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German Pages 324 [328] Year 1994
Christiane Leiteritz Revolution als Schauspiel
Komparatistische Studien Beihefte zu „arcadia" Zeitschrift für Vergleichende Literaturwissenschaft
Herausgegeben von Maria Moog-Grünewald und Jürgen Wertheimer
Band 18
w
c_ DE
Walter de Gruyter • Berlin • New York 1994
Revolution als Schauspiel Beiträge zur Geschichte einer Metapher innerhalb der europäisch-amerikanischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts
von Christiane Leiteritz
w DE
G_ Walter de Gruyter • Berlin • New York 1994
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt
Die Deutsche
Bibliothek
—
CIP-Einheitsaufnahme
Leiteritz, Christiane: Revolution als Schauspiel : Beiträge zur Geschichte einer Metapher innerhalb der europäisch-amerikanischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts / von Christiane Leiteritz. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1993 (Komparatistische Studien ; Bd. 18) Zugl.: Bochum, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-11-013967-7 NE: GT
© Copyright 1993 by Walter de Gruyter & Co., 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin
Meinen Eltern
Danksagung
Ich danke Frau Prof. Dr. Marianne Kesting, die das Thema anregte, für ihre aufmerksame Betreuung und Herrn Prof. Dr. Gunter Scholtz für seine hilfreiche Unterstützung. Mein Dank gilt ebenfalls der Ruhr-Universität Bochum, die mir im Rahmen der Graduiertenförderung des Landes Nordrhein-Westfalen ein Stipendium gewährte und sich an den Druckkosten beteiligte.
Inhalt
I.
Einleitung
1
1.
Metapher und Geschichte
2
2.
Revolution und Geschichte. Ursachen einer Metaphorisierung . 3
3.
Metapher: Erfahrung und Ideologie
6
4.
Theater als pessimistisches Bild des 19. Jahrhunderts
7
II.
Historischer Hintergrund des Gebrauchs der Schauspielmetapher
11
Das Theatrum mundi in Antike und Mittelalter
11
a) Griechische und römische Antike b) Christliches Mittelalter
11 15
Die Entthronung Gottes als "Weltregisseur" nach Einsetzen der Neuzeit
16
a) Das Theatrum mundi als Gemeinplatz b) Welttheater bei Shakespeare c) Sakrales Welttheater bei Calderôn d) 18. Jahrhundert: Ende des sakralen Spiels
17 18 20 21
Der negative Affekt der Schauspielmetapher seit der Französischen Revolution
23
Macht als Ohnmacht: der Metaphemgebrauch der Revolutionäre
23
a) Camille Desmoulins b) Maximilien Robespierre c) Joachim Vilate d) Louis Sébastien Mercier
25 26 28 30
1.
2.
III.
1.
X 2.
Inhalt
Die Metapher in der Geschichtsschreibung
33
a) Louis Adolphe Thiers b) Carl Strahlheim c) Edmund Burke d) François-René de Chateaubriand e) Alexis de Tocqueville
34 35 37 37 38
Die Metapher in der Philosophie
40
a) Immanuel Kant b) Johann Gottlieb Fichte c) Georg Friedrich Wilhelm Hegel d) Karl Marx e) Arthur Schopenhauer fi Friedrich Nietzsche
41 42 43 43 46 47
Puppen und Automaten. Büchners Revolutionsverständnis in "Dantons Tod"
51
1.
Büchner: Robespierrist oder Nihilist?
51
2.
Geschichte als großes Drama und Politik als Komödie . . . .
54
3.
"Fatalismus der Geschichte"
55
4.
Das Theater der Revolution
58
5.
Die Darsteller der Revolution
60
a) Danton. b) Robespierre c) SUust d) Das Volk.
62 63 65 67
Idee und Wirklichkeit
69
a) Historische Wahrheit und künstlerische Wahrheit b) "Idealistische"Kunst und "realistische"Kunst
70 72
Schluß
74
3.
IV.
6.
7.
Inhalt
XI
V.
Exkurs: Revolution als Schauspiel in Flauberts "L'Education sentimentale" und "Bouvard et Pécuchet". . . . 77
VI.
Die Verarbeitung der Schauspielmetapher in Kleists "Verlobung in St. Domingo"
89
1.
Der historische Hintergrund der Novelle
89
2.
Die Erzählperspektive
92
3.
Im Bannkreis der Revolution: Rassenkampf und Liebeskonflikt
94
a) Revolution und Rassenkampf. b) Der Liebeskonflikt c) Die Binnenerzählungen
95 96 98
4.
Der dramatische Aufbau der Novelle
100
5.
Der tragische Charakter der Novelle
102
6.
Kleist: Heimatloser zwischen Adel und Bürgertum
104
a) Abkehr vom rationalistischen Geschichtsideal b) Erlebnis von Bonapartismus und Bourgeoisie. c) Neues Ziel: die Kunst
105 106 107
7.
Versuch einer ideologischen Einordnung
110
VII.
Revolution als groteskes Schauspiel in Poes Novelle "The System of Dr.Tarr and Prof .Fether"
115
1.
Einleitung
115
2.
Rezeptionsgeschichte
116
3.
Politisch-gesellschaftlicher Hintergrund
119
4.
Revolution und Demokratie im Vexierspiegel
5.
des Wahnsinns
122
Das Personal der Erzählung
126
a) Der Erzähler b) Maillard
127 128
XII
Inhalt c) Die Irren
129
d) Die Wärter
129
Die dramatische Struktur der Erzählung
129
a) Exposition b) Das Schauspiel
130 131
7.
Irrtum und Enthüllung
135
VIII.
Das Problem der Revolution im Spiegel des Rassenkonflikts: Melvilles "Benito Cereno"
137
1.
Historischer Hintergrund
137
2.
Anmerkungen zur Rezeptionsgeschichte
139
3.
Realität zwischen Schwarz und Weiß
140
4.
Das Schauspiel in der Revolte.
144
a) Dramatischer Aufbau b) Eintritt ins Schauspielhaus c) Gespielter und wahrer Sachverhalt d) Dramaturgie
144 145 146 146
5.
Spiel im Spiel: Die Rasierszene
150
6.
Delanos amerikanisches Selbstbewußtsein
151
7.
Die Versehrte Demokratie.
6.
Sklaverei als dunkles Erbe der Neuen Welt
154
Melvilles politische Einstellung
155
a) "We Americans are the peculiar, chosen people " b) "To forge the future - weigh the past"
155 156
Revolution als historische Farce in Schnitzlers Einakter "Der grüne Kakadu"
159
1.
Einleitung und formale Zuordnung
159
2.
Reziprozität von Schauspiel und Revolution
161
3.
Theatralität der Realität und Realität des Theaters
162
4.
Das Verhältnis der Schauspieler zur Revolution
166
8.
IX.
Inhalt
Xm
5.
Das Publikum des revolutionären Theaters
170
6.
Die Aktualität der "historischen Farce".
172
X.
Revolution im Spiegel einer schwarzen Farce in Anouilhs "Pauvre Bitos ou le dîner de têtes"
175
1.
Einleitung und historischer Hintergrund
175
2.
Theater als Strukturprinzip
3.
Die Inszenierung der Intrige
179
4.
Duplizität von Realität und Historie
182
5.
Revolution und Politik: Sphären für Schauspieler
185
6.
Das Traumspiel der Revolution
188
XI.
Revolution als ritualisiertes Schauspiel: Jean Genets "Le Balcon"
195
1.
Einführung
195
2.
Revolution und Realität versus Status quo und Spiel . . . .
198
3.
Die Spiele des Establishments: Machtkämpfe
199
4
Die Macht der Simulacra (1)
201
5.
Die Revolution zwischen Authentizität und Spiel
202
a) Revolution und Authentizität
202
b) Das Spiel der Revolution
204
6.
Revolution und Konterrevolution als Kampf der Allegorien
205
7.
Die Macht der Simulacra (2)
207
8.
Der Traum der Revolte
209
XII.
Revolution zwischen Surrealgroteske und Lehrstück in Dramen von Peter Weiss
213
Einleitung: Revolution als zentrales Thema bei Peter Weiss
213
1.
. 178
XIV 2. 3.
Inhalt
Anmerkungen zur Entstehung und zum historischen Hintergrund des Marat/Sade-Dramas
215
Problematisierung der Revolution durch die ästhetische Konzeption
218
4.
Schauspiel und Revolte im Irrenhaus
222
5.
Revolution im Spannungsfeld von theoretischer Reflexion und körperlichem Exzeß
226
6.
Revolution als Lehrstück in "Gesang vom Lusitanischen Popanz" und im "Viet Nam Diskurs"
234
a) Der "Gesang vom Lusitanischen Popanz" b) Der "Viet Nam Diskurs "
234 239
Rückkehr zum Revolutionsheros: Revolution im tragischen Gewand
244
7. Xin.
Ende des Theaters der Revolution. Schauspielmetapher und Revolution bei Heiner Müller. . . 247
1.
Einführung
247
2.
Lehrstück "Revolution": Heiner Müllers Variation von Brechts "Maßnahme" in "Mauser"
249
a) Exkurs zu Brechts "Maßnahme" und Lehrstücktheorie . . 249 b) Müllers "Mauser"
252
3.
Revolution als Schauspiel in Heiner Müllers "Der Auftrag"
261
4.
Das Drama der Geschichte
275
Resümee
279
Literaturverzeichnis
285
Register
305
I. Einleitung Im Zuge der Revolution von 1789 entstand als Ausdruck von Hoffnungen und enttäuschten Erwartungen eine Fülle an sprachlichen Bildern, die versuchten, mittels metaphorischer Analogiebildung die neuen Erfahrungen der Zeit zu erfassen. Man schöpfte dabei aus dem Bilderfundus, der sich traditionell aus den Bereichen Natur, Technik und Theater zusammmensetzte. Unter anderem reaktualisierte man den alten Topos des Welttheaters, der seither konstitutiv für Revolution eingesetzt wird. Als Muster der Weltdeutung zeigt er sich im Sprachgebrauch der Revolutionäre, in Texten von Historiographen, Philosophen und fortgesetzt in der Dichtung vom 19. Jahrhundert bis heute. Rückgriffe auf kollektiv verfügbare Symbole oder Metaphern dienen grundsätzlich zur Sinnstiftung für bestimmte historische Phänomene und implizieren sowie motivieren jeweils andere ethische und politische Einschätzungen. Die vorliegende Arbeit untersucht unter diesem Gesichtspunkt den Konnex von Schauspielmetaphorik und Revolution. Sie setzt sich zum Ziel, die ideologischen Voraussetzungen des Bildgebrauchs zu verdeutlichen und darzustellen, wie in ihrem Spiegel die historisch-gesellschaftliche Wirklichkeit des 19. und 20. Jahrhunderts interpretiert wird. Kapitel I erläutert die Begriffe Revolution und Metapher im Zusammenhang der Problemstellung. Kapitel II umreißt die Geschichte der Schauspielmetapher bis in die Zeit der Aufklärung. Kapitel III veranschaulicht ihren Gebrauch seit der Französischen Revolution bis ins 19. Jahrhundert anhand von Beispielen aus Geschichte, Historiographie und Philosophie. Die anschließenden Kapitel (IV-XIII) analysieren jeweils Texte von Kleist, Poe, Melville, Büchner, Flaubert, Schnitzler, Anouilh, Genet, P.Weiss und H.Müller. Die Reihenfolge der Bearbeitung, wo sie nicht der Chronologie entspricht, erklärt sich aus der formalen Anwendung der Metapher. Während sie in Büchners Revolutiondrama noch explizit verwendet wird und durch die Darstellung der Revolution im Medium des Dramas gegenwärtig ist, bleibt sie in den Romanen Flauberts auf die Hintergrundmetaphorik und Methode des Erzählens beschränkt. In den behandelten Novellen von Kleist, Poe und Melville verwandelt sie sich
2
Einleitung
schließlich zum strukturellen Merkmal, zum Plot und zur parabolischen Bedeutung. Zwar basieren die Erzählungen von Kleist und Melville auf konkreten historischen Situationen, nämlich der Revolution der Schwarzen von St.Domingo 1791-1803 und der Revolte auf einem chilenischen Sklavenfrachter von 1804 doch dient der historische Hintergrund lediglich als Folie, um in der Schauspielmetapher Revolution als changierende Realitätsebene des Herrschaftsabtausches zu interpretieren. In den Texten von Kleist, Poe und Melville gerinnen die Ereignisse im Paradigma der Revolte zur schauspielhaften Essenz der Revolution. Diese drei Prosatexte bilden eine Einheit. Neben dem Ausdruck einer ähnlichen historischen Erfahrung zeigt sich in ihnen auch die gleiche Überschreitung der Gattung des Epischen ins Dramatische: alle drei weisen die Struktur einer Tragödie auf, darin sich das Theaterspiel der Revoltierenden als Theater auf dem Theater ausnimmt. Innerhalb der Analysen von Schnitzlers "Der grüne Kakadu", Anouilhs "Pauvre Bitos" und Genets "Le Balcon" wird das Theater auf dem Theater strukturell und inhaltlich dominant. Die Kapitel über Peter Weiss (Marat/Sade-Drama, "Gesang vom Lusitanischen Popanz" und "Viet NamDiskurs") und Heiner Müller ("Mauser" und "Der Auftrag") nehmen eine Sonderstellung ein. Ihre Lehrstücke, in denen Revolution als Schauspiel auf dem Theater studiert und eingeübt werden soll, müssen in Bezug zu Brechts Lehrstücktheorie gesetzt werden. Dies geschieht exemplarisch im Heiner Müller-Kapitel durch einen Vergleich zwischen Brechts "Maßnahme" und Müllers "Mauser". Die Untersuchung orientiert sich an der Hypothese, daß die für alle Revolutionsdramen konstitutive Verbindung von Spiel und Wirklichkeit (R. Grimm) einer Dialektik entspringt, die der revolutionären Realität innewohnt. Bis ins moderne Theater hinein erscheint die Revolution als dem Schauspiel wesensverwandt. Warum sie so dargestellt wird, versucht der folgende Beitrag zur Metapherngeschichte zu erhellen.
1. Metapher und Geschichte Folgenreichstes Ereignis für das Europa des 19. Jahrhunderts war zweifellos die große Französische Revolution von 1789. Als Fanal zu einer neuen, schöneren Welt begrüßten sie nahezu alle aufgeklärten Denker, doch verwandelte sich ihr enthusiastischer Beifall bald schon in tiefe Bestürzung. Die Heterogenität der einflußnehmenden Faktoren, wie z.B. die unzureichende Lebensmittelversorgung, die ständige Bedrohung durch die
Revolution und Geschichte
3
Konterrevolution und das Hegemonialstreben der vielschichtigen politischen Gruppen führte zur Praxis der Terreur und beschleunigte die revolutionären Abläufe derartig, daß sich unter den Revolutionären selbst das Gefühl einstellte, sie seien nicht länger Lenker der Ereignisse,1 vielmehr sei es die Macht der Verhältnisse, la force des choses,2 die ihnen ihre Handlungen diktiere. Das Gefühl der eigenen Ohnmacht angesichts der chaotischen Selbstläufigkeit des revolutionären Geschehens suchten sie paradoxerweise im Rückgriff auf eine Metapher zu fassen, die statt Chaos und Unübersichtlichkeit seit jeher die absolute und ewige Ordnung der Welt versinnbildlichte: in der Schauspielmetapher. Sie aktualisierten damit den alten Topos des Welttheaters, der von der Antike bis ins 18. Jahrhundert als metaphysisches Spiegelbild eines ständischen Gesellschaftssystems diente. Warum diese Metapher, treffendstes Abbild statischer Zeitalter, ausgerechnet in jenem Augenblick an Attraktivität gewinnt, in dem die dynamische Gesellschaftsform die vorwiegend statische in Europa für immer verdrängt hat, soll im folgenden erläutert werden.
2. Revolution und Geschichte. Ursachen einer Metaphorisierung Das Zeitalter der Aufklärung, von Kant als Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit deklariert, stand im Zeichen menschlicher Emanzipation.3 Das bedeutete, daß die statisch verstandene Weltordnung, die Mensch wie Natur unter die Vormundschaft göttlicher Providenz stellte, in Fluß geriet und der vorher determiniert gedachte 1
2
3
vgl. Hannah ARENDT: Über die Revolution. 3. Aufl. München 1986, S. 59 ff; HansUlrich GUMBRECHT: Funktionen parlamentarischer Rhetorik in der Französischen Revolution. Vorstudien zur Entwicklung einer historischen Textpragmatik. München 1978, S. 110 Honoré RIOUFFE: Les mémoires d'un détenu, pour servir à l'histoire de la tyrannie de Robespierre. (1794/95), S. 13. In den Reflexionen Riouffes heißt es: La faute des historiens et de tous les raisonneurs en général, c'est de faire les hommes beaucoup trop grands, et la force des choses beaucoup trop petite. Notre amour-propre se plaît à imaginer qu'une tête humaine peut mûrir un vaste plan dans les profondeurs de ses conceptions, et préparer les événemens pour les maîtriser à son gré. - Abgedruckt in: Mémoires sur les prisons (= Collection des mémoires relatifs à la Révolution française). Paris 1823. Bd. 1. S. 1-126 Immanuel KANT: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1783) - In: Was ist Aufklärung? Beiträge aus der Berlinischen Monatsschrift 1873-1786. Hg. von Michael Albrecht und Norbert Hinske. Repr. Darmstadt 1973, S. 452-468
4
Einleitung
Mensch eine ganz persönliche Aura, nämlich Individualität, erlangte. Dieser Prozeß, der etwa mit der Renaissance einsetzt und dessen erste Etappe mit der Reformation abgeschlossen war, erreicht im 18. Jahrhundert seinen Höhepunkt. Die Theorie der Aufklärung hatte den Anspruch auf individuelle Freiheit des Menschen so eindringlich formuliert, daß die im Entstehen begriffene bürgerliche Öffentlichkeit4 nach seiner praktischen Umsetzung, d.h. nach einer Revolution, verlangte. In dieser Zeit erfahren die Begriffe "Geschichte" und "Revolution" eine Umwertung und erhalten nun erst den bis heute geltenden Bedeutungszusammenhang.5 Sie erschließen sich gegenseitig. Beide sind in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus der Singularisierung der Pluraliatantum "Geschichten" bzw. "Revolutionen" entstanden und sind Metaphorisierungen dieser Begriffe, die ursprünglich ganz anderen lebensweltlichen Zusammenhängen entstammen. Während die Geschichten bis zum 18. Jahrhundert zur Lehr und Beispielsammlung für den steten Ablauf von Natur und Weltgeschehen dienten, bezeichneten Revolutionen den natürlichen Kreislauf der Gestirne, meinten also eine Rückkehr zum Ausgangspunkt der Bewegung, von wo aus im Sinne ewiger Wiederholungen der Neubeginn einsetzte. "Natur" und "Wiederholung" bilden die konstituierenden Merkmale der Geschichten und Revolutionen. Doch in dem Maße, in dem die Konstanz sozialer Gegebenheiten schwand, weil die Erfahrung beschleunigter gesellschaftlicher Wandlungen die Einmaligkeit historischer Ereignisse herausstellte, zerfiel die Bindung dieser Begriffe an die transhistorische Kategorie der Natur. Seitdem die Veränderbarkeit dessen, was ist, erkannt worden war, dehnte sich ihre metaphorische Bedeutung aus: Die Bewegung trat aus ihrem naturalen Hintergrund in die Aktualität des Alltags. Besonders der Bereich einer genuin menschlichen Geschichte wurde freigelegt, indem er mit Revolution schlechthin kontaminiert wurde.6
4
5
6
vgl. Jürgen HABERMAS: Strukturwandel der Öffentlichkeit. 16. Aufl. Darmstadt und Neuwied 1986, S. 87 ff vgl. Reinhart KOSELLECK: Historische Kriterien des neuzeitlichen Revolutionsbegriffs, S. 73 f - In: R.K.: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt am Main 1979, S. 67-85. Einen umfassenden Überblick gibt der Artikel "Revolution" von Koselleck. - In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hg. von O. Brunner, W. Conze, R. Koselleck. Stuttgart 1972 ff, S. 653-789. Vgl. bes. S. 734 KOSELLECK: Vergangene Zukunft, S. 74
Revolution und Geschichte
5
Gleichzeitig befreit sich der Mensch aus der Bevormundung Gottes und möchte die Stelle des Weltenschöpfers und Weltregisseurs selbst übernehmen. Die Aufgabe, die vakant gewordene Stelle neu zu besetzen, übernimmt die Geschichtsphilosophie: Daß der Mensch die Geschichte "macht", ist eine Chance, auf die die Neuzeit nach geschichtsphilosophischen Umwegen gesetzt hat (...) Denn wer das handelnde Subjekt der Geschichte ist, wird nicht entdeckt oder bewiesen; das Subjekt der Geschichte wird "ernannt". Im System der Wirklichkeitserklärung unserer Tradition gibt es eine "Stelle", auf die Vakanz und Besetzung sich beziehen.7 Es handelt sich bei diesen Vorgängen um Übertragungen, um metaphorische Funktionen,s die das Subjekt der Geschichte legitimieren sollen. Denn seitdem es unmöglich geworden war, sich auf eine übergeordnete, allgemein anerkannte Instanz wie Gott oder die Natur zu berufen, konnte jedem "Inhaber" der Geschichtsmächtigkeit das Recht auf diese Position bestritten werden. Die neuzeitliche Erfahrung, die Geschichte nunmehr als Universalgeschichte verstand und sie gleichzeitig als progressive Tendenz auffaßte, die im Bruch mit dem statischen Weltverständnis vergangener Zeitalter nun immerfort das Neue, in einem moralischen Sinne Bessere schaffen würde, setzte folglich auch die Gegenwart unter den ständigen Druck der allein maßgeblichen Zukunft. Obgleich man die Vergangenheit zugunsten einer verheißungsvollen Zukunft verabschiedet hatte, mußte eben diese Vergangenheit zur Rechtfertigung der Gegenwart in Anspruch genommen werden. Mangels neuer Begriffe tat man daher einen tiefen Griff in die Metaphernkiste der rhetorischen Tradition9 und erhaschte dabei die Schauspielmetapher, deren traditionelle Verwendung als Abbild von Welt und Wirklichkeit ihre Wiederaufnahme nahelegte. Man modifizierte lediglich das alte Bild, indem sein kosmologischer oder theozentrischer Hintergrund gegen die spezifisch neuzeitlichen Sinnhorizonte von Geschichte und Revolution getauscht wurde.
7
8 9
Hans BLUMENBERG: Anthropologische Annäherung an die Aktualität der Rhetorik. (1971) S. 129. - In: H.B.: Wirklichkeiten, in denen wir leben. Stuttgart 1981, S. 104136 ebd. Je tiefer die Krise der Legitimität reicht, um so ausgeprägter der Griff nach der rhetorischen Metapher - nicht die Trägheit macht die Tradition, sondern die Verlegenheit, der Designation als Geschichtssubjekt zu genügen. So BLUMENBERG, ebd. S. 129 f
6
Einleitung
3. Metapher: Erfahrung und Ideologie10 Die theoretischen Grundlagen der vorliegenden Arbeit bilden einerseits Kosellecks Kriterien des neuzeitlichen Revolutionsbegriffs,11 die gewissermaßen das Skelett für den Gebrauch der Schauspielmetapher im 19. Jahrhundert erstellen, und andererseits Blumenbergs Versuch die Substruktur des Denkens12 mit Hilfe einer Metaphorologie zu erschließen.13 Während Ricoeur die Metapher schlicht als Ausdruck definiert, der zum einen comporte une information nouvelle, zum anderen dit quelque chose de nouveau sur la réalité,u charakterisiert sie Blumenberg genauer als authentische Leistungsart der Erfassung von Zusammenhängen.15 Alle diese Merkmale können an den Versuchen, die Revolution als Schauspiel zu begreifen, nachgewiesen werden. Die Zusammenhänge, die dem Gebrauch der Metapher zugrunde liegen, sind historisch-politischer Natur.16 In ihr artikuliert sich eine neue politische Erfahrung, nämlich die Unfähig10
11 12
13
14
15
16
Der hier zugrunde gelegte Ideologiebegriff orientiert sich an Karl Mannheims Klassifikation der Ideologien in "seinskongruente", d.h. affirmativ zum status quo stehende, und "seinstranszendente", d.h. kritisch bzw. ablehnend zum status quo stehende. Wir folgen Mannheims Auffassung, daß ideologiefreies Schreiben - besonders in der Geschichtsschreibung - nahezu unmöglich ist, weil der Bericht immer schon perspektivisch an den Standort des Autors gebunden und auf einen bestimmten sozialen Träger ausgerichtet ist. "Ideologisch" meint also Faktizität versprechend, aber bewußt oder unbewußt von Partialinteressen geleitet und standortgebunden. Vgl. K.MANNHEIM: Ideologie und Utopie. (1929) 3.Aufl. Frankfurt am Main 1952. vgl. KOSELLECK: Vergangene Zukunft, S. 76-85 BLUMENBERG: Paradigmen zu einer Metaphorologie. Bonn 1960, S. 11; vgl. auch H.B.: Beobachtungen an Metaphern. - In: Archiv für Begriffsgeschichte. 15 (1971), S. 161-214 Inzwischen gibt es viele ähnliche Forschungen bei unterschiedlicher Begrifflichkeit. Einen hervorragenden Überblick gibt der Aufsatz von Axel DREWS, Ute GERHARD, Jürgen LINK: Moderne Kollektivsymbolik. Eine diskurstheoretisch orientierte Einführung mit Auswahlbibliographie. - In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Sonderheft 1 (1985), S. 265-375. Der von Link benutzte Begriff des Kollektivsymbols ist weitgehend identisch mit Blumenbergs Metapher. Paul RICOEUR: Parole et symbole. - In: Revue des sciences religieuses. 49 (1975), S. 142-161 Hans BLUMENBERG: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt am Main 1979, S. 77 Auch Metaphern selbst haben Geschichte: Sie haben Geschichte in einem radikaleren Sinn als Begriffe, denn der historische Wandel einer Metapher bringt die Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte und Sichtweisen selbst zum Vorschein, innerhalb deren Begriffe ihre Modifikation erfahren. BLUMENBERG: Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 11
Theater als pessimistisches Bild des 19. Jahrhunderts
7
keit, die gesellschaftlich wirksamen Faktoren zu überschauen und zu lenken in einer grundsätzlich neuen geschichtlichen Situation, in der Französischen Revolution. Insofern solche Erfahrungen objektiver Ausdruck verarbeiteter Erlebnisse sind, ist der Vergleich der Revolution mit einem Schauspiel authentisch. Doch beinhaltet jede Metapher auch ein subjektives Element: Insofern sie Deutung von etwas ist, impliziert sie immer ideologische Vorentscheidungen. Robespierre, der die Revolution als drame sublime17 versteht, bewertet sie natürlich ganz anders, als Vilate, der sie als théâtre sanglant18 beurteilt. Metaphern eines Bildkreises können daher konträren ideologischen Standpunkten dienen. 19 Doch wie unterschiedlich das Motiv sein mag, das den Griff zur Metapher veranlaßt, das Bild selbst gibt eine Struktur vor, die über alle diversen Absichten hinweg verbindlich bleibt. Sie besteht in den Vorgaben, die der Begriff mitbringt. Die Schauspielmetapher lebt aus der Vorstellung, daß es ein Theaterstück gebe, das gespielt werde, Schauspieler, die es aufführen, und einen Ort, der zur Bühne tauge. Darüber hinaus sind noch verschiedene andere Stellen zu besetzen. Vor allem stellt sich die Frage, wer der Autor des Stückes sei, wer Regisseur und wer Zuschauer. In der Beantwortung dieser Fragen liegt der Schlüssel, mit dessen Hilfe ideologische Wertsetzungen identifiziert werden können. 20 Denn ihnen entsprechen jeweils andere geschichtsphilosophische Konzeptionen und - daraus resultierend - auch andere anthropologische Grundannahmen.
4. Theater als pessimistisches Bild des 19. Jahrhunderts Während das 18. Jahrhundert von Hoffnung und Optimismus getragen war, zeigten sich im 19. Jahrhundert die Schattenseiten der Aufklärung. 17
18
19
20
Maximilien ROBESPIERRE: Konventsrede vom 5. Februar 1794. - In: Archives parlementaires. 84. Paris 1962, S. 335 Joachim VILATE: Causes secrètes de la journée du 9 au 10 Thermidor An II, suivies des mystères de la mère de dieu dévoilés. - In: Collection des mémoires relatifs à la Révolution Française. Paris, Brüssel 1825, S. 173 Jochen SCHLOBACH: Zyklentheorie und Epochenmetaphorik. Studien zu einer bildlichen Sprache der Geschichtsreflexion in Frankreich von der Renaissance bis zur Frühaufklärung. München 1980, S. 19 Der soziolgische Rollenbegriff wird dabei nicht berücksichtigt. Er ist Gegenstand der Untersuchung von Manfred Kamick, der ihn literaturwissenschaftlich anzuwenden versucht. Vgl. Manfred KARNICK: Rollenspiel und Welttheater. Untersuchungen an Dramen Calderôns, Schillers, Strindbergs, Becketts und Brechts. München 1980
8
Einleitung
Die gescheiterte Revolution, ihr uneingelöstes Versprechen, der Menschheit Freiheit zu bringen, die Vielzahl der nachfolgenden Revolutionen, die zwar die Herrschaft einer Klasse konsolidierten, aber die Masse des Volkes leer ausgehen ließen, und andererseits die bis dahin ungekannte politische Kraft der Massen, welche vielfach als angsteinflößendes Signum der neuen bürgerlichen Gesellschaft erfahren wurde, mündeten in die stark kulturpessimistischen Geisteshaltungen, die von der Romantik bis zur Philosophie Nietzsches das Jahrhundert prägten. Man entdeckte die Dialektik der Aufklärung, die einerseits Freiräume für eine neue Entwicklung geschaffen hatte, andererseits bereits in ihren Prämissen mit Widersprüchen belastet war. Nicht die Menschen setzten sich an Gottes Stelle, sondern Abstrakta wie "der Mensch schlechthin", die Vernunft, die Geschichte. Horkheimer und Adorno reflektieren das Dilemma: Die glückliche Ehe zwischen dem menschlichen Verstand und der Natur der Dinge ist patriarchalisch: Der Verstand, der den Aberglauben besiegt, soll über die entzauberte Natur gebieten. Das Wissen, das Macht ist, kennt keine Schranken, weder in der Versklavung der Kreatur noch in der Willfährigkeit gegen ihre Herren.21 Das Projekt, menschliche Autonomie zu errichten, erwies sich als unterlaufbar. Freiheit, in den Dienst einer sich ständig ausbreitenden Produktion gestellt, verlangte die Unterwerfung der Kreatur: In der Verwandlung enthüllt sich das Wesen der Dinge als je dasselbe, als Substrat von Herrschaft.22 Die gesellschaftliche Mobilität, die die Stände abschaffte und Klassen erzeugte, weckte Furcht in ihrer Dynamik, weil die Zukunft nun als beängstigend unsicher erschien.23 Geschichte, nunmehr zum Massenerlebnis avanciert,24 sollte neue Sinnstiftungen ermöglichen, verweigerte sich aber, weil die Komplexität der gesellschaftlichen Prozesse jeden Versuch einer
21
22 23
24
Max HORKHEIMER, Theodor W. ADORNO: Dialektik der Aufklärung. (1947) Frankfurt am Main 1984, S. 8 ebd. S. 12 Gumbrecht weist dieses Phänomen bereits für die Schauspiele in der Französischen Revolution nach. Während die Dramen vorher Mitleid erzeugen sollten durch das Motiv der "vertu persécutée", wechseln sie zwischen dem Thermidor 1794 und dem Vendémiaire 1795 zu einer Suggestion von Angst. Vgl. Hans-Ulrich GUMBRECHT: Skizze einer Literaturgeschichte der französischen Revolution, S. 305 - In: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Hg. von Klaus von See. Bd.13: Die europäische Aufklärung III. Hg. von Jürgen von Stackelberg. Wiesbaden 1980, S. 269-328 vgl. Georg LUKACS: Der historische Roman. Neuwied und Berlin 1962, S. 15
Theater als pessimistisches Bild des 19. Jahrhunderts
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Konzeptualisierung relativierte. Das Ereignis, das diese Ambivalenz des Zeitgefühls erzeugte, war bekanntlich die Französische Revolution: Sei es unter dem Gesichtspunkt des Festhaltens an den uneingelösten epochalen Ideen des sich selbst verwirklichenden Menschen und dem Programm der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für alle oder dem Gesichtspunkt der enttäuschten Reaktion auf das Verfehlen der eigenen Ziele - die Französische Revolution war zum Maß der Epoche und zum Katalysator der Gegenwartsprozesse geworden.25 Sie bildet den Angelpunkt in den Reflexionen der Denker des 19. Jahrhunderts, an sie knüpfen sie ihre Gegenwartsanalysen und Zukunftsprognosen. Die Beurteilung der Revolution als Chance oder Menetekel bildet den Kern der philosophischen Systeme von Kant, Fichte, Hegel und Marx und beeinflußt im Zeichen der Krise das Denken Schopenhauers, Kierkegaards und Nietzsches. Auch die Dichtung sieht sich mit dem Kainszeichen der Zeit konfrontiert. Sie reflektiert das neu geschaffene Verhältnis des Menschen zur Welt. Die problematisch gewordene Wirklichkeit faßt sie gern, besonders in der Romantik, in Bilder der Schauspielmetaphorik, die in ihrem pessimistischen Grundton des bloß Gespielten, Scheinhaften und daher Dubiosen, ja, Wahnhaften Sinn- und Identitätsverlust des Menschen beklagen. Denn während in der alten Zeit der Mensch seine Identität nur über seine gesellschaftliche Rolle definieren konnte, entdeckt die Moderne des 19. Jahrhunderts den Menschen als Träger von Rollen, die ihm den Weg zur Authentizität verwehren. Der moderne Mensch kann seine wahre Identität nur dadurch entdecken, daß er sich von seinen gesellschaftlich aufgezwungenen Rollen emanzipiert: Letztere sind nur Masken, die ihn in Illusionen, "Entfremdung"und "mauvaise foi" verstricken.26 Die Dichtung erfaßt das Problem lange vor seiner theoretischen Erarbeitung und bedient sich der Schauspielmetapher, um die Wirklichkeit zu kritisieren. Denn die Metapher reflektiert die Realität als das Undurchsichtige, Unüberschaubare, das in seiner Sinnlosigkeit und Leere die Welt zum Jahrmarkt, das Leben zur Groteske degradiert. Das individuelle Sein gerät in dieser Sichtweise unter den Zwang fataler Mächte. Eine solche Auffassung negiert die Vorstellung eines teleologischen Geschichtsverlaufs und 25
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Henri POSCHMANN: Georg Büchner. Dichtung der Revolution und Revolution der Dichtung. Berlin 1983, S. 94 f Peter BERGER, Brigitte BERGER, Hansfried KELLNER: Das Unbehagen in der Modernität. Übers, von G.H. Müller. Frankfurt, New York 1975. Berger veranschaulicht den Bewußtseinswandel an den Begriffen "Ehre" und "Würde", S. 81
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Einleitung
erklärt sich aus der resignativen Bestandsaufnahme nach der Französischen Revolution. Fast überall, wo die Schauspielmetapher im 19. Jahrhundert Verwendung findet, dient sie als Korrektiv der bedeutendsten Metapher dieser Zeit: der Metapher des Fortschritts. Ihrer Intention nach ist sie daher immer Ausdruck einer zutiefst antibürgerlichen, wenngleich bisweilen fatalistischen Einstellung.
II. Historischer Hintergrund des Gebrauchs der Schauspielmetaphen
1. Das Theatrum mundi in Antike und Mittelalter a) Griechische und römische Antike Piaton gilt als Erfinder des Bildes, das die Welt als Tragödie und Komödie des Lebens2 zeigt. Er veranschaulicht damit einen philosophischen Gedanken, der die Welt in zwei Ebenen aufteilt: In die Ebene des Bewegers, auf der die Götter angesiedelt sind, und in die des Bewegten, welche die Menschen repräsentieren.3 In Piatons "Gesetzen" heißt es: Jeder von uns Vertretern der lebenden Geschöpfe werde von uns betrachtet als eine Marionette göttlichen Ursprungs, sei es, daß sie von den Göttern bloß zu ihrem Spielzeug angefertigt worden ist oder in irgendwelcher ernsthaften Absicht, denn das entzieht sich begreiflicherweise unserer Erkenntnis. Das aber wissen wir, daß die genannten Seelenvorgänge in uns gleichsam ein Durcheinander von Drähten oder Schnüren darstellen, die an uns herumziehen und als einander entgegenwirkend uns zu entgegengesetzten Handlungen drängen, worauf denn der Gegensatz von Tugend und Laster beruht. Der Mensch sei zwar nur ein Spielzeug in der Hand Gottes, aber das eben sei in Wahrheit das Beste an ihm / 1
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Das folgende Kapitel verdankt etliche Literaturhinweise den Arbeiten von: Ernst Robert CURTIUS: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. 5. Aufl. Bern 1965, S. 148-154; Johann SOFER: Bemerkungen zur Geschichte des Begriffs "Welttheater". - In: Maske und Kothurn. Jg.2 (1956), S. 256-268; Franz U N K , Günter NIGGL (Hgg.): Theatrum mundi. Götter, Gott und Spielleiter im Drama von der Antike bis zur Gegenwart. Berlin 1982 PLATON: Philebos. 50b vgl. LINK: Götter, Gott und Spielleiter, S. 1 - In: Link, Niggl: Theatrum mundi, S. 148 PLATON: Die Gesetze. 644d-645a
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Historischer Hintergrund
Die Conditio humana besteht mithin in einer grundsätzlichen Determiniertheit; doch verfügt der Mensch über Freiheit, insofern er nicht allen Fäden, die an ihm ziehen, nachgeben muß, sondern sich von jenen leiten lassen soll, die eine den Göttern wohlgefällige Bewegung erzeugen. Gutes Handeln erfordert "somit eine Einsicht (...), nämlich das Wissen um die Leitbildfunktion der Ideen. Nur ein Handeln, das sie zum Muster nimmt, verdient gutgeheißen zu werden."5 Der ethische Appell Piatons richtet sich aber nicht nur an das Verhalten des einzelnen Menschen, sondern schließt ebenso den Entwurf einer politischen Verfassung ein, die im Wettstreit um den Preis des schönsten Dramas6 errungen werden soll. Die Kyniker greifen das Bild von der Marionette auf und gebrauchen es so häufig, daß es bald zum Klischee erstarrt.7 In all den Wendungen erscheint die Marionette als freundliches Gleichnis der Scenae vitae und vermittelt noch nicht den negativen, fatalistischen Beigeschmack, der dem Bild seit der Romantik anhaftet. Später übernimmt der "Schauspieler" die Rolle der Marionette. Im Gegensatz zu dieser verfügt der Schauspieler über größere Selbständigkeit. Er ist kein an Drähten gezogenes Objekt, sondern der Träger einer Aufgabe, die er - je nach Bemühen - gut oder schlecht erfüllen kann. Epiktet mahnt: Merke: du hast eine Rolle zu spielen in einem Schauspiel, das der Direktor bestimmt (...). Gibt er dir die Rolle eines Bettlers, so mußt du diese dem Charakter der Rolle entsprechend durchßihren; ebenso, wenn du einen Krüppel, einen Herrscher oder einen Philister spielen sollst. Deine Aufgabe ist einzig und allein, die zugeteilte Rolle gut durchzuführen; die Rolle auszuwählen, steht nicht bei dir.8 Die Handlungsfreiheit des Menschen wird nicht länger negativ bestimmt wie noch in Piatons Vergleich. Dort bestand das ethisch richtige Handeln in einer Unterlassung: nämlich in dem Durcheinander von Drähten und Schnüren, für deren Vorhandensein der Mensch nicht verantwortlich ist, den negativen Fäden nicht Folge zu leisten. Der Schauspielervergleich fordert dagegen, daß der Mensch sich vor seinem Auftraggeber und vor seinem Publikum verantwortet. Die ethischen Normen sind hier positiv 5 6 7 8
Ralf KONERSMANN: Die Metapher der Rolle und die Rolle der Metapher, S. 92 In: Archiv für Begriffsgeschichte. 30 (1986/87), S. 84-137 Piaton: Die Gesetze. 803c vgl. CURTIUS: Europäische Literatur, S. 148 EPIKTET: Handbüchlein der Moral und Unterredungen. Hg. von Heinrich Schmidt. Stuttgart 1959, S. 29
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formuliert. Zwar kann sich der Mensch nicht aussuchen, welche Rolle er spielt, aber er kann sich entscheiden, ob er die Rolle, die ihm die Götter in Form seines Schicksals überantwortet haben, gut oder schlecht ausführt. Die Beurteilung seiner schauspielerischen Darbietungen obliegt allerdings allein den Göttern, die gleichermaßen Dichter, Regisseur und Publikum des auf Erden gespielten Dramas vertreten. Das grundsätzlich Neue des Vergleichs liegt also in der ihm impliziten Instanz der richtenden Zuschauer. In ähnlicher Weise erscheint die Theatermetaphorik in der römischen Literatur. Cicero erläutert: Ut enim histrioni actio saltatori motus non quivis sed certus quidam est datus, sie vita agenda est certo genere quodam, non quolibet.9 Auch der Stoiker Seneca erklärt, mit dem Leben sei es wie bei einem Schauspiel. Es komme nicht darauf an, wie lange, sondern wie gut es gespielt werde.10 In einem anderen Brief schreibt er: Saepius hoc exemplo mihi utendum est, nec enim ullo efficacius exprimitur hic humanae vitae mimus, qui nobis, partes, quas male agamus, adsignat." Das Leben selbst wird als ewiges Schauspiel betrachtet, dessen Qualität durch die unterschiedlichen Leistungen der wechselnden Schauspieler nicht berührt wird. So lehrt Marie Aurel: Denke stets daran, daß alles, wie es jetzt ist, auch einst war und dann schließe, daß es künftig ebenso sein werde. Stelle dir also gleichartige Schauspiele und Auftritte vor, die du aus Erfahrung oder aus der Geschichte kennst, z.B. den ganzen Hof Hadrians, den ganzen Hof Antonins, den ganzen Hof Philipps, Alexanders und den Hof des Krösus. Überall dasselbe Schauspiel, nur von anderen Personen gegeben.12 Der Mensch hat seine Rolle so lange zu spielen, bis er wieder entlassen wird. Das praktische Ziel dieser Lehre gründet in der Aussöhnung des Menschen mit dem ihm zugedachten Schicksal: Der ehemals die Stoffe zusammenfügte und der sie jetzt wieder löst, der hat das Ende zu bestimmen. Du bist unschuldig an beidem. So gehe denn versöhnt! Der dich abspannt ist's auch.13
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CICERO: De Finibus. ni, 7,24 vgl. SENECA: Epistulae. 77, 20 ebd. 80, 7 MARK AUREL: Selbstbetrachtungen. X, 27. Nach der Ubereetzung von F.C. Schneider. Hg. von Alexander von Gleichen-RuBwurm. Berlin o. J., S. 199 ebd. XII, 36, S. 239 f
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Schließlich versammelt der Neuplatoniker Plotin die einzelnen Elemente des Theatergleichnisses zu einem komplexen Gedankengebäude. Die Seele, ihrer Substanz nach göttlich und daher unvergänglich, erscheint als Darstellerin, das einzelne Geschick wird als Rolle verstanden, deren Worte sie gemäß ihren Handlungen interpretieren kann: In jenem wahrhafteren Dichtwerk, von dem die Werke der dichterisch begabten Menschen nur stückhafte Nachahmungen sind, da ist die Seele die Darstellerin, und was sie darstellen soll, erhält sie vom Dichter (Schöpfer), so wie die Schauspieler die Maske, das Kostüm, sei es Prunkrobe oder Lumpenfetzen, so erhält die Seele ihrerseits ihr Geschick (sie erhält's nicht von Ungefähr, sondern auch es gehorcht dem Weltplan); und indem sie sich dies Geschick anpaßt, kommt sie in Gleichklang und richtet sich aus nach dem Bühnenstück, dem Weltplan des Alls. (...) Sie fügt sich mit ihrer Rolle der Darstellung des Stückes ein; dabei bringt sie die gute oder schlechte Ausföhrung von sich aus hinein, sie ist beim Auftritt richtig aufgestellt worden und hat alles andre zugewiesen bekommen, außer ihr eignes Sein und ihre Leistungen: und dementsprechend erhält sie nun Strafe oder Ehrung.14 Was auch geschieht, es vollzieht sich im Sinne des Weltplans, der von absoluter Harmonie getragen ist. Gut und Böse sind nur Teilstücke eines einheitlichen Ganzen, wie bei einem Drama, dessen Plan einheitlich bleibt, obgleich es viele Kämpfe enthält.15 Neu an dieser Darstellung ist das Prinzip der Vergeltung.16 Zwar veranschlagen auch die früheren Denker eine richtende Instanz, ziehen daraus aber keine Konsequenzen. Plotin verleiht der Forderung, sich sittlich zu verhalten, durch das Mittel der Strafe äußersten Nachdruck. Der Mensch muß sich nun mit den Folgen seines Handelns auseinandersetzen und hat überdies sein gegenwärtiges Geschick als Resultat früherer Verhaltensweisen zu verstehen. Denn die schöne Ausführung seiner Rolle bringt ihm nächstens eine bessere ein, hingegen ein schlechtes Spiel eine üble Rolle zur Folge hat.17 Die Metapher zeugt nun von einer Tendenz zur Moralisierung, die ihr ursprünglich fremd war. 14
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PLOTIN: Von der Vorsehung. I. und III. Buch, 2. Kapitel, Sätze 152-156. Zitiert nach: Plotins Schriften. Übers, von R. Härder. Neubearbeitung mit griech. Lesetext fortgeführt von R. Beutler u. Willy Theiler. Bd. 5. Hamburg 1960, S. 89 ebd. III., 2,138-139; S. 85 Vgl. Alexander DEMANDT: Metaphern für Geschichte. Sprachbilder und Gleichnisse im historisch-politischen Denken. München 1978, S. 341 vgl. PLOTIN, 111,2,155; S. 89
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b) Christliches Mittelalter Als sie das Sinnbild des Welttheaters entwickelte, schöpfte die christliche Literatur sowohl aus griechisch-römischen als auch aus frühchristlichen Quellen.18 Besonders Plotins Weltplan in der Form eines Bühnenstücks kam den christlichen Vorstellungen vom Theatrum mundi schon sehr nahe. Mit ähnlicher ethischer Ausrichtung erklärt Augustin: Nati enim pueri tamquam hoc dicunt parentibus suis: Eia, cogitate ire hinc, agamus et nos mimum nostrum. Mimus est enim generis humani tota vita tentationis.19 Interessanter ist jedoch die Theatermetaphorik im Policraticus von Johannes von Salisbury. Curtius weist darauf hin, daß hier erstmalig die Metapher zur umfassenden Zeitkritik ausgebaut wird.20 Nach einem Zitat aus Petronius, das die Vergänglichkeit irdischer Werte besingt und warnt, daß ja nach der Komödie des Lebens die Masken fallen (mox ubi ridendas inclusit pagina partes) und sich das wahre Gesicht (vera facies) zeige, führt Johannes ein Kapitel ein, das den Titel trägt: De mundana comedia vel tragedia.21 Wie vor ihm schon Plotin, versammelt Johannes die verstreuten Teilaspekte des Schauspielvergleichs zu einer Gesamtanschauung. Er kritisiert das Handeln der Menschen als tragisch-komisch, weil sie, statt sich mit der ihnen zugedachten Rolle zufriedenzugeben, sich dauernd abmühen, eine andere zu erlangen. Ihr lächerliches Treiben, dessen Schauplatz der Erdkreis ist, wird von Zuschauern, nämlich von Gott, den Engeln und den Tugendhelden aus dem Jenseits beobachtet. Das Bild gewinnt seine kritische Potenz, indem es das Verhalten der Menschen den Blicken der unfehlbaren Zuschauer aussetzt. Auch thematisch baut Johannes den Vergleich aus. Er erweitert den Schauplatz zum Schauspielhaus, indem er das Universum mit dem Himmel als Loge angliedert. So verwandelt er schließlich die Seena vitae des Altertums in das allumfassende Theatrum mundi.22 Eis bildet fortan die strukturelle Grundlage für die zahlreichen Mirakel und Mysterienspiele des Spätmittelalters. Diese, aus der Liturgie gewachsenen Spiele, dramatisieren die Heilsgeschichte, wobei das Spiel meist um die drei zentralen Punkte Schöpfung, Auferstehung und das Jüngste Gericht kreist. Die Darstellung, die das Publikum mit einbezieht,
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vgl. CURTIUS: Europäische Literatur, S. 149 AUGUSTINUS: Enarrationes in Psalmos. CXXVII, 15 vgl. CURTIUS, Europäische Literatur, S. 149 JOHANNES von Salisbury: Policraticus. Buch III, Kap. 8, 489a vgl. CURTIUS: Europäische Literatur, S. 149
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ermöglicht ihm so die Teilhabe am Heilsgeschehen und erhebt es im Rahmen des christlichen Fests zum Zeugen des verkündeten Wortes.23 Die Anfang des 15. Jahrhunderts entstandenen Moralitäten24 richten sich ebenfalls an die Gemeinschaft der Gläubigen, doch bringen sie weder Legenden noch Gegenstände des Alten und Neuen Testaments zur Aufführung, sondern wenden sich der Rolle des Menschen in der Welt zu. Am Anfang des Spiels verteilt der Spielleiter die Rollen mit der Mahnung, sie gut zu erfüllen. Die Figuren, die nun auftreten, repräsentieren die unterschiedlichen Stände, wie König, Bauer, Bettler etc., agieren also nicht als Personen, sondern als Typen, als Kollektivfiguren. Außerdem bevölkern Allegorien von Tugend und Laster die Bühne. Die Handlung vollzieht sich zwischen dem Ausgangspunkt des Menschen, der Übernahme seiner Rolle im Stande der Unschuld, seiner Versündigung im Laufe seines Lebens und dem Erreichen seines Ziels durch Aufnahme in den Zustand der Gnade.25 Die Spiele tragen einen kultischen Charakter. Sie entfalten die theatralische Möglichkeit zu "erlebnismäßiger Aktualisierung."26 In der Verbildlichung des christlichen Mythos löst sich die Gegenwart aus ihrem politischgesellschaftlichen Rahmen und erscheint im Licht zeitloser Gültigkeit. Die Darstellung der Welt als Theatrum mundi im Mittelalter stellt die Gesellschaft in den metaphysischen Zusammenhang der christlichen Offenbarung und dient so der Bestätigung der bestehenden ständischen Ordnung.
2. Die Entthronung Gottes als "Weltregisseur" nach Einsetzen der Neuzeit Die Renaissance zertrennt die Verbindung zwischen Religion und Politik. Der Mensch, nicht länger bereit, die Bedeutung seines Seins am christlichen Mythos zu messen, entdeckt sich und die Welt unabhängig von Gott. Prägnant faßt Michelet das Wesen der neuen Epoche in der Formel la de-
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vgl. LINK: Götter, Gott und Spielleiter, S. 16 - In: Link, Niggl: Theatrum mundi Zur gattungstypologischen Unterscheidung von Mirakel, Moralità! und Mysterienspiel vgl. Reiner HESS: Das religiöse Drama der Romania, S. 682 - In: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Hg. von Klaus von See. Bd. 8: Europäisches Spätmittelalter. Hg. von Willi Erzgräber. Wiesbaden 1978, S. 657-682 vgl. Hubert WURMBACH: Das Rahmenspiel als Form der sekundären Dramatisierung im elisabethanischen Drama, S. 96 f - In: Link, Niggl (Hgg.): Theatrum mundi, S. 93-120 Hans Urs von BALTHASAR: Theodramatik. Einsiedeln 1973.1, S. 96
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couverte du monde, la découverte de l'homme27 zusammen. Die Wiederentdeckung der "Alten" verrät Renitenz gegenüber den Dogmen der eigenen Tradition, was sich am deutlichsten im Phänomen der Reformation spiegelt, und kündigt darüber hinaus die "Geburt" eines neuen Menschen an. Hoffnung und Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten charakterisieren das Bewußtsein des Renaissance-Menschen, vor dem das starre Gebäude der religiös legitimierten Gesellschaft des Mittelalters natürlich nicht mehr bestehen kann. Wie verhält sich eine solche Zeit zu einem Topos, der affirmativer Ausdruck des ständisch-religiös organisierten Systems ist und daher keinen Raum bietet für die Identifikation eines sich autonom setzenden Menschen? Die Zeit vom 14. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts muß unter der Perspektive einer kontinuierlichen Säkularisierung betrachtet werden.28 Das bedeutet, daß auch die Bilder, in denen der Mensch seine Existenz definiert, dem gleichen Prozeß unterliegen. Doch geht eine solche Veränderung nicht abrupt vonstatten. Die Metapher des Theatrum mundi wird nach mittelalterlichem Vorbild weiter ausgebaut. Sie existiert als philosophisches Bild in den Schriften Luthers und Erasmus' von Rotterdam,29 die Jesuitendramen der Renaissance und des Barocks bringen sie auf die Bühne30 und den Höhepunkt ihrer dramatischen Ausgestaltung erlebt sie erst im 17. Jahrhundert, in den Autos sacramentales von Calderón. Doch selbst dort hat eine neue Zeit - wie noch zu zeigen ist - dem Bild seine Strukturen aufgeprägt. Im folgenden seien einige "highlights" der Metapher exemplarisch herausgegriffen, an denen sich der Grad der Verweltlichung der Schauspielmetapher bis ins 18. Jahrhundert hinein aufzeigen läßt. a) Das Theatrum mundi als Gemeinplatz Die Metapher wächst zunächst zum Klischee aus, was bereits deutlich darauf hinweist, daß sie, zumindest in der überlieferten Form, ihre Aus27 28
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Jules MICHELET: Histoire de France. Paris 1876. IX, S. 6 vgl. August BUCK: Einleitung: Renaissance und Barock, S. 3 - In: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Hg. von Klaus von See. Bd. 8: Europäisches Spätmittelalter. Hg. von Willi Erzgräber. Wiesbaden 1978, S. 1-27 vgl. CURTIUS: Europäische Literatur, S. 150 und DEMANDT: Metaphern für Geschichte, S. 347 vgl. hierzu: Fidel RÄDLE: Gottes emstgemeintes Spiel. Überlegungen zum welttheatralischen Charakter des Jesuitendramas. - In: Link, Niggl (Hgg.): Theatrum mundi, S. 135-160
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druckskraft weitgehend eingebüßt hat. Cervantes verspottet die Seichtheit, die sich in der angeblichen Tiefe der abgenutzen Floskeln offenbart. Im "Don Quijote" doziert der sinnreiche Junker vor seinem Knappen Sancho: Es gibt keine Zusammenstellung von Wirklichkeit und Nachbildung, die uns lebendiger vor Augen führte, was wir sind und was wir sein sollen, als das Schauspiel und die Schauspieler (...) Das nämliche nun geschieht im Schauspiel und Wandel dieser Welt, wo die einen die Kaiser, die andern die Päpste und in einem Wort alle Personen vorstellen, die in einem Schauspiel vorkommen können; wenn es aber zum Schlüsse geht, daß heißt, wenn das Leben endet, da zieht der Tod ihnen allen die Gewänder aus, die sie voneinander unterschieden, und im Grab sind sie alle wieder gleich. Doch Sancho versetzt: Ein prächtiger Vergleich! Zwar ist er nicht so neu, daß ich ihn nicht schon zu öfteren und verschiedenen Malen gehört hätte, gerade wie den Vergleich mit dem Schachspiel.31 Der geistreiche Vergleich hat sich verbraucht. Die kurze Szene enthält die Kritik von Cervantes, es handele sich bei den Bildern lediglich um bildungssprachliches, zur Mode verkommenes Wortgeklingel, ungeeignet, die Situation des Menschen in der Welt adäquat wiederzugeben. Und auch Gott, bedeutungsstiftender Hintergrund des Gleichnisses, wird nicht mehr ausdrücklich erwähnt. Übrig bleibt ein hochgestochener Vergleich für banale Angelegenheiten. b) Welttheater bei Shakespeare All the world's a stage, kommentiert Jacques den ergriffenen Hinweis auf this wide and universal theatre in Shakespeares Drama As You Like It und sinniert: And all the men and women merelyplayers;! They have their exits and their entrancesj And one man in his time plays many parts,/ His acts being seven ages. (11,7,140-144) Doch fährt Jacques, der so pathetisch und in traditioneller Manier anhebt, in schnöder Parodie fort. Keine hehre, aus Gottes Händen empfangene Aufgabe bestimmt das Leben des Menschen, sondern sein Werdegang verläuft in höchst profaner Weise vom kötzelnden Kleinkind über den behäbigen Biedermann zur second childishness,
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Miguel de CERVANTES: Don Quijote. 2. Buch. 12. Kap. Zit. nach der Übers, von L. Braunfels. Durchges. von A. Spemann. München 1979, S. 627 f
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dem mümmelnden, seiner Sinne ledigen Greis.32 Die zynische Ausführung des Vergleichs erweckt nicht gerade die Vorstellung göttlich waltender Vernunft, in deren Abglanz der Mensch eifrig strebend bemüht ist, sein Heil zu erringen. Auch in Shakespeares Verwendung der Schauspielmetapher zeigt sich, daß die Instanz Gottes als Dichter, Spielleiter und richtender Zuschauer wegfällt. Ganz im Sinne des höfischen Interessen dienenden Theaters übernehmen nun, mit unterschiedlichem Erfolg, die Herrscherfiguren die spielleitende Funktion: so der Herzog in "Measure for Measure", Theseus in "A Midsummer Night's Dream"33 und Prospero, der Bühnengott, in "The Tempest", der allerdings seiner magischen Kunst der Weltbeherrschung abschwören muß, um zur Menschlichkeit zu finden und seiner weltlichen Aufgabe als Fürst gerecht werden zu können.34 Die Verweltlichung der Metapher erfolgt im Zuge eines sich wandelnden Geschichtsverständnisses, das mehr und mehr den Bereich der Kultur als "regnum hominis" im Gegensatz zur göttlich beherrschten Natur für sich reklamiert.35 Die Verbindung zum transzendenten Ziel des Geschichtsprozesses, die im Mittelalter den Sinn des Gleichnisses stiftete, ist abgerissen, die Bedeutung der menschlichen Existenz mißt sich nicht länger an ihrem Verhältnis zum göttlichen Heilsplan. Ohne die Gültigkeit der christlichen Lehre zu leugnen, problematisiert die Metapher nun das innerweltliche Verhalten des Menschen. Sie leuchtet die menschlichen Möglichkeiten aus und thematisiert die Frage nach der Wirklichkeit, die für ein von Kult und Mythos bestimmtes Handeln noch nicht von Belang war. Zwischen Schein und Wirklichkeit polarisiert sich nun menschliches Verhalten. Shakespeares dramaturgischer Kunstgriff des "Spiel im Spiel" gestattet es, diese Spannung zu veranschaulichen. Indem er die Perspektiven vervielfältigt, relativiert er die einheitliche Weltsicht des Mittelalters. Das Spiel im Spiel enthüllt das Theater als Illusion und "gibt zu erkennen, daß die Fiktion des Dramas nicht die ganze Welt einzufangen vermag."36 Andererseits dient es im "Hamlet" der Enthüllung der Wahrheit. Gleich32
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vgl. II, 7, 132-166; Shakespeare verwendet die Metapher außerdem in "The Merchant of Venice" (1,1,77) und in "King Lear" (IV.4,185) vgl. LINK: Götter, Gott und Spielleiter, S. 20 - In: Link, Niggl (Hgg.): Theatrum mundi vgl. Werner HABICHT: Unbehagen über Prospero, S. 133 - In: Link, Niggl (Hgg.): Theatrum mundi, S. 121-134 vgl. BUCK: Einleitung: Renaissance und Barock, S. 15 Wolfgang ISER: Das Spiel im Spiel. Formen dramatischer Illusion bei Shakespeare, S. 210 - In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen. 198 (1962), S. 209-226
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zeitig verdeutlicht es die "Scheinhaftigkeit menschlichen Verhaltens genauso lebendig wie die Unsicherheit, die menschliche Welt endgültig bestimmen zu können."37 Auf diese Weise erneuert, regeneriert sich die Schauspielmetapher zum aktuellen Mittel der Erkenntnis. c) Sakrales Welttheater bei Calderón In gewisser Hinsicht erscheint das Theater Calderóns als ein Anachronismus. Denn während Renaissance und Humanismus das statische Weltgefüge des Mittelalters in Fluß brachten, neben dem Reich des Glaubens das Reich der Vernunft entdeckten und so das Diesseits weitgehend vom Zugriff des göttlichen Heilsgeschehens lösten, scheint Calderón unerschüttert diese Zeit zu überspringen und nahtlos an die überlieferte, mittelalterliche Tradition anzuknüpfen. Wie im Mysterienspiel bringt Calderón in "El gran teatro del mundo" Allegorien auf die Bühne, die das gesamte Diesund Jenseits darstellen.38 Die typisierten Figuren vom König bis zum Bettler decken den weltlichen Bereich ab, auf himmlischer Seite erscheinen Gott und die Engel, die Hölle repräsentieren Teufel und Dämonen. Gott ist Autor, Zuschauer und Richter des Dramas. Er verteilt die Rollen zu Beginn des Stückes. Doch im Gegensatz zum katholischen Spiel des Mittelalters, das ungebrochener Ausdruck des Zeitverständnisses war, dient Calderóns Theater der Legitimation der ins Wanken geratenen feudalen Ordnung. Die Welt verdüstert sich dabei zum "zweideutigen Ort der Verfallenheit an den Schein",39 und das Leben selbst wird zum Spiel, und zwar in der problematischen Form, wo es "vor einer auf das Unbedingte gerichteten Intensität seinen letzten Ernst verloren hat."40
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ebd. S. 211 Als "vollkommenes Sinnbild" und "vollständiges Abbild der Welt" beschreibt Richard ALEWYN das Barocktheater: "Alles Maske und Schminke, alles Täuschung und Verstellung, alles flüchtig und nichtig - das ist das Theater. Und was entsprach vollkommener dem Wesen der barocken Welt? Wenn der Wirklichkeit jede metaphysische Substanz abgesprochen und sie zum bloßen Schein erklärt worden war, in was anderes war sie damit verwandelt als in den Stoff, aus dem Theater gemacht ist? Das Theater ist genau das, was für den barocken Trübsinn die Welt: sinnlich, aber nicht wirklich." - In: Richard Alewyn: Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste. 2. Aufl. München 1985, S. 88 Bernhard GREINER: Welttheater als Montage. Wirklichkeitsdarstellung und Leserbezug in romantischer und modemer Literatur. Hg. von E. Lämmert. Heidelberg 1977, S. 20 Walter BENJAMIN: Ursprung des deutschen Trauerspiels. (1925) Hg. von R. Tiedemann. Frankfurt am Main 1978, S. 63
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Zwar erwies sich der monarchische und katholische Zusammenhalt Spaniens, Herz der Gegenreformation, als dauerhafter verglichen mit den Tendenzen in den übrigen europäischen Staaten, doch war Spaniens Macht bereits im Niedergang begriffen, und die Kriege gegen die Niederlande und Frankreich bezeichnen die Brüchigkeit des überkommenen Systems. In dieser Situation versucht Calderón, dem drohenden Verfall die Gültigkeit einer göttlich verursachten Wirklichkeit entgegenzustellen. 41 Die ständisch-religiöse Gesellschaftsordnung rechtfertigt er, indem er sie, dem Welttheatermodell entsprechend, aus dem Schöpfungsakt Gottes erklärt. Denn "die gesellschaftliche Ordnung und ihre Repräsentation, der Hof, (ist) bei Calderón ein Naturphänomen höchster Stufe". 42 d) 18. Jahrhundert: Ende des sakralen Spiels Benjamin bemerkt, daß der Klassik, anders als dem Barock, die Auffassung des Lebens als Spiel fremd war. 43 Denn während die Klassik dem Leben Emst zusprach, war es dem Barock nur das irdische Jammertal, das den Menschen in Schein und Illusion verstrickt, bis ihn der Tod erlöst. Das optimistische Lebensgefühl der Aufklärung schloß folglich eine Identifikation mit den pessimistischen barocken Weltbetrachtungen aus. Außerdem verlor das theozentrische Weltbild, das bis tief ins 17. Jahrhundert vorherrschend geblieben war und dem Bild vom Welttheater den Sinn verlieh, endgültig seine Geltung. Die neuen anthropozentrischen Welterklärungen 44 bevorzugten andere Metaphernfelder, wie z.B. die Lichtmetaphorik ("Licht der Aufklärung") und Flußmetaphorik ("Strom der Geschichte"). Die Schauspielmetapher dagegen bricht den systematischen Bildzusammenhang des Theatrum mundi wieder in die einzelnen Scenae vitae.45 Sie erscheint fortan in philosophischen Betrachtungen über das menschliche Wesen, die das - negativ bewertete - Spannungsverhältnis zwischen "natürlichem" Menschen und seinen gesellschaftlichen Funktionen in das 41
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Kurt REICHENBERGER: Calderóns Welttheater und die autos sacramentales, S. 174 - In: Link, Niggl (Hgg.): Theatrum mundi, S. 161-175 BENJAMIN: Ursprung des deutschen Trauerspiels, S. 74 ebd. S. 63 Zum Wechsel vom theozentrischen zum anthropozentrischen Hintergrund der Schauspielmetapher vgl. CURTIUS: Europäische Literatur, S. 152; weiteres zu Calderóns Verwendung der Metapher bringt M. KARNICK: Rollenspiel und Welttheater. München 1980 vgl. Rainer HESS: Wandel der Schauspielmetaphorik, S. 248 - In: Studia Ibérica. Festschrift für Hans Flasche. Hg. von K.-H. Körner und K. Rühl. Bem und München 1973, S. 247-266
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Bild der Rolle fassen.46 Die Metapher bleibt auch weiterhin Gemeinplatz, eignet sich aber die veränderte gesellschaftliche Realität an. Verdeutlichen läßt sich dieser Wandel an dem folgenden Gedicht von Johann Nikolaus Götz, das in schläfrig-gleichmütigem Tonfall den Herrschaftswechsel in einer dynamischen Gesellschaft ins Bild des Schauspiels setzt: Die Welt gleicht einer Opera, / Wo jeder, der sich fühlt, / Nach seiner lieben Leidenschaft, / Freund, eine Rolle spielt./ Der Eine steigt die Bühn' hinauf Mit einem Schäferstab;/ Ein Andrer, mit dem Marschallsstab, / Sinkt, ohne Kopf, hinab./ Wir armer guter Pöbel stehn/ Verachtet, doch in Ruh',/ Vor dieser Bühne, gähnen oft,/ Und sehn der Fratze zu./ Die Kosten freilich zahlen wir/ Fürs ganze Opernhaus;/ Doch lachen wir, mißräth das Spiel,/ zuletzt die Spieler aus.47 Die Insignien Schäfer- und Marschallstab mögen mehr bedeuten als der unverfängliche Hinweis auf verschieden angesehene Berufsstände; und der abgeschlagene Kopf des Marschalls mag mehr andeuten als ein bloßes Berufsrisiko. Auch die Rolle des Pöbels, der arm und verachtet dem Spiel zuschaut und die Kosten zu tragen hat, entschädigt nur durch das zweifelhafte Vergnügen, die Spieler anschließend auslachen zu dürfen, verweist auf einen nicht harmlosen Hintersinn. In diesem Gedicht von 1780 kündigt sich bereits die Revolution an.
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So in der französischen Moralistik und bei Rousseau, vgl. dazu HESS, ebd. S. 250 ff Zit. nach Rudolf MAJUT: Lebensbühne und Marionette. Ein Beitrag zur seelengeschichtlichen Entwicklung von der Genie-Zeit bis zum Biedermeier. Berlin 1931, S. 22
III. Der negative Affekt der Schauspielmetapher seit der Französischen Revolution
1. Macht als Ohnmacht: der Metaphemgebrauch der Revolutionäre Wenngleich die Forschung neuerdings die Kontinuität der Entwicklung vom Ancien régime zur Französischen Revolution betont,1 erlebten die Zeitgenossen Frankreichs Revolution als Ereignis, das alle Erfahrung überstieg, als einen Punkt, an dem das radikal Neue einsetzte, als Epochenwende. Dieses Empfinden negierte die Vorstellung von der ewigen Wiederkehr des Gleichen, wendete den Blick ab von der Vergangenheit und richtete ihn voller Emphase, in Annahme eines sich progressiv vollziehenden Geschichtsprozesses, auf die Zukunft.2 Zur Beschreibung des Phänomens bedienten sich die Revolutionäre einer Bildsprache, die vorwiegend aus dem Bereich der Natur schöpfte.3 Der "Sturm" der Revolution gehörte ebenso dazu wie der reißende Strom.4 Solche Metaphern sind rhetorische Mittel im Dienste der "persuasio". Durch ihre Verwendung stilisierten die Revolutionäre die Revolution zum natürvgl. Johanna KAHR: Umbruchbewußtsein und regressive Schreibweise in der französischen Revolutionshistoriographie des 19. Jahrhunderts. - In: Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie. Hg. von Hans-Ulrich Gumbrecht u. Ursula Link-Heer. Frankfurt 1985, S. 141-165 Solche Gedanken waren schon im apokalyptischen Denken des Christentums angelegt. In seiner historischen Deutung der Trinitätslehre entwirft Joachim von Fiore die Vision eines "dritten Reiches", Zeitalter des Geistes, das bereits im Diesseits Liebe und Freiheit durch Einsicht verspricht. Nicht nur; wie J.Link ausführt, entstanden zum Teil völlig neue Symbole (Metaphern), z.B. das Symbol der geschleiften Bastille. Vgl. Jürgen LINK: Die Revolution im System der Kollektivsymbolik. Elemente einer Grammatik interdiskursiver Ereignisse. - In: Aufklärung. Jg.l. H.2 (1986), S. 5-23 Desmoulins begeistert sich für den "torrent révolutionnaire" und Robespierre für den "tempête révolutionnaire". Vgl. dazu die Ausführungen von Hannah ARENDT: Über die Revolution, S. 59f
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liehen, d.h. zum zwangsläufigen und notwendigen Ereignis. Gleichzeitig konnten sie damit den politischen Gegner ins Unrecht setzen, denn die veranschlagte Affinität des Naturbegriffs zu "Vernunft" und "Moral"5 denunzierte die Widersacher der Revolution automatisch als unnatürlich, unvernünftig und deshalb im moralischen Sinne schlecht. Der rhetorische Bildgebrauch beabsichtigt also Suggestion. Er funktioniert als emotionaler Ersatz für begriffliche Argumentation und ist bevorzugtes Element der auf affektive Resonanz rechnenden Überredung.6 Ferner kann er Aufschluß geben über Ängste und Hoffnungen, die unbewußt in die Sprache einfließen. So impliziert die Naturmetaphorik, wo sie die Qualität des Unabänderlichen trägt, Schuldlosigkeit der in ihrem Sinne Handelnden an den verheerenden Wirkungen. Andererseits enthält sie eine uneingestandene, fatalistische Einstellung gegenüber den eigenen menschlichen Möglichkeiten, wie bereits Hannah Arendt feststellte: Die wesentlichen Metaphern, in welchen die Revolution nicht als Menschenwerk, sondern als unwiderstehlicher Prozeß beschrieben und gedeutet wird (...) bezeugen deutlicher als alle Reflexionen, daß, wie trunken sie (= die Revolutionäre) auch vom Wein der Freiheit theoretisch gewesen sein mochten, sie sich praktisch keine Illusionen darüber machten, daß sie längst aufgehört hatten, in Freiheit zu handeln.7 Direkter wären diese Ängste zweifellos im Bild des Schauspiels zu fassen gewesen, das ja das Abbild des determinierten Menschen schlechthin darstellt. Doch setzt ein solcher Gebrauch der Metapher verarbeitete Erfahrungen, Reflexionen voraus, die in den ersten Jahren, da die Revolution noch im Zeichen des optimistischen 18. Jahrhunderts stand, nicht zu gewärtigen waren. Solange der Anspruch des In-Freiheit-Handelns bestand, taugte das Bild nicht zur Identifikation, zumal seine Tradition als Sinnbild einer ständisch-religiösen Gesellschaftsordnung noch bewußt sein mochte. Die Deutung der Revolution als Schauspiel wurde erst aus der Retrospektive möglich, in dem Moment, als der historische Hintergrund der Metapher mit dem neuen Erfahrungshorizont unkontrollierbarer Revolutions5
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z.B. in Robespierres Rede vom 7.5.1794, wo ihm die Nähe der Begriffe willkommen ist, Aufrufe zu einer mäßigenden Politik abzuschmettern: Malheureux sophiste! de quel droit viens-tu arracher à l'innocence le sceptre de la raison pour le remettre dans les mains du crime, jeter un voile funèbre sur la nature, désespérer le malheur, réjouir le crime, attrister la vertu, dégrader l'humanité? - Abgedruckt in: Archives Parlementaires. Bd. 90. Paris 1972, S. 135 Hans-Wolf JÄGER: Politische Metaphorik im Jakobinismus und Vormärz. Stuttgart 1971, S. 32 ARENDT: Über die Revolution, S. 60
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wirren aktualisiert werden konnte. Dieser Augenblick war frühestens Ende 1791 erreicht, als Frankreich zur Lösung innenpolitischer Schwierigkeiten sich einmütig8 zum Krieg gegen das Ausland entschloß. Wenn dennoch von Anfang an Elemente der Schauspielmetapher die Sprache der Revolutionäre durchsetzen, dienen sie im positiven Sinne der Verherrlichung des Handlungssubjekts "Revolution" als erhabenes Schauspiel, im negativen Sinne der Denunziation des politischen Gegners als maskierter Verräter. Die letzte - reichlich ausgeübte - Tradition reicht noch über das Ende der Revolution hinaus bis in die historiographischen Berichte über die Revolution. Im folgenden soll an vier Revolutionären, Desmoulins, Robespierre, Vilate und Mercier, die unterschiedliche Verwendung der Metapher beispielhaft demonstriert werden.
a) Camille Desmoulins Camille Desmoulins ist durch Büchners Drama "Dantons Tod" hinreichend bekannt. Doch bevor er im Verein mit Danton die Einsetzung eines Gnadenausschusses forderte, begann er seine Laufbahn als radikaler Anhänger der Richtung, die er später bekämpfte. Er initiierte den Sturm auf die Bastille und verfaßte, großer Redner und Schriftsteller, bereits 1789 mehrere Broschüren, in denen er in flammenden Worten seine revolutionären Gedanken niederlegte. Vom September 1789 stammt sein "Discours de la lanterne aux Parisiens". Die fiktive Rede der Laterne am Place de Grève, an der Foulon gehängt worden ist, brachte wegen ihres makabren Gehalts Desmoulins den Spitznamen "procureur-général de la lanterne" ein. In philosophisch-betrachtender Weise vermittelt sie jene Ideologie, die nachher zur "Diktatur der Laterne" geführt hatte. Auch die Metapher des Schauspiels wird in ihren Dienst gestellt:
Le Palais-Royal, dit-elle, est le foyer du patriotisme, le rendez-vous de l'élite des Français qui ont quitté leurs provinces, pour assister au magnifique spectacle de la révolution de 1789, et n'en être pas spectateurs ois iß.9 Die Bewunderung für le spectacle magnifique umhüllt das revolutionäre Geschehen mit der Aura des Grandiosen. Unterschwellig weckt sie das Der Vorschlag der Girondisten, mit Hilfe eines Krieges die Freiheit zu exportieren, begeisterte alle Faktionen, einschließlich Desmoulins, Marat und Danton. Einzig Robespierre stimmte aas Furcht vor einer Militärdiktatur dagegen. Camille DESMOULINS: Discours de la Lanterne aux Parisiens". Zit. nach: Aperçus historiques et littéraires sur Camille Desmoulins, S. 10. - In: Collection des Mémoires relatifs à la Révolution française. Paris, Brüssel 1825, S. 1-28
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Gefühl, in der Schuld der Revolution zu stehen, Akteur sein zu müssen, statt müßiger, parasitärer Zuschauer. Die emotionsgeladenen Begriffe élite und patriotisme verstärken den psychischen Druck, insofern der Wunsch, zur Elite zu gehören, und die damals selbstverständliche Identifikation mit patriotischen Zielen gekoppelt sind an ein - durch das Symbol der Laterne unmißverständlich bezeichnetes - radikal-demokratisches Verhalten. Doch bereits 1790 wendet sich Desmoulins gegen die von ihm selbst propagierten Ideen. In der von ihm herausgegebenen Zeitung "Les Révolutions de France et de Brabant" greift er Marat an, der zuvor die These vertreten hatte, es sei besser, fünf- bis sechshundert despotische Köpfe abzuschlagen als fünf- bis sechshunderttausend Köpfe dem Despotismus auszuliefern. In seiner Réplique nimmt Desmoulins den Vergleich mit einem Schauspiel wieder auf: M. Marat, (...) Cinq à six cents têtes abattues! Vous êtes le dramaturge des journalistes. "Les Danaïdes", "les Barmécides" ne sont rien en comparaison de vos tragédies. Vous égorgeriez tous les personnages de la pièce, et jusqu'au souffleur. Vous ignorez donc, que le tragique outré devient froidjo Interessanterweise richtet sich Desmoulins' Kritik nicht gegen die These Marats, man müsse den Despotismus notfalls mit Gewalt ausrotten, erst recht nicht gegen die Revolution, sondern sie richtet sich lediglich gegen Marats unangemessene Übertreibung des Tragischen. Marat trübt damit die Aura der erhabenen, weil tragischen Revolution. Für das Selbstverständnis der Revolutionäre ist die Qualität der Revolution von entscheidender Bedeutung. Denn nur solang die Revolution als Tragödie sich darstellt, erstrahlen ihre Akteure als Helden, die unverschuldet schuldig werden müssen, die sich opfern für edle Ziele und die daher die ungeschmälerte Bewunderung aller Menschen und ihrer Nachkommen verdienen. b) Maximilien Robespierre Ähnlich wie Desmoulins nutzt Robespierre die Schauspielmetapher für seine Argumentation. In seiner Rede vom 5.2.1794 richtet er den Angriff gegen Danton und seine Anhänger, denen er vorwirft, in durchtriebener Feigheit die Konterrevolution voranzutreiben: Il est bien plus commode de prendre le masque du patriotisme pour défigurer, par d'insolentes parodies, le drame sublime de la révolution, pour 10
In Nummer 37 der "Révolutions de France et de Brabant", S. 603; auch zit. in den "Collection des Mémoires relatifs", S. 11
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compromettre la cause de la liberté par une modération hypocrite, ou par des extravagances étudiées.11 Abgesehen davon, daß Robespierre seine Kritiker diskreditiert, indem er ihrem revolutionskonformen Verhalten schlichtweg Heuchelei unterstellt, folgt der Rest seiner Ausführungen subtileren Argumentationsmechanismen. Er rückt die Revolution, die Erhabene, die Unantastbare, in den Vordergrund. In den Worten Robespierres erhält sie durch die grande pureté ihrer Grundlagen und die sublimité même de son objet12 den Rang eines Heiligtums, und zwar des sanctuaire de la vérité.13 Wer in ihren Verlauf eingreift, begeht ein Sakrileg. Denn er würde sie damit "entstellen", entehren (flétrir la cause de la révolution>4) durch "einstudierte Ausschweifungen" und "heuchlerische Beschwichtigungen". Das "erhabene Drama der Revolution" gibt die Handlungsstruktur vor, nach der sich die Revolutionäre zu verhalten haben. So verkehrt sich der angemessene Anspruch, daß die Revolution das Werk der politisch aktiven Bürger sein soll, ins Vermessene, in die absurde Forderung, die Protagonisten sollten sich nach dem "erhabenen Drama" richten. Indem Robespierre die Revolution zum "höheren Wesen" kürt, verleiht er seinen subjektiven Interessen die Weihe einer höheren, objektiven Gesetzen gehorchenden Ordnung. Unbewußt bedient er sich damit des gleichen politischen Tricks, den er hellsichtig an Königen und anderen Tyrannen entlarvt. Sie müssen couvrir leurs projets d'un voile religieux,1S Doch resultiert Robespierres Verhalten aus dem Dilemma, mit dem sich die Revolutionäre unvermittelt konfrontiert sahen: Si tous les coeurs ne sont pas changés, combien de visages sont masqués!16 Die Angst, von lauter Heuchlern umgeben zu sein, erweist sich als berechtigt, denn in der Tat waren sie alle bis 1789 royalistischer Gesinnung gewesen.17 Um der Intrige zu entgehen, setzt Robespierre ein Ideal, das unabhängig von partikularen menschlichen Interessen die Erhaltung der revolutionären Errungenschaften garantieren soll.18 Die Illusion, der Robespierre noch nachhängt, als sein Terror die 11
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Maximilien ROBESPIERREs Rede vom 5.2.1794 über die Prinzipien der politischen Moral. - Abgedruckt in: Archives Parlementaires. Bd. 84. Paris 1963, S. 331 ebd. S. 332 ebd. S. 337 ebd. S. 335 ebd. S. 330 ebd. S. 335 vgl. ARENDT: Über die Revolution, S. 61 So will er das Schicksal der Freiheit lieber den Händen der ewigen Wahrheit anvertrauen als denen vergänglicher Menschen: IIfautprendre de loin ses precautionspour
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Thermidorianer bereits formiert, ist die nationaler, der Welt Bewunderung abzwingender Einigkeit: L'homme est le plus grand objet qui soit dans la nature; et le plus magnifique de tous les spectacles, c'est celui d'un grand peuple assemblé.19 c) Joachim Vilate Im Frühjahr 1792, im Alter von 23 Jahren, kam Joachim Vilate nach Paris, um sich plein d'ivresse révolutionnaire20 unter die Männer zu mischen, die ab dem 31. Mai 1793 ont joué les premiers rôles sur le théâtre sanglant de la révolution.21 Begeisterung für das Schöne und die Tugend sowie Liebe zur Menschlichkeit rissen ihn in die scènes tragiques décorées des noms de vertu, de patriotisme22 hinein. So jedenfalls erklärt sich Vilate zu Beginn seiner Memoiren, die er zwischen seiner Verhaftung kurz vor dem 9. Thermidor und dem 16. November im Gefängnis geschrieben hat. Wenngleich die Schrift wohl nicht nur den lauteren Zweck verfolgt, das französische Volk über die geheimen Ursachen des 9. und 10. Thermidor aufzuklären, sondern eher dem Versuch dient, den eigenen Kopf zu retten,23 kommt ihr dennoch ein heuristischer Wert zu, denn es ist die erste Schrift eines Revolutionärs, die nach dem Sturz Robespierres resümierend die Ereignisse der Revolution zusammenfaßt.24 In Vilates gesamtem Bericht bildet die Schauspielmetapher die Basis seiner Argumentation. Doch anders als bei Desmoulins und Robespierre erhöht sie nicht die Revolution zur ordnungsstiftenden, überparteilichen und erhabenen Macht, sondern sie soll die "Tragödie" als Resultat willkürlicher Machinationen von Robespierre, St. Just, Barère, Collot d'Herbois und anderen entlarven. Indem er die Art und Weise beschreibt, wie die Tragödie inszeniert worden ist, raubt er ihr den kathartischen Schein. Immer wieder rückt er die Autorschaft nicht der Revolution, sondern einzel-
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remettre les destinées de la liberté dans les mains de la vérité qui est éternelle, plus que dans celles des hommes qui passent - In: Archives Parlementaires. Bd. 84, S. 330 In der Rede vom 7.5.1794. Archives Parlementaires. Bd. 90, S. 138 Joachim VILATE: Causes secrètes de la Révolution du 9 au 10 Thermidor, S. 175. In: Collection des Mémoires relatifs, S. 171-270 ebd. S. 173 ebd. Es ist ihm nicht geglückt. Von den eigenen Leuten denunziert und verhaftet, wurde er am 7. Mai 1795 als Spion Robespierres hingerichtet. Vgl. auch Adolf BECK: Unbekannte Quellen für "Dantons Tod" von Büchner, S. 498 ff. - In: Jahrbuch des freien deutschen Hochstifts. (1963), S. 489-538 Meines Erachtens die erste, weil sie direkt nach dem Thermidor verfaßt und zwischen dem 6. Oktober und 16. November 1794 abgeschlossen worden ist.
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ner in den Vordergrund: Alors, Collot d'Herbois jouait ses sanglantes tragédies à Lyon. Alors Billaud-Varennes exhalait à la tribune ses froides fureurs...25 Und zum blutigen Verlauf der Revolution sei es gekommen, weil les acteurs de la tragédie s'étaient distribué les rôles pour répandre la terreur.26 Die Darsteller werden als Monstren charakterisiert,27 als Konterrevolutionäre im Kostüm von Revolutionären,28 und Frankreich enthüllt sich als blutige Bühne ihrer Aktionen. Denn der Terror mise à Vordre du jour manifestierte sich in den tragédies sanglantes jouées et répétées sur toute la France.29 So sehr Vilate bemüht ist, seine ehemaligen Gefährten als die an den Vorfällen allein schuldigen Ungeheuer zu brandmarken, schleicht sich doch ein fatalistischer Ton in seinen Bericht, der die Macht der Verhältnisse, die fatalité des circonstances inséparables de la révolution,30 in den Blick rückt und so eine neue Perspektive der Revolutionsbetrachtung eröffnet. Einerseits scheint er zu ahnen, daß die Revolutionäre so vielen Einflüssen ausgesetzt waren, daß ihnen schlechterdings die Regie entglitten ist: A l'époque de ces désastres, c'était un spectacle déplorable de voir leurs auteurs tourmentés de remords, ne pouvant avouer leurs forfaits, incapables d'y apporter des adoucissements, effrayés de leur sort, puiser dans des conspirations chimériques de l'intérieur qu'ils ravageaient.31 Andererseits beschreibt er die unheimliche Geschwindigkeit der revolutionären Prozesse, die er als die Resultate chaotischer Unorganisiertheit und andauernder Rivalitäten hinstellt: Au spectacle de la vélocité des opérations majeures qui ont eu lieu, on a pensé qu'il existait, à l'ancien comité de salut public, un ordre de délibe25 26 27 28 29 30 31
VTLATE: Causes secretes, S. 178 ebd. S. 186 vgl. z.B. ebd. S. 230 vgl. ebd. S. 246 ebd. S. 246 ebd. S. 266 ebd. S. 251. Gumbrecht bemerkt in einer Untersuchung epideiktischer Reden der Revolutionäre: Es "muß die Unvorhersehbarkeit der Zukunft, die Kontingenz im Handeln der anderen als ein Grunderlebnis der historischen Akteure (...) berücksichtigt weiden. Das Erleben einer überkomplexen und daher beunruhigenden Umwelt sollte in eine Erfahrung umgesetzt werden, welche jakobinischen und sansculottischen Zukunftsvisionen entsprach." - In: Hans-Ulrich GUMBRECHT: Funktionen parlamentarischer Rhetorik in der Französischen Revolution. Voistudien zur Entwicklung einer historischen Textpragmatik. München 1978, S. 110
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rations sages et constantes (...) La République était dans l'erreur (...) Il n'y avait point de plan systématique dans le travail, mais bien une confusion horrible et croissante.32 Immer dort, wo der Eindruck entsteht, daß die Komplexität der wirkenden Faktoren wie eine anonym waltende Macht das Geschehen beeinflußt, wechselt der Bildgebrauch von den blutigen Tragöden, den anthropophages, zu den ridicules jeux de quelques marionnettes politiques.33 Die Diskrepanz zwischen dem, was gesagt und gewünscht worden war, und den Fakten vergrößerte sich derartig, daß die Aktionen den Anstrich des Lächerlichen erhielten. Vilate klagt: S'il a fallu le gouvernement révolutionnaire pour sauver la République (...) il ne fallait pas des scènes de persiflage et de ridicule. (...) Quel est donc la magie de ce mot imposant de "révolution", s'il emporte la justification de tous les excès (...)?34 Vilate kann die Frage nicht beantworten; er weicht dem beklemmenden Bild der lächerlichen Groteske aus und zieht es vor, die Sache der Revolution zu retten, indem er schlichtweg die Faktion um Robespierre zum Hort der Konterrevolution erklärt. Denn: Ces grandes et épouvantables calamités sont la contrerévolution: ni le costume, ni les discours patriotiques ne peuvent dénaturer les choses.35 d) Louis Sébastien Mercier Bekannt als Autor des "Tableau de Paris" und Verfechter einer neuen, bürgerlichen Kunsttheorie, versuchte Mercier auch in der Politik seine Ideale zu verwirklichen. Er stritt als Abgeordneter deS Nationalkonvents auf der Seite der Girondisten gegen die radikale Politik der Jakobiner, wurde 1793 verhaftet, nach dem Sturz Robespierres am 27.7.1794 freigelassen und später in den Rat der Fünfhundert gewählt. Sein Bericht über die Revolutionszeit, "Le nouveau Paris", erschien 1798/99 und steht mithin auf der Schwelle zwischen der Erlebnisschilderung eines Augenzeugen und einer historiographischen Erzählung. Die gleiche Ambivalenz zeigt sich in Merciers Gebrauch der Schauspielmetapher. Die fanatische Suche nach den Schuldigen, nach den Feinden der Revolution, kennzeichnet den aktiv beteiligten Revolutionär. Wie schon 32 33 34 35
VILATE: Causes secrètes, S. 228 ebd. S. 246 ebd. ebd.
