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German Pages [224] Year 2013
Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung
Band 15 Herausgegeben von Stephan Meder und Arne Duncker
Hanna Szymanski
Theorie und Lebenswirklichkeit Ehe und Eherechte im Spiegel sozialdemokratischer Forderungen zur Zeit der Zivilrechtskodifikation im deutschen Kaiserreich
2013 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: Fabrikarbeiter Wilhelm Kurz mit Ehefrau Caroline und ihren drei Kindern Emilie, Anna und Albert (v. l. n. r.), Hannover-Linden, 1895
© 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D–50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satz: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-21056-4
Inhalt
Vorwort................................................................................................................... 9 1. Kapitel: Einführung – Gegenstand, Methoden und Zielsetzung.................... 11
I. Einleitung...................................................................................................... 11 II. Forschungsansatz: Ausgangsfrage, Nebenfragen und Zielsetzung................. 12 III. Forschungsgegenstand................................................................................... 15 IV. Schwerpunktsetzung und Hintergründe........................................................ 18 V. Methodik....................................................................................................... 19 VI. Definitionen, Begrifflichkeiten und Sprachgebrauch..................................... 20 1. Frauenbewegung, Arbeiterinnenbewegung, proletarische und sozialdemokratische Frauenbewegung, die Bezeichnungen „radikal“ und „gemäßigt“....................................................................................... 20 2. Ehedefinitionen, Eheverständnisse und das Wesen der Ehe................... 21 3. Eherecht als Teil des Familienrechts....................................................... 23 4. Die verschiedenen BGB-Entwürfe........................................................ 24 5. Der Sprachgebrauch der proletarischen Frauenbewegung...................... 24 VII. Stand der Forschung...................................................................................... 25 1. Die Sozialdemokratie und die Stellung der Geschlechter zueinander.... 25 2. Das Rechtsgebiet.................................................................................... 25 VIII. Quellenlage und Eingrenzung – Auswahl der Quellentexte und Zeitraum... 27 1. Die Emanzipationstheoretiker................................................................ 27 2. Der Kritiker des ersten BGB-Entwurfs und Rechtsforderungen der Reichstagsabgeordneten.......................................................................... 27 3. Die proletarische Frauenbewegung und die Zeitschrift „Die Gleichheit“..................................................................................... 29 IX. Gang der Untersuchung................................................................................ 30 2. Kapitel: Theoretische Grundlagen.................................................................. 33
I.
Die gesellschaftliche und rechtliche Stellung der Frau in der sozialistischen Theorie................................................................................... 33 1. Charles Fourier....................................................................................... 33 a) Leben und Werk.................................................................................... 33 b) Fouriers Stellungnahme zur rechtlichen und gesellschaftlichen Beziehung der Geschlechter......................................................................................... 34 c) Wertung ............................................................................................. 38
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Inhalt
2. Robert Owen.......................................................................................... 39 a) Leben und Werk.................................................................................... 39 b) Owens Stellungnahme zur gesellschaftlichen und rechtlichen Beziehung der Geschlechter......................................................................................... 41
3. Claude-Henri de Saint-Simon und die Saint-Simonisten...................... 44 a) Leben und Werk Saint-Simons................................................................ 44 b) Die „Versuchsehe“ Saint-Simons............................................................... 45 c) Die Auseinandersetzung der Saint-Simonisten mit der Frauenfrage .............. 46 4. Karl Marx und Friedrich Engels............................................................. 49 a) Leben und Werk.................................................................................... 49 b) Marx und Engels über Familie und Ehe.................................................... 50 5. Bebels „Die Frau und der Sozialismus“................................................... 55 a) Bebel: Leben und Werk........................................................................... 55 b) Die verschiedenen Auflagen..................................................................... 58 c) Aussagen Bebels zur Stellung der Frau in Gesellschaft und Recht.................... 59 d) Wertung ............................................................................................. 64 II. Ein anderer Ansatz? – John Stuart Mill........................................................ 67 1. Leben und Werk – Mill, Taylor Mill, Taylor........................................... 67 2. Die eherechtliche Stellung der Frau ....................................................... 71 III. Zusammenfassende Würdigung.................................................................... 76 3. Kapitel: Die Entstehung der BGB-Entwürfe und die Kritik Mengers.............. 81
I. Die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich....... 81 II. Der Kritiker Anton Menger.......................................................................... 86 1. Leben und Werk..................................................................................... 86 2. Allgemeine Kritik Mengers an dem ersten BGB-Entwurf..................... 87 3. Kritik Mengers an dem Familienrecht des ersten BGB-Entwurfs......... 89 a) Die eherechtliche Kritik Mengers.............................................................. 89 b) Mengers Stellungnahme zur „freien Liebe“................................................. 94 4. Zusammenfassende Würdigung.............................................................. 97 4. Kapitel: Das Eherecht des BGB-Entwurfs und die Positionierung der Sozialdemokratie........................................................................................... 100
I. Sozialdemokratie und Recht........................................................................ 100 II. Der Weg der sozialdemokratischen Kritik................................................... 102 III. Der Reichstag und die Entstehung des BGB.............................................. 103 1. Die Bedeutung der Reichstagslesungen des BGB-Entwurfs für den Gesetzgebungsprozess.................................................................... 103 2. Der dritte Entwurf und seine Lesungen im Reichstag......................... 103 IV. Das eherechtliche System des BGB............................................................ 105
Inhalt
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V. Allgemeine Kritik der Sozialdemokratie am Entwurf des BGB.................. 106 VI. Konkrete Kritik der SPD-Reichstagsfraktion am Eherecht des Entwurfs... 107 1. Die Sittlichkeit der Ehe als Grundlage der Kritik................................ 108 2. Verlöbnis............................................................................................... 109 3. Eingehung der Ehe............................................................................... 110 a) Ehemündigkeit................................................................................... 110 b) Einwilligung des Vaters oder der Mutter.................................................. 111 c) Besondere Einwilligung....................................................................... 111 d) Eheverbote........................................................................................ 112 4. Wirkungen der Ehe im Allgemeinen.................................................... 113 a) Die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft................................... 113 b) Die Eheherrschaft des Mannes............................................................... 114 c) Ehename........................................................................................... 116 d) Häusliche Pflichten der Frau, Schlüsselgewalt, Kündigungsrecht bei Diensten der Frau............................................................................... 117 e) Ehegattenunterhalt............................................................................. 119 f ) Ehegattenunterhalt bei Getrenntleben der Ehepartner................................ 120
5. Das eheliche Güterrecht....................................................................... 121 6. Eheaufhebung und Ehescheidung........................................................ 123 a) Ehescheidungsgründe .......................................................................... 123 b) Trennung von Tisch und Bett................................................................ 130 c) Scheidungsfolgen................................................................................. 132 7. Wertung................................................................................................ 132 VII. Zusammenfassende Würdigung.................................................................. 133 5. Kapitel: Die Umsetzung der theoretischen Grundlagen? – Die proletarische Frauenbewegung.............................................................. 135
I. Die Ausgangslage: Die Frau im Kaiserreich................................................ 135 II. Die Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung................................ 137 III. Eine deutsche Frauenbewegung? Der Centralverein der Frauen und Mädchen Deutschlands............................................................................... 143 IV. Verstärken oder Bestehen, Vereinen oder Scheiden? Die Positionierung der proletarischen Frauenbewegung............................................................ 149 1. Clara Zetkin – Eine dominierende Persönlichkeit in der proletarischen Frauenbewegung............................................................ 149 2. Reinliche Scheidung............................................................................. 150 3. Wertung................................................................................................ 156 4. Lily Braun und ihre Vermittlungsversuche........................................... 158 a) Leben und Werk.................................................................................. 159 b) Brauns „Die Frauenfrage“ und ihre Sicht auf dieselbe................................. 161 c) Wertung ........................................................................................... 163
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Inhalt
V. Nebensache oder Lebensfrage? Proletarische Frauenbewegung und die Zivilrechtskodifikation........................................................................... 164 1. Proletarische Frauenbewegung und Recht............................................ 164 2. Der Ursprung: Gleichheit, Gerechtigkeit und Gesetz.......................... 166 3. Der BGB-Entwurf und die proletarischen Frauenbewegung............... 168 4. Das Eherecht des BGB-Entwurfs in der Kritik der proletarischen Frauenbewegung................................................................................... 169 a) Zur rechtlichen Stellung der Frau in der Ehe............................................ 169 b) Zu Verlöbnis, Eingehung und Scheidung der Ehe....................................... 170 c) Das eheliche Güterrecht........................................................................ 173 5. Wertung................................................................................................ 175 VI. Familienbilder und die Konkretisierung einzelner Eheverständnisse.......... 176 1. Ehe und Familie bei Zetkin.................................................................. 177 2. Ehe und Familie bei Braun................................................................... 183 3. Ein Widerspruch? – Die Ehe des BGB und die Forderung nach „freier Liebe“......................................................................................... 185 VII. Zusammenfassende Würdigung.................................................................. 187 6. Kapitel: Resumee und Ausblick...................................................................... 191
I. Theorie gleich Lebenswirklichkeit? – Schlussfolgerungen........................... 191 II. Ausblick – Die proletarische Frauenbewegung............................................ 195 III. Ausblick – Die Entwicklung von Ehe und Eherechten bis in die Gegenwart................................................................................................... 196 1. Die Entwicklung in der Weimarer Republik........................................ 196 2. Die Entwicklung in der DDR.............................................................. 200 3. Die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland......................... 200 a) Die Eheherrschaft des Mannes............................................................... 202 b) Ein Eheverständnis in der Gegenwart ?.................................................. 203 7. Quellen- und Literaturverzeichnis................................................................. 207
I. ungedruckte Quellen................................................................................... 207 II. gedruckte Quellen....................................................................................... 207 1. Protokolle und Stenographische Berichte............................................. 207 2. Zeitungen und Zeitschriften................................................................. 207 3. weitere gedruckte Quellen.................................................................... 208 III. Literatur...................................................................................................... 212 Personenregister................................................................................................. 220
Vorwort
Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des seit 2001 bestehenden und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts „Reformforderungen zum Familienrecht und zur Rechtsstellung der Frau in der Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik“ des Lehrgebiets Zivilrecht und Rechtsgeschichte der (Leibniz) Universität Hannover und wurde im Sommersemester 2012 zur Dissertation angenommen. Bedanken möchte ich mich bei meinem Doktorvater Stephan Meder für die hervorragende Betreuung als Doktorandin und den stets anregenden Austausch auch über die Thematik der Arbeit hinaus. Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Forschungsprojekts. Nennen möchte ich Arne Duncker, Andrea Czelk, Christine Rabe und Steffen Wolters, geb. Baumgarten, die immer ein offenes Ohr für mich hatten und durch viele Gespräche zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Ferner danke ich Frau Helga Wunderlich vom Staatsarchiv der Freien Hanse stadt Hamburg für die Zuverfügungstellung der Quellen rund um den Centralverein der Frauen und Mädchen Deutschlands sowie Herrn Rudolf Lotze aus Hannover für das Foto seiner Urgroßeltern als Umschlagabbildung. Danken möchte ich darüber hinaus Matthias Schütt für seine kritische und gewissenhafte Korrekturlesung des Manuskripts. Er war vor allem in der Anfangsphase der Arbeit meine wichtigste Stütze. Unsere Freundschaft hat für mich einen herausgehobenen Stellenwert. Besonderer Dank gilt meinem Mann Matthias Ruther für seine Unterstützung vor allem in der Endphase der Arbeit, die die Fertigstellung neben meiner beruflichen Tätigkeit als Richterin ermöglicht hat. Nichts wäre denkbar gewesen ohne meine Eltern Gabriele und Norbert Szymanski, die mich mit ihrem unerschütterlichen Glauben an mich sowohl zum Weitermachen als auch zu neuen Wegen ermutigt haben und mich in jeder Hinsicht unterstützen. Schließlich möchte ich meine im Oktober geborene Tochter Alma erwähnen, die mir sehr viel Kraft gibt. Karlsruhe im November 2012
Hanna Szymanski
1. Kapitel: Einführung – Gegenstand, Methoden und Zielsetzung I. Einleitung „Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen, dass Frauen und Männer gleiche Rechte und Chancen haben – nicht nur auf dem Papier, sondern im täglichen Leben. Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleich, frei und solidarisch miteinander leben können.“
So lautet Punkt 3.4 des Hamburger Programms, dem Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei von 2007.1 Die rechtliche Gleichheit von Frau und Mann ist mittlerweile nicht nur durch das Grundgesetz gewährleistet, sondern wird auch in allen einfachgesetzlichen Regelungen berücksichtigt.2 Nach § 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) ist „Die Gleichstellung von Frauen und Männern [...] durchgängiges Leitprinzip und soll bei allen politischen, normgebenden und verwaltenden Maßnahmen der Bundesministerien gefördert werden (Gender-Mainstreaming).3“ Die gesellschaftliche Umsetzung der rechtlichen Gleichheit der Geschlechter ist hingegen auch heute noch nicht vollständig gewährleistet. Dies zeigt die Diskrepanz zwischen gesellschaftlichen und rechtlichen Normen. Dass beide nicht vollkommen unabhängig voneinander gesehen werden können, sondern sich teilweise bedingen, ist wohl unumstritten. Wie kommt es aber, dass die Entwicklung in rechtlicher Hinsicht schneller voranging als die gesellschaftliche (oder nennen wir sie doch auch die tatsächliche)? Man könnte sogar behaupten, die rechtliche Entwicklung habe die gesellschaftliche überholt. An dieser Stelle kommt die Geschichte, als Rechtsgeschichte und Sozialgeschichte, ins Spiel. Ihr Studium gibt Aufschluss darüber, wann, wo und von wem die Gleichheit der Geschlechter gefordert wurde, mit welcher Konsequenz sie gesellschaftlich gelebt und für die Rechtsordnung erstritten wurde. Von dem Zeitpunkt der ersten Forderung nach 1 Zum Hamburger Programm s. http://www.spd.de/partei/grundsatzprogramm/2160/hamburger_ programm.html zuletzt abgerufen am 19.2.2013. 2 Dies wird durch die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgenommene Gesetzesfolgenabschätzung gewährleistet. 3 Die GGO wurde letztmalig am 1.9.2011 geändert. Sie ist als PDF-Datei unter http://www.bmi. bund.de, zuletzt abgerufen am 19.2.2013, abrufbar.
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Forschungsansatz
Gleichheit der Geschlechter bis in die Gegenwart lassen sich Entwicklungslinien aufzeigen. Aus diesen Gedanken und dem Bewusstsein ihrer Relevanz für die Gegenwart entwickelte sich das Forschungsthema dieser Arbeit: Ehe als Lebensform und Eherechte als ihr rechtliches Gerüst im Spiegel sozialdemokratischer Forderungen.
II. Forschungsansatz: Ausgangsfrage, Nebenfragen und Zielsetzung Die rechtshistorisch folgenreichste und bedeutendste Auseinandersetzung über die Gleichheit der Geschlechter fand von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts statt. Für diese Zeit spiegelt kein anderes Rechtsgebiet die Vorstellung des Gesetzgebers von dem Verhältnis der Geschlechter zueinander und damit auch von der Umsetzung der Forderung nach Gleichheit der Geschlechter so direkt wieder wie das Eherecht. Es zeichnet sich zudem dadurch aus, dass es viele Menschen4 – gleich welcher Herkunft – betrifft. Aus diesem Grund wurde die Auseinandersetzung über das Eherecht des 1896 verabschiedeten Bürgerlichen Gesetzbuchs in allen Bevölkerungsschichten geführt. Die Auseinandersetzung fand aufgrund der unterschiedlichen Lebensverhältnisse, in denen sich die Menschen befanden, mit verschiedener Schwerpunktsetzung und Intensität statt, da einige ehegesetzliche Regelungen, wie zum Beispiel das Güterrecht, die besitzenden Menschen sehr viel eher betrafen als die besitzlosen. In 4 Nach Gerhard konnten Ende des 19. Jahrhunderts lediglich 10% der Bevölkerung im deutschen Kaiserreich nach dem Leitmodell der bürgerlichen Familie leben. Gerhard, Kernfragen der Geschlechterforschung, S. 183. Nach Kuhn waren im Jahr 1880 8,7% der Männer und 11,3% der Frauen ledig. Kuhn, Familienstand ledig: ehelose Frauen und Männer im Bürgertum (1850–1914), S. 2, Statistik nach Knodel und Maynes, Urban and Rural Marriage Patterns in Imperial Germany, in: Journal of Family History I, 1976, 135. Knodel und Maynes geben an, dass das Heiratsverhalten in der Arbeiterklasse im deutschen Kaiserreich Ende des 19. Jahrhunderts stark differierte. So sei von hohen Verehelichenquoten im Bereich der „modernen“ Lohnarbeit in der Schwerindustrie, im Maschinenbau sowie bei Eisenbahn- und Postbediensteten auszugehen. Wohingegen Kleingewerbearbeiter eher ledig blieben, wie dies der handwerklichen Tradition entsprach. Die Eheschließung sei für unselbständig Beschäftigte auch zur Jahrhundertwende keineswegs selbstverständlich gewesen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts habe die Quote der unehelichen Geburten aber nie mehr als 15 % betragen. Nach einer Mikrozensus-Untersuchung für das Statistische Bundesamt lebten im Jahr 2008 in Deutschland knapp 7,8 Millionen allein stehende Männer, davon 63% ledig. Weitere 19% waren geschieden, 11 % verwitwet und 7 Prozent zwar verheiratet, aber getrennt lebend. Bei 9,2 Millionen allein stehenden Frauen waren nur 37 % ledig, 43 % verwitwet, 16% geschieden und 4% getrennt lebend. S. www.destatis.de, zuletzt abgerufen am 26.2.2013.
Forschungsansatz
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jedem Fall war das Eherecht aber ein Rechtsbereich, mit dem sich auch die dem Proletariat angehörenden Menschen, also hauptsächlich Arbeiter und Arbeiterinnen, beschäftigten. Der Großteil der politisch aktiven Menschen des Proletariats gehörte – soweit ihnen das Gesetz erlaubte, Mitglied in einer politischen Vereinigung zu sein – der Sozialdemokratischen Partei an. Bekannt ist, dass die Anhänger der Sozialdemokratie in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorerst in der Arbeiterbewegung aktiv waren und für eine sozialistische Gesellschaftsordnung eintraten. Eine Auseinandersetzung dieser Menschen mit dem Eherecht des BGB ist zwar vielleicht eher als zweitrangiges Anliegen5 zu qualifizieren. Dennoch erfolgte eine dezidierte Auseinandersetzung über die Gleichheit der Geschlechter, die nicht zuletzt auch das Engagement im Rahmen der Entstehung des im Jahr 1900 in Kraft getretenen Bürgerlichen Gesetzbuchs und insbesondere dessen Familienrecht zur Folge hatte. Anders als bürgerliche politische Gruppierungen hatten die Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen jedoch zunächst einen innerparteilichen Prozess zu durchlaufen, der das Eintreten ihrer Anhänger für Rechte in der bestehenden Gesellschaftsordnung legitimierte oder zu legitimieren versuchte.6 Hinzu kam, dass die proletarische Frauenbewegung anders als ihre bürgerlichen Mitstreiterinnen für die Gleichberechtigung der Geschlechter zum einen den Konkurrenzkampf mit den Männern ihrer eigenen gesellschaftlichen Schicht austragen mussten und zum anderen einen Gegner im Bürgertum sah, welches sich mit dem Feudaladel arrangiert hatte, zur mitherrschenden Klasse aufgestiegen war und die Restriktionen von staatlicher Seite gegen die Sozialdemokratie duldete, ja sogar unterstützte.7 Unter den dargelegten Voraussetzungen unternahmen die ersten proletarischen Frauen den Versuch, sich zunächst unabhängig von der sozialdemokratischen Partei zu organisieren. Auch wenn sie nicht so explizit wie die bürgerlichen Frauen in ihren Petitionen an den Reichstag Rechtsforderungen für die Stellung der Frau formulierten, hatten sie doch genaue Vorstellungen von Ehe und Familie, die zu der Entwicklung rechtlicher Forderungen führten. Im Rahmen dieser Entwicklung spielt die SPD-Reichstagsfraktion eine wichtige Rolle, die, ungeachtet ihrer späteren geschlossenen Ablehnung des gesamten Gesetzeswerkes des Bürgerlichen Gesetzbuches, mit ihren zahlreichen Änderungsanträgen alle anderen Fraktionen
5 Das erstrangige Interesse galt bekanntermaßen der Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse. 6 S. dazu 4. Kapitel I. 7 S. dazu Görtemarker, Deutschland im 19. Jahrhundert. Entwicklungslinien, 1989, S. 286; Plat, Du sollst nicht ihr Herr sein!, 1994, S. 25–34.
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Forschungsansatz
weit hinter sich ließ.8 Die SPD-Reichstagfraktion stellte das Bindeglied für die proletarische Frauenbewegung zum Eherecht dar. Sie selbst war noch viel mehr als die bürgerliche Frauenbewegung mit den Problemen des alltäglichen Lebens beschäftigt, bei denen es oftmals um ihre eigene Existenzsicherung ging. Aufgrund dieser Tatsache informierte die SPD-Reichstagsfraktion die proletarische Frauenbewegung nicht nur über die Verhandlungen im Reichstag, sondern erläuterte den Frauen die rechtlichen Kontroversen. Die Positionen der Frauen zur rechtlichen Stellung der Frau werden ferner umschlossen von den Forderungen der Emanzipationstheoretiker, die zum großen Teil englischer und französischer Herkunft waren und schon gut ein halbes Jahrhundert vor der Frauenbewegung des deutschen Kaiserreichs die Forderung nach Gleichheit der Geschlechter erhoben auf der einen Seite und auf der anderen Seite von der – bereits erwähnten – Auseinandersetzung des Reichstages mit dem Familienrecht des BGB, die rechtlich konkretisiert, was die Frauen oftmals in ihrer Eigenschaft als rechtliche Laien formulierten. Die Zusammenführung der Positionen einiger Emanzipationstheoretiker, Juristen, Reichstagsabgeordneter und der proletarischen Frauenbewegung führt zur Ausgangsfrage der Arbeit, die wie folgt formuliert werden kann: Untersucht werden soll die Positionierung der Sozialdemokratie zum geltenden Eherecht des betrachteten Zeitraumes bzw. zu den Entwürfen des BGB unter dem Gesichtspunkt ihrer allgemeinen Forderung nach Gleichheit der Geschlechter. Dabei soll neben der Frage nach der Konsequenz der sozialdemokratischen Forderungen diesbezüglich nach den ihren Forderungen zugrundeliegenden Eheverständnissen gesucht werden, die die Grundlage aller Forderungen zum Eherecht darstellen. Neben der Ausgangsfrage stellt sich zudem eine Vielzahl von Nebenfragen: zunächst die nach den Vorstellungen von dem natürlichen Verhältnis der Geschlechter zueinander, mit der notwendigerweise die Fragen danach verknüpft sind, ob von der gleichen geistigen Leistungsfähigkeit, von dem gleichen Emotionsleben und gleichen Trieben von Frau und Mann ausgegangen wird und wurde, falls überhaupt solch eine Generalisierung für die beiden Geschlechter vorgenommen werden kann. Die ersten Forderungen nach der Gleichberechtigung der Geschlechter in Verbindung mit sozialistischen Forderungen finden sich schon sehr früh in der sozialistischen Theorie. Es ist erstaunlich, dass Eherechtsforderungen ausdrücklich formuliert wurden. Aus diesem Grund und um eine Brücke zwischen der sozialistischen Theorie und der Lebenswirklichkeit der proletarischen Frauenbewegung zu schlagen, sollen die Forderungen der Vertreter des utopischen Sozialismus hinsichtlich der Gleichheit der Geschlechter aufgegriffen werden, um Grundlagen 8 S. hierzu Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1997, Einführung, SPD und parlamentarische Beratung des BGB, LXXIV-LXXXVI.
Forschungsgegenstand
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für spätere Eherechtsforderungen und Eheverständnisse, aber auch mögliche Widersprüche aufzuzeigen. Hierbei drängt sich als Nebenfrage ein Vergleich mit der bürgerlichen Emanzipationstheorie auf, die maßgebend von John Stuart Mill geprägt wurde. Eine weitere Nebenfrage stellt sich mit der Betrachtung der Haltung der proletarischen gegenüber der bürgerlichen Frauenbewegung. Herausgestellt werden sollen die Ursachen für die überwiegende Ablehnung der Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Frauenbewegung durch die proletarische Frauenbewegung unter Berücksichtigung der inhaltlichen Übereinstimmung oder Verschiedenheit der Forderungen beider Bewegungen zum Eherecht des BGB-Entwurfs. Die Vorstellung von Ehe ist stets eng mit einem Familienverständnis verknüpft. Oftmals werden Eheverständnisse sogar nur innerhalb der Familienverständnisse deutlich, so dass auf letztere ebenfalls eingegangen werden soll. Hinzu kommen die Fragen nach Alternativvorschlägen zur Ehe sowie nach den verschiedenen Begründungen für die Ablehnung der Vorherrschaft des Mannes in der Ehe. Aus den Eheverständnissen entwickeln sich wiederum verschiedene Auffassungen von dem Inhalt des „Wesens“ der Ehe.9 Es gibt sicherlich weitere Nebenfragen, die sich aus der Bearbeitung der Ausgangsfrage ergeben, an dieser Stelle jedoch nicht abschließend dargestellt werden können. Schließlich ist noch hervorzuheben, dass fast alle im Verlauf dieser Arbeit dargestellten Forderungen zum Eherecht nicht gesetzlich umgesetzt wurden. Daher sind sie zum einen unter dem Aspekt der sog. Oppositionspolitik mit ihrer Tendenz zu extremeren Positionen als eigentlich tatsächlich angestrebt, zum anderen aber auch unter dem Aspekt des Standes der gesellschaftlichen Entwicklung zu betrachten. Letzterer wird die Bedeutung der sozialdemokratischen Forderungen für die weitere Entwicklung des Eherechts herausstellen.
III. Forschungsgegenstand Der Forschungsgegenstand dieser Arbeit setzt sich zunächst aus zwei Komponenten zusammen: zum einen aus dem „Abstraktum Recht“, zum anderen aus den Personen, die Rechtsforderungen aufstellen und ihren gesellschaftlichen und politischen Hintergründen. Recht ist bekanntermaßen vielgestaltig und eine Definition von Recht nicht in der hier gebotenen Kürze möglich. Festzustellen bleibt jedoch, dass es formal aus Regeln für das Verhalten einzelner Menschen oder menschlicher Gemeinschaften besteht. Es umfasst also mehr als geltende Rechtsnormen, die irgendeinen Gesetzgebungsprozess durchlaufen haben. Neben – geschriebenen und ungeschriebenen – Gesetzen gehören auch alle Arten von politischen Stellungnahmen, gleich ob juristischen oder nichtjuristischen Ursprungs, dazu. In der 9 Zum sog. Wesen der Ehe s. 1. Kapitel VI. 2. c).
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Forschungsgegenstand
Betrachtung dieser politischen Stellungnahmen wird das Hauptaugenmerk dieser Arbeit liegen. Dabei wird es sich ganz besonders um solche Auffassungen und Vorstellungen handeln, die sich in der Zeit, in der sie vertreten und entwickelt wurden, nicht durchsetzen konnten. Recht besteht ferner aus verschiedenen Rechtsgebieten mit unterschiedlicher Systematik. Das Recht der ehelichen Lebensgemeinschaft stellt einen Teil des Familienrechts dar. Die Zeit, in der von den oben genannten Personen familienrechtliche Auffassungen vertreten und Forderungen aufgestellt werden, eröffnet das Rechtsgebiet der jüngeren Rechtsgeschichte. In dieser Arbeit wird also Recht in der Schnittstelle dieser beiden Rechtsgebiete betrachtet. Wie bereits der Titel der Arbeit verdeutlicht, soll der Forschungsgegenstand Recht um eine Betrachtung dessen erweitert werden, was mit ihm in welcher Form auch immer einhergeht: gesellschaftliche Vorstellungen, Auffassungen und Werte, die zu der Formulierung von Rechtsforderungen führten. Die Personen gliedern sich wiederum in verschiedene Gruppen. Betrachtet werden die Theoretiker der sozialistischen sowie ein Vertreter der bürgerlichen Emanzipationstheorien, die Mitglieder der SPD-Reichstagsfraktion und schließlich die proletarische Frauenbewegung, die sich in die sozialdemokratische Partei eingliederte und somit auch als sozialdemokratische Frauenbewegung bezeichnet werden kann. Zu der Stellung der Geschlechter zueinander findet sich eine Vielzahl von Aussagen der verschiedensten Personen. Für diese Arbeit wurde eine Auswahl der Personen getroffen, die grundsätzlich für ihre Zeit fortschrittliche Aussagen zur gesellschaftlichen und rechtlichen Stellung der Frau machten und damit grundlegendes Gedankengut für die Entstehung einer Frauenbewegung lieferten.10 Dabei wurde sich nicht auf Personen deutscher Herkunft11 beschränkt. Einige Schriften, die in englischer Sprache verfasst wurden, wurden schon kurze Zeit nach ihrer Veröffentlichung ins Deutsche übersetzt12 und hatten somit durchaus Einfluss sowohl auf die Entwicklung der Emanzipationstheorie als auch auf die Positionierung der deutschen Frauenbewegung/en. Eine strenge Beschränkung auf Aussagen von Sozialistinnen und Sozialisten war zwar zunächst angestrebt, wurde jedoch während der Entstehung der Arbeit durch die Heranziehung der Schriften John Stewart 10 Interessant ist darüber hinaus eine Auseinandersetzung mit den sozialistischen „Antifeministen“, die jedoch leider den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. 11 Mit deutscher Herkunft ist hier zuvorderst die Sprache gemeint, in der die ausgewählten Personen veröffentlichten. Die im 2. Kapitel der Arbeit behandelten Autoren Owen und Mill schrieben z. B. auf Englisch, Fourier und Saint-Simon auf Französisch. 12 Mills „The Subjection of Women“ wurde noch im Erscheinungsjahr von Jenny Hirsch ins Deutsche übersetzt.
Forschungsgegenstand
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Mills, der den bürgerlichen Emanzipationstheoretikern zuzuordnen ist13, durchbrochen.14 Gemein ist allen Emanzipationstheoretikern ein Leben und Schaffen im 19. Jahrhundert vor der Etablierung einer deutschen Frauenbewegung15. Mit Ausnahme Mills, der sich aber ebenfalls mit dem Sozialismus auseinandersetzte, können alle als Sozialisten bezeichnet werden. Neben Otto von Gierke16 gehörte Anton Menger, der dem Gesetzeswerk sehr skeptisch gegenüberstand, zu den Hauptkritikern des ersten Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Seine Stellungnahmen wurden sowohl von den Mitgliedern der SPD-Reichstagsfraktion als auch von der bürgerlichen sowie der proletarischen Frauenbewegung wahrgenommen und teilweise in ihren eigenen Stellungnahmen zum BGB-Entwurf zitiert. Es gab in der SPD-Reichstagsfraktion drei Abgeordnete, die sich im Rahmen der Lesungen der Gesetzesentwürfe zum Bürgerlichen Gesetzbuch für Änderungen des Familienrechts einsetzten: die Abgeordneten Bebel, Frohme und Stadthagen. Die beiden Letzteren votierten in einer Probeabstimmung der Fraktion für die Zustimmung zum Bürgerlichen Gesetzbuch.17 Bebel hingegen wirkte maßgeblich darauf hin, dass die Fraktion schließlich geschlossen gegen das BGB stimmte.18 Es ist offensichtlich, dass die Reformforderungen zum Eherecht zur Zeit der Zivilrechtskodifikation neben der Erleichterung der Ehescheidung hauptsächlich die Stellung der Frau in der Ehe betrafen. Das Empfinden von Gerechtigkeit im Sinne von Gleichberechtigung musste erst langsam entstehen. Nur durch die Entwicklung eines Bewusstseins von Gerechtigkeit in dieser Form konnte der Weg hin zu einer gelebten Gleichheit der Geschlechter beschritten werden. Die schon viel früher in der Theorie erhobenen Forderungen nach der Besserstellung der Frau in Ehe und Familie mussten also von Frauen und Männern aufgenommen
13 S. dazu 2. Kapitel II. 3. 14 Dadurch wurde der Weg zu der interessanten Nebenfrage geebnet, die sich der Differenzierung zwischen bürgerlicher und sozialistischer Emanzipationstheorie annimmt. 15 Davon ist eine Ausnahme zu nennen: Bebels Die Frau und der Sozialismus wurde erstmals 1879 veröffentlicht als es zumindest schon eine bürgerliche Frauenbewegung gab. Diese steckte jedoch noch in ihren Anfängen. 16 Zu Otto Friedrich von Gierke (1841–1921) s. Bader, Gierke, Otto von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 6, Berlin 1964, S. 374 f. 17 Bebel, Brief an Victor Adler vom 28. Juni 1896, abgedruckt in Vormbaum, 1997, Quelle Nr. 77, S. 337/338. 18 Weitergehend zur Motivation der SPD-Reichstagsfraktion, gegen das BGB zu stimmen, s. Vormbaum, Einleitung, S. LXXIV-LXXXLVI. Zum Verhältnis der Sozialdemokratie und Recht s. 4. Kapitel I.
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Schwerpunktsetzung und Hintergründe
und eine Sensibilität für die später geforderte Gerechtigkeit19 vor allem von den Frauen entwickelt werden. Diesen Prozess hat die deutsche Frauenbewegung20 im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ins Leben gerufen und vorangetrieben. Die proletarische Frauenbewegung, die aus der Arbeiterinnenbewegung gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstand und sich stets in Konkurrenz zur bürgerlichen Frauenbewegung sah, wurde in Bezug auf die Frauenemanzipation mit besonderen Problemen konfrontiert. Die ihr angehörigen Frauen setzten sich zum einen an der Seite der proletarischen Männer für die Verbesserung der Lage der gesamten Arbeiterklasse ein und zum anderen für die Erweiterung der Rechte der Frauen. Der Einsatz für Frauenrechte wurde von einem Großteil der Männer und auch von vielen Frauen als zweitrangige Angelegenheit gesehen, was aufgrund der schlechten Lebensverhältnisse der Arbeiterfamilien, die größtenteils am Rande des Existenzminimums lebten, nachzuvollziehen ist. Eine Erweiterung der Rechte der Frauen auf dem Arbeitsmarkt schürte die Konkurrenz der Männer der eigenen Klasse, da Frauenarbeit billiger war als Männerarbeit21 und die Angst vor einem Lohndumping unter den Männern aufkam.22 Eine weitere Hürde lag in der Tatsache, dass die proletarischen Frauen so gut wie keine Schulbildung besaßen.
IV. Schwerpunktsetzung und Hintergründe Eine Schwerpunktsetzung der Arbeit findet in einer rechtlichen und einer gesellschaftlichen Hinsicht statt. Bei einer näheren Beschäftigung mit den einschlägigen 19 Emma Ihrer forderte in einer Resolution auf einer Protestveranstaltung gegen das BGB in Berlin am 20. Oktober 1896: „Im Namen der Gerechtigkeit, welche der Gesetzgebung zu Grunde liegt, im Namen der Gleichheit, welche jeder Staatsbürger vor dem Gesetze genießen soll, protestieren wir gegen die Rechtlosigkeit der Frau als Gattin und Mutter.“ 20 Gemeint sind die bürgerliche und die proletarische Frauenbewegung. Ihre Entwicklung, insbesondere der bürgerliche Einfluss auf die proletarische Frauenbewegung wird im 5. Kapitel der Arbeit behandelt. Zudem erfolgt dort eine Begriffsbestimmung. 21 Dies ist heute in vielen Arbeitsbereichen immer noch so. S. hierzu Erster Gleichstellungsbericht der Bundesregierung – Neue Wege – Gleiche Chancen – Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebenslauf auf http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/gleichstellung,did=174358.html, zuletzt abgerufen am 27.02.2013; Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 8. März 2004, S. 2, Dabeisein ist nicht alles. In der Politik mischen mehr Frauen mit denn je, doch an den Schlüsselstellen sitzen weiter Männer; Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 22./23. Januar 2005, S. 13, Frauen und Männer: Neueste Ermittlungen im Krisengebiet, Die netten Jahre sind vorbei; Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 30. März 2011, S. 1, Bundesregierung droht Firmen mit Gesetz, Mehr Frauen in Spitzenpositionen. 22 S. dazu Thönnessen, Frauenemanzipation, 1976, S. 14; Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus. Die sozialdemokratische Frauenbewegung im Kaiserreich, 1981, S. 28.
Proletarische Frauenbewegung und Recht
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Quellen wird deutlich, dass das Eherecht und die aufgestellten Rechtsforderungen je nach Zeit und Ort verschiedene Schwerpunktsetzungen erfuhren. Es gibt eine Vielzahl von Quellen aus dem vorgestellten Forschungsbereich zum Eherecht. Sie beinhalten überwiegend Forderungen zu den persönlichen Ehepflichten der Ehepartner und zum Ehescheidungsrecht. Im Rahmen der Diskussion der Zivilrechtsentwürfe und der daraus resultierenden Rechtsforderungen liefern die Emanzipationstheoretiker die Grundlage für die Forderungen nach Gleichberechtigung der Geschlechter. Die SPD-Reichstagsfraktion hingegen stellt ein Bindeglied zwischen der proletarischen Frauenbewegung und dem Gesetz dar.23 Sie konkretisiert unter anderem das, was die proletarische Frauenbewegung allgemeiner formulierte. Es soll daher die Entwicklung der Forderungen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts erst in der Theorie erhoben wurden, später von der proletarischen Frauenbewegung in die Praxis und von der SPD-Reichstagsfraktion in Gesetz umgesetzt oder umzusetzen versucht wurden, nachvollzogen werden. Sowohl den Theoretikern als auch den Abgeordneten im Reichstag kommt eine besondere Bedeutung für die Agitation der proletarischen Frauenbewegung zu. Die Ausdehnung des Forschungsgegenstandes auf die Gesamtheit dieser Gruppierungen war im Rahmen der Vorüberlegungen zu dieser Arbeit zunächst nicht geplant, ergab sich jedoch im Laufe ihrer Erstellung. Dennoch liegt der Schwerpunkt der Arbeit in der Betrachtung der SPD-Reichstagsabgeordneten und der proletarischen Frauenbewegung.24
V. Methodik Das methodische Vorgehen besteht zunächst in einer Auswertung von Quellen, die über bloße Darstellung hinaus auf Sprache, Systematik, Entstehung, Sinn und Zweck untersucht werden. Ein Schwerpunkt der Arbeit gilt jedoch der sich anschließenden Interpretation.25 Erst der Vergleich der Interpretationsergebnisse der einzelnen Quellen führt letztlich zu den angestrebten Ergebnissen. Dabei werden die Aussagen der Emanzipationstheoretiker, der SPD-Reichstagsfraktion und der proletarischen Frauen zu Ehe und Familie unter dem Gesichtspunkt der beiden Pole Theorie und Lebenswirklichkeit gegenüber gestellt. Die methodische Vor23 Als weiteres „Zwischenglied“ können die SPD-Parteitage genannt werden, auf denen Parteiprogramme entstanden, welche die Mitglieder der SPD-Reichstagsfraktion „beauftragten“. S. 4. Kapitel I. 24 Das 4. und 5. Kapitel stellen somit den Schwerpunkt der Arbeit dar. 25 Gerade die Quellen der sozialdemokratischen Frauen, also von nichtjuristischer Seite, beinhalten allgemeinere Aussagen, die eine weitere juristische Interpretation zulassen.
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Definitionen, Begrifflichkeiten und Sprachgebrauch
gehensweise ist somit dreistufig und folgt weitgehend – in den beiden letzteren Stufen – den Grundsätzen der modernen Hermeneutik.26
VI. Definitionen, Begrifflichkeiten und Sprachgebrauch 1. Frauenbewegung, Arbeiterinnenbewegung, proletarische und sozialdemokratische Frauenbewegung, die Bezeichnungen „radikal“ und „gemäßigt“ Der Begriff Frauenbewegung kann nur mit sehr allgemeinem Inhalt gefüllt werden: Er bezeichnet eine soziale Bewegung, die sich für die Erweiterung der Rechte und/oder die Verbesserung der Stellung der Frau in der Gesellschaft einsetzt. Vorliegend wird stets von der modernen Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich die Rede sein, deren erste Welle ab Mitte der 19. Jahrhunderts für die grundsätzlichen politischen und bürgerlichen Rechte der Frau kämpfte. Der Bewegung gehörten Frauen wie auch Männer an. Der Begriff sozialdemokratische Frauenbewegung beschreibt die aus der proletarischen Frauenbewegung, die wiederum aus der Arbeiterinnenbewegung entstanden war, hervorgegangene politische Organisation. Die Bezeichnung proletarische Frauenbewegung ist somit etwas weiter gefasst als erstere. Sie wurde in der Literatur27 vor allem zur Abgrenzung von der bürgerlichen Frauenbewegung entwickelt. Es wird regelmäßig von zwei verschiedenen Bewegungen ausgegangen, was ihre getrennte Agitation betreffend vollkommen zutrifft, bezüglich der Entstehung jedoch bezweifelt werden soll.28 Innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung stößt man in der Literatur auf eine Einordnung in eine gemäßigte und eine radikale Strömung.29 Bzgl. der proletarischen Frauenbewegung führt das dazu, dass diese Kategorisierung innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung auch zu deren 26 Zur modernen Hermeneutik siehe Meder, Missverstehen und Verstehen, 2004 sowie Detel, Geist und Verstehen: Historische Grundlagen einer modernen Hermeneutik, 2011. Detel geht davon aus, dass eine moderne Hermeneutik als Theorie des Verstehens im begrifflichen Rahmen der gegenwärtigen Theorie des Geistes und der Semantik rekonstruiert werden kann, die in der Lage ist, den naturwissenschaftlichen Ansprüchen und Theorieanforderungen Stand zu halten. 27 So z. B. bei Frederiksen, Die Frauenfrage in Deutschland. 1865–1915, 1981; Hervé, Geschichte der deutschen Frauenbewegung, 1982. 28 Clara Zetkin gibt in ihrer Schrift Die proletarische Frauenbewegung zu, dass das bürgerliche Gedankengut des Vormärz „den Boden für die proletarische Frauenbewegung genährt“ hat. S. dazu Gerhard; Unerhört, die Geschichte der deutschen Frauenbewegung, 1990, S. 42–71 sowie 4. Kapitel I. 29 So z. B. bei Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutsche Kaiserreich, 1979.
Ehedefinitionen, Eheverständnisse und das Wesen der Ehe
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Maßstab genommen wird und so oftmals Parallelen und Gemeinsamkeiten der proletarischen Frauenbewegung mit dem sog. radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung aufgezeigt werden. Dies liegt wohl daran, dass einige Frauen, die in diesen „radikalen Flügel“ eingeordnet werden, dem Sozialismus durchaus Sympathie entgegenbrachten. Grundsätzlich ist dieser Kategorisierung zwar nichts entgegenzusetzen; so hilft sie ohne Zweifel bei der Zuordnung der Autorinnen der Quellen zu bestimmten Gruppierungen der Frauenbewegung. Keine Rückschlüsse lässt sie jedoch auf den Inhalt der Forderungen zu, deren Grad der Radikalität sich nach der Art der Forderung sowohl im bürgerlichen als auch proletarischen Lager unterscheiden. Es ist zum Beispiel möglich, dass die proletarischen Frauen, die stets durch ihre sozialistische Prägung als politisch links und radikal gelten, Forderungen aufstellten, die im bürgerlichen Lager eher den gemäßigten Frauen zuzuordnen wären. Diese Kritik gilt ebenso für die Kategorisierung innerhalb der beiden Bewegungen. Daraus ergibt sich die Frage, ob eine Einordnung von Teilen, Gruppierungen oder Flügeln der Bewegungen überhaupt möglich ist. Einzig das Bedürfnis nach der Schaffung eines groben Übersichtsschemas könnte eine solche Kategorisierung rechtfertigen, die kein aufschlussreiches Bild der teilweise sehr komplexen Strukturen der Frauenbewegungen zu vermitteln vermag, jedoch als Ausgangspunkt für eine tiefergehende Analyse und damit ihrer eigenen Infragestellung dienen könnte. Einzuordnen ist nämlich zunächst jede einzelne Forderung, die von einer Person oder Personengruppe aufgestellt wurde. Um einen einheitlichen Ausgangspunkt zu schaffen und um Missverständnissen vorzubeugen, wird sich im Verlaufe dieser Arbeit weiter an der oben dargestellten Kategorisierung orientiert und ihre Begriffsbestimmung zunächst übernommen. 2. Ehedefinitionen, Eheverständnisse und das Wesen der Ehe Dem Begriff „Ehe“ kommt in dieser Arbeit wesentliche Bedeutung zu. Gerade deshalb besteht die Notwendigkeit, diesen zu definieren, was jedoch nicht ohne weiteres möglich ist. Er wird in den herangezogenen Quellen häufig, aber in ganz verschiedener Weise gebraucht. Teilweise wird von Ehe gesprochen, ohne dass damit die „rechtliche Ehe“, auf welche das Eherecht Anwendung findet, gemeint wäre. In diesen Fällen werden allgemeine Vorstellungen von dem Verhältnis von Frau und Mann zueinander zum Ausdruck gebracht. Sie sind für diese Arbeit, die ein Hauptaugenmerk auf Eherechte legt, wohlgleich von großer Bedeutung. So stellen gerade die allgemeinen Ausführungen vom Verständnis des Verhältnisses der Geschlechter zueinander die Grundlage für die Formulierung von Eherechten und Eherechtsforderungen dar. In den meisten Fällen geht es in den Quellen jedoch um die „rechtliche Ehe“. Aber auch diese Texte lassen neben den konkreten Stellungnahmen zum Eherecht vielmehr allgemeine Vorstellungen von Ehe er-
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Definitionen, Begrifflichkeiten und Sprachgebrauch
kennen, die wiederum Grundlage für Eherechtsforderungen sein können. Daraus folgt, dass der Begriff Ehe für diese Arbeit weit zu fassen ist. Ehe meint nicht von vornherein nur die von den Rechtsnormen umfasste Ehe. Letzteres ist jedoch der häufigste Fall. Oftmals wird in den Quellen versucht, die Ehe zu definieren, das heißt, die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Ehe und für den Ausschluss des Vorliegens der Ehe, also die Grenzen, zu bestimmen, um davon ausgehend Eherechte zu formulieren. Ein weiterer Aspekt der Ehe ist ihr Zweck, der sie in einen übergeordneten Final- und Kausalzusammenhang stellt. Der Ehezweck wird gleichsam für eine Ehedefinition herangezogen, ist aber eigentlich eine Erweiterung dieser. Allen Versuchen von Ehedefinitionen liegen oftmals ganz individuelle Eheverständnisse zugrunde, die wiederum ihren Ursprung häufig in Weltanschauungen, Religionen und allgemeinen Wertverstellungen haben. Eheverständnisse geben somit eine Antwort auf die Frage, was hinter einer Ehedefinition steckt. Es gibt vollkommen verschiedene Eheverständnisse, die miteinander konkurrieren, wenngleich sie verschiedenen Epochen zuzuordnen sind.30 Eheverständnisse bilden also die Grundlage für jegliche Konkretisierungen von Ehe. Sie werden meist nicht ausdrücklich formuliert, da sie nur im Hintergrund stehen. Dennoch lassen sich alle Stellungnahmen über Ehe auf sie zurückführen. Dies gilt auch für sämtliche Eherechtsforderungen. Den Eheverständnissen kommt daher in dieser Arbeit eine große Bedeutung zu. Es soll im Verlauf der Arbeit immer wieder versucht werden, das den Aussagen über Ehe und den Eherechtsforderungen zugrundeliegende Eheverständnis herauszustellen. In engem Zusammenhang mit einem Eheverständnis steht das sogenannte Wesen der Ehe. Dieses ist nicht – wie philologisch sinnvoll herleitbar – durch die Ehedefinition bestimmbar. Es ist vielmehr ein unbestimmter Rechtsbegriff, der generalklauselartig und mit völlig verschiedenen Vorstellungen seiner Verwender über Ehe auftaucht. Der Begriff schwebt somit über der Ehedefinition und dem Ehezweck. Im Rahmen der Diskussion über die Entwürfe des Bürgerlichen Gesetzbuchs wird das Wesen der Ehe zum Beispiel gebraucht, um den Entwurf des Eherechts ohne tiefere Begründung zu rechtfertigen31. Die Mitglieder der SPDReichstagsfraktion und die proletarische Frauenbewegung verwenden das Wesen der Ehe hingegen, um Kritik an dem Entwurf zu üben. Bei den Frühsozialisten und Marxisten erscheint es ebenfalls als Begründung für Eherechtsforderungen. Das Wesen der Ehe dient häufig als Platzhalter für ganz individuelle Eheverständnisse verschiedener Personenkreise oder Einzelpersonen von Ehe, die – ohne jegliche 30 Eine knappe und sehr übersichtliche Darstellung der Entwicklung verschiedener Eheverständnisse findet sich bei Schwab, Familienrecht, 2008, S. 15–17. 31 S. hierzu auch ausführlich Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, 2003, S. 208.
Eherecht als Teil des Familienrechts
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Wertung vorwegzunehmen – aufgrund unterschiedlich gelagerter Umstände, z. B. eine besondere Abstraktheit, besonderer Respekt vor der Ehe oder schlicht aus einem Schamgefühl vor möglichen Aspekten der Ehe, nicht in Worte gefasst werden können. Ausführungen zum Wesen der Ehe spiegeln demnach u. a. Vorstellungen von einem Idealbild von Ehe wider und beinhalten Wunschvorstellungen. Die Arbeit will sich vor allem den Eheverständnissen annehmen, die für ihre Zeit nicht der Ehewirklichkeit entsprachen und die auch nicht den Ehegesetzen der Zeit zugrunde lagen. Da die Übergänge der dargestellten Aspekte und deren beschreibende Begrifflichkeiten von „Ehe“ fließend sind und in den Quellen verschiedenartig gebraucht werden, soll ihre Darstellung stets im Zusammenhang erfolgen. 3. Eherecht als Teil des Familienrechts Blickt man in das Stichwortverzeichnis von Familienrechtslehrbüchern, so findet man den Begriff Eherecht in der Regel nicht. Auch in Inhaltsverzeichnissen bzw. Gliederungen taucht er nicht auf. Die Brockhaus Enzyklopädie32 definiert Eherecht als die Regelung der Ehe und der mit ihr zusammenhängenden Lebensverhältnisse, soweit sie durch Rechtsnormen erfassbar sind. Eherecht soll im Folgenden ausschließlich das rechtliche Verhältnis zwischen Frau und Mann beschreiben, welches in der in der Gegenwart durch die Normen über Eheschließung, die allgemeinen Rechtsfolgen der Ehe, das eheliche Güterrecht, die Trennung und ihre Folgen, die Ehescheidung, den Geschiedenenunterhalt, den Zugewinnausgleich nach der Scheidung, Ehewohnung und Hausrat nach Trennung und Scheidung und den Versorgungsausgleich geregelt wird. Zur Zeit der Zivilrechtskodifikation gab es weder Zugewinn- noch Versorgungsausgleich. Das heutige Eherecht erhielt seine wesentliche Struktur aber bereits zu dieser Zeit, so dass dieselben Bereiche des Eherechts für diese Arbeit von Bedeutung sind.33 Das eigentliche Familienrecht, somit das Recht, welches nicht nur das Verhältnis zwischen Frau und Mann, Ehefrau und Ehemann, regelt, sondern vor allem auch das Verhältnis zwischen Eltern und ihren Kindern, wird entgegen dem eigentlichen Vorhaben und zugunsten einer eingehenderen Betrachtung des Eherechts nicht Gegenstand dieser Arbeit sein.34 Darüber hinaus wäre eine Auseinandersetzung 32 Brockhaus Enzyklopädie, 19. Auflage, Band 6, S. 128. 33 Zum System des Eherechts der BGB-Entwürfe s. 4. Kapitel IV.; zur Entwicklung des Eherechts bis in die Gegenwart s. 6. Kapitel III. 34 Das Unehelichenrecht war für die Sozialdemokratie von besonderem Interesse. Eine eingehende Beschäftigung mit diesem Thema würde leider den Rahmen dieser Arbeit sprengen und könnte Thema einer weiteren Arbeit sein. Zum Unehelichenrecht s. auch Baumgarten, Die Entstehung des Unehelichenrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, 2007.
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Definitionen, Begrifflichkeiten und Sprachgebrauch
mit dem Arbeits- und Sozialrecht der Zeit um die Zivilrechtskodifikation sehr interessant, würde aber ebenfalls den Rahmen dieser Arbeit sprengen.35 4. Die verschiedenen BGB-Entwürfe Zunächst gibt die Vielzahl der verschiedenen BGB-Entwürfe ein eher verwirrendes Bild ab. Hinzu kommt, dass diese in der Literatur unterschiedlich bezeichnet werden. Orientiert werden soll sich an den vor allem in der jüngeren Literatur gebrauchten Begrifflichkeiten, die größtenteils einheitlich von dem ersten, zweiten und dritten Entwurf des BGB sprechen.36 Anton Menger bezieht sich in seiner Kritik auf den ersten Entwurf37, die proletarische Frauenbewegung hingegen überwiegend auf den dritten Entwurf, die sogenannte Reichstagsvorlage, der auch die Grundlage für die Debatten im Reichstag im Jahr 1896 darstellte. 5. Der Sprachgebrauch der proletarischen Frauenbewegung Besonders hingewiesen werden soll auf die Tatsache, dass es sich bei den Frauen, die in der proletarischen Frauenbewegung aktiv waren und bei den proletarischen Frauen generell, durchweg um juristische Laien handelt.38 Die in der Zeitschrift Die Gleichheit von den Frauen veröffentlichten Artikel beinhalten daher, gerade wenn es um konkrete Gesetzeskritik geht, Begriffe, die juristisch unzutreffend sind. So ist z. B., wenn es um Ehescheidungsnormen geht, von der „Trennung der Ehe“ die Rede. Im Fall, dass die Sprache der Frauen übernommen wird, soll dies mit dem Setzen von Anführungszeichen verdeutlicht werden. Da größtenteils unmissverständlich deutlich ist, auf welchen Paragraphen sich die Frauen mit ihrer Kritik beziehen, ist eine „Übersetzung“ in den juristischen Sprachgebrauch meist unnötig und ergibt sich von selbst.
35 Thema einer weiteren Arbeit könnte die Beschäftigung mit den Forderungen der proletarischen Frauenbewegung zum Arbeits- und Mutterschutz sein. Die Zeitschrift Die Gleichheit liefert hierzu eine Vielzahl von Quellen. 36 Meder, Rechtsgeschichte, 4. Aufl. 2011, S. 343–348. 37 So auch Figurewicz, Die Rechtskämpfe der älteren Frauenbewegung gegen das BGB von 1896, in: Frauenrecht und Rechtsgeschichte, Die Rechtskämpfe der deutschen Frauenbewegung, Meder/Duncker/Czelk (Hg.), 2006, S. 172. 38 Dies ist in Anbetracht der Tatsache, dass Frauen im Kaiserreich zu der Zeit der Zivilrechtskodifikation das Studium der Rechtswissenschaften nicht zugänglich war, offensichtlich. Zu den ersten Juristinnen Deutschlands s. Berneike, Die Frauenfrage ist Rechtsfrage: die Juristinnen der deutschen Frauenbewegung und das Bürgerliche Gesetzbuch, 1995; Röwekamp, Die ersten deutschen Juristinnen, 2011.
Die Sozialdemokratie und die Stellung der Geschlechter zueinander
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VII. Stand der Forschung 1. Die Sozialdemokratie und die Stellung der Geschlechter zueinander Frauenemanzipation ist ein Thema, über das vor allem in den 1970er Jahren zahlreich geschrieben wurde. Eine Vielzahl an Literatur stammt aus dieser Zeit, als Frauenemanzipation erneut aufgrund gesellschaftspolitischer Entwicklungen zu einem von der breiten Öffentlichkeit diskutierten Thema wurde. Es gibt einige Arbeiten, die sich der Frauenemanzipation aus dem Blickwinkel der Sozialdemokratie und der proletarischen Frauenbewegung annehmen.39 Hervorzuheben ist besonders die Arbeit von Richard J. Evans40, der als erster über den Centralverein der Frauen und Mädchen Deutschlands berichtet und eine eingehende Analyse über das Verhältnis der proletarischen Frauenbewegung zur sozialdemokratischen Partei liefert. Gemein ist allen Schriften ihr gesellschaftspolitischer sowie historischer Ansatz. Aufgrund der großen Anzahl an Literatur über die proletarische Frauenbewegung wird die Darstellung der Entwicklung derselben recht knapp ausfallen und auf einschlägige Literatur verwiesen. 2. Das Rechtsgebiet Was die Vielfalt der soeben dargestellten Literatur mit sich bringt, ist die Tatsache, dass bereits zahlreiche Quellen der proletarischen Frauenbewegung erschlossen sind.41 Allerdings ist bislang keine eingehende Auswertung und Interpretation der 39 Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus. Die sozialdemokratische Frauenbewegung im Kaiserreich, 1981; Thönnessen, Frauenemanzipation, Politik und Literatur der deutschen Sozialdemokratie zur Frauenbewegung 1863–1933, 1969; Albrecht, Frauenfrage und deutsche Sozialdemokratie; in Archiv für Sozialgeschichte vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn der zwanziger Jahre, XIX. Band, S. 459–510, 1979; Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 1980; Haarmann, Schwestern zur Sonne zur Gleichheit. Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung, 1985; Heinemann, Familie zwischen Tradition und Emanzipation. Katholische und sozialdemokratische Familienkonzeptionen in der Weimarer Republik, 2004; Institut für Marxistische Studien und Forschungen (Hg.), Arbeiterbewegung und Frauenemanzipation, 1973; Nave-Herz, Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, 1993; zur deutschen Frauenbewegung insgesamt: Gerhard, Unerhört. Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung, 1981. 40 Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im Deutschen Kaiserreich, 1979. 41 Es sind Quellensammlungen herausgegeben worden wie z. B. von Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, 1981. Es gibt jedoch auch viele Quellensammlungen, die sich nicht auf die Proletarische Frauenbewegung beschränken, sondern auch Texte der bürgerlichen Frauenbewegung beinhalten: z. B. Fredriksen, Die Frauenfrage in Deutschland 1865–1915, Texte und Dokumente, 1981.
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Stand der Forschung
Quellen mit der Schwerpunktsetzung Eherecht trotz ihrer großen Bedeutung für die Auseinandersetzung über die rechtliche Stellung der Frau erfolgt. Es gibt einige sehr interessante Arbeiten, die sich der Verbindung von Frauenemanzipation – bzw. allgemeiner dem Verhältnis von Frau und Mann – und Recht, insbesondere der Rechtsgeschichte angenommen haben.42 Für das Thema dieser Arbeit hervorzuheben ist die herausragende Arbeit von Arne Duncker43, der sich ausführlich mit der rechtlichen Stellung von Frau und Mann in der ehelichen Lebensgemeinschaft auseinandersetzt. Weiterhin gibt es Schriften von Wolfgang Plat44, die sich besonders der Kritik der Sozialdemokraten an dem Familienrecht des BGB-Entwurfs annehmen. Plat hat hierzu einen SPD-Gegenentwurf zum Familienrecht des BGB, der von den Sozialdemokraten selbst nie formuliert wurde, herausgearbeitet. Es gibt keine Arbeit, die die Aussagen über Ehe und Familie in der sozialistischen Theorie in einen rechtsgeschichtlichen Kontext setzt. Die bereits vorhandenen Arbeiten untersuchen die Frühsozialisten entweder von einem allgemeinen sozialwissenschaftlichen Gesichtspunkt 45 oder sehr knapp als Nebenfrage, ohne sich dabei den sehr interessanten Auffassungen über die Ehe zu widmen46. Das eine Werk, das diese Thematik zum Inhalt hat, kann selbst als historische Quelle der zu untersuchenden Zeit herangezogen werden.47
42 Czelk, Privilegierung und Vorurteil, Schutzbedürftigkeit und Schuld unehelicher Mütter aus Sicht der älteren bürgerlichen Frauenbewegung im Spiegel der Gesetzesforderungen zu § 217 RStGB, 2005; Berneike, Die Frauenfrage ist Rechtsfrage. Die Juristinnen der deutschen Frauenbewegung und das Bürgerliche Gesetzbuch, 1995; Geisel, Klasse, Geschlecht und Recht, Vergleichende sozialhistorische Untersuchung der Rechtsberatungspraxis von Frauen und Arbeiterbewegung (1894–1933), 1997; Limbach, Die Frauenbewegung und das bürgerliche Gesetzbuch, in Frauen im Recht, 1990; Rosenbusch, Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland, 1998; Baumgarten, Die Entstehung des Unehelichenrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, 2007; Rabe, Gleichwertigkeit von Mann und Frau, Die Krause-Schule und die bürgerliche Frauenbewegung im 19. Jahrhundert, 2006; Meder/ Duncker/ Czelk (Hg.), Die Rechtstellung der Frau um 1900, Eine kommentierte Quellensammlung, 2010. 43 Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe: persönliche Stellung von Frau und Mann im Recht der ehelichen Lebensgemeinschaft 1700–1914, 2003. 44 Plat, Du sollst nicht ihr Herr sein!, Sozialdemokratie und Familienrecht; ein Beitrag zur Entstehung des BGB (1896), 1994; Das Streben der Sozialdemokratie nach gesetzlicher Fixierung der Gleichberechtigung der Frau bei der Beratung des BGB-Entwurfs 1896, in Neue Justiz 1966, S. 19–21; Die Stellung der deutschen Sozialdemokratie zum Grundsatz der Gleichberechtigung der Frau auf dem Gebiet des Familienrechts bei der Schaffung des bürgerlichen Gesetzbuches es Deutschen Reiches, 1966. 45 Schwägler, Soziologie der Familie, 1970, 1975; Merfeld, Die Emanzipation der Frau in der sozialistischen Theorie und Praxis, 1972. 46 Neumann, Die Entwicklung der sozialistischen Frauenbewegung, 1921. 47 Unger, Die Ehe in ihrer welthistorischen Entwicklung, 1850.
Die Emanzipationstheoretiker
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VIII. Quellenlage und Eingrenzung – Auswahl der Quellentexte und Zeitraum 1. Die Emanzipationstheoretiker Die Auswahl der Texte der Emanzipationstheoretiker ergibt sich von selbst durch die von ihnen verfassten meist sehr bekannten und gut überlieferten Schriften, die hauptsächlich als Einzelschriften veröffentlicht wurden, aber auch als Fortsetzungsartikel in Zeitschriften erschienen.48 Die Theoretiker waren aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft und verschiedenen Schaffenszeiten selbstverständlich nicht alle mit den gleichen Familien- und Ehegesetzen konfrontiert, so dass konkrete Gesetzeskritik weniger Beachtung finden soll als abstrakte Aussagen über Ehe und die Stellung von Frau und Mann zueinander. Aufgrund der Vielzahl der Schriften, die bereits über einige in dieser Arbeit betrachtete Frühsozialisten, ihr Leben und ihre Lehren vorhanden sind, wird sich auf kleine Ausschnitte ihrer oftmals nur im Gesamtzusammenhang vollständig erfassbaren Ausführungen, nämlich die eherechtlichen Aussagen, konzentriert. Eine umfassende Beschäftigung mit ihren Utopien wäre sehr reizvoll, würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Schließlich fiel die Auswahl auf die Frühsozialisten, die zum einen ihre verschiedenen Eheverständnisse am deutlichsten formulierten und zum anderen auch am fortschrittlichsten waren. 2. Der Kritiker des ersten BGB-Entwurfs und Rechtsforderungen der Reichstagsabgeordneten Die Grundlagen für Gesetzeskritik sind zunächst die Gesetze und Gesetzesentwürfe selbst. Die Protokolle der Reichstagsverhandlungen und der SPD-Parteitage stellen die wesentlichen Quellen für die Untersuchung der Gesetzeskritik der Sozialdemokraten dar. Ferner werden Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, herausgegeben von Benno Mugdan aus dem Jahr 1899, die Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich und Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches: in systematischer Zusammenstellung der nichtveröffentlichten Quellen, zusammengestellt und veröffentlicht von Horst-Heinrich Jakobs und Werner Schubert im Jahr 1899, herangezogen. Schließlich gibt es eine Fülle an Literatur, die sich mit der Zivilrechtskodifikation von 1896 und ihrer Entwicklung befasst, wobei häufig nicht ohne weiteres nachzuvollziehen ist, auf welchen Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches Bezug 48 Gemeint sind hiermit hauptsächlich Owens Lectures of Marriage and the priesthood, die in der Zeitschrift The New Moral World erschienen.
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Quellenlage und Eingrenzung
genommen wird.49 Der Jurist Menger zum Beispiel betrachtet den ersten Entwurf des BGB. Er äußert seine Kritik in seiner Schrift Das BGB und die besitzlosen Volksklassen.50 Weitere Aussagen Mengers vor allem zum Eherecht des Entwurfs und zu seinem persönlichen Eheverständnis finden sich in seinem Werk Neue Staatslehre.51 Menger war der erste Jurist, der den Entwurf unter dem Gesichtspunkt der Berücksichtigung der Interessen der Arbeiter bewertete. Die Beratung des zweiten modifizierten Gesetzesentwurfs der zweiten Kommission im Reichstag steht chronologisch am Ende des Kodifikationsprozesses und stellt nur einen kleinen Ausschnitt desselben dar. Die Struktur und die Grundprinzipien des Gesetzes waren zu diesem Zeitpunkt schon lange festgelegt und es ging „nur“ noch um „kleinere“ Modifikationen. Hervorzuheben ist jedoch, dass während der Beratung im Reichstag der sozialdemokratischen Partei erstmals die Gelegenheit gegeben wurde, offiziell zu dem Entwurf Stellung zu nehmen. Berichte über das Geschehen im Reichstag wurden von Thomas Vormbaum52 in einer Quellensammlung zusammengestellt. Die Sammlung beinhaltet überwiegend Artikel des Vorwärts53, in dem über die Beratungen der XII. Kommission und über die Lesungen im Reichstag berichtetet wird. Die beratenen Regelungen des Entwurfs wurden dabei vorgestellt und erläutert. Gleichfalls ist den Artikeln aber Kritik an den Regelungen des Entwurfs zu entnehmen. Die Arbeit wird sich nur überblicksartig der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs annehmen und von einer Darstellung der Partikulargesetze absehen. In den wenigen Fällen, in denen die sozialdemokratische Kritik sich Vergleichen zu anderen Gesetzen bedient, erfolgt an gleicher Stelle eine kurze Darstellung der kritisierten Regelung in jenem Gesetz. Wie bereits oben ausgeführt, konzentriert sich die Darstellung der sozialdemokratischen Forderungen auf solche, die eherechtliche Kritik beinhalten oder sich – im Falle ihrer Umsetzung – auf das Eherecht auswirken würden.
49 U.a. Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung, 1966, Allgemeiner Teil, S. 3–56; Schulte-Nölke, Die schwere Geburt des Bürgerlichen Gesetzbuchs, NJW 1996, S. 1705–1710; Das Reichsjustizamt und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1995. 50 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, erste Ausgabe 1890. 51 Menger, Neue Staatslehre, 1906. 52 Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Auflage 1997. 53 Die Zeitschrift Vorwärts ist die Zeitschrift der Sozialdemokratischen Partei. Eine Zusammenstellung findet sich ebenfalls in der Quellensammlung von Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Auflage 1997.
Die proletarische Frauenbewegung
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3. Die proletarische Frauenbewegung und die Zeitschrift „Die Gleichheit“ Die Quellenlage über die Zeit vor 1890 ist sehr schlecht. Es wurde nur wenig dokumentiert, was nicht zuletzt auf die staatliche Verfolgung der Sozialdemokraten und das Versammlungsverbot für Frauen zurückzuführen ist. Es ist jedoch bekannt, dass es vor 1890 keine substantielle proletarische Frauenbewegung gab.54 Erst ab 1907 wurde die Bewegung zu einer Massenbewegung, was an den Abonnentenzahlen der Zeitschrift Die Gleichheit nachzuvollziehen ist. Da es Ende des 19. Jahrhunderts keine offizielle Registrierung gab, existieren auch keine offiziellen Zahlen über die Mitgliederstärke.55 In dem in der Arbeit betrachteten Zeitraum findet sich die proletarische Frauenbewegung also noch in einem Stadium der Etablierung. Ihre Forderungen stammen daher aus einem recht kleinen Kreis in der Bewegung aktiver Frauen.56 Da die proletarische Frauenbewegung in dieser Arbeit in Zusammenhang mit Aussagen über Ehe und Familie betrachtet wird, werden zwar auch spätere Aussagen der Frauen herangezogen57, der Schwerpunkt der Betrachtung liegt jedoch um die Zeit der Zivilrechtskodifikation im Jahr 1896. Neben bekannten Schriften von Mitgliedern der proletarischen Frauenbewegung und von Sozialdemokraten wie Die Frau und der Sozialismus von August Bebel, Die Frauenfrage von Lily Braun, den Reden und Schriften von Clara Zetkin, kommt der von Emma Ihrer und Clara Zetkin herausgegebenen Zeitschrift Die Gleichheit besondere Bedeutung zu.58 Sie entwickelte sich im zweiten Anlauf zum Sprachrohr der proletarischen Frauenbewegung und trug wesentlich zur Etablierung einer einheitlichen Bewegung bei. In ihr nahm Clara Zetkin lange Zeit – das heißt in der Phase der Entstehung des BGB bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges – eine bedeutende Rolle, wahrscheinlich die Führungsrolle ein. Die Zeitschrift Die Gleichheit, enthält daher stets die dezidierte Note Zetkins. Dies gilt ausnahmslos für alle Aufrufe und anonymen Artikel. Hervorzuheben sind jedoch die in ihr ausgetragenen „Richtungskämpfe“ der Bewegung, für die die Zeitschrift ein Diskussionsforum darstellte. Es findet sich in den Jahrgängen 1892–1907 ein 54 Über die Anfänge schreibt Emma Ihrer, Die Organisation der Arbeiterinnen Deutschlands; ihre Entstehung und Entwicklung, 1893. Die Etablierung der sozialdemokratischen Frauenbewegung wird im 3. Kapitel in einer knappen Darstellung nachvollzogen. 55 Eine tabellarische Darstellung der Abonnentenzahlen der Zeitschrift Die Gleichheit von 1901–1907 findet sich bei Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, 1979, S. 188. 56 S. dazu 4. Kapitel I. 57 Dies sind vor allem Aussagen zu Ehe in Verbindung mit der Sexualmoral, die aus dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts stammen. 58 Zur Geschichte der Zeitschrift Die Gleichheit s. Freier, „Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären“, 1981, S. 1–7.
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Gang der Untersuchung
über mehrere Ausgaben geführter Meinungsaustausch, bei dem sich Zetkin jedoch nicht das letzte Wort nehmen lässt. Aus diesem Grund liefert die Zeitschrift Die Gleichheit, trotz der Dominanz Zetkins Nachweise für die Meinungsvielfalt und Meinungsbildung innerhalb der proletarischen Frauenbewegung. Die Zeitschrift Die Gleichheit stellt daher die Hauptquelle für die Untersuchung der proletarischen Frauenbewegung dar. Sie wurde umfassend von ihrer Erstausgabe 1892 59 bis einschließlich der Jahrgangsausgaben 1898 ausgewertet.60 Die Zeitschrift setzt sich zusammen aus den oben beschriebenen Diskussionen über die Bewegung, aus Berichten über Parteitage der sozialdemokratischen Partei und Versammlungen und Veranstaltungen der Frauenbewegung, wobei auch über die Aktionen der bürgerlichen Frauen berichtet wird.61 Ferner finden sich meist auf dem Titelblatt der jeweiligen Ausgabe Aufrufe und Veröffentlichungen beschlossener Resolutionen. Diese sind größtenteils kurz und prägnant, damit aber nicht weniger interessant für die Untersuchung. Längere Stellungnahmen zu ausgewählten Themen, auch oft von externen Fachkräften62, und Reden bekannter Sozialdemokraten63 ergänzen die Ausgaben. Sie dienen der Aufklärung und Information der Frauen, viele Argumente werden von ihnen in späteren Stellungnahmen aufgenommen.
IX. Gang der Untersuchung Frauenemanzipation, „Frauenfragen“ und die Stellung der Frau in Ehe und Familie wurden schon viel früher als zur Zeit der Zivilrechtskodifikation im deutschen Kaiserreich in der sozialistischen Theorie diskutiert.64 Da sich dort sehr fortschrittliche, ja radikale Ansätze finden, sollen im zweiten Kapitel die Verständnisse zum Verhältnis der Geschlechter und die eherechtlichen Theorien der Frühsozialisten Fourier, Owen, Saint-Simon und seiner Schule dargestellt werden. Darauf folgt eine knappe Beschäftigung mit den Aussagen Marx‘ und Engels, die keinesfalls 59 Im Jahr 1891 gab Emma Ihrer die Zeitschrift Die Arbeiterin heraus, die 1892 unter dem neuen Titel Die Gleichheit erschien. 60 Es gibt bereits eine sozialwissenschaftliche Auswertung der Zeitschrift Die Gleichheit von Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebähren – Der Antifeminismus der proletarischen Frauenbewegung im Spiegel der „Gleichheit“, 1891–1917, 1981. 61 Diese Berichte fallen ganz unterschiedlich teils sehr lobend, teils spottend aus, was das gespaltene Verhältnis zu den bürgerlichen Frauen widerspiegelt. 62 Bebel stellt z. B. das Familienrecht des neuen BGB vor. 63 Auch hier ist wieder Bebel zu nennen, dessen Reden im Reichstag – in gekürzter Form – wiedergegeben werden. 64 Insbesondere nach der Revolution 1789 fand in Frankreich eine vertiefte Auseinandersetzung über das Verhältnis der Geschlechter zueinander und die Stellung der Frau in der Gesellschaft statt.
Die proletarische Frauenbewegung
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einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Von besonderem Interesse sind die Aussagen des jungen Marx, die er später – es gibt keine Überlieferungen – wohl nicht mehr vertreten hat. Der Beschäftigung mit Bebels Schrift Die Frau und der Sozialismus soll keine abgeschlossene Analyse seiner Forderungen zur Frauenfrage und rechtlichen Stellung der Frau darstellen, sondern vielmehr aufgrund ihres recht frühen Erscheinungsjahres, 1879, als Beitrag zur Entwicklung der sozialistischen Emanzipationstheorie verstanden sein.65 Nach einer Analyse der rechtlichen Stellung der Frau bei den Frühsozialisten wird ein Vergleich mit der bürgerlichen Frauenemanzipationstheorie erfolgen und nach möglichen Gemeinsamkeiten gesucht. Ein besonderes Augenmerk gilt hierbei den Aussagen über die Ehe, die oftmals ganz verschiedene Eheverständnisse widerspiegeln und damit sehr vielfältig sind. In den darauffolgenden Kapiteln wird untersucht, inwiefern sich die Ansätze der Theoretiker später in den Forderungen der Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen widerspiegeln. Im dritten Kapitel beginnt die Analyse der Forderungen zur Zeit der Zivilrechtskodifikation im Kaiserreich, dem eigentlichen Untersuchungszeitraum und -ort. Nach einer knappen Darstellung der Entstehung des BGB-Entwurfs soll ein Blick auf Anton Mengers Eherechtskritik des ersten BGB-Entwurfs geworfen werden. Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Entwurf durch die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten erfolgte erst in den Jahren 1895 und 1896 im Rahmen der Lesungen des Entwurfs im Reichstag. Im vierten Kapitel erfolgt daher eine Darstellung der Positionen der SPD-Reichstagsfraktion zum Eherecht des BGB-Entwurfs. Die Formierung der proletarischen Frauenbewegung soll im fünften Kapitel nachvollzogen werden. Dazu wird auf das Verhältnis der proletarischen zur bürgerlichen Frauenbewegung eingegangen, die maßgeblich zur Definition der proletarischen Bewegung beitrug. Ferner werden die rechtlichen Forderungen der proletarischen Frauenbewegung denen der radikal-bürgerlichen und der gemäßigtbürgerlichen Frauenbewegung gegenübergestellt, um nach Überschneidungen zu suchen und eine Kategorisierung in Frage zu stellen. Die aufgrund der Positionierung zur bürgerlichen Frauenbewegung entstandenen Richtungskämpfe innerhalb der proletarischen Frauenbewegung geben Aufschluss über den Stellenwert von Frauenemanzipation gegenüber dem Einsatz für sozialistische Forderungen. Nach der Herausstellung der konkreten Positionen der proletarischen Frauenbewegung 65 Auch Clara Zetkin trug einen Anteil an der Entwicklung der sozialistischen Emanzipationstheorie. Da sie eine besondere Rolle in der proletarischen Frauenbewegung einnahm und das Organ der Bewegung, die Zeitschrift Die Gleichheit, herausgab, soll auf Clara Zetkin erst im 5. Kapitel eingegangen werden.
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Gang der Untersuchung
zum Entwurf des BGB werden die verschiedenen Ehe- und Familienbilder, die innerhalb der Bewegung vorherrschen, dargestellt. Das sechste Kapitel beinhaltet die Schlussfolgerungen und einen Ausblick auf die Entwicklung des Eherechts bis in die Gegenwart unter dem Aspekt der zum Untersuchungszeitraum erhobenen sozialdemokratischen Forderungen.
