll sicherstellen, dass diese Regelung nicht verändert wird, bis die Reparatur abgeschlossen ist. Die lex Solonis ist die normative Grundlage der Geltung dieser Festsetzungen.107 Sie beziehen sich auf Gegenstände des Vereinsvermögens und regeln Verfügungsberechtigung und Nutzungsbefugnis. Für Verfügungen über Vermögensgegenstände ist διαθέσθαι bzw. διατιθέσθαι belegt. Auch die Nutzung von Vermögensgegenständen hat einen engen Bezug zum Eigentum, sodass es naheliegt, dass entsprechende Bestimmungen ebenfalls von der lex Solonis umfasst werden. Ihr Zweck ist es demnach, den Mitgliedern von Vereinen die Möglichkeit einzuräumen, durch kollektive Selbstbestimmung die Angelegenheiten des ihnen gemeinsamen Vermögens zu regeln. Erst wenn ihnen hierfür eine Rechtsmacht eingeräumt wird, ist das Vereinsvermögen gegen zweckwidrige Verwendung und Veruntreuung geschützt. Nur so kann sichergestellt werden, dass einzelne Vereinsmitglieder ihre Stellung als Miteigentümer nicht entgegen dem Vereinszweck ausüben. Die lex Solonis schafft eine besondere Bindung der Gegenstände des Vereinsvermögens, indem sie den Mitgliedern des Vereins die Möglichkeit gibt, diese der Verfügung und Nutzung durch das einzelne Mitglied zu entziehen und stattdessen der kollektiven Selbstbestimmung der Gesamtheit der Mitglieder zu unterstellen, die dann Einzelpersonen – unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zum Verein  – die Befugnis zur Verfügung 108 und Nutzung 109 zuweisen kann. Ebenfalls die Art und Weise der Nutzung des Vereinsvermögens betrifft ein Dekret der ὀργεῶνες des Heros Echelos und der Heroinen: Agora XVI 161 = SEG 21, 530, Z. 12 – 17 (Athen, Attika, 1. Hälfte 3. Jhd. v. Chr.) […] τὸν ἑστιάτορα θύειν τὴν ­[θυσί]/ αν μηνὸς Ἑκατονβαιῶνος ἑβδόμει καὶ ὀγδόει ἐπ[ὶ] δ/έκα· θύειν δὲ τεῖ πρώτει ταῖς ἡρωίναις χοῖρον, τῶι δὲ [ἥ]/15[ρ]ωι ἱερεῖον τέλεον καὶ τράπεζαν παρατιθέναι, τεῖ δ[ὲ] / [ὑστερ]άαι τῶι ἥρωι ἱερεῖον

Der ἑστιάτωρ (Gastgeber) soll das Opfer am 17. und 18. Tag des Monats Hekatombaion darbringen. Am ersten Tag soll er den Heroinnen ein Ferkel und dem Heros ein ausgewachsenes Tier opfern sowie einen Opfertisch vorbereiten. Am folgenden Tag soll er dem Heros ein ausgewachsenes Tier [opfern].

106 Dazu umfassend Harter-Uibopuu, Tyche 28 (2013), 51 – 96. 107 Ebenso Biscardi, in: Berneker, Griechische Rechtsgeschichte, 559 (574, 591); Finley, Land and

Credit, 97.

108 Biscardi, in: Berneker, Griechische Rechtsgeschichte, 559 (591, 595); Kränzlein, Eigentum, 131. 109 Biscardi, in: Berneker, Griechische Rechtsgeschichte, 559 (591).

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Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

τέλεον· λογίζεσθαι δὲ ὅ τι ἂν / [ἀνα­λ]ώ- Er soll Rechnung legen, was er aufgewendet hat, und σει· ἀναλίσκειν δὲ μὴ πλέον τῆς προ- darf nicht mehr als die vorhandenen Einkünfte aufσόδου· […]. wenden.

Der ἑστιάτωρ, der Inhaber einer Vereinsfunktion,110 ist für die Durchführung bestimmter Opfer gemäß den Vorgaben des Dekrets verantwortlich. Die Mittel dafür soll er den Einkünften des Vereins entnehmen, wie sich aus dem Verbot ergibt, nicht mehr als die vorhandenen Einkünfte auszugeben. Über die Verwendung hat er Rechnung zu legen. Die Bestimmung gestattet damit zum einen die Verwendung der Einkünfte des Vereins, zum anderen schreibt sie die Art der Nutzung vor, indem sie den Verwendungszweck festlegt und dem Vereinsfunktionär eine Pflicht zur Rechnungslegung auferlegt. Die Bestimmung hat somit einen Bezug zum Vereinsvermögen.111 (3) Bußbestimmungen Ferner sehen die Satzungen für Verstöße gegen ihre Bestimmungen Bußen vor. So findet sich am Ende eines längeren, allerdings ohne den Anfang überlieferten νόμος θιασώτων die Androhung einer Buße für Verstöße jeder Art gegen den νόμος: IG II2 1275, Z. 14 – 17 (Athen, Attika, 325 – 275 v. Chr.)

[…] εἰὰν δέ τις παρὰ τὸν νόμον ἢ εἴπει Wenn jemand entgegen dieser Satzung spricht oder ἢ πράξει, κα/15τηγορίαν αὐτοῦ εἶναι τῶι handelt, soll jeder Kultgenosse, der dies will, deshalb βουλομένωι τῶν θιασωτῶ/ν, καὶ ἂν ἕλει Klage erheben können, und wenn er seine Verurteiαὐτὸν τιμάτωσαν αὐτὸν καθότι ἂν δο-/ lung erreicht, sollen sie [die Höhe der Buße] so schätzen, wie der Verein beschließt. κεῖ τῶι κοινῶι.

Die Bußbestimmung steht im Kontext der Vereinsgerichtsbarkeit, da über die Höhe der Buße der κοίνον entscheiden soll. Bei der κατηγορία handelt es sich um eine interne Klage. Die Buße ist eine Sanktion für Verstöße gegen die Satzung des Vereins.112 Derartige Sanktionen finden sich noch in den Vereinssatzungen aus dem Athen und Ägypten des 2. Jahrhunderts n. Chr.113 Solche Bestimmungen sind für Satzungen typisch.114 Sie dienen nicht nur dazu, Verstöße gegen 110 Dazu Ferguson/Nock, HThR 37 (1944), 61 (94 f.); Arnaoutoglou, Thusias, 103 f. 111 Zurückhaltender Papazarkadas, Sacred and Public Land, 199 f. Arnaoutoglou, Thusias, 126

sieht als Inhalt allgemein die Tätigkeit des Vereins an.

112 Arnaoutoglou, Thusias, 66. 113 Für Athen die Satzung der Iobakchen IG II2 1368, Z 45 – 111 (164/5 n. Chr.); dazu zuletzt Ebel,

Attraktivität, 136 f., 139 f. Für Ägypten San Nicolò, Fs. Swoboda, 255 – 300, zu den Bußen 279 – 287. 114 Kloppenburg/Ascough, GRA I, 55.

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­ estimmungen mit unmittelbarem Bezug zum Vereinsvermögen zu sanktionieB ren, sondern auch ein bestimmtes Verhalten der Vereinsmitglieder zu erzwingen. Diese Vorschriften sind ebenfalls vom διαθέσται der lex Solonis gedeckt.115 c) Die lex Solonis als normative Grundlage für die Geltung der Beschlüsse der Vereinsmitglieder

Die lex Solonis ordnet als Rechtsfolge für Satzungsbestimmungen an, die im Einklang mit dem Recht der Polis stehen: κύριον εἶναι. Diese Formulierung findet sich auch in dokumentarisch überlieferten Vereinssatzungen: IG II2 1275, Z. 12 – 14 (Athen, Attika, 325 – 275 v. Chr.)

[…] ἐπειδὰν δὲ κυρώσωσι τὸν νόμ/ον οἱ θιασῶται, μηθὲν εἶναι τοῦ νόμου κυριώτερ/ον· […]

Sobald die Mitglieder der Kultgenossenschaft die Satzung in Kraft gesetzt haben, soll nichts mehr Kraft als die Satzung haben.

Der Beschluss des νόμος durch die θιασῶται wird als κυροῦν bezeichnet. Er kann durch Mehrheitsbeschluss zustande kommen, doch legen die überlieferten Satzungen, die dazu Angaben machen, Wert darauf, dass sie einstimmig beschlossen worden sind.116 Ferner hält der νόμος fest, dass keine andere Norm wirksamer als er selbst sein soll (κυριώτερον). Die Satzung nimmt also die Sprache der lex Solonis auf, um den eigenen Geltungsanspruch deutlich zu machen. Noch deutlichere Anklänge an diese Formulierung der lex Solonis finden sich in ägyptischen Vereinssatzungen: P.Lond. 2193, Z. 4 (Philadelphia, Arsinoites, 69 – 58 v. Chr.) Νόμος ὃν ἔθεντο [κα]τὰ κοινὸν οἱ ἐκ τῆς τοῦ Διὸς Ὑψίστου συνόδου τοῦτον εἶναι κύριον.

Die Satzung, deren Wirksamkeit für die gemeinsamen [Angelegenheiten] die [Mitglieder] des Vereins des Zeus Hypsistos festgesetzt haben.

P.Mich. V 243, Z. 12 – 13 (Tebtynis, Arsinoites, 14 – 37 n. Chr.) […] κυρια στωι ὁ νόμος ὑπογραφεὶς ὑπὸ τῶν / πλείστων· […].

Die Satzung soll nach Unterzeichnung durch die meisten wirksam sein.

Damit wird deutlich, dass die dokumentarisch überlieferten Satzungen als ihren Geltungsgrund den Beschluss der Mitglieder ansehen.117 In ebendiesem sieht 115 Kloppenburg/Ascough, GRA I, 54 f. 116 IG II2 1343, Z. 43 – 45 (Athen, Attika, 37 – 35 n. Chr.): […] τῶ [[ι]]ν ψή/φων αἷς ἐδόκει τόδε τὸ δόγμα κύριον εἶναι, ἑξήκον[τα]· / αἷς δὲ οὐκ ἐδόκει οὐδεμία; IG II2 1368, Z. 2 – 31 (Athen,

Attika, 164/5 n. Chr.). Zur Frage von Mehrheitsentscheidungen bei gräko-ägyptischen Vereinen Schnöckel, Ägyptische Vereine, 23 – 28. 117 San Nicolò, Ägyptisches Vereinswesen II, 19 – 22; Kloppenburg/Ascough, GRA I, 54 f.; vgl. Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 260. Verfehlt ist dagegen die Auffassung, die

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Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

auch die lex Solonis den Geltungsgrund. Damit handelt es sich bei ihr um einen Rechtssatz der Polis, der die kollektive Selbstbestimmung der Vereinsmitglieder anerkennt und zugleich die δημοσία γράμματα als Wirksamkeitsgrenze vorsieht.118 Die kollektive Selbstbestimmung hat einen deutlichen Schwerpunkt in der Regelung der Vermögensverhältnisse des Vereins, auch wenn sie sich nicht auf diese beschränkt. Zumindest lässt sich die vermögensbezogene Selbstbestimmung zeitlich früher nachweisen, doch kann dies dem Überlieferungszufall geschuldet sein. 2. Die Rekonstruktion des Inhalts der pactiones a) Die Regelung der Befugnis zu Verfügungen über Vereinsvermögen (1) Die Existenz von Vereinsvermögen in archaischer Zeit

Wie gesehen,119 regelt die älteste überlieferte Praxis zur lex Solonis die Verfügung über das und die Nutzung des Vereinsvermögens. Die Existenz eines eigenen Vereinsvermögens ist durch eine Klausel im senatus consultum de Bacchanalibus für den Anfang des 2. Jahrhunderts v. Chr. bezeugt: CIL I2 581 = ILS 18 = FIRA2 I 30, Z. 10 – 14 (Ager Teuranus, Bruttium et Lucania, 186 v. Chr.)

Sacerdos nequis vir eset; magister neque vir neque mulier quisquam eset.  / Neve pecuniam quisquam eorum comoine[m h]abuise velet; neve magistratum,  / neve pro magi­ stratu, neque virum [neque mul]ierem quiquam fecise velet.  / Neve post hac inter sed conioura[se nev]e comvovise neve conspondise / neve conpromesise velet, neve quisquam fidem inter sed dedise velet.

Priester soll kein Mann sein. Magister soll weder ein Mann noch eine Frau sein. Niemand soll ein ihnen gemeinsames Vermögen haben wollen. Niemand soll einen Mann oder eine Frau zum Funktionär oder anstelle eines Funktionärs bestellen wollen. Noch sollen sie hiernach untereinander schwören, zur Teilnahme veranlassen, geloben oder versprechen wollen, noch untereinander auf Treue zusagen wollen.

Die Klausel ist Teil von mehreren Regelungen, mit denen der Senat gegen den Bacchanalienkult vorgeht.120 Sie besteht aus einer Reihe einzelner Verbote, die sich gegen die Organisationsstruktur der Bacchanalienkulte richten: Verboten ­ ereinssatzungen stellten einen Vertrag dar; so aber San Nicolò, Fs. Swoboda, 255 (284 f., V 297 f.); Roberts u. a., HThR 29 (1936), 39 (43); Boak, TAPhA 68 (1937), 212 (220); Préaux, RIDA 1 (1948), 189 (192 f.); Schnöckel, Ägyptische Vereine, 31. 118 San Nicolò, Ägyptisches Vereinswesen, 17, 21, 105; Jones, Associations, 35 – 37; Kloppenburg/ Ascough, GRA I, 54 f.; Leão/Rhodes, Laws of Solon, 134; Arnaoutoglou, LR 5 (2016), 87 (96 f.); vgl. Ismard, Cité des réseaux, 57. Nach Radin, Legislation, 51 habe es für die Wirksamkeit der Beschlüsse der Vereinsmitglieder keines Gesetzes bedurft; der Regelungsgehalt der lex Solonis erschöpfe sich darin, das Recht der Polis als Schranke für die Beschlüsse festzulegen. 119 Siehe oben VI. Kap., § 1 III.1.b) (1). 120 Zum Kontext Fraenkel, Hermes 67 (1932), 369 (369 – 373); Albanese, St. Talamanca I, 1 (13 – 25); Groten, Corpus und universitas, 214 – 217.

Die ursprüngliche Regelung des Zwölftafelgesetzes zu den pactiones von sodales (XII tab. 8.27)

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wird erstens das Bekleiden religiöser (sacerdos) und nichtreligiöser Funktionen (magister, magistratu[s], promagistratu[s]), zweitens die Existenz einer pecuni[a] comoin[is] und drittens das Treffen von Abreden der Kultangehörigen.121 Alle drei Merkmale sind auch für Vereine charakteristisch: Vereinsfunktionäre, ein Vereinsvermögen sowie eine Satzung und Beschlüsse der Mitglieder. Für den Prinzipat erwähnen Gaius und Marcian die Bildung eines Vereinsvermögens als wesentliches Merkmal eines Vereins.122 Marcian bezeichnet es als pecunia[e] communes 123 und greift damit auf dieselbe Terminologie wie das senatus consultum zurück; dem entspricht der Sprachgebrauch des Livius in seiner Paraphrase des Senatsbeschlusses.124 Von der Bedeutung der Satzung und der Beschlüsse der Mitglieder zeugt der gaianische Bericht zur kaiserzeitlichen interpretatio des Zwölftafelsatzes zu den pactiones der sodales.125 Die Übereinstimmung der Organisationsstruktur, die einerseits das senatus consultum de Bacchanalibus und andererseits die kaiserzeitlichen Juristen beschreiben, ist auffällig.126 Die wesentlichen Merkmale der Organisation von Vereinen bleiben vom Beginn des 2. Jahrhunderts v. Chr. bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. konstant. Damit lässt sich bereits für das Jahr 186 v. Chr. die Existenz eines gemeinsamen Vermögens der Angehörigen eines Kultes sicher nachweisen.127 Die Bezeichnung ­dieses Vermögens als comoinis deutet darauf hin, dass die Kultangehörigen als Miteigentümer gegolten haben. Dafür spricht nicht nur, dass noch die klassische Jurisprudenz die Gesamtheit der Vereinsmitglieder und nicht einen als abstrakte Einheit verstandenen Verein als Eigentümer der res communes auffasst.128 Hinzu kommt, dass nach griechischem Recht die 121 Fraenkel, Hermes 67 (1932), 369 (371 f.); Albanese, St. Talamanca I, 1 (18 – 20); Bendlin, in:

Kippenberg/Schuppert, Verrechtlichte Religion, 65 (85 f.); Groten, Corpus und universitas, 227 f., 235; vgl. Kornemann, s. v. collegium, RE 4.1, Sp. 405; Behrends, IuP II, 654 (688); Aubert, CCG 10 (1999), 49 (51 f.). 122 D. 3.4.1.1 (Gai. 3 ed. prov.); D. 47.22.2 (Marcian. 3 inst.); D. 47.22.3 (Marcian. 2 iud. publ.). 123 D. 47.22.3 (Marcian. 2 iud. publ.). 124 Liv. 39.18.9: […] neu qua pecunia communis neu quis magister sacrorum aut sacerdos esset. Zum Verhältnis der Überlieferung des senatus consultum durch Livius und durch die Inschrift Pailler, Bacchanalia, 178 – 193; Gallo, BStudLat 47 (2017), 519 – 540. 125 D. 47.22.4 (Gai. 4 l. XII tab.). 126 Behrends, IuP II, 654 (688 mit Fn. 133); Albanese, St. Talamanca I, 1 (19); Bendlin, in: Kippenberg/Schuppert, Verrechtlichte Religion, 65 (85); Groten, Corpus und universitas, 235, 359 f. 127 So Kaser, RP I, 309 mit Fn. 60; De Robertis, Storia II, 303 Fn. 2; Albanese, Persone, 568 mit Fn. 62, 570 mit Fn. 81; Behrends, IuP II, 654 (688 mit Fn. 133); Groten, Corpus und universitas, 227, 235, 359 f.; vgl. Bendlin, in: Kippenberg/Schuppert, Verrechtlichte Religion, 65 (85 f.). Ablehnend Mitteis, RP I, 398 Fn. 35; Duff, Personality, 137. 128 Kornemann, s. v. collegium, RE 4.1, Sp. 430 f.; Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 221 f., 225 f.; Duff, Personality, 127 f.; Schulz, ClRL, 100; v. Lübtow, Mem. Koschaker II, 467 (478);

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Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

Vereinsmitglieder im Ausgangspunkt ebenfalls als Miteigentümer gelten.129 Die Zeugnisse hierzu stammen aus dem 5. – 3. Jahrhundert v. Chr. und decken somit den Zeitraum der dezemviralen Gesetzgebung ab. Daher kann legitimer Weise angenommen werden, dass der Rechtszustand, den das senatus consultum de Bacchanalibus wiedergibt, bereits zur Zeit des Zwölftafelgesetzes bestand. Die sodales besitzen also ein gemeinsames Vermögen und sind daran als Miteigentümer berechtigt.130 (2) Das Regelungsbedürfnis im archaischen Recht Damit besteht jedoch zugleich das Bedürfnis, die Verfügungsbefugnis über ­dieses Vermögen zu regeln. Denn im archaischen Recht sind alle Miteigentümer verfügungsberechtigt,131 wie der Bericht des Gaius von der societas ercto non cito und der dieser nachgeformten societas des ius civile zeigt: Gai. 3.154b […] in hac autem societate fratrum ceterorumve, qui ad exemplum fratrum suorum societatem coierint, illud proprium erat, [unus] quod vel unus ex sociis communem servum manumittendo liberum faciebat et omnibus libertum adquirebat: item unus [rem co]mmunem manc[ipando eius faciebat, qui mancipio accipiebat - - -].

Bei dieser Gesellschaft von Brüdern aber oder anderen, die nach dem Vorbild von Brüdern, die Hauserben waren, eine Gesellschaft eingegangen waren, war es kennzeichnend, dass ein Einzelner der Gesellschafter einen gemeinsamen Sklaven durch F ­ reilassung zum Freien machte und für alle als Freigelassenen erwarb. Ebenso machte ein Einzelner eine gemeinsame Sache durch Manzipation zum Eigentum dessen, der sie bei der Manzipation entgegennahm.

Jeder Gesellschafter kann mit Wirkung für alle anderen einen servus communis freilassen oder eine res communis manzipieren. Jeder ist also für jeden Gegenstand des Gesellschaftsvermögens verfügungsberechtigt,132 was der Lage beim Kaser, RP I, 303, 309; ähnlich Mitteis, RP I, 345 – 347. 129 Siehe oben VI. Kap., § 1 III.1.b) (1). 130 Im Ergebnis ebenso Kofanov, BIDR 100 (1997), 457 (464). 131 Zur Verallgemeinerungsfähigkeit von Gai. 3.154b für das archaische Miteigentum ArangioRuiz, St. epigr., 55 (97); Levy, SZ 54 (1934), 258 (294 f.); Kofanov, BIDR 100 (1997), 457 (463 f.). Dagegen Bretone, Labeo 6 (1960), 163 (185 – 187).

132 Arangio-Ruiz, St. epigr., 55 (96 f.); ders., Società, 11; Duff, Personality, 133; Bretone, Labeo 6 (1960), 163 (182); Kaser, SDHI 41 (1975), 278 (282 f.); Nelson/Manthe, Kontraktsobligationen, 336; zurückhaltend Kaser, RP I, 100, 142. Im Ausgangspunkt ebenso Levy, SZ 54 (1934), 258

(280 f.); Wieacker, Societas, 180. Die Annahme eines ius prohibendi jedes Mitgesellschafters durch Levy, SZ 54 (1934), 258 (281 f.); Arangio-Ruiz, Società, 12; Wieacker, Societas, 182; Bretone, Labeo 6 (1960), 163 (182) findet keinerlei Stütze in den Quellen; so zurecht Rabel, Ges. Aufs. IV , 549 (560); Kaser/Knütel/Lohsse, RP , § 33 Rn. 21. Verfehlt Kofanov, BIDR 100 (1997), 457 (464), der annimmt, jeder Gesellschafter habe als direkter Stellvertreter der übrigen Gesellschafter gehandelt.