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Robespierre und Vilate stilisiert Mercier den politischen Gegner zum Schauspieler, der unter der Larve der Humanität, sous le masque populaire,36 seine eigensüchtigen, d.h. konterrevolutionären Interessen verbirgt. In der emotionellen, maßlos übertriebenen Darstellung Merciers werden die Jakobiner zu blutrünstigen Figuren verformt, zu monstres d'ineptie et de cruauté qui tuèrent la révolution.37 Ihre Gefährlichkeit gründet in der Macht der Demagogie, die sie hemmungslos und mit Erfolg für sich ausnutzen: Qui n'a pas entendu ce Chaumette, procureursyndic de la commune, (...) qu'il parlait des pauvres, des malheureux, (...) n'a pas une idée de l'insolence d'un démagogue, et des choses bizarres que ce rôle lui inspire. Ces farces burlesques auroient provoqué le rire inextinguible des dieux d'Homère, si la sanguinaire férocité n'y eût pas joint ses menaçantes paroles.38 Immer wieder stellt Mercier das Verhalten der Revolutionäre und ihr Echo im verführten Volk in dem Verhältnis Schauspieler-Zuschauer dar; und er scheut sich nicht, die Tatsache, daß Fabre-d'Eglantine, Collot d'Herbois und andere sich in der Vergangenheit als Dichter, Schauspieler und Komödianten betätigten, auszunutzen, um die zwielichtige Doppeldeutigkeit ihres Charakters unter Beweis zu stellen: Plusieurs comédiens, ce qui est à remarquer, furent les fauteurs déterminés de cette hideuse anarchie qui a inondé notre pays de sang, qui a transformé les Français en instrumens de forfaits ou en lâches spectateurs des plus affreuses atrocités.39 Über die Macht der Verführung verfügen sie aber, weil sie sich die Begriffe unterworfen haben, und so ist es ihre unwiderstehliche Beredsamkeit, welche, statt als lächerliche Gaukelei erkannt zu werden, die blutigsten Tragödien nach sich zieht.40
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Louis-Sébastien MERCIER: Le nouveau Paris. Braunschweig, Paris 1798/99. IV, S. 179 ebd. II, S. 5 ebd. IV, S. 158 ebd. III, S. 214 Als Autoren und Spieler ihrer eigenen Tragödien bezeichnet Mercier die Jakobiner und spricht damit mittelbar das Subjekt "Revolution" frei, da es aus dieser Sicht mit den tragischen Entgleisungen nichts zu tun hat: Ce fut cette populace qui environna constamment les échafauds, et qui, jamais lasse du spectacle, fatiguoit jusqu'aux auteurs de ces sanglantes tragédies. Ebd. Bd. I, S. XX
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C'étoit un spectacle risible de voir des huissiers et des revords transformés en orateurs. Mais leur logique sanguinaire effaçoit de leur brutale éloquence.41 Die genannten Beispiele sind typisch für den in das Geschehen eingespannten Aktionisten der Revolution. Die Denunziation der gegnerischen Partei erwies sich als notwendig, sollte das Primat des Handelns in Freiheit bestehen bleiben können. Denn nur durch die Entdeckung eines Sündenbockes, der für den Verlauf der Revolution haftbar gemacht werden konnte, war das Projekt "Revolution", die Beherrschbarkeit der Zukunft durch menschliche Vernunft, überhaupt zu retten. Das Eingeständnis, daß die Revolution Kräfte freigesetzt und Zustände geschaffen hat, die schlechterdings unkontrollierbar weiterwirkten, hätte die theoretischen Voraussetzungen ihres Unternehmens Lügen gestraft und wäre dem Verlust ihrer Identität gleichgekommen. Andererseits bietet der Bericht bereits eine historiographische Perspektive. Die zeitliche Distanz versetzt Mercier in die Position eines Zuschauers, der sich aus der Entfernung um nüchterne Betrachtung bemüht. Die Schauspielmetapher motiviert sich hier aus der Unfähigkeit, die Gesetze des revolutionären Verlaufs zu entdecken. Sie resultiert aus der Hilflosigkeit angesichts der Selbstläufigkeit des revolutionären Geschehens, das sich rückblickend als irreales, chaotisches Treiben darstellen mußte. Dort, wo jede Erklärung versagt, drängt sich das Theatergleichnis auf, um das Unfaßbare faßbar zu machen: La révolution a été souvent un spectacle, où Paris étoit partagé en deux classes, l'une qui agit, l'autre qui reste aux galéries, pour juger comme au Cirque, de l'adresse et de la force des lutteurs.42 Das Erleben einer Realität, die in ihrer Unwahrscheinlichkeit jede Fiktion überbietet,43 bleibt für Mercier theoretischer Aufarbeitung noch unzugänglich. Die Aufklärung über die Ursachen des revolutionären Ablaufs wird den Historikern kommender Generationen überantwortet:
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ebd. II, S. 144 ebd. IV, S. 53. - Zur Position des Zuschauers angesichts einer Katastrophe vgl. auch Hans BLUMENBERG: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt am Main 1979 Die Aufführung einer Farce umstürzlerischen Inhalts kommentiert Mercier mit der Bemerkung: Mais les événemens devinrent à la fois si terribles et si singuliers, que la fiction théâtrale étoit loin d'atteindre le fait historique. MERCIER: Le nouveau Paris. IÜ, S. 238
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Il viendra, l'historien qui avec de nouveaux documens (...) dira jusqu'à quel point tous les scélérats, et même des hommes de bien, ont été des marionnettes, des pantins obéissons, et qui ne soupçonnoient pas le fil qui les faisoit mouvoir.44 Zweifel an der menschlichen Autonomie dominieren von nun an wieder das Bild des Schauspiels: Aristote a défini l'homme un animal risible, mais on ne peut pas imaginer à quel point il l'est et peut le devenir, si l'on n'a point vu ces scènes facétieuses, ces imaginations burlesques, ces fantasques délires de l'extravagance, qui annonçoient un peuple subitement licencié, et voulant réparer dans un jour la pénible contrainte où il avoit gémi pendant plusieurs siècles: et l'on peut m'en croire; tous les spectateurs, comme assistant à une nouveauté inouïe, partageoient la bruyante allégresse de la multitude, et ses marottes. (...) On donne dans les spectacles la farce après la tragédie; mais ici c'étoit la farce qui précédoit les scènes tragiques.45 Die gescheiterte Revolution, dargestellt im Bilde des Schauspiels, verursacht die Konjunktur des fatalistischen Symbols in den pessimistischen Geisteshaltungen des 19. Jahrhunderts.
2. Die Metapher in der Geschichtsschreibung Den Historiographen kommt im allgemeinen die Aufgabe zu, vergangene Ereignisse für die Zeitgenossen faßbar zu machen, sie darzustellen, wie sie wirklich geschehen sind, ihre Ursachen und Ziele zu kennzeichnen und dabei möglichst objektiv zu bleiben. Notwendigerweise verlangt die Erfüllung einer solchen Aufgabe von ihnen die Interpretation der Vergangenheit, d.h. sie müssen sie erklären, indem sie die einzelnen Begebenheiten einem Gesamtzusammenhang subsumieren, sie müssen einen Sinn des Geschehens herausschälen und die Ereignisse in Kausalitätsketten bringen. Für die Revolutionshistoriographen erwies sich die Bewältigung dieser Aufgabe als besonders schwieriges Unterfangen, denn sie sahen sich mit einem Ereignis konfrontiert, das die meisten Augenzeugen als orientierungslos, chaotisch und bar jeden Sinns beschrieben hatten. Dieses Dilemma zwang die Geschichtsschreibung für die Darstellung eines völlig neuen geschichtlichen Ereignisses auf literarische Darstellungsschemata 44 45
I. S. 6 in, S. 23
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zurückzugreifen; und zwar auf revolutionsfreundliche oder -feindliche, wobei, wie Johanna Kahr ausführt, gerade die Geschichtsschreibung in extremer Weise zum Instrument der ideologischen Auseinandersetzung (wird), so daß sich die mit der Revolution entstandenen Parteiungen bis in die Versuche historischer Sinnbildung fortsetzen.46 Auch bei der Schauspielmetapher handelt es sich um eine literarische Anschauungsform, die im Dienste der Sinnstiftung in historiographischen Texten verwendet wird. Ihre Anwendung erfolgt auf zweierlei Weise. Zum einen verbleibt sie in der Tradition des emotionalen Gebrauchs, wie ihn die Revolutionäre selbst geübt hatten, bleibt also ein Bild, das aus Mangel an einer besseren Erklärung den Begriff ersetzen muß und wegen seines suggestiven Charakters vortrefflich mit polemischen bzw. apologetischen Absichten verknüpft werden kann. Zum anderen strukturiert die Metapher die historiographische Erzählung, indem sie als Form, als Plot mit dem Stoff verwoben wird. Hayden White zufolge liegen jedem historiographischen Text narrative Deutungsmuster zugrunde, mittels derer dem Text eine bestimmte Handlungsstruktur verliehen wird. White erklärt, daß es mindestens zwei Ebenen der Interpretation in jedem historischen Werk gibt: eine, auf der der Historiker eine Geschichte (story) aus der Chronik der Ereignisse konstituiert, und eine andere, auf der er, vermittels eines grundlegenderen Erzählverfahrens fortschreitend die Art der Geschichte, die er erzählt, zu erkennen gibt - je nachdem Komödie, Tragödie, Epos oder Satire.47 a) Louis Adolphe Thiers Louis Adolphe Thiers verfaßte seine berühmte zehnbändige "Histoire de la Révolution française" in den Jahren 1821-26. Sie zielt darauf, Notwendigkeit und Berechtigung der Revolution herauszustellen, um zu einer Festigung ihrer Errungenschaften aufzurufen. Die Darstellung ihres Verlaufs Johanna KAHR: Literarische Darstellungsschemata als Kompensation in der Geschichtsschreibung, S. 593 - In: E. Lämmert (Hg.): Erzählforschung. Ein Symposion (Germanistische Symposien. Berichtsbände 4) Stuttgart 1982, S. 591-619; vgl. auch R.Koselleck und W.D. Stempel (Hgg.): Geschichte - Ereignis und Erzählung. Poetik und Hermeneutik. Bd. 5. München 1973 Hayden WHITE: Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen. Studien zu einer Tropologie des historischen Diskurses. Aus dem Amerikanischen von B. Brinkmann Siepmann u. T. Siepmann. Hg. von R. Koselleck und K.-H. Stierle. Stuttgart 1986, S. 76
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gestaltet Thiers wie ein Drama. Das Jahr 1789 markiert dabei den ersten Akt und dient gleichzeitig der Exposition und Rechtfertigung der weiteren Ereignisse:
Ce premier acte, qui commença la révolution, était d'une haute importance, il est essentiel d'en justifier la nécessité C..)48 Denn 1789, so erzählt Thiers, formierte sich die Nationalversammlung, erklärte ihre Identität mit der Nation, begründete damit ihre Unverletzlichkeit und wendete sich schließlich im Bewußtsein ihrer Rechte gegen ihre Feinde, wobei sie durch die simple expression de sa volonté den heroischen Sieg über eine viel mächtigere Regierung davontrug:
C'est là toute la révolution; c'en est le premier acte et le plus noble; il est juste, il est héroïque, car jamais une nation n'a agi avec plus de droit et de danger.49 Im folgenden stilisiert Thiers die Revolution geradezu zur Heroine:
Au premier 14 Juillet 1790, la révolution était innocente encore et bienveillante, mais elle pouvait n'être pas sérieuse, et être mise à fin comme une farce ridicule, par les baïonnettes étrangers; en août, 1793 elle était tragique, mais grande, signalée par des victoires et des défaites, et sérieuse comme une résolution irrévocable et héroïque.50 1793 erstrahlt die Revolution noch einmal in ihrer vollen Größe, als sie zwar in Schuld fällt, aber dennoch im verzweifelten Kampf mit den Konterrevolutionären den Triumph über sie behält:
Jamais un spectacle ne fut plus grand et plus digne d'être proposé à l'admiration et à l'imitation des peuples.51 b) Carl Strahlheim Ganz anders zeichnet Strahlheim die Revolution. Obgleich er ebenso wie Thiers der Einstellung nach dem liberal-gemäßigten Lager zuzurechnen ist, entwirft er vorwiegend ein Schauerstück der Revolution. Die Sammlung
der merkwürdigsten Ereignisse von 1789-1830 bildet ein Konglomerat aus zahlreichen Anekdoten und anderen Quellen und wurde bald, regelmäßig 48
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Louis Adolphe THIERS: Histoire de la Révolution française. 15 édition. (Précédé du résumée de l'histoire de France jusqu'au règne de Louis XVI par F. Bodin, et suivie d'une continuation.) Brüssel 1840.1/2, S. 484, Bemerkung zu Note 2, S. 20 ebd. S. 92 ebd. S. 390 ebd. S. 481
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in Form von Heften erscheinend, eines der populärsten historiographischen Werke der Zeit im deutschsprachigen Raum.52 Auch Strahlheim verleiht der Revolution eine dramatische Handlungsstruktur. Doch betont er weniger die Größe und Tragik der eigentlich revolutionären Zeit von 1789-1794 wie Thiers, sondern er kürt Napoleon zum Helden, für den die Ereignisse dieser Zeitspanne nur Zwischenspiele im großen Drama der Revolution53 gewesen seien. Indem er die Zeit der Terreur unter einer fatalistischen Perspektive darstellt, löst er die Revolutionäre aus der Verantwortung, spricht ihnen gleichzeitig aber jegliches autonomes Handeln ab: Sie durften einmal nicht umkehren, und ihre grausame Tätigkeit mußte in eben dem Maße erhöht werden, in welchem sie die Unmöglichkeit einsahen, ihr Vorhaben durchzusetzen. Die revolutionäre Regierung ging nicht aus ihnen, sondern aus dem Drange der Umstände hervor.54 Der Freispruch der Revolutionäre von der "Entgleisung" der Revolution wird gekoppelt an den Schuldspruch der aufklärerischen Ideale: Das Elend entstand aus Idealen, die man realisieren wollte, nachdem sie vorher ganz Europa bezaubert hatten. Die Schöngeisterei spielte ihre Rolle fort, bis die Menschlichkeit ihr Stillschweigen auferlegte.55 Die dramatische Metapher verkörpert bei Strahlheim den fatalistischen Glauben an historisch wirksame Mächte, welche allein die Art der Aufführung bestimmen: Das Innere von Frankreich bot damals (= Ende des Jahres 1793 und Anfang 1794) ein seltsames, oft beweinens- oft belachenswertes, manchmal auch ein erhabenes Schauspiel dar.56 Die Moral dieser Interpretation besagt, daß man einerseits sich an den Erträgen der Französischen Revolution erfreuen darf, andererseits sich revolutionärer Aktionen enthalten soll, weil die Verbesserung der Welt nicht
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Unsere Zeit, oder geschichtliche Übersicht der merkwürdigsten Ereignisse von 17891830, nach den vorzüglichsten französischen (englischen und deutschen) Werken bearbeitet von einem ehemaligen Officiere der kaiserlich-französischen Armee. (= Hefttitel). - Die Geschichte unserer Zeit, bearbeitet von Carl STRAHLHEIM (d.i. Johann Konrad Friederich) ehemaligem Officiere der kaiserlich-französischen Armee. (Bandtitel). 30 Bde. (= 120 Hefte). Stuttgart 1826-30 ebd. XI. 42. Heft (1826), S. 142 ebd. S. 188 ebd. ebd. 43. Heft, S. 371
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die Sache der Massen ist, sondern einzelner, von der Geschichte beauftragter Individuen. c) Edmund Burke Burice wiederum verleiht seiner Darstellung der Revolution die Struktur einer Tragikomödie. Für ihn war die Revolution uneingeschränkt eine Katastrophe, die er von Anfang an anprangerte als Ergebnis einer barbarous philosophy, which is the offspring of cold hearts and muddy understandings.57 Die Stilisierung der Revolution zum Schauspiel dient Burice zum Ausdruck seiner tiefsten Verachtung: Who is it that admires, and from the heart is attached to, national representative assemblies, but must turn with horror and disgust from such a profane burlesque, and abominable perversion ofthat sacred institute?58 Den Bewunderern der Revolution wirft er vor, sich aus Sensationsgier an einem blutigen Spektakel berauschen zu wollen, sich mehr für die Effekte als für die Sache zu begeistern: Plots, massacres, assassinations, seem to some people a trivial price for obtaining a revolution. A cheap, bloodless reformation, a guiltless liberaty, appear flat and vapid to their taste. There must be a great change of scene; there must be a magnificent stage effect; there must be a grand spectacle to rouse the imagination (...)59 Lächerlich erscheinen die Motive der Revolutionäre, denn humanity and compassion are ridiculed as the fruits of superstition and ignorance.60 Und lächerlich seien die Akteure selbst, weil die Nationalversammlung, their organ, acts before them the farce of deliberation with a little decency as liberty. They act like the comedians of a fair before a riotous audience.61 Doch angesichts der Opfer verkehrt sich ihr Treiben in die Inszenierung von worse tragedies.62 d) François René de Chateaubriand Nicht minder abgeneigt als Burke äußert sich Chateaubriand zur Revolution: Während die Tragödie die Straßen mit Blut rötete, blühte im Theater 57
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Edmund BURKE: Reflections on the Revolution in France. 1910 Repr. London I960, S. 74 ebd. S. 66 ebd. S. 62 ebd. S. 66 ebd. ebd. S. 104
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das Schäferspiel. Seine Beurteilung der Revolution als Tragödie billigt ihr jedoch nicht das Prädikat der Erhabenheit zu, wie Thiers, sondern spricht wie Burice - aus der Sicht der Opfer. Diese unschuldig Gemordeten grenzt er gegen die moralische Verderbtheit des revolutionären Volkes ab. Die Männer des Konvents bezichtigt er in der bekannten Manier der Heuchelei: Sie priesen die Natur, den Frieden, die Frömmigkeit, die Reinheit, die häuslichen Tugenden; diese scheinheiligen Philanthropen ließen ihren Nachbarn mit äußerster Feinßihligkeit zum Wohl und Gedeihen der Menschheit den Kopf abhacken.63 Auch Napoleon erscheint ihm als Schauspieler, wenngleich er ihm die Achtung nicht ganz versagen kann. Daß Napoleon unter dem Banner der Freiheit seine Rolle angetreten hat, wertet Chateaubriand als historischen Zufall: Bonaparte hat wie die Fürsten nur die Willkür erstrebt und gesucht; wenn er dennoch mit Hilfe der Freiheit zu ihr gelangte, so geschah dies, weil er die Weltbühne im Jahre 1793 betrat. Die Revolution, die die Amme Napoleons war, wurde in seinen Augen bald zur Feindin; unaufhörlich schlug er auf sie ein.64 Angesichts des Todes von Napoleon reflektiert Chateaubriand die Geschichte als eine Folge von Revolutionen, die er ins Bild des Schauspiels faßt. Die Geschwindigkeit der Herrschaftswechsel veranlaßt ihn, die Metapher wieder in die Tradition des barocken Welttheater-Topos zu stellen: Die Geschichte insgesamt65 - erscheint als Rollenspiel. Maßstab der Kritik ist nicht das Schauspiel selbst, sondern die Qualität der Schauspieler, die die "Weltbühne" betreten: Von ihren legitimen Herrschern getrennt, sind die Völker GelegenheitsSouveränen anheimgefallen. Berühmte Akteure sind von der Bühne abgetreten, um namenlosen Schauspielern Platz zu machen.66 e) Alexis de Tocqueville Tocqueville begreift revolutionäre Prozesse unter dramatischem Aspekt, wobei das Dramatische nicht allein aus dem Neuen der historischen Situa63
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François René CHATEAUBRIAND: Erinnerungen. Hg.und neu übertr. von Sigrid Massenbach. München 1968, S. 167 ebd. S. 419 Chateaubriand benutzt die Metapher z.B. sowohl für die Revolution als auch für die Restauration. Vgl. ebd. S. 711 ebd. S. 429f
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tion rührt, sondern auch daraus, daß sich das scheinbar Sensationelle als die unerkannte, notwendige Folge einer kontinuierlichen historischen Entwicklung entpuppt. Tocqueville entwickelt diesen Gedanken am Beispiel der Februarrevolution:
L'histoire particulière d'une époque même de nos jours, quelque nouvelle et imprévue qu'elle paraisse aux contemporains, appartient toujours par le fond à la vielle histoire de l'humanité. Florence, notamment vers la fin du moyen âge, avait présenté en petit un spectacle très semblable de nôtre.67 Als Tocqueville sich 1851 entschließt, eine Geschichte seiner Zeit zu schreiben, wendet er sich dem "langen Drama der Französischen Revolution"^ zu:
J'avais souvent songé a l'empire cet acte singulier du drame encore sans dénouement qu'on nomme la révolution française.69 1856 erscheint der erste Teil von "L'ancien régime et la Révolution", in dem Tocqueville "dem Sturz des Ancien regime die Plotstruktur eines tragischen Falls" unterlegt.70 Tragischen Charakter erhält die Revolution von 1789, weil sie die zentralisierende Politik unter Ludwig XVI fortsetzte und also ausgerechnet in jenem Moment explodierte, in dem der alte Staat ohnehin reformerisch ausgerichtet war. Dramatisch erscheint die Revolution, weil sie der Geschichte eine grundsätzlich neue Qualität verleiht. Denn von nun an wird "die Geschichte der Zukunft (...) die Geschichte der Revolution sein".71 Mit der Revolution von 1789 beginnt nämlich der "erste Akt" eines "Dramas", dessen Ende nicht absehbar und dessen Schauplatz die Welt ist. Es handelt sich um die Revolution in Permanenz. Ihre Dauerhaftigkeit begründet Tocqueville durch den Umstand, daß in ihr die Revolutionäre politisch umzusetzen suchten, was sonst nur religiöse Revolutionen motivierte. Denn der Anspruch, mit dem sie antraten, war universeller 67
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Alexis DE TOCQUEVILLE: Oeuvres complètes. Hg. von Jacob Peter Mayer. Paris 1951 ff. XII, S. 92 Tocqueville im Brief an Kergorlay vom 15. Dezember 1850. Zit. nach J. P. Mayer: Alexis de Tocqueville. 2. Aufl. Stuttgart 1955, S. 119 Brief vom 26. Dezember 1850 an Gustave de Beaumont. Oeuvres. VIII/2, S. 343 WHITE: Auch Klio dichtet, S. 78 f KOSELLECK in dem Artikel "Revolution". - In: Geschichtliche Grundbegriffe, S. 762; Im gleichen Zusammenhang (S. 765) zitiert Koselleck Burckhaidt, der ebenfalls die Vorstellung einer permanenten Revolution in der Schauspielmetapher verdeutlicht: Eigentlich ist alles bis auf unsere Tage ¡auter Revolutionszeitalter, und wir stehen vielleicht erst relativ an den Anfängen oder im zweiten Akt " Das ganze Drama scheint "eine Bewegung werden zu wollen, die im Gegensatz zu aller bekannten Vergangenheit unseres Globus steht.
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Natur. Er wendete sich nicht an eine bestimmte Nation oder eine besondere gesellschaftliche Klasse, sondern er richtete sich an den Menschen schlechthin, wobei er weniger auf Freiheit denn auf Gleichheit zielte. In diesem Phänomen gründet das grundsätzlich Neue der Revolution, das ihre unvermeidbare Permanenz verursacht; denn solange der Anspruch uneingelöst bleibt, wird auch die Revolution dauern und werden immer wieder von der Teilhabe an der Macht ausgesparte gesellschaftliche Gruppen in seinem Sinne Herrschaft für sich beanspruchen: Une révolution politique qui inspire le prosélytisme: qu'on prêche aussi ardemment aux étrangers qu'on l'accomplit avec passion chez soi: considérez quel nouveau spectacle! (...) Prenant ainsi leur (= des règles de conduite) fondement dans la nature humaine elle-même, elles peuvent être reçues également par tous les hommes et applicables partout. De là vient que les révolutions religieuses ont eu souvent de si vastes théâtres, et se sont rarement renfermées, comme les révolutions politiques, dans le territoire d'un seul peuple, ni même d'une seule race.72 Tocqueville versteht den revolutionären Prozeß als fortschreitende Demokratisierung. Die Gefahr, die er in der neuen bürgerlichen Gesellschaft erblickt, besteht in einem verwandelten Despotismus, der die Menschen zwingt, ständig in Sorge zu sein, gesellschaftlich auf- und nicht abzusteigen, und sie in ihren partikularen Interessen einschließt.73
3. Die Metapher in der Philosophie Die Philosophen begegnen den Begriffen "Revolution" und "Geschichte" in zweierlei Weise. Entweder sie nähern sich ihnen affirmativ, indem sie in ihnen den prinzipiellen Ausdruck des gesellschaftlichen und menschheitlichen Fortschritts begrüßen. Das geschieht bei Kant, Fichte, Hegel und Marx, in deren philosophischen Systemen Revolution und Geschichte den Angelpunkt bilden. Oder sie begegnen ihnen negativ. Das zeigt sich in der 72 73
TOCQUEVILLE: L'ancien régime et la Révolution, n/2, S. 88 TOCQUEVILLE, ebd. S. 74: Les hommes n'y étant plus rattachés les uns aux autres par aucun lien de castes, de classes, de corporations, de familles, n'y sont que trop enclins à ne se préoccuper que de leurs intérêts particuliers, toujours trop portés à n'envisager qu'eux-mêmes et à se retirer dans un individualisme étroit où toute vertu publique est étouffée. Le despotisme, loin de lutter contre ta tendance, la rend irrésistible, car il retire aux citoyens toute passion commune, tout besoin mutuel, toute nécessité de s'entendre, toute occasion d'agir ensemble; il les mure, pour ainsi dire, dans la vie privée. Ils tendaient déjà d se mettre à part: il les isole; ils se refroidissaient les uns pour les autres: il les glace.
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den Fortschritt negierenden Philosophie Schopenhauers und Nietzsches. In ihr tritt die Revolution nur noch im Hintergrund zutage, denn sie verursacht das Empfinden, in einer Zeit allgemeiner Krisenhaftigkeit zu leben. a) Immanuel Kant Kant gehörte zu denjenigen Denkern, die auch dann noch sich zur Revolution bekannten, als die meisten anderen Intellektuellen sich in Anbetracht der Terreur von ihr abgewendet hatten.74 In seiner Schrift "Der Streit der Fakultäten" von 1798 verteidigt er das Ereignis in Frankreich und sieht darin sogar den Beweis für die moralische Tendenz des Menschengeschlechts. Dort heißt es: Es ist bloß die Denkungsart der Zuschauer, welche sich bei diesem Spiele öffentlich verräth, und eine so allgemeine und doch uneigennützige Theilnehmung der Spielenden auf einer Seite gegen die auf der anderen (...) laut werden läßt. Die Revolution eines geistreichen Volks, die wir in unseren Tagen haben vor sich gehen sehen, mag gelingen oder scheitern; sie mag mit Elend und Greuelthaten dermaßen angefüllt sein, daß ein wohldenkender Mensch sie, wenn er sie zum zweiten Male unternehmend glücklich auszuführen hoffen könnte, doch das Experiment auf solche Kosten zu machen nie beschließen würde - diese Revolution, sage ich, findet doch in den Gemüthern aller Zuschauer (die nicht selbst in diesem Spiele mit verwickelt sind) eine Theilnehmung dem Wunsche nach, die nahe an Enthusiasm grenzt, und deren Äußerung selbst mit Gefahr verbunden war, die also keine andere als eine moralische Anlage im Menschengeschlecht zur Ursache haben kann.75 Kants Beschreibung der Revolution erinnert an die Wirkung eines antiken Dramas, das ungeachtet seines schönen oder grausamen Inhalts, eine kathartische Wirkung bei den Zuschauern hervorzurufen vermag und in dieser Funktion uneingeschränkt zu befürworten ist. Die Möglichkeit zur Katharsis gewinnt die Revolution wiederum durch die Legitimität des Wunsches nach Freiheit. Indem diese erkannt und enthusiastisch begrüßt wird, vermag die Revolution die moralische Denkart der Zuschauer zu befördern. Kants Ethik des Zuschauens weist eine frappante Nähe zu MonKants Verhältnis zur Französischen Revolution diskutieren Peter BURG: "Die Französische Revolution als Heilsgeschehen" und Iring FETCHER: "Immanuel Kant und die Französische Revolution". Beide Aufsätze in Zwi BATSCHA (Hg.): Materialien zu Kants Rechtsphilosophie. Frankfurt am Main 1976 Immanuel KANT: Der Streit der Fakultäten. 2. Abschnitt. Der Streit der philosophischen Fakultät mit der juristischen. (1798). Akad.- Ausg. Berlin 1917. VII, S. 85
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taigne auf, wenngleich es diesem im Gegensatz zu Kant vor allem um Selbsterkenntnis ging. Ralf Konersmanns Ausführungen zur Bedeutung des Zuschauers bei Montaigne lassen sich weitgehend auf Kant übertragen: "Die Ethik des beteiligten Zuschauers, der sich von den großen, geschichtsmächtigen Ereignissen seiner Zeit bewegen läßt, nobilitiert den Draußenstehenden, der sich selbst auf einer Bühne agieren sieht und sein Selbst als Bühne begreift, um sich zu besitzen. Die Metaphorik des Sehens eint die widerstrebenden Bedürfnisse der Abstandwahrung und des Beteiligtseins."76 b) Johann Gottlieb Fichte Der junge Fichte, "Theoretiker der Revolution" und "philosophischer Jakobiner",77 verschrieb sich den Postulaten der Vernunft, die die Aufklärung in ihren Naturrechtslehren verankert hatte. Er begeisterte sich für die Revolution in Frankreich, denn sie vollzog die Wendung zum obersten Ziel seiner Philosophie, zur subjektiven Freiheit und zum autonomen, allein seinem Gewissen unterworfenen Ich. Fortschritt bedeutet in diesem Zusammenhang das Fortschreiten zur Freiheit und besitzt die Qualität eines Naturgesetzes, das sich, will man es einschränken, gewaltsam Durchbruch verschafft. Die Französische Revolution erscheint aus dieser Perspektive als natürliche Antwort auf die Repression eines Naturrechts durch den Staat. Fichte mahnt also in seiner Rede "Zurückforderung der Denkfreiheit"78 die Fürsten, die erste Voraussetzung für die Autonomie des Menschen, die Rede- und Publikationsfreiheit, zu garantieren, denn ein anderes Verhalten verstieße gegen den Zweck des Menschen, seine Selbstverwirklichung, und hätte notwendigerweise eine Revolution zur Folge: Der zurückgehaltene Gang der Natur bricht gewaltsam durch und vernichtet alles, was ihm im Wege steht, die Menschheit rächt sich auf das grausamste an ihren Unterdrückern, Revolutionen werden notwendig. Man hat von einem schrecklichen Schauspiel der Art, das unsre Tage lieferten, noch nicht die wahre Anwendung gemacht. Ich befürchte, es ist nicht mehr Zeit, oder es ist hohe Zeit, die Dämme, die man noch immer, jenes Schauspiel vor den Augen, anderwärts dem Gange des menschlichen 76
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Ralf KONERSMANN: Die Metapher der Rolle und die Rolle der Metapher, S. lOOf In: Archiv für Begriffsgeschichte. 30 (1986/87), S. 84-137 Bernhard WILLMS: Einleitung zu Fichtes Revolutionsschriften, S. 19 f. - In: Johann Gottlieb FICHTE: Schriften zur Revolution. Hg. von B. Willms. Frankfurt a. Main, Berlin, Wien 1973 FICHTE: Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europens, die sie bisher unterdrückten. Eine Rede. (1793) A.a.O., S. 53-80
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Geistes entgegengesetzt, zu lüften, damit er sie nicht gewaltsam durchbreche, und die Fluren schrecklich verwüste.79 Bildträger des Vergleichs ist ein Element der Naturmetaphorik, nämlich der reißende Strom, der sich, wird er gehemmt, gewaltsam seinen Lauf bahnt. Das Schauspiel meint hierbei nicht ein inszeniertes Agieren von Darstellern, es beschreibt also gerade keinen politischen Akt, sondern evoziert das Erschauern vor der gigantischen Größe und Unwiderstehlichkeit des geschichtlichen Progresses, der dem Betrachter, ungeachtet seiner Gewalttätigkeit, Bewunderung abnötigt. Als ein Naturereignis ersten Ranges, das man auch nicht nach moralischen Kategorien beurteilen würde,80 feiert Fichte die Französische Revolution, wenn er von dem großen Schauspiele redet, das uns Frankreich in unsern Tagen gab.81 c) Georg Wilhelm Friedrich Hegel Hegel verstand die Revolution als einen ruckhaften Schritt des Geistes zur Freiheit. Als solchen hat er sie immer rückhaltlos bejaht und stets bewundert:«2 Solange die Sonne am Firmamente steht und die Planeten um sie herumkreisen, war das nicht gesehen worden, daß der Mensch sich auf den Kopf, das ist, auf den Gedanken stellt und die Wirklichkeit nach diesem baut.83 Die Revolution ist für ihn eines der wechselnden Schauspiele der Weltgeschichte, in denen sich die Idee der Freiheit verwirklicht.84 Welthistorische Bedeutung erlangt das Ereignis, weil damit etwas grundlegend Neues in der politischen Realität verankert wird: das Recht auf Freiheit und Gleichheit, hinter das die Geschichte nicht mehr zurück kann.85 d) Karl Marx Als Marx beschließt, Hegel vom Kopf auf die Füße zu stellen, vertauscht er das ideelle Prinzip des sich zur Freiheit entwickelnden Geistes mit den 79 80
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ebd. S. 56 Was geschehen ist, ist Sache des Wissens, nicht des Urteilens, meint Fichte in seinem "Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution" (1793) a.a.O., S. 88. ebd. Zu Hegels Verhältnis zur Französischen Revolution vgl. Joachim RITTER: Hegel und die französische Revolution. (1965) Frankfurt am Main 1972 Georg Wilhelm Friedrich HEGEL: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Theorie-Werkausg. Frankfurt am Main 1970. XU, S. 529 ebd. S. 540 vgl. RITTER: Hegel und die französische Revolution, S. 30f
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materiellen Bedingungen einer Gesellschaft, mit ihren ökonomischen Standards. Deren Kräfte treiben nunmehr den historischen Prozeß an und produzieren dabei die geistigen Weltdeutungen, deren sie zur Legitimation für Erhalt oder Veränderung ihrer Gesellschaft bedürfen. Auf diese Weise gelangt Marx zu einer grundsätzlicheren Kritikfähigkeit der Realität seiner Zeit, sind doch nun die politisch handelnden Subjekte nicht bloß Instrumente der List der Vernunft,96 sondern verantwortlich für ihre Taten, die am objektiven Maßstab des gesellschaftlichen Entwicklungsstandes gemessen werden können. Marx beurteilt geschichtliche Epochen mit Hilfe eines Tragödien- und Komödienmodells, das ihm auch als theoretisches Instrument dient, die revolutionären Ereignisse von 1848 zu analysieren: Hegel bemerkt einmal irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andere Mal als lumpige Farce. Caussidiere für Danton, Louis Blanc für Robespierre, die Montagne von 1848-1851 för die Montagne von 1793-1795, der Neffe für den Onkel.n Welchen Aspekt von beiden eine Zeit trägt, hängt vom Grad ihres Bewußtseins ab. Während der Beginn einer weltgeschichtlichen Phase tragisch verläuft, weil sie, indem sie das Neue erst schaffen muß, noch über keinen eigenen gesellschaftlichen Inhalt verfügt und daher der Rückerinnerung an vergangene Epochen bedarf, trägt das Ende einer solchen Phase komische Züge,88 denn die Handelnden dieses Zeitabschnitts wissen rückblickend um die Resultate des Unterfangens, das sie sich zum Vorbild erkoren: Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar
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HEGEL, a.a.O., S. 49 Karl MARX: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. (1869) Berlin 1946, S. 9 Vgl. MARX: Zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie. - In: MEW. I, S. 381 f: Es ist lehrreich für sie (= die Völker), das ancien régime, das bei ihnen seine Tragödie erlebte, als deutschen Revenant seine Komödie spielen zu sehen. Tragisch war seine Geschichte nur, solange es die präexistierende Gewalt der Welt, die Freiheit dagegen ein persönlicher Einfall war, mit einem Wort, solange es selbst an seine Berechtigung glaubte und glauben mußte (...) Das moderne ancien régime ist nur mehr der Komödiant einer Weltordnung, deren wirkliche Helden gestorben sind. Die Geschichte ist gründlich und macht viele Phasen durch, wenn sie eine alte Gestalt zu Grabe trägt. Die letzte Phase einer weltgeschichtlichen Gestalt ist ihre Komödie. - Inwieweit Marx sich dabei von Hegels Tragödien- und Komödienbegriff hat inspirieren lassen, untersucht Wolfgang Fietkau, der die Theatermetaphorik bei Marx detailliert analysiert. Vgl. FIETKAU: Schwanengesang auf 1848. Ein Rendezvous am Louvre: Baudelaire, Marx, Proudhon und Victor Hugo. Hamburg 1978, S. 125-218
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vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen (...) Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neue Weltgeschichtsszene aufzuführen. So maskierte sich Luther als Apostel Paulus, die Revolution von 1789-1814 drapierte sich abwechselnd als römische Republik und als römisches Kaisertum, und die Revolution von 1848 wußte nichts Besseres zu tun, als hier 1789, dort die revolutionäre Überlieferung von 1793-1795zu parodieren.89 So zeiht Marx die Republikaner von 1848-1851 der absichtlichen Selbsttäuschung, da sie den objektiven Geist ihrer bürgerlichen Zeit, nämlich die Gesetze der Produktion von Reichtum im Zusammenspiel von Lohnarbeit und Kapital, nicht erkennen wollen und mit der Totenbeschwörung der Revolution von 1789 die Angst vor der Lösung ihrer wirklichen Konflikte beschwichtigen: Bei Betrachtung jener weltgeschichtlichen Totenbeschwörungen zeigt sich sofort ein springender Unterschied. Camille Desmoulins, Danton, Robespierre, St.Just, Napoleon, die Heroen, wie die Parteien und die Masse der alten französischen Revolution, vollbrachten in dem römischen Kostüme und mit römischen Phrasen die Aufgabe ihrer Zeit, die Entfesselung der modernen bürgerlichen Gesellschaft. (...) Die Totenerweckung in jenen Revolutionen diente also dazu, die neuen Kämpfe zu verherrlichen, nicht die alten zu parodieren, die gegebene Aufgabe in der Phantasie zu übertreiben, nicht vor ihrer Lösung in der Wirklichkeit zurückzußüchten, den Geist der Revolution wiederzufinden, nicht ihr Gespenst wieder umgehen zu machen.90 Marx beklagt, daß die soziale Revolution des 19. Jahrhunderts auf jegliche Utopie verzichtet habe, ihre daher lächerliche Drapierung mit Kostüm und Phrase der revolutionären Tradition des 18. Jahrhunderts im Grunde eine reaktionäre Wendung in die Vergangenheit bedeute, und sie deshalb letztlich eine konterrevolutionäre Wirkung gezeitigt habe. Auch im Marxismus bleibt die dramatische Auffassung vom Geschichtsprozeß erhalten.91 Kei89 90 91
MARX: Der achtzehnte Brumaire, S. 9 f ebd. S. 10 f Marianne Schuller betont einerseits die teleologische Konzeption des Gebrauchs der Dramenmetaphorik bei Marx, veranschlagt aber eine Auflösung im "Achtzehnten Brumaire", weil dort die Suche nach der "wirklichen Geschichte" aufgegeben werde
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neswegs leistet Marx eine Kritik am idealistisch-teleologischen Zug seines Denkens, wenn er fordert, die soziale Revolution des 19. Jahrhunderts möge ihre Poesie aus der Zukunft schöpfen.92
e) Arthur Schopenhauer Als die idealistische Philosophie mit Hegel ihren Höhepunkt erreicht, schafft Schopenhauer in seinem Werk "Die Welt als Wille und Vorstellung" bereits 1818 eine Gegen-Philosophie, die ganz und gar einen Angriff gegen die Hegeische Afterphilosophie93 darstellt. Denn Schopenhauer schilt die Annahme eines planmäßigen Ganzen in der Weltgeschichte und des Fortschritts der Menschheit einen platten Optimismus:94 Was die Ge-
schichte erzählt, ist in der Tat nur der lange, schwere und verworrene Traum der Menschheit.95 In der Geschichte offenbare sich nur das immer Gleiche unter verschiedenen Formen. Die Welt sei lediglich ein Tummel-
platz gequälter und geängstigter Wesen96 und ihre optimistische Betrachtung eine schreiende Absurdität:
Wenn man zu den Resultaten des gepriesenen Werkes fortschreitet, die Spieler betrachtet, die auf der so dauerhaft gezimmerten Bühne agiren, und nun sieht, wie mit der Sensibilität der Schmerz sich einfindet und in dem Maaße, wie jene sich zur Intelligenz entwickelt, steigt, wie sodann, mit dieser gleichen Schritt haltend, Gier und Leiden immer stärker hervortreten und sich steigern, bis zuletzt das Menschenleben keinen andern Stoff darbietet, als den zu Tragödien und Komödien, - da wird, wer nicht heuchelt, schwerlich disponirt seyn, Hallelujahs anzustimmen.97 Schopenhauers Verwendung der Schauspielmetapher knüpft in der fatalistischen Aussage an die Metapherntradition der Antike und des Mittelal-
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zugunsten eines (revolutionären) "Vergessen(s), das Zeit als Veränderung artikuliert". Vgl. Marianne SCHULLER: Wiederholen. Vergessen. Der achtzehnte B rum aire des Louis Bonaparte von Karl Marx. Randnotizen. - In: kultuRRevolution. Nr.24 (1/1991), S. 23-25 vgl. Hans-Thies LEHMANN: Dramatische Form und Revolution in Georg Büchners "Dantons Tod" und Heiner Müllers "Auftrag", S. 108 - In: Peter von Becker (Hg.): Georg Büchner. Dantons Tod. Kritische Studienausgabe des Originals. Frankfurt am Main. 1985, S. 106-121 Arthur SCHOPENHAUER: Die Welt als Wille und Vorstellung. 2 Bde. (1818/19) In: Zürcher Ausg. Werke in 10 Bänden. Wiesbaden ?972. IV, S. 520 ebd. S. 521 ebd. ebd. S. 680 ebd. S. 681
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ters an.98 Dadurch erübrigt sich für Schopenhauer die Problematisierung von Geschichte und Revolution, denn in seinem Weltverständnis sind sie nur insofern von Belang, als sich in ihnen der Wille zum Leben," welcher das "Triebwerk" der Individuen ist, objektiviert.
Kurzum, der Determinismus steht fest: an ihm zu rütteln haben nun schon anderthalb Jahrtausende vergeblich sich bemüht, dazu getrieben durch gewisse Grillen (...) In Folge seiner aber wird die Welt zu einem Spiel mit Puppen, an Drähten (Motiven) gezogen; ohne daß auch nur abzusehen wäre, zu wessen Belustigung: hat das Stück einen Plan, so ist ein Fatum, hat es keinen, so ist die blinde Notwendigkeit der Direktor.!00 Bezeichnenderweise erlangt Schopenhauers Philosophie erst in der zweiten Jahrhunderthälfte Bedeutung, nachdem die gesellschaftliche Entwicklung nach 1848 in Frankreich wie in Deutschland den Ausverkauf der idealistischen Philosophie bedeutete und entweder einen undialektischen Fortschrittsglauben oder einen uneingeschränkten Nihilismus erzeugte.
fi Friedrich Nietzsche Nietzsches Philosophie schließt wesentlich an die Schopenhauersche an. Doch wendet er sich mehr als dieser in polemischer Weise dem Zeitgeschehen zu und begnügt sich nicht mit der von Schopenhauer gepriesenen Abkehr vom Leben in die kontemplative Betrachtung, die nur dem Weisen und dem Künstler offensteht. Nietzsche bezieht Stellung zu seiner Gegenwart:
Wie es zuletzt noch, in aller Helligkeit der neueren Zeiten mit der französischen Revolution gegangen ist, jener schauerlichen und, aus der Nähe beurtheilt überflüssigen Posse, in welche aber die edlen und schwärmerischen Zuschauer von ganz Europa aus der Ferne her so lange und so leidenschaftlich ihre eignen Empörungen und Begeisterungen hineininterpretirt haben, bis der Text unter der Interpretation verschwand.101 Für Nietzsche ist die Revolution ein durch und durch negatives Ereignis. Die Beurteilung der Revolution als "erhabenes Schauspiel" weicht bei ihm ihrer Diskreditierung als Posse, wobei diese Wendung der Schauspielmetapher auch die Kritik der "Zuschauer" ermöglicht. Denn die Ergriffenheit 98 99 100 101
vgl. DEMANDT: Metaphern für Geschichte, S. 355 f SCHOPENHAUER: Die Welt als Wille und Vorstellung, S. 419 ebd. S. 375f Friedrich NIETZSCHE: Jenseits von Gut und Böse. (Nr. 38) - In: Gesammelte Werke. Musarionausgabe. München 1922 ff. XV, S. 53. Die restlichen Zitate folgen der gleichen Ausgabe.
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von der Größe des menschlichen Geistes, die das Schauspiel der Revolution in einem gleichsam kathartischen Erleben hervorrufen sollte, bezeichnet Nietzsche schlicht als Tatsachenfälschung, als eine unermüdliche Interpretation, die schließlich aus dem grotesken Zeugnis menschlicher Ohnmacht einen großartigen Beweis menschlicher Allmacht schuf. Als schlimme Spätfolge jener "possenhaften" Revolution begreift Nietzsche die Neigung seines Jahrhunderts, alles historisch zu betrachten.102 Er verurteilt die daher rührende Eitelkeit selbsternannter Geschichtsträger, sich der Gegenwart und der Nachwelt in strahlendem Licht zu präsentieren. Solche Leute seien Schauspieler, die den Staatsmann, den culturbegründenden moralischen Propheten (...usw.) spielen.103 Ihre Gefährlichkeit rühre aus ihrer Verführungskraft, denn um die Schauspieler dreht sich das Volk.104 Nietzsche nimmt die skeptische Einschätzung der Moderne vorweg, wonach die Dynamisierung der Gesellschaft die Verwandlung des Subjekts in einen Schauspieler geradezu provoziert. Die Gesetze des Marktes fordern eine optimale Anpassung an Werte, die gerade hoch im Kurs stehen: Wo der Markt beginnt, da beginnt auch der Lärm der großen Schauspieler (...) In der Welt taugen die besten Dinge noch nichts ohne einen der sie erst auffuhrt: große Männer heißt das Volk diese Auffiihrer. (...) Voll von Possenreißern ist der Markt - und das Volk rühmt sich seiner großen Männer! das sind ihm die Herrn der Stunde.105 Der Charakter als Maske106 ist gefragt; Charakterlosigkeit wäre demzufolge deshalb so verächtlich, weil ihr die Maske fehlt, die die Übereinstimmung mit dem Common sense zur Schau stellt: Der grosse Erfolg, der 102 Vgi_ auch seine Polemik gegen Hegel in "Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben". Hegel habe in die von ihm durchsäuerten Generationen jene Bewunderung vor der "Macht der Geschichte" gepflanzt, die praktisch alle Augenblicke in nackte Bewunderung des Erfolges umschlägt und zum Götzendienste des Tatsächlichen fuhrt: für welchen Dienst man sich jetzt die sehr mythologische und außerdem recht gut deutsche Wendung "den Tatsachen Rechnung tragen" allgemein eingeübt hat. Wer aber erst gelernt hat, vor der "Macht der Geschichte" den Rücken zu krümmen und den Kopf zu beugen, der nickt zuletzt chinesenhafl-mechanisch sein "Ja" zu jeder Macht, sei dies nun eine Regierung oder eine öffentliche Meinung oder eine Zahlen-Majorität, und bewegt seine Glieder genau in dem Takte, in dem irgendeine "Macht" am Faden zieht (VI,298) XI, 48 104 105 106
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Massen-Erfolg ist nicht mehr auf Seite der Echten, - man muss Schauspielersein, ihn zu haben! Nietzsche versteht dies als ein Zeichen, dass in Niedergangs-Culturen, dass überall, wo den Massen die Entscheidung in die Hände fällt, die Echtheit überflüssig, nachtheilig, zurücksetzend wird. Nur der Schauspieler weckt noch die grosse Begeisterung. Damit kommt für den Schauspieler das goldene Zeitalter herauf.107 Der authentische Mensch aber verschwindet unwiderruflich hinter dem Wust seiner verschiedenen Rollen, deren korrekte Ausführung allein seinen Erfolg und sein Verbleiben in der Gesellschaft garantiert.108 Maske und Rolle werden so für Nietzsche zur wesentlichsten Eigenschaft des Menschen der neuen Zeit.
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XVII.33 108 vgl. "Vom Probleme des Schauspielers" XII, 296ff
IV. Puppen und Automaten. Büchners Revolutionsverständnis in "Dantons Tod"1
1. Büchner: Robespierrist oder Nihilist? Das Drama "Dantons Tod" (1835) von Georg Büchner, Erstlingswerk eines 21jährigen jungen Mannes, blickt heute, nachdem es jahrzehntelang nach seiner Veröffentlichung durch Gutzkow in dem Literaturblatt "Phönix"2 völlig mißachtet worden war, auf eine abenteuerliche Interpretationsgeschichte zurück. 1879 setzt die Rezeption des Werkes allmählich ein3 mit der Neuherausgabe des Dramas durch Karl Emil Franzos, der den ehemals wegen der Zensur verstümmelten Text wiederherstellte. Die Uraufführung, die aber kaum Nachhall hervorruft, erfährt das Drama 1902. 4 Den Durchbruch in die Spielpläne der Theater schafft es erst 1913 mit der Inszenierung von Max Reinhardt in Berlin.5 Zum Tummelfeld der Literaturwissenschaftler wird es nach der kritischen Büchner-Ausgabe von Fritz Bergemann 1922.
Die Schriften Büchners werden im folgenden zitiert nach Georg BÜCHNER: Sämtliche Werke und Briefe. Hist.-krit. Ausg. mit Kommentar. Hg. von Werner R. LEHMANN. 2 Bde. Hamburg 1967 (Bd. I) und 1971 (Bd. II). Zitate aus dieser Ausgabe werden unter Angabe von Band (römische Ziffern) und Seitenzahl (arabische Ziffern) in den laufenden Text eingefügt. Die Sigle "t+k" bezeichnet: Georg Büchner I/II und III. Sonderbände aus der Reihe text+kritik. Hg. von Heinz Ludwig ARNOLD. München 1979 und 1981 Erschienen im "Phönix" vom 26. März bis 7. April 1835. Vollständiger Erstdruck 1835 im Sauerländer-Verlag, Frankfurt am Main, dem der Verleger den Untertitel "Dramatische Bilder aus Frankreichs Schrekkensherrschaft" hinzufügte. Zur Aufnahme von Büchners Werk im 19. Jahrhundert vgl. Jan Christoph HAUSCHILD: Georg Büchner. Studien und neue Quellen zu Leben, Werk und Wirkung. Mit zwei unbekannten Büchner-Briefen. Königstein/Taunus 1985 Halboffizielle Uraufführung am 5. Januar 1902 in Berlin, inszeniert von Friedrich Moest und Alfred Halen. Zur Theaterrezeption von "Dantons Tod" vgl. Wolfram VIEHWEG: Georg Büchners "Dantons Tod" auf dem deutschen Theater. München 1964
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Puppen und Automaten. Büchners Revolutionsverständnis
Wie so oft bei herausragenden, widersprüchlichen Autoren folgt nun eine verbissene Schlacht zwischen dem Lager der "bürgerlichen" Literaturwissenschaft und dem marxistischer Provenienz. Anstoß für den hitzigen Streit ist jene Metapher, die das Thema dieser Arbeit bildet. Gemeint ist Büchners Rede vom Fatalismus der Geschichte, ausgelöst durch sein Studium der Revolution, die ihn zu jener anthropologischen Konsequenz zwingt, welche unabdingbar damit verknüpft ist: nämlich das Leben als Schauspiel zu betrachten und in den angeblich die Geschichte bewegenden Subjekten nichts anderes zu sehen als Paradegäule und Ecksteher der Geschichte (II 425)6 oder, wie es später Büchners Danton formuliert, als Puppen, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen (I 41). Diese zutiefst pessimistische Einschätzung historischer Vorgänge kontrastiert aber in grellster Weise zu Büchners Hoffnung auf einen gewaltsamen Umsturz der Gesellschaft, zu seiner revolutionären Tätigkeit noch nach dem "Fatalismusbrief", zur Verbreitung des "Hessischen Landboten"7 und zur Gründung der "Gesellschaft der Menschenrechte".8 Während nun die eine Seite der Literaturwissenschaftler einen Bruch Büchners mit seinen revolutionären Ideen seit dem "Fatalismusbrief" diagnostiziert und infolgedessen "Dantons Tod" als dichterische Gestaltung jener Lebenskrise Büchners im Jahre 1834 versteht, deren Fazit in einer Absage Büchners an die Revolution bestehe,9 versucht die marxistische die unzweideutig pessimistischen Klänge in "Dantons Tod" und dem Brief an die Braut dem politischen Engagement Büchners unterzuordnen; sie glaubt in der Figur "Danton" den nicht gerade heldenhaften, fettleibigen Vertreter der bürgerlichen Fraktion sehen zu dürfen, der in typisch bourgeoiser Trägheit, nun da er selbst satt ist, die Revolution beenden möchte. Die wahren tragischen
"Fatalismusbrief" an die Braut ca. 10. bis 12. März 1834 Den "Hessischen Landboten" hat Büchner neuesten Forschungen zufolge etwa zur gleichen Zeit wie den Fatalismusbrief geschrieben bzw. kurz darauf; wahrscheinlich zwischen dem 13. und 25. März, vgl.: Thomas Michael MAYER: Georg Büchner. Eine kurze Chronik zu Leben und Werk, t+k I/II, S. 374 f Gründung der "Gesellschaft der Menschenrechte" vermutlich 6.-8. März 1834. Vgl. T.M. MAYER, ebd. S. 374 vgl. besonders: Karl VIETOR: Die Tragödie des heldischen Pessimismus. Über Georg Büchners Drama "Dantons Tod". - In: Deutsche Vierteljahresschrift. 12 (1943), S. 173-209. - Auch in: Wolfgang MARTENS (Hg.): Georg Büchner. Darmstadt 1965 (= Wege der Forschung Bd. 53, S. 98-137); Robert MÜHLHER: Georg Büchner und die Mythologie des Nihilismus. Mythos und Psychologie in der Dichtung des 19. Jahrhunderts - In: R. M.: Dichtung der Krise. Wien 1951 (= Wissenschaft und Weltbild), S. 97-145; Ludwig MARCUSE: Georg Büchner. Berlin oJ., S. 29
Robespierrist oder Nihilist
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Helden des Dramas wären demzufolge Robespierre und St. Just.10 Diese Interpretationen sind inzwischen widerlegt worden,'haben aber das Streben der Wissenschaft, Büchners Leben und Werfe zu vereinheitlichen, nicht beenden können. Die neueste Forschung weist Büchner nicht mehr "als Frühsozialisten, sondern als revolutionären Frühkommunisten oder als revolutionär-utopistischen Kommunisten" aus12 und kollidiert wiederum mit der Tatsache, daß Büchner ausgerechnet Danton, den Vertreter der Gemäßigten, zum Helden seines Dramas erkoren hat. Dieses Faktum provoziert Thomas Mayer zu seiner kuriosen Frage: "Was kann Büchners Sozialrevolutionären Blick derart getrübt haben...?"13 So kann T. Mayer nur resigniert feststellen: "Es bleibt eine kardinale Schwäche der Konstruktion, daß und wie emphatisch die emanzipative Seite des Materialismus an die moderierte Faktion geheftet ist."14 Es bedeutet eine unzulässige Vereinheitlichung, Büchner mit einer politischen Richtung seiner oder gar unserer Zeit zu identifizieren. Weder war er der reine Nihilist im heutigen pejorativ gefärbten Sinne, noch einer jener Spiritualisten in Fortfolge der sansculottischen Tradition, wie er sie selbst abschreckend in der Figur Robespierres gestaltet hat und deren bekanntester Vertreter zu Büchners Zeit Ludwig Börne war, - und er war auch nicht der Vorreiter einer sensualistischen Philosophie, auf den ihn die gegenwärtige Büchner-Forschung, besonders mit Blick auf seinen Zeitgenossen Heine, reduziert.15 Sowohl das Revolutionsdrama "Dantons Tod" wie auch die übrigen Werke stellen gerade keine agitatorische Programmschrift nach dem Muster des "Hessischen Landboten" dar. Denn "Büchner 10
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vgl. besonders: Georg LUKACS: Der faschistisch verfälschte und der wirkliche Georg Büchner, S. 77 - In: G.L.: Realisten des 19. Jahrhunderts. Berlin 1953, S. 66-88; Gerhard JANCKE: Georg Büchner. Genese und Aktualität seines Werkes. Einführung in das Gesamtwerk. Kronberg/Ts. 1975, S. 189 vgl. Samuel MOSER: Robespierre, die Ausgeburt eines Kantianers. Immanuel Kants Philosophie als Schlüssel zum Verständnis der Robespierre-Figur in Georg Büchners Drama "Dantons Tod" - In: t+k III, S. 131-149; T.M. MAYER: Büchner und Weidig Frühkommunismus und revolutionäre Demokratie. Zur Textverteilung des "Hessischen Landboten". - In: t+k I/II, S. 16-298 T.M. MAYER: ebd. S. 23 ebd. S. 131 ebd. S. 134 Zum Verhältnis Büchners zu Heine vgl. T.M. MAYER: Büchner und Weidig. t+k I/II, S. 69-74, 119 f; Henri POSCHMANN: Heine und Büchner. - In: Heinrich Heine und die Zeitgenossen. Hg. vom Zentralinstitut für Literaturgeschichte. Berlin, Weimar 1979, S. 203-228; Maurice BENN: Büchner and Heine. - In: Seminar 12/13, (1976/77), S. 215-226; Heinz FISCHER: Heinrich Heine und Georg Büchner. - In: H.F.: Georg Büchner. Untersuchungen und Marginalien. Bonn 1972, S. 9-17
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Puppen und Automaten. Büchners Revolutionsverständnis
benennt das Problem, nicht aber eine direkte Lösung. Die Erkenntnis seiner eigenen revolutionären Tätigkeit besagt, daß eine Lösung des Grundkonfliktes zwischen 'Armen und Reichen1 (Büchner) in seiner Zeit nicht zu erwarten war. Andererseits steht die Notwendigkeit der Revolution, d.h. der Veränderung überlebter Gesellschaftsverhältnisse für ihn außer Frage."16 Die Revolution bleibt für ihn das Grundproblem, und damit unlöslich verquickt stellt sich die Frage nach der Condition humaine und dem Wesen von Geschichte.
2. Geschichte als großes Drama und Politik als Komödie Schon früh begeistert Büchner sich für das dramatische Element in der Geschichte. Der Aufsatz "Helden-Tod der vierhundert Pforzheimer" (1829) ist noch ganz dem Pathos des linearen Fortschrittsgedankens verpflichtet, wie ihn das 18. Jahrhundert hervorgebracht hatte. Dort schreibt der siebzehnjährige, angeregt von Fichtes "Reden an die deutsche Nation": Dießer Kampf (= die Reformation) warder erste Act, des großen Kampfes, den die Menschheit gegen ihre Unterdrücker kämpft, so wie die Französische Revolution der zweite war. (II 9) Zweifellos, formal gekennzeichnet durch den Gebrauch des Präsens im Relativsatz, erlebt hier der Schüler visionär den dritten Akt des Kampfes der Menschheit um Freiheit: die Revolution des vierten Standes, eine soziale Revolution, die den Gegensatz zwischen arm und reich auslösche. Hochachtung vor der Geschichte und ihren Helden spricht aus diesem Aufsatz, geschrieben im Revolutionsjahr 1830, der mit einer Definition des Erhabenen beginnt: Erhaben ist es, den Menschen im Kampfe mit der Natur zu sehen, wenn er (...) nach seinem Willen die Kräfte der Natur zügelt. Aber noch erhabner ist es den Menschen zu sehen im Kampfe mit seinem Schicksale, wenn er es wagt mit kühner Hand in die Speichen des Zeitrades zu greifen, wenn er an die Erreichung seines Zweckes sein Höchstes und sein Alles setzt. (II 7) Büchner erhält sich seinen Optimismus und widmet sich ganz dem revolutionären Kampf. Nach Beginn seiner Studienzeit schließt er sich politischen Studentenzirkeln an und schreibt seinen Eltern Briefe, die ob ihrer 16
Alexander LANG: Arbeitsthesen zu Georg Büchners "Dantons Tod". S. 179 - In: Büchner-Jahrbuch 1 (1981), S. 177-186
"Fatalismus der Geschichte"
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Radikalität auch heute noch alle Eltern erblassen ließen. Im Brief vom 5.4.1833 heißt es: Meine Meinung ist die: Wenn in unserer Zeit etwas helfen soll, so ist es Gewalt. Wir wissen, was wir von unseren Fürsten zu erwarten haben. Alles, was sie bewilligten, wurde ihnen durch die Notwendigkeit abgezwungen. Und selbst das Bewilligte wurde uns hingeworfen, wie eine erbettelte Gnade und ein elendes Kinderspielzeug, um dem ewigen Maulaffen Volk seine zu eng geschnürte Wickelschnur vergessen zu machen. (...) Was nennt Ihr denn gesetzlichen Zustand? Ein Gesetz, das die große Masse der Staatsbürger zum fronenden Vieh macht (...) dies Gesetz ist eine ewige, rohe Gewalt, angetan dem Recht und der gesunden Vernunft, und ich werde mit Mund und Hand dagegen kämpfen, wo ich kann. (II 416) Während er der politischen Ereignisse des revolutionären Frankreichs mit Ergriffenheit gedenkt und darin das große lehrreiche Drama für seine Gegenwart erblickt, bezeichnet er die politische Realität seiner Zeit mit dem abwertenden Begriff der Komödie: Das Ganze ist doch nur eine Comödie. Der König und die Kammern regieren und das Volk klatscht und bezahlt. (II 415) Und mit gleichem Tenor schreibt er ein Jahr später: Die politischen Verhältnisse könnten mich rasend machen. Das arme Volk schleppt geduldig den Karren, worauf die Adligen und Liberalen ihre Affenkomödie spielen. Ich bete jeden Abend zum Hanfund zu d. Laternen. (II 422) Allerdings kritisiert Büchner nicht nur das herrschende System derart, sondern verspottet auch das Aufgesetzte und Kostümierte der radikalen Systemgegner. So im "Ramorino-Brief", der zunächst sachlich und engagiert schildert, wie Büchner mit seinen Kommilitonen dem polnischen Freiheitshelden Ramorino entgegenzieht, der aber an seinem verblüffenden Ende ins Ircmische umschlägt und die ganze Aktion der Pseudo-Radikalität bezichtigt: Darauf erscheint Ramorino auf dem Balkon, dankt, man ruft Vivat - und die Comödie ist fertig. (II 413)
3. "Fatalismus der Geschichte" Die Überzeugung, daß nur eine Revolution die benachteiligte Masse des vierten Standes - zu Büchners Zeit waren das vorwiegend Kleinbauern - in ihre menschlichen Rechte setzen könne, einerseits und andererseits die Einsicht in die politischen Gegebenheiten, die ungeachtet aller revolutionären Bestrebungen immer wieder in der Lage waren, die alte Ordnung zu
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Puppen und Automaten. Büchners Revolutionsverständnis
konsolidieren, veranlassen Büchner, sich mit der Französischen Revolution zu beschäftigen. Von ihrem Studium erhoffte sich Büchner gemäß seiner naturwissenschaftlichen Verfahrensweise eine Einsicht in die Gesetze der Geschichte und mit deren Hilfe auch den Schlüssel zu ihrer Beherrschbarkeit. Das Resultat seiner Studien fällt jedoch anders aus als erwartet. Angewidert von der hohle (n) Mittelmäßigkeit in Allem schreibt er im März 1834 jenen Brief, der seither so oft zitiert worden ist: (...) Ich studirte die Geschichte der Revolution. Ich fiihlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich. Es fällt mir nicht mehr ein, vor den Paradegäulen und Eckstehern der Geschichte mich zu bücken. Ich gewöhnte mein Auge ans Blut. Aber ich bin kein Guillotinenmesser. Das muß ist eins von den Verdammungsworten, womit der Mensch getauft worden. Der Ausspruch: es muß ja Aergerniß kommen, aber wehe dem, durch den es kommt, - ist schauderhaft. Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt? (...) Ich bin ein Automat; die Seele ist mir genommen. (II 425) Dieser Brief bedeutet eine endgültige Absage an den aufklärerischen Geschichtsoptimismus und das idealistische Menschenbild des 18. Jahrhunderts. Büchner verabschiedet sich ein für allemal von der vordergründigen Vorstellung, daß allein menschlicher Wille und menschliche Vernunft hinreichend seien, alle Probleme aus der Welt zu schaffen. Der Zusammenbruch dieser Vorstellung geht bei Büchner mit einer Krise einher, die in der Literaturgeschichte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur eine vergleichbare Parallele besitzt: die Kant-Krise Heinrichs von Kleist.17 Vom Fatalismus der Geschichte überrascht, muß die Frage nach der Condition humaine erneut gestellt werden. Was bleibt von den Helden der Historie, nun da sie sich, ihrer Gottähnlichkeit entkleidet, als machtlose Objekte eines anonym herrschenden Fatums entpuppen? Büchner greift zu dem Bild, das schon in der Romantik als Symbol des determinierten Menschen bekannt und beliebt war: zur Marionette.18 Alle seine Briefe, die er in der Krise vom Frühjahr 1834 an seine Braut richtet, kreisen um die Vor17 18
Werner R. LEHMANN: "Geht einmal euren Phrasen nach ..." Darmstadt 1969, S. 26 vgl. Eberhard HENZE: Mensch oder Marionette? Gedanken zu Kleist und Büchner. In: Merkur. Jg.21. H.12 (1967), S. 1144-1154
"Fatalismus der Geschichte"
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Stellung des Gelenktseins, der Automatenhaftigkeit der menschlichen Natur:
Das Gefühl des Gestorbenseins war immer über mir. Alle Menschen machten mir das hippokratische Gesicht, die Augen verglast, die Wangen wie von Wachs, und wenn dann die ganze Maschinerie zu leiern anfing, die Gelenke zuckten, die Stimme herausknarrte und ich das ewige Orgellied herumtrillern hörte und die Wälzchen und Stiftchen im Orgelkasten hüpfen und drehen sah, - ich verfluchte das Concert, den Kasten, die Melodie und - ach, wir armen schreienden Musikanten, das Stöhnen auf unsrer Folter, wäre es nur da, damit es durch die Wolkenritzen dringend und weiter, weiter klingend, wie ein melodischer Hauch in himmlischen Ohren stirbt? Wären wir das Opfer im glühenden Bauch des Peryllusstiers, dessen Todesschrei wie das Aufjauchzen des in den Flammen sich aufzehrenden Gottstiers klingt? Ich lästre nicht. Aber die Menschen lästern (...) Ich hätte Herrn Callot-Hoffmann sitzen können, nicht wahr, meine Liebe? (II 424) Büchner beschließt seine Briefe mit selbstironischen Floskeln, die der Beruhigung seiner Braut dienen. (Das Ende des Fatalismusbriefes lautet:
Dieser Brief ist ein Charivari: ich tröste dich mit einem andern. (II 426)) Keineswegs läßt sich daraus aber schließen, daß es sich bei der "pessimistischen Anthropologisierung"19 in den Briefen um eine "sekundäre Tendenz"20 handeln müsse, die "jedenfalls nicht 'Kern' des zernichtenden Erlebnisses gewesen sein kann."21 Denn gerade diese Briefpassagen übernimmt Büchner fast wörtlich in sein ein Jahr später geschriebenes Drama "Dantons Tod"; wie überhaupt das Motiv der Determination den Kern seines Gesamtwerkes bildet. Im Bild der Marionette veranschaulicht Büchner das Verhältnis des Menschen zu jenem "ehernen Gesetz", dessen zielloses Walten den Menschen zum ohnmächtigen Objekt herabwürdigt. Es ist die Erkenntnis von "der Ermächtigung des Menschen durch die Geschichte",22 wodurch die im Fatalismusbrief dargestellte Krise ausgelöst wird; deren kreative Bewältigung aber ist Büchners binnen weniger Wochen geschriebenes Drama "Dantons Tod". 19 20
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T.M. MAYER: Büchner und Weidig, t+k I/II, S. 92 T.M. MAYER: Georg Büchner. Eine kurze Chronik zu Leben und Werk. - In: t+k I/II, S. 372 T.M. MAYER: Büchner und Weidig, S. 92 Benno von WIESE: Georg Büchner. Die Tragödie des Nihilismus, S. 514 - In: B.v.W.: Die deutsche Tragödie von Lessing bis Hebbel. 8. Aufl. Hamburg 1973, S. 513-534
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4. Das Theater der Revolution "Dantons Tod" ist das erste Revolutionsdrama in der deutschen Literatur.23 Innerhalb von fünf Wochen auf der Flucht entstanden, muß es "aus den Erfahrungen und dem politischen Schicksal des revolutionären Theoretikers und Praktikers Büchner"24 verstanden werden. Darüber hinaus ist es "Ausdruck einer ganzen gescheiterten Revolution" und "umfaßt nicht weniger als die ganze Frage der Möglichkeiten und Grenzen politischer und sozialer Revolution."25 Die totale Umwälzung aller Verhältnisse, Agens seiner gesamten politischen Anstrengungen, unterzieht Büchner einer grimmigen Analyse. Daß diese Überprüfung unter äußerst pessimistischen Vorzeichen stattfindet, zeigt die Wahl des Zeitpunktes, an dem das Drama seinen Anfang nimmt. Denn es ist nicht das Jahr 1789, das Jahr eines großen Volksaufstandes, das allseits in der Hoffnung auf den "neuen Menschen" enthusiastisch begrüßt worden war, - Ausgangs- wie Endpunkt des Dramas bildet das Jahr 1794, Wendepunkt der Revolution,26 Höhepunkt der Terreur, Umschlag des "großen Dramas" in eine grausige und aberwitzige Komödie.27 Diesem Phänomen ist Büchner bereits in den Quellen begegnet. Erinnert sei nochmals an Thiers, der von der Revolution sagt, en août elle était tragique, mais grande und dann beklagt, daß sie à fin comme une farce ridicule ihr Ende gefunden habe.28 Auch Strahlheim kann jene Zeit der Revolution nur mit Hilfe dieser Metapher faßbar machen: So endigte (...) das Drama, welches diese Gesellschaft bisher vor den Augen des erstaunten Europas gespielt hatte, zuletzt mit einer halben Posse.29 Im Grunde aber kennzeichnet das Jahr 1794 weit mehr als die Wendung in der Revolution, es bedeutet auch den Wechsel von einer Epoche zur nächsten, den Übergang vom metaphysischen Zeitalter zum Jahrhundert des Historismus. Ergreifend hat Victor Hugo diesen Wandel der Zeiten in der Revolution dargestellt: 23
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Reinhold GRIMM: Spiel und Wirklichkeit in einigen Revolutionsdramen, S. 57 - In: BASIS. Jahrbuch für deutsche Gegenwartsliteratur. I (1970), S. 49-93 Hans MAYER: Georg Büchner und seine Zeit. 2. Aufl. Frankfurt am Main 1974, S. 202 ebd. S. 204 vgl. Henri POSCHMANN: Georg Büchner. Dichtung der Revolution und Revolution der Dichtung. Berlin, Weimar 1983, S. 95 f vgl. Walter HINDERER: Büchner-Kommentar zum dichterischen Werk. München 1977, S. 47 Adolphe THIERS: Histoire de la Révolution française. I, S. 390 Carl STRAHLHEIM : Die Geschichte unserer Zeit. H. 47, S. 499
Das Theater der Revolution
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Après 93, la révolution traversa une occultation singulière, le siècle sembla oublier de finir ce qu'il avait commencé, on ne sait quelle orgie s'interposa, prit le premier plan, fit reculer au second l'effrayante apocalypse, voilà la vision démesurée, et éclata de rire après l'épouvante; la tragédie disparut dans la parodie, et au fond de l'horizon une fumée de carnaval effaça vaguement Méduse.30 Die Revolution schlägt um, als ihr Scheitern evident wird. Die Komplexität des Erbes, das das Ancien régime besonders in wirtschaftlicher Hinsicht den Revolutionären hinterlassen hatte, die Geschwindigkeit der Ereignisse und ihre Unbeherrschbarkeit entlarven die Vorstellung von menschlicher Allmacht als schnöden Traum. Die historische Wirklichkeit entreißt dem Menschen das Zepter, das er erst vor kurzer Zeit, in der Jahrhundertmitte, Gott selbst entrungen hatte. Deshalb ist es keineswegs ein Zufall, wenn die barocke Vorstellung von der Welt als Theater und Gott als Weltregisseur in der Romantik wieder aufgegriffen wird. Allerdings handelt es sich nun um ein Welttheater in einem "radikal säkularisierten Sinne".31 Vor diesem Hintergrund erscheint Büchner der Verlauf der Revolution als lächerliches Jahrmarktstreiben und Puppenspiel.32 "Dantons Tod" ist "ein entgöttertes, ein zur dämonischen Groteske entartetes Welttheater."33 Es zeigt die Revolution als Theater und ist Theater der Revolution. Wenn man das Drama als groteskes Welttheater versteht, stellt sich die Frage, woher der unverkennbar tragische Charakter rührt, der das Stück ebenso begleitet wie der komische und der burleske. Drei tragische Aspekte durchziehen das Stück: - das verfehlte Ziel: Die Tatsache, daß die Revolution, die mit so vielen Hoffnungen begonnen wurde, gemessen an ihren Zielen, als gescheitert angesehen werden muß, ist tragisch. Im Drama steht dafür Danton, der Revolutionär, der von der Revolution vernichtet wird, obgleich er sie in den Dienst des einzelnen Menschen stellen wollte.34 30
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Victor HUGO: Quatrevingt-treize. II. Teil, 1. Buch, S. 151. - In: Oeuvres Complètes. Hg. von Emile Testard. Paris (Edition Nationale) 1892. Bd. 34 Reinhold GRIMM: Spiel und Wirklichkeit, S. 59 Walter HÖLLERER: Zwischen Klassik und Moderne. Lachen und Weinen in der Dichtung einer Übergangszeit. Stuttgart 1958, S. 122 GRIMM: Spiel und Wirklichkeit, S. 59; vgl. auch Walter HINCK: Georg Büchner, S. 260 - In: Benno von Wiese (Hg.): Deutsche Dichter des 19. Jahrhunderts. 2. überarb. u. verm. Aufl. Berlin 1979, S. 255-275 vgl. Peter SZONDI: "Dantons Tod", S. 103 - In: P.S.: Versuch über das Tragische. Frankfurt/Main 1969, S. 103-109
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Puppen und Automaten. Büchners Revolutionsverständnis
- das Verhältnis von "Verantwortlichkeit und Fatalismus":35 Der Mensch handelt unter quasi schicksalhaftem Zwang, wird aber dennoch zur Rechenschaft gezogen. Schlüsselstellen im Drama sind dafür die beiden Bibelzitate, die Danton spricht und die auf einen anthropologischen Aspekt verweisen: Das war Nothwehr, wir mußten. Der Mann am Kreuz hat sich's bequem gemacht: es muß ja Aergerniß kommen, doch wehe dem, durch welchen Aergerniß kommt Es muß, das war dieß Muß. Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen? Wer hat das Muß gesprochen, wer? Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet; (141)36 - Leid und Tod: Dort, wo das unverfälscht Menschliche offenbar wird, nämlich im Leiden und angesichts des Todes, wird das Schicksal des Einzelnen tragisch.37 Wir stehen immer auf dem Theater, sagt Danton, wenn wir auch zulezt im Ernst erstochen werden. (I 33) Durchgehend tragisch sind im Drama daher nur die Personen, die zu keiner Zeit eine Maske tragen, die niemals schauspielern: die Frauengestalten, Julie, Lucile und Marion.38
5. Die Darsteller der Revolution Um die Helden der Revolution als Schauspieler zu charakterisieren, brauchte Büchner nicht nur auf eigene Phantasie zurückzugreifen. Vieles davon fand er schon in den Quellen angelegt. Die reiche Römertravestie des Stücks beruht auf der eigentümlichen Vorliebe der Revolutionäre, sich ins Gewand römischer Republikaner zu kleiden, da sie sich die römische Republik zum Vorbild erkoren hatten. Ein Phänomen, das später auch Marx interpretiert hat.39 Aber während Marx den Akteuren der großen Französischen Revolution bescheinigt, daß sie im römischen Kostüme und mit römischen Phrasen eine heroische Tat vollbrachten - die Gründung der bürgerlichen Gesellschaft, - im Unterschied dazu spricht Büchner ihnen jegliches Heldentum ab. Sein Drama zeigt die Revolution als Groteske, und die vermeidet Tragik und Heldentum. Als Paradegäule und Ecksteher 35
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Anneliese BACH: Verantwortlichkeit und Fatalismus in Georg Büchners Drama "Dantons Tod". - In: Wirkendes Wort. 6/4 (1955/56), S. 217-229 vgl. auch: Matth. 18,7 und Hos. 4,1-2 vgl. Benno von WIESE: Georg Büchner. Die Tragödie des Nihilismus, S. 521 vgl. u.a. Cornelie UEDING: "Dantons Tod". Drama der unmenschlichen Geschichte, S. 222 - In: Walter HINCK (Hg.): Geschichte als Schauspiel. Frankfurt am Main 1981, S. 210-226 vgl Kap. III, S. 45 dieser Arbeit
Die Darsteller der Revolution
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erscheinen Büchner die Heroen der Geschichte, in "Dantons Tod" sind sie zu Marionetten degradiert: Puppen sind wir von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst! Die Schwerter, mit denen Geister kämpfen, man sieht nur die Hände nicht, wie im Mährchen. (141) Die Personen des Stücks agieren nicht, sie reagieren.40 Kennzeichnend für sie alle ist, daß sie im Grunde keine Individualität besitzen, "das Bild der autonomen Persönlichkeit ist verloschen."41 Was die einzelnen Personen voneinander unterscheidet, ist die Rolle, die sie spielen. Trennt man sie von der Rolle, verlieren sie ihre Individualität und damit auch ihr Leben. Man müsse die Masken abreißen, fordert Collot, und Danton kommentiert sarkastisch: Da werden die Gesichter mitgehen. (I 24) Denn hinter der Maske verbirgt sich nicht das, was den Menschen zum Menschen macht, sondern rohe, tierische Natur: Das verlohnt sich auch der Mühe Mäulchen zu machen und Roth aufzulegen und mit einem guten Accent zu sprechen; wir sollten einmal die Masken abnehmen, wir sähen dann wie in einem Zimmer mit Spiegeln überall nur den einen uralten, zahllosen unverwüstlichen Schaafskopf... Schlafen, Verdaun, Kinder machen das treiben Alle, die übrigen Dinge sind nur Variationen aus verschiedenen Tonarten über das nemliche Thema. (170fi Wo aber bleibt dann der Sinn des Lebens, wenn jegliches Bemühen um Tugend, Witz, Heroismus und Genialität - so Camille - sich in reiner Grimassenschneiderei erschöpft, oder, wie Danton meint, in dem Versuch, einen langen Schatten zu werfen. Ist denn der Aether mit seinen Goldaugen eine Schüssel mit Goldkarpfen, die am Tisch der seeligen Götter steht und die seeligen Götter lachen ewig und die Fische sterben ewig und die Götter erfreuen sich ewig am Farbenspiel des Todeskampfes, fragt Camille. Und Dantons resignierte Antwort lautet: Die Welt ist das Chaos. Das Nichts ist der zu gebärende Weltgott. (I 70) Mit diesen Worten Dantons kommt das Karussell der Puppen zum Stillstand, die Entschleierung ist vollendet. Die folgenden vier kurzen Szenen, in denen die Hinrichtung der Dantonisten und der Tod von Julie und Lucile gezeigt wird, wechseln vom Schein zum Sein und ertränken das Lachen der Götter im 40
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Wie oben bereits angedeutet, trifft diese These nur eingeschränkt auf die Frauen im Stück zu, auf Marion, Julie und Lucile. Walter HINCK: Georg Büchner, S. 263
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Puppen und Automaten. Büchners Revolutionsverständnis
Weinen der Menschen. Selbst das Nichts wird als Illusion entlarvt.42 Der Hauptakzent ruht nun auf dem Ernst der menschlichen Situation, auf dem Punkt, wo sie nicht mehr der Lächerlichkeit preisgegeben werden kann: im Leiden der Kreatur und ihrer Sehnsucht nach menschlicher Nähe. Der Schluß von "Dantons Tod" mündet eigentlich in "Woyzeck" (1836). Betrachtet man die Protagonisten des Dramas im einzelnen, so zeigt sich, daß sie - trotz aller Gegensätzlichkeit ihrer Programme - sich nur durch den Grad ihrer Reflexion unterscheiden. a) Danton Das Drama spielt in der Zeit vom 24. März bis zum 5. April 1794. Gezeigt wird das Sterben Dantons. Als die Spielhandlung einsetzt, ist Danton bereits vom politischen Geschehen abgetreten und hat sich in die Privatheit zurückgezogen. Der Zuschauer erlebt ihn nicht mehr als aktiv Handelnden, sondern als passiven Helden, der alles, was mit ihm geschieht - Verdächtigung, Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung - resigniert über sich ergehen läßt. Hans Mayer hat deshalb das ganze Drama mit einem 5. Akt verglichen.43 Bezeichnenderweise zeigt gleich die erste Szene, die Danton und seine Freunde vorstellt, ihn unter Spielern im Spielsalon. In deutlicher Allegorisierung werden dort Spielkarten mit Menschen gleichgesetzt. Die ganze Szene spiegelt die Grunderkenntnis Dantons wider, das Leben sei ein Spiel und die Menschen darin lediglich vom Zufall untereinander gemischte Karten.44 Danton, die Dogge mit Taubenflügeln (I 49) hat über dieser Einsicht das Beißen verlernt. Er möchte aus der als Schein entlarvten Wirklichkeit ausbrechen, er will sich ihr als Darsteller verweigern. Deshalb weicht er dem Drängen Camilles aus, der ihn als Zugpferd für eine bacchantische Republik im Sinne Epikurs gewinnen möchte. Der göttliche Epicur und die Venus mit dem schönen Hintern müssen statt der Heiligen Marat und Chalier die Thürsteher der Republik werden. Danton du wirst den Angriff im Convent machen, fordert Camille. Doch Danton antwortet gleichmütig: Ich werde, du wirst, er wird. Wenn wir bis dahin noch leben, sagen die alten Weiber. Nach einer Stunde werden 60 Minuten verflossen seyn (...) Wer soll denn all die schönen Dinge ins Werk setzen. (I llfi 42
43 44
vgl. Walter HÖLLERER: Georg Büchner. Dantons Tod, S. 79 ff - In: Benno von WIESE (Hg.): Das deutsche Drama. Vom Barock bis zur Gegenwart. Interpretationen. Düsseldorf 1962. II, S. 65-88 vgl. Hans MAYER: Georg Büchner und seine Zeit, S. 206 vgl. Walter HÖLLERER: Zwischen Klassik und Moderne. S. 108
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Danton verwirft nicht das Programm selbst, aber er kritisiert, daß es völlig unrealistisch sei. Statt des einen Ideals würde ein anderes gesetzt, eine Scheinwirklichkeit die andere ersetzen. Diese Erkenntnis isoliert ihn von seinen Freunden. Auf Camilles emphatische Antwort Wir und die ehrlichen Leute folgt Dantons lakonische Replique:
Das "und" dazwischen ist ein langes Wort, es hält uns ein wenig weit auseinander, die Strecke ist lang, die Ehrlichkeit verliert darüber den Athem eh wir zusammen kommen. (111) Schon die Idee, von einem gemeinsamen Willen ausgehen zu können, erscheint Danton als Illusion. Die Kluft zwischen den einzelnen erweist sich als unüberbrückbar. Jeder spielt seine Rolle für sich allein:
Wir sind Dickhäuter, wir strecken die Hände nacheinander aus, aber es ist vergebliche Mühe, wir reiben nur das grobe Leder aneinander ab, - wir sind sehr einsam. (19) Danton ist bereits ein modernes bürgerliches Subjekt. Von Reflexionen zerquält, kann er die Widersprüche in der Wirklichkeit entdecken, muß dabei aber den Glauben an eine ihr zugrunde liegende Ordnung zerstören. Ein Fundament von Werten, wie es noch die Angehörigen einer religiösen oder metaphysischen Weltordnung besitzen, kann für Danton nicht mehr existieren. Deshalb ist die Erinnerung an die Septembermorde für ihn so belastend. Ihm mangelt die Ideologie, die ihn hätte rechtfertigen können. Zerrissen zwischen dem "Muß" und einer Art von Freiheit, die er nicht definieren kann, die ihn aber für seine Handlungen zur Rechenschaft zieht, erkennt er, daß er seiner Rolle nicht entfliehen kann. Er bleibt Akteur und wird gleichzeitig zum Zuschauer.45 Sein Bewußtsein kann er nicht mehr ausschalten: Danton, sagt Marion, deine Lippen haben Augen. (122)
b) Robespierre Die Fähigkeit, seine Rolle zu reflektieren, macht Danton zum Zuschauer. Im Gegensatz zu ihm, der genau die Fäden seiner Abhängigkeit sieht, leugnet Robespierre seine Schauspielerei. Vorerst allerdings befindet er sich mit seiner Rolle in völligem Einklang, das heißt, sie dringt ihm nicht als zweite Identität ins Bewußtsein. Zunächst ist es das Volk, das ihm den Beinamen "Messias" verleiht. In unverkennbar biblischem Sprachduktus wird Robespierre in das Drama eingeführt: 45
vgl. Comelie UEDING: Dantons Tod, S. 211; Dieselbe Spannung zwischen Distanz und Involviertheit weist auch die von Blumenberg analysierte Metapher "Schiffbruch mit Zuschauer" auf.
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Hört den Messias, der gesandt ist zu wählen und zu richten; er wird die Bösen mit der Schärfe des Schwertes schlagen. Seine Augen sind die Augen der Wahl, seine Hände sind die Hände des Gerichts! (I15) An dieser Stelle wird Robespierre als eine Figur, die jenseits von Gut und Böse steht, als quasi gottgesandter Führer über dem Volk stehend mit dem Vitalismus Dantons kontrastiert. Die Opposition Laster-Tugend entsteht Maßstab für die Beurteilung ist der Augenschein. Während Danton vorwiegend im Spielsalon oder im Bordell anzutreffen ist, kennt man Robespierre nur ernst, fleißig, gerecht, unbestechlich und durch und durch tugendhaft. Diese Charakterzüge Robespierres sind historisch belegt, und so stattete ihn das Volk nicht zu Unrecht mit den Beinamen "Der Unbestechliche" und "Der Messias" aus. Doch im Laufe des Dramas wird auch diese vorläufig zu Recht bestehende Auszeichnung Robespierres als Schein entlarvt. Ausgangspunkt dafür ist das Gespräch mit Danton in der letzten Szene des ersten Aktes. Danton weigert sich, Robespierres Begriffe "Tugend" und "Laster" anzuerkennen, und macht ihm seine Rechtschaffenheit zum Vorwurf: Ich würde mich schämen 30 Jahre lang mit der nämlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde herumzulaufen bloß um des elenden Vergnügens willen Andre schlechter zu finden, als mich. Ist denn nichts in dir, was dir manchmal ganz leise, heimlich sagte, du lügst, du lügst! (126) Danton durchschaut Robespierres Tugend als eine besondere Form des Eigennutzes und klagt ihn an: Bist du der Policeysoldat des Himmels? Erst als er allein ist und unterdrückte Gedanken in sein Bewußtsein drängen, setzt Robespierre sich mit den Vorwürfen Dantons auseinander: Keine Tugend! Die Tugend ein Absatz meiner Schuhe! Bey meinen Begriffen! Wie das immer wieder kommt. Warum kann ich den Gedanken nicht los werden? Er deutet mit blutigem Finger immer da, da hin! (...) Ich weiß nicht, was in mir das Andere belügt. (...) Die Nacht schnarcht über der Erde und wälzt sich im wüsten Traum. Gedanken, Wünsche kaum geahnt, wirr und gestaltlos, die scheu sich vor des Tages Licht verkrochen, empfangen jezt Form und Gewand und stehlen sich in das stille Haus des Traums. (128) Doch anders als Danton kann Robespierre diese Wahrheiten nicht akzeptieren. Die Kränkungen Camilles schließlich, der im "Vieux cordelier" seine Erlöserrolle persifliert, veranlassen ihn, mit voller Kraft und vollem Bewußtsein seine Rolle anzunehmen.
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Ja wohl, Blutmessias, der opfert und nicht geopfert wird. - Er hat sie mit seinem Blut erlöst und ich erlöse sie mit ihrem eignen. (...) Er hatte die Wollust des Schmerzes und ich habe die Quaal des Henkers. Wer hat sich mehr verleugnet, Ich oder er? Doch geht das Überstreifen der Maske nicht schmerzlos vor sich: Was sehen wir nur immer nach dem Einen? Wahrlich des Menschensohn wird in uns Allen gekreuzigt, wir ringen Alle im Gethsemanegarten im blutigen Schweiß, aber es erlöst Keiner den Andern mit seinen Wunden. Mein Camille! - Sie gehen Alle von mir - es ist Alles wüst und leer - ich bin allein. (130) Wie Danton hat Robespierre erkannt, daß mit der Maske auch das Gesicht zerstört würde, und wie jenen macht diese Erkenntnis auch ihn einsam. c) St. Just Während Danton und Robespierre kaum durch ihre politischen Programme, sondern fast ausschließlich durch die Perspektive ihrer Innensicht charakterisiert werden, fehlt der psychologische Aspekt in der Figur St. Justs völlig. Lange Zeit glaubte die Forschung, daß es sich bei ihm im Gegensatz zu den anderen im Stück auftretenden Revolutionären um eine reine Kunstfigur Büchners handele. Doch entdeckte Ivan Nagel die verblüffende Ähnlichkeit mancher Partien der Rede mit Absätzen aus Joseph Görres Bericht über seinen Aufenthalt in Paris 1799.46 StJust ist der einzige, der ausschließlich durch sein politisches Programm, durch seine Rede vor dem Nationalkonvent charakterisiert wird und der kein davon abweichendes Innenleben besitzt. Er muß als allegorisierte Ideologie verstanden werden. In ihm entlarvt Büchner alle Ideologie als Schein. Immer wieder ist die furchtbar folgerichtige Logik in der Rede St. Justs bewundert worden.47 Doch sollte man beachten, daß diese unbestechliche Logik von einer absurden Prämisse ausgeht. Denn St. Just baut seine Argumentation auf der widersinnigen Verknüpfung von Moral und 46
47
vgl. Ivan NAGEL: Gedankengänge als Lebensläufe. Versuche über das 18. Jahrhundert. München 1987 - Zur Parallelität der StJust-Rede mit dem Bericht vgl. Joseph GÖRRES: Resultate meiner Sendung nach Paris (1800). Teilabdruck in: Die Französische Revolution im Spiegel der deutschen Literatur. Hg. von Claus Träger unter Mitarbeit von Frauke Schäfer. Frankfurt am Main 1979, S. 434-443 vgl. Wolfgang MARTENS: Ideologie und Verzweiflung. Religiöse Motive in Büchners Revolutionsdrama, S. 428 f - In: W.M. (Hg.): Georg Büchner. Darmstadt 1965 (= Wege der Forschung. Bd. 53), S. 406-443; Ulrike PAUL: Vom Geschichtsdrama zur politischen Diskussion. München 1974, S. 84 f
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Natur zu "moralischer Natur" auf und stellt ihr den redundanten Begriff der "physischen Natur" als Analogon zur Seite: Ich frag nun: soll die moralische Natur in ihren Revolutionen mehr Rücksicht nehmen, als die physische? Soll eine Idee nicht eben so gut wie ein Gesetz der Physik vernichten dürfen, was sich ihr widersezt? Soll überhaupt ein Ereigniß, was die ganze Gestaltung der moralischen Natur d.h. der Menschheit umändert nicht durch Blut gehen dürfen? Der Weltgeist bedient sich in der geistigen Sphäre unserer Arme eben so, wie er in der physischen Vulkane oder Wasserßuthen gebraucht. Was liegt daran ob sie an einer Seuche oder an der Revolution sterben? (145ß Auch im weiteren ist diese geniale Rede mitreißend durch ihre unwiderstehliche, faszinierende Schlüssigkeit. Hat man erst einmal seinen Blick auf die Perspektive St. Justs, auf die Unendlichkeit, eingestellt, verschwimmt die unmittelbare Gegenwart. Der einzelne Mensch wird zum Atom in der Ewigkeit der Geschichte, und das Blut unzähliger Leichen zerstäubt im Nebel einer kosmischen Zukunft; - so jedenfalls läßt sich trefflich ausdrücken, was die Ideologie so verführerisch macht. Sie stiftet Sinn, wo die Sinnhaftigkeit zu entgleiten droht, sie ersetzt das Chaos zahlloser, einzelner Ereignisse durch eine allumfassende Ordnung, sie gibt einer desorientierten, zersprengten Gesellschaft das Empfinden zeitlicher Kontinuität zurück - und sie verleiht Würde, wo alles schon würdelos ist. Deshalb mußte Robespierre die Fraktion der Hebertisten vernichten, denn sie parodirte das erhabne Drama der Revolution. (I 18) Er merkte nicht, daß die Wirklichkeit selbst längst sein erhabnes Drama verhöhnte. Ebenso geht es St. Just und seinen Zuhörern, die die Begeisterung von den Stühlen reißt. (Die Regieanweisung lautet: Langer anhaltender Beyfall. Einige Mitglieder erheben sich im Enthusiasmus. (I 45)) Die Wirksamkeit der Ideologie - und damit der Erfolg St. Justs - beruht auf dem Versprechen, das sie gibt, nicht auf ihrem Wahrheitsgehalt. Sie besitzt die mythische Kraft einer Religion. Ein ideologiekritisches Meisterwerk ist der Schluß von St. Justs Rede, den Werner Lehmann erstmalig ausführlich untersucht hat.48 Er macht darauf auferksam, daß die Wahrheit des anschaulichen Schlußbildes sich in dem verbirgt, was St. Just verschweigt. St. Just beschließt seine Ausführungen mit einem Bild aus der griechischen Mythologie: Die Revolution ist wie die Töchter des Pelias; sie zerstückt die Menschen um sie zu verjüngen. Die Menschheit wird aus dem Blutkessel wie die Erde 48
Werner R. LEHMANN: Geht einal euren Phrasen nach ..., S. 23
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aus den Wellen der Sündßuth mit urkräftigen Gliedern sich erheben, als wäre sie zum Erstenmale geschaffen. (145) Bereits die Sage lehrt, daß dieses Experiment mißglückt, wenn ihm die Hilfe von Zauberkraft versagt bleibt Die Geschichtskonzeption St. Justs ist ebenso deterministisch wie die Dantons. Nur ist sie wesentlich attraktiver. Dantons Wort Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht (I 32) setzt genau wie St. Just mit seinem (anachronistischen) Weltgeist eine anonyme Gewalt zur Lenkerin menschlicher Geschicke ein. Doch während Danton sich als Marionette mißbraucht fühlt, bleibt St. Just der Stolz, Oberaufseher des historischen Fortschritts zu sein. Er tötet nicht aus Haß oder Bosheit, sondern aus einer Überzeugung, die sich jeder Diskussion entzieht. St. Just, das ist der ältere Bruder von Victor Hugos Inspektor Javert in "Les misérables", der wiederum als eine Vorwegnahme Eichmanns erscheint.
d) Das Volk Das Volk, das ist die Instanz, auf die sich jeder beruft. In den Köpfen der Revolutionäre tritt es jedoch nur abstrakt als Theoretikum des Volkswillens auf, als idealisierte Gestalt von Roussaus "volonté générale". Alle werden von diesem Volkswillen, "der sich nicht selbst artikuliert, getrieben, und niemand ist mit diesem allgegenwärtigen Volkswillen wirklich identisch."49 In seiner sozialen Gestalt erscheint das Volk in verschiedenen, kleineren Episoden. Als Masse ist es auf Straßen und Plätzen anwesend und setzt sich im einzelnen aus Huren, Fuhrleuten und Henkern zusammen. Eine besondere Bedeutung kommt Simon, dem Souffleur, zu. Er macht im Stück den Clown nach shakespeareschem Vorbild. In der sehr burlesken Straßenszene im ersten Akt wird in der Gestalt des völlig betrunkenen, lallenden Simon das erhabne Drama der Revolution (118) parodiert. In der gespielten Empörung Simons über die Prostitution seiner Tochter erscheinen "die Akteure der bürgerlichen Revolution, die sich als antike Helden drapieren, (...) im Zerrbild eines betrunkenen Schmierenkomödianten."50 In seinen Tiraden demaskieren sich die Reden der Revolutionäre als hohle Phrasen und der hehre Antike-Kult als falsches Pathos. Die Szene persifliert und enthüllt den wahren Charakter der Revolution als Groteske und gewinnt so die Bedeutung eines Spiels im Spiel.
