123 28 46MB
German Pages 437 Year 1997
DEUTSCHES INSTITUT FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG SONDERHEFT 161 · 1997
Dieter Schumacher, Harald Trabold und Christian Weise (Hrsg.)
Transformation des Wirtschaftssystems in den mittel- und osteuropäischen Ländern: Außenwirtschaftliche Bedingungen und Auswirkungen
DUNCKER & HUMBLOT · BERLIN
DEUTSCHES
INSTITUT
FÜR
WIRΤSCHAFΤS
FΟRSCHUΝG
gegründet 1925 als INSTITUT FÜR KONJUNKTURFORSCHUNG von Prof. Dr. Ernst Wagemann Königin-Luise-Straße 5 · D-14195 Berlin (Dahlem)
VORSTAND Präsident Prof. Dr. Lutz Hoffmann Sir Leon Brittan · Dr. Johannes Ludewig · Dr. Norbert Meisner · Wolfgang Roth · Dr. Ludolf-Georg von Wartenberg
Kollegium der Abteilungsleiter* Dr. Heiner Flassbeck · Dr. Fritz Franzmeyer · Dr. Kurt Hornschild · Prof. Dr. Wolfgang Kirner · Prof. Dr. Eckhard Kutter Prof. Dr. Rolf-Dieter Postlep · Dr. Wolfram Schrettl · Dr. Bernhard Seidel · Dr. Hans-Joachim Ziesing
KURATORIUM Vorsitzender: Dr. Alexander von Tippeiskirch Stellvertretender Vorsitzender: Dr. Thomas Hertz
Mitglieder Der Bundespräsident Bundesrepublik Deutschland Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium für Wirtschaft Bundesministerium für Verkehr Bundesministerium für Post und Telekommunikation Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie Land Berlin Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe Senatsverwaltung für Justiz Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen Freistaat Bayern, vertreten durch das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Verkehr und Technologie Freie und Hansestadt Hamburg, vertreten durch die Behörde für Wirtschaft Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Wirtschaftsministerium Land Brandenburg, vertreten durch das Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie Land Niedersachsen, vertreten durch das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Technologie und Verkehr Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie Deutsche Bundesbank Deutsche Bahn AG Deutsche Post AG Deutsche Postbank AG Deutsche Telekom AG Bundesanstalt für Arbeit Wirtschaftsvereinigung Bergbau Christlich-Demokratische Union Deutschlands Sozialdemokratische Partei Deutschlands Freie Demokratische Partei Deutscher Gewerkschaftsbund Industriegewerkschaft Metall Bankgesellschaft Berlin AG Berlin Hyp Berliner Hypotheken- und Pfandbriefbank AG 1KB Deutsche Industriebank AG Berliner Kraft- und Licht (Bewag)-Aktiengesellschaft Vereinigung der Freunde des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung
Persönliche Mitglieder Dr. Günter Braun Dr. Dieter Hiss Dr. Karl-Heinz Narjes * Präsident und Abteilungsleiter sind gemeinsam für die wissenschaftliche Leitung verantwortlich.
Dieter Schumacher / Harald Trabold / Christian Weise (Hrsg.)
Transformation des Wirtschaftssystems in den mittel- und osteuropäischen Ländern: Außenwirtschaftliche Bedingungen und Auswirkungen
B Œ Ï Ï
·
Sonderhefte N r . 161
Transformation des Wirtschaftssystems in den mittel- und osteuropäischen Ländern: Außenwirtschaftliche Bedingungen und Auswirkungen
Herausgegeben von Dieter Schumacher, Harald Trabold und Christian Weise
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Transformation des Wirtschaftssystems in den mittel- und osteuropäischen Ländern : außenwirtschaftliche Bedingungen und Auswirkungen / [Hrsg.: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung]. Hrsg. von Dieter Schumacher... - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 Sonderheft / Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung ; Nr. 161) ISBN 3-428-09239-2
Herausgeber: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Königin-Luise-Str. 5 D-14195 Berlin, Telefon (0 30) 8 97 89-0 - Telefax (0 30) 8 97 89 200 Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7026 ISBN 3-428-09239-2
Inhaltsübersicht Vorwort der Herausgeber
15
Horst Ufer Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
19
Helga Herberg Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
88
Gerhard Kraft und Agnes Pähl Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
152
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger (t) Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
218
Harald Trabold und Carla Berke Veränderung der Außenhandelsspezialisierung Mittel- und Osteuropas von 1970 bis 1994
263
Carla Berke und Harald Trabold "Low-cost" oder "High-tech"? Strategische Außenwirtschaftsoptionen für die mittel- und osteuropäischen Länder
287
Dieter Schumacher Perspektiven des Außenhandels zwischen West- und Osteuropa: ein disaggregierter Gravitationsansatz
325
Uta Möbius Handelspolitik der EU gegenüber mittel- und osteuropäischen Ländern
390
Christian Weise Von der Assoziierung zur Mitgliedschaft: Was kann die EU dazu beitragen, die Osterweiterung zu erleichtern?
411
Liste der Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer
435
Inhaltsverzeichnis Horst Ufer Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel Inhalt 1. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5. 3. 4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 5. 5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.5. 5.6. 6. Tabellen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Einleitung Zu den Transformationsprozessen in der Tschechischen und Slowakischen Republik Politische Ausgangsbedingungen Ökonomische Ausgangsbedingungen Reformziele und Reformverlauf Ausgewählte Felder der Transformationspolitik Privatisierung Makroökonomische Reformergebnisse Faktorausstattung Naturressourcen Faktor Arbeit Anlagenkapital Infrastruktur Zur Neuorientierung der Außenwirtschaft in der Tschechischen und Slowakischen Republik Ausgangssituation für die Neuorientierung des Außenhandels Zahlungsbilanz Ausländische Direktinvestitionen Entwicklung des Außenhandels Veränderungen in der Regionalstruktur Veränderungen in der Warenstruktur Zusammenfassung und Ausblick Literatur Ausgewählte makroökonomische Kennziffern für die CR Ausgewählte makroökonomische Kennziffern für die SR Makroökonomische Indikatoren für das BIP der CR 1993-1995 Zusammensetzung des BIP für die CR und die SR Jahresdurchschnittliche Anzahl der Beschäftigten im zivilen Sektor der CR nach Wirtschaftsbereichen Anzahl der Beschäftigten in der SR nach Wirtschaftsbereichen von 1991-1993 . . . Wichtige Roh- und Brennstoffimporte der CSFR nach Ländern Ausgewählte Arbeitsmarktdaten für die CR und SR Bildungsniveau des Arbeitskräftepotentials für die CR, SR, Ungarn und Polen 1994 Altersstruktur des Kapitalstocks für ausgewählte Branchen des verarbeitenden Gewerbes in der CR Verkehrsaufkommen in der CSFR nach Verkehrsträgern für 1989 Β rutto Verschuldung einiger osteuropäischer Reformländer Zahlungsbilanz der CSFR in konvertiblen Währungen Zahlungsbilanz der CR in konvertiblen Währungen von 1993-1995
19
19 20 20 22 25 26 33 35 41 41 43 47 49 53 53 55 60 63 69 74 81 85 35 36 36 38 39 40 42 44 46 48 51 54 56 58
Inhaltsverzeichnis
15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37
Devisenreserven der CR 1992-1995 Zahlungsbilanz der SR in konvertiblen Währungen 1994 Jährliche ausländische Direktinvestitionen in der CR 1990-1995 Ausländische Direktinvestitionen in der CR nach Herkunftsländern 1995 Ausländische Direktinvestitionen in der CR nach ihrem Verwendungszweck 1995 Wechselkurse der CR und der SR 1990-1994 BIP und Export- und Importquoten der CR 1990 bis 1995 BIP und Export- und Importquoten der SR 1990 bis 1994 Entwicklung des Exports und Imports der CR 1990 bis 1995 Entwicklung des Exports und Imports der SR 1990 bis 1995 Regionalstruktur des Außenhandels der CSFR Regionalstruktur des Exports der CR Regionalstruktur des Imports der CR Export der SR in seiner regionalen Struktur in laufenden Preisen Import der SR in seiner regionalen Struktur in laufenden Preisen Hauptpartner des Außenhandels der CR Hauptpartner im Export und Import der SR Warenstruktur des Exports der CSFR für 1989 und 1990 nach SITC, Rev. 3 . . . Warenstruktur des Imports der CSFR für 1989 und 1990 nach SITC, Rev. 3 . . . Warenstruktur des Außenhandels der CR nach SITC, Rev. 3 Warenstruktur des Exports der CR in die EU nach SITC, Rev. 3 Warenstruktur des Imports der CR aus der EU nach SITC, Rev. 3 Warenstruktur des Außenhandels der SR nach SITC, Rev. 3
Helga Herberg Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme Inhalt 1. 2. 2.1. 2.2. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5. 4. 4.1. 4.2. 4.3. 5. 5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.5. 6.
Einleitung Reformen und Wirtschaftspolitik Programm und Schritte Hauptergebnisse Binnenwirtschaftliche Entwicklung Bruttoinlandsprodukt Industrie Investitionen Löhne Arbeitsmarkt Produktionsfaktoren Ressourcen: Boden und Rohstoffe Arbeitskräfte Kapital Außenhandel Außenhandelspolitik Ausgangslage des Außenhandels Außenhandels Wachstum und Außenhandelsabhängigkeit Entwicklung der Regionalstruktur Warenstruktur des Exports und Imports Zusammenfassung und Schlußfolgerungen Literatur
58 59 60 62 62 64 66 66 68 68 69 70 71 71 72 73 74 75 77 78 79 79 80
88
88 89 89 91 96 96 98 99 101 103 104 104 107 110 111 111 113 118 123 127 135 141
8
Inhaltsverzeichnis
Tabellen 1 Inflation, Staatshaushalt und Schulden, 1990 bis 1995 2 Anteile des Privatsektors an der Produktion in den Hauptbereichen der Wirtschaft, 1990 bis 1994 3 Entwicklung des BIP und der Inlandsverwendung, 1990 bis 1995 4 Struktur der Bruttowertschöpfung nach Sektoren der Produktion 1989, 1993 und 1994 5 Produktion und Arbeitsproduktivität in der Industrie 6 Sektorale Struktur der Investitionen, 1991 und 1994 7 Entwicklung der durchschnittlichen Nominallöhne und Reallöhne, 1989 bis 1995 8 Differenzierung der monatlichen Durchschnittslöhne (brutto) in der Industrie Polens 9 Vorkommen an wichtigen Bodenschätzen, Jahresende 1993 10 Arbeitskräftepotential Polens: Bevölkerung und Erwerbsbeteiligung 11 Qualifikationsstruktur der Erwerbstätigen nach Sektoren der Volkswirtschaft, August 1994 12 Struktur der Beschäftigten nach Sektoren der Wirtschaft 13 Regionale Differenzierung der Exportstruktur Polens, 1985 14 Entwicklung des Außenhandels, 1990 bis 1995 15 Anteile des Exports und Imports am BIP, 1990 bis 1995 16 Anteile des Exports an der Bruttoproduktion der Industrie (Verkäufe), 1990 bis 1994 17 Importabhängigkeit nach Sektoren der Industrie, 1990 bis 1994 18 Regionalstruktur des Exports und Imports Polens, 1989 bis 1995 19 Handelspartner Polens, 1994 20 Warenstruktur des polnischen Exports, 1989 bis 1995 21 Regionale Differenzierung der Warenstruktur des polnischen Exports, 1995 . . . 22 Warenstruktur des polnischen Imports, 1989 bis 1994 23 Struktur des polnischen Imports nach der Verwendung, 1989 bis 1995 24 Export-Import-Relationen im Außenhandel Polens nach SITC-Sektoren, 1989 bis 1995 25 Struktur des polnischen Exports und Imports nach der Faktorintensität der Güter, 1994 26 Wichtigste Warenhauptgruppen des polnischen Exports, 1985 bis 1994 27 Wichtigste Warenhauptgruppen des polnischen Imports, 1985 bis 1994 A 1 Kennziffern der Wirtschaftsentwicklung Polens, 1989 bis 1995 A2 Hauptkennziffern der Prognose für 1994 bis 1997 "Strategie für Polen" A3 Wachstum und Struktur der Industrieproduktion Polens, 1990 bis 1994 A4 Der Außenhandel Polens im Überblick A5 Polens Export nach Warenbereichen A6 Polens Import nach Warenbereichen A7 Zahlungsbilanz Polens in konvertiblen Währungen A 8 Zuordnung von Bezeichnungen der Außenhandelsstatistik zu den einzelnen Güterarten
92 94 97 97 98 100 102 103 106 108 108 109 116 119 121 122 123 124 125 127 129 130 131 132 132 134 134 145 146 147 148 149 149 150 151
Gerhard Kraft und Agnes Pähl Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
152
Inhalt 1. 2. 2.1. 2.2. 2.3.
152 153 153 157 160
Problemstellung Institutionelle Rahmenbedingungen in Ungarn Die Rolle des Staates Die Veränderung der Eigentumsverhältnisse Die Entwicklung des Geld- und Finanzsystems
Inhaltsverzeichnis
3. 3.1. 3.2. 4. 4.1. 4.2. 4.3. 5. 5.1. 5.2. 5.3. 6.
Binnenwirtschaftliche Entwicklung Makroökonomische Kennziffern Umbrüche in den Produktions- und Leistungsstrukturen: Strukturwandel Produktionsfaktoren Boden, Energie und Umwelt Kapitalausstattung Arbeitskräfte Außenwirtschaftliche Integration Marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen für die Entwicklung der außenwirtschaftlichen Beziehungen Ungarns Außenhandel im Überblick Die Regional- und Warenstruktur des Außenhandels Zusammenfassung Literatur
Tabellen 1 Ergebnisse der jeweiligen Wahlsieger in den Parlamentswahlen von Mai 1990 und 1994 2 Verkauf von Staats vermögen 1993 3 Privatisierungserlöse in Ungarn 1994 und 1995 4 Jährliche Veränderungen des realen BIP in Ungarn 5 Verbrauch der Bevölkerung 6 Jährliche Veränderungen der Bruttoanlageinvestitionen (konstante Preise) 7 Jährliche Veränderungen des Staatsverbrauchs (konstante Preise) 8 Export- und Importentwicklung (konstante Preise) 9 Handels- und Leistungsbilanzsaldo 10 Ungarns Auslandsverschuldung 11 Ausländische Direktinvestitionen (kumulativ) 12 Anteile der Wirtschaftssektoren am BIP 13 Industrieproduktion in Ungarn 14 Voraussichtliche Branchenentwicklung 1995-2000-2010 (nach der Wirtschaftszweigklassifikation der EU/N.A.C.E.) 15 Bruttoanlagevermögen der ungarischen Wirtschaft zum 31.12.1989 16 Faktoren der Produktionsbehinderung in Ungarn 17 Bevölkerungsentwicklung in Ungarn 18 Zusammensetzung der Bevölkerung nach wirtschaftlicher Aktivität am Anfang der Periode 19 Wechselkursentwicklung seit 1.1.1991: Abwertungsschritte 20 Liberalisierung, Zahl der Unternehmen mit Außenhandelstätigkeit, Kurse 21 Export- und Importentwicklung 22 Außenhandel nach Regionen 23 Regionalstruktur des ungarischen Exports 1994 24 Regionalstruktur des ungarischen Imports 1994 25 Ungarns Export und Import nach bzw. aus Haupthandelsländer(n) Platzziffern 26 Anteil der Warengruppen an der Ausfuhr 1989 bis 1994 27 Zuwachsraten (überdurchschnittliche) der ungarischen Exporte nach ausgewählten Warengruppen 1992 bis 1994 28 Anteil der Warengruppen an der Einfuhr 1989 bis 1994 29 Zuwachsraten (überdurchschnittliche) der ungarischen Importe nach ausgewählten Warengruppen 1992 bis 1994 A 1 Anzahl der Unternehmen nach Rechtsformen A2 Anzahl der Gesellschaften/Unternehmen nach Wirtschaftszweigen, nach Rechtsformen und nach Größenklassen, Dez. 1994 A3 Entstehungsseite des Bruttoinlandsprodukts nach Wirtschaftszweigen A4 Verwendungsseite des Bruttoinlandsprodukts A5 Bruttoproduktion zu Marktpreisen nach Wirtschaftszweigen
162 162 168 176 176 177 178 181 181 185 187 198 202
154 159 160 162 163 164 165 166 166 167 168 170 171 174 177 178 179 179 184 185 185 188 189 190 192 193 194 196 197 204 205 206 207 208
10
A A A A A A A A A A A A A
Inhaltsverzeichnis
6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
A 19
Konsumpreisindex (Inflationsrate) nach Hauptausgabengruppen 208 Investitionen nach materiell-technischer Zusammensetzung und nach Herkunft . . 209 Investitionen nach Wirtschaftszweigen 209 Einnahmen des Staatshaushaltes 210 Ausgaben des Staatshaushaltes 210 Aktiv Erwerbstätige nach Wirtschaftszweigen 211 Registrierte Arbeitslose nach ihrer Qualifikation 211 Struktur der Industrieproduktion 212 Industrieproduktion 212 Außenhandel Ungarns 213 Volumenindizes des Außenhandels 214 Außenhandel nach Hauptwarengruppen 215 Entwicklung der ungarischen Exporte nach SITC-Warengruppen 1992 bis 1994 216 Entwicklung der ungarischen Importe nach SITC-Warengruppen 1992 bis 1994 217
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger (t) Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht Inhalt 1. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5. 2.6. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5. 3.6. 3.7. 4. 4.1. 4.2. 4.3. 5. 5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.5. 6.
Einleitung Reformpolitik Einleitung Privatisierung Förderung von Klein- und Mittelbetrieben Konkursgesetzgebung Industriepolitik Entstehung von Finanzmärkten Die binnenwirtschaftliche Entwicklung Produktion Investitionen Preisentwicklung Lohn- und Einkommensentwicklung Beschäftigung und Arbeitsmarkt Öffentliche Haushalte Geldpolitik Faktorausstattung Naturressourcen Arbeitskräftepotential und Qualifikationsstruktur Kapitalstock Außenwirtschaft Währungspolitik Außenhandel mit Drittländern Intra-GUS-Handel Zahlungsbilanz und Verschuldung Ausländische Investitionen Fazit Literatur
Tabellen 1 Ausgewählte Wirtschaftsindikatoren in Rußland 2 Entwicklung der Industrieproduktion in Rußland nach Zweigen 3 Daten zur Investitionsentwicklung in Rußland
218
218 219 219 219 220 221 222 222 225 225 228 232 233 234 235 238 243 243 245 246 246 246 250 253 255 258 259 260 226 227 230
Inhaltsverzeichnis
4 5 6 7 8 9 10 11
Investitionsstruktur in Rußland nach volkswirtschaftlichen Sektoren und Industriezweigen Daten zur Preisentwicklung in Rußland 1991 bis 1995 Konsolidierter Haushalt Rußlands - Ausgewählte öffentliche Einnahmen und Ausgaben Förderung von Energieträgern in Rußland Warenstruktur des russischen Außenhandels Regionalstruktur des Handels mit Staaten außerhalb der ehemaligen Sowjetunion Rußlands Handel mit den GUS-Ländern Zahlungsbilanz Rußlands
231 233 236 244 251 252 253 256
Schaubilder 1 Verbraucherpreisentwicklung in Rußland 1992 bis 1996 2 Geldmenge M 2 in Rußland 1992 bis 1995 3 Monatliche Realzinssätze 1993 bis 1996 4 Realer und nominaler Wechselkurs des Russischen Rubels zum US-Dollar 1993 bis 1996
249
Harald Trabold und Carla Berke Veränderung der Außenhandelsspezialisierung Mittel- und Osteuropas von 1970 bis 1994
263
Inhalt 1. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 3. 3.1. 3.2. 4. 5.
Einleitung Die komparativen Vorteile der mittel- und osteuropäischen Länder vor Beginn der Transformation Die Analyse der Handelsströme nach den Güterkategorien von Hirsch Die Analyse der Handelsströme nach den Güterkategorien von Pavitt Die Humankapitalintensität der Handelsströme Zusammenfassung Außenhandelsrelevante Veränderungen im Transformationsprozeß Veränderungen durch die Entzerrungen der Inputpreise Veränderungen des Humankapitalstocks Die gegenwärtigen komparativen Vorteile Mittel- und Osteuropas Schlußfolgerungen und Ausblick Literatur
Tabellen 1 Außenhandelsstruktur der mittel- und osteuropäischen Länder 1988 im Handel mit OECD-Ländern 2 RCA-Werte der mittel- und osteuropäischen Länder im Handel mit OECDLändern für verschiedene Gütergruppen 1970, 1980 und 1988 3 Komparative Vorteile (RCA-Werte) der mittel- und osteuropäischen Länder im Handel mit OECD-Ländern nach Hauptfaktoren der Wettbewerbsfähigkeit, 1970-1985 4 Verhältnis der Humankapitalintensität von Exporten zu Importen im Industriegüterhandel der EG-Länder nach Ländergruppen 1985 5 Humankapitalindikatoren für ausgewählte Länder 6 Komparative Vorteile (RCA-Werte) der mittel- und osteuropäischen Länder im Handel mit OECD-Ländern nach Hauptfaktoren der Wettbewerbsfähigkeit, 1988 bis 1994 7 Intraindustrieller Handel der mittel- und osteuropäischen Länder mit der OECD im verarbeitenden Gewerbe (Grubel-Lloyd-Index)
240 241 242
263 264 265 268 272 276 276 277 279 281 283 284
265 267 270 273 275 282 284
12
Inhaltsverzeichnis
Carla Berke und Harald Trabold "Low-cost" oder "High-tech"? Strategische Außenwirtschaftsoptionen für die mittel- und osteuropäischen Länder Inhalt 1. 2. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.3.1. 3.3.2. 3.3.3. 3.4. 4. 4.1. 4.2. 4.2.1. 4.2.2. 4.3. 4.3.1. 4.3.2. 4.3.3. 4.3.4. 4.3.5. 4.3.6. 4.4. 5.
Einleitung Die gegenwärtigen komparativen Vorteile Mittel- und Osteuropas . . . Die Low-cost-Strategie Der Strategieansatz Kurzfristige Wirkungen Langfristige Wirkungen Die Nachfragebedingungen Die Angebotsbedingungen Die Innovationsimpulse einer Low-cost-Strategie Bewertung der Low-cost-Strategie Die High-tech-Strategie Der Strategieansatz Der Zugriff auf die beste verfügbare Technologie Formen des Technologietransfers Chancen für die Ansiedlung von mobilen Schumpeter-Industrien Die Förderung der technologischen Kompetenz Das Konzept der Entwicklung der technologischen Kompetenz Schaffung von adäquaten Anreizen Die Verbesserung der materiellen Infrastruktur Die Schaffung einer anwenderbezogenen technologischen Infrastruktur Die Bereitstellung von Finanzdienstleistungen Die Erhöhung des Qualifikationsniveaus Ist die High-tech-Strategie eine realisierbare Alternative? Schlußfolgerungen Literatur
287
287 288 290 290 291 293 293 295 297 299 300 300 300 300 304 306 306 308 309 310 312 314 316 317 320
Tabellen 1 Komparative Vorteile (RCA-Werte) der mittel- und osteuropäischen Länder im Handel mit OECD-Ländern nach Hauptfaktoren der Wettbewerbsfähigkeit, 1988-1993
289
Dieter Schumacher Perspektiven des Außenhandels zwischen West- und Osteuropa: ein disaggregierter Gravitationsansatz
325
Inhalt 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Einleitung Handel zwischen West- und Osteuropa Bestimmungsgründe für das Niveau bilateraler Handelsströme Regressionsergebnisse Sektorale Spezialisierung in Abhängigkeit vom Pro-Kopf-Einkommen Wachstumsspielraum für den Osthandel der EU Allgemeine Strukturtrends Verstärkte Arbeitsteilung mit Osteuropa und Strukturwandel in Westeuropa . . . . Zusammenfassung und Schlußfolgerungen Literatur
325 326 329 335 339 351 366 367 372 374
Inhaltsverzeichnis
Tabellen 1 Warenhandel mit den Transformationsländern in Mittel- und Osteuropa 1989 und 1995 2 Warenstruktur des Handels der EU (15) mit den MOE (10) und der GUS 1994 3 Schätzgleichungen für den bilateralen Außenhandel mit allen Waren 4 Differenz der Elastizitäten im Lieferland und im Bestimmungsland in bezug auf das Sozialprodukt (bl - b3) und auf das Pro-Kopf-Einkommen (b2 - b4) 5 Pro-Kopf-Einkommen und Bevölkerung in mittel- und osteuropäischen Ländern 6 Potentieller Handel der EU-Länder mit MOE (10) bei einem BIP-Niveau von 1994 7 Potentieller Handel der EU (15) mit den mittel- und osteuropäischen Ländern bei einem BIP-Niveau von 1994 8 Potentieller Handel der EU-Länder mit MOE (10) bei einem dreifachen BIPNiveau von 1994 9 Potentieller Handel der EU (15) mit den mittel- und osteuropäischen Ländern bei einem dreifachen BIP-Niveau von 1994 10 Sektorale Export-Import-Saiden der EU (15) im Handel mit den MOE (6) 1989 bis 1994 11 Arbeits- und Humankapitalgehalt der Handelsströme von EU-Ländern mit verschiedenen Ländergruppen A 1 Länderspezifische Schätzgleichungen für den bilateralen Außenhandel mit allen Waren (Variante III) A2 Rangfolge der 3-stelligen ISIC-Sektoren entsprechend dem Wert der Regressionskoeffizienten A3 Potentieller Handel der EU-Länder mit Polen bei einem BIP-Niveau von 1994 A4 Potentieller Handel der EU-Länder mit der Tschechischen Republik bei einem BIP-Niveau von 1994 A5 Potentieller Handel der EU-Länder mit der Slowakischen Republik bei einem BIP-Niveau von 1994 A6 Potentieller Handel der EU-Länder mit Ungarn bei einem BIP-Niveau von 1994 A7 Potentieller Handel der EU-Länder mit Rußland bei einem BIP-Niveau von 1994 Abbildungen 1 Sektorale Entfernungselastizitäten für den Handel von 22 OECD-Ländern . . . . 2 Sektorale Pro-Kopf-Einkommenselastizitäten für die Exporte von 22 OECDLändern 3 Sektorale Pro-Kopf-Einkommenselastizitäten für die Importe von 22 OECDLändern 4 Sektorale Spezialisierungsmuster in Abhängigkeit vom Abstand des Pro-KopfEinkommens 5 Zusammenhang von Pro-Kopf-Einkommen und Humankapital
327 330 337 349 357 360 362 363 364 369 371 377 381 385 386 387 388 389 340 342 344 352 359
Uta Möbius Handelspolitik der EU gegenüber mittel- und osteuropäischen Ländern
390
Inhalt 1. 2. 2.1. 2.2.
390 391 391 392
Einführung Europa-Abkommen mit den CEFTA-Staaten Generelle Übersicht Abbau von Zöllen
14
2.3. 2.4. 3. 3.1. 3.2. 4. 5.
Inhaltsverzeichnis
Abbau mengenmäßiger Beschränkungen Bewertung Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit mit Rußland Vertragliche Regelungen Spielraum für Handelsliberalisierung Antidumpingaktionen der EU Fazit Literatur
393 395 397 397 398 405 407 409
Tabellen 1 Industriegüterimporte der EU aus den assoziierten mittel- und osteuropäischen Ländern und ihre Zollbehandlung 2 Industriegüterimporte der EU aus Rußland 1994 3 Importe der EU aus Rußland 1994: Die 100 wichtigsten Industrieprodukte . . . .
392 399 401
Christian Weise Von der Assoziierung zur Mitgliedschaft: Was kann die EU dazu beitragen, die Osterweiterung zu erleichtern?
411
Inhalt 1. 2. 2.1. 2.2. 3. 3.1. 3.1.1. 3.1.2. 3.1.3. 3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 4. 5.
Einführung Beitrittsvorbereitung: Hilfe an die Beitrittskandidaten Technische Hilfe: Vorbereitung auf das Gemeinschaftsrecht Finanzielle Hilfe: Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung Beitritts Vorbereitung: Reform der EU-internen Politiken Direkte Budgetwirkungen eines Beitritts der CEFTA (5) Strukturpolitik Agrarpolitik Nettokosten Änderungen im Haushalt für die EU (15) Strukturpolitik Agrarpolitik Budget Zur Problematik von Übergangsregeln und Teilmitgliedschaften Fazit Literatur
Tabellen 1 PHARE: Genehmigte Finanzierung 1990 bis 1994 2 PHARE-Mittel für MOE-Länder und Strukturpolitik der EU (15), 1995 bis 1999 3 PHARE: Genehmigte Finanzierung 1990 bis 1994 nach Sektoren 4 Pro-Kopf-BIP in der EU und der CEFTA 5 Budgetkosten der EU-Osterweiterung bei Übernahme der 1992 reformierten Agrarpolitik 6 Verteilung des EU-BSP und Finanzierungsanteil am EU-Haushalt
411 413 413 414 419 420 420 422 424 425 425 427 428 429 431 432 415 416 417 421 423 426
Vorwort der Herausgeber Der Transformationsprozeß, der sich in den mittel- und osteuropäischen Ländern vollzieht, hat erhebliche Auswirkungen auf die außenwirtschaftlichen Beziehungen dieser Länder, und umgekehrt hängt der Fortgang der Reformen und des Strukturwandels auch von den internationalen Bedingungen ab. Ebenso spielen die Reaktionen der westlichen Länder auf die von Mittel- und Osteuropa ausgehenden Veränderungen eine große Rolle. Gegenstand des vorliegenden Sammelbandes sind die außenwirtschaftlichen Aspekte des Transformationsprozesses in diesem Spannungsfeld gegenseitiger Abhängigkeiten, insbesondere die Auswirkungen auf die internationalen Handels- und Kapital ströme und die strukturellen Implikationen für die Transformationsländer selbst ebenso wie für die westeuropäischen Länder, die von den Veränderungen am stärksten berührt werden. Die Beiträge sind das Ergebnis eines Forschungsprojekts, das von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des DIW und des Instituts für Wirtschaftswissenschaften (IWW) der früheren Akademie der Wissenschaften der DDR durchgeführt wurde. In dem Projekt wird der Bogen von einer Analyse der weltwirtschaftlichen Integration aus der Sicht der Transformationsländer bis zur westlichen Perspektive geschlagen. So werden zunächst die Ergebnisse von vier Länderstudien vorgestellt: von Horst Ufer für die Tschechische und Slowakische Republik mit einer Reihe von vergleichenden Angaben für andere Transformationsländer, von Helga Herberg für Polen, von Gerhard Kraft und Agnes Pähl für Ungarn und von Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
für Rußland.
Die ausgewählten Länder unterscheiden sich nach Ansatzpunkten und Verlauf der Reformen. In den Untersuchungen geht es in erster Linie um die internen Zusammenhänge zwischen Transformation, binnenwirtschaftlicher und außenwirtschaftlicher Entwicklung. Grundsätzlich wird der Zeitraum von 1989 bis 1995 betrachtet. Zudem werden länderspezifische Informationen über die Ausstattung mit Produktionsfaktoren bereitgestellt. Harald Trabold und Carla Berke analysieren in ihrem Beitrag die Spezialisierungsmuster im Außenhandel der mittel- und osteuropäischen Länder auf der Basis eines erweiterten Neo-Faktorproportionenansatzes. In einem weiteren Beitrag diskutieren sie mögliche Aufholstrategien und ihre außenwirtschaftlichen Implikationen. Die Projektion von Niveau und Struktur des bilateralen Handels zwischen den Transformationsländern und den EU-Ländern von Dieter Schumacher verbindet die östliche und die westliche Sichtweise. Dazu wird ein sektoral disaggregiertes Gravitationsmodell verwendet, das die gleichzeitige Bestimmung der Regional- und Warenstruktur des Außenhandels erlaubt. Zudem werden Schlußfolgerungen im Hinblick auf den Strukturwandel in den EU-Ländern abgeleitet, der
16
Dieter Schumacher/Harald Trabold/Christian Weise
sich aus einer verstärkten Integration der Transformationsländer in die internationale Arbeitsteilung ergibt. Uta Möbius lotet den Spielraum aus, den die Marktöffnungspolitik der EU für die Lieferungen aus den mittel- und osteuropäischen Ländern bietet. Grundlage dafür sind die handelspolitischen Regelungen in den Assoziierungsabkommen und in dem Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Rußland. Christian Weise geht abschließend noch einen Schritt weiter und diskutiert die Konsequenzen eines EU-Beitritts von Assoziierungsländern aus der Sicht der EU. Die Analysen zeigen, daß bei ähnlicher Tendenz der binnen- und außenwirtschaftlichen Veränderungen erhebliche Unterschiede in Niveau und Struktur zwischen den Transformationsländern bestehen. Dies gilt nicht nur im Vergleich zu Rußland, das wegen seiner Größe und seines Rohstoffreichtums eine Sonderstellung einnimmt, sondern auch innerhalb der zehn mit der EU assoziierten Länder. Eine Reihe von ihnen haben das gesamtwirtschaftliche Produktionsniveau vor dem Systemwechsel ganz oder fast wieder erreicht. In allen Ländern haben sich die Strukturen radikal verändert: Infolge des Zusammenbruchs der planwirtschaftlichen Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedsländern des früheren Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und der dynamischen Entwicklung des Handels mit den westlichen Industrieländern, insbesondere in Europa, hat sich die Regionalstruktur der außenwirtschaftlichen Beziehungen drastisch verschoben. Dabei nahmen vor allem die Exporte arbeitsintensiver Güter zu, während energie- und kapitalintensive Güter an Bedeutung verloren. An der gesamtwirtschaftlichen Produktion haben Dienstleistungen jetzt einen erheblich höheren Anteil, zum großen Teil allerdings nur als Reflex des Rückgangs in Industrie und Landwirtschaft und als Folge neuer Preisbildungsmechanismen. Für ein weiterhin hohes Wirtschaftswachstum sind in allen Ländern noch erhebliche Investitionen in Infrastruktur und Anlagevermögen notwendig. Die dafür auch benötigten Transfers von Kapital und Know-how aus Westeuropa führen zu beträchtlichen Handelsbilanzüberschüssen der EU-Länder gegenüber den Transformationsländern mit positiven Wirkungen auf die Beschäftigung in der EU. Gleichzeitig erfordert eine stärkere Integration der Transformationsländer auch in der EU strukturelle Veränderungen im Hinblick auf die Agrar- und Regionalpolitik ebenso wie die Qualifizierung der Arbeitskräfte. Den einmaligen Kosten der Strukturanpassung stehen allerdings dauerhafte Produktivitätsgewinne gegenüber. Nach der anfänglichen Euphorie über einen schnellen Beitritt zur EU gewinnt in den Assoziierungsländern in Mittel- und Osteuropa eine realistischere Sichtweise an Boden; verstärkt werden auch die Voraussetzungen für eine EU-Mitgliedschaft und die sich daraus ergebenden Belastungen diskutiert. Umgekehrt ist es jetzt an der Zeit, daß auf der EUSeite ein Beitritt von Transformationsländern nicht nur unter dem bisher vorherrschenden Gesichtspunkt der Kosten beurteilt wird, sondern auch die Vorteile in Form eines höheren Einkommens- und Beschäftigungsniveaus gesehen werden. Eine erweiterte und vertiefte Arbeitsteilung mit den Ländern in Mittel- und Osteuropa stärkt die Position der EU im weltweiten Wettbewerb durch eine bessere Allokation der Ressourcen und durch Kostendegression auf einem größeren Markt. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts wurden Mitte 1996 auf einem internationalen Seminar vorgestellt und im Lichte der Diskussion im August 1996 überarbeitet. Ein Ver-
Vorwort der Herausgeber
17
zeichnis der Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer, denen wir für ihre engagierten Diskussionsbeiträge noch einmal herzlich danken, findet sich am Ende des Bandes. Unser besonderer Dank gilt Heidrun Becker für die sehr aufwendige und anspruchsvolle Textverarbeitung sowie Detlef Filip, Gerlinde Höpp-Hoffmann, Karin Hollmann, Christel Kumitz und Hans Joachim Vollrath für die sorgfältigen Programmier- und Rechenarbeiten. Nicht zuletzt bedanken wir uns bei der Volkswagen-Stiftung für ihre finanzielle Unterstützung, welche die Durchführung dieses Forschungsvorhabens überhaupt erst ermöglicht hat. Ulrich Weißenburger, der als hervorragender Rußlandkenner wesentliche Teile der hier veröffentlichten Länderstudie über Rußland verfaßt hat, ist Anfang 1997 im Alter von 48 Jahren gestorben. So ist die Herausgabe dieses Sammelbandes auch eine Erinnerung an ihn.
2 Schumacher u. a.
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel Von Horst Ufer
1. Einleitung Der sich schon über fünf Jahre erstreckende Transformationsprozeß in Osteuropa bietet nunmehr die Möglichkeit einer ausführlicheren Bilanz der Reformentwicklung in den einzelnen Ländern, wobei im Rahmen dieser Studie die Neugestaltung der Außenwirtschaftsbeziehungen im Mittelpunkt der Untersuchungen steht. Die Länderstudien verfolgen dabei das Ziel, vor allem mittels empirisch angelegter Analysen, die Reformverläufe und die erreichten Reformergebnisse zu kommentieren, um auf diesem Wege die Besonderheiten der einzelnen Länder herauszuarbeiten, aber auch auf Gemeinsamkeiten im Ablauf der Reformprozesse hinzuweisen. Für die Länderstudie Tschechoslowakei ergab sich dabei das zusätzliche Problem, die Teilung des Landes zum 1.1.1993 in zwei selbständige Staaten zu berücksichtigen. Zu den generellen Schwierigkeiten der Arbeit mit Statistiken in Osteuropa, wie unzureichende Datenbasis, unzureichende Vergleichbarkeit mit marktwirtschaftlichen Kennziffern, Umstellungsprozesse auf marktwirtschaftliche statistische Erfassungsmethoden, kam das Auseinanderfallen in zwei eigenständige Beobachtungsgebiete hinzu. Auch wenn die Umstellung auf das Niveau westeuropäischer Wirtschaftsstatistik beträchtliche Fortschritte gemacht hat, sind Probleme der Vergleichbarkeit von Kennziffern über mehrere Jahre nicht zu vermeiden. Darüber hinaus gewannen die in beiden Landesteilen voneinander abweichenden politischen und wirtschaftlichen Bedingungen an Gewicht, da sie einerseits zur Teilung des Landes beitrugen und andererseits nach der Selbständigkeit beider Republiken zu Eigenheiten in den Reformverläufen und Reformergebnissen führten. Zielstellung dieser Länderstudie ist es, zunächst den Transformationsprozeß in der Tschechoslowakei bzw. in beiden Nachfolgestaaten zu erläutern und zu bewerten. Dabei wird den politischen und ökonomischen Ausgangsbedingungen besonderes Augenmerk gewidmet, um auf Spezifika im Vergleich zu anderen osteuropäischen Transformationsländern hinzuweisen, die wiederum maßgeblich die Ziele, das Tempo und den Verlauf der Transformationsprozesse beeinflußten. Die sich daran anschließende Darlegung der Reformergebnisse konzentriert sich auf die makroökonomische Ebene, wobei die Zusammenhänge mit der außenwirtschaftlichen Entwicklung in den Vordergrund gerückt werden. Die nachfolgende Erläuterung der Faktorausstattung hat zum Ziel, die wichtigsten Standortfaktoren in beiden Republiken näher vorzustellen, um außenwirtschaftliche Sachzwänge und Bestimmungsfaktoren hervorzuheben. Auf dieser Grundlage werden dann die wesentlichen Felder 2*
20
Horst Ufer
der Umgestaltung der Außenwirtschaft bei der Reorientierung auf die Weltwirtschaft und vor allem auf Westeuropa in ihrer Entwicklung vorgestellt. Dabei werden die Erblasten aus der planwirtschaftlichen Vergangenheit und der RGW-Arbeitsteilung ebenso berücksichtigt wie die sich unter marktwirtschaftlichen Bedingungen ergebenden neuen Möglichkeiten und Problemstellungen einer effizienten Eingliederung in die internationale Arbeitsteilung. Die abschließende Zusammenfassung zielt auf generelle Schlußfolgerungen und Ausblicke auf mögliche künftige Entwicklungen ab.
2. Zu den Transformationsprozessen in der Tschechischen und Slowakischen Republik 2.1. Politische Ausgangsbedingungen Ausgelöst durch die politischen Veränderungen in Osteuropa kam es in der Tschechoslowakei im November 1989 zur sogenannten "samtenen Revolution", in deren Gefolge die kommunistische Regierung abgesetzt wurde. In den ersten freien Wahlen seit über 40 Jahren setzte sich das Reformbündnis "Bürgerforum" 1990 als Wahlsieger durch. Die politischen Gruppierungen der ersten Stunde formierten sich in einer größeren Zahl von Parteien, wobei sich allmählich auch ihre Positionen zum notwendigen Transformationsprozeß klarer herauskristallisierten. Die zunehmende Transparenz der politischen Interessen und die sich daraus ergebenden Interessenskonflikte führten dazu, daß sich die Demokratische Bürgerpartei (ODS) unter dem damaligen Finanzminister Klaus aus dem Bürgerforum abspaltete, der slowakische Ministerpräsident Meciar die Regierung verließ und seine eigene Partei, die Bewegung für eine demokratische Slowakei (HZDS), gründete. Aus den Parlamentswahlen von 1992 gingen Klaus und Meciar als Ministerpräsidenten der tschechischen und slowakischen Republik eines gemeinsamen föderalen Staates hervor. Sich daran anschließende Diskussionen um die Gestaltung von Föderation oder Konföderation als verbindende Staatsform führten letztendlich zur Auflösung der CSFR und zur Teilung des Landes in voneinander politisch unabhängige Staaten. Gründungstag der Tschechischen Republik (CR) und der Slowakischen Republik (SR) als souveräne Staaten war der 1.1.1993. Wenn auch historisch determinierte Ursachen eine bedeutende Rolle bei der Trennung des Landes gespielt haben (Pragozentrismus einerseits und slowakischer Nationalismus andererseits), ist nicht zu übersehen, daß die ökonomischen Ausgangsbedingungen für die Transformation in beiden Landesteilen zum Teil erheblich voneinander abwichen. Bei weitgehender Übereinstimmung in der allgemeinen Zielrichtung Marktwirtschaft mußten sich zwangsläufig differenzierte Positionen zur Gestaltung des Transformationsprozesses ergeben. Das betraf sowohl die Wahl der Instrumente, als auch deren zeitgerechten Einsatz (Timing), die zeitliche Abfolge (Sequencing) und den Zeitbedarf (Pacing) für einzelne Transformationsphasen. Besonders nachteilige Ausgangsbedingungen für die Slowakei im Vergleich mit Tschechien waren vor allem das ausgeprägte Übergewicht der Schwerindustrie mit hoher
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
21
Konzentration auf die Rüstungsindustrie, die damit für die Privatisierung ausgesprochen ungünstige Betriebsgrößenstruktur, die weitaus höhere Abhängigkeit der Industrie von Rohstofflieferungen aus der ehemaligen UdSSR und der geringere Anteil an der Exportwirtschaft. Während die politischen Gruppierungen um den slowakischen Ministerpräsidenten Meciar eher gradualistische Reformkonzepte präferierten, setzte der tschechische Ministerpräsident Klaus deutlicher auf die Schocktherapie. Sichtbarstes Zeichen unterschiedlicher Auswirkungen des gewählten Transformationsweges und des Tempos war die vierfach höhere Arbeitslosigkeit im slowakischen Teil der CSFR. Inhaltlich und zeitlich voneinander abweichende Transformationsverläufe in beiden Landesteilen hätten weitgehende politische Handlungsspielräume der Regierungen in Prag und Bratislava erfordert, womit sich die föderale Regierung in Prag überfordert fühlte. Die einzig gemeinsame Antwort der Regierungen beider Landesteile war die Trennung in zwei voneinander unabhängige Staaten. Der Preis dafür sind die sich aus der Teilung des Landes ergebenden Kosten und Zeitverluste im Reformverlauf. Diese Zeitverluste lassen sich dann wieder aufholen, wenn die Transformationsstrategien in beiden Landesteilen den jeweiligen ökonomischen Bedingungen besser angepaßt und konsequent umgesetzt werden. Dies ist wiederum für die Tschechische Republik wesentlich einfacher, da es für die Regierung in Prag mehr oder weniger darauf hinausläuft, den bisherigen Kurs ungebremst fortzusetzen. Für die Regierung der Slowakischen Republik sind die Aufgaben weitaus komplizierter. Neben der schwierigeren wirtschaftlichen Lage sind auch deutlich größere Nachteile aus der Landesteilung zu bewältigen. Darüber hinaus ist unter den politischen Parteien und Gruppierungen, die die Teilung des Landes mitbestimmt haben, eine von einer politischen Mehrheit getragene konsistente Reformstrategie nicht auszumachen. Unterschiede in den wirtschaftlichen Bedingungen, differenzierte Wirkungen des bisherigen Reformverlaufs und voneinander abweichende Entwicklungen in der politischen Landschaft in Tschechien und in der Slowakei bestimmen auch die Akzeptanz der Bevölkerung zum laufenden Transformationsprozeß. Für die Tschechische Republik ist von Beginn an eine außerordentlich hohe Akzeptanz der Bevölkerung zur Regierung des Ministerpräsidenten Vaclav Klaus festzustellen. Umfragen im März 1994 zufolge, sahen 64 vH der Bevölkerung mit Optimismus in die Zukunft. Ohne solche Umfragen überzubewerten, zeigt sich diese Akzeptanz auch daran, daß weder größere Streikbewegungen noch umfangreichere politische Demonstrationen festzustellen waren. Obwohl die bestehende Regierungskoalition aus der Demokratischen Bürgerpartei (ODS), der Demokratischen Bürgerallianz (ODA) und der Christlich-Demokratischen Union/Volkspartei (KDU-CSL) im Prager Parlament mit 105 von 200 Stimmen nur eine knappe Mehrheit hatte und die Opposition wichtige Entscheidungen hätte blockieren können, ist es Klaus gelungen, seine Transformationspolitik in hoher Kontinuität und fast ohne Friktionen durchzusetzen. Die hohe gesellschaftspolitische Akzeptanz durch die Bevölkerung hat ihre entscheidende Basis sicher in der bisher bemerkenswert niedrigen Arbeitslosigkeit, denn auch die tschechische Bevölkerung hatte im ersten Jahr nach Reformbeginn Realeinkommensverluste von etwa 30 vH hinnehmen müssen. Die durchschnittlichen monatlichen Nominallöhne haben sich jedoch im weiteren Verlauf annähernd verdoppelt und auch
Horst Ufer
22
die Reallöhne sind seitdem wieder gestiegen. Die Inflationsrate konnte bis 1996 auf unter 10 vH gesenkt werden und für 1996 liegt ein Wirtschaftswachstum von 5 vH im Bereich des Möglichen. Unter diesen Voraussetzungen hat sich die generelle Zustimmung der Bevölkerung zur Marktwirtschaft weiter gefestigt, auch wenn die Regierungskoalition bei den ersten Parlamentswahlen nach der Teilung der CSFR Anfang Juni 1996 ihre knappe Mehrheit nicht verteidigen konnte. Die ODS des Ministerpräsidenten Klaus blieb stärkste Partei. Stark aufgeholt hat die sozialdemokratische Partei (CSSD), die ebenso auf die Marktwirtschaft setzt, aber das Adjektiv "sozial" im Gegensatz zu Klaus betont hinzusetzen möchte. Eine andere Entwicklung zeigte sich dagegen nach der Teilung in der Slowakischen Republik. Nachdem der Regierungskoalition um den Ministerpräsidenten Meciar (Bewegung für eine demokratische Partei, HZDS) am 11. März 1994 das Mißtrauen ausgesprochen wurde, etablierte sich zwischenzeitlich die Regierung Moravcik. Unstimmigkeiten im Regierungslager bei der Weiterführung des Reformkurses, aber auch der Führungsstil des Ministerpräsidenten Meciar führten zum Verlust der notwendigen Parlamentsmehrheit. Bezeichnenderweise spielten die Privatisierungswege und die Art und Weise ihrer Durchsetzung bei der Absetzung Meciars eine entscheidende Rolle. Doch schon in den Parlamentswahlen im Herbst 1994 konnte sich Meciar mit seiner HZDS wieder an die Spitze einer Koalitionsregierung stellen, zu der noch die Vereinigung der Arbeiter (ZRS), die Slowakische Nationalpartei (SNS) und die Bewegung der Landwirte (HP SR) gehören. Der Reformkurs konnte seitdem nicht wesentlich an Konsistenz gewinnen, wobei staatsinterventionistische und nationalistische Tendenzen im populistischen Kurs der Regierungskoalition um Meciar nicht zu übersehen sind. Ständige innenpolitische Querelen überdecken zeitweilig den Reformprozeß und verzögern das Tempo. Mit seit 1994 wieder positiven Wachstumsraten dürfte sich die zunächst relativ geringe Akzeptanz der Bevölkerung zur Regierungspolitik jedoch wieder leicht gebessert haben.
2.2. Ökonomische Ausgangsbedingungen Mit der Entwicklung der Transformationsprozesse in Mittel- und Osteuropa zeichnete sich eine zunehmende Differenzierung ab, die eine Gruppierung der Länder nach Wirtschaftslage und Reformstand nahelegte. In der Literatur wurden hierzu verschiedene Gruppierungsansätze gewählt. Mehr von geographischen Gesichtspunkten aus wurde eine Einteilung in die zentraleuropäischen Länder, die südosteuropäischen Länder und die Nachfolgestaaten der UdSSR vorgenommen, wobei diesen Ländergruppen zugleich voneinander abweichende Transformationspfade zugeordnet wurden 1 . Ein anderer Gruppierungsansatz ging von einer Bewertung der jeweiligen Transformationspolitik aus. Zu Ländern mit konsequenterer Reformpolitik wurden Polen, Ungarn, die Tschechische Republik und Slowenien gezählt. Weniger stringente Reformpolitik wurde für Rumänien, Bulgarien, die Slo-
Vgl. Inotai/Stankovsky (1993), S. 1.
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
23
wakei und Kroatien festgestellt, und das Schlußlicht bildeten die Nachfolgestaaten der UdSSR und Rest-Jugoslawien2. Seither hat sich dieses Bild nicht entscheidend geändert. Wie die wirtschaftliche Entwicklung in den Transformationsländern Mitteleuropas zeigt, haben die meisten Länder die Rezessionsphase der Jahre 1991 bis 1993 überwunden und inzwischen z.T. ein beachtliches wirtschaftliches Wachstum erreicht. Rest-Jugoslawien und die meisten Nachfolgeländer der ehemaligen UdSSR verzeichnen immer noch rückläufige Wachstumsraten, auch wenn sich die Rezessionsphase allmählich abschwächt. Eine Trendwende ist am ehesten in den baltischen Staaten zu erwarten. Zu den reformwirtschaftlichen Spitzenreitern werden Ende 1995 Polen (98,5 vH des BIP-Niveaus von 1989) und Slowenien (89,3 vH) gezählt, gefolgt von Ungarn (85 vH), der CR (84,8 vH), Rumänien (84,6 vH), der SR (83 vH) und Bulgarien (76,5 vH). Rußland verharrt beim BIP-Vergleichswert dagegen noch bei 60,4 vH. Nach Meinung von ECE-Experten haben die Länder Ostmitteleuropas ein solches Transformationsniveau erreicht, welches für den Beginn einer zweiten Phase des Reformprozesses spricht, indem nunmehr die Feineinstellung und systematische Vertiefung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Vordergrund steht3. Für die Bewertung der Transformationsprozesse in Mitteleuropa ist jedoch ein Vergleich der wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen von Interesse, da sie die Reformverläufe und die erreichten Reformergebnisse wesentlich mitbestimmten, wie der nachfolgende engere Vergleich zwischen der CSFR (respektive CR und SR), Ungarn und Polen zeigt. Als besonders günstige Startbedingungen für die CSFR werden angesehen4: 1.
Ein höheres ökonomisches Entwicklungsniveau. So wird geschätzt, daß die CSFR auf Basis eines Korbes von Verbrauchs- und Investitionsgütern ein um 20-30 vH höheres Pro-Kopf-Einkommen als Ungarn oder Polen aufwies. Dieses umfangreichere Wirtschaftspotential und der höhere Lebensstandard bot größere Spielräume bei der Gestaltung des Transformationsprozesses als in anderen Reformländern. Damit verbunden sind auch etwas bessere Ausgangsbedingungen in der Infrastruktur, der Arbeitsdisziplin und im Bildungsniveau.
2.
Die größere makroökonomische Stabilität. Dazu gehört die relativ niedrige Auslandsverschuldung der CSFR, die 1989 7,9 Mrd. US-Dollar betrug. Für Polen beliefen sich die Auslandsschulden zum gleichen Zeitpunkt auf 41,5 Mrd. US-Dollar und für Ungarn auf 10,4 Mrd. US-Dollar. Die Auslandsschulden für die CSFR erreichten damit 15 vH des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und 109 vH des Exports. Für Polen beliefen sich die Auslandsschulden auf 59 vH des BIP und 476 vH des Exports, für Ungarn auf 71 vH des BIP und 240 vH des Exports.
2
Vgl. Neue Zürcher Zeitung (30.7.1993).
3
Vgl. Neue Zürcher Zeitung (16.4.1996).
4
Vgl. Vintrova (1993), S. 1 f.
24
Horst Ufer
Der Schuldendienst der CSFR betrug 19 vH des Exports, während er für Polen und Ungarn bei etwa 40 vH des Exports lag. 3.
Eine relativ strenge Fiskal- und Geldpolitik zu Zeiten der Planwirtschaft. Die offizielle jährliche Inflationsrate lag zwischen 1 bis 2 vH, die tatsächlichen Inflationsraten werden auf 4-5 vH geschätzt. Sie ergeben also im Vergleich zu Ungarn und Polen ein wesentlich günstigeres Ausgangsbild.
Neben den geringeren makroökonomischen Ungleichgewichten sind weitere günstige Startpositionen in Rechnung zu stellen. Dazu gehören zum Beispiel die günstige geographische Lage mit den längsten Westgrenzen zu Deutschland und Österreich, die eine außenwirtschaftliche Neuorientierung wesentlich erleichterten und die ausgeprägten industriellen Traditionen der Tschechoslowakei, die schon vor dem II. Weltkrieg in Mitteleuropa eine bemerkenswerte Rolle spielten5. Darüber hinaus sind jedoch auch einige negative Momente in den Ausgangsbedingungen zur Transformation in die Marktwirtschaft in der CSFR auszumachen. Im Vergleich zu Ungarn und Polen waren die strukturellen Probleme mit einer überdimensionierten Schwerindustrie deutlich größer. Damit verbunden war eine höhere Energie- und Materialintensität der Wirtschaft und eine weitaus höhere Umweltbelastung. Die Ausrichtung der Wirtschaft auf den RGW-Markt und vor allem auf die Sowjetunion war wesentlich stärker als in Polen und Ungarn. Der Zusammenbruch des RGW und die Konfusion in den Nachfolgestaaten der UdSSR hat sich demzufolge in der CSFR tiefgreifender und nachhaltiger ausgewirkt als in Ungarn und Polen. Zu den negativen Ausgangsbedingungen für die CSFR zählen weiterhin alle Nachteile, die sich aus der besonderen Strenge des planwirtschaftlichen Systems vor 1989 ergeben. Der Zentralismus war besonders rigide und ein privater Sektor wurde nicht einmal im Keim zugelassen. Während in Polen und noch mehr in Ungarn deutliche Reformversuche bereits vor 1989 festzustellen waren, galt die Prager Regierung als besonders reformfeindlich. Das hatte auch Auswirkungen auf die Gestaltung der Außenwirtschaft. Ungarn bemühte sich schon weit vor 1989, die Binnenpreise enger mit den Weltmarktpreisen zu verbinden. Die Binnenwährung wurde in ersten Schritten einer internationalen Konvertibilität angenähert, wie generell der Binnenmarkt einer stärkeren Öffnung nach außen unterzogen wurde. Ähnliche Versuche sind in der CSFR vor 1989 kaum feststellbar 6. Dieses Fehlen marktwirtschaftlicher Ansätze in der CSFR ließ größere Anpassungsprobleme vor allem im mikroökonomischen Bereich erwarten. Das betrifft vor allem das marktwirtschaftliche Verhalten der Unternehmen im Transformationsprozeß.
5 6
Vgl. Neue Zürcher Zeitung (22./23.8.1993). Vgl. Vintrova (1993), S. 5.
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
25
2.3. Reformziele und Reformverlauf Ein bemerkenswerter Vorteil für den Transformationsprozeß in der CSFR und später in der Tschechischen Republik ergab sich daraus, daß die Transformationspolitik nicht unter wechselnder Federführung zu leiden hatte. Die Reformpolitik wurde von Anfang an von der politischen Gruppierung um Vaclav Klaus, zunächst Finanzminister und später Ministerpräsident, bestimmt. Das schließt zwar Fehler in einigen wirtschaftspolitischen Feldern nicht aus. Als weitaus nachteiliger sind jedoch Friktionen in der Transformationspolitik anzusehen, wenn wechselnde politische Mehrheiten zu inkonsistenter Reformpolitik führen, wie z.B. in Polen oder in der Slowakei. Wesentliches Ziel der bisherigen Reformpolitik war vor allem ein hohes Reformtempo, wobei nicht die zeitverzögernde Perfektionierung einzelner Reformschritte im Vordergrund stand, sondern eine möglichst kurze Übergangszeit in marktwirtschaftliche Verhältnisse. In Vorbereitung auf die Reformschritte des Jahres 1991, dem eigentlichen Beginn der wirtschaftlichen Transformation, formulierte Klaus die Zielstellung wie folgt: "Die Reform zu verschieben, würde bedeuten, eine chaotische Zerrüttung der Wirtschaft herbeizuführen, wie wir sie heute in der Sowjetunion beobachten. Warten bedeutet in unserer Situation, in eine 'Reformfalle' zu geraten. Jetzt kommt es ganz entscheidend darauf an, verschiedene grundsätzliche Reformschritte in der richtigen Reihenfolge zu planen. Es ist dazu nicht notwendig, daß wir alle Details verstehen. Es ist darüber hinaus auch nicht erforderlich, daß wir über alle Daten für sämtliche Szenarien verfügen" 7 . Entscheidender Ansatz für den Reformbeginn war bei Klaus, den neuralgischen Fehler zu vermeiden, die Dezentralisierung der Wirtschaft einzuleiten, ohne zumindest gleichzeitig entscheidende marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen herzustellen. Die Wiederherstellung des privaten Eigentums an Produktionsmitteln, die Liberalisierung der Preise und des Außenhandels und vor allem eine restriktive Geld- und Fiskalpolitik wurden als unabdingbar für jede erfolgreiche Reform in den Mittelpunkt der Transformationspolitik gestellt. Dabei galt das allgemeine Ziel, "... die vom Staat dominierte Wirtschaft in ein System umzuwandeln, das auf privaten Entscheidungen beruht. Wir wollen auf jeden Fall den Fehler vermeiden, die Wirtschaft von oben beeinflussen zu wollen" 8 . In der Gestaltung des Reformverlaufs ging die Prager Regierung sehr selbstbewußt eigene Wege. Polnische und ungarische Erfahrungen spielten in den Debatten um den Reformkurs fast keine Rolle. Meist wurde dann auf deren von der CSFR abweichende Ausgangsbedingungen verwiesen. Ohne bisherige Reformschritte im Detail an dieser Stelle bewerten zu wollen, läßt sich jedoch feststellen, daß das Reformtempo im Vergleich zu Polen und Ungarn außerordentlich hoch war. Wenn man für die CSFR das Jahr 1990 als reformvorbereitend ansieht und den eigentlichen Reformstart mit der Preis- und Außenhandelsliberalisierung am 1. Januar 1991
7
Klaus (1990).
8
Ebenda.
Horst Ufer
26
identifiziert, ist hier der Begriff "Schocktherapie" am ehesten angebracht. So konstatieren auch Falk/Funke, daß im Vergleich zwischen Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei ein wesentlicher Unterschied in der gewählten Reformgeschwindigkeit gesehen wird. Während für die Tschechoslowakei und Polen schockartige Stabilisierung und Liberalisierung als typisch für den Reformbeginn angesehen wird, wird für Ungarn der eher graduelle Reformansatz konstatiert. Auch für die Reformmuster wird zwischen Polen und der Tschechoslowakei eine hohe Ähnlichkeit festgestellt, obwohl auch hier die jeweiligen Ausgangsbedingungen als sehr unterschiedlich eingeschätzt werden 9. Der bisherige positive Verlauf der Reform in der Tschechoslowakei respektive in der Tschechischen Republik sollte aber nicht dazu führen, die Schocktherapie als generelle Empfehlung für erfolgreiche Reformverläufe zupräferieren, da nur sie die Transformationskosten auf Minimum reduzierte. Für eine solche Feststellung scheint der Analysezeitraum noch zu kurz zu sein, zumal der neuralgischste Punkt der Transformation, die Privatisierung der ehemals staatlichen Betriebe und ihre Überführung in flexible und marktwirtschaftlich agierende Unternehmen, immer noch nicht abgeschlossen ist. Als eine wesentliche Schlußfolgerung aus dem Reformverlauf in der CSFR bzw. CR läßt sich jedoch ableiten, daß eine funktionsfähige Regierung mit Handlungswillen und Durchsetzungskraft ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg ist. Die Regierung als Träger der Transformationspolitik hat zunächst entscheidende Aufgaben für die Umgestaltung der Rechtsordnung, der Verwaltung und die Schaffung marktwirtschaftlicher Behörden, Institutionen und Körperschaften zu leisten. Erst im weiteren Verlauf des Reformprozesses wandeln sich die transformatorischen Eingriffe des Staates zu einer Wirtschaftspolitik, wie sie für Marktwirtschaften typisch ist 10 . Die gravierendsten Probleme zeigen sich so auch in den Nachfolgestaaten der UdSSR, in denen der Verlust staatlicher Autorität, inkonsequente und inkonsistente Reformpolitik und unzureichende politische Gestaltungskraft zu erheblichen Friktionen und zu Zeitverlusten in den Transformationsprozessen führen.
2.4. Ausgewählte Felder der Transformationspolitik Als Generalziele der Transformation können die Schaffung entscheidender Voraussetzungen zur Herstellung marktwirtschaftlicher Verhältnisse in der Binnenwirtschaft und die Reintegration der Binnenwirtschaft indie weltweite internationale Arbeitsteilung angesehen werden. Im Rahmen dieser Arbeit geht es nicht darum, den ersten Aufgabenkomplex in aller Breite darzustellen, sondern wesentliche Felder des ordnungspolitischen Wandels mit Blick auf diezweite Aufgabenstellung zu behandeln. Dazu gehören neben dem institutionellen Wandel die Liberalisierung der Preise und des Außenhandels, die Geld- und Fiskalpolitik und die
9
Vgl. Falk/Funke (1993), S. 190.
10
Vgl. u.a. Lösch (1993), S. 27.
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
27
Währungspolitik. Die Privatisierung wird wegen ihrer zentralen Bedeutung gesondert behandelt. Ein entscheidender Ausgangspunkt für die Einleitung des Transformationsprozesses ist die Umgestaltung des institutionellen Umfeldes der Betnebe. Da die Realisierung dieser Aufgabenstellung mit hohem Zeitbedarf verbunden ist, wird ihre Inangriffnahme mit Reformbeginn notwendig. So wird auch in der umfangreichen Transformationsliteratur den institutionellen Reformen im Transformationsprozeß übereinstimmend absolute Priorität eingeräumt. Dazu gehört unter anderem die Umgestaltung des Rechtssystems, die Neugestaltung der Eigentumsrechte und die Schaffung unabhängiger Institutionen, wie z.B. die Zentralbank 11 . Damit verbunden ist auch eine Neuordnung der bisherigen zentralen Wirtschaftsleitung, die den Staat befähigt, eine gezielte Transformationspolitik zu betreiben. Für die CSFR wurde die Neuordnung der Wirtschaftsverwaltung mit der Auflösung der Branchenministerien eingeleitet und es wurde begonnen, die sich verringernde Zahl der Ministerien auf funktionale Aufgaben der Marktwirtschaft vorzubereiten. So wurde beispielsweise im Wirtschaftsministerium sehr frühzeitig eine Agentur für ausländische Investitionen eingerichtet. Das Finanzministerium konzentrierte seine Tätigkeit auf die Vorbereitung einer marktwirtschaftlichen Geld-, Steuer- und Zollpolitik. Die Aufgaben des Ministeriums für Außenhandel wurden unter marktwirtschaftlicher Aufgabenstellung allmählich in das Ministerium für Industrie und Handel überführt, so daß das Ministerium für Außenhandel aufgelöst werden konnte. Auch das Ministerium für Arbeit und Soziales orientierte sich auf die Neugestaltung des Sozialsystems und auf die Vorbereitung eines Arbeitsmarktes um 1 2 . Mit dem 1. Januar 1990 wurde auch mit der Umgestaltung des Bankensystems begonnen. Die ehemalige Staatsbank erhielt Zentralbankfunktionen und es wurde die Schaffung von Geschäftsbanken als zweite Stufe des Bankensystems eingeleitet, indem die Geschäfts-, Spar- und Investitionsbereiche aus der ehemals monopolistischen Staatsbank als eigenständige Institutionen ausgegliedert wurden. Gleichzeitig wurde der Prozeß der Neugründung einer größeren Zahl von Geschäftsbanken eingeleitet. Mit der Verabschiedung des Zentral bankgesetzes übernahm die Zentralbank die Aufgaben einer unabhängigen Notenbank und damit die volle Verantwortung über die Geld- und Währungspolitik. Das neue Banksystem wurde dabei von vornherein als offenes System konzipiert, indem bei der Neugründung von Banken eine ausländische Beteiligung möglich wurde. Erste Banken-Joint-Ventures wurden schon im Jahre 1990 registriert und die Zahl der Geschäftsbanken stieg schnell auf 24 zum 1. Februar 1991. Besondere Aufgaben erhielt die am 1. März neugegründete Konsolidierungsbank (Konsolidacna Banka), die im Rahmen des Privatisierungsprozesses vor allem das Altschuldenproblem der Betrieben regeln sollte. Damit übernahm diese Bank einen Großteil der Problemkredite (non-performing loans) von anderen Banken, die 1990 im Rahmen der Beitrittsüberprüfung von IWF und Weltbank auf insgesamt 180 Mrd. Kronen ge-
11
Vgl. Falk/Funke (1993), S. 187.
12
Vgl. Heitger/Krieger-Boden/Schrader/Ufer (1991), S. 76 f.
Horst Ufer
28
schätzt wurden. Trotz dieser Sanierungsanstrengungen blieb die Kapitaldecke der Banken dünn, so daß sie ihre Funktionen zur Stabilisierung und Wiederbelebung der Wirtschaft zunächst nur eingeschränkt erfüllen konnten 13 . Die Entwicklung eines Kapitalmarktes ist eher ein längerfristiger Prozeß, der zu Reformbeginn noch keine Rolle spielte. Erst im weiteren Fortgang der Privatisierung gewann der Handel mit Wertpapieren an Bedeutung. Mit der Herausgabe von Obligationen zur Mobilisierung monetärer Mittel wurde schon im April 1990 begonnen. Mit der formalen Umwandlung der Betriebe in Aktiengesellschaften setzte auch allmählich der Handel mit Aktien ein. Die Prager Wertpapierbörse feierte am 5. April 1994 ihr einjähriges Bestehen. Die Anzahl der gehandelten Wertpapiere und das Umsatzvolumen waren zunächst noch bescheiden. Mit Beginn des Jahres 1994 ging der bis dahin dominierende Handel von Obligationen zugunsten des Aktienhandels auf deutlich unter 50 vH zurück. Das sinkende Interesse an Obligationen lag auch an der äußerst geringen Anzahl und Menge an Emissionen. Eine Ausweitung der Börsengeschäfte und eine marktwirtschaftliche Entfaltung des Kapitalmarktes erfolgte jedoch erst im Verlauf der nächsten Jahre, da die Bewertung der Betriebe und damit ihrer gehandelten Aktien und Obligationen erst mit fortschreitender Privatisierung und allmählicher Durchsetzung des Konkursgesetzes ein klareres Bild ergab. Frühzeitig wurde mit der Einrichtung eines funktionierenden Arbeitsmarktes begonnen. Die ersten rechtlichen und institutionellen Vorraussetzungen wurden schon im Februar 1991 mit dem Gesetz über die Beschäftigung eingeleitet. Weiterhin folgten das Arbeitsgesetzbuch und das Gesetz über soziale Absicherungen mit notwendigen laufenden Novellierungen. Zur Durchsetzung einer Arbeitsmarktpolitik wurden weit über 100 Arbeitsämter mit ihren Nebenstellen installiert, wobei bundesdeutsche Erfahrungen eine wesentliche Rolle spielten 14 . Die zunächst haushaltsfinanzierte Arbeitsmarktpolitik wurde später auf das System der Arbeitslosenversicherung umgestellt. Die Feuertaufe für die Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes und seiner Institutionen steht in der Tschechischen Republik jedoch noch aus, da die Arbeitslosenquoten mit rund 3 vH bisher sehr niedrig waren. In den institutionellen Reformen kam es weiterhin darauf an, die juristischen Voraussetzungen für die Gewerbefreiheit und das Wettbewerbsrecht zu schaffen. So wurden mit der Verabschiedung des Handelsgesetzbuches im Oktober 1991 gravierende Veränderungen im Wirtschaftsrecht vorgenommen, wobei das deutsche Wirtschaftsrecht als eine wesentliche Grundlage diente. Das Handelsgesetzbuch, das sich an international bewährten Regeln der Marktwirtschaft orientiert, erhöhte die Rechtssicherheit für ausländische Investoren erheblich, obwohl mangelnde Erfahrungen der Justizorgane bei der Umsetzung dieser Gesetze in Rechnung zu stellen waren. Die im Vergleich zu anderen osteuropäischen Ländern relativ rasche Einleitung institutioneller Reformen war die Grundlage dafür, daß in der CSFR die transformationspoliti-
13
Vgl. ebenda, S. 79 ff.
14
Vgl. Hänsel/Ufer (1992), S. 107 ff.
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
29
sehen Entscheidungen der Regierung mit weitgehender Konsequenz und bemerkenswerter Effizienz umgesetzt werden konnten. In der Koordinierung und Steuerung des Transformationsprozesses hatte für die Präger Regierung makroökonomische Stabilität absolute Priorität, auch wenn dies zunächst auf Kosten der mikroökonomischen Ebene und der Anpassungsfähigkeit der Betriebe an marktwirtschaftliche Prozesse ging. Bei dieser Wertung ist sicher zu beachten, daß generell die Geschwindigkeit im Wechsel makroökonomischer Rahmenbedingungen das Tempo mikroökonomischer Anpassungsprozesse übersteigt 15 . Darüber hinaus lassen sich an der Art und Weise und der Zeitgestaltung der makroökonomischen Stabilisierungspolitik und der binnen- und außenwirtschaftlichen Liberalisierung am ehesten Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den mitteleuropäischen Reformländern festmachen. Während z.B. Polen und die Tschechoslowakei die Liberalisierung der Binnenpreise und die außenwirtschaftliche Öffnung zeitgleich und schlagartig in Angriff nahmen, erfolgten diese Reformschritte in Ungarn eher zeitlich gestreckt. Unterscheidungen in Schocktherapie und Gradualismus werden deshalb auch oft an dieser Tatsache festgemacht, wobei man der Komplexität und Vielfalt der Reformprozesse damit sicher nicht gerecht wird. Ebenso wie in Polen begannen in der CSFR die Reformprozesse mit umfangreichen Stabilisierungsmaßnahmen, die sich vor allem einer restriktiven Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik bedienten. Für die weitgehende Preis- und Außenhandelsliberalisierung, die mit dem 1. Januar 1991 einsetzte, wurde das Jahr 1990 eher reformvorbereitend genutzt. Eine entscheidende Maßnahme in Vorbereitung der außenwirtschaftlichen Öffnung war die 1990 in drei Stufen durchgeführte Abwertung der einheimischen Krone. Der Wechselkurs der Krone zum US-Dollar veränderte sich innerhalb eines Jahres von 15 Kcs/$ auf 28 Kcs/$, womit die Krone etwa 50 vH ihres Wertes verlor. Damit wurde die tschechoslowakische Krone im Verhältnis zu ihrer inländischen Kaufkraft deutlich unterbewertet. Exportorientierend und importbegrenzend beugte diese Wechselkurspolitik möglichen Bilanzungleichgewichten vor, die mit der außenwirtschaftlichen Öffnung 1991 mit der Inkraftsetzung des Devisengesetzes zum 1. Januar zu erwarten waren. Zugleich wurde die für Zentralverwaltungswirtschaften übliche Trennung zwischen kommerziellen Kursen und Touristenkursen aufgehoben, womit ein wesentlicher Schritt zur inneren Konvertibilität der Krone getan wurde. Rechtliche Grundlage für die außenwirtschaftliche Öffnung der CSFR war das am 28. November 1990 verabschiedete Devisengesetz. Dieses Gesetz verpflichtete zwar jedes Unternehmen, seine Deviseneinnahmen der Nationalbank oder Geschäftsbanken mit Devisenrecht anzubieten, zugleich waren diese Banken aber in der Pflicht, einheimischen Firmen jederzeit Devisen zu verkaufen und zwar unabhängig davon, ob diese durch Exporte Devisen eingenommen hatten oder nicht. Einzige Voraussetzung für den Erwerb der Devisen war der entsprechende Kronenbetrag zum Tageskurs 16. Mit der Abschaffung des Valutamonopols und der Umstellung des Handels mit den ehemaligen RGW-Ländern auf konvertierbare
15 16
Vgl. Hunya (1993), S. 5. Vgl. Devisengesetz vom 28. November 1990, Sb 86/90, vom 21. Dezember 1990.
Horst Ufer
30
Währungen konnte nun zu einer einheitlichen Hartwährungsabrechnung des gesamten Außenhandels übergegangen werden. Hiermit wurde eine wesentliche Voraussetzung für eine effizientere Eingliederung der CSFR in die Weltwirtschaft erfüllt. Eine Bedingung dafür ist jedoch, Angebot und Nachfrage nach Devisen in etwa im Gleichgewicht zu halten, was der CSFR bis Ende 1992 auch gelang. Diese Entwicklung wurde von allmählich anwachsenden Devisenreserven begleitet. Flankierend dazu wurde der Anspruch der Bevölkerung auf Devisenerwerb jährlich auf den Gegenwert von 5.000 Kronen pro Kopf begrenzt. Oie Liberalisierung der Preise wurde im wesentlichen zeitgleich mit der außenwirtschaftlichen Öffnung am 1. Januar 1991 eingeleitet. Vorbereitenden Charakter hatte das im Jahr 1990 installierte System von regulierten und freien Preisen und die Freigabe von Nahrungsmittelpreisen im Juli 1990. Von der generellen Freigabe der Preise zum 1.1.1991 wurden 85 vH aller Güter erfaßt, was zu erheblichen Subventionskürzungen führte. Bis November 1991 wurde die Palette liberalisierter Güter auf 95 vH erweitert. Regulierungen für Mieten, Verkehrstarife und Energiepreise waren die wesentliche Ausnahme. Erste Anhebungen der Mieten und der Energiepreise gab es aber schon im Verlauf des Jahres 1992. Insgesamt kann die Liberalisierung der Preise auch im Vergleich zu anderen osteuropäischen Länder als ausgesprochen erfolgreich angesehen werden. Während die Preise in den ersten Monaten des Jahres 1990 zum Teil um weit über 60 vH anstiegen, trat Mitte des Jahres 1991 eine deutliche Preisberuhigung ein, so daß die jahresdurchschnittliche Inflationsrate bei 55 vH zum Stehen kam. Schon im November 1991 fiel die monatliche Inflationsrate auf 1,6 vH und im Dezember auf 1,2 vH ab. Die Verbraucherpreise stiegen 1991 insgesamt um 58 vH, die Industriepreise um 62 vH, die Preise im Bauwesen um 50 vH und die im landwirtschaftlichen Sektor um 3,8 vH 1 7 . Die erfolgreiche Dämpfung der Inflation konnte auch 1992 fortgesetzt werden. Die Teilung des Landes zu Beginn des Jahres 1993 und die mit der Steuerreform eingeführte Mehrwertsteuer ließen die monatliche Inflationsraten anfänglich nochmals auf etwa 20 vH ansteigen, um sich dann wieder auf 1-2 vH pro Monat und später unter 1 vH einzupegeln. Die geringe Inflation dürfte auch eine ihrer Ursachen darin gehabt haben, daß die zurückgestaute Inflation aus der Zeit vor Reformbeginn relativ gering war. Erste Maßnahmen zur Liberalisierung des Außenhandels wurden schon 1990 getroffen, indem das Außenhandelsmonopol abgeschafft wurde. Damit erfolgte der Wechsel von direkten staatlichen Eingriffen zur indirekten Steuerung des Außenhandels. Neben der Wechselkurspolitik wurde die Gestaltung des Zolltarifsystems zum wichtigsten Steuerungsinstrument des Staates. Als erstes wurden die protektionistischen Zolltarife aus der Vorreformzeit drastisch gesenkt. Der gewichtete durchschnittliche Zolltarif wurde 1990 zunächst bei 5 vH festgelegt, später aber wieder auf 7 vH angehoben. Damit lagen die Zollschranken in der CSFR deutlich unter denen von Polen und Ungarn. Quantitative Importbeschränkungen wurden in der CSFR (wie auch in Polen und etwas weniger in Ungarn) weitestgehend aufgehoben. Mit den Erfahrungen, daß der Liberalismus des Westens auch seine Grenzen hat, wur-
17
Vgl. Vintrova (1993), S. 15.
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
31
de teilweise auch wieder auf protektionistische Maßnahmen zurückgegriffen. Dabei spielte auch die Forderung ausländischer Investoren nach Importquoten eine Rolle (z.B. bei Pkw im Falle VW-Skoda). Zum Schutz inländischer Produzenten wurden in der CSFR jedoch anfänglich Importgebühren eingeführt, die zusätzlich zum Zoll erhoben wurden. Das galt vor allem für Verbrauchsgüter und Nahrungsgüter. Diese als zeitweilige Schutzmaßnahme erhobenen Importgebühren wurden von zum Teil 20 vH auf 15 vH im Juni 1991 und auf 10 vH zum Januar 1992 gesenkt. Für eine begrenzte Anzahl von Gütern wurden auch Importquoten und Importlizenzen beibehalten, vor allem für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Weiterhin wurde die Nachfrage nach Importen durch ein System der Vorfinanzierung begrenzt 18 . Mit dem 1. Januar 1992 wurden neue Zolltarife eingeführt, die mit dem GATT verhandelt wurden. Ziel der Neufestsetzung der Importzölle war der Schutz zukunftsträchtiger Bereiche der einheimischen Produktion, die gleichzeitig eine hohe Zahl an Arbeitsplätzen bindet. Zu den Produktionsgruppen mit höheren Zollsätzen gehörten die Telekommunikationstechnik, Transportmaschinen und -ausrüstungen einschließlich Pkw und elektronische Erzeugnisse. Weiterhin zählten dazu traditionelle Güter, wie Textilien und Konfektion, Schuhe, Glas, Möbel, Papiererzeugnisse und Walzstahl. Gesenkt wurden dagegen die Importzollsätze für Waren, die in der einheimischen Produktion keine wesentliche Rolle spielen, wie beispielsweise Unterhaltungselektronik und Bauteile dafür, Bürotechnik, Fotoapparate, Uhren und einige Textilerzeugnisse, Vorprodukte, Rohstoffe und Chemikalien. Für die landwirtschaftlichen Produkte und Nahrungsgüter stiegen die Importzölle durchschnittlich von 5,9 auf 7,2 vH. Mit den im Rahmen des GATT abgestimmten Zolltarifen ordneten sich die CSFR und später die CR und SR in das europäische Zollniveau ein. Weitere Veränderungen in der Gestaltung des Zolltarifsystems ergaben sich für die Tschechische und die Slowakische Republik mit Realisierung der Assoziierungsabkommen zur EU. Daran anlehnend, wenn auch mit einigen Spezifika, hat sich die Zollpolitik zu den Ländern des Visegrâdabkommens gestaltet. Wesentliche Akzente der Stabilitätspolitik wurden zu Reformbeginn durch die restriktive Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik gesetzt. Besonderes Gewicht hatte dabei die Geld- und Kreditpolitik, die von vornherein mit der Grundsatzentscheidung gestärkt wurde, Defizite im Staatshaushalt nicht mehr durch zinslose Kredite der Zentralbank (Geldschöpfung) zu finanzieren, sondern durch Kreditfinanzierung über den Markt durch Herausgabe von Staatsobligationen. Zugleich wurde eine Politik des knappen Geldes angesteuert, um dem anfänglichen "Preisschock" inflationsdämpfend zu begegnen. Der Geldmengenzuwachs wurde somit im unteren Bereich des zu erwartenden Wirtschaftsverlaufes festgelegt, wobei die Prognosen mit einer Reihe von Unsicherheiten behaftet waren, was den Produktionsrückgang, die Veränderungen in den Einnahme- und Ausgabestrukturen, die Entwicklung der Geldumlaufgeschwindigkeit und das Sparverhalten der Bevölkerung betraf. Kritiker der Reformpolitik machen geltend, daß die restriktive Haushaltspolitik übersteuert war und
18
Vgl. auch Hunya (1993), S. 15 f.
32
Horst Ufer
demzufolge die Transformationsrezession weitaus größer als erwartet ausfiel. Während die Regierung in Prag darauf verwies, daß die tiefen Produktionseinbrüche zum Großteil durch den externen Schock, den Zusammenbruch des RGW-Handels, verursacht wurden, versuchen Reformkritiker nachzuweisen, daß der Rückgang der heimischen Nachfrage durch sinkenden privaten Verbrauch, sinkende öffentliche Nachfrage und stark abflauende Investitionstätigkeit infolge "überdosierter" Restriktionspolitik entscheidende Faktoren waren. So verwies z.B. Vintrova darauf, daß der Produktionsrückgang zu drei Fünfteln durch sinkende Umsätze auf dem Verbrauchermarkt und zu einem Drittel durch abnehmende Investitionsnachfrage hervorgerufen wurde. Nach ihren Berechnungen hatte der Nachfrageeinbruch auf dem zusammenbrechenden RGW-Markt nur einen Anteil von knapp 10 vH, da in hohem Maße Kompensation durch steigende Westexporte erreicht wurde. Der Rest des drastischen Produktionseinbruchs wurde der sinkenden öffentlichen Nachfrage zugerechnet 19. Ohne diese Rechnung im Detail nachvollziehen zu wollen, sei festgestellt, daß der Produktionsrückgang in der CSFR im ersten Jahr nach der Preis- und Außenhandelsliberalisierung im Vergleich zu Polen und Ungarn unerwartet hoch ausfiel, obwohl die makroökonomischen Ausgangsbedingungen weitaus günstiger einzuschätzen waren. Im weiteren Verlauf der Wirtschaftsreform wurde dann auch eine allmähliche Lockerung der restriktiven Geldund Fiskalpolitik vorgenommen. Kompliziert war es jedoch, die Folgen für die wirtschaftliche Situation der Unternehmen einzuschätzen. Knappe Kreditangebote durch die Banken und ein rascher Anstieg der Zinsen im Jahr 1991 auf 24 vH führten dazu, daß sich in der Finanzierung der Betriebe das Verhältnis von Bankschulden zu zwischenbetrieblichen Schulden vehement zuungunsten letzterer verschob. Rasch anwachsende zwischenbetriebliche Schulden waren jedoch wiederum eine erhebliche Hypothek für den Privatisierungsprozeß. Die insgesamt erfolgreiche Kontrolle der Inflationsentwicklung stützte sich auch auf eine für 1991 besonders restriktive Lohnpolitik. Die von der Tripartitekommission (Staat, Arbeitgeber, Arbeitnehmer) quartalsweise festgelegten Lohnobergrenzen wurden 1991 zum Teil wesentlich unterschritten. Die Lohnentwicklung lag etwa um 50 vH unter der Entwicklung der Verbraucherpreise, so daß die Realeinkommen der Bevölkerung 1991 um annähernd 30 vH zurückgingen. In den Jahren danach normalisierte sich das Verhältnis von Preis- und Lohnentwicklung, so daß wieder leichte Realeinkommenszuwächse zu verzeichnen waren. Anfang 1994 wurde die Entwicklung der Löhne und Gehälter weitgehend liberalisiert, wobei die Kluft zwischen den Einkommen im privaten Sektor, vor allem bei Banken, Versicherungen und Dienstleistungen und den Einkommen in noch nicht privatisierten Unternehmen stark zunahm. Insgesamt kann die monetäre Stabilisierung und Haushaltskonsolidierung im Vergleich zu anderen osteuropäischen Reformländern als erfolgreich angesehen werden. Einnahmen und Ausgaben des Staatshaushalts hielten sich in etwa das Gleichgewicht. So betrug z.B. das Haushaltsdefizit 1992 lediglich 1 vH des Bruttoinlandsprodukts. Bedeutenden Anteil
19
Vgl. Vintrova (1993), S. ii und S. 28 ff.
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
daran hat auch die erfolgreiche Umgestaltung des Steuersystems.
33
Die Steuerreform orien-
tierte sich dabei an westeuropäischen Mustern.
2.5. Privatisierung Entscheidende Vorraussetzung für den Übergang zur Marktwirtschaft ist die Schaffung privater Unternehmen, die vom direkten Einfluß staatlicher Organe befreit sind. Prozesse der Entstaatlichung und der Privatisierung werden somit zur zentralen Frage des Transformationsprozesses. Ein entscheidender Schritt zur Vorbereitung auf die Privatisierung war die Verfassungsänderung durch das tschechoslowakische Parlament im Frühjahr 1990, durch die alle Eigentumsformen rechtlich gleichgestellt wurden. Gleichzeitig garantierte diese Verfassungsänderung den Schutz des Eigentums von Bürgern und juristischen Personen durch den Staat und gewährleistete das Erbrecht. Außerdem wurde durch sie die Überführung staatlichen Eigentums in den Besitz natürlicher oder juristischer Personen ermöglicht. Eingeschlossen darin ist, daß ausländischen Unternehmen der gleiche Schutz ihrer Eigentumsrechte garantiert wird wie inländischen Unternehmen, wobei sich der Staat generell verpflichtet hat, die notwendigen Bedingungen und Regeln für Unternehmertum und Wettbewerb zu schaffen. Im Rahmen der sogenannten "großen Privatisierung" wurde im Februar 1991 das Gesetz über "Die Bedingungen der Übertragung des Staatseigentums auf physische und rechtliche Personen" verabschiedet. Mit diesem Gesetz wurde der entscheidende Schritt zur Veränderung der Eigentumsverhältnisse getan, denn die über 3.000 Staatsbetriebe vereinigten auf sich weit über 90 vH des staatlichen Eigentums. Die Privatisierung der größeren staatlichen Unternehmen wurde zunächst in zwei Wellen geplant, wobei anfangs die Kuponprivatisierung stärker im Vordergrund stand, obwohl das Gesetz auch öffentliche Auktionen, Ausschreibungen und Direktverkäufe zuließ. Wesentliche Argumente für die Kuponmethode waren einerseits der Kapitalmangel, der vorwiegend Direktverkäufe über eine Treuhandanstalt, wie beispielsweise in den neuen Bundesländern, als nicht erfolgversprechend erscheinen ließ. Andererseits wurde die Kuponmethode mit dem Argument einer größeren Verteilungsgerechtigkeit begründet, was zunächst populärer war und auch die Akzeptanz des Transformationsprozesses in der Bevölkerung positiv beeinflußte. Die Kuponmethode erlaubte jedem Bürger über 18 Jahre den Erwerb von 1.000-Kronen-Kupons, die im weiteren Privatisierungsverlauf in Aktien umgetauscht werden konnten. Nach anfänglichem Zögern haben sich fast 9 M i l l . Bürger der CSFR an diesem Verfahren beteiligt. Der weitere Ablauf sah vor, daß die Kuponinhaber ihre Investitionspunkte selbst anlegen oder diese einem Investitions-Privatisierungsfonds anvertrauen. In der ersten Privatisierungswelle wurden in der CSFR etwa 1.500 Betriebe mit einem Anlagevermögen von 750 Mrd. Kronen erfaßt. Dazu gehörten Banken, Versicherungen, Kraftwerke und Industriebetriebe verschiedener Branchen. Die zweite Privatisierungswelle erfaßte ein Anlagevermögen von etwa 500 Mrd. Kronen und erstreckte sich bis zu Beginn des Jahres 1995. Während die erste Privatisierungswelle noch beide Landesteile der CSFR
3 Schumacher u. a.
Horst Ufer
34
erfaßte, wurde die zweite ab 1993 nur noch in der CR konsequent fortgesetzt. Sie konzentrierte sich stärker auf die Branchen Kohle und Stahl, Strom- und Gasversorgung, auf die Petrochemie und die Telekommunikation. Der Anteil der Kuponmethode an den Privatisierungsmaßnahmen ging zurück, da Direktverkäufe, vor allem an ausländische Investoren, stärkere Zuflüsse an notwendigem Kapital und Managementerfahrungen versprachen. Noch nicht veräußerte Unternehmen und bedeutende Anteile an teilprivatisierten Unternehmen verblieben als staatlicher Besitz beim Fonds für Nationales Eigentum (FNM). Zu Beginn des Jahres 1996 waren etwa zwei Drittel der tschechischen Unternehmen privatisiert. Ihre Umstrukturierung ist jedoch nur teilweise gelungen. Auch ihre Wettbewerbsfähigkeit ist nur partiell gestiegen, was insbesondere dann gelang, wenn ausländisches Kapital in die Privatisierung einbezogen werden konnte. Die eingeleitete dritte Privatisierungsrunde präferiert deshalb neue Gesellschafter und Investoren, die einen entsprechenden Kapitalzufluß garantieren. Als negatives Erbe der Kuponprivatisierung wird auch angesehen, daß zwar eine breite Schicht von Eigentümern entstanden ist, aber keine leistungsfähige Gesellschaftsstruktur mit ausreichender Kapitalausstattung. Das hatte eine erhebliche Kreditnahme vieler privatisierter Unternehmen und teilweise aussichtslose Verschuldungen zur Folge. Hinzu kommt, daß die in die Kuponprivatisierung eingeschalteten Investitionsfonds heute z.T. beträchtliche Anteile an den Banken haben, die Banken ihrerseits aber auch noch zu fast 40 vH in staatlichem Besitz sind. Damit fehlt in vielen Fällen ein ausreichendes Interesse, das Problem "fauler" Kredite einer Lösung zuzuführen. Aber auch die vollständige Privatisierung dieser Banken wird erheblich erschwert 20 . Auch wenn die Privatisierungsinstitution FNM noch 1996 abgeschafft werden sollte, verbleibt eine Reihe ungelöster Probleme, die den Reformprozeß der nächsten Jahre belasten werden. Noch weitaus komplizierter gestaltet sich der Privatisierungsprozeß in der SR. Erhebliche Verzögerungen in der Privatisierung brachten die Regierungswechsel seit 1993 mit sich. Mitte 1995 wurde dann per Regierungsbeschluß die Kuponprivatisierung endgültig für beendet erklärt. Gleichzeitig wurde jedoch ein Gesetz zur Sicherung der Interessen des Staates bei der Privatisierung strategischer Betriebe und Aktiengesellschaften erlassen. Danach sollen 24 Betriebe der Elektrizitäts- und Gas Wirtschaft, der Rüstungsindustrie, der Telekommunikation, der Post und der pharmazeutischen Industrie in staatlichem Eigentum verbleiben. Weiterhin führt das Gesetz vierzig Betriebe auf, die schon teilweise in Aktiengesellschaften umgewandelt wurden, und an denen die slowakische Privatisierungsinstitution FNM Anteile hält. Dazu gehören u.a. solche leistungsfähige Unternehmen, wie die Raffinerie Slovnaft und die ostslowakischen Eisenwerke. Auch andere neue Gesetze weisen darauf hin, daß die Regierung Meciar den Einfluß des Staates auf das Wirtschaftsleben insgesamt wieder erhöht, womit die Herausbildung einer unabhängigen Unternehmerschaft und die notwendigen Strukturveränderungen zeitlich noch weiter hinausgeschoben werden 21 .
20
Vgl. Handelsblatt (1.1.1996).
21
Vgl. Nachrichten für Außenhandel (31.7.1995).
35
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
3. Makroökonomische Reformergebnisse Sowohl für die CR als auch für die SR kann aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs in den Jahren 1994 und 1995 davon ausgegangen werden, daß sie den Wendepunkt des Transformationsprozesses erreicht haben. In beiden Ländern werden seit 1994 positive Wachstumsraten in der Entwicklung des BIP erreicht. Obwohl die SR höhere Wachstumsraten erreichte, sprechen die makroökonomischen Daten in den Tabellen 1 und 2 dafür, daß der wirtschaftliche Aufschwung in der CR auf soliderer Basis beruht. Gründe dafür sind der wesentlich konsequentere Reformkurs in der CR, aber auch die ungünstigere Ausgangssituation in der SR nach der Teilung des Landes. Deutlich wird dies unter anderem daran, daß der wirtschaftliche Aufschwung in der CR in weitaus höherem Maße von der Entwicklung der inneren Nachfrage bestimmt wird. Das Wirtschaftswachstum in der SR war dagegen 1994, aber auch noch 1995, vorwiegend exportgestützt. Aber auch für die SR gewinnt mit dem Jahre 1995 die innere Nachfrage allmählich an Bedeutung. Während im ersten Halbjahr 1994 der private Verbrauch noch um 3,4 vH zurückging, stieg er im gleichen Zeitraum 1995 um 4,1 vH. Auch die Bruttoanlageninvestitionen stiegen im ersten Halbjahr 1995 um beträchtliche 21,5 vH 2 2 .
Tabelle I Ausgewählte makroökonomische Kennziffern für die CR
BIP real Produktion in der Industrie Produktion in der Land- und Forstwirtschaft Produktion in der Bau Wirtschaft Brutto-Anlageinvestitionen Nominallöhne Reallöhne Inflationsrate (Verbraucherpreise) Haushaltssaldo Arbeitslosenquote
1990
1991
1992
1993
1994
1995
Jährl. Änderungen in vH
-1,2
-14,2
-6,4
-0,9
2,6
4,8
Index 1990 = 100
100
78,1
71,9
68,1
69,5
75,9
Index 1990=100
100
91,1
79,4
77,6
73,6
76,8
Index 1990 = 100
100
67,6
68,7
62,2
65,7
71,3
_
8,9 22,2 9,9
-7,7 25,3 3,7
17,3 17,1 6,5
16,1 17,5 8,0
11,1 -0,2 2,6
20,8 0,2 3,5
10,0 0,9 3,2
9,1 0,3 3,0
Reale Änderungen in vH Änderungen in vH Änderungen in vH
-5,7
-17,7 16,7 -24,6
Jährlich in vH des BIP in vH
9,7 -0,2 0,8
56,6 -2,1 4,1
-
Quellen·. Statistical Yearbook of the Czech Republic 1995, S.26: ff.; Vydâvâ Cesky statisticky ufad (1996); DIW-KOST (1996), S. 20 f.
22
3*
Vgl. Plan Econ Report (1995a), S. 14.
Horst Ufer
36
Tabelle 2 Ausgewählte makroökonomische Kennziffern für die SR
BIP real Produktion in der Industrie Produktion in der Landwirtschaft Produktion in der Bauwirtschaft Brutto-Anlageinvestitionen Nominallöhne Reallöhne Inflationsrate (Verbraucherpreise) Haushaltssaldo Arbeitslosenquote (ILO-Definition)
1990
1991
1992
1993
1994
1995
Jährl. Änderung in vH
-2,5
-11,2
-5,3
-3,7
4,9
7,4
Index 1990 = 100
100
80,6
73,3
70,6
74,0
80,1
Index 1990=100
100
92,6
79,7
73,3
79,9
79,1
Index 1990=100
100
69,5
73,7
49,9
46,5
48,5
-
-3,6 20,4 8,7
-4,2 18,4 -3,6
-5,1 17,0 3,0
5,8 13,7 4,4
Reale Änderung in vH Änderung in vH Änderung in vH
-5,8
-25,2 17,1 -25,1
Jährlich in vH des BIP
10,6 -0,2
61,2 -2,8
10,1 -2,1
23,1 -5,8
13,5 -5,2
9,9 -1,6
1,8
7,9
11,0
12,8
14,8
13,1
-
in vH
Quellen-. DIW-KOST (1996), S. 27 f.; Statisticky urad Slovenskej republiky (1996), Tabellenanhang, S. 25.
Tabelle 3 Makroökonomische Indikatoren für das BIP der CR 1993-1995 (Jährliche Änderungen zu festen Preisen von 1984) 1993
1994
1995
-0,9
2,6
4,8
2,9
5,3
6,4
Endverbrauch des Staates
-0,1
-2,3
-4,3
Anlageinvestitionen
-7,7
6,0
16,1
Export
6,7
-0,8
7,9
Import
10,4
6,8
19,2
BIP Endverbrauch der Haushalte
Quellen: Statistical Yearbook of the Czech Republic (1995), S. 121 f.; Vydâvâ Cesky statisticky ùrad (1996), S. A 11.
Wie Tabelle 3 für die CR zeigt, gewinnt der private Verbrauch an der Entwicklung des BIP seit 1993 zunehmende Bedeutung. In bemerkenswertem Maße wächst seit 1994 jedoch der Einfluß der Bruttoanlageinvestitionen, deren Nachfrage zu bedeutenden Teilen aus Importen gedeckt wird. Das führte 1995 zu einer stark negativen Handelsbilanz, zu der auch der zunehmende Anteil an höherwertigen Konsumgütern beiträgt. Dominant am Importzu-
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
37
wachs sind jedoch die Investitionsgüter, die eine Basis für das künftige Wirtschaftswachstum und späterhin für wettbewerbsfähige Exportgüter sind. Die Handelsbilanz fur die SR war aufgrund der starken Exportentwicklung 1995 noch ausgeglichen bzw. leicht positiv. Für die Zukunft bleibt jedoch abzuwarten, inwieweit das Exportvolumen, vor allem aus arbeitsintensiven Halbfertigwaren mit niedriger Fertigungstiefe bestehend, gehalten oder ausgebaut werden kann. So stiegen im 1. Halbjahr 1996 die Exporte nur noch um 2,1 vH, während die Importe um 23,6 vH gegenüber dem Vorjahreszeitraum zunahmen, womit ein Handelsbilanzdefizit von rund 1,35 Mrd. D M verbunden war. Maßgeblichen Anteil daran hatte der kräftig steigende private Verbrauch, so unter anderem der zunehmende Import von Pkw und anderen hochwertigen Konsumgütern, auf die im ersten Halbjahr 1996 15 vH aller Importe entfielen 23 . Im Staatshaushalt kann die CR seit 1993 auf leichte Überschüsse verweisen. Aber auch die Haushaltsdefizite in der SR haben seit 1994 wieder eine fallende Tendenz. 1995 unterschritt das reale Defizit den Planansatz beträchtlich, so daß die Zielgröße des IWF von 4 vH des BIP beträchtlich unterschritten wurde. Auch bezüglich der Arbeitslosenquote bestehen zwischen beiden Ländern beträchtliche Unterschiede. Neben anderen Ursachen dürften hieran vor allem die Verzögerungen im Privatisierungsprozeß in der SR beteiligt sein. Der sich neugründende Privatsektor in der CR hat offensichtlich weitaus mehr freiwerdende Arbeitnehmer absorbiert als in der SR. Der Privatsektor ist am BIP der SR 1995 etwa mit zwei Dritteln beteiligt. In der CR liegt dieser Anteil bei nahezu 80 vH. Beträchtliche Erfolge erzielten beide Länder bei der Bekämpfung der Inflation. Obwohl die Inflationsraten in der SR von 1990 an stets leicht über denen der CR lagen, haben sie im Zeitverlauf bis 1995 eine übereinstimmende Tendenz. Nach der Teilung der CSFR mußte in beiden Ländern 1993 zunächst noch einmal ein deutlicher Inflationsanstieg hingenommen werden. Für das Jahr 1995 lag die Inflationsrate in beiden Ländern jedoch schon unter 10 vH. Für die weitere Entwicklung sind jedoch die Chancen in der CR etwas besser zu bewerten, die Inflation weiter zurückzufahren. Dafür spricht auch der größere Aufwertungsdruck auf die einheimische Währung. Aus den Tabellen 1 und 2 geht hervor, daß die Industrieproduktion in beiden Ländern seit 1990 erheblich zurückgegangen ist. Erste Anzeichen einer Aufwärtsentwicklung in der Industrie zeigten sich für beide Länder seit 1994. So lagen die jährlichen Wachstumsraten der Industrieproduktion in der CR 1994 bei 2,1 vH und 1995 bei 9,2 vH, in der SR bei 6,4 bzw. 8,4 vH. In der CR wurde diese Entwicklung 1994 vor allem durch Erzeugnisse der Papier- und Druckindustrie, der Elektrotechnik und Optik, aber auch der Erdölverarbeitung getragen. Auch 1995 lagen elektrotechnische und optische Erzeugnisse in der Entwicklung industrieller Branchen an der Spitze, gefolgt von Gummi- und Plastikerzeugnissen, Metallen und Metallerzeugnissen, Maschinen und Instrumenten, Keramik, Papier- und Druckerzeugnissen. Rückläufig dagegen entwickelte sich die Lederindustrie und die Produktion von Chemiefasern. Auch die industriellen Exporte der verarbeitenden Industrie stiegen seit 1993 jährlich
23
Vgl. Handelsblatt (29.8.1996).
38
Horst Ufer
mit über 10 vH. Führende Positionen hatten hier 1994 die Erdölverarbeitung, Papier- und Druckerzeugnisse, Gummi- und Plastikwaren, elektrotechnische und optische Erzeugnisse, aber auch Metalle und Metall waren 24 . In der slowakischen Industrie konnte ebenfalls die verarbeitende Industrie 1995 einen Zuwachs von annähernd 10 vH erzielen. Führend daran beteiligt waren Transportmaschinen, Lederwaren, Gummierzeugnisse, Chemie- und erdölverarbeitende Erzeugnisse, aber auch Metalle und Metallwaren. Rückläufig entwickelte sich die Textilindustrie, die Produktion von Nahrungsgütern und Tabak 25 . Im Verlauf des Transformationsprozesses mußte auch die landwirtschaftliche Produktion in beiden Ländern seit 1990 einen Produktionsrückgang von etwa 25 vH hinnehmen. In der SR konnte die landwirtschaftliche Produktion ab 1994 wieder einen leichten Anstieg erzielen. Dies gelang auch der CR erstmalig 1995 mit einem Zuwachs von 4,2 vH. Für beide Länder ist nach der marktwirtschaftlichen Umorientierung der Landwirtschaft jedoch zu erwarten, daß sich die Produktion auf dem gegenwärtigen Niveau stabilisiert und künftig eher niedrige Zuwachsraten zu erwarten sind. Eine ähnliche Entwicklung ist in beiden Ländern für die Bauwirtschaft zu verzeichnen, deren Produktion in der CR 1994 jedoch schon wieder mit 7,5 vH und 1995 mit 8,5 vH zulegte. Aber auch die Bauproduktion in der SR stieg 1995 erstmals wieder um 3,2 vH.
Tabelle 4 Zusammensetzung des BIP für die CR und die SR 1991
1992
1993
1994
1995
CR Landwirtschaft Industrie Bauwesen Dienstleistungen
5,6
5,9
6,6
5,8
5,2
61,2»
43,6
37,0
34,8
34,8
4,3
5,2
5,9
6,2
46,2
51,2
53,5
53,8
-
33,2
SR Landwirtschaft
-
6,9
7,4
7,1
6,2
Industrie
-
42,3
41,3
31,2
31,6
Bauwesen
-
7,6
7,5
4,8
5,1
Dienstleistungen
-
43,2
43,8
56,9
57,1
l)
Einschließlich Bauwesen. Quelle: DIW-KOST (1996), S. 20 und 27.
24
Vgl. Plan Econ Report (1995b), S. 9.
25
Vgl. Plan Econ Report (1995a), S. 11.
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
39
Die marktwirtschaftlichen Signale durch die Liberalisierung der Preise und des Außenhandels haben im Verlauf des Transformationsprozesses zu gravierenden Veränderungen in der strukturellen Zusammensetzung des BIP geführt. Wie Tabelle 4 zeigt, ging in der CR der Anteil der Industrie und des Bauwesens am BIP von 61,2 vH für 1991 auf 41,0 vH für 1995 zurück. Im gleichen Zeitraum stieg jedoch der Anteil der Dienstleistungen von 33,2 vH auf 53,8 vH. Eine ähnliche Entwicklung in der Zusammensetzung des BIP vollzog sich in der SR. Die weitere effiziente Ausgestaltung vor allem der marktnahen Dienstleistungen als Wachstumsfaktor steht für beide Länder jedoch nach wie vor auf der Tagesordnung.
Tabelle 5 Jahresdurchschnittliche Anzahl der Beschäftigten im zivilen Sektor der CR nach Wirtschaftsbereichen (in 1000 Personen) Wirtschaftsbereich Land- und Forstwirtschaft, Fischerei Produzierendes Gewerbe Bergbau Verarbeitendes Gewerbe Energie und Wasser Baugewerbe Dienstleistungen
1990
1991
1992
633,5 2 427,1
509,9 2 352,4
427,5 2 205,6
1993 333,3 2 163,4
1994 340,3 2 063,6
186,1
168,5
123,6
111,0
100,6
1 759,7
1 705,3
1 581,8
1 511,7
1 428,2
78,8
74,6
92,2
87,8
90,4
402,5
404,0
408,0
452,9
444,4
2 290,6
2 196,2
2 294,0
2 351,5
2 480,9
Handel und Gaststätten
613,3
571,1
644,4
720,4
838,8
Transport und Kommunikation
371,4
367,9
365,8
384,7
352,9
Kredit- und Versicherungsgewerbe
27,7
37,4
50,9
64,6
76,1
Grundstücks- und Wohnungswesen
381,9
350,9
338,9
303,3
340,5
Bildungs- und Gesundheitswesen
596,3
591,5
594,7
587,1
579,7
Öffentliche Verwaltung, Verteidigung und soziale Sicherheit
95,7
99,1
123,4
132,7
146,3
Andere Dienstleistungen
204,3
178,3
175,9
158,7
146,6
5 351,2
5 058,6
4 927,1
4 848,3
4 884,8
Insgesamt
Quelle: Statistical Yearbook of the Czech Republic (1995), S. 229.
Diese Veränderungen spiegeln sich auch in der Entwicklung der Beschäftigtenstruktur wider. Während in der Landwirtschaft und im produzierenden Gewerbe eine große Zahl
Horst Ufer
40
an Arbeitsplätzen verloren ging, stieg die Beschäftigung im Dienstleistungssektor deutlich an. Aus Tabelle 5 geht für die CR hervor, daß allein in der Land- und Forstwirtschaft von 1990 bis 1993 die Zahl der Beschäftigten um 300 000 Personen zurückging. Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß eine größere Zahl von Beschäftigten in dienstleistenden Einrichtungen der Landwirtschaft heute statistisch dem Sektor der Dienstleistungen zugerechnet werden. Im produzierenden Gewerbe fiel die Zahl der Beschäftigten von 1990 bis 1994 um mehr als 360 000, wobei der Bergbau und das verarbeitende Gewerbe besonders betroffen waren. Die Beschäftigung im Baugewerbe blieb dagegen bis 1992 fast konstant und erfuhr 1993 einen deutlichen Aufschwung. Im Dienstleistungssektor stieg die Anzahl der Beschäftigten von 1990 bis 1994 um 190 000, wobei der Handels- und Gaststättenbereich, aber auch das Kredit- und Versicherungsgewerbe stark beteiligt waren. Die Beschäftigtenstruktur nach Sektoren hat sich in der CR damit deutlich den Strukturmustern, wie sie für Marktwirtschaften in industriell entwickelten Ländern üblich sind, angenähert.
Tabelle 6 Anzahl der Beschäftigten in der SR nach Wirtschaftsbereichen von 1991-1993 (in 1000 Personen) Wirtschaftsbereich
1991
1992
1993
Landwirtschaft
271,8
247,4
225,2
Bergbau
36,6
30,4
31,9
554,7
504,6
Energie und Wasser
625,1 45,2
45,1
48,1
Baugewerbe
241,2
168,4
169,8
Handel und Gaststätten
207,8
216,5
211,2
Transport und Kommunikation
169,3
163,2
161,3
Kredit-, Versicherungs-, Grundstücks- und Wohnungswesen
124,8
Bildungs- und Gesundheitswesen
288,1
145,6 299,7
282,2
Öffentliche Verwaltung
56,5
83,6
86,9
Andere Dienstleistungen
85,5
85,5
83,0
2 151,6
2 040,2
1 951,9
Verarbeitendes Gewerbe
Insgesamt
147,6
Quelle·. OECD (1996a), S. 37.
Eine ähnliche Entwicklung hat die Beschäftigtenstruktur in der SR genommen, wie der Tabelle 6 zu entnehmen ist. Den größten Rückgang in der Beschäftigung mußte zwischen 1991 und 1993 das verarbeitende Gewerbe hinnehmen, wobei in der SR auch das Baugewerbe betroffen war. Im Dienstleistungssektor konzentrierte sich dagegen der Zuwachs an Arbeitsplätzen fast ausschließlich auf das Kredit- und Versicherungswesen und die öffent-
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
41
liehe Verwaltung. Auffallig ist der geringe Zuwachs an Beschäftigten im Bereich Handel und Gaststätten, der aufgrund des boomenden Tourismus in der CR weitaus höher ausfiel. Auch der Beschäftigtenrückgang in der Landwirtschaft fiel in der SR weitaus moderater aus als in der CR.
