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German Pages 188 Year 1993
Räumliche Bedingungen und Wirkungen des sozialökonomischen Umbruchs in Berlin-Brandenburg
SCHRIFTENREIHE DER GESELLSCHAFT FÜR DEUTSCHLANDFORSCHUNG BAND 36
Räumliche Bedingungen und Wirkungen des sozial-ökonomischen Umbruchs in Berlin-Brandenburg
Herausgegeben von
Karl Eckart . Joachim Marcinek Hans Viehrig
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Räumliche Bedingungen und Wirkungen des sozialökonomischen Umbruchs in Berlin-Brandenburg / hrsg. von Karl Eckart ... - Berlin : Duncker und Humblot, 1993. (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung ; Bd. 36) ISBN 3-428-07611-7 NE: Eckart, Karl [Hrsg.]; Gesellschaft für Deutschlandforschung: Schriftenreihe der Gesellschaft ...
Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Volker Spiess, Berlin 30 Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin 49 Printed in Germany ISSN 0935-5774 ISBN 3-428-07611-7
INHALT Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Karl Eckart Agrarstrukturentwicklung und -probleme in Berlin-Brandenburg (1938/40 bis 1989190) ..........••..................•...•.•..•••..•...•..
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Wolfgang Sadler / Jörg Janzen Der Wandel im ländlichen Raum des östlichen Brandenburg. Die Gemeinde Heinersdorf als Beispiel .......................................
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Siegfried Thieme Aktuelle Probleme des Strukturwandels in der Landwirtschaft des Kreises Potsdam-Land ...............................................
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BärbelLeupolt Industriestruktur in Berlin-Brandenburg. Genese und Entwicklungschancen
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Frank Reichel ZentralÖTtliche Gliederung Berlin-Brandenburgs. Grundlagen und Veränderungstendenzen (Teil 1) .......................................
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Karen Ziener Zentralörtliche Gliederung Berlin-Brandenburgs. Grundlagen und Veränderungen (Teil 2) ..............................................
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Horst Nerlich Industriell geprägte Arbeitsstättengebiete in Ostberlin, ihre Entwicklung, Struktur und gegenwärtige Veränderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Klaus Birkholz Verkehrsentwicklungsplanung und raurnstruktureller Wandel in der Region Berlin-Brandenburg .......................................... 145 Gabriele Saupe Naherholung im westlichen Umland von Berlin-Brandenburg. Räumliche Struktur und aktueller Wandel ..................................
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Inhalt
Marlies Schulz Sozialräumliche Wirkungen der Wohnbedingungen auf die innerstädtische Differenzierung in Berlin (Ost) .................................. 159 Horst Nerlich / Jürgen Peters / Wolfgang Sadler / Siegfried Thieme Exkursionsbericht: Berlin und sein Umland - räumliche Struktur und Veränderungen ....................................................
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Verfasser und Herausgeber .......................................
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VORWORT DER HERAUSGEBER Am 18. und 19. Oktober 1991 fand an der Humboldt-Universität zu Berlin die zweite Tagung der Fachgruppe "Geographie und Raumplanung" der Gesellschaft für Deutschlandforschung e.V. statt.
Unter dem Rahmenthema "Räumliche Bedingungen und Wirkungen des sozialökonomischen Umbruchs in Berlin-Brandenburg" wurden vier Arbeitssitzungen durchgeführt und unterschiedliche Aspekte behandelt: 1. 2. 3. 4.
Räumliche Bedingungen und Wirkungen des agrarstrukturellen Umbruchs, Räumliche Bedingungen und Wirkungen des industriellen Umbruchs, Räumliche Bedingungen und Wirkungen des Umbruchs im tertiären Sektor und Räumliche Bedingungen und Wirkungen des Umbruchs in der Siedlungs- und Gebietsstruklur.
Außerdem wurde eine ganztägige Exkursion in Berlin und im Umland durchgeführt, um einige Raumstrukturveränderungen vor Ort zu zeigen. Das Ergebnis dieser Tagung, die Referate und der Exkursionsbericht, sind in diesem Sammelband zusammengefaßt. Karl Eckart Joachim Marcinek
Hans Viehrig
KarlEckart AGRARSTRUKTURENTWICKLUNG UND -PROBLEME IN BERLIN-BRANDENBURG (1938/40 BIS 1989/90) Die Provinz Mark Brandenburg innerhalb des Deutschen Reiches (Abb. 1) und die Stadt Berlin hatten im Jahre 1939 eine Gesamtfläche von knapp 40 000 km2• Das war eine Fläche, wie sie heute etwa von den beiden Bundesländern Hessen und Rheinland-Pfalz eingenommen wird.
I. Die AgrarstruJctuT in Berlin-Brandenburg um 1938/40 In der ''Zone der großen Täler Norddeutschlands" gelegen ist dieser Raum ein Werk der Inlandvereisung während des Pleistozäns. Urstromtäler durchziehen den ganzen Raum. Oberflächen und Böden sind recht unterschiedlich. Diese Tatsache schlug sich schon vor dem 2. Weltkrieg in der Größe bzw. dem Anteil der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) an der jeweiligen Kreisfläche nieder.hnDurchschnittwarenmit53%nuretwasmehralsdieHälftederGesamtfläche 1938 als LN, mit allerdings großen regionalen Unterschieden, ausgewiesen (Abb. 2 oben). Die über dem Durchschnitt gelegenen Flächenanteile waren vornehmlich im Norden. Mit knapp 84% hatte der Kreis Prenzlau den größten Anteil. Gut ein Drittel der Fläche bestand aus Forsten und Holzungen (Abb. 2 unten). Den Schwerpunkt bildeten die südlichen Kreise. Crossen hielt mit 54,2% die Spitze. Bedeutend war auch immer der hohe Anteil von Gewässerflächen: Flüssen, Bächen, Seen, Gräben, Weihern, Teichen, Staubecken. hn Durchschnitt waren knapp drei Viertel der LN Ackerland (Abb. 3 oben). Es gab zahlreiche Kreise, die weit über dem Durchschnitt von 74,2% lagen. Abgesehen vom Kreis Ostprignitz waren es fast alle östlichen und nordöstlichen Kreise. Der Kreis Lebus dominierte mit 90,5% Ackerfläche an der LN. Auf durchschnittlich 22% der LN gab es Wiesen und Weiden (Abb. 3 unten). Die über und unter dem Durchschnitt liegenden Anteile sind dargestellt. hn Kreis Westprignitz, einem bedeutenden Milchwirtschaftsgebiet, belief sich der Anteil sogar auf 38,2%. Besonders herausragend im Süden war mit 37,7% der Kreis Cottbus.
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Karl Eckart
Auf dem Ackerland spielte Getreide die größte Rolle. Roggen (in erster Linie Winterroggen) stand dabei mit durchschnittlich 33,8% des Ackerlandes weit an der Spitze (Abb. 4 oben). Die regionalen Unterschiede waren groß. Im Kreis Lübben im Spreewald machte die Roggenfläche 50% an der dortigen Ackerfläche aus. Im ganzen Raum lag dieser Kreis damit weit an der Spitze. Der Kreis Prenzlau hatte dagegen nur einen Anteil von 14,2%. Zwar belief sich die Weizenfläche an der Ackerfläche im Landesdurchschnitt nur auf 5,8%, doch gab es auch Kreise mit wesentlich größeren AIiteilen (Abb. 4 unten). Im Kreis Prenzlau lag das Maximum: 21,8%. Knapp 80% der Weizenfläche bestanden aus Winterweizen. Es wird die räumlich klare Verteilung zwischen Roggen und Weizen deutlich. Die Haferfläche beanspruchte im Durchschnitt des Landes einen Anteil von 11,1% der Ackerfläche. Dominierend waren die Kreise Ost-und Westprignitz mit um 16%. Gerste hatte mit nur 4,5% an der Ackerfläche im Durchschnitt des Landes den geringsten Anteil, der Kreis Lebus mit 13,5% den Spitzenwert. Der überwiegende Teil bestand im Durchschnitt aus Sommergerste (71,1 %). Wie beim Getreideanbau, so gab es auch beim Hackfruchtbau die Konzentration auf fast nur eine Hackfrucht. Mit im Durchschnitt 21,6% an der Ackerfläche des Landes stand der Kartoffelanbau weit an der Spitze aller Hackfrüchte. Die Stadtkreise hatten dabei im allgemeinen höhere Anteile als die Landkreise. Unter diesen dominierte der Kreis Calau mit 27,5%. Zuckerrübenanbau konzentrierte sich nur auf wenige Kreise: Prenzlau mit 3,1 % bildete die Spitze. Der Anbau von Feldfutterpflanzen (Klee, LUzerne) war auch nur auf wenige Kreise konzentriert. Grün- und Silamais spielte noch gar keine Rolle. Die regionalen Unterschiede im Anbau waren augenfällig und u.a. durch die natürlichen Voraussetzungen bestimmt. Durch die ganz unterschiedliche Qualität der Böden - mit Ackerzahlen, die nur im Kreis Prenzlau den Wert von 44 erreichten und in vielen Gebieten unter 30 lagen - waren deshalb auch die Erträge nicht sehr hoch. Die Winterroggenenräge beliefen sich im Durchschnitt auf nur 19,1 dt/ha. In der Uckermark (Kreis Prenzlau) lag das Maximum mit 24,9 dt/ha. Im allgemeinen hatte die Nordhälfte der Provinz höhere Erträge als der Süden. Dieses war ähnlich bei Winterweizen. Im Durchschnitt lagen die Erträge allerdings mit 29,3 dt/ha wesentlich höher als bei Roggen. Vom Getreide hatte Wintergerste mit durchschnittlich 30,5 dt/ha die höchsten Erträge. Prignitz, Uckermark und Neumark waren die besonders ertragreichen Räume (Abb. 5 oben). Läßt man bei Kartoffeln die Stadtkreise außer acht, dann muß man aber auch
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zwischen den Landkreisen große Ertragsunterschiede feststellen: 154,8 dt/ha im Kreis Teltow, 199,6 dt/ha im Kreis Westprignitz (Abb. 5 unten). Die sehr geringen Erträge der pflanzlichen Produktion bildeten u.a. die Futtergrundlage für die Viehwirtschaft. Auch diese zeigte innerhalb BerlinBrandenburgs große regionale Unterschiede, z.B. beim Rinderbesatz, d.h. Tiere pro 100 ha LN (Abb. 6 oben). Abgesehen von Berlin und dem Kreis Landsberg gab es die größten Besatzdichten im Süden. Der Kreis Sorau mit 70.3 Tieren/l00 ha LN nahm den Spitzenwert unter den Kreisen ein. Die größten Anteile der Milchkühe am Rinderbestand hatten jedoch nicht diese südlichen Kreise, sondern die nördlichen. Auffallend war die Konzentration um Berlin (Abb. 6 unten). Im Kreis Ruppin im Nordwesten von Berlin betrug der Anteil 55,1 %.In Berlin selbst waren 88,5% aller Rinder Milchkühe. Die Bedeutung der Frischmilchversorgung der Hauptstadt aus dem Umland bzw. Berlin selbst kommt hier deutlich zum Ausdruck. Läßt man die Stadtkreise außer acht, in denen der Schweinebesatz sehr hoch war, und Schweinefleisch zur Versorgung der StadtbeVÖlkerung eine große Rolle spielte, gab es auch zwischen den Landkreisen große Unterschiede. Abgesehen von Westprignitz und Landsberg war der Besatz in den südlichen Kreisen am größten (Abb. 7): mehr als 150 Tiere pro 100 ha LN. Der enge Zusammenhang zwischen Roggen- und Kartoffelanbau und Schweinehaltung kommt hier deutlich zum Ausdruck. Die pflanzliche und tierische Produktion war eindeutig auf die Bedürfnisse der 1939 mehr als vier Mill. Einwohner zählenden Großstadt Berlin ausgerichtet. Das gesamte Umland der Stadt Berlin und damit die Provinz Mark Brandenburg stand hinsichtlich des Absatzes in Abhängigkeit von Berlin. Produktionsvielfalt und Produktionsumfang in der Mark Brandenburg wurden u.a. von den Bedürfnissen Berlins bestimmt. Das hatte zur Folge. daß sich in den Berliner Randgebieten auch Spezialkulturen entwickelten (Abb. 8). So entstanden drei bedeutende Gemüseanbauzentren: - im Oderbruch, - auf den Rieselfeldern des Teltow und - auf den Rieselfeldern des Barnim. Auch der Obstanbau entwickelte sich besonders stark in drei Räumen: - Beelitz, - Werderund - Gransee. Hinsichtlich der tierischen Produktion war die Milchwirtschaft besonders bedeutsam - in der Prignitz, - im Havelland und - in der Uckermark.