49
50
Alfred BEHRMANN und Joachim WOHLLEBEN: Büchner. Dantons Tod. Eine Dramenanalyse. Hg. von Theo Buck und Dietrich Steinbach. Stuttgart 1980, S. 157 GRIMM: Spiel und Wirklichkeit, S. 58
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Der burleske Ton schlägt unvermittelt um, als auf Simons theatralische Verzweiflung (Ha Lucrecia! ein Messer, gebt mir ein Messer, Römer! Ha Appius Claudius!) ein Bürger sehr ernst antwortet: Ja ein Messer, aber nicht für die arme Hure, was that sie? Nichts! Ihr Hunger hurt und bettelt. Ein Messer fiir die Leute, die das Fleisch unserer Weiber und Töchter kaufen! (I14) Die nun folgenden Repliken der Bürger greifen in ihrer Struktur die Argumentationsweise des "Hessischen Landboten" auf. Der zunächst radikale, aber rational richtige, nachvollziehbare Gedankenaufbau verwandelt sich plötzlich in irrationale Abstraktion: Todtgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat!; Todtgeschlagen, wer lesen und schreiben kann!; Todtgeschlagen, wer auswärts geht! Büchner zeigt in "Dantons Tod" das Volk in seiner Ambivalenz. Es ist eine gigantische, politische Kraft, der einzige Hebel, der eine soziale Revolution vollbringen könnte; nur das notwendige Bedürfnis der großen Masse könne Umänderungen herbeiführen, schreibt Büchner einmal, (vgl. I 438) Doch andererseits kann diese Kraft des Volkes auch in blindem Haß und verheerender Brutalität seinen Ausdruck finden. Das dritte wesentliche Kennzeichen des Volkes ist seine Manipulierbarkeit. Sichtbar wird dies wiederum an der Figur Simons, der bei allem sozialen Elend, in dem er lebt, doch treu und brav seiner Umgebung die Stichworte der Herrschenden souffliert. (I 34) Als Werkzeug der Mächtigen verhaftet er schließlich auch Danton, (vgl. I 42) Doch nicht nur der einzelne Vertreter, auch die Masse ist beliebig dirigierbar. Denn das Volk entscheidet ausschließlich nach Plausibilitäten und dem Augenschein. So kommt es, daß die hysterische Masse einen Menschen wegen eines Schnupftuchs lynchen möchte; und so ist es möglich, daß Danton unter dem Jubel der Menge seine Rede hält (Ihr wollt Brod und sie werfen Euch Köpfe hin. Ihr durstet und sie machen euch das Blut von den Stufen der Guillotine lecken.) und unmittelbar danach wegen seiner Kleider, seines Hauses und seiner schönen Frau als Verräter verdammt wird. Unter dem Jubel der Menge stirbt er durch die Guillotine: "Das Volk, von Büchner bei aller Differenzierung als fast maschinelle Masse gezeichnet, ist mit seinen Bewegungen die Antriebskraft der fürchterlichen Maschinerie, in die Danton gerät, in der er den persönlichen dramatischen Kampf vermißt. "5» 51
Hans-Thies LEHMANN: Dramatische Form und Revolution, S. 116 - In: Peter von Becker (Hg.): Georg Büchner. Dantons Tod. Krit. Studienausg. des Originals mit Quellen, Aufsätzen und Materialien. 2. Aufl. Frankfurt 1985, S. 106-121
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Als die Summe vieler gequälter, einzelner Menschen spielt es aber im blutigen Revolutionsdrama die Rolle des Publikums, ohne jedoch die kritische Distanz des Zuschauers zu besitzen, der bewerten und beurteilen kann. Es darf den Aktionen der Herrschenden applaudieren, sich an ihren inszenierten Guillotinespektakeln ergötzen, und es wird benutzt, um die Interessen eines Akteurs gegen einen anderen durchzusetzen. In seiner Funktion als Publikum wird es in die "Komödie" integriert und stellt das Heer der Statisten. In "Leonce und Lena" (1836)52 greift Büchner das Bild wieder auf und steigert es zur wahrhaft bitteren Farce: Landrat: "Gebt acht, Leute, im Programm steht: Sämmtliche Unterthanen werden von freien Stücken, reinlich gekleidet, wohlgenährt, und mit zufriedenen Gesichtern sich längs der Landstraße aufstellen! Macht uns keine Schande!" - Schulmeister: "Seid standhaft! Kratzt euch nicht hinter den Ohren und schneuzt euch die Nase nicht, solang das hohe Paar vorbeifährt und zeigt die gehörige Rührung, oder es werden rührende Mittel gebraucht. Erkennt, was man für euch thut, man hat euch grade so gestellt, daß der Wind von der Küche über euch geht und ihr auch einmal in eurem Leben einen Braten riecht. Könnt ihr noch eure Lektion? He? Vi!" - Die Bauern: "Vi!" - Schulmeister: Vat! - Die Bauern: Vat - Schulmeister: Vivai! - Die Bauern: Vivat! (1127f)
6. Idee und Wirklichkeit Hierunter ist zweierlei zu subsumieren: Zum einen eine Untersuchung der Diskrepanz zwischen historischer und künstlerischer Wahrheit in "Dantons Tod", zum anderen Büchners Bevorzugung einer "realistischen" Kunst gegenüber der "idealistischen" Kunst im Sinne Schillers. Beides hängt eng zusammen, sind doch Büchners politisch-soziologische Anschauungen sein Motiv, auch in der Kunst neue Wege zu suchen.
52
Der Marburger Katalog der Ausstellung zum 150. Jahrestag des "Hessischen Landboten" belegt mit Dokumenten, wie sehr Büchner das Stück und insbesondere die Bauemszene der politischen Realität seiner Zeit nachgezeichnet hat. Die Grundlage für die böse Satire lieferten wohl die Vermählungsfeierlichkeiten des Erbgroßherzogs Ludwig von Hessen mit der Prinzessin Mathilde von Bayern. Vgl.: Georg Büchner. Leben, Werk, Zeit. Katalog. Unter Mitw. von Bettina Bischoff u.a., bearbeitet von T.M. Mayer. 3. Aufl. Marburg 1987
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a) Historische Wahrheit und künstlerische Wahrheit Den Gesamtverlauf der Revolution als Groteske betrachten kann natürlich nur der Nachgeborene, der im Rückblick die Ereignisse überschaut und interpretiert. Für die Betroffenen selbst, für diejenigen, die für die Revolution gekämpft haben oder die ihr zum Opfer gefallen sind, war das ganze blutige Spektakel natürlich nichts weniger als lächerlich. Büchner schreibt deshalb an Gutzkow: Das weiß ich, daß ich alle Ursache habe, der Geschichte gegenüber roth zu werden; doch tröste ich mich mit dem Gedanken, daß, Shakespeare ausgenommen, alle Dichter vor ihr und der Natur wie Schulknaben dastehen. (II 435) Doch empfanden die Zeitgenossen das Drama als so getreu der Geschichte entlang geschrieben, daß sie es deswegen disqualifizierten: Ihr Danton zog nicht: vielleicht wissen Sie den Grund nicht? Weil Sie die Geschichte nicht betrogen haben: weil einige der bekannten "heroice Dicta" in Ihre Komödie liefen und von den Leuten drin gesprochen wurden, als käme der Witz von Ihnen. Darüber vergaß man, daß in der That doch mehr von Ihnen gekommen ist als von der Geschichte, und machte aus dem Ganzen ein dramatisirtes Kapitel des Thiers. (II 491) In der Tat besteht über ein Sechstel des Textes53 aus Zitaten oratorischer und epigrammatischer Art. Die Quellenforschung ist noch nicht abgeschlossen, immer noch werden neue Zitate im Text entdeckt.54 Um die Absicht zu verstehen, die Büchner bewogen hat, historisches Material zu verwenden, es gleichwohl zum Teil verfremdend einzusetzen, ist es sinnvoll, sich den Figuren des Dramas und ihren historischen Vorlagen zuzuwenden. Vieles im Charakter Dantons war bereits in den Quellen angelegt, so seine Neigung zum üppigen Leben und seine seltsame Lethargie vor seiner Verhaftung. Seine pessimistischen Reflexionen, seine Schuldgefühle we53
54
Adolf BECK: Unbekannte Quellen für "Dantons Tod" von Georg Büchner, S. 489 In: Jahrbuch des freien deutschen Hochstifts. 23 (1963), S. 489-538 vgl. Herbert WENDER: Gorg Büchners Bild der Großen Revolution: Zu den Quellen von "Dantons Tod". Frankfurt am Main 1988. Eine hervorragende Übersicht über Büchners Montagetechnik gibt die kritische Studienausgabe des Originals von Thomas M. MAYER. Mit Hilfe typographischer Mittel und Marginalien werden dort Zitate und Allusionen historischer und literarischer Herkunft kenntlich gemacht. - In: Peter von BECKER (Hg.): Georg Büchner. Dantons Tod. Kritische Studienausgabe des Originals mit Quellen, Aufsätzen und Materialien. (1980) Frankfurt 1985, S. 1374
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gen der Septembermorde - für die der historische Danton gar nicht die Hauptverantwortung trägt - sind von Büchner erfunden. Robespierres Rede vor dem Jakobinerclub besteht zu mehr als zwei Dritteln aus zusammengesetzten Zitatfetzen. Sie baut im wesentlichen auf der Konventsrede Robespierres über "Die Prinzipien der Moral, welche die Revolutionsregierung lenken müssen"55 vom 5. Februar 1794 auf. Seine Rede vor dem Nationalkonvent ist, vom letzten Satz abgesehen, reines Zitat. Aber die nächtlichen Anfeindungen in Form verdrängter sexueller Wünsche sind Büchners Erfindung. Auch den reinen Charakter Camilles, den heroischen Freitod Julies, den Wahnsinn Luciles hat er erfunden. Es ist die psychische Realität der Personen, die im sogenannten "Tatsachenmaterial" der Historiographen natürlich nicht erfaßt werden kann, der Büchner eine solche Bedeutung beimißt, daß er die historischen Fakten in ihren Dienst stellt. Diese Art von künstlerischer Freiheit scheint Büchners eigenen Ansprüchen zu widersprechen, wenn er zur Rechtfertigung der drastischen Sprache seiner Revolutionäre schreibt: Bitte ich (...) zu bedenken, daß ich der Geschichte treu bleiben und die Männer der Revolution geben mußte, wie sie waren, blutig, liederlich, energisch und cynisch. Ich betrachte mein Drama wie ein geschichtliches Gemälde, das seinem Original gleichen muß. (II 438) Büchner geht es um das Erfassen der Wirklichkeit, und zwar der historischen wie auch der politischen seiner Gegenwart. Eine naturgetreue Abbildung hätte diesem Ziel nicht gerecht werden können, denn der Geschichtsschreiber muß sich an Daten orientieren, er muß eine chronologische Abfolge von Ursache und Wirkung annehmen, mithin ein teleologisches Geschichtsbild, von dem sich Büchner ja bereits im Fatalismusbrief von 1834 losgesagt hatte. Zu diesem Problem schreibt Büchner: Der dramatische Dichter ist in meinen Augen nichts, als ein Geschichtsschreiber, steht aber über Letzerem dadurch, daß er uns die Geschichte zum zweiten Mal erschafft und uns gleich unmittelbar, statt eine trockne Erzählung zu geben, in das Leben einer Zeit hinein versetzt, uns statt Charakteristiken Charaktere, und statt Beschreibungen Gestalten gibt. Seine höchste Aufgabe ist, der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nahe als möglich zu kommen. (II 443) So nahe als möglich, das bedeutet einerseits die Annahme, daß es unmöglich sei, die ganze Wirklichkeit zu reproduzieren, andererseits ist es ein Aufruf, die Defizite des Historiographen mit künstlerischen Mitteln aus55
vgl. Carl STRAHLHEIM: Die Geschichte unserer Zeit. XII, S. 35-56
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zugleichen, indem man die Realität in ihren vielen verschiedenen Facetten sichtbar macht. In "Dantons Tod", aber auch in seinen anderen Werken, versucht Büchner deshalb, die "Macht der Verhältnisse" zu veranschaulichen und stellt ihr die "menschliche Natur" gegenüber. Denn entgegen allen metaphysischen Versprechungen bringen ihn seine historischen Studien und politischen Erfahrungen zu der Überzeugung, daß der Mensch erfolgreich sei, solang er sich dem Zwang objektiver Gesetzmäßigkeiten beugt, aber scheitert, sobald er aus diesen Zwängen ausbrechen und selbständig handeln möchte.56 Ich verachte niemanden, schreibt Büchner schon 1834, weil es in Niemands Gewalt liegt, kein Dummkopf oder Verbrecher zu werden, - weil wir durch gleiche Umstände wohl Alle gleich würden, und weil die Umstände außer uns liegen. (II 422) Dieses deterministische Menschenbild, das durch sein Studium der Französischen Revolution noch verstärkt worden ist, sucht Büchner erfahrbar zu machen, indem er die dokumentierte Geschichte um die Perspektive der Innensicht erweitert. b) "Idealistische"Kunst und "realistische Kunst" Für den Dichter soll Wirklichkeit der einzige Maßstab sein, Leben sein einziges Kriterium. Er darf sich nicht scheuen, das Häßliche, Obszöne, Grausame zu gestalten, weil es Teil der menschlichen Gesellschaft ist. Er muß zeigen, wie der Mensch ist, nicht, wie er sein soll. Alle die Dichter, die den Menschen und seine Welt verklären, sind daher Gegenstand Büchners heftigster Kritik: Der Dichter ist kein Lehrer der Moral, er erfindet und schafft Gestalten, er macht vergangene Zeiten wieder aufleben, und die Leute mögen dann daraus lernen, so gut, wie aus dem Studium der Geschichte und der Beobachtung dessen, was im menschlichen Leben um sie herum vorgeht (...) Was die sogenannten Idealdichter anbetrifft, so finde ich, daß sie fast nichts als Marionetten mit himmelblauen Nasen und affectirtem Pathos, aber nicht Menschen von Fleisch und Blut gegeben haben, deren Leid und Freude mich mitempfinden macht, und deren Tun und Handeln mir Abscheu oder Bewunderung einflößt. Mit einem Wort, ich halte viel auf Goethe oder Shakespeare, aber sehr wenig von Schiller. (II 444)
56
vgl. Henri POSCHMANN: Einleitung zu Büchners Werk in einem Band. Berlin, Weimar 1980, S. XXIX
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In Büchners Augen gewinnt die Dichtung Schillers auf künstlerischem Gebiet die gleiche Bedeutung wie die Ideologie auf politischem Gebiet. Dieser Idealismus ist die schmählichste Verachtung der menschlichen Natur, sagt Büchners Lenz. (I 87) Die Aufgabe des Theaters muß nach Büchners Auffassung neu definiert werden. Ihr kommt eine politische Qualität zu. Die dumme Arroganz des Bildungsbürgers, der inmitten einer schlechten gesellschaftlichen Realität sich im Theater am Erhabenen ergötzt, verhöhnt Büchner in "Dantons Tod". Sonderbar genug nimmt sich die Feststellung des ersten Herrn aus angesichts der terroristischen Gegenwart der Revolution: Die Menschheit eilt mit Riesenschritten ihrer hohen Bestimmung entgegen. Und der zweite Herr antwortet: Haben Sie das neue Stück gesehen? Ein babylonischer Thurm! Ein Gewirr von Gewölben, Treppchen, Gängen und das Alles so leicht und kühn in die Luft gesprengt. Man schwindelt beyjedem Tritt. Im Gegensatz dazu erscheint die Realität als Abgrund: Ihre Hand, Herr! die Pfütze, so! Ich danke Ihnen. Kaum kam ich vorbey, das konnte gefährlich werden! (...) Ja, die Erde ist eine dünne Kruste, ich meine immer, ich könnte durchfallen, wo so ein Loch ist. Man muß mit Vorsicht auftreten, man könnte durchbrechen. Aber gehn Sie in's Theater, ich rath' es Ihnen. (136f) Direkt im Anschluß an das Gespräch zwischen den beiden "Herrn" - schon durch diesen Titel als dem Volke nicht zugehörig gekennzeichnet - folgt in der dritten Szene des zweiten Akts die Literatur- und Kunstbetrachtung von Camille und Danton. Es ist neben dem bereits zitierten Brief an die Familie und dem Kunstgespräch im "Lenz" (1835) die einzige Stelle, an der sich Büchner zu kunsttheoretischen Fragen äußert: Camille: Ich sage Euch, wenn sie nicht Alles in hölzernen Copien bekommen, verzettelt in Theatern, Concerten und Kunstausstellungen, so haben sie weder Augen noch Ohren dafür. Schnizt Einer eine Marionette, wo man den Strick hereinhängen sieht, an dem sie gezerrt wird und deren Gelenke bey jedem Schritt in fünffüßigen Jamben krachen, welch ein Character, welche Consequenz! Nimmt Einer ein Gefühlchen, eine Sentenz, einen Begriff und zieht ihm Rock und Hosen an, macht ihm Hände und Füße, färbt ihm das Gesicht und läßt das Ding sich 3 Acte hindurch herumquälen, bis es sich zulezt verheiratet oder sich todtschießt - ein Ideal! (...) Sezt die Leute aus dem Theater auf die Gasse: ach, die erbärmliche Wirklichkeit! Sie vergessen ihren Herrgott über seinen schlechten Copisten. (...) Danton: Und die Künstler gehn mit der Natur um wie David, der
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im September die Gemordeten, wie sie aus der Force auf die Gasse geworfen wurden, kaltblütig zeichnete und sagte: ich erhasche die letzten Zuckungen des Lebens in dießen Bösewichtern. (136) Was beiden Richtungen gemeinsam ist, der klassizistischen wie der "naturalistischen", ist ihre Verblendung und ihre daher rührende Menschenverachtung und Lebensfeindlichkeit. Das Spektakel des idealen Menschen auf der Bühne korreliert mit dem Spektakel der proklamierten Tugend auf dem Revolutionsplatz. Beide bleiben Ersatzhandlung für eine unbewältigte Wirklichkeit. Die Guillotine spendet kein Brot und der tragische Held überbrückt nicht den Abgrund des verängstigten Menschen. Büchner stellt "die Wirklichkeit als praktische Aufgabe. Sie verlangt das Messen der Ansichten an den Tatsachen, die Unterscheidung von Wirklichem und Scheinhaftem - und dazu wird Wirklichkeit ins Theater geholt und Theater in der Wirklichkeit entdeckt."57
7. Schluß Tod und Leid, Liebe und Erotik58 und der Bildkreis des Theaters bilden die Grundmotive in Büchners Dramen. Das Bild des Theaters spiegelt den Menschen vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Bedingungen. So in "Leonce und Lena", der "Pathographie des status quo",59 in der das Theater "als parodistischer Spiegel des zum Theater gewordenen Lebens"60 gezeigt wird, und im "Woyzeck", wo die menschliche Natur auf dem Jahrmarkt und - schlimmer - vom Doktor im Hörsaal demonstriert wird. Dem Automatismus der Gesellschaft, der den Menschen auf seine Funktion reduziert, setzt Büchner die Existentiale des menschlichen Seins entgegen: Leidenschaft und den Schmerz der Kreatur. Im "Woyzeck", in dem zum ersten Mal im deutschen Drama der Anti-Held die Bühne betritt, klagt 57
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Henri POSCHMANN an Alexander Lang im Briefaustausch zu "Dantons Tod. - In: Georg-Büchner-Jahrbuch 1 (1981), S. 183 f Zur Bedeutung der Sexualität in "Dantons Tod" vgl. Reinhold GRIMM: Coeur und Can-eau. Über die Liebe bei Georg Büchner. - In: t+k HI, S. 299-326; Dolf OEHLER: Liberté, Liberté Chérie. Männerphantasien über die Freiheit - Zur Problematik der erotischen Freiheitsallegorie. - In: Peter von Becker (Hg.): Georg Büchner. Dantons Tod. Kritische Studienausgabe. S. 91-105 Hajo KURZENBERGER: Komödie als Pathographie des Status quo. - In: t+k III, S. 150-168 Marianne KESTING: Das epische Theater. Zur Struktur des modernen Dramas. 7. Aufl. Stuttgart 1978, S. 29
Schluß
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Büchner nicht den Mörder an, sondern die erbarmungslose Gesellschaft, die ihn zum Mörder gemacht hat. Wie schon am Ende von "Dantons Tod" wird auch hier der Schmerz zum "Movens der Empörung".61 Büchner wählt, angeregt von Hugos "Préface de Cromwell" (1827), das Groteske zur Darstellung gesellschaftlicher Unnatur. Anders als das Tragische, das in der Versöhnung der Widersprüche das Grauen entschärft und damit affirmativ wirkt, bleibt im Grotesken das Grauen erhalten; es negiert das Bestehende,62 es verneint die zur grauenvollen Praxis pervertierte Theorie. Adornos Definition des Nihilismus' trifft auch auf Büchner zu. Er ist einer der ersten, der die "abendländische Erbschaft von Positivität anzutreten sich weigert und keinen Sinn des Bestehenden unterschreibt."63 Man solle "die abgelebte moderne Gesellschaft zum Teufel gehen lassen", fordert Büchner. Denn das ganze Leben derselben besteht nur in Versuchen, sich die entsetzlichste Langeweile zu vertreiben. Sie mag aussterben, das ist das einzig Neue, was sie noch erleben kann. (II 455) Büchner ist immer von der Notwendigkeit einer Revolution ausgegangen, wenngleich ihn die scharfsinnige Analyse der gesellschaftlichen Gegebenheiten an der Erhebung der Massen zweifeln ließ: Das Verhältniß zwischen Armen und Reichen ist das einzige revolutionäre Element in der Welt, der Hunger allein kann die Freiheitsgöttin, und nur ein Moses, der uns die sieben ägyptischen Plagen auf den Hals schickte, könnte ein Messias werden. Mästen Sie die Bauern, und die Revolution bekommt die Apoplexie. Ein Huhn im Topfe jedes Bauern macht den gallischen Hahn verenden. (II 441) "Dantons Tod" ist kein Propagandastück für die Revolution. Aber es soll aufklären im Sinne des Widerstandes. Bedenkt man, daß Büchner geschrieben haben soll, die darmstädtischen Polizeidiener seien seine Musen für seinen "Danton" gewesen,64 so versteht man auch, welches das konkrete Ziel seines ersten Dramas war. Büchner wollte die Guillotine lachen 61
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Burghard DEDNER: Legitimationen des Schreckens in Georg Büchners Revolutionsdrama. - In: Schiller-Jahrbuch. 29 (1985), S. 367 Paul REQUADT: Zu Büchners Kunstanschauung. Das Niederländische und das Groteske. Jean Paul und Victor Hugo, S. 138 - In: P.R.: Bildlichkeit der Dichtung. Aufsätze zur deutschen Literatur vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. München 1974 T.W. ADORNO: Negative Dialektik. Frankfurt/Main 1966, S. 371 nach dem Zeugnis von Wilhelm Schulz. Vgl. Walter GRAB: Georg Büchner und die Revolution von 1848. Der Büchner-Essay von Wilhelm Schulz aus dem Jahr 1851. Text und Kommentar. Königstein/Taunus 1985, S. 64
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Puppen und Automaten. Büchners
Revolutionsverständnis
machen, damit die Leute keinen Respekt mehr vor ihr haben, (vgl. I 58) Wenn es einmal ein Mißjahr gibt, worin nur der Hanf geräth, schreibt er im März 1835 an Gutzkow, das sollte lustig gehen, wir wollten schon eine Boa Constrictor zusammen flechten. Mein Danton ist vorläufig ein seidenes Schnürchen und meine Muse ein verkleideter Samson. (II 436fl65
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Brief an Gutzkow. Straßburg, März 1835. Die Anspielung auf Samson bezieht sich nicht auf die mythische Figur, sondern auf den Scharfrichter in Paris seit 1793, auf Henri Samson (1767-1840).
V. Exkurs: Revolution als Schauspiel in Flauberts "L'Education sentimentale" und "Bouvard et Pécuchet" Als Flaubert 1869 die zweite Fassung seines Romans "L'Education sentimentale" veröffentlichte, wies diese gegenüber dem ersten unveröffentlichten Entwurf von 1845 zwei entscheidende Neuerungen auf: Unter Beibehaltung der Kerngeschichte, der unterschiedlichen Entwicklung zweier Freunde, veränderte Flaubert den Stil seines Erzählens von der klassischen Tradition des Bildungsromans zu jener Art von Realismus, die ihn später unter den Stichworten "impassibilité", "impersonnalité" und "impartialité" berühmt gemacht hat.1 Inhaltlich erfährt der Roman seine gewichtigste Erweiterung durch die Spiegelung der individuellen Verhaltensweisen seiner "Helden" auf dem Hintergrund der revolutionären Ereignisse von 1848. Dabei dient die Hinzunahme der historischen Perspektive keineswegs als effektsteigerndes Accessoire, sondern Flaubert verknüpft sie so mit den privaten Handlungen der Protagonisten, daß sie den Schlüssel zum Verständnis der dargestellten Charaktere liefert und darüber hinaus Flauberts Einstellung zu seiner Zeit sowie seine Auffassung der Revolution beleuchtet. Überdies kommt der Schilderung der Revolution in der "Education sentimentale" die Qualität eines Zeitdokumentes zu, denn sie ist nicht nur ihre erste ästhetische Aufarbeitung,2 sondern sie glänzt - wie alle Werke Flauberts - durch Faktentreue, die sich einerseits aus der Teilnahme Flauberts an der Revolution von 1848 in Paris, andererseits aus seinem intensiven Studium von Zeitungen und revolutionstheoretischen Schriften jener Zeit erklärt.3 Vgl. Hans Robert JAUSS: Die beiden Fassungen von Flauberts "Education sentimentale". - In: Heidelberger Jahrbücher. 1/2 (1957/58), S. 96 - 1 1 6 Nach der Aussage von AJUNKER handelt es sich um die einzige Beschreibung der 48er Revolution unter den bedeutenderen französischen Erzählern. Vgl. Albert JUNKER: Die Darstellung der Februarrevolution im Werke Flauberts, S, 93. - In: Gedächtnisschrift für Adalbert Hämel. Würzburg 1953, S. 93 - 1 1 9 Angesichts dieses Bemühens und seiner zahlreichen Äußerungen zur Politik, mutet es merkwürdig an, daß wiederholt seine "durch und durch unpolitische Natur" betont worden ist. So Hugo FRIEDRICH in: Die Klassiker des französischen Romans. Leipzig 1939, S. 129; A. Junker (vgl.: Die Darstellung der Februarrevolution im Werk
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Revolution als Schauspiel in Flauberts Werk
Die Haupthandlung des Romans spielt zwischen den Jahren 1840 bis Dezember 1851, umfaßt also ein gutes Lebensjahrzehnt des Protagonisten Frédéric Moreau, genauer gesagt, seine Adoleszenz. Mit dem "Nachtrag" in Teil 4, der aus der Rückschau das Vergangene resümiert, beträgt die Zeitspanne knapp 30 Jahre aus dem Leben Moreaus,4 wobei die Raffung der Erzählzeit bereits andeutet, daß das zukünftige Leben Frédérics ebenso passiv verlaufen werde wie das vergangene. So gesehen erzählt der Roman die Geschichte seines Lebens vom Erwachsenen bis zum Greis. Innerhalb dieser zeitlichen Spanne nimmt die Revolutionsbeschreibung eine herausragende Stellung ein. Sie setzt am Ende des zweiten Teils ein und bestimmt den gesamten dritten Teil bis zum Ausklingen der Haupthandlung nach dem Staatsstreich Bonapartes im Dezember 1851. Im Roman verbinden sich die revolutionären, kollektiven Ereignisse mit den individuellen Handlungen der Personen und übernehmen gleichsam die Funktion, die Schwächen der in den ersten beiden Teilen entwickelten Charaktere im Brennglas des Umsturzes ein letztes Mal zu entlarven: "Der Aufbau des Romans ist also von dem Gleichlauf von einem Einzelschicksal mit dem Los eines ganzen Volkes geprägt. Die entscheidenden Wendepunkte im Leben Frédérics fallen mit den Schicksalsschlägen zusammen, die eine Nation erleidet."5 Die politische Wende kündigt sich im Text beim Empfang bei Madame Dambreuse an. Während die Besucher mit einer Tasse Tee in der Hand den Salon durchschlendern und sich vorwiegend um ihre Wirkung auf die übrigen Gästen sorgen, kommentieren sie das politische Tagesgeschehen. In der Plattheit ihrer Aussagen und dem aus purem Egoismus motivierten Jonglieren mit ihren politischen Statements enthüllt Flaubert im vorhinein die Reaktionsbreite seiner Bourgeois auf 1848: La plupart des hommes qui étaient là avaient servi, au moins, quatre gouvernements; et ils auraient vendu la France ou le genre humain pour garantir leur fortune, s'épargner un malaise, un embarras, ou même par simple bassesse, adoration instinctive de la force. Tous déclarèrent les crimes politiques inexcusable. Il fallait plutôt pardonner à ceux qui provenaient du besoin! Et on ne manqua pas de mettre en avant l'éternel exem-
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Flauberis, S. 94) schließt sich dieser Meinung unreflektiert an, obgleich doch gerade seine eigenen detaillierten Ausführungen ihm das Gegenteil beweisen müßten. Auf Flauberts waches politisches Bewußtsein zu insistieren, bedeutet natürlich nicht, daß seine absolut negative Einstellung zur Politik seiner Zeit bezweifelt werden sollte. Vgl. Klaus Dieter BERTL: Gustave Flaubert. Die Zeitstruktur in seinen erzählenden Dichtungen. Bonn 1974, S. 95 BERTL, S. 95
"L'Education sentimentale"
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pie du père de famille, volant l'éternel morceau de pain chez l'éternel boulanger.6 Die Revolution selbst schildert Flaubert meist aus der Perspektive Frédérics. Nirgendwo7 taucht eine vereinheitlichende Darstellung auf, etwa im Stile eines Geschichtsbuches oder einer Chronik. Was der Leser durch die Augen der Hauptpersem wahrnimmt, sind flüchtige Eindrücke, Bilder, Szenen, Handlungsfetzen, bunt wie ein exotisches Gemälde, aber ohne Hinweise auf einen Sinnzusammenhang. Was Frédéric erlebt, bleibt ihm merkwürdig äußerlich. Das tumultuarische Geschehen, das nicht nur für Frankreich von einschneidender Bedeutung war und so viele Hoffnungen begrub, erfährt Frédéric wie fremd. Es erscheint ihm, als ob es ihn nicht beträfe, als ob er genießender und unbehelligter Zuschauer eines Schauspiels sei: Les tambours battaient la charge. Des cris aigus, des hourras de triomphe s'élevaient. Un remous continuel faisait osciller la multitude. Frédéric, pris entre deux masses profondes, ne bougeait pas, fasciné d'ailleurs et s'amusant extrêmement. Les blessés qui tombaient, les morts étendus n 'avaientpas l'air de vrais blessés et de vrais morts. Il lui semblait assister à un spectable. (318) Die unbeteiligte, lediglich konsumierende Haltung Frédérics offenbart sich in seinem Verhalten. Vor dem Aufstand von seinen Freunden zu einem konspirativen Treffen gebeten, zieht er es vor, ungeachtet der radikalen Reden, die er bei Dambreuse geschwungen hatte, sein Stelldichein mit Mme Arnoux vorzubereiten. (308) Erst nachdem seine Verabredung geplatzt ist, und er aus Rache das Verhältnis mit Rosanette beginnt, kommt ihm der Gedanke, sich unters Volk zu mischen: Une colère d'orgueil le saisit. Il se jura de n'avoir plus même un désir; et, comme un feuillage emporté par un ouragan, son amour disparut. Il en ressentit un soulagement, une joie stoïque, puis un besoin d'actions violentes; et il s'en alla au hasard, par les rues. (314) Ail seine Handlungen entscheidet der Zufall. Denn "das Werk Flauberts kennt keine Willensriesen, der Zufall selbst ist von universal gewordener Gustave FLAUBERT: L'Education sentimentale. II, S. 270. - Zit. nach: Oeuvres. Hrsg. von Albert Thibaudet und René Dumesnil. 2 Bde. Paris (Gallimard) 1952. Zitate aus diesem Band werden im folgenden unter Angabe der Seitenzahl im laufenden Text ausgewiesen. vgl. die Ausführung von JAUSS: Die beiden Fassungen von Flauberts "Education sentimentale", S. 107
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Revolution als Schauspiel in Flauberts Werk
Banalität gezeichnet. Frédéric Moreaus verpaßtes Rendez-vous mit Mme Arnoux bedeutet das Scheitern einer noch einmal möglichen Sinnerfüllung des Lebens, Scheitern infolge eines Zufalls, der sich an einer schlechten Notwendigkeit orientiert und deren gesellschaftliche Natur zwingender zum Ausdruck bringt als die gleichfalls mögliche individuelle Wunscherfüllung." 8 Zufällig rutscht Frédéric in die Rolle des Revolutionärs bei den Dambreuses. (270f) Nur weil sein Rendezvous ausfällt, streift er am Tag des Umsturzes durch Paris. (314) Der Zufall führt ihn zur Wohnung von Rosanette. (314) Erst als ihn Flintenschüsse wecken, veranlaßt ihn Neugierde, sich in die revolutionierende Stadt zu stürzen (314), und nur zufällig erreicht er das Palais-Royal, wo er sich diesmal zusammen mit Hussonnet der passiven Betrachtung der Volksmasse hingibt, die von ungeheurer Energie beflügelt den Palast stürmt: Tout à coup la Marseillaise retentit. Hussonnet et Frédéric se penchèrent sur la rampe. C'était le peuple. Il se précipita dans l'escalier, en secouant à flots vertigineux des têtes nues, des casques, des bonnets rouges, des baïonnettes et des épaules, si impétueusement que des gens disparaissaient dans cette masse grouillante qui montait toujours, comme un fleuve refoulé par une marée d'équinoxe, avec un long mugissement, sous une impulsion irréstisible. (314) Diese Szene veranschaulicht, mit welch scharfer Ironie9 Flaubert die Handelnden darstellt. Während Frédéric und Hussonnet in müßiger Zuschauerhaltung sich lässig wie in einer Theaterloge über die Brüstung lehnen, um das sensationelle Schauspiel eines entfesselten Volkes zu genießen, ist das Volk selbst ein aktives Element. Es ist reißend und machtvoll wie eine Naturgewalt, und es hat ebenso vielseitige Erscheinungsformen: Während die Menge zunächst harmlos wie ein Kind die Umgebung bestaunt, dann jubelnd und spielerisch im Siegesrausch sich die Schätze des Palastes aneignet, erwacht bald die "obszöne Neugier" und Zerstörungswut des "ingrimmigen" Volkes, (vgl. 321)
Erich KÖHLER: Der literarische Zufall, das Mögliche und die Notwendigkeit. München 1973, S. 51; vgl. dort auch S. 58: "Flauberts Pessimismus, Bürgerhaß und Zeitfeindschaft schlagen sich im Werk nieder als im absoluten Determinismus vollendeter Verlust des Möglichen, paradoxalerweise gerade darin, daß mittels der Herrschaft des Zufalls das Mögliche identisch ist mit einer schlechten Notwendigkeit." Die durchweg ironische Sicht Flauberts im Hinblick auf die 48er Revolution stellt JUNKER besonders durch eine sprachliche Analyse heraus. Vgl. JUNKER: Die Darstellung der Februarrevolution im Werte Flauberts, S. 96ff
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Doch richtet sich Flauberts Kritik an dieser Stelle weniger gegen das Volk, vielmehr polemisiert Flaubert gegen die Bourgeois, die sich unberufen zu Vertretern von Volkes Sache aufwerfen. Diese, weniger von edlen Zielen denn von egoistischen Motiven wie Machtgier, Eitelkeit oder schierer Langeweile bewegt, betreiben die Revolution wie einen Modegag, ohne im geringsten von den Bedürfnissen des Volkes berührt zu sein. An diesem Punkt, wo nämlich die Diskrepanz zwischen den passiven Revolutionsbefürwortern und dem aktiven, betroffenen Volk evident wird, artet die Revolution zur Groteske aus.10 Denn Frédéric und seine Bekannten, die beim Small talk in den Salons Revolutionstheorie betreiben und dort auch über die Rolle und die Rechte des Volkes parlieren, werden im Revolutionsgeschehen selbst offensichtlich zum ersten Mal mit dem Volk konfrontiert. Hussonnet und Frédéric reagieren auf diese Erfahrung unterschiedlich. Hussonnet sieht sich zu zynischen Bemerkungen herausgefordert, die sich im nachhinein als Gipfel bourgeoiser Arroganz entpuppen. Er mokiert sich über Aussehen und Geruch der Akteure: Les héros ne sentent pas bon. (320) Der Anblick eines unansehlichen Proletariers auf dem Thron des Bürgerkönigs entlockt ihm den Ausruf: Quel mythe! Voilà le peuple souverain. (320) Schließlich ekelt Hussonnet dieses Volk: Sortons de là! Ce peuple me dégoûte. (322) Indessen sich Hussonnet in der Rolle des geistreichen Zynikers gefällt, mimt Frédéric den Menschenfreund. Er beschließt, nur das freundliche Gesicht der Revolution wahrzunehmen und antwortet daher auf Hussonnets abfällige Bemerkungen: N'importe! Moi je trouve le peuple sublime. (322) Beide ästhetisieren die Revolution. Sie sind nicht in der Lage, die Bedeutung der Revolution abzuschätzen und behandeln sie wie eine Frage des persönlichen Geschmacks. So bleibt der historische Moment ohne jede Konsequenz für ihr Verhalten. Beide wähnen sich der Volksmasse überlegen, doch erscheinen sie letztlich in ihrer unaufrichtigen, arroganten Art weit roher und ekelhafter, so etwa wenn sie mit Stolz die Ehrenbezeugun10
JUNKER bevorzugt den Begriff "Tragikomödie" (vgl. JUNKER. S. 97 u. 111). Doch widerspricht die Konzeption des Romans und die Anlage seiner Figuren jedweder Tragik. Allenfalls eine Figur ist tragisch zu nennen: der Revolutionär Dussaidier, der aufrichtig seine Überzeugungen zu leben versucht, sich in Schuld verstrickt, als er bei der blutigen Juniinsurrektion gegen die Arbeiter kämpft und der schließlich von dem ehemaligen Genossen Sénécal, der inzwischen zur extremen Rechten gewechselt ist, bei seinem letzten Aufstand für die Republik und gegen die Diktatur Bonapartes erschossen wird. Doch steht Dussardier nicht als tragischer Held im Mittelpunkt des Romans, sondern verkörpert eine absolute Rand- und Außenseiterfigur. Deshalb scheint die Figur Dussardiere letzter Ausdruck von Flauberts Ironie und Bitterkeit zu sein.
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gen der Munizipalgardisten gegen das siegreiche Volk als eigenes Verdienst verbuchen und sich ihre Gleichgültigkeit angesichts aufgetürmter Soldatenleichen selbstgefällig als "gute Haltung" anrechnen: Ils avaient fait trois pas dehors, quand un peloton des gardes municipaux en capotes s'avança vers eux, et qui, retirant leurs bonnets de police, saluèrent très bas. A ce témoignage de respect, les vainqueurs déguenillés se rengorgèrent. Hussonnet et Frédéric ne furent pas, non plus, sans en éprouver un certain plaisir. Une ardeur les animait (...) Devant la rue Fromenteau, des cadavres des soldats étaient entassés sur la paille. Ils passèrent auprès impassiblement, étant même fiers de sentir qu'ils faisaient bonne contenance. (321) Die Revolution bleibt für alle Beteiligten von rein privater Bedeutung.11 Während die Gegner der Revolution, wie die Industriellen Dambreuse, Rocque und Fumichon, um ihre Posten und ihr Eigentum bangen und sich aus taktischen Gründen zurückziehen oder Begeisterung für die Republik, für die Freiheit und Gleichheit heucheln (327f), blockieren die "Sieger" der Revolution von vornherein den Aufbau der Republik, indem sie die Ausschüsse mit zahllosen absurden Eingaben überschwemmen, die gleichfalls allein die Befriedigung ihrer partikularen Interessen garantieren sollen.12 Und auch Frédéric und seine Freunde suchen im politischen Geschehen nur den leidenschaftlichen Rausch. Frédéric, zuvor weit von dem Begehren entfernt, in der Revolution eine aktive Rolle zu spielen, gefällt sich nun in dem Gedanken, sich unter die Helden der Weltgeschichte einzureihen: Les grandes figures de la Convention passèrent devant ses yeux. Il lui sembla qu'une aurore magnifique allait se lever. Rome, Vienne, Berlin étaient en insurrection, les Autrichiens chassés de Venise; toute l'Europe s'agitait. C'était l'heure de se précipiter dans le mouvement, de l'accélérer peut-être; et puis il était séduit par le costume que les députés, disait-on, porteraient. Déjà, il se voyait en gilet à revers avec une ceinture tricolore. (329) Doch auch diese Erwartungen entspringen Klischees, die die Leitbilder für den persönlichen und politischen Traum liefern: "Wie Frédéric in seiner sentimentalischen Existenz das Ideal des jungen Werther und anderer Helden romantischer Bücher nur noch nachlebt, ist auch das politische Streben Deslauriers, Sénécals und ihrer Gruppe nur noch von Ideen aus zweiter
Vgl. JAUSS: Die beiden Fassungen von Flauberts "Educalion sentimentale", S. 112 Vgl. die umwerfend komischen Szenen im "Club de l'Intelligence", S. 333 - 340
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Hand bestimmt, die sich vor der geschichtlichen Wirklichkeit als unzulänglich erweisen."13 Es sind die Ideen von 1789, denen sie durch bloße Imitation ihrer verstorbenen, nun zu Helden verklärten Vertreter neues Leben einzuhauchen trachten. Doch beschränkt sich die Nachahmung auf reine Äußerlichkeiten, auf Phrase, Geste, Kostüm - und wird also schauspielerisch. Wie Frédérics Kandidatur nicht zuletzt durch seine Vision motiviert wird, im patriotischen Kostüm, tricolor beschärpt, einherzuschreiten, wie auch der Komödiant Delmar Zustimmung dadurch erheischt, daß er eine heroische Pose einnimmt (332f), ebenso verspricht sich der Präsident des "Club de l'Intelligence" den Anschein von Würde, indem er die Kopie Robespierres kopiert: Comme chaque personnage se réglait alors sur un modèle, l'un copiant Saint-Just, l'autre Danton, l'autre Marat, lui, il tâchait de ressembler à Blanqui, lequel imitait Robespierre. Ses gants noirs et ses cheveux en brosse lui donnaient un aspect rigide, extrêmement convenable. (333) Das gesamte Engagement jeglicher in den zahlreichen Clubs agierenden Revolutionäre enthüllt sich im Roman als reiner Habitus, ihre vorgebliche Bedeutsamkeit entlarvt Flaubert als Fassade, die durch schmierenkomödiantische Darstellungen aufrecht erhalten wird. Der Rückgriff auf die Ideale der Revolution von 1789, die auch Marx in seiner theoretischen Behandlung der Februarrevolution als plumpe Parodie auf die bürgerliche Revolution des 18. Jahrhunderts verhöhnt, verweist in der "Education sentimentale" auf das Scheitern von Frédérics Generation, die, nach den Worten Flauberts von einer passion inactive14 erfüllt, in Schablonen denkt und handelt und daher die Stärke zu einer konstruktiven Gestaltung ihrer Zukunft mangels eigener Ideen nicht aufbringt. Bezeichnenderweise begibt sich Frédéric ausgerechnet während der Revolutionsereignisse mit Rosanette zu einem Tête-à-tête aufs Land. Das Scheitern dieser Generation ergibt sich somit nicht aus der tragischen Folge eines aktiven, wenn auch vergeblichen Aufbegehrens, sondern resultiert aus der Beliebigkeit ihrer individuellen Handlungen, die - nicht sachbezogen - einzig den eitlen Zweck persönlicher Bereicherung verfol13 14
JAUSS: Die beiden Fassungen von Flauberts "Education sentimentale", S. 114 Flaubert selbst erklärt sein Anliegen folgendermaßen: Je veux faire l'histoire morale des hommes de ma génération, sentimentale serait plus vrai. C'est un livre d'amour, de passion; mais de passion telle qu'elle peut exister maintenant, c'est-à-dire inactive. Brief an Mlle. Leroyer de Chantepie vom 6. Okt. 1864. - Zit. nach: Oeuvres complètes de Gustave Flaubert. Paris 1910. Correspondance. Bd. III
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gen. Auf dieser Folie verwandeln sich alle Protagonisten des Romans zu leibgewordenen idées reçues,15 zu Verkörperungen jener bêtise bourgeoise, die Flaubert später in seinem "Dictionnaire des idées reçues" zu versammeln gedachte.16 Denn äquivalent zu ihrem äußerlichen Verhalten bleiben auch ihre Aussagen auf dem Niveau des Klischees stecken. Ihre sämtlichen politischen und weltanschaulichen Äußerungen erreichen bestenfalls den Rang einer Aphorismensammlung. Sie beschränken sich auf Redensarten, die - je nach Tendenz - die willfährigen Stichworte für die Anhänger des royalistischen, bürgerlich-reaktionären und republikanischen Lagers liefern.17 Die Rufe nach "Ordnung"18 und nach dem bras de fer,x9 die sich vernehmen lassen, als die Reaktion wieder Auftrieb erhält und das Festhalten am modischen Accessoire des "Volksfreunds" obsolet geworden ist, seien hier als herausragende Beispiele genannt, zumal sie Flaubert im Roman selbst in sarkastischer Weise kommentiert hat:
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Vgl. JUNKER: Die Darstellung der Februarrevolution im Werk Flauberts, S. 100 Vgl.: "Le Dictionnaire des idées reçues" oder "Le catalogue des opinions chic". - In: FLAUBERT: Oeuvres. Hgg. von A.Thibaudet und R. Dumesnil. Paris 1952. II, S. 999 - 1023. Bekanntlich befaßte sich Flaubert bis zu seinem Lebensende mit der Erstellung dieses Wörterbuchs, das als Anhang zu "Bouvard et Pécuchet" ein Register aller Gemeinplätze und aller opinions chic seiner Gesellschaft beinhalten sollte. Doch blieb es unvollendet und wurde posthum veröffentlicht. Vgl. auch JAUSS: Die beiden Fassungen von Flauberts "Education sentimentale", S. 115; ebenso P.M. WETHERILL: L'Histoire dans le texte, S. 169: "Les conversations du salon Dambreuse, comme celles des amis de Frédéric, sont tout à la fois authentiques (elles existent dans l'Histoire) et vides de sens. Il s'agit, en effet, des formules toutes faites plaquées sur une grande diversité de situations dont elles ne rendent pas compte - d'un échange, non pas d'idées, d'analyses qui éclairent la situation, mais d'un concours de clichés qui montrent à quel point le language peut se suffire obstinément à lui-même et dresser un écran qui nous cache le réel." - In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur. 95 (1985), S. 163 -174 Im "Dictionnaire des idées reçues" steht unter dem Stichwort "ordre"-. Que de crimes on commet en ton nom! Im Roman richtet sich dieser Seufzer gegen die sogenannte "Partei der Ordnung", die sich unter diesem Banner bereits während der Juniinsurrektion formiert hatte, um ihre Interessen, die Verteidigung und Erweiterung ihres Besitzes, gegen die Ansprüche der Arbeiter und der Kleinbürger durchzusetzen. Die Partei der Ordnung bildete ein Konglomerat aus der Masse der Bourgeoisie, die sich aus den legitimistisch ausgerichteten Grundbesitzern und den orleanistisch gesonnenen Industriellen sowie Vertretern der Finanzaristokratie zusammensetzte. Der "starke Mann" an ihrer Spitze hieß Louis Bonaparte. Ihre typischen Repräsentanten sind im Roman Dambreuse, Fumichon, Rocque und de Nonancourt. Sowohl Rosanette als auch M. Rocque begehren einen "Herrn im Hause". Rosanette in ihrer Einfalt meint: Dans un pays comme dans une maison, il faut un maître; autrement chacun fait l'anse du panier. (S. 340f) Und M. Rocque, der Aufsteiger aus der Provinz, wohl wissend, was seinem Nutzen frommt, "voulait pour gouverner la France un "bras de fer". (S. 374)
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Alors, la Propriété monta dans les respects au niveau de la Religion et se confondit avec Dieu. Les attaques qu'on lui portait parurent du sacrilège, presque de l'anthropophagie. (...) La France, ne sentant plus de maître, se mit à crier d'effarement, comme un aveugle sans bâton, comme un marmot qui a perdu sa bonne. (327) Noch plastischer offenbart sich der Saikasmus Flauberts im Revolutionskapitel von "Bouvard et Pécuchet",20 wo der Mief der Provinz die weltstädtisch-geistreiche Verbrämung der Phrasen erstickt hat und lediglich der nackte Unsinn kolportierter Theorien und Meinungen zum Ausdruck kommt. Was in Chavignolles nach dem Februar 1848 passiert, mutet an wie der verkleinernde Zerrspiegel der Pariser Ereignisse. In Chavignolles setzt man die Revolution förmlich in Szene. Auf die Nachricht, daß Paris verbarrikadiert sei, folgt prompt die Proklamation der Republik auf einem Anschlag an der Bürgermeisterei. Die ehrbaren Bürger des Städtchens vergewissern sich, daß die wichtigsten Institutionen Frankreichs, nämlich der Kassationshof, das Appellationsgericht, der Rechnungshof, das Handelsgericht, die Anwaltsvereinigung, der Staatsrat, die Universität und die Generalität die provisorische Regierung gebilligt haben, - dann bekennen sich alle erleichtert zu den Ideen der neuen Zeit. Man beschließt nach dem Vorbild der Hauptstadt erst einmal einen Freiheitsbaum zu pflanzen. Dies geschieht mit dem gehörigen patriotischen Pomp, den der Priester Jeufroy mit einer Ansprache an die Gemeinde krönt. Zunächst wettert der Abbé gegen die Könige, dann verherrlicht er die Republik und erklärt kurzerhand das Anliegen der Revolutionäre zum Kern seines Glaubens und seiner Kirche: Jésus Christ formula notre sublime devise; l'arbre du peuple c'était l'arbre de la croix. (846) Zum Schluß fleht er den Segen Gottes herab und beschließt das Spektakel mit Amen. Ebenso rasch wie Jeufroy haben sich der Gutsbesitzer Baron de Faverges und der Arzt Vaucorbeil den neuen Verhältnissen angepaßt. Sie zeigen sich charmé de la Révolution (846), verfluchen die Dynastie derer von Orléans und fordern tout pour le peuple, désormais. (846) Es sind Leute vom gleichen Schlag wie Dambreuse, Rocque und Fumichon aus der "Education sentimentale". Während die "natürlichen" Feinde der Revolution ins demokratische Kostüm schlüpfen, begeistern sich ihre Freunde in kindlicher Einfalt am "Republikspiel". Also muß eine - wenn auch unnötige - Nationalgarde geschaffen werden; und so lassen sich die biederen Bürger von Goiju, einem Der Roman "Bouvard et Pécuchet" (posthum 1881) blieb Fragment. Im folgenden wind er zitiert nach FLAUBERT: Oeuvres. II, S. 711 - 984. Das sechste Kapitel handelt von der Revolution. (S. 845 - 870)
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verkommenen Vertreter des Lumpenproletariats, mit militärischem Schnauzton herumkommandieren. Das Recht auf Arbeit, Priorität jeder demokratischen Staatsform, verwirklichen sie durch den absurden Beschluß einen Weg ausgerechnet zum Schloß des Barons von Faverges anzulegen: C'est un sacrifice que s'imposait la commune dans l'intérêt des travailleurs. (853) In der Enge der Provinz gerät das revolutionäre Geschehen zur Farce, denn die Aktivität der patriotischen Bürger verbraucht sich in der sinnlosen Errichtung revolutionärer Symbole. Unterdessen umschmeicheln Goiju und Faverges, mit der Absicht als Abgeordnete in die Kammer einzuziehen, das Objekt ihrer politischen Ambitionen, den vierten Stand. Während Goiju erfolgreich die Stimmen der Arbeiterschaft mit Hilfe von Geschwätz, Ballspielen und Alkohol kapert, versucht Faverges die weitaus größte Bevölkerungsschicht, die Bauern, zu seinen Ideen zu bekehren. Gewohnt, den politischen Entwicklungen mit Teilnahmslosigkeit zu begegnen, hören sie auf Faverges sans répondre (...) prêt à accepter tout gouvernement, pourvu qu'on diminuât les impôts. (849) Zur Unfähigkeit der "revolutionären" Bürger gesellt sich die Gleichgültigkeit und Ahnungslosigkeit der benachteiligten Masse. Wie in Paris, wo le grand parti de l'ordre se formait, beginnt auch in Chavignolles bald darauf die Stunde der Reaktion, das Glück von Faverges, Foureau, Marescot und dem Geistlichen Jeufroy. (858) Sie fällen schleunigst den Freiheitsbaum und la république allait bientôt disparaître. (...) Les bourgeois prêchaient le dogme des intérêts matériels et le peuple semblait content. (861) Voller Hohn zeichnet Flaubert diese Sieger der Revolution in der Schilderung des Festessens beim Baron de Faverges, wo er die Dummheit, Arroganz und Brutalität ihrer politischen Aussagen mit der Beschreibung der üppigen Speisen kontrastiert. (862ff) Bouvard und Pécuchet, empört von der Idiotie und Niederträchtigkeit solcher Zeitgenossen (864), flüchten auf der Suche nach Aufklärung in die sozialistische Theorie. Ausgehend von Rousseaus "Contrat social" schreiten sie zu den Lehren von Saint Simon, Fourier, Proudhon und anderen fort. Doch im Kern dieser Theorien21 begegnen ihnen nur die alten Phrasen, die sich angesichts der paradox verlaufenen Entwicklung grotesk ausnehmen. Ihre Studien erübrigen sich am 3. Dezember 1851. Pécuchet zieht aus den Ereignissen das Fazit, das in seiner Bitterkeit Flauberts eigenes Empfinden widerspiegeln dürfte: vgl. S. 865 ff; Flaubert ironisiert die Bedeutung der Theorie, indem er darauf verweist, daß immer nur ihr Resümee, also eine zur Phrase disponierte Zusammenfassung im öffentlichen Bewußtsein wirksam wird: Ils firent venir les ouvrages, dont ils ne connaissaient que les résumées.
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Puisque les bourgeois sont féroces, les ouvriers jaloux, les prêtres serviles, et que le Peuple enfin accepte tous les tyrans, pourvu qu'on lui laisse le museau dans la gamelle, Napoléon a bien fait! qu'il le bâillonne, le foule et l'extermine! ce ne sera jamais trop pour sa haine du droit, sa lâcheté, son ineptie, son aveuglement! (889) In beiden Romanen gerät die Revolution zur Farce gemessen an der rasenden Entwicklung vom Bürgerkönigtum Louis-Phillipes zur Diktatur Bonapartes, welche die Vergeblichkeit des revolutionären Unterfangens in dem zynischen Ergebnis festschreibt, daß die Revolution selbst die ihr feindlichsten Elemente gekrönt hat. Im nachhinein zeigt sich, daß die hohen Ziele der Revolution nur zur Täuschung, als Masken im eigensüchtigen Kampf um die Macht dienten. Doch in der Täuschung vertrocknen alle Ideale zur Phrase, und die Außenwelt wird unwillkürlich zum Komparsen der Heuchelei herangezogen, da ihr gleichgültiges Schweigen, ihr ungerührtes Funktionieren22 jede Erkenntnismöglichkeit erstickt. So zersplittert die Revolution in Flauberts Darstellung zur Summe divergierender Einzelinteressen. Eine solche Auffassung entspricht dem äußersten Pessimismus, mit dem Flaubert das menschliche Wesen betrachtet: Vous avez beau engraisser le bétail humain, lui donner de la litière jusqu'au ventre et même dorer son écurie, elle restera brute, quoi qu'on dise. Tout le progrès qu'on peut espérer, c'est de rendre la brute un peu moins méchante. Mais quant à hausser les idées de la masse, à lui donner une conception de Dieu plus large et partant moins humaine, j'en doute, j'en doute.23 Entsprechend seiner Auffassung der Condition humaine verurteilt Flaubert die Tendenz zur Demokratisierung: Die Demokratie träume davon, den Proletarier auf das Niveau der Dummheit des Bourgeois zu heben,24 die 22
Die "absolute Gleichgültigkeit der Außenwelt", ihre "grausame Indifferenz vor dem Bestätigung heischeiden Blick", betont Erich KÖHLER in seinem Nachwort zur deutschen Ausgabe der "Education sentimentale": "Teilnahmslos wie das Fatum und fremd wie die mit der Absicht nicht übereinstimmende Folge des Tuns ist die Gesamtheit der Außenwelt, konkretisiert an der Welt der Dinge." KÖHLER verweist auf die Ergebnisse von Marcel Proust, der bei seiner Untersuchung des Flaubertschen Stils darauf aufmerksam gemacht hat, daß in den Romanen Flauberts das aktive Tempus des Perfekts den Dingen, das zuständliche passive Tempus des Imperfekts aber den Personen eignet. - In: FLAUBERT: Lehrjahre des Gefühls. Übertragen von P. Wiegler. Mit einem Essay "Zum Verständnis des Werks" von E. KÖHLER. Hamburg 1959, S. 322
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Brief an George Sand, März 1869. Correspondance. III, S. 531 vgl. Brief an George Sand, Nov. 1871. Correspondance. IV,, S. 87
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Revolution als Schauspiel in Flauberts Werk
Bildung der Massen sei eine teilweise Verwirklichung dieses Traums25 und das allgemeine Wahlrecht eine Beleidigung des menschlichen Geistes.26 Die Idee der Revolution, die er als Signum seines Zeitalters begreift, erscheint ihm in höchstem Maße gefährlich, weil sie auf Grund der menschlichen Unzulänglichkeit die unkontrollierbare Akkumulation von Gewalt bedeute. Das Recht der Revolution nivelliert alle traditionellen Werte, ersetzt sie aber durch andere, hinter deren menschenfreundlichen Fassaden sich bereits eine moderne Form der Tyrannei rüstet. In einem weiteren Roman, in "Salammbô" (1863), befaßt sich Flaubert mit dem Problem der Revolution27 und fragt nach der geheimen Verbindung zwischen Diktatur und Demokratie. Der Text zeigt die Antwort en montrant les contradictions d'une république, où les valeurs démocratiques s'effacent devant les intérêts économiques. Les tensions sociales, nées d'un régime d'exploitation inique, ne trouvent de solution que dans le cadre d'une dictature. Le recours à un régime d'exception apparaît ainsi comme la conséquence nécessaire des contradictions que les démocraties modernes sont incapables du maîtriser. Ce mécanisme politique constitue, pour Flaubert, une loi générale, dont la validité se vérifie tout au long de l'histoire moderne Das Resultat der Revolution bringt in den Augen Flauberts daher niemals einen Fortschritt im menschlichen Sinne, sondern begünstigt mittels der die Macht stützenden Masse die immer perfekter funktionierende Unterwerfung der Individuen. Die Nutznießer des "Fortschritts" bleiben in "Salammbô" die Bürokraten, Leute vom gleichen Schlag wie der Apotheker Homais aus "Madame Bovary" und die geschilderten Reaktionäre aus der "Education sentimentale" und "Bouvard und Pécuchet".
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ebd. vgl. Brief an George Sand vom 8.9.1871. Correspondance. IV, S. 81 Nach Flauberts eigener Aussage schöpfte er die Vorstellung vom Rat von Karthago aus tous les milieux analogues par les temps de ta révolution, depuis la Convention jusqu'au Parlement d'Amérique, où naguère encore on échangeait des coups de canne et des coups de revolver, lesquelles cannes et lesquelles revolvers étaient apportés (comme mes poignards) dans la manche des paletots. - Brief an Sainte-Beuve, Dez. 1862. Correspondance. III, S. 338 François LAFORGE: "Salammbô": Les mythes et la révolution, S. 32 - In: Revue d'Histoire Littéraire de la France. 85/1 (1985), S. 26 - 40
VI. Die Verarbeitung der Schauspielmetapher in Kleists "Verlobung in St.Domingo"i
1. Der historische Hintergrund der Novelle Die Novelle spielt im Jahre 1803 auf dem französischen Teil der Insel St. Domingo, auf dem heutigen Haiti. Zu jener Zeit hatte die Insel bereits viermal die Herrschaft gewechselt. 1492 wurde sie von Kolumbus entdeckt. Die Spanier okkupierten sie und unterwarfen die indianischen Ureinwohner. Die neuen spanischen Herren rotteten die Indianer bis zum Jahre 1533 fast völlig aus und "importierten" an ihrer Stelle Negersklaven, deren kräftigere körperliche Konstitution sie zu der harten Arbeit auf den Feldern geeigneter erscheinen ließ.2 1697 mußten die Spanier den westlichen Teil der Insel an die Franzosen abtreten, im Jahre 1795 auch den östlichen Teil. 1791 kam es zu einem Aufstand der Neger und Mulatten unter der Führung des "schwarzen Napoleon", Toussaint l'Ouverture, und Dessalines. Die Revolte entsprang den Ereignissen und Lehren der Französischen Revolution. Zwischen 1790 und 1794 erlassene Dekrete schafften die Sklaverei in den französischen Kolonien ab und billigten den Mulatten, ab 1794 auch den Schwarzen Zivilrechte zu. Bis 1802 kämpften die Schwarzen gemeinsam mit den revolutionären Truppen des Mutterlandes um ihre Unabhängigkeit. 1802 erließ der Konvent auf Betreiben Napoleons ein neues Dekret, das die Sklaverei in der wirtschaftlich bedeutsamen Kolonie retablieren sollte. 1803 endete die Revolution der Schwarzen Kleist wird im folgenden zitiert nach: Heinrich von KLEIST: Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden. Hg. von Helmut SEMBDNER. 6. Aufl. München, Wien 1982. Die Seitenzählung folgt der alten, zweibändigen Ausgabe, so daß die Bände I und II dem ersten Band der alten Ausgabe entsprechen und die Bände III und IV dem zweiten Band. Deshalb werden die Zitate von Kleist entsprechend der alten Bandaufteilung im laufenden Text ausgewiesen. vgl. Bartolomé de LAS CASAS: Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder. (1552). Hg. von Hans Magnus Enzensberger. (1966). Frankfurt am Main 1981
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Kleists "Verlobung in StDomingo"
erfolgreich mit dem Sturz der französischen Herrschaft. Dies geschah vierzehn Jahre nach Ausbruch der Revolution in Frankreich, die Resultate gezeitigt hatte, welche den Hoffnungen der Aufklärung völlig zuwider liefen: Die Verkündigung der Menschenrechte hatte nicht das Verschwinden von Massenarmut und Massenelend bewirkt. Die Schreckensherrschaft ausgerechnet unter den führenden Revolutionären hatte durch deren gewaltsamen Tod ein Ende gefunden. Die Republik war zwar ausgerufen worden, aber Napoleon stand kurz davor, sie in eine Militärdiktatur zu verwandeln. Dies ist der historische Hintergrund der Novelle. Kleist vollendete und veröffentlichte sie im Jahre 1811. Da war der schwarze General Dessalines schon fast eine Figur der Geschichte. 1804 war er maßgeblich an der Gründung der Republik beteiligt, die er ein Jahr später stürzte, um sich selbst zum Kaiser Jakob I. zu ernennen. Sein Amt währte nicht lang, denn bald darauf wurde er bei einem erneuten Umsturz ermordet. Auf diese Weise stellt Kleist die subjektiven Empfindungen seiner Protagonisten vor den "Hintergrund welthistorischer Faktoren und Ereignisse: des europäischen Kolonialismus und des damit verbundenen Sklavenhandels, der Französischen Revolution und - in ihrem Gefolge - des Negeraufstands auf Haiti, d.h. des ersten erfolgreichen Kampfes um die Befreiung von der Sklaverei in moderner Zeit."3 Forschungen zur Entstehungsgeschichte legen die Vermutung nahe, daß Kleist ursprünglich einen anderen Entwurf angefertigt hatte, der in der Schweiz zur Zeit der Revolution spielen sollte.4 Hans M. Wolff siedelt den Ursprung der Novelle im Jahr 1801 an, weil Kleists Erleben des nachrevolutionären Frankreichs in Paris dem Thema der Novelle eng verwandt ist.5 Auch Josef Kunz weist in seiner Interpretation der "Verlobung" darauf hin, daß das dichterische Werk Kleists "in einem nicht zu übersehenden Spannungsverhältnis zur Französischen Revolution steht" und bemerkt, daß es kaum ein Zufall sei, "daß Kleist für die Novelle Ereignisse gewählt hat, die unmittelbar mit der Französischen Revolution in Zusammenhang stehen."6 Horst HÄKER: Heinrich von Kleist. Prinz Friedrich von Homburg und die Verlobung in St. Domingo. Studien, Beobachtungen, Bemerkungen. (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 1. Bd. 946) Frankfurt a.M„ Bern, New York 1987, S. 138 Hermann DAVIDTS: Die novellistische Kunst Heinrichs von Kleist. Berlin 1913, S. 33 Hans M. WOLFF: Heinrich von Kleist. Die Geschichte seines Schaffens. Bern 1954, S. 49 ff Josef KUNZ: Die Verlobung in St. Domingo. - In: Mitteilungen des Universitätsbundes Marburg. H. 1 (1960), S. 18
Historischer Hintergrund
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Die neuere Forschung führt diese Ansätze fort. Ruth K. Angress betont die Analogie zwischen dem Hegemoniestreben Napoleons in Europa und dem französischen Kolonialismus,7 Peter Horn sieht in der "Verlobung" ein "verschlüsseltes politisches Traktat gegen die von den preußischen Junkern hartnäckig verteidigte Leibeigenschaft"8 und Horst Häker versteht sie als eine Kritik "despotischer Machtausübung und Sklaverei", in die Kleists "schweizerisch-republikanischer Traum seiner jüngeren Jahre" 9 verwoben ist. Wolf Kittler beurteilt sie, offensichtlich in Fortführung der Analysen von Angress, als Partisanendichtung.10 Frank Haase subsumiert sie ebenfalls Kleists "literarischem Partisanentum".11 Für Roland Reuß problematisiert sie Kommunikation und Herrschaft12 und für Bernd Fischer das "kognitive Versagen der europäischen Ethik vor dem Schicksal der Schwarzen".13 Gonthier-Louis Fink zufolge zeugt die Novelle "von Kleists negativer Einstellung zur Französischen Revolution und zum Negeraufstand."14 Die Idee, die Handlung nach Amerika zu verlegen, mag Kleist 1807 in Fort Joux gefaßt haben. Er war in demselben Gefängnis durch die Franzosen inhaftiert, in dem Toussaint l'Ouverture gestorben ist, und wollte die Zeit dort nutzen, um seine literarischen Projekte voranzutreiben. (II 777) Außerdem bildete die Revolte in Haiti um die Jahrhundertwende das Tagesgespräch. Sander L.Gilman weist nach, daß zu Kleists Zeit zahlreiche historische Abhandlungen zur haitischen Revolution erschienen, denen
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vgl. Ruth K. ANGRESS: Kleist's Treatment of Imperialem: "Die Hermannsschlacht" and "Die Verlobung in St. Domingo", S. 18 - In: Monatshefte für deutschen Unterricht, deutsche Sprache und Literatur. 69 (1977), S. 17-33 Peter HORN: Heinrich von Kleists Erzählungen. Königstein/Taunus 1978, S. 143 vgl. HÄKER: Heinrich von Kleist, S. 163 vgl. Wolf KITTLER: Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie. Heinrich von Kleist und die Strategie der Befreiungskriege. Freiburg im Breisgau 1987, S. 320 Vgl. Frank HAASE: Kleists Nachrichtentechnik. Eine diskursanalytische Untersuchung. Opladen 1986, S. 196, Anm.74 Roland REUß: "Die Verlobung in St.Domingo" - eine Einführung in Kleists Erzählen. Berliner Kleist-Blätter 1, S. 20ff - In: H.v.Kleist: Sämtliche Werke. Berliner Ausgabe. Bd. II/4: Die Verlobung ins St. Domingo. Hg. von Roland Reuß und Peter Staengle. Frankfurt am Main 1988 Bernd FISCHER: Zur politischen Dimension der Ethik in Kleists "Die Verlobung in St.Domingo", S. 253 - In: Dirk Grathoff: Heinrich von Kleist. Studien zu Werk und Wirkung. Opladen 1988, S. 248-262 Gonthier Louis FINK: Das Motiv der Rebellion in Kleists Werk, S. 75 - In: KleistJahrbuch (1988/89), S. 64-88
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Kleists "Verlobung in St.Domingo"
sämtlich das gleiche stereotype narrative Muster zugrunde lag.15 Entweder sie schilderten Szenen unmenschlicher Grausamkeit der Schwarzen gegen gütige Weiße, oder sie berichteten von Beweisen "rührender Anhänglichkeit'1 einzelner Schwarzer gegen ihre weißen Herren. Analog strukturierte Berichte kursierten aber auch über Greuelszenen aus der Französischen Revolution. 16 Gleichzeitig existierten neben den ablehnenden Schilderungen auch solche, die die Unmenschlichkeit der französischen Armee herausstellten und ein sehr positives Bild von den Schwarzen und ihren Führern, Toussaint l'Ouverture und Dessalines, dagegensetzten. Beiden scheint, so Fink, Kleists Novelle verpflichtet zu sein.17 Auf jeden Fall hat Kleist den exotischen Ort mit Bedacht zum Hintergrund gewählt. Einerseits stellt die Geschichte der Insel selbst geradezu sinnbildlich den rasanten Wechsel von Herrschaft und Macht dar, andererseits scheinen sich dort die Ereignisse der Französischen Revolution gleichsam im Modell zu wiederholen. Zudem mußte Kleist aus Gründen der Zensur ein Interesse daran haben, wenigstens den Ort der Handlung außerhalb Europas anzusiedeln, wenn schon die Zeit und die Ereignisse so sehr an der Gegenwart orientiert waren.
2. Die Erzählperspektive Anfangs bedient sich Kleist einer auktorialen Erzählsituation. Er ist der kommentierende Berichterstatter, der besonders in wertenden Epitheta, z.B. in der Charakterisierung Hoangos als grimmigen Menschen von unmenschlicher Rachsucht (II 161) und in der Wertung der Schritte des Nationalkonvents als unbesonnen (II 160) als Subjekt erkennbar wird. So ist der Erzähler zwar ein sachlich berichtender, aber er schildert unverkennbar aus der Sicht eines Europäers, der - wohl bemüht so objektiv wie möglich die Geschichte wiederzugeben - dennoch die Prämissen seiner Rasse, seiner Moral und seiner empirischen Ordnung mit einbringt: "In den stereotypen Epiteta (sie) des Erzählers wird dem zeitgenössischen Leser das ethische Weltbild der europäischen Aufklärung identifikatorisch vor Augen geführt und gleichzeitig in den Widerständen, die den Voraussetzungen 15
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vgl. Sander L. GILMAN: The Aesthetics of Blackness in Heinrich von Kleist's "Verlobung in St.Domingo", S. 661f - In: Modem Language Notes. 90 (1975), S. 661672 die Parallelität stellt außer GILMAN (ebd. S. 663) auch FINK fest (a.a.O., S. 75). vgl. FINK: Das Motiv der Rebellion in Kleists Werte, S. 74f und ANGRESS: Kleist's Treatment of Imperialism, S. 18f
Erzählperspektive
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dieser Ethik in der narrativen Struktur der Novelle selbst entstehen, wiederum entzogen: einmal die deutlich gezogenen Parallelen des schwarzen Freiheitskampfes zur Französischen Revolution und zur napoleonischen Besetzung der europäischen Staaten; dann die Parallele der unbedingten moralischen Konsequenz der weißen und schwarzen Märtyrerinnen und ihre kontrapunktische Stellung zum alltäglichen Opportunismus des männlichen Helden; schließlich das Paradox, daß der Held der euopäischen Zivilsation selbst zum gräßlichsten Mörder wird."18 Die subjektiven Tendenzen des Erzählers treten jedoch hinter der auffallend objektiv und sachlich gestalteten Erzählweise zurück. Alle Erzählungen Kleists wirken wie Historien, der Erzähler wie ein Chronist.19 Holz verweist auf die Nähe des Erzählstils zur Zeitung und spricht treffend von der "nüchternen Faktizität des Erzählstils".20 Die eigentümliche Verzierung der streng objektiven Erzählhaltung mit subjektiven Elementen soll Glaubwürdigkeit erzeugen21 und für Wahrhaftigkeit bürgen. Tatsächlich ruft sie aber das Mißtrauen des Lesers auf den Plan und weckt Skepsis auch gegenüber einer scheinbar objektiven, nur an Fakten orientierten Berichterstattung. Denn subtil und indirekt angelegte Hinweise konterkarieren die Aussagen über die angeblich unbegreifliche Grausamkeit der Schwarzen.22 Hierin zeigt sich das Anliegen Kleists, die Wahrheit der Dichtung der Wahrheit der historischen Fakten als ebenbürtig, wenn nicht überlegen, gegenüberzustellen: Denn die Leute fordern als erste Bedingung, von der Wahrheit, daß sie wahrscheinlich sei; und doch ist die Wahrscheinlichkeit, wie die Erfahrung lehrt, nicht immer auf Seiten der Wahrheit. (II278) Deshalb widersetzt sich Kleist als Erzähler dem Schluß, daß ein Dichter von einem unglaublichen Ereignis keinen Gebrauch machen könne, der Geschichtsschreiber aber, wegen der Unverwerflichkeit der Quellen und der Übereinstimmung der Zeugnisse, genötigt sei, dasselbe aufzunehmen.
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FISCHER: Zur politischen Dimension der Ethik in Kleists "Die Verlobung", S. 261 f Hans MAYER: Heinrich von Kleist. Der geschichtliche Augenblick. Pfullingen 1962, S. 63 Hans Heinz HOLZ: Macht und Ohnmacht der Sprache. Frankfurt/M. u. Bonn 1962, S. 111 Wolfgang KAYSER: Kleist als Erzähler. - In: Die Vortragsreise. Bern 1958, S. 171 vgl. ANGRESS: Kleist's Treatment of Imperialism, S. 21ff und FISCHER: Zur politischen Dimension der Ethik in Kleists "Die Verlobung", S. 248ff
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Kleists "Verlobung in StDomingo"
(II 281) Kleist schreiber.23
stilisiert
den Dichter zum
eigentlichen
Geschichts-
3. Im Bannkreis der Revolution: Rassenkampf und Liebeskonflikt Das exotische Kolorit der "Verlobung" hat zu allerlei Fehlinterpretationen geführt. Man sah vordergründig nur den Rassenkonflikt und versuchte eine Parteinahme Kleists daran festzumachen. 24 So kam es, daß die Schwarzen als dumpf, triebhaft und ideefem, 25 als Bestien im Blutrausch26 interpretiert wurden, die Weißen dagegen als kulturell Höherstehende die Nachsicht der Interpreten auf ihrer Seite hatten.27 Den Gang dieser traurigen Rezeptionsgeschichte hat Peter Horn in seinem Aufsatz "Hatte Kleist Rassenvorurteile" dargestellt.28 Andererseits orientierte man sich an dem "tragischen Liebeskonflikt" und wertete diesen als "erschütterndes Bild eigener bitterer Lebenserfahrungen",» die Kleist in der Novelle zu gestalten suchte. Solche Interpretationen bleiben an der Oberfläche haften. Unbestreitbar beherrscht die Liebe zwischen Toni und Gustav das Vordergrundgeschehen. Richtig ist auch, daß der Rassenkonflikt den Liebeskonflikt begründet. Beides wird aber ausgelöst durch die Wirkungen der Französischen Revolution.
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Den Vorrang des Dichters vor dem Geschichtsschreiber betont später auch Büchner. (Brief an die Familie, 5.5.1835; vgl. S. 71 dieser Arbeit.) Jüngst leider noch geschehen durch FINK, der meint, Kleist unterscheide "nicht zwischen Revolution und individueller oder kollektiver Rebellion, sondern zwischen Rebellion und nationaler Erhebung. Das heißt, nur Aufstand gegen fremde Unterdrücker wird gutgeheißen, nicht aber der gegen die Obrigkeit, auch wenn diese despotisch und korrupt ist und die Menschenrechte verletzt (...). Er erkennt kein Widerstandsrecht an, selbst nicht für Sklaven." FINK: Das Motiv der Rebellion in Kleists Werk, S. 88. Der Irrtum Finks rührt aus der Identifizierung des Erzählers in der Novelle mit Kleist. Klara KUONI: Wirklichkeit und Idee in Heinrich von Kleists Frauenerleben. Leipzig 1937, S. 31 vgl. Friedrich BRAIG: Heinrich von Kleist. München 1925, S. 458 vgl. Hermann PONGS: Möglichkeiten des Tragischen in der Novelle. - In: Jahrbuch der Kleistgesellschaft. (1931/32), S. 48; Fritz MARTINI: Heinrich von Kleist und die geschichtliche Welt. (1940) - In: Germanische Studien. H.225 (1969), S. 70; Elmar HOFFMEISTER: Täuschung und Wirklichkeit bei Heinrich von Kleist. Bonn 1968, S. 29f in: Peter HORN: Heinrich von Kleists Erzählungen, S. 134-147 Otto HAHNE: Die Entstehung von Kleists "Verlobung in St. Domingo", S. 250 - In: Euphorion 23/1 (1921); vgl. Heinz IDE: Der junge Kleist. Würzburg 1961, S. 125
Rassenkampf und Liebeskonflikt
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a) Revolution und Rassenkampf Im Dezember 1801 schreibt Kleist in einem Brief an Otto Rühle: Die Zeit
scheint eine neue Ordnung der Dinge, herbeiführen zu wollen, und wir werden davon nichts, als bloß den Umsturz der alten erleben, (n 761) Dieser Gedanke Kleists könnte der "Verlobung" als Motto vorangehen. Denn in den Augen Kleists stellte sich die Revolution nicht als Institutionalisierung einer neuen, humaneren Gesellschaft dar, sondern als bloßer Herrschaftsabtausch, wobei die neuen Herren sich mit gleichen oder vergleichbaren Insignien der Macht wie die alten Herrscher schmückten. Der Kemgedanke der Novelle liegt im Gesetz des Umsturzes. "Schwarz" und "Weiss" sind nur Symbole für den Konflikt zwischen Herrschern und Beherrschten, zwischen Herr und Knecht. "Die aus den Fugen geratene Gesellschaftsordnung ist nichts als der Spiegel menschlicher Verhältnisse, die durch Haß und Rache entsetzlich vergiftet sind. Aber Störungen dieser Art beziehen sich nicht ausschließlich auf das Verhältnis von Negern und Europäern. Sie sind auch innerhalb der Weißen anzutreffen."30 In diesem Sinne steht "Schwarz" stellvertretend für den 3. Stand, und "Weiß" symbolisiert die Herren, den 1. und 2. Stand. Die Französische Revolution hat den Zündstoff, der in diesen Gegensätzen schlummert, lediglich zur Explosion gebracht. Die welthistorische Problematik des Ereignisses, welches das Recht auf Freiheit und Gleichheit in der historischpolitischen Realität für immer verankerte,31 liegt in der folgerichtigen Legitimation aller Aufstände, in denen eine Klasse, ein Volk oder aber eine Rasse ihre natürlichen Rechte einklagen. Die Dimension der "Verlobung" erstreckt sich also nicht nur auf die Brandmarkung eines Systems, das seine Ideale (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) pervertiert hat, sondern billigt dem Kampf gegen die Sklaverei eine grundsätzliche Berechtigung zu. Der Führer der Schwarzen, Congo Hoango, ist im Recht, wenn er ein-
gedenk der Tyrannei, die ihn seinem Vaterlande entrissen (II 160), die Revolte beschwört; aber im Taumel der Rache wird er selber zum Tyrannen, der mit allen Mitteln danach strebt, seine frischgewonnene, noch instabile Herrschaft zu erhalten. In seiner unmenschlichen Rachsucht (II 161) fordert er die Mulattin Babekan und ihre fünfzehnjährige Tochter Toni, eine Mestize, auf, an diesem grimmigen Kriege, (...), Anteil zu nehmen, (ebd.) Mit Hilfe ihrer Hellhäutigkeit soll Toni flüchtende Weiße ins Haus locken, 30 31
Walter MÜLLER-SEIDEL: Versehen und Erkennen. Köln, Wien 1971, S. 41 vgl. Joachim RITTER: Hegel und die französische Revolution. Frankfurt am Main 1965, S. 31
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Kleists "Verlobung in StDomingo"
ihnen Hilfsbereitschaft, Einverständnis und Geborgenheit vorspielen, um sie dann der Rache Congo Hoangos zu überantworten. Das verdeckte Operieren irregulärer "Truppen" ist Kennzeichen des Guerilla-Krieges. Ruth Angress entdeckte diese Analogie der Erzählung zur "Hermannsschlacht" (1808), und Wolf Kittler weist überzeugend nach, daß der Krieg der Schwarzen gegen die französische Armee ein Exempel für die Führung eines Partisanenkriegs darstellt.32 b) Der Liebeskonflikt Indem Kleist nun die Liebesgeschichte zwischen Gustav und Toni einleitet, unterzieht er die Problematik des Herrschens oder Beherrscht-Werdens33 einer zweiten Spiegelung. Die erste war die Verdeutlichung des Konfliktes durch den Kampf zwischen Schwarzen und Weißen, die zweite ist die Konkretisierung des Problems in der Auseinandersetzung zweier Individuen, die jeweils den verschiedenen, sich bekämpfenden Kollektiven angehören. Toni lebt im Einklang mit den Gesetzen ihrer sozialen Gruppe, die zu hinterfragen sie keine Ursache hat; zum einen, weil sie noch zu jung ist, zum anderen, weil die schlimmen Erfahrungen ihrer Mutter mit den Weißen (II 168) für Toni Anlaß genug sein müsssen, die Urteile der Schwarzen zu übernehmen. Deshalb quält sie kein Unrechtsbewußtsein, als sie einen Portugiesen, zwei Holländer, drei Franzosen und etliche andere Weiße (vgl. II 177) der Hinrichtung preisgibt. Auch Gustav hat ein relativ ungebrochenes Verhältnis zu den Einstellungen der Gesellschaft, die ihn großgezogen hat. Er klagt ständig Vertrauen ein, ohne selbst sein Mißtrauen aufzugeben. Er erscheint im Hause Hoangos als Offizier in französischen Diensten, verlangt aber mit dem Hinweis auf seine schweizerische Staatsbürgerschaft, daß man zwischen ihm und den Franzosen differenziere und den Haß auf die Weißen nicht auf ihn übertrage. Auf Tonis Frage, wodurch sich denn die Weißen daselbst so verhaßt gemacht hätten, antwortet er: Durch das allgemeine Verhältnis, das sie, als Herren der Insel, zu den Schwarzen hatten, und das ich, die Wahrheit zu gestehen, mich nicht unterfangen will, in Schutz zu nehmen; das aber schon seit vielen Jahren auf diese Weise bestand! (II 170) Mit dem Hinweis auf die Dauer der Herrschaft, rechtfertigt Gustav das Verhältnis der Weißen zu den Schwarzen, und er beklagt nur die vielfa32 33
W. KITTLER: Die Geburt des Partisanen, S. 322 vgl. Hans M. WOLFF: Kleist als politischer Dichter. Berkeley, Los Angeles 1947, S. 377
Rassenkampf und Liebeskonflikt
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chen und tadelnswürdigen Mißhandlungen durch einige schlechte Weiße (II 170), nicht aber - wie anfangs beteuert - das Verhältnis an sich. Indem er anschließend von der an Gelbfieber erkrankten Sklavin erzählt, relativiert er zusätzlich die Grausamkeiten der Weißen. An der Geschichte des Mädchens, das sich an seinem weißen Vergewaltiger und Peiniger rächt, indem es ihn verführt und mit der tödlichen Krankheit ansteckt, empören ihn nicht die Mißhandlungen an dem Mädchen, aber umso mehr ihr Verbrechen an dem Pflanzer. Pathetisch erklärt er, es könne keine Tyrannei, die die Weißen je verübt, einen Verrat, so niederträchtig und abscheulich rechtfertigen (...) Die Engel selbst, (...) stellten sich auf Seiten derer, die Unrecht hätten, und nähmen, zur Aufrechterhaltung menschlicher und göttlicher Ordnung, ihre Sache. (II 171) Gustav sieht natürlich nicht, wie sehr er durch die Brille des Europäers schaut, wenn er für die Aufrechterhaltung göttlicher und menschlicher Ordnung plädiert. Nur das Erwachen der Liebe erweckt die Möglichkeit, Differenzierungen vorzunehmen, abstrakte Begriffe wie "Die Weißen" oder "Die Schwarzen" mit den einzelnen Menschen dieser Gruppe zu vergleichen. Durch das Liebeserlebnis eröffnet sich Toni eine neue Perspektive, und ihre Einstellung wandelt sich grundlegend. Der Vollzug ihrer zunächst geheuchelten Zuneigung gerät zu einem Erkenntnismoment, das die gebotene Verführung unterläuft. Denn Toni wird ermuntert, den Fremden keine Liebkosung zu versagen, bis auf die letzte, die ihr bei Todesstrafe verboten war. (II 161) Wenngleich die Gesellschaft der Schwarzen um die zutrauenerweckende Wirkung der Liebesgestik weiß und diese skrupellos einsetzt, so kennt sie doch auch die Kehrseite eines solchen Mittels, das sich gegen sie selbst wenden kann. Deshalb ahnden die Schwarzen - wie andere Gesellschaften auch - diejenigen unnachgiebig, die sexuelle Tabus verletzen, weil ihre Einhaltung die Loyalität zur Gruppe garantiert. Verschiedene Aspekte des Problems hat Kleist bereits in den Novellen "Das Erdbeben in Chili" (1807) und "Die Marquise von O..." (1808) einprägsam dargestellt. Doch eignet ihm in der "Verlobung in St. Domingo" eine eminent politische Bedeutung. In dem Moment, da sich Toni Gustav hingibt, verliert sie alle Ansprüche auf den Schutz ihrer Gruppe und ist also gezwungen, schon um ihr eigenes Leben zu retten, sich auf die Seite der Weißen zu stellen. Ihre im Unbewußten vollzogene "natürliche" Entscheidung kann nicht auf der subjektiven, individuellen Ebene verbleiben, sondern zieht unweigerlich politische Konsequenzen nach sich. Ihre Entscheidung für Gustav ist eine Entscheidung gegen ihr Kollektiv. Toni verkennt diesen
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Kleists "Verlobung in SLDomingo"
Zusammenhang zunächst, wie das Gespräch am Morgen mit ihrer Mutter zeigt, als sie offen gegen die Pläne zur Ermordung Gustavs rebelliert. (II 176 ff) Erst im nachhinein dämmert ihr die Tragweite ihrer Tat. Sie entscheidet sich nun bewußt, ihre Interessen gegen die Interessen der Schwarzen, das bedeutet auch gegen ihre Mutter, also gegen familiäre Bande, durchzusetzen. Sie greift dabei zum gleichen Mittel, nämlich gespielte Treue, das sie zuvor im Dienste der Schwarzen eingesetzt hatte. (II 178 f) Im Gegensatz zu Toni, die bedingungslos ihrem Gefühl gemäß handelt, erscheint Gustav als ausgesprochen schwächlicher Charakter. Bei ihm vollzieht sich durch die Nacht mit Toni kein grundlegender Gesinnungswandel. Die Begegnung erschüttert sein Weltbild, das im Bewußtsein unschuldigen Schweizertums gebaut ist, keineswegs, weil er Toni von Anfang an zur Seite der Weißen rechnet. In dem Moment, da er, durch ihr Schauspiel vor der eignen Gruppe verwirrt, erkennt, daß sie eigentlich eine "Schwarze" ist, verkennt er die Situation. Er nimmt ihre "Maske" für ihre Person und erschießt sie im Affekt. Die plötzliche Entdeckung weckt bei ihm nur das Mißtrauen und die Vorurteile seiner weißen Rasse, und er handelt prompt ihnen entsprechend. Während Toni bereit war, sich über alle Grenzen hinweg für ihre Liebe einzusetzen, versagt Gustav, weil er im entscheidenden Moment die Denkschemata seines Kollektivs nicht abzuschütteln vermag. Die Erinnerung an das aufrichtige Gefühl, das ihn mit Toni verband, kommt ihm zu spät. (vgl. II 193) c) Die Binnenerzählungen Die Novelle enthält zwei Parallelerzählungen, in denen Kleist Bezug auf die Französische Revolution nimmt: - Babekans Geschichte über Tonis Herkunft: Gezeugt und geboren in Paris, Tochter eines reichen Marseiller Kaufmanns, der die Vaterschaft ableugnete und beim Ausbruch der Revolution Gesandter der französischen Regierung wurde. (II 167) - Die Geschichte des Opfertods von Gustavs Braut Mariane, die für ihn in Straßburg zur Zeit der Revolution unter der Guillotine stirbt.(II 173) Beide Episoden spiegeln und kommentieren die Vorgänge in der Novelle. 34 Auch hier prägen die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse Leben und Verhalten der Individuen. Beide Ereignisse werfen ein entlarvendes Licht auf das Mutterland der Revolution. In diesem Lande billigte man Babekan und ihrem Kind keinerlei Menschenrechte zu. Das Gerichtsverfahren trug ihr Peitschenhiebe ihres im ersten Satz der Erzäh34
Friedrich KOCH: Heinrich von Kleist. Bewußtsein und Wirklichkeit. Stuttgart 1958, S. 81
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lung als wohltätig beschriebenen Herrn de Villeneuve ein und als Folge davon chronische Schwindsucht. Dagegen konnte der Urheber des Unglücks im Zuge der Revolution Karriere machen:
Sein aufstrebendes und ehrgeiziges Gemüt (...) gefiel sich in dem Kreis bürgerlicher Tätigkeit nicht; er mischte sich beim Ausbruch der Revolution in die öffentlichen Geschäfte, und ging (...) mit einer französischen Gesandschaft an den türkischen Hof. (II 167) Der Schwarze, den Babekan später heiratete, schämte sich nicht, Toni an Kindes statt anzunehmen. Menschlich ist er daher höher einzuschätzen als Tonis leiblicher Vater. Die Mariane-Episode weckt ebenfalls negative Gefühle gegenüber den Europäern. Wohl nicht zufällig nannte Kleist Gustavs erste Liebe "Mariane". Im kollektiven Gedächtnis des revolutionären Frankreichs galt "Marianne" als Symbol der Republik.35 Wenn Mariane also unter der Guillotine stirbt, so ist dies ein anderer Ausdruck dafür, daß die Revolution ihre eigenen Kinder frißt. Auf diesem Hintergrund gesehen ist es die Republik selbst, die hingerichtet wird. Von den Schwarzen berichtet die Erzählung keine derartigen Selbstzerfleischungen während des Befreiungskampfes. Auch das Verhalten Gustavs erscheint dubios. Seine Leichtfertigkeit verursacht das Unglück. Während er sich in Sicherheit bringen konnte, wird Mariane aufs Schaffott geschleppt. Auch hat der Leser den Eindruck, daß Gustav nur allzu bereitwillig ihr Opfer annimmt. Und schließlich ist er skrupellos genug, um nachher für das System, das seine Braut umgebracht hat, zu kämpfen. Denn als er bei Toni erscheint, ist er Offizier der französischen Armee.36 Kleist zeichnet in den Figuren der Novelle ein zutiefst pessimistisches Menschenbild.37 Denn auch die Liebenden, abgesehen von Toni und Mariane, bringen einander nicht nur ihre unbeschwerte, natürliche Zuneigung entgegen, sondern es lastet auch die Hypothek der kollektiven Denkweisen auf ihnen. Diese "unausgesprochene Belastung ist es, die die einzelnen innerhalb dieser Schuldverstrickung zu Repräsentanten macht."38 Die Menschen führen, wie Jaspers in anderem Zusammenhang bemerkt, das Leben 35
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37
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vgl. Lynn HUNT: Symbole der Macht, Macht der Symbolik. Die Französische Revolution und der Entwurf einer politischen Kultur. Obere, von Michael Bischoff. Frankfurt am Main 1989 vgl. FISCHER: Zur politischen Dimension der Ethik in Kleists "Die Verlobung", S. 255ff anders Hans Georg WERNER: Die Erzählkunst im Umkreis der Romantik (18061815) - In: Weimarer Beiträge. Jg. 12. H. 8 (1971), S. 11-38 Hermann PONGS: Das Bild in der Dichtung. 2. Aufl. Marburg 1963, S. 199
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Kleists "Verlobung in StDomingo"
"von scheinbar geborgenen Marionetten an den Drähten der (...) Konventionen."39 Versuchen sie jedoch, sich von den Fesseln zu befreien, geraten sie in Konflikt mit den Gesetzen ihres Kollektivs und straucheln. Der Ausnahmezustand auf Grund der Revolution löst schließlich die Katastrophe der Novelle aus. Die gesellschaftlich prekäre Situation führt auch Marianes Tod herbei. Der revolutionäre Zustand verlangt, soll das Ziel erreicht werden, die äußerste Unterwerfung des Individuums unter die bestehenden Gesetze. Daher auch der tragische Ausgang der Novelle, den Wolff fälschlicherweise als "wenig befriedigend" und "nicht folgerichtig aus den Voraussetzungen der Handlung entwickelt"40 aburteilt.