4. Faktorausstattung 4.1. Naturressourcen Die CSFR gehört zu den Ländern mit unzureichender Ausstattung an mineralischen Rohstoffressourcen. Während bei den Primärenergieressourcen die einheimischen Stein- und vor allem Braunkohlevorräte noch eine bedeutende Rolle spielten, war die Eisen- und Nichteisenmetallurgie in hohem Maße von Rohstoffimporten abhängig. Dies fiel um so mehr ins Gewicht, als die CSFR bei der Rohstahlproduktion im RGW nach der Sowjetunion eine führende Position inne hatte. Neben der Versorgung der eigenen überdimensionierten und energieintensiven Schwerindustrie spielte der Export von Stahlerzeugnissen im Außenhandel eine bedeutende Rolle. An weiteren einheimischen Rohstoffressourcen sind noch begrenzte Vorkommen an Uran und Eisenerz zu nennen. Einheimische Vorräte an Erdöl und Erdgas spielten nur eine marginale Rolle, so daß die überwiegende Menge an flüssigen und gasförmigen Brennstoffen vor allem aus der Sowjetunion importiert werden mußte. Einen Überblick über den Umfang an wichtigen Roh- und Brennstoffimporten der CSFR zwischen 1980 und 1990 bietet Tabelle 7. Für die Außenwirtschaft der CSFR hatte die Bereitstellung eines entsprechenden Exportäquivalents zur Sicherung der umfangreichen Rohstoffimporte einen strategischen Stellenwert, wobei die Gegenliefermengen in die UdSSR das zentrale Problem darstellten. Mit dem Zusammenbruch des RGW, der Öffnung der Volkswirtschaft zu westlichen Industrieländern und den Folgen der Transformationsrezession stand die CSFR vor völlig neuen Aufgaben und Möglichkeiten bei der Sicherung ihrer Rohstoffbezüge. Hinzu kam 1993 die Teilung des Landes, wobei die schmale einheimische Rohstoffbasis zu ungleichen Teilen auf die beiden Nachfolgerepubliken entfiel. Besonders deutlich wurde dieser Sachverhalt bei den Kohlevorkommen. Die Steinkohlevorkommen konzentrieren sich vor allem auf das Revier um Ostrava Karvina in Nordmähren als Bestandteil der CR. Auch bei den Braunkohlevorkommen entfällt der Löwenanteil auf die Vorräte des nordböhmischen Beckens in der CR um die Städte Chomutov, Most, Teplice und Usti nad Labem. Der wesentlich kleinere Teil der Braunkohle- und Lignitvorkommen um Handlova und Modry Kamen entfällt auf die SR. Auch die Uran vorkommen konzentrieren sich in der CR. Diese ungleiche Verteilung der Vorräte an festen Brennstoffen hat ihre Auswirkungen auf die Energiepolitik in der CR und SR. Während die CR ihren Bedarf an festen Brennstoffen zum überwiegenden Teil aus einheimischen Quellen decken kann, muß die SR bedeutende Teile ihres Kohlebedarfs, vor allem an Steinkohle für die Eisenmetallurgie, durch Importe befriedigen.
42
Horst Ufer
Tabelle 7 Wichtige Roh- und Brennstoffimporte der CSFR nach Ländern 1980 Steinkohle
Mill, t
davon aus: UdSSR Polen Erdöl
Mill, t
davon aus: UdSSR Mrd. m3
Erdgas davon aus: UdSSR Eisenerz
Mill, t
davon aus: UdSSR Brasilien Manganerz
Mill, t
davon aus: UdSSR Aluminium
1000 t
davon aus: UdSSR Roheisen
Mill, t
davon aus: UdSSR Quellen·.
1985
1989
1990
5,06
4,69
4,50
4,74
3,17
3,25
3,10
3,11
1,88
1,37
1,34
1,63
19,26
16,93
17,63
13,58
18,80
16,60
16,63
13,24 20,18
8,33
10,81
13,61
8,32
10,79
13,61
15,01
12,82
11,27
9,76
10,12
10,29
9,73
8,13
8,57
1,03
1,00
1,09
1,06
0,53
0,46
0,87
0,95
0,36
0,26
0,69
0,67
93
80
106
102
63
70
85
85
0,81
0,87
0,67
0,67
0,80
0,87
0,67
0,67
Tschechoslowakische Industrie- und Handelskammer (1991), S. 35.
In der CR wurden im Zeitraum 1994 bis 1996 jährlich zwischen 6-7 M i l l . Tonnen Rohöl auf Vertragsbasis aus der ehemaligen Sowjetunion importiert. Um diese einseitige Abhängigkeit abzuschwächen, versucht die tschechische Regierung ihre Erdölbezüge zu diversifizieren. Entscheidende Bedeutung hat hierbei die sogenannte "mitteleuropäische" Rohölleitung von Ingolstadt zu den großen Raffinerien in Kralupy und Litvinov, die eine Jahreskapazität von 10 M i l l . Tonnen haben soll. Die Inbetriebnahme dieser Erdölleitung ist für 1996 vorgesehen. Die Intensität ihrer künftigen Nutzung bleibt derzeit noch offen, da die russischen Erdöllieferungen bisher preislich günstiger waren. Mit der Existenz dieser Pipeline hat die CR jedoch bessere Voraussetzungen bei den Preisverhandlungen mit Rußland und jederzeit eine Versorgungsalternative bei russischen Lieferstops, wie sie in der Vergangenheit vorkamen. Des weiteren sind neue Rohölspeicher vorgesehen, die die Vorratsdauer von derzeit 12 auf 90 Tage des einheimischen Bedarfs ausdehnen sollen 26 . Während der Erdgasimport 1993 noch bei 6,9 Mrd. Kubikmeter lag, werden für das Jahr 2005 fast 12 Mrd. Kubikmeter anvisiert, womit der Anteil von Erdgas am Primärenergieverbrauch deutlich die Marke von 20 vH übersteigen dürfte. Um auch hier die Versor-
26
Vgl. Bundesstelle für Außenhandelsinformation (1994), S. 9 f.
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
43
gungsabhängigkeit von Rußland zu mindern, wird nach Alternativen, unter anderem Lieferungen aus Norwegen, gesucht27. Aus außenwirtschaftlicher Sicht wird auch künftig der Bezug von Erdöl und Erdgas einen bedeutenden Teil am Gesamtimport innehaben. Für Erdöl- und Erdgasimporte wurden 1994 knapp 15 Mrd. US-Dollar eingesetzt, was etwa 10 vH des Gesamtimportvolumens entsprach.
4.2. Faktor Arbeit Die Volkszählung zum 31. März 1991 ergab für die CSFR eine Einwohnerzahl von 15,558 M i l l . , wovon 10,299 M i l l , in der CR und 5,259 M i l l , in der SR lebten. Wie die Angaben für 1995 zeigen, 10,32 M i l l . Einwohner für die CR und 5,214 M i l l . Einwohner für die SR, liegt das Bevölkerungswachstum fast bei Null. So wird auch für die nächsten Jahre mit nahezu gleichbleibenden Einwohnerzahlen zu rechnen sein. Veränderungen im Potential an Arbeitskräften durch Bevölkerungswachstum sind demzufolge mittelfristig nicht zu erwarten. Leichte Schwankungen in der jährlichen Entwicklung der Bevölkerung im Erwerbsalter sind Folge der vorhandenen Altersstruktur der Bevölkerung. Deutlichere Veränderungen könnten sich künftig jedoch dann ergeben, wenn im Zuge der ausstehenden Rentenreformen das derzeitige Rentenalter bei Frauen von 54 und bei Männern von 59 Jahren angehoben wird. Für die CR würde dies einen Anstieg der Bevölkerung im Erwerbsalter von 5,963 M i l l , auf 6,243 M i l l , bedeuten28. Im Gegensatz zur relativ gleichbleibenden Entwicklung der Bevölkerung im Erwerbsalter setzten im Verlaufe des Transformationsprozesses gravierende Veränderungen in den Beschäftigtenzahlen und ihrer Struktur ein, wobei die Ausgangsbedingungen eine wesentliche Rolle spielten. Zu den Wesensmerkmalen der Planwirtschaft gehörte es, im Wechselverhältnis von Produktivität und Beschäftigung letzterer den Vorrang zu geben. Daraus resultierte eine beträchtliche Überbeschäftigung, die für die CSFR nach eigenen Schätzungen bei wenigstens 15 vH gelegen haben dürfte. Weiteres Merkmal war die hohe Frauenbeschäftigung, die durch ein weites Angebot an Kinderkrippen- und Kindergartenplätzen unterstützt wurde, ihre Ursache aber auch in allgemein niedrigen Einkommen hatte, so daß das Einkommen der Frauen für die Familienexistenz unverzichtbar war. Weiterhin wurde eine spezielle Jugendpolitik betrieben, die unabhängig vom Arbeitsplatzangebot jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz und anschließend eine Arbeitsstelle garantierte. Typisch war auch eine hohe Zahl von Beschäftigten in der staatlichen Verwaltung, vor allem aber in den Massenorganisationen. Diese Ausgangsbedingungen waren auch für die CSFR und ihre beiden Nachfolgestaaten eine beträchtliche Hypothek für die sich vollziehende Beschäftigtenentwicklung.
27
Vgl. ebenda, S. 10 f.
28
Vgl. Statistical Yearbook of the Czech Republic (1995), S. 27 (Angaben zur Jahresrnitte).
Horst Ufer
44
Tabelle 8 Ausgewählte Arbeitsmarktdaten für die CR und SR
CR Erwerbspersonen 0 (in Mill.) Beschäftigte^ (in Mill.) Beschäftigte Jährl. Veränderungen (in vH) Arbeitslosenquote (in vH) SR Beschäftigte2* (in Mill.) Beschäftigte Jährl. Veränderungen (in vH) Arbeitslosenquote, ILO-Definition (in vH)
1990
1991
1992
1993
1994
1995
6,029
6,049
6,114
6,181
6,243
5,35
5,06
4,93
4,85
4,90
5,10
-ι,ο
-5,5
-2,6
-1,6
1,0
4,1
0,7
4,1
2,6
3,5
3,2
3,0
2,46
2,15
2,01
2,01
1,98
2,02
-1,8
-12,6
-6,5
0,0
-1,5
2,0
7,9 12,8 14,8 13,1 11,0 Frauen im Alter von 15-54 Jahren, Männer im Alter von 15-59 Jahren.-2) Gesamtbeschäftigte im Alter von 15 und mehr Jahren. Quellen: Statistical Yearbook of the Czech Republic (1995), S. 27; DIW-KOST (1996), S. 21 und 28. 0
Wie Tabelle 8 zeigt, sind die Beschäftigtenzahlen in der CR und SR in den ersten Transformationsjahren erheblich gesunken. In der CR ging die Gesamtbeschäftigung zwischen 1990 und 1993 um 500 000 Personen zurück, um danach wieder deutlich anzusteigen. In der SR fiel die Zahl der Gesamtbeschäftigten von 1990 bis 1994 um 480 000, um danach wieder leicht zuzunehmen. Sowohl der in der SR verzögerte und geringer ausfallende Wiederanstieg in den Beschäftigtenzahlen als auch das absolute Ausmaß des Beschäftigungsrückgangs bei nur etwa halb so großer Bevölkerung weisen auf deutliche Unterschiede in der Entwicklung der Arbeitsmärkte zwischen der CR und der SR hin. Auffällig ist auch, daß diese Unterschiede schon vor der Teilung der CSFR zutage traten. Während in der CR 1991 die Beschäftigung um 5,5 vH zurückging, waren es in der SR 12,6 vH. Auch 1992 war dieser Unterschied von -2,6 vH in der CR und -6,5 vH in der SR noch bemerkenswert. Dies schlägt sich auch in der Entwicklung der Arbeitslosenquoten beider Länder, deren Höchstwerte in der CR 1991 bei 4,1 vH und in der SR 1994 bei 14,8 vH lagen, nieder. Die Hauptursachen für diese Entwicklungsunterschiede sind offensichtlich vorrangig in den voneinander abweichenden Ausgangsbedingungen zu suchen und weniger im spezifischen Verlauf der Transformationsprozesse oder in den Besonderheiten der Arbeitsmarktpolitik. Die industrielle Prägung der SR war in weit höherem Maße Ergebnis der sozialistischen Industrialisierungspolitik, wie sie nach 1945 in der CSFR betrieben wurde. Gerade in der SR dominierten die erst nach 1945 entstandenen industriellen Großkombinate, vor allem in
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
45
der Schwerindustrie, die hochgradig in die RGW-Arbeitsteilung eingebunden waren. Der Zusammenbruch des RGW, aber auch die damit verbundene drastische Reduzierung der in der SR konzentrierten Rüstungsindustrie haben offensichtlich wesentlich mehr Arbeitsplätze gekostet als in der CR. Hinzu kam, daß aufgrund der weit vor dem zweiten Weltkrieg begründeten industriellen Traditionen in der CR an eine wesentlich breiter gefächerte Betriebsgrößenstruktur angeknüpft werden konnte, was die Privatisierung erleichterte und das Entstehen neuer Unternehmen begünstigte. Die im Verhältnis zu anderen Transformationsländern, aber auch zum Durchschnitt der OECD-Länder äußerst niedrige Arbeitslosigkeit in der CR verlangt jedoch nach weiteren Erklärungen. Nach einer OECD-Studie werden folgende Hauptfaktoren für die niedrige Arbeitslosigkeit in der CR genannt29: 1.
Signifikanter Rückgang der Erwerbsbevölkerung, vor allem an Personen im Rentenalter, aber auch an Frauen;
2.
ein bemerkenswerter Grad an Lohnzurückhaltung durch die tschechischen Arbeitnehmer;
3.
Vorteile aus der Beschäftigungsstruktur vor der Transformation, insbesondere durch einen niedrigen Beschäftigtenanteil in der Landwirtschaft, womit Freisetzungen in diesem Bereich weniger ins Gewicht fielen.
Aus der detaillierten Analyse soll hier nur der drastische Rückgang der Rentner an der Erwerbsbevölkerung hervorgehoben werden. Während 1990 noch fast 519 000 Beschäftigte im Rentenalter zur ökonomisch aktiven Bevölkerung gezählt wurden, waren es 1993 nur noch etwa 271 500 30 . Ein komplizierter werdender Arbeitsmarkt, aber auch eine Verdopplung der Einkommensteuer für Arbeitseinkommen von Rentnern im Zeitraum 1991/1992 dürften hierzu beigetragen haben. Etwa im gleichen Zeitraum wurde das Mutterschaftsgeld und der Freistellungszeitraum für Mütter nach der Geburt von Kindern erhöht, so daß der Anteil der Frauen an den Beschäftigten deutlich zurückging. Ein nur allmählich einsetzender Strukturwandel und deutliche Verzögerungen in der Wirksamkeit des Konkursgesetzes dürften den Beschäftigungsrückgang zusätzlich abgebremst haben. Ein weiteres wesentliches Moment des Humankapitals ist das Bildungsniveau, das sowohl in der CR als auch in der SR schon vor Beginn der Transformationsprozesse einen hohen Entwicklungsstand erreicht hatte. Da die historisch gewachsenen Ausbildungs- und Qualifikationsstrukturen in hohem Maße planwirtschaftlich geprägt waren, sind einerseits partielle Tendenzen der Entwertung des bisher erworbenen Wissens zu berücksichtigen. Dies traf in besonderem Maße auf sozialwissenschaftliche und wirtschaftswissenschaftliche Ausbildungsrichtungen zu. Andererseits war der hohe Anteil von Hoch- und Fachschulabsolventen und ingenieurtechnischem Personal eine gute Voraussetzung für die erforderliche Flexibili-
29
Vgl. OECD (1995), S. 13 ff.
30
Vgl. Statistical Yearbook of the Czech Republic (1995), S. 228.
Horst Ufer
46
Tabelle 9 Bildungsniveau des Arbeitskräftepotentials für die CR, SR, Ungarn und Polen 1994 (in vH zu Gesamt) Beschäftigte
Arbeitslose
Gesamt
CR Höhere Bildung
9,8
0,1
9,9
Sekundarbildung
74,3
2,5
76,8
Primarbildung oder weniger
12,1
1,2
13,2
Gesamt
96,2
3,8
100,0
Höhere Bildung
11,3
0,5
Sekundarbildung
64,9
9,4
11,7 74,2
SR
Primarbildung oder weniger
10,2
3,8
14,0
Gesamt
86,3
13,7
100,0
Höhere Bildung
13,1
0,4
13,5
Sekundarbildung
53,6
Primarbildung oder weniger
22,5
6,1 4,3
59,7 26,8
89,2
10,8
100,0
12,1 53,7
0,7
12,8
10,2
63,9
Ungarn
Gesamt Polen Höhere Bildung Sekundarbildung Primarbildung oder weniger
19,8
3,5
23,2
Gesamt
85,6
14,4
100,0
Quelle·. OECD (1996a), S. 27.
tät, vorhandenes Wissen auf marktwirtschaftliche Zusammenhänge umstellen zu können. Gezielte Umschulungs- und Weiterbildungsprogramme haben diesen Prozeß wesentlich gefördert. Ein Vergleich der Bildungsstrukturen zwischen der CR, der SR, Ungarn und Polen für das Jahr 1994 in Tabelle 9 macht sichtbar, daß sowohl die CR, aber auch die SR deutlich höhere Anteile bei den Beschäftigten mit Sekundarbildung ausweisen, während die Anteile der Beschäftigten mit Primarbildung oder darunter wesentlich niedriger als in Ungarn und Polen ausfallen 31. Sowohl im Vergleich zu anderen Transformationsländern Osteuropas als auch im Vergleich der Produktionsfaktoren untereinander ist das Humankapital in der CR und SR mit
31
Primarbildung: Grundschulen (1.-9. Klasse); Sekundarbildung: Berufsschulen, Gymnasien, Fachschulen; Höhere Bildung: Hochschulen, Universitäten.
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
47
Abstand die bedeutendste Ressource für Wirtschaftswachstum und zunehmende Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten. Dieser Standortfaktor erhält durch ein bisher noch immer relativ niedriges Lohnniveau zusätzlich an Gewicht. Obwohl die Arbeitskosten in der CR und SR durch die Lohnentwicklung der letzten Jahre erheblich gestiegen sind, liegen sie auch 1996 noch um ein Mehrfaches unter denen in Deutschland. Auch auf der Basis von Lohnstückkosten dürften die komparativen Vorteile der CR und der SR bei arbeitsintensiven Erzeugnissen noch über einen längeren Zeitraum von hoher Bedeutung sein. Bei gezielter Nutzung und Entwicklung des vorhandenen und für Mittel- und Osteuropa überdurchschnittlichen Bildungspotentials dürften diese komparativen Vorteile auch bei technologie- und innovationsintensiven Erzeugnissen und Dienstleistungen an Gewicht gewinnen.
4.3. Anlagenkapital Als äußerst schwierig erweist sich eine Bewertung des Sach- und Anlagenkapitals. Einerseits bietet das erreichbare statistische Material nur beschränkte Aussagen. Andererseits ergibt sich das Problem der Bewertungsmaßstäbe, an denen das Anlagenkapital zu messen wäre. Aussagen zur Modernität, zum technischen Zustand und zum technologischen Niveau des Anlagenvermögens können sich nur auf vage Annahmen stützen. Ungefähre Anhaltspunkte bieten Analogieschlüsse zur DDR, deren Leistungsniveau dem der CSFR bis 1989 am nächsten war. Auch in der CSFR konnte dem Erneuerungs- und Erweiterungsbedarf bei produktiven Anlagen im Verlaufe der 80er Jahre immer weniger entsprochen werden. Abnehmendes reales Wirtschaftswachstum und die immer deutlicher werdenden Schwächen der RGW-Arbeitsteilung hatten daran entscheidenden Anteil. Sichtbarstes Zeichen für diese Entwicklung war die wachsende Überalterung des Anlagenkapitals, was der Produktivitätsentwicklung immer engere Grenzen setzte. Aus Tabelle 10 geht für ausgewählte Branchen hervor, daß das Durchschnittsalter des gesamten Kapitalstocks 1994 bei 20 Jahren oder leicht darunter lag. Etwas bessere Werte werden innerhalb der ausgewählten Branchen bei M aschinen/Ausrüstungen und bei Transportmitteln erreicht. Das bauliche Anlagevermögen weist demnach ein weit höheres Durchschnittsalter auf. Auch das Austauschmodell des RGW, Fertigerzeugnisse aus den mittel- und osteuropäischen Ländern gegen Rohstoffe aus der UdSSR, war für die kleineren RGW-Länder ein entscheidendes Hindernis bei der Modernisierung ihres Anlagenkapitals. Zur Aufrechterhaltung notwendiger Rohstoffimporte mußten vor allem die modernsten Maschinen und Ausrüstungen dem Export zur Verfügung gestellt werden, was das Alter des eigenen Maschinenund Ausrüstungsparks weiter erhöhte. Gerade die 80er Jahre waren dadurch gekennzeichnet, daß wachsende Teile der Investitionsgüterindustrie in den Export einbezogen wurden, um vor allem die Rohstoffimporte aus der UdSSR aufrecht erhalten zu können. Die RGWPreisbildung auf Fünfjahresbasis führte dazu, daß noch lange nach dem letzten Ölpreisschock wachsende Warenlieferungen indie UdSSR notwendig waren. Dieser Lieferzuwachs resultierte fast ausschließlich aus reinen Produktionserweiterungen, die nur in geringem Maße mit technologischen Erneuerungen verbunden werden konnten. Hinzu kam der ge-
12,9 15,4
16,7
13,3 8,4
12,4 9,1
11,4 10,3
6jS 7,2
11,6
1,2 4,4
M
13,6
1,2 5,5 7,7 1,2 4,0 5,8
5,9 7,9
2,8 1,8
12,5
12,0 3,6 8,1 8,9
19,2 12,7
13,6
20,4 27,9
20,4
13,5
13,1
12,4
21,9
17,0
16,1
38,2 33,7
17,9
23,0
1990
24,8
30,5
21,9
24,6
16,7
12,3°
1976-
1985
15,5
19,6
1980
1971-
27,7 22,8
16,1
1975
1961-
1970
11,3 6,5
1,7 5,2
14,8
1960
1951-
•> 1991 bis 1993. Quelle: Statistical Yearbook of the Czech Republic (1995), S. 280 f.
Transportmittel 12J
Transportmittel 14,7 In der Herstellung von Nahrungsgütern und Getränke 18,9 davon: Maschinen und Ausrüstungen 11,3 Transportmittel 10,4 In der Herstellung von Chemikalien und chemischen Erzeugnissen 18,5 davon: Maschinen und Ausrüstungen 13,9
2,1 4,1 8,8 7,8
davon: Maschinen und Ausrüstungen 14,2
13,1 9,2
7,8 8,4
In der Herstellung von Maschinen und Ausrüstungen 20,1
.... inen
1981-
1986-
1994
Tabelle 10 Altersstruktur des Kapitalstocks für ausgewählte Branchen des verarbeitenden Gewerbes in der CR (Anteile des Anlagenkapitals, in vH zum gesamten Kapitalstock)
1991-
48 Horst Ufer
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
49
ringe technologische Anspruch des sowjetischen wie auch des RGW-Marktes insgesamt, auf dem sich die CSFR im Rahmen des RGW-Niveaus noch relativ gut behaupten konnte. Mit der Umorientierung des Außenhandels auf westliche Märkte muß also davon ausgegangen werden, daß große Teile des Anlagenkapitals eine beträchtliche Entwertung haben hinnehmen müssen. Um so erklärlicher wird der hohe Nachholbedarf bei der Erneuerung und Modernisierung des Anlagenkapitals. Nachdem zu Reformbeginn auch die Investitionsaktivitäten zunächst noch weiter zurückgingen, wurde die Nachfrage nach Investitionsgütern in den letzten Jahren immer stärker zu einem tragenden Moment des Wirtschaftswachstums, zunächst in der CR und dann auch in der SR.
4.4. Infrastruktur Die schwach entwickelte Infrastruktur in osteuropäischen Transformationsländern ist eines der Haupthindernisse bei der Modernisierung ihrer Wirtschaften. Auf dem Entwicklungsweg zu modernen Marktwirtschaften und bei rasch zunehmenden internationalen Handelsflüssen wird eine gut funktionierende Infrastruktur zu einem entscheidenden Standortfaktor. So spielt bei der Standortwahl ausländischer Investoren die Qualität der Infrastruktur eine immer entscheidendere Rolle. Hauptaugenmerk wird dabei auf funktionsfähige und moderne Transport- und Kommunikationswege gelegt, die eine rasche und reibungslose Abwicklung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen gewährleisten. Neben der generellen Unterentwicklung der Infrastruktur in den osteuropäischen Transformationsländera kommt erschwerend hinzu, daß die Verkehrs- und Kommunikationsverbindungen bis 1989 einseitig auf den RGW-Raum orientiert waren, während die Anbindung an westeuropäische Märkte nach dem zweiten Weltkrieg stark vernachlässigt wurde. Mit der Reorientierung auf westeuropäische Märkte werden die infrastrukturellen Schwachstellen um so sichtbarer und langfristig angelegte Infrastrukturprojekte stehen deshalb in allen osteuropäischen Transformationsländern oben auf der Tagesordnung. Auch aus der Sicht der europäischen Union wird mit der Zielrichtung des Beitritts osteuropäischer Länder deren Eingliederung in zentraleuropäische Verkehrs- und Kommunikationsnetze zu einer vordringlichen Aufgabe. Aufgrund der zentralen Lage im Herzen Europas gilt dies in besonderem Maße für die CR und SR, die gleichzeitig auch wichtige Transitländer sind. In einer detaillierteren Bewertung der Infrastrukturen einiger zentraleuropäischer Transformationsländer wird deutlich, daß bei den Verkehrsnetzen die quantitative Ausdehnung der Schienenwege noch am besten abschneidet, während die Straßennetze wegen der geringen Bedeutung des Individualverkehrs zu Zeiten der Planwirtschaft wesentlich schwächer ausgebaut sind. Im Bereich der Telekommunikation lagen jedoch alle osteuropäischen Transformationsländer 1990 mit weitem Abstand am Ende der europäischen Länderskala. Hervorzuheben ist jedoch, daß in der Bewertung des Ausgangsniveaus von 1990 die damalige CSFR unter den osteuropäischen Ländern den Spitzenplatz einnahm. In einer quantitativen Bewertung der Verkehrsinfrastruktur rangierte die CSFR auf einem europäischen
4 Schumacher u. a.
Horst Ufer
50
Mittelplatz nach Österreich und vor Schweden. Im Telekommunikationsbereich wurde die CSFR jedoch noch hinter Portugal und Bulgarien eingeordnet 32. Die relativ große quantitative Ausdehnung des Schienennetzes der CSFR war vor allem eine Folge ihrer schwerindustriell geprägten Wirtschaftsstruktur mit hohen Anteilen des Transports von Massengütern. Im Verhältnis von Straßen- und Eisenbahnverkehr lag das Übergewicht eindeutig beim Bahntransport. Ein Vergleich mit deutschen Daten in Tabelle 11 charakterisiert die Ausgangslage der CSFR beim Verkehrsaufkommen und seinen Verkehrsträgern. Markant waren vor allem die Unterschiede bei den Verkehrsleistungen im Güterverkehr. Während die Eisenbahn in der CSFR hier einen Anteil von 63,3 v H erreichte, waren es in Deutschland lediglich 21,4 vH. Ein etwa umgekehrtes Verhältnis zeigte sich dagegen bei den Anteilen des Straßenverkehrs am Güterverkehr. Bemerkenswert war auch der Unterschied von t-km je Einwohner im Güterverkehr von 6 700 in der CSFR zu 4 625 in Deutschland, der auf die außerordentlich hohe Transportintensität der tschechoslowakischen Wirtschaft von 1989 verweist. Die Ausweitung der Gütertransporte im Verlaufe der 80er Jahre stieß zunehmend auf Engpässe in der Verkehrsinfrastruktur, vor allem im Eisenbahnverkehr. Nadelöhre waren insbesondere die zwei Hauptstrecken von Usti nad Labem im Nordwesten über Olomouc nach Kosicé im Südosten und von Prag über Brno nach Bratislava, auf die fast 70 vH des Eisenbahnverkehrs entfielen. Die Investitionstätigkeit für den Eisenbahnverkehr deckte nur unzureichend die einfache Instandhaltung ab, so daß Schienennetz und Fuhrpark zunehmend veralteten. Das führte zu Reduzierungen in der Fahrgeschwindigkeit vieler Strecken und zu einer Durchschnittsgeschwindigkeit der Personenzüge von etwa 40-50 km/h. Nur etwa 13 vH aller Strecken konnten mit mindestens 100 km/h befahren werden. Auch war der Anteil eingleisiger Strecken hoch und der Anteil elektrifizierter Trassen relativ gering. Hinzu kam eine größtenteils veraltete Bahn- und Umschlagstechnik. Alle diese Angaben machen deutlich, vor welchen umfangreichen Aufgaben die CR und SR bei der Modernisierung und beim Ausbau ihrer Verkehrs infrastruktur stehen. Hinzu kommen für die SR noch deutliche Nachteile im Vergleich mit der CR. So ist die Dichte des Straßennetzes in km/100 qkm 1991 in der CR fast doppelt so hoch wie in der SR. Auch in der Dichte des Eisenbahnnetzes erreicht die SR nur annähernd 60 vH des Niveaus der CR 33 .
12
Vgl. Hunya (1995), S. 369 ff.
33
Vgl. Centre for Foreign Economic Relations (1993), S. 25 f.
51
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
Tabelle 11 Verkehrsaufkommen in der CSFR nach Verkehrsträgern für 1989 Personenverkehr
Güterverkehr Verkehrsleistung
Verkehrsleistung zum Vergleich: BRD
Beförderte Güter
Anteil vH
Anteil vH
Mill. t-km
6,2
Beförderte Personen
Mill. Pers.-km
Mill. Pers. Eisenbahn Straßenverkehr ohne Individual verkehr Öffentlicher Personennahverkehr Individual verkehr Luftverkehr Binnenschiffahrt Rohrleitungen Insgesamt Ohne Individualverkehr
441,0
19 669
12,0
2 320,3"
39 708a
24,8*
3 185,1
12 740b 89 500c 2 627 55 X 164 299
7,8 54,5 1.6 0,0 X 100,0
74 799
45,5
-
1,5 2,5 X -
5 920,4
Mill. t-km
Anteil vH
Anteil vH
283,7
66 313
63,3
21,4
1 258,1
23 825
22,7
56,1
X X 66 5 099 9 440' 104 743
X X 0,l d 4,9
X 100,0
X X 0,0 13,5 19,5' 1 574,8
9,0 100,0
X X 0,1e 18,6 3,9 100,0
18,0
X
X
X
X
9,3 82,0 2,4 -
Pers.-km je Einwohner Verkehrsleistung je Einwohner insgesamt ohne Individualverkehr
zum Vergleich: BRD
t-km je Einwohner
CSFR
BRD
CSFR
BRD
10 500
10 696
6 700
4 625
4 780
1 875
X
X
14
Nur Busverkehr (CSAD).- h Straßenbahn, O-Bus und städtischer Busverkehr (für die Bundesrepublik auch U-Bahnverkehr). Eigene Schätzungen der Verkehrsleitung in der CSFR unter Zugrundelegung einer durchschnittlichen Fahrstrecke von 4 km je beförderter Person.-c Eigene Schätzung des Individualverkehrs auf der Basis zugelassener Individualfahrzeuge.- d Genauer: 0,06 vH.- e Genauer: 0,14 vH.- ' 1988. Quelle: Heitger/Krieger-Boden/Schrader/Ufer (1991), S. 56.
Im Modernisierungsprogramm des Eisenbahnnetzes in der CR wurde mit der Strecke Decin-Prag-Brno-Breclav begonnen, die zugleich einen Teilabschnitt der Fernverbindung Wien-Berlin bildet. Bis zum Jahr 2005 sollen 1 450 km Hauptstrecke modernisiert werden. Darin eingeschlossen sind alle AnschlußVerbindungen zu ausländischen Netzen bzw. internationalen Transitrouten, wobei eine Zuggeschwindigkeit von 160 km/h erreicht werden soll. Das Investitionsvolumen zur Realisierung dieses Programms wird auf über 5,3 Mrd. D M veranschlagt. Zur Finanzierung dieses Programms werden auch ausländische Kredite und Hilfen internationaler Finanzorganisationen, wie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und der Europäischen Investitionsbank herangezogen. Die Modernisierung weiterer Strecken wird vorbereitet, wobei die Eingliederung in gesamteuropäische Hochgeschwindigkeitsnetze in den Achsen Berlin-Prag-Wien, Nürnberg-Prag-Warschau, 4*
52
Horst Ufer
Wien-Brno-Kattowitz angestrebt wird. Diese Vorhaben dürften jedoch erst eine Realisierungschance nach dem Jahr 2010 haben34. Zur Beschleunigung dieser Vorhaben wird auch die Privatisierung wichtiger Teilstrecken des Eisenbahnnetzes ins Auge gefaßt. Auch in der SR ist ein Perspektivplan zur Modernisierung wichtiger Eisenbahnstrecken verabschiedet worden. Priorität hat hier die Strecke Wien-Bratislava. Die Investitionskosten des Programms werden auf etwa 1,7 Mrd. D M veranschlagt 35. Ähnliche ehrgeizige Projekte werden beim Ausbau und bei der Modernisierung der Straßennetze verfolgt, wobei der rasch wachsende Güter- und Individualverkehr zur Eile drängen. So wurde in der CR Ende 1993 ein Programm zur Erweiterung des Autobahnund Fernstraßennetzes beschlossen, wobei den Autobahnstrecken Vorrang eingeräumt wird. Bei einer Gesamtlänge des Straßennetzes von annähernd 60 000 km entfielen davon 1993 nur 390 km auf Autobahnen. Bis zum Jahr 2005 soll das nationale Autobahnnetz auf eine Länge von 1 000 km ausgebaut werden. Vorrangige Projekte sind dabei die Autobahnen Prag-Plzen-Nürnberg, Prag-Usti nad Labem-Dresden, Prag-Hradec Krâlové-Polen, PragBudweis-Österreich 36. Gemessen an anderen osteuropäischen Transformationsländern war die Telekommunikationsinfrastruktur der CSFR relativ gut ausgebaut. Auf 1 000 Einwohner kamen 1991 in der CR 303, in der SR 247, in Ungarn 195 und in Polen 93 Telefone 37 . Gemessen an westlichen Standards ist der Telekommunikationsbereich jedoch deutlich unterentwickelt. Es gibt lange Wartezeiten auf Telefonanschlüsse, überlastete Telefonnetze und eine noch sehr geringe Verfügbarkeit an modernen Telekommunikationsgeräten. Für die Modernisierung und Erweiterung der Telekommunikationsverbindungen werden in beiden Republiken hohe Ziele angestrebt. Um die hohen Modernisierungskosten aufbringen zu können, wurde in der CR eine weitgehende Deregulierung des Telekommunikationssektors eingeleitet. Spektakulärster Schritt war dabei der Verkauf von 27 vH der Anteile des noch mehrheitlich in Staatsbesitz befindlichen Großunternehmens SPT Telekom an das Konsortium Telsource, bestehend aus der niederländischen KPN und der Schweizer Swiss Telekomm. Die tschechische Regierung gab diesem Konsortium auch deshalb den Zuschlag unter mehreren Bewerbern, weil nahezu eine Verdoppelung der derzeit 2,2 M i l l . Telefonhauptanschlüsse auf 4 M i l l , bis zum Jahr 2000 zugesagt wurde. Die durchschnittliche Wartezeit auf einen Telefonanschluß von etwa zwei Jahren soll damit auf zwei Monate verkürzt und die Anruf-Erfolgsrate von 60 auf 97 vH erhöht werden 38 .
34
Vgl. Nachrichten für Außenhandel (3.7.1995).
35
Vgl. Nachrichten für Außenhandel (22.3.1996).
36
Vgl. Statistisches Bundesamt (1995), S. 95 f.
37
Vgl. Centre for Foreign Economic Relations (1993), S. 27.
38
Vgl. Nachrichten für Außenhandel (2.7.1996).
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
53
Auch die slowakische Regierung plant zur rascheren Modernisierung der Telekommunikationsverbindungen umfangreiche Privatisierungsmaßnahmen. So soll die staatliche Telefongesellschaft Slovenske Telekommunikacie (ST) durch Beteiligung eines ausländischen Fachunternehmens im Jahre 1998 teilprivatisiert werden. Darüber hinaus wurde Ende 1995 ein Fünfjahresprogramm zur Modernisierung des nationalen Fernmeldewesens verabschiedet, das ein Investitionsvolumen von rund 1,5 Mrd. US-Dollar vorsieht. Ziel des Programms ist es, die derzeitige Netzdichte erheblich zu erhöhen. Das Finanzierungsvolumen für dieses Programm soll zum größten Teil aus dem Verkaufserlös bei der vorgesehenen Teilprivatisierung der slowakischen ST abgedeckt werden 39 . Insgesamt kann für beide Republiken davon ausgegangen werden, daß sich die Telekommunikationsinfrastruktur bis zum Jahr 2000 erheblich verbessern wird. Mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung sollte dies auch für die Verkehrsinfrastruktur erreicht werden.
5. Zur Neuorientierung der Außenwirtschaft in der Tschechischen und Slowakischen Republik 5.1. Ausgangssituation für die Neuorientierung des Außenhandels Bis 1989 war der Außenhandel der osteuropäischen Reformländer hochgradig auf den RGW-Markt konzentriert. Nur geringe Anteile ihres Außenhandels entfielen auf die übrige Welt. Der Handel mit westlichen Märkten war in den 80er Jahren von zunehmenden Problemen begleitet. Dazu gehörten schwindende Marktanteile und sinkende Wettbewerbsfähigkeit sowie eine wachsende Verschuldung in frei konvertierbaren Devisen. Aber auch der RGW-Handel stand vor seinem Zusammenbruch vor unlösbaren Problemen. Das Austauschmodell Rohstoffe der UdSSR gegen Fertigerzeugnisse der kleineren RGW-Länder behinderte immer stärker die intraindustrielle Arbeitsteilung, womit den RGW-Ländern die effizienzsteigernde Wirkung der internationalen Arbeitsteilung teilweise verschlossen blieb. Die weitgehend politisch bestimmte Arbeitsteilung des RGW hatte ihre Entwicklungsmöglichkeiten erschöpft. Die Ausgangssituation der Reformländer nach Auflösung des RGW war somit durch Produktionsstrukturen bestimmt, deren Umfang und Niveau in keiner Weise den Anforderungen einer marktwirtschaftlich organisierten internationalen Arbeitsteilung entsprachen. Deutliche Niveauunterschiede in der Produktivität, der Qualität und im Management zu den entwickelten Marktwirtschaften sind die entscheidende Hypothek, die den osteuropäischen Reformländern die Neuorientierung ihres Außenhandels erschwert. Hinzu kam, daß gerade zu Beginn der 90er Jahre der Welthandel eine Rezessionsphase durchlief, so daß die Nachfrage auf westlichen Märkten spürbar nachließ. Unter diesen Bedingungen den Reformprozeß im Inneren der Volkswirtschaften gleichzeitig mit einer wirtschaftlichen Öffnung nach außen zu begleiten, war mit hohen Risiken behaftet, letztendlich aber ohne Alternative. Als
39
Vgl. Nachrichten für Außenhandel (3.5.1996).
Horst Ufer
54
marktwirtschaftliche Instrumente wurden dabei die massiven Abwertungen der einheimischen Währungen und die Möglichkeiten der Zollpolitik genutzt. Der Entscheidungsspielraum lag also zwischen einer übertriebenen außenwirtschaftlichen Öffnung mit gravierenden Deindustrialisierungsprozessen (wie unter anderen Umständen in den neuen Bundesländern erfolgt) und einer zu weit gehenden Abschirmung der Binnenwirtschaft mit unzureichendem Wettbewerbsdruck und strukturkonservierenden Wirkungen. Dieser Entscheidungsspielraum wurde aber auch vom erreichten Grad der externen Verschuldung beeinflußt. Einen Überblick über die Entwicklung der Bruttoschulden in konvertiblen Währungen für einige osteuropäische Reformländer seit 1990 zeigt Tabelle 12.
Tabelle 12 Bruttoverschuldung einiger osteuropäischer Reformländer (in Mrd. US-Dollar) 1990
1991
1992
1993
1994
1995
48,5
48,8
47,0
47,2
43,6
4,4
7,5
7,5
8,5
42,2 10,7
SR Ungarn
2,0 21,3
2,6 22,7
3,0 21,4
3,6 24,6
4,3 28,5
5,4° 31,7
Rumänien Bulgarien
0,2
2,1 11,4
3,2
4,2
12,6
12,9
5,5 10,8
5,9°
10,6
Rußland
59,8
67,6
79,0
83,9
94,2
104,0
Polen CR
14,5
-
0 November. Quellen: DIW-KOST (1996), S. 15, 22, 35, 42, 49, 125.
Danach hat sich die Schuldensituation in den Reformländern seit 1990 nicht grundsätzlich geändert. Erhebliche Neuverschuldungen wurden nach diesen Angaben für Rußland und auf niedrigerem Niveau für Rumänien registriert. Aber auch die Bruttoverschuldung für die CR hat sich seit 1990 deutlich erhöht. So stieg die Schuldenquote (Bruttoverschuldung zu Exporterlösen) der CR von 1990 bis 1994 von 48,6 auf 72,1 vH. Für die SR hielt sich die Entwicklung der Bruttoschulden und der Exporterlöse in etwa die Waage, so daß die Schuldenquote im Durchschnitt der Jahre 1990 bis 1994 etwa bei 70 vH verharrte. Entscheidend war jedoch das relativ niedrige Ausgangsniveau der Verschuldung für die CR und die SR, was die außenwirtschaftliche Öffnung wesentlich erleichterte. Deutlich wird dies im Vergleich zu den Schuldenquoten Ungarns und Polens, die 1990 bei 301,1 bzw. bei 338,6 vH lagen 40 . Noch mehr als für die Bewertung der binnenwirtschaftlichen Entwicklung ergeben sich Probleme in der verfügbaren Datenbasis für die Analyse der Außenwirtschaft. Dazu zählen:
40
Vgl. DIW-KOST (1995), S. 12, 19, 26, 32.
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
1.
55
Die Entstehung neuer nationaler Grenzen. Im Falle der CSFR betrifft dies den Zerfall des Landes in zwei voneinander unabhängige Staaten zum 1.1.1993. Damit verbunden sind zwei Währungen mit unterschiedlicher Entwicklung der Wechselkurse zu ausländischen Währungen. Noch gravierender ist jedoch, daß vor allem die Slowakei ihre eigene statistische Basis z.T. neu aufbauen mußte. Problematisch ist auch die rückwirkende Einordnung des Binnenhandels beider Länder in die Außenhandelsstatistik vor 1993.
2.
Sich verändernde Wechselkurse, die das Problem der nachträglichen oder rückwirkenden Korrekturen mit sich bringen, wobei die Bewertungsprinzipien nicht immer klar sind.
3.
Im Verlauf des Transformationsprozesses wurden auch die Informationssysteme des Außenhandels auf marktwirtschaftliche Grundlagen umgestellt. Das betrifft z.B. die Umstellung auf die Daten der Zollstatistik, aber auch die Einführung neuer, für Marktwirtschaften übliche Erhebungskennziffern. Neben Einführungsschwierigkeiten ergeben sich vor allem Probleme für die Erstellung längerfristiger Zeitreihen, so daß Strukturbrüche unvermeidlich sind.
Eine detaillierte Bewertung der außenwirtschaftlichen Vorgänge in den Reformländern muß sich letztendlich auf die nationalen Statistiken stützen. Westliche Statistiken können jedoch zur Trendkontrolle und zur Füllung von Lücken nützlich sein.
5.2. Zahlungsbilanz Unverzichtbar für die Bewertung der außenwirtschaftlichen Entwicklung sind die Veränderungen in der Zahlungsbilanz eines Landes, in der die Transaktionen zwischen dem Inund Ausland zusammengefaßt werden. Einen Überblick über die Entwicklung der Zahlungsbilanz der CSFR von 1989-1992 bietet die nachfolgende Tabelle 13, die wesentlich von den Ausgangsbedingungen des Reformprozesses in der CSFR geprägt ist. Zu Beginn der Reform war zunächst eine negative Entwicklung der Handelsbilanz von etwa -1-0,4 auf -0,8 Mrd. US-Dollar zu verzeichnen. Ursache dafür war, daß der Import von 1989 zu 1990 um 1,8 Mrd. US-Dollar stieg. Neben den Abwertungen der Krone im Jahr 1990, die zunächst wenig Wirkungen auf den Export hatten, spielte vor allem der für 1991 erwartete Übergang zur Konvertibilität eine entscheidende Rolle. Viele einheimische Importeure nutzten die letzte Möglichkeit, gegen Kronenbeträge importieren zu können. In der Dienstleistungsbilanz stieg die Bedeutung des Tourismus, der 1989 erst 21 M i l l . , aber 1990 schon 71 Mill. US-Dollar einbrachte. Positiv war auch die Entwicklung des Transports, dessen Dienstleistungseinnahmen von 95 M i l l . 1989 auf 260 M i l l . US-Dollar für 1990 anstiegen. Die Währungsreserven reduzierten sich von 2,3 Mrd. 1989 auf 1,2 Mrd. US-Dollar im 4. Quartal von 1990. Das Leistungsbilanzdefizit für 1990 wurde damit im wesentlichen aus den Währungsreserven finanziert.
Horst Ufer
56
Tabelle 13 Zahlungsbilanz der CSFR in konvertiblen Währungen (in M i l l . US-Dollar) von 1989-1992
Leistungsbilanz Handelsbilanz
1989
1990
1991
1992
439
-1 105
356,5
225,5
419
-785
-447,4
-1 575,6 1 652,4
Dienstleistungsbilanz
218
37
827,4
Ertragsbilanz
-163
-316
-65,4
8,8
Transferbilanz
-35
-40
41,8
140,0
326
326
47,0
40,6
256
181
592,4
1 054,9
Kapitalbilanz Direktinvestitionen
-42,6
Portfolioinvestitionen Langfristiges Kapital
-53
718
1 731,7
471,4
Kurzfristiges Kapital
123
-573
2 277,7
-1 443,1
Fehler oder Weglassungen
-197
-324
494,4
-386,3
Veränderung in den Devisenreserven
-569
1 102
-897,9
120,1
Quelle: Centre for Foreign Economic Relations (1993),S. 8.
Für den Zeitraum 1991 und 1992 hatte der Übergang zu konvertiblen Währungen im wesentlichen positive Effekte. Die Zahlungen innichtkonvertiblen Währungen gingen von etwa 25 vH 1991 auf 2,3 vH für 1992 zurück. Die Abwertungen der Krone hatten zunächst eher nur stabilisierende Wirkungen auf den Export, aber sie hielten den Import in angemessenen Grenzen. Dies ist um so erklärlicher, da zur gleichen Zeit der RGW-Markt zusammenbrach und der Außenhandel vor einer völligen Neuorientierung stand. Daß die Handelsbilanz 1991 mit nur etwa 0,5 Mrd. US-Dollar negativ war, kann als Erfolg angesehen werden. Eine weitere positive Entwicklung der Dienstleistungsbilanz ließ die Leistungsbilanz insgesamt 1991 mit einem Plus von 0,36 Mrd. US-Dollar abschließen. Innerhalb der Dienstleistungsbilanz stiegen die Einnahmen aus dem Transport von 1990 zu 1991 um fast 50 vH, die aus dem Tourismus jedoch um mehr als das Vierfache, so daß beide Bereiche jeweils etwa 450 M i l l . US-Dollar einbrachten. In der Kapitalbilanz erreichten die ausländischen Direktinvestitionen erstmals fast 0,6 Mrd. US-Dollar für das Jahr 1991. Die langfristigen Kredite, eingeschlossen derer der Weltbank, des IWF, der EG und der G-24, beliefen sich auf über 1,7 Mrd. US-Dollar. Die Währungsreserven im Banksystem stiegen im Verlauf von 1991 um 0,9 auf 3,3 Mrd. USDollar, wovon 1,4 Mrd. auf die Zentralbank entfielen. Die günstige Entwicklung der Leistungsbilanz setzte sich bis Mitte 1992 fort. Ab Mitte des Jahres 1992 verschlechterte sich die Situation durch ein wachsendes Handelsbilanzdefizit. Auch der Zufluß an Direktinvestitionen ließ nach. Die Unsicherheiten bezüglich der Teilung des Landes und die mit 1993 zu erwartenden Folgen der Steuerreform zeigten ihre
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
57
Wirkung. Das beachtliche Exportwachstum wurde durch den Import noch übertroffen, so daß die Handelsbilanz ein Defizit von fast 1,6 Mrd. US-Dollar erreichte. Der sich auch 1992 weiter verbessernden Dienstleistungsbilanz ist es anzurechnen, daß die Leistungsbilanz auch 1992 insgesamt aktiv ausfiel. Der Beitrag aus der Dienstleistungsbilanz verdoppelte sich von 1991 bis 1992, woran der Transport 60 vH und der Tourismus 40 vH Anteile hatten. Zu den Transporteinnahmen gehörten auch die Transitgebühren für die Erdgasleitungen nach Westeuropa, die Rußland mit Gas bezahlte. 1992 stieg auch erstmals der Export an Bauleistungen deutlich an. In der Kapitalbilanz stiegen die Direktinvestitionen 1992 um über 80 vH gegenüber 1991. Als Hauptursache wurden hier Einnahmen durch Anteil s Verkäufe aus dem Fonds des Nationaleigentums im Rahmen der Privatisierung genannt. Der Netto-Zufluß an langfristigem Kapital reduzierte sich 1992 auf weniger als 0,5 Mrd. US-Dollar. Die Kredite des IWF, der Weltbank, der Eximbank, der EG und der G-24 erreichten im Laufe 1992 die Gesamtsumme von 897 M i l l . US-Dollar. Die Devisenreserven verringerten sich allein in der 2. Hälfte 1992 um 921 M i l l . US-Dollar. Bilanziert mit dem Zuwachs aus der 1. Jahreshälfte gingen sie für das gesamte Jahr um 120 M i l l . US-Dollar zurück. Die Devisenreserven der Tschechischen Staatsbank betrugen Ende 1992 1,23 Mrd. US-Dollar. Die Bruttoverschuldung der CSFR betrug Ende 1992 10,5 Mrd. US-Dollar. Der Schuldendienst für mittel- und langfristige Kredite repräsentierte 1992 11,7 vH des jährlichen Exports an Gütern und Dienstleistungen. 1991 waren es 11,2 vH. Der Anteil der CR an den Bruttoschulden wurde auf 6,9 Mrd. US-Dollar und der Anteil an den Güter- und Dienstleistungsexporten auf 78 vH für 1992 eingeschätzt41. Mit der Teilung der CSFR zum 1.1.1993 in zwei selbständige Staaten sind für den nachfolgenden Zeitraum die Zahlungsbilanzen beider Länder getrennt zu analysieren. Da der Handel zwischen der CR und der SR zunächst auf Basis eines Clearing-Abkommens vereinbart wurde, erfolgte seine Erfassung in einer separaten Zahlungsbilanz zu nichtkonvertierbaren Währungen. Nachfolgend werden deshalb nur die Zahlungsbilanzen beider Länder in konvertierbaren Währungen ausgewiesen und analysiert. Die Zahlungsbilanzdaten für die CR in Tabelle 14 machen deutlich, daß ein für 1993 und 1994 zurückgehender Leistungsbilanzüberschuß 1995 erstmals in ein Leistungsbilanzdefizit in Höhe von 1,4 Mrd. US-Dollar umschlug. Hauptursache hierfür ist ein 1993 und 1994 allmählich anwachsendes und 1995 deutlich zunehmendes Handelsbilanzdefizit, welches durch eine positive Entwicklung des Dienstleistungsbilanzüberschusses auf 1,9 Mrd. USDollar nicht mehr kompensiert werden konnte.
41
Vgl. Centre for Foreign Economic Relations (1993), S. 13.
Horst Ufer
58
Tabelle 14 Zahlungsbilanz der CR in konvertiblen Währungen von 1993-1995 υ (in Mrd. CCK) 1993
1994
1995
1995 in Mrd. US-$2)
12,6
8,6
-38,4
-17,8
-24,5
-101,3
Dienstleistungsbilanz
30,3
30,8
49,2
1,9
Ertragsbilanz
-3,7
-1,2
-2,5
0,1
Leistungsbilanz Handelsbilanz
-1,4 -3,8
3,8
3,6
16,2
0,6
76,9
60,6
200,3
7,5
15,1 30,9
24,2
67,0
2,5
Portfolioinvestitionen
23,6
42,9
1,6
Langfristiges Kapital
15,4
14,4
84,2
3,2
Kurzfristiges Kapital
15,6
0,2
-1,2
-1,6 -0,9
6,2
Fehler oder Weglassungen
36,1
-88,3
-68,3
-197,9
1,4 -7,5
Transferbilanz Kapitalbilanz Direktinvestitionen
Veränderungen in den Devisenreserven
1995 vorläufig.- 2 ) 1995 CCK/US-$: 26,537. Quellen·. Statistical Yearbook of the Czech Republic (1995), S. 165; Vydâvâ Cesky statisticky ufad (1996), S. 20, Tabellenanhang.
Gleichzeitig sind jedoch Kapitalbilanzüberschüsse für 1993 und 1994 zu beobachten, die sich 1995 sprunghaft auf 7,5 Mrd. US-Dollar erhöhten. Maßgeblichen Anteil daran hatten der beträchtliche Zufluß an ausländischen Direktinvestitionen, anPortfolioinvestitionenund an anderem langfristigen Kapital, wobei deren drastischer Anstieg im Jahre 1995 augenfällig ist. Im Ergebnis haben sich die Devisenreserven in der CR beträchtlich erhöht, wie Tabelle 15 ausweist.
Tabelle 15 Devisenreserven der CR 1992-1995 (in M i l l . US-$, jeweils am Jahresende) 1992
1993
1994
Bruttoreserven
4 370
6 245
8 892
17 200
Nationalbank
1 231
3 872
6 243
14 000
Geschäftsbanken
3 139
2 373
2 649
3 200
n
1995»
1995 vorläufig. Quellen : Statistical Yearbook of the Czech Republic (1995), S. 169; Vydâvâ Cesky statisticky ùfad (1996), S. A 41.
59
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
M i t einem Kapitalbilanzüberschuß für 1995 von 7,5 Mrd. US-Dollar stiegen die Devisenreserven der CR Ende 1995 auf 17,2 Mrd. US-Dollar an. Für die Tschechische Nationalbank wachsen damit die Probleme bei der Kontrolle der Geldmengenentwicklung. Um den Inflationsdruck zu dämpfen, der von diesem Kapitalzufluß ausgeht, werden vielfaltige Möglichkeiten seiner Neutralisierung genutzt. Westliche Experten gehen jedoch davon aus, daß trotz dieser Maßnahmen eine moderate Aufwertung der Tschechischen Krone (CCK) unumgänglich ist, um den Kapitalzufluß in geordnetere Bahnen zu lenken 42 . Eine der Konsequenzen einer solchen Aufwertung wäre die Verschlechterung der Position der tschechischen Exportbetriebe. Gleichzeitig würden sich jedoch auch die Importe verbilligen. Die deutlich negative Handelsbilanz für 1995 erschwert eine solche Entscheidung zusätzlich, da bei einer hohen Binnennachfrage, vor allem nach Investitionsgütern, eine weitere Forcierung des Imports zu erwarten ist. Tabelle 16 zeigt die Zahlungsbilanz der SR für das Jahr 1994. Die Leistungsbilanz wird mit einem Überschuß von 665 M i l l . US-Dollar ausgewiesen, die im wesentlichen von einer positiven Dienstleistungsbilanz getragen wird. In der ebenfalls positiven Kapitalbilanz (Überschuß von 390 M i l l . US-Dollar) wird jedoch ersichtlich, daß im Vergleich zur CR der Zufluß an ausländischen Direkt- und Portfolioinvestitionen sehr bescheiden blieb. Diese Situation hat sich auch 1995 nicht wesentlich verändert.
Tabelle 16 Zahlungsbilanz der SR in konvertiblen Währungen 1994
Leistungsbilanz Handelsbilanz
1994 in Mrd. SKK
1994 in Mill. US-S
21,3
664,9
1,9
58,5
Dienstleistungsbilanz
21,0
656,6
Ertragsbilanz
-3,8
-119,4
Transferbilanz
2,2
69,2
13,9
390,0
Kapitalbilanz Direktinvestitionen
5,4
169,5
Portfolioinvestitionen
8,7
271,7
Langfristiges Kapital
16,1
517,8
Kurzfristiges Kapital
-16,3
-569,0
Fehler oder Weglassungen Veränderungen in den Devisenreserven
14,8
495,7
-37,0
-1 208,0
Quelle: Statistical Yearbook of the Slovak Republic (1995), S. 92 f.
42
Vgl. Plan Econ Report (1995b), S. 15 ff.
Horst Ufer
60
In der Handelsbilanz in konvertiblen Währungen wird in Tabelle 17 für 1994 ein Überschuß von 58,5 M i l l . US-Dollar berichtet. Nach anderen Quellen belief er sich auf 127 M i l l . US-Dollar. Ohne Außenhandel mit der CR wird hier ein Handelsbilanzdefizit für 1994 von 416 M i l l . US-Dollar ausgewiesen. Das läßt auf einen erheblichen Handelsbilanzüberschuß im Handel mit der CR schließen43. Nach eigenen Berechnungen und vorläufigen Angaben für 1995 dürfte die Handelsbilanz der SR unter Einschluß der CR auch 1995 einen Überschuß von etwa 60 M i l l . US-Dollar aufweisen.
Tabelle 17 Jährliche ausländische Direktinvestitionen in der CR 1990-1995 1990
1991
1992
1993
1994
1995
1990 bis 1995
1,1
15,4
28,3
16,5
24,8
68,0
154,2
0,06
0,52
1,00
0,57
0,86
2,56
5,57
17,95
29,48
28,26
29,16
28,78
26,54
In Mrd. CCK In Mrd. US-$'> Durchschnittlicher Wechselkurs CCK/US-$ 1}
Berechnet nach den jeweiligen jährlichen durchschnittlichen Wechselkursen CCK/US-$. Quelle: Centrum Vnéjsich Ekonomickych Vztahû (1996), S. 131.
Unter dieser Voraussetzung ist auch 1995 für die SR eine positive Leistungsbilanz zu erwarten, womit die Devisenreserven weiter ansteigen dürften. Unter Einschluß der Goldreserven stiegen sie vom 1.1.1994 bis zum 31.12.1994 insgesamt für die SR von 1,4 auf 3,1 Mrd. US-Dollar 44 . Zum 1.1.1993 wurden sie lediglich mit 340 M i l l . US-Dollar angegeben und zwischenzeitlich wurden sie mit nur etwa 130 Mill. US-Dollar beziffert (kurz vor der Abwertung der Slowakischen Krone, SKK, um etwa 20 vH am 8.7.1993). Ende 1995 dürften die Devisenreserven der SR bei etwa 5 Mrd. US-Dollar gelegen haben.
5.3. Ausländische Direktinvestitionen Im Gegensatz zur SR hat der Zufluß an ausländischem Kapital in der CR schon eine beträchtliche Größenordnung angenommen, wobei von 1994 zu 1995 ein deutlicher Sprung zu verzeichnen ist. So lag der Kapitalbilanzüberschuß 1994 annähernd bei 2,1 Mrd. USDollar, während er sich zu 1995 um fast das 3,6-fache auf 7,5 Mrd. US-Dollar erhöhte. Besonders auffällig ist dabei der Zufluß an anderem langfristigen Kapital von 3,2 Mrd. US-
43
Vgl. Lukas (1995), S. 56.
44
Vgl. Statistical Yearbook of the Slovak Republic (1995), S. 98.
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
61
Dollar für 1995, ein Zuwachs gegenüber 1994 von 585 vH. Davon entfällt ein hoher Anteil auf Direktkredite ausländischer Banken an tschechische Unternehmen. Auch das Volumen der Portfolioinvestitionen hat sich von 1994 zu 1995 in etwa auf 1,6 Mrd. US-Dollar verdoppelt. Dazu gehören die Ausgabe festverzinslicher Wertpapiere an ausländischen Märkten als auch der Ankauf von inländischen Wertpapieren durch Ausländer. Das Volumen der Portfolioinvestitionen wurde vor allem von den Privatisierungsvorgängen beeinflußt, es ist aber auch Ergebnis eines deutlichen Differentials zwischen tschechischen und ausländischen Zinsen bei festverzinslichen Wertpapieren, wobei der spekulative Charakter dieses Teils des Kapitalzuflusses nicht zu übersehen ist. Die ausländischen Direktinvestitionen haben sich von 1994 zu 1995 etwa verdreifacht und auf sie entfiel 1995 annähernd ein Drittel des gesamten ausländischen Kapitalzuflusses. Dominierenden Einfluß auf die Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen von 1991 bis 1995 hatten die Großgeschäfte, wie Skoda-Volks wagen, Tabak-Philip Morris, Cokoladny-Nestle, Technoplyn-Linde und SPT Telecom-Tel Source. So entfielen 1995 1,3 Mrd. US-Dollar allein auf den Verkauf von 27 vH der Anteile von SPT Telecom an das DutchSwiss Consortium Tel Source. Ende 1995 wurden weiterhin 49 vH der Anteile der tschechischen Ölraffinerien Kralupy und Litvinov für 170 M i l l . US-Dollar verkauft. Ohne diese beiden Großgeschäfte hätte das Volumen an ausländischen Direktinvestitionen nur 1 Mrd. USDollar erreicht. Bemerkenswert ist auch, daß bis Ende 1994 etwa die Hälfte der ausländischen Direktinvestitionen indie verarbeitende Industrie flöß und 1994 16,4 vH des Exports der verarbeitenden Industrie der CR durch ausländische Firmen bereitgestellt wurde 45 . Wie Tabelle 18 zeigt, dominiert Deutschland zum 31.12.1995 die kumulativ aufgelaufenen ausländischen Direktinvestitionen in der CR mit einem Anteil von 30 vH, gefolgt von der Schweiz, den USA und den Niederlanden. Tabelle 19 macht deutlich, daß mit dem Großgeschäft von 1995 der Bereich Telekommunikation/Transport bei den Einsatzgebieten von ausländischen Direktinvestitionen die führende Position mit einem Anteil von 27,1 vH übernommen hat. Wichtige weitere Einsatzbereiche sind Transportausrüstungen und Konsumgüter/Tabak. Ein weiter anwachsender Zustrom an ausländischen Direktinvestitionen könnte in der CR, wie auch in anderen osteuropäischen Transformationsländern, zu einem Dreh- und Angelpunkt des notwendigen Strukturwandels werden, wobei dem Transfer moderner Technologien und eines effizienten Managements zur Schließung der technologischen Lücke besondere Bedeutung zukommt. Während ausländische Direktinvestitionen in den ersten Jahren der Transformation vor allem der gesamtwirtschaftlichen Stabilisierung und der Ausweitung des marktwirtschaftlichen Know-hows dienten, kommt ihnen künftig bei der Schließung der technologischen Lücke im Aufholprozeß gegenüber entwickelten Marktwirtschaften eine besondere Rolle zu 46 .
45
Vgl. Zemplinerova (1996), S. 18 f.; Plan Econ Report (1995b), S. 42 f.
46
Vgl. Druochowski (1995), S. 305 f.; vgl. den Beitrag von Berke/Trabold in diesem Heft.
Horst Ufer
62
Tabelle 18 Ausländische Direktinvestitionen in der CR nach Herkunftsländern 1995 Davon 1. bis 4. Quartal 1995
Stand zum 31.12.1995 Anteile in vH
Mrd. CCK
Mrd. CCK
Anteile in vH
67,9
100,0
154,2
100
BRD
46,3
30,0
15,1
22,2
Schweiz
21,8
14,2
18,0
26,5
USA
20,9
13,6
2,7
4,0
Niederlande
13,6 9,3
19,5 4,4
28,8
Frankreich
20,9 14,4
Österreich
8,4
5,4
2,3
3,4
Belgien
6,0
3,9
Bahamas
1,8 15,5
1,2 10,0
1,8 4,0
2,7
Insgesamt darunter:
Übrige
6,5
5,9
Quelle: Centrum VnéjSich Ekonomickych Vztahù (1996), S. 129.
Tabelle 19 Ausländische Direktinvestitionen in der CR nach ihrem Verwendungszweck 1995 Stand zum 31.12.1995 Mrd. CCK Insgesamt
Anteile in vH
Davon 1. bis 4. Quartal 1995 Mrd. CCK
Anteile in vH
154,2
100,0
67,9
100,0
darunter: Telecom u. Transport
37,6
27,1
35,8
52,8
Transportausrüstungen
28,3
18,4
8,2
12,0
Konsumgüter und Tabak
22,1
14,5
4,8
7,0
Bauwirtschaft
12,8
8,3
3,2
4,7
Banken, Spark., Versicherungen Lebensmittelindustrie Handel und Dienstleistungen
11,8
7,6
11,3
7,3
8,0
5,2
Maschinenbau
3,9
5,8
4,2
6,2
Chemie
7,3
4,8
2,4
3,5
Übrige
15,0
9,5
5,4
8,0
Quelle: Centrum VnéjSich Ekonomickych Vztahù (1996), S. 130.
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
63
In der Literatur wird auch unterstrichen, daß Interdependenzen zwischen ausländischen Direktinvestitionen und dem Außenhandel zu berücksichtigen sind, die für Zentral- und Osteuropa bisher noch unzureichend analysiert wurden. Der Technologieentwicklung und der Zunahme der Qualifikation der Arbeitskräfte werden dabei eine signifikante Rolle bei der Integration dieser Volkswirtschaften in die Weltwirtschaft zugeordnet 47. Ausländische Direktinvestitionen haben somit unmittelbaren Einfluß auf das Entwicklungstempo und die Struktur der Ex- und Importe der Transformationsländer. Während ausländische Direktinvestitionen zunächst stärker den Import aus dem Lande des Investors stimulieren (Import von Ausrüstungen u.a. Zulieferungen), könnten später Exporte in das Land des Investors (Bauteile, Baugruppen) oder in dritte Länder den Vorrang gewinnen. Viel wird auch davon abhängen, wie sich künftig das Verhältnis der zwei Hauptziele der Investoren, Sicherung bzw. Steigerung des Absatzes und/oder Nutzung von Kosten-, insbesondere Lohnkostendifferentialen, entwickeln wird. Erste Untersuchungen gehen davon aus, daß das Absatzmotiv überwiegt und die Kostenseite bei den Direktinvestitionen in Mittelund Osteuropa noch eine geringere Rolle spielt 48 .
5.4. Entwicklung des Außenhandels Wesentlichen Einfluß auf die Entwicklung von Export und Import haben die Wechselkurse, wie die Wechselkurspolitik generell das wichtigste Instrument der Außenhandelsregulierung darstellt. Als gemeinsames Land setzte die CSFR zu Beginn des Reformprozesses auf ein System fester Wechselkurse, mit einer eher rigiden und direktiven Form der Festlegung. Begünstigend für dieses Wechselkurssystem waren die geringen Auslandsschulden zu Beginn des Reformprozesses, ein geringer Nachfrageüberhang und ein demzufolge moderater Inflationsverlauf nach der Preisliberalisierung. Ende 1990 wurde auch die Trennung von kommerziellen und nichtkommerziellen Wechselkursen aufgehoben und eine Teilkonvertibilität der Krone eingeführt. In der Zeit von Oktober bis Dezember 1990 wurde die Krone der CSFR in mehreren Schritten von rund 16 auf etwa 28 Kronen gegenüber dem US-$ abgewertet. Zeitlich parallel dazu verlief die Liberalisierung der Preise mit den erwarteten Preisschocks. Unter diesen Gegebenheiten wurde ein fester Wechselkurs vor allem als Anker für die Entwicklung der Preise eingesetzt. Gleichzeitig führte die deutliche Abwertung der Krone zu einem weitgehenden Schutz der einheimischen Produzenten vor der ausländischen Konkurrenz und die Position der einheimischen Exporteure auf den Außenmärkten wurde erheblich gestärkt. Wie Tabelle 20 ausweist, lag der offizielle Wechselkurs der tschechoslowakischen Krone nach der Abwertung Ende 1990 im Jahre 1991 deutlich mehr als das Dreifache über dem Wechselkurs zu Kaufkraftparitäten. Damit wurde eine wesentliche Voraussetzung für eine relativ gleichgewichtige Export- und Importentwicklung ge-
47
Vgl. Emadi-Moghadam/Emadi-Coffin (1995), S. 249 f.
48
Vgl. Meißner (1996), S. 10.
64
Horst Ufer
schaffen, die auch die Umorientierung der Regional struktur des Außenhandels in Richtung Westen erheblich erleichterte.
Tabelle 20 Wechselkurse der CR und der SR 1990-1994 CR Offizieller Wechselkurs CCK/US-$ Wechselkurs zu Kaufkraftparitäten CCK/US-$ Verhältnis off. Wechselkurs zu Wechselkurs in Kaufkraftparitäten SR Offizieller Wechselkurs SKK/US-$ Wechselkurs zu Kaufkraftparitäten SKK/US-$ Verhältnis off. Wechselkurs zu Wechselkurs in Kaufkraftparitäten
Jahresdurchschnitt Jahresdurchschnitt
Jahresdurchschnitt Jahresdurchschnitt
1990
1991
1992
1993
1994
17,95
29,48
28,26
29,16
28,78
6,19
8,80
10,11
11,50
12,40
2,90
3,35
2,80
2,54
2,32
17,95
29,48
28,26
30,79
32,04
6,19
8,04
8,75
9,86
10,70
2,90
3,67
3,23
3,12
2,99
Quelle·. Lukas (1995), S. 20 und 56; eigene Berechnungen.
Nicht zu übersehen ist jedoch, daß die mit der Abwertung erzielten Wettbewerbsvorteile schon ab 1992 allmählich erodierten, da die Preissteigerungen im Lande deutlich über denen der westlichen Handelspartner lagen. Diese Tendenz hat sich bisher in moderater Weise auch nach der Teilung des Landes fortgesetzt, nach der jedes Land seinen eigenen währungspolitischen Kurs fährt. Auch nach der Trennung wurde sowohl für die tschechische Krone (CCK) als auch für die slowakische Krone (SKK) das System fester Wechselkurse beibehalten. Die CR, die bis Mai 1993 ihren Wechselkurs an einem Korb von 5 Währungen orientierte (US-Dollar, DM, Österreichischer Schilling, Schweizer Franken, Französischer Franc), ging danach zu einem Währungskorb mit zwei Währungen, zu 65 vH aus D M und von 35 vH aus US-Dollar bestehend, über. Seitdem verfolgt die CR die Strategie einer schrittweisen Konvertibilisierung ihrer Krone, die zunächst auf alle Transaktionen innerhalb der Leistungsbilanz und dann partiell auf die der Kapitalbilanz ausgedehnt wurde. Auch für die nächste Zeit wird ein freies Floaten der CCK gegenüber westlichen Währungen noch nicht erwartet. Ende Februar 1996 hat der tschechische Zentralbankrat jedoch beschlossen, die Schwankungsbreite des Wechselkurses bei Devisengeschäften von +/-0,5 auf +/-7,5 vH auszudehnen49. Diese Liberalisierung der Wechselkurse ist als eine der möglichen Antworten auf den hohen Aufwertungsdruck zu bewerten.
4
Vgl. Nachrichten für Außenhandel ( 1 . . 1 9 9 6 ) .
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
65
In der SR wurde Mitte 1993 die SKK nominell um 10 v H abgewertet, da sich für dieses Jahr ein hohes Handelsbilanzdefizit abzeichnete und der Bestand an Devisenreserven äußerst niedrig war. Seitdem hält auch die SR an einem festen Wechselkurs fest und es wird eine schrittweise Erweiterung der Konvertibilität der SKK angestrebt. Auf Grund der relativ ausgeglichenen Handelsbilanz der Jahre 1994 und 1995 und dem noch sehr zögerlichen Zufluß an Auslandskapital steht die slowakische Regierung jedoch weitaus weniger unter Auf- oder Abwertungsdruck als die Verantwortlichen in Prag. Aber auch die slowakische Nationalbank beschloß zum 1.1.1996 die Bandbreite des Wechselkurses ihrer Krone von zunächst +/-0,5 auf +/-3,0 vH zu erhöhen. Zum 17.7.1996 erfolgte eine Ausweitung dieser Bandbreite auf +/-5 vH, um vor allem den inflationstreibenden Zustrom von kurzfristigem Spekulationskapital zu bremsen. Der Währungskorb, zu 40 vH aus US-Dollar und 60 v H aus D M bestehend, wurde nicht geändert 50. Der 1994 und 1995 erzielte Ausgleich in der Handelsbilanz wurde auch durch eine Importsonderabgabe von 10 vH erreicht, die das Importwachstum erheblich drosselte. Für beide Länder liegt der offizielle Wechselkurs auch 1995 noch deutlich über dem Wechselkurs zu Kaufkraftparitäten, was die Wettbewerbsposition der inländischen Produzenten gegenüber der ausländischen Konkurrenz stärkt. Hoher Schutz vor ausländischem Wettbewerb hat auch seinen Preis, da der Modernisierungsdruck durch die Außenmärkte zu milde ausfällt. Eigentlich unrentable Exporte werden weitergeführt, wie überhaupt eine Verbesserung der Exportstruktur in Richtung moderner wettbewerbsfähiger Exporterzeugnisse erheblich verzögert wird. Die Offenheit der Wirtschaften beider Länder, gemessen am Anteil des Exports bzw. Imports am BIP, hat im Verlaufe der frühen 90er Jahre ein relativ hohes Niveau erreicht. Die Export- und Importquoten beider Länder erhielten 1993 einen zusätzlichen Auftrieb, als der vordem beträchtliche Binnenhandel nachfolgend als Außenhandel wirksam wurde. Die Tabellen 21 und 22 machen dies deutlich. Sichtbar wird aber auch, daß für die CR die Exportquote nach 1993 wieder leicht abfällt, während die Importquote weiter steigt (Tabelle 21). Diese Entwicklung kann auch als Indiz dafür gewertet werden, daß das Wachstum des physischen Exportvolumens der CR in seiner gegenwärtigen Warenstruktur allmählich an seine Grenzen stößt, während das Importwachstum als Folge der wirtschaftlichen Erholung ungebrochen anhält. Für die SR wird in Tabelle 22 an der kontinuierlichen Aufwärtsbewegung der Exportquote deutlich, daß sich das Exportwachstum als ein entscheidender Träger des wirtschaftlichen Aufschwungs auswirkt. Bei nur geringen Veränderungen in der Warenstruktur und unzureichender Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Exportgüter wird auch in der SR der Export als Wachstumsmotor allmählich an Kraft verlieren. Ein Gegenmittel könnte hier, wie auch in der CR, eine marktkonformere Gestaltung der Wechselkurse sein. Mit dem Beitritt in internationale Handelsorganisationen und mit der Verabschiedung entsprechender Abkommen wird es ebenfalls immer schwieriger, durch Importabgaben und
50
Vgl. Handelsblatt (27.12.1995); Nachrichten für Außenhandel (25.7.1996).
5 Schumacher u. a.
Horst Ufer
66
Importzölle das Importwachstum zu bremsen und den Schutz einheimischer Produzenten vor ausländischer Konkurrenz in ursprünglicher Höhe aufrechtzuerhalten.
Tabelle 21 BIP und Export- und Importquoten der CR 1990 bis 1995 1990
1991
1992
1993
1994
19952)
567,3
716,6
803,3
910,6
1 037,5
1 212,0
BIP
Mrd. CCK lfd. Preise
Wechselkurs CCK/US-$ BIP
Jahresdurchschnitt
17,95
29,48
28,26
29,16
28,78
26,54
Mrd. US-Dollar
31,6
24,3
28,4
31,2
36,0
45,7
Exportquote
Anteil Exp. am BIP in vH
28,6
32,6
30,9
42,3°
39,6 l )
37,3°
Importquote
Anteil Imp. am BIP in vH
31,1
29,1
36,5
41,2"
41,6'
45,7 !)
0
2)
Einschließlich Außenhandel mit der SR.Vorläufig. Quellen: Statistical Yearbook of the Czech Republic (1995), S. 27; Vydâvâ Cesky statisticky urad (1996), S. Al; Lukas (1995), S. 20; eigene Berechnungen.
Tabelle 22 BIP und Export- und Importquoten der SR 1990 bis 1994 1990
1991
1992
1993
1994
BIP
Mrd. SKK lfd. Preise
257,7
296,2
307,8
340,2
398,3
Wechselkurs SKK/US-$ BIP
18,0
29,6
28,3
33,4
32,0
Mrd. US-$ lfd. Preise
14,32
10,01
10,88
10,19
12,45
Exportquote
Anteil Export am BIP in vH
20,2
32,7
34,1
49,3°
53,8°
Importquote
Anteil Import am BIP in vH
23,8
37,5
35,8
59,2°
53,8°
l}
Einschließlich Außenhandel mit der CR. Quellen: Statistical Yearbook of the Slovak Republic (1995), S. 59, 359; eigene Berechnungen.
Die Tabellen 23 und 24 gehen näher auf die Entwicklung der Exporte und Importe beider Länder im Zeitraum von 1990 bis 1995 ein. Sowohl in laufenden Preisen der jeweiligen Landeswährung als auch zu laufenden US-Dollar haben die Export- und Importvolumina in der CR und SR eine rasche Entwicklung genommen51. So hat sich der Export der CR
51
Vgl. dazu auch den Beitrag von Schumacher in diesem Heft.
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
67
in laufenden Preisen in Landeswährung von 1990 bis 1995 um fast das 2,8-fache vergrößert, in laufenden US-Dollar um fast das 1,9-fache. Das Exportvolumen in US-Dollar von 1995 lag mit 17 Mrd. US-Dollar deutlich über dem höchsten Exportvolumen vor Reformbeginn, das für 1988 mit fast 11,1 Mrd. US-Dollar beziffert wurde. Für die SR fällt die Entwicklung des Exportvolumens im gleichen Zeitraum noch eindrucksvoller aus, in laufenden Preisen in SKK um fast das 5-fache und selbst in laufenden US-Dollar um das 3-fache. Für beide Länder wird deutlich, daß künftig hohes Wirtschaftswachstum nur bei hoher Außenhandelsintensität zu erreichen sein wird, exportgetragenes Wirtschaftswachstum damit eine unverzichtbare Zukunftsoption ist. Vor allem wird es darauf ankommen, die hohe Importdynamik vorwiegend investi ν zu gestalten, um über die Modernisierung des Produktions- und Anlagevermögens kontinuierliches Wirtschaftswachstum zu sichern und gleichzeitig die Exportfahigkeit zu erhalten und weiter auszubauen. Unter dieser Voraussetzung sind auch zeitweilige Handelsbilanzdefizite vertretbar, wenn die Verschuldung in überschaubaren Grenzen gehalten wird bzw. Kapitalzuflüsse und ausländische Direktinvestitionen eine Kompensation erlauben und letztendlich auf zunehmende Wettbewerbsfähigkeit auf den Außenmärkten ausgerichtet sind. Wie die Tabellen 23 und 24 zeigen, nahm die Entwicklung der Exporte und Importe in beiden Ländern von 1990 bis 1995 einen Wechsel vollen Verlauf, der hier nicht im Detail nachvollzogen werden soll. Die zeitliche Abfolge einzelner Reformschritte, wie die Preisliberalisierung und ihre differenzierten Folgen, Veränderungen in der Steuergesetzgebung, die Teilung der CSFR zum 1.1.1993 und die für die beiden nachfolgend selbständigen Länder unterschiedlichen Teilungsfolgen haben in einzelnen Jahren voneinander abweichende Wirkungen auf die Entwicklung der Exporte und Importe gehabt. Sich nach 1993 deutlicher abzeichnende Besonderheiten im Reformverlauf und in der Gestaltung der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen setzen durchaus unterschiedliche Akzente für die künftigen außenwirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten beider Länder. Unstrittig ist jedoch, daß beide Länder die komplizierte erste Phase des Transformationsprozesses außenwirtschaftlich recht erfolgreich bewältigt haben. Verluste auf dem ehemaligen RGW-Markt mußten durch Exportsteigerungen auf westlichen Märkten ausgeglichen werden. Gleichzeitig vollzog sich in den Jahren 1990 bis 1992, damals noch für die CSFR insgesamt, eine drastische Verschlechterung der Terms of Trade, da die Importpreise wesentlich schneller als die Exportpreise stiegen. Auf der Basis 1980= 100 fielen die realen Terms of Trade 1990 auf 96,6 vH, 1991 auf 75,4 vH und 1992 auf 75,8 vH zurück 52 . Nach 1992 entwickelten sich die realen Terms of Trade in wesentlich günstigeren Bahnen, wie die Daten für die CR zeigen. Auf der Basis 1991 = 100 verbesserten sie sich für 1993 auf 101,7 und 1994 auf 105,l 5 3 .
5*
52
Vgl. Statistical Yearbook of the Czech Republic (1993), S. 267.
53
Vgl. Statistical Yearbook of the Czech Republic (1995), S. 384.
Horst Ufer
68
Tabelle 23 Entwicklung des Exports und Imports der CR 1990 bis 1995
Export fob
Mrd. CCK lfd. Preise Mrd. CCK lfd. Preise Mrd. CCK Jährl. Veränderung in vH Jährl. Veränderung in vH
Import fob Saldo Export Import
1990
1991
1992
1993!)
1994°
19951,2)
162,5
233,6
248,1
385,0
410,3
452,6
176,2 -13,7
208,8 24,8
293,4 -45,3
374,9 10,1
430,9 -20,6
554,3 -101,7
0,2
43,8
6,2
55,2
6,6
10,3
8.6
18.5
40.5
27.8
14.9
28.6
Wechselkurs CCK/US-$ Export fob Import fob Saldo Export fob
29,16 28,78 26,54 Jahresdurchschnitt 17,95 29,48 28,26 7,92 Mrd. lfd. US-Dollar 9,05 8,78 13,20 14,26 17,05 9,82 7,08 10,38 12,86 14,97 20,89 Mrd. lfd. US-Dollar 0,84 -1,60 -3,83 Mrd. lfd. US-Dollar -0,76 0,35 -0,43 Jährl. Veränderung -16,0 50,3 19,6 in vH -12,5 10,9 8,0 Jährl. Veränderung Import fob in vH 16,4 -8,9 -27,9 46.6 23,9 39,5 Einschließlich SR.- 2 ) Vorläufig. Quellen: Statistical Yearbook of the Czech Republic (1995), S. 383; Centrum Vnéjsich Ekonomickvch Vztahù (1996), S. 129; eigene Berechnungen. Tabelle 24 Entwicklung des Exports und Imports der SR 1990 bis 1995 1990 Export Import Saldo Export Import Wechselkurs SKK/US-S Export Import Saldo Export
Mrd. SKK lfd. Preise Mrd. SKK lfd. Preise Mrd. SKK Jährl. Veränderung in vH Jährl. Veränderung in vH
1991
1992
19931}
1994»
1995I.2)
52,0
96,8
104,9
167,7
214,4
254,1
61,3 -9,3
110,9 -14,1
110,1 -5,2
201,5 -33,8
214,1 0,3
252,3 1,8
_
86,2
8,4
59,8
27,8
18,5
80,9
-0,7
83.0
6.3
17.8
33.4 18,0 29,6 28.3 32,0 29,4 Mrd. lfd. US-$ 2,89 3,27 3,71 5,02 6,7 8,64 3,41 6,7 Mrd. lfd. US-$ 3,75 3,89 6,03 8,58 Mrd. US-$ -0,52 -0,48 -0,18 -1,01 0,0 0,06 Jährl. Veränderung in vH 13,5 35,3 -20,5 33,5 29,0 13,1 Jährl. Veränderung Import 10,0 3,7 55,0 in vH -0.8 28,0 11,1 0 Einschließlich CR.- 2 ) Vorläufig. Quellen : Statistical Yearbook of the Slovak Republic (1995), S.59, 359; Statisticky ùrad Slovenskei republikv (1996), S. 21; eigene Berechnungen.
69
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
5.5. Veränderungen in der Regionalstruktur M i t dem Zusammenbruch des RGW-Handels und der Öffnung der CR und der SR nach Westen vollzog sich ein rascher Wechsel in den regionalen Strukturen des Außenhandels. Diese regionale Umorientierung des Außenhandels erhielt ihre prägenden Konturen noch unter der Existenz des gemeinsamen Landes, wie Tabelle 25 zeigt. Danach hat sich der Anteil der entwickelten Marktwirtschaften am Außenhandelsumsatz der CSFR von 1989 bis 1992 von 37,1 vH auf 64,2 vH erhöht. Der Anteil europäischer Transformationsländer fiel im selben Zeitraum von 20,3 vH auf 9,8 vH und der der ehemaligen UdSSR von 30,6 vH auf 17,3 vH. Auf die Entwicklungsländer entfiel ein relativ gleichbleibender Anteil um 8 vH. Diese Zahlen verdeutlichen, daß sich die Veränderungen in der Regionalstruktur des Außenhandels vor allem auf einen Substitutionsprozeß von Ostmärkten durch Westmärkte konzentrierten.
Tabelle 25 Regionalstruktur des Außenhandels der CSFR (Anteile in vH)
Außenhandelsumsatz Entwickelte Marktwirtschaften Entwicklungsländer Europäische Transformationsländer Ehemalige UdSSR Staatshandelsländer Import Entwickelte Marktwirtschaften Entwicklungsländer Europäische Transformationsländer Ehemalige UdSSR Staatshandelsländer Export Entwickelte Marktwirtschaften Entwicklungsländer Europäische Transformationsländer Ehemalige UdSSR Staatshandelsländer
1989
1990
1991
1992
37,1 8,2 20,3 30,6
45,9 8,8 17,1 23,7
3,8
3,6
51,7 8,2 14,1 24,6 1,4
64,2 7,8 9,8 17,3 0,9
38,0 7,5 20,2 30,3 4,0
48,2 7,2 17,1 22,4
51,3 7,9 9,7 29,9 0,9
64,8 5,6 6,4 22,6 0,6
36,2 8,8 20,4 30,8 3,8
43,2 10,6 17,1 25,2 2,9
48,8 8,6 18,4 19,6
63,5 10,6 13,4
4,1
1,5 Quelle: Berechnet nach Statistical Yearbook of the Czech Republic (1993), S. 38 f.
11,2 1,1
Etwas spezifischer werden die Aussagen, wenn die regionalen Veränderungen in den Export- und Importstrukturen zwischen der CR und der SR in den Tabellen 26 bis 29 ver-
70
Horst Ufer
glichen werden. Dabei ist ab 1993 zu berücksichtigen, daß der gegenseitige Handel zwischen der CR und SR in die Außenhandelsstatistik aufgenommen wurde, wodurch die Anteile der Transformationsländer am Export und Import beider Länder wieder deutlich gestiegen sind. Unabhängig davon zeigt sich jedoch in der CR ein deutlich höherer Anteil der entwickelten Marktwirtschaften am Außenhandel als in der SR. Während beispielsweise für das Jahr 1995 in der CR 60,2 vH der Exporte auf die entwickelten Marktwirtschaften entfielen, waren es in der SR 1995 lediglich 40,6 vH. Die Differenz bezüglich dieser Anteile am Export lag 1994 und 1995 etwa bei 20 vH und am Import noch darüber.
Tabelle 26 Regionalstruktur des Exports der CR Mill. US-Dollar 1993
1994
in vH 1995J)
1993
14 253 17 054 100,0 Export insgesamt 13 203 davon: Entwickelte Marktwirtschaften (OECD) 7 168 8 512 10 260 54,3 darunter: EU 7 709 49,4 6 519 9 404 EFTA 247 299 191 1,4 Entwicklungsländer 1 119 1 040 1 015 8,5 Transformationsländer 4 579 4 626 5 647 35,0 4 047 darunter: CEFTA 3 269 26,4 3 489 davon: SR 2 341 2 763 2 993 21,5 Länder mit Staatshan287 106 2,2 delssystem 119 3 16 Nicht spezifiziert 13 0,0 0 Vorläufig. Quellen : Ministry of Industry and Trade (1995); Vydâvâ Cesky statisticky (Tabellenanhang).
1994
1995υ
100,0
100,0
59,7 54,1 1,7 7,3 32,1 22,9 16,4
60,2 55,1 1,8 6,0 33,1 23,7 16,2
0,7 0,1
0,7 0,1
urad (1996), S. 21
Offensichtlich ist es der CR von Beginn an etwas erfolgreicher gelungen, ihre Exporte auf westlichen Märkten zu piazieren. Wesentliche Ursache dafür ist die weitaus breiter gefächerte Wirtschaftsstruktur, die zum Teil an historisch gewachsenen Produktionstraditionen anknüpfen konnte. Die Slowakei war bis zum 2. Weltkrieg wesentlich stärker agrarisch strukturiert. Die danach betriebene Industrialisierung folgte in starkem Maße sowjetischen Mustern, wonach die Schwerindustrie Vorrang hatte. Diese industrielle Orientierung führte zugleich zu einer hohen Importabhängigkeit von sowjetischen Rohstoffen. Hinzu kam die hohe Konzentration auf die Rüstungsindustrie, die durch Konversionsmaßnahmen nicht ohne weiteres zu reduzieren ist. Nicht ohne Einfluß ist sicher auch die geographische Lage der SR, die räumlich weiter von den westeuropäischen Wirtschaftszentren entfernt ist als die CR.
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
71
Tabelle 27 Regionalstruktur des Imports der CR Mill US-Dollar 1995° 1993 1 1994 20 887 12 858 14 971
in vH 1994 100,0
1995° 100,0 Import insgesamt davon: Entwickelte Marktwirtschaften (OECD) 7 802 9 667 13 594 60,7 64,6 65,1 56,4 55,7 11 773 52,3 6 727 8 332 darunter: EU 2,5 2,6 330 391 519 2,6 EFTA 5,4 807 1 045 4,9 Entwicklungsländer 636 5,1 33,7 29,3 28,8 4 329 7 159 6 025 Transformations länder 3 647 21,4 18,5 17,5 2 746 2 774 darunter: CEFTA 2 131 2 742 17,5 14,2 2 533 13,1 davon: SR Länder mit Staatshandelssystem 84 110 218 0,7 0,7 1,0 7 3 5 0.0 0,0 0.0 Nicht spezifiziert υ Vorläufig. Quellen·. Ministry of Industry and Trade (1995): Vvdavä Cesky statisticky liiad (1996). 1993 100,0
Tabelle 28 Export der SR in seiner regionalen Struktur in laufenden Preisen (Mrd. SKK und in vH) 1992 1993 1994 1995 1990 1991 167,7 254,1 104,9 214,4 52,0 96,8 Export insgesamt davon: Entwickelte Marktwirt23,7 56,8 54,9 84,3 103,3 schaften 42,5 33,2 43,7 61,7 95,0 darunter: EU 16,8 40,3 Länder mit Plan- bzw. Transformationswirt119,2 schaften 24,6 46,0 35,8 103,8 darunter: ehem. 24,1 17,6 14,0 15,0 13,1 UdSSR 12,3 Entwicklungsländer 3.7 8.3 8.9 10.3 Export insgesamt 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 davon: Entwickelte Marktwirt54,1 32,7 schaften 45,6 43,9 39,3 40,6 41,7 37,4 darunter: EU 32,3 34,3 24,0 28,8 Länder mit Plan- bzw. Transformations wirt34,1 schaften 47,3 47,5 61,9 55,6 darunter: ehem. 25,2 24,9 16,8 8,3 7,0 UdSSR 7.1 11.7 Entwicklungsländer 8,6 5.3 5.0 Quellen : Statistical Yearbook of the Slovak Republic (1995), S. 359; Statisticky urad Slovenskej reDublikv (1996). S. 21.
72
Horst Ufer
Tabelle 29 Import der SR in seiner regionalen Struktur in laufenden Preisen (Mrd. SKK und in vH)
Import insgesamt davon: Entwickelte Marktwirtschaften darunter: EU Länder mit Plan- bzw. Transformationswirtschaften darunter: ehem. UdSSR Entwicklungsländer Import insgesamt davon: Entwickelte Marktwirtschaften darunter: EU Länder mit Plan- bzw. Transformationswirtschaften darunter: ehem. UdSSR Entwicklungsländer
1990
1991
1992
1993
1994
1995
61,3
110,9
110,1
201,5
214,1
252,3
32,3 19,1
41,3 25,9
56,9 37,9
67,1 41,6
85,8 56,2
104,2 87,6
25,5
60,1
47,4
127,9
120,8
9,7 3,5
47,5 9,4
38,2 5,7
46,5 6,3
44,2 7,2
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
52,7 31,2
37,2 23,4
51,7 34,4
33,3 20,6
40,1 26,2
41,3 34,7
41,6
54,2
43,1
63,5
56,4
15,8 5,7
42,8 8,5
34,7 5,2
23,1
20,6 3,4
3,1
Quellen : Statistical Yearbook of the Slovak Republic (1995), S. 359; Statisticky ùrad Slovenskej republiky (1996), S. 21.
Die derzeitigen Regional strukturen in den Exporten und Importen beider Länder werden sich in den nächsten Jahren nicht mehr gravierend verändern. Größere Entwicklungsmöglichkeiten für den Außenhandel beider Länder könnten sich allerdings im Rahmen der zentraleuropäischen Freihandelszone (CEFTA) ergeben, die auf dem Wege zu einem osteuropäischen Kooperationsverbund ist. Ursprünglich aus den Visegradländern Ungarn, Polen und der CSFR bestehend, drängen heute weitere Länder in die CEFTA. So ist mit Beginn 1996 Slowenien beigetreten. Die Kooperationsziele der CEFTA, zunächst auf die Länderbeitritte in die EU ausgerichtet, wurden seither ständig erweitert und die Realisierungsfristen verkürzt 54 . Dominierend im Außenhandel der CR bleibt jedoch die EU. Die CR hat wie die anderen Visegradländer die Aufnahme in die EU beantragt. Die künftige EU-Mitgliedschaft, ein sichtbares Zeichen für die sich vollziehende Integration in die Weltwirtschaft, wird die
54
Vgl. Nachrichten für Außenhandel (14.5.1996).
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
73
bisher erreichte regionale Konzentration auf Westeuropa weiter stärken und konsolidieren. Dieser weltwirtschaftlichen Integration dient auch die Aufnahme der CR in die OECD, die Ende November 1995 erfolgte. Die CR war damit das erste Reformland Mittel- und Osteuropas, welches in den Kreis der bis dahin 25 wichtigsten Industriestaaten aufgenommen wurde. In der Rangfolge der Außenhandelspartner der CR steht Deutschland mit weitem Abstand an der Spitze, wie die Daten in Tabelle 30 für 1994 und 1995 deutlich machen.
Tabelle 30 Hauptpartner des Außenhandels der CR (Anteile am Außenhandelsumsatz in vH) Land
1994
1995
Deutschland
27,4
28,5
Slowakische Republik
15,3
14,5
Österreich
7,6
6,7
Rußland
6,2
6,5
Italien
4,8
5,0
Polen
3,3
4,1
Frankreich
3,1
3,5
Großbritannien
2,9
2,8
USA
2,8
2,8
Niederlande
2,7
2,8
Quelle: Centrum Vnéjsich Ekonomickych Vztahù (1996), S. 11.
Damit entfallen mehr als 50 vH des Außenhandels der CR mit der EU auf Deutschland. Noch 1989 hatte Deutschland am Außenhandel der CR einen Anteil von lediglich etwa 17 vH, weit hinter der ehemaligen UdSSR, die mit über 30 vH den Außenhandel der CR nach Ländern dominierte. Rußland hat 1995 nur noch zu 6,5 vH Anteil am tschechischen Außenhandel. Die veränderte Rangfolge der Außenhandelspartner der CR ist somit Spiegelbild der sich radikal veränderten Regionalstruktur. Die SR ist für die CR zwar nach wie vor der zweitgrößte Außenhandelspartner, ihr Anteil am Außenhandelsumsatz der CR, 1993 noch bei etwa 19 vH, geht aber seitdem kontinuierlich zurück. Die ehemals engen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen beiden Ländern werden von Jahr zu Jahr lockerer, einerseits ein objektiver Prozeß bei der Neuordnung der Außenhandelsbeziehungen, andererseits aber auch Ergebnis politischer Querelen und handelspolitischer Unstimmigkeiten, die letztendlich zur Aufhebung des Clearingabkommens Mitte 1995 geführt haben.
Horst Ufer
74
Aus der Sicht des Außenhandels der SR ist diese Entwicklung insoweit überraschend, da die CR für die SR seit 1993 der mit Abstand dominierende Außenhandelspartner war und das Clearingabkommen einige Vorteile bei zunächst knappen Devisenkassen bot. Wie Tabelle 31 zeigt, ist Deutschland für die SR sowohl im Export als auch im Import der zweit- bzw. drittwichtigste Partner mit steigender Tendenz. Besonders auffällig sind auch die hohen Anteile Rußlands am Import der SR, wiederum ein Indiz für die hohe Importabhängigkeit im Rohstoffbereich.
Tabelle 31 Hauptpartner im Export und Import der SR (Anteile am Export bzw. Import in vH) 1994
1993
Land
Export
Import
Export
Import 29,6 13,5
Tschechische Republik
41,9
35,5
37,1
Deutschland
15,3
11,7
17,2
Ungarn
4,6
5,4
1,7
Österreich
5,0
1,3 6,4
5,2
5,8
Italien
2,7
3,0
4,6
4,4
Rußland
4,7
19,6
4,1 2,8
17,9
1,7
1,8 2,2
Polen
2,9
Ukraine
2,6
1,9 2,4
Frankreich
1,6
1,5
Quelle:
1,7
2,4
Osteuropa-Perspektiven Jahrbuch (1995/96), S. 244.
5.6. Veränderungen in der Warenstruktur Während die Regionalstrukturen des Außenhandels in wenigen Jahren großen Veränderungen unterlagen, sind ähnliche Verschiebungen aufgrund des Beharrungsvermögens der Produktionsstrukturen in der Warenzusammensetzung vor allem des Exports nur schwer möglich. Die entscheidende Frage war, inwieweit es gelingt, die bis 1989 auf den RGWMarkt orientierten Exportlinien auch auf den westlichen Märkten zu piazieren. Einen Überblick über die Ausgangssituation in der Exportwarenstruktur der CSFR in den Jahren 1989 und 1990 bietet Tabelle 32. In der Warenstruktur des Exports der CSFR dominierten 1989 eindeutig bearbeitete Waren (SITC 6) und der Maschinenbau (SITC 7), die fast 70 vH der Exporte umfaßten. Bezogen auf die RGW-Länder entfielen auf diese beiden Gruppen 1989 fast 75 vH, wobei allein der Export des Maschinenbaus (SITC 7) über 60 vH auf sich vereinigte. Hinsichtlich des Exports in marktwirtschaftliche Länder dominierten 1989 zwar auch die Warengruppen
RGW-Länder Länder
MarktwirtMarktwirtschaftliche schaftliche Industrieländer
1989 1990 1989 1990 1989 1990 1989 0 Nahrungsmittel und lebende Tiere 4,6 5,5 1,1 1,7 10,1 9,0 11,9 9,9 1 Getränke und Tabak 0,4 0,4 0,4 0,5 0,3 0,4 0,4 0,5 2 Rohstoffe (ohne Nahrungsmittel und mineral. Brennstoffe) 3,7 3,7 2,1 2,3 6,1 5,1 7,4 6,0 3 Mineralische Brennstoffe, Schmierstoffe usw. 5,2 4,4 2,7 2,2 9,1 6,4 11,3 7,6 4 Tierische und pflanzliche Öle, Fette und Wachse 0,1 0,3 0,0 0,0 0,3 0,7 0,4 0,8 5 Chemische Erzeugnisse und ähnliche Produkte 7,6 9,0 4,9 5,4 11,2 12,2 13,1 13,9 6 Bearbeitete Waren 22,4 25,6 13,7 12,1 32,8 35,4 33,5 35,8 7 Maschinenbau- und elektrotechnische Erzeugnisse und Fahrzeuge 44,4 39,2 60,7 61,1 20,9 20,3 11,8 8 Verschiedene Fertigwaren 9,7 10,4 11,4 13,1 8,5 9,0 9,6 9,9 9 Unklassifizierte Erzeugnisse 1,9 1,5 3,0 1,6 0,7 1,5 0,6 1,6 Quelle: Tschechoslowakische Industrie- und Handelskammer (1991), S. 16-22.
Warengruppen
Insgesamt
13,2 38,7 13,9 10,7 2,0
14,2 36,7 14,0 11,4 0,8
5,8
6,9
0,1
5,4
6,7
0,2
7,4 0,4
1989 |
8,8 0,4
1990
0,0
5,5
0,8
4,6 0,0
1,1
4,1
16,3
1,0
4,6
65,5
51,4
1989 | 199θ"
3,6 3,7 29,9 33,4
0,0
0,4
1,3
3,1 0,0
1990
Ε^,,;^!,,™ EG-Länder untwickiungslander
Tabelle 32 Warenstruktur des Exports der CSFR für 1989 und 1990 nach SITC, Rev. 3 (Anteile in vH) Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel 75
Horst Ufer
76
6 und 7 mit zusammen über 50 vH, wobei jedoch auf die Warengruppe 7 lediglich etwas mehr als 20 vH entfielen. Exportstärkste Warengruppe waren hier die Halbfertigwaren und Vorprodukte mit fast 33 vH (SITC 6). Im Export in die entwickelten Marktwirtschaften spielten 1989 auch mineralische Brennstoffe (SITC 3), meist Produkte der Erdölverarbeitung, mit fast 10 vH, chemische Erzeugnisse (SITC 5) mit über 10 vH und Erzeugnisse der Warengruppe 8 mit fast 10 vH eine bedeutende Rolle. In der Warenstruktur des Imports der CSFR in Tabelle 33 wird die hohe Bedeutung der Rohstoffimporte (SITC 3) aus dem RGW-Raum, vor allem aus der UdSSR deutlich, während der Import bearbeiteter Waren (SITC 6) erheblich niedrigere Anteile aufweist. Von besonderem Interesse ist auch, daß die Importanteile der Warengruppe 7 aus marktwirtschaftlichen Industrieländern bzw. der EG schon 1989/1990 erheblich über denen am Gesamtimport liegen. Neuralgischster Punkt im Wechsel von den Ost- zu den Westmärkten sind die Maschinen, Anlagen und Transportmittel aus der Warengruppe 7. Innerhalb dieser Warengruppe dominierten im Export der CSFR von 1981 bis 1987, ausgedrückt als durchschnittliche Anteile, folgende Güter 55 : Kraftfahrzeuge Textilmaschinen Schienenfahrzeuge Energieausrüstungen Nachrichtentechnik u. elektronische Bauelemente Werkzeugmaschinen Elektrotechnische Ausrüstungen Baumaschinen Chemische Ausrüstungen
11,1 7,7 5,8 4,9 . . 4,1 4,2 3,0 3,4 3,3
vH vH vH vH vH vH vH vH vH
Diese Exportlinien wiesen über längere Zeiträume hohe Stabilität auf, da im Rahmen der Arbeitsteilung des RGW die Abnahme dieser Erzeugnisse durch die Partnerländer, vor allem seitens der UdSSR, in hohem Maße garantiert war. Eine flexible Anpassung des Exportsortiments an weltweite technische Entwicklungen spielte nur eine geringe Rolle. Am Export der europäischen RGW-Länder (ohne Rumänien) an Maschinen und Ausrüstungen hatte die CSFR 1986/87 einen Anteil von 18 vH. Weit darüber lag jedoch ihr Anteil bei Textilmaschinen mit 53 vH, Schienenfahrzeugen mit 34 vH, Chemieausrüstungen mit 25 vH und Baumaschinen mit 24 vH. Bei Kraftfahrzeugen und Werkzeugmaschinen lag dieser Anteil bei 20 vH. Auf diese Warengruppen war die CSFR innerhalb des RGW besonders spezialisiert. Innerhalb des Schwermaschinenbaus betraf dies auch Energieausrüstungen, vor allem Zulieferungen für die Kernkraftwerkprogramme der anderen RGWLänder. Innerhalb des Exports der Warengruppe 7 waren die Elektronik und der Gerätebau, gemessen am Gesamtpotential des Maschinenexports der CSFR, deutlich unterrepräsentiert.
55
Vgl. Herberg (o.J.).
Insgesamt Länder
RGW-Länder
MarktwirtMarktwirtschaftliche schaftliche Industrieländer
EG-Länder
0,5
4,2
5,5
2,3 8,8
3,8
12,9
26,2
36,0 0,7
6,6
10,9
1989 \ 1990
Entwicklungsländer
1989 1990 1989 1990 1989 [ 1990 1989 | 1990 1989 1 1990 0 Nahrungsmittel und lebende Tiere 6,9 5,6 3,4 2,5 11,9 8,1 6,1 4,1 7,6 4,6 39,5 1 Getränke und Tabak 0,7 0,8 0,7 0,6 0,7 0,9 0,5 0,9 0,5 0,9 1,6 2 Rohstoffe (ohne Nahrungsmittel und mineral. Brennstoffe) 8,7 8,3 5,2 5,4 13,5 10,6 10,9 8,3 7,5 6,7 25,8 3 Mineralische Brennstoffe, Schmierstoffe usw. 17,3 14,3 29,1 29,2 2,6 2,6 0,4 1,4 0,2 0,4 4 Tierische und pflanzliche Öle, Fette und Wachse 0,4 0,6 0,1 0,1 0,8 1,1 0,7 0,7 0,4 0,4 1,4 5 Chemische Erzeugnisse und ähnliche Produkte 9,3 10,2 5,0 5,8 16,5 14,8 19,4 16,6 20,7 18,4 2,6 6 Bearbeitete Waren 10,4 10,7 7,9 8,0 11,2 11,5 11,9 11,9 11,2 12,5 8,2 7 Maschinenbau- und elektrotechnische Erzeugnisse und Fahrzeuge 37,0 37,3 39,4 36,4 35,8 40,7 42,2 45,7 44,3 45,6 8 Verschiedene Fertigwaren 6,2 9,1 4,4 6,8 6,2 8,2 7,0 8,7 6,6 8,8 2,5 9 Unklassifizierte Erzeugnisse 3,1 3,1 4,8 5,2 0,8 1,5 0,9 1,7 1,0 1,7 0,0 Quelle: Tschechoslowakische Industrie- und Handelskammer (1991), S. 16-22.
Warengruppen
Tabelle 33 Warenstruktur des Imports der CSFR für 1989 und 1990 nach SITC, Rev. 3 (Anteile in vH) Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel 77
Horst Ufer
78
Damit war die CSFR innerhalb des RGW auf ein Spezialisierungsmuster festgelegt, wonach innerhalb der Warengruppe 7 materialintensive Güter dominierten und Erzeugnisse mit höherer Wertschöpfung nur eine untergeordnete Rolle spielten.
Tabelle 34 Warenstruktur des Außenhandels der CR nach SITC, Rev. 3 (Anteile in vH) Warengruppen
1993
Import 1994
1995°
1993
Export 1994
19951}
0 Nahrungsmittel und lebende 5,7 6,6 6,5 5,2 6,9 6,3 Tiere 0,9 1,0 1,2 1,2 1 Getränke und Tabak 1,3 1,1 2 Rohstoffe (ohne Nahrungsmittel und mineral. Brenn6,9 6,0 4,9 5,0 5,0 stoffe) 6,1 3 Mineralische Brennstoffe, 10,0 9,4 6,2 5,7 5,3 Schmierstoffe usw. 11,1 4 Tierische und pflanzliche Öle, 0,4 0,2 0,4 0,3 0,2 0,3 Fette und Wachse 5 Chemische Erzeugnisse und 10,4 13,2 9,5 10,0 12,1 ähnliche Produkte 13,1 32,4 16,5 29,9 30,5 15,9 17,9 6 Bearbeitete Waren 7 Maschinenbau- und Transport36,1 35,0 35,6 27,6 25,9 26,3 ausrüstungen 12,7 11,8 14,2 12,6 8 Verschiedene Fertigwaren 11,7 11,1 9 Andere Waren u. Handelspro0,4 dukte 0,0 0,0 0,1 0,1 0,1 0 Vorläufig. Quellen: Centrum Vnéjsich Ekonomickych Vztahù (1996), S. 129; Statistical Yearbook of the Czech Republic (1995), S. 401.
Vergleicht man die Exportwarenstruktur der CSFR aus dem Jahr 1989 mit der der CR im Jahr 1995, so ist ein Rückgang des Anteils der Warengruppe 7 um fast 20 Prozentpunkte festzustellen. Aus dem Vergleich der Angaben der Tabellen 33 und 34 geht weiterhin hervor, daß in diesem Zeitraum der Anteil der Warengruppe 6 um 10 vH gestiegen ist. Ein nicht unwesentlicher Exportanteil an Maschinen und Ausrüstungen wurde offensichtlich durch Exporte an Halbfertigwaren und Vormaterialien substituiert, womit die Fertigungstiefe der Exporte beträchtlich zurückging. Die Dominanz der Maschinen- und Ausrüstungsexporte zu RGW-Zeiten wurde durch ein beträchtliches Übergewicht an bearbeiteten Vorprodukten ersetzt. Zugleich ist es jedoch beachtlich, daß die Warengruppe 7, 1989 lediglich mit einem Anteil von knapp 12 vH am Export in marktwirtschaftliche Industrieländer beteiligt, 1995 fast 24 vH am Export in die EU beiträgt, wie Tabelle 35 verdeutlicht. Auch wenn die Angaben der Tabellen 33 und 35 nur bedingt vergleichbar sind, können sie jedoch als Indiz dafür
79
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
angesehen werden, daß ein bestimmter Teil der bis 1989 für den RGW-Markt vorgesehenen Maschinen und Ausrüstungen auf westlichen Märkten absetzbar war.
Tabelle 35 Warenstruktur des Exports der CR in die E U nach SITC, Rev. 3 (Anteile in vH) Warengruppen0
1991
1992
1993
1994
19952)
9,4 6,6 5,4 4,5 0 0,7 0,9 0,8 0,8 1 2 6,9 6,9 10,3 8,1 5,9 4,9 4,6 3 5,1 4 0,3 0,2 0,1 0,1 5 12,9 10,8 9,8 8,8 32,2 32,7 6 31,5 36,0 7 21,2 20,1 19,8 23,6 8 12,0 14,2 16,4 15,3 9 0,0 0,0 0,1 0,1 1} Warengruppenbezeichnungen vgl. Tabelle 34.- 2 ) Vorläufig. Quelle: Centrum VnèjSich Ekonomickych Vztahù (1996), S. 129.
4,5 0,6 8,5 4,9 0,1 9,0 34,5 23,9 13,9 0,1
Veränderung von 1991-1995 -4,9 -0,3 + 1,6 -1,0 -0,2 -3,9 + 3,0 + 3,8 + 1,9 +0,1
Tabelle 36 Warenstruktur des Imports der CR aus der E U nach SITC, Rev. 3 (Anteile in vH) Warengruppen0
1991
1992
0
5,8
1
1,9
2 3
0
19952)
Veränderung von 1991-1995
6,6
6,3
+0,5
1,1 2,6
0,8 2,7
-1,1 -3,5
2,5
1,5
+0,4
0,5
0,5
-0,2
14,9
-1,0
15,4
16,8
+5,8
43,4
44,2
-3,0
13,2
12,2
+2,3
0,1
0,1
-0,1
1993
1994
5,7
6,4
1,3
0,8
6,2
3,6
2,7
1,1 0,7
1,2
1,2
4
0,4
0,6
5
15,9
13,1
14,1
14,6
6
11,0
11,7
13,4
7
47,2
51,8
46,9
8
9,9
13,5
9
0,2
11,1 0,1
0,4
Warengruppenbezeichnungen vgl. Tabelle 34.- 2 ) Vorläufig. Quelle: Centrum VnèjSich Ekonomickych Vztahù (1996), S. 129.
Import
0,8 1,5 1,3 1,1 0,5 0,9 0,9
11,3 15,0
6 Bearbeitete Waren
02
0J
(^0
27,6
0J
15,2
16,8
13,1
(U
29,0 13,4
17,6
13,5
0,1
0,0
17,4 13,4
41,9
11,2
17,9 0,8 4,9 4,6
5,0
0,9
5,0
1995
19,4 12,2
38,8
12,0
4,2
1992
12,9 39,4 19,0
1993
Export
18,8
40,5
13,2
1994
Quellen : Statistical Yearbook of the Slovak Republic (1995), S. 360; Statisticky urad Slovenskej republiky (1996), S. 22.