Die ursprüngliche Regelung des Zwölftafelgesetzes zu den pactiones von sodales (XII tab. 8.27)

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Miteigentum im griechischen Recht entspricht.133 Die Verfügungsbefugnis eines jeden socius über das gesamte Vermögen aller Gesellschafter beruht darauf, dass sich die zivile societas aus der Erbengemeinschaft entwickelt hat. Das Vermögen der societas ercto non cito stellt das gesamte Vermögen ihrer Mitglieder (fratr[es] su[i]) dar, weil sie als sui heredes erst durch den Erbfall gewaltfrei und damit vermögensfähig werden.134 Nur wenn der frat[er] su[us] über das Gesellschaftsvermögen verfügen kann, ist er überhaupt zu Vermögensdispositionen in der Lage. Bei sodales ist die Lage anders, denn nichts spricht dafür, dass sie kein sonstiges eigenes Vermögen haben. Ihre Berechtigung an der pecunia comoinis stellt also von vornherein nur einen Ausschnitt aus ihrer vermögensmäßigen Stellung dar. Der einzelne sodalis ist demnach nicht darauf angewiesen, über das Gemeinschaftsvermögen verfügen zu können, um überhaupt am Rechtsverkehr teilzunehmen. Daher ist es praxisfern anzunehmen, dass für sodales die Regeln der zivilen societas gegolten hätten.135 Dazu besteht umso weniger Grund, als sich für den griechischen Raum nachweisen lässt, dass dort das Vereinsvermögen schon zu einem frühen Zeitpunkt der kollektiven Selbstbestimmung durch die Vereinsmitglieder unterworfen worden ist. Die Parallele z­ wischen dem Zwölftafelgesetz und der lex Solonis zieht die römische Jurisprudenz in Gestalt von Gaius selbst. Die lex Solonis reagiert auf ein Regelungsproblem im Bereich des Miteigentums, das im archaischen römischen Recht genauso besteht. Die Zeugnisse der griechischen Praxis machen es höchst wahrscheinlich, dass die sodales durch pactiones festlegen, ­welche Sachen zum Vermögen ihrer Vereinigung zählen sollen, wie über sie verfügt werden darf und wie sie genutzt werden sollen. Die pecunia comoinis soll den Zwecken der Vereinigung dienen und gegen Veruntreuung durch einen einzelnen sodalis geschützt werden. Das ist jedoch nur möglich, wenn der Einzelne nicht über das gemeinsame Vermögen verfügen kann. Der Zwölftafelsatz unterwirft das Vermögen einer Bindung an die kollektive Selbstbestimmung der sodales. Zwar sind alle sodales Berechtigte am Gemeinschaftsvermögen, doch können sie diese Berechtigung nur nach Maßgabe der pactiones ausüben. Solange die Vereinigung besteht, dürfte zugleich die Teilungsklage ausgeschlossen sein.136 133 Siehe oben VI. Kap., § 1 III.1.b) (1). 134 Kaser, RP I, 63 f., 99; ders., SDHI 41 (1975), 278 (283); vgl. Nelson/Manthe, Kontraktsobliga-

tionen, 336.

135 So aber Mommsen, De collegiis, 39; Waltzing II, 439; Mitteis, RP I, 398; vgl. Kornemann, s. v. collegium, RE 4.1, Sp. 429. 136 Vgl. Mitteis, RP I 398 f. mit Fn. 36. Einen Zusammenhang z­ wischen dem Zwölftafelsatz und

der actio communi dividundo stellen her Diliberto, Index 18 (1990), 403 (417 mit Fn. 99); ders.,

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Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

Diese Bindung konstituiert ein besonderes Gemeinschaftsvermögen der sodales,137 das sich vom sonstigen Vermögen unterscheidet, das jeder sodalis als Einzelner hat. Über d ­ ieses sonstige Vermögen kann er frei disponieren, während die pecunia comoinis seiner Rechtsmacht entzogen ist. Wenn die kaiserzeitlichen Juristen wie selbstverständlich ­zwischen dem Vereinsvermögen und dem Vermögen der Vereinsmitglieder als Einzelne trennen, beruht dies auf der Bindung der pecunia comoinis an die kollektive Selbstbestimmung der sodales, die das Zwölftafelgesetz vorsieht. (3) Die Regelung der Verfügungsbefugnis als funktionales Äquivalent zum Aufwendungsersatz

Wenn die sodales mittels pactiones die Befugnis zur Verfügung über die pecunia comoinis regeln, ist es wahrscheinlich, dass schon im archaischen Recht ein Vereinsfunktionär als indirekter Stellvertreter gehandelt hat. Charakteristisch für die indirekte Stellvertretung ist, dass der Vertreter im Innenverhältnis Ersatz der Aufwendungen verlangen kann, die ihm durch sein Handeln im Außenverhältnis entstanden sind. Die kaiserzeitlichen leges collegii enthalten dementsprechend Bestimmungen zum Aufwendungsersatz.138 Derartige Bestimmungen sind freilich in den Zeugnissen der griechischen Praxis nicht überliefert, sodass mit ihnen für das archaische römische Recht ebensowenig zu rechnen ist. Dazu passt, dass auch der Vormund im archaischen Recht keinen Aufwendungsersatz verlangen kann.139 Doch ist eine alternative Regelungstechnik möglich: Durch pactio kann dem Vereinsfunktionär die Befugnis eingeräumt werden, selbst aus der pecunia comoinis einen Betrag in der Höhe seiner Aufwendungen zu entnehmen. Eine derartige Regelung operiert auf der dinglichen Ebene, wenn sie dem Funktionär eine entsprechende Verfügungsbefugnis über das Vereinsvermögen einräumt. Materiali, 113 mit Fn. 315; Kofanov, BIDR 100 (1997), 457 (463 f.). Das Regelungsbedürfnis, die pecunia comoinis ungeteilt zu erhalten, solange die Vereinigung existiert, besteht bereits in archaischer Zeit. Daher ist ein Ausschluss der Teilungsklage durch den Zwölftafelsatz wahrscheinlicher als durch eine spätere lex publica. Für die lex Licinia de sodaliciis von 55 v. Chr. allerdings De Robertis, Storia II, 420 – 435. 137 Im Ergebnis ebenso De Robertis, Storia II, 323 – 326, 425 – 427; Duff, Personality, 131. Dagegen messen Waltzing II, 439; Eliachevitch, Personnalité juridique, 239 f., 299 f. dem Zwölftafelsatz nur Bedeutung im Innenverhältnis bei. 138 Siehe oben V. Kap., § 1 II.2. und 3.b). 139 Vgl. Sachers, s. v. tutela, RE 7A.2, Sp. 1556, 1565; Albanese, Persone, 404, 507; Finazzi, in: Cursi, XII Tabulae I, 297 (306 – 309). Diesen Befund bestätigt, dass die attische δίκη ἐπιτροπῆς ebenfalls keine Gegenrechte des Vormunds kennt; vgl. Becker, SZ 85 (1968), 30 (40 f., 65, 92 f.); Harrison, Law of Athens I, 121; Thür, s. v. Epitropos [2], DNP 3, Sp. 1180.

Die ursprüngliche Regelung des Zwölftafelgesetzes zu den pactiones von sodales (XII tab. 8.27)

335

Sie ist funktional äquivalent zu einer schuldrechtlichen Regelung, die ihm Aufwendungsersatz gewährt. Eine Spur dieser Regelungstechnik findet sich in einer Formulierung der lex familiae Silvani aus der frühen Kaiserzeit: AE 1929, 161 = FIRA2 III 37, Z. 2 – 5 (Trebula Mutuesca, Latium et Campania, 60)

[…] Qui ex familia magistri facti Diejenigen, die aus der familia zu magistri gemacht worerunt  / ad sacrum faciendum deo, den sind, werden für die Durchführung des Opfers an accipient  / ex arca HS CCXL , suo den Gott aus der Kasse 240 Sesterze erhalten, jeder für quique die, et ne  / 5 minus adicere seinen Tag, und jeder wird nicht weniger als 205 Sesterze debeat ap se HS CCV. aus seinem Vermögen hinzufügen.

Die Bestimmung sieht vor, dass den magistri ein Teil ihrer Aufwendungen für Opfer aus der Vereinskasse erstattet wird. Auffällig ist die Formulierung accipient ex arca HS CCXL, wonach sie eine Geldsumme aus der arca „empfangen sollen“.140 Der Wortlaut erinnert an die Formulierungen scripsi me accepisse beim Darlehenschirographum und accepit domo ex risco beim nomen arcarium. Dort wird damit die datio der Darlehensvaluta umschrieben, also das reale Vertragselement. Die Formulierung der lex familiae Silvani stellt in gleicher Weise die dingliche Ebene in den Vordergrund, also die Befugnis entweder der magistri, die Geldsumme selbst der arca zu entnehmen, oder eines anderen Vereinsfunktionärs  – etwa des quaestor 141  –, die Summe den magistri auszuzahlen. Auch wenn diese Regelung ihrer Funktion nach dem Aufwendungsersatz der magistri dient,142 lässt ihre Formulierung eine rein dinglich wirkende Regelung der Verfügungsbefugnis anklingen. Vor d ­ iesem Hintergrund ist in archaischer Zeit mit pactiones zu rechnen, ­welche die Verfügungsbefugnis regeln und funktionales Äquivalent zu einer Bestimmung zum Aufwendungsersatz sind. Auf diese Weise ist bereits für diese Zeit mit einer indirekten Stellvertretung der sodales durch ihre Funktionäre zu rechnen. Die Vorherrschaft der indirekten Stellvertretung im klassischen Recht hat ihre Grundlage also in den pactiones des archaischen Rechts. b) Weitere Regelungen Bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. sehen griechische Vereinsbeschlüsse Bußen vor.143 In den römischen leges collegii der Kaiserzeit sind sie ebenfalls belegt.144

140 141 142 143 144

Vgl. Buonocore/Diliberto, MEP 11 (2006), 211 (247 f.). Zu ­diesem Buonocore/Diliberto, MEP 11 (2006), 211 (224). Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 372. Siehe oben VI. Kap., § 1 III.1.b) (2) und (3). Siehe oben V. Kap., § 1 III.

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Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

Daher werden die pactiones der archaischen Zeit bereits multae vorgesehen haben.

§ 2

Die prozessuale Durchsetzbarkeit der pactiones im Legisaktionenverfahren

I. Die Zulässigkeit des lege agere alieno nomine Wie gesehen, ist mit der Existenz eines Vereinsvermögens in archaischer Zeit zu rechnen, sodass bereits das frühe Recht Vereine – verstanden als die Gesamtheit der sodales – als wenigstens des Eigentums fähig anerkennt.145 Dagegen lehnen zahlreiche Literaturstimmen eine Rechtsfähigkeit von Vereinen im archaischen Recht gänzlich ab, weil Vereine wegen des Grundsatzes Nemo alieno nomine lege agere potest 146 keinerlei Rechte im Prozess hätten durchsetzen können.147 Tatsächlich war nach dem Zeugnis des Gaius im Legisaktionenverfahren eine Prozessvertretung grundsätzlich ausgeschlossen: Gai. 4.82 Nunc admonendi sumus age[re] nos aut nostro nomine aut alieno, veluti cognitorio, procuratorio, tutorio, curatorio, cum olim, quo tempore legis actiones in usu fuissent, alieno nomine agere non liceret, praeterquam ex ce[r]tis causis.

Nun müssen wir daran erinnern, dass wir entweder in unserem eigenen oder im fremden Namen klagen, zum Beispiel als Kognitor, als Prokurator, als Vormund oder als Pfleger, während es früher, als die Spruchformeln in Gebrauch waren, nicht gestattet war, im fremden Namen zu klagen, außer in bestimmten Fällen.

Allerdings berichtet der Jurist zugleich, dass das Verbot nicht ausnahmslos gilt, sondern in cert[ae] caus[ae] ein lege agere alieno nomine zulässig ist. Die Prozessvertretung eines Vereins könnte zu diesen Ausnahmen zählen. Welche Arten der Prozessvertretung zu den cert[ae] caus[ae] gehören, erwähnt Gaius freilich nicht. Die parallele Passage in den justinianischen Institutionen gibt jedoch erste Hinweise: 145 Siehe oben VI. Kap., § 1 III.2.a) (1) und (2). 146 D. 50.17.123 pr. (Ulp. 14 ed.). Die Aussage bezieht sich auf die querela inofficiosi testamenti, für die das Legisaktionenverfahren auch im Prinzipat gilt; Lenel, Pal. II, Sp. 493 f.; Behrends, SZ 88 (1971), 215 (240); Marrone, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 305 (311 f. Fn. 12). 147 Mommsen, De collegiis, 36; Mitteis, RP I, 398 f.; Duff, Personality, 134 – 136; Aubert, CCG 10

(1999), 49 (52). Für die Zulässigkeit des lege agere für einen Verein Kornemann, s. v. collegium, RE 4.1, Sp. 435; vorsichtig De Robertis, Storia II, 335.

Die prozessuale Durchsetzbarkeit der pactiones im Legisaktionenverfahren

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I. 4.10 pr. Nunc admonendi sumus, agere posse quemlibet aut suo nomine aut alieno. alieno veluti procuratorio, tutorio, curatorio, cum olim in usu fuisset, alterius nomine agere non posse nisi pro populo, pro libertate, pro tutela […].

Nun müssen wir daran erinnern, dass jeder entweder im eigenen oder im fremden Namen klagen kann, im fremden Namen zum Beispiel als Prokurator, als Vormund oder als Pfleger, während es früher üblich war, nicht im fremden Namen klagen zu können, es sei denn für das Volk, für die Freiheit und für die Vormundschaft [...].

Danach ist ein lege agere alieno nomine ausnahmsweise zulässig bei der Prozessvertretung pro populo, pro libertate, pro tutela.148 Gemeint sind damit die Vertretung des Staates (pro populo), eines Sklaven, dessen Freiheit behauptet wird und für den ein adsertor in libertatem auftritt (pro libertate), sowie eines Mündels, für den sein tutor den Prozess führt (pro tutela).149 Die Prozessvertretung eines Vereins wird nicht erwähnt. Daraus folgt jedoch keinesfalls das argumentum e silentio, das lege agere für einen Verein zähle nicht zu den cert[ae] caus[ae], in denen die Prozessvertretung schon im Legisaktionenverfahren zulässig gewesen ist. Denn die Institutionen Justinians übergehen – ebenso wie diejenigen des Gaius, aber anders als diejenigen des Marcian – die Rechtsverhältnisse der privaten Personenvereinigungen zur Gänze und behandeln nur öffentlich-rechtliche Körperschaften.150 Daher ist nach der Anlage des justinianischen Werks überhaupt nicht damit zu rechnen, dass das lege agere für einen Verein behandelt wird. Zu erwägen ist vielmehr, inwiefern aus der Darstellung des lege agere pro populo Rückschlüsse auf die Rechtslage bei Vereinen gezogen werden können. Ein Zitat aus der Rede Catos des Älteren In Furium erwähnt, dass der Zwischenbesitz (vindicia[e]) dem populus erteilt wird.151 Zwar ist vieles zum Kontext unklar. Da die Rede bei Festus mit De aqua überschrieben ist,152 steht ein wasserrechtlicher Zusammenhang fest, doch ist bereits zweifelhaft, ob Gegenstand 148 Wie sich aus dem Fortgang der Stelle ergibt, ist die Prozessvertretung darüber hinaus in

denjenigen Fällen zulässig, in denen sie eine nicht näher datierbare lex Hostilia eingeführt hat; siehe hierzu Kaser/Hackl, RZ, 63. 149 Kaser/Hackl, RZ, 62 f. m. w. N. Zum lege agere pro tutela ebenso Humbert, XII Tables, 606; anders jedoch zuletzt Sciortino, IAH 1 (2009), 159 – 193; Marrone, in: Padoa Schioppa, Agire per altri, 305 (317 f.). 150 Universitates werden in Gai. 2.11 sowie in I. 2.1 pr. und § 6 erwähnt, wobei es sich jeweils um Gemeinden handelt. Das 3. Buch der marcianischen Institutionen, das die Vorlage für I. 2.1 pr. und § 6 enthält (D. 1.8.2 pr. und D. 1.8.6.1), behandelt dagegen die Erlaubtheit der collegia (D. 47.22.1); Liebs, SZ 128 (2011), 39 (53); Dursi, Marcian. inst., 152. 151 Fest., p. 516,28 – 29 L.: ……s praetores secundum populum vindicias dicunt. 152 Fest., p. 516,27 L.

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Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

der Vindikation ein Grundstück oder lediglich ein ius aquaeductus ist.153 Da aber von vindicia[e] die Rede ist, muss ein Zusammenhang mit der legis actio sacramento in rem bestehen.154 Ob die Rede im Verfahren der legis actio sacramento in rem selbst oder erst ­später im Zusammenhang mit einem Multprozess gehalten worden ist, lässt sich ebenfalls nicht klären.155 Jedenfalls wird Cato die Rede nicht als Magistrat gehalten haben.156 Doch steht fest, dass es im Legisaktionenverfahren dingliche Klagen pro populo gibt. Hieraus lassen sich gewisse Rückschlüsse auf ein lege agere für einen Verein ziehen. Klassischer Anwendungsfall des lege agere pro populo ist die Vindikation von Staatsvermögen. Eine entsprechende Schutzbedürftigkeit von Vereinen besteht ebenfalls, da diese bereits in archaischer Zeit eine pecunia comoinis bilden.157 Diese Schutzbedürftigkeit wird besonders deutlich, wenn man die materielle Rechtslage im frühen Recht in die Betrachtung einbezieht: Nach allgemeinem Recht steht die Verfügungsbefugnis über Sachen, die im Miteigentum stehen, jedem einzelnen Miteigentümer zu.158 Grundsätzlich könnte daher jedes Vereinsmitglied über die Gegenstände der pecunia comoinis verfügen, wenn nicht das Zwölftafelgesetz vorsähe, dass die Gesamtheit der Mitglieder durch pactiones die Verfügungsbefugnis beschränken kann.159 Naheliegender Weise korrespondiert mit der materiellen Verfügungsbefugnis jedes Miteigentümers die prozessuale Befugnis eines jeden, im eigenen Namen einen Prozess für das gemeinsame Vermögen zu führen. Gälte dies auch für sodales, liefe die Beschränkung der Verfügungsbefugnis durch pactiones leer: Möchte ein Mitglied eine Sache aus dem Vereinsvermögen veräußern, für die ihm die Verfügungsbefugnis fehlt, könnte es die Sache dem intendierten Erwerber übergeben und anschließend gegen ihn mit einer legis actio sacramento in rem auf Herausgabe klagen, diesen Prozess aber absichtlich verlieren. Dies entspräche dem – dort 153 Weiß, SZ 45 (1925), 87 (99 mit Fn. 3). 154 Weiß, SZ 45 (1925), 87 (98, 103); Albanese, Proc., 20 Fn. 46; vgl. Marrone, in: Padoa Schioppa,

Agire per altri, 305 (316).

155 Für einen Multprozess spricht die Überschrift der Rede De multa bei Char. gramm., p. 126; Weiß, SZ 45 (1925), 87 (101, 104 f.). 156 Weiß, SZ 45 (1925), 87 (99). In späterer Zeit dagegen beauftragt der Senat einen Prätor mit

der Vindikation von Wasserleitungen; Frontin. aq. 7.1.

157 Siehe oben VI. Kap., § 1 III.2.a) (1). Ausgeschlossen dürfte sein, dass den sodales beim Streit

über die pecunia comoinis von Rechts wegen der Zwischenbesitz zuzuweisen gewesen wäre. So weit geht die Ähnlichkeit eines lege agere im Namen eines Vereins zum lege agere pro populo nicht, wenn es je eine Regel gegeben haben sollte, dass – analog zu den vindiciae pro libertate – die vindiciae beim Streit über Staatsvermögen stets pro populo zu erteilen gewesen wären; zu Letzterem Weiß, SZ 45 (1925), 87 (97 f.). 158 Gai. 3.154b; siehe oben VI. Kap., § 1 III.2.a) (2). 159 Siehe oben VI. Kap., § 1 III.2.a) (2).

Die prozessuale Durchsetzbarkeit der pactiones im Legisaktionenverfahren

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zulässigen – Vorgehen bei der in iure cessio, die einer legis actio sacramento in rem nachgeformt ist.160 Wäre jedes Mitglied befugt, im eigenen Namen einen Prozess über Gegenstände des Vereinsvermögens zu führen, könnte es durch kollusives Zusammenwirken mit der Gegenpartei erreichen, dass zu deren Gunsten das Eigentum (meum esse) gerichtlich festgestellt wird. Das Prozessrecht würde also die materiell-rechtliche Wirkung der pactiones konterkarieren, deren Zweck es ist, die Verfügung über das Vereinsvermögen der kollektiven Selbstbestimmung der sodales zu unterwerfen. Ein solcher Widerspruch von materiellem und Prozessrecht ist wenig wahrscheinlich.

II. Die Prozessvertretung von Vereinen im attischen Recht Während direkte Zeugnisse einer Prozessvertretung von Vereinen im Legisaktionenverfahren fehlen, sind die Quellen zum attischen Recht geeignet, diese Überlieferungslücke zu schließen. Die materielle Rechtslage ist im römischen und attischen Recht dieselbe: Auch im attischen Recht können Personenvereinigungen die Verfügungsbefugnis des einzelnen Mitglieds über das gemeinsame Vermögen durch Beschlüsse der Gesamtheit der Mitglieder einschränken.161 Wäre jedes Mitglied zur Prozessführung befugt, könnte es diese Verfügungsbeschränkungen durch kollusive Prozessführung umgehen.162 Doch haben Personenvereinigungen in Athen im Prozess besondere Vertreter, die bei schwankender Terminologie als σύνδικοι oder συνήγοροι bezeichnet werden.163 Sie werden von den Mitgliedern bestimmt,164 deren kollektiver 160 Gai. 2.24; Hackl, SZ 106 (1989), 152 (174 – 179) m. w. N. 161 Dazu oben VI. Kap., § 1 III.1.b) (1). 162 Dazu bedarf es keiner einheitlichen Klage aus dem Eigentum wie der römischen rei vindi-

catio. Eine ­solche gibt es im attischen Recht nicht; Thür, in: Symposion 1977, 55 – 69; ders., in: Symposion 1999, 57 – 96. Unabhängig von der Art der Klage (δική) kann jeder Prozess über das Eigentum durch kollusives Zusammenwirken mit dem Gegner so geführt werden, dass am Ende das Recht der Personenvereinigung an ihrem Vermögensgegenstand vereitelt wird. So kann etwa ein Vereinsmitglied den Prozess aufgrund einer δική ἐξουλῆς absichtlich so führen, dass es ihn verliert, um auf diese Weise inzident das Eigentum des Gegners an einem Grundstück feststellen zu lassen, das in Wahrheit dem Verein gehört. 163 Lipsius, Attisches Recht III, 800; Harrison, Law of Athens II, 84 f. mit Fn. 6; Sammlung der Quellennachweise bei Thür, s. v. Syndikos, DNP 11, Sp. 1145 f. Von den als Prozessvertretern von Personenvereinigungen auftretenden σύνδικοι sind die Inhaber mehrerer Ämter der Polis zu unterscheiden, die dieselbe Bezeichnung tragen; ebd.; Andriolo, DHA 28.2 (2002), 11 – 18. 164 Arist. Ath. 42.1; IG II2 1237, Z. 32 – 34 (Attika, 396/5 v. Chr.); IG II2 1258, Z. 12 – 15 (Makropolis, Attika, 324/3 v. Chr.).

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Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

­Selbstbestimmung somit auch die Befugnis zur Prozessführung unterliegt. Solche Vertreter finden sich nicht nur in Prozessen über vermögensrechtliche Streitigkeiten, sondern auch in Verfahren, deren Gegenstand die Mitgliedschaft in der Vereinigung oder die Rechenschaftslegung von Funktionären (εὔθυνα) ist.165 Da sich die Frage nach der prozessualen Durchsetzbarkeit der pactiones von sodales ausschließlich auf vermögensrechtliche Streitigkeiten bezieht, sind im Folgenden lediglich die attischen Quellen zur Vertretung in vermögensrechtlichen Verfahren auszuwerten. Nur wenige Rückschlüsse erlaubt IG II2 1196 (Aixone, Attika, 335 – 330 v. Chr.), ein Dekret des Demos Aixone über die Verpachtung landwirtschaftlicher Grundstücke. Darin ist vorgesehen, dass vor einem Prozess vor dem δικαστήριον der Polis ein Schiedsverfahren mit der Versammlung der Demoten als Schiedsgericht durchzuführen ist.166 Im Fortgang der Inschrift werden zweimal σύνδικοι erwähnt (Z. 17 und 18 f.), einmal davon zusammen mit dem Demarchen (Z. 18 f.). Da die Inschrift an dieser Stelle stark fragmentarisch ist, lässt sich nur vorsichtig erschließen, dass die σύνδικοι zusammen mit dem Demarchen die Vertretung des Demos übernehmen.167 Ungleich deutlicher lassen sich Einzelheiten zur Prozessvertretung einem Ehrendekret des Vereins der Εἰκαδεῖς entnehmen: IG II2 1258, Z. 1 – 21 (Makropolis, Attika, 324/323 v. Chr.)