4. Der dramatische Aufbau der Novelle Kleist ist immer bemüht, seinen Erzählungen eine "Strenge des Aufbaus abzugewinnen, die sich der Dramatiker abverlangen muß, will er die gewünschten Wirkungen der Tragödie und Komödie auf dem Theater erzielen."41 Für die "Verlobung" trifft dies in besonderem Maße zu, denn im Laufe der Erzählung wechselt Kleist von der auktorialen Erzählhaltung zu einer eher personalen und beschränkt sich auf "regieartige Anweisungen".42 Die "Verlobung" ist die einzige der Kleistschen Novellen, die durchgehend mit wörtlicher Rede durchzogen ist43 und in der das Szenische das beherrschende Element ist. Der Dialog unterstreicht den "Entscheidungscharakter des Geschehens" und zeigt, wie sehr die Novelle vom Dramatischen her konzipiert ist.44 Nicht nur der Vorrang der Handlung und auch nicht der gescheiterte Versuch Theodor Körners aus der "Verlobung" ein Drama zu gestalten, legen einen Vergleich der Novelle mit einem Drama nahe. Es ist vielmehr "ihre szenische Gebundenheit, der streng bühnenhafte Aufbau", 45 der so sehr an ein Drama erinnert, daß Hermann Davidts sogar vermutet, Kleist habe nach der Konzeption des Stoffes ein Drama aus ihm schaffen wollen.4* 39 40 41 42 43 44 45 46
Karl JASPERS: Vom Ursprung und Ziel der Geschichte. München 1950, S. 188 Hans M. WOLFF: Kleist. Die Geschichte seines Schaffens, S. 48 Hans MAYER: Heinrich von Kleist, S. 62 Josef KUNZ: Die Verlobung in St. Domingo, S. 34 f vgl. Johannes PFEIFFER: Wege zur Erzählkunst. Hamburg 1953, S. 11 Josef KUNZ: Die Verlobung in St. Domingo, S. 36 Hermann DAVIDTS: Die novellistische Kunst Heinrich von Kleists, S. 37 ebd.
Dramatischer Außau
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Die Novelle beginnt mit der Exposition der Handlung. In gedrängter Kürze wird der Leser unterrichtet über die Zeit - im Jahre 1803 (n 161) den Ort - Zu Port au Prince, auf dem französischen Anteil der Insel St. Domingo, (...) auf der Pflanzung des Herrn Guillaume de Villeneuve (n 160) - und über die Umstände des Geschehens: Als die Schwarzen die Weißen ermordeten, griff der Neger Congo Hoango, der ehemals rechtschaffene Diener des Herrn de Villeneuve, eingedenk der Tyrannei, die ihn seinem Vaterlande entrissen hatte zum Gewehr und jagte seinem Herrn die Kugel durch den Kopf - ungeachtet aller von diesem empfangenen Wohltaten. (II 160) Ausgelöst wurde die Tat durch den allgemeinen Taumel der Rache, der auf die unbesonnenen Schritte des Nationalkonvents in diesen Pflanzungen aufloderte, (ebd.) Nunmehr Herr der Pflanzung, widmet sich Hoango der Ausrottung der weißen Hunde. Werkzeuge seiner Rache sind die Mulattin Babekan und ihre hellhäutige fünfzehnjährige Tochter Toni. Die nun einsetzende Haupthandlung ist im wesentlichen den für die klassische Tragödie geforderten drei Einheiten von Ort, Zeit und Handlung verpflichtet. Die Zeit des Geschehens umfaßt von der Nacht des ersten Tages bis zum Morgen des übernächsten Tages knapp 36 Stunden. Die Einheit des Ortes wird nur einmal unterbrochen, als Toni das Haus verläßt, um die Verwandten Gustavs zu alarmieren. Die Einheit der Handlung bleibt durch ihren einsträngigen Verlauf bei stetig ansteigender Spannung ungebrochen erhalten. Davidts teilt die Novelle in drei Hauptteile, die hier des Vergleiches wegen als Akte bezeichnet werden sollen und ihrerseits in drei Szenen unterteilbar sind.47 - Der erste Akt umfaßt die Ankunft Gustavs im Hause Hoangos (II 163), seine Aufnahme einschließlich Abendessen und dem Gespräch mit Babekan (II 163-171) und gipfelt in den Ereignissen der Nacht, in der Verlobung. - Der zweite Akt beginnt am nächsten Morgen. Er gliedert sich in das Gespräch zwischen Babekan und Toni (n 176-181), den ersten Rettungsversuch Tonis (II 181-183) und findet seinen Höhepunkt in der Fesselung Gustavs in der Nacht (II 183-187) - Der dritte Akt setzt ein mit der Alarmierung der Strömiis (II 187-191), fährt fort mit dem Kampf im Hause Hoangos (II 189-191) und eskaliert in der Katastrophe, dem Tod der beiden Liebenden. (II 191-194) Die Novelle schließt mit dem Ausklang des Geschehens: Die Strömiis kehren in die Schweiz zurück, kurz bevor die Revolte durch den Sieg der Schwarzen ihr Ende findet. 47
DAVIDTS: Die novellistische Kunst Heinrich von Kleists, S. 28 f
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Kleists "Verlobung in StDomingo"
Betrachtet man die Novelle als Schauspiel, wird der Leser folglich zum Zuschauer. Die Exposition des Anfangs muß dann als Bühnenbild verstanden werden, das die Handlung kommentiert. Auf diese Weise werden die Ereignisse im Hause Hoangos zum Spiel im Spiel - denn es ist ein regelrechtes Schauspiel, das Toni und Babekan "inszenieren", um ahnungslose Weiße in die Falle zu locken. Babekan sucht für Toni das richtige "Kostüm": Kleider, weiße Wäsche und Strümpfe (II 161). Toni kennt sich mit den Effekten einer guten Beleuchtung aus: Sie trug Sorge... das Licht so zu stellen, daß der volle Strahl davon auf ihr Gesicht fiel. (II 163) Ihre Rollen beherrschen die beiden perfekt. Babekan spielt das "gute Mütterchen" (II 169), und Toni zieht alle Register eines reizenden, jungen Mädchens. Erst zeigt sie ihre liebliche Gestalt, dann zerstreut sie Gustavs Argwohn, indem sie mit dem Fuß aufotampfte (II 163), sie beträgt sich schäkernd und kokett. Aufgeführt wird das Stück Oase in einer Verdammnis so könnte man den Titel nach den Worten Gustavs bezeichnen (II 165). Die Rolle Gustavs schwankt zwischen einer Puppe - als fast willenloser Gegenstand in den Händen der beiden Frauen, und einem Zuschauer - ihm zu "Ehren" wird das Stück schließlich aufgeführt. Das routiniert eingeübte Spiel erleidet einen Bruch, als Toni sich auf die Seite Gustavs stellt. Gustav bleibt wie zuvor ahnungslos, aber Babekan muß nun ebenfalls die Rolle einnehmen, die vorher ausschließlich Gustav innehatte. Die List, bei ständig beibehaltener Rolle - Tonis Verhalten bleibt unverändert: für die Augen ihrer Mutter und ihrer Leute spielt sie die von ihnen diktierte Rolle weiter, wenngleich die Rolle, die sie zuvor gegenüber Gustav innehatte, nun zur Wahrheit geworden ist - trotzdem den Hintergrund zu vertauschen, wird Toni zum Verhängnis: Gustav, scheinbar aufgeklärt, sieht in Toni bloß ihre Maske und tötet sie.
5. Der tragische Charakter der Novelle Als "zuinnerst tragisch" und "tragisch-dramatisch" bezeichnet Pfeiffer die Gestaltung der Novelle48 und führt diesen Eindruck auf das Schicksal zurück, das Tonis und Gustavs Tun mit "eherner Notwendigkeit"49 umklammert. Aber die Rolle des Schicksals wird hier - anders als in der Tragödie der Antike - von dem gesellschaftlichen Normen und scheinbar auch vom
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Johannes PFEIFFER: Wege zur Erzählkunst, S. 14 ebd.
Der tragische Charakter der Novelle
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Zufall übernommen.50 Dennoch ist es nicht der Zufall, der das Ich zum reaktiven Faktor macht,51 sondern letztlich immer "die von den Menschen selbst geschaffene gesellschaftliche Ordnung."52 Die Determiniertheit der Individuen entspringt dem starren gesellschaftlich vorgegebenen Erkennens- und Handlungsschema, das angesichts einer sich ständig verändernden Wirklichkeit notwendigerweise versagen muß. Das Schicksal Tonis und Gustavs ist tragisch, weil sie, von den Ereignissen überrollt, keine Chance zur Verständigung haben. Gustav reagiert auf Grund von Regeln, die längst ihre Gültigkeit verloren haben: Er vertraut, als er hätte mißtrauen sollen, und er mißtraut, als er hätte vertrauen können. Maßgeblich für seine Entscheidungen ist der bloße Augenschein. Im Gegensatz zu Gustav verfällt Toni niemals einer Täuschung. Aber auch ihr Handeln wird ihr von den Ereignissen aufgezwungen. Im Grunde läuft sie immer dem Geschehen hinterher, paßt ihre Entscheidungen der veränderten Realität an. Es ist ein atemloser Wettlauf, den sie letztlich verliert, weil sie den Anschein von Verrat, den sie in Gustav erwecken mußte, nicht rechtzeitig zerstören kann. Das Dilemma entsteht aus dem Widerspruch zwischen dem unbestreitbaren Recht der revolutionären Schwarzen, ihre Freiheit zu erlangen und zu verteidigen, und dem ebenso unbestreitbaren Recht Tonis auf Selbstbestimmung. Doch sind die beiden Ansprüche wegen Tonis Liebe zu einem Weißen, d.h. einem Feind, nicht vermittelbar. Die "Verlobung" handelt, wie Ruth K. Angress belegt hat, von der "pathology of the revolutionary sentiment" und also auch von "the pathology of (the) subjectivity of thought and feeling".53 Im Vergleich der "Hermannsschlacht" mit der "Verlobung", die in der Behandlung von "slavery and imperialistic domination as an ultimate evil"54 thematisch verknüpft sind, entdeckt Angress die Komplementarität der beiden Texte. Während das Drama den "political man par excellence" vorführt, präsentiert die Novelle die Tragik des Individuums, das unter den Bedingungen der Revolution keine private Sphäre für sich beanspruchen kann.55 50 51
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Walter MÜLLER-SEIDEL: Versehen und Erkennen, S. 82 Hans-Peter HERRMANN: "Zufall und Ich", S. 80 - In: Germanistisch-Romanische Monatsschrift. N.F. 11 (1961), S. 69-99 Elmar HOFFMEISTER: Täuschung und Wirklichkeit bei Heinrich von Kleist. Bonn 1968, S. 29 Ruth K. ANGRESS: Kleist's Treatment of Imperialism, S. 31 ebd. S. 17 vgl. ebd. S. 19
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6. Kleist: Heimatloser zwischen Adel und Bürgertum Kaum ein anderer deutscher Dichter ist in seiner Aufnahme durch die Nachwelt so entstellt worden wie Kleist. Die Ursache liegt sowohl im Werke Kleists begründet, das auf Grund seiner Zwiespältigkeit der Usurpation durch beliebige Ideologien Tür und Tor öffnete, als auch in der Außenseiterstellung Kleists, die es unmöglich macht, ihn eindeutig an die literarischen Strömungen seiner Zeit zu knüpfen.56 Etwa bis zu seinem 24. Lebensjahr vertritt Kleist das rationalistische Menschenbild der Aufklärung. Gut und Böse erscheinen als freie Entscheidungen freier Individuen. Voraussetzung für richtiges Handeln ist der Gebrauch des Verstandes, Leitfaden die Vernunft. Höchstes Ziel jeder menschlichen Ausbildung ist die Tugend und das persönliche Glück. So
unterstützen sich diese beiden Gottheiten wechselseitig, das Glück als Ermunterung zur Tugend, die Tugend als Weg zum Glück. (II 475) Die strengen moralischen Maßstäbe, die Kleist sich gesetzt hat, führen schon bald zu einer Absage der Gefolgschaft an die Klasse seiner Geburt, den Adel. Ekel vor Sklaverei treibt Kleist dazu, die militärische Laufbahn abzubrechen:
Die Offiziere hielt ich für so viele Exerziermeister, die Soldaten für so viele Sklaven, und wenn das ganze Regiment seine Künste machte, schien es mir ein lebendiges Monument der Tyrannei. (II 479) In der "Verlobung in St.Domingo" findet dieser Ekel vor Sklaverei einen späten Ausdruck. Die Abscheu davor hat sich Kleist ein Leben lang erhalten. Im "Katechismus der Deutschen" taucht er wieder auf. (vgl. II 360) Wahrheit und Bildung wählt Kleist zu Grundpfeilern seines Lebens, und er erstrebt eine Bildung, "die, indem sie Totalität und Universalität anstrebt, einen Beitrag zur Emanzipation der ganzen Menschheit leisten möchte."57 Aber dennoch verkörpert Kleist keinen Aufklärer, obgleich er die deutsche Klassik und ihren Hauptvertreter Goethe sehr bewunderte. Auch Schillers Plan der ästhetischen Erziehung des Menschen als Voraussetzung für die Befreiung der Menschheit wird er niemals in seinem Leben wie auch in seinen Werken vollständig aufgeben.58 Denn Kleist stellte einen 56
57
58
Wie sehr die Kleist-Rezeption bis heute steter Wandlung unterliegt, zeigt der Aufsatz von Klaus KANZOG: Vom rechten zum linken Mythos. Ein Paradigmenwechsel der Kleist-Rezeption - In: Dirk Grathoff (Hg.): Heinrich von Kleist. Studien zu Werk und Wirkung. Opladen 1988, S. 312-328 Klaus GÜNZEL: Kleist: Ein Lebensbild in Briefen und zeitgenössischen Berichten. Stuttgart 1985, S. 67 vgl. Hans MAYER: Heinrich von Kleist, S. 19
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hohen politisch-öffentlichen Anspruch an seine dramatische Dichtung und träumte von einem großen, nationalen Theater, "das ähnlich wie das griechische und das elisabethanische Schule und Tribunal einer Nation sein könnte."59 Allein, das optimistische Menschenbild des progressiv-entwicklungsfähigen, bürgerlichen Individuums, das Goethe und Schiller noch gestalteten, findet man in der Dichtung Kleists nicht mehr. Kleist ist bereits das Kind einer Zeit, die den Zugriff der Gesellschaft auf das Individuum als äußerst bedrohlich und kaum kontrollierbar erfährt. a) Abkehr vom rationalistischen Geschichtsideal In einem Brief an seine Schwester Ulrike vom Mai 1799 konstatiert Kleist die sklavische Hingebung in die Launen des Tyrannen Schicksal als eines freien, denkenden Menschen höchst unwürdig (H 488), und der Zustand, ohne Lebensplan, ohne feste Bestimmung, immer schwankend zwischen unsichern Wünschen, immer im Widerspruch mit meinen Pflichten, ein Spiel des Zufall, eine Puppe am Drahte des Schicksals - dieser unwürdige Zustand erscheint ihm so verächtlich, daß ihm der Tod bei weitem wünschenswerter wäre (II 490). Zu dieser Zeit ahnt er noch nicht, daß er eine Dichtung schaffen wird, die durchgehend die Tragik des Individuums zeichnet, das mit eben diesem unwürdigen Zustand im Kampfe liegt. Kleists Beschäftigung mit dem kritischen Idealismus Kants, konfrontiert ihn mit der Erkenntnis von der Unerkennbarkeit der Wahrheit und überzeugt ihn von der Unzulänglichkeit der menschlichen Vernunft. Wie sehr ihn diese Philosophie erschütterte, zeigt sein Brief an Ulrike vom 22.3.1801. Aber noch hat er einen Halt, an dem er sein Leben lang festhalten wird: die Philosophie Rousseaus. "Der Aufklärer Kleist geht zur Position Rousseaus über"6« und vollzieht damit gleichzeitig eine gesellschaftliche Entscheidung, "weil der Rousseauismus in diesem Jahr 1801 untrennbar verbunden ist mit den vergangenen Phasen der Französischen Revolution. Wer nunmehr Rousseau sagt, meint gleichzeitig Robespierre. Er meint aber auch die französischen Zustände dieses beginnenden Jahrhunderts, die formal noch im Zeichen von Revolution und Republik zu stehen scheinen, aber in Napoleons Konsulat bereits den Kontrast zum Rousseauismus erkennen lassen."61 Tatsächlich reist Kleist nach seiner "Kant-Krise" mit einiger Erwartung in das Land der Freiheit. Im April schreibt er an Wilhelmine: Ach, Wilhel59 60 61
P. HORN: Heinrich von Kleists Erzählungen. Königstein/Ts 1978, S. 40 vgl. H. MAYER: Heinrich von Kleist, S. 24 ebd. S. 25
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mine, wir dünken uns frei, und der Zufall führt uns allgewaltig an tausend feingesponnenen Fäden fort. Ich mußte also nun reisen, ich mochte wollen oder nicht, und zwar nach Paris, ich mochte wollen oder nicht. (II 642) b) Erlebnis von Bonapartismus und Bourgeoisie Das Ziel, das Kleist in Paris wiederzufinden hofft, bleibt ihm verwehrt. Die Ideale der Aufklärung, die Schlagworte der Revolution, sieht er in Paris verspottet und in Schmutz getreten.62 Die Wirklichkeit des nachrevolutionären Frankreichs entpuppt sich als bloßer Umsturz der alten Ordnung und wo die Großstadt eine neue etabliert hat, besteht sie lediglich aus Oberflächlichkeit und Entfremdung. Kleist empört sich: Rousseau ist immer das 4. Wort der Franzosen; und wie würde er sich schämen, wenn man ihm sagte, daß dies sein Werk sei? (n 664) Die Erfahrungen mit der nachrevolutionären französischen Gegenwart erlebt Kleist als Beschmutzung seines rousseauschen Ideals, und sie isolieren ihn von der tragenden Klasse der Revolution, dem Bürgertum, dem er sich hat zuwenden wollen, nachdem er sich vom Adel gelöst hatte.63 Kleist entfernt sich völlig von einem rationalistischen Geschichtsbegriff. Seinen Zweifel an der Kultur formuliert er später in den "Betrachtungen über den Weltlauf" und nimmt dort eine Position ein, die bereits Nietzsches Kulturkritik ähnelt. Denn das, was sich Kleist in Paris als Fortschritt präsentierte, war keineswegs eine Weiterentwicklung geistig-moralischer Fähigkeiten des Menschen, sondern unter dem Deckmantel hoher ethischer Werte entwickelte sich eine Klasse, die sämtliche menschlichen Beziehungen den Interessen von Kommerz, Profit und Luxus subsumierte. So ist es der Bourgeois, den Kleist in den Franzosen angreift. Sie mißfallen ihm, "weil er selbst der 'Franzose' zu sein meinte, der sie sein sollten, doch nicht zu sein vermöchten."64 An dem Selbstverständnis Kleists, Kosmopolit zu sein, ändern diese Erlebnisse jedoch nichts.65 Paris, die "glänzende Weltstadt" wird Kleist "zum Symbol gesellschaftlicher Unnatur".66 62
63 64
65
66
FINK bemerkt, daß Kleists Betrachtungen zu Paris "moralisch und kulturkritisch, nicht politisch sind". FINK: Das Motiv der Rebellion in Kleists Werk, S. 67 vgl. HORN: Heinrich von Kleists Erzählungen, S. 30 Heinz IDE: Kleist im Niemandsland?, S. 58, Anm. 12 - In: Kleist und die Gesellschaft. Hg. von Walter MÜLLER-SEIDEL. Berlin 1965, S. 33-66 Beda ALLEMANN: Der Nationalismus Heinrich von Kleists, S. 307 - In: Nationalismus in Germanistik und Dichtung. Hg. von Benno von WIESE und Rudolf HEUSS. Berlin 1967, S. 305-311 Rudolf LOCH: Heinrich von Kleist. Leipzig 1978, S. 74
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c) Neues Ziel: die Kunst Überdrüssig der gesellschaftlich-politischen Wirklichkeit strebt Kleist fort von den Küsten der politischen Welt in den Hafen der philosophischen Ruhe, (n 719) Diese Worte, die er auf Zschokke münzt, mögen auch für ihn selbst gelten. Die Unfähigkeit, sich in irgend ein konventionelles Verhältnis der Welt zu passen (II 692) und das Ziel, in einer rein-menschlichen Bildung fortzuschreiten (n 679), veranlassen ihn zu dem Entschluß, seinem Land den Rücken zu kehren und in einem grünen Häuschen (II 693) sich dem Bücherschreiben zu widmen. Kleist versucht nun einen "Ausstieg" als Bauer in der Schweiz, wo er hofft, unbehelligt von politischen Ereignissen - Ich selbst aber, der ich gar keine politische Meinung habe, brauche nichts zu fürchten. (II 715) - sich ausschließlich seiner schriftstellerischen Arbeit widmen zu kämen. Napoleon, der AllerweltsKonsul (II 719) mit seinen Affen der Vernunft (II 720) - Kleist meint die Franzosen - vereitelt diese Pläne. Kleist erschreckt die bloße Möglichkeit, statt eines Schweizer Bürgers durch einen Taschenspielerkunstgriff ein Franzose zu werden (II 719). Auch diese Wünsche und Ängste greift Kleist in der "Verlobung" wieder auf, und zwar in dem schweizer Idyll an den Ufern der Aar, das Gustav Toni in Aussicht stellt. Bezeichnenderweise ist Gustav ein verkappter Franzose. (II 175) Mit Hilfe der Kunst möchte Kleist die Einseitigkeit der Wissenschaft und die menschen-abgewandte Praxis der Gesellschaft brechen und ihr ein vollständigeres, universales Menschenbild entgegensetzen. Gegenüber der mathematisch-physikalischen Welt und ihren Gesetzen wird der Kunst die Möglichkeit zuerkannt, jene andere Welt - diejenige des Seelenlebens und des Zusammenlebens unter Menschen - zu erschließen und Sinn in ihr aufzufinden."67 Schon in seinem ersten Drama, in der "Familie Schroffenstein" (1802), beschreibt Kleist die gebrechliche Einrichtung der Welt. Die natürlichen Bande einer Familie sind hier völlig zerstört. An ihrer Stelle steht ein Erbvertrag, der, anstatt menschliche Besitzverhältnisse zu regeln, plötzlich eine Bedeutung erlangt, die dem Apfel beim Sündenfall gleichkommt (157). Blinde Besitzgier, Täuschungen und Mißtrauen ziehen eine Kette von Handlungen nach sich, die schließlich zur Katastrophe, zum Tode der einzigen beiden reinen Geschöpfe, Agnes und Ottokar, führen. Erst ihr Tod öffnet den Verblendeten die Augen, und die verfeindeten Parteien versöh67
MÜLLER-SEIDEL: Der rätselhafte Kleist und seine Dichtung, S. 18 - In: Die Gegenwärtigkeit Kleists. Reden zum Gedenkjahr 1977. Hg. von Wieland Schmidt im Auftrag der Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft. Berlin 1980, S. 9-29
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nen sich. Bezeichnenderweise ist der blinde Vater, Graf Sylvius, den keiner emst nimmt, der einzige "Sehende". Er verfügt über Einsicht, die allerdings von den anderen nicht anerkannt wird. Die beiden Grafenhäuser erscheinen "als die Gesellschaft schlechthin. Sie repräsentieren die soziale Ordnung, und da es in dieser Sphäre nichts als Zank und Streit gibt, so ist die soziale Ordnung in ihr Gegenteil umgeschlagen und zu einer sozialen Unordnung geworden."68 In allen Dichtungen Kleists findet man "eine Gesellschaftskritik von beträchtlichem Ausmaß."69 Im übergeordneten Problemkreis von Individuum und Gesellschaft werden die Konflikte zwischen Verstand und Gefühl, Mißtrauen und Vertrauen Gegenstand seiner Betrachtungen. Immer steht das Individuum im Mittelpunkt, auch dort, wo es in seiner Eigenschaft als öffentliche Person untersucht wird - wie im "Guiskard" und, mit anderem Tenor, der Cheruskerfürst in der "Hermannsschlacht". Das Fehlverhalten des Einzelnen wird ebenso der Kritik unterzogen, wie die Gesellschaft insgesamt. Der Richter Adam versagt als Mensch und als Richter, Guiskard rebelliert nicht nur heldenhaft gegen das Schicksal, sondern ist auch bereit, sein Volk seinem Ehrgeiz aufzuopfern,70 und Penthesilea tötet sich und den Geliebten, weil sie an der Spaltung ihrer Persönlichkeit in Königin der Amazonen einerseits und liebende Frau andererseits scheitert. "Humanität erscheint nicht erreichbar als Ergebnis sozialer Anstrengungen und Kämpfe",71 sondern sie ist Aufgabe des einzelnen Individuums. Die Haltung Kleists "gegenüber der Wirklichkeit ist die eines Menschen, der an der Erkenntnismöglichkeit und der moralischen Selbstbehauptungskraft des Subjekts festhält; aber die Verhältnisse der Welt erscheinen so ungeheuerlich verworren, daß nicht selten dem Subjekt kaum eine Chance gegeben ist, sie zu durchschauen."72 Die einzige Möglichkeit, den Fatalismus der Geschichte zu durchbrechen, sieht Kleist in einer Rückbesinnung auf die menschlichen Fähigkeiten des Fühlens und Vertrauens, der Sprache des Unbewußten. Besonders die Kraft der Liebe verleiht Hellsichtigkeit und ein harmonisches Verhältnis zur Welt; sie erweist sich aber als unzulänglich, wenn ihr blindes, d.h.
68 69
™ 71
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Hans M. WOLFF: Kleist als politischer Dichter, S. 370 MÜLLER-SEIDEL: Kleist und die Gesellschaft. Eine Einführung, S. 25 - In: Kleist und die Gesellschaft, a.a.O., S. 19-32 WOLFF: Kleist als politischer Dichter, S. 389 Hans-Georg WERNER: Die Erzählkunst im Umkreis der Romantik, S. 30 - In: Weimarer Beiträge. Jg. 12. H. 8 (1971), S. 11 - 38 ebd. S. 28
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gesellschaftlich erzeugtes, Mißtrauen entgegen schlägt. Toni ist ein Opfer eines solchen Mißtrauens. Wie Kleist im "Marionettentheater" proklamiert: Seitdem wir vom Baum der Erkenntnis gegessen haben ist uns das Paradies verriegelt. Wir müssen die Reise um die Welt machen und sehen, ob es vielleicht hinten wieder offen ist (II 342). Der Weg zum Paradies ist erst dann zurückgelegt, wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist. Das aber bedeutet, daß wir wieder vom Baum der Erkenntnis essen müßten, um in den Stand der Unschuld zurückzufallen, (n 347) Erkenntnis erfordert für Kleist, daß man die Antriebe der Geschichte auch im Unbewußten aufspürt. In der Tat führte der "seit der Französischen Revolution auch sichtbar nicht mehr von Individuen gesteuerte Ablauf der Geschichte"73 zur Entdeckung des Unbewußten, das bis zu diesem Zeitpunkt von der Ratio der Aufklärung schlichtweg verdrängt worden ist.74 Kleist lenkt den Blick auf die "Nachtseite des Ichs" und macht so "verborgene gesellschaftliche und individuelle Abgründe sichtbar".75 Entfremdung, Identitätsverlust und Ich-Spaltung sind die Symptome der im Aufstieg begriffenen bürgerlichen Gesellschaft, die Kleist immer wieder, besonders in seinen Novellen, herausstellt. Mit Hilfe der Sprache gelingt es ihm, das Unaussprechliche zu vergegenwärtigen. Sprache ist für ihn "Ausdrucksträger, Gefährt des Unbewußten, Spontanakt",76 sie soll aber letztlich hinter dem Geist der Dichtung verschwinden. In dem "Brief eines Dichters an einen anderen" beschreibt Kleist sein Anliegen: Ich bemühe mich aus meinen besten Kräften, dem Ausdruck Klarheit, dem Versbau Bedeutung, dem Klang der Worte Anmut und Leben zu geben: aber bloß, damit diese Dinge gar nicht, vielmehr einzig und allein der Gedanke, den sie einschließen, erscheine. (II 348) Der Gedanke aber, ist die fatale Erkenntnis, "daß das Ich in seinem Wesen von seinem Verhältnis zu einem Äußeren konstituiert wird, daß seine Verbindung nach draußen, zur Welt, im Grunde seinen Innenraum bildet."77 73 74
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P. HORN: Heinrich von Kleists Erzählungen, S. 4 Natürlich ist diese Formulierung sehr pauschal. Welch irrationalen Maßstäben die Zeitgenossen der Revolution folgten, zeigt das Buch von Simon SCHAMA: Der zaudernde Citoyen. Fortschritt und Rückschritt in der Französischen Revolution. München 1989 P. HORN: Heinrich von Kleists Erzählungen, S. 10 u. 12 Günther BLÖCKER: Heinrich von Kleist oder das absolute Ich. Berlin 1963, S. 231 Hans-Peter HERRMANN: Zufall und Ich, S. 84
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7. Versuch einer ideologischen Einordnung In seinen letzten Lebensjahren knüpft Kleist enge Beziehungen zur neuen literarischen Schule in Deutschland, zur Romantik. Neben Adam Müller ist es vor allem der Kontakt zu Arnim, Tieck und Brentano, der bedeutsam wird. Mit ihnen verbindet ihn zunächst die gleiche Beurteilung der politischen Lage, die Skepsis vor der beginnenden industriellen Revolution und Ähnlichkeiten in der ästhetischen Konzeption: Die Bedeutung des Unbewußten sowie das Gewicht des Gefühls sind Elemente, die für die gesamte Romantik kennzeichnend sind. Dennoch fällt Kleist aus dem Rahmen der Romantiker heraus. Er teilt weder ihren konsequenten Irrationalismus, noch die rückwärtsgewandte Mittelalterverklärung, und mit ihrem Aristokratismus und Katholizismus wollte er niemals etwas zu tun haben.78 Wenngleich Lukäcs Kleist ungerechtfertigterweise als reaktionären Junker aburteilt, hat er doch recht, wenn er in ihm den Ahnherrn der modernen Literatur sieht, den "Vorläufer der modernen Tragödie (...) der heillosen unberechenbaren Einsamkeiten des Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft."79 Kleist, der zeitlich noch der Frühromantik zuzuordnen ist, weist bereits weit über die Epoche hinaus auf das Ende des 19. Jahrhunderts hin. Sein tragisches Schicksal wird in den Worten Arnims sichtbar:
Wenige Dichter mögen sich eines gleichen Ernstes, einer ähnlichen Strenge in ihren Arbeiten rühmen dürfen, wie der Verstorbene; statt ihm vorzuwerfen, daß er der neueren Schule angehangen, wozu wohl kein Mensch so wenig Veranlassung gegeben wie Kleist, hätte man eher bedauern müssen, daß er keine Schule anerkannt.80 Angesichts der bedrohlichen politischen Verhältnisse in Preußen und im gesamten Europa beschließt Kleist nun, sich mit voller Kraft in die "Waage der Zeit zu werfen"81 und in Preußen den Boden zur nationalen Erhebung, zum Befreiungs- und Volkskrieg zu bereiten. Gipfel dieser Bestrebungen ist das tagespolitische Schlüsseldrama "Die Hermannsschlacht", in dem der Fürst von jeglichen menschlichen Bindungen losge78 79
80
81
vgl. MAYER: Heinrich von Kleist, S. 14 Georg LUKACS: Die Tragödie Heinrich von Kleists, S. 20 - In: G.L.: Realisten des 19. Jahrhunderts. Berlin 1953, S. 11-48 zit. nach Helmut SEMBDNERs Nachwort in seiner Ausgabe von Kleists sämtlichen Werken und Briefen. II, S. 906 ebd.
Ideologische Einordnung
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sprachen wird und mit allen Mitteln die Freiheit für das Volk zurückerobern soll. Bedingungslose Unterwerfung unter dieses oberste Prinzip der kollektiven Freiheit ist für Hermann die Conditio sine qua non für das Fortbestehen der Nation.82 Freiheit für die Nation ist das absolute Prinzip des Fürsten, das sein Handeln inspiriert und lenkt. Es ist ein kaltes, abstraktes Prinzip, dessen Basis in der Solidarität zur Nation gegründet ist. Das rein individuelle Mitleiden eines Menschen mit einem anderen bildet dazu den unversöhnlichen Gegensatz. Im Moment des Befreiungskrieges ist es die Pflicht Hermanns, nur in seiner Eigenschaft als Fürst der Germanen, als rein politische Person zu agieren und alle menschlichen Prinzipien zu vergessen. Es herrscht Kriegszustand, so wie er von Rousseau im "Contrat sociale" unter dem Titel "De L'Esclavage" beschrieben wird: La guerre n 'est point une relation d'homme à l'homme, mais une relation d'Etat d Etat, dans laquelle les particuliers ne sont ennemis qu'accidentellement, non point comme hommes, ni même comme citoyens, mais comme soldats; non point comme membre de la patrie, mais comme ses défenseurs.83 Kleist überträgt diese These nicht nur auf das Verhalten Hermanns, sondern er selbst macht sie zum Leitsatz des geschichtlichen Moments, wenn er im "Katechismus der Deutschen" auf die Frage: Wer sind deine Feinde, mein Sohn ? radikal entgegnet: Napoleon, und solange er ihr Kaiser ist, die Franzosen. (II 353) In der gleichen Schrift ruft Kleist Gott selbst zur Rechtfertigung eines solchen Krieges an, denn der liebt es, wenn Menschen, ihrer Freiheit wegen, sterben, aber es ist ihm ein Greuel, wenn Sklaven leben. (II 360) "Die Hermannsschlacht", komplementäres Werk zur "Verlobung in St.Domingo",84 ist das einzige Beispiel in der Dichtung Kleists, in dem er sich rückhaltlos für eine Position entscheidet. Kleist, der sonst die Ambivalenz des Individuums gestaltete, das einerseits gesellschaftlich-politischen Pflichten unterliegt und andererseits den "Gesetzen des Herzens" Geltung verschaffen möchte, entscheidet sich hier radikal zugunsten des nationalen Zieles. Das Werk drückt die allgemeine Aufbruchsstimmung 82
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Ähnlich äußert sich Fichte in seinen "Reden an die deutsche Nation". Vgl.: Johann Gottlieb FICHTE: Sämtliche Werke. Hg. von I.H. Fichte. 1845-1846 Nachdr. Berlin 1965. VU, S. 384 ff Jean-Jacques ROUSSEAU: Du Contrat social ou Principes du droit politique (1762). Paris (Garnier Frères) 1962, S. 241 f vgl. ANGRESS: Kleist's Treatment of Imperialism, S. 19
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Kleists "Verlobung in StDomingo"
aus, die sich bei den Deutschen jener Zeit verstärkt bemerkbar machte. Die aggressive Expansionspolitik Napoleons und die wachsende Bereitschaft, sich dagegen aufzulehnen, veranlassen nicht nur Kleist, den Widerstand zu schüren. Vergleichbar dem Cheruskerfürsten Hermann schloß Prinz Wilhelm von Preußen im September 1808 eine Konvention in Paris ab, die als strategische List diente, hinter dem Rücken eines scheinbaren Bündnisses den Aufstand zu betreiben.85 Auch der Reformpolitiker Freiherr von Stein agierte im Sinne eines Befreiungskrieges gegen Napoleon und sah sich diesem gegenüber nicht mehr an die Gesetze der Moral gebunden. Kleist "übersetzt solche Auffassungen in Bilder und Szenen, die vielfach die Grenzen des Zumutbaren überschreiten."86 Und Richard Samuel vermutet sogar, Kleist habe in der Figur Hermanns bewußt Züge Steins verarbeitet.87 In diesem historischen Kontext muß die "Hermannsschlacht" gesehen werden. Denn es handelt sich um ein Werk, das mehr, als irgend ein anderes, für den Augenblick berechnet war und von dem Kleist beinahe wünschte, es ganz und gar zurückzunehmen, wenn die Verhältnisse, (...), nicht gestatten sollten, es im Laufe dieser Zeit aufzuführen. (II 821) Kleists begründete Furcht, es könne in falsche Hände gelangen, hat sich ein Jahrhundert später in grauenvoller Weise als berechtigt erwiesen. Die erste Aufführung der "Hermannsschlacht" nach dem 2. Weltkrieg fand 1982 in Bochum in einer Inszenierung von Claus Peymann statt. Ihr zugrunde liegt die Interpretation von Ruth K. Angress, die in ihrem schon erwähnten Aufsatz "Kleist's Treatment of Imperialism: 'Die Hermannsschlacht' and 'Die Verlobung in St. Domingo'" die Figur des Hermann als früheste dichterische Gestaltung des "modern terrorist and guerilla leader" versteht.88 Lawrence Ryan greift diesen Ansatz auf und kommt zu dem Schluß, daß es sich bei dem Aufstand der Germanen in der "Hermannsschlacht" im Grunde um "eine Revolution" handele, "die die Zwangsherrschaft des Vernunftrechts bricht". Denn Kleist verlege "den Grund des römischen 'Unrechts' in das römische 'Recht' selbst, das als universell sein wollendes Vernunftrecht in Tyrannei umschlägt".89 Kleist habe vielleicht "ein modernes Verständnis vom Verhältnis von Revolution und 85 86 87
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GÜNZEL: Heinrich von Kleist. Ein Lebensbild, S. 258 MÜLLER-SEIDEL: Der rätselhafte Kleist, S. 24 vgl. Richard SAMUEL: Kleists "Hermannsschlacht" und der Freiherr vom Stein. - In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft. 5 (1961), S. 64-101 Ruth K. ANGRESS: Kleist's Treatment of Imperialism, S. 19 Lawrence RYAN: Die "vaterländische Umkehr" in der "Hermannsschlacht", S. 207 In: Walter HINDERER (Hg.): Kleists Dramen. Neue Interpretationen. Stuttgart 1981, S. 188 - 212
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Humanität vorweggenommen, das sich auch in der Literatur des 20. Jahrhunderts vielfältig ausgeprägt hat" 90 Ryan denkt dabei an Dramen wie Tollers "Masse-Mensch" (1921), Brechts "Maßnahme" (1930)und Heiner Müllers "Mauser"(1970). Zu jener Zeit einer euphorischen Umbruchsstimmung zu Beginn des Jahres 1809 schreibt Kleist an Altenstein:
Und wenn der Tag uns nur völlig erscheint, von welchem Sie uns die Morgenröte heraufführen, so will ich lauter Werke schreiben, die in die Mitte der Zeit hereinfallen. (II 820) In den nächsten Monaten erscheinen die politischen Schriften und die Kriegslyrik. Als im April 1809 Österreichs Truppen in das französisch besetzte Bayern einmarschieren und in der Schlacht von Aspem einen Sieg über Napoleon erringen, faßt Kleist in Prag den Plan, eine Zeitschrift unter dem Titel "Germania" herauszugeben, die zur nationalen Erhebung aufrufen soll. Bevor ihr Erscheinen genehmigt ist, macht die Niederlage von Wagram alle Hoffnungen Kleists zunichte. Aber er gibt den Plan, politisch wirksam zu werden, nicht auf. Im Oktober 1810 gibt er gemeinsam mit seinem Freund, dem Staatstheoretiker Adam Müller, die "Berliner Abendblätter" heraus, eine Tageszeitung, die an alle Stände des Volkes gerichtet ist, es "vergnügen" und "reizen" soll und in der Kleist "alle Register einer Journalistik" zieht, "die unter den argwöhnischen Blicken der französischen Spitzel die Leser im Sinne einer antinapoleonischen Meinungsbildung beeinflussen möchte" 91 Anfangs wird das Erscheinen der "Abendblätter" vom Berliner Polizeipräsidenten Gruner und mittelbar auch von Hardenberg unterstützt, aber bald entziehen beide der Zeitung das Protektorat. Vor allem die regierungsfeindlichen, gegen die Reformpolitik Hardenbergs gerichteten Aufsätze Adam Müllers fordern die Zensur dermaßen heraus, daß das Erscheinen der "Abendblätter" bereits im März 1811 wieder eingestellt werden muß. Kleist war ein Liberaler mit konservativer Gesinnung.92 Weder das zerfressene feudalabsolutistische Staatssystem des damaligen Deutschlands, noch die Revolution nach französischem Vorbild konnte er anerkennen. Aus Paris schreibt er an Ulrike: Als ich in mein (sie) Vaterland war, war
ich oft in Paris, und nun ich in Paris bin, bin ich fast immer in mein (sie) Vaterland. (II 677) 90 91 92
RYAN.ebd. S. 212, Anm. 95 GÜNZEL: Kleist: Ein Lebensbild, S. 338 WOLFF: Kleist als politischer Dichter, S. 520
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Kleists "Verlobung in SL Domingo"
Es war niemals die revolutionäre Erhebung des Volkes, durch die eine bessere Gesellschaft etabliert werden sollte, sondern Kleist richtete seine Hoffnung auf die Kraft eines Fürsten, ausgerechnet auf Kaiser Franz, der die deutsche Nation zur Einheit und Freiheit führen sollte. Die Person Kleists muß zwiespältig bleiben. Neben "Resten feudaler Ideologie" zeigt Kleist Züge, die ihn "als aktiv Mitdenkenden und als dichterischen Gestalter der zeitbewegenden antagonistischen Konflikte der Französischen Revolution und der napoleonischen Kriege ausweisen." 93 Zeit seines Lebens bleibt Kleist ein Heimatloser. Weder in der Welt des Adels, noch in der Welt des Bürgertums vermag er Fuß zu fassen. Die Worte, die er schon 1801 aus Paris an Adolf ine von Werdeck richtet, haben bis zu seinem Tode ihre Gültigkeit behalten: Ach, es ist meine angeborene Unart, nie den Augenblick ergreifen zu können, und immer an einem Orte zu leben, an welchem ich nicht bin, und in einer Zeit, die vorbei oder noch nicht da ist. (II 167)
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HORN: Heinrich von Kleists Erzählungen, S. 44
VII. Revolution als groteskes Schauspiel in Poes Novelle "The System of Dr. Tarr and Prof. Fether"•
1. Einleitung Nicht nur Kleist bemächtigte sich des drängendsten Themas der Zeit. Die Revolution und ihre Folgen für Gesellschaft und Individuum beschäftigte ebenso das Denken Edgar Allan Poes. Auch er reflektierte das Thema paradigmatisch unter dem Konnex von Schauspielmetapher und Revolution in einer Novelle, der er die Form eines Dramas verlieh. Seine Erzählung "The System of Dr. Tarr and Prof. Fether"2 steht als zweite in der hier behandelten "Trilogie". Sie erschien erstmals im November 1845 in "Graham's Lady's and Gentleman's Magazine" und wurde in den posthumen Veröffentlichungen der Reihe von Erzählungen zugeschlagen, die Poe unter dem Titel "Tales of the Grotesque and Arabesque" publiziert hatte.3 Die Geschichte spielt mit der Vieldeutigkeit der Realität und bewegt sich wie bei Kleist im verwirrenden Spannungsfeld von Täuschung und Desillusionierung. Ein naiver junger Mann besucht auf einer Reise durch den Süden Frankreichs ein Irrenhaus, das wegen des Einsatzes einer neuen Therapie berühmt geworden ist. Es handelt sich um das soothing system, ein humanitäres Verfahren, bei dem sich die Kranken in relativer Freiheit bewegen Poe wird im folgenden im laufenden Text zitiert nach der Virginia-Edition: The Complete Works of Edgar Allan Poe. Hg. von James A. Harrison. (1902) Repr. New York 1965. Römische Ziffern bezeichnen den Band, arabische die Seitenzahl. Die Geschichte trug in einer ersten Fassung den Titel "The System of Doctore Tarr and Fether". Vgl. Poes Brief an Lowell vom 28. Mai 1844. Uneinigkeit herrscht bei dem Versuch "Grotesken" und "Arabesken" zu definieren. Gemeinhin bezeichnete man als Groteske eine Humoreske, Burleske, Satire, Parodie. Die Arabeske hingegen verstand man als Schauergeschichte, Psycho-Terror-Story. Harry Levin wendet sich gegen die seit Arthur Quinn übliche Polarisierung von Groteske und Arabeske und gebraucht sie quasi synonym. Die Termini "grotesk" und "arabesk" diskutiert GÜNTER in seiner Dissertation. Vgl. Bernd GÜNTER: Das Groteske und seine Gestaltung in den Erzählungen Poes. Freiburg 1974
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Revolution als Groteske bei Poe
können. Der Ich-Erzähler, gewärtig laufend auf Geistesgestörte zu treffen, zeigt sich bei der ersten Begegnung mit einer jungen Frau, die er für krank hält, äußerst beeindruckt, weil sie auf alle seine Fragen und Anmerkungen in untadelig rationaler Weise reagiert. Doch muß er sich von Maillard, dem Anstaltsleiter, aufklären lassen, daß die humane Methode nicht mehr in Anwendung sei. Die Irren befänden sich hinter Gittern, und die Personen, die frei im Schloß herumliefen, seien samt und sonders Wärter und Wärterinnen. Die frühere Behandlungsmethode hätte den Irren so viele Freiheiten gestattet, daß sie mühelos ihre Wärter überwältigen konnten. Durch eine Revolte hätten sie die Macht an sich gerissen und die Wärter eingesperrt. Daraus schlau geworden, hätte man eingesehen, daß die humane Methode undurchführbar sei. Man verwende nun die Therapie des Dr.Tarr und Prof. Fether, die ob ihrer Klarheit und Einfachheit alle Argumente auf ihrer Seite hätte. Der Besucher wundert sich zwar über die große Anzahl von Wärtern und den hohen Anteil von Frauen unter ihnen, läßt sich aber von Maillard rasch wieder beschwichtigen. Bei einem großangelegten Dinner entgleist das Benehmen der angeblichen Wärter zunehmend ins Bizarre. Auf dem Gipfel des Festes brechen plötzlich geteerte und gefederte, wie Orang-Utangs anzusehende, riesige Wesen durch die Fenster ein. Sie entpuppen sich als die echten Wärter, die Normalen, die von den Irren nach der Revolte geteert und gefedert bei Wasser und Brot eingesperrt worden waren und nun durch eine Konterrevolution die alten Machtverhältnisse wiederherstellen.
2. Rezeptionsgeschichte Die karge Rezeptionsgeschichte ist rasch berichtet. Sie spiegelt Poes in "The Philosophie of Composition" dargelegte Technik, mit Hilfe des upper und under current of meaning in einer Erzählung mehrere Bedeutungsschichten zu überblenden (XIV 207), die jeweils geeignet sind, seine ästhetischen und politischen Anschauungen zu demonstrieren. Die ersten Interpreten sahen in der Erzählung eine gesellschaftliche Satire auf fehlgeleitete Philanthropie. Sie orientierten sich an der Oberfläche von "The System of Dr. Tarr and Prof. Fether" und lasen die Geschichte als eine Satire über das zu jener Zeit in Amerika modern gewordene "moral treatment", bzw. "moral management".4 William Whipple vermutet 4
vgl. Killis CAMPBELL: The Mind of Poe and Other Studies. Cambridge/ Mass. 1932, S. 105
Rezeptionsgeschichte
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darüber hinaus einen Angriff Poes auf Charles Dickens, der ein glühender Verehrer dieser humanitären Bestrebungen war und ein solches Privatasyl besuchte.5 F.H. Link glaubt, daß die Erzählung eine Satire über das Problem des Wahnsinns darstellt, indem Phantasie und Imagination kontrastiert werden: Die "fancy" vermag nicht wie die "imagination" den wahren Charakter der imaginären Welt zu erschließen, der sich wie im Wahn letztlich im Grauen kund tut.6 Auch Bernd Günter sieht den Sinn der Geschichte darin, daß für den Leser die Begegnung mit dem Wahnsinn zur Erfahrung des Grotesken wird.7 Eine interessante Deutung liefert Wilbur. Er begreift die Burleske als Beispiel von Poes architektonischem Symbolismus. Der Aufstand der Insassen und die Unterwerfung der Wärter symbolisiere den Beginn eines Traums. Mit dem Einbrechen der Wärter durch die Fenster, übernähmen Vernunft und Tageslicht wieder die Kontrolle. Poe beschreibe den "erdverhafteten, zeitgebundenen Rationalismus als Krankheit."8 Auch jüngere Studien schließen letztlich an Wilbur an, wenn sie seiner Umwertung folgen und die einbrechenden Wärter negativ beurteilen. Bachinger versteht sie als den "brutal mob", der sich gewaltsam die Macht verschafft 9 und Carla Gregorzewski meint - wohl auf dem Hintergrund von Foucaults Studien zu Wahnsinn und Gesellschaft10 - "The Sy-
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William WHIPPLE: Poe's Two-edged Satiric Tale. Nineteenth Century Fiction. 9 (Nov. 1954), S. 121-133. Richard P. Benton diskutiert, ob Dickens oder Willis das Ziel von Poes Satire war. Vgl. Richard P. BENTON: Poe's "The System of Dr.Tarr and Prof.Fether": Dickens or Willis? - In: Poe Newsletter. 1 (April 1968), S. 7-9 vgl. Franz H. LINK: Edgar Allan Poe. Ein Dichter zwischen Romantik und Moderne. Frankfurt am Main, Bonn 1968, S. 265-267 vgl. Bernd GÜNTER: Das Groteske und seine Gestaltung, S. 164-170 Richard WILBUR: The House of Poe. - In: Robert Regan (Hg.): Poe. A Collection of Critical Essays. Englewood Cliffs 1967, S. 98-120 vgl. Katrina BACHINGER: Tit for Tat: The Political Poe's Ripostes to Nineteenth Century American Culture and Society, S. 79 - In: Romantic Reassessment. Hg. von James Hogg. Salzburg 1981, S. 46-90 In der Tat vertragen sich die Deutungen von Wilbur und Gregorzewski mit Foucaults Definition des Wahnsinns als Freiheit, die zuweilen bei Poe schon anklingt. Das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert, schreibt Foucault, erkennen den Wahnsinn auf einem Hintergrund der Unvernunft Der Wahnsinn enthüllt keinen Mechanismus, er enthüllt eher eine Freiheit, die in den erschreckenden Formen der Animalität wütet. (...) Mehr als alles andere (...) hat es der klassische Rationalismus verstanden, jene unterirdische Gefahr der Unvernunft, jenen bedrohenden Raum einer absouten Freiheit zu bewachen und wahrzunehmen. Vgl. Michel FOUCAULT: Wahnsinn und Gesellschaft. Übers, von Ulrich Koppen. 3.Aufl. Frankfurt am Main 1978, S. 152f
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stem of Dr.Tarr and Prof.Fether" parodiere "die überhebliche Sicherheit, mit der 'Normale' bestimmen, wer als geistesgestört zu gelten hat."11 Etliche Interpreten nehmen an, daß die Erzählung politische Motive impliziert. Levin mutmaßt: "It is as if Poe were asking the persistent question: What would happen if the slaves tired of slavery and dispossessed their masters?"12 Benton glaubt, daß Poe "here intended a political construction to be put on the matter, seeing the situation in the madhouse as the way contemporary Yankees viewed Southerners and their behaviour."13 Auch Beaver behauptet eine Parallele zum Sklavenhaltersystem in den Südstaaten, zumal der Titel auf das Teeren und Federn verweist, den damals gängigen Brauch der Südstaatler, um Schwarze und Abolitionisten zu lynchen.14 Für Mooney verkörpert die Geschichte beispielhaft die Sozialkritik Poes, die darauf ausgerichtet sei, eine Gesellschaft zu entlarven, "in which heroes and rulers are shown to be deluded or irresponsible and their subjects a dehumanized, sycophantic mass."15 Galloway wendet ein, daß der klarste Bezug zur Französischen Revolution bestehe. Er nimmt an, daß das Leben des Marquis de Sade eine Quelle für Poe gewesen sei.16 Die folgende Untersuchung vereinigt einige der oben genannten Ansätze. Sie geht von der These aus, daß die Erzählung eine in äußerst burlesker Form geschriebene Satire auf liberale Regierungsformen, ihre Anhänger und die Gefahr von Revolution darstellt. Sie nimmt an, daß Poe eine Assoziation mit der politischen Situation in Frankreich intendiert hat und gleichzeitig die europäischen Verhältnisse als Folie für den sich abzeichnenden Konflikt zwischen Nord- und Südstaaten benutzt hat. Die dramatische Struktur der Erzählung liest sie als Chiffre für eine Realität, die im Zeichen permanenter Revolution zunehmend schwieriger zu entziffern ist.
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Carla GREGORZEWSKI: Edgar Allan Poe und die Anfänge einer originär amerikanischen Ästhetik. Heidelberg 1982, S. 199 Harry LEVIN: The Power of Blackness. New York 1958, S. 122 Richard P. BENTON: Poe's "The System of Dr. Tarr and Prof. Fether": Dickens or Willis?, S. 9- In: Poes Newsletter. Jg.l (April 1968), S. 7-9 Harold BEIAVER: The Science Fiction of Edgar Allan Poe. Harmondsworth 1976 vgl. Stephen L. MOONEY: The Comic in Poes Fiction, S. 433 - In: American Literature. 33 (Januar 1962), S. 433-441 David GALLOWAY (Hg.): Comedies and Satires. Edgar Allan Poe. Harmondsworth 1987, S. 253
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3. Politisch - gesellschaftlicher Hintergrund Die Mehrzahl der Interpreten klassifiziert "The System of Dr. Tarr and Prof. Fether" als Groteske und subsumiert die Erzählung damit einer Kategorie, die bei Poe vielfach einen eminent politischen Charakter trägt. Während lange Zeit Poes politische Dichtung und Anschauungen als marginal und ästhetisch unbedeutend ignoriert wurden, hat sich inzwischen die Betonung der politischen Dimension seiner Texte derart in den Vordergrund geschoben, daß manche Interpreten wohl allzu kühn schließen, wenn sie Poe als entschiedenen Demokraten17 oder gar teilweise als Revolutionär18 interpretieren. Bekanntlich liebte es Poe, seine sozialen und politischen Analysen in der Form der Groteske zu fassen. Nahezu alle Erzählungen dieser Art enthalten mehr oder weniger verschlüsselt Botschaften, die das amerikanische Selbstverständnis in Frage stellen.19 Besonders in den Burlesken zeigt sich die Anbindung Poes an Amerika, selbst dort, wo die Geschichte woanders spielt.20 Das amerikanische Bewußtsein jener Zeit strotzte vor Optimismus und frohlockte in Erwartung des Anbruchs eines Goldenen Zeitalters, das unversehrt von den Makeln der Alten Welt das Paradies der Freiheit und Gleichheit auf Erden realisieren würde.21 Die Zuversicht entsprang der Tatsache, daß die amerikanische Revolution ausgesprochen friedfertig, so weit es die eigene Rasse betraf, einen Neubeginn in einer jungfräulichen Welt setzte, die das Problem der Massenverelendung Europas nicht kannte. Das Verhalten gegenüber den Indianern und schwarzen Sklaven wurde dabei stillschweigend ausgeklammert. Ein halbes Jahrhundert nach der Unabhängigkeitserklärung war der Frohsinn zwar keineswegs getrübt, aber es kündigten sich bereits die Probleme an, die aus der unterschiedlichen Entwicklung der Süd- und Nordstaaten herrührten. Während der Süden bis in die dreißiger Jahre sich in der wirtschaftlichen und politischen Überlegenheit gegenüber dem Norden sonnte, begann der Norden durch seine fortschreitende Industrialisierung dem Süden die Hegemonie streitig zu machen. Der calvinistische Süden, gestützt auf Pflanzeraristokratie und auf Sklaverei, schöpfte seinen Reichtum aus der Landwirtschaft, besonders aus der Baumwollproduktion. Er 17 18
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vgl. Edward WAGENKNECHT: The Man behind the Legend. New York 1963, S. 88f BACHINGER (Tit for Tat. S. 68) bezieht sich auf Poes Haltung zum Buchhandel, meint aber auch den erweiterten Sinn. BACHINGER: Tit for Tat, S. 48 vgl. Roger FORCLAZ: Le Monde d'Edgar Poe. Bern, Frankfurt am Main 1974, S. 134 vgl. ebd. S. 125f
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bewahrte damit den Lebensstil "eine(r) vorindustrielle(n) Kultur, deren Wachstumspotential durch demographische, klimatische und wirtschaftliche Faktoren begrenzt war."22 Der Norden dagegen expandierte rasch durch das Anwachsen der Bevölkerung und der Industrie. Während 1815 die Haupterwerbsquelle noch die Landwirtschaft war, entstanden bald - gefördert auch durch den Ausbau des Verkehrswesens - große Industriezweige, wie die Baumwoll- und Holzindustrie. Die Urbanisierung und Industrialisierung führte sukzessive zu der wirtschaftlichen und politischen Überlegenheit des Nordens, die der Sezessionskrieg bestätigte. Die Kontroverse zwischen Nord und Süd entzündete sich vordergründig an einer ethischen Frage: der Legitimität der Sklavenhaltung. Die Sklavenfrage wurde "zum Vehikel der Auseinandersetzung mit der Industrialisierung",23 zum Vorwand für den bewaffneten Kampf "zwischen den miteinander konkurrierenden ökonomischen Systemen des Nordens und des Südens."24 Poe betrachtete sich voller Stolz als Kind der aristokratischen Tradition Virginias. Seine Einstellungen zur Demokratie sowie zu sozialem und technischem Fortschritt bleiben dem konservativen Weltbild der Südstaatenaristokratie verpflichtet, auch als diese ihn längst verstoßen hatte.25 Einer der wichtigsten Gegenstände seiner Satire ist daher die Politik der "Jacksonian democracy".26 Andrew Jackson war der erste der amerikanischen Präsidenten, der nicht der Südstaatenaristokratie entstammte, sondern aus dem Norden kam. Er galt als "Mann des Volkes"; doch verzeichnet das historische Gedächtnis ziemlich unrühmlich seine Amtszeit, weil in dieser Periode das sogenannte "Beutesystem" (spoils system), die einseitige Parteiwirtschaft, in der Verwaltung eingeführt wurde. Das Verfahren, ohne Rücksicht auf Sachkompetenz alle öffentlichen Ämter der im Wahlkampf siegreichen Partei zuzuschlagen, brachte die Korruption zu üppiger Blüte und verhalf einer neuen Schicht von Geschäftsleuten zur Macht, die 22
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H. TEMPERLY: Regionalismus, Sklaverei, Bürgerkrieg und die Wiedereingliederung des Südens, 1815-1877, S. 101 - In: Die Vereinigten Staaten von Amerika (= Fischer Weltgeschichte Bd. 30) Hg. von Willi Paul ADAMS. Frankfurt am Main 1977, S. 71124 Marianne RESTING: Im Maelstrom der Geschichte. Die politische Parabel bei Edgar Allan Poe, S. 71. - In: M.K.: Entdeckung und Destruktion. Zur Strukturumwandlung der Künste. München 1970, S. 69 -93 Volkhard BRANDES/ Joyce BURKE: USA - Vom Rassenkampf zum Klassenkampf. Die Organisierung des schwarzen Widerstandes. München 1970, S. 21 Vgl. Em est MARCHAND: Poe as Social Critic. - In: American Literature. 6 (March 1934), S. 28-43 vgl. William WHIPPLE: "Poe's Political Satire". - In: The University of Texas Studies in English. 35 (1956), S. 81-95
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im Geiste des Utilitarismus nicht nur dem Norden die wirtschaftliche Prosperität sicherte, sondern auch ein Denken erzeugte, das Geld zum ersten Ziel eines jeden Amerikaners krönte27 - ein Sachverhalt, den auch Tocqueville beklagte:
Les hommes qui vivent dans les temps démocratiques ont beaucoup de passions; mais la plupart de leurs passions aboutissent à l'amour des richesses ou en sortent Cela ne vient pas de ce que leurs âmes sont plus petites, mais de ce que l'importance de l'argent est alors réellement plus grande Die gesellschaftliche und technische Entwicklung dieser Ära verfolgte weitaus pragmatischer als zu den flammenden Zeiten ihres Ursprungs ihre Ziele, die politisch dem Prinzip des Individualismus huldigten, ökonomisch dem Primat des Nützlichen und weltanschaulich einen strikten moralischen Code vertraten.29 Paradoxerweise geriet der demokratische Individualismus amerikanischer Machart zum Ausdruck einer Massenphilosophie,30 die unter dem Primat des Egalitätsprinzips vor dem der Freiheit zu einem fortschreitenden Konformismus führte.31 Tocqueville untersuchte diesen Mechanismus in seiner Studie "La Démocratie en Amérique" und konstatierte eine zunehmende Vereinheitlichung und Isolierung der Individuen32 bei gleichzeitigem massiven Mißtrauen allem gegenüber, was von der Norm abwich.33 Poe verfolgte alle diese demokratischen Experimente mit äußerstem Widerwillen.34 Weder der technische Fortschritt und in seiner Folge die zunehmende Industrialisierung noch der soziale Fortschritt, wie er in der Unabhängigkeitserklärung und der Französischen Revolution unwiderruflich in der gesellschaftlichen Realität verankert war, konnten ihm Bewunderung abringen. Im Gegenteil, beide geraten zum Gegenstand seines beißenden Spotts. In "The Colloquy of Monos and Una" (1841), "Some Words with a Mummy" (1845) und "Mellonta Tauta" (1849) wendet er sich gegen den Fortschrittsoptimismus seiner Zeitgenossen. Dort prangert 27 28
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vgl. RESTING: Im Maelstrom der Geschichte, S. 74f Alexis de TOCQUEVILLE: De la démocratie en Amérique. Bd. 1/2, S. 236 - In: Oeuvres complètes. Hg. von Jacob P. Mayer. Paris (Gallimard) 1951ff vgl. Carla GREGORZEWSKI: Edgar Allan Poe, S. 65 vgl. V.F. CALVERTON: Liberation of American Literature. New Yoric 1932, S. 28f s. a. Hannah ARENDT: Über die Revolution, S. 174-182 Ein Phänomen, das Poe auch nicht entgangen war und das er meisterhaft in "The Man of the Crowd" (1840) gestaltet hat. vgl. Alexis de TOCQUEVILLE: De la démocratie en Amérique. Bd. 1/2 vgl. William WHIPPLE: Poe's Political Satire, S. 81 -95
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er ein System an, das als fest verknüpftes Ensemble von "rationalistische(r) Aufklärung, Demokratisierung, Industrialisierung und ökonomischer Prosperität"35 in eine Herrschaft der Masse mündet, die Humanität als Deckmantel für ungehemmtes, egoistisches Besitzstreben mißbraucht. Als böses Symbol für seine Verachtung dient ihm die Figur des Mobs, die er als riesenhaft, brutal, feige und geistig beschränkt darstellt. ("Mellonta Tauta", VI 208f)
4. Revolution und Demokratie im Vexierspiegel des Wahnsinns Die Groteske "The System of Dr. Tarr and Prof. Fether" erinnert in vielen Zügen an eine Rezension Poes von 1836 zu Francis Trollopes Bericht über Paris und die Pariser im Jahre 1835.36 Poe verteidigt dort die Kritik der Schriftstellerin an den Auswirkungen demokratischer Verhältnisse. Zwar beteuert er zu Beginn und am Schluß seiner Rezension, die politischen Ansichten der Autorin seien ganz und gar uninteressant, aber er tut dies auf eine Weise, die eine Auseinandersetzung mit ihnen erst recht herausfordert." Die Beschreibung der Republikaner in Kleidung und Benehmen als latent Wahnsinnige ist dort schon vorgebildet: In der Kleidung der Gesellschaft (...) werden die Auswirkungen neuerworbener Rechte in grotesker Weise sichtbarJ8 Die Republikaner sorgen (...) dafiir, daß alles, was zur Erscheinung des äußeren Menschen beiträgt, zum Symbol und Zeichen, zum Merkmal und Stigma des Wahnsinns wird, der sie erfaßt hat.39 Der wahre Adlige dagegen zeigt natürlich ein aristokratisches Benehmen, das nicht kopiert werden kann.40 35 36
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Marianne KESTING: Im Maelstrom der Geschichte, S. 77. E.A.POE: Paris and the Parisians in 1835. By Francis Trollope. - In: Southern Literary Messenger. Mai 1836. Zit. nach: Kuno Schumann, Hans Dieter Müller (Hgg.): Edgar Allan Poe. Das gesamte Werk in zehn Bänden. Herrsching 1979. Bd 6, S. 122-132. Wir zitieren an diese Stelle die deutsche Ausgabe, weil die englischsprachige aus der Rezension Poes sämtliche Zitate der rezensierten Autorin - und das ist der überwiegende Teil des Textes - entfernt hat. Vgl. Works. IX, 17-22 vgl. S. 122 und 132 Francis Trollope, ebd. S. 123 Francis Trollope, ebd. S. 125 Man kann sich schwer einen frappierenderen Unterschied im Auftreten vorstellen als zwischen einer Dame, die ein echtes Muster der alten bourbonischen noblesse ist, und einem prahlerischen maréchal kaiserlicher Herkunft." Ebd. S. 129
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Alle diese Elemente kehren in "The System of Dr. Tarr and Prof. Fether" wieder. Die Geschichte spielt in Frankreich. Der Wahnsinn der Gesellschaft in der Maison de santé manifestiert sich in der grotesken Kleidung. Diese rührt bezeichnenderweise aus der Sucht der Irren, Kleidung und Gebaren der Aristokratie zu kopieren - ein Versuch, der höchst lächerliche Resultate zeitigt. Den Eindruck, es handle sich um Leute von Rang, trübt empfindlich das Zuviel an aristokratischer Dekoration: apparently, people of rank - certainly of high breeding - although their habiliments (...) were extravagantly rich, partaking somewhat too much of the ostentatious finery of the vielle cour. (VI 59) Die Konsolidierung dynamischer Gesellschaften in Europa und in Amerika legitimiert erstmals in der Geschichte das alte Verlangen der Beherrschten, die Rolle des Herrschers einzunehmen. Das Verhältnis von Herr und Knecht beruht in der Demokratie nicht länger auf natürlichen Unterschieden, sondern auf Vertrag. Es behauptet also eine generelle Gleichheit, gleichwohl es sich um une sorte d'égalité imaginaire handelt, en dépit de l'inégalité réelle de leurs conditions.1" Poe hat diese Art der proklamierten Gleichheit immer bestritten. Für ihn existiert ein natürliches Gesetz der Abstufung unter den Menschen, das nicht ungestraft nivelliert werden kann. In "Mellonta Tauta" verhöhnt Poe den demokratischen Gleichheitsgrundsatz: They started with the queerest idea conceivable, viz: that all men are born free and equal - this in the very teeth of the laws of gradation so visibly impressed upon all things both in the moral and physical universe. (VI 208) Auch die Tatsache der Sklaverei bezeugt für ihn lediglich die Inferiorität der schwarzen Rasse: "Undoubtedly Poe's belief in the 'law of gradation1 supported his Southemist acceptance of slavery."42 Die Gesellschaft der Irren in der Maison de santé, die unter Bedingungen des soothing systems lebt, repräsentiert ein Abbild von Poes galliger Sichtweise demokratischer Verhältnisse. Schon in einer früheren Parabel auf Amerika, in "Four Beasts in One; The Homo-Cameleopard" (1836), denunziert Poe die Masse als einen tumultuous mob of idiots and madmen (H 210), die sich vor der grotesken und widernatürlichen Figur des HomoCameleoparden in den Staub werfen. Das phantastische Wesen aus vier Tieren verkörpert den grausamen Herrscher Antiochus Epiphanes, Inkar41 42
TOCQUEVILLE: La Démocratie en Amérique. Bd. II, S. 189 BACHINGER: Tit for Tat, S. 85
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nation des Mobs, welcher wiederum als Symbol für Andrew Jackson steht.43 Die Irren in "The System of Dr. Tarr and Prof.Fether" charakterisiert weniger die spezielle Form ihres Wahnsinns - erst am Ende präsentieren sie das bunte Ensemble ihrer diversen Idées fixes - als vielmehr die veränderte Lebensform unter liberalisierten Bedingungen. Größtmögliche individuelle Freiheit, die Möglichkeit seine Persönlichkeit auszuleben, Verzicht auf Bestrafung, kulturelle Bildung, Sport und Spiel bilden die positiv formulierten Elemente, die das als soothing system bezeichnete Verfahren kennzeichnen, (vgl. VI, 55; 57) Auch trachtet man danach, die Unterschiede zwischen Kranken und Gesunden zu nivellieren, indem man Begriffe wie "verrückt" aus dem Wortschatz streicht und dem Kranken den Eindruck vermittelt, er sei lediglich eines körperlichen Gebrechens wegen in Behandlung. Doch hat das Verfahren eine negative Kehrseite. Das Primat der individuellen Freiheit wird sogleich als scheinbar disqualifiziert. In Wirklichkeit zeichnet sich das System durch die subtilere Art der Überwachung aus. Die Patienten while secretly watched, were left much apparent liberty. (VI 55) Gleichzeitig werden sie angehalten, sich gegenseitig zu bespitzeln: A great point was to set each lunatic to guard the actions of all the others. To repose confidence in the understanding or discretion of a madman, is to gain him body and soul. (VI 57fi Ein Manöver, das auch immense wirtschaftliche Vorteile birgt, indem es ein teures Kontingent an Wächtern einspart: In this way we were enabled to dispense with an expensive body of keepers. (VI 58) Wo sich Körper und Seele eines Patienten aber doch einmal auflehnen, wird der Betreffende schlichtweg aus der Gemeinschaft entfernt. (VI 58) Und auch die Pflege von Kunst und Kultur beschönigt nur den Sachverhalt einer billigen Zerstreuung. Denn man setzt den Glauben in amusements of a simple kind und gestattet auch nur certain classes of books. (VI 57) Das Ganze läßt sich leicht als Symbol für den politischen Liberalismus entziffern, wie er in den Nordstaaten besonders unter Jackson programmatisch vertreten wurde. Doch spricht nicht nur Poes Abneigung gegen die Politik der Jacksonian democracy daraus, sondern auch seine Warnung vor den Folgen solch naiv-rationalistischer Gesellschaftsmuster. Der ironische Hinweis Maillards, we did every thing that rational humanity could suggest (VI 57), 43
vgl. Marianne KESTING: Chiffren der Imagination. Phantastische Tiere bei Edgar Allan Poe, S. 336 - In: Poetica 21 (1989). H. 3-4, S. 329-352
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um das soothing system zu erhalten, erlangt eine sarkastische Komponente, wenn man die Resultate in Betracht zieht. Denn just dieses Verhalten führt zur Revolte der Irren und zur Errichtung eines Systems, das sich nicht lange mit moralischen Skrupeln plagt. Poe desavouiert den amerikanischen Traum vom "manifest destiny" nicht nur als Heuchelei, sondern er beschwört auch die Gefahr einer Revolution der Masse, wie sie in Frankreich stattgefunden hatte, nachdem das aufklärerische Gedankengut den Boden dafür bereitet hatte. Die Herrschaft der Masse aber bedeutet nach Poes Ansicht mehr als einen einfachen Rollentausch zwischen Herrschern und Beherrschten; sie führt unweigerlich zur Errichtung einer brutaleren Staatsform als sie zuvor jemals existierte. In der Geschichte entspricht dem die Methode des Teerens und Federns, die die Irren gegenüber der Süstaaten-Lynchjustiz noch um einige makabre Details verfeinert haben. (VI 76) In die gleiche Richtung weist die zynische Bemerkung Maillards: The keepers and kept were soon made exchange places. Not that exactly either - for the madmen had been free, but the keepers were shut in cells forwith, and treated, I am sorry to say, in a very cavalier manner. (VI73) Die neuen Herren, eingedenk der Art und Weise, wie sie zur Macht gelangt sind, schaffen natürlich die ganzen liberalen Reformen als zu gefährlich ab. Bald nach Abschaffung der Monarchie in Frankreich folgte die terroristische Phase der Revolution aus Angst vor einer Konterrevolution. Auch die Regierung unter Napoleon zog, was die revolutionären Werte betraf, kräftig die Bremse an. Die Tugend galt als opportun, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Reichtum sicherte. So wurde die prinzipielle Gleichheit der Menschen z.B. in der Kolonie St.Domingo geschwind außer Kraft gesetzt. Die Erzählung spiegelt solch politisches Kalkül, wo Maillard versichert, the system had its disadvantages and even its dangers. It is now, happily, exploded throughout all the maisons de santé of France. (VI 58) Daß die Revoke im Irrenhaus den gewaltsamen Umsturz einer Regierung symbolisiert und deutlich die Revolution in Frankreich konnotiert, zeigt außerdem die Zweideutigkeit mit der Maillard von der Revolte berichtet. Er erklärt, zu dem Aufstand sei es gekommen, weil ein Verrückter, a lunatic, es sich in den Kopf gesetzt hatte, er had invented a better system of government than any ever heard of before. Und er beeilt sich hinzuzufügen: of lunatic government, I mean. Erst der beigefügte Hinweis lenkt den Blick zurück auf den Begriff "government" und verleiht ihm nun die übliche politische Bedeutung: Regierung, Staat etc. Auch die weitere Be-
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griffswahl dieser Schlüsselszene verharrt in der politischen Terminologie. Maillard fährt fort: (...) and so he persuaded the rest of the patients to join him in a conspiracy for the overthrow of reigning powers. (VI 73; Hervorheb. C.L.) Und der Besucher fragt: But I presume a counter revolution was soon effected. (VI 73; Hervorheb. C.L.) Die Reihenfolge der gesellschaftlichen Entwicklung in der Maison de santé - liberalisiertes Gemeinwesen, Revolution, Herrschaft des Mobs findet sich in fast allen politischen Parabeln Poes. In "Some Words with a Mummy" fällt Poe ein vernichtendes Urteil über die amerikanische Demokratie im Kommentar der Mumie: Thirteen Egyptian provinces determined all at once to be free, and so set a magnificent example to the rest of mankind. (...) For a while they managed remarkably well; (...) The thing ended, however, in the consolidation of the thirteen states, with some fifteen or twenty others, in the most odious and insupportable despotism that ever was heard of upon the face of the Earth. (VI163) Nach dem Namen des Tyrannen befragt antwortet die Mumie: It was Mob. (ebd.) Auch in "Mellonta Tauta" entwirft Poe sein grimmiges Bild. Aus einer fiktiven Zukunft heraus zeichnet er in einem Rückblick den Zustand seiner Gesellschaft auf. Die Amerikaner existed in a sort of every-man-for-himself-confederacy. (...) Every man "voted" (...) It is related, that the first circumstance which disturbed (..) the self-complacency of the philosophers who constructed this "Republic ", was the startling discovery that universal suffrage gave opportunity for fraudulent schemesf...) A little reflection upon this discovery sufficed to render evident the consequences, (...) that a republican government could never be anything but a rascally one. While the philosophers, however, were busied in blushing at their stupidity in not having foreseen these inevitable evils, and intent upon the invention of new theories, the matter was put to an abrupt issue by a fellow of the name of Mob, who took everything into his own hands and set up a despotism, in comparison with which those of the fabulous Zeros and Hellofagabalusses were respectable and delectable. (VI208)
5. Das Personal der Erzählung Alle Figuren der Erzählung beurteilen wir zunächst nach den Vorstellungen des Erzählers. Er liefert uns die Charakteristiken durch seine Schilde-
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rung der Vorgänge. Seine alsbald zutage tretende Unzuverlässigkeit erfordert allerdings eine gründliche Revision der Urteile. Das Instrument des unzuverlässigen Erzählers fungiert dabei als Versuch des Autors, den Leser zur Skepsis zu bewegen.44 Das Mißtrauen des Lesers gegen den Erzähler erstreckt auch auf dessen Weltbild. Poe bedient sich dabei einer simplen Technik. Er polarisiert die manifesten Aussagen des Erzählers mit den latenten des Textes in der Weise, daß der Leser durch die schlichte Umwertung aller Beurteilungen in ihr Gegenteil der Wahrheit auf die Spur kommt. a) Der Erzähler Es handelt sich um einen Ich-Erzähler. Folgt man seiner Selbstdarstellung, gewinnt man den Eindruck, es handle sich um einen gebildeten jungen Mann aus privilegiertem Stand. Immerhin muß er von einem täglichen Broterwerb freigestellt sein, wenn er es sich leisten kann, zu Pferde on a tour through the extreme Southern provinces of France (VI 53) zu gehen. Vieles spricht dafür, daß es sich einen reichen Bürger handelt, um einen Amerikaner, der auf einer Bildungsreise durch Europa Frankreich besucht. Dafür spräche vor allem der Hinweis am Schluß, daß der Erzähler every library in Europe (VI 76) nach den Werken von Tarr und Fether durchforstet habe, des weiteren die unmotivierte englische Anrede mit sir (VI 72), der Gesang des Yankee Doodle, das Spiel mit vielen Begriffen wie die Übersetzung von rabbit au-chat in cat-au-rabbit. und auch die Benutzung von Vergleichen aus dem amerikanischen Raum, wie a fish from the bottom of the Niagara Falls (VI 71) oder black baboons of the Cape of Good Hope. (VI 76) Solche Anspielungen überblenden das Geschehen in Frankreich mit den Ereignissen in den USA. Der Erzähler zeigt sich der Wissenschaft aufgeschlossen. Er befaßt sich mit wissenschaftlichen Theorien und pflegt Freundschaft mit Medizinern in Paris. (VI 76) Er wirkt zunächst ziemlich selbstbewußt, denn er beschreibt sich als weitgereist und kaltblütig: I had traveled, too, so much as to be quite an adept in the nil admirari, so I took my seat very coolly. (VI 61)
Die Beziehung Poes zu seinem Leser untersucht Michael J.S. WILLIAMS: A World of Words. Language and Displacement in the Fiction of Edgar Allan Poe. Durham and London 1988. Dort heißt es, Poe böte "characterizations of artist- and audiencefigures" an und untersuche die Beziehungen zwischen ihnen. "Tales such as (...) The System of Dr.Tarr and Prof.Fether1 (...) can all said to offer humiliating images of various degrees of readerly incompetence." Vgl. ebd. S. 70
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Doch die zur Schau gestellte Souveränität erleidet alsbald Brüche. Daß er nicht wirklich der kluge, umfassend gebildete Mann ist, der sich von allem unabhängig und objektiv eine eigene Meinung bildet, sondern ein autoritätsgläubiger Mensch, der sich immer nach der herrschenden Meinung bzw. dem letzten Schrei richtet, beweist das durchsichtige Manöver Maillards. Dieser zwingt ihn mit einem simplen Trick zur Hochachtung vor der Theorie des Dr. Tarr und Prof. Fether. Erst gibt er vor, er glaube, der Besucher sei intim mit den Gelehrten bekannt, dann beschämt er ihn, indem er mit dem entsetzten Ausruf Good Heavens! (...) You did not intend to say, eh? that you had never heard either of the learned Doctor Tarr, or of the celebrated Professor Fether (VT 71) die Unkenntnis des Gastes bloßstellt. Dieser Coup genügt, um aus einem glühender Verehrer des soothing system einen Anhänger der Methode des Teerens und Federns zu machen. Den wahren Charakter des Erzählers erfährt der Leser durch den Bericht Maillards. Dort wird er als naiv und erschütternd blöde entblößt: a very stupid-looking young gentleman of whom he had no reason to be afraid. (VI73) b) Maillard Maillard, der Anstaltsleiter, wird vorgestellt als a portly, fine-looking gentleman of the old school, with a polished manner, and a certain air of gravity, dignity, and authority which was very impressive. (VI 54) Er präsentiert sich mit einem aristokratischen Flair, zeigt sich herzlich, gebildet und gelehrt und gewinnt so prompt das Vertrauen des Erzählers. Tatsächlich ist er jedoch der Kopf der Revolte, eines Unternehmens, das er mit großer Umsicht bis in die Details hinein organisiert hat. Er ist der Regisseur des Schauspiels, das mit genau kalkulierten Effekten dem Besucher vorgeführt wird. In seiner maskierten Selbstbeschreibung bezeichnet er sich zunächst als a stupid fellow - a lunatic, straft diese Aussage aber sogleich Lügen, wenn er die Möglichkeit einer Enttarnung damit zurückweist, daß the head rebel was too cunning for that. (VI 73) Der Aufstand der Irren steht und fällt mit ihm. Einst tatsächlich Leiter der Anstalt, schlug er sich später auf die Seite der Irren. Möglicherweise steht er für die - nach Poes Auffassung - Unverantwortlichkeit von Adligen des 18. Jahrhunderts, die zum Teil das aufklärerische Gedankengut mit verbreitet haben und sich auf die Seite der Revolutionäre stellten.
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c) Die Irren Die erste Irre, die dem Erzähler begegnet, ist eine schöne, junge Frau von graceful courtesy, die ihm auf Grund ihrer Trauerkleidung das Gefühl von respect, interest and admiration (VI 55) abzwingt und seinen spontanen Argwohn besänftigt. Als er sie später noch einmal sieht, wirkt sie, nunmehr anders kostümiert, wahrhaft lächerlich auf ihn. (VI 60) Auch die übrigen Irren erringen zunächst die Hochachtung des Erzählers. Sie erscheinen ihm als apparently, people of rank - certainly of high breeding. (VI 59) Die leichte Irritation über ihre Kleidung befriedet der Erzähler mit der Erinnerung an die bekannte Exzentrizität der südlichen Provinzler. (VT 60) Während die Irren anfangs als liebenswürdige Leute mit Umgangsformen und künstlerischen Hobbys vorgestellt werden, werden sie im Verlauf des Geschehens zunehmend skurriler: erst ist es nur ein Rackern in den Augen, zum Schluß unverhüllt irres Betragen. d) Die Wärter Die Wärter sind die einzigen, die zu keiner Zeit die Wertschätzung des Erzählers genießen. Als er ihrer das erste Mal ansichtig wird, empfindet er émotions of wonder and horror und erstarrt als pêle-mêle, fighting, stamping, scratching, and howling, there rushed a perfect army of what I took to be Chimpanzees, Ourang-Outangs, or big black baboons of the Cape ofGood Hope. (VI 76) Anschließend wird er auch noch verprügelt. Im Gegensatz zu den Irren wirken die Wärter roh, brutal und grobschlächtig auf ihn. Es sind alles riesige Kerle. Sie sind geteert und gefedert und dann bei Wasser und Brot eingesperrt worden. Sie behandelten die Irren nach der humanen Methode und führen diese auch nach ihrer Befreiung, wenn auch erheblich modifiziert, weiter fort.
6. D i e dramatische Struktur der Erzählung Die Erzählung ist wie ein Drama strukuriert. Der Text selber drängt den Vergleich mit einem Drama massiv auf, wenn in der Geschichte selbst vom climax - the catastrophe of the drama (VI 76) gesprochen wird. Im wesentlichen werden die 3 klassischen Einheiten eingehalten. Der Besuch im Asyl dauert keine 24 Stunden, sondern vom Morgen bis zum Abend, der Ort bleibt auf den Innenraum des Schlosses beschränkt und die Handlung verfolgt stringent die Enthüllung der Revolte. Alles in allem deckt
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sich die Struktur der Erzählung exakt mit den Merkmalen eines analytischen Dramas. Nach der Exposition enthüllt sich dem Leser allmählich das Wissen von der stattgefundenen Revolte. Der Leser, der das Geschehen durch die Sicht des Ich-Erzählers erfährt, distanziert sich so mehr und mehr von seinem Berichterstatter, da dieser sich als äußerst unzuverlässig erweist. Der Leser ahnt bald schon, daß der Erzähler von Maillard genasführt wird. Die Diskrepanz zwischen dem Wissen des Lesers und der Unwissenheit des Erzählers, speist die Quelle des Humors, der in grimmiger Weise das erzählte Geschehen kommentiert. Höhepunkt und Katastrophe des Dramas fallen ineins, wo durch die Konterrevolution der Wärter die Täuschung entlarvt und die alten Verhältnisse wiederhergestellt werden. Das Drama schließt mit einem subtilen Dénouement. Der Erzähler, noch immer in Einfalt befangen, sucht in allen Bibliotheken Europas nach der wissenschaftlichen Grundlegung der Methode des Teerens und Federns. Der Schluß bleibt offen und überläßt dem Leser interpretatorische Möglichkeiten. a) Exposition Die Expositon der Erzählung entspricht einem Bühnenbild. In Details und Arrangements enthält es bereits Zeichen, die auf die Zwielichtigkeit der Situation hinweisen. Schon die Bezeichnung der Anstalt als maison de santé im ersten Satz verweist auf einen ironischen Nebensinn. Galloway bemerkt, daß "only outsiders and madmen use the term."45 Der Begriff umschreibt euphemistisch, worum es sich tatsächlich handelt, nämlich um ein "house of madness". Indem der übliche Terminus ironisch verfremdet wird, setzt eine doppelte Wirkung ein: einerseits ruft sie die Wachsamkeit des Lesers auf den Plan, der nunmehr dem Erzähler mißtrauen wird, da dieser naiv sich des Ausdrucks bedient. Andererseits zeigt sie auf die ideologische Bedeutung solcher Umbenennungen, die eine Täuschung über den wahren Sachverhalt hervorrufen sollen. Der Ort der Geschichte, the extreme Southern provinces of France (VI 53) und die Zeit des Geschehens during the autumn of 18-- (ebd.) verweisen auf das nachrevolutionäre Frankreich des 19. Jahrhunderts. Das Gebäude, innerhalb dessen sich das Geschehen abspielt, erinnert in seiner unheimlichen Abgeschlossenheit an die ebenfalls morbide und zwielichtige Atmosphäre in Poes Erzählung "The Fall of the House of Usher". (1839)46 45
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David GALLOWAY (Hg.): Comedies and Satires. Edgar Allan Poe. Harmondsworth 1987. Anmerkungen, S. 254 Vgl. J.R. HAMMOND: An Edgar Allan Poe Companion. A guide to the short stories, romances and essays. Hampshire, London (1981) 3. Aufl. 1985, S. 107
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Wie dort der Untergang des adligen Geschlechts der Usher den Niedergang der Aristokratie symbolisiert, mag das Geschehen im Binnenraum der Anstalt als die modellhafte Nachstellung der gesellschaftlichen Konstellationen unter demokratischen Verhältnissen gelten. Die furchteinflößende Umgebung des Schlosses steht als Metapher für die Gefahr, die innerhalb lauert: Turning from the main-road, we entered a grass-grown by-path, which, in half an hour, nearly lost itself in a dense forest, clothing the base of a mountain. Through this dank and gloomy wood we rode some two miles, when the Maison de Santé came in view. It was a fantastic château, much dilapidated, and indeed scarcely tenantable through age and neglect. Its aspect inspired me with absolute dread and, checking my horse, I half resolved to turn back I soon, however, grew ashamed of my weakness, and proceeded. (VI54) Doch der Erzähler, außerstande die Zeichen zu lesen, schämt sich seiner Schwäche und läßt jeglichen Argwohn fallen, als er Maillard, den Direktor der Anstalt, kennenlernt. Dieser flößt ihm sofort Vertrauen ein. b) Das Schauspiel Die folgende Handlung spielt bis zum Schluß innerhalb der Heilanstalt. Mit dem Eintritt in das Schloß beginnt das von Maillard intelligent improvisierte Schauspiel.47 Stephen Mooney empfand die Erzählung als typisches Beispiel für die Progression Poeschen Humors. Sie verläuft in den Etappen "disguise, action, error, revelation, and result."4* Der folgende Teil der Analyse schließt sich weitgehend an diese Aufteilung an. - Die Maskierung Nachdem der Erzähler das Schloß betreten hat, sieht er sich einem Interieur gegenüber, das ihn aufs Angenehmste überrascht: Blumen, Bücher, Musikinstrumente. Dazu eine schöne, junge Frau, die sehr anziehend auf ihn wirkt, obgleich sie etwas Irritierendes an sich hat. Doch stimuliert ihn die Begegnung zu einer positiven Grundstimmung. Als Maillard schließ47
48
Strukturell deckt sich die Erzählung bemerkenswerterweise mit Melvilles "Benito Cereno". Auch dort entspricht die Komposition einem Theaterstück, bei dem die abgeschlossene Außenwelt, ein Schiff, als Bühnenbild arrangiert ist. Auch der Held von Melvilles Geschichte ist zu einfältig, um die Zeichen richtig zu deuten. Er geht ebenfalls einem maskierten Rebellenführer auf den Leim, der die Klischees seines Besuchers richtig zu bedienen weiß. (vgl. Kap. VIII dieser Arbeit) Stephen L. MOONEY: The Comic in Poe's Fiction, S. 433
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lieh hinzutritt, vernichtet er den letzten Zweifel des Besuchers und erklärt, daß alle Personen, die sich frei im Schloß bewegen, gesunde, hochgebildete Menschen seien, weil das alte System nicht mehr in Anwendung sei. Auf die Weise liefert er die rationale Begründung, warum kein Verrückter zu sehen ist und zerstört gleichzeitig die Erwartung, eines ansichtig zu werden. Damit hat Maillard die Maskierung vollends abgeschlossen: Die Verrückten agieren als Gesunde, die Gesunden sind, was der Erzähler nicht weiß, als Orang-Utangs49 verkleidet Und zum guten Schluß erhält der ahnungslose Zuschauer auch noch eine Interpretatiems- und Leseanleitung an die Hand gegeben, wenn Maillard ihn auffordert, nichts von dem zu glauben, was er hört, und nur die Hälfte, von dem, was er sieht. Eine Warnung, die sicher auch den Leser der Geschichte betrifft:
You are young yet, my friend (...) but the time will arrive when you will learn to judge for yourself of what is going on in the world, without trusting to the gossip of others. Believe nothing you hear, and only one half thatyou see. (VI58) Wie in den Erzählungen von Kleist und Melville droht die Gefahr durch das Hereinfallen auf den bloßen Augenschein.