9 Andere Waren u. Handelsprodukte 0,0 0,2
7 Maschinenbau- und Transportausrüstungen 32,7 29,2 8 Verschiedene Fertigwaren 8,3 9,0 9,1 8,0
8,6
5 Chemische Erzeugnisse und ähnliche Produkte 9,7
4 Tierische und pflanzliche Öle, Fette und Wachse 0,0 0,2 0,3 0,2 0,0 0,1 0,1
2 Rohstoffe (ohne Nahrungsmittel und mineral. Brennstoffe) 7,5 5,2 5,3 5,8 5,5 4,9 5,1 3 Mineralische Brennstoffe, Schmierstoffe usw. 27,8 21,1 19,3
1 Getränke und Tabak
1992 1993 1994 0 Nahrungsmittel und lebende Tiere 4,6 7,3 7,0 6,8 7,5 5,5 4,5
Warengruppen
Tabelle 37 Warenstruktur des Außenhandels der SR nach SITC, Rev. 3 (Anteile in vH)
1995
80 Horst Ufer
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
81
Bezüglich der Importstruktur der CR dominieren die Investitionsgüter der Warengruppe 7 mit einem Anteil um 35 vH. Den Importbedarf in dieser Warengruppe befriedigt die CR vor allem durch Bezüge aus der EU, wie Tabelle 36 zeigt. Ihr Anteil an den Importen aus Westeuropa liegt seit 1991 um 45 vH, womit der investive Charakter der Importe der CR insgesamt unterstrichen wird. Eine ähnliche Entwicklungstendenz vollzog sich in den Warenstrukturen des Außenhandels der SR, wie aus Tabelle 37 ersichtlich. Im Unterschied zur CR ist die Dominanz der Warengruppe 6 im Export jedoch noch weitaus stärker ausgeprägt. Bearbeitete Waren und Vorprodukte tragen mit etwa 40 vH zum Export der SR bei, wobei Stahl und Stahlerzeugnisse eine besondere Rolle spielen. Gleichzeitig ist der Beitrag von Maschinen und Ausrüstungen am Export der SR um einiges niedriger als in der CR.
6. Zusammenfassung und Ausblick Die CR und mit gewissen Einschränkungen auch die SR gehören zu den mittel- und osteuropäischen Ländern, in denen der Transformationsprozeß von der Plan- zur Marktwirtschaft bisher sehr erfolgreich verlief. Eine konsequente und zügige Reformpolitik, vor allem gestützt auf eine strenge Fiskal- und Geldpolitik, führte zu einer relativ raschen wirtschaftlichen Stabilisierung und nachfolgend auch zu einem ausgeprägten Wirtschaftswachstum. In der Privatisierungsstrategie als einem Hauptelement des Transformationsprozesses wurden die Privatisierungsmethoden dem Ziel eines hohen Tempos untergeordnet. In einer Einschätzung des Reformprozesses in der CR durch die OECD wird auch deshalb davon ausgegangen, daß die legislativen marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen weitestgehend komplett installiert wurden, die Wirtschaft selbst aber noch über einen längeren Zeitraum einer Transformation bedarf, vor allem was den wirtschaftlichen Strukturwandel betrifft 56 . Mittel- und langfristig bleibt die Umgestaltung und Modernisierung der industriellen Strukturen in der CR und SR wie auch in den anderen osteuropäischen Ländern eine prioritäre Aufgabe, ohne deren Lösung langfristig hohes Wirtschaftswachstum nicht erreichbar ist. Dieser wirtschaftliche Strukturwandel ist untrennbar mit der Reintegration in eine gesamteuropäische und indie weltweite internationale Arbeitsteilung verbunden. Die dabei erreichten Fortschritte in der Umorientierung der Außenhandelsströme, aber auch das wachsende Mitwirken in internationalen Organisationen, der Beitritt zur WTO und der OECD sowie die Assoziierungsprozesse in Vorbereitung auf die Aufnahme in die EU sind Ani aß zu Optimismus, geben aber auch Hinweise auf noch zu bewältigende Aufgaben. Im Mittelpunkt der Fortführung der Reformprozesse stehen vor allem die Fortsetzung der Privatisierung der Wirtschaft, die Verbesserung des Managements auf Unternehmensebene, die weitere Stärkung mittelständischer Unternehmen,
56
Vgl. OECD (1996b), S. 99.
6 Schumacher u. a.
Horst Ufer
82
der Ausbau und die weitere Konsolidierung des Finanz- und Bankensektors, die Erhöhung der Funktionsfähigkeit des Dienstleistungssektors und der Infrastruktur, die Fortführung der Renten- und Sozialreformen, die Steigerung der Funktionsfähigkeit des Systems marktwirtschaftlicher Institutionen. Während die erste Stufe des Transformationsprozesses in der SR und mehr noch in der CR mit der Installierung aller wesentlichen Teile einer Marktwirtschaft als abgeschlossen betrachtet werden kann, dienen die weiterzuführenden Reformaufgaben vor allem der Stärkung ihrer Funktionsfähigkeit. Damit rückt die zweite Stufe des Transformationsprozesses, die Sicherung eines langfristig dynamischen und stabilen Wirtschaftswachstums, welches vor allem die Lücke zu Westeuropa schließen soll, in den Mittelpunkt der künftigen Entwicklung. Für relativ kleine Länder wie die CR und SR mit notwendigerweise sehr offenen Wirtschaften muß dieses Wirtschaftswachstum in starkem Maße exportgetragen sein, womit die Wettbewerbsfähigkeit bei Gütern und Dienstleistungen im Export zentralen Stellenwert erhält. Der Strukturwandel der Wirtschaft muß sich dabei auf eine Kombination der Produktionsfaktoren stützen, für die die CR und die SR die günstigsten Voraussetzungen zur Erzielung komparativer Vorteile besitzen. Eine darauf ausgerichtete makroökonomische Wirtschaftspolitik kann diesen strukturellen Anpassungsprozeß und Wandel erfolgreich unterstützen. Dazu gehören eine entsprechende Gestaltung der Wechselkurse, eine auf höhere Sparquoten ausgerichtete Steuerpolitik bei gleichzeitiger Senkung der heute noch sehr hohen Steuerquote, die Verminderung der Haushaltsausgaben durch entsprechende Rentenund Gesundheitsreformen, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes im Rahmen wechselnder Investitions- und Produktionsschwerpunkte, eine darauf ausgerichtete Bildungs- und Wissenschaftspolitik zur Fortentwicklung des Humankapitals, die Sicherung der Marktzugänge für die Exporte durch Beratungs- und Informationsdienstleistungen, der Ausbau der Infrastrukturen u.a. 57 . Aus der Sicht verfügbarer Produktionsfaktoren ist hervorzuheben, daß die CR und die SR nur unzureichend mit mineralischen Rohstoffen ausgestattet sind. Die bis 1989 dominierende Orientierung der Westexporte auf rohstoffintensive Güter und die der Ostexporte auf vorwiegend materialintensive Güter muß aus heutiger Sicht als Fehlallokation von Ressourcen angesehen werden. Entscheidende Ursache dafür war das Austauschmodell Rohstoffe gegen Fertigerzeugnisse im Außenhandel mit der ehemaligen UdSSR. Rohstoffe und vor allem Energieträger konnten aus der ehemaligen UdSSR unter Weltmarktpreisniveau importiert werden. Der Export von Fertigerzeugnissen, vor allem von Investitionsgütern, in die ehemalige UdSSR erfolgte zu relativ günstigen Preisen und war auf das niedrige Anspruchsniveau dieses Marktes ausgerichtet. Mit dem Übergang zu Weltmarktpreisen wurden die komparativen Vorteile beim Export rohstoffintensiver Güter geringer 58. Die über 40jährige Entwicklung der Industriestrukturen auf der Basis sowjetischer Rohstofflieferungen hat aus
57
Vgl. Sachs (1996), S. 4 ff.
58
Zur Entwicklung der komparativen Vorteile vgl. den Beitrag von Trabold/Berke in diesem
Heft.
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
83
marktwirtschaftlicher Sicht zu Fehlallokationen geführt, die nur mittel- und langfristig mit Erfolg zu korrigieren sind. Veränderungen in der Warenstruktur der Exporte zum Abbau des Anteils rohstoff- und materialintensiver Güter müssen sich auf entsprechende Änderungen in den Produktionsstrukturen stützen können. Gleichzeitig sind jene Alternativen zu suchen, bei denen die relative Faktorausstattung der CR und der SR komparative Vorteile erwarten läßt. Mit der Öffnung der Volkswirtschaften nach Westen hat der Standortfaktor Arbeit eine erhebliche Aufwertung erfahren. Die Ausweitung des Exports in westliche Industrieländer verleiht den vergleichsweise niedrigen Arbeitskosten eine hohe Bedeutung. Als generelle Alternative bietet sich demzufolge an, rohstoffintensive Exporte durch arbeitsintensive Exporte zu substituieren. Vor allem Exporte mit höherer "skill-intensity" können sich dabei auf ein für Osteuropa relativ gut entwickeltes Humankapital stützen. Als nachteilig erweist sich jedoch dabei, daß das vorhandene Qualifikations- und Bildungspotential seine Fähigkeiten nur an einem veralteten Kapitalstock entwickeln konnte, innovatorische Leistungen weniger gefragt und marktwirtschaftliches Management fast nicht vorhanden war. Sollen komparative Nachteile bei Gütern mit höherer Humankapital Intensität mittel- und langfristig abgebaut werden, sind dazu entsprechende Strategien in Bildung, Forschung und Wissenschaft unabdingbar. Dies gilt um so mehr, als sich die Lohnkostenvorteile mit der Zeit aufbrauchen und arbeitsintensive Exportgüter einer harten Konkurrenz durch die Entwicklungsländer ausgesetzt sind. Eine Zielorientierung auf steigende Anteile forschungsintensiver Güter am Export kann an die industriellen und technischen Traditionen der Tschechoslowakei anknüpfen. Die vor allem in den 80er Jahren größer gewordene Lücke im Technologiebereich erfordert jedoch außerordentliche Anschlußleistungen durch flexible und innovationsorientierte Unternehmen, die sich im Laufe der Privatisierung erst herausbilden. Ein entscheidender Mangel in diesem Aufholprozeß ist jedoch die äußerst geringe Kapitalausstattung der Unternehmen und der Banken. Technologische Aufholprozesse erfordern eine weitgehende Erneuerung und Modernisierung des Anlagevermögens. Auch eine Orientierung auf arbeitsintensive und forschungsintensive Exportgüter mittleren technologischen Niveaus erfordert beträchtliche Investitionsmittel, die den privatisierten Unternehmen zur Zeit noch nicht ausreichend zur Verfügung stehen. Um so mehr Bedeutung kommt dem beschleunigten Zufluß von Auslandskapital zu. Wie der bisherige Zugang an ausländischen Direktinvestitionen zeigt, konzentriert sich deren Verwendung im produktiven Bereich bisher noch unzureichend auf Branchen mit ausgeprägten Exportfunktionen. Die erwartete Brückenfunktion der CR und der SR für die Erschließung des osteuropäischen Marktes spielte bei den ausländischen Direktinvestitionen bisher nur eine untergeordnete Rolle. Selbst das in der Pkw-Industrie dominierende Engagement des VW-Konzerns war zunächst eher darauf ausgerichtet, wachsende Stückzahlen für die Ausweitung des Exports nach Westeuropa zu nutzen. Gerade aber des Engagement großer westlicher Unternehmen könnte die notwendigen Impulse für die zu stärkende Innovationsfähigkeit exportorientierter Branchen geben. Weiter verbesserte Rahmenbedingungen
6*
Horst Ufer
84
für ausländische Investoren und eine Konsolidierung der Transformationsprozesse in Osteuropa, vor allem in der GUS, wären für diese Entwicklung hilfreich. Gemessen an Polen und Ungarn war die Entwicklung des Außenhandels in der CR, aber auch in der SR recht erfolgreich. Nach den transformationsbedingten Einbrüchen in der Entwicklung des Außenhandels, begleitet durch den Zusammenbruch des RGW, konnten die Exporte wieder deutlich ausgeweitet werden. Der Verlust der RGW-Märkte konnte schon bis Ende 1993 zu etwa 75 vH durch den Handel mit entwickelten Marktwirtschaften ausgeglichen werden. Bis Ende 1995 dürften die CR und die SR zusammen das Außenhandelsvolumen der CSFR von vor 1989 deutlich übertroffen haben, auch wenn man den gegenseitigen Außenhandel zwischen beiden Ländern nach 1993 aus dieser Betrachtung ausschließt. Ein relativ hohes außenwirtschaftliches Entwicklungstempo bei drastischem Wechsel in den Regionalstrukturen war für beide Länder eine entscheidende Voraussetzung für die erfolgreiche Stabilisierung der Volkswirtschaften und für seit 1994 positive Wachstumsraten des BIP. Für die Fortführung dieses Prozesses wird ein zunehmender Wandel in der tieferen Gliederung der Exportwarenstruktur in Richtung höhere Wettbewerbsfähigkeit unabdingbar. Arbeitsintensive Exportgüter werden sich einer zunehmenden Konkurrenz durch Entwicklungsländer und weiter östlich gelegene Transformationsländer erwehren müssen. Auch bei eher materialintensiven Exportgütern mit geringerem Verarbeitungsgrad werden die derzeit noch erschließbaren komparativen Vorteile abnehmen. Darüber hinaus wird es immer schwieriger, neue Nischen für Exportgüter auf westlichen Märkten zu finden, zumal wichtige Exportbranchen, wie Stahl, Textilien und Bekleidung, zunächst noch auf Marktzutrittsbarrieren der EU treffen 59 . Vor allem das vorhandene Humankapital und seine zügige Weiterentwicklung verstärken die Aussicht, mittel- und langfristig auch bei technologie- und forschungsintensiven Gütern und Dienstleistungen komparative Vorteile erzielen zu können. Die Orientierung auf hohe Anteile von Investitionsgütern am Import aus westlichen Industrieländern sollte die Adaptationsfähigkeit für moderne Technologien weiter stärken, so daß sich das eigene Entwicklungspotential in ausgewählten Richtungen des Hochtechnologiebereichs allmählich entfalten könnte. Derzeitige Handelsbilanzdefizite, gedeckt durch einen ausreichenden Kapitalzufluß, vor allem an ausländischen Direktinvestitionen, könnten die Basis für ein künftig wieder schneller wachsendes und wettbewerbsfähiges Exportpotential sein.
59
Vgl. den Beitrag von Möbius in diesem Heft.
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
85
Literatur Bauer , P. (1995): East-West Economic Cooperation, Interests Involved, Institutional Possibilities and Economic Rationale. In: Intereconomics, November/December 1995. Berisch , M.S., M.F. Long, M . Noël (1996): Lessons from Bank and Enterprise Restructuring in the Transition Economies of Europe and Central Asia. In: The World Economy, Vol. 19, No. 1, January 1996. Bundesstelle für Außenhandelsinformation giewirtschaft.
(bfai)
(1994): Tschechische Republik, Ener-
Centre for Foreign Economic Relations (1993): The Czech Republic in the International Economy, Quarterly, Prag, Juni. Centrum Vnéjsich Ekonomickych mice, Praha, Brezen.
Vztahù (1996): Ceskâ Republika ν Mezinârodni Ekono-
David , M . W . N . , K. Wagner, E. Birnie , J. Hamar, A. Zemplinerova (1996): Prospects for Manufacturing in the Czech Republic, Hungary and East Germany. In: Moct-Most, Economic Policy in Transitional Economies, Vol. 6, No. 2/1996. Dédek y Ο. (1995): Currency Convertibility and Exchange Rate Policies in the Czech Republic. In: Prague Economic Papers, No. 4, December 1995, Prag. DIW-KOST (Kooperationsbüro Osteuropa-Wirtschaftsforschung) Reformprozesse in Mittel- und Osteuropa, Sammelband.
(1995): Wirtschaftslage und
DIW-KOST (Kooperationsbüro Osteuropa-Wirtschaftsforschung) Reformprozesse in Mittel- und Osteuropa, Sammelband.
(1996): Wirtschaftslage und
Druochowskiy A. (1995): Foreign Direct Investment in Central Europe. In: Intereconomics, November/December 1995. Emadi-Moghadam , M . , B. Emadi-Coffin (1995): The link between foreign direct investment, human capital upgrading and trade in the Czech Republic and Slovakia: 19901994. In: Prague Economic Papers, No. 3, September 1995, Prag. Falk , Μ . , Ν. Funke (1993): Zur Sequenz von Reformschritten: Erste Erfahrungen aus dem Transformationsprozeß in Mittel-und Osteuropa. In: Die Weltwirtschaft, Heft 2, 1993. Ferreira , M.P. (1995): The Liberalisation of East-West Trade: An Assessment of its Impact on Exports from Central and Eastern Europe. In: Europe-Asia Studies, Vol. 47, No. 7, November 1995. Havlik , P. (1995): Transition Countries: Consolidating Economy in 1995. In: The Vienna Institute for Comparative Economic Studies (WIIW), Monthly Report 10/1995. Handelsblatt (verschiedene Ausgaben).
86
Horst Ufer
Hänsel , M . , H. Ufer (1992): Arbeitsmarkt in der CSFR - Entwicklungstrends, Probleme und Ausblick, Trafo Verlag, Berlin, April 1992. Heitger, B., C. Krieger-Boden, K. Schräder, H. Ufer (1991): Die RGW-Länder als Unternehmensstandort - Länderstudie Tschechoslowakei, HWWA-Institut fürWirtschaftsforschung-Hamburg, Institut für Weltwirtschaftlich an der Universität Kiel, Hamburg und Kiel, April. Herberg, H. (o.J.): Auswertung der Außenhandelsstatistik des RGW, mehrere Jahre, unveröffentlichtes Manuskript. Hunya , G. (1993): Frictions in the Economic Transformation of Czechoslovakia, Hungary and Poland, WIIW-Forschungsberichte, Nr. 190, Februar 1993. Hunya , G. (1995): Transport and Telecommunications Infrastructure in Transition. In: Communist Economies and Economic Transformation, Vol. 7, Nr. 3, 1995. Inotai , Α., J. Stankovsky (1993): Transformation in Progress: The External Economic Factor, WIIW-Forschungsberichte, Nr. 200, Juli 1993. Janâcek , Κ . , M . Cihàk, M . Frydmanova , E. Zamrazilovâ (1996): Czech Economy at the Start of 1996. In: Prague Economic Papers, No. 2, June 1996, Prag. Klaus , V. (1990): Wahrer Liberalismus. In: Wirtschaftswoche, Nr. 43, 19. Oktober 1990. Kosta , J. (1995): Die Systemtransformation in den CEFTA-Ländern: Strategien und Ergebnisse. In: Osteuropa-Wirtschaft, 3/1995. Lösch, D. (1993): Der Weg zur Marktwirtschaft: Grundzüge einer Theorie der Transformationspolitik, Baden-Baden, Nomos Verlagsgesellschaft 1993, Veröffentlichung des HWWA-Instituts für Wirtschaftsforschung-Hamburg, Bd. 4. Lukas, Z. (1995): Slovakia, economic recovery under way. In: Economic Developments in Early 1995 and Outlook for 1995 and 1996, Part II, WIIW-Forschungsberichte, No. 220, July 1995. Meißner, T. (1996): Direktinvestitionen in Mittel- und Osteuropa: Entwicklung 1995 und Ziele von Unternehmen. In: IWH-Wirtschaft im Wandel, 3/1996. Ministry of Industry and Trade (1995): Czech Foreign Trade Statistics on September 1995. Nachrichten für Außenhandel (verschiedene Ausgaben). Neue Zürcher Zeitung (verschiedene Ausgaben). OECD (1995): Review of the labour market in the Czech Republic, Centre for Co-Operation with the Economies in Transition, Paris. OECD (1996a): Labour market and social policies in the Slovak Republic, Centre for Cooperation with the Economies in Transition, Paris. OECD (1996b): Economic Surveys 1995-1996, The Czech Republic, Paris.
Tschechische und Slowakische Republik: Exportbestimmter Strukturwandel
Osteuropa-Perspektiven
87
Jahrbuch (1995/96), Frankfurt/Main.
Plan Econ Report (1995a): Slovak Economic Monitor, 10. November 1995. Plan Econ Report (1995b): Czech Economic Monitor, 15. Dezember 1995. Sachs, J. (1996): Producing Dynamic Growth is the Task Ahead. In: Prague Economic Papers, No. 1, January 1996, Prag. Slater , A. (1996): Czechoslovak Industrial Exports: Structural Change, Re-orientation and Specialisation (1989-1992). In: Prague Economic Papers, No. 3, September 1996, Prag. Statistical Yearbook of the Czech Republic (1993), Prag. Statistical Yearbook of the Czech Republic (1995), Prag. Statistical Yearbook of the Slovak Republic (1995), Bratislava. Statisticky
urad Slovenskej republiky
(1996), Bulletin 12/95, Bratislava, 13.2.96.
Statistisches Bundesamt (1996): Länderbericht Tschechische Republik 1995, Wiesbaden. Tschechoslowakische Industrie- und Handelskammer (1991): Jahrbuch des Außenhandels der Tschechoslowakei. Vintrova, R. (1993): Macroeconomic Analysis of Transformation in the CSFR, WIIW-Forschungsberichte, Nr. 188, Januar 1993. Vydâvâ
Cesky statisticky
urad (1996), Bulletin 12/95, Prag, 2.4.96.
Werner, K. (1996): Hohe Außenhandelsdynamik der mittel- und osteuropäischen Reformländer: Deutschland behauptet seine Marktanteile. In: IWH-Wirtschaft im Wandel, 2/1996. World Bank (1996): World Development Report 1996, From Plan to Market, Washington D.C. Zemplinerova , A. (1996): The role of foreign enterprises in the Czech Republic. In: The Vienna Institute for Comparative Economic Studies, Monthly Report 1/1996.
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme Von Helga Herberg
1. Einleitung Die rasche Öffnung der Wirtschaft war ein wesentlicher Bestandteil der polnischen Transformationsstrategie. Zugleich spiegelt die Entwicklung des Außenhandels die Erfolge und Probleme dieser Strategie besonders deutlich wider. Mehr noch als der Export ist der Import dynamisch gewachsen. Polens enge außenwirtschaftliche Verflechtung mit der EU ist schon vor der vollständigen Integration weitaus stärker als die frühere Verankerung im RGW-Raum. Die Verluste auf den östlichen Märkten konnten durch die rasche Ausdehnung des Westhandels kompensiert werden, doch die regionale Umorientierung ging mit strukturellen Friktionen einher. Die Warenstruktur der Exporte entspricht gegenwärtig nicht dem Leistungspotential der Wirtschaft. Polen verfügt über ausreichende Voraussetzungen, um nicht nur bei arbeitsintensiven, sondern auch bei technologisch anspruchsvollen Gütern komparative Vorteile zu erzielen und um sich in die intraindustrielle Arbeitsteilung hochentwickelter Länder einzugliedern. Ziel der vorliegenden Länderstudie ist es, die Entwicklung des polnischen Außenhandels im Transformationsprozeß aufzuzeigen und die Hauptrichtungen künftiger Veränderungen einzuschätzen. Der Analysezeitraum umfaßt die Jahre von 1989 bis 1994/95. Im zweiten Kapitel werden Strategie und bisher erreichte Hauptergebnisse der Transformation dargestellt. Im dritten Kapitel folgt eine Analyse der binnenwirtschaftlichen Entwicklung (Wachstum und Struktur des BIP, der Industrieproduktion, der Investitionen sowie Lohnentwicklung und Arbeitsmarkt). Die Ausstattung Polens mit den Produktionsfaktoren Naturressourcen, Arbeitskräfte und Kapital wird im vierten Kapitel untersucht. Bei der Analyse des Außenhandels im fünften Kapitel wird zunächst die in vieler Hinsicht problematische Ausgangslage betrachtet. Das Wachstum des Außenhandels, die Öffnung der Wirtschaft, der Umbruch der Regionalstruktur und insbesondere Veränderungen der Warenstruktur des Exports und des Imports sowie eine Bewertung ihrer gegenwärtigen Merkmale bilden die Schwerpunkte der Untersuchung. Abschließend wird versucht, aus der Analyse Perspektiven der internationalen Spezialisierung Polens abzuleiten.
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
89
2. Reformen und Wirtschaftspolitik 2.1. Programm und Schritte Schon Anfang 1989 wurden von der Regierung Rakowski weitgehende Reformen beschlossen. Die Staatliche Plankommission wurde in ein Zentrales Planungsamt (CUP) umgewandelt, das bis heute als Stabsorgan ohne operative Befugnisse die Tätigkeit der Regierung durch strategische Analysen und Prognosen unterstützt. Die Zahl der Fachministerien im Bereich der Wirtschaft wurde weiter eingeschränkt, die Ministerien für die einzelnen Branchen wurden zu einem einzigen Industrie- und Handelsministerium zusammengefaßt. Die Zulassung privater Firmen wurde weiter liberal is iert, ihre Gleichberechtigung gegenüber dem Staatssektor garantiert und jegliche Größenbeschränkung aufgehoben. Auch das seit 1986 geltende Joint-Venture-Gesetz wurde radikal novelliert und von noch vorhandenen Beschränkungen des Anteils der ausländischen Partner befreit. Ein Antimonopolgesetz markierte den Beginn einer Wettbewerbspolitik. Mit dem Aufbau der Institutionen des Geld- und Kapitalmarktes wurde begonnen. Anfang 1989 wurde ein zweistufiges Bankensystem eingeführt. Das staatliche Außenhandelsmonopol wurde bis auf einige strategische Bereiche beseitigt. Das Devisenrecht wurde liberalisiert (vgl. Delhaes 1991, S. 272/273). Die Entscheidung für eine radikale Systemtransformation fiel in Polen als Folge der Parlamentswahlen im Sommer 1989. In einem Ministerratsbeschluß der Regierung Mazowiecki vom 9. Oktober 1989 wurde ein radikales und komplexes Transformations- und Stabilisierungsprogramm ("Balcerowicz-Plan") beschlossen. Als Ziel des Programms wurde die Umwandlung der Wirtschaft Polens in eine Marktwirtschaft nach dem Vorbild entwickelter westlicher Länder bestimmt1. Die Entscheidung für eine radikale, komplexe und schnelle Systemtransformation wurde durch die anhaltend krisenhafte Entwicklung der Wirtschaft Polens in den achtziger Jahren, aber auch durch die Mißerfolge früherer Reformkonzepte entscheidend beeinflußt. Die ökonomische Ausgangslage war schwierig (vgl. Herberg 1996, S. 10). Sie wurde mehr als in anderen Reformländern von makroökonomischen Instabilitäten belastet, die sich am Ende der achtziger Jahre extrem zugespitzt hatten (vgl. Ufer in diesem Heft). Die Inflationsrate erreichte 1989 bei einem Nullwachstum des Nationaleinkommens im Jahresdurchschnitt 351 vH, im vierten Quartal waren es 30 bis 40 vH monatlich. Die Geldentwertung hatte eine Flucht in Fremdwährungen zur Folge, 1989 wurden 69 vH des M3-Bestandes in Fremdwährungsguthaben gehalten (vgl. Herr/Westphal 1991, S. 243). Der Schwarzmarktkurs zeigte im Jahresdurchschnitt eine Abweichung vom offiziellem Kurs der Zentralbank von 385 vH (Biuletyn Statystyczny Nr. 4/1994, S. 21). Die relativen Güter- und Dienstleistungspreise waren stark verzerrt. Insbesondere Grundnahrungsmittel und Energie waren hoch subventioniert. Hinzu kamen Preisstützungen für Miete, Personenbeförderung u.a.
1 Eine ausführliche Darstellung des Balcerowicz-Planes findet sich insbesondere bei Nuti (1990); Quaisser (1990) und CUP (1993).
90
Helga Herberg
Dienste der kommunalen und der Wohnungswirtschaft, so daß sich die Gesamtsumme der Subventionen für die Haushalte auf ein gutes Drittel, die an die Unternehmen auf etwa 10 vH der Ausgaben des Staatshaushaltes belief (CUP 1993, S. 9). Mehr als in anderen Reformländern wurde die Ausgangslage Polens im Integrationsprozeß durch den am Ende der 80er Jahre erreichten Stand der Auslandsverschuldung belastet. Die Verschuldung in konvertierbarer Währung entsprach 1989 rund 61,4 vH des BIP (siehe Punkt 5.2). In dem Wirtschaftsprogramm wurden zwei Hauptziele aufgestellt: die Stabilisierung der Wirtschaft und die Transformation des Wirtschaftssystems. Die Realisierung sollte in zwei Phasen erfolgen: in einer ersten, sehr kurzen Phase sollten die Hyperinflation beseitigt und das Haushaltsdefizit verringert sowie die entscheidenden institutionellen und juristischen Maßnahmen vorbereitet werden. An einem Stichtag (1. Januar 1990) traten gleichzeitig umfassende Deregulierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen in Kraft, die auch die außenwirtschaftliche Öffnung (Liberalisierung der Exporte und Importe, Binnenkonvertibilität des Zloty) einschlossen. In einer zweiten, längeren Anpassungsphase sollten mittels ordnungsund prozeßpolitischer Maßnahmen eine makroökonomische Stabilisierung erreicht und die Systemtransformation fortgeführt werden. Dabei wurde der Inflationsbekämpfung hohe Priorität eingeräumt. Der Plan wurde mit den folgenden Schritten weitgehend realisiert: Liberalisierung: Die Preisbildung wurde bis auf 10 vH der Preise (Einzelhandelspreise: 5 vH) freigegeben. Davon ausgenommen waren im wesentlichen Energiepreise, Mieten und einige kommunale Dienstleistungen. Die Preise für Energie und öffentliche Leistungen wurden stark angehoben, der Anteil der Subventionen an den Ausgaben des Staatshaushaltes deutlich verringert. Zugleich wurde das Außenhandels- und Devisenmonopol beseitigt und die Außenhandelstätigkeit fast vollständig liberalisiert. Stabilisierung: Der Stabilisierung des Geldwertes wurden Wechselkurs-, Geld- und Fiskalpolitik untergeordnet. Vor der Einführung der inneren Konvertibilität des Zloty für Leistungsbilanztransaktionen wurde der Zloty nochmals stark abgewertet und zunächst an den US-Dollar, dann an einen Währungskorb gekoppelt. Neben der Wechselkurspolitik sollten eine restriktive Einkommenspolitik und eine restriktive Geld- und Kreditpolitik die Inflation eindämmen. Durch den Abbau von Subventionen für Wirtschaftsunternehmen sowie durch die Einschränkung zentraler Investitionen sollte das Defizit des Staatshaushaltes verringert werden. Anstelle durch Geldschöpfung wurde die Finanzierung der Ausgaben über Kredite kommerzieller Banken bzw. Obligationen der Staatsbank eingeführt. Zugleich limitiert das jährliche Haushaltsgesetz die Finanzierung der Ausgaben durch die Staatsbank (NBP). Privatisierung'. Für den Prozeß der Privatisierung wurde ein Zeitraum von fünf Jahren eingeräumt. Das Gesetz über die Privatisierung der Staatsbetriebe wurde nach langer Diskussion im Parlament erst Mitte Juli 1990 verabschiedet. Auf seiner Grundlage wurde ein Ministerium für Eigentumsumwandlung geschaffen, das die Interessen des Staates in diesem Prozeß wahrnimmt. Über Umfang und Tempo des Privatisierungsprozesses entscheidet jährlich das Parlament. Die Grundlage hierfür bilden Anträge der einzelnen Unternehmen (Arbeiterrat und Direktor), des Gründungsorgans (zuständiges Ministerium bzw. örtliche Verwaltung) und schließlich des Ministeriums für Eigentumsumwandlung. Erst Ende April
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
91
1993 wurde nach langen, sich über drei Jahre hinziehenden Diskussionen das Gesetz über die Massenprivatisierung vom Parlament bestätigt (vgl. Kämpfe 1993). Institutionelle Reformen: Als Grundlage der wirtschaftlichen Tätigkeit wurde das polnische Handelsgesetzbuch von 1934 wieder in Kraft gesetzt und auch das alte Konkursrecht schon 1990 mit einigen Modifikationen wieder aktiviert. Eine erneute Novelle des JointVenture-Gesetzes beseitigte frühere Beschränkungen ausländischer Kapitalbeteiligungen. Die bereits eingeleitete Reform des Bankensystems wurde fortgesetzt, und die rechtlichen und institutionellen Grundlagen für einen Kapitalmarkt wurden geschaffen. Die Reformierung des Steuersystems erfolgte mit Verzögerung, auch die Einführung eines ausgebauten Wettbewerbsrechts wurde bis 1993 hinausgeschoben. Die polnische Transformationsstrategie wurde in einer Reihe von Schritten konsequent umgesetzt, deren Abfolge internationalen wirtschaftspolitischen Empfehlungen für die Systemtransformation (vgl. Falk/Funke 1993) entspricht. Sie weist zugleich eine Reihe von Besonderheiten auf. Auf die Stabilisierung des Geldwertes wurden alle Anstrengungen am Beginn der Reform gerichtet. Institutionellen Reformen wurde auch in Polen höchste Priorität beigemessen. Sie nahmen jedoch längere Zeit in Anspruch, als ursprünglich angenommen.
2.2. Hauptergebnisse Stabilisierung: Unbestreitbare Erfolge einer im wesentlichen konsequenten Prozeß- und Ordnungspolitik stehen neben ungelösten Problemen. Bei der Stabilisierung des Geldwertes wurden Erfolge erzielt, die angesichts der Ausgangslage beachtlich sind. Der sprunghafte Preisanstieg nach Freigabe der Preisbildung (sog. "korrektive Inflation") konnte durch eine strikte Stabilitätspolitik rasch eingedämmt werden. In den darauffolgenden Jahren hat sich der Anstieg der Verbraucherpreise weiter deutlich verlangsamt, dennoch blieb die Inflationsrate auch im Vergleich zu den anderen fortgeschrittenen Reformländern hoch. Mit 28 vH im Jahresdurchschnitt 1995 bleibt die Stabilisierung des Geldwertes ein Hauptproblem der Wirtschaftspolitik (vgl. Schrooten 1995). Auch die Wechselkurspolitik war vor allem auf die monetäre Stabilisierung orientiert. Wesentliche Voraussetzungen für die volle Konvertierbarkeit der Währung sind erfüllt (seit Juni 1995 gemäß Art. V I I I des IWF-Statuts). Die Abweichung zum inoffiziellen Kurs wurde praktisch beseitigt. Die reale Aufwertung durch die inländische Preissteigerung machte aber entgegen den ursprünglichen Absichten die Einführung einer monatlichen gleitenden Abwertung der Währung und wiederholte diskrete Schritte erforderlich. Der Verfall der Binnenwährung seit dem Beginn der Transformation war beträchtlich (von eingangs 95 auf 251 (neue2) Zloty/100 US-$ Ende 1995). Der Zielkonflikt zwischen der monetären Stabili-
2
Zu Beginn des Jahres 1995 wurde der neue Zloty eingeführt, der 10 000 alten Zloty entspricht.
92
Helga Herberg
sierung und den Erfordernissen des Außenhandels hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit des Exports erforderte ständige Kompromisse (vgl. Gabrisch 1996 und Quaisser 1995). Die monetäre Stabilisierung war in Polen mehr als in anderen Ländern mit der Stabilisierung des externen Gleichgewichts verknüpft. Doch die Auslandsschulden Polens bleiben trotz der im März 1994 vereinbarten langfristigen Umschuldung - der Forderungsverzicht der Gläubigerbanken beläuft sich auf fast 50 vH der aufgelaufenen Verbindlichkeiten hoch. Bei einer absoluten Auslandsverschuldung von 44 Mrd. US-$ entsprach die Belastung 1995 noch etwa einem Drittel des BIP und dem Doppelten eines Jahresexports. Der Schuldendienst wird in den nächsten Jahren ansteigen und knapp 10 vH der jährlichen Exporte betragen. Anders als in der Vergangenheit ist aber die Bedienung der Auslandsschulden nunmehr möglich, und Polens Stellung an den internationalen Geld- und Kapitalmärkten hat sich wesentlich verbessert. Das Defizit des Staatshaushaltes konnte fast ausnahmslos deutlich unter der vom IWF vorgegebenen Grenze gehalten werden. Höhere Einnahmen wurden durch die Einführung der Mehrwertsteuer und einer progressiven Einkommenssteuer gesichert. Zugleich haben anhaltende strukturelle Probleme die Ausgabenseite belastet, wenn auch die Subventionen für Wirtschaftstätigkeit relativ und absolut stark reduziert wurden. Ein hoher Anteil war für Sozialleistungen, die noch nicht aus einem Versicherungssystem finanziert werden konnten, erforderlich (1994: 23 vH, 1995: 18 vH). 1995 entfielen auf den Schuldendienst 15,6 vH der Gesamtausgaben des Staatshaushalts (1994: 13,4 vH). Weit mehr als die äußere fiel dabei die innere Verschuldung ins Gewicht (CUP 1996, S. 21), obwohl die Quote der öffentlichen Schulden in einem beachtlichen Maße reduziert werden konnte (Tabelle 1).
Tabelle 1 Inflation, Staatshaushalt und Schulden, 1990 bis 1995 1990 Inflationsrate
2)
1992
1993
1994
1995°
585,4
70,3
43,0
35,3
32,2
27,8
Budgetdefizit (vH des BIP)
-0,4
-3,8
-0,6
-2,8
-2,7
-2,7
Öffentliche Schulden (vH des BIP)
94,9
81,4
85,2
86,0
69,5
60,2
Auslandsschulden (Mrd. US-$)
48,5
48,4
47,0
46,8
42,2
43,9
0
(vH)
1991
2)
Vorläufig.Verbraucherpreise. Quellen: CUP (1996), S. 14/15.
Institutionelle Reformen: Die Einführung eines Steuersystems nach westlichem Vorbild fand mit der Erhebung der Mehrwertsteuer ab Juli 1993 ihren Abschluß. Durch Steuern wird nunmehr der überwiegende Teil der Einnahmen des Staates gesichert. Auf Verbrauch-
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
93
steuern entfielen darunter 1995 rund 43 vH. Zugleich hat sich die Struktur der Einnahmen zugunsten der Lohn- und Einkommenssteuer privater Personen verschoben, die 1995 rund 28 vH der Gesamteinnahmen erbrachte, während auf die Körperschaftssteuer nur 11 vH der Einnahmen entfielen. Weitere, tendenziell wachsende Einnahmen entstammen der Privatisierung und der Erhebung von Zöllen (GUStat. 1996, S. 19). Das Bankwesens Polens befindet sich noch am Anfang seiner Entwicklung, obwohl mit dem Aufbau eines Geld- und Kapitalmarktes frühzeitig begonnen wurde. Die zunächst formale Unabhängigkeit der Notenbank existiert in Polen nun auch de facto. Ein Netz von Geschäftsbanken (Universalbanken) entstand durch Ausgliederung von neun regionalen Zweigstellen der Staatsbank und durch Neugründungen zahlreicher kleiner privater Banken. Am Ende des Analysezeitraumes arbeiteten in Polen neben den neun große Universalbanken sechs Spezialbanken auf der Basis inländischen staatlichen Kapitals und einer Minderheitsbeteiligung ausländischen Kapitals (u.a. die polnische Entwicklungsbank). Hinzu kommen 69 Privatbanken in Form von Aktiengesellschaften und 1 532 Genossenschaftsbanken im ländlichen Raum (CUP 1996, S. 42). Die Privatisierung der großen Staatsbanken verlief bisher schleppend, von den Staatsbanken wurden bis 1994/95 erst drei privatisiert. Entschlossenere Privatisierungsschritte sollten 1996 nach vorheriger Konsolidierung gegangen werden (vgl. Repecki 1996, S. 5). Ungeachtet der großen Zahl der Privatbanken dominieren nach der Bilanzsumme die Staatsbanken. Ein besonderes Problem ist der hohe Anteil notleidender Kredite, der sich von 1990 bis 1994 auf etwa 30 vH aller Forderungen belief (vgl. Buch 1996, S. 79). Mit der seit Anfang 1991 zugelassenen Wertpapierbörse ist ein Kapitalmarkt entstanden, dessen Umsätze sich stürmisch entwickelt haben. Die Zahl der börsennotierten Unternehmen blieb jedoch gering. Ende 1993 waren erst 20, zwei Jahre später 66 Unternehmen (von 4740 Aktiengesellschaften) zugelassen. Infolgedessen blieb die Rolle der Börse im Prozeß der Akkumulation des Kapitals bisher marginal. Erst nach dem Anlaufen der mehrfach verzögerten Massenprivatisierung kann sich der Kapitalmarkt rascher als bisher ausdehnen. Zugleich existiert nun ein am Ausgangsniveau gemessen breiter privater Markt für Versicherungen. Institutionen und Gesetze des Arbeitsmarktes mußten neu gestaltet werden. Das "Gesetz über Beschäftigung und Arbeitslosigkeit" vom Oktober 1991, das inzwischen mehrfach novelliert wurde, legte Struktur und Aufgaben der Arbeitsverwaltung sowie die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik fest. Neu definiert wurden der Arbeitslosenstatus, die Voraussetzungen für den Anspruch auf Leistungen sowie Höhe und Dauer der Leistungen. Mit Hilfe eines Weltbankkredits wurde 1991 die Modernisierung der Arbeitsämter eingeleitet. Die deutsche Bundesanstalt für Arbeit unterstützte Reform und Aufbau der polnischen Arbeitsverwaltung. Große Verzögerungen gab es bei der Reform des Arbeitsgesetzbuches aus dem Jahre 1974. Eine umfangreiche Novelle ist erst im Juni 1996 in Kraft getreten. Davon ausgenommen sind die Neuregelungen der Arbeitszeit und des Urlaubs, die erst ab 1. Januar 1997 gelten sollen. Rechte und Pflichten der Arbeitgeber sowie der Arbeitnehmer wurden gänzlich neu geregelt (vgl. Wirtschaft und Recht in Osteuropa, 7/1996, S. 279).
94
Helga Herberg
Privatisierung: Die bisherigen Ergebnisse der Privatisierung - unter Privatisierung wird hier nicht nur die Umwandlung des Staatseigentums, sondern auch die Entstehung privater Unternehmen durch Neugründung verstanden - unterscheiden sich deutlich nach Sektoren der Produktion. Einerseits ist in allen Bereichen ein starker Privatsektor entstanden, der auch außerhalb der traditionell privaten Landwirtschaft fast die Hälfte aller Erwerbstätigen beschäftigt und auch rund die Hälfte des BIP erbringt. Zugleich entfielen aber 1995 noch fast zwei Drittel der Industrieproduktion auf den Staatssektor, von dem auch in überwiegendem Maße die Verkehrsleistungen erbracht werden. Außer der Landwirtschaft sind nur Handel und Baugewerbe fast vollständig privatisiert. Im Vergleich zum Ausgangsniveau ist insbesondere der Privatisierungsgrad des Außenhandels beachtlich (Tabelle 2). Von den Ende 1990 registrierten 8 441 Staatsunternehmen wurden im Laufe von fünf Jahren erst 5 205 in den Prozeß der Privatisierung einbezogen, von denen wiederum wurde weniger als die Hälfte tatsächlich privatisiert. Hierin eingeschlossen ist die formalrechtliche Umwandlung (Kommerzialisierung) von 933 sowie die Liquidierung von 422 Unternehmen mittels Konkursverfahren, so daß von den in der Privatisierung befindlichen Unternehmen weniger als ein Viertel (1 211) im engeren Sinne schon in Privateigentum übergegangen ist (CUP 1996, S. 92).
Tabelle 2 Anteile des Privatsektors an der Produktion in den Hauptbereichen der Wirtschaft, 1990 bis 1994 (in vH, lfd. Preise) 1992
1993
1994
24,6
30,8
35,0
38,0
62,2
78,7
84,3
86,2
14,2
25,2
39,3
38,7
42,8
63,7
82,8
86,5
89,1
89,0
4,9
21,9
38,4
44,0
51,3
14,4
49,9
54,5
59,3
65,8
1990
1991
Industrie
18,3
Baugewerbe
41,8
Verkehr Handel
Export Import
Bruttoproduktion (Verkäufe)
Außenhandel
Quelle: Chroscicki u.a. (1995), S. 45.
Erfolgreicher als die schleppende Privatisierung staatlicher Betriebe verlief die Neugründung privater Firmen. Auf diesem Wege und im Rahmen der "kleinen Privatisierung" ist ein auch im Vergleich zu anderen Reformländern breiter klein- und mittelständischer Sektor entstanden, dessen Herausbildung durch günstige ordnungspolitische Rahmenbedingungen
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
95
und durch Steuererleichterungen gefördert wurde. Im Ergebnis beider Prozesse existierten Ende 1995 in Polen insgesamt 104 922 private Unternehmungen als Gesellschaften des Handelsrechts (AG, GmbH, OHG), darunter 24 066 mit ausländischer Beteiligung (Biuletyn Statystyczny Nr. 2/1996, S. 108). Wie in allen mittel- und osteuropäischen Ländern wurde in Polen eine schnelle Privatisierung durch das Fehlen in- und ausländischen Kapitals, unterentwickelte Kapitalmärkte, ein nicht ausreichend funktionierendes Bankensystem, teilweise fehlende rechtliche Regelungen und auch durch die schlechte betriebswirtschaftliche Situation der Unternehmen erschwert. Eine deutliche Beschleunigung des Prozesses wird von der Massenprivatisierung erwartet, die erst Mitte 1995 in Gang gekommen ist. Dabei handelt es sich um die Eigentumsumwandlung von etwa 400 Staatsunternehmen über die kostenlose Vergabe von Anteilscheinen, die zum Erwerb von Aktien berechtigen, an die erwachsene Bevölkerung. Die Überführung obliegt 15 Investmentfonds. Zugleich hat sich im Laufe von fünf Jahren gezeigt, daß die Staatsbetriebe der Industrie längerfristig von großer ökonomischer und sozialer Bedeutung bleiben. Sie konnten sich auch den marktwirtschaftlichen Bedingungen zunehmend besser anpassen. Politische Rahmenbedingungen: Instabile politische Verhältnisse gaben dem Transformationsprozeß einen labilen politischen Rahmen. Unklare Mehrheitsverhältnisse in der Legislative sowie häufige Regierungswechsel verzögerten mehrfach wichtige prozeßpolitische Entscheidungen (Staatshaushalt) und institutionelle Reformen (Privatisierung). Unsicherheiten über die Berechenbarkeit der Wirtschaftspolitik haben in den ersten Jahren zur Verzögerung der Investitionstätigkeit beigetragen, und sie verhinderten ein stärkeres Engagement des Auslandskapitals. Die Parlamentswahlen im September 1993 brachten eine klare Mehrheit linker Parteien. Die vorherige Zersplitterung des Parlaments wurde durch eine 5 vH-Sperrklausel überwunden. Die Regierungskoalition aus dem Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) und der Polnischen Bauernpartei (PSL) kann mit der Unterstützung der Union der Arbeit (UP) rechnen, so daß das linke Spektrum annähernd über eine Dreiviertelmehrheit verfügt. Die Kontinuität des Reformprozesses wurde nicht unterbrochen, die restriktive Geld- und Haushaltspolitik im wesentlichen fortgesetzt. Allerdings wurden wichtige Reformmaßnahmen, darunter die Privatisierung, erheblich verzögert. Schwerwiegende Rückstände sind bei der Reform des gesamten Sozialsystems eingetreten. Mit der Ernennung des Wirtschaftswissenschaftlers Kolodko zum Finanzminister und Vizepremier (Anfang Mai 1994) gewann die amtierende Regierung an Profil. Die Grundlage dafür bildete das wirtschafts- und sozialpolitische Programm "Strategie für Polen". Im Kern geht es dabei um die Fortsetzung der Reformen bei Verringerung ihrer sozialen Belastungen. Die "Strategie" enthält eine mittelfristige Prognose (1994 bis 1997) makroökonomischer Kennziffern sowie 10 Schwerpunktprogramme. Im diesem Zeitraum soll das BIP um 5 vH jährlich steigen. Die Inflationsrate soll bis zum Ende des Zeitraumes auf 9 vH sinken, das Defizit des Budgets auf 2,5 vH des BIP (siehe Tabelle A 2). An erster Stelle der zehn Schwerpunktprogramme stehen Reformen des Arbeitsrechts und der Sozialver-
Helga Herberg
96
Sicherung. Hohe Priorität genießt die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Weitere Programme beinhalten die Entwicklung ländlicher Regionen, Investitionen in die Aus- und Weiterbildung, die Beschleunigung der Privatisierung, die Sanierung der öffentlichen Haushalte, die Reform der Finanzmärkte und die Bekämpfung der Schattenwirtschaft. Die Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft wird als Voraussetzung für die Realisierung der gesamten "Strategie" bewertet (vgl. Bozyk 1995, S. 226). In dem Anfang 1996 von Kolodko vorgestellten wirtschaftspolitischen Konzept "Paket 2000" wird das Ziel der makroökonomischen Stabilisierung konsequent weiterverfolgt, zudem soll die Fiskalpolitik deutlich verbessert werden (vgl. Rzeczpospolita vom 31.01.1996).
3. Binnenwirtschaftliche Entwicklung 3.1. Bruttoinlandsprodukt Am Beginn des Transformationsprozesses gehörte Polen zu den Ländern mit dem niedrigsten ökonomischen Niveau in Europa, das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner erreichte nur 32,4 vH des durchschnittlichen EU-Niveaus 3 . Nach einer tiefen Anpassungskrise ist in Polen früher als in den anderen Ländern der Wachstumsprozeß in Gang gekommen. Der Aufwärtstrend hat sich seitdem deutlich beschleunigt. Das Ausgangsniveau des BIP von 1989 konnte im Verlaufe des Jahres 1995 wieder erreicht werden. Eine Verringerung des Gefälles zum Wohlstandsniveau westlicher Länder wird erst längerfristig möglich sein4. Der 1992 einsetzende Aufschwung wurde zunächst stärker vom Verbrauch getragen. Nach einem tiefen Einbruch belebte sich die Investitionsnachfrage wieder, und sie wurde seit 1994 zum Träger des Wachstums. 1995 erreichte der Zuwachs der Investitionen fast das Dreifache des Wirtschaftswachstums insgesamt (Tabelle 3). Die Belebung ging bisher stärker vom Binnenmarkt aus. Der Außenbeitrag ist trotz hoher Exportdynamik infolge des rascheren Importwachstums (mit Ausnahme der Jahre 1990 und 1994) gesunken.
3 4
In Kaufkraftparitäten (vgl. Franzmeyer 1992, S. 191).
Es sind jedoch Zweifel angebracht, ob das Entwicklungsniveau eines Landes an dieser Kennziffer gemessen werden kann - für ein höheres Niveau Polens sprechen andere Indikatoren wie der Industrialisierungsgrad oder auch der Ausbildungsstand der Arbeitskräfte (vgl. den Beitrag von Schumacher in diesem Heft).
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
97
Tabelle 3 Entwicklung des BIP und der Inlandsverwendung, 1990 bis 1995 (Veränderung zum Vorjahr in vH) 1990 BIP (real)
-8,0
1991°
1992
1993
1994
19952)
-7,0
2,6
3,8
5,2
7,0
darunter: Privater Verbrauch
-15,3
6,3
2,3
5,5
4,0
4,9
Bruttoanlageinvestitionen
-10,1
-4,1
0,4
2,3
8,2
18,6
0 Reduzierung der Vorräte. 2 ) Vorläufig. Quellen: CUP (1996), S. 14; GUStat. (1996), S. 22.
Die Struktur der Entstehung des BIP zeigte vor dem Beginn der Transformation gravierende Abweichungen von dem Muster entwickelter westlicher Länder. Weitaus stärker war vor allem die Landwirtschaft beteiligt. Auch das Gewicht des produzierenden Gewerbes war höher. Dagegen blieb der Anteil des tertiären Sektors vergleichsweise gering. In den ersten fünf Jahren der Transformation hat sich die sektorale Struktur der Entstehung des BIP deutlich verändert. Der Anteil der Landwirtschaft ist auf die Hälfte des Ausgangsniveaus gesunken, der Anteil der Industrie (einschließlich des Bergbaus) hat sich um gut zehn vHPunkte des BIP verringert. Dagegen war der Anteil des tertiären Sektors um knapp zwei Drittel höher als 1989. Die neuen Relationen der drei Sektoren der Bruttowertschöpfung zueinander beruhen aber auch wesentlich auf Veränderungen der relativen Preise zugunsten des Dienstleistungsbereiches.
Tabelle 4 Struktur der Bruttowertschöpfung nach Sektoren der Produktion 1989, 1993 und 1994 (Anteile am BIP in vH, jeweilige Preise) 1989
1993
1994
Primärsektor
12,9
6,7
6,3
dar. :
11,8
6,3
6,2
Sekundärsektor
52,3
38,6
37,9
dar. :
44,1
32,7
32,2
8,2
5,9
5,7
Tertiärsektor
34,8
54,7
55,8
dar. :
16,3
14,1
13,5
Landwirtschaft Industrie Baugewerbe Handel
Quellen:
Rocznik Statystyczny (1992), S. 122/123; (1994), S. 141; (1995), S. 528; eigene Berechnungen.
7 Schumacher u. a.
Helga Herberg
98
Von der Beschleunigung des Strukturwandels wird vor allem der tertiäre Sektor, allein schon aufgrund eines hohen Aufholpotentials, profitieren. Zählt man den Bergbau hinzu, so wird der primäre Sektor ein im europäischen Vergleich hohes, wenn auch allmählich geringer werdendes Gewicht behalten.
3.2. Industrie Nach einem tiefen Einbruch in den Jahren 1990/1991 um rund ein Drittel im Vergleich zu 1989 gewann der Aufschwung der Industrieproduktion rasch an Tempo und Breite. Der Rückgang der Arbeitsproduktivität in den beiden Krisenjahren wurde bereits 1993 kompensiert und danach deutlich übertroffen. Dies wurde zunächst mit einem starken Beschäftigungsabbau erkauft. Auch 1995 wuchs die Industrieproduktion beträchtlich, und die Arbeitsproduktivität stieg bei einem leichten Beschäftigungszuwachs weiter an (Tabelle 5). Dennoch lag die Bruttoproduktion auch nach sechs Jahren noch um 8 vH unter dem Ausgangsniveau (GUStat 1996, S. 21). Tabelle 5 Produktion und Arbeitsproduktivität in der Industrie (Veränderung zum Vorjahr in vH)
Bruttoproduktion (Verkäufe) Beschäftigung Arbeitsproduktivität Quellen:
1990
1991
-24,2
-8,0
-9,2
-9,8
-16,5
-2,5
1992
1993
1994
2,8
6,2
12,1
9,4
-8,7
-6,7
-2,0
0,8
13,8
13,8
14,0
9,4
1995
Rocznik Statystyczny (1994), S. 309; GUStat. (1995), S. 5 u. 8; CUP (1996), S. 14/15 u. 73/74.
Von dem dramatischen Einbruch der Industrieproduktion waren alle Branchen betroffen. Der Rückgang fiel zunächst im verarbeitenden Gewerbe stärker als im Brennstoff-Energiesektor aus. Innerhalb des verarbeitenden Gewerbes ging die Produktion in jenen Branchen am stärksten zurück, die mit den Folgen des Nachfragerückgangs auf dem Binnenmarkt und dem Wegfall der östlichen Märkte unmittelbar konfrontiert waren. Nach zwei Jahren radikaler Reformen war 1991 die Produktion des Fahrzeugbaus um 49 vH, der Textilindustrie um 51 vH, der Metallurgie um 38 vH, der Chemieindustrie um 34 vH, des Maschinenbaus um 35 vH, der Elektrotechnik/Elektronik um 31 vH und der Nahrungsgüterindustrie um 25 vH zurückgegangen. Im Brennstoff-Energiebereich sank die Produktion um 29 vH (Rocznik Statystyczny 1992, S. 262).
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
99
Die Belebung begann zunächst in der holz- und papierverarbeitenden und in der Nahrungsgüterindustrie. Der Aufschwung gewann rasch an Breite und erfaßte dann auch die Textil- und Bekleidungsindustrie sowie die metal 1 verarbeitende Industrie, insbesondere den Fahrzeugbau und den Gerätebau. Die Beschleunigung des Produktionswachstums in den Jahren 1993 und 1994 wurde von allen Branchen des verarbeitenden Gewerbes getragen. Beachtung verdienen die zweistelligen jährlichen Zuwachsraten in forschungs- und technologieintensiven Branchen (Gerätebau, Fahrzeugbau und Elektrotechnik/Elektronik) seit 1992, auch wenn sie von einem niedrigen Niveau ausgingen (Rocznik Statystyczny 1995, S. 381). Der Prozeß des industriellen Strukturwandels steht, nachdem sich die Ressourcenallokation frei von Verzerrungen relativer Preise entfalten kann, erst am Anfang, Verlierer waren vor allem die Metallurgie und in geringerem Maße der auf die früheren RGW-Länder spezialisierte Maschinenbau. Mit Sicherheit werden "alte" Industriezweige, die auch international von Strukturkrisen betroffen sind, weiter an Gewicht verlieren. Typische Beispiele hierfür sind die Kohleförderung und die Stahlindustrie. Der gegenwärtig mit hohen Verlusten arbeitende Steinkohlenbergbau soll durch umfangreiche Zechenstillegungen bei sinkender Fördermenge wettbewerbsfähig gemacht werden. Die Rekonstruktion des Stahlsektors wird mit einer weiteren Drosselung der Produktion durch die Schließung unrentabler Hütten einhergehen. Die vergleichsweise günstige Entwicklung traditioneller Zweige mit hoher Arbeitsintensität und einfacheren Technologien wie Baustoffproduktion, Glas- und Keramikindustrie, Bekleidungs- und Ledergewerbe und Nahrungsgüterproduktion resultiert wesentlich aus den geringen Lohnkosten. Eine entscheidende Rolle für die Belebung des Bekleidungsgewerbes hat die Lohnveredelung gespielt. Die Perspektive der genannten Branchen wird zunehmend von ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit abhängen. Durch ein dynamisches Wachstum konnten die Zweige der metallverarbeitenden Industrie - mit Ausnahme des Maschinenbaus - nach einem tiefen Einbruch ein beachtliches Gewicht in der Industrieproduktion Polens behalten.
3.3. Investitionen Nach einem starken Rückgang stieg ab 1992 auch das Investitionsvolumen wieder leicht an. Erst 1994 kam es zu einer deutlichen Belebung, die sich 1995 stark beschleunigte und mit 18,6 vH weit über dem Wirtschaftswachstum insgesamt lag (GUStat. 1996, S. 22). Träger des Wachstums waren Ausrüstungsinvestitionen, die real um durchschnittlich 15 vH in den Jahren von 1992 bis 1994 anstiegen. Die Struktur der Investitionen hat sich infolgedessen günstig verändert. Auf Maschinen und Ausrüstungen entfiel 1995 etwa die Hälfte des gesamten Investitionsvolumens, 1990 war es nur ein Drittel. Dennoch ist bei einer In-
7*
Helga Herberg
100
vestitionsquote von insgesamt 22 vH 5 der Grad der Ausrüstungsinvestitionen für die notwendige Modernisierung, für Strukturverbesserungen der Produktion und für ein langfristiges Wirtschaftswachstum nicht ausreichend (Kotowicz 1996, S. 48). Auch die sektorale Struktur der Investitionen hat sich in der kurzen Zeitspanne der Transformation merklich gewandelt. Einen starken Einbruch erlitten Investitionen in die Landwirtschaft, sie sanken in vier Jahren um rund zwei Drittel. Innerhalb des tertiären Sektors stiegen vor allem die Investitionen in der Telekommunikation, im Handel und im Finanzsektor stark an, während sie im Verkehr erheblich zurückgingen. In der Industrie lagen die Investitionen seit 1994 wieder über dem Ausgangsniveau von 1989.
Tabelle 6 Sektorale Struktur der Investitionen, 1991 und 1994 (in vH) 1994 1990 = 100 konstante Preise Insgesamt
106,6
1991
1994
jeweilige Preise 100,0
100,0
35,8
4,4
3,0
Industrie
116,0
38,6
43,3
Baugewerbe
115,7
4,1
4,6
Land- und Forstwirtschaft
Dienstleistungen dar.: Handel Verkehr u. Nachrichtenw.
52,9
49,0
194,9
3,9
6,3
132,4
7,5
9,7
Quelle: Rocznik Statystyczny (1995), S. 506/507.
Das Wachstum der Industrieinvestitionen wurde von ungünstigen Strukturveränderungen begleitet. In den ersten Jahren des analysierten Zeitraumes sind nur die Investitionen im Brennstoff-Energiebereich stark angestiegen, während sich das Investitionsvolumen in der metallverarbeitenden Industrie um etwa die Hälfte verringerte. Die Schrumpfung betraf insbesondere den Maschinen- und Fahrzeugbau. Eine starke Verringerung der Investitionstätigkeit war zunächst auch in der Textil-, Bekleidungs- und lederverarbeitenden Industrie zu verzeichnen.
5
Berechnet auf der Basis konstanter Preise. Zu jeweiligen Preisen ist die Investitionsquote infolge der schnelleren Entwicklung der Verbraucherpreise von 21 vH (1990) auf 16,2 vH (1994) gefallen (Rocznik Statystyczny 1995).
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
101
Der dynamische Zuwachs der Investitionsaktivität erfaßte in den folgenden Jahren vorwiegend traditionelle Branchen (lederverarbeitende, holzverarbeitende und Nahrungsgüterindustrie), die zugleich Träger des Exportwachstums waren. Gering blieben dagegen die Investitionen forschungsintensiver Branchen. So entfielen 1995, ähnlich wie in den Vorjahren, mit 40 vH die höchsten Anteile an den Industrieinvestitionen auf den Bergbau und die Energiewirtschaft, weitere 14 vH auf das Ernährungsgewerbe. Zugleich blieb der Anteil wissenschaftsintensiver Branchen auf sehr niedrigem Niveau: auf den Maschinen- und Fahrzeugbau und die Elektrotechnik/Elektronik kamen 1994/95 nur 8 bis 10 vH aller Industrieinvestitionen (vgl. Kotowicz 1996, S. 51). Privates Auslandskapital ist für die Rekonstruktion und Modernisierung der Industrie Polens unverzichtbar 6. Erstmals war 1995 ein bedeutender Zuwachs gegenüber dem Vorjahr (um 90 vH) zu verzeichnen. Es wurden 2,5 Mrd. US-$ investiert, die Gesamtsumme der Jahre seit 1990 beläuft sich auf 6,8 Mrd. US-$ (erfaßt wurden nur Investitionen mit einem Volumen von mindestens 1 Mill. US-$). Weitere 1,8 Mrd. US-$ wurden von kleineren Firmen investiert. Für 1996 wurde ein hoher Zuwachs um 3,5 bis 4 Mrd. US-$ erwartet. Ende 1995 konzentrierten sich 4,3 Mrd. US-$ bzw. 60 vH des Gesamtvolumens auf die Industrie, darunter 1,4 Mrd. US-$ auf die Nahrungsgüterindustrie und 1,1 Mrd. auf die metallverarbeitende Industrie, hier insbesondere auf den Fahrzeugbau (CUP 1996, S. 6365). Dennoch erreichten die ausländischen Investitionen pro Einwohner 1995 nur ein Viertel des ungarischen und die Hälfte des tschechischen Niveaus (ebenda). Dies läßt auf erhebliche Standortnachteile schließen. Sie sind u.a. in der unzureichenden Infrastruktur Polens zu suchen. Dies gilt in besonderem Maße für die Telekommunikation - trotz hoher Investitionen bleibt ihr Zustand unbefriedigend (1994 kamen auf 100 Einwohner 13 Hauptanschlüsse, in Spanien waren es 35 (Chroscicki 1995, S. 35).
3.4. Löhne Obwohl die Nominallöhne in Polen seit 1990 erheblich angestiegen sind, blieben sie infolge der Entwicklung des Wechselkurses im internationalen Vergleich gering. Sie sind aber in den letzten beiden Jahren wesentlich schneller als die Arbeitsproduktivität gewachsen. Im Jahresdurchschnitt 1995 hatten die monatlichen Durchschnittslöhne (brutto) in der Volkswirtschaft 7 eine Höhe von 738,5 Zloty (305 US-$), in der Industrie waren es 776,6 Zloty (321 US-$), darunter 685,2 Zloty im verarbeitenden Gewerbe. Im Laufe des Jahres hat sich die Lohnentwicklung deutlich beschleunigt, so daß im Dezember der volkswirtschaftliche Durchschnittslohn schon eine Höhe von 920 Zloty (367 US-$) erreichte (eigene Berechnungen nach Biuletyn Statystyczny Nr. 12/1995).
6 Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung ausländischer Investitionen in Polen findet sich bei Quaisser (1996). 7
Unternehmensbereich, ohne private Landwirtschaft.
102
Helga Herberg
Der Anstieg der Nominallöhne blieb im ersten Reformjahr deutlich hinter der Entwicklung der Verbraucherpreise zurück, so daß sich die Reallöhne 1990 um fast ein Viertel gegenüber dem Vorjahr verringert haben. Auch in den folgenden Jahren lag das Wachstum der nominellen Monatslöhne im Durchschnitt leicht unter der Inflationsrate. Erst 1994/95 setzte allmählich eine Trendwende ein. Die Reallöhne lagen dennoch sechs Jahre nach Reformbeginn noch beträchtlich unter dem Ausgangsniveau (Tabelle 7).
Tabelle 7 Entwicklung der durchschnittlichen Nominallöhne und Reallöhne1*, 1989 bis 1995 (Veränderung zum Vorjahr in vH)
Nominallöhne Reallöhne
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
291,8
398,0
70,6
38,9
31,3
34,6
33,8
9,0
-24,4
-0,3
-2,7
-2,9
1,7
4,8
0
Netto, Arbeitnehmer- und Bauernhaushalte. Quellen·. Rocznik Statystyczny (1994), S. 212; CUP (1996), S. 14 u. 47.
In der Industrie erreichten die durchschnittlichen Monatslöhne 106 vH, im Baugewerbe 91 vH und im Handel 88 vH des volkswirtschaftlichen Niveaus im Jahresmittel 1995. Lediglich im Bereich der Finanzdienstleistungen lagen sie erheblich darüber. Stärker beginnen sich die Differenzierungen des Lohnniveaus innerhalb der Industrie auszuprägen. Im Kohlebergbau wurden 172 vH des Durchschnitts der Industrie erreicht, während es im Textil- und Bekleidungsgewerbe nur 60 bis 70 vH waren (Tabelle 8). Das Lohnniveau unterscheidet sich zudem erheblich nach Regionen. In den westlichen urbanisierten und industrialisierten Wojewodschaften waren die Löhne um etwa 30 bis 35 vH höher als in den vorwiegend ländlichen Gebieten des Ostens und Nordwestens.
103
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
Tabelle 8 Differenzierung der monatlichen Durchschnittslöhne (brutto) in der Industrie Polens0 Industrie insgesamt = 100 NACE
1992
1993
1994
1995
Kohlebergbau
154
163
168
172
89
88
88
88
dar. : Eisen und Stahl
103
104
107
119
Chemieindustrie
98
101
106
111
Fahrzeugbau, ohne Kfz.
95
95
94
97
Elektrotechnik
90
94
94
94
Kraftwagen und Teile
88
93
97
93
Nahrungsgütergewerbe
94
89
86
87
Maschinenbau
86
86
85
87
Holzverarbeitende Industrie
79
82
80
80
Textilgewerbe
73
75
74
71
Bekleidungsgewerbe
72
71
69
64
301
416
596
776
Verarbeitendes Gewerbe
Industrie insgesamt, 1000 ZI.
0 Ohne Gewinnbeteiligung, Durchschnitt des jeweiligen Zeitraumes. Quelle: Eigene Berechnungen nach: GUStat., Biuletyn Statystyczny, Nr. 10/1994 und 12/1995.
3.5. Arbeitsmarkt Der Verlauf des Transformationsprozesses wurde in Polen von großen und bislang anhaltenden Problemen auf dem Arbeitsmarkt begleitet. Nach einem sprunghaften Anstieg kam es 1992 und 1993 zu einer Verlangsamung des Zuwachses der Arbeitslosenzahl. Sie erreichte zu Beginn des Jahres 1994 die Höchstzahl von fast drei Millionen und eine Quote von 16,7 vH. Trotz des dynamischen Wirtschaftswachstums waren Ende 1995 immer noch 2,6 Millionen Personen als Arbeitssuchende registriert. Die Arbeitslosenquote von landesweit 14,9 vH betrug auf einigen regionalen Arbeitsmärkten etwa das Doppelte (Slupsk, Suwalki, Olsztyn und Koszalina). Überdurchschnittlich hoch war die Arbeitslosigkeit auch in Gorzow, Plock, Torun, Bydgoszcz, Jelenia Gora, Piotrkow. Dem stehen Bezirke mit vergleichsweise geringer, einstelliger Arbeitslosenquote in Ballungsgebieten (Warszawa, Poznan, Krakow) gegenüber. Ländliche Regionen im Norden des Landes sind in besonders hohem Maße betroffen, aber auch monostrukturierte Industrieregionen (GUStat. 1996, S.
20). Die Arbeitslosigkeit wird sich in den nächsten Jahren weiter verringern, doch ein hoher Sockel aus stark betroffenen Problemgruppen wird schwer reduzierbar sein. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen verharrt trotz sinkender Tendenz auf hohem Niveau. Ende 1995 waren
104
Helga Herberg
37 vH aller Arbeitslosen länger als ein Jahr ohne Arbeit, davon waren 18 vH schon länger als zwei Jahre arbeitslos. Damit existiert eine hohe Zahl von Arbeitslosen, deren Chancen auf einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt gering sind. Frauen sind nicht nur stärker als Männer von der Arbeitslosigkeit betroffen, sie sind vor allem wesentlich länger ohne Arbeit. 41 vH aller Arbeitslosen haben keinen Anspruch auf Unterstützung mehr. Besonders schwierig ist die Lage jüngerer Personen auf dem Arbeitsmarkt. Etwa ein Drittel der registrierten Arbeitslosen entfällt gegenwärtig auf Jugendliche (15 bis 24 Jahre), etwa 30 vH dieser Altersgruppe waren in den letzten drei Jahren ohne Arbeit. Während Hochschulabsolventen vergleichsweise gering betroffen sind, liegen die Quoten bei Absolventen der Berufsschulen und bei Personen ohne Berufsbildung weit über dem Durchschnitt. Sie stellen auch den größten Teil (71 vH) der Arbeitslosen (GUStat. 1996, S. 20).
4. Produktionsfaktoren 4.1. Ressourcen: Boden und Rohstoffe Boden: Mit landwirtschaftlichen Bodenressourcen ist Polen vergleichsweise reichlich ausgestattet. Von der Gesamtfläche werden 60 vH landwirtschaftlich genutzt (1993: 18,6 M i l l , ha). Die durchschnittliche Ausstattung je Einwohner liegt mit 0,5 Hektar deutlich über der Deutschlands (0,2), und sie ist etwa so hoch wie in Dänemark und Frankreich. Von der landwirtschaftlich genutzten Fläche entfielen drei Viertel auf Ackerland, rund ein Fünftel waren Wiesen und Weiden. Fast 30 vH der gesamten Fläche des Landes sind bewaldet (Statistisches Bundesamt 1996, S. 64). Das Produktionspotential umfangreicher Flächenressourcen wird jedoch durch die im internationalen Vergleich unterdurchschnittliche Bodenqualität und auch wegen ungünstiger klimatischer Bedingungen eingeschränkt. Nur 11,4 vH der landwirtschaftlich genutzten Fläche sind sehr gute Böden, mehr als ein Drittel wird als schlecht bis sehr schlecht eingestuft. Ungeachtet dieser Einschränkungen werden in großem Umfang Agrarprodukte produziert. Von überragender Bedeutung ist die Getreideproduktion mit gegenwärtig etwa 60 vH der Aussaatfläche. Mit Anteilen von etwa 12 vH am Ackerland ist auch der Anbau von Kartoffeln und Futterpflanzen beachtlich. Bei Roggen, Kartoffeln und Zuckerrüben zählt Polen nach der Ackerfläche zu den größten Produzenten der Welt. Das durchschnittliche Ertragsniveau der Bodenproduktion erreicht jedoch bei Getreide nur etwa die Hälfte des europäischen Niveaus, auch bei der Mehrzahl der anderen Agrarprodukte liegt es deutlich darunter. Ähnlich ist die Situation in der Tierhaltung. Bei hohen Viehbeständen bleiben die tierischen Leistungen weit hinter den Durchschnittswerten westlicher Länder zurück (vgl. Mohr 1993, S. 15-17). Das größte Hindernis für eine international wettbewerbsfähige Produktion stellt die extrem zersplitterte Besitzstruktur in der polnischen Landwirtschaft dar; dies hat sich seit 60 Jahren kaum verändert. Im Jahre 1993 verfügten 83 vH der Privatbauern nur über eine Nutzfläche von weniger als 10 Hektar. Die größte Gruppe, die rund ein Drittel umfaßte, bildeten Betriebe mit einer Fläche von 2 bis 5 Hektar. Nur 6 vH aller Betriebe mit einer
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
105
Größe von mehr als einem Hektar bewirtschafteten eine Fläche, die größer als 15 Hektar war (Statistisches Bundesamt 1996, S. 68). Ein weiteres Hemmnis für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit ist die anhaltend hohe Überbesetzung mit Arbeitskräften. Gleichwohl bestehen in Polen aufgrund der Faktorausstattung mit Bodenressourcen und auch mit landwirtschaftlichen Arbeitskräften gute Voraussetzungen für die Erzielung komparativer Vorteile. Sie konzentrieren sich jedoch auf wenige ausgewählte Produkte der Tierhaltung und der Obst- und Gemüseproduktion. Besondere Chancen werden dem ökologischen Landbau eingeräumt (vgl. Vincentz 1992, S. 37). Die Realisierung dieser Möglichkeiten ist jedoch nur bei einer grundlegenden Verbesserung der derzeitigen ökonomischen Rahmenbedingungen möglich. Im Vordergrund stehen dabei Strukturreformen mit dem Ziel der Vergrößerung der Betriebe und der Reduzierung der Arbeitskräftezahl, die Veränderung der Produktionsstruktur zugunsten höherverarbeiteter Erzeugnisse und vor allem Verbesserungen ihrer Qualität. Erforderlich ist insbesondere der Ausbau früher vernachlässigter Verarbeitungskapazitäten. Unverzichtbar ist auch eine Verbesserung der handelspolitischen Rahmenbedingungen. Das hohe Exportpotential Polens kann nur wirksam werden, wenn die von der EU aufgestellten Barrieren abgebaut werden. Eine stärkere Ausrichtung auf die östlichen Märkte kann zwar zu einer Exportausweitung beitragen, stellt aber langfristig keine Alternative zur Integration in die westlichen Agrarmärkte dar. Rohstoffe: Von den Rohstoffressourcen sind vor allem feste Brennstoffe reichlich vorhanden. Die jährliche Förderung von Steinkohle belief sich 1994 auf durchschnittlich 134 M i l l . Tonnen, bei Braunkohle waren es 67,1 Mill. Tonnen 8 . Feste Brennstoffe bilden bis in die Gegenwart mit einem Anteil von 80 vH die tragende Säule der Versorgung Polens mit Primärenergie. Veränderungen zugunsten flüssiger und gasförmiger Brennstoffe werden aufgrund der hohen ökologischen Belastung angestrebt. Die Steinkohlenvorräte konzentrieren sich auf das Oberschlesische Becken und auf das Lubliner Becken, Braunkohle wird vorwiegend im Zittauer Becken und in Niederschlesien gefördert. Für den Export Polens wird Steinkohle in absehbarer Zeit von großer Bedeutung bleiben, doch werden sich ihr Volumen und ihr relatives Gewicht weiter deutlich verringern. Dafür sprechen vor allem rasch wachsende Produktionskosten infolge zunehmender Tiefen der Lagerstätten qualitativ hochwertiger Kohle. Soll Steinkohle in Polen überhaupt international wettbewerbsfähig gefördert werden, so ist eine grundlegende, aufwendige Rekonstruktion und Modernisierung des gesamten Sektors sowie die Schließung einiger Gruben erforderlich. Zudem wächst der Konkurrenzdruck durch billige Angebote ukrainischer, russischer und überseeischer Lieferanten, und die internationale Nachfrage verändert sich zugunsten ökologisch unbedenklicher Energiequellen (vgl. Chojna 1993, S. 39). Erdgas ist nur in begrenztem Umfange vorhanden. Polen kann seinen Bedarf etwa zur Hälfte aus eigener Förderung decken. Die Fördermengen beliefen sich im Jahre 1994 auf 4,6 Mrd. Kubikmeter. Erdöl fehlt fast völlig. Der Mangel an flüssigen und gasförmigen
8 Quelle für diese und die folgenden Zahlenangaben unter diesem Punkt, sofern nicht anders vermerkt: Statistisches Bundesamt (1996), S. 89-91.
Helga Herberg
106
Brennstoffen spiegelt sich auch in der Importstruktur Polens wider: Erdöl und Erdölprodukte sowie Erdgas sind die größte Importposition. Auch die Ausstattung Polens mit Erzen ist einseitig und unzureichend. Wirtschaftlich bedeutende Lagerstätten beschränken sich auf einige Arten von Buntmetallen. Die Produktion der Schwarzmetallurgie stützt sich vollständig auf umfangreiche Eisenerzimporte. Die Vorkommen an Kupfer sind reichlich, sie finden sich insbesondere bei Lublin und bei Glogow. Die Gewinnung von Kupfererz belief sich in den Jahren 1993 auf jeweils 27,1 M i l l . Tonnen. Bei Raffinatkupfer gehört Polen weltweit zu den größten Produzenten. Fast zwei Drittel der Produktion wurden exportiert. Von den Rohstoffen für die chemische Industrie sind in Polen Salz und Schwefel reichlich vorhanden. Die Fördermengen wurden in den letzten Jahren ständig reduziert. In den 80er Jahren gehörte Polen mit einem Weltmarktanteil von 40 vH zu den größten Exporteuren von Schwefel. Im ähnlichen Maße wie die Ausbeute wurden aber die Exporte aufgrund sinkender Weltmarktpreise und der weltweit zunehmenden Gewinnung aus Erdöl und Erdgas reduziert. Wegen des stark umweltschädigenden Charakters der offenen Abbaumethode ist in Polen die Schließung von Gruben vorgesehen. Die dokumentierten Vorkommen an Steinsalz sind reichlich und erst in einem geringen Maße erschlossen. Mit einer raschen Erschöpfung der Lagerstätten ist bei dem gegenwärtigen Produktionsumfang von rund 5 M i l l . Tonnen nicht zu rechnen. Steinsalz wird von Polen exportiert. Dafür fehlt Kalisalz, und Kalidünger muß importiert werden (Tabelle 9).
Tabelle 9 Vorkommen an wichtigen Bodenschätzen, Jahresende 1993 (in Mill, t) Vorkommen
davon erschlossen
Steinkohle
64 889
27 573
Braunkohle
14 402
2 548
Erdgas Kupfererz Zink- und Bleierze
151»
118°
3 360
1 796
216
72
Schwefel
756
476
Steinsalz
87 702
7 445
km 3 . Quelle: Maly Rocznik Statystyczny (1995), S. 27.
Insgesamt wird Polen wohl zukünftig keine komparativen Vorteile bei mineralischen Rohstoffen und Brennstoffen erzielen können. Die frühere Wettbewerbsfähigkeit resultierte aus den in Osteuropa vorherrschenden extrem niedrigen Energiepreisen. Mit dem Wegfall der
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
107
billigen Energielieferungen aus der früheren Sowjetunion und mit der schrittweisen Anpassung der Brennstoff- und Energiepreise an die Weltmarktpreise werden sich auch die Exportmöglichkeiten spürbar verringern. Allerdings werden ausgewählte Erzeugnisse (Kohle, Kupfer) aufgrund der reichen Ausstattung ihre Bedeutung für den polnischen Export langfristig behalten.
4.2. Arbeitskräfte Im Ergebnis der demographischen Entwicklung ist Polen mit dem Faktor Arbeitskraft reichlich ausgestattet. Die Besonderheit Polens besteht dabei in einer anhaltend hohen Dynamik der Bevölkerungsentwicklung, die sich erst seit den 80er Jahren deutlich abschwächte. Seit dem Beginn der Transformation ist der natürliche Bevölkerungszuwachs auch infolge sozialer Belastungen von Jahr zu Jahr erheblich zurückgegangen. Zusätzlich beeinflußt in Polen traditionell die Auslandsmigration die Bevölkerungsentwicklung negativ. Der Passivsaldo der Aus- und Einwanderungen, soweit sie offiziell erfaßt sind, hat sich jedoch im Vergleich zu den 80er Jahren deutlich verringert. Von großem Einfluß auf die Struktur des Arbeitskräftepotentials waren Tendenzen der Urbanisierung und Industrialisierung. Wie dynamisch diese Prozesse verlaufen sind, wird daraus ersichtlich, daß heute 62 vH der Bevölkerung in den Städten und 38 vH auf dem Lande leben, 1950 war es umgekehrt. Zugleich hat sich die Bevölkerungsdichte von 80 auf 123 Einwohner/km 2 erhöht (Rocznik Statystyczny 1995). Das polnische Arbeitskräftepotential wird auch dadurch geprägt, daß sich der Wandel vom Agrar- zum Industriestaat erst in der jüngeren Vergangenheit vollzogen hat. Die Bevölkerung im Erwerbsalter (per Definition mit dem vollendeten 18. Lebensjahr beginnend und für Frauen mit dem 60., für Männer mit dem 65. Lebensjahr endend) erreichte Ende 1994 eine Höhe von 22,5 Millionen Personen. In den bisherigen Jahren der Transformation blieb die Erwerbsneigung auf hohem Niveau; damit ist auch zukünftig - für Männer wie für Frauen - zu rechnen. Deutlich verringert hat sich inzwischen die Quote der tatsächlichen Erwerbstätigkeit (Tabelle 10). Das Arbeitskräftepotential weist gegenwärtig eine besonders günstige Altersstruktur auf. Fast 40 vH der Erwerbspersonen sind jünger als 35, rund 70 Prozent jünger als 45 Jahre. Zudem haben die polnischen Arbeitskräfte einen hohen Ausbildungsstand. 1994 hatten 1,7 Millionen Personen, das waren 10 Prozent aller Arbeitnehmer, einen Hochschulabschluß. Ein Drittel war auf einem mittleren Niveau qualifiziert, d.h. diese Arbeitnehmer hatten den Abschluß einer Fachschule, Fachoberschule, Abitur oder eine einjährige Berufsausbildung nach dem Abitur aufzuweisen. 33 Prozent, im produzierenden Gewerbe rund 42 Prozent, haben eine Berufsschule absolviert. Für den Rest ist in der Regel der Abschluß der Hauptschule und eine einjährige Vorbereitungschule, die für Anlernberufe ausbildet, obligatorisch. Im produzierenden Gewerbe und mehr noch im Dienstleistungsbereich ist der Anteil gering Qualifizierter niedrig (Tabelle 11).
Helga Herberg
108
Tabelle 10 Arbeitskräftepotential Polens: Bevölkerung und Erwerbsbeteiligung 1989
1992
1993
1994
in 1000 1
Bevölkerung
38 038
38 418
38 505
38 581
2
Erwerbsfähige 0
21 889
22 181
22 333
22 502
3
Erwerbspersonen2)
17 558
18 004
17 651
18 120
4
dar.:
17 558
15 357
15 118
15 282
-
2 509
2 890
2 838
Erwerbstätige Arbeitslose
5
in vH 3:1
Erwerbspersonen2)/Bevölkerung
46,2
46,9
45,8
47,0
4:1
Erwerbstätige/Bevölkerung
46,2
40,0
39,3
39,6
3:2
Erwerbspersonen/Erwerbsfähige
80,2
81,3
79,0
80,5
4:2
Erwerbstätige/Erwerbsfähige
80,2
69,2
67,7
67,9
Personen im Alter von 18 bis 65 Jahren (Frauen bis 60 Jahre).- 2 ) Erwerbstätige und registrierte Arbeitslose. Quelle: Eigene Berechnungen nach Rocznik Statystyczny, verschiedene Jahrgänge.
Tabelle 11 Qualifikationsstruktur der Erwerbstätigen nach Sektoren der Volkswirtschaft, August 1994 (in vH) NACE Insgesamt
Hochschule
Fachschule[)
Abitur
10,9
26,8
6,3
Berufsschule
Sonstige
32,6
23,3
Land- und Forstwirtschaft
1,2
11,2
2,8
28,3
56,5
Verarbeitendes Gewerbe
5,9
26,0
4,9
46,5
16,5
Bauwirtschaft
9,0
24,5
3,1
47,4
16,0
Handel und Diensleistungen
10,2
37,5
10,9
33,2
8,2
Verkehr/Nachrichtenwesen
6,1
30,8
9,1
39,4
14,6
17,7
46,7
8,1
15,6
11,8
Bildungswesen 0
Oder Berufsoberschule bzw. einjährige Berufsausbildung nach dem Abitur. Quelle: Aktywnosc Ekonomiczna Ludnosci Polski Sierpen (1994), S. 39.
An den formalen Abschlüssen gemessen, wie sie aus den statistischen Angaben ersichtlich sind, braucht die Qualifikation des polnischen Arbeitskräftepotentials einen Vergleich mit westlichen Ländern nicht zu scheuen (vgl. Klodt 1993, S. 427). Während das Niveau der Ausbildung in den technischen Fächern, vom Hochtechnologiebereich abgesehen, sich nicht
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
109
wesentlich von dem industriell entwickelter Länder unterscheidet, waren am Beginn des Transformationsprozesses zweifellos systembedingte Unterschiede in der kaufmännischen, wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Ausbildung vorhanden. Die Anpassung an marktwirtschaftliche Erfordernisse dürfte inzwischen vorangeschritten sein, zumal der überwiegende Teil der Höherqualifizierten dazu im Arbeitsprozeß die Möglichkeit hatte. Hinzu kommen Faktoren wie höhere Motivation und grundlegend verbesserte Bedingungen des Wissenstransfers. Strukturveränderungen des Arbeitskräftepotentials nach Sektoren der Produktion waren vor allem das Ergebnis eines starken Rückgangs der Beschäftigung in den ersten Jahren des Transformationsprozesses. Die Reduzierung der Zahl der Erwerbstätigen war in der Industrie am höchsten (von 1989 bis 1993 um 1,2 Mill.). Lediglich im Handel, in der staatlichen Verwaltung einschließlich der Rechtspflege sowie bei den Finanzdienstleistungen entstanden neue Arbeitsplätze, die jedoch die hohen Verluste im produzierenden Gewerbe und in der Landwirtschaft nicht ausgleichen konnten. Der Wandel der Beschäftigungsstruktur setzte sich in Polen bisher nur zögerlich durch. Im Vergleich zu entwickelten westeuropäischen Ländern verfügte Polen 1995 mit 26 vH noch immer über einen deutlich höheren Anteil der Land- und Forstwirtschaft. Im produzierenden Gewerbe ist gegenwärtig fast ein Drittel (31 vH) aller Erwerbstätigen beschäftigt. Der Anteil des gesamten Dienstleistungsbereiches hat sich bedeutend erhöht, bleibt jedoch mit 42 Prozent noch immer weitaus geringer als in industriell entwickelten westlichen Ländern (Tabelle 12). Tabelle 12 Struktur der Beschäftigten nach Sektoren der Wirtschaft
1993
1994 insgesamt
Anteil des Privatsektors
Land- u. Forstwirtschaft
26,7
27,2
96,1
Industrie
24,7
24,9
46,1
dar.: Bergbau Verarbeitendes Gewerbe Energiewirtschaft Baugewerbe Handel, Gaststätten
2,7
2,5
3,0
20,2
20,6
55,1
1,7
1,8
2,9
6,0
5,7
78,2
14,6
13,9
93,4
Transport u. Nachrichtenwesen
5,6
5,7
25,4
Dienstleistungen0
5,4
5,2
51,5
14,9
15,2
3,0
2,1
2,2
57,1
Öff. Verw., Bildung, Gesundheit Sonstige Bereiche Insgesamt
in vH in 1 000
100,0
100,0
60,6
14 761
14 924
9 046
0 Dar. Banken, Versicherungen, Immobilien und Wohnungsvermietung. Quelle: Rocznik Statystyczny (1995), S. 123.
110
Helga Herberg
Deutlicher hat sich die Struktur der Beschäftigung nach Eigentumsformen verändert. 1995 waren in Polen 62,6 Prozent der Erwerbstätigen im Privatsektor der Wirtschaft beschäftigt, 1989 waren es erst 46,6 vH. Nicht nur in Handel und Baugewerbe, sondern auch im verarbeitenden Gewerbe dominiert an der Beschäftigung gemessen das Privateigentum. Dennoch konnte der Rückgang der Erwerbstätigkeit im öffentlichen Sektor durch die Zunahme im Privatsektor nicht annähernd kompensiert werden (GUStat 1996, S. 20).
4.3. Kapital Der Wert des Bruttoanlagevermögens der polnischen Volkswirtschaft hatte 1994 eine Höhe von 421,4 Mrd. Zloty 9 . Dieses Vermögen bestand zu drei Vierteln aus Gebäuden. Die Ausstattung pro Einwohner erreichte 10 922 Zloty bzw. 4 532 US-$ 10 . Vom gesamten Bruttoanlagevermögen entfiel etwa ein Fünftel auf die Land- und Forstwirtschaft und fast ein Drittel auf das produzierende Gewerbe. Der Kapitalstock an Maschinen und Ausrüstungen konzentrierte sich zu drei Vierteln auf das produzierende Gewerbe (Rocznik Statystyczny 1994 und 1995). Die Struktur des Bruttoanlagevermögens der Industrie nach Branchen ist das Ergebnis einer verfehlten, vorrangig auf die Schwerindustrie gerichteten Investitionspolitik der Vergangenheit. Veränderungen blieben im bisherigen Verlauf der Transformation fast völlig aus, da die Liquidierung alter Anlagen kaum erfolgte. Infolgedessen konzentriert sich noch immer ein sehr hoher Teil des Kapitalstocks auf den Brennstoff-Energiebereich, die Metallurgie und die Chemie. Insgesamt beanspruchen die Roh- und Grundstoffbranchen fast die Hälfte des Bruttoanlagevermögens der Industrie (1993: 40 vH). Auf die metallverarbeitende Industrie entfielen nur 19 vH. Innerhalb dieses Bereiches dominierten der mechanische Maschinenbau und der Fahrzeugbau, während für die besonders innovativen Branchen der Elektrotechnik und des Gerätebaus nur 3,5 vH blieben. Die jahrzehntelange Vernachlässigung der Konsumgüter produzierenden Bereiche kommt darin zum Ausdruck, daß sie nur über ein Fünftel des Bruttoanlagevermögens der Industrie verfügen. Der Grad der Abnutzung des Bruttoanlagevermögens ist extrem hoch. Maschinen und Anlagen sind davon besonders stark betroffen. Die Überalterung des Kapitalstocks ist für die exportabhängige Industrie besonders gravierend. Der Verschleißgrad - die Relation zwischen dem bereits abgeschriebenen Anlagevermögen und seinem Anschaffungswert - erreichte hier Ende 1993 rund 68 vH. Nicht weniger überaltert war auch das Bruttoanlagevermögen entscheidender infrastruktureller Bereiche wie Transport und Kommunikation. In der Mehrzahl der Branchen der Industrie ist der Kapitalstock an Maschinen und Ausrüstungen stark überaltert. Besonders hoch ist der Grad des Verschleißes in der Metallurgie
(> 1990 wurde das Bruttoanlagevermögen umbewertet und aktualisiert: zum 1.1.1990 gegenüber Dezember 1989 auf das 12,7-fache, am 31.12.1990 gegenüber September auf das 2,4-fache. Quelle: Rocznik Statystyczny (1992), S. 249. 10
Umgerechnet auf der Basis des Jahresdurchschnittskurses der Nationalbank Polens.
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
111
und im Maschinenbau (jeweils 81 vH), im Textilgewerbe (76 vH), der chemischen Industrie (73 vH) und im Kohlebergbau (69 vH). Selbst in Branchen, die ihren Export in den letzten Jahren bedeutend steigern konnten, läßt die hohe Überalterung (über 50 vH) auf ungünstige Bedingungen für die weitere Entwicklung international konkurrenzfähiger Produktionen schließen, wenn sich lohn- und wechselkursbedingte Preisvorteile zu erschöpfen beginnen (Angaben für 1993, Maly Rocznik Statystyczny 1995, S. 216).
5. Außenhandel 5.1. Außenhandelspolitik Die Integration in die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung war von Anfang an ein wesentlicher Bestandteil der polnischen Transformationsstrategie und -politik. Eine rasche Liberalisierung wurde mittels eines Maßnahmepakets erreicht, das bereits am 1. Januar 1990 in Kraft trat: Das Außenhandelsmonopol des Staates wurde endgültig abgeschafft. Das Recht zu Außenhandelsgeschäften wurde allen Unternehmen und Privatpersonen erteilt, Export- und Importbeschränkungen von wenigen Ausnahmen abgesehen beseitigt. Die Einführung der inneren Konvertibilität bedeutete zugleich das Ende des staatlichen Devisenmonopols. Danach konnten polnische Unternehmen unbeschränkt Devisen für Importe erwerben, mußten aber sämtliche Deviseneriöse an die polnische Nationalbank zum offiziellen Wechselkurs verkaufen. Dies galt zunächst nur für Leistungsbilanztransaktionen. Zugleich wurde ein einheitlicher, fixer Wechselkurs zum US-Dollar eingeführt. Zuvor wurde der Zloty nochmals deutlich abgewertet. Mit der starken Abwertung am Beginn der Reform sollte eine Erhöhung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, ein gewisser Schutz des offenen Binnenmarktes und eine Verbesserung der Handelsbilanz erreicht werden. Im weiteren Verlauf des Reformprozesses wurde die Wechselkurspolitik zum wichtigsten Instrument der Außenhandelsregulierung. Die am Beginn noch hohen Inflationsraten erzwangen eine Änderung der ursprünglich vorgesehenen festen Bindung zum Dollar, da sie eine reale Aufwertung bedeuteten und so einer Verschlechterung der Handelsbilanz nicht ausreichend entgegenwirken konnten. Polen reagierte darauf mit der Einführung einer gleitenden Abwertung {crawlingpeg) und zusätzlich mit moderaten diskreten Abwertungen. Zuvor wurde der Zloty an einen Währungskorb der wichtigsten westlichen Handelspartner gekoppelt. Zur ersten Abwertung nach der Fixierung am 1. Januar 1990 auf 9 500 (alte) Zloty/US-$ kam es im Mai 1991. Im Oktober 1991 wurde ein Crawling-Peg-Regime eingeführt, welches eine gleitende Abwertung von höchstens 1,2 vH im Monat vorsah. Eine weitere diskrete Abwertung wurde im Februar 1992 vorgenommen, zugleich wurde die Crawling-Peg-Rate auf 1,8 vH erhöht. Zu einer erneuten Abwertung wurde die Nationalbank (NBP) infolge des wachsenden Defizits der Außenhandelsbilanz im August 1993 veranlaßt, zugleich wurde die gleitende Abwertung auf durchschnittlich 1,6 vH im Monat verringert. Die Eindämmung der Inflation und ein etwas niedrigeres Außenhandelsdefizit erlaubten seit Ende 1994 weitere Senkungen der Crawling-Peg-Rate bis auf 1,2 vH Ende 1995. Zugleich wurde die Schwankungsbreite des Zloty um den Kurs der NBP im Mai 1995 erheblich er-
112
Helga Herberg
weitert. Die Möglichkeiten der Wechselkurspolitik zur Steuerung des Außenhandels scheinen sich aber zu erschöpfen, sie wirken zudem strukturkonservierend. Nach der Beseitigung fast aller Restriktionen blieben die Zölle das zentrale nichtmonetäre Steuerungsinstrument. Bereits während der ersten Reformetappe wurde das Zollsystem vereinheitlicht, Differenzierungen nach Herkunftsländern und nach der Rechtsstellung des Importeurs wurden beseitigt. Die Zollsätze wurden stark, auf 5,5 vH im Durchschnitt, reduziert (Zollgesetz vom 1.1.90). Die außenwirtschaftliche Steuerung wurde sodann von einer Zollpolitik ergänzt, die nach der schockartigen Liberalisierung ab Mitte 1991 angesichts der krisenhaften Entwicklung einheimischer Branchen zeitweilig wieder eine stärkere Schutzfunktion erhielt. Schutzzölle wurden insbesondere für Agrarprodukte eingeführt. Ein neuer Zolltarif ab 1. August 1991 (auf Basis der Combined Nomenclature CN) führte zu einer wesentlichen Anhebung der durchschnittlichen Zollsätze (auf 18,4 vH). Ihre sektorale Differenzierung sah einen höheren Protektionsgrad für Konsumgüter (z.B. Textilien und Bekleidung, Leder und Pelze) und für landwirtschaftliche Erzeugnisse vor als für Produktionsinputs und Investitionsgüter (OECD 1992, S. 134). Die polnische Zollpolitik wurde durch vielfältige (Außenhandels-)Verträge - die erneuerten Beziehungen zum GATT, die Europaabkommen mit der EU, die Vereinbarungen mit den EFTA-Ländern und das Abkommen mit den Visegrad-Ländern - weitgehend vorgegeben. Das wichtigste Ziel und Ergebnis dieser Abkommen ist eine weitere Liberalisierung. Insgesamt wurde für Polen der Zugang zu den Märkten des OECD-Raumes im Vergleich zur Vergangenheit wesentlich verbessert, wenn auch die Liberalisierungsmaßnahmen in den sensiblen Bereichen weit hinter den Erwartungen zurückbleiben. Ein neues, den EG-Regeln angepaßtes Zollsystem wurde am 5. Juli 1993 parallel zur Einführung der Mehrwertsteuer in Kraft gesetzt. Den handelspolitischen Zielen entsprechend wurden die Zollsätze differenziert: sie wurden für Investitionsgüter sowie für in Polen fehlende Roh- und Halbfabrikate gesenkt. Im Inland erzeugte Produkte mit hohem Verarbeitungsgrad sollten durch hohe Tarife geschützt werden. Auch für verschiedene landwirtschaftliche Produkte wurde der Zollschutz erhöht. Dabei sank die durchschnittliche Belastung. Um den einheimischen Markt zu schützen und um das Defizit der Außenhandelsbilanz zu verringern, wurde ein Zusatzzoll von 6 vH auf alle importierten Güter eingeführt, der am Beginn des Jahres 1994 durch eine Importsteuer ersetzt wurde. Desweiteren wurden zu Beginn des Jahres 1994 Ausgleichspreise für importierte landwirtschaftliche und sonstige Nahrungsgüter eingeführt (Bossak u.a. 1994, S. 142). In den Jahren 1995 und 1996 wurde die eingeschlagene Zollpolitik im wesentlichen fortgesetzt. Seit dem 1. Januar 1995 gelten verringerte, wenn auch weiterhin differenzierte Zollsätze für alle Importgüter. Zum 1. Januar 1996 führte Polen einen neuen Einfuhrzolltarif ein. Der Normalsatz, der für 60 vH aller eingeführten Industrieerzeugnisse gilt, wurde von 13 auf 11 vH gesenkt. Deutlich darüber liegen trotz Senkung die Zölle für Eisen und Stahl (17,7 vH) sowie für Bekleidung und Bekleidungszubehör (26,6 vH). Der Normalsatz für Importe aus der EU wurde auf 60 vH des Ausgangsniveaus gesenkt und beträgt nur
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
113
noch 6,6 vH. In ähnlichem Maße wurden die höheren Zölle für sensible Güter aus der EU gesenkt, sie betragen z.B. bei Textilien und Bekleidung nun 16 vH (VWD v. 22.2.96). Seit 1992 wird die Handelspolitik Polens gegenüber seinen wichtigsten Handelspartnern - den Ländern der EU - durch den handelspolitischen Teil der Assoziierungsabkommen bestimmt (vgl. Möbius 1991, 1993). Innerhalb von zehn Jahren soll, von Agrarerzeugnissen abgesehen, eine Freihandelszone geschaffen werden. Den Assoziierungsländern werden dabei zwar kleinere Schritte bzw. längere Zeiten für die vollständige Liberalisierung zugestanden, dennoch scheint die Asymmetrie angesichts der Schwierigkeiten Polens beim Aufbau einer Marktwirtschaft und angesichts des technologischen Rückstands in fast allen Bereichen zu gering. Zugleich bleiben die Liberalisierungsmaßnahmen der EU in den sensiblen Bereichen der Industrieproduktion (Textilien, Stahl, Kohle) hinter den Erwartungen zurück (für eine ausführliche Analyse vgl. Schumacher/Möbius 1994). Sie sind im Agrarbereich überhaupt nicht im vollen Umfang vorgesehen. Da fast die Hälfte der polnischen Exporte davon betroffen ist und es sich zudem um Sektoren handelt, wo gegenwärtig die Konkurrenzfähigkeit am größten ist, kann dies die Integration Polens wesentlich verzögern (vgl. Wysokinska 1994). Der Agrarbereich bietet den größten Spielraum für eine zusätzliche Marktöffnung der EU. Die Bedeutung für Polen geht dabei weit über den Außenhandel hinaus, denn in der Landwirtschaft treten wirtschaftliche und soziale Probleme konzentriert zutage. Im Juli 1996 wurde Polen - als drittes Reformland Mittel- und Osteuropas - in die OECD aufgenommen. Dies spricht für den schon erreichten Fortschritt bei der Schaffung adäquater institutioneller Rahmenbedingungen. Neue Regelungen in diesem Zusammenhang betreffen die weitere Liberalisierung des Devisenverkehrs, den Abbau protektionistischer Importbestimmungen und verbesserte Bedingungen für ausländische Investoren, insbesondere beim Erwerb von Immobilien.
5.2. Ausgangslage des Außenhandels Die Situation des polnischen Außenhandels am Beginn der Transformation hat die bisherige Entwicklung entscheidend beeinflußt. Dies betrifft alle Bereiche: die Offenheit der Wirtschaft, die Regional- und die Warenstruktur sowie die Zahlungsbilanz und die Verschuldung. (1) Die Offenheit der Wirtschaft, gemessen am Anteil des Exports und Imports am BIP, erreichte in Polen in der zweiten Hälfte der 80er Jahre 35 vH. Die Exportquote betrug im Durchschnitt 20 vH (Statistisches Bundesamt 1992, S. 121; 1994, S. 134). Der Grad der Außenhandelsverflechtung war damit zwar geringer als in entwickelten westlichen Ländern,
8 Schumacher u. a.
Helga Herberg
114
der Abstand jedoch weniger deutlich als angesichts der Trennung der Systeme vielleicht erwartet". (2) Das Wachstum des Außenhandels in den 80er Jahren spiegelte den zunehmend krisenhaften Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung Polens wider. Der dynamische Aufschwung des Außenhandels in den 70er Jahren - der Export stieg von 1970 bis 1980 real auf das Doppelte und der Import auf das 2,2-fache, setzte sich in den 80er Jahren nicht fort. 1989 war der Import real nur um 5 vH höher als 1980, im Export waren es 28 vH. Schwere Einbrüche hatte der Außenhandel am Beginn der 80er Jahre zu verzeichnen. Dies gilt vor allem für die Importe, die 1982 nur 70 vH des Vorkrisenniveaus von 1978 erreichten und deren Volumen 1988 erstmals wieder darüber lag (Pysz/Quaisser 1991, S. 349/350). Es gelang nicht, mit dem weltweiten Tempo der Exportentwicklung Schritt zu halten. In der Rangfolge der größten Exporteure fiel Polen von Platz 16 in der Mitte der 70er Jahre auf Platz 36 zehn Jahre später zurück (ebenda). (3) Die krisenhafte Entwicklung des Außenhandels stand im engen Zusammenhang mit dem gescheiterten Konzept der raschen Ausdehnung des Westhandels12. In der ersten Hälfte der 70er Jahre kam es zu einer beträchtlichen Öffnung der Wirtschaft, die jedoch nur den Import erfaßte. Der Tempovorsprung des Imports aus den westlichen Ländern vor dem Export dahin (in US-$ stieg allein von 1970 bis 1975 der Import um das 6-fache, der Export aber nur um das 3,5-fache 13) hatte einen rasch wachsenden Passivsaldo der gesamten Handelsbilanz zur Folge. Polen verringerte daraufhin das Ungleichgewicht im Handel mit westlichen Ländern durch starke Importrestriktionen. Bereits 1980 war die Dominanz der RGWLänder im polnischen Außenhandel wiederhergestellt, Exporte wie Importe erreichten im Westhandel nur noch etwa zwei Drittel des Handels mit den RGW-Ländern. Die regionale Reorientierung setzte sich bis 1985 fort - allerdings auch unter dem Einfluß des sprunghaften Anstiegs der RGW-Erdölpreise. Die Wachstums- und Strukturkrise der Wirtschaft wurde durch die unrealistische Politik der Gierek-Regierung in den 70er Jahren noch verstärkt. Ohne eine wirksame Modernisierung der Industrieproduktion zu erreichen, hatte sie langfristig anhaltende Belastungen der Volkswirtschaft in den 80er Jahren, wie Importrestriktionen und hohe Exportüberschüsse um jeden Preis (Steinkohle) zur Folge. (4) Die Regionalstruktur des polnischen Außenhandels war vor dem Beginn der Transformation erheblich politisch beeinflußt - jedoch eher indirekt als Folge der Steuerung der Produktion (mit wenig marktfähigen Ergebnissen) als über direkte Vorgaben. Polens Außen-
11
Bei einer Überprüfung des Einflusses der Ländergröße (Bevölkerung) auf die Außenhandelsverfleclitung (Exportquote) im Querschnitt aller OECD-Länder 1987 ergab sich für eine Bevölkerung von 38 Mill, eine Exportquote des BIP von rund 25 vH. Nach diesem Maßstab war Spanien mit ähnlicher Größe im gleichen Maße wie Polen in die Weltwirtschaft integriert (Klodt/Schmidt 1989, S. 16). 12 n
Für eine ausführliche Darlegung vgl. Gabrisch (1986); Machowski (1989).
Berechnet nach: Statistisches Jahrbuch des Außenhandels 1991 (poln.), Warschau, S. 4/5, auf der Grundlage der Unterteilung in Währungsgebiete, zum Währungsgebiet II (konvertierbare Währung) gehörten auch China und Jugoslawien.
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
115
handel war bis in die zweite Hälfte der 80er Jahre hinein zu rund 50 vH auf den RGW konzentriert. Auf die Länder der OECD entfiel bis 1985 nur rund ein Drittel, darunter auf die EG nur ein Fünftel des polnischen Außenhandels. Gemessen an den üblichen regionalen Proportionen des Handels europäischer Länder kommt darin eine beträchtliche Abschottung vom Weltmarkt zum Ausdruck, die weniger politisch gewollt als durch Angebotsprobleme erzwungen war. Die UdSSR war über einen langen Zeitraum von 40 Jahren der größte Handelspartner. Mit ihrem konstanten Anteil am Außenhandelsumsatz von etwa einem Drittel bis einschließlich 1986 waren Wachstum und Struktur ihrer Importnachfrage von entscheidendem Einfluß auf Produktion und Export Polens (Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznego 1993, S. 4). (5) Die Warenstruktur des Außenhandels spiegelte vor allem die Spezialisierung der Wirtschaft Polens im Rahmen des RGW wider. Sie entsprach in ihrer Gliederung nach Sektoren durchaus dem Muster eines industriell entwickelten Landes. So entfielen 1985 auf Erzeugnisse des verarbeitenden Gewerbes (SITC 5,6,7,8) zwei Drittel des Exports, darunter konzentrierten sich fast 40 vH auf Maschinen und Fahrzeuge (SITC 7), weitere 7 vH auf andere Güter mit höherem Verarbeitungsgrad (SITC 8). Polen war insgesamt Nettoexporteur von Industrieerzeugnissen, mit Ausnahme der chemischen Industrie. Bei höher verarbeiteten Gütern wie Maschinen und Fahrzeugen sowie industriellen Konsumgütern war die Relation des Exports zum Import am günstigsten (Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznege 1993, S. 85-89). Hinter dieser Gesamtstruktur verbirgt sich jedoch eine starke regionale Differenzierung des Spezialisierungsmusters, das im Ergebnis der Trennung in zwei Wirtschafts- und Währungsgebiete entstanden ist. Die Rolle Polens im Intra-RGW-Handel stand dabei zur Art der Integration des Landes in die übrige Weltwirtschaft im deutlichen Gegensatz. Mit einem Anteil von mehr als 60 vH dominierten Erzeugnisse der metallverarbeitenden Industrie (Metallwaren, Maschinen, Fahrzeuge, Elektrotechnik, Gerätebau, Optik) im polnischen RGW-Export. Wesentlich geringer war mit einem Anteil von 20 vH ihre Position im Westexport. Maschinen und Fahrzeuge waren auch im Vergleich mit dem bekannten Exportmuster entwickelter Länder deutlich unterrepräsentiert. Im Export gegen konvertierbare Währung spielten Rohstoffe und mineralische Brennstoffe eine weit größere Rolle als im RGW-Export, das gleiche gilt für landwirtschaftliche Erzeugnisse und für Nahrungsgüter sowie für die Metallurgie. Noch deutlicher wird die problematische Ausgangslage bei einer Betrachtung der Anteile der beiden weitgehend voneinander isolierten Absatzmärkte am Gesamtexport der einzelnen Warengruppen. So wurden in den 80er Jahren fast 75 vH der Erzeugnisse der metallverarbeitenden Industrie innerhalb des RGW-Marktes abgesetzt. Bei einer Exportquote der metallverarbeitenden Industrie von rund 25 vH in der Mitte der 80er Jahre waren damit 15 bis 20 vH der Produktion dieses Bereiches vom Export in die RGW- Länder abhängig. Der Export aller anderen Warengruppen wurde bereits 1985 überwiegend mit Ländern außerhalb Osteuropas realisiert. Bei Rohstoffen, Brennstoffen sowie landwirtschaftlichen Erzeugnissen war die Dominanz westlicher Märkte sehr stark, desgleichen bei Industriegütern mit geringem Verarbeitungsgrad (Nahrungsgüter, Holz- und Papier, Metallurgie). In weitaus gerin*
Helga Herberg
116
gerem Maße trifft dies für Erzeugnisse der Chemie und der Leichtindustrie zu, doch auch hier wurde mehr als die Hälfte der Gesamtausfuhr gegen konvertierbare Währungen exportiert. Schließlich wiesen auch die Export-Import-Relationen große Unterschiede zwischen den Regionen bzw. Währungsgebieten auf. In seinem Osthandel war Polen Nettoexporteur von Industriegütern höherer Verarbeitungsstufen (Sektoren: metallverarbeitende Industrie, chemische Industrie, Leichtindustrie), aber auch von landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Polen war zugleich Nettoimporteur von Brennstoffen und Energie und hatte hier aufgrund fehlender eigener Ressourcen an Erdöl und Erdgas das größte Defizit im Handel. Dennoch war Polen gegenüber westlichen Ländern in bedeutendem Maße Nettoexporteur von Brennstoffen und Energie. Durch Kohleexporte wurden etwa 20 vH der Deviseneriöse in frei konvertierbarer Währung erwirtschaftet. Exportüberschüsse erzielte Polen darüber hinaus mit Erzeugnissen traditioneller Branchen wie der Metallurgie und der holzverarbeitenden Industrie (Tabelle 13).