[Ἐ]παμείνων Ἀμεινίου εἶπεν· ἐπειδή τι-/ [ν]ες ἐναντία τῶι ὅρκωι ὃν ὤμοσαν καὶ τε[ῖ] / ἀρᾶι ἣν Εἰκαδεὺς ἐπηράσατο διατελ/οῦσι πράττοντες καὶ λέγοντες κατὰ Ε/5ἰκαδέων ἐπὶ βλάβει τῶν κοινῶν τῶν / Εἰκαδέων, ἀφ’ ὧν τὰ ἱερὰ τοῖς θεοῖς θ/ύουσιν Εἰκαδέες καὶ τοῖς δικαζομέν/οις Εἰκαδεῦσιν συνδικοῦσιν ὑπε/ναντία τοῖς

Epaimenon, Sohn des Aimeinios, hat folgenden Antrag gestellt: Da einige in Bezug auf die Eikadeis wiederholt gegen den Eid, den sie geschworen haben, und gegen den Fluch, den Eikadeus ausgesprochen hat, zum Schaden des gemeinsamen Vermögens der Eikadeis, aus dem die Eikadeis Opfer für die Göttern bestreiten, handeln und sprechen, da sie den klagenden [Mitglieder der] Eikadeis vor

165 Prozesse über die Mitgliedschaft in Demen und damit zugleich über das Bürgerrecht sind

belegt in Arist. Ath. 42.1; Is. 12; D. H. Is. 16.4. Ein Prozess über die Mitgliedschaft in einer Phratrie wird erwähnt in IG II2 1237 (Attika, 396/5 v. Chr.); dazu Lambert, Phratries, 127 f.; Scafuro, in: Symposion 1999, 123 (137 f.). Als Teilnehmer an der Rechenschaftslegung des Demarchen sind συνήγοροι in IG II 2 1183 (Myrrhinous, Attika, nach 340 v. Chr.) belegt; dazu Whitehead, Demes, 119; Scafuro, in: Symposion 1999, 123 (136 f.); dies., SZ 121 (2004), 94 (100). 166 Whitehead, Demes, 113; Scafuro, SZ 121 (2004), 94 (98 f., 103 f.); Papazarkadas, ZPE 159 (2007), 155 (164 – 166). 167 Scafuro, SZ 121 (2004), 94 (103); ein Auftreten weiterer Demoten vor dem δικαστήριον nimmt ohne Begründung an Papazarkadas, ZPE 159 (2007), 155 (166). Die Vertretung durch σύνδικοι sowohl vor dem Schiedsgericht als auch vor dem δικαστήριον vermutet dagegen Whitehead, Demes, 113 f., 129.

Die prozessuale Durchsetzbarkeit der pactiones im Legisaktionenverfahren

Εἰκαδεῦσιν καὶ μεμαρ/10τυρήκασιν ἐπὶ τοῦ δικαστηρίου ἐ/πὶ βλάβει τοῦ κοινοῦ τοῦ Εἰκαδέων  / ψευδεῖς μαρτυρίας, ἑλέσθαι τρεῖς / ἄνδρας ἤδη ἐξ Εἰκαδέων οἵτινες / συναγωνιοῦνται τῶι ἐπεσκημμέν/15ωι ταῖς μαρτυρίαις Πολυξένωι, ὅπω/ς ἂν δίκην διδῶσιν οἱ τὰ ψευδῆ μαρτ/υροῦντες· ἐπαινέ­σαι δὲ Πολύξενον / Διοδώρου καὶ στεφανῶσαι χρυσῶι στ/εφάνωι ὅτι δίκαιός ἐστιν περὶ τὰ κοι/20νὰ τὰ Εἰκαδέων καὶ ἐπεσκήψατο τοῖς / μάρτυσιν. […]

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Gericht gegen die Eikadeis beigestanden sind und da sie vor Gericht zum Schaden des gemeinsamen Vermögens der Eikadeis falsch ausgesagt haben, sollen nun drei Männer aus den Eikadeis ausgewählt werden, die Polyxenos unterstützen, der die Zeugenaussagen angefochten hat, damit diejenigen, die falsch ausgesagt haben, verurteilt werden. Polyxenos, Sohn des Diodorus, soll dafür belobigt und mit einer goldenen Krone gekrönt werden, dass er hinsichtlich des gemeinsamen Vermögens der Eikadeis recht handelt und die Zeugen[aussagen] angefochten hat.

Mit dem Dekret ehrt der Verein sein Mitglied Polyxenos mit einem Kranz (στέφανος, Z. 18 f.) für dessen Verdienste im Zusammenhang mit einem Rechtsstreit. Mehrere Vereinsmitglieder waren wiederholt entgegen ihrer eidlichen und sakralen Verpflichtungen (ἐναντία τῶι ὅρκωι ὃν ὤμοσαν καὶ τε[ῖ] / ἀρᾶι ἣν Εἰκαδεὺς ἐπηράσατο, Z. 2 f.) gegen den Verein vorgegangen und hatten seinem Vermögen Schaden zugefügt (ἐπὶ βλάβει τῶν κοινῶν τῶν / Εἰκαδέων, Z. 5 f.). Ferner hatten sie zusammen mit anderen Vereinsmitgliedern in einem Prozess vor dem δικαστήριον falsch ausgesagt und dadurch einen Schaden für das Vereinsvermögen herbeigeführt (μεμαρ/τυρήκασιν ἐπὶ τοῦ δικαστηρίου ἐ/πὶ βλάβει τοῦ κοινοῦ τοῦ Εἰκαδέων / ψευδεῖς μαρτυρίας, Z. 9 – 12). Nunmehr sollen drei Männer gewählt werden, um zusammen mit Polyxenos eine Klage wegen Falschaussage (δίκη ψευδομαρτυρίων) gegen die Mitglieder zu erheben. Die Inschrift berichtet also von zwei Prozessen: einem ersten Prozess mehrerer Vereinsmitglieder gegen den Verein, in dem es zu Falschaussagen gegen den Verein gekommen sein soll,168 und einem zweiten Prozess, in dem der Schaden des Vereins aufgrund dieser Falschaussagen geltend gemacht wird.169 Der erste Prozess ist bereits abgeschlossen, weil dem Verein ein Schaden aus den Falschaussagen nur dann entstanden sein kann, wenn er verurteilt worden ist. Der zweite Prozess dagegen soll erst noch geführt werden. Die δίκη ψευδομαρτυρίων kann nur erhoben werden, wenn in dem Prozess, in dem die Aussage erfolgt ist, diese vor der Abstimmung der Richter förmlich durch ἐπίσκηψις angefochten worden ist.170 Die Erhebung der ἐπίσκηψις durch Polyxenos im ersten Prozess wird in der Inschrift erwähnt (Z. 14 f., 20 f.). 168 Papazarkadas, Sacred and Public Land, 184 vermutet, Gegenstand des ersten Prozesses sei

ein Streit um Grundstücke gewesen.

169 Berneker, s. v. ψευδομαρτυρίων δίκη, RE 23.2, Sp. 1368; Ismard, Cité des réseaux, 156; Rubin-

stein, Litigation, 88.

170 Berneker, s. v. ψευδομαρτυρίων δίκη, RE 23.2, Sp. 1367 f.; Harrison, Law of Athens II , 193; Thür, s. v. Pseudomartyrion dike, DNP 10, Sp. 518.

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Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

Da Polyxenos dadurch den zweiten Prozess gegen die Zeugen überhaupt erst ermöglicht hat, wird er hierfür vom Verein mit einem Kranz geehrt (ὅτι δίκαιός ἐστιν περὶ τὰ κοι/νὰ τὰ Εἰκαδέων καὶ ἐπεσκήψατο τοῖς / μάρτυσιν, Z. 19 – 21). Polyxenos muss also bereits am ersten Prozess beteiligt gewesen sein, da er nur so die ἐπίσκηψις erhoben haben kann. Damit stellt sich die Frage nach der Art seiner Beteiligung. In der Literatur findet sich die Behauptung, dass Polyxenos als Einzelperson auftrete, weil nur Einzelpersonen im attischen Prozess als Parteien auftreten könnten.171 Dies übersieht, dass die Inschrift klar zum Ausdruck bringt, dass im zweiten Prozess nicht das Recht eines Einzelnen, sondern die Rechtsstellung der Gesamtheit der Εἰκαδεῖς geltend gemacht wird. Der Verlust des ersten Prozesses hat zu einem Schaden für das Vereinsvermögen geführt (μεμαρ/τυρήκασιν ἐπὶ τοῦ δικαστηρίου ἐ/πὶ βλάβει τοῦ κοινοῦ τοῦ Εἰκαδέων, Z. 9 – 11).172 Ziel des zweiten Prozesses ist der Ersatz ­dieses Schadens, da die δίκη ψευδομαρτυρίων als τιμητὸς ἀγών auf Schadensersatz gerichtet ist.173 Der Schaden muss bereits als Schätzung (τίμημα) in der Klageschrift (ἔγκλημα) angegeben werden, mit der das Verfahren eingeleitet wird 174 und die in enger Anlehnung an das Gesetz formuliert ist, auf dessen Grundlage geklagt wird.175 Die Inschrift erwähnt zweimal eine βλάβη τῶν κοινῶν τῶν Εἰκαδέων (Z. 5 f., 11) und lässt damit das τίμημα der Klageschrift anklingen. Nach der Formulierung der Inschrift ist die geltend gemachte βλάβη nicht einer Einzelperson, sondern der Gesamtheit der Εἰκαδεῖς entstanden.176 Polyxenos macht also im zweiten Prozess kein eigenes Recht geltend, sondern eine Rechtsposition der Εἰκαδεῖς.177 Er handelt nicht als Einzelperson, sondern tritt vielmehr als Prozessvertreter des Vereins auf. IG II2 1258 ist damit ein Zeugnis dafür, dass Personenvereinigungen im attischen Recht in vermögensrechtlichen Streitigkeiten durch besondere Prozessvertreter vertreten werden, die von der Gesamtheit der Mitglieder bestellt werden. 171 Arnaoutoglou, Thusias, 138 f.; ebenfalls in diese Richtung Rubinstein, Litigation, 87 f. im

172 173 174 175 176 177

Hinblick auf Isoc. 20.2: […] ἔπειτα τῶν μὲν ἄλλων ἐγκλημάτων αὐτῷ τῷ παθόντι μόνον ὁ δράσας ὑπόδικός ἐστιν […]; ähnlich Ismard, Cité des réseaux, 156 f., der annimmt, Polyxenos habe im zweiten Prozess als βουλόμενος gehandelt. Ismard, Cité des réseaux, 156. Thür, s. v. Pseudomartyrion dike, DNP 10, Sp. 518 f. Ein ἔγκλημα einer δίκη ψευδομαρτυρίων ­zwischen zwei Einzelpersonen überliefert Demosth. 45.46; hierzu Scheibelreiter, in: Symposion 2017, 211 (221 f.). Harris, in: Faraguna, Archives, 143 (149 f.); umfassend Scheibelreiter, in: Symposion 2017, 211 (227 – 235). San Nicolò, Ägyptisches Vereinswesen II, 134; ebenso Rubinstein, Litigation, 88. Unerheblich ist, ob im ἔγκλημα Personenmehrheiten genannt werden können; insoweit zweifelnd Rubinstein, Litigation, 90. Denn jedenfalls in der Sache handelt es sich bei dem τίμημα im ersten Prozess um einen Schaden, der den Εἰκαδεῖς als Gesamtheit entstanden ist.

Die prozessuale Durchsetzbarkeit der pactiones im Legisaktionenverfahren

343

Die Regelung der Prozessführungsbefugnis korrespondiert also mit derjenigen zur Verfügungsbefugnis im materiellen Recht. Beide Befugnisse unterliegen der kollektiven Selbstbestimmung der Mitglieder der Personenvereinigungen, um zu vermeiden, dass durch kollusives Prozessverhalten die materiell-rechtliche Beschränkung der Verfügungsbefugnis umgangen wird. Da die materielle Rechtslage im frühen Rom derjenigen in Athen entspricht, erhöht der Nachweis, dass das attische Recht eine Prozessvertretung von Vereinen kennt, die Wahrscheinlichkeit, dass auch im römischen Prozessrecht das lege agere für einen Verein zulässig ist.

III. Die Rekonstruktion des lege agere für einen Verein Mit dem Ausdruck sodales nimmt Gaius in seinem Kommentar ad legem XII tabularum höchstwahrscheinlich den Wortlaut des Zwölftafelgesetzes auf.178 Angesichts der Bedeutung, den der Gesetzeswortlaut für die legis actiones nach dem Zeugnis der gaianischen Institutionen hat,179 ist damit zu rechnen, dass das Wort sodales auch in den Legisaktionen verwendet worden ist. Es kann also bei der Rekonstruktion von deren Wortlaut herangezogen werden. 1. Die legis actio sacramento in rem Der legis actio sacramento in rem, mit der eine im Eigentum der sodales stehende Sache herausverlangt wird, kommt zentrale Bedeutung zu, da die Bildung eines besonderen Vereinsvermögens chronologisch einen der Anfangspunkte des Vereinsrechts darstellt.180 Die Spruchformel lautet nach Gaius 181 gewöhnlich: HUNC EGO HOMINEM EX IURE QUIRITIUM MEUM ESSE AIO , SECUNDUM SUAM CAUSAM ; SICUT DIXI , ECCE TIBI VINDICTAM IMPOSUI.

ICH BEHAUPTE , DASS DIESER MENSCH NACH QUIRITISCHEM RECHT MEIN IST, GEMÄSS SEINER RECHTSSTELLUNG ; WIE ICH ES GESAGT HABE, SO HABE ICH DIR DEN STAB ANGELEGT.

Zu erwägen ist, ob die Formulierung MEUM ESSE modifiziert werden muss, wenn eine Sache des Vereins vindiziert wird. Dagegen spricht zwar der 178 D. 47.22.4 (Gai. 4 l. XII tab.); ausführlich hierzu oben V. Kap., § 2 II. 179 Gai. 4.11: Actiones, quas in usu veteres [h]abuerunt, ‘legis actiones’ appelaba[n]tur […] ideo, quia

ipsarum legum verbis accommodatae erant et ideo immutabiles proinde atque leges observa[ba]ntur […]. Hierzu Magdelain, Actions, 22; Kaser/Hackl, RZ, 35 Fn. 5; skeptisch Wieacker, RG I, 437 f. 180 Siehe oben VI. Kap., § 1 III.1.b) (1) und (2), 2.a) (1) und (2). 181 Gai. 4.16.

344

Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

­Konservativismus im Umgang mit den Spruchformeln, weshalb unter MEUM ESSE auch die Berechtigung einer Personenvereinigung gefasst werden könnte.

Für eine Modifikation spricht indes, dass seit dem Zwölftafelgesetz das Vermögen von Vereinen der kollektiven Selbstbestimmung der Gesamtheit ihrer Mitglieder und daher anderen Regeln als das Eigentum Einzelner und das gewöhnliche Miteigentum unterliegt.182 Wahrscheinlich greift die Spruchformel die Eigentümerstellung der Gesamtheit der Mitglieder unter Verwendung des Wortes sodales auf, ergänzt um die nähere Bezeichnung des Vereins. Da ferner sowohl die Gaius-Institutionen bei der Schilderung des Vermögens der zivilen societas 183 als auch das senatus consultum de Bacchanalibus 184 das jeweilige Vermögen als communis beschreiben, erscheint folgende Rekonstruktion der Formel der legis actio sacramento in rem plausibel: HUNC EGO HOMINEM EX IURE QUIRITIUM COMMUNEM SODALIUM ILLORUM ESSE AIO , SECUNDUM SUAM CAUSAM ; SICUT DIXI , ECCE TIBI VINDICTAM IMPOSUI.

ICH BEHAUPTE , DASS DIESER MENSCH NACH QUIRITISCHEM RECHT JENEN SODALES GEMEINSAM IST, GEMÄSS SEINER RECHTSSTELLUNG; WIE ICH ES GESAGT HABE, SO HABE ICH DIR DEN STAB ANGELEGT.

2. Die persönliche Spruchformelklage aus der pactio Die kaiserzeitlichen leges collegii begründen auf der Grundlage des Zwölftafelsatzes eine Reihe von Obligationen nach ius civile, mit denen das Innenverhältnis ­zwischen dem Verein einerseits sowie seinen Funktionären und Mitgliedern andererseits ausgestaltet wird 185 und die über die condictio ex lege klagbar sind 186. Angesichts der Bestimmungen in griechischen Vereinsbeschlüssen aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., die Bußen vorsehen, werden pactiones bereits in archaischer Zeit multae zugunsten des Vereins festgesetzt haben.187 Damit stellt sich die Frage, wie diese persönliche Haftung in der Frühzeit prozessual durchgesetzt worden ist.

182 Siehe oben VI. Kap., § 1 III.2.a) (1) und (2). 183 Gai. 3.154b: […] quod vel [unus] ex sociis c o m m u n e m s e r v u m manumittendo liberum 184 185 186 187

faciebat et omnibus libertum adquirebat: item unus [r e m c o ] m m u n e m manc[ipando eius faciebat, qui mancipio accipiebat - - -]. CIL I2 581 = ILS 18 = FIRA2 III 30, Z. 11 (Ager Teuranus, Bruttium et Lucania, 186 v. Chr.): Neve p e c u n i a m quisquam eorum c o m o i n e [ m h]abuise velet […]. Siehe oben V. Kap., §§ 1 und 2. Siehe oben V. Kap., § 3. Siehe oben VI. Kap., § 1 III.2.b).

Die prozessuale Durchsetzbarkeit der pactiones im Legisaktionenverfahren

345

a) Die statthafte legis actio Da Grundlage der Haftung das Zwölftafelgesetz ist, kommt allein eine Klage in Frage, die bereits zur Zeit der dezemviralen Gesetzgebung existiert hat. Damit scheidet die legis actio per condictionem aus, auch wenn die kaiserzeitlichen leges collegii mit einer condictio incerti klagbar sind. Denn die legis actio per condictionem wird für Klagen auf eine certa pecunia durch die lex Silia eingeführt,188 die in die Zeit z­ wischen der Mitte des 3. Jahrhunderts und der Mitte des 2. Jahrhundert v. Chr. datiert wird.189 Dass die pactiones durch eine legis actio per condictionem klagbar sind, wird noch unwahrscheinlicher, weil die legis actio stets auf ein certum gerichtet ist,190 während die intentio der condictio in § 15 l. r. H. auf ein incertum geht.191 Eine legis actio per iudicis arbitrive postulationem würde voraussetzen, dass eine besondere lex ihre Geltung für die in Frage kommende Haftung anordnet.192 Eine ­solche ist nicht erkennbar; so vorsichtig man gegenüber dem argumentio e silentio für die römische Frühzeit sein muss, bleibt sinnvollerweise nur übrig, eine Klagbarkeit der pactiones mit der legis actio sacramento in personam anzunehmen. b) Die Rekonstruktion der Spruchformel

Einen Teil des Blankettformulars der legis actio sacramento in personam für nichtdeliktische Klagen überliefert eine nota iuris bei Probus: AIO TE MIHI DARE OPORTERE.193 Da die lex rivi Hiberiensis eine condictio incerti überliefert,194 die stets auf ein oportere gerichtet ist,195 kann der Rekonstruktion das bei Probus überlieferte Formular zugrunde gelegt werden. Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass die Formel über d ­ ieses Formular hinaus den jeweiligen Haftungsgrund angibt.196 Da die in § 15 l. r. H. überlieferte Klageformel ausdrücklich die lex als Verpflichtungsgrund nennt, ist damit zu rechnen, dass die legis actio sacramento in personam auf die pactio der sodales Bezug nimmt. Bei der Rekonstruktion ist jedoch zu beachten, dass Gaius in D. 47.22.4 – abgesehen vom Wort sodales – lediglich eine Paraphrase des Zwölftafelgesetzes 188 Gai. 4.19. 189 Überblick über die Datierungsvorschläge bei Kaser/Hackl, RZ, 111 Fn. 4. 190 Gai. 4.17b, 19. 191 Siehe oben V. Kap., § 3 II.1.a). 192 Gai. 4.17a. 193 Prob. 4.1. 194 Siehe oben V. Kap., § 3 II.1.a). 195 Gai. 4.131. 196 Kaser/Hackl, RZ, 88 mit Fn. 11. Vgl. die Formel der legis actio per iudicis arbitrive postulationem in Gai. 4.17a, ­welche die sponsio als Haftungsgrund erwähnt: EX SPONSIONE TE MI[H]I X MILIA SESTERTIORUM DARE OPORTERE AIO […].

346

Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht

bietet. Insbesondere beim Wort pactio ist Vorsicht geboten, da Gaius es wahrscheinlich nicht dem Wortlaut des Zwölftafelgesetzes entnommen hat.197 Deshalb entfaltet es keine Vorbildwirkung für die Rekonstruktion der Spruchformel. Dagegen eignet sich die lex rivi Hiberiensis als normativer Text besser als Vorlage für die Rekonstruktion. Die Musterformel in § 15 l. r. H. nimmt auf die lex folgendermaßen Bezug: e lege / [rivi? Hiberiensis?] quae lexs est ex conventione paga/[nica? omnium? C]aesaraugustanorum Gallorum Cas/[cantensium Bels]inonensium paganorum.198 Zuerst erscheint als Klagegrund die lex (e lege), dann wird deren Geltung auf eine conventio der pagani der beteiligten pagi zurückgeführt. Mit dem Wort conventio ist allerdings nicht im Formular der legis actio sacramento in personam zu rechnen, da es bis zu Sallust noch nicht die Bedeutung „Willensübereinstimmung, Übereinkunft“ hat,199 sondern als Synonym zu contio verwendet wird.200 In dieser Bedeutung wird es auch im senatus consultum de Bacchanalibus verwendet.201 Die Abreden der Kultgenossen hingegen bezeichnet der Senatsbeschluss an anderer Stellen mit folgender Formulierung: Neve post hac inter sed conioura[se nev]e comvovise neve conspondise / neve conpromesise velet, neve quisquam fidem inter sed dedise velet.202 Der Wortlaut greift das Bedeutungsfeld von coniuratio auf;203 er meint damit Abreden, die sich gegen die öffentliche Ordnung richten. Da sie nach dem Zwölftafelgesetz unwirksam sind,204 ist mit diesen Ausdrücken gerade nicht im Formular der legis actio sacramento in personam zu rechnen. Daher lässt sich nicht zuverlässig rekonstruieren, wie die Spruchformel auf die pactiones Bezug nimmt. Die Verwendung des Wortes lex ist zumindest möglich, da es sich bereits recht früh nachweisen lässt 205 und Kontinuität zur Formel der klassischen condictio ex lege bestünde. Eine weitere Kontinuität legt die Erwähnung der pagani in der Musterformel der lex rivi Hiberiensis nahe, also der Mitglieder der beteiligten pagi, auf deren 197 Siehe oben VI. Kap., § 1 II.2. 198 AE 2006, 676, Sp. 3, Z. 39 – 42 (Agon, Hispania citerior, 122 – 133). 199 ThLL IV, s. v. conventio, Sp. 845, Z. 47–Sp. 846, Z. 8. 200 ThLL IV, s. v. conventio, Sp. 845, Z. 14 – 19. 201 CIL I2 581 = ILS 18 = FIRA 2 III 30, Z.  22 – 23 (Ager Teuranus, Bruttium et Lucania,

186 v. Chr.): […] Haec utei in conventionid exdeicatis ne minus trinum / noundinum […]. Es handelt sich um einen Bericht über die Verkündung des senatus consultum; Fraenkel, Hermes 67 (1932), 369 (394). 202 CIL I2 581 = ILS 18 = FIRA2 III 30, Z. 13 – 14 (Ager Teuranus, Bruttium et Lucania, 186 v. Chr.). 203 Fraenkel, Hermes 67 (1932), 369 (371 f.); Versnel, in: Stibbe u. a., Lapis Satricanus, 117 – 121; Albanese, St. Talamanca I, 1 (19 f.); Groten, Corpus und universitas, 227 f. 204 D. 47.22.4 (Gai. 4 l. XII tab.): […] dum ne quid ex publica lege corrumpant […]. 205 ThLL VII.2, s. v. lex, Sp. 1238, Z. 67 – 7 1.