- Die Handlung Die eigentliche Handlung spielt in dem geräumigen Speisesaal des Schlosses. Eine veränderte Kostümierung und ein verändertes Bühnenbild geben dem Besucher erneute Rätsel auf. Wieder ahnt er, daß etwas nicht stimmt, und wieder rationalisiert er, was er sieht und beschwichtigt so seine Unruhe. Zunächst fällt ihm die lächerliche, altmodische Kleidung der anwesenden Damen auf. Sie tragen Kleider nach der Mode der vielle cour, die ihnen zu weit sind, sie haben sich geschmacklos mit Juwelen behängt und tragen Décolleté und Arme "schamlos" nackt. Auch die Ausstattung des Raumes enthält Signale, die den Besucher warnen, die er aber nicht wahrnimmt. Der Speisesaal wirkt im Gegensatz zu der üppigen Staffage der Anwesenden eher nüchtern. Er hat keinen Teppich und keine Gardinen vor den Fenstern. Die Läden sind geschlossen und mit Eisenstangen verrieglt:
The shutters, being shut, were securely fastened with iron bars, applied diagonally, after the fashion of our ordinary shop-shutters. (VI 60) Das Faktum hätte alarmieren müssen, denn ein verriegeltes Schaufenster soll verhindern, daß jemand einbricht - eine Sorge, die für ein Irrenhaus eher absurd erscheint, auf dem Hintergrund der Revolte aber Sinn hat. Die mit Das Motiv der Orang-Utangs taucht bei Poe häufiger auf; so in "Hop-Frog"(1849) und "The Murders in the Rue Morgue"(1841)
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Silber überladene Tafel, die barbarische Verschwendung an Leckerbissen, die grelle Beleuchtung und schließlich das Orchester mit der Katzenmusik - all das erweckt in dem Gast ein unbehagliches Gefühl, das er aber vorsichtig als Bizarrerie umschreibt und beiseite wischt. So wundert er sich sehr, daß the topic of lunacy was (...) a favorite one with all present A great many amusing stories were told, having reference to the whims of the patients. (VI62) Die angeblichen Wärter vergnügen sich nun damit dem Erzähler ihren eigenen Fall darzustellen, nur leicht verfremdet, weil sie von sich selbst in der dritten Person reden. Maillard übernimmt die Rolle eines Regisseurs, der korrigierend eingreift, wenn es not tut. Um diese Ebenen erweitert gewinnt das Schauspiel der Irren die Bedeutung eines Spiels im Spiel. Auch die Irren selbst sind sich ihres Schauspiels wohl bewußt und bremsen sich gegenseitig, wenn einer über die Stränge zu schlagen droht. - Spiel im Spiel: Maillards Bericht von der Revolte Maillard weiß nun, daß er sich diesem Besucher gegenüber alles erlauben kann. Er stellt die gesamte Gesellschaft als seine Freunde und Wärter vor und nimmt sich heraus, dem Besucher nur leicht verwischt die ganze Wahrheit mitzuteilen. Sein Bericht von der Revolte bedeutet erzähltechnisch die strukturelle Übernahme des Spiel-im-Spiel-Modells. Wie dieses in Shakespeares "Hamlet" den Schlüssel zum Verständnis der Verhältnisse liefert, so entwirft Maillard in seinem Bericht ein Szenario, das er als abgeschlossen in die Vergangenheit verlegt, das aber bis in die Details hinein, den Erzähler und natürlich auch den Leser von dem wahren Sachverhalt in Kenntnis setzt. Der Hintergrund, auf dem dieser Bericht stattfindet, wäre wieder geeignet, die Wachsamkeit des Besuchers herauszufordern: They chatted - they jested - they laughed - they perpetrated a thousand absurdities - the fiddles shrieked - the drum row-de-dowed - the trombones bellowed like so many brazen bulls of Phalaris - and the whole scene, growing gradually worse and worse (...) became at length a sort of Pandemonium in petto. (VI71) Die Bilder, die ihm in dem Sinn kommen verweisen bereits auf die Wahrheit. Besonders das Sinnbild der Grausamkeit, der Stier des Phalaris, richtet die Aufmerksamkeit auf eine massive Bedrohung, aber in seiner unerhörten Dummheit kann der Gast sie nicht deuten. Maillard beginnt mit einer Charakterisierung der Irren. Als eine ihrer hervorstechendsten Eigenschaften stellt er ihre Fähigkeit zur Verstellung und zum Schauspielern heraus:
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His cunning, too, is proverbial and great. If he has a project in view, he conceals his design with a marvellous wisdom; and the dexterity with which he counterfeits sanity, presents (...) one of the most singular problems in the study of mind. (VI72) In seiner Erzählung fortfahrend erklärt Maillard, wie die Bedingungen des soothing-system einen fruchtbaren Boden für eine Revolte bereitet hätten. Wie das auffallend musterhafte Betragen der Irren jeden einigermaßen verständigen Menschen auf die Gefahr einer teuflischen Intrige, a devilish scheme, hätte stoßen müssen und wie die conspiracy for the overthrow of reigning powers (VI 73) erfolgreich zu dem Rollentausch zwischen Wächtern und Bewachten führte. Nach der Möglichkeit einer Konterrevolution befragt, verneint Maillard diese mit dem Hinweis auf die Klugheit des Rebellen und die Dummheit seiner Umgebung, die allzu leicht zu täuschen ist. Er warnt sogar, daß a madman is not necessarily a fool. (VI74) - Klimax und Katastrophe des Dramas Als Maillard gerade die Vorzüge seiner Behandlungsweise ausführen will, die er als einfach und klar bezeichnet und von der der Leser weiß, daß sie brutale Folter ist, eskaliert das Geschehen durch den Ausbruch der Wärter und gibt dem Spiel eine neue Wendung: the climax - the catastrophe of the drama (VI 76) ist erreicht. Die Irren lassen ihre Masken fallen und zeigen unverhüllt ihren Wahnsinn. Die ausgebrochenen Wärter erscheinen in den Kostümen von Orang-Utangs und bestätigen so noch einmal den Irrtum des Erzählers. Durch ihre Konterrevolution tauschen sie erneut die Rollen und stellen die alten Machtverhältnisse wieder her. - das Dénouement Die Erzählung beschließt ein Dénouement, das ebenfalls explizit so genannt wird. Der Erzähler berichtet, daß er came to some satisfactory dénouement of this tragedy. Er enthüllt den Sachverhalt auf der Oberfläche der Fakten und beweist damit, daß er die tiefere Bedeutung des Geschehens nicht begriffen hat. Nach wie vor bleibt er Anhänger der Methode des Dr. Tarr und Professor Fether, deren wissenschaftliche Grundlegung er in allen Bibliotheken Europas vergebens sucht. Harry Levin bemerkt dazu: "That is not surprising, since tar-and-feathers was an American System, the next thing to lynch law, the roughest and readiest way of disciplining colored persons and Northern abolitionists."50
50
LEVIN : The Power of Blackness, S. 122
Irrtum und Enthüllung
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7. Irrtum und Enthüllung Nach Mooney lebt die Komik der Groteske aus dem Irrtum und seiner Enthüllung. Er definiert den Irrtum als "naive assumption of 'rulers' that man is naturally good".51 Die Enthüllung dagegen interpretiert er als Erkenntnis von der Untauglichkeit des Idealismus "to cope with dehumanized masses" und der Unmöglichkeit "of defining true sanity when the sane and the mad reverse rôles."52 Poe beschreibt die Täuschung über die Revolte als Schauspiel und interpretiert Revolution als Groteske. In der Revolte tauschen Herr und Knecht die Rollen. Das geschieht unbemerkt, weil weiterhin die Normalität, also die vorrevolutionären Verhältnisse, simuliert werden. Die Revolte erzwingt das Schauspiel, weil die frisch eroberte Macht durch eine Entdeckung der veränderten Herrschaftsverhältnisse, z.B. durch einen Besucher von außen, gefährdet wäre. Die Insassen der Maison de santé, die durch eine Revolte die Herrschaft an sich gerissen haben, symbolisieren die revolutionären Massen Frankreichs, die Wärter, die sich dem humanistischen soothing system verschrieben haben, die Anhänger des aufklärerischen Humanismus, der naive Erzähler den amerikanischen Sympathisanten solcher Ideen. Der dramatische Aufbau steht metaphorisch für die rätselhafte Realität, die im Zeichen einer permanenten Revolution im politischen Bereich von Figuren bevölkert wird, die ihre wahren Motive verbergen und daher schauspielern müssen. Der von Poe finster gezeichnete Charakter des "modernen Menschen", wie er im 19. Jahrhundert entsteht, entspricht exakt der düsteren Prognose Nietzsches, der das 19. Jahrhundert als die Zeit der Schauspieler definiert hat.53 Die Groteske "The System of Dr. Tarr and Prof. Fether" formuliert Poes Absage an das rationalistische Menschenbild der Aufklärung und seine Überzeugung, daß Revolution - bei ihm pejorativ Herrschaft der Masse - in eine Diktatur münde. Die Erzählung ähnelt in Struktur und Thema Melvilles "Benito Cereno". Sie legt deshalb einerseits die Assoziation mit dem Problem der Sklavenbefreiung nahe, die ja erklärtes Ziel der Nordstaaten war. Andererseits problematisiert sie ebenfalls die gesellschaftliche Realität der Neuen Welt, welche als kryptisch und vieldeutig geschildert ist. Beide Erzählungen enthalten (bei verschiedenen politischen Standpunkten) die Warnung,
51 52 53
MOONEY: The Comic in Poe's Fiction, S. 435 ebd. vgl. den Abschnitt zu Nietzsche in dieser Arbeit, S. 49
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daß dem jungen Amerika unter dem Primat des Egalitätsprinzips und der Ausnutzbarkeit demokratischer Rechte ständig eine Revolution drohe.
Vm. Das Problem der Revolution im Spiegel des Rassenkonflikts: Melvilles "Benito Cereno"1
1. Historischer Hintergrund Die Revolution in Amerika war nicht das Werk unterworfener und geknechteter Eingeborener, die ihre Freiheit und ihr Selbstbestimmungsrecht zurückerobern wollten, sondern sie war die Tat freier Europäer, die das von ihren Heimatstaaten gewährte Siedlungsrecht in den Kolonien in politische und wirtschaftliche Eigenständigkeit ausbauen wollten. Sie deklarierten ihre Unabhängigkeit im Jahr 1776 und legitimierten sie mit der naturrechtlichen Argumentation aus der Tradition der europäischen Aufklärung, mit dem Hinweis auf die Unveräußerlichkeit der Menschenrechte, des Rechts auf Freiheit, Gleichheit und auf das Streben nach Glück. Die Sicherung dieser Rechte, so meinten sie, gewährleiste nur eine Regierung, die ihre rechtmäßige Macht allein aus der Zustimmung der Regierten herleite.2 Nachdem die Amerikaner ihre Autonomie erkämpft hatten, schufen sie 1787 eine bürgerliche Verfassung, in welcher 1789 die Grundrechte in Form der "Bill of Rights" verankert wurden. Die Tatsache der Sklaverei in den konföderierten Staaten widersprach jedoch dem hohen ethischen Anspruch und belastete die junge amerikanische Gesellschaft von vornherein mit einer Hypothek, derer sich zu entledigen, sie nicht fähig war. Während in den Nordstaaten und wenig später auch in den mittleren Staaten die Sklaverei fast verschwand, weil die Wirtschaft ihrer nicht bedurfte, stellte sie in den Südstaaten keine austauschbare Institution dar. Die Arbeitskräfte der Schwarzen bildeten dort einen 1
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Melvilles Werke werden nach der Standard Edition zitiert: The Works of Hermann Melville. 16 Bde. New York 1963. Verweise werden in Klammern in den Text eingefügt. Die römischen Ziffern beziehen sich auf den zitierten Band, die arabischen auf die Seite. Wo die römische Ziffer fehlt, handelt es sich um den zehnten Band: The Piazza Tales. vgl. Willi Paul ADAMS, Angela MEURER-ADAMS (Hgg.): Die amerikanische Revolution in Augenzeugenberichten. München 1976, S. 262
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Revolte in Melvilles "Benito Cereño "
wesentlichen Bestandteil des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fundaments und waren für die Massenproduktion der Tabak- und Baumwollindustrie auf den Plantagen unentbehrlich. Die Verfassung von 1787 garantierte daher ausdrücklich, nach einer langen Debatte zwischen Nordund Südstaaten, den Sklavenimport aus Afrika bis zum Jahr 1808. Danach wurde der legale Import beendet. Doch wurden die Sklaven im Süden juristisch auch weiterhin wie eine Sache behandelt, obgleich sie - zynischerweise - auf dem Papier den Rang eines Drei-Fünftel-Weißen erhielten, wenn es dem Staat um die nach Einwohnerzahl berechnete Sitzverteilung in der Legislative ging.3 Immer "mußten erst handfeste Interessen mit neuer Humanität kongruieren, ehe Regierungserlasse zur Abschaffung des Sklavenhandels ergingen."4 Das galt für die frühe amerikanische Demokratie ebenso wie erst recht für die traditionellen Kolonialstaaten England, Spanien und Portugal, die schon seit dem 15. Jahrhundert mit dem Segen des Papstes das grausame aber einträgliche Geschäft betrieben.5 Deshalb verboten sie den Sklavenhandel erst, als er ohnehin nicht mehr lukrativ war oder als der internationale Druck zu groß wurde. In welch entsetzlicher Weise mit den Schwarzen an Bord der Sklavenschiffe verfahren wurde, zeigt der Bericht von M. Kesting in ihrer Ausgabe von Melvilles "Benito Cereno" sowie die ebenfalls dort veröffentlichte Dokumentation zur Geschichte des Sklavenhandels.6 Seit Mitte des 18. Jahrhunderts häuften sich die Meutereien der Schwarzen auf See, besonders aber auf dem Land, wo der Blick auf die sklavenfreien Nordstaaten zur Revolte ermutigte. Kesting erwähnt zwei erfolgreiche Aufstände vom Anfang des 19. Jahrhunderts: Die "Amistad-Meuterei" von 1839, wo die Schwarzen die Rückkehr nach Afrika erzwangen, und die Rebellion auf der "Creole" 1841, bei der die Schwarzen die weiße Mannschaft nötigten, sie in den Hafen von Nassau zu segeln, wo die Rebellen den Schutz der Briten genossen.7 3
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Die 3/5-Lösung geht auf einen Kompromiß mit den Nordstaaten zurück. Denn diese fühlten sich benachteiligt, als der Süden seine Sklaven einerseits als Besitz deklarierte, sie andererseits als Einwohner zählte, wenn es um die Sitze im Repräsentantenhaus ging. Marianne KESTING: Melvilles "Benito Cereno", S. 126 f - In: M.KESTING (Hg.): Benito Cereno, von Herrn an Melville. Mit einer Dokumentation. (1971) Neudr. Frankfurt am Main 1983, S. 125-154 So die Bulle von Nicolaus V. an den portugiesischen König Alfons 1459. Teilabdruck in: KESTING (Hg.): Benito Cereno, S. 197 f vgl. KESTING: Die "Dokumentation zur Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels", S. 197-218 und dies.: Melvilles "Benito Cereno", S. 128-134 ebd. S. 134
Rezeptionsgeschichte
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Als Melville seine Erzählung veröffentlichte, erreichte die Diskussion um die Sklavenbefreiung gerade ihren Höhepunkt. Das demokratische Amerika mußte sich um eine Lösung bemühen, sollte daraus nicht ein ähnlich explosives Verhältnis wachsen wie das der ausgebeuteten Klassen in Europa zu ihren Regierungen.
2. Anmerkungen zur Rezeptionsgeschichte Melvilles Erzählung über die Revolte von Schwarzen auf einem spanischchilenischen Sklavenschiff erschien erstmals 1855 anonym im New Yorker "Putnam's Monthly Magazine". Ein Jahr später, 1856, ließ Melville sie im Rahmen seines Erzählungsbands "The Piazza Tales" noch einmal drucken. Nur sechs Jahre vor dem Bürgerkrieg veröffentlicht und angesichts der wachsenden Furcht der Öffentlichkeit vor Sklavenaufständen eine Angst, die bereits seit der gelungenen Revolution von St. Domingo im Bewußtsein der Bürger lebte - verwundert es, daß die Erzählung keinerlei Resonanz fand. Erst 1928 entdeckte H. Scudder, daß Melvilles Geschichte auf einem Tatsachenbericht über die Meuterei an Bord eines Sklavenschiffs beruht, die der historische Kapitän Amasa Delano, der ja auch der Protagonist von Melvilles Geschichte ist, in seinem Erlebnisbericht "Narrative of Voyages and Travels in the Northern and Southern Hemispheres"8 dokumentiert hatte. Scudder verglich die beiden Schriften und schloß daraus, daß Melville im wesentlichen abgeschrieben habe und abgesehen von einigen Hinzufügungen, die aus einer trockenen Dokumentation eine spannende Abenteuergeschichte machen, kaum künstlerische Qualitäten zu erkennen seien.9 Tatsächlich hatte Melville mit der Umarbeitung von Delanos Bericht eine wahrhaft kryptische Erzählung geschaffen, deren "Hieroglyphen"10 nur der Entschlüsselung harrten. Es verstrich nahezu ein Jahrhundert, ehe erste Versuche zu einer differenzierten Interpretation unternommen wur8
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vgl. Amasa DELANO: Narrative of Voyages and Travels in the Northern and Southern Hemispheres. Boston 1817 - Den die Meuterei betreffenden Teil des Berichts enthält die deutsche Ausgabe von Melvilles "Benito Cereno": Amasa Delano. Bericht und Dokumentation, wie das spanische Schiff "Tryal" bei der Insel Santa Maria aufgebracht wurde. - In: KESTING (Hg.): Benito Cereno, S. 155-196 Harold H. SCUDDER: Melville's "Benito Cereno" and Captain Delano's Voyages. In: Publications of the Modem Language Association of America. June 1928, S. 502532; Hinweise auf jüngste Beiträge zur Quellenforschung findet man bei Mary K. BERCAW: Melville's Sources. Evanston, Dlinois 1987 KESTING im Vorwort zu "Benito Cereno", a.a.O., S. 4
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Revolte in Melvilles "Benito Cereño"
den. Ungeachtet der Erstveröffentlichung der Erzählung in einem der Abolition verpflichteten Journal und Melvilles künstlerischem Engagement gegen die Sklaverei mochten viele Interpreten nicht auf ihre ideologische Brille verzichten und stilisierten Babo, den Anführer der Schwarzen, zur Inkarnation des Bösen schlechthin, zur Verkörperung jener "power of blackness", der Existenz des grundlos Bösen, um die Hawthornes Dichtung kreist und die auch Melville beschäftigte. Die simplifizierende Gleichsetzung der Symbole "schwarz" für "böse" und "weiß" für "gut" mit der unterschiedlichen Hautfarbe der Menschen an Bord der "San Dominick" verursachte derart eklatante Fehlinterpretationen.11 Doch reißen seither die Interpretationen bis in die Gegenwart hinein nicht mehr ab, und mit Hilfe unterschiedlicher methodischer Ansätze sucht man, der komplizierten Symbolik der Erzählung Herr zu werden.
3. Realität zwischen Schwarz und Weiß Die gesamte Erzählung ist mit einem dichten Metaphern- und Symbolgewebe durchsponnen,12 wobei die Schwarz-Weiß-Symbolik schon auf Grund ihrer Evidenz im Vordergrund steht, zumal der Konflikt zwischen Schwarzen und Weißen das zentrale Thema der Erzählung bildet. Er spiegelt sich in der Erscheinungsweise der Außenwelt, die sich zu einem diffusen Grau der beiden kontrastierenden "Farben" mischt. An ihr bricht sich die eindeutige Sichtweise der Realität, die Kapitän Amasa Delano dem Geschehen aufpfropft. Gewohnt, die Dinge entweder als gut oder als schlecht zu identifizieren, versucht er vergeblich, mit seiner SchwarzWeiß-Malerei die Wirklichkeit zu erfassen. Seine Sicht der Dinge vermittelt nur das, was er zu sehen wünscht, verbirgt also die Wahrheit und endet in einer Kette von Fehlinterpretationen, die ihn leicht hätte vernichten können.
11
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vgl. Rosalie FELTENSTEIN: Melville's "Benito Cereno". (1947) - In: Paul Gertiard Buchloh und Hartmut Krüger (Hgg.): Hermann Melville. Darmstadt 1974, S. 411-422 - Auszugsweise auch in: RESTING (Hg.): Benito Cereno. S. 268-270; Richard Harter FOGLE: The Monk and the Bachelor. Melville's "Benito Cereno". - In: Tulane Studies in English. Jg. 1952, S. 155-178, übersetzt audi in: RESTING (Hg.): Benito Cereno, S. 232-258 vgl. Rosalie FELTENSTEIN: Melville's Benito Cereno; Richard Harter FOGLE: The Monk and the Bachelor, weitere Hinweise vgl. KESTING: Melville's Benito Cereno, S. 142
Realität zwischen Schwarz und Weiß
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Eine unvoreingenommenere Beobachtung der Außenwelt hätte ihn befähigt, das Geschehen richtig zu deuten. Noch bevor er sich aus der Sicherheit seines eigenen Schiffes begibt, kündigt die Natur Unheil an: Everything was mute and calm; everything gray. The sea, though undulated into long roods of swells, seemed fixed and was sleeked at the surface like waved lead that has cooled and set in the smelter's mould. The sky seemed a gray surtout. Flights of troubled gray fowl, kith and kin with flights of troubled gray vapours among which they were mixed, skimmed low and fitfully over the waters, as swallows over meadows before storms. Shadows present, foreshadowing deeper shadows to come. (66) Das Zwielicht der Sonne, Dunstschwaden, die den fremden Segler und seine unverständlichen Manöver teilweise verhüllen, das diesige Wetter, das den Eindruck des Sonderbaren verstärkt - all das sind Zeichen, die Delano wahrnimmt, die ihn in no small interest versetzen, die er aber als eine Täuschung, als a deception of the vapours (67) beiseite wischt. Ungeachtet des Widerspruchs seines Steuermannes beschließt er, in der Annahme, es handele sich um ein Schiff in Seenot, an Bord des fremden Seglers zu gehen. Die unheimliche Zweideutigkeit der Außenwelt sowie die Unwirtlichkeit der Gegend, ein small, desert, uninhabited island an der Küste Chiles, berühmt durch dunkle Gerüchte, die um diesen Ort kreisen (66 f), hätten einen anderen als Delano in ein Gefühl von some uneasiness gestürzt. Doch wird Delano in höchst ironischer Weise als a singularly undistrustful goodnature charakterisiert, zu träge, um sein benevolent heart mit Zweifeln am Treiben seiner Mitmenschen zu belasten, - kurz als eine unsäglich naive Person, an deren Urteilsvermögen und Verstand zu zweifeln, man einige Ursache hat. (67) Bis zur Auflösung des Rätsels am Ende des ersten Teils werden die Ereignisse durch die Perspektive Delanos vermittelt. Melville bedient sich einer personalen Erzählweise, die er nur wenige Male unterbricht, um die Einfältigkeit seines Erzählers zu kommentieren. Diese meist sehr ironischen Bemerkungen des Autors kennzeichnen Delano als unzuverlässigen Berichterstatter und rufen den Leser zur selbständigen Deutung der Symbole und Metaphern auf.13 Je mehr sich Delano dem Schiff nähert, umso deutlicher werden die Assoziationen, die ihm in den Sinn kommen. Denn sobald sich die Silhouette des Schiffes gegen den bleifarbenen Hintergrund der Dünung abzuhevgl. Peter HANSEN: Vermittlungsfiktion und Vermittlungsvorgang in den drei großen Erzählungen Hermann Melvilles. Frankfurt am Main 1973, S. 60-75
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ben beginnt, trennt sich das Grau-in-Grau des Himmels und des Wassers wieder in Schwarz und Weiß. Delano meint nun ein white-washed monastery after a thunder-storm, seen perched upon some dun cliff among the Pyrenees zu sehen. Er glaubt, ein ship-load of monks in dark cowls zu erspähen, Black Friars pacing the cloisters. (68) Das weiße Kloster und die Dominikaner in schwarzen Kutten entpuppen sich bei näherer Betrachtung als ein spanischer Frachter, der neben anderer Ware eine "Ladung" Negersklaven beherbergt. Das große, ehemals sehr schöne, nun aber heruntergekommene Schiff erweckt ein neues Bild in Delano. Es erinnert ihn an superannuated Italian palaces, still, under a decline of masters, preserved signs of former state. (69) Überall gewahrt er Zeichen verblichener Größe, und als eindringlichster Ausdruck unaufhaltsamen Verfalls präsentiert sich ihm ein reich geschmücktes Schnitzwerk, ein Wappen von Leon und Kastilien, umrahmt von groups of mythological or symbolical devices; uppermost and central of which was a dark satyr in a mask, holding his foot on the prostrate neck of a writhing figure, likewise masked. (70) Ein weiterer seltsamer Gedanke kommt Delano, als er die beschädigten Körbe, Marse, am Ende der Masten erblickt. Sie erscheinen ihm wie schadhafte Vogelkäfige, und tatsächlich hockt in dem einen ein weißer Vogel, a white noddy, a strange fowl, so called from his lethargic, somnambulistic character, being frequently caught by hand at sea. (69) Noch bevor er das fremde Schiff betritt, hat Delano, wüßte er ihn nur zu nutzen, den Schlüssel zum Verständnis der nachfolgenden Ereignisse in der Hand. Doch auch der Leser, auf Delanos Augen und die spärlichen Hinweise des Autors angewiesen, ahnt nichts von der Bedeutungsträchtigkeit der Bilder, die sich ihm ins Bewußtsein drängen. Erst im nachhinein, als die Enträtselung stattgefunden hat, kann er die einzelnen Teile des Puzzles zu einem einheitlichen, wahrheitsgetreuen Bild zusammensetzen, wodurch er letztlich das Gefühl der Überlegenheit über Delano genießen darf, denn der schlägt zum guten Ende die Erfahrungen, die er gemacht hat, in den Wind, erhält sich seine Blauäugigkeit und erfreut sich an der strahlenden Sonne. (168) Der Leser hingegen, nun wissend, hat noch eine leichte Übersetzungsarbeit zu leisten:
Realität zwischen Schwarz und Weiß
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Im Rückblick erschließt sich die graue Undurchsichtigkeit der Natur als Hinweis auf die Vieldeutigkeit der Wirklichkeit und die Unzuverlässigkeit des bloßen Augenscheins.14 - Die Metaphern der Dominikaner und des Klosters in den Pyrenäen führen zu Karl V., der einst die inquisitorischen Exzesse der Dominikaner auslöste und später zu einem Marionettenkönig unter ihrer Herrschaft sank, bevor er sein Leben in einem ihrer Klöster in den Pyrenäen beschloß.15 Ebenso inquisitorisch verfahren die Schwarzen mit den Weißen, und wie Karl V. entmächtigen sie Benito Cereño, den sie, ausgestattet mit den Insignien seiner Macht, als Herrscher-Attrappe mißbrauchen.16 - Die Verfallssymbolik Venedigs verweist auf die Alte Welt und den Niedergang des morbiden, feudalen Systems in Europa. In der Geschichte selbst erscheint Benito Cereño als kränklicher Vertreter der sterbenden spanischen Aristokratie und ihres untergehenden Kolonialreiches.17 - Die dunkle, satyr-ähnliche Gestalt mit Maske, die einem gleichfalls maskierten Geschöpf, das sich unter der Mißhandlung windet, den Fuß in den gebeugten Nacken stemmt, allegorisiert die folgenden Ereignisse auf der spanischen Fregatte, die Rache des Schwarzen gegen seinen weißen Unterdrücker; ja sie veranschaulicht die unglückselige, scheinbar ewige Spaltung der Menschheit in machtlüsterne Herrscher und versklavte Beherrschte. - Die Dummschwalbe schließlich, jener träge, weiße Vogel, der sich allzu leicht mit der Hand fangen läßt, symbolisiert keinen anderen als den gutgläubigen, törichten Kapitän aus dem demokratischen Amerika. Ein letzer Wink bevor Delano an Bord des Seglers geht, bleibt ebenso unerkannt wie die anderen. Neben den unbeholfenen Lettern der Inschrift "Seguid vuestro jefe" (followyour leader) prangt in einstmals goldenen Großbuchstaben der Name des Schiffes: San Dominick. Doch hat sich der 14
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Harry LEVIN: The Power of Blackness. New York 1958, S. 190; Guy CARDWELL: Melville's Gray Story: Symbols and Meanings in "Benito Cereno". - In: John P. Runden (Hg.): Melville's "Benito Cereno". A Text for Guided Research. Lexington (Mass.) 1965, S. 133-142 Zur religiösen Metaphorik in "Benito Cereno" vgl.: H. Bruce FRANKLIN: The Wake of the Gods. Melville's Mythology. Stanford (Calif.) 1963, S. 136 ff; Hershel PARKER: Benito Cereno and Cloisterlife: Arescrutinyof a "source". - In: Studies in Short Fiction. 9 (1972). H.3, S. 221-232; Gloria HORSELY-MEACHUM: The Monastic Slavery: Image and Meaning in "Benito Cereno". - In: New England Quarterly. 56 (1983), S. 262-266 vgl. John BERNSTEIN: Pacifism and Rebellion in the Writings of Hermann Melville. London, Paris 1964, S. 173 vgl. RESTING: Melville's "Benito Cereno", S. 144
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Rost in die Buchstaben gefressen, und drüber hinweg schlingern in unheimlicher Todesprophetie - hearse-like - Fetzen von Seegras. (70) Der Name San Dominick hätte ihn erneut an Dominikanermönche in einem weißen Bergkloster erinnern müssen, und sein lautlicher Gleichklang hätte ihn angesichts der Schwarzen an den Sklavenaufstand von S t Domingo gemahnen müssen, der 1791 entfacht, 1799 noch in vollem Gange war.18 Alle genannten Symbol- und Metaphernstränge durchziehen die Erzählung bis zum Schluß und verdichten sich sukzessive zu immer konkreteren Hinweisen. Sie sind natürlich einschließlich der Schiffsnamen von Melville frei erfunden und wohlüberlegt eingesetzt. Er entfaltet sie nach Art einer Exposition, indem sie nicht nur die Atmosphäre schaffen, sondern auch bedeutungsschwer die Voraussetzungen des weiteren Geschehens anzeigen. Mit der Ankunft Delanos auf der San Dominick schließt die Einleitung.
4. Das Schauspiel in der Revolte a) Dramatischer Auftau Die Exposition, die eindringlich darstellt, was Delano wahrnimmt, läßt sich auch als streng durchkomponierte Einleitung zu einem Drama interpretieren, unterzieht man den Aufbau der nun einsetzenden Handlung einer kurzen Analyse. Denn "Benito Cereno" wirkt ähnlich wie Kleists "Verlobung in St. Domingo" wie nach den Gesetzen eines Dramas strukturiert. Solange die Handlung auf See stattfindet, hält sich Melville exakt an die klassischen Einheiten von Ort, Zeit und Handlung.19 Die Schilderung beschränkt sich auf die Darstellung der Erlebnisse Delanos auf der San Dominick und erstreckt sich auf den Zeitraum vom Morgengrauen bis Mitternacht eines Tages im Jahr 1799. Auch der dramatische Verlauf der Ereignisse gehorcht weitgehend den Gesetzen einer Tragödie. Nach der Exposition setzt die Handlung ein, die linear ansteigend verläuft, bis der Eklat zum Schluß die Auflösung bringt. Zwar kulminiert er nicht in der sonst typischen Katastrophe,20 aber, wie später gezeigt werden soll, kann auch von einem Happy-end keine Rede sein, obgleich die Protagonisten 18
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vgl. Michael Paul ROGIN: Subversive Genealogy. The Politics and Art of Hermann Melville. New Yoric 1983, S. 213 vgl. FOGLE: The Monk and the Bachelor, S. 160 vgl. RESTING: Melvilles "Benito Cereno", S. 146; Eric J. SUNDQUIST: Suspense and Tautology in Benito Cereno. - In: Glyph. 8 (1981), S. 103-126
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des Stückes, abgesehen von Cereno, den Gefahren unversehrt entrinnen. Die Handlung klingt mit der Überführung der beiden Schiffe nach Lima aus, wo die gerichtliche Untersuchung stattfindet, deren Resultate ein Nachtrag zusammenfaßt. Die Erzählung schließt mit dem beunruhigenden Gespräch zwischen den beiden Kapitänen und einem knappen Resümee über das Schicksal der schwarzen Rebellen. b) Eintritt ins Schauspielhaus Kaum betritt Delano die San Dominick, sieht er sich von lärmendem Leben umgeben, und der Kontrast zu der einsamen Bootsfahrt auf dem regungslosen, bleiernen Wasser versetzt ihm einen Schock, der ihm sogleich ein neues Bild vor Augen führt: Always upon first boarding a large and populous ship at sea, especially a foreign one, with a nondescript crew such as Lascars or Manilla men, the impression varies in a peculiar way from that produced by first entering a strange house with strange inmates in a strange land. Both house and ship - the one by its walls and blinds, the other by its high bulwarks like ramparts - hoard from view their interiors till the last moment; but in the case of the ship there is this addition: that the living spectacle it contains, upon its sudden and complete disclosure, has, in contrast with the blank ocean which zones it, something of the effect of enchantment. The ship seems unreal; these strange costumes, gestures, and faces, but a shadowy tableau just emerged from the deep, which directly must receive back what it gave.(71) Wieder einmal birgt der intuitive Eindruck eine Weissagung der wirklichen Verhältnisse. Denn alles, was Delano sieht, übersetzt sein Gefühl in eine andere Sprache, deren Sinn nicht im gesprochenen Wort liegt, nicht im individuellen Charakter bestimmter Personen, sondern - wie beim Schattenspiel - in einer geheimnisvollen tieferen Bedeutung von allgemeiner Gültigkeit. Doch Delano weist solche beklemmenden, undurchsichtigen und seiner Meinung nach irrationalen Gedanken weit von sich und verläßt sich auf den realistischen Augenschein, auf Benito Cerenos Erklärungen und natürlich auf seine eigenen Rationalisierungen der Vorgänge an Bord der San Dominick. Doch betrügen ihn solche Wahrscheinlichkeiten, denn sie sind die fein kalkulierten Effekte eines ausgeklügelten Schauspiels, das sämtliche Bewohner der San Dominick für ihn aufführen.
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c) Gespielter und wahrer Sachverhalt Benito Cereno berichtet, daß die San Dominick mit voller Fracht und dreihundert Sklaven von Buenos Aires in See gestochen sei, daß bei Kap Hoorn ein schwerer Sturm Verluste in der Mannschaft sowie des Wasservorrats gekostet habe, daß sodann eine Seuche die Hälfte der Schwarzen und - im Verhältnis gesehen - noch mehr Weiße dahingerafft habe und daß das Schiff, seitdem weitgehend manövrierunfähig, sich deshalb in einem derart desolaten Zustand befinde. (79 ff) Jedoch belehren später die Zeugenaussagen vor Gericht den Leser über den wahren Sachverhalt: Die San Dominick war mit Fracht, hundertsechzig Sklaven, sechsunddreißig Mann Besatzung und einigen Passagieren von Valparaiso nach Callao ausgelaufen. (150) Eine Woche später meuterten die Sklaven, welche man im Vertrauen auf ihre leichte Lenkbarkeit hatte ungefesselt an Deck schlafen lassen, unter der Führung des Schwarzen Babo. In dem darauffolgenden Kampf töteten sie über die Hälfte der Spanier und befahlen dem Kapitän Benito Cereno, sie nach dem Senegal zu bringen. Um dieses Ziel zu erreichen, wollten sie sich, was Essen und Trinken betraf, dem Kommando Cerenos unterordnen. (151 f) In der Hoffnung, einem ausländischen Schiff zu begegnen, das ihm hätte zu Hilfe kommen können, verzögerte Cereno die für die Reise notwendige Wasseraufnahme. (153) Er unterschrieb später einen von Babo aufgesetzten Vertrag, in welchem er sich verpflichtete, die Schwarzen nach dem Senegal zu bringen und erhielt als Gegenleistung das Versprechen Babos, keine Weißen zu töten, sofern sie sich den Schwarzen gegenüber loyal verhielten. (156) Wassermangel zwang sie schließlich, die Insel Santa Maria anzulaufen, wo sie auf Delanos amerikanisches Schiff Bachelor's Delight trafen. d) Dramaturgie Um die Revolte vor dem fremden Kapitän zu verbergen und um damit die Früchte ihrer Revolte und das Erreichen ihres Ziels zu sichern, ferner um sich nicht der Möglichkeit zu berauben, Vorräte aufzunehmen und das Schiff instand zu setzen, ersinnt Babo zur besseren Verhüllung der Wahrheit many expedients, in some of them uniting deceit and defense. (158) Jedem einzelnen Mann an Bord weist er eine bestimmte Rolle zu, die bis auf die Gestik festgelegt ist. Sechs Aschantis erhalten die Aufgabe, Wache zu halten. Unter dem Vorwand, sie reinigten Beile, werden sie an strategisch günstiger Stelle postiert und können notfalls ihr Gerät als Waffe benutzen. (158) Absolut stumm sitzen sie nebeneinander und schlagen von Zeit zu Zeit wie bei einem Ritual ihre Äxte gegeneinander, like cymbals, with a barbarous din.
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(72) Ihr Anblick, ihr Verhalten und die Waffen in ihren Händen empfindet Delano als äußerst bedrohlich: As (...) Captain Delano had once or twice started at the occasional cymballing of the hatchet-polishers, wondering why such an interruption should be allowed, especially in that part of the ship, and in the ears of an invalid; and moreover, as the hatchets had anything but an attractive look, and the handlers of them still less so (...) In the instant of leaving them behind, like running the gauntlet, he felt an apprehensive twitch in the calves of his legs. (84) Auch später registriert er, daß by a curious coincidence, (...) the wizards of Ashantee would strike up with their hatchets, as in ominous comment on the white stranger's thoughts. (97) Doch wischt er seine Ängste bald darauf als lächerlich beiseite. (99) Vier alte, grauhaarige Neger sitzen sich kreuzweise, Werg zupfend, einander gegenüber, sphinx-like, und vollführen dabei einen schwermütigen Singsang like playing a funeral march. (72) Nach Delanos Auffassung haben sie die Aufgabe to act the part of monitorial constables to their countrymen, the blacks. (77) Tatsächlich bilden sie eine Art Polizei, doch nicht, um in Cerenos Sinne die Ordnung aufrecht zu erhalten, sondern um zu gewährleisten, daß Unruhe unter den Schwarzen ihr Schauspiel nicht verrät. (159) Atufal schließlich, ein riesenhafter Neger von königlicher Gestalt, dient einer besonders subtilen Art der Täuschung. Eine Kette, dreifach um seinen Leib geschlungen und mit einem eisernen Ring um seinen Hals geschlossen, soll Cerenos absolutes Herrschertum über die Schwarzen demonstrieren. Atufal kann seine Fesseln augenblicklich abstreifen, und nur zum Schein trägt Cereno den Schlüssel zum Schloß der Kette auf der Brust. In regelmäßigen Abständen erscheint er stumm vor Cereno, um die Gnade einer Verzeihung abzulehnen, die jener ihm gar nicht bewilligen könnte. Delano zeigt sich beeindruckt: This is some mulish mutineer, dachte Delano, surveying, not without a mixture of admiration, the colossal form of the negro. (88 f) Er bescheinigt ihm a royal spirit. (90) Mit Achtung nimmt er zur Kenntnis, daß Atufal in seiner Heimat tatsächlich ein König gewesen ist und bemerkt nicht, daß es einen Widerspruch darstellt, wenn dieser königliche Mann sich scheinbar so bereitwillig mit seiner subordinierten Stellung abfindet. Die von den Schwarzen beabsichtigte Suggestion gelingt. Mit leichtem Spott bemerkt Delano: So, Don Benito padlock and key - significant symbols, truly. (90) Erst spät dämmert ihm die Wahrheit, als Atufal ihm wie one of those sculptured porters of black
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marble guarding the porches of Egyptian tombs erscheint. (132) Sehr spät verdichtet sich ihm die Ahnung, daß Atufal ein Wächter oder gar mehr sei, womöglich abgestellt, um ihn, Delano, zu belauem. (139) Die San Dominick wäre dann das Grab, das er bewacht. Der Eindruck wird bestätigt, als der Zufall das Skelett des Sklavenhalters Aranda enthüllt 21 Es fällt auf, daß Babo alle bisher genannten Rollen mit stummen Darsteilem besetzt hat, wenn man einmal von den vier Wergzupfern absieht, die aber wortkarg genug ihrer Arbeit nachgehen. (72) Auf diese Weise können sich ihre Aussagen nicht widersprechen. Sie vermeiden damit, durch allzu große Gesprächigkeit Delanos Argwohn zu erregen, der von einem Sklaven erwartet, daß er sich kein Gespräch mit einem Weißen anmaßt. Außerdem übermittelt die stumme Darstellung Cereno eine ständige Warnung und Drohung, weil er ja um die Bedeutung ihrer Gestik und Mimik weiß. Die restlichen Menschen an Bord lassen sich nun mühelos in das Spiel integrieren. Während Babo den weißen Passagieren subalterne Matrosentätigkeiten zuweist, die zwischen ihnen und Delano einen Standesunterschied schaffen, der ein vertrauliches Wort ausschließt und gleichzeitig ihren Aufenthalt inmitten der Sklaven erklärt, dürfen sich die übrigen Schwarzen ungezwungen bewegen. Denn ganz gleich, wie sie sich verhalten, Delano würde es immer ihrer angeblich rohen, unzivilisierten Natur zuschreiben. Die Hauptrollen in diesem Stück haben natürlich Babo und Cereno inne. Das, was Delano vorwiegend als rührendes, symbiotisches Verhältnis zwischen Herr und Knecht gewärtigt, ist in Wirklichkeit eine harte schauspielerische Leistung, die beiden das Äußerste abverlangt. Unter Androhung des Todes zwingt Babo Cereno, die Rolle des Souveräns an Bord zu spielen,22 indem er ihn anweist, er solle acting then the part of the principal owner and a free captain of the ship. (159) Bis in die letzte Einzelheit schreibt Babo Cerenos Rolle fest, indem er ihn genau informiert, what part he was expected to enact in every device, and what story he was to tell on every occasion. (158) Babo selbst, performing the office of an officious servant with all the appearance of submission of the humble slave (160), 21 22
vgl. ROGIN: Subversive Genealogy, S. 216 Die Kapitäne der Schiffe verfügten damals tatsächlich über eine Allmacht, die der absoluten Herrschaft eines Monarchen gleichkam, während die Mannschaft wie Sklaven sich seinem Willen zu beugen hatte. Erst auf die Resonanz von Melvilles Roman "White Jacket" (1850), der diese Verhältnisse anprangerte, wurde die Prügelstrafe auf amerikanischen Schiffen abgeschafft. Vgl. Edward H. ROSENBERRY: Melville. London, Henley, Boston 1979, S. 7ff
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schafft sich damit eine Möglichkeit, Cereno ununterbrochen unter Kontrolle zu halten. Mehr als einmal drängt sich Delano der Eindruck auf, einem Schauspiel zuzusehen. Frühzeitig erscheint ihm das Verhältnis zwischen Herr und Diener als spectacle of fidelity on the one hand and confidence on the other. (82) Diese positiv vermerkte Analogie zu einem Schauspiel weckt in ihm noch keine negativen Assoziationen. Später, als er anläßlich der Ankunft seines mit Nahrungsmitteln beladenen Bootes den Schwarzen wie selbstverständlich Befehle erteilt, entsteht eine unheilvolle Stille, durchbrochen nur von einem fremden Wort, das von Mund zu Mund fliegt. Delano, den Sinn dieser prekären Situation nicht erfassend, bleibt gebannt by this scene (114) und meint, Cerenos kurzer Aufschrei bedeute das Signal zu seiner, Delanos, Ermordung. Der Anblick der Wergzupfer, die augenblicklich mit gestures friendly and familiar, almost jocose Schwarze wie Weiße besänftigen, beruhigt auch ihn. Und so freut er sich an der Art, wie die Sklaven die ihnen entgegengebrachte Ehrerbietung Cerenos honorieren: A reciprocation of courtesies which the sight-loving Africans hailed with clapping of hands. (115) Das spectacle of disorder (101) und das sad spectacle (102) des scheinbar geistig angegriffenen Don Benito befremden Delano immer wieder. Doch beruhigt er sich jedes Mal, indem er das Geschaute seinen Wertvorstellungen unterwirft, die den Gedanken, daß die Schwarzen ihm ein veritables Spektakel vorführen, gar nicht zulassen. Wenn ihn der Argwohn plagt, ist es Cereno, den er eines falschen Spiels verdächtigt. Die San Dominick deucht ihm dann ein slumbering vulcano zu sein, der suddenly let loose energies now hid. (98) Dieses Bild, das Melville in "Mardi" als eine Metapher für die Französische Revolution gebraucht,23 kommt Delano, nachdem er sich dunkler Geschichten erinnerte, in denen Piraten Fremde in die Falle lockten by the spectacle of thinly manned or vacant decks. (98) Die Überlegungen, die er daraufhin anstellt, treffen ins Zentrum der Wahrheit: If Don Benitos story was, throughout, an invention, then every soul on board, down to the youngest negress, was his carefully drilled recruit in the plot. (99) Doch lebt sein Mißtrauen von der Vorstellung, daß nur Cereno Haupt einer solchen Verschwörung sein könne, daß er folglich mit den Schwarzen gemeinsame Sache machen müßte: (...) could then Don Benito be any way in complicity with the blacks? But they were too stupid. Besides, who ever heard of a white so far a renegade
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vgl. RESTING: Melvilles "Benito Cereno". S. 136
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as to apostatisefromhis very species almost, by leaguing in against it with negroes? (108f) Bangigkeit befällt ihn, als sein Auge as from a stage-box into the pit, upon the strange crowd before and below him (112) fällt. Aber nach wie vor gelingt es ihm nicht, dem Labyrinth seiner Gedanken (109) zu entrinnen. Auch der symbolisch geschürzte Knoten eines alten Matrosen löst nicht das Knäuel seiner Zweifel. So bleibt er knot in his hand, and knot in his head (110) ratlos wie zuvor.
5. Spiel im Spiel: Die Rasierszene Innerhalb des Schauspiels, das die Schwarzen vor Delano aufführen, kommt der Rasierszene der Rang einer Extravorstellung zu. Ähnlich dem Spiel im Spiel in "Hamlet" enthüllt sie gleichnishaft, aber in aller Deutlichkeit die wahren Verhältnisse auf der San Dominick. Ja, bezeichnet man - wie geschehen - die Erzählung als eine Tragödie, muß die San Dominick als die Bühne begriffen werden, auf der die Schwarzen wiederum ihr Stück als Spiel im Spiel zur Aufführung bringen. Infolgedessen findet in der Rasierszene eine weitere Verschachtelung statt: Sie ist dann das Spiel im Spiel im Spiel. Anders als im "Hamlet" dient das im Stück dargestellte Theater jedoch nicht der Aufklärung des hintergangenen Opfers. Denn diejenige Figur, die allenfalls mit Hamlet vergleichbar wäre, ist Benito Cereno24 - und der sitzt gleichsam gefesselt in seinem Rasierstuhl und muß gezwungenermaßen an diesem makaberen Spiel teilnehmen, dessen Zuschauer so himmelschreiend naiv ist, daß er es beinahe verdient, auf derart makabre Weise getäuscht zu werden. Schon beim Betreten der Messe entdeckt Delano Taue, die ihn an einen heep of poor Friars' girdles erinnern. Daneben erblickt er altersschwarze Kanapees, die in ihm den Gedanken an inquisitors' racks wachrufen; auch das Rasierbecken assoziiert er mit einem Folterwerkzeug, mit einem grotesque engine of torment. (119) Delano läßt sich von solch düsteren Ideen nicht beeindrucken und hängt stattdessen seinen rassistischen Theorien über die Natur der Schwarzen nach. Als die Rasur beginnt, bemerkt Delano wie Cereno erbleicht, als Babo mit dem geschärften Messer an der Kehle des spanischen Kapitäns einen Moment innehält. Diese Szene suggeriert ihm einen Einfall, der unverkennbar auf die Guillotine in der Fran24
vgl. Arthur L. VOGELBACK: Shakespeare and Melville's "Benito Cereno", S. 73. In: Modem Language Notes. 67 (1952)
Delanos amerikanisches Selbstbewußtsein
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zösischen Revolution anspielt: Altogether the scene was somewhat peculiar, (...) that in the black he saw a headsman, and in the white a man at the block. (122) Die spanische Flagge, die Babo zum Hohn Cereno als Serviette umgebunden hatte, bezeugt nach Delanos Auffassung, wie er auch spaßhaft tadelnd Babo gegenüber anmerkt, nur die kindliche Vorliebe der Schwarzen für leuchtende Farben. (123) Die Wirkung auf Babo bleibt nicht aus. Er drückt Cereno tiefer in den Stuhl und kündigt dem zitternden Spanier geradezu an, daß er ein blutiges Zeichen setzen werde. Den warnenden Schnitt, den er in Cerenos Kehle setzt, lastet er mit einem half-humorous sorrow (124) Cerenos Ängstlichkeit an. Das entsetzte Gesicht des Spaniers erinnert Delano an Jakob den Ersten von England. Doch denkt er dabei nicht an das Schicksal des Königs - erst entmachtet, später geköpft sondern an seine bekannte Feigheit. Und auch Delanos letzte exakt zutreffende Vermutung über die ihm vorgestellten Darbietungen wischt er ungeprüft beiseite: To Captain Delanos imagination, (...) there was something so hollow in the Spaniard's manner, with apparently some reciprocal hollowness in the servant's dusky comment of silence, that the idea flashed across him, that possibly master and man, for some unknown purpose, were acting out, both in word and deed (...) some juggling play before him. Neither did the suspicion of collusion lack apparent support, from the fact of those whispered conferences before mentioned. But then, what could be the object of enacting this play of the barber before him? At last, regarding the notion as a whimsy, insensibly suggested, perhaps, by the theatrical aspect of Don Benito in his harlequin ensign, Captain Delano speedily banished it. (125) Die Rasierszene ist als interner Höhepunkt der Erzählung anzusehen, denn sie wiederholt in nuce das Gesamtgeschehen: Vorgespiegelung alter Herrschaftsverhältnisse bei gleichzeitiger Bedrohung des entmachteten Herrschers unter der Maske fürsorglicher Anhänglichkeit.
6. Delanos amerikanisches Selbstbewußtsein Delano, ähnlich wie Gustav aus Kleists "Verlobung in St. Domingo" und der Besucher des Irrenhauses bei Poe, wird unwissentlich als Zuschauer in ein Schauspiel integriert, das man eigens für ihn inszeniert hat. Doch trotz vielfältiger Hinweise gelingt es Delano nicht, das Spiel zu durchschauen. Kritiker machten bereits darauf aufmerksam, daß Delano eine ungeheure
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Energie darauf verwenden muß, um nicht zu begreifen.25 Denn obgleich die äußeren Umstände sichtbarer Ausdruck einer aufgelösten Ordnung, eines Ausnahmezustands sind, kennzeichnet sowohl das Verhalten Delanos wie auch Gustavs ungerührte Ignoranz. In keinem Moment hinterfragen sie ihre vorgefaßte Weltsicht. Inmitten der Revolution der Schwarzen fühlt Gustav sich selbstgerecht als ein demokratischer Schweizer mit dem reinen Bewußtsein, sich niemals die Hände durch Sklavenhandel beschmutzt zu haben. In verwandter Weise verkörpert Delano den unschuldigen, demokratischen Amerikaner, der als entschiedener Gegner der Sklaverei erscheint und sich nicht wenig darin gefällt, als Vertreter eines Landes aufzutreten, dessen Verfassung beispielhaft für die Staaten der Welt sein soll. "Because they filter out information which could challenge his ideoloy, Delano's modes of perception keep his faith in the social order intact. The content of his ideology, moreover, actively supports this order".26 Mit dem stolzen Bewußtsein des Nordamerikaners äußert er sich voller Verachtung: Ah, this slavery breeds ugly passions in man. (127) Doch hat Carolyn Karcher auf die Doppelbödigkeit von Delanos Einstellung zur Sklaverei hingewiesen. Einerseits vertritt Delano den typischen Nordamerikaner, der sich Cereno und damit den Repräsentanten der Alten Welt überlegen wähnt. Die sieche Gestalt Cerenos, die Hinfälligkeit, die sich in den verblichenen Zeichen einstmaliger Größe präsentiert, überzeugen Delano einmal mehr von der einzigartigen Stellung, die dem amerikanischen System zukommt, von seiner Aufgabe, Ordnung in die von der spanischen Kolonialmacht beherrschten Staaten zu bringen.27 Andererseits zeigt sich gerade in Delanos Verhältnis zu den Schwarzen die typisch paternalistische Einstellung des amerikanischen Südstaatlers.28 Denn Delanos benevolent heart vertritt derart einen unbewußten Rassismus, daß er Cerenos Apologie der Sklaverei gleichsam spiegelt. Kingsley Widmer prägte dafür den Ausdruck "benevolent rationalism".29 Immer, wenn sich Delano zu den Schwarzen äußert, geschieht es in milder, gönnerhafter Form und beinhaltet grundsätzlich einen rassistischen 25
26 27
28
29
vgl. Sandra A. ZAGARELL: Reenvisioning America. Melville's "Benito Cereno", S. 246 - In: Emerson Society Quarterly. 30 (1984/4), S. 245-259 ZAGARELL, S. 248 vgl. Allan Moore EMERY: "Benito Cereno" and Manifest Destiny, S. 52 ff u. S. 61 ff - In: Nineteenth Century Fiction. 39 (1984), S. 48-68 Carolyn KARCHER: Shadow over the Promised Land. Slavery, Race and Violence in Melville's America. Baton Rouge and London 1980, S. 132 Kingsley WIDMER: The Ways of Nihilism. A study of Hermann Melville's Short Novels. Los Angeles 1970
Delanos amerikanisches Selbstbewußtsein
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Hintersinn. Babo scheint ihm von treuherzig naseweisem Wesen zu sein, was Delano derart rührt, daß er Cereño vorschlägt, den Schwarzen für fünfzig Dublonen zu verkaufen. (101) Die Mimik der Schwarzen bezeichnet er als various grins and grimaces, und die pseudo-humanistischen Gedanken, die sein Hirn bewegen, als er der schwarzen Frauen an Deck ansichtig wird, bilden schließlich den Gipfel rassistischer Denkart:
There is naked nature, now; pure tenderness and love, thought Captain Delano, well pleased. This incident prompted him to remark the other negresses (...): like most uncivilised women they seemed at once tender of heart and though of constitution; equally ready to die for their infants or fight for them. Unsophisticated as leopardnesses; loving as doves. (105) Frauen und Kinder erscheinen ihm wie ein Häuflein Fledermäuse und ihre Unterkunft als Höhle für schwarzes Familienleben. (116) Überhaupt fallen ihm bei Betrachtung der Schwarzen meist Vergleiche aus dem Tierreich ein, seine Freundlichkeit beschränkt sich auf die Liebe eines Hundehalters zu seinem Hund:
At home, he had often taken rare satisfaction in sitting in his door, watching some free men of colour at his work or play. If on a voyage he chanced to have a black sailor, invariably he was on chatty and halfgamesome terms with him. In fact, like most men of a good, blithe heart, Captain Delano took to negroes, not philanthropically, but genially, just as other men to Newfoundland dogs. (121) Ein solches Bild von den Schwarzen geht einher mit der Überzeugung von ihrer natürlichen Inferiorität: There is something in the negro which, in a
peculiar way,fitshim for avocations about one's person. Most negroes are natural valets and hair-dressers. Hinzu komme noch the docility arising from the unaspiring contentment of a limited mind, and that susceptibility of blind attachment sometimes inhering in indisputable inferiors. (120) Delanos Bild von den Schwarzen unterscheidet sich in keiner Weise von dem eines Plantagenbesitzers im Süden Amerikas:30 The whites, too, by nature were the shrewder race. (108) Er täuscht sich. In Melvilles Erzählung sind zweifellos die Schwarzen die schärfer denkende Rasse. Denn die brüchige Ideologie Delanos nehmen sie mit Leichtigkeit auseinander, indem sie nicht nur erfolgreich revoltieren, sondern umsichtig die ideologische Einstellung Delanos mit berücksichtigen. Ihre Maskerade gelingt nur, weil sie die alte Rollenverteilung aufrecht erhalten: "The domestic, patriarchal relation between Benito Cereño and his body slave Babo reassures 30
vgl. Carolyn KARCHER: Shadow over the Promised Land, S. 132
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Captain Delano. (...) By forcing Don Benito to play the part of master, Babo has forced him to mistrust the patriarchal, domestic relations which had constituted his identity. By overthrowing slavery and then staging it as a play, Babo has conventionalized the supposedly natural relations of master and slave."31
7. Die Versehrte Demokratie. Sklaverei als dunkles Erbe der Neuen Welt Das Ende der Erzählung erschüttert den Leser auf Grund seines nüchternen Resümees, das nach dem knappen Bericht über die Gerichtsverhandlung und über das Schicksal der Protagonisten ihn mit einem Problem mehr zurückläßt. Das Sterben Cerenos symbolisiert den Untergang des feudal-absolutistischen Staatswesens in Europa. Das Imperium, das die Väter der Alten Welt errichteten, verfällt, obgleich es im Glauben an seine Ewigkeit und Gottgegebenheit geschaffen wurde. Das silberbeschlagene Schwert Cerenos, apparent symbol of despotic command, was not, indeed a sword but the ghost of one. (169) Cereno entmachtet und symbolisch kastriert, erlebt im Zuge des Aufstandes den Tod seiner Welt als unwiderruflich. Gleichzeitig weiß er, daß das Unrecht wie eine Erbsünde auch die Neue Welt belasten wird. Von Delano gefragt, welcher Schatten auf ihm laste, antwortet Cereno: The Negro. Seine Antwort bezieht sich nicht nur auf Babo, sondern auf die "idea of slavery that has deeply corrupted both owner and owned."32 Für Delano dagegen bleibt das Erlebnis auf der San Dominick folgenlos. Seine Sicht der Schwarzen wandelt sich nur unwesentlich von lieben, dressierten Hunden zu wilden Tieren. Die Intelligenz, Umsicht und Stärke der schwarzen Rebellen verdrängt er aus dem Gedächtnis. Er mahnt Cereno, seine Sorgen zu vergessen, denn the past is past. Er schließt seine Aufmunterung mit dem Klischee heiler amerikanischer Welt: See, yon bright sun has forgotten it all, and the blue sea, and the blue sky; these have turned over new leaves." (168) Doch Cereno antwortet resigniert: Because they have no memory, (...) because they are not human. (169) Das spezifisch menschliche Gedächtnis ist aber die Geschichte. 31 32
Michael Paul ROGIN: Subversive Genealogy, S. 214 u. 215 William HAMILTON: Reading "Moby-Dick", S. 6 - In: W.H.: Reading "Moby-Dick" and Other Essays. New York 1989, S. 1-77
Melvilles politische
Einstellung
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Es war kein Schwarzer, der den Absolutismus zu Fall brachte, sondern es war die Französische Revolution. Babo verkörpert diesen rebellierenden Geist, der niemals Ruhe geben wird, solange die Spaltung in Unterdrücker und Unterdrückte bestehen bleibt Babo muß sterben. Am Schwanz eines Maultiers zum Galgen geschleift, erlebt er wortlos sein Ende. Doch der Kopf der Revolte, Babos Kopf, that hive of subtlety ward auf einen Pfahl gesteckt und schaute uneingeschüchtert über den Platz zur St. Bartholomew's church, wo Arandas Knochen beigesetzt worden waren, und er schaute weiter auf den Berg Agonia, wo Cereno starb und did, indeed, follow his leader. (170) Babo hat Gedächtnis, wie auch die Anspielung auf die Bartholomäusnacht im Text zeigt.33 Der Aufruf Follow your leader! von den Schwarzen unter das Skelett des Sklavenhalters Aranda geschrieben, mit welchem sie die Galionsfigur des Entdeckers der Neuen Welt, Christoph Kolumbus, ersetzten, bedeutet nicht nur die sarkastische Rache an ihren weißen Ausbeutern, sondern sie bildet auch den agitatorischen Aufruf zum Widerstand. So gesehen ist Babo der Führer, dem andere folgen werden. Die Vertauschung der Figur des Entdeckers der neuen Welt mit dem Skelett des Sklavenbesitzers läßt nur eine Deutung zu: "slavery is the death of the new world ideal".34 Delano schlägt die Warnung Cerenos in den Wind. Delanos Blasiertheit, für das vorherrschende politische und kulturelle Klima im Amerika der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts typisch, veranschlagt die politische Überlegenheit des demokratischen Amerika so hoch, daß er sich gleichfalls - wie früher auch Cereno - in der Sicherheit absoluter Allmacht wähnt. Doch weiß er nicht, daß sein Schwert, die Demokratie, zur Attrappe wird, solange das Problem der Sklaverei nicht bewältigt ist.
8. Melvilles politische Einstellung a) "We Americans are the peculiar, chosen people" Diese Worte aus "White Jacket" (VI, 189) artikulieren deutlich, wie sehr sich Melville als junger Mann für das politische Experiment in Amerika begeisterte, das im Gegensatz zur französischen Variante unblutig und unbelastet von Massenelend die Gesellschaft demokratisierte. Dies glückli33
34
vgl. Charles R. METZGER: Melville's Saints: Allusion in Benito Cereno. - In: Emerson Society Quarterly. 58 (1970) Marianne DeKOVEN: History as Suppressed Referent in Modernist Fiction, S. 143 In: Journal of English Literary History. 15 (1984), S. 137-152
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Revolte in Melvilles "Benito Cereño"
che Los der amerikanischen Revolution stärkte Melvilles Selbstbewußtsein derartig, daß er "geradezu die Inkarnation amerikanischen Sendungsbewußtseins"35 verkörperte. An gleicher Stelle in "White Jacket" schwärmt der Erzähler von Amerika, daß es die Bundeslade mit den Freiheiten der Welt trage und daher mit Fug und Recht die Führung der Nationen für sich beanspruchen könne. Melville feiert den Abschied von einer schlechten Vergangenheit und begrüßt eine verheißungsvolle Zukunft: In the Past is
no hope; the future is both hope and fruition. The Past is the text-book of tyrants; the Future the Bible of the Free. (VI, 188) In "Redbum" korreliert der Stolz des Protagonisten auf seine amerikanische Heimat, die den Boden zur Errichtung eines irdischen Paradieses bereitet habe (V, 217), mit seinem Entsetzen vor der Armut und dem Elend der Massen in Liverpool, (vgl. Kap. 37 u. 38; V, 231-242) Denn in Amerika, wo allen Bürgern ein gewisser Wohlstand zuteil wurde, waren solche Tatsachen wider die Menschlichkeit schlicht unbekannt. Doch haftete dem neuen Kontinent ein anderer Makel an, der eine ähnliche Bedeutung gewinnen sollte: die Sklaverei! Bereits in "Mardi" beklagt Melville dieses Manko, das die in der "Virginia Bill of Rights" verankerten Rechte ad absurdum führt. Die Freiheitsstatue in Vivenza, einem utopischen Staat, der Amerika allegorisiert, trägt nämlich nicht nur die Inschrift In-this-re-publi-can-land-all-men-areborn-free-and-equal, sondern sie wird ergänzt durch den klein darunter geschriebenen Nachsatz: Except-the-tribe-of-Hamo! (IV, 224) Doch betrachtet Melville dort noch die Sklaverei als ein Problem der Südstaaten und hofft, daß die Zeit eine Lösung bringen werde.
b) "To forge the future - weigh the past" Melville befaßt sich zeit seines Lebens mit der Problematik von Sklaverei und Revolte.36 Den Enthusiasmus der Bewegung des "Young America" teilt er nur bis in die Mitte der 50er Jahre. Später kritisiert er die Entwicklung der jungen Nation, die mit ungebrochenem Sendungsbewußtsein von der Überlegenheit ihres Landes und ihrer historischen Einzigartigkeit ausging, ohne zu beachten, daß sie die Fehler der Alten Welt auf eine subtilere Art fortsetzte. Melville "turns inside out some of nineteenth-century America's most cherished visions of itself by portraying the country not as a clean slate but as the unwitting perpetuator of forms of commercialism, colonialism and slavery that began centuries earlier in the Old World."37 35 36 37
RESTING: MelviUes "Benito Cereno", S. 135 vgl. KARCHER: Shadow over the Promised Land ZAGARELL: Reenvisioning America, S. 245
Melvilles politische Einstellung
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Bereits in "Benito Cereno" legt Melville den Finger in die Wunde, wenn er die dem amerikanischen System inhärente Doppelmoral bloßstellt und die Nation der Hybris anklagt. Unnachgiebig stellt er die Frage nach der Verantwortung38 und befaßt sich mit den Widersprüchen, die sich im Verhältnis von Arbeiter und Arbeitgeber, Herr und Sklave, Regierung und Soldat offenbaren: "The class problem does not seem to exist in America, Melville was aware, precisely because the lower classes are the unscrutinized - a situation he brilliantly attempted to rectify in his depiction of common sailors, immigrants, blacks, and city clerks."39 Die Revolte gegen solche Hierarchien betrachtete Melville als eine Chance für die Unterdrückten. Er sympathisierte dabei immer mit der Figur des Rebellen. Der iron-slave in "The Beil-Tower", ein black roboter, der seinen weißen Herrn erschlägt, mag ebenso als Beispiel gelten wie Captain Ahab, the rebel hero aus "Moby Dick", der allerdings, indem er seine Rache verfolgt, die Mannschaft versklavt: "Instead of avoiding the leviathan, he pursues it. He thereby appropriates for himself, and enforces on the 'Pequod', the power he attributes to Moby Dick. Ahab's demand for freedom enslaves his crew."40 In der Erzählung "I and my Chimney" wehrt sich Melville gegen die Entsorgung der Vergangenheit zugunsten einer profitorientierten Zukunft. Der Kamin in der Geschichte soll einer Modernisierung des Hauses zum Opfer fallen. Doch weigert sich der Ich-Erzähler und verteidigt den alten Kamin, als sei er ein Stück seiner selbst, ja, als stehe und falle mit ihm seine Identität: The chimney is the one grand permanence of this abode. If undisturbed by innovators, then in future ages, when all the house shall have crumbled from it, this chimney will still survive - a Bunker Hill monument. No, no wife, I can't abolish my backbone." (XIII2944) Der Kamin symbolisiert die großen Ideale, zu denen man sich bei der Gründung des freien Amerikas bekannt hatte: die "Virginia Bill of Rights". Diese bilden das Rückgrat des politischen Systems und sollen als Mahnmal erhalten bleiben, wenn die amerikanische Gesellschaft sich immer weiter von ihrem Ursprung entfernt. Angesichts einer sich ständig wandelnden Umwelt, die im Sinne eines fragwürdigen Fortschritts ihre Ideale
38
39 40
vgl. Ann DOUGLAS: The Feminization of American Culture. New York 1970, S. 292 ebd. S. 298 f ROGIN: Subversive Genealogy, S. 128
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Revolte in Melvilles "Benito Cereño "
zu werbewirksamen Slogans herabwürdigt, wird Melville zum Konservativen. In "Clarel" schließlich, einem monumentalen Epos, legt Melville sein politisches Testament nieder. Dort rechnet er sowohl mit dem Christentum als auch mit dem revolutionären Gedankengut der Neuzeit ab. Sämtliche Aspekte der Revolution werden, verkörpert durch Personen aus aller Herren Länder, die sich anläßlich einer Pilgerschaft ins Heilige Land begegnen, zur Darstellung gebracht. Das Fazit dieser Diskussion liegt in Melvilles eindringlicher Mahnung, die "Neue Welt solle durch eine Verbindung mit der europäischen Vergangenheit sich des eigenen bedeutenden Erbes versichern. Dabei wird die Neue Welt (Amerika) konfrontiert sowohl mit dem Heiligen Land, auf das sich die Puritaner und das Selbstverständnis Melvilles eingangs so stark bezogen, wie mit Europa als dem Ursprung der liberalen Demokratie und des königlichen Selbstbewußtseins des einzelnen."41
41
KESTING: Melvilles "Benito Cereño", S. 140
IX. Revolution als historische Farce in Schnitzlers Einakter "Der Grüne Kakadu"1
1. Einleitung und formale Zuordnung Nach Büchners "Dantons Tod" erweist sich Schnitzlers "Der grüne Kakadu" als das nächste Drama des 19. Jahrhunderts, das aus der plakativ zur Schau gestellten Verbindung von Schauspiel und Revolution lebt. Ästhetisch und gattungstypologisch reicht es näher an die Moderne heran. Was sich bei Büchner tendenziell ankündigte, vollendete Schnitzler: Verzicht auf die traditionelle drei- bis fünfaktige Dramenform, Absage an das herkömmliche Geschichtsdrama und inhaltlich die Verabschiedung eines kausal-finalen Handlungsgefüges. Des weiteren wirkt die strikt durchgeführte Spiel-im-Spiel-Technik radikal anti-illusionistisch.2 Die formale Konzeption des "grünen Kakadu" verweist auf "Dramenformen des 20. Jahrhunderts (...) auf das Theater des Grotesken, in dem die illusionsbrechende Deformation den gesellschaftlichen Zustand enthüllt."3 Die Handlung spielt in Paris am Abend des 14. Juli 1789 in einer Kneipe mit dem exotischen Namen "Der grüne Kakadu". Die finstere Kaschemme wartet mit einer ungewöhnlichen Attraktion auf. Bei dem Wirt und seinen Stammgästen, anscheinend einem Haufen Ganoven, handelt es sich um einen gescheiterten Theaterdirektor und seine Truppe. Diese spielt allabendlich einem illustren Publikum, das sich aus Angehörigen des Adels rekrutiert, ein Verbrechermilieu vor. Das Pikante der Situation liegt Arthur SCHNITZLER: Die dramatischen Werke. 2 Bde. Frankfurt am Main 1962. Bd. I: Der grüne Kakadu, S. 515-525. Schnitzlers Stücke werden nach dieser Ausgabe unter Angabe von Band und Seitenzahl im laufenden Text zitiert. Wo die Bandangabe fehlt, handelt es sich um Bd. I. Annette DELIUS: "Der grüne Kakadu": Schnitzlers Groteske in einem Akt, S. 55 - In: Der Deutschunterricht. Jg. 40. H. 1 (1988), S. 54-63 Hans-Peter BAYERSDÖRFER: Vom Konversationsstück zur Wurstelkomödie. Zu Arthur Schnitzlers Einaktern, S. 564 - In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 16 (1972), S. 516-575
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Revolution als historische Farce bei Schnitzler
allerdings nicht nur in dem morbiden Genuß des Auftritts von Mördern, Brandstiftern und Dieben, sondern die Schauspieler geben sich als das gärende Potential einer drohenden Revolution, das nur das Signal erwartet, die adligen Genießer zu massakrieren; diese erfreuen sich an einem abgründigen Vergnügen, einer wahrlich sonderbaren und nicht unbedenklichen Komödie (521), besonders, wenn man Datum und Ort veranschlagt: Paris, 14.7.1789. Vermutlich inspirierte das 1881 in Paris gegründete Kabarett "Chat Noir" Schnitzler zu der Idee. Dort goutierte ebenfalls ein vornehmes Publikum das Spiel vom eigenen Untergang.4 Schnitzler definierte sein Stück als Groteske,5 Hofmannsthal nannte es eine historische Farce.6 Beide Bezeichnungen leiten sich zum einen aus der Bizarrerie des Sujets ab, die den Bereich der bloßen Täuschung verläßt und in absoluter Orientierungslosigkeit kulminiert.7 Zum anderen werfen sie auf das Geschehen im Inneren der Kneipe wie auch auf die korrespondierenden historischen Ereignisse das grelle Licht des Absurden. In der Gestalt des Einakters findet der Gegenstand seine formale Entsprechung, denn die Darstellung des Grotesken und Absurden erheischt geradezu diese dramatische Kurzform.8 Sie verdeutlicht die Immobilität der Figuren,9 die nicht länger durch autonom bestimmte Handlungsabläufe charakterisiert werden, wie auch den "Perspektivismus der Wirklichkeitserfahrung",10 indem die Figuren in verschiedenen Situationen einer exemplarischen Betrachtung unterzogen werden.
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vgl. Amy Diana COLIN: Arthur Schnitzlers "Der grüne Kakadu", S. 221 - In: Literatur und Kritik. H. 124 (1978), S. 220-231 Nach Kayser erfüllt das Stück nicht die Kriterien des Grotesken. Vgl. Wolfgang KAYSER: Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung. Oldenburg 1957, S. 144 zit. nach Gunter SELLING: Die Einakter und Einakterzyklen Arthur Schnitzlers. Amsterdam 1975, S. 125 Ein Umstand, den Kilian gegen Kayser ins Feld führt, weil nach dessen eigenen Kriterien, die Kategorie der Orientierungslosigkeit für die Groteske konstitutiv ist. Vgl. Klaus KILIAN: Die Komödien Arthur Schnitzlers - sozialer Rollenzwang und kritische Ethik. Düsseldorf 1972, S. 71 Dietmut SCHNETZ: Der moderne Einakter. Eine poetologische Untersuchung. Bern, München 1967, S. 111-119 Selling charakterisiert den Schnitzlerschen Einakter mit den Kennzeichen "Immobilität" der Figuren, "Statik" der Handlung und "Prüfstand-Charakter" der Situationen. Vgl. SELLING: Die Einakter und Einakterzyklen Arthur Schnitzlers, S. 129-131 vgl. Walter HINDERER: Der Aufstand der Marionetten: Zu Arthur Schnitzlers Groteske "Der grüne Kakadu", S. 17 - In: Zeitgenossenschaft. Studien zur deutschspra-
Reziprozität von Schauspiel und Revolution
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2. Reziprozität von Schauspiel und Revolution Das Drama erschien erstmals 1899.11 Es bewahrt die klassischen Einheiten von Zeit und Ort. Der Rahmen des Geschehens innerhalb der Kneipe spannt sich vom Beginn des Sturms auf die Bastille bis zu ihrer Eroberung. Das historische äußere Geschehen determiniert so die Vorgänge im Innern. Reziprok wird der Spielcharakter im Innenraum der Gaststätte in die Historie hinausgetragen. Abgesehen von Anfang und Schluß, die von historischen Fakten bestimmt werden, besteht die Handlung durchgehend aus einem Spiel-im-Spiel-Geschehen, das die politischen Abläufe außerhalb, die als Geräuschkulisse oder in Form von Berichten gegenwärtig sind, fortlaufend kommentieren.12 So zieht die erste Szene ihre Bedeutung aus dem Bericht Grassets, der vom Marsch des Volkes zur Bastille erzählt und von den Reden im Palais Royal, die er zitiert und mit Broschüren dokumentiert. (516-520) In der dritten Szene erscheinen die Schauspieler Jules und Scaevola mit Informationen über den Lärm auf den Straßen und den Aufruhr vor der Bastille. Angesichts solcher Bewegungen wundern sie sich über die ungerührte Fortführung der Komödie und über das adlige Publikum, das sich mit der Lustigkeit von Leuten, die nächstens gehenkt werden (525) wie früher amüsiert. Der Auftritt von François Vicomte von Nogeant und Albin Chevalier de la Tremouille trägt einen herben Geschmack, weil die beiden Adligen einerseits die Beschimpfungen des Wirts als zum Spiel gehörig akzeptieren, andererseits sich über die Frechheit der Bauern und die lasterhaften Reden der Kerle im Palais Royal beklagen. (530f) Sogar der Herzog von Cadignan, rückhaltloser Bewunderer des Schauspiels und der Schauspieler im Grünen Kakadu, äußert nicht nur ein unbehagliches Gefühl angesichts des makabren Spiels, sondern berichtet auch von rigorosen Drohungen der Bewohner des Ortes Lelange gegen ihren Bürgermeister. (533f) Albin wiederum, der naive Landadlige, hält das Geräusch von vorbeijagenden Menschen auf der Straße, da es sich nahtlos in die Aufführung fügt, für Theater: Wie sonderbar! ... Es ist wirklich ein Lärm, wie wenn Leute draußen sehr rasch vorbeijagten. Wird das auch von hier aus geleitet? (537) Séverine, Frau des Marquis von Lansac, läßt sich von den revolutionären Ereignissen auf der Straße, die sie explizit als Schauspiel gouchigen Literatur im 20Jahrhundert. Festschrift für Egon Schwarz. Hg. von Paul Michael Lützeler. Frankfurt am Main 1987, S. 12-32 zu den einzelnen Editionen des Stücks vgl. Reinhard URBACH: Schnitzler-Kommentar zu den erzählenden Schriften und dramatischen Werken. München 1974 vgl. Gunter SELLING: Die Einakter und Einakterzyklen Arthur Schnitzlers, S. 108
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Revolution als historische Farce bei Schnitzler
tiert, zu einem Besuch im Grünen Kakadu anregen, der sie nach dem Mord am Herzog wiederum zu einem erotischen Stelldichein animiert. (538f) Das Spiel in der Kneipe stellt sie, was den Unterhaltungswert betrifft, in Konkurrenz mit dem Abenteuer des Aufstands auf der Straße: Auf der Straße, find' ich, unterhält man sich in der letzten Zeit am besten. (540) Als sich die Kulmination der Ereignisse in Henris Darstellung eines Eifersuchtsmords ankündigt, bildet das Gröhlen der Menge dazu die bedrohliche Hintergrundmusik. (546) Kurz vor der Katastrophe, wo die Fiktion des Spiels in Realität umschlägt, bricht die Wirklichkeit der Revolution in Gestalt von Grasset und aufständischen Bürgern in die Kneipe ein. (548) Die Ermordung Delauneys schließlich, dessen Kopf auf einer Stange vorbeigetragen wird, verdoppelt sich in dem zunächst gespielten und anschließend tatsächlich ausgeführten Mord an dem Herzog. Noch über seiner Leiche wird das Motiv der Tat, Mord aus Eifersucht, umgedichtet in einen revolutionären Akt. Innerhalb der Kneipe ist die gespielte Revolution in eine echte umgeschlagen und die echte Revolution zu einer fiktiven, nur vorgespielten Tat gewendet worden. (550ff) 3. Theatralität der Realität und Realität des Theaters Das als Theater auf dem Theater konzipierte Stück verweist weniger auf den illusionären Charakter des Bühnengeschehens, sondern enthüllt vielmehr den Spielcharakter der Realität, d.h. im manifesten Text den Spielcharakter der Französischen Revolution. Das Drama versucht die "Analyse einer Revolution und somit eines Verfalls und Umbruchs menschlicher Ordnungen."13 Die gewählte Perspektive zeigt aber nicht direkt das historische Faktum, sondern spiegelt es auf der subjektiven Ebene subalterner Protagonisten der Revolution. Schnitzler malt also "statt der Sache selbst (...) die Schatten, die sie wirft."14 Eine solche ästhetische Technik entfernt sich vom Theater der Heroen - und auch einer analog verfahrenden Historiographie - und richtet den Blick auf die Affekte und Motive von Personen, die durch die Vielzahl ihrer namenlosen Aktionen erst das Phänomen "Revolution" ermöglicht haben, auch wenn ihre Antriebe häufig nicht revolutionär zu nennen sind.
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Erhard FRIEDRICHSMEYER: Arthur Schnitzlers "Der grüne Kakadu", S. 219 - In: Zeitschrift für deutsche Philologie. 88. H. 2 (1969), S. 209-228 COLIN: Arthur Schnitzlers "Der grüne Kakadu", S. 221
Theatralität und Realität
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Gerade der psychologische Aspekt des Stücks, der die Charakterstrukturen der Figuren in den Vordergrund stellt, verführte manche Interpreten dazu, die Bedeutung des historischen Hintergrundes für die Groteske zu bestreiten. So auch Singer, der behauptet: "Gegenstand ist nicht ein Stück Wirklichkeit, weder ein Milieu noch eine Sensation noch eine große Stunde der Geschichte - Gegenstand des Schauspiels ist vielmehr das Schauspiel."15 Tatsächlich erscheint in den Stücken und Erzählungen Schnitzlers die Theatralität des Daseins, das Rollenspiel, als existentielle Kategorie. Die auffallend häufig eingesetzte Technik des Spiels im Spiel16 taucht das Geschehen in eine Atmosphäre der Zwielichtigkeit, die das Personal der Dramen der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit unterwirft. Die Figuren im Grünen Kakadu vermögen Spiel und Wirklichkeit nicht mehr zu unterscheiden. Die Konfusion des naiven, unbedarften Albin beschwichtigt der Dichter Rollin, indem er sinniert: Sein ... spielen ... kennen Sie den Unterschied so genau? (...) Ich nicht. Und was ich hier so eigentümlich finde, ist, daß alle scheinbaren Unterschiede sozusagen aufgehoben sind. Wirklichkeit geht in Spiel über - Spiel in Wirklichkeit. (541) Das Spiel im Inneren der Kneipe antizipiert die revolutionären Ereignisse. Die Verdoppelung und Spiegelung der Ereignisse draußen und drinnen (und vice versa) vervielfältigt die diversen Fiktions- und Realitätsebenen. Daraus resultiert eine komplette Verwirrung, die nicht nur die Darsteller und Zuschauer im Grünen Kakadu ereilt, sondern auch die Zuschauer bzw Leser des Schnitzlerschen Einakters. Den Auftritt von Maurice und Etienne nimmt der Zuschauer im Grünen Kakadu wie auch im realen Theater unbedingt als echt wahr. Die beiden Schauspieler erscheinen als von der Geheimpolizei verfolgte Taschendiebe, die auf der Hochzeit einer Adligen einen Raubzug veranstaltet haben. Ihre Schilderung zeichnet sich durch Kenntnisreichtum und Detailtreue aus; ein Umstand, der Albin, war er doch selber auf der Hochzeit zugegen, in helle Aufregung versetzt. Auch die Marquise wittert ein Körnchen Wahrheit in der Darstellung:
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Herbert SINGER: Arthur Schnitzler: "Der grüne Kakadu", S. 66 -In: Hans Steffen (Hg.): Das deutsche Lustspiel. Göttingen 1969, S. 61-78 vgl. Marianne KESTING: Vier Dramatiker der Jahrhundertwende. Arthur Schnitzler, S. 138f - In: Entdeckung und Destruktion. Zur Strukturumwandlung der Künste. München 1970, S. 123-141
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Revolution als historische Farce bei Schnitzler
Séverine: Ich schwöre, daß das keine Komödie ist. Rollin: Freilich nicht, überall blitzt etwas Wirkliches durch. Das ist ja das Entzückende. Tatsächlich kommt der Frage nach der Theatralität des Lebens wie der Realität des Theaters bei Schnitzler eine grundsätzliche Bedeutung zu. In der Einleitung zum "Anator-Zyklus schreibt Hofmannsthal die Worte, die leitmotivisch das gesamte Werte Schnitzlers begleiten: Also spielen wir Theater, Spielen unsre eignen Stücke, Frühgereift und zart und traurig, Die Komödie unserer Seele " (29) In dem Zyklus "Lebendige Stunden" variiert Schnitzler diese psychologische Perspektive im Spannungsfeld von Leben und Kunst. Das Drama "Die Frau mit dem Dolche" zeigt Theater auf dem Theater als inneres Traumgeschehen. Dort liefert die Kunst die Pose der Leidenschaft und innerhalb des Spiel-im-Spiel-Geschehens verschafft der "reale" Eifersuchtsmord dem Maler erst das wahrhaft künstlerische Moment für sein Bild. Der Zyklus "Marionetten" spielt mit der Illusion der autonomen Persönlichkeit. Der Puppenspieler aus dem gleichnamigen Einakter sonnt sich im Bewußtsein seiner schöpferischen Machtfülle. Er meint die Fäden der anderen zu ziehen, wird aber von den zu selbständigen Menschen avancierten Marionetten nun selber manipuliert. (845f) In der Burleske "Zum großen Wurstel", wo à la Tiecks "Gestiefeltem Kater" (1797) Bühne auf der Bühne im Puppenspiel gezeigt wird, verwirren sich die Ebenen von Fiktion und Realität derart, daß die Unterscheidung zwischen Marionette und Mensch unmöglich wird. Am Ende tritt ein großer Unbekannter auf, um - wie Gott - zu richten. Als er die Fäden zerschneidet und alle ununterscheidbar zu Boden sinken, wendet er sich voller Grauen ab. Doch erheben sich Menschen wie Marionetten nach seinem Fortgang wieder, und das Spiel beginnt erneut. (894) In dem Stück "Paracelsus", das Schnitzler mit den Stücken "Die Gefährtin" und "Der grüne Kakadu" ebenfalls zu einem Zyklus zusammengeschlossen hatte, bringt das Aufreißen der Tore unsrer Seelen auf einen Augenblick die Einsicht in den Spielcharakter des Lebens: Was ist nicht Spiel, das wir auf Erden treiben, Und schien es noch so groß und tief zu sein! Mit wilden Söldnerscharen spielt der eine, Ein andrer spielt mit tollen Abergläubischen. Vielleicht mit Sonnen, Sternen irgend wer, -
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Theatralität und Realität
Mit Menschenseelen spiele ich. Ein Sinn Wird nur von dem gefunden, der ihn sucht. Es fließen ineinander Traum und Wachen, Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends. Wir wissen nichts von andern, nichts von uns; Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug. "
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Von der fatalistischen Bedeutung dieser Verse versuchte Schnitzler sich später zu distanzieren.17 Analog zu Freud, der ihn nicht zu Unrecht als seinen Doppelgänger bezeichnete,18 trachtete er, mit seiner Kunst die verborgenen Antriebe, "Fäden", der Menschen aufzudecken. Nirgendwo läßt sich die Tragweite unbewußter, subjektiver Antriebe besser ermessen als an großen historischen Ereignissen. Davon wiederum stellt die Französische Revolution das interessanteste Modell, weil sie in ihrer Atmosphäre der Unsicherheit, des Umbruchs und des allgemeinen Wertvakuums schon den Zeitgenossen das Gefühl vermittelte, einem Schauspiel beizuwohnen. Jene Zeit schien also mit der österreichischen Gesellschaft des Fin de siècle vergleichbar zu sein. Daher kommt der historischen Dimension des Stücks keineswegs der Rang eines "bloß äußerlichen Kostüms" zu, welches der Tribut Schnitzlers an seine "genuine(n) Freude an der Welt als Bühne als Welt der Täuschungen"19 sei. Die Wahl der Französischen Revolution zum Hintergrund erklärt sich nicht aus der zufälligen Vorliebe des Autors, sondern sie ist für das Stück konstitutiv. Schnitzler stellt hier eine Analogie her zwischen der Revolution von 1789 und der Ablösung der Aristokratie im zeitgenössischen Österreich. Die Kategorie des Unbewußten war latent schon in Büchners "Dantons Tod" angelegt. Puppen sind wir von unbekannten Gewalten am Draht gezogen20 lautet die berühmte Replik Dantons. In "Der grüne Kakadu" isoliert Schnitzler gewissermaßen eine Sentenz aus Büchners Revolutionsdrama, den Satz Dantons nämlich: Wir stehen immer auf dem Theater, wenn wir auch zulezt im Ernst erstochen werden.21 Gegenüber "Dantons Tod" erfährt das Thema eine weitere Brechung, wenn in der Schenke Zum
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vgl. Annette MEYHÖFER: Das Motiv des Schauspielers in der Literatur der Jahrhundertwende. Köln, Wien 1989, S. 256f Sigmund Freud in einem Brief an Schnitzler vom 14. Mai 1922; zit. nach A. MEYHÖFER: Das Motiv des Schauspielers, S. 256 Michaela L.PERLMANN: Arthur Schnitzler. Stuttgart 1987, S. 75 Georg BÜCHNER: Dantons Tod. SWB I, 41, - vgl dazu auch das Büchner-Kapitel dieser Arbeit. vgl. BÜCHNER: Dantons Tod. SWB I, 33
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Revolution als historische Farce bei Schnitzler
grünen Kakadu tatsächlich alle auf dem Theater stehen und zuletzt einer im Ernst erstochen wird.
4. Das Verhältnis der Schauspieler zur Revolution Die Verwirrung steigert sich sukzessive. Das Stück beginnt mit dem Auftritt Grassets, eines Mannes, der sich als Philosoph22 ausgibt, mitsamt seinem Begleiter Lebrêt, einem Schneider, der die einzige Funktion hat, ein exklusives Publikum für Grasset abzugeben. Grasset entpuppt sich als ehemaliger Schauspieler Prospères, der sich in das revolutionäre Treiben mischte, um Karriere zu machen. "Ja, mein Lieber, jetzt bin ich an der Reihe" (516), meldet er dem Wirt. Er kommt gerade aus dem Palais Royal und brüstet sich, dort eine Rede gehalten zu haben, die einen noch größeren Beifall gehabt und daher noch größere Wirkung gezeitigt habe, als die seines Vorredners Camille Desmoulins. Die Art, wie Grasset prahlt, zeigt, daß er an der gesellschaftlichen Tragweite der politischen Vorgänge keineswegs interessiert ist. Nicht der Inhalt ist von Bedeutung, sondern der Habitus: "Ich habe ausgesehen wie ein Monument." (517) Sein Maßstab für Qualität richtet sich nach der Länge des Beifalls. Er mißt sich an Desmoulins wie ein Schauspieler am anderen. Er wechselt lediglich die Bühne: von der Kneipe auf die Bastille, wo das "welthistorische Schauspiel der 'wirklichen' Revolution"23 gespielt wird. Ähnlich bissig hat Flaubert in der "Education sentimentale" die Revolutionäre von 1848 als Schmierenkomödianten denunziert, die revolutionäre Werte nur vorschöben, um sich mit Ruhm zu schmücken und Pfründe zu erlangen.24 Es fällt auf, daß der theoretische und philosophische Hintergrund der Revolution das ganze Stück hindurch merkwürdig abwesend bleibt. Es tauchen die Namen Desmoulins und Cerutti auf, doch dient ihre Erwähnung lediglich der Eitelkeit Grassets oder der Wiederholung von ideologischen Kampfparolen. Diese vermögen zwar zu aktivieren, beinhalten aber keinerlei Aussagen über ein gemeinsames Ziel. Die Ziele der Revolution bleiben so Variablen, in die jeder seine privaten Wünsche einsetzt.25 Wo 22
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Die Attribuierung Grassets als Philosoph geschieht wohl nicht zufällig. Die Revolutionäre sahen sich ja als Vollstrecker der Theorien vc« Voltaire, Diderot und Rousseau. vgl. SINGER: Arthur Schnitzlen "Der grüne Kakadu", S. 69 Vgl. den Exkurs zu Flaubert in dieser Arbeit, S. 82f Resigniert reflektiert Sade diesen Sachverhalt in Peter Weiss' Marat/Sade-Drama. Vgl. S. 228 dieser Arbeit
Verhältnis der Schauspieler zur Revolution
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Prospère, der Wirt,26 aus der Denkschrift Desmoulins' "Das freie Frankreich" zitiert, entdeckt er für sich vor allem den pekuniären Aspekt der Revolution: Wirt (liest vor sich hin): "Jetzt steckt das Vieh in der Schlinge, erdrosselt es!" - Er schreibt nicht übel, dieser kleine Desmoulins. "Noch nie hat sich Siegern eine reichere Beute dargeboten. Vierzigtausend Paläste und Schlösser, zwei Fünftel aller Güter in Frankreich werden der Lohn der Tapferkeit sein, - die sich für Eroberer halten, werden unterjocht, die Nation wird gereinigt27 werden. " (520) Schon diese erste Szene, der die Bedeutung einer Exposition zukommt, wirft an der Figur Grassets die Frage auf, die sich bei allen Protagonisten stellt: "Wer ist Grasset? Der Schmierenschauspieler ist Revolutionär - oder umgekehrt?"28 Subtil fließen Hinweise in den Text ein, daß der Spaß einen ernsten Hintergrund hat. Grasset erklärt Lebrêt das Kneipentheater: Hier hab ich meine erste Rede gehalten, als wenn es zum Spaß wäre... und hier hab' ich die Hunde zu hassen begonnen, die mit ihren schönen Kleidern, parfümiert, angefressen unter uns saßen. (519) Die Aussage Grassets enthüllt bereits die Macht des Spiels. Der spielerisch eingeübte Haß und Aufruhr gerät zum wahrhaften Bestandteil der Person.29 Es ist überzeugend nachgewiesen worden, daß der Name "Prospère" weniger eine Allusion zu Shakespeares Prospero in "The Tempest" darstellt (wie u.a. SINGER: Arthur Schnitzler: "Der grüne Kakadu", S. 66 annimmt) als vielmehr sich aus "prosperieren" herleitet und damit exakt, nomen est omen, den materiell fixierten Wirt charakterisiert. Vgl. dazu SELLING: Die Einakter und Einakterzyklen Arthur Schnitzlers, S. 71 Die Metapher der Reinigung, ebenfalls ein interessantes politisches Symbol, stellt über Jahrhunderte hinweg ein eingängiges Bild, um die intolerante Verfolgung Andersdenkender zu rechtfertigen. Beispiele mögen dafür sein die "Reinigung" der Nation von Juden und Kommunisten im Nationalsozialismus, von Konterrevolutionären im Stalinismus, von Kommunisten in der McCarthy-Ära in den USA. Heute würde man diese Reinigungswut, die sehr restriktive und destruktive Züge trägt, als pathologisch betrachten. Was die Psychoanalyse im individuellen Bereich als anankastische Persönlichkeit bezeichnet, scheint durchaus auf ein Gemeinwesen übertragbar zu sein. Es ist daher fatal, wenn Selling die "Reinigung der Nation" als uneingelösten ideellen Wert der Revolution gegen Prospère und Grasset ins Feld führt und damit nahelegt, Schnitzler habe daran die Diskrepanz zwischen gutem Vorsatz und Taten ermessen wollen. Vgl. SELLING: Die Einakter und Einakterzyklen Arthur Schnitzlers, u.a. S. 67ff und S. 81 Axel SCHALK: Geschichte im Einakter. Arthur Schnitzlen Der grüne Kakadu; Jean Anouilh: Majestäten; Dieter Kühn: Herbstmanöver, S. 136 - In: Literatur für Leser. (1986), S. 134-143 Eben diesen Mechanismus sucht sich später das Lehrstück zunutze zu machen. Vgl. S. 249ff dieser Arbeit.