Tabelle 13 Regionale Differenzierung 0 der Exportstruktur Polens, 1985 Exportstruktur (vH)
Sektoren (UCL)2)
Export-Import-Relation (1=1)
RGW
westl. Länder
RGW
Regionalstruktur (vH)
westl. Länder
RGW
westl. Länder
100,0
100,0
0,92
1,14
46,5
53,5
Land/Forst
1,6
5,8
2,52
0,68
23,7
76,3
Brennstoffe/Energie
7,9
22,3
0,21
3,29
23,4
76,6
Metallurgie
3,7
12,9
0,44
1,33
20,0
80,0
Export, ges.
3
62,1
19,8
1,39
0,94
73,1
26,9
Chemie
Metallverarb. Industrie *
9,0
11,6
1,33
0,62
40,2
59,8
Baustoffe, Glas, Keramik
0,7
1,2
0,52
0,83
34,6
65,4
Holz, Papier
0,8
3,0
0,29
2,48
17,8
82,9
Leichtindustrie
5,4
6,3
1,78
0,80
42,8
57,2
Nahrungsgüter
1,9
10,6
0,87
0,95
13,4
86,6
sonst, (dar. Bauleist.)
6,9
6,5
n
Nach der offiziellen polnischen Außenhandelsstatistik wurde die regionale Gliederung nur nach Währungsgebieten ausgewiesen. Währungsgebiet I (Transferrubel) erfaßt die RGW-Länder, Währungsgebiet II (konvertierbare Währungen) alle anderen Länder, auch China und Jugoslawien sowie die Entwicklungsländer. Durch das Gewicht der RGW-Länder und der Industrieländer innerhalb beider Währungsgebiete wird die regionale Differenzierung der Exportstruktur dennoch annähernd richtig widergespiegelt.- 2 ) Uniform Commodities List (RGW).3) Im Unterschied zu SITC 7 einschl. Metallwaren, wissenschaftliche Geräte, Optik. Quelle: Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznego (1993), S. 8, 9, 10.
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
117
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß Polen am Beginn der Systemtransformation infolge regional differenzierter, ja sogar gegensätzlicher Spezialisierungsmuster über keine tragföhige Ausgangsbasis für seine zukünftige Integration in die Weltwirtschaft verfügte. Es entsprach den Erwartungen, daß sich die prägende Struktur des polnischen Ostexports nach einer konsequenten Öffnung der Wirtschaft zunächst nicht durchsetzten konnte. Doch die Struktur des früheren Westexports entsprach noch weitaus weniger den vorhandenen Leistungspotentialen und den gänzlich veränderten Rahmenbedingungen für ihre Nutzung. Wie Rosati dazu ausführt, war das traditionelle Handelsmuster osteuropäischer Länder das Resultat der 40jährigen Anwendung des zentralgeplanten Wirtschaftssystems in diesen Ländern und der sowjetischen ökonomischen und politischen Dominanz in dieser Region. Dies führte in enger Wechselwirkung mit dem Außenhandel zwingend zu großen Verzerrungen in der gesamten Wirtschaftsstruktur (überdimensionierte Investitionen in die Schwerindustrie; verzerrte Außenhandelspreise, die einen überhöhten Verbrauch an Energie, Brennstoffen und anderen Materialinputs zur Folge hatten). Vor allem aber führte die zentralisierte Ressourcenallokation mit dem allgemeinen Fehlen von Wettbewerb zum Qualitätsverlust und niedrigem Standard der produzierten Güter. Im Ergebnis der 40jährigen Wirkung des Planungssystems und des RGW-Außenhandelssystems prägten sich somit höchst ineffektive und verzerrte ökonomische Strukturen aus. Ein breiter industrieller Sektor produzierte Güter von geringer Qualität und mit einem geringen Anteil von Hochtechnologiekomponenten und war deshalb unfähig, sich auf den internationalen Märkten durchzusetzen (vgl. Rosati 1993, S. 38/39). Andererseits entsprach der Westhandel Polens vor dem Systemwechsel weder in der Intensität noch in der Struktur der Wirtschaftsverflechtung entwickelter, geographisch benachbarter Industrieländer. Seine Warenstruktur war durch den Tausch von höherverarbeiteten Industriewaren, vor allem von Investitionsgütern und auch von Nahrungsgütern gegen östliche Rohstoffe und einfache Industriewaren gekennzeichnet. Sie entsprach in wesentlichen Elementen jener des Handels zwischen Industrie- und Entwicklungsländern (vgl. Stankovsky 1991, S. 335). Noch deutlicher wird die ungünstige Zusammensetzung des polnischen Westexports bei einer Gliederung der Warengruppen nach ihrer Faktorintensität sichtbar: 1987 entfielen vom Gesamtexport in die EG 48 vH auf rohstoffintensive, 24,4 vH auf arbeitsintensive, 14,5 vH auf kapitalintensive und nur 12,2 vH auf forschungsintensive (6,8 vH leicht imitierbare) Warengruppen (vgl. Vincentz 1992, S. 18). Danach erscheint die Struktur des früheren polnischen Westexports zugunsten rohstoffintensiver Güter verzerrt, während insbesondere das Humankapital ungenutzt blieb. (6) Mehr als in anderen Reformländern wurde die Ausgangslage Polens im Integrationsprozeß durch den am Ende der 80er Jahre erreichten Stand der Auslandsverschuldung belastet. Die Verschuldung in konvertierbarer Währung stieg von 26,5 Mrd. US-$ auf 47,1 Mrd. US-$ in den Jahren von 1980 bis 1990 an (Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznego 1992, S. 69). Der Zuwachs resultierte fast ausschließlich aus der Nichtbezahlung fälliger Zinsen. Polen war seit 1981 zahlungsunfähig und von den internationalen Kapitalmärkten ausgeschlossen. Durch die Umschuldungsvereinbarungen vergrößerte sich die akkumulierte Summe ständig. Das Exportwachstum und der ständige Überschuß der Handelsbilanz in den
Helga Herberg
118
achtziger Jahren reichten nicht aus, um das Wachsen der Verschuldung in konvertierbarer Währung auch nur aufzuhalten. Die Summe der Schulden in konvertierbarer Währung entsprach 1989 dem 5,4fachen des Jahresexports in H art Währungstransaktionen. Die Bedienung der Schulden hätte 93 vH des Exports in konvertierbarer Währung absorbiert, die Zinsenquote erreichte 42 vH. Im April 1991 vereinbarten westliche Regierungen, auf 50 vH des Netto-Gegenwertes ihrer staatlich garantierten Forderungen von 33 Mrd. US-$ ("Pariser-Club-Schulden") gegenüber Polen zu verzichten. Der Schuldenerlaß sollte in zwei Schritten erfolgen, und zwar 30 vH nach der Unterzeichnung der Umschuldungsabkommen und weitere 20 vH nach drei Jahren (Stankovsky 1991, S. 341). Die Realisierung der zweiten Stufe des Abkommens war an eine Einigung mit den privaten Banken des "Londoner Clubs" gebunden, die nach langen Verhandlungen erst im April 1994 zustande kam. Sie hat einen Verzicht auf 42,5 vH der gesamten Verbindlichkeiten von 13,1 Mrd. US-$ zum Inhalt. Der polnische Schuldendienst soll nach den langfristigen Umschuldungsvereinbarungen mit den Geschäftsbanken in den ersten fünf Jahren jeweils 400 M i l l . US-$ betragen und danach schrittweise steigen, so daß auf 15 Jahre ein Durchschnittswert von 600 M i l l . US-$ erreicht wird. Danach wurde auch eine endgültige Einigung mit dem "Pariser Club" erzielt. Die Schuldenreduzierung stellt für die weitere außenwirtschaftliche Entwicklung Polens zweifellos einen beachtlichen Fortschritt dar, weil sich die Beziehungen Polens zu den internationalen Finanz- und Kapitalmärkten normalisieren. Es wird erwartet, daß die Verringerung des Risikos den Zugang zu günstigeren Krediten erleichtert und daß ein wesentliches Hindernis für das stärkere Engagement ausländischen Kapitals abgebaut wird (Bossak u.a. 1994, S. 206). Der jährliche Schuldendienst wird zwar wachsen, aber im Verhältnis zum Export von Gütern und Dienstleistungen ein Maß von 10 vH nicht überschreiten, und die volle Bedienung der Schulden erscheint nunmehr möglich. Dennoch bleibt die absolute Auslandsverschuldung Polens hoch. Geht man von einem Ausgleich von Reduktion und neuen Krediten aus, so sinkt die relative Belastung in dem Maße, wie die gesamte Wirtschaftsaktivität und die Exporte wachsen. Angesichts der Tatsache, daß die Umstellung der Produktion auf die Bedingungen des Weltmarktes erst am Anfang steht, scheint die bisherige Regelung wiederum eher ein Aufschub als eine grundsätzliche Lösung des Problems zu sein. Im Interesse einer rascheren Annäherung und Integration Polens wäre eine großzügigere Lösung angebracht gewesen.
5.3. Außenhandelswachstum und Außenhandelsabhängigkeit Wachstum: Seit dem Beginn des Transformationsprozesses ist der Außenhandelsumsatz Polens beachtlich gewachsen. Im gesamten Zeitraum der ersten vier Jahre wurde diese Entwicklung fast ausschließlich vom Import getragen. Sein Zuwachs betrug real 56 vH, während der Export 1993 kaum das Ausgangsniveau von 1989 übertraf. Erst 1994 stieg auch der Export wieder an, wenn auch von einem niedrigen Niveau ausgehend. 1995 hat sich sowohl der Zuwachs des Exports als auch des Imports weiter beschleunigt. In den Jahren
119
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
von 1989 bis 1995 ist der Import Polens nominell von 10,7 Mrd. US-$ auf 29,1 Mrd. US-$ angestiegen. Gleichzeitig erhöhte sich der Export von 13,4 Mrd. US-$ auf 22,9 Mrd. US-$. Im Ergebnis dieser Entwicklung ist der anfängliche Überschuß der Handelsbilanz einem Passivsaldo gewichen, der 1993 ein Drittel und 1994/95 noch ein Viertel des Exportwertes ausmachte (Tabelle 14, Tabelle A 4) 1 4 .
Tabelle 14 Entwicklung des Außenhandels, 1990 bis 1995 (Export, Import, Saldo, Terms of Trade) 1990
1991
1992
1993
1994
1995
Werte in Mill. US-$ (lfd. Preise) - Import
9 781
15 757
15 913
18 834
21 569
29 050
- Export
14 322
14 900
13 187
14 143
17 240
22 895
- Saldo
+4 541
-853
-2 726
-4 691
-4 329
-6 155
- Import
-17,9
37,8
13,9
20,0
13,4
20,5
- Export
13,7
-2,4
-2,6
-2,4
18,3
16,7
-16,3
-8,8
9,5
7,8
1,3
1,7
Veränderung zum Vorjahr in vH, konstante Preise
Terms of Trade, Veränderung zum Vorjahr in vH
Quelle: Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznego (1993), S. 4, 5, 7, 8; (1995), S. 7, 8; Handel Zagraniczny Styczen-Grudzien (1995), S. 2.
Der Verlauf der Entwicklung war diskontinuierlich. Nach einer starken Erhöhung des Exportvolumens bei einem tiefen Einbruch des Imports 1990 kam es bereits ein Jahr darauf zu einer Trendwende. In den folgenden Jahren ist das Exportvolumen ständig gesunken, während sich die Importe von Jahr zu Jahr bedeutend erhöhten. Erst 1994 und 1995 wuchs auch der Export wieder stark an. Bei dieser Entwicklung wurden eher kurzfristig wirkende Faktoren (Liberalisierung, Zoll- und Wechselkurspolitik) zunehmend von längerfristigen Einflüssen, wie dem Verlauf der Transformation in Polen und der tiefen Krise in der ehemaligen UdSSR überlagert. Die konjunkturelle Lage auf den westlichen Märkten gewann entscheidenden Einfluß.
14 Wenn nicht anders vermerkt, werden hier die Angaben des Statistischen Zentralamtes (GUStat) nach der Zollstatistik verwendet.
120
Helga Herberg
Die besonders günstige Entwicklung 1990, die sich in den folgenden Jahren nicht wiederholte, ist vor allen auf die schwache Binnennachfrage und die starke Abwertung des Zloty zurückzuführen. Zugleich übte die konjunkturelle Lage in Westeuropa, vor allem in Deutschland, einen starken Importsog aus. Der Zusammenbruch der Binnennachfrage und die importhemmende Wirkung der Wechselkurspolitik führten spiegelbildlich zur Reduzierung des Imports. Real verringerten sich die Importe von Erzeugnissen der Leichtindustrie um 30 vH, von Nahrungsgütern um 36 vH, von Agrarerzeugnissen um 60 vH, von Holz und Papier um 40 vH, von Chemieerzeugnissen um 38 vH, von Metallurgieerzeugnissen um 38 vH, von Erzeugnissen der metallverarbeitenden Industrie aber nur um 7 vH im Vergleich zum Vorjahr. Der Rückgang des Exportvolumens 1991 ergab sich aus dem dramatischen Einbruch des Handels mit den ehemaligen RGW-Ländern. Die Exporte in den Westen konnten nicht mehr im gleichen Maße wie im Vorjahr gesteigert werden. Die reale Aufwertung des Zloty begünstigte stattdessen zusammen mit niedrigen Zollsätzen den Import. Vor allem stieg die Nachfrage nach westlichen Konsumgütern, insbesondere nach Nahrungsgütern. Im Vergleich zum Vorjahr stieg der Import von Agrarerzeugnissen um 140 vH und der Import von Nahrungsgütern um 108 vH, bei Holz und Papier waren es 103 vH, bei Baustoffen, Glas und Keramik 91 vH (Warengruppen der Uniform Commodities List, Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznego 1992, S. 6/7). Die Fortsetzung des Importwachstums 1992 ist als Ergebnis der ansteigenden Binnennachfrage, die zunehmend auch auf Investitionsgüter gerichtet war, nicht nur negativ zu bewerten. Die Öffnung der EG-Märkte (durch die Europaverträge im April 1992) führte zu einer Belebung der Warenströme in beiden Richtungen. Durch die Rezession auf den westlichen Märkten schwächte sich jedoch die exportfördernde Wirkung rasch ab. Protektionistische Maßnahmen im Agrarbereich verstärkten dies. Jedoch war die ungünstige Struktur des polnischen Exports und die geringe Konkurrenzfähigkeit der Produktion der entscheidende Grund. Auch 1993 setzte sich die Tendenz des schnelleren Importwachstums verstärkt fort. Sonderfaktoren wie die Erwartung der Mehrwertsteuer ab 1. Juli hatten darauf im ersten Halbjahr einen erheblichen Einfluß. Das rasche Wachstum des Defizits der Handelsbilanz gab zu einer erneuten diskreten Abwertung im August um 8 vH Anlaß. Der 1994/95 wieder einsetzende Exportzuwachs ist in erster Linie auf den Anstieg der Nachfrage auf den westlichen Märkten zurückzuführen. Aber auch die beginnende Wiederbelebung des Ostexports hat dazu beigetragen. So ist der Export in die mittel- und osteuropäischen Länder, insbesondere nach Rußland, überdurchschnittlich angestiegen. Hinzu kommt die dynamische Entwicklung der heimischen Industrieproduktion. Doch auch der Import ist in beiden Jahren weiter schnell gewachsen, vor allem infolge der steigenden Inlandsnachfrage nach Investitionsgütern. Infolge der Verschlechterung der Handelsbilanz hat auch das Defizit der Leistungsbilanz gegenüber dem Vorjahr zugenommen und 1995 eine Höhe von 2,3 Mrd. US-$ erreicht (vgl. Tabelle A 7). Zugleich sind aber die offiziellen Devisenreserven auf rund 15 Mrd. US-$ zum Jahresende 1995 angestiegen. Neben hohen Kapitalzuflüssen waren dafür nichtregistrierte Exporte im Grenzgebiet die wichtigsten Quellen. Unter den gegenwärtigen Bedingungen stellt dennoch das Defizit der Handelsbilanz
121
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
ein nicht zu unterschätzendes Transformationsproblem dar. Polen bleibt nach wie vor ein Nettoschuldnerland, und ein beträchtlicher Handelsbilanzüberschuß von fast 10 vH des Exports wird auch zukünftig zur Bezahlung der Zinsverpflichtungen notwendig sein. Öffnung der Wirtschaft: Gemessen am Anteil des Außenhandelsumsatzes am BIP hat sich der Grad der Offenheit der Wirtschaft Polens Mitte der 90er Jahre aufgrund des hohen Außenhandelswachstums bedeutend erhöht, er dürfte 1996 schon über 50 vH liegen. Mehr als die Exportquote ist der Anteil des Imports im Vergleich zum Ausgangsniveau deutlich angestiegen (Tabelle 15).
Tabelle 15 Anteile des Exports und Imports am BIP, 1990 bis 1995 (vH) 1990
1991
1992
1993
1994
1995
Export
16,5
19,2
15,7
13,7
18,5
20,7
Import
14,9
20,2
19,3
20,9
23,1
25,8
Quelle: Misala (1996), S. 5.
Eine disaggregierte Betrachtung macht deutlich, daß die Öffnung der Wirtschaft im engen Zusammenhang mit dem Umbruch der Produktionsstruktur zu sehen ist. Die steigende Exportquote war vor allem am Beginn des Analysezeitraumes wesentlich das Resultat von Einbrüchen bei der Inlandsnachfrage, die von der Exportausweitung in unterschiedlichem Maße kompensiert werden konnten. Die Umlenkung des Absatzes auf die ausländischen Märkte war nicht in allen Sektoren der Industrieproduktion möglich. Eine starke Ausweitung des Exports war 1990 vor allem in den Grundstoffindustrien (Metallurgie, Chemie) zu verzeichnen. Träger des Exportwachstums waren darüber hinaus die Baustoff-, Glas- und Keramikindustrie, die Holz- und Papierindustrie sowie in schwächerer Ausprägung die Nahrungsgüterproduktion. Im darauffolgenden Jahr war die Möglichkeit einer Stabilisierung der Produktion infolge des Zusammenbruchs der Ostmärkte nur noch in einigen Sektoren gegeben (Metallurgie, Baustoffe/Glas/Keramik, Holz/Papier). In Sektoren mit höherem Verarbeitungsgrad (metallverarbeitende Industrie, Leichtindustrie) konnte schon 1990 der Export nicht dem Einbruch der Binnennachfrage entgegenwirken, 1991 hat der Zusammenbruch des RGW-Marktes den Produktionsrückgang in diesen Sektoren sogar noch vertieft (Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznego 1992, S. 8/9). Die Exportabhängigkeit der einzelnen Sektoren war am Ende des Analysezeitraumes stark differenziert. Nach Berechnungen des Warschauer Außenhandels-Forschungsinstituts (IKC) lag 1993 besonders die Exportquote der Metallurgieproduktion gut doppelt so hoch wie der Durchschnitt der gesamten Industrie. Sie war auch deutlich höher in der holz- und papier-
Helga Herberg
122
verarbeitenden und in der metallverarbeitenden Industrie. Dagegen war die Exportquote der Nahrungsgüterproduktion deutlich geringer als insgesamt (Tabelle 16).
Tabelle 16 Anteile des Exports an der Bruttoproduktion der Industrie (Verkäufe), 1990 bis 1994 (vH, konstante Preise) Branchen (UCL)
1990
1991
1992
1993
1994
Brennstoffe und Energie
15,0
15,1
14,2
15,5
17,3
Metallurgie
27,0
41,4
43,1
43,0
40,5
Metallverarbeitende Industrie
28,6
26,4
25,3
23,2
22,9
Chemische Industrie
29,7
29,1
29,8
25,5
26,2
Baustoffe, Glas, Keramik
9,7
19,4
14,8
16,5
18,4
Holz- und Papierindustrie
19,7
33,6
32,6
29,9
35,8
Textil-, Bekleidungs- u. Lederind.
18,7
19,0
18,4
12,8
13,7
Nahrungsgüterproduktion
12,7
12,6
10,7
9,8
11,4
Industrie insgesamt
21,2
23,0
22,2
10,6
21,6
Quelle: Misala (1996), S. 9.
Die sektorale Differenzierung der Exportquote erlaubt gewisse Rückschlüsse auf die Integration Polens in die Weltwirtschaft, jedoch lassen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt daraus noch keine sicheren Schlüsse auf die weitere Entwicklung ableiten. Der am Ende des Analysezeitraumes erreichte Stand wurde weitgehend von den Disproportionen der Vergangenheit und der Anpassungskrise beeinflußt. Strukturveränderungen als Bedingung und Folge wirtschaftlichen Wachstums setzten bisher nur zögernd ein. Bei einer Einschätzung der Entwicklung der Exportquoten müssen auch die Schwierigkeiten der regionalen Umorientierung berücksichtigt werden. Polen ist es in kurzer Frist gelungen, seine Wirtschaft gegenüber den Industrieländern des Westens zu öffnen und die weitgehende Beschränkung auf die östlichen Märkte zu überwinden. Die Exporte der gesamten Industrie in die OECDLänder sind schätzungsweise von knapp 7 vH (1988/89) auf gut 20 vH der Bruttoproduktion (1994) angestiegen. Auch die wachsende Importabhängigkeit demonstriert die Öffnung der Wirtschaft Polens. Der Anteil des Imports an der Inlandsverwendung von Industrieerzeugnissen ist beträchtlich gestiegen. Die Importabhängigkeit hat sich in allen Sektoren der Industrie erhöht, zugleich aber viel stärker differenziert. Sie erreichte in der chemischen und in der metallverarbeitenden Industrie den höchsten Stand (vgl. Tabelle 17).
123
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
Tabelle 17 Importabhängigkeit nach Sektoren der Industrie, 1990 bis 1994 (Importquoten in v H ) ° Branchen (UCL) Brennstoffe und Energie
1990
1991
1992
1993
1994
19,7
17,4
17,6
18,4
18,1
Metallurgie
10,6
13,0
17,6
20,4
20,0
Metallverarbeitende Industrie
27,1
40,4
38,6
40,0
38,4
Chemische Industrie
21,7
31,7
41,3
42,0
43,6
5,2
10,8
15,7
17,2
19,1
Baustoffe, Glas, Keramik Holz- und Papierindustrie
6,1
14,0
19,5
22,0
24,0
Textil, Bekleidung, Leder
13,0
19,1
17,7
18,4
20,6
Nahrungsgüterproduktion
7,2
14,1
13,4
12,2
12,9
16,6
23,8
25,2
26,6
27,0
Industrie insgesamt 0
Importanteil an der Inlandsnachfrage (verkaufte Produktion - Export + Import). Quelle: Misala (1996), S. 8.
Die stark gewachsene Importintensität des verarbeitenden Gewerbes ist mit unterschiedlichen Konsequenzen für den Transformationsprozeß verbunden. Zweifellos hat die rasche Öffnung der Wirtschaft den Wettbewerb gefördert, zur Verbesserung des Angebots beigetragen und die Entwicklung der eigenen Produktion stimuliert. Der hohe Importanteil an der Nachfrage nach Investitionsgütern kann die Restrukturierung der Industrie und insbesondere die Modernisierung der Exportzweige bedeutend beschleunigen. Aber die hohe Importquote gerade in jenen Sektoren mit relativ hohen Ansprüchen an Forschung, Entwicklung und an qualifizierte Arbeitskräfte weist auch auf Probleme hin, die besonders im Vergleich mit den wesentlich geringeren Exportquoten sichtbar werden. Sie betreffen die Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere in der metallverarbeitenden Industrie, die weitgehend fehlende intraindustrielle Arbeitsteilung und auch den Arbeitsmarkt in diesen Sektoren.
5.4. Entwicklung der Regionalstruktur Die regionale Umorientierung des polnischen Außenhandels hat sich in hohem Tempo vollzogen. Die Veränderung setzte bereits in der Mitte der 80er Jahre ein und beschleunigte sich ab 1990. Der Anteil der Lieferungen in die westlichen Industrieländer am gesamten Export stieg im Zeitraum von 1985 bis 1993 von 33 vH auf 75 vH. Dagegen sank der Anteil der mittel- und osteuropäischen Länder von 49 vH auf 13 vH. Im gleichen Maße veränderte sich die Regionalstruktur des Imports. Das Tempo der Veränderung war vor allem in den Jahren 1990 und 1991 sehr hoch, setzte sich dann aber, wenn auch abgeschwächt, weiter fort. Erst 1994 stagnierte der Anteil der westlichen Länder auf dem erreichten
Helga Herberg
124
Niveau. 1995 kam es aufgrund eines sehr dynamischen Wachstums zu einem Anteilsgewinn der mittel- und osteuropäischen Länder. Innerhalb der Gruppe der entwickelten Industrieländer konzentrierten sich Exporte und Importe immer stärker auf die Länder der EU, die bisher allein von der Westumlenkung profitierten. Polens enge außenwirtschaftliche Verflechtung mit der EU ist heute schon weitaus stärker als die frühere Verankerung im RGW-Raum (Tabelle 18).
Tabelle 18 Regionalstruktur des Exports und Imports Polens, 1989 bis 1995 !) (Anteile in vH, lfd. Preise) Ländergruppen Export
1989
1990
1992
1993
1994
1995
100
100
100
100
100
100
Industrieländer
43,0
58,6
71,9
75,1
75,4
75,1
darunter EU
27,9
44,3
58,0
63,2
62,7
70,03)
Mittel- und Osteuropa2*
37,2
23,2
15,4
13,3
14,5
17,3
sonstige
19,8
18,2
12,7
11,6
10,1
7,7
100
100
100
100
100
100
46,9
63,8
72,4
76,2
75,1
74,3
30,9
43,9
53,2
57,2
57,5
64,73)
Mittel- und Osteuropa *
33,5
23,2
16,3
13,5
14,3
15,4
Entwicklungsländer
19,6
13,0
11,3
10,3
10,6
10,3
Import Industrieländer darunter EU 2
0
Nach Ursprungs- und Bestimmungsländern 1991 nicht ausgewiesen, berechnet auf der Basis laufender Preise.- 2 ) Und der asiatische Teil der ehemaligen UdSSR.- 3 ) Wegen Erweiterung nicht vergleichbar. Quellen: Rocznik Stat. Handlu Zagranicznego (1995), S. 4; Handel Zagraniczny StyczenGrudzien (1995), S. 52 u. 68.
Der Grad der Konzentration auf wenige Handelspartner ist gegenwärtig hoch. Mit 12 Ländern wurden 1995 rund drei Viertel des Außenhandelsumsatzes realisiert. Deutschland ist mit einem Anteil von einem Drittel des Gesamtumsatzes der mit Abstand größte Handelspartner Polens geworden, dies entspricht dem Volumen nach der früheren Dominanz der UdSSR. Zugleich verringerte sich deren Anteil bis 1992 auf etwa 10 vH des Umsatzes (nur Länder der GUS). Rußland war 1995 der drittgrößte Handelspartner Polens im Export und im Import. Die Positionen der kleineren osteuropäischen Länder im polnischen Außenhandel sind stark geschrumpft. Dies betrifft auch die Länder der CEFTA, auf die 1994 nur noch 4,5 vH des Außenhandelsumsatzes entfielen, während es 1985 rund 9 vH waren (vgl. Tabelle 19).
125
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
Tabelle 19 Handelspartner Polens, 1994 (Anteile am Gesamtexport > 2 vH) Import
Export Rang
Land
Mill. US-$
vH
Rang
Mill. US-$
vH
1 Deutschland
6 149,8
36,3
1
5 925,9
27,4
2 Niederlande Λ Rußland J 4 Italien
1 015,6
5,9
5
995,6
4,6
934,6
5,4
2
1 815,1
8,4
855,8
5,0
3
1 453,1
6,8
5 Großbritannien
782,9
4,5
4
1 137,5
5,3
6
Frankreich
688,3
4,0
6
974,1
4,5
7
USA
592,0
3,4
11
517,8
2,4
8
Dänemark
550,0
3,0
7
840,1
3,9
9
Tschechien
456,1
2,7
10
532,2
2,5
10 Belgien
420,3
2,4
12
501,7
2,3
11 Schweden
443,3
2,6
9
555,4
2,6
12 Österreich
379,5
2,2
8
609,9
2,8
Quelle: Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznego (1995), S. 89/90 u. 92.
Der radikale Umbruch der Regionalstruktur des Außenhandels, der sich im wesentlichen in den Jahren von 1989 bis 1992 vollzog, spiegelt nicht nur den Zusammenbruch des Osthandels wider, sondern lag auch an der raschen Ausdehnung des Westhandels. Dadurch konnten die Verluste auf den östlichen Märkten kompensiert werden. Dies betrifft freilich nur das Gesamtvolumen und geht mit strukturellen Friktionen einher. Der gesamte Export stieg in dieser Zeit real auf 108 vH, der Import auf 129 vH des Ausgangsniveaus. Die Dynamik des polnischen Westhandels war in der Zeit des Umbruchs auch im Vergleich mit dem Handel der Tschechoslowakei und Ungarns beachtlich. Genauere Aussagen über seine nominelle Ausdehnung sind auf der Basis internationaler Statistiken in der Spiegelperspektive möglich. Polens Export in die OECD-Länder stieg von 1989 bis 1992 in US-$ um 43,9 vH (CSFR: 55,4 vH, Ungarn: 26,2 vH) an. Dieser Zuwachs wurde von der Öffnung der Märkte der EU getragen (51,2 vH). Für die westlichen Länder war Polen zugleich ein stark expandierender Markt. Der Import Polens aus den OECD-Ländern wuchs in den Jahren von 1989 bis 1992 nominell in US-$ um 73 vH (vgl. Stankovsky 1993, S. 467). Die Verringerung des polnischen Osthandels resultierte entscheidend aus der rückläufigen Entwicklung des Warenaustausches mit Rußland. Nach Berechnungen des WIFO schrumpfte der Export Polens in die ehemalige UdSSR 1990/1991 real um insgesamt 60 bis 70 vH gegenüber 1989 (Stankovsky 1992, S. 571). Die Importe stiegen nur infolge der Erhöhung
126
Helga Herberg
der Erdölpreise weiter an. Ausschlaggebend war die Umstellung des Handels auf frei konvertierbare Währungen und Weltmarktpreise. Die Absatzbedingungen für polnische Güter, insbesondere von Maschinen und Ausrüstungen, haben sich infolge des Rückgangs der Wirtschaftsaktivität in der GUS, aber auch durch die Konfrontation mit der weltweiten Konkurrenz gravierend verändert. Versuche, im Rahmen sogenannter Indikationslisten (1991) ein gewisses Niveau der gegenseitigen traditionellen Lieferungen durch staatliche Regulierung zu gewährleisten, scheiterten. Zugleich konnte Polen die hohe und einseitige Abhängigkeit des Rohstoffimportes deutlich verringern: seit 1992 entfiel nur noch etwa die Hälfte des polnischen Erdöl-und Erdgasimports auf Rußland. Die Auswirkungen des Handelsschocks waren für Polen spürbar, wenn auch in geringerem Maße als in anderen Ländern. Nach Berechnungen des WIFO ist ein Rückgang von 4,1 vH des BIP in den Jahren 1990/91 auf den Zusammenbruch des Handels mit der UdSSR zurückzuführen. Er resultiert vor allem aus den terms of trade- Verlusten und dem Verlust des UdSSR-Marktes (Stankovsky 1992, S. 573). Die negativen Folgen betrafen einzelne, oftmals monostrukturierte Regionen und Branchen mit starker Spezialisierung auf die UdSSR weit stärker. Der Anpassungsdruck hat aber auch eine schnellere Restrukturierung des Handels ermöglicht, die durch eine Aufrechterhaltung der Zahlungsunion ehemaliger RGW-Länder verzögert worden wäre (Kaminski 1993, S. 27). Zudem kann eine Schrumpfung des intraregionalen Handels auf Anteile von 15 vH als wirtschaftlich weitgehend gerechtfertigte Umstrukturierung betrachtet werden, und der Zusammenbruch des Handels hätte auch durch die Bereitstellung eines funktionsfähigen Integrationsmechanismus nicht wesentlich gemildert werden können (Vincentz 1992, S. 6/7). Mittelfristig wird in Prognosen des Warschauer Forschungsinstituts für Außenhandel (IKC) mit einer Stabilisierung der gegenwärtigen Proportionen zwischen westlichen Industrieländern und mittel- und osteuropäischen Ländern gerechnet. Danach soll der Anteil der Lieferungen der OECD-Länder im Jahre 2000 am Export Polens 76,3 vH (Import: 76,5) erreichen. Diese Erwartung geht von einem realen durchschnittlichen Zuwachs des Exports von 9,2 vH und des Imports von 6,2 vH p.a. in den Jahren von 1993 bis 2000 aus. Es wird angenommen, daß sich der Anteil mittel- und osteuropäischer Länder am Export und am Import bei 14 vH stabilisiert, was ein beachtliches Wachstum voraussetzt (vgl. Kotynski 1993, S. 51). Nach dem tiefen Einbruch und in Anbetracht der geographischen Nähe sowie der vorhandenen Angebots- und Nachfragepotentiale ist dies eine realistische Annahme. Dafür spricht auch, daß 1994/95 im Handel mit den mittel- und osteuropäischen Ländern hohe Zuwachsraten im Export und im Import erzielt wurden, die über dem Durchschnitt des gesamten Außenhandels lagen. Der einschneidende Verlust an Absatzmöglichkeiten im Osten konnte nicht mit einer einfachen Umlenkung der Warenströme bei unveränderter Güterstruktur des Exports insgesamt kompensiert werden. Die Ausdehnung des Westexports erfolgte vielmehr im wesentlichen in Sektoren, die vom Zusammenbruch der Ostmärkte weniger betroffen waren. Die Veränderung der Regionalstruktur hatte also einen einschneidenden Umbruch der Warenstruktur des Exports zur Folge.
127
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
5.5. Warenstruktur des Exports und Imports Export: Die Warenstruktur des polnischen Exports hat sich in den Jahren von 1989 bis 1994 tiefgreifend verändert. In besonderem Maße sind Maschinen und Fahrzeuge (SITC 7) betroffen. Von 1989 bis 1991 betrug die Verringerung ihres Anteils 15 vH-Punkte, seitdem ist ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Der 1995 erreichte Anteil von 21 vH liegt weit unter der früheren Position von Maschinen und Fahrzeugen innerhalb des Gesamtexports. Deutlich erhöht hat sich dagegen der Anteil von Vor- und Zwischenprodukten, insbesondere von Stahl, Textilien und anderen Halbwaren (SITC 6). Zwischen 1989 und 1992 stieg der Anteil dieser Warengruppe um 8,1 vH-Punkte, seitdem waren Bearbeitete Waren mit rund 28 vH die größte Position des Exports auf dieser Aggregationsebene. Der Anteil von verschiedenen Fertigwaren (SITC 8), darunter insbesondere Bekleidung, hat sich gegenüber dem Ausgangsniveau fast verdreifacht. Der Anteilsgewinn betrug gegenüber 1989 gut 13 vH-Punkte, und 1995 entfiel mehr als ein Fünftel des Exports auf verarbeitete Erzeugnisse der vorwiegend Konsumgüter produzierenden Sektoren. Dies ist nur zum Teil auf die statistische Umstellung (1993) der Lohnveredelungstransaktionen (Bruttomethode) zurückzuführen. Lohnveredelungsexporte waren 1995 am Gesamtexport mit 23,5 vH beteiligt, der Export von Bekleidung stützt sich fast gänzlich auf die aktive Lohnveredelung (Handel Zagraniczny Styczen-Grudzien 1995, XIII). In weit geringerem Maße veränderte sich das relative Gewicht der anderen Sektoren. Die Anteile von landwirtschaftlichen Erzeugnissen (SITC 0,1,4), Roh- und Brennstoffen (SITC 2,3) sowie von chemischen Erzeugnissen (SITC 5) am Export blieben zwischen 1989 und 1995 nahezu konstant (Tabelle 20). Tabelle 20 Warenstruktur des polnischen Exports, 1989 bis 1995 (Anteile in v H 0 , lfd. Preise) SITC
1989
1990
1991
1992
0,1,4 Nahrungsgüter u. -rohstoffe
11,5
11,6
12,8
13,6
1993
1994
1995
11,6
10,0
4,7
4,5
2
Rohstoffe
5,9
6,8
9,0
8,5
11,1 5,6
3
Min. Brennstoffe
9,7
10,7
10,7
10,7
9,7
9,1
8,2
5
Chemische Erzeugnisse
7,7
9,2
9,2
8,6
6,8
6,7
7,8
6
Bearbeitete Waren
19,0
23,0
24,6
27,1
26,5
27,5
27,6
7
Maschinen und Fahrzeuge
33,6
26,2
18,6
19,2
21,0
19,8
21,1
8
Verschiedene Fertigwaren
6,7
7,5
9,3
11,7
19,4
20,5
20,8
Rest: SITC 9. Quelle·. Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznego (1991), S.88-91; (1995), S. 13; Handel Zagraniczny Styczen-Grudzien (1995), S. 52-54.
128
Helga Herberg
Der Umbruch der Exportstruktur resultiert in erster Linie aus dem Zusammenbruch der östlichen Märkte für Maschinenbauerzeugnisse. Umfang und Struktur der Nachfrage, vor allem aber die Konkurrenzbedingungen für polnische Erzeugnisse haben sich dort nach dem Übergang auf konvertible Währungen und Weltmarktpreise vollkommen verändert. Die Dominanz der Investitionsgüter innerhalb des polnischen Exports war das Ergebnis einer intrasystemaren Spezialisierung, die sich in Polen weniger als in anderen Ländern (Tschechoslowakei, Ungarn) auf vorhandene Traditionen stützen konnte. Auf der Basis von Großaufträgen der UdSSR, durch die Importnachfrage der anderen osteuropäischen Länder und im Rahmen von Empfehlungen, Abkommen und Verträgen entstanden auch in Polen Produktionen des Maschinen- und Fahrzeugbaus, die ex ante in einem den Binnenbedarf weit übersteigenden Umfang aufgenommen wurden. Soweit gegebene Struktur- und Standortmerkmale Berücksichtigung fanden, bezogen sie sich weitgehend auf das Umfeld im RGW und verloren mit der wirtschaftlichen Öffnung ihre Gültigkeit. Im Ergebnis dieser Entwicklung entstanden in Polen exportorientierte Zweige des Maschinenbaus (insbesondere Schiffbauerzeugnisse, Schienenfahrzeuge, Kraftfahrzeuge, Baumaschinen sowie Energieausrüstungen). Infolge der Beschränkung auf den RGW-Markt wurde aber fast nirgends eine Größenordnung erreicht, die eine international wettbewerbsfähige Produktion ermöglicht hätte. Dennoch wurden in vergleichsweise großem Umfang Produktionsfaktoren (Energie, Arbeit, Kapital) im Export gebunden, während das technische Niveau, die Effizienz und die Qualität der Erzeugnisse des Maschinenbaus weit hinter international führenden Herstellern zurückblieben. In zu hohem Maße waren im Export Erzeugnisse vertreten, die zum klassischen mechanischen Maschinenbau gehören und die auf westlichen Märkten nur auf eine geringe Nachfrage stießen. Doch auch in traditionellen Zweigen vergrößerten sich die Rückstände zu den führenden Herstellern seit dem Beginn der 80er Jahre ständig. Auch die Struktur des polnischen Westexports hat sich seit der Öffnung der Wirtschaft deutlich, wenn auch weniger signifikant als der Ostexport, verändert. Dies resultiert wesentlich aus dem Verschwinden früherer politischer Vorgaben und ökonomischer Zwänge: Importiert wurden damals insbesondere Güter, die auf dem RGW-Markt nicht oder nicht ausreichend verfügbar, aber für die Produktion oder für den Export unverzichtbar waren. Das waren vor allem Investitionsgüter (darunter Anlagen für die höherveredelte Chemie und Metallurgie, Untertageausrüstungen), hochwertige Komplettierungserzeugnisse des Maschinenbaus sowie spezielle Werkstoffe. Zum Erwerb der notwendigen Devisen wurden vor allem Rohstoffe und rohstoffintensive Güter exportiert, da nur sie aufgrund verzerrter Preisrelationen wettbewerbsfähig waren. Der frühere Westexport war für die Integration Polens in die Weltwirtschaft keine Ausgangsbasis. Die gegenwärtigen Defizite des polnischen Spezialisierungsmusters treten vor allem im Export in die Länder der EU zutage, denn hier betrifft die EU-Liste der sogenannten sensiblen Waren diejenigen Sektoren, in denen Polen komparative Vorteile erreicht und wo es seinen Exportanteil schneller erhöhen könnte. Das sind u.a. landwirtschaftliche Produkte, Textilien, Kohle, Stahl, Fische und Fischprodukte, Glas, Lederwaren, Möbel. Die sensiblen Güter hatten 1992 einen Anteil von über 40 vH am polnischen Export in die EU (Wysokinska 1994, S. 60/63).
129
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
Die früher stark differenzierten Strukturen des polnischen Ost- und Westexports haben sich seit der Öffnung der Wirtschaft stark angenähert, der Grad der Differenzierung ist dennoch erheblich. Er resultiert aus den unterschiedlichen Nachfragestrukturen der Regionen, zwischen denen ein starkes Wohlstandsgefälle besteht, und gewiß auch aus traditionellen Verflechtungsbeziehungen. Er ist zugleich Ausdruck handelspolitischer Beschränkungen auf den westlichen Märkten, insbesondere für den Agrarexport Polens. Maschinen und Fahrzeuge waren 1995 im polnischen Ostexport weit mehr noch als im Export nach entwickelten Ländern unterrepräsentiert, sie spielten nur in der Ausfuhr nach Entwicklungsländern eine bedeutendere Rolle (Tabelle 21).
Tabelle 21 Regionale Differenzierung der Warenstruktur des polnischen Exports, 1995
SITC Insgesamt 0,1,4 Nahrungsgüter u. -rohstoffe 2,3 Roh- u. Brennstoffe 5 Chemische Erzeugnisse 6 Bearbeitete Waren 7 Maschinen und Transportmittel 8 Verschiedene Fertigwaren
Werte in Mill. US-$ OECD
MOE
sonst.
17 225 1 325 2 667 1 073 4 995 3 780 4 106
3 954 853 725 535 700 559 580
1 752 119 265 174 627 493 73
Anteile in vH OECD
MOE
sonst.
100 7,7 15,5 6,2 29,0 21,9 23,8
100 21,6 18,3 13,5 17,7 14,1 14,7
100 6,8 15,1 9,9 35,8 28,1 4,2
Quelle: Handel Zagraniczny Styczen-Grudzien (1995), S.52-54.
Die Exportstruktur entspricht in ihrer gegenwärtigen sektoralen Gliederung deutlich nicht dem Profil hochentwickelter Länder. Obwohl sich der Exportzuwachs Polens vor allem auf verarbeitete Waren aus dem industriellen Sektor stützte, und der Anteil der Agrarwaren, Roh- und Brennstoffe zurückging, sind Maschinen und Konsumgüter deutlich schwächer vertreten als im Handel der Industriestaaten untereinander oder auch in den OECD-Importen aus den Schwellenländern (vgl. Stankovsky 1993, S. 468). Auf Nahrungsmittel, Rohstoffe und mineralische Brennstoffe entfiel 1994 immer noch ein großer Teil des Exports. Ebenso groß war das relative Gewicht von Halbwaren, darunter Stahl und Textilien. Fertigwaren spielten mit etwa 40 vH eine beachtliche Rolle, doch die Proportionen sind stark zugunsten von Konsumgütern, (insbesondere Bekleidung auf der Grundlage von Lohnveredelung) verschoben. Investitionsgüter (Maschinen, Fahrzeuge und elektrotechnische Erzeugnisse) waren mit einem Fünftel des Gesamtexports deutlich unterrepräsentiert. Gleiches gilt für chemische Erzeugnisse. Dies stellt für eine dynamische Entwicklung des Exports, die sich weltweit auf technologieintensive Güter und auf den intraindustriellen Handel stützt, ein entscheidendes Hindernis dar. Polen bringt die Voraussetzungen mit, um zumindest auf längere Sicht eine ähnliche Exportstruktur wie die traditionellen OECD-Länder zu ent-
9 Schumacher u. a.
Helga Herberg
130
wickeln. Im Moment treffen Polen die handelspolitischen Beschränkungen für sensible Güter aber noch erheblich. Import: Die bisherigen Veränderungen der Importstruktur waren weniger auffällig. Maschinen und Fahrzeuge blieben mit rund 30 vH der größte Bereich, doch ihr Anteil am Gesamtimport hat sich verringert. Auf Vorprodukte und Halbfertigwaren (SITC 5, 6) entfiel 1992 nur rund ein Viertel, 1995 dann gut ein Drittel des Imports. Der Anteil von mineralischen Brennstoffen ist nach einem preisbedingten Anstieg unter das Ausgangsniveau zurückgefallen. Zusammen mit anderen Industrierohstoffen entfielen 1995 rund 15 vH des Imports auf Rohstoffe und mineralische Brennstoffe (SITC 2,3). Der Anteilsgewinn von Fertigwaren aus dem Konsumgüterbereich ist im Vergleich zu 1990 beachtlich (Tabelle 22). Dieser Anstieg läßt sich nicht lediglich als statistischer Ausdruck der Umstellung der Lohnveredelungserfassung auf das Bruttoprinzip interpretieren.
Tabelle 22 Warenstruktur des polnischen Imports, 1989 bis 1994 (Anteile in v H l } ) SITC
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
0,1,4 Nahrungsgüter u. -rohstoffe Rohstoffe (ohne 0 und 3) 2 Min. Brennstoffe 3 Chemische Erzeugnisse 5 Bearbeitete Waren 6 7 Maschinen und Fahrzeuge Verschiedene Fertigwaren 8
12,5
7,6
13,0
11,3
11,2
10,7
9,5
7,6 12,7 10,9 14,9 33,4
6,5 21,9 8,6 11,5 37,5
4,9 18,9 9,5 9,7 34,1
5,4 16,8 13,5 11,8 29,9
4,6 12,5 13,3 18,5 29,6
5,2 10,5 14,7 20,2 28,8
5,4 9,1 14,9 21,6 29,9
8,0
6,4
9,8
10,3
10,2
9,9
9,3
n
Rest: SITC 9. Quelle: Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznego (1991), S. 85-87; (1995), S. 13; Handel Zagraniczny Styczen-Grudzien (1995), S. 68-70.
Berechnungen der Importstruktur nach der Verwendung der eingeführten Güter machen deutlich, daß die Importstruktur bisher in zu geringem Maße zur beschleunigten Rekonstruktion der Produktion beitrug. Es dominierten anhaltend Importe für den laufenden Produktionsverbrauch. Dazu zählen u.a. Erdöl und auch Futtermittel, die auf dem Binnenmarkt nicht verfügbar sind. Importe für den privaten Verbrauch haben stark an Bedeutung gewonnen. Investitionsgüter spielen nur eine untergeordnete Rolle, denn auch der Bereich Maschinen und Fahrzeuge (SITC 7) enthält in hohem Umfang Konsumgüter der Elektrotechnik/ Elektronik und des Fahrzeugbaus (Tabelle 23).
131
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Stkturprobleme
Tabelle 23 Struktur des polnischen Imports nach der Verwendung, 1989 bis 1995 (in vH°, lfd. Preise) 1989
1990
1991
1992
19932)
1994
1995
Rohstoffe und Zwischenprodukte
61,1
57,3
45,6
53,0
64,8
66,3
68,4
Investitionsgüter
12,6
15,1
17,0
17,4
14,7
13,6
13,0
Konsumgüter
12,9
18,5
32,7
23,3
19,9
19,3
17,8
l) Rest: nicht identifizierbare Güter.- 2) Statistischer Bruch, ab 1993 Berechnungen nach CN. Quelle: Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznego (1991), S. 33; (1992), S. 28; (1993), S. 33; (1994), S. 29; (1995), S. 56; Handel Zagraniczny Styczen Grudzien (1995), S. 219.
Export-Import-Relationen: Die Relationen zwischen Export und Import in den einzelnen Warengruppen haben sich im Ergebnis des Wandels der Warenstruktur des Exports und des Imports verändert. Sie haben sich jedoch seit 1991 nur bei Maschinen und Fahrzeugen, mit dem Verlust der Ostmärkte, völlig umgekehrt. Am Ende des analysierten Zeitraumes ist Polen Nettoimporteur von Maschinen und Ausrüstungen (SITC 7), von chemischen Erzeugnissen (SITC 5) sowie von mineralischen Brennstoffen (SITC 3). In diesen drei Bereichen überwiegt der Import stark, und die Relation zum Export erwies sich bisher als stabil. Es ist weniger klar ersichtlich, auf welchen Gebieten sich Polen nach der Öffnung der Wirtschaft zum Nettoexporteur entwickelt hat. Zunächst stellte sich dies bei Vor- und Zwischenprodukten (SITC 6) heraus, darunter insbesondere Metallurgie- und Textilerzeugnisse, danach verstärkt bei Industrieerzeugnissen des Konsumgüterbereiches (SITC 8), insbesondere Bekleidung. Die neuen Export-Import-Relationen weichen damit deutlich von dem Muster der Vergangenheit ab, das vor allem durch die Exportspezialisierung im IntraRGW-Handel geprägt war. Sie entsprechen aber auch nicht mehr den früheren Merkmalen des Warenaustausches mit den westlichen Ländern, der noch stärker durch den Austausch von Rohstoffen und Brennstoffen gegen technologieintensive Fertigerzeugnisse charakterisiert war. Die ungünstigen Export-Import-Relationen bei Maschinen und Fahrzeugen sowie Chemieerzeugnissen weisen auf die geringe Wettbewerbsfähigkeit beider Sektoren hin. Der hohe Importüberschuß konnte durch andere Gütergruppen von geringer Nachfragedynamik immer weniger ausgeglichen werden. Die Asymmetrie der Strukturen hat in wesentlichem Maße zur Entstehung des Passivsaldos der Handelsbilanz beigetragen.
Helga Herberg
132
Tabelle 24 Export-Import-Relationen 1) im Außenhandel Polens nach SITC-Sektoren, 1989 bis 1995 Import = 1 0,1,4
2
3
5
6
7
8
0-8
1989
1,27
0,94
1,00
0,92
1,67
1,32
2,66
1,67
0,82
1,78
3,34
1,17
1,11 1,97
1,31
1990 1991
0,97
1,67
0,54
0,93
2,44
0,52
0,91
0,96
1992
1,10
1,31
0,53
0,53
1,90
0,53
0,94
0,83 0,75
1,67
1993
0,75
0,91
0,59
0,38
1,08
0,53
1,43
1994
0,96
0,73
0,70
0,36
1,09
0,55
1,66
0,80
1995
0,84
0,66
0,71
0,41
1,01
0,56
1,77
0,79
u
Basis:: laufende Preise. Quellen: Eigene Berechnungen, Quellen wie Tabellen 20 und 22.
Eine Gliederung des Exports und des Imports nach der Faktorintensität der Warengruppen erlaubt erste Rückschlüsse über die Spezialisierung Polens. Arbeitsintensive Güter hatten 1994 das größte Gewicht. Arbeitsintensive und auch kapitalintensive Güter waren am Export höher als am Import beteiligt. Ein etwa gleicher Anteil von rund einem Viertel des Exports und des Imports entfiel auf rohstoffintensive Güter. Das Gewicht forschungsintensiver Güter war im Export erheblich geringer als im Import (Tabelle 25). Tabelle 25 Struktur des polnischen Exports und Imports nach der Faktorintensität der Güter, 1994 (Anteile in vH, lfd. Preise) Klassifikation 0
Export
Import
rohstoffintensive Güter
24,1
24,1
arbeitsintensive Güter
33,8
24,7
kapitalintensive Güter
21,0
12,9
forschungsintensive Güter
20,9
38,2
5,2
15,2
15,7
23,0
leicht imitierbar schwer imitierbar
Klassifikation der Güter vgl. Kostrzewa (1988), S. 37, und Tabelle A 8. Rest: unspezifizierte Waren. Quelle: Eigene Berechnungen nach Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznego (1995), S. 85-88.
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
133
Wie Kaminski auf einer stärker disaggregierten Basis (Viersteller der SITC) und einer anderen Zuordnung nachweist, hat sich die Struktur des polnischen EG-Exports bereits bis 1990/91 im Vergleich zum Zeitraum 1984-90 deutlich zugunsten höher verarbeiteter, vor allem arbeitsintensiver und technologieintensiver Erzeugnisse verändert, während naturressourcen-intensive Güter an Bedeutung verloren haben (vgl. Kaminski 1993, S. 18). Bei einer disaggregierten Betrachtung (SITC, Zweisteller) wird noch deutlicher sichtbar, daß der Charakter der Integration Polens in die Weltwirtschaft noch immer weitgehend durch den Austausch von Rohstoffen und Halbfabrikaten gegen höherverarbeitete Fertigwaren bestimmt wird. Strukturveränderungen des Exports und Imports im Zeitraum von 1985 bis 1994 wurden von den 15 größten Warenhauptgruppen getragen (Tabellen 26 und 27). Die Veränderung der Branchenstruktur des Exports folgte entscheidend aus dem starken Anteilsverlust der früher dominierenden Warenhauptgruppe Spezialmaschinen (SITC 72). Dagegen konnten andere Zweige der metal 1 verarbeitenden Industrie, insbesondere der Kraftfahrzeugbau und die Elektrotechnik, ihre Positionen halten. Im Schiff- und Schienenfahrzeugbau setzt allmählich die Kompensation der Verluste ein. Anteilsgewinne wurden in einer Vielzahl von Warengruppen aus dem Bereich der Vor- und Zwischenprodukte erzielt. Die Veränderungen begünstigten bisher homogene Massenerzeugnisse, traditionelle Erzeugnisse der verarbeitenden Industrien und Agrargüter (Eisen und Stahl, Buntmetalle, Baustoffe/Glas/Keramik, Holzerzeugnisse, Möbel, Bekleidung, Obst und Gemüse). Die Nachfrage nach ihnen ist von geringer Einkommenselastizität, und sie sind einer starken Konkurrenz seitens der Entwicklungsländer ausgesetzt. Das Profil des Exports weist einen hohen Konzentrationsgrad auf. Auf die ersten vier in der Rangfolge der Warengruppen (Bekleidung, Kohle, Buntmetalle, Eisen und Stahl) entfiel 1994 rund ein Drittel des Gesamtexports. Auf nur sieben Warengruppen konzentrierte sich fast die Hälfte des Exports. Die hohe Konzentration ging mit einer ungünstigen Spezialisierung einher. Mit Kohle, Buntmetallen, Eisen und Stahl dominierten energie- und rohstoffintensive Güter, wenn auch an führender Stelle arbeitsintensive verarbeitete Erzeugnisse (Bekleidung) standen. Seit 1990 gehören zu den führenden drei Warengruppen keine höherverarbeiteten Erzeugnisse. Erst unter den ersten 10 Warengruppen in der Rangfolge, auf die etwa die Hälfte des Exports entfällt, finden sich dann Erzeugnisse des Fahrzeugbaus und der Elektrotechnik mit beachtlichen Anteilen von 3 bis 5 vH am Gesamtexport. 1993/94 zeichneten sich Verbesserungen ab, deren Stabilität sich jedoch erst erweisen muß (Tabelle
26).
Helga Herberg
134
Tabelle 26 Wichtigste Warenhauptgruppen des polnischen Exports, 1985 bis 1994° (Anteile am Gesamtexport in vH, lfd. Preise) SITC
1993
1994
84 32 68 67 79 78 77 82 69 05 66 65 24 72 89
11,2 8,1 6,7 6,7 5,3 5,2 4,3 4,1 3,9 3,8 2,8 2,3 2,0 2,0 1,8 69,9
10,7 7,7 6,6 6,6 5,0 4,8 4,1 5,2 4,1 3,7 2,9 2,3 1,9 2,1 2,4 70,1
1992 1990 1991 1985 1989 2,5 2,2 2,7 3,5 4,9 Bekleidung 8,6 8,3 8,9 13,9 7,8 Kohle, Koks 6,2 5,4 7,3 Buntmetalle 4,4 7,0 7,4 7,2 4,7 7,0 3,7 Eisen u. Stahl 4,4 3,6 3,3 4,3 Schiffe, Schienenfahrz. 8,1 3,2 3,8 3,3 3,6 Kraftfahrzeuge 1,9 3,6 3,0 4,2 3,3 4,3 Elektromaschinen 3,2 3,0 0,7 Möbel, Teile 1,2 1,5 3,4 3,7 2,6 Metallwaren 2,9 3,8 2,4 4,6 3,8 2,0 Obst, Gemüse 2,1 3,2 2,7 Mineral. Prod. 1,4 1,7 1,1 2,4 2,0 Textilien 1,7 2,1 2,1 1,0 2,5 0,9 Holz 1,7 1,1 2,0 Spezialmaschinen 13,8 10,9 6,8 4,9 1,8 1,0 sonstige Güter 1,5 1,2 1,4 55,6 54,9 57,5 63,9 63,3 15 Warenhauptgruppen Rangfolge: Exportwert 1993. Quellen: Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznego (1991), S. 88-91; (1995),
S. 86-88.
Tabelle 27 Wichtigste Warenhauptgruppen des polnischen Imports, 1985 bis 1994° (Anteile am Gesamtimport in vH, lfd. Preise) SITC 33 65 74 78 77 72 89 54 76 75 64 69 67 34 55
Erdöl und -produkte Textilien Allgemeine Maschinen Straßenfahrzeuge Elektromaschinen Spezialmaschinen Sonst. Prod. u. Geschäfte Pharmaka Nachrichtentechnik Büromaschinen Papier, Karton Metallprodukte Eisen und Stahl Gas Äth. Öle, Waschmittel 15 Warenhauptgruppen
1985 17,7 2,6 3,5 4,6 3,4 6,6 1,3 2,4 0,9 0,8 0,7 1,4 4,8 3,9 0,4 55,0
1989 9,6 3,4 4,0 5,2 3,1 11,7 2,1 2,5 2,8 1,4 0,9 1,7 4,3 2,5 0,5 55,7
1990
1991
19,9 2,1 4,4 3,9 3,0 12,1 2,0 2,0 4,7 1,5 0,8 1,4 4,2 1,8 0,5 64,3
14,8 2,0 3,1 6,3 3,7 7,7 4,0 2,8 6,6 3,3 1,5 1,7 1,6 3,9 1,3 64,3
1992 13,8 2,0 6,7 4,6 4,6 5,2 4,4 3,3 3,4 2,6 2,2 2,2 2,0 3,0 2,1 62,1
1993 10,7 7,3 5,7 5,5 5,1 4,7 4,4 3,5 3,1 3,1 2,5 2,3 2,3 1,7 1,6 63,5
n Rangfolge: Importwert 1993. Quellen: Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznego (1991), S. 85-87; (1995), S. 83-85.
1994 8,6 7,9 5,8 4,8 5,1 4,8 4,5 3,4 2,5 2,8 2,8 2,5 2,6 1,6 1,5 61,2
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
135
6. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen Reform: In einem Ministerratsbeschluß der Regierung Mazowiecki wurde im Oktober 1989 ein radikales und komplexes Stabilisierungs- und Transformationsprogramm beschlossen. An einem Stichtag (1. Januar 1990) traten gleichzeitig umfassende Deregulierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen in Kraft, die auch die außenwirtschaftliche Öffnung einschlossen. In einer längeren Anpassungsphase sollten eine makroökonomische Stabilisierung erreicht und die Systemtransformation fortgeführt werden. Nach sechs Jahren stehen Erfolge einer konsequenten Prozeß- und Ordnungspolitik neben noch ungelösten Problemen. Bei der Stabilisierung des Geldwertes wurden beachtliche Ergebnisse erzielt, dennoch bleibt die hohe Inflation ein Hauptproblem der wirtschaftlichen Entwicklung. Durch die Wechselkurspolitik wurden die Bedingungen für die volle Konvertierbarkeit des Zloty geschaffen. Das Defizit des Staatshaushaltes konnte unter der vom IWF vorgegebenen Grenze gehalten werden. Institutionelle und rechtliche Reformen sind weitgehend abgeschlossen. Ein zweistufiges Bankensystem mit einer unabhängigen Notenbank wurde schon frühzeitig geschaffen. Ein Netz von Geschäftsbanken entstand durch die Ausgliederung regionaler Zweigstellen der Staatsbank und durch Neugründungen zahlreicher kleiner privater Banken. Seit der Zulassung der Wertpapierbörse existiert ein Kapitalmarkt, dessen Umsätze sich stürmisch entwickelt haben. Arbeitsverwaltung und -gesetzgebung wurden den veränderten Bedingungen entsprechend neu gestaltet. In allen Bereichen der Wirtschaft ist ein starker Privatsektor entstanden. Private Unternehmen realisieren gut die Hälfte des Exports und zwei Drittel des Imports. Bei der Eigentumsumwandlung der Staatsbetriebe wurden die ursprünglichen Ziele verfehlt. Bis Ende 1995 war erst etwa ein Viertel der Staatsbetriebe - weitgehend formalrechtlich - privatisiert. Erfolgreicher verlief die Neugründung privater Firmen: auf diesem Wege und im Rahmen der "kleinen Privatisierung" ist ein breiter klein- und mittelständischer Sektor entstanden, der in einigen traditionellen Zweigen des verarbeitenden Gewerbes an der Beschäftigung gemessen schon die entscheidende Rolle spielt. Zugleich ist der Grad der Konzentration auf Großunternehmen der Schwerindustrie noch sehr hoch. Neben der vorrangigen Förderung mittelständischer Unternehmen ist deshalb die Sanierung großer Staatsbetriebe im Bergbau, der Metallurgie, der Chemie und des Fahrzeugbaus erforderlich. Sie sind ein entscheidender Träger des Exports, und sie konnten sich den marktwirtschaftlichen Bedingungen zunehmend besser anpassen. Binnenwirtschaft: Nach einer tiefen Anpassungskrise ist in Polen früher als in anderen Reformländern der Wachstumsprozeß in Gang gekommen. Der Aufwärtstrend hat sich deutlich beschleunigt, und das Ausgangsniveau konnte schon im Laufe des Jahres 1995 wieder erreicht werden. Zugleich wird aber eine Verringerung des Gefälles zum Wohlstandsniveau westlicher Länder erst längerfristig möglich sein. Die sektorale Struktur der Entstehung des BIP hat sich im bisherigen Verlauf der Transformation dem Muster entwickelter Länder angenähert. Der Anteil der Landwirtschaft ist auf die Hälfte des Ausgangsniveaus gesunken. Auf den Dienstleistungssektor entfällt gut die Hälfte der Bruttowertschöpfung. Die Industrie
136
Helga Herberg
(einschließlich Bergbau) bleibt mit etwa einem Drittel beteiligt. Auch eine andere Kennziffer - 96 Industriebeschäftigte pro 1 000 Einwohner - weist Polen nach fünf Jahren Transformation als hochindustrialisiertes Land aus. Der Aufschwung der Industrieproduktion gewann nach einem tiefen Rückgang rasch an Tempo und Breite, und im Laufe des Jahres 1996 wird das Ausgangsniveau wieder erreicht. Die Belebung wurde von hohen Zuwachsraten der Arbeitsproduktivität begleitet. Der Strukturwandel der Industrie steht aber erst am Anfang. Zu konstanten Preisen zeichnet sich in den Jahren der Aufwärtsentwicklung ein zunehmender Wachstumsvorsprung des verarbeitenden Gewerbes ab. Erreichten zunächst traditionelle Zweige mit hoher Arbeitsintensität und einfachen Technologien hohe Zuwachsraten der Produktion, so trifft dies seit 1993 auch für forschungs- und entwicklungsintensive Branchen der metallverarbeitenden Industrie zu. Mit Sicherheit werden "alte" Industriezweige weiter an Gewicht verlieren. Dies gilt insbesondere für Kohleförderung und Stahlproduktion, wo die Restrukturierung noch längst nicht abgeschlossen ist. Die Entwicklung traditioneller Branchen mit hoher Arbeitsintensität profitierte bisher wesentlich von geringen Lohnkosten. Für die Art der Integration in die intraindustrielle Arbeitsteilung ist entscheidend, wie sich die Investitionsgüterindustrien in einer offenen Wirtschaft mit wachsendem Konkurrenzdruck durchsetzen können. Bisher konnten sie in der Produktionsstruktur ein beachtliches Gewicht behalten, Polen verfügt über eine diversifizierte Industriestruktur. Investitionen wurden seit 1994 zum Träger des Wirtschaftswachstums. Insbesondere 1995 stieg das Investitionsvolumen bedeutend an. Dennoch war der Grad der Ausrüstungsinvestitionen für die Modernisierung und für Strukturveränderungen der Produktion nicht ausreichend. Der dynamische Zuwachs der letzten Jahre erfaßte zudem vorwiegend traditionelle Branchen. Gering blieben die Investitionen forschungsintensiver Branchen. Die weitaus höchsten Anteile an den Industrieinvestitionen entfallen immer noch auf den Bergbau und die Energiewirtschaft, dagegen kamen in den letzten beiden Jahren nur 8 bis 10 vH auf die metall verarbeitende Industrie. Ohne strukturpolitische Steuerung droht eine Verfestigung ungünstiger Proportionen. An den durchschnittlichen Monatslöhnen gemessen ist Polen ein Niedriglohnland geblieben. In diesem Zusammenhang muß erwähnt werden, daß die Löhne erstmals 1995 deutlich schneller als die Verbraucherpreise gestiegen sind und die Reallöhne noch erheblich unter dem Ausgangsniveau von 1989 lagen. Auch die Lohnstückkosten, die eine wesentlich geringere Arbeitsproduktivität in Rechnung stellen, sind weitaus niedriger als in Deutschland. Nur die Löhne im Kohlebergbau liegen weit über dem Durchschnitt der Industrie. Das Lohnniveau in den arbeitsintensiven Branchen bleibt deutlich darunter. Polen ist reichlich mit dem Faktor Arbeitskraft ausgestattet. Dazu hat auch eine anhaltend dynamische demographische Entwicklung beigetragen, erst längerfristig wird sich der Rückgang des natürlichen Bevölkerungszuwachses in der jüngsten Zeit auswirken. Hinzu kommt eine anhaltend hohe Erwerbsneigung. Zugleich weist die stark verringerte Quote der tatsächlichen Erwerbstätigkeit, die sich auch in einer hohen Arbeitslosigkeit spiegelt, auf disponible Arbeitskräftereserven hin. Dies geht auch aus der sektoralen Struktur des Ar-
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
137
beitskräftepotentials hervor, noch entfällt ein viel zu hoher Anteil auf die Landwirtschaft. In den anderen Sektoren der Volkswirtschaft und insbesondere im produzierenden Gewerbe entspricht der Ausbildungsstand der Arbeitskräfte an den formalen Abschlüssen gemessen dem westlicher Länder. Die strukturellen Merkmale des polnischen Arbeitskräftepotentials bieten gegenwärtig sowohl gute Voraussetzungen für arbeitsintensive, als auch für technologisch anspruchsvolle Produktionen. Außenhandel: Seit dem Beginn des Transformationsprozesses ist der Außenhandelsumsatz Polens beachtlich gewachsen. Bisher wurde diese Entwicklung stärker vom Import getragen. Der anfängliche Überschuß der Handelsbilanz ist einem Passivsaldo gewichen, der unter den gegenwärtigen Bedingungen - Polen bleibt nach wie vor ein Nettoschuldnerland ein erhebliches Problem darstellt. Die regionale Umorientierung des polnischen Außenhandels hat sich in schnellem Tempo vollzogen. Der Anteil der westlichen Industrieländer am Export und Import stieg von 33 vH auf 75 vH und stagniert erst seit 1994 auf diesem hohen Niveau. Innerhalb der Gruppe der entwickelten Industrieländer konzentrierten sich Exporte und Importe immer stärker auf die Länder der EU. Deutschland ist der mit Abstand größte Handelspartner Polens. Die Warenstruktur des polnischen Exports hat sich gravierend verändert. Die frühere Warenstruktur des Außenhandels spiegelte vor allem die Spezialisierung der Wirtschaft Polens im Rahmen des RGW wider. Sie entsprach in ihrer Gliederung nach Sektoren durchaus dem Muster eines industriell entwickelten Landes. Die Rolle Polens im Intra-RGWHandel stand dabei im deutlichen Gegensatz zur Art der Integration des Landes in die übrige Weltwirtschaft. Im polnischen RGW-Export dominierten Maschinen und Fahrzeuge. Im Export gegen konvertierbare Währung spielten Rohstoffe, mineralische Brennstoffe und Metalle eine weit größere Rolle, das gleiche galt für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Nahrungsgüter. Polen verfügte infolge regional differenzierter, ja sogar gegensätzlicher Spezialisierungsmuster über keine tragfähige Ausgangsbasis für seine zukünftige Integration in die Weltwirtschaft. Auch gegenwärtig entspricht die Exportstruktur Polens in ihrer sektoralen Gliederung noch nicht dem Muster entwickelter Industrieländer. Obwohl sich der Exportzuwachs vor allem auf verarbeitete Waren aus dem industriellen Sektor stützte, und der Anteil der Agrarwaren, Roh- und Brennstoffe zurückging, sind Maschinen und Konsumgüter deutlich schwächer vertreten als im Handel der Industriestaaten untereinander. Auf Nahrungsmittel, Rohstoffe und mineralische Brennstoffe entfällt noch ein großer Teil des Exports. Ebenso groß war das relative Gewicht von Halbwaren, darunter Stahl und Textilien. Die Proportionen innerhalb der Fertigwaren sind stark zugunsten von Konsumgütern (insbesondere Bekleidung auf der Grundlage von Lohn Veredelung), verschoben. Investitionsgüter (Maschinen, Fahrzeuge und elektrotechnische Erzeugnisse) bleiben deutlich unterrepräsentiert. Gleiches gilt für chemische Erzeugnisse. Dies stellt für eine dynamische Entwicklung des Exports, die sich weltweit auf technologieintensive Güter und auf den intraindustriellen Handel stützt, ein entscheidendes Hindernis dar.
138
Helga Herberg
Komparative Vorteile: Eine Gliederung des Exports und des Imports nach der Faktorintensität der Warengruppen erlaubt erste Rückschlüsse auf die gegenwärtige Spezialisierung Polens. Arbeitsintensive Güter hatten 1994 das größte Gewicht. Arbeitsintensive und auch kapitalintensive Güter waren am Export höher als am Import beteiligt. Ein etwa gleicher Anteil von rund einem Viertel des Exports und des Imports entfiel auf rohstoffintensive Güter. Das Gewicht forschungsintensiver Güter war im Export bedeutend geringer als im Import. In Zukunft wird die Struktur des Exports und Imports Polens in wesentlich stärkerem Maße als früher, als der Außenhandel zentral geplant und nicht den Gesetzen von Angebot und Nachfrage unterworfen war, durch komparative Kostenvorteile bestimmt werden. Sie lassen sich bei international gleichen Produktionsfunktionen dann erzielen, wenn reichlich vorhandene Produktionsfaktoren intensiv genutzt werden (vgl. Trabold/Berke 1995). Für die zukünftige sektorale Struktur des polnischen Exports sind wie für die anderen mittelund osteuropäischen Länder drei Erklärungsansätze möglich. Die Hypothesen gehen von den komparativen Vorteilen aus (vgl. Klodt 1993, S. 425/426). Der erste Ansatz, der auf der früheren Exportstruktur basiert, wird zu Recht für die Zukunft als wenig geeignet bewertet. Die traditionelle Spezialisierung auf rohstoff- und energieintensive, aber auch auf kapitalintensive Produkte entsprach nicht den komparativen Vorteilen und war nur unter den bekannten Bedingungen der zentral geplanten Wirtschaft und der intrasystemaren Austauschbeziehungen aufrechtzuerhalten. Nach Rosati resultierte die anhaltende Konzentration auf ressourcenintensive Güter aus verzerrten Preisrelationen, insbesondere extrem niedrigen Energiepreisen, die trotz des drastischen Subventionsabbaus sowie anderer Reformschritte noch nicht vollständig beseitigt wurden. Zusätzlich beeinflussen noch weitere, für den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft typische Faktoren (große Preisdifferenzen, unterschiedliche Verfügbarkeit von Waren) die bestehenden Strukturen (Rosati 1993, S. 75). Für eine kurze Frist bleibt ihr Einfluß dennoch erhalten. Diese Annahme gilt für Polen einmal wegen der relativ reichen Ausstattung mit bestimmten Rohstoffressourcen, zum anderen wegen der offensichtlich geringen Chancen für eine rasche Ausweitung des Exports technologieintensiver Produkte. Bei insgesamt nachlassender Bedeutung rohstoff- und energieintensiver Güter werden Steinkohle und Buntmetalle aufgrund reichlich vorhandener Ressourcen bedeutende Exportpositionen bleiben, wenn auch Volumen und Anteile sinken. Die weitere Entwicklung wird davon abhängen, wie durch die Realisierung der geplanten Rekonstruktion des Bergbaus die internationale Wettbewerbsfähigkeit erhöht werden kann. Längerfristig wird aufgrund sinkender Fördermengen, sich verschlechternder Abbaubedingungen und begrenzter Ressourcen die Bedeutung der Steinkohle für den Export abnehmen. Auch die Entwicklung des Metallurgieexports hängt davon ab, wie es durch Modernisierung und Rekonstruktion gelingt, die Arbeitsproduktivität zu erhöhen. Von wesentlichem Einfluß wird die Liberalisierung des Zugangs zu westlichen Märkten sein. Reiche Ressourcen an Land würden objektiv eine stärkere Spezialisierung auf Agrargüter, insbesondere auf arbeitsintensive Gebiete wie Obst- und Gemüseanbau sowie auf die flächen-
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
139
intensive Viehzucht ermöglichen. Besondere Chancen werden dem ökologischen Landbau im Nordosten des Landes gegeben (vgl. Vincentz 1992, S. 37). Die potentiellen Vorteile werden jedoch durch die Handelsbeschränkungen der EU stark beeinträchtigt. Nach dem zweiten Ansatz liegen die komparativen Vorteile Polens bei den arbeitsintensiven Industriegütern. Diese Annahme stützt sich auf die relativen Faktorpreise. Die Löhne werden trotz steigender Tendenz noch längere Zeit wesentlich niedriger als in westeuropäischen Ländern bleiben. Danach wird sich der Exportzuwachs mittelfristig weiterhin auf arbeitsintensive Erzeugnisse traditioneller Branchen (Holzverarbeitung, Glas/Keramik, Bekleidung, Nahrungsgüter) stützen können. Dafür spricht auch, daß sich aufgrund der Investitionsschwäche vorhandene Strukturen nicht so rasch ändern können. Die bisherige Konzentration des Auslandskapitals auf vorwiegend arbeitsintensive Produktionen verstärkt diese Entwicklung, die zudem in starkem Maße von Lohnveredelung getragen wird. Langfristig bietet freilich dieses Spezialisierungsmuster nur geringe Chancen eines dynamischen Exportwachstums (dazu ausführlich Berke/Trabold 1995; vgl. auch Vincentz 1992, S. 32). Die Stellung Polens in der internationalen Arbeitsteilung entspräche damit der eines Entwicklungslandes. Auch das umfangreiche Potential gut ausgebildeter Arbeitskräfte berechtigt zu der Vermutung, daß dieses Spezialisierungsmuster nur von vorübergehender Gültigkeit sein kann (Klodt 1993, S. 421). Der dritte Ansatz geht von der vergleichsweise reichen Ausstattung mit qualifizierten Arbeitskräften aus. Danach werden technologisch anspruchsvolle Güter in der Exportstruktur Polens an Bedeutung gewinnen. Rosati rechnet mit einer Wiederherstellung der vergangenen Exportspezialisierung auf Maschinen, Ausrüstungen und Erzeugnisse des Gerätebaus, allerdings nur unter den Voraussetzungen einer aktiven makroökonomischen und Industriepolitik Polens und einer stärkeren Beteiligung ausländischen Kapitals (vgl. Rosati 1993, S. 75). Für die dritte Annahme spricht vor allem, daß der Ausbildungsstand, gemessen an den ausgewiesenen Berufsabschlüssen und an dem Anteil der Fach- und Hochschulabsolventen, dem hochentwickelter Industrieländer vergleichbar ist. Dieser potentielle Kosten- und Standortvorteil kann jedoch nur unter bestimmten Bedingungen wirksam werden. Notwendig ist ein wachsender Transfer von Technologie, damit die Produktion forschungsintensiver Güter ansteigen kann. Vor allem muß die weitere Entwertung des qualifizierten Arbeitskräftepotentials durch Reduzierung der Forschungskapazitäten, Abwanderung des wissenschaftlichen Personals in besser bezahlte Tätigkeiten wenig innovationsträchtiger Branchen oder ins Ausland sowie durch Langzeitarbeitslosigkeit aufgehalten werden. Strukturveränderungen zugunsten technologieintensiver Güter konnten sich bisher nicht durchsetzen, und sie werden längere Zeit in Anspruch nehmen. Dabei können sich die komparativen Vorteile nur auf ein enges Spektrum beschränken. Die Kritik an der Handelspolitik der EU richtet sich gegenwärtig in erster Linie gegen die Beschränkungen bei sensiblen Gütern. Wachsende Aufmerksamkeit sollte aber jenen Branchen gewidmet werden, bei denen zukünftig die Entwicklungschancen Polens liegen. Die Handelspolitik sollte eine vollständige Marktöffnung für technologieintensive Güter zulassen, ohne Notausgänge offenzuhalten, wenn die mittel- und osteuropäischen Anbieter
140
Helga Herberg
auf den Markt drängen. Zugleich sollte ihren innovativen Branchen zunächst ein großzügiger Schutz gewährt werden. Intraindustrieller Handel·. Für das zukünftige Wachstum und die Struktur des polnischen Exports ist von Bedeutung, wie sich der intraindustrielle Handel entwickelt. Der brancheninterne Handel macht im Warenaustausch der EU-Länder untereinander den bedeutendsten Teil aus und er weist zugleich die höchste Dynamik auf. Diese Warenströme resultieren nicht aus den Unterschieden in der relativen Faktorausstattung, sondern aus der Möglichkeit, größere Spielräume für eine Produktdifferenzierung und für die Nutzung steigender Skalenerträge zu erhalten. Ein hoher Grad der intraindustriellen Spezialisierung setzt aber ein vergleichbares Entwicklungsniveau und eine weitgehend übereinstimmende Faktorausstattung voraus, auch räumliche Nähe ist günstig (Klodt/Schmidt u.a. 1989, S. 34-38). Insbesondere das im Vergleich zu westlichen Ländern geringe ökonomische Niveau, an der Kennziffer des BIP pro Kopf gemessen, scheint damit im Falle Polens mehr für eine Spezialisierung zwischen den Sektoren der Industrie als für eine Vertiefung der internen Arbeitsteilung zu sprechen. Dagegen begünstigen die geographische Lage, aber auch die reiche Ausstattung mit qualifizierten Arbeitskräften die intraindustrielle Spezialisierung. Barrieren wie der Mangel an Kapital lassen sich infolge der Mobilität dieses Faktors abbauen. In einigen Branchen der metallverarbeitenden Industrie hat Polen schon gegenwärtig ein beachtliches Niveau intraindustriellen Handels zu verzeichnen. Anders als in hochentwickelten Industrieländern ist der intraindustrielle Handel hier mit Nettoimporten verbunden. Bei Energieanlagen, Elektrotechnik und Straßenfahrzeugen war der Grad der intraindustriellen Arbeitsteilung auch infolge der Kooperation mit westlichen Firmen am höchsten. Dagegen blieb in den Branchen des allgemeinen, Speziai- und Werkzeugmaschinenbaus, wo die Umorientierung auf die westlichen Märkte kaum möglich war, der intraindustrielle Handel schwach entwickelt. Erwartungsgemäß war die Spezialisierung innerhalb der Hochtechnologiebereiche wie EDV-Anlagen und Nachrichtentechnik noch geringer. Bei Erzeugnissen des Schiff- und Schienenfahrzeugbaus ist Polens Nettoexport traditionell stark ausgeprägt (vgl. Herberg 1995, S. 45). Polen verfügt demnach über ein beachtliches Potential für die Integration in die intraindustrielle Arbeitsteilung hochentwickelter Länder auf ausgewählten Gebieten des Maschinen- und Fahrzeugbaus und der Elektrotechnik.
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
141
Literatur A: Monographien und Aufsätze Berke, C., H. Trabold (1995): "Low-cost" oder "High-tech"? Strategische Außenwirtschaftsoptionen für die mittel- und osteuropäischen Länder. DIW-Diskussionspapier Nr. 124, Berlin. Bossak, J. u.a. (1994): Poland, International Economic Report 1993/1994, World Economy Research Institute, Warschau. BozyK P. (1995): Polityka gospodarcza Polski 1985-2000. Warschau. Buch, C. (1996): Banken im Transformationsprozeß - eine Bestandsaufnahme für Polen, die Tschechische Republik und Ungarn. In: Die Weltwirtschaft, Nr. 1/1996, S. 70-102. Chroscicki, T. u.a. (1995): Sytuacja spoleczno-gospodarcza Polski w latach 1990-1994. In: Gospodarka narodowa, Nr. 6/1995, S. 33-46. Chroscicki, T. (1996): Sytuacj a spoleczno-gospodarcza Polski w 1995 roku. In: Gospodarka narodowa, Nr. 3/1995, S. 33-35. CUP (Centralny Urzad Planowania) (1993): Polska 1989-1993, Reforma gospodarcza preksztalcenia strukturalne/Raport. In: Gospodarka narodowa, Nr. 11/1993, S. 1-49. CUP (1996): Ocena sytuacj i spoleczno-gospodarczej w 1995 r. wraz ζ elementami prognozy, Warschau. Delhaes, v. K. (1991): Das bisherige Wirtschaftssystem und die Hinwendung zur Marktwirtschaft. In: Wöhlke, W. (Hrsg.) (1991), S. 240-277. Falk , M . , N. Funke (1993): Zur Sequenz von Reformschritten: Erste Erfahrungen aus dem Transformationsprozeß in Mittel- und Osteuropa. In: Die Weltwirtschaft, Nr. 2/1993, S. 186-206. Franzmeyer, Fritz (1992): Maastricht: Ausblendung Osteuropas ein Fehler. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 15/1992. Gohrisch, H. (1986): Die Perspektive der Westwirtschaftsbeziehungen Polens, WIIW-Forschungsbericht Nr. 113/86, Wien. Gabrisch, H. (1996): Polen: Besteht die Gefahr einer Überhitzung der Wirtschaft? In: Die wirtschaftliche Lage in Mittel- und Osteuropa/Überblick und ausgewählte Länder. Forschungsreihe des IWH, Nr. 3/1996, S. 27-39. GUStat. (Glowny Urzad Statystyczny) (1996): Sytuacji spoleczno-gospodarcza kraju w 1995. In: Rzeczpospolita, 13. Februar 1996, S. 20-22. Herberg, H. (1995): Zur Neuorientierung der Außenwirtschaft in Polen. DIW-Diskussionspapier Nr. 127, Berlin.
142
Helga Herberg
Herberg, H. (1996): Strategie und Hauptergebnisse der Transformation in Polen. DIWDiskussionspapier Nr. 131, Berlin. Herr, H.-J., A. Westphal (1991): Polens Weg in die Geldwirtschaft/Wirkungen des Balcerowicz-Planes und Konfliktfelder der Transformationsdebatte. In: Konjunkturpolitik, Nr. 4/1991, S. 242-271. Kämpfe, M . (1993): Privatisierung staatseigener Unternehmen in Polen. In: Mittel- und Osteuropa/Beiträge zu den Wirtschaftsreformen, IWH, Nr. 3/1993, S. 43-66. Kaminski , B. (1993): Competitiveness of the Polish Economy in Transition, Polish Policy Research Group, Warsaw University, Warschau. Klodt , H., K.P. Schmidt (1989): Weltwirtschaftlicher Stukturwandel und Standortwettbewerb, Kieler Studien, Nr. 228, Tübingen. Klodt , H. (1993): Perspektiven des Ost-West-Handels: Die komparativen Vorteile der mittel- und osteuropäischen Reformländer. In: Die Weltwirtschaft, 4/1993, S. 424-440. Kostrzewa, W. (1988): Verpaßt Osteuropa den Anschluß auf den Weltmärkten? Kieler Diskussionsbeiträge, Nr. 144/1988, Kiel. Kotowicz-Jawor, J. (1996): Aktywnosc inwestycyjna. In: Instytut Rozwoju i Studiow Strategicznych: Raporty/Gospodarka Polski w procesie transformacji 1995 r, Warschau, S. 42-53. Kotynski, J. (1993): Prognoza Obrotow Handlu Zagranicznego Polski do Roku 2000. In: Instytut Koniunktur i Cen HZ (IKC): Prognoza Obrotow Handlu Zagranicznego Polski, Konferencja naukowa grudzien 1993, Warschau, S. 44-53. Machowski, H. (1989): Die Volksrepublik Polen in den 80er Jahren: Durchführung der Wirtschaftsreform, Zahlungsbilanz und Auslandsverschuldung, Studie des DIW, Berlin. Misala , J. (1995): The impact of foreign trade on economic development and growth proportions. In: Foreign Trade Research Institute (IKC): Polands foreign trade policy 19941995, Warschau, S. 23-34. Misala , J. (1996): Handel zagraniczny Polski w 1995 roku. Warschau, vervielfältigtes Manuskript. Möbius, U. (1991): Zu den Assoziationsverträgen der EG mit Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 50/1991. Möbius, U. (1993): Industriegütereinfuhren der EG aus Ost und Süd: Handelspolitik und Entwicklung. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 23/1993. Nuti, D . M . (1990): Interne und internationale Aspekte des monetären Ungleichgewichts in Polen. In: Europäische Wirtschaft, Nr. 43/1990, S. 187-200. OECD (1992): Economic Surveys - Poland, Paris. Pysz f P., W. Quaisser (1991): Außenhandel. In: Wöhlke, W. (Hrsg.) (1991), S. 342-353.
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
143
Quaisser, W. (1990): Die Wirtschaftsentwicklung Polens im Jahr 1990. Schwerpunkt: Marktorientierte Reformen in Polen und die Möglichkeiten westlicher Wirtschaftshilfe, Osteuropa-Institut, München. Quaisser, W. (1995): Ausländische Direktinvestitionen im polnischen Transformationsprozeß, Osteuropa-Institut, München, Working Papers Nr. 184, Oktober. Repecki , Β. (1996): Polen/Wirtschaftstrends zum Jahreswechsel 1995/96, bfai/Länderreport Nr. 4253, Köln. Rosati , D. (1993): Economic Interpénétration between the EC and Eastern Europe/The Case of Poland, Foreign Trade Research Institute, Warschau. Schrooten , M . (1995): Polen: Real wirtschaftliche Erfolge - monetäre Probleme. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 38/95. Schumacher , D., U. Möbius (1994): Analysis of Community trade barriers facing Central and East European countries and impact of the Europe Agreements. In: European Commission, The Economic Interpénétration between the European Union and Eastern Europe, European Economy No. 6/1994, S. 17-76. Stankovsky , J. (1991): Osteuropas Öffnung zum Westen. In: Wifo-Monatsberichte, Nr. 6/1991, S. 330-344. Stankovsky, J. (1992): Ost-West-Handel 1991/92: Unerwartet günstige Entwicklung. In: Wifo-Monatsberichte, Nr. 11/1992, S. 571-580. Stankovsky, J. (1993): OECD-Handel mit Ost- und Mitteleuropa kräftig gewachsen. In: Wifo-Monatsberichte, Nr. 9/1993, S. 463-471. Statistisches Bundesamt/Eurostat
(1992): Länderbericht Polen 1992, Wiesbaden.
Statistisches Bundesamt (1996): Länderbericht Polen 1996, Wiesbaden. Trabold, H., C. Berke (1995): Die komparativen Vorteile der mittel- und osteuropäischen Länder: gestern, heute und morgen. DIW-Diskussionspapier Nr. 123, Berlin. Vincentz , V. (1992): Die Integration Osteuropas in die europäische Wirtschaft, OsteuropaInstitut, Working Papers Nr. 155, München. Wöhlke, W. (Hrsg.) (1991): Länderbericht Polen, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Band 296, Bonn. Wysokinska, Z. (1994): Assoziierungsabkommen zwischen Polen und der Europäischen Gemeinschaft - Richtungen der Liberalisierung der Handelsumsätze. In: Osteuropa/Wirtschaft, Nr. 1/1994, S. 55-70.
144
Helga Herberg
Β: Statistiken GUStat. (Glowny Urzad Statystyczny), Warschau: Biuletyn Statystyczny (verschiedene Monate) Handel zagraniczny styczen-grudzien 1995 Maly Rocznik Statystyczny 1995 Rocznik Statystyczny (verschiedene Jahrgänge) Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznego (verschiedene Jahre) Zatrudnienie w Gospodarce Narodowej 1994 C: Zeitschriften Gospodarka Narodowa Rzeczpospolita V W D Mittel- und Osteuropa Wirtschaft und Recht in Osteuropa
145
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
Tabelle A 1 Kennziffern der Wirtschaftsentwicklung Polens, 1989 bis 1995 (Veränderung zum Vorjahr in vH) 1990
1991
1992
1993
1994
1995°
Reales BIP-Wachstum
-11,6
-7,6
2,6
3,8
5,2
7,0
Privater Verbrauch
-15,3
6,3
2,3
5,5
3,0
4,9
Bruttoanlageinvestitionen
-10,6
-4,4
2,3
2,9
9,2
19,0
Bruttoproduktion (Verkäufe)
-24,2
-8,0
2,8
6,4
12,1
9,4
Arbeitsproduktivität
-16,5
-2,5
13,8
14,0
9,4
Industrie 13,8
Landwirtschaft Bruttoproduktion
-2,2
-1,6
-12,7
6,8
-9,3
13,0
Pflanzenbau
0,1
-2,8
-21,2
23,2
-14,9
16,0
-5,2
-0,4
-4,4
-0,7
8,0
-24,4
-0,3
-2,7
-11,1 -2,9
-0,5
4,8
Viehzucht 2)
Reallöhne
Arbeitslosenquote (vH) Inflationsrate 3) (vH) Budgetdefizit (vH des BIP)
6,3
11,8
13,6
16,4
16,0
14,9
585,4
70,3
43,0
35,3
32,2
27,8
-0,4
-3,8
-6,0
2,8
-2,7
-2,7
Öffentliche Schulden (vH des BIP)
94,9
81,4
85,2
86,0
69,5
60,2
Wechselkurs (neue) Zloty/100 US-$3)
95,0
105,8
136,3
181,5
227,3
242,4
Auslandsschulden (Mrd. US-$)
48,5
48,4
47,0
46,8
47,2
43,9
0
Vorläufig.- 2) Monatsdurchschnitt.-3) Jahresdurchschnitt. Quellen: CUP (1996), S. 14/15; Biuletyn Statystyczny (1995), Nr. 12, S. 23.
10 Schumacher u. a.
Helga Herberg
146
Tabelle A 2 Hauptkennziffern der Prognose für 1994 bis 1997 "Strategie für Polen" Veränderung zum Vorjahr in vH I9941) 1997 19951} 1996
1993 = 100 1997
Bruttoinlandsprodukt
4,5
5,0
5,2
5,5
121,8
Durchschnittslohn
1,5
2,8
3,0
3,1
110,8
Durchschnittliche Altersrente
6,5
1,4
3,1
1,0
112,5
Verbrauch
3,1
3,3
3,6
3,6
114,3
3,5
3,5
4,0
4,0
115,9
6,0
7,0
8,0
8,0
132,4
Export
6,0
7,0
8,0
9,0
133,5
Import
2,5
4,0
5,2
6,0
118,0
23,6
16,1
12,0
8,7
74,7
Staatseinnahmen
5,3
4,3
4,8
5,5
121,4
Staatsausgaben
8,0
8,4
1,8
2,1
121,7
dar. Privatverbrauch Investitionen
Jahresinflation
Haushaltsdefizit (in vH des BIP)
3,7
3,3
2,8
2,5
-
Staatsschulden (in vH des BIP)
77,7
76,9
74,1
72,4
-
Arbeitslosenquote (in vH)
17,2°
16,7
15,6
14,0
-
0
Prognose. Quelle: Bozyk, P. (1995), S. 227.
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
147
Tabelle A 3 Wachstum und Struktur der Industrieproduktion Polens, 1990 bis 1994° 1994 Branchen (NACE)
konstante Preise Insgesamt Bergbau
1994
1990 vH
1990 = 100
jeweilige Preise
112,8
100,0
100,0
92,5
7,9
8,7
91,8
7,9
10,5
118,3
84,2
80,8
Ernährungsgewerbe
125,3
17,5
19,8
Energie- und Wasserwirtschaft Verarbeitendes Gewerbe darunter: Tabakverarbeitung
114,3
Textilgewerbe
112,5
1,1 3,7
2,8
Bekleidungsgewerbe
131,9
2,8
2,8
96,8
1,6
Holzgewerbe
128,9
2,1
1,1 2,5
Papiergewerbe
143,1
1,4
1,4
Verlags- und Druckereigewerbe
161,2
1,4
2,4
Kohle- und Mineralölverarbeitung
115,6
5,2
5,9
Chemische Industrie
109,9
6,5
6,0
Gummi- und Kunststoffverarbeitung
186,2
2,0
2,8
Verarbeitung von Steinen und Erden
120,0
3,7
3,8
Metallerzeugung
88,4
10,3
6,1
Metallbearbeitung
3,6
Ledergewerbe und Herst, v. Schuhen
l)
149,8
3,4
Maschinenbau
87,8
7,8
5,1
Büromaschinen, EDVA
81,2
0,3
0,1
Elektrotechnik
115,9
2,7
2,2
Nachrichtentechnik, Elektronik
141,5
1,6
1,3
Gerätebau
121,2
0,8
0,8
Kraftfahrzeugbau
124,0
3,0
3,2
Sonstiger Fahrzeugbau
110,3
2,7
2,5
Holz und Möbel, sonstige Zweige
135,5
2,2
2,7
Abfallwirtschaft
104,6
0,4
0,3
Ein Vergleich mit 1989 ist wegen veränderter statistischer Erfassung nicht möglich. Quelle: Rocznik Statystyczny (1995), S. 381, 382.
10*
1,6
Helga Herberg
148
Tabelle A 4 Der Außenhandel Polens im Überblick 0 1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
70 502
Werte in Mill. Zloty (lfd. Preise) Import
1 542
92 912
16 674
21 995
34 018
49 072
Export
1 948
13 606
15 772
17 969 25 757
39 246
55 515
Saldo
+406
+4 314
-903
-4 026
-8 262
-9 826
-14 987
Werte in Mill. US-$" (lfd . Preise) Import (cif)
10 661
9 781
15 757
15 913
18 834
21 569
29 050
Export
13 469
14 322
14 903
13 187
14 143
17 240
22 895
Saldo
+2 808
+4 541
-853
-2 726
-4 691
-4 329
-6 155
Import
101,5
82,1
137,8
113,9
120,0
113,4
120,5
Export
100,2
113,7
97,6
97,4
97,6
118,4
116,7
Terms of Trade, Vorjahr = 100
116,6
83,7
91,2
109,5
107,8
101,3
101,7
Reale Entwickl., Vorjahr = 100
])
Die Umrechnungssätze des Statistischen Zentralamtes (GUS) sind nicht mit dem Kurs der Zentralbank (NBP) identisch. Quellen: Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznego (1994), S. 4-6; (1995), S. 4, 7, 8; Handel Zagraniczny Styczen-Grudzien (1995), S. 2.
149
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
Tabelle A 5 Polens Export nach Warenbereichen (Werte in Mill. US-S, laufende Preise) 1992
SITC, Rev. 3 Export insgesamt 0 1
Nahrungsmittel Getränke und Tabak
1993
1994
1995
13 186,6
14 143,1
17 240,1
22 894,9
1 685,7
1 409,8
1 735,5
2 100,2
74,5
136,5
239,9
163,8
2
Rohstoffe (ohne 0 und 3)
1 128,2
787,6
809,9
1 028,8
3
Mineralische Brennstoffe
1 412,8
1 373,8
1 565,6
1 869,7
4
Tierische u. pflanzliche Öle
5
Chemische Erzeugnisse
19,8
18,4
19,9
34,6
1 134,1
963,5
1 163,1
1 744,1
6
Bearbeitete Waren
3 585,3
3 745,5
4 741,9
6 313,9
7
Maschinen u. Fahrzeuge
2 523,4
2 966,0
3 411,4
4 828,6
8
Verschiedene Fertigwaren
1 546,9
2 738,6
3 541,8
4 772,4
9
Sonstige Güter u. Transaktionen
3,5
11,1
9,0
Quellen:
Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznego (1993), S. 45-48; (1995), S. 10/11 ; Handel Zagraniczny Styczen-Grudzien (1995), S. 52-55, 68-70.
Tabelle A 6 Polens Import nach Warenbereichen (Werte in Mill. US-$, laufende Preise) SITC, Rev. 3 Import insgesamt 0
Nahrungsmittel
1
Getränke und Tabak
1992
1993
15 912,9
18 834,4
21 569,1
29 049,7
1 531,2
1 837,9
1 876,4
2 339,2
162,1
145,5
185,3
216,6
1994
1995
2
Rohstoffe (ohne 0 und 3)
860,7
865,9
1 111,0
1 562,0
3
Mineralische Brennstoffe
2 673,8
2 346,0
2 252,8
2 651,3
4
Tierische u. pflanzliche Öle
105,8
18 834,4
159,2
189,2
5
Chemische Erzeugnisse
2 145,3
1 837,9
3 168,2
4 339,7
6
Bearbeitete Waren
1 881,9
3 482,4
4 354,2
6 266,3
7
Maschinen u. Fahrzeuge
4 742,5
5 568,4
6 226,4
8 687,6
8
Verschiedene Fertigwaren
1 642,3
1 911,5
2 132,5
2 701,0
9
Sonstige Güter u. Transaktionen
52,1
103,1
96,8
Quellen:
Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznego (1993), S. 45-48; (1995), S. 10/11 ; Handel Zagraniczny Styczen-Grudzien (1995), S. 52-55, 68-70.
Helga Herberg
150
Tabelle A 7 Zahlungsbilanz Polens in konvertiblen Währungen (in Mill. US-$) 1990
1991
1992
A) Leistungsbilanz Handelsbilanz0 (Saldo) Exporte Importe Dienstleistungsbilanz (Saldo) Einnahmen Ausgaben Vermögenseinkommen (Saldo) Kreditkosten Zinseinnahmen Zinsverpflichtungen gezahlt nicht gezahlt umgeschuldet getilgt konvertiert fällig Saldo Transfersaldo
716 2 214 10 863 8 649 -150 1 327 1 477
-1 359 51 12 760 12 709 236 1 577 1 341 0
-269 512 13 997 13 485 344 1 612 1 268 85 527 4 666 1 095 3 571
8 985 -3 329 1 981
541 3 404 888 2 516 579 864 7 1 066 -2 863 1 217
B) Mittel- und langfristiger Kapitalverkehr Kreditaufnahme (Saldo) Kreditaufnahme Tilgungsverpflichtungen gezahlt nicht gezahlt umgeschuldet konvertiert fällig Kreditvergabe (Saldo) Kreditvergabe Tilgungseinnahmen Direktinvestitionen Kapitalverkehr mit Londoner Klub
-4 153
-4472
-4 205 428 4 633 310 4 323 4 085 40 198 42 22 64 10
C) Kurzfristiger Kapitalverkehr D) Verschiedene Finanzoperationen, Bilanzfehler E) Exceptional financing F) Neubewertungen G) IWF-Kredite A bis G H) Devisenbilanz 0
-
1994
1995
329 293 585 878 369 1 846 1 477 100
-944 -836 16 950 17 786 57 2 100 2 043 147
-2 299 -1 827 22 878 24 705 150 3 190 3 040 119
400 3 924 870 3 054
472 1 219
1993 -2 -2 13 15
2 401 6 1 164 -4 139 2 929
2 090 5 959 -3 524 3 019
272 2 500 1 110 1 390 2 734 7 647 -2 228 1 916
-984
120
-1 136
-4 632 786 5 418 347 5 071 1 512 38 3 521 43 49 92 117 0
-1 289 562 1 851 443 1 408
-471 922 1 393 923 470 42 428 11 6 17 580 0
281 894 613 373 240 4 38 198 -11 29 9 542 -1 948
-2 740
-1 155
-570
593
2 338
360
-713
50
589
-228
7 755
6 569
2 500
1 376
690
-
-58
-254
-217
418
581 3 910 430 3 480 2 487 -
-
-
-
39 1 369 21 10 31 284 0
-
-
322
0
-138
610
1 938
-866
473
-6
1 748
-1 938
866
-473
6
-1 748
-
-747 6
Angaben der Nationalbank Polens (NBP). Quellen: Rocznik Statystyczny Handlu Zagranicznego (1992); Maly Rocznik Statystyczny (1995); Biuletyn Statystyczny (1996), Heft 4, S. 139.
Polen: Erfolge der Schocktherapie und ungelöste Strukturprobleme
Tabelle A 8 Zuordnung von Bezeichnungen der Außenhandelsstatistik zu den einzelnen Güterarten Güterart Rohstoffintensive Güter
0 2-26
Arbeitsintensive Güter
Mineralische Brennstoffe ohne elektrischen Strom Tierische und pflanzliche Öle, Fette und Wachse
56
Chemische Düngemittel
26
1 35
Schwer imitierbare forschungsintensive Güter
Rohstoffe ohne Nahrungsmittel, mineralische Brennstoffe und Spinnstoffe
4
8-(87,88)
Leichtimitierbare forschungsintensive Güter
Nahrungsmittel und lebende Tiere
3-35
6-(62,67,68)
Kapitalintensive Güter
Kurzbezeichnung
Bezeichnung nach SITC
Spinnstoffe Bearbeitete Waren, ausgenommen Kautschukwaren, Eisen und Stahl und NE-Metalle Sonstige bearbeitete Waren, ausgenommen: Meß-, Prüf- und Kontrollinstrumente, Geräte etc., photographische Apparate, Ausrüstung, Zubehör, optische Waren, Uhrmacherwaren Getränke und Tabak Elektrischer Strom
53
Farbstoffe, Gerbstoffe und Farben
55
Ätherische Öle, Körperpflegemittel, Waschmittel
62
Kautschukwaren
67
Eisen und Stahl
68
NE-Metalle
78
Straßenfahrzeuge
51
Organische Chemikalien
52
Anorganische Chemikalien
54
Medizinische und pharmazeutische Erzeugnisse
58
Kunststoffe, Zelluloseäther und -ester
59
Andere chemische Erzeugnisse
75
Büro- und Datenverarbeitungsmaschinen
76
Geräte für Nachrichtentechnik, Bild- und Tonaufnahme- und -wiedergabegeräte
57 7-(75,76,78)
Pulver und Sprengstoffe, pyrotechnische Artikel Maschinenbauerzeugnisse, elektrotechnische Erzeugnisse und Fahrzeuge, mit Ausnahme von Büro- und Datenverarbeitungsmaschinen, Geräte für Nachrichtentechnik und Straßenfahrzeuge
87
Meß-, Prüf- und Kontrollinstrumente
88
Photographische Apparate, Ausrüstung, Zubehör, optische Waren
151
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen Von Gerhard Kraft und Agnes Pähl 1. Problemstellung Auch in der hier vorgelegten Untersuchung der Veränderungen in Ungarn geht es nicht in erster Linie um abstrakt-theoretische und qualitative Erörterungen, sondern um eine quantitativ-empirische Analyse der Ausgangsposition und des Verlaufs der Transformation. Im zweiten Kapitel betrifft das die allgemeinen Reformschritte: den für den Kapitaltransfer relevanten ordnungspolitischen Rahmen, die Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse und die Unternehmenspolitik, die Ergebnisse der Währungspolitik sowie die Finanz- und Geldpolitik. Mit der Analyse soll zum Verständnis eines spezifischen Vorgangs beigetragen werden, der darin besteht, daß wir es bei der Transformations-Rezession (besser: Kontraktion) nicht mit einem konjunkturellen Einbruch, sondern mit einem grundsätzlichen strukturellen Bruch zu tun haben. Die Untersuchung der inneren wirtschaftlichen Entwicklung im dritten und vierten Kapitel bezieht sich auf makroökonomische Kennziffern, die Umbrüche in den Produktions- und Leistungsstrukturen und die Ausstattung mit Produktionsfaktoren. Sie soll Informationen aufbereiten, auf die zur Quantifizierung zukünftiger wirtschaftlicher Entwicklungsmuster zurückgegriffen werden kann. Hauptgegenstand der Analyse im fünften Kapitel sind die außenwirtschaftlichen Aspekte der Transformation: die marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Regional- und Warenstruktur der Ausfuhren wie der Einfuhren sowie die internationalen strukturellen Verflechtungen. Die Analyse soll eine Hilfe sein, um in weiterführenden Arbeiten Szenarien einer möglichen, effizienten Strukturentwicklung der ungarischen Wirtschaft und ihres Außenhandels zu begründen. Die Autoren standen beim Zusammenstellen des umfangreichen empirischen Materials vor großen Schwierigkeiten. Parallel zu den wirtschaftlichen Veränderungen vollzog sich - in Schrittfolgen - die Modernisierung des statistischen Systems. Ungarn begann 1990 mit der ersten Etappe der Umstellung, der Finanz- und Bankstatistik, sowie der statistischen Registrierung des Wertpapiermarktes und des ausländischen Vermögens. Die gesamte ungarische Wirtschaftsstatistik soll bis Ende des Jahrzehnts nach den Anforderungen einer Marktwirtschaft umgestaltet sein. Aus diesen umfangreichen Arbeiten resultieren verspätete Erfassungen, Abbrüche in langen Zeitreihen, inhaltliche Unzulänglichkeiten und Zuordnungsprobleme. Diese Schwierigkeiten prägen zu einem gewissen Grade das statistische Material, wobei versucht wurde, weitestgehend die letzten Veröffentlichungen des Landesamtes für Statistik auszuwerten.
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
153
2. Institutionelle Rahmenbedingungen in Ungarn 2.1. Die Rolle des Staates Die tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandlungen, die den Aufbau einer demokratischen und marktwirtschaftlichen Gesellschaft nach westlichem Muster zum Ziel haben, offenbaren neben vielen gemeinsamen Elementen spezifische nationale Züge der Transformation. Ungarns wirtschaftlicher Wandel fand - anders als z.B. in der DDR oder der CSFR - nicht "aus dem Stand heraus" (Cichy 1993, S. 131) statt. Ungarns planwirtschaftliche Entwicklung unterschied sich insbesondere seit 1968 von der in anderen sozialistischen Staaten. Als einzig realer Weg zur Demokratisierung und Öffnung der Volkswirtschaft nach Westen galten stufenweise aufeinanderfolgende Reformen, galt das "ungarische Experiment", der "eigene Weg" (Fekete 1983, S. 140). Praktische Maßnahmen dazu traten am 1. Januar 1968 in Kraft. Seit dieser Zeit hat sich Ungarn bemüht, Prinzipien bzw. Elemente einer marktorientierten Wirtschaft in den binnen- und außenwirtschaftlichen Beziehungen anzuwenden. Das politische Klima in Ungarn ist wesentlich durch die eigene Variante des Machtwechsels geprägt. Die Wende in Ungarn charakterisiert einen gestreckten, fließenden Übergang vom Staatspartei-System zur parlamentarischen Mehrparteien-Demokratie. Es war ein Übergang ohne eine größere organisierte Oppositionsbewegung und ohne größere Unruhen, Streiks und Demonstrationen. In diesem Kontext wird auch der Begriff "ausgehandelte Revolution" gebraucht. Nur die langjährige Reformtradition sowie das Zusammenspiel verschiedener Fraktionen der Intelligenz bei weitreichender Apathie der Bevölkerung habe dieses Phänomen hervorgebracht 1. In den Jahren 1988/89 bildete sich in Ungarn ein Mehrparteiensystem aus. Während die ungarische Staatspartei (USAP) ihre Allmacht verlor, profilierte sich ihr Reformflügel unter Miklós Németh in der Regierungsverantwortung. Die Regierung Némeths begann im November 1988 ihre Arbeit mit konkreten politischen und wirtschaftlichen Veränderungen, die man im nachhinein einer ersten Phase der Transformation zuordnen kann. Die ersten demokratischen Wahlen nach 43 Jahren fanden im Frühjahr 1990 statt. Als mit Abstand stärkste Partei ging das Ungarische Demokratische Forum (MDF) aus den Wahlen hervor, eine Partei, zu deren Gründern Reformkommunisten gehörten, nach deren Verdrängung das M D F jedoch an die Traditionen des populistischen nationalen Liberalkonservatismus anknüpfte. Das Wahlergebnis von 1990 war vorrangig ein Bekenntnis der Wähler für nationale Souveränität, für einen demokratischen Umbruch und für die Marktwirtschaft. Ungeachtet der positiven Resultate bis 1994 weist ein Vergleich der Ergebnisse der Parlamentswahlen von 1990 und 1994 auf den außergewöhnlichen Einbruch der ersten ungarischen nichtkommunistischen Regierung hin.
1 Bis in die zweite Hälfte der 80er Jahre hinein kamen die entscheidenden Anstöße zu Veränderungen aus der kommunistischen Partei selbst (Englert 1993, S.ll).
154
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
Tabelle 1 Ergebnisse der jeweiligen Wahlsieger in den Parlamentswahlen von Mai 1990 und 1994
Parteien
Stimmenanteil (vH) 1990
Ungarisches Demokratisches Forum (MDF) Ungarische Sozialistische Partei (MSzP)
Mandatsverteilung im Parlament
1994
1990
1994
42,75
9,58
165
37
8,55
54,15
33
209
Quellen: 1990: Englert (1993), S. 18/19; 1994: Presseinformationen.