Die prozessuale Durchsetzbarkeit der pactiones im Legisaktionenverfahren

347

Beschluss die lex – neben der Beteiligung des Statthalters – zurückgeht.206 Wahrscheinlich nimmt die Spruchformel das Wort sodales aus dem Gesetzestext der Zwölf Tafeln auf, um die Urheber der pactio zu bezeichnen und zugleich auf deren Grundlage im ius civile zu verweisen. Darüber hinaus dürften die sodales auch als Gläubiger der Haftung aus der pactio genannt werden. Für die Klage aus der lex rivi Hiberiensis hat Nörr vermutet, dass bei der Einklagung von multae in der intentio die pagani als Gläubiger genannt werden.207 Auch für die Spruchformeln ist die Annahme plausibel, dass sie den zivilen Gläubiger der multa nennen, also die sodales. Somit ist folgende Rekonstruktion der legis actio sacramento in personam möglich: EX LEGE QUAE LEXS EST EX [Erwähnung der pactio] OMNIUM SODALIUM ILLORUM TE SODALIBUS ILLIBUS ASSIUM TOT DARE OPORTERE AIO.

ICH BEHAUPTE, DASS GEMÄSS DER SATZUNG, DIE EINE SATZUNG AUFGRUND [Erwähnung der pactio] ALLER JENER SODALES IST, DU JENEN SODALES SOUNDSO VIEL AS GEBEN MUSST.

206 Nörr, SZ 125 (2008), 108 (109, 116 – 118, 123 f.) 207 Nörr, SZ 125 (2008), 108 (140 f.).

VII. Kapitel: Das Wesen der Stellung als Gläubiger und Schuldner

§ 1

D. 3.4.7.1 – 2 (Ulp. 10 ed.)

Die grundlegende Aussage zur Stellung von Körperschaften als Gläubiger und Schuldner findet sich bei Ulpian: D. 3.4.7.1 (Ulp. 10 ed.) Si quid universitati debetur, singulis Wenn etwas einer Gesamtheit geschuldet wird, wird non debetur: nec quod debet univer- es den Einzelnen nicht geschuldet. Und die Einzelnen sitas singuli debent. schulden nicht, was die Gesamtheit schuldet.

Der Jurist drückt damit aus, dass die universitas im Hinblick auf die Stellung als Gläubiger und als Schuldner strikt von ihren Mitgliedern zu trennen ist. Die Forderung besteht gegenüber der universitas, nicht gegenüber den Mitgliedern als Einzelpersonen. Ebenso richtet sich Verbindlichkeit gegen die universitas, nicht gegen die Mitglieder als Einzelne. Der Text entstammt dem 10. Buch des Kommentars Ulpians ad edictum. Er ist in den Digesten in ein längeres Fragment eingebettet. Dieses beginnt mit einer laudatio edicti 1 des Edikts Quod adversus municipes agatur: D. 3.4.7 pr. (Ulp. 10 ed.) Sicut municipum nomine actionem praetor dedit, ita et adversus eos iustissime edicendum putavit. Sed et legato, qui in negotium publicum sumptum fecit, puto dandam actionem in municipes.

Wie der Prätor eine Klage im Namen der Gemeindebürger gegeben hat, so hat er es für höchst gerecht gehalten, auch gegen sie [eine Klage] im Edikt zu verheißen. Ich glaube aber, dass auch dem Gesandten, der in einer öffentlichen Angelegenheit Aufwendungen gemacht hat, eine Klage gegen die Gemeindebürger gegeben werden muss.

1 Hierzu Ries, Prolog, 153 – 157; Kaser, SZ 103 (1986), 1 (30 – 32); Babusiaux, in: Mantovani/

Schiavone, Giusnaturalismo, 603 – 644; dies., in: Kästle/Jansen, Kommentare, 13 (18 – 25).

D. 3.4.7.1 – 2 (Ulp. 10 ed.)

349

Der Prätor ediziert nicht nur die Klage municipum nomine, die es einer Gemeinde erlaubt, als Klägerin aufzutreten, sondern auch adversus eos, also gegen die Gemeinde als Beklagte. Den Erlass d ­ ieses zweiten Edikts bezeichnet Ulpian als iustissime edicendum. Durch das Wort iustissime, das sich lediglich ein einziges weiteres Mal in den Digesten findet,2 nimmt der Jurist auf die aequitas Bezug, die gebietet, dass Gemeinden nicht nur klagen, sondern auch verklagt werden können.3 Im Digestentext schließt sich hieran ein Beispiel für eine Klage adversus eos an, nämlich die Klage eines Gesandten der Gemeinde auf Aufwendungsersatz.4 Die Kommentierung Ulpians zum Edikt Quod adversus municipes agatur enthält weitere Beispiele für Klagen, bei denen die Gemeinde auf der Beklagtenseite steht.5 Im Digestenzusammenhang dagegen schließt sich an den Fall des Gesandten direkt § 1 an, nach dem folgender Paragraph steht: D. 3.4.7.2 (Ulp. 10 ed.) In decurionibus vel aliis universitatibus nihil refert, utrum omnes idem maneant an pars maneat vel omnes immutati sint. Sed si universitas ad unum redit, magis admittitur posse eum convenire et conveniri, cum ius omnium in unum recciderit et stet nomen universitatis.

Bei Ratsherren und anderen Gesamtheiten macht es keinen Unterschied, ob alle dieselben bleiben, ob ein Teil bleibt oder ob alle ausgetauscht werden. Aber wenn die Gesamtheit auf einen zurückgeht, ist eher anzunehmen, dass dieser klagen und verklagt werden kann, weil das Recht aller auf einen zurückgegangen ist und die Schuld der Gesamtheit fortbesteht.

Ulpian schreibt, dass es bei decuriones und anderen universitates keinen Unterschied macht, ob die Zusammensetzung der Mitglieder gleich bleibt oder sich ändert. Wenn dagegen die universitas nur noch ein Mitglied hat, gelte eher (magis admittitur), dass das verbliebene Mitglied klagen und verklagt werden kann, weil es Inhaber des Rechts aller geworden sei und die Verbindlichkeit der universitas fortbestehe. Zu klären ist der palingenetische Zusammenhang ­zwischen § 2 und den anderen Paragraphen des Fragments. Lenel ordnet das principium der Kommentierung des Edikts Quod adversus municipes agatur zu,6 die §§  1 – 2 2 Bretone, in: Mantovani/Schiavone, Giusnaturalismo, 249 (266). 3 Honoré, Ulpian, 93; Stagl, in: Mantovani/Schiavone, Giusnaturalismo, 675 (692). 4 Ausführlich hierzu – einschließlich der Möglichkeit einer Kürzung des Textes – oben V. Kap.,

§ 3 I.2.

5 Siehe Lenel, Pal. II , Sp. 454: die Klage aufgrund einer mutui datio mit der Gemeinde als

Darlehensnehmerin (D. 12.1.27), die actio quod iussu gegen den Vermögensverwalter einer Gemeinde, wenn ein Gemeindesklave aufgrund von dessen iussum ein Geschäft eingeht (D. 15.4.4), und das interdictum unde vi gegen eine Gemeinde, wenn eine Person nomine municipum aus dem Besitz eines Grundstücks verdrängt wird (D. 43.16.4). 6 Lenel, EP, 99 Fn. 1; ders., Pal. II, Sp. 454.

350

Das Wesen der Stellung als Gläubiger und Schuldner

dagegen derjenigen des Edikts über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen.7 Grundlage hierfür ist seine Annahme, dass universitas in den Ediktskommentaren stets die private Personenvereinigung bezeichne.8 Angesichts der Zweifel, denen diese Annahme begegnet,9 kann die Frage, ­welche Art von Körperschaft mit universitas gemeint ist, nur durch Untersuchung des Kontexts unter Berücksichtigung des Sprachgebrauchs des jeweiligen Juristen geklärt werden. Betrachtet man die Fragmente des 9. und 10. Buchs des Ediktskommentars Ulpians, ­welche die Kommentierung der beiden Edikte zur Prozessvertretung von Gemeinden und desjenigen zur Prozessvertretung privater Personenvereinigungen enthalten,10 ergibt sich folgendes Bild: Im 9. Buch, in dem Ulpian nach der Rekonstruktion Lenels das Edikt Quibus municipum nomine agere liceat kommentiert, erwähnt der Jurist mehrfach die civitas 11 sowie jeweils einmal die cives 12 und die curia 13. Im 10. Buch werden die Ausdrücke municipes 14, noch häufiger civitas 15 und universitas 16 verwendet, letzterer einmal zusammen mit decuriones 17. Der Jurist verwendet also in seiner Kommentierung der drei Edikte für die Gemeinde regelmäßig die Ausdrücke civitas (bzw. cives) und municipes. Daher meint universitas nicht die Gemeinde. Im Digestenfragment D. 3.4.7 ist – wie von Lenel beobachtet 18 – die Passage, in der von municipes die Rede ist,19 deutlich von derjenigen geschieden, w ­ elche die universitas erwähnt.20 Wahrscheinlich verwendet Ulpian tatsächlich universitas für die private Personenvereinigung, denn das für sie geltende Edikt folgt im album des Prätors auf das Edikt Quod adversus municipes agatur. Möglich wäre auch, dass Ulpian universitas untechnisch zur Bezeichnung jeder Art von Körperschaft gebraucht.21 7 Lenel, EP, 100 Fn. 6; ders., Pal. II, Sp. 455. 8 Lenel, EP, 100 Fn. 9. 9 Siehe oben I. Kap., § 1. 10 Lenel, Pal. II, Sp. 452, 454 f. 11 D. 3.4.3; D. 41.1.41. 12 D. 41.1.41. 13 D. 3.4.3. 14 D. 3.4.7 pr.; D. 42.16.4. 15 D. 12.1.27; D. 15.4.4; D. 50.16.15. 16 D. 3.4.7.1. 17 D. 3.4.7.2. 18 Lenel, EP, 100 Fn. 9. 19 D. 3.4.7 pr. 20 D. 3.4.7.1 – 2. 21 Nicht klären lässt sich dagegen, wie die in D. 3.4.7.2 (Ulp. 10 ed.) erwähnten decuriones ein-

zuordnen sind. Nach dem Wortlaut des Paragraphen scheinen sie zu den universitates zu zählen (in decurionibus vel a l i i s universitatibus nihil refert). Dagegen erwähnt Ulpian bei der Kommentierung des Edikts Quibus municipum nomine agatur in D. 3.4.3 (Ulp. 9 ed.)

D. 3.4.7.1 – 2 (Ulp. 10 ed.)

351

Dafür spricht, dass er im 8. Buch ad edictum bei der Einleitung zur Kommentierung des Ediktstitels De cognitoribus et procuratoribus et defensoribus von municipes vel a l i q u a universitas spricht.22 Doch unabhängig davon, ob Ulpian universitas ausschließlich für private oder gemeinsam für öffentliche und private Personenvereinigungen gebraucht, gelten die Aussagen des Juristen über die universitas in D. 3.4.7.1 – 2 für die privaten Personenvereinigungen. Über sie sagt Ulpian in § 1 aus, dass die Forderungen und Verbindlichkeiten der universitas von den Forderungen und Verbindlichkeiten ihrer Mitglieder als singuli zu unterscheiden sind. Die singuli sind nicht Gläubiger und Schuldner, sondern diese Stellung hat die universitas.23 In § 2 wird das Wesen der Gläubiger- und Schuldnerstellung der universitas präzisiert. Nach Ulpian ist es unerheblich, ob der Personenkreis der Mitglieder der universitas gleich bleibt oder sich verändert. Der Zusammenhang dieser Aussage mit der Gläubiger- und Schuldnerstellung der universitas wird im nächsten Satz deutlich: Wenn die universitas nur noch ein Mitglied hat, spricht mehr dafür (magis admittitur), dass ­dieses verbliebene Mitglied klagen und verklagt werden kann, weil sowohl das Recht aller (ius omnium) als auch die Verbindlichkeit der universitas (nomen universitatis) in ­diesem einen verbliebenen Mitglied fortbestehen. Dass nomen universitatis entgegen einer seit den Basiliken 24 bestehenden Interpretation 25 nicht „Namen“, sondern „Schuld der Gesamtheit“ heißen muss, ergibt sich aus dem strikt symmetrischen Gedankengang in D. 3.4.7.1 – 2, in dem stets sowohl von der Forderung als auch von der Verbindlichkeit der universitas gesprochen wird.26 Die Symmetrie wird im zweiten Satz von § 2 dadurch besonders ­deutlich,

22 23

24 25

26

neben der civitas auch die curia, was dafür spricht, dass für die decuriones das Edikt über die Prozessvertretung von Gemeinden und nicht von privaten Personenvereinigungen gilt. Aus diesen Gründen erwägen eine Umstellung des Satzes in D. 3.4.7.2 (Ulp. 10 ed.), der die decuriones erwähnt, vor § 1 Gradenwitz, Labeo 33 (1987), 199 (200 f.); Platschek, Index 40 (2012), 617 (623); vgl. auch Duff, Personality, 43. D. 3.4.3 (Ulp. 8 ed.). Zur Echtheit der Inskription Lenel, EP, 98; vgl. ders., Pal. II, Sp. 447 Fn. 4. Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 336 f.; Duff, Personality, 233; Eliachevitch, Personnalité juridique, 297 f.; v. Lübtow, Mem. Koschaker II, 467 (479 – 481); Kaser, RP I, 309 mit Fn. 61; De Robertis, Storia II, 351 – 353; Albanese, Persone, 553; Biscardi, Iura 31 (1980), 1 (8 f.); Honsell/Mayer-Maly/Selb, RR, 78; Fleckner, Kapitalvereinigungen, 336; vgl. Schulz, ClRL, 92 f. B. 8.2.107.2 (Sch. A I 435; Hb. I 423); Schol. Καὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων ad B. 8.2.107 (Sch. B I 171; Hb. I 423). v. Lübtow, Mem. Koschaker II, 467 (482); De Robertis, Storia II, 267; Behrends, IuP I, 267 (277); ders., SZ 125 (2008), 25 (47); ders., Index 41 (2013), 145 (149); Y. Thomas, Hom. Lepelley, 189 (194 – 197); Chevreau, Mél. Lefebvre-Teillard, 217 (225 f.); Groten, Corpus und universitas, 65 f., 340 – 343. Ausführlich Platschek, Index 40 (2012), 617 (619 – 622).

352

Das Wesen der Stellung als Gläubiger und Schuldner

dass sowohl convenire und conveniri als auch ius omnium in unum recciderit und stet nomen universitatis jeweils mit et verbunden sind. Das ius omnium, das vom Kläger im Aktivprozess geltend gemacht wird (convenire), und das nomen universitatis, das gegen den Beklagten im Passivprozess geltend gemacht wird (conveniri), entsprechen sich. Die parallele Verwendung von et in beiden Gliedsätzen wäre deplatziert, wenn das nomen universitatis nicht „Schuld“, sondern „Namen der Gesamtheit“ bedeuten würde, denn dann bestünde kein Parallelismus mehr zum ius omnium. Die Aussage des § 1, dass Gläubiger und Schuldner nicht die singuli sind, sondern die universitas, bedeutet also nicht, dass diese als abstrakte „Einheit“ aufgefasst würde.27 Vielmehr ist die Forderung, die der Personenvereinigung zusteht (quid universitati debetur), ein ius omnium. Die Gesamtheit der Mitglieder (omnes) ist Gläubiger.28 Unerheblich ist, ob die Mitglieder gleich bleiben oder sich verändern, wie der erste Satz von § 2 klarstellt, denn Gläubiger sind die j e w e i l i g e n Mitglieder der Personenvereinigung.29 Dasselbe gilt auch für die Verbindlichkeit der universitas (quod debet universitas). Dies wird in dem Fall deutlich, wenn die Zahl der Mitglieder auf ein einziges verbliebenes zurückgeht. Nach Ulpian kann dann d ­ ieses Mitglied klagen und verklagt werden, weil in ihm die Berechtigung und die Verpflichtung der universitas fortbestehen. Es handelt sich um einen Extremfall, an dem der Jurist deutlich macht, dass er es mit der Aussage ernst meint, ein Wechsel der Mitglieder sei für die materielle Berechtigung der jeweiligen Mitglieder unerheblich. Allerdings scheint diese Lösung nicht unumstritten gewesen zu sein,30 denn Ulpian leitet sie mit den Worten magis admittitur ein.31 Fraglich ist, was genau Gegenstand der Kontroverse ist. Einen ersten Hinweis gibt der unmittelbare Kontext dieser Worte; sie leiten nämlich die Aussage des Juristen posse eum convenire et conveniri ein. Es geht also um die prozessuale Geltendmachung 27 So aber Gierke, GenR III, 101; Orestano, Persone giuridiche, 183; Behrends, IuP II, 654 (686 Fn. 122); ders., IuP I, 366 (399); ders., SZ 125 (2008), 25 (47 f. mit Fn. 45); ders., Index 41 (2013), 145 (146 – 150); ders., GGA 270 (2018), 48 (68 f.); Groten, Corpus und universitas, 340 – 343; ähnlich Mattiangeli, Societas und corpus, 386; Mitteis, RP I, 402 sieht hierin einen Beleg

für die „Personenqualität“ der Vereine. Zweifelnd dagegen Kniep, Societas publicanorum, 271 – 273. 28 Eliachevitch, Personnalité juridique, 298; vgl. Schulz, ClRL, 92 f., 100; Kaser, RP I, 303 f., 309. 29 Philipsborn, SZ 71 (1954), 41 (61); De Robertis, Storia II, 266; Honsell/Mayer-Maly/Selb, RR, 78; Platschek, Index 40 (2012), 617 (622 f.). 30 Immerhin findet sich der Gedanke auch bei Quint. inst. 5.10.117, ohne dass dort von einer Kontroverse berichtet würde; dazu sogleich unten VII. Kap., § 2. 31 So zurecht Behrends, Index 41 (2013), 145 (149); ders., GGA 270 (2018), 48 (68).

D. 3.4.7.1 – 2 (Ulp. 10 ed.)

353

des materiellen Rechts. Platschek hat vorgeschlagen, Anlass der Kontroverse sei der Wortlaut des Edikts.32 Die von ihm erwogene Rekonstruktion setzt indes voraus, dass ein Vertragsschluss mit der Körperschaft ohne weiteres möglich ist, was aber nicht der Fall ist.33 Stattdessen kommen zwei andere Anlässe in Frage. Erstens geht das prätorische Edikt davon aus, dass für die private Personenvereinigung ein actor den Prozess führt, der hierzu ermächtigt worden ist.34 Das einzige verbliebene Mitglied, welches das ius omnium geltend macht oder aus dem nomen universitatis in Anspruch genommen wird, ist hingegen kein Prozessvertreter, sondern der Berechtigte selbst.35 Die ediktale Regelung zur Ermächtigung des actor kann daher nicht angewendet werden.36 Zweitens stellt sich die Frage nach der Vermögensmasse, in die vollstreckt werden kann.37 Dies ist offenkundig im Fall eines Passivprozesses (conveniri) relevant, in dem ein nomen universitatis gegen das einzige verbliebene Mitglied geltend gemacht wird. Die Vollstreckung könnte gegen die res communes der privaten Personenvereinigung gerichtet werden, die möglicherweise aufgrund des Rückgangs der Mitglieder ebenfalls zurückgegangen sind. Alternativ könnte in das Privatvermögen des Mitglieds vollstreckt und unter Umständen die Haftungsmasse auf diese Weise erheblich erweitert werden.38 Mittelbar stellt sich auch im Fall eines Aktivprozesses (convenire) die Frage, welchem Vermögen das ius omnium zuzuordnen ist, welches das Mitglied geltend macht. Denn wenn die Forderung zum Vereinsvermögen gehört, gehört sie nicht zu den bona des Mitglieds,39 gegen die dessen private Gläubiger Vollstreckungsmaßnahmen richten können. Wenn Ulpian in § 2 vom ius omnium spricht und stet nomen universitatis schreibt, lässt er erkennen, dass seiner Meinung nach auch beim Rückgang der Mitglieder auf eine Person die Vermögenssphären der universitas und des 32 33 34 35 36

Platschek, Index 40 (2012), 617 (622). Siehe auch die Relativierung des Rekonstruktionsvorschlags ebd., 622 f. Fn. 15. Ausführlich hierzu oben I. Kap., § 3 II. Vgl. Schnorr v. Carolsfeld, Juristische Person, 336 f.; Groten, Corpus und universitas, 341. Vgl. gl. Nomen universitatis ad D. 3.4.7.2: […] Sed nunquid syndicum hic poterit unus con­ stituere, cum syndicus plurium causa dicat? […] Videtur quod sic, ut hic […]. Hierzu Mehr, Societas und universitas, 217, 252. 37 Dies verkennt v. Lübtow, Mem. Koschaker II, 467 (482), der apodiktisch annimmt, das Vereinseigentum werde zum Einzeleigentum des verbliebenen Mitglieds. 38 Zur Beschränkung der Haftung auf das Vermögen der Körperschaft Fleckner, Kapitalvereinigungen, 336; vgl. auch Honsell/Mayer-Maly/Selb, RR, 78. 39 Vgl. D. 50.16.49 (Ulp. 59 ed.): […] Aeque bonis adnumerabitur etiam, si quid est in actionibus petitionibus persecutionibus […]. Zur Palingenesie Lenel, EP, 413; ders., Pal. II, Sp. 779.