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Revolution als historische Farce bei Schnitzler
Wie eine "self-fulfilling prophecy" verselbständigt sich die Geste: die Phrase, wie es sinngemäß in Büchners "Dantons Tod" heißt, nimmt Gestalt an. Am Ende des Stücks führt diese Magie des Spiels letztlich zu dem Mord am Herzog. Auch der Wirt benutzt den Spaß, um unter dem Deckmantel des Spiels den Adligen seine Meinung ins Gesicht zu sagen. Für den "Tag, wo aus dem Spaß Ernst wird" (519) hält er einen Dolch bereit Walter Hinderer schildert exakt den komplizierten Zusammenhang zwischen Revolution und Schaupiel, die Schnitzler in seiner historischen Farce als genuin zusammengehörig darstellt. "Obwohl die Schauspieler, die zunächst ihre revolutionären Überzeugungen nur spielen, dann wirkliche Revolutionäre werden, zeigt sich, daß die Rollen der Revolutionäre nur eine Fortsetzung der Schauspielerrollen in einem anderen Kontext oder auf einer anderen Bühne sind. Revolutionstheater und Theater der Revolution erweisen sich in dieser Groteske zum großen Teil als Aufführungen von Mitgliedern derselben Gruppe."30 Wie bei einem Reigen folgen die einzelnen Szenen, die Spiel und historische Wirklichkeit immer dichter miteinander verweben. Die Figuren, die nun eingeführt werden, haben alle ein Ziel gemeinsam: sie wollen die Sphäre ihrer Betätigung wechseln. Der Kommissar ermittelt gegen Prospère wegen des Tatbestands des Aufruhrs, indem er sich verkleidet in das "Theater" setzt und so als Zuschauer und Protagonist am Spiel teilnimmt. Grain wiederum, ein veritabler Mörder, möchte anständig werden, indem er den Verbrecher in Zukunft nur noch spielt. Gaston, Darsteller eines Taschendiebs, sitzt im Knast, nachdem er versucht hat, seine Kunst auch in der Wirklichkeit einzusetzen. Alle erweisen sich jedoch auf ihrem neuen Terrain als Dilettanten. Ihr Versuch, mit Hilfe ihrer diversen Projektionen die Wirklichkeit zu bezwingen, muß scheitern. Auch Henri, der Star der Truppe, möchte die Schauspielerei aufgeben. Er hat Léocadie geheiratet, eine Schauspielerin mit dem Lebenswandel einer Dirne, und entwirft nun das Bild einer idyllischen Zukunft auf dem Lande. Er merkt nicht, daß er damit nur einen literarischen Topos beschwört und so immer wieder in die fiktive Welt des Theaters zurückfällt. Seinem Ideal gebricht es an Wirklichkeitsnähe und deshalb wird ihm keine Zukunft beschert sein. Henri spielt immer eine Rolle. Er ist der einzige, der sich nicht mühselig irgendwelche blutrünstigen Stories ausdenken muß, die er anschließend mehr schlecht als recht zur Darstellung bringt. Vermutlich macht diese Fähigkeit seinen Ruhm aus, denn bei ihm verschmilzt die Rolle mit seiner Person. Er gefällt sich in pathetischen und heroischen 30
Walter HINDERER: Der Aufstand der Marionetten, S. 15
Verhältnis der Schauspieler zur Revolution
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Darbietungen. Das von Rousseau inspirierte Ideal harmonischer Zweisamkeit an der Brust der Natur verkörpert er mit Hilfe der Rolle des Verlorenen Sohnes. Das Verhältnis zu Léocadie definiert er durch die Rolle "Heroischer Liebhaber erhebt gefallenes Mädchen zur reinen Frau". Die Logik seines Spiels erfordert, daß die anderen die Rollen annehmen, die er ihnen zuweist: Léocadie muß die Sühnende spielen, der Vater den Barmherzigen etc. Da die Realität ihm aber Widerstände entgegensetzt - Léocadie verweigert die Rolle der Geläuterten - muß er notwendig mit ihr in Konflikt geraten. So kann es geschehen, daß ausgerechnet er, der unpolitischste der Schauspieler, am Ende des Stücks eine revolutionäre Tat vollbringt, als er den Herzog ermordet. Ursache ist ein höchst privates Motiv, nämlich Eifersucht. Henri will sich mit einem regelrechten Theatercoup von der Truppe und seinem Publikum verabschieden. Doch die pathetische Ankündigung seines letzten Auftritts antizipiert in ihrer Doppeldeutigkeit bereits das katastrophale Ende: Der Abschied wird ihnen (- dem Publikum) schwer werden - ihnen, nicht mir. (...) Für mein letztes Auftreten hab' ich mir was zurechtgelegt, daß es sie alle schaudern wird... eine Ahnung von dem Ende ihrer Welt wird sie anwehen... denn das Ende ihrer Welt ist nahe. (529) Henri meint vermutlich, daß sein grandioses Spiel einen Einblick in die Erhabenheit tiefer Gefühle gewähre. Eine "ausgekitzelte" Klasse aber, wie der Adel, der sich im Grünen Kakadu Gefühlssurrogate in Ermangelung eigener Emotionen holt, müsse also durch ein solches Spiel von der Dekadenz und dem nahen Untergang des eigenen Standes überzeugt werden. Doch im Rückblick lesen sich Henris auftrumpfende Worte wie die Prophezeiung der Revolution. Henri spielt sich selbst, der den Herzog als Liebhaber seiner Frau entlarvt und ermordet hat. Er weiß nicht, daß seine Szene den Tatsachen entspricht. Doch wie beim Spiel im Spiel in Shakespeares "Hamlet" trifft ihn durch die Reaktion Prospères, der das Geheimnis entdeckt glaubt, die Erkenntnis der Wahrheit.31 Er ersticht den Herzog realiter. Gleichzeitig mit der ins Spiel eingebrochenen Wirklichkeit, der Tod des Herzogs ist ein Faktum, bricht die Realität der Historie in den Grünen Kakadu ein. Henri ersticht den Herzog just, als dieser von draußen eintritt und berichtet: Spielt man hier noch während draußen... Weiß man denn nicht, was da draußen fiir Dinge vor sich gehen? Ich habe den Kopf Delaunays auf einer Stange vorbeitragen sehen. (550) 31
vgl. SINGER: Arthur Schnitzten "Der grüne Kakadu", S. 75
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Revolution als historische Farce bei Schnitzler
Doch wer glaubt, daß mit dem Tod des Herzogs die Realität die Oberhand gewonnen hat, sieht sich getäuscht Das Spiel geht weiter, und zwar verdeckt auf der politisch-historischen Bühne. Denn kaum sind die Taten geschehen, werden sie schon umgedeutet und neu kostümiert entsprechend der Ideologie der neuen Machthaber. Die heroische Tat des Sturms auf die Bastille, nunmehr seit 200 Jahren mit großem Pomp als französischer Nationalfeiertag gefeiert, erweist sich zuletzt als Posse. Der Fall des berüchtigten Gefängnisses brachte die Befreiung von lediglich 6 Gefangenen. Dafür starben mehr als 100 Revolutionäre und das Wachpersonal.32 Und im Inneren der Kneipe kann die Ermordung eines Herzogs am 14 Juli 1789 in Paris nur als Revolution gewertet werden. Diejenigen, die dabei waren allen voran Grasset, der seine politische Karriere befördern will - stilisieren die Tat flugs zum Fanal eines neuen Zeitalters der Menschheitsgeschichte:
Wer einen Herzog umbringt, ist ein Freund des Volkes. Es lebe die Freiheit! ... Nirgends kann der Ruf: "Es lebe die Freiheit!" schöner klingen als an der Leiche eines Herzogs. (551) Die krude Logik des Satzes fällt offensichtlich nicht ins Gewicht; auf die ästhetische Qualität, den schönen Klang kommt es an. Die Ermordung des Herzogs war nur äußerlich ein revolutionärer Akt. Tatsächlich ist er ein Produkt der Eifersucht und des Zufalls. Transferiert man diesen Sachverhalt auf die Französische Revolution, dann erscheint diese als zufällige Summe vieler einzelner Leidenschaften und Motive, nicht aber als das geplante Produkt gemeinschaftlich handelnder Menschen. Die Autonomie des Subjekts erweist sich gerade angesichts der großen historischen Ereignisse als Chimäre: "Geschichte wird als fremdbestimmter, anonymer Akt begriffen. Die durch ihren Spielcharakter gezeichnete Historie entzieht sich dem Einfluß ihrer Protagonisten und degradiert sie zu Marionettea "33
5. Das Publikum des revolutionären Theaters Das Personal der Groteske setzt sich fast ausschließlich aus Adligen und Schauspielern zusammen. Nur am Anfang erscheint der Schneider Lebret, und am Ende dringt das Volk in die Spelunke ein. Die Adligen teilen mit den Schauspielern die unproduktive Lebensweise. Beide partizipieren, so32 33
vgL COLIN: Arthur Schnitzlers "Der grüne Kakadu", 227 SCHALK: Geschichte im Einakter, S. 137
Das Publikum des revolutionären Theaters
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lange sie sich in dem gesellschaftlichen Freiraum der Kneipe aufhalten, an der Klasse, die man als Bohème bezeichnet. Dies erklärt viele Ähnlichkeiten zwischen den beiden Schichten. Der Herzog bezeichnet es als den Inhalt seines Alltags, Frauen zu verführen und Männer abzustechen (534), - ein Umstand, der bei ihm natürlich und keineswegs revolutionär wirkt. Fatalerweise ereilt ihn das gleiche Schicksal. Die Marquise darf sich im Schutz ihrer adligen Privilegien der ungehemmten sexuellen Lust hingeben - ein Verhalten, das im Bürgertum und den übrigen Klassen als Hurerei ausgelegt wurde. Tatsächlich fällt auf die Schauspielerinnen Flipotte, Michette und Georgette der Ruch der Verworfenheit, während der Marquise entgegen aller Evidenz Ehrbarkeit zugute gehalten wird. Oftmals entsteht der Eindruck, die Schauspieler spielten, was die Adligen tatsächlich sind: verdächtige Subjekte (531) und latente Verbrecher. Selbstironisch bestätigt François diese Ahnung, indem er Albin versichert: Es sind die anständigsten Leute von der Welt, Schauspieler. Ich garantiere dir, daß du schon mit ärgeren Gaunern an einem Tisch gesessen bist. Auch Albin scheint dieser Gedanke nicht ganz fremd zu sein, wenn er antwortet: Aber sie waren besser angezogen. (531) Als Publikum zeichnen sich die Adligen durch eine befremdlich wirkende Lethargie und allumfassende Blindheit aus. In ihrer Sucht, alles zu ästhetisieren, verwandeln sie nicht nur die Handlung innerhalb des Gastraums in reines Spiel, sondern sie dehnen diese Haltung auch auf die äußeren Ereignisse aus. Sie meinen einer Theateraufführung beizuwohnen, aber diese mimt und ist schließlich Wirklichkeit. Der Vicomte betrachtet die aufrührerischen Reden im Kakadu und auf der Straße als harmlose Entlastung. Mich beruhigt das sehr, zerstreut er den Argwohn des Herzogs, solange das Gesindel zu Späßen aufgelegt ist, kommt's doch nicht zu was Ernstem. (533) Es erweist sich als Ironie des Stücks, daß ausgerechnet er als einziger Einsicht in die ökonomischen Ursachen der Revolution hat. Auf Albins Empörung gegen die Frechheit der Bauern entgegnet der Vicomte lakonisch: Was willst du? Die armen Teufel sind hungrig; das ist das Geheimnis. Doch zieht er keinerlei Konsequenzen aus dieser Erkenntnis. Weder schützt er sich und seinen Stand, noch setzt er sich für die Sache des Volkes ein. Er ist reiner Ästhet und trachtet daher jede Erfahrung schnellstmöglich in der unernsten Sphäre des Spiels zu neutralisieren. Albins Beschwerde, daß Bauern seinen Onkel als Kornwucherer beschimpft hätten, übertrumpft er, indem er die Qualität der theatralischen Darstellung im Palais Royal preist: Wir wollen morgen einmal ins Palais Royal, da sollst du hören, was die Kerle für lasterhafte Reden führen. Aber wir lassen sie reden; es ist das
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Revolution als historische Farce bei Schnitzler
beste, was man tun kann; im Grunde sind es gute Leute, man muß sie sich auf diese Weise austoben lassen. (531) Am extremsten ästhetisiert die Marquise das historische Geschehen. Sie genießt alles als Abenteuer, das ihre Sinnlichkeit anreizt. Die Revolution goutiert sie als aufregendes Spektakel (538), mit dem Wagen fährt sie zur Bastille und erfreut sich an dem prächtigen Anblick" der aufständischen Massen. (538) und zum Schluß fühlt sie sich gar noch von der Ermordung des Herzogs stimuliert. Der Herzog ist der einzige, der ahnt, daß die Spiele im Grünen Kakadu und in der politischen Realität einen fatalen Ausgang nehmen könnten. Die Späße des Wirts findet er zuweilen unheimlich und die Drohung der Bürger von Lelange gegen ihren Bürgermeister sonderbar, aber er schlägt seine Ahnungen leichtfertig in den Wind. (533) Selber handlungsunfähig, erwartet er, daß der König dem Treiben ein Ende setzt. (536) Albin erfaßt spontan den Ernst der Situation. Doch will es wieder einmal die Ironie dieser Geschichte, daß er nicht ernst genommen und als naiver Jüngling gönnerhaft in die Verhältnisse eingewiesen wird. Während die Schauspieler im "Grünen Kakadu" danach trachten "die Wirklichkeit in Theater zu verwandeln", kennzeichnet die Aristokraten ebenfalls die Lust, "die tatsächlichen Ereignisse als ästhetisches Spektakel zu genießen und die bedrohlich gewordene politische und soziale Situation ins Spiel zu bannen."34 Doch erliegen sie damit einer Illusion. Sie huldigen "dem schönen Glauben an die folgenlose Kunst"35 und beklatschen letztlich, paralysiert auf das Schauspiel starrend, ihre eigene Hinrichtung.
6. Die Aktualität der "historischen Farce" Natürlich verfaßte Schnitzler keinen Historienschinken, der bar jeder Anbindung an die Gegenwart blieb. "Der grüne Kakadu" bietet gleichzeitig ein Bild der Wiener Gesellschaft des Fin de siècle: "Schnitzler's psychodramatic novelette reflects very much his own age: an upper-class of leisure and refinement which has only inner conflicts to cope with. The new force, the anonymous mass (social and ethnic), seems to act under a 34 35
MEYHÖFER: Das Motiv des Schauspielers ..., S. 259 Franz Norbert MENNEMEIER: Kritik der Revolution im Medium der neueren Komödie. Arthur Schnitzlers "Der grüne Kakadu": eine "böse" Revolutionskomödie. (Bisher unveröff. Manuskr.) - In: Wagnis der Moderne. Festschrift für Marianne Kesting zum 60.Geburtstag 1990
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blind compulsion to express violent emotions, emotions which, ironically, the upper classes in vain tried to experience."36 Die privilegierte Schicht der österreichischen Bourgeoisie verpuppte sich in einer ästhetizistischen Haltung zu ihrer politisch-sozialen Umgebung und schob so einen Puffer vor die als unbefriedigend und profan erlebte gesellschaftliche Realität. Wie die Adligen im Grünen Kakadu suchte sie, die Symptome ihres drohenden Untergangs im Spiel zu bannen. Die Vorliebe für Masken- und Kostümfeste zeugt von dieser Einstellung ebenso, wie die Schwäche des saturierten Bürgertums für das Künstlermilieu. Denn die Welt der Künstler, wenngleich ihr immer etwas Anrüchiges anhaftete, eröffnete einen Fluchtpunkt vor der schnöden Alltags- und Erwerbssphäre und trug den Hauch des Exotischen in die bürgerliche Lebenswelt.37 Mit dem "Grünen Kakadu" formulierte Schnitzler seine "Radikalkritik an der Epoche",38 die nicht nur die Dekadenz und den Ästhetizismus anprangerte, sondern auch die herrschende Klasse insgesamt in Frage stellte. Die Reaktion erfolgte prompt: bald nach der Uraufführung stieß sich das österreichische Herrscherhaus an der Groteske und belegte sie mit einem Aufführungsverbot. 39 Der Blutgeruch der revolutionären Ereignisse und die Ermordung eines Herzogs fand aus durchsichtigen Gründen, wie Schnitzler ironisch konstatiert, keinen Beifall.40 Die Rigorosität, mit der man auf die Inszenierung reagierte, bezeugt das revolutionäre Potential dieses Theaterstücks. Man befürchtete eine Projektion der theatralischen Fiktion auf die politische Realität, wobei sich dann das Schauspiel als Revolution entpuppt hätte - und eine weitere Verdoppelung der Ereignisse im Stück stattgefunden hätte. Tatsächlich versuchte man, wie Mennemeier nachweist, das Drama während der Revolution von 1917 propagandistisch einzusetzen. Es wurde "im Sinn einer bestimmten politischen Parteinahme für das einfache Volk 36
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Peter HORWATH: The Literary Treatment of the French Revolution: A Mirror Reflecting the Changing Nature of Austrian Liberalism (1862-1899), S. 36 - In: Modem Austrian Literature. 6 (1973), S. 26-40 Eine Erfahrung, die Schnitzler in seinem Elternhaus machte. Die Entscheidung zwischen dem Arztberuf und dem Dasein des Künstlers verlief natürlich nicht unproblematisch. Annette MEYHÖFER: Das Motiv des Schauspielers, S. 258 Die Unterdrückung des Stücks durch die Zensur dokumentiert Otto P. SCHINNERER: The Suppression of Schnitzler's "Der grüne Kakadu" by the Burgtheater. Unpublished Correspondence. - In: Germanic Review. 6 (1931), S. 183-192 vgl. Brief an Brandes vom 12.1.1899. Vgl. dazu auch MENNEMEIER: Kritik der Revolution im Medium der neuem Komödie
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und gegen den Adel" gedeutet.41 Doch pflegte Schnitzler einen tiefen Skeptizismus gegen jegliche Art von Weltverbesserungsversuchen. Der Glaube an die ursprüngliche Güte des Menschen schien ihm sentimental, wo nicht gefährlich, und die Vorstellung von der edleren Denkart solcher Leute, die an die Menschheit glauben, statt an einzelne Menschen, verwarf er als ausgesprochen töricht.42 Außerdem hegte Schnitzler eine grenzenlose Verachtung für Politik und die Politiker.43 In einer Rezension zu Lombroso versucht Schnitzler den politischen Verbrecher begrifflich zu erfassen: Denn hier trifft es ja unendliche Male zu, dass ein Politiker durch die Macht der Verhältnisse gedrängt, für die Menge zum Verbrecher wird und ebenso hat die Politik insbesondere zur Zeit der Revolte und Revolutionen stets die leicht zu begreifende Fähigkeit und Macht gehabt, verbrecherische Naturen in ihre verschlungenen Gänge zu locken. Und wie viele Politiker sind seit Beginn der Geschichte geköpft worden, ohne - Verbrecher zu sein. Und wie viele Revolutionäre hat es gegeben und wird es geben, die mit der Politik selbst eigentlich gar nichts zu thun haben.44 Eine einseitige Vereinnahmung seines "Grünen Kakadus" bestätigt daher nur seinen Argwohn, daß in der Politik, in der Revolution zumal, skrupellos alles den eigenen Interessen unterworfen wird. Denn das Stück richtet sich gegen die Revolutionäre/ Schauspieler gleichermaßen wie gegen die Zuschauer/ Aristokraten. Es zeigt ja gerade die paradoxe Gleichzeitigkeit zweier Momente der Revolution: Einerseits verkennen sie die Adligen, indem sie sie als reines Schauspiel betrachten und nicht emst nehmen. Andererseits haftet der Revolution genuin der Charakter des Schauspiels an, weil ihre Protagonisten teilweise von triebhaften Interessen gesteuert werden, sie das revolutionäre Engagement also nur vorspielen. An dieser Stelle stülpt sich das Thema um: Revolution gerät zum Theater auf dem Theater innen.
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MENNEMEIER: Kritik der Revolution vgl. Arthur SCHNITZLER: Gesammelte Werke. Aphorismen und Betrachtungen. Hg. von Robert O. Weiss. Frankfurt am Main 1977, S. 81 vgl. Arthur SCHNITZLER: Tagebuch 1917-1919, z.B. S. 218 Arthur SCHNITZLER: Rezension zu C.Lombroso und RLaschi: Der politische Verbrecher und die Revolutionen in anthropologischer, juristischer und staatswissenschaftlicher Beziehung. Hamburg 1891-92 - In: Internationale klinische Rundschau. Wien. 6 (1892), S. 986-987. Zit. nach: Hans-Ulrich LINDKEN: Arthur Schnitzler, Aspekte und Akzente. Materialien zu Leben und Werk. Frankfurt am Main; Bern; New York 1984, S. 386
X. Revolution im Spiegel einer schwarzen Farce in Anouilhs "Pauvre Bitos ou le dîner de têtes"
1. Einleitung und historischer Hintergrund Als Anouilh 1956 sein Stück "Pauvre Bitos ou le dîner de têtes"1 veröffentlichte, erregte es die Gemüter. Man verurteilte es als reaktionär. Doch dürfte weniger die ideologische Position die Kritiker empört haben als vielmehr die Unverfrorenheit, mit der Anouilh gleich zwei nationale Heiligtümer demontierte. Er schlachtete ungerührt die beiden goldenen Kälber, auf die Ruhm und Stolz Frankreichs, der Grande Nation, gründet: den Mythos der Révolution Française und den Mythos der Résistance. Mit "Pauvre Bitos" stellt Anouilh "zum ersten Mal einen negativen Helden aus der Résistance auf die Bühne."2 Bitos, ehemaliger Widerstandskämpfer und ein Charakter von herausragender Mittelmäßigkeit, identifiziert sich in einem subtil inszenierten Spiel mehr und mehr mit der Figur Robespierres. Beide Figuren repräsentieren die gesamte politische Bewegung, der sie dienen. Eine virtuos gehandhabte Spiel-im-Spiel-Technik, in der Traumsequenz des zweiten Aktes weiter potenziert, verquickt die beiden historischen Ebenen. Die durchgängige Theatralität des Geschehens charakterisiert letztlich die historischen Epochen und ihre Protagonisten. Mitte der fünfziger Jahre lädt Maxime de Jaucourt, ein Landadliger, zu einem Dîner de têtes, das unter dem Motto der Revolutionszeit steht. Hauptperson des Dîners ist Bitos, dem die Rolle Robespierres zugedacht ist. Maximes Veranstaltung zielt auf die Vernichtung Bitos', seines ehemaligen Internatskameraden, der dank eines Stipendiums eine sonst den Adligen vorbehaltene Erziehung in der Jesuitenschule erhalten hatte. Bitos, Sohn einer Wäscherin, der im Krieg auf Seiten der Résistance gekämpft Jean ANOUILH: Pauvre Bitos ou le dîner de têtes. - In: ANOUILH: Pièces Grinçantes. Paris (La Table Ronde) 1958, S. 371-507. Das Stück wird im folgenden unter Angabe der Seitenzahl im laufenden Text zitiert. Josef THEISEN: Geschichte der französischen Literatur im 20. Jahrhundert. Stuttgart, Berlin u.a. 1976, S. 139
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hat, kehrt als Staatsanwalt an den Ort seiner Herkunft und frühesten Demütigungen zurück. Es begleitet ihn der Ruf unnachgiebiger Strenge und Gerechtigkeit, die er mit Eifer zur Verfolgung ehemaliger Kollaborateure einsetzt. Während des Dîners kommt es zu Auseinandersetzungen, und die Situation eskaliert. Auf Grund einer vermeintlichen Schußverletzung fällt Bitos in Ohnmacht und träumt, er sei Robespierre. Der ganze zweite Akt realisiert als Traumspiel die Revolutionszeit, worin Bitos traumatische Ereignisse aus Robespierres Leben erfährt. Der dritte Akt schließlich spielt nach dem Erwachen Bitos'. Der unter Alkohol gesetzte und von den Frauen umschmeichelte Bitos entblößt sich in seiner ganzen Erbärmlichkeit. Den historischen Hintergrund des Stücks bilden die Säuberungsaktionen von 1945, mit denen Anhänger der Résistance nach dem Krieg ehemalige Kollaborateure zu beseitigen suchten.3 Einen unmittelbaren Anstoß hat offensichtlich die Affäre Brasillach gegeben.4 Robert Brasillach, ein junger Autor, schrieb Essais und Kritiken in rechtsradikalen Zeitschriften. Er sympathisierte mit dem deutschen Faschismus und verteidigte die deutsch-französische Kollaboration. 1945 wurde er wegen Landesverrats zum Tode verurteilt und am 6.2.1945 hingerichtet. Anouilh kannte Brasillach nur flüchtig und zeigte sich auch nicht als Parteigänger seiner Sache.5 Dennoch beteiligte er sich an der vergeblichen Unterschriftenaktion zur Begnadigung Brasillachs.6 Die Tatsache, daß ein de facto sinnloser Mord sich nicht nur legalisieren, sondern auch moralisch rechtfertigen ließ,7 veranlaßte Anouilh, Frankreich zu verlassen und in die Schweiz überzusiedeln. Der Tod Brasillachs, das Schlüsselerlebnis seines Lebens,8 In der Tat soll es während der chaotischen innenpolitischen Verhältnisse jener Zeit, ohne erst die Gerichte zu bemühen, zu zahlreichen Femeaktionen von Anhängern der Résistance gekommen sein. vgl. besonders S. Beynon JOHN: Anouilh: "L'Alouette" and "Pauvre Bitos". (= Critical Guides to French Texts, 33) London 1984, S. 14 ff Er veröffentlichte allerdings bisweilen Theaterkritiken in den gleichen Zeitschriften. Vgl. Philip THODY: Anouilh. Edinburgh, London 1968, S. 47 General Pétain, Staatschef der Vichy-Regierung von 1940-44, hatte mehr Glück. Er wurde am 5.8.45 zum Tode verurteilt, jedoch schließlich begnadigt. Wenige Jahre zuvor widmete ein der Reaktion sicher unverdächtiger Autor, nämlich Albert Camus, diesem Problem seine Aufmerksamkeit. In seiner Essaisammlung "L'Homme révolté" stellte er die Frage, ob jede Revolte notwendig mit der Rechtfertigung des allgemeinen Totschlags enden müsse. Vgl. Albert CAMUS: "L'Homme révolté". Paris (Gallimard) 1951, S. 22 vgl. die Beiträge "Brasillach", "Brasillach und das Theater" und "Februar 1945" von Jean Anouilh in: Pol VANDROMME: Jean Anouilh - Ein Autor und seine Gestalten. Ins Deutsche übertragen von Ursula Wetzel. München 1966, S. 141-146
Historischer Hintergrund
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besiegelte Anouilhs Feindschaft gegen jede Art "linker" Politik, gegen Demokratie und Parlamentarismus, und verursachte letztlich eine Wendung in seinem künstlerischen Schaffen. Lag die Größe von Anouilhs berühmtester Figur Antigone (1944) noch in ihrer Kompromißlosigkeit bis in den Tod, kann die Niedrigkeit der Titelfigur Bitos in der gleichen, nun negativ gewendeten Eigenschaft gesehen werden.9 Antigones "extreme(r) Puritanismus (...) ist hier in puritanischen Extremismus umgeschlagen."10 Auch Vandromme sieht Bitos als Schatten einer anderen "Unbedingten", der von Thérèse aus "La Sauvage" (1938). Das Stück "Pauvre Bitos" ist "weniger ein Pamphlet gegen die Säuberungsaktion, als eine Kampfschrift gegen die 'Wilde1. (...) Anouilh zeigt mit dem 'Armen Bitos', daß der leidenschaftliche Hang zum Unbedingten oft nicht nur ein Hang zum Nichts, sondern zum Terror ist."11 Das Stück zeigt die Revolution "wholly subsumed in the terror, seen as an early exercise in totalitarianism."12 In ihrer Phase von 1793 bis 1794 institutionalisiert sie den Terror schlechthin, der im Drama inkarniert in der Figur Robespierres erscheint. Sein Name steht dort synonym für Terror. Anouilh stützt sich weitgehend auf die Revolutionsdarstellung von Jules Michelet, wie sie klischeehaft im Allgemeinwissen des Publikums wohl vorausgesetzt werden konnte.13 Von ihm übernimmt er auch die auffallendsten Oppositionen, wie die Tugend/Laster-Dichotomie in den Figuren Robespierre und Danton14 und die Gnade/Gerechtigkeit-Dichotomie in den Gestalten Mirabeau und Robespierre.15 Anouilh bedient sich höchst ungenau der historischen Fakten;16 unter anderem läßt er Mirabeau 1793 noch unter den Lebenden weilen. Doch kommt Mirabeau die wichtige 9
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vgl. THODY: Anouilh, S. 61 - Auch Antigones Verhalten bringt den Tod über ihre Umgebung. Wichtigster Unterschied zu Bitos ist jedoch Antigones Revolte gegen einen unzulänglichen Status quo, während Bitcs ihn verteidigt Franz Norbert MENNEMEIER: Das moderne Drama des Auslandes. Düsseldorf 1961, S. 261 Pol VANDROMME: Jean Anouilh - Ein Autor und seine Gestalten S. 1 OOf JOHN: Anouilh, S. 28 vgl. Detlev KAHL: Die Funktionen des Rollenspiels in den Dramen Anouilhs. Hamburg 1974, S. 68 ff Diese taucht allerdings bereits in früheren Historiographien zur Revolution auf. Auch die Quellen berichten davon. vgl. ANOUILH in dem Text "Brasillach", wo er beschreibt, wie er bei seiner Unterschriftensammlung vergeblich den "Artikel 'Gnade'" abzusetzen suchte, (vgl. Vandromme: Jean Anouilh, S. 1410 Im Stück verkörpern Vulturne und Bitos diese beiden handlungsleitenden Prinzipien. Zu ihrer Bedeutung in der Revolution vgl. auch CAMUS: L'Homme révolté, S. 143f vgl. besonders JOHN: Anouilh, S. 29
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Funktion einer positiven Identifikations- und Kontrastfigur zu. Der historische Hintergrund dient lediglich der Diskussion der politischen Ideologien der Gegenwart, welche allerdings auf ihren Ursprung in der Revolution Ende des 18. Jahrhunderts zurückgeführt werden. Anouilh reduziert die politischen Ereignisse auf persönliche Eigenschaften der Protagonisten, weshalb er dem historischen Geschehen durchweg einen Schauspielcharakter unterlegt. Auch ästhetisch stellt er sich damit in eine hinreichend bekannte Tradition: "History functions as part of an aesthetic continuum that can be conveniently epitomized in a single dominant metaphor: the world is a stage."17
2. Theater als Strukturprinzip Die komplizierte Struktur des Dreiakters ergibt sich aus der frühzeitigen Verklammerung von Spielebene und Spiel-im-Spiel-Ebene. In "Pauvre Bitos" dient diese Technik zunächst der Illustration des Titelhelden.18 Doch ermöglicht das Verfahren vor allem eine wechselseitige Interpretation der vorgestellten historischen Ebenen, der Nachkriegszeit von 1955 und der Revolutionszeit von 1793. Das Stück beginnt mit der Vorstellung der Spielebene, welche die drei klassischen Einheiten von Zeit, Ort und Handlung wahrt. "Pauvre Bitos" spielt Mitte der fünfziger Jahre in der französischen Provinz. Ort des von Maxime geplanten Dîner de têtes ist das Kellergewölbe einer ehemaligen Karmeliterpriorei, die 1792 als Versammlungsraum des Jakobinerklubs diente und ab 1793 das Revolutionstribunal beherbergte. Die Handlung dieser Spielebene besteht in dem konspirativen Treffen der Gäste, die alle ein gemeinsames Motiv verbindet. Alle haben noch eine offene Rechnung mit Bitos zu begleichen. Alle versammeln sich auf Wunsch Maximes geschminkt und frisiert nach dem Vorbild einer historischen Figur aus der Französischen Revolution, ohne im einzelnen über den Zweck des Treffens informiert zu sein. Die Inszenierung der Intrige bildet den Handlungsrahmen des Dramas. Maxime tritt von vornherein als Regisseur und Spielleiter in Erscheinung. Sein Dîner hat er bis in die subtilsten Details als regelrechtes Theaterspiel arrangiert. Im Rahmen des gesamten Dramas erhält es daher die
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ebd. S. 33 vgl. Detlev KAHL: Die Funktionen des Rollenspiels, S. 46 ff
Inszenierung der Intrige
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Funktion eines Spiels im Spiel.19 Doch läßt es sich nicht als abgeschlossene Einheit von der Gegenwartsebene abtrennen, da diese immer wieder in das Spiel einbricht. Das Ziel von Maximes Komödie besteht in der Entblößung Bitos1 durch die Entblößung seines Idols Robespierres - und umgekehrt.20 Das Mittel seiner Wahl ist das Theater. Maximes Stück spielt 1793. Als historisch authentische Kulisse dient das Kellergewölbe des Jakobinerklubs, und die Handlung besteht aus einem fiktiven Treffen historischer Persönlichkeiten aus der Zeit der Revolution. Eine absolute Eigenständigkeit eignet dem zweiten Akt, der, umschlossen von der Rahmenintrige des ersten und dritten Aktes, als Traumspiel die Ebene der Französischen Revolution auf der Bühne realisiert. In Abhängigkeit der Gesamtkonstruktion stellt er eine weitere Potenzierung der Handlung dar und erhält den Wert eines Spiels (Traum Bitos' als Robespierre) im Spiel (Komödie/Diner Maximes) im Spiel (Schauspiel Anouilhs). Das Traumspiel selbst hat keinen stringenten Handlungsverlauf. Es fächert sich wiederum in viele einzelne Szenen auf, die jeweils autonom nebeneinander stehen. Die einzelnen Tableaux dieses Aktes zeigen, gespiegelt in der Psyche Bitos'/Robespierres, in verschiedenen Facetten den "wahren" Charakter der Revolution als das Produkt eines ehrgeizigen Karrieristen, der unter dem Schutz rigider, moralischer Postulate Rache nimmt. Die viel beschworene Tugend der Revolution, so suggeriert Anouilh, speist sich ebenso wie die Politik im allgemeinen aus unbewußten Trieben.
3. Die Inszenierung der Intrige Das Drama beginnt mit einer Introduktion in Form eines Gesprächs, das die eintreffenden Gäste miteinander führen. Es liefert vor allem Informationen über den Charakter der beiden Hauptfiguren Maxime und Bitos. Dramaturgisch hat es die Funktion eines Vorspiels. Der Charakterisierung Bitos' wird während des ganzen Stücks viel Raum gegeben, weil die politi19
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vgl. THODY: Anouilh, S. 57; H. SEILACHER: Die Bedeutung des Spiels im Spiele und die Durchbrechung der Illusion in den Dramen Jean Anouilhs. Diss. Tübingen 1969, S. 21: Dem Dîner de têtes kommt der Rang einer "Theateraufführung innerhalb des Stückes" zu. Ebenso urteilt schon Robert de LUPPÉ: Jean Anouilh. Paris (Editions Universitaires) 1959, S. 83. KAHL (Die Funktionen des Rollenspiels, S. 57) widerspricht wegen des Fehlens einiger Charakteristika. Er bemängelt besonders das Fehlen eines dramenimmanenten Publikums. vgl. Volker CANARIS: Jean Anouilh. Velber bei Hannover 1968, S. 101
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sehen Positionen, die er vertritt, auf psychische Deformationen zurückgeführt werden. Schon sein sonderbarer Name ist Omen. Der Begriff "Bitos" stammt aus dem Argot und bezeichnet die Kopfbedeckung des Provinzadvokaten: eine Melone. Diese fungiert, wie aus den zahlreichen Regieanweisungen (vgl. 440, 452, 467, 473, 507) ersichtlich, als Dingsymbol: "Bitos sur la tête, il est lui-même, dur et fort; bitos ôté, il est sans défense."21 Maxime haßte Bitos, weil er sich als Stipendiat des Jesuitenkollegs die Zugehörigkeit zu einer Klasse anmaßte, von der ihn gesellschaftlich Welten trennten. Bitos kompensierte seine daraus resultierenden Komplexe, indem er in allen Fächern der Beste war und seine adligen Mitschüler weit überflügelte. Maxime und in minderer Weise auch seine Mitschüler rächten sich. Sie nutzten Bitos' Schwäche aus, um jeden Preis die Achtung der privilegierten Söhne erringen zu wollen. Hingebungsvoll malträtierten sie den ungeliebten Streber und ließen ihn seine gesellschaftliche Inferiorität spüren. Die Rückkehr Bitos', nun in der gesellschaftlich geachteten und mit etlichen Machtbefugnissen ausgestatteten Position des Staatsanwalts der Republik, ängstigt Maxime, weil er späte Rache wittert. Bitos' Ankunft mutet ihn an wie das Auftreten der leibhaften Vergeltung: La vengeance descendant du car de Clermont-Ferrand (..) avec des gants de laine grise et une petite valise de curé bourrée de principes. (...) Il se croit Robespierre. La Justice immanente est en marche et c'est lui. La rigueur et la vertu du peuple sont dans nos murs. (377) Bitos' Erscheinen dünkt ihm ein Theatercoup zu sein, der unerwartete Ausgang einer Farce, die in seiner Jugend ihren Anfang genommen hatte: C'était la vengeance, (...) le coup de théâtre, le dénouement absolument inattendu. (377) Bitos' Coup will Maxime gleichfalls mit Mitteln des Theaters vorbeugen. Er überzeugt Bitos de se faire la tête de Robespierre (379) - eine Rolle, die nach Maximes spontanem Eindruck geradezu auf Bitos zugeschnitten ist. Für sich selbst hat Maxime die Rolle Saint-Justs reserviert, und zwar ebenfalls, weil er sich ihm sehr ähnlich glaubt: Je me suis fait la tête de Saint-Just. Le plus drôle est qu'il paraît que c'est ressemblant. (379) Unter ihren Masken erscheinen beide als ehemalige Kampfgefährten, die sich in ihrer Unerbittlichkeit, ihrem gnadenlosen Haß und ihrem Sinn für theatralische Effekte gleichen. (381)22 Sogar die Vor21
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I.C. WAKERLEY: La Parodie de l'histoire dans "Pauvre Bitos" de Jean Anouilh, S. 69 - In: French Studies in Southern Africa. 13 (1984), S. 69-75 w a s Julien für Maxime bestätigt: "Maxime (...) a un sens du théâtre étonnant."
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namen verweisen aufeinander. Zumindest in seiner Rolle trägt Bitos den gleichen Vornamen wie in der Realität Maxime: Maximilien. Viele im Stück erzählte Episoden werfen ein Schlaglicht auf den sado-masochistischen Charakter ihrer Beziehung.23 Die historischen Rollen dienen als vollkommene Abbilder der realen Beziehungen. Der adlige Vulturne spielt den konservativen Comte de Mirabeau. Im Verlauf des Stücks erweist er sich als sympathischer Mann, paternalistisch eingestellt, überlegen in seiner Nachsichtigkeit, der auch den gröbsten Ausschreitungen Maximes entgegentritt Brassac, Fabrikbesitzer bürgerlicher Herkunft, übernimmt als Großkapitalist die Rolle des Opportunisten Tallien. Der lebefreudige, ernsthaften Beschäftigungen abholde Julien erhält die Rolle Dantons. Der Lehrer Deschamps, Jugendfreund Bitos', spielt natürlich Robespierres Jugendfreund Camille Desmoulins. Ebenso tritt die sanfte und gescheite Victoire, die kurz zuvor einen Antrag Bitos' zurückgewiesen hatte, als Lucile Desmoulins auf, in die Robespierre der Historie zufolge tatsächlich verliebt war. Den clou de la soirée, le Deus ex machina sans lequel nous ne pourrions pas mener à bien la pièce (390) macht ein von Bitos wegen eines Jugendvergehens hart bestrafter, in Armut geratener junger Adliger. Er spielt den Polizisten Merda, der Robespierre in die Kinnlade schießt. Er ist Maximes besonderer Trumpf, sein Theatercoup, um envenimer und hausser un peu le ton de la farce. (391) Maxime plant, d'ourdir une vaste machination pour perdre un petit jeune homme qui m'agace (376). Er erhofft sich davon die restlose Vernichtung Bitos'. Mit einem bösen Lächeln verspricht er gute Unterhaltung, parce que la course comporte une mise à mort, ce qui est toujours distrayant. (379)24 Sein Stück konzipiert er nach einer literarischen Vorlage. Wie Molières "Tartuffe" soll es in der Entlarvung und Ächtung des Heuchlers gipfeln. Die Nutzung des dramatischen Vorbilds impliziert, daß Maxime Bitos als humanistisch getarnten Betrüger charakterisiert, der unter der Maske absoluter Gerechtigkeit die niedrigsten und eigensüchtigsten Zwecke verfolgt; - eine Einschätzung, die von den übrigen Gästen offensichtlich geteilt wird. So lehnt Vulturne zunächst die Tartuffe-Szene ab, 23
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vgl. "Pauvre Bitos", 416 zur Beziehung in ihrer Schulzeit. Aber vor allem S. 436f deutet darauf hin. Dort konstatiert der träumende Bitos/Robespierre die Ähnlichkeit seines Attentäters mit StJust und versäumt deshalb willentlich die Gelegenheit, das Attentat von sich abzuwenden. Seine verhängnisvolle Verletzung empfindet er als erlösenden Frieden. Auch später bekennt er: Je le hais. In ne sortira pas vivant de ce que tu appelles ma petite 'surprise-partie' (...). Il répète (...) avec un sourire: Pas vivant (380)
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weil diese die Rollen vertausche und Mitleid selbst mit dem Verräter wecke, und zwar im Theater wie im Leben: Cette minute au théâtre ou dans la vie, où la lumière change, où on se met à avoir pitié du traître et où les honnêtes gens ne sont plus qu'une meute assez ignoble autour de lui. (392) Doch wehrt sich Vulturne gegen seine Skrupel, weil ce n'est qu'une farce et Bitos est un homme médiocre - also einer von jenen "Lauen", bei denen selbst Gott keine Gnade kenne. (392)25 Die Anspielung Vulturnes auf die bekannte Bibelstelle verleiht dem diabolischen Spiel Maximes und mittelbar auch Anouilhs eine Rechtfertigung von allerhöchster Autorität. Mit Erscheinen Bitos endet das Vorspiel. Maxime ruft das Ensemble seines Stücks zum ersten Akt auf die Bühne: Mes enfants, en scène pour le un (395)
4. Duplizität von Realität und Historie Die Spielebene ist von vornherein doppeldeutig angelegt. Anouilh "se réfère à une double histoire, l'une encore présente dans tous les esprits, celle de l'épuration et l'autre plus ancienne, la Terreur."26 Unter der historischen Maske diskutieren die Teilnehmer des Dîners zeitgenössische Positionen. Mit zur Debatte steht die gesamte Revolutionsideologie, die in ihrem moralischen Fundament der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit als Heuchelei denunziert wird. Von vornherein besteht die Opposition "Bitos gegen die übrigen Gäste".27 Anscheinend vertritt kein anderer revolutionäres Gedankengut. Maxime, der entsprechend seiner Rolle, Bitos/Robespierres Ideale verteidigen müßte, hält sich schlau aus der Diskussion heraus. Er hält den Fortgang seines Spiels aufrecht, indem er es - wie der Spielleiter im epischen Theater - kommentiert oder wie ein Reporter als Sensationsstory anheizt.28
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vgl. Off. 3, 15-16: So, weil du lau bist und weder warm noch kalt, will ich dich ausspeien aus meinem Munde. Paul GINESTIER: Jean Anouilh. Paris (Seghers) 1969, S. 122; Ebenso VIER: "Révolution et Libération s'emboîtent l'une dans l'autre, l'avenir éclairant le passé." Vgl. Jacques VIER: Le Théâtre de Jean Anouilh. Paris (SEDES) 1976, S. 66 Eine Opposition, die sich in der Kleidung spiegelt: Bitos erscheint - umgekehrt proportional zu den anderen - aus Unkenntnis des Brauchs im kompletten RobespierreKostüm, nämlich vollständig in Himmelblau. Auf dem Kopf dagegen trägt er eine moderne Bedeckung, seine Melone. vgl. S. 407 ff, wo Maxime ein Gespräch mit der Darstellerin der Königin im Stile eines Interviews führt.
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Bitos begeistert sich für Robespierres revolutionäre Ideale, die spürbar auch seine eigenen sind: Leben in Armut, Unbestechlichkeit und Opferbereitschaft aus Liebe zum Volk. Feierlich beschwört Bitos die großartige Gemeinschaft der Revolutionäre, deren Größe sich gerade darin gezeigt habe, daß sie bereit waren, den einen oder anderen aus ihrer Mitte zu opfern. Bitos rechtfertigt diese Handlungsweise mit einem hohen ethischen Wert, nämlich der Gerechtigkeit. Diese soll absolut sein und darf nicht durch zwischenmenschliche Beziehungen, wie sie sich im Wert der Freundschaft ausdrücken, veruntreut werden. Legitimierende Instanz für eine solche Politik der Härte ist das Volk, zu dessen Wohl die hehre Opferbereitschaft geübt wird. Zwar ist es - wohl auf Grund einer unterstellten, beschränkten Einsichtsfähigkeit - außerstande, diese Art von Größe zu würdigen, aber es muß, indem es in Furcht gehalten wird, zu seinem Glück gezwungen werden.29 Tatsächlich "the people for Bitos remains an abstract idea with no roots in reality. It is an ideal in the name of which he can take revenge on life for what it has denied him and on those Over whom he can exert no natural superiority."30 Julien in seiner Rolle als Danton entlarvt Robespierres Berufung auf das Volk und die Gerechtigkeit als verkappten Haß auf das Volk, die Frauen und das Leben schlechthin. Er hasse sie, weil er sich vor ihnen fürchte. Robespierres Terror entpuppt sich in Juliens Verständnis als Folge tiefer Komplexe, die wiederum die Ursache mangelnder Genußfähigkeit sind. Julien/Danton wirft Bitos/Robespieme vor: Tu nous as tous tués parce que tu ne savais pas vivre. Ils nous auront coûté cher tes complexes. (401)
Es ist die Leugnung seiner Identität, die Bitos/Robespierre zur Flucht in eine Rolle zwingt.31 Sein einziges Vermögen - da er mit seinem Körper nichts anfangen kann - ist die Fähigkeit zu reden.32 Er bedient sich also seiner intellektuellen Fähigkeiten, um sich eine neue Identität zu schaffen, um mit Gewalt seine demütigende Herkunft abzustreifen.33 So huldigt er einem verkitschten Heldentum, das ihn in die Aura des Erhabenen, des Märtyrers für das Volk, kleiden soll. Die Bedrohlichkeit der Sucht, eine 29
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vgl. S. 401 : Ce n'est pas toujours ceux qui le mènent sur la route dure de son bonheur qu'aime le peuple. (...) Il me craignait C'était assez, puisque je travaillais pour lui H. G. MCINTYRE: The Théâtre of Jean Anouilh. London 1981, S. 96 Nur so ist Victoires Rat am Ende des Stücks zu verstehen: Restez vous-même, restez pauvre. S. 506 vgl. S. 404: Julien: Tu ne savais que parler. Un vilain petit avocat. In dieselbe Richtung weist später der manische Reinigungsdrang des träumenden Bitos.
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Rolle zu spielen, verdeutlicht der Bericht über eine Exekution, der leitmotivisch das Stück durchzieht. (385f, 418f, 492) Ein Jugendfreund Bitos1 war sieben Jahre nach dem Krieg wegen Kollaboration interniert und nach drei Jahren Untersuchungshaft schließlich zum Tode verurteilt worden. Bitos machte bei dem Prozeß den Ankläger und opferte ungerührt den Freund dem kalten Himmel seiner Prinzipien. Noch die Exekution gerät ihm zur Möglichkeit der Selbststilisierung und bietet ihm den Stoff, an dem er die Erhabenheit seiner Rolle beweisen kann. Er will als großer Tragöde agieren und beweist nur tumben Zynismus. Das makabre Ereignis verbucht Bitos als Beweis seiner moralischen Haltung und gar seiner Güte: der Kaffee sei ihm an diesem Morgen nicht bekommen, und der Tochter habe er eine Puppe geschenkt, die "Papa" und "Mama" sagen kann. (385f) Die Geschichte wirft ein Schlaglicht sowohl auf den Charakter Bitos' als auch auf sein leitendes Prinzip "Gerechtigkeit". In einem zentralen Disput zwischen Bitos und Vulturne entfacht sich eine Auseinandersetzung über den Wert handlungsleitender Prinzipien wie Gerechtigkeit und Gnade. Bitos eifert für eine absolute Gerechtigkeit, die als Ausdruck reiner Tugend die Moral auf ihrer Seite hat. In Pathos entflammt, zitiert er Robespierres bekannte Rede, wonach Gnade für Verbrecher und Royalisten Unrecht an den Schwachen und Unschuldigen bedeute. Wie schon Büchners StJust ruft er zur Legitimation die Natur selbst an, weil auch diese töte und ausrotte, um fortzuschreiten. Vulturne weist diese willkürlich gesetzte Analogie zurück. Er sei bereit, ein Erdbeben zu akzeptieren, aber nicht, wenn es von einer Handvoll Intellektueller angezettelt wird. Er lehnt die in der Politik propagierte Tugendhaftigkeit ab, weil diese erfahrungsgemäß sich als gefährlicher erweise denn die Laster-
haftigkeit: Ceux qui parlent trop souvent de l'humanité ont une curieuse tendance à décimer les hommes. (412) Wahre Revolutionen, so hält er Bitos entgegen, gingen langsam vor sich und seien unblutig.34 Der Terror sei lediglich der blutige Tribut für la hâte de quelques hommes (...) pressés de jouer leur petit rôle. (411) Bitos, der ironisch den Gedanken von der Schmierenkomödie der Revolution aufgreift, erklärt erbittert, daß diese "Komödianten" immerhin bereit waren, für ihre Ideen zu sterben. Vulturne Der Widerspruch liegt im Begriff. Revolution meint immer eine plötzliche Umwälzung, einen qualitativen Umschlag, wenn sich dieser auch über ganze Epochen vorbereiten kann. Vgl. MARX: Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Vorwort vom Januar 1859 - In: MEW. XIII, S. 8; zur Definition des Begriffs "Revolution" vgl. gleichnamigen Artikel von R. Koselleck. - In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. von O. Brunner, W. Conze, R. Koselleck. Stuttgart 1972 ff, S. 653-789. Vgl. bes. S. 734
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entkräftigt schlagfertig dieses Argument, indem er zugibt: Just dies sei ein Kennzeichen billiger Komödianten, erhöhe aber keineswegs ihr Talent. Vulturne negiert einen qualitativen Unterschied zwischen Monarch und Revolutionär; beiden gehe es um Macht, um den persönlichen Vorteil. Die Differenz reduziert er auf den Grad der Heuchelei, mit dem diese Motive versteckt werden: Les rois ont massacré (...) autant que vous, c'est vrai Ils avaient du moins le courage de dire que c'était pour le bien de leurs affaires, ou pour leur bon plaisir. (...) Louis XI n'employait pas de grands mots, il ne se donnait pas le beau rôle. Il restera éternellement dans les livres d'histoire un personnage antipathique (...). Vous et vos pareils, en faisant la même besogne, vous y avez posé la main sur le coeur. (413)
5. Revolution und Politik: Sphären für Schauspieler Im Werte Anouilhs erscheint die Revolution als die große Zeit der Schauspieler.35 Die Revolution institutionalisiert diese neue und negativ verstandene Qualität des Staatsmannes, weil der Parlamentarismus und das allgemeine Stimmrecht die politischen Entscheidungen in Abhängigkeit des rhetorischen Geschicks der Politiker bringt. Denn mit der Revolution, so klagt Louis XVffl "La Foire d'empoigne" (1960), haben die Franzosen die schlichten Belange des Lebens vergessen und stattdessen se soient mis à faire de la politique et à prendre théâtralement la vie.36 Wie sehr die politischen Ereignisse zu regelrechten Schauspielen gerieten und wie bedeutsam das mitreißend geführte Wort war, veranschaulicht der Bericht über den Prozeß gegen Danton. Offensichtlich aus Neid spielt Bitos/Robespierre die Bedeutung der Verhandlung herunter, indem er Dantons Worte als Geschwätz eines Schmierenkomödianten abtut. Doch Vulturne schildert die Verhandlung als une grande première, worin Danton un rôle de composition puissant et pittoresque spielte. (404) Sein Auftritt habe an eine große Gala gemahnt, wie sie seit dem Prozeß gegen den König nicht mehr gesehen ward, wenngleich sich Zusammensetzung und Kleidung des Publikums seither verändert hätten. Der Prozeß habe nunmehr den Eindruck eines spectacle d'avant-garde pour connaisseurs er-
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vgl. auch den Abschnitt über Nietzsche in Kap.m dieser Arbeit, S. 48f Jean ANOUILH: "La Foire d'empoigne", S. 358 - In: Pièces cœtumées. Paris (La Table Ronde) 1967, S. 299-371
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weckt.37 Nicht von ungefähr setzt Vulturne/Mirabeau den Prozeß in Beziehung zu den spektakulären Hinrichtungen bei den Römern, die als Volksfest goutiert wurden. Er preist Danton als den Star, aimée du grand public et, sensation rare, perdue depuis les Romains au théâtre, qu'on allait tuer vraiment. (404) Sieg oder Niederlage Dantons, einem - laut Walter Markov - "der gewaltigsten Stegreifredner der Geschichte"38 hing allein von seiner Gelegenheit zum Sprechen ab. Ein flugs erstelltes Dekret, das dem Angeklagten unter dem Vorwand der Gerichtsbeleidigung das Wort entzog, bedeutete für ihn die Todesstrafe. Sarkastisch rühmt Vultume dieses Vorgehen als einen der genialen Taschenspielertricks, den die französische Justiz von Zeit zu Zeit erfinde, um sauvegarder l'essentiel, c'est-à-dire de servir le régime quel qu'il soit. (405) Vultume verkoppelt damit wieder die historische Ebene mit der aktuellen Politik. Seine Replik fällt nebenbei ein vernichtendes Urteil über die französische Rechtssprechung.39 Für Anouilh bedeutet die Revolution die Geburt der Ideologie schlechthin. In einem nie gekannten Ausmaß werden fortan Menschen leeren Idealen aufgeopfert.40 Prinzipien regieren: Ordnung, Sauberkeit, Gerechtigkeit sind die Leitideen eines armen Bitos' ebenso wie die eines Robespierre. (vgl. zB. 401,448ff) Die Phrase herrscht. Das gelungen gesetzte Wort verleiht den Schein der Aufrichtigkeit, wo in Wahrheit uneingestandene egoistische Interessen walten. Der Politiker wirbt um die Stimme des Volkes, beteuert natürlich, sich nur um dessen Wohl zu sorgen, und involviert es letztlich in seine schmutzigen Geschäfte. "La Foire d'empoigne" veranschaulicht diese neue Qualität der Politik seit der Französischen Revolution. Anouilh simplifiziert dort zwei verschiedene politische Systeme, indem er sie in den Gestalten Napoleons und Louis XVIII personifiziert. Napoleon als Erbfolger der Revolution erscheint als ihr Vertreter, während Louis XVIII, als Bourbone und Herrscher der Restauration, das Ancien régime reräsentiert. Im Stück tritt der negativ konnotierte Napoleon im Gegensatz zu dem positiv aufgefaßten Louis als Theaterheld in Erscheinung. Seinem naiven Fan Leutnant D'Anouville erklärt Bonaparte: 37 38
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ebd. - Offensichtlich ein Hieb Anouilhs gegen seine Kollegen vom absurden Theater. Walter MARKOV: Revolution im Zeugenstand. Frankreich 1789-1799. Frankfurt am Main 1987.1, S. 416 vgl. Jacques VIER: Le Théâtre de Jean Anouilh, S. 73: "Interrogé sur le train du monde contemporain, Anouilh insisterait peut-être (...) sur la déchéance de la Justice." Toutes les prisons débordent d'innocence. Ce sont ceux qui y empilent leurs semblables, pour de vaines idées, gui sont les seuls coupables, klagt der gute König Louis XVIII in "La Foire d'empoigne", S. 357
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Nous ne sommes pas au théâtre. Ou, plutôt, si, nous y sommes... mais pas dans la tragédie, dans le mélo, comme au boulevard du Temple. Moi, je suis un acteur de drame historique. Je travaillais pour toute la France, moi! (...) Je me dois au public. (...) Vous avez pu remarquer que les grands acteurs vendaient presque toujours la même salade? Ils se sont fait aimer dans un certain emploi, après, ilfaut qu'ils continuent.41 Doch dem jungen Adjutanten fehlt die Einsicht in den theatralischen Charakter der Geschichte. Voll von naivem Idealismus möchte er sich für seinen Helden Napoleon aufopfern. Erst zum Schluß erkennt er den wahren Charakter seines angebeteten Idols und der durch ihn repräsentierten Ideale: alles fauler Zauber; Napoleon entlarvt sich als abgeschminkter Tragöde, der vegebens den großen Abgang sucht. Das Publikum hat ihn im Stich gelassen. Die Revolutionsposse findet so - vorerst - mit dem fünften Akt, dem endgültigen Sturz Napoleons, ihr unrühmliches Ende: J'en suis au monologue final. Seul en scène. (...) Je la vois maintenant la fin du cinquième acte (...) Dans le jacobinisme, tenez, je suis sûr qu'il y a encore de l'avenir. On n 'a pas fini de le presser en France ce citron- là.42 "Pauvre Bitos" thematisiert die noch nicht ausgepreßte Zitrone des Jakobinismus, den Anouilh in der liberalistischen Politik der Résistanceideologie zurückkehren sieht. Vor die Wahl gestellt "zwischen dem zynisch-egoistischen Heldentum Napoleons und der realistischen Großbürgerlichkeit Ludwigs"43 fällt Anouilhs Sympathie auf letztere. Doch täusche man sich nicht - die Figuren Napoleon und Louis werden in einer Doppelrolle durch den gleichen Schauspieler dargestellt. Geschichte bleibt allemal "Theater, das nur Dummköpfe in seinem trügerischen Charakter nicht begreifen."44 Ludwigs Programm, nicht hehren Idealen nachzujagen, die unweigerlich in den eigenen Tod oder den anderer führen, sondern das kleine alltägliche Glück zu suchen, wie es in der Ehe und im Beruf zu finden ist, deckt sich exakt mit den Vorstellungen des müden Danton in "Pauvre Bitos". (461) Deutlich korrespondiert die Figur Napoleons aus "La Foire d'empoigne" mit Robespierres aus "Pauvre Bitos". Je veux être terrible,45 schwärmt Napoleon. Er gefällt sich in der Rolle des gefürchteten Herr-
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ANOUILH: La Foire d'empoigne, S. 323 La Foire d'empoigne, S. 370f Joachim Kaiser im Vorwort zu J. Anouilh: Dramen. V, S. 13 Axel SCHALK: Geschichte im Einakter, S. 138 - In: Literatur für Leser. 1986, S. 134143 La Foire d'empoigne, 323
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schers (J'aime bien le silence de la peur) und veranlaßt nach seiner Rückkehr prompt eine épuration. Wie Robespierre setzt Napoleon willkürlich fest, wer als schuldig zu gelten hat: Les coupables seront ceux que nous aurons désignés.*1 Die allgemeine "Reinigung" ist auch Hauptanliegen des Anouilhschen Robespierre, als manisch gekennzeichnet durch seinen Tick, sich unablässig zu bürsten, um "sauber" zu sein. Revolution erscheint in beiden Stücke als Schmierenkomödie, darauf billige Komödianten agieren, die hinter ihren hohlen Phrasen einen tiefen, aus Komplexen gespeisten Haß verbergen. Was Coenen-Mennemeier für "Becket ou l'honneur de Dieu" (1959) diagnostiziert, das Stück zeige "den völlig privaten Charakter alles Geschichtlichen",48 gilt auch für "Bitos ou le dîner de têtes": das Phänomen der Revolution reduziert Anouilh auf private Interessen und psychische Deformationen.
6. Das Traumspiel der Revolution Der autonom stehende zweite Akt von "Pauvre Bitos" realisiert als Traumspiel die Ebene von 1794 und früher. Der ganze Akt findet in der Phantasie des ohnmächtigen Bitos statt und besteht im einzelnen aus vier Tableaus: - Groteske mit den beiden verrohten Gefängniswärtern, die den entmachteten Robespierre bewachen - Szene im Internat zwischen dem kleinen Robespierre und dem Jesuitenpater - Audienz bei Mirabeau zu Beginn von Robespierres Karriere - a) Dialog zwischen Saint-Just und Robespierre, b) Dîner bei Tallien, c) Beschluß von Saint-Just und Robespierre, die Terrorgesetze vom 22.Prairial (10.6.1794) zu verabschieden Nach Art eines analytischen Dramas enthüllt der zweite Akt, ausgehend vom Vorabend von Robespierres Hinrichtung, den Werdegang Robespierres von seiner Jugend bis zum Höhepunkt der Terreur wenige Wochen vor seinem Tod. So entsteht ein Psychogramm Robespierres, das gleichzeitig die Pathogenese Bitos' nachzeichnet. Die Internatsszene korrespondiert deutlich mit Bitos Erlebnissen in seiner Jugend, der Umschlag von Bitos' Bewunderung für Mirabeau in Haß korrespondiert mit Bitos' vergeblicher Anstrengung, Achtung und Liebe der Privilegierten zu erringen 46 47 48
ebd. 324 ebd. 325 Brigitta COENEN-MENNEMEIER: Untersuchungen zu Anouilhs Schauspiel "Becket ou L'honneur de Dieu". München 1964, S. 152
Das Traumspiel der Revolution
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und das Diner bei Tallien erscheint als das geträumte Pendant zu Maximes Diner. Dem ersten Tableau kommt eine zentrale Bedeutung zu, weil es die einzige Volksszene im ganzen Stück ist. Die beiden Angestellten Maximes, Joseph und Charles, erscheinen dort als Gefängniswärter, die den schwer verletzten Robespierre überwachen. Diese Szene wirkt in ihrer grotesken Übersteigerung wie die szenische Transformation jenes englischen Stichs aus dem Jahre 1792, der unter dem Titel "Eine SansculottenFamilie, sich stärkend nach den Mühen des Tages" Greuelpropaganda gegen die französische Republik betreibt. Die Zeichnung zeigt die Sansculotten samt Weib und Kind als Bestien, die - auf Leichen gebettet - gierig und lustvoll ihre Zähne in frisch geschlachtete Menschenleiber schlagen. Das Gespräch der beiden Wachtposten verläuft nicht minder grausig. Ein Wächter erzählt gerührt, wie er blutbesudelt von der Hinrichtung eines Pfarrers heimkam und seine kleine Tochter im Glauben, er habe ein Schwein geschlachtet, sich auf frische Blutwurst freute. Die Opfer gelten als "Kunden", der Posten des Gefängniswärters erweist sich als lukrativ wegen der Trinkgelder, die man für ein letztes Stelldichein mit Angehörigen am Abend vor der Guillotinierung kassieren kann. Beide Wärter fürchten um ihre Arbeitsplätze, wenn die Hinrichtungen zurückgehen. Beide klagen, durch das massenhafte Ereignis abgestumpft, daß das sensationelle Schauspiel der Guillotinierungen zunehmend langweile, und beide gestehen, daß sie nur mit fingierten Ausweisen, die ihre Teilnahme am Bastillesturm bescheinigten, ihre einträglichen Posten erhalten haben. Letzteres enthält eine böse Anspielung Anouilhs auf den Umstand, daß viele sogenannte Resistance-Kämpfer erst kurz vor dem Ende der Okkupation sich flugs dem Widerstand angeschlossen hatten.49 Diese Söhne des Volkes erscheinen in ihrer rohen Gleichgültigkeit, ihrer dumpfen Willfährigkeit jedwedem Regime gegenüber, nicht als die Helden der Revolution, die mit ihrem tapferen Aufbegehren die Monarchie gestürzt und der Welt Freiheit gebracht haben. Ihr herausragendes Kennzeichen "ist ihre eherne Spießbürgerlichkeit. Die zwei fühlen sich als brave, kleine Angestellte der Stadtverwaltung." Sie bedienen sich des "honetten Vokabular(s) des familienbewußten, rotweintrinkenden Kleinbürgers"50 und berufen sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit auf ihre Pflicht, die sie lediglich erfüllten. Das 49
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Offensichtlich handelt es sich dabei um ein Massenphänomen, das jeden Umsturz begleitet. Man denke nur an die sogenannten "Persilscheine" nach dem 2. Weltkrieg und jüngst an die sogenannten "Wendehälse" in der ehemaligen DDR. Franz Norbert MENNEMEIER: Das moderne Drama des Auslandes. Düsseldorf 1961, S. 263
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Argument der Pflichterfüllung, das von jeder Verantwortung entbindet, benutzt auch Bitos bei der Rechtfertigung der Exekution seines Jugendfreundes und Robespierre bei der Liquidierung seiner ehemaligen Mitstreiter. Bei Juliens Hinweis, Bitos sei nur pflichtbewußter Beamter, assoziiert zumindest der deutsche Leser die Schergen des Nationalsozialismus, die sich allesamt auf ihren Befehlsnotstand beriefen. Robespierre, derart konfrontiert mit dem Ende seiner Macht und seines Lebens, verharrt immer noch in seiner Vorstellung von Größe und Heldentum. In eitler Abgrenzung gegen seinen Rivalen Danton, den er verächtlich einen "Komödianten" nennt, denkt er sich seinen letzten Auftritt in der Rolle des schweigenden, tragischen Helden: Je ne parlerai pas. Ils n'entendront plus ma voix. Danton a crié jusqu'au bout, il a fait jusqu 'au bout des mots de théâtre pour que les hommes se les redisent après. Comédien. Moi, ils ne sauront jamais ce que j'ai pensé à partir du moment où cette petite brute m'a tiré son coup de pistolet en pleine face... (436) Kurz vor seinem Tod schweift Robespierres Blick zurück und resümiert die wichtigsten Stationen seines Lebens. Das zweite Tableau vertieft den Einblick in die psychische Disposition des Träumenden. Es zeigt die traumatischen Züchtigungen des Knaben durch die Ruten des Jesuitenpaters, der als Präfekt des Internats ausgestattet mit den Gesichtszügen des Königs erscheint. Das dritte Tableau zeigt Robespierre an der Schwelle seiner Karriere. Noch ist er ein unbekannter, junger Anwalt aus Arras, der dem von ihm bewunderten Mirabeau seine Aufwartung macht. Mirabeau, abgestoßen von Robespierres Geschraubtheit, Dogmatik und Pedanterie, rät ihm, die Rolle des Tête de turc, des Gruppenclowns, einem anderen zu überlassen und statt dessen an seiner Ausstrahlung zu feilen: Il faut nous résigner à soigner nos effets comme des ténors. (...) Ce n'est pas tout d'avoir des principes, mon bon. Après tout, nous sommes au théâtre. Il est dit que cette révolution se ferait par la parole. Il faut donc apprendre le metier de tragédien. (442fl Robespierres kurioses Anliegen, die Durchsetzung der Priesterehe, erklärt sich aus der großen Zahl an Priestern, die lediglich als Stimmvieh von Bedeutung sind. Die Szene verdeutlicht, daß es Robespierre nicht um Inhalte geht, nicht um die Macht für etwas, sondern um die Macht an sich. Die große Kraft, erklärt er Mirabeau, liege chez les médiocres, (...)parcequ'il sont le grand nombre. (444) Mirabeau hält seine patemalistische Überzeu-
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gung, alles für aber nicht durch das Volk, dagegen.51 Der Schluß der Szene leitet zum vierten Tableau über. Robespierre beharrt haßerfüllt, daß Frankreich langweilig werden müsse, um sauber zu sein. Sein manisches Bürsten, das diese Aussage begleitet, mündet in die Szene mit Saint-Just. Dieser müht sich, Robespierre von der Notwendigkeit der Liquidierung Dantons und Desmoulins' zu überzeugen. Doch hat Robespierre selbst längst die Anklagepunkte zusammengestellt. Le salut de la nation (454), so die absurde Argumentation, erfordere die Hinrichtung der Hébertisten- also der Linksaußen-Fraktion - ausgerechnet unter dem Vorwand, sie seien Royalisten. Robespierre postuliert, daß die Beschlüsse des Wohlfahrtsausschusses unantastbar seien und selbst Verstand und Vernunft, sonst immer siegreich über Despotismus und Willkür, notfalls zu schweigen hätten. Camille konstatiert die Gleichartigkeit des früheren und bestehenden Regimes als Unrechtsregime: Quelle différence entre l'arbitraire des ministres de Capet et celui d'une poignée d'hommes que nous avons faits plus puissants qu'eux? (456f) Mit Hinweis auf die allbekannte Phrasendrescherei auf der Rednertribüne möchte er Robespierres scheinheilige Ausflucht in die Gleichung, die Willkür der Könige sei Unrecht, die Willkür des Volkes hingegen sei Recht, außer Kraft setzen. Doch Robespierre, unfähig eine ironische Distanz zu seiner Rolle einzunehmen, verteidigt immer verbissener seine Politik. Seine Rolle dominiert ihn.52 Eingesperrt in sein prison de rigueur et de logique (458), ist er für die Argumente seiner Freunde unerreichbar. Selbst Lucile vermag nicht, seine Gefühle aufzubrechen. Kühl erläutert er ihr seine Prinzipien, die sich aus den Begriffen Opfer, Größe, Pflichterfüllung rekrutieren. Diese Begriffe tragen ihren Sinn in sich selbst. Ihre Anbindung an menschliche Belange ist längst verschüttet. Das ferne Ziel der Revolution besteht in einer vagen Utopie. Sie ist Vision eines Ortes, wo nous pourrons nous reposer tous ensemble, les morts et ceux qui sont encore vivants. (464) Dieses Reich, bewohnt von "neuen Menschen", soll notfalls in einem ewigen Kampf erfochten werden, ohne Rücksicht auf die Lebenden. Denn der Kampf, so Robespierre, wird geführt pour d'autres hommes, sans visage. (464) Das Gespräch mit Lucile bildet das Äquivalent zum Dialog Bitos-Victoire, wo die Unbelehrbarkeit des in seiner Rolle befangenen Revolutionärs bestätigt wird. Im Anschluß 51
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S. 444f Er begründet seine Überzeugung: Leur donner le pouvoir c'est risquer de les voir se perdre dans des problèmes secondaires à la mesure de leurs courtes vues; dans des revendications particulières. Celui qui gouverne doit prendre un peu de hauteur. vgl. H. G. MCINTYRE: The Theatre of Jean Anouilh, S. 133
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Robespierre das Konzept eines bürokratischen Totalitarismus, dessen anonyme Gesetzesmaschinerie den Terror institutionalisiert: Er entwirft die Gesetze vom 22.Prairial, das sogenannte Gesetz über die Verdächtigen, das nur auf Tod entscheiden konnte. Die Frage, wer urteilt, beantwortet er: Personne. La machine de la loi. Il est dangereux que des hommes puissent décider quelque chose d'eux-mêmes. Il faut mettre des comparses sûrs, des créatures qui ne soient rien, des imbéciles, au besoin, et les imbriquer les uns dans les autres comme des rouages, émietter leur pouvoir dans des responsabilités minuscules qui ne les engagent jamais. Il faut supprimer autant que possible les hommes et que tout semble se décider de soi. (471) Der dritte Akt variiert lediglich den ersten.53 Deschamps verabschiedet sich mit dem Bekenntnis, die gleichen politischen Anschauungen zu vertreten wie Bitos. Er zeigt Maxime, daß er viel mit Bitos und den im Stück aufgerufenen Revolutionären gemein habe. Zum Schluß klärt Deschamps die Anwesenden über den wahren Charakter des Volkes auf: es sei la race qui ne fait que donner. (477) Doch entwirft er damit ein derart rosiges Bild, daß es schlechterdings nicht als "l'opinion vraie, ou mieux l'âme de Jean Anouilh"sgewertet werden kann. Im Gegenteil diese Äußerung disqualifiziert sich selbst durch ihre unglaubliche Naivität. So geht Pronkos Hinweis, daß "for the rieh, as usual, life is a game to be played at the expense of the poor",55 völlig an der Aussage des Stücks vorbei. Dieses leugnet den Sachverhalt zwar nicht, wenn man den Dünkel der adligen Gesellschaft veranschlagt, aber es zeigt gerade, daß die aus Armut geborene Tugendhaftigkeit nicht die besseren Menschen kreiert. Im Gegenteil, Bitos' pervertierte Gerechtigkeit gipfelt in einem Fanatismus, der alles Vorherige in den Schatten stellt. Kurz vor Schluß des Stücks, das vollends ins Burleske abdriftet, wo sich Bitos seinen geplatzten Hosenboden stopfen lassen muß, ertönt desillusionierend eine "Stimme von oben", die betont, daß es sich nur um eine Komödie handele.56 Und Maxime äußert: Il y a certaines nuits où, si loin qu'on aille, on n'exagère pas. (502) Die beiden Sätze könnten als Abbitte des Autors Anouilh an den Leser gewertet werden, weil er sein Sujet ohne jeglichen Anspruch auf Objekti53 54
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vgl. MENNEMEIER: Das moderne Drama des Auslandes, S. 267 Philippe JOLIVET: Le Théâtre de Jean Anouilh. Paris (Michel Brient et Cie) 1963, S. 139 Leonard Cabell PRONKO: The World of Jean Anouilh. Berkeley, Los Angeles 1968, S. 62 S. 501: "Quelqu'un, de là-haut: Un vrai clair de lune de comédie..."
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vität behandelt. Denn "Bitos" ist eine mit äußerster Bitterkeit entworfene schwarze Farce über diejenige Art von Politik, die per defiriitionem die Moral gepachtet hat, und in dem Bewußtsein, besser zu sein als alle anderen, die Andersdenkenden tyrannisiert. Bitos ist eine Komödie, mit der Anouilh sich lustvoll seinem Haß überlassen hat, um rückhaltlos Leute vom Schlage Bitos' und deren Ideen ins Lächerliche zu ziehen. S.B. John spricht von dem "manifestly implausible plotting"57 des Dramas. Zur rechten Zeit geschehen die entscheidenen Dinge: Franz Delanoue wird entlassen, Victoire weist den Heiratsantrag von Bitos zurück und Deschamps zeigt eine ganz und gar unwahrscheinliche Bereitschaft, sich mit den Adligen zu verbünden. Doch auch die Figur Bitos' ist absolut unglaubwürdig angelegt: der ewige Erste einer Eliteschule wäre wohl zu subtileren Argumentationen fähig als La poigne. C'est ma seule amie. (494) Er wäre schließlich auch in der Lage, das Komplott zu durchschauen. Anouilh "s'amuse et nous amuse des grossières simplifications auxquelles la guerre, l'armistice, l'occupation, la résistance pouvaient donner lieu dans l'esprit du peuple."58 Anouilh hat nicht den Anspruch, objektiv zu sein. Er wirft einen vernichtenden Blick auf die Geschichte, die für ihn seit der Affäre Brasillach jeden Anschein von Größe verloren hat: Die Geschichte ist nicht schön. Diese plumpen Theatereffekte, dieses absurde Melodrama, diese finsteren Hanswurstiaden, diese fast lächerlichen, nach Konvention stinkenden Verräter, mit ihren Uniformen, ihrer Ehrenlegion, ihrem Ruhm, ihren großen Worten - das war es, das Leben.59 "Pauvre Bitos" bezeugt den "pessimisme généralisé d'Anouilh: une droite immonde et lucide, une gauche idéaliste qui ne peut être qu'inconsciente ou hypocrite."60 Die konstatierte Rollenhaftigkeit des Menschen in der modernen Gesellschaft veranlaßt Anouilhs verzweifelte Analysen, die ihn zum Theater als Weltmodell greifen lassen.61 Dessen "Struktur wird Teil der jede Lösung negierenden Weltsicht des Autors."62 57 58 59 60
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S.B. JOHN: Anouilh, S. 59 VIER: Le Théâtre de Jean Anouilh. S. 73 ANOUILH zit. nach Vandromme: Jean Anouilh, S. 146 Michel AUTRAND, Jacques BÉSAIN u.a.: La Littérature en France depuis 1945. Bordas, Paris u.a. 1970, S. 360 Marianne KESTING: Jean Anouilh - Die Ehre des Menschen, S. 110 - In: M.K.: Panorama des zeitgenössischen Theaters. 58 literarische Porträts. Rev. und erw. Neuausg. München 1969, S. 107-112 Helmut SIEPMANN: Jean Anouilh, S. 551 - In: Französische Literatur der Gegenwart in Einzeldarstellungen. Hg. von Wolf-Dieter Lange. Stuttgart 1971, S. 532-559
XI. Revolution alsritualisiertesSchauspiel: Jean Genets "Le Balcon"
1. Einführung "Le Balcon", Genets drittes Drama, das die Zerschlagung einer Revolution und die Restituierung der herrschenden Gewalt thematisiert, erschien in der ersten Fassung 1956. Eine weitere entstand 1960 und die letzte, von Genet als édition définitive bezeichnete, 1962. Diese ist weitgehend identisch mit der in die Oeuvres complètes aufgenommenen Fassung von 1968.1 Die Änderungen betreffen neben dem Umfang (Reduktion von fünfzehn auf neun Bilder) vor allem das Revolutionsmotiv.2 Bis auf die zentrale Szene, die außerhalb des Bordells spielt, hat Genet alle Szenen mit Revolutionären entfernt. Diese enthielten eine realistisch geschriebene Strategiediskussion über die Frage, ob der revolutionäre Kampf taktisches Vorgehen gestatte (Chantal) oder ob Vernunft und Tugend die unantastbaren Prinzipien stellten (Roger, gestaltet nach dem historischen Vorbild Robespierres).3 Stattdessen blieb die Revolution nun stets akustisch gegenwärtig, indem das Geräusch des Maschinengewehrfeuers alle Szenen leitmotivisch durchzieht. Die beiden ersten Versionen lagen den Inszenierungen von Peter Zadek in London (Welturaufführung 1957) und von Peter 1
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vgl. Jean GENET: Le Balcon. - In: Oeuvres complètes. Paris (Gallimard) 1968. IV, S. 33 - 135; "Le Balcon" wird im folgenden nach dieser Ausgabe unter Angabe der Seitenzahl im laufenden Text zitiert. Die vier Fassungen von "Le Balcon" im Vergleich stellt die Ausgabe von David H.WALKER, London 1982, vor. Jeannette L. SAVONA: Jean Genet. London and Basingstoke 1983, geht dagegen von 3 Fassungen aus. zu den verschiedenen Variationen vgl. Odette ASLAN: Jean Genet. Paris (Seghers) 1973, S. 71ff; Michael NERLICH: Alice im Bordell. Annäherung an Jean Genets "Le Balcon". - In: Lendemains. Jg.5. H.19 (1980), S. 85-107; David H. WALKER: Revolution and Revisions in Genet's "Le Balcon". - In: Modern Language Review. 79 (1984), S. 817-830 vgl. Robert BRUSTEIN: Antonin Artaud and Jean Genet, S. 398 - In: The Theatre of Revolt. (1962) London 1970, S. 361-411.
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Brook in Paris (französische Erstaufführung 1960) zugrunde. Beide kritisierte Genet. Die erste, weil sie eine Kriegssatire aus dem Stück machte und nicht realisierte, daß der Bürgerkrieg in Spanien den historischen Hintergrund bildete;4 die zweite, weil sie schlichtweg - wie die meisten Inszenierungen - die zentrale Revolutionsszene aussparte.5 Hier bietet es sich an, kurz auf eine müßige Diskussion einzugehen: Die Literaturkritik stuft die politischen Dimensionen von Genets Theater gern als sekundär ein. Wo Genet gewiß zu Recht in die Tradition der Poètes maudits eingereiht wird,6 legt man ihn häufig auf eine L'art-pourl'art-Position fest, die bestenfalls Einblicke in die Condition humaine gewähre. Martin Esslin z.B. betont die Irrealität der im "Balcon" gezeigten Revolte, der keinesfalls der Wert einer sozialen Geste oder einer revolutionären Tat zukomme.7Die Personen im Stück seien "nur äußere Projektionen von Urtrieben und elementaren Impulsen".8 Auch Bernard Dort, profilierter Genet-Forscher, warnt davor, die Geschichte des "Balcon" weder "comprendre littéralement (...) ou, à l'inverse - cela revient au même - la tenir pour une vision symbolique de notre monde."9 Sicher ist Genets 4
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Jean Genet zu Michel Breitman: J'ai été victime d'une tentative d'assassinat. - In: Arts. Nr.617,1. (1.5.1957) vgl. Vorwort, das Genet der 1962er Ausgabe vorangestellt hatte. Jean GENET: Comment jouer "Le Balcon" - In: Oeuvres complètes. IV, S. 271-276 Kurzanalysen zu Genets Theater mit einer Einordnung in die zeitgenössische Dramatik bieten neben Franz Norbert MENNEMEIER: Jean Genet. - In: Das moderne Drama des Auslandes. Düsseldorf 1961, S. 327-337; George WELLWARTH: Jean Genet. The Theater of Illusion and Disillusion. - In: The Theater of Protest and Paradox. Developments in the Avant-Garde Drama. New York 1964, S. 113-133; Martin ESSLIN: Das Theater des Absurden. Übers, von Marianne Falk. Reinbek bei Hamburg 1966; Marianne RESTING: Jean Genet - Das Drama als Inferno. - In: Panorama des zeitgenössischen Theaters. Rev. u. erw. Neuausg. München 1969, S. 144-150; Jacques GUICHARNAUD: The Glory of Annihilation: Jean Genet. - In: Modem French Theatre. From Giraudoux to Genet. 4.Aufl. New Haven and London 1975, S. 259-277; François BONDY: Jean Genet - der Dichter, der sich freischrieb. - In: Merkur. 31/1 (1977), S. 347-357; Und zwar noch weniger als in "Haute Surveillance" (1946) und "Les Bonnes" (1947). Vgl. ESSLIN: Das Theater des Absurden, S. 167 a 178 ESSLIN: Das Theater des Absurden. S. 178 Bernard DORT: Le Jeu de Genet, S. 1877 - In: Les Temps Modernes. 15/11 (1959-60), S. 1875-1884; Weiter unten im selben Artikel schreibt Dort jedoch, S. 1883: "La dramaturgie de Genet s'insrit, en dépit de son refus préalable de mettre en scène la réalité, dans notre réalité. Pour nous qui vivons en Ve République, dans cette république sans républicains, sous un roi sans royauté, dans un régime qui emprunte à l'Histoire ses apparences et son langage pour tenter de la nier, le jeu de Genet est loin d'être purement gratuit."
Einführung
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Theater unpolitisch, insofern es ihm nicht zur Kanzel dient, um eine konkrete politische Richtung zu propagieren. Sein Theater verzichtet auf Handlungsanweisungen und macht sich nicht zum Sprachrohr einer rational überprüfbaren Faktizität.10 Direkt äußerte er sein politisches Anliegen erst, nachdem er sein künstlerisches Schaffen abgebrochen hatte. Er ergriff Partei für die Black Panther," die RAF12 und die PLO". Sein Theater dagegen ist nicht parteiisch im Sinne von Brecht oder Peter Weiss oder einer Littérature engagée im Sinne seines Mentors und Freundes Sartre. Genet begegnet, wie er selbst betont, all seinen Figuren mit gleicher Sympathie.14 Deshalb ist es andererseits auch unsinnig, ihn auf eine politische Richtung festzulegen, ihn - wie z.B. Walter Heist - als Faschisten zu denunzieren.15 Die meisten Kritiker entdeckten jedoch die doppelte Dimension des Genetschen Theaters und ordneten ihn ästhetisch zwischen Artaud16 und Pirandello17 ein, ohne die politischen Implikationen seiner Stücke zu übersehen. Una Chaudhuri bringt es auf die schwungvolle Formel: "Genet creates a politics of theater - as opposed to politics in the theater."18 Das ästhetische Universum der Genetschen Stücke spielt so auf gesellschaftliche Konstellationen an, die zwar nicht direkt in eine konkrete soziale Realität übersetzbar sind, nicht didaktisch eine Botschaft transportieren, aber dennoch Gesellschaft und ihre Konditionen in spezifisch künstlerischer Weise interpretieren.
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vgl. Hubert FICHTE: Genet/ Hubert Fichte. Frankfurt am Main und Paris (Qumran) 1981, S. 33 vgl. das Interview "Jean Genet chez les panthères noirs" - In: L'Express vom 11.5.1970; vgl. auch Genets Gespräch mit Hubert Fichte a.a.O. vgl. Jean GENET in "Le Monde" vom 2.9.1977 vgl. Jean GENET: Quatres heures à Chatila. - In: Revue d'Etudes Palestiniennes. Paris 1982; und sein letztes, posthum erschienenes Buch: Un captif amoureux. Paris (Gallimard) 1986 vgl. Jean GENET: Lettres à Roger Blin, S. 259. - In: Oeuvres complètes. IV, S. 215263 vgl. Walter HEIST: Genet und andere. Exkurse über faschistische Literatur von Rang. Hamburg 1965 vgl. u.a. Robert BRUSTEIN: Antonin Artaud and Jean Genet. A.a.O. Brustein sieht in Genet geradezu den Exekutor von Artauds ästhetischer Theorie. vgl. besonders Bernard DORT: Genet et Pirandello ou D'un théâtre de la représentation. - In: Lendemains. Jg.5. H.19 (1980), S. 73-84 Una CHAUDHURI: The Politics of Theater: Play, Deceit, and Threat in Genet's The Blacks, S. 364 - In: Modem Drama. 28 (1985), S. 362-376
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2. Revolution und Realität versus Status quo und Spiel Alle Dramen Genets19 behandeln Situationen von Auflehnung und Rebellion. Sie thematisieren im manifesten Text: - "Haute Surveillance" (1946): Ein Mord im Negativ der Gefängnishierarchie, um soziale Anerkennung zu erlangen.20 - "Les Bonnes" (1947): Eine im ritualisierten Spiel vollzogene Rebellion zweier Domestiken gegen das demütigende Herr-Knecht-Verhältnis, die schließlich in Selbstzerstörung mündet. - "Le Balcon" (1956-61): Klassenkampfsituation - Die zum rituellen Schauspiel erstarrte Revolution verewigt die Institutionen der Macht, anstatt sie zu zerbrechen. - "Les Nègres" (1958): Rassenkampfsituation - Im ritualisierten Schauspiel antizipieren die Schwarzen die Revolution gegen die Weißen. - "Les Paravents" (1959): Der Kampf der Algerier gegen die französische Kolonialherrschaft Nur die letzten drei Stücke dehnen das Thema der Rebellion auf eine gesellschaftliche Ebene aus. Besonders "Le Balcon" und "Les Nègres" analysieren die Bedingungen einer Rebellion. Doch während "Les Nègres" sich auf die Ordnung der Rebellen konzentriert, schiebt "Le Balcon" vor allem die Ordnung der Herrschenden in den Vordergrund.21 Die den Stücken zugrundeliegenden Strukturen bezeichnen Herrschaftverhältnisse, die in der räumlichen Symbolik von "oben" und "unten", "drinnen" und "draußen" erscheinen. "Le Balcon" ist streng danach komponiert. Das Stück, bestehend aus 9 Bildern, spielt weitgehend innerhalb des Bordells. Nur die zentrale sechste Szene (die Revolutionsszene) und die knappe achte Szene (Ermordung der Revolutionsheroine Chantal) spielen außerhalb, nämlich am Fuße des Balkons. "Drinnen" symbolisiert die herrschende Gewalt, "draußen" die Sphäre der Revolution. "Oben", das sind die Salons des "Balcon", repräsentiert ebenfalls die herrschende Macht, "unten" dagegen, das ist die Straße, die Revolutionäre. Innerhalb dieser räumlichen Symbolik entstehen die beiden zentralen Oppositionen des Stücks: Realität versus Illusion, Revolution versus Status quo. Beide Komplexe überschneiden sich und interpretieren sich wechselseitig. Während der ersten Bilder eignet der Revolution, die als Geräusch in das Bordell eindringt, der Charakter des Realen, 19 20
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Abgesehen von seinem posthum erschienenen Stück "Elle". Weil dieser Mord durch den Wunsch nach Anerkennung motiviert ist, bedeutet er eher einen Akt der Anpassung als der Auflehnung gegen die herrschende Ordnung. U.a. deshalb wird er von den anderen Häftlingen als ungültig zurückgewiesen. vgl. BRUSTEIN: Antonin Artaud and Jean Genet, 394
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im Gegensatz zu der Sphäre der Illusion, die im "Balcon" herrscht. "Drinnen" dominieren also Theatralität und Täuschung, hingegen der Bereich außerhalb des Bordells als die Sphäre der Wirklichkeit, der Wahrhaftigkeit charakterisiert wird. Der Verlauf des Stücks zerstört allerdings diesen, beim Zuschauer genährten Eindruck bzw. stellt ihn in Frage. Die Revolution hat in dem Moment verloren, in dem sie selbst zum Spiel entartet und die Auslöschung der Illusion zugunsten von Realität, d.h. Authentizität, mißglückt Der Machtkampf zwischen den Revolutionären und der herrschenden Gewalt entscheidet sich auf Grund der Ambiguität von Realität und Illusion.