Es hat sich inzwischen gezeigt, daß nach der politischen Wende nicht einfach die alte bürgerliche Gesellschaft wieder zutage tritt. Die "Wiedervereinigung" der ungarischen Geschichte im Zeichen des konservativ-christlich-nationalen Kulturkreises, bei der die Neubelebung der Horthy-Periode (1919-1944) als die einzige nationale Identität Ungarns bezeichnet wird, erwies sich als politisch nicht tragfähig. Die "Kraft der Geduld" der Ungarn (Premier Boross vor den Wahlen 1994) spricht für ein relativ ruhiges politisches Klima, jedoch nicht gleichermaßen für eine konservative Politik. Die MSzP mag bei der Parlamentswahl im Mai 1994 davon profitiert haben, daß sich die persönlichen Lebensumstände des größeren Teils der Ungarn nicht verbessert haben. Sie verfolgte jedoch zu keinem Zeitpunkt das Ziel, demokratische und marktwirtschaftliche Reformen rückgängig zu machen. Die Leute akzeptieren die Gesetze des Marktes, wollen sich aber nicht mit den gesellschaftlichen Ergebnissen zufrieden geben. Der Stimmungswandel ist sicher nicht in erster Linie der sozialen Misere geschuldet, sondern eher der enormen Polarisierung der sozialen Lage der Bevölkerung. Eine unveränderte Fortführung der Reformen befürworten derzeit nur noch rund 8 vH der Bevölkerung 2 . Die Stabilisierungspolitik der ungarischen Regierung zählt zu den Hauptaufgaben der Transformation. Im Interesse von Stabilisierungs-, Gleichgewichts- und Wachstumszielen entschloß sich die ungarische Regierung für eine gradualistische Transformation 3. Diese setzt auf eine schrittweise Änderung der Eigentumsordnung (Privatisierung) und der staatlichen Institutionen, die Liberalisierung der Preise und Märkte sowie die außenwirtschaftliche Öffnung. Sie schließt die zeitweilige Erhaltung tragfahiger Strukturen des alten Systems ein. So gehört z.B. ein loyales Verhalten von Regierung, politischen Parteien und
2 Mit der Einstellung der Bevölkerung zu Reformpolitik und Marktwirtschaft beschäftigt sich eine Untersuchung der Forschungsstelle für empirische Sozialökonomik e.V., Köln (vgl. Handelsblatt, 12.2.1996). 3 "Zur friedlichen Revolution bedarf es der Einsicht, gemeinsamer Bestrebungen von Macht und Opposition, der Vermeidung von Extremen" (Antall 1990, S. 7).
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
155
Banken gegenüber den staatlichen Großbetrieben zu den Erscheinungsformen des Übergangs. Die Handhabung der Instrumente der Stabilisierungspolitik: Geld- und Kreditpolitik, Steuern, Staatsausgaben, Gesetze und Bestimmungen zur Investitionslenkung, zur Einkommens- und Vermögensverteilung u.a., ist nicht frei von Diskontinuitäten und Widersprüchen. Die Bausteine der Stabilisierungspolitik sind verknüpft mit bestimmten Erwartungshypothesen. In diesem Zusammenhang spielte die Glaubwürdigkeit der Regierungsparteien und ihrer Programme eine beachtliche Rolle. Instabil wirkte sich in den ersten Jahren die Unerfahrenheit und mangelnde Konsensfähigkeit der politischen Akteure aus. Hierin liegt auch die unzureichende konzeptionelle Arbeit begründet. Ein erstes Wirtschaftsprogramm (Kupa-Programm) konnte die Regierung erst im Mai 1991 vorlegen. Es sah, vereinfacht in Jahresscheiben dargestellt, wie folgt aus: 1991 - Umstrukturierung und Privatisierung, 1992 - Inflationsbekämpfung und Konvertibilität, 1993 - Stabilität und Aufschwung, 1994 - Wachstum und Anpassung. Der für 1993 vorhergesagte Wirtschaftsaufschwung trat nicht ein. Es zeigte sich auch, daß die o.g. Zielhierarchie so nicht vollzogen werden kann. Dafür sind die multikausalen Zusammenhänge zu dominant. Dennoch hat eine Verknüpfung staatlicher und marktwirtschaftlicher Koordinierung eine gewisse Ordnung und Berechenbarkeit der wirtschaftlichen Vorgänge gebracht: Zu den Prioritäten der ersten Jahre nach der Wende gehörten der Export, die Bekämpfung der Inflation und die Reduzierung der Außenverschuldung. Mit dem Verweis auf die hohen Defizite der Leistungsbilanz und des Budgets hielt die neue sozialistisch-liberale Koalitionsregierung 1995 ein (eingeschobenes) sofortiges, drakonisches und unbeliebtes Stabilisierungsprogramm für unumgänglich. Zu seinen Eckpunkten gehören: Drastische Einsparungen bei den Staatsausgaben, kräftige nominale Abwertung der Landeswährung, Abbremsen der Importflut, Abbau von Sozialleistungen. Die Prozeß- und die Sozialpolitik mußten darauf gerichtet sein, die durch die Transformation hervorgerufenen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen zu begrenzen. Der ungarische Staat hat in den folgenden Jahren sein soziales Verantwortungs- und Garantiesystem nicht aufgegeben, jedoch durch die Bildung neuer Institutionen eingeschränkt. Er übertrug das Sozialwesen sowie die Mehrheit der institutionellen Dienstleistungen Selbstverwaltungen4. Seit August 1990 arbeitet ein Interessenkoordinierungsrat (IR), der aus Vertretern der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der Regierung besteht. Zu seinem Aufgabengebiet gehören Konsultationen, Stellungnahmen und Vereinbarungen zu strategischen Fragen der Wirtschaftspolitik, des Arbeitswesens, der Löhne, der Beschäftigung und des Arbeitsrechts. Seitens der Regierung betreibt das Ministerium für Volkswohlfahrt außerdem das Büro für soziale Krisenmanagementprogramme. Der im März 1995 eingeleitete Spar- und
4 Das Selbstverwaltungsgesetz wurde vom Parlament am 8. August 1990 angenommen. Am 30. September begann die erste Runde der Selbstverwaltungswahlen.
156
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
Stabilitätskurs 5 führte zu einer weiteren Zuspitzung der sozialen Lage der Bevölkerung. Spürbare Einkommenseinbußen bringen viele Menschen an die Grenze der Belastbarkeit. Die staatliche Wirtschaftsund Strukturpolitik verfolgt das Ziel der Einführung und Herausbildung einer sozialen Marktwirtschaft, die jedem Aufstiegschancen bietet. Es erwies sich dazu als notwendig, die wichtigsten strategischen Ziele sowie den Weg und die Mittel zu ihrer Realisierung zu bestimmen. Das erste vierjährige Stabilisierungsprogramm wurde als "I. Kupa-Programm" bekannt6. Eine modifizierte Variante, das sog. "II. Kupa-Programm" wurde im September 1992 vorgelegt. Den Programmen liegen grundsätzliche Prinzipien der Wirtschaftspolitik zugrunde. Dazu gehören folgende: Die Vorherrschaft
des Wirtschaftens
auf Basis des Privateigentums
Für eine zügige Privatisierung wurde der rechtliche Rahmen geschaffen und gefestigt. Privatisierungsangebote (Formen und Verfahren) sowie die finanziellen Voraussetzungen für die Privatisierungsnachfrage wurden erweitert. Die Liberalisierung der Wirtschaft, die Einschränkung administrativer Institutionen bei gleichzeitigem Schutz der ungarischen Wirtschaft und der Arbeitsplätze mit marktkonformen Mitteln Zur Förderung der Liberalisierung der Wirtschaft schuf die ungarische Regierung ein rechtlich-institutionelles und wirtschaftliches Umfeld, das den unternehmerischen Intentionen freien Spielraum gewährt, gleichzeitig jedoch Entscheidungen erzwingt, die auf wirtschaftlicher Rentabilität fußen. Die Steigerung der Produktion bei Vorrang des Exports, so daß die Veränderung Inlandgesamtnachfrage mit jener des Exports in Einklang steht
der
Die Exportorientierung ergibt sich in erster Linie aus dem hohen Rang des Exportüberschusses oder Nettoexports für die Stabilisierung der internationalen Zahlungsfähigkeit Ungarns. Von dieser wirtschaftspolitischen Priorität sind andere Ziele abgeleitet: die Orientierung der Löhne generell an der Produktivität, die Regulierung der Nachfrage durch die Preisfreigabe und die Anpassung des Angebots an eine neue Produktzusammensetzung der Nachfrage, die Bindung eines Teils der Ersparnisse der privaten Haushalte an die Investitionen bzw. ihre Integration in den Kapitalmarkt.
5
Inzwischen sind etliche soziale Sparmaßnahmen, mit denen die Haushaltslücken verkleinert werden sollten, für verfassungswidrig erklärt worden (Urteile des Verfassungsgerichtes vom Juni, September und November 1995). 6
Am 1. Februar 1991 wurde das Wirtschaftskabinett der Antall-Regierung gebildet. Seine Aufgabe bestand darin, die grundlegenden Prinzipien der wirtschaftspolitischen Strategie zu erarbeiten und deren Entscheidungen vorzubereiten. Vorsitzender wurde Finanzminister Mihâly Kupa.
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
157
Die strukturelle Umwandlung der Makroökonomie im Prozeß des wirtschaftlichen Wettbewerbs mit der Konsequenz der Absage an den früheren Grundsatz der Vollbeschäftigung Der Staat w i l l den gewünschten Strukturwandel der Industrie nicht grundsätzlich mit Programmen oder staatlichen Großinvestitionen beeinflussen. Selbst in Industrieobjekten, die noch längere Zeit in staatlichem Eigentum bleiben, sollen die neuen Strukturen auf der Grundlage von Marktimpulsen bzw. von Entscheidungen des Betriebsmanagements herausgebildet werden. Diese horizontalen Ansätze der Wachstumsförderung (günstiges makroökonomisches Umfeld sowie staatliche Infrastruktur- und Bildungsinvestitionen) gegenüber Branchenförderungsprogrammen werden auch in Fortführung der Kupa-Programme beibehalten, jedoch ohne wesentlichen Erfolg. Anfang Januar 1993 bestätigte die ungarische Regierung eine Konzeption zur mittelfristigen Industriepolitik unter dem Titel "Zukunftsbild der ungarischen Industrie". Zu den jüngsten strukturpolitischen Überlegungen gehört ein Strategieplan für die Periode 1995/96 bis 1998 (Habuda 1995, S. 24).
2.2. Die Veränderung der Eigentumsverhältnisse Nach den dramatischen politischen Ereignissen in den Ländern der mittel- und osteuropäischen Region wurde die Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse zum zentralen Element eines tiefen und dauerhaften Systemwechsels. Gesetzgebung, Institutionen und Regelungen zur Erhöhung der Selbständigkeit der Betriebe sowie für die Beteiligung ausländischer Firmen an ungarischen Unternehmen wurden mehrfach ergänzt und erweitert. Sie erfolgten in der Absicht: die Geld- und Preispolitik an marktwirtschaftlichen Erfordernissen auszurichten (zweistufiges Bankensystem 1987, Preisliberalisierung 1989/90); die Gleichstellung von staatlichen und privaten Unternehmen zu sichern (marktwirtschaftliches Steuersystem mit Einkommen- und Mehrwertsteuer 1988); die staatlichen Unternehmen in Kapitalgesellschaften umzuwandeln und deren anschließende Privatisierung zu ermöglichen (Körperschaftsgesetz 1989); den Prozeß der Privatisierung institutionell zu führen und zu beschleunigen (Gesetz über die Staatliche Vermögensagentur 1990). Zu den ersten Institutionen gehörten: Die Staatliche Vermögensagentur (Allami Vagyonûgynôkség/AVÛ). Sie unterstand der ungarischen Regierung und hatte die Aufgabe, staatliche Unternehmen in Gesellschaften (AG, GmbH) umzuwandeln und diese durch Reorganisation und wirtschaftliche Verbesserung zum Verkauf vorzubereiten.
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
158
Die Staatliche Vermögensverwaltungs-AG (Allami Vagyonkezelö Rt./ARVt). Sie wurde zur Vermögensverwaltung der sich langfristig oder dauerhaft in staatlichem Eigentum befindlichen Unternehmen gegründet. Im Juni 1995 erfolgte eine Neuordnung der Privatisierungsinstitutionen durch die Zusammenlegung der ARVt und der AVÜ. Es entstand die Staatliche Privatisierungs- und Vermögensverwaltungs - AG (Allami Privatizacios es Vagyonkezelö Rt/APV Rt), die am 16.6.1995 offiziell ihre Arbeit aufnahm. Begründet wurde die Veränderung damit, daß der weitere Prozeß nicht unter einseitigen - nur Budgetaspekten - durchgeführt wird; er soll sich mehr an den Bedürfnissen der Gesamtwirtschaft orientieren. Zum gleichen Zeitpunkt trat auch das im Mai vom Parlament verabschiedete neue Privatisierungsgesetz in Kraft (vgl. Gesetz Nr. X X X I X tv., 1995, Amtsblatt "Magyar Közlöny" Nr. 38 vom 17.5.1995). Im Verlaufe der Änderung der Eigentumsverhältnisse wurden Konzepte und Formen der Privatisierung häufig geändert. Eine kurze Übersicht verweist auf die wesentlichen, zeitbezogenen Schwerpunkte. Die spontane Privatisierung 1989/90 hat sich in den letzten Monaten des alten Systems von unten (auf Initiative der Betriebsleiter) schnell entfaltet. Einem Bericht des Landesamtes für Statistik vom September 1990 zufolge wurden 1989 auf dezentralisierte Weise 4 358 neue Unternehmen gegründet, vor allem im Bereich der Klein- und Mittelbetriebe. Die Vertreter der Regierungsparteien haben diese spontanen Prozesse - im Interesse der gesellschaftlichen Gerechtigkeit - stark abgebremst. Ein Gesetz zum Schutz des staatlichen Vermögens (vom März 1990) sowie andere Bestimmungen führten zu diesem Ergebnis. Die kleine Privatisierung, die vorrangig staatliche Unternehmen des Einzelhandels, des Gaststätten-, Dienstleistungs- und sonstigen Kleingewerbes betraf, führte wegen ihrer relativ einfachen Handhabung zu einer merklichen Marktbelebung. Kontroversen und Skandale gehörten zum Alltagsbild der Vorprivatisierung, der ungarischen Version der kleinen Privatisierung. Die große (aktive) Privatisierung erfolgte in Zusammenarbeit mit der A V Ü in mehreren Privatisierungspaketen, das erste im September 1990, ein weiteres im April 1991. Dazu kamen verschiedene Sektorprogramme. Mit der aktiven Privatisierung sind Techniken eingeführt worden, die inländische Käufer begünstigen und der Gefahr des "Ausverkaufs" des Volksvermögens an das Ausland begegnen sollen. Dazu gehören die Existenz-Fonds7, ein Kuponsystem8, Privatisierungsobligationen 9 und die Entschädigung von Alteigentümern 10 .
7 Alle volljährigen Ungarn können einen zinsgünstigen Privatisierungskredit in Höhe von 1 Mill. Ft (I. Quartal 1992 = 20 800 D M ) erhalten, um Anteilsrechte an ungarischen Betrieben zu erwerben. 8
Mit dem Fortschreiten der Privatisierungsdiskussion wurde das Kuponsystem zurückgedrängt. Man ängstigte sich vor plötzlichen Kursbewegungen auf dem Aktienmarkt, vor der Zersplitterung des Eigentums, vor den Schwierigkeiten der technischen Realisierung und vor allem davor, daß der vorhandene staatliche Schuldenberg durch die Übertragung von Unternehmensanteilen ohne Deckung bleibt.
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
159
Angesichts der inländischen Kapitalknappheit verschob sich 1992 das Schwergewicht wieder von der staatlich initiierten aktiven Privatisierung zur Form der dezentralisierten Selbstprivatisierung. Die Initiative geht von Unternehmen und (meist ausländischen) Investoren selbst aus. Der Ablauf erfolgt durch in- und ausländische Beraterfirmen nach bestimmten Vorgaben der öffentlichen Ausschreibung. Beachtliche Zeitverluste und Unsicherheiten sind durch verspätete Gesetzgebung eingetreten. Gewählte und häufig wechselnde Strategien der Agentur brachten nicht den gewünschten Erfolg. Der Verkauf des Staatsvermögens in Form von Geschäftsanteilen und Aktien staatlicher Unternehmen (1993 im Wert von 779 M i l l . US-$) war hinsichtlich der Einbeziehung der ausländischen Kapitalinvestitionen in die Privatisierung ein Rekordjahr (Fakten und Daten über die ungarische Privatisierung 1993). Er soll jedoch - auch künftig - in erster Linie die Ungarn selbst begünstigen. Auf die beteiligten Kunden verweist die folgende Tabelle.
Tabelle 2 Verkauf von Staatsvermögen 1993 (in Mill. US-$) Kunden Ausländer Ungarn:
Sonstige
M i l l . US-$
Anteil (vH)
250
32,1
Kauf
150
19,3
Gegen Entschädigungsscheine
138
17,7
Auf Kreditbasis
210
26,9
31
4,0
Quelle: Lakatos, Ungarn: Privatisierung 1993, in: Handelsblatt vom 2.3.1994.
1994/95 haben sich die Anteile zugunsten ausländischer Investoren verschoben. Frische Impulse erhielt die Privatisierung durch das neue Privatisierungsgesetz vom Mai 1995. Die folgende Tabelle zeigt die unbefriedigenden 94er Ergebnisse, die mageren Resultate des I. Quartals 95 sowie die alle Erwartungen übertreffenden Verkaufserlöse für das gesamte Jahr 1995.
9 Privatisierungsobligationen sollen den Staatsbürgern unter Berücksichtigung der Inflation Realersparnisse ermöglichen. Es sind Wertpapiere, die nur für den Kauf von in die Privatisierung einbezogenen Vermögensobjekten verwendet werden können und innerhalb von fünf Jahren nach ihrem Kauf verwendet werden müssen. 10
Die Entschädigung erfolgt in Form von "Kompensationsgutscheinen" (übertragbare Wertpapiere, die drei Jahre lang mit 75 vH des Leitzinses der Notenbank verzinst werden). Mit den Entschädigungsscheinen können Anteile an privatisierten Wirtschaftsunternehmen erworben werden.
160
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
Tabelle 3 Privatisierungserlöse in Ungarn 1994 und 1995 in Mrd. Ft 1994 I.Q. 1995 1995
122,0 8,6 452,6
davon Barerlöse 28,0 3,5 428,0
Quellen: NZZ vom 31.5.1995, S. 10; Nachrichten für Außenhandel (NfA) Nr. 8/1996, S. 2.
Das neue Gesetz vereinfacht die Privatisierung und macht sie transparenter. Drei Unternehmenskategorien sind geschaffen worden. Bei der ersteh Gruppe, den sogenannten "strategisch wichtigen Unternehmen", bleibt ein jeweils zu bestimmender Kapitalteil dem Staat vorbehalten. Die Gruppe umfaßt etwa 70 vH des noch im staatlichen Besitz befindlichen Industrievermögens 11. Zur zweiten Kategorie gehören alle kleinen und mittleren Unternehmen (unter 600 M i l l . Ft Eigenkapital und weniger als 500 Beschäftigte), die durch ein vereinfachtes Privatisierungsverfahren veräußert werden. Dabei ist u.a. die Einschaltung der Manager geplant. Die Gruppe umfaßt 15 bis 20 vH des noch im staatlichen Besitz befindlichen Vermögens. Alle übrigen Unternehmen (10 bis 15 vH) fallen unter die dritte Kategorie und werden grundsätzlich über öffentliche Ausschreibungen veräußert. Dabei sollen zuerst bis zu 25 vH des Kapitals plus eine Stimme den bestehenden (Aktien)-Kapitaleigentümern zum Erwerb angeboten werden (vgl. vwd-Osteuropa vom 12.5.95, S. 5).
2.3. Die Entwicklung des Geld- und Finanzsystems Die neue restriktive Geldpolitik verfolgt in Ungarn nach der Wende mehrere Ziele. Ihre Hauptaufgabe ist die Eindämmung des Preisauftriebs infolge der Preisliberalisierung. Im Ergebnis dessen konnte eine Spiralwirkung der Inflation vermieden werden. Die Nationalbank bemüht sich, die Zinssätze zu senken und sie mit der Inflationsrate in Einklang zu halten. Zum anderen will sie den Kreditmarkt anziehender machen, um die Investitionstätigkeit anzuregen. Geld soll nicht vornehmlich als Spareinlage, sondern längerfristig als Beteiligungskapital eingesetzt werden. Das neue zweistufige Bankensystem hat sich in Ungarn in mehreren Schritten herausgebildet. 1987 wurden aus der ungarischen Nationalbank (UNB) einige Kreditdirektorate verselbständigt. Im Dezember 1991 trat das neue Gesetz über die UNB in Kraft. Seitdem ist die Nationalbank von der Regierung unabhängig und nur dem Parlament unterstellt. Sie verfügt über die grundlegenden geldpolitischen Instrumente, wie die Festsetzung des Mindestreser-
11 Ende September 1995 standen noch 716 Unternehmen in den Büchern der APV Rt. Davon sollen 91 auf Dauer im Staatsbesitz bleiben.
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
161
vesatzes und der Leitzinsen. Darüber hinaus kann sie den Wechselkurs festlegen. Sie ist vor allem der Geldwertstabilität unter Berücksichtigung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts verpflichtet (Deutsche Bank Research 1993, S. 25). Zur zweiten Stufe des Bankensystems gehören die Geschäftsbanken. Sie sind für die UNB noch immer einer der größten Problemkreise. Die meisten von ihnen sitzen auf notleidenden Krediten und haben mehrheitlich negative Eigenkapitalquoten. Die ungarische Regierung unternahm 1993 den Versuch, notleidenden Banken mit einem Programm der Konsolidierung der Schulden zu helfen 12 . Das Ergebnis war vor allem deshalb umstritten, weil es die Privatisierung der Geschäftsbanken verzögerte. 1995 geriet die ungarische Bankenlandschaft dann stark in Bewegung. Es änderte sich die Eigentümerstruktur des Sektors und es kam zu weiteren Konzentrationen. Der Staatsanteil fiel deutlich unter 50 vH 1 3 . Dem Gesetz über die Finanzinstitute zufolge soll er sich bis 1997 auf 25 vH verringern. Das dominierende Ereignis war zweifellos die Privatisierung der Landessparkasse (OTP), der größten Handelsbank Ungarns im Juli 95, die in Teilschritten vollzogen wurde. Die Börse und der Kapitalmarkt in Ungarn erlebten ihre Vorstufe im Abkommen über den Handel von Wertpapieren zwischen ungarischen Banken, der ungarischen Handelskammer und dem Finanzministerium aus dem Jahre 1987. Die Gründung der Budapester Wertpapierbörse erfolgte dann im Juni 1990. Der Markt für Aktien blieb zunächst unterentwickelt; die Anleihen beherrschten das Parkett. 1991 und 1992 fiel der Börsenindex. In den folgenden Jahren trat eine Belebung ein, das Angebot am Aktien- und Rentenmarkt blieb aber immer noch äußerst bescheiden. Das Sparprogramm vom März 1995, vorrangig die 9 prozentige Abwertung der Landeswährung und eine verschärfte Geldpolitik der UNB, waren als vertrauensbildende Maßnahmen für den Aktienmarkt von beträchtlicher Bedeutung. Die Tendenz zur selektiven Nachfrage verstärkte sich infolge positiver Unternehmensergebnisse und durch stetige Nachfrage aus dem Ausland 14 . Die ungarische Regierung bemüht sich um eine Popularisierung der Wertpapierbörse. Sie will den Anlegern - vorrangig auch den Landsleuten - die Scheu vor der Kapitalanlage nehmen: Anleihenemissionen sollen im stärkeren Maß als bisher zur Finanzierung des Defizits des Staatshaushaltes beitragen. Durch die Emission von auch für Ausländer zugänglichen Staatsanleihen rechnet man damit, daß ihre Präsenz die Nachfrage im Inland
12 Die Konsolidierung verlief für die größten Banken des Landes nach folgendem Schema: Großbanken erhöhten Ende 1993 ihr Kapital in Form von Aktien, der Staat kaufte diese Anteilscheine und bezahlte mit langfristigen handelbaren Staatsanleihen (vgl. Handelsblatt vom 22.03.1994). 13 Ein erster Schritt zur Bankenprivatisierung wurde Mitte 1994 getan. An der ungarischen Außenhandelsbank (MKB) beteiligten sich zunächst die Bayerische Landesbank mit 25,0 vH und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) mit 16,7 vH (vwd-Osteuropa vom 26.5.95, S. 5). 14
Daß die Börse deutlich von Auslandsinvestoren abhängig ist, liegt u.a. an den Hochzinsen für Forint-Spareinlagen. Eine Dividende von vielleicht 15 vH kann eben nicht gegen einen doppelt so hohen Sparzins bestehen (Handelsblatt vom 11.4.95). 11 Schumacher u. a.
162
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
beleben und gleichermaßen den ungarischen Kapitalmarkt international weiter öffnen wird. Die Aktie soll eine größere Akzeptanz durch ein Vorzugsaktienprogramm für eine breite Bevölkerungsschicht erhalten. Die Währungs- und Wechselkurspolitik liegt in der Verantwortung der Nationalbank und der Regierung. Die Notenbank hält gegenwärtig an der Politik der kleinen nominalen Abwertungsschritte fest. Es ist ihre Auffassung, daß die Abwertungssätze unter der voraussichtlichen Kosten- und Preissteigerung bleiben sollen, so daß der Forint eine reale Aufwertung erfährt. 1995 trat nach zwei kleineren nominalen Abwertungsschritten (insgesamt 3,4 vH) und der größeren Abwertung im März (9,0 vH) eine grundlegende Veränderung ein: Einführung eines "crawling peg "-Systems (Gleitparität). Danach belaufen sich die monatlichen Abwertungen in festgelegten Tranchen (Bednar/Walko 1995, S. 19).
3. Binnenwirtschaftliche Entwicklung 3.1. Makroökonomische Kennziffern Das BIP verringerte sich in Ungarn bis 1993 auf 80 vH des Standes von 1989 (zu Entstehung und Verwendung des BIP siehe Tabellen A 3, A 4 und A 5). Von den mittelosteuropäischen Ländern verlief die Entwicklung diesbezüglich nur in Polen und Slowenien günstiger als in Ungarn (DIW 1993, S. 612).
Tabelle 4 Jährliche Veränderungen des realen BIP in Ungarn (in vH) 1990 -3,5
1991 -11,9
1992
1993
1994
1995
1996°
-4,3
-2,3
2,0
1,5
3,0
0
Schätzung. Quellen: Habuda (1995); Handelsblatt vom 12.2.96; Angaben der ungarischen Nationalbank.
Im Ergebnis des forcierten Wachstums im Sozialismus hat sich eine Produktionsstruktur herausgebildet, die sich den Bedürfnissen des End Verbrauchs nicht oder kaum angepaßt hatte. Die Verwendung der Produkte wurde durch zentrale Allokation und durch den Mangel an anderen Produkten erzwungen (Kornai 1993, Arbeitsübersetzung, S. 7). Seit 1989 vollzieht sich eine spürbare Veränderung der Zusammensetzung des Outputs der unga-
163
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
rischen Wirtschaft. Mit der allmählichen Liberalisierung der Preise führten parallel laufende, sich verändernde Preisrelationen zu Nachfrageveränderungen (vgl. Tabelle A 5). Der private Verbrauch (gemessen zu konstanten Preisen von 1988) ist rückläufig bis 1991. Gründe dafür sind der Kaufkraftverlust der Lohn- und Gehaltsempfänger sowie der Rentner und die zunehmende Arbeitslosigkeit. Die Entwicklung des privaten Konsums ist aus den folgenden drei Zeitreihen ersichtlich:
Tabelle 5 Verbrauch der Bevölkerung 1989
1990
1991
1992
1993
1994
Verbrauch in laufenden Preisen, Mrd. Ft 1 050,5
1 300,0
1 699,2
2 085,3
2 614,6
3 152,0
Inflationsrate, Veränderung des Konsumpreisindex in vH 17,0
28,9
35,0
23,0
22,5
18,8
101,4
100,7
Volumenindex des Verbrauchs in vH 100,0
96,4
90,8
98,6
Quellen: Magyar Statisztikai Evkönyv 1990, S. 212; 1993, S. 236; 1994, S. 76; Tajékoztató 1994/12; Datenbank des ifo Instituts; FAZ Informationsdienste (Länderanalysen).
Der nominal steigende Verbrauch ist weniger das Ergebnis gestiegener Einkommen als der anhaltend starken Inflation, so daß der Volumenindex des Verbrauchs ein realistisches Bild vermittelt. Die vorläufigen 95er Ergebnisse zeigen an, daß sich der private Konsum real nicht erhöhte: Die Verbraucherpreise 1995 zogen durchschnittlich um 28,5 vH an, nach etwa 19 vH 1994. Die Einkommen konnten mit der beschleunigten Inflation nicht Schritt halten, so daß die Reallöhne um über 10 vH schrumpften. Die jüngste wirtschaftliche Orientierung der ungarischen Regierung, die inländische Nachfrage (privater Konsum und öffentliche Investitionen) abzusenken um damit die Importe zu bremsen und das Handelsdefizit zu reduzieren, ist äußerst fragwürdig. Diese Politik überschreitet wahrscheinlich die Belastbarkeitsgrenze der Bevölkerung. Dazu kommt, daß eine gedrosselte Nachfrage, die von einer stark abwertenden Wechselkurspolitik begleitet ist, das beginnende wirtschaftliche Wachstum dämpft. Die Investitionen gingen in Ungarn bis 1992 zurück. Die "weggebrochenen" Potentiale ungarischer Industrieunternehmen konnten bis dato durch Neuinvestitionen nicht kompensiert werden. Durch das Konkursgesetz sind Produktionskapazitäten der Klein- und Mittel-
1
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
164
betriebe weiterhin gefährdet. In staatlichen Betrieben, die noch privatisiert werden, erlahmt die Investitionstätigkeit infolge einer ungewissen Zukunft. 1992/93 setzte die Investitionsbelebung ein (vgl. Tabellen A 7 und A 8). Der Boom in der Bauwirtschaft, im Handel und im Tourismus dürfte sich abschwächen. Auffallend ist auch eine Tendenz der Verlagerung der Bautätigkeit vom öffentlichen auf den privaten Sektor. Mit dem Wirtschaftsaufschwung und dem Fortschritt der Privatisierung der Großunternehmen wird die Neuausrüstung nun allmählich stärker und erfaßt mehr flächendeckend die gesamte verarbeitende Industrie (Holzhacker 1995). Dies wird nicht zuletzt durch steigende Importe von Maschinen und Anlagen belegt. Danach folgen die Investitionen im Transportund Telekommunikationswesen und im Energiesektor.
Tabelle 6 Jährliche Veränderungen der Bruttoanlageinvestitionen (konstante Preise) (in vH)
Bauten Maschinen u. Anlagen Gesamt
1990
1991
1992
1993
1994
-11,4 -9,0 -10,6
-7,9 -14,0 -11,0
-6,4 7,3 1,8
3,5 1,2 1,5
15,7 3,9 10,4
Quellen: Landesamt für Statistik, Budapest; Bednar/Walko (1995), S. 9.
Die Auslandsinvestitionen spielen bei der Investitionsbelebung eine bedeutende Rolle (Probst 1994, S. 4). Das Vertrauen ausländischer Investoren leidet zwar durch die hohe Inflation, die Defizite im Haushalt und in der Zahlungsbilanz und die zunehmende Verschuldung. Andererseits gab die Regierung mit der gleitenden Abwertung des Forint den ausländischen Partnern eine brauchbare Kalkulationsbasis. Der Investitionsentwicklung kommt nunmehr für die Modernisierung der ungarischen Wirtschaft eine zentrale Bedeutung zu. Stabilisierung und Modernisierung der Wirtschaft sollen in einer zweiten Etappe der Transformation als zusammenhängende Ziele betrachtet werden (Holzhacker 1995, S. 9). Der öffentliche Verbrauch war noch vor dem privaten Verbrauch in Ungarn die erste BIP-Verwendungskomponente, die sich wieder erholte. Seit 1995 ist der öffentliche Verbrauch wegen der knappen Haushaltsmittel rückläufig (vgl. Tabelle 7).
165
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
Tabelle 7 Jährliche Veränderungen des Staatsverbrauchs (konstante Preise) (in vH) 1990 2,6
1991 3,6
1992 3,9
1993 30,5
2)
1994 1,5
1995 ,) -3,0
Schätzung.- 2 ) Einschließlich der russischen Waffen, die zur Schuldenbegleichung überlassen wurden. Quellen: Probst (1994), S. :2; Angaben der ungarischen Nationalbank. 0
Ungarns Staatshaushalte sind seit Jahren defizitär (vgl. Tabellen A 9 und A 10). Seit 1992 laufen sie völlig aus dem Ruder, weil auf der Basis von optimistischen Wachstumsprognosen die Steuereinnahmen überschätzt wurden. Die größten Steuerausfälle sind der anhaltenden Anpassungskrise der Staatsunternehmen geschuldet. Der IWF suspendierte deswegen im Sommer 1992 sein Unterstützungsprogramm für Ungarn. 1995 betrug das Defizit nach vorläufigen Angaben 381 Mrd. Forint. Damit stünde es mit 7,9 vH 1 5 im Verhältnis zum geplanten BIP. Das Budget für 1996 wurde im Parlament beraten. Es sieht einen (vorläufigen) Fehlbetrag von 253 Mrd. Forint vor: 3,9 vH des BIP. Der optimistischen Einschätzung liegt zugrunde, daß Erlöse aus Privatisierungen wesentliche Bestandteile der Haushaltsplanung bilden. Außerdem versucht das Finanzministerium neben den inländischen Sparaufkommen die jährlichen Budgetdefizite durch Wertpapieremissionen am ungarischen Kapitalmarkt zu finanzieren. Im Kontext mit den Sparmaßnahmen der ungarischen Regierung fielen die jüngsten Kreditverhandlungen mit dem IWF positiv aus. Der Außenhandel ist nach der Wende, wie andere Komponenten der Makronachfrage auch, stark zurückgefallen. Belegbar ist die Transformationsrezession mittels der Darstellung der Exportentwicklung zu konstanten Preisen. Die Veränderung der Daten im Verlauf der Jahre 1989 bis 1992 verdeutlicht die partielle Entwertung der Leistungspotentiale durch den Übergang auf marktwirtschaftliche Verhältnisse.
15
Unter Ausklammerung des Schuldendienstes werden 5,0 bis 5,5 vH des BIP genannt. Auch in den nächsten Jahren wird etwa ein Viertel der Haushaltsausgaben für die Bedienung der Staatsschulden aufgewendet werden müssen.
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
166
Tabelle 8 Export- und Importentwicklung (konstante Preise) (Vorjahr =100) 1990
1991
1992
1993
1994
Export
95,9
95,1
101,0
86,9
116,6
Import
94,8
105,5
92,4
120,9
114,5
Quelle: Magyar Statisztikai Evkönyv 1993, S. 221, und 4/1994, S. 246.
Die großen Schwankungen der Importentwicklung in den Jahren 1991 und 1992 sind u.a. durch Bewertungs- und Erfassungsprobleme der Erdgaslieferungen aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion zu erklären. Die primäre "externe" Ursache der Transformationsrezession war das Wegbrechen des Intra-RGW-Handels mit seinen spezifischen, planwirtschaftlichen Handels- und Zahlungsmodalitäten. Die ungarische Wirtschaft konnte einen Großteil ihres Exports auf die OECD-Märkte umlenken. Der Nachfragerückgang hielt sich so in Grenzen, was sich positiv auf die Produktion und die internationale Zahlungsfähigkeit auswirkte. Heute gehen über 70 vH der ungarischen Exporte in den OECD-Raum, davon zwei Drittel in die EU-Mitgliedstaaten. Bemerkenswert ist, daß Ungarn trotz der wirtschaftlichen Kontraktion zwischen 1990 und 1992 eine positive Leistungsbilanz aufweisen konnte.
Tabelle 9 Handels- und Leistungsbilanzsaldo (in M i l l . US-$) 1989 Handelsbilanzsaldo Leistungsbilanzsaldo Quellen:
-
-1 437
1990
1991
1993
1994
348
189
1992 -48
-3 247
-3 635
127
267
324
-3 455
-3 911
Landesamt für Statistik; Ungarische Nationalbank, Monthly Report, 3/1995, S. 102.
1993 und 1994 entstanden sowohl im Haushalt als auch in der Leistungsbilanz untragbar hohe Defizite. Das Leistungsbilanzdefizit lag in diesen Jahren bei über 9 vH des BIP. Dank der Sparpolitik vom März 1995 wurde das Leistungsbilanzdefizit im selben Jahr um etwa ein Drittel reduziert. Für 1996 ist ein Minus von 2,2 Mrd. US-$ eingeplant. Verbessert hat sich die Leistungsbilanz in erster Linie durch den kräftigen Anstieg der Exporte. Die Bruttoaußenschuld Ungarns liegt 1994 bei etwa 29 Mrd. US-$, die Netto Verschuldung bei etwa 19 Mrd. US-$. Die Verschuldung ist immer noch sehr hoch, so daß von einer Entlastung des Landes nicht gesprochen werden kann (vgl. Tabelle 10).
167
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
Tabelle 10 Ungarns Auslandsverschuldung (in Mrd. US-$)
Bruttoaußenschuld
1989
1990
1991
1992
1993
1994
20,39
21,27
22,38
21,44
24,56
28,52
Devisenreserven (inkl.Gold)
1,73
1,17
4,02
4,38
6,70
6,77
Auslandsforderungen
3,76
4,16
3,80
3,78
2,93
2,81
14,90
15,94
14,56
13,28
14,93
18,94
Nettoschuld Quelle:
Magyar Statisztikai Evkönyv 1993, S. 360, und 1994, S. 407.
Ungarn hat einen guten Ruf an den internationalen Finanzmärkten. Der Regierung und der UNB wird ein erfolgreiches Schuldenmanagement bescheinigt: Ungarn bezahlt die Defizite in der Leistungsbilanz nicht vorrangig mit den angehäuften Devisenreserven. Die UNB geht davon aus, daß das Leistungsbilanzdefizit in etwa durch den Kapitalimport ausgeglichen wird. Die Kreditaufnahme am internationalen Kapitalmarkt dient zwar partiell der Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits, aber vorrangig der vorzeitigen Ablösung hochverzinslicher Anleihen zur Verringerung des Schuldendienstes. Ungarn ist es in den vergangenen Jahren gelungen, kurzfristige Kredite überwiegend durch langfristige Kredite (mit Laufzeiten zwischen 10 und 20 Jahren) zu erträglichen Konditionen zu ersetzen. Ende 1995 konnte sich die ungarische Regierung nach fast halbjährigen harten Verhandlungen mit dem IWF über die Bedingungen für einen neuen Stand-by-Kreditrahmen einigen. Dem IWF wurde die Kreditzusage durch die Ergebnisse der ungarischen Sparpolitik, die Zunahme des BSP um rd. 1,5 vH (1996 werden 3,0 vH erwartet), die Reduzierung des Budgetdefizits, die größeren Erfolge bei der Privatisierung und die erhebliche Verbesserung der Leistungsbilanz erleichtert. Vor allem haben die Zuflüsse aus der Privatisierung Ungarns Finanzsituation gegenüber dem Ausland verbessert. Die Bruttoauslandsschulden stiegen 1995 noch auf 31,65 Mrd. US-$ an, gingen jedoch bis Febr. 1996 auf 31,0 Mrd. US-$ (etwa 70 vH des BIP) zurück. Die Devisenreserven erreichten die komfortable Höhe von 11,5 Mrd. US-$ und deckten damit die Einfuhren von über 8 Monaten (Europäische Kommission 1996, S. 8).
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
168
3.2. Umbrüche in den Produktions- und Leistungsstrukturen: Strukturwandel Ein untrügliches Zeichen des Übergangs zur Marktwirtschaft ist die Veränderung der Bestände (Lagerinvestitionen). Nach der Beseitigung der Mangelwirtschaft veränderte sich die Proportion Inputbestände/Outputbestände sehr schnell: man mußte keine Inputs mehr "horten", gleichzeitig akkumulieren sich die Outputs wegen Absatzschwierigkeiten (Kornai 1993, Arbeitsübersetzung, S. 6). So waren die Inputbestände in Ungarn Anfang der 80er Jahre ca. 6mal so groß wie die Outputs. In entwickelten Industrieländern liegt das Verhältnis etwa bei 1:1 (z.B. BRD 0,71, Österreich 1,06). 1993 zeigt diese Proportion auch in Ungarn Werte wesentlich unter 2,0. Der Anteil des nichtmateriellen Bereichs an den Gesamtinvestitionen bewegt sich etwa gleichbleibend um 20 vH. Die Hälfte davon wurde für Investitionen der persönlichen und wirtschaftlichen Dienstleistungen (Finanzdienstleistungen, WohnungsWirtschaft, Städte-und Gemeindewirtschaft) eingesetzt. Die Investitionsanteile im Umweltschutz betragen jährlich durchschnittlich 5 vH der Gesamtinvestitionen. Mit dem Aufschwung der Privatisierung in Ungarn 1995 verlief auch der Kapitalzufluß aus dem Ausland erfolgreicher als im Vorjahr. Die Prozesse verweisen auf einen signifikanten Zusammenhang zwischen Privatisierung, ausländischem Kapitalzufluß und Umbrüchen in den Produktions- und Leistungsstrukturen. Zwei Drittel der Unternehmen sind in diesem Kontext auch der Meinung, daß sich weitere ausländische Investitionen positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken. Anders dagegen die ungarische Bevölkerung, sie spricht sich mittlerweile mehrheitlich gegen eine weitere Zunahme ausländischer Investitionen aus, da sie dadurch eine starke Überfremdung befürchtet (Wolff v. Amerongen 1996, S. 8). Die ausländischen Direktinvestitionen lagen im ersten Halbjahr 1995 mit 477 M i l l . US-$ deutlich unter den Vorjahreswerten (536 im ersten und 611 M i l l . US-$ im zweiten Halbjahr). Für das Gesamtjahr 1995 wurde mit 1,5 Mrd. US-$ kalkuliert. Die Ergebnisse betrugen dann mehr als das Doppelte.
Tabelle 11 Ausländische Direktinvestitionen (kumulativ) (in M i l l . US-$)
0
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995°
23
215
569
2 107
3 424
5 576
7 087
12 000
Schätzung. Quelle: Ungarische Nationalbank, Monthly Report, 3/95, S. 106.
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
169
Welche Anteile von den Kapitalzuflüssen als Vermögenstransfer (gekaufte Kapitalstöcke) und welche als Errichtung neuer Anlagen zu bewerten sind, ist aufgrund fehlender Daten nicht zu beantworten. Einen vagen Anhaltspunkt stellt die folgende Dreiteilung dar (Inotai 1995, S. 4). Der ausländische Direktinvestitionsbestand setzt sich Ende 1994 aus drei großen Bereichen zusammen: Privatisierung Grüne-Wiese-Investitionen Klassische Joint Ventures
etwa 3,5 Mrd. US-$ 2,5 bis 3,0 Mrd. US-$ 2,0 bis 2,5 Mrd. US-$
Es ist ein Trend zu größeren Kapitalbeteiligungen erkennbar. Waren z.B. für deutsche Firmen etwa 3 000 kleine Engagements kennzeichnend, so bestimmen jetzt verstärkt Großprojekte das deutsche Investitionsverhalten 16. Für die weitere Entwicklung muß Augenmaß gefunden werden. Eine Sache ist der Erwerb eines Teils des sächlichen Produktions- und Leistungsapparates in Ungarn durch ausländische Firmen. Eine andere Sache ist die Reinvestition des Gewinns im Lande und das Einbringen - neben Kapital und Management - neuer Märkte für ungarische Produkte. Die Privatisierung staatlichen Eigentums und die Gründung von Privatunternehmen haben die Organisationsstruktur der Wirtschaft grundlegend gewandelt. Herausgebildet hat sich eine für Marktwirtschaften typische pyramidenähnliche Gestalt: Die Anzahl der Gesellschaften/Unternehmen wird in 1994 mit etwa 973 000 angegeben. Davon entfallen allein rd. 181 000 (80 vH) auf Personengesellschaften (Freischaffende Intelligenz, Handwerker, Händler, Landwirte). Von den etwa 192 000 Kapitalgesellschaften (GmbH, AG, Genossenschaften, Kommanditgesellschaften) beschäftigen 163 000 (85 vH) weniger als 11 Personen. Nur etwa 1 050 Unternehmen (0,55 vH) beschäftigen mehr als 300 Arbeitnehmer (vgl. Tabelle A 1). Von besonderer Bedeutung für Ungarn waren in den ersten Jahren die sog. Joint Ventures, gemischtes ausländisches und inländisches Kapital. Für das Auslandskapital war es die geeignete Unternehmensform für den Markteintritt in Ungarn. Heute wird der Aufbau eigener Niederlassungen vorgezogen. Die drastische Zunahme der Zahl von Unternehmen in der Form einer GmbH oder AG ist ein unumstrittenes Indiz der Stärkung der Privatsphäre der Wirtschaft. Die Skala der
16
Das deutsche Konsortium RWE-EVS zahlte für die Übernahme von 46,15 Prozent der Anteile an den Budapester Ε-Werken ELMÜ 358 Mill. Dollar (49,046 Ft). Das deutsche Konsortium RWE Energie AG, Essen/Energie-Versorgung Schwaben AG, Stuttgart, erwarb ferner 48,81 Prozent am Nordungarischen Stromversorgungs-Unternehmen (EMASZ) für 164 Mill. Dollar (22,468 Mrd. Ft). Die deutschen Isar-Amperwerke erwarben 49,23 Prozent des Aktienpakets der nordungarischen Titasz AG für 132 Mill. Dollar (17,9 Mrd. Ft). Die Bayernwerke erwarben 47,25 Prozent der südwestungarischen Dedasz AG für 108 Mill. Dollar (14,796 Mrd. Ft). Quelle: vdw-Mittel- und Osteuropa vom 10.1.96.
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
170
Branchen ist breiter geworden. Der Privatanteil an einzelnen Wirtschaftszweigen ist weiter gewachsen. Gemessen am BIP beträgt er (1994) in der Agrarindustrie 68 vH, in der Industrie 54 vH und im Dienstleistungssektor 60 vH (Handelsblatt, 12.12.95). M i t der jetzt beschleunigten Privatisierung der staatlichen Betriebe wächst der Anteil des privaten Kapitals auch an den Unternehmen der Kategorie " > 300 Beschäftigte". Mit dem letzten Abschnitt der Privatisierung, dem gänzlichen oder partiellen Verkauf der Energieversorgungsunternehmen (1995), der Sparten der Schwerindustrie (Eisen, Stahl und Chemie) und der Banken (1996/97), verschieben sich die wirtschaftlichen Kompetenzen endgültig zugunsten der marktwirtschaftlichen Akteure: vertikal innerhalb eines staatlichen (gesetzgeberischen) Handlungsrahmens, horizontal durch eine wachsende VorleistungsVerflechtung der Unternehmen untereinander. Outputentwicklung nach Sektoren und Branchen Wir konstatieren zunächst eine erhebliche Verschiebung der prozentualen Anteile der Wirtschaftssektoren an der Zusammensetzung des BIP seit 1988/89 zugunsten des Dienstleistungsbereichs und zu Lasten von Landwirtschaft und Industrie.
Tabelle 12 Anteile der Wirtschaftssektoren am BIP (in vH) Sektoren Primärer Sektor (Land- und Forstwirtschaft, Fischerei) Sekundärer Sektor (Verarbeitende Industrie, Bauindustrie, Bergbau, Energiewirtschaft) Tertiärer Sektor (Dienstleistungen) Insgesamt
1989
1990
1991
1992
1993
1994
15,8
15,4
10,3
9,3
8,1
7,0
56,2
52,6
48,9
44,7
42,1
31,0
28,0
32,0
40,8
46,0
49,8
62,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
Quellen: Magyar Statisztikai Evkönyv 1992, S. 69; 1993, S. 71; 1994: eigene Berechnung.
Marktwirtschaftlich bedingte Umbrüche in den Produktions-und Leistungsstrukturen ergeben sich aus der Veränderung der Eigentumsverhältnisse, der Preisfreigabe und der Außenhandelsliberalisierung. Damit erwies sich die Wettbewerbsfähigkeit vieler Produkte mit ihren vergleichsweise geringen Ansprüchen an Qualität und technischen Standard als stark eingeschränkt. Dies gilt begrenzt für Ostmärkte, in vollem Maße jedoch für Absatzchancen im Westen. Der primäre Sektor, die Land- und Forstwirtschaft und die Fischerei, nimmt in der ungarischen Wirtschaft eine beachtliche Stellung ein. Er absorbiert 1989 etwa 18,5 v H aller Beschäftigten des Landes. Die Bruttoproduktion ist rückläufig; sie erreichte 1993 nur noch
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
171
68,6 vH des Jahres 1980. Dieser Trend wird sich fortsetzen, was zu einer weiteren Verringerung des Anteils des primären Sektors am Bruttoinlandsprodukt führt. Die Exporterlöse der ungarischen Landwirtschaft gingen 1993 ebenfalls drastisch zurück. Der enorme Rückgang der Outputs des primären Sektors ist eine Folge politischer Turbulenzen undvonKonzeptionslosigkeit, der Benachteiligung des genossenschaftlichen Systems und der Ungewißheit über die strukturelle Neuordnung, über weitere Privatisierungs- und Absatzaussichten. Zugleich führten die Kapital- und Wettbewerbsschwäche, der Nachholund Erneuerungsbedarf an modernen Anlagegütern bei Wegfall der Produktionssubventionen und bei Verknappung und Verteuerung der Kredite zu diesem Ergebnis. Außerdem entstand Konfliktpotential infolge der Veränderung der sozialen Struktur auf dem Lande, der Wiederherstellung des im alten System "ausgedünnten" ländlichen Bürgertums (Neue Zürcher Zeitung vom 1.1.1994). Vom Standpunkt einer liberalen, geöffneten Wirtschaft und einer realen westeuropäischen Konkurrenz ist die ungarische Landwirtschaft vor allem unterkapitalisiert. Sie ist nicht in der Lage, aus eigener Kraft ein nennenswertes Kapital zu erwirtschaften. Der sekundäre Sektor, die verarbeitende Industrie zusammen mit Bergbau und Energiewirtschaft (einschl. Bauindustrie), ist an der gesamten Wertschöpfung der ungarischen Wirtschaft 1994 mit 31 vH beteiligt (1989 56,2 vH). Neben den schon seit dem 19. Jahrhundert vorhandenen Zweigen der Leichtindustrie (Textil- und Lederindustrie) erfuhr die industrielle Entwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre Ergänzung in einer eigenen Metall-, Maschinen- und chemischen Industrie. Insbesondere in der planwirtschaftlichen Ära erfolgte der bevorzugte Aufbau einer eigenen Schwerindustrie auf der Grundlage von einheimischen Kohle- und Erzlagern sowie Importen aus der Sowjetunion. Maschinenbau, chemische Industrie und Hüttenwesen beschäftigten 1990 54 vH der Erwerbstätigen der verarbeitenden Industrie und waren mit 60,5 vH an ihrem Umsatz beteiligt. Strukturveränderungen der Industrieproduktion vollzogen sich bis 1994 vor allem zugunsten einiger Branchen der Leichtindustrie (vgl. Tabelle A 13). Die Wettbewerbsfähigkeit des Industriesektors ist infolge der bisherigen starken Ausrichtung auf die osteuropäischen Absatzmärkte vergleichsweise gering. Das trifft vornehmlich auf eine Reihe der für Ungarn typischen Großunternehmen zu. Die negativen Auswirkungen des Transformationsrückfalls des industriellen Sektors sind kurzfristig nicht zu beheben. Die Belebung der Industrieproduktion setzt 1993 ein (vgl. Tabelle 13).
Tabelle 13 Industrieproduktion in Ungarn (in vH) 1991
1992
1993
1994
1995
-16,6
-9,7
4,0
9,1
5,1
Quellen: Deutsche Bank Research (1993); vwd-Mittel- und Osteuropa vom 13.11.95; Angaben der ungarischen Nationalbank.
172
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
Allerdings sind von der Belebung nicht alle Branchen betroffen (vgl. Tabelle A 14). Nach wie vor schwierig ist die Lage bei den Herstellern von langlebigen Konsumgütern für den Binnenmarkt sowie von Nahrungs- und Genußmitteln. Besser ist die Lage bei Unternehmen, die sich auf die westlichen Exportmärkte eingestellt haben. So werden vor allem aus den Zweigen Metallverarbeitung, Kfz- und Teilefertigung, Maschinenbau, Elektromaschinen und -geräte, elektronische Erzeugnisse sowie Büromaschinen und Computer bessere Produktionsergebnisse gemeldet17. Der Zuwachs um 5,1 vH 1995 wird ausschließlich auf die Exporte zurückgeführt. Der Inlandsumsatz ging sogar leicht zurück. Ein qualitativer Durchbruch in der Industriestruktur wird voraussichtlich erst in den Jahren 2000 bis 2010 eintreten. Zu den Voraussetzungen dafür gehören auf jeden Fall eine fortgeschrittene Anpassung der heimischen noch staatlichen und privaten Unternehmen an die Märkte, eine angemessene staatliche Industriepolitik und eine günstige Gestaltung der Außenwirtschaftsbedingungen (vor allem die Beschleunigung des Tempos der Integration in die EU sowie die Schaffung von Bedingungen, um die Auswirkungen der ausländischen Kapitalinvestitionen auf die Entlastung des Schuldendienstes und auf die Erweiterung der wirtschaftlichen Möglichkeiten ausnutzen zu können). Der tertiäre Sektor der ungarischen Wirtschaft ist - im Vergleich mit anderen mittel- und osteuropäischen Ländern - relativ stark ausgeprägt. Schon vor 1989 wurde in Ungarn mehr als 1/3 des BIP in diesem Bereich erwirtschaftet. Inzwischen ist dieser Anteil auf 62 vH angestiegen. Das Dienstleistungsangebot hat sich in den letzten Jahren erweitert: Zu den Erfolgsbranchen gehören nach der Wende der Einzelhandel und der Fremdenverkehr. Mit der Privatisierung, die in diesem Sektor derzeit als abgeschlossen gilt, ging die Modernisierung und Vergrößerung bestehender Verkaufsflächen und Filialnetze einher. Fast immer haben große ausländische Unternehmen (Metro, Tengelmann, Spar, Meinl u.a.) hoch investiert. Der Expansionseifer gilt derzeit, bei begrenzter bzw. stagnierender Kaufkraft der Bevölkerung, als überzogen. Bestimmte Branchen des tertiären Sektors stagnieren. Der Gütertransport, gemessen in t/km, war vor allem wegen des Produktionsrückgangs und des Transitverkehrs rückläufig. Die Leistungen der Geschäftsbanken stiegen 1992/93 nicht wie erwartet. Die Konkurswelle, das Abflachen des Kreditgeschäfts und die erhebliche Aufstockung der Rücklagen bremsten die Leistungen dieses Sektors. Die von öffentlichen Haushalten abhängigen Dienstleistungen (Verwaltung, Gesundheitswesen, Bildung und Kultur) konnten teils expandieren, teils stagnierten sie. Der Dienstleistungsimport blieb hinter den Erwartungen zurück. Ungarische Bürger kauften zwar mehr Reisedevisen infolge einer mehrmaligen Anhebung des Jahresfreibetrages, sie gaben aber offenbar einen erheblichen Teil der Gelder nicht für Reisezwecke aus, sondern legten ihn auf Sparkonten an.
17 Ausländisches Kapital und Know-how sind wesentlich an diesen Ergebnissen beteiligt. Anfang 1996 werden in Ungarn 25 000 Firmen ausgewiesen, die sich ganz oder teilweise im ausländischen Besitz befinden und über die Hälfte der Exporteinnahmen erwirtschaften (vwd-Mittel- und Osteuropa vom 5.2.96, S. 2).
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
173
Ungarn auf dem Wege zu einer Dienstleistungsgesellschaft? Verschiedene Umstände deuten auf die Brüchigkeit dieses Weges hin. So ist die Verlagerung des Bedarfs der Haushalte von Lebensmitteln und hochwertigen Konsumgütern zur Inanspruchnahme von Dienstleistungen (Reisen, Sport, Gastronomie, Bildung, Unterhaltung, Kinderbetreuung, Altenpflege usw.) von einem höheren Einkommensniveau abhängig. In Ungarn kann davon noch keine Rede sein. Der Dienstleistungssektor scheint in diesem Kontext überrepräsentiert (DIW 1994, S. 541). Es stimmt weder das Verhältnis von industrieller Produktion zu Dienstleistungen, noch jenes zwischen produktions- und konsumorientierten Diensten. Ein Teil der entstandenen Strukturen erscheint recht fragil: Sie werden sich nur festigen können, wenn die industrielle Basis nachwächst und ein steigender Teil der Einkommen in der Region selbst verdient wird. Für Ungarn wird diese Aussage relativiert durch das volkswirtschaftliche Gewicht des Tourismus. Sie wird aber nicht aufgehoben, es sei denn, Ungarn würde zu einem Freizeitpark westeuropäischer Länder. Zukünftige Wachstunisbranchen Im Zentrum der Diskussion um die zukünftigen Wachstumsbranchen steht die mittelfristige Konzeption für ein "Zukunftsbild der ungarischen Industrie bis zum Jahre 2000". Die Ziele der Industriepolitik sind: Kurzfristig - die Lösung der bestehenden Krisensituationen durch den Einsatz indirekter, dauerhaft einsetzbarer Mittel bzw. durch vorübergehende Maßnahmen, die in der Übergangsphase notwendig sind. Mittelfristig - das Aufhalten des weiteren Abbauprozesses und die Umstellung auf den Wachstumskurs. Langfristig - der Anschluß an die Weltwirtschaft und die Herausbildung einer den Gegebenheiten des Landes adäquaten Wirtschaftsstruktur. Das wichtigste gemeinsame Ordnungsprinzip der Aufgaben der drei Zeithorizonte ist die Stimulierung der strukturellen Veränderungen. Zu ihren Grundprämissen gehören: Der Abbau der überdimensionierten Bereiche der Schwerindustrie, besonders des Hüttenwesens, die Förderung von Zweigen, die weniger rohstoff- und energieintensiv sind und dagegen eher die menschliche Arbeit und geistiges Know-how beanspruchen, die Förderung flexibler Wirtschaftseinheiten, die auch im Bereich der Kleinserien- und Einzelfertigung effektive Lösungen ermöglichen und national und international wettbewerbsfähige Produkte herstellen, die wachsende Anbindung der Klein- und mittelständischen Industriebetriebe - als kooperative Zulieferer - an strategische ausländische Partner und die Förderung von wettbewerbsstarken Exportbranchen. Es liegen auf dieser Grundlage keine im Detail begründeten Branchenentwicklungsprogramme vor. Man geht davon aus, daß es besser sei, die Herausbildung einer differenzierten Branchenstruktur den Marktkräften zu überlassen. Die staatliche Beeinflussung der zukünftigen Entwicklung wird vorrangig in horizontalen Ansätzen der Wachstumsförderung gesehen. Eine Ausnahme davon bilden allerdings vorübergehende Maßnahmen der Übergangsphase. Dazu gehören die Leitung des noch vorhandenen staatlichen Eigentums, die weitere Umgestaltung der Organisationsstruktur, noch anstehende Privatisierungsentscheidungen und die direkte Einmischung bei Krisensituationen. Zu den dauerhaften Mitteln indirekter staatlicher Einflußnahme gehören die Investitionsförderung, der Industrie- und
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
174
Marktschutz, die Beschäftigungspolitik, die Technologiepolitik, die Exportförderung, die Integrationspolitik, die regionale Entwicklungspolitik und die Unternehmensstimulierung.
Tabelle 14 Voraussichtliche Branchenentwicklung 1995-2000-2010 (nach der Wirtschaftszweigklassifikation der EU/N.A.C.E.) Schrumpfende Branchen 11 Kohlebergbau
Nach der Prognose des Ministerium wird der
21 Erzbergbau 22 Hüttenwesen/Gießerei
Jahrzehnts beendet sein.
43 Textilindustrie 44 Ledergewerbe
Zurückdrängung bzw. starke Selektion bei diesen traditionellen Branchen.
Abbau der unmodernen Strukturen Ende des
45 Schuh- und Bekleidungsgewerbe 46 Holzverarbeitung Entwicklungsbranchen 25 Chemie, Feinchemie und Pharmazie 32 Maschinenbau
Anlagen für Kleinunternehmen in der Lebensmittelindustrie und in der Landwirtschaft: 1995/2000; Landmaschinenbau, Ersatzteilproduktion für den Maschinenbau und Teilefertigung: 1995/2000; Energetischer und elektrischer Maschinenbau: 1995/2000; Anlagen für die biotechnologische Produktion: 2000/2010;
33 Nicht-Konsumelektronik 34 Elektrotechnik
Produktion von ausgew. elektr. Haushaltsgeräten
36 Fahrzeugbau 45 Bekleidungsindustrie
ohne Bau von Kraftwagen ausgewählte Bereiche
46 Holzverarbeitung 47 Druckereiwesen
ausgewählte Bereiche
48 Kunststoffverarbeitung 50 (24) Bauindustrie und Bereiche der Baumaterialindustrie Quelle: Ministerium für Industrie und Handel (o.J.).
Branchenspezifische Aspekte bieten Anhaltspunkte dafür, wo, bei welchen Branchen und Produkten komparative Kostenvorteile zu erwarten sind. Die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Agrarsektors wird als eine Existenzfrage Ungarns, gleichzeitig als strategisches Ziel und elementares Interesse der Regierung angesehen. Die Nahrungsmittelindustrie scheint chancenreich zu sein. Wegen der soliden landwirtschaftlichen Basis ist sie - auch international - eine
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
175
attraktive Branche, in der sich bereits Weltunternehmen wie Nestlé und Unilever engagiert haben. Das gilt auch für die an die Lebensmittelindustrie gebundenen industriellen Tätigkeiten (Biotechnologie, Intermediärproduktion (einschließlich Maschinenbau für sie), Landwirtschaftsmaschinenbau, Kühlindustrie und Konservierung). Die extraktive Industrie 18 und das Hüttenwesen sind - bis auf einige Phasen der Aluminiumproduktion - offensichtlich chancenlos. Der Abbau ihrer unmodernen Strukturen soll in den Schritten: 1995, 2000, 2010, nach ihrer vertikalen Gliederung: Extraktive Industrie, Hüttenwesen, Gießereiwesen, erfolgen (vgl. Ministerium für Industrie und Handel, S. 15). Die Chemieindustrie wird (außer Bereichen der Großchemie) in Verbindung mit Zweigen der Leicht-, Nahrungsmittel-und pharmazeutischen Industrie als anpassungsfähig und erfolgversprechend angesehen. Die pharmazeutische Industrie, die bereits als international wettbewerbsfähig galt, hat jetzt, durch engere Beziehungen zu strategischen Partnern im Ausland, größere Chancen. Der Pharmahersteller Egis hat sich zu einem der führenden Pharmahersteller Mittel- und Osteuropas entwickelt und exportiert inzwischen in über 60 Länder. Mit der Ansiedlung von Ford, GM, Opel, Audi und Suzuki ist in Ungarn der Boden bereitet für eine Industrie der Pkw-Fertigung, Zulieferung und des Maschinenbaus. Die Produktion von fahrzeugtechnischen Teilen sowie die Montage können die Entwicklung mehreren Zulieferzweige dynamisieren. Solche sind: Fahrzeugelektronik, Kunstleder- und Lederindustrie, Lacke und Farben, Kunststoffverarbeitung. Garagent, Ungarns führender Ausrüster von Autowerkstätten, profitiert vom enormen Investitionsbedarf der heimischen KfzBetriebe, die sich aufgrund verschärfter TÜV-Bestimmungen völlig neu ausstatten müssen. Branchen der metallverarbeitenden Industrie, der Feinmechanik und Optik sowie des sonstigen produzierenden Gewerbes mit Zulieferfunktionen für bestimmte Branchen des Dienstleistungssektors werden überdurchschnittliche Entwicklungschancen - auch im Export -eingeräumt (medizinisch-technische Geräte, komplette Ausstattungssysteme für Krankenhäuser, Datenverarbeitungsgeräte und -einrichtungen, Nichtkonsumelektronik, Hilfsmittel- und Hilfsmaterialien diverser Art). Die Möbelindustrie und einige andere Zweige der Leichtindustrie, z.B. die Konfektionsindustrie, haben durchaus internationale Marktchancen. Für die Telekommunikation sprechen der große Inlandsbedarf und der Einstieg namhafter ausländischer Firmen. Für eine dynamische, überdurchschnittliche Entwicklung der Bauwirtschaft spricht der große Modernisierungsbedarf und der Wohnungsbau. Ob, und in welchem Ausmaß die Bau Wirtschaft in grenznahen Regionen exportwirksam werden kann, ist unbestimmt. Chancen für die Zukunft werden ökologisch orientierten Branchen - Recycling, Entgiftung von Industrieflächen, Werkstoffrückgewinnung aus Deponien usw. - zugeordnet. Dies vor allem wegen ihres Bedarfs im Inland und wegen des Know-how, das dabei entsteht und auf der ganzen Welt gebraucht wird.
18
Kohle- und Erzbergbau, Erdölförderung, Torfgewinnung, Forstwirtschaft und Fischfang.
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
176
Ungarische Veröffentlichungen verweisen immer wieder auf die mittel- und langfristige Bedeutung der Zulieferindustrie. Dabei läßt man sich von dem Gedanken leiten, daß der Zuliefercharakter die ungarische Wirtschaft vom stärker werdenden Konkurrenzkampf auf den internationalen Endproduktmärkten unabhängiger und somit weniger verletzbar macht. Möglicherweise liegt hier ein Trugschluß vor, weil eine solche Struktur starke Züge einer Dependenzwirtschaft aufweist, also das zementieren könnte, was man gerade nicht will: die einseitige Abhängigkeit. In einem relativ breiten Spektrum der ungarischen Industrie ist es sicher zweckmäßig, sich auf die Rolle des Zuarbeiters im Rahmen von Kooperationsgeschäften einzustellen. Man muß jedoch vermeiden, daß diese Geschäfte lediglich auf Basis einer Beschäftigung von ungelernten oder niedrigqualifizierten Arbeitnehmern und einer Nutzung von unmodernen Produktionsanlagen abgewickelt werden.
4. Produktionsfaktoren 4.1. Boden, Energie und Umwelt Ungarn ist reich an Boden, aber relativ arm an Bodenschätzen. So kann die Landwirtschaft rd. 70 vH der Landfläche nutzen, die Boden- und die klimatischen Verhältnisse ermöglichen eine bedeutende Viehhaltung, und die Gewässer erlauben eine ansehnliche Fischereiwirtschaft. Zudem ist Ungarn eines der an Mineral- und Heilwässern reichsten Länder Europas 19. Dagegen decken die Vorkommen an Kohle und Kohlenwasserstoffen nicht den Bedarf. An Bodenschätzen reichlich vorhanden ist nur Bauxit. Die Versorgung mit Energieträgern ist unzureichend, und die eigene Produktion deckt lediglich die Hälfte des Inlandverbrauchs. Die Energieerzeugung insgesamt ist bis 1993 rückläufig (vgl. Tabellen A 13 und A 14). Der Anteil der Selbstversorgung am Energieverbrauch ist seit 1989 infolge des geringeren Verbrauchs der Industrie um einige Prozentpunkte, auf 51,0 bis 52,8 vH, angestiegen. Bei Erdöl und Erdölprodukten ist Ungarn stark importabhängig (1989 bezog Ungarn rd. drei Viertel des benötigten Erdöls aus der Sowjetunion). Die Struktur der Energieverwendung zeigt eine deutliche Verschiebung von den primären und sekundären Sektoren zugunsten des tertiären Sektors und der privaten Haushalte. Der Zustand der Umwelt hat sich in den jüngsten Jahren trotz des Rückgangs der Industrieproduktion nicht verbessert. Als Faktoren, die den Boden zerstören, treten die Versäuerung von Böden und die Bodenerosion auf. Im Umfeld von bestimmten industriellen Agglomerationszentren und verkehrsreichen Straßen nimmt die Bodenverschmutzung teilweise gefährliche Ausmaße an. Die Luft ist in etwa 11 vH des Gesamtgebietes Ungarns - mit ca. 45 vH der Bevölkerung - durch Schwefeldioxyd, Nitrogendioxyd und bleihaltige Verschmutzungen belastet. Die Qualität der ober- und unterirdischen Gewässer hat sich aus chemischer und bakteriologischer Sicht weiter verschlechtert. Daraus resultieren Trink-
19
Vgl. Magyarorszâg 1992 (Ungarn 1992, Hrsg.: Landesamt für Statistik, Budapest), S. 4.
177
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
Wasserversorgungsprobleme vor allem in kleinen Siedlungen. Hinzu kommen ungelöste Abwasser- und Müllentsorgungsprobleme.
4.2. Kapitalausstattung Die Infrastruktur ist stark modernisierungs- und erweiterungsbedürftig. Die Eisenbahnstrecken wurden hauptsächlich zu Beginn dieses Jahrhunderts gebaut, die bisherigen Ergebnisse der Modernisierung können nicht befriedigen 20. Das Straßennetz hat sich in den jüngsten 20 Jahren kaum verändert, wurde jedoch modernisiert. Das Wasserstraßennetz (vorrangig Donau und Theiß) ist für den nationalen, aber auch europäischen Gütertransport von erheblicher Bedeutung. Seine Kapazität soll durch den Aus- und Neubau von Häfen erweitert werden. Insgesamt entspricht das ungarische Verkehrswegenetz von seiner Ausdehnung her - verglichen mit der Größe des Landes - europäischen Dimensionen. Das Schwergewicht wird künftig auf seiner Modernisierung liegen. Als besonders nachteilig erweist sich die Unterentwicklung und völlig unzureichende Ausdehnung des Telekommunikationswesens. Um Anschluß an den westeuropäischen Standard zu gewinnen, erfolgt derzeit eine wesentliche Erhöhung der Zahl der Fernsprechanschlüsse, die Schaffung eines modernen Datenübertragungs-, Telex- und Telefaxnetzes. In etwa einem Jahr soll der Bedarf völlig gedeckt sein. Über die Größe des Anlagevermögens der ungarischen Wirtschaft und seine Veränderung seit 1989 liegen unterschiedliche Angaben vor. Das Dilemma der statistischen Erfassung ergibt sich aus einer sachlichen und zeitlichen Vermischung der Liquidation ineffizienter Produktionskapazitäten und einer sich verändernden Bewertung des Anlagevermögens im Verlaufe der Transformation.
Tabelle 15 Bruttoanlagevermögen der ungarischen Wirtschaft zum 31.12.1989 (in Mrd. Ft, laufende Preise)
Materielle Zweige davon Industrie Nichtmaterielle Zweige Insgesamt
Immobilien (Bauten)
Maschinen, Anlagen, Fuhrpark
Anlagevermögen insgesamt
2 050,8 614,5 1 624,3 3 675,1
1 190,7 685,4 139,0 1 329,7
3 241,5 1 299,9 1 763,3 5 004,8
Quelle: Magyar Statisztikai Evkönyv 1990, S. 67.
20
1990 waren 15 vH des Streckennetzes zweigleisig, 28 vH elektrifiziert.
12 Schumacher u. a.
178
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
Im dramatischen Rückgang der Industrieproduktion und der Kapitalproduktivität spiegeln sich zwei reale Prozesse der Transformation: Zum einen ist es die Liquidation eines Teils des Potentials des Produktionsfaktors Kapital, zum anderen die Unterauslastung der Produktionskapazitäten. Gründe der Unterauslastung der Kapazitäten benennt Tabelle 16.
Tabelle 16 Faktoren der Produktionsbehinderung in Ungarn (in vH)
Ungenügende Nachfrage Mangel an Arbeitskräften Mangel an einheimischen Material Ungenüg. Importersatzteile aus RGW Ungenüg. West-Importe Finanzierungsprobleme
I. Quartal 1989
I. Quartal 1991
I. Quartal 1993
38,0 21.5 37.6 14,4 17,9 49,6
60,6 4,3 9,4 2,3 2,6 53,2
57,7 2,2 6,1 1,3 45,5
Quelle: Kopint-Datorg AG (1993), Budapest. Die Angaben ergeben sich aus einer Befragung, die vom ifo Institut erarbeitet wurde. Die Teilnehmer zählen die Faktoren auf, die die Produktion hemmen. Jeder Teilnehmer kann beliebig viele Faktoren benennen. Die Angaben zeigen die relative Häufigkeit der Faktoren in vH.
Typische angebotsbedingte Behinderungsfaktoren der Planwirtschaft wie (scheinbarer) Mangel an Arbeitskräften, Material und Ersatzteilen haben ihren Einfluß auf die Kapazitätsauslastung der Betriebe fast gänzlich verloren; Nachfrageschwäche und Finanzierungsprobleme dominieren.
4.3. Arbeitskräfte In Ungarn lebten 1989 gut 10 M i l l . Menschen. Bis 1980 wuchs die Bevölkerung kontinuierlich; danach entwickelt sie sich rückläufig. Die Überalterung der Bevölkerung ist - auch langfristig - ein auffallendes Merkmal des demographischen Prozesses. Nach vorläufigen Angaben des ungarischen Landesamtes für Statistik setzten sich die bisherigen negativen demographischen Tendenzen fort und verstärken sich um die Jahrtausendwende und danach. Ungarn spielte eine große Rolle in der europäischen Migration. Das Land erlebte in seiner Geschichte große Emigrations wellen. Die Zahl der ungarischen Emigranten, die heute im Ausland leben, wird auf rd. 1,5 Mill, geschätzt. Seit 1956 gibt es keine nennenswerte Emigrationsbewegung mehr aus Ungarn. Dagegen hat sich die Entwicklung umgekehrt, immer mehr Fremde (besonders aus Rumänien und Jugoslawien) ersuchen um Aufenthalt bzw. politisches Asyl in Ungarn.
179
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
Tabelle 17 Bevölkerungsentwicklung in Ungarn 1989
1990
1991
1992
1993
1994
10 375
10 355
10 337
10 310
10 277
10 246
Lebendgeburtenrate (per 1000 d. Bevölkerung)
11,9
12,1
12,3
11,8
11,4
11,3
Todesrate (per 1000 d. Bevölkerung)
13,9
14,1
14,0
14,4
14,6
14,3
Anzahl der Bevölkerung (1000 Personen)
Quelle: Magyar Statisztikai Evkönyv 1993, S. 18, und 1994, S. 1, 5 und 18.
Aus der Sicht ihrer Beschäftigung wird die Bevölkerung in Ungarn in "aktiv Erwerbstätige", "inaktiv Erwerbstätige" (kinderbetreuende Mütter), beschäftigte Rentner und Arbeitslose (seit 1987) unterteilt (zur Struktur der Erwerbstätigen nach Wirtschaftszweigen, vgl. Tabelle A 11).
Tabelle 18 Zusammensetzung der Bevölkerung nach wirtschaftlicher Aktivität am Anfang der Periode (in 1 000 Personen) Jahre
Aktiv Erwerbstätige
1989 1990 1991 1992 1993 1994
4 822,7 4 795,2 4 668,7 4 241,8 3 866,9 3 700,7
Inaktiv Erwerbstätige 241,0 244,7 251,6 262,1 262,1 254,6
Beschäft. Rentner
Arbeitslose
Insgesamt
441,3 432,0 383,6 292,3 223,0 181,1
14,2 24,2 100,5 406,1 663,0 632,1
5 519,2 5 496,1 5 404,4 5 202,3 5 015,0 4 768,5
Quelle: Magyar Statisztikai Evkönyv 1993,S. 54, 62, und 1994, S. 54.
Die Zahlen belegen den Rückgang der aktiv Erwerbstätigen. Analog wuchs die Zahl der Arbeitslosen. Die Beschäftigung von Rentnern hat sich auch halbiert. Der sprunghafte Anstieg der Arbeitslosigkeit ist zweifellos die schmerzlichste Folge des marktwirtschaftlich bedingten Umbruchs. Die Arbeitslosenquote stieg von 0,4 vH 1989 auf 12,3 vH 1992. Seit 1994 liegt sie bei etwa 10 vH. Bis 1991 ging die Arbeitsproduktivität zurück. Der Output je Beschäftigten der ungarischen Industrie betrug (Vorjahr = 100,0) 1989: 99,6, 1990: 95,0, 1991: 93,7 und 1992: 103,8 (Magyar Statisztikai Evkönyv 1992, S. 95). Die Lage ändert sich in Zusammenhang 12'
180
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
mit der Privatisierung der staatlichen Betriebe. Mit der wachsenden Anzahl der Klein- und Mittelbetriebe wird auch ein Anstieg der Produktivität festgestellt. Die ungarische Wirtschaft kommt allmählich aus der Rezession. Parallel dazu greift die Modernisierung der Unternehmen, die zu weiteren Freisetzungen führt. Mit einem wesentlichen Zuwachs der Beschäftigung wird deshalb vorerst nicht zu rechnen sein. Die Nachfrage nach Arbeitskräften nimmt, nach Branchen differenziert, zwar zu. Freigesetzte Arbeitskräfte sind jedoch ohne besondere Umschulung in der Regel nicht vermittelbar. Der größte Bedarf besteht für die Modernisierung des Dienstleistungsbereichs: des Finanzwesens, des Gesundheits- und Sozialwesens, der Gastronomie und des Fremdenverkehrs. Im High-TechBereich trifft das zu auf die Roboter- und Rechentechnik sowie die Elektronik und Meßtechnik. In Statistiken wird für Ungarn ein hoher Humankapitalbestand ausgewiesen. So bescheinigen einige Daten ein Qualifikationsniveau, das dem der westlichen Industrieländer ähnelt. Statistischen Angaben zufolge ist der Anteil der Bevölkerung mit höherer Schulbildung stetig gewachsen. In der Wirtschaft reflektiert sich diese Entwicklung in einer Erhöhung des Anteils der geistig Erwerbstätigen. Das Management, die Wirtschafts-Elite Ungarns, ist teils aus den alten Fachbereichen Planung, Budget, Personalwesen u.a. hervorgegangen, teils ist sie das Produkt einer west-östlichen Joint-venture-Praxis. Auf dem ungarischen Arbeitsmarkt herrscht in den Sparten Beratungsfirmen, Dienstleistungen, Geld- und Finanzsektor eine lebhafte Mobilität. Im Verhältnis zum ausgewiesenen Qualifikationsniveau ist die Humankapitalintensität der ungarischen Exporte relativ gering. Dieser Sachverhalt hat vor allem folgende Gründe: Systemspezifische Teile des Humankapitals (aus der Ära der Planwirtschaft) wurden und werden durch den Strukturwandel im Transformationsprozeß entwertet. Nachteilig für das Management, besonders im technologischen Bereich, hat sich der Niedergang der Industrieforschung ausgewirkt. 1989 gab es in Ungarn mehr als 40 industrielle Forschungsinstitute. Sie arbeiteten auf Auftragsbasis, wurden aber von Großbetrieben und Ministerien in erster Linie aus Budgetmitteln unterhalten. Der gesamte Auftragswert entsprach 1992 noch 15 vH des Wertes von 1991. Der für die Qualifikation unentbehrliche Faktor "Technologie" entspricht noch nicht dem westeuropäischen Standard (vgl. den Beitrag von Trabold und Berke in diesem Band).
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
181
5. Außenwirtschaftliche Integration 5.1. Marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen für die Entwicklung der außenwirtschaftlichen Beziehungen Ungarn war bereits 1973 dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) beigetreten. 1985 begannen auf Expertenebene die Vorbereitungsgespräche für ein Abkommen mit der damaligen EG. Nach der Vereinbarung zwischen der EG und dem RGW (Juni 1988) war für Ungarn der Weg frei für eine Vertiefung der Zusammenarbeit mit westeuropäischen Ländern. Das bilaterale Handels- und Kooperationsabkommen Ungarns mit der EG trat am 1. Dezember 1988 in Kraft. Es förderte die Zusammenarbeit in mehreren Wirtschaftsbereichen und führte zum Abbau von Handelsbarrieren. Im Zuge der weiteren Zusammenarbeit wurde 1989 von der EG das PHARE-Programm (Poland and Hungary: aid for the reconstruction of the economies) zur Koordinierung der Hilfe für Polen und Ungarn verabschiedet. Am 6. November 1990 wurde Ungarn als erstes osteuropäisches Land Vollmitglied des Europarates, hier beteiligt es sich an verschiedenen Kommissionen und an Programmen. Zur Verbesserung des Informationsflusses hat der Europarat im April 1992 sein erstes osteuropäisches Informations- und Dokumentations-Center in Budapest errichtet. Im Juli 1990 fixierte Ungarn in einem Memorandum an die EG seine Vorstellungen über die künftigen Beziehungen zueinander und das Ziel der Vollmitgliedschaft in der EU. Im Zusammenhang mit den politischen Veränderungen in Osteuropa setzte die EU die quantitativen Einfuhrbeschränkungen mit den ehemaligen Staatshandelsländer außer Kraft und gewährte Ungarn im Rahmen seines Allgemeinen Präferenzsystems für einen Teil der Industriegüter Zollpräferenzen. Im November 1990 richtete die EU ihre diplomatische Vertretung in der ungarischen Hauptstadt ein, und noch im selben Jahr begannen die schwierigen und komplizierten Assoziierungsverhandlungen. Die Paraphierung des Assoziierungsabkommens erfolgte am 23. November 1991, die Unterzeichnung am 16. Dezember des gleichen Jahres. Mit diesem Abkommen wurde eine neue Phase der Annäherung Ungarns an die EU eingeleitet. In dem abgeschlossenen Assoziierungsabkommen sind integrative Elemente enthalten, die Ungarn westliche Märkte öffnen. Die Handelserleichterungen mit der EU erfolgen zugunsten Ungarns für die nächsten Jahre asymmetrisch. Diese Vergünstigungen werden erst durch die Gemeinschaft gewährt und von Ungarn später erwidert. Dadurch entsteht eine Schonzeit von 4 bis 5 Jahren. Die EU geht also weit über die Präferenzbehandlung im Rahmen des Allgemeinen Präferenzsystems (APS) hinaus (vgl. den Beitrag von Möbius in diesem Band). Auf dem Gebiet des Warenaustausches soll mit Ausnahme der Agrarprodukte bis zum Jahre 2000 die Freihandelszone für Güter aus den assoziierten mittel- und osteuropäischen Ländern (MOE) auf Seiten der EU dann vollständig geschaffen sein. Der nächste Schritt in Richtung Europa wäre für Ungarn die schnelle Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union, wozu auch am 1. April 1994 der offizielle Antrag gestellt wurde. Ungarn wünscht, daß man mit den Verhandlungen 1997 beginnen sollte, um das Land
182
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
1999 als vollwertiges Mitglied aufzunehmen. Über Ungarns künftige Mitgliedschaft in der EU besteht weitgehend Konsens. In einer Studie über die Osterweiterung der EU (vgl. den Beitrag von Weise in diesem Band) wird davon ausgegangen, daß vor allem die fünf Mitglieder der Zentraleuropäischen Freihandelszone Chancen haben, als erste den Schritt in die EU zu schaffen. Die Fortschritte der ungarischen Wirtschaft, die für einen baldigen Beitritt sprechen, werden in Brüssel gesehen, sie reichen aber offensichtlich noch nicht aus. Gefordert wird von Ungarn die weitere Angleichung der Gesetzgebung sowie die forcierte Modernisierung der Wirtschaft. Sowohl die Essener EU-Konferenz (Dezember 1994) als auch die Madrider Konferenz im Dezember 1995, bekräftigten, daß Ungarn erst zu Beginn des nächsten Jahrtausends der EU beitreten könnte. Bevor mit der Ost-Erweiterung der EU begonnen werde, müsse man sich über die finanziellen Konsequenzen im klaren sein (vwdMittel- und Osteuropa vom 16.1.96, S. 2). Ungarn trat am 8. Mai 1996 als zweites osteuropäisches Land nach Tschechien der OECD bei. 1991 kam es zur Liquidierung der internationalen politischen und ökonomischen Organisationen der Warschauer Vertragsstaaten. Die ungarische Regierung spielte dabei eine führende Rolle. U.a. kam es durch den von ihr vertretenen Standpunkt dazu, daß der RGW ohne Rechtsnachfolger und Nachfolgeorganisation aufgelöst wurde. Mehrfach geäußerte Spekulationen über die Gründung einer neuen osteuropäischen Wirtschaftsorganisation wurden von Ungarn zurückgewiesen. Zustimmung gab es jedoch von ungarischer Seite zu einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit mittel- und osteuropäischer Länder, die nicht in Widerspruch zur späteren Vollmitgliedschaft in der EU steht. Ein Beispiel ist das Visegrader Abkommen vom 15. Februar 1991. Die "Visegrader Drei", später "Visegrader Vier": Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn vereinbarten auf dem zweiten Gipfeltreffen im Oktober 1991 in Krakau Schritte zur Schaffung einer Freihandelszone. Das von den vier Staaten unterzeichnete Freihandels-Abkommen (Central European Free Trade Area/CEFTA) trat am 1. März 1993 für eine Übergangszeit bis zum Jahre 2001 in Kraft. Etwa zum gleichen Zeitpunkt, Februar 1993, kam es zu einer Erklärung mittel- und osteuropäischer Länder über eine regionale Zusammenarbeit im Karpaten-Gebiet. Im Juni 1990 kam es zu einem gemeinsamen Kooperationsabkommen Ungarns mit der Europäischen Freihandelszone (EFTA). Im März 1993 wurde in Genf eine Freihandels-Vereinbarung zwischen den EFTA-Staaten Österreich, Schweiz, Liechtenstein, Schweden, Finnland, Norwegen und Ungarn abgeschlossen. Die Vereinbarung ist ebenfalls asymmetrisch. Durch das im März 1993 in Genf ausgehandelte Zollabkommen mit den EFTA-Ländern gelten ab Juli 1993 Zollerleichterungen für 85 vH der ungarischen Exportgüter. Für die verbleibenden 15 vH sollen die Zölle bis zum Jahre 2003 allmählich auf Null verringert werden. Die Vereinbarung bezieht sich zunächst nur auf Industriegüter (Zölle und Quoten für landwirtschaftliche Erzeugnisse werden in bilateralen Abkommen festgelegt). Ungarn wird im Gegenzug seine Einfuhrzölle für Industrieprodukte aus den EFTA-Ländern von 1995 an auf zwei Drittel der bisherigen Höhe verringern; von 1997 an sollen dann die Zölle für EFTA-Einfuhren völlig wegfallen.
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
183
Außenhandelsstrategie Der ungarische Außenhandel hat in den letzten Jahren unter noch nie gekannten schweren Bedingungen (drastische Einengung der zahlungsfähigen Märkte in Osteuropa, vor allem in der ehemaligen Sowjetunion, Übergang auf Dollarverrechnung im gesamten Außenhandel, bedeutende Verschlechterung der Terms of Trade und Rezession in der Weltwirtschaft) die Schwerpunkte seiner Außenwirtschaftsbeziehungen neu bestimmt. Die Ziele der Außenhandelsstrategie Ungarns lassen sich wie folgt zusammenfassen: Umstellung der Wirtschaftspotentiale auf ein exportgesteuertes Wachstum, Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft; effektive Nutzung der Möglichkeiten auf dem erweiterten EU-Markt mit dem Schwerpunkt Deutschland; Eintakten in die großen europäischen Programme wie Eureka, Cost; Veränderung der früher deformierten Spezialisierungsrichtungen und -proportionen der Wirtschaft entsprechend ihrer geopolitischen Lage und ihres Humankapitals durch Modernisierung der Entwicklungs-, der Produktions- und der Außenhandelsstrukturen; Sicherung der notwendigen Ressourcen dieses neuen Entwicklungsweges (Kapital, Kredite, Technologien usw.) aus inneren und äußeren Quellen. Das auffallendste Merkmal der veränderten Außenhandelspolitik besteht darin, daß durch (begrenzte) Liberalisierung und ordnungspolitische Maßnahmen des ungarischen Staates frühzeitig die Handelsströme von Ost nach West umgeleitet wurden. Neue Regelungen ab 1988/89 erschwerten den Unternehmen den Export in die RGW-Staaten. 1990 gewährten die ungarischen Behörden die Exportlizenzen für den RGW-Raum nur noch auf kurzfristiger Basis in Anpassung an die aktuelle Handelsentwicklung. Neue vertragliche Vereinbarungen mit osteuropäischen Ländern erfolgten erst 1992. Da die EU als einziger Hoffnungsträger gesehen wurde, erfuhr vor allem der Westhandel eine umfassende Liberalisierung: Das alte duale Wechselkurssystem (kommerzieller und nichtkommerzieller Kurs) wurde gegenüber westlichen Währungen schon in den 80er Jahren schrittweise zu einem einheitlichen Wechselkurssystem des Forint verändert. Die Wechselkurspolitik orientiert sich an einem Währungskorb. Das Ende 1991 eingeführte Notenbankgesetz ermöglicht der Zentralbank eine unabhängige Wechselkurspolitik. Durch Intervention der Notenbank wird die Parität innerhalb einer festgelegten Schwankungsbreite am Markt gehalten. Eine nominale Abwertung des Forint in mehreren Schritten ist auf das primäre Ziel gerichtet, die Wettbewerbsfähigkeit der ungarischen Wirtschaft auf den westlichen Märkten zu gewährleisten. Mit der Wechselkurspolitik verfolgt die ungarische Regierung zugleich das Ziel, die Landeswährung zu stabilisieren und zu liberalisieren.
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
184
Tabelle 19 Wechselkursentwicklung seit 1.1.1991: Abwertungsschritte 1991 07.01.91 15% 08.11.91 5,80%
1992 16.03.92 1,90% 23.06.92 1,60% 09.11.92 1,90%
1993 12.02.93 26.03.93 07.06.93 09.07.93 29.09.93
1,90% 2,90% 1,90% 3,00% 4,50%
1994 03.01.94 16.02.94 13.05.94 10.06.94 05.08.94 11.10.94 29.11.94
1995
1,00% 03.01.95 1,40% 2,60% 14.02.95 2,00% 1,00% 13.03.95 9,00% 1,20% Einführung eines crawling 1,9% 8,00% peg, monatlich bis 30.6.95, 1,10% dann 1,3% monatlich 1,00%
Quelle: Ungarische Nationalbank; Osteuropa Perspektiven, August 1995, S. 9.
Währungskorb: bis 08.12.91 aufgrund der Währungszusammenstellung des Außenhandels des Vorjahres ab 09.12.91 50% US-$, 50% ECU ab 02.08.93 50% US-$, 50% D M ab 16.05.94 70% ECU, 30% US-$ In der gesamten Periode hat der ungarische Forint um etwa 35 % real aufgewertet. Der reale effektive Wechselkurs, lt. IWF Daten, ist 1991 bis 1993 gestiegen, 1994 blieb er in etwa konstant. Das Devisenmonopol des Staats wurde schrittweise abgebaut. Neugegründete Geschäftsbanken vermittelten Devisengeschäfte zwischen Exporteuren und der Nationalbank. Ein neues Devisengesetz (Devisenkodex) beseitigte Restriktionen für Unternehmen und Geschäftsleute. In einem Nachtrag zum Devisengesetz sind auch Grundsätze eines Interbanken-Devisenmarktes enthalten, die das bisherige Devisenmonopol der Nationalbank wegfallen lassen. Auf dem Wege zur völligen Konvertibilität der Landeswährung wurden kürzlich auch für die Ungarn die Devisenbeschränkungen aufgehoben 21. Die Liberalisierungsschritte haben zu positiven Ergebnissen bei der Eingliederung der ungarischen Volkswirtschaft in das internationale Handelsgefüge geführt. Der Außenhandel ist dezentralisiert, die Kapitalinvestitionen von Ausländern sind dereguliert. Bis 1992 waren etwa 90 vH des Imports genehmigungsfrei. Für die Entfaltung des Wettbewerbs zeugt der kräftige Anstieg der Anzahl der gemischten Unternehmen und der Unternehmen mit Außenhandelstätigkeit. Das ist in entscheidendem Maße eine positive Folge der Importliberalisierung. Die Liberalisierungsschritte erfolgten bis 1992 auch vordem Hintergrund allmählich nachlassender Inflationsraten und einer weiteren Verbesserung der externen finanziellen Situation.
21 Ungarische Bürger dürfen ab 1.1.1996 ihre Landeswährung Forint bei Banken unbegrenzt in Devisen umtauschen. Die Begrenzung lag bis dato bei 800 US-$ pro Jahr.
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
185
Tabelle 20 Liberalisierung, Zahl der Unternehmen mit Außenhandelstätigkeit, Kurse 1988
1989
1990
1991
1992
Anteil der liberalisierten Waren im Ge90 93 41 65 0 samtimport (vH) 13 16 13 16 16 Durchschnittliche Zollsätze (vH) Anteil der dem Außenwettbewerb aus15 33 70 78 0 gesetzten Industrieproduktion (vH) Zahl der Unternehmen mit Außenhan16 000 12 000 850 1 000 1 200 delstätigkeit Kurs der Forint in Ft/$ (jährlicher 74,72 79,05 50,42 59,10 63,20 Durchschnitt) Quelle: Uj Magyarorszâg (Neues Ungarn, Hrsg.: Ministerium für Internationale WirtschaftsbeZiehungen), 13. April 1993, Beilage S. II.
5.2. Ungarns Außenhandel im Überblick Von 1990 bis 1992 hatte Ungarns Leistungsbilanz mit einem Überschuß abgeschlossen. Neben dem Gebiet der ausländischen Investitionen schien in diesen Jahren auch der Außenhandel ein Erfolgskapitel zu werden. Die empirischen Daten der Außenhandelsumsätze (in Mrd. Ft) nach Ländergruppen und die Volumenindizes, jeweils von 1989 bis 1994, sind in den Tabellen A 15 und A 16 aufbereitet. Die folgenden Angaben beschränken sich auf einen Überblick über die Entwicklung der Ex- und Importe insgesamt.
Tabelle 21 Export- und Importentwicklung (in Mrd. Ft, laufende Preise) 1992
1989
1990
1991
Export
571,3
603,6
764,3
843,6
819,9
1 128,7
Import
523,5
544,9
855,6
878,5
1 162,5
1 537,0
Quelle:
1993
1994
Vgl. Tabelle A 15.
Exporte Die H art Währungsexporte erreichten 1991 den höchsten Zuwachs. Folglich erfuhr Ungarns Zahlungsbilanzposition einen kräftigen Devisenzufluß. Die Devisenreserven wuchsen bis Ende des 1. Quartals 1992 auf 4,5 Mrd. US-$ an. Der ungarische Schuldendienst gegenüber dem westlichen Ausland konnte korrekt abgewickelt, die Netto Verschuldung verringert werden.
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
186
Der Exportanstieg verlangsamte sich allerdings im Laufe des Jahres 1992. 1993 ist die Ausfuhr des Landes plötzlich um 15 vH zum Vorjahr zurückgegangen, und zugleich hat die Einfuhr zugenommen. Der Überschuß von 320 M i l l . US-$ in der Leistungsbilanz 1992 hat sich 1993 in einen Fehlbetrag von etwa 3,5 Mrd. US-$ verwandelt, hauptsächlich als Folge rückläufiger Exporte. Am Einbruch bei den Exporten sind verschiedene Ursachen beteiligt. Viele Unternehmen haben in den ersten Jahren ihre vorher für den Export in den RGW-Raum bestimmten Waren zu Niedrigpreisen im Westen abgesetzt, was bei verschiedenen Unternehmen zu finanziellen Schwierigkeiten führte. In der Landwirtschaft hat das Zusammenfallen von Trockenheit und Konflikten beim Übergang zu neuen Eigentumsverhältnissen den Agrarexport beeinträchtigt. Ausgewirkt hat sich auch die vorübergehend von der EU verhängte Einfuhrsperre für tierische Agrarprodukte. Dieser Entwicklung ist wahrscheinlich der Verlust von rd. 1 Mrd. US-$ Deviseneinnahmen geschuldet. Schließlich sind die Instrumente zur Abwicklung und Förderung des Außenhandels in Ungarn noch nicht genügend entwickelt. Mit dem Abfall des Exports 1993 fiel der derzeit wichtigste Wachstumsmotor aus. Die Prognose für die Aufschwungphase 1993/1994 gingen von einem Ausfuhrwachstum von 5 bis 7 vH aus. Diese Steigerung kam nicht zustande. Dies führte zu einer mittelfristigen Verschlechterung der Wirtschaftslage. In Ungarn sind 1994 Maßnahmen beschlossen worden, die die Exportfähigkeit stärken sollen. Dazu gehören die Einrichtung einer Exportversicherungsagentur, einer Exportimport-Bank und Exportsubventionen, insbesondere für Agrarerzeugnisse. Die positiven Ergebnisse blieben nicht aus. 1995 erhöhten sich die Exporte um etwa 12 vH, während die Importe um bis zu 4 vH zurückgingen. Bei schrumpfender Inlandsnachfrage (gekürzte öffentliche Ausgaben und geringere Reallöhne) ging das Wirtschaftswachstum 1995 von den Exporten aus. Komparative Vorteile für die ungarische Wirtschaft wurden bisher traditionell in zwei Bereichen gesehen. Einerseits in den ressourcen- und arbeitsintensiven Industrien, in denen Ungarn mit seinen Preisvorteilen Zuwächse auf westeuropäischen Märkten erzielen kann. Andererseits liegen Vorteile für das Land in der forschungsintensiven Instrumente- und Büromaschinenindustrie. Daraus kann auf die Fähigkeit zu Prozeßinnovation in den arbeitsintensiven Branchen geschlossen werden und ebenso darauf, daß bereits mittelfristig komparative Vorteile bei differenzierten Gütern und langfristig bei forschungsintensiven Gütern erzielt werden können (Trabold und Berke in diesem Band). Importe Die Importliberalisierung bedeutete für die ungarische Wirtschaft eine Herausforderung. Die Genehmigungspflicht für Importe in konvertierbarer Währung wurde 1989 bei 35 vH, 1990 bei 60 vH und 1991 bei 90 vH der Importe aufgehoben. Gemäß der mit dem GATT eingegangenen Verpflichtungen konnte 1991 das durchschnittliche Zollniveau von 16 auf 13 vH verringert werden. Im Einklang mit der Importliberalisierung erfolgte keine starke
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
187
Abwertung des Forint, die den Import verteuert und sich als erhebliche Wachstumsbarriere hätte erweisen können. Zollerhöhungen sind durch das GATT und die Assoziierung mit der EU Grenzen gesetzt. Vorübergehende Anhebungen wurden für Fliesen, Bodenbeläge, einige Gummi- und Papierwaren, Polypropylen, Polyäthylen, Polystyrol und Sicherheitsglas in Erwägung gezogen. Mengenmäßige Beschränkungen (Importquoten) bestehen für Personenkraftwagen, Bekleidung, Schuhe, Molkereiprodukte, Süßwaren, Getränke und Süd- und Zitrusfrüchte (NfA vom 27.12.1993). Der Gesamtwert der mit Quoten belegten Importe beläuft sich 1994 auf 750 M i l l . US-$. Nach Ansicht von Wirtschaftsbeobachtern sind die festgelegten Kontingente bei den meisten Warenkategorien ausreichend und stellen kein wesentliches Hindernis für die Einfuhr dar. Der hohe Importüberhang in den Jahren 1993/94 wird auch weiterhin, ungeachtet seiner Auswirkungen auf die Handelsbilanz, als ein Indiz dafür gesehen, daß die industrielle Transformation zu greifen begonnen hat: Rund 80 vH der Einfuhren bestanden aus Gütern für die verarbeitende Industrie. Die Importentwicklung ist jedoch deshalb beunruhigend, weil die große Zunahme der Importe durch die Exporteinnahmen nicht mehr kompensiert werden konnte. Der Quotient aus Export:Import hat sich wie folgt verändert: er ist 1989/90 etwa 1,1; er verändert sich 1993 auf 0,71 und 1994 auf 0,74. 1994 ist die Ausfuhr zwar wieder etwas schneller gestiegen als die Einfuhr (38 gegenüber 32 vH); dies ist allerdings zu wenig, um das Ungleichgewicht merklich zu verringern. Angesichts des inzwischen aus dem Gleichgewicht geratenen Verhältnisses von Export und Import wird die zuweilen heftige Debatte um den Wechselkurs der Landeswährung fortbestehen. Sie belebt auch die Diskussion um den Marktschutz der ungarischen Industrie. Wie zwiespältig z.B. die administrative Importdrosselung bewertet wird, zeigt sich daran, daß der im März 1995 eingeführte 8 prozentige Importzuschlag früher schrittweise wieder aufgehoben wird als ursprünglich vorgesehen war.
5.3. Die Regional- und Warenstruktur des Außenhandels Regionalstruktur Vor der Systemwende dominierte eindeutig der Intra-RGW-Handel. Der Anteil der RGW-Länder am ungarischen Außenhandel betrug 1988/89 ca. 40 bis 42 vH. Alle Charakteristiken des Osthandels, wie die langfristigen Handelsabkommen, die kontingentierten bilateralen Jahresabkommen, die einseitige Ausrichtung auf die Sowjetunion, die Lieferbedingungen und Zahlungsmodalitäten auf der Basis des transferablen Rubel und der multilateralen Verrechnung, entsprachen den inneren Grundsätzen des sozialistischen Planungssystems. Der Außenmarkt war ebenso wie der Binnenmarkt ein zentral istischer Markt der Verkäufer, in dem der Staat als Monopolist auftrat.
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
188
Mit dem Zusammenbruch der Kommando Wirtschaft in den mittel- und osteuropäischen Ländern und der Auflösung des RGW ging der Handel innerhalb Osteuropas stark zurück. Die Umorientierung der Außenhandelspolitik hat durch Exportstimulierung und Importliberalisierung beachtliche Ergebnisse gebracht. Der folgende Vergleich der regionalen Außenhandelsanteile der Jahre 1989 und 1991 (Tabelle 22) zeigt die außergewöhnlichen Umbrüche in der Regional struktur des ungarischen Außenhandels zugunsten des neuen regionalen Schwerpunktes EU.
Tabelle 22 Außenhandel nach Regionen (Anteile in vH) Insgesamt
RGW
EU
EFTA
Übrige Länder
1989 Export
100
41,8
24,8
10,6
22,8
Import
100
39,6
29,0
13,8
17,6
Export
100
18,9
46,7
14,8
19,6
Import
100
21,1
42,7
18,8
17,3
1991
Quelle: Statisztikai Havi Kôzlemények 1991/1 und 1992/1.
Mit der regionalen Schwerpunktverschiebung verlor auch die Rubel Verrechnung ihre Basis. 1991 wurde erstmals der Außenhandel fast ausschließlich (zu etwa 98 vH) in harten Währungen abgewickelt. Im August 1992 erklärte Ungarn seinen Austritt aus der Internationalen Bank für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (IBWZ) und aus dem Vertrag über die multilaterale Verrechnung auf Basis des Transfer-Rubels. Das Handelsvolumen Ungarns mit Osteuropa ist nach dem Übergang auf konvertible Verrechnung etwa auf die Hälfte zurückgefallen. Im Außenhandel zwischen der Tschechoslowakei und der ehemaligen Sowjetunion sowie zwischen Polen und der SU ist der Abbruch der Handelsströme noch drastischer ausgefallen. Dennoch teilt das Ministerium für Internationale Wirtschaftsbeziehungen nicht die oft geäußerte Einschätzung, der Osthandel Ungarns wäre zusammengebrochen. Es mehren sich aber Stimmen, die der Regierung Versäumnisse vorwerfen ("übertriebene Europa-Hoffnungen" usw.). Statistischen Angaben und Experteneinschätzungen zufolge konnte die geographische Neuorientierung der ungarischen Außenwirtschaft abgeschlossen werden. Das bedeutet auch, daß die Schrumpfung des Osthandels beendet und sich der Anteil dieser Region am ungarischen Außenhandel in den kommenden Jahren bei etwa 22 bis 23 vH stabilisiert. Das schließt natürlich größere Veränderungen innerhalb der volkswirtschaftlichen Bereiche, Zweige und Branchen nicht aus.
189
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
Die ungarischen Exporte (1994) nach Ländergruppen zeigen, wo jeweils die Schwerpunkte liegen. Bei den Ausfuhren in Transformationsländer liegen die Warengruppen 0, 1, 3, 4 und 5 über dem Durchschnitt des Exports insgesamt in diese Ländergruppe. Spitzenreiter bei den Exporten in die (westlichen) Industrieländer sind die Gruppen 2 und 6 bis 9 (vgl. Tabelle 23).
Tabelle 23 Regionalstruktur des ungarischen Exports 1994 (in v H ) u Transf.länder, Nichtmarktw.
Industrieländer
Entwicklungsländer
0 Nahrungsmittel und lebende Tiere
37,0
59,7
2,8
1 Getränke und Tabak
74,9
24,0
0,3
2 Rohstoffe (ausgen. Nahrungsmittel u. mineralische Brennstoffe)
14,3
83,5
1,0
3 Mineral. Brennstoffe u. Schmiermittel
32,02)
65,52)
2,22)
4 Tierische u. pflanzliche Öle, Fette und Wachse
77,9
21,8
0,1
5 Chemische Erzeugnisse a.n.g.
32,6
58,0
8,5
6 Bearbeitete Waren vorw. nach Beschaffenheit
14,5
79,3
4,9
7 Maschinen, elektrotechn. Erzeugnisse und Fahrzeuge
30,3
74,0
4,5
8 Verschiedene Fertigwaren
7,8
89,0
2,3
9 Waren- u. Verkehrsvorgänge, a.n. erfaßt
6,7
93,3
-
23,1
72,0
3,9
Warengruppe
Insgesamt
Die jeweils fehlenden Prozentpunkte auf 100 sind der Gruppe "Sonstige Länder" zuzuordnen, die hier nicht aufgenommen wurde.- 2 ) 1993. Quelle: Eigene Berechnungen auf der Grundlage von Angaben des Landesamtes für Statistik über den ungarischen Außenhandel nach SITC, Rev. 3.
Die positive Entwicklung des Exports von Gütern der verarbeitenden Industrie in Industrieländer wird nicht unwesentlich durch die in Ungarn tätigen ausländischen Firmen bestimmt.
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
190
Bei den ungarischen Importen überwiegen bei jenen aus Transformationsländern (in erster Linie aus Ländern der GUS) noch immer mineralische, tierische und pflanzliche Rohstoffe (Gruppen 2, 3 und 4). Die statistischen Daten der Einfuhren aus Industrieländern belegen die Dominanz der Güter der Gruppen 5 bis 8 (vgl. Tabelle 24).
Tabelle 24 Regionalstruktur des ungarischen Imports 1994 (in vH) 1 } Entwicklungsländer
Transf.länder, Nichtmarktw.
Industrieländer
10,2
59,1
30,2
6,7
65,5
27,5
2 Rohstoffe (ausgen. Nahrungsmittel u. mineralische Brennstoffe)
52,4
44,1
2,6
3 Mineral. Brennstoffe u. Schmiermittel
85,3
11,4
0,2
4 Tierische u. pflanzliche Öle, Fette und Wachse
27,8
49,9
22,4
5 Chemische Erzeugnisse a.n.g.
16,8
82,3
0,7
6 Bearbeitete Waren vorw. nach Beschaffenheit
20,5
76,3
2,8
7 Maschinen, elektrotechn. Erzeugnisse und Fahrzeuge
11,1
84,5
3,5
8 Verschiedene Fertigwaren
11,6
82,2
5,4
1,0
79,1
19,9
24,0
70,6
4,5
Warengruppe 0 Nahrungsmittel und lebende Tiere 1 Getränke und Tabak
9 Waren- u. Verkehrsvorgänge, a.n. erfaßt Insgesamt
0 Die jeweils fehlenden Prozentpunkte auf 100 sind der Gruppe "Sonstige Länder" zuzuordnen, die hier nicht aufgenommen wurde. Quelle: Eigene Berechnungen auf der Grundlage von Angaben des Landesamtes für Statistik über den ungarischen Außenhandel nach SITC, Rev. 3.
Der ungarische Außenhandel stützt sich in erster Linie auf den westeuropäischen Wirtschaftsraum, auf eine Vertiefung der Zusammenarbeit mit den Haupthandelspartnern in der EU. Rund 50 vH des ungarischen Außenhandels werden mit Deutschland, Österreich und Italien abgewickelt. Westeuropa wird auch in den nächsten Jahren Ungarns Haupthandelspartner bleiben.
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
191
Diese Überlegung wird auch durch eine empirische Analyse über die Perspektiven des Außenhandels zwischen West- und Osteuropa (vgl. den Beitrag von Schumacher in diesem band) gestützt. Demzufolge besteht noch ein erhebliches Potential für weitere Steigerung des Handels, vorausgesetzt, der Transformationsprozeß in den MOE-Ländern schreitet weiter voran und schlägt sich in Wachstumstendenzen nieder. Schumacher erwartet auch, daß auf längere Sicht die intra-industrielle Arbeitsteilung zwischen der EU und den MOE-Ländern erheblich zunehmen wird. Die Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen zu den USA rückt zu Recht mit ins Zentrum der ungarischen Wirtschaftspolitik. Namhafte amerikanische Firmen sind inzwischen in Ungarn präsent, von denen sich Ungarn eine wesentliche Unterstützung erhofft. Die USA gewähren Ungarn Vorzugsbedingungen im Handel. Dazu gehören die Aufhebung weiterer Importbeschränkungen für ungarische Waren und die endgültige Streichung von der COCOMListe. Ungarn sieht in Japan und Südkorea neue Absatzmärkte und neue Investoren. Das Volumen des ungarischen Exports nach Japan (1994 9,7 Mrd. Ft) blieb jedoch hinter den Einfuhren aus Japan mit 41,5 Mrd. wesentlich zurück. Ungarn bot sich dem aufsteigenden Südkorea als Handelspartner an. Der Warenaustausch erhöhte sich von 32 Mill. US-$ 1989 auf 122 M i l l . US-$ 1991, seitdem ist jedoch eine Stagnation eingetreten. Der Handel mit den Ländern des Visegrader Freihandelsabkommens, der 1993 nur rd. 10 vHdes ungarischen Außenhandels ausmachte, ist trotz bestehender Schwierigkeiten ausbaufähig. Die im Freihandelsabkommen getroffenen Vereinbarungen (stufenweiser Abbau von Handelshemmnissen bis zum Jahre 2000; Gewährung von jeweils solchen Vergünstigungen, die die Vertragsseiten der EU gewähren; Schutz der im Entstehen begriffenen Industriezweige; Schutz der Zahlungsbilanz u.a.) bieten dafür eine solide Grundlage. Sie sichern den einheimischen Markt und gleichzeitig den Zugang auf einen liberalisierten Markt von ca. 65 Millionen Menschen. Indem sich die Zusammenarbeit nicht nur auf den Handel beschränkt, sondern die Bereiche Verkehrs- und Nachrichtenwesen, Umweltschutz und Finanzen einbezieht, schafft sie eine Basis für enge Handels- und Kooperationsbeziehungen. Mit Rußland sind alte Verbindungen nicht gänzlich abgebrochen. Ungarn bezieht immer noch den größten Teil seines Erdöls aus Rußland. Eine weitere günstige Entwicklung kann auf dem Gebiet der ungarischen Kapitalinvestitionen vor allem in Rußland und in der Ukraine beobachtet werden. Mehr als 200 gemeinsame Unternehmen wurden bis jetzt auf den Territorien der beiden genannten Republiken gegründet. Kapitalkräftige Geschäftskreise der ehem. Sowjetunion entfalten ähnliche Aktivitäten in Ungarn. Der ungarische Export in die GUS-Staaten insgesamt ist bereits etwas höher als der nach Österreich. Da der Außenhandel mit den Nachfolgerepubliken der ehemaligen Sowjetunion auf der Basis von Verträgen mit den einzelnen Republiken bzw. auch mit Regionen innerhalb der Republiken geregelt ist, ergeben sich für die ungarischen Unternehmen gesetzlich abgesicherte Bewegungsspielräume. Ein System von Handelsvertretungen "vorOrt" erweist sich als hilfreich.