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Das Wesen der Stellung als Gläubiger und Schuldner

v­ erbliebenen Mitglieds als Einzelperson zu unterscheiden sind. Der Zusammenhang mit § 1 erhärtet diese Interpretation, denn dort unterscheidet er deutlich die Forderungen und Verbindlichkeiten der universitas von den Forderungen und Verbindlichkeiten der einzelnen Mitglieder als singuli. Zwingend ist dieser Gedanke jedoch nicht, wenn Gläubiger und Schuldner die Gesamtheit der Mitglieder ist. Gibt es nur noch ein Mitglied, könnte genauso gut mit dem Gedanken der Konfusion argumentiert werden, dass sich in ­diesem Fall Vereinsvermögen und Privatvermögen des letzten Mitglieds miteinander vereinigen und d ­ ieses vereinte Vermögen zur Haftungsmasse sowohl für die Verbindlichkeiten der universitas als auch für die Verbindlichkeiten des Mitglieds als Einzelperson wird. Mit magis admittitur drückt Ulpian wohl aus, w ­ elche dieser beiden möglichen Lösungen er befürwortet.

§ 2

Quint. inst. 5.10.111 – 118

Der Gedanke, dass Gläubiger die Gesamtheit der Mitglieder einer Körperschaft ist und dies auch gilt, wenn nur noch ein Mitglied verblieben ist, findet sich in der institutio oratoria Quintilians,40 die dieser während der Regentschaft Domitians ­zwischen 86 – 9641 verfasst hat: Quint. inst. 5.10.111 – 118 111. ‘Cum Thebas evertisset Alexander, invenit tabulas, quibus centum talenta mutua Thessalis dedisse Thebanos continebatur. has, quia erat usus commilitio Thessalorum, donavit his ultro; postea restituti a Cassandro Thebani reposcunt Thessalos. apud Amphictyonas agitur.’ centum talenta et credidisse eos constat et non recepisse.

‘Als Alexander Theben zerstört hatte, fand er Urkundentafeln, in denen enthalten war, dass die Thebaner den Thessalern hundert Talente als Darlehen gegeben hatten. Weil er ein Kampfbündnis mit den Thessalern gehabt hatte, schenkte er sie ihnen. Als s­ päter die Thebaner von Kassander amnestiert worden sind, verlangen sie [das Geschenk] von den Thessalern zurück. Es wird vor den Amphiktyonen geklagt.’ Unstreitig ist, dass sie hundert Talente als Darlehen gegeben und nicht zurückerhalten haben.

112. Lis omnis ex eo, quod Alexander ea Thessalis donasse dicitur, pendet. con­ stat illud quoque, non esse iis ab Alexandro pecuniam data; quaeritur ergo, an proinde sit, quod datum est, ac si pecuniam dederit?

Der Rechtsstreit hängt von der Behauptung ab, dass Alexander dies den Thessalern geschenkt habe. Unstreitig ist, dass ihnen von Alexander kein Bargeld gegeben wurde. Streitig ist daher, ob das, was gegeben wurde, dem gleichsteht, wenn er Bargeld gegeben hätte.

40 So bereits Platschek, Index 40 (2012), 617 (620). 41 Umfassend zur Datierung Adamietz, ANRW II.32.4, 2226 (2245 – 2249) m. w. N.

Quint. inst. 5.10.111 – 118

355

113. Quid proderunt argumentorum Was werden Belege für Argumente nützen, wenn ich loci, nisi haec prius videro, nihil eum nicht zuerst geprüft habe, dass er bei der Schenkung egisse donando, non potuisse donare, nicht wirksam gehandelt hat, dass er nicht schenken non donasse? et prima quidem actio konnte und dass er nicht geschenkt hat? Der erste facilis ac favorabilis repetentium iure Klage­grund ist zwar einfach und für diejenigen günsquod vi sit ablatum; sed hinc aspera tig, die zurecht etwas zurückfordern, weil es gewaltsam et vehemens quaestio exoritur de iure weggenommen worden ist. Aber hieraus ergibt sich eine belli, dicentibus Thessalis, hoc regna, schwierige und bedeutsame Frage des Kriegsrechts, von populos, fines gentium atque urbium dem nach Vorbringen der Thessaler Königreiche, Völker contineri. sowie Grenzen von Völkern und Städten zusammengehalten werden. 114. Inveniendum contra est, quo distet haec causa a ceteris, quae in potestatem victoris venirent; nec circa probationem res haeret, sed circa propositionem. dicamus inprimis: in eo, quod in iudicium deduci potest, nihil valere ius belli nec armis erepta nisi armis posse retineri; itaque, ubi illa valeant, non esse iudicem; ubi iudex sit, illa nihil valere.

Dagegen muss herausgefunden werden, wodurch sich dieser Fall von anderem unterscheidet, was in die Gewalt des Siegers gelangt sind. Die Angelegenheit hängt nicht von der Beweisführung, sondern von einer Rechtsfrage ab. Zuerst wollen wir sagen: Gegen das, was Gegenstand eines Gerichtsverfahrens sein könne, ­vermöge das Kriegsrecht nichts, und was mit Waffen entrissen worden sei, könne nur mit Waffen behalten werden. Wo diese etwas vermögen, gebe es daher keinen Richter. Wo ein Richter sei, vermögen diese nichts.

115. Hoc inveniendum est, ut adhiberi possit argumentum: ideo captivos, si in patriam suam redierint, liberos esse, quia bello parta non nisi eadem vi possideantur. proprium et illud causae, quod Amphictyones iudicant, ut alia apud centumviros, alia apud privatum iudicem in iisdem quaestionibus ratio.

Es muss erreicht werden, dass folgende Argumentation eingesetzt werden kann: Nach der Rückkehr in ihre Heimat ­seien Kriegsgefangene deshalb frei, weil das im Krieg Gewonnene nur mit derselben Gewalt als Besitz erhalten bleibe. Die Besonderheit des Falles ist, dass die Amphiktyonen als Richter entscheiden, so wie in denselben Fragestellungen vor den centumviri die eine Argumentation verwendet wird, vor dem privaten Einzelrichter eine andere.

116. Tum secundo gradu, non potuisse donari a victore ius, quia id demum sit eius, quod teneat; ius, quod sit incorporale, adprehendi manu non posse. hoc reperire est difficilius quam, cum inveneris, argumentis adiuvare, ut alia sit condicio heredis, alia victoris, quia ad illum ius, ad hunc res transeat.

Dann als zweiten Schritt könne ein Recht nicht vom Sieger verschenkt werden, weil ihm nur das gehöre, was er [körperlich] festhalte. Ein Recht, das ein unkörperlicher Gegenstand sei, könne nicht mit der Hand ergriffen werden. Dies zu finden ist schwieriger als es, wenn du es gefunden hast, mit den Argumenten zu stützen, dass sich die Rechtsstellung eines Erben von derjenigen eines Siegers unterscheide, weil auf jenen das Recht, auf diesen die Sache übergehe.

117. Proprium deinde materiae, ius publici crediti transire ad victorem non potuisse, quia, quod populus crediderit, omnibus debeatur, et, quamdiu quilibet unus superfuerit, esse eum totius summae creditorem, Thebanos autem non omnes in A ­ lexandri manu fuisse.

Dann ist das Besondere des Stoffs, dass das Recht an einem öffentlichen Darlehen nicht auf den Sieger übergegangen sein könne, weil allen geschuldet werde, was ein Volk als Darlehen gegeben habe, und, solange ein einziger übrigbleibe, er Gläubiger der ganzen Summe sei; die Thebaner s­ eien aber nicht alle in der Hand ­Alexanders gewesen.

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Das Wesen der Stellung als Gläubiger und Schuldner

118. Hoc non extrinsecus probatur, quae vis est argumenti, sed ipsum per se valet. tertii loci pars prior magis vulgaris, non in tabulis esse ius; itaque multis argumentis defendi potest. mens quoque Alexandri duci debet in dubium, honorarit eos an deceperit. illud iam rursus proprium materiae et velut novae controversiae, quia resti­tutione recepisse ius, etiamsi quod amiserint, Thebani videntur. hic et, quid Cassander velit, quaeritur: sed vel potentissima apud Amphictyonas aequi tractatio est.

Das wird nicht von außen bewiesen – darin liegt die Kraft der Argumentation –, sondern ist aus sich ­heraus wirksam. Der erste Teil des dritten Belegs ist eher allgemein, dass in Urkundentafeln kein Recht [verkörpert] sei, und kann daher mit vielen Beweisen verteidigt werden. Auch die Absicht Alexanders muss in Zweifel gezogen werden, ob er sie geehrt oder [eher] getäuscht habe. Dies ist nochmals das Besondere des Stoffs und der neuen Streitfrage, dass die Thebaner mit der Rückgabe scheinbar ihr Recht zurückerhalten haben, auch wenn sie etwas verloren haben. Hier stellt sich auch die Frage, was Kassander gewollt habe; aber am meisten vermag vor den Amphiktyonen die Behandlung der Billigkeitsfrage.

Der Fall knüpft an einen Vorgang aus der griechischen Geschichte 42 an: Alexander der Große nahm die Stadt Theben ein und zerstörte sie. Dabei fand er Urkunden (tabul[ae]) über ein Darlehen der Stadt Theben in Höhe von 100 Talenten an die Thessaler. Da die Thessaler Verbündete des Alexander waren, schenkte er ihnen die Urkunden. Nachdem ­später Theben von Kassander amnestiert worden war,43 klagte Theben gegen die Thessaler auf Rückzahlung des Darlehens vor dem Rat der Amphiktyonen 44. Unstreitig ist, wie Quintilian ausdrücklich festhält, dass Theben das Darlehen valutiert und nicht zurückerhalten hat (et credidisse eos constat et non recepisse). Es folgt eine facettenreiche Argumentation. Quintilian hebt selbst hervor, dass schwierige Fragen des Kriegsrechts berührt ­seien (hinc aspera et vehemens quaestio exoritur de iure belli).45 Deshalb könne die Rückzahlung des Darlehens nicht schon auf den Rechtssatz gestützt werden, dass herausgegeben werden muss, was gewaltsam weggenommen worden ist (§ 113). Dagegen lasse sich jedoch anführen, dass das ius belli nicht mehr gelte, sobald – wie hier – ein Gericht zur Entscheidung angerufen werde (in eo, quod in iudicium deduci potest, nihil valere ius belli, § 114).46 Diese klare Scheidung ­zwischen Kriegsrecht und 42 Vgl. D. S. 17.9 – 14; Fell, s. v. Thebai [2], DNP 12.1, Sp. 287. 43 D. S. 19.53.1 – 2, 19.54.1 – 3; Badian, s. v. Kassandros, DNP 6, Sp. 319; Fell, s. v. Thebai [2], DNP

12.1, Sp. 287.

44 Zur Zusammensetzung und den Kompetenzen des Rats der Amphiktyonen Sánchez,

Amphictio­nie, 466 – 485.

45 Zum Problem eines römischen Völkerrechts Nörr, Aspekte, 12 – 15, 136 – 142; Grotkamp, Völker­

recht, 1 – 19, 205 – 213. Zum ius belli Nörr, Aspekte, 116; Grotkamp, Völkerrecht, 131 – 138; vgl. Wycisk, Quintilian, 78. 46 Dieselbe Vorstellung lässt sich auch bei anderen Autoren finden: Enn. ann. 272 – 273 V.; Cic. off. 1.34; Liv. 38.38.17; dazu Nörr, Aspekte, 14. Ähnlich auch Gai. 3.94; dazu Grotkamp, Völkerrecht, 137.

Quint. inst. 5.10.111 – 118

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Recht im Frieden belegt Quintilian damit, dass ein als Kriegsgefangener Versklavter nach seiner Rückkehr wieder die Freiheit erlange (§ 115).47 Als weiteres Argument führt Quintilian an, dass der Sieger nach Kriegsrecht lediglich erlange, worüber er eine körperliche Herrschaftsgewalt ausüben könne (id demum sit eius, quod teneat, § 116).48 Da Alexander hier aber über ein Recht und damit einen unkörperlichen Gegenstand (ius, quod sit incorporale) verfüge, sei diese Verfügung unwirksam. Anders als ein Erbe erwerbe der Sieger keine Rechte, sondern lediglich Sachen.49 Ferner habe die Forderung Thebens gegen die Thessaler überhaupt nicht auf den Sieger übergehen können (ius publici crediti transire ad victorem non potuisse), da die Thebaner weiterhin ihr Inhaber ­seien. Was nämlich ein Volk als Darlehen gegeben habe, bleibe d ­ iesem geschuldet, solange nur ein einziger Bürger existiere; dieser sei dann Gläubiger der gesamten Darlehenssumme (quod populus crediderit, omnibus debeatur, et, quamdiu quilibet unus superfuerit, esse eum totius summae creditorem, § 117). Da nicht alle Thebaner in die Hand des Alexander gefallen sind 50 und durch den Verlust der Freiheit auch ihr Bürgerrecht in Theben verloren haben 51, habe die Forderung weiterhin Inhaber in Gestalt der freien Thebaner gehabt. Raum für eine kriegsrechtliche Sukzession des Alexander als Sieger in die Rechtsstellung der Stadt Theben besteht daher nicht. Ein weiteres Argument für die Seite Thebens sei, dass die Urkunden, die Alexander den Thessalern überlassen hat, nicht die Darlehensforderungen verkörperten (non in tabulis esse ius). Schließlich könne argumentiert werden, dass die Thebaner mit der Amnestierung durch Kassander ein allfällig verlorenes Recht wieder zurückerlangt hätten (quia restitutione recepisse ius, etiamsi quod amiserint, Thebani videntur, § 118). Davon abgesehen sei für ein Obsiegen vor dem Rat der Amphiktyonen am wichtigsten, die Billigkeitsfragen zu behandeln, die der Fall aufwirft (potentissima apud Amphictyonas aequi tractatio est, § 118). Es stellt sich die Frage, ob der Beispielsfall Quintilians Auskunft über das römische Recht geben kann. Dass er einem Lehrbuch der Rhetorik entstammt, spricht 47 Vgl. zum ius postliminii Gai. 1.129; dazu Kaser, RP I, 290 f.; Kaser/Knütel/Lohsse, RP, § 25

Rn. 17 jeweils m. w. N.

48 Vgl. zum Eigentumserwerb an Sachen des Feindes durch occupatio D. 41.1.51.1 (Cels. 2 dig.);

zum Ganzen Grotkamp, Völkerrecht, 137.

49 Für eine griechische Herkunft des Vergleichs der Rechtsstellung von Erbe und Sieger

­ rotkamp, Völkerrecht, 136 f. Unzutreffend daher die Behauptung von Behrends, Index 41 G (2013), 145 (157 – 160), § 116 gebe eine Lehre der vorklassischen römischen Jurisprudenz wieder. 50 Vgl. D. S. 19.53.2, 19.54.1. 51 Vgl. Gai. 1.160 zur capitis diminutio maxima.

358

Das Wesen der Stellung als Gläubiger und Schuldner

nicht von vornherein dagegen.52 Der Autor betont selbst, wie wichtig juristische Kenntnisse für den Beruf des Redners sind.53 Auch der Kontext der Passage spricht dafür, dass sie geeignet ist, Auskunft über Juristisches zu geben: Im 5. Buch der institutio oratoria handelt Quintilian von den verschiedenen Arten von Argumenten.54 In Bezug auf das Darlehen der Thebaner hält er ausdrücklich fest, dass nur juristische, nicht aber auf den Sachverhalt bezogene Argumente Erfolg versprächen.55 Ein anderer Aspekt mahnt stärker zur Vorsicht. Der Fall spielt in Griechenland; Quintilian könnte deshalb mit griechischem Recht argumentieren. Freilich zeigt sich, dass dem nicht so ist. Der Autor hat einen römischen Rezipientenkreis fest im Blick. So wird der Rat der Amphiktyonen mit den römischen centumviri verglichen (§ 115).56 Überhaupt ist zweifelhaft, ob die Amphiktyonen jemals als Schiedsgericht ­zwischen griechischen Poleis gewirkt haben oder ob ihre Erwähnung bei Quintilian eher der Neigung der Rhetorik entspricht, ihre Beispielsfälle griechisch einzukleiden.57 Jedenfalls wäre es verfehlt, aus dem Auftreten der Amphiktyonen zu schließen, dass Quintilian an die Anwendung griechischen Rechts gedacht hat. Noch deutlicher wird die konsequent römische Perspektive bei der Feststellung: non in tabulis esse ius (§ 118). Damit wird die Vorstellung abgelehnt, dass eine Darlehensurkunde die Forderung verkörpere. Diese Vorstellung ähnelt der Meinung des Gaius, chirographa und syngrapha ließen nach peregrinem Recht eine litterale Obligation entstehen.58 Quintilian bezeichnet seine ablehnende Haltung als magis vulgaris, rechnet also damit, dass auch seine Leser sie teilen würden, und erklärt, dass seine Meinung multis argumentis defendi potest. Bedenkt man, dass er sich an ein gebildetes römisches Publikum wendet, so kann dies nur bedeuten, dass die klare Ablehnung daher kommt, dass nach römischem Recht die Darlehensforderung unabhängig von ihrer Beurkundung besteht.59 Quintilians Aussagen zum römischen Recht seiner Zeit sind daher vertrauenswürdig.60 52 Skeptisch gegenüber Beispielen aus der didaktischen Literatur Robinson, in: Tellegen-­Couperus,

Quintilian, 59 (60 – 62).

53 Quint. inst. 12.3. 54 Adamietz, ANRW II.32.4, 2226 (2257); Saiz Noeda, in: Tellegen-Couperus, Quintilian, 95. 55 Quint. inst. 5.10.114: […] nec circa probationem res haeret, sed circa propositionem […]. 56 Zum möglichen Hintergrund d ­ ieses Vergleichs Kaser/Hackl, RZ, 55 Fn. 29. 57 Sánchez, Amphictionie, 250, 457 f., 480 f.; Grotkamp, Völkerrecht, 134 f. 58 Gai. 3.134. Dazu Platschek, in: Cascione/Masi Doria, Veritas, 251 (262 – 264); ders., Pecunia

constituta, 2 mit Fn. 2, 4. Gaius gibt hier das hellenistische Recht nur ungenau wieder. Darlehensurkunden kommt auch im griechischen Recht keine schuldbegründende Wirkung zu, sondern lediglich unwiderlegbare Beweiskraft aufgrund der κυρία-Klausel; Rupprecht, Darlehen, 137 – 141; Wolff, Recht der griechischen Papyri II, 141 – 144. 59 Mitteis, RP I, 294; Grotkamp, Völkerrecht, 136 Fn. 123. 60 Wycisk, Quintilian, 78; vgl. Grotkamp, Völkerrecht, 136. Verfehlt ist es daher, wenn Behrends, Index 41 (2013), 145 (155); ders., GGA 269 (2017), 194 (223); ders., GGA 270 (2018), 48 (63) die

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Damit kann der Text auch als Zeugnis für die Frage nach der Art der Berechtigung einer Körperschaft an einer Forderung herangezogen werden. Quintilian schreibt, dass ein Darlehen, das der populus gewährt habe, allen seinen Angehörigen geschuldet werde (omnibus debeatur). Solange ein einziger Angehöriger existiere, sei er Gläubiger des gesamten Darlehens (quamdiu quilibet unus superfuerit, esse eum totius summae creditorem). Der populus wird also nicht als abstrakte Einheit gedacht, die unabhängig von ihren Mitgliedern existiert, sondern vielmehr als deren Gesamtheit. Populus und omnes sind identisch. Dementsprechend erlischt der populus erst, wenn er kein einziges Mitglied mehr hat; solange es dagegen noch einziges gibt, so lange ist ­dieses Inhaber des Rechts aller. Die Formulierung esse eum totius summae creditorem weist auf einen weiteren Aspekt hin: Die Gläubigerstellung wächst beim Ausfall einzelner Mitglieder den übrigen an, im Extremfall, wenn es nur noch ein einziges Mitglied gibt, zur Gänze ­diesem einen. Damit wird ein Unterschied z­ wischen der Inhaberschaft einer Forderung als Mitglied einer Körperschaft einerseits und als einer von mehreren persönlich Berechtigten deutlich, ganz ähnlich der Formulierung Ulpians: Si quid universitati debetur, singulis non debetur.61 Sind mehrere als Einzelne (singuli) Gläubiger einer Forderung aus mutuum, kann – abhängig vom Parteiwillen – jeder Einzelne Rückzahlung entweder der gesamten Darlehenssumme (Gesamtobligation) oder nur des ihm gebührenden Anteils (Teilobligation) verlangen.62 Stirbt ein Gläubiger, führt dies aber nicht dazu, dass seine Forderung den anderen Gläubigern anwüchse, wie dies bei den Mitgliedern der Körperschaft der Fall ist. Vielmehr tritt der Erbe des verstorbenen singulus in dessen Gläubigerstellung ein,63 während die Mitgliedschaft in einer Körperschaft regelmäßig nicht vererblich ist.64 Das bedeutet aber, dass die Berechtigung der Mitglieder an einer Forderung anderen Regeln folgt, als wenn mehrere singuli Gläubiger sind. Obwohl also das römische Recht als Inhaber der Forderung die omnes ansieht, d. h. die Mitglieder der Körperschaft, gelten spezifische Regeln für die Forderung einer Körperschaft. Inhaber sind die omnes als s­ olche in ihrer Quintilian-Passage auf eine hellenistische Tradition zurückführt und postuliert, Philon von Larissa habe diese bereits im 1. Viertel des 1. Jahrhunderts v. Chr. in Rom bekannt gemacht. 61 D. 3.4.7.1 (Ulp. 10 ed.). 62 C. 4.2.9 (Diocl./Max., a. 293). Eine Teilobligation liegt insbesondere dann vor, wenn der Kredit von einem servus communis ausgezahlt wird oder die Darlehensvaluta im Miteigentum steht. Die Höhe der Teilobligation richtet sich nach dem Miteigentumsanteil; D. 46.3.94.1 (Pap. 8 quaest.); D. 12.1.13.2 (Ulp. 26 ed). Zum Ganzen Schmieder, Duo rei, 181 f., 186 – 188, 192; Steiner, Solidarobligation, 172 – 174, 176 f.; Finkenauer, SZ 130 (2013), 164 (190). 63 Vgl. C. 4.2.9 (Diocl./Max., a. 293). 64 Zum funeraticium zugunsten des Erben eines verstorbenen Vereinsmitglieds siehe oben V. Kap., § 1 II.2.

360

Das Wesen der Stellung als Gläubiger und Schuldner

jeweiligen Zusammensetzung. Ändert sich diese, bleiben die übrigen Mitglieder Gläubiger; eine Sukzession von Nichtmitgliedern – etwa als Erben eines Mitglieds – kommt nicht in Frage. Quintilian bestätigt also Ulpian für den Fall des Darlehens. Aufgrund des Zeugnisses der institutio oratoria steht daher fest, dass das römische Recht spätestens im ausgehenden 1. Jahrhundert n. Chr. ­zwischen der Gläubigerstellung der omnes als Mitglieder einer Körperschaft und derjenigen der singuli unterschieden hat.