3. Die Spiele des Establishments: Machtkämpfe Der Titel des Stücks, "Le Balcon", bezeichnet den Namen eines exklusiven Bordells: le Grand Balcon. Bürger verwandeln sich dort in perfekt ausgeklügelten Szenarien in Repräsentanten gesellschaftlicher Macht oder Ohnmacht: in Bischof, Richter, General und Bettler. Irma, die Bordellchefin, nennt ihr Haus deshalb auch die maison d'illusions. (70) Wie Ziegler herausstellt, bezeichnet das Homonym des Balkons dreierlei: das Bordell, den wirklichen Balkon, auf dem Chantal erschossen wird und einen bevorzugten Rang im Theater.22 Alle drei Bedeutungen bleiben ständig präsent. Die erste erinnert, daß die Spiele der Macht immer mit Erotik gepaart auftreten. Die zweite verbindet die herrschende Gewalt im Inneren mit der Revolution draußen, weil der Balkon als Außenraum des Hauses dennoch diesem zugehörig bleibt.23 Die dritte evoziert einerseits einen Bezug zum Zuschauer des Genetschen Stücks,24 andererseits den privilegierten Standort der Bordellinhaber, die mit Hilfe von Spionen das gesamte gesellschaftliche Treiben innerhalb und außerhalb beobachten können. Die ersten drei Szenen zeigen die Pfeiler der abendländischen gesellschaftlichen Mächte seit zweitausend Jahren (117):25 Der Bischof verkörpert die Kirche, der Richter die Justiz und der General das Militär. Es handelt sich um Abstraktionen der Macht. Schon die Liste des Personals weist 22
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vgl. Werner ZIEGLER: Jean Genet. Metaphern der Vergeblichkeit. Untersuchungen zum dramatischen Werk. Bonn 1981, S. 41 ebd. ebd. S. 42 Daß Genet hier einen Bogen über nahezu die gesamte abendländische Geschichte schlägt, beweist die Bemerkung des Richters im 9.Bild: Nous avons attendu deux mille ans pour mettre au point notre personnage. (S. 117)
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sie als solche aus, indem diese Figuren im Gegensatz zu den Bordellbewohnern und den Revolutionären entindividualisiert unter Gebrauch des direkten Artikels aufgelistet werden: L'évêque, le juge, le général. Alle drei treten in Kostümen auf, die ihre Gestalt ins Gigantische verzerren und so visuell die Macht verdeutlichen, die von diesen Institutionen ausgeht. Im ersten Bild erscheint ein Bischof, der einer Sünderin die Beichte abzunehmen pflegt, um ihr anschließend - falls die Delinquentin genügend Reue gezeigt hat - die Absolution zu erteilen. Je schlimmer die Sünden, desto größer die Lust des Bischofs. Das zweite Bild besteht aus der sadomasochistischen Inszenierung einer Richtszene. Ein Richter verurteilt eine Diebin mit zerrissenem Kleid und läßt die Strafe von einem muskulösen Scharfrichter exekutieren. Das eindeutige Über-/Unterordnungsverhältnis der beiden ersten Szenarien erweist sich als doppelbödig: der Bischof benötigt die Sünderin, um christliche Ethik zu zeigen. Erst damit kann er sich als Bischof konstituieren. Der Richter, d.h. das Gesetz, braucht, um Gerechtigkeit ausüben zu können, denjenigen, der es übertritt, den Verbrecher. Sünderin wie Diebin vermögen daher das Machtverhältnis umzukehren, indem sie sich weigern, die ihnen zugedachten komplementären Rollen zu erfüllen: Le Juge: Mon être de juge est une émanation de ton être de voleuse. Il suffirait que tu refuses (...) Ce serait criminel Tu me priverais d'être! (520 Das dritte Bild zeigt einen General mit ängstlichem Gesicht und eine Prostituierte, die sein Pferd spielt. Das vierte Tableau stellt einen als Bettler verkleideten doch gut gekämmten Greis vor, der eine Perücke mit echten Läusen verlangt und sich von der Prostituierten demütigen läßt. Die paradoxen Zuschreibungen "ängstlich" zu General und "gepflegt" zu Clochard deuten an, daß die Spiele im Bordell Defizite des Alltags ausgleichen sollen. Gespielt wird alles, was - aus welchen Gründen auch immer einen tiefen Eindruck auf die Individuen hinterlassen hat. Wünsche und Ängste erfahren hier ihre Vergegenständlichung. Die "Nomenklatur" des Bordells führt das Panorama einer ganzen Gesellschaft.26 Alle Rollen gewinnen ihre Bedeutung aus ihrem Verhältnis zur Macht. Betrachtet man die weiblichen Pendants zu den männlichen Phantasien, so überwiegen die Rollen der Ohnmacht. (66) Gegen den Reiz dieser Spiele sind selbst die Prostituierten nicht gefeit, die ansonsten mit der Abhängigkeit ihrer Kunden von der Aufrechterhaltung der Illusion spielen. Auch Carmen vermißt 26
Balcon, S. 84: deux rois de France (...), un amiral (...), un dey d'Alger capitulant, un pompier éteignant un incendie, une chèvre attaché, une menagère, un voleur (...), un volé attaché (..), un saint Sébastien, un fermier (...) pas de chef de la police ...ni d'administrateur des colonies, mais un missionaire (...), et le Christ en personne.
Machi der Simulacra (1)
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ihre Rolle als Unbefleckte Empfängnis, weil sie die Macht entdeckte, die sie in dieser Erscheinung auf einen Bankangestellten ausüben konnte. (69)
4. Die Macht der Simulacra (1) Die vier ersten Tableaux zeigen, wie die Kunden des Bordells ein genau festgelegtes Ritual zelebrieren. Irma: Ils veulent tous que tout soit le plus vrai possible... Moins quelque chose d'indéfinissable, quifera que ce n'est pas vrai. Carmen, c'est moi qui ai décidé de nommer mon établissement une maison d'illusions, mais je n'en suis que la directrice, et chacun, quand il sonne, entre, y apporte son scénario parfaitement réglé. Il me reste à louer la salle et à fournir les accessoires, les acteurs et les actrices. " (73) Die Spiele in den einzelnen Salons haben innerhalb des Stückes die Stellung eines Spiels im Spiel inne. Es existieren alle wesentlichen Elemente: Schauspielhaus mit Directrice, Bühne, Rollenspiel, Schauspieler und sogar Zuschauer, wenn auch unsichtbare: die Zuschauer im Parkett und Irma, die mit ihren Spionen das Treiben kontrolliert. Sie macht mit den Sehnsüchten ihrer Kunden ihr Geschäft. Anscheinend bietet ihr Haus einen Ort grenzenloser Freiheit. Kein Wunsch, keine Perversion, die so abwegig wären, daß ihre Erfüllung verweigert würde. Doch der Trost, den das Spiel gewährt, wirkt wie eine Droge: Leur réveil doit être brutal A peine fini, il faut tout recommencer. (72) Irma weiß diesen Sachverhalt zu beschönigen. Sie deutet an, daß der Aufenthalt im Bordell eine Versöhnung mit dem defizitären Alltagsleben herbeiführt.27 Savona überträgt in ihrer glänzenden Analyse diesen Mechanismus auf die gesamtgesellschaftliche Struktur: "If the brothel functions as the microcosm of the established regime, the apparent freedom of its customers and prostitutes is false, since their fantasies and games have been socially conditioned. The overall structure of the society reflected by the brothel is remarkable in that it gives all its members the illusion of being free while they are mentally predetermined by the limitations or biases of their assigned roles."28 Das Interesse Irmas, ein Geschäft zu machen, kreuzt sich mit dem Interesse der staatlichen Vertreter - im Stück sind das der Polizeichef und der Gesandte -, die bestehenden Verhältnisse zu konsolidieren. Menschen, die 27
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vgl. Balcon, S. 72: Après ils ont l'esprit clair. Tout à coup, ils comprennent les mathématiques. Ils aiment leurs enfants et leur patrie. J.L. SAVONA: Jean Genet, S. 79
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sich in einen Traum flüchten, arrangieren sich. Sie nehmen eine affirmative Grundhaltung gegenüber dem Status quo ein, der sie gegen jede revolutionäre Idee immunisiert. Ja, sie sind sogar bereit, gegen die Revolution zu kämpfen, weil diese ihre Träume bedroht. Gleichzeitig erfahren die repräsentierten Mächte eine Verherrlichung, welche ihre Verewigung zur Folge hat. Den Bildern kommt eine größere Bedeutung zu als den wirklichen Bischöfen, Richtern und Generälen. Denn diese seien, so erläutert Irma supports d'une parade qu'ils doivent traîner dans la boue du réel et du quotidien. Ici la Comédie, l'Apparence se gardent pures, la Fête intacte. (73) Solange der Bürger, von der Macht dieser Bilder besessen, sie als Ideale internalisiert hat, solange können sie ihn beherrschen. Sie bilden die Ideologie, mit deren Hilfe das System regiert. Toujours les piliers de l'Empire, berichtet Carmen ironisch, und der Polizeipräsident ergänzt: Nos allégories, nos armes parlantes. (83) Ja, die Simulacra erweisen sich sogar als wirklicher denn das Original. Denn während der wirkliche Bischof nur eine Funktion beschreibt, bedeutet sein Simulacrum die Form eines Seins. (44)
5. Die Revolution zwischen Authentizität und Spiel a) Revolution und Authentizität Von Anfang an dringt die Revolution desillusionierend in das Bordell ein, dessen schützende, hermetische Abgeschlossenheit bedrohend. Sie ist akustisch anwesend durch das Knattern der Maschinengewehre und durch mündliche Berichte, welche über die Erfolge der Revolutionäre informieren. Die Revolution repräsentiert mit ihrem Blut, gesprengten Brücken etc. die Ebene der Realität. Sie stört die Besucher in ihren exzentrischen Träumen und reißt sie immer wieder aus ihrer Illusion. In allen Salons wartet man auf das Erscheinen des Polizeipräsidenten in der Hoffnung, daß dieser die Revolution niederschlage. Schon hier kündigt sich der Kampf zwischen Revolution und Konterrevolution an als ein Gefecht zwischen dem Polizeipräsidenten, Wächter über die illusionäre Sphäre des Bordells, und den Rebellen, Vertretern der Realität. Die ersten Szenen schildern die Revolution als überaus erfolgreich, den Polizeipräsidenten hingegen als unfähigen Trottel: L'évêque: Car notre préfet de police, ce pauvre incapable, nous laisse égorger par la racaille (45) Die Bezeichnung "racaille " zeigt, daß die Kunden des Bordells sich elitär gegen das Volk abgrenzen. Ebenso kommentiert der Richter die Nachricht, daß die Aufständischen strategisch
Revolution zwischen Authentizität und Spiel
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wichtige Ziele erobert hätten, ärgerlich: Et le Préfet de Police? Il se les
roule, comme d'habitude? (50) Noch die fünfte Szene steht zum großen Teil unter dem Eindruck der Stärke der Revolution und der Schwäche der herrschenden Ordnung. Bezeichnenderweise fürchtet Irma, daß die Aktionen der Rebellen besonders gegen ihr Etablissement gerichtet sind: Il me semble, que la révolte n 'a pas
pour but la prise du Palais Royal mais le saccage de mes salons. J'ai peur. (68) Klarsichtig erkennt sie, daß alle Stellen, wo die herrschende Ordnung ihre Macht rekrutiert, bedroht sind - also auch ihr eigenes Haus.29 Denn die Revolution "représente l'effort du peuple vers l'authenticité. Celui-ci organise la révolution dans le but principal de détruire les images que l'ordre social lui propose."30 Die Revolution erscheint wie eine verheerende Seuche, die keine Grenzen kennt und überall zuschlägt: La révolte est une épidémie. Elle en a le caractère fatal et sacré. (69) In der Tat verändert die Revolte auch die Beziehungen innerhalb des Bordellpersonals. Zunächst hat die Prostituierte Chantal das Bordell verlassen, um sich den Revolutionären anzuschließen. Auch Carmen scheint von dem Erreger infiziert, der Wirklichkeit, Authentizität verspricht an Stelle des unechten Lebens innerhalb des Balkons.31 Sie besinnt sich plötzlich auf ihr Kind, das dans un vrai jardin lebe und möchte dans une vraie maison ziehen. (69; 70) Doch klingt ihre Sehnsucht gar zu idyllisch. Wie sich herausstellt, spielen sowohl Carmen als auch Chantal weiterhin nur eine Rolle: Carmen, die der Mutter und Chantal "celui d'égérie de haute volée. Elle a mis son personnage au point en s'inspirant des grandes entraîneuses populaires."32 Revolutionär und daher gefährlich für die Institution des Bordells ist die Rollenüberschreitung. So gerät Irma in Panik, als sie sieht, wie Rachel und der Araber Blicke des Einvertändnisses austauschen. Die selbstironische Betrachtung des Rollenspiels gestattet eine Distanzierung, die auch die Möglichkeit zu einer Verweigerung bietet. Auch hier kommt ihr der Ausbruch Chantals in den Sinn, deren Wandlung von der Hure zur Revolutionsheroine ähnlich entstand. Irma verlangt deshalb, daß nur mit tiefem
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Balcon, S. 69: Les révoltés en veulent au Clergé, à l'Armée, à la Magistrature, à moi, Irma, mère maquerelle et patronne de boxon. Y. WENT-DAOUST: Objets et lieux dans Le Balcon de Jean Genet, S. 31 - In: Neophilologus. 63 (1979), S. 23-43 vgl. Lucien GOLDMANN: Une pièce réaliste: Le Balcon de Genet, S. 1892 - In: Les Temps Modernes. 15/11 (1959-60), S. 1885-1896 WENT-DAOUST: Objets et lieux dans Le Balcon de Jean Genet, S. 33
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Ernst von den Besuchern gesprochen werde: Un éclat de rire, ou même un sourire fout tout par terre. S'ily a sourire, ily a doute. (67) Irma bescheinigt den Revolutionären auf Grund ihres größeren Mutes eine Überlegenheit über die Armee. In erster Linie denkt sie dabei an ihr Geschäft: Si les révoltés gagnent? Je suis perdue. Ce sont des ouvriers. Sans imagination. Prudes, et peut-être chastes.33 Tatsächlich handelt es sich um einen Kampf zwischen Leben und Tod, "zwischen einer Ordnung, in der die Werte nur in der Einbildung und im Ritual existieren, und dem Versuch, eine Ordnung zu schaffen, in der die Werte ins Leben selber eingehen und die Einbildung nicht mehr nötig ist, weil das Leben authentisch (...) wird."34 b) Das Spiel der Revolution Mit Auftreten des Polizeipräsidenten ändert sich das Bild. Die Revolution scheint ihn nicht wirklich zu beunruhigen, weil er ihren Spielcharakter bereits erkannt hat: La révolte y est tragique et joyeuse, contrairement à cette maison où tout s'écoule dans la mort lente. (83) Im Gegensatz zu den anderen sorgt er sich nicht, daß die Aufständischen siegen, sondern ist ausschließlich daran interessiert, ob sein Bild schon in die Nomenklatur des Bordells aufgenommen worden ist. Irma verneint: Votre fonction n'a pas la noblesse suffisante pour proposer aux rêveurs une image qui les consolerait. Faute d'ancêtres illustres, peut-être? (84) Damit er sein Ziel erreiche, fordert sie ihn auf, noch härter vorzugehen, noch mehr zu töten. Der Polizeipräsident prahlt, sein Bild wüchse ins Kolossale, er werde der Nation beweisen, daß er un chef, un législateur, un bâtisseur sei, fähig zu construire un Empire. (85) Allmählich stellt sich heraus, daß der Polizeipräsident die Revolution ebenso braucht wie der Bischof die Sünderin und der Richter die Verbrecherin. Doch während diese im Bordell ihre Machtgelüste ausleben, plaziert er sie in der Realität. Diese gerät ihm zum somptueux théâtre, où à chaque minute se joue un drame - comme dans le monde diton se célèbre une messe. (85f) Der Verdacht drängt sich auf, daß er in der Wirklichkeit sein persönliches Szenario inszeniert und die Rebellen, ohne daß sie es wüßten, zu seinen Komplementärfiguren degradiert. Die komplementäre Situation eines Polizeistaates besteht in einer Revolution. Der Polizeipräsident schildert die Lage zwar als ernst, aber er verweist von Anfang an auf ihren spielerischen Charakter: La révolte est un jeu. D'ici, tu ne 33
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Balcon, S. 76 und 77: La horde! mais nous, nous avons nos cohortes, nos armées, nos milices (...) et nos chiffres pour nous mener à la catastrophe Lucien GOLDMANN: Genets Bühnenstücke, S. 131 - In: Alternative. H.49/50. Jg.9 (1969), S. 123-139
Kampf der Allegorien
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peux rien voir de l'extérieur, mais chaque révolté joue. Et il aime son jeu. (86f) Irmas Bedenken, daß ein Umschlag in Ernst, d.h. in die Realität stattfinden könne, beantwortet er mit dem Hinweis auf seine eigene Rolle, die innerhalb des Spiels, ihm die Siegerposition garantiert: Qu'ils essayent. Je fais comme eux, je pénètre d'emblée dans la réalité que le jeu nous propose, et comme j'ai le beau rôle, je les mate. (87) Im Emst der Revolutionäre, der Irma ängstigt, erkennt er lediglich einen Bestandteil der Rebellenrolle. (87) Die sprachlichen Formulierungen verleihen der Situation den Charakter undurchdringlicher Ambiguität Diese verunsichert den Zuschauer / Leser, ob der Spielcharakter der Revolution aus einem veritablen Spiel herrührt (als Revolutionssalon innerhalb des Bordells) oder das Dilemma "echter" Revolutionen charakterisiert, die durch das Entgleiten ins Spiel ihre Ziele aus den Augen verlieren. Nimmt man das Bordell als Symbol der bestehenden Gesellschaft, so liegt der ersten Möglichkeit eine restlos fatalistische Einschätzung zugrunde, da jede revolutionäre Bewegung immer nur Abbild, Ausfluß einer übermächtigen Ideologie sein könnte, die selbst den Protest als Bild schon vereinnahmt hätte. Die zweite Möglichkeit hingegen gesteht der Revolution immerhin eine Chance zu, wenn sie die Rituale der Macht, welche ein Kampf der Allegorien sind, verweigert und sich ausschließlich an der Verwirklichung ihrer Ziele orientiert. Irmas Warnung, daß die Revolutionäre nicht sängen, sondern die Drohung in ihren Augen läge, kennzeichnet jenes Stadium der noch "tugendhaften" Revolution. Erst als der Polizeichef erfährt, daß man eine Sektion der Revolutionäre nach einem Sternbild benannt hat, weiß er, daß er gesiegt hat: Bravo. La révolte s'exalte et s'exile d'ici-bas. Si elle donne à ses secteurs des noms de constellations, elle va vite s'évaporer et se métamorphoser en chants. (88) Die Gesänge stärken nicht die Revolution, sondern verweichlichen sie. Die Diskussion zwischen Irma und dem Polizeipräsidenten hat bereits das Dilemma der Revolution formuliert, so wie es die 6. Szene aus der Sicht der Revolutionäre wiederholt. 6. Revolution und Konterrevolution als Kampf der Allegorien Chantal benennt die Bedingungen, von denen das Gelingen der Revolution abhängt: La reine sera morte. Le Chef de la Police aura perdu. Sinon, nous ne sortirons jamais de ce bordel. (95) "Bordel" ist, wie Ziegler anmerkt, ein doppeldeutiger Begriff: zum einen bezeichnet er ein Bordell,
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Revolution als ritualisiertes Schauspiel bei Genet
zum anderen bedeutet er soviel wie Dilemma, Klemme.35 Ihre Worte spiegeln also gleichfalls die Zwielichtigkeit des Geschehens, das in der Unsicherheit liegt, ob die Revolution selbst nicht auch ein gigantisches Simulacrum darstellt. Die sechste Szene vermittelt die Revolution erstmals aus der Perspektive der Rebellen. Sie spielt auf einem Platz, in dessen Hintergrund man die Fassade des Großen Balkons erkennt. Das Personal dieser Szene besteht aus Roger, Chantal und drei bewaffneten Männern, die auf den Balkon zielen. Sie wünschen, Chantal als Mittel zur Aktivierung der Massen einzusetzen. Der Wunsch, Chantal zu leihen - und zwar im Austausch gegen 100 andere Frauen - zeigt an, daß sie bereits zur Ikone erstarrt ist. Denn Leihen bedeutet laut Duden die unentgeltliche Überlassung von beweglichen und unbeweglichen Gütern. Menschen kann man nicht leihen.36 Schon entgleitet Chantal Roger, formt sich zum Stembild am Himmel, d.h. sie immaterialisiert sich, gerät zum Zeichen, wird unwirklich: "La gravité même des insurgés fait partie du rôle. Et la révolte (...) se révèle illusion lyrique."37 Sogar das wunderschöne Liebeslied der beiden zeugt von der Unwirklichkeit dieser Liebe. Der Wechselgesang besteht bereits aus Elementen aus zweiter Hand: er erinnert an die Nacht- und Balkonszene aus Shakespeares "Romeo and Juliet" ebenso wie an das Hohelied. Das Begehren der Revolutionäre, Chantal als Symbol einzusetzen, zeigt, daß von ihr dasselbe verlangt wird wie ehemals im Bordell; das revolutionäre Sein ist ebenso Bestandteil einer Rolle: Chantal tut als revolutionäre Heroine just das, was sie im Bordell gelernt hat. Nur spielt sie jetzt für ein anderes Publikum.38 Das Urbild ihrer Rolle scheint Delacroix' berühmtes Bild "Die Freiheit führt das Volk" (1830) zu liefern. Chantal soll dieses Sinnbild der Freiheit zum Leben erwecken und damit eine Macht erhalten, die so mitreißend ist, daß sie zum Sieg führt. Die Freiheit als eine Hure gab es schon in Büchners Drama, und auch Irma kennt den Reiz, den das Bild eines gefallenen Mädchens ausstrahlt, das ein ganzes Volk befreit: Dans toute révolution, il y a la putain exaltée qui chante une Marseillaise et se revirginise. (76) Stolz betrachtet sich Chantal als l'âme et la voix" (92) des Aufstands, gleichsam über ihm schwebend. Sie wiederholt so Irmas Beschreibung des Bordells als über der Erde schwebend. Von ei35 36
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vgl. Werner ZIEGLER: Jean Genet. Metaphern der Vergeblichkeit, S. 56 Man konnte Sklaven verleihen, die allerdings juristisch als Sache behandelt wurden. Der Begriff "Leiharbeiter" erinnert heute noch an diese traurige Tradition. Jean-Marie MAGNAN: Jean Genet. (1966) Paris (Seghere) 1971, S. 176 vgl. Jean-Marie MAGNAN: Jean Genet, S. 176; vgl. auch WENT-DAOUST: Objets et lieux dans Le Balcon de Jean Genet, S. 33
Macht der Simulacra (2)
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nem Balkon herab soll sie singen; sie bestätigt damit in fataler Weise die Einschätzung des Polizeipräsidenten, die Revolution sei bereits in den Bereich der Imagination entglitten. Auch die Revolution benötigt Leitbilder, die von oben herab dem Volk verabreicht werden. Chantal, stolz auf ihr Rollenspiel (97), unterliegt schon der Entfremdung. Eingesetzt gleichermaßen von den Rebellen und den Konterrevolutionären, erweist sich ihre Allmacht als eine Illusion. Dolf Oehlers Analyse der Freiheits-Allegorien im Zuge und nach der Französischen Revolution läßt sich auch auf Genets Figur "Chantal" übertragen: "Es ist mehr als nur ein Paradox, daß die als allmächtig vorgestellte Freiheit selbst nur das wehrlose Produkt einer Rollenzuschreibung ist: die erste Lüge der Revolution, ihre Erbsünde gleichsam.'^ Rogers Überlegung déjà elle incarne la Révolution bedeutet, daß Chantal der Leib der Revolution ist. Tötet man also Chantal, dann stirbt auch die Revolution. Auf diese Weise wird Chantal zur Antwort, die die Konterrevolutionäre gesucht haben. Chantals Erschießung im 8.Bild charakterisiert eine folgerichtige Entwicklung. (106) Ja, es gelingt den Gegnern sogar, sie mit dem Nimbus einer Jeanne d'Arc zu versehen und sie der eigenen Heiligensammlung einzuverleiben. Ein Mechanismus, der - wie Esslin anmerkt, schon in Brechts "Heiliger Johanna der Schlachthöfe" geschildert ist.40 Roger sagt resignierend das Scheitern der Revolution voraus: Cent femmes. Mille et peut-être davantage. Elle n'est plus une femme. Celle qu'on fait d'elle par rage et par désespoir a son prix. C'est pour lutter contre une image que Chantai s'est figée en image. La lutte ne se passe plus dans la réalité, mais en champ clos. Sur champ d'azur. C'est le combat des allégories. Ni les uns ni les autres nous ne voyons plus les raisons de notre révolte. C'est donc qu'elle devait en arriver là. (94fl
7. Die Macht der Simulacra (2) Im siebten Bild erscheint schließlich der Gesandte der Königin und formiert die Figuren, les masques (106), zum Kampf. Er verdeutlicht noch einmal, daß es nicht um ein Gefecht zwischen veritablen Personen geht, sondern um einen Kampf der Allegorien, der jedoch nicht minder tödlich verlaufen kann:
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Dolf OEHLER: Liberté, Liberté Chérie, S. 97 ESSLIN: Das Theater des Absurden, S. 177
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Revolution als ritualisiertes Schauspiel bei Genet
J'ai dit, que nous n'avons pas une minute à perdre pour vaincre le peuple, mais attention! S'il vous adore, son orgueil pathétique est capable de vous sacrifier II vous voit rouge, soit de poupre, soit de sang. Du vôtre! (105) Ob die Königin lebt oder nicht, spielt keine Rolle; nur ihre Erscheinung ist wichtig. Die Ebenen der Illusion innerhalb des Balkons und der "wirklichen" Welt der Gesellschaft scheinen beliebig austauschbar. Schon der Revolutionär, der Chantal aufforderte, nach Erstürmung des Palastes vom Balkon herab zu singen, setzte damit - Chantal wird ja auf dem Balkon des Bordells erschossen - Palast und Bordell in eins. Der Coup des Gesandten gelingt. Bischof, Richter und General dürfen einmal außerhalb darstellen, was sie sonst nur innerhalb des Bordells spielen. Anschließend läßt der Gesandte une image vraie, née d'un spectacle faux (113) anfertigen. Der Sieger verfügt über die Geschichte selbst, denn er schreibt sie. Der Zynismus der Sieger kennt dabei keine Grenzen. Um ein Photo von einem Aufständischen zu machen, der auf der Flucht erschossen wird, genügt es z.B einen Polizisten zu bestechen, der einen Gefangenen erschießt, als er Zigaretten holt: Ce qui compte, c'est la lecture ou l'image. L'Histoire fut vécue afin qu'une page glorieuse soit écrite puis lue. (114) Just diesen Satz wiederholt Roger, als er in das Bordell kommt, um das Simulacrum des Polizeichefs zu spielen, und damit dessen Apotheose besiegelt. Zu Carmen sagt er: Dans ce que tu nommes la vie, tout a flanché. Aucune vérité n'était possible. (132) Er versucht nun sein Schicksal, mit dem des Polizeipräsidenten zu vereinigen, indem er sich selbst kastriert. Doch hier versagt die Macht des Simulacrums: Die Macht des Polizeichefs bleibt ungebrochen und sein Bild überdauert, wenn auch versehrt, dennoch in omnipotenter Kraft. Jedem Simulacrum innerhalb des Bordells liegt ein Archetypus zugrunde, in dem die Essenz aller individuellen Erscheinungen des Bildes zusammengefaßt ist. Jede Seinsweise, d.h. "Würde" innerhalb des Bordells, hat ein Urbild, welches die Reinheit der absoluten Erscheinung repräsentiert. Als Urbild des Generals fungiert Napoleon, wie die Erwähnung von Wagram und Beresina indiziert. (60)41 Dem Urbild des Richters entspricht Minos. Der Scharfrichter muß seinen Zerberus spielen. (51)42 vgl. Balcon, S. 60: Bérézina! (...) Wagram! Général! Homme de guerre et de parade, me voici dans ma pure apparence. vgl. Balcon, S. 51 : J'habite cette région de l'exacte liberté. Roi des Enfers, (...) je partage les humains qui s'y risquent. (...) Minos te parle, Minos te pèse. (Au bourreau) Cerbère?
Der Traum der Revolte
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Gewiß hat auch der Bischof ein ideales Urbild in der Geschichte, das in Zeiten der Inquisition angesiedelt ist, vermutlich Jiménez de Cisneros, Erzbischof von Toledo und Großinquistor. Das Bühnenbild spräche dafür, eine durch blutrote Wandschirme begrenzte Sakristei und ein riesiges spanisches Kruzifix, welche Assoziationen an die brutalen Zeiten kirchlicher Macht wie z.B. die Inquisition wecken. Eine neue gesellschaftliche Qualität verkörpert der Polizeichef, dessen ideales Abbild durch Franco repräsentiert wird. Die Erwähnung der Vallée de los Caïdos denotiert das bombastische Grabmal, das sich Franco bauen ließ. Auch er zwang die gefangenen Revolutionäre, zu seinen Ehren dies Monument zu errichten. Der manifeste Text läßt sich deutlich auf die Situation in Spanien zur Zeit Francos zurückführen, wie Genet selbst erklärt hat.43 Die Kastration Rogers sollte die Niederlage aller Revolutionäre des spanischen Bürgerkriegs symbolisieren.44 Auch die irritierende Mitteilung über den Bischof, er habe auf den Plätzen Toledos und Sevillas getanzt, und zwar nackt, bezieht sich vermutlich auf Vorfälle im spanischen Bürgerkrieg, als siegreiche Revolutionäre Könige und Bischöfe aus den Sarkophagen der Kathedralen holten und mit den Skeletten auf den Straßen tanzten.
8. Der Traum der Revolte Das Stück schließt in einem Kreis. Irmas letzte Worte lassen das gesamte Geschehen wie ein allnächtliches Spektakel erscheinen: Tout à l'heure, il va falloir recommencer (...) s'habiller... ah, les déguisements! Rédistribuer les rôles... endosser le mien... (Elle s'arrête au milieu de la scène, face au public.) ...préparer le vôtre... juges, généraux, évêques, chambellans, révoltés qui laissez la révolte se figer, je vais préparer mes costumes et mes salons pour demain... il faut rentrer chez vous, où tout, n'en doutez pas, sera encore plus faux qu'ici.. (135) Um jedoch auch diese Gewißheit, alles sei nur Theater gewesen, zu zerstören, hört man als letzten Laut das Knattern der Maschinengewehre.45 Auf Irmas Frage, wer das sei, die eigenen Leute oder die Revolutionäre, antwortet ihr der Gesandte: Quelqu'un qui rêve, madame. (134) Diese Worte können einerseits auf den illusionären Charakter jeglicher Revolte verwei43 44
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vgl. ASLAN: Jean Genet, S. 63f; SAVONA: Jean Genet, S. 77 Jean GENET: J'ai été victime d'une tentative d'assassinat. - In: Arts. Nr.617. 1. (1.5.1957) vgl. NERLICH: Alice im Bordell. Annäherung an Jean Genets "Le Balcon", S. 93
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Revolution als ritualisiertes Schauspiel bei Genet
sen oder darauf, daß auch die Revolte nur ein Salon innerhalb des Bordells ist. Sie können aber auch bedeuten, daß der geträumte Aufstand ein ewiges Kennzeichen der herrschenden Machtkonstellationen ist Der Traum vom Aufstand bekäme dann den Wert eines schlummernden Potentials. Der drohende Schluß von "Les Nègres" weist die gleiche Doppeldeutigkeit auf. Genet selbst schreibt im Vorwort zu "Le Balcon": Quelques poètes, de nos jours, se livrent à une très curieuse opération: ils chantent le Peuple, la Liberté, la Révolution, etc., qui, d'être chantés sont précipités puis cloués sur un ciel abstrait où ils figurent, déconfits et dégonflés, en de difformes constellations. Désincarnés, ils deviennent intouchables. Comment les approcher, les aimer, les vivre, s'ils sont expédiés si magnifiquement loin? Écrits, parfois somptueusement, ils deviennent les signes constitutifs d'un poème, la poésie étant nostalgie et le chant détruisant son prétexte, nos poètes tuent ce qu'ils voulaient faire vivre.46 Häufig versuchte man Genet auf dem Hintergrund zeitgenössischer Philosophien zu lesen: zunächst Sartre47 (Ziegler48), Bataille49 und Foucault.50 Fruchtbar wäre sicherlich ein Vergleich mit der etwas opaken Philosophie von Jean Baudrillard. Dessen These von der Agonie des Realen und Rationalen im Zeitalter totaler Simulation, wo selbst das vermeintlich Oppositionelle längst in die Macht der Simulacra integriert und jegliches "Original" verschüttet ist, mutet wie das theoretische Pendant zu Genets Bühnenstück "Le Balcon" an.51 Die Revolution scheint ein fatales Gesetz zu begleiten. Welche Ideen sie auch entwickelt, sie müssen aus der Vorstellungswelt der bestehenden Gesellschaft entnommen werden. So sehr man ein neues, schöneres Leben beschwört als die häßliche Gegenwart,
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Jean GENET in seinem Avertissement (1962) zu "Le Balcon" - In: Oeuvres complètes. IV, S. 36 vgl. Jean Paul SARTRE: Saint Genet. Comédien et martyr. Paris (Gallimard) 1952. Später sogar als Band I den Oeuvres complètes von Jean Genet zugeordnet. vgl. Wemer ZIEGLER: Jean Genet. Metaphern der Vergeblichkeit, a.a.O. vgl. Georges BATAILLE: La littérature et le mal. Paris (Gallimard) 1957, S. 199-244 vgl. Frank HOFFMANN: Der gebrochene Diskurs. Jean Genets Theater im Licht der Philosophie Michel Foucaults. Bad Honnef 1984 vgl. Jean BAUDRILLARD: Agonie des Realen. Aus dem Französischen übersetzt von Lothar Kurzawa und Volker Schaefer. Berlin 1978; Ahnliches taucht zuvor auch bei Pirandello auf. Einen Vergleich zwischen diesem und Genet liefert Bernard DORT. Vgl. Anm 17 dieses Kapitels.
Der Traum der Revolte
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"die Gegenwelt bleibt innerhalb der Welt, wie die Gegenmoral innerhalb der Moral. "52 Walker nennt zwei Themen, die das Spiel entwickele: "the construction of images and the appropriation of government."53 Die Intention des Stücks sei es, den ideologischen Kampf zu analysieren, der alle revolutionären Aktivitäten begleite und diese in ein Rollenspiel verkehre: "Genet impels us to reconsider the ideological implications of theatricality in politics."54 Die unheilige Allianz zwischen "metaphor-roles and social reality"55 scheint unüberwindbar.
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Hans MAYER: Außenseiter. (1975) Frankfurt am Main 1981, S. 299 WALKER: Revolution and Revisions in Genet's "Le Balcon", S. 820 ebd. S. 830 Ruby COHN: Currents in Contemporary Drama. Bloomington and London 1969, S. 233
XII. Revolution zwischen Surrealgroteske und Lehrstück in Dramen von Peter Weiss
1. Einleitung: Revolution als zentrales Thema bei Peter Weiss Am 29. April 1964 im Schiller-Theater in Berlin fand die Uraufführung eines Theaterstücks statt, das rasch zu einem der größten Theatererfolge in der Nachkriegszeit avancierte. Das Erscheinen des Dramas mit dem bombastischen Titel "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade"1 bescherte dem bis dahin unbekannten Autor Peter Weiss den ersehnten Erfolg. Enthusiastisch feierte die Kritik das Stück, obgleich es einem Thema verpflichtet war, das mit seinen gesellschaftskritischen Ambitionen keineswegs' geeignet schien, den Beifall der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen.2Doch warf die Diskussion einer gescheiterten Revolution und der Möglichkeit revolutionärer Veränderungen vielleicht schon einen Vorschein auf die Studentenrevolte von 1968. Die Revolution sollte fortan das beherrschende Thema der weiteren Stücke sein.3 Schon das frühe Drama "Die Versicherung" (1952) schließt mit dem Ruf nach der Revolution, und die Moritat "Nacht mit Gästen" (1963) gipfelt in anarchischer Destruktion. Doch die Rebellion gegen die bürgerliche Normalität zeigt dort nur das individuelle Aufbegehren an, den Peter WEISS: Die Verfolgung und Ermordung des Jean Paul Marat dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter der Leitung des Herrn de Sade. l.Aufl. Frankfurt am Main 1964, vom Autor revidierte Fassung 1965 (= 5.Fassung) Im folgenden zitiert im laufenden Text unter der Sigle MS plus Seitenzahl. Rothe, über den Erfolg verwundert, erklärt ihn mit dem Feuerwerk ästhetischer Reize, das das Stück biete; vgl. Wolfgang ROTHE: Deutsche Revolutionsdramatik seit Goethe. Darmstadt 1989, S. 218. Vornweg vermutet, es machte Furore, weil es "vom Publikum (...) als souveräne Widerspiegelung des sich wandelnden Zeitgeistes" aufgenommen wurde. Vgl. Heinrich VORMWEG: Peter Weiss. München 1981, S. 8 vgl. Wolfgang DÜSING: Schiller und die Französische Revolution in Peter Weiss' "Hölderlin" - In: Aufklärung. Jg.l (1986). H.2, S. 83-97; S. 84: Weiss behandelt "immer wieder sein zentrales Thema, die längst totgesagte 'Revolutionsgeschichte'."
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Revolution zwischen Surrealgroteske und Lehrstück
Protest, die Verweigerung. Dies und die wütenden Provokationen, die monströsen Verzerrungen, das Rekurrieren auf Spontaneität und Sinnlichkeit entstammen surrealistischer Programmatik. Die bösartigen, ins Groteske verzerrten Bilder zur bürgerlichen Lebenswelt verharren auf dem anarchisch-rebellischen Niveau des Brechtschen Baal und verweisen noch nicht auf die Notwendigkeit einer politischen Revolution. Erst das Marat/Sade-Stück kündigt an und vollzieht die Wende des Autors zu einer Revolution im Sinne sozialistischer Theorie. Die darauf folgenden Stücke "Gesang vom Lusitanischen Popanz" (1967) und "Viet Nam Diskurs" (1968) sind der Lehrstücktheorie Brechts verpflichtet. Ab "Trotzki im Exil" (1970) zeigt sich eine erneute Umkehr, eine Rückkehr zu den im Dokumentartheater verleugneten subjektiven Faktoren der Revolution. Diese Tendenz verstärkt sich in "Hölderlin" (1971) und kulminiert in der "Ästhetik des Widerstands" (1975-81). Das Marat/Sade-Drama bezeichnet den politischen und ästhetischen Wendepunkt im Schaffen von Peter Weiss. Insgesamt liegen fünf Fassungen des Stücks vor, deren Modifikationen in guter Brechtscher Tradition den neuen Erfahrungen bei den jeweiligen Inszenierungen Rechnung tragen.4 Sie dokumentieren gleichzeitig den politischen Entwicklungsprozeß des Autors, der von der Uraufführung in Berlin bis zur Rostocker Inszenierung durch Perten mehr und mehr der Position eines dogmatischen Sozialisten zustrebt. Die "10 Arbeitspunkte eines Autors in der geteilten Welt"5 vom September 1965 markieren den Entschluß, mit seiner Kunst entschieden für den Sozialismus Stellung zu beziehen.6 Das folgende Kapitel berücksichtigt Unterschiede und Kontinuitäten in der Revolutionsdarstellung bei Peter Weiss. Gegenstand der Untersuchung Die Änderungen betreffen - vom Epilog abgesehen - weniger die Sprechtexte der Schauspieler als vielmehr die dramaturgische Aufteilung und den optisch-akustischen Bereich in den Regieanweisungen. Einen Vergleich zu den verschiedenen Fassungen des Stücks findet man in: Materialien zu Peter Weiss' "Marat/Sade". Zusammengestellt von Karlheinz Braun. Frankfurt am Main 1967. Dieser Band wird im folgenden unter der Sigle "Mat." zitiert. vgl. Peter WEISS: 10 Arbeitspunkte eines Autors in der geteilten Welt. - In: Mat., S. 114-119 Etliche Interpreten widersprechen der Wendethese. Ein starkes Argument für die Kontinuitätsthese entwickelt Maria Schmitt. Anhand des "Divina-Commedia"-Projekts, das den Autor bereits vom Herbst 1963 bis zur "Ästhetik des Widerstands" beschäftigt hat und innerhalb dessen die Stücke "Die Vermittlung", "Der Gesang vom Lusitanischen Popanz" und der "Viet Nam-Diskurs" entstanden sind, zeichnet sie die sozialistische Position von Peter Weiss nach. Vgl. Maria C. SCHMITT: Peter Weiss' sozialistische Position. Entwicklung, Einfluß, Formkonzept, S. 27 - In: Peter Weiss. Werk und Wirkung. Hg. von Rudolf Wolff. Bonn 1987, S. 27-38
Entstehung und Hintergrund des Marat!Sade-Dramas
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ist der Umschwung von der Ambivalenz der eher surrealistischen Revolutionsbetrachtung in der verschachtelten Spiel-im-Spiel-Situation des Marat/Sade-Stücks zum Lehrstück Revolution in "Gesang vom Lusitanischen Popanz" und "Viet Nam Diskurs".
2. Anmerkungen zur Entstehung und zum historischen Hintergrund des Marat/Sade-Dramas Ursprünglich schuf Peter Weiss ein mittlerweile verschollenes Hörspiel über den Revolutionär Marat, der ihn aus verschiedenen Gründen besonders interessierte. Zum einen gilt er als einer der Väter des theoretischen Sozialismus, der lange vor Marx grundlegende Erkenntnisse zur Dialektik der gesellschaftlichen Bewegungsgesetze formuliert hatte; zum anderen zeigt sein Schicksal exemplarisch, wie eine restriktive Ideologie imstande ist, auch Worte und Theorien zu "töten", indem sie den Träger dieser Thesen zum blutrünstigen Ungeheuer stilisiert. Im Stück fassen die vier Sänger, die Repräsentanten des vierten Standes, diese doppelte Tragik der Figur Marats zusammen: Armer Marat in deinem belagerten Haus du bist uns um ein Jahrhundert voraus und während das Hackbeil draußen schellt werden deine Worte entstellt und im Blut verronnen ist alles was du an Wahrheit gewonnen." (MS 112) Und auch Sade, im Stück scheinbarer Kontrahent Marats, prophezeit am Ende der Szene "Die Nationalversammlung": Einen werden sie finden auf den sie alles abladen können und sie werden ihn ernennen zu einem blutgierigen Ungeheuer das in die Geschichte eingehen kann unter dem Namen Marat" (MS 107) Das Schicksal Sades verlief ähnlich. Auch seine Schriften verfielen, wenngleich aus anderen Gründen, dem gesellschaftlichen Verdikt. Das Interesse von Weiss an der Figur Sades rührte aus der schillernden Vita dieses Libertins, der mit seinen skandalösen Schriften die Sanktionen jedweden Regimes herausforderte. Der rigorose Individualismus des Sadeschen Denkens schien besonders geeignet, ihn als Antithese dem sozialistischen Gedankengut Marats entgegenzustellen. Die Entgegensetzung der beiden un-
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Revolution zwischen Surrealgroteske und Lehrstück
terschiedlichen Charaktere garantierte die notwendige dramatische Spannung, um den "Konflikt zwischen dem bis zum Äußersten geführten Individualismus und dem Gedanken an eine politische und soziale Umwälzung"7 zu gestalten. Sade lebte von 1740-1814. Über ein Drittel seiner Lebenszeit verbrachte er im Gefängnis. Das Ancien régime internierte ihn 1778 wegen sexueller Exzesse und versuchten Mordes. In diesen Jahren der Gefangenschaft verfaßte er fast alle seine bekannten Romane und etliche Dramen. Die Revolution befreite ihn 1790. Sade präsentierte sich als ihr Parteigänger und wurde Präsident einer Pariser Sektion. Man verdächtigte ihn konterrevolutionärer Umtriebe, als er gegen die Todesstrafe stimmte. Zu dem Nekrolog auf Marat,8 eine wahre Hymne auf Tugend, Freiheit, Vaterlandsliebe, dürfte ihn weniger die Zuneigung zu dem Ermordeten und zur Revolution inspiriert haben, sondern vor allem die Vorsicht, seinen Kopf zu schützen. 1801 wurde er für den Rest seines Lebens in Charenton interniert. Seiner engen Freundschaft mit dem Direktor der Anstalt, Coulmier,9 verdankte er das Privileg, dort seine konventionellen Theaterstücke inszenieren zu dürfen. Sade propagierte auf der Basis einer fragwürdigen naturrechtlichen Argumentation ein "naturgemäßes", triebbefreites Leben ohne gesellschaftliche Schranken bis hin zum enttabuisierten Mord.10 Marat lebte von 1744 bis 1793. Er erlangte zunächst Bedeutung als Naturwissenschaftler, welche Voltaire und Lavoisier geringschätzten, Franklin und Goethe aber hoch achteten. Im Stück spielt die Szene "Marats Gesichte" auf diese unbekannte Seite Marats an. Seine bekannteste Schrift "Die Ketten der Sklaverei" erschien 1773. Ab 1789 gab er die Zeitungen "Le Publiciste" und den "Ami du peuple" heraus. Politisch tendierte er zur äußersten Linken, die im Stück Roux repräsentiert. Er machte sich zum Sprecher des vierten Standes und wagte, das Recht auf Eigentum zu bestreiten. Ein Hautleiden, das er sich auf der Flucht zuzog, zwang ihn, den
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Peter WEISS: Anmerkungen zum geschichtlichen Hintergrund unseres Stückes. - In: MS, S. 139-143; auch abgedruckt in Mat., S. 7-11 D.A.F. Marquis de SADE: Rede zu Ehren von Marat und le Pelletier (...) - In: Schriften aus der Revolutionszeit (1788-1795). Hg. von Georg Rudolf Lind. Frankfurt am Main 1969, S. 144-148; Teilabdruck auch in Mat., S. 14-15 vgl. Anke BENNHOLT-THOMSEN; Alfredo GUZZONI: Peter Weiss' Marat/Sade und das Theaterspiel in Charenton, S. 233 - In: Zeitschrift für deutsche Philologie. 102 (1983), S. 221-239 vgl. Marquis de SADE: Franzosen, noch eine Anstrengung, wenn ihr Republikaner bleiben wollt. - In: Schriften aus der Revolutionszeit (1788-1795), S. 149-205
Entstehung und Hintergrund des Marat!Sade-Dramas
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größten Teil des Tages in einer Badewanne zuzubringen, wo ihn Charlotte Corday am 13.7.1793 ermordete. Jacques Roux (1752-1794),n ehemaliger Geistlicher, gehörte zur linksradikalen Gruppe der sogenannten Enragés. Im Stück vertritt er die praktische Seite von Marats Theorien, ihre konsequente Umsetzung. Historisch ist verbürgt, daß Marat auf der Flucht vor den Schergen der Gironde für eine Weile bei Roux unterschlüpfte, daß die Ansichten der beiden Revolutionäre aber schon damals differierten. Im Juni 1793 erwirkte Marat den Ausschluß Roux1 aus dem Club der Cordeliers. In einem Pamphlet bezichtigte er ihn als Aufwiegler und überspannten Patrioten. Einem von Roux persönlich erbetenen Widerruf widersetzte er sich. Doch bereits drei Tage nach der Ermordung Marats gab der ungeliebte Priester als Tombre de Marat" dessen Zeitschrift "Le Publiciste" weiter heraus. Das "Gesetz über die Verdächtigen", von Roux selbst unterstützt, kostete ihn im Februar 1794 den eigenen Kopf. Die Begegnung zwischen Marat und Sade ist eine Fiktion, doch boten die historischen Fakten eine Fülle an Material, das Peter Weiss in sein Drama einarbeitete.12 Er stellte wie Büchner ein intensives Quellenstudium voran,13 das neben allgemeinen Werken zur Französischen Revolution auch die zugänglichen Schriften Marats und die Romane Sades umfaßte. In letzteren fand er die Idee analysierende und philosophische Dialoge gegen Szenerien körperlicher Exzesse zu stellen.u Die Konfrontation der beiden unterschiedlichen Persönlichkeiten erlaubte ihm, das Projekt der Revolution in seiner Widersprüchlichkeit zwischen körperlichem Begehren der Einzelnen und Unterordnung unter ein allgemeines, humanitäres Ziel zu gestalten. Ausgangspunkt des Interesses von Büchner und Weiss bildet die ungebremste Perpetuität sozialer Mißstände trotz aller bisherigen Revolutionen. Beide Autoren wehren sich gegen die Vergeblichkeit des revolutionären Tuns und fassen ihr Erschrecken in die Metapher des Schauspiels. Aber anders als Büchner, der immerhin weitgehend "realistisch" die Ana11
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Die Angaben zu Roux sind der Biographie von Walter Markov entnommen. Vgl. Walter MARKOV: Der beschwerliche Weg zur Gleichheit oder die Erkenntnisse des Jacques Roux. - In: Jacques ROUX: Freiheit wird die Welt erobern. Reden und Schriften. Hg. von W. Markov. Übers, von Claus Sonnenschein-Wemer. Leipzig 1985, S. 5-32 Zum historischen Hintergrund des Stücks vgl. Karl MAURER: Peter Weiss, Marat/Sade - Dichtung und Wirklichkeit. - In: Poetica. 4 (1971). H.3, S. 361-377 Beide Dramen vergleicht umfassend Ulrike PAUL: Vom Geschichtsdrama zur politischen Diskussion. Über die Desintegration von Individuum und Geschichte bei Georg Büchner und Peter Weiss. München 1974 WEISS: Anmerkungen zum geschichtlichen Hintergrund unseres Stücks. - In: MS 140
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lyse der bürgerlichen Revolution versuchte und die Schauspielmetapher inhaltlich im Text einsetzte, verbannt Peter Weiss die Revolution konsequent in die Imagination / das Spiel de Sades und wendet damit "das Rollenspiel ins nackt Formale".15
3. Problematisierung der Revolution durch die ästhetische Konzeption Erweckt das Sujet, nämlich die Ermordung Marats, zunächst den Eindruck, es handele sich um ein Historienstück, um ein Drama aus der Zeit der Französischen Revolution, so zeigt sich schon bald, daß nicht nur die Französische Revolution, sondern Revolution schlechthin verhandelt wird. Weiss betont wiederholt die Aktualität seines Stücks. Der geschichtliche Stoff dient ihm zur Darstellung eines gegenwärtigen Konflikts, nämlich zu zeigen, welchen Sinn und welche Chancen revolutionäre Ideen in der heutigen, d.h. bürgerlichen Gesellschaft haben.16 Er zeigt die Kontinuität gesellschaftlicher Probleme, indem er versucht, die Zusammenhänge zwischen Themen, die heute aktuell sind, so darzustellen, daß man eine Einheit der Geschichte sieht. Man sieht die Anlässe von Sachen, die sich vor langen Zeiten angebahnt haben, und man sieht, wie sie sich weiterentwikkelt haben.17 Die von Weiss benutzte Spiel-im-Spiel-Technik bewirkt die Simultaneität verschiedener historischer Zeiten. Die dem Verfahren zugrunde Hegende Idee der Vielzeitigkeit18 relativiert den Blick auf die Gegenwart und liefert die Geschichte dem kontrollierenden Zugriff des Zuschauers aus.19 Bereits der Titel kündigt Theater im Theater an. Die geschichtliche Episode "gerät also von vornherein in eine doppelte Reflexion. Damit ist, was an Geschichtlichem erscheint, dem Bewußtsein unterstellt, so daß wir es weniger mit historischen Fakten als deren Interpretation zu tun haben."20 15
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Reinhold GRIMM: Spiel und Wirklichkeit in einigen Revolutionsdramen, S. 60 - In: BASIS. 1 (1970), S. 49-93 vgl. Peter WEISS im Gespräch mit Emst Schumacher. August 1965, S. 103 - In: Mat., S. 102-111 ebd. S. 104 Diese sei - so meint Weiss - durch die "Relativitätstheorie fast Allgemeingut der Literatur geworden (...)". - In: Mat., S. 95 vgl. WEISS im Gespräch mit Emst Schumacher - In: Mat., S. 104 Marianne KESTING: Verbrechen, Wahnsinn und Revolte. Peter Weiss' Marat/de Sade-Stück und der französische Surrealismus, S. 304 - In: Geschichte als Schauspiel. Hg. von Walter Hinck. Frankfurt am Main 1981, S. 304-321
Ästhetische Konzeption
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Die Ermordung Marats 1793 bildet nicht den direkten Vorwurf für die Darstellung der historischen Situation, sondern der Zugang geschieht indirekt über die subjektive Sicht Sades. Das Weissche Theaterstück zeigt die Inszenierung eines Theaterstücks, das Sade angeblich zur Unterhaltung und Erbauung ersonnen hat. (MS 12) Sein eigentliches Anliegen betrifft aber nicht den Mord an Marat, sondern er benutzt ihn als Experiment. Marats Ermordung, spektakuläres Symptom für den Umschlag der Revolution in die Terreur, liefert ihm die Folie, um die Ergebnisse der Revolution aus der Retrospektive der napoleonischen Restaurationszeit zu resümieren.2' Die skeptische Rückschau beweist ihm, daß seine Befürchtungen, der Rigorismus des rationalen Kalküls könne in eine Diktatur ausarten, sich bestätigt haben. Sade erscheint nicht nur als Autor des Stückes, sondern auch als Regisseur und Darsteller. Diese Funktionen ermöglichen es ihm, mit seinem Protagonisten Marat in einen Disput zu treten. Marat, eigentlich Geschöpf Sades, fungiert als dessen Alter ego. Der Disput ist letztlich weniger ein Dialog als ein "Monolog mit zwei Rollen",22 in dem Sade Antithesen ausprobiert. (MS 133) Der Autor Peter Weiss schließlich benutzt sein Spiel wie auch Sades Spiel im Spiel, um die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Revolution in der Gegenwart erneut zu verhandeln. Eine Analyse der Dramenstruktur ergibt eine mindestens dreifache Schachtelung von Zeit, Ort und Handlung, die Braun23 und Weinreich24 schematisiert haben: 21
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vgl. Thomas HOCKE: Artaud und Weiss. Untersuchungen zur theoretischen Konzeption des "Theaters der Grausamkeit" und ihrer praktischen Wirksamkeit in Peter Weiss' Marat/Sade. Frankfurt am Main, Bern 1978, S. 123; Hocke schreibt, Sade disqualifiziere Marats "Forderungen nach politischer und sozialer Umwälzung" als utopisch, "weil Sade die nachrevolutionäre Zeit miterlebt hat und a posteriori sprechen kann." Otto F. BEST: Peter Weiss. Vom existentialistischen Drama zum marxistischen Welttheater. Eine kritische Bilanz. Bern 1971, S. 90; Als "Denkspiel eines Schriftstellers mit sich selbst" bezeichnet Hans Mayer das Wesen des Dialogs. Vgl. Hans MAYER: Die zweifache Praxis der Veränderung (Marat - Trotzki - Hölderlin), S. 205 - In: Thomas Beckermann, Volker Can ans (Hgg.): Der andere Hölderlin. Materialien zum "Hölderlin"-Stück von Peter Weiss. Frankfurt am Main 1972, S. 205-216; Die meisten Interpreten gehen von der prinzipiellen Identität der Figuren Marat und Sade aus. vgl. z.B. Rainer TAENI: Drama nach Brecht. Eine Einführung in dramatische Probleme der Gegenwart. Basel 1968, S. 142 vgl. Karlheinz BRAUN: Schaubude - Irrenhaus - Auschwitz. Überlegungen zum Theater des Peter Weiss, S. 146 - In: Mai., S. 144-155 Gerd WEINREICH: Peter Weiss: Marat/Sade. Grundlagen und Gedanken zum Verständnis des Werks. 2. Aufl. Frankfurt am Main, Berlin, München 1981, S. 22f
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Revolution zwischen Surrealgroteske und Lehrstück
Zeitebenen: - Zeit des Spiels: Tag der Aufführung in Charenton am 13.7.1808 - Zeit des Spiels im Spiel: 13.7.1793 (Ermordung Marats) Gleichzeitig Rückblenden auf die Zeit vor 1793 und Ausblicke auf die Jahre zwischen 1793 und 1808 - Zeit von 1808 bis heute (Kommentare des Ausrufers bzw. Coulmiers) Ortsebenen - Charenton - Ort der Aufführung - Paris - Ort der Handlung - Theater - heutiger Aufführungsort Handlun gsebenen - Ermordung Marats (1793,1808 und heute) - Disputation Marat/Sade (1808 und heute) - Rahmenhandlung Coulmier (1808 und heute) Die Verschränkung von Ort und Zeit "dient der 'Verfremdung' des Geschehens, das so aus der emotionellen Zustimmung gerissen und einer immer erneuten Reflexion unterstellt wird."25 Die "synoptische Sicht"26 eröffnet die Perspektive einer "kontinuierlichen Gegenwart"27 und hindert den Leser/Zuschauer, sich der bequemen Betrachtung aus der historischen Distanz zu überlassen; also jener Haltung, die im Stück negativ durch die Instanz Coulmier repräsentiert wird. Die Verkoppelung der verschiedenen Perspektiven bewirkt, daß die genaue Bestimmung der Orte und Zeiten sich verwischt und die Revolution der Gegenwart als Aufgabe gestellt wird. Das Phänomen der Revolution zeigt sich also in einer Permanenz, die nicht in historischen Fakten fixiert werden kann. Analog zur Vervielfältigung von Ort und Zeit vervielfachen sich die Rollen. Die Figuren auf der Bühne sind Schauspieler im Stück von Weiss. Als solche spielen sie Insassen des Irrenhauses in Charenton, welche wiederum die historischen Figuren auf der Ebene von 1793 darstellen: "Oft geht das Spiel im Spiel sogar (etwa durch eingeschobene Rückblenden) in ein Spiel im Spiel im Spiel über. Das ganze Werk ist eine einzige riesige Rollenorgie, die auf mehreren Ebenen und in den verschiedensten Bereichen stattfindet. (...) Die Dramatis personae (...) sind Insassen des Irrenhauses, die historische Rollen agieren, und zwar vor geladenen Gästen. So
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26 27
Marianne KESTING: Pamphlet und Moritat. Peter Weiss, S. 336 - In: Panorama des zeitgenössischen Theaters. 58 literarische Portraits. Rev. und erw. Neuausg. München 1969, S. 334-340; Wilhelm FIESSER: Christus-Motive in Revolutionsdramen. Heidelberg 1977, S. 168 Marianne KESTING: Verbrechen, Wahnsinn und Revolte, S. 312
Ästhetische Konzeption
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entsteht nicht nur eine doppelte Bühne, sondern auch ein doppeltes Publikum".^ Nahezu jeder Darsteller erscheint als Rollenbündel und destruiert auf diese Weise die Vorstellung einer fest umrissenen, autonom handlungsfähigen Persönlichkeit. Das Marat/Sade-Drama entfaltet sich im bunten Schwung "eines von der Moritat inspirierten neuen großen Welttheaters."29 Schon der umständliche Titel verweist auf die verschütteten Traditionen des Schaubudenstücks und der Moritaten. Etliche dramaturgische Details wie der Ausrufer, die Bänkellieder, die vier Sänger, die gleichzeitig Possenreißer und Pantomimen darstellen, die Instrumente, die Kostüme und der ganze grobschlächtige grotesk-burleske Habitus erinnern an eine Jahrmarktsatmossphäre.30 Das Bombardement der ästhetischen Reize zielt auf den "frontale (n) Angriff auf die Zuschauer, der im Spiel selbst schon in der Entfesselung der Emotionen bei den Insassen ein spiegelbildliches Äquivalent findet."31 Die ästhetisch am Surrealismus orientierte Konzeption des Stücks versucht, Elemente von Artauds Theatertheorie umzusetzen.32 Dieser forderte eine absolute Revolution, die sich in einem "Fest" von politischer Qualität realisieren sollte, das sämtliche Gegensätze wie Zuschauer/Schauspieler, Bühne/Saal etc. auflösen sollte. In Abgrenzung zum Happening, das lediglich "die politische Agitation an die Stelle jener absoluten Revolution stellt, die Artaud vorschrieb", beschreibt Derrida das Artaudsche Fest: "Das Fest muß eine politische Handlung sein. Die Handlung der politischen Revolution aber ist theatralisch."33 In Ansätzen gelingt Peter Weiss die Einlösung dieser Ideen, wenn sich auf der Spielim-Spiel-Ebene die Grenzen sowohl zwischen Publikum und Schauspielern verwischen, als auch eine Revolte stattfindet, - die gleichermaßen
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Reinhold GRIMM: Spiel und Wirklichkeit in einigen Revolutionsdramen, S. 61 Heinrich VORMWEG: Peter Weiss. München 1981, S. 65 vgl. Karlheinz BRAUN: Schaubude - Irrenhaus - Auschwitz, S. 145 Manfred JAHNKE: Von der Revolte zur Revolution, S. 61 - In: Heinz Ludwig ARNOLD (Hg.): Peter Weiss, text+kritik. H.37 (1982). 2. völlig veränd. Aufl. München 1982, S. 58-65 Zur Abhängigkeit des Marat/Sade-Stücks von der surrealistischen Verbindung von Ästhetik und Revolution vgl. besonders KESTING: Verbrechen, Wahnsinn und Revolte. Peter Weiss' Marat/de Sade-Stück und der französische Surrealismus. A.a.O. und HOCKE: Artaud und Weiss. A.a.O. Jacques DERRIDA: Das Theater der Grausamkeit und die Geschlossenheit der Repräsentation, S. 371 - In: J.D.: Die Schrift und die Differenz. (1967) Aus dem Französischen von Rodolphe Gasche. Frankfurt am Main 1972, S. 351-379
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durch Körper und Geist initiiert - sich als Theater realisiert. Geschichte präsentiert sich hier also in der subjektiven Perspektive.
4. Schauspiel und Revolte im Irrenhaus Im wesentlichen symbolisieren die drei Figuren Marat, Sade und Coulmier die drei verschiedenen Zeiten. Die resignative, revolutionsabgewandte Einstellung Sades bleibt der Vergangenheit verhaftet, die optimistische, prorevolutionäre Haltung Marats als Sades Alter ego orientiert sich an der Zukunft und Coulmier vertritt die Gegenwart.34 Die Ebene von 1808, die den klassischen drei Einheiten gehorcht, spiegelt augenfällig die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland.35 Das Irrenhausmilieu, d.i. die zweite Bühne, und die Wächterinstanz Coulmiers, seiner Familie wie auch des Anstaltspersonals, d.i. das zweite Publikum, fungieren als ironisierend verfremdete Doublette unserer Gesellschaft. Der Zuschauer des Weisschen Stücks schaut also beim Blick auf das Geschehen von 1808 in sein eigenes (verzerrtes) Antlitz. Habermas schält die schlechte Alternative heraus, wenn er meint, das Stück lasse nur die Wahl, "uns mit den Insassen der Irrenanstalt oder aber mit deren Leiter zu identifizieren".36 Der Topos von der Welt als Irrenhaus prägt das gesamte Stück. Er belegt die damalige Einstellung von Weiss, daß die Welt im allgemeinen, insbesondere die Sphäre der Politik, "eine Welt des Wahnsinns"37 sei. Die Rollen und Konstellationen im Stück sind bewußt so angelegt, daß sie mühelos als Metaphern für die sozialen Verhältnisse zu entziffern sind. Die Verrückten, erklärt Weiss, haben sehr viel Ähnlichkeit mit ganz gewöhnlichen Leuten, sie leben in diesem Irrenhaus, möchten etwas sagen und haben große Schwierigkeiten, sich auszudrücken. Sie haben keinerlei Freiheit, dürfen nicht sagen, was
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vgl. Fred MÜLLER: Peter Weiss. Drei Dramen. München 1973, S. 31 vgl. Fred MÜLLER: Peter Weiss, S. 33f: "Mit der ironischen Darstellung Coulmiers soll offensichtlich eine Diagnose der gegenwärtigen Gesellschaft der Bundesrepublik gegeben werden. Zieht man hieraus die Konsequenz, so heißt die Therapie - gerade auch für die Zeitebene 1964 und damit für unsere unmittelbare Gegenwart -: Marat, Revolution." Jürgen HABERMAS: Ein Verdrängungsprozeß wird enthüllt, S. 124 - In: Mat., S. 120-124 vgl. Peter WEISS im Gespräch mit A.Alvarez (1965) - In: Mat., S. 99
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sie wollen, und wenn sie es doch täten, würde es mißverstanden oder die Machthaber würden sagen, daß es ja doch nur Irre sind38 Analog zur Spiegelung unserer Gegenwart auf der Irrenhausebene von 1808 überblendet diese das Revolutionsgeschehen von 1793. In Poes Groteske "The System of Dr.Tarr and Prof.Fether" findet sich eine ähnliche Verschränkung von Revolution, Schauspiel und Irrenhaus. Auch dort symbolisiert der Binnenraum der Anstalt den gesellschaftlichen Status quo einer revolutionierten Gesellschaft. Doch Poe benutzte die Irrenhaus-Metapher zur Denunziation sowohl der revolutionären Leitideen als auch der Revolutionäre. Bei Weiss dagegen geht es nicht darum "das revolutionäre Geschehen als Irrsinn darzustellen, sondern in den irren Darstellern der Revolution die menschliche Entfremdung im Extrem zur emotionalen Wirkung zu bringen."39 Nicht nur die Revolution, sondern auch das aktuelle System erscheint auf diese Weise "als ein Chaos von triebhaften Kräften."40 Auf die affirmative Haltung der Herrschenden in der BRD, die sich in der Überzeugung sonnen, daß das geltende politische System bereits alle revolutionären Forderungen eingelöst habe und daher keiner Revolution mehr bedürfe, verweist der selbstgefällige Stolz Coulmiers. "Heute" ist sein leitmotivisch gebrauchtes Lieblings wort. In diesem Sinne spricht er den Prolog. Er betont die Modernität und den fortschrittlichen Charakter seiner Anstalt: Als moderne und aufgeklärte Leute sind wir dafiir daß bei uns heute die Patienten der Irrenanstalt nicht mehr darben unter Gewalt sondern sich in Bildung und Kunst betätigen und somit die Grundsätze bestätigen
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ebd. S. 98f Rainer NÄGELE: Zum Gleichgewicht der Positionen. Reflexionen zu Marat/Sade von Peter Weiss, S. 163f - In: Basis. 5 (1975), S. 150-165 Ähnlich urteilt Brigitte KELLER-SCHUMACHER: Eine Interpretation des "Marat/Sade" von Peter Weiss. Frankfurt am Main 1973, S. 421: "Das Irrenhaus, mit seinen Szenen von Deformation und Krankheit, das 'anomal'-krankhafte Verhalten der Patienten und die Repression durch das Personal bilden eine gesellschaftliche Wirklichkeit ab, wie das machtlose Individuum sie erfährt. Deformation als Krankheitsbild und das Torturverhalten der Obrigkeiten kennzeichnen gerade seine Erfahrung der Ohnmacht, die eine (...) Entfremdung zwischen Einzelnem und Allgemeinem und der Subjekte untereinander mit sich bringt." KESTING: Verbrechen, Wahnsinn und Revolte, S. 313
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die wir einmal im feierlichen Dekret der Menschenrechtefiirimmer geprägt" (MS 12) Sein salbungsvolles Plädoyer für Humanität und Menschenrechte straft der Verlauf des Stücks allerdings Lügen. Es genügt ein Blick auf das Personal der Anstalt, um zu zeigen, wie restriktiv das System ist, dem er vorsteht. Die Schwestern, gemeinhin Symbole der Nächstenliebe, werden von athletischen Männern gespielt, die Pfleger, mit Uniform und Knüppeln ausgerüstet, sehen wie Schlächter aus. (MS 9) Beim leisesten Anzeichen von Aufruhr greifen sie rigoros ein. Alle Rollen sind einer strengen Zensur unterworfen. Der Spieler des Roux, geistig völlig gesund, aber politisch mißliebig, darf sich nur in Zwangsjacke bewegen. Als Sprachrohr Coulmiers dient der Ausrufer. Im Gegensatz zu Sade reagiert er prompt auf Coulmiers Einwände und Ängste. (MS 80f) Allerdings führt er seine Aufgabe derart übertrieben gewissenhaft aus, daß seine Beschwichtigungen den umgekehrten Adressaten erreichen: er besänftigt Coulmier anstatt der Spieler. Er verhindert so eine Unterbrechung des Spiels und vertritt subversiv die Interessen der Insassen. Ebenso zielt er auf die unterschwellige Provokation des heutigen Publikums, wenn er sich in doppeldeutiger Weise an das verehrte Publikum richtet.41 Kranke führen das Drama im Drama auf, ihr jeweiliges Leiden skizziert ein Charaktermerkmal ihrer historischen Rolle.42 Die Symptome ihrer Krankheit relativieren ihre Aussagen im Stück. Der Darsteller des Marat leidet an Paranoia.43 Die besessene Jagd der historischen Gestalt auf Hypokriten erscheint so als Ausdruck eines Verfolgungswahns, das beständige Kratzen als Symptom einer Reinigungssucht, die sich in den massenhaften Guillotinierungen niederschlägt. Beides geht einher mit maßloser Selbstüberschätzung: Ich bin die Revolution (MS 27). Die Darstellerin der Corday leidet an Somnambulie. Die Trance, in der sie die Rolle ausführt, verleiht der historischen Rolle den Charakter der Willfährigkeit. Auf diese Weise entsteht der Eindruck, die Corday sei als ausführendes Instrument
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vgl. MS 16, 24 u. 96 (Ausrufer: Verehrtes Publikum/ Zusammengesetzt aus allen Ständen/ weist über das Publikum/ ist auch das Ensemble in diesen Wänden/ zeigt auf die Schauspieler) vgl. Thomas HOCKE: Aitaud und Weiss, S. 125 Hocke zitiert Maurice Nadeaus Definition der Paranoia, die exakt auf die Rolle Marats zutrifft: "Beziehungswahn, in dem der Kranke systematisch die Welt und sein ich, dem er eine übersteigerte Bedeutung verleiht, umdeutet. (...) Vollkommen geordnetes, in sich klares, zusammenhängendes Wahnsystem. Der Paranoiker erlangt dadurch einen Zustand, in dem er sich allmächtig fühlt, was häufig darüber hinaus zu Größenwahn oder Verfolgungswahn führt. (...) Halluzinationen." HOCKE: Artaud und Weiss, S. 122f
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versteckter Interessengruppen mißbraucht worden.44 Gleichzeitig denunziert die Überlagerung der Ermordung mit der Bedeutung des Coitus interruptus die angebliche Befreiungstat der Corday als sexualpathologische Triebbefriedigung. Der Darsteller des Duperret, ein Erotomane, ist gewitzt genug, um seine Rolle weidlich seiner Leidenschaft dienstbar zu machen. Duperrets Gesellschaftsutopie erhält auf diesem Hintergrund einen eigensüchtigen Anstrich. (MS Iii) Dagegen sind andere Rollen weitgehend mit der Person des Darstellers identisch. Der Mönch in der Zwangsjacke, der den Roux mimt, ist wegen politischer Radikalität interniert, seine Rolle von der Zensur gestutzt worden. Er spielt also im Grunde sich selbst. Die vier Sänger, Repräsentanten des vierten Standes, werden von ehemaligen Landstreichern dargestellt. Sie vertreten ebenfalls ihre eigene Sache. Auch Sade spielt sich selbst. Er allein tritt ohne jede Spaltung in Rolle und Selbst auf. Die Verquickung von "Spiel-Rolle und Existenz-Rolle"45 auf der Irrenhausebene forciert den dramatischen "Grundvorgang des Stückes (...): Das Rivalisieren des Spiels mit dem Spiel im Spiel. Die Aufführung eines Theaterstücks im Irrenhaus entfaltet sich zu einem Machtkampf zwischen den Anstaltshäftlingen und ihren Hütern, zwischen den Irren und Abnormen und denen, die sie durch die Dressur im Spiel einer Normierung zu unterwerfen trachten."46 Ab der fünften Szene, der Huldigung Marats, beginnt das Spiel im Spiel mit einer Introduktion, die den historischen Hintergrund und die Problemstellung umreißt. Die Sänger rekapitulieren die "Entartung der Revolution in den monarchischen Absolutismus Napoleons."47 Sie entlarven die revolutionären Ideen als zynische Stillhalteparolen: In Freiheit verhungern, in Brüderlichkeit verdrecken, in Gleichheit verrecken. (MS 22) Bei Marat beklagen sie die verratene Revolution: Marat was ist aus unserer Revolution geworden. Marat wir wolln nicht mehr warten bis morgen Marat wir sind immer noch arme Leute und die versprochenen Änderungen wollen wir heute." (MS 21)48
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vgl. Manfred HAIDUK: Der Dramatiker Peter Weiss. Berlin (Ost) 1977, S. 62 Otto F.BEST: Peter Weiss. Vom existentialistischen Drama zum marxistischen Welttheater. Eine kritische Bilanz. Bern, München 1971, S. 86 Ulrike PAUL: Vom Geschichtsdrama zur politischen Diskussion, S. 122 Henning RISCHBIETER: Peter Weiss. Velber bei Hannover 1974, S. 65 Diese Replik sprechen die vier Sänger, anarchische Repräsentanten des vierten Standes gemeinsam mit dem Chor, der eher die "wankelmütige vox populi repräsentiert".
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Revolution zwischen Surrealgroteske und Lehrstück
Der rebellische Ton steigert sich im Verlauf des Stücks. Schon ziemlich zu Beginn fordern die Patienten lautstark ihre Befreiung ein:
Wer hält uns zu Unrecht gefangen wer sperrt uns einl wir sind gesund und wollen in Freiheit sein." (MS 22)
5. Revolution im Spannungsfeld von theoretischer Reflexion und körperlichem Exzeß49 Sades Inszenierung des Theaterstücks über die Revolution entfesselt sukzessive eine Revolte im Irrenhaus. Sein Spiel greift von Anfang an in das reale Leben der Irrenhausgesellschaft ein. Auf dem Hintergrund dieser Geschehnisse findet die theoretische Auseinandersetzung statt. Die erstickte und niemals vollendete Revolution begründet den Ausgangspunkt des gesamten Stücks:
Es zeigt sich/ daß es in der Revolution um die Interessen von Händlern und Krämern ging/ Die Bourgeoisie eine neue siegreiche Klasse und darunter der Vierte Stand wie immer zu kurz gekommen " (MS 59) Auf der Basis dieses pessimistischen Fazits disputieren Marat und Sade über die Möglichkeit einer Revolution, die sich nicht ihren Zielen entfremdet. Der Disput setzt in der 12.Szene mit dem Gespräch über Leben und Tod ein und wird immer wieder durchbrochen von spontanen Reaktionen und exzessiven, triebhaften Ausbrüchen der Insassen auf die vorgebrachten Thesen.50 Die anspruchsvolle Disputation bricht sich an der grobschlächtigen, "lauten", dramaturgischen Umsetzung und setzt den Zuschauer der Dialektik von emotionalem "Stress" und rationaler Reflexion aus. Die Vielfalt der Bühnenmittel, die Halluzinationen Marats oder der Kranken, die Aktionen auf der Bühne, die Songs etc. illustrieren und kommentieren den theoretischen Disput zwischen Sade und Marat. Dieser
49
50
Vgl. BEST: Peter Weiss. Vom existentialistischen Drama zum marxistischen Welttheater, S. 86 Hier zeigt sich, wie sehr Weiss mit seinem Körpertheater dem Artaudschen "Theater der Grausamkeit" verpflichtet ist. Auch Heiner Müller greift darauf zurück. vgl. z.B. das umgekehrte Vaterunser als Reaktion auf "Marats Liturgie" in der 14.Szene (MS 43f); der auf Sades Schneider-Exempel reagierende Patient (MS 46)
Theoretische Reflexion und körperlicher Exzeß
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stellt die rationale Ebene des Problems dar, jene vertreten die sinnliche Ebene. Derart wiederholen sich Sades These und Marats Antithese in der formalen Präsentation.51 Sade veranschlagt den Tod als Prinzip alles Lebens.52 Die Gleichgültigkeit der Natur, deren Gesetz dem Stärkeren das Recht über den Schwächeren zubillige, provoziert Sade zu einem Kampf gegen diese Natur. Sade bestreitet, daß dem menschlichen Leben von Natur aus ein Wert zukomme: Jeder Tod auch der grausamste / ertrinkt in der völligen Gleichgültigkeit der Natur! Nur wir verleihen unserm Leben irgendeinen Wert" (MS 35) Die Wertsetzung menschlichen Lebens beweise sich an der Art seines Sterbens. Als Beispiel schildert Sade die grausame Hinrichtung und Folterung des Damien. Er preist sie als ein Volksfest. Denn die Lust der Zuschauer, die die Qualen des Opfers als Stimulans für ihre voyeuristischen und sexuellen Triebe gebrauchen, entspringt der naturhaften Seite des Menschen. Gleichzeitig entreißt gerade die ungeheuerliche Tortur den Sterbenden der gleichgültigen Natur, indem sie seinem Tod durch die Besonderheit seines individuellen Sterbens einen Sinn verleiht. Die mechanisch durchgeführte und bürokratisch verordnete Guillotinierung bleibt dagegen sinnlos: Unsere Inquisition macht uns schon keinen Spaß mehr! (...) Unsere Morde haben kein Feuer/ weil sie zur täglichen Ordnung gehören! Ohne Leidenschaft verurteilen wir! kein schöner individueller Tod mehr! (...) nur ein anonymes entwertetes Sterben! in das wir ganze Völker schicken könnten! in kalter Berechnung (MS 37) Sade träumt zunächst von einer riesigen Orgie der Rache, sieht aber bald wie die Revolution zu einem bürokratischen Alltag gerinnt, der eine sinnlose mechanische Vergeltung praktiziert, ausgeführt in einer stumpfen Unmenschlichkeit! in einer eigentümlichen Technokratie. (MS 71) Mit ei51
52
Rischbieter empfindet die "Balance zwischen Illusion und Anti-IUusion" als zu "labil". Vgl. Henning RISCHBIETER: Peter Weiss. Velber bei Hannover 1974. Desgleichen kritisiert P.Schneider die kunstvolle Dialektik von Reflexion und Illustration. Vgl. Peter SCHNEIDER: Über das Marat-Stück von Peter Weiss, S. 129 ff Vgl. Freud, der sagt: Das Ziel alles Lebens ist der Tod. - Sigmund FREUD: Jenseits des Lustprinzips. - In: Das Ich und das Es und andere metaphysische Schriften. Frankfurt am Main 1960, S. 147
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nem bitteren Fazit kehrt er sich deshalb von der Revolution ab, denn sie führe zu einem Versiechen des einzelnen zu einem langsamen Aufgehen in Gleichförmigkeit zu einem Absterben des Urteilsvermögens zu einer Selbstverleugnung zu einer tödlichen Schwäche unter einem Staat dessen Gebilde unendlich weit von jedem einzelnen entfernt ist und nicht mehr anzugreifen ist (MS 72) Die Verkehrung der revolutionären Ideale in einen totalitären Staat veranlaßt Sade, skeptische Überlegungen zur menschlichen Natur anzustellen. Als Movens menschlicher Handlung veranschlagt er unbewußte, subjektive Motive, die selten altruistischer, sondern in der Regel egoistischer Natur sind. Sade erkennt, daß es weniger ein allgemeines Ziel, sondern immer ein persönlicher Mangel sei, der die Menschen zur Revolution führe, von dieser aber niemals getilgt werden könne. Das gemeinsame Ziel einer befreiten Menschheit dient nur als goldener Schild, hinter dem die Befriedigung rein persönlicher Interessen verfolgt wird. (MS 84) Sade negiert die Erkennbarkeit einer objektiven Wahrheit: Um zu bestimmen was falsch ist und was recht ist/ müssen wir uns kennen! Ich/ kenne mich nicht/ (...) Was wir tun, ist nur ein Traumbild/ von dem was wir tun wollen und nie sind andere Wahrheiten zu finden als die veränderlichen Wahrheiten der eigenen Erfahrungen (MS44f) Die Unberechenbarkeit menschlichen Handelns belegt Sade mit dem Beispiel eines Schneiders, der sich bei Ausbruch der Revolution von einem philosphisch begabten, zarten musischen Mann (MS 45) in ein reißendes Tier verwandelte. Unter der masochistisch genossenen Geißelung bekennt Sade: In einer Gesellschaft von Verbrechern/ grub ich das Verbrecherische aus mir selbst hervor/
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um es zu erforschen und damit die Zeit zu erforschen/ in der ich lebte. (MS 68ß Sade führt das Mißlingen der Revolution zum einen auf die Triebnatur des Menschen zurück, zum anderen auf die Einseitigkeit aller Gesellschaftutopien, die das Gewicht auf Geist und Vernunft legten und die leibliche Seite des Menschen, die wesentlich stärker als alle Ideen wirke, unberücksichtigt ließen. Er resümiert: Da habe ich gelernt daß dies eine Welt von Leibern ist und jeder Leib voll von einer furchtbaren Kraft und jeder allein und gepeinigt von seiner Unruhe Marat diese Gefängnisse des Innern sind schlimmer als die tiefsten steinernen Verliese und solange sie nicht geöffnet werden bleibt all euer Aufruhr nur eine Gefängnisrevolte die niedergeschlagen wird von bestochenen Mitgefangenen (MS 123fi Die 8. Szene stellt Marat vor, wie er im Fieber die Selbstläufigkeit des revolutionären Prozesses halluziniert: Einmal dachten wir daß ein paar hundert Tote genügten/ dann sahen wir daß tausende noch zu wenig waren! und heute sind sie nicht mehr zu zählen. (MS 26) Wie bei Danton in Büchners Revolutionsdrama weckt der Traum Schuldgefühle, die er vergeblich mit Hinweis auf die überall verborgenen Heuchler zu unterdrücken sucht. Die 11.Szene, genannt "Triumph des Todes", zeigt Marat, wie er mit klarem Kopf die Terreur verteidigt: Was jetzt geschieht ist nicht aufzuhaltenl (...) Was sind die Opfer die jetzt gebracht werden! gegen die Opfer die sie brachten. (MS 32) Begleitet werden seine Ausführungen von pantomimisch dargestellten Guillotinierungen, welche die Patienten zu einem Ballspiel mit den abgeschlagenen Köpfen reizen. Das anarchische Spiel setzt ein Diktum aus "Dantons Tod" szenisch um, wonach man die Guillotine, Instrument des Schreckens und der Macht, lachen machen muß, damit die Leute keinen Respekt mehr vor ihr haben.53 Marat befindet sich im Stück an einer zeitlichen Schwelle, wo die Korruption der Revolution sich bereits ahnungsvoll in seine Träume und Halluzi53
vgl. "Dantons Tod" 111,6; SWB I, S. 58 Heiner Müller nimmt die Idee in "Der Auftrag" zum gleichen Zweck wieder auf. Vgl S. 268 dieser Arbeit.
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nationen mischt, wo er aber dennoch das Durchhalten propagieren kann, weil er den Fortgang der Geschichte nicht kennt. Sade dagegen spricht als Überlebender, der sich nach der gescheiterten Revolution enttäuscht von der Wirklichkeit abkehrt und in seiner Imagination verschließt.54 Marats Antwort skizziert Sades Position als den typischen Skeptizismus des Privilegierten, der leicht die Vergeblichkeit kollektiver Anstrengung konstatieren und akzeptieren kann, da er selbst nicht zu den in Armut lebenden Massen gehört. Marat wendet ein, daß Sades angenommene Gleichgültigkeit der Natur nur eine willkürliche Setzung sei, entsprungen eigener Apathie. Er hält ein anderes Extrem dagegen: Gegen das Schweigen der Natur stelle ich eine Tätigkeit In der großen Gleichgültigkeit erfinde ich einen Sinn Anstatt reglos zuzusehn greife ich ein (MS 38f) Sades individualistischer Sinnsetzung stellt Marat eine allgemeine gegenüber. Seiner Forderung, die Dinge neu zu sehen, um sie zu verändern, gibt er in seiner "Liturgie" exemplarischen Ausdruck. Untermauert durch phrasenhaft gesprochene Litaneien, verdeutlicht er die Mechanik der Unterdrückung, die sich in Gestalt wohlfeiler Trostsprüche für das Volk als ideologisch geschmierte Verzahnung der Machtbereiche von Adel und Kirche offenbart.55 Sades anthropologischer Fixierung auf Hobbes' bellum omnium contra omnes setzt Marat eine historische Sicht entgegen.56 Er wendet damit Sades niemals in ein noch nicht: So verseucht sind wir von den Gedankengängen! die Generation von Generation übernahm!(...) Wir sind die Erfinder der Revolution! doch wir können noch nicht damit umgehn! 54
55
56
vgl. MS, 48: Sade: Du wolltest Dich einmengen in die Wirklichkeit/ und sie hat dich in die Enge gedrängt/ Ich/ habe es aufgegeben mich mit ihr zu befassen/ mein Leben ist die Imagination/ Die Revolution/ interessiert mich nicht mehr. vgl. MS, 39-43 - Die Benennung der Szene als "Marats Liturgie" suggeriert keineswegs, wie Buddecke meint, daß Marat sich die "Rolle des Hohen Priesters der Revolution" anmaßt, sondern ironisiert die gesalbte Verbrämung der herrschenden Lehren. Vgl Wolfram BUDDECKE: Die Moritat des Herrn de Sade. Zur Deutung des "Marat/Sade" von Peter Weiss, S. 322 - In: Geistesgeschichtliche Perspektiven. Rückblick - Augenblick - Ausblick. Hg. von Götz Grossklaus. Bonn 1969, S. 309-344 vgl. HAIDUK: Der Dramatiker Peter Weiss, S. 67
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Im Konvent sitzen immernoch Einzelne/ jeder von seinem Ehrgeiz beseelt! und jeder will etwas von früher übernehmen. (MS 48) Wo Sade verächtlich auf die Massen pfeift, die im Kreis laufen, betont Marat das schon Gewonnene. Man stürzte ein Gesindel (...), das fett über uns thronte, doch installierte sich flugs eine neue Klasse von Ausbeutern. Gegen Sades Warnung, daß Gerechtigkeit, begriffen als Verteilungsfrage, die Probleme nur verschöbe und die Masse keine Gleichheit wünsche, weil diese Fortschritt und Entfaltung persönlicher Kreativität verhindere, propagiert Marat ein Niederreißen bis zum Grunde (MS 64), das auch die Mitläufer und Halbherzigen vernichtet. Roux zieht prompt die Konsequenz aus Marats Worten und startet seine erste Agitation: Greift zu den Waffen/ kämpft um euer Recht (MS 60) In seiner zweiten Agitation verlangt er die Umsetzung der revolutionären Thesen in die Praxis. Er fordert die Öffnung der Speicher, Verstaatlichung der Werkstätten und Fabriken, Alphabetisierung des Volkes, Beendigung des Krieges. Sein abschließender Aufruf an Marat zeigt das ganze Dilemma einer Revolution, die aus der Unfähigkeit, ihre Ideen direkt auf die Wirklichkeit anzuwenden, sich in endloser Vernichtung immer neu erstehender Gegner verzettelte: Denn die Revolution! sie soll nur einen Augenblick währen! wie ein einschlagender Blitz! der alles verzehrt! in blendender Helle (MS 67) Ohne Sade zu widerlegen, orientiert sich Marat an der unverändert schlechten Wirklichkeit. Das Volk, das Sade dem kranken Marat an die Seite stellt, bildet einen starken Fürsprecher für Marat, gleichzeitig aber seinen herbsten Widerspruch, weil "es nicht de Sade [ist], der Marats weltanschauliche Lösung erschüttert, als vielmehr das Volk, das noch immer mit knurrendem Magen dasteht."57 Im 31. Bild, dem Interruptus, verzögert Sade die Ermordung Marats, um ihm in einer Vorausschau den weiteren Verlauf der Revolution zu zeigen. In einem sarkastischen Resümee fassen die vier Sänger zusammen, wie die Revolution in das Kaiserreich Napoleons mündet:
57
Werner MITTENZWEI: Zwischen Resignation und Auflehnung, S. 899 - In: Sinn und Form. Vom Menschenbild der neuesten westdeutschen Dramatik. 16Jg. (1964). H.6, S. 894-908
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(...) zu Ehren der Revolution nennt ersieh Kaiser Napoleon Das ist ein Schauspiel das können wir dir sagen wir sehn es an mit knurrendem Magen (MS 129) Während Marat stets die Notwendigkeit einer Veränderung ins Feld führt, beweist Sade ständig ihre Unmöglichkeit. Beide hegten die Hoffnung auf eine vollständige Umwälzung der Verhältnisse. Beide teilen die Verachtung für die frühere Gesellschaft und die Ablehnung der Klasse, welche die Erbschaft der Revolution angetreten hat, nämlich das Bürgertum. Beide sind Schriftsteller58 und beide leben völlig isoliert, Marat in seiner Badewanne, Sade in seiner Anstalt. Sades Diktum "Mein Leben ist die Imagination" ist daher auch auf Marat anzuwenden. So durchdacht und wahr seine Theorie auch schien, so stimmig seine Argumente (MS 112) sie läßt sich nicht unmittelbar in die Wirklichkeit übersetzen: "Die Theorien entgleiten jeweils in einen dunklen Grund, was sich selbst als mythische Destruktion verstand, fällt in der Praxis diesem wieder anheim. Was Peter Weiss hier feststellt, ist das Umschlagen von Theorie bzw. Metapolitik in den Mythos, wenn die Praxis bzw. die politische Applikation erfolgt."» Die Aktualität von Sades Ansatz zeigt sich in der Anbindung an moderne Theorien von Freud bis Marcuse.6Besonders Wilhelm Reich erklärte bekanntlich den politischen Totalitarismus aus verdrängter und verstümmelter Sexualität. Weiss versucht den orthodoxen Sozialismus um die Perspektive der Innensicht zu erweitem. Es geht um "die Erkenntnis, daß die grotesken Deformierungen unseres Innenlebens in der Geschichte des gesellschaftlichen Kollektives ihren Hintergrund haben und Grund. "61 Sade ist als "modemer Vertreter des dritten Standpunkts (...) zwischen dem sozialistischen und individualistischen Lager"62 zu erkennen, wie ihn Weiss konzipiert hat, wohl als künstlerische Entäußerung seiner eigenen politischen Position. Weiss schreibt: Sade als Vorkämpfer des absolut freien Menschen beßrwortet auf der einen Seite die soziale Änderung (die Marat
58
59 60 61
62
Ladislaus LÖB: Peter Weiss's "Marat/Sade": A Portrait of the Artist in Bourgeois Society. - In: Modern Language Review. 76 (1981), S. 383-395 Wilhelm FIESSER: Christus-Motive in Revolutionsdramen. Heidelberg 1977, S. 189 vgl. NÄGELE: Zum Gleichgewicht der Positionen, S. 161 W.G. SEBALD: Die Zerknirschung des Herzens - Über Erinnerung und Grausamkeit im Werk von Peter Weiss, S. 273 - In: Orbis Litterarum. 41 (1986), S. 265-278 WEISS, Mat., S. 94
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fordert), doch sieht er auf der anderen Seite die Gefahren, die bei einem entarteten Sozialismus in einem totalitären Staat entstehen können.® Das Marat/Sade-Stück von Weiss beschwört wie später Heiner Müller die Kontinuität der Gewalt in der Geschichte, an der auch die Revolutionen nichts zu ändern vermochten. Ebenfalls wie Müller rückt er die Kategorie des Körpers ins Blickfeld, auf dem die Menschheitsgeschichte eingeschrieben steht. "Die oberste Wahrheit von Weiss' Theatrum mundi ist und bleibt die des Physischen, (...) die Wahrheit des Fleisches."64 Das Stück mündet in eine Revolte, Aufbegehren des Volkes, das in der Ekstase des Aufstands die beiden theoretischen Antinomien verknüpft: die individuelle Lust und die politische Praxis. In der Tat sind die Verliese des Innern aufgebrochen, und die Körper marschieren. Das totale Chaos läßt sich nicht schrecken von den Waffen der Herrschenden. Coulmier flüchtet. Das entfesselte Volk rennt die Pfleger, die mit äußerster Brutalität die Revolte einzudämmen suchen, über den Haufen. Doch ist das Ereignis durchaus ambivalent zu beurteilen: Hoffnung oder Menetekel? Die Bewegung der Masse im Gleichschritt zur Marschmusik, das triumphierende Lachen Sades, das Niedertrampeln Roux' und die Apotheose Napoleons zeigen das grausige Antlitz der Masse, die, beliebig manipulierbar, für allerlei leicht faßbare und einen unmittelbaren Nutzen versprechende Ziele in Bewegung zu setzen ist. Es weckt nicht zuletzt Assoziationen an den Nationalsozialismus, der schließlich auch Massen zu bewegen vermochte. Andererseits eignet der Kraft der Massen auch ein positives Element. Hinter dem Ausbruch exzessiver Kräfte steckt eine ungeheure Energie, die wohl geeignet ist, der Welt eine neue Richtung aufzuzwingen. Schon Flaubert bewunderte diese Kraft des Volkes, wobei er sich jedoch beeilte hinzuzufügen, daß die Macht nicht in die Hände des Volkes gehöre. Unübertroffen zeigt die Verfilmung der Londoner Inszenierung von Peter Brook das janusköpfige Gesicht des Aufstands der Massen. Dort sagt Sade zum Schluß im englischen Text: It's easy to make mass mouvements mouving.65
63 64 65
ebd. vgl. ROTHE: Deutsche Revolutionsdramatik seit Goethe, S. 224f zit. nach Mat., S. 85
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6. Revolution als Lehrstück in "Gesang vom Lusitanischen Popanz" und im "Viet Nam Diskurs"66 Im Gegensatz zur reflexiven, gebrochenen Revolutionsdarstellung im Marat/Sade-Stück, das auch in seiner letzten Fassung vorwiegend skeptische Züge trägt, nehmen sich die Stücke "Der Gesang vom Lusitanischen Popanz" und "Viet Nam-Diskurs" zuversichtlich aus. Über das Lehrstück soll nun die Masse ihre revolutionäre Rolle einüben bzw. durch Peter Weiss eingeübt bekommen. Die Möglichkeit revolutionärer Veränderung wird nicht länger in Frage gestellt, sondern ihre Notwendigkeit als Prämisse vorausgesetzt. Das Schauspiel der Revolution findet nun statt als Drama der dritten Welt. Denn Peter Weiss sieht den Hauptwiderspruch unserer Epoche zwischen Sozialismus und Imperialismus und versteht die Befreiungsbewegungen als Teil des weltweiten Klassenkampß gegen imperialistische Ausbeutung und Unterdrükkung.67 Das Theater dient nun als Ort der Agitation. Ästhetisch stellt sich Peter Weiss damit in die Lehrstück-Tradition Brechts,68 politisch ergreift er entschieden Partei für den Sozialismus. a) Der "Gesang vom Lusitanischen Popanz" Der "Gesang vom Lusitanischen Popanz" wurde 1967 in Stockholm uraufgeführt. Das Stück sollte im Rahmen des Divina Commedia-Projekts im Purgatorio-Teil behandelt werden, wo er, den Gedanke (n) an eine Veränderung der Lage,® die Möglichkeit der Unterdrückten, sich zur Wehr zu setzen, in den Vordergrund stellt.70 Hoffnungsvoll weist das Ende in die Zukunft und schließt mit der Replik des Chors: 66
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Die Stücke "Gesang vom Lusitanischen Popanz" und "Viet Nam Diskurs" werden im folgenden zitiert nach Peter WEISS: Stücke 11,1. Frankfurt am Main 1977. Die Anmerkungen erscheinen unter den Siglen LP und VD mit Seitenzahlen versehen im laufenden Text. Ingeborg SCHMITZ: Dokumentartheater bei Peter Weiss. Von der "Ermittlung" bis "Hölderlin". Frankfurt/Main, Bern 1981, S. 94 Die Lehrstücktheorie Brechts berücksichtigt das Heiner Müller-Kapitel dieser Arbeit, S. 249ff Peter WEISS: Vorübung zum dreiteiligen Drama "Divina Commedia", S. 137 - In: Rapporte. Frankfurt am Main 1968 Desgleichen bei der Bearbeitung des Viet Nam-Materials. Vgl. WEISS: Notizbuch 16 (10.7.68-31.12.68), S. 594f und 598f - In: Notizbücher 1960 - 1971. 2.Band. Frankfurt am Main 1982
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"Und mehr werden kommen ihr werdet sie sehen Schon viele sind in den Städten und in den Wäldern und Bergen lagernd ihre Waffen und sorgßltig planend die Befreiung die nah ist" (LP 71) Den historischen Hintergrund bildet die Politik Portugals in den Kolonien Angola und Mozambique. Das Stück prangert die restlose Ausbeutung des Landes und die brutale Unterdrückung der Afrikaner an, die der NATO verbündete Staaten militärisch auch noch unterstützten. Dabei setzt Weiss erstmals die Schwarz/Weiß-Technik ein, d.h. die Parteien erscheinen bewußt undifferenziert als Täter oder Opfer: Das dokumentarische Theater ist parteilich. (...) Für ein solches Theater ist Objektivität unter Umständen ein Begriff, der einer Machtgruppe zur Entschuldigung ihrer Taten dient. (...) Bei der Schilderung von Raubzug und Völkermord ist die Technik einer Schwarz/Weiß-Zeichnung berechtigt, ohne jegliche versöhnliche Züge aufsehen der Gewalttäter, mit jeder nur möglichen Solidarität für die Seite der Ausgeplünderten.11 Mit der Analyse des Kolonialismus geht der Aufruf zum bewaffneten Widerstand einher.72 Der Zweiakter besteht aus elf lose zusammengefügten Szenen, die keiner Fabelführung folgen. Der weitgehende Verzicht auf stringenten Handlungsverlauf und Individualisierung unterstreicht den exemplarischen Charakter des Inhalts. Konkrete Zeitangaben werden ausgespart. Das Geschehen verweist lediglich auf die 5 Jahrhunderte Kolonialherrschaft und das Datum, das diese Tradition unterbrechen soll: 15.3.1961, Beginn des bewaffneten Kampfes der Befreiungsbewegung in Angola gegen die Kolonialherrschaft. Auch der Ort wird nicht konkretisiert. Es gibt viele verschiedene Schauplätze, die aber nicht genau lokalisierbar sind und so immer auch eine allgemeine Gültigkeit beanspruchen. So sehr das dokumentarische Theater darauf angelegt ist, "objektive" Realität zu zeigen, so wenig soll aber der Kunstcharakter des Stücks geleugnet werden. In der theatralischen Formulierung "tendiert das Ganze Peter WEISS: Notizen zum dokumentarischen Theater. - Abgedruckt in: Peter Weiss: In Gegensätzen denken. Ausgewählt von Rainer Gerlach und Matthias Richter. Frankfurt am Main 1988, S. 245 - 254 Peter WEISS: Notizen zum kulturellen Leben in der Demokratischen Republik Viet Nam. Frankfurt am Main 1968
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(...) zum Phantastischen."73 Wie im Marat/Sade-Drama benutzt Weiss eine Fülle dramaturgischer Mittel. Pantomime, Gesänge und Tanz dynamisieren den trockenen Stoff und verweisen gleichzeitig desillusionierend auf die Fiktionalität der Darstellung, ohne daß damit der Realitätsgehalt des Stücks eingeschränkt würde. Jeder der sieben Schauspieler kann jede Rolle übernehmen. Er funktioniert also niemals als Charakter, sondern verkörpert die Ideen und Argumente, welche die kontroversen Positionen in der Auseinandersetzung zwischen Imperialismus und Sozialismus bestimmen. Gleichzeitig formieren sich die Darsteller zu einem Chor, der das Geschehen kommentiert und resümiert. Auch dieser läßt sich nicht auf eine der beiden Parteien festlegen, sondern bildet mal das Sprachrohr der Kolonialmacht, mal das der Kolonisierten.74 Der erste Akt umfaßt 5 Szenen und illustriert an verschiedenen Beispielen, wie die Schätze des Landes ausgebeutet, die Einwohner enteignet und als Arbeitskraft zum bloßen Material degradiert werden. Gleichzeitig verdeutlicht er, wie eine infame Ideologie diesen Sachverhalt zu verschleiern sucht. Die erste Szene zeigt die Ausstattung des Lusitanischen75 Popanzes mit den Insignien der verschiedenen Machtsphären. Der Frack symbolisiert die Industrie, das Ordensband das Militär, das Kruzifix die Kirche und der Professorenhut die Wissenschaft. Die ganze Figur repräsentiert den damaligen Regierungschef Portugals Salasar.76 Wie allen anderen Figuren fehlen ihm aber persönliche Merkmale, und er bezeichnet lediglich die gesellschaftliche Funktion. Anschließend faßt der Popanz die Ideologie der Kolonialmacht, die schlechthin reaktionär erscheint, zusammen. Mit vorwiegend anthropologischen Argumenten rechtfertigt er die Herrschaft Portugals in Afrika. Sie sei gottgewollt. Sie sei notwendig wegen der Unfähigkeit des Menschen, seine Geschicke selbst zu lenken. Daher bedürfe er einer Autorität, die ihn vor dem Verfall in Eigennutz und Materialismus bewahre. Anschließend richtet der Popanz einen pessimistischen Blick auf die moderne Industriegesellschaft, die über der Jagd nach Profit und He73
74 75
76
Marianne KESTING: Das deutsche Drama vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis Ende der sechziger Jahre, S. 115 - In: Deutsche Gegenwartsliteratur: Ausgangspositionen und aktuelle Entwicklungen. Hg. von Manfred Duizak. Stuttgart 1981, S. 107136 vgl. Ingeborg SCHMITZ: Dokumentartheater bei Peter Weiss, S. 99 Lusitanien bezeichnet den alten Namen Portugals, als dieses noch römische Provinz war und seinerseits einer Fremdherrschaft unterworfen. vgl. LP 10: Dieses klapprige Gerippe !ähnelt aber sehr dem Mann/ der sich bei uns noch halten kann/ Alle werden ihn erkennen/ und beim rechten Namen nennen.