KarIEckart
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Tab. 1: Provinz Mark Brandenburg (1939): Land- und
forstwirtschaftliehe Betriebe
Betriebsfläche 0,5 2 5 10 20
-
2ha 5 ha - 10ha - 20 ha -100ha > 100 ha
Zahl der
Betriebe 46917 30086 25707 29317 20589 2782
Betriebsfläche (ha) 50 98 186 422 1014 1689
1 000 ha LN forstwirtschaftlich genutzte Fläche 44
82 151
340
735 609
2 10 26 63 228 975
Quelle: Stat. Jahm. d Dtsch. Reiches 1940/41, S. 102-103.
Organisiert wurde die Landwirtschaft damals auf privater Ebene in Betrieben ganz unterschiedlicher Größe (Tab. 1). Fast 47 000 Betriebe gehörten zur BetriebsgröBenklasse 0,5-2 ha. Diesen Kleinstbetrieben gegenüber standen knapp 2 800 Großbetriebe, die über jeweils mehr als l00ha Betriebsfläche verfügten und etwa 50% der gesamten Betriebsflächeder Mark Brandenburg ausmachten. Als das Deutsche Reich im zweiten Weltkrieg zusammengebrochen und eine staatliche Neuordnung in Miueleuropa vorgenommen worden war, existierte auch die Provinz Mark Brandenburg als Verwaltungseinheit nicht mehr (Abb. 9). Die Oder-Neiße-Linie trennte sie in eine westliche und eine östliche Hälfte. Die westliche Hälfte wurde Bestandteil der späteren DDR. die östliche Hälfte im Rahmen der polnischen Westverschiebung dem polnischen Staate einverleibt. Zu diesen gravierenden Veränderungen kam die Aufteilung Berlins. Durch Befehl der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) wurde 1947 der Rest der Provinz Brandenburg in Land Brandenburg umgewandelt. Auf einer Fläche von nur noch 27612 km2 gab es 1950 2579700 Einwohner. Ostberlin mit einer Fläche von 403 km2 hatte damals 1 189 100 Einwohner. Berlin-Brandenburg (also ohne Westberlin) umfaßte 28 015 km2 und hatte 3 768 800 Einwohner. 1952 wurde das Land wieder aufgelöst. Doch in diesem Zeitraum kam es zur radikalen Umstrukturierung der Landwirtschaft durch die Bodenreform.
11. Die Bodenreform 1945 bis 1949 Schon 1945 wurde mit der Umgestaltung der Agrarverfassung auf der Grundlage der marxistisch-leninistischen Agrartheorie begonnen, d.h. mit der Änderung der bestehenden Eigentumsordnung, der Besitz- und Betriebsgrößenstruktur sowie der
AgrarstJUkturentwicklung und -probleme (1938/40 bis 1989/90)
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Arbeitsverfassung. Die "Verordnung über die Bodenreform" erging bereits Anfang September 1945. Sie hatte zum Inhalt. daß - sämtliche Betriebe mit mehr als 100 ha Betriebsfläche einsehl. des gesamten Inventars und - sämtliche Betriebe auch unter 100 ha, deren Eigentümer als aktive Vertreter der NSDAP bzw. als Kriegsschuldige oder Kriegsverbrecher eingestuft wurden, entschädigungslos zu enteignen waren. Der Großgrundbesitz hatte in Brandenburg erhebliches Gewicht. 30% der LN wurden nämlich dort von Betrieben mit mehr als 100 ha LN bewirtschaftet. Die enteigneten Flächen und Betriebe wurden mit denen der landeseigenen Betriebe einem Bodenfonds zugeführt. DievorhandenenMaschinen und Gerätschaften dieser Betriebe bildeten den Grundstock für die Maschinen- und Ausleih-Stationen (MAS).
1950 bestand der Bodenfonds im Land Brandenburg aus 3 355 Betrieben, das waren 23,8% aller Betriebe, und das bedeutete insgesamt eine Fläche von 948 000 ha bzw. 21% der LN (Eckart 1984, S. 61). Diese Flächen bzw. Betriebe sollten genutzt werden, um - private Kleinstbetriebe durch Flächenaufstockung zu vergrößern, - neue privatwirtschaftliche Kleinbetriebe zu schaffen (um die Flüchtlinge und Vertriebenen zu integrieren und die Probleme in der Lebensmittelversorgung zu entschärfen) - und um Staatsgüter (als Schrittmacherbetriebe und zur gesicherten Versorgung der Stadtbevölkerung) zu bilden. Es änderte sich mit der Bodenreform nicht nur das Besitz- und Anbaugefüge der Wirtschaftsparzellen, sondern auch die Siedlungsstruktur. Doch diesen Komplex lasse ich hier im folgendenaußer acht. Wie bereits gesagt. wurdedas Land Brandenburg 1952 wieder aufgelöst. Es entstanden nun Bezirke, deren Grenzen nach wirtschaftsräumlichen Gesichtspunkten festgelegt wurden. Die Grenzen dieser Bezirke fielen jedoch nicht mit den Grenzen des Landes zusammen (Abb. 10 rechts). Der Nordwesten Brandenburgs wurde dem Bezirk Schwerin einverleibt. Der Nordosten kam zum Bezirk Neubrandenburg. Der Süden ging im Bezirk Cottbus auf. Die drei Bezirke Cottbus, Frankfurt und Potsdam sind diejenigen, die zusammen genommen etwa den ehemaligen Raum Brandenburg westlich der Oder-Neiße fassen.
Nun wurde auch eine Neubildung der Landkreise vorgenommen. Viele alte Namen verschwanden, neue kamen hinzu. Die Grenzen dieser Landkreise wurden völlig verschoben (Abb. 10 links). In der Agrarpolitik konnte nach diesen Veränderungen nun die zweite Reformphase durchgeführt werden.
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1lI. Die Kollektivierung 1952 bis 1961 Mit der Gründung der Maschinenausleihstationen (MAS) hatte der Staat die Möglichkeit, den Einsatz von Maschinen und Geräten zu steuern, Tarife festzusetzen und damit Entwicklungen anzubahnen, die in die nächste Reforrnphase mündeten: Die Kollektivierung. Das agrarpolitische Ziel bestand darin, Privateigentum abzuschaffen und kollektives Arbeiten und Handeln zu entwickeln. Die Kollektivierung, d.h. das Zusammenfassen kleiner, bis dahin selbständiger Betriebe zu wesentlich größeren Einheiten, begann zwar schon 1947/49, setzte aber verstärkt 1952 ein und war 1961 zu Ende. Die von den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGs) beanspruchten Flächenanteile bezogen auf die jeweilige LN der Kreisfläche zeigt die folgende Karte für 1959 (Abb. 11 oben). Sie weist deutlich aus, daß in einigen Landkreisen mehr als 65% der LN von LPGs bewirtschaftet wurden. Die LPGs hatten unterschiedliche Größe. Ein erheblicher Teil war kleiner als 200 ha. Größer als 2000 ha waren nur wenige Betriebe. Die LN wurde inder Kollektivierungsphase um 15 2OOhareduziert, die Ackerfläche in den drei Bezirken um 29800 ha verringert, die Grünfläche um 21000 ha ausgedehnt. Da sich die Agrarpolitik der SED u.a. als Ziel die Steigerung der Marktproduktion gesetzt hatte, kam es auch zu einer beachtlichen Erweiterung einiger Viehbestände (Abb. 11 unten). Auf Rinder, Milchkühe und Schafe traf das zu. Die Besatzdichten vergrößerten sich. Nur beim Schweinebestand bzw. -besatz gab es starke Rückgänge. Und noch eine Veränderung ist erwähnenswert: Von 360 000 Beschäftigten (1952) ging die Zahl auf 310 000 (1959) insgesamt in den drei Bezirken zurück. Dieser Aderlaß der Landwirtschaft war jedoch schlagartig u.a. mit dem Bau der Berliner Mauer zu Ende.
W. Konsolidierung und Konzentration durch Kooperation 1960 bis 1968 Nach Beendigung der Kollektivierung 1961 begann schon bald die Kooperationsphase. Sie war gekennzeichnet auch durch eine beträchtliche Veränderung in der Zahl und Größe der LPG. 1963 gab es in den drei Bezirken insgesamt 1 966 LPG Typ I und 11. Um mehr als 650 ist die Zahl dieses Typs bis 1968 reduziert worden. Die Zahl der LPG Typ m dagegen verringerte sich in dieser Zeit um nur 35, also kaum. Generell kann man sagen, daß in dieser Zeit in allen LPG-Typen die Zahl der Betriebe unter 500 ha abnahm, dagegen die über 500 ha zunahm. Mit dieser Veränderung einher gingen zahlreiche vertikale und horizontale Verflechtungen betrieblicher
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Einheiten, indem sich LPGs und VEGs zusammenschlossen. Denn ein agrarpolitisches Ziel dieser Zeit war es, die Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft und auch die Industrie enger als bisher miteinander zu verbinden. Darüber hinaus kam es zur Bildung von flächenunabhängigen Produktionseinrichtungen in der Viehwirtschaft, den sogenannten Kombinaten der industriellen Mast (KIM). Daneben entstanden landwirtschaftliche Servicebetriebe wie Agrochemische Zentren (ACZ), Kreisbetriebe für Landtechnik (KfL) und Meliorationsbetriebe. Die Bildung von Kooperationsgenossenschaften (KOG) hatte 1968/69 ihren Höhepunkt. Zunehmende Bedeutung gewannen Meliorationsgenossenschaften. Von den 206 Genossenschaften in der DDR im Jahre 1968 gab es allein 32 im Bezirk Potsdam, 11 in Frankfurt und 18 in Cottbus, also knapp 30%. Die Konzentration auf den brandenburgischen Raum ist augenfällig, verständlich wohl auch, wenn man an die besonderen natürlichen Boden- und Wasserverhältnisse denkt. Zu diesen betrieblichen und organisatorischen Veränderungen gab es solche im Bereich der Bodennutzung und Viehwirtschaft. In nur fünf Jahren (1963-1968) verringerte sich die LN um knapp 14 000 ha. Auf der Ackerfläche veränderte sich der Anteil der Nutzpflanzen. Die bis dahin immer expandierenden Flächen, nämlich Roggen und Kartoffeln, nahmen ab: die Roggenfläche um ca. 8 200 ha, die Kartoffelfläche sogar um 16365 ha. Der Feldfutterpflanzenanbau wurde in dieser Zeit um 11 000 ha ausgedehnt. Eine explosionsartige Ausweitung erfuhr jedoch die Gerstefläche. Sie nahm in den drei Bezirken und Berlin (Ost) um knapp 40 000 ha zu. In der Viehwirtschaft erhöhte sich in den drei Bezirken der Rinderbesatz (Abb. 12). Die Erträge in der Pflanzen- und Tierproduktion waren mäßig. Wegen des sehr geringen Mineraldüngereinsatzes gab es in dieser Reformphase auch kaum Ertragssteigerungen. Das aber sollte sich u.a. in der nächsten Entwicklungsphase ändern, der Industrialisierungsphase der Landwirtschaft.