2. Kapitel: Theoretische Grundlagen I. Die gesellschaftliche und rechtliche Stellung der Frau in der sozialistischen Theorie In der sozialistischen Theorie wurden die ersten Forderungen nach der Verbesserung der gesellschaftlichen und rechtlichen Stellung der Frau in Verbindung mit sozialistischem Gedankengut schon sehr früh erhoben. 1. Charles Fourier „Die Erweiterung der Privilegien der Frauen ist die allgemeine Grundlage allen sozialen Fortschritts“1.
a) Leben und Werk Charles Fourier2 (1772–1837) wurde als Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns in Besançon geboren. Sein Vater starb schon neun Jahre nach seiner Geburt und hinterließ ihm ein – nach eigenen Angaben – beträchtliches Vermögen, das jedoch zum Teil durch missglückte Spekulationen Fouriers, zum Teil durch die Wirren der Revolution verloren ging.3 Bei der Eroberung des aufständischen Lyon wurde Fourier gefangen genommen, konnte jedoch später aus der Gefangenschaft fliehen. Es folgten ausgedehnte Reisen in Frankreich, Belgien, Holland und Deutschland. Aufgrund von Geldnot war Fourier gezwungen, einer Tätigkeit als Kaufmann nachzugehen, der er jedoch grundsätzlich ablehnend gegenüberstand. So nannte er den Handel „das edle Handwerk der Lüge“. Nachts bildete sich Fourier fort und beschäftigte sich mit Physik, Chemie, Astronomie, Naturgeschichte und Philosophie.4 Sein Hauptaugenmerk lag jedoch darin, die Widersprüchlich-
1 Fourier, Theorie der vier Begegnungen, Wien 1966, Theodor W. Adorno (Hg.), S. 190, In Ramm (Hg.), Der Frühsozialismus, Quellentexte, S. 170, wird der Satz Fouriers wie folgt aus dem Französischen übersetzt: „Die Ausdehnung der Vorrechte der Frau ist das allgemeine Prinzip jeden sozialen Fortschritts“. 2 Weitergehend zu Leben und Werk Fouriers: Kool/Krause (Hg.), Die frühen Sozialisten, 1967, Beecher, Charles Fourier, The Visionary and His Work, 1986, Ramm (Hg.), Der Frühsozialismus, Quellentexte, 1968. 3 Kool/Krause (Hg.), Die frühen Sozialisten, 1967, S. 194. 4 Kool/Krause (Hg.), Die frühen Sozialisten, 1967, S. 194.
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keit der durch wirtschaftliche Interessen geprägten Gesellschaft aufzuzeigen.5 Durch ein kleines Legat seiner 1812 verstorbenen Mutter war Fourier 1816 in der Lage, die kaufmännische Arbeit aufzugeben und sich aufs Land zurückzuziehen, wo er sich fünf Jahre lang vollkommen seinen Studien widmen konnte. Im Jahr 1826 ging Fourier, der zeitlebens Junggeselle blieb, nach Paris, wo er Aufnahme bei seiner Schwester fand. Er bemühte sich zehn Jahre vergeblich darum, einen wohlhabenden Gönner für sich zu gewinnen, der ihm ermöglichen sollte, in einer Versuchsphalanx den Plan einer idealen Gesellschaft zu verwirklichen.6 Im Jahr 1808 veröffentlichte Fourier sein erstes grundlegendes Werk mit dem Titel Théorie des quatre mouvements et des destinées générales7. Um 1820 erschien Le nouveaux monde amoureux8; 1822 gab Fourier in Paris die zwei Bände des Traité de l’association domestique-agricole9 heraus. Es folgten weitere Veröffentlichungen und die Gründung der Zeitschrift Le Phalanstère.10 Als Fourier 1837 in Paris starb, hinterließ er einen Kreis von Schülern, die seine Arbeit fortzusetzen entschlossen waren. 1841 und 1843 erschien die zweite Auflage des Traité de l’association domestique-agricole unter dem Titel Théorie de l’unité universelle11, an dem Fourier bis zu seinem Tod gearbeitet hatte.12 b) Fouriers Stellungnahme zur rechtlichen und gesellschaftlichen Beziehung der Geschlechter Als scharfer Beobachter der bestehenden Gesellschaftsordnung gilt das Hauptinteresse Charles Fouriers neben den „Betrügereien des Handels“ der Kritik der Geschlechtsbeziehungen, die am deutlichsten den Widerspruch zwischen Sein und Sollen, zwischen der Wirklichkeit und den Lehren der Moral aufzeigen.13 In seinem ersten grundlegenden Werk Théorie des quatre mouvements et des destinées générales, welches 1808 erschien, schreibt er über die Motive für die Eheschließung: 5 Weiter dazu Kool/Krause (Hg.), Die frühen Sozialisten, 1967, S. 195. 6 Fourier war davon überzeugt, dass die Verwirklichung seiner Theorien in einem Gemeinwesen die Welt von der Richtigkeit seiner Lehre überzeugen und demzufolge einen Anstoß zu einer weltweiten Sozialreform geben würde. Der Versuch seiner Anhänger, im Jahr 1832 bei Rambouillet eine Phalanx zu gründen, scheiterte jedoch. 7 Im Folgenden werden die deutschen Übersetzungen von Theodor W. Adorno mit dem Titel Theorie der vier Begegnungen herangezogen. 8 Die neue Liebeswelt. 9 Abhandlung über die haus- und landwirtschaftliche Assoziation. 10 Der vollständige Titel lautet Le Phalanstère. La Réforme industrielle ou le Phalanstère, Das Phalansterium. Die industrielle Reform oder das Phalansterium. 11 Theorie der universellen Einheit. 12 Kool/Krause (Hg.), Die frühen Sozialisten, 1967, S. 196. 13 Dazu Ramm (Hg.), Der Frühsozialismus, Quellentexte, 2. Auflage 1968, S. 156.
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„Es gibt in der Zivilisation nur zwei Kräfte, die über die Heirat entscheiden: das Geld und die Intrige.“14 Fouriers Ausführungen zur Ehe sind weniger von Idealvorstellungen als von pragmatischen Gedanken und der Beobachtung der Realität geprägt. Eine für die gesamte Lebenszeit geschlossene Ehe lehnt er grundsätzlich ab, da sie weder den Bedürfnissen der Frau noch denen des Mannes dienlich sei.15 Dabei kritisiert er vor allem die von ihm „isolierter Haushalt“16 genannte Lebensform der Ehepartner, die der Entfaltung des „positiven Glücks“ eines jeden Menschen entgegenstehe.17 Um den Leidenschaften der Menschen zu entsprechen, müsse eine andere Lebensform als der „isolierte Haushalt“ gefunden werden. Dazu schlägt Fourier ein Modell der „fortschrittlichen Haushaltungen“ vor, in dem es drei verschiedene Formen von Beziehungen zwischen Frau und Mann geben soll, die er die „anerkannten Favoriten und Favoritinnen“, die „Erzeuger und Erzeugerinnen“ und schließlich die „Ehemänner und Ehefrauen“ nennt.18 Letztere müssten mindestens zwei gemeinsame Kinder haben, die zweiten nur eines, die ersten keines. Die Titel verleihen jeweils verschiedene Erbschaftsansprüche. Eine Frau könne gleichzeitig einen Ehemann, einen Erzeuger und einen Favoriten haben und darüber hinaus sogenannte „Besitzer“, die gesetzlich keine Bedeutung hätten. Die Frau könne dem Favoriten, von dem sie schwanger ist, den Titel Erzeuger verweigern; sie könne, falls sie Grund zur Unzufriedenheit habe, den verschiedenen Männern den geforderten höheren Titel versagen. Diese Methode beuge gänzlich der Heuchelei vor, 14 Fourier, Theorie der vier Begegnungen, 1966, Theodor W. Adorno (Hg.), S. 196. 15 Fourier führt aus: „Man sagt, in der Politik machen die Stärkeren das Gesetz, in den häuslichen Angelegenheiten ist es nicht so. Das männliche Geschlecht hat, obwohl das stärkere, das Gesetz nicht zu seinem Vorteil gemacht, als es die isolierten Haushaltungen und deren Folgeerscheinungen, die lebenslange Ehe, aufrichtete. Man möchte eher sagen, eine solche Ordnung sei das Werk eines dritten Geschlechts, das die beiden anderen zur langen Weile verdammen wollte. Konnte es etwas Besseres als den isolierten Haushalt und die lebenslange Ehe erfinden, um Gleichgültigkeit, Käuflichkeit und Treulosigkeit in die Liebesbeziehungen und das Vergnügen einzuführen? Die Heirat scheint dazu erfunden zu sein, um die Widernatürlichkeit zu belohnen.“ In: Theorie der vier Begegnungen, Abschnitt: Die Langeweile der Männer in den zusammenhanglosen Haushaltungen; zitiert in Ramm, Der Frühsozialismus, Quellentexte, 1968, S. 161. 16 Fourier, Theorie der vier Begegnungen, in Ramm (Hg.), Der Frühsozialismus, Quellentexte, 1968, S. 161. 17 Für Fourier ist es das Ziel eines jeden Menschen, dieses positive Glück zu erreichen. Dazu gehört für ihn auch, den Trieben des Menschen, wenn auch in begrenztem Maße, nachzugeben. Er differenziert dabei jedoch nicht zwischen Liebestrieb, von Freud libido genannt, und der „echten Liebe“, deren Existenz aufgrund freier Partnerwahl eine größere Chance gegeben wird. Eine differenzierte Analyse hierzu findet sich bei Fromm, Die Kunst des Liebens, 1956. 18 Fourier, Theorie der vier Begegnungen, Ramm (Hg.), Der Frühsozialismus, Quellentexte, 1968, S. 192.
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deren Quelle die Ehe sei.19 Das Gefühl, getäuscht worden zu sein oder selbst geirrt zu haben, würde mit den verschiedenen Graden der Liebesbeziehungen umgangen. Die Zeit, die bei der Verleihung der Grade eine bedeutende Rolle spiele, sei dabei ein entscheidender Faktor. Je länger also die Bindung zwischen Frau und Mann sei, desto erprobter sei die Liebe der Partner und desto stärker sollten die rechtlichen Konsequenzen werden. Ein ehelicher Titel könne also nur aufgrund von beiden Ehegatten erbrachter hinreichender Beweise sowie der Bewährung der Beziehung über einen gewissen Zeitraum erworben werden. Grundsätzlich lehnt Fourier die sexuelle Enthaltsamkeit der Frauen bis zur Eheschließung ab, da diese später in der Ehe dazu führen könnte, dass die Frauen weitere sexuelle Erfahrungen mit anderen Männern zu sammeln begehrten. Hätten sie diese Erfahrungen dagegen vor der Eheschließung gemacht, dann würde dieses Verlangen später nicht mehr auftreten. Fourier sieht in der Ehe den bürgerlichen Zwang und die Gefahr der Monotonie. Sie ist für ihn eine Zwangsinstitution, sowohl für die Frau als auch für den Mann.20 Dass letzterem die Bürde der finanziellen Sorge für die Familie auferlegt sei, mache ihn egoistisch und sorglos anderen gegenüber.21 Wenn man dennoch an der Institution Ehe festhalten wolle, so Fourier, benötige man ein Sozialsystem, das bedürftige Familien unterstützte, wogegen Junggesellen und Ledige einzuzahlen hätten.22 Die ungleiche Rolle von Frau und Mann werde bei den Scheidungsgründen deutlich. Während eine ehebrechende Frau jegliche Würde verliere und ein uneheliches Kind rechtlos gegenüber seinem Vater sei, rühme es den Ehemann umso mehr, möglichst viele Liebhaberinnen zu haben.23 Fourier kritisiert Ausführungen Rousseaus24, der einerseits die vollständige Hingabe der Frau zum Haushalt verlange, andererseits detailliert von den Frauen berichtet, die ihm als Geliebte die Gunst erwiesen haben. Dies empfindet Fourier als äußerst widersprüchlich und für einen Menschen, der sich mit der Philosophie beschäftigt, vollkommen inakzeptabel.25
19 Fourier, Theorie der vier Begegnungen, Ramm (Hg.), Der Frühsozialismus, Quellentexte, 1968, S. 193. 20 Fourier, Der sozietäre Reformplan, 1925, S. 117. 21 Fourier, Der sozietäre Reformplan, 1925, S. 117. 22 Fourier, Der sozietäre Reformplan, 1925, S. 117. 23 Fourier, Theorie der vier Begegnungen, 1966, S. 201. 24 Zu Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) s. Russell, Philosophie des Abendlandes, S. 693 f. 25 Fourier führt über die Philosophen allgemein aus: „Können sie sich irgendwie der göttlichen Vorsehung unterwerfen, die zur Gerechtigkeit führt, das heißt zum Wohl des schwachen wie des starken Geschlechts?“ In: Theorie der vier Begegnungen, 1966, S. 187.
Charles Fourier
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Von der Ebenbürtigkeit der Frau mit dem Mann ist Fourier überzeugt, und stellte sich eine Berufstätigkeit der Frau gemessen an den persönlichen Fähigkeiten vor.26 Er zieht den Maßstab der „Gerechtigkeit“ heran27, um so die Stellung der Frau mit der Ratio des Menschen zu hinterfragen. Die Besserstellung der Frau in der Gesellschaft ist für ihn gleichbedeutend mit der Fortentwicklung der Gesellschaft an sich. Daher fordert er, die Frau müsse dem Mann so selbstbewusst gegenübertreten wie er ihr. Dies sei jedoch eine Sache der Erziehung, welche die Frauen, wenn sie einmal Selbstbewusstsein gefunden hätten, selbst durch die Kindeserziehung beeinflussen könnten. Weiter stellt Fourier fest, dass die Gesetzgebung einen großen Einfluss auf die Moralvorstellung der Menschen habe und deshalb Gesetzesänderungen der erste Schritt zur Besserstellung der Frau in der Gesellschaft seien.28 Was das Eheverständnis Fouriers angeht, so ist er Anhänger der Vertragstheorie. Ein Ehevertrag umfasst für ihn vor allem Regelungen über das Sexualleben der Ehepartner, die er „Liebeskodex“ nennt.29 Er befürwortet damit eine frei gestaltbare Ehe abhängig von den persönlichen Neigungen der Ehegatten. Eine monogame Ehe sei vielleicht für einige Menschen anstrebenswert, andere würden sich jedoch nach wechselnden Sexualpartnern sehnen. Dies sei zwischen den jeweiligen Ehepartnern vor Eheschließung individuell zu vereinbaren.30 Für Fourier ist die Ehe also ein Vertrag, der aufgrund eines Konsenses der Ehepartner zustande kommt und der freien Ausgestaltung zugänglich ist, ohne gesellschaftlichen Beschränkungen zu unterliegen. 31 Der erste Weg zur Erlangung eines gerechten Zustandes in Fragen der Eheschließung liegt für Fourier in der Einrichtung einer „Liebesvolljährigkeit“ für Frauen, um sie dadurch „ab einem bestimmten Alter von der Demütigung zu befreien, zum Verkauf ausgestellt und gezwungen zu werden, sich des Umgangs mit Männern zu enthalten, bis
26 Fourier, Theorie der vier Begegnungen, S. 209. 27 Diese Form der Gerechtigkeit forderte später sowohl die bürgerliche als auch die proletarische Frauenbewegung. s. 5. Kapitel V. 2. 28 Fourier, Theorie der vier Begegnungen, 1966, S. 187. 29 Fourier, Theorie der vier Begegnungen, zit. n. Ramm (Hg.), Der Frühsozialismus, Quellentexte, 1968, S. 193. 30 Fourier, Theorie der vier Begegnungen, 1966, S. 202. 31 Fourier formuliert den Vertragscharakter der Ehe ausdrücklich: „Man kann noch mehr tun, so werfen die Philosophen ein, die die Leidenschaften der Frau zu ändern und die Natur zu unterdrücken versprechen. Was ist das für eine lächerliche Anmaßung, deren Erfolg man ja schon kennt! In der Ehe trifft, wie bei jedem anderen Vertrag, den das Unglück, der eines glücklichen Schicksals am würdigsten wäre.“ In Theorie der vier Begegnungen, zit. n. Ramm (Hg.), Der Frühsozialismus, Quellentexte, 1968, S. 166.
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ein Unbekannter sie erhandelt und heiratet.“ 32 Aus dieser Überlegung heraus schlägt Fourier vor, „die Frauen sollte man im Alter von 18 Jahren emanzipieren oder befreien vorbehaltlich geeigneter Vorschriften über die Vollziehung der Liebe“.33 Damit fordert Fourier, dass sich Frauen nicht nur bewusst dagegen entscheiden können sollten, sich einem Ehemann vorzubehalten, sondern auch, dass es ihnen ebenso wie Männern zustehen solle, sexuelle Erfahrungen vor der Eingehung der Ehe sammeln zu können. Er kommt zu dem Ergebnis, dass es durch diese Regelung zum einen die „Jungfern“ unter 18 Jahren und zum anderen die „Emanzipierten“ über 18 Jahre gebe. Für die Kinder der Emanzipierten aus ihren Beziehungen zu Männern müsse schließlich eine gesetzliche Regelung geschaffen werden. Damit fordert Fourier die Einführung einer Unterhaltspflicht nichtehelicher Väter und zugleich implizit die gesellschaftliche Akzeptanz unehelicher Kinder. Damit nahm er die wesentliche Reformforderung zum Nichtehelichenrecht, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts im deutschen Kaiserreich erhoben wurde, vorweg. c) Wertung August Bebel34, der sich später als Reichstagsabgeordneter für ein fortschrittliches Familienrecht einsetzt, äußert sich über Fouriers Bild von der Stellung der Frau folgendermaßen: „Das Verhältnis der beiden Geschlechter zueinander ist im Fourierschen System das denkbar freieste. Die Kritik, die Fourier an den Beziehungen der Geschlechter in unserer Ge-
sellschaft, an der Form der heutigen Ehe mit ihren Auswüchsen, ihrer Käuflichkeit, ihrer Heuchelei, ihrem Zwange gegen den einen oder anderen oder gegen beide Teile übt, gehört zu dem Schärfsten, was hierüber geschrieben wurde.“35
Erstaunlich ist, dass Fourier teilweise sogar von der Überlegenheit des weiblichen Geschlechts gegenüber dem männlichen ausgeht. Was die Beziehungen zwischen den Geschlechtern angeht, könnte dies darauf zurückzuführen sein, dass Fourier die Entscheidungen der Frauen anders als die der Männer eher von der Vernunft getragen empfindet. Fouriers Modell der fortschrittlichen Haushaltungen mit sei32 Fourier, Theorie der vier Begegnungen, zit. n. Ramm (Hg.), Der Frühsozialismus, Quellentexte, 1968, S. 180. 33 Fourier, Theorie der vier Begegnungen, zit. n. Ramm (Hg.), Der Frühsozialismus, Quellentexte, 1968, S. 180. 34 S. zu Bebel 2. Kapitel V. 35 Bebel, Charles Fourier, Sein Leben und seine Theorien, 1921, S. 24–25.
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nem Prinzip der Bewährung der Männer gegenüber den Frauen trägt Ansätze des heutigen Zusammenlebens unverheirateter Partner aus dem oftmals später, nach einigen Jahren, eine rechtliche Bindung in Form der Ehe hervorgeht. Vor allem Fouriers Vorschlag, die Dauer der Ehe in die Regelung der Ehescheidungsfolgen mit einzubeziehen, zeigt die Aktualität der Gedanken Fourier für die Gegenwart. Leider bleibt Fourier in diesem Zusammenhang wage und konkretisiert seine Forderung nicht. Sein Vorschlag, eine Liebesmündigkeit für Frauen einzuführen, ist Beweis für seine Fortschrittlichkeit in Bezug auf Frauenrechte im Allgemeinen. Sie wird in dieser Deutlichkeit von keinem anderen Zeitgenossen Fouriers vertreten. Für die deutsche Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts formulierte Helene Stöcker ähnlich weit gehende Stellungnahmen zur sexuellen Selbstbestimmung der Frau.36 2. Robert Owen a) Leben und Werk Ein weiterer Frühsozialist, der sich mit dem Verhältnis von Frau und Mann und der Frage nach der Gleichheit beider beschäftigt, ist Robert Owen (1771–1858). Er wurde in Newton, Nordwales, geboren.37 Sein Vater, Sattler, Eisenhändler und Posthalter, war sehr wohlhabend, verlor später aber sein Vermögen.38 Owens Begabung wurde bereits in den ersten Schuljahren deutlich: Als Siebenjähriger durfte er den Lehrer im Unterricht vertreten. Er beschäftigte sich mit Literatur, las vor allem Bücher über verschiedene Religionen. Das Studium der widerstrebenden Glaubensbekenntnisse und des „tödlichen Hasses“39, den die Religionen gegeneinander empfinden, ließ Owen schon als sehr junger Mensch grundlegend am Christentum zweifeln, was sein Leben bis zu dieser Zeit geprägt hatte.40 Im Alter 36 Helene Stöcker (1869–1943) gründete 1905 den Bund für Mutterschutz, der später in Deutscher Bund für Mutterschutz und Sexualreform umbenannt wurde. Stöcker setzte sich vor allem für unverheiratete Mütter und ihre Kinder ein. Sie forderte die Straffreiheit für Abtreibung und die Enttabuisierung von Sexualität außerhalb der Ehe insbesondere für Frauen. Mit ihrem Bund für Mutterschutz und Sexualreform leistete Stöcker aktive Sexualaufklärung. Weitergehend s. Czelk, Privilegierung und Vorurteil, Schutzbedürftigkeit und Schuld unehelicher Mütter aus Sicht der älteren bürgerlichen Frauenbewegung im Spiegel der Gesetzesforderungen zu § 217 RStGB, 2005. 37 Weitergehend zu Leben und Werk: Ramm (Hg.), Der Sozialismus, Quellentexte, 1968, S. 146–148, Kool/Krause (Hg.), Die frühen Sozialisten, 1967; Hasselmann, Robert Owen, Sturm und Drang des sozialen Gewissens in der Frühzeit des Kapitalismus, 1959 38 Kool/Krause (Hg.), Die frühen Sozialisten, 1967, S. 372. 39 Owen, The Life of Robert Owen, 1857, S. 16. 40 Kool/Krause (Hg.), Die frühen Sozialisten, 1967, S. 372.
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von 19 Jahren wurde Owen nach bereits mehrjähriger kaufmännischer Tätigkeit Direktor einer großen Baumwollspinnerei. Nachdem er 1799 Ann Caroline Dale geheiratet hatte, wurde er im Jahr 1800 Geschäftspartner seines Schwiegervaters Dale, eines schottischen Großindustriellen. Er führte dessen Spinnerei in New Lenark. Die dortigen schlechten Bedingungen für die Arbeiter veranlassten ihn, eine Musterfabrik und eine Mustergesellschaft im Kleinen ins Leben zu rufen.41 Seine besondere Aufmerksamkeit galt der Erziehung der Arbeiterkinder, was eine breite Wirkung in der Öffentlichkeit nach sich zog und Owen zu einem gewissen Bekanntheitsgrad in der Bevölkerung verhalf. Nachdem Owen seine in New Lenark angewandten Prinzipien und Methoden für geeignet hielt, die gesamte Gesellschaft zu verbessern, entwickelte er sein erstes Werk A new view on society42. In den darauf folgenden Jahren bemühte sich Owen vornehmlich um staatliche Interventionen zugunsten des Arbeiterschutzes. Er strebte genossenschaftliche Gemeinwesen an, in denen für die Mitglieder die Gleichheit der Lebensverhältnisse gewährleistet wird.43 Das Unternehmen New Harmony in New Lenark scheiterte nach drei Jahren (1825–1828) an mangelnder Konsensfindung der Mitglieder.44 Owen gab seine Ideale jedoch nicht auf, sondern engagierte sich fortan für die Gründung von Gewerkschaften. Ende 1834 erschien das erste Heft der New moral world, einer Aufsatzreihe. Owen publizierte seit dieser Zeit zahlreich und zog sich nicht aus der Öffentlichkeit zurück. Am Vortag seines Todes am 17. November 1858 stellt Owen für sich fest: „Ich brachte der Welt wichtige Wahrheiten. Und wenn sie ihrer nicht achtete, so weil sie sie nicht verstand. Ich bin meiner Zeit voraus.“45
41 Friedrich Engels bezeichnete Robert Owen als „einen Mann von bis zur Erhabenheit kindlicher Einfachheit des Charakters und zugleich einen geborenen Lenker von Menschen wie wenige, der die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf seine Bestrebungen einer Neuordnung der Gesellschaft zu lenken gewusst hat“. Ramm (Hg.), Der Frühsozialismus, Quellentexte, S. 246. 42 Der vollständige Titel lautet A new view on society: or essays on the principle of the formation of the human character, London 1813–1814. 43 Kool/Krause (Hg.), Die frühen Sozialisten, 1967, S. 375. 44 S. dazu Royle, Robert Owen and the commencement of the millennium. A study of the Harmony community, 1998. 45 Simon, Robert Owen, Sein Leben und seine Bedeutung für die Gegenwart, 1925, S. 332.
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b) Owens Stellungnahme zur gesellschaftlichen und rechtlichen Beziehung der Geschlechter Für Owen ist die Gleichberechtigung von Frau und Mann in seiner New Moral World selbstverständlich46: „Männer und Frauen werden die gleiche Erziehung, die gleichen Rechte und Privilegien erhalten und die gleiche persönliche Freiheit genießen […]“47
Ebenso wie Fourier kritisiert Owen die Ehe, die nicht aufgrund wahrer Zuneigung zwischen Frau und Mann geschlossen wird48. Für seine Argumentation zieht Owen die Natur heran: „[…]and nature declares that man and woman shall associate together without evil, only when they shall have a real affection for each other.”49
Anders als Fourier will er jedoch grundsätzlich an einer monogamen Lebensform festhalten, wobei diese allerdings auf Freiwilligkeit und nicht auf Anstandsgefühl oder Moralvorstellung beruht.50 Owen beschäftigt sich mit dem Familienbild anderer Kulturkreise und beschreibt polygame Lebensformen. Dabei gelangt er aber genauso wie bei der monogamen Ehe „of the priesthood“, die auf christlichen Wertvorstellungen beruht, zu dem Ergebnis, dass diese Lebensformen nicht zum Glück der Menschen führen werden.51 Seine Kritik gilt zum einen der Einzelfamilie als wirtschaftlicher Einheit:
46 Interessant ist, dass in der Harmony community der Großteil der Frauen auch herkömmliche „Frauenarbeit“ verrichteten. S. hierzu Royle, Robert Owen and the commencement of the millennium. A study of the Harmony community, Manchester 1998, S. 147. 47 Owen, Das Buch der neuen sittlichen Welt, Über Liebe und Ehe, in: Die Frühsozialisten. 1789–1848, S. 74. 48 Diese Ansicht wird auch von einem Anhänger Owens, der unter dem Pseudonym „Ethnicus“ schrieb, in einem Brief an denselben vertreten. In diesem Brief verteidigt er die sozialistische Lehre gegen Vorwürfe, die Frau zur bloßen Sklavin der Leidenschaft des Mannes zu degradieren. Ethnicus fordert daher: „[… ] die Frau zu befähigen, sich von der untergeordneten Stellung, die sie gegenwärtig inne hat, zu emanzipieren.“ Weiterhin fordert er ein gleiches Recht aller Menschen, „das Recht, sich ein unabhängiges Urteil über alle Angelegenheiten zu bilden, die ihr Glück betreffen“. Kool/Krause (Hg.), Die frühen Sozialisten, 1967, S. 416/417. 49 Owen, Lectures on Marriage, December 7th, 1834, in: The New Moral World, S. 51. 50 Owen, in: Die Frühsozialisten. 1789–1848. Band I, Vester (Hg.), 1970, S. 73–75. 51 Owen, Lectures on Marriage, January 25th, 1834, in: The New Moral World, S. 107.
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„Now the single-family arrangement is one of the most unfortunate and vicious for the husband and wife, for the children, and for society that could be devised.52…The parties who have no children will become annually more and more wealthy than those who have large families or a numerous offspring.53”
Die Einzelfamilie führt nach Owen zu egoistischem Verhalten gegenüber der Gesellschaft und zu einer wirtschaftlichen Benachteiligung kinderreicher Familien. Andererseits gilt Owens Kritik dem Rechtsinstitut der Ehe, welches in England bis 1836 – ausgenommen für Juden und Quäker – ausschließlich durch die Bewilligung der geistlichen Behörden der Church of England geschlossen und aufgehoben wurde. Owen verurteilt die Religion der Priester und mit ihr deren Ehebegriff: „The imaginative laws of the marriage of the priesthood must be among the first to be abolis-
hed, by reason of their extended injurious influence upon human nature, poisoning all sources of the most valuable qualities which Nature has given to infant man.”54
Die derzeitige Ehe sieht er als Gefängnis von Frau und Mann, die aufgrund ihrer Erziehung und ihrer entrückten moralischen Vorstellungen glauben, die Ehe auf Lebenszeit sei die einzige moralisch verantwortliche Lebensform. Das Versprechen, auf Lebenszeit einander zu lieben und zusammenzuleben, ohne die Veränderungen der Lebensumstände und des Charakters der Paare mit einzubeziehen, ist für ihn absurd.55 Auch verwehrt er sich dem Argument, dass die Keuschheit der Frau nicht ohne die rechtliche Verbindung der Ehe gewahrt bleiben kann, und verweist darauf, dass in keiner anderen Zeit Prostitution so verbreitet war wie zu seiner Zeit.56 Die Priester und mit ihnen die Kirche würden in einen natürlichen Vorgang, der nicht durch Gesetze oder Vorschriften beeinflusst werden könnte, eingreifen und damit die echten Gefühle der Menschen zerstören. Dabei stellt Owen die Liebe mit anderen Gefühlen und Sinnen des Menschen gleich, die sich ebenfalls jeder Form von Regulierung entziehen. Schließlich provoziert Owen: „Why, therefore, do not the priests, as they presume to control and regulate Nature in one of
her wonderful operations, make their own artificial laws in opposition to Nature for all other
52 53 54 55 56
Owen, Lectures on Marriage, December 14th, 1834, in: The New Moral World, S. 60. Owen, Lectures on Marriage, December 21th, 1834, in: The New Moral World, S. 65. Owen, Lectures of Marriage, February 8th, 1834, in: The New Moral World, S. 121/122. Owen, Lectures on Marriage, December 13th, 1834, in: The New Moral World, S. 51. Owen, Lectures on Marriage, January 11th, 1834, in: The New Moral World, S. 90.
Robert Owen
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feelings and senses which man possesses, and decide upon one general law or rule by which every individual shall eat, drink, sleep, as respects quantity, quality, time, &c. &c.?”57
Owen fordert zur Erleichterung der Ehescheidung „ein weiteres Gesetz, das sie nach Grundsätzen des gesunden Menschenverstandes für reich und arm gleich erhältlich macht.“ In seinen „Lectures on marriage“ im Jahr 1840 stellt Owen dar, wie die Eheschließung und Ehescheidung in seiner „New World“ geregelt sein sollen. Sein Ziel war es, sowohl unüberlegt eingegangenen Ehen als auch leichtfertig aufgelösten Ehen vorzubeugen. Aus diesem Grunde sollen, so Owen, Paare, die eine Ehe eingehen wollen, dies in einer öffentlichen Gemeindeversammlung dartun und nach dreimonatiger Prüfung eine zweite öffentliche Erklärung über ihren Ehewunsch abgeben. Erst die Eintragung beider Erklärungen in „die Bücher der Gesellschaft“ solle sie zu Eheleuten machen. Da der Zweck der Ehe das Glück der Ehepartner sein solle, müsse die Ehe als verfehlt gelten, wenn sie dieses Glück nicht mehr empfinden. Die Ehegatten sollen frühestens nach zwölf Monaten ab Feststellung des Trennungswunsches eine öffentliche Erklärung abgeben können. Erst nach einer zweiten Erklärung, die nach weiteren sechs Monaten abgegeben werden müsse, sollen sie als gesetzlich geschieden gelten. Bei einem einseitigen Scheidungswunsch kämen weitere sechs Monate „Eheprüfung“ hinzu.58 Die Freundschaft zwischen den ehemals Verheirateten solle durch eine Ehescheidung nicht zerstört werden. Die Eingehung einer neuen Ehe sei möglich.59 Das Modell Owens ähnelt dem geltenden Recht des BGB, was die Eingehung der Ehe und die Ehescheidung angeht. Die von Owen vorgesehene 12-MonatsRegelung gleicht sogar dem Zerrüttungsprinzip, das seinen Ausdruck in den §§ 1565 f. BGB findet. Anders als die geltende Norm des BGB knüpft sie lediglich an den Trennungswunsch der Ehegatten und nicht an die Trennung von Tisch und Bett an. Der Unterschied zu der heutigen Rechtslage im BGB besteht zudem darin, dass es für eine Ehescheidung nach Owens Vorstellungen statt eines Antrags eines oder beider Ehegatten und eines gerichtlichen Urteils eines aufwendigen Verfahrens in der Öffentlichkeit bedarf.60
57 Owen, Lectures on Marriage, January 25th, 1834, in: The New Moral World, S. 107. 58 Owen, Lectures on Marriages of the Priesthood, 1840, Appendix. 59 Eine Übersetzung eines Teils des Textes von Owen sowie eine Zusammenfassung findet sich bei Simon, Robert Owen, Sein Leben und seine Bedeutung für die Gegenwart, 1925, S. 272–275. 60 S. § 1564 S.1 BGB.
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3. Claude-Henri de Saint-Simon und die Saint-Simonisten a) Leben und Werk Saint-Simons Claude-Henri de Saint-Simon61 wurde 1760 in Paris geboren und stammte dem verarmten Zweig einer adligen Familie ab.62 Nachdem Saint-Simon eine standesgemäße – er war Graf – Erziehung genossen hatte, engagierte er sich als Offizier im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und war um die Aufstellung einer internationalen Arbeitsarmee zum Bau eines Kanals von Madrid zum Meer bemüht, als die Revolution ausbrach und er daraufhin nach Frankreich zurückkehrte. Im Jahr 1790 verzichtete er feierlich auf seinen Adelstitel.63 In den darauf folgenden Jahren führte er ein ausschweifendes Leben in Paris und hörte die verschiedensten Vorlesungen an den Pariser Universitäten. Nach der Scheidung seiner ersten Ehe unternahm Saint-Simon Reisen nach England, durch einen Teil Deutschlands und nach Genf. Einer Überlieferung zufolge soll er Madame de Staël 64 einen Heiratsantrag gemacht haben mit der Begründung, sie sei die außergewöhnlichste Frau und er der außergewöhnlichste Mann und zusammen würden sie die außergewöhnlichsten Kinder zeugen.65 Im Jahr 1805 war sein Vermögen aufgebraucht, woraufhin sein ehemaliger Diener Diard ihn bei sich aufnahm. Als Diard 1810 starb, verfiel Saint-Simon in schwere Depressionen und musste im Jahr 1812 in eine Klinik eingewiesen werden. Schließlich unternahm Saint-Simon 1821 einen Selbsttötungsversuch und verlor dabei ein Auge. Trotz seiner Depressionen veröffentlichte Saint-Simon regelmäßig Aufsätze.66 Dass er mit seinen Schriften, die in Gelehrtenkreisen oftmals wenig Beachtung fanden, keine gesellschaftliche Veränderung herbeizuführen vermochte, enttäuschte ihn zutiefst.67 Als SaintSimon 1825 in Paris starb, waren einige wenige gute Freunde zugegen. SaintSimon wollte nicht über seine Krankheit sprechen, sondern war froh, bis zu seinem Tod neue Diskussionsthemen aufzugreifen und seine Freunde zum Nachdenken 61 Friedrich Engels attestiert Saint-Simon, die „höchst geniale Entdeckung des Klassenbegriffs“. Damit fügt er sich in die Reihe der bedeutendsten Frühsozialisten ein. 62 Weitergehend zu Leben und Werk: Emge, Saint-Simon, 1987; Ramm (Hg.), Der Frühsozialismus, Quellentexte, 1968, Kool/Krause (Hg.), Die frühen Sozialisten, 1967; Dondo, The French Faust. Henri de Saint-Simon; Hahn, Präsozialismus: Claude-Henri de Saint-Simon, 1970, Fehlbaum, Saint-Simon und die Saint-Simonisten, 1970; Petermann, Claude-Henri de Saint-Simon: Die Gesellschaft als Werkstatt, 1979. 63 Kool/Krause (Hg.), Die frühen Sozialisten, 1967, S. 141. 64 Baronin Anne Louise Germaine de Staël-Holstein, allgemein bekannt als Madame de Staël (1766–1817), war eine französische Schriftstellerin. 65 Dondo, The French Faust. Henri de Saint-Simon, 1955, S. 99. 66 Die Titel seiner Veröffentlichungen finden sich zusammengestellt bei Kool/Krause (Hg.), Die frühen Sozialisten, 1967, S. 148–152. 67 Kool/Krause (Hg.), Die frühen Sozialisten, 1967, S. 145.
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zu bewegen.68 Seine Schüler führten seine Lehren fort und nannten sich fortan die „Saint-Simonisten“.69 b) Die „Versuchsehe“ Saint-Simons Saint-Simon behandelte die Frauenfrage in seinen überlieferten Schriften und Gesprächen nicht ausdrücklich. Die einzige Ausnahme findet sich in seinen „Genfer Briefen“, in denen im Hinblick auf seinen Vorschlag, einen obersten Rat als Regierungsorgan einzurichten, vorgesehen ist, dass diesem auch Frauen angehören sollten:70 „Die Frauen werden zugelassen sein zu subskribieren; sie werden auch nominiert werden können.“
Erwähnenswert ist Saint-Simons spätere Ehe mit Alexandrine-Sophie Goury de Champgrand (1801–1802). Die beiden schlossen eine Ehe „auf Probe“, die auf Verlangen eines Partners nach dem damaligen Scheidungsrecht in Frankreich jederzeit beendet werden konnte. Es war eine Ehe, die aufgrund von Sympathie und Gleichgesinntheit geschlossen wurde und in der Sexualität wohl keine Rolle spielte.71 Als der einst sehr wohlhabende Henri de Saint-Simon in finanzielle Probleme geriet und diese unangenehme Situation seiner Frau nicht zumuten wollte, wurde die Ehe auf seinen Wunsch geschieden. Beide sprachen danach weiterhin mit großer Achtung voneinander.72 Die Stellungnahmen Saint-Simons zur Ehe im abstrakten fallen hingegen eher einfältig aus. So unterscheidet er zwischen drei Formen: einmal der Ehe, in der der Mann dominiert, zudem der Ehe, in der die Frau dominiert und schließlich der Ehe, die von einem Gleichgewicht zwischen Frau und Mann geprägt ist 73. Immerhin zeigt Saint-Simon, dass die Machtverteilung in der Ehe für ihn nicht vom Geschlecht abhängt. Ob die Ehe mit Alexandrine-Sophie von einem Gleichgewicht geprägt war, ist ungewiss. Emge vermutet, dass Saint-Simon eine „teilneh68 Kool/Krause (Hg.), Die frühen Sozialisten, 1967, S. 149. 69 Zum Leben und Werk der Saint-Simonisten s. Kool/Krause (Hg.), Die frühen Sozialisten, 1967, S. 158–167; Fehlbaum, Saint-Simon und die Saint-Simonisten, 1970. 70 Zit. n. Emge, Saint-Simon, München 1987, S.168, Fn. 1. 71 Emge, Saint-Simon, 1987, S. 72. 72 Emge, Saint-Simon, 1987, S. 72; Der Dichter Leon Halévy berichtet später, dass Saint-Simon „selten von dieser Dame gesprochen habe, aber immer mit dem Ausdruck von Hochachtung und Respekt“. Halévy, Souvenirs de Saint-Simon, in: Revue d’histoire économique et sociale, XIII, 1925, S. 168. 73 Saint-Simon, Antropos I, S. 82.
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mende Beobachtung“74, also ein Experiment gemacht haben könnte75 oder aber versuchte, seiner eigenen Forderung „Sozialbeziehungen herzustellen – für sich selbst wie für andere –, die es bisher noch nicht gegeben hat“76, gerecht zu werden. c) Die Auseinandersetzung der Saint-Simonisten mit der Frauenfrage Erst nach dem Tod Saint-Simons und unter dem Einfluss von Fouriers Forderung nach „Befreiung der Sexualität“ beginnen die Saint-Simonisten77 ab 1830, über die Frauenfrage und die Rolle der Frau in Ehe und Familie zu diskutieren.78 Ihre Kritik richtet sich vor allem gegen das geltende Recht, insbesondere gegen das Erbrecht sowie die Wirkungen der ehelichen Gemeinschaft, die eine starke Benachteiligung der Frau beinhalteten. Die beiden die Verbindung führenden Köpfe waren Saint-Armand Bazard (1791–1832) und Barthélemy-Prosper Enfantin (1796–1864). Sie schrieben die Thesen Saint-Simons nieder und entwickelten sie weiter.79 Ihre heftige Auseinandersetzung über die Frage nach der künftigen Stellung der Frau ließ sie in letzter Konsequenz auseinander gehen. Als den Simonisten vorgeworfen wurde, die Polygamie zu propagieren, verfasst Bazard am 1. Oktober 1830 ein „Sendschreiben an den Herrn Präsidenten der Abgeordnetenkammer“80: „[…] Das Christentum hat die Frauen aus der Knechtschaft gezogen, doch hat es sie zur Untätigkeit verurteilt, und überall in Europa sehen wir sie mit dem religiösen, politischen und bürgerlichen Interdikt belegt.
Die Saint-Simonisten kommen, um endlich ihre Befreiung, ihre vollständige Emanzipation anzukündigen, ohne daß damit das im Christentum verkündigte Gesetz der Ehe aufgehoben
74 Als teilnehmende Beobachtung wird in den Sozialwissenschaften eine Methode der Feldforschung bezeichnet. Hierbei wird angestrebt, Erkenntnisse über das Handeln, das Verhalten oder die Auswirkungen des Verhaltens von einzelnen Personen oder einer Gruppe von Personen zu gewinnen. Kennzeichnen dieser Methode ist die persönliche Teilnahme des Forschers an den Interaktionen der Gruppe. 75 Emge, Saint-Simon, 1987, S. 72. 76 Zit. n. Emge, Saint-Simon, 1987, S 72. 77 Die Saint-Simonisten gaben später, Anfang des 20. Jahrhunderts, Frauenzeitschriften heraus. Dabei wurden sie von den englischen Feministinnen, vor allem von Anna Wheeler (1905–1947), die ihre Schriften ins Englische übersetzte, unterstützt. 78 S. Chronologie, Emge, S. 210. 79 Sie veröffentlichten eine zweibändige Schrift mit dem Titel Darstellung der Lehre SaintSimons, 1829 und 1830. 80 Mit der Restauration der Monarchie wurde 1814 in Frankreich das Zwei-Kammern-System wiederhergestellt. Es gab die Kammer der Pairs und die Abgeordnetenkammer, die zum ersten Mal ihren Präsidenten für eine bestimmte Amtszeit wählte.
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werden soll; sie kommen im Gegenteil, um dieses Gesetz zu erfüllen, es neu zu heiligen, um die Macht und die Unverletzlichkeit der Verbindung zu erhöhen, die sie schließt.
Sie fordern wie die Christen, daß ein einziger Mann mit einer einzigen Frau verbunden
sei, aber sie lehren, daß die Frau dem Gatten gleichstehen soll, und daß sie, nach der Gnade, welche Gott im besonderen über ihr Geschlecht gegossen, ihm verbunden werde in der drei-
fachen Funktion des Tempels, des Staats und der Familie, so daß das soziale Individuum, das
bis auf den heutigen Tag der Mann allein gewesen, künftighin der Mann und die Frau werde. Die Religion Saint-Simons will nur jenem schamlosen Handel, jener gesetzlichen Prostitution ein Ende machen, die unter dem Namen der Ehe gegenwärtig so häufig die ungeheuerliche Verbindung der Hingebung und des Egoismus, der Unwissenheit, der Jugend und der Kraftlosigkeit heiligt […].“81
Bazard stellt das Institut der Ehe nicht in Frage, aber kritisiert – wie Owen und Fourier – den für ihn unmoralischem Umgang mit Eheschließungen aus rein finanziellen Interessen, die meist zu Lasten der Frauen gingen. Mit der Bezeichnung „gesetzliche Prostitution“ spielt Bazard auf die ehelichen Pflichten der Frau an, die nicht frei über ihre Sexualität bestimmen kann. Er ist Befürworter sehr beschränkter Möglichkeiten für Ehescheidungen, was Emge auf seine uneheliche Geburt zurückführen zu können glaubt. Die freie Liebe lehnt Bazard entschieden ab; Promiskuität stellt für ihn sogar eine noch stärkere Ausbeutung der Frau dar.82 Mit dem Sendschreiben wollte Bazard die These Enfantins, nach der die „Pères suprê mes“83 allmächtige Persönlichkeiten seien, denen für die Einwirkung auf ihre Untergebenen keine Grenzen gesetzt seien, relativieren. Nach der Auffassung Enfantins gehörte dazu auch die Möglichkeit sexueller Kontakte zu den Mitgliedern des Collèges. Für ihn war „das Fleisch heilig wie der Geist“ 84. Daher sollten die hohen Väter auch sexuelle Beziehungen mit den Untergebenen haben dürfen, um sie besser anzuleiten. Enfantin unterzeichnet das von Bazard verfasste Schreiben nur widerwillig. Für ihn ist die freie Liebe das notwendige Resultat des von ihm angestrebten Kollektivismus. Auf der Suche nach einer psychologischen Rechtfertigung seiner Forderung stellt er zwei menschliche Naturen heraus, die „immobilen“ und die „mobilen“. Für die ersteren sei Othello die Symbolfigur, für die letzteren Don Juan.85 Enfantin selbst kann sich zwar vorstellen, nur eine Frau zu lieben, vor allem unter 81 Zit. n. Ramm (Hg.), Der Frühsozialismus, Quellentexte, 1968, S. 152–153. 82 Emge, Saint-Simon, 1987, S. 170. 83 Als Enfantin und Bazard begannen, öffentliche Vorlesungen zu halten, bildete sich ein Kreis von Anhängern und das Collège, die Vereinigung der Eingeweihten, wurden gegründet. Enfantin und Bazard wurden zu sog. hohen Vätern (pères suprèmes) geweiht. 84 Weill, Un précureur du socialisme, Saint-Simon und sein Werk, 1894, S. 96. 85 Emge, Saint-Simon, 1987, S. 170.
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dem Aspekt, mit dieser Kinder zu haben. Dennoch fordert er die freie Entfaltung der Sexualität unabhängig jeglicher damit einhergehenden gesellschaftlicher wie rechtlicher Bindungen. Er gelangt zur Forderung völliger Emanzipation der Frau und weist dem Priester die Regelung der geschlechtlichen Beziehungen zu.86 Wenn er sich dafür ausspricht, dass die Priester die geschlechtlichen Beziehungen regeln sollten, gesteht er ein, dass er zumindest die Existenz von bestimmten Normen für den Umgang mit der Sexualität für erforderlich hält. Leider sind seine konkreten Vorstellungen hierzu nicht überliefert. Die Debatte über Sexualität und Ehe führt zum Bruch der beiden Männer und somit schließlich zu Bazards Rückzug aus der Verbindung.87 Enfantin ist weiterhin für eine Diskussion offen und fordert die Formulierung moralischer Gesetze unter Mitarbeit der Frauen. Aufgrund seiner grundlegenden Ablehnung der Ehe als anzustrebende Lebensform kündigen ihm einige einflussreiche Anhänger der Saint-Simonisten die Gefolgschaft.88 Für die Aufgabe des Erbrechts zugunsten eines kollektiven Erbrechts des Fiskus sprachen sich die Saint-Simonisten einheitlich aus. So fordert Bazard in dem oben bereits erwähnten Sendschreiben89: „[…] Doch fordern sie (die Saint-Simonisten, Verf.) entsprechend dieser Gesetze die Aufhe-
bung aller Privilegien der Geburt ohne jede Ausnahme, und infolgedessen die Vernichtung
des Erbwesens, des größten aller Privilegien, desjenigen, das gegenwärtig alle umfaßt und
als dessen Folge die Verteilung des gesellschaftlichen Nutzens unter der kleinen Zahl derer, die darauf Anspruch machen können, dem Zufall überlassen wird, während die zahlreichste Klasse zur Entsittlichung, zur Unwissenheit und zum Elende verurteilt werden.
Sie fordern, daß alle Werkzeuge der Arbeit, die Grundstücke und die Kapitalien, die gegen-
wärtig die zerstückelte Grundlage des Einzelbesitzes bilden, auf gesellschaftlicher Grundlage
vereint werden, und daß diese Grundlage durch Vergesellschaftung und in hierarchischer Ordnung derart genutzt werde, daß Aufgabe eines jeden der Ausdruck seiner Fähigkeit und sein Reichtum der seiner Werke sei.“
Die Forderung der Saint-Simonisten nach einem Fiskalerbrecht steht insoweit mit ihrer Ehekritik in Zusammenhang, als dass der von ihnen kritisierte „schamlose Handel“ mit Eheschließungen zur Erhaltung und Neubegründung von Vermö86 Ramm (Hg.), Der Frühsozialismus, Quellentexte, 1968, S. 125. 87 Ramm (Hg.), Der Frühsozialismus, Quellentexte, 1968, S. 125; Emge, Saint-Simon, 1987, S. 171. 88 Zu nennen ist hier Hippolyte-Lazar Carnot, der die Theorie Entfantins als „die Legalisierung der Ehebruchs“ bezeichnete. Vgl. Emge, Saint-Simon, S. 172. 89 Zit. n. Ramm (Hg.), Der Frühsozialismus, Quellentexte, 1968, S. 152.
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genswerten durch die Familie diente. So radikal Enfantins Forderungen zu Sexualität und Ehe auch gewesen sein mochten; sie waren konsequent. Enfantin war nämlich der Auffassung, dass die Familie und mit ihr die Ehe unzertrennbar vom persönlichen und vererbbaren Eigentum sei, was dazu führe, dass die Bedrohung des einen die Aufgabe des anderen zur Folge habe.90 4. Karl Marx und Friedrich Engels a) Leben und Werk Karl Marx wurde 1818 in Trier geboren.91 Seine Eltern stammten beide aus Rabbinerfamilien und konvertierten später zum Protestantismus. Im Jahr 1843 heiratete Marx die Adlige Jenny von Westphalen. Nach seinem Studium vornehmlich der Rechtswissenschaften und der Philosophie in Bonn und Berlin war Marx zunächst Anhänger der Hegelschen Philosophie, was sich maßgeblich in seiner Tätigkeit als Chefredakteur der linksliberalen Rheinischen Zeitung niederschlägt. Unter dem Einfluss Feuerbachs kehrte er sich von Hegel und seiner idealistischen Philosophie ab. Zusammen mit Ruge gab er ab 1843 die Zeitschrift DeutschFranzösische Jahrbücher heraus und vollzog in den Beiträgen den Schritt zum revolutionären Sozialismus. Kurze Zeit später begann die Freundschaft und Zusammenarbeit mit Friedrich Engels in Paris. Von der französischen Regierung 1845 ausgewiesen, siedelte Marx nach Brüssel über. Dort baute er den wissenschaftlichen Sozialismus92 zusammen mit Engels als Grundlage seiner späteren Lehre aus. Mit Engels verfasste er die beiden Streitschriften Die Heilige Familie und Die Deutsche Ideologie. Im Jahr 1847 erschien sein Werk Das Elend der Philosophie. Marx schloss sich dem politischen Kampf der Arbeiterbewegung an und trat 1847 dem Bund der Kommunisten bei, für den er zusammen mit Engels Das kommunistische Manifest verfasste. Nachdem Marx ebenfalls aus Belgien ausgewiesen wurde, gab er in Köln die Neue Rheinische Zeitung heraus. Als Marx nach dem Scheitern der Revolution schließlich auch aus Preußen ausgewiesen wurde, ging er nach London und lebte dort von seinen journalistischen Arbeiten und der Unterstützung 90 Weill, Un précureur du socialisme, Saint-Simon und sein Werk, 1894, S. 97. 91 Es gibt eine Fülle an Literatur über das Leben und Werk von Marx und Engels. Hier nur ein Verweis auf jüngere Literatur: Marx, ausgewählt und vorgestellt von Oskar Negt, 1996; Brockhaus-Lexikon, Band 11, 1982, S. 286/287. 92 Der Wissenschaftliche Sozialismus beruft sich auf die wissenschaftliche Analyse von Gesellschaft und Wirtschaft, um die Möglichkeiten für eine sozialistische Umwälzung konkret einzuschätzen. Als unzureichend galt Marx und Engels, lediglich einem Wunsch oder einer Idee zu folgen (zum Beispiel Utopischer Sozialismus oder Anarchismus), um eine klassenlose Gesellschaft durchzusetzen. Weiter s. Russel, Philosophie des Abendlandes, S. 789 f.
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Engels. Er konzentrierte sich auf die Erarbeitung der ökonomischen Gesetze der Entwicklung von Gesellschaften. Daraus entstand sein Lebenswerk Das Kapital. Marx bestimmte maßgeblich die Erste Internationale und übte 1875 scharfe Kritik am Gothaer Programm93 der SPD. Im März 1883 starb er in London. Friedrich Engels wurde 1820 in Barmen geboren.94 Er stand in seiner Lehrzeit als Kaufmann dem „Jungen Deutschland“ nahe, schloss sich später aber der radikalen „Hegelschen Linken“ an. Während seiner Tätigkeit im väterlichen Zweiggeschäft in Manchester von 1842–1844 lernte er die Probleme der Arbeiter in England kennen. Dort trat er auch in engere Beziehungen zu dem Kreis um Robert Owen. Seit seiner Begegnung mit Marx in Paris verband ihn mit diesem seither eine enge Freundschaft. Das Ergebnis seiner Studien in England veröffentlichte Engels 1845 in der Schrift Die Lage der arbeitenden Klassen in England. Nach dem Bruch mit dem Linkshegelianismus schlossen sich Marx und Engels dem „Bund der Gerechten“ an, der sich nach ihrem Beitritt in „Bund der Kommunisten“ umbenannte. Zu dessen theoretischen Neuorientierung verfassten sie das oben bereits erwähnte Kommunistische Manifest. In der Zeit von 1850–1869 lebte Engels wieder in Manchester, dem Sitz des väterlichen Geschäfts. Die von Engels in dieser Zeit und später verfassten Schriften trugen sehr zur Verbreitung des Marxismus bei. Das vorliegend zitierte Werk Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates verfasste Engels im Jahr 1884. Engels starb 1895 in London. b) Marx und Engels über Familie und Ehe Trotz ihrer Abkehr vom naturrechtlichen Gleichheitsbegriff95, der für die Frühsozialisten stets maßgeblich war, fordern und verteidigen Marx und Engels soziale und politische Rechte für Frauen und Männer gleichermaßen. Sie messen jedoch 93 Das Gothaer Parteiprogramm wurde bei der Vereinigung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV ) auf dem Gothaer Kongress vom 22. Mai bis 27. Mai 1875 vereinbart. Die neue Partei des sechstägigen Vereinigungskongresses war die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD), die sich 1890 in Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) umbenannte. Hauptinitiatoren des Parteizusammenschlusses waren Wilhelm Liebknecht und August Bebel sowie Wilhelm Hasenclever. 94 Russel, Philosophie des Abendlandes, Ihr Zusammenhang mit der politischen und der sozialen Entwicklung, 1999, S. 789, weitergehend Hirsch, Friedrich Engels in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, 1979. 95 Das Naturrecht als dem positiven Recht übergeordnetes Recht geht davon aus, dass bestimmte Rechtssätze, u. a. die Gleichheit aller Menschen, unabhängig von der konkreten Ausgestaltung durch die Rechtsordnung Geltung beanspruchen und somit durch einen positiven Akt der Rechtsetzung weder geschaffen werden müssen, noch außer Kraft gesetzt werden können.
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sowohl der geschlechtlichen Arbeitsteilung als auch dem auf Über- bzw. Unterordnung gegründeten persönlichen Verhältnis zwischen den Geschlechtern nur marginale Bedeutung bei.96 Ihre Kritik gilt stets der bürgerlichen Familie, weshalb sich die proletarischen Männer keinerlei Kritik von ihrer Seite ausgesetzt sehen. Zwar besteht für Engels der „erste Klassengegensatz“ im Zusammenhang „mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe.“97 Die Ursache für diese Tatsache sieht er aber in der Entstehung des Privateigentums. Engels erhebt die allgemeine Forderung nach der völligen Gleichberechtigung der Geschlechter, sieht diese jedoch stets in Verbindung mit der Einführung der Frau in die industrielle Arbeit sowie mit der Auflösung der Familie als wirtschaftlicher Einheit: „Und ebenso wird auch der eigentümliche Charakter der Herrschaft des Mannes über die Frau in der modernen Familie und die Notwendigkeit, wie die Art, der Herstellung einer
wirklichen gesellschaftlichen Gleichberechtigung beider erst dann in grelles Tageslicht tre-
ten, sobald beide juristisch vollkommen gleichberechtigt sind. Es wird sich dann zeigen, dass die Befreiung der Frau zur ersten Vorbedingung hat die Wiedereinführung des ganzen
weiblichen Geschlechts in die öffentliche Industrie, und dass dies wieder erfordert die Beseitigung der Eigenschaft der Einzelfamilie als wirtschaftliche Einheit der Gesellschaft.“98
Engels schreibt über die Geschichte der Familie. Hierbei geht er davon aus, dass die Menschen vor der Einzelehe polygam lebten, wodurch jede sichere Vaterschaft ausgeschlossen war. Aus diesem Grund sei die Abstammung nur in der weiblichen Linie aufgrund des Mutterrechts festzustellen gewesen. Das Matriachat resultiere dabei aus dem Umstand, dass den Müttern aufgrund der beschriebenen Abstammungsfeststellung ein besonderer Grad von Achtung gebührt habe, der ihnen zu einer Herrschaftsrolle verholfen habe. Diese Erkenntnis, die die natürliche, allgemeine Eheherrschaft des Mannes widerlegt, führt Engels zurück auf Bachofen und dessen Werk „Mutterrecht“, das 1861 erschienen war.99 Nach Bachofen ist der Beginn des vaterrechtlichen Zeitalters, der Paternität, der größte und bedeutendste 96 Geisel, Klasse, Geschlecht und Recht, 1997, S. 59. 97 Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates (1884), MEW, Bd. 21, 1970, S. 76. 98 Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates (1884), MEW, Bd. 21, S. 75/76. 99 Ob die Neuentdeckung des Mutterrechts aber wirklich Bachofen zuzuschreiben ist, was nach Engels sowohl Bebel als auch Braun taten (Braun in Die Frauenfrage, 1901, S. 3), und nicht bereits viel früher anzusiedeln ist, soll an dieser Stelle jedoch bezweifelt werden. Eine Darstellung des Mutterrechts anhand derselben Quellen, die bereits Bachofen heran gezogen hat, findet sich bereits bei Pufendorf, wenngleich dieser eine natürliche patriarchale Ordnung
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Umbruch der Menschheitsgeschichte überhaupt. Während das stoffliche Mutterrecht gleichsam vorgegeben sei und daher die eigentlich natürliche Gestaltung des Lebens bedeute, erhebe sich hier das menschliche Dasein kraft des männlichgeistigen Prinzips über die Gesetze des stofflichen Lebens. Die Paternität müsse immer wieder von Neuem errungen werden, da sie im Grunde einen Bruch mit der natürlichen Ordnung der Dinge darstelle, die im Stofflichen ruhe. Erst als der Mann das Geistige erkannt habe, habe sich die Frau ihm aufgrund ihrer Bewunderung des Geistigen untergeordnet.100 Ob Engels mit dem von ihm so gelobten Bachofen bei dem Streben nach dem geistigen Prinzip, das Bachofen als das Richtige ansieht, ebenfalls übereinstimmt, ist Engels nicht zu entnehmen.101 So führt er aus: „Die Geschichte der Familie datiert von 1861, vom Erscheinen von Bachofens ,Mutterrecht’ […] Aber alles das schmälert nicht sein bahnbrechendes Verdienst; er, zuerst, hat die Phrase von einem unbekannten Urzustand mit regellosem Geschlechtsverkehr ersetzt durch den
Nachweis, daß die altklassische Literatur uns Spuren aufzeigt, wonach vor der Einzelehe in der Tat bei Griechen und Asiaten ein Zustand existiert hat, worin nicht nur ein Mann mit mehreren Frauen, sondern eine Frau mit mehreren Männern geschlechtlich verkehrte, ohne gegen die Sitten zu verstoßen; daß diese Sitte nicht verschwand, ohne Spuren zu hinterlassen
in einer beschränkten Preisgebung, wodurch die Frauen das Recht auf Einzelehe erkaufen
mussten; daß daher die Abstammung ursprünglich nur in weiblicher Linie, von Mutter zu Mutter gerechnet werden konnte; daß diese Alleingültigkeit der weiblichen Linie sich noch lange in die Zeit der Einzelehe mit gesicherter oder doch anerkannter Vaterschaft hinein
gehalten hat; und daß diese ursprüngliche Stellung der Mütter, als der einzigen sicheren
Eltern ihrer Kinder, ihnen und damit den Frauen überhaupt, eine höhere gesellschaftliche Stellung sicherte, als sie seitdem je wieder besessen haben.“102
Neben Bachofen spielt für Engels „Ursprung“ Lewis Henry Morgan103 mit seinem 1877 erschienenen Werk Ancient Society eine bedeutende Rolle, daher auch der annimmt und andere Eheformen als deren Abweichung ansieht. s. Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, S. 428–440. 100 Zum Werk „Mutterrecht“ Bachofens s. Zweigert, Eine naturrechtliche Endvision bei Johann Jakob Bachofen, in: Um Recht und Gerechtigkeit, Festgabe für Erich Kaufmann, 1950, S. 375–389. 101 Grund hierfür könnte Engels Abwendung von naturrechtlichen Begründungsansätzen sein. 102 Engels im Vorwort zur vierten Ausgabe des „Ursprungs der Familie“, 1891, in: MEW, Bd. 22, S. 212, 214. 103 Lewis Henry Morgan (1818–1881) war ein US-amerikanischer Anthropologe und Mitbegründer der Ethnologie. Morgans grundlegendstes Werk erschien in deutscher Übersetzung mit dem Titel Die Urgesellschaft. Untersuchungen über den Fortschritt der Menschheit aus der Wildheit durch die Barbarei zur Zivilisation, Stuttgart 1891.
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Untertitel Im Anschluss an Lewis H. Morgans Forschungen. Engels bemüht sich, Morgans Ergebnisse neu zu ordnen und in den gesellschaftlichen Kontext zu setzen. Er schreibt ihm „die Wiederentdeckung der ursprünglichen mutterrechtlichen Gens als der Vorstufe der vaterrechtlichen Gens der Kulturvölker“ zu. Diese Entdeckung habe ihn befähigt, „zum erstenmal eine Geschichte der Familie zu entwerfen, worin wenigstens die klassischen Entwicklungsstufen im ganzen und großen, vorläufig festgestellt“ seien.104 Engels legt sein Augenmerk weniger als Marx auf die Forderung nach der rechtlichen Gleichheit der Geschlechter. Er sieht die Ehe gerade nicht als etwas Rechtliches, sondern als ein höchstpersönliches Verhältnis der Ehepartner zueinander. Die kommunistische Gesellschaft werde, so Engels, „das Verhältnis der beiden Geschlechter zu einem reinen Privatverhältnis machen, welches nur die beteiligten Personen etwas angeht“105. Grundlage der Ehe solle einzig die Zuneigung und Liebe der Ehepartner zueinander sein, was im Umkehrschluss bedeutet, dass eine Scheidung ebenfalls einzig auf dem Willen der Ehepartner beruhen kann. Die Ehe der Zukunft werde monogam sein, so Engels. Gleichsam räumt er ein, dass seine Vorstellungen eben nur Vermutungen darstellten und die Menschen der Zukunft ihre eigenen und vor allem individuellen Vorstellungen entwickeln würden.106 Marx macht in seinen Werken an keiner Stelle konkrete Aussagen über das persönliche Verhältnis zwischen Frau und Mann in der Ehe. Lediglich in einer kurzen Stellungnahme zum Preußischen Ehescheidungsgesetzesentwurf von 1842 beschäftigt er sich in einem am 19. Dezember 1842 in der „Rheinischen Zeitung“ veröffentlichten Artikel mit dem Ehescheidungsrecht: „Niemand wird gezwungen, eine Ehe zu schließen; aber jeder muss gezwungen werden,
sobald er eine Ehe schließt, sich zum Gehorsam gegen die Gesetze der Ehe zu entschließen. Wer eine Ehe schließt, der macht, der erfindet die Ehe nicht, so wenig als ein Schwimmer die Natur und die Gesetze des Wassers und der Schwere erfindet. Die Ehe kann sich daher nicht seiner Willkür, sondern seine Willkür muß sich der Ehe fügen.“107
104 Engels, MEW Bd. 22, S. 220. Eine Darstellung dieser verschiedenen Entwicklungsstufen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Eine knappe Darstellung findet sich bei Herrmann, Einführung in Engels’ Schrift: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, 1989, S. 22–42. 105 Engels, Grundsätze des Kommunismus, MEW, Bd. 4, S. 377. 106 Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates (1884), MEW, Bd. 21, 1970, S. 82. 107 Marx, Der Ehescheidungsgesetzesentwurf, MEW, Bd. 1, S. 149.
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Er kritisiert die Beurteilung der Ehe aus der Sicht des Individuums und verurteilt die Ehescheidung mit dem Verweis auf ihre Folgen für einen über die beiden Ehepartner hinausgehenden Kreis von Personen als egoistisch.108 Durch Beschäftigung mit den Scheidungsvoraussetzungen gelangt er zur abstrakten Frage nach dem Wesen der Ehe. Für ihn stellt die Ehe ganz im Hegelschen Sinn109 eine sittliche Einheit dar, die weder durch die Ehepartner noch durch den Staat beendet werden kann. Durch Gesetz könne man lediglich einen Tatbestand schaffen, bei dessen Vorliegen eine „gestorbene Ehe“110 festzustellen sei. Anders als bei Owen, dessen Ausführungen zu den Voraussetzungen für die Ehescheidung Gemeinsamkeiten mit dem geltenden Recht des BGB aufweisen, findet sich bei Marx die grundlegende Forderung nach einer Zerrüttungsfeststellung: „Die richterliche Auflösung kann nur eine Protokollierung der inneren Auflösung sein. Der Gesichtspunkt des Gesetzgebers ist somit der Gesichtspunkt der Notwendigkeit. Der Gesetzgeber ehrt also die Ehe, erkennt ihr tiefes sittliches Wesen an, wenn er sie für mächtig genug hält, viele Kollisionen bestehen zu können, ohne sich selber einzubüßen.“111
Über die Forderung nach der Abschaffung der Familie als wirtschaftliche Einheit hinaus, wie sie bereits bei Owen und Fourier zu finden ist, stellen Marx und Engels weder familienrechtliche noch arbeitsrechtliche Forderungen, die sich auf die rechtliche Gleichbehandlung der Geschlechter beziehen. So gibt Engels in seinem Brief an Gertrud Guillaume-Schack zu112: „Daß die arbeitende Frau infolge ihrer besonderen physiologischen Funktionen besonderen
Schutz gegen die kapitalistische Ausbeutung bedarf, scheint mir klar […]. Mich, ich gestehe es, interessiert die Gesundheit der kommenden Generation mehr als die absolute formelle Gleichberechtigung der Geschlechter während der letzten Lebensjahre der kapitalistischen Produktionsweise.“113
108 Marx, Der Ehescheidungsgesetzesentwurf, MEW, Bd. 1, S. 149. 109 Zu Hegels Ehedefinition s. ausführlich: Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, S. 229. 110 Marx, Der Ehescheidungsgesetzesentwurf, MEW, Bd. 1, S. 150. 111 Marx, Der Ehescheidungsgesetzesentwurf, MEW, Bd. 1, S. 150. 112 Engels ging hierbei noch von der sog. Zusammenbruchstheorie aus, die er später revidierte. Zur Zusammenbruchstheorie s. Walther, „[…] aber nach der Sündflut kommen wir und nur wir.“ „Zusammenbruchstheorie“, Marxismus und politisches Defizit in der SPD 1890–1914, 1981. 113 Engels an Gertrud Guillaume-Schack, MEW, Bd. 36, S. 341.
Bebels „Die Frau und der Sozialismus“
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Die Schwierigkeiten, denen die arbeitende Frau durch ihre Doppelbelastung in der Familie ausgesetzt war, sahen Marx und Engels nicht. Diese „Lücke“ in den Schriften von Marx und Engels versuchte August Bebel mit seinem Buch Die Frau und der Sozialismus zu schließen. 5. Bebels „Die Frau und der Sozialismus“ „Frau und Arbeiter haben gemein, Unterdrückte zu sein.“114
a) Bebel: Leben und Werk August Bebel (1840–1913) wurde am 22. Februar 1840 in der Kasematte Deutz bei Köln als Sohn eines preußischen Unteroffiziers und eines aus einer Wetzlarer Kleinbürgerfamilie stammenden Dienstmädchens geboren.115 Schon im Alter von vier Jahren wurde Bebel Halbwaise, im Jahr 1853 dann Vollwaise. Nach dem Besuch der Armen- und Bürgerschule absolvierte Bebel in den Jahren 1854 bis 1857 eine Drechslerlehre. Im Jahr 1858 ging er auf Wanderschaft durch Süddeutschland, die Schweiz und Österreich. Im Jahr 1860 zog es ihn nach Leipzig, wo er ein Jahr später dem unter bürgerlich-liberalem Einfluss stehenden Gewerblichen Bildungsverein Leipzig116 beitrat und bald dessen Vorsitzender wurde. Im Mai 1863 nahm Bebel an der Gründungsversammlung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV ) teil, lehnte aber die politischen Bestrebungen des Präsidenten Ferdinand Lassalle zunächst ab. Vermutlich widersprachen Lassalles Ansichten Bebels zu dieser Zeit noch sehr liberalen Vorstellungen. Wenig später wurde Bebel zum Vizepräsidenten und Mitglied des ständigen Ausschusses des Verbands Deutscher Arbeitervereine (VDAV ) gewählt, der einen Konkurrenzverein zum ADAV darstellte. Im Jahr 1864 ließ Bebel sich als selbständiger Drechslermeister nieder. Zwei Jahre später heiratete er die Putzmacherin Julie Otto. Noch im selben Jahr gründete er zusammen mit Wilhelm Liebknecht in Chemnitz die Sächsische Volkspartei, als deren Kandidat er im Jahr 1867 in den Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt wurde. Bereits im Jahr 1869 war Bebel erneut an der Gründung einer Partei, der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), beteiligt. In diese Zeit fällt auch sein Bruch mit den bürgerlichen Demokraten. Beeinflusst von den Schriften Lassalles, Marx’ und Engels wurde Bebel Anhänger des Sozialismus. 114 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Ausgabe 1980, S. 45. 115 Zum Leben Bebels s. Killy (Hg.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, 1995; Lopes/Roth, Men’s feminism: August Bebel and the German socialist movement, 2000. 116 Später wurde der Verein in Arbeiterbildungsverein umbenannt.
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Die gesellschaftliche und rechtliche Stellung der Frau
In den Zeiträumen von 1867 bis 1881 und 1883 bis 1913 war Bebel Mitglied des Reichstages des Norddeutschen Bundes bzw. des Deutschen Reichstages; 1881 bis 1890 Mitglied des sächsischen Landtages. Im Reichstag wurde Bebel zum größten Kritiker der Bismarckschen Politik. Zusammen mit Wilhelm Liebknecht verweigerte Bebel nach Ausrufung der französischen Republik die Zustimmung zur Bewilligung weiterer Kriegskredite und forderte Frieden ohne die Annexion von Elsass-Lothringen. Als sich Bebel 1871 zur Pariser Kommune bekannte, wurde er im Leipziger Hochverratsprozess zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Insgesamt wurde Bebel wegen politischer Vergehen für 57 Monate inhaftiert. Auf dem Parteitag von Gotha 1875 befürwortete Bebel trotz programmatischer Bedenken die Vereinigung von ADAV und SDAP. Es folgte die Zeit der Sozialistengesetze (1878–1890), die maßgeblich durch ständige Repressionen und weitere Verhaftungen des überzeugten und unbeirrbaren Bebels gekennzeichnet war. Im September 1890 zog Bebel nach Berlin, dem Sitz der zentralen Parteiführung, und unterhielt einen Zweitwohnsitz in Zürich. Mit dem Parteitag von Halle 1890 hatte die Partei ein neues Organisationsstatut bekommen und nannte sich fortan Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Sowohl das Organisationstatut als auch das Erfurter Parteiprogramm von 1891 fußten auf dem Entwurf Bebels. Im Jahr 1892 wurde Bebel neben Paul Singer zu einem der beiden Vorsitzenden der SPD gewählt, die inzwischen eine Massenpartei geworden war. Er setzte sich weiterhin im Rahmen der II. Internationale für den achtstündigen Arbeitstag ein und trat später als Kontrahent Bernsteins in der Revisionismusdebatte auf.117 Am 13. August 1913 starb Bebel in Passung im Kanton Graubünden in der Schweiz. Die Hochachtung, die Bebel von Parteimitgliedern entgegengebracht wurde, u. a. auch von der die sozialdemokratische Frauenbewegung dominierenden Clara Zetkin118, wenngleich sie nicht immer dieselbe Linie verfolgte119, resultiert zum großen Teil aus seinen bemerkenswerten rhetorischen Fähigkeiten und seinem
117 Revisionismus bezeichnet die Richtung in der Arbeiterbewegung um 1900, die versuchte, die Aussagen des Marxismus neu zu bewerten. Mit seiner Formulierung, dass das Endziel nichts, die Bewegung alles bedeute, griff Eduard Bernstein fundamentale Thesen des orthodoxen Marxismus an. Durch den Revisionismus wurde die sogenannte „Zusammenbruchstheorie“ aufgegeben und der bestehende Staat als ein mögliches Instrument für das Proletariat angesehen, die Gesellschaft im legalen Rahmen neu zu gestalten. 118 Die Schreibweise des Vornamens differiert. Zetkin wechselte selbst zwischen den Schreibweisen. Es wird sich im Folgenden daher immer an die Schreibweise in der Quelle orientiert und ansonsten Clara Zetkin geschrieben. 119 Z. B. in der Haltung zu den Petitionen der bürgerlichen Frauenbewegung im Reichstag, welche Clara Zetkin grundsätzlich ablehnte.
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Einsatz als Reichstagsmitglied im Plenum.120 Besonders die einfachen Parteimitglieder und Anhänger der Sozialdemokratie beeindruckte Bebel aber mit seinem Buch Die Frau und der Sozialismus, an dem er sein Leben lang weiter arbeitete und welches bis heute die meist gelesene sozialistische Schrift darstellt.121 Er schrieb Die Frau und der Sozialismus, bevor er mit den Lehren von Marx und Engels in Berührung kam. Das Werk ist also nicht marxistischen Ursprungs. Da Bebel jedoch stets an dem Buch weiter arbeitete, modifizierte er auch seine allgemeine Ausrichtung, so dass es seit Mitte der neunziger Jahre eine dezidiert marxistische Note enthielt.122 Die Frau und der Sozialismus wurde so zu einem Werk, in dem eine Reihe disparater Elemente – Darwinismus und Marxismus, empirische Beobachtungen und Materialsammlungen wie auch Theoretisches, argumentative und moralische Stellungnahmen – miteinander verbunden sind.123 In Anbetracht des Umfangs von Bebels Werk und der Fülle bereits existierender Sekundärliteratur124 wird der Analyse seines Werkes kein Anspruch auf Vollständigkeit beigemessen. Das Augenmerk gilt Bebels Aussagen zur Stellung der Frau in der Gesellschaft und im Recht sowie der Frage nach dem Einfluss des Buches auf die sozialdemokratische Frauenbewegung.
120 S. dazu Reden Bebels in Die Gleichheit, 25. Januar 1892, Nr. 2, S. 22; 8, Juni 1896, Nr. 14, S. 107–110; 22. Juli 1896, Nr. 15, S. 116–118. 121 Bebel musste sich als Abgeordneter im Landtag sowie im Reichstag für sein Werk rechtfertigen. Siehe z. B. Rede Bebels im sächsischen Landtag vom 11. Januar 1884: „Daß diese Schrift von seiten der Konservativen Partei und insbesondere auch seitens der Regierungen als ein Agitationsmittel gegen meine Partei, speziell als ein Agitationsmittel für die Verlängerung des Sozialistengesetzes benutzt werden würde, darauf war ich, meine Herren, vollständig gefaßt. Namentlich, als ich bemerkte, daß, nachdem die Schrift erschienen war, in den verschiedensten Organen der deutschen Presse konservativer Richtung eine Reihe von Kritiken darüber erschien, die in einigen größeren Blättern sogar, drei, vier und fünf Artikel umfaßten. Eine solche Beachtung meiner Arbeit ist ja recht schmeichelhaft für mich [...] Beiläufig bemerke ich, meine Herren, daß ich dem Regierungskommissar für die Reklame für mein Buch sehr dankbar bin. (Heiterkeit) Sie können die Schrift zu Ihrer Information mit Leichtigkeit trotz des Verbotes bekommen. (Heiterkeit) […]“ weiter Artikel in: Die Gleichheit vom 4. April 1894, S. 47. 122 Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation, S. 41. 123 Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation, S. 41. 124 U.a. Hervé (Hg.), Brot & Rosen, Geschichte und Perspektive der demokratischen Frauenbewegung, Frankfurt a. M. 1979, S. 7–14, Hirsch, August Bebel / mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1988, Baumgartner, Sozialismus als Männersache oder kennen Sie „Bebels Frau“?: seit 100 Jahren ohne Konsequenz, Reinbek, 1978, Rehberg, Die weltanschauliche Entwicklung August Bebels und deren Widerspiegelung in seiner Die Frau und der Sozialismus in den Jahren 1879 bis 1909: Probleme der Aneignung und Entwicklung der materialistischen Geschichtsauffassung durch Bebel, Leipzig 1984.