§ 3

Deutung

Der Ediktskommentar Ulpians überliefert, dass das römische Recht z­ wischen den Forderungen und Verbindlichkeiten einer privaten Personenvereinigung einerseits und den Forderungen und Verbindlichkeiten ihrer Mitglieder als Einzelpersonen klar trennt. Dabei ist Gläubiger und Schuldner nicht die Vereinigung als abstrakte Einheit, sondern die Gesamtheit der jeweiligen Mitglieder unabhängig vom Wechsel des Mitgliederbestands. Maßgeblich für die Stellung als Mitglied und damit als Gläubiger oder Schuldner sind nicht die allgemeinen Regeln über die Sukzession in Forderungen und Verbindlichkeiten, sondern die autonome Entscheidung der Vereinigung, wer ihr als Mitglied angehört. Es zeigt sich eine Parallele zum Eigentum. Dessen Gegenstände gehören zu den res communes, von denen Gaius schreibt 65 und die als pecuni[a] comoin[is] bereits im senatus consultum de Bacchanalibus erwähnt sind.66 Schon die von Gaius verwendete Terminologie weist in die Richtung, dass Eigentümer die Gesamtheit der Mitglieder und nicht das corpus als abstrakte Einheit ist.67 Die Richtigkeit dieser These erweist die Rekonstruktion des archaischen Rechts, wonach die Vereinsmitglieder als sodales im Ausgangspunkt gewöhnliche Miteigentümer sind, denen das Zwölftafelgesetz (XII tab. 8.27) die Möglichkeit gibt, durch pactiones die Verfügungsbefugnis über das gemeinsame Vermögen zu steuern.68 Damit wird d ­ ieses Vermögen der kollektiven Selbstbestimmung der Vereinsmitglieder unterstellt, wodurch es sich von ihren Vermögen als Einzelpersonen unterscheidet.

65 D. 3.4.1.1 (Gai. 3 ed. prov.). 66 CIL I2 581 = ILS 18 = FIRA2 III 30, Z. 11 (Ager Teuranus, Bruttium et Lucania, 186 v. Chr.). 67 D. 3.4.1 – 2 (Gai. 3 ed. prov.): 1. Q u i b u s autem permissum est corpus habere […], proprium est

ad exemplum rei publicae habere res c o m m u n e s  […]. 2. […] quod e o r u m c o m m u n e erit […]. 68 D. 47.22.4 (Gai. 4 l. XII tab.). Siehe oben VI. Kap., § 1 III 2.a) (1) und (2).

Deutung

361

Eine erste Parallele zur Stellung als Schuldner und Gläubiger liegt in der Rolle der Vereinsautonomie. Die autonome Bestimmung darüber, wer Mitglied der Vereinigung ist, bestimmt nicht nur den Kreis der dinglich Berechtigten an den res corporales, die zum Vereinsvermögen zählen, sondern auch, wer zur Gesamtheit der Personen zählt, die Gläubiger und Schuldner der Forderungen und Verbindlichkeiten der privaten Personenvereinigung sind. Die zweite Parallele liegt in der Bedeutung von Normen bei der Herausbildung der dogmatischen Konstruktion durch die römischen Juristen. In Bezug auf die pecuni[a] comoin[is] wäre die Unterscheidung ­zwischen dem gewöhnlichen Miteigentum mehrerer Personen und dem Vereinsvermögen nicht denkbar ohne den Zwölftafelsatz über die pactiones der sodales. Im Fall der Forderungen und Verbindlichkeiten privater Personenvereinigungen legt die Diskussion in Ulpians Kommentar ad edictum nahe, dass die Vorschriften des prätorischen Edikts über die Klagen für und gegen eine private Personenvereinigung sowie ihre Handhabung durch die forensische Praxis wesentlich dazu beigetragen haben, den Unterschied ­zwischen den Forderungen und Verbindlichkeiten der universitas einerseits und den Forderungen und Verbindlichkeiten der singuli herauszuarbeiten. In beiden Fällen besteht ein Zusammenhang z­ wischen Auslegung einer Rechtsnorm und dogmatischer Konstruktion, sodass letztere nicht als Frucht philosophischen Theoretisierens,69 sondern als Ergebnis juristischer Hermeneutik erscheint.70 Aus der Überlieferung dieser Thematik bei Quintilian, wenngleich in geraffter Form, lässt sich das ausgehende 1. Jahrhundert n. Chr. als terminus ante quem für die Herausbildung der Unterscheidung z­ wischen Forderungen und Verbindlichkeiten der omnes und der singuli gewinnen. Damit ist noch keine Datierung für die Entstehung dieser Unterscheidung gewonnen. Immerhin kann auch eine Annäherung an einen terminus post quem erfolgen: Die Substantive obligatio und debitum finden sich erstmals bei Cicero.71 In diese Zeit wird die langsame und nur fragmentarisch nachzuvollziehende Heraus­bildung dieser beiden juristischen Konzepte fallen, und erst im Anschluss daran haben sich allgemeine Lehren zur Gläubiger- und Schuldnerstellung der universitas herausbilden können.72

69 Vgl. oben I. Kap., § 2 I.2.a). 70 Vgl. nur Fögen, Römische Rechtsgeschichten, 185 f., die allerdings den Einfluss der Komi­

tialgesetze auf das Privatrecht unterschätzt; hierzu nunmehr Mantovani, Legum multitudo; Stagl, in: ebd., 110 – 123. 71 Obligatio bei Cic. Brut. 1.18.3; debitum bei Cic. ad Q. fr. 1.2.10; siehe nur Kaser, RP I, 479. 72 Siehe nur Zimmermann, Obligations, 1 – 6; Nelson/Manthe, Kontraktsobligationen, 73 f.

Ergebnis

Die in weiten Teilen der Literatur verbreitete These, dass die Funktionäre privater Personenvereinigungen als deren direkte Vertreter gehandelt hätten, hat sich als falsch erwiesen. Inwiefern Forderungen und Verbindlichkeiten privaten Personenvereinigungen zustehen können, muss für jede Art von Obligation gesondert bestimmt werden.

I. Das Edikt über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen 1. Das prätorische Edikt enthält Regelungen über die Prozessvertretung privater Personenvereinigungen. Sie finden sich im Titel De cognitoribus et procuratibus et defensoribus, der die Prozessvertretung allgemein behandelt, im Anschluss an die Edikte Quibus municipum nomine agere liceat und Quod adversus municipes agatur, ­welche die Prozessvertretung der Gemeinden regeln.1 2. Das prätorische Edikt umschreibt seinen Anwendungsbereich mit den Ausdrücken sodalicium und collegium, wie aus dem Zeugnis des Gaius und der lex Irnitana erschlossen werden kann.2 Die Rubrik des Edikts lässt sich mit Quibus sodalicium collegiumve habere licet quod eorum nomine agatur rekonstru­ieren.3 Um auszudrücken, dass das Edikt für jede Art von privater Personenvereinigung gilt, verwendet Gaius den Ausdruck corpus.4 Er entstammt ebenso wie sodalicium und collegium dem Sprachgebrauch normativer Texte und kann deshalb keinesfalls als Beleg für eine Rezeption stoischer Lehren durch die römische Jurisprudenz gelten.5 Der Anwendungsbereich des Edikts ist 1 2 3 4 5

I. Kap., § 1. I. Kap., § 2 I.1. I. Kap., § 2 IV.2. I. Kap., § 2 II.2.b). I. Kap., § 2 II.2.a).

Ergebnis

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i­ dentisch mit demjenigen der augusteischen Vereinsgesetzgebung, wonach für die Bildung jeder Art von privater Personenvereinigung mit körperschaftlicher Organisation eine Erlaubnis erforderlich ist,6 sodass das Edikt für sämtliche private Personenvereinigungen einschließlich der Augustalenkörperschaften gilt.7 Die Erlaubnis gemäß der augusteischen Vereinsgesetzgebung ist entgegen einer weitverbreiteten Ansicht Voraussetzung nicht der Rechtsfähigkeit privater Personenvereinigungen, sondern ihrer Fähigkeit, einen Prozessvertreter zu bestellen.8 3. Das Edikt sieht vor, dass private Personenvereinigungen im Prozess durch einen actor oder syndicus genannten Prozessvertreter vertreten werden. Dessen Aufgabe beschreibt Gaius in seinem Ediktskommentar mit agi und fieri, womit entgegen der überwiegenden Auffassung seit der mittelalterlichen Glosse ausschließlich die Vornahme von Prozesshandlungen, nicht aber rechtsgeschäftliches Handeln gemeint ist.9 Voraussetzung für die Bestellung zum actor ist die formlose Ermächtigung zur Prozessführung durch die private Personenvereinigung; dies ergibt sich aus dem Edikt Quibus alieno nomine liceat, das für alle formlos bestellten Prozessvertreter einschließlich des actor sowie für tutor und curator gilt.10 Wahrscheinlich ist der actor nach dem Edikt De defendendo eo, cuius nomine quis aget, et de satisdando an sich zur Leistung der cautio ratam rem habiturum verpflichtet. Die Praxis entbindet ihn freilich grundsätzlich von dieser Pflicht und stellt ihn insoweit dem förmlich bestellten Prozessvertreter (cognitor) gleich.11 Ebenfalls gemäß dem Edikt De defendendo eo, cuius nomine quis aget, et de satisdando trifft den einmal bestellten actor wahrscheinlich die Pflicht zur Defension der privaten Personenvereinigung, wenn sie verklagt wird.12 Daneben lässt der Prätor auch einen extraneus zu ihrer Defension zu, um den Eintritt der Indefension möglichst zu vermeiden.13 Als Folge der Indefension ordnet das Edikt ausdrücklich die Gesamtvollstreckung in das Vereinsvermögen (quod eorum commune erit) an.14 Dieser besonderen ediktalen Regelung bedarf es, weil eine Personalvollstreckung, ­welche die a­llgemeinen Vorschriften des prätorischen Edikts neben der 6 7 8 9 10 11 12 13 14

I. Kap., § 2 II. I. Kap., § 2 IV.1. und 3. I. Kap., § 2 III. I. Kap., § 3 I. I. Kap., § 3 II. I. Kap., § 3 III. I. Kap., § 3 IV.1.a). I. Kap., § 3 IV.1.b). I. Kap., § 3 IV.2.a).

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Ergebnis

­ ermögensvollstreckung für die Indefension vorsehen, im Falle einer PersonenV vereinigung untunlich ist.15 4. Hat der actor die private Personenvereinigung in einem Aktivprozess vertreten, steht die actio iudicati nach dem Wortlaut des Edikts zwar wahrscheinlich ihm selbst zu. Die Praxis gewährt sie jedoch der privaten Personenvereinigung, was der Rechtslage beim cognitor entspricht.16 Tritt der actor in einem Passivprozess auf, müsste die Vollstreckung an sich gegen ihn gerichtet werden, weil sein Name in der condemnatio der Prozessformel erscheint und er deshalb der Verurteilte ist. Wahrscheinlich wendet jedoch die Praxis in ­diesem Fall die ediktale Regelung über die Folge der Indefension analog an und richtet Vollstreckungsmaßnahmen ausschließlich gegen das Vereinsvermögen. Auch insoweit kommt es zu einer Gleichstellung mit dem cognitor.17

II. Die vertraglichen Obligationen 1. Die Vereine haben wahrscheinlich zinslose Darlehen (mutua) vergeben. Die Gewährung von Darlehen aus Vereinsgeldern wird wahrscheinlich ebenso wie die Valutierung von Darlehenskapital im Namen eines Einzelnen im allgemeinen Recht behandelt: Seit Aristo erwirbt derjenige, in dessen Namen das Darlehen ausgezahlt wird, die actio certae creditae pecuniae.18 Aus mutuum haftet grundsätzlich nur der Vereinsfunktionär, dem das Darlehen ausgezahlt wird. Seit spätklassischer Zeit haftet aber wahrscheinlich auch der Verein, wenn das Darlehenskapital zugunsten des Vereins verwendet wird.19 2. Trotz fehlenden unmittelbaren Quellen lässt sich erschließen, dass Vereine häufig Darlehen gegen Zinsen in Gestalt des mutuum cum stipulatione gewähren.20 Der Verein erwirbt die Forderung ex stipulatu nur, wenn das Stipulationsversprechen gegenüber einem Sklaven des Vereins abgegeben wird. Wird es gegenüber einem Vereinsfunktionär erklärt, ist dieser, nicht der Verein Gläubiger. Der Vereinsfunktionär handelt somit als indirekter Stellvertreter des Vereins.21 15 16 17 18 19 20 21

I. Kap., § 3 IV.2.b). I. Kap., § 4 I. I. Kap., § 4 II. II. Kap., § 1 I.1. II. Kap., § 1 II. II. Kap., § 2 I.1. II. Kap., § 2 I.1.a) und b).

Ergebnis

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Verspricht ein freier Vertreter des Vereins durch Stipulation eine Leistung, haftet er selbst ex stipulatu. Auch post depositum officium wird die Klage aus Stipulation – anders als die Klagen ex vendito, ex conducto und de pecunia consti­ tuta – gegen ihn nicht denegiert.22 Die dokumentarischen Quellen zu Stiftungen bestätigen diesen Befund. Die Vollziehung des Stifterwillens wird regelmäßig durch Strafstipulation gesichert.23 AE 2000, 344b überliefert als einzige Quelle den vollständigen Wortlaut einer solchen Stipulation. Ihre hochtechnische Formulierung berücksichtigt den Grundsatz Nemo factum alienum promittere potest und lässt erkennen, dass nicht die Körperschaft, sondern deren Vertreter haften sollen.24 Als Reaktion auf die ablehnende Haltung der Jurisprudenz gegenüber der direkten Stellvertretung bei Stipulationen lässt sich eine Reihe von Inschriften verstehen, die berichten, dass das Stipulationsversprechen als Kollektivakt durch die Gesamtheit der Mitglieder eines Vereins abgegeben wird. Dabei handelt es sich um den Versuch der Kautelarpraxis, den Verein – verstanden als die Gesamtheit seiner Mitglieder – zum Schuldner aus der Stipulation zu machen.25 Auf diese Lösung dürften auch Stiftungen inter vivos zurückgreifen, bei denen sich der Stifter die Rückgabe des Stiftungsvermögens an sich ausbedungen hat, wenn dem Stiftungszweck zuwider gehandelt wird.26 Ist dagegen bei derartigen Verstößen die Herausgabe an eine andere Körperschaft vorgesehen, lassen sich die Details der Abgabe des Stipulationsversprechens nicht mehr rekonstruieren.27 Bei prätorischen Stipulationen wird der Verein Gläubiger, wenn das Stipulationsversprechen gegenüber einem Sklaven des Vereins abgegeben wird. Wenn sie gegenüber einem freien Vertreter vorgenommen wird, steht ­diesem die actio directa aus der Stipulation zu; darüber hinaus könnte einem Vereinsfunktionär eine actio utilis gewährt werden. Der Verein selbst erwirbt keine Forderung, sodass es sich um einen Fall der indirekten Stellvertretung handelt.28 Damit handelt der freie Vertreter eines Vereins weder bei einer gewöhnlichen noch bei einer prätorischen Stipulation als direkter, sondern stets nur als indirekter Stellvertreter. 3. Wird ein Gegenstand des Vereinsvermögens verkauft, ist nicht der Verein Partei des Kaufvertrags, sondern der handelnde Vereinsfunktionär. Die 22 23 24 25 26 27 28

II. Kap., § 2 II.1. II. Kap., § 2 II.2.a) (1). II. Kap., § 2 II.2.a) (2) bis (4). II. Kap., § 2 II.2.b). II. Kap., § 2 II.3.a). II. Kap., § 2 II.3.b). II. Kap., § 2 I.2.

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Ergebnis

­dokumentarisch überlieferte Zustimmung der Vereinsmitglieder zum Verkauf ist nur auf der dinglichen Ebene relevant, denn durch sie räumt die Gesamtheit der Vereinsmitglieder als Eigentümer der Kaufsache dem Vereinsfunktionär die Verfügungsbefugnis ein.29 Da Verkäufer somit der Vereinsfunktionär ist, haftet nur er nach ius civile mit der actio empti. Scheidet er aus seiner Funktion aus (post depositum officium), wird diese Klage gegen ihn wahrscheinlich denegiert. Vermutlich gewährt der Prätor ab ­diesem Zeitpunkt eine actio utilis gegen den Verein, auf den dadurch die Haftung ex vendito übergeleitet wird.30 4. Auch bei der Vermietung oder Verpachtung von Gegenständen des Vereinsvermögens haftet nach ius civile wahrscheinlich der Vereinsfunktionär selbst. Erst post depositum officium wird es zu einer honorarrechtlichen Haftungsüberleitung auf den Verein kommen, gegen den der Prätor eine actio utilis gewährt.31 5. Wird ein constitutum debiti gegenüber einem Vereinsfunktionär erklärt, steht ­diesem wahrscheinlich die actio de pecunia constituta zu. Wird ausdrücklich die Leistung an den Verein zugesagt, dürfte ­diesem eine actio utilis gewährt werden, wobei es sich hierbei noch in der Spätklassik um ius controversum handelt.32 Gibt ein Vereinsfunktionär für eine Verbindlichkeit des Vereins ein constitutum debiti ab, richtet sich die actio de pecunia constituta wahrscheinlich gegen den Funktionär. Post depositum officium wird sie wohl denegiert und stattdessen eine actio utilis gegen den Verein gewährt.33 6. Schwieriger gestaltet sich die Rekonstruktion der adjektizischen Haftung des Vereins für die Geschäfte seiner Sklaven. Schließt ein Sklave des Vereins auf das iussum eines Vereinsfunktionärs einen Vertrag, lässt sich nicht mehr rekonstruieren, wen die Haftung aus der actio quod iussu trifft.34 Ebensowenig lässt sich rekonstruieren, ob ein Verein de peculio haftet.35 Dagegen haftet der Verein wahrscheinlich mit der actio de in rem verso, wenn dem Vereinsvermögen ein Vorteil aus einem Vertrag zugeflossen ist, den ein Sklave des Vereins geschlossen hat.36 29 30 31 32 33 34 35 36

II. Kap., § 3 I. und II. II. Kap., § 3 IV. II. Kap., § 4 I.2. und 3. II. Kap., § 5 I. II. Kap., § 5 II. II. Kap., § 6 I. II. Kap., § 6 II. II. Kap., § 6 III.

Ergebnis

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7. Ein pactum de non petendo, das ein Vereinsfunktionär mit einem Gläubiger oder Schuldner des Vereins vereinbart, begründet zugunsten bzw. zulasten des Vereins eine exceptio doli, wie auch das pactum eines procurator zu einer exceptio doli seines Geschäftsherrn führt. Eine exceptio pacti ist in diesen Fällen wegen des Grundsatzes Nec paciscendo nec legem dicendo nec stipulando quisquam alteri caveri potest ausgeschlossen. Auch bei der Vereinbarung eines pactum handelt der Vereinsfunktionär also nicht als direkter Stellvertreter des Vereins.37 8. Für die vertraglichen Obligationen ist damit prägend, dass der freie Vereinsfunktionär grundsätzlich als indirekter Stellvertreter des Vereins handelt. Im Außenverhältnis erwirbt er die Forderung bzw. haftet für die eingegangene Verbindlichkeit. Ab der Spätklassik leitet das prätorische Recht bei den Konsensualverträgen Kauf und locatio conductio sowie beim prätorischen constitutum debiti diese Haftung post depositum officium wahrscheinlich auf den Verein über; bei einer Stipulation hingegen kommt es zu keiner derartigen Haftungsüberleitung. Diese hängt somit nicht davon ab, ob der jeweilige Vertragstyp zum ius civile – wie Stipulation, Kauf und locatio conductio – oder zum ius honorarium – wie das constitutum debiti – gehört. Nur in zwei Fällen haftet ein Verein schon, während der Funktionär seine Tätigkeit ausübt: erstens bei der Gewährung eines mutuum im Namen des Vereins und zweitens beim constitutum debiti, wenn ausdrücklich die Leistung an den Vereins zugesagt wird. Die Haftung beruht im ersten Fall auf der zivilen condictio und im zweiten Fall auf einer prätorischen actio utilis. Wie schon bei der Haftungsüberleitung post depositum officium hängt diese Durchbrechung des Grundsatzes der indirekten Stellvertretung nicht von der Rechtsschicht ab, zu welcher der jeweilige Vertragstyp gehört. Die Mitteis’sche These, dass das prätorische Recht die direkte Stellvertretung eher als das ius civile zulasse,38 erweist sich somit für private Personenvereinigungen als unzutreffend.

III. Die nichtvertraglichen Obligationen 1. Die demonstratio der actio negotiorum gestorum stellt allein auf die tatsächliche Vornahme der Geschäftsführung ab. Daher ist ein Verein wahrscheinlich für die zivile actio negotiorum gestorum aktivlegitimiert, wenn ein Geschäft tatsächlich 37 II. Kap., § 7. 38 Mitteis, Stellvertretung, 73 – 77; ders., RP I, 382 f., 402 f.