V. Die Industrialisierung der Landwirtschaft (1968 bis 1980) Es wurde versucht, die Prinzipien der Industrie auf die Landwirtschaft konsequent zu übertragen: - anstelle der Handarbeit Einsatz von Maschinensystemen, - große spezialisierte Produktionseinheiten, - große Losgrößen (d.h. große Partien landwirtschaftlicher Produkte). Dafür war eine Umstrukturierung der bisherigen Produktions- und Organisationsverhältnisse notwendig. Deshalb wurde 1cJn die strikte Trennung von Pflanzen- und Tierproduktion vorgenommen. Es entstanden LPG- bzw. VEG-Pflanzenproduktionsbetriebe. Das waren juristisch selbständige industriemäßig arbeitende Produktionsbetriebe. Größen zwischen 4 000 und 6 000 ha waren am häufigsten vertreten. Die Vergrößerung dieser betrieblichen Einheiten ließ innerbetriebliche Transportwe-
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KarlEckart
ge von 30 km und mehr entstehen. Arbeitsvorgänge in der Ackerwirtschaft wurden in Komplexen durchgeführt. So bestandz.B. einMähdrescherkomplex Mitte der 70er Jahre aus 1(}-15 Mähdreschern. Der Einsatz dieser Komplexe konnte natürlich nur auf Anbauflächen erfolgen. die sich hinsichtlich ihrer Größe und Anbaustruktur stark verändern mußten. Im Rahmen der forcien durchgeführten Melioration verschwanden zahlreiche Hecken und Zäune. In den Veränderungen im Bereich der pflanzlichen Produktion kamen solche im Bereich der tierischen Produktion. Von den KIM war bereitS die Rede. Außerdem entstanden große Vieheinheiten durch Zusammenschlüsse von LPGs und VEGs. Es entstanden z.B. Milchviehanlagen mit 1 930 Plätzen. Schweinemastanlagen mit 24 000 Plätzen (Eckart 1989).
Alle hier angesprochenen Veränderungen im besitzrechtlichen. organisatorischen und produktions technischen Bereich wirkten sich auf die Nutzung der Anbaufläche aus. Dabei sollte man zunächst beachten, daß sich die Produktionsfläche im gesamten Raum auch von 1970 bis 1980 beträchtlich veränden hat. Die LN ist im Bezirk Potsdam um 2 200 ha vergrößert. im Bezirk Frankfun dagegen um 8 400 ha verringen worden. Zwischen Ackerland und Grünland hat es wiederum große Verschiebungen gegeben. Mit zunehmender Aufstallung der Rinder in den 70er Jahren erfolgte eine Reduktion der Grünlandflächen. In den Bezirken Potsdam und Cottbus war das besonders deutlich. Insgesamt wurde don von 1970 bis 1980 die Grünlandfläche um 68 800 ha verringen. Nun bedeutete das aber keineswegs gleichzeitig Ausdehnung des Ackerlandes in diesem Umfang. In den Bezirken Potsdam und Cottbus konnte die Ackerfläche insgesamt um 34 600 ha ausgedehnt werden; im Bezirk Frankfurt dagegen verringerte sie sich sogar in dieser Zeit um 25 300 ha. Außerdem kam es zu beträchtlichen VeränderungenderGetreideflächen. Von den vier Hauptgetreidearten war nach wie vor Roggen dominierend. Dieser Anbau hat sich sogar, ganz im Gegensatz zur alten Bundesrepublik Deutschland. in den drei Bezirken stark ausgedehnt: um ca. 31 000 ha. Erweiten wurde auch in diesen drei Bezirken die Weizenanbaufläche, und zwar um knapp 21 000 ha. Die größte Veränderung gab es allerdings, wie auch schon in der vorherigen Phase, beim Gerstenanbau. In den drei Bezirken waren 1971 87 187 ha mit Gerste bestellt, 1981 bereits 155597 ha. Das war fast eine Verdoppelung der Anbaufläche. Von den Hackfrüchten konnte sich die ZuckeITÜbenfläche etwas ausdehnen, und zwar um etwa 4 000 ha. Anfang der 70er Jahre waren regional besonders bedeutsam die Kreise Nauen. Prenzlau und Bad Freienwalde mit 5-7,5% an der Ackerfläche. Die Expansionen der Getreideflächen - in der BRD vollzog sich eine vergleichbareEntwicklung und man sprach von "Vergetreidung" -erfolgten in erster Linie auf Kosten der Hafer- und Kanoffelanbauflächen. In den Bezirken Cottbus und Potsdam verringerte sich die Haferfläche jeweils um ca. 3 000 ha. Um etwa 34 000 ha nahm sogar insgesamt die Kanoffelfläche ab.
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Für die 70er Jahre besonders hervorzuheben ist nicht nur die starke Ausdehnung der Getreideanbaufläche, sondern auch der enorme Mineraldüngereinsatz. Die Chemisierung in dieser Zeit war enorm. An der Zunahme des Universaldüngers Stickstoff ist das abzulesen (Abb. 13 oben). Im Winschaftsjahr 1970nl wurden im Bezirk Cottbus pro ha LN 72,5 kg Stickstoff eingesetzt. 1977nS waren das schon 137,6 kg. Ähnlich waren die Zunahmen in den anderen Bezirken. Durch importiertes sowjetisches Erdgas war die Stickstoffproduktion erweitert worden. Die zunehmende Chemisierung sollte zur Ertragssteigerung in der pflanzlichen Produktion führen. Doch die Ertragssteigerungen waren nur mäßig oder auch gar nicht feststellbar (Abb. 14). Große Schwankungen von Jahr zu Jahr kamen besonders bei den Hackfrüchten - Kartoffeln und Zuckerrüben - vor. Die erwinschafteten Erträge standen in keinem Verhältnis zum Mineraldüngereinsatz. Die inzwischen immer größer gewordenen Anbauparzellen waren durch Wind- und Wassererosion gefährdet. Die immer mehr zum Einsatz gekommenen schweren Traktoren und Erntemaschinen sowie die - aus arbeitsorganisatorischen Gründen - nicht immer optimal genutzten Saat-, Bearbeitungs- und Emtezeiten, waren wohl auch für die insgesamt geringen Erträge verantwortlich. Wenn denn trotzdem die Viehdichte erhöht werden konnte - wie sie für Rinder und Schweine angegeben ist (Abb. 15), dann war das nur möglich durch Ausdehnung der bereits erwähnten Anbauflächen von Futtergetreide (insbesondere Gerste), Grün- undSilomais und durch zunehmend importiertes Futtergetreide. Der Staatshaushalt der DDR wurde durch diese Importe sehr stark belastet. Sie wurde untragbar mit der Energiekrise Ende der 70er Jahre, als sowjetische Erdöllieferungen nicht mehr erhöht wurden, stattdessen aber eine enorme Verteuerung einsetzte. Inzwischen waren auch Subventionen für die Landwinschaft rapide gestiegen. Die fmanzielle Belastung des Staatshaushalts wurde unerträglich. Dazu kamen noch andere Probleme. In der Viehwirtschaft gab es Ende der 70er Jahre zunehmend Tierkrankheiten und Tierverluste. Der Gülleanfall in den großen Viehställen nahm überdimensionale Formen an. Die Energieverschwendung in den Trocknungsanlagen war unverantwortlich hoch. So mußte denn schließlich das ein Jahrzehnt lang verfolgte agrarpolitische Konzept und Ziel aufgegeben werden.
VI. Die konzeptionslosenjahre einer gescheiterten Agrarpolitik
Man besann sich wieder auf Altbewährtes, das man zuvor als überholt und dem Fortschritt als hinderlich abgetan hatte: Man legte Windschutzhecken an, um der Bodenerosion zu begegnen. Man teilte die großen Anbauflächen in kleine Parzellen. Man nahm eine Dezentralisierung der Viehbestände vor, um Energie einzusparen. Man verringerte innerbetriebliche Transportwege, um Energie einzusparen. Dadurch 2 Eckart/Marcinek/Viehrig
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Karl Eckart
war eine Umorganisation der Arbeitsbrigaden notwendig. Man baute verstärkt Zwischenfrüchte an und änderte Fruchtfolgerotationen, um die Bodenfruchtbarkeit besser auszunutzen. Insbesondere besann man sich auf die Nutzung der kleinen Hoflandwirtschaften. Diese hat es zwar seit Anfang der60er Jahre schon gegeben. Doch wurden sie bis zum Ende der 70er Jahre nur stillschweigend vom Staat geduldet, aber keineswegs in irgendeiner Weise gefördert. Ende der 70er Jahre änderte sich das. Offiziell wurde das dadurch zum Ausdruck gebracht, daß im LPG-Gesetz vom 2. Juli 1982 keine zahlenmäßige Beschränkung der privaten Tierhaltung mehr erfOlgte. Die 80er Jabre waren in der Landwirtschaft der DDR Jahre des Experimentierens. Es fehlte eine langfristige Entwicklungsstrategie. Nur eines sollte man erwälmen, daß man alle Flächen- und Produktionsreserven ausschöpfen wollte. Jeder Quadratmeter Boden sollte bebaut, jeder Kleingarten optimal für die Versorgung der Bevölkerung genutzt werden. Mit der Agrarpreisrefonn von 1984 versuchte man die Betriebe und Privatpersonen zum Verkauf ihrer Produkte an den Staat zu animieren. Dahinter steckte die Notwendigkeit, Agrarimporte zu drosseln, um den Staatshaushalt zu entlasten. Sowohl die großen agrarpolitischen Ziele der verschiedenen Refonnphasen der zurückliegenden Jahre als auch diese eben genannten Maßnahmen haben das Raummuster der Pflanzenproduktion und Viehwirtschaft beträchtlich verändert. Obwohl die natürlichen Barrieren durch die Bodenfruchtbarkeit begrenzt sind, hat es doch einige bemerkenswerte Veränderungen gegeben. Das mögen die folgenden Abbildungen zeigen. Die einst bedeutsame Kartoffelfläche ist stark zurückgegangen (Abb. 16). Es gibt heute keinen Landkreis mehr, in dem der Anteil an der Ackerfläche mehr als 20% ausmacht. Die Roggenfläche ist stark reduziert worden (Abb. 17). Es gab einmal Landkreise mit mehr als 44% an der Ackerfläche. Auch der Haferflächenanteil hat sich stark verringert (Abb. 18). 1938 gab es Landkreise, die noch bis zu 18% der Ackerfläche Haferanbau hatten. Heute gibt es nur noch in der Prignitz und im Kreis Gransee nennenswerte Anbauflächen, die maximal 12% ausmachen. Diesen sehr stark zurückgegangenen Anbaufrüchten kann man diejenigen gegenüberstellen, die sich z.T. stark ausgedehnt haben. Erwälmenswert ist Weizen (Abb. 19). Aus der Klassifizierung ist zu erkennen, daß vor allem der Süden Brandenburgs die Anbaufläche ausgedehnt hat. Gewaltig ausgedehnt hat sich Gerste (Abb. 20). Es bedarf wohl schon keines Kommentares mehr, nur noch der Hinweis, daß es zZ. im Kreis Prenzlau einen Gersteflächenanteil an der Ackerfläche von mehr als 22,5% gibt.
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Der 1938 völlig unbedeutende Grün- und Silomaisanbau hat sich sehr stark ausgedehnt (Abb. 21). Die Kreise Königs Wusterhausen und Zossen haben Anteile von knapp 25%. Auch im Bereich der Viehwirtschaft waren die Veränderungen groß. So hat z.B. gegenüber 1938 der Schweinebesatz (Abb. 22) 1987 sehr stark zugenommen. 1938 dominienen Dichten bis 200 Tiere/l00 ha LN, 1987 war das schon die Ausnahme. In Templin und Eberswalde gab es mehr als 500 Tiere/I 00 ha LN. Die Schweinefleischproduktion konnte dadurch stark erhöht werden und auch der Expon nach Westberlin. Auch der Rinderbesatz (Abb. 23) nahm sehr stark zu und ist Ausdruck einer zunehmenden Fleischproduktion. Dagegen hat der Anteil der Milchkühe am Rinderbestand abgenommen (Abb. 24). Gegenüber 1938/40 verringen hat sich der Anteil der ständig Berufstätigen in der Landwirtschaft an der Gesamtzahl der Berufstätigen. Im Jahre 1989 war er trotzdem noch sehr hoch, in den Kreisen Seelow und Brandenburg belief er sich auf mehr als 40% (Abb. 25). Mit der politischen Wende in der DDR Ende 1989 brach auch das System der Zentralverwaltungswirtschaft zusammen. Es kam zu radikalen Veränderungen, auch in der Landwirtschaft. Absatzschwierigkeiten für landwirtschaftliche Produkte, Vernichtungsaktionen, Notschlachtungen von Tieren u.a. verursachten bis Mitte 1990 fast ein Chaos in der Landwirtschaft. So war schnelles Handeln geboten.