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b) Die verschiedenen Auflagen Die Frau und der Sozialismus ist in mehr als fünfzig Auflagen erschienen. Bebel arbeitete ständig an neuen Ausgaben, erweiterte und modifizierte immer wieder. Die im Jahr 1910 erschienene Jubiläumsausgabe125 ist die 50. Auflage und letzte Version seines Werkes. Die erste Ausgabe des Werkes erschien 1879 mit dem Verlagssignum der Züricher Volksbuchhandlung, war aber in der Leipziger Genossenschaftsdruckerei hergestellt worden. Bebel hatte seine Schrift bereits im Jahr 1878, während einer Gefängnishaft, vollendet. Am 24. Mai 1879 wurde sie verboten. Die zweite Auflage erschien im Oktober 1883. In der Hoffnung, die Zensur umgehen zu können, änderte Bebel den Titel in Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Auch diese Ausgabe wurde am 2. November 1883 verboten. Dennoch erschienen weitere Auflagen 1884 (3. und 4. Auflage), 1886, 1887 und 1890 mit etwa 20.000 Exemplaren. An dem Druck waren J.H.W. Dietz, der sozialdemokratische Parteiverlag und die Volksbuchhandlung Hottingen-Zürich beteiligt. Den illegalen Vertrieb besorgte die Volksbuchhandlung, für den Handel übernahm J. Schabelitz, Zürich, den Vertrieb.126 In der Erstausgabe findet sich eine Beschreibung der bürgerlichen Ehe, die im Zusammenhang mit den Eigentumsverhältnissen steht. Bebel beschäftigt sich zu dieser Zeit ganz im Owenschen Sinn überwiegend mit den Zuständen in einem „Zukunftsstaat“, die er allgemein gehalten darstellt127 und nicht mit den die Frau betreffenden Rechtsfragen des geltenden Rechts.128 In der neunten, überarbeiteten Auflage von 1891, in der Ausführungen zum damaligen geltenden Recht ergänzt sind, erhebt Bebel erstmals die Forderung nach der zivilrechtlichen Gleichberechtigung der Geschlechter. Diese wird jedoch von ihm nicht weiter konkretisiert. Von diesem Zeitpunkt, als auch die bürgerliche und die proletarische Frauenbewegung durch verstärkte Agitation auf sich aufmerksam machen, beschäftigt sich Bebel vermehrt mit familienrechtlichen Fragen, was in der fortschreitenden Erweiterung der Ausführungen mit familienrechtlichem Bezug in dem Werk einen Ausdruck findet.129 In der Ausgabe von 1895 nimmt Bebel trotz der bevorstehenden Zivilrechtskodifikation auf keiner Seite des Buches zu dieser oder auch nur zu den die Frau betreffenden Rechtsfragen Stellung. Dies liegt sicherlich nicht zuletzt 125 Auszüge dieser Ausgabe sind abgedruckt in Meder/ Duncker / Czelk (Hg.), Die Rechtsstellung der Frau um 1900, Eine kommentierte Quellensammlung, S. 56–80. 126 August Bebel. Ausgewählte Reden und Schriften, Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Zentralinstitut für Geschichte bei der Akademie der Wissenschaften der DDR, 1978, Band 2, Zweiter Halbband, S. 403, Anmerkung 81. 127 Owen hingegen stellte seine new world sehr konkret dar. 128 Plat, Du sollst nicht ihr Herr sein!, Sozialdemokratie und Familienrecht, S. 96. 129 Plat, Du sollst nicht ihr Herr sein!, Sozialdemokratie und Familienrecht, S. 96.
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auch daran, dass Bebel in dieser Ausgabe lediglich eine geringe Bereitschaft zum Einsatz für Veränderungen in der bestehenden Gesellschaftsform zeigt, was aus seinen Ausführungen über die bürgerliche Frauenbewegung hervorgeht, die er zu dieser Zeit – anders als 1910 – noch stark kritisiert: „Es handelt sich also nicht nur darum, die Gleichberechtigung der Frau mit dem Manne auf dem Boden der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung zu verwirklichen, wie das
als Ziel die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen erstreben, sondern darüber hinausgehend alle
Schranken zu beseitigen, die den Menschen vom Menschen, also auch das eine Geschlecht vom anderen, abhängig machen.“130
In späteren Ausgaben hingegen erwähnt Bebel den Konflikt zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung nicht, sondern spricht nunmehr alle Frauen gleichermaßen an. c) Aussagen Bebels zur Stellung der Frau in Gesellschaft und Recht In der 1910 erschienenen Jubiläumsausgabe, der letzten Version seines Werkes, erhebt Bebel die Forderung nach vollkommener Gleichberechtigung der Geschlechter. In seinem Zukunftsstaat ist die Frau sozial und ökonomisch „vollkommen unabhängig, keinem Schein von Herrschaft und Ausbeutung mehr unterworfen, steht dem Manne als Freie, Gleiche gegenüber und ist Herrin ihrer Geschicke“.131 Seinem Zukunftsstaat stellt Bebel eine Analyse der damaligen Bedingungen für die Frau in der Gesellschaft gegenüber und nimmt sich der Lebens- und Rechtsform der Ehe an. Im achten Kapitel bezeichnet er Die moderne Ehe als den „wahre(n, Verf.) Jugendbrunnen für das weibliche Geschlecht“132. Er bringt damit zum Ausdruck, dass er die Ehe als einzige Lebensform ansieht, die den natürlichen menschlichen Bedürfnissen entspricht. Dabei betont er die große Bedeutung der Ehe für die Frau, die nur als Ehefrau zufrieden und ausgeglichen sein kann. Als Konsequenz sucht Bebel nach einer Eheform, die den Bedürfnissen der Menschen, insbesondere der Frau, entspricht und kritisiert die Motivationen zur Eheschließung, die in einem hohen Maße „von materiellen Spekulationen“ geprägt seien. Er äußert sich über den „Eheschacher“, der „häufig mit einer Schamlosigkeit betrieben“ werde, „daß die stetig wiederholte Phrase von der ‚Heiligkeit‘ der Ehe als purer Hohn 130 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Ausgabe 1895, Nachdruck in: Die Frauenfrage, herausgegeben von Fredriksen, S. 95. 131 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 46. 132 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 122.
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erscheine“.133 Ganz im fourierschen Sinne sieht Bebel also die „auf freier Liebeswahl beruhende Ehe“134 als die den menschlichen Bedürfnissen entsprechende Lebensform an. Anders als Fourier jedoch hält er an der monogamen Lebensform fest. Ein Paar, das in ein Eheverhältnis treten wolle, so Bebel, müsse sich darüber klar sein, ob sich die beiderseitigen Eigenschaften zu einer solchen Verbindung eignen. Der Entschluss, eine Ehe einzugehen, solle die alleinige Entscheidung der Ehepartner sein, die frei von jeglichen Fremdeinflüssen erfolge. Das könne aber nur durch die Fernhaltung jeden anderen Interesses gewährleistet werden.135 Bebels ausführliche Beschäftigung mit der „Geldehe“ betrifft die besitzlose Arbeiterklasse nicht. Indem Bebel in diesem Abschnitt über die Ehe eine Charakteristik der Gesellschaft aufzeigt, die einzig vom Streben nach Kapital geprägt ist, beweist er sein Bemühen nach einer umfassenden gesellschaftlichen Analyse. Durch den Begriff „Versorgungsehe“, den Bebel im Zusammenhang mit seinen Ausführungen über die Abhängigkeit der Frau vom Mann einführt,136 bringt er zum Ausdruck, dass die Stellung der Frau nicht nur durch die Schaffung neuer Rechtsnormen verbessert werden müsse, sondern auch die wirtschaftlichen Verhältnisse selbst geändert werden müssten, die ursächlich für die Abhängigkeit der Frau seien. Im späteren Abschnitt über den Rückgang der Geburten kommt Bebel zu dem Ergebnis, dass „sowohl die Eheschließungen wie die Geburten von den ökonomischen Zuständen beherrscht“ werden.137 Dabei werde der eigentliche Zweck der Ehe, die Fortpflanzung und die Erziehung der Kinder durch die Anpassung der Menschen an die wirtschaftlichen Verhältnisse untergraben. Weiter kritisiert Bebel die Scheinmoral der Kirche, aber auch die des Staates, die Ehescheidungen entweder gar nicht ermöglichten oder unter schwer zu erfüllende Voraussetzungen stellten, die den Anstand der Ehegatten wahren sollen. Eine unglückliche Ehe, die sogar vom Gesetz gestützt würde, sei „durch und durch unmoralisch“138. Eine 133 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 129. Dies wird sogar von Carl v. Raumer, einem konservativen Kritiker Bebels, bestätigt: Die Frau und die Sozialdemokratie unter Klarlegung des sozialistischen Zukunftsstaates nach August Bebel, Berlin 1884, S. 149. 134 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 123. 135 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 125. 136 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 160. 137 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 125. 138 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 134.
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höchst unglückliche Ehe verliere ihren Zweck.139 Aufgrund dieser Überlegung tritt Bebel generell für eine Vereinfachung des Scheidungsrechts in jeder Hinsicht ein. Meist sei es die Frau, die Gewalt und Untreue ihres Ehemannes aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit ertrage und erst in größter Not einen Scheidungsantrag stelle. Dass mehr Frauen als Männer den Antrag auf Ehescheidung stellten, lasse auf die Unerträglichkeit der Ehe für Frauen schließen.140 Bebel schreibt über die Zerrüttung der Familie: „Die wachsende Zahl der Ehescheidungen in der städtischen Bevölkerung im Vergleich
mit der ländlichen spricht dafür, dass im allgemeinen der zunehmenden Industrialisierung der ganzen Gesellschaft und der abnehmenden Stabilität des öffentlichen Lebens die Ehe-
verhältnisse immer ungünstiger werden und die Faktoren sich vermehren, welche die Ehe zerstören. Andererseits sind sie ein Beweis, daß sich eine immer größere Zahl Frauen entschließt, das ihr unerträglich dünkende Joch abzuschütteln.“141
Er kommt zu dem Ergebnis, dass die von ihm genannten Zahlen sowohl für die Stärkung der Stellung der Frau sprechen als auch für die Zerrüttung der Familien durch die wirtschaftliche Situation. Ganz im Engelschen Sinne geht auch Bebel bei seiner Darstellung der Formen von Familie von der Existenz des Mutterrechts aus, das er ebenfalls auf Bachofen und später Morgan zurückführt142 und widerlegt damit die natürliche Vorherrschaft des Mannes in der Ehe. Seine Vorstellungen von Sexualmoral bewirken, dass er diesbezüglich keine allgemeinen Regeln aufstellen möchte. Für ihn ist „die Befriedigung des Geschlechtstriebs ebenso jedes einzelnen Sache wie die Befriedigung jedes anderen Naturtriebs“. Niemand habe darüber Rechenschaft zu geben und kein Unberufener habe sich einzumischen.143 Bebel geht zudem davon aus, dass sich der Sexualtrieb der Frau und der des Mannes entsprechen. Eine Verschärfung des Eheschließungsrechts, wie es teilweise zur Beschränkung der hohen Kinderzahl in Arbeiterfamilien gefordert wurde, hält Bebel für den falschen Ansatz. Das nämlich hätte zur Folge, dass „Männer wie Frauen in illegitimen 139 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 133. 140 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 137. 141 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 140. 142 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 47. Hinsichtlich der Darstellung des Mutterrechts s. Ausführungen unter 4. b), S. 51. 143 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 316.
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Verbindungen leben um ihren Naturtrieb zu befriedigen und Scharen unehelicher Kinder ‚als Gesäte’ Stadt und Land bevölkern. Man klage dann aber auch nicht über ,den Verfall von Sitte und Moral’“.144 In den Kapiteln Die geistigen Fähigkeiten der Frau und Die Verschiedenheiten in der körperlichen und geistigen Beschaffenheit von Mann und Frau beschäftigt sich Bebel mit der Frage, ob beide Geschlechter über die gleichen geistigen Fähigkeiten verfügen.145 In dem ersteren führt er aus, dass die Beurteilung dieser Frage Schwierigkeiten mit sich bringe, da Frauen stets „dumm“ gehalten würden.146 Er konstatiert daher, dass aufgrund der mangelnden Beweise für einen diesbezüglichen Unterschied zwischen Frau und Mann grundsätzlich von der Gleichheit aller Menschen auch in diesem Bereich auszugehen sei.147 Aus dieser Annahme heraus begründet Bebel seine Ablehnung männlicher Eheherrschaft und die Forderung nach grundsätzlicher Gleichheit von Frau und Mann in der Ehe. Dass es dennoch traditionelle Rollenverteilungen in der Ehe gebe, akzeptiert Bebel aufgrund seiner Überzeugung von der Existenz grundlegend verschiedener Eigenschaften, die den beiden Geschlechtern von Geburt an eigen seien. So charakterisiert Bebel Frauen als „von Natur aus impulsiver als Männer, weniger reflektiert als diese, selbstloser, naiver, daher von größerer Leidenschaft beherrscht, die sich in der wahrhaft heroischen Aufopferung, mit der sie für ihr Kind einträten oder für Angehörige sorgten und sie in Krankheitsfällen pflegten, im schönsten Lichte zeige.“148 Über die die rechtliche Stellung der Frau bestimmenden Gesetze äußert sich Bebel nur knapp, wobei er zwischen zivilrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Gleichberechtigung differenziert. Er begrüßt die Vereinheitlichung des bürgerlichen Rechts durch das bürgerliche Gesetzbuch und hebt die Verbesserungen gegenüber dem zuvor geltenden uneinheitlichen Recht hervor. 149 Seine Ausführungen bleiben überwiegend wertfreie Erklärungen der neuen familienrechtlichen
144 Bebel, Die S. 447. 145 Bebel, Die S. 237–253. 146 Bebel, Die S. 238. 147 Bebel, Die S. 242/243. 148 Bebel, Die S. 160. 149 Bebel, Die S. 265.
Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980,
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Bestimmungen.150 Bebel bedauert, dass die Gütertrennung nicht gesetzlicher Güterstand sei, sondern nur durch einen Ehevertrag zur Anwendung kommen könne. Die stattdessen eingeführte Verwaltungsgemeinschaft, die in § 1363 BGB geregelt ist, bringe, so Bebel, bei der Ehescheidung für die Frau große Nachteile mit sich. Dem Mann verbleibe nämlich das in gemeinsamer Arbeit der Eheleute erworbene Vermögen, auch wenn der Mann „der Schuldige“ sei, wohingegen die Frau standesgemäßen Unterhalt nur beanspruchen könne, wenn sie ihn nicht aus den Einkünften ihres eigenen Vermögens oder dem Ertrag ihrer Arbeit zu bestreiten vermöge.151 Zudem verbleibe dem Mann das Vermögen, das aus nicht verwendeten Einkünften des Vermögens der Frau angesammelt worden sei. Schließlich erläutert Bebel die Regelungen zur elterlichen Gewalt, die sich in den §§ 1626–1698 BGB finden. Er weist darauf hin, dass einer geschiedenen Frau, wenngleich ihr die Erziehung zufällt, kein Recht der Vertretung und der Verwaltung des Vermögens der Kinder zusteht, was er als ungerecht empfindet.152 Im Kapitel über die politische Gleichberechtigung geht Bebel auf die öffentlich-rechtliche Stellung der Frau ein und erörtert die notwendigen Veränderungen, um an der Gesetzgebung direkt oder indirekt partizipieren zu können. Er betont, wie weit andere Länder im Vergleich zum deutschen Kaiserreich bereits entwickelt seien, und hebt das Werk Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber von Theodor G. v. Hippel153 hervor, das das einzige fortschrittliche Werk in Deutschland in der Zeit um 1792 gewesen sei. Dass Frauen nichts von Politik verstünden und verstehen wollten, sei „wahr und nicht wahr“.154 Zwar sei in Deutschland die Forderung 150 So lobt Bebel das Recht, das auch der Frau ermöglicht, Vormund zu sein, die grundsätzlich unbeschränkte Geschäftsfähigkeit der Frau und das Recht der Frau, als Zeugin bei Testamentserstellungen und bei Eheschließungen aufzutreten. Er beschreibt die Pflichten der Ehegatten in der ehelichen Gemeinschaft, die in §§ 1353 BGB f. ihren Ausdruck finden und erörtert die Regelungen des § 1354 BGB, nach dem dem Mann die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten zusteht. Weiter erklärt Bebel die rechtlichen Wirkungen der Schlüsselgewalt, die in § 1357 BGB geregelt ist, und die dazugehörigen Regelungen der §§ 1356, 1358 BGB. Darüber hinaus nennt er die Voraussetzungen, unter denen die Frau verpflichtet ist, im Geschäft des Mannes zu arbeiten. Die von ihm genannten §§ beziehen sich auf das BGB in der Fassung vom 1.1.1900. 151 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 265. 152 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 266. 153 Zu Hippel s. Neiseke, Theodor Gottlieb Hippel als Fürsprecher einer egalitären Stellung der Geschlechter? Das Urteil der deutschen Frauenbewegung und dessen Folgen im historischen Kontext, in: Frauenrecht und Rechtsgeschichte, Die Rechtskämpfe der deutschen Frauenbewegung, Meder/ Duncker/ Czelk (Hg.), S. 211–234. 154 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 266.
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nach politischer Mitbestimmung der Frauen nur von Hedwig Dohm in den 1860er Jahren und später von sozialdemokratisch gesinnten Arbeiterinnen erhoben worden, doch gebe es auch immer noch Männer, die ihre politischen Rechte nicht zu gebrauchen verstünden. Dies sei jedoch kein Grund, ihnen dieses Recht zu versagen. Damit zieht Bebel eine Parallele zu der Errungenschaft des allgemeinen Wahlrechts für Männer: „Politische Bildung wird dadurch aber nicht gewonnen, dass man die Massen von öffentlichen Angelegenheiten fern hält, sondern dadurch, dass man sie zur Ausübung politischer Rechte zulässt.“155 Bebel hebt die Vorteile für eine Ehe hervor, in der die Frau politisch und allgemein gebildet ist. Er erhofft sich einen „Ideenaustausch“ zwischen Frau und Mann und „gegenseitige Belehrung, ein(en, Verf.) Zustand, wie er bisher in den seltensten Fällen zwischen Mann und Frau bestand.“156 d) Wertung Es fällt auf, dass Bebel nur sehr zaghafte Kritik an den familienrechtlichen Regelungen des BGB übt, wobei er sich auf den Gebrauch deskriptiver Sprachmittel beschränkt. Bebel übersieht bei seiner Kritik an dem gesetzlichen Güterstand der Verwaltungsgemeinschaft, die im Falle der Scheidung dem Mann das in gemeinsamer Arbeit erworbene Vermögen sichere, auch wenn er das Scheitern der Ehe zu vertreten habe, dass dieser Umstand auch bei der von ihm als gesetzlichen Güterstand geforderten Gütertrennung eintreten würde157. Die weiteren Ausführungen Bebels zur Verwaltungsgemeinschaft, die immerhin eine Seite von Bebels Buch füllen, sind lediglich für die Ehen relevant, in denen die Eheleute in der Zeit ihrer Ehe einen Zugewinn erwirtschaften. Da die Großzahl der Arbeiterfamilien über so geringe Einkommen verfügte, dass ihnen die Erzielung eines Zugewinns gar nicht möglich war, verdeutlichen die Ausführungen Bebels das Bemühen, sich der Stellung der Frau in allen gesellschaftlichen Schichten anzunehmen, um möglichst viele Frauen mit seinem Buch zu erreichen. Hervé weist darauf hin, dass Bebels Frau und der Sozialismus auch von einer Großzahl an Frauen anderer gesellschaftlicher Schichten als des Proletariats gelesen wurde.158 Die darauf folgenden Rechts155 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 276. 156 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 276. 157 Auf die Forderung der Gütergemeinschaft als gesetzlichen Güterstand durch die Sozialdemokraten im Reichstag, die von Bebel als SPD-Abgeordnetem im Reichstag vorgebracht wurde, wird im 4. Kapitel der Arbeit unter VI. 5. näher eingegangen. 158 S. dazu Hervé, Brot & Roten, S. 10.
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vergleiche mit den familienrechtlichen Regelungen in Frankreich, Belgien, Spanien, Portugal, Italien, Polen, Russland, Norwegen und der Schweiz159 geben dem/ der Leser/in die Möglichkeit, eine eigene Bewertung der Regelungen des BGB vorzunehmen. Was auf den ersten Blick zurückhaltend wirkt, ja sogar verwundert, betrachtet man Bebels Reden im Reichstag – die vehement gegen das BGB in der Form von 1896 gerichtet waren – regt den/die Leser/in zu eigener Kritik an. Insgesamt ist festzuhalten, dass Bebels Ausführungen zur rechtlichen Stellung der Frau im Zivilrecht mit acht Seiten, wovon fünf Seiten Ausführungen über Gesetze in anderen Ländern beinhalten, recht knapp gehalten sind. Auf die nichtehelichen Kinder und ihre rechtliche Beziehung zu ihren Vätern, die in der Tat gerade im Proletariat von großer Bedeutung für die Frauen war, geht Bebel nicht ein.
159 „[...] In England schrieb bis 1870 das Gewohnheitsrecht des Landes dem Manne das Besitztum der Ehefrau an beweglichen Gütern zu. Nur an unbeweglichen Gütern blieb das Eigentumsrecht ihr gewahrt, aber der Ehemann besaß das Recht der Verwaltung und der Nutznießung […] Besonders rückständig bleibt noch im allgemeinen für die Frau das bürgerliche Recht in Frankreich und in allen Ländern – meistens romanischen Ländern -, die vom französischen Code Civil stark beeinflusst sind oder wo er mit einigen Änderungen noch bisher direkt gilt. So in Belgien, Spanien, Portugal, Italien, Russisch-Polen, in den Niederlanden und in den meisten Kantonen der Schweiz. Über die Auffassung Napoleons I. bezüglich der Stellung der Frau existiert ein bezeichnendes Wort, das noch heute gilt: „Eins ist nicht französisch, eine Frau, die tun kann, was ihr gefällt.“ Sobald sie heiratet, kommt die Frau unter die Vormundschaft des Mannes. Nach § 215 des Code Civil darf sie ohne Zustimmung des Gatten nicht vor Gericht auftreten, auch wenn sie einen öffentlichen Handel hat. Nach § 213 soll der Mann die Frau schützen und sie hat ihm Gehorsam zu leisten. Er verwaltet das in die Ehe gebrachte Vermögen seiner Frau, er kann die Güter derselben verkaufen, veräußern und mit Hypotheken belasten, ohne daß er ihrer Mitwirkung oder Zustimmung bedarf […] Die Bevorzugung des Mannes tritt besonders grell in der Ehescheidungsgesetzgebung zutage. Nach dem Code Zivil war in Frankreich dem Ehemann der Antrag auf Ehescheidung gestattet, sobald die Ehefrau sich des Ehebruchs schuldig machte, dagegen konnte nach Art. 230 die Frau einen solchen Antrag stellen, wenn der Ehemann seine Konkubine in den gemeinsamen Haushalt aufnahm […] Das eheliche Güterrecht ist im wesentlichen ebenso wie im Bürgerlichen Gesetzbuch geordnet. In erster Linie entscheidet der Ehevertrag, der sowohl vor als auch während der Ehe geschlossen werden kann. […] Schweden sicherte durch Gesetz vom 11. Dezember 1874 der Ehefrau das Recht der freien Verfügung über das, was sie durch persönliche Arbeit erwirbt. Dänemark hat 1880 den gleichen Grundsatz zum geltenden Recht erhoben. Auch kann nach dänischem Recht das Besitztum der Frau nicht durch Schulden des Mannes in Anspruch genommen werden. Ganz ähnlich lautet das norwegische Gesetz vom Jahre 1888 und das finnländische vom Jahre 1889: die verheiratetet Frau hat dieselbe Fähigkeit der Verfügung über ihre Güter wie die nichtverheiratete, nur sind einige Ausnahmen vorgesehen, die im Gesetz erwähnt werden […]“ Bebel, Die Frau und der Sozialismus, 58. Auflage 1954, S. 347–352.
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Trotz seines Einsatzes für die Gleichberechtigung von Frau und Mann sowohl auf gesellschaftlicher als auch rechtlicher Ebene rückt Bebel nicht von der herkömmlichen Rolle der Frau in Ehe und Familie ab, sondern sieht die Aufgabe der Frau darin, dem Mann eine „gesunde und heitere Gefährtin, eine fähige Mutter und eine ihren häuslichen Obliegenheiten nachkommende Gattin“ 160 zu sein. Diese Beschreibung der Rolle der Frau in der Ehe steht im Widerspruch zu den übrigen Ausführungen Bebels über die Gleichheit von Frau und Mann. Evans bescheinigt dem Werk Bebels sogar einen „verwirrten und ungereimten Anstrich“.161 An keiner Stelle diskutiert Bebel die Rolle des Mannes in Ehe und Familie, was Evans dahingehend interpretiert, dass die Übernahme von althergebrachten „Frauenaufgaben“ durch den Mann Bebel gar nicht in den Sinn gekommen sei.162 Ginge man jedoch davon aus, dass Bebel – anders als Evans vermutet – sich der Konsequenz der Gleichheit von Frau und Mann bewusst war, so wäre ihm vorzuwerfen, er habe den notwendigen Beitrag des Mannes zur Verwirklichung seiner Forderungen zur Stellung der Frau in Ehe und Familie bewusst vernachlässigt, um den Konflikt zwischen Frau und Mann diesbezüglich zu vermeiden und damit der Beliebtheit seines Buches selbst im Wege zu stehen. Eine Erklärung seiner Widersprüchlichkeit liefert zum einen bezogen auf seine Rechtsausführungen, insbesondere zum Güterrecht, die Tatsache, dass Bebel kein Jurist war. Zum anderen ist sein Buch mit seinen verschiedenen Auflagen der direkte Spiegel seines gedanklichen Entwicklungsprozesses. Dass er schon in seiner ersten Ausgabe seines Werkes 1879 sehr fortschrittliche Ansätze verfolgte, merkte auch Clara Zetkin in einer Rede auf dem sozialdemokratischen Parteitag in Gotha im Jahre 1896 an: „Es (Bebels Die Frau und der Sozialismus, Verf.) darf nicht nach seinen Vorzügen oder Mängeln bewerthet werden, es muss beurtheilt werden nach der Zeit, in der es erschien.“163
Nachdem Evans die Widersprüche Bebels in seinem Buch dargelegt hat, resümiert er treffend: „Alles in allem betrifft Die Frau und der Sozialismus den Leser immer noch als erstaunlich
radikales und prophetisches Dokument und als inspirierte Verurteilung der Unterdrückung der Frau in der Gesellschaft des späten 19. Jahrhunderts.“164
160 Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Neusatz von der Jubiläumsauflage 1929, Bonn 1980, S. 163. 161 Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation, S. 50. 162 Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation, S. 51. 163 Zetkin, Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 164. 164 Evans, Sozialdemokratie uns Frauenemanzipation, S. 51.
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Mit seinen Studien über die Stellung der Frau in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung gibt Bebel einer breiten Masse an Leserinnen und Lesern Denkanstöße und eine Fülle von Diskussionsmaterial. Die Frau und der Sozialismus enthält jedoch weder konkrete Forderungen zum Eherecht noch Lösungsansätze zur sogenannte Frauenfrage. Plat ist zuzustimmen, wenn er darauf hinweist, dass nicht davon ausgegangen werden könne, „dass die Popularität dieses Buches gleichzeitig ein Gradmesser seiner Wissenschaftlichkeit ist“.165 Dieser Tatsache ist sich Bebel selbst jedoch auch bewusst.166
II. Ein anderer Ansatz? – John Stuart Mill „Die Frau wird bald nicht mehr bloß Eigentum, sondern eine Person sein, die um ihrer selbst willen geschätzt wird und nicht wegen ihres Ehemanns oder Vaters. Sie ist jetzt reif für die Gleichberechtigung.“167
1. Leben und Werk – Mill, Taylor Mill, Taylor John Stuart Mill wurde am 20.05.1806 in London als Sohn von James Mill, einem Philosophen, Historiker und Ökonom, geboren.168 Er genoss eine sehr strenge Erziehung durch seinen Vater, der ihn schon in frühester Kindheit Griechisch und Latein lehrte und ihm intellektuell fast Unleistbares abverlangte. Das Ziel des Vaters war es, seinen Sohn zum eigenen Nachfolger und Weiterentwickler der von ihm protegierten politischen Strömung zu machen. Eiserne Disziplin, Rücksichtslosigkeit, Grausamkeit und die Unterdrückung jeglicher Gefühle kennzeichneten das Verhältnis James Mills zu seinen Kindern.169 Die Erziehung Mills war durchweg rational und atheistisch. Nachdem Mill ein Jahr in Frankreich gelebt hatte, wurde er im Alter von siebzehn Jahren Mitglied der Utilitarian Society und Schreiber der East India Company im India House170 unter Vorsitz seines Vaters, der sein privates, berufliches und gesellschaftlich-politisches Leben prägte. Als 165 Plat, Du sollst nicht ihr Herr sein!, 1994, S. 94. 166 Dies wird deutlich durch Bebels eigener ironischer Bezeichnung seines Werkes als „durch und durch wissenschaftliches Buch“, so im Vorwort zur 25. Auflage, in: Auflage 1910, S. 17. 167 Mill, Die Hörigkeit der Frau, 1976, S. 65. 168 Zu Leben und Werk s. Backhaus, Mill, 2002; Halliday, John Stuart Mill, 1976; Schröder in Einleitung zu Die Hörigkeit der Frau, 1976; Coss, J. S. Mill, Autobiographie, 1924; Stillinger (Hg.), The Early Draft of John Stuart Mill’s Autobiogarphie, 1961. 169 Mill schrieb über seine Kindheit: „So wuchs ich auf im Mangel an Liebe und in ständiger Angst.“ In: Stillinger (Hg.), The Early Draft of John Stuart Mill’s Autobiogarphie, 1961, S. 183. 170 Das India House war der Sitz der East India Company.
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James Mill seinen Essay on Government veröffentlichte, in dem er alle Frauen vom Wahlrecht ausgeschlossen wissen will, protestierte Mill zusammen mit einigen Freunden wahrscheinlich zum ersten Mal gegen seinen Vater.171 Im Jahre 1830 begann Mills Beziehung zu Harriet Taylor, die trotz größter Schwierigkeiten über zwanzig Jahre währte, schließlich zu einer Ehe führte und nur durch den Tod Taylors nach sieben Jahren endete.172 Harriet Taylor, zum Zeitpunkt ihrer Bekanntschaft 23 Jahre alt, war im Alter von 18 Jahren auf Wunsch ihres harten und tyrannischen Vaters an den Kaufmann John Taylor verheiratet worden und hatte im Jahr 1830 bereits zwei Söhne. Im darauf folgenden Jahr wurde ihre Tochter Helen geboren. Ihre Ehe mit dem Kaufmann Taylor war Harriet Taylor verhasst. Ihr Mann interessierte sich nicht für die von ihr so geliebte Literatur. Vor ihrer Bekanntschaft mit Mill hatte sie bereits einige Gedichte und einen Essay veröffentlicht.173 In den dreißiger Jahren schrieb Mill für die politische Zeitung London and Westminster Review. Auch diese Tätigkeit stand noch unter dem starken Einfluss seines Vaters, der jedoch im Jahr 1836 starb. Fortan konnte Mill freier arbeiten, entwickelte sein „System of Logic“ und setzte sich mit Comte174 auseinander. Anfang der vierziger Jahre zog er sich aus dem Kreis der Liberal-Radikalen zurück. Seine Freundschaft mit Harriet Taylor führte nicht nur zu bösartigem Klatsch, sondern zu Taylors gesellschaftlicher Isolierung. Mill litt psychisch unter diesen Umständen so sehr, dass man um sein Leben fürchtete. Fortan begann er, sich im Freundeskreis Taylors zu bewegen, einer unkonventionellen und feministischen Gruppe junger Frauen und Männer, Literaten, Wissenschaftler, politisch Interessierter und Autodidakten.175 Mill und Taylor schrieben zusammen die Frühen Essays über Ehe und Scheidung, die aus der Reflexion über Taylors ausweglose Situation mit ihrem Ehemann resultierten. An dem Werk Politische Ökonomie, das erstmals 1848 erschien, arbeiteten Mill und Taylor noch weitere fünf Jahre. Im Jahr 1853 erkrankten beide an 171 Mill argumentiert folgendermaßen: „[…], daß die Interessen der Frauen genau in dem Maße in die der Männer wie die Interessen der Untertanen in die der Könige eingeschlossen sind, daß jeder Grund, der dafür spricht, irgend jemandem das Wahlrecht zuzugestehen, verlangt, daß es den Frauen nicht vorenthalten wird.“ In: Coss, Autobiographie, 1924, S. 73. 172 Schröder in Einleitung zu Die Hörigkeit der Frau, 1976, S. 14. 173 Schröder in Einleitung zu Die Hörigkeit der Frau, 1976, S. 15. 174 Comte (1798–1857) ist der Begründer des Positivismus. Er lehnt alle Metaphysik und Absolutheitsvorstellungen ab und leugnet die Erkenntnismöglichkeit eines An-sich-Seins der Dinge. Seine Auffassungen gründen sich auf die Beschreibung von Tatsachen und deren Beziehungen. Er unterscheidet zwischen abstrakten und konkreten Wissenschaften. Zu letzteren zählt er vor allem die Erforschung der Gesellschaft, für die er den Namen Soziologie prägt. 175 Schröder in Einleitung zu Die Hörigkeit der Frau, 1976, S. 16.
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Tuberkulose und entgingen nur knapp dem Tod. Im Folgejahr begann Mill mit der Niederschrift seiner Autobiographie, in der er die Zusammenarbeit mit Taylor hervorhob und ihr seinen Dank hierfür wiederholt aussprach. Im Jahr 1858 verstarb Taylor unerwartet. Fortan arbeitete Mill zusammen mit Taylors Tochter Helen, zu der er ein väterliches Verhältnis pflegte. Im Jahr 1859 veröffentlichten sie das gemeinsame Werk Über die Freiheit. Nachdem Mill seine Betrachtungen über repräsentative Regierung veröffentlicht hatte, erschien Die Hörigkeit der Frau. Dieses Werk schrieb Mill bereits 1861 nieder; es wurde aber erst 1869 veröffentlicht. Man kann wohl behaupten, dass es das Produkt jahrzehntelanger Diskussionen Mills und Taylors war. Es verarbeitet die Erfahrung mit den eigenen väterlichen Familien, mit der sehr schwierigen Situation während ihrer Freundschaft bei formeller Beibehaltung der Taylorischen Ehe, mit dem verleumderischen Klatsch der bigotten viktorianischen Gesellschaft und allgemein mit der ökonomischen, sozialen, politischen Situation der Frauen.176 Wie wichtig Mill die Mitarbeit Helen Taylors war, betont er in seiner Autobiographie.177 Mills politisches Engagement als Abgeordneter des Unterhauses, dem er drei Sitzungsperioden angehörte, war vor allem von dem Einsatz für das Frauenwahlrecht geprägt. Die von ihm initiierte Petition im Jahr 1866, die die Unterschriften von 1500 Frauen trug, hatte er mit Helen Taylor vorbereitet. Mill kommt das Verdienst zu, als erster in einem Parlament seine Stimme zugunsten des Frauenwahlrechts erhoben zu haben.178 176 Schröder in Einleitung zu Die Hörigkeit der Frau, 1976, S. 17. 177 Mill: „Ich war nicht allein: sie hinterließ eine Tochter, meine Stieftochter Helen Taylor, die viel von ihrer Weisheit und ganz und gar ihren noblen Charakter geerbt hatte, deren wachsende und reifende Talente bis heute dem gleichen großen Ziel gewidmet sind und ihren Namen besser und weiter bekannt gemacht haben als den ihrer Mutter […]“ In: Coss, Autobiographie, 1924, S. 186. Die Zusammenarbeit Mills mit seiner Lebensgefährtin und späteren Ehefrau Harriet Taylor und später mit ihrer Tochter Helen Taylor ist in der Sekundärliteratur lange Zeit unbeachtet geblieben. Erwähnenswert ist zudem Mills Versuch, sein Werk Die Hörigkeit der Frau ins Deutsche übersetzen zu lassen. Genau mit dieser Bitte trat er an seinen Freund Gomperz heran, der in Wien als Professor arbeitete und lehrte. Gomperz jedoch weigerte sich sogar noch zehn Jahre später, als eine zwölfbändige deutsche Ausgabe der Werke Mills erscheint, Die Hörigkeit der Frau in sie aufzunehmen. Es ist bekannt, dass Gomperz seinen Schüler Siegmund Freud mit gerade der Übersetzung des Bandes beauftragt hatte, in dem auch Die Hörigkeit der Frau erscheinen sollte. Der damals 23jährige Freud hatte unter anderem den Aufsatz Über Frauenemanzipation übersetzt. Dabei musste ihm bekannt gewesen sein, dass Mill in einem Wiederabdruck geschrieben hatte, dass die Gedanken dieses Aufsatzes die von Harriet Taylor seien. Freud setzte weder den Namen Taylors neben den Mills noch erwähnte er diese Aussage Mills überhaupt. Vgl. dazu Schröder in Einleitung zu Die Hörigkeit der Frau, 1976, S. 42. 178 Schröder in Einleitung zu Die Hörigkeit der Frau, 1976, S. 28.
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Mill beschäftigte sich mit den Theorien der Frühsozialisten Robert Owen, Charles Fourier und Henri de Saint-Simon und setzte sich mit dem Sozialismus auseinander, nie aber mit dem Marxismus. Einige seiner Hauptforderungen, u. a. allgemeine Schulbildung und Dezentralisierung der Vermögen durch eine Erbrechtsreform finden sich auch bei den Sozialisten wieder.179 Mill war jedoch weit davon entfernt, selbst Sozialist zu sein.180 Für ihn waren die oben genannten Forderungen lediglich notwendige Bedingungen für den teilweise von ihm entwickelten Liberalismus.181 Einen wenn auch geringen Einfluss auf die Fortentwicklung des Sozialismus ist ihm jedoch nicht abzusprechen. Mit der Arbeiterfrage befasste sich Mill in einer Besprechung des Buches Die Arbeit, ihre unberechtigten Ansprüche und Forderungen, ihre wirkliche Gegenwart und ihre mögliche Zukunft von W. Th. Thornton. Er sah sie als das „große wirthschaftliche Problem des modernen Lebens“182 an und schloss sich den Auffassungen Thorntons überwiegend an.183 Einerseits anerkannte Mill, dass es Arbeitsschutzbestimmungen für die Arbeiter bedürfe, die ihnen Mindestlöhne und Arbeitsbedingungen garantieren. Andererseits fand er Schutzbestimmungen an dem Punkt unangebracht, wo sie die Effektivität der Arbeit behinderten.184 Er erklärte seine Einstellung mit der Verpflichtung jedes Menschen zu moralischem Handeln, womit einhergehe, die Erde nicht aufgrund von Streitigkeiten zwischen verschiedenen Klassen zu einer schlimmeren Wohnstätte zu machen, als sie sonst wäre.185 Mill sah in Anlehnung an Thornton die Aufgaben der „Gewerbevereine“ nicht nur im Einsatz für den Arbeiterschutz, sondern auch in der Stärkung der Moral der Arbeiter und ihrer Disziplin durch Zusammengehörigkeitsgefühl und Stolz. Die Einrichtung dieser Gewerbevereine solle aber nur so lange bestehen, bis das angestrebte Ziel, die Vereinigung von Arbeit und Kapital, erreicht sei.186 Anders als in seinen Ausführungen zur Frauenemanzipation geht Mill hier nicht von der Grundlage der Gleichheit aller Menschen aus. Er beschäftigt sich ledig179 Im Jahr 1869 wurden vom Internationalen Arbeiterbund in Basel Beschlüsse über die Abschaffung des Privateigentums gefasst, nach denen das Erbrecht in seiner damaligen Form abgeschafft werden sollte. 180 S. dazu Mill, Der Socialismus, in Gesammelte Werke, Band 12, ins Deutsche übersetzt von Sigmund Freud, S. 160–226. 181 S. dazu Grude-Oettli, John Stuart Mill zwischen Liberalismus und Sozialismus, S. 179. 182 Mill, Die Arbeiterfrage, in Gesammelte Werke, Band 12, S. 157. 183 Leider kann an dieser Stelle nicht weiter auf die Theorien Thorntons eingegangen werden. S. hierzu aber: William T. Thornton and nineteenth century economic policy: a Robert B. Ekelund, Jr. and Mark Thornton, o.O. 2001, in Journal of the history of economic thought, Cambridge 2001. 184 Mill, Die Arbeiterfrage, S. 155. 185 Mill, Die Arbeiterfrage, S. 156. 186 Mill, Die Arbeiterfrage, S. 158/159.
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lich mit der Frage, ob Sozialismus oder Privateigentum sein Ziel der Freiheit und Selbstverwirklichung des Individuums am besten gewährleistet.187 McCloskey fasst treffend zusammen, was ein moderner Sozialist in Mills Diskussion des Sozialismus vergeblich suchen wird: „First, there is none of moral indignation of Marx, Engels, Laski and Twaney at the gross inequalities to be found in capitalist societies; […] If the reader looks hard, he can often find
calm statements showing awareness that there are serious injustices, but there is no sense of
grave moral indignation at the injustices and indignities, the misery and wretchedness, of the victims of the system. Secondly, there is no awareness of the power of wealth, of what
is true and important in Marxism, that capitalists may use democratic institution to further
their class interests and oppose reform […] Thirdly and most important, there is an almost complete unawareness, […], that the shortcomings and inequalities of capitalist systems are impediments or obstacles to freedom, […]“188
Dennoch erkannte Mill die Vorteile des Sozialismus an und befürwortete eine Gesellschaftsform, die ihre Einordnung zwischen Kapitalismus und Sozialismus fände, indem sie aus einem System des kontrollierten Wettbewerbs bestünde.189 Hiermit legte Mill Grundlagen für die soziale Marktwirtschaft. Im Mai 1873 starb Mill in Avignon. 2. Die eherechtliche Stellung der Frau Die sozialistische Emanzipationstheorie entwickelte sich nicht unabhängig von anderen sozial-gesellschaftlichen Theorien, sondern vielmehr als eine Reaktion auf die Auffassungen des bürgerlich-sozialen Individualismus190, der die Frauenfrage zunächst prägte.191 Evans stellt seiner Analyse der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie einen kurzen Überblick über die wesentlichen Merkmale des bürgerlichen Feminismus voran. Es soll zunächst auf Mills Ausführungen zur Frauenfrage, insbesondere zur rechtlichen Stellung der Frau in Ehe und Familie und anschließend auf Mills Aussagen zum Sozialismus eingegangen werden. 187 Mill, Der Socialismus, S. 188/189. 188 McCloskey, John Stuart Mill: A Critical Study, S. 140/141. 189 Mill, Der Socialismus, S. 190. 190 Bürgerlich-sozialer Individualismus meint ein Gedankensystem, bei dem das Individuum und nicht das Kollektiv im Mittelpunkt der Betrachtung steht und das durch bürgerliche Wertevorstellungen über das Zusammenleben geprägt ist. 191 Lichtenstein, A Short History of Socialism, 1972, S. 84; Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation, Berlin und Bonn 1979, S. 27.
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Herangezogen werden hierzu neben Mills bekanntester Schrift zu diesem Thema The Subjection of Women, die noch in ihrem Erscheinungsjahr 1869 von Jenny Hirsch ins Deutsche übersetzt wurde, frühe Essays über Ehe und Scheidung aus dem Jahr 1851 und Schriften über die Arbeiterfrage und den Sozialismus.192 Über die Stellung der Frau in der Gesellschaft schreibt Harriet Taylor: „Wir bestreiten es, dass irgendein Teil der Gattung oder ein Individuum das Recht hat, für einen anderen Teil oder für ein anderes Individuum zu entscheiden, was und was nicht sein angemessener Wirkungskreis ist. Der angemessene Wirkungskreis aller menschlichen Wesen
ist der höchste und weiteste, zu dem sie sich erheben können. Welches dieser ist, kann ohne vollständige Freiheit der Wahl nicht entschieden werden.“193
Harriet Taylor, Helen Taylor und John Stuart Mill gehen anders als Bebel nicht auf die Frage nach den geistigen Fähigkeiten der Frau ein, da sich diese nur in vollkommener Freiheit entwickeln und somit bislang nicht hinreichend beurteilt werden könne. Sie stellen jedoch für die Beurteilung von Fähigkeiten eines Menschen allgemein das Individuum in den Vordergrund, was eine Differenzierung zwischen Frau und Mann konsequenterweise verbietet. Es geht ihnen um die Schaffung gleicher Ausgangssituationen zwischen Frau und Mann in jeder Hinsicht.194 So erkennt Harriet Taylor: „Im vorliegenden Falle steht das Vorurteil der Gewohnheit ohne Zweifel auf der Seite des Unrechts. […] es hat keine politische Gemeinschaft gegeben, in der sich nicht die Frauen
durch Gesetz und Sitte in einer politisch wie bürgerlich untergeordneten Stellung befunden hätten.“195
192 Im Folgenden wird die Textsammlung von Hannelore Schröder herangezogen, die die beiden Frauen als Autorinnen einiger Essays und Mitautorinnen der Schrift Die Hörigkeit der Frau nennt. Zudem wurde mit den Gesammelten Werken von John Stuart Mill gearbeitet, die von Theodor Gomperz herausgegeben wurden und nur Mill als Autor ausweisen. Die Zitierung soll sich nach den jeweiligen Herausgebern richten, ohne die Beiträge der beiden Frauen zu verkennen. 193 Harriet Taylor, Zur Frauenemanzipation, in Die Hörigkeit der Frau. Texte zur Frauenemanzipation, S. 82/83. Auch in John Stuart Mill, Gesammelte Werke, Band 12, S. 1–3, hier wird darauf hingewiesen, dass Mill in einem kurzen Vorwort erklärt, dass der Text hauptsächlich das Werk seiner bereits verstorbenen Ehefrau Harriet Taylor Mill sei. 194 „Jedes Individuum wird seine oder ihre Befähigung auf dem einzigen Wege erweisen, auf dem sich die Befähigung erweisen lässt, nämlich durch den Versuch, und die Welt wird aus den besten Fähigkeiten aller ihrer Bewohner Vorteil ziehen.“ Harriet Taylor, Die Hörigkeit der Frau. Texte zur Frauenemanzipation, herausgegeben von Hannelore Schröder, 1976, S. 83. 195 Harriet Taylor, Die Hörigkeit der Frau. Texte zur Frauenemanzipation, herausgegeben von Hannelore Schröder, 1976, S. 80.
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Mill beschreibt sein Eheverständnis. Für ihn ist die Ehe ein Vertrag, der beide Ehegatten zu gleichen Teilen berechtigt und verpflichtet. Er solle aufgrund wahrer Zuneigung geschlossen werden. Da es derzeit keine Gleichberechtigung in der Ehe gebe, sondern die Frau dem Mann zu Diensten verpflichtet sei, müsse die Frau wenigstens die freie Wahl haben, wem sie dient.196 Darüber hinaus solle eine Frau einer von ihr gewählten Erwerbstätigkeit nachgehen können, ohne dass ihr Mann dies genehmigen müsse. Mill geht davon aus, dass „insbesondere alle Zweige der feinen Künste“ den Frauen zufallen werden, die „eher Feinheit und Geschmack als Muskelstärke verlangen“.197 Obwohl Mill die rechtliche Möglichkeit einer Berufstätigkeit für Frauen fordert, sieht sein Familienideal die herkömmliche Rollenverteilung vor: „Daraus, daß eine Frau fähig sein sollte, sich selbst zu ernähren, folgt sicher nicht, daß sie
es auch wirklich tun sollte […] Es wird zum Glück beider gereichen, wenn ihre Aufgabe vielmehr darin liegt, dem Leben Glanz und Schönheit zu verleihen.“198
Nach der Auffassung Mills ist die Moral der Menschen gesetzesprägend. Würden viele Menschen also keine bessere Moral haben, als in den Gesetzen Ausdruck findet, so würden die Gesetze niemals eine positive Fortentwicklung erfahren.199 Die Moral sei somit Katalysator für Reformen. Die Ansicht, dass Gesetzesänderungen für eine Besserstellung der Frau in der Ehe für die Großzahl der Menschen gar nicht nötig sei, und dass Gesetze nur für die „bösen“ Menschen gemacht würden200, zeigt Mills Vertrauen in die Urteilsfähigkeit des Menschen sowie sein Misstrauen in die staatliche Gewalt. Dennoch hält er an seinen Forderungen nach Gesetzesänderungen fest und sucht optimale, d.h. den Bedürfnissen beider Ehepartner am ehesten entsprechende Regelungen über die Ehe. Problematisch scheint ihm dabei, eine geeignete Regelung für die Ehescheidung zu finden. Auf der einen Seite findet er Gründe für die einfache Auflösung der Ehe: „Niemand leugnet, daß es zahlreiche Fälle gibt, in denen die Auflösung der Ehe das Glück
beider Parteien sehr fördern würde […] (und, Verf.) daß, sobald die gesellschaftliche Stellung der Geschlechter ganz gleichberechtigt sein wird, eine Scheidung, die eine Partei glücklich machen würde, dem Glück beider diente.“201
196 Mill, Die Hörigkeit der Frau, 1976, S. 174. 197 Mill, Essay über Ehe und Scheidung, 1976,S. 58. 198 Mill, Essay über Ehe und Scheidung, 1976, S. 55. 199 Mill, Die Hörigkeit der Frau, 1976, S. 193. 200 Mill, Die Hörigkeit der Frau, 1976, S. 177. 201 Mill, Die Hörigkeit der Frau, 1976, S. 59.
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Auf der anderen Seite nennt er Gründe für eine Unwiderruflichkeit der Ehe. Sie habe abschreckende Wirkung und führe zu besonderer Vorsicht bei der Eingehung der Ehe. Den Grund für eine Unwiderruflichkeit sieht Mill in den Auswirkungen einer Ehescheidung auf die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder, die unter einer Ehescheidung zu leiden hätten. Mill kritisiert die „geringe Glücksfähigkeit“, die Menschen auf das noch größere Glück warten ließe und unsensibel gegenüber dem bestehenden Glück mache. Da man sich jedoch nicht zwischen einem absoluten Verbot der Ehescheidung und einer Ehe ohne jegliche Bindungswirkung zu entscheiden habe, sei eine Regelung, die sich aus der moralischen Verantwortung der Ehegatten gegeneinander und gegenüber ihren Kindern entwickelt, anzustreben. Dazu verweist Mill auf die Definitionen Robert Owens von Keuschheit und Prostitution202, welche genauso eingängig seien wie die allgemeinen Ideen von Tugend und Laster.203 Schließlich überzeugen Mill die Argumente für ein ewiges, unauflösliches Bündnis nicht, „denn Ehen können scheitern, wie jeder erste Versuch: Die Parteien sind unerfahren und haben noch kein sicheres Urteil.“204 Mill resümiert: „Daher sind die Argumente für die Unlösbarkeit der Ehe so nichtig, verglichen mit den viel stärkeren Argumenten dafür, es hier genauso zu halten wie bei den anderen menschlichen
Beziehungen, die freiwillig vertraglich geregelt sind und deren Fortsetzung allein auf dem Willen der Vertragsparteien beruht.“
Er strebt demnach eine Konsensualscheidung an, die ausschließlich auf den Willen der Ehepartner abstellt, ohne weitere Kriterien heranzuziehen. Danach sollen Ehepaare durch beiderseitige Erklärung die Ehe scheiden können. Leider äußert sich Mill nicht über die für die Erklärung erforderliche Form. In ihrem Essay über Ehe und Scheidung schreibt Harriet Taylor, es gäbe nichts Schlimmeres als an einen Partner gebunden zu sein, dem man keine Zuneigung gegenüber fühlt. Auch für den Partner, der selbst die Zuneigung hat, aber die Ablehnung des anderen Partners spürt, müsse die Situation abschreckend sein. Daher sei eine Art „Gefühlsprüfung“ erforderlich. 205 Dieser Gedanke, der von Harriet Taylor mit einem nicht weiter konkretisierten Zeitrahmen in Zusammenhang gesetzt wird, in dem die Prüfung stattzufinden hat, weist Ähnlichkeit mit dem Zer-
202 Owen vertrat damit die Ansicht, dass übertriebene Keuschheit dem Menschen fremd sei und lediglich bestimmte Triebe in ihm unterdrücke, was die Prostitution nur fördere. 203 Mill, Die Hörigkeit der Frau, 1976, S. 65. 204 Mill, Die Hörigkeit der Frau, 1976, S. 60. 205 Taylor, Essay über Ehe und Scheidung, 1876, S. 69.
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rüttungsprinzip des geltenden Rechts auf, nach dem gem. § 1565 Abs. 1 S. 2 BGB eine materielle Zerrüttungsprüfung vorzunehmen ist.206 Ein sehr moderner Gedanke findet sich in den Ausführungen Harriet Taylors zu Aufgaben der Frau als Mutter: „Es ist aber weder notwendig noch gerecht, die Frauen in die Zwangslage zu versetzen, daß sie entweder Mütter oder gar nichts sein müssen, oder daß sie, wenn sie einmal Mütter gewesen sind, ihr ganzes übriges Leben nichts anderes sein dürfen.207
Harriet Taylor sieht das „Mutterpflichten-Argument“ als Vorwand zur Bevormundung der Frauen und weist darauf hin, dass jede Frau selbst wisse, wie viel sie zu leisten imstande ist.208 Als Mill über das althergebrachte Familienideal schreibt, in dem die Frau Hausfrau und Mutter ist, erkennt er, dass seine Aussagen für viele Arbeiterfamilien nicht gelten können, deren wirtschaftliche Situation Frauenarbeit notwendig mache.209 Ferner ist sich Mill der zunehmenden Konkurrenz der Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt bewusst, die zu der Herabsetzung der Löhne führt. Er schlägt zur Lösung dieses Problems ein Verbot der Kinderarbeit vor.210 Auch wenn fraglich ist, ob das Verbot von Kinderarbeit ein effektives Mittel gegen das „Lohndumping“ darstellt, lässt der Vorschlag Mills Problembewusstsein bezüglich der Situation der proletarischen Frauen erkennen, die niedrigere Löhne erhielten als die Männer ihrer Klasse. In dem dritten Kapitel des Essays Die Hörigkeit der Frau, in dem Mill über die Berufsausbildung und Berufstätigkeit der Frauen schreibt, bleiben die proletarischen Frauen, die aus wirtschaftlichen Gründen zum Arbeiten gezwungen waren, unbeachtet. Dies ist insofern verständlich, als es in diesem Kapitel um die Fähigkeiten der Frau zur Berufsausübung geht und Mill dabei die Berufe im Sinn hat, deren Ausübung besondere Ausbildung verlangen, insbesondere die akademischen Berufe. Dennoch nehmen sich Mill und Harriet Taylor der Frauen des Proletariats an und sind sich ihrer anders gelagerten Probleme schon zu einem frühen Zeitpunkt bewusst211:
206 Schwab, Familienrecht, 2008, Rn. 302. 207 Mill/Taylor, Über Frauenemanzipation, 1976, S. 86. 208 Mill/Taylor, Über Frauenemanzipation, S. 86. 209 Mill, Essay über Ehe und Scheidung, S. 55. 210 Mill, Essay über Ehe und Scheidung, S. 56. 211 Evans wirft Mill und Taylor vor, die Frauen des Proletariats bei ihrer Analyse zur Emanzipation nicht hinreichend gewürdigt zu haben. s. Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, S. 32. Dass Mill, wie Evans kritisiert, in der liberalen Theorie für die Beseitigung jeglicher Beschränkungen des Wettbewerbs zwischen allen Individuen
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„Die wahrhaft schrecklichen Folgen des gegenwärtigen Zustands der Gesetze bei dem un-
tersten Teil unserer arbeitenden Bevölkerung zeigen sich in jenen Fällen von gräßlicher Mißhandlung der Frauen durch ihre Männer, […] Solche Ausschreitungen könnten nicht vorkommen, wenn die Frauen einen Teil des Einkommens der Familie sowohl erwerben würden als zu besitzen das Recht hätten.“212
John Stuart Mill, Harriet Taylor Mill und Helen Taylor fordern anders als viele Vertreter der sozialistischen Theorie nicht die Aufhebung aller traditionellen Institutionen. Sie zeichnen vielmehr das Bild einer moralischen Erneuerung dieser Einrichtungen auf der Basis der rechtlichen Gleichstellung ihrer Angehörigen.213 Wie die Naturrechtler gehen sie von der Grundlage der Freiheit jedes einzelnen aus, aber in der Hoffnung, dass dadurch die Gemeinschaft das größte Wohl erreichen werde. John Stuart Mill, Harriet Taylor Mill und Helen Taylor müssen sich einer Reihe von Emanzipationsgegnern und ihren Argumenten widersetzen, die aus heutiger Sicht fast ausnahmslos trivial und irrational begründet sind. Die Beschäftigung mit diesen Argumenten lässt ihre Ausführungen daher oft langatmig erscheinen; teilweise sind sie widersprüchlich. Dennoch gehören John Stuart Mill, Harriet Taylor Mill und Helen Taylor zu den ersten, die die uneingeschränkte rechtliche Gleichberechtigung der Frau mit dem Mann forderten.
III. Zusammenfassende Würdigung Die Entstehung der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie war bereits Gegenstand von Untersuchungen vieler Wissenschaftler verschiedener Fachbereiche.214 In den Ergebnissen wird immer wieder betont, dass der wesentliche Unterschied zwischen bürgerlicher und sozialistischer Frauenemanzipationstheorie in der mit der sozialistischen Theorie einhergehenden Notwendigkeit der allgemeinen sozialen Revolution liege, die demnach die einzige Möglichkeit zur Befreiung der Frau darstellte. Diese von Marx, Engels, Bebel und Zetkin aufgestellte These stehe
eintritt und damit verbunden zur Rechtfertigung der Merokratie der neuen industriellen Kapitalisten beiträgt, bleibt unbestritten. 212 Mill, Essay über Ehe und Scheidung, S. 82. 213 Rosenbusch, Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland, S. 255. 214 Vor allem in den siebziger Jahren scheint die sozialistische Frauenemanzipationstheorie großes wissenschaftliches Interesse hervorgerufen zu haben, was sicherlich mit der gesellschaftspolitischen Prägung dieser Zeit zusammenhängt.
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damit im krassen Gegensatz zur bürgerlichen Emanzipationstheorie.215 Dass beide Theorien unterschiedlichen Ansätzen entstammen, wobei die grundsätzlichen Gegner der bürgerlichen Theorie die Männer und die der sozialistischen Theorie das Kapital darstellen, bleibt unbestritten. Die Theorien sind jedoch vielschichtiger. Es gibt Überschneidungen und sogar Gemeinsamkeiten. Dass die Frauenemanzipation in der sozialistischen Theorie „nur“ als „Nebenaufgabe“216 im Kampf um eine neue Gesellschaftsordnung galt, ändert nichts daran, dass sie genau wie in der bürgerlichen Theorie durchgesetzt werden muss. Beide Theorien verfolgen mit der gesetzlichen Gleichberechtigung dasselbe Ziel.217 Herauszustellen gilt es daher, auf welchem Weg das gemeinsame Ziel erreicht werden soll. Die bürgerliche Theorie sieht einen friedlichen Prozess innerhalb der derzeitigen Gesellschaftsordnung vor. Unterschiede innerhalb dieser Theorie bestehen lediglich in dem Punkt, wo die einen sofort die vollständige Gleichheit zwischen Frau und Mann verwirklichen wollen und die anderen – von der grundsätzlichen Verschiedenheit der Geschlechter überzeugt – zunächst „nur“ die speziellen Aufgaben der Frauen, die für sie gesellschaftlich gleichwertige Leistungen darstellen, aufzuwerten versuchen. In der sozialistischen Theorie dagegen steht zunächst vollkommen außer Frage, dass es sich zur Durchsetzung einer neuen Gesellschaftsordnung keineswegs um einen langsamen Prozess handeln dürfe, sondern nur um eine abrupte Änderung, für die der junge Marx einen „Geburtshelfer“218 zu benötigen glaubt. Erst später hält er den „friedlichen Weg“219, der einen längeren Prozess erfordert, für denkbar. Mit der veränderten Anschauung Marx’ wird auch in der sozialistischen Emanzipationstheorie die Möglichkeit der Einflussnahme in dem bestehenden System durch gesetzliche Mittel eröffnet. Darüber hinaus ist festzustellen, dass auch die in beiden Theorien vorgeschlagenen Wege zur Frauenemanzipation keine wesentlichen Unterschiede aufzeigen. Wie dieser jeweilige Weg in der Praxis gegangen wird, soll Gegenstand der folgenden Kapitel der Arbeit sein. Festzuhalten bleibt, dass die Forderung der Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann, obwohl sie in der sozialistischen Theorie an die Änderung der Gesellschaftsform gekoppelt wird, abstrakt betrachtet werden kann und darf. 215 Bölke, Die Wandlung der Frauenemanzipationsbewegung von Marx bis zur Rätebewegung, S. 6; Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation, S. 26. 216 Clara Zetkin, zit. in: Die Frauenfrage auf dem sozialdemokratischen Parteitage, Die Gleichheit vom 28. Oktober 1896, Nr. 22, S. 170/171. 217 Zwar wird dies in der Gesamtbetrachtung der sozialistischen Theorie nur ein Zwischenziel sein. Bzgl. der Frauenemanzipation als solcher stellt es aber auch für sie unbedingt das Ziel dar. 218 Marx, Das Kapital I, MEW Bd. 23, S. 779. 219 Marx, MEW, Bd. 18, S. 160.
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Zusammenfassende Würdigung
Will man nun die Ausführungen über die Frau in Ehe und Familie sowie zum Verhältnis von Frau und Mann in diesem Kapitel bewerten, so fällt auf, welch großer Stellenwert der Bildung der Frau beigemessen wird. Nur eine Frau mit gleicher Bildung wie der Mann werde von diesem als gleichberechtigt angesehen. Dies zeigt, dass in der sozialistischen Theorie ein Schwerpunkt gesetzt wird, der in der Praxis erst hinter vielen anderen Forderungen zurücksteht, was aufgrund der wirtschaftlichen Situationen der proletarischen Frauen nur verständlich ist.220 An dieser Stelle werden die Gemeinsamkeiten mit der bürgerlichen Theorie erneut deutlich. Die bürgerlichen Frauen setzen später in der Forderung nach erweiterten Bildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen und ihrer Zulassung zu Universitäten einen Schwerpunkt. Die einzelnen familienrechtlichen Forderungen, die Bebel aufstellt und die auch schon bei den Frühsozialisten zu finden sind, stehen nicht in einem für die sozialistische Theorie spezifischem Zusammenhang.221 Der Gedanke, dass Kindererziehung nicht mehr alleinige Aufgabe der Mutter sein solle, sondern vielmehr der Allgemeinheit zufalle, wird von Owen, Fourier, Marx und Engels formuliert.222 Forderungen nach Regelungen für das Ehescheidungsrecht, die auf Grundlage einer Zerrüttungsprüfung entwickelt werden, finden sich sowohl bei Owen als auch bei Mill. Owen fordert ferner die Möglichkeit einer erneuten Eheschließung zwischen Personen, deren Ehe nicht mehr besteht, die aber nicht verwitwet sind. Auch diese Forderung hat im geltenden Recht ihre Umsetzung gefunden, so selbstverständlich sie uns heute auch erscheinen mag. Erstaunlich sind die vollkommen verschiedenen Auffassungen der Emanzipationstheoretiker von Ehe. So lassen sich unterschiedliche Eheverständnisse herausarbeiten, durch die zum einen die Gleichberechtigung der Ehepartner und zum anderen die Vorherrschaft des Mannes begründet werden können. Mit dem Begriff „sittliches Wesen“ wird die Ehe zu etwas Übergesetzlichem, dessen Definition sich aus der Ehe selbst ergibt. Dadurch, dass es weder dem Gesetzgeber noch dem Individuum zustehen soll, den Begriff inhaltlich zu füllen, stellt die „sittliche“ Ehe ein unbestimmtes Abstraktum dar, durch das Ansichten über Ehe begründet werden können, die aufgrund ihres absoluten Charakters Abweichungen oder Kompromisse verbieten. Der junge Marx geht ganz im Hegelschen Sinn von der „sittlichen Ehe“ aus. Er hebt die Ehe damit auf eine höhere ethische Ebene. Nach 220 Hierauf wird im fünften Kapitel der Arbeit weiter eingegangen. 221 Owen betont in seinen Lecutures on Marriage, dass seine Ausführungen sich nur auf seine new world beziehen sollen. 222 Auch Clara Zetkin vertritt diese Ansicht zunächst, revidiert sie später aber wieder. Leider war im Rahmen dieser Arbeit eine eingehende Beschäftigung mit der Rollenverteilung der Eltern bezogen auf die Kindererziehung nicht möglich. Sie könnte ein Thema für eine weitere Arbeit mit soziologischem Schwerpunkt darstellen.
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der Ansicht von Marx kann das Scheitern der Ehe nur aufgrund ihrer „inneren Auflösung“ festgestellt werden. Anders als Hegel223 geht Marx von einer Eheherrschaft des Mannes aus. Das sittliche Wesen der Ehe ist somit beliebig ausfüllbar und daher seinerseits zu definieren. Dies zeigt, dass es ungeeignet ist, die Ehe zu charakterisieren. Das „Sittlichkeitsargument“ kann daher genauso für eine Eheherrschaft des Mannes wie gegen diese verwendet werden. Und so geschieht es später zur Begründung des Eherechtsentwurfes des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Mill, Harriet Taylor und Helen Taylor üben Kritik an dem Eheverständnis, für das eine Gleichheit oder Ungleichheit der Geschlechter aus der „Natur“ abgeleitet und damit der „Natur“ ihre persönlichen Vorstellungen aufgezwungen wird. 224 Dies, so Mill, stelle „etwas durch und durch künstlich Erzeugtes“ dar225. Er sieht in der Ehe ganz im Sinne der Aufklärung einen Vertrag zwischen den Ehepartnern.226 Dieses Vertragsverhältnis fülle die Ehedefinition vollständig aus. Der Ehekonsens bildet nach Mill somit nicht nur den Entstehungstatbestand der Ehe, sondern ihr Wesen selbst. Daraus folgt, dass nicht nur die Gestalt der ehelichen Gemeinschaft, sondern auch ihre Auflösung nach dem Vertragsrecht zu beurteilen wäre und damit auch dem Recht zugänglich sein sollte. Das vertragsrechtliche Eheverständnis schafft Raum für individuelle Vereinbarungen. Indem das Eheverhältnis zwischen den Ehepartnern danach modifizierbar ist, wird dem Individuum ein größerer Stellenwert beigemessen. Man kann die Vertragstheorie daher einerseits als Teil eines sehr toleranten und individuellen Eheverständnisses ansehen; auf der anderen Seite birgt sie aber auch die Gefahr, Vereinbarungen zu rechtfertigen, die auf ungerechten, den einen Ehepartner benachteiligenden Fiktionen basieren.227 Mit seiner Forderung nach freier vertraglicher Gestaltung der Ehe durch die Ehepartner wünscht sich Mill eine Ausgangslage, die beiden Ehepartnern gleiche Möglichkeiten bietet und sie gleichberechtigt neben einander stellt. Das Schutzbedürfnis der schwächeren Partei lässt er dabei jedoch außer Acht. Gemein ist allen Eheverständnissen der Frühsozialisten Owen, Fourier und Saint-Simon sowie Bebel und Mill dieselbe Hauptforderung: die rechtliche Gleichheit zwischen Frau und Mann sowohl im öffentlich-rechtlichen als auch 223 Zu Hegels Eheverständnis s. Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, 2003, S. 229. 224 Zum hermeneutischen Zirkel, insbesondere dem „Zirkel der Natur“ und Mills Kritik s. Meder, Mißverstehen und Verstehen, 2004, S. 191–197. 225 Mill, Die Hörigkeit der Frau, 1976, S. 38. 226 So ebenfalls vertreten von den Naturrechtlern des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Weitergehend Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, 2003, S. 102–115; S. 916–918. 227 Letzteres findet sich z. B. bei dem Naturrechtler Wolff (1679–1754). S. dazu Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, 2003, S. 448–452.
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Zusammenfassende Würdigung
im privatrechtlichen Bereich, wie sie durch einige Naturrechtler228 begründet wurde. Bei den Ausführungen des jungen Marx hingegen ist zumindest eine partielle Abkehr von der Begründung ihrer Forderungen durch das Naturrecht erkennbar. Festzuhalten bleibt schließlich, dass die Forderung nach gesellschaftlicher und rechtlicher Besserstellung der Frau allen Theoretikern gemein ist. Ihre konkreten Vorstellungen vom Verhältnis der Geschlechter zueinander, insbesondere ihre Vorstellungen von Ehe differieren jedoch stark. Dass Eheverständnisse zum einen aufgrund gesellschaftlicher, zum anderen aber aufgrund individueller Vorstellungen und Wertungen entstehen, darf hierbei nicht außer acht gelassen werden.
228 Gemeint sind vor allem Krause und seine Schüler. Weitergehend s. Rabe, Gleichwertigkeit von Mann und Frau: die Krause-Schule und die bürgerliche Frauenbewegung, 2006.
3. Kapitel: Die Entstehung der BGB-Entwürfe und die Kritik Mengers I. Die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich Das Bürgerliche Gesetzbuch trat am 1.1.1900 in Kraft und war das Ergebnis des Strebens nach einer einheitlichen Rechtsordnung für das Deutsche Reich. 1 In seinem vierten Buch regelt es seither das Ehe- und Familienrecht.2 Die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches gestaltete sich nicht einfach. Sehr treffend betitelt Schulte-Nölke seinen Aufsatz über die Entstehung des BGB: „Die schwere Geburt des bürgerlichen Gesetzbuchs“3. Bereits am 28.2.1874 betraute der Bundesrat eine „Vorkommission“ bestehend aus fünf Juristen mit der Aufgabe, ein Verfahren für den Entwurf eines einheitlichen Bürgerlichen Gesetzbuches zu entwickeln. Die Vorkommission schlug nach Beratung vor, dass der Bundesrat eine Kommission von neun Juristen aus Theorie und Praxis wähle, die fünf ihrer Mitglieder mit der Abfassung von je einem von fünf Teilentwürfen beauftragen solle.4 Der Bundesratsausschuss schloss sich im Folgenden dem Vorschlag der Vorkommission weitestgehend an, erhöhte die Zahl der Kommissionsmitglieder aber auf elf: sechs Richter, drei Ministerialbeamte und zwei Professoren des Rechts.5 Diese wurden am 2.7.1874 vom Bundesrat gewählt.6 Alle 1
S. dazu Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung, 1966, Allgemeiner Teil, S. 3–56; Schulte-Nölke, Die schwere Geburt des Bürgerlichen Gesetzbuchs, NJW 1996, S. 1705–1710; Das Reichsjustizamt und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1995. 2 Das Eherecht wurde 1938 durch das Ehegesetz aus dem BGB herausgenommen. Es wurde 1946 entnazifiziert vom Kontrollrat neu veröffentlicht und nach und nach (Scheidungsrecht 1976, restliches Eherecht 1998) in das BGB zurückgeführt. 3 Abgedruckt in NJW 1996, S. 1705–1710. 4 Zu den Inhalten der jeweiligen Teilentwürfe s. Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung, 1966, Allgemeiner Teil, S. 16. 5 Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1997, Einführung XXX. 6 Der Reichskanzler ernannte den Präsidenten des ROHG Pape zum Vorsitzenden der Kommission. Zusammen mit Planck und Windscheid beeinflusste er den endgültigen ersten Entwurf der Kommission maßgeblich. Bzgl. der weiteren Mitglieder der Kommission s. Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung, 1966, Allgemeiner Teil, S. 18–19.
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Die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs
Mitglieder waren hervorragende Juristen und hatten ihre Ausbildung auf der Grundlage des römischen Rechts erhalten. Sie waren zum größten Teil Praktiker, die auch schon an früheren Gesetzgebungsverfahren beteiligt waren.7 Wie von der Vorkommission vorgeschlagen, wurden einzelne Mitglieder der Kommission mit den Teilentwürfen des Gesetzes beauftragt, wobei der damalige Richter Gottlieb Planck aus dem Königreich Hannover u. a. für den Familienrechtsentwurf zuständig war.8 Die Erstellung der Teilentwürfe durch die Redaktoren hatte mehr als fünf Jahre in Anspruch genommen, als im Oktober 1881 mit den Hauptberatungen der Kommission begonnen wurde, die sich insgesamt bis 1889 hinzogen.9 Der Familienrechtsentwurf wurde 1888 fertig gestellt, dem Bundestag bereits im selben Jahr, also vor der letzten Beratung der Kommission am 30.03.1889, zugeleitet und sogleich dem Justizausschuss überwiesen. Ebenfalls im selben Jahr wurde der erste Entwurf mitsamt fünfbändiger Motive veröffentlicht, von dem die nichtjuristische Öffentlichkeit nur wenig Notiz nahm.10 Die von Juristen geäußerte Kritik fiel eher ablehnend aus.11 Allerdings waren der Wunsch nach einem einheitlichen Gesetzbuch und damit die Angst vor dem Scheitern des Vorhabens stärker als das Bedürfnis, die Kritik in dem Gesetzbuch umzusetzen. Die Mehrheit der Kritiker wollte an dem Entwurf festhalten, hielt ihn jedoch für verbesserungswürdig. Daher beschloss der Bundesrat am 4.12.1890 eine zweite Lesung des ersten Entwurfs und setzte hierzu eine weitere Kommission mit zunächst 22 und später
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Schubert weist auf die „geringe schöpferische Fähigkeiten“ der Mitglieder der Kommission hin. Dies, so Schubert, sei dem Bundesrat sehr gelegen gekommen, da das BGB lediglich das bestehende Recht wiedergeben, nicht aber größere, den veränderten sozialen Verhältnissen angepasste rechtliche Neuerungen bringen sollte. Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung, 1966, Allgemeiner Teil, S. 21. Zum sog. Konstruktionsverbot des Gesetzgebers s. Meder, Gottlieb Planck und die Kunst der Gesetzgebung, 2010, S. 38–39. 8 Zu Leben und Werk Plancks s. Meder, Gottlieb Planck und die Kunst der Gesetzgebung, 2010, S. 17–28. 9 Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1997, Einführung XXXI. 10 Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1997, Einführung XXXI. 11 Größter Kritiker des ersten Entwurfs neben Anton Menger war Otto von Gierke, der den Entwurf weder für volkstümlich noch für schöpferisch noch für deutsch hielt und vor allem den Mangel der sittlich-sozialen Aspekte einer Zivilgesetzgebung anmahnte. Zum Schutz des „Schwächeren“ im BGB s. Meder, Gottlieb Planck und die Kunst der Gesetzgebung, 2010, S. 29–36.
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24 Mitgliedern ein.12 Diese Kommission bestand nicht nur aus Juristen aus Theorie und Praxis, sondern auch aus 13 nicht ständigen Mitgliedern, die Vertreter der Landwirtschaft, des Handels und des Gewerbes sowie aus Volkswirtschaftlern und auch Kommissaren des Reichskanzlers und der Bundesregierungen waren. Sie hatten allerdings nur begrenzte Mitwirkungsrechte. Während alle bürgerlichen Parteien vertreten waren, blieben die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften als Vertreter der Arbeiterinteressen außen vor. Dieser Umstand prägte die spätere skeptische Einstellung der Sozialdemokratie gegenüber dem Gesetzentwurf nicht unwesentlich.13 Zur Strukturierung der Arbeit der 2. Kommission trat im Reichsjustizamt eine „Vorkommission“ zusammen, der auch einige Mitglieder der 2. Kommission u. a. Planck angehörten. Sie beriet wichtige Probleme des ersten Entwurfs und leistete erhebliche Vorarbeit für die 2. Kommission, der es dadurch gelang, den gesamten Stoff in etwas mehr als vier Jahren zu bewältigen.14 Zum Generalreferenten der 2. Kommission wurde Planck ernannt, während Gustav von Mandry15 als Referent mit dem Familienrecht betraut wurde. Anders als die Arbeiten der 1. Kommission wurden die Beratungsergebnisse der 2. Kommission wöchentlich im Reichsanzeiger mitgeteilt und die Entwürfe der einzelnen Bücher jeweils nach ihrer Fertigstellung ebenfalls veröffentlicht, so dass für die interessierte Öffentlichkeit Gelegenheit bestand, die Beratungen ziemlich genau zu verfolgen.16 Dass die 2. Kommission lediglich Revisionsarbeit zu leisten habe, wurde nie in Frage gestellt. Tatsächlich diente sie in erster Linie der Legitimation der im Wesentlichen vom Reichsjustizamt vorgenommen Überarbeitung des ersten Entwurfs. 17 Der Teilentwurf des Familienrechts wurde im Jahr 1894 zeitgleich mit dem Entwurf des Sachenrechts veröffentlicht. Eine halbamtliche Ausgabe des zweiten Entwurfs erschien Anfang des Jahres 1895.
12 Schulte-Nölke, Die schwere Geburt des Bürgerlichen Gesetzbuchs, NJW 1996, S. 1707; Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung, 1966, Allgemeiner Teil, S. 45. 13 Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1997, Einführung XXXII. 14 Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1997, Einführung XXXIII. 15 Zu Leben und Werk von Mandys s. Schubert, Neue Deutsche Biographie, Band 16, 1990, s. 19 f. 16 Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1997, Einführung XXXIV. 17 Schulte-Nölke, Die schwere Geburt des Bürgerlichen Gesetzbuchs, NJW 1996, S. 1707.