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Ergebnis

geführt wird, das einen Bezug zum Vereinsvermögen hat und deshalb in den Rechtskreis des Vereins fällt.39 2. Spätestens seit Labeo ist bei einem furtum von res communes des Vereins dieser für die actio furti aktivlegitimiert.40 3. Da das Edikt Quod metus causa gestum erit unpersönlich (in rem) formuliert ist, haften nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Personenmehrheiten, die Zwang oder Gewalt ausüben. Die Haftung von Vereinen ergibt sich daher aus dem Wortlaut des Edikts.41 4. Das Edikt De dolo malo stellt dagegen auf den dolus malus ab. Die Jurisprudenz leitet daraus ab, dass grundsätzlich nur für eigenes arglistiges Verhalten gehaftet wird, und lehnt eine Zurechnung des dolus von Hilfspersonen strikt ab. Nach überwiegender, aber nicht unbestrittener Juristenmeinung haften Körperschaften nur für Vermögensvorteile, die sie aufgrund des arglistigen Verhaltens freier Hilfspersonen erlangt haben. Ausgangspunkt dieser Haftung ist wahrscheinlich die actio in factum gegen den Erben eines arglistig Handelnden, sodass wohl auch die Körperschaft mit einer actio in factum haftet.42 5. Ob Vereine nichtvertragliche Forderungen und Verbindlichkeiten erwerben können, hängt stark vom Wortlaut der normativen Grundlage der jeweiligen Obligation ab. Die Aktivlegitimation für die zivile actio negotiorum gestorum ergibt sich aus der unpersönlichen Formulierung der demonstratio dieser Klage. Ebenso beruht die Haftung für metus auf der unpersönlichen Formulierung des Edikts Quod metus causa gestum. Das Edikt De dolo malo stellt dagegen auf ein arglistiges Verhalten ab, weshalb die Bedenken der Jurisprudenz gegenüber der Bildung eines einheitlichen Willens von Personenmehrheiten zur Verneinung einer Haftung mit der actio directa führen. Die Aktivlegitimation eines Vereins für die actio furti ergibt sich wahrscheinlich aus der Existenz eines Vereinsvermögens seit der archaischen Zeit. Die Rechtsschicht, auf der die jeweilige Haftung beruht, spielt dagegen – wie schon bei den vertraglichen Obligationen – keine Rolle. Die zivile Haftung gegenüber einem Verein aus negotia gesta und wegen furtum von res communes bejahen die Juristen ebenso wie die prätorische Haftung des Vereins wegen metus. Dagegen wird die prätorische Haftung wegen dolus strikt abgelehnt. Eine einheitliche Lehre zur Deliktsfähigkeit von Personenvereinigungen lässt sich somit nicht nachweisen. 39 40 41 42

III. Kap., § 1. III. Kap., § 2. III. Kap., § 3. III. Kap., § 4.

Ergebnis

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IV. Der erbrechtliche Erwerb von Forderungen und Verbindlichkeiten 1. Nur ausnahmsweise kann ein Verein ziviler Erbe sein.43 Seine Fähigkeit, Intestaterbe seiner Freigelassenen zu werden, steht im Digestentext im Zusammenhang mit der Verleihung des ius manumittendi durch Mark Aurel an die Vereine, die über das ius coeundi verfügen. Ob dieser Zusammenhang auf dem kaiserlichen Rechtssetzungsakt oder auf seiner Auslegung durch die Juristen beruht, lässt sich nicht mehr klären. Die Beschränkung des ius manumittendi auf erlaubte Vereine wird wegen der allgemeinen Zulassung von collegia tenuiorum seit Hadrian von geringer praktischer Relevanz gewesen sein.44 Die Fähigkeit des Vereins, testamentarischer Erbe seiner Freigelassenen zu werden, beruht wahrscheinlich auf einem Eingriff des Normgebers. Denn wahrscheinlich ordnet bereits die klassische Jurisprudenz den Verein in die Kategorie der incertae personae ein, die nicht zu Erben eingesetzt werden können. Ferner nimmt sie für den Verein wahrscheinlich an, dass er zur Vornahme des Erbschaftsantritts unfähig ist. Für eine Intervention des Normgebers spricht, dass die Erbfähigkeit der Gemeinden, gegen die dieselben Argumente vorgebracht werden, auf einem senatus consultum beruht.45 2. Vereine können die bonorum possessio nach ihren Freigelassenen erhalten. Ob dies auf einem besonderen Eingriff des Normgebers oder der Auslegung des prätorischen Edikts beruht, lässt sich nicht klären. Der Antrag auf Einweisung in den Nachlassbesitz kann vom Prozessvertreter des Vereins oder bei nachträglicher Genehmigung durch den Verein auch von einem Dritten gestellt werden.46 3. Zum Universalfideikommiss zugunsten eines Vereins haben sich keine Quellen erhalten. Überliefert ist lediglich die Verpflichtung eines Vereins zur fideikommissarischen Restitution einer Erbschaft.47 4. Die Fähigkeit zum Erwerb förmlicher Legate wird den collegia durch ein senatus consultum unter Mark Aurel verliehen. Wohl auf eine einschränkende Auslegung durch die Juristen geht zurück, dass diese Fähigkeit nur den Vereinen mit ius coeundi zugutekommt. Allerdings ist ein Legat zugunsten der Mitglieder von Vereinen ohne ius coeundi möglich, wenn diese quasi certi homines als Legatare eingesetzt werden.48

43 44 45 46 47 48

IV. Kap., § 1 I. IV. Kap., § 1 I.1. IV. Kap., § 1 I.2. IV. Kap., § 1 II. IV. Kap., § 1 III. IV. Kap., § 2 I.

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Ergebnis

5. Fideikommisse zugunsten von privaten Personenvereinigungen sind durch Inschriften für das gesamte 2. Jahrhundert n. Chr. überliefert. Incertae personae können anfänglich ohne weiteres durch Fideikommiss erwerben; unter Hadrian wird dies durch senatus consultum eingeschränkt. Auch wenn private Personenvereinigungen wahrscheinlich in die Kategorie der incertae personae fallen, ist es angesichts der epigraphischen Überlieferung zweifelhaft, ob diese Einschränkung jemals für sie gegolten hat. Angesichts der allgemeinen Zulassung von collegia tenuiorum durch Hadrian ist es wahrscheinlicher, dass Vereine von der Einschränkung der Fähigkeit, durch Fideikommiss zu erwerben, ausgenommen worden sind.49 6. Zahlreiche inschriftlich überlieferte testamentarische Stiftungen aus dem gesamten 2. Jahrhundert verwenden im Zusammenhang mit Auflagen verba precativa, mit denen Unterfideikommisse ausgesetzt werden, deren Inhalt die Vollziehung des Stiftungszwecks ist. Auf diese Weise kann der Erbe oder der Begünstigte der Stiftung auf Vollziehung der Auflage klagen, ohne dass diese in einer Stipulation gesondert versprochen werden muss. Anders als bei der Stipulation haftet bei der fideikommissarischen Auflage die private Personenvereinigung.50 Eine Reihe von testamentarischen Stiftungen sehen vor, dass das Stiftungsvermögen an eine andere Körperschaft herauszugeben ist, wenn der Stifterwillen nicht vollzogen wird. Dabei kann es sich um die translatio eines förmlichen Legats oder um ein Unterfideikommiss zugunsten der anderen Körperschaft handeln. Eine Stiftung inter vivos zugunsten eines Vereins formuliert diese Herausgabepflicht unter Verwendung von verba precativa. Daraus lässt sich folgern, dass derartige Herausgabepflichten regelmäßig ein Unterfideikommiss darstellen. Dies hat den Vorteil, dass es zur Sicherung dieser Verpflichtung keiner Stipulation bedarf. Vielmehr kann der Testator durch das Fideikommiss direkt eine Verpflichtung des Vereins zur Herausgabe für den Fall begründen, dass sein Wille nicht vollzogen wird.51 7. Angesichts der zahlreich überlieferten testamentarischen Stiftungen zugunsten von privaten Personenvereinigungen werden Vereine in hohem Maße durch Fideikommiss begünstigt bzw. – im Falle von Auflagen, die als Unterfideikommiss ausgestaltet sind – aus Fideikommiss verpflichtet gewesen sein. Das Fideikommiss dürfte eine wesentliche Rolle dabei gespielt haben, dass Vereine in der Praxis Forderungen und Verbindlichkeiten erlangt haben, ohne dass sich Probleme der Handlungsfähigkeit gestellt hätten. 49 IV. Kap., § 2 II.1. 50 IV. Kap., § 2 II.2. 51 IV. Kap., § 2 III.

Ergebnis

371

V. Die Obligationen aus dem Innenverhältnis 1. Die kaiserzeitlichen leges collegii enthalten Bestimmungen, die Obligationen im Innenverhältnis ­zwischen Verein und Mitglied bzw. Vereinsfunktionär begründen. Dazu zählen die Beiträge der Mitglieder, die sie aus Anlass des Eintritts in den Verein oder bei anderen Gelegenheiten zu entrichten haben.52 Zugunsten der Mitglieder sehen die Satzungen ferner Forderungsrechte vor.53 Das funeraticium, das in der Regel dem Gesamtrechtsnachfolger geschuldet wird, hat die Funktion eines Aufwendungsersatzes.54 Während es nach den erhaltenen Zeugnissen dem Ersatz sämtlicher Aufwendungen für das Begräbnis dient, sehen die Bestimmungen zum Aufwendungsersatz zugunsten der Vereinsfunktionäre nur einen teilweisen Ersatz vor. Hintergrund ist, dass von den Funktionären erwartet wird, dass ihr persönlicher Reichtum dem Verein zugutekommt.55 Schließlich enthalten die leges collegii Vorschriften über multae, die meist dem Schutz des Vereinsvermögens dienen.56 2. Als Geltungsgrund geben die leges collegii den Willen der Gesamtheit der Mitglieder an.57 Damit korrespondiert die kaiserzeitliche interpretatio des Zwölftafelgesetzes: Den als pactiones bezeichneten Beschlüssen der Gesamtheit der Mitglieder kommt Wirksamkeit nach ius civile zu, sofern sie nicht gegen die lex publica verstoßen (XII tab. 8.27).58 Die Obligationen aus dem Innenverhältnis, w ­ elche die leges collegii vorsehen, sind daher zivile Obligationen. 3. Sie können wahrscheinlich sowohl in der Vereinsgerichtsbarkeit als auch vor den staatlichen Gerichten durchgesetzt werden.59 Dabei dürfte eine Klage­ formel verwendet worden sein, die derjenigen ähnelt, die in § 15 der lex rivi Hiberiensis überliefert ist und die als condictio ex lege eingeordnet werden kann.60 Da die Klage ihre Grundlage im Zwölftafelgesetz hat, ist mit ihrer ediktalen Proponierung nicht zu rechnen.61 4. Außer durch die lex collegii können Obligationen im Innenverhältnis ­zwischen Verein und Vereinsfunktionär durch eine cautio begründet werden, wie ein Wachstäfelchen aus Alburnus Maior in Dacia belegt. Wahrscheinlich 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61

V. Kap., § 1 I. V. Kap., § 1 II.1. V. Kap., § 1 II.2. V. Kap., § 1 II.3.b). V. Kap., § 1 III. V. Kap., § 2 I. V. Kap., § 2 II. V. Kap., § 3 I. V. Kap., § 3 II.1. V. Kap., § 3 II.2.

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Ergebnis

haftet der Vereinsfunktionär für die arglistige Verminderung des Vereinsvermögens. Bei der cautio handelt es sich wohl um ein Stipulationsversprechen, das der Vereinsfunktionär gegenüber sämtlichen Mitgliedern abzugeben hat.62 5. Die Bestimmungen zum Aufwendungsersatz der Vereinsfunktionäre werden von Regelungen über die Pflicht zur Rechnungslegung flankiert. Beides ist typisch für Geschäftsführungsverhältnisse, bei denen der Geschäftsführer als indirekter Stellvertreter des Geschäftsherrn fungiert.63 Die zivilrechtliche Wirksamkeit der Bestimmungen zum Aufwendungsersatz aufgrund des Zwölftafelgesetzes und ihre prozessuale Durchsetzbarkeit mit der condictio ex lege erklären, warum bei vertraglichen Obligationen bis zur Spätklassik der Grundsatz der indirekten Stellvertretung vorherrscht. Die Vereinsfunktionäre handeln also grundsätzlich als indirekte Stellvertreter des Vereins.

VI. Die Grundlage der vermögensrechtlichen Stellung der Vereine im archaischen Recht Soweit sich für die vertraglichen Obligationen die indirekte Stellvertretung als Grundprinzip abzeichnet, lässt sich d ­ ieses auf das archaische Recht zurückführen. 1. Gaius berichtet in seinem Kommentar zum Zwölftafelgesetz von einer Bestimmung ­dieses Gesetzes, die sodales die Befugnis eingeräumt hat, sich nach ihrem Willen pactiones zu geben, wenn diese nicht gegen Komitialgesetze verstoßen (XII tab. 8.27). Die sodales sind nach dem Zeugnis des lapis Satricanus Gefolgschaften aus jungen Männern um einen Anführer. Sie verfolgen in erster Linie politische und nur sekundär kultische Zwecke.64 Wenn das Zwölftafelgesetz das Komitial­gesetz als Schranke für die Wirksamkeit ihrer pactiones vorsieht, sucht es ihr Verhältnis zur städtischen Gesellschaft zu regeln.65 Bei den pactiones handelt es sich um Beschlüsse der sodales, die sie sich selbst geben.66 Ihr möglicher Inhalt kann durch einen Vergleich mit dem griechischen Recht rekonstruiert werden, weil Gaius den Zwölftafelsatz über die pactiones der sodales mit dem ihm bekannten Inhalt der solonischen Gesetze vergleicht.67 Die pactiones können dazu dienen, die Verfügungsbefugnis über die Gegenstände des Vereinsvermögens (pecunia comoinis) zu regeln. An d ­ iesem 62 63 64 65 66 67

V. Kap., § 4. V. Kap., § 1 II.3.b). VI. Kap., § 1 I. VI. Kap., § 1 I. und III. VI. Kap., § 1 III. VI. Kap., § 1 III.1.

Ergebnis

373

sind die sodales insgesamt als Miteigentümer berechtigt, weshalb an sich jedes Vereinsmitglied zur Verfügung berechtigt wäre. Das Zwölftafelgesetz unterwirft die Verfügungsbefugnis der kollektiven Selbstbestimmung der sodales. Da hierdurch das Vereinsvermögen der Verfügungsbefugnis des einzelnen Mitglieds entzogen ist, wird es zugleich als besondere Vermögensmasse konstituiert, an der die Gesamtheit der sodales berechtigt ist.68 Damit ist die Grundlage für die Berechtigung der Vereinsmitglieder am Vereinsvermögen geschaffen, die noch während der Kaiserzeit genauso ausgestaltet ist. Durch pactio kann einem Vereinsfunktionär die Befugnis eingeräumt werden, aus der Vereinskasse einen Betrag in der Höhe der Aufwendungen zu entnehmen, die ihm durch das Eingehen von Verbindlichkeiten im Außenverhältnis entstanden sind. Eine derartige Regelung der dinglichen Verfügungsbefugnis ist funktionales Äquivalent zum schuldrechtlichen Aufwendungsersatz. Dadurch ist bereits im archaischen Recht die Grundlage für die Vorherrschaft des Prinzips der indirekten Stellvertretung geschaffen, die das kaiserzeitliche Vereinsrecht prägt.69 Schließlich sehen pactiones wahrscheinlich schon in archaischer Zeit multae für Verstöße gegen Vereinsbeschlüsse vor.70 2. Wahrscheinlich können Vereine bereits im Legisaktionenverfahren ihre Rechtsstellung durch einen Prozessvertreter geltend machen.71 Dafür spricht insbesondere, dass für das griechische Recht Prozessvertreter von Vereinen belegt sind.72

VII. Das Wesen der Stellung privater Personenvereinigungen als Gläubiger und Schuldner Von Ulpian ist die grundlegende Aussage zum Wesen der Gläubiger- und Schuldnerstellung privater Personenvereinigungen überliefert: Si quid universitati debetur, singulis non debetur: nec quod debet universitas singuli debent.73 Sie trennt klar die Forderungen und Verbindlichkeiten einer privaten Personenvereinigung einerseits von denjenigen ihrer Mitglieder als Einzelpersonen andererseits. Der unmittelbare Kontext dieser Passage macht deutlich, dass dabei als Gläubiger bzw. Schuldner nicht die universitas als abstrakte Einheit aufgefasst wird, ­sondern die 68 69 70 71 72 73

VI. Kap., § 1 III.2.a) (1) und (2). VI. Kap., § 1 III.2.a) (3). VI. Kap., § 1 III.2.b). VI. Kap., § 2 I. VI. Kap., § 2 II.

D. 3.4.7.1 (Ulp. 10 ed.).

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Ergebnis

Gesamtheit ihrer Mitglieder in ihrer jeweiligen, zeitlich variierenden Zusammensetzung.74 Quintilian liefert für diesen Gedanken als terminus ante quem das ausgehende 1. Jahrhundert n. Chr.75 Die Herausbildung der Rechtsbegriffe obligatio und debitum erlaubt eine Annäherung an einen terminus post quem im 1. Jahrhundert v. Chr.76 In ­diesem Zusammenhang ist zu erwägen, ob fideikommissarische Stiftungen zugunsten von Körperschaften einen wichtigen Anlass dafür geboten haben, die Gläubiger- und Schuldnerstellung von Körperschaften zu konzeptualisieren. Denn durch Fideikommiss können die Forderung der Körperschaft auf Übereignung des Stiftungskapitals sowie ihre Verpflichtungen zur Vollziehung der Stiftungsauflage und zur Herausgabe des Stiftungskapitals bei Nichtvollziehung begründet werden, ohne dass es einer Mitwirkungshandlung von ihrer Seite bedürfte, die mangels direkter Stellvertretung nicht möglich ist. Derartige Stiftungen sind im 1. – 2. Jahrhundert n. Chr. häufig und von erheblichem wirtschaftlichem Gewicht, sodass sie möglicherweise den praktischen Anlass für die Konzeptualisierungsarbeit der Jurisprudenz geboten haben.77

VIII.

Gesamtergebnis

Die Stellung der Gesamtheit der Mitglieder einer privaten Personenvereinigung als Gläubiger und Schuldner entspricht ihrer Stellung als Eigentümer des Vereinsvermögens, wie sie bereits von der Bestimmung des Zwölftafelgesetzes zu den pactiones der sodales (XII tab. 8.27) vorausgesetzt wird und sich ungebrochen in der juristischen Literatur der Kaiserzeit findet.78 Darin zeigt sich eine bemerkenswerte Konstanz der juristischen Grundanschauungen vom archaischen bis zum spätklassischen Recht, die in dieser Tragweite bisher nicht erkannt worden ist. Ebenso prägend ist das archaische Recht für die Vorherrschaft des Prinzips der indirekten Stellvertretung bei der Begründung der vertraglichen Obligationen. Der Vertragsschluss des Vereinsfunktionärs führt grundsätzlich dazu, dass er selbst Partei des Vertrags wird. Soweit der Vereinsfunktionär zur Erfüllung des Vertrags auf das Vereinsvermögen zugreifen muss, wird ihm die Verfügungsbefugnis hierzu durch einen Beschluss der Gesamtheit der Vereinsmitglieder als der Berechtigten am Vereinsvermögen erteilt. Grundlage dafür ist 74 75 76 77 78

VII. Kap., § 1. VII. Kap., § 2. VII. Kap., § 3. IV. Kap., § 3 II. und III.3. VI. Kap., § 1 III.2.a) (1), VII. Kap., § 3.

Ergebnis

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das ­Zwölftafelgesetz. Ersatz seiner Aufwendungen kann der Vereinsfunktionär erlangen, wenn die lex collegii dies vorsieht. Die kaiserzeitliche Jurisprudenz führt die zivilrechtliche Geltung der lex collegii auf das Zwölftafelgesetz zurück. Für die archaische Zeit lässt sich rekonstruieren, dass als funktionales Äquivalent zum Aufwendungsersatz dem Vereinsfunktionär die Befugnis erteilt worden ist, aus der pecunia comoinis einen Geldbetrag in der Höhe seiner Aufwendungen zu entnehmen. Wenn die Juristen den Grundsatz der indirekten Stellvertretung bei Körperschaften im Allgemeinen und bei Vereinen im Besonderen in ihren Schriften nicht ausführlich thematisieren, wird dies darauf beruhen, dass sie ihn schlicht für selbstverständlich halten.79 Das Vereinsrecht liegt nicht an der „periphery of the classical sphere of interest“;80 vielmehr sind seine Grundstrukturen den römischen Juristen selbstverständlich gewesen.

79 Zum Selbstverständlichen in der Rechtsgeschichte Daube, SZ 90 (1973), 1 – 13. 80 So aber Schulz, ClRL, 88; vgl. auch Rabel, RP, 42.

Literaturverzeichnis

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Die Abkürzungen der nichtjuristischen Quellen folgen, soweit nicht anders angegeben, der Année épigraphique, der Checklist of Greek, Latin, Demotic and Coptic Papyri, Ostraca and Tablets, dem Thesaurus Linguae Latinae und dem Greek-English Dictionary von Liddell/Scott/Jones.

I. Juristische Quellen 1. Vorjustinianische Quellen C.Th. (Codex Theodosianus) 5.6.1 3246 Gai. (Gai institutiones) 1.129 35747 1.160 35751 1.191 27053 1.192 168254 1.198 307244 1.199 307244 2.6 175279 2.10 62 2.11 62, 64, 337150 2.24 339160 2.104 31847 2.195 23866 2.235 254136 2.238 23864 2.249 24390 2.258 23126 2.278 24388 2.287 23021, 240 3.78 96333, 102362 3.92 155204, 162230 3.93 209440 3.94 35646 3.131 112 f.45, 11660 3.134 35858

3.154b 332 mit 131, 338158, 344183 3.174 31847 3.176 135135 3.203 22121 4.11 343179 4.16 343181 4.17a 345192, 196 4.17b 345190 4.19 345188, 190 4.28 293165 4.30 61178 4.41 293 mit 159 4.46 76250 4.51 293161 4.82 336 4.84 234, 81271, 82273 4.85 236 4.86 298198 4.87 101354 4.97 101356 4.98 84280, 282 4.99 85287, 86291 4.101 87293 4.131 293 mit 159, 345195 4.182 58166 PS (Pauli sententiae) 1.1a.26 287 1.2.2 58162 1.2.3 58163

409

Quellenregister

1.3.1 81271 1.3.3 84280 1.3.5 84280 1.3.7 84280 1.19.1 300210 4.1.6 24390 5.7.2 155208 UE (Ulpiani epitome)

22.4 228 mit 12 22.5 77256, 228, 230, 23128, 23337, 23553 24.4 250 24.17 254136 24.28 23967 24.29 252127 25.1 24390 25.2 24390 25.12 24388

Vat. (Fragmenta Vaticana) 286 171 mit 260, 173 317 97 mit 335, 98338, 99345, 100 322 83 323 83 330 87292 331 100348 333 84280 335 85 f., 99 336 84280 XII tab. (Lex XII tabularum)

1.6 31951 1.7 31951 3.5 31951 6.1 31636 8.2 31951 8.26 317 8.27 55, 93, 311, 360, 371 f., 374

2. Corpus Iuris Civilis C. (Codex Iustinianus) 2.12.7 58164 2.21.4 135138 2.24.4 135 mit 138, 136 2.55.4.4 293169 3.2.5 294170 3.10.2 294170 3.31.12.1c 293169 4.2.4 10610 4.2.9 35962, 63 4.9 rubr. 293168 4.9.1 294176 4.9.2 294176 4.9.3 294176 4.9.4 294176 4.27.3 1069 5.39.1 192352, 353 5.39.2 125, 192355 5.39.3 11763, 192355 5.39.4 191, 193 5.39.5 193356 5.58.2 183309 6.24.8 2261 6.30.22.6 293169 6.45 rubr. 137142 6.45.2 pr. 243 f.