VII. Entwicklungen nach der politischen Wende und der deutschen Vereinigung: Der Übergang von der sozialistischen Agrarverjassung, zu einer modernen marktwirtschaftlich orientierten Landwirtschaft Die ehemalige DDR war im Staatsvertrag mit der BRD die Verpflichtung eingegangen, sich schrittweise auf das Recht und die wirtschaftspolitischen Ziele der EG auszurichten. Der Prozeß begann mit der Wirtschafts-, Währungs-und Sozialunion am 2. Juli 1990 und soll tezum Zeitpunkt des Wegfalls der Zoll- und Handelsschranken zwischen den EG-Ländem am 31.2.1992 beendet sein. Mit der Übernahme des EG-Marktordnungssystems Anfang Juli 1990 und der Angleichung an das Agrarpreisniveau in der damaligen BRD sanken die bis dahin staatlich festgesetzten Preise für die Erzeuger auf dem Gebiet der DDR. Für viele Betriebe gab es Schwierigkeiten der Lohnfortzahlung und der Erfüllung von Zinsund Tilgungsverpflichtungen. Die Volkskammer beschloß deshalb direkt auszuzahlende Anpassungshilfen. Damit konnte zunächst ein völliger Zusammenbruch der Landwirtschaft verhinden .werden. Doch die Anpassung an die EG-Landwirtschaftmußte rasch in Angriff genommen werden, das zeigten die Maßnahmen hinsichtlich der Flächenstillegung und 2"
20
KarlEckart
Existensivierungen. Diese wurden gegen Zahlung des Einkommensausgleichs schon
im Juli 1990 angeboten. Seitdem wird die Stillegung von Ackerflächen mit einer
durchschnittlichen Ackerzahl ab 18 gefördert. wenn auf ihnen 1989 Marktordnungsprodukte (z.B. Getreide, Kartoffeln) angebaut worden waren. Es könnenseitdemFlächen durch Brachlegung, durch Aufforstung, durch Nutzung zu nichtlandwirtschaftlichen Zwecken und durch Umwandlung in extensiv zu nutzendes Grünland stillgelegt werden. Wie in allen Ländern der EG konnte auch die damalige DDR ab 1. August 1990 Getreide zu festgesetzten Preisen (Preisgarantie) an staatliche Stellen verkaufen. Seit dem 1. August 1990 gibt es diese Intervention. Übergangsmarktordnungen wurden für Vieh und Fleisch, Zucker sowie pflanzliche Öle und Fette eingeführt, Mitte des Jahres 1990 Milchquoten. Als Referenzjahr galt 1989. Ende März 1991 wurden im Rahmen des Gemeinschaftswerks "Aufschwung Ost" Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verabschiedet, um u.a. die freigesetzten Arbeitskräfte für eine sinnvolle Tätigkeit im ländlichen Raum zu halten. Anfang Juni 1991 hat der Bundesrat die Änderung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes verabschiedet. Mit dieser Novellierung werden die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine geordnete Weiterführung der landwirtschaftlichen Produktion durch leistungsfähige landwirtschaftliche Unternehmen in den neuen Bundesländern geschaffen. Das alte Landwirtschaftsanpassungsgesetz, das noch von der Volkskammer der ehemaligen DDR verabschiedet worden war, konnte wegen unpräziser Bestimmungen seinen Zweck als Regelwerk für einen geordneten Übergang von der "sozialistischen" Agrarverfassung zu einer modemen marktwirtschaftlich orientierten Landwirtschaft nicht ausreichend erfüllen. Nun liegt ein Regelwerk vor, das auch für das Land Brandenburg den Rahmen bildet. Die Umstrukturierung ist in vollem Gange. Wir hatten schon gesehen, daß sich 1987 bzw. im Sommer 1990die Raumstrukturen in der Pflanzen- und Tierproduktion wesentlich vor denen des Jahres 1938/40 unterschieden. Man kann davon ausgehen, daß es nach Beendigung des gegenwärtig ablaufenden Umstrukturierungs- und Anpassungsprozesses zu einer weiteren drastischen Veränderung der Raumrnuster im Bereich der Pflanzen- und Tierproduktion kommen wird. Denn 1990/91 wurden umfangreiche Flächenstillegungen beantragt, wie sie Abb. 26 zeigt.
Agrarstrukturentwicklung und -probleme (1938/40 bis 1989/90)
21
Quellen Klett, K.: DDR (= Klett) LänderprofIle, 3. Aufl., Stuttgart 1989. Landwirtschaftliche Ernteermittlwtg 1990. Getreide, Kartoffeln, Zuckerrüben, Feldfutterpflanzen wtd andere Fruchtarten. Endgültige Ergebnisse; hrsg. v. Gemeinsamen Statistischen Amt der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Msk., Berlin o.J. (1991 ?). Raurnordnwtgsbericht 1991 der BwtdesregierWlg, hrsg. v. Bwtdesministeriurn für Raurnordnwtg, Bauwesen wtd Städtebau, Bonn- Bad Godesberg 9/91. Statistik des Deutschen Reiches. Band 536. Bodennutzung wtd Ernte 1938; hrsg. v. Satistischen Reichsamt Berlin 1939. Statistik des Deutschen Reiches. Band 579. Bodennutzung wtd Ernte 1939; hrsg. v. Statistischen Reichsamt, 1939; Berlin 1941. Statistik des Deutschen Reiches. Band 590, Teil I, Die Viehwirtschaft 1940/41; hrsg. v. Statistischen Reichsamt, Berlin 1941. Statistisches Bwtdesamt - VB - Statistisches Amt der DDR. Landwirtschaft. Fachserie: Pflanzenproduktion. Reihe Bodennutzung, Berlin, o.J. Statistisches Jahrbuch der DDR, hrsg. von der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik, Berlin (0), Jge. 1959, 1972, 1982, 1989. Wichtige Kennziffern der Landwirtschaft. Länder der DDR nach Kreisen. Landwirtschaftliche Nutzfläche, Ackerland, Grünland. Anbauflächen wichtiger Fruchtarten (Stand: 10. Juni 199O);hrsg. v. Statistischen Amt der DDR. AbteilwtgLandwirtschaft wtd Umwelt, Msk.; Berlin (0), 0.1. (1991 ?).
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Abb. 1: Das Areal des VEG(P) Heinersdorf (1989).
Der Wandel im ländlichen Raum des östlichen Brandenburg
67
Übergangsfonnen erkennen. Insbesondere die zwei- und dreigeschossigen Wohnneubauten der 60er und 80er Jahre führten zu einer erheblichen Erweiterung der bebauten Siedlungsfläche. Im Dorf entstanden darüber hinaus folgende Versorgungseinrichtungen: -
ein Landambulatorium im ehemaligen Gutshaus, ein Schulzentrum mit bis zu 335 Schülern aus fünf Orten, eine Betriebsberufsschule der Volkseigenen Güter (VEG), ein Kulturhaus mit einem großen Saal (700 Plätze), Gaststätte, Bar und Sauna und ein ländliches Einkaufszentrum.
Der Wandel von Heinersdorf zum dörflichen Siedlungszentrum ist nur in Verbindung mit der Entwicklung der hier ansässigen Landwirtschaftsbetriebe, zweier Volkseigener Güter, zu verstehen. Deren Gründung hatte die Schaffung zahlreicher Arbeitsplätze zur Folge hatte, woraus seit den 60er Jahren ein hoher Wanderungsgewinn für Heinersdorf resultierte. Das Volkseigene Gut Pflanzenproduktion (VEG/P) bewirtschaftete seit 1985 eine Fläche von 4 063 ha, das heißt, die Feldflur der drei benachbarten Gemeinden Heinersdorf, Arensdorf und Tempelberg. Der Produktionsschwerpunkt lag im Bereich der Futterrnittelerzeugung. Bei einem Grünlandanteil von nur 2,5% ist es nicht verwunderlich, daß der Futterpflanzenanteil am Ackerlandmitüber 40% dementsprechend hoch ausfiel. Beliefert wurde das Volkseigene Gut Tierproduktion (VEGfl) mit seinem hohen Konzentrationsgrad an Tieren. Über 3 000 Milchkühe wurden an vier Standorten gehalten, darunter in den zwei großen Anlagen "Milko 1000" (1 000 Tiere) und einer Milchproduktionsanlage mit 1 930 Tieren, die 1968 bzw. 1979 in Betrieb genommen worden waren. Neben der Milchproduktion spielte die Rinderzucht eine wesentliche Rolle. Dazu erfolgte seit 1977 der Aufbau des Stammzuchtzentrums "Rind" des Bezirks Frankfurt/Oder. Die Volkseigenen Güter von Heinersdorf bildeten am Vorabend der ''Wende'' nicht nur den wichtigsten Arbeitgeber im Nordosten des Kreises Fürstenwalde, bei ihnen handelt ees sich auch um zwei Musterbetriebe mit einem für DDR-Verhältnisse hohen produktionstechnischen Niveau.
2. Die jungen Veränderungen seit 1989 Die politischen Veränderungen, die nach der ''Wende'' von 1989 einsetzten, führten auch in der Gemeinde Heinersdorf zu einem tiefgreifenden ökonomischen und sozialen Wandel. Die zwei Volkseigenen Güter wurden aufgelöst und sind seit 1991 betrieblich in der ''Tierzucht GmbH i.A. Heinersdorf' zusammengefaßt. Diese untersteht der Treuhandanstalt und soll durch den Verkauf kleiner Betriebsteile privatisiert werden. 5*
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Wolfgang Sadler I lörg lanzen
Von 1989 bis zum Spätsommer 1991 ging die Beschäftigtenzahl insgesamt von über 600 auf 370 zurück. Zum Jahresende 1991 wird sie voraussichtlich bei 180 liegen. Ehemals in die Betriebe integrierte Einrichtungen (beispielsweise die Betriebsküche) wurden geschlossen oder, wie im Fall der Bauhandwerker, "ausgegliedert". Davon noch nicht betroffen sind bisher die Landmaschinenwerkstätten. Eine starke Einschränkung erfuhr auch die Anzahl der auszubildenden Lehrlinge von früher 120 auf 47 im Herbst" 1991. Ähnlich einschneidende Folgen hatte der Umstrukturierungsprozeß auch auf den Tierbestand im Heinersdorfer Betrieb. So wurde innerhalb kürzester Zeit bis Herbst 1991 der Bestand bei den Milchkühen von über 3 000 auf 1 950, bei den Schafen von 2 500 auf 1 500 und bei den Pferden von 40 auf 20 Tiere reduziert. Am krassesten ist die Veränderung in der Schweinehaltung. Während zum Jahresende 1989 noch ein Bestand von 1 500 Tieren vorhanden war, wurde sie inzwischen völlig eingestellt. Auch die ehemals bedeutende private Viehhaltung der Beschäftigten beider Güter - eine wichtige zusätzliche Einkommensquelle der Dorfbevölkerung - ist aufgrund des Verfalls der Fleischpreise und des Wegfalls der zu DDR-Zeiten üblichen staatlichen Abnahmegarantie zur Bedeutungslosigkeit verkümmert. Nicht nur in der Tier-, auch inder Pflanzenproduktion haben sich gravierende Veränderungen für den Heinersdorfer Betrieb vollzogen oder sind in Kürze zu erwarten. So reduzierte sich die ackerbauliche Nutzfläche bereits im Herbst 1990 auf 3 000 ha (Stand von 1989: 4063 ha). Der Grund hierfür liegt nicht etwa in der Stillegung von Flächen, sondern in der Rückgabe des zur Gemeinde Arensdorf gehörenden Ackerlandes. Nach der bevorstehenden Übergabe der Feldtlur von Tempelberg an die dortige Gemeinde wird sich die ackerbaulich nutzbare Fläche des Heinersdorfer Betriebes zum Jahresende 1991 auf ca. 1 800 ha verringert haben. Ein großes Problem stellen bisher noch unklare bzw. ungelöste EigeIltumsverhältnisse dar. Die Lösung derselben gestaltet sich besonders schwierig, da sich frühere, in Gemengelage gelegene Privatflächen heute häufig inmitten der derzeit bewirtschafteten großen Schläge befinden. In diesen Fällen für alle Seiten befriedigende Lösungen zu [roden, stellt ein Hauptproblem, aber auch eine Hauptaufgabe im derzeit ablaufenden Umstrukturierungsprozeß der Landwirtschaft dar. Auch im Anbauspektrum hat sich ein deutlicher Wandel vollzogen (vgl. Tab.l). Gravierende Verschiebungen haben sich vor allem beim Kartoffelanbau ergeben, dessen Anbauareal aufnurnoch etwa ein Viertel der früheren Fläche zurückgegangen ist. Noch extremer ist der Einbruch beim Feldgemüseatlbau (nicht in Tab. 1 enthalten), der inzwischen völlig eingestellt worden ist. Neu im Anbauspektrum ist hingegen der Anbau von Raps, für den günstige Absatzbedingungen bestehen.