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Der zweite Entwurf wurde am 24.10.1895 dem Bundesrat zugeleitet und wiederum sofort dem Justizausschuss überwiesen. In der Sitzung des Bundesrats vom 16.01.1896 wurde der Entwurf mit den Änderungsvorschlägen des Justizausschusses18 einstimmig angenommen.19 Der Reichstag beriet nur den vom Justizausschuss des Bundesrats modifizierten Entwurf.20 Dieser wurde Reichstagsvorlage, später auch dritter Entwurf genannt. Zunächst hatte die Reichsregierung anscheinend gehofft, sie könne eine en-bloc-Annahme des BGB durch den Reichstag erreichen. Aber schon die Vorbesprechung der Fraktionsvorstände über die geschäftsordnungsgemäße Behandlung der Vorlage zeigte, dass die Mehrheit der Fraktionen, in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um ein solch wichtiges Gesetzeswerk handelte, eine eingehende Beratung wünschte.21 Uneinigkeit bestand jedoch in der Frage nach der Art und Weise sowie des Umfangs der Beratungen. Von freikonservativer Seite schlug der Abgeordnete Freiherr von Stumm-Halberg vor, die Beratung einer inoffiziellen „freien“ Kommission zu überlassen, der Vertrauensmänner der Parteien angehören sollten und von deren Beratungen vor allem die Sozialdemokraten ausgeschlossen geblieben wären.22 Schließlich einigte man sich auf die Einsetzung einer offiziellen Reichstagskommission, in der die Fraktionen entsprechend ihrer Stärke im Plenum des Reichstages vertreten waren. Sie beriet den Entwurf in zwei Lesungen und insgesamt 53 Sitzungen, in denen schwerpunktmäßig das Vereinsrecht, das Dienstvertragsrecht, das Amtshaftungsrecht, das Familienrecht, insbesondere das Eherecht, sowie das Wildschadensrecht behandelt wurden.23 18 Diese betrafen hauptsächlich das Vereinsrecht und das internationale Privatrecht. 19 Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung, 1966, Allgemeiner Teil, S. 51. 20 Ein nochmals von der Kommission überarbeiteter zweiter Entwurf wurde, nachdem die Vorversion schon dem Bundesrat zugeleitet worden war, als revidierter zweiter Entwurf erst 1898 veröffentlicht. 21 Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1997, Einführung XXXV. 22 Stumm-Halberg führte aus: „Ich und meine politischen Freunde haben […] vorgeschlagen, daß […] die Fraktionen zusammentreten, daß sie zunächst sich darüber klar werden, welches Minimum sie in Bezug auf die Änderung der Gesetzesvorlage durchsetzen wollen. Nachdem das beschlossen ist, dann werden Delegierte gewählt, diese treten in einer freien Kommission zusammen, hier kann man jeden beliebigen Gegenstand ausschließen oder einschließen, und diejenigen Personen, die das Zustandekommen des Gesetzes überhaupt nicht wollen, bleiben natürlich von der freien Kommission fern […]“, zit n. Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1997, Einführung XXXV. 23 In Dienstvertragsrecht gelang es den sozialdemokratischen Kommissionsmitgliedern Frohme und Stadthagen die Zustimmung vor allem des Zentrums zu ihren Vorschlägen zu erlangen. Die Einbeziehung des Gesindes in die reichseinheitlichen Regelungen – ihre Hauptforderung – scheiterte jedoch an der zunächst erhofften Zustimmung der Freisinnigen. Im Wildschadensrecht setzten sich die Sozialdemokraten mit ihrer Forderung durch, auch den
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Im Ergebnis ließ die Reichstagskommission das Gesamtkonzept des Entwurfs unangetastet.24 Mehrere Parteien, unter anderem die Sozialdemokraten, sprachen sich nach den Beratungen der Reichstagskommission für eine mehrmonatige Beratungspause aus. Die Reichsregierung drängte jedoch auf eine möglichst baldige Verabschiedung des BGB und drohte mit der Schließung des Reichstages, also der Beendigung der laufenden Session. Da der Großteil der Abgeordneten das Risiko, das BGB in der neuen Session nochmals gänzlich beraten zu müssen, wie es die Geschäftsordnung des Reichstages vorsah, nicht eingehen wollte, wurde das große Gesetzeswerk in nur acht Sitzungen in zweiter Lesung im Plenum des Reichstages beraten. Die dritte Lesung folgte in zwei Sitzungen.25 Grundsätzlich begegneten alle Parteien des Reichstages dem sogenannten dritten Entwurf mit Wohlwollen; einzig die Sozialdemokraten standen ihm mit großer Skepsis gegenüber. Diese Skepsis entsprang weniger ihrer sozialistischen Überzeugung als ihrer Ansicht, dass der Entwurf nicht allen Bevölkerungsschichten, vor allem nicht den Arbeitern, gerecht werde. Am 1. Juli 1896 wurde schließlich über das gesamte Gesetzbuch namentlich abgestimmt. Von nur noch 288 anwesenden Abgeordneten – man wartete schon lange auf die Sommerpause – stimmten 222 für den Entwurf und 48 gegen ihn, während sich 18 ihrer Stimme enthielten. Die Sozialdemokraten stimmten dabei nach heftiger interner Debatte26 geschlossen mit 42 Stimmen gegen den Entwurf.27
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von Hasen angerichteten Schaden in die Schadensersatzregelungen aufzunehmen. Dieser wurde jedoch auf Drängen der Konservativen später in der zweiten Reichstaglesung wieder herausgenommen. Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1997, Einführung XXXVII. Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1997, Einführung XXXVII. Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1997, Einführung XXXIX. Aus einem Briefwechsel Victor Adlers mit August Bebel und Karl Kautsky vom 28. Juni 1896 geht hervor, dass die Mehrheit der Fraktion zunächst für die Verabschiedung des BGB stimmen wollte. In Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1997, S. 337–338: „[…] In der Fraktion haben wir wieder Krach. Dieses entre nous. Die Fraktion hat nach langen erregten Debatten mit 14 gegen 9 Stimmen beschlossen – mehr waren nicht anwesend – für das Bürgerl. Gesetzbuch zu stimmen. Die Wortführer der Anhänger dieser Abstimmung waren Auer, Frohme, Stadthagen, Fischer, etc., die Gegner Singer und ich etc. […]“. Die anderen ablehnenden Stimmen stammten von 3 Konservativen und 3 Abgeordneten aus dem Wahlkreis Hannover. Die Enthaltungen stammten von der Deutsch-Sozialen Reformpartei (7), der Konservativen Partei (2) und von fraktionslosen Abgeordneten (9), größtenteils aus dem Wahlkreis Hannover (7).
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Der Kritiker Anton Menger
Am 14. Juli 1896 stimmte der Bundesrat dem Gesetzentwurf zu, am 18. August wurde er vom Kaiser unterzeichnet und am 24. August desselben Jahres im Reichsgesetzblatt verkündet. Am 1. Januar 1900 trat das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft.28
II. Der Kritiker Anton Menger 1. Leben und Werk Anton Menger29 (1841–1906) wurde als Sohn des Privatgeschäftsführers Anton Menger von Wolfsgrün und Karoline Gerzabek in Galizien geboren. Nachdem er 1860 in Krakau das Abitur abgelegt hatte, begann er das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Krakau und später an der Universität Wien, an der er 1865 promoviert wurde. Menger arbeitete bis 1875 als Rechtsanwalt in Wien. Anfang der siebziger Jahre legte er seinen geerbten Adelstitel ab. Seit 1872 war Menger als Privatdozent für österreichisches Zivilprozessrecht an der Universität Wien. Im selben Jahr entstand binnen zehn Wochen seine Habilitationsschrift mit dem Titel Beiträge zur Lehre von der Execution. Mitte der 70er wurde Menger zum außerordentlichen Professor für österreichisches Prozessrecht ernannt. Im Jahr 1877 erfolgte die Ernennung zum ordentlichen Professor; 1895/96 war er Rektor der Universität Wien. Menger heiratete nicht, hatte aber eine Lebensgefährtin. Zum einen vertrat Menger den Standpunkt, dass seine wissenschaftliche Tätigkeit durch eine Familie beeinträchtigt werde. Zum anderen befürchtete er aufgrund seiner politischen Stellungnahmen, dass eine eigene Familie möglicherweise Repressalien ausgesetzt werde.30 In den 1890er Jahren begann Menger, sich für die Mathematik zu interessieren. Er publizierte unter dem Pseudonym „Dr. Julius Bergbohm“ im Selbstverlag. Die Werke waren nicht im Buchhandel erhältlich; Menger verschenkte sie an Bibliotheken und „Freunde der Mathematik“. 31 Mengers Kritik am Ersten Entwurf des BGB erschien zuerst als Aufsatzreihe in dem von Heinrich Braun herausgegebenen Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik. Der Aufsatz zum 28 Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1997, Einführung XL. 29 Zum Leben Anton Mengers s. Hörner, Anton Menger. Recht und Sozialismus, 1977, Kästner, Anton Menger (1841–1906). Leben und Werk, 1974. 30 Im März 1884 wurde Menger pflichtwidriges Verhalten unterstellt, da er demonstrierende Studenten unterstützt habe. Die Vorwürfe stammten aus kirchlichen und konservativen Kreisen, bei denen sich Menger durch seine antiklerikale Haltung unbeliebt gemacht hatte. 31 Hörner, Anton Menger. Recht und Sozialismus, 1977, S. 11.
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Allgemeinen Teil sowie zum Familienrecht erschien im ersten und dritten Heft des Jahrgangs 1889. Mit dem Sachenrecht, dem Obligationsrecht und dem Erbrecht beschäftigte sich Menger in seinem im ersten Heft des Jahrgangs 1890 veröffentlichten Aufsatz.32 Als Buch mit dem Titel Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen erschien seine Kritik ebenfalls im Jahr 1890 als zweite Auflage seiner Schrift. Die dritte Auflage, in der Menger in seiner Einleitung auf das bereits „erschienene Gesetzeswerk“33 hinweist, wurde im Jahr 1904 veröffentlicht, erfuhr jedoch lediglich geringfügige Änderungen. Menger übt in seinem Werk nicht nur konkrete Gesetzeskritik, sondern behandelt auch das Prozessrecht und die damit einhergehende Rechtspraxis, die seiner Meinung nach den Besitzlosen und nicht Gebildeteten die Rechtsverfolgung aufgrund der Komplexität vieler Gesetze und des Beibringungsgrundsatzes im Zivilprozess erheblich erschwerten. Am 24. Oktober 1895 hielt Menger bei Übergabe des Rektorats der Wiener Universität eine „Inaugurationsrede“ mit dem Titel Über die sozialen Aufgaben der Rechtswissenschaft, die später in mehreren Auflagen verlegt wurde.34 Im Frühjahr des Jahres 1903 veröffentlichte Menger sein Hauptwerk mit dem Titel Neue Staatslehre. Am 6. Februar 1906 starb Menger an einer Lungenentzündung. Er hielt sich zu diesem Zeitpunkt in Rom auf. Seine Beisetzung fand am 14. Februar 1906 ohne religiöse Zeremonie in Wien statt. Obwohl Menger zu keiner Zeit Mitglied der Sozialdemokratischen Partei war, erscheint es dennoch im Rahmen dieser Arbeit angebracht, auf seine Kritik einzugehen. Er ist nämlich der einzige bürgerliche Jurist, der im Rahmen seiner Kritik an dem ersten BGB-Entwurf die Interessen der Arbeiterklasse maßgeblich berücksichtigte. 2. Allgemeine Kritik Mengers an dem ersten BGB-Entwurf Obwohl Menger zu den schärfsten Kritikern des ersten BGB-Entwurfs zählt, honoriert er gleichwohl die juristische Arbeit der ersten Kommission. In dem Vorwort zur ersten Auflage seines Werkes Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen schreibt er: „Die Wissenschaft des bürgerlichen Rechts hat während des 19. Jahrhunderts im Rah-
men der überlieferten Methoden grosse Fortschritte gemacht. Unsere Juristen haben nicht nur das Privatrechtssystem bis in seine geringfügigsten Einzelheiten ausgebildet, sondern
32 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, Vorrede zur ersten Auflage, S. VI. 33 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, Vorrede zur ersten Auflage, S. VI. 34 Vorliegend wurde die 2. Auflage von 1905 herangezogen.
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sie haben auch seine geschichtlichen Grundlagen in unübersehbarer Fülle gesammelt und bearbeitet.“35
Der Kritikansatz Mengers liegt im Blick auf das „Befinden der Völker bei diesem so hoch entwickelten Privatrecht“. Dabei stellt er fest: „Schwerlich hätte ich in alter und neuer Zeit ein Gesetzeswerk finden können, welches die
besitzenden Klassen so einseitig begünstigt und diese Begünstigung so unumwunden zu erkennen gibt, wie der deutsche Entwurf.“36
Menger fühlt sich zu der von ihm geübten Kritik des BGB-Entwurfs moralisch verpflichtet, da der Sozialismus zwar über zahlreiche ausgezeichnete Schriftsteller verfüge, diesen aber das juristische Fachwissen für eine Kritik eines so umfassenden Gesetzeswerkes fehle. Für ihn ist die soziale Frage weniger ein wirtschaftliches Problem, wie der von Lassalle, Marx und Engels geprägte Sozialismus protegiert, sondern vielmehr eine Angelegenheit der Rechtswissenschaft und insbesondere der Staatslehre: „Der wichtigste Teil der legislativ-politischen Jurisprudenz ist jedenfalls die Disziplin, die ich früher die soziale Rechtswissenschaft genannt habe [...] Es ist nun die Aufgabe der sozialen
Rechtswissenschaft, dieses Auf- und Abwogen der Machtverhältnisse genau zu beobachten, um daraus ihre Schlüsse für die Rechtsgestaltungen der Zukunft zu ziehen. Sie hat insbeson-
dere die Kongruenz zwischen Recht und Macht zu erhalten und den sozialen Katastrophen, die aus dem Gegensatze beider so oft entstehen, rechtzeitig vorzubeugen. Erst durch diese
Tätigkeit wird die Jurisprudenz, die in ihrem dogmatischen und geschichtlichen Teile bis zu einem gewissen Grade notwendig an dem Buchstaben und an der Autorität haftet, zu einer freischaffenden Wissenschaft, die mit den höchsten Problemen der Menschheit verknüpft
ist. Ja, wenn die Juristen diese vermittelnde Tätigkeit mit voller Unabhängigkeit nach oben und nach unten ausüben, muß ihnen in der Zukunft notwendig bis zu einem gewissen Grade
das Schiedsrichteramt zwischen den verschiedenen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft zufallen.
Für die Verschiebung der sozialen Machtverhältnisse ist natürlich die wirtschaftliche Entwicklung von großer Bedeutung [...] Andererseits wäre es aber gänzlich verfehlt, die wirtschaftlichen Verhältnisse etwa mit Marx und Engels als das für den geschichtlichen Verlauf
35 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, Vorrede zur ersten Auflage, S. V. 36 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, Vorrede zur ersten Auflage, S. V.
Kritik Mengers an dem Familienrecht des ersten BGB-Entwurfs
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allein maßgebende Moment zu betrachten, von welchem sich Staat, Recht und Religion als bloße Folgeerscheinungen darstellen.“37
3. Kritik Mengers an dem Familienrecht des ersten BGB-Entwurfs Zur Bedeutung des Familienrechts für seine Analyse schreibt Menger: „Diese wichtige Wahrheit erhält ihre sicherste Beglaubigung, wenn wir die Gestaltung des Familienrechts in den positiven Rechtssystemen in Betracht ziehen. Kein Teil des Privat-
rechts hat in den natürlichen Grundlagen des Menschengeschlechts so tiefe Wurzeln wie gerade das Familienrecht. Das Zusammenleben von Mann und Weib, die Erzeugung und die
Erziehung der Kinder bis zu dem Augenblick, wo sie sich selbst erhalten können – all’ dies
sind Naturvorgänge, welche unter der Herrschaft jeder Rechtsordnung in irgend einer Form wiederkehren müssen und die sogar bei zahlreichen Gattungen des Tierreichs ihr Seitenstück
haben. Dies ist auch der Grund, weshalb die römischen Juristen das Familienrecht zu dem natürlichen Rechte zählen, dessen Satzungen die Natur nicht bloss dem Menschen, sondern
allen tierischen Wesen eingeprägt hat. Hier also auf dem Gebiete des Familienrechts, sollte man erwarten, dass der feindliche Gegensatz zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen vollständig zum Schweigen verurteilt sein wird, und dass eine der Natur entsprechende Rechtsordnung ihr Dasein behauptet hat.“38
Von dieser Einordnung ausgehend kommt Menger nach der Prüfung des Familienrechtsentwurfs zu dem Ergebnis, dass die durch den Entwurf geprägte Rechtsordnung keineswegs der Natur entspreche. Auch dieser Teil der Rechtsordnung leide genauso wie alle das Vermögen betreffende Teile an dem Makel, ausschließlich von den besitzenden Klassen geschaffen worden zu sein. Dabei spielt Menger vor allen Dingen auf das eheliche Güterrecht des Entwurfs an, dem seine Kritik ganz besonders gilt. a) Die eherechtliche Kritik Mengers Mit seiner Schrift Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen gibt sich Menger, anders als von einem wissenschaftlich tätigen Juristen zu erwarten wäre, nicht den Anspruch, eine juristische Analyse des ersten Entwurfs vorzunehmen. Ihm geht es vielmehr generell um die Berücksichtigung der Interessen der Arbeiterklasse in dem Entwurf. Aus diesem Grund erörtert Menger auch nicht alle 37 Menger, Über die sozialen Aufgaben der Rechtswissenschaft, S. 20–25. 38 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, zweite Auflage 1890, S. 41.
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Teile des Entwurfs im Detail, sondern bemüht sich, eine Gesamtbetrachtung und Bewertung vorzunehmen. Mit einigen Teilen befasst er sich jedoch eingehender: aa) Das Eheverständnis Mengers Menger sieht die Ehe als das für das Familienrecht grundlegende Institut, „zu dem sich alle übrigen nur als Folgeerscheinungen und Ergänzungen“39 verhielten. Für ihn ist die Ehe eine Vereinbarung der Ehepartner im Rahmen der Ehegesetze. Diese Vereinbarung, so Menger, sei so frei, als dies in der von Besitz und Macht beherrschten Gesellschaft überhaupt möglich sei. Neben dem Vertrag zwischen den Ehepartnern habe auch der Staat eine unentbehrliche Rolle für die Eheschließung: Er stelle sicher, dass die strenge Formvorschrift für die Eheschließung eingehalten werde, wodurch ihre Rechtmäßigkeit festzustellen sei. Der Staat sei für die Kontrolle über die Ehe erforderlich, da er das persönliche Verhältnis der Ehepartner zueinander durch Rechte und Pflichten gesetzlich ausgestalte und die Rechtsfolgen eines einmal geschlossenen Ehevertrages verbindlich festlege.40 Damit folgt Mengers Eheverständnis der Vertragstheorie, also grundsätzlich der freien Vereinbarkeit zwischen den Ehepartnern, deren staatliche Schranken die Ehegesetze sind. Er fordert Monogamie zwischen den Ehepartnern und sieht die Ehe als auf Lebenszeit angelegte Lebensform.41 bb) Ehescheidung Menger hebt hervor, dass der Ehescheidung in der sozialistischen Literatur zu große Aufmerksamkeit geschenkt werde, da „die Wichtigkeit, die man derselben beilegt, doch vorherrschend aus der Nervosität und der Ueberfeinerung der höheren Stände“ entspringe.42 Er befürwortet das in den §§ 1440–144443 verankerte Verschuldensprinzip als „richtige Mitte zwischen jenen Gesetzgebungen [...], welche wie z. B. das katholische Eherecht, an der Unauflöslichkeit der Ehe festhalten, und jenen, die, wie das preußische Landrecht, schon auf Grund beiderseitiger Einwilligung der Ehegatten die Scheidung (kinderloser) Ehen gestatten, ja sogar die unüberwindliche Abneigung des einen Ehegatten zur Auflösung der Ehe als genügend erklären“44. Die Familie, so Menger, sei in jener Zeit die einzige Gemeinschaft, in welcher das Gefühl der Brüderlichkeit und der Hingebung praktisch betätigt werde. Die besitzlosen Volksklassen hätten daher kein Interesse, die 39 40 41 42 43 44
Menger, Neue Staatslehre, 1906, S. 125. Menger, Neue Staatslehre, 1906, S. 125. Menger, Neue Staatslehre, 1906, S. 132/133. Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, dritte Auflage 1904, S. 45. Bei Inkrafttreten des Gesetzes entsprechen diese den §§ 1564–1568. Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, dritte Auflage 1904, S. 45.
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Festigkeit der Ehe, des Fundaments der Familie, durch allzu große Ausdehnung der Scheidungsgründe zu erschüttern. Erst dann, wenn höhere Lebensverbände wie die Gemeinde oder zuoberst der Staat sozial organisiert seien und die Familie in ihren wohltätigen Wirkungen bis zu einem gewissen Grade ersetzten, könne erwogen werden, das Band der Ehe ohne Schädigung zu lockern. Bis zu diesem Zeitpunkt müssten die besitzlosen Volksklassen die Bestimmungen des Entwurfs über die Ehe für zweckmäßig halten und ihr Klasseninteresse nicht verletzt sehen.45 Auf eine Benachteiligung der Frau hinsichtlich der Regelungen über die Ehescheidung geht Menger nicht ein. cc) Eheliches Güterrecht46 Hinsichtlich des Güterrechts übt Menger scharfe Kritik am BGB-Entwurf, der geprägt sei von den Interessen der wohlhabenden Väter, die bestrebt seien, das Vermögen ihrer verheirateten Töchter und deren wirtschaftliche Stellung zu sichern.47 Die große Anzahl der Paragraphen des Entwurfs, welche das Ehegüterrecht regelten, zeigten, welch großen Stellenwert diesem beigemessen werde. Der Entwurf würde, so Menger, für jede Bevölkerungsschicht einen Güterstand vorsehen: Den oberen Bevölkerungsschichten, zu denen Menger die „Geburts-, Finanz- und Beamtenaristokratie“ sowie das höhere Bürgertum zählt, solle die Verwaltungsgemeinschaft zugute kommen, die zugleich den gesetzlichen Güterstand darstellt. Auf das während der Ehe erworbene Vermögen habe die Ehefrau keinen Anspruch, da sie meist nur „ein anmutiges Dekorationsstück“ sei und weder häusliche Arbeit verrichte noch maßgebend an der Erziehung der Kinder beteiligt sei.48 Für die mittleren Klassen, zu denen Menger die unteren Schichten des Bürgertums und die besser qualifizierten Arbeiter zählt, sei die Errungenschaftsgemeinschaft ein adäquater Güterstand. Eine Teilung des während der Ehe Erworbenen sei gerecht, da die Ehefrau regelmäßig nicht nur ihr Vermögen, sondern auch ihre Arbeitskraft in die Ehe einbringe, indem sie häusliche Arbeiten verrichte und in manchen Fällen auch dem Ehemann in seinem Beruf helfe.49 Die Gütergemeinschaft sieht Menger schließlich für die besitzlosen Schichten vor, da das Verhältnis der für die Familie geleisteten Arbeit von Ehefrau und Ehemann meist ausgewogen sei. An dieser Stelle zweifelt Menger erstmals an der auch im 45 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, dritte Auflage 1904, S. 46. 46 S. hierzu Lehmann, Die Ehefrau und ihr Vermögen: Reformforderungen der bürgerlichen Frauenbewegung zum Ehegüterrecht um 1900, 2006, S. 160/161. 47 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, dritte Auflage 1904, S. 46/47. 48 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, dritte Auflage 1904, S. 47. 49 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, dritte Auflage 1904, S. 48.
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Güterrecht zum Ausdruck kommenden Eheherrschaft des Mannes, die ihm „für diese Volkskreise“ nicht „gerechtfertigt“ zu sein scheint.50 Dass die Verwaltungsgemeinschaft im BGB-Entwurf den gesetzlichen Güterstand darstellt, ist für Menger ein weiterer Beweis dafür, dass der BGB-Entwurf ausschließlich die Interessen der Vermögenden und der „Aristokratie“ berücksichtigt. Als Konsequenz fordert Menger, für die vermögenslosen Ehepaare die Möglichkeit zu schaffen, ohne finanzielle Aufwendungen, einen Ehevertrag abschließen zu können.51 Zwar ist sich Menger der Tatsache bewusst, dass sich der Großteil der Ehepaare aus der Arbeiterklasse keine Gedanken über die Wahl eines Güterstandes machte und somit der gesetzliche Güterstand der Verwaltungsgemeinschaft für ihre Ehe Wirkung entfalten würde. Welcher andere Güterstand aber als gesetzlicher Güterstand seiner Meinung nach in Betracht kommt, erörtert Menger nicht. dd) Die Deflorationsklage Im Rahmen seiner Ausführungen über den außerehelichen Beischlaf geht Menger auf verschiedene Strafgesetze und deren Regelungen diesbezüglich ein. Sein Augenmerk gilt dabei vor allem dem Reichsstrafgesetz, nach dem der außereheliche Beischlaf grundsätzlich straflos ist, sofern das Mädchen über vierzehn Jahre alt ist und nicht in einem besonderen Verpflichtungsverhältnis zu dem Manne steht. Nur in wenigen gesetzlich ausdrücklich benannten Fällen ist eine Strafbarkeit gegeben.52 Da, so Menger, die strafbaren Fälle des unehelichen Beischlafes nur äußerst selten vorkämen, sei der uneheliche Beischlaf an sich straflos. Aus diesem Grund bedauert Menger die Entwicklung des Zivilrechts, das im Fall des unehelichen Beischlafes keinerlei zivilrechtlichen Folgeverpflichtungen des Mannes vorsehe. Dadurch entfiele sowohl die Abschreckung für Männer als auch der letzte Schutz für Mädchen und Frauen.53 Den ersten BGB-Entwurf betreffend konkretisiert Menger seine Kritik dahingehend, dass er die Aufnahme der sogenannten Deflorationsklage54 fordert, wie sie zum Beispiel das kanonische Recht vorsah.55 Dabei ist ihm durchaus bewusst, dass mit der Möglichkeit der Deflorationsklage lediglich die Frau, nicht aber das nichtehelich geborene Kind einen Anspruch gegenüber 50 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, dritte Auflage 1904, S. 49. 51 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, dritte Auflage 1904, S. 49/50. 52 S. § 182 StGB in der 1890 geltenden Fassung. 53 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Klassen, dritte Auflage 1904, S. 66/67. 54 Die Deflorationsklage war eine Klage auf Ersatz des Schadens, der einem Mädchen oder einer Frau dadurch entstanden ist, dass sie mit einem Mann unehelich Beischlaf vollzog und es dadurch zur Defloration kam. 55 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Klassen, dritte Auflage 1904, S. 63/64.
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dem Vater des Kindes erhalten würde. Menger sucht nach den Gründen, welche die Kommission zur Ablehnung der Aufnahme der Deflorationsklage bewegt hatten. Seiner Ansicht nach war auch diese Entscheidung durch die Bewahrung der Interessen der besitzenden Klassen geprägt, da die Männer, gegen die eine Deflorationsklage erhoben werden würde, meist den besitzenden Klassen, die leidtragenden Frauen und Mädchen hingegen der Arbeiterklasse entstammten.56 Im Rahmen seiner Forderung, die Deflorationsklage in das BGB aufzunehmen, zeichnet Menger ein recht einseitiges Bild der tatsächlichen Verhältnisse. Zwar kam es durchaus vor, dass ein Mann aus Adel oder Bürgertum als möglicher Klagegegner in Betracht kam. Das Problem des unehelichen Beischlafs war jedoch auch ein Problem der Arbeiterklasse. Dies verdeutlicht ein Blick auf die mit dem unehelichen Beischlaf einhergehende Thematik der nichtehelichen Kinder. Zwar liegen für die Zeit von 1880–1900 keine amtlichen Statistiken über die Herkunft der Eltern nichtehelicher Kinder vor. Es gibt jedoch verschiedene Einzeluntersuchungen, die unabhängig voneinander ungefähr dieselben Daten angeben und dadurch eine hohe Aussagekraft gewinnen. Nach Neumann57 haben knapp 70% der Eltern nichtehelicher Kinder die gleiche gesellschaftliche Stellung. Taube58 führt an, dass 49 % der unehelichen Väter Handwerker und Handarbeiter, 9 % Fabrikarbeiter, 3 % Beamte und 11 % Kaufleute seien.59 Mengers Darstellung spiegelt somit nicht die tatsächlichen Verhältnisse wider. ee) Entbindungskosten, Einrede des Mehrverkehrs, gesamtschuldnerische Haftung Außerhalb des Eherechts fordert Menger hingegen grundsätzlich die Erweiterung der Rechte der Frau. So soll nach seiner Auffassung der Mann, welcher der Frau zur Empfängniszeit beiwohnt, der daraufhin ein Kind gebärenden Frau die Entbindungskosten ersetzen und nach Maßgabe seines Einkommens dem Kinde Unterhalt gewähren. Stehe fest, dass eine Frau schwanger sei, und könne sie die Vollziehung des Beischlafes mit einem Mann beweisen, so solle sie einen Antrag auf eine einstweilige Verfügung stellen können, die den Mann verpflichte, sofort nach der Geburt des Kindes die Entbindungskosten und den Unterhaltsbeitrag für drei Monate an die Mutter zu zahlen.60 Die Einrede des Mehrverkehrs (exceptio plurium concumbentium) hält Menger für ungerechtfertigt, weswegen er ihre 56 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Klassen, dritte Auflage 1904, S. 69. 57 Neumann, Die unehelichen Kinder in Berlin, 1900, S. 13. 58 Taube, Der Schutz der unehelichen Kinder in Leipzig: Eine Einrichtung zur Fürsorge ohne Findelhäuser, 1893, S. 32–33. 59 Weitergehend s. Baumgarten, Die Entstehung des Unehelichenrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, 2007. 60 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Klassen, S dritte Auflage 1904, 82.
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Streichung im BGB-Entwurf fordert. Im Falle, dass der Frau mehrere Männer zur Empfängniszeit beiwohnten, sollten diese als Gesamtschuldner haften.61 ff ) Wertung Eine gleichberechtigte Stellung von Frau und Mann sieht Menger ausschließlich durch die Errichtung eines Arbeitsstaates umsetzbar. Daraus folgt, dass Menger die rechtliche Benachteiligung der Frau im Eherecht durchaus bewusst ist. Es veranlasst ihn jedoch nicht zu einer generellen Infragestellung der männlichen Eheherrschaft. Da Ehen ohnehin weitestgehend standesgemäß geschlossen würden, „entbehre das Eherecht jener Einseitigkeit und Ungerechtigkeit, die auf keinem Rechtsgebiet fehle, wo die Interessen der verschiedenen Bevölkerungsklassen regelmäßig zusammenstoßen“62. In Bezug auf das Güterrecht ist Mengers Analyse, wie oben dargestellt, differenzierter. Dies führt aber nicht dazu, dass er konkrete Gegenvorschläge entwickelt. Menger zeigt im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit dem Güterrecht ein Bewusstsein für die doppelte Belastung, der eine Arbeiterin ausgesetzt war. Er beschreibt ihren Alltag, in dem sie sowohl die Hausarbeit verrichten als auch einen vollen Arbeitstag in einer Fabrik oder als Heimarbeiterin absolvieren müsse. Er zieht daraus jedoch keine weitergehenden Schlüsse. Einzig im Rahmen seiner Kritik zum Güterrecht zweifelt Menger auch die Eheherrschaft des Mannes an. Diese Kritik bezieht sich aber ausschließlich auf die Arbeiterfamilien, in denen die Ehefrau sowohl die Hausarbeit verrichten als auch arbeiten gehen muss. Mengers Bewertungsmaßstab für die Rechtfertigung einer Eheherrschaft richtet sich dabei nach dem Grad der Leistungserbringung für die Ehe in Form von Hausarbeit, Erziehung der Kinder und Berufstätigkeit, weshalb die Eheherrschaft des Mannes im Bürgertum für ihn keinen Kritikpunkt darstellt. b) Mengers Stellungnahme zur „freien Liebe“ Bereits daraus, dass Menger die monogame Ehe als einzig anzustrebende Lebensform ansieht, wird deutlich, dass er die sogenannte freie Liebe grundsätzlich ablehnt: „Dagegen ist die freie Liebe mit der freien Konkurrenz, der Vertragsfreiheit und ähnlichen
wirtschaftlichen Einrichtungen zu vergleichen, die unter dem Scheine der Freiheit die Herr-
schaft der Reichen und Mächtigen begründen. Macht, Einkommen, Bildung, Redebegabung, körperliche Schönheit und Kraft würden den Begünstigten im Konkurrenzkampf der freien Liebe ein solches Übergewicht verleihen, daß die Zurückgesetzten zwar nicht rechtlich, wohl 61 Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Klassen, dritte Auflage 1904, S. 83. 62 Menger, Neue Staatslehre, 1906, S. 134.
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aber tatsächlich vom Geschlechtsgenuß in größerem oder geringerem Maße ausgeschlossen
wären. Wenn also gerade die radikalsten Sozialisten und Anarchisten die freie Liebe predigen, so streben sie für den Geschlechtsverkehr unbewusst denselben Zustand an, den sie auf dem Gebiete des wirtschaftlichen Lebens so energisch bekämpfen.“63
Für Menger ist die Forderung nach „freier Liebe“ nicht sozialistisch: „Da die Ehe und das Eigentum den beiden Hauptzwecken der Menschheit dienen, so ist es begreiflich, daß manche Sozialisten zu der durchgreifenden Umbildung des Eigentums
auch die der Ehe hinzufügen wollen. Doch ist dies entfernt nicht bei allen sozialistischen
Schriftstellern und Parteien der Fall und es kann deshalb die völlige Neuordnung des Ge-
schlechtslebens keineswegs als allgemein anerkannter Punkt des sozialistischen Programms angesehen werden.“64
Dennoch beschäftigt sich Menger ausgiebig mit den Sozialisten, die eben diese „freie Liebe“ oder ähnliche Lebenskonzepte forderten. Dabei nimmt Menger eine Unterteilung in drei verschiedene Ansätze vor: Die Vertreter des ersten Ansatzes sähen in der „freien Liebe“ den Ersatz für die Ehe und wollten diese vollkommen abschaffen. Die „freie Liebe“ sei für sie ein Zustand, in dem dauernde geschlechtliche Beziehungen zwischen Frau und Mann von dem Gesetze überhaupt nicht vorgeschrieben werden, diese vielmehr lediglich „von der Neigung der Beteiligten“65 abhingen. Beziehe sich die „freie Liebe“ nur auf die Mitglieder eines „engeren Kreises, z. B. eines Stammes oder einer religiösen Gemeinde, so sei eine Gesamtehe vorhanden, deren Wesen darin bestehe, dass jedes Mitglied einer solchen Gemeinde von jedem anderen Mitgliede des anderen Geschlechts unter gewissen Voraussetzungen verlangen kann, zu ihm in geschlechtliche Beziehung zu treten“66. Menger vergleicht diesen Ansatz mit der Ehe und findet eine Parallele in der dauernden Verpflichtung zum Geschlechtsverkehr. Da diese Verpflichtung aber einer größeren Zahl von Frauen und Männern gegenüber bestehe, sei dieser Ansatz der „Gesamtehe“ „in Beziehung auf ihre praktischen Wirkungen der freien Liebe genähert“67.
63 64 65 66 67
Menger, Neue Staatslehre, 1906, S. 133. Menger, Neue Staatslehre, 1906, S. 126. Menger, Neue Staatslehre, 1906, S. 126. Menger, Neue Staatslehre, 1906, S. 126. Menger, Neue Staatslehre, 1906, S. 126.
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Eine zweite Gruppe von Sozialisten wolle „den Geschlechtsverkehr einer Organisation unterwerfen, die man etwa die Staatsehe“68 nennen könne. Danach solle „die Staatsgewalt, um tüchtige Männer zu bewirken, nach ihrem Ermessen den einzelnen Bürgern ihre Frauen zuweisen, ja sogar die Beiwohnung leiten und überwachen. Das Kind wachse dann ohne die Kenntnis seines Vaters durch staatliche Betreuung auf. Ein dauernder Geschlechtsverkehr zwischen Frau und Mann sei nicht vorgesehen. Menger bezieht sich der Darstellung dieser Gruppe auf die Aussagen des frühen Plato über die herrschende Klasse in seinem Werk De republica. Dass dieser Ansatz zur Zeit Mengers tatsächlich vertreten wurde, erscheint zweifelhaft, was Menger durchaus bewusst gewesen sein dürfte. Schließlich erwähnt Menger die Gruppe, die seiner Meinung nach die wahrhafte „freie Liebe“ fordert. Sie solle durch die „Vielehe“ verwirklicht werden und unterscheide sich von der „Gesamtehe“ dadurch, dass sie sich als ein ausschließliches Geschlechtsverhältnis zwischen einem Manne und mehreren Frauen oder einer Frau und mehreren Männern darstelle, während sie von der „Staatsehe“ darin abweiche, dass die Begründung und Gestaltung des Verhältnisses lediglich von dem Willen der Beteiligten abhänge.69 Menger weist darauf hin, dass Vielmännerei und vor allem die Vielweiberei „zu den verbreitetsten Rechtsinstituten“ gehörten. Die „Vielehe“ hält er aber schon deshalb nicht für umsetzbar, weil es im volkstümlichen Arbeitsstaat an religiösen und Stammesgruppen fehle, an die eine solche Ehe anknüpfen könne.70 Über die Anhänger der „freien Liebe“ mutmaßt Menger, dass sie viel zu sehr die Geschlechtsgemeinschaft im Auge hätten und „die Lebensgemeinschaft der Ehegatten, ihre gegenseitige Unterstützung, Unterhaltung und Belehrung“ übersähen71. Das „geistige und sittliche Element“ trete „bei der steigenden Bildung der Massen immer mehr in den Vordergrund“ und könne nur in einer „dauernden, wohl organisierten Ehe seine volle Bedeutung“ finden. Die Notwendigkeit solcher Ehen sei gerade für den von Menger angestrebten „volkstümlichen Arbeitsstaat“ unabdingbar.72 Aus diesem Grund sei überhaupt gar kein Bedürfnis für die Ersetzung der Ehe durch Formen der „freien Liebe“ gegeben. Letztere leide an solchen Gebrechen, dass die breiten Volksmassen sie selbst dann ablehnen müssten, wenn „alle hinter der Einehe stehenden politischen und kirchlichen Mächte durch den Lauf der Ereignisse zum Schweigen verurteilt wären“.73 68 Menger, Neue Staatslehre, 1906, S. 129. 69 Menger, Neue Staatslehre, 1906, S. 129. 70 Menger, Neue Staatslehre, 1906, S. 132. 71 Menger, Neue Staatslehre, 1906, S. 133. 72 Menger trat für die Abschaffung des Dienstbotenverhältnisses und für die getrennte Hauswirtschaft ein. 73 Menger, Neue Staatslehre, 1906, S. 132.
Zusammenfassende Würdigung
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4. Zusammenfassende Würdigung Ob Menger tatsächlich Kathedersozialist74 war oder, wie überwiegend in der Literatur75, allgemein als Sozialist bezeichnet werden kann, erscheint zweifelhaft.76 Ohne eine endgültige Einordnung Mengers vorzunehmen, bleibt festzustellen, dass Menger sich zwar als Interessenvertreter der Arbeiterklasse sieht, er seine Aussagen über Sozialismus jedoch mit einer beträchtlichen Distanz formuliert. Dieser Abstand könnte sich durch seine Herkunft und seinen Bildungsgrad erklären, die ihn der Arbeiterklasse nie hat tatsächlich nahe kommen lassen.77 Anders als der Großteil der Sozialisten seiner Zeit rückt er die gesellschaftliche Stellung der Frau nicht in einen engen Zusammenhang mit der sozialen Frage. Der Gleichberechtigung der Geschlechter misst Menger lediglich geringe Bedeutung bei, was unter anderem seine generelle Billigung der Eherechtsnormen des Entwurfs erklärt. Menger sieht das Hauptproblem der Gesellschaft im sozialen Bereich. Seine Kritik gilt also vornehmlich dem von den „besitzenden Klassen“ bewusst aufrecht gehaltenen Unterschied zwischen den armen und den reichen Bevölkerungsschichten, wie besonders aus seiner Kritik zum ehelichen Güterrecht hervorgeht. Die von ihm „geschlechtliche Fragen“ genannten Probleme verschärfen seiner Meinung nach die sozialen. Die Lösung sei daher in der Errichtung eines volkstümlichen Arbeitsstaates zu sehen. Dass Menger die „geschlechtlichen Fra74 So z. B. Bender, Die Ablehnung des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch die sozialdemokratische Reichstagsfraktion, in Rechtshistorisches Journal 1984, S. 260. Der Ausdruck Kathedersozialismus war zur Schaffenszeit Mengers ein oftmals polemischabwertend verwendeter Begriff für die Ideen einer Gruppe von Wissenschaftlern der Nationalökonomie, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus strategischer Motivation heraus für eine staatliche Sozialpolitik einsetzten, um der revolutionären Sozialdemokratie entgegenzuwirken. Heute wird der Begriff in der Geschichtswissenschaft auch wertneutral gebraucht. Weitergehend s. Scheler, Kathedersozialismus und wirtschaftliche Macht, Berlin 1973. 75 So z. B. Berneike, Die Frauenfrage ist Rechtsfrage, 1995, S. 19; Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung, 1966, Allgemeiner Teil, S. 41. 76 So auch Plat, Du sollst nicht ihr Herr sein!, Sozialdemokratie und Familienrecht; ein Beitrag zur Entstehung des BGB (1896), 1994, S. 59. 77 Menger äußert sich teilweise sogar despektierlich gegenüber „diesen Volkskreisen“. So schreibt er im Rahmen seiner BGB-Kritik zu seiner Forderung nach einer Deflorationsklagmöglichkeit: „Diese Treue kann man nun den Mädchen der besitzenden Klassen ohne Bedenken zumuten, da durch ihre gesellschaftliche Stellung die Verführung zurückgehalten und etwaige sittliche Mängel durch eine sorgfältige Ueberwachung unschädlich gemacht werden. Stellt man aber denselben Anspruch an Mädchen der besitzlosen Volksklassen, so mutet man ihnen eine Willenskraft und eine sittliche Haltung zu, die naturgemäss nur einer bevorzugten Minderheit eigen sein kann.“ Menger, Das Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, S. 83.
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gen“ bewusst waren, bewegt ihn nicht dazu, diese in seine Kritik des Eherechts des BGB-Entwurfs einzubringen.78 Mengers Verdienst als Kritiker des ersten BGB-Entwurfs besteht im Wesentlichen darin, dass er der einzige Jurist seiner Zeit ist, der den Entwurf im Hinblick auf das Interesse der Arbeiterklasse analysiert. Mengers Vorschläge stoßen, ohne dass dies eine Überraschung wäre, in der juristischen Literatur einhellig auf Ablehnung.79 Die proletarischen Frauen würdigen zwar das Werk Mengers in der Zeitschrift Die Gleichheit und bezeichnen ihn als einen der „bedeutendsten Juristen unserer Zeit“80. Sie beziehen sich in ihrer BGB-Kritik jedoch nicht auf Menger, der aber unter den bürgerlichen Frauen größeren Anklang findet. Die bürgerliche Frauenbewegung zieht Menger vor allem in ihrer Kritik dahingehend heran, dass der BGB-Entwurf von den Besitzenden entworfen wurde.81 Adele Gamper82 zum Beispiel kritisiert den BGB-Entwurf in ihrem Text über „Die zukünftige Stellung der deutschen Frau im Recht“ aus dem Jahr 1894 wie folgt: „Es ist auch bezeichnend, daß die Verfasser des bürgerlichen Gesetzbuches nicht das Familienrecht an die erste Stelle setzen, denn hier handelt es sich um Rechtsinstitute, die zu den
Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft gehören. Wichtiger scheint ihnen das Vermö-
gensrecht mit seinen Unterabteilungen, Sachen- und Obligationsrecht. Diese Einteilung hat in den Gesetzbüchern anderer Nationen wenig Nachahmung gefunden, sie beweist am besten die Überwachung des Eigentumsinteresses. Soweit in knapper Ausführung die Ansichten
Mengers. Wenn nach der Überzeugung dieses humanen Rechtsgelehrten die wirtschaftlich Schwachen im Gesetze stark benachteiligt sind, so ist die Benachteiligung der Frau als des sogenannten schwächeren Geschlechts eigentlich selbstverständlich.“83
Gamper vergleicht die Frauen mit der Arbeiterklasse. Sie sieht die Frauen zwar nicht als eigentumslose, wohl aber als besitzlose Klasse an, da sie keine Rechte
78 Differenzierter fällt Mengers Stellungnahme zum Recht der nichtehelichen Kinder aus. s. dazu Rabe, Anton Menger, unveröffentlichtes Manuskript, S. 11–17. 79 So z. B. Jakoby, Rezension: Menger, S. 279–286. 80 Die Gleichheit vom 4. März 1896, S. 34. 81 Stritt, Rechtskämpfe. In Handbuch der Frauenbewegung, herausgegeben von Helene Lange und Gertraud Bäumer, Bd. 2, 1901, S. 136. 82 Adele Gamper gründete im Januar 1894 gemeinsam mit Marie Stritt den Rechtsschutzverein für Frauen in Dresden, der einen der drei umfassenden Gegenentwürfe der Frauen zum BGB formulierte. Weitergehend. s. Meder/ Duncker/ Czelk (Hg.), Die Rechtstellung der Frau um 1900, Eine kommentierte Quellensammlung, 2010, S. 371–372. 83 Zit. n. Meder/ Duncker/ Czelk (Hg.), Die Rechtstellung der Frau um 1900, Eine kommentierte Quellensammlung, 2010, S. 375.
Zusammenfassende Würdigung
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gegenüber ihren Ehemännern besaß und kommt zu dem Ergebnis, dass die Frauen genauso wie die Arbeiterklasse die Benachteiligten des BGB-Entwurfs sind. Die faktische Nichtbeachtung Mengers durch die proletarischen Frauen erstaunt auf den ersten Blick, erklärt sich jedoch daraus, dass die proletarische Frauenbewegung erst sehr spät, erstmals im Jahr 1895, zum Familienrecht des BGBEntwurfs Stellung nimmt. Hierbei bezieht sie sich, anders als Menger, der seine Kritik im Jahr 1890 auf den ersten Entwurf stützt, auf den dritten Entwurf und daher auch auf die Stellungnahmen der Mitglieder der SPD-Reichstagsfraktion.
4. Kapitel: Das Eherecht des BGB-Entwurfs und die Positionierung der Sozialdemokratie I. Sozialdemokratie und Recht „Die deutsche Sozialdemokratie ist zwar eine revolutionäre, aber keine Revolution machende Partei.“1
Um die Position der Sozialdemokratie zum Familienrecht des BGB nachzuvollziehen, erscheint es notwendig, das allgemeine Verhältnis der Sozialdemokratie zu dem zu der Zeit geltenden Recht und dessen Kodifikation zu betrachten. Mit der Verabschiedung des Parteiprogramms auf dem Erfurter Parteitag 1891 wurden die zentralen Aussagen des von Marx und Engels entwickelten Historischen Materialismus2 zur Parteidoktrin erhoben.3 Fraglich ist jedoch, ob sich auch die Auffassungen von Marx und Engels zu Staat und Recht in der sozialdemokratischen Politik widerspiegelten. Für Marx und Engels war die Beschäf-
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Kautsky, Protokoll des Parteitages von Erfurt 1892, S. 18; Zu Werk und Leben Karl Kautzkys s. Mende, Karl Kautsky. Vom Marxisten zum Opportunisten, 1985; Rojahn (Hg.), Marxismus und Demokratie, 1992; Salvadori, Sozialismus und Demokratie, 1982. Der Historische Materialismus beschreibt den Verlauf der Geschichte nicht als eine zufällige Abfolge von Ereignissen, sondern als determinierte Entwicklung der menschlichen Gesellschaft auf der Grundlage bestimmter ökonomischer Zusammenhänge. Materielle Triebkräfte der gesellschaftlichen Entwicklung sind die sozialen und vornehmlich die ökonomischen Widersprüche, die den unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Gesellschaft inne wohnen und den „Kampf und die Einheit der Gegensätze“ im Rahmen historisch gegebener Gesellschaftsformationen prägen. Die Lösung systemimmanenter, antagonistischer Widersprüche führt zwangsläufig zu revolutionären, gesellschaftlichen Veränderungen und zur Herausbildung einer qualitativ höher entwickelten Gesellschaftsformation. Das marxistische Geschichtsbild steht damit im Gegensatz zum Idealismus Hegels, der Geist und Ideen als Ursprung der geschichtlichen Veränderungen sieht. Eine Kernaussage des Historischen Materialismus ist, dass der Mensch, indem er mit seiner Umgebung durch seine Arbeit in Kontakt tritt, sich als gesellschaftliches Wesen konstituiert und mit anderen Menschen bestimmte Beziehungen gesellschaftlicher Natur unterhält. Diese Beziehungen ihrerseits haben einen Einfluss auf ihn als Menschen. S. dazu Hwang, Recent interpretations of Karl Marx’s social theory, 2006. Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1997, Einführung LVII.
Sozialdemokratie und Recht
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tigung mit Recht nie Schwerpunkt ihrer Arbeiten gewesen4, was nicht zuletzt in ihrer Ablehnung des bestehenden Rechtssystems begründet sein dürfte. Marx formuliert: „Rechtsverhältnisse wie Staatsformen sind weder aus sich selbst zu begreifen, noch aus der
sogenannten allgemeinen Entwicklung des menschlichen Geistes, sondern wurzeln vielmehr in den materiellen Lebensverhältnissen, deren Gesamtheit Hegel […]unter dem Namen „bürgerliche Gesellschaft“ zusammenfasst, die Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft ist
aber in der politischen Ökonomie zu suchen […] Die Gesamtheit dieser Produktionsver-
hältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen.“5
Die Bezeichnung des Rechts als Überbau der Gesellschaft, verdeutlicht die Verbundenheit der beiden.6 Die daraus abzuleitende Unselbständigkeit des Rechts lässt aber auch folgern, dass die konkrete Ausgestaltung der Rechtsordnung als „Nebensächlichkeit“7 angesehen wird. Diese Konsequenz mit der einhergehenden Ablehnung eines Engagements im Rahmen des bestehenden Rechtssystems wurde jedoch nie von den Sozialdemokraten gelebt, was mit dem Unterschied zwischen theoretischer Programmatik der Ideologie von Marx und Engels und dem nötigem Pragmatismus bei der praktischen Umsetzung erklärt werden könnte. Einen wirklichen „Rechtsnihilismus“ hat es unter den Sozialdemokraten tatsächlich nie gegeben, auch wenn es erst Eduard Bernstein zugeschrieben wird, die parlamentarische Mitarbeit und Mehrheitsfindung als adäquates Mittel auf dem Weg zur Realisierung sozialdemokratischer Programmatik in der bestehenden Gesellschaft vertreten und durchgesetzt zu haben.8
4 S. hierzu v. Oertzen, Karl Marx, Recht und freie Assoziation der Individuen; in Kritische Justiz, 1988, s. 59–68; Reich, Sozialismus und Zivilrecht, 1971, S. 27. 5 Marx, Kritik, MEW, Bd. 13, S. 8. 6 Meder, Rechtsgeschichte, 2011, S. 392. 7 Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1997, Einführung LIX. 8 Bernstein, Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie, 1899; hierzu Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1997, Einführung LX.
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Der Weg der sozialdemokratischen Kritik
II. Der Weg der sozialdemokratischen Kritik Als Resultat der von Bernstein geprägten Auffassung über die parlamentarische Mitarbeit und Mehrheitsfindung wurde die Kritik der Sozialdemokratie am Familienrecht des BGB-Entwurfs hauptsächlich während der Lesungen des Entwurfs im Reichstag durch die SPD-Reichstagsfraktion artikuliert. Vor der ersten Beratung des Reichstages gab es so gut wie keine Stellungnahmen der Sozialdemokraten zum BGB-Entwurf, was nicht zuletzt auf ihre nicht vorhandene Beteiligung an dem langen Kodifikationsverfahren zurückzuführen ist. Aufgrund der bevorstehenden Beratungen des Reichstages über den BGB-Entwurf hatte die SPD-Reichstagsfraktion auf dem SPD-Parteitag von Breslau 1895 einen zwar allgemein gefassten, aber dennoch eindeutigen Auftrag erhalten, der von Zetkin und der Delegierten Gerndt als Antrag Nr. 92 gestellt worden war: „Die Reichstagsfraktion wird beauftragt, bei den bevorstehenden Berathungen über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs mit aller Energie die Initiative zu ergreifen für
die Beseitigung aller gesetzlichen Bestimmungen, welche die Frau dem Manne gegenüber benachtheiligen.“9
In einem zweiten Absatz forderte der Antrag ein besonderes Engagement für die nichtverheirateten Mütter und ihre Kinder.10 Er blieb der einzige Auftrag, den die Mitglieder der SPD-Reichstagsfraktion bzgl. des BGB-Entwurfs von der Partei erhielten. Insbesondere war den Abgeordneten aufgrund der allgemeinen Formulierung der Forderung selbst überlassen, in welcher Form sie sich gegen die Benachteiligung der Frau einsetzten. Ihr Engagement schlug sich dann vor allem im Familienrecht und dort in den Bereichen des BGB-Entwurfs nieder, welche entweder die Ehe oder die nichtehelichen Kinder und ihre Mütter betrafen. Anders als man aufgrund der kompletten Ablehnung des Gesetzbuches durch die Sozialdemokraten in der Schlussabstimmung vermuten könnte, ließen sie sich in den Debatten durchaus auf die Argumente der Verteidiger des Entwurfs ein. Oftmals bestanden ihre Bemühungen darin, diese schlichtweg zu widerlegen oder zumindest auf Widersprüche in der Argumentation der Verteidiger aufmerksam zu machen, nicht selten ohne dabei Alternativvorschläge aufzuzeigen. Regelmäßig bedienten sie sich bei ihrer Argumentation der historischen Entwicklung des Eherechts und des sogenannten Wesens der Ehe, um ihre Änderungsanträge zu 9 Protokoll über die Verhandlung des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Breslau 1895, herausgegeben von Dieter Dowe 1978, S. 18 und S. 204. 10 „2. Bei den bevorstehenden Berathungen über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs mit aller Energie einzutreten für die Rechte der unverheiratheten Mütter, sowie ihrer Kinder.“; Protokoll des Parteitags von Breslau 1895, S. 18 und S. 204.
Die Bedeutung der Reichstagslesungen
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begründen. Interessanterweise wurden genau diese Begründungsmuster auch von den Verteidigern des Entwurfs verwendet.
III. Der Reichstag und die Entstehung des BGB 1. Die Bedeutung der Reichstagslesungen des BGB-Entwurfs für den Gesetzgebungsprozess Um die Bedeutung der Beratung des BGB-Entwurfs durch den Reichstag aufzeigen zu können, ist zunächst auf dessen verfassungsrechtliche Stellung einzugehen. Der Reichstag setzte sich aus unabhängigen Abgeordneten zusammen, die aus allgemeinen und geheimen Wahlen hervorgingen.11 Für ein Reichsgesetz wie das BGB war ein einfacher Mehrheitsbeschluss erforderlich und ausreichend.12 Obwohl die Grundlagen des BGB, wie oben dargelegt13, zu dem Zeitpunkt seiner Beratung im Reichstag durch die langjährige Kommissionsarbeit bereits gelegt waren, gewannen die Reichstagberatungen ein immenses rechtspolitisches Gewicht. Die Auseinandersetzung über den Entwurf im Reichstag war erstmals von parteipolitischen Interessen und vor allem parteipolitischer Taktik geprägt. Als Beispiel hierfür könnte die Entscheidung der Zentrumsfraktion dienen, entgegen ihrer Überzeugung für die Einführung der obligatorischen Zivilehe zu stimmen, um auf der anderen Seite Zugeständnisse der konservativen Parteien in der Frage der Abschaffung des Jesuitengesetzes zu erwirken.14 2. Der dritte Entwurf und seine Lesungen im Reichstag Wie bereits im dritten Kapitel unter I. beschrieben, war die Grundhaltung aller Abgeordneten dem dritten Entwurf des BGB gegenüber recht positiv. Dennoch war die Verabschiedung des Bürgerlichen Gesetzbuches durch den Reichstag keineswegs gewiss, da die politische Situation um die Jahreswende 1895/96 vor allem aufgrund der Debatten um die sogenannte Umsturzvorlage in der ersten Hälfte des Jahres 1895 äußerst angespannt war.15 Die „Umsturzvorlage“, die im Wesentlichen 11 12 13 14
Art. 20 und Art. 29 der Reichsverfassung. Art. 32 Abs. 1 der Reichsverfassung. S. 3. Kapitel I. S. hierzu Wolters, Die Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001, S. 423–427. Wolters erwähnt den „Dealcharakter“ der Zustimmung der Zentrumsfraktion zur obligatorischen Zivilehe jedoch nicht. 15 Weitergehend Bender, Die Ablehnung des Bürgerliche Gesetzbuchs durch die sozialdemokratische Reichstagsfraktion, in Rechtshistorisches Journal 1984, S. 256.
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Der Reichstag und die Entstehung des BGB
eine Verschärfung der Strafgesetze vorsah, war gegen die „Parteien des Umsturzes“ gerichtet, also hauptsächlich gegen die Sozialdemokraten. Sie scheiterte letztlich, da die Zentrumsfraktion auch Angriffe auf die christliche Religion sowie die Lehren und Gebräuche der Kirchen mit Strafe bedrohen wollte, was für die Nationalliberalen unannehmbar war.16 In der Reichstagssession waren daraufhin viele Regierungsvorlagen abgelehnt worden oder unerledigt geblieben. Bekannt war zudem, dass die Zentrumspartei ihre katholisch geprägten Vorstellungen zum Eherecht in den Entwurf einbringen wollte, die für liberale Fraktionen inakzeptabel waren. Aufgrund dieser Unwägbarkeiten verfolgte das Reichsjustizamt17 das Ziel, das BGB in der Fassung der Reichstagsvorlage möglichst unverändert und schnell durch den Reichstag zu bringen18, am besten in einer „en bloc-Annahme“ des Entwurfs.19 In der Folgezeit und selbst noch während der Beratungen des Entwurfs fanden ständig Auseinandersetzungen über das bei der Beratung anzuwendende Verfahren statt. Von nationalliberaler Seite wurde das Verlangen nach der Einsetzung einer weiteren Kommission ausgesprochen, dem sich die Sozialdemokraten mit der Argumentation anschlossen, dass bislang der größte Teil der Bevölkerung während des Entstehungsprozesses der Entwürfe nicht berücksichtigt, geschweige denn beteiligt worden war.20 Nachdem in der ersten Lesung sachliche Beschlüsse nicht gefasst werden konnten, überwies der Reichstag den Entwurf einem Ausschuss von 21 Mitgliedern, der sogenannten XII. Kommission; diese sollte Bericht erstatten und Beschlussempfehlungen abgeben.21 In der Zeit vom 7.2. bis zum 12.6.1896 hielt die XII. Kommission insgesamt 53 Sitzungen ab, in denen, ohne die Grundzüge des Entwurfs wesentlich zu ändern, vor allem das Vereins- und das Eherecht debattiert und modifiziert wurden. Einzelne Teile des Gesetzes übernahm sie ganz ohne Beratung. Die zweite Lesung des von der XII. Kommission abgeänderten Entwurfs fand vom 19.–27.6.1896 statt.22 Hierin befasste man sich auch eingehend mit dem Eherecht.
16 Schulte-Nölke, Das Reichsjustizamt und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1995, S. 221. 17 Federführend war hier der Staatssekretär Nieberding. 18 Schulte-Nölke, Das Reichsjustizamt und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1995, S. 223. 19 Nieberding, 21. März 1895, Stenographische Berichte, S. 1625. 20 Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1997, Einführung: Das bürgerliche Gesetzbuch, S. XXXV. 21 Meder, Rechtsgeschichte, 2011, S. 348. 22 Der Debatte lag der durch die Beschlüsse der Kommission abgeänderte Entwurf zugrunde, so dass die Anträge, die sich gegen die in der Kommission beschlossenen Streichungen richteten, auf Wiederherstellung lauteten.
Das eherechtliche System des BGB
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IV. Das eherechtliche System des BGB23 Vor der Betrachtung einzelner Eherechtsnormen, erfolgt eine knappe Darstellung der familienrechtlichen Systematik. Da die Normen nach der Beratung des BGB im Reichstag noch einmal geändert wurden, sollen nachfolgend zunächst die §§ des dritten Entwurfs (der Reichstagsvorlage) und dann die §§ des BGB, wie es 1900 in Kraft trat, dargestellt werden. Das vierte Buch des BGB von 1896 gliedert sich in drei Abschnitte: Bürgerliche Ehe (§§ 1280–155824/§§ 1297–1588), Verwandtschaft (§§ 1569–1748/§§ 1589– 1772) und Vormundschaft (§§ 1749–1897/§§ 1773–1921). Das Eherecht untergliedert sich in acht Titel: Verlöbnis (§§ 1280–1285/ §§ 1297–1302), Eingehung der Ehe (§§ 1286–1301/§§ 1303–1322), Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe (§§ 1306–1329/§§ 1323–1346), Wiederverheiratung im Falle der Toderklärung (§§ 1331–1335/§§ 1348–1352), Wirkungen der Ehe im allgemeinen (§§ 1336–1345/§§ 1353–1362), eheliches Güterrecht (§§ 1346– 1545/§§ 1363–1562), Scheidung der Ehe (§§ 1547–1566b25/§§ 1564–1587) und schließlich kirchliche Verpflichtungen (§ 1566c26/§ 1588). Die SPD-Reichstagsfraktion engagierte sich während der Lesungen des Entwurfs zum Bürgerlichen Gesetzbuch, ihren Auftrag des Parteitages von Breslau 189527 ausführend, grundsätzlich hinsichtlich der Normen, die die Frau rechtlich benachteiligten. Diese finden sich vor allem in den das persönliche Verhältnis von Frau und Mann regelnden Normen des Unterabschnitts „Wirkungen der Ehe im allgemeinen“. Weitere, besonders die rechtliche Stellung der Frau gegenüber dem Mann betreffende Normen, stehen im Ehescheidungsrecht und dort in den Normen, die die Ehescheidungsfolgen regeln. Der Einsatz der Mitglieder der SPDReichstagsfraktion galt darüber hinaus aber auch jenen Normen, die mit ihrem Eheverständnis nicht übereinstimmten. Diese finden sich in den Unterabschnitten
23 Das System des BGB wurde schon von der ersten Kommission festgelegt. Mit seinem fünfteiligen Aufbau – Allgemeiner Teil, Schuldrecht AT/BT, Sachenrecht, Familienrecht, Erbrecht – orientiert es sich an älteren Zivilgesetzen. 24 Einige Regelungen, die sich später im ersten Abschnitt wiederfinden, befinden sich im dritten Entwurf (Reichstagsvorlage) noch in dem Abschnitt Verwandtschaft. Dies hat jedoch keine Auswirkung auf den Überblick des Familienrechts des Entwurfs. 25 § 1566b wurde erst im Rahmen der Beratungen der XII. Kommission eingeführt, s. Mugdan (Hg.), Bericht der XII. Kommission, S. 1247. 26 § 1566c wurde erst im Rahmen der Beratungen der XII. Kommission eingeführt, s. Mugdan (Hg.), Bericht der XII. Kommission, S. 1206. 27 Protokoll über die Verhandlung des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Breslau 1895, herausgegeben von Dieter Dowe 1978, S. 18. S. auch 5. Kapitel V. 1.
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Allgemeine Kritik der Sozialdemokratie am Entwurf des BGB
„Verlöbnis“, „Eingehung der Ehe“, „eheliches Güterrecht“ und „Scheidung der Ehe“.
V. Allgemeine Kritik der Sozialdemokratie am Entwurf des BGB Im Gegensatz zu der weit verbreiteten Annahme, die Sozialdemokraten hätten sich aufgrund der Lage der Arbeiter ausschließlich mit dem Arbeitsrecht und der sogenannten sozialen Frage beschäftigt, statt dem Bürgerlichen Gesetzbuch und dessen Entwurf Aufmerksamkeit zu schenken, wurde letzterem von Seiten der Sozialdemokratie in der Tat eine dezidierte Auseinandersetzung zuteil. Die Bedeutung, die dem BGB von den Sozialdemokraten beigemessen wurde, findet unter anderem darin einen Ausdruck, dass von ihnen alleine in Berlin und Umgebung im Jahre 1896 rund 50 Veranstaltungen zu den Inhalten des neuen BGB organisiert wurden.28 Dass über die Hälfe der Versammlungen das Familienrecht zum Thema hatte,29 zeigt nicht zuletzt seine Relevanz für die sozialdemokratische Kritik des BGB-Entwurfs. In einem Leitartikel des Vorwärts30 zum Bürgerlichen Gesetzbuch heißt es im Anschluss an einen Bericht über seine Entstehung: „Was musste auf Grund solcher Entstehung der Entwurf unvermeidlich werden? Vor allem
ein Spiegelbild des Klassenbewusstseins der Bourgeoisie. Denn wie wäre es denkbar gewesen, daß Mandatare von Regierungen, welche noch heute im Sozialismus ein rechtsbildendes Moment anzukennen nicht gewillt sind, die Grenzen einer im Sinne des Bestehenden kon-
servativen Rechtsauffassung auch nur um eines Haares Breite verlassen hätten? Das Recht des Entwurfes ist Klassenrecht.
Und noch ein anderes Verhängnis wurde durch die Unterdrückung des politischen Elements
heraufbeschworen, – zum zweiten Mal in unserer Geschichte. Schon einmal hat das deutsche Volk in jahrhundertlangem schmerzlichen Kampf mit gleichem Verhängnis gerungen, als
die Rezeption des römischen Rechts das politische Element des Rechts dem technischen unterworfen hatte: Das Recht des Entwurfs ist Juristenrecht.“
Dieser Ausschnitt verdeutlicht die Haltung der Sozialdemokraten zum BGB: Ihre Kritik galt der konservativen Prägung des Gesetzes; die Basierung auf dem römischen Recht störte sie dabei ebenso wie die Übernahme alter Normen ohne 28 Dies geht aus den Versammlungsberichten des Vorwärts, Jahrgang 1896, hervor. 29 Versammlungsberichte des Vorwärts, Jahrgang 1896. 30 Vorwärts vom 22. Januar 1896, Nr. 18, abgedruckt in Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des bürgerlichen Gesetzbuchs, Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse, S. 3–10.
Konkrete Kritik der SPD-Reichstagsfraktion
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jedes Reformbestreben. Sie kritisierten den Kodifikationsprozess, an dem zwar auch Laien, namentlich Volkswirte und Vertreter der Landwirtschaft, des Handels und des Gewerbes als Mitglieder der zweiten Kommission beteiligt waren, angehörten31, es jedoch keine anderen Beteiligungsformen für die Bevölkerung, wie etwa Anhörungsverfahren gab. Die Sozialdemokraten prägten den Begriff des „Juristenrechts“, das durch „Rechtsexperten“, aber nicht „Sachexperten“ zustande gekommen sei.32 Mit dem für sie negativ besetzten Begriff „Juristenrecht“, das nicht in der unmittelbaren Überzeugung der Volksmitglieder als Gewohnheitsrecht, sondern sich lediglich aus wissenschaftlicher oder richterlicher Tätigkeit bildet, kritisierten die Sozialdemokraten den mangelnden Einfluss des Staates auf den Kodifikationsprozess.33 Der BGB-Entwurf erfuhr keine wesentlichen politisch motivierten Änderungen. Die Sozialdemokraten standen dem Entwurf im Ergebnis jedoch nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Sie gaben zu, dass das neue bürgerliche Gesetzbuch „in den übermeisten der von ihm geregelten Theile bessere Bestimmungen aufweist, als der Durchschnitt der zur Zeit bestehenden Gesetze“34.
VI. Konkrete Kritik der SPD-Reichstagsfraktion am Eherecht des Entwurfs „[…] wir stehen auf dem Boden vollkommener Gleichberechtigung.“35
Bei der Debatte im Reichstag über den Entwurf des BGB wird stets auf die sogenannte Reichstagsvorlage, wie ihn Mugdan36 bezeichnet, oder den sog. dritten Entwurf37, der von der vom Reichstag eingesetzten XII. Kommission vor der zweiten Lesung im Reichstag noch einmal modifiziert wurde, Bezug genommen. 31 Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung, 1966, allgemeiner Teil, S. 46. 32 Protokoll des Gothaer Parteitages, 1896, Bericht der Reichstagsfraktion, S. 58. 33 Dem als ‚Vater‘ des BGB geltenden Gottlieb Planck (1824–1910) ging es bei der Kodifikation in erster Linie darum, das vorhandene Recht in einen einheitlichen Text schriftlich niederzulegen und es mit Hilfe einer neuen Technik neu zu formulieren. Er begriff Gesetzgebung als Element ,gewachsener Ordnungen‘ und schätzte das Gewohnheits- und Juristenrecht. Siehe Meder, Opposition, Legislation, Wissenschaft: zum 100. Todestag von Gottlieb Planck, in: JZ 2010, S. 477–485. 34 Protokoll des Gothaer Parteitages, 1896, Bericht der Reichstagsfraktion, S. 58. 35 Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 505. 36 Mugdan/Hahn (Hg.), Die gesammelten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. 1–5, 1899. 37 Zu den Begrifflichkeiten s. 1. Kapitel VI. 4.
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Konkrete Kritik der SPD-Reichstagsfraktion
Die konkreten Forderungen der SPD-Reichstagsfraktion zu den Regelungen des Entwurfs, welche das Eherecht betreffen, wurden bis auf wenige Ausnahmen entweder in der Beratung der sogenannten XII. Kommission38 oder in der zweiten Lesung des Entwurfs vom 19.–27. Juni 1896 erhoben und diskutiert. Die Anträge erscheinen in den Stenographischen Berichten regelmäßig als „Anträge Auer“, da sie für die Fraktion vom Abgeordneten Auer gestellt wurden. Ihre Begründung war jedoch den Abgeordneten Bebel, Frohme und Stadthagen vorbehalten. Im Rahmen der Diskussion des vierten Buches des Entwurfs trat noch eine weitere Reichstagsfraktion in Erscheinung, deren Auffassungen besonders hinsichtlich des Eherechts mit denen der Sozialdemokraten in vielen Punkten übereinstimmten. Die Fraktion der deutschen freisinnigen Volkspartei, die als linksliberal einzuordnen ist, stellte häufig Anträge, die ähnliche Abänderungsvorschläge enthielten wie die der SPD-Fraktion. In einigen Fällen schlossen sich die Sozialdemokraten sogar den Anträgen der Fraktion der Freisinnigen an und billigten damit auch die Begründung der Anträge durch Mitglieder der Freisinnigen. 1. Die Sittlichkeit der Ehe als Grundlage der Kritik Die verschiedenen Eheverständnisse stellten die Grundlage dar, worauf die verschiedenen Forderungen zum Eherechtsentwurf im Reichstag formuliert wurden. Besondere Bedeutung gewann der Begriff der „Sittlichkeit der Ehe“, der einen Teil eines Eheverständnisses darstellt und oftmals maßgeblich für die Begründung verschiedener Forderungen herangezogen wurde. So nimmt das Mitglied der freisinnigen Volkspartei Munckel39 im Rahmen der Diskussion des Ehescheidungsrechts eine interessante Differenzierung verschiedener Aspekte der Ehe vor, die von Seiten der Sozialdemokraten großen Zuspruch fand.40 Er spricht dabei von der rechtlichen, der politischen, der religiösen und der sittlichen Seite der Ehe. Da man sich anders als in den zuvor geltenden Gesetzen für die Regelung der „Bürgerlichen Ehe“ entschieden habe, seien die religiösen Aspekte der Ehe bei der Entwicklung des Eherechts zu vernachlässigen. Die von ihm sogenannte sittliche Seite bezieht Munckel in seiner Argumentation als eine der umfassenden Definition nicht zugängliche Instanz ein. Das Sittlichkeitsargument wird in den Debatten im Reichstag zum Eherecht immer wieder gebraucht. Die Zurückstellung religiöser Aspekte durch Munckel zeigt bereits, dass der Begriff 38 In der Kommission gab es eine freisinnig-reaktionäre Mehrheit. 39 Eine Zuordnung der Abgeordneten des Reichstages in den Sessionen 1893/98 findet sich im Parlamentsarchiv WD 3, Verzeichnis der Mitglieder des Reichstags nach den einzelnen Fraktionen, S. 261–267 und im Nachtrag zum amtlichen Reichstags-Handbuch für die achte Legislatur-Periode 1890/95, S. 22–33. 40 Stenographische Berichte, zweite Lesung, 1896, S. 591: „Beifall links“.
Verlöbnis
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Sittlichkeit der Ehe zwar von nahezu jedem Redner im Reichstag zum Eherecht gebraucht, dabei aber von vollkommen verschiedenen Vorstellungen gefüllt wird. Dies führt dazu, dass manche Debatten im Reichstag den Eindruck erwecken, die Mitglieder des Reichstages redeten aneinander vorbei, ohne dass es einem der Redner gelänge, das Problem auf den Punkt zu bringen. Im Extremfall bedienten sich sowohl Verteidiger als auch Gegner bestimmter Eherechtsnormen derselben Argumente, um ihre Standpunkte zu vertreten. 2. Verlöbnis Das Verlöbnis sollte in den §§ 1280–1285 des Entwurfes geregelt werden. Frohme und Stadthagen akzeptieren die Uneinklagbarkeit der mit dem Verlöbnis eingegangenen Verpflichtung zur Eheschließung mit der einklagbaren Aufwendungsersatzpflicht bei Erklärung des Rücktritts.41 Dass aber ein Mann im Fall des Rücktritts selbst dafür, dass er in Erwartung der Heirat seinen Beruf aufgegeben habe, Entschädigung verlangen könne, sei unsittlich. Zudem sei es völlig unrichtig, dem richterlichen Ermessen einen weiten Spielraum zu geben, da der Richter die meisten Lebensverhältnisse nicht kenne und im Allgemeinen leider von den Interessen des Mannes eingenommen sei. Nach § 1281 Abs. 3 soll die Ersatzpflicht nicht eintreten, „wenn ein wichtiger Grund für den Rücktritt vorliegt“. Die Begriffe „wichtiger Grund“ und „billige Entschädigung“, die eine Verlobte verlangen können soll, wenn sie ihrem Verlobten die Beiwohnung gestattet hat, hält Stadthagen für zu generalklauselartig. An ihre Stelle müssten genauer definierte Bestimmungen treten, die der Willkür weniger Spielraum ließen.42 Weiter kritisiert er, dass sich die Höhe der Entschädigung in den verschiedenen Gebieten des Kaiserreiches stark unterscheide. Stadthagen berichtet von einer Spanne von 20,00 bis 10.000,00 Mark. Der in der Kommission durch Frohme und Stadthagen gestellte Antrag43, die Absätze 2 und 3 des § 1281 zu streichen, wurde abgelehnt. Die §§ 1280–1285 des Entwurfs wurden ohne Aussprache im Reichstag angenommen.44
41 Vorwärts vom 25. April 1896, S. 2, abgedruckt in Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des bürgerlichen Gesetzbuchs, Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse, S. 214–217. 42 Drucksache Nr. 88, Änderungsanträge Frohme/Stadthagen vom 22. April 1896, Ziff. 3. 43 Drucksache Nr. 88, Änderungsanträge Frohme/Stadthagen vom 22. April 1896, Ziff. 3. 44 Stenographische Berichte, zweite Lesung, 1896, S. 521.
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Konkrete Kritik der SPD-Reichstagsfraktion
3. Eingehung der Ehe a) Ehemündigkeit In § 1286 des Entwurfs sollte die Ehemündigkeit dahingehend geregelt werden, dass ein Mann nicht vor seiner Volljährigkeit in der Regel im Alter von 21 Jahren, eine Frau nicht vor Vollendung des 16. Lebensjahres eine Ehe eingehen darf. Nach Abs. 2 kann einer Frau allerdings Befreiung von dieser Vorschrift bewilligt werden. Die SPD-Reichstagsfraktion beantragte in der zweiten Lesung des Entwurfs, das Alter für die Ehemündigkeit des Mannes um ein Jahr herabzusetzen und die Befreiungsmöglichkeit des Abs. 2 auch dem Mann zuzugestehen. In der Begründung hebt Bebel die Schwierigkeit hervor, von staatlicher Seite Einfluss zu nehmen auf die „Neigungen und Leidenschaften der Menschen“45. Der Staat solle daher bei der Regelung der Ehemündigkeit „das praktische Leben“46 berücksichtigen. So appelliert Bebel an die Mitglieder des Reichstages: „Meine Herren, Sie können nicht bestreiten, daß bei Männern im 20. Lebensalter die Fälle keineswegs selten sind, daß Beziehungen zu Angehörigen des weiblichen Geschlechts eintreten, die öfter einen Eheschluß für sehr wünschbar erscheinen lassen.“47
Die Regelung des Abs. 2 verfehle ihren Zweck, da sie nur der Frau eine Befreiung von dem Alterserfordernis zubillige. So könne eine Frau, die schwanger, aber noch nicht 16 Jahre alt sei, zwar für ehemündig erklärt werden. Wenn der Mann aber noch nicht 21 Jahre alt sei, werde ihr die Schmach eines unehelichen Kindes dennoch nicht erspart bleiben. Auf das Argument des Abgeordneten von Cunn und des Kommissars des Bundesrats von Mandry, dass es schließlich möglich sei, den Mann in eben der von Bebel geschilderten Situation für volljährig zu erklären48, entgegnet Bebel, dass diese Möglichkeit zwar grundsätzlich bestehe, aber gerade nicht im vierten Buch des Entwurfs geregelt sei. Dies sei zum einen für den Bürger nicht nachvollziehbar, zum anderen lasse es die klare Tendenz des Gesetzgebers erkennen, dass eine über die verschiedenen Altersgrenzen hinausgehende
45 46 47 48
Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 521. Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 521. Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 521. Dies erfordert allerdings, dass der Mann schon mindestens achtzehn Jahre alt ist. Für die Fälle, in denen der Mann dieses Alter noch nicht erreicht hat, geht die Argumentation des Abgeordneten von Cunn daher ins Leere. Dass es dennoch Fälle gegeben hat, in denen der Mann jünger war als achtzehn Jahre, zeigt der Fall, mit dem sich das Reichsgericht beschäftigte: JW 1917, 364.