192
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
Der Handel mit den Ostländern konnte bisher u.a. durch die Einschaltung westeuropäischer Mittler, die durch Barter- und Kompensationsgeschäfte z.T. die Finanzierung übernahmen, belebt werden. Da die mangelnde Zahlungsfähigkeit dieser Staaten weiterhin das Haupthindernis ist, könnte die Finanzierung der ungarischen Exporte teilweise auch mit westlichen Beteiligungen kombiniert werden. Die Dringlichkeit, die mittel- und osteuropäische Zusammenarbeit allseits besser zu koordinieren, dürfte folglich auch im Interesse der EU liegen. Die Tabelle 25 über die rangersten 15 Haupthandelspartner Ungarns zeigt teilweise auffällige Verschiebungen innerhalb dieser Ländergruppe (Beispiel England).
Tabelle 25 Ungarns Export und Import nach bzw. aus Haupthandelsländer(n) - Platzziffern Exporte 1993 Deutschland Nachfolgestaaten der GU Österreich Italien USA Frankreich Tschechien und Slowakei Jugoslawien (Slowenien) Holland England Schweiz Polen Belgien Schweden Japan
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Importe 1994
1993
1994
1
2 1 3 4 6 7 5 15 10 11 9 14 12 13 8
1 31 2 4 8 7 5 15 9 6 11 14 12 13 10
4 i)
2 3 6 7 8 12 9 5 13 10 11 14 15
'> Nur Rußland. Quelle: Magyar Statisztikai Evkönyv 1993, S. 222, und 1994, S. 254; eigene Berechnungen.
Warenstruktur Mit den regionalen Umbrüchen hat sich auch die Warenstruktur des ungarischen Außenhandels gewandelt. Bezogen auf die 10 SITC-Warengruppen traten bei den Exporten die in Tabelle 26 ausgewiesenen Veränderungen ein (zu den Wertgrößen der Warengruppen vgl. Tabelle A 18). 1989/90 hielten Maschinen und Apparate die höchsten Anteile am ungarischen Export, gefolgt vom Export lebender Tiere und Waren tierischen Ursprungs sowie verarbeiteten Produkten und Chemiewaren. Der Anteil der Gruppe 0 steigt bis 1991, danach sinkt er unter den Anteil des Jahres 1989. Die Anteile der Gruppen 5 und 6 sinken nach zwischenzeitlichen Schwankungen ebenfalls unter das Niveau von 1989. Maschinen und Transport-
193
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
mittel (7) gingen bis 1994 im Vergleich zu 1989 um 5,4 Prozentpunkte zurück. Dagegen erreichten die arbeitsintensiven Fertigwaren der SITC-Gruppe 8 eine deutliche Steigerung.
Tabelle 26 Anteil der Warengruppen an der Ausfuhr 1989 bis 1994 (in vH) Warengruppe
1989
1990
1991
1992
1993
1994
0 Nahrungsmittel und lebende Tiere 1 Getränke und Tabak
18,7
22,1
20,3
1,3
19,8 1,3
0,9
1,5
16,8 2,3
16,5 2,0
4,1
4,7
6,0
5,5
5,7
5,2
2,9
3,1
2,7
3,4
4,1
4,0
1,1 12,6
1,2 12,4
1,2 12,8
1,2 10,8
1,0
0,9
12,1
11,3
17,3
18,5
17,4
16,0
16,1
16,6
31,0
25,6
22,5
20,8
24,1
25,6
10,7
10,8
14,2
20,5
17,8
17,9
0,3 100,0
2,6 100,0
0,2 100,0
100,0
100,0
(0,06) 100,0
2 Rohstoffe (ausgen. Nahrungsmittel und mineralische Brennstoffe) 3 Mineralische Brennstoffe und Schmiermittel 4 Tierische und pflanzliche Öle, Fette und Wachse 5 Chemische Produkte a.n.g. 6 Bearbeitete Waren vorw. nach Beschaffenheit 7 Maschinen und elektronische Erzeugnisse und Fahrzeuge 8 Verschiedene Fertigwaren 9 Waren und Verkehrsvorgänge a.n. erfaßt Insgesamt
Quelle: Eigene Berechnungen auf der Grundlage von Angaben des Landesamtes für Statistik über den ungarischen Außenhandel nach SITC, Rev. 3.
1994 lagen die Gruppen 6 bis 8 über dem Wachstumsdurchschnitt, während die vormalige Bedeutung der Gruppen 1 bis 5 rückläufig ist. An der Bedeutung der SITC-Gruppe 0 für Ungarns Exportüberschüsse hat sich wenig geändert. Für die Gruppe 0 beträgt der Quotient aus Exporten und Importen 1993 2,35 und 1994 2,14. Damit bewahrt Ungarn diesbezüglich seine Sonderstellung gegenüber den Transformationsländern Polen, Tschechien, Slowakei und Slowenien, bei denen der Quotient 1994 < 1 ist. Ein schärferes Bild bringt die Aufspaltung der Hauptwarengruppen in Zwei- bzw. Dreisteller. In Tabelle 27 sind Warengruppen (Zweisteller) erfaßt, deren Zuwächse über dem Export insgesamt liegen.
13 Schumacher u. a.
194
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
Tabelle 27 Zuwachsraten (überdurchschnittliche) der ungarischen Exporte nach ausgewählten Warengruppen 1992 bis 1994 (in vH) Warengruppe Export insgesamt 04 Getreide und -erzeugnisse 05 Gemüse und Früchte 07 Kaffee, Tee, Kakao und Gewürze
1992/93 97.2 25,7
1993/94 137,7 197,4
109,4
149,8
96,4
163,1
12 Tabak und Tabak waren
86,1
168,2
21 Rohleder u. unbearbeiteter Pelz
96,1
157,3
25 Zellulose und Papierabfälle
57,8
163,3
26 Textilfaden und Textilabfälle
91,6
144,8
35 Elektrischer Strom
216,7
591,8
51 Produkte der anorganische Chemie
114,0
144,8
53 Färb- und Gerbstoffe
117,2
176,4
57 Kunststoffe in Primärformen 58 Kunstharze, Kunststoffprod., Zelluloseester
k.A. 111,9
140,6 177,5
61 Fertigleder, Lederprodukte, Pelze
91,1
150,8
62 Gummiprodukte
87,9
150,3
63 Holzwaren - ohne Möbel - Korken
89,8
160,6
64 Papier, Pappe
89,5
193,4
65 Textilgarne, Stoffe u.s.o Textilprodukte
91,1
149,2
68 Buntmetalle
91,9
176,2
72 Spezialisierte Maschinen
97,9
139,5
75 Büromaschinen und ADV-Anlagen
93,0
144,9
76 Unterhaltungselektronik, Nachrichtentechnik
115,5
170,0
77 Elektromaschinen, -apparate, -gerate
109,1
159,1
79 Sonstige Transportmittel
178,0
261,5
88 Foto-Optik, Uhren 103,9 178.7 Quelle: Eigene Berechnungen auf der Grundlage von Angaben des Landesamtes für Statistik über den ungarischen Außenhandel nach SITC, Rev. 3.
Es zeigt sich, daß der ungarische Außenhandel noch keinen Exportträger auf Dauer hat. Wenn man jedoch akzeptiert, daß die Jahre 1993 und 1994 auf einigen Gebieten Stabilisierungstendenzen zeigen, und voraussetzt, daß sich diese Tendenzen in den nächsten Jahren fortsetzen werden, könnte man folgende Warenhauptgruppen bzw. Produkte als künftig tragende Exportgüter ansehen:
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
195
Vor allem einige Produkte landwirtschaftlicher Herkunft, wie z.B. Gemüse und Obst, Milch und -Milchprodukte, Eier, Ölkerne und ölhaltige Früchte, Rohstoffe tierischen und pflanzlichen Ursprungs. Bei diesen Produkten gibt es ansehnliche Exportsteigerungsraten 22. Als weitere potentielle Exportträger zeigen sich einige Chemieprodukte. Darunter: Produkte der anorganischen Chemie, Farben, Gerbstoffe und Färbemittel, pharmazeutische Produkte, Kunstharze und Kunststoffe. Unter den verarbeiteten Produkten zeichnen sich jene aus nichtmetallischen Mineralien und aus Eisen und Stahl aus. Der Maschinenbau usw. - immerhin mit dem höchsten Anteil am Gesamtexport des Jahres 1994 - hat im Verhältnis zu 1992 gute Steigerungsraten bei Industriemaschinen und Einrichtungen allgemeiner Art, bei Fernmeldetechnik und Unterhaltungselektronik, bei Elektromaschinen, Elektrogeräten, Straßenfahrzeugen und bei sonstigen Transportmitteln erreicht. Demgegenüber sind im Export stark rückläufig u.a. Schuhe, Bekleidung und Accessoires, Büromaschinen und Datenverarbeitunganlagen, Möbel (bei den beiden letztgenannten Warengruppen ist der Inlandbedarf jedoch steigend), Getreide und -produkte, Zucker und -produkte sowie Honig. Der Einfluß der Maßnahmen vom März 1995: Exportförderung und vorübergehende Importdrosselung ist langfristig schwer abzuschätzen. 1995 stiegen die Exporte volumenmäßig gegenüber dem Vorjahr um 12 vH, während die Importe um bis zu 4 vH zurückgingen. Die transformationsbedingten Wandlungen der Warenstruktur der ungarischen Importe weisen auf wesentliche Veränderungen der Importanteile von Rohstoffen einerseits und Fertigerzeugnissen andererseits hin. Der Anteil von Rohstoffen und chemischen Produkten (2 und 6) ging gegenüber 1989 zurück, während die Importe von Fertigwaren (8) an Bedeutung zunahmen (zu den Volumina der Warengruppen vgl. Tabelle A 19).
22
In den ersten 8 Monaten in 1995 konnten die Agrar-Exporteure ihre Lieferungen gegenüber derselben Vorjahresperiode um 21,4 vH steigern. Die Importe gingen um 0,4 vH zurück (Handelsblatt, 10.10.1995). 1*
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
196
Tabelle 28 Anteil der Warengruppen an der Einfuhr 1989 bis 1994 (in vH) Warengruppe 0 Nahrungsmittel und lebende Tiere 1 Getränke und Tabak 2 Rohstoffe (ausgen. Nahrungsmittel und mineralische Brennstoffe) 3 Mineralische Brennstoffe u. Schmiermittel 4 Tierische und pflanzliche Öle, Fette und Wachse 5 Chemische Erzeugnisse a.n.g. 6 Bearbeitende Waren vorw. nach Beschaffenheit 7 Maschinen und elektrotechn. Erzeugnisse u. Fahrzeuge 8 Verschiedene Fertigwaren 9 Waren- und Verkehrsvorgänge, a.n. erfaßt Insgesamt
1994
1989
1990
1991
1992
1993
6,2
4,8
4,7
5,0
0,7
6,3 0,8
0,7
0,7
0,6
0,6
6,3
5,3
4,3
4,0
3,1
3,7
11,8
14,2
15,3
15,0
13,3
11,8
0,1 14,9
0,1 12,5
0,1 13,0
0,2
0,3
16,3
11,9
12,7
17,6
15,6
20,6
20,3
18,2
19,8
33,5
34,6
36,6
34,1
7,8
30,8 10,7
30,0
6,9
12,2
11,1
11,3
100,0
100,0
100,0
0,7
0,4
0,2
100,0
100,0
100,0
5,7
Quelle: Eigene Berechnungen auf der Grundlage von Angaben des Landesamtes für Statistik über den ungarischen Außenhandel nach SITC, Rev. 3.
Im Kontext mit dem wirtschaftspolitischen Konzept der ungarischen Regierung sind jene Untergruppen (Zweisteller) von besonderem Interesse, die den Branchen der verarbeitenden Industrie zuzuordnen sind: vorrangig Branchen der Gruppen 6 bis 8. Die zweistelligen Warengruppen mit den höchsten Zuwachsraten sind in Tabelle 29 zusammengestellt. Die SITC Gruppe 7 hat vom Volumen her das größte Gewicht, etwa ein Drittel des gesamten Imports. Bei Maschinen nehmen derzeit wiederum die Importe von Bestandteilen Spitzenpositionen ein. Das betrifft die über dem Durchschnitt liegenden Importe von Teilen für den Allgemeinen und Werkzeugmaschinenbau, von Teilen und Zubehör für Kfz sowie Standard- und Normteile des Maschinenbaus (Wellen, Kurbeln, Gleitlager usw.). Ebenso betrifft es Importe von mechanischen, optischen und elektrischen (elektronischen) Apparaten und Geräten für verschiedene Verwendungszwecke. Zurückzuführen ist dieser Trend auf die wachsende Fertigung in ausländischen Tochtergesellschaften.
197
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
Tabelle 29 Zuwachsraten (überdurchschnittliche) der ungarischen Importe nach ausgewählten Warengruppen 1992 bis 1994 (in vH) 1992/93 132,3
1993/94 132,2
Ol Fleisch und Fleischprodukte
218,4
257,4
03 Fisch, Krebs, Weichtiere
117,4
158,3
04 Getreide und Getreideerzeugnisse
153,6
160,5
Warengruppe Import insgesamt
05 Gemüse und Früchte
113,5
156,3
07 Kaffee, Tee, Kakao und Gewürze
140,2
181,3
12 Tabak und Tabak waren
113,3
154,3
21 Rohleder und unbearb. Pelz
126,6
179,0
22 Ölkerne und ölhaltige Früchte
116,5
306,3
23 Rohgummi
98,1
148,2
25 Zellulose und Papierabfälle
71,9
183,0
26 Textilfaden und -abfalle
99,6
144,2
28 Metallhaltige Erze und -abfalle
67,2
292,2
42 Pflanzliche Öle und Fette
245,5
216,6
54 Pharmaka und pharmazeutische Produkte
145,3
156,5
56 Düngemittel
124,8
233,9
58 Kunstharze, Kunststoffprod., Zelluloseester
127,8
152,9
63 Holzwaren - ohne Möbel - Korken
109,0
147,8
64 Papier, Pappe
118,0
148,1
68 Buntmetalle
115,0
165,6
69 Metallprodukte
129,9
149,9
74,5
168,1
74 Ind.maschinen u. Ani. f. allg. Bestimmung
116,1
147,7
77 Elektromaschinen, -apparate, -geräte
129,1
157,7
81 Waren für vollst. Fabrikat, ani.
135,3
149,2
73 Metallbearbeitungsmaschinen
Quelle: Eigene Berechnungen auf der Grundlage von Angaben des Landesamtes für Statistik über den ungarischen Außenhandel nach SITC, Rev. 3.
198
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
In Ungarn gibt es keine Alternative zur derzeit exportgestützten Entwicklung (mit Hilfe des Wechselkurses) bei gebremsten Importen (durch Zuschläge auf Einfuhrzölle). Einwände dagegen ließen sich damit begründen, daß der Umfang der Exporte eher durch die Notwendigkeit diktiert wird, die Schulden zu bedienen und die Zahlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten, als daß hierin eine Strategie zur Initiierung binnenwirtschaftlichen Wachstums und einer stabilen ökonomischen Entwicklung erblickt werden könnte (Busch 1996). Das schließt natürlich nicht aus, daß sich aus komparativen Vorteilen bei verschiedenen Fertigwaren und langfristig auch bei forschungsintensiven Gütern strategische Überlegungen für Strukturentscheidungen, Produktivitätserhöhung und ein stabiles binnenwirtschaftliches Wachstum ableiten lassen.
6. Zusammenfassung Ungarn bemüht sich seit 1968, Prinzipien einer marktorientierten Wirtschaft in den binnen- und außenwirtschaftlichen Beziehungen anzuwenden. Die ungarische Reformtradition schuf marktwirtschaftliche Prinzipien und Denkstrukturen. Der endgültige Durchbruch der Reformpolitik kam jedoch erst mit der politischen und wirtschaftlichen Wende 1989. Während der jüngsten fünf Jahre vollzogen sich in Ungarn einmalige Veränderungen. Die Umgestaltung der Wirtschaft, d.h. ihre reformbedingte strukturelle Anpassung, ist in wesentlichen Bereichen abgeschlossen. Der dazu parallel verlaufende Aufbau des rechtlichinstitutionellen Rahmens für die Marktwirtschaft (liberalisiertes Investitionsrecht, effizientes Steuersystem, zweistufiges Bankensystem und weitgehend freie Gütermärkte) ist nahezu abgeschlossen. Das wirtschaftspolitische Instrumentarium zur Steuerung der ungarischen Wirtschaft (vornehmlich die Einflußmöglichkeiten der Geld-, Kredit- und Fiskalpolitik) wurde geschaffen. Dennoch wird es noch Jahre dauern, bis Geschäftsbedingungen und Infrastruktur der neuen Institute dem internationalen Standard entsprechen. Diesbezüglich ist die unbequeme Übergangsphase noch nicht zu Ende. Die Änderung der Eigentumsverhältnisse ist in Ungarn weit fortgeschritten. Ungarn verfolgt eine akzeptable Privatisierungsstrategie auf einer breiten Grundlage. Ein Klein- und mittelständiges Unternehmertum hat sich entwickelt, ein beachtliches Stück Staatseigentum wurde in einem kapitalschwachen Land verkauft. Von den ursprünglich 1 800 Treuhandunternehmen waren im Frühjahr 1994 um die 550 (30 vH) mehrheitlich in privaten Händen. All das vollzog sich bei der Privatisierung über den Kapitalmarkt nicht konfliktlos. So hat sich bei den (kapitalschwachen) Ungarn Unmut gegen die (kapitalstarken) Fremden angehäuft. In diesem Kontext ist auch die Privatisierung der Geschäftsbanken politisch umstritten: Ausländer könnten über Bankbeteiligungen einen unkontrollierbaren Einfluß auf die ungarische Wirtschaft nehmen. Beim Übergang von der planbürokratischen Koordinierung der Wirtschaft zur Marktkoordinierung und -regulierung entstand zwangsläufig ein "Niemandsland" (Kornai), ein Koordinationsstau. Eine tiefgreifende Transformations- oder Anpassungsrezession mit ihren charakteristischen negativen Merkmalen war die Folge: krasse Produktionsrückgänge, offener
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
199
Inflationsausbruch, hohe Arbeitslosigkeit, schrumpfende Realeinkommen. Dies sind sich wechselseitig bedingende Vorgänge, die gleichsam vor dem Hintergrund einer ungeschützten Volkswirtschaft abliefen. Es ist verständlich, daß unter diesen Bedingungen Ressourcenverluste und Vermögensausverkauf die ablaufenden Prozesse begleiteten. Es sind vor allem die niedrigen Einkommen in breiten Bevölkerungsschichten, die zu sozialen Konflikten führen. Ein beträchtlicher Teil der ungarischen Bevölkerung ist mit den Ergebnissen des Systemwechsels unzufrieden. Dabei ist zu bedenken, daß Demokratisierung und Konsumerwartungen entscheidende Schlüssel zur Transformation und schließlich zur Kapitalisierung des Landes waren. Zu den Ergebnissen einer schmerzhaften, aber insgesamt erfolgreichen marktwirtschaftlichen Stabilisierungspolitik gehören: eine sich in kontrollierbaren Grenzen haltende Inflation; beachtliche Westexporte, regionale und strukturelle Umbrüche im Ex- und Import; ein Stopp bei der Auslandsverschuldung, steigende Devisenreserven; ein gutes Standing am internationalen Kapitalmarkt, Zufluß ausländischer Direktinvestitionen; eine wachsende mittelständische Industrie. Einige dieser positiven Trends, die die mehr als vier Jahre anhaltende Kontraktion zum Stillstand gebracht haben, dürften auch in den laufenden Jahren Bestand haben. Doch zeichnet sich eher ein Abschnitt der Stagnation als ein Aufschwung ab. Dafür sprechen folgende Gründe: 1.
Der für 1993 vorhergesagte Wirtschaftsaufschwung ist nicht eingetreten. Es wurde zwar in allen osteuropäischen Ländern damit gerechnet, daß der Übergang von der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft seine Zeit braucht. Ungeachtet dessen wurde eine Zunahme des BIP früher erwartet. Das Ende der Rezession ist nicht mit dem Beginn des wirtschaftlichen Aufschwungs gleichzusetzen.
2.
Der Rückgang der Ausfuhren deutet an, daß der Exportboom als Wachstumsmotor versiegt. Dies kann als Auftakt für eine mittelfristige Verschlechterung der Handels- und Leistungsbilanzrelationen interpretiert werden. Die wirtschaftliche Entwicklung von 1990-1992 war exportgetrieben. Ihr lag noch kein eigenständiger Zyklus im Konjunkturverlauf zugrunde. Angesichts der dürftigen Wirtschaftsentwicklung in Westeuropa und der strukturelle Umbrüche in der ungarischen Wirtschaft bleiben die Aussichten auf eine neue starke Exportbelebung zerbrechlich.
3.
Die inländischen Nachfragekomponenten (Investitionen, privater und staatlicher Konsum) verharren auf einem relativ niedrigen Niveau. Angesichts der geringen Investitionsneigung der Unternehmen, der sinkenden Realeinkommen der privaten Haushalte und der Budgetdefizite des Staates erholt sich die Binnennachfrage nur sehr langsam, so daß sich die Wirtschaft in einem Circulus vitiosus befindet, aus dem sie nur schrittweise herauskommt. Konsumausgaben (Nachfrageeffekt) ließen sich erhöhen durch eine redistributive Besteuerung zugunsten einkommensschwacher Schichten der Bevölkerung.
200
4.
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
Das anhaltend hohe Budgetdefizit erweist sich als die Achillesferse der ungarischen Wirtschaft. Als Hauptgrund für die Budgetprobleme gelten der Ausfall von Steuereinnahmen infolge der anhaltenden Anpassungskrise der Staatsunternehmen. Das Budgetdefizit erschwert ganz erheblich den Aufbau eines effizienten Kapitalmarktes, weil der Staat fast die gesamte private Ersparnis für sich beansprucht und nur wenig Mittel zum Aufbau der Wirtschaft übrigläßt. Die darauf folgende Budgetfinanzierung über langfristige Schuldverschreibung kann das Problem nicht lösen.
5.
Die Liquidation nicht überlebensfähiger Unternehmen ist noch nicht abgeschlossen. Außerdem bestehen in den Betrieben erhebliche Überkapazitäten, weil in den vergangenen Jahren die Beschäftigung langsamer abgebaut wurde als die Produktion. M i t einem deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit ist folglich vorerst nicht zu rechnen. Schon wegen der sozialen und politischen Folgen der Arbeitslosigkeit bleibt die Regierung staatlichen Betrieben gegenüber auf Schonkurs. Sie gewährt Zahlungsaufschübe und hilft mit Sanierungsprogrammen.
6.
Rückgang des Exports, Schuldendienst und Budgetsanierung erfordern Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen. Bleibt dies aus, könnte eine restriktive Geldpolitik zu einer Erstickung der Wirtschaft führen. Andererseits führt der weitere Abbau von Sozialleistungen (das Sozialversicherungssystem verschlang 1992 gut ein Drittel der zentralen staatlichen Ausgaben) zu sozialen Spannungen. Stopft man die Finanzierungslücken, die bei der sozialen Absicherung entstehen wie bisher durch Privatisierungseinnahmen, verengen sich die Möglichkeiten der Kapitalbildung als Voraussetzung des Modernisierungsprozesses.
Eine Schlüsselfrage für den Reformprozeß ist seine weitere Finanzierung. Aus der jetzigen Zwangslage heraus wächst die Versuchung, schmerzhafte Reformschritte aufzuschieben und die Politik der "Selbstzerstörung" zumindest partiell zu begrenzen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil infolge der Länge des Anpassungsprozesses die Akzeptanz der Bevölkerung für die notwendigen Reformen schwindet. Es ist festzuhalten, daß die Ungarische Nationalbank ihr Schuldenmanagement höchst professionell handhabt. Sie hat ein internationales Kreditstanding und ein entsprechendes Rating. Gegenüber dem IWF muß sie dagegen einen fortwährenden Balanceakt ausführen. Der Währungsfonds fordert nicht nur, daß Ungarn sein Budgetdefizit in Grenzen hält, sondern auch Reformen des Bankwesens. Derzeit existieren noch "Schuldenketten" querdurch die Volkswirtschaft. Ungarn muß aus der Transformationsrezession herauskommen und die Wirtschaft auf Wachstumskurs bringen. Als zu erwartendes Nebenprodukt wird - mit einer Verzögerung die Steigerung der Arbeitslosigkeit gestoppt, später wird die Beschäftigung zunehmen. Außerdem wird der Staatshaushalt von der Einnahmenseite her entlastet. In diesem Kontext mehren sich in Ungarn die Stimmen, die vom Staat Schutz vor weiterem Rückfall erwarten und von ihm Initiative, Hilfe und Verantwortung zur Belebung der Wirtschaft fordern. Das betrifft u.a. die Verschiebung der Akzente der Wirtschaftspolitik
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
201
von der makroökonomischen Stabilisierung in Richtung auf staatliche Belebungs- und Modernisierungsmaßnahmen sowie Infrastrukturinvestitionen. Ebenso wird die Verantwortung des Staates darin gesehen, das Denken nicht einseitig darauf zu richten, daß die Unternehmen nach außen expandieren, sondern Verarbeitungsketten schaffen, die möglichst viel Wertschöpfung im Lande selbst zur Folge haben. Die Klein- und Mittelbetriebe sind ein Hoffnungsträger beginnender und künftiger Strukturveränderung in allen drei Sektoren der Volkswirtschaft. Als Nebeneffekt der Privatisierung, der Bildung von Kleinst-, Klein- und Mittelbetrieben mit Zulieferfunktionen für sogenannte strategische ausländische Firmen, ergibt sich die Gefahr der Zerbröselung der ungarischen Industrielandschaft. Ungarn hat seit dem Ende des II. Weltkriegs im Zuge der planwirtschaflichen Industrialisierung das Stadium des Agrarlandes überwunden. Die Einschätzung, daß sich das Land jetzt auf dem Übergang zu einer Dienstleistungsgesellschaft befindet, ist allerdings verfrüht, da dem tertiären Sektor infolge der niedrigen Einkommen der eigenen Bevölkerung die Lebensfähigkeit fehlt. Die Dienstleistungsgesellschaft erwächst aus der Leistungsfähigkeit des primären und sekundären Sektors. Die ungarische Politik orientiert sich vorwiegend auf den Westen. Die Zusammenarbeit mit der EU wird als die Drehscheibe der außenpolitischen und allgemeinen Entwicklung Ungarns angesehen. Die Allianz von Visegrad gilt dagegen als eine Ergänzung zu dem Zweck, gemeinsam den Weg nach Europa zu bahnen und Schwierigkeiten mit den Nachbarstaaten mit "europäischer Begleitung" zu lösen. Alles in allem ist Ungarn - nach eigenen Einschätzungen - "europareifer" als andere mittel- und osteuropäische Länder. Es hat am 1.04.1994 den Antrag auf EU-Vollmitgliedschaft gestellt. Bis 1997 will das Land die letzten Fesseln des Staatslenkungssystems abgestreift haben. So wird es bis dahin verhandlungsreif und bis zum Jahre 2000 beitrittsreif sein. Da die Integration mit Westeuropa auf sich warten läßt, ist indessen in Ungarn ein Prozeß des Umdenkens im Gange. Die Zusammenarbeit mit den mittel- und osteuropäischen Ländern rückt wieder stärker ins Interesse der politischen Öffentlichkeit.
202
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
Literatur Antall, József (1990): Aus der Programmrede vom 22. Mai 1990. In: Halbzeit: Die ersten zwei Jahre der neuen ungarischen Regierung, Mai 1990 bis Mai 1992, S. 7-8. Bednar, Heinz, Zoltan Walko( 1995): Geldpolitische Entwicklungen in Ungarn. In: Osteuropa Perspektiven, Hrsg.: BA-GC Investmentbank Austria AG-Research, Wien, April/Mai, S. 17-20. Busch, Ulrich (1996): Kapitalimport und Entwicklung: ungarische Erfahrungen. In: Utopie kreativ, Heft 63, Januar, S. 54. Cichy, E. Ulrich (1993): Wirtschaftliche Transformation in Ungarn. In: Vierteljahresberichte der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, Nr. 132, Juni, S. 129-138. Deutsche Bank Research (1993): Osteuropa auf Reformkurs, Heft 2: Ungarn, vom 01.02.1993. DIW (1993): Die Lage der Weltwirtschaft und der deutschen Wirtschaft im Herbst 1993, Wochenbericht 43/1993, S. 611-615. DIW ( 1994): Gesamtwirtschaftliche und unternehmerische Anpassungsfortschritte in Ostdeutschland, Wochenbericht 31/1994, S. 540-543. Englert, Heidemarie (1993): Umbruch in Ungarn: Hintergründe, Kräfte, Resultate. Reihe Internationale Probleme und Perspektiven, Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung, Heft 1, S. 8-24 Europäische Kommission, Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen (1996): Europäische Wirtschaft, Beiheft C (Wirtschaftsreformen), Nr. 1, S. 7-9. Fakten und Daten über die ungarische Privatisierung
(1993), DIW-Archiv.
Fekete, Sändor (1983): Das ungarische Experiment. In: Europäische Rundschau 2/1983, S. 133-140. Habuda, Judit (1995): Ungarische Wirtschaft 1995: Wird das Wirtschaftswachstum Opfer der radikalen Stabilisierung? In: ifo Schnelldienst 5/95, S. 21-27. Holzhacker, Hans (1995): Transformation, Phase zwei: von Liberalisierung und Stabilisierung zur Modernisierung. In: Osteuropa Perspektiven, Hrsg.: BA-GC Investmentbank Austria AG-Research, Wien, April/Mai, S. 9-10. Inotai, Andrâs (1995): Ausländische Direktinvestitionen in Ungarn. Beitrag für die Tagung "Ungarn im Umbruch", 6.-8.4.1995 in Kassel. Kornai, Jânos (1993): Transzformaciós visszaesés (Transformationsrückfall. Untersuchung einer allgemeinen Erscheinung am Beispiel der ungarischen Entwicklung). In: Közgazdasâgi Szemle, Budapest, Nr. 7-8, S. 569-599.
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
203
Ministerium für Industrie und Handel (o.J.): Iparpolitika a 90-es évekre (Industriepolitik für die 90-er Jahre), Budapest. Osteuropa Perspektiven Wien.
(1995), Hrsg.: BA-GC Investmentbank Austria AG-Research,
Probst, Joachim (1994): Ungarn: Wirtschaftstrends zum Jahreswechsel 1994/95. In: bfai Länderreport, Hrsg.: Bundesstelle für Außenhandelsinformation, Dezember, S. 2-12. Wolff v. Amerongen, Otto (1996): In Budapest wird der Markt noch zwiespältig beurteilt. In: Handelsblatt vom 13.2.1996, S. 8.
Statistische Periodika
und Informationen, Hrsg.: Landesamt für Statistik, Budapest.
Magyar Statisztikai Evkönyv (Statistisches Jahrbuch Ungarn) Statisztikai Havi Kôzlemények (Statistische Monatshefte) Konjunkturajelentés (Konjunkturbericht) Tajékoztató (Informationen)
Wirtschaftsdienste Nf A (Nachrichten für Außenhandel), Hrsg.: Bundesstelle für Außenhandelsinformation (BfAI), Köln. vwd-Osteuropa bzw. vwd-Mittel- und Osteuropa, Hrsg.: Vereinigte Wirtschaftsdienste GmbH, Eschborn.
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
204
Tabelle A 1 Anzahl der Unternehmen nach Rechtsformen 0 Rechtsform
1990
1991
1992
1993
Gesellschaften/Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit
29 470
52 756
69 386
87 060
91 229
Gesellschaften/Unternehmen ohne eigene Rechtspersönlichkeit
27 571
44 279
60 762
87 394
92 393
510 459
606 207
692 678
778 036
Einzelunternehmen
-
Staatshaushaltsorgane Versicherungsgesellschaften Sonstige, nicht gewinnorientierte Einrichtungen 0
22 296
15 9152)
15 0912)
--
--
27 497
33 891
14 731 151 38 523
1994
15 1182> —
44 813
Umfaßt jene Unternehmen, die zum gegebenen Zeitpunkt eine Geschäftstätigkeit ausgeübt haben. D.h. die Zahl enthält auch die Unternehmen, die sich unter Auflösung oder unter Konkursverfahren befinden.- 2 ) Einschließlich Versicherungsgesellschaften. Quellen: Statisztikai Havi Kôzlemények, 1994/1, S. 94, und 1995/1, S. 114; Magyar Statisztikai Evkönyv 1994, S. 65.
Wirtschaftszweig; Zahl der Beschäftigten Insgesamt GmbH AG GenossenKommanditPersonengeSonstige UnΞ I schaft gesellschaft sellschaft ternehmen A + B Land-und Forstwirtschaft, Fischerei 36 944 3 192 173 2 057 2 369 29 117 36 C Extraktive Industrie 320 204 10 7 42 42 15 D Verarbeitungsindustrie 114 126 16 461 892 1 500 12 013 82 989 271 E Energie- und Wasserversorgung 374 217 60 0 73 0 24 F Bauindustrie 70 783 8 130 167 1 237 6 914 54 236 99 G Handel, Rep. v. Kfz. u. Gebrauchsgütern 305 410 34 846 600 753 35 404 233 672 135 H Hotels und Gaststätten 39 827 3 226 87 27 4 455 32 018 14 I Verkehr und Nachrichtenübermittlung 65 069 3 585 115 106 3 581 57 658 24 J Kredit-und Versicherungsgewerbe 1 412 638 199 262 311 0 2 Κ Grundstücksverwaltung, Vermietg., Dienstl. f. Unternehmen 268 128 15 142 550 2 129 17 950 232 221 136 L Öff. Verwaltung, Sozialversicherung 39 0 0 0 39 0 0 M Bildung 1 742 503 10 7 1 219 0 3 Ν Gesundheitswesen 11 938 606 6 29 2 011 9 286 0 Ο Sonstige öff. u. priv. Dienstleistungen 57 191 2 600 56 151 4 373 49 952 59 P+Q Häusl. Dienste, Sonstige Tätigkeiten 5 0 0 0 5 0 0 Insgesamt 973 308 89 350 2 925 8 265 90 759 781 191 818 Davon Beschäftigte > 300 1 163 322 623 98 4 21 95 51-300 5 664 2 930 777 1 557 72 120 208 21-50 8 737 6 087 426 1 345 307 428 144 11 bis 50 15 276 11 469 234 1 574 803 1 061 135 < 11 942 468 68 542 865 3_691 89 573 779 561 236 Quelle: Statisztikai Havi Kôzlemények 1995/1, S. 118.
Kode
Tabelle A 2 Anzahl der Gesellschaften/Unternehmen nach Wirtschaftszweigen, nach Rechtsformen und nach Größenklassen, Dez. 1994
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
Wirtschaftszweig
I
1993 |
1994 1993 \ Vnriahr - inno laufende Preise, Mrd.Ft voqanr
1992
1992 |
1993 [
Anteil d. Zweiges in vH
1994~
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei 189,9 209,2 276,0 93,3 97,9 7,24 6,66 7,04 Extraktive Industrie 32,2 20,1 19,9 55,9 86,7 1,23 0,64 0,51 Verarbeitungsindustrie 583,1 691,7 850,1 106,3 103,7 22,22 22,02 21,70 Energie-und Wasserversorgung 102,0 123,8 128,9 110,2 104,2 3,89 3,94 3,29 Bauindustrie 153,9 166,8 214,6 93,6 110,3 5,86 5,31 5,48 Handel, Rep. ν. Kfz. u. Gebrauchsgütern 284,0 354,5 421,4 95,1 95,2 10,82 11,29 10,75 Hotels und Gaststätten 57,6 63,5 75,1 93,1 99,7 2,19 2,02 1,92 Verkehr und Nachrichtenübermittlung 245,3 281,9 332,6 94,9 101,2 9,35 8,98 8,49 Kredit-und Versicherungsgewerbe 109,1 145,6 246,4 114,8 129,8 4,16 4,64 6,29 Grundstücks Verwaltung, Vermietg., Dienstl. f. UnK temehmen 317,3 412,3 518,3 103,8 105,4 12,09 13,13 13,23 L Öff. Verwaltung, Sozialversicherung 187,4 235,8 288,6 101,4 103,9 7,14 7,51 7,37 M Bildung 141,7 173,6 218,9 100,4 105,0 5,40 5,53 5,59 Ν Gesundheitswesen 123,8 148,4 186,0 102,4 106,4 4,72 4,73 4,75 Ο Sonstige öff. u. priv. Dienstleistungen 97,0 113,5 141,4 95,6 103,6 3,70 3,61 3,61 P+Q Häusliche Dienste, Sonstige Tätigkeiten 0 0 0 0 0 0,00 0,00 0,00 Insgesamt 2 624,3 3 140,7 3 918,2 19,7 24,8 100,00 100,00 100,00 Unterstellte Bankgebühren (FISIM) -100,6 -124,4 -197,4 BIP zu Herstellungspreisen 2 523,7 3 016,3 3 720,8 100,1 102,9 Saldo der Produktsteuern 411,4 521,5 630,1 93,2 102,7 BIP zu Marktpreisen 2 935,1 3 537,8 4 350,9 99,2 102,9 BIP je Kopf in Ft 284 303 343 694 424 015 20,9 23,4 BIP je Kopf in US-$ 3 599 3 734 4 019 3,8 7,6 Quelle: Magyar Statisztikai Evkönyv 1994, S. 75; eigene Berechnungen.
A+B C D E F G Η I J
Kode
Tabelle A 3 Entstehungsseite des Bruttoinlandsprodukts nach Wirtschaftszweigen 1994
206 Gerhard Kraft und Agnes Pähl
1992 1993 1994
1993
1994
laufende Preise, Mrd. Ft Vorjahr =100,0 vH 1 Konsumausgaben der privaten Haushalte 1 674,5 2 069,3 2 470,7 102,3 100,5 2 Konsumausgaben des Staates 796,7 1 030,3 1 179,2 109,3 94,9 3 Konsumausgaben der priv. Org. o. Erw.zw. 26,1 41,3 49,0 130,6 100,3 4=1+2 + 3 Konsumausgaben insgesamt 2 497,3 3 140,9 3 698,9 104,9 98,6 6=5+3 Transferzahlungen 470,3 562,8 681,3 98,3 101,3 5 dar.: vom Staat 444,2 521,5 632,3 96,3 101,3 7=1+6 Individualkonsum 2 144,8 2 632,1 3 152,0 101,5 100,7 8=2-5 Kollektivkonsum 352,5 508,8 546,9 125,3 88,8 9 Bruttoanlageinvestitionen 577,1 661,1 865,4 101,7 112,2 10 Vorratsveränderung -131,4 26,9 67,9 11=9 + 10 Bruttoinvestitionen insgesamt 445,7 688,0 933,3 135,5 116,3 12=4+11 Inländische Verwendung 2 943,0 3 828,9 4 632,2 109,7 102,1 13 Außenbeitrag (Exporte minus Importe) -7,9 -291,1 -281,3 14 = 12+13 Bruttoinlandsprodukt 2 935,1 3 537,8 4 350,9 9^2 102,9 Quelle: Magyar Statisztikai Evkönyv 1994; eigene Berechnungen.
~~ . Bezeichnung
Tabelle A 4 Verwendungsseite des Bruttoinlandsprodukts
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
208
Tabelle A 5 Bruttoproduktion zu Marktpreisen nach Wirtschaftszweigen (in Mrd. Ft, laufende Preise) ISIC-Code
Wirtschaftszweig
1992
1993
1994
Α + Β C D E F G H I J Κ
541,1 66,6 1 912,5 294,8 334,9 689,7 106,4 439,5 164,0
551,7 48,4 2 124,9 363,0 364,3 747,6 117,0 504,2 209,3
680,3 47,5 2 559,5 339,6 481,7 885,2 138,9 598,6 329,7
L M N 0
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei Extraktive Industrie Verarbeitungsindustrie Energie- und Wasserversorgung Bauindustrie Handel, Rep. v. Kfz. u. Gebrauchsgütern Hotels und Gaststätten Verkehr und Nachrichtenübermittlung Kredit- und Versicherungsgewerbe Grundstücks Verwaltung, Vermietg., Dienstl. f. Unternehmen Öff. Verwaltung, Sozialversicherung Bildung Gesundheitswesen Sonstige öff. u. priv. Dienstleistungen
494,9 281,5 183,9 187,6 188,8
622,3 416,7 221,3 224,1 233,8
782,4 418,2 272,4 279,7 284,4
A- 0
Insgesamt
5 886,2
6 748,6
8 098,1
Quelle : Magyar Statisztikai Evkönyv 1994, S. 74.
Tabelle A 6 Konsum Preisindex (Inflationsrate) nach Hauptausgabengruppen 1989
1990
1991
1992
1993
1994
1980 =: 100,0 Lebensmittel
206,0
278,5
339,5
405,4
523,9
646,4
Alkoholische Getränke, Tabak
200,5
262,1
327,8
392,0
464,9
541,1
Bekleidung
249,0
307,0
405,6
498,9
582,2
675,9
Langlebige Konsumgüter
171,1
206,7
272,2
311,1
345,3
386,1
Haushaltsenergie, Heizung
202,2
258,0
467,0
668,7
804,5
898,6
Sonstige Waren, Kraftstoffe
228,6
294,7
422,6
537,5
653,6
777,8
Dienstleistungen
241,2
302,9
429,8
541,5
672,0
808,4
Insgesamt
215,0
277,1
374,1
460,1
563,6
669,6
Quellen: Magyar Statisztikai Evkönyv 1993, S. 248; Statisztikai Havi Kôzlemények 1995/1, S.
106.
209
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
Tabelle A 7 Investitionen nach materiell-technischer Zusammensetzung und nach Herkunft (in Mill. Ft, laufende Preise) 1991 Bau Maschinen (oh. Bau) - inländisch - ausländisch Sonstiges Insgesamt
264 747 187 093 89 288 97 805 40 010 491 850
1992
1994
1993
277 679 226 128 85 076 141 052 51 762 555 569
323 565 257 566 100 845 156 721 57 181 638 312
432 440 334 500 137 648 196 852 75 797 842 737
Quelle: Magyar Statisztkai Evkönyv 1994, S. 92.
Tabelle A 8 Investitionen nach Wirtschaftszweigen (zu konstanten Preisen, Vorjahr = 100) ISIC-Code
Wirtschaftszweig
A + B C D E F G H I J Κ L M N O
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei Extraktive Industrie Verarbeitungsindustrie Energie- und Wasserversorgung Bauindustrie Handel, Rep. v. Kfz. u. Gebrauchsgütern Hotels und Gaststätten Verkehr und Nachrichtenübermittlung Kredit- und Versicherungsgewerbe Grundstücksverwaltung, Vermietg., Dienstl. f. Unternehmen Öff. Verwaltung, Sozialversicherung Bildung Gesundheitswesen Sonstige öff. u. priv. Dienstleistungen
A-0
Insgesamt
Quelle: Magyar Statisztikai Evkönyv 1994, S. 93.
14 Schumacher u. a.
1991
1992
1993
1994
62,5 118,9 139,3 97,3 101,8 92,3 92,4 106,1 95,0
65,0 63,0 75,8 114,0 84,4 105,6 103,2 140,5 85,3
105,8 122,0 89,7 85,0 120,5 98,4 112,6 54,5 119,1
103,3 115,3 111,0 107,8 120,3 140,7 101,0 83,5 128,3
93,5 78,4 80,9 77,5 74,0
116,7 86,8 124,7 139,6 141,0
107,8 103,4 98,9 105,2 101,0
97,8 102,7 122,3 91,0 116,6
87,7
98,5
102,5
112,3
210
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
Tabelle A 9 Einnahmen des Staatshaushaltes (in M i l l . Ft) 1993 Ist Einzahlungen der Körperschaften Konsumabhängige Steuern Einzahlungen der Bevölkerung Einzahlungen der Staatsk.org. Einzahlungen der Selbstverwaltungen Einzahlungen aus internat. Beziehungen Körperschaftssteuer u.v. Finanzinstituten Sonstige Einnahmen Schuldendienst Einnahmen insgesamt Mehrausgaben (Defizit)
1994 Plan
1994 Ist
217 595 434 927 225 507 3 983 1 381 86 326 8 350 4 685 58 373
218 400 491 800 268 500 4 084 200 26 500 23 000 8 883 93 700
257 971 500 643 263 397 4 617 809 30 132 30 448 7 616 95 710
1 041 126 199 667
1 135 067 339 960
1 191 342 321 702
Quelle: Statisztikai Havi Kôzlemények 1995/1, S. 91.
Tabelle A 10 Ausgaben des Staatshaushaltes (in M i l l . Ft)
Subventionen an Körperschaften Stützung von Verbraucherpreisen Akkumulationsausgaben Garantie und Beteiligung an der Sozialversicherung Sozialversicherungsleistungen Subventionen an zentralen staatlichen Organen Subventionen an die Selbstverwaltung Abgegrenzte Budgetfonds Ausgaben im Zusammenhang mit internat. Finanzbeziehungen Schuldendienst Sonstige Ausgaben Übernahme von Garantien Ausgaben insgesamt
1993 Ist
1994 Plan
1994 Ist
60 244 21 735 62 614
78 958 27 000 71 613
101 114 27 047 73 223
8 218 126 706
7 000 199 181
7 000 203 022
394 514 266 869 75 880
337 036 298 520 37 410
349 842 298 594 37 410
17 398 184 734 11 814 10 067
36 000 360 600 9 709 12 000
36 467 360 211 7 852 11 263
1 240 793
1 475 027
1 513 044
Quelle: Statisztikai Havi Kôzlemények 1995/1, S. 92.
211
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
Tabelle A 11 Aktiv Erwerbstätige nach Wirtschaftszweigen (in 1000 Personen) 1993
1994
349,4 42,2 937,8 105,1 207,1 469,5 110,4 336,3 72,6
327,6 39,2 888,8 108,3 201,0 467,4 110,6 314,5 72,9
137,6 299,5 342,8 241,6 173,9
125,6 320,2 338,6 239,0 197,2
3 825,8 41,1
3 750,9 - 50,2
3 866,9
3 700,7
Wirtschaftszweig
ISIC-Code
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei Extraktive Industrie Verarbeitungsindustrie Energie- und Wasserversorgung Bauindustrie Handel, Rep. v. Kfz. u. Gebrauchsgütern Hotels und Gaststätten Verkehr und Nachrichtenübermittlung Kredit- und Versicherungsgewerbe Grundstücksverwaltung, Vermietg., Dienstl. f. Unternehmen Öff. Verwaltung, Sozialversicherung Bildung Gesundheitswesen Sonstige öff. u. priv. Dienstleistungen
Α + Β C D E F G H I J Κ L M N O A-O Statist. Differenz Aktiv Erwerbstätige insgesamt
Quelle: Magyar Statisztikai Evkönyv 1994, S. 57.
Tabelle A 12 Registrierte Arbeitslose nach ihrer Qualifikation (in 1000 Personen)
1991 1992 1993 1994 Jan. 1995
Facharbeiter
Arbeiter
Hilfsarbeiter
Geistig Tätige
Gesamt
135 661 232 243 226 701 184 258 195 877
97 148 154 857 143 505 123 946 130 406
105 810 167 063 154 273 120 408 126 709
67 505 108 864 107 571 90 980 92 453
406 124 663 027 632 050 519 592 545 445
Quelle: Statisztikai Havi Kôzlemények 1995/1, S. 16.
14*
212
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
Tabelle A 13 Struktur der Industrieproduktion (in vH) 1985 C,D,E C
D E
Industrie Gesamt darunter Extraktive Industrie Lebensmittel, Getränke, Tabak waren Textilien, Bekleidung, Leder und Pelze Holz, Papier, Druckereiwaren Chemieprodukte Nichtmetallische Produkte Hüttenwesen u. Metallverarbeitung Maschinenbau Sonstige verarb. Industrie Sekundärrohstoffgew innung Verarbeitungsindustrie Elektroenergie, Gas, Wärme, Wasser
1994
1990
100,0
100,0
100,0
2,3 20,9
2,0 22,5
1,5 24,4
8,3 3,6 19,3 3,2 11,8 18,9 0,0 1,8 87,8 9,9
6,5 4,4 19,9 3,5 10,5 17,0 0,1 1,6 85,9 12,0
5,2 5,5 19,1 3,3 10,0 17,2 0,0 1,4 86,2 12,3
Quelle: Magyar Statisztikai Evkönyv 1994, S. 130.
Tabelle A 14 Industrieproduktion (1985 = 100)
C,D,E C
D E
Industrie Gesamt darunter Extraktive Industrie Lebensmittel, Getränke, Tabakwaren Textilien, Bekleidung, Leder und Pelze Holz, Papier, Druckereiwaren Chemieprodukte Nichtmetallische Produkte Hüttenwesen u. Metallverarbeitung Maschinenbau Sonstige verarb. Industrie Sekundärrohstoffgewinnung Verarbeitungsindustrie Elektroenergie, Gas, Wärme, Wasser
1989
1990
1991
1992
1993
1994
97,9
88,8
72,5
65,5
68,1
74,6
90,0 98,6
79,4 97,7
71,1 91,1
58,4 87,5
57,6 83,7
48,3 88,3
81,5 118,4 100,1 101,0 97,5 97,4 0,0 92,1 97,5 107,4
70,3 111,2 93,3 96,3 80,7 81,6 0,0 84,4 87,5 108,2
52,1 98,5 75,0 68,4 57,6 58,0 0,0 65,6 69,0 105,5
44,2 104,7 69,7 66,8 46,8 51,6 0,0 58,5 63,3 90,4
45,2 113,1 70,6 73,9 53,3 57,1 0,0 62,4 65,3 88,5
47,1 116,7 74,5 76,7 64,0 68,7 0,0 60,2 71,4 90,0
Quelle: Magyar Statisztikai Evkönyv 1994, S. 128-129.
213
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
Tabelle A 15 Außenhandel Ungarns (in Mrd. Ft, laufende Preise) Jahre
1
2
4
3
5
6
Einfuhren 1989
232,2
291,3
260,0
151,8
31,3
523,5
1990
201,0
343,9
289,9
169,1
54,0
544,9
1991
205,8
637,3
569,6
351,9
67,7
855,6
1992
222,3
649,3
612,3
375,4
37,0
878,5
1993
348,4
805,3
754,6
466,1
50,8
1 162,5
1994
368,7
1 154,2
697,1
697,1
69,2
1 537,0
141,8
48,2
571,3
Ausfuhren 1989
270,4
1990
227,3
376,3
327,2
194,5
49,1
603,6
1991
180,2
583,6
519,3
349,6
64,3
764,3
1992
196,7
646,0
601,1
419,7
45,0
843,6
381,1
44,5
819,9
575,1
44,3
1128,7
300,9
252,7
1993
216,1
599,0
554,4
1994
261,0
857,1
812,9
1989
38,2
9,6
-7,3
-10,0
19,9
47,8
1990
26,3
32,4
37,3
25,4
-4,9
58,7
1991
-25,7
-53,7
-50,3
-2,4
-3,4
-91,4
1992
-25,6
-3,2
-11,2
44,4
8,0
-34,9
1993
-132,3
-206,4
-200,1
-85,0
-6,2
-342,6
1994
-107,7
297,0
272,1
-122,0
-24,9
-408,3
Saldo
1) Transformationsländer (ehem. sozialistischen Länder) und Länder mit nicht marktwirtschaftlicher Organisation. 2) Länder mit marktwirtschaftlicher Organisation. 3) Davon Industrieländer. 4) Davon EU-Länder. 5) Entwicklungsländer. 6) Insgesamt. Quelle: Magyar Statisztikai Evkönyv 1993, S. 215, und 1994, S. 247.
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
214
Tabelle A 16 Volumenindizes des Außenhandels (Vorjahr = 100) Jahre
1
4
3
2
5
6
Einfuhren 1989
93,3
108,8
111,0
-
94,8
101,1
1990
86,1
101,5
96,5
-
141,8
94,8
1991
56,6
130,2
132,5
-
108,7
105,5
1992
98,9
91,2
93,6
-
60,1
92,4
1993
148,8
111,8
110,1
127,1
120,9
1994
92,3
123,6
124,0
114,2
114,5
99,6
100,3
--
Ausfuhren 1989
93,9
107,1
109,1
--
--
1990
79,3
109,2
112,0
94,8
95,9
1991
55,6
119,5
121,7
105,6
95,1 101,0
1992
98,6
101,7
105,5
68,8
1993
93,8
84,0
84,3
-
87,1
86,9
1994
104,0
120,6
123,3
-
85,5
116,6
1) Transformationsländer (ehem. sozialistischen Länder) und Länder mit nicht marktwirtschaftlicher Organisation. 2) Länder mit marktwirtschaftlicher Organisation. 3) Davon Industrieländer. 4) Davon EU-Länder. 5) Entwicklungsländer. 6) Insgesamt. Quelle: Magyar Statisztikai Evkönyv 1993, S. 214, und 1994, S. 246.
215
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
Tabelle A 17 Außenhandel nach Hauptwarengruppen (Vorjahr = 100)
Hauptwarengruppen
Einfuhren 1991
1992
1993
Ausfuhren 1994
1991
1992
1993
1994
Transformationsländer und Nichtmarktwirtschaften Energieträger, Elektroenergie
69,1
113,1
115,2
99,7
74,5
252,6
157,0 140,6
Material, Halbzeug, Ersatzteile
51,8
87,9
107,9
123,1
75,3
103,2
102,5
89,2 61,8
Maschinen, Transportmittel, sonstige Investitionsgüter
31.7
86,8 667,0 82,8
39,0
28,8
73,4
149,4
166,0
137,9
32,9
96,4
134,1 135,3
Industrielle Konsumgüter
56,4
Lebensmittel, Rohmaterial für Lebensmittel, lebende Tiere
64,4
69,8
107,8
143,0
88,3
103,8
57,3
128,9
Insgesamt
56,6
98,9
148,8
92,3
55,6
98,6
57,3
104,0
Marktwirtschaftsländer Energieträger, Elektroenergie
153.8
21,9
92,1
190,8
79,3
166,2
94,1 116,1
107,2
93,4
109,5
121,3
116,5
96,5
87,9 122,6
Lebensmittel, Rohmaterial für Lebensmittel, lebende Tiere
148.9 176.2
90,1 97,0
115,3 111,0
127,2 121,0
109,1 130,3
99,5 119,9
84,4 142,0 78,2 123,8
104,0
104,0
117,7
127,0
125,2
85,0
Insgesamt
130.3
91,2
111,8
123,6
119,5
101,7
84,0 120,6
Energieträger, Elektroenergie
86,3
94,9
114,6
106,2
78,4
179,9
109,4 123,9
Material, Halbzeug, Ersatzteile
93,1
89,9
109,0
121,6
106,4
97,8
91,5
Material, Halbzeug, Ersatzteile Maschinen, Transportmittel, sonstige Investitionsgüter Industrielle Konsumgüter
84,5
99,8
Insgesamt
116,2
Maschinen, Transportmittel, sonstige Investitionsgüter
122,5
90,6
152,7
100,0
57,3
90,4
103,3 108,7
Industrielle Konsumgüter
147,7
95,7
115,7
122,7
98,1
117,1
84,2 125,9
94.8
97,7
117,7
126,9
109,0
92,0
72,8 110,3
105,5
92,4
120,9
114,5
95,1
101,0
86,9 116,6
Lebensmittel, Rohmaterial für Lebensmittel, lebende Tiere Insgesamt
Quelle: Magyar Statisztikai Evkönyv 1993, S. 218.
Gerhard Kraft und Agnes Pähl
216
Tabelle A 18 Entwicklung der ungarischen Exporte nach SITC-Warengruppen 1992 bis 1994
Warengruppe
Ausfuhren, Mill. Ft 1993
1994
Entwicklung in vH 1992 = 100
1993 = 100
137 531
186 392
80,3
135,5
1 Getränke und Tabak
18 785
22 425
148,9
119,4
2 Rohstoffe (ausgen. Nahrungsmittel und mineralische Brennstoffe)
46 978
59 236
100,7
126,1
3 Mineralische Brennstoffe und Schmiermittel
33 220
44 942
114,4
135,1
8 143
10 017
80,7
123,0
0 Nahrungsmittel und lebende Tiere
4 Tierische und pflanzliche Öle, Fette und Wachse 5 Chemische Erzeugnisse a.n.g.
99 442
126 974
109,1
127,7
6 Bearbeitete Waren vorw. nach Beschaffenheit
132 251
186 873
97,9
141,3
7 Maschinen und elektrotechnische Erzeugnisse und Fahrzeuge
197 331
288 673
112,7
146,3
8 Verschiedene Fertigwaren
145 654
202 438
84,7
139,0
580
724
132,7
124,8
819 915
1 128 694
97,2
137,7
9 Waren und Verkehrsvorgänge a.n. erfaßt Insgesamt
Quelle: Magyar Statistikai Evkönyv 1993, S. 224-226, und 1994,S. 256-258.
217
Ungarn: Hohe ausländische Direktinvestitionen
Tabelle A 19 Entwicklung der ungarischen Importe nach SITC-Warengruppen 1992 bis 1994
Warengruppe 0 Nahrungsmittel und lebende Tiere 1 Getränke und Tabak 2 Rohstoffe (ausgen. Nahrungsmittel und mineralische Brennstoffe) 3 Mineralische Brennstoffe u. Schmiermittel 4 Tierische und pflanzliche Öle, Fette und Wachse
Einfuhren, Mill. Ft
Entwicklung in vH
1993
1994
58 444
87 132
1992 = 100 139,5
149,1
6 576
9 779
102,2
148,7
35 658
56 897
102,0
159,6
154 971
181 081
117,5
116,8
1993 = 100
2 149
4 197
182,0
195,3
5 Chemische Erzeugnisse a.n.g.
138 317
194 992
121,9
141,0
6 Bearbeitende Waren vorw. nach Beschaffenheit
212 069
304 908
118,7
143,8
7 Maschinen und elektrotechnische Erzeugnisse und Fahrzeuge
425 293
523 959
161,9
123,2
8 Verschiedene Fertigwaren
128 948
173 996
120,3
134,9
66
59
63,6
89,4
1 162 491
1 537 000
132,3
132,2
9 Waren und Verkehrs Vorgänge a.n. erfaßt Insgesamt
Quelle: Magyar Statistikai Evkönyv 1993, S. 224-226, und 1994, S. 256-258.
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht Von Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger (t) 1. Einleitung Die Sowjetunion ist zerfallen, die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) entstanden. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR wurde in allen Nachfolgestaaten - mehr oder weniger konsequent und erfolgreich - die Transformation des vormals sozialistischen Wirtschaftssystems in eine Marktwirtschaft betrieben. Außenwirtschaftlich muß ten sowohl der Zusammenbruch der Sowjetunion als auch die Transformation zu weitreichenden Konsequenzen führen: Zum einen brachen bislang aufeinander abgestimmte Liefer- und Abnehmerbeziehungen auseinander, zum anderen muß ten in den einzelnen Republiken erst noch tragfähige Außenwirtschaftsregimes geschaffen werden, die eine erfolgreiche Integration in die Weltwirtschaft ermöglichen. Die Russische Föderation ist aus der Gruppe der Nachfolgerepubliken der wichtigste Handelspartner der westlichen Industrieländer. Die Bedeutung einer erfolgreichen Integration Rußlands in die Weltwirtschaft für die Stabilität des Transformationsprozesses in der gesamten Region kann nicht überschätzt werden 1. Die vorliegende Analyse des Transformationsprozesses in der Russischen Föderation setzt bei einer überblickshaften Darstellung der Reformpolitik an. Im folgenden Kapitel wird die binnenwirtschaftliche Entwicklung seit Transtbrmationsbeginn untersucht. Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht der anhaltende Produktionseinbruch, der Zusammenbruch der Investitionstätigkeit, die Preis-, Lohn- und Einkommensentwicklung, die Effekte auf dem Arbeitsmarkt sowie die Analyse der bisherigen Versuche, durch den Einsatz fiskal- und geldpolitischer Instrumente eine den Transformations- und Wachstumserfordernissen angemessene Wirtschaftspolitik zu betreiben. Das vierte Kapitel liefert eine Bestandsaufnahme der Faktorausstattung der Russischen Föderation. Im fünften Kapitel wird die außenwirtschaftliche Entwicklung aus den Perspektiven der Währungspolitik, der Struktur und regionalen Orientierung der Handelsströme, die Entwicklung der Zahlungsbilanz und der Verschuldung sowie der ausländischen Investitionstätigkeit untersucht. Im Resümee wird das bisher Bewältigte gewürdigt, aber auch auf die bestehenden Schwierigkeiten und Hindernisse nachhaltig hingewiesen.
1
Rußland nahm bezüglich seines außenwirtschaftlichen Potentials innerhalb der Gruppe der 15 Unionsrepubliken eine exponierte Stellung ein; als rohstoffreiches Land entfielen auf Rußland 90 vH der Erdölförderung der Sowjetunion.
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
219
2. Reformpolitik 2.1. Einleitung Das in Rußland seit Anfang 1992 implementierte Reformprogramm orientierte sich in wichtigen Elementen am polnischen Modell des Jahres 1990. Ein wesentlicher Unterschied zum polnischen Programm lag allerdings in der forcierten Privatisierung. Die Grundzüge des Reformprogramms der russischen Regierung nach der Niederschlagung des Putschs vom August 1991 sind von Präsident Jelzin im Oktober 1991 vor dem Volksdeputiertenkongreß erläutert worden 2 . Das Kernstück dieses marktwirtschaftlichen Reformprogramms war die Preisliberalisierung, die Anfang Januar 1992 in Kraft trat. Die Monopolstrukturen der Wirtschaft sollten durch die Entflechtung und Privatisierung der großen Staatsunternehmen sowie durch die Förderung von Klein- und Mittelbetrieben beseitigt werden. Das staatliche Monopoleigentum an Boden sollte abgeschafft werden, der freie Kauf und Verkauf von Boden sollte zugelassen werden. Zu dem Reformpaket gehörten außerdem die Bankenreform, die Umgestaltung des Steuersystems und die Liberalisierung des Außenhandels.
2.2. Privatisierung Die russischen Reformer unter Führung von Anatoli Tschubais unternahmen erhebliche Anstrengungen, um Verzögerungen beim Beginn der Privatisierung zu verhindern. Nachdem die Privatisierung eingeleitet worden war, wurde sie mit einer hohen Geschwindigkeit durchgeführt. Die Privatisierung der kleinen Unternehmen begann in der ersten Jahreshälfte 1992, nur wenige Monate nachdem die entscheidenden Schritte in Richtung auf die Systemtransformation eingeleitet worden waren. Die praktische Durchführung der Privatisierung der Großunternehmen mit Hilfe von Privatisierungsschecks ("Vouchers") wurde im Oktober 1992 eingeleitet und endete Mitte 1994, als die meisten Vouchers eingelöst worden waren. Ursprünglich war das Jahresende 1993 als Ende der Voucher-Privatisierung vorgesehen, jedoch waren zu diesem Zeitpunkt erst 50 vH der Vouchers verteilt. Die Vouchers wurden zum Erwerb von Anteilen an Unternehmen oder an Investitionsfonds genutzt. Auch nach dem Abschluß der Voucher-Privatisierung blieb ein beträchtlicher Teil des Unternehmenssektors im Staatsbesitz. Ende 1994 befanden sich immer noch knapp 50 vH des gesamten Anlagevermögens im Staatseigentum, bei den Beschäftigten lag der Anteil des Staatssektors 1994 bei 47 vH 3 . Das staatliche Eigentum dominiert in den "strategischen" Sektoren der Volkswirtschaft. Mitte 1994 ist die zweite Etappe der Privatisierung eingeleitet worden, die auf dem Verkauf von Unternehmen bzw. Unternehmensanteilen be-
2
Vgl. Izvestija vom 28. Oktober 1991.
3
Vgl. Rossija ν cifrach, Moskau 1995, S. 49 und 127.
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
220
ruht. Von dieser Etappe der Privatisierung erhoffte man sich vor allem eine Steigerung der Staatseinnahmen und auf diese Weise eine Verringerung des Budgetdefizits. Gleichzeitig sollte der Verkauf staatlicher Unternehmen zur Lösung eines Problems beitragen, das im Ergebnis der Voucher-Privatisierung entstanden war. Dieses Problem besteht darin, daß sich in den meisten Fällen die Unternehmen im Besitz von Management und Belegschaften befinden, während externe Investoren kaum eine Rolle spielen. Die hieraus resultierende Machtverteilung in den Unternehmen hat in der Praxis die konsumptive Verwendung der Erträge gefördert, während nur wenig zur Finanzierung von Investitionen übrigblieb. Die Privatisierung kommt seither jedoch nur noch langsam voran. Im Jahr 1995 wurden lediglich 10 000 Unternehmen privatisiert (1994: 22 000), von denen die Hälfte auf Handels-, Gaststätten- und Dienstleistungsbetriebe entfielen. Ein Fünftel waren Industriebetriebe 4. In der Landwirtschaft wird die Privatisierung noch durch die unzureichende Bodengesetzgebung behindert. Die Privatisierungserlöse blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Im Jahr 1995 machten die Einnahmen aus dem Verkauf von Staatsvermögen lediglich etwa 1 vH der Haushaltseinnahmen aus. Dabei wurden Kredite, die der Staat gegen eine Verpfändung staatlicher Aktien aufnehmen wollte, als Privatisierungseriöse verbucht. Das Recht auf die Vergabe der Kredite wurde versteigert. Die Einnahmen des föderalen Haushalts aus der Kreditaufnahme gegen Verpfändung betrugen 1995 etwa 4 Bill. Rubel 5 . Die Privatisierung durch den Verkauf von Staatsbetrieben sollte externe "strategische" Investoren in die Unternehmen bringen und auf diese Weise die Chancen für die Finanzierung neuer Investitionen verbessern. Um die Chancen hierfür zu erhöhen, sollten 51 vH des Privatisierungserlöses im Unternehmen verbleiben. Dies klingt für externe Investoren außerordentlich attraktiv. Wenn es ihnen aber nicht gelingt, unmittelbar eine Mehrheitsbeteiligung zu erreichen, können sie nicht sicher sein, daß die zurückgeführten 51 vH in ihrem Interesse verwendet werden. Das zentrale Problem, das mit der Voucher-Privatisierung verbunden war, konnte nicht gelöst werden. Es besteht darin, daß große Konzessionen an die Belegschaften und das Unternehmensmanagement gemacht wurden, um eine soziale Akzeptanz der Privatisierung zu erreichen. Der Preis für diese Politik waren eine überwältigende Insiderkontrolle, niedrige Investitionen und eine unzureichende Strukturanpassung.
2.3. Förderung von Klein- und Mittelbetrieben Das Wachstum des privaten Sektors ist neben der Privatisierung auch davon abhängig, ob ein günstiges Umfeld für Existenzgründungen, insbesondere auch kleiner Unternehmen, besteht. Zur Förderung von Kleinunternehmen wurden 1995 weitere Steuererleichterungen gewährt sowie der Zugang zu Krediten durch die Gründung eines speziellen Fonds vereinfacht. Die Zahl der Kleinunternehmen ist 1995 zwar um 5 vH auf über 900 000 angestie-
4
Vgl. Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 120 f.
5
Vgl. Social'no-ekonomiéeskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 126 und 181.
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
221
gen. Ihre volkswirtschaftliche Bedeutung ist jedoch weit geringer als in entwickelten Marktwirtschaften. Ihr Anteil an der Beschäftigung lag 1995 bei 15 vH, am Bruttoinlandsprodukt und der Industrieproduktion hatten sie jeweils einen Anteil von 9 vH, am Einzelhandelsumsatz waren Kleinunternehmen mit etwa 20 vH beteiligt 6 .
2.4. Konkursgesetzgebung Seit dem 1. März 1993 ist in der Russischen Föderation ein Konkursgesetz in Kraft 7 . Danach entscheidet bei einem Konkursantrag ein Gericht über die Liquidation oder die Sanierung des betreffenden Unternehmens. Für vom Konkurs bedrohte Unternehmen besteht beim Wirtschaftsministerium ein Fonds für in Zahlungsschwierigkeiten geratene Unternehmen, dessen Zweck es ist, durch die kurzfristige Finanzmittelzufuhr eine Wiederherstellung der Liquidität zu ermöglichen und damit den drohenden Konkurs abzuwenden. Die Zuständigkeit für die Durchführung der Konkursverfahren liegt bei dem im Zusammenhang mit der Privatisierung eingerichteten "Staatskomitee für die Verwaltung von Staatsvermögen". Im Insolvenzfall kann das Staatskomitee die Privatisierung des entsprechenden Unternehmens verfügen 8. Durch einen Regierungsbeschluß vom Mai 1994 wurde die Anwendung der Konkursgesetzgebung in einigen Punkten neu geregelt 9. Danach soll zunächst über die Liquiditätssituation eines Unternehmens befunden und Möglichkeiten der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit in Betracht gezogen werden. Dazu gehört auch die Inanspruchnahme finanzieller staatlicher Unterstützung, deren Gewährung im wesentlichen an die Sanierung, die Wahrscheinlichkeit der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit und die Aufrechterhaltung der Produktion geknüpft ist. Im Falle der Zahlungsunfähigkeit und fehlender Voraussetzungen für die Gewährung staatlicher Finanzhilfen greift der Präsidentenerlaß "Über den Verkauf staatlicher Schuldnerbetriebe" 10. Nach wie vor dient das geltende Konkursrecht in erster Linie der Verhinderung bzw. Verzögerung von Konkursen. Obwohl sich im Jahresverlauf 1995 die Liquiditätskrise des Unternehmenssektors weiter verschärfte, wurden bis Oktober 1995 lediglich 300 Konkurs-
6 Vgl. Die wirtschaftliche Lage Rußlands - Investitionsschwäche verhindert Wachstum. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 19/1996, S. 327; Social'no-ekonomiöeskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 129 ff. 7
Vgl. Izvestija vom 4. Februar 1993.
8
Vgl. Die wirtschaftliche Lage Rußlands - Beschleunigte Talfahrt durch verschleppte Reformen. Vierter Bericht. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 19/1994, S. 299. 9
Vgl. Sobranie zakonodatel'stva, Nr. 5/1994, S. 764 ff.
10
Vgl. Sobranie zakonodatel'stva, Nr. 6/1994, S. 862 f.
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
222
verfahren vom Obersten Schiedsgericht der Russischen Föderation abgeschlossen11. Analog zur Privatisierungsgesetzgebung scheint auch die Konkursgesetzgebung wesentlich auf eine Struktur- und Beschäftigungskonservierung ausgerichtet zu sein; die Verzögerung der Strukturanpassung hebt allerdings ihre Notwendigkeit nicht auf. Vielmehr zeichnet sich im bisherigen Transformationsverlauf eine wachsende Dringlichkeit von entscheidenden strukturellen Veränderungen ab.
2.5. Industriepolitik Besondere Hoffnungen für die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der russischen Industrie und für die Belebung der industriellen Investitionen setzt die russische Regierung auf die Entwicklung von "Finanz-Industrie-Gruppen". Hierbei handelt es sich um Verflechtungen zwischen Finanzinstituten und Industrieunternehmen, durch welche die Finanzkraft und auf diesem Wege die Investitionsmöglichkeiten und die Konkurrenzfähigkeit der russischen Industrie gestärkt werden soll. Dieses Konzept orientiert sich an Vorbildern in Japan und Deutschland, wo die Banken im Gegensatz zu den angelsächsischen Ländern eine bedeutende Rolle bei der Unternehmenskontrolle spielen. Das russische Konzept ist jedoch weitreichender, da die Finanz-Industrie-Gruppen ausdrücklich als Instrument der staatlichen Strukturpolitik begriffen werden. Ihre Unterstützung durch den Staat ist in dem am 27. Oktober 1995 durch die Staatsduma verabschiedeten Gesetz "Über Finanz-Industrie-Gruppen" ausdrücklich vorgesehen. Unter anderem kann die Zentralbank die Mindestreservesätze für die an den Finanz-Industrie-Gruppen beteiligten Banken herabsetzen. Den Finanz-Industriegruppen können treuhänderisch staatliche Aktienpakete der in ihnen zusammengeschlossenen Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Außerdem erhalten die Finanz-IndustrieGruppen das Recht, ihre Abschreibungsfristen selbständig festzulegen. A m 1. Dezember 1995 waren 27 derartiger Finanz-Industrie-Gruppen registriert, wobei in einigen dieser Zusammenschlüsse auch Unternehmen aus anderen Staaten der GUS und des Baltikums beteiligt sind 12 .
2.6. Entstehung von Finanzmärkten Die Entstehung von Finanzmärkten in vormals sozialistischen Volkswirtschaften ist eine zentrale Voraussetzung für den sinnvollen Einsatz des traditionellen geldpolitischen Instrumentariums; sie stellen eine wichtige Schnittstelle zwischen geld- und fiskalpolitischen auf der einen und unternehmerischen Entscheidungen auf der anderen Seite dar. Von der konkreten Ausgestaltung dieser Schnittstelle hängt die Funktionsfähigkeit des Zinses als Mechanismus einer effizienten intertemporalen Ressourcenallokation wesentlich ab. Da das
11 12
Vgl. Social'no-ekonomiéeskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 199.
Vgl. Ekonomika i zizn' Nr.50/1995, S. 22 ff.; E. Lenskij: Opory rossijskogo kapitala. In: Rossijskaja gazeta vom 26. Oktober 1995.
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
223
Entstehen von sonstigen Finanzintermediären einer gewissen Zeit bedarf, kommt dem Bankensektor, der beim Übergang auf eine Geldwirtschaft selbst einer umfassenden Reform zu unterziehen ist, vor allem zu Beginn der Transformation eine herausragende Bedeutung bei der Entwicklung von Geld- und Kapitalmärkten zu. M i t der Auflösung der Gosbank zu Jahresbeginn 1992 wurde in der Russischen Föderation der Weg für die Einrichtung einer für die russische Geldpolitik zuständigen Zentralbank und das Entstehen eines Geschäftsbankensektors bereitet. Die Geldpolitik der russischen Zentralbank findet in einem erheblichen Spannungsfeld statt: Zwar ist sie nach der geltenden Verfassung der inneren und äußeren Stabilität des Rubels verpflichtet und daher unabhängig in ihren geldpolitischen Entscheidungen. De facto jedoch übt insbesondere das Finanzministerium einen erheblichen Einfluß auf die Geld- und Kreditpolitik aus, so daß die Zentralbank ihrer stabilitätspolitischen Verantwortung nur sehr begrenzt Rechnung tragen kann. Nach dem geltenden Recht liegt die Zulassung von Geschäftsbanken in der Hand der Zentralbank, die auch zugleich die Bankenaufsicht ausübt. Auf dem in der Folgezeit entstandenden Geschäftsbankensektor agieren die Nachfolgeinstitutionen der ehemaligen staatlichen Banken, darunter die Sberbank, neugegründete Banken und ausländische Banken. Die Nachfolgeinstitutionen der ehemaligen staatlichen Branchen- und Spezialbanken nehmen bis heute eine Sonderstellung ein. Ihre Wettbewerbsvorteile gegenüber neugegründeten Banken liegen zum einen in dem im allgemeinen höheren Umfang der Aktiva und des Eigenkapitals begründet. Zum anderen verfügen sie oftmals über ein verzweigtes Filialnetz und langjährige Kontakte sowohl zur Zentralbank als auch zu ihren traditionellen Kunden. Sie haben eine große Bedeutung bei der Weitergabe sogenannter "zentralisierter" Kredite, durch die die Zentralbank immer wieder einzelnen Branchen zu oftmals stark präferentiellen Konditionen zu Liquidität verhilft. Durch die enge Verknüpfung von Banken und Unternehmen sind die ehemaligen Staatsbanken in erheblichem Ausmaß von dem Problem der notleidenden Kredite bedroht. Da der Konkurs eines Unternehmens möglicherweise den eigenen Konkurs nach sich ziehen könnte, ist die Bank geneigt, das Unternehmen durch erneute Kreditzusagen vor einer Liquiditätskrise zu bewahren. Die enge Verknüpfung zwischen Unternehmens- und Bankensektor ist auch für eine Vielzahl der neugegründeten Banken typisch; oftmals befinden sie sich im Eigentum großer Unternehmen, so daß bei ihnen vermehrt das Problem des "insider lending" auftritt. Begünstigt durch diese Kreditvergabepraxis und die damit oftmals einhergehende Subventionierung unrentabler Unternehmen durch den Bankensektor hatten die überfälligen Bankkredite des Unternehmenssektors Anfang Dezember 1995 ein Volumen von 9,1 Bill. Rubel 13 . Nach der Liquiditätskrise im Bankensektor vom August 1995 hat die Zentralbank ihre Aufsichtspflicht für den Bankensektor verschärft. Insgesamt wurden im Jahr 1995 über 200 Banken die Lizenz entzogen14.
13
Vgl. Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 194.
14
Vgl. Social'no-ekonomiéeskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 133.
224
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
Eine Sonderrolle auf dem Finanzmarkt nimmt die Sberbank ein, die nach wie vor über die Mehrheit der Depositen der Bevölkerung verfügt und als einziges Finanzinstitut ein landesweites Filialnetz besitzt. Die Sberbank ist ein wesentlicher Profiteur von der Zinsdifferenz zwischen Depositenzinsen und den auf dem Interbankenmarkt gezahlten Sätzen. Von nachgeordneter Bedeutung für die entstehenden russischen Finanzmärkte sind die ausländischen Banken, deren Engagement durch die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen erheblich eingeengt wird 1 5 . Kaum eine der Aufgaben, die dem Geschäftsbankensektor in funktionierenden Marktwirtschaften zukommt, kann von den russischen Banken übernommen werden. Nach wie vor kann schon die Organisation des Zahlungsverkehrs nicht als reibungslos gelten; fehlende technische Ausrüstung und unzureichende Standardisierung sind hier u.a. Ursache. Verzögerung bei der Abwicklung des Zahlungsverkehrs haben wegen der hohen monatlichen Inflationsraten erhebliche Konsequenzen für die Liquidität der einzelnen Geschäftspartner. Unter den bestehenden instabilen makroökonomischen Rahmenbedingungen ist die Mobilisierung von Ersparnissen zu Investitionszwecken schwierig; eine Fristentransformation wird durch die makroökonomischen Bedingungen geradezu konterkariert. Auch eine effiziente Kreditallokation können die Banken nicht gewährleisten; i.d.R. fehlen die Bewertungsmaßstäbe für die wirtschaftliche Situation eines Unternehmens, sowie Erfahrungen mit einer gewinn- und risikoorientierten Kreditvergabe und qualifiziertes Personal. Die unzureichenden Bewertungsmaßstäbe für die Kreditvergabe an einzelnen Unternehmen können zudem unter den bestehenden rechtlichen Bedingungen nur begrenzt durch Kreditsicherheiten ersetzt werden. Insbesondere fehlt es bislang an einem glaubwürdigen staatlichen Schutz privaten Eigentums; bezüglich der Eigentumsfrage an Grund und Boden begünstigen fehlende Grundbücher die rechtliche Unsicherheit. Der erste russische Wertpapiermarkt wurde im Sommer 1991 eröffnet, 1995 existierten in Rußland rund 70 Wertpapierbörsen. Auf ihnen wird ein breites Spektrum von Wertpapieren wie Schatzwechsel, Staatsanleihen, Goldzertifikate, Privatisierungsschecks (Vouchers) und Anteile von privatisierten Unternehmen gehandelt. Mit dem Abschluß der ersten Phase der Privatisierung ist der Handel von Privatisierungsschecks weitgehend eingestellt worden, dafür wird ein wachsender Anteil von Beteiligungen an privatisierten Unternehmen gehandelt. Die Wertpapiermärkte wurden zunächst kaum reguliert und waren stark segmentiert. Durch mehrere Präsidialdekrete und andere Rechtsakte wurden inzwischen Basisregeln für die Registrierung, die Ausgabe und die Verwahrung von Wertpapieren so-
15 Vgl. Die wirtschaftliche Lage Rußlands - Beschleunigte Talfahrt durch verschleppte Reformen. Vierter Bericht. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 19/1994, S. 306.
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
225
wie die Publizitätsverpflichtungen festgelegt. Die Regulierung der Wertpapiermärkte gilt jedoch nach wie vor als unzureichend 16.
3. Die binnenwirtschaftliche Entwicklung 3.1. Produktion Nach dem Zerfall der Sowjetunion beschleunigte sich der Produktionsrückgang in allen Nachfolgestaaten erheblich. In der Russischen Föderation sank das Bruttoinlandsprodukt in den ersten vier Jahren seit Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit um 35 vH, gegenüber 1989 betrug der Rückgang des BIP etwa 40 vH (vgl. Tabelle 1). Der Anteil der Dienstleistungen am nominalen BIP belief sich 1995 auf 51,5 vH, auf die Güterproduktion entfielen 41 vH. Der Rückgang der Industrieproduktion in den Jahren 1990 bis 1995 belief sich auf 50 vH. Der Schrumpfungsprozeß in der Industrie seit 1990 hat zwar flächendeckend alle Branchen erfaßt, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß (vgl. Tabelle 2). Während die Stromproduktion in den letzten sechs Jahren um 18 vH und die Produktion der Brennstoffindustrie um 35 vH zurückging, fiel die Produktion der verarbeitenden Industriezweige in weit stärkerem Maße. Den stärksten Rückgang verzeichnete die Leichtindustrie mit 82 vH. Zu Produktionseinbußen von etwa 60 vH kam es in der Chemieindustrie und Petrochemie, im Maschinenbau, in der Holz-, Holzverarbeitungs-, Zellstoff- und Papierindustrie und in der Baustoffindustrie. Die Produktion in der NE-Metallurgie und der Nahrungsmittelindustrie lag 1995 bei rund der Hälfte des Niveaus von 1989, in der Eisen- und Stahlindustrie betrugen die Produktionseinbußen über 40 vH. Im Jahr 1995 verzeichneten drei Industriezweige allerdings einen Produktionsanstieg (Eisen- und Stahlindustrie: + 9 vH; NE-Metallurgie: + 2 vH; Chemie und Petrochemie: + 8 vH). Aufgrund der unterschiedlichen Produktionsentwicklung der einzelnen Branchen und den Veränderungen in den relativen Preisen hat sich die Bedeutung der Produktion von Energie, Rohstoffen und grundstoffnahen Vorprodukten in der russischen Industrie erheblich verstärkt. Einen Zuwachs ihres Anteils an der Industrieproduktion (in jeweiligen Preisen) verzeichneten seit 1990 die Stromwirtschaft (1990: 4 vH; 1995: 13 vH), die Brennstoffindustrie (1990: 8 vH; 1995: 18 vH) und die Eisen- und Stahlindustrie (1990: 5 vH; 1995: 10 vH), während die Anteile des Maschinenbaus (1990: 31 vH; 1995: 18 vH) und der Leichtindustrie (1990: 12 vH; 1995: 2 vH) deutlich zurückgingen 17.
16 Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: Investitionsfinanzierung im Transformationsprozeß. Gutachten im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft. Bearb.: Herbert Brücker, Wolfram Schrettl und Ulrich Weißenburger, Berlin 1995, S. 151 f. 17 Vgl. PromySlennost' RSFSR ν 1990 g., Moskau 1991, S. 34 ff.; Social'no-ekonomiéeskoe poloienie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 295. 15 Schumacher u. a.
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
226
Tabelle 1 Ausgewählte Wirtschaftsindikatoren in Rußland Veränderungen gegenüber der entsprechenden Vorjahresperiode bzw. Anteile in vH 1990
1991
1992
1993
1994
1995 -4,0
Bruttoinlandsprodukt
-3,0
-5,0
-14,5
-8,7
-12,6
Industrieproduktion
-0,1
-8,0
-18,0
-14,0
-21,0
-3,0
-9,0
-4,0
-12,0
-8,0
-3,6
-5,0
+0,1
-15,0
-40,0
-12,0
-24,0
-13,0
-4,3
-7,0
-14,0
-12,0
-14,0
-2,0
Einzelhandelsumsatz real
+ 10,0
-3,2
-3,5
+ 1,9
+0,1
-7,0
Entgeltliche Dienstleistungen für den Endverbraucher
+ 10,2
-17,0
-18,0
-30,0
-38,0
-17,0
Nominale Geldeinkommen der privaten Haushalte
+ 18,0
+ 120,0
+750,0
+ 1 030,0
+ 360,0
+ 158,0
Nominallöhne und -gehälter
+ 15,0
+ 81,0
+994,0
+ 878,0
+276,0
+ 119,0
Verkaufspreise der Industrie0
+4,0
+ 240,0
+ 3 280,0
+ 895,0
+233,0
+ 175,0
+ 6,0
+ 160,0
+2 510,0
+ 840,0
+215,0
+ 131,0
4,8
5,7
7,5
8,2
19,0
171,5
611,0
1 659,0
Agrarproduktion Bruttoanlageinvestitionen Gütertransportvolumen
Verbraucherpreise
1)
Arbeitslosenquote am Periodenende2* Nachrichtlich: Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen, Bill. Rubel 0
0,64
1,4
1990: Jahresdurchschnitt; 1991 - 1995: Dezember zum Dezember des Vorjahres. 1996: Januar 1996 zu Januar 1995.- 2 ) ILO-Methodik. Quellen: Narodnoe chozjajstvo RSFSR ν 1990 g., Moskau 1991, S. 129, 177, 352; Narodnoe chozjajstvo Rossijskoj Federacii, Moskau 1992, S. 14 f.; Rossijskij statistiòeskij ezegodnik, Moskau 1995, S. 12, 80 und 243; Ceny ν Rossijskoj Federacii, Moskau 1995, S. 25 und 123 f.; Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1993 g., Moskau 1994, S. 287; Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 3 f., 153, 237, 254, 430, 434.
227
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
Tabelle 2 Entwicklung der Industrieproduktion in Rußland nach Zweigen Veränderung gegenüber der entsprechenden Vorjahresperiode in vH 1990
1991
1992
1993
1994
1995
Industrie insgesamt0
-0,1
-8,0
-18,0
-14,1
-20,9
-3,3
Elektrizitätswirtschaft
2,0
0,3
-4,7
-4,7
-8,8
-3,0
Brennstoffindustrie
- 3,3
-6,0
-7,0
-11,6
-11,0
-2,0
Eisen- und Stahlindustrie
- 1,9
-7,4
-16,4
-16,6
-17,4
+ 9,0
NE-Metallurgie
-2,4
-8,7
-25,4
-14,1
-9,1
+2,0
Chemische und petrochemische Industrie
-2,2
-6,3
-21,7
-21,5
-28,9
+ 8,0
Maschinenbau und Metallverarbeitung
1,1
-10,0
-14,9
-15,6
-38,1
-10,0
Holz-, Holzverarbeitungs-, Zellstoff- und Papierindustrie
-1,2
-9,0
-14,6
-18,7
-31,2
-7,0
Baustoffindustrie
-0,9
-2,4
-20,4
-16,0
-28,9
-8,0
Leichtindustrie
-0,1
-9,0
-30,0
-23,0
-47,3
-31,0
0,4
-9,5
-16,4
-9,0
-21,9
-9,0
Nahrungsmittelindustrie 0
1990 bis 1993: nur Groß- und Mittelbetriebe, 1994 und 1995: einschließlich Kleinbetriebe und Joint Ventures. Quellen: PromySlennost' Rossijskoj Federacii, Moskau 1992, S. 33 f.; Rossijskaja Federacija ν 1992 godu, Moskau 1993, S. 367; Social'no-ekonomiôeskoe polozenie Rossii, janvar' 1994 g., Moskau 1994, S. 127; Rossijskij statisticeskij ezegodnik, Moskau 1994, S. 298; Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1994 g., Moskau 1995, S. 12 f. und 219; Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 17 ff.
Bei Agrarprodukten war Rußland vor dem Zerfall der Sowjetunion auf Importe angewiesen. Im innersowjetischen Handel betrug der Einfuhrüberschuß 1990 knapp 3 Mrd. Rubel, im Außenhandel 5 Mrd. Rubel 18 . Nach Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit ist die landwirtschaftliche Produktion gesunken (1992: -9 vH; 1993: -4 vH; 1994: -9 vH; 1995: -8 vH). Von diesem Rückgang war die tierische Produktion stärker betroffen als die pflanzliche Produktion. Eine wesentliche Ursache für die rückläufige Produktion tierischer Erzeugnisse ist die unzureichende Versorgung mit Futtermitteln, so daß sich die Viehbestände in den letzten sechs Jahren kontinuierlich verringert haben (Rinder: -33 vH; Schweine: -44 vH; Schafe und Ziegen: -54 vH). Die Fleischproduktion ging seit 1991 um 36 vH zurück, die Milchproduktion um knapp ein Viertel, die Eierproduktion um knapp 30 vH. In
18
15*
Vgl. Narodnoe chozjajstvo Rossijskoj Federacii, Moskau 1992, S. 32 f.
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
228
der pflanzlichen Produktion wurde 1992 mit 107 M i l l , t ( + 2 0 vH) eine relativ gute Getreideernte verzeichnet; 1993 wurden knapp 100 M i l l , t geerntet, 1994 81 M i l l , t und 1995 nur noch 64 M i l l . t 1 9 . Die pflanzliche Produktion wurde in den letzten Jahren erheblich durch den Rückgang des landwirtschaftlichen Maschinenparks, seine unzureichende Wartung sowie den Mangel an Düngemitteln beeinträchtigt. Der Anteil der Privatbauern an der landwirtschaftlichen Produktion war 1995 mit 2 vH noch gering. Eine erheblich größere Bedeutung hatten die privaten Nebenwirtschaften mit 43 vH.
3.2. Investitionen In den Jahren 1991 bis 1995 ging das Investitionsvolumen auf etwa 30 vH des Niveaus von 1990 zurück, wobei der Rückgang der Investitionen in allen Jahren stärker ausfiel als der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (Veränderung gegenüber dem Vorjahr in vH) 2 0 :
1991 Bruttoinlandsprodukt Investitionen
1992
1993
1994
1995
-5,0
-14,5
-8,7
-12,6
-4,0
-15,0
-40,0
-12,0
-24,0
-13,0
Für das Wachstumspotential und die Wettbewerbsfähigkeit der russischen Volkswirtschaft haben die Investitionen in Maschinen und Ausrüstungen eine besondere Bedeutung. Es ist daher angesichts der Überalterung und der technischen Rückständigkeit großer Teile des Kapitalstocks und des daraus resultierenden Innovationsbedarfs besonders bedenklich, daß der Zusammenbruch der Investitionen seit 1991 in erster Linie die Ausrüstungsinvestitionen betroffen hat, während die Bauinvestitionen unterdurchschnittlich zurückgingen. Infolgedessen ist der Anteil der Ausrüstungsinvestitionen an den gesamten Investitionen im Zeitraum von 1990 bis 1995 von 38 vH auf 19 vH zurückgegangen 21. Die russischen Statistiken über die Struktur der Investitionen nach volkswirtschaftlichen Sektoren und Industriezweigen sind lückenhaft und zum Teil widersprüchlich. Trotz dieser Unklarheiten sind die grundlegenden Entwicklungstendenzen in der Investitionsstruktur aber eindeutig zu erkennen. Die Investitionen in den produzierenden Bereich, zu dem in der russischen Statistik auch das Verkehrs- und Nachrichtenwesen und der Handel gezählt
19 Vgl. Rossijskij statistiöeskij ezegodnik, Moskau 1995, S. 369; Social'no-ekonomióeskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 78 f. und 342 ff. 20
Vgl. Rossijskij statistiöeskij ezegodnik, Moskau 1995, S. 12; Social'no-ekonomiöeskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 3. 21 Vgl. Rossijskij statistiöeskij ezegodnik, Moskau 1995, S. 380; Ekonomika i zizn', Nr. 35/1995, S. 25; Ekonomika i έίζη', Nr. 14/1996, S. 11.
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
229
werden, gingen in den Jahren 1991 bis 1995 deutlich stärker zurück (-79 vH) als die Investitionen in den nichtproduzierenden Bereich (-49 vH). Von dem Rückgang der Investitionen in den letzten Jahren waren der Maschinenbau (1991 bis 1995: -92 vH), die Leichtindustrie (1991 bis 1994: -92 vH), die Landwirtschaft (1991 bis 1995: -95 vH) und die Bauwirtschaft (1991 bis 1995: -94 vH) am stärksten betroffen. Der "Chemie-Holz-Komplex " verzeichnete in den Jahren 1991 bis 1995 eine Schrumpfung der Investitionen um 84 vH, das Verkehrs- und Nachrichtenwesen um 79 vH. Den geringsten Rückgang unter den produzierenden Bereichen gab es im Brennstoff- und Energiesektor mit 53 vH (vgl. Tabelle 3). Infolge dieser Entwicklung kam es zu beträchtlichen Verschiebungen in der sektoralen Investitionsstruktur. Besonders stark abgenommen hat das relative Gewicht der Investitionen in die Landwirtschaft (1990: 16 vH; 1995: 3 vH). Der Anteil der Investitionen in den Maschinenbau, dem bei der notwendigen Modernisierung der russischen Volkswirtschaft eine Schlüsselrolle zufällt, ging von über 8 vH auf knapp 4 vH zurück. In der Struktur der Investitionen haben außerdem der "Chemie-Holz-Komplex" (1990: 4 vH; 1995: 2 vH), die Leichtindustrie (1990: 1,2 vH; 1994: 0,3 vH) und die Bauwirtschaft (1990: 4,5 vH; 1995: 3 vH) an Bedeutung verloren. Demgegenüber ist das relative Gewicht der Investitionen in den "Brennstoff- und Energiekomplex" zwischen 1990 und 1995 von 14 auf 21 vH gestiegen. Steigende Anteile am gesamten Investitionsvolumen verzeichneten auch der Wohnungsbau (1990: 17 vH; 1995: 26 vH), das Verkehrs- und Nachrichtenwesen (1990: 12 vH; 1995: 15 vH) und die Metallurgie (1990: 3 vH; 1995: 4 vH) (vgl. Tabelle 4). Die Investitionen sind somit in den Sektoren in geringerem Umfang reduziert worden, in denen die geschrumpfte Binnennachfrage zum Teil durch Exportsteigerungen kompensiert werden konnte (Brennstoff- und Energiesektor, Metallurgie). Im Jahr 1995 kam es in diesen beiden Sektoren zu einer Stabilisierung der Investitionen. Auch im Verkehrsund Nachrichtenwesen gingen die Investitionen 1995 nicht weiter zurück. Der Zusammenbruch der Investitionen im Maschinenbau und in der Leichtindustrie erklärt sich demgegenüber durch den überdurchschnittlichen Produktionsrückgang in diesen Zweigen (Maschinenbau 1991 bis 1995: -60 vH; Leichtindustrie 1991 bis 1995: -82 vH). Die Investitionsmöglichkeiten der Landwirtschaft wurden in starkem Maße durch den vergleichsweise geringen Anstieg der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise in Relation zu den Inputpreisen der landwirtschaftlichen Produktion beeinträchtigt.
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
230
Tabelle 3 Daten zur Investitionsentwicklung in Rußland Veränderungen gegenüber dem Vorjahr in v H 1992
1993
1994
1995
-15,5
-39,7
-11,6
-24,0
-13,0
-18,0
-44,0
-19,0
-33,0
-17,0
-18,3
-31,0
-14,0
-43,0
-13,5
-16,9 -7,4
-7,0
-5,0
-36,0
-1,6
-15,0
-23,0
-41,0
+ 1,0 0,0
Maschinenbau
+4,3
-29,2
-59,0
-47,0
-38,0
-18,5
Chemie- und Holzkomplex
+5,0
-10,6
-43,0
-39,0
-45,0
-4,0
1990
1991
Investitionen insgesamt
+0,1
Produzierender Bereich
-1,1 -9,1
Brennstoff- und Energiesektor Metallurgie0
-20,1
Industrie
Baustoffindustrie
+ 16,4
+ 1,2
-38,0
-60,0
-35,0
Leichtindustrie
+28,2
-16,6
-49,0
-47,0
-63,0
Nahrungsmittelindustrie
+ 10,0
-8,2
-50,0
-41,0
Landwirtschaft
+8,2
-5,2
-64,0
-37,0
-53,0
-54,0
Bauwirtschaft
-12,0 + 19,1
-16,8 -32,6
-65,0
-44,0
-45,0
-45,0
-29,0 -28,0
-32,0
+ 1,0
+ 16,6
-20,8
-63,0
-20,0
+2,9
-9,0
-30,0
+ 1,0
-11,0
-7,0
+ 1,2 -2,8
-7,4
-23,0
-7,0
-28,0
-4,0
-24,6
-53,0
-21,0
-29,0
Verkehr und Nachrichtenwesen Handel, Gaststätten, Versorgungsund Vertriebssystem Nichtproduzierender Bereich Wohnungsbau Inbetriebnahme von Anlagevermögen 0
1990 und 1991 nur Eisen- und Stahlindustrie, ohne NE-Metallurgie. Quellen: Rossijskaja Federacija ν cifrach ν 1992 godu, Moskau 1993, S.6 und 9; Narodnoe chozjajstvo RSFSR ν 1990 g., Moskau 1991, S. 523; Kapital'noe stroitel'stvo ν RSFSR ν 1990 g., Moskau 1991, S. 48 f. und 91; Kapital'noe stroitel'stvo ν Rossijskoj Federacii, Moskau 1992, S. 21 f und 53; Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1993 g., Moskau 1994, S. 35; Ο polozenii Rossijskoj ekonomiki ν 1993 godu i perspektivach ee razvitija na 1994 god, Moskau 1994, S. 179; Russia - 1993: Economic Situation, Issue 4, Moskau 1993, S. 127; Ekonomika i zizn' Nr. 9/1994, S. 1; Social'no-ekonomiôeskoe polozenie Rossii, janvar'-ijun' 1994, Moskau 1994, S. 35 ff.; Social'no-ekonomiceskoe razvitie Rossijskoj Federacii ν pervom polugodii 1994 goda i prognoz na blizajsuju perspektivu, Moskau 1994, S. 63 f.; Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1994 g., Moskau 1995, S. 42; Investici! i investicionnaja politika ν Rossii, Moskau 1995, S. 25; Voprosy statistiki, Nr. 6/1995, S. 51; Rossijskij statisticeskij ezegodnik 1995, Moskau 1995, S. 376 und 380; Social'no-ekonomiòeskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 56 und 59; eigene Berechnungen.
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
231
Tabelle 4 Investitionsstruktur in Rußland nach volkswirtschaftlichen Sektoren und Industriezweigen in vH 19861990
1990
1991
1992
1993
1994
1995
Investitionen insgesamt
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
Produzierender Bereich
71,5
70,9
68,6
65,5
59,6
56,1
56,0
37,5
35,9
34,7
39,9
36,3
32,4
33,7
15,9
14,0
13,8
21,8
22,8
17,7
21,4
3,9
3,7
4,4
4,9
2,9
3,6
3,6 2,4
Industrie Brennstoff- und Energiesektor Metallurgie
l,6 l )
Maschinenbau
1.6'» 6,9
4,6
8,4
3,1 8,3
Chemie- und Holzkomplex
3,4
3,6
3,8
3,4
2,3
2,5
Baustoffindustrie
1,2
1,4
1,7
1,6
0,7
0,7
Leichtindustrie
0,9
1,2
1,2
1,0
0,62) 2)
2,3
2,9
1,8
14,9
15,8
3,1 17,8
2,7
Landwirtschaft
10,2
7,2
4,6
2,7
Bauwirtschaft
4,3
4,5
4,5
2,6
2,2
2,9
2,9 3)
12,0
11,8
9,4
8,7
10,6
11,7
1,9
1,7
1,7
29,1
31,4
1,1 34,4
1,0
28,5
40,4
43,9
44,0
16,3
16,6
18,1
22,8
24,0
25,5
26,0
Nahrungsmittelindustrie
Verkehr und Nachrichtenwesen Handel, Gaststätten, Versorgung- und Vertriebssystem Nichtproduzierender Bereich Wohnungsbau X)
0,3 2)
14,6
1986-1990 und 1991 nur Eisen- und Stahlindustrie, ohne NE-Metallurgie.- 2 ) Schätzung.3) Einschließlich Baustoffindustrie. Quellen: Narodnoe chozjajstvo Rossijskoj Federacii, Moskau 1992, S. 541 f; Kapital'noe stroitel'stvo ν Rossijskoj Federacii, Moskau 1992, S. 21 und 53; Centre of Economic Analysis: Russia - 1993, Economic Situation, Issue 4, Moskau 1993, S. 127; O polozenii rossijskoj ekonomiki ν 1993 godu i perspektivach ee razvitija na 1994 god, Moskau 1994, S. 61 ff. und 179; Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1993 g., Moskau 1994, S. 35; Social'no-ekonomiöeskoe polozenie Rossii, janvar'-sentjabr' 1994, Moskau 1994, S. 30 ff.; Social'no-ekonomiceskoe razvitie Rossijskoj Federacii ν pervoin polugodii 1994 goda i prognoz na blizajsuju perspektivu, Moskau 1994, S. 63 f.; Rossijskij statistiöeskij ezegodnik 1994, Moskau 1994, S. 373; Investicii i investicionnaja politika ν Rossii, Moskau 1995, S. 25; Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1994 g., Moskau 1995, S. 44; Rossijskij statistiöeskij ezegodnik 1995, Moskau 1995, S. 380; Social'no-ekonomiöeskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 59; eigene Berechnungen.
232
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
3.3. Preisentwicklung Mit Wirkung vom 2. Januar 1992 wurden 80 vH der Preise für Produktionsgüter und 90 vH der Verbraucherpreise freigegeben. Ausgenommen von der Liberalisierung waren zunächst die Preise für Grundnahrungsmittel, Medikamente und Energie sowie die Mieten, die Verkehrs- und Posttarife, jedoch wurde bereits im März 1992 beschlossen, auch die Preise für Grundnahrungsmittel freizugeben. Mit der Preisliberalisierung trat die zurückgestaute Inflation offen zutage. Auch nach diesem zum Abbau des Geldüberhangs notwendigen Preissprung verharrten die Inflationsraten auf einem hohen Niveau. Wegen der monopolistischen Angebotsstrukturen und der fortbestehenden "weichen" Budgetrestriktionen fehlte ein Zwang zur Kostensenkung und zur Anpassung der Preise an die Nachfrage. Auf die nach der Preisfreigabe eingetretenen Absatzprobleme reagierten die Unternehmen daher nicht mit einer teilweisen Rücknahme der Preiserhöhungen, sondern lediglich mit einer Drosselung der Produktion. Die Verbraucherpreise stiegen im Verlauf des Jahres 1992 um 2 500 vH, wobei allein im 1. Quartal Preissteigerungen von über 500 vH verzeichnet wurden. Im Jahresverlauf 1993 betrug der Anstieg der Verbraucherpreise 840 vH, die monatlichen Inflationsraten lagen in der Regel zwischen 20 und 30 vH. Die monatlichen Inflationsraten lagen 1994 meist unter 10 vH, gegen Jahresende kam es allerdings wieder zu einer Beschleunigung der Inflation. Im Dezember 1994 lag der Preisanstieg gegenüber dem entsprechenden Vorjahresmonat bei 215 vH. Im Jahr 1995 kam es zu einer weiteren Senkung der Inflationsraten. Die Verbraucherpreise stiegen von Dezember 1994 bis Dezember 1995 um 131 vH, wobei die monatlichen Preissteigerungsraten von 18 vH im Januar auf 3 vH im Dezember sanken. Nach wie vor werden einige Verbraucherpreise auf lokaler Ebene in einzelnen Regionen administriert, wobei meistens eine Begrenzung der Handelsspannen praktiziert wird. Der Anstieg der industriellen Erzeugerpreise lag in den letzten vier Jahren über dem Anstieg der Verbraucherpreise. Hierbei kam es zu erheblichen Verschiebungen in den relativen Preisen. Überdurchschnittlich wurden seit 1992 insbesondere die Stromtarife sowie die Preise der Brennstoffindustrie, der Eisen- und Stahlindustrie und der Chemieindustrie erhöht. Demgegenüber blieben die Preissteigerungen für die Erzeugnisse der Leichtindustrie, deren Konkurrenzfähigkeit selbst auf dem Binnenmarkt gering ist, deutlich hinter dem allgemeinen Preisanstieg zurück (vgl. Tabelle 5).
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
233
Tabelle 5 Daten zur Preisentwicklung in Rußland 1991 bis 1995 Basisperiode jeweils = 100 1991°
1992,}
1993°
1994'>
Verbraucherpreise
260
2 610
940
315
231
Nahrungsmittel
271
2 670
938
333
223
Andere Konsumgüter Dienstleistungen
311
2 670
742
269
216
179
2 220
2 410
622
332
Industrielle Erzeugerpreise
340
3 380
995
333
275
Elektrizitätswirtschaft
210
5 510
1 358
329
299
Brennstoffindustrie
230
9 270
734
301
287
Eisen- und Stahlindustrie
340
3 620
1 186
342
285
1995°
NE-Metallurgie
330
5 220
658
396
221
Chemieindustrie
270
3890
948
362
268
Petrochemie
250
5 350
772
360
267
Maschinenbau und Metallverarbeitung
310
2720
1 049
330
278
Holz-, Holzverarbeitungs-, Zellstoff- und Papierindustrie Baustoffindustrie
340 310
2 020
989
371
274
2 810
1 245
312
271
Leichtindustrie
470
1 260
781
341
263
Nahrungsmittelindustrie
410
2 730
1 071
308
256
!)
Dezember zu Dezember des Vorjahres. Quellen·. Narodnoe chozjajstvo Rossijskoj Federacii, Moskau 1992, S. 205; Social'no-ekonomiöeskoe polozenie Rossii 1993 g., Moskau 1994, S. 287; Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1994 g., Moskau 1995, S. 309; Ceny ν Rossijskoj Federacii, Moskau 1995, S. 25 und 123 f.; Social'no-ekonomiéeskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 430 und 434.
3.4. Lohn- und Einkommensentwicklung Ein zuverlässiges Bild von der Entwicklung der Reallöhne und -einkommen läßt sich nur schwer gewinnen. Eine einfache Gegenüberstellung von Nominallöhnen und -einkommen einerseits und Verbraucherpreisen andererseits ist aus mehreren Gründen nicht hinreichend. Erstens überzeichnet die Statistik den Rückgang der Realeinkommen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Preisfreigabe Anfang 1992, da in den Vorjahren wegen der sich verschärfenden zurückgestauten Inflation immer mehr Güter nicht oder nur in unzureichendem Maße zu den staatlich festgelegten Preisen verfügbar waren. Zweitens werden die Einkommen aus zweiten Arbeitsverhältnissen und aus privatwirtschaftlichen Aktivitäten statistisch kaum erfaßt. Drittens sind im Zuge des Transformationsprozesses Sozialleistungen der Betriebe entfallen oder reduziert worden, die in der Statistik ebenfalls nicht berücksichtigt werden.
234
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
Trotz der wachsenden Versorgungsschwierigkeiten 1991 verzeichnet die russische Statistik für dieses Jahr noch einen Zuwachs der Reallöhne. Nach der Preisfreigabe kam es zunächst zu einem Rückgang der Reallöhne um die Hälfte, danach blieben sie bis Dezember 1994 bei starken saisonalen Schwankungen über dem Niveau von Januar 1992. Im Jahr 1995 sanken die Reallöhne gegenüber dem Vorjahr um 26 v H 2 2 . Der Anteil der Lohneinkommen an den gesamten Einkommen lag 1995 bei 40 vH (1992: 70 vH; 1993: 58 vH; 1994: 46 vH). Der Anteil der Transfereinkommen blieb 1993 bis 1995 unverändert bei 17 vH, der Anteil der Einkommen aus Vermögen, aus Unternehmertätigkeit und anderen Quellen stieg 1995 auf 44 vH (1992: 16 vH; 1993: 25 vH; 1994: 36 vH) 2 3 .
3.5. Beschäftigung und Arbeitsmarkt Ende 1995 betrug das Beschäftigungspotential 73 M i l l . Arbeitskräfte. Die Zahl der Beschäftigten betrug 67 M i l l . , gegenüber dem Vorjahr ist sie um 400 000 zurückgegangen. In der Struktur der Beschäftigten nach Wirtschaftszweigen hat vor allem die Industrie gegenüber 1994 an Gewicht verloren. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Beschäftigten sank von 27,1 auf 25,7 vH. Innerhalb der industriellen Beschäftigung sind die Anteile der Stromwirtschaft, der Brennstoffindustrie und der Metallurgie gestiegen, während der Maschinenbau und die Leichtindustrie ihre Beschäftigung überdurchschnittlich abgebaut haben. In der Landwirtschaft waren 1995 knapp 15 vH der Beschäftigten tätig, im Bildungswesen 11 vH und in der Bauwirtschaft sowie im Handel und Gaststättenwesen jeweils knapp 10 vH. Die Aussagekraft der Arbeitsmarktstatistiken ist mit besonderer Unsicherheit behaftet. Ende Dezember 1995 waren bei den Arbeitsämtern lediglich 2,6 M i l l . Personen ohne Beschäftigung registriert, dies entspricht einer Arbeitslosenquote von 3,6 vH (Ende Dezember 1994: 1,9 Millionen bzw. 2,6 vH). Es kann jedoch davon ausgegangen werden, daß sich insbesondere in den ländlichen Gebieten nicht alle Arbeitslosen bei den Arbeitsämtern melden. Das Staatskomitee für Statistik hat daher alternativ zu den Meldungen der Arbeitsämter die Zahl der Arbeitslosen nach der Methodik des Internationalen Arbeitsamtes (ILO) mit 6 M i l l , errechnet, was einer Arbeitslosenquote von 8,2 vH entspräche (Ende 1994: 5,5 M i l l . = 7 , 5 vH). Der Beschäftigungsabbau in den Großbetrieben ist bislang mit Hilfe von Kurzarbeit in Grenzen gehalten worden. Im Dezember 1995 waren insgesamt 4,5 M i l l . Beschäftigte von Kurzarbeit betroffen, von denen 2,1 M i l l , eine verkürzte Arbeitszeit hatten und sich 2,4 M i l l , in unbezahltem Urlaub befanden 24.
22 Vgl. Russian Economic Trends, Monthly Update, Januar 1996, Tabelle 9; Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 254. 23 Vgl. Rossijskij statistiöeskij ezegodnik, Moskau 1995, S. 78; Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 257. 24
Vgl. Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 237 ff.; Social'noekonomiöeskoe polozenie Rossii, janvar' 1996 g., Moskau 1996, S. 37 f.; Russian Economic Trends, Monthly Update, Januar 1996, Tabelle 11.