Der Wandel im ländlichen Raum des östlichen Brandenburg
69
Tab. 1: Flächenanteil der Anbaufrüchte (in ha)
Winterweizen Winterroggen Wintergerste Sommergerste Hafer Getreide insgesamt Kartoffeln Mais Weidelgras/Knaulgras Luzeme/Luzernegras Raps Insgesamt"
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) 723
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3. Schlußfolgerungen Obgleich sich die Ergebnisse des Umbruches gegenwärtig noch nicht in einer geographisch schon faßbaren ''neuen'' Agrarstruktur abzeichnen, muß nach den Entwicklungschancen dieser ländlich-agrarisch strukturierten Räume gefragt werden. Wird sich unter den gegebenen und sich verändernden Bedingungen auch in der Region Berlin-Brandenburg eine weUbewerbsfähige Landwirtschaft bei Erschliessung weiterer Einkommensquellen entwickeln können, oder sind mit einer rückläufigen ökonomischen Bedeutung des Agrarsektors die (sozialen) Problemgebiete am "strukturschwachen" Ostrand der EG-Staaten schon vorprogrammiert? Trotz weithin relativ ungünstiger natürlicher Bedingungen im Land Brandenburg ist die Landwirtschaft notwendig, nicht nur um die Kulturlandschaft zu erhalten, sondern auch um den Agrarraum als eigenständigen Wirtschafts- und Lebensraum zu bewahren. Welche landwirtschaftlichen Betriebsformen, ob bäuerlicher Familienbetrieb oder kollektiv bewirtschafteter Großbetrieb, die zukünftige Agrarstruktur im Osten Brandenburgs bestimmen werden, läßt sich nur schwer voraussagen.
Es steht außer Frage, daß es zu einer stärkeren Diversifizierung der ökonomischen Grundlagen kommen muß, um neue Arbeitsplätze zu schaffen und damit einer weiteren Entvölkerung dieses Raumes vorzubeugen.
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Wolfgang Sadler I lörg lanzen
Für die Gemeinde Heinersdorf bieten sich außer der Agrarproduktion vor allem zwei Bereiche an, die entwicklungsfähig sind: das Handwerk und der Fremdenverkehr. In beiden Branchen gibt es Anzeichen für einen leichten Aufschwung. Mehrere Handwerker, z.T. ehemalige VEG-Bedienstete, haben sich bereits selbständig gemacht bzw. haben eine Anstellung in den neuen Kleinbetrieben gefunden. Um die noch dünne Auftragsdecke zu stärken und die jungen Betriebe in diesem strukturschwachen Raum zu stützen, ist für eine Übergangsphase die Vergabe öffentlicher Aufträge wünschenswert. Positiv zu bewerten sind für die Gemeinde HeinersdorfauchdieZukunftsaussichten im Fremdenverkehr. Dies gilt insbesondere für den Standort Behlendorf (vgl. Abb. 1). Die dortige, gut erhaltene Gutsanlage, die Anfang des 19. Jahrhunderts nach Plänen von Schinkel errichtet worden ist, bietet gute Voraussetzungen dafür. Schon heute gilt dieser in landschaftlich reizvoller Lage am Nordwestrand des Heinersdorfer Sees und in waldreicher Umgebung gelegene Gutshof als beliebtes Ausflugsziel für den Naherholungsverkehr aus Berlin. Hauptattraktion ist der in der Gutsanlage befmdliche Reiterhof. Das umgebaute ehemalige Herrenhaus beherbergt eine gut geführte Gaststätte mit Übernachtungsmöglichkeiten. Die Entwicklung eines sanften Tourismus ohne größere landschaftsverändernde Eingriffe könnte schon kurzfristig zu einer wirtschaftlichen Belebung in Heinersdorf beitragen.
Es bleibt zu hoffen, daß möglichst bald weiter Beschäftigungschaffende Aktivitäten eingeleitet werden, um die derzeit desolate sozio-ökonomische Situation großer Teile der Bevölkerung im Raum Heinersdorf zu verbessern.
Literatur Deutsches Landblatt Nr. 20 vom 15. Oktober 1991, S. 7. Rohrlach. P. (1983): Historisches Ortslexikon für Brandenburg, Teil VII. Lebus, Weimar. Statistisches Amt der DDR (Hrsg.) 1990: Statistisches Jahrbuch der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft 1990. Berlin. VEG-eigene Unterlagen, Heinersdorf.
Siegfried Thieme AKTUELLE PROBLEME DES STRUKTURWANDELS IN DER LANDWIRTSCHAFf DES KREISES POTSDAM-LAND Der Landkreis Potsdam liegt südwestlich Berlins, umschließt sichelförmig die Stadt Potsdam und umfaßt eine Fläche von ca. 738 km1 • In den drei Städten und 57 ländlichen Gemeinden leben gegenwärtig etwa 98 000 Einwohner. Mit einer Bevölkerungsdichte von 134 Einwohnern je km1 ist er einer der am dichtesten besiedelten Landkreise Brandenburgs. Der Bevölkerungsrückgang - 1970 noch über 102000 Einwohner - resultiert ausschließlich aus Wanderungsverlusten. Bezüglich der Veränderung der Einwohnerzahlen bestanden und bestehen zwischen den Gemeindenbzw. den Teilräumen erhebliche Unterschiede. Von den mehr als 50000 Erwerbstätigen im Jahre 1989 waren etwa 19% im primären, 47% im sekundären und 34% im tertiären Wirtschaftssektor beschäftigt. Fast ein Viertel aller Beschäftigten des Kreises war 1989 in den drei Großbetrieben der Elektrotechnik/Elektronik im Raum Teltow/Stahnsdorf tätig, ca. 17% in der landwirtschaftlichen Primärproduktion. Die Landschaft im Potsdamer Raum wurde vor allem während des Brandenburger Stadiums der Weichsel vereisung geprägt. Charakteristisch ist der Wechsel von Platten (Teltower, Glindower, Nauener Platte) und Niederungen (Nuthe- und Havelniederung) . Die Platten - glazialgenetisch vorwiegend Grundmoränen, aber auch Endmoränen, Kames und Sander - erreichen im Durchschnitt Höhen zwischen 50 und 60 m über NN. Während sich in den Grundmoränen fruchtbare Fahl- und Braunerden entwikkelt haben, sind Podsole und Braunpodsole typisch für jene Oberflächenformen, die der Eiszerfallsphase zuzuordnen sind. In den großen Niederungen, den ehemaligen Schmelzwasserabflußbahnen, sind Niedermoor- und Gleymoor-Bodengesellschaften anzutreffen. Am Wechsel von Platten und Niederungen orientiert sich auch die Flächenbewirtschaftung. Von der Gesamtfläche des Kreises wurden bisher 44% unter Schutz gestellt. Von diesen ca. 37500 ha entfallen über 16000 ha auf das Landschaftsschutzgebiet "Potsdamer Havelseen" zwischen Potsdam und Töplitz, dem traditionellen Naherholungsbereich von Potsdam undBerlin. Dieses Gebiet wurde 1990um 15 000 ha nach Südosten (Waldgebiete um Michendorfund Seddiner See) erweitert.
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Siegfried Thieme
Zu den wichtigsten ökologischen Problemen im Landkreis Potsdam gehören -
die schlechte Wasserqualität der Havelseen und der Nuthe, die teilweise hohe Nitratbelastung des Grundwassers, die Abwasserverrieselung auf der Teltower Platte, die Einbeziehung ungeeigneter Flächen in die landwirtschaftliche Nutzung seit Anfang der 6Qer Jahre, - die Zunahme der Baum- und Wald schäden in den 80er Jahren, - die zahlreichen "wilden" Deponien. Damit die seen- und waldreiche Landschaft um Potsdam zukünftig stärker als Ausflugs- und Erholungsgebiet genutzt werden kann, sind dringend Maßnahmen zur Lösung der O.g. Probleme erforderlich.