Eingehung der Ehe
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Ungleichbehandlung von Frau und Mann gewollt sei.49 Der Antrag wurde ohne weitere Aussprache abgelehnt.50 b) Einwilligung des Vaters oder der Mutter § 1288 des Entwurfs sah Zustimmungspflichten der Eltern in die Eheschließung ihrer Kinder vor. Demnach sollte bis zur Vollendung ihres 25. Lebensjahres eine Zustimmungspflicht bestehen, und zwar von Seiten des Vaters für eheliche Kinder und von Seiten der Mutter für uneheliche Kinder. Die SPD-Reichstagsfraktion beantragte eine Herabsetzung dieser Altersgrenze auf das 21. Lebensjahr aufgrund der damit einhergehenden Volljährigkeit. Bebel griff bei der Begründung des Antrages auch das in den Motiven des Entwurfs vorgebrachte Argument auf, dass „hier weniger die wirthschaftlichen Verhältnisse und die Vermögensinteressen entscheidend sein könnten als die Pietät gegen die Eltern und das Gesamtinteresse der Familie“.51 Nach seiner Meinung stellte eine Eheschließung „eine der wichtigen […], wenn nicht die allerwichtigste Handlung eines Individuums“ dar.52 Es sei daher vielmehr „in erster Linie Sache des betreffenden Individuums, selbständig zu entscheiden, wie es diesen wichtigen Akt für sein ganzes Leben abschließen will“.53 Der Antrag wurde ohne weitere Diskussionsbeiträge und ohne Berichterstattung eines Kommissionsmitglieds angenommen.54 c) Besondere Einwilligung Eine besondere Einwilligung sah § 1298 des Entwurfs (§ 1315 BGB) für die Eheschließung bestimmter Personen vor. Die Regelung sollte für „Militärpersonen“ und für „solche Landesbeamte gelten, für die auch nach den jeweilig geltenden
49 Bebel führt weiter im Rahmen der Diskussion über die Ehemündigkeit aus: „Es ist auch bei den Lebensaltern, die hier in Betracht kommen, keineswegs erwiesen, daß in den meisten Fällen in diesem Alter der Mann eine dominierende Stellung der Frau gegenüber einnimmt. Eher das Gegentheil. In dem Verhältniß junger Eheleute zu einander tritt zum Glück die dominierende Stellung weit weniger in den Vordergrund, als es in den späteren Jahren der Fall ist.“ Darauf folgt allgemeine Heiterkeit; Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 524. 50 Stenographische Berichte, zweite Lesung, 1896, S. 530. 51 Mugdan (Hg.), Motive 1. Abschnitt: Ehe, S. 9. 52 Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 526. 53 Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 526–527. 54 Stenographische Berichte, zweite Lesung, 1896, S. 530.
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Konkrete Kritik der SPD-Reichstagsfraktion
Landesgesetzen eine besondere Erlaubnis“ erforderlich war. Das gleiche galt in Abs. 2 für Ausländer. Bebel sah in dieser Regelung eine Rechtsungleichheit. Er kritisierte in seiner Stellungnahme in der 2. Lesung im Reichstag den Eingriff des Staates in die Wahl der Ehepartnerin. In der Praxis würde zwar in den seltensten Fällen die Einwilligung verweigert. Durch Bedingungen wie z. B. die Höhe der Mitgift könne eine Eheschließung aber unmöglich gemacht werden. Die Wächterfunktion des Staates über standesgemäß geschlossene Ehen stehe im krassen Widerspruch zu der Funktion des Staates als „Wächter der Sittlichkeit und der Moral“.55 Das Argument für die Beibehaltung einer besonderen Einwilligung aufgrund eines sonst erfolgenden Eingriffs in die Rechte der Einzelstaaten entkräftete Bebel mit dem Gegenargument, dass das gesamte Gesetzbuch in die Rechte der Einzelstaaten eingreife. Nachdem keine weitere Aussprache erfolgte und auch der Berichterstatter der Kommission aufgrund der geringen Bedeutung der Norm auf die Berichterstattung verzichtet hatte, wurden der Antrag Auer abgelehnt und § 1298 in der Form der Kommissionsvorlage angenommen.56 Die dargelegten Bedenken Bebels, diese Norm „diene der Wahrung des Standes“57, wurde auch in dem Bericht der Kommission vom 12. Juni 1896 mit keinem Wort erwähnt.58 d) Eheverbote § 1293 des Entwurfs sah ein Eheverbot zwischen Verwandten in gerader Linie, zwischen Geschwistern und Halbgeschwistern sowie zwischen Verschwägerten in gerader Linie vor. Ein Antrag Auer zu § 1293 richtete sich zum einen gegen die in Abs. 2 vorgesehene Erweiterung des Eheverbots auf Personen, „von denen die eine mit Eltern, Voreltern oder Abkömmlingen der anderen Geschlechtsgemeinschaft gepflogen hat“. Mit einem zweiten Antrag begehren die Sozialdemokraten die Streichung eines Teiles des Abs. 3, der eine Verwandtschaft nur im Sinne dieser Norm zwischen dem nichtehelichen Kind und dessen leiblichen Vater begründen soll.59 Im Abstammungsrecht sollten der Vater und sein nichteheliches Kind nämlich gerade nicht miteinander verwandt sein, § 1567 Abs. 2.60 Stadthagen äußerte im Rahmen der Begründung des ersten Antrags Bedenken an der praktischen Um55 56 57 58 59 60
Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 533. Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 534. Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 533. Mugdan (Hg.), Kommissionsbericht vom 12. Juni 1896, S. 1193. Stadthagen, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 531–532. § 1567 des Entwurfs wird zu § 1589 BGB.
Wirkungen der Ehe im Allgemeinen
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setzbarkeit dieses Verbots aus Abs. 2. Eine Prüfung des Tatbestandes durch den Standesbeamten sei entweder ohne Ergebnis oder aber mit erheblichem Aufwand verbunden, sollte sie nicht ergebnislos bleiben. Zudem bestehe eine Missbrauchsgefahr dergestalt, dass dem verlobten Paar aus Missgunst das Vorliegen einer solchen Geschlechtsgemeinschaft mit einer Person des im Gesetz genannten Kreises nachgesagt werde. Der zweite Antrag Auer61 wurde lediglich gestellt, um auf den Widerspruch zwischen den Verwandtschaftsdefinitionen in § 1293 und im Verwandtschaftsrecht hinzuweisen. Eine tatsächliche Annahme des Antrags hätte nämlich eine allgemeine Regelung der Abstammung vorweggenommen und somit eine Abänderung des Verwandtschaftsrechts nach sich gezogen.62 Beide Anträge zu § 1293 wurden bereits im Ausschuss gestellt, aber wieder zurückgezogen, um der Regelung des § 1567 (Verwandtschaft nichteheliches Kind und leiblicher Vater) nicht vorzugreifen.63 Nachdem der Berichtererstatter Dr. Bachem die Reichstagsmitglieder darauf hingewiesen hatte, dass die Materie „delikater Natur“ sei und sie daher den Kommissionsbericht lesen sollten, wurden die beiden Anträge Auer abgelehnt und § 1293 in der Form der Kommissionsvorlage angenommen.64 4. Wirkungen der Ehe im Allgemeinen a) Die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft § 1336 BGB sah die Verpflichtung der Ehepartner zur ehelichen Lebensgemeinschaft vor. Abs. 2 stellte Ausnahmetatbestände zu Abs. 1 für den Fall dar, in dem sich das Verlangen eines Ehepartners nach Herstellung der Gemeinschaft als missbräuchlich angesehen wird. Die XII. Kommission bestätigte den Entwurf, ergänzte ihn jedoch um den Zusatz: „Das gleiche gilt, wenn der andere Ehegatte berechtigt ist, auf Scheidung zu klagen.“65 Die Sozialdemokraten stellten in der Kommission den Antrag, § 1336 zu streichen. Eine Rechtspflicht zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft, so ihre Argumentation, könne nicht konstruiert werden, ohne das natürliche Recht der Ehegatten zu verletzen, die Gemeinschaft nur soweit tatsächlich existieren zu 61 Beide Anträge wurden zu Antrag Nr. 48 zusammengefasst. Es fand aber eine getrennte Abstimmung statt. 62 Die SPD-Fraktion setzte sich auch im Rahmen der Beratung des § 1567 Abs. 2 für eine rechtliche Verwandtschaft zwischen nichtehelichem Kind und seinem leiblichen Vater ein, s. dazu Stenographische Berichte, 115. Sitzung, 26. Juni 1896, S. 652. 63 Mugdan (Hg.), Bericht der XII. Kommission vom 12. Juni 1896, S. 1190–1193. 64 Stenographische Berichte, zweite Lesung, 1896, S. 535. 65 Mugdan (Hg.), Bericht der XII. Kommission, S. 1212.
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Konkrete Kritik der SPD-Reichstagsfraktion
lassen, als Zuneigung und Liebe sie zum Aufrechterhalten veranlassten. Durch die Streichung entstehe auch keine Lücke im Gesetz; diese sei vielmehr insoweit konsequent, als der Entwurf es nicht wage, die Herstellung der Gemeinschaft durch polizeiliche Maßregeln zu erzwingen.66 Die Beratung des § 1336 wurde in der zweiten Lesung zunächst ausgesetzt und später zusammen mit § 1554, der eine Präklusionsfrist zur Scheidungsklageerhebung vorsah, fortgesetzt. § 1336 wurde vom Reichstag in der oben dargestellten Fassung angenommen.67 Ein sozialdemokratischer Antrag wurde erstaunlicherweise nicht gestellt. Ob die SPDReichstagsfraktion an dieser Stelle taktierte, um die Durchsetzungskraft anderer Anträge zu erhöhen, oder sich schlicht nur geschlagen gab, bleibt Spekulation. b) Die Eheherrschaft des Mannes § 1337 des Entwurfs lautete: Dem Mann steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betref-
fenden Angelegenheiten zu; er bestimmt insbesondere Wohnort und Wohnung. Die Frau ist nicht verpflichtet, der Entscheidung des Mannes Folge zu leisten, wenn sich die Entscheidung als Missbrauch seines Rechts darstellt.68
Die Sozialdemokraten stellten in der XII. Kommission den Antrag, § 1337 unter den Gesichtspunkt der Gleichberechtigung von Frau und Mann wie folgt neu zu fassen: In allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten sind beide Ehegatten gleichberechtigt. Bei Meinungsverschiedenheit über den ehelichen Aufwand
entscheidet derjenige Teil, aus dessen Vermögen die Ehelasten zum größten Teile bestritten werden. Jedoch darf die Entscheidung den anderen Gatten in seiner Erwerbstätigkeit nicht
schädigen. Für die Wahl des Wohnortes gibt die Entscheidung desjenigen Ehegatten den Ausschlag, dessen Beruf für die Lebensführung der Familie maßgebend ist. Ein Gatte ist nicht verpflichtet, der Entscheidung des anderen Teiles Folge zu leisten, wenn diese Entscheidung sich als Missbrauch des die Entscheidung treffenden Teiles darstellt.69
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Mugdan (Hg.), Bericht der XII. Kommission, S. 1212. Stenographische Berichte, zweite Lesung vom 26. Juni 1896, S. 651/652. Mugdan (Hg.), Gegenüberstellung der Entwürfe, S. XIII. Mugdan (Hg.), Bericht der XII. Kommission, S. 1213. Auffallend ist, dass das Bestimmungsrecht des Mannes hinsichtlich Wohnort und Wohnung eigens formuliert wurde, obwohl dies vom ersten Satz mit umfasst war.
Wirkungen der Ehe im Allgemeinen
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Zur Begründung des Antrags durch die Sozialdemokraten wurde angeführt, dass man in der Ehe volle Gleichberechtigung beider Ehepartner verlangen müsse. Der § 1337 des Entwurfs enthalte eine grobe Ungerechtigkeit gegenüber der Frau und entspreche in keiner Weise mehr der seinerzeitigen Entwicklung.70 Dem entgegneten die Vertreter des Entwurfs in der Kommission, „der Gedanke, dass der Mann das Haupt der Familie sei, sei ein natürlicher und ergebe sich aus dem Wesen der Ehe. Eine gesunde Ehe könne nur bestehen, wenn der Mann das Haupt sei.“ 71 Die Mehrheit der Kommissionsmitglieder bestätigte die Entwurfsversion.72 Die SPD-Reichstagsfraktion stellte denselben Antrag nochmals in der zweiten Lesung des Entwurfs. Der Abgeordnete Traeger, Mitglied der Fraktion der Deutschen Freisinnigen Volkspartei, schloss sich der Argumentation der Sozialdemokraten an, forderte jedoch die komplette Streichung des § 1337, da ein solcher Rechtssatz nicht in das Gesetzbuch gehöre. Das persönliche Verhältnis von Frau und Mann in der Ehe sei vielmehr von dem Gefühl geleitet und liege daher im Bereich der Moral und Sitte. Gleichsam sei es jedoch auch durch individuelle Absprachen der Ehepartner untereinander vereinbar.73 Sehr konkret wies Bebel auf die Relevanz der Norm für die Rechte der Frau hin: „Meine Herren, Sie haben insofern Recht, wenn Sie sagen: was Ihr verlangt, das verlangt vorläufig nur ein kleiner Theil der Frauen im Verhältniß zur Gesammtheit. Das mag richtig sein. Aber wenn Sie in der Lage wären, einmal eine Abstimmung der gesammten deutschen Frauen über die von uns vertretenen Forderungen in Bezug auf die Frau herbeizuführen, und
man ihnen nur mit wenigen Sätzen klarmachen könnte, um was es sich handelt, dann bin
ich überzeugt, daß die große Mehrheit für diese Forderung eintreten würde. Meine Herren, wenn speziell heute und in diesen Tagen, wo wir so wichtige Berathungsgegenstände
in Bezug auf die Stellung der Frau in der Gesellschaft zu erledigen haben, statt Ihrer Ihre Frauen in diesem Saal säßen, dann bin ich überzeugt, wir würden unsere Anträge allesamt durchbringen.“74
Dass die Sozialdemokraten eine gesetzliche Fixierung der Gleichberechtigung von Frau und Mann in der Ehe überhaupt für erforderlich hielten, begründete Bebel damit, dass folglich in Fällen, in denen sich die Ehepartner uneinig wären, der Richter angerufen würde. Dabei würde ohne gesetzliche Regelung die Gefahr 70 71 72 73
Mugdan (Hg.), Bericht der XII. Kommission, S. 1213. Mugdan (Hg.), Bericht der XII. Kommission, S. 1213. Mugdan (Hg.), Bericht der XII. Kommission, S. 1213. Traeger, Stenographische Berichte, zweite Lesung vom 25. Juni 1896, S. 536. Traeger war damit Anhänger der bereits besprochenen Vertragstheorie, hielt das persönliche Verhältnis von Frau und Mann in der Ehe aber nicht für generelle, allgemein gültige Regelungen zugänglich. 74 Bebel, Stenographische Berichte, zweite Lesung vom 25. Juni 1896, S. 544.
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Konkrete Kritik der SPD-Reichstagsfraktion
bestehen, dass der Richter gewohnheitsrechtlich entscheiden würde.75 Bebel skizzierte die gesellschaftlichen Verhältnisse dahingehend, dass nicht selten die Frau das einzige Familienmitglied sei, das einem Verdienst nachginge. Daher könne niemand bestreiten, dass es nicht nur Zehntausende von Frauen seien, sondern Millionen von Frauen, für die die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts mit dem männlichen auf den Gebieten der ehelichen und häuslichen Verhältnisse eine absolute Notwendigkeit geworden sei76. Der Antrag Auer wurde schließlich abgelehnt. § 1337 wurde in der oben genannten Fassung angenommen, obwohl sich die Sozialdemokraten dem Antrag der Freisinnigen Volkspartei nach der Beratung doch noch angeschlossen hatten.77 c) Ehename § 1338 des Entwurfs sah vor, dass die Frau den Namen des Ehemannes erhalte. Unter anderem aufgrund zahlreicher Petitionen der bürgerlichen Frauenbewegung beantragte der Abgeordnete Kauffmann, Mitglied der Fraktion der Deutschen Freisinnigen Volkspartei, in der XII. Kommission, § 1338 um einen Abs. 2 folgendermaßen zu ergänzen: Sie ist jedoch berechtigt, ihren Familiennamen hinzuzufügen. Dieses Recht steht auch dem Manne zu.78
Der Antrag, den die Sozialdemokraten unterstützten79, wurde mit dem Hinweis auf Bräuche in bestimmten Gegenden und in Kreisen von Künstlerinnen und Schriftstellerinnen begründet, die ein Interesse daran hätten, das unter ihrem Geburtsnamen erworbene Ansehen auf den Namen zu übertragen, den sie durch die Eheschließung annähmen. Die Vertreter des Entwurfs entgegneten, dass die angesprochenen Bräuche nur einen kleinen Teil der Bevölkerung beträfen und Sinn und Zweck der Norm die einheitliche Herstellung eines gemeinsamen Ehenamens sei. Der Ehefrau bliebe es stets unbenommen, den Anhang „geborene…“ beizufügen.80 Diese Begründung entbehrt insofern jeder Logik, als der Antrag lediglich den Anhang des Mädchennamens der Frau entweder nur für die Frau 75 76 77 78 79
Bebel, Protokoll der zweiten Lesung vom 25. Juni 1896, S. 544. Bebel, Stenographische Berichte, zweite Lesung vom 25. Juni 1896, S. 545. Stenographische Berichte, zweite Lesung vom 25. Juni 1896, S. 553. Mugdan (Hg.), Bericht der XII. Kommission, S. 1214. Vorwärts vom 8. Mai 1896, 1. Beilage, S. 1, abgedruckt in Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des bürgerlichen Gesetzbuchs, Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse, S. 234–239. 80 Mugdan (Hg.), Bericht der XII. Kommission, S. 1214.
Wirkungen der Ehe im Allgemeinen
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oder für beide Ehepartner vorsah. Ein gemeinsamer Ehename, der den Zweck hat, eine Ehe als eine solche zu kennzeichnen, wäre durch den Antrag des Abgeordneten Kauffmann somit gar nicht gefährdet. Dennoch wurde der Antrag in der Kommission abgelehnt, ohne dass im Rahmen der Beratungen im Reichstag ein weiterer Antrag diesbezüglich gestellt worden wäre. Im Rahmen der Kommissionsberatungen wurde noch ein zweiter, von sozialdemokratischer Seite unterstützter, Antrag auf Ergänzung des § 1338 gestellt. Der Abgeordnete Gröber, Mitglied der Fraktion der Zentrumspartei, beantragte, die Bestimmung aufzunehmen, dass auch der Stand des Ehemannes von der Ehefrau geteilt werde.81 Die Vertreter der Regierung entgegneten daraufhin, die Aufnahme einer solchen Bestimmung sei entbehrlich und könne in Hinsicht auf den hohen Adel, dessen Vorrechte das Einführungsgesetz aufrecht hielte, zu Missverständnissen führen. Stadthagen unterstützte den Antrag vor allem, weil die Standesangleichung Auswirkungen auf das Unterhaltsrecht im Fall der Ehescheidung hatte. Nach dem bisherigen Entwurf stehe dem Richter bedauerlicherweise zu, in Übereinstimmung mit der Judikatur des Reichsgerichts bei Abwägung der Verfehlungen auf den Stand Rücksicht zu nehmen.82 Der Antrag Gröber wurde ebenfalls abgelehnt und § 1338 in der zweiten Lesung ohne Beratung angenommen.83 d) Häusliche Pflichten der Frau, Schlüsselgewalt, Kündigungsrecht bei Diensten der Frau Die häuslichen Pflichten der Frau, die Schlüsselgewalt und das Kündigungsrecht des Mannes bei Diensten der Frau wurden in den §§ 1339, 1340, 1341 geregelt und in der zweiten Lesung des Entwurfs gemeinsam beraten. § 1339 sollte wie folgt lauten: Die Frau ist unbeschadet der Vorschriften des § 1254, berechtigt und verpflichtet, dem gemeinschaftlichen Hauswesen vorzustehen.
Zu arbeiten im Hauswesen und im Geschäfte des Mannes ist die Frau verpflichtet, soweit eine solche Thätigkeit nach den Verhältnissen der Ehegatten üblich ist.84
81 Vorwärts vom 8. Mai 1896, 1. Beilage, S. 1, abgedruckt in Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des bürgerlichen Gesetzbuchs, Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse, S. 234–239. 82 Vorwärts vom 8. Mai 1896, 1. Beilage , S. 1, abgedruckt in Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des bürgerlichen Gesetzbuchs, Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse, S. 234–239. 83 Stenographische Berichte, zweite Lesung vom 25. Juni 1896, S. 553. 84 Mugdan (Hg.), Gegenüberstellung der Entwürfe des BGB, S. XIII.
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Konkrete Kritik der SPD-Reichstagsfraktion
Die sogenannte Schlüsselgewalt sollte in § 1340 festgeschrieben werden: Die Frau ist berechtigt, innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises die Geschäfte des Mannes für ihn zu besorgen und ihn zu vertreten. Rechtsgeschäfte, die sie innerhalb dieses Wirkungskreises vornimmt, gelten als im Namen des Mannes vorgenommen, wenn sich nicht aus den Umständen ein Anderes ergiebt.
Der Mann kann das Recht der Frau beschränken oder ausschließen. Stellt sich die Beschränkung oder die Ausschließung als Missbrauch des Rechtes des Mannes dar, so kann sie auf Antrag der Frau durch das VormGericht aufgehoben werden. Dritten gegenüber ist die Beschränkung oder die Ausschließung nur nach Maßgabe des § 1334 wirksam.85
Die Sozialdemokraten beantragten erstmals in der 2. Lesung des Entwurfes, diese beiden Normen zu streichen. In der Begründung verwies Stadthagen auf das bereits zu § 1337 Ausgeführte.86 § 1341 sollte in der Reichstagsvorlage lauten: Hat sich die Frau einem Dritten gegenüber zu einer von ihr in Person zu bewirkenden
Leistung verpflichtet, so kann der Mann das Rechtsverhältniß ohne Einhaltung einer Kün-
digungsfrist kündigen, es sei denn, daß der Mann der Verpflichtung zugestimmt oder das VormGericht auf Antrag der Frau die Zustimmung es Mannes ersetzt hat.
Das VormGericht kann die Zustimmung ersetzen, wenn der Mann durch Krankheit oder durch Abwesenheit an der Abgabe einer Erklärung verhindert ist oder die Verweigerung der Zustimmung sich als Missbrauch seines Rechtes darstellt.
Die Zustimmung sowie die Kündigung kann durch einen Vertreter erfolgen; ist der Mann in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so bedarf er nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters.
Das Kündigungsrecht des Mannes ist ausgeschlossen, solange die häusliche Gemeinschaft aufgehoben ist.87
Bereits in den Beratungen der XII. Kommission gab § 1341 zu etlichen Änderungsanträgen Anlass, die jedoch nicht von sozialdemokratischer Seite gestellt wurden. Nach langer Debatte wurde folgende Änderung des § 1341 beschlossen, die auch von den sozialdemokratischen Vertretern unterstützt wurde: Hat sich die Frau einem Dritten gegenüber zu einer von ihr in Person zu bewirkenden
Leistung verpflichtet, so kann der Mann das Rechtsverhältniß ohne Einhaltung einer Kün-
digungsfrist kündigen, wenn auf Antrag des Mannes das VormGericht den Mann zu der 85 Mugdan (Hg.), Gegenüberstellung der Entwürfe des BGB, S. XIV. 86 S. 4. Kapitel VI. 4. d). 87 Mugdan (Hg.), Gegenüberstellung der Entwürfe des BGB, S. XIII-XIV.
Wirkungen der Ehe im Allgemeinen
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Kündigung ermächtigt hat. Das VormGericht hat die Ermächtigung zu ertheilen, wenn die Fortsetzung der Thätigkeit der Frau sich als eine Schädigung der ehelichen und Familieninteressen erweist. Das Kündigungsrecht des Mannes ist ausgeschlossen, wenn der Mann der
Verpflichtung der Frau zugestimmt hat, oder seine Zustimmung auf Antrag der Frau durch das VormGericht ersetzt worden ist.88
Damit entschied sich die Kommission für eine Regelung, welche sich im Wesentlichen durch eine Umkehr der Beweislast von der Reichstagsvorlage unterschied. Nunmehr oblag die Anrufung nicht mehr der Frau zum Schutz gegen den Missbrauch des Rechts des Mannes, sondern dem Mann zur Durchsetzung seines Kündigungsrechts. e) Ehegattenunterhalt § 1343 sollte die Unterhaltspflicht der Ehepartner füreinander folgendermaßen regeln: „Der Mann hat der Frau nach Maßgabe seiner Lebensstellung, seines Vermögens und seiner Erwerbsfähigkeit Unterhalt zu gewähren.
Die Frau hat dem Manne, wenn er außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, den seiner Lebensstellung entsprechenden Unterhalt nach Maßgabe ihres Vermögens und ihrer Erwerbsfähigkeit zu gewähren.
Der Unterhalt ist in der durch eheliche Lebensgemeinschaft gebotenen Weise zu gewähren. Die für die Unterhaltspflicht der Verwandten geltenden Vorschriften der §§ 1585, 1593 bis 1595 finden entsprechende Anwendung.“89
Die Sozialdemokraten beantragten, den 2. Absatz wie folgt zu ändern: „Die Frau hat dem Mann, wenn er außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten, den ihrer
Lebensstellung entsprechenden Unterhalt nach Maßgabe ihres Vermögens und ihrer Erwerbsfähigkeit zu gewähren.“90
Bebel führte in der Begründung des Antrages aus, dass es auch nach der „Grundauffassung des Entwurfs“ selbstverständlich sei, „seiner“ durch „ihrer“ zu ersetzen. Werde die materielle Leistungsfähigkeit, die vorzugsweise dem Mann zustehe, im Entwurf als Maßgabe des Rechts für die einzelnen Ehegatten genommen, so sei 88 Mugdan (Hg.), Bericht der XII. Kommission, S. 1221. 89 Mugdan (Hg.), Gegenüberstellung der verschiedenen Entwürfe, S. XIV. 90 Stenographischre Berichte der zweiten Lesung vom 25. Juni 1896, S. 555.
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es durchaus korrekt und selbstverständlich, dass da, wo das Umgekehrte eintrete, auch die Vorkehrung getroffen werde, dass die Frau den ihrer Lebensstellung entsprechenden Aufwand und Unterhalt nach Maßgabe ihres Vermögens und ihrer Erwerbsfähigkeit gewähre.91 Bebel forderte mit anderen Worten die Gleichbehandlung von Frau und Mann hinsichtlich der Bemessung der Unterhaltshöhe, die sich ausschließlich nach der Lebensstellung des Unterhaltspflichtigen bemessen solle. Ihm war wohlbewusst, dass der Antrag schließlich abgelehnt werden würde; jedoch betonte er, dass der Antrag aus Prinzip gestellt werden müsse.92 Unter diesem Gesichtspunkt hätte es darüber hinaus nahe gelegen, die Anerkennung von Hausarbeit als Beitrag zum Unterhalt zu fordern. Tatsächlich wurde der Antrag Auer abgelehnt und § 1343 ohne weitere Aussprache in obiger Fassung angenommen.93 f) Ehegattenunterhalt bei Getrenntleben der Ehepartner § 1344 der Reichstagsvorlage sah für den Fall, in dem die Ehepartner getrennt leben und einer der Partner die Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft berechtigt verweigert, eine Unterhaltspflicht in Form einer Geldrente vor. Weiter sollten der Frau vom Mann die zur Führung eines abgesonderten Haushaltes erforderlichen Sachen aus dem gemeinschaftlichen Haushalt zum Gebrauch herausgegeben werden, es sei denn, dass diese Sachen für den Mann unentbehrlich sind oder dass solche Sachen sich in dem der Verfügung der Frau unterliegenden Vermögen befänden. Schließlich sollte der Unterhalt des Mannes entfallen oder sich auf die einmalige Zahlung eines Betrages beschränken, wenn der Wegfall oder die Beschränkung mit Rücksicht auf die Bedürfnisse, die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der Ehegatten der Billigkeit entsprechen.94 Ein Antrag Auer sah vor, die Ausnahme von der Herausgabepflicht des Mannes im Falle der Unentbehrlichkeit und für den Fall, dass sich geforderte Gegenstände im Vermögen der Ehefrau befinden, zu streichen. 95 Stadthagen gab in seiner Antragsbegründung zu, dass der Antrag nicht sehr weitreichend sei. Zur Begründung der Streichung der letzteren Ausnahme führte er an, dass in diesem Fall ein Ausschluss der Herausgabe selbstverständlich sei, „denn wenn sich solche Sachen in dem der Verfügung der Frau unterliegenden Vermögen befinden, so ist es eben überflüssig, solche Sachen herauszugeben, denn sie befinden sich ja schon 91 92 93 94 95
Bebel, Stenographischer Bericht der zweiten Lesung vom 25. Juni 1896, S. 555. Bebel, Stenographischer Bericht der zweiten Lesung vom 25. Juni 1896, S. 555. Stenographische Bericht der zweiten Lesung vom 25. Juni 1896, S. 555. Mugdan, Gegenüberstellung der Entwürfe, S. XIV. Stenographischer Bericht der zweiten Lesung vom 25. Juni 1896, S. 555.
Das eheliche Güterrecht
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im Haushalte der Frau, das Doppelstück gehört also nicht in den Haushalt“96. Mit der ersten Ausnahme sei „ein kleines Vorrecht des Mannes konstruiert“ worden. Dies stehe im Widerspruch zu der überwiegenden Auffassung, dass die Frau in der Ehe für den Mann da sei, seine Dienerin sei und der Mann stets vorangehe. Ginge man von dieser Vorstellung aus, so Stadthagen, so sei der in § 1344 besonders festgeschriebene Schutz des Mannes vor der Frau nicht gerechtfertigt. Von Mandry verteidigte den Entwurf mit dem Argument, dass die Geldrente für die Frau in dem Fall höher bemessen sein müsse, in dem sich der Mann auf die Unentbehrlichkeit bestimmter zur Haushaltsführung erforderlicher Dinge berufe. Der Antrag Auer wurde schließlich abgelehnt.97 5. Das eheliche Güterrecht „Wer den Geldbeutel in der Hand hat, hat auch die Macht in der Hand.“98
Der Entwurf sah als Güterstand in § 1346 die Verwaltungsgemeinschaft vor. Danach sollte das Vermögen der Frau durch die Eheschließung der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen werden. Zu diesem sogenannten eingebrachten Gut gehörte nach Abs. 2 auch das Vermögen, das die Frau während der Ehe erwirbt. Die Sozialdemokraten wirkten daraufhin, die Gütertrennung als gesetzlichen Güterstand vorzusehen. Neben den Sozialdemokraten stellte auch der Konservative Freiherr von Stumm-Halberg einen Antrag zu § 1346. Dieser forderte zwar ebenfalls die Gütertrennung, distanzierte sich aber deutlich von einer Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten in dieser Frage. In dem Bericht der XII. Kommission fand nur folgender Antrag Erwähnung: „Jeder der Ehegatten ist berechtigt, sein in die Ehe gebrachtes oder während derselben erworbenes Gut unbeschadet der in § 1347 normierten Verpflichtungen selbständig zu verwalten, zu gebrauchen und darüber zu verfügen.“99 Während sowohl Stumm-Halberg als auch Bebel damit argumentieren, dass die Einführung der Verwaltungsgemeinschaft einen Rückschritt für die verheiratete Frau bedeute, die schließlich an einen Trunkenbold, Spekulanten, Spieler oder ähnlichen geraten sein könnte, begründet Bebel die Forderung nach Einführung der Gütertrennung weiterhin auf der Basis
96 97 98 99
Stadthagen, Stenographischer Bericht der zweiten Lesung vom 25. Juni 1896, S. 556. Stenographischer Bericht der zweiten Lesung vom 25. Juni 1896, S. 556. Bebel, Protokoll der zweiten Lesung vom 25. Juni 1896, S. 565. Mugdan (Hg.), Bericht der XII. Kommission, S. 1221.
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Konkrete Kritik der SPD-Reichstagsfraktion
der Gleichberechtigung der Geschlechter. Diese lehnt Stumm-Halberg hingegen ausdrücklich ab.100 An dieser Stelle verwundert es abermals, dass die Sozialdemokraten die Gütertrennung als gesetzlichen Güterstand forderten. Bebels Argumentation, die sich auch – wie oben bereits gezeigt – in seinem Buch Die Frau und der Sozialismus – wiederfindet, hätte die Forderung nach dem Güterstand der Zugewinngemeinschaft mit ihrem Zugewinnausgleich im Fall der Ehescheidung, also die Realisierung der gegenseitigen Teilhabe am Zuerwerb, regelrecht aufgedrängt.101 Die Zugewinngemeinschaft, die ganz besonders auf die sogenannte Hausfrauenehe zugeschnitten ist, hätte vor allem dem Schutz der nicht berufstätigen Ehefrau gedient. Ende des 19. Jahrhunderts stellte bekanntermaßen der Großteil der Ehen eine solche Hausfrauenehe dar. In der Arbeiterklasse gab es zwar eine Vielzahl von Ehen, in denen beide Ehepartner berufstätig waren, aber auch in diesen Ehen war regelmäßig der Mann derjenige, der über ein höheres Einkommen verfügte. Die Arbeit von Frauen wurde allgemein schlechter bezahlt. Bebel, der sich den Anspruch gab, alle Bevölkerungsschichten zu vertreten, hätte die Zugewinngemeinschaft befürworten müssen. Bebels Einsatz für die Gütertrennung ist hingegen nicht nachvollziehbar. Dass er womöglich die seltenen Ehen im Kopf hatte, in denen die Ehefrau allein für das Einkommen der Familie sorgte, geht aus seinen Ausführungen nicht hervor.102 Ein Argument für die Gütertrennung findet sich jedoch in einem Artikel aus dem Vorwärts vom 10. Mai 1896103. Im Rahmen der Erörterung der verschiedenen bestehenden Güterrechtssysteme wird der „sittliche Charakter der Ehe“ hervorgehoben, aufgrund dessen eine Einmischung des Staates in die Ausgestaltung dieser Institution nur dann erfolgen solle, wenn sie zum Schutz eines Ehepartners unumgänglich sei. Die Einführung der Gütertrennung gewährleiste eine eindeutige Trennung der Vermögensmassen der Ehepartner und ließe nur wenig Raum für weiteren gesetzlichen Regelungsbedarf. Die sittlichen Forderungen, die sich 100 Stenographische Berichte, zweite Lesung vom 25. Juni 1896, S. 557, Stumm-Halberg: „Wir gehen nicht so weit wie die Herren von der linken Seite, welche eine völlige Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau erstreben; wir sind vielmehr der Ansicht, daß dem Mann in allen gemeinschaftlichen Angelegenheiten die Entscheidung gebührt, daß er überhaupt die erste Stelle in der Ehe einnehmen muß.“ 101 S. hierzu 2. Kapitel 5. d). 102 Zu denken wäre an die Ehen der Arbeiterfamilien, in denen der Ehemann arbeitslos war und die Ehefrau als günstigere Arbeitskraft einer Beschäftigung nachging. In diesen Ehen dürfte jedoch aufgrund der regelmäßig sehr niedrigen Löhne der Arbeiterinnen ein Zugewinn gar nicht erzielt worden sein. 103 Vorwärts vom 10. Mai 1896, abgedruckt in Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des bürgerlichen Gesetzbuchs, Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse, S. 244–247.
Eheaufhebung und Ehescheidung
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bei der das ganze Leben umfassenden Bedeutung der Ehe aus derselben ergäben, entzögen sich schlichtweg der Umwandlung in Rechtssätze. Mit der Gütertrennung sollte somit die Verrechtlichung der Ehe vermieden werden. Zu der im Entwurf vorgesehenen Möglichkeit, einen anderen Güterstand zu wählen, wies Bebel schließlich daraufhin, dass diese Möglichkeit nur von den wenigsten, meist fundiert juristisch beratenen Ehepaaren wahrgenommen werde. Der Großteil der Bevölkerung ziehe die Wahl eines anderen Güterstandes als dem gesetzlichen jedoch gar nicht in Betracht.104 Beide Anträge wurden vom Reichstag mehrheitlich abgelehnt und § 1346 in der oben dargestellten Fassung angenommen.105 6. Eheaufhebung und Ehescheidung a) Ehescheidungsgründe Der sozialdemokratische Abgeordnete Frohme bezeichnete den Entwurf hinsichtlich der Ehescheidungsgründe als reaktionär. Er verteidigte eine Erleichterung der Ehescheidung als der Sittlichkeit entsprechend und forderte, in diesem Punkt das Ermessen des Richters weiter einzuschränken, um auf diesem Gebiet eine tatsächliche Gleichstellung beider Geschlechter zu erzielen.106 Bebel verglich die Regelungen zur Ehescheidung des BGB-Entwurfs mit denen des PrALR107 und kam zu dem Ergebnis, dass der vorliegende Entwurf hinsichtlich des Ehescheidungsrechts eine erhebliche Verschlechterung bedeute. 108 Er bezieht sich auf die „freiwillige Scheidung“, also die auf dem Einverständnis der Ehepartner beruhende Ehescheidung. Diese resultiere nach den Motiven zum BGB aus der rationalen, nüchternen, geschäftsmäßigen und praktischen Natur des PrALR, die aber für die Väter des Entwurfs nicht mehr akzeptabel sei. Bebel fragte daher in die Runde der Reichstagsabgeordneten, ob sie denn etwas anderes von einem Gesetzbuch verlangten, als dass es „rationalistisch, nüchtern, geschäftsmäßig und praktisch“ sei.109 Es könne doch wohl nicht gesagt werden, dass das Ehescheidungsrecht des PrALR, das bereits seit 100 Jahren gelte, sich nicht bewährt hätte. Bebel führte weiter aus: 104 Bebel, Stenographischer Bericht der zweiten Lesung vom 25. Juni 1896, S. 567. 105 Stenographische Berichte, zweite Lesung vom 25. Juni 1896, S. 583. 106 Vorwärts vom 30. April 1896, Beilage S. 1., abgedruckt in Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des bürgerlichen Gesetzbuchs, Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse, S. 221–224. 107 Preußisches Allgemeines Landrecht. 108 Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 593. 109 Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 593.
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Konkrete Kritik der SPD-Reichstagsfraktion
„Ob das bürgerliche Gesetzbuch ebenfalls hundert Jahre bleiben wird, ohne daß seine
Grundlagen angetastet werden brauchen, erscheint mir zweifelhaft. Ich glaube, es vergeht
kein Jahrzehnt und Sie müssen bereits sehr bedeutende Aenderungen daran vornehmen. Daß ein Gesetz aus dem letzten Drittel des vorherigen Jahrhunderts auf allen Gebieten des
öffentlichen Lebens nicht nur ausgehalten hat, sondern auch Bestimmungen enthält, aus denen jetzt noch hervorgeht, daß sie sogar noch einem Theil der Volksvertretung gegenwärtig zu liberal sind, das gereicht diesem Gesetz und seinem Urheber zur allergrößten Ehre.“110
Der Vorwärts kritisiert ebenfalls, dass der Entwurf keine einvernehmliche Ehescheidung vorsieht. Er berichtet von der Debatte im Reichstag wie folgt: „Erschwerung der Ehescheidung war in der Sitzung, welche die Kommission zur Vorberatung des Bürgerlichen Gesetzbuchs am Dienstag abhielt, die siegreiche Parole der vereinigten Reaktionäre. Sämtliche Anträge, die von freisinniger Seite (Abg. Kauffmann) zu
dem Zweck einer Erleichterung der Ehescheidung gestellt waren, wurden nur von sozialde-
mokratischer Seite unterstützt. Was dem vereinigten Ansturm der Ultrareaktionäre in der preußischen Landratskammer nicht gelungen war: den landrechtlichen Ehescheidungsgrund der gegenseitigen Einwilligung bei kinderlosen Ehen und den in fast ganz Deutschland
gültigen Ehescheidungsgrund wegen unheilbarer Geisteskrankheit aufzuheben, gelang den
Reaktionären unter Führung der Herren von Bennigsen und von Stumm. Es ist verständlich, wenn die Ultramontanen versuchten, allein die von der katholischen Religion anerkannten Scheidungsgründe zu allgemein gültigen zu machen, so wird das Vorgehen der Konservativen, Nationalliberalen und Freikonservativen fast nur durch die naturgemäße Heuchelei
gegenüber tatsächlichen Verhältnissen und durch eine gewisse Vorliebe erklärbar, die Sittlichkeit um so häufiger in den Mund zu nehmen, je ferner man ihr steht.“111
aa) Zerrüttung § 1551 des Entwurfs regelte die relativen Scheidungsgründe. Danach sollte ein Ehepartner auf Scheidung der Ehe klagen können, „wenn der andere Ehegatte durch schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet hat, dass dem Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht
110 Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 592. 111 Vorwärts vom 6. Mai 1896, 1. Beilage S. 1, abgedruckt in Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des bürgerlichen Gesetzbuchs, Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse, S. 228–229.
Eheaufhebung und Ehescheidung
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zugemutet werden kann“112. Als schwere Verletzung dieser Pflicht nennt Absatz 2 besonders die grobe Misshandlung.113 Zu § 1551 wurde neben einem Antrag Auer ein Antrag Lenzmann von der Fraktion der Deutschen Freisinnigen Volkspartei eingebracht, den der Abgeordnete Munckel begründete. Wie oben bereits dargelegt wies Munckel darauf hin, dass die bürgerliche Ehe des neuen Gesetzbuchs frei von religiösen Aspekten sein solle. Sie sei also primär rational zu betrachten und von dem Gesichtspunkt der allgemeinen Sittlichkeit zu beurteilen: „Vom sittlichen Standpunkt aus wird man sagen dürfen, daß das Festhalten eines Menschen bei einem anderen, bei dem man ihm eigentlich nicht zumuthen kann, noch ferner festgehal-
ten zu werden, daß das weder ein sittliches Motiv ist, noch daß es sittlich-gute Wirkungen haben kann.“114
Da der Aspekt der Sittlichkeit die Regelungen für die Eheschließung maßgeblich beeinflusst habe, müsse er auch auf die Ehescheidung wirken. Religiös motivierte Argumente seien daher auch hinsichtlich der Ehescheidungsgründe nicht angebracht. Munckel zeigte damit den Widerspruch auf, den vor allem die Zentrumsabgeordneten hervorgerufen hatten, indem sie in der Hoffnung auf eine Unterstützung durch die Regierung in vereinsrechtlichen Fragen für die Einführung der Zivilehe stimmten.115 Nach der Auffassung der Freisinnigen Volkspartei sollte an Stelle von „grobe Misshandlung“, „Beschimpfung, Verleumdung und rechtswidrige Bedrohung“ in das Gesetz aufgenommen werden. Die SPD-Reichtagsfraktion stellte den Antrag, in § 1551 des Entwurfs eine verschuldensunabhängige Ehescheidung einzuführen. Nach ihrer Vorstellung sollte eine Ehe geschieden werden können, wenn eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses vorliege, dass dem Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet werden könne. Den Grund für eine steigende Scheidungsrate sah Bebel in der damaligen gesellschaftlich-sozialen Entwicklung: Ich habe schon heute bei einer anderen Debatte darauf hingewiesen, daß an einer Stelle der
Motive zu meiner eigenen Überraschung ausgesprochen worden sei, daß wir uns gegenwär-
tig in einer Zeit fortschreitender Auflösung der Familie befänden, daß diesen Zuständen dadurch entgegengearbeitet werden muß, daß man die Familie neu befestigte. Ja meine 112 113 114 115
Mugdan (Hg.), Gegenüberstellung der Entwürfe, S. LXII. Mugdan (Hg.), Gegenüberstellung der Entwürfe, S. LXII. Munckel, zweite Lesung, Stenographischer Bericht, 1896, S. 591. Schulte-Nölke, Das Reichsjustizamt und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1995, S. 239.
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Konkrete Kritik der SPD-Reichstagsfraktion
Herren, sie machen sich die Arbeit sehr leicht, indem Sie weiter sagen: das beweist, daß wir
uns in einem moralischen Verfall befinden, wenn die Familie verfällt, wenn Ehescheidungen
häufiger vorkommen, [...] Das spricht scheinbar für Ihren Standpunkt, daß man nunmehr
die Ehescheidung erschweren müsse. In Wahrheit ist dieser Ihr Standpunkt ein durchaus verehrter. Sie betrachten die Dinge nur leider immer an der Oberfläche und gehen nicht
auf den Grund. […] Meine Herren, der Moralzustand einer Gesellschaft ist die Widerspiegelung der thatsächlichen materiellen und sozialen Zustände, in denen sie sich befindet.116
Auch wenn der Moralzustand, so Bebel, gewiss eine Ursache für die hohe Scheidungsrate sei, spiegele er doch nur die sozialen Ursachen wider, die diese moralischen Erscheinungen erzeugt hätten.117 Er betont, dass die Sozialdemokraten keine Gegner der bürgerlichen Ehe seien und die freie Liebe propagierten. Eine erleichterte Eheschließung sei aber „aus eminent sittlichen Gründen“118 notwendig. Daraus folgt für Bebel, dass, wenn die Liebe der Ehepartner nicht (mehr) vorhanden sei, auch keine Grundlage mehr für eine Ehe bestehe. Unter Liebe verstand er nicht die Notwendigkeit der körperlichen Anziehung der Ehepartner, sondern vielmehr eine funktionierende Ehe, in der beide Ehepartner glücklich und frei von Zwängen leben. Dem Argument, dass eine Erschwerung der Ehescheidung im Interesse der Kinder liege, entgegnete Bebel, indem er das Gegenteil zu beweisen suchte. Eine zerrüttete Ehe, die von Streit, Lüge oder Gewalt geprägt sei, sei für Kinder das denkbar Schlimmste. Die Sittlichkeit müsse gerade dazu führen, dass derart „vergiftete Ehen“ von den Kindern ferngehalten werden.119 Er erachtete es als einen „Rückschritt der allerbedauerlichsten Art“, wenn durch die Ablehnung der Anträge eine Trennung der beiden Ehepartner in zahllosen Fällen nicht eintreten könne, obwohl sie von einem höheren sittlichen Standpunkt stattfinden sollte, weil das Gesetz es verbiete.120 Der Berichterstatter von Mandry ging auf beide Anträge ein, wobei er hinsichtlich des Antrages Lenzmann durchaus Wohlwollen zeigte. Im Rahmen seiner Entgegnungen auf den Antrag Auer hingegen kollidieren die verschiedenen Eheverständnisse, welche beide als argumentative Grundlagen für die Beurteilung der Scheidungsgründe heranziehen: „Die Ehe ist ihrer Natur nach und nach der glücklicherweise in Deutschland und bis auf den
heutigen Tag allgemein herrschenden Anschauung ein für das Leben dauerndes Verhältnis. 116 Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 593. 117 Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 594. 118 Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 595. 119 Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 596. 120 Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 596.
Eheaufhebung und Ehescheidung
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Gegen den Willen des anderen Ehegatten dieses Verhältnis aufzulösen, geht nur dann, wenn
dieser andere Ehegatte das Recht auf lebenslängliche Dauer der Ehe verwirkt hat, und von
diesem Standpunkt kommt man allerdings darauf: nur da, wo eine schwere Verschuldung vorliegt, gegen den Willen des anderen Ehegatten eine Scheidung zuzulassen.“121
Von Mandry betonte das öffentliche Interesse an der Dauerhaftigkeit einer Ehe. Die Erleichterung der Ehescheidung führe nämlich dazu, dass die Ehepartner keine Selbstbeherrschung mehr übten. Schließlich stimmte von Mandry mit Bebel überein, dass der geschiedene Mann viel besser gestellt sei als die geschiedene Frau. Er endet mit dem Satz: „Ich begreife das auch nicht recht, warum gerade von Seiten der Frauenbewegung so viel Werth auf die Erleichterung der Ehescheidung gelegt wird.“122
Der Antrag der Sozialdemokraten ging bezüglich der relativen Ehescheidungsgründe weiter als der der Freisinnigen. Die Sozialdemokraten forderten nicht nur eine verschuldensunabhängige Ehescheidung, sondern auch die Möglichkeit der Ehescheidung aufgrund des Konsenses der Ehepartner. Letztere stellt eine Forderung dar, die bis heute nicht gesetzlich umgesetzt ist. Munckel, der eigentlich den Antrag der Freisinnigen zu der Einfügung eines § 1551a begründen sollte, bezog Stellung zur einvernehmlichen Scheidung des Antrags Auer. Er ergriff Partei für die Sozialdemokraten und versuchte einen Widerspruch aufzuzeigen, indem er schlussfolgerte, dass eine Ehe durch einseitigen Ehescheidungswunsch immerhin unter bestimmten strengen Voraussetzungen geschieden werden könne; eine Ehe bei beidseitigem Scheidungswunsch aber gar nicht.123 Da die Debatte erst zu später Stunde stattfand124, warteten viele Abgeordnete nur noch auf die Abstimmung, was Bebel aufgrund der Bedeutung des Ehescheidungsrechts sehr bedauerte.125 Der Antrag Auer, über den nach den Absätzen des § 1551 getrennt abgestimmt wurde, und der Antrag Lenzmann wurden abgelehnt.126
121 122 123 124
Bebel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 592. Von Mandry, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 603. Munckel, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 603. Die Sitzung vom 25 Juni 1896 schloss um 5.56 Uhr. Die nächste Sitzung fand am 26. Juni 1896 um 11 Uhr statt; zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 605. 125 Stenographischer Bericht, zweite Lesung, 1896, S. 603. 126 Stenographischer Bericht, zweite Lesung, 1896, S. 604/605.
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Konkrete Kritik der SPD-Reichstagsfraktion
bb) Geisteskrankheit § 1552 ließ eine Klage auf Ehescheidung zu, „wenn der andere Ehegatte in Geisteskrankheit verfallen ist, die Krankheit während der Ehe mindestens drei Jahre gedauert und einen solchen Grad erreicht hat, dass die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben, auch jede Aussicht auf Wiederherstellung derselben ausgeschlossen ist“. Schon in der Kommissionssitzung vom 29. April 1896 kam es zu heftig geführten Diskussionen über die Ehescheidungsgründe127; diese führten dazu, dass mit einer Mehrheit von 13 zu 8 beschlossen wurde, § 1552 wieder zu streichen. In der zweiten Lesung des Entwurfs im Reichstag beantragte die SPD-Fraktion, § 1552 des Entwurfs wiederherzustellen. Ein Antrag desselben Inhalts wurde von der Fraktion der Deutschen Freisinnigen Partei gestellt. Der Freisinnige Lenzmann ging in seiner Antragsbegründung auf das Argument der Befürworter der Streichung des § 1552 ein, dass sich der Scheidungsgrund aus § 1552 nicht in die Systematik der Scheidungsgründe einfüge, da er verschuldensunabhängig sei. Er argumentierte dagegen, dass die Ehescheidung keine Strafe für ein Verschulden, sondern vielmehr „die Auflösung eines rechtlichen Zustands“ sein solle, „der aus bestimmten schwerwiegenden Gründen im Interesse der Betheiligten und im Interesse der Gesamtheit sich nicht aufrecht erhalten“ lasse.128 Stadthagen fügte hinzu, dass die unheilbare Geisteskrankheit schon seit 1525 als Scheidungsgrund im protestantischen Eherecht anerkannt sei. Er zitierte darüber hinaus ein im Jahre 1885 erschienenes Lehrbuch des Abgeordneten von Buchta, Mitglied der Fraktion der Deutsch-Konservativen, der sich für die Streichung des § 1552 ausgesprochen hatte und wies auf folgenden Widerspruch der Argumente von Buchtas hin. Dieser habe genauso wie viele bekannte Kirchenrechtler in seinem Lehrbuch die unheilbare Geisteskrankheit als verschuldensabhängigen Ehescheidungsgrund eingestuft. Diese Einordnung sei von dem Gedanken geleitet, dass es göttliche Fügung sei, wenn jemanden das Unglück des Wahnsinns treffe. Der Wahnsinn sei dann der Beweis, dass „Frevel“ des kranken Ehepartners vorliege und somit das Verschulden auf seiner Seite liege.129 Damit gelang es Stadthagen, das für die Streichung des § 1552 von der Kommission für maßgeblich erachtete Argument der Systematik zu entkräften. Er führte Gesetzesbeispiele an, nach denen die Geisteskrankheit als Ehescheidungsgrund anerkannt
127 Vorwärts vom 30. April 1896, 1. Beilage S. 1, abgedruckt in Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des bürgerlichen Gesetzbuchs, Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse, S. 221–224. 128 Lenzmann, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 608. 129 Stadthagen, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 621.
Eheaufhebung und Ehescheidung
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war130, und ging auf die schon von Lenzmann entwickelte Argumentation ein, nach der die Feststellung der Unheilbarkeit einer Geisteskrankheit einer Todeserklärung gleichkomme. Aus dem Zusammenhang der Aussage Lenzmanns ging jedoch hervor, dass dieser den Fall vor Augen hatte, in dem ein Ehegatte in einer Klinik leben müsse und keiner seiner ehelichen wie auch elterlichen Pflichten mehr nachkommen könne. Die Zentrumspartei bezweifelte, dass ein Arzt eine Unheilbarkeit tatsächlich diagnostizieren könne. Konsequent, so Stadthagen, sei nur die Auffassung der katholischen Kirche, die auch eine Wiederheirat im Falle einer Todeserklärung eines Ehepartners nicht zulassen wolle.131 Stadthagen verdeutlichte in seiner Antragsbegründung, dass den Sozialdemokraten die Regelung des § 1552 nicht weit genug ging. Er konkretisierte jedoch nicht, wie der § 1552 seiner Auffassung nach ausgestaltet werden sollte. Seine Kritik lässt darauf schließen, dass er sich gegen die vorgesehenen drei Jahre wendet, welche die Geisteskrankheit bestehen muss, bis der Antrag auf Ehescheidung gestellt werden kann. Bei der Debatte treffen im Wesentlichen zwei verschiedene Standpunkte aufeinander: zum einen der des Bevollmächtigten Ministerialrats für das Königreich Bayern Ritter von Heller132, der sich in seiner Argumentation auf die „christliche und allgemein sittliche Anschauung von dem Wesen der Ehe“133 stützt. Diese Anschauung ist von der Erwägung geleitet, dass mit der „Zulassung der Geisteskrankheit als Scheidungsgrund“ mit dem Grundsatz gebrochen würde, dass nur schwere Verletzungen der durch die Ehe begründeten Pflichten als Scheidungsgrund anzuerkennen“134 seien. Zum anderen der vom Pragmatismus geprägte Standpunkt der Mehrheit der Redner namentlich Lenzmanns, Schönfeldts, Osanns (Fraktion der Polen), Stadthagens, Gamps (Fraktion der Reichspartei)135 und Schröders, dass eben ein geisteskranker Mensch, dessen Unheilbarkeit festgestellt wurde, möglicherweise eine so starke Persönlichkeitsentfremdung durchlaufen hat, dass sowohl die Liebe des anderen Ehepartners ihm gegenüber weichen könne als auch andere Ehepflichten von dem kranken Ehepartner nicht mehr wahrgenommen werden könnten. Als weiteres Beispiel wird vor allem die Pflicht eines Elternteils gegenüber seinem Kind genannt.
130 Z.B. die Verordnung des preußischen Königs von 1782, das PrALR, das die Ehescheidung wegen Geisteskrankheit anders als § 1552 des Entwurfs nicht einer Dreijahresfrist unterstellte. 131 Stadthagen, Stenographischer Bericht, zweite Lesung vom 26. Juni 1896, S. 623. 132 Von Heller war kein Abgeordneter und daher auch nicht stimmberechtigt. 133 Von Heller, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 613. 134 Von Heller, zweite Lesung, Stenographische Berichte, 1896, S. 613. 135 Der Name wird in den Sten. Berichten und im Reichstags-Handbuch einmal mit C und einmal mit G geschrieben, was auf einen Übertragungsfehler schließen lässt.
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Konkrete Kritik der SPD-Reichstagsfraktion
Die Anträge Lenzmann und Auer wurden in einer namentlichen Abstimmung mit 116 zu 125 Stimmen abgelehnt136. Die Debatte um die Wiederherstellung des § 1552 zählte zu den längsten und am vehementesten geführten Debatten 137 im Rahmen der Lesung des Familienrechts des Entwurfs. Anders als der Großteil der anderen Debatten spaltete sie den Reichstag in zwei fast gleich große Lager. Was zunächst als Debatte über eine Regelung des Entwurfs begann, die in der Praxis seltene Anwendung findet, entwickelte sich zur grundsätzlichen Debatte über das sogenannte Wesen der Ehe und zog sich so zunehmend dominant durch die gesamte Diskussion des Eherechts des Entwurfs. b) Trennung von Tisch und Bett In der XII. Kommission wurde in der Sitzung am 6. Mai 1896 auf Veranlassung des Zentrums das Institut der Trennung von Tisch und Bett 138 in § 1557 a des Entwurfs eingeführt. § 1557 a des Entwurfs sollte demnach wie folgt lauten: „Der Ehegatte, der in den Fällen der §§ 1548–1551 auf Scheidung zu klagen berechtigt ist, kann statt auf Scheidung auf Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft klagen. Verlangt der andere Ehegatte, daß die Ehe, wenn die Klage begründet ist, geschieden werde, so ist auf Scheidung zu erkennen.“
In der Kommission wurden noch eine Reihe weiterer Anträge gestellt, die mit der Trennung von Tisch und Bett in Zusammenhang stehen. § 1566 a, welcher die Wirkung von der Trennung von Tisch und Bett regelt, sollte wie folgt lauten: „Wird nach § 1557 a die eheliche Gemeinschaft aufgehoben, so treten die gleichen Wirkun-
gen ein, wie wenn die Ehe geschieden worden wäre; doch kann, so lange nicht auf Scheidung erkannt worden ist, keiner der Ehegatten eine neue Ehe eingehen. Wird nach der Aufhe-
bung der ehelichen Gemeinschaft das eheliche Leben wieder aufgenommen, so fallen die in
Abs. 1 bezeichneten Wirkungen weg; doch gilt unter den Ehegatten Gütertrennung nach den Vorschriften §§ 1410–1414.“139
136 Zu den Stimmergebnissen der einzelnen Abgeordneten s. Stenographische Berichte, zweite Lesung, 1896, S. 645–648. 137 S. dazu z. B. die Ausführungen von Gröber, Stenographische Berichte, zweite Lesung, 1896, S. 533. 138 Die Bezeichnung stammt aus dem Kirchenrecht und wurde schlicht aus dem lateinischen „separatio a toro et mensa“ übersetzt. 139 Mugdan (Hg.), Kommissionsbericht S. 1247.
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Konservative, Freikonservative und freisinnige Vereinigung stimmten dem Antrag der Zentrumsfraktion auf Einführung der Trennung von Tisch und Bett als Alternative zur Ehescheidung zu. Die Freisinnigen und die Sozialdemokraten stimmten gegen den Antrag. Frohme und Stadthagen beantragten, sämtliche die Eheschließung und die Ehescheidung regelnden Teile des Entwurfs zu streichen und die bestehenden Gesetze zu übernehmen.140 Sie wiesen auf die erheblichen Hindernisse hin, die der Entwurf der Eheschließung und Ehescheidung im Gegensatz zum damals geltenden Recht schaffe. Da ihnen sicherlich bewusst war, dass man es nicht bei dem damals geltenden Recht belassen würde, war der Antrag von Frohme und Stadthagen wohl eher als ein Hinweis auf diesen Rückschritt zu verstehen, den die Umsetzung der vom Zentrum hinsichtlich der Eheschließung und Scheidung erhobenen Forderungen gegenüber dem geltenden Recht darstellen würde. Der Antrag wurde abgelehnt und die Einführung des § 1557 a von der Kommission schließlich mit 16 gegen 5 Stimmen beschlossen.141 In der zweiten Lesung des Entwurfs im Reichstag wurde über § 1557 a abgestimmt, ohne dass jedoch eine Berichterstattung oder eine Debatte stattgefunden hatte. Die Sozialdemokraten und Freisinnigen schienen sich insoweit mit der Einführung der Trennung von Tisch und Bett abgefunden zu haben, als dass sie keinen Änderungsantrag stellten. Die Annahme des § 1557 a durch den Reichstag erstaunt, da auch schon im Bundesrat eine heftige Debatte über die Einführung der Trennung von Tisch und Bett geführt worden war, an deren Ende die Mehrheit sich gegen die Wiedereinführung ausgesprochen hatte.142 Der Staatssekretär erklärte im Reichstag, dass man sich gegen die Aufnahme dieses Rechtsinstituts ausgesprochen habe, „da schon seit 1875 mit dem Erlaß des Zivilstandsgesetzes in ganz Deutschland ein einheitlicher Rechtszustand dahin geschaffen worden sei, daß für die Staatliche Gesetzgebung nur die Scheidung gelte“143. Weitere bereits in der Kommission von den Gegnern der Einführung des § 1557 a vorgebrachte Argumente waren, dass das BGB nur eine Art von Eheschließung anerkenne und dass es daher auch nur eine Form der Auflösung der Ehe nämlich die Ehescheidung geben könne. Mit der Einführung des § 1557 a knüpfe man zudem wieder an konfessionelle Verschiedenheit an, was einen Rück-
140 Vorwärts, Nr. 106 vom 7. Mai 1896, 1. Beilage S. 1, abgedruckt in Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des bürgerlichen Gesetzbuchs, Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse, S. 230–233. 141 Mugdan (Hg.), Kommissionsbericht S. 1248. 142 Mugdan (Hg.), Kommissionsbericht S. 1247. 143 Mugdan (Hg.), Kommissionsbericht S. 1247.
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Konkrete Kritik der SPD-Reichstagsfraktion
schritt darstelle.144 Es ist zu vermuten, dass die Einführung des § 1557 a und der weiteren die Trennung von Tisch und Bett regelnden Normen ein Zugeständnis gegenüber der Zentrumspartei darstellte. Viel wichtiger war dem Reichsjustizamt nämlich die obligatorische Zivilehe. c) Scheidungsfolgen Die SPD-Reichstagsfraktion stellte keine Anträge zu den Regelungen der Scheidungsfolgen. Insbesondere zum Unterhalt nach Ehescheidung, nahmen die SPDAbgeordneten nicht einmal Stellung. Ob sie die Regelungen wirklich billigten oder aus taktischen Gründen keine Änderungsanträge stellten, ist Spekulation. Es ist zu vermuten, dass sie dem Grundsatz des Nichterlöschens der Verantwortlichkeit der Ehepartner füreinander aus dem Schutzgedanken für den wirtschaftlich schwächeren Teil wohlwollend gegenüberstanden. Die Anknüpfung der Unterhaltsverpflichtung an das Verschuldensprinzip, das sie zumindest aufgrund pragmatischer Überlegungen – wie oben dargelegt – sehr kritisch hinterfragt hatten, hätte die SPD-Reichstagsfraktion eigentlich zu einer Stellungnahme veranlassen sollen. 7. Wertung Der Großteil der Anträge der SPD-Reichstagsfraktion wurde durch die Mehrheit der Reichstagsmitglieder abgelehnt. Einzig der Antrag der Sozialdemokraten bezüglich der Herabsetzung des Alters, von dem an eine Einwilligung der Eltern in die Eheschließung nicht mehr erforderlich ist, § 1288, wurde durch die Mehrheit der Reichstagsabgeordneten angenommen. Einen Schwerpunkt der Diskussion des Eherechts bildete das Ehescheidungsrecht. Ohne weitere Debatte herrschte im Reichstag unter der konservativen Mehrheit der Konsens, keine verschuldensunabhängige sowie auf dem Einverständnis der Ehepartner beruhende Ehescheidung zuzulassen. Als einzige verteidigten die Freisinnige Volkspartei und die Sozialdemokraten das Ehescheidungsrecht des PrALR. Bebels Vermutung, dass schon im nächsten Jahrzehnt nach dem Inkrafttreten des BGB wesentliche Änderungen an diesem vorzunehmen seien, trat jedoch nicht ein. Im Gegenteil sollte das Eherecht des BGB jahrzehntelang unangetastet bleiben.
144 Mugdan (Hg.), Kommissionsbericht S. 1247; Vorwärts vom 7. Mai 1896, 1. Beilage S. 1, abgedruckt in Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des bürgerlichen Gesetzbuchs, Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse, S. 230–233.
Wertung
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Da die SPD-Reichstagsabgeordneten durch die Parteitagsbeschlüsse zwar einen klaren Auftrag für den Einsatz für die Gleichberechtigung von Frau und Mann hatten, in der Ausgestaltung dieses Auftrages aber große Freiheiten genossen, liegt der Schluss nahe, dass die von den Abgeordneten Frohme, Stadthagen und Bebel vorgebrachten Argumente vielmehr auf den persönlichen Grundeinstellungen einzelner gründeten als auf einem breiten Konsens der Partei. Sicherlich einigten bestimmte Grundhaltungen die Sozialdemokraten dahingehend, dass eine Ehe aus Liebe der Ehepartner geschlossen werden sollte und nicht, wie oftmals in bürgerlichen Kreisen, aus finanziellen Interessen der Eltern. Die unterschiedlichen Eheverständnisse, welche der Argumentation sowohl von Gegnern als auch Verteidigern des Entwurfs zugrunde lagen, scheinen aber durchweg persönlicher Natur zu sein. Daraus folgt, dass gerade die zum Eherecht erhobenen Forderungen, vom Güterrecht einmal abgesehen, weniger politischen Motivationen entsprangen als persönlicher Überzeugung. Die Mitglieder der SPD-Reichstagfraktion waren in ihren Forderungen keinesfalls absolut und traten somit auch nicht konsequent für die Gleichberechtigung von Frau und Mann ein. Dies lag zum einen daran, dass Frohme, Stadthagen und Bebel selbst Männer ihrer Zeit waren und einige Gesetzesregelungen auch für sie als Fortschrittliche eine Selbstverständlichkeit darstellten, zum anderen aber an dem gewichtigen Aspekt der Konsensfindung im Reichstag. Dass sie einige noch in der XII. Kommission mit Vehemenz verteidigten Anträge in der darauffolgenden Reichstagslesung nicht erneut stellten, zeigt die Einschränkung ihres Einsatzes für die Gleichberechtigung von Frau und Mann auf solche Regelungen, deren Änderung durch ihre Anträge sie für zumindest möglich hielten. Es kann jedoch nicht geleugnet werden, dass ihrer Agitation im Rahmen der Kommissionsverhandlungen und der Reichstagsdebatten die in dem Parteitagsbeschluss von Breslau geforderte Konsequenz nicht innewohnte. Schließlich waren die Forderungen hinter den Anträgen der SPD-Reichstagsfraktion mehr durch realistische und pragmatische Erwägungen als durch theoretische und ideologische Dogmen geleitet.
VII. Zusammenfassende Würdigung Betrachtet man nunmehr die im ersten Kapitel beschriebenen Emanzipationstheorien und die Lebenswirklichkeit der Ehefrauen zum Ende des 19. Jahrhunderts, so ist Folgendes erkennbar: Die Art und Weise, wie in der Theorie die Forderung nach Gleichberechtigung erhoben wurde (2. Kapitel), zeigt die große Diskrepanz zwischen den entwickelten Idealen und den allgemeinen bürgerlichen Vorstellungen der Menschen, zu denen auch die SPD-Reichstagsabgeordneten gehörten. Die
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Zusammenfassende Würdigung
Debatten im Reichstag wurden unter gänzlich anderen Prämissen geführt als die Diskussionen in der sozialistischen Theorie. Die Ablehnung des BGB-Entwurfs durch die SPD-Reichstagsfraktion spiegelte nicht die Ansichten der gesamten Fraktion wider, sondern war vielmehr als Ergebnis des Fraktionszwanges zu sehen. Vergleichbar dem BGB als Symbol der nationalen Einheit besaß seine Ablehnung für die Sozialdemokraten eher symbolischen Charakter. Obwohl auch die bürgerlichen Parteien in vielen das BGB betreffenden Fragen durchaus konträre Ansichten vertraten, gelang es ihnen doch durch sogenannte Deals zu Mehrheitsentscheidungen zu gelangen. Die SPD-Reichstagsfraktion arbeitete konstruktiv bei den Beratungen des Entwurfs mit, was ihre zahlreichen Änderungsanträge belegen. Die von Stadthagen, Frohme und Bebel dargelegten Eheverständnisse spiegeln jedoch keineswegs einen Konsens innerhalb der Partei wider, sondern sind vielmehr ganz persönliche. Die Fraktionsabgeordneten erhielten einen klaren Auftrag des Parteitages. In der Umsetzung dieses Auftrages hatten sie aber einen großen Gestaltungsspielraum, so dass anzunehmen ist, dass die aus den Antragsbegründungen hervorgehenden Positionen vernehmlich die von Frohme, Stadthagen und Bebel waren. Die drei Herren waren durch die Beschäftigung mit dem Auftrag des Parteitages vielen anderen Sozialdemokraten in Fragen der Gleichberechtigung von Frau und Mann weit voraus.
5. Kapitel: Die Umsetzung der theoretischen Grundlagen? – Die proletarische Frauenbewegung I. Die Ausgangslage: Die Frau im Kaiserreich Um die Entwicklung der proletarischen sowie teilweise auch der bürgerlichen Frauenbewegung nachvollziehen zu können, bietet sich ein knapper Einblick in die gesellschaftliche Grundhaltung zur Stellung der Frau zur Zeit vor und während der Entstehungsphase der Frauenbewegung/en an. Die folgenden Zitate dreier Professoren unterschiedlicher politischer Gesinnungen, die das in allen Gesellschaftsschichten vorherrschende Frauenbild der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr treffend widerspiegeln, seien vorangestellt: „So hat es die Natur gewollt, und so wird es im wesentlichen bleiben […] Das Gebiet der Frau ist das scheinbar enge Einförmige des inneren häuslichen Lebens; die Domäne des Mannes ist die weite Welt da draußen, die Wissenschaft, die Rechtsordnung, der Staat.“1
„Der eigentliche Beruf des Weibes wird zu allen Zeiten das Haus und die Ehe sein. Sie
soll Kinder gebären und erziehen. Ihrer Familie soll sie den lauteren Quell ihrer fühlenden, liebevollen Seele spenden. Zucht und Sitte, Gottesfurcht und heitere Lebensfreude nähren und pflegen.“2
„Dies Gebiet ist das Haus, das eigentliche Reich der Frau, in dem sie die Königin ist.“3
Der Platz der Frau in der Gesellschaft war danach im Haus. Dort hatte die Frau ihre Pflichten gewissenhaft und sorgfältig zu erfüllen. Politik und Wissenschaft dagegen waren Angelegenheiten außerhalb ihres Horizontes. Dass die Rechtsordnung in der Tat eine exklusive Domäne des Mannes war, offenbart die Nichtexistenz von Frauenrechten zu dieser Zeit. Der allgemeine Bildungsstand der Bevöl1
Von Sybel, Über die Emanzipation der Frau, Bonn 1870, S. 12 ff.. Heinrich von Sybel war Mitglied der Nationalliberalen Partei. 2 Von Treitschke, Vorlesungen gehalten an der Universität zu Berlin von Heinrich von Treitschke. Herausgegeben von Max Cornelius. 1.Bd., Leipzig 1898, S. 236 f.. Heinrich von Treitschke war Mitglied der Freikonservativen Partei. 3 Von Stein, Die Frau auf dem Gebiete der Nationalökonomie, Stuttgart 1875, S. 31. Lorenz von Stein war Mitglied der Freisinnigen Volkspartei.
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Die Ausgangslage: Die Frau im Kaiserreich
kerung war schlecht. Ein Mann aus Ostpreußen argumentierte um 1910 in einer Versammlung gegen die Einführung der Fortbildungsschule: „Ich sehe nicht ein, warum ein Mensch, der zu körperlicher Arbeit bestimmt, sein Gehirn mit viel Wissen belasten soll.“4
Eine Frau aus Ostpreußen äußerte sich zur Einführung des Frauenwahlrechts wie folgt: „Es ist für uns unmöglich, sich zurechtzufinden. Über die Liberalen und die Sozialdemokratie kann ich Ihnen gar nicht Bescheid sagen. Unter den Fremdwörtern können wir uns nichts denken.“5
Da eine Vielzahl Schriften vorliegen, die einen Überblick über die gesellschaftliche Lage der Frauen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts geben6, bleibt zusammenzufassen: Die Aufgaben der Frau waren auf die Haushaltsführung und die Kindererziehung beschränkt. Sie besaß weder ein Vereinigungsrecht, noch das Recht, an Wahlen teilzunehmen. Ersteres sollte ihr im Jahr 1908 durch das Reichsvereinsgesetz, letzteres im Jahr 1918 durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts zugestanden werden. Ab 1902 durfte sie passiv an politischen Veranstaltungen teilnehmen. Allerdings handelte es sich dabei ausschließlich um reine Frauenveranstaltungen. Mit der wachsenden Notwendigkeit der Frauenarbeit innerhalb der Arbeiterfamilien wurde die Stellung der Frau in der Gesellschaft zunehmend hinterfragt. Zwar war Frauenarbeit zu dieser Zeit keine neue Erscheinung; schon vor der Industrialisierung arbeiteten Frauen in der Landwirtschaft, aber auch im Handwerk und in Heimarbeit.7 Erst mit der Zunahme der Frauenarbeit in Fabriken wandelte sich jedoch die Struktur der Familie. Den größten Teil des Tages außer Haus, mussten die Frauen die Hausarbeit spät abends erledigen.8 Mit dieser Doppelbelastung ging eine Vernachlässigung der Kindeserziehung einher, die generelle Not und Unzufriedenheit in den betroffenen Bevölkerungsschichten zur Folge hatte. Zudem konkurrierte die Frauenarbeit, welcher mit Ausnahme der Schneiderei überwiegend ungelernt nachgegangen wurde9, mit der besser bezahlten Arbeit der Männer und drückte somit die Löhne. 4 5 6 7 8 9
Emmerich (Hg.), Proletarische Lebensläufe I, 1976, S. 237. Emmerich (Hg.), Proletarische Lebensläufe I, 1976, S. 237. So u. a. Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus, 1981, S. 7–15. Niggemann, Emanzipation zwischen Feminismus und Sozialismus, S. 26 S. dazu Spröhmann, Wer zerstört die Familie? in: Die Gleichheit vom 22. März 1893, Nr. 6, S. 39/40. S. dazu ausführliche Statistiken bei Niggemann S. 23 f.
Die Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung
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Es entstand ein Teufelskreis, der zu der Forderung des Verbots der Fabrikarbeit für Frauen führte, die vor allem von dem 1863 von Ferdinand Lassalle gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein vertreten wurde. Universitäten ließen sehr langsam, insbesondere aufgrund des Engagements der bürgerlichen Frauenbewegung10, ab 1900 Frauen zum Studium bestimmter Fächer zu. Einzelne Frauen aus der bürgerlichen Frauenbewegung engagierten sich darüber hinaus aufgrund des Wohlfahrtsgedankens und aufgrund von Aspekten der Sittlichkeit auch für die Verbesserung der Lage der Arbeiterinnen und der Mütter nichtehelicher Kinder.11
II. Die Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung Die Ausgangslage für die Schaffung einer organisierten Bewegung proletarischer Frauen war von zweierlei Hürden geprägt: zum einen von dem Verhältnis zu den Männern der eigenen Klasse, die die Frauen als Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ansahen; zum anderen von dem Verhältnis zum Staat, welches durch Restriktionen von staatlicher Seite, insbesondere durch das Bismarcksche Sozialistengesetz von 1878–90, später aber auch durch das Vereinsgesetz belastet war. Vor 1890 gab es keine organisierte proletarische Frauenbewegung. Es finden sich nur wenige Quellen aus dieser und über diese Zeit. Dass nur wenig dokumentiert wurde, ist nicht zuletzt auf die staatliche Verfolgung zurückzuführen. In der Zeit vor 1863 lassen sich unter den Arbeitern nur spärliche Zeugnisse gar für eine Beschäftigung mit der Frauenfrage, wie sie später genannt wurde, finden. Die Frauenarbeit, mit der die Arbeiter täglich konfrontiert wurden, regte die 1848 in Berlin gegründete Arbeiterverbrüderung, die dem Kommunistenbund nahestand, dazu an, Frauen in die gewerkschaftliche Organisation aufzunehmen.12 Bei der Aufnahme von Frauen in Vereinigungen handelte es sich zu dieser Zeit jedoch um seltene Einzelfälle, die der Tendenz gegenüberstanden, eine Zusammenarbeit von Männern und Frauen durch das Statut der Gewerkschaftsvereine zu untersa-
10 S. dazu „Zur Frauenfrage“ in: Die Gleichheit vom 7. März 1893, Nr. 6, S. 39/40. 11 Dem Teil der bürgerlichen Frauenbewegung, der sich den Wohlfahrtsgedanken zur Prämisse erklärte, gehörte z. B. Alice Salomon an; s. hierzu Salomon, Frauenemanzipation und soziale Verantwortung, 1896–1908, Ausgewählte Schriften. Band 1: 1896–1908, Frankfurt a.M. 1997. Trotz ihres Engagements für Arbeiterinnen lehnte sie eine Zusammenarbeit von bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung jedoch strikt ab: Salomon, Sozialdemokratie und Frauenbewegung, in: die Frau 1904/05, Heft 2, S. 72–77. 12 Mehring, Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, 1903, 2. Bd., S. 96.