6.45.2.1 243 f. 6.48.1 23021, 24283 6.48.1.10 2937, 22810, 22915, 230 6.62.2 3246 6.62.3 3246 8.37.1 155208 8.37.10 162232 8.53.9 170 8.53.22 172265 8.53.22 pr. 161 8.53.22.1 161, 164 8.54.3 171 mit 260 11.39.1 304231 c. Deo auctore 4 24182 7 24182 8 24182 c. Tanta 10 24182 D. (Digesta) 1.2.1 28093 1.8.1 pr. 62 1.8.2 pr. 337150

410 1.8.6.1 76251, 337150 1.8.9.1 199376 1.8.9.2 199377 2.4.4.1 65202, 76249 2.4.4.13 76252 2.4.10.4 2017, 76 2.13.9 pr. 181304 2.14.1.1 162231 2.14.7.2 160224 2.14.7.4 215478 2.14.10.2 214469, 471, 472, 215 2.14.12 214469 2.14.14 84284, 165, 212, 214 mit 469, 215478 2.14.16 214469 2.14.22 214469 2.14.26 214469 2.14.28 214469 2.14.29 214469 2.14.48 315 3.1.1.8 66204 3.2.19 80268 3.3.33.2 91313 3.3.33.3 84, 87292, 293, 294 3.3.43.4 84281 3.3.43.6 91314 3.3.45 pr. 91314 3.4 rubr. 62 3.4.1 25, 41, 52, 56, 79 f. 3.4.1 pr. 26, 28 f., 34, 40 mit 77, 46113, 61181, 64197 3.4.1.1 171, 184, 2017, 24, 29, 40 mit 77, 54, 56 f., 61181, 64197, 69221, 71 mit 233, 77257, 88, 92, 98342, 196365, 331122, 36065, 67 3.4.1.2 64197, 87 f., 90 mit 308, 311, 91 – 93, 36067 3.4.1.3 63, 90 f. 3.4.2 2017, 75 – 77, 79 f. 3.4.3 2418, 77, 79 f., 35011, 13, 35121, 22 3.4.4 77258, 79 f. 3.4.5 2418, 77258, 79 f., 81270 3.4.6 77258, 79 f. 3.4.6 pr. 79, 80268 3.4.6.2 79 3.4.6.3 78, 80 f., 86 f., 97

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3.4.7 2519, 80, 350 3.4.7 pr. 284, 287, 288131, 348 f., 35014, 19 3.4.7.1 17, 23761, 348 f., 35016, 20, 351 mit 21, 352, 354, 35961, 37373 3.4.7.2 2017, 349, 35017, 20, 21, 351 mit 21, 352, 354 3.4.8 63190, 88, 90, 92, 95 3.4.10 132 3.5.3.6 2177 3.5.5.14 217 mit 7 3.5.7 pr. 217 3.5.7.1 216 f. 3.5.7.2 217 3.5.29 2018, 182 3.5.35 pr. 81271 3.5.40.4 81271 4.2.1 221, 22229 4.2.9.1 2017, 221 4.2.9.8 22230 4.3.1.1 223 4.3.13.1 22439, 22549 4.3.15 pr. 2018, 22336 4.3.15.1 2018, 223 f. 4.3.15.2 223, 22437 4.3.17.1 22548 4.3.25 22548 4.3.26 22548 4.6.22.2 2018 6.1.23.5 3142 6.2.8 178294 7.1.56 150187 9.2.41.1 21811 10.1.13 31527, 32, 31953 10.2.25.12 145172 11.7.2.5 175280 11.7.6.1 175279 11.7.14.6 26530 11.7.14.7 26525 11.7.14.8 26525 11.7.14.13 26525 11.7.14.17 26527 11.7.16 26527 11.7.20 26527 11.7.22 26527 11.7.24 26527 11.7.27 26527

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Quellenregister

11.7.31 pr. 26527 11.7.31.1 26527 12.1.9 pr. 298203, 299 mit 206 12.1.9.1 298203, 299 mit 206 12.1.9.8 104 f. 12.1.13.1 10611 12.1.13.2 35962 12.1.19.1 10611 12.1.26 12597, 193357 12.1.27 2519, 114, 3495, 35015 12.2.34.1 2017 13.1.17 80268 13.2 rubr. 293168 13.2.1 299 13.5.5.3 167251 13.5.5.6 200, 202 13.5.5.7 2018, 200 – 202, 203 mit 403, 406, 204 mit 410 13.5.5.8 202 – 204, 205 mit 414 13.5.5.9 200, 202, 203403, 405, 204 13.5.5.10 203 15.1.1.4 210448 15.1.3.3 211449, 450 15.1.3.4 211452 15.1.7.1 211450 15.3.1 pr. 211454 15.3.20.1 212 15.3.21 212455 15.4.1.1 208433 15.4.1.8 207430, 208435 15.4.1.9 207428, 431, 432, 208435 15.4.2 pr. 207427, 208436 15.4.2.2 207429, 432, 208436 15.4.4 2519, 206, 209 mit 439, 3495, 35015 18.1.22 175278 18.1.50 179 21.2.4.1 185 21.3.1.2 178 21.3.1.3 178293 22.1.11 123, 126 22.1.11 pr. 2018, 118 – 121, 123 22.1.11.1 2018, 119 – 122 22.1.37 2177 22.6.9.5 138 f.151 26.7.2 pr. 98343, 99 26.7.7.6 12390 26.7.9 pr. 124 f., 126 mit 100, 168254

26.7.16 122 26.7.23 84286 26.7.24 pr. 83278 26.7.27 181302 26.7.47.4 12390 26.7.56 181 26.9.2 12597, 182305, 193357 27.3.1 pr. 307246 27.3.1.3 181304 27.3.1.13 183309 27.8.1 pr. 303 27.8.1.15 308250, 251, 254, 255 27.8.1.16 308257 28.2.8 12494 28.3.6.7 3246 29.2.20.1 26525 29.2.25.1 2017, 231 29.2.48 23449 31.34.6 251 31.67.10 24392 31.88.12 24496 31.88.14 24496 31.88.16 24393 32.11.23 244 32.11.24 244 32.11.25 244 32.19 138147 32.38.5 255, 257 32.39 pr. 24392 32.40.1 24393 33.2.8 150187 33.2.16 254138 33.2.34 pr. 257148, 149 33.7.12.23 250115 33.7.12.40 250117 33.7.12.43 250 33.7.12.45 250115, 117 33.7.12.47 250115 34.1.13 24496 34.4.3.4 253, 256144, 145, 257 34.4.3.11 256143, 145 34.4.5 252128, 129 34.4.6 pr. 252124 34.4.6.1 252128, 253134 34.4.6.2 252128 34.4.7 252128, 253133 34.4.20 252128, 129 34.5.20 238 f.

412 35.1 rubr. 137142 35.1.40.5 137 35.1.82 26950 36.1.1.8 23655 36.1.1.9 23655 36.1.1.10 23655 36.1.1.11 23655 36.1.1.12 23655 36.1.1.13 23655, 58 36.1.1.14 23655, 59 36.1.1.15 2017, 235, 23655, 237 36.1.4 23126 36.1.6.4 2017, 231 36.1.27 23553 36.1.38 pr. 23656 36.1.38.1 23658 36.4.12 23553 37.1.3.4 2017, 22444, 234 f. 37.1.3.7 23449 38.3.1 pr. 232 38.3.1.1 22443, 44, 232 f., 235 mit 53 38.3.1.2 23339 39.2.17.2 2018 39.5.28 164, 172265 39.5.35.2 1068 40.3.1 226 mit 2, 227 40.3.2 226 f. 40.5.4.17 3246 40.5.41.14 167 40.5.48 138 40.7.40.2 167252 41.1.41 2418, 81270, 35011, 12 41.1.51.1 35748 41.2.1.22 22443, 44 41.2.2 22444 41.3.30 pr. 30 41.3.30.1 32 f. 41.3.30.2 32 f. 41.4.7.3 181302 42.1.4 pr. 99345 42.1.4.1 2018 42.1.4.2 2018, 99 f. 42.1.4.3 100 42.4.7.1 96 42.5.33.1 95329 42.8.10 pr. 65202 42.16.4 35014 43.4.1 pr. 65202

Quellenregister

43.8.2 pr. 199380 43.8.2.17 199381 43.16.4 2519, 285, 3495 43.17.1 pr. 65202 43.20.1.38 65201 43.24.5.10 2018 43.24.5.12 2018 44.2.11.7 2018 44.6.3 28094 44.7.41 pr. 294171 44.7.52 pr. 294174 45.1.2.5 145172 45.1.38 pr. 144165, 167, 145172 45.1.38.1 144167, 145172 45.1.38.2 144167, 169 45.1.38.13 144169, 145172, 173 45.1.49.1 145172 45.1.50 pr. 144171 45.1.81 pr. 144170, 171 45.1.83 pr. 144165, 167, 168, 171 45.1.85.3 145172 45.1.126.2 106 mit 8, 131 45.1.131 pr. 145172 45.1.134.2 155208 45.1.137.5 174274 46.3.94.1 35962 46.6.2 308250, 251, 253, 254 46.6.3 308256 46.6.4 pr. 308257 46.6.4.1 307241 46.6.4.6 307245 46.6.6 308250, 251 46.6.9 308248 46.6.11 307 46.7.3.3 81271 46.7.19.1 144169, 145173 46.8.9 2018, 83, 85 f. 46.8.24 pr. 23449 47.2.28 21811 47.2.30 21811 47.2.31.1 2017, 218 f. 47.2.32 21811 47.2.45 22019 47.2.57.4 181302 47.9.9 31528, 32 47.22 rubr. 29 47.22.1 51, 337150 47.22.1 pr. 2832, 29, 47, 49, 51134, 2604

413

Quellenregister

47.22.1.1 47 47.22.1.2 49 f. 47.22.2 53142, 331122 47.22.3 331122, 123 47.22.3 pr. 52 47.22.3.1 52 f. 47.22.4 2729, 30, 29, 11133, 2592, 279, 311, 316, 331125, 343178, 345, 346204, 36068 48.5.28.15 294172 48.5.28.16 294172, 299207 48.5.29 294173 48.18.1.7 2017 48.19.28.2 47 50.1.2 pr. 304228 50.1.2.1 304230 50.1.14 23339 50.4.1.12 286126 50.4.14 pr. 26742 50.6.6.12 51136 50.7.3 286 50.7.11.1 287 50.8.4 2018 50.8.5.1 134, 136, 148, 184 mit 313, 190, 193, 205 50.8.8 306 50.8.9 304 50.8.12.1 305233 50.8.12.5 305233 50.16.15 2519, 93320, 134132, 35015 50.16.16 93320 50.16.17 2519 50.16.17 pr. 93, 134132 50.16.49 35339 50.16.233.1 28094 50.16.236 pr. 31529, 33 50.16.236.1 31530, 32 50.16.238 pr. 28094 50.17.73.4 214468 50.17.123 pr. 336146 50.17.160 pr. 176, 177291, 178 – 181 50.17.160.1 176, 177291, 178, 180 f. 50.17.160.2 176 I. (Institutiones Iustiniani) 1.20.3 307242 1.21 pr. 168254 2.1 pr. 337150

2.1.6 337150 2.20.18 3142 2.20.25 24283 2.20.26 24283 2.20.27 23021, 24283 2.21 252128 2.21 pr. 252127 2.21.1 252124 3.15.1 162232 4.10 pr. 337 4.6.24 294170 4.6.25 294170

3. Byzantinische Quellen B. (Basilica) 2.3.160 pr. 176282 2.3.160.1 176285 8.2.101 27 8.2.107.2 35124 10.3.15.1 22441, 22546 10.3.15.2 22441 11.1.1 162231 11.1.14 213460 17.1.7.1 2161 18.8.4 207423 26.7.5 203401 40.1.3 23442 47.1.42 163 47.1.55 162 f. 47.1.72 172266 48.3.1 2275 60.12.31.1 219 60.12.46 22020 60.32 rubr. 2935 Scholia in Basilica ad B. 8.2.101 Schol. Ὁ τίτλος ad B. 8.2.107 Schol. Καὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων Schol. Περὶ Schol. Ὥσπερ κινοῦσιν Schol. Ὥσπερ ὀνόματι ad B. 8.2.110 Schol. Καὶ ἐπὶ τῷ παραγγεῖλαι

27 35124 284115 284115 284115 133125

414

Quellenregister

ad B. 11.1.14 Schol. Ὁ σύνδικος 213 Schol. Πρόσκειται 213 Schol. Ὥσπερ 213 ad B. 18.8.4 Schol. Εἰ σύνδικος 207424 ad B. 40.1.3 Schol. Καὶ πόλεις 23443 ad B. 47.1.27 Schol. Εἰ δωρήσομαί 164239 ad B. 47.1.55 Schol. Ἐὰν τις 163 f. ad B. 47.1.72 Schol. Ἐάν τινι 172268 Schol. Ἐάν τις 172264 ad B. 48.3.1 Schol. Πᾶσι 227 ad B. 60.12.31.1 Schol. Ἐάν τις δικαιώματα 220 ad B. 60.32.4 Schol. Ἐπιτρέπει 31952, 32058

PT (Theophili Antecessoris Paraphrasis Institutionum) 2.21.1 252127

Tip. (Tipucitus) 35.11.1 236 37.9.11 192350, 351

4. Mittelalterliche Quellen Glossa ordinaria ad D. 3.4.1.1 Gl. Agi Gl. Fierique ad D. 3.4.7.2 Gl. Nomen universitatis ad D. 12.1.27 Gl. Versae sunt ad D. 15.4.4 Gl. Contractum

71231 172, 71232 35336 11452 208438

II. Inschriften Agora XVI 161 AE

1894, 148 1906, 10 1927, 115 1929, 161 1937, 121 1940, 94 1981, 25 1986, 333 1987, 198 1987, 199 1991, 1020b 1993, 468 1993, 473 1998, 282 1999, 453 2000, 344a

327 f. 24178, 80 2591, 2616, 9 199382 2615, 26423, 267, 271, 27471, 335 297194 248109 4392 siehe l.Irn. 2122, 11867, 153 – 155, 160, 168, 173271, 258 2122, 153 – 155, 173271, 258 44104 2122, 276 27778 27367, 27780 199382 2122, 67208

2000, 344b 2000, 344c 2001, 853 2006, 645 2006, 676 2008, 441 2010, 242 2010, 243a 2012, 312 2013, 1578 2015, 1252 CIL I², p. 231 I² 581

I² 582 I² 590 I² 592 I² 2832a II 1964 II 4511

2122, 137, 139 f., 149, 160226, 174, 24178, 80, 27780, 365 2122, 27778 2122, 66 mit 206, 67 mit 207 siehe l.Urson. siehe l.r.H. 2122, 67211 2122, 48, 50 2122, 48 2122, 26215, 26846 2122, 37, 46115 siehe l.Troesm. 4289 53143, 93323, 330, 344184, 346201, 202, 36066 310259 siehe l.Tarent. siehe l.Rubr. 1910, 2122, 23, 312 siehe l.Malac. 139152

415

Quellenregister

II 4514 II 5042 II² 1022 III, p. 924 seq. III 949 nr. 12 III 2386 III 6998 III 7060 IV 3340 nr. 155

V 1978 V 2864 V 3411 V 4428 V 4488 V 4489 V 7749 VI 266 VI 814 VI 1925 VI 1932a VI 4416 VI 5179 VI 9626 VI 10231 VI 10234 VI 10239 VI 10241 VI 10247 VI 10284 VI 10296 VI 10298 VI 22958 VI 33840 VI 33885

VIII 1641 VIII 2557 IX 2827 IX 3513

X 114 X 444 X 1579 X 1781 X 3699 X 4643 XI 1436 XI 3614 XI 6520

248 mit 109, 249 159220 siehe l.Urson. 26215, 296, 301 167 mit 250 166249 11868, 247106 35, 46114 158218, 159221 27368 44101 174, 178 69 248109 186327 176284 197 f. 199382 248109 27574 42 27574 24078, 24179, 248109 152191, 156, 166 2618, 26423, 272, 275 146 154199 167253 152189, 177290 151 f., 153194, 154 281 f., 299, 309 166249 187 2591, 2618, 10, 11, 262, 26633, 267, 27574 247105 2591, 2616, 9, 26215 57160 176284 160226, 24178, 80, 245 f. 143161 143161 190341 68 27368 248109 199382 24178, 79

XII 4393 XIII 5042 XIII 11313 XIV 325 XIV 326 XIV 353 XIV 367 XIV 431 XIV 2112

XIV 2795 XIV 4570 FIRA² I 6 I 18 I 19 I 22 I 24 I 30 I 48 I 68 I 78 III 30 III 32 III 33 III 34 III 35

III 36 III 37 III 38 III 41 III 42 III 43 III 44 III 45 III 46 III 53 III 55b III 72 III 80d

27368 155203, 173271, 258151 199382 160, 165, 166 161 mit 227 139152, 27881 139152, 169 f., 173 139152, 170 mit 259, 173 46, 50133, 66203, 2591, 260 mit 3, 2617, 262 mit 15, 263, 26634, 35, 268, 271, 27261, 274 mit 73, 296 mit 186 139152, 153194 199382 310259 siehe l.Tarent. siehe l.Rubr. siehe l.Urson. siehe l.Malac. 53143, 93323, 330 35, 46114 34 3873 344184, 346201, 202, 36066 281 f., 299, 309 2591, 2618, 10, 11, 262, 26633, 267, 27574 2591, 2616, 9, 26215 46, 50133, 66203, 2591, 260 mit 3, 2617, 262 mit 15, 263, 26634, 35, 268, 271, 27261, 274 mit 73, 296 mit 186 2618, 26423, 272, 275 2615, 26423, 267, 271, 27471 42 26215, 296, 301 143161 143161 139152, 169 24078, 24179, 248109 128109 11868, 247106 247105 176284 154199

416

Quellenregister

III 82c III 91 III 92 III 93 III 94 III 95 III 113 III 120 III 121 III 126 III 147 III 153 III 163 III 164 III 165

152189, 177290 158218, 159221 159220 152191, 156 146 167253 199382 167250 167250 3146 187 190341 176284 57160 197 f.

IG II² 1183 II² 1196 II² 1237 II² 1258 II² 1275 II² 1289 II² 1343 II² 1361 II² 1368 II² 2631 II² 2632 XIV 830

340165 340 339164, 340165 339164, 340 – 342 328 f. 326104 329116 326 328113, 329116 325 32598 193 – 195

IGR IV 349 IV 351

3975 3975

ILS 18 53143, 93323, 330, 344184, 346201, 202, 36066 272 139152, 153194 1919 248109 2354 2591, 2616, 9, 26215 3546 143161 4291 143161 4906 176284 4966 42 5317 190341 5406 44101 5918a 199382 5946 176284

5982 57160 6086 siehe l.Tarant. 6087 siehe l.Urson. 6089 siehe l.Malac. 6148 139152, 27881 6164 139152, 169 6468 24178, 80, 246100, 101 6469 160226, 24178, 80, 245 f. 6470 246100 6472 246100 6647 24178, 79 6690 27368 6720 69 6818 247105 6957 248 mit 109, 249 7190 35, 46114 7196 11868, 247106 7212 46, 50133, 66203, 2591, 260 mit 3, 2617, 262 mit 15, 263, 26634, 35, 268, 271, 27261, 274 mit 73, 296 mit 186 7213 2618, 26423, 272, 275 7214 2591, 2618, 10, 11, 262, 26633, 267, 27574 7215 143161 7215a 26215, 296, 301 7258 248109 7259 27368 7267 24078, 24179, 248109 7313 152191, 156 7912 154199 7947 152189, 177290 8370 186327 8376 143161 9096 2591, 2616, 9 9418 199382 IRBarc I 35

248 mit 109, 249

l.Irn. (lex Irnitana) c. H 284115, 286 c. 60 305237 c. 63 1043, 189339, 190345 c. 64 180299 c. 67 269 c. 69 1045, 282 f.

417

Quellenregister

c. 70 c. 71 c. 74 c. 79 c. 80 c. 91

23, 57 – 59, 64, 77 f., 81 mit 270, 82 f., 89, 1044, 284115 1044, 288132 28, 36, 43, 45 – 46, 49 – 52, 61, 65, 318 103 115 – 117 44 mit 98, 72

l.Malac. (lex Malacitana) c. 60 305237 c. 63 1043, 189339, 190345 c. 64 180299 c. 69 1045 l.r.H. (lex rivi Hiberiensis) § 15 292, 294 mit 171, 295, 296187, 297, 299 f., 345 f., 371 l.Rubr. (lex Rubria) c. 20 295 c. 21 94 c. 22 94 f. l.Tarent. (lex Tarentina) Sp. 1, Z. 14 – 20 303 Sp. 1, Z. 21 – 25 26949 l.Troesm. (lex Troesmensium) c. 27 45107 l.Urson. (lex Ursonensis) c. 13 26949, 305 f. c. 80 26949 c. 104 4495 c. 106 43, 4495, 45, 52, 317 c. 125 4495 OGIS 595

193 – 195

Oliver (Oliver, Greek Constitutions of Early Roman Emperors from Inscriptions and Papyri) 10 34 57 3975 58A 3975 58B 3975 SEG 11, 244 21, 530

324 327 f.

Suppl.It. 9 Amiternum, 38 25 Liternum, 16 25 Liternum, 17

297194 2122, 66 mit 206 2122, 67 mit 207

TH (edd. Pugliese-Carratelli/Arangio-Ruiz)

65

159220

TH² (ed. Camodeca)

70 11242 71 11242 74 11242 A3 23448 A8 11242 A9 11242

TPSulp.

27 154199 50 129 f. 51 130118 52 130118 56 130117, 209, 210 mit 444 60 11242 61 11242 62 11242 63 11242 64 11242 65 11242 79 159223 85 159220 87 159220 90 159220 91 159220 92 159220

418

Quellenregister

III. Papyri BGU I 140

3873

C.Pap.Lat. 73A 229 Gnomon des Idios Logos § 108 45110 M.Chr. 373 3873 P.Aberd. 133 3146 P.Enteux. 20 21

289 – 291, 292 mit 153 291 mit 149, 292 mit 153

P.Fouad 45

167 mit 250

P.Gen. lat. 1 3146 P.Grenf. I 31

11138, 112 mit 39, 40

P.Hamb. inv. 445

3146

P.Haun. 45 229

P.Lond. 2193 329 P.Mich. V 243 V 245

329 128109

P.Oxy. IV 802

108, 11134, 113

P.Ryl. IV 586

108, 11134

PSI IX 1063

3146

P.Texas inv. 8

127, 130, 132

P.Yadin 28 295 29 295 30 295 Rom.Mil.Rec. 68 3146 70 3146 74 3146 SB VI 9255 XXIV 16296

108, 11134 127, 130, 132

IV. Literarische Quellen Aristoteles Ath. 42.1 Ath. 52.2 E. N. 1160a

339164, 340165 288135 289141, 32279

Asconius Corn., p. 75

42, 59170

Charisius grammaticus p. 126 338155 Cicero Brut. 1.18.3 leg. 2.9 off. 1.34 ad Q. fr. 1.2.10

36171 31421 35646 36171

419

Quellenregister

Declamatio in Catilinam 65 317 Demosthenes (Demosth.) 45.46 342174 Diodorus Siculus 17.9 35642 17.10 35642 17.11 35642 17.12 35642 17.13 35642 17.14 35642 19.53.1 35643 19.53.2 35643, 35750 19.54.1 35643, 35750 19.54.2 35643 19.54.3 35643 Dionysius von Halikarnass Is. 16.4 340165 Ennius ann. 272 ann. 273

35646 35646

Festus p. 137,13 – 15 p. 516,27 p. 516,28 – 29

190341 337152 337151

Frontinus aq. 7.1

338156

Gellius 6.9.12 154199 6.9.14 154199 20.1.25 31421 Isaios 12 340165 Isokrates 20.2 342171 Josephus

AJ 20.183

3872

Livius 38.38.17 35646 39.18.9 93323, 331124 Plutarch moralia 142E moralia 426A Sull. 26

3247 3247 32386

Priscianus grammaticus II 382.3 31847 Probus 4.1 345193 5.24 95326 6.13 292157 6.23 78260, 82274 6.34 31847 Quintilian inst. 5.10.111 inst. 5.10.112 inst. 5.10.113 inst. 5.10.114 inst. 5.10.115 inst. 5.10.116 inst. 5.10.117 inst. 5.10.118 inst. 12.3 Seleukos

10717, 354 354 355 f. 355 f., 35855 355, 357 f. 35230, 355, 357 355, 357 10717, 356 – 358 35853

FHG II 500

32062

Seneca epist. 102.6

3247

Sextus Empiricus m. 7.102 3247 m. 9.78 3247 Simplikios in cat., p. 214

3247

Stobaios 4.2.20 325102 Sueton Aug. 32.1

4185

420

Quellenregister

Dom. 7.3 Iul. 42.3

3146 4184

Theophrast Nomoi 21.1

325102

Vegetius mil. 2.20

3146