I. Zur aktuellen Situation in der Landwirtschaft des Kreises Potsdam-Land Der Agrarsektor des Landkreises Potsdam befindet sich gegenwärtig ebenso wie der des Bundeslandes Brandenburg in einer sehr kritischen Situation. Bis Mitte 1990 existierten im Kreis Potsdam-Land folgende landwirtschaftliche Produktionsbetriebe: - 4 LPG Pflanzenproduktion (u.a. Beelitz 7 629 ha/293 VbE, Saarmund 5 676 ha/296 VbE, Groß Kreutz 4 346 ha/218 VbE) - 12 LPG Tierproduktion - 5 LPG Obst- und GemÜ8eproduktion - 4 Gärtnerische Produktionsgenossenschaften (GPG) - 2 VEG Tierproduktion. Von diesen Betrieben existierten am 30.9.1991 noch zwei LPG (P), drei LPG (T) und eine GPG. Für die beiden Güter hat die Treuhandanstalt bisher noch keine Entscheidung getroffen. In der Liquidation stehen eine LPG (P), acht LPG (T), zwei LPG Obst- und Gemüseproduktion sowie zwei GPG. Bisher haben im Landkreis Potsdam 93 bäuerliche Familienbetriebe imHaupterwerb Anträge auf Gewährung einer Starthilfe gestellt. 58 Personen haben sich als Nebenerwerbslandwirte angemeldet. Als eingeschriebene Genossenschaft bzw. GmbH haben sich per 30.9.1991 im Bereich der Obst-und Gemüseproduktion neun Betriebe, in der Tierproduktion zwei und in der Pflanzenproduktion ein Betrieb neugebildet. Für alle Wiedereinrichter landwirtschaftlicher Betriebe ergeben sich große Probleme aus den komplizierten Eigentumsverhältnissen, den hohen Pachtforderungen von Bodeneigentümem und ungeklärten Entschuldungsfragen. Anträge auf
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Strukturwandel in der Landwirtschaft Potsdam-Land
Entschuldung wurden bis zum 17.5.1991 von 21 Genossenschaften eingereicht. Bis Ende Oktober 1991 soll von der Treuhandanstalt entschieden werden, welche Genossenschaften über eine klare Konzeption zur weiteren Entwicklung verfügen und damit teilweise (25-30%) entschuldet werden. Der Umwandlungsprozeß in der Landwirtschaft verläuft zwar sehr differenziert. insgesamt aber nur schleppend. Der Potsdamer Landtag hat deshalb am 9. Oktober 1991 einen Antrag an den Bundestag gerichtet. die im Landwirtschaftsanpassungsgesetz festgelegte Frist zur Umwandlung der LPG in eingetragene Genossenschaften zu verlängern. Nach Ansicht des brandenburgischen Landwirtschaftsministers Zimmermann erreicht das o.g. Gesetz nicht sein Ziel, geht die Umstrukturierung nicht reibungsloser vor sich. "Ein Festhalten am Termin 31.12.bedeuteeinemassenhafteLiquidationlandwirtschafilicher Betriebe. Ökologische und soziale Folgen seien unübersehbar, ganze Dörfer ständen ohne landwirtschaftliche Produktion da" (Märkische Allgemeine vom 11.10.91, S. 5). Konzepte, an denen gegenwärtig im Landwirtschaftsministerium Brandenburgs gearbeitet wird, sollen eine Weiterbewirtschaftung der von Konkurs und Liquidation bedrohten Betriebe durch die Bildung landeseigener Bürgschaftsinstitutionen sowie treuhänderischer Verwaltung sichern. 1990 wurden ebenso wie 1989 fast 34 000 ha-das sind 45% der Gesamtfläche des Kreises -landwirtschaftlich genutzt. Per 30.6.1990 entfielen davon etwa 49% auf Ackerland (16600 ha), fast 25% auf Grünland (8400 ha) und fast 19% auf Obstanbauflächen (6 200 ha). Durch Flächenstillegungen verringene sich 1991 die bewirtschaftete Fläche um 23%. Die wichtigsten Anbauflächen haben sich wie folgt veränden: 1989 Getreide Feldfutter Kanoffeln
8 030 ha 3200ha 1470ha
1991 4780ha 1170ha 430 ha
Drastisch verringen wurden auch die Tierbestände:
Rinder dar. Kühe Schweine dar. Sauen Schafe dar. Mutterschafe
31.12.89
31.12.90
31.8.91
23644 7303 44550 2459 66031509
16081 4194 20844 786 2814 1433
4998 1660 4808 246 2274 1330
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Siegfried Thieme
Die Milchquote für das Wirtschaftsjahr 1991/92 beträgt 13,2 kt. Diese Quote teilen sich 5 Betriebe als juristische Einrichtung und 12 bäuerliche Familienbetriebe. In den Jahren 1989 und 1990 wurden 28,9 bzw. 25,6 kt Milch erzeugt. Die Zahl der in der landwirtschaftlichen Primärproduktion Beschäftigten verringerte sich von 8 824 Ende 1989 auf 1 741 per 31.8.1991. Von den Arbeitskräften waren am 31.12.1989 75,3% in der Obstproduktion, 15,6% in der Tierproduktion und 9,1% in der Pflanzenproduktion tätig. Angesichts der großen Zahl Arbeitsloser und von Arbeitslosigkeit Bedrohter im ländlichen Raum sind Arbeitsbeschaffungs- und Qualifizierungsmaßnahmen dringend erforderlich. Bisher konnten in14 ABM-Projekten ca. 150 Arbeitskräfte der Landwirtschaft gebunden werden. Weitere Projekte werden gegenwärtig erarbeitet.
11. Zum Strukturwandel im Havelländischen Obstanbaugebiet Das havelländische Obstanbaugebiet um Werder war und wird sicherlich auch zukünftig der Schwerpunkt der landwirtschaftlichen Produktion im Raum Potsdam sein. Mit jeweils 50 bis 100 ha großen Plantagen und einer Gesamtfläche von fast 10 000 ha stand es bis 1990 unter den Obstanbaugebieten im Osten Deutschlands an erster Stelle. Es erstreckt sich vom Zentrum Werder nach Westen bis in die östlichen Teile des Landkreises Brandenburg und nach Norden bis in die südlichen Teile des Kreises Nauen. Dieses Gebiet kann auf eine lange Tradition im Obst- und Gemüseanbau zurückblicken. Der ursprünglich betriebene Weinbau, den Zisterziensermönche des Klosters Lehnin Anfang des 14. Jahrhunderts einführten, kam im 19. Jahrhundert zum Erliegen. Bereits vor 1850 entwickelte sich dieses Gebiet zur Obstkammer Berlins. Bis in die sechziger Jahre unseres Jahrhunderts dominierte der sogenannte "DreiEtagen-Obstbau", d.h. der Anbau von Obst (Äpfel, Birnen, Kirschen, Pflaumen, Pftrsiche), von Sträuchern (Johannis-, Stachel- und Himbeeren) sowie Erdbeeren bzw. Gemüse. In den fünfziger Jahren produzierten rund 8 000 Kleinbetriebe, deren durchschnittliche Anbaufläche 0,7 ha betrug, Obst und Gemüse. Nach 1970 ging man dazu über, den Obstanbau großflächig und industriell zu betreiben. Gunstfaktoren für den Obstanbau waren - und sind - die fruchtbaren Böden der Platten, die Möglichkeiten zur Beregnung und Seeschlammgewinnung, der Bedarf des Ballungsraumes Berlin und die Berufserfahrung der Arbeitskräfte. Die sieben Großbetriebe der Primärproduktion - fünf LPG und zwei GPG - mit Sitz in Werder, Glindow, Marquardt, Groß Kreutz, Neubochow und Damsdorfproduzierten 1986 etwa 145000 tObst - davon ca. 85% Äpfel-sowie rund 30 000 t Gemüse, vor allem Blumenkohl und Tomaten. Hinzu kamen sechzehn vor- und nachgelagerte Betriebe bzw. Dienstleistungseinrichtungen.
Strukturwandel in der Landwirtschaft Potsdarn-Land
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Mit der Einführung der Marktwirtschaft und dem damit verbundenen Absatzeinbruch hat sich die Situation im havelländischen Obstanbaugebiet radikal verändert: - Die fünf großen LPG der Obst- und Gemüseproduktion sind aufgelöst, ausverkauft, in kleinste Teile zerfallen. - Auf ca. 4 ()()() ha wurden die Bäume und Sträucher (etwa 3 400 ha Apfelplantagen, 600 ha Sauerkirschen- und Johannisbeerplantagen) gerodet, davon etwa die Hälfte aus Reproduktionsgründen. - Von den 6 642 Beschäftigten in der Obst- und Gemüseproduktiondes Landkreises Potsdam waren Mitte 1991 weniger als 1 ()()() in noch bestehenden Unternehmen tätig. Ohne Nachfolge haben sich Anfang des Jahres 1991 die LPG Obstproduktion Marquardt(1989: etwa 3 500 ha LN und 1 300VbE)undGlindow(1650haLN, 860 VbE) sowie die GPG Werder (1 900 ha LN, 1 260 VbE) und die GPG Zierpflanzen Neubochow (100 ha LN, 300 VbE) aufgelöst. Aus der LPG Obstproduktion Groß Kreutz (1 900 ha LN, ca. 800 VbE) gingen am 1.1.1991 die "Märkische Obstbau GmbH Schmergow" sowie die "Havelobst Obst und Gemüse Bochow e.G." hervor, letztere bewirtschaftet 1991 mit 18 Beschäftigten 239 ha. Die Rosengut e.G. Langerwisch, die Potsdamer Blumen e.G. und die Blumenparadies Werder GmbH sind Neubildungen, hervorgegangen aus der aufgelösten LPG Gewächshauswirtschaften Werder. Für die Rodung von über 2 ()()() ha Apfelplantagen erhielten im Landkreis Potsdam die ehemaligen LPG in Groß Kreutz und Marquardt sowie die GPG Werder fast 17 Mio DM Prämien aus demEG-Haushalt. Nach Einschätzung von Fachleuten ist etwa ein Drittel der Obstanbauflächen im Havelland für einen wirtschaftlich vernünftigen Anbau ungeeignet. Die weit umfangreicheren Rodungen - teilweise verursacht durch Unkenntnis, Fehleinschätzung und Panikmache-sowie die Tatsache, daß für weitere 2 500 ha die Bewirtschaftung ungeklärt ist, rächt sich bereits in diesem Jahr auf Grund der günstigen Marktlage bitter. Neue Firmen wie die "Erzeugergenossenschaft Werder-Frucht für Obst und Gemüse e.G." oder der "Erzeugergroßmarkt Fahrland/Potsdam e.G." haben Probleme, Einkaufsketten wie REWE, Edeka, Spar, Reichelt u.a. mit Obst und Gemüse in ausreichenden Mengen gleicher und hoher Qualität zu beliefern. Auch der Bedarf an Zierpflanzen wird in den nächsten Jahren in Berlin und im Land Brandenburg beachtlich steigen. Auf Grund der günstigen Standortbedingungen und Marktlage besitzt das Havelland künftig gute Chancen, nach sinnvoller und erfolgreicher Umstrukturierung eines der größten Obst- und Gemüseanbaugebiete Deutschlands zu werden.
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Siegfried Thieme
Literatur Kramm,H J. (Hrsg.): Der BezirkPotsdam. -Geographische Exkursionen. -Gotha 1989. Kreisentwicklungskonzeption Potsdam-Land. - Potsdam 1990.
Saupe, G./Thieme, S.: Territoriale Reproduktionsbedingungen, Intensivierung und Gebietsentwicklung in stärker agrarisch geprägten Räumen - untersucht am Beispiel des Bezirkes Potsdam. - Dissertation B. Potsdam 1989. Weiße, R.: GlaziaImorphologie und geoökologische Probleme des Potsdamer Raumes. - In: Geographische Rundschau, 43, 1991, 10, S. 590-596.
Bärbel Leupolt INDUS1RIES1RUKTUR IN BERLIN-BRANDENBURG GENESEUNDE~CKLUNGSCHANCEN
I. Einführung Die Zukunft der Region Berlin-Brandenburg wird in hohem Maße durch die Bewältigung des wirtschaftlichen, insbesondere industriellen Strukturwandels bestimmt. Die Zurkenntnisnahrne bisheriger Ergebnisse und Konflikte dieses äußerst differenziert verlaufenden Prozesses läßt die Aktualität der Auseinandersetzung mit diesem Problemkreis deutlich werden. Die räumliche Dimension, in der dieser Berlin und Brandenburg erfaßt, muß die in der Stadt-und Regionalplanung der Gegenwart verwandte Beeinflussungsgröße in Ballungsräumen von 80-100 km Radius um die Kemstadt schon heute berücksichtigen. Damit wäre armähemd der Gesarntraurn von Berlin-Brandenburg langfristig verknüpft. Insgesamt leben hier ca. 6,02 Mio Menschen (davon 3,4 Mio in Berlin) auf 29 942 km2 Fläche (davon Berlin: 883,4 km2) (Abb. 1). Dynamik, Ausmaß und Intensität der Umwälzungsprozesse in der Industrie, insbesondere in Berlin, beeinflussen nachhaltig die Variationsbreite vorstellbarer gesellschaftlicher Entwicklung in diesem zentralen Bereich Ostdeutschlands und lassen verschiedene Entwicklungsszenarien zu. Der Tatbestand, daß Standortwahl und -entwicklung eine Untemehmensentscheidung ist, die sich aus lokalen bis internationalen Standort- und Marktbedingungen ableitet, erzeugt beträchtlichen wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf. Eine wirtschaftlichenfmdustriellen Aktivitäten Priorität einräumende langfristige Entwicklungskonzeption für Berlin-Brandenburg existiert bisher nicht. So steht zu erwarten, daß branchen- und raurnstrukturelle Fehlentwicklungen Realität werden, die aufgrund der Erfahrungen anderer Großstadtregionenhätten vermieden werden können.
11. Genese der Industriestruktur Ein Exkurs in die Historie industrieller Strukturentwicklung in Berlin-Brandenburg offenbart ein durchaus typisches Genesemustermonozentrischer Ballungsräume.