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Die Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung
gen.13 Die Einstellung der Arbeiter zur Frauenarbeit war von Konkurrenzdenken geprägt, da die Frauen in einen Bereich eindrangen, der zuvor eine reine Männerdomäne war. Lediglich die für „Frauenarbeit“ angesehenen Berufszweige wurden von den Männern akzeptiert. Durch dieses Konkurrenzverhältnis entwickelte sich der proletarische Antifeminismus vieler Männer aus dieser Schicht, der Thema zahlreicher Arbeiten über die Sozialdemokratie der Zeit ist.14 Der 1863 von Ferdinand Lassalle gegründete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein verabschiedete 1867 eine Resolution, in der es unter Punkt vier heißt: „Die Beschäftigung der Frauen in Werkstätten der großen Industrie ist einer der empörensten Missbräuche unseres Zeitalters. Empörend, weil die materielle Lage der Arbeiterklasse dadurch nicht gehoben, sondern verschlechtert und die Arbeiterbevölkerung besonders
durch Vernichtung der Familie in einen elenden Zustand versetzt wird, in dem sie auch den letzten Rest von idealen Gütern verliert, den sie noch immer hatte. Um so mehr ist heute das Streben zu verwerfen, den Markt für die Frauenarbeit noch zu vergrößern. [...]“15
Zeigt diese Resolution zwar ein Problembewusstsein für die Ursachen der desolaten Lage der Arbeiter, so lässt sie gleichermaßen die traditionelle Auffassung von Familie erkennen, die überwiegend unter den Arbeitern vorherrschte. Die Arbeiter waren größtenteils nicht nur gegen Frauenarbeit, sondern auch für die Beschränkung der Frau auf die ihr typischerweise zufallenden Bereiche: Haushalt und Kindeserziehung. Moritz Müller, ein Fabrikant aus Frankfurt, stellte auf dem dritten Vereinstag deutscher Arbeitervereine zu Stuttgart im September 1865 erstmals Anträge auf die Anerkennung der Frauenarbeit durch die Arbeitervereine, die allesamt mit überragender Mehrheit angenommen wurden. Die Aussagen Müllers waren wegweisend für spätere Ansätze in den sozialistischen Emanzipationstheorien: Im Gegensatz zu den Lassallianern, die nur den Weg über die vollständige Abschaffung der Fabrikarbeit für Frauen zur Vermeidung der Zerrüttung der proletarischen Familie sahen, erkannte Müller, dass die Hochindustrialisierung im Kaiserreich16 13 Thönnessen, Politik und Literatur der deutschen Sozialdemokratie zur Frauenbewegung, Ausgewählte Schriften 1863–1933, 2. Aufl. 1976, S. 12. 14 S. zum Beispiel Thönessen, Die Frauenemanzipation in Politik und Literatur der deutschen Sozialdemokratie (1863–1933), 1958, S. 15; Nave-Herz, Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, 1993, S. 33; Freier, „Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären“, 1981, S. 8/9. 15 Schröder, Handbuch der sozialdemokratischen Parteitage, Bd. I, München 1910, S. 463. 16 Während der Zeitpunkt des Beginns der Industriellen Revolution oder die Phase des „take off“ (Walt Rostow) in der wirtschaftsgeschichtlichen Forschung umstritten ist, herrscht weitgehend Einigkeit über die zeitliche Abgrenzung der Hochindustrialisierung. Diese folgt
Die Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung
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die Frauenarbeit erforderte. Als Konsequenz forderte Müller die Gleichberechtigung der Arbeiterinnen und Arbeiter in der Theorie sowie in der Lebenswirklichkeit.17 Darüber hinaus legte er die seiner Meinung nach positiven Auswirkungen der Frauenbildung auf die Kindererziehung und den Zusammenhalt der Familie dar. Das Recht der Frau auf Arbeit sah er als Notwendigkeit für das Leben lediger Frauen an.18 So erkannte ein Unternehmer die Notwendigkeit der Frauenarbeit in der Industrie. Die ersten Rechte für Arbeiterinnen wurden von bürgerlichen Frauen gefordert, und zwar um von den Frauen Franziska Anneke und Luise Otto-Peters. Der 1869 von Luise Otto-Peters gegründete Verein zur Fortbildung und geistigen Anregung der Arbeiterfrauen fand aber nur geringen Zuspruch unter den Arbeiterinnen und wurde 1877 aufgelöst.19 Es waren also zunächst bürgerliche Frauen, die Rechte für Frauen forderten und sich – das wird später oftmals bestritten – auch der Interessen der Arbeiterinnen annahmen. Selbst Clara Zetkin, die sich später vehement gegen jegliche Kooperation mit der bürgerlichen Frauenbewegung aussprach, gestand, dass „die bürgerliche Frauenbewegung in der Frühzeit ihrer Entwicklung den Boden gelockert hat, auf dem auch die proletarische Frauenbewegung säte“.20 Gleichwohl betonte sie, dass „die proletarische Frauenbewegung ihr (der bürgerlichen Bewegung, d. Verf.) weder organisatorisch noch ideologisch in der Rolle des Kindes, das sich der Mutter undankbar entfremdet hat, (gegenübersteht)“.21 Emma Ihrer dokumentierte die erste Organisation in Berlin: Im Jahr 1872 wurde der Arbeiterfrauen- und Mädchen-Verein unter der selbständigen Leitung von Arbeiterfrauen gegründet, der sich neben der gegenseitigen Unterstützung seiner Mitglieder die allgemeine Aufklärung der Proletarierinnen zur Aufgabe machte.22 Einige Jahre später wurde jedoch gegen die Mitglieder des Vereins wegen ihrer angeblichen politischen Tätigkeit aufgrund eines Verstoßes gegen § 8 des Vereinsgesetzes vorgegangen. Somit wurde diese erste eigene Organisation der Ar-
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der Frühindustrialisierung (etwa vom Beginn bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts) und der Phase des industriellen Durchbruchs (industrielle Revolution etwa vom Beginn der 1850er bis Anfang der 1870er Jahre) und ist daher mit dem Anfang des Kaiserreichs in etwa gleich zu setzen. Weitergehend: Frie, Das Deutsche Kaiserreich. Kontroversen um die Deutsche Geschichte, 2004. Rede Müllers in: Bericht über die Verhandlungen des 3. Vereinstages deutscher Arbeitervereine zu Stuttgart, 3.–5. September 1865, S. 47–49. Rede Müllers in: Bericht über die Verhandlungen des 3. Vereinstages deutscher Arbeitervereine zu Stuttgart, 3.–5. September 1865, S. 50. Twellmann, S. 155; Clara Zetkin, Geschichte der proletarischen Frauenbewegung, S. 55. Zetkin, Geschichte der proletarischen Frauenbewegung, S. 43. Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung, S. 43. Ihrer, Die Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 8.
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Die Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung
beiterinnen in Berlin bereits 1879 zerschlagen.23 Das im Jahr 1878 in Kraft getretene Sozialistengesetz lieferte die Ermächtigungsgrundlagen für Gefängnisstrafen und Ausweisungen.24 Der bald darauf gegründete Frauen-Hilfsverein für Handarbeiterinnen versprach in seinem Statut u. a. materielle und geistige Förderung und die Wahrnehmung von Berufsinteressen. Neben einer kostenlosen Arbeitsvermittlung und einer Arbeitsstube, in der arbeitslose Frauen beschäftigt wurden, wurde ein Speisehaus, das mit einer Kochschule verbunden werden sollte, eingerichtet. Trotz großer Unterstützung von bürgerlicher Seite sowohl in materieller als auch in geistiger Hinsicht konnte sich das Projekt jedoch nicht dauerhaft etablieren.25 Die erste öffentliche Diskussion von Arbeiterinnen über die soziale Frage wurde 1879 in Berlin geführt. Als Konsequenz dieser Diskussion wurde Anfang des Jahres 1885 der Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen gegründet, dem sogleich fünfhundert Arbeiterinnen beitraten und der später über zweitausend Mitglieder zählte.26 Berichte über den Verein in sowohl positiver als auch negativer Form ermutigten Frauen in anderen Städten, sich ebenfalls zu organisieren. Die Frauen begannen mit der Kommissionsarbeit für die einzelnen Arbeitsbranchen. Zunächst sammelten sie Materialien und erstellten Statistiken. 27 Die Diskrepanz der Mitglieder des Vereins über politische Grundauffassungen war später für dessen Spaltung ausschlaggebend. Im September 1885 wurde von einem Teil der ehemaligen Mitglieder der Arbeiterinnen-Verein für den Nordbezirk Berlins gegründet, der nur Arbeiterinnen aufnahm und sich ausdrücklich zur Sozialdemokratie bekannte.28 Das Programm des Vereins, das u. a. von August Bebel erarbeitet wurde, beinhaltete die Forderung nach der uneingeschränkten Gleichberechtigung der Frau.29 Die Vielzahl anderer Organisationen, die zeitgleich entstanden, spiegelt die Zerstrittenheit der Berliner Arbeiterinnenbewegung wider. Wegen des Vorwurfes der Behandlung politischer Themen wurden alle Vereine 1886 aufgelöst.
23 Ihrer, Die Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 9. 24 Johanna Schackow wurde zusammen mit ihrem Mann ausgewiesen. Pauline Staegemann und Frau Cantius wurden zu sechs Wochen Gefängnis wegen Beleidigung verurteilt. 25 Ihrer, Die Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 10. 26 Ihrer, die Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 12. Die aus dem Bürgertum stammenden Frauen Gertrud Guilaume-Schack und Marie Hofmann unterstützten den Verein. Den Vorstand des Vereins bildeten die Frauen Kreutz, Stägemann, Haase, Cantius, Ihrer und Leuschner. 27 Emma Ihrer, die Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 13. 28 Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus, S. 56; im Vorstand dieses Vereins waren die Frauen Cantius, Walther und Pötting. 29 Berger, Die zwanzigjährige Arbeiterinnen-Bewegung Berlins und ihr Ergebniß. Beleuchtet von einer Arbeiterin, S. 34; Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus, S. 56.
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Ein wirkliches Forum schufen sich die Frauen erst durch die Gründung von Zeitschriften: 1885 gab Gertrud Guillaume-Schack die Zeitschrift Die Staatsbürgerin heraus, die jedoch nach dem Erscheinen von 24 Ausgaben verboten wurde. Im Jahr 1891 rief Emma Ihrer die Zeitschrift Die Arbeiterin ins Leben, die von Clara Zetkin übernommen wurde und unter dem neuen Titel Die Gleichheit zum Sprachrohr der proletarischen Frauenbewegung werden sollte. Ein besonderes Augenmerk verdient der Centralverein der Frauen und Mädchen Deutschlands, der im Jahr 1892 in Hamburg gegründet wurde. Er war seit Anbeginn von dem Bestreben nach einer nationalen Bewegung geprägt. Da die Interessen der Arbeiterinnen von den Gewerkschaften vertreten wurden, widmete sich der Verein ausschließlich politischen Fragen. Er zählte auch viele Frauen zu seinen Mitgliedern, die keiner Arbeit nachgingen. Die Auflösung des Vereins hatte verschiedene Gründe: zum einen persönliche Rivalitäten und die Unmöglichkeit, sich politisch zu organisieren, zum anderen die Restriktionen der Polizei, die allerdings auch zur Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls der Frauen beitrugen.30 Hinzu kam schließlich die Feindseligkeit der Gewerkschaften, die in dem Centralverein eine Konkurrenzorganisation sahen.31 Mitte der neunziger Jahre, beeinflusst durch die bereits genannten Vorstellungen der SPD-Parteiführung, gewann Clara Zetkin zunehmend an Bedeutung in der Bewegung. Für sie war der Kampf der proletarischen Frau identisch mit dem Kampf des proletarischen Mannes, da sie die Frauenfrage nur als Nebenaufgabe im Kampf für eine neue Gesellschaftsform sah. Die Zeitschrift Die Gleichheit fand immer mehr Beachtung als sozialdemokratische Stimme der proletarischen Frauenbewegung und enthielt stets eine dezidierte Note Zetkins. Mit der Aussage Wilhelm Liebknechts: „Es gibt keine Frauenfrage, sondern nur ein soziale Frage.“, die später auch in Bebels Buch Die Frau und der Sozialismus zu finden ist, wird die Haltung der Partei zur Frauenemanzipation in dieser Zeit deutlich. Für die sozialdemokratischen Frauen war es schwierig, sich in die Parteiarbeit zu integrieren. Dementsprechend gab es nur wenige weibliche Parteitagsdelegierte. Die Haltung der Männer war so sehr von Feindseligkeit geprägt, dass sie den Frauen teilweise sogar verboten, an Parteiveranstaltungen teilzunehmen. Diese Einstellung änderte sich ab 1896 in einem langsamen, uneinheitlichen Prozess; die Partizipation der Frauen in Positionen von Bedeutung war aber immer noch marginal. Unter diesen Voraussetzungen entstand die organisatorische Infrastruktur einer selbständigen, von der Partei weitestgehend unabhängigen Frauenbewegung. Es wurde die Berliner Agitationskommission gegründet und das Prinzip der
30 Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation, S. 74. 31 S. 5. Kapitel III.
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Vertrauenspersonen eingeführt, um den staatlichen Restriktionen aus dem Weg zu gehen.32 Im Jahr des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1900, nachdem es auf nationaler Ebene legal wurde, sich politisch zu organisieren, gab sich die SPD neue Organisationsstatuten. Frauen wurden fortan stärker unterstützt, wobei das Prinzip der Vertrauenspersonen beibehalten und von der Partei gefördert wurde. In Verbindung mit dem Parteitag fand alle zwei Jahre eine Frauenkonferenz statt. Erstaunlich ist, wie engmaschig die Frauenorganisation in dieser Zeit bereits war, zumal die Agitationskommission in Berlin nur sieben bis zwölf Frauen zählte. Einen massiven Zulauf konnte die Bewegung erst ab 1906 verzeichnen, was sich mangels weiterer Quellen lediglich an der Abonnentenzahl der Zeitschrift Die Gleichheit nachvollziehen lässt.33 Die Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter spiegelte nunmehr auch die Auffassung der Parteibasis wider. Die wenigen weiblichen Parteitagsdelegierten stimmten meist einheitlich gegen die Revisionisten, die sich teilweise für eine Zusammenarbeit der proletarischen mit der bürgerlichen Frauenbewegung aussprachen.34 Clara Zetkin propagierte hingegen die sogenannte reinliche Scheidung35, die strikte Abgrenzung zur sogenannten Frauenrechtlerei. Diese Auffassung dominierte die Bewegung, wurde aber auch aus den eigenen Reihen kritisiert.36 Auch als Luise Zietz 1907 die Führungsrolle von Clara Zetkin übernahm, änderte sich diese Auffassung nicht. Zu einer Zusammenarbeit mit einem Teil der bürgerlichen Frauen kam es später doch noch, und zwar im Kampf für das Frauenstimmrecht, das den Frauen aufgrund des Drucks der alten SPD-Reichstagsfraktion im Jahr 1918 zugestanden wurde. Im Jahr zuvor, 1917, erfolgte aber bereits die Spaltung der sozialdemokratischen Frauenbewegung, die mit der Spaltung der Sozialdemokratischen Partei und der Gründung der USPD einherging. Clara Zetkin musste die Redaktion der Zeitschrift Die Gleichheit an Marie Juchacz abgeben, da sie aufgrund ihrer Einstellung zum Krieg – sie war Pazifistin – für die SPD-Führung nicht haltbar war. Es gab nunmehr die alte Partei, die sich hauptsächlich aus den Revisionisten zusammensetzte und in der Marie Juchacz eine führende Rolle einnahm, 32 Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation, S. 187. 33 S. dazu Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation, S. 188. 34 Zwischen 1896 und 1898 veröffentlichte Eduard Bernstein (1850–1932) in der Zeitschrift Die Neue Zeit seine Artikel Probleme des Sozialismus, mit denen er den sogenannten Revisionismusstreit in der SPD begann. Bernstein verlangte eine partielle Revision der marxistischen Theorie, um die vorhandenen Widersprüche aufzulösen und forderte die Abkehr vom Prinzip der Revolution und die Teilhabe am politischen System des Kaiserreichs. Die Anhänger seiner Theorie werden als Revisionisten bezeichnet. 35 S. dazu 5. Kapitel IV. 2. 36 Z.B. von Henriette Fürth und sehr früh schon von Johanna Loewenherz.
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die USPD mit Luise Zietz und die Internationale, dominiert von der SpartakusGruppe, der auch Clara Zetkin angehörte.37 Die proletarische Frauenbewegung entwickelte sich also schleppend, was damit zu erklären ist, dass sie drei Stoßrichtungen hatte: Einmal der Einsatz für Arbeiterrechte zusammen mit den Männern ihrer Klasse, zum anderen ganz besonders für Arbeiterinnenrechte und Frauenrechte im allgemeinen und schließlich der Einsatz für innerparteiliche Mitwirkungsmöglichkeiten, z. B. als Parteitagsdelegierte. Nicht ohne Grund betitelte Ottilie Baader ihre Memoiren: Ein steiniger Weg.38 Die Bewegung benötigte einen zweiten Anlauf, um sich zu etablieren39, und schlug unter dem Einfluss von Clara Zetkin eine andere, parteinähere Richtung ein. Aus diesem Grund kann sie auch generell als sozialdemokratische Frauenbewegung bezeichnet werden. Die Frauen bezeichneten sich in der Zeitschrift Die Gleichheit selbst in etwa genauso oft als sozialdemokratische wie als proletarische Frauenbewegung.40 Die Bewegung zersplitterte mit der Spaltung der Partei. Der Einsatz der proletarischen Frauen zusammen mit der SPD-Reichtagsfraktion für das Frauenstimmrecht wurde durch die Wahlen zur verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung im Jahr 1919 nicht belohnt. Der Großteil der nunmehr wahlberechtigten Frauen wählte die Partei Das Zentrum.41
III. Eine deutsche Frauenbewegung? Der Centralverein der Frauen und Mädchen Deutschlands „Wir müssen uns selbst helfen und wir können es auch, wenn wir’s machen wie die Männer in gleicher Lage, die sich ja auch selbst helfen.“42
37 Dieser Gruppe gehörte auch Rosa Luxemburg an, die sich jedoch nie in der Frauenbewegung engagierte. Die Gründe hierfür sind Spekulationen. Einleuchtend erscheint der Hinweis auf die ständige Notwendigkeit des Kampfes der in der Frauenbewegung aktiven Frauen um Anerkennung in der Partei und der aufgrund dieser Tatsache zunächst eigenständige Weg der Bewegung, der die Frauen aber hinsichtlich anderer parteipolitischer Themen ausschloss. 38 Baader, Ein steiniger Weg, Lebenserinnerungen einer Sozialistin, erste Ausgabe 1921. 39 Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, 1979, S. 83, 95. 40 S. Die Gleichheit, 20. Februar 1895, Nr. 4, S. 29, Die Gleichheit, 6. März 1895, Nr. 5, S. 35, Die Gleichheit, 24. Dezember 1895, Nr. 26, S. 204, Die Gleichheit, 11. November 1896, Nr. 22, S. 181, Die Gleichheit, 9. Dezember 1896, Nr. 25, S. 197. 41 Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, 1979, S. 94. 42 Dies verkündet die Kommission des Vereins zur Vertretung der gewerblichen Interessen der Frauen und Mädchen Hamburgs, abgedruckt in der Bürgerzeitung am 27.2.1886. Der Zeitungsartikel befindet sich ausgeschnitten und auf einem DIN-A–4-Blatt aufgeklebt im Hamburger Staatsarchiv, 331–3, Politische Polizei, S 1053.
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Der Centralverein der Frauen und Mädchen Deutschlands
Am 08.06.1892 gründeten Hamburger Arbeiterfrauen den Centralverein der Frauen und Mädchen Deutschlands.43 Der provisorische Vorstand bestand aus der Vorsitzenden Emelie Grünwaldt, der Stellvertreterin Wolter und der Kassenwartin Maria Maak.44 Im Oktober 1892 wurden Luise Schneider45, geborene Hanack, zur Vorsitzenden, Maria Maak zu ihrer Stellvertreterin und Sophie Weltermann, geborene Fredersdorf zur Schriftführerin gewählt.46 Als Vorgänger des Centralvereins kann der Verein zur Vertretung der gewerblichen Interessen der Frauen und Mädchen Hamburgs angesehen werden, der bereits 1886 gegründet wurde. Schon dieser sah in dem Einsatz für die „Verbesserung der Lage der Frauen“ seine Hauptaufgabe und setzte sich vor allem für eine bessere Bildung der Arbeiterfrauen ein. Die Bürgerzeitung druckte in der Ausgabe vom 27.2.1886 eine mit „Die Kommission. Im Auftrage sämtlicher Mitglieder des genannten Vereins.“ unterzeichnete Erklärung des Vereins, in der es unter anderem heißt: „Verein zur Vertretung der gewerblichen Interessen der Frauen und Mädchen Hamburgs. Unter diesem Namen hat sich, wie auch schon Vielen bekannt sein wird, hierorts ein Verein von Frauen und Mädchen gegründet.
Derselbe erlaubt sich, hiermit an alle denkenden Bewohnerinnen Hamburgs eine dringende Bitte zu richten.
[...] solange wir noch verdienen, werden wir unseres Lebens jemals recht froh? Müssen wir
uns nicht in Plackerei und Sorgen aufreiben vor der Zeit? Können wir dazu kommen, unseren
Pflichten als Gattin und Mutter auch nur annähernd in der Weise zu genügen, wie unser Herz und edle Sittlichkeit uns dazu treiben? Oder bleibt uns gar Zeit und Frische, um uns
eine Bildung anzueignen, die uns zu Dem erhübe, was wir zu unser an Aller Freude doch alle gern sein möchten, Verkörperungen des schönen stolzen Frauenideals.
[...] In der früheren Zeit, als das welthistorische Thun überhaupt noch mehr Sache einzelner Persönlichkeiten war, haben da nicht kluge, kühne, hochherzige Frauen bisweilen die Männer
beschämt durch ihre Energie? Warum sollten heute, wo das welthistorische Thun die Sache
43 Über den Verein der Frauen und Mädchen Deutschlands wird in der Literatur bislang nur von Evans in Sozialdemokratie und Frauemanzipation im deutschen Kaiserreich, 1979, S. 74–82, berichtet. 44 Artikel im Hamburger Fremdenblatt vom 9.6.1892. Der Zeitungsartikel befindet sich ausgeschnitten und auf einem DIN-A–4-Blatt aufgeklebt im Hamburger Staatsarchiv, Politische Polizei V 469. 45 Luise Schneider wurde am 21.08.1854 in Hamburg geboren. 46 Artikel in der Zeitung Hamburger Presse vom 20.10.1892. Der Zeitungsartikel befindet sich ausgeschnitten und auf einem DIN-A–4-Blatt aufgeklebt im Hamburger Staatsarchiv, 331–3, Politische Polizei V 487.
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der Gesammtheit, die Aufgabe aller, geworden ist, wir in unserer Gesammtheit nicht leisten können, was herausragende Vertreterinnen unseres Geschlechts früher im Einzelnen leisteten? Und wie helfen sich die Männer?
Durch ihre Organisationen, durch Zusammenraffung ihrer Kräfte zu gemeinsamem Han-
deln. Ebenso müssen auch wir das machen. Schmach dem Weibe, das nicht mitthun will, weil es selbst persönlich gleich Vortheil davon hat.
[...] Wie dankbar werden uns unsere Töchter und Enkelinnen sein! [...]“47
Der Centralverein der Frauen und Mädchen Deutschlands wurde mit dem Ziel gegründet, „die vielen kleinen Frauen- und Mädchenvereine aufzulösen“ und alle Berufsgruppen in einer Organisation zu vereinen. Hierüber wird im Hamburger Fremdenblatt48 in der Ausgabe vom 09.06.1892 wie folgt berichtet: „Die Frauen und Mädchen Hamburgs und Umgegend hielten gestern Abend im „UnionsSaal“ eine öffentliche Versammlung unter Vorsitz von Frau Blohm ab. Auf der Tagesordnung
stand die Frage, ob es zweckmäßig sei, die vielen kleinen Frauen- und Mädchenvereine auf-
zulösen und an deren Stelle einen „Allgemeinen deutschen Frauen- und Mädchenverein“, in dem alle Berufsarten Aufnahme finden könnten, zu gründen. Es entstand hierüber eine
umfangreiche Discussion, in welcher sich die Vorsitzende, sowie die Frauen Grünwaldt, Wolter, Depken und Ebel für die angeregte Idee aussprachen, während Frau Steinbach gegen die
Gründung eines Frauen- und Mädchenvereins plaidierte. Frau Steinbach bemerkte u.A., daß
es nach ihrer Meinung durchaus keinen Sinn habe und daß man auch nicht berechtigt sei, von den Branchenorganistaionen Abstand zu nehmen und alle Berufszweige, wie Plätterinnen
Weiß-Hand-, Maschinen- und Schlipsnäherinnen, Fabrikarbeiterinnen und solche Frauen, die überhaupt nie gewerblich thätig sind, in einem großen Vereine zu organisieren. Es sei
Thatsache, daß sich noch immer eine Näherin in ihrer gesellschaftlichen Stellung weit besser, als eine Fabrikarbeiterin, dünke, weshalb man fehlgreifen würde, alle weiblichen Erwerbszweige in einem nationalen Rahmen zusammen zu fassen [...] Es wurde hierauf [...] mit allen und gegen die Stimme Frau Steinbach’s beschlossen, eine neue Verbindung unter dem Namen
„Centralverein der Frauen und Mädchen Deutschlands“ (Domicil Hamburg) ins Leben zu rufen. [...] Eine Statutenvorlage, aus 21 Paragraphen bestehend, wurde aufgenommen, worauf sich 33 Frauen und Mädchen in den neuen Centralverein einzeichnen ließen.“49
47 Der Zeitungsartikel befindet sich ausgeschnitten und auf einem DIN-A–4-Blatt aufgeklebt im Hamburger Staatsarchiv 331–3, Politische Polizei, S 1053. 48 Das Hamburger Fremdenblatt war eine Tageszeitung in Hamburg, die im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Hamburg erschien. Die Zeitung war ursprünglich eine herausgegebene Liste der ankommenden Fremden in Hamburg und erschien ab dem 14.9.1864 als Hamburger Fremdenblatt. 49 Hamburger Staatsarchiv, Politische Polizei V 469.
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Der Centralverein war aber nicht nur die erste Bestrebung nach einer nationalen deutschen Frauenbewegung, sondern auch „frauenrechtlerisch“. Für seine Anhängerinnen stand die „Frauenfrage“ stets im Vordergrund. In einer 1895 verabschiedeten Resolution forderten die Mitglieder des Vereins energisch eine Verstärkung der Förderung von Frauen innerhalb der sozialdemokratischen Partei. Sie forderten „die weiblichen Mitglieder der drei sozialdemokratischen Vereine in Hamburg auf, in den genannten Vereinen die Forderung zu stellen, neben den zu wählenden männlichen Delegierten für jeden Wahlkreis je eine Vertreterin mit nach dem Erfurter Parteitage zu entsenden.“50 In den Jahren 1894 zeigte der Verein bereits erste Auflösungserscheinungen. Die endgültige Auflösung war sowohl auf die schwindende Mitgliederzahl als auch auf interne Konflikte der verbleibenden Mitglieder zurückzuführen.51 Die letzte Zweigstelle Veddel-Rothenburgsort wurde im September 1895 aufgelöst.52 Das Vereinsgesetz machte dem Verein zu schaffen. Die Frauen mussten sich immer häufiger wegen etwaiger Verstöße gegen das Vereinsgesetz verantworten. In einem Artikel in der Zeitung Hamburger Presse vom 08.06.1895 wird Folgendes berichtet: „Ueber eine Verhandlung gegen 101 Frauen und Mädchen wegen Uebertretung des Vereinsgesetzes vor dem Schöffengericht berichten die „A.-R.“: Ein buntes, hier noch nicht gesehe-
nes Bild bot heute Vormittag der Sitzungssaal des Schwurgerichts, in welchem die Anklage
gegen 101 Frauen und Mädchen wegen Uebertretens des Vereinsgesetzes verhandelt wurde. Es kostete Mühe, in dem an und für sich schon räumlich beschränkten Schwurgerichtssaal
eine so große Anzahl Angeschuldigter unterzubringen [...] Der Staatsanwalt beantragte, Beweis dafür zu erheben, inwieweit diese Versammlungen als politische anzusehen seien. [...] Das Schöffengericht beschloss, die Polizeiakten in dieser Sache zu requirieren, aus denselben
die An- und Abmeldung der einzelnen Mitglieder festzustellen und zu diesem Grund die Verhandlung auszusetzen.“53
Die Zeitung Hamburger Echo berichtet in einem Artikel vom 06.01.1896 über den Centralverein: „Aus dem Landgericht. Die Filiale Ottensen des Verbandes der Frauen und Mädchen
Deutschlands ist vor Jahresfrist aufgelöst worden und noch beschäftigen sich damit fort50 Artikel in der Zeitung Fremdenblatt vom 25.09.1895, Hamburger Staatsarchiv, 331–3, Politische Polizei V 348. 51 Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im Deutschen Kaiserreich, 1979, S. 79–81. 52 Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im Deutschen Kaiserreich, 1979, S. 81. 53 Artikel in der Zeitung Hamburger Presse vom 8.6.1895. Der Zeitungsartikel befindet sich ausgeschnitten und auf einem DIN-A–4-Blatt aufgeklebt im Hamburger Staatsarchiv, 331–3, Politische Polizei V 348.
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während die Gerichte. Nach Urtheilen, welche dieselben gefällt haben, war die Filiale ein
selbständiger Verein, der bezweckte, politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern. Vereine, welche diesen Zweck verfolgen, dürfen nach dem preußischen Vereinsgesetz keine
Frauen als Mitglieder annehmen. Es mag eigenthümlich klingen, daß ein aus Frauen und Mädchen bestehender Verein, der unter den Augen der Polizei gegründet wurde, verfolgt
werden kann, wenn er Frauenspersonen aufnimmt. Dennoch ist es so, und nicht allein die
Vorstandsmitglieder, sondern auch die Mitglieder sind bestraft worden [...] Die Vorstandsmitglieder [...], die vom Schöffengericht zu je M. 20 Geldstrafe, event. 4 Tagen Gefängnis
verurtheilt waren, hatten Berufung eingelegt und bestritten, wie früher, [...] daß der Verein bezweckt habe, politische Gegenstände zu erörtern. [...] Das Landgericht verwarf die Berufung als unbegründet.“54
Es gab zwar weiterhin sozialdemokratische Frauenorganisationen, insbesondere Frauenbildungsvereine. Der erste Versuch, eine überregionale Organisation sozialdemokratischer Frauen ins Leben zu rufen, war aber gescheitert, was durchaus im Interesse der SPD-Parteiführung gewesen sein dürfte. Entgegen der Bestrebungen der SPD-Parteiführung wollte der Centralverein die Frauen in einer die verschiedenen Gewerbe übergreifenden Vereinigung organisieren. Mit der Forderung nach Frauenbildung und der Ansprache „aller Frauen Hamburgs“ ebnete der Centralverein den Weg für eine Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Frauenbewegung, der jedoch nie gegangen wurde. Aus diesem Grund ist es nachzuvollziehen, warum der Verein zu keiner Zeit eine Unterstützung des Parteivorstandes erhielt: Die Befürchtung des SPD-Parteivorstandes, die Frauen an die bürgerliche Frauenbewegung und damit auch für den Kampf der Arbeiterklasse zu verlieren, war durchaus begründet. Der Centralverein entbehrte einer eindeutigen marxistischen Note. Die Mitglieder des Centralvereins setzten sich zwar, wie alle anderen Arbeitervereine, für bessere Arbeitsbedingungen für Frauen ein; gleichermaßen aber galt ihr Engagement besseren Bildungschancen für Frauen und der Bekämpfung der lex Heinze, die die Rechte der Sittenpolizei erweiterte. Damit gleicht die Schwerpunktsetzung der Mitglieder des Centralvereins in vielerlei Hinsicht denen der bürgerlichen Frauenbewegung. Ob die von ihnen erhobenen Forderungen hingegen genauso extrem wie die der bürgerlichen Frauen des sogenannten radikalen Flügels55 sind56, soll bezweifelt werden. Die Forderung nach Bildung, „die uns zu Dem erhübe, was wir zu unser an Aller Freude doch alle 54 Der Zeitungsartikel befindet sich ausgeschnitten und auf einem DIN-A–4-Blatt aufgeklebt im Hamburger Staatsarchiv, 331–3, Politische Polizei V 348. 55 Gemeint sind hier vor allem Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg, die sich in Hamburg u. a. in der Sittlichkeitsfrage engagierten. 56 So Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im Deutschen Kaiserreich, 1979, S. 80.
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gern sein möchten, Verkörperungen des schönen stolzen Frauenideals“57 zeigt, dass die Frauen weder ihrer eigenen Einordnung als sozialistisch noch der Einordnung Evans58 als bürgerlich-radikal entsprachen. Ihre Einstellungen waren vielmehr zu Teilen gar als konservativ-bürgerlich zu bezeichnen, wenn sie etwa über die „Pflichten der Ehefrau als Hausfrau und Mutter“ sprachen.59 Zu beachten ist, dass viele aktive Mitglieder des Vereins Arbeiterinnen waren, denen es besser ging als der durchschnittlichen Arbeiterin. Einige von ihnen waren Ehefrauen von bekannteren Sozialdemokraten.60 Sie gehörten der privilegierten Gruppe der Arbeiterfrauen an, die eine bessere Bildung genossen hatten. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Tatsache ihr verbindendes Element zur bürgerlichen Frauenbewegung war. Festzuhalten bleibt, dass der sich selbst als sozialistisch bezeichnende Verein für seine Zeit und auch noch bis zum ersten Weltkrieg einzigartig war und blieb. Wäre der Centralverein nicht 1895 schon wieder aufgelöst worden, hätte er sicherlich einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung, ja gar auf die gesamte Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich nehmen können. Mit dem Fortbestand des Centralvereins hätte möglicherweise die reinliche Scheidung überwunden und der Weg zu einer einheitlichen deutschen Frauenbewegung eröffnet werden können, was selbstverständlich eine Vermutung bleibt. Die Relevanz des Centralvereins lag jedenfalls in der Verbindung „gemäßigten“ bürgerlichen Gedankenguts und sozialdemokratischer Forderungen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen, kombiniert mit dem Bestreben nach einer nationalen Bewegung. In einem Artikel einer Hamburger Zeitung61 vom 15.06.1894 heißt es zur Auflösung der Zahlstelle des Vereins in Hamburg: „Zentralverein der Frauen und Mädchen Deutschlands. Der „H. E.“ (Hamburger Echo, Anm. d. Verf.) schreibt: „Auflösung der Zahlstelle in Hamburg, event. Ergänzungswahl des
Vorstandes,“ so lautete die Tagesordnung, die gestern abend im Harmoniegesellschaftshaus,
Hohe Bleichen Nr. 30, in einer geschlossenen Mitgliederversammlung erledigt werden sollte. Bis kurz vor 10 Uhr waren nur drei Mitglieder, die der Ortsverwaltung angehörten, er-
schienen. Dieselben zogen es vor, die „Versammlung“ nicht stattfinden zu lassen. Die ganze 57 Bürgerzeitung vom 27.2.1886, Der Zeitungsartikel befindet sich ausgeschnitten und auf einem DIN-A–4-Blatt aufgeklebt im Hamburger Staatsarchiv 331–3, Politische Polizei, S 1053. 58 Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im Deutschen Kaiserreich, 1979, S. 75. 59 Hamburger Staatsarchiv, Politische Polizei, V 348. 60 So z. B. Frau Meyer, deren Mann führender Sozialdemokrat in Hamburg war; s. dazu Schult, Geschichte der Hamburger Arbeiter, 1967, S. 70. 61 Es ist nicht mehr nachzuvollziehen, um welche Zeitung es sich handelt. Der Artikel befindet sich in einer Sammlung der Polizei.
Clara Zetkin
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Hamburger Zahlstelle besteht – wie uns gestern abend mitgeteilt wurde – überhaupt nur aus
23 Mitgliedern, zur Auflösung derselben müßten danach mindestens 16 Mitglieder, die als zwei Drittel Majorität mit dem Antrage einverstanden, herangezogen werden. (Aehnliche sozialistische Vereinigungen mit pomphaftem Namen und völliger Bedeutungslosigkeit giebt es viele. Anm. d. R.)“62
IV. Verstärken oder Bestehen, Vereinen oder Scheiden? Die Positionierung der proletarischen Frauenbewegung Die proletarische Frauenbewegung stand häufig im Schatten der bürgerlichen Frauenbewegung, insbesondere was ihre Rechtsforderungen betraf. Ihr Verhältnis zur bürgerlichen Frauenbewegung war aus diesem Grund ein zwiespältiges. Innerhalb der Bewegung bestand kein Konsens über das Verhalten gegenüber der bürgerlichen Frauenbewegung. Die verschiedenen Ansichten reichten von einer strikten Trennung der beiden Organisationen, über einen Austausch der Führungskräfte oder einer Kooperation auf Agitationsebene bis hin zu einer vollständigen Vereinigung. Als entschiedene Gegnerin der Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Frauenbewegung dominierte Clara Zetkin die Richtungskämpfe innerhalb der Bewegung. 1. Clara Zetkin – Eine dominierende Persönlichkeit in der proletarischen Frauenbewegung Clara Zetkin63 wurde 1857 in Wiederau, Sachsen, als Clara Eißner geboren. Zetkin genoss eine gute Erziehung und Ausbildung. Ihr Vater war Lehrer und ihre Mutter gehörte zu den wenigen Frauen, die sich dem Allgemeinen Deutschen Frauenverein unter Leitung von Louise Otto und Auguste Schmidt angeschlossen hatten. Zetkin durfte das von Schmidt geleitete Lehrerinnenseminar in Leipzig besuchen und kam in den Jahren zwischen 1874–1878 erstmals mit Sozialisten in Kontakt. Sie trat in die Sozialdemokratische Partei ein und heiratete 1883 den russischen Revolutionär Ossip Zetkin, mit dem sie schon viele Jahre zuvor unverheiratet zusammengelebt hatte und mit dem sie 1882 nach Paris emigriert war. Nach dem frühen Tod ihres Mannes kehrte sie 1890 mit zwei Kindern nach Deutschland 62 Der Zeitungsartikel befindet sich ausgeschnitten und auf einem DIN-A–4-Blatt aufgeklebt im Hamburger Staatsarchiv, 331–3, Politische Polizei S 3457. 63 Weitergehend Badia, Clara Zetkin: eine neue Biographie, 1994; Dornemann, Clara Zetkin: Leben und Wirken, 1985; Bauer, Clara Zetkin und die proletarische Frauenbewegung, 1984; Frederiksen, Die Frauenfrage, 1981, S. 499–502.
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zurück. Im Jahr 1899 heiratete sie den achtzehn Jahre jüngeren Künstler Friedrich Zundel. Die Ehe wurde 1928 wieder geschieden. In den Jahren 1892–1917 gab Zetkin die Zeitschrift Die Gleichheit heraus oder redigierte sie. Bereits seit 1892 nahm Zetkin aktiv am Parteileben teil; sie besuchte Parteitage und Frauenkonferenzen. Auf einer sozialistischen Frauenkonferenz im Jahr 1910 initiierte Zetkin die Erklärung des 8. März zum Internationalen Frauentag. Zetkin war überzeugte Pazifistin und organisierte 1915 die internationale sozialistische Frauenkonferenz in Bern64, die sich scharf gegen den ersten Weltkrieg wandte. Aus Enttäuschung über die Haltung der Sozialdemokratischen Partei zum Krieg trat sie 1918 in die Kommunistische Partei ein, die im selben Jahr gegründet worden war. Zwei Jahre später wurde Zetkin Mitglied des Deutschen Reichstages, in welchem sie 1932 zum letzten Mal als Alterspräsidentin sprach. Im darauffolgenden Jahr, am 20. Juni 1933, starb Zetkin in Archangelskoje bei Moskau. Neben ihrer Herausgeberschaft und Redaktion der Zeitschrift Die Gleichheit verfasste Zetkin etliche politische und sozialkritische Schriften.65 Zudem war sie als Literatur- und Kunstkritikerin tätig. 2. Reinliche Scheidung Die Meinungen der Anhängerinnen der Sozialdemokratie waren vielfältig. Vor allem in der Frage einer möglichen Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Frauenbewegung war in der Bewegung kein Konsens zu erkennen. Wie bereits dargestellt, stellte die Zeitschrift Die Gleichheit das Sprachrohr der Bewegung dar. Durch die Redaktion Clara Zetkins stark geprägt, spiegeln die in ihr vertretenen Auffassungen aber nicht generell das Meinungsbild aller Anhängerinnen der proletarischen Frauenbewegung wider. Trotz der Dominanz Zetkins diente die Zeitschrift auch als Diskussionsforum. Die von Zetkin geforderte strikte Trennung von der bürgerlichen Frauenbewegung, die sogenannte „Reinliche Scheidung“ 66, wurde ausgiebig diskutiert. Der erste Artikel, in dem eine ausdrückliche Abgrenzung zur bürgerlichen Frauenbewegung erfolgte, erschien am 13. April 1894 mit dem Titel Reinliche Scheidung. Hierin wird wie folgt Stellung genommen: „[…] Unsere Leserinnen wissen, daß bürgerliche Frauenrechtlerei und proletarische Frauenbewegung zwei grundverschiedene soziale Strömungen sind, so dass letztere zu ersterer mit
Fug und Recht sagen kann: ,Deine Gedanken sind nicht meine Gedanken und Deine Wege 64 Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, 1979, S. 270– 283. 65 Eine Auswahl von Schriften Zetkins findet sich bei Frederiksen, Die Frauenfrage, 1981, S. 501. 66 Die Gleichheit, 13. April 1894, Nr. 8, S. 63.
Reinliche Scheidung
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sind nicht meine Wege.’ […] Wohl war in Folge besonderer Umstände die proletarische
Frauenbewegung Deutschlands in ihren Anfängen bürgerlich frauenrechtlerisch angekrän-
kelt. Allein sie ist sich ihrer vollen, unüberbrückbaren Gegensätzlichkeit zu der bürgerlichen Frauenrechtlerei bewusst geworden […] daß hier die Losung lautet: Die Reform der Gesellschaft, dort dagegen die Revolution der Gesellschaft.“
Weiterhin wird die unpolitische Grundhaltung der bürgerlichen Frauen kritisiert. Den Unterschied zwischen beiden Bewegungen sieht die Autorin67 darin, dass die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen einen Kampf von Geschlecht zu Geschlecht gegen die Männer ihrer eigenen Klasse, für Reformen zu Gunsten des weiblichen Geschlechts innerhalb des Rahmens der bürgerlichen Gesellschaft führen und den Bestand der Gesellschaft nicht in Frage stellten. Die proletarischen Frauen führten hingegen einen Kampf von Klasse zu Klasse, in enger „Ideen- und Waffengemeinschaft“ mit den Männern ihrer Klasse, die sie als gleichberechtigt anerkennen würden.68 Der unbestritten vorhandene und bereits beschriebene Antifeminismus wird im Rahmen der Auseinandersetzung über die reinliche Scheidung an keiner Stelle erwähnt. Im gleichen Zuge wird aber klargestellt, dass die proletarische Frauenbewegung für diejenigen bürgerlichen Frauen offen stehe, die sozialdemokratische Standpunkte vertreten. Diese Frauen seien willkommen, sich der proletarischen Frauenbewegung anzuschließen, wenn sie die bürgerliche Bewegung verließen.69 Eine Zusammenarbeit mit bürgerlichen Sympathisantinnen würde lediglich Kräfte vergeuden und zu Zersplitterungen innerhalb der eigenen Bewegung führen. In einem Artikel der Zeitschrift Die Gleichheit vom 27. Juni 1895 wird auf einen Artikel, der in der österreichischen Zeitschrift Das Recht der Frau, einem von bürgerlichen Frauen herausgegebenem Blatt, Stellung genommen und erneut auf die Unterschiede zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung hingewiesen. Entgegen der in der österreichischen Zeitschrift vertretenen These, sei die bürgerliche Frauenbewegung gerade nicht revolutionär. Zwar sei es zutreffend, dass die Bewegungen teilweise gleiche Ziele verfolgen; der Weg dorthin sei jedoch das entscheidende Kriterium für den unüberbrückbaren Unterschied beider Bewegungen.70 Das Ziel der bürgerlichen Frauen liege innerhalb der bestehenden Klassenordnung. Der zum Ziel führende Weg sei der „Kampf von Geschlecht zu
67 Die Vermutung liegt nahe, dass Clara Zetkin Verfasserin dieses Artikels ist. 68 Die Gleichheit, 13. April 1894, Nr. 8, S. 63. 69 Lily v. Gyzicki, später Braun, wechselte aus der bürgerlichen in die proletarische Frauenbewegung. 70 Die Gleichheit, 27. Juni 1894, Nr. 13, S. 102.
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Die Positionierung der proletarischen Frauenbewegung
Geschlecht“71. Für die proletarische Frau reiche dieser Kampf jedoch nicht aus. Ihr Weg sei der „Kampf von Klasse zu Klasse“. Dies wird wie folgt begründet: „Wesentlich anders aber liegen die Verhältnisse für die Frau des Proletariats. Sie gehört zu
einer wirtschaftlich abhängigen, ausgebeuteten und sozial beherrschten Klasse. In letzter In-
stanz ist es bei ihr nicht die Geschlechtslage, ihre Eigenschaft als Frau, welche das Ausleben
ihrer Individualität hindert, vielmehr ihre Klassenlage, ihre Zugehörigkeit zum Proletariat. Mag sie als Frau dem Buchstaben des Gesetzes nach zehnmal alle Rechte besitzen auf freie
Ausgestaltung des Wesens, ihre Klassensklaverei als Proletarierin, ihre Armuth wird bewir-
ken, daß sie diese Rechte nicht auszunutzen vermag[...] Der Weg, der die proletarische Frau zum Ziel führt, ist der Kampf von Klasse zu Klasse. Die Gleichstellung des weiblichen mit
dem männlichen Geschlecht kommt für ihren Befreiungskampf eine nicht zu unterschätzende, aber doch nur beschränkte Bedeutung zu.“72
Ein weiterer Artikel mit dem Titel Nochmal „reinliche Scheidung“ II. vom 27. Juni 189473 geht über die bloße Abgrenzung zur bürgerlichen Frauenbewegung hinaus und wendet sich gegen den Vorwurf, die proletarische Frauenbewegung kämpfe mit Erbitterung: „Mit Erbitterung kämpft man nur gegen einen mächtigen Gegner. Die deutsche Frauenrechtlerei ist aber nichts weniger als eine Macht, sie ist eine sozialpolitische Null, an der
wir unsere schöne Erbitterung nicht verschwenden […] Wenn wir der deutschen Frauen-
bewegung gegenüber ein Gefühl haben, so ist es das der Nichtachtung ob ihrer Unklarheit, Schwäche, Halbheit und Fürstendienerei, so ist es die Nichtachtung deswegen, daß sie an
Enge des Gesichtskreises die bürgerliche Frauenbewegung aller Länder bei weitem übertrifft, ihr dagegen an moralischem Muth bei weitem nachsteht. Was indessen die bürgerliche Frauenbewegung im Allgemeinen anbetrifft, so haben wir stets betont, daß zwar ihre Ziele nicht
die Ziele der proletarischen Frauenbewegung sein können, daß wir aber die Berechtigung dieser Ziele für die Frauen des Bürgerthums anerkennen. Mehr noch, wir haben wiederholt erklärt, daß die Verwirklichung dieser Ziele […] eine Nothwendigkeit ist, daß sie innerhalb
der heutigen Gesellschaft eine Reform, einen Kulturfortschritt bedeutet. Wo es unbeschadet der Interessen des Proletariats geschehen konnte, sind wir deshalb für die Forderungen der
bürgerlichen Frauenrechtlerinnen eingetreten, und wir werden unter der nämlichen Voraussetzung auch in Zukunft für sie eintreten.
Aber wogegen wir uns verwahrten und verwahren mußten, ist daß man der proletarischen
Frauenwelt die Ziele der bürgerlichen Frauenbewegung unterschiebt, daß man mit dem 71 Die Gleichheit, 27. Juni 1894, Nr. 13, S. 103. 72 Die Gleichheit, 27. Juni 1894, Nr. 13, S. 103. 73 Die Gleichheit, 8. August 1894, Nr. 16, S. 115–117.
Reinliche Scheidung
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Schlagwort von der „Solidarität aller Frauen als gesetzlich gleich Rechtloser“ die Solidarität
lockert oder zerstört zwischen Mann und Frau des Proletariats als wirthschaftlich gleich Ausgebeuteter und sozial gleich Unterdrückter.“74
Aus diesem Textausschnitt geht jedoch gleichsam eine Billigung der Ziele der bürgerlichen Frauenbewegung hervor. Diese findet dort ihre Grenzen, wo Forderungen der bürgerlichen Frauen den Interessen der Arbeiterklasse widersprechen. Deutlich wird der Konflikt, in dem sich die proletarische Frauenbewegung befindet; sie fühlt sich zum einen den grundsätzlich benachteiligten Frauen egal welcher Klasse, zum anderen den Männern der Arbeiterklasse verbunden. Der Artikel, in dem der Schwerpunkt der proletarischen Frauenbewegung im Klassenkampf gesehen wird, spiegelt die Grundhaltung der in der Bewegung die Führungsrolle einnehmenden Clara Zetkin wider, nicht aber die einiger anderer Frauen wie z. B. Johanna Loewenherz75, Henriette Fürth76 und Lily Braun77, die es durchaus für sinnvoll erachten, mit der bürgerlichen Frauenbewegung zumindest in manchen Bereichen wie zum Beispiel hinsichtlich der Forderung nach weiblichen Fabrikinspektorinnen, dem Verbot der Kinderarbeit und einem Frauenwahlrecht zu kooperieren.78 In diesem Zusammenhang stellt Johanna Loewenherz auf dem Parteitag von Gotha 1896 in Frage, dass die Frauenbewegung erst durch die kapitalistische Gesellschaft entstanden sei. 79 Eine Frauenbewegung habe es vielmehr schon viel früher gegeben. Die sozialdemokratische Partei sei um die Frauenfrage bislang „wie die Katze um den heißen Brei“ gegangen, und es gebe genug Personen in der Partei, „für die der Besitz und nicht die Person der Frau maßgebend“ sei. 80 Mit 74 Die Gleichheit, 8. August 1894, Nr. 16, S. 115. 75 Zu Leben und Werk Johanna Loewenherzs, s. Dietz, Johanna Löwenherz. Eine Biographie, 1987, Annette Kuhn (Hg.), Spurensuche Johanna Loewenherz. Versuch einer Biografie, 2008. 76 Zu Leben und Werk Henriette Fürths (1861–1938) s. Djuren, Leben und Lebenswerk einer jüdischen Deutschen im Deutschen Kaiserreich, 2000; Epple, Henriette Fürth und die Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich: eine Sozialbiographie, 1996. 77 Zu Leben und Werk Lily Brauns (1865–1916) s. Trosien/Walther, Lily Braun – Kämpferische und bekämpfte Sozialistin, in Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft, 1/97 oder www.spw.de/9701/braun.html, zuletzt abgerufen am 3.3.2013. Interessant ist, dass den drei Frauen ein bürgerlicher Hintergrund gemein ist. 78 Loewenherz, SPD-Parteitag von Gotha 1896, in: Protokolle S. 168. 79 Loewenherz, SPD-Parteitag von Gotha 1896, in: Protokolle S. 168; eine Zusammenfassung von Loewenherzs Stellungnahme auf dem Parteitag findet sich auch in einem „Die Frauenfrage auf dem sozialdemokratischen Parteitage“ betiteltem Artikel in der Gleichheit vom 28. Oktober 1896, Nr. 22, S. 171. 80 Loewenherz, SPD-Parteitag von Gotha 1896, in: Protokolle S. 168: „[…] aber es giebt auch innerhalb unserer Partei Personen, für die der Besitz und nicht die Person der Frau maßgebend ist. […] Die „Leipziger Volkszeitung“ schrieb im vorigen Jahre, daß in einer Zeit, wo
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Die Positionierung der proletarischen Frauenbewegung
ihrer Kritik an der Einstellung sozialdemokratischer Männer zur sogenannten Frauenfrage gehörte Johanna Loewenherz zu den wenigen Frauen, die die Grundhaltung der Männer der Arbeiterklasse zur Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter in Frage stellte. Loewenherz vertritt in ihrer Stellungnahme weiterhin die Ansicht, die Partei sei bezüglich der Frauenfrage zu sehr in der Theorie verfangen und verkenne die tatsächlichen Gegebenheiten. Diese ließen eine Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Frauen als sinnvoll erscheinen.81 Wohl wissend, dass sie mit dieser Auffassung nicht auf große Zustimmung stoßen würde, erhofft sich Johanna Loewenherz von der Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Frauen einen größeren Erfolg für die gemeinsamen Forderungen. Sie geht sogar so weit, diese Auffassung mit dem nach ihrer Meinung nach nicht bestehenden „Überfluss an Intelligenz“ in der proletarischen Bewegung zu begründen, und meint, dass die proletarische Frauenbewegung von der Bildung einiger bürgerlicher Frauen profitieren könne.82 Der Aspekt der möglichen Synergieeffekte und die höhere Effektivität der Arbeit der beiden Bewegungen durch eine Zusammenarbeit werden von Seiten Zetkins hingegen an keiner Stelle erörtert. Eine weitere Kritikerin Zetkins war Henriette Fürth, die etwa auf dem SPDParteitag in Gotha 1896 Zetkins Referat entgegentritt83. Die Auseinandersetzung über das Verhältnis der beiden Frauenbewegungen zueinander führen beide Frauen später in der Zeitschrift Die Gleichheit weiter.84 Fürth übt ebenfalls Kritik an der von Zetkin protegierten reinlichen Scheidung und weist auf die Fortentwicklung der Ansichten der bürgerlichen Frauenbewegung hin, die in vielerlei Hinsicht, mit denen der proletarischen übereinstimmen: „Und doch; was von dem, was Frau Zetkin als nächste Aufgaben der proletarischen Frau-
enbewegung bezeichnete, ist nicht Programmforderung, vielfach nachdrücklich vertretene Programmforderung des linken Flügels der bürgerlichen Frauen? Arbeiterinnenschutz und
weibliche Fabrikinspektoren, gleicher Lohn bei gleicher Leistung, politische Gleichberechtigung und privatrechtliche Gleichstellung; man hat sich von Seite der vorgeschrittenen
bürgerlichen Frauenrechtlerinnen dafür eingesetzt, und die Niederlage dieses Sommers, ge-
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der Besitz gilt und wo die Person an sich nichts bedeutet, es auch der Frau möglich ist, ihre Gleichberechtigung zu beweisen. Das ist nichts weiter als ein Aufwärmen des Märchens der Inferiorität der Frau.“ Loewenherz, SPD-Parteitag von Gotha 1896, in: Protokolle S. 168. Loewenherz, SPD-Parteitag von Gotha 1896, in: Protokolle S. 168. Zetkin, Protokoll des SPD-Parteitages, Gotha 1896, S. 160–168; Fürth, Die Frauenbewegung und der Sozialdemokratische Parteitag, 1896, in: Niggemann (Hg.), Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, 1981, S. 111–114. Die Gleichheit vom 9. Dezember 1896 und vom 23. Dezember 1896.
Reinliche Scheidung
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legentlich der Berathung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, war eine so imposante, daß sie in ihrer moralischen Wirkung einem Sieg gleich zu setzen ist.“85
Es wäre daher nicht nur sinnvoll, sondern würde auch für die Erhabenheit der proletarischen Frauenbewegung stehen, wenn diese sich zu einer Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Bewegung bewegen ließe, die sich schließlich als lernfähig erwiesen habe.86 Selbst Zetkin billigt den Großteil der Forderungen der bürgerlichen Frauenbewegung. Warum sich die proletarische Frauenbewegung nicht den an den Reichstag gerichteten Petitionen der bürgerlichen Frauen anschlossen, ist daher auf den ersten Blick nicht nachzuvollziehen. Es muss deshalb eine andere Motivation Zetkins gewesen sein, die sie zu der strikten Ablehnung jeglicher Kooperation bewegt hat. Plat vermutet einen Grund in der relativen Schwäche der proletarischen Frauenbewegung, da die marxistischen Anschauungen über die Rolle der Frau bei weitem nicht die kleinbürgerlichen Anschauungen in der Arbeiterklasse innerhalb der Partei verdrängt hatten.87 Dazu komme das geringe Selbstbewusstsein der Arbeiterinnen im Allgemeinen und ihr wenig ausgeprägtes politisches Bewusstsein im Besonderen. Diesem Standpunkt Plats ist beizupflichten. Die proletarischen Frauen befanden sich im bereits beschriebenen Konflikt zwischen der Solidarität aller Frauen, gleich aus welcher Klasse, und der der Arbeiterklasse als solcher. Eine weitere mögliche Erklärung für die oben beschriebene Positionierung der proletarischen Frauen ist das harte, enge, bescheidene Leben, das bürgerliche Vorstellungen von einer harmonischen Familie, in der der Mann das Geld verdient und die Frau auf die Haushaltsführung beschränkt bleibt, stark förderte. Der Großteil der Arbeiter und Arbeiterinnen verstand zwar die marxistische Aufforderung zum Klassenkampf, löste sich aber nicht aus den eigenen gesellschaftlichen, kleinbürgerlich geprägten Vorstellungen von Familie. Das geringe politische Bewusstsein der proletarischen Frauen zeigt sich anhand eines Blickes auf die geringe Anzahl in der proletarischen Frauenbewegung tatsächlich aktiver Frauen zur Zeit der Zivilrechtskodifikation.88 Zu einer Massenbewegung wurde die proletarische Frauenbewegung erst zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts.89 85 Fürth, Die Gleichheit vom 9. Dezember 1896, Nr. 25, S. 198. 86 Fürth, Die Gleichheit vom 9. Dezember 1896, Nr. 25, S. 198. 87 Plat, Du sollst nicht ihr Herr sein!, Sozialdemokratie und Familienrecht; ein Beitrag zur Entstehung des BGB (1896), 1994, S. 102/103. 88 S. dazu Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, 1979, S. 70/71/192. 89 S. dazu Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, 1979, S. 192–195.
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Die Positionierung der proletarischen Frauenbewegung
3. Wertung Der wesentliche Unterschied zwischen proletarischer und bürgerlicher Frauenbewegung lag darin, dass die bürgerlichen Frauen das „Frauengeschlecht“ genauso wie die gesamte Arbeiterklasse als eine unterdrückte Klasse ansahen. Das genügte den proletarischen Frauen aber nicht dafür, sie als Klassenkämpferinnen zu sehen. Für sie waren die bürgerlichen Frauen vielmehr Teil der von ihnen zu bekämpfenden Klasse.90 Die heftigen Debatten auf bürgerlicher wie proletarischer Seite über das Verhältnis der beiden Bewegungen zueinander zeigen die Meinungsvielfalt zu dieser Frage. Betrachtet man die recht geringe Anzahl in der proletarischen Frauenbewegung zu der Zeit aktiver Frauen, so stellte die Anzahl derer, die sich für die Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Frauenbewegung aussprachen, eine relevante Größe dar. Die Umsetzung ihrer Forderungen nach einer Zusammenarbeit wurde aber von den jeweiligen Führungspersönlichkeiten, für die proletarische Bewegung vor allem durch Clara Zetkin aufgrund ihres großen Einflusses, den sie nicht zuletzt durch die Redaktion der Zeitschrift Die Gleichheit hatte, verhindert. Mit ihrer Abgrenzung zur bürgerlichen Frauenbewegung bemühte sich Zetkin um eine eigene Linie für die proletarische Frauenbewegung, der sie auch den „wirklichen Einsatz für die Gleichberechtigung der Frau“ zuschrieb. Die bürgerliche Frauenbewegung und alle bürgerlichen Parteien, so Zetkin, fürchteten die Proletarierinnen hingegen und beriefen sich auf die „natürliche“ und „sittliche“ Bestimmung des weiblichen Geschlechts.91 Den Hauptgrund für die Ablehnung der Gleichberechtigung von Frau und Mann durch die bürgerlichen Parteien sah sie in der Angst vor der Eroberung der von bürgerlichen Männern besetzten Berufe durch Frauen.92 Dass diese Angst auch unter den Männern der Arbeiterklasse existierte, brachte Zetkin hingegen nicht zur Sprache. Zetkin war über die Organisation der bürgerlichen Frauenbewegung stets gut informiert, sie besuchte sogar bürgerliche Frauenkonferenzen93, was ihr zu einem Wissensvorsprung gegenüber ihren Mitstreiterinnen verhalf. Man könnte in die90 So Zetkin in ihrer Stellungnahme in der Gleichheit vom 9. Dezember 1896, Nr. 25, S. 198 als Entgegnung auf den von Henriette Fürth verfassten Artikel zur Positionierung gegenüber der bürgerlichen Frauenbewegung. 91 Die Gleichheit vom 6. März 1895, Der erste Ansturm, S. 84/85; Die Gleichheit vom 13. April 1894, Die Gleichstellung der Frau mit dem Manne, S. 63. 92 Die Gleichheit vom 6. März 1895, S. 85. 93 Dies folgt aus ihren Stellungnahmen in der Zeitschrift Die Gleichheit mit folgenden Titeln: „Frauenrechtlerische Harmonieduselei“, 9. Januar 1895, S. 6, „Die Stellungnahme der deutschen Frauenrechtlerinnen zu den auf die Rechte der Frau bezüglichen Bestimmungen des neuen bürgerlichen Gesetzbuches“, 8. Juli 1896, S. 111, „Die Frauenfrage auf dem evangelischsozialen Kongreß“, 21. Juli 1897, S. 113–115, „Der Kongreß der gemäßigten Frauenrechtlerinnen
Wertung
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ser Tatsache einen Widerspruch zu der von ihr protegierten „reinlichen Scheidung“ sehen. Was sie auf Agitationsebene strikt ablehnte, war auf persönlicher Ebene selbstverständlich. Vielleicht ist es auch Zetkin zuzuschreiben, durch ihren Austausch mit den bürgerlichen Frauen, die ernsthafte Überlegung einiger bürgerlicher Frauen hervorgerufen zu haben, in die proletarische Frauenbewegung überzutreten. Diesen Schritt, der viel Mut erforderte, tat ausschließlich Lily Braun. Minna Cauer94, schrieb nach einem Treffen mit Zetkin im Jahr 1913 in ihrem Tagebuch: „Im Grunde bin ich Sozialistin, das spüre ich […] Die bürgerlichen Frauen wissen nicht, was sie wollen, und die Sozialdemokratinnen würden mich nie für voll ansehen. Sie haben recht. Es gehört viel dazu, uns zu trauen.“95
Letztlich war es tatsächlich unter anderem die von staatlicher Seite geschürte Angst vieler bürgerlicher Frauen vor der Sozialdemokratie, die dazu führte, dass man sich auf Versammlungen der bürgerlichen Frauen gegen die Zusammenarbeit mit sozialdemokratischen Frauenorganisationen aussprach. Die sozialdemokratische Einbindung der proletarischen Frauen stellt somit zumindest einen Grund für die Trennung der beiden Bewegungen dar. Daneben existierte die Befürchtung der proletarischen Frauen, vor allem ihrer Führerinnen, im Falle einer Zusammenarbeit die Führungsrolle aus den Händen zu geben und in der bürgerlichen Bewegung aufzugehen. Dazu kam eine besondere Empfindsamkeit der proletarischen Frauenbewegung, nicht von der bürgerlichen um Mitarbeit gebeten zu werden. All diese Erwägungen der proletarischen Frauenbewegung rührten also nicht aus jenen für die Sache an sich, sondern aus welchen, die die Umstände außerhalb in Stuttgart“, 10. November 1897, S. 179/180, „Der Delegiertentag der Vereine „Frauenwohl“, 24. November 1897, S. 188, „Frauenbewegung.“, 8. Februar 1898, S. 23, „Stellungnahme der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen zu den bevorstehenden Wahlen“, 13. April 1898, S. 64, „Stellungnahme der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen zu den Wahlen.“, 27. April 1898, S. 69/70. Alle Artikel sind anonym veröffentlicht. Die Vermutung liegt nahe, dass sie von Zetkin als Herausgeberin der Zeitschrift verfasst wurden. 94 Minna Cauer (1841–1922) engagierte sich ab 1888 in der bürgerlichen Berliner Frauenbewegung. Sie war Mitbegründerin des Vereins Frauenwohl und dem radikalen Flügel der Frauenbewegung zuzuordnen. In den Vordergrund trat sie vor allem mit der Herausgabe der Zeitschrift Die Frauenbewegung, die sie 1895 zunächst zusammen mit Lily Braun, später allein herausgab. 1896 organisierte sie zusammen mit Lina Morgenstern den Internationalen Frauenkongreß in Berlin. Das Hauptanliegen Cauers war die Erlangung des Frauenstimmrechts, wozu sie zeitweise eng mit Anita Augspurg zusammenarbeite. Weitergehend s. Else Lüders, Minna Cauer. Leben und Werk, Stuttgart 1925. 95 Cauer, Tagebücher, abgedruckt in Niggemann (Hg.), Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, 1981, S. 121–122.
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Die Positionierung der proletarischen Frauenbewegung
der inhaltlichen Arbeit hervorriefen. Schließlich trug das Sozialistengesetz einen großen Teil dazu bei, dass das Klassenbewusstsein eine besondere Ausprägung fand und die proletarischen Frauen sich vornehmlich mit den Männern ihrer Klasse solidarisierten. In der Abgrenzung von der bürgerlichen Frauenbewegung lag im Wesentlichen die Definition der proletarischen Frauenbewegung. Anders als die Mitglieder der Reichstagsfraktion forderte die proletarische Frauenbewegung im Jahr 1894 noch in Abgrenzung zu der bürgerlichen Frauenbewegung eine Revolution, was den Schluss zulässt, dass sie kompromissloser waren als die Mitglieder der SPD-Reichstagsfraktion. Dies liegt unter anderem in ihrer Stellung als außerparlamentarische Opposition. Plat weist zwar darauf hin, dass die proletarische Frauenbewegung in der Zeitschrift Die Gleichheit gegen die SPD-Fraktion – aufgrund der Unterstützung des Antrags des konservativen Stumm-Halberg zum Güterrecht – polemisiere.96 Insgesamt aber kann nicht nur eine einheitliche Linie hinsichtlich der Forderungen zum Eherecht, sondern auch eine enge Zusammenarbeit und ein allgemeiner Konsens vor allem mit dem Abgeordneten Bebel festgestellt werden. Frohme, Bebel und Stadthagen werden in der Zeitschrift Die Gleichheit regelmäßig zitiert und ihre Argumentationen hinsichtlich der Kritik des BGB-Entwurfs übernommen.97 Festzuhalten bleibt jedoch auch, dass die proletarische Frauenbewegung zumindest bis zur Auseinandersetzung mit den konkreten Regelungen des BGB-Entwurfs ab 1895 der rechtlichen Stellung der Frau zugunsten der gesellschaftlichen Stellung der Frau eine recht geringe Bedeutung beimaß. Dies änderte sich aber – wie bereits dargestellt – in den Folgejahren. 4. Lily Braun und ihre Vermittlungsversuche Besondere Beachtung verdient Lily Braun (1865–1916), die sich im Hinblick auf das Verhältnis von bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung als Vermittlerin zwischen den beiden Bewegungen hervortat. Sie war zunächst in der bürgerlichen Bewegung aktiv, wurde Sozialdemokratin und wechselte schließlich zur proletarischen Frauenbewegung. 96 Plat, Du sollst nicht ihr Herr sein!, Sozialdemokratie und Familienrecht; ein Beitrag zur Entstehung des BGB (1896), 1994, S. 105. 97 Die Gleichheit vom 22. Juli 1892: Vortrag Bebels über die soziale Stellung der Frau, S. 22; Die Gleichheit vom 8. Juli 1896, S. 107–110: Bebels Rede im Reichstage zur Frage der Eheschließung; Die Gleichheit vom 22. Juli 1896, S. 116–118: Bebels Rede im Reichstage für die Gleichberechtigung in der Ehe; Die Gleichheit vom 10. Juni 1896, S. 90/91: Die Ehescheidung im Entwurf eines neuen bürgerlichen Gesetzbuches und vor der Kommission zur Vorberathung desselben.
Lily Braun und ihre Vermittlungsversuche
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a) Leben und Werk Lily Braun98 wurde als Tochter des preußischen Generals Hans von Kretschmann in Halberstadt geboren.99 Bis zum Alter von 25 Jahren führte sie das Leben einer jungen Frau ihrer Gesellschaftsschicht. Nach der Entlassung ihres Vaters aus der Armee im Jahr 1890 lernte sie Armut und soziale Unsicherheit kennen. Für ihre persönliche Entwicklung bedeutete dies den Bruch mit ihrer Vergangenheit: Im darauf folgenden Jahr ging sie nach Berlin und lernte dort den Kathedersozialisten Prof. Georg von Gizicky100 kennen, einen begeisterten Vertreter der „ethischen Kultur“ mit starkem Hang zum radikalen Liberalismus.101 Von der „Ethischen Bewegung“102 beeinflusst, glaubte Lily Braun eine Aufgabe gefunden zu haben, die geprägt war von idealistischen Vorstellungen über die Notwendigkeit des Vertrauens auf das Gute im Menschen, von der Hoffnung auf Befreiung von Dogma und Kirche – ein vager emotionaler Idealismus also, den sie am Anfang der neunziger Jahre für Sozialismus hielt.103 Unter diesem Einfluss wurde Braun sowohl in 98 Lily Braun wurde als Amalie von Kretschmann geboren, hieß nach der Eheschließung mit Georg von Gizicky ebenso und erhielt erst nach Eingehung ihrer zweiten Ehe mit Heinrich Braun den Familiennamen Braun. Sie wird im Folgenden durchgängig Lily Braun genannt. 99 Zum Leben und Werk Brauns s. Bouvier, Einleitung in Lily Braun, Die Frauenfrage, 1979; Juchacz, Sie lebten für eine bessere Welt. Lebensbilder führender Frauen des 19. und 20. Jahrhunderts, 1955; in Form eines Schlüsselromans mit dem Titel Momoiren einer Sozialistin schildert Braun selbst ihr Leben und ihren politischen Werdegang, in: Lily Braun, Gesammelte Werke , Bd. 2 u. 3, Berlin o. J.; Vogelstein, Lily Braun. Ein Lebensbild, in: Lily Braun. Gesammelte Werke I, S. IC. 100 Georg von Gizicky (1851–1895) war Gründer der Gesellschaft für ethische Kultur und der nach ihr benannten Zeitschrift Ethische Kultur. 101 Bouvier, Einleitung in Lily Braun, Die Frauenfrage, 1979, S. VIII. 102 Die Anhänger der ethischen Kultur setzten sich für die „Pflege menschlicher Kultur“ ein, die ein Zustand der Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Menschlichkeit und gegenseitiger Achtung darstellen sollte. Der entsprechende Unterricht war frei von spaltenden religiösen Dogmen. Gefordert wurde auch, dass sich der Mensch als nächste Ursache erkennt und das Gewünschte selbst herbeiführt statt nur dafür zu beten. Dem Gedankengut sollte entsprechendes Handeln folgen. Die Bewegung betrachtete sich aber nicht als Gegner der Kirche. Das, was die Menschen verbindet, wollte sie nicht auf Vorstellungen gründen, welche die Menschen trennen. Sie befolgte daher den Grundsatz, die sittliche Bildung gänzlich unabhängig von allen theologischen Begriffen allein aus den tieferen Existenzbedingungen und Grundgesetzen der Natur und ihrer untrennbaren Wechselwirkung mit der Gemeinschaft zu entwickeln. Der Glaube an einen persönlichen Gott wurde von der Gemeinschaft nicht verlangt. Ferner sah sich die Bewegung als Antwort auf die Soziale- bzw. Arbeiterfrage. Denn würden sich, so die historische Logik, die moralischen Verhältnisse verbessern, müsste das auch eine Verbesserung der äußeren Lebensbedingungen nach sich ziehen. Weitergehend Penzig, Die ethische Bewegung in Deutschland, 1926. 103 Bouvier, Einleitung in Lily Braun, Die Frauenfrage, 1979, S. VIII.
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Die Positionierung der proletarischen Frauenbewegung
der ethischen Kulturbewegung als auch in der ihr zu dieser Zeit nahe stehenden bürgerlichen Frauenbewegung in Berlin aktiv, in deren Rahmen sie 1895 als erste deutsche Frauenrechtlerin eine Rede für das Frauenstimmrecht hielt.104 Schon zu dieser Zeit begeisterte sich Braun für die Sozialdemokratie. Inzwischen hatte sie den damals bereits schwer kranken Georg von Gizycki geheiratet, der noch im Jahr ihrer Eheschließung starb. In der als radikal geltenden Berliner Frauenbewegung gab es eine Reihe von Mitgliedern, die mit der Sozialdemokratie sympathisierten, aber Lily Brauns Sympathien waren stärker als die der meisten anderen. Bereits 1895 war sie nahezu bereit, in die SPD einzutreten und ihr Engagement in der bürgerlichen Frauenbewegung aufzugeben. Es war wahrscheinlich die Furcht vor sozialer Unsicherheit und Isolierung, die sie davon abhielt, diesen Schritt zu tun. Braun wusste sehr wohl, dass ein Eintritt in die SPD für sie einen Bruch mit einem Großteil ihres damaligen Umfeldes bedeutete. In einem Brief an Karl Kautsky stellte sie die Überlegung an, dass es von größerem Nutzen für die Sozialdemokratie sei, wenn sie weiterhin Kontakt zu ihren bürgerlichen Kreisen hätte und versuchen würde, ihre Mitmenschen für die Sozialdemokratie zu gewinnen. Wäre sie aktives Mitglied der SPD, könne sie diesen Dienst nicht mehr leisten.105 Schließlich entschloss sich Braun aber doch zu dem großen und lange überlegten Schritt: 1896 trat sie in die Sozialdemokratische Partei ein. Diese Entscheidung dürfte von Brauns Bekanntschaft mit dem revisionistischen SPD-Politiker Heinrich Braun beeinflusst gewesen sein, den sie bald nach dem Tod von Gizyckis geheiratet hatte. Lily Braun war fortan in der proletarischen Frauenbewegung aktiv und lieferte sich, wie bereits beschrieben, vehemente Richtungskämpfe mit Clara Zetkin. Unter Sozialismus verstand Braun eine Bewegung zur Befreiung der gesamten Menschheit, nicht dagegen nur einer Klasse zum Schaden anderer. Ihrer Meinung nach sollten die Sozialisten endlich einsehen, dass „diese bösen „Bourgeois“ auch Menschen seien“106. Brauns Standpunkt, dass die Frauen aller Klassen zusammen104 Von Gizycki, Die Bürgerpflicht der Frau, 1895, S. 1–24. 105 Braun schreibt: „Die Sozialdemokratie verlangt von ihren Vertretern, daß sie auf dem Boden des Klassenkampfes stehen. Ich gestehe Ihnen offen, daß weder mein Mann, noch ich diesen Satz verstanden haben […] Meine Ansicht ist diese: es besteht ein Klassenkampf zwischen der Arbeiterschaft und der Bourgeoisie […] Einzelne Mitglieder der Bourgeoisie können – und sind – nun zwar überzeugt von der Erreichbarkeit der Ziele der Arbeiterklasse […] , aber sie […] sagen: Was nütze ich, wenn ich jetzt offenkundig zur Sozialdemokratie übertrete? Meine Klassengenossen wenden sich alle von mir ab, ich verliere mein Einkommen. […] Bleibe ich dagegen, wo ich bin, so kann ich meine Familie, meine Freunde und Klassengenossen, ohne daß sie es selber merken, mehr und mehr für die Sozialdemokratie gewinnen.“ Zitiert nach Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, 1979, S. 104/105. 106 Zitiert nach Bouvier, Einleitung in Lily Braun, Die Frauenfrage, 1979, S. XIV.
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halten sollten, wurde bereits bei der Gründung des Bundes deutscher Frauenvereine (BDF), im Rahmen derer sich Braun zusammen mit Minna Cauer für die Zulassung von sozialdemokratischen Frauenorganisationen aussprach, deutlich. Die beiden konnten ihren Standpunkt jedoch nicht durchsetzen. Im Jahr 1901 gab Lily Braun ihr Buch Die Frauenfrage heraus, welches Bebel in der Neuen Zeit sehr wohlwollend rezensierte und welches er als ein Buch, „das in der Literatur über die Frauenfrage einen der ersten Plätze einnimmt“107, bezeichnete.108 Ein zweiter Band zu dem Buch war von Braun geplant, erschien aber nie. Nach vielen Kontroversen innerhalb der proletarischen Frauenbewegung, vernehmlich mit Zetkin, zog sich Lily Braun im Jahr 1907 aus dem aktiven Parteileben zurück und war fortan bis zu ihrem Tod im Jahr 1916 schriftstellerisch tätig. Ihr bekanntestes Werk ist ihr Buch Memoiren einer Sozialistin. b) Brauns „Die Frauenfrage“ und ihre Sicht auf dieselbe Der Richtungsstreit zwischen Braun und Zetkin, der in der Literatur ausgiebig dargestellt wurde109, gibt Aufschluss über die Positionierung der Bewegung im Hinblick auf das BGB. Spätestens als Lily Braun ihr Buch Die Frauenfrage veröffentlicht hatte, in dem sie nur sehr knapp auf die proletarische, hingegen aber recht ausführlich auf die bürgerliche Frauenbewegung eingeht110, hatte sie die Missgunst Zetkins endgültig für sich gesichert. Braun stellte für Zetkin die größte Widersacherin dar und wurde von Zetkin zunehmend als Gefahr für ihre herausragende Position in der proletarischen Frauenbewegung gesehen, deren politische Richtung sie maßgeblich beeinflusste. Hinzu kam, dass Zetkin nie ein so umfassendes Werk verfasst hatte, wie es Lily Braun mit ihrer Frauenfrage gelungen war. Die erste Auseinandersetzung führten Lily Braun und Clara Zetkin bereits 1895 in der Frage um die Beteiligung der proletarischen Frauenbewegung an einer Petition zur Reform des Vereinsgesetzes, welche Lily Braun als Vertreterin des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung initiiert hatte. Sie erhoffte sich mit ihrer Aktion, Unterschriften aus der proletarischen Frauenbewegung zu bekommen. Zetkin lehnte die Aktion mit der Begründung ab, dass sie keine spezifischen sozialistischen Forderungen enthalte und machte damit ihren Standpunkt erneut klar: 107 Zitiert nach Bouvier, Einleitung in Lily Braun, Die Frauenfrage, 1979, S. XXII. 108 Braun verfolgt in ihrem Buch die Linie Engels und Bebels und geht von einem Mutterrecht aus, welches sie in Anlehnung an Engels darstellt. Braun, Die Frauenfrage, 1901, S. 6/7. 109 S. hierzu Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, 1979, S. 128–147; Bouvier, Einleitung in Lily Braun, Die Frauenfrage, 1979, S. XIII-XXII. 110 Sie widmete der bürgerlichen Frauenbewegung mehrere Kapitel (S. 99–155, S. 463–481) während sie die proletarische Frauenbewegung so weit wie möglich vermied und diese nur im Rahmen ihrer Ausführungen zur Arbeiterinnenbewegung erwähnte.