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bung des Lebensstandards den wahre (n) Geist des Menschen (LP 11) vergesse und dem Zeitalter der Seelenlosigkeit (ebd.) verfalle. Das Ziel seiner Herrschaft sei die moralische Erziehung des Menschen, um ihn vor diesem Abgrund zu retten. Die nächste Figur konterkariert diese Aussagen, indem sie auf die Mechanismen der Unterdrückung und die Gewinne der Herrschenden verweist. Die erste Szene stellt so das Prinzip vor, nach dem das gesamte Stück strukturiert ist. Immer wieder enthüllt die antithetische Replik die Heuchelei der herrschenden Moral. Das Muster von These und Antithese treibt die Entwicklung voran und mündet in der einzig möglichen Konsequenz: Revolution.77 Die zweite Szene gibt einen historischen Überblick. Sie beginnt aus der selbstgefälligen Sicht der Kolonisatoren: Die zivilisatorische Mission erwächst aus dem Prinzip christlicher Nächstenliebe (...) Von Gott ist jeder Mensch gegeben und es bestehen keine Schranken zwischen Schwarz und Weiß In den seit 5 Jahrhunderten zu uns gehörenden überseeischen Provinzen " (LP 17) Doch der feierliche Rückblick bricht sich an der Tatsache der Sklaverei. In der dritten Szene findet die erste Agitation statt. Weiterhin klären verschiedene Beispiele über die brutalen Methoden des Kolonialsystems und ihre schöne Verbrämung auf. Die vierte Szene unterlegt den verbalen Bericht über die grausame Ausbeutung der Menschen, die nunmehr zu bloßem Material degradiert erscheinen, mit der pantomimischen Darstellung von Gewalthandlungen. Der Beginn der fünften Szene zeigt an einem einfachen Beispiel, wie noch die Entwicklung von der Sklavenhaltung zur Industriegesellschaft zum Verhängnis für die Schwarzen gerät. Denn während der Sklavenhalter Interesse hatte, seinen Sklaven zu pflegen, damit dieser ihm dienen konnte, ersetzt ihm die moderne Regierung fließbandartig kranke oder tote Eingeborene durch neue arbeitsfähige. Die gleiche Die problematische, weil vage Beziehung der Schriftsteller zu den Befreiungsbewegungen der dritten Welt, für die sie dezidiert Partei ergreifen, untersucht Karl-Heinz Bohrer im Vergleich zweier Texte von Enzensberger und Peter Weiss zum Stichwort "Revolution" im Kursbuch 11 (1968). Vgl. Karl-Heinz BOHRER: Die Revolution als Metapher. - In: Merkur. 22/1 (1968), S. 283-288
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Szene prangert die mangelnde Solidarität der weißen Arbeiter in Angola an. Der Konflikt stellt sich damit als weltumfassend dar und nicht etwa auf das Verhältnis Portugals zu Angola beschränkt Den Akt beschließt der Bericht über das exemplarische Leben einer Magd aus Nova Lisboa in den Wellblechslums am Rande der Stadt. Der zweite Akt kontrapunktiert das Ende des ersten, indem er mit der Beschreibung der Nobelviertel dieser Stadt einsetzt Die Frage nach dem Ursprung des Wohlstandes in diesen Bezirken und das Verlangen, an dem Reichtum zu partizipieren, bringt einen Ton des Aufruhrs in die Darstellung. Das Resümee der 500 Jahre zivilisatorischer Mission (LP 43) fällt vernichtend aus. Der Versuch der Schwarzen, durch Petitionen eine Veränderung ihrer Lage zu erreichen, erscheint so von vornherein als aussichtslos und endet schließlich - wie die Episode in der Provinz Cabinda zeigt - mit der brutalen Verschleppung und Ermordung aller derjenigen, die die Bittschrift unterschrieben haben. Der zweite Akt zeigt in Szene 6 bis 11, wie lukrativ die Ausbeutung der dritten Welt für die sogenannten Mutterländer als auch für die gesamte kapitalistische Welt ist (Szene 7). Er zeigt, daß der Reichtum Europas auf der Ausbeutung der dritten Welt beruht (Szene 8) und daß die Nutznießer dieser Verhältnisse niemals freiwillig auf ihre Pfründe verzichten würden.78 Die eingestreuten Dokumentationen beweisen die Bereitschaft der Kolonialmacht, mit allen Mitteln um ihre Privilegien zu kämpfen (Szene 8, 10, 11). Sie zeigen außerdem, wie das Ausland finanziell, militärisch und propagandistisch79 die Unterdrükkung des Widerstandes in Angola und Mozambique unterstützt.80 Als einzige Möglichkeit bleibt für die unterdrückten Völker der bewaffnete Widerstand. Die Zerstörung des Popanzes symbolisiert die nahe Befreiung. Doch schränkt der Hinweis auf die Ersetzbarkeit einer Person den Optimismus ein. Denn mit dem Sturz des Popanzes stürzt noch nicht seine Funktion: 78
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Weiss reduziert die Rassenkonflikte vollständig auf Klassenkonflikte, für die der Sozialismus die angemessene Lösung darstellt. Erst Müller äußert sich skeptischer. Vgl. hierzu: David BATHRICK: "The Theater of the White Revolution is over": The Third World in the Wortes of Peter Weiss and Heiner Müller. - In: Reinhold Grimm (Hg.): Blacks and German Culture. (= Monatshefte für den deutschen Unterricht; occasional volume 4) Madison, Wisconsin (u.a.) 1986, S. 135-149 Dafür steht der ausländische Justizminister in Szene 9. Hinter dieser Figur verbirgt sich der damalige Justizminister der BRD, Richard Jäger (CSU). Vgl. dazu auch HAIDUK: Der Dramatiker Peter Weiss. Berlin (Ost) 1977, S. 157 vgl. LP 54 ff (8.Szene): Denn sie waren ja alle laut Kontrakt/ getreue Partner im Atlantischen Pakt/ Und sie schickten Millionen Dollar DM und Pfiindl und gaben außerdem ihre militärische Hilfe kund.
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Und auch wenn es heißt er sei tot er der uns so lange im eigenen Lande bedroht so ist sein Gefolge doch immer noch da und nichts geschieht was nicht auchfrühergeschah." (LP 70) Mag es dahingestellt sein, ob Weiss1 Stück "Der Gesang vom Lusitanischen Popanz" tatsächlich zur portugiesischen Revolution beigetragen hat 81 Exilgruppen aus Angola und Mozambique begrüßten es jedenfalls als Beitrag zur Befreiungsbewegung in Afrika.82 Wenn man als Ziel des Stücks annimmt, daß es agitieren, ein revolutionäres Bewußtsein erzeugen sollte, so kann sich das aber nicht auf Gruppen beziehen, die ohnehin schon aktiv waren. Immerhin näherte es sich teilweise seinem Anliegen, indem es eine kontroverse Diskussion in der westdeutschen Öffentlichkeit auslöste. Der Streit um die Richtigkeit der zugrunde gelegten Dokumente verlief natürlich zwischen den zwei politischen Lagern.83 Der seit 1961 geführte Befreiungskampf in Angola endete erst 1975 mit einem Sieg der Befreiungsbewegung MPLA.84 Im Gefolge der Revolution in Portugal 1974 erlangte Angola seine politische Autonomie. Doch schüttelt seither der Bürgerkrieg das Land. Die Kämpfe mit der rivalisierenden Befreiungsbewegung UNITA, die von Südafrika gelenkt wurde, zermürbten das Land. Kuba stationierte militärische Kontingente, die erst 1989 abgezogen wurden, nachdem Namibia seine Unabhängigkeit erreicht hatte. Grausige Schlagzeilen erreichten die Weltöffentlichkeit durch die Kindersoldaten, die für diesen Krieg zu Mordmaschinen abgerichtet wurden. Riesige Hungersnöte verursachten die letzten Verheerungen des wirtschaftlich ruinierten Landes. Die Tatsache, daß seit der Befreiung Angolas das Elend der Bevölkerung sich nicht verringert hat, sondern im Gegenteil vermehrt, wirft einen Schatten auf den revolutionären Enthusiasmus Ende der sechziger Jahre.
b) Der "Viet Nam Diskurs " Der ausführliche Titel des Stücks lautet: "Diskurs über die Vorgeschichte und den Verlauf des lang andauernden Befreiungskriegs in Viet Nam als 81 82
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vgl. VORMWEG: Peter Weiss, S. 99 vgl. zur Wirkungsgeschichte die Notizen von HAIDUK: Der Dramatiker Peter Weiss, S. 165f Best bestreitet ihre Richtigkeit. Vgl. Otto F.BEST: Peter Weiss. Vom existentialistischen Drama zum marxistischen Welttheater, S. 154-158. Demgegenüber bestätigen Haiduk, Rischbieter und Schmitz die Fakten. Vgl. z.B. Henning RISCHBIETER: Peter Weiss, S. 77 Movimento Populär de Libertacao de Angola
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Beispiel für die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker sowie über die Versuche der Vereinigten Staaten von Amerika die Grundlagen der Revolution zu vernichten". Der lange Titel informiert immerhin in aller wünschenswerten Kürze über Inhalt, Anliegen und Konzeption, was man von dem Stück selbst nicht behaupten kann. Der Zweigliederung des Titels entspricht die Aufteilung des Stückes. Der erste Teil rafft ca. 2500 Jahre Geschichte zu einem Bündel von 11 Stadien, d.h. Entwicklungsstufen, zusammen. Von 500 v.Chr. bis 1945, der Proklamation der Demokratischen Republik Vietnam durch Ho Chi Minh, spannt sich die Geschichte des Landes als ein quasi ewiger Kreislauf von Kriegen gegen fremde und einheimische Eroberer. Der Beginn dieser Kämpfe reicht zurück bis in mythische Urgründe. Erst im Lauf der Zeit entwickelt sich das notwendige gesellschaftliche Bewußtsein, um die Ursachen der Unterdrückung zu erkennen und Abhilfe zu schaffen. Waren es bis ins 18. Jahrhundert vorwiegend chinesische oder einheimische Cliquen, die die Herrschaft an sich rissen, tritt ab dem 18. Jahrhundert unter Ludwig XVI. Frankreich auf den Plan (5.Stadium). Unter Napoleon schließlich bricht das Zeitalter der Erneuerungen (VD 126) an. Der Imperialismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führt zur perfekten Ausbeutung der Ressourcen von Land und Bewohnern. Zwar wächst der Haß der Bevölkerung, aber erst das Beispiel der Oktoberrevolution weckt die Idee und den Wunsch nach einer totalen gesellschaftlichen Umwälzung. In Stadium VIII resümiert der Chor den Inhalt der "Vorgeschichte": Immer wieder haben sie sich erhoben gegen Feinde die das Land überfielen und gegen Unterdrücker im eigenen Land Sie vertrieben die Fremden Sie stürzten die eigenen Herren Aber indem sie den einen bekämpften lieferten sie sich dem andern aus Was sich während Jahrtausenden veränderte waren nur die Namen der Herrscher (...) Nie beseitigten die Bauern die Ursachen der Unterdrückung (...) Jetzt ist die Zeit des Lernens Rückständig war Rußland Die Bauern versklavt Gering war die Anzahl der Revolutionäre Unerfahren die Arbeiter und
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ohne Bildung doch groß ihre Leidenschaft und ihr Mut So errichteten sie ihre Herrschaft" (VD 146fl Die Stadien 9 und 11 zeigen die Agitation der Bevölkerung durch die revolutionäre Untergrundorganisation der Viet Minh. Nach der Bekräftigung, daß es kein andres Mittel als Gewalt gebe, um die Ungerechtigkeiten zu beenden (VD 156) erklärt man im Xl.Stadium den Krieg der dritten Welt: Jetzt beginnt der lange Krieg der Verarmten und Verkauften Jetzt beginnt der Krieg der Dritten Welt" (VD 165) Den aufkeimenden Optimismus nach der Unabhängigkeitserklärung Ho Chi Minhs am 2.9.45 zerstört die Intervention Englands und der USA zur Verteidigung der französischen und ihrer eigenen imperialistischen Interessen. Mit dem Beginn des Indochinakriegs endet der erste Teil des "Viet Nam Diskurses". Er bildet eine Hommage an die Ausdauer des Volkes in diesem unterentwickelten Land Asiens. Gleichzeitg formuliert er damit einen Vorwurf an die BRD und Europa, weil sie auf der Höhe der gesellschaftlich-ökonomischen Entwicklung keine Revolution vollbrachten. Der zweite Teil umfaßt lediglich die Zeitspanne von 10 Jahren. In ebenfalls 11 Stadien berichtet/ richtet er die Versuche der Vereinigten Staaten von Amerika die Grundlagen der Revolution zu vernichten. Während im ersten Teil Geschichtsdokumente, Mythen und folkloristische Einlagen die Stadien prägen und in der Darstellungsweise Pantomime und Kommentar überwiegen, beherrscht der Dialog,85 bzw. die politische Debatte den zweiten Teil. Lautsprecher vermitteln genaue Orts- und Zeitangaben und stellen mit Nennung von Namen und gesellschaftlicher Funktion historisch verbürgte Personen vor, die zusätzlich mit Leuchtbildem visuell präsentiert werden. Vorwiegend handelt es sich um einflußreiche Politiker und Militärs der USA. Genannt werden z.B. die Außenminister Dulles und Rusk und die drei amerikanischen Präsidenten Eisenhower, Kennedy und Johnson. In ihren Statements enthüllt sich die Skrupellosigkeit des amerikanischen Krieges in Vietnam, sowie seine schamlose Rechtfertigung vor der Weltöffentlichkeit. Dennoch darf die namentliche Nennung der Figuren nicht als Individualisierung mißverstanden werden. In der Vorbemerkung zum Stück erläutert Weiss: Jene, die durch einen 85
vgl. HAIDUK: Der Dramatiker Peter Weiss, S. 179
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Namen gekennzeichnet werden, sind nicht Charaktere im herkömmlichen Sinn; wir nennen sie einzig als Träger wichtiger Tendenzen und Interessen. (VD 75) Der Einsatz von Lautsprechern und Leuchtbildern verleiht dem zweiten Teil des "Viet Nam Diskurses" den Charakter eines Protokolls und betont damit den Realitätsgehalt des Stückes. Im Gegensatz zu den Repräsentanten der US-Regierung bleiben "alle Vertreter der süd- und nordvietnamesischen Bevölkerung (...) anonym. Sie repräsentieren ein in sich geschlossenes gesellschaftliches Kollektiv, in dem es (...) keine nennenswerten politischen Widersprüche gibt Wie schon im "Gesang vom Lusitanischen Popanz" bedient sich Peter Weiss konsequent der Schwarz-Weiss-Zeichnung und der Antithese als Strukturprinzip. Von 1954 bis zum 5.8.1964, dem Beginn der Bombardierung Nordvietnams durch die Vereinigten Staaten, dokumentiert der zweite Teil die Gründe des Vietnamkrieges. Neben dem erklärten Ziel der USA, eine Ausdehnung der kommunistischen Einflußsphäre mit allen Mitteln zu verhindern, sollte außerdem der eigene Machtbereich gesichert und erweitert werden. Gleichzeitig spielten natürlich massive ökonomische Interessen eine Rolle. (VD 173f) Insgesamt fungiert das Stück als Modell für die Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Der Chor bringt den Zweck des Krieges auf den Nenner: Worum geht es Es geht darum den Beweis zu erbringen daß revolutionäre Bewegungen scheitern müssen" (VD 187) Die Lehre des Stückes besteht in dem Aufweis, daß eine vielfach überlegene Militärmacht nichts gegen ein Volk auszurichten vermag, das solidarisch und geschlossen um seine Autonomie zu kämpfen gewillt ist. Entsprechend optimistisch fällt der Schluß des "Viet Nam Diskurses" aus. Auf die Verheißung des Sieges folgt die Prophezeiung des Niedergangs der imperialistischen Systeme: Der Angreifer aber ist in sich zerrissen Die Front zieht sich durch sein eigenes Land (...) Die Schüsse hallen 86
SCHMITZ: Dokumentartheater bei Peter Weiss, S. 142
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in den Ghettos seiner eigenen Städte" (VD 263) Deutlichen Appellcharakter trägt die letzte Sentenz des Stückes:
"Wir wissen So lange er herrscht mit der riesigen Macht seines Reichtums wird nichts sich verändern Wir zeigten den Anfang Der Kampfgeht weiter" (VD 264) Von 1965 bis 1968 hatten amerikanische Streitkräfte mehr Bomben auf Vietnam "abgeworfen als die gesamten alliierten Luftstreitkräfte während des zweiten Weltkrieges".87 Obgleich bereits 1971 die Veröffentlichung der "Pentagon Papers" den ganzen Trug der US-Regierung entdeckte und die Öffentlichkeit entsetzte, endete der Indochinakrieg erst 1975 mit der Eroberung Saigons durch die Truppen der FLN (Nationale Befreiungsfront; "Viet-Cong"). 1975 wurde nach der Wiedervereinigung mit dem Süden unter Führung der KP die Sozialistische Republik Vietnam gegründet. Die erhoffte Erlösung blieb nach der geglückten Revolution aus. Abgesehen davon, daß sich die Regierung massiven Repressionen des Auslands wie auch schier nicht zu bewältigenden Aufgaben im Inneren konfrontiert sah, machte Vietnam bald negative Schlagzeilen, als 1980 die ersten sogenannten BoatPeople ertranken. Deshalb verwundert die unverbrüchliche Treue, mit der Peter Weiss Vietnam noch verteidigte, als hier die ersten Boote mit vietnamesischen Flüchtlingen eintrafen.88 Der dramatische Entwurf zur Geschichte und zum Krieg in Vietnam wirkt heute ermüdend langatmig. Doch am 20. März 1968, als die Uraufführung des "Viet Nam Diskurs" in Frankfurt stattfand, löste die Darbietung des Sujets heftige Reaktionen aus - von begeisterten Ho Chi MinhRufen bis zu empörten Verrissen. Das Stück erlag dem gleichen Dilemma wie der "Gesang vom Lusitanischen Popanz". Es wollte keine Einsichten vermitteln, sondern setzte "Verständnis und Einverständnis schon voraus.
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vgl. Neill A. Wynn: Die 1960er Jahre, S. 420 - In: Willi Paul Adams (Hg.): Die Vereinigten Staaten von Amerika (= Fischer Weltgeschichte. Bd. 30) (1977) Frankfurt am Main 1987, S. 405-428 vgl. WEISS: Notizbücher 1971-80. 2.Band. Frankfurt am Main 1981, S. 824-836 u. S. 848-854
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An eine Gemeinde der Gläubigen, schon Eingeweihten"89 schien es adressiert. Der prophezeite Aufstand der dritten Welt als Weltproletariat gegen Europa und die USA ist bisher ausgeblieben. Wie Heiner Müller sieht Peter Weiss, daß sich in den Großstädten der USA und in der BRD in Berlin Zentren der dritten Welt entwickeln, die auf Grund ihres geringen Lebensstandards in einer reichen Gesellschaft ein revolutionäres Potential bilden, das eine ungeheure Sprengkraft birgt. Die Vorstellung allerdings, eine solche Revolution könnte getreu den Gesetzen marxistisch-leninistischer Revolutionstheorie stattfinden, kann heute nur noch als naive Phantasie eines bürgerlichen Intellektuellen belächelt werden. Aus heutiger Perspektive fällt ein typisches Element am dokumentarischen Theater auf: "die praktische Überanstrengung der theoretischen und wissenschaftlichen Welterklärung."90 Diese mußte sich letztlich destruktiv auf das politische Ziel auswirken. Das Lehrstück "Revolution" muß insofern als gescheitert betrachtet werden.
7. Rückkehr zum Revolutionheros: Revolution im tragischen Gewand Auf dem Hintergrund des Marat/Sade-Dramas könnte man die beiden Stücke des Dokumentartheaters als isolierte Dramatisierungen der Maratschen Position verstehen, deren Lehrstück-Konzeption der Agitation des Roux entspräche. Den völligen Rückzug auf den kollektiven Helden gibt Weiss aber später wieder auf. In den Dramen "Trotzki im Exil" und in "Hölderlin" thematisiert er emeut das Verhältnis des Individuums zu den rigiden Ansprüchen eines revolutionären Kollektivs. Die beiden Dramen scheinen mit Macht die zuvor antinomisch präsentierten Prinzipien von Marat und Sade versöhnen zu sollen.91 In "Hölderlin" verbindet Weiss wie im Marat/Sade-Drama "revolutionäre Vorgänge mit anarchischen, im Unbewußten ablaufenden Prozessen".92 In "Trotzki im Exil" verficht Hugo 89
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Reinhard BAUMGART: In die Moral entwischt? Der Weg des politischen Stückeschreibers Peter Weiss, S. 52 - In: text+kritik. H.37, S. 47-57 Alfons SÖLLNER: Peter Weiss und die Deutschen. Die Entstehung einer politischen Ästhetik wider die Verdrängung. Opladen 1988, S. 159 vgl. Hans MAYER: Die zweifache Praxis der Veränderung (Marat - Trotzki - Hölderlin). Wolfgang DÜSING: Schiller und die Französische Revolution in Peter Weiss' "Hölderlin", S. 85
Rückkehr zum Revolutionsheros
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Ball leidenschaftlich die Verbindung von Rationalität und Emotionalität, um eine "wirkliche" Revolution zu erreichen:
Ihr müßt euch verbünden mit uns, ihr Rationalisten, ihr Revolutionsingenieure. Ihr stürzt die Despoten, die Blutsauger in den Fabriken und Banken. Wir stürzen die Bosse, die unsre Impulse, unsre Phantasie hinter Schloß und Riegel halten. (...) Wir, die Emotionalen, die Unberechenbaren, und ihr, die Planer, die Konstrukteure. Keine Trennung. Sonst werden unsre Revolutionen im Sand versickern.93 Die tragische Gestalt Trotzkis, des Revolutionärs, den Stalin tötete, symbolisiert den Kampf des Autors Peter Weiss gegen die Resignation. Trotzki, wie Marat ein kranker Revolutionär und Schriftsteller, beschwört verzweifelt den Sinn der Revolution. Gegen Bretons Klage über die pervertierte Revolution führt er die gleichen Argumente ins Feld:
Was geschehen ist, beweist nicht die Falschheit des Sozialismus, sondern die Gebrechlichkeit, die Unerfahrenheit in unsern revolutionären Handlungen. Es war uns nicht gelungen, menschliche Schwäche, menschliche Feigheit, menschliche Niedertracht zu vertilgen. (...) Der Sozialismus aber, trotz der Verbrechen, die in seinem Namen begangen wurden, ist veränderlich, ist zu verbessern, zu erneuern.94 Anscheinend kann sich der Autor nicht von einem geliebten Glauben trennen. Die Vereinigung der beiden kontroversen Anschauungen wirkt sehr künstlich. So erscheint Marx persönlich in dem Stück "Hölderlin", um dem vereinsamten Dichter und angeblich heimlichen Revolutionär 95 zu bestätigen:
Zwei Wege sind gangbarI zur Vorbereitung! grundlegender Veränderungen/ Der eine Weg ist/ die Analyse der konkreten/ historischen Situation/ Der andre Weg ist/ die visionäre Formung/ tiefster persönlicher Erfahrung.96 Die nachträgliche Einkleidung des Projekts der Revolution mit dem Nimbus des Tragischen kann nicht überzeugen. Der tragische Einzelheld als Identifikationsfigur bedeutet ästhetisch einen Rückfall hinter Büchner und reicht inhaltlich nicht weiter als die Darstellung der Problematik in dem Marat/Sade-Drama. Eine neue Qualität der Auseinandersetzung mit der 94 95
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WEISS: Trotzki im Exil. - In: Stücke 11,2, S. 452 Trotzki im Exil, S. 513; Vgl. auch MS, S. 48 Hier schließt Weiss an die These Bertaux' an, Hölderlin habe sein Irresein nur gespielt. (vgl. Pierre BERTAUX: Hölderlin und die französische Revolution. Frankfurt am Main 1969) WEISS: Hölderlin, S. 410 - In: Stücke 11,2
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Revolution gelingt Peter Weiss in der "Ästhetik des Widerstands". Dort bleibt die Trauer über die Versehrte Revolution an das subjektive Empfinden einzelner gebunden,97 und die Ästhetik, die der Widerstand gegen Unterdrückung braucht und gewinnt, rechtfertigt sich ungezwungen und undogmatisch als wahrlich revolutionäre Lebensform, die eine permanente individuelle Entscheidung verlangt.
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vgl. WEISS: Die Ästhetik des Widerstands. (1975-1981) Dreibändige Ausgabe in einem Band. Frankfurt am Main 1988. 3.Bd., S. 151
XIII. Ende des Theaters der Revolution. Schauspielmetapher und Revolution bei Heiner Müller
1. Einführung Alle Stücke Müllers kreisen um die Themenkomplexe Geschichte und Revolution. Der gesellschaftliche Ort, von dem aus er spricht, ist bis zu dem Augenblick, da sie zu existieren aufhört, die DDR. Geschichte, auch die seines eigenen Staates, wird unter dem aus der marxistischen Theorie stammenden Terminus der Vorgeschichte begriffen, d.h. als vorsozialistische, noch bürgerliche Epoche der menschlichen Gesellschaft.1 Der Rückgriff auf mythologische Modelle rechtfertigt sich aus diesem Geschichtsverständnis, das alle Fortschrittsmodelle der Geschichte in Frage stellt und unter Verweis auf den ununterbrochenen Kreislauf der Gewalt, zurückreichend bis in mythische Zeiten, immer wieder die blutigen Zyklen der Geschichte zur Sprache bringt. Auch das Thema Revolution erscheint im Spannungsfeld von "mythischer" Gewalt und sogenanntem historischen Fortschritt. Die beiden großen Revolutionen der Geschichte, die bürgerliche Revolution in Frankreich 1789 und die sozialistische Revolution in Rußland 1917, befragt Müller nach ihren Kosten.2 Im Zentrum seines Interesses steht dabei die Oktoberrevolution als historisches Fundament seines Staates. Die französische Revolution, explizit nur in dem Stück "Der Auftrag" (1979) thematisiert, scheint als historische Geburtsstätte des Kapitalismus für Müller nur von marginalem Interesse zu sein. Konsequenz seiner Ablehnung einer progressiven Geschichtsauffassung ist die Form seiner Texte, die sich in Tradition der literarischen Avantgarde von den dramatischen, einem Entwicklungsgedanken verpflichteten, Gattungen entfernt und in eine vieldeutige, polyphone Text-
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vgl. Karl MARX: Zur Kritik der politischen ökonmie. Vorwort. (Januar 1859). - In: MEW. XIII, S. 9 vgl. Genia SCHULZ: Heiner Müller. Stuttgart 1980, S. 11
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Ende des Theaters der Revolution
struktur mündet.3 Seine Kunst, oft als kryptisch empfunden, will durch die
Komplizierung des ästhetischen Genusses (...) die moralische und politische Wirkung des Kunstwerks4 vertiefen. Die eigenwillige Form seiner Texte, die hartnäckige Verweigerung, Widersprüche in einer versöhnenden Utopie aufzulösen, hat dazu geführt, daß Müller von rechts wie von links harten Angriffen ausgesetzt war. Während die bürgerlichen Rezipienten der Bundesrepublik es ihm verübelten, daß er keine eindeutige und endgültige Absage an die DDR und den Sozialismus zu geben bereit war, und sie ihn daher als Opportunisten beschimpften, wurde er von Linken nicht nur als Renegat diffamiert, sondern gar in die Nähe des Faschismus gerückt.5 Die staatliche Kulturszene der DDR belegte ihn mit dem üblichen Verdikt des Geschichtspessimismus und bezichtigte ihn dekadenter Schreibweise.6 Doch greifen derlei (gewalttätige) Zuordnungen zu kurz, will man sich ernsthaft mit den Texten auseinandersetzen. Lange schon wurde Müller in der BRD als bedeutendster Dramatiker der Gegenwart gefeiert, bevor sich auch der sozialistische Nachbarstaat zu einer Würdigung des widerborstigen Autors bequemte. Beide Staaten warteten pünktlich mit einer Monographie zum 60. Geburtsjahr 1989 auf.7
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vgl. SCHULZ: Heiner Müller, S. 21 zit. nach Michael TÖTEBERG: Vorgeschichte eines Autors, S. 5 - In: Heinz Ludwig ARNOLD (Hg.): Heiner Müller, text+kritik. H. 73 (1982), S. 2-10 vgl. Horst DOMDEY: Mythos als Phrase oder Die Sinnausstattung des Opfers. Henker- und Opfermasken in Texten Heiner Müllers. - In: Merkur. H.5 (1986), S. 403413; Michael SCHNEIDER: Heiner Müllers Endspiele. Der aufhaltsame Abstieg eines sozialistischen Dramatikers. - In: M.S.: Den Kopf verkehrt aufgesetzt oder die melancholische Linke. Aspekte des Kulturzerfalls in den siebziger Jahren. Darmstadt, Neuwied 1981, S. 194-225) s. u.a. die durch Wolfgang Harich ausgelöste Diskussion; vgl. W.HARICH: Der entlaufene Dingo, das vergessene Floß - aus Anlaß der "Macbeth"-Bearbeitung von Heiner Müller. - In: Sinn und Form. 1 (1973), S. 189-218; vgl. auch Theo BUCKs Artikel zu Heiner Müller im Kritischen Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur vgl. Frank HÖRNIGK (Hg.): Heiner Müller Material. Texte und Kommentare. (Originalausgabe Leipzig 1988) Göttingen 1989; Wolfgang STORCH (Hg.): Explosion of a Memory. Heiner Müller DDR. Ein Arbeitsbuch. Berlin 1988
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2. Lehrstück "Revolution": Heiner Müllers Variation von Brechts "Maßnahme" in "Mauser"« a) Exkurs zu Brechts "Maßnahme" und Lehrstücktheorie Brechts Entwurf des epischen Theaters zielte auf die radikale Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, nämlich auf die Weltrevolution. Dem Theater sollte eine neue gesellschaftliche Funktion zugewiesen werden.9 Es kam nicht nur darauf an, moralische Bedenken gegen gewisse Zustände zu erregen, sondern es galt Mittel ausfindig zu machen, welche die betreffenden schwer ertragbaren Zustände beseitigen konnten.™ Die Wirksamkeit eines solchen Theaters hing jedoch von dem Vorhandensein einer revolutionären Situation ab. Sein Adressat war ein Publikum im Klassenkampf. Das moderne epische Theater setze, so schrieb Brecht, außer einem bestimmten technischen Standard eine mächtige Bewegung im sozialen Leben voraus, die ein Interesse an der freien Erörterung der Lebensfragen zum Zwecke Ihrer Lösung hat und dieses Interesse gegen alle gegensätzlichen Tendenzen verteidigen kann.n In der Tat war die Hoffnung auf die Weltrevolution niemals so groß wie in den Jahrzehnten vor dem zweiten Weltkrieg. Nach der Oktoberrevolution wähnte wohl jeder Kommunist, die Morgenröte einer neuen revolutionären Zeit am Horizont Deutschlands zu erblicken, bis die faschistischen Strömungen Europas derlei Hoffnungen ein Ende setzten. Brechts Theater 1929/30 lebte aus diesem Zentrum: Kampf für die proletarische Revolution. Das Theater sollte aufklären und agitieren. Es stellte das Forum, wo die Revolution erprobt, Haltungen eingeübt und diskutiert werden sollten. Die klassischen dramatischen Formen konnten mit ihrem auf Einfühlung basierenden Modell von Furcht und Mitleid derlei Zwecken nicht gerecht werden. Im Anschluß an Meyerhold und Piscator entwickelte Brecht mit dem Lehrstück eine neue ästhetische Form, die in 8
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Brechts "Maßnahme" wird im folgenden zitiert nach der Fassung von 1931 (3.Fassung). Bertolt BRECHT: Die Maßnahme - In: Bertolt Brecht. Gesammelte Werke. (1967) Frankfurt am Main 1976. II, S. 631-664; Brecht leistete damit unter vorsozialistischen Verhältnissen das, was Benjamin die Politisierung der Kunst im Kommunismus genannnt hat. Vgl. Walter BENJAMIN: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. - In: Illuminationen. Frankfurt 1971, S. 171f vgl. Bertolt BRECHT: Vergnügungstheater oder Lehrtheater? - In: Gesammelte Werke. XV, S. 262-273 ebd. S. 273
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Ende des Theaters der Revolution
einzigartiger Weise seinen revolutionären Zielen diente. Die Lehrstücke behandeln alle äußerst abstrakt und auf rein intellektueller Basis das ABC des Revolutionärs: 1. Einverständnis mit der proletarischen Revolution. 2. Bereitschaft zur Auslöschung der Individualität, das heißt Verzicht auf seine Einzigartigkeit, wo es der revolutionäre Kampf erfordert. 3. Disziplin und Rationalität im Handeln. Brechts Lehrstück "Die Maßnahme" stößt bis heute auf Ablehnung und Unverständnis. Die Rezeptionsgeschichte dieses Stücks zeigt beispielhaft die Tücken einer vorwiegend am Inhalt orientierten Interpretationsweise. Das Exempel des jungen Revolutionärs, der durch einen Rückfall in das bürgerliche Ethos des Mitleids die Revolution gefährdet und schließlich in seine Exekution durch die eigenen Genossen einwilligt, erschreckt durch seine abstrakte Behandlung des Tötens und Sterbens und scheint schieren Antihumanismus zu verkünden. Die kalte Präzision konsequent angewandter rationalistischer Logik ließ antimarxistische Interpreten erschauern und führte zur oberflächlichen Verurteilung der "Maßnahme" als stalinistisches Tendenzstück.12 Doch auch die Genossen taten sich schwer und sahen darin die typische, dem Idealismus verhaftete, metaphysisch-antithetische Denkweise eines bürgerlichen Intellektuellen, der unter dem Primat der Theorie derlei rigorose, einer bloß mechanischen Dialektik verpflichtete Verhaltensmuster ausspinnt.13 Erst Reiner Steinwegs Analyse der "Maßnahme" berücksichtigte angemessen die Form der Lehrstücke, indem er ihren Trainingscharakter zur Einübung richtigen revolutionären Verhaltens betonte.14 Dieser Ansatz wurde maßgeblich für eine Reihe "linker" Interpreten, die so eine Verschiebung des Textverständnisses vom inhaltlichen, tragischen Geschehen auf das gedankliche Experiment verur-
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jüngst noch Wolfgang ROTHE: Deutsche Revolutionsdramalik seit Goethe. Darmstadt 1989, S. 216 Die folgenden Literaturangaben sind zitiert nach der kritischen Ausgabe von Bredits "Maßnahme". Hg. mit einer Spielanleitung von Reiner STEINWEG. Frankfurt am Main 1972. Im folgenden abgekürzt als "KA". Vgl. FLORIAN (Pseudonym) in "Die Front" Wien 1931 (KA, S. 359); Paul FRIEDLÄNDER: Die Maßnahme (EV 1931), KA S. 368; Lutz WELTMANN: Anmerkung zu Brechts "Versuchen" (EV 1931), KA S. 362; Alfred KURELLA: Ein Versuch mit nicht ganz tauglichen Mitteln. (EV 1931) KA S. 378-393; Julius BAB: Lehrstück in Gegenwart und Vergangenheit. (EV 1932), KA S. 404; Georg LUKACS: Schriften zur Literatursoziologie. 3.Aufl. Neuwied 1968, S. 152; Hellmuth KARASEK: Bertolt Brecht. München 1978, S. 82 vgl. Reiner STEINWEG: Brechts "Die Maßnahme" - Übungstext, nicht Tragödie. - In: Alternative 78/79 (1971)
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sachten.15 Eine beispielhafte gültige Kritik dieser jeweils einseitigen Auffassungen leisteten Lehmann/Lethen, indem sie auf die "doppelte Antithetik" der Lehrstückstruktur aufmerksam machten und so synthetisch das "Recht" beider Lesarten zusammenfaßten, des Schreckens über die Auslöschung der Individualität in einer unerbittlichen Parteidoktrin und der Anerkennung des Lehrstücks als eines idealen Forums für die Darstellung von Dialektik.16 Die "Maßnahme" ist das einzige der Lehrstücke, das nicht nur formal, sondern auch inhaltlich die Revolution thematisiert. Vier Agitatoren kehren von ihrem glücklich vollbrachten Auftrag, die Revolution in China vorzubereiten, zurück. Da sie unterwegs einen Genossen getötet haben, der zwar guten Willens war, aber durch seine Spontaneität und moralischen Impulse leichtfertig ihre Arbeit gefährdete, unterstellen sie sich freiwillig dem Urteil des Parteigerichts,17 dargestellt durch den Kontrollchor. Das Stück folgt der Konzeption eines Spiels im Spiel. Den Rahmen bildet die Gerichtsverhandlung, während der die Revolutionäre ihre Tat zur Diskussion stellen, indem sie die einzelnen Situationen ihres Auftrags nachspielen. Zum Schluß erklärt der Kontrollchor sein Einverständnis mit der Maßnahme, der Liquidation des jungen Genossen, da die Arbeit der Agitatoren erfolgreich war. Die Darstellung der Revolution im Stück korrespondiert inhaltlich mit ihrer formalen Präsentation: Die Revolution gewinnt den Charakter eines Schauspiels. Indem die Szene nochmals zur Beurteilung vorgeführt wird, entsteht eine doppelte Zuschauer- und Richterinstanz: Das Gericht der Partei, welches zuschaut, und das Publikum, welches richten soll. Die zweite Szene, betitelt Die Auslöschung, definiert die Revolution als Maskenspiel: Der Leiter gibt ihnen Masken, sie setzen sie auf: "Dann seid ihr von dieser Stunde an nicht mehr niemand, sondern (...) unbekannte Arbeiter, Kämpfer, Chinesen".18 Interessant ist dabei, wie Brecht das Maskieren vollständig umwertet. Seit der Französischen Revolution wurde das 15
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Marianne KESTING verweist darauf, daß bereits Emst Bloch das Brechtsche Theater so interpretierte. Vgl M.K.: Das epische Theater. Zur Struktur des modernen Dramas. 7.Aufl. Stuttgart, Berlin u.a. 1978, S. 61 vgl. Hans-Thies LEHMANN/ Helmut LETHEN: Ein Vorschlag zur Güte. Zur doppelten Polarität des Lehrstücks. - In: Reiner STEINWEG (Hg.): Auf Anregung Bertolt Brechts: Lehrstücke mit Schülern, Arbeitern, Theaterleuten. Frankfurt 1978, S. 302318 Das Stück verbildlicht also Lenins Überzeugung, die Partei sei die "Avantgarde des Proletariats". - Vgl. Wladimir I. LENIN: Was tun? Brennende Fragen unserer Bewegung. (1902) Aus dem Russ. 8. Aufl. Berlin 1970 BRECHT: Die Maßnahme, S. 637
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Tragen von Masken meist dem ideologischen Gegner unterstellt. Die Maske konnotierte folglich Hypokrisie und Heimtücke, da sie die wahre Person, den authentischen Menschen, zum Zwecke niedriger Täuschung versteckte.19 Als empörend empfand man vor allem, daß die Maske dem Gegner ungestörtes und daher erfolgreiches Agitieren sicherte, weil man ihm die Täuschung schlechterdings nicht ansehen konnte. Just diese Eigenschaft der Maske macht sie zum unverzichtbaren Instrument revolutionärer Agitation. Gerade weil sie täuscht, dient sie einem hochmoralischen Ziel, nämlich der Vorbereitung einer Revolution, die die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abschafft. Die Maske dient dem Schutz der Gruppe und des revolutionären Unternehmens. Den schlimmsten Fehler begeht der junge Genosse zweifellos, als er seine Maske vom Gesicht nimmt und zerreißt: Sahen wir sein nacktes Gesicht/ Menschlich, offen und arglos. Er hatte! Die Maske zerrissen.20 Brecht vollzieht eine derart radikale Umwertung dieser vormals ausschließlich negativ besetzten Metapher ins Positive, daß es von der Bereitschaft, eine Maske zu tragen, d.h. eine Rolle im revolutionären Prozeß zu spielen, abhängt, ob einer ein "Mensch" ist. Denn erst, wenn er die Maske aufsetzt und seiner bürgerlichen Existenz mitsamt ihren Werten abschwört, wird aus Niemand, nämlich Karl Schmitt aus Berlin, jemand, nämlich ein unbekannter Arbeiter und Kämpfer, eines, der leere(n) Blätter, auf welche die Revolution ihre Anweisung schreibt.21 Den Schnittpunkt zwischen Individuum, d.h. der Person im bürgerlichen Sinne, und Kollektiv zu finden, ist das Anliegen auch aller übrigen Lehrstücke Brechts.22 b) Müllers "Mauser "x Heiner Müller schreibt sein Stück "Mauser" unter grundlegend anderen historischen Bedingungen, nämlich mehr als ein halbes Jahrhundert nach der 19
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In diesem Zusammenhang sei noch einmal auf Hannah Arendts Ausführungen zu Bedeutungswandel und Interdependenz der Begriffe "Person" und "Maske" verwiesen. Vgl. Hannah ARENDT: Über die Revolution. (1963) München, Zürich 1986, S. 135 ff BRECHT: Die Maßnahme. S. 658 BRECHT: Die Maßnahme, S. 637 Die Lehrstücke "Ozeanflug der Lindberghs" (1929) und "Badener Lehrstück vom Einverständnis" (1929) behandeln das Verhältnis Menge/Held. Dort, wie auch in "Der Jasager" und "Der Neinsager" (1929/30) wird auch der Tod bzw. das Sterbenkönnen als Metapher verstanden, im Absehen von sich selbst eine Wirksamkeit über den Tod hinaus zu erlangen. Heiner MÜLLER: Mauser. - In: H.M.: Mauser. Berlin 1978, S. 55-70. Zitate erscheinen unter der Sigle M im laufenden Text.
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Oktoberrevolution in einem Staat, der beansprucht, die Klassengesellschaft abgeschafft, den Sozialismus verwirklicht zu haben. Müllers Adressat ist nicht länger ein Publikum im Klassenkampf, Brechts ideales Lehrstückpublikum, die historische Situation nicht eine revolutionäre, sondern sie präsentiert eine statische Gesellschaft, die ohne Revolution "revolutioniert" worden ist. Während Brecht in optimistischer Vorschau sein Stück schrieb, das zugleich Anweisung für revolutionäres Verhalten sein sollte, muß Müller den Blick zurückwenden auf eine Gesellschaftsordnung, die Brecht 1930 als positives Ziel erschienen ist. Wenn auch Müller unter anderen Prämissen sein Stück vorstellt, so bedient er sich doch aus den gleichen Gründen der Lehrstückform - um Erfahrungen zu ermöglichen, Haltungen zu diskutieren: "Mauser", geschrieben 1970 als drittes Stück einer Versuchsreihe, deren erstes "Philoktet", das zweite "Der Horatier", setzt voraus/ kritisiert Brechts Lehrstücktheorie und Praxis. "Mauser" (...) ist kein Repertoirestück; der Extremfall nicht Gegenstand, sondern Beispiel, an dem das aufzusprengende Kontinuum der Normalität demonstriert wird; der Tod, auf dessen Verklärung in der Tragödie bzw. Verdrängung in der Komödie das Theater der Individuen basiert, eine Funktion des Lebens, das als Produktion gefaßt wird, eine Arbeit unter anderen, vom Kollektiv organisiert und das Kollektiv organisierend.24 Er scheitert damit ebenso wie Brecht und stellt 1977 resigniert fest, daß er sich bis zum nächsten Erdbeben vom Lehrstück verabschieden müsse.25 Heiner Müllers Stück "Mauser" verweist so sehr auf Brechts "Maßnahme", daß Wolfgang Schivelbusch sogar von einem "Text über einen Text"26 spricht, und Genia Schulz es als "Müllers 'Maßnahme'"27 be24 25
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Heiner MÜLLER in der Vorbemerkung zum Text. M, S. 68 Als Material dem Druck des Stückes u.a. beigegeben ist Müllers Verabschiedung des Lehrstücks in einem Brief von 1977 an Reiner Steinweg. Er kenne seinen Adressaten weniger denn je, schreibt Müller, Stücke werden heute mehr als 1957für das Theater geschrieben statt fiir ein Publikum. Ich werde nicht die Daumen drehn, bis eine revolutionäre Situation vorbeikommt. (...) und ich denke, daß wir uns vom Lehrstück bis zum nächsten Erdbeben verabschieden müssen. (M, S. 85) Man darf vermuten, daß Müller in der Refoimpolitik der UDSSR, repräsentiert durch Gorbatschow, das Grollen des nächsten Erdbebens vernommen hat, denn Mitte der 80er Jahre legt er mit dem Zyklus "Wolokolamsker Chaussee" (1986-88) emeut Texte mit Lehrstückcharakter vor. Wolfgang SCHIVELBUSCH: Sozialistisches Drama nach Brecht. Neuwied 1974, S. 214 Genia SCHULZ: Heiner Müller, S. 3
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zeichnet. Insgesamt kann Müllers Auseinandersetzung mit Brecht durchaus "als Fortsetzung und Gegenposition skizziert" werden.28 In der Tat beobachten die meisten Interpreten des Stücks, daß Müller in "Mauser" das Thema der "Maßnahme" radikalisiert habe,29 insofern er dort die theoretischen Prämissen von Brechts Lehrstücktheorie entschiedener in die Praxis übersetzt habe und inhaltlich von idealistischen Relikten in Gestalt eines dramatisch zu nennenden Handlungsverlaufs befreit habe.30 Inhaltlich setzt "Mauser" ein, wo Brechts Stück aufhört: Mit der Liquidation des Henkers B, der durch einen Rückfall in humanistisches, "vorzeitiges" Mitleid31 das Gelingen der Revolution gefährdet. Brechts Kernproblem ist der Aufweis der Unzulänglichkeit bürgerlich-humanitären Verhaltens. Müller dagegen widmet sich der Gefährdung der Revolution durch ihre eigene Gewaltsamkeit. Entscheidend ist dabei die Dialektik zwischen der Negation der idealistischen Metaphysik, die um das Individuum zentriert bleibt, und der Negation der Gewalt, die die Revolution notwendigerweise entwickelt, da sie der Geschichte, welche eine Geschichte der Katastrophen ist, eingeschrieben bleibt: Denn unsers gleichen ist nicht unsers gleichen/ Und wir sind es nicht, die Revolution selbst! Ist nicht eins mit sich selber, sondern der Feind mit! Klaue und Zahn, Bajonett und MaschinengewehrI Schreibt in ihr lebendes Bild seine schrecklichen Zügel Und seine Wunden vernarben aufunserm Gesicht. (M 59) Das in "Mauser" vorgestellte Modell verschärft die Problemstellung, indem es den absoluten Ausnahmezustand in den Vordergrund rückt. Historischer Ort ist nicht das vorrevolutionäre China, wo Untergrundarbeit geleistet werden muß, sondern "Mauser" spielt mitten in der Revolution, in der weißrussischen Stadt Witebsk. Das bedeutet, daß sich die Pro28
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Theo BUCK: Von der fortschreitenden Dialektisierung des Dramas. Anmerkungen zur Dramaturgie bei Bertolt Brecht und Heiner Müller, S. 23 - In: Forum Modernes Theater. 4 (1989), S. 16-28 vgl. besonders Georg WIEGHAUS: Zwischen Auftrag und Verrat. Werk und Ästhetik Heiner Müllers. Frankfurt am Main, Bern u.a. 1984, S. 172-179 vgl. David BATHRICK, Andreas HUYSSEN: Producing Revolution: Heiner Müller's "Mauser" as a Learning Play, S. 111 - In: New German Critique. H.8 (1976), S. 110121; Alexander von BORMANN: Nämlich der Mensch ist unbekannt. Ein dramatischer Disput über Humanität und Revolution. (Masse-Mensch, Die Maßnahme, Mauser). - In: Wissen aus Erfahrungen. Werkbegriff und Interpretationen heute. Festschrift für Hermann Meyer. Hg. von A.v.Bormann. Tübingen 1976, S. 851-880 vgl. Wolfgang SCHIVELBUSCH: Sozialistisches Drama nach Brecht. Neuwied 1974
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blemstellung von der Opposition "revolutionäre Klasse" versus "Bürgertum" auf die Revolution selbst verlagert. Brecht setzt in der "Maßnahme" die Revolution und ihr Ziel, den neuen Menschen, positiv gegen den negativen Hintergrund der bürgerlichen Gesellschaft ab. Die Lehren der Klassikerl Das ABC des Kommunismus32 verkörpern dabei die Gewißheit, über einen Plan zu verfügen, der einen vernünftigen Aufbau der Gesellschaft garantiert. Die Instanz des Chors schließlich, das dem Individuum überlegene Kollektiv, wacht über die Verbreitung der Klassiker und repräsentiert den Hort der Utopie. Im Gegensatz zu Brecht bekennt Müller, keinen vernünftigen Weltplan mehr in der Tasche zu haben.33 Bei ihm erscheint die Revolution als reine Negation bestehender Verhältnisse, an der Schwelle eines Übergangs, der, unbekannt, noch nicht benannt werden kann. Die Frage nach dem positiven Gehalt der Revolution muß vorerst ebenso zurückgewiesen werden wie die Frage nach dem Menschen. Wozu das Töten und wozu das Sterben! Wenn der Preis der Revolution die Revolution ist/ Die zu Befreienden der Preis der Freiheit, (M 59) fragt34 B vor seiner Hinrichtung. Und auch A/Chor verlangen nach einer Gewißheit: Wird das Töten aufhören, wenn die Revolution gesiegt hat. Wird die Revolution siegen. Wie lange noch. Doch die Antwort ist lapidar: Du weißt, was wir wissen, wir wissen, was du weißt.! Die Revolution wird siegen oder der Mensch wird nicht sein! sondern verschwinden in zunehmender Menschheit. (M 63f) Die einzige Gewißheit, mager genug: Nicht eh die Revolution gesiegt hat endgültig! In der Stadt Witebsk wie in anderen Städten! Werden wir wissen, was das ist, ein Mensch. (M 66) Auch in der Figurenkonzeption verläßt Müller die Brechtsche Oppositionsbildung "bürgerlich" versus "revolutionär" und verlegt die Dichotomien in die "Figuren" hinein, bzw. löst diese durch die schematische Benennung A und B ganz auf.35 Bei Brecht bleiben die Figuren scharf getrennt: der Junge Genossse, steht dem bewußteren, dem vernünftigen Kol32 33
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BRECHT: Die Maßnahme, S. 635 Heiner MÜLLER: Vorwärts zurück zu Shakespeare in einer auch von Brechts Theater mit veränderten Welt. (Gespräch mit Wolfgang Heise). - In: Theater der Zeit. 2 (1988), S. 25 Es handelt sich eigentlich nicht um Fragen, da sie nicht mit einem Fragezeichen versehen sind. Sie gewinnen so eher den Charakter von Aussagen, die stereotyp immer wieder gestellt und ebenso stereotyp beantwortet werden. In früheren Editionen - in der "New German Critique" (1976) und der "Alternative" (1976) - trug A noch einen Namen: Mauser. Erst in späteren Ausgaben ersetzte Müller den identitätsstiftenden Begriff durch die Chiffre A.
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lektiv unvermittelt gegenüber. Mit Auf- und Absetzen seiner Maske springt er zwischen den völlig verschiedenen Bereichen, der individuellmoralischen Handlungsebene und der revolutionär-aufgeklärten, hin und her. Der Rezipient hat durchweg das Gefühl der tragischen Geschichte eines real zu denkenden Subjekts beizuwohnen; eine Tatsache, die der Brechtschen Lehrstückkonzeption völlig zuwiderläuft, weil sie eine emotionale Identifikation mit dem Helden geradezu herausfordert und wohl vor allem zu der Interpretation der "Maßnahme" als Tragödie beigetragen hat: "In point of fact 'The Measures Taken' contains naturalistic, indeed tragic, moments which go against its claimed intention as a 'Lehrstück'. One example of this can be found in the tender solidarity surrounding the death of the young comrade. (...) The misunderstanding of this play as tragedy is rooted in the play itself. "36 Bei Müller dagegen sprechen A und Chor teilweise mit einer Stimme, was Einheit und Differenz anzeigt und gleichzeitig ins Bewußtsein rückt, daß sich die Stellung des einzelnen als Mensch nur über sein Verhältnis zu anderen definieren läßt.37 Die bei Müller vorgestellten Haltungen von A und B vertreten keine realen Individuen. Es soll nicht klar geschieden werden zwischen revolutionärer Rolle bzw. bürgerlich-humanitärer Position. Denn Individuen sind niemals leere Blätter, auf die die Revolution ihre Anweisung schreibtsondern ein Ensemble historischer und sozialer Erfahrungen, das nicht willkürlich sortiert werden kann und sich als Schrift in den Körper des Subjekts einritzt. Damit verlegt Müller die Spaltung mitten ins Individuum und ins Kollektiv hinein.39 Kerne dialektische Auf-
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Eine Stoßrichtung im Aufsatz von Bathrick/Huyssen ist die Kritik an Brechts ungebrochener Fortsetzung tragischer Implikationen im Text, die die Lesart der "Maßnahme" als Tragödie verschuldet habe und eine konsequente Umsetzung der Lehrstücktheorie verhindere, vgl. David BATHRICK, Andreas HUYSSEN: Producing Revolution: Heiner Müller's "Mauser" as a Learning Play, S. 111 - In: New German Critique. H.8 (1976), S. 110-121 Schon Brecht suchte in den Lehrstücken die bürgerliche Subjektideologie als Illusion zu kennzeichnen. - Vgl. Hildegard BRENNER: Heiner Müllers "Mauser"-Entwurf: Fortschreibung der Brechtschen Lehrstücke? - In: Alternative. 110 (1976), S. 210-221 BRECHT: Die Maßnahme, S. 637 Ein solches Verfahren bleibt natürlich nicht folgenlos für Zeit- und Geschichtsverständnis: "In 'Mauser' und 'Quartett' löst das Verfahren der ineinandergeblendeten Rollen jede Distinktion zwischen Geschlechtern, Epochen, Ursachen und Folgen auf. Der so konstituierte Zeitraum stört nachhaltig jede historisierende, ja selbst chronologische Rezeption." Vgl. Hans-Thies Lehmann: Raum-Zeit. Das Entgleiten der Geschichte in der Dramatik Heiner Müllers und im französischen Poststrukturalismus, S. 75 - In: text+kritik. H. 73 (1982), S. 71-S1
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lösung winkt "der zerreißenden Spannung zwischen der Zeit des individuellen Subjekts und der Zeit der Geschichte".40 Brecht benutzt zur Darstellung seiner Thesen in der "Maßnahme" das Modell des Spiels im Spiel und bedient sich damit eines traditionellen Dramenmusters, das schon immer zu heuristischen Zwecken eingesetzt wurde: die dialektische Bewegung des Stücks zielte, wenn auch gebrochen, auf das Einverständnis mit dem Kollektiv.41 "Mauser" dagegen verfügt über keinen Plot, keine narrative Einheit, kein teleologisches Movens. Es gibt keine Wahrheit, die der Text vermitteln kann, keine allgemeine Erkenntnis. Der Text soll Erfahrungen ermöglichen und Bewußtseinsprozesse auslösen.42 Müller verzichtet daher auf den Einsatz aristotelischer Dramenmuster, die einem Kausalitätsdenken verhaftet bleiben, da dort das Vorher vom Nachher, der eine vom anderen sauber geschieden werden. "Mauser" ist wie ein Monolog angelegt, wie ein Rollengedicht, der ganze Text ist musikalisch konstruiert, syntaktisch von vornherein auf Vieldeutigkeit angelegt und tendiert zum lyrischen Drama.43 Ein übriges tut die "Verschachtelung der Zeitebenen: Der ganze Prozeß wird aus der Rückschau vergegenwärtigt, dadurch gehen die beiden Henker-Gestalten A und B ineinander über (...) Das Stück, ein dramatisierter Bericht, (schließt) wie ein Kreis: Die Sterbeszene, die das ganze Stück ist, mündet in sich selber."44 Das Skandalon der Liquidation des Genossen behält Müller bei Doch anders als in Brechts "Maßnahme" handelt es sich nicht um einen jungen Revolutionär, dem das spontane Mitgefühl des Rezipienten sicher sein kann, weil er menschlich gefehlt hat und unmenschlich dafür zur Rechenschaft gezogen wird; sondern der zum Tode verurteilte Genosse ist Parteihenker, ein Mann, der berufsmäßig tötet. Wie Genia Schulz bemerkt, konnotiert der Titel des Stücks, ursprünglich als Name für A gedacht, zum einen die in der Revolution berühmt gewordene Revolvermarke "Mauser", die schon Majakowski personifizierte: Rede, Genosse Mauser, zum andern den Federwechsel der Vögel, bei dem alte Federn aus dem Balg geschoben und
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Hans-Thies LEHMANN/ Helmut LETHEN: Ein Vorschlag zur Güte. Zur doppelten Polarität des Lehrstücks, S. 317 Vgl. Hildegard BRENNER: Heiner Müllers "Mauser"- Entwurf: Fortschreibung der Brechtschen Lehrstücke?, S. 215 In der Anmerkung zu "Mauser" ist er ausdrücklich als Übungstext ausgewiesen, der nur mit Einschränkung vor einem Publikum gespielt werden kann. vgl. LEHMANN, LETHEN: Auf Anregung Bertolt Brechts, S. 314 Genia SCHULZ: Heiner Müller, S. 109
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durch neue ersetzt werden.45 Das Bild der Revolution, die sich verjüngt sei es durch Blut, durch Mauser oder wie Phönix durch Selbstverbrennung - färbt bereits die Rede StJusts in Büchners "Dantons Tod" pathetisch ein.46 Die Revolution selbst gerät dabei zum Handlungssubjekt, zur Maschinerie, die quasi natürlich die einzelnen Individuen zermalmt. Die Henker A und B haben dabei keine Chance integer zu bleiben. Das fatalistische "Muß" über dem Täter, der dennoch für seine Taten zur Verantwortung gezogen wird, ist auch eine der tragischen Komponenten in Büchners Revolutionsdrama. Überspitzt formuliert heißt das, daß keiner tötet, ohne zum Mörder zu werden.47 Der Henker des Revolutionstribunals in Scholochows Roman "Der stille Don", dessen Thema "Mauser" variiert,48 stammelt: Nein, (...) glaub nicht, daß es Menschen aus Eisen gibt (...) es gibt niemand, der durch das Töten von Menschen (...) moralisch nicht verwundet würde.49 A und B sind so Opfer und Täter zugleich. Während B durch sein Mitgefühl die Revolution verrät und damit diejenigen, die für die Revolution gestorben sind sowie die zukünftigen Generationen, für deren bessere Welt gekämpft worden ist, überwindet A diese Stufe, verwandelt sich dabei aber zur Mordmaschine. Das Töten ist für ihn nicht länger eine Arbeit, eine Schuld, die er bewußt auf sich nimmt, sondern es wird ihm zur Lust: Zwischen Finger und Abzug der Augenblick War deine Zeit und unsre. Zwischen Hand und Revolver die Spanne War dein Platz in der Front der Revolution 45 46 47
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vgl. SCHULZ: Heiner Müller, S. 108 vgl. Büchner-Kapitel dieser Arbeit, S. 65ff In einer Diskussion auf das Problem des Verlusts an menschlicher Substanz in der Arbeit für die Revolution angesprochen und gefragt, was dann noch für die Revolution bleibe, antwortet Müller: Es ist klar, daß man diese Umwälzung nicht in einer Generation schaffen kann. Ich glaube, schwierig wird es bei so einem Stück immer, wenn man von der Sicht und dem Maßstab eines individuellen Lebens als dem Absoluten ausgeht Was den Menschen von anderen Tieren unterscheidet, ist doch letztlich, daß er mehr tut, als für ihn selbst unbedingt notwendig ist. Wenn man schon von Humanismus reden will, so ist das die Grundlage. Heiner Müller in einem Gespräch beim Wisconsin Workshop in Madison/USA (1976): Einen historischen Stoff sauber abschildern, das kann ich nicht, S. 36 - In: Heiner MÜLLER: Gesammelte Irrtümer. Interviews und Gespräche. Frankfurt am Main 1986, S. 31-49 vgl. MÜLLER in seiner Vorbemerkung zu "Mauser". M, S. 68 Michail SCHOLOCHOW: Der stille Don. 2.Buch ("Krieg und Revolution"). Autoris. Übers, von Olga Halpem. Berlin 1947, S. 363
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Aber als deine Hand eins wurde mit dem Revolver Und du wurdest eins mit deiner Arbeit Und hattest kein Bewußtsein mehr von ihr Daß sie getan werden muß hier und heute Damit sie nicht mehr getan werden muß und von keinem War dein Platz in unsrer Front eine Lücke (M 67) An dieser Stelle verschmilzt das mechanische zu einem orgiastischen Töten: A (Chor): Ich nehme unter den Stiefel was ich getötet habe Ich tanze auf meinem Toten mit stampfendem Tanzschritt Mir nicht genügt es zu töten, was sterben muß Damit die Revolution siegt und aufhört das Töten sondern es soll nicht mehr da sein und ganz nichts Und verschwunden vom Gesicht der Erde Für die Kommenden ein reiner Tisch. (M 64) Der Chor hört, wie A brüllt mit der Stimme des Menschen, der den Menschen frißt (M 65) und zieht ihn zur Verantwortung dafür, daß ihn die Toten in seinem Nacken nicht mehr beschweren, daß seine Last seine Beute war. (M 65) Hartmut Rosshoff hat darauf aufmerksam gemacht, daß A mit Zügen Stalins versehen ist.50 In einem späteren Stück Müllers, der "Schlacht", werden einem träumenden Faschisten ähnliche Züge unterlegt, wenn Ebermasken in SA-Uniform tanzend einen amerikanischen Soldaten, der durch eine mit Sternenbanner bekleidete Puppe symbolisiert wird, ins Sägemehl stampfen.51 Die Ausübung seiner "Arbeit", der Dienst an der Revolution hat A ebenso zum Schlächter deformiert wie den Mörder im Dienst des Faschismus. Müller legt den Finger in die Wunde, wenn er nach Stalingrad die Untre nn barkeit der Kategorien "links" und "rechts" konstatiert.52 Soll der 50
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vgl. Hartmut ROSSHOFF: Heiner Müllers Lehrstück "Mauser". - In: Alternative. 110 (1976), S. 193-209 Heiner MÜLLER: Die Schlacht, S. 19 - In: Die Schlacht. Wolokolamsker Chaussee. 2 Stücke. Frankfurt am Main 1988 Seit Stalingrad sind die Kategorien "rechts" und "links" nicht mehr so einfach trennbar, vielleicht gar überholt Denn bei Stalingrad hat die Rote Armee die Strategie der deutschen Wehrmacht verinnerlicht Im Krieg ist es unvermeidlich, die Energien des Gegners in sich aufzunehmen, um sie aufzuzehren • dadurch nimmt man natürlich auch die Züge des Gegners an. - Heiner MÜLLER: Da trinke ich lieber Benzin zum
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Tod so vieler Revolutionäre einen Sinn gehabt haben, muß A für seine Verfehlung zur Verantwortung gezogen werden; genauso wie der Horatier, dessen Verdienst, Sieger über Alba zu sein, neben seiner Schuld steht, Mörder seiner Schwester zu sein. 53 Im Vergleich zwischen "Mauser" und "Maßnahme" zeigt sich deutlich der enorme Unterschied zwischen den historischen Standorten beider Autoren. Brecht wähnte sich vor einer Revolution, Müller resümiert eine vergangene Revolution, über deren objektive Analyse ein Verdikt gesprochen war. Wissend das tägliche Brot der Revolution ist der Tod ihrer Feinde, wissend das Gras noch müssen wir ausreißen, damit es grün bleibt, versucht Müller es zu verhindern, daß Gras über die grauenhaften Deformierungen der Revolution wächst. Er versucht damit den revolutionären Prozeß, der längst nicht abgeschlossen ist, in Gang zu halten: Immer noch rasiert Woyzeck seinen Hauptmann, ißt die verordneten Erbsen, quält mit der Dumpßieit seiner Liebe seine Marie (...) Noch geht er in Afrika seinen Kreuzweg in die Geschichte, die Zeit arbeitet nicht mehr fiir ihn, auch sein Hunger ist vielleicht kein revolutionäres Element mehr, seit er mit Bomben gestillt werden kann, während die Tambourmajore der Welt den Planeten verwüsten, (...) Ulrike Meinhoff, Tochter Preußens und spätgeborene Braut eines andern Findlings der deutschen Literatur, der sich am Wannsee begraben hat, Protagonistin im letzten Drama der bürgerlichen Welt, der bewaffneten WIEDERKEHR DES JUNGEN GENOSSEN AUS DER KALKGRUBE, ist seine Schwester mit dem blutigen Halsband der Marie.54
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Frühstück. Heiner Müller im Gespräch mit Frank Raddatz. 3.Folge. - In: Transatlantik. 2 (1989), S. 1 0 - 1 4 vgl. Heiner MÜLLER: Der Horatier, S. 53 - In: Mauser, S. 45-54. "Der Horatier" (1968), "Mauser"(1979) und "Philoktet" (1966) gehören einer Versuchsreihe an. Heiner Müller: Die Wunde Woyzeck. (1985) Dankrede des Büchner-Preisträgers. Zuerst erschienen als Sonderdruck der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Darmstadt 1985. Jetzt in: Frank HÖRNIGK (Hg.): Heiner Müller. Material. Göttingen 1989
Revolution als Schauspiel in "Der Auftrag"
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3. Revolution als Schauspiel in Heiner Müllers "Der Auftrages Den Text von "Der Auftrag" kennzeichnet wie schon "Mauser" der Verzicht auf eine einheitliche dramatische Form. Aber anders als dort löst sich das Drama nicht nur in einen polyphonen Text auf, sondern in ein Ensemble unterschiedlicher Textgattungen: lange Prosapassagen wechseln mit surrealen Traumsequenzen, mit Burleske und Lyrik. In den Text eingeflochten sind u.a. literarische Zitate von Büchner, Flaubert, Brecht, Kafka, Seghers, Beckett. Die zentralen Bilder speisen sich aus der Schauspielmetaphorik, die zentralen Motive sind Verrat und Körper. Die Kategorie des Leibes, vernachlässigtes Stiefkind sämtlicher rationalistischer Utopien, rückt in den Vordergrund als Symbol für eine Revolution, die sich nicht im vergeblichen Spiel mit Ideen befrieden läßt, sondern bedingungslos ihre Realisation einfordert. Das Stück, das Motive aus der Erzählung "Das Licht auf dem Galgen" von Anna Seghers verwendet, spielt hauptsächlich zu der Zeit, da Frankreich keine Republik mehr ist, Napoleon, vom Konsul zum Kaiser avanciert, Rußland erobert und die Revolution abwürgt. (A 45) Gleichzeitig bewegt es sich auf vielen anderen historischen Ebenen. Thematisch bleibt es zwar in der Zeit Napoleons verankert. Es zurrt aber große historische Zeitspannen zusammen und schlägt einen Bogen von der französischen Revolution bis zur Gegenwart, die noch immer nicht die revolutionären Hoffnungen erfüllt hat. Wie "Mauser" ist auch "Der Auftrag" in der Form eines Kreislaufes strukturiert; doch hier in der Art eines analytischen "Dramas": Am Anfang des Stücks steht das Ende. "Erinnerung an eine Revolution" lautet bereits der melancholisch eingefärbte Untertitel. Dem Stück geht ein Prolog voran, der inhaltlich den unglücklichen Ausgang des Auftrags resümiert und daher eigentlich den Epilog darstellt.56 Es handelt sich um einen Prosatext, einen Brief, der nüchtern das Scheitern der Mission dreier Emissäre berichtet, die im Auftrag des Nationalkonvents in Paris auf der englischen Kolonie Jamaica die Revolution der Schwarzen vorbereiten sollten. Der 55 56
Heiner MÜLLER: Der Auftrag. - In: H.M.: Herzstück. Berlin 1983, S. 43-70. Zitate des Stücks erscheinen unter der Sigle A im laufenden Text. vgl. Henning RISCHBIETER: Die Wörter + die Zeichen. Heiner Müller, Nina Ritter und Erich Wonder inszenieren Heiner Müllers "Auftrag" in Bochum. - In: Theater Heute. 4 (1982), S. 7-12
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Plot des Textes bezieht sich also auf Brechts "Maßnahme", steht aber konträr zu dieser. Sasportas, der schwarze Revolutionär, ist gehängt worden, Galloudec, der Autor des Briefes, schreibt diesen auf seinem Totenbett und nur Debuisson, der sich beizeiten an die veränderte politische Lage angepaßt hat, genießt vermutlich unbehelligt sein durch Verrat neu gewonnenes Leben. So sachlich Galloudec einen gewisssen Antoine in Paris über das Mißlingen des Unternehmens informiert, so wenig resigniert fällt das Resümee aus. Galloudec unterrichtet Antoine in der Hoffnung, daß andere ihre Arbeit zu Ende führen: Ich teile Ihnen mit, daß wir den Auftrag zurückgeben müssen, den der Konvent durch Ihre Person uns erteilt hat, da wir ihn nicht erfiillen konnten. Vielleicht richten andere mehr aus. (A 43) Die nächste Szene beschreibt die Übergabe des Briefes an Antoine. Zeit und Ort der Handlung sind in der Hörspielfassung des Stücks als Paris 1812 ausgewiesen. Antoine, der sich zunächst verleugnet, gibt erst durch die Schilderung des Todes von Sasportas und Galloudec widerwillig seine Identität preis. Er hat seinen revolutionären Idealen abgeschworen, fürchtet sich vor der Geheimpolizei des Ministers Fouche und betrachtet seine Vergangenheit und Gegenwart mit unverhohlenem Zynismus: Ich muß vorsichtig sein. Frankreich ist keine Republik mehr, unser Konsul ist Kaiser geworden und erobert Rußland. Mit vollem Mund redet es sich leichter über eine verlorene Revolution. Blut, geronnen zu Medaillenblech. (...) Der Handel blüht. Denen auf Haiti geben wir jetzt ihre Erde zu fressen. Das war die Negerrepublik. Die Freiheit führt das Volk auf die Barrikaden, und wenn die Toten erwachen trägt sie Uniform. (...) sie ist auch nur eine Hure. (A 45) Die Anspielung auf das berühmte Bild von Delacroix, geradezu Inkarnation der Freiheit, verhöhnt die Vorstellung von dieser charismatischen Figur, die mit entblößter Brust und barfüßig über Leichen dahinschreitet. Das Kostüm der Freiheit, Sinnbild transparenter politischer Verhältnisse und einer zwanglosen, befreiten Körperlichkeit,57 wird als bloße Drapie-
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Vgl. Georg BÜCHNER: "Dantons Tod" I, 1. (SWB I, 11) Dort formuliert Desmoulins sein politisches Programm mit den Worten: Die Staatsform muß ein durchsichtiges Gewand sein, das sich dicht an den Leib des Volkes schmiegt. (...) Wir werden den Leuten, welche über die nackten Schultern der allerliebsten Sünderin Frankreich den Nonnenschleier werfen wollen, auf die Finger schlagen. - wir wollen nackte Götter, Bacchantinnen (...).
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rung, als Täuschung denunziert, wenn sie selbst nach der Konsolidierung der neuen Verhältnisse in Uniform erscheint.58 Die Szene beschließt eine surreale Traumsequenz. Von Gesichten geplagt, flüchtet Antoine in alkoholische und sexuelle Räusche. Während des Beischlafs59 erscheint ihm der Engel der Verzweiflung. Der Text, den er. spricht, knüpft an die Ophelia-Figur aus der "Hamletmaschine" an und formuliert das Manifest des gesamten Stückes, eine gewissermaßen negative Verheißung, die Benjamins Engel der Geschichte, Brechts Glücksgott und Müllers glücklosen Engel zu einem Aufschrei gegen die "Geschichte als Kontinuum anhaltender Katastrophen" verdichtet:60 Ich bin der Engel der Verzweiflung. Mit meinen Händen teile ich den Rausch aus, die Betäubung, das Vergessen, Lust und Qual der Leiber. Meine Rede ist das Schweigen, mein Gesang der Schrei. Im Schatten meiner Flügel wohnt der Schrecken. Meine Hoffnung ist der letzte Atem. Meine Hoffnung ist die erste Schlacht. Ich bin das Messer mit dem der Tote seinen Sarg aufsprengt. Ich bin der sein wird. Mein Flug ist der Aufstand, mein Himmel der Abgrund von morgen. (A 46fl Der zweite Teil des Stücks blendet zurück in die Zeit, als die drei Revolutionäre mit der Erfüllung ihres Auftrages beginnen. Er spielt auf der Antilleninsel Jamaica am Ende des 18. Jahrhunderts, bevor Napoleon mit der Auflösung des Direktoriums die Macht an sich gerissen hat. Dieser Teil scheint Antoines Reminiszenzen zu reflektieren, weil er durch die Szene in Paris motiviert ist und der folgende Prosatext mit einem kollektiven "Wir"
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Die Denunziation der Freiheit als Hure und ihre Apotheose als Tugend sind beides traditionelle Deutungen der Allegorie im 19Jahrundert. Die politischen Implikationen dieses Freiheitsmythos untersucht der Aufsatz von Dolf OEHLER: Liberté, Liberté Chérie. Männerphantasien über die Freiheit. Zur Problematik der erotischen FreiheitsAllegorie. - In: Georg BÜCHNER: Dantons Tod. Krit. Studienausg. des Originals ... Hg. von Peter von BECKER. 2. Aufl. Frankfurt am Main 1985, S. 91-105 Auch diese Szene kann als literarische Anspielung auf Büchners "Dantons Tod" verstanden werden, wo Danton seine Erinnerung an die Septembermorde im Beischlaf mit Julie zerstreut, wie er auch immer, wenn er politische Entscheidungen zu treffen hätte, Ablenkung bei den Huren sucht. Im "Auftrag" entspricht ein solches Verhalten den weißen Intellektuellen, die mit der Flucht in die private Lust Verrat an der Revolution begehen. Einen Vergleich dieser Texte gibt Frank HÖRNIGK: "Texte, die auf Geschichte warten ...". Zum Geschichtsbegriff bei Heiner Müller. - In: F.H. (Hg.): Heiner Müller. Material. Göttingen 1989, S. 123 - 1 3 7
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anschließt.61 Doch handelt es sich um den Beginn eines weitgehend selbständigen Teils, der weitgehend als Spiel im Spiel angelegt ist Er fängt mit einer Exposition an, die den Ort des Geschehens (Jamaica), die Zeit (vornapoleonisch), die Protagonisten (Debuisson, Galloudec, Sasportas), den historischen Hintergrund und erstmals dezidiert den Auftrag benennt:
Unser Auftrag: ein Sklavenaufstand gegen die Herrschaft der britischen Krone im Namen der Republik Frankreich. Die das Mutterland der Revolution ist, der Schrecken der Throne, die Hoffnung der Armen. (A 47) Die nun einsetzende Handlung wird als regelrechtes Maskenspiel inszeniert, das bis in einzelne Details hinein Brechts "Maßnahme" aufgreift und kritisiert.62 Die konspirative Maskerade aus dem Lehrstück wird polarisiert mit dem Büchnerschen Diktum aus "Dantons Tod" von den Gesichtern, die mitgehen, wenn man einander die Masken abreißt. Während der Maske im Brechtschen Sinne eine rein instrumenteile Bedeutung zukommt, eignet ihr bei Büchner eine existentielle.63 Bei Brecht hat sie die Funktion des rationalen Kalküls. Ihr Träger kann sich ihrer entledigen, wenn sie nicht mehr notwendig ist. Er ist jederzeit in der Lage zwischen dem "wahren" Antlitz und der Larve zu unterscheiden. Bei Büchner dagegen sind Rolle und individuelles Selbst wo nicht identisch, so doch untrennbar miteinander verwachsen. Regisseur ist dort nicht das einzelne Subjekt, das gesellschaftlich handelt und auf Grund seiner Rolle Schuld auf sich lädt, von der sein wahres Selbst unberührt bleibt; sondern Subjekt der Geschichte ist ein anonymes Allgemeines, das dem einzelnen Rollen aufzwingt, für die er dennoch die Verantwortung trägt. Das Handeln in der Rolle berührt auch seinen individuellen Kern. Wie in der "Maßnahme" soll auch im "Auftrag" das Rollenspiel zur Tarnung dienen. Zum Zwecke der Subversion simulieren die drei Revolu61
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Nach der in weiten Teilen überzeugenden Analyse von Arlene Akiko TERAOKA entspringt der Text dem Bewußtsein Antoines: "It is represented as a text of narrative prose, not spoken by one of the characters, but arising out of and unified in the single consciousness of the 'narrator'. (...) The three roles do not represent independent characters who interact within a dramatic world, but serve only to articulate the changing constellations within the contradictory consciousness of their Auftraggeber Antoine." - Arlene Akiko TERAOKA: The Silence of Entropy or Universal Discourse. The Postmodernist Poetics of Heiner Müller. New York 1985, S. 136 Auf den Zusammenhang zwischen "Der Auftrag" und Brechts Lehrstück "Die Maßnahme" haben nahezu alle Interpreten aufmerksam gemacht. Exemplarisch seien hier genannt Genia SCHULZ: Heiner Müller, S. 160f; Frank HÖRNIGK: Zu Heiner Müllers Stück "Der Auftrag", S. 124 - In: Weimarer Beiträge. 3 (1981), S. 114-131; TERAOKA: The Silence of Entropy, S. 135 ff vgl. TERAOKA: The Silence of Entropy, S. 139
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tionäre die Rollen Herr, Aufseher, Sklave, um im Schutz dieser Masken die Revolution und ihre Werte, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, zu exportieren. Doch die Pointe, die sich darin verbirgt, ironisiert von vornherein das Unternehmen dieser Maskerade: Denn jeder fällt in den Status zurück, den er zuvor innehatte. Debuisson verteilt die Masken und weist jeden in seine Rolle ein. Er, als Sklavenhaltersohn, nimmt die "Maske" des Sklavenhalters vor: Debuisson: Nehmen wir unsere Masken vor. Ich bin der ich war: Debuisson, Sohn von Sklavenhaltern aufJamaica, mit Erbrecht auf eine Plantage mit vierhundert Sklaven. (...) Mein Gesicht das rosige Gesicht des Sklavenhalters, der auf dieser Welt nichts zu fürchten hat als den Tod. (A 48) Auch Galloudec bleibt, was er war: Ein Bauer aus der Bretagne. Allerdings spielt er einen, der die Revolution hassen gelernt hat im Blutregen der Guillotine. (A 49) Seine Übernahme der Rolle geschieht nicht ungebrochen. Beim ersten Aufsagen fällt er zweimal aus der Rolle (ich wollte der Regen wäre reichlicher gefallen, und nicht nur auf Frankreich) und wird sofort von Debuisson, der die Funktion eines Regisseurs bei diesem Rollenspiel als Tarnung innehat, scharf zurechtgewiesen. Sasportas, der Schwarze, erhält die "Maske" des Sklaven zugeteilt. Von Debuisson aufgefordert, seine Maske zu übernehmen, repetiert Sasportas: Auf der Flucht vor der siegreichen schwarzen Revolution auf Haiti habe ich mich dem Herrn Debuisson angeschlossen, weil Gott mich für die Sklaverei geschaffen hat. (A 49) Sasportas fällt die Rückkehr in die Position des Sklaven ungeheuer schwer. Unerbittlich eliminiert Debuisson aus seinem Text noch das letzte rebellische Element: Siegreiche Revolution ist nicht gut. So etwas sagt man nicht vor Herren. Schwarze Revolution ist auch nicht gut. Schwarze machen einen Aufruhr, wenn es hochkommt, keine Revolution. (A 49) Die Korrektur trägt dem Vorurteil der Weißen Rechnung, wonach es den Schwarzen als angeblich minderwertiger Rasse an Intelligenz mangelt, um eine Revolution durchzuführen. Das Verfahren erinnert an Melvilles Darstellung der Schwarzen in "Benito Cereno", die gleichfalls im Schutz dieses Delano-Vorurteils unter den Masken von schlimmstenfalls wilden, aber immer dummen Sklaven ihren Umsturz vorbereiteten. Für Sasportas bedeutet die Übernahme der Sklavenrolle jedoch nicht nur, dem Gebot taktischer Klugheit zu folgen, keinen ihm wesensfremden Akt, z.B. wie das Überstreifen eines Pullovers, der jederzeit wieder ausgezogen werden kann. Ihn legt die Hautfarbe immer schon auf die Sklavenrolle fest. Noch bevor die Masken verteilt werden, konstatiert er: Wir sind nicht gleich, eh
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wir einander nicht die Häute abgezogen haben. (A 48) In die gleiche Richtung weisen die Frotzeleien von Galloudec: Dir sollte es nicht schwer fallen, den Sklaven zu spielen, Sasportas, in deiner schwarzen Haut. (...) Ich weiß, daß du die schwerste Rolle spielst. Sie ist dir auf den Leib geschrieben. (A49) Im Gegensatz zu Galloudec und Sasportas geht Debuisson der Text verdächtig leicht von den Lippen. Die ungebrochene Übernahme seiner Rolle, die Perfektion, mit der er das Schauspiel einstudiert, taucht das ganze Unternehmen in dubioses Zwielicht. Andererseits könnte man gemäß Brechts Lehre aus der "Maßnahme" schließen, daß die Geläufigkeit, mit der er das Schauspiel inszeniert, auf die höchste revolutionäre Tugend verweist: Immer rational in bezug auf das revolutionäre Ziel zu handeln und sich niemals zu spontan-emotionalem Handeln hinreißen zu lassen. Diese Lehre demonstriert er am Beispiel eines Sklaven, der zur Bestrafung in einem Käfig ausgestellt ist: Viele werden in diesem Käfig sterben, bevor unsere Arbeit getan ist. Viele werden in diesem Käfig sterben, weil wir unsere Arbeit tun. Unser Platz ist der Käfig, wenn die Masken reißen vor der Zeit. Die Revolution ist die Maske des Todes. Der Tod ist die Maske der Revolution. (A 50) Damit ist das Modell der "Maßnahme" in allen Einzelheiten aufgenommen: von der Notwendigkeit eine Maske zu tragen, d.h. dem Einverständnis mit der Auslöschung seines Gesichts;64 bis zu dem Wissen, daß eine vorzeitige Enttarnung Tod bedeutet.65 Allerdings erfährt das Motiv hier eine skeptische Erweiterung. Die Schachtelung der Maskenhaftigkeit rückt das Unternehmen in die Ungewißheit, ob das Maskenspiel der Revolution nur eine Maskerade des Todes ist. An diese Szene schließt ein Text an, bestehend aus Majuskeln ohne Interpunktion, der monoton über eine halbe Seite hinweg das Leitmotiv des Stückes wiederholt: DIE REVOLUTION IST DIE MASKE DES TODES DER TOD IST DIE MASKE DER REVOLUTION (...) (A 51) Das Paradox verweist auf die Ambivalenz des revolutionären Prozesses ebenso wie auf das zerrissene Bewußtsein66 des intellektuellen, bürgerlichen Revolutionärs, der, lediglich im Auftrag handelnd, sich mit Legitimations64
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BRECHT: Die Maßnahme, S. 637 vgl. Frank HÖRNIGK: Zu Heiner Müllers Stück "Der Auftrag", S. 124 vgl. Rüdiger MANGEL, Georg WIEGHAUS: Behauptung der Geschichte. Zur Dramatik von Heiner Müller und Volker Braun in den siebziger Jahren, S. 49 - In: Literatur der siebziger Jahre. Berlin 1985. (= Argument Sonderbd. 108: Literatur im historischen Prozeß. N.F.8), S. 37-51
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Schwierigkeiten quälen muß, weil die Revolution für ihn eine bloße Idee darstellt, nicht aber eine am eigenen Leibe erfahrene Notwendigkeit. Der