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Bärbei Leupolt
Rohstoffannut und zumeist wenig fruchtbare Böden prädestinierten das Gebiet der Mark Brandenburg allerdings nicht zu einem Raum bevorzugter wirtschaftlicher Entwicklung in Deutschland. Dies bewirkte die Wirtschafts-, Ansiedlungs-, Verkehrs- und Handelspolitik der hohenzollernschen Herrscher Preußens, deren Ziel die landwirtschaftliche, aber primär gewerbliche Entwicklung war, und zu deren Ergebnis im 19. Jahrhundert die erfolgreiche Industrialisierung Berlins und Brandenburgs gehörte. Umfang der Produktion und Standortdichte des brandenburgischen Raumes blieben gegenüber den Nachbarn im Westen und Süden etwas zurück, gleichwohl wurde Berlin zu einem der führenden Industriezentren Deutschlands. Im Jahre 1925 war die Hauptstadt zur drittgrößten großstädtischen Industrieballung der Welt (nach London und New York) herangewachsen. Dank einzigartiger Verkehrs- und Arbeitsbedingungen hatten sich etwa dergewerblichen Betriebe und Berufstätigen des Gesamtgebietes in Berlin als dem industriellen Nonplusultra konzentriert (Pfannschmidt, 1937, S. 80 ff). Es entstanden ständig neue Industrien, die älteren wanderten sowohl nach Brandenburg als auch in andere Teile Deutschlands.
5n
Die Berliner Industrie erlebte zwei Randwanderungen, wobei die erste Verlagerung aus der Innenstadt in den Ringbalmbereich erfolgte (zwischen 1871JJO) und sofort von der anschließenden zweiten Wanderung entlang der Wasserstraßen, Eisenbalmlinien und Straßen abgelöst wurde (Abb. 2). Die Standortanalyse der Industrie in Berlin-Brandenburg für 1925 vonPfannschmidt (1937, S. 82 ff) zeigt, daß die Hauptlokalisation in Berlin im Zuge des Berliner Urstromtales von der Oberhavel bis zur Oberspree erfolgte (zwischen Spandau im Westen und Treptow im Osten). Grundstücks-, Arbeits-, Transportkosten und Fühlungsvorteile bewirkten, daß 70% der Industriebetriebe und 63% der beschäftigten Personen innerhalb der Ringbalm bzw. 30% der Firmen und 37% der Beschäftigten bereits außerhalb dieses Bereiches in den äußeren Stadtbezirken angelagert worden waren. Branchenseitig spielte die Elektroindustrie die überragende Rolle (ca. 180 517 Beschäftigte 1925). Sie machte Berlin zu dem Zentrum dieses Zweiges in Deutschland, von dem aus die Arbeitsteilung für das gesamte Land diktiert wurde. Zudem war die Metall- und Maschinenindustrie, das Bekleidungsgewerbe, die chemische Industrie sowie das Papier- und Vervielfältigungsgewerbe bedeutsam. Die Industrialisierung im Brandenburgischen zeigt zum einen eine verstärkte Industrieansiedlung in räumlicher Anlehnung an Berlin (2. Randwanderung) in der Zone von 30 bis 50 km um die Hauptstadt in vier Wirtschaftskonzentrationen (vgl. auch Abb. 3): - Oberhavel (Standorte u.a. Hennigsdorf, Oranienburg, Velten) - Potsdam . Nowawes . Teltow (Standorte: Potsdam, Nowawes, Teltow) - Oberspree· Dahme (Standorte u.a. Zossen, Erkner, Strausberg, Fürstenwalde, Rüdersdorf, Herzfelde) - Eberswalde-Finow (Standorte u.a. Eberswalde, Finowfurt, Falkenberg, Spechthausen, Wolfswinkel)
Industriestruktur in Berlin-Brandenburg
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Zum anderen entwickelten sich bis 1925 fünf weitere industriell geprägte Wirtschaftsgebiete in der Mark Brandenburg in größerer räumlicher Entfernung von Berlin: - an der Unterhavel (Brandenburg, Rathenow, Wittenberge, Kirchmöser, Premnitz) - auf dem Fläming (Luckenwalde, Treuenbrietzen, Jüterbog) - in der Niederlausitz (Kirchhain, Finsterwalde, Lübben, Lübbenau, Calau, Cottbus, Forst, Guben, Spremberg) - an der Oder-Warthe (Frankfurt/Schwedt) - in der Uckermark/Prignitz (Angermünde, Prenzlau, Lychen, Gransee, Neuruppin, Pritzwalk, Wittstock, Perleberg). Die Branchenstruktur in Brandenburg war vielseitig. Sie reichte von der Metallgewinnung und -verarbeitung (z.B. Eberswalde, Brandenburg, Wildau) über die elektronische Industrie (z.B. Hennigsdorf, Rathenow), die chemische Industrie (z.B. Oranienburg), den Bereich Steine und Erden (z.B. Rüdersdorf) bis hin zur Textil-, Lebensmittel- und Holzindustrie und zur Glas- und Braunkohlenindustrie (Niederlausitz). Deutlich erkennbar war der direkte und indirekte Einfluß der Entwicklung Berlins auf die der Mark und das ausgeprägte Zentrum-Peripherie-Gefälle. Der überaus starken Konzentration in der Hauptstadt steht eine lockere, ungleichmäßige Industrielagerung in Brandenburg gegenüber. Eine weitere Verlagerung bzw. Neugründung von Industriestandorten vornehmlich im Umland von Berlinerfolgte im Zusammenhang mit den Kriegsvorbereitungen und während des Zweiten Weltkrieges (z.B. Ludwigsfelde, Drewitz. Oranienburg, Fürstenwalde) (Abb. 2). Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1989 brachte besonders für die berlinbrandenburgische Region eine anormale Situation hervor, die bewirkt durch die Aufteilung Deutschlands und Berlins in Sektoren durch die alliierten Siegermächte und mit dem Bau der Mauer 1961 für annähernd 30 Jahre manifestiert wurde. Beide Teile Berlins und das Umland standen jeweils abrupt völlig neuen Entwicklungsbedingungen gegenüber. Trotz nach wie vor erkennbarer gemeinsamer Grundstrukturen verlief nach 1961 die wirtschaftliche Entwicklung in den beiden Teilen Berlins bzw. des brandenburgischen Raumes nach völlig unterschiedlichen gesellschaftlichen und industriellen Grundsätzen ab. Für Westberlin gab es kein Umland mehr, und Ostberlin, das 1949 Hauptstadt der DDR wurde, besaß nur noch ein halbkreisförmiges Umland (Kreise Oranienburg, Bernau, Strausberg, Fürstenwalde, Königs Wusterhausen, Zossen). Die westlichen Umlandkreise von Berlin orientierten sich auf Potsdam (Abb. 4). Die Spaltungsdekaden bewirkten im Westteil der Stadt erhebliche Standortnachteile, die nur z.T . durch Wirtschaftsfördermaßnahmen (Berlinförderung) ausgeglichen werden konnten. Der ausgelöste wirtschaftliche Strukturwandel- insbeson-
80
Bärbei Leupolt
dere ausgedrückt durch den Abbau der in der Industrie Beschäftigten zugunsten des tertiären Sektors - konnte Strukturdefizite im Vergleich zu anderen Bundesländern nicht auffangen. Der Ostteil der Stadt konnte nach der Überwindung beträchtlicher Verluste durch Demontage von Industrieanlagen durch die sowjetische Besatzungsmacht in der Spaltungszeit nicht nur seine hauptstädtischen Funktionen forcieren. sondern stabilisierte zugleich bis Anfang der 80er Jahre seine Industriefunktion. Die Stadt war die größte Industriekonzentration der DDR. Ab 1981 konnte Berlin seine industrielle Funktion sogar ausbauen. Dies zeigt sich sowohl im Investitionsgeschehen. wie in der absoluten und relativen Zunahme von Industriebeschäftigten. der industriellen Warenproduktion und dem Aufbau besonders innovativer Produktspezialisierung (Mikroelektronik, Biotechnologie u.a.) (vgl. Tab. 1, Abb. 5, 6, 7,8). Der Konzentrationsgrad der Industrie war hier besonders hoch. 53 Großbetriebe (mehr als 1 000 Tab. I: Entwicklung ausgewählter Kennziffern der Industrie der HauptstadJ der DDR, Berlin, 1961-1989. Jahr
Anzahl der Industriebeschäftigten
Anteil an den Industriebeschäftigten der DDR (in%)
1961 1971 1981 1984 1985 1989
167049 157741 157700 165800 169800 175700
6,2 5,5 5,0 5,2 5,3 5,5
Aneil an der industriellen Bruttoproduktion in der DDR (in %) 6,6 5,7 5,4 5,4 5,6 5,5
Quelle: StaL Jahrbuch d. DDR 1962-1990.
Beschäftigte) erzeugten 80% der Industrieproduktion. Mittel- und Kleinbetriebe existierten als selbständige Einheiten fast nicht, da sie mit der Kombinatsbildung in den 70er Jahren in diese zumeist eingegliedert wurden. In Berlin gab es 25 Industriekombinate (18 zentral- und 7bezirkgeleitete), die vor allem die Elektrotechnik, Elektronik, den Gerätebau sowie die chemische Industrie und den Maschinen- und Fahrzeugbau dominierten (vgl. Leupolt, 1987). Die Branchenstruktur Ost- und Westberlins wird bis in die Gegenwart eindeutig durch die Elektrotechnik/Elektronik/Gerätebau bestimmt (Tab. 2), gefolgt von der metallverarbeitenden Industrie. Der hohe Anteil der Lebensmittelindustrie ist ein Artefakt der Berlin-Förderung. Die alte Position als Textilzentrum ist nicht mehr erkennbar.Im Ostteil der Stadt bestehen aber gerade in der Elektrotechnik/Elektronik massive existentielle Probleme.
Industriestruktur in Berlin-Brandenburg
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Tab. 2: Industriestruktur im Großraum Berlin Beschäftigte nach Industrien
% Westberlin
Umland
9,4 1,4
8,3
8,8
1,8
1,3
Maschinen- und Fahrzeugbau
30,4
20,5
36,9
Elektrotechnik / Elektronik / Geräte
40,6
39,1 14,1
19,7 7,0 10,8
Ostberlin
Chemie Metallurgie
11,3 6,9
Leicht- / Textilindustrie Lebensmittelindustrie
12,7
Quelle: Strukturdaten zum Großrawn BerIin. BerIin, 1991.
Tab. 3: Arbeitsstätten. Beschäftigte und Fläche der Industrie nach Stadtbezirken in Ostberlin. Zahl der Arbeitsstätten Mitte Prenzlauer Berg Friedrichshain Treptow Köpenick Lichtenberg Weißensee Pankow Marzahn Hohenschönhausen Hellersdorf
200 161 218 116 181 133 126 106 46 33 26
Beschäftigte
Flächen in ha
14885 15200 20411 21655 30719 21125 12433 11135 14283 3069 1795
43,0 34,5 90,3 200,9 213,3 170,4 77,8 134,5 108,3 43,0 23,6
Quelle: Strukturdaten zum Großrawn BerIin. Berlin, 1991.