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Die Positionierung der proletarischen Frauenbewegung
Ziel der Bewegung sollte eine sozialistische Gesellschaft sein. Daher bedeutete für sie der Einsatz für Reformen in der bestehenden Gesellschaftsform vergebliche Mühe. In Konsequenz sollten die Frauen ihre frauenspezifischen Anliegen dem Hauptziel unterordnen. Als Lily Braun 1896 schließlich doch in die Sozialdemokratische Partei eintrat, empfing man sie auch in der proletarischen Frauenbewegung sehr freundlich. Zetkin übertrug ihr noch im selben Jahr die Mitherausgeberschaft der Zeitschrift Die Gleichheit. Braun vertrat zunächst Zetkins Linie und äußerte sich kritisch über eine Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Frauenbewegung. So schreibt Braun in einem Artikel der Zeitschrift Die Gleichheit vom 11. November 1896 mit dem Titel: Bürgerliche und proletarische Frauenbewegung: „Ein gemeinsames Vorgehen (ist, Verf.) niemals zu erreichen.“ 111
Erst nachdem Braun in der Bewegung Fuß gefasst hatte, wagte sie Stellungnahmen, die im Widerspruch zur Linie Zetkins standen, was zu einem heftigen Schlagabtausch der beiden in der Zeitschrift Die Gleichheit führte. Braun forderte die Gründung eines von ihr geführten Informationsbüros, welches Informationen zur sozialen Lage benutzen sollte, um mit entsprechenden Anträgen die Regierung und den Reichstag dazu zu bewegen, Gesetze zur Verbesserung der sozialen Lage der Frau zu veranlassen. Nicht nur, dass Braun ihren Agitationsschwerpunkt in der Verbesserung der Lage der Frau im Allgemeinen sah und nicht, wie Zetkin, die das Hauptanliegen der proletarischen Frauenbewegung im Klassenkampf der Arbeiterklasse erblickte; die Realisierung von Brauns Plan hätte eine Konkurrenz zu Zetkins Arbeitsmodell der Vertrauenspersonen bedeutet. Vor allem die Absicht Brauns, örtliche Studiengruppen mit Hilfe von befähigten Frauen aufzubauen112, schürte die Befürchtung Zetkins, Braun wollte ihre Berliner Agitationskommission umgehen. Braun, die sich bei dem Vorschlag des Modells der örtlichen Stu-
111 Die Gleichheit vom 11. November 1896, S. 178–180. 112 Braun sieht in einem Artikel der Gleichheit vom 17. März 1897 mit dem Titel „Die nächsten Aufgaben der deutschen Arbeiterinnenbewegung“, S. 41/42, die Bildung von vier Gruppen vor: 1. Die Generalkommission der Gewerkschaften, die sich bereits mit der Lage der Frauen auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt; 2. Die „bibliographische Gruppe“, die Informationen über Frauenarbeit, Arbeiterinnenschutzgesetze und die soziale und wirtschaftliche Lage im allgemeinen sammeln sollen und verständliche Quellen über diese Themen schaffen sollen; 3. Die juristische Gruppe, die Gerichtsentscheidungen sammeln und an Arbeiterinnen und Fabrikinspektoren weiterleiten soll; 4. Die Gruppe, die für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig sein soll und durch Veröffentlichungen in der Presse und durch die Herausgabe von Flugblättern auf die Anliegen der Frauen und Arbeiterinnen aufmerksam machen soll.
Lily Braun und ihre Vermittlungsversuche
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diengruppen an einem auf den englischen Fabianismus113 zurückführenden Konzept orientiert hatte, beging zudem den taktischen Fehler, ihr Konzept führenden Mitgliedern der Partei vorzustellen, bevor sie es mit Zetkin besprochen hatte.114 Für Braun war die sog. Frauenfrage nicht so eng mit dem Klassenkampf der Arbeiterklasse verbunden wie für Zetkin. Sie war vielmehr das Bestreben nach Freiheit für alle, auch für Frauen. Ob sich Braun zur Durchsetzung ihres Ziels eine „soziale Revolution“ vorstellte und sich im Fall einer Vereinigung der beiden Frauenbewegungen die Übernahme des revolutionären Ziels der Sozialdemokratie für die Frauenbewegung vorstellte, wie Bouvier meint, ist zweifelhaft. 115 Brauns durch und durch revisionistischen Ansätze, die auch schon früher von den oben genannten Johanna Loewenherz und Henriette Fürth und später von Gertrud David und Wally Zeppler vertreten wurden, lassen vielmehr den Schluss zu, dass eine einheitliche Bewegung ganz im Sinne der Frauenrechtsbewegung, den Weg nach Gleichberechtigung der Frau über die Forderung nach entsprechenden Gesetzen gesucht hätte. c) Wertung Der Streit zwischen Zetkin und Braun war für die Weiterentwicklung der proletarischen Frauenbewegung von immenser Bedeutung. Zetkin gewann ihn zumindest bis zu der Auseinandersetzung über die Haltung der Bewegung zum Krieg. Dass es in der Frauenwahlrechtsfrage schon vorher zu einer Zusammenarbeit gekommen war, entkräftigte Zetkins Führungsrolle und die grundsätzliche Haltung der proletarischen Frauenbewegung nicht. Ob es allein Zetkin zuzuschreiben ist, dass es zumindest bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein zu keiner Zusammenarbeit der Bewegungen kam, ist jedoch fraglich. Auch die Parteiführung hatte ein Interesse daran, die proletarischen Frauen nicht für den Sozialismus zu verlieren. Dazu kam, dass die Sozialdemokratie vor allem von dem gemäßigten Flügel der bürgerlichen
113 Der Fabianismus entstand aus einer britischen intellektuellen Bewegung, die durch ihre Arbeit im späten 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg als Fabian-Gesellschaft bekannt wurde. Der Fabianismus legt einen Schwerpunkt auf die Weiterentwicklung sozialistischer Ideen durch beständige Einflussnahme auf mächtige intellektuelle Kreise und Gruppen. Die Fabian-Gesellschaft war Ende des 19. Jahrhunderts eine der Wegbereiterinnen der britischen Labour Party und ist auch gegenwärtig noch aktiv. Sie wurde am 4. Januar 1884 in London ins Leben gerufen, als ein Ableger einer 1883 gegründeten Gruppe, die sich „The Fellowship of the New Life“ nannte. Weitergehend Wittig, Der englische Weg zum Sozialismus, 1982. 114 Braun, Memoiren einer Sozialistin, Bd. II, S. 41; Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, 1979, S. 124. 115 Bouvier, Einleitung in Lily Braun, Die Frauenfrage, 1979, S. XIX.
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Proletarische Frauenbewegung und die Zivilrechtskodifikation
Frauenbewegung grundsätzlich abgelehnt wurde.116 Dies ist eine Tatsache, die in der Retrospektive zu bedauern ist. So war der Großteil der proletarischen Frauen in ihren Positionen hinsichtlich Ehe und Familie von dem gemäßigten Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung gar nicht weit entfernt. Festzustellen bleibt jedoch eine Zerrissenheit der proletarischen Frauenbewegung bezüglich der Frage, ob der Einsatz für Veränderungen in der bestehenden Gesellschaftsordnung und damit auch hinsichtlich des Bürgerlichen Gesetzbuches zu fördern war, oder ob das Hauptaugenmerk auf die Revolution, die Schaffung eines Sozialistischen Staates, zu legen war. Zetkins Position, die letztendlich die Bewegung dominierte, führte zu einer Hemmung der Frauen hinsichtlich ihrer politischen Stellungnahmen zum Versammlungsgesetz wie auch zum Bürgerlichen Gesetzbuch.
V. Nebensache oder Lebensfrage? Proletarische Frauenbewegung und die Zivilrechtskodifikation 1. Proletarische Frauenbewegung und Recht „Die Frau, die gegenüber den Strafgesetzen als vollwerthiger Staatsbürger anerkannt ist, wird, in Bezug auf ihre Rechte (im Bürgerlichen Gesetzbuch) zum Staatsbürger zweiter Klasse degradiert.“117
Die proletarische Frauenbewegung reagierte erstmals im August 1895, also bei Erscheinen des zweiten BGB-Entwurfs der zweiten Kommission, mit Artikeln in der Zeitschrift Die Gleichheit auf dessen Inhalte. Da viele Frauen nicht über den Bildungsgrad verfügten, der sie zu einer dezidierten Auseinandersetzung mit dem Entwurf befähigte, blieben die Stellungnahmen und erhobenen Forderungen den führenden Kräften der Bewegung vorbehalten. Die Redaktion der Gleichheit bemühte sich in den Jahren 1895/96 um informative Artikel insbesondere über die neuen familienrechtlichen Regelungen, die häufig von Juristen und/oder Reichstagsabgeordneten verfasst waren. Der Großteil der Artikel wurde anonym veröffentlicht.118
116 So z. B. Alice Salomon, Sozialdemokratie und Frauenbewegung, Berlin, in die Frau 1904/05, S. 33. 117 Aus einer Resolution vom 21. Oktober 1896 in Berlin, in: Die Gleichheit vom 24. Juni 1896, S. 181. 118 Die Vermutung liegt nahe, dass viele von ihnen von Clara Zetkin verfasst wurden. Der Grund für eine anonyme Veröffentlichung könnte darin liegen, dass in diesen Artikeln die Übermittlung von Information im Vordergrund stand und nicht die Meinung der Verfasserin.
Proletarische Frauenbewegung und Rech
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Im Oktober 1895 erhoben die Frauen ihre Stimme auf dem SPD-Parteitag in Breslau. Clara Zetkin und Genossin Gerndt119 stellten folgenden Antrag, der der Reichstagsfraktion einstimmig zur Berücksichtigung überwiesen wird: „1. Die Reichstags-Fraktion wird beauftragt, bei den bevorstehenden Berathungen über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs mit aller Energie die Initiative zu ergreifen für
die Beseitigung aller gesetzlichen Bestimmungen, welche die Frau dem Manne gegenüber benachtheiligen.
2. Bei den bevorstehenden Berathungen über den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs mit aller Energie einzutreten für die Rechte der unverheiratheten Frauen und Mütter, sowie für die Rechte ihrer Kinder.“120
Martha Rohrlack weist auf die große Bedeutung des bürgerlichen Gesetzbuches für die Proletarierinnen hin, die sich vor allem aus den Regelungen zur Stellung der nichtehelichen Kinder zu ihren Vätern sowohl in familien- als auch erbrechtlicher Hinsicht ergeben. Sie fordert daher, „dass die Genossen Versammlungen für die Arbeiterinnen veranstalten, sobald das bürgerliche Gesetzbuch das Parlament beschäftigt121, damit sie über die Wichtigkeit des Gegenstandes aufgeklärt werden.“122 Die organisierten Proletarierinnen beschäftigten sich daher sehr wohl – wie oft in der Sekundärliteratur verkannt – mit dem Zivilrechtsentwurf. Besonders setzten sie sich mit allen Regelungen auseinander, die die rechtliche Stellung der Frau betrafen. Dies waren vor allem die Regelungen des Familienrechts. Anders als die SPD-Reichstagsfraktion setzten sie jedoch den Schwerpunkt auf das Nichtehelichenrecht.123 Aber auch das Eherecht wird immer wieder in der Gleichheit diskutiert. Da es kaum andere Quellen mit Hinweisen auf etwaige Kritik der sozialdemokratischen Frauen zum Familienrecht gibt, kann darauf geschlossen werden, dass gerade in Bezug auf das Familienrecht ein eher breiter Konsens vorherrschte. Die in der Zeitschrift Die Gleichheit erhobenen Forderungen, die in den anonym veröffentlichten Artikeln zu finden sind, werden somit fortan als Forderungen der proletarischen Frauenbewegung bezeichnet.
119 Leider ist Frau Gerndt weder auf der Teilnehmerliste noch auf der Rednerliste des Parteitages verzeichnet. Sie kommt aus Berlin. 120 Protokoll über die Verhandlung des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Breslau 1895, herausgegeben von Dieter Dowe 1978, S. 18. 121 Dies geschah im Januar 1896. 122 Protokoll über die Verhandlung des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Breslau 1895, herausgegeben von Dieter Dowe 1978, S. 94. 123 Zum Nichtehelichenrecht s. Baumgarten, Die Entstehung des Unehelichenrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, 2007.
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Proletarische Frauenbewegung und die Zivilrechtskodifikation
Am 20. und 21. Oktober 1896 fanden in Berlin Protestveranstaltungen gegen das Bürgerliche Gesetzbuch statt, auf denen Emma Ihrer über das Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches referierte.124 Ähnliche Veranstaltungen wurden in fast allen größeren Städten abgehalten.125 Obwohl mehrmals von juristischer Seite aufgefordert, „laut ihre Rechte zu fordern“, damit ihre Stimme gehört werde und zumindest manche Forderungen Berücksichtigung fänden126, hatte sich die proletarische Frauenbewegung entschlossen, nicht den Weg der Petitionen zu wählen wie es die bürgerlichen Frauen taten. Für sie waren die Petitionen der bürgerlichen Frauen lediglich zaghafte Bitten. Mit dem Ausspruch „Sie (die proletarischen Frauen, Verf.) bitten nicht, sie fordern!“127, versuchten sie sich in erster Linie von den bürgerlichen Frauen abzugrenzen. Durch eine Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Frauen hätten die proletarischen Frauen die Vehemenz und vielleicht auch den Erfolg der Petitionen vorantreiben können. In der Rückschau erscheint die damals getroffene Entscheidung jedenfalls als eher ungeschickt und möglicherweise maßgeblich geprägt von der Befürchtung, von der bürgerlichen Bewegung vereinnahmt zu werden.128 2. Der Ursprung: Gleichheit, Gerechtigkeit und Gesetz „Im Namen der Gerechtigkeit, welche der Gesetzgebung zu Grunde liegt, im Namen der Gleichheit, welche jeder Staatsbürger vor dem Gesetze genießen soll, protestieren wir gegen die Rechtlosigkeit der Frau als Gattin und Mutter.“129
Der Ursprung der Rechtsforderungen der proletarischen wie der bürgerlichen Frauen entwickelte sich aus einem Gerechtigkeitsgefühl heraus. Als Ideal für gesetzliche Regelungen ging mit dem Begriff „Gesetz“ für sie notwendigerweise der Begriff „Gerechtigkeit“130 einher. Diese war für die Frauen ein Grundwert menschlichen Zusammenlebens. Interessant ist, was für die Frauen Gerechtigkeit darüber hinaus bedeutete. Im Zusammenhang mit Gerechtigkeit findet sich regelmäßig 124 Die Gleichheit vom 11. November 1896, S. 181/182. 125 Bei den beiden Veranstaltungen in Berlin referierte Emma Ihrer. 126 RA Heine in Die Gleichheit vom 27. November 1895, S. 188. 127 Die Gleichheit vom 11. November 1896, S. 181/182. 128 S. dazu 5. Kapitel IV. 2. 129 Resolution auf einer Protestveranstaltung gegen das BGB in Berlin am 20. Oktober 1896, erklärt von Emma Ihrer. 130 Johanna Loewenherz formulierte: „Gerechtigkeit und Menschlichkeit, als ob das zwei Begriffe wären, da doch alle Menschlichkeit in Ewigkeit nur Gerechtigkeit sein kann. Also nur Gerechtigkeit wollen wir. Und was wäre gerechter als das Gesetz – was sollte gerechter sein!“ In: Prostitution oder Production, Eigentum oder Ehe, 1895, S. 21.
Gleichheit, Gerechtigkeit und Gesetz
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auch die Forderung nach Gleichheit. Gleichheit konnte aber nur durch Gleichberechtigung erreicht werden. Die frühen Stellungnahmen der proletarischen Frauenbewegung beinhalteten daher die Forderung nach absoluter Gleichberechtigung mit dem Mann. Clara Zetkin sprach sich zunächst sogar gegen besondere Schutzvorschriften für Fabrikarbeiterinnen aus.131 Auch auf dem Parteitag in Halle im Jahr 1890 brachten die vier weiblichen Parteitagsdelegierten Ihrer, Gundelach, Blohm und Steinbach einen Antrag ein, der keine besonderen Schutzvorschriften für Frauen vorsah.132 Erst im Laufe der achtziger Jahre erkannten die Frauen eine Notwendigkeit der Ungleichbehandlung von Frau und Mann aufgrund ihrer körperlichen Unterschiede.133 Diese Entwicklung erfolgte parallel bei einem Teil der bürgerlichen Frauen.134 Ein von den Frauen oftmals vorgebrachtes Argument für Gleichberechtigung von Frau und Mann war die Gleichbehandlung der Frau durch die Strafgesetze, die in Konsequenz für sie auch die Gleichbehandlung durch die öffentlich-rechtlichen und die Zivilgesetze bedeutete. Im öffentlichen Recht forderten sie vor allem ein Versammlungs- und Wahlrecht für Frauen. Die Gleichheit, die die Frauen später forderten, war in manchen Bereichen also keine absolute Gleichheit; die Forderungen waren vielmehr von dem Gedanken der „Fairness“ geprägt im dem Sinne, dass die Rechte der Frauen gerade nicht dem kollektiven Wohlergehen der Gesellschaft unterzuordnen sind. Damit setzen die proletarischen Frauen genauso wie die bürgerlichen Frauen ihren Schwerpunkt in der Frauenemanzipation, was zwangsläufig die Zurücksetzung des sozialistischen Ziels bedeutete. Auch wenn in der Zeitschrift Die Gleichheit bis in die neunziger Jahre die Revolution gefordert wurde, waren viele in der proletarischen Frauenbewegung aktive Frauen schon längst von der Notwendigkeit überzeugt, sich innerhalb des bestehenden Systems 131 Zetkin führte auf dem internationalen sozialistischen Arbeiterkongress 1889 in Paris aus: „Da wir unsere Sache durchaus nicht von der Arbeitersache im allgemeinen trennen wollen, werden wir also keine besonderen Forderungen formulieren; wir verlangen keinen anderen Schutz als den, welchen die Arbeit im allgemeinen gegen das Kapital fordert.“ In: Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. 1, 1957, S. 9. 132 Protokoll des SPD-Parteitages in Halle a. S. 1890, S. 184; zudem abgedruckt bei Bauer, Clara Zetkin und die proletarische Frauenbewegung, 1978, S. 125. 133 In der Zeitschrift Die Gleichheit wurde stets für den Arbeiterinnenschutz mit der Begründung eingetreten, dass Frauen in besonderer Weise unter den unmenschlichen Bedingungen der kapitalistischen Produktion zu leiden hätten. Vgl. auch Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären – Der Antifeminismus der proletarischen Frauenbewegung im Spiegel der „Gleichheit“ 1891–1917, 1981, S. 99. 134 Gemeint sind an dieser Stelle vor allem die Frauen, die dem radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung zugeordnet werden. Eine knappe Darstellung der Entwicklung des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung findet sich bei Wurms, kein Einigvolk von Schwestern, in Hervé (Hg.), Geschichte der deutschen Frauenbewegung, 1982, S. 58–63.
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Proletarische Frauenbewegung und die Zivilrechtskodifikation
für Gerechtigkeit einzusetzen und nicht die gesamte Energie auf die Änderung der Gesellschaftsordnung zu verwenden. Im Rahmen dieses pragmatischen und wenig auf theoretischen Grundlagen beruhenden Ansatzes sahen die Frauen Gesetze als Katalysatoren für gesellschaftliche Entwicklungen und damit die Steuerungsfunktion von Recht. Sie erhofften, durch „fortschrittliche“ Gesetze Einfluss auf eine gesellschaftliche Wertekonsensfindung zu haben, was ihre Kompromissbereitschaft hinsichtlich des Inhalts der Gesetze nachvollziehen lässt. 3. Der BGB-Entwurf und die proletarischen Frauenbewegung Zunächst ist zu klären, welchen Stellenwert die proletarischen Frauen dem BGBEntwurf überhaupt beimaßen. Schließlich traten sie anders als die bürgerlichen Frauen nicht mit Petitionen an den Reichstag heran und ihre Stellungnahmen erreichten bei weitem nicht in der Form die Öffentlichkeit wie die der bürgerlichen Frauenbewegung. In einen Artikel der Zeitschrift Die Gleichheit vom 4. März 1896135, der nach der ersten Lesung des Entwurfs im Reichstag erschien, wird die Relevanz des Zivilrechts für die Bevölkerung aufgezeigt. Das Bürgerliche Gesetzbuch habe die Aufgabe, die sich aus dem Privateigentum ergebenden Rechtsverhältnisse zu regeln. Daher durchdringe das Zivilrecht alle gesellschaftlichen Verhältnisse und berühre alle Menschen. Die Arbeiter und Arbeiterinnen begegneten ihm vor allem durch das Arbeitsrecht. Aber auch das Pfandrecht, das Mietrecht und das Sachenrecht beträfen nahezu jedermann. Das Zivilrecht regele auch Verhältnisse, „die sich scheinbar rein aus der menschlichen Natur ergeben“. Es dränge sich zwischen Frau und Mann in der Gestalt des Vermögensrechts der Ehegatten; zwischen Eltern und ihren Kindern erscheine es in der Gestalt des Erbrechts, der Vormundschaft und des Unterhalts. Die Macht des Privateigentums in der Gesellschaft bringe die große Bedeutung des Bürgerlichen Gesetzbuches mit sich. Daher seien auch Familie, Ehe, Vaterschaft, sowie menschliche Freiheit und menschliche Tätigkeit ein kaufmännisches Geschäft. Es gehe also primär um Geldinteressen, die das Privatrecht schützen solle. Hinter diesen Interessen stehe der kapitalistische Staat. Da die Arbeiterklasse demnach auch mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch in Berührung komme, sei ihr Interesse an einem Bürgerlichen Gesetzbuch nur selbstverständlich. An der Entstehung seien sie und der Mittelstand jedoch nicht beteiligt worden.136 135 Die Gleichheit vom 4. März 1896, S. 34. 136 In dem Artikel aus der Zeitschrift Die Gleichheit vom 4. März 1896, S. 34, wird ferner berichtet, dass der Geheimrat Professor Rudolph Sohm (1841–1917), der Mitglied der XII. Kommission war, auf den Vorwurf Stadthagens, die Arbeiterklasse sei bei der Erarbeitung des Gesetzes nicht beteiligt gewesen, entgegnet habe, er sei selbst Arbeiter und die Arbeiterklasse
Das Eherecht des BGB-Entwurfs in der Kritik
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4. Das Eherecht des BGB-Entwurfs in der Kritik der proletarischen Frauenbewegung „Und er soll Dein Herr sein.“137
Die proletarische Frauenbewegung nahm in der Zeitschrift Die Gleichheit den Jahren 1895 und 1896 zum Eherecht des BGB-Entwurfs Stellung.138 a) Zur rechtlichen Stellung der Frau in der Ehe Die proletarische Frauenbewegung beschäftigte sich mit dem Gesetzesentwurf vor allem unter dem Aspekt der rechtlichen Stellung der Frau. Ihre Hauptkritik galt dabei der Verankerung der Vorherrschaft des Mannes im Entwurf. Dieser bliebe das Oberhaupt der Familie, ihm obliege die Erziehung der Kinder und die Vertretung der Kinder und ihm stehe die Erteilung des Ehekonsenses zu. Die Vorherrschaft des Mannes widerspreche jedoch der Praxis des Lebens. 139 Eine Gleichberechtigung von Frau und Mann in der Ehe wird also konkret aufgrund der tatsächlichen Umstände für notwendig erachtet, nicht aus dem Grundsatz der Gleichheit aller Menschen. In der Zeitschrift Die Gleichheit findet sich weitere Kritik: Der BGB-Entwurf sei in Wirklichkeit die Manifestierung der Interessen der besitzenden Klassen. Die angebliche Verbesserung der rechtlichen Stellung der Frau sei bloß vorgeschoben, um den Entwurf konsensfähiger zu machen.140 Auch Freiherr v. Stumm-Halberg141, der sich ausdrücklich für die Verbesserung der privatrechtlichen Stellung der Frau einsetze, ginge es nicht um eine Gleichberechtigung der Frau mit dem Mann, sondern um den Schutz des „Vermögensbesitzes, d. h. des Geldsacks“ 142. Obwohl die proletarischen Frauen überwiegend lediglich über sehr kleine Vermögenswerte verfügten oder gar vollkommen vermögenslos waren, erachteten sie sich von vermögensrechtlichen Fragen betroffen. Ihre Kritik galt dem § 1262 des Entwurfs, wonach vermutet wird, dass die im Besitze eines oder beider Ehegatten sei durch ihn vertreten worden. Zum Leben und Werk Sohms. s. Bader, Rudolph Sohm als Jurist und Rechtshistoriker, in Juristen-Jahrbuch 5, S. 1–15. 137 Die Gleichheit vom 24. Juni 1896, S. 101. 138 Ihre Kritik bezog sich teilweise anders als die der SPD-Reichstagsfraktion auf den zweiten Entwurf. Die von ihnen genannten Paragraphen stimmen somit nicht mit denen im 4. Kapitel zitierten überein. 139 Die Gleichheit vom 27. November 1895, S. 188. 140 Die Gleichheit vom 4. März 1896, S. 34. 141 Carl Ferdinand von Stumm-Halberg war Mitglied der Freikonservativen Partei. 142 Die Gleichheit vom 4. März 1896, S. 35.
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Proletarische Frauenbewegung und die Zivilrechtskodifikation
befindlichen Sachen dem Mann gehören. Diese Regelung sei nicht zu billigen und vielmehr dahingehend abzuändern, dass die Sachen stets beiden Ehegatten gehörten.143 Als fortschrittlich bezeichneten sie hingegen § 1266 des Entwurfs, wonach Vorbehaltsgut ist, was die Frau durch ihre Arbeit oder den selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäftes erwirbt. Einziger Kritikpunkt stellt für sie die Beweislast dar, die der Frau auferlegt werde. Eine weitere Verbesserung bedeuteten ihrer Auffassung nach die §§ 1279 und 1280, nach denen, im Fall, dass der Mann etwas mit dem Geld der Frau erwirbt oder für einen der Frau gehörenden Gegenstand ersetzt, das Erworbene bzw. Ersetzte der Frau gehört. Diese Regelungen würden den Frauen aber so lange keine wirtschaftliche Selbständigkeit verleihen, bis nicht § 1262 gestrichen werde.144 Dass § 1262 an dieser Stelle neben den güterrechtlichen Regelungen nur sehr beschränkte Anwendung gefunden hätte, schien den Frauen nicht bekannt gewesen zu sein. b) Zu Verlöbnis, Eingehung und Scheidung der Ehe Für die Verfasserin der Stellungnahmen zum Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches in der Zeitschrift Die Gleichheit stellten die Regelungen zu Eingehung und Scheidung der Ehe, was die rechtliche Stellung der Frau angeht, eine Verschlechterung gegenüber dem geltenden Recht dar: „Die gesetzgeberische Unschuld der Väter des Entwurfs einer neuen bürgerlichen Rechtsordnung ist [...] nicht getrübt worden. Der Frage der Ehescheidung gegenüber haben sie
sich von dem Heute mit seinen Bedürfnissen verständnißlos abgewandt. Sie haben die Ehescheidung erschwert, denn der bisher vom Gesetz vorgesehene Scheidungsgrund „unüberwindliche Abneigung“ fehlt in dem Entwurf. Wie ein übel angebrachter Scherz oder wie eine
Schildbürgerei nimmt es sich für jeden Vorurtheilslosen aus, wenn in der Begründung bezüg-
lich der betreffenden Bestimmungen gesagt wird, daß durch Erschwerung der Scheidung die Unverletzlichkeit der Ehe und die Moral geschützt werden soll. Ein nicht „umstürzlerischer
Bestrebungen“ gegen Ordnung, Eigenthum und Familie verdächtigter Mann, der geheime Justizrath Bulling („Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch“), richtet treffend
diese Auffassung wie folgt: „es ist nach unserer Meinung unmoralisch, Ehegatten, die den
inneren Zusammenhang völlig verloren haben, durch das Gesetz an einander zu fesseln. Auch auf die Erziehung der Kinder kann eine zerrüttete Ehe nicht gedeihlich wirken.“145
143 Die Gleichheit vom 27. November 1895, S. 188. 144 Die Gleichheit vom 27. November 1895, S. 188. 145 Die Gleichheit vom 10. Juni 1896, S. 90. Zu Leben und Werk Carl Bullings s. Koujouie, Die Frauenfrage als Menschheitsfrage. Das Leben und Wirken des Geheimen Justizrats Carl Bulling (1822–1909), in Frauenrecht und Rechtsgeschichte, Die Rechtskämpfe der deutschen Frauenbewegung, Meder/Duncker/Czelk (Hg.), 2006, S. 193–209.
Das Eherecht des BGB-Entwurfs in der Kritik
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Die Kritik galt ferner den Normen über das Verlöbnis. In einem Artikel vom 27. Mai 1896 mit dem Titel „Die Eheschließung vor der Kommission zur Vorberathung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs“ heißt es: „Der Entwurf bestimmt, daß aus einem Verlöbniß nicht auf Schließung der Ehe geklagt
werden kann, und daß auch das Versprechen einer Ehe, falls deren Eingehung unterbleibt, nichtig sein soll. Er will aber den das Verhältniß lösenden Verlobten verpflichten, dem an-
deren Verlobten und dessen Eltern den Schaden zu ersetzen, der daraus entstanden ist, daß in Erwartung der Ehe Anforderungen gemacht worden sind. Auch soll eine unbescholtene Verlobte, die ihrem Bräutigam die Beiwohnung gestatte, eine „billige Entschädigung“ verlangen können, über deren Höhe das Ermessen des Richters entscheidet. „Wenn ein
wichtiger Grund für die Störung des Verlöbnisses vorliegt“, so tritt jedoch kein Ersatz ein. [...] Stadthagen hingegen erklärte sich mit dem Prinzip des Entwurfs einverstanden. Scharf wendete er sich aber dagegen, daß auch der Mann für den Fall des Rücktritts Entschädigung
für die gemachten Aufwendungen verlangen könne, ja selbst Entschädigung dafür, daß er in Erwartung der Heirath seinen Beruf aufgegeben habe. Völlig unangebracht sei es, dem
richterlichen Ermessen bezüglich der Festsetzung der Entschädigung freien Spielraum zu lassen. Der Richter kenne die meisten Lebensverhältnisse nicht und stehe im Allgemeinen leider auf Seiten des Mannes. Die Begriffe „wichtiger Grund“ und „billige Entschädigung“ müssten deshalb durch weniger kautschukartige Bestimmungen ersetzt werden. Bei der Festsetzung der Entschädigung für eine geschwächte Braut müssen insbesondere die Vermögensumstände des Mannes und die Erschwerung der Heirathsmöglichkeit für das Mädchen
berücksichtigt werden. Wie einseitig, ja geradezu das weibliche Geschlecht kränkend viele
Richter bei Festsetzung der Entschädigungssumme verfahren, zeigt die württembergische und sächsische Praxis, nach der 20–60 Mk. Deflorationsentschädigung zugebilligt wird, während in Hamburg dieselbe eventuell bis 10000 Mk. und mehr beträgt.“146
Ein Artikel mit dem Titel Die rechtliche Stellung der Frau vom 27. November 1895147 kritisiert die „Erschwerung der Trennung der Ehe“. Die Ehescheidung solle erschwert werden aus moralischen Gründen, und doch werde die öffentliche Moral durch die Folgen einer unglücklichen Ehe aufs Ärgste gefährdet. Die Erschwerung der Ehescheidung treffe vor allem das weibliche Geschlecht. Dieses hätte nämlich besonders unter einer schlechten Ehe zu leiden. Der Entwurf wolle die Möglichkeit der Scheidung kinderloser Ehen auf Grund gegenseitiger Einwilligung beseitigen. Demgegenüber müsse aber vielmehr gefordert werden, dass die
146 Die Gleichheit vom 27. Mai 1896, S. 85. 147 Die Gleichheit vom 27. November 1895, S. 188.
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Proletarische Frauenbewegung und die Zivilrechtskodifikation
Scheidung aufgrund einseitigen Verlangens bei kinderlosen Ehen möglich sei. Der Scheidungsgrund Ehebruch solle hingegen aufrecht erhalten bleiben.148 In einem Artikel vom 10. Juni 1896149, also während der Zeit der zweiten Lesung des Entwurfs des BGB im Reichstag150, findet eine Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen der Ehescheidung statt. Die unbekannte Verfasserin fordert ein liberaleres Ehescheidungsrecht und kritisiert insbesondere, dass der vorgesehene Ehescheidungsgrund der „unüberwindlichen Abneigung“ keine Aufnahme in das Gesetz finden soll. Aber selbst die Aufnahme dieser Ehescheidungsvoraussetzung reiche nicht aus. So könne auch, wenn zwischen den Ehegatten noch keine „unüberwindliche“ Abneigung bestehe und weder Ehebruch noch grobe Misshandlungen vorlägen, ein Zusammenleben in einer unglücklichen Ehe zu einem freudlosen und qualvollen Leben führen. Weiterer Kritik werden alle Regelungen unterworfen, die einen Ermessenspielraum des Richters beinhalten, da es zum einen noch keine Richterinnen gebe und es daher zu Benachteiligungen der Frauen kommen könne; zum anderen aus der Überlegung, dass eine Ehe, das Verhältnis zwischen zwei Personen zueinander, weder von Richtern noch von anderen Personen beurteilt werden könne.151 Hingegen seien persönliche Übereinkommen der Ehegatten untereinender geeignet, um eine Ehe zu scheiden. Dieser Akt könne nach wie vor von einem Richter als „ausführendes Organ“ vorgenommen werden. Abschließend kommt die Verfasserin des Artikels in der Zeitschrift Die Gleichheit mit dem Titel „Die Ehescheidung im Entwurf eines neuen bürgerlichen Gesetzbuches und vor der Kommission zur Vorberathung desselben“ vom 10. Juni 1896 zu dem Ergebnis: „Die Sozialdemokratischen Abgeordneten Frohme und Stadthagen handelten nur im Inter-
esse der Frauen und Arbeiter, wenn sie als Antwort auf das Verböserungswerk der Kommis-
sionsmehrheit beantragten: die auf Ehescheidung wie Eheschließung bezüglichen Theile des Entwurfs zu streichen und es bei den bestehenden Gesetzen zu belassen. Ihr Antrag wurde abgelehnt, und das Zentrum hat sich sogar vorbehalten, bei der zweiten Lesung des Geset-
zesentwurfs weitere Verschlechterungen zu fordern. Reaktion ist in Deutschland trumpf auf der ganzen Linie, das beweisen auch die einschlägigen Bestimmungen des Entwurfs und die auf dieselben bezüglichen Verhandlungen der Kommission.“152
148 Die Gleichheit vom 27. November 1895, S. 189. 149 Er trägt den Titel. „Die Ehescheidung im Entwurf eines neuen bürgerlichen Gesetzbuches und vor der Kommission zur Vorberathung desselben“. 150 Eine knappe Darstellung der Entstehung des BGB findet sich im 4. Kapitel 1. 151 Die Gleichheit vom 10. Juni 1896, S. 90: „Gerade auf dem Gebiete des Eherechts, so führten sie (Stadthagen und Kaufmann im Reichstag) aus, müsse das Gesetz dem Ermessen des Richters feste Grenzen ziehen. Weibliche Richter hätten wir noch nicht, und das richterliche Ermessen sei meist dem Manne günstig.“ 152 Die Gleichheit vom 10. Juni 1896, S. 91.
Das Eherecht des BGB-Entwurfs in der Kritik
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Dem steht eine Charakterisierung der Ehe voran, die der Auffassung von Ehe als „sittliche Ordnung“, welche „den gesellschaftlichen Einflüssen entrückt in der Luft einer abstrakten, absoluten Moral schwebe“ widerspricht, ihr das „sittliche Moment“153 aber nicht abschlägt. Dieses liege in den Ehegatten selbst durch die wahre Zuneigung zueinander begründet. Die Ehe sei vielmehr ein „gesellschaftliches Gebilde“, das durch die Weiterentwicklung von Moral, welche sich wiederum aufgrund wirtschaftlicher Veränderungen ändere, ebenfalls Veränderungen erfahre. Historisch habe sich die Ehe von einer hauptsächlich wirtschaftlichen zu einer sittlichen Einheit entwickelt.154 Die geistig-sittliche Persönlichkeit des Menschen sei komplexer geworden. So entschieden nunmehr zum einen wirtschaftliche Aspekte und zum anderen „feine und allerfeinste Imponderabilien“ über das Glück in der Ehe. Damit wird die Entwicklung des Individuums beschrieben, wobei eine stärkere Tendenz der Menschen zur Betonung des Individuums mit seinen Besonder- und Verschiedenheiten nicht als etwas Schlechtes oder Egoistisches gesehen wird.155 Das Gesetz mit seinen „groben Maschen“ könne daher unmöglich den vielschichtigen Umständen Rechnung tragen und so zu billigen Ergebnissen gelangen. Eine Erleichterung der Ehescheidung liege aus diesen Gründen „im Interesse der Sittlichkeit“.156 c) Das eheliche Güterrecht Dass sich der rechtskonservative Reichstagsabgeordnete von Stumm-Halberg für die Gütertrennung aussprach, wird in einem Artikel der Zeitschrift Die Gleichheit vom 2. September 1896 mit dem Titel „Ein Calmifreund der Frauenrechte.“ mit Polemik kommentiert: „Wer Stumms auf das eheliche Güterrecht bezüglichen Reden gehört oder gelesen, der wird auch sein angeblichen Eintreten für Frauenrechte richtig einschätzen als eine Respektsbegrenzung vor dem bürgerlichen Besitz und keineswegs als einen Ausfluß der Achtung vor der
Frau als Person und ihrem Selbstbestimmungsrecht. Der Selbstherrscher von Neunkirchen tritt mit großer Wärme für die Gütertrennung der Gatten, für das Recht der Frau ein, ihr Vermögen selbst zu verwalten, das nach ihm „den Schwerpunkt der ganzen Frauenfrage“
darstellt, und wird dafür unter üblichen Komplimenten an dem frauenrechtlerischen Himmel 153 Die Gleichheit vom 10. Juni 1896, S. 90. 154 Die Gleichheit vom 10. Juni 1896, S. 90. 155 Dies steht ganz im Gegensatz zu Marx Ansatz, der sich für ein enges Scheidungsrecht unter anderem deshalb einsetzt, weil er der Meinung ist, das Individuum müsse für die Gesellschaft und damit auch für die Familie zurückstehen. 156 Die Gleichheit vom 10. Juni 1896, S. 91.
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Proletarische Frauenbewegung und die Zivilrechtskodifikation
unter die „warmen Vorkämpfer für die Frauenrechte“ im besonderen versetzt. Aber dieser
„vernünftige Freund vernünftiger Frauenrechte“ betont in dem gleichen Athem, wo er den
weiblichen Geldbeutel dem Verfügungsrecht eines verschwenderischen, trinkenden oder jobbernden Gatten entzogen wissen will, daß die weibliche Persönlichkeit auch fürderhin außerhalb der Ehe dem Manne an Entwicklungsmöglichkeit nachstehen und in der Ehe
der männlichen Vormundschaft unterstellt bleiben soll. Verwahrt er sich doch entschieden
dagegen, „daß eine völlige Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau eintritt“; spricht er
es doch nachdrücklich aus, „daß dem Manne in allen gemeinschaftlichen Angelegenheiten die Entscheidung gebührt, daß er überhaupt die erste Stelle in der Familie einnehmen muß.“
[...] Aber in der nämlichen zartfühlenden Seele zuckt seine Fiber beim Leibe der Mutter, deren geistige und moralische Eigenart in einer unglücklichen Ehe durch die Vogteigewalt
des Gatten täglich, stündlich verletzt, beleidigt, schließlich gebrochen wurde, und die erlebt, daß ihr eigenes Martyrium sich in dem der Tochter erneut. Die zartfühlende Stumm’sche
Seele blutet im Gedenken „des demüthigenden Gefühls für die Frau, wenn sie das, was ihr
von Gottes- und Rechtswegen zukommt, [...] von dem Manne in jedem einzelnen Falle erbitten muß.“ Aber die nämliche zartfühlenden Seele läßt die Schwingen edlen Mitempfindens sinken angesichts des demüthigenden Gefühls für die Frau, daß sie jede Aeußerung und Bethätigung ihrer Individualität, jede Entscheidung als Gattin, Hausfrau, Mutter, kurz die persönliche Bewegungsfreiheit, die ihr zukommt, dafern das Wort Menschenwürde kein
leerer Schall ist, eventuell vom Manne erflehen, erliften, ertrotzen muß oder auch durch des Gatten Laune und Willkür sich versagt sieht.“157
In einem weiteren in der Zeitschrift Die Gleichheit veröffentlichten Artikel158 sieht die Verfasserin die Einführung der Zivilehe als „Kulturfortschritt“ an. Dies sei jedoch nicht einem idealistischen Streben des Bürgertums zu verdanken, sondern den veränderten wirtschaftlichen Umständen. Diese erforderten, dass die Menschen ihren Geburtsort für einen Arbeitsplatz verlassen müssten. Dadurch träfen verschiedene Konfessionen der Ehepartner aufeinander. Die verschiedenen Vertreter der Kirchen würden sich schwer tun mit dieser Art von Trauungen. Die Zivilehe gebe den Ehepartnern aber mehr Freiheit; der Ehezweck, nämlich eine wirtschaftliche Verbindung herzustellen, bliebe hingegen der gleiche. In einem Bericht über die Tätigkeit der XII. Kommission berichtet die Zeitschrift Die Gleichheit über die obligatorische Zivilehe. Diese sei „der einzige und zeitgemäße Beschluss, den die Kommission in Sachen Eheschließung gefasst“ habe.159 Er betone, dass die Ehe durch die „Einwilligung der Brautleute“ und nicht durch die Erklärung des Standesbeamten begründet werde. Weiterhin wurzele er 157 Die Gleichheit vom 2. September 1896, S. 137. 158 Die Gleichheit vom 30. Oktober 1895, S. 172. 159 Die Gleichheit vom 27. Mai 1896, S. 86.
Wertung
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in der „Auffassung, dass die Ehe ein Privatvertrag sei, und ebenso wenig durch Amtshandlung des Standesbeamten, als durch ihre sittliche Berechtigung einzig und allein herleitet aus dem aus Liebe und Achtung beruhenden Einverständnis von Mann und Frau“.160 5. Wertung Mit dem in den Artikeln der Zeitschrift Die Gleichheit beschriebenen Eheverständnis wird versucht, die Ehe zwar nicht vertraglich regelbaren, aber den außerhalb der Ehe liegenden gesellschaftlichen Bedingungen zugänglich zu machen. Über das Bestehen der Ehe an sich sollen nur die Ehegatten selbst urteilen können. Das sittliche Moment wird der Ehe durch die Liebe der Ehepartner gegeben. Mit der Veränderbarkeit der Moral ist aber auch die Sittlichkeit und mit ihr die Ehe veränderbar. Zu der geforderten Unmöglichkeit jeglicher äußerer Bewertung einer Ehe könnte die Einordnung der Ehe als gesellschaftliches Gebilde, das wiederum durch die Änderung gesellschaftlicher Voraussetzungen bewusst veränderbar ist, im Widerspruch stehen. Die Billigung der Hervorhebung des Individuums steht dabei im Gegensatz zur Kritik von Marx, der diese aufs Tiefste zugunsten der Unterordnung des Individuums als Teil der Gesellschaft verurteilt.161 Anders als die bisher im zweiten Kapitel dargestellten Auffassungen von Ehe, nach denen die Ehe entweder ein Vertragswerk oder ein Abstraktum darstellt, das zu modifizieren es dem Menschen nicht zustehen soll, wird hier eine Auffassung von Ehe vertreten, die einem personalen, individualistischen Eheverständnis entspricht. Die Ehe ist danach eine höchstpersönliche Verbindung von Frau und Mann, die in ihrer geistig-seelischen Substanz dem Recht vorgegeben ist. Als das Wesen der Ehe wird das geistig-emotionale Verhältnis der Ehepartner angesehen. Dem liegt eine veränderte Auffassung von ehelicher Liebe zugrunde, die oft als „wahre Liebe“ bezeichnet wird und zum Wesen der Ehe selbst wird. Das Eherecht hat danach keine konstruktive Kraft. Ein staatlicher Eheschließungsakt ist in Konsequenz nur eine äußere Bestätigung für das Bestehen einer inneren Verbindung. Die Ehescheidung ist die bloße Folge ihres Erlöschens. Daher ergeben sich Parallelen zu dem Eheverständnis, welches die Ehe als sittliches Wesen auf eine moralische Ebene hebt. Im Gegensatz hierzu steht die Äußerung, die im Rahmen der Beurteilung der Zivilehe getätigt wurde, nach der der Ehezweck darin liege, eine wirtschaftliche Einheit herzustellen. Diese Aussage ist nur dann mit dem soeben dargestellten Eheverständnis in Einklang zu bringen, wenn die wirtschaftliche Einheit einen Ehezweck, also eine Erweiterung des dargelegten Eheverständnisses bildet. 160 Die Gleichheit vom 27. Mai 1896, S. 86. 161 S. dazu 2. Kapitel I. 4. a).
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Familienbilder und die Konkretisierung einzelner Eheverständnisse
Der Großteil der konkreten Stellungnahmen zum BGB-Entwurf stammt zwar aus Federn von Frauen der proletarischen Frauenbewegung. Auffallend ist jedoch, dass diese oftmals Stellungnahmen von Juristen und/oder Reichstagsabgeordneten in indirekter Rede wiedergeben. Daraus folgt, dass sich die Leistung der Autorinnen der herangezogenen Texte auf die Wiedergabe der Information beschränkte. Die Meinung der sogenannten Experten wurde größtenteils unreflektiert übernommen. Dies dürfte daran gelegen haben, dass den Frauen die notwendige Fachkenntnis fehlte. Sie sahen ihre Schwerpunktarbeit nicht in konkreter Gesetzeskritik, sondern legten ihren Akzent vielmehr zum einen auf allgemein gefasste Forderungen zur rechtlichen Stellung der Frau und zum anderen auf die ihre Wertvorstellungen von Ehe. Ihre Arbeit bezogen auf das Eherecht des BGBEntwurfs war von der Darstellung anderer Stellungnahmen und Meinungen geprägt, was aber dazu führte, dass ihre Artikel durchaus differenzierte und juristisch fundierte Kritik enthielten. In den Stellungnahmen der proletarischen Frauenbewegung in der Zeitschrift Die Gleichheit zu den Regelungen über die Ehescheidung wird, genauso wie in den Debatten im Reichstag stets die sogenannte Sittlichkeit mit einbezogen. Die Sittlichkeit der Ehe, die in der gegenseitigen Liebe der Ehepartner gesehen wird, soll maßgeblich für das Bestehen und Nichtbestehen einer Ehe sein.162 Die logische Konsequenz dieser Forderung, nämlich die mangelnde Notwendigkeit, andere Scheidungsgründe als die Feststellung gegenseitiger Liebe der Ehepartner gesetzlich festzuschreiben, wird jedoch nicht gesehen. Mit den Forderungen zur Ehescheidung offenbaren die Frauen also eine Diskrepanz zwischen ihrer Moralvorstellung von Ehe und den von ihnen unterstützten Entwürfen für eine gesetzliche Regelung.
VI. Familienbilder und die Konkretisierung einzelner Eheverständnisse Einheitlich begegneten die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dem Vorwurf, die Sozialdemokratie zerstöre die Familie: „Wir halten die heute bestehende Form der Familie nicht für ihre letzte und erwarten, daß eine neue Gesellschaftsform auch eine neue Familienform entwickeln wird. Aber eine solche Erwartung ist denn doch etwas ganz anderes als ein Bestreben nach Auflösung jeden Familienverbandes. Wer Familie aufhebt – nicht bloß aufheben will – sondern tatsächlich vor unseren Augen aufhebt, das sind nicht die Sozialdemokraten, sondern die Kapitalisten.“163 162 Die Gleichheit vom 10. Juni 1896, S. 90. 163 Kautsky, Die Auflösung der Proletarierfamilien, 1892, in: Niggemann (Hg.), Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, 1981, S. 251.
Ehe und Familie bei Zetkin
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Wie schon für die sozialistischen Theoretiker festgestellt, gelang es auch den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten am Ende des 19. Jahrhunderts nicht, einheitlich zu der Frage nach der Entwicklung der Familie Stellung zu nehmen. Die Vorstellungen der in der proletarischen Frauenbewegung aktiven Frauen von Familie und Ehe erweisen sich als nicht einheitlich, sondern sind oft individuell geprägt. 1. Ehe und Familie bei Zetkin Clara Zetkin sieht die Lebensform der Ehe und Familie abhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen, auf die die Sozialdemokratie derzeit keinen Einfluss habe: „Allein die Sozialdemokratie hat an dem sich vollziehenden Entwicklungsprozess nicht
mehr ursächlichen Anteil als der Forscher, der die Laufbahn eines Kometen berechnet, an dem Erscheinen der „Himmelrute“ zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort.“164
Sie vertritt die Ansicht, dass sich die Familie von der „wirtschaftlichen“ zur „sittlichen Einheit“ wandeln müsse.165 Anstelle der männlichen bzw. väterlichen Vorherrschaft will Zetkin die Gleichheit von Frau und Mann etablieren. Die Monogamie soll dabei von einem Gebot, das in der Praxis meist nur für die Frau galt, zu einem auf einer freiwilligen Vereinbarung der beiden Partner beruhenden sittlichen Wesensmerkmal der Ehe werden.166 Ob Zetkin jedoch den Begriff Sittlichkeit im Sinne Hegels gebraucht, ist fraglich. Aus den Ausführungen zu den zahlreichen moralischen Aspekten von Ehe geht hervor, dass Zetkin von etwas „Überrechtlichem“ ausgeht, das einer genaueren Definition nicht zugänglich ist. Es gilt zu vermuten, dass sie die Vorstellungen von ihrer „Zukunftsehe“ selbst nicht mit Worten zu beschreiben vermag und sich aus diesem Grund dem vagen und individuell ausfüllbaren Begriff der „Sittlichkeit“ bedient. Der Begriff spiegelt zudem die Unsicherheit Zetkins hinsichtlich der zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklung wider. Zetkin fordert eine Art Ehekonsens zwischen den Ehepartnern und vor allem die Freiwilligkeit des Entschlusses zur Eheschließung, die sie 164 Die Gleichheit vom 20. Februar 1895, Etwas vom Umsturz der Familie, S. 30. Der Artikel ist anonym verfasst, lässt jedoch Zetkins Stil erkennen. 165 Die Gleichheit vom 9. Dezember 1896 S. 198–200. 166 Zetkin stellt fest: „Die Monogamie galt in Wirklichkeit nur für die Frauen.“ In: Die Gleichheit vom 16. Mai 1906, S. 64. Weiter fordert sie: „[…] die Monogamie wird […] zu frei gewollter sittlicher Erklärung für beide Geschlechter.“ In: Die Gleichheit vom 8. August 1906, S. 105. Weiter zitiert aus: Die Gleichheit von 1906, Reihe mit dem Titel „Ehe und Sittlichkeit“.
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Familienbilder und die Konkretisierung einzelner Eheverständnisse
„Willensfreiheit der Persönlichkeit“ nennt167, aber auch zur Ehescheidung, d. h. eine vollkommen auf dem freien Willen der Ehepartner beruhende Ehe. Damit widerspricht eine Vertragsehe mit gegenseitigen Verpflichtungen der Ehepartner ihren Vorstellungen. Die gegenwärtige Ehe, die eben nicht, wie es eigentlich sein sollte, auf Freiwilligkeit der Ehepartner beruhe, sondern Ergebnis wirtschaftlicher Zwänge sei, sei zudem Ursache für die wachsende Prostitution.168 Freie Partnerwahl und die Scheidung der Ehe unter bestimmten Voraussetzungen seien wenigstens in der Theorie möglich und stellten die Grundlage für eine Weiterentwicklung der Ehe zu ihrer wahrhaft sittlichen Form dar.169 Die Liebe sei vielmehr als eheliche Pflicht gesehen worden und nicht als subjektive Voraussetzung für die Ehe selbst. Zetkin attestiert der bürgerlichen Ehe einen Vertragscharakter und beschreibt ihr Verhältnis zum kirchlichen Sakrament der Ehe wie folgt: „Der Staat schaltete die Legitimierung der Ehe durch die Kirche aus. Die Zivilehe kam als
konsequenter Ausdruck der bürgerlichen Anschauungsweise, daß die Ehe ein weltlicher Vertrag sei. Die Kirche selbst aber half ihr die Wege bereiten. Die Hartnäckigkeit, mit welcher sie auf ihrem dogmatischen Schein bestand, ließ den rein bürgerlichen Eheschluß zu
einer unerläßlichen Voraussetzung werden für die weltliche Ehetrennung und vor allem die
Ehescheidung. In allen katholischen Ländern, in denen sich die gesetzliche Ehereform noch nicht oder unvollständig durchgesetzt hat, geht der Kampf um die Zivilehe, Ehetrennung
und Ehescheidung. Die Kirche unterliegt in ihm nach und nach der stärkeren Macht der kapitalistischen Produktion und der von ihr erzeugten modernen Denkweise.“170
Genauso wie in der Privatwirtschaft habe die vollkommene Vertragsfreiheit ihre Ausformung auch in der Ehe gefunden: „Sie (die Reformation, Verf.) handelte folglich nur konsequent, mit sich selber, als sie der Ehe
den Charakter eines Vertrages gab, welchem der freie Wille von Mann und Weib schließen und lösen kann.
In der Theorie bedeutete das einen gewaltigen Fortschritt. […] Die Reformation brachte die
theoretische Anerkennung der natürlich-sittlichen Grundlage der Ehe. Sie hob das Recht der Liebe auf den Schild, und zwar als gleiches Recht für Mann und Weib. Das von ihr proklamierte Recht war Menschenrecht, nicht blos Männerrecht.“171 167 Die Gleichheit vom 25. Juli 1906, S. 99. 168 Zetkin, in Die Gleichheit vom 16. Mai 1906, S. 64. 169 Zetkin, in: Die Gleichheit vom 25. Juli 1906, S. 99. 170 Zetkin, in: Die Gleichheit vom 25. Juli 1906, S. 99. 171 Zetkin, in: Die Gleichheit vom 25. Juli 1906, S. 100.
Ehe und Familie bei Zetkin
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Die von Zetkin an dieser Stelle gelobte und als großen Fortschritt bezeichnete Zivilehe genügt ihrem sittlichen Anspruch jedoch solange nicht, bis nicht auch die wirtschaftlichen Verhältnisse sich geändert haben. Damit kritisiert Zetkin, wenn auch nicht explizit, dass es an den Voraussetzungen für die Vertragsehe als gleiches Recht für Frau und Mann mangelt. Diese, so Zetkin, seien so lange nicht gegeben, wie das Privateigentum an den Produktionsmitteln nicht aufgehoben werde.172 Für Zetkin sind Freiheit und Gleichheit nur leere theoretische Phrasen, da sie in der „bürgerlichen Gesellschaft“ nicht zu verwirklichen seien: „Wie die Prinzipien der bürgerlichen Freiheit und Gleichheit, so triumphieren auch die Prinzipien der bürgerlichen Ehereform nur vollkommen im luftleeren Raume der philosophischen Abstraktion; wie jene, so haben sie die juristischen Formeln und nicht die wichtigen
sozialen Verhältnisse revolutioniert, an welche ihre Durchführung geknüpft ist. Die Reform
der Ehe hat in der Folge nicht den gänzlichen Traum von einer durchgreifenden Versittlichung des Geschlechtslebens zu verwirklichen vermocht, den ihre idealsten Vorkämpfer
geträumt. Die Befreiung der Liebe von Zwang und Schmutz, die nicht das Werk der bürgerlichen Reform sein kann, muß die Tat der sozialen Revolution sein.“173
Zetkin sieht das derzeitige Familienrecht als das Spiegelbild der wirtschaftlichen Verhältnisse, die das Leben der Menschen in jeder Hinsicht, auch im privaten Bereich der Familie, wesentlich bestimmten und dabei in die höchst persönliche Beziehung zwischen Menschen in unwürdiger Weise eingreifen: „In scharfem Umriß spiegelt das Familienrecht, spiegeln insbesondere die Bestimmungen
über Eheschluß und Ehescheidung, über das Recht oder richtiger die Rechtlosigkeit der unehelichen Mutter und ihres Kindes das ökonomische, eigentumsrechtliche Wesen der
bürgerlichen Ehe wider. Sie regeln in der Hauptsache materielle Verhältnisse und auch nicht einmal vom Standpunkt eines höheren, lebendigen sozialen Rechts aus, das den Umschwung
der Zeiten respektiert, sondern entsprechend den gemeinsten Wesenszügen des bürgerlichen Eigentumsrechtes. Wo sie anmaßen, die persönlichen, die sittlichen Beziehungen
von Mensch zu Mensch in feste Formen gießen zu wollen, da sind sie fast ausnahmslos so
barbarisch, so roh, daß sie wie Faustschläge und Beschimpfungen auf seine empfindenen Naturen wirken. Man denke nur an die brutale „eheliche Pflicht“. Die elementarste persönliche
Wesensäußerung, die ihre sittliche Weihe durch die freigewollte gegenseitige Hingabe erhält, die ein hohes Fest der Seele und der Sinne sein soll: die wird unter Umständen „von Rechts wegen“ zu einem Zwangsakt entwürdigt, der die eheliche Umarmung noch unter die Stufe
172 Zetkin, in: Die Gleichheit vom 8. August 1906, S. 105. 173 Zetkin, in: Die Gleichheit vom 25. Juli 1906, S. 100.
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Familienbilder und die Konkretisierung einzelner Eheverständnisse
der tierischen Begattung hinausstößt. Das Eherecht, das Familienrecht, ist eben, wie das bürgerliche Recht überhaupt, im letzten Grunde Sachenrecht und nicht Personenrecht.“174
Eigentum und Besitz, so Zetkin, würden über die menschliche Gefühle gestellt, Liebe und damit die Sittlichkeit aber nur insofern zugelassen, als sie das höhere Gut des Privateigentums nicht verletzten. Indem nach dem Prinzip der vaterrechtlichen Familie der Mann der offizielle Träger des Privateigentums sei, füge das Eherecht neben anderer sittlicher Schmach die hinzu, dass es die Gattin unter die Vormundschaft des Gatten beuge. Trotz ihrer scharfen Kritik an der sogenannten Einzelehe will Zetkin an dieser Lebensform festhalten. Sie kritisiert jedoch die „schweren Mängel und Gebrechen“ der gegenwärtigen Ehe, die auf den Kapitalismus zurückzuführen seien. Die in der Ehe rechtlose Frau sei überwiegend darauf beschränkt, legitime Erben hervorzubringen. Indem sie nur noch den „Reiz als Geschlecht“ behalte, verliere sie die menschliche Würde.175 Sehr detailliert beschäftigt sich Zetkin mit der Entwicklung der Familie und mit der Rolle der Frau in ihr. Dabei differenziert sie zwischen Arbeiterfamilie und bürgerlicher Familie. Durch den steigenden Reichtum in den bürgerlichen Familien sei der Frau mit der „Aneignung und dem Genuß fremder Arbeitsleistungen“ ihre „individuelle Wesenheit“, die vormals in der Haushaltsführung und dem Aufziehen der Kinder lag, verloren gegangen.176 Diese Tendenzen wirkten „in einem hohen Maße ehezerrüttend“. Sie vernichteten „wichtige Momente, welche in der vorkapitalistischen Zeit der monogamen Ehe individuell wie sozial eine gewisse sittliche Weihe“ gegeben hätten. Dabei geht Zetkin davon aus, dass die Ehe zuvor eine „vorteilhafte Vereinigung zweier in ihrer Trennung unvollkommener Wirtschaftkreise“ dargestellt hätte. Der „alte Haushalt“ stelle mithin die Frau dem Mann in der Ehe als Genossin der Arbeit zur Seite und lehre in ihren Leistungen ihren persönlichen Wert schätzen.177 Wenn die Liebe in dieser Zeit 174 Zetkin, in: Die Gleichheit vom 16. Mai 1906, S. 64. 175 Zetkin, in: Die Gleichheit vom 30. Mai 1906, S. 72. 176 Zetkin, in: Die Gleichheit vom 22. August 1906, S. 113. 177 Zetkin, in: Die Gleichheit vom 22. August 1906, S. 114. Mit ihren Ausführungen zum „alten Haushalt“, im Rahmen derer Zetkin die vaterrechtliche Vorherrschaft in der sog. Naturalwirtschaft verneint oder zumindest in Frage stellt, meint Zetkin wohl die Konzeption des „Ganzen Hauses“. Dabei handelt es sich um ein Modell des häuslichen Lebens und Wirtschaftens. Vorbild ist der landadelige bzw. großbäuerliche Hof. Die Konzeption ist auf die Sicherung der häuslichen Nahrung ausgerichtet. Das Haus ist zugleich Wirtschafts-, Sozial-, Rechts- und Herrschaftsverband und beinhaltet die Kernfamilie aus dem Ehepaar und die unverheirateten Kinder sowie alle an der Hauswirtschaft Beteiligten (Gesinde, Alte, evtl. unverheiratete Verwandte etc.). Zetkin erwähnt das „Ganze Haus“ vor allem in dem Kontext ihrer Kapitalismuskritik und möchte damit das Modell der bürgerlichen Kleinfamilie hinterfragen, in der die Ehefrau nicht notwendigerweise einen eigenen Beitrag zur Haushaltsfüh-
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auch nicht Voraussetzung für eine Ehe gewesen sei, so könnte sie sich doch zusammen mit der Ehe entwickeln, was auch häufig tatsächlich geschehen sei. Indem nun die kapitalistische Produktion den Haushalt als produktive Bedarfswirtschaft aufhebe, setze sie die Faktoren außer Kraft, aus denen die Ehe sittliche Kräfte zu saugen vermochte und deren Spiel ihre natürlich-sittliche Grundlage verhülle. Die unsittliche vaterrechtliche Vorherrschaft habe sich erst mit dem Wegfall der gegenseitigen Angewiesenheit der Ehepartner entwickelt. Zetkin führt weiter aus: „Wenn die Ehe – ihre sonstigen Wesenszüge vorausgesetzt – sich in den besitzenden Klassen aus einer Arbeitsgemeinschaft von Mann und Weib zu einer bloßen Genussgemeinschaft
umgestaltet, so sinkt die Frau in ihr zur Prostituierten herab, ja vielfach noch unter sie, weil
die Bourgeoisdame sich nur selten auf die mildernden Umstände berufen kann, die jene meist für ihr trauriges Handwerk geltend zu machen vermag. Der Trauschein ist dann um nichts besser als der Kontrollschein der Dirne, von der sie sich nur dadurch unterscheidet, wie En-
gels sagt, daß sie ihren Leib in lebenslängliche Sklaverei statt zur Akkordarbeit verkauft.“178
In der wohlhabenden bürgerlichen Gesellschaft sieht Zetkin den Wegfall des Ehezwecks. Mit ihrer Analyse der proletarischen Ehe gelangt sie hingegen zu einem gänzlich anderen Ergebnis als bei Betrachtung des Bürgertums. Da die Proletarier nicht von der kapitalistischen Produktionsweise profitierten, sondern diese ihre Lage im Gegenteil noch verschlechtere, entwickele sich die Proletarierehe zu einer „Arbeits- und Kampfeseinheit auf höherer Stufe als je zuvor“. Die Situation der Arbeiterfamilien führe zu einer Steigerung des Ansehens der Frau beim Mann, da er auf sie und ihre Arbeitskraft genauso angewiesen sei wie sie auf ihn und die seine. So werde „ein weiter und fruchtbarer Boden“ bereitet, auf dem die individuelle Geschlechtsliebe zu wurzeln und zu wachsen vermöge, aus dem sie „die sittlichen Kräfte“ sauge, welche „das erdschwere sinnliche Triebleben“ sublimiere. Diese individuelle Geschlechtsliebe könne sich als subjektive Vorbedingung für Eheschließung und Ehedauer um so siegreicher durchsetzen, je größer die wirtschaftliche Selbständigkeit der Frau, ihre persönliche Bewegungsfreiheit und ihre Gleichwertigkeit als Genossin des Mannes sei.179 Während Zetkins Analyse der unterschiedlichen Entwicklung der proletarischen und der bürgerlichen Ehe nachvollziehbar ist, fällt ihre Darstellung der proletarischen Ehe einseitig und beschönigend aus. Mit dem harmonischen Eherung und zum Aufziehen der Kinder leisten musste und ihr damit nach Auffassung Zetkins kein eigener Verantwortungsbereich im Rahmen des ehelichen Lebens und Wirtschaftens mehr zukam. Zur Konzeption des „Ganzen Hauses“ s. weitergehend Meder, Grundprobleme und Geschichte der Zugewinngemeinschaft, Halle-Wittenberg, 2010. 178 Zetkin, in: Die Gleichheit vom 22. August 1906, S. 114. 179 Zetkin, in: Die Gleichheit vom 5. September 1906, S. 120.
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bild, das auf der Gleichheit der Ehepartner basieren soll, vernachlässigt Zetkin die Probleme in der Arbeiterehe, die gerade deshalb aufkamen, weil die Frau selbständiger als die bürgerliche Frau sein musste. Die zunehmende Erwerbstätigkeit der Frauen in der Arbeiterklasse reichte nämlich nicht aus, um der Frau in der Familie eine gleichberechtigte Stellung zu sichern. Das herkömmliche Rollenverständnis der Männer ließ für die Anerkennung der Frau als dem Mann ebenbürtig nur wenig Raum. Käte Duncker, eine in der proletarischen Frauenbewegung aktive Frau, beklagt etwa, dass „gar mancher Genosse […] an der Tür seiner Wohnung den Sozialdemokraten an den Nagel hänge“ und sich zu Hause „absolut kleinbürgerlich-patriarchisch“ benehme.180 Hulda Maurenbrecher181 weist darauf hin, dass oft dieselben Männer, die sich grundsätzlich für die Gleichberechtigung der Geschlechter aussprechen, noch ohne Einsicht dafür seien, dass ihre Frauen auch wirtschaftlich gleichberechtigt neben ihnen stehen müssten und dass es gerade an dieser wirtschaftlichen Unabhängigkeit vom Mann, an dem Gleichberechtigtsein im täglichen Leben, zu Hause, im engsten eigenen Kreise noch fehle.182 Emma Ihrer formuliert, die Proletarierin erstrebe nicht nur ihre Befreiung aus dem Joch des Kapitalismus, sondern auch eine Befreiung von den Familienfesseln.183 Zetkins Forderungen für eine Eheschließung ähneln in vielerlei Hinsicht denen der bürgerlichen Frauenbewegung: Die finanziellen Interessen und alle anderen Beweggründe durch Liebe als Grundlage für eine Ehe zu ersetzen, Gleichheit der Partner anstelle von männlicher Vorherrschaft und freiwillige Monogamie anstelle vorgeschriebener Moral, die in der Realität zu einer falschen Doppelmoral verkommen war, werden gleichermaßen angestrebt.184 Gemein ist allen Beschreibungen der „freien“ Ehen und der „freien“ Liebe ein Ansatz unkritischer Romantik. Der Unterschied zwischen Zetkins Ansatz und dem der bürgerlichen Frauenbewegung liegt darin, dass Zetkin auch im Jahr 1906 noch den einzigen Weg zur Verwirklichung ihrer Vorstellung von Ehe in der gesellschaftlichen Revolution sieht. Diese Forderung wird zu dieser Zeit schon nicht mehr von der Mehrheit der SPD getragen.
180 Duncker, Sozialistische Erziehung im Hause, 1914, S. 38. 181 Hulda Maurenbrecher war ebenfalls in der proletarischen Frauenbewegung aktiv. 182 Maurenbrecher, Die Arbeiterfrau daheim, 1904, in: Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, 1981, S. 287. 183 Ihrer, Die proletarische Frau und die Berufstätigkeit, in: Brinker-Gabler (Hg.), Frauenarbeit und Beruf, 1979, S. 304. 184 So z. B. auch Lange, Lebenserinnerungen, 1927, S. 232; Augspurg, die 1905 zur Führung einer „freien Ehe“ aufrief, in: Die Frauenbewegung vom 1. Juni 1905, S. 81–83: Ein typischer Fall der Gegenwart, Offener Brief.
Ehe und Familie bei Braun
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2. Ehe und Familie bei Braun Lily Braun konkretisiert ihr Eheverständnis nicht so weit wie Zetkin. Sie war jedoch die einzige in der proletarischen Frauenbewegung aktive Frau, die ein Alternativmodell zur herkömmlichen Familie entwirft. Braun fordert eine „Wirt schaftsgenossenschaft“185 als Alternative zur Kleinfamilie, die vor allem das Ziel verfolgte, die Frau von ihrer Doppelbelastung mit Beruf und Haushalt zu entlasten. Sie entwickelt ein klares Bild einer gemeinsamen Haushaltsführung und stellt sich Häuserkomplexe mit 50 bis 60 Wohnungen vor, in denen es eine „Zentralküche“, einen „Vorrathsraum“ und eine „Waschküche“ mit „selbständigen Waschmaschinen“ geben solle. In den Wohnungen selbst befindet sich nach der Vorstellung Brauns nur ein kleiner Kocher für die Zubereitung von Kinder- bzw. Krankennahrung. Die Küche solle von Küchenangestellten geführt werden, die von allen zusammen bezahlt würden und wäre mit „modernen arbeitssparenden Maschinen“, z. B. „Abwaschmaschinen“ ausgestattet.186 Die Mahlzeiten könnten dann je nach dem persönlichen Belieben in einem Gemeinschaftraum oder in den einzelnen Wohnungen eingenommen werden. Zudem gäbe es „Kinderwärterinnen, die ebenso wie die Anderen von allen Bewohnern gemeinsam angestellt sind“.187 Hauptanliegen Brauns ist die Entlastung der Frau durch eine umfassende Kinderbetreuung. Auch, so Braun, könne „das Reinigen der Wohnungen zentralisiert werden“. Durch die Beheizung der Räume durch eine Zentralheizung könne ein großer Ofen 50 kleine Öfen ersetzen. Freizeitbeschäftigungen könnten allen durch die Einrichtung von einer Kegelbahn und Gesellschaftsräumen angeboten werden, falls dies die finanziellen Möglichkeiten der Bewohner zuließen.188 Was auf den ersten Blick eine Idylle zu sein scheint, ist jedoch nicht ohne Probleme umsetzbar, wie Braun erkennt. Das Hauptproblem sieht sie darin, dass die Arbeiterfamilien erst einmal geeignete Räumlichkeiten finden und zumindest ein kleines Startvermögen aufweisen müssten. Daher schlägt Braun die Gründung von Baugenossenschaften vor, die „Häuser nicht zum Eigenerwerb, sondern auf der Grundlage gemeinsamen Besitzes und gemeinsamer Verwaltung“ errichteten. Dieses Modell brächte den Vorteil, dass die Familien weder unverhältnismäßigen Mieterhöhungen ausgesetzt wären noch eine große örtliche Bindung eingehen müssten, die einen Arbeitsplatzwechsel erschwerten.189 Die Finanzierung solle über die Invaliditäts-Versicherungsanstalten abgewickelt werden, für die die 185 Braun, Frauenarbeit und Hauswirthschaft, 1901, S. 21. 186 Braun, Frauenarbeit und Hauswirthschaft, 1901, S. 21. 187 Braun, Frauenarbeit und Hauswirthschaft, 1901, S. 22. 188 Braun, Frauenarbeit und Hauswirthschaft, 1901, S. 22. 189 Braun, Frauenarbeit und Hauswirthschaft, 1901, S. 24.
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Familienbilder und die Konkretisierung einzelner Eheverständnisse
Wohnungsanlagen eine hervorragende Investitionsmöglichkeit darstellten. So führt Braun aus: „Kein Zweifel, daß die zum Theil der Ausführung der gesetzlichen Vorschriften noch widerstrebenden Versicherungsanstalten durch einen auf sie geübten starken Druck der Arbeiterklasse bald dazu bewogen werden könnten, ihr Vermögen in Darlehen für Arbeiterwohnun-
gen anzulegen. Eine solche Verwendung wäre in Uebereinstimmung mit ihren Aufgaben: die Verbesserung der Wohnungen würde eine Verbesserung der Gesundheitsverhältnisse der Arbeiter herbeiführen und die Versicherungsanstalten würden bei einer vollkommen sicheren Anlage und ausreichenden Verzinsung ihres Vermögens erfreuliche soziale Wirkungen hervorrufen.“190
Braun vernachlässigt bei der Darstellung ihres Modells, das eine Form der schon zuvor bestehenden Idee der Öffnung der Kleinfamilie zugunsten von Arbeitsersparnis und Effektivität darstellt, die notwendige Konsensfindung der Mitglieder ihrer „Wirtschaftsgenossenschaft“. Mit dieser Grundvoraussetzung für ihr Modell setzt sich Braun nur insoweit auseinander, dass sie sich vorstellt, dass „schematisch gleiche Einkommensverhältnisse nicht nötig seien“, da „es keine Schwierigkeiten machen würde, wenn etwa minder Begüterte eine kleine Wohnung und ein um ein Gericht verkürzte Mahlzeiten haben wollten“.191 Julie Vogelstein schreibt in ihrer Biographie über Lily Braun: „Wenn Lily auch zu dem Plane solcher Hausgenossenschaften durch ähnliche „bürgerliche“ Einrichtungen im Ausland angeregt wurde, so hat sie seine Ausführung zugunsten von Arbeiterfamilien doch gerade aus einem sozialistischen Gefühl gewünscht. Von der gemein-
samen Erziehung der Kinder in solchen Vereinigungen versprach sie sich eine große, den sozialen Sinn bildende Wirkung, die von dauerndem Nutzen sein könne. Die Wirtschaftsgenossenschaft, so heißt es am Schlusse einer kleinen Schrift über diesen Gegenstand, müsse
jenen Geist der Brüderlichkeit pflegen, ohne den man nie zu besseren Zuständen gelangen
werde. Damit sei auch sie ein Stein des stolzen Zukunftbaues einer einstigen glücklicheren
Menschheit. Das aus der jetzigen Vereinzelung und Absonderung kleiner Gruppen innerlich und äußerlich die große, umfassende Einheit der Völkergemeinschaft erwachsen werde, ist
Lilys Sehnsucht und sicherer Glaube. In der Verderbnis der herrschenden Zustände finde sie die Bürgschaft für deren baldigen Zerfall. Über eine Gesellschaftsordnung, die sich auf der
Entwürdigung der Arbeit und der Versklavung der Arbeitenden aufbaut, sei das Todesurteil schon gesprochen. Erst eine neue Gestaltung werde die Frau zur freien Genossin des Mannes
erheben und sie ihrer höchsten Bestimmung froh werden lassen. Der durch die Frauenarbeit 190 Braun, Frauenarbeit und Hauswirthschaft, 1901, S. 25. 191 Braun, Frauenarbeit und Hauswirthschaft, 1901, S. 22.