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
235
3.6. Öffentliche Haushalte Die Transformation des Wirtschaftssystems geht mit der Neubestimmung der Staatsfunktionen einher. Von dieser transformationsbedingten Neudefinition des Staats Verständnisses sind sowohl die Einnahmen- wie auch die Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte betroffen. In Rußland ist bislang die Implementierung und Durchsetzung einer funktionsfähigen und marktkonformen Finanzverfassung, die den Transformationserfordernissen gerecht wird, nicht gelungen. Die Lage der öffentlichen Haushalte ist vor allem durch stark rückläufige Einnahmen und ungelöste Föderalismusprobleme prekär 25 . Vordergründige Erfolge konnten bei der Defizithöhe (1995: 3 vH des BIP) erzielt werden 26 . Allerdings wird der tatsächliche Finanzbedarf der öffentlichen Haushalte zunehmend durch die wechselseitige Verschuldung zwischen Unternehmen und Staat sowie Lohnrückständen gegenüber den privaten Haushalten verschleiert. Der reale Rückgang der Einnahmen bewegte sich in den ersten Transformationsjahren in der Größenordnung des Produktionseinbruchs, so daß der Anteil der Gesamteinnahmen des konsolidierten Haushalts am BIP in den Jahren zwischen 1992 und 1994 relativ konstant blieb. Nochmals verschärft hat sich die Einnahmensituation der öffentlichen Haushalte im Jahre 1995, als der Einnahmeneinbruch den Produktionsrückgang deutlich übertraf. Die wesentlichen Ursachen dieser Entwicklung lagen in der weiteren Verringerung der Steuerbasis und den erheblichen Steuerrückständen der Unternehmen. Aufgrund der immer noch hohen Inflation unterlagen diese Zahlungsrückstände einer ständigen realen Entwertung. Der Unternehmenssektor nutzt, bei hohen Kapitalmarktzinsen, mit diesen Zahlungsverzögerungen eine vom Geschäftsbankensektor unabhängige und zugleich kostengünstige Kreditierungsquelle. Weitere Einflußfaktoren liegen in der unzureichenden Erfassung wachsender privatwirtschaftlicher Aktivitäten und den ständigen steuerrechtlichen Veränderungen, die in vielen Fällen das Ausweichen in die Schatten Wirtschaft begünstigen. Bei stark rückläufigen Gesamteinnahmen27 stellt die Gewinnsteuer die wichtigste Einnahmenquelle des konsolidierten Haushalts dar 28 (vgl. Tabelle 6). Die weiter abnehmende Bedeutung des Mehrwertsteueraufkommens ging 1995 auch auf den zurückhaltenden privaten Verbrauch zurück. Eine untergeordnete Rolle spielt die progressiv ausgestaltete Einkommensteuer. Hier wird durch häufige Anpassung der Bemessungsgrundlage an die Inflation, das Wirken der "kalten Progression" vermieden. Die Entwicklung des Einnahmenpostens "Zölle etc." spiegelt vor allem ordnungspolitische Veränderungen wider; so gingen die rückläufigen Einnahmen im wesentlichen auf Lockerungen der Exportzölle in der zweiten Jahreshälfte 1995 zurück.
25 Besonders dramatisch zeigte sich der fehlende soziale Konsens bezüglich des Föderationsverständnisses in dem Tschetschenien-Krieg. 26
Dieses Defizit wurde auf cash-Basis berechnet.
27
Bei indirekten Steuern wirkt der Tanzi-Effekt besonders stark.
28
1995 waren die Aufkommen aus beiden Steuerarten nochmals real geschrumpft.
1994
1993
1994
1995
-8,0
-62,7
-52,9
-3,4 -4 6
-10 3 -3 2
Im Jahre 1992 war der Umfang der außerbudgetären Aktivitäten erheblich. Vgl. Voprosy Ekonomiki, Nr. 1/1994, S. 42.
-0,6
3^4
15
2 4 12
29,4 4^2
5,7
6,1
39,3 10> 2 2 12 0*8
26,2
1994
29,0
Quellen: Rossijskij statisticeskij ezegodnik 1995, Moskau 1995; Arbeitsunterlagen des Fi nanzministeri uns; Berechnungen des DIU.
1)
Saldo E innahmen-Ausgaben
240,1 63,4
487,4 100,0 100,0 100,0 100,0 31,4 33,6 69,6 34,5 28,1 26,4 14,3 10^8 9,4 36,3 7,4 20,4 4*2 12,9 2*7 1,4 14,3 55,3 117,6 23,2 24,8 23,0 24J 7,3 8,4 9,1 7,0 56,5 11,6 ' ' ' 40,4 8 3 20,7 4^2 0,9 7,2 28,0 47,6 14,3 12,5 11,7 9^8 4,5 4,2 4,6 2,9 0,4 4,2 18,5 37,5 6,7 7,3 7,7 7,7 2,1 2,4 3,0 2,3 0,4 2,8 5,0 21,5 6,7 4,8 2,1 4,4 2,1 1,6 0,8 1,3 24,9 5 1 0,9 13,0 69,9 168,7 14,6 22,5 29,1 34^6 4,6 7,6 11,4 10^2
57,7 16,2
1993
in vH des B I P
1992 1)
6,0 2,1
in vH der Gesamteinnahmen/-ausgaben
1992 1)
Ausgaben, insgesamt Volkswirtschaft Industrie, Energie, Bauwirtschaft Landwirtschaft, Fischerei Transport, Kommunikation Sozial-kulturelle Maßnahmen Bildung Gesundheit Soziale Sicherung Verteidigung Verwaltung und Rechtsorgane Außenwirtschaft Schuldendienst Sonstige Ausgaben
1995
5,3 49,7 177,4 434,5 100,0 100,0 100,0 100,0 28,0 29,0 1,6 16,8 48,8 116,8 29,4 33,8 27,5 26,9 8,2 9,8 8,0 7,0 0,4 4,4 17,5 36,4 8,1 8,8 9,9 8,4 2,3 2,6 2,9 2,2 0,2 1,8 7,4 24,2 4,0 3,6 4,2 5,6 1,1 1,0 1,2 1,5 2,0 11,2 37,3 95,2 37,7 22,5 21,0 21,9 10,5 6,5 0,5 2,3 19,2 24,2 8,8 4,7 10,8 5,6 2,5 1,4 3,1 1,5 0,6 13,2 47,2 137,6 12,0 26,6 26,6 31,6 3,4 7,7 7,7 8,3
in Bill. Rubel
1993
Einnahmen, insgesamt Gewinnsteuer Einkommensteuer Akzisen Mehrwertsteuer Zölle etc · Sonstige Einnahmen
1992 1)
Tabelle 6 Konsolidierter Haushalt Rußlands Ausgewählte öffentliche Einnahmen und Ausgaben 1995
236 Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
237
In den ersten Transformationsjahren stieg der Anteil der Ausgaben des konsolidierten Haushalts am BIP kontinuierlich an; 1994 waren die Ausgaben der öffentlichen Haushalte auf knapp 40 vH des BIP angewachsen29. Im Zuge der restriktiven Finanzpolitik 1995 wurden die öffentlichen Ausgaben real drastisch gekürzt; der Anteil der Ausgaben am BIP 1995 sank auf knapp 30 vH. Besonders stark von Mittelkürzungen war der Unternehmenssektor betroffen. Der Anteil der Ausgaben für die "Volkswirtschaft" am BIP, hinter denen sich vor allem Subventionszahlungen an den Unternehmenssektor verbergen, wurde 1995 halbiert. Der finanzpolitische Kurswechsel hat die Liquiditätssituation im Unternehmenssektor weiter verschlechtert; zunehmend wichen die Unternehmen in die zwischenbetriebliche Verschuldung, Lohnrückstände und Zahlungsverzögerungen gegenüber dem Budget aus30. Hier kann sich rasch eine Verschuldungsspirale, getragen durch wechselseitige Verschuldung zwischen Unternehmens- und Staatssektor, aufbauen 31. In den real rückläufigen Ausgaben für personalintensive Bereiche wie Verwaltung spiegeln sich maßgeblich die von Seiten des Budgets aufgebauten Lohnrückstände wider. Von dieser insgesamt restriktiven Finanzpolitik sind 1995 eher kontraktive Impulse für die Gesamtwirtschaft ausgegangen. Die Defizitreduktion 1995 gegenüber dem Vorjahr (vgl. Tabelle 6) kam allein durch Ausgabenkürzungen und Ausgabenverlagerungen zustande. Bei rückläufigen Einnahmen wurde der finanzpolitische Kurswechsel des Jahres 1995 vor allem durch die straffere Geldpolitik erzwungen, in deren Rahmen die Zentralbank auch die präferentielle Kreditvergabe an das Finanzministerium deutlich reduziert hat. Anders als in den Vorjahren wurde 1995 das Defizit zu wesentlichen Teilen durch den heimischen Kapitalmarkt finanziert. Liquiditätsengpässe auf dem heimischen Finanzmarkt und hohe Realzinsen dürften dabei finanzpolitisch disziplinierend gewirkt haben. Die ungelösten Probleme des fiskalischen Föderalismus 32 zeigen sich auch in den unterschiedlichen Finanzsituationen der einzelnen föderalen Ebenen: Während die Haushalte der Regionen in ihrer Summe über leichte bis deutliche Überschüsse verfügen, ist der Föderationshaushalt systematisch defizitär. Ihre Liquidität sichern die nachgeordneten Gebietskörperschaften nicht nur durch regionale Steuererhebung und das komplizierte Finanzausgleichssystem33, sondern auch durch die Nichtabführung von Steuern in das föderale
29 Die Ausgaben des konsolidierten Haushalts reflektieren nicht die Staatsquote, in die neben den Aktivitäten der öffentlichen Haushalte auch die Leistungen der Sozialversicherungen eingehen. 30
Vgl. Die wirtschaftliche Lage Rußlands - Investitionsschwäche verhindert Wachstum. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 19/1996, S. 323. 31 Informationen über die Nettoposition des Staates gegenüber dem Unternehmenssektor liegen nicht vor. 32
Vgl. M. Schrooten, U. Weißenburger: Zum Transformationsprozeß in der Russischen Föderation. In: DIW-Diskusssionspapier, Nr. 128/1996, S. 72 ff. 33 Die gesetzlichen Grundlagen für die Erhebungspraxis wurden zuletzt zu Jahresbeginn 1994 erheblich zugunsten der nachgeordneten Gebietskörperschaften revidiert.
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
238
Budget 34 . Aufgrund dieser Enforcementprobleme kommt den ungelösten Föderalismusfragen nicht nur eine verteilungspolitische, sondern darüber hinaus eine erhebliche stabilisierungspolitische Relevanz zu 35 . Insgesamt läßt sich bislang in der Russischen Föderation noch kein in sich konsistenter finanzpolitischer Kurs erkennen, der sowohl der stabilisierungspolitischen Verantwortung als auch den verteilungspolitischen Ansprüchen mittelfristig Rechnung tragen könnte. Das gesamte Finanzsystem wirkt vielmehr wie das unkoordinierte Zusammenspiel von oftmals ad hoc ergriffenen Einzelmaßnahmen, deren alsbaldige Revision nicht ausgeschlossen werden kann. Die finanzpolitische Situation bleibt instabil.
3.7. Geldpolitik Grundsätzlich kommt dem Geld in einer Marktwirtschaft eine andere Rolle als in einer Planwirtschaft zu: Wesentlich für die Planwirtschaften sowjetischen Typs war, daß es kein universales Zahlungsmittel gab, sondern dem Bar- und Buchgeld jeweils Spezialgeldfunktionen zukamen36. In einer funktionierenden Marktwirtschaft erfüllt dagegen die heimische Währung nicht nur die Funktion eines universalen Zahlungs- und Tauschmittels, sondern übernimmt zugleich eine Wertaufbewahrungsfunktion. Diese Komplexität der Geldfunktionen führt dazu, daß die wirtschaftliche Entwicklung in einer Marktwirtschaft maßgeblich von monetären Einflußfaktoren abhängt; dem Geld kommt eine aktive Rolle zu. Die Etablierung einer heimischen Währung, die diese Funktionen angemessen erfüllen kann, ist ein Kernelement des Übergangs von einer Planwirtschaft sowjetischen Typs zur Marktwirtschaft. Die notwendige institutionelle Voraussetzung dazu ist eine völlige Umstrukturierung des Bankensystems, insbesondere die Schaffung einer unabhängigen Zentralbank, die die innere und äußere Stabilität der Währung glaubwürdig sichern kann. In der Russischen Föderation ist formal der Übergang von dem vormals einstufigen auf ein zweistufiges Bankensystem gelungen. De facto jedoch wurde die enge Verknüpfung von Banken-, Unternehmens- und Staatssektor bislang nicht aufgegeben, insbesondere ist die Unabhängigkeit der Zentralbank nicht gewährleistet. Zwar ist die Zentralbank nach der Verfassung der Russischen Föderation zur Sicherung der äußeren und inneren Stabilität des Rubels verpflichtet, und formal stehen ihr dazu auch die klassischen geldpolitischen Instrumentarien wie Refinanzierungspolitik, Offenmarktoperationen, Mindestreservepolitik und Devisenmarktoperationen zur Verfügung. De facto jedoch war die Zentralbank in der Vergangenheit vor allem von finanzpolitischen Entscheidungen und damit vom Finanzbe-
34 Hierin spiegelt sich vor allem die unterschiedliche Zugriffsmöglichkeit der einzelnen föderalen Ebenen auf vergünstigte Zentralbankkredite und den Kapitalmarkt. 35
Vgl. Russia and the Challenge of Fiscal Federalism. Edited by Christine Wallich. The World Bank, Washington, D.C., 1994, S. 53. 36 Der Verrechnung zwischen den Betrieben diente in der Regel das Buchgeld; das Bargeld stellte dagegen im wesentlichen einen Anspruch auf Konsumgüter dar.
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
239
darf der öffentlichen Haushalte abhängig. Mitte 1994 zeichnete sich ein geldpolitischer Kurswechsel ab, der auf eine Stärkung der Autonomie der Russischen Zentralbank schließen läßt. Die zur Sicherung der inneren und äußeren Stabilität des Rubels notwendigen Instrumente wurden - insbesondere bis zum Auseinderbrechen der Rubelzone im Jahre 1993 de facto nur unzureichend von ihr kontrolliert. Seit Beginn der Transformation ist die Inflationsentwicklung das zentrale Problem der russischen Geldpolitik (vgl. Schaubild l ) 3 7 . Zwar zeichnet sich im Zeitverlauf eine rückläufige Jahresinflationsrate ab; jedoch deutet eine Jahresinflationsrate von mehr als 100 vH im vierten Transformationsjahr - auch vor dem Hintergrund der Stabilisierungserfahrungen der mitteleuropäischen Transformationsökonomien - auf erhebliche monetäre Steuerungsprobleme hin. In der hohen Volatilität und der zuletzt deutlichen Reduktion der Zuwachsraten der Geldmenge M2 zeigen sich die Versuche der Zentralbank, die Inflationsmentalität zu durchbrechen (vgl. Schaubild 2). Im Jahre 1995 wurde die Geldmengenentwicklung vor allem durch den Zustrom von Devisen bestimmt. Die Währungsreserven der Zentralbank beliefen sich Ende 1995 auf 7,7 Mrd. US-Dollar. Nimmt man die Refinanzierungspolitik der Zentralbank als den wesentlichen Indikator für ihre grundlegende geldpolitische Ausrichtung, so muß der seit 1994 eingeschlagene Kurs als extrem restriktiv bezeichnet werden (vgl. Schaubild 3). Die zur Refinanzierung der Banken geforderten Realzinsen von über 100 vH p.a. führen nicht nur zu Liquiditätsengpässen im Unternehmenssektor, sondern stehen einer effizienten Kreditallokation eher entgegen. Zwangsläufig wird das Problem der adversen Selektion verstärkt und die gesamtwirtschaftliche Investitionstätigkeit gebremst. Allerdings ist bei der Einschätzung der Zentralbankpolitik zu berücksichtigen, daß die Zentralbank Kredite zu erheblich voneinander abweichenden Zinssätzen vergibt 38 : Während sich die Zinssätze für die unterschiedlichen Kredittypen an den Bankensektor 39 im wesentlichen an dem Interbankenzinssatz orientie-
37
Die in Folge der Preisfreigabe in Gang gesetzte Lohn-Preis-Spirale wurde zunächst auf hohem Niveau alimentiert. Immer wieder bestand die Gefahr des Übergangs in eine Hyperinflation. (Eine Hyperinflation zeigt sich nach Cagan in monatlichen Inflationsraten von mehr als 50 vH.) 38
Vgl. Die wirtschaftliche Lage Rußlands - Fortsetzung des Niedergangs ohne hinreichenden Strukturwandel. Fünfter Bericht. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 47-48/1994, S. 816. 39 Zentralbankkredite an den Bankensektor werden zu drei unterschiedlichen Zinssätzen vergeben: Refinanzierungskredite werden mit dem Refinanzierungssatz verzinst; für zentralisierte Kredite wird der "verrechnete Interbankenzinssatz" berechnet. Hierbei handelt es sich um den Durchschnittswert der in den letzten vier Wochen auf dem Interbankenmarkt erzielten Zinsen. Daneben versteigert die Zentralbank einen Teil ihrer Kredite; sowohl ein Mindestzinssatz als auch das Kreditvolumen wird von der Zentralbank festgelegt. Vgl. Die wirtschaftliche Lage Rußlands - Fortsetzung des Niedergangs ohne hinreichenden Strukturwandel. Fünfter Bericht. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 47-48/1994, S. 816 f.
vH
1
\
Λ^Ν
1
V / V
Ar
I
1993
|
1994
|
1995
Quellen: Government of the Russian Federation, Russian Economic Trends (verschiedene Ausgaben), a.a.O.; Berechnungen des DIW.
1992
DIW
| '96
F A J A O D F A J A O D F A J A O D F A J A O D F A
0 'l I I I 1 1 I I I 1 I I 1 I 1 1 I I I I 1 I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I [ I I I I I 1 1 ι ι 1
20
25
30 -4
35 -X
40 γ-
Schaubild 1 Verbraucherpreisentwicklung in Rußland 1992 bis 1996 Veränderung gegenüber Vormonat in vH
240 Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
16 Schumacher u. a.
-5
35
Ί
1
;
ί I ! i i I I M; ι I I ι' i M I i I iI ! I ! I ! I M I 1 1 I I i : Γ
1993
1994
1995
Quellen: Goskomstat und Berechnungen des DIW.
1992
,gg
MAMJ JASONDJ FMAMJ JASONDJ FMAMJ JASONDJ FMAMJ J A
1
Veränderung gegenüber Vormonat in vH
Schaubild 2 Geldmenge M 2 in Rußland 1992 bis 1995
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht 241
1 1 1 1 1 1 1 L 1 1 1 1 1 1
'I1
1
I
Iιι
u
I
1994
|
1995
|
Allgemeiner Refinanzierungszins
DIW '96
Quellen: Unveröffentlichte Arbeitsunterlagen des Internationalen Währungsfonds; Government of the Russian Federation, Russian Economic Trends (verschiedene Ausgaben), a.a.O.; Granville, B., Monetary Report 69, a.a.O.; Berechnungen des DIW.
1) Deflationiert mit dem Erzeugerpreisindex.
Interbankenmarkt (Laufzeit 1-3 Mon.)
1993
J FMAMJ J A S O N D J FMAMJ J A S O N D J FMAMJ J A S O N D J F
«20 ^ ' '
15
Schaubild 3 Monatliche Realzinssätze 1993 bis 1996n
242 Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
243
ren, wurden die präferentiellen Kredite an das Finanzministerium in der Vergangenheit zu deutlich negativen Realzinsen vergeben 40. Derzeit wird der Finanzbedarf der öffentlichen Haushalte vor allem durch die Ausgabe hochverzinster Staatsanleihen gedeckt. Der Bankensektor erwirtschaftet mit diesen Papieren erhebliche Renditen, zugleich sinkt die Attraktivität einer Kreditvergabe an Unternehmen, die immer mit einem Risiko behaftet ist. In der Folge dieser Zins- und Kreditpolitik hat sich die Liquiditätssituation im Unternehmenssektor verschärft. Zunehmend weichen die Unternehmen in Barter-Geschäfte und wechselseitige Verschuldung aus. Unter diesen Umständen steigen die Transaktionskosten der Volkswirtschaft deutlich. In der Vergangenheit hat die Zentralbank auf analoge Situationen mit einer Monetisierung der Schulden reagiert. Eine solche Liquiditätszufuhr birgt allerdings die Gefahr einer sich wieder beschleunigenden Inflation in sich. Anders als in den Vorjahren besteht allerdings derzeit für die russische Geldpolitik die Möglichkeit, durch eine Senkung der Refinanzierungszinsen eine angemessene Liquiditätsversorgung zu sichern.
4. Faktorausstattung 4.1. Naturressourcen Rußland ist reich an Bodenschätzen und anderen natürlichen Ressourcen. Ein erhebliches Exportpotential stellen die 770 M i l l . Hektar Wald mit einem Holzbestand von über 80 Mrd. m 3 Holz dar. Zu den in der Russischen Föderation vorhandenen Rohstoffvorkommen zählen Erdöl, Erdgas, Kohle, Gold, Eisenerze, Diamanten, Kupfer, Blei, Zinn, Bauxit, Magnesium, Silber, Molybdän, Nickel, Graphit, Uranium, seltene Metalle, Phosphorite, Kalisalze, Apatit und Torf. Die geographische Verteilung der Lagerstätten ist allerdings relativ ungünstig. Die wichtigsten Rohstoffvorkommen (Erdöl, Erdgas, Kohle, Eisenerz, Buntmetalle, Stahl veredler, Uran, Gold und Diamanten) liegen in Regionen Sibiriens, die verkehrsmäßig oft schlecht erschlossen sind und zum Teil extreme klimatische Bedingungen haben. Die Erschließung dieser Fördergebiete ist daher mit einem hohen Kapitalaufwand verbunden, die Transportkosten sind hoch. Bedeutende Lagerstätten von Bodenschätzen finden sich außerdem noch im Uralgebiet (Eisenerz, Stahlveredler, Buntmetalle, Erdöl und Erdgas), im Wolgagebiet (Erdöl und Erdgas), auf der Halbinsel Kola (Stahlveredler, Buntmetalle, Eisenerz) und im Fernostgebiet (Buntmetalle, Edelmetalle, Uran). Im Fernen Osten werden die größten Reserven an Bodenschätzen vermutet, nur 3 vH des Potentials an mineralischen Ressourcen sind hier bis jetzt erschlossen worden 41 . Trotz dieses Reichtums an mineralischen Ressourcen war Rußland allerdings vor dem Zerfall der Sowjetunion bei einigen Rohstoffen auf Einfuhren aus anderen Sowjetrepubliken angewie-
40
Diese Kredite wurden bei einer Laufzeit von 10 Jahren zu einem Jahreszins von 10 vH vergeben, was einem Forderungsverzicht der Zentralbank gegenüber dem Budget gleichkommt. 41 Vgl. Ο sostojanii okruzajuscej prirodnoj sredy ν Rossijskoj Federacii ν 1993 godu, Gosudarstvennyj doklad, Moskau 1994, S. 40.
1*
244
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
sen. Mangan- und Chromerze wurden aus Kasachstan, der Ukraine und Georgien eingeführt, Titan aus der Ukraine, ein Drittel der für die Aluminiumproduktion benötigten Tonerde aus Kasachstan und der Ukraine, Kupfer und Molybdän aus Kasachstan und Armenien 42 . Für den russischen Außenhandel haben Erdöl und Erdgas die größte Bedeutung. Zwei Drittel der Erdölförderung und 92 vH der Erdgasförderung entfielen 1995 auf das Gebiet von Tjumen. Die Erdölindustrie befindet sich seit dem Beginn der neunziger Jahre in einer tiefgehenden Krise, in den Jahren 1990 bis 1995 sank die Förderung um 45 vH (vgl. Tabelle 7). Da die großen Lagerstätten ihren Produktionshöhepunkt überschritten haben, müßten zur Sicherung eines hohen Förderniveaus neue Felder zur Produktionsreife gebracht werden. Die Erschließung neuer Vorkommen ist 1993 und 1994 jedoch zurückgegangen, die Zuweisungen für geologische Erkundungsarbeiten wurden reduziert 43 . Die Erdgasförderung ist in den Jahren 1992 bis 1995 um 7,5 vH zurückgegangen. Die Kohleförderung lag 1995 um 36 vH unter dem Niveau von 1989.
Tabelle 7 Förderung von Energieträgern in Rußland 1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
Erdöl, Mill, t
552,2
516,2
462,3
399,0
354,0
318,0
307,0
Erdgas, Mrd. m3
615,8
640,6
643,4
640,5
618,0
607,0
595,0
Kohle, Mill, t
409,9
395,4
353,3
337,2
306,0
272,0
262,0
Quellen: Ο sostojanii okruzajuSöej prirodnoj sredy Rossijskoj Federacii ν 1993 godu, Gosudarstvennyj doklad, Moskau 1994, S. 41; Social'no-ekonomiéeskoe polozenie Rossii 1994 g., Moskau 1995, S. 223; Rossijskij statistiòeskij ezegodnik, Moskau 1995, S. 326; Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 299.
Die Goldvorkommen sind in Nordost- und Ostsibirien und im Fernost-Gebiet konzentriert. Die Förderregionen sind durch außerordentlich widrige klimatische Verhältnisse charakterisiert und auf dem Landweg kaum zu erreichen. Die Goldproduktion hat eine Größenordnung von 130 bis 160 t 4 4 .
42
Vgl. Rossijskie vesti vom 22. September 1993.
43
Vgl. Russische Energiewirtschaft: Zögerliche Neuorientierung. Bearb.: Hella Engerer. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 26/1994, S. 449; Ο sostojanii okruzajuSéej prirodnoj sredy Rossijskoj Federacii ν 1993 godu, Gosudarstvennyj doklad, Moskau 1994, S. 40 f.; Predvaritel'nye itogi raboty toplivno-energetiéeskogo kompleksa ν 1994 godu i osnovnye napravlenija ego dejatel'nosti po stabilizacii proizvodstva i finansovogo polozenija ν 1995 godu, Moskau 1995, S. 2. 44 Vgl. Deutsche Bank Research: Osteuropa auf Reformkurs; Heft 1: Rußland, Frankfurt/Main 1992, S. 82 ff.
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
245
Die Nutzung des Rohstofipotentials in Rußland erfolgt nicht sehr effizient, die Verluste bei der Förderung, Aufbereitung und Verarbeitung sind hoch. Bei den meisten metallischen Rohstoffen werden nur 65 bis 80 vH des in den Erzen enthaltenen Metalls auch tatsächlich für die Weiterverarbeitung genutzt. Bei der Erzaufbereitung wurden z.B. 1993 von den in den Erzen enthaltenen Metallen bei Eisen und Molybdän nur 75 vH gewonnen, bei Kupfer und Zink 80 vH, bei Wolfram zwei Drittel, bei Zinn 54 vH, bei Nickel und Blei 85 bis 90 vH. Bei der Erdölförderung wurden 7 Mrd. m 3 Gas abgefackelt 45.
4.2. Arbeitskräftepotential und Qualißkationsstruktur Das gesamte Arbeitskräftepotential ("ökonomisch aktive Bevölkerung") wurde Ende 1995 vom Staatskomitee für Statistik mit 73 Millionen angegeben (50 vH der gesamten Bevölkerung). Von diesem dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Teil der Bevölkerung waren 6 Millionen ohne Beschäftigung. Der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Beschäftigten betrug 47 vH, ihr Anteil unter den Arbeitslosen lag bei 45 vH. Die vorliegenden Daten über die Qualifikationsstruktur basieren überwiegend auf den Ergebnissen der Volkszählung von 1989. Insgesamt hatten 1989 11 vH der gesamten Bevölkerung über 15 Jahren eine abgeschlossene Hochschulausbildung, 2 vH eine Hochschulausbildung ohne Abschluß, 19 vH eine Fachschulausbildung, 27 vH eine allgemeine Mittelschulausbildung und 21 vH eine nicht abgeschlossene Mittelschulausbildung. Unter den Erwerbstätigen hatten 40 vH eine abgeschlossene Hoch- oder Fachschulausbildung bzw. eine nicht abgeschlossene Hochschulausbildung, 34 vH eine allgemeine Mittelschulausbildung 46 . Bei den Ausbildungsgängen der Hoch- und Fachschulen dominieren die technischen und naturwissenschaftlichen Fächer. Unter den Absolventen der Hoch- und Fachschulen 1994 schlossen 33 vH eine Ausbildung im Fachbereich Industrie und Bauwirtschaft ab, 11 vH im Fachbereich Landwirtschaft, 6 vH im Fachbereich Verkehr und Nachrichtenwesen, 15 vH im Fachbereich Wirtschaft und Recht, 18 vH im Fachbereich Gesundheitswesen, Körperkultur und Sport, 15 vH im Fachbereich Bildungswesen und 2 vH im Fachbereich Kunst und Filmwesen 47 . Defizite bestehen insbesondere bei den sozial wissenschaftlichen Berufen. Die entsprechenden Studiengänge orientierten sich in der Vergangenheit an den Bedürfnissen einer zentralen Planwirtschaft und waren zudem stark ideologisch geprägt. Betriebswirtschaftlich qualifiziertes Personal gibt es kaum, da entsprechende Studiengänge in der Vergangenheit
45 Vgl. Ο sostojanii okruzajuSöej prirodnoj sredy Rossijskoj Federacii ν 1993 godu, Gosudarstvennyj doklad, Moskau 1994, S.42 und 113 f. 46
Vgl. Statistisches Bundesamt: Länderbericht Russische Föderation 1993, Wiesbaden 1993, S. 52 f.; Kratkaja social'no-demografideskaja Charakteristika naselenija RSFSR, Moskau 1992, S. 10 f. 47
Vgl. Rossijskij statistiòeskij ezegodnik, Moskau 1995, S. 146.
246
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
nicht angeboten wurden. Das unzureichend ausgebildete Management stellt daher ein wesentliches Hindernis für den Transformationsprozeß auf der Unternehmensebene dar.
4.3. Kapitalstock Ein zentrales Problem für die russische Wirtschaft war bereits vor dem Beginn des Transformationsprozesses die Erneuerungsbedürftigkeit des Kapitalstocks. Die Überalterung des Kapitalstocks war das Resultat einer über einen langen Zeitraum betriebenen Investitionspolitik, durch die Ersatzinvestitionen chronisch vernachlässigt wurden. Eine Nutzungsdauer der Produktionsanlagen von 50 und mehr Jahren war in zahlreichen Industriezweigen wie der Stromwirtschaft, der Metallurgie oder der chemischen Industrie keine Seltenheit. Diese Überalterung war ein zentraler Grund für die niedrige Produktivität, den überhöhten Rohstoff- und Energieverbrauch, die hohen Reparaturaufwendungen und die starke Umweltbelastung. In vielen Industriezweigen dominierten wegen der mangelhaften Innovation technisch obsolete Produktionsverfahren. Durch den Zusammenbruch der Investitionen in den letzten vier Jahren und die strukturkonservierende Subventions- und Kreditpolitik hat sich der ohnehin desolate Zustand des Kapitalstocks noch verschlechtert.
5. Außenwirtschaft 5.1. Währungspolitik Rubelzone Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verband die souveränen Nachfolgestaaten der UdSSR die gemeinsame Währung - der Rubel. Diese Währungsunion war eher historisch begründet als gewünscht; ihre institutionelle Ausgestaltung orientierte sich an den Erfordernissen der Vergangenheit. Dies bedingte eine Monopolisierung der geldpolitischen Instrumente durch die Moskauer Zentralbank. Eine funktionsfähige gemeinsame Währung setzt eine weitgehende Harmonisierung der nationalen Geld- und Fiskalpolitiken voraus. In den einzelnen Nachfolgerepubliken der Sowjetunion wurden dagegen verschiedene Transformationspfade gewählt, die sich auf regional unterschiedlichen Ansprüchen an die Wirtschaftspolitik begründeten 48. Der fehlende Konsens über die konkrete Ausgestaltung und das Tempo des Transformationsprozesses spiegelte sich in einem wachsendem Spannungsverhältnis zwischen den wirtschaftspolitischen Vorgaben der Zentrale und den wirtschaftspolitischen Entscheidungen auf der Ebene der Republiken. Zur Entschärfung dieser Situation führten die baltischen Staaten, die auf eine Dezentralisierung geld- und haushaltspolitischer Entscheidungen beharrten und eine alsbaldige
48 Vgl. P. Botlnger, E. Svindland, B. Thanner: Währungspolitik in den Nachfolgestaaten der UdSSR, München 1993.
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
247
Abkoppelung von dem Inflationswettlauf mit der Russischen Föderation suchten, im Jahresverlauf 1992 ihre eigenen Währungen ein. Für die in der Rubelzone verbliebenen Staaten traten die durch diese unfreiwillige Währungsunion verursachten Probleme immer deutlicher an die Oberfläche. Insbesondere war die Kompetenzabgrenzung zwischen den einzelnen Nationalbanken und der Moskauer Zentralbank unklar. Engpässe in der Bargeldversorgung durch die Moskauer Zentrale führten in der Regel zur Ausgabe eigener Noten in den betreffenden Republiken, so daß eine Vielzahl von nationalen Parallel Währungen entstand. Zudem war der Zahlungsverkehr zwischen den Republiken nur sehr unbefriedigend gelöst. Diese ausgesprochen problembeladene Währungsunion wurde de facto im Juli 1993 einseitig von der russischen Seite aufgekündigt, als die russische Zentralbank eine Rubel-Umtausch-Aktion verfügte 49 . Dieser Schritt wurde damit begründet, daß einerseits der die Inflation in der Russischen Föderation anheizende Zufluß von russischen Rubeln aus den Mitgliedstaaten der Rubelzone unterbunden, andererseits im Umlauf befindliches Falschgeld eliminiert werden sollte. In jüngster Zeit zeichnet sich z.T. wieder eine Annäherung der nationalen Stabilisierungspolitiken ab. Ein besonders deutliches Beispiel der Wiedervereinigungsversuche des ehemaligen Wirtschaftsraumes stellt der zwischen der Russischen Föderation und Weißrußland geschlossene Integrationsvertrag dar. Dieser sieht neben anderen Punkten auch die Einführung einer gemeinsamen Währung vor. Wechselkursregime In der Sowjetunion galten zuletzt unterschiedliche, an den Verwendungszweck des Geldes gebundene Wechselkurse. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR wurde in der Russischen Föderation zunächst an diesem multiplen Wechselkurssystem festgehalten, das die Realisation von teilweise erheblichen Arbitrage-Gewinnen ermöglichte. Erst mit dem 1. Juli 1992 wurde auf einen einheitlichen Kurs übergegangen. Dieser wird auf dem hochgradig kontrollierten Moskauer Interbankenmarkt (MICEX) ausgehandelt. In die Kursbildung griff die Zentralbank in der Vergangenheit immer wieder durch Devisenan- und -Verkäufe regulierend ein. Relevant für die Wechselkursbildung war auch die zum Jahresende 1995 vorhandene Devisenablieferungspflicht für Exporteure, durch die das Angebot an Devisen auf dem Interbankenmarkt erhöht wurde. Das dirty-floating der Zentralbank und die Regulierungen des Devisenmarktes konnten in der Vergangenheit Währungsturbulenzen nicht verhindern. Insbesondere führten Inkonsistenzen zwischen der Zins- und Währungspolitik
49 Die Rubel-Umtausch-Aktion wurde Ende Juli 1993 verfügt und sah vor, daß Russen innerhalb von fünf Wochen bis zu 100 000 Rubel in Scheinen von vor 1993 in neue Noten umtauschen konnten. Für Nicht-Russen - darunter auch die Mitglieder der Rubelzone - galten Sonderkonditionen. Insbesondere die Bargeldknappheit und die Unberechenbarkeit der russischen Zentralbank zwang die Mitgliedstaaten der Rubelzone über Nacht zur Einführung einer eigenen Währung. Trotz der Antizipierbarkeit des Auseinanderbrechens der Rubelzone schienen die nicht-russischen Mitgliedstaaten der Rubelzone in der Regel relativ unvorbereitet, eine eigenverantwortliche Währungs- und Stabilisierungspolitik zu etablieren.
248
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
zu erheblichen Turbulenzen um den Rubelkurs; auch die Rubelkrise vom Oktober 1994 50 ging auf eine inkonsistente Zentralbankpolitik zurück. Der nominale Kurs des Rubels ist seit Januar 1992 von 110 Rubel zum Dollar 51 auf 4836 Rubel zum Dollar im März 1996 gestiegen (vgl. Schaubild 4). Mit dem 6. Juli 1995 wurde vom System eines flexiblen Wechselkurses auf einen Wechselkurskorridor übergegangen. Im Juni 1996 wurde ein preannounced-crawling-band eingeführt 52 . Bislang stellte es für die Zentralbank kein Problem dar, die Wechselkursvorgaben abzusichern. Die Hochzinspolitik der Zentralbank hatte die Währungsreserven erheblich ansteigen lassen; der Handlungsspielraum der Zentralbank zur Wechselkursstabilisierung hat sich damit deutlich erhöht. Nach der Einführung des Wechselkurskorridors ist der nominale Wechselkurs des Rubels zum Dollar zunächst gesunken. Bei hoher heimischer Inflation ist es im Zeitverlauf zu einer deutlichen realen Aufwertung des Rubels gegenüber dem Dollar gekommen (vgl. Schaubild 4). Für die russischen Exporteure bedeutet dies vor allem, daß sich ihre Gewinnsituation tendenziell verschlechtert. Trotz real gestiegenem Rubelkurs wurden deutliche Handels- und Leistungsbilanzüberschüsse erzielt. Dies geht wesentlich auf Lockerungen der Exportbeschränkungen zurück. Dieser Spielraum dürfte inzwischen weitgehend ausgeschöpft sein. Gemessen an der Kaufkraftparität war der Rubel 1992 stark unterbewertet 53; inzwischen hat hier, bedingt durch die reale Aufwertung des Rubels, ein deutlicher Aufholprozeß eingesetzt. Damit einhergehend wächst der Importdruck.
50 In der Folge einer Lockerung der Kreditvergabe der Zentralbank bei gleichzeitiger Senkung des Refinanzierungssatzes auf 130 vH hatte sich im Spätsommer 1994 das Rubelangebot auf dem Devisenmarkt deutlich erhöht. Zur Stützung des Wechselkurses war eine massive Intervention der Zentralbank notwendig; ihre Devisenreserven sanken mit erheblichem Tempo. Dennoch ließ sich der Verfall des Rubels nicht authalten. Vgl. Die wirtschaftliche Lage Rußlands - Fortsetzung des Niedergangs ohne hinreichenden Strukturwandel. Fünfter Bericht. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 47-48/1994, S. 821 f. 51
Zugrunde gelegt wurde der Marktkurs der russischen Zentralbank, der auch gelegentlich als Touristenkurs bezeichnet wird. 52
Vgl. vwd-Rußland vom 24. April 1996.
53
Vgl. Russian Economic Trends 1994, S. 27 f.
A
\
J
té
f nominal
f
V
1/93
β/93
1/94 β/94
1/95
12/95 3/96
Quellen: Russian Economic Trends; Finansovye izvestija; Berechnungen des DIW.
β/95
DIW
-1800
-2700
-I3600
—- 4500
" ··
Wechsalkurskorrldor
f
t
[5400
nominal
I I I — I — ι — Γ 1—I—I—I—I—I—I—I I I—I—I—I—I—I—I—I—I—I—I—I I I—I—I—I—I—I—I—I—I—I—r 0
i)
\
^ \ rea '
Monatsdurchschnittskurse, März 1996 vorläufig.
0
25 -
50 -
75 -
100 it^r-
real (Index: Januar 1993 » 100)
Schaubild 4 Realer und nominaler Wechselkurs des Russischen Rubels zum US-Dollar 1993 bis 1996
96
v
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht 249
250
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
5.2. Außenhandel mit Drittländern Der russische Außenhandel (ohne Intra-GUS-Handel) ist in den ersten Transformationsjahren stark geschrumpft. Der Außenhandelsumsatz lag 1993 um 54 vH unter dem Niveau von 1990, die Exporte gingen im gleichen Zeitraum um 40 vH zurück, die Importe sogar um zwei Drittel (vgl. Tabelle 11). Nach den vorliegenden Daten setzte erst 1994 eine Erholung ein 54 . Im Jahr 1994 stieg das Außenhandelsvolumen mit Drittländern gegenüber dem Vorjahr um 8 vH. Die Exporte betrugen 48 Mrd. US-$ ( + 8 vH), die Importe 35,7 Mrd. US-$ ( + 8 vH). Der Ausfuhrüberschuß lag mit 12,3 Mrd. US-$ um 9 vH über dem Vorjahresniveau 55. 1995 steigerte sich der Außenhandelsumsatz weiter (4-19 vH). Bei wachsenden Exporten (+25 vH) übertraf der Handelsbilanzüberschuß deutlich die Vorjahreswerte. Die Exportdynamik ging bei real steigendem Wechselkurs vor allem auf weitere Deregulierungen zurück. Die in der 2. Jahreshälfte 1995 vorgenommenen Liberalisierungen im Außenhandel waren Bestandteil der IMF-Konditionen zur Vergabe neuer Kredite an die Russische Föderation. Insbesondere zielten diese Deregulierungen auf die weitgehende Abschaffung der Exportquoten und Lizenzierung von Außenwirtschaftstransaktionen, die bis dahin vor allem beim Export von Energieträgern Anwendung gefunden hatten56. Trotz dieser Deregulierungen stieg die Ausfuhr von Energieträgern 1995 im Vergleich zum Gesamtexport in die Drittländer unterdurchschnittlich ( + 14 vH). Die russischen Exporte sind insgesamt stark rohstofflastig (vgl. Tabelle 8). Der Anteil von mineralischen Erzeugnissen, darunter vor allem Erdöl, Erdölprodukte und Erdgas an dem Gesamtexport in die Drittländer lag auch 1995 bei über 40 vH. Angaben über die Warenstruktur des Exports liegen nur bis 1994 vor; danach veränderte sich diese gegenüber den Vorjahren nur unwesentlich. Neben Energieträgern stellten Eisen- und Stahlerzeugnisse und Buntmetalle, chemische Erzeugnisse und Edelmetalle die wichtigsten Exportgüter dar. Deutlich zurückgegangen ist das relative Gewicht von Maschinen und Ausrüstungen in der Warenstruktur der Exporte (1990: 18 vH; 1994: 3 vH). Bei diesen Erzeugnissen wirkte sich der Fortfall des RGW-Marktes wegen der unzureichenden internationalen Wettbewerbsfähigkeit des russischen Maschinen- und Anlagenbaus in besonders starkem Maße aus. Mengenmäßig wurden Zuwachsraten bei den Exporten von Rohöl ( + 11 vH), Erdölprodukten ( + 1 1 vH), Erdgas ( + 14 vH), Eisenerz ( + 1 9 vH), Roheisen ( + 5 0 vH), Stahlerzeugnissen (+13 vH), Aluminium ( + 4 vH), Kupfer (+187 vH) und Ammoniak ( + 2 5 vH) verzeichnet.
54 Goskomstat bezieht erst seit 1994 im Gegensatz zur früheren Praxis die geschätzten "unorganisierten" Ein- und Ausfuhren sowie die Warenlieferungen im Rahmen humanitärer Hilfe in die Außenhandelszahlen mit ein. Die unmittelbare Vergleichbarkeit der Außenwirtschaftsdaten über den Zeitraum von 1991 bis 1995 ist daher nicht gewährleistet. 55 Zur Außenhandelsentwicklung 1994 vgl. Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1994 g., Moskau 1995, S. 72 ff. 56 Vgl. Die wirtschaftliche Lage Rußlands - Integration in die Weltwirtschaft. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 3/96, S. 43.
4,4
Holzerzeugnisse
17,6
11,8
Maschinen und Ausrüstung
Sonstige Warengruppen
2,6
100
8,6
10,2
14,3
1,0
4,7
0,2
6,7
51,7
1990
Exporte
6,5
9,3
16,3
0,7
3,6
0,2
6,4
54,3
2,7
100
1991
6,5
7,1
20,4
0,4
4,1
0,2
6,0
51,1
4,2
100
1992
4,8
5,3
20,2
9,3
4,3
2,9
44,4
5,4
9,9
1,1
4,0
35,5
6,3
11,2
1,1
1,7
12,4
2,9
26,6
100
1990
Importe
1,1
10,9
2,9
27,9
100
1994
1,0
7,6
44,7
20,3
100
1993
!)
13,0
39,2
3,4
15,9
1,3
2,0
9,8
2,9
19,7
100
1991
35,5
3,8
6,8
0,7
6,1
3,3
29,2
100
1992
34,0
3,5
10,7
100
1993
Einschließlich geschätzter "nichtorganisierter Handel". Quellen: Voprosy ekonomiki, Nr. 6/1994, S. 86; Russian Economic Trends, Vol. 3, Nr. 1/1994, S. 92; Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1994 g., Moskau 1995, S. 73 und 75.
n
12,9
Metalle
1,0
0,1
Textilien und Textilerzeugnisse
4,6
Leder und Pelze
45,4
2,1
100
Chemische Erzeugnisse
Mineralische Erzeugnisse
schaftliche Rohstoffe
Nahrungsmittel und landwirt-
Insgesamt
Warengruppen
Tabelle 8 Warenstruktur des russischen Außenhandels Anteile in vH
1994^"
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht 251
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
252
Bei den Importen erreichten 1994 Maschinen und Ausrüstung mit 32 vH das größte Gewicht (1990: 44 vH), gefolgt von Nahrungs- und Genußmitteln, auf die etwa 30 vH der Importe entfielen. Gerade im Bereich der Nahrungs- und Genußmittel sind die heimischen Produkte vor allem durch die reale Aufwertung des Rubels einer starken ausländischen Konkurrenz ausgesetzt. Zum Schutz vor billigen Importen wurden die Importzölle 1995 für diese Warengruppe deutlich erhöht.
Tabelle 9 Regionalstruktur des Handels mit Staaten außerhalb der ehemaligen Sowjetunion in vH 1990
1991
1992
1993
1994
1995 1.Halbjahr
Exporte OECD-Länder
37,4
70,0
61,0
60,4
68,1
Ehemalige RGW-Staaten
43,0
22,9
20,0
17,2
12,9
64,2 13,9
Übrige Staaten Importe
19,5
7,0
19,0
22,2
19,0
22,0
OECD-Länder
39,1
68,5
61,7
60,9
69,4
73,4
Ehemalige RGW-Staaten
41,9
24,5
14,5
10,9
8,5
10,4
Übrige Staaten
19,0
6,9
23,8
28,2
22,1
16,2
Quellen: Constantine Michalopoulos, David G. Tarr: Summary and Overview of Developments Since Independence. In: Constantine Michalopoulos, David G. Tarr (eds.): Trade in the New Independent States, Studies of Economies in Transition, Washington, D.C., 1994; CEPS: Working Document 71, S. 1-20, Tabelle 1.5; Arbeitsunterlagen des Außenwirtschaftsministeriums; Gosudarstvennyj Tamozennyj Komitet RF, Tamozennaja Statistika VneSnej Torgovli RF, Bjulleten', II kwartal 1995 g., Moskau 1995; Berechnungen des DIW.
Die Steigerung des Außenhandelsumsatzes mit Drittländern ging mit abnehmenden Handelsaktivitäten gegenüber den Nachfolgestaaten der Sowjetunion einher. Gleichzeitig veränderte sich auch die Bedeutung der einzelnen Drittländergruppen für die Russische Föderation in erheblichem Maße. Diese regionale Neuorientierung fand bereits 1991 stand. Hatten die OECD-Staaten 1990 einen Anteil von 37 vH an den Exporten in Drittländer, so stieg dieser 1991 auf den Wert von 70 vH (vgl. Tabelle 9). Deutlich nahm das Gewicht der RGW-Staaten ab. Auch bei den Importen zeichnete sich eine analoge Entwicklung ab. Die Bedeutung der RGW-Staaten für den russischen Import in Drittländer lag im ersten Halbjahr 1995 bei nur noch etwa 10 vH. Wichtigster Handelspartner war auch 1995 Deutschland mit einem Anteil von 9 vH an den Exporten, gefolgt von den USA (7 vH) und der Schweiz (6 vH). Die russischen Importe stammten vor allem aus Deutschland (21 vH) und
253
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
aus den USA (8 vH). Die Bedeutung des Außenhandelsumsatzes mit China hat 1995 an Gewicht verloren 57 .
5.3. Intra-GUS-Handel Die statistischen Angaben über den Handel Rußlands mit den übrigen Mitgliedsländern der "Gemeinschaft unabhängiger Staaten" (GUS) sind lückenhaft. Zudem ist die Aussagekraft der bis 1994 nur in Rubelwerten ausgewiesenen Handelsdaten durch die hohen und volatilen Inflationsraten relativ begrenzt. Trotz der unzureichenden Datenlage kann aber mit Sicherheit die Feststellung getroffen werden, daß die wirtschaftliche Bedeutung des Handels zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken seit Beginn der Transformation deutlich gesunken ist. Wesentliche Ursachen dafür sind der Zusammenbruch der Liefer- und Abnehmerbeziehungen nach dem Zerfall der Union, der dramatische Produktionseinbruch in allen GUS-Mitgliederländern, die Veränderungen der relativen Preise, die komplizierten Zahlungsmodalitäten zwischen den Nachfolgerepubliken und die begrenzte Zahlungsfähigkeit der GUS-Republiken. Allein zwischen 1990 und 1992 halbierte sich das Volumen des zwischenrepublikanischen Handels58. Der Anteil der Exporte Rußlands in die GUS-Länder am russischen Bruttoinlandsprodukt, der 1990 noch bei 12 vH gelegen hatte, erreichte 1995 nur noch 4 vH, bei den Importen sank die entsprechende Relation von 10,5 auf 4 vH (vgl. Tabelle 10). Tabelle 10 Rußlands Handel mit den GUS-Ländern 1990
1991
1992
1993
1994
1995
in Mrd. Rubel, jeweilige Preise Exporte
75,4
135,2
2 256
Importe
67,8
103,5
1 145
29 924
61 600
9 621°
20 785
74 602
Exporte
11,7
10,4
Importe
10,5
8,0
12,5
8,5
4,7
3,7
6,3
5,9
3,3
4,4
13 870
in vH zum BIP
0 Im Bericht des Staatskomitees für Statistik für 1993 werden die Importe aus der GUS mit 8 621 Mrd. Rubel angegeben. Quellen: Russian Economic Trends, Vol. 3, Nr. 2/1994, S. 71; Social'no-ekonomiòeskoe polozenie Rossii 1993 g., Moskau 1994, S. 91; Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1994, Moskau 1995, S. 77; Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1995, Moskau 1996, S. 135; Berechnungen des DIW.
57
Vgl. Voprosy ekonomiki Nr. 6/1994, S. 82 und 85. 1994 waren die Importe aus der Volksrepublik China 1993 gegenüber dem Vorjahr um 140 vH anstiegen. China wurde damit nach Deutschland der zweitwichtigste Handelspartner Rußlands. 58
Vgl. Russian Economic Trends, Vol. 2, Nr. 4/1993, S. 88.
254
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
Bis 1994 erzielte Rußland einen Handelsbilanzüberschuß gegenüber den GUS-Ländern. Die Finanzierung dieses Überschusses erfolgte vor allem durch Kredite der russischen Zentralbank und der öffentlichen Haushalte. Diese Finanzierungspolitik kam einer Subventionierung der GUS-Länder durch die russische Föderation gleich. Mit dem Übergang auf eine restriktive Geldpolitik im Jahre 1995 ging auch ein Wechsel in dieser Kreditierungspolitik einher. In der Folge der restriktiveren Kreditvergabe an die Handelspartner sank das Exportvolumen weiter. Erstmals seit Beginn der Transformation trat eine Passivierung dieser Handelsbilanz auf. Der mit Abstand wichtigste russischer Handelspartner in der GUS ist die Ukraine. Ihr Anteil an den Ausfuhren aus Rußland lag 1995 bei 47,5 vH (1994: 50 vH, 1993: 53 vH), an den russischen Importen aus den GUS-Ländern war die Ukraine mit 43 vH (1994: 40 vH; 1993: 42 vH) beteiligt. Auf Weißrußland entfielen 22 vH (1994: 21 vH; 1993: 16 vH) der russischen Exporte, bei den Importen erreichte Weißrußland einen Anteil von 20 vH (1994: 15 vH; 1993: 23 vH). Drittgrößter Handelspartner war auch 1995 Kasachstan mit einem Anteil von 16 vH an den russischen Exporten (1994: 15 vH; 1993: 17 vH) und 19 vH (1994: 22 vH; 1993: 16 vH) der russischen Importe. Die russische Handelsbilanz war 1995 gegenüber diesen wichtigsten Handelspartnern erstmals seit Transformationsbeginn negativ 59 . Herausragende Bedeutung beim russischen Export in die GUS-Republiken haben immer noch die Energieträger. Obwohl die Lieferungen von Erdöl (-37 vH) und Erdgas (-26 vH) in die GUS 1993 deutlich reduziert wurden, entfielen 44 vH der russischen Ausfuhren auf Energieträger 60. Im Jahre 1994 stieg dieser Anteil trotz weiter rückläufiger Ausfuhren sogar auf 57 vH 6 1 . 1995 dürfte dieser Anteil in etwa konstant geblieben sein, allerdings liegen bislang keine detaillierten Angaben über die Exportstruktur für das Gesamtjahr vor. Bei den russischen Importen aus den GUS-Republiken dominierten 1995 - wie auch in den Vorjahren - Maschinen und Ausrüstungen. Eine wichtige Rolle spielen zunehmend Nahrungs- und Genußmittel (insbesondere Alkoholika).
59 Gegenüber neun der elf GUS-Staaten wies Rußland 1993 einen Ausfuhrüberschuß auf, darunter gegenüber der Ukraine mit 3,7 Bill. Rubel und gegenüber Kasachstan mit knapp 1 Bill. Rubel. Negativ war die russische Handelsbilanz mit Usbekistan (300 Mrd. Rubel) und Aserbajdshan (14 Mrd. Rubel). Ein ähnliches Bild bot sich 1994. Einen Exportüberschuß verzeichnete Rußland gegenüber 10 GUS-Ländern, negativ war erneut die Handelsbilanz mit Usbekistan (-76 Mrd. Rubel). Der Exportüberschuß gegenüber der Ukraine erreichte 6,5 Bill. Rubel, im Handel mit Weißrußland waren es knapp 2 Bill. Rubel. Im Handel mit Kasachstan schrumpfte der Exportüberschuß auf 5 Mrd. Rubel. Vgl. Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1993 g., Moskau 1994, S. 91; Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1994 g., Moskau 1995, S. 77 f.; Social'no-ekonomiéeskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996, S. 135 ff. 60
Die aus Energielieferungen Rußlands resultierende Verschuldung der GUS-Staaten belief sich Anfang März 1994 auf 2,6 Bill. Rubel. Allein die Ukraine hatte Verbindlichkeiten in Höhe von 1,3 Bill. Rubel. Vgl. Russian Economic Trends, Vol. 3, Nr. 1/1994, S. 68. 61
Vgl. Russian Economic Trends, Vol. 3, Nr. 2/1994, S. 71 f.
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
255
Inzwischen kann der Intra-GUS-Handel als weitgehend liberalisiert gelten; nur noch vereinzelt existieren Regulierungen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als Wirtschaftsraum wurden immer wieder Versuche einer Reintegration unternommen. Zur Schaffung einer Wirtschaftsunion wurde im September 1994 ein Zwischenstaatliches Komitee ins Leben gerufen; die Ausgestaltung dieser zukünftigen Wirtschaftsunion soll sich an dem Muster der europäischen Union orientieren. Bislang konnten jedoch kaum Fortschritte bei der Etablierung eines gemeinsamen Marktes erzielt werden. Bei inzwischen stark unterschiedlichen Transformationsverläufen und nationalen Makropolitiken unterlagen derartige Versuche einer Harmonisierung bislang erheblichen Problemen. Zur Beschleunigung der Integration wurde 1995 eine Zollunion zwischen Rußland und Weißrußland vereinbart. Ein wesentliches Hindernis bei der Reintegration sind die Befürchtungen der GUSMitglieder um den hegemonialen Anspruch Rußlands in einer zukünftigen Wirtschaftsunion. Zuletzt, im April 1996, wurde ein bilateraler Vertrag zwischen Rußland und Weißrußland geschlossen, der auf die Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes und eines gemeinsamen Marktes zielt. Danach sollen bis 1997 die nationalen Geld- und Fiskalpolitiken harmonisiert sein, um auf dieser Grundlage eine gemeinsame Währung einzuführen. Als Handelshemmnis erweist sich bislang immer noch die Abwicklung der monetären Transaktionen. Die zum Teil erheblichen Zeiterfordernisse bei Überweisungen mindern bei der hohen Inflation den Exportanreiz.
5.4. Zahlungsbilanz und Verschuldung Offizielle Angaben über die Entwicklung der Zahlungsbilanz in US-Dollar liegen bis 1993 nur gegenüber Drittländern vor. Erst seit 1994 werden auch Daten über die Entwicklung der Zahlungsbilanz mit der GUS ausgewiesen62. Nach den vorliegenden Zahlen verfügt Rußland auch nach Beginn der Transformation über eine aktive Handelsbilanz. Bei insgesamt stark gestiegenem Außenhandelsumsatz konnte 1995 der Handelsbilanzüberschuß trotz realer Aufwertung des Rubels ausgebaut werden (vgl. Tabelle 11). Verantwortlich für diese Entwicklung waren vor allem Lockerungen der Exportregulierungen. Insgesamt stiegen die Exporte 1995 um 28 vH, die Importe um 15 vH. Bei weiterer realer Aufwertung wird die Binnenwirtschaft zunehmend der Konkurrenz ausländischer Anbieter ausgesetzt. Zum Schutze der heimischen Produzenten vor Billiganbietern wurden bereits 1995 einige Importzolltarife deutlich angehoben. Bei zurückhaltenden Zinszahlungen spiegelt sich im Defizit der Dienstleistungsbilanz die bislang unzureichende touristische Erschließung des Landes. Allerdings hatte Rußland auch bei termingerechter Zinszahlung über eine aktive
62 Insgesamt sind die Angaben über die Entwicklung der Zahlungsbilanz ausgesprochen problematisch. Nicht nur Abgrenzungsprobleme erschweren die Interpretation, vielmehr schlagen aufgrund der Preis- und Wechselkursentwicklung Abweichungen bei der Bewertung und Umrechnung der Transaktionen erheblich zu Buche. In den Zeitreihen spiegeln sich daher vor allem Trends.
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
256
Leistungsbilanz verfügt 63 . Neben dem Handelsbilanzüberschuß stellten 1995 weitere Kredite des I M F die wichtigsten Mittelzuflüsse dar. Der Beistandskredit des I M F in der Höhe von 5 Mrd. US-$ war an die Umsetzung von geld- und fiskalpolitischen Vorgaben wie auch die weitere Liberalisierung im Außenhandel gebunden. Der Rückgang der Kreditzuflüsse, die 1992 noch 13 Mrd. US-$ betragen hatten, resultierte vor allem aus der Tatsache, daß Rußland seinen selbst durch Umschuldung reduzierten Schuldendienstverpflichtungen nicht regelmäßig nachgekommen ist. Deutlichen Zuwachs konnten die allerdings immer noch eher zögerlichen ausländischen Direktinvestitionen 1995 aufzeigen; sie erreichten ein Volumen von 2 Mrd. US-S 64 . Hieran jedoch eine Trendwende abzulesen, scheint verfrüht. Vielmehr zeigt der auch 1995 fortgesetzte Kapitalabfluß, daß die Investitionsbedingungen im Inland immer noch als relativ unattraktiv und problematisch gelten müssen. Tabelle II Zahlungsbilanz Rußlands in Mrd. US-$ 1993i)
1994
1995
4,2
16,8
15,1
22,7
41,1 -36,9
43,9 -27,1
66,7
81,6
-45,1
-51,2
-58,9
-6,3
-8,5
-8,3
-9,6
-10,9
1991l)
1992°
8,8
Exporte
53,9
Importe
Handelsbilanz
Dienstleistungsbilanz Übertragungsbilanz Leistungsbilanz Kapitalverkehrsbilanz
1,6
3,0
2,6
0,3
0,5
4,1 -1,5
-1,3
11,1 -25,7
5,8
12,3
-5,8
-20,1
-11,3
0
Drittländer ohne GUS. Quellen: Russian Economic Trends, Vol. 3, Nr. 1/1994, S. 122-123; Ekonomika i zizn', Nr. 17/1995, S. 35; Ekonomika i zizn', Nr. 22/1996; Rossijskij statistiöeskij ezegodnik, Moskau 1995, S. 427 ff.
Die russischen Auslandsschulden haben derzeit - unter Einbeziehung der inzwischen von Rußland anerkannten Schulden gegenüber RGW-Staaten (16,6 Mrd. US-$) - eine Größenordnung von etwa 120 Mrd. US-$ (brutto) 65 . Hiervon entfallen mehr 80 Mrd. US-$ auf
63 Vgl. Rußlands Auslandsverbindlichkeiten nach der langfristigen Umschuldung. Bearb.: Herbert Brücker. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 28/1996. 64 Vgl. Ekonomika i zizn', Nr. 22/1996. Die ausländischen Direktinvestitionen lagen 1993 bei etwa 1 Mrd. US-$. 65
Ohne die Einbeziehung dieser anerkannten Verbindlichkeiten gegenüber den RGW-Staaten belief sich die russische Auslandsschuld auf 104 Mrd. US-$. Die Einbeziehung erfolgt erst zum 1. Januar 1996; folglich sind diese Schulden bei den Angaben über die vergangenen Jahre nicht berücksichtigt. Die Vergleichbarkeit der Verschuldungsangaben über den Zeitraum zwischen 1991 und 1996 ist daher aufgrund der Abgrenzungsproblematik schwierig.
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
257
Schulden der UdSSR und die inzwischen fallig gewordenen Zinszahlungen; für diese Schulden hatte Rußland die gesamtschuldnerische Haftung übernommen. Rußland hat seit 1993 nur noch bedingt den Schuldendienst geleistet. In der Folge sind die aus der Kapitalisierung der Zinsen entstandenen Zahlungsverpflichtungen deutlich angestiegen66. Ende 1995 wurde eine langfristige Regelung mit dem Londoner Club für 25 Mrd. US-$, die Rußland aus den Schulden der ehemaligen Sowjetunion übernommen hatte, getroffen. Danach wird die Rückzahlung dieser Schulden über 25 Jahre gestreckt. Zugleich sind sieben tilgungsfreie Jahre vorgesehen; die in diesen Jahren fälligen Zinsen werden - wie in der Vergangenheit kapitalisiert. Mit dem Pariser Club werden ähnliche langfristige Umschuldungsabkommen angestrebt. Mehr als die Hälfte der russischen Verbindlichkeiten - ohne RGW-Schulden bestanden zum 1. Januar 1996 gegenüber offiziellen Gebern (59, 4 Mrd. US-$). Die eingeräumten privaten Kredite (48 Mrd. US-$) sind zu mehr als 90 vH durch öffentliche Garantien abgesichert. Daß Rußland trotz des erheblichen Handelsbilanzüberschusses und der Mittelzuflüsse nur bedingt den fälligen Schuldendienst leistete, geht zum einen auf die mangelhafte direkte Zurechenbarkeit der Auslandsschulden auf einzelne Unternehmenstätigkeiten zurück. Zum anderen dürften auch die mit Polen vereinbarte Schuldenstreichung und Umschuldungsmodalitäten Anreize zur Zahlungszurückhaltung geben. Trotz der Zahlungsschwierigkeiten sind für 1996 - auch im Vorfeld der Präsidentschafts wählen - weitere westliche Kredite zugesagt worden. Zunehmend werden diese Kredite allerdings an die Umsetzung stabilisierungspolitischer Vorgaben gebunden. Größter Gläubiger Ruß lands ist Deutschland; die Forderungen Deutschlands gegenüber Rußland lagen Ende 1995 bei etwa 65 Mrd. D M . Nach der Zusage des IMF-Kredits in Höhe von 10 Mrd. US-$ hat auch Deutschland weitere Finanzhilfen bereitgestellt 67. Die russischen Auslandsforderungen werden - je nach Bewertung - mit etwa 150 Mrd. US-$ (brutto) angegeben. Dabei ergeben sich Umrechnungsprobleme, da ein erheblicher Teil dieser Forderungen durch Transaktionen in Valutarubeln zustande gekommen ist. Abkommen mit den Schuldnerländern zur Berechnung des Umtauschkurses konnten bislang nur selten geschlossen werden. Bei den Schuldnerländern handelt es sich größtenteils um Empfänger von Waffenlieferungen und um Entwicklungsländer. Die Schuldendienstleistungen dieser Länder bleiben oftmals wegen eigener Zahlungsbilanzprobleme weit hinter den vertraglichen Ansprüchen zurück. Von den Gesamtforderungen fallen knapp 40 vH allein auf Kuba, Vietnam und die Mongolei 68 und damit auf Staaten, deren Zahlungsfähigkeit
66 Vgl. Rußlands Auslandsverbindlichkeiten nach der langfristigen Umschuldung. Bearb.: Herbert Brücker. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 28/1996. 67
Vgl. Die wirtschaftliche Lage Rußlands - Investitionsschwäche verhindert Wachstum. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 19/1996, S. 325. 68
Vgl. Die wirtschaftliche Lage Rußlands - Beschleunigte Talfahrt durch verschleppte Reformen. Vierter Bericht. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 19/1994, S. 295 ff. Die wirtschaftliche Lage Rußlands - Fortsetzung des Niedergangs ohne hinreichenden Strukturwandel. Fünfter Bericht. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Institut 17 Schumacher u. a.
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
258
auf absehbare Zeit noch problematisch sein wird. Durch die Zahlungsverzögerungen bei russischen Energielieferungen sind die Forderungen gegenüber den übrigen Nachfolgerepubliken der Sowjetunion deutlich angewachsen; die Einbringlichkeit dieser Forderungen muß als problematisch gelten. In der Vergangenheit hat Rußland zur Entschärfung der Situation mehrfach den Versuch unternommen, eine Begleichung der Schulden durch debt-equityswaps zu erreichen.
5.5. Ausländische Investitionen Die ausländische Investitionstätigkeit in Rußland war bislang ausgesprochen zurückhaltend. Insgesamt erreichten die ausländischen Investitionen bis Ende 1995 eine Größenordnung von etwa 6 Mrd. US-$, das entspricht 40 US-$ pro Kopf. Hiervon entfielen 75 vH auf Direktinvestitionen und 13 vH auf Portfolioinvestitionen; bei dem verbleibenden Rest handelt es sich überwiegend um Handelskredite. Insgesamt bleibt das Engagement ausländischer Anleger in Rußland deutlich hinter dem in anderen Transformationsökonomien zurück. Die ausländischen Direktinvestitionen stiegen 1995 leicht (um 2 Mrd. US-$) an. Während in der Vergangenheit erhebliche Teile der ausländischen Direktinvestitionen in die Brennstoffindustrie flössen, wurden 1995 die Mittel vor allem für den Ausbau von Handelsgeschäften verwandt. Zunehmend spielen auch ausländische Direktinvestitionen im Banken- und Versicherungsgewerbe eine Rolle. Auch wenn das Volumen der ausländischen Direktinvestitionen relativ gering ist, stellen sie doch eine Stütze der gesamtwirtschaftlichen Investitionstätigkeit dar, die seit Beginn der Transformation deutlich stärker als die Produktion eingebrochen ist. Mit der Verschiebung der ausländischen Investitionstätigkeit zuungunsten der Energiebranchen ging eine regionale Fokussierung dieser Investitionstätigkeit auf die Stadt Moskau einher. Grundsätzlich können Ausländer in Rußland auch Portfolioinvestitionen vornehmen. Hierbei zeigten sie sich in der Vergangenheit noch deutlich zurückhaltender als bei Direktinvestitionen. Regulierungen gelten vor allem auf den Anleihemärkten; hier wurde das Engagement ausländischer Kreditgeber auf 10 vH der Emissionssumme begrenzt 69. Bei extrem hohen Realzinsen soll diese Maßnahme die heimische Wirtschaft nicht noch zusätzlich mit Gewinnabflüssen ins Ausland belasten. Auf den immer noch relativ unterentwikkelten Aktienmärkten spielen die Transaktionen ausländischer Finanzinvestoren dagegen eine erhebliche Rolle.
für Weltwirtschaft an der Universtität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 47-48/1994, S. 820 f.; Russian Economic Trends, Vol. 3, Nr. 2/1994, S. 70 f. und 130 f. 69
Vgl. Die wirtschaftliche Lage Rußlands - Integration in die Weltwirtschaft. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 3/1996, S. 52.
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
259
Vor allem die weiterhin instabilen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen, die Unsicherheit über den zukünftigen wirtschaftspolitischen Kurs, das immer noch hohe Inflationsrisiko und die Probleme beim Gewinntransfer lassen erwarten, daß auch in der nahen Zukunft das ausländische Engagement relativ gering bleibt.
6. Fazit Im bisherigen Verlauf des Transformationsprozesses ist es in Rußland vor dem Hintergrund eines starken Produktionsrückgangs zu einem Strukturwandel gekommen, in dessen Verlauf sich die Rohstoff- und Energielastigkeit der russischen Wirtschaft weiter verstärkt hat. Durch die Steigerung der Exporte konnte in einigen Bereichen der Grundstoffindustrie (Eisen-und Stahlindustrie, NE-Metallurgie, Chemieindustrie) 1995 sogar ein Produktionszuwachs erzielt werden. Demgegenüber setzt sich der Niedergang der verarbeitenden Industriezweige wegen der gesunkenen Binnennachfrage und der mangelhaften Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Importwaren fort. Die ohnehin chronische Krise der Agrarwirtschaft hat sich in den letzten Jahren weiter verschärft. Ein zentrales Problem für die russische Volkswirtschaft bleibt die Erneuerungsbedürftigkeit des Anlagevermögens. Die Überalterung des Kapitalstocks hat jedoch wegen des massiven Rückgangs der Investitionen seit Beginn des Transformationsprozesses noch zugenommen. Eine Belebung der Investitionstätigkeit wird allerdings nur dann möglich sein, wenn es gelingt, dauerhafte Erfolge bei der Inflationsbekämpfung zu erzielen. Erste Stabilisierungserfolge zeichneten sich 1995 ab. Unter den bestehenden institutionellen Bedingungen - enge Verflechtung von staatlichen Unternehmen mit dem Haushaltsund Bankensektor - wird es jedoch schwierig sein, eine stabilitätsorientierte Geldpolitik längerfristig durchzuhalten. Von den inzwischen extrem positiven Realzinsen gehen derzeit stark dämpfende Impulse auf die heimische Investitionstätigkeit aus, die durch die restriktive Fiskalpolitik noch verschärft werden. Zunehmend ist eine Segmentierung der Finanzmarktaktivitäten und damit eine weitere Schwächung des erst im Entstehen begriffenen inländischen Finanzmarktes zu beobachten. Die strukturellen Verschiebungen in der russischen Wirtschaft wurden in erheblichem Maße durch den Außenhandel beeinflußt. In der Exportstruktur haben Energieträger, Rohstoffe und Erzeugnisse der Grundstoffindustrie an Gewicht gewonnen, während die Exporte von Fertigwaren nach der Auflösung des RGW überdurchschnittlich zurückgegangen sind. Auf der Importseite hat sich insbesondere der Zusammenbruch der Investitionstätigkeit ausgewirkt. Während die Importe von Maschinen und Ausrüstungen rückläufig sind, ist das relative Gewicht der Konsumgüterimporte gewachsen. Wichtigste Handelspartner Rußlands sind inzwischen die westlichen Industrieländer. Trotz erheblicher realer Aufwertung des Rubels konnte Rußland den - auch nach Beginn der Transformation fortbestehenden - Handelsbilanzüberschuß 1995 noch ausbauen. Dies ging vor allem auf den weiteren Abbau von Exporthemmnissen zurück. Bei verhaltenen
17*
260
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
Schuldendienstleistungen verfügte Rußland auch 1995 über eine aktive Leistungsbilanz. Der Kapitalabfluß aus Rußland ist immer noch nicht gestoppt. Während die Mittelzuflüsse offizieller Geber erheblich sind, zeigen sich private Kreditgeber und Investoren immer noch sehr zurückhaltend. Insgesamt müssen auch gegenwärtig die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen als instabil und unsicher gelten. Unter diesen Umständen ist auch für die nahe Zukunft kaum eine grundlegende Trendwende bei Investitionen und Wachstum zu erwarten.
Literatur Bofinger, P., E. Svindland , Β. Thanner (1993): Währungspolitik in den Nachfolgestaaten der UdSSR, München. Brücker, Herbert, Wolfram Sehr etti, Ulrich Weißenburger ( 1995): Investitionsfinanzierung im Transformationsprozeß. Gutachten des DIW im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft, Berlin. Brücker, Herbert (1996): Rußlands Auslandsverbindlichkeiten nach der langfristigen Umschuldung. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 28/1996. Deutsche Bank Research (1992): Osteuropa auf Reformkurs; Heft 1: Rußland, Frankfurt/ Main. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle (1994): Die wirtschaftliche Lage Rußlands - Beschleunigte Talfahrt durch verschleppte Reformen. Vierter Bericht. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 19/1994. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle (1994): Die wirtschaftliche Lage Rußlands - Fortsetzung des Niedergangs ohne hinreichenden Strukturwandel. Fünfter Bericht. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 47-48/1994, S. 816. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle (1996): Die wirtschaftliche Lage Rußlands - Integration in die Weltwirtschaft. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 3/96, S. 43. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle (1996): Die wirtschaftliche Lage Rußlands - Investitionsschwäche verhindert Wachstum. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 19/1996. Engerer, Hella (1994): Russische Energiewirtschaft: Zögerliche Neuorientierung. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 26/1994.
261
Russische Föderation: Handelsbilanzüberschuß und Kapitalflucht
Goskomstat: Promy Siennost' RSFSR ν 1990 g., Moskau 1991. Goskomstat: Kratkaja social'no-demograficeskaj a Charakteristika Moskau 1992.
naselenija
RSFSR,
Goskomstat: Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1993 g., Moskau 1994. Goskomstat: SociaTno-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1994 g., Moskau 1995. Goskomstat: Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii, janvar' 1996 g., Moskau 1996. Goskomstat: Social'no-ekonomiceskoe polozenie Rossii 1995 g., Moskau 1996. Goskomstat: Rossija ν cifrach, Moskau 1995. Goskomstat RSFSR (1992): Narodnoe chozjajstvo Rossijskoj Federacii, Moskau. Goskomstat RSFSR (1995): Rossijskij statisticeskij ezegodnik, Moskau. Lenskij, E. (1995): Opory rossijskogo kapitala. In: Rossijskaja gazeta vom 26. Oktober 1995. Minprirody: Ο sostojanii okruzajuscej prirodnoj sredy ν Rossijskoj Federacii ν 1993 godu, Gosudarstvennyj doklad, Moskau 1994. Mintopenergo: Predvaritel'nye itogi raboty toplivno-energeticeskogo kompleksa ν 1994 godu i osnovnye napravlenija ego dejatel'nosti po stabilizacii proizvodstva i finansovogo polozenija ν 1995 godu, Moskau 1995. Schrooten, Mechthild, Ulrich Weißenburger (1996): Zum Transformationsprozeß in der Russischen Föderation. In: DIW-Diskusssionspapier, Nr. 128/1996, S. 72 ff. Statistisches Bundesamt (1993): Länderbericht Russische Föderation 1993, Wiesbaden. Wallich , Christine (Hrsg.) (1994): Russia and the Challenge of Fiscal Federalism. The World Bank, Washington, D.C.
Zeitschriften
und Zeitungen:
Ekonomika i zizn\ Nr. 35/1995. Ekonomika i zizn\ Nr. 50/1995. Ekonomika i zizn\ Nr. 14/1996. Ekonomika i zizn\ Nr. 22/1996. Izvestija vom 28. Oktober 1991. Izvestija vom 4. Februar 1993. Rossijskie vesti vom 22. September 1993. Russian Economic Trends, Vol. 2, Nr. 4/1993. Russian Economic Trends, Vol. 3, Nr. 1/1994. Russian Economic Trends, Vol. 3, Nr. 2/1994. Russian Economic Trends, Vol. 3, Nr. 3/1994.
262
Mechthild Schrooten und Ulrich Weißenburger
Russian Economic Trends, Monthly Update, Januar 1996. Sobranie zakonodatel'stva, Nr. 5/1994. Sobranie zakonodatel'stva, Nr. 6/1994. Voprosy ekonomiki Nr. 6/1994. vwd-Rußland vom 24. April 1996.
Veränderung der Außenhandelsspezialisierung Mittel- und Osteuropas von 1970 bis 1994 Von Harald Trabold und Carla Berke 1. Einleitung Der Übergang vom Zentralverwaltungssystem zur Marktwirtschaft in den mittel- und osteuropäischen Ländern 1 impliziert eine veränderte Einbindung dieser Länder in die Weltwirtschaft. Im System der sozialistischen Planwirtschaft herrschte das politische Ziel der regionalen Autarkie vor. Dort, wo dennoch extraregional Außenhandelsbeziehungen bestanden, waren die Wirtschaftssubjekte durch das Außenhandelsmonopol des Staates und das zentrale Planungssystem vom Weltmarkt abgekoppelt. Im Zuge der mit dem Transformationsprozeß verbundenen Außenhandelsliberalisierung sollen die Verbindungen mit den westlichen Industrieländern verstärkt und Wohlfahrtsgewinne aus dem internationalen Handel realisiert werden. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit drei Fragen: 1.
Wo lagen die komparativen Vorteile der mittel- und osteuropäischen Länder vor Beginn der Transformation?
2.
Welche Veränderungen der komparativen Vorteile ergeben sich durch den Transformationsprozeß?
3.
Wo könnten die komparativen Vorteile der mittel- und osteuropäischen Länder in der Zukunft liegen?
M i t der ersten Frage beschäftigt sich der nächste Abschnitt dieser Arbeit. Die Identifizierung der komparativen Vorteile der mittel- und osteuropäischen Länder hat bedeutende Implikationen sowohl für die mittel- und osteuropäischen Länder als auch für deren Partnerländer, die so den zu erwartenden sektoralen Anpassungsdruck besser abschätzen können. Zur Beurteilung der komparativen Vorteile der mittel- und osteuropäischen Länder vor Beginn der Transformation wird sowohl auf Analysen der Güterstruktur des Ost-West-Handels im planwirtschaftlichen System als auch auf eigene Berechnungen zurückgegriffen. In Abschnitt 3 werden die bereits erfolgten und die zu erwartenden Veränderungen durch den Transformationsprozeß dargestellt. Die Überlegungen konzentrieren sich hier auf den
1
Zu den mittel- und osteuropäischen Ländern werden in dieser Studie Bulgarien, Polen, Rumänien, die Slowakische Republik, die Tschechische Republik und Ungarn gezählt.
Harald Trabold und Carla Berke
264
Abbau der systemimmanenten Preisverzerrungen und die Auswirkungen des Transformationsprozesses auf den Humankapitalstock. Anhand eigener Berechnungen werden dann in Abschnitt 4 die gegenwärtigen komparativen Vorteile der mittel- und osteuropäischen Länder dargestellt. In Abschnitt 5 werden die Schlußfolgerungen und eine Abschätzung der zukünftigen komparativen Vorteile der mittel- und osteuropäischen Länder präsentiert.
2. Die komparativen Vorteile der mittel- und osteuropäischen Länder vor Beginn der Transformation Grundlage der folgenden Überlegungen stellen Analysen des Außenhandels zwischen den mittel- und osteuropäischen und den westlichen Ländern für die siebziger und achtziger Jahren dar. Obwohl der Ost-West-Handel unter anderen Prämissionen abgewickelt wurde als der Außenhandel zwischen Marktwirtschaften und daher manchmal argumentiert wird, daß die durch Außenhandelsanalysen ermittelten komparativen Vorteile verzerrt sind, ist es unwahrscheinlich, "[that] revealed comparative advantages will be totally misleading: it would be irrational on the part of central planners managing trade in Europe to try to export commodities for which they have a comparative disadvantage " 2. Studien über die komparativen Vorteile der mittel- und osteuropäischen Länder unterscheiden sich im wesentlichen durch die zugrunde gelegten Güterkategorien, die betrachteten Partnerländer (OECD, EU) und die zur Beurteilung der komparativen Vorteile verwendeten Indikatoren. Sie verwenden in der Regel Daten aus westlichen Quellen, deren unvermeidliche Ungenauigkeiten jedoch gering erscheinen im Vergleich zu der Unzuverlässigkeit der RGW-Daten 3 . Insgesamt läßt sich ein Grundbestand an Gemeinsamkeiten festhalten, der eine grobe Abschätzung der komparativen Vorteile der mittel- und osteuropäischen Länder für die Vergangenheit erlaubt 4. Eine häufig angewandte Technik bei der Beurteilung komparativer Vorteile ist die Zusammenfassung einzelner Produkte zu Gütergruppen, die durch bestimmte Eigenschaften gekennzeichnet sind. Beispiele hierfür sind die Gütergruppen nach Hirsch (1974), die eng an die Termini und Aussagen der traditionellen Außenhandels- und Produktzyklustheorie angelehnt sind, und das Güterschema nach Pavitt (1984), das am Hauptfaktor für die Wettbewerbsfähigkeit bei dieser Gütergruppe orientiert ist.
2
Neven/Röller (1990), S. 101 f.
3
Vgl. Beyfuß (1993), S. 34.
4
Vgl. hierzu auch die Arbeiten von CEPR (1990); Murrell (1990); Hamilton/Winters (1992); Winters/Wang (1994).
265
Veränderung der Außenhandelsspezialisierung Mittel- und Osteuropas
2.1. Die Analyse der Handelsströme nach den Güterkategorien von Hirsch Hirsch (1974) teilt die handelbaren Waren entsprechend dem güterspezifischen Einsatz der Produktionsfaktoren in vier Gruppen ein: Rohstoffintensive Güter (inkl. landwirtschaftliche Erzeugnisse) Arbeitsintensive Güter Kapitalintensive Güter Forschungsintensive Güter Als relevante Erklärungsansätze für die komparativen Vorteile liegen diesem Güterschema die Verfügbarkeitshypothese vonKravis (1956), das Heckscher-Ohlin-Modell und der Produktlebenszyklusansatz (Vernon 1966) zugrunde. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Faktors "Imitierbarkeit" werden die forschungsintensiven Güter in leicht und schwer imitierbare unterteilt. Bei letzteren sind die FuE-Aktivitäten eng mit dem Produktionsprozeß verbunden; das zur Produktion eines Gutes benötigte technische Wissen kann nicht so einfach übertragen werden wie bei den leicht imitierbaren forschungsintensiven Gütern, bei denen der Imitationslag relativ kurz ist. Dies impliziert, daß komparative Vorteile bei schwer imitierbaren Gütern nur durch eigene FuE-Anstrengungen in Verbindung mit der Produktion des Gutes geschaffen werden können, während bei leicht imitierbaren Gütern i.d.R. bereits ein Technologietransfer (entsprechende Absorptionskapazität vorausgesetzt) ausreicht, um komparative Vorteile zu erlangen. Ein Blick auf das Spezialisierungsmuster der mittel- und osteuropäischen Länder anhand ihrer Außenhandelsstrukturen zeigt, daß rohstoff- und arbeitsintensive Güter fast zwei Drittel der Gesamtausfuhr darstellten, während mehr als die Hälfte der Einfuhr aus forschungsintensiven Gütern bestand (vgl. Tabelle 1). Kapitalintensive Güter hatten einen etwa gleich hohen Anteil an den Ex- und Importen der mittel- und osteuropäischen Staaten.
Tabelle 1 Außenhandelsstruktur der mittel- und osteuropäischen Länder 1* 1988 im Handel mit OECD-Ländern (in vH) Rohstoffintensive Güter
Arbeitsintensive Güter
Kapitalintensive Güter
Icicht imitierbare forschungsintensive Güter
schwer imitierbare forschungsintensive Güter
Import
15
19
13
19
33
Export
35
28
17
9
10
'> Einschließlich DDR. Quelle: Heitger/Schrader/Bode (1992).
Harald Trabold und Carla Berke
266
Die komparativen Vorteile werden häufig anhand des RCA-Konzepts (revealed comparative advantage) beurteilt. Ausgangspunkt ist die Überlegung, daß sich die direkt nicht beobachteten komparativen Vorteile in den Außenhandelsströmen niederschlagen müßten und somit durch den Vergleich von Exporten und Importen offengelegt ("revealed") werden können. Üblicherweise wird dabei das Export/Importverhältnis einer Gütergruppe mit dem gesamtwirtschaftlichen Export/Importverhältnis verglichen, was impliziert, daß positive oder negative Handelsbilanzsalden durch ungleichgewichtige Wechselkurse oder makroökonomische Ungleichgewichte verursacht sind, nicht aber durch eine strukturelle Exportschwäche 5. Alle in dieser Arbeit ausgewiesenen RCA-Werte sind nach folgender Formel berechnet:
RCA = In
χ.
m wobei Xj mt X M
= = = =
χ
'Φ M
Exportwert der Gütergruppe i Importwert der Gütergruppe i Gesamtexporte des Landes Gesamtimporte des Landes
Je größer die RCA r Werte, desto ausgeprägter der komparative Vorteil des Landes in dieser Gütergruppe. Negative RCA r Werte deuten auf komparative Nachteile hin, die um so größer sind, je kleiner die RCA-Werte sind. Danach hatten die mittel- und osteuropäischen Länder 1988 die stärksten komparativen Vorteile bei rohstoffintensiven Gütern, ein Charakteristikum, das besonders stark in Ungarn ausgeprägt war (vgl. Tabelle 2). Während die RCA-Werte von Bulgarien, Polen und der Tschechoslowakei leicht über dem Durchschnitt der mittel- und osteuropäischen Länder lagen, erreichte Rumänien gerade den neutralen Wert, was an der Erschöpfung der heimischen Energiequellen und der geringen Einbindung in den sowjetischen Energieverbund gelegen haben dürfte 6 . Bei arbeits- und kapitalintensiven Gütern läßt sich zwischen 1970 und 1988 für alle mittel- und osteuropäischen Länder entweder ein Ausbau der komparativen Vorteile oder eine Umwandlung von komparativen Nachteilen in komparative Vorteile konstatieren. Die Entwicklung hat schließlich dazu geführt, daß jedes mittel- und osteuropäische Land im Jahre 1988 einen komparativen Vorteil sowohl bei arbeits- als auch bei kapitalintensiven Gütern hatte. Diesen komparativen Vorteilen standen 1988 erhebliche Nachteile bei den leicht und schwer imitierbaren forschungsintensiven Gütern gegenüber, die sich für die mittel- und
5 Vgl. Hillman (1980) für eine Diskussion zur Verwendung von RCA-Werten als Indikator der komparativen Vorteile. 6
Vgl. Heitger/Schrader/Bode (1992).
267
Veränderung der Außenhandelsspezialisierung Mittel- und Osteuropas
Tabelle 2 RCA-Werte der mittel- und osteuropäischen Länder im Handel mit OECD-Ländern für verschiedene Gütergruppen 1970, 1980 und 1988
Rohstoffintensive Güter
Arbeitsintensive Güter
Kapitalintensive Güter
Leicht imitierbare forschungsintensive Güter
Schwer imitierbare forschungs-intensive Güter
Bulgarien 1970
1,21
-0,51
-0,02
-0,78
-1,47
1980
Ml 1,06
-0,03
-0,38
-0,71
-1,06
0,21
0,19
-0,35
-1,48
1970
0,93
-0,33
-0,46
0,99
-1,52
1980
0,45
0,23
0,19
-1,08
-0,93
1988
0,93
0,17
0,21
-1,10
-1,03
1970
1,44
0,18
-0,72
-0,57
-2,04
1980
0,47
0,79
-0,68
-1,24
-1,27
1988
0,0
0,33
0,52
-1,26
-0,88
1988 Polen
Rumänien
Tschechoslowakei 1970
0,40
0,50
0,38
-1,03
-0,76
1980
0,55
0,65
0,31
-0,85
-1,05
1988
0,90
0,67
0,64
-0,58
-1,39
Ungarn 1970
1,08
-0,33
-0,11
-1,20
-1,18
1980
1,13
0,11
-0,03
-0,83
-0,98
1988
1,58
0,10
0,01
-0,72
-1,15
Mittel- und osteuropäische Länder0 1970
0,90
0,01
-0,23
-0,78
-1,10
1980
0,51
0,41
-0,08
-0,84
-0,88
1988
0,84
0,38
0,26
-0,73
-1,19
0
Einschließlich DDR. Quelle: Heitger/Schrader/Bode (1992).
osteuropäischen Länder im Durchschnitt auf dem Niveau von 1970 bewegten. Bei der Betrachtung einzelner Länder fällt auf, daß Bulgarien, die CSFR und Ungarn ihre komparativen Nachteile bei leicht imitierbaren forschungsintensiven Gütern erheblich verringern konnten, während sich der Rückstand Polens und Rumäniens noch erhöhte. Beinahe spiegelbildlich dazu entwickelten sich die komparativen Vorteile bei den schwer imitierbaren for-
Harald Trabold und Carla Berke
268
schungsintensiven Gütern. Hier konnten Polen und Rumänien ihre komparativen Nachteile erheblich verringern, während sich die der Tschechoslowakei stark erhöhten; Ungarn und Bulgarien hatten 1988 in etwa das Niveau des Jahres 1970 erreicht. Die in Tabelle 2 ausgewiesenen komparativen Vorteile entsprechen den strukturellen Unterschieden in der Organisation von Markt- und Zentralverwaltungswirtschaften, die sich bei letzteren vor allem in einer generellen Innovationsschwäche, einer hohen Ressourcenintensität und einer systemspezifischen Kapitalverschwendung manifestieren. Die Außenhandelsstruktur der ost- und mitteleuropäischen Länder entspricht ungefähr dem von Hirsch (1974) für Entwicklungsländer mit eigenen Rohstoffvorkommen abgeleiteten Spezialisierungsmuster. Allein die komparativen Vorteile bei kapitalintensiven Gütern sind nicht durch die den Güterkategorien von Hirsch zugrundeliegenden Erklärungsansätze erfaßt. Diese dürften in erster Linie auf das Primat der Entwicklung der Schwerindustrie zurückzuführen sein, die im Vergleich zu marktwirtschaftlich orientierten Ländern völlig überdimensioniert war.
2.2. Die Analyse der Handelsströme nach den Güterkategorien von Pavitt Auch die Analyse der Handelsströme mit Hilfe der Güterkategorien von Pavitt zeichnet ein ähnliches Bild der komparativen Vorteile 7 . Diese Güterkategorien werden nicht ausschließlich nach der Intensität des Faktoreinsatzes gebildet, sondern zusätzlich nach verschiedenen Wettbewerbsfaktoren und Innovationsarten. Vier Gruppen von Branchen werden für den industriellen Sektor unterschieden 8: 1. Arbeitsintensive Branchen 9: Hauptwettbewerbsfaktor bei diesen Gütern ist der Preis und damit die Arbeitskosten. Die Unternehmen führen meistens wenig eigene Forschung und Entwicklung durch. Innovationen sind überwiegend ProzeßInnovationen in Form von neuen Kapitalausstattungen oder Zwischengütern. Die Aneigenbarkeit, also der Eigentumscharakter des Wissens, ist gering. Typische Beispiele für diesen Bereich sind Textilien, Bekleidung, Lederwaren oder Holzprodukte. 2.
Skalenintensive Branchen: Die Ausnutzung von Skalenvorteilen bedingt die Wettbewerbsfähigkeit dieses Sektors. Eigene Forschung und Entwicklung im Bereich der Produkt- und Prozeßinnovationen haben eine relativ große Bedeutung. Typische Beispiele für diese Gütergruppe sind die Glas- oder Zementherstellung, Kraftfahrzeuge und Teile der chemischen Industrie.
7
Vgl. Pavitt (1984).
8
Vgl. dazu auch Dosi et al. (1988), S. 231-233.
9
Dieser Sektor wird manchmal auch "supplier dominated" genannt, vgl. Dosi et al. (1988), S.
231.
Veränderung der Außenhandelsspezialisierung Mittel- und Osteuropas
269
3.
Branchen mit spezialisierten Zulieferern : Hauptwettbewerbsfaktor ist die Fähigkeit zur Produktdifferenzierung, also maßgeschneiderte Produkte für verschiedene Kundenwünsche herzustellen, die häufig in enger Zusammenarbeit mit den potentieller Nutzern entstehen. Der Output dieser Branchen ist durch ein hohes Maß an vertikaler Produktdifferenzierung und hohe Qualität gekennzeichnet, in der die Fähigkeit zur Implementation technischer Innovationen eine entscheidende Rolle spielt. Typisch für diese Gruppe sind zum Beispiel die Feinmechanik, Optik, Präzisionsinstrumente, Maschinenbau und Elektrotechnik.
4.
Forschungsintensive Branchen: Der dominierende Wettbewerbsfaktor ist hier die schnelle Anwendung des wissenschaftlichen Fortschritts. Technische Neuerungen stammen aus eigener Forschung und Entwicklung oder aus staatlichen Forschungseinrichtungen. Innovationen resultieren häufig aus der Umsetzung von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Typische Beispiele in diesem Bereich sind die Mikroelektronik, Teile der chemischen Industrie, Pharmazeutika oder Luftfahrzeuge.
Mit Hilfe dieser Güterkategorien können differenziertere Aussagen über die verschiedenen Wettbewerbsfaktoren und den Einsatz von Forschung und Entwicklung auch im nichtforschungsintensiven Bereich aufgezeigt werden. Außerdem besteht mit Hilfe dieser Güterkategorien die Möglichkeit, technologische Schwerpunkte eines Landes zu erfassen und Aussagen über das nationale Innovationssystem zu treffen. Da die ursprünglich von Pavitt definierten Gütergruppen für viele mittel- und osteuropäische Staaten einen relativ großen Teil des Außenhandels nicht abdecken, wird in dieser Arbeit die auf Pavitt basierende Einteilung der OECD verwendet, die zusätzlich noch die ressourcenintensiven Branchen des verarbeitenden Gewerbes beinhaltet 10 . Als Hauptwettbewerbsfaktor in diesen Branchen wird die Verfügbarkeit von natürlichen Ressourcen verstanden. Wie aus Tabelle 3 hervorgeht, hatten die mittel- und osteuropäischen Staaten während der 70er und 80er Jahre komparative Vorteile in den ressourcenintensiven und arbeitsintensiven Branchen. Da Prozeßinnovationen zusammen mit niedrigen Lohnkosten bei letzteren die Hauptfaktoren der Wettbewerbsfähigkeit darstellen und der Technologietransfer westlicherseits wegen der COCOM-Liste und östlicherseits wegen der Restriktionen gegen ausländische Direktinvestitionen stark eingeschränkt war, kann auf eine gewisse Fähigkeit zu Prozeßinnovationen - zumindest in den arbeitsintensiven Branchen - geschlossen werden. Ausgeprägte komparative Nachteile hatten die mittel- und osteuropäischen Staaten zwischen 1970 und 1985 sowohl in den forschungsintensiven Branchen als auch in Branchen mit spezialisierten Zulieferern. Bei letzteren handelt es sich um Branchen, in denen Produktinnovation und Produktdifferenzierung wesentlich an der Schaffung komparativer Vorteile beteiligt sind. Darin spiegelt sich die schwache Stellung der Konsumenten, das Fehlen
0
Vgl.
( 1 9 9 ) , S. 9 .
Harald Trabold und Carla Berke
270
Tabelle 3 Komparative Vorteile (RCA-Werte) der mittel- und osteuropäischen Länder im Handel mit OECD-Ländern nach Hauptfaktoren der Wettbewerbsfähigkeit, 1970-1985
Bulgarien
1970 1975 1980 1985 1970 1975 1980 1985 1970 1975 1980 1985 1970 1975 1980 1985 1970 1975 1980 1985
Polen
Rumänien
Tschechische und Slowakische Republik
Ungarn
Natürliche Ressourcen (ressourcenintensive Branchen) 0,74 0,39 0,62 1,30 0,55 1,20 1,17 0,50 0,68 1,00 0,84 0,68 1,01 0,76 0,73 Niedrige Arbeitskosten (arbeitsintensive Branchen) 0,20 0,47 0,45 0,36 0,54 0,64 0,74 0,65 0,48 0,77 0,79 0,56 0,18 0,78 0,71 0,51 0,88
0,34 0,71 0,74 0,89 0,34 0,41 0,42
0,11 Skalenerträge (skalenintensive Branchen) -0,11 0,20 -0,23 0,28 -0,15 -0,48 0,07 -0,46 -0,15 -0,37 0,12 -0,47 -0,43 -0,29 -0,31 0,09 -0,10 -0,37 0,17 -0,23 ProduktdifTerenzierung (Branchen mit spezialisierten Zulieferern) -1,38 -0,81 -1,58 -2,07 -0,75 -0,79 -1,18 -1,79 -0,85 -1,13 -1,17 -0,97 -0,90 -1,56 -1,03 -1,99 -1,01 -1,39 -1,55 -1,18 Hohe FuE-Aufwendungen (forschungsintensive Branchen) -2,18 -1,58 -0,87 -1,45 -1,48 -0,93 -0,97 -2,28 -1,40 -0,72 -1,60 -1,30 -1,96 -0,98 -1,71 -1,15 -2,16 -2,90 -2,12 -0,86
Länder insgesamt 0,56 1,04 0,75 0,86 0,37 0,62 0,60 0,43 0,04 -0,31 -0,27 -0,11 -1,16 -1,12 -1,08 -1,42 -1,46 -1,21 -1,45 -1,81
Ouelle\ DIW-Außenhandelsdaten. von Wettbewerb und die mangelnde Ausrichtung der Produktion an den Konsumentenpräferenzen im planwirtschaftlichen System wider 11 .
11
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Murreil (1990), S. 113, der den Außenhandel der RGWLänder zwischen 1975 und 1983 auf Basis von knapp 30 verschiedenen Warengruppen untersucht: "The CPEs (centrally planned economies, Anm. d. Verfasser) have a comparative disadvantage in sectors with large amounts of product innovations, and a comparative advantage in sectors with high rates of process innovations".
Veränderung der Außenhandelsspezialisierung Mittel- und Osteuropas
271
In den forschungsintensiven Branchen, in denen die wissenschaftlichen Erkenntnisse eigener Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen oder staatlicher Forschungsinstitutionen die Hauptwettbewerbsfaktoren sind, wiesen die mittel- und osteuropäischen Staaten die höchsten komparativen Nachteile auf. Dieses Ergebnis erstaunt zunächst, wenn man Statistiken über die Forschungs- und Entwicklungsbemühungen im internationalen Vergleich sieht. So wiesen die sozialistischen Staaten die im Vergleich zu anderen Regionen höchste Forschungsund Entwicklungsintensität im Verhältnis zum Volkseinkommen auf 12 und verwendeten zwischen 2 bis 5 vH des Volkseinkommens auf Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten. Diese hohe Diskrepanz zwischen input- und marktorientierten Indikatoren läßt auf einen relativ ineffizienten Einsatz von FuE-Aufwendungen schließen. Des weiteren waren die Forschungs- und Entwicklungskapazitäten zum größten Teil auf zentrale Institutionen konzentriert, die unabhängig von den Bedürfnissen der Unternehmen arbeiteten. Es fehlte die Anwendungsorientierung der Forschung, unddie Zusammenarbeit zwischen Forschungsinstitutionen und dem produzierenden Sektor war gering. Hinzu kommt, daß der Anteil der Wissenschaftler und Ingenieure in den Unternehmen im Vergleich zu fortgeschritteneren Ländern relativ gering war, was die Umsetzung von Forschungsergebnissen in den Produktionsprozeß erschwerte 13. Dennoch differierte das technologische Niveau zwischen einzelnen Unternehmen stark. Prestigeunternehmen kamen in den Genuß westlicher Technologien und konnten so ein relativ hohes technologisches Niveau aufweisen. Andere Unternehmen der gleichen Branche arbeiteten hingegen im großen Abstand zu der internationalen "technological frontier", was auf eine ungenügende nationale Diffusion des importierten Wissens hindeutet 14 . Zusätzlich entsprachen die Forschungsschwerpunkte nicht denjenigen einer modernen Industriegesellschaft. Die Schwerpunkte lagen auf dem primären Sektor (Landwirtschaft und Bergbau) und im Bereich der militärischen Forschung, von denen nur geringe Spill-Over-Effekte auf die Unternehmen ausgingen15. Analysen der internationalen Patentanmeldungen bestätigen diesen Sachverhalt. Sie zeigen, daß gerade im Bereich der neuen Technologien wie zum Beispiel der Informationstechnik deutliche Schwächen bestanden 16 . Es ist außerdem festzustellen, daß die ausländischen Patentanmeldungen in den achtziger Jahren rückläufig waren, was auf eine sich vergrößernde technologische Lücke zwischen den mittel- und osteuropäischen Ländern und der internationalen "technological frontier" hindeutet.
12
Vgl. UNCTAD (1987), S. 80.
13
Vgl. Klodt (1991).
14
Vgl. Vincentz (1992).
15
Vgl. CEPR (1990), S. 12.
16
Das ifo-Institut kommt bei der Patentanalyse für die mittel- und osteuropäischen Staaten zu folgendem Ergebnis: Mit Ausnahme von Ungarn und Bulgarien nimmt der Maschinenbau und damit verbunden die Meß- und Automatisierungstechnik einen bedeutenden Schwerpunkt in den Patentanmeldungen ein. Die weltweite Entwicklung deutet hingegen auf eine abnehmende Bedeutung von Innovationen in diesem Bereich hin. Schwächen der mittel- und osteuropäischen Länder bestehen hingegen in der Chemie, der Elektrotechnik, bei Büromaschinen und der Allgemeinen Datenverarbeitung, der Gesundheitstechnik, dem Straßenbau und der Nachrichtentechnik (Faust 1990).
Harald Trabold und Carla Berke
272
In Branchen, in denen Skaleneffekte von Bedeutung sind, wiesen die mittel- und osteuropäischen Staaten zumeist leichte komparative Nachteile auf. Dieses Ergebnis, welches in der Untersuchung von Murreil betätigt wird 1 7 , erstaunt zunächst angesichts der Tatsache, daß die nationale und RGW-interne Arbeitsteilung auf die Ausnutzung der Vorteile der Massenproduktion ausgerichtet war. Jedoch kann die Verwirklichung von unternehmensinternen Skalenerträgen nicht unabhängig von der verfügbaren Technologie gesehen werden. Die Vorteile der Massenproduktion sind im internationalen Vergleich durch den Einsatz veralteter Technologie wieder aufgehoben worden. Zusätzlich wiesen die Unternehmen aufgrund der mangelhaften Einbindung in die internationale Arbeitsteilung ein für ihre Größe zu breites Produktspektrum auf. Aufgrund der mangelnden Funktionsfahigkeit der nationalen Arbeitsteilung und dem daraus resultierenden, chronischen Materialmangel hatten die Unternehmen eine Tendenz zu horten und die Produktion auf möglichst viele Produktionsstufen auszudehnen, so daß dem Vorteil zentrierter Massenproduktion systemimmanente hohe Kosten gegenüberstanden. Im Gegensatz zu den anderen vier Kategorien von Branchen, in denen die Aussagen für die Gesamtheit der mittel- und osteuropäischen Länder - wenn auch mit unterschiedlichem Akzent - für jedes einzelne Land gelten, war es in den skalenintensiven Branchen der CSFR im Gegensatz zu den anderen vier Ländern gelungen, in allen betrachteten Jahren komparative Vorteile zu erreichen. Dies deutet darauf hin, daß es der CSFR gelang, ein relativ hohes Produktivitätsniveau trotz systemverursachter Kostensteigerungen während der sozialistischen Zeit erhalten. Unsere Ergebnisse ähneln denen von Padoan und Pericoli (1993), die allerdings Bulgarien und Rumänien nicht beinhalten. Sie deuten auf die Existenz einer planwirtschaftlich bedingten technologischen Lücke hin, die sich besonders in den letzten Jahrzehnten vergrößert hat und zu komparativen Nachteilen in fast allen Innovationsbereichen führte. Die wachsende technologische Lücke ist vor allen Dingen auf das mangelhafte nationale Innovationssystem zurückzuführen. Zu diesem Ergebnis kommt auch Clark 18 , die eine modifizierte Form des Technologie-Lücke-Modells testet, um die Ursachen des relativen technologischen Zurückbleibens der mittel- und osteuropäischen Staaten aufzudecken. Danach ist die technologische Lücke vor allem auf die fehlende Unterstützung durch innovationsfördernde Rahmenbedingungen zurückzuführen, wobei die technologische Lücke besonders für die CSFR geringer als für die anderen Staaten zu sein scheint.
2.3. Die Humankapitalintensität der Handelsströme Die oben diskutierten Studien und eigene Berechnungen bescheinigen den mittel- und osteuropäischen Ländern komparative Nachteile in den technologieintensiven Branchen, was auf eine relativ geringe Humankapital Intensität der Exporte im Verhältnis zu den Importen
17
Vgl. Murrell (1990), S. 109-110.
18
Vgl. Clark (1993).
273
Veränderung der Außenhandelsspezialisierung Mittel- und Osteuropas
schließen läßt, da Technologie und Qualifikation - die beiden Hauptkomponenten des Faktors Wissen - in der Regel eng miteinander korreliert sind. Dies wird durch eine Untersuchung von Schumacher und Möbius bestätigt, die die Handelsströme im Bereich der Industriegüter zwischen den mittel- und osteuropäischen Ländern und den EG-Ländern hinsichtlich ihrer Humankapitalintensität analysieren 19. Die Untersuchung zeigt, daß die Exporte aus den mittel- und osteuropäischen Ländern weniger humankapitalintensiv als die Importe waren 20 . Die Unterschiede sind im Handel mit Dänemark und der Bundesrepublik Deutschland am höchsten, jedoch gilt dieses Merkmal generell für den Handel der EG mit den osteuropäischen Ländern (Tabelle 4). Diese Zusammensetzung entspricht dem Handel der EG mit den Entwicklungsländern, jedoch sind die Unterschiede in der Humankapitalintensität weniger ausgeprägt als beim Handel der EG mit den Entwicklungsländern.
Tabelle 4 Verhältnis der Humankapitalintensität von Exporten zu Importen im Industriegüterhandel der EG-Länder nach Ländergruppen 1985
Deutschland Italien Vereinigtes Königreich Frankreich Niederlande Belgien/Luxemburg Dänemark Irland EG (9)
Osteuropäische Länder
Westliche Industrieländer
1,18 1,06 1,09 1,14 1,06 0,84 1,19 1,02 1,12
1,04 0,91 1,03 1,00 1,02 0,97 0,95 0,98 1,00
Entwicklungsländer 1,34 1,09 1,20 1,20 1,22 1,15 1,53 0,97 1,26
Quelle: Schumacher/Möbius (1993), S. 124, Tabelle 6.4.
Nach Schumacher/Möbius nehmen die mittel- und osteuropäischen Länder eine mittlere Position zwischen den Entwicklungsländern und den Industrieländern in der internationalen Arbeitsteilung ein. Die Exporte der EG-Länder nach Osteuropa sind im Verhältnis zu den Importen zwar weniger humankapitalintensiv (1,12) als im Handel mit Entwicklungsländern (1,26); sie sind jedoch wesentlich humankapitalintensiver als diejenigen in die westlichen Industrieländer (1,00). Unter der Annahme, daß die Handelsströme die komparativen Vorteile zumindest ansatzweise reflektieren, wiesen die mittel- und osteuropäischen Länder
19 Jahr der Untersuchung ist 1985. Theoretisch kann dieser Ansatz dem Neofaktorproportionentheorem zugeordnet werden. 20
Vgl. Schumacher/Möbius (1993), S. 123; Schumacher (1989).
18 Schumacher u. a.
Harald Trabold und Carla Berke
274
demnach keine eindeutigen komparativen Vorteile inhumankapitalintensiven Bereichen auf, sondern gegenüber der EG sogar komparative Nachteile. Dieses Ergebnis erscheint zunächst überraschend, da die Förderung der allgemeinen Bildung ein politisches Primat darstellte und auch in internationalen Statistiken ein hoher Humankapitalbestand für die mittel- und osteuropäischen Länder ausgewiesen wird. So bescheinigen einige Daten den mittel- und osteuropäischen Ländern ein Qualifikationsniveau, daß dem der westlichen Industrieländer ähnelt. Nach Angaben von UNDP ist der Anteil der Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker an der Gesamtbevölkerung mit demjenigen der westlichen Industrieländer vergleichbar und liegt deutlich höher als in den Entwicklungsländern und auch in den meisten Schwellenländern (vgl. Tabelle 5). Auch ist die in der Statistik ausgewiesene Analphabetenquote (1,0 vH bis 7,3 vH) teilweise unter dem Niveau einiger Industrieländer 21, was bedingt als hohes Durchschnittsqualifikationsniveau interpretiert werden kann 22 . Auch die Einschulungsquoten oder der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttosozialprodukt weisen auf ein relativ hohes Qualifikationsniveau in den mittel- und osteuropäischen Ländern hin 2 3 . Bei dem wohl gängigsten Indikator für Humankapital - der durchschnittlichen Anzahl der absolvierten Schuljahre - wird jedoch die aus den Handelsströmen abgeleitete mittlere Position deutlich. Hier liegen die mittel- und osteuropäischen Länder mehrheitlich zwischen den asiatischen Schwellenländern und den westlichen Industriestaaten. Beim Indikator Graduierte mit abgeschlossener Tertiärstufe erreichen die mittel- und osteuropäischen Staaten - mit Ausnahme der Tschechoslowakei - das Niveau der asiatischen Schwellenländer. Da die Statistiken noch aus planwirtschaftlicher Zeit stammen, ist es fraglich, ob die Angaben wirklich zuverlässig sind. Die Aus- und Weiterbildung zählte zu einem der erklärten sozialistischen Ziele, so daß zu befürchten ist, daß die Angaben geschönt worden sind 24 . Außerdem ist zu fragen, ob die ausgewiesenen Qualifikationsniveaus mit den westlichen Standards wirklich vergleichbar sind 25 .
21
Vgl. auch Klodt (1993), S. 427.
22
Die Interpretation der Analphabetenquote als Indikator für das Qualifizierungsniveau ist sicherlich mit Vorsicht zu genießen, da damit u.a. die berufliche und akademische Qualifikation nicht erfaßt werden (vgl. Trabold-Nübler 1993, S. 302). 23 Es ist allerdings zu beachten, daß gerade Daten über das Bruttosozialprodukt nicht zuverlässig sind. So schwanken die Angaben über das Bruttosozialprodukt von Bulgarien, Tschechoslowakei, Ungarn, Polen, Rumänien und Jugoslawien je nach Quelle erheblich, vgl. Collins/Rodrik (1991), S. 8. 24 Als Hinweis auf das Ausmaß der möglichen Abweichungen sei auf Bulgariens Angaben hingewiesen. Danach seien 26 vH der bulgarischen Arbeitskräfte Ingenieure oder Techniker. Ein solcher Anteil wird sonst nur von Schweden erreicht, vgl. Winters/Wang (1994), S. 125, Fußnote 1. 25
Vgl. Trabold-Nübler (1993), S. 302.