Die Raumsnuktur der Industrie hat sich zugunsten der äußeren Stadtbezirke in West und Ost verändert. So existieren im Ostteil nur noch 39% der Betriebe mit 35% der Beschäftigten in den drei innerstädtischen Bezirken, aber 61 % der Betriebe mit 65% der Beschäftigten in den äußeren Bezirken (Leupolt, 1987) (vgl. Abb. 9, Tab. 3). Die Industriestruktur Brandenburgs entwickelte sich nach 1945 weiterhin sehr stark unter dem Einfluß Berlins. Dies trifft besonders für die angrenzenden Kreise zu, in denen FinnenneugrüDdungen bzw. Filialen in hohem Maße von Berlin initiiert wurden (z.B. in Bernau, Strausberg). Weiterhin wurden zerstörte Kapazitäten mit 6 Eckart/Marcinek/Viehrig
Bärbei Leupolt
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neuer Erzeugnisstruktur wieder aufgebaut (z.B. Ludwigsfelde). Großinvestitionen erfolgten in Städten entlang des strukturschwachen Grenzsawnes zu Polen auf dem Hintergrund der Überwindung der stark disparitären Entwicklung und der Schaffung sozialistischer Vorzeigestädte (z.B. Eisenhüttenstadt, Schwedt), aber auch solche Städte wie Cottbus, Spremberg u.a. erhielten Entwicklungsimpulse. Betrachtet man die in den einzelnen Kreisen existierenden Grundfonds 1987, so werden die "alten" Industrieräwne von Oranienburg, Brandenburg u.a. überragt durch Schwedt, Eisenhüttenstadt, Cottbus, Spremberg, Senftenberg, Calau (vgl. Abb. 10), was sich zumindest teilweise auch im Ergebnis der industriellen Warenproduktion 1987 offenbart (vgl. Abb. 8). Die Branchenspezialisierung ist in den ehemals 3 Bezirken sehr unterschiedlich. Überwiegt in Cottbus, dem Braunkohle- und Energiebezirk, die Energieund Brennstoffindustrie, so nimmt in Frankfurt/O. die chemische Industrie, gefolgt von der Metallurgie die Strukturbestimmung vor, im Bezirk Potsdam sind es die Metallurgie und der Maschinen- undFahrzeugbau, die am bedeutendsten sind (Basis: industrielle Warenproduktion) (vgl. Abb. 11). Für die Zukunft ist wesentlich, daß beide Teile Berlins ihre Wissenschaftsfunktion erhalten, ja ausgebaut haben (vgl. Abb. 12).
Tab. 4: Erwerbstätige nach Qualifikationsstufen im Großraum Berlin.
Hochschulabschluß Fachhochschulabschluß Fachschulabschluß (einschl. Meister) Facharbeiter Ohne Abschluß
Ostberlin
Westberlin
Umland
15,6% 20,5%
10,4% 4,4% 6,4%
19,0%
50,2% 13,7%
53,2% 23,9%
59,0% 13,5%
8,5%
QlMllle: Strukturdaten zum Großraum Berlin, Berlin 1991.
Das Arbeitskräfteangebot bezüglich des Ausbildungsstandes zeigt für die Region insgesamt eine sehr günstige QualifIkationsstruktur (vgl. Tab. 4).
Ill. Emwick/ungschancen Für Berlin und Brandenburg ergeben sich hervorragende Zukunftschancen, zwn einen durch die geographische Lage als der "Brücke" zwischen West und Ost und zwn anderen durch erkennbare interne wie externe Wachstwnsdeterminanten. Berlin wird als Gewerbe- und Industriestandort wieder interessant, was auch auf Brandenburg Wirkung zeigt.
Industriestruktur in Berlin-Brandenburg
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Der industrielle Strukturwandel in den einzelnen Teilen der Region wird spezifische Ausprägung aufweisen. Ziel muß sein, mit Hilfe des Marktes bzw. von Wirtschaftsförderung eine Zweig- und Raumstruktur zu entwickeln, die in zunehmendem Maße dem Wettbewerb mit anderen Regionen gewachsen ist. Dazu gehört eine breite wirtschaftliche Basis zu der sowohl Dienstleistungs- als auch Industriesektor gehören. Günstige Zukunftschancen liegen für die Industrie z.B. in der Entwicklung und Markterschließung innovativer Bereiche (in Verknüpfung von Forschung und Produktion) - u.a. in der Produktion umweltschonender Produkte und Produktionsverfahren. Räumliche Prämissen sollten sein, daß - Industrien, die flächensparend, ohne Umweltbelastung und mit hohem Arbeitskräftepotential arbeiten eine Existenzchance in Berlin erhalten (Mischstruktur); - Industrien, die flächenintensiver arbeiten, Standorte in den Gewerbegebieten in den äußeren Stadtbezirken (z.B. Marzahn) zugewiesen bekommen; - Industrien der Massengüterproduktion mit hohem Flächenbedarf im Zuge der schnell nachholenden Wirkung von Urbanisierung und Suburbanisierung das UmlandvonBerlinalsStandortgebietwählen(auchbedingtdurchneueProduktionsund Logistikkonzepte). Vermieden werden sollte eine massenhafte Anlage großer Business-Parks, da hieran erfahrungsgemäß die Industrie nur geringfügig partizipiert. Insgesamt ist mit einer dritten und vierten Randwanderung der Berliner Industrie zu rechnen. Gegenwärtig sind in Ostberlin und dem UmlandbeschleunigtdieIndustriekombinate zu entflechten und zu diversifizieren, damit einzelne überlebensfahige Betriebsteile die lokale Wirtschaftsstruktur stärken können. Viele Gebiete im Umland hängen wirtschaftlich von der Überlebensfähigkeit einiger bzw. eines großindustriellen Produktionskomplexes ab. Hier hat die Treuhandanstalt eine hohe Verantwortung. Die Ergebnisse zeigen bisher (vgl. Abb. 13, 14, 15, 16) - relativ niedrige Firmenliquidation in Brandenburg und auch in Ostberlin, - im Vergleich zu anderen neuen Bundesländern durchschnittliche Privatisierungsergebnisse (bis Mai 1991419 Verkäufe mit einem Erlös von rd. 3,35 Mrd. DM) bei überdurchschnittlichen Beschäftigungszusagen von 176561 Mitarbeitern und Investitionszusagen von rd. 10,1 Mrd. Mark. - Neben der Veräußerung an deutsche und ausländische Unternehmen gewinnt das Management - Buy-Out ebenfalls große Bedeutung. Die Region Berlin-Brandenburg wird in den nächsten 10 bis 15 Jahren eine der Wachstumsregionen inDeutschland bzw . Europa sein. DiesespositiveEntwicklungsszenario ist jedoch nur realistisch, wenn eine effiziente Wirtschafts- bzw. Industriepolitik den Ruf der stadt auch als Industriemetropole festigen kann, und zugleich Impulse auf Brandenburg ausgehen. Besonderes Augenmerk ist sicher auf das Gebiet
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BärbeI Leupolt
der Hauptstadt und ihres Umlandes (ca. 50 km-Bereich) zu legen. darf sich jedoch nicht daraufbeschränken. Anknüpfungspunktefür langfristige Entwicklungsstrategien bietet das "Stemmodell" (vgl. Abb. 17), das bereits 1920 entwickelt wurde und gegenwärtig neu diskutiert wird. Festzustellen bleibt, daß ein strategisches Entwicklungskonzept für die Region davon ausgehen muß, daß in der Zone 50 km um Berlin durch Urpanisierung und Suburbanisierung eine beträchtliche Verdichtung einsetzen wird, so daß Entwicklungsachsen und dazwischenliegende Freiräume realistischer im Bereich 50 bis 100 km Entfernung von BerUn zu entwickeln sind. Eine Studie des Institutes für Angewandte Wirtschaftsforschung belegt, daß fürrd. 250 Gewerbegebiete von Kommunen Brandenburgs bereits fmanzielle Mittel aus dem Programm "Aufschwung Ost" beantragt wurden; ein beträchtlicher Teil von ihnen bef"mdet sich in den Umlandkreisen (vgl. Abb. 18).
Literatur Berlin (West) +Berlin (Ost) und sein Umland. 2 Bände mit Beiheft. Bd. 1: B. Hofmeister, Berlin (West). Bd. 2: A. Zimm u.a., Berlin (Ost) und sein Umland. Verlag H. Haack Gotha und Wiss. Buchgesell. Darmstadt, 1990. Strukturelle Defizite im verarbeitenden Gewerbe von Berlin (West). In: DIW. Wochenberichte 1990, S. 156 ff. Grundlagen und Zielvorstellungen für die Entwicklung der Region Berlin. 1. Bericht 5/90 des Provisorischen Regionalausschusses - Planungsgruppe Potsdam. Leupolt, B.: Industriestruktur der Hauptstadt Berlin. In: Geographische Berichte, H. 2, 1987. PjannschmidJ, M.: Die Industriesiedlung in Berlin und in der Mark Brandenburg. W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart/Berlin, 1937. Räumliche Entwicklung in der Region Berlin - Planungsgrundlagen. Hrsg. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz. Berlin. Oktober 1990. Reginalreport DDR 1990. Grundzüge räumlicher Strukturen und Entwicklungen. Hrsg. Fege, B.; Göbel, M. und Jung, H.-U., Berlin/Hannover, März 1990. Robinet, K.: Entwicklungslinien der Wirtschaftsstruktur in Berlin (West). In: Wirtschaftlicher Wandel und räumliche Entwicklungsplanung im Großraum Berlin. Hrsg. Inst. f. Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin, Berlin 1991. Statistisches Jahrbuch der DDR. Berlin 1962,1972,1982,1986,1990. Strukturdaten zum Großraum Berlin (Stand: 1989). Senats verwaltung für Wirtschaft und Technologie, Berlin 1991. Treuhandanstalt. Privatisierung (Stand: 31.5.1991). Was passiert im "Speckgürtel"? Berliner Zeitung vom 29.10.1991, S. 21. Zimm, A.: Die Entwicklung des Industriestandortes Berlin, Berlin 1956. Zimm, A.: Zur Dynamik der Territorialstruktur der DDR - Hauptstadt Berlin und ihres Umlandes. In: Petermanns Geogr. Mitt., H. 3, 1981.
Industriestruktur in Berün-Brandenburg
Quelle: Nach Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung, Bonn 1990.
Abb. 1:Berlin und Brandenburg.
85
86
Bärbei Leupolt
•
Rude r sdorf
Brandenburg
'.• o
Verlagerung aus Bprlin neue , von Herlln abhanglge
wichtiger I ndustriestandort
Quelle: Räumliche Entwicklung in der Region Berlin-Planungsgrundlagen, hrsg. v. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Berlin, 1990, S. 7.
Abb. 2: Randwanderung der Industrie (1910-1945).
Industriestruktur in Berlin-Brandenburg
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City Wilhelminische WohnstJdt Locker bebauter Außef1rJum Stadtgrenze Grenze des geschlossenen Randsiedlu ngsgebictes Grenze des Pendlerel nzugsgebretes Industrieller Schwerpunkt im Stadtgebiet
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Wicl1tlger Ort mit bedeutender Industrie
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Wichtige' Ort chne bedeutende Industrre
Jußerhalb des St~d~gebletes außerhJlb des StJdtgebietes Örtliche' E,nzugsbc'c,ch wlcrtlger Orte ()LJßc":~2!b cj~s StadtgebIetes
Quelle: Zirnm 1981, S. 158.
Abb. 3: Die zonale Gliedenmg Groß-Ber1ins und seines Einflußgebietes in der Vorkriegszeit.
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Q/Ullle: Berlin und sein Umland. Eine geographische Monographie, hrsg. v. A. Zimm, Gotha 1989. S. 34-345.
Abb. 4: Industrielle Konzentrationsräwne in der Stadt-Umland-Region Ostherlin 1981.
Industriestruktur in Berlin-Brandenburg
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QlII!lIe: Regionaireport DDR 1990, S. 51.
Abb. 5: Investitionen in der Industrie 1980-1985 in den Kreisen der DDR.
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Quelle: Regionaireport DDR 1990, S. 31.
Abb. 6: Absolute Beschäftigtenentwicklung 1980--1985 in den Kreisen der DDR.
Industriestruktur in BerIin-Brandenburg
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Quelle: Regionaireport DDR 1990, S. 42.
Abb. 7: Arbeiter und Artgestellte in den Produktionsstätten der Industrie 1987 in den Kreisen der DDR.
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Quelle: Regionalreport DDR 1990, S. 35.
Abb. 8: Industrielle Warenproduktion 1987 in den Kreisen der DDR.
Industriestruktur in Berlin-Brandenburg
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Beschäftigte nach Industriebereichcn-
1964
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\ Chemische Industrie ~ Maschinen· und F"hrzeugbau
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