Die Ehe des BGB und die Forderung nach „freier Liebe“
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geförderten Zerstörung der Familie in ihrer heutigen Form sieht Lily daher ohne Schmerz entgegen. Solange nur der Inhalt der Ehe: „die Liebe und als ihre Weihe das Kind“ erhalten bleibe, sei kein Anlaß, Verlorenem nachzutrauern.“192
3. Ein Widerspruch? – Die Ehe des BGB und die Forderung nach „freier Liebe“ Die proletarische Frauenbewegung entwickelte also – mit Ausnahme Brauns – kein Alternativmodell zur herkömmlichen Familie, sondern wollte an dieser grundsätzlich festhalten. Mit ihrer Kritik werden auch Vorstellungen zur Sexualmoral deutlich. Wie bereits erwähnt, propagierten viele Frauen eine „freie Liebe“, so zum Beispiel Adelheid Popp193. Sie wurde wegen „Herabwürdigung der Ehe“ angeklagt und musste sich dafür rechtfertigen, einen Artikel mit dem Titel „Freie Liebe und bürgerliche Ehe“ in der Zeitschrift Die Arbeiterin veröffentlicht zu haben. In der Gerichtsverhandlung194 konkretisiert Adelheid Popp ihr Verständnis von „freier Liebe“. Für sie, wie auch für die Sozialutopistin Flora Tristan195, bedeutet der Begriff die Ablehnung von Ehen, die aus anderen Beweggründen als aus Zuneigung und Liebe der Ehepartner füreinander geschlossen werden. Ehen, die aus wirtschaftlichen und familiären Interessen zustande kommen, verbindet Popp mit dem Begriff bürgerliche Ehe. Damit spielt sie weniger auf die bürgerliche Ehe des BGB an als auf die Motivationen zur Eheschließung wie sie vornehmlich im Bürgertum und Adel vorkamen. Die Proletarier hingegen seien weder vermögend noch hätten sie einen angesehenen Namen, so dass diese Motive zum Eheschlie-
192 Vogelstein, Lily Braun – Ein Lebensbild, 1922, S. 57. 193 Adelheid Popp (1869–1939) war vor allem in der österreichischen Frauenbewegung aktiv. Ihre Stellung kann mit der Clara Zetkins und Ottilie Baaders in der deutschen proletarischen Frauenbewegung verglichen werden. Popp wuchs wie ein typisches Proletarierkind auf. Sie genoss nur eine dreijährige Schulbildung, um dann in einer Metalldruckerei und Patronenfabrik zu arbeiten. 1885 war sie der Sozialdemokratischen Partei beigetreten. Sie beteiligte sich an der Gründung der Arbeiterinnenzeitung, die 1892 erstmals als Beilage der Wiener Arbeiterzeitung erschien. Nach 1918, als auch Frauen in Österreich das Wahlrecht erhalten hatten, wurde Popp Mitglied des österreichischen Parlaments. Später wurde sie Vorsitzende des Internationalen Frauenkommitees als Nachfolgerin Zetkins. Zum Leben Adelheid Popps s. Frederiksen, Die Frauenfrage, 1981, S. 487–490. 194 Das Protokoll ist abgedruckt bei Frederiksen, Die Frauenfrage, 1981, S. 162–169. 195 Zu der Verwendung des Begriffs „freie Liebe“ bei Flora Tristan (1803–1844) s. Szymanski, Flora Tristan – Eine Vordenkerin, in: Frauenrecht und Rechtsgeschichte, Die Rechtskämpfe der deutschen Frauenbewegung, Meder/Duncker/Czelk (Hg.), 2006, S. 63.
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Familienbilder und die Konkretisierung einzelner Eheverständnisse
ßung im Proletariat keine Rolle spielten. Vielmehr orientierten sich viele Männer bei der Partnersuche daran, ob die Frau tüchtig war und arbeiten gehen konnte.196 Im Ergebnis ist das Verständnis von „freier Liebe“ bei Popp weitergehend als bei den Frühsozialisten, die die Bezeichnung „freie Liebe“ zwar auch nicht durchweg einheitlich, jedoch in dem Sinne verstanden, dass jeder Mensch seinem Sexualtrieb nachgehen dürfen soll und Monogamie möglicher, aber eben nicht notwendiger Bestanteil einer Ehe sei.197 „Freie Liebe“ im Sinne Popps bedeutet nicht nur eine Eheschließung aufgrund gegenseitiger Zuneigung, sondern auch den Fortbestand der Ehe nur unter dieser Voraussetzung. Eine Ehe, in der keine Liebe bzw. Zuneigung der Ehepartner mehr bestehe, solle geschieden werden. Die Konsequenzen für die Familie, insbesondere für die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder, wurden dabei von Popp jedoch nicht bedacht. Es lässt sich auch sonst keine Quelle finden, in der die Forderung erhoben wird, dass die Scheidung einer Ehe zugunsten des Bestandes Familie verworfen werden könne. Der Mangel an Quellen lässt sich wohl darauf zurückführen, dass die Frauen sich überwiegend dafür einsetzten, überhaupt die Möglichkeit zu haben, sich von einem Mann scheiden zu lassen. Ihr Augenmerk an dieser Stelle lag also weniger auf individuell-moralischen Werten als auf allgemein-rechtlichen Grundsätzen. Helene Stöcker198, die in der Literatur dem radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung zugerechnet wird199, übt folgende Kritik: „Bei der Ehe gilt es […] zu unterscheiden, zwischen den wesentlichen, ‚ewigen’ Bestandteilen und den vergänglichen Formen. Auch eine wirtschaftlich freie Frau wird auf die wesentlichen
ewigen Aufgaben der Ehe nicht verzichten wollen. Eine ‚Abschaffung’ der Ehe aber, d. h. der Lebensgemeinschaft von Vater, Mutter und Kindern, wie es als unser Ziel von manchen Gegnern immer noch untergeschoben wird, könnte nur ein Don Quichotte ‚beschließen’ […]“200
196 Popp führt aus: „Andererseits müssen auch die Arbeiter darauf sehen, nur solche Mädchen zu ehelichen, von denen sie erwarten können, daß sie in der Ehe mitverdienen können.“ 197 Diese Ansicht vertrat vor allem Fourier, der wohl die „freieste“ Auffassung zur Sexualmoral vertrat. S. 2. Kapitel I. 1. a). 198 Helene Stöcker (1869–1943) studierte in Glasgow und Berlin und promovierte 1902 in Bern „Zur Kunstanschauung des 18. Jahrhunderts“. Sie engagierte sich vor allem in Fragen zur Sexualmoral. Im Jahr 1905 gründete sie den Bund für Mutterschutz und Sexualmoral und gab bis 1932 dessen Zeitschrift Mutterschutz heraus. Weitergehend Brinker-Gabler (Hg.), Helene Stöcker, in: Psychologie der Frau, 1978. 199 So z. B. Frederiksen, Die Frauenfrage in Deutschland, 1981, S. 495. 200 Stöcker, Ehe und Sexualreform, in Resolutionen des Deutschen Bundes für Mutterschutz 1905–1916, S. 52–57; abgedruckt in Frederiksen (Hg.), Die Frauenfrage, S. 153.
Die Ehe des BGB und die Forderung nach „freier Liebe“
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Darüber hinaus sollte die Erleichterung der Ehescheidung im Falle einer unterschiedlichen Entwicklung der Ehepartner ihrer Ansicht nach nicht dazu führen, der Ehe den Anspruch auf etwas Ewiges zu nehmen. Im Gegenteil sollte gerade die Betonung des freien Willens der Ehepartner zum dauerhaften Bestehen der Ehe beitragen. Helene Stöcker formuliert folgendermaßen: „Auch wir […] glauben an eine ‚ewige Fortdauer’ der Ehe – weil nicht äußere Gesetze sie den Menschen aufgezwungen haben, sondern weil die Ehe aus dem innersten Bedürfnis der menschlichen Natur, sowohl aus dem Bedürfnis des Individuums wie aus dem Bedürfnis der Gemeinschaft hervorgegangen ist.“ 201
Dass dieses Eheverständnis die Ehe zu etwas dem Recht nicht Zugänglichem macht, war Stöcker bewusst. Man wolle jedoch, so Stöcker, die Mitwirkung an der Reform des bestehenden Eherechts nicht versagen. Allerdings solle man durch die Ehegesetze „nicht Zügellosigkeit, sondern Verantwortlichkeit, sowohl persönliche wie rechtliche, in Beziehungen hineintragen, die heute außerhalb der Gesetze sind.“202 Ob die Diskrepanz zwischen den eigentlich aus dem vorherrschenden Eheverständnis zu ziehenden Konsequenzen für die Ehe und den tatsächlich erhobenen Rechtsforderungen der Frauen zum Eherecht auch Zetkin und den anderen Frauen aus der proletarischen Frauenbewegung in dieser Deutlichkeit vor Augen stand, ist zu bezweifeln. Die einschlägigen Quellen lassen dieses Bewusstsein jedenfalls nicht erkennen. Im Ergebnis wurde sowohl in der bürgerlichen Frauenbewegung als auch in der proletarischen Frauenbewegung eine Ehe angestrebt, die durch zwei gleichberechtigte Partner aus Liebe und grundsätzlich für die Ewigkeit geschlossen wurde. Das Eheverständnis als solches war innerhalb beider Frauenbewegungen durchweg dasselbe. Danach war die von ihnen geforderte „freie Liebe“ der Ausdruck ihres Wunsches nach freier Partnerwahl, unabhängig von Wirtschafts- und Standesinteressen.
VII. Zusammenfassende Würdigung Die proletarische Frauenbewegung übte erst sehr spät Kritik am Entwurf des BGB bzw. an dem geltenden Gesetz selbst. Im Grunde handelte es sich bei dieser Kritik vielmehr um eine Reflektion des bereits im Reichstag verabschiedeten Entwurfs. 201 Stöcker, Ehe und Sexualreform, in Resolutionen des Deutschen Bundes für Mutterschutz 1905–1916, S. 52–57; abgedruckt in Frederiksen (Hg.), Die Frauenfrage, S. 152. 202 Stöcker, Ehe und Sexualreform, in Resolutionen des Deutschen Bundes für Mutterschutz 1905–1916, S. 52–57; abgedruckt in Frederiksen (Hg.), Die Frauenfrage, 1981, S. 152.
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Zusammenfassende Würdigung
Auch wenn die Forderungen der proletarischen Frauen zu Fragen der Gleichberechtigung von Frau und Mann oftmals kompromissloser und weitergehend als die Forderungen der SPD-Reichstagsfraktion erscheinen, so sind die konkreten Eherechtsforderungen der proletarischen Frauen mit denen der SPD-Reichstagsfraktion identisch. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass den Frauen die notwendige Fachkenntnis fehlte und sie auf die Stellungnahmen sozialdemokratischer Juristen203 oder anderer Experten angewiesen waren, was die hohe Anzahl an Gastbeiträgen zum Familienrecht des BGB, insbesondere zum Eherecht, in den einschlägigen Zeitschriften verdeutlicht.204 In der Zeitschrift Die Gleichheit wurden zwei Reden Bebels im Reichstag abgedruckt, auf die in weiteren Artikeln eingegangen wurde.205 Auf Anton Menger nahmen die proletarischen Frauen in ihrer Kritik zum Eherecht des Entwurfs hingegen keinen Bezug, obwohl sie ihn als Interessenvertreter der Arbeiterklasse ansahen und achteten.206 Die Forderung nach Gleichberechtigung der Frau im Bürgerlichen Gesetzbuch wurde von der proletarischen Frauenbewegung nicht mit der Vehemenz verfolgt wie von der bürgerlichen Frauenbewegung. Dennoch erschien die juristische Gleichheit den proletarischen Frauen als eine Notwendigkeit zur Erreichung der gesellschaftlichen Gleichheit der Geschlechter. Die bürgerliche „Frauenrechtlerei“ wurde von der proletarischen Frauenbewegung vor allem ab der Zeit nach der Zivilrechtskodifikation nicht grundsätzlich abgelehnt. Die Abgrenzung zur bürgerlichen Frauenbewegung prägte die proletarische Frauenbewegung wesentlich, war jedoch auch gleichzeitig ihr Hindernis. So sollte es zumindest den Frauen in der proletarischen Frauenbewegung in Führungspositionen bewusst gewesen sein, dass die Petitionen der bürgerlichen Frauen zum BGB-Entwurf mehr als nur ein bloßes „Bitten“ an den Reichstag waren. An dieser Stelle werden, wie Plat207 treffend bemerkt, „die Grenzen der Erkenntnis über Strategie und Taktik“ innerhalb der Bewegung deutlich sichtbar. Eine Unterstützung durch die proletarische Frauenbewegung hätte den Petitionen gewiss noch mehr Gewicht verleihen 203 So z. B. RA Heine mit dem Titel: Die rechtliche Stellung der Frau, in: Die Gleichheit vom 27. November 1895, Nr. 14, S. 188–190. 204 Etwas Anderes gilt für die Stellungnahmen der proletarischen Frauenbewegung zur Stellung der Mutter zu ihren nichtehelichen Kindern. S. dazu Baumgarten, Die Entstehung des Unehelichenrechts im BGB, Köln 2007. 205 Die Gleichheit vom 8. Juli 1896, Nr. 14, S. 107–110 mit dem Titel: Bebels Rede im Reichstag zur Frage der Eheschließung; in Die Gleichheit vom 22. Juli 1896, Nr. 15, S. 116–118 mit dem Titel: Bebels Rede im Reichstag für die Gleichberechtigung der Frau in der Ehe. 206 Die Gleichheit vom 4. März 1896, Nr. 5, S. 34/35. In einem Artikel vom 24. Juni 1896, S. 102 wird zudem Bulling zur Bedeutung des Mundiums im Bürgerlichen Gesetzbuch zitiert. 207 Plat, Du sollst nicht ihr Herr sein!, Sozialdemokratie und Familienrecht; ein Beitrag zur Entstehung des BGB (1896), 1994, S. 107.
Die Ehe des BGB und die Forderung nach „freier Liebe“
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können. Zumal die Forderungen der proletarischen Frauen nicht nur mit denen der SPD-Reichstagsfraktion, sondern auch mit dem Großteil der bürgerlichen Frauen übereinstimmten. Letztendlich waren die proletarischen Frauen genauso wie die meisten Anhängerinnen der bürgerlichen Frauenbewegung in einem bürgerlichen Weltbild verfangen, welches marxistische Auffassungen nicht zu verdrängen vermochten. In Stellungnahmen der proletarischen Frauenbewegung wird die Ablehnung der „bürgerlichen Familie“ an keiner Stelle deutlich, von Brauns Alternativmodell einmal abgesehen. Es ist vielmehr ein teilweise konservatives Familienbild zu erkennen, in dem die Rolle der Frau als Haushälterin und Kindererzieherin durchaus akzeptiert wird. Bei einem Vergleich der Stellungnahmen der verschiedenen Flügel der bürgerlichen Bewegung und der proletarischen Bewegung zu Ehe und Familie zeigen sich nahezu identische Forderungen. Daraus folgt auf der einen Seite, dass die Kategorisierung der bürgerlichen Frauenbewegung in den radikalen und den gemäßigten Flügel in diesen Fragen nicht aufrechtzuerhalten ist. Zum anderen wäre es unzutreffend, lediglich die Gemeinsamkeiten der proletarischen Frauenbewegung mit dem radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung hervorzuheben. Die wesentliche Gemeinsamkeit von proletarischer Frauenbewegung und dem radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung liegt in der grundsätzlichen Sympathie dieser beiden für den Sozialismus, welche jedoch nur indirekten Einfluss auf die in diesem Kapitel betrachteten Eherechtsforderungen und Eheverständnisse hat. Die Anführung der wirtschaftlichen Situation im Rahmen der Begründung des jeweiligen Eheverständnisses, die besonders die Frau dazu zwinge, selbständiger zu werden, ist auf den allgemein gesellschaftlichen Hintergrund der Frauen zurückzuführen. Dass die proletarischen Frauen Sympathie für den gemäßigten Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung hegten und dessen konkrete Familienrechtsforderungen unterstützen, geht aus ihren Stellungnahmen in der Gleichheit hervor. So wird in einem Artikel vom 10. November 1897 mit dem Titel „Der Kongreß der gemäßigten Frauenrechtlerinnen in Stuttgart“208 berichtet, dass die Verhandlungen der gemäßigten bürgerlichen Frauen sich durch einen „Zug nach links“ kennzeichneten. Es sei nicht das Ziel, was die verschiedenen Strömungen in der bürgerlichen Frauenbewegung ausmache, sondern das Tempo. Für die Reform des Familienrechts werde auf drei Punkte Wert gelegt: Beseitigung der vollständigen Unmündigkeit der Ehefrau bei Verwaltung des eingebrachten Gutes, Gleichstellung von Mutter und Vater bezüglich der elterlichen Gewalt, gesetzliche Anerkennung des natürlichen Verhältnisses zwischen dem unehelichen Kind und seinem Vater. Am Schluss des Berichts wird festgestellt, dass die 208 Die Gleichheit vom 10. November 1897, S. 179/180.
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Zusammenfassende Würdigung
Entwicklung der gemäßigten Strömung der bürgerlichen Frauenbewegung mit Wohlwollen beobachtet werde. Die proletarischen Frauen wehrten sich vehement gegen den Vorwurf, die Sozialdemokratie zerstöre die herkömmliche Familie. Ihrer Auffassung nach war die Abwendung von der herkömmlichen Familie auf die „kapitalistische Produktionsweise“ zurückzuführen, die dazu führte, dass viele Arbeiter durch billigere Arbeiterinnen ersetzt würden.209 Die Position der proletarischen Frauen dürfte durch die Konkurrenzsituation zwischen Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt zu erklären sein, die die Hauptursache des Antifeminismus in der Arbeiterklasse darstellte.210 Ferner ist zu erkennen, dass sich der Großteil der proletarischen Frauen zugunsten allgemeiner Arbeiterinteressen mit ihren Forderungen nach Gleichheit der Geschlechter zurücknahm. Antifeministische Ansätze, die aus dem bürgerlichen Weltbild der proletarischen Frauenbewegung resultieren sollen, wie Freier nach ihrer Analyse der Zeitschrift Die Gleichheit beschreibt211, sind hingegen nicht festzustellen.
209 Die Gleichheit vom 20. Februar 1895, Etwas vom „Umsturz der Familie“, S. 30. 210 S. auch Thönessen, Die Frauenemanzipation in Politik und Literatur der deutschen Sozialdemokratie (1863–1933), 1958, S. 15; Nave-Herz, Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, 1993, S. 33; Freier, „Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären“, 1981, S. 8/9; Niggemann, Frauenemanzipation und Sozialdemokratie, S. 45/46. 211 Freier, „Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären“, 1981, S. 8/9.
6. Kapitel: Resumee und Ausblick I. Theorie gleich Lebenswirklichkeit? – Schlussfolgerungen Zu der Frage, welchen Einfluss die sozialistischen Emanzipationstheoretiker auf die proletarische Frauenbewegung hatten, dürften folgende Ergebnisse festzuhalten sein: Ein Großteil der Frauen erhielt seine Informationen vielmehr durch mündlichen Austausch und Flugblätter als durch ein theoretisches Studium. 1 Dass die Frauen sich nicht mit den Theorien des Sozialismus beschäftigten, ist aufgrund ihres Bildungsstandes und ihrer wirtschaftlichen Lage verständlich. Die sozialistischen Theoretiker stellten somit zwar ein Fundament für die Agitation dar und formulierten das Ziel der Bewegung: Die Gleichheit von Frau und Mann. Da ihre Vorstellungen von Ehe, Familie und Sexualität sehr unterschiedlich und meist liberaler waren, verliehen sie der Bewegung diesbezüglich aber nur wenig Konsistenz und eröffneten die Möglichkeit einer den Gesellschaftsverhältnissen entsprechenden Interpretation. Was Marx und Engels verkannten und auch Bebel in seiner Schrift vernachlässigte, war der Konflikt zwischen proletarischen Frauen und Männern, deren Antifeminismus in der Zeit der Etablierung der proletarischen Frauenbewegung eine besondere Hürde darstellte. Er wurde erstmals von der Frühsozialistin Flora Tristan2 und später von Johanna Loewenherz artikuliert. Klara Zetkin hingegen nahm sich der Problematik, die für sie sicherlich nicht zu ihrer Vorstellung der vereinigten Arbeiterklasse passte, nicht an. Bebel wurde zunächst mit seinem Buch Die Frau und der Sozialismus bekannt. Zu berücksichtigen ist, dass die Frauen einen Großteil ihrer Informationen in jener Zeit durch Flugblätter und gegenseitige Gespräche erhielten. Indem er sein Werk eingängig und leicht verständlich schrieb, gelang es ihm, anders als Marx und Engels, die Frauen direkt anzusprechen. Vermutlich war sein Buch für viele Frauen auch Anlass für ihr Engagement in der proletarischen Frauenbewegung. Mit seinen Themen vermochte er eine breite Leserschaft zu gewinnen. Neben der Zensur, der sein Buch über einen Zeitraum unterlag, kann das Ziel, eine breite Le1 2
Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus, 1981, S. 44. Flora Tristan (1803–1844) verstand es, feministische und sozialistische Forderungen auf für die Zeit einzigartige Weise miteinander zu verbinden. Zum Leben und Werk Tristans sowie über ihre Forderungen zur sog. Frauenfrage und ihre Vorstellungen vom Verhältnis von Frau und Mann im Allgemeinen und in der Ehe im Besonderen s. Szymanski, Flora Tristan – Eine Vordenkerin, in: Frauenrecht und Rechtsgeschichte, Die Rechtskämpfe der deutschen Frauenbewegung, Meder/Duncker/Czelk (Hg.), 2006, S. 55–66.
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Theorie gleich Lebenswirklichkeit?
serschaft zu erreichen, Ursache für seine Zurückhaltung hinsichtlich der Formulierung familienrechtlicher Aussagen gewesen sein. Aus Artikeln in der Zeitschrift Die Gleichheit geht hervor, dass Bebel und dessen Kompetenz in rechtspolitischen Angelegenheiten bei den in der proletarischen Bewegung aktiven Frauen sehr geachtet und geschätzt wurden.3 Dies ist vor allem auf Bebels Engagement für die Frauenrechte im Reichstag zurückzuführen. Bebel behandelte die Frage nach der Gleichberechtigung der Geschlechter in einer Form, die sich an alle Frauen richtete, indem er die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Frauenbewegungen hervorhob.4 Die SPD-Reichstagfraktion kam ihrem Auftrag von dem Parteitag zu Breslau von 1895 genau genommen nicht vollkommen nach. Mit ihren rechtlichen Forderungen zu den einzelnen Eherechtsnormen waren sie zwar eindeutig diejenigen, die die rechtliche Gleichheit von Frau und Mann am ehesten von allen Mitgliedern des Reichstages anstrebten; sie waren jedoch inkonsequent. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. So spielt zum einen politische Taktik für die Durchsetzung bestimmter Ansprüche zulasten anderer eine Rolle; zum anderen waren die SPDAbgeordneten selbst durch die in der Gesellschaft vorherrschenden Auffassungen zur Ungleichheit von Frau und Mann geprägt und hatten zunächst selbst eine Neudefinition ihres Familienbildes vorzunehmen. Im Ganzen waren ihre Forderungen zum Eherecht herausragend fortschrittlich. Dies wird umso deutlicher, betrachtet man die weitere Entwicklung des gesamten Familienrechts, im Rahmen derer es noch viele Jahrzehnte dauerte, bis die damals aufgestellten Forderungen umgesetzt wurden. Die Stellungnahmen der proletarischen Frauenbewegung zur Zeit der Zivilrechtskodifikation sind – im Gegensatz zu denen der bürgerlichen Frauenbewegung – rar. Die Artikel in der Zeitschrift Die Gleichheit zum Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches stellen lediglich eine Reflektion der Stellungnahmen der Reichstagsabgeordneten Bebel, Frohme und Stadthagen dar. Der große Unterschied zwischen den Reichstagsabgeordneten und der Hauptlinie der proletarischen Frauenbewegung generell bestand im Festhalten der Frauen an der Zusammenbruchstheorie, wie sie von Marx und Engels aufgestellt wurde, bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Dass die proletarische Frauenbewegung die Eherechtsforderungen von der SPD-Reichstagsfraktion übernahm, ist unter anderem dadurch zu erklären, dass ihr für die Bildung eigener Positionen letztendlich die hinreichenden Rechtskenntnisse fehlten. Somit sah die Lebenswirklichkeit sehr viel schlichter aus als der theoretische Ansatz zur Frauenemanzipation. Den Frauen ging es mehr um die gesellschaftliche Gleichheit von Frau und Mann als um die rechtliche. Letztere 3 4
Die Gleichheit vom 20. Februar 1895, S. 29, vom 28. Oktober 1896, S. 170. Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Ausgabe 1895, in: Die Frauenfrage, S. 94.
Theorie gleich Lebenswirklichkeit?
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stellte für sie nur einen Teilaspekt von Frauenemanzipation dar, dem anders als in der bürgerlichen Frauenbewegung kein allzu großer Stellenwert beigemessen wurde. Wenn der Eindruck erweckt wird, die Forderungen der proletarischen Frauenbewegung gingen weiter als die der SPD-Reichstagsfraktion, so liegt das daran, dass sie sich hauptsächlich in allgemeinen Forderungen erschöpften, während die Forderungen der SPD-Reichstagsfraktion sehr konkrete Anträge im Rahmen der Lesung des Entwurf des BGB beinhalteten. Die pragmatisch geprägten Forderungen der proletarischen Frauenbewegung zeigen trotz alledem, dass sie sich mit dem Familienrecht auseinandergesetzt hat. Sie sah ihre Aufgabe im Wesentlichen in der Aufklärung der Frauen der Arbeiterklasse über die neuen Familienrechtsnormen und nicht in deren vehementer Bekämpfung. Ihr Einsatz für Arbeitsschutzbestimmungen und andere sozialpolitische Themen hatte sie offensichtlich fast gänzlich vereinnahmt. Mit der Ehe im Allgemeinen, die sie größtenteils losgelöst von den Eherechten betrachtete, setzte sie sich hingegen dezidiert auseinander. Die Herausstellung verschiedener Eheverständnisse zeigt einerseits die starke Verankerung der Frauen in bürgerlich-konservativen Wertvorstellungen, andererseits aber auch die Kritik an gerade dieser bürgerlichen Gesellschaft, die mit ihrer Vorstellung von Ehe die Frau eben der Freiheit beraubt, die sich die proletarischen Frauen hinsichtlich der Partnerwahl und der Scheidung der Ehe wünschten. Vergleicht man die Entwicklung der Forderung nach Gleichheit der Geschlechter in den verschiedenen in dieser Arbeit betrachteten Gruppen ergibt sich Folgendes: In der Theorie wurde ein starkes Schwergewicht auf die Forderung nach Frauenbildung gelegt, da nur so eine Gleichheit der Geschlechter erreicht werden könne. In der Lebenswirklichkeit jedoch spielte Bildung für die proletarischen Frauen keine primäre Rolle. Es gab zwar die Frauenbildungsvereine, die maßgeblich von der proletarischen Frauenbewegung ins Leben gerufen und unterstützt wurden. Die Forderung nach Bildung, vor allem verknüpft mit der Forderung der Zulassung der Frauen zum Universitätsstudium, stellt jedoch eine bürgerliche Forderung dar und war eine Schwerpunktforderung der bürgerlichen Frauenbewegung. Dem Centralverein der Frauen und Mädchen Deutschlands als Zusammenschluss proletarischer Frauen kommt in diesem Punkt mit seiner vorrangigen Forderung nach Frauenbildung eine Sonderrolle zu. Welchen Standpunkt die SPD-Reichstagsfraktion zur Frauenbildung einnahm, kann nicht abschließend beantwortet werden. Jedenfalls forderte sie – wie die bürgerliche Frauenbewegung – die Zulassung von Frauen zum Universitätsstudium. Innerhalb der proletarischen Frauenbewegung wurde der Schwerpunkt auf die Konkretisierung eines Eheverständnisses gelegt, während sich die Reichstagsabgeordneten mit der persönlichen Stellung der Ehepartner zueinander und dem Ehescheidungsrecht vor allem mit dem Güterrecht auseinandersetzten. Die proletarische Frauenbewegung entwickelte keine Alternative zur Ehe, sondern sah in
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Theorie gleich Lebenswirklichkeit?
ihr die anzustrebende Lebensform. Sie strebte die sittliche Form der Ehe an, die frei von wirtschaftlichen und anderen familiären Zwängen aus Liebe geschlossen wird, wenn auch nicht als notwendige Voraussetzung für eine sexuelle Beziehung. Diese Vorstellung von Ehe trägt romantische Züge. Obwohl viele Frauen die Lockerung der Ehescheidungsvoraussetzungen forderten, was deutlich macht, dass den Frauen durchaus bewusst war, dass die Zuneigung zweier Menschen durch eine individuelle Entwicklung schwinden kann, erscheint es fraglich, ob die Frauen zu dieser Zeit schon reflektierten, welch großer Anspruch einer einzig aus Liebe geführten Ehe überhaupt zukommt und welche Konsequenzen daraus für die Familie erwachsen. Auch wenn durch wiederholte Richtungskämpfe deutlich wird, dass der Stellenwert der Gleichberechtigung der Geschlechter nicht eindeutig geklärt war, so war er doch – anders als bei einigen Emanzipationstheoretikern – eng verknüpft mit den ökonomischen Verhältnissen. Ob alle in der Bewegung aktiven Frauen auch Sozialistinnen waren, erscheint dennoch zweifelhaft. Dies dürften schon ihre bürgerlichen Wertvorstellungen, die in vielen Quellen ihren Ausdruck finden, ausschließen. Im Unterschied zur bürgerlichen Frauenbewegung, die sich das Recht, arbeiten zu gehen, mühsam erkämpfen musste, waren die Proletarierinnen größtenteils gezwungen, Geld für den Lebensunterhalt der Familie zu verdienen. Im Ergebnis ist eine Diskrepanz zwischen einerseits sehr kompromisslosen Forderungen hinsichtlich der Frauenrechte und andererseits den teilweise sehr konservativ-bürgerlichen und durch die vorherrschenden gesellschaftlichen Werte geprägten Vorstellungen von der Familie zu konstruieren, die zumindest als Tendenz erkennbar ist. Die allgemein bürgerliche Prägung der proletarischen Frauenbewegung stellte den Hauptgrund für Rosa Luxemburg dar, sich der proletarischen Frauenbewegung nicht anzuschließen und zu kritisieren, dass ihr viele Frauen einfach nicht politisch genug gewesen seien.5 Einen größeren Abstand zu konservativ-bürgerlichen Werten ist bei den in der Bewegung eine Führungsrolle einnehmenden Frauen, vor allem bei Zetkin und Braun zu beobachten. Beide waren überzeugte Sozialistinnen.6 Der Diskurs über das Verhältnis zur bürgerlichen Frauenbewegung spiegelt die Uneinheitlichkeit innerhalb der in der Bewegung aktiven Frauen hinsichtlich der Art und Weise der Agitation wider. Er ist eine Ursache für die schwerfällige Formation der Frauenbewegung und die Zurückhaltung gegenüber der Aufstellung von Forderungen für die bestehende Gesellschaftsform. Die Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung ab 1885 wurde maßgeblich von Clara Zetkin und ihrer „reinlichen Scheidung“ zur bürgerlichen Frauenbewe5 6
Brief Luxemburgs an Jogiches vom 17. November 1898; in: Rosa Luxemburg an Leon Jogiches, 1971, S. 116. Zetkin war auch Pazifistin.
Ausblick – Die proletarische Frauenbewegung
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gung geprägt. Es bleibt zu mutmaßen, dass die Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung ohne Zetkin eine andere Richtung eingeschlagen hätte. Die Tätigkeit des Centralvereins der Frauen Mädchen Deutschlands beweist, dass es in der Bewegung Bestrebungen gab, eine einheitliche überregionale Frauenbewegung ins Leben zu rufen, ohne dabei die Verbindung zur Sozialdemokratie aufzugeben. Ob diese Bestrebungen umsetzbar gewesen wären, besonders in Anbetracht der großen Kritik an der Sozialdemokratie in Teilen der bürgerlichen Frauenbewegung, ist allerdings fraglich. Vielleicht wäre es nicht zu der Bildung zweier getrennt voneinander agierenden Frauenbewegungen in Deutschland gekommen, sondern zu einer sowohl von proletarischen als auch bürgerlichen Frauen geführten einheitlichen Bewegung.
II. Ausblick – Die proletarische Frauenbewegung Die proletarische Frauenbewegung sah sich auch im Laufe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weiterhin mit zwei Fronten konfrontiert: Nach außen musste sie ihre Verbundenheit zur Sozialdemokratie verteidigen, nach innen war sie weiterhin antifeministischen Wertvorstellungen der Männer der eigenen Klasse ausgesetzt. Ab 1914 gab es erneut Bestrebungen innerhalb der Sozialdemokratischen Partei, weibliche Erwerbsarbeit weitestgehend zu verhindern, da diese lediglich ein „kapitalistisches Übel“ darstelle. Zu einem der Wortführer in dieser Angelegenheit gehörte Edmund Fischer, der der Überzeugung war, zum Wohl der Frau und gemäß ihrer Wesensbestimmung ihre Beschränkung auf den Haushalt fordern zu müssen.7 Fischer wurde zum größten Widersacher Zetkins innerhalb der Partei. Nach der Spaltung der Partei in den Jahren 1914–1919 konnte von einer proletarischen Frauenbewegung keine Rede mehr sein.8 Den einzelnen Splittergruppen gelang es in der Folgezeit nicht, als Frauenbewegung wahrgenommen zu werden. Trotz des einheitlichen Wechsels der führenden Vertreterinnen der proletarischen Frauenbewegung zur KPD und ihrer Mitarbeit im Rätesystem blieb der Anteil der Frauen in der kommunistischen Bewegung sehr gering.9 Im Jahr 1925 stellte der erste Parteitag der KPD fest, dass die Gewinnung von Frauen für die Partei nicht gelungen sei. Aus diesem Grund wurde im selben Jahr der RoteFrauen- und Mädchen–Bund (RFMB) gegründet. Dieser zählte im Jahr 1926 zwar 7 8 9
Thönnessen, Frauenemanzipation, 1976, S. 114–116; Nave-Herz Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, 1993, S. 46. Die Zersplitterung der proletarischen Frauenbewegung wird im 5. Kapitel unter II. dargestellt. Nave-Herz, Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, 1993, S. 47.
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Die Entwicklung von Ehe und Eherechten bis in die Gegenwart
35.000 Mitglieder10, stellte letztlich aber keine Konkurrenz zu den sozialdemokratischen und sozialistischen Frauenorganisationen dar, die von den jeweiligen Parteien jedoch zu einem großen Teil auf Wohlfahrtstätigkeiten verwiesen wurden.11 Die mit der steigenden Arbeitslosenzahl einhergehende Entwicklung der Arbeiterwohlfahrt führte nämlich zu einem hohen Bedarf an sozialen Tätigkeiten.12 Die Zuweisung dieser Tätigkeiten und ihre teilweise Beschränkung auf diese wurden für die Frauen zu einer neuen Barriere auf dem Weg zur gesellschaftlichen Gleichheit der Geschlechter.
III. Ausblick – Die Entwicklung von Ehe und Eherechten bis in die Gegenwart Der Blick auf die Entwicklung der Ehe und Eherechte, von dem in der Arbeit betrachteten Zeitraum bis in die Gegenwart, führt zu zwei Fragen. Zum einen: Wie entwickelten sich die Familien- und Eheverständnisse der Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen? Zum anderen: Inwieweit wurden die dargestellten Forderungen später zu geltendem Recht ? 1. Die Entwicklung in der Weimarer Republik Seit dem Ersten Weltkrieg war die Familie grundsätzlich Thema öffentlicher Diskussionen geworden, was nicht zuletzt aus den materiellen Bedingungen und der psychischen Belastung der Menschen durch den Krieg resultierte. Angesichts der Strapazen des Krieges und deren Folgen wuchs das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit und gefestigten Strukturen, die sie wiederum in der Familie suchten. Die katalytische Wirkung des Ersten Weltkrieges für den Bereich der Familie verdeutlicht unter anderem das erstmalige Aufkommen des Begriffs „Familienpolitik“.13 Unter dem Eindruck der russischen Oktoberrevolution wurden sowohl Familie als auch Ehe erstmals in eine deutsche Verfassung aufgenommen. Die Weimarer Verfassung stellte eine wesentliche Erweiterung des klassischen Grundrechtskatalogs dar. Während die Notwendigkeit des Schutzes der Familie an sich im Rahmen der Verfassungsgebung weniger kontrovers diskutiert wurde, kam es zu einer dezidierten Auseinandersetzung über die Reichweite des Schutzes der Ehe. 10 Nave-Herz, Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, 1993, S. 47. 11 Brandt/Kootz/Steppke, Zur Frauenfrage im Kapitalismus, 1973, S. 33. 12 Thönnessen, Frauenemanzipation, 1976, S. 114–116; Nave-Herz, Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, 1993, S. 78. 13 Heinemann, Familie zwischen Tradition und Emanzipation, 2004, S. 293.
Die Entwicklung in der Weimarer Republik
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Dass neben die Institutsgarantie schließlich auch der Gleichberechtigungssatz trat, war der Verdienst der Sozialdemokratie und einiger Liberaler. Die verstärkt seit der Kriegszeit erhobene Forderung staatlicher Unterstützung der Familie, die dem Staat Verantwortung für die Existenzbedingungen von Familien im Sinne des Sozialstaatsprinzips zuwies, ging mit Art. 119 Abs. 2 ebenfalls in die Verfassung ein. Der durch die Verfassung garantierte Schutz von Ehe und Familie erwies sich jedoch in der Praxis als Enttäuschung, da die Familienpolitik aufgrund der knappen finanziellen Mittel nicht umgesetzt werden konnte. Nicht zuletzt war diese Enttäuschung mitursächlich für die aufkommende Politikverdrossenheit der Bürger.14 Mit dem sozialdemokratischen Familien- und Ehemodell der Weimarer Republik wollte man im Gegensatz zu kommunistischen Strömungen an der herkömmlichen Familie und Ehe festhalten, auch wenn diese von Seiten der Sozialdemokratie stets mit dem Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter verbunden wurde. Das sozialdemokratische Eheverständnis, von dem man – wie oben bereits festgestellt – sicher nur sprechen kann, wenn man die wesentlichen Ehemerkmale betrachtet, also bis zu einem gewissen Grad pauschalisiert, änderte sich nicht. Es blieb genauso individualistisch geprägt wie zur Zeit der Zivilrechtskodifikation. Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten betonten die Solidarfunktion der Familie sowie deren Bedeutung für das Gemeinschaftsleben. Die herkömmliche Arbeitsteilung als wesentlicher Teil des konservativen Familienmodells lehnten sie konsequenterweise ab. Andererseits setzten sie sich für die Entlastung der Frau in der Doppelfunktion als Berufstätige und Hausfrau und Mutter ein.15 Keine einheitliche Linie vertraten die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in der Frage der Geburtenkontrolle, die bereits vor dem Krieg sehr kontrovers innerhalb der Partei und in der Frauenbewegung diskutiert worden war.16 Vertreter des rechten Flügels der Sozialdemokratie betrachteten den Geburtenrückgang als eine Bedrohung der nationalen Überlebensfähigkeit, während sich die Mehrheit und mit ihr auch der überwiegende Teil der proletarischen Frauen für eine Geburtenkontrolle aussprachen. Sie sahen diese als einen kulturellen Fortschritt, welcher die Arbeiterfamilie entlaste. In den Jahren vor 1928 wurden immer wieder Initiativanträge zur Reform des Familienrechts von Seiten der Demokraten, Kommunisten und Sozialdemokraten eingebracht, die jedoch nie bis in den Rechtsausschuss vordrangen.17 Erst Ende des 14 Heinemann, Familie zwischen Tradition und Emanzipation, 2004, S. 293. 15 Nave-Herz, Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, 1993, S. 79. 16 Leider kann in dieser Arbeit nur sehr knapp hierauf eingegangen werden. Eine gelungene Darstellung für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg findet sich bei Evans, Sozialdemokratie und Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, 1979, S. 244–258. 17 Siehe Abgeordnete Pfülf (SPD) in Stenographische Berichte, 22. Sitzung vom 30. November 1928, S. 564.
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Die Entwicklung von Ehe und Eherechten bis in die Gegenwart
Jahres 1928 kam es schließlich zu einer Debatte über das Familienrecht des BGB im Reichstag, in der es um das Ehescheidungsrecht, die Verwirklichung der in der Verfassung garantierten Gleichberechtigung von Frau und Mann insbesondere in der Ehe, die Stellung der ledigen Mütter und der nichtehelichen Kinder zu ihren leiblichen Vätern ging. Erstmals gelang es den Antragstellern, eine Überweisung ihrer Anträge an den Rechtsausschuss zu bewirken. Die Sozialdemokraten setzten sich im Rahmen der Diskussion des Ehescheidungsrechts wie auch Demokraten und Kommunisten für ein verschuldensunabhängiges Scheidungsrecht ein, welches die Zerrüttung der Ehe als einen Ehescheidungsgrund neben anderen vorsah. Die SPD-Abgeordnete Antonie Pfülf18 (1877–1933) begründete den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zur Erleichterung der Ehescheidung im Reichstag im Jahr 1829. Sie sprach sich gegen die „bürgerliche Zwangsehe“ aus, die maßgeblich aus den wirtschaftlichen Verhältnissen resultiere. Auf den Vorwurf von Seiten des Zentrums, ihre Vorschläge führten zu Ehebolschewismus, entgegnete Pfülf, dass derartige Änderungen im Eherecht nicht, wie die Gegner immer wieder behaupten, eine Verwilderung von der Auffassung der Ehe heraufführen, sondern im Gegenteil die Geschlechts- und Gesinnungsgemeinschaft der Ehe auf eine reinere Höhe zu führen in der Lage sind“.19 In der Antragsbegründung führt sie im Reichstag aus: „Was ist Schuld? Muß man fragen, wenn man so viele Ehen anschaut, in denen Menschen
jung geheiratet haben und sich, wie es doch im Wesen des Menschen liegt, entwickelt und oft sehr weit von dem fortentwickelt haben, was sie vor zehn, was sie vor zwanzig Jahren
gewesen sind. Ist es Schuld, wenn solche Menschen sich auseinander entwickeln und wenn
diese Ehe zur inneren Unmöglichkeit geworden ist? Wo bleibt das Feingold der sittlichen
Ehe, wenn Menschen, die sich so weit auseinander entwickelt haben, daß ihnen das Zusam-
menleben zur inneren Qual und zur inneren Unwahrhaftigkeit geworden ist, das Schauspiel der Zusammengehörigkeit und der Gemeinsamkeit nach draußen weiterleben, bloß damit
die Menschen draußen im Staat meinen, es ist alles in schönster Ordnung, es gibt keine Stö-
rung des Lebens, die Familie hat noch genau dasselbe statische Bild wie vor 200, 300 Jahren, während sich die Welt ringsum geändert hat […]und bei der Schuld des Ehebruchs ist doch sehr häufig die Frage, ob die Zerrüttung des Ehelebens die Folge des Ehebruchs oder der
18 Antonie Pfülf war Tochter eines bayrischen Majors, besuchte die Lehrerinnenbildungsanstalt in München und arbeitete später im Volksschuldienst. 1902 trat sie in die SPD ein. Während des Krieges kümmerte sie sich ehrenamtlich um Arme und Waisen. Im Jahr 1918 wurde Pfülf zur Vorsitzenden des Bundes sozialistischer Frauen gewählt. Von 1919–1920 war sie Mitglied der Nationalversammlung, 1920–1933 Mitglied des Reichstages. Im Jahr 1933 wählte sie den Freitod. Weitergehend s. Dertinger, Dazwischen liegt nur der Tod. Leben und Sterben der Sozialistin Antonie Pfülf, 1984. 19 Pfülf, Die Reform des Ehescheidungsrechts, in: Arbeiterwohlfahrt, 1928, S. 9.
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Ehebruch die Folge der Zerrüttung der Familie gewesen ist. Wenn wir das nicht wollen, wenn wir in unseren Familien reinliche Verhältnisse wollen, dann müssen wir ein Tor für
die Menschen öffnen, die nach gewissenhafter Prüfung ihrer Lebensverhältnisse nicht mehr zueinander passen. Aus diesem Grunde fordern wir […], daß neben dem Schuldprinzip das Zerrüttungsprinzip in der Ehe seine Gültigkeit habe.“20
Die Befürworter der Ehescheidungsrechtsreform sprachen sich für eine Ehe als gesetzliche Grundlage des Zusammenlebens von Frau und Mann aus und verteidigten sich gegen den Vorwurf, die Ehe als Institution mit der Reform zu schwächen. Regelungen wie im russischen Eherecht, wonach durch die bloße Erklärung eines Ehepartners genügte, um die Ehe zu scheiden, lehnten sie strikt ab, da diese in den meisten Fällen zum Nachteil der Frauen gereichten. Vor allem die sozialdemokratischen Frauen verlangten eine Änderung des Scheidungsrechts, welche „diejenige Freiheit […] sichert, die die Würde des ehelichen Lebens schützt, nicht die Willkür, die mit der Lösung der Ehe spielt“.21 Die sozialdemokratischen und liberalen Reformversuche stießen wie schon im Kaiserreich auf Widerstand der Zentrumsabgeordneten. Diese sahen in den Reformbestrebungen nicht nur eine Bedrohung für das Wohl der katholischen Bevölkerung, sondern für das Gemeinwohl insgesamt und waren bemüht, die Ehescheidungsfrage von der politischen Tagesordnung fernzuhalten. Die Haltung des Zentrums wurde zu einer schweren Belastungsprobe für die Große Koalition unter Hermann Müller, der letzten demokratisch legitimierten Regierung der Weimarer Republik.22 Die Kontroverse um das Ehescheidungsrecht hemmte sowohl die SPD als auch die Zentrumspartei, in anderen Bereichen weiterhin konstruktiv zusammenzuarbeiten.23 Obwohl eine Überweisung an den Rechtsausschuss beschlossen wurde, beschäftigte sich dieser nicht mehr mit der Ehescheidungsrechtsreform. Entgegen der Absicht des liberalen Justizministers Erich Koch-Weser, der im Jahr 1829 einen Reformentwurf vorgelegt hatte, war der der Zentrumspartei angehörende Theodor von Guérard gewillt, die Reformversuche mit allen Mitteln zum Erliegen zu bringen, als er Koch-Weser in seinem Amt nachfolgte. Um seine Linie durchzusetzen, drohte er mit Rücktritt, was die Koalition gefährdete. Daraufhin einigten sich die Koalitionsparteien darauf, die Befassung des Rechtsausschusses mit dem Eherecht zurückzustellen und das Reformvorhaben einem nicht 20 Abgeordnete Pfülf (SPD) in Stenographische Berichte, 22. Sitzung vom 30. November 1928, S. 565. 21 Corsen, Eherecht, in: Sozialistische Monatshefte, 1925, S. 366. 22 Heinemann, Familie zwischen Tradition und Emanzipation, 2004, S. 179. 23 Zu der Positionierung der Zentrumspartei in der Debatte um das Ehescheidungsrecht im Rahmen der Zivilrechtskodifikation s. eine ausführliche Darstellung bei Wolters, Die Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, 2001.
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beschlussfähigen Unterausschuss zu überweisen. Damit war das Reformvorhaben des Eherechts für die Zeit des Bestehens der Weimarer Republik gescheitert.24 Festzuhalten bleibt, dass das heutige Zerrüttungsprinzip des BGB in § 1565 Abs. 1 S. 2, welches letztlich erst im Jahr 1977 eingeführt wurde25, bereits zur Zeit der Zivilrechtskodifikation von den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gefordert wurde. Sie setzten sich für eine verschuldensunabhängige und sogar eine einvernehmliche Ehescheidung ein. Diese Forderungen hielten sie in der Zeit der Weimarer Republik aufrecht. 2. Die Entwicklung in der DDR In der DDR erfolgte die gesetzliche Umsetzung der Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter sehr schnell. In diesem Sinne knüpfte der Gesetzgeber an die Tradition der sozialistischen bzw. einst proletarischen Frauenbewegung an. Das Familienrecht sollte in einem weitaus stärkeren Maße als in der Bundesrepublik politisch-erzieherischen Zielen dienen und wurde als Katalysator für die Weiterentwicklung der Gesellschaft eingesetzt.26 Insoweit kann spätestens bei der Betrachtung der Entwicklung des Familienrechts in der DDR, die in der Einleitung aufgestellte Behauptung, die rechtliche Entwicklung habe die gesellschaftliche überholt, zur festgestellten Tatsache erhoben werden. Zu erwähnen bleibt ferner das große staatliche Engagement im Bereich der Kinderbetreuung, das die in der DDR ökonomisch notwendige Berufstätigkeit für Frauen erheblich erleichterte.27 3. Die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland Ursprünglich war das materielle Eherecht ausschließlich im BGB (§§ 1297–1588) enthalten. Das Recht der Eheschließung, der Ehescheidung sowie der Aufhebung und der Nichtigkeit der Ehe waren jedoch im Dritten Reich in den Ehegesetzen 24 Heinemann, Familie zwischen Tradition und Emanzipation, 2004, S. 180. 25 Schwab, Familienrecht, 2008, Rn. 299. 26 So auch Großekathöfer, Eheverträge in der DDR, in Frauenrecht und Rechtsgeschichte, Die Rechtskämpfe der deutschen Frauenbewegung, Meder/Duncker/Czelk (Hg.), 2006, S. 371. Eine Darstellung der Stellung der Frau im nachehelichen Unterhaltsrecht der DDR findet sich bei Großekathöfer, „Es ist ja jetzt Gleichberechtigung“ – die Stellung der Frau im nachehelichen Unterhaltsrecht der DDR, 2003. 27 Eine Auseinandersetzung mit der Umsetzung der rechtlichen Gleichheit von Frau und Mann in der DDR findet sich bei Plat, Die Familie in der DDR, 1972. Im Jahr 1989 erreichte der Versorgungsgrad mit Kindergärten in der DDR 95,1 %. Maier, die Frauenpolitik der SED unter Berücksichtigung der Ära Honecker, S. 405, Tabelle 54, zitiert nach Großekathöfer, Eheverträge in der DDR, in: Frauenrecht und Rechtsgeschichte, Die Rechtskämpfe der deutschen Frauenbewegung, Meder/Duncker/Czelk (Hg.), 2006, S. 368.
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(EheG) vom 06.07.1938 bzw. vom 20.02.1946 (Kontrollratsgesetz Nr. 16) und in den Durchführungsverordnungen zum EheG im Jahr 1938, insbesondere in der 6. DVO über die Behandlung der Ehewohnung und des Hausrats nach der Scheidung vom 21.10.1944 gesondert geregelt worden. Im BGB verblieben damit nur noch die Regelungen über das Verlöbnis (§§ 1297–1302), die Wirkungen der Ehe im Allgemeinen (§§ 1353–1362), das eheliche Güterrecht (§§ 1363–1563) und das Verhältnis von staatlicher und kirchlicher Ehe (§ 1588). Mit dem Eherechtsreformgesetz vom 01.07.1977 wurde das Recht der Ehescheidung und mit dem Eheschließungsrechtsgesetz vom 04.05.1998 auch das Recht der Eheschließung und Eheaufhebung wieder in das BGB aufgenommen (§§ 1303–1320; 1564–1587p). Wie schwer sich der Gesetzgeber mit der verfassungsmäßig garantierten Gleichheit der Geschlechter tat, zeigt sich an den Normen zum Ehenamensrecht. Mit dem 1. Eherechtsreformgesetz von 1976 wurde es den Ehepartnern ermöglicht, für den gemeinsamen Ehenamen zwischen dem Namen der Frau und dem des Mannes zu wählen. Doch stellte diese Reform die Rechtsgleichheit von Frau und Mann nicht völlig her: Trafen nämlich die Eheschließenden keine Namensbestimmung, so erhielt nach wie vor der Name des Mannes gem. § 1355 Abs. 2 S. 2 BGB in der Fassung des 1. EheRG den Vorzug. Mit der Entscheidung vom 5. März 199128 verlangte das BVerfG eine Neuregelung und dekretierte zugleich Übergangregelungen, denen das Prinzip der obligatorischen Namenseinheit aufgegeben war. Das Familienrechtsnamengesetz vom 16.12.1993 brachte dann eine weitgehende Umgestaltung auf der Grundlage der Entscheidung des BVerfG 29, wodurch eine Gleichbehandlung der Geschlechter im Ehenamensrecht gewährleistet wurde. Mit dem Ersten Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14.6.1976 wurde das Schuldprinzip, das dem Ehegatten, der sich innerhalb der ehelichen Lebensgemeinschaft nichts zuschulden kommen ließ, den Bestand der Ehe sicherte, abgeschafft und auf das Scheitern der Ehe abgestellt. Auch die Regelung der Scheidungsfolgen wurde weitgehend von der Schuldfrage abgelöst. 30 Mit dem am 01.07.1998 in Kraft getretenen Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts entfielen das Aufgebot, das Kranzgeld und die Erfordernis von Trauzeugen. Neben der Reduzierung der Eheverbote auf Doppel- und Verwandtenehe wurde das Eheschließungshindernis der rechtsmissbräuchlichen Scheinehe ohne Willen zur Lebensgemeinschaft eingeführt, welches den Standesbeamten zu Nachforschungen über den Ehewillen der Eheschließenden berechtigt. Zu28 Abgedruckt in: FamRZ 1991, 535. 29 S. hierzu § 1355 BGB in der geltenden Fassung, Schwab, Familienrecht 2008, Rn. 182–188. 30 S. hierzu Dörr, Die Entwicklung des Ehe- und Scheidungsrechts seit dem 1. EheRG, in: NJW 1989, 488 f.
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dem wurde die Eheschließung eines Minderjährigen vereinfacht. 31 Es bedurfte weiterer Reformen in den Jahren 1979 (Gesetz zur Neuregelung der elterlichen Sorge), 1992 (Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige), 1997 (Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts), 1998 (Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder), um die schon zur Zeit der Zivilrechtskodifikation von Sozialdemokraten im Reichstag aufgestellten Forderungen umzusetzen. Mit dem Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften vom 22.02.2001 wurde ein eheähnliches Rechtsinstitut für Personen gleichen Geschlechts eingeführt. Durch das Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts vom 21.12.2007 wurde die nacheheliche Unterhaltspflicht weiter beschränkt und der Gesichtspunkt des ehebedingten Nachteils besonders gewichtet. a) Die Eheherrschaft des Mannes Mit der gesetzlichen Umsetzung des im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatzes tat sich der Gesetzgeber auch hinsichtlich der Abschaffung der Vorherrschaft des Mannes in der Ehe schwer. Sie wurde erst in den 50er Jahren angetastet. In dieser Zeit, etwa sechzig Jahre nach der Entstehung des BGB kam im Deutschen Bundestag eine vehemente Diskussion über die ehe- und familienrechtliche Stellung der Frau auf. Die Debatte über den sogenannten Stichentscheid des Ehemannes im Jahr 1954 zeigte, dass die Forderungen, die die Sozialdemokratische Partei und mit ihr sowohl die proletarische als auch die bürgerliche Frauenbewegung schon im Jahr 1896 gestellt hatten, längst nicht den Meinungen eines großen Teils der Bundestagsabgeordneten, vor allem der Mitglieder der CDU32, entsprachen. Unter anderem mit den Stimmen der FDP und der SPD wurde der „Stichentscheid des Ehemannes“ verhindert. Durch das Gleichberechtigungsgesetz vom 18.06.1957 wurde das Konzept des § 1356 BGB a. F. aber keineswegs aufgegeben. Haushaltsführung und Kindeserziehung wurden als Naturalleistung der Frau dem weiterhin im Wesentlichen vom Mann erwarteten finanziellen Unterhaltsbeitrag „gleich gestellt“.33 Der „Stichentscheid des Vaters“ 31 S. hierzu Weber, Die Entwicklung des Familienrechts seit Mitte 1997 – Eherecht, Kindschaftsrecht, Ehewohnung, Hausrat und vermögensrechtliche Beziehungen, in: NJW 1998, 3083 f. 32 Eine Ausnahme stellte die CDU-Abgeordnete Elisabeth Schwarzhaupt dar, die sich energisch gegen den „Stichentscheid des Ehemannes“ einsetzte. 33 Siehe hierzu Hase, Die rechtlichen Rahmenbedingungen zum Spannungsfeld zwischen Beruf, Familie und Alterssicherung aus verfassungsrechtlicher Sicht.
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hingegen wurde schließlich im Jahr 1959 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt.34 b) Ein Eheverständnis in der Gegenwart ? Abschließend stellt sich die Frage nach dem Eheverständnis in der Gegenwart.35 Es wird nicht ohne weiteres möglich sein, von dem oder einem Eheverständnis zu sprechen. Es sind jedoch Tendenzen erkennbar. Da Eheverständnisse bei chronologischer Betrachtungsweise vor dem Eherecht stehen, können sie losgelöst vom Eherecht als dessen Grundlage und Ursprung gesehen werden. Eherechtsnormen können somit lediglich Eheverständnisse widerspiegeln. Um den Versuch zu unternehmen, doch ein allgemeines zeitgenössisches Eheverständnis herauszuarbeiten, bleibt lediglich die Suche nach einer Definition von Ehe auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners der zahlreichen individuellen Eheverständnisse: Zunächst beinhaltet eine Definition von Ehe den Zusammenschluss von zwei Menschen in beliebiger Form. Dass die zwei Menschen verschiedenen Geschlechts sein müssen, ist zwar rechtlich notwendig, jedoch keine Voraussetzung für Ehe schlechthin.36 Welchen Zweck der Zusammenschluss hat oder haben muss, ist nicht eindeutig. Sicherlich drängt sich zunächst die Idee auf, dass die Ehe die Grundlage für das Aufziehen von gemeinsamen Kindern ist. Das kann sie zwar sein, muss sie aber nicht; eine notwendige Bedingung liegt hierin also nicht. Mithin ist das Aufziehen von gemeinsamen Kindern nicht in die Ehedefinition aufzunehmen. Man könnte den Zweck aber in einem Zusammenleben sehen, welches in den meisten Fällen auch ein Zusammenwohnen bedeutet. Letzteres ist vom Gesetzgeber grundsätzlich so vorgesehen, stellt jedoch ebenfalls keine notwendige Bedingung dar, sondern kann von den Partnern frei gewählt werden. Eine Ehe, in der zwei Haushalte geführt werden, kommt heute als Ausfluss der geforderten Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt immer häufiger vor. Aufgrund der sehr großen Gestaltungsfreiheit der Ehepartner drängt sich die hypothetische Frage auf, ob die Ehe ganz allgemein ein Vertrag zwischen den Ehepartnern sein soll, ohne den derzeit vorgesehenen Formvorschriften für eine 34 BVerfGE 10, 89. 35 Zur gegenwärtigen Diskussion über ein zeitgenössisches Eheverständnis unter dem Aspekt der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern im Erwerbsleben und über die Erweiterung von geschlechtsspezifischen Rollenbildern s. Bericht der Bundesregierung vom 01.09.2011: Neue Wege – Gleiche Chancen, Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf, Erster Gleichstellungsbericht, Bundestags-Drs. 17/6240. 36 Immer mehr Menschen gleichen Geschlechts nutzen in Deutschland die Möglichkeit, ihre Verbindung als Lebenspartnerschaft eintragen zu lassen. In Frankreich ist die Einfürung der sogenannten Homoehe sehr wahrscheinlich.
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gesetzliche Eheschließung genügen zu müssen. Die Formfreiheit wird selbstverständlich von einem Großteil der Stimmen aus der Lehre verneint, der wohl von einem personalen Eheverständnis ausgeht37 und die Ehe als eine höchstpersönliche Verbindung ansieht, die in ihrer geistig-seelischen Substanz dem Recht vorgegeben ist. Allerdings bezieht sich das personale Verständnis stets auf die gesetzliche Ehe, für die das Eherecht mit seinen Rechten und Pflichten eine wesentliche Rolle einnimmt und den Rahmen dieser höchstpersönlichen Bindung vorgibt. Aber angenommen, die formale Eheschließung gehöre nicht zur Ehedefinition, dann kann das Eherecht trotz all seiner praktischen Bedeutung und verfassungsrechtlichen Verankerung nicht wesentlicher Bestandteil für die Ehe sein und daher in keiner Form in die Ehedefinition einfließen. Aus diesem Grund könnte die Ehe zumindest Teile eines rechtlich zugänglichen Vertrages haben, der aber mit etwas dem Recht nicht Zugänglichem, etwas „Überrechtlichem“, oder gar „Sittlichem“ vereint wird. Die Ehe könnte ein Vertrag sein, ein höchstpersönliches Rechtsgeschäft, wie sie John Stuart Mill bereits forderte. Dabei ließ Mill aber die Diskrepanz der Stärke der Vertragspartner, namentlich die aufgrund der gesellschaftlichen Umstände unterlegene Stellung der Frau, außer acht. Anders als in der Schaffenszeit Mills hat sich in der Gegenwart die Stellung der Frau rechtlich vollkommen und gesellschaftlich erheblich verbessert, auch wenn die Arbeit der Frau durchschnittlich immer noch viel schlechter bezahlt wird als die gleiche des Mannes und Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind.38 Die heutige rechtliche Situation ermöglicht der Frau jedoch ein großes Maß an wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Ausgehend von zwei gleich starken Vertragpartnern, erscheint eine Ehe möglich, die auf der Grundlage der Gleichheit der Partner basiert. Gleichheit bei Eingehung der Ehe würde zumindest ermöglichen, dass Ehe vollkommen frei von Zwang wäre, da grundsätzlich kein Ehepartner mehr von dem anderen abhängig wäre. Dies würde der Ehe jede Form von Notwendigkeit nehmen. Die heutige Ehe könnte also das genaue Gegenteil von einer Versorgungsehe sein, die die Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen im 19. Jahrhundert zutiefst verurteilten, weil sie ihrer Meinung nach keinen 37 Schwab, Familienrecht, 2008, Rn. 28/29. 38 S. hierzu Bericht der Bundesregierung Erster Gleichstellungsbericht der Bundesregierung – Neue Wege – Gleiche Chancen – Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebenslauf auf http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/gleichstellung,did=174358.html, zuletzt abgerufen am 27.02.2013; Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 8. März 2004, S. 2, Dabeisein ist nicht alles. In der Politik mischen mehr Frauen mit denn je, doch an den Schlüsselstellen sitzen weiter Männer; Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 22./23. Januar 2005, S. 13, Frauen und Männer: Neueste Ermittlungen im Krisengebiet, Die netten Jahre sind vorbei; Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 30. März 2011, S. 1, Bundesregierung droht Firmen mit Gesetz, Mehr Frauen in Spitzenpositionen.
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„sittlichen“ Anspruch hatte. Die mangelnde Notwendigkeit der Ehe macht ihren Bestand ebenfalls frei von jeglichem Zwang. Genau ein solches Eheverständnis zeigte Clara Zetkin, wenn sie eine Ehe unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen forderte. Die Ehe der Gegenwart auf der Grundlage der Gleichheit der Ehepartner ist also ganz in dem Sinne Zetkins, deren Ansatz gar nicht so weit entfernt ist, von dem ihres Zeitgenossen Nietzsche, der der Meinung war, dass es „eine treffliche Ehe nur geben könne, wenn sie nicht für beider Überleben notwendig sei“39. Beide, sowohl Zetkin als auch Nietzsche, forderten die Unabhängigkeit der Ehepartner voneinander und die Selbständigkeit des Individuums. Was Nietzsche eher auf die Persönlichkeit der Ehepartner bezog, betraf bei Zetkin die wirtschaftliche Situation. Letztere und die damit verbundene Unabhängigkeit der Frau vom Mann war die Voraussetzung für die Entwicklung eines Selbstverständnisses beider Ehepartner, durch die ein Gleichgewicht der Geschlechter in der Ehe zu schaffen, möglich geworden ist. Die Sozialdemokratie forderte Ende des 19. Jahrhunderts – trotz der oben aufgezeigten Widersprüche und ihrer teilweisen Verfangenheit in bürgerlich-konservativen Wertevorstellungen – die Schaffung der Grundvoraussetzung für eine Ehe, wie sie heute von einem Teil der Bevölkerung angestrebt wird und die eine anspruchsvolle und nicht ohne die Überwindung vieler tatsächlicher Hindernisse mögliche Form von Ehe darstellt. Für die Ehedefinition stellt sich im gleichen Zuge die Frage nach der Dauer der Ehe und der grundsätzlich vorhandenen Vorstellung ihrer Ewigkeit. Dass der Gesetzgeber dieser Vorstellung war und ist, zeigen die grundsätzlich lebenslangen Pflichten der Ehepartner füreinander, Ehegattenunterhalt und Versorgungsausgleich, welche mit der Eheschließung einhergehen. Dennoch gehört die Dauer nicht in die Ehedefinition. Dies soll im Umkehrschluss jedoch nicht bedeuten, dass Ehe auf eine gewisse Zeit, zum Beispiel auf das Aufziehen der gemeinsamen Kinder oder gar, wie Saint-Simon forderte, auf eine bestimmte Anzahl von Jahren zu beschränken wäre. Im Gegenteil: Eine freiwillige Ehe, die auf den Werten der einzelnen Lebenspartner beruht, dürfte viel wahrscheinlicher dazu führen, von Beständigkeit zu sein. Durch die Reform des nachehelichen Ehegattenunterhalts
39 Nietzsche, Über Liebe und Ehe: Also sprach Zarathustra III, Ausgabe 1988, S. 216, Zeile 28/29; S. 242, Zeilen 15–17; S. 264 Zeilen 8–27; Nietzsche ging jedoch von der grundsätzlichen Verschiedenheit von Frau und Mann aus, was die Fähigkeit zu lieben angeht: Die fröhliche Wissenschaft, Ausgabe 1988, S. 610–612. Eine schöne Einführung in die Lehre Nietzsches gibt der Roman Irwin Yaloms „Und Nietzsche weinte“, 1994; eine kurze Zusammenfassung zu Frau und Ehe in Nietzsches Werken gibt Elisabeth Angenvoort, Das dionysische Ja, 1995, S. 293–299.
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im Jahr 200740, durch die die Stellung der ehelichen wie auch der nichtehelichen Kinder gegenüber dem geschiedenen Ehepartner gestärkt wurde, lässt der Gesetzgeber die Tendenz erkennen, von der Vorstellung der Ewigkeit einer Eheschließung Abstand genommen zu haben bzw. sich der Tatsache zu stellen, dass eine Vielzahl der Ehen geschieden werden.41 Er erleichtert damit den geschiedenen Ehegatten die Gründung einer Familie nach einer Ehescheidung durch mehr Eigenverantwortung hinsichtlich der Versorgung der jeweiligen Ehepartner. Eine Reform des Güterrechts wurde durch den Bundestag am 14.05.2009 beschlossen.42 Durch sie sollte die Tilgung von Schulden in der Zeit vor der Eheschließung berücksichtigt werden und dem Beiseiteschaffen von Vermögenswerten durch einen Ehegatten entgegentreten werden. Der Bundesrat hat im Juni 2009 beschlossen, den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen.43 Ein entsprechendes Gesetz trat nicht Kraft. Schließlich bleibt die Frage nach der Treue der Ehepartner. Treue dürfte Teil des Eheverständnisses eines Großteils der Bevölkerung sein, obwohl der Ehebruch seit Einführung des Zerrüttungsprinzips keine direkten rechtlichen Konsequenzen hat, von dem Anspruch der Entfernung des oder der Geliebten aus der Ehewohnung einmal abgesehen. Dennoch ist die eheliche Treue nicht in die Ehedefinition aufzunehmen. Sie ist vielmehr häufig die Konsequenz aus dem Inhalt eines höchst persönlichen Verhältnisses der Ehepartner zueinander, welches sich entweder aus einem Ehekonsens zwischen den Ehepartnern oder aus dem Wesen der Ehe an sich ergibt, das lediglich dieses höchst persönliche Verhältnis auszufüllen versucht.
40 Zum UÄndG 2007 s. Born, Das neue Unterhaltsrecht, NJW 2008, 1 f.; Büttner/ Niepmann, Die Entwicklung des Unterhaltsrechts seit Mitte 2007, NJW 2008, 2391 f. ; Ehinger, Eine erste Übersicht der Rechtsprechung zu §§ 1578b und 1570 BGB seit Inkrafttreten des UÄndG 2007, FBR 2009, 105. 41 S. hierzu Statistik des Statistischen Bundesamtes Deutschland unter www.destatis.de/DE/ ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Ehescheidungen.html, zuletzt abgerufen am 26.02.2013. 42 S. hierzu: Röthel, Plädoyer für eine echte Zugewinngemeinschaft – Bemerkungen anlässlich des Regierungsentwurfs zur Änderung des Zugewinnausgleichs. 43 BR-Drs. 457/09.
7. Quellen- und Literaturverzeichnis I. ungedruckte Quellen Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg: StA HH Best. 331–3, Politische Polizei, V 348, V 487, S 3457, V 469, S 1053
II. gedruckte Quellen 1. Protokolle und Stenographische Berichte Protokolle und Materialien des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (inklusive Splittergruppen), herausgegeben von Dieter Dowe, o.O. 1980, Protokolle über die Verhandlungen der Parteitage der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Bände 1890–1908, herausgegeben von Dieter Dowe, Bonn 1978 Protokolle der Sitzungen des Parteiausschusses der SPD 1912 bis 1921; inkl. Protokoll der Parteikonferenz in Weimar am 22. und 23. März 1919, herausgegeben von Dieter Dowe, Berlin 1980 Protokolle der Parteitage der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Band 1, 1917–1919 Verhandlungen des Deutschen Reichstages, Stenographische Berichte und Anlagen zu den Stenographischen Berichten Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Stenographische Berichte
2. Zeitungen und Zeitschriften Die Arbeiterin, Zeitschrift für die Interessen der Frauen und Mädchen und des arbeitenden Volkes; Organ aller auf dem Boden der modernen Arbeiterbewegung stehenden Vereinigungen der Arbeiterinnen, 1891, herausgegeben von Emma Ihrer Die Frau, Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit, 1893- 1918, herausgegeben von Helene Lange und Gertrud Bäumer Die Frauenbewegung, 1895–1918, herausgegeben von Minna Cauer und Lily v. Gizycki Die Gleichheit, 1892–1918, Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen, herausgegeben von Emma Ihrer, Clara Zetkin und Lily Braun Neue Bahnen, 1871–1899, herausgegeben vom allgemeinen deutschen Frauenverein Sozialistische Monatshefte, 1897- 1918, herausgegeben von Wally Zepler Vorwärts, Berliner Volksblatt, Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, 1895–1918
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Quellen- und Literaturverzeichnis
3. weitere gedruckte Quellen Bäumer, Gertrud, Die Geschichte der Frauenbewegung, in: Handbuch der Frauenbewegung, Band I, S. 133, herausgegeben von Helene Lange und Gertraud Bäumer; Leipzig 1901 Bebel, August, Die Frau und der Sozialismus, Erstauflage Stuttgart 1879, bis 1909, 50 Auflagen Ders., Die Sozialdemokratie im Deutschen Reichstage: Tätigkeitsberichte und Wahlaufrufe aus den Jahren 1871 bis 1893, Berlin 1908 Ders., Die sozialdemokratischen Wahlaufrufe für die Reichstagswahlen 1881, 1884, 1887, o.O. 1909 Ders., Charles Fourier. Sein Leben und seine Theorien, Vierte Auflage, Stuttgart 1921 (erste Auflage 1907) Berichte an die Zweite Internationale Konferenz sozialistischer Frauen zu Kopenhagen am 26. und 17. August 1910, herausgegeben von Clara Zetkin, Stuttgart 1910 Bernstein, Eduard, Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie, Stuttgart 1899 Braun, Adolf, Die Arbeiterinnen und die Gewerkschaften, Berlin 1913 Braun, Lily (vgl. auch v. Gizycki), Die Bürgerpflicht der Frau, Berlin 1895 Dies., Stimmungsbilder aus der Generalversammlung des Bundes deutscher Frauenvereine in München, in: Die Frauenbewegung 1895, Nr. 9, S. 65 Dies., Was wir wollen, Berlin 1902 Dies., Die Frauenfrage, Leipzig 1901, Nachdruck Berlin/Bonn 1979 Dies., Frauenarbeit und Hauswirthschaft, Berlin 1901 Dies., Memoiren einer Sozialistin, Lehrjahre und Kampfjahre, Band 1/2, München 1909/1911 Breslauer, Walter, Zwingende Normen im Recht der deutschen bürgerlichen Ehe, Berlin 1914 Bulling, Carl, Die deutsche Frau und das bürgerliche Gesetzbuch, Berlin 1896 Cathrein, Viktor, Die Frauenfrage, Freiburg 1901 Corsen, Meta, Eherecht, in: Sozialistische Monatshefte, 1925, S. 366 Cornicelius, Max(Hg.), Heinrich v. Treitschke. Politik. Vorlesungen gehalten an der Universität zu Berlin, Bd. 1/2, Leipzig 1898 Diderot, Denis, Philosophische Schriften, Auflage Warendorf 2009 Dohm, Hedwig, Der Frauen Natur und Recht, Berlin 1876 Dies., Emanzipation, Zürich Nachdruck 1977 Dullo, Alice, Die Aufgaben der bürgerlichen Frauen in der Arbeiterinnenbewegung, Leipzig 1907 van Daalen, H. B., Die Ehe und die geschlechtliche Stellung der Frau, Berlin 1895 Duncker, Käte, Sozialistische Erziehung im Hause, Berlin 1906, Auflage Berlin 1914 Dies., Die Kinderarbeit und ihre Bekämpfung, Stuttgart 1910 Engels, Friedrich, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, Stuttgart 1884, hier verwendet: Auflage Berlin 1970 Fourier, Charles, Design for Utopia. Selected writings of Charles Fourier, herausgegeben von Charles Gide, New York 1971
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Personenregister Anneke, Franziska 139 Augspurg, Anita 147, 157, 182 Bazard, Saint-Armand 46, 47, 48 Bebel, August 17, 29, 30, 31, 38, 50, 51, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 72, 76, 78, 79, 85, 108, 110, 111, 112, 115, 116, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 132, 133, 134, 140, 141, 158, 161, 188, 191, 192 Bernstein, Eduard 56, 101, 102, 142 Braun, Lily 29, 51, 151, 153, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 183, 184, 185, 189, 194 Bulling, Carl 170, 188 Cauer, Minna 157, 161 Duncker, Käte 182 Enfantin, Barthélemy-Prosper 46, 47, 48, 49 Engels, Friedrich 30, 40, 44, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 57, 71, 76, 78, 88, 100, 101, 161, 181, 191, 192 Fourier, Charles 16, 30, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 41, 46, 47, 54, 60, 70, 78, 79, 186 Frohme, Karl 17, 84, 85, 108, 109, 123, 131, 133, 134, 158, 172, 192 Fürth, Henriette 142, 153, 154, 156, 163 Gamper, Adele 98 Guillaume-Schack, Gertrud 54, 141 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 49, 50, 54, 78, 79, 100, 101, 177 Heymann, Lida Gustava 147 Ihrer, Emma 18, 29, 30, 139, 140, 141, 166, 167, 182 Juchacz, Marie 142 Kautsky, Karl 85, 160 Krause, Karl Christian 80 Lassalle, Ferdinand 55, 88, 137, 138 Lenzmann, Julius 125, 126, 127, 128, 129, 130 Loewenherz, Johanna 142, 153, 154, 163, 166, 191 Luxemburg, Rosa 143, 194 Maak, Maria 144
Marx, Karl 30, 31, 49, 50, 53, 54, 55, 57, 71, 76, 77, 78, 79, 80, 88, 100, 101, 173, 175, 191, 192 Menger, Anton 17, 24, 28, 31, 81, 82, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 188 Mill, John Stuart 15, 16, 17, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 78, 79, 204 Mugdan, Benno 27, 107 Müller, Moritz 138, 139 Nietzsche, Friedrich 205 Otto, Louise 149 Otto-Peters, Luise 139 Owen, Robert 16, 30, 39, 40, 41, 42, 43, 47, 50, 54, 58, 70, 74, 78, 79 Pfülf, Antonie 198 Planck, Gottlieb 81, 82, 83, 107 Popp, Adelheid 185, 186 Saint-Simon, Claude-Henri de 16, 30, 44, 45, 46, 47, 48, 70, 79, 205 Salomon, Alice 137 Schackow, Johanna 140 Schmidt, Auguste 149 Stadthagen, Arthur 17, 84, 85, 108, 109, 112, 117, 118, 120, 121, 128, 129, 131, 133, 134, 158, 168, 171, 172, 192 Staegemann, Pauline 140 Stöcker, Helene 39, 186, 187 Stritt, Marie 98 Taylor, Harriet 67, 68, 69, 72, 74, 75, 76, 79 Taylor, Helen 67, 69, 72, 76, 79 Tristan, Flora 185, 191 Vogelstein, Julie 184 von Gierke, Otto 17, 82 von Hippel, Theodor Gottlieb 63 von Mandry, Gustav 83, 110, 121, 126, 127 von Raumer, Carl 60 von Stein, Lorenz 135 von Stumm-Halberg, Carl Ferdinand 84, 121, 122, 158, 169, 173 von Sybel, Heinrich 135
Personenregister
von Treitschke, Heinrich 135 Zetkin, Clara 20, 29, 30, 31, 56, 66, 76, 78, 102, 139, 141, 142, 143, 149, 150, 151, 153, 154, 155, 156, 157, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 167, 177,
221 178, 179, 180, 181, 182, 183, 185, 187, 191, 194, 195, 205 Zietz, Luise 142, 143 Zundel, Friedrich 150
Margareth L anzinger gunda Barth-ScaLMani eLLinor ForSter gertrude L anger-oStr awSk y
auShandeLn von ehe heir atSvertr äge der neuzeit iM europäiSchen vergLeich (L‘hoMMe archiv, Band 3)
Die Ehe war in der Geschichte der Neuzeit ein zentrales Ordnungsmodell und zugleich eine Institution von großer ökonomischer Relevanz. Geld und Güter flossen aus diesem Anlass zwischen den Generationen, zwischen Braut und Bräutigam oder wurden in Aussicht gestellt. Vermögenstransfers waren in der Forschung bislang hauptsächlich unter den Aspekten des Erbrechts und der Erbpraxis Thema. Doch stellte das Ehegüterrecht eine mindestens ebenso wichtige Grundlage dar. Denn das Verfügen über das eingebrachte und während der Ehe erwirtschaftete Vermögen sowie die Ansprüche von Witwen und Witwern variierten beträchtlich, nicht zuletzt je nachdem, ob Gütertrennung oder Gütergemeinschaft vorherrschte. Entsprechend unterschiedlich gestalteten sich die Inhalte von Heiratsverträgen. Vier Detailstudien analysieren das darin dokumentierte Aushandeln von Ehe in vergleichender Perspektive. Die Ergebnisse werden einleitend und abschließend in den Kontext europäischer Rechtsräume gestellt. 2010. 530 S. Mit 17 S/w-Abb. 9 FArbAbb. AuF 8 tAF. FrAnz. br. 170 x 240 MM. iSbn 978-3-412-20218-7
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