18*
Durchschnittliche Zahl der Wissenschaftler und TechGraduierte mit abgeschlosWissenschaftler und TechSchuljahre niker sener Tertiärstufe niker in der Forschung e (25jährige und ältere) (j !000 Einwohner) (in vH der entsprechenden (je 10 000 Einwohner) Altersstufe) 1992 1986-1990 1987-1990 1986-1989 Bulgarien 7,0 113 6 69 Polen 8,2 164 7 Rumänien 7,1 2 4 Tschechoslowakei 9,2 . 12 69 Ungarn 9I8 50 6 33 Hongkong 7,2 56 7 Indonesien 4,1 12 1 Korea 9,3 46 22 Malaysia 5,6 1 4 Singapur 4I0 23 6 19 Deutschland 11,6 86 13 47 Frankreich 12,0 83 16 51 Italien 7,5 82 9 20 Japan 10,8 110 24 60 Kanada 12,2 174 33 34 Österreich 11,4 21 8 19 Schweden 11,4 262 12 62 USA 12A 55 29 Quelle: UNDP (1994), Tabellen 5 und 32 im statistischen Anhang.
Tabelle 5 Humankapitalindikatoren für ausgewählte Länder
Veränderung der Außenhandelsspezialisierung Mittel- und Osteuropas 275
Harald Trabold und Carla Berke
276
Insgesamt läßt sich daraus folgern, daß die Humankapitalausstattung der mittel- und osteuropäischen Länder in den achtziger Jahren geringer war, als sie in den Statistiken ausgewiesen wird. Man kann aber davon ausgehen, daß die Humankapitalausstattung der mittelund osteuropäischen Länder höher war als in den meisten fortgeschrittenen Entwicklungsländern. Weiterhin spielt die enge Komplementaritätsbeziehung zwischen Humankapital und technischem Wissen eine Rolle bei der Erklärung der relativ geringen Humankapitalintensität der Exporte der mittel- und osteuropäischen Länder. Fehlt der Komplementärfaktor "Technologie", so kann Humankapital nicht zur Erhöhung der Produktivität eingesetzt werden, und es können auf internationaler Ebene keine komparativen Vorteile errungen werden.
2.4. Zusammenfassung Verwendet man die Handelsströme aus der planwirtschaftlichen Zeit als Indiz für die güterwirtschaftliche Integration in die Weltwirtschaft, so ergibt sich eine Stellung der mittelund osteuropäischen Länder in der internationalen Arbeitsteilung, die derjenigen der fortgeschrittenen Entwicklungsländern mehr oder weniger entspricht. So liegen ihre komparativen Vorteile in den rohstoffintensiven und arbeitsintensiven Industrien, gefolgt von kapitalintensiven Branchen. Sie haben komparative Nachteile bei forschungsintensiven Gütern, was auf ein mangelhaft ausgebildetes nationales Innovationssystem und eine daraus folgende technologische Lücke zurückzuführen ist.
3. Außenhandelsrelevante Veränderungen im Transformationsprozeß Der tiefgreifende Strukturwandel der mittel- und osteuropäischen Länder durch die Transformation des Wirtschaftssystems wird auch Änderungen der komparativen Vorteile verursachen26. Einmal kam es im planwirtschaftlichen System zu systembedingten Preisverzerrungen; die Preise spiegelten somit nicht unbedingt die relativen Knappheiten und damit die Opportunitätskosten der Produktion wider. Außerdem ändert sich die Faktorausstattung durch den Strukturwandel, da z.B. die systemspezifischen Teile des Humankapitals durch den Transformationsprozeß entwertet werden.
26
Bei der nachfolgenden Abschätzung der Veränderung der komparativen Vorteile der mittel- und osteuropäischen Staaten im Handel mit marktwirtschaftlich organisierten Ländern werden nur die relevanten Veränderungen in den Transformationsländern betrachtet. Im Vergleich zu diesen verläuft der Strukturwandel in den OECD-Ländern relativ langsam. Die Beschränkung auf nur eine Ländergruppe bei der Abschätzung der Veränderung der komparativen Vorteile stellt somit eine gewisse analytische Vereinfachung dar, die die Gültigkeit der getroffenen Aussagen allerdings nicht wesentlich berührt.
Veränderung der Außenhandelsspezialisierung Mittel- und Osteuropas
277
3.1. Veränderungen durch die Entzerrungen der Inputpreise Durch nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu billige Inputs konnten die Unternehmen der mittel- und osteuropäischen Länder in Bereichen Kostenvorteile aufweisen, die nicht den relativen Knappheiten in dieser Region entsprachen. Auf diese Weise kam es zu systemspezifischen, "künstlichen" komparativen Vorteilen 27 , die sich auch in der Handelsstruktur mit den westlichen Industrieländern widerspiegelten. Durch den Abbau von systemimmanenten Preisverzerrungen wird die Kostenstruktur der Unternehmen verändert. Die Einführung von Marktpreisen hat demzufolge direkte Auswirkungen auf die relative Kostenstruktur der Unternehmen und damit auf die komparativen Vorteile der mittel- und osteuropäischen Länder. Eine eindeutige Verzerrung liegt im Fall der Spezialisierung auf ressourcenintensive Güter vor, da die mittel- und osteuropäischen Länder mit Ausnahme Rumäniens nur geringe eigene Rohstoffvorkommen aufweisen. Diese Spezialisierung wurde dadurch begünstigt, da die Sowjetunion Rohstoffe, insbesondere Erdöl und Erdgas, ab 1972 nicht zu dem auf dem Weltmarkt üblichen Preis in die mittel- und osteuropäischen Länder lieferte, sondern die Lieferungen subventionierte 28. Durch den Zusammenbruch des RGW und die Auflösung der Sowjetunion besteht heute weder die Fähigkeit, noch die Bereitschaft, die Subventionierung fortzuführen. Zu den neuen Preisrelationen 29 sind die ressourcenintensiven Industrien der mittel- und osteuropäischen Länder international nicht mehr so wettbewerbsfähig wie bisher. Somit ist zu erwarten, daß sich die komparativen Vorteile der mittel- und osteuropäischen Staaten in dieser Güterkategorie gegenüber den marktwirtschaftlich organisierten Ländern tendenziell verringern dürften. Weiterhin war die starke Spezialisierung auf kapitalintensive Güter zum großen Teil planwirtschaftlich bedingt. Nach der marxistischen Arbeitswertlehre steht dem Zinssatz kein Arbeitswert entgegen, ein Ansatz von Zinsen als Ausdruck für Kapitalkosten in der Planung hätte also der politischen Grundauffassung widersprochen, weshalb extrem niedrige Zinsen angesetzt wurden. Wegen der Unterbewertung des Kapitals kam es zu einer starken Nachfrage nach Kapital, die durch einen anderen Allokationsmechanismus reduziert werden
27
Das Prinzip der komparativen Vorteile beinhaltet, daß durch den monetären Übersetzungsmechanismus ein direkter Zusammenhang zwischen relativen Kostendifferenzen und absoluten Preisvorteilen der handelnden Länder besteht. Aus diesem Grund wurde der Begriff künstliche komparative Vorteile geschaffen: Komparative Vorteile in dem Sinne, daß absolute Preisvorteile gegenüber in Marktwirtschaften operierenden Unternehmen bestanden, "künstlich", da sie auf verzerrten Kostenstrukturen beruhten. 28 Vgl. Balassa (1992), S. 7-8. Diese Subventionierung wurde durch die Tatsache verstärkt, daß die Sowjetunion aus ihren Satellitenstaaten Industriewaren zu Preisen bezog, die über dem Weltmarktpreisniveau lagen, obwohl sie den qualitativen Weltstandards nicht genügen konnten. Vgl. zur Vorgeschichte Marrese/Vanous (1983). 29
Durch die Einführung der Weltmarktpreise für Energie im Januar 1990 kam es für die mittelund osteuropäischen Länder zu Preiserhöhungen, deren Ausmaß die Preiserhöhungen im Laufe der ersten und zweiten Ölkrise überstieg, vgl. OECD (1992), S. 89.
Harald Trabold und Carla Berke
278
mußte 30 . Dieser Mechanismus bestand in der Zuteilung von Investitionsmitteln 31 . Im Zuge des nachlassenden Wachstums verringerten sich auch die Investitionen, was zu der Beibehaltung alter Produktionsanlagen beitrug. So war der bestehende Kapitalstock zu Beginn der Transformation stark veraltet, jedoch bestanden Unterschiede zwischen den einzelnen mittel- und osteuropäischen Ländern. Polen mußte im Vergleich zu Ungarn und der Tschechoslowakei auf einen noch älteren Kapitalstock zurückgreifen. Insgesamt kamen kapitalintensive Industrien über einen langen Zeitraum in den Genuß proportional höherer Zinssubventionen als die übrigen Industrien. Die komparativen Vorteile bei kapitalintensiven Gütern waren also bis zu einem gewissen Grad künstlich und sollten langfristig zurückgehen. Denn durch die Einführung von Marktpreisen für den Faktor Kapital werden die Inputs für die kapitalintensiven Industrien überproportional verteuert, womit die künstlichen Kostenvorteile aufgehoben und die entsprechenden Industrien international weniger wettbewerbsfähig werden 32 . Der Anpassungsprozeß im kapitalintensiven Bereich ist vielfach allerdings noch nicht vollzogen, da harte Budgetrestriktionen für die noch nicht privatisierten Staatsunternehmen noch nicht vollständig durchgesetzt sind 33 . Insofern ist es nicht leicht abzuschätzen, wie schnell sich diese Reduktion der komparativen Vorteile in den skalenintensiven Branchen vollzieht. Diese Überlegung wird auch durch die Studien von Hughes und Hare gestützt 34 . Sie messen die internationale Wettbewerbsfähigkeit einzelner Branchen anhand der DomesticResource-Costs (DRC) 3 5 . Mit Hilfe von Input-Output-Tabellen wurden die tatsächlichen Inputs und Outputs der einzelnen Sektoren in der Tschechoslowakei, Bulgarien, Ungarn und Polen ermittelt und zu Weltmarktpreisen von 1991 bewertet. Hughes und Hare kommen zu dem Ergebnis, daß 20 bis 25 vH des Industrieoutputs unter Weltmarktverhältnissen nicht wettbewerbsfähig sind, teilweise sogar eine negative Wertschöpfung aufweisen. Besonders die Nahrungsmittelindustrie und die energieintensiven Sektoren waren nach diesem Ansatz international nicht wettbewerbsfähig. Das sind u.a. die Sektoren, die bei einer Analyse der
30
Vgl. Murrell (1990), S. 62 f.
31
Vgl. OECD (1992), S. 89.
32
Vgl. OECD (1992), S. 88.
33
Vgl. Hughes/Hare (1994), S. 200.
34
Hughes/Hare (1992 und 1994).
35
DRC = Wertschöpfung in heimischen Preisen/Wertschöpfung in Weltmarktpreisen. Die Wertschöpfung in heimischen Preisen stellt eine Meßziffer für die heimischen Ressourcen dar, die von einer Branche eingesetzt werden. Zu den Ressourcen zählt zum Beispiel der Einsatz von Kapital und Arbeit. Die Wertschöpfung in Weltmarktpreisen ist der Beitrag einer Branche zum BSP, welches in Weltmarktpreisen gemessen wird. Die wettbewerbsfähigsten Branchen sind folglich die, die einen kleinen DRC-Wert haben, da sie die Branchen sind, die mit einem relativ geringen Einsatz an heimischen Ressourcen eine Einheit des Sozialprodukts in Weltmarktpreisen erwirtschaften. Die am wenigsten wettbewerbsfähigsten Branchen sind diejenigen, die einen hohen positiven DRC-Wert haben, da sie einen unangemessen hohen Einsatz an heimischen Ressourcen für die Erwirtschaftung von einer Einheit BSP voraussetzen und diejenigen, die eine negative Wertschöpfung in Weltmarktpreisen aufweisen, vgl. Hughes/Hare (1992), S. 184-185.
Veränderung der Außenhandelsspezialisierung Mittel- und Osteuropas
279
Ost-West-Handelsströme als Bereiche gekennzeichnet wurden, wo komparative Vorteile der mittel- und osteuropäischen Länder vorlagen. Diese Untersuchung bestätigt die oben genannte Vermutung der Verzerrung und weist auf deren Ausmaß hin 3 6 . Durch den Transformationsprozeß nur wenig verändern dürften die preislichen Wettbewerbsvorteile bei arbeitsintensiven Gütern, da der in einheitliche Währung umgerechnete nominale Lohnsatz in den mittel- und osteuropäischen Ländern im internationalen Vergleich - zumindest in den nächsten Jahren - nur moderat steigen dürfte. Die von den Arbeitskosten ausgehende Tendenz zu sinkenden komparativen Vorteilen wird allerdings zumindest teilweise wieder kompensiert, da sich die Produktionskosten in den ressourcen- und skalenintensiven Branchen relativ zu denjenigen in den arbeitsintensiven Branchen im Verlauf des Transformationsprozesses erhöhen. Insgesamt sollten die komparativen Vorteile bei arbeitsintensiven Gütern im Handel der mittel- und osteuropäischen Staaten mit marktwirtschaftlich organisierten Ländern relativ stabil bleiben.
3.2. Veränderungen des Humankapitalstocks A m schwierigsten zu beurteilen erscheint die Entwicklung in den forschungsintensiven Branchen und bei differenzierten Gütern, da diese im wesentlichen von den in einer engen Komplementaritätsbeziehung stehenden Faktoren Technologie/Innovation und Humankapital beeinflußt werden. Die Entwicklung beim Faktor Technologie/Innovation ist zum einen abhängig von den ausländischen Direktinvestitionen, die momentan sowohl in der Höhe als auch in der sektoralen Struktur hinter den Erwartungen der mittel- und osteuropäischen Länder zurückbleiben. Zum anderen ist sie davon abhängig, inwieweit es gelingt, die eigenen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten, die aufgrund des fehlenden nationalen Innovationssystems, bestehender Ineffizienzen und mangelnder Verzahnung mit der Industrie momentan brachliegen, zur Schaffung von komparativen Vorteilen bei forschungsintensiven Gütern einzusetzen. Wie in Berke/Trabold (1995) dargestellt, ist die Entwicklung beim Faktor Technologie/Innovation aber auch von dem eingeschlagenen Aufhol weg der mittel- und osteuropäischen Länder abhängig und daher insgesamt nicht leicht abzuschätzen. Etwas einfacher zu beurteilen sind die Auswirkungen des Transformationsprozesses auf das vorhandene Humankapital. Vor Beginn des Transformationsprozesses waren die mittelund osteuropäischen Länder im Vergleich zu den meisten Schwellen- und Entwicklungsländern besser mit Humankapital ausgestattet. Dieses Humankapital umfaßte jedoch systemspezifisches Wissen, das unter Marktbedingungen wesentlich weniger Wert ist als in einer zentral geplanten Volkswirtschaft. Dieser Teil des Humankapitals wird durch den Transfor-
36 Nach Meinung von Graziani (1993), S. 184, Anmerkung 3, müssen diese Ergebnisse aber mit Einschränkungen betrachtet werden. So basieren sie auf den existierenden, verzerrten Produktionsstrukturen, die durch veraltete Produktionstechnologien und Faktoreinsatzrelationen sowie zusätzlich durch die mangelnden Möglichkeiten des "global sourcing" gekennzeichnet waren. Durch die Bewertung mit Weltmarktpreisen werden eventuell niedrigere Kosten der inländischen Wertschöpfung außer acht gelassen, bestehende komparative Vorteile können so nicht erfaßt werden.
Harald Trabold und Carla Berke
280
mationsprozeß entwertet 37 . Neben den Kenntnissen über den Sozialismus und die Planwirtschaft zählt dazu auch ein großer Teil des ErfahrungsWissens in den Unternehmen. Dieses beruht zu einem großen Anteil auf spezifisch planwirtschaftlichen Erfahrungen wie zum Beispiel dem Tauschhandel und dem Umgang mit Bürokratien 38 . Auch die Ausbildung richtete sich nach dem planwirtschaftlichen Bedarf. Fertigkeiten, die in einem marktwirtschaftlich geprägten System von besonderer Bedeutung sind, wie eigenständiges und innovatives Denken, Kreativität und Flexibilität, wurden nicht explizit gefördert. Zusätzlich kann altes Wissen entwicklungshemmend wirken. Kenntnisse und Fertigkeiten wie Materialbeschaffung im planwirtschaftlichen System oder Improvisationstalent können die Aufnahme von neuen Ideen und Verfahren behindern. Das alte Erfahrungswissen der Arbeitskräfte der mittel- und osteuropäischen Länder entwertet sich folglich nicht nur, es behindert u.U. auch die Ausbildung neuer Fertigkeiten 39 . Die schwierige finanzielle Situation der mittel- und osteuropäischen Länder hat in den letzten Jahren zusätzlich zu entscheidenden Einsparungen im Bildungssystem geführt, so daß die Qualität der Ausbildung nachgelassen hat und zumindest kurzfristig weiter nachlassen dürfte 40 . Auch besteht die Gefahr eines internationalen "Brain Drain", die wegen des hohen Lohngefälles besonders den Bereich der Höherqualifizierten betrifft 41 . Die mittelund osteuropäischen Länder zeichnen sich aber durch eine Besonderheit aus. Sie werden auch nach dem Transformationsprozeß und den damit verbundenen Anpassungen über einen höheren Humankapitalstock als die meisten fortgeschrittenen Entwicklungsländer verfügen. Denn im Zuge des Aufbaus und der Erhaltung eines relativ hohen Humankapitalstocks wird ein ganz entscheidender Faktor für den Erwerb neuer benötigter Kenntnisse gelegt: die Fähigkeit zu Lernen. Sie bestimmt, wie schnell es bei gegebenen Rahmenbedingungen zu einem an marktwirtschaftlichen Erfordernissen orientierten Umbau des Humankapitalstocks kommt. Das Beispiel Ostdeutschlands, wo es gelang, innerhalb weniger Jahre die entsprechenden Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, läßt darauf schließen, daß sich die mittel- und osteuropäischen Staaten in dieser Hinsicht in einer relativ guten Position befinden. Somit ist eine der beiden Voraussetzungen für die Erzielung komparativer Vorteile bei forschungsintensiven Gütern - das im Humankapital verankerte Wissen - vorhanden bzw. kann wegen der zweifellos vorhandenen Lernfähigkeit rasch ergänzt werden. Der dazu benötigte komplementäre Faktor - die im Sachkapital verankerte Technologie - steht wegen der planwirtschaftlich verursachten technologischen Lücke nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung. Damit wird aber momentan nur die Umsetzung des höheren Humankapitalstocks in komparative Vorteile bei der Produktion von forschungsintensiven Gütern verhin-
37
Vgl. Trabold-Nübler (1993), S. 302.
38
Vgl. Friedrich (1993), S. 168.
39
Vgl. Perez/Soete (1988), S. 467 f.
40
Ein Beispiel dafür ist das niedrige Einkommensniveau der Lehrer in Polen, die gezwungen sind, eine Zweitbeschäftigung neben der Lehrtätigkeit aufzunehmen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, vgl. Friedrich (1993), S. 161. 41
Vgl. Todaro (1992), S. 278 ff.
Veränderung der Außenhandelsspezialisierung Mittel- und Osteuropas
281
dert. Wie schnell sich die komparativen Nachteile in den forschungsintensiven Branchen abbauen werden, wird somit auch stark von den Investitionen abhängen, mit denen die technologische Lücke geschlossen werden kann. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß einerseits beträchtliche, transformationsbedingte Abschreibungen auf den Humankapitalstock der mittel- und osteuropäischen Länder vorgenommen werden müssen. Andererseits erscheinen die Voraussetzungen für einen zügigen Aufbau der noch benötigten Komponenten gegeben. Daher sollte es - auch wegen des Abbaus der komparativen Vorteile in den ressourcenintensiven Branchen - noch im Zuge des Transformationsprozesses zu einer Verringerung der komparativen Nachteile bei forschungsintensiven und differenzierten Gütern kommen.
4. Die gegenwärtigen komparativen Vorteile Mittel- und Osteuropas Die in Tabelle 6 ausgewiesene Entwicklung der komparativen Vorteile bestätigt im wesentlichen die Erwartungen. So sind die komparativen Vorteile aller mittel- und osteuropäischen Länder zusammen in den ressourcenintensiven Branchen von 0,91 im Jahre 1988 auf 0,33 im Jahre 1994 zurückgegangen. Die komparativen Vorteile in den arbeitsintensiven Branchen haben sich nur wenig verändert. Sie schwankten bei uneinheitlichem Trend zwischen 0,36 und 0,51. Dasselbe gilt für die skalenintensiven Branchen, deren RCA-Werte sich zwischen 0,01 und 0,23 bewegten. In den Branchen mit spezialisierten Zulieferern vollzog sich die erwartete Verringerung der komparativen Nachteile. Von 1988 bis 1994 stiegen die RCA-Werte beinahe kontinuierlich von -1,29 auf -0,61. Auch in den forschungsintensiven Branchen gingen die komparativen Nachteile der mittel- und osteuropäischen Länder zurück, wenn auch erst seit 1990. Dieser Rückgang der komparativen Nachteile ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß die Exporte von einem sehr niedrigen Niveau aus - relativ gesehen - wesentlich stärker stiegen als die sich auf relativ hohem Niveau befindlichen Importe. Etwas überraschend ist der schnelle Abbau der komparativen Nachteile bei differenzierten Gütern, der sich mit Ausnahme von Rumänien in den übrigen Ländern in etwa mit derselben Geschwindigkeit und von einem relativ hohen Niveau der Exporte aus vollzieht. Offenbar sind die mittel- und osteuropäischen Staaten vor allem im Maschinenbauexport besonders erfolgreich. So konnte Ungarn seine Exporte von Maschinen in die EU zwischen 1989 und 1994 vervierfachen und Polen immerhin verdreifachen. Der Anteil von Maschinen und Ausrüstungen an den Lieferungen Ungarns in die EU stieg von 13 vH auf 27 vH. Ähnliche Anteilszuwächse des Maschinenexports in die EU erzielte Tschechien (von 14 vH auf 26 vH), während dieser Zuwachs für Polen etwas schwächer ausfiel (von 12 vH auf 17 vH). Maschinen, elektrotechnische Erzeugnisse und Fahrzeuge waren für Ungarn zu 41 vH, für Tschechien zu 30 vH und für Polen zu knapp 20 vH an den Exportzuwächsen nach Deutschland beteiligt; Fertigwaren insgesamt sind in Ungarn zu 98 vH, in Tschechien zu 86 vH und in Polen zu 85 vH am gesamten Exportzuwachs beteiligt. Demgegenüber nehmen sich die Exportzuwächse der sonstigen Halbwaren und Vorprodukte (Zement, Eisen und Stahl, Gewebe, Gespinste) sehr bescheiden aus. Sie trugen nur
Harald Trabold und Carla Berke
282
Tabelle
6
Komparative Vorteile ( R C A - W e r t e ) der mittel- und osteuropäischen L ä n d e r im Handel mit O E C D - L ä n d e r n nach Hauptfaktoren der Wettbewerbsfähigkeit, 1988 bis 1994 Bulgarien
Polen
Rumänien
SlowaUngarn Tschechi- Tschesche und chische kische Slowaki. Republik Republik Republik
Μ 0 Ει ander, insgesamt
Natürliche Ressourcen (ressourcenintensive Branchen) 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994
1,07 1,03 0,87 0,41 0,47 0,29 0,33
0,85 0,76 0,69 0,48 0,37 0,31 0,35
0,49 0,34 0,10 0,01 -0,34 -0,22 0,21
0,67 0,67 0,68 0,55 0,53 0,37
0,33 0,17
0,53 0,37
1,16 1,22 1,06 1,02 0,79 0,64 0,49
0,91 0,85 0,72 0,53 0,44 0,35 0,33
Niedrige Arbeitskosten (arbeitsintensive Branchen) 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994
0,53 0,46 0,63 0,52 0,63 0,53 0,40
0,51 0,40 0,24 0,49 0,44 0,49 0,36
-0,30 -0,42 0,29 0,33 0,52 0,54 0,40
0,75 0,73 0,67 0,68 0,74 0,60 •
0,61 0,55
0,51 0,50
0,32 0,33 0,23 0,28 0,34 0,42 0,36
0,45 0,38 0,36 0,46 0,51 0,51 0,43
Skalenerträge (skalenintensive Branchen) 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994
-0,13 0,02 0,27 0,30 -0,09 -0,17 0,11
-0,04 0,05 0,34 -0,01 0,15 0,14 0,16
0,04 0,23 0,00 0,44 0,67 0,39 0,44
Produktdifferenzierung 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994
-1,32 -1,24 -1,30 -1,08 -0,82 -0,85 -1,11
-1,28 -1,05 -1,07 -0,82 -0,89 -0,80 -0,77
-0,64 -0,70 -0,58 -1,12 -1,44 -1,29 -1,33
0,40 0,34 0,50 0,47 0,33 0,29 •
0,25 0,22
0,48 0,38
-0,25 -0,26 -0,10 -0,23 -0,23 -0,26 -0,17
0,01 0,08 0,23 0,12 0,16 0,11 0,14
(Branchen mit spezialisierten Zulieferern) -1,24 -1,20 -1,11 -0,95 -0,95 -0,77
-0^67 -0,53
-1,*30 -1,04
-0,97 -0,92 -0,78 -0,52 -0,38 -0,22 -0,17
-1,29 -1,19 -1,03 -0,78 -0,79 -0,67 -0,61
Hohe FuE- Aufwendungen (forschungs intensive Branchen) 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994
-0,68 -0,87 -1,65 -1,56 -1,87 -1,13 -0,90
-2,29 -2,55 -2,45 -2,34 -2,38 -2,22 -2,26
-2,81 -2,50 -2,58 -2,62 -2,99 -2,35 -2,55
Quel le: DIW-Außenhandelsdaten.
-2,11 -2,22 -2,30 -2,33 -1,91 -1,57 •
-1,*47 -1,33
-2J5 -2,19
-1,10 -1,34 -1,52 -1,63 -1,43 -1,51 "1,37
-1,85 -2,05 -2,10 -2,05 -1,94 -1,74 -1,65
Veränderung der Außenhandelsspezialisierung Mittel- und Osteuropas
283
zu 11 vH zum tschechischen und 7 vH zum polnischen Ausfuhrzuwachs bei. Ungarn verringerte sogar seine Exporte bei diesen Produkten 42 .
5. Schlußfolgerungen und Ausblick Die bisherigen Überlegungen zeigen, daß die mittel- und osteuropäischen Länder sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt besonders erfolgreich über den Export arbeitsintensiver und den Import forschungsintensiver und differenzierter Güter in die Weltwirtschaft eingliedern können. Die transformationsbedingten Veränderungen der Warenstruktur der Ex- und Importe deuten jedoch darauf hin, daß die mittel- und osteuropäischen Staaten mit ihrem hohen Humankapitalstock bereits mittelfristig komparative Vorteile bei differenzierten Gütern und langfristig bei forschungsintensiven Gütern erzielen könnten. Die relativ starke intersektorale Arbeitsteilung vor Beginn des Transformationsprozesses dürfte sich mehr und mehr in eine intrasektorale Arbeitsteilung zwischen den mittel- und osteuropäischen Ländern und der OECD verwandeln. Dieser Trend läßt sich anhand der in Tabelle 7 angeführten Grubel-Lloyd-Indizes, die eine Meßziffer für das Ausmaß des intraindustriellen Handels darstellen 43, bereits erkennen. Für den gesamten Handel der mittel- und osteuropäischen Länder mit der OECD stieg der Grubel-Lloyd-Index von 1988 bis 1994 kontinuierlich an. Dies gilt auf Länderebene insbesondere für Bulgarien und - wenn auch mit Abstrichen - für die Tschechische und Slowakische Republik sowie Ungarn. Falls die Veränderung des Spezialisierungsmusters der mittel- und osteuropäischen Länder sich in den zu erwartenden und oben skizzierten Bahnen bewegt, wird es zwar weiterhin zur Auslagerungen von arbeitsintensiven Produktionsprozessen aus der EU in die mittelund osteuropäischen Staaten kommen; der Anpassungsdruck in den sensiblen Bereichen dürfte sich jedoch nur wenig verstärken. Verstärkt Konkurrenz bekommen dürften jedoch der europäische Maschinen- und Fahrzeugbau sowie Hersteller von elektrischen und elektrotechnischen Erzeugnissen , die jedoch wegen der Möglichkeiten zu vertikaler und technologischer Produktdifferenzierung mit weniger Arbeitsplatzverlusten in der EU verbunden sein dürfte als entsprechende Konkurrenz bei arbeitsintensiven Produkten, wo im wesentlichen nur die Möglichkeit zur horizontalen Produktdifferenzierung besteht, die keinen ausreichenden Schutz gegen die momentane Niedriglohnkonkurrenz aus Mittel- und Osteuropa bietet. Diese Entwicklung dürfte stark dazu beitragen, den mittel- und osteuropäischen Ländern den Weg in die Europäische Union zu ebnen, da eine ausgeprägte intrasektorale Arbeitsteilung im Zuge von Integrationsprozessen tendenziell geringere Anpassungskosten verursacht als eine ausgeprägt intersektorale. Die Außenhandelsstrukturen jedenfalls verändern sich in eine Richtung, die es den mittel- und osteuropäischen Ländern leichter machen wird, möglichst frühzeitig in die Europäische Union aufgenommen zu werden.
42 43
Vgl. dazu auch o.V. (1995).
Der Standard-Grubel-Lloyd-Index kann Werte von 0 bis 1 annehmen, wobei ein Wert von 0 vollständige inter- und ein Wert von 1 vollständige intraindustrielle Spezialisierung anzeigt. Vgl. dazu auch Greenaway/Milner (1986).
Harald Trabold und Carla Berke
284
Tabelle 7 Intraindustrieller Handel der mittel- und osteuropäischen Länder mit der OECD im verarbeitenden Gewerbe (Grubel-Lloyd-Index) 1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
Bulgarien
0,35
0,37
0,51
0,58
0,55
0,58
0,57
Polen
0,53
0,58
0,54
0,54
0,57
0,56
0,56
Rumänien
0,35
0,33
0,43
0,49
0,40
0,43
0,43
Tschechische und Slowakische Republik
0,52
0,53
0,56
0,61
0,60
0,65
.
0,67
0,68
0,53
0,59
Tschechische Republik
•
Slowakische Republik Ungarn M i t t e l - und osteuropäische Länder insgesamt
•
0,52
0,52
0,57
0,60
0,61
0,62
0,66
0,55
0,56
0,59
0,60
0,60
0,62
0,62
Quelle: DIW-Außenhandelsdaten.
Literatur Balassa, Bela (1992): Economic Integration in Eastern Europe. In: Structural Change and Economic Dynamics, Vol. 3, No. 1, S. 3-15. Berke , Carla, Harald Trabold (1995): "Low-Cost" oder "High-Tech"? Strategische Außenwirtschaftsoptionen für Mittel- und Osteuropa, DIW Diskussionspapier Nr. 124, Berlin. Beyfuß, Jörg (1993): Position der Reformländer in der internationalen Arbeitsteilung - Stand und Perspektiven. In: IW-Trends, 1/93, S. 31-48. CEPR (1990): The Impact of Eastern Europe, Monitoring European Integration, a CEPR Annual Report, October, London. Clark , Carol (1993): Relative Backwardness in Eastern Europe: an Application of the Technological Gap Hypothesis. In: Economic Systems, Vol. 17, No. 3, September, S. 167-194. Collins , Susan M . , Dani Rodrik (1991): Eastern Europe and the Soviet Union in the World Economy, Institute for International Economics, Washington, D.C., May.
Veränderung der Außenhandelsspezialisierung Mittel- und Osteuropas
285
Dosi, Giovanni, Christopher Freeman , Richard Nelson, Gerald Silverberg, Luc Sbete (1988): Technical Change and Economic Theory, London. Faust, Konrad (1990): Das technologische Potential der RGW-Länder im Spiegel der Patentstatistik. In: ifo Schnelldienst 12/90, S. 9-14. Friedrich, Volker (1993): Polens Power? - People?! Theoretische Aspekte der Humankapitalbildung. In: Hirschmann et al. (Hrsg.), S. 157-171. Graziani , Giovanni (1993): Specialisation for Eastern Europe and Access to EC Markets. In: Brabant , van Jozef M . (Hrsg.): The New Eastern Europe and the World Economy, Boulder, S. 175-195. Greenaway , David, Chris Milner (1986): The Economics of Intra-industry Trade, Oxford. Hamilton , Carl B., L. Alan Winters (1992): Opening Up International Trade with Eastern Europe. In: Economic Policy, No. 14, April, S. 77-116. Heitger , Bernhard, Klaus Schräder, Eckhardt Bode (1992): Die mittel- und osteuropäischen Länder als Unternehmensstandort, Kieler Studien, Nr. 250, Tübingen. Hillman , Arye L. (1980): Observations on the Relation between 'Revealed Comparative Advantage' and Comparative Advantage as indicated by Pre-Trade Relative Prices. In: Weltwirtschaftliches Archiv, Vol. 116, No. 2, S. 315-321. Hirsch , Seev (1974): Hypotheses Regarding Trade between Developing and Industrial Countries. In: Giersch , H. (Hrsg.): The International Division of Labour - Problems and Perspectives, Tübingen, S. 65-82. Hughes , Gordon, Paul Hare (1992): Trade Policy and Restructuring in Eastern Europe. In: Flemming , John /Rollo, J.M.C. (Hrsg.): Trade Payments and Adjustment in Central and Eastern Europe, Proceedings of an EBRD Conference, 26-27 March 1992, Royal Institute of International Affairs and European Bank für Reconstruction and Development, London, S. 181-206. Hughes , Gordon, Paul Hare (1994): The International Competitiveness of Industries in Bulgaria, Czechoslovakia, Hungary and Poland. In: Oxford Economic Papers, 46, S. 200-221. Klodt , Henning (1991): Comparative Advantage and Prospective Structural Adjustment in Eastern Europe. In: Economic Systems, Vol. 15, No. 2, October, S. 265-281. Klodt , Henning (1993): Perspektiven des Ost-West-Handels: Die komparativen Vorteile der mittel- und osteuropäischen Reformländer. In: Die Weltwirtschaft, Heft 4, S. 424-440. Kravis , I.B. (1956): 'Availability' and other Influences on the Commodity Composition of Trade. In: Journal of Political Economy, Vol. 64, April, S. 143-155. Marrese , Michael, Jan Vanous (1983): Soviet Subsidization of Trade with Eastern Europe: a Soviet Perspective, University of California, Institute of International Studies, Berkeley.
286
Harald Trabold und Carla Berke
Murreil , Peter (1990): The Nature of Socialist Economies: Lessons from Eastern European Foreign Trade, Princeton. Neven , Damien J., Lars-Hendrik Roller (1990): The Structure and Determinants of EastWest Trade: a Preliminary Analysis of the Manufacturing Sector. In: Winters , L. Alan/Venables, Anthony J.: European integration: Trade and Industry, Centre for Economic Policy Research, Cambridge. OECD (1992): OECD Economic Surveys: Poland, Centre for Co-Operation with European Economies in Transition, Paris. OECD (1994): Industrial Policy in OECD Countries, Paris. O.V. (1995): Ungarn vervierfacht die Ausfuhr von Maschinen. In: Handelsblatt vom 24.8.95. Padoan , Pier C., Marcello Pericoli (1993): The Single Market and Eastern Europe. Specialization Patterns and Prospects for Integration. In: Economic Systems, Vol. 17, No. 4, December, S. 279-299. Pavitt , Keith (1984): Patterns of Technical Change: towards a Taxonomy and a Theory. In: Research Policy, Vol. 13, No. 6, S. 343-374. Perez , Cariota, Luc Soete (1988): Catching Up in Technology: Entry Barriers and Windows of Opportunity. In: Dosi et al. (Hrsg.), S. 458-479. Schumacher , Dieter, Uta Möbius (1993): Eastern Europe and the EC - Trade Relations and Trade Policy with Regard to Industrial Products. In: Heitger , Bernhard/Waverman, Leonard (Hrsg.): German Unification and the International Economy, London, New York, S. 113-175. Schumacher , Dieter (1989): Employment Impact in the European Economic Community (EC) Countries of East-West Trade Flows, International Employment Policies Working Paper No. 24, International Labour Office, Genf. Todaro , Michael P. (1992): Economic Development in the Third World, Fourth Edition, New York, London. Trabold-Niïbler , Harald (1993): UN-Bericht schönt Entwicklungsstand in Mittel- und Osteuropa. In: Wochenbericht des DIW, Nr. 21/93, S. 300-304. U Ν CT AD (1987): Trade and Development Report, New York. UNDP (1994): Human Development Report, New York. Vernon , Raymond (1966): International Investment and International Trade in the Product Cycle. In: The Quarterly Journal of Economics, Vol. L X X X , S. 191-207. Vincentz , Volkhart (1992): Die Integration Osteuropas in die europäische Wirtschaft: Bedingungen und Konsequenzen unterschiedlicher Entwicklungsstrategien, Osteuropa-Institut München, Diskussionspapier Nr. 155, November. Winters, Alan, Zhen Kun Wang (1994): Eastern Europe's International Trade, Manchester, New York.
"Low-cost" oder "High-tech"? Strategische Außenwirtschaftsoptionen für die mittel- und osteuropäischen Länder Von Carla Berke und Harald Trabold 1. Einleitung Die mittel- und osteuropäischen Länder 1 befinden sich momentan in einer Phase des Transformationsprozesses, in der nicht mehr so sehr die Debatte um die Makrostabilisierung, Liberalisierung und Sequenzierung von Reformen, sondern Fragen wie Wachstum, Umstrukturierung und Korruption in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Dennoch ist bereits heute absehbar, daß der Transformationsprozeß in den mittel- und osteuropäischen Ländern eher beendet sein dürfte als der Aufholprozeß beim Lebensstandard. Somit bedarf es in diesen Ländern einer Aufholstrategie, die eine mittel- bis langfristige Annäherung an das westliche Niveau erlaubt. Eine solche Aufholstrategie ist wegen der Öffnung der Märkte in Mittel- und Osteuropa eng mit den außenwirtschaftlichen Bedingungen verknüpft. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit drei Fragen: 1.
Welche Anknüpfungspunkte bieten die gegenwärtigen komparativen Vorteile der mittelund osteuropäischen Transformationsländer für eine Beeinflussung der wirtschaftlichen Entwicklung?
2. 3.
Welche kurz- und langfristigen Vor- und Nachteile haben die beiden Aufholstrategien? Welche Realisierungschancen hat die technologiebezogene Aufholstrategie?
Mit der ersten Frage beschäftigt sich das zweite Kapitel dieser Arbeit, in dem die gegenwärtigen komparativen Vor- und Nachteile der mittel- und osteuropäischen Länder kurz dargestellt werden. Im dritten und vierten Kapitel werden die außenwirtschaftlichen Implikationen von zwei möglichen Aufhol Strategien diskutiert, die sich den mittel- und osteuropäischen Ländern aufgrund ihrer heutigen komparativen Vorteile eröffnen. Eine mögliche Strategie stellt die Spezialisierung auf die gegenwärtigen Vorteile und damit die Ausnutzung der Faktorkostenvorteile dar. Diese Strategie wird in Kapitel 3 in ihren Grundzügen vorgestellt. Anschließend werden die Chancen und Risiken einer Spezialisierung nach den gegenwärtigen komparativen Vorteilen für die mittel- und osteuropäischen Länder aufgezeigt. Eine solche Spezialisierung hat heute positive Auswirkungen auf die Bewältigung des Struk-
1 Zu den mittel- und osteuropäischen Ländern werden in dieser Studie Bulgarien, Polen, Rumänien, die Slowakische Republik, die Tschechische Republik und Ungarn gezählt.
288
Carla Berke und Harald Trabold
turwandels infolge der Transformation des Wirtschaftssystems. Jedoch könnte sie langfristig den Aufholprozeß der mittel- und osteuropäischen Länder hemmen. Deshalb wird in Kapitel 4 eine Aufholstrategie diskutiert, die es den mittel- und osteuropäischen Ländern ermöglichen würde, neue komparative Vorteile im Bereich der technologieintensiven Güter zu erlangen, und das vorhandene Humankapital adäquat zu nutzen. In Kapitel 5 werden die Schlußfolgerungen und eine Einschätzung zur Verwirklichung der Optionen präsentiert.
2. Die gegenwärtigen komparativen Vorteile Mittel- und Osteuropas Während Untersuchungen der Ost-West-Handelsströme für die Vergangenheit ein weiter gefächertes Vorteilsmuster der mittel- und osteuropäischen Länder aufzeigen, ist davon auszugehen, daß die mittel- und osteuropäischen Länder ihre komparativen Vorteile vorerst nur bei der Produktion von arbeitsintensiven Gütern tendenziell ausbauen können. Hingegen dürften die komparativen Vorteile in den ressourcen- und skalenintensiven Branchen zurückgehen, während sich die komparativen Nachteile bei forschungsintensiven und differenzierten Gütern verringern dürften 2. Ein Blick auf Tabelle 1 bestätigt diese Aussagen. Die komparativen Vorteile der mittelund osteuropäischen Länder sind in den ressourcenintensiven Branchen stark und in den skalenintensiven Branchen leicht zurückgegangen. In den arbeitsintensiven Branchen hingegen sind sie leicht gestiegen. In den forschungsintensiven Branchen ist ein Abbau der komparativen Nachteile festzustellen, der jedoch nicht überbewertet werden sollte. Er ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß die Exporte von einem sehr niedrigen Niveau aus - relativ gesehen - wesentlich stärker stiegen als die sich auf relativ hohem Niveau befindlichen Importe. Etwas überraschend ist der schnelle Abbau der komparativen Nachteile bei differenzierten Gütern, der sich mit Ausnahme von Rumänien in den übrigen Ländern in etwa mit derselben Geschwindigkeit und von einem relativ hohen Niveau der Exporte aus vollzieht (vgl. Tabelle 1). Die Ursachen für dieses Spezialisierungsmuster sind zum einen in den niedrigen Löhnen zu suchen, die für die komparativen Vorteile bei arbeitsintensiven Gütern verantwortlich sind. Zum anderen spiegeln die komparativen Nachteile bei den forschungsintensiven Gütern Mängel im Innovationssystem sowie eine beachtliche technologische Lücke zwischen den mittel- und osteuropäischen Ländern und der OECD wider. Auf lange Sicht kommt es aber darauf an, die bestehende technologische Lücke zu schließen und ein funktionsfähiges nationales Innovationssystem zu etablieren; denn nur so kann es den mittel- und osteuropäischen Ländern gelingen, das reale Pro-Kopf-Einkommen
2 Vgl. dazu ausführlicher Trabold/Berke (in diesem Heft). Eine ähnliche Einschätzung findet sich auch bei Collins und Rodrik, die Vorteile der mittel- und osteuropäischen Länder in der Produktion von standardisierten Gütern mit geringen Fertigkeitsanforderungen der Basis- und Mischkategorie sehen, vgl. Collins/Rodrik (1991), S. 53.
289
"Low-cost" oder "High-tech"? Strategische Außenwirtschaftsoptionen
Tabelle 1 K o m p a r a t i v e Vorteile ( R C A - W e r t e ) der mittel- und osteuropäischen L ä n d e r im H a n d e l mit O E C D - L ä n d e r n nach Hauptfaktoren der Wettbewerbsfähigkeit, 1988-1993
Bulgarien
1,07 1,03 0,87
Ungarn
Länder insgesamt
1,16 1,22 1,06
0,91 0,85 0,72
1,02 0,79 0,64
0,53 0,44 0,35
0,68 0,74 0,60
0,32 0,33 0,23 0,28 0,34 0,42
0,45 0,38 0,36 0,46 0,51 0,51
Skalenerträge (skalenintensive Branchen) -0,04 0,04 0,40 0,05 0,23 0,34 0,34 (),(X) 0,50 -0,01 0,44 0,47 0,67 0,15 0,33 0,14 0,39 0,29
-0,25 -0,26 -0,10 -0,23 -0,23 -0,26
0,01 0,08 0,23 0,12 0,16 0,11
-0,97 -0,92 -0,78 -0,52 -0,38 -0,22
-1,29 -1,19 -1,03 -0,78 -0,79 -0,67
-1,10 -1,34 -1,52 -1,63 -1,43 -1,51
-1,85 -2,05 -2,10 -2,05 -1,94 -1,74
Polen
Rumänien
Tschechische und Slowakische Republik
Natürliche Ressourcen (ressourcenintensive Branchen) 0,67 0,49 0,85 0,76 0,34 0,67 0,69 0,10 0,68
1988 1989 1990 1991 1992 1993
0,41 0,47 0,29
1988 1989 1990 1991 1992 1993
0,53 0,46 0,63 0,52 0,63 0,53
1988 1989 1990 1991 1992 1993
-0,13 0,02 0,27 0,30 -0,09 -0,17
1988 1989 1990 1991 1992 1993
Produktdifferenzierung (Branchen mit spezialisierten Zulieferern) -1,32 -0,64 -1,28 -1,24 -1,24 -1,05 -0,70 -1,20 -1,07 -1,30 -0,58 -1,11 -1,08 -0,82 -1,12 -0,95 -0,82 -0,89 -1,44 -0,95 -0,85 -0,80 -1,29 -0,77
1988 1989 1990 1991 1992 1993
-0,68 -0,87 -1,65 -1,56 -1,87 -1,13
0,48 0,37 0,31
0,55 0,53 0,37
Niedrige Arbeitskosten (arbeitsintensive Branchen) -0,30 0,51 0,75 0,40 -0,42 0,73 0,24 0,29 0,67 0,49 0,44 0,49
0,33 0,52 0,54
Hohe FuE-Aufwendungen (forschungsintensive Branchen) -2,29 -2,81 -2,11 -2,55 -2,50 -2,22 -2,45 -2,58 -2,30 -2,34 -2,62 -2,33 -1,91 -2,38 -2,99 -2,22 -2,35 -1,57
Quelle: DIW-Außenhandelsdaten.
19 Schumacher u. a.
0,01 -0,34 -0,22
Cara Berke und Harald Trabold
290
signifikant anzuheben und einen Aufholprozeß einzuleiten, an dessen Ende eine Annäherung an das wirtschaftliche Entwicklungsniveau Westeuropas steht3. Im Gegensatz zu vielen Entwicklungsländern steht in den mittel- und osteuropäischen Ländern das für einen Aufholprozeß unabdingbare Humankapital zur Verfügung. Damit haben letztere Länder aber prinzipiell die Wahl zwischen zwei Strategien: Zum einen die Low-cost-Strategie, die u.a. über unterbewertete Währungen und Lohnzurückhaltung Investitionen in die arbeitsintensiven Branchen lenkt und die den verstärkten Export arbeitsintensiver Güter nach sich ziehen würde. Zum anderen könnten die mittel- und osteuropäischen Ländereine High-tech-Strategie verfolgen, die u.a. via überbewerteten Währungen und ein relativ hohes Lohnniveau die Investitionen in die forschungsintensiven Branchen umlenken würde 4 . Beide Strategien haben sowohl kurz- als auch langfristig Vor- und Nachteile, die im folgenden diskutiert werden.
3. Die Low-cost-Strategie 3.1. Der Strategieansatz Kernpunkt der Low-cost-Strategie ist eine verstärkte Spezialisierung auf die Produktion von arbeitsintensiven Gütern und damit die Ausnutzung der gegenwärtigen Faktorkostenvorteile in Form von niedrigen Löhnen. Eine solche Ausnutzung von komparativen Vorteilen erlaubt die Erzielung der statischen Wohlfahrtsgewinne, die mit einer Allokation der Ressourcen entsprechend ihrer marginalen Grenzproduktivitäten verbunden sind. Eine verstärkte Spezialisierung auf die Produktion von arbeitsintensiven Gütern ergibt sich in einer funktionierenden Marktwirtschaft von selbst. Da eine " Getting-the-pricesright "-Politik fürdie Erzielung von Entwicklungsimpulsen nach der Low-cost-Entwicklungsstrategie im allgemeinen als notwendig und auch hinreichend 5 betrachtet wird, kommt dem Staat im wesentlichen die Aufgabe zu, möglichst alle noch vorhandenen Verzerrungen abzubauen, um so die Anpassung der Produktion an die heutigen komparativen Vorteile zu ermöglichen6. Dazu müssen Deregulierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen ergriffen werden, die noch bestehende Verzerrungen im Preissystem beseitigen, so daß die Preise ihre Signal-, Anreiz- und Lenkungsfunktion wahrnehmen können. Neben der Herstellung von Rechtssicherheit und stabilen makroökonomischen Rahmenbedingungen, die eine conditio sine qua non jeder wirtschaftlichen Entwicklung darstellen, muß vor allem der inländische Wettbewerb gestärkt werden. Dazu zählt erstens die Schaffung von Rahmenbedingungen,
3
Zu den theoretischen und empirischen Zusammenhängen zwischen technologischer Lücke und Realeinkommen siehe Schumacher/Belitz/Haid/Hornschild/Petersen/Straßberger/Trabold (1995), S. 43 ff. 4
Vgl. Rodrik (1994).
5
Vgl. Lall (1993), S. 729.
6
Vgl. Hesse/Keppler/Preuße (1985), S. 75.
"Low-cost" oder "High-tech"? Strategische Außenwirtschaftsoptionen
291
die freie Markteintritte und auch -austritte ermöglichen. Zweitens muß eine konsequente Privatisierung der Staatsunternehmen vorangetrieben werden. In diesem Zusammenhang ist besonders auf die bestehende indirekte Subventionierung der Staatsunternehmen durch die sogenannten "weichen Budgetrestriktionen" 7 in den mittel- und osteuropäischen Ländern hinzuweisen. Durch diese Subventionen werden Marktaustritte von unwirtschaftlichen Unternehmen verhindert, was eine Reallokation der Ressourcen in die arbeitsintensiven Sektoren erschwert. Weiterhin kommt dem Staat die Aufgabe zu, die Bedingungen für die Attrahierung von ausländischen Direktinvestitionen zu verbessern. Zwar sind die Standortanforderungen bei der Produktion von arbeitsintensiven bzw. standardisierten Produkten relativ gering, jedoch spielen Faktoren wie zum Beispiel Rechtsunsicherheiten, bürokratische Hemmnisse, Hindernisse beim Grunderwerb, soziale oder politische Spannungen oder instabile makroökonomische Rahmenbedingungen eine bedeutende Rolle in der Entscheidung der Kapitalanleger 8 . Bestehen in einem Land solche Unsicherheiten, so kann der entwicklungsfördernde Kapitalzufluß vermindert werden. Von einer Low-cost-Strategie können auch erhebliche dynamische Spezialisierungseffekte ausgehen, die für die Entwicklung der mittel- und osteuropäischen Länder von besonderer Bedeutung sind. Dies gilt vor allem dann, wenn die durch den Export von arbeitsintensiven Gütern erwirtschafteten Devisen für den Import von technologieintensiven Investitionsgütern genutzt werden. Gerade bei dieser Gruppe - aber auch bei weniger technologieintensiven Investitionsgütern - sind die inländischen Investitionsgüter entweder wesentlich teurer oder weniger produktiv. Somit liegt die Rendite von Investitionsprojekten, die mit importierten Investitionsgütern durchgeführt werden, über der Rendite von Investitionsobjekten, die mit inländischen Investitionsgütern erstellt wurden, was ceteris paribus zu höherem Wachstum führt (importinduziertes Wachstum).
3.2. Kurzfristige Wirkungen Einer der wichtigsten Effekte einer Spezialisierung auf arbeitsintensive Güter besteht in ihrem Beitrag zur Milderung des Beschäftigungsproblems. Der Transformationsprozeß und die damit verbundenen Strukturanpassungen verursachten hohe Arbeitslosigkeit. Alleine das Ausmaß der versteckten Arbeitslosigkeit wurde in den mittel- und osteuropäischen Ländern auf bis zu 30 vH geschätzt9. Jetzt werden durch die Reallokationen in den kapitalintensiven und den rohstoffintensiven Branchen Arbeitskräfte freigesetzt. Durch eine Spezialisierung auf den arbeitsintensiven Sektor kann die bereits hohe und in naher Zukunft tendenziell noch mehr ansteigende Arbeitslosigkeit abgemildert werden.
7 Der Ausdruck "weiche Budgetrestriktionen" bedeutet, daß Verluste der Staatsunternehmen von staatlicher Seite fast automatisch gedeckt werden.
19*
8
Vgl. Ratzinger (1994), S. 26.
9
Vgl. Kroker (1993), S. 5.
Carla Berke und Harald Trabold
292
Ein weiterer positiver Effekt liegt in der Stabilisierung oder Steigerung der Exporte. Die mittel- und osteuropäischen Länder mußten durch die Auflösung des RGW einen 30 %igen Rückgang des intraregionalen Handels hinnehmen10. Zusätzlich kam es aufgrund der transformationsbedingten Rezession zu einem Rückgang der heimischen Nachfrage. Die Spezialisierung auf arbeitsintensive Güter bietet eine gute Chance, den Nachfrageausfall durch erhöhten Absatz auf den lukrativen Westmärkten schnell zu kompensieren. Dies wird auch dadurch erleichtert, daß die Produktion von arbeitsintensiven Gütern relativ kurzfristig aufgenommen werden kann, da nur geringe Markteintrittsschranken bestehen11. Arbeitsintensive Güter zeichnen sich darüber hinaus i.d.R. durch einen hohen Grad an Standardisierung und Homogenität aus. Technologisch sind sie so gut wie gar nicht und vertikal nur relativ wenig differenziert 12 . Einzig der horizontalen Differenzierung kommt eine gewisse Bedeutung bei. Daher bedarf es keiner speziellen Marketingkenntnisse, um diese Produkte auf dem Weltmarkt abzusetzen, so daß der Erfahrungsrückstand der mittel- und osteuropäischen Länder in diesem Bereich nicht behindernd wirkt 1 3 . Sowohl angebots- als auch nachfrageseitig scheinen arbeitsintensive Güter gut geeignet, den transformationsbedingten Nachfrageausfall relativ kurzfristig kompensieren zu können. Die hohen Zuwachsraten bei den Ausfuhren der mittel- und osteuropäischen Ländern nach Westeuropa, die im Zeitraum zwischen 1989 und 1992 bei rund 50 vH lagen und bei denen die technologisch einfachen Güter dominierten, bestätigen die Überlegungen hinsichtlich der Vorteile einer solchen Spezialisierung 14 . Die Ausweitung der Exporte arbeitsintensiver Güter verbessert die Leistungsbilanz und führt für die mittel- und osteuropäischen Länder, die noch aus planwirtschaftlichen Zeiten z.T. hoch im Ausland verschuldet sind, zu einer Reduktion der Neuverschuldung und des Schuldendienstes. Dies erhöht die Chancen zur Attrahierung von finanziellen Unterstützungsleistungen, die für den Aufholprozeß dringend benötigt werden 15 . Dies ist auch be-
10
Bey fuß (1993).
" Vgl. Porter (1991), S. 35. Siehe Eaton/Lipsey (1989) für eine ausführliche Darstellung der Produktdifferenzierung oder Grimwade (1989), S. 118-120, für eine weniger technische Erörterung. 12
13
Vgl. Guinet (1993), S. 10.
14
Vgl. Beyfuß (1993), S. 42. Es ist in der Literatur umstritten, ob dieser Exporterfolg allein aus einer Umorientierung der Handelsströme im Sinne einer Umlenkung vom RGW-Markt zu den westlichen Märkten resultiert, oder ob man schon eine Restrukturierung des Warensortiments nach den gegenwärtigen komparativen Vorteilen feststellen kann. Vielfach wird vermutet, daß der Exporterfolg nur durch ein "Verschleudern" der Produkte erfolgen konnte, die noch in den Genuß des alten Subventionssystems kamen (vgl. hierzu Economic Commission for Europe 1991, S. 92). Ein Erfolg einer solchen "Strategie" ist aber nur bei den Güterkategorien möglich, bei denen nicht-preisliche Wettbewerbsfaktoren eine untergeordnete Rolle spielen. 15 Polen wies die höchste Nettoverschuldung in absoluten Werten auf (1990: 41,8 Milliarden USDollar), Ungarn die höchste Nettoverschuldung je Einwohner (1991: 1.915 US-Dollar), die Tschechoslowakei hingegen eine relativ geringe Auslandsverschuldung auf, vgl. Heitger/Schrader/Bode (1992), S. 37.
"Low-cost" oder "High-tech"? Strategische Außenwirtschaftsoptionen
293
sonders wichtig angesichts der Tatsache, daß die mittel- und osteuropäischen Länder steigenden Budgetdefiziten gegenüber stehen16. Auf der Ausgabenseite steigen die Zahlungsverpflichtungen in Folge des Aufbaus eines dringend benötigten sozialen Netzes. Auf der Einnahmenseite hingegen sind sinkende Steuereinnahmen aufgrund der rückläufigen wirtschaftlichen Aktivität zu verzeichnen 17. Eine Spezialisierung auf arbeitsintensive Güter und die damit verbundene Möglichkeit zur Schuldentilgung kann folglich stabilisierend auf die angespannte Lage des Staatshaushalts wirken.
3.3. Langfristige Wirkungen Die langfristigen Wirkungen der Low-cost-Strategie hängen von der Entwicklung der Nachfrage- und Angebotsbedingungen bei arbeitsintensiven Gütern und von den Impulsen zur Überwindung der technologischen Lücke ab. Im folgenden soll daher näher auf diese Faktoren eingegangen werden.
3.3.1. Die Nachfragebedingungen a) Nachfragetrends bei den arbeitsintensiven Exportgütern der mittel- und osteuropäischen Staaten Die Nachfrage hat sich innerhalb der Industriegüter seit den siebziger Jahren zugunsten von differenzierteren und qualitativ hochwertigeren Produkten verschoben 18. Hauptgrund dafür ist die - im Durchschnitt - relativ geringe Einkommenselastizität der Nachfrage bei arbeitsintensiven Gütern und die relativ hohe bei differenzierten, technologisch anspruchsvollen Markenprodukten. Zusätzlich sind arbeitsintensive Güter durch eine höhere Preiselastizität der Nachfrage gekennzeichnet, da diese Güter aufgrund des hohen Standardisierungsgrads relativ homogen sind und folglich der Preis der ausschlaggebende Wettbewerbsfaktor ist. Gleichzeitig ist die Angebotskonkurrenz auf dem Weltmarkt in diesem Gütersegment hoch, da die mittel- und osteuropäischen Länder hier mit den Entwicklungsländern konkurrieren müssen19. Der hohe Wettbewerbsdruck, die hohe Preiselastizität der Nachfrage in Verbindung mit der niedrigen Einkommenselastizität lassen auf lange Sicht die Chancen einer starken wertmäßigen Handelsausweitung bei arbeitsintensiven Gütern als gering erscheinen.
16 Auch hier stellt die Tschechoslowakei eine Ausnahme dar. Es ist diesem Land gelungen, das Haushaltsdefizit von 1992 auf 1 vH des Bruttoinlandsprodukt zu beschränken, während Polen und Ungarn Defizite von 8 vH bzw. 7 vH hinnehmen mußten, vgl. hierzu Fröhlich/Link (1993), S. 27. 17
Vgl. OECD (1993), S. 102 f.
18
Vgl. OECD (1994).
19
Diese hohe Angebotskonkurrenz wird gerade durch die geringen Schwierigkeiten, die mit der Aufnahme der Produktion von arbeitsintensiven Gütern verbunden sind, verursacht, vgl. Porter (1991), S. 35.
Carla Berke und Harald Trabold
294
Aber auch wegen des Protektionismus der westlichen Industrieländer bei arbeitsintensiven Gütern ist nicht mit einer substantiellen Handelsausweitung zu rechnen. Haupthandelspartner der mittel- und osteuropäischen Länder ist und wird die EU sein 20 . Die EU zeigt aber protektionistische Tendenzen gerade bei den Güterkategorien, bei denen die gegenwärtigen komparativen Vorteile der mittel- und osteuropäischen Länder liegen. Durch die Assoziierungsverträge wurde aber der Aufbau einer Freihandelszone in den nächsten zehn Jahren vereinbart 21 , wobei die EU ihren Markt rascher öffnen muß als die Partnerländer. Wenn auch für die sogenannten sensiblen Industriegüter wie zum Beispiel Textilien oder Stahl die Öffnung zunächst nur zögerlich war, so ist der Stahlsektor inzwischen bereits liberalisiert und die letzten Beschränkungen für Textilien fallen Anfang 1998 weg. Allerdings beinhalten die Verträge zusätzlich spezielle Schutzklauseln, die es der EU erlauben, Schutzmaßnahmen im Falle einer "serious disturbance" 22 zu ergreifen. Diese Schutzmaßnahmen können nach Konsultationen direkt bilateral verhängt werden. Da nicht zu erwarten ist, daß die EU die Anpassungsprobleme in den nächsten Jahren überwindet, ist der Einsatz dieses Damokles-Schwerts in bestimmten Bereichen wahrscheinlich 23 . Beispiele für gezielte protektionistische Eingriffe bietet die Antidumpingpolitik 24 . b) Nachfragetrends bei den technologieintensiven Importgütern der mittel- und osteuropäischen Staaten Bei den Importen der mittel- und osteuropäische Länder werden sich auf längere Sicht zwei Trends besonders auswirken. Zum einen sind die mittel- und osteuropäischen Länder auf den Import von technologieintensiven Investitionsgütern zur Modernisierung des vorhandenen Kapitalstocks angewiesen25. Diese Güter sind wegen ihres hohen Niveaus an Spezialisierung auf bestimmte Einsatzzwecke und der damit verbundenen geringen Zahl an Anbietern relativ preisunelastisch. Wegen des hohen Modernisierungsbedarfs des Kapitalstocks wird das Importvolumen daher bei Investitionsgütern relativ hoch bleiben. Darüber hinaus wird sich im Zuge der Einkommenssteigerungen in den mittel- und osteuropäischen Ländern die Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Konsumgütern erhöhen, eine Tendenz, die heute schon zu beobachten ist 26 .
20 Vgl. hierzu Studien über die zukünftige Richtung der Handelsströme wie zum Beispiel Collins/Rodrik (1991), Hamilton/Winters (1992) oder Baldwin (1994). 21 Zu einer Analyse der Assoziierungsverträge zwischen der EU und den mittel- und osteuropäischen Länder vgl. zum Beispiel Langhammer (1992), Möbius (1993) und Schumacher/Möbius (1994) und den Beitrag von Möbius in diesem Heft. 22 Die Assoziierungsverträge beinhalten acht Schutzklauseln. Die zentrale Schutzklausel ist in Artikel 30 festgehalten. Dieser eröffnet im Falle einer "serious disturbance " die Möglichkeit für administrative und nicht-transparente Schutzmaßnahmen, vgl. Messerlin (1992), S. 126 ff. 23
Vgl. Messerlin (1992), S. 130.
24
Zur Anwendung der Antidumpingklausel siehe Beitrag von Möbius in diesem Heft.
25 6
Vgl. Lang (1992), S. 187. Vgl.
e r u ß
( 1 9 ) , S.
.
"Low-cost" oder "High-tech"? Strategische Außenwirtschaftsoptionen
295
Die strukturellen Entwicklungen auf der Nachfrageseite werden bei einer Spezialisierung auf arbeitsintensive Güter im Rahmen einer Low-cost-Strategie auf lange Sicht zu einem Importüberschuß führen. Falls dies nicht durch entsprechende Überschüsse in der Dienstleistungs- und Übertragungsbilanz ausgeglichen werden kann, ist zu befürchten, daß die für einen Aufholprozeß notwendige "kritische Importmasse" nicht erreicht wird. Hinzu kommt, daß sich die bestehende Schere zwischen Importen und Exporten aufgrund der unterschiedlichen Elastizitäten bei den verschiedenen Gütersegmenten im Zeitablauf noch weiter öffnen und auch zu einer Verschlechterung der Terms-of-Trade führen wird 2 7 . Da nach einer vollendeten Spezialisierung entsprechend der komparativen Vorteile Wohlfahrtssteigerungen durch den Außenhandel nur noch über die Veränderung der Terms of Trade möglich sind, wirken die strukturellen Veränderungen auf der Nachfrageseite in Richtung einer Verschlechterung der Wohlfahrt in den mittel- und osteuropäischen Staaten.
3.3.2. Die Angebotsbedingungen Die Bedeutung von Innovationen im internationalen Handel hat besonders durch Entwicklungen im Bereich der Mikroelektronik seit Mitte der siebziger Jahre zugenommen. Durch den technologischen Wandel sind die Unternehmen in den Industrieländern immer mehr in der Lage, ihre ursprüngliche, aus Innovationsleistungen resultierende Vorteilsposition durch stetig neue Innovationen zu erhalten. Die Produktlebenszyklen verkürzen sich immer mehr, so daß eine Reifephase bei vielen Produkten häufig nicht mehr erreicht wird bzw. diese so kurz ist, daß sich kapitalintensive Investitionen in Ländern mit Faktorkostenvorteilen nicht mehr lohnen. Somit bietet nicht jedes neue Produkt auf dem Markt automatisch die Möglichkeit, ein potentielles Exportprodukt der technologisch rückständigeren Länder in der Reifephase des Produktlebenszyklus zu werden. Auch in den traditionellen Heckscher-Ohlin-Industrien - also dort, wo die Ausstattung mit Arbeit und Kapital sowie die Faktorintensität die komparativen Vorteile determinieren - hat die Bedeutung von Innovationen für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zugenommen. Angesichts der auch bei arbeitsintensiven Industrien vorhandenen Modernisierungspotentiale durch die Mikroelektronik kann ein Lohnkostenvorteil bei der Produktion von arbeitsintensiven Gütern durch ProzeßInnovationen wieder aufgehoben werden 28 . Obwohl diese Industrien arbeits- oder kapitalintensiv sind, kann es passieren, daß die mittel- und osteuropäischen Länder aufgrund der bestehenden technologischen Lücke keine komparativen Vorteile mehr aufweisen. Als Beispiel für eine solche Entwicklung kann der Fahrzeugbau genannt werden. Anfang der achtziger Jahre wurde diese Branche als eine standardisierte Industrie mit ausgereifter Technologie eingestuft. Durch die Entwicklungen in der Mikroelektronik und der Werkstofftechnik wurden neue Innovationspotentiale geschaffen,
27
Vgl. Lang (1992), S. 187.
28
Vgl. Fisch (1993), S. 352.
Cara Berke und Harald Trabold
296
so daß diese Branche heute als technologieintensiv angesehen werden kann 29 . Eine Strategie, die auf arbeitsintensive Produktion und auf Standortverlagerungen nach Mittel- und Osteuropa bei Produkten in der Standardisierungsphase des Produktlebenszyklus baut, ist somit aufgrund der jüngeren technologischen Entwicklungen langfristig nicht mehr erfolgversprechend. Zugenommen hat hingegen in den letzten Jahren die Bedeutung der sogenannten Footloose Industries, die arbeitsintensive Produktionsstufen in Länder mit niedrigem Lohnniveau auslagern 30. Im Rahmen solcher Produktionsstufenauslagerungen werden ganze Produktionsanlagen mit einem hohen Standardisierungsgrad des Produktionsprozesses transferiert. Neben den Produktionsanlagen wird ein Großteil der benötigten Vor- und Zwischenprodukte geliefert. Vom Gastland werden neben den Arbeitskräften lokale Inputs wie Energie, Wasser usw. bezogen. Footloose Industries nutzen damit den Vorteil niedriger Löhne ohne den mit der technologischen Lücke einhergehenden Nachteil niedriger Arbeitsproduktivität in Kauf nehmen zu müssen. Bei ihrer Standortentscheidung ist somit vor allem das allgemeine Lohnniveau ausschlaggebend. Steigt das Lohnniveau, so verlagern die Footloose Industries ihre Produktion in andere Länder 31 . Die Tendenz zur Lohnkostenerhöhung wird langfristig in den mittel- und osteuropäischen Ländern aber gerade durch die Spezialisierung auf arbeitsintensive Güter geschaffen. Nach dem Stolper-Samuelson-Theorem 32 steigt durch die Spezialisierung der relative Preis des reichlich vorhandenen Faktors. Im Fall der mittel- und osteuropäischen Länder würde das Zins-Lohn-Verhältnis sinken. Das allgemeine Lohnniveau wird zudem aufgrund der zu erwartenden Produktivitätsfortschritte in den mittel- und osteuropäischen Ländern steigen. Die Footloose Industries werden dann die Produktionsstandorte in andere Länder verlagern, die aufgrund mangelnder Entwicklungsfortschritte höhere Lohnkostenvorteile aufweisen können. Aus diesen Gründen besteht die Gefahr, daß es zu keinem dauerhaften Kapitaltransfer in die mittel- und osteuropäischen Länder kommt. Entwicklungsimpulse, die durch die Ansiedlung von Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen aufgrund von spill-overEffekten oder relativ hoher Rückwärtsverkettung der Produktion entstehen, werden in diesem Fall nicht ausgelöst. Verlassen sich die mittel- und osteuropäischen Länder alleine auf ihren Lohnkostenvorteil als Wettbewerbsparameter, so müssen sie mit starkem Wettbewerbsdruck von "oben" und "unten" rechnen; von oben durch die Innovationstätigkeit der Industrieländer und von unten durch noch niedrigere Lohnkosten in technologisch weniger entwickelten Ländern. Die mittel- und osteuropäischen Länder begäben sich durch eine langfristige Spezialisierung auf
29
Vgl. Hillebrand (1991), S. 63.
10
Vgl. Naujoks/Schmidt (1994), S. 3.
31 Vgl. Porter (1991), S. 35. Porter bezeichnet aus diesem Grund komparative Vorteile, die auf einem Lohnkostenvorteil beruhen, auch als "flüchtige Vorteile". 32
Vgl. Stolper/Samuelson (1941).
"Low-cost" oder "High-tech"? Strategische Außenwirtschaftsoptionen
297
arbeitsintensive Güter in eine leicht angreifbare Position mit instabilen Produktionsbedingungen, die den Aufholprozeß nicht fördern würde.
3.3.3. Die Innovationsimpulse einer Low-cost-Strategie Eines der entscheidenden Kriterien für den Erfolg einer Aufholstrategie ist der Aufbau einer allgemeinen Innovationsfähigkeit. Einschließen der technologischen Lücke führt unter der Voraussetzung, daß es keine temporären Monopole gibt, zwar zu einer Angleichung der Realeinkommen; Krugman (1979) konnte jedoch zeigen, daß das Realeinkommen in den innovativen Ländern unter sonst gleichen Bedingungen grundsätzlich höher ist, da die innovativen Länder bis zur erfolgreichen Imitation in den Genuß von temporären Monopolrenten kommen. Es soll deswegen diskutiert werden, ob von einer kurzfristig vermutlich alternativlosen Spezialisierung auf standardisierte arbeitsintensive Produkte ausreichende innovative Impulse vermittelt werden, die eine spätere Spezialisierung auf hochwertige Produkte ermöglicht. Diese Impulse sollen mit denjenigen, die in den Industrieländern entstehen, verglichen werden, da die Fähigkeit zur Generierung von neuem technologischen Wissen immer im Verhältnis zu den Möglichkeiten der anderen Teilnehmern des Innovationswettbewerbs zu sehen ist. Die Innovationsfähigkeit von Ländern beruht im wesentlichen auf drei Faktoren: 1.
Einem hohen formalen Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte, das sich zum einen durch Herausforderungen zu innovatorischen Spitzenleistungen in organisatorischen und technologischen Belangen ständig weiterentwickelt und zum anderen durch betriebliche Weiterbildung erhöht.
2.
Produktionserfahrungen mit technologisch anspruchsvollen Produkten oder Prozessen, da der technische Fortschritt kumulativen Charakter hat. Ein Aussetzen in einer Runde des technischen Fortschritts führt meist zu überproportional hohen Kosten bei der Aufholung und unterbleibt somit in vielen Fällen.
3.
Der Möglichkeit zur Ausnutzung von "first-mover-advantages", die u.a. die exklusive Nutzung des technologischen oder organisatorischen Wissens sowie Spitzenleistungen im Marketing voraussetzt.
ad 1) Bei arbeitsintensiver Produktion besteht nur ein geringer Anreiz von betrieblicher Seite, verstärkte Humankapitalinvestitionen zu tätigen. Die Ansprüche an die Qualifikation des Humankapitals sind bei der arbeitsintensiven Fertigung im Vergleich zur technologieintensiven Produktion gering. Der Einsatz allgemein bekannter und standardisierter Technologie erfordert kein spezifisches Humankapital, da die Produktionsprozesse leicht zu steuern sind. Außerdem sind arbeitsintensive Güter relativ homogen, es werden also nur geringe Anforderungen an die Marketingkenntnisse und an das Produktdesign gestellt 33 . Damit kommen auch von dieser Ebene kaum Impulse zur Beseitigung eines Marketingdefizits, die
Vgl.
ang ( 1 9 9 ) , S.
.
Carla Berke und Harald Trabold
298
zu einem erfolg versprechenden Absatz innovativer Produkte notwendig wären. Auch von der Ansiedlung von arbeitsintensiven Footloose Industries aus den Industrieländern sind nur geringe Impulse für die Erhöhung des Humankapitalstocks zu erwarten. Produktivitätserhöhungen werden hier durch die Übertragung standardisierter Arbeitsprozesse und mittlerer Technologie erreicht, zu deren Realisierung nur eine geringe Weiterqualifizierung der Arbeitskräfte nötig ist. Diejenigen Tätigkeiten, bei denen es zu substantiellen Wissenstransfers und damit learning-by-doing-Effekten in der Produktion kommen kann (Managementaufgaben), werden in der Regel durch ausländische Experten übernommen 34. ad 2) Ein weiteres Hindernis für den Übergang der Produktion von standardisierten, arbeitsintensiven Gütern zu qualitativ hochwertigen, humankapitalintensiven Gütern ist die kumulative Eigenschaft des technischen Fortschritts. Aufgrund der Bedeutung von Lerneffekten für die Generierung von neuem technologischen Wissen nimmt die Wahrscheinlichkeit von Innovationsleistungen mit steigender Innovationserfahrung zu. Durch die Spezialisierung auf innovative Güter wird der Wissensstock stetig vergrößert, so daß aufgrund dieses kumulativen Prozesses die Chancen zu neuen Innovationsleistungen nachhaltig erhöht werden. In Unternehmen der arbeitsintensiven Industrien gibt es nur geringe Anreize, Produktinnovationen durchzuführen 35. Innovationen beschränken sich in den meisten Fällen auf Prozeßinnovationen, die auch von Zulieferunternehmen aus den innovativeren Ländern bezogen werden können. Erschwerend kommt hinzu, daß diese zur Aufrechterhaltung ihrer eigenen Wettbewerbsposition nicht immer die besten verfügbaren Technologien, sondern reifere und teilweise überholte Technologien transferieren. Von diesen sind aber geringere, zukünftig relevante Lerneffekte zu erwarten. Es bestehen folglich nur wenig Möglichkeiten und Anreize, die eigene Innovationsfähigkeit auf Unternehmensebene zu verbessern 36. Die Chancen für Innovationsleistungen werden durch eine Spezialisierung auf arbeitsintensive Güter also kaum erhöht. ad 3) Eine Ausnutzung von "first-mover-advantages" ist im Rahmen einer Spezialisierung auf standardisierte, arbeitsintensive Produkte kaum möglich. Zwar gibt es auch in diesem Bereich hin und wieder innovative Produkte; diese können i.d.R. jedoch so rasch imitiert werden, daß ein Abschöpfen von Monopolrenten nur für einen relativ kurzen Zeitraum in Frage kommt. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß von einer Spezialisierung auf arbeitsintensive Produkte keine allzu großen Innovationsimpulse ausgehen dürften. Diese sind aber auf lange Sicht notwendig, um den Aufholprozeß zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen. Obwohl das allgemeine Bildungsniveau in den mittel- und osteuropäischen Ländern relativ hoch ist, sie über gewisse Erfahrungen mit der Produktion anspruchsvoller Produkte und Technologien verfügen und auch die Appropriabilität (Aneignungsfähigkeit) des technologischen Wissens durch entsprechende Maßnahmen und Gesetze sichergestellt werden kann,
34
Vgl. Dunning (1993), S. 315.
35
Vgl. Lang (1992), S. 184.
36
Vgl. Lang (1992), S. 184 f.
"Low-cost" oder "High-tech"? Strategische Außenwirtschaftsoptionen
299
sind doch gewisse Defizite zu konstatieren. Hierzu zählen insbesondere die betriebliche Weiterbildung in innovativen Bereichen, die geringe Breite bei der Produktion technologisch anspruchsvoller Produkte und die kaum vorhandene Marketingerfahrung.
3.4. Bewertung der Low-cost-Strategie Kurzfristig bringt die Low-cost-Strategie den mittel- und osteuropäischen Ländern ganz erhebliche Vorteile. Besonders die Stabilisierungseffekte sprechen zunächst für eine Spezialisierung auf arbeitsintensive Güter, da gesamtwirtschaftliche Stabilität eine Grundvoraussetzung für das Auslösen von Wachstumsprozessen ist 37 . In diesem Sinne sollten wirtschaftspolitische Maßnahmen ergriffen werden, die die Reallokationsprozesse in Richtung einer Spezialisierung gemäß der gegenwärtigen Faktorkostenvorteile unterstützen. Langfristig erscheint die Verfolgung einer Low-cost-Strategie aber wenig sinnvoll. Aufgrund der ungünstigen Nachfrage- und Angebotsbedingungen bei arbeitsintensiven Gütern ist nicht davon auszugehen, daß die im Strategieansatz vorgestellten Entwicklungsimpulse auf lange Sicht einen erfolgreichen Aufholprozeß tragen können. Es besteht zusätzlich die Gefahr, daß die Länder, die sich für die Ausnutzung der gegebenen Lohnkostenvorteile als längerfristige Entwicklungsstrategie entscheiden, gerade wegen der Bedeutung des Faktors Technologie für die relative Position in der internationalen Arbeitsteilung in einer "Lowtechnology/low-income"-Falle verharren. Denn selbst wenn es gelänge, den ungünstigen Nachfrage- und Angebotsbedingungen durch Technologietransfer und eine geschickte Absatznischenpolitik wenigstens teilweise zu entkommen, bliebe immer noch das Problem der mangelnden Innovationsimpulse einer Low-cost-Strategie, die einen erfolgreichen Aufholprozeß behindern würde, da Länder mit einer Spezialisierung auf innovative Güter zusätzliche Wachstumsimpulse erfahren würden. Auch könnten die heute noch vorhandenen Potentiale der mittel- und osteuropäischen Länder in Form von relativ gut ausgebildeten Arbeitskräften durch eine Low-cost-Strategie nicht erhalten werden. Eine alleinige "Getting-the-prices-right"-Politik und die damit verbundene Spezialisierung auf standardisierte arbeitsintensive Güter erscheint insbesondere wegen der Bedeutung des Faktors Technologie für erfolgreiche Aufholprozesse nicht ausreichend. Die heutigen komparativen Vorteile können nur als Ausgangspunkt dienen, nicht aber als langfristige Perspektive. Die mittel- und osteuropäischen Länder müssen also zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um dem Ziel der Annäherung des Lebensstandards an das westliche Niveau näherzukommen.
Vgl.
eltba
( 1 9 9 ) , S.
.
Cara Berke und Harald Trabold
300
4. Die High-tech-Strategie 4.1. Der Strategieansatz Einer langfristigen Aufholstrategie muß neben der Schließung der bestehenden technologischen Lücke auch die Schließung der innovatorischen Lücke gelingen, da nur so die relative Realeinkommensposition dauerhaft verbessert werden kann. Eine Aufholstrategie muß folglich eine Veränderung der Produktionsmöglichkeiten anstreben, die die mittel- und osteuropäischen Länder in die Lage versetzt, komparative Vorteile bzw. ein hohes Maß an intraindustriellem Handel bei technologieintensiven Gütern zu erzielen. Der Aufbau von Innovationsfähigkeit kann besonders wegen der Bedeutung der Lerneffekte im technologischen Bereich nur ein langwieriger Prozeß sein. Nachholende Länder haben aber hier den Vorteil, auf bereits generiertes Wissen aufbauen zu können, ohne die Mittel für eigene Innovationsbemühungen aufbringen zu müssen38. Notwendige Bedingung für einen effizienten technologischen Aufholprozeß ist somit der Zugriff auf den internationalen Wissenspool. Der Technologietransfer kann aber allenfalls die bestehende technologische Lücke schließen. Der Besitz von technologischem Wissen ist noch nicht mit eigener Innovationsfähigkeit gleichzusetzen. Fehlen die strukturellen Faktoren, die die Umsetzung des übertragenen Wissens in den Aufbau von eigenen Fähigkeiten fördern, können keine komparativen Vorteile bei innovativen Gütern geschaffen werden. Ein Technologietransfer alleine ist also nicht ausreichend für einen Aufholprozeß. Der Aufbau von eigener Innovationsfähigkeit muß zusätzlich angestrebt werden und erst in der Kombination kann eine High-techEntwicklungsstrategie erfolgreich sein. Im folgenden sollen zunächst die Chancen der mittel- und osteuropäischen Länder, einen angemessenen Technologietransfer zu erhalten, aufgezeigt werden. In einem zweiten Schritt wird ein Maßnahmenbündel diskutiert, welches die internen Voraussetzungen für einen erfolgreichen technologischen Aufholprozeß schaffen kann.
4.2. Der Zugriff auf die beste verfügbare Technologie 4.2.1. Formen des Technologietransfers In einer weiten Definition ist Technologietransfer die Übertragung von Wissen darüber, wie man Dinge tut oder herstellt 39 . Somit stellt also auch die Produktions Verlagerung in der Standardisierungsphase einen Technologietransfer dar. Durch einen Technologietransfer wird aber die technologische Lücke bei den Produktionsprozessen nicht zwangsläufig geschlossen, da die Entwicklung dieser Lücke von der Innovationsrate der Industrieländer auf
38
Vgl. Grossman/Helpman (1990).
39
Vgl. Stewart (1981), S. 67.
"Low-cost" oder "High-tech"? Strategische Außenwirtschaftsoptionen
301
der einen Seite und der Imitationsrate der aufholenden Länder auf der anderen Seite abhängig ist. Beschränken sich die technologisch rückständigen Länder auf die Übernahme von reifen Technologien, so bleibt die technologische Lücke bestehen oder verstärkt sich bei einer steigenden Innovationsrate der Industrieländer. Ein technologischer Aufholprozeß setzt folglich den Zugriff auf die besten verfügbaren Technologien und Methoden der Produktionsorganisation 40 voraus, da nur auf diese Weise der technologische Rückstand verkleinert und damit ein Aufholprozeß ausgelöst werden kann 41 . Zu diesem Zweck ist die reine Übernahme der Ergebnisse der Grundlagenforschung für die mittel- und osteuropäischen Länder wenig sinnvoll, da diese sich gerade durch Mängel in der Umsetzung der Forschungsergebnisse auszeichnen. Sie müssen sich vielmehr in einem ersten Schritt den Zugriff auf das marktorientierte Wissen sichern und erst in einer späteren Phase die Ergebnisse eigener oder fremder Grundlagenforschung umsetzen. Technologie kann prinzipiell auf mehrere Arten transferiert werden. Zum einen in Form von fertigen, standardisierten Produkten, die ohne oder nur mit geringen Adaptionen eingesetzt werden können. Beispiele hierfür sind Personalcomputer, numerisch gesteuerte Werkzeugmaschinen oder Telekommunikationsgeräte. Bei dieser Art des Technologietransfers steht der Gedanke im Mittelpunkt, daß es neben der notwendigen Eigenproduktion für die Herausbildung einer technologischen Kompetenz auch auf den effizienten Einsatz erworbener Technologie ankommt 42 . Zum anderen erfolgt ein Transfer von Technologie in Form von firmenspezifischem Wissen. Diese ist vorwiegend auf spezielle Anwendungen im Produktionsprozeß zugeschneidert. Der Technologieverkäufer gibt dabei firmenspezifisches Wissen preis und ist maßgeblich an der Implementierung beteiligt. Diese Art des Technologietransfers ist wegen der systemimmanenten Mängel des internationalen Technologiemarkts aber problematisch. Diese Unvollkommenheiten beruhen in erster Linie auf der schwierigen Preisfindung für technologisches Wissen. Die Kosten zur Erstellung einer zusätzlichen Einheit eines Technologieträgers sind relativ gering im Vergleich zu den FuE-Aufwendungen bei der Entwicklung. Weiterhin ist die Veräußerung von technologischem Wissen mit hohen Unsicherheiten verbunden. Der Käufer hat ein hohes Informationsbedürfnis über die Beschaffenheit der Technologie. Der Verkäufer ist hingegen nicht bereit, dieses Wissen vor dem Verkauf preiszu-
40
Hillebrand (1991), S. 97, oder Stewart (1981), S. 80.
41
Es kann hier eingewandt werden, daß die mittel- und osteuropäischen Länder nicht die Aufnahmefähigkeit für die "best-practice-technology" haben. Dieses Argument baut auf der Erfahrung der Entwicklungsländer auf, die oft nicht die notwendige Absorptionsfähigkeit für die Übernahme dieses Wissens hatten, und wo Versuche dieser Art gescheitert sind. Die mittel- und osteuropäischen Länder weisen aber ein über dem Niveau der Entwicklungsländer liegendes Ausbildungsniveau der Arbeitskräfte auf, so daß davon ausgegangen werden kann, daß die mittel- und osteuropäischen Länder über eine hinreichende Absorptionsfähigkeit verfügen. Vgl. dazu auch Trabold/Berke (1995), S. 15 ff. 42
Vgl. Schumacher/Belitz/Haid/Hornschild/Petersen/Straßberger/Trabold
(1995), S. 57 f.
Cara Berke und Harald Trabold
302
geben, da dadurch der firmenspezifische Vorteil aufgehoben wird 4 3 . Auch der Patentschutz ist in vielen Fällen kein ausreichendes Mittel zur Absicherung von firmenspezifischem Wissen. Nicht alle Innovationen, besonders im organisatorischen Bereich, können durch Patente geschützt werden, und eine Patentanmeldung dauert häufig mehrere Jahre, genau den Zeitraum, in dem das größte Schutzbedürfnis besteht44. Aufgrund dieser Unvollkommenheiten ziehen die Unternehmen der technologieintensiven Industrien oft die Gründung von ausländischen Tochterunternehmen zur Ausnutzung ihrer firmenspezifischen Vorteile dem Technologieverkauf vor, womit eine weitere Art des Technologietransfers genannt wäre 45 . Die zuletzt genannte Art des Technologietransfers bietet aber nur dann gute Chancen, wenn es gelingt, die Träger der besten verfügbaren Technologie zu einer Ansiedlung von Tochtergesellschaften in den mittel- und osteuropäischen Ländern bewegen. Für die Erzielung der gewünschten Lerneffekte zur Schließung der innovatorischen Lücke kommt es nämlich vor allem darauf an, die ausländischen Investoren zur Ansiedlung nicht nur von arbeitsintensiven Produktionsstufen, sondern von größeren technologie- und humankapitalintensiven Produktionszusammenhängen zubewegen. Durch "spill-over"-Effekte profitiert auch die heimische Wirtschaft der mittel- und osteuropäischen Länder von der Technologieübertragung, da die ausländischen Unternehmen ihr firmenspezifisches Wissen bei Direktinvestitionen nicht vollständig für sich behalten können 46 . Dies betrifft im besonderen Maße die Bereiche Organisationswissen, Marketing oder Logistik. Es sind wichtige Wettbewerbsfaktoren auf Unternehmensebene gerade bei der Produktion von technologieintensiven Gütern, bei denen Unternehmen in den mittel- und osteuropäischen Staaten bedeutende Wissensdefizite aufweisen. So wird zum Beispiel das Erfahrungswissen der in den ausländischen Niederlassungen Beschäftigten durch die Mobilität der Arbeitskräfte in heimische Unternehmen übertragen. Aufgrund der höheren Qualitätsansprüche an die Inputs bei der Produktion von technologieintensiveren Gütern wird weiterhin ein Teil des Know-hows an inländische Zulieferer weitergegeben. So wurde häufig beobachtet, daß sich die Zusammenarbeit zwischen ausländischen Tochterunternehmen und inländischen Zulieferunternehmen auf den Austausch von Marktinformationen, technologischem und organisatorischem Wissen erstrecken kann. Zusätzlich kommt es häufig zu Hilfestellungen bei Investitionsentscheidungen der Zulieferer, bei der Auswahl des Standorts und zur Beratung über mögliche Finanzierungsformen bei größeren Investitionsvorhaben 47. Durch eine Ansiedlung von größeren technologieintensiven Produktionszusammenhängen kommen auch heimische Unternehmen durch diverse Diffusionsmechanismen in einem gewissen Umfang in den Besitz der besten verfügbaren Technologie.
43
Vgl. Vernon (1981), S. 150 f.
44
Vgl. Kingston (1984), S. 80 ff., zu weiteren Mängeln im Patentsystem.
45
Zu den weiteren Bestimmungsgründen von ausländischen Direktinvestitionen siehe Dunning
(1993). 46
Vgl. Ratzinger (1994), S. 27.
47
Vgl. hierzu Dunning (1993), S. 455 f.
"Low-cost" oder "High-tech"? Strategische Außenwirtschaftsoptionen
303
Einschränkend ist anzumerken, daß sich nicht alle Branchen gleichermaßen für eine Auslagerung von Produktionsteilen eignen. Ist die Innovationstätigkeit auf eine enge Rückkopplung aus dem Produktionsbereich angewiesen, kann die Generierung des technologischen Wissens nicht von der Produktion getrennt werden. Zu diesen sogenannten immobilen Schumpeter-Industrien zählen der Maschinenbau, Luft- und Raumfahrttechnik, die Optik und die Feinmechanische Industrie sowie der Straßenfahrzeugbau 48. Technologische Kompetenz in diesen Branchen wird nur bedingt durch einen Technologietransfer erreicht. Für den Aufbau moderner immobiler Schumpeter-Industrien haben die mittel- und osteuropäischen Länder und in noch stärkerem Maße die GUS eine relativ gute Ausgangsposition wie die Erfolge in der Luft- und Raumfahrttechnik, bei Kernreaktoren und v.a. militärisch genutzten Präzisionsgeräten zeigen. Ob dieser gelingt, hängt in erster Linie davon ab, ob das für eine effiziente Produktion benötigte technologieintensive Sachkapital bereitgestellt werden kann. Das Humankapital ist - wie einige Spitzenleistungen in der Vergangenheit bestätigen - vorhanden. Für ein Schließen der technologischen Lücke in diesen Branchen kommt der Technologietransfer nur bedingt in Frage. Anders ist der Fall in den mobilen Schumpeter-Industrien 49. Hier kann die Forschung weitgehend unabhängig vom Produktionsprozeß betrieben werden, das generierte Wissen ist räumlich mobil. Durch die Entwicklungen der Transport- und Kommunikationsmittel und damit verbundener Senkung der Transaktionskosten bei der Übertragung von Wissen ist es heute sogar möglich, die räumliche Trennung zwischen Forschung und Produktion über die Ländergrenzen hinweg auszudehnen50. Die mobilen Schumpeter-Industrien stellen für die mittel- und osteuropäischen Länder eine gute Chance für den Zugriff auf die besten verfügbaren Technologien dar 51 . Sie können auf diese Weise durch ihren Lohnkostenvorteil die Produktion von Hochtechnologiegütern anziehen und kommen so in den Genuß des frühzeitigen Umgangs mit den besten verfügbaren Technologien. Mit dem niedrigen Lohnniveau erkaufen sie sich den Zugriff auf die anwendungsbezogene Technologie und müssen nicht erst die Standardisierungsphase des Produktes abwarten, um in die Kenntnis des technologischen Know-hows zu kommen. Lohnkostenvorteile können somit im Bereich der mobilen Schumpeter-Industrien die Ausgangsbasis für einen technologischen Aufholprozeß sein. Die Auslagerung von mobilen Schumpeter-Industrien stellt somit eine mögliche Chance zur "Abkürzung des Außiolweges" 52 dar, was durch die Erfahrung der NICs bestätigt wird. Die Ansiedlung von technologieintensiven Direktinvestitionen hat eine bedeutende Rolle für den erfolgreichen Aufholprozeß dieser Ländergruppe gespielt.
48
Der Straßenfahrzeugbau steht allerdings an der Grenze zu den mobilen Schumpeter-Industrien.
49
Typische Beispiele hierfür sind die chemische Industrie, Gummiwaren, Büromaschinen und Elektrotechnische Industrie. Vgl. Klodt (1993). 50 Diese Entwicklung impliziert, daß komparative Vorteile aus Innovationsleistungen sich nur noch auf die Wissensproduktion, nicht aber auf die Produktion der mobilen Schumpeter-Güter erstrecken, vgl. Klodt (1991), S. 267. 51
Vgl. Klodt (1991), S. 267.
52
Klodt (1990), S. 72.
304
Cara Berke und Harald Trabold
Aber auch bei der Verlagerung der mobilen Schumpeter-Industrien besteht die Gefahr, daß es nur zu einer Auslagerung von Produktionsteilen durch den Abschluß von Subunternehmerverträgen (Offshore Processing) kommt. Diese Form hat für die westlichen Unternehmen den Vorteil, daß kein längerfristiges Kapitalengagement eingegangen wird, ihr Risiko demzufolge begrenzt ist. Diese Art des Technologietransfers ist aber für die mittel- und osteuropäischen Länder mit ähnlichen Nachteilen verbunden, wie sie bei Footloose Industries im arbeitsintensiven Bereich bestehen. Als Ziel könnte das kurzfristig orientierte Abschöpfen des Lohndifferentials im Vordergrund stehen, so daß es also aufgrund des Footloose-Charakters zu keinem längerfristigen Engagement der Auftraggeber kommt und damit auch zu keinem stetigen Technologietransfer. Hier bietet allerdings die Entwicklung neuer Organisationsformen der Produktion eine Chance für die mittel- und osteuropäischen Länder. Die Bedeutung von industriellen Netzwerken mit Just-in-Time-Produktion hat für die Wettbewerbsfähigkeit der westlichen Unternehmen auf dem Weltmarkt in den letzten Jahren stark zugenommen53. Die neuen Produktionsformen zielen auf eine Verringerung der Fertigungstiefe ab, setzten dafür aber auf eine hohe Bindung der Sub- an den Hauptunternehmer. Aufgrund der notwendigen engen Bindung bestehen gute Chancen, daß es zu einem längerfristigen Engagement der westlichen Unternehmen und zu umfangreichen technologischen Spill-Over-Effekten kommt 54 . Die Einbindung der mittel- und osteuropäischen Unternehmen in die westlichen industriellen Netzwerke kann aber nur als langfristige Option angesehen werden, da die Anforderungen an Leistungsfähigkeit, insbesondere hinsichtlich Termin- und Qualitätsstandards, sehr hoch sind und diese im Moment noch nicht auf breiter Basis erfüllt werden können 55 . Jedoch wird durch den Abschluß von Subunternehmerverträgen die Perspektive für die mittel- und osteuropäischen Länder eröffnet, an die technologischen Netzwerke der westlichen Industrieländer angeschlossen zu werden.
4.2.2. Chancen für die Ansiedlung von mobilen Schumpeter-Industrien Mit zunehmender Qualität des Technologietransfers steigen die Standortanforderungen an die Empfängerländer. Trotz der räumlichen Trennung zwischen Forschung und Produktion müssen die potentiellen Empfängerländer höhere Anforderungen erfüllen, als für die Ansiedlung von Produktionen in der Standardisierungsphase des Produktlebenszyklus notwendig wäre. Neben der generellen Öffnung des Kapitalmarktes für ausländisches Kapital stellt eine entsprechende Basisqualifikation der Arbeitskräfte die notwendige Voraussetzung für die Attrahierung von technologieintensiven Direktinvestitionen dar, ohne die es nicht möglich ist, sich den Umgang mit technologisch komplexeren Produktionssystemen anzueignen.
53
Vgl. Schumacher/Belitz/Haid/Hornschild/Petersen/Straßberger/Trabold (1995), S. 35 f.
54
Vgl. Naujoks/Schmidt (1994), S. 4.
55
Vgl. Hillebrand (1991), S. 70.
"Low-cost" oder "High-tech"? Strategische Außenwirtschaftsoptionen
305
Insgesamt betrachtet verfügen die Arbeitskräfte in den mittel- und osteuropäischen Ländern über eine relativ gute Basisqualifikation. Auch die Ergebnisse eines international standardisierten Schultests, den die International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) in den achtziger Jahren auch in Polen und Ungarn durchgeführt hat, bestätigen dies. Die Ergebnisse deuten besonders in Ungarn auf ein hohes naturwissenschaftliches Niveau hin. Polens Schüler bleiben hingegen hinter den ungarischen zurück, weisen aber trotzdem ein hohes Niveau der Grundausbildung auf 56 . Die mittel- und osteuropäischen Länder erfüllen also in dieser Hinsicht die Standortvoraussetzungen und sind für westliche Unternehmen der mobilen Schumpeter-Industrien als potentieller Standort attraktiv. Ein weiterer Standortvorteil besonders gegenüber den südostasiatischen Ländern ist die geographische Nähe zur EU. Dieser Vorteil hat besondere Bedeutung für die mögliche Einbindung in die industriellen Netzwerke der westlichen Unternehmen und wertet den Standort Osteuropa auf. Voraussetzung ist hier jedoch eine hinreichende Infrastruktur, da sonst der Vorteil der geographischen Nähe durch die Kosten der Raumüberwindung wieder aufgehoben wird. Die Behebung der schwerwiegenden Infrastrukturdefizite ist in diesem Zusammenhang eine vordringliche Aufgabe. Zusammenfassend kann man sagen, daß die mittel- und osteuropäischen Länder gute Chancen haben, sich als potentieller Standort für die Produktion von mobilen SchumpeterGütern zu empfehlen. Erste empirische Untersuchungen über die Entwicklung der passiven Lohnveredelungen von deutschen Unternehmen in den mittel- und osteuropäischen Ländern bestätigen diese Aussage. So zeigt sich ein sprunghafter Anstieg des Gesamtvolumens in den letzten drei Jahren. Nach Faktorintensitäten differenziert, zeigt sich, wie zu erwarten, auch ein hoher Anteil an arbeitsintensiven und kapitalintensiven Produktionsauslagerungen. Die Bekleidungs- und Textilbranche nimmt dabei den größten Anteil ein, gefolgt von Auslagerungen im Bereich des Maschinenbaus und der Elektroindustrie 57 . So betrug der Anteil der Lohnveredelung im Bereich von mobilen Schumpeter-Industrien 1992 bereits 25,7 vH des gesamten Veredelungsvolumens deutscher Unternehmen in den mittel- und osteuropäischen Ländern 58 . Dieser Anteil ist im Zeitraum zwischen 1989 und 1992 um rund 15 Prozentpunkte gestiegen. Der Anteil der NICs fiel hingegen in dem Bereich der mobilen Schumpeter-Industrien in dieser Zeit um 11 Prozentpunkte von 58,2 vH auf 47,2 vH. Naujoks und Schmidt führen die gestiegene Attraktivität der mittel- und osteuropäischen Länder für die Auslagerung von mobilen Schumpeter-Industrien gegenüber den NICs auf die geographische Nähe und die damit verbundene Chance zur Gründung von industriellen Netzwerken zurück. Ihrer Meinung nach kann diese Anteilsverschiebung nicht alleine durch das niedrige Lohnniveau der mittel- und osteuropäischen Länder erklärt werden.
56
Zu den genauen Daten dieses Tests vgl. Hamilton/Winters (1992), S. 95.
57
Vgl. Möbius (1995).
58
Vgl. Naujoks/Schmidt (1994), S. 17. In diesen Daten sind Albanien und die ehemalige Sowjetunion ebenfalls enthalten. 20 Schumacher u. a.
306
Carla Berke und Harald Trabold
Eine nach Ländern differenzierte Aufstellung zeigt, daß es der ehemaligen Tschechoslowakei gelungen ist, den größten Anteil der passiven Lohn Veredelung im Bereich der forschungsintensiven Güter zu attrahieren 59. Die Tschechoslowakei konnte schon unter dem planwirtschaftlichen System komparative Vorteile bei skalenintensiven Produkten aufweisen, was auf gewisse eigene technologische Fähigkeiten hindeutet. Die relative Attraktivität der Tschechischen Republik ist ein Indiz dafür, daß das technologische Niveau im Empfängerland einen wesentlichen Einfluß auf die Qualität des realisierten Technologietransfers hat. Die mittel- und osteuropäischen Länder können folglich ihre Chancen zur Attrahierung von mobilen Schumpeter-Industrien erhöhen, wenn sie insgesamt ihre technologischen Fähigkeiten weiter ausbilden. Denn auch zukünftig werden die mittel- und osteuropäischen Länder den Vergleich mit alternativen Standorten in Südostasien bestehen müssen. Letztere zeichnet sich bislang vor allen Dingen durch eine höhere Qualität der dort produzierten Güter aus, die teilweise den Transportkostenvorteil der mittel- und osteuropäischen Länder ausgleicht. Neben dem eingeschlagenen Weg der Low-cost-Strategie, die sich deutlich in den Außenhandelsströmen niederschlägt, sind erste Anzeichen einer Orientierung hin zu einer Hightech-Strategie zu erkennen. Es ist allerdings wichtig, den eingeschlagenen Weg konsequent fortzusetzen. Denn die zu Anfang einer High-tech-Strategie sicherlich notwendige Phase einer passiven Lohnveredelung in den mobilen Schumpeter-Industrien vermittelt zwar höhere Lerneffekte als die Produktion von arbeitsintensiven Gütern mit Hilfe standardisierter Technologie. Die realisierten Lerneffekte in Form von Learning-by-doing stellen aber nur eine Chance für den frühzeitigen Zugriff auf die beste verfügbare Technologie dar. Ob diese Chance zur Schaffung eigener komparativer Vorteile im forschungsintensiven Bereich wahrgenommen wird, hängt im entscheidenden Maße von der Fähigkeit der mittel- und osteuropäischen Länder ab, ihre technologische Kompetenz zu erhöhen und eine eigene Innovationsfähigkeit aufzubauen.
4.3. Die Förderung der technologischen Kompetenz 4.3.1. Das Konzept der Entwicklung der technologischen Kompetenz Die Entwicklung von technologischer Kompetenz wird als institutionalisierter Lernprozeß begriffen, der die Unternehmen befähigen soll, "das Technologieangebot zu überblicken und abzuschätzen, eine Technologie zu bewerten und auszuwählen, sie zu nutzen, anzupassen und zu verbessern und schließlich selber Technologien zu entwickeln" ω. Das langfristige Ziel einer High-tech-Strategie ist der Aufbau eines nationalen Innovationssystems. Schlüsselfaktor beim Aufbau der technologischen Kompetenz sind die Unternehmen. Da die Lernprozesse kumulativ wirken, bietet es sich an, die Entwicklung der Innovationsfähig-
5 Musikinstrumente, Spiel-, Sportwaren, Schmuck usw.
11
Ale Waren
31 Nahrungs-und GenuQmittei 321 Textiien 322 Bekleidung 323 Lederwaren 324 Schuhe 331 Holzwaren 332 Möbel 341 Papier und Papierwaren 342 Druckereierzeugnisse 351 Chemische Grundstoffe 352 Sonstige chemische Produlde 353/4 MnerakMerzeugnisse 355 Gummiwaren 356 Kunetetoftwaren 361 Feinkeramische Eizeugnisse 362 Glaswaren 369 Steine und Erden 371 Eisen und SUN 372 NE-Metale 381 MetaRerzeugnisse 382 Maschinenbauerzeugnisse 383 Elektrotechnische Erzeugnisse 384 Fahrzeugbauerzeugnisse 385 Feinmechanische und optische Erzeugnisse, Utren 390 Sonstige verarbeitete Waren9'
Warengruppen
ISIC"
00
Tabelle 2
Warenstruktur des Handels der EU (15) mit den MOE (10) und der GUS 1994
330 Dieter Schumacher
Perspektiven des Außenhandels zwischen West- und Osteuropa
331
Frankel/Wei 1993, Saxonhouse 1993, Dhar/Panagariya 1994) und zum anderen für die Schätzung potentieller Handelsströme mit Osteuropa nach dem politischen und wirtschaftlichen Systemwechsel (z.B. Havrylyshyn/Pritchett 1991, Wang/Winters 1991, Döhrn/Milton 1992, Winters/Wang 1994, Baldwin 1994, Vittas/Mauro 1994, Festoc 1995a und 1995b). Maurel (1995) verwendet ein sektoral disaggregiertes Gravitationsmodell zur Analyse von Spezialisierung und Qualität des russischen Außenhandels. Ein wichtiges Ergebnis früherer Untersuchungen über die Außenhandel s Verflechtung westeuropäischer und nordamerikanischer Länder von Anfang des Jahrhunderts bis Mitte der siebziger Jahre (Haas/Peschel 1982) ist die Persistenz räumlicher Strukturen im internationalen Handel, gemessen an "normierten", d.h. um den "Größeneinfluß" bereinigten Strömen. Dies gilt für die lange Zeit eines dreiviertel Jahrhunderts, das zudem durch tiefgreifende Wandlungen im politisch und sozialen Gefüge Europas sowie durch erhebliche Grenzveränderungen gekennzeichnet ist. Dabei entspricht das Bild der Außenhandelsverflechtung vor der Weltwirtschaftskrise dem der ersten Hälfte der siebziger Jahre mehr als dem der dazwischen liegenden Zeit. Die Hypothese, das räumliche Handelsmuster sei distanzabhängig, läßt sich einmal mit dem Einfluß entfernungsabhängiger Transportkosten auf die cif-Preise der gehandelten Güter begründen. Diese Argumentation setzt allerdings weitgehend homogene Güter und Märkte mit vollständiger Konkurrenz voraus. Der Einfluß der Entfernung dürfte daher tendenziell um so schwächer sein, je heterogener Güter und je unvollkommener die Märkte sind (Bröcker 1980). Zudem ist der Anteil der Transportkosten an den gesamten Herstellungskosten bei den meisten Gütern sehr gering geworden. Zum anderen wirkt sich die Distanz auch über die Kommunikationskosten im weitesten Sinne des Wortes aus (Peschel 1980). Hierbei kann man nicht von vornherein voraussetzen, daß sämtliche ihre Komponenten mit der Entfernung variieren. Es bietet sich daher an, bei der Spezifikation des Erklärungsansatzes zwischen Transport- und Kommunikationskosten zu unterscheiden (Herrmann/Schmidtke/Bröcker/Peschel 1982). Eine eindeutige Trennung ist zwar nicht möglich, da Teilaspekte der Kommunikationskosten durch die geographische Entfernung und Präferenzzonenzugehörigkeit mit erfaßt werden dürften. In der zitierten Untersuchung wurde jedoch versucht, die Kommunikationskosten durch Indikatoren für kulturelle und sprachliche Affinitäten zu berücksichtigen. Diese Affinitäten wurden in dem empirischen Ansatz durch die Unterschiede in Lebensstil und gesellschaftlicher Arbeitsteilung (gemessen durch die Unterschiede im "Verstädterungsgrad", in der Bedeutung der Landwirtschaft und in der Bedeutung der Frau im Erwerbsleben), Sprachunterschiede, Religions-/Konfess ionsunter schiede, ehemalige Kolonialbeziehungen und die Handelsbeziehungen in Westeuropa und Nordamerika von 1900 abgebildet. Die Analyse der einzelnen Regressionskoeffizienten für die Gesamtexporte und für vierzehn ausgewählte Investitions- und Konsumgüter anhand von Daten für den Anfang der siebziger Jahre zeigte, daß die geographische Distanz, die ehemalige Kolonialzugehörigkeit, die Mitgliedschaft in den Präferenzzonen EG, EFTA oder Commonwealth sowie - mit Einschränkungen - die Sprachverwandtschaft relativ gesicherte Determinanten der räumlichen Handelsverflechtungen sind. Für die Indikatoren von Lebensstil, Mentalität und ge-
Dieter Schumacher
332
sellschaftlicher Arbeitsteilung, darunter die Religions Verwandtschaft, und für die Außenhandelsverflechtung von 1900 ergaben sich dagegen insignifikante Koeffizienten bzw. solche mit unerwartetem Vorzeichen (Herrmann/Schmidtke/Bröcker/Peschel 1982, S. 222). Den größten Beitrag zur Erklärung der räumlichen Struktur des gesamten Außenhandels, nach Ausschaltung des Größeneinflusses, liefert die geographische Distanz, mit einigem Abstand folgt die Variablengruppe der "kulturellen und sprachlichen Affinitäten", die wiederum die Präferenzzonenzugehörigkeit in ihrem Erklärungsbeitrag übertrifft. Für die als kommunikationskostensensitiv eingestuften Investitionsgütergruppen ist der Erklärungsbeitrag der "kulturellen und sprachlichen Affinitäten" deutlich höher als für den Gesamthandel (ebenda, S. 5). Auf dieser Grundlage wurde hier zur Schätzung des "Normalmusters" bilateraler Handelsströme der folgende Ansatz formuliert:
Y In X = a+b. In Y. + b0 In ij I / 2 η
+
b6 ADJ tj
+
bn EU.
Y + ^ In Y. + b. In -L + b, In D, 3 j 4 η 5 ij
+
(1)
b, EFTA.
+ b9 CU STA. + b]Q APEC. + bu
SP^J + bn
KOL.
Dabei bedeuten: Xij Lieferungen von Land i nach Land j (in Mill. US-$) Yj Sozialprodukt des Lieferlandes i (in M i l l . US-$) Bj Bevölkerung des Lieferlandes i (in M i l l . Personen) Yj Sozialprodukt des Bestimmungslandes j (in M i l l . US-$) Bj Bevölkerung des Bestimmungslandes j (in M i l l . Personen) Djj Entfernung zwischen den wirtschaftlichen Zentren der Länder i und j (in Meilen) ADJjj Dummy-Variable mit dem Wert 1, wenn die Länder i und j eine gemeinsame Landgrenze haben; sonst ist sie 0 EUjj, EFTAjj, CUSTAjj und APEC^ sind Dummy-Variablen mit dem Wert 1, wenn beide Länder i und j der EU, der EFTA, dem Freihandelsabkommen zwischen USA und Kanada bzw. der APEC angehören; in allen anderen Fällen hat die Variable den Wert 0 SPRjj nimmt die Werte 1 oder 0,5 an, wenn die Länder i und j eine gemeinsame Sprache haben; in allen anderen Fällen ist sie 0 KOLjj nimmt die Werte 1 oder 0,5 an, wenn die beiden Länder i und j eine Kolonialbeziehung miteinander verbindet; sonst ist sie 0. Für das BSP und die Bevölkerung wurden die Angaben der Weltbank für 1989 zugrunde gelegt4. Die Entfernung D^ zwischen den Ländern i und j wurde als kürzeste Verbindung
4
World Tables 1994.
Perspektiven des Außenhandels zwischen West- und Osteuropa
333
zwischen ihren Wirtschaftszentren WZj und WZj entsprechend deren Breiten- und Längengrad ermittelt 5 . Die Formeln dafür lauten: cos D.. = sin (pj · sin φ^. + cos φ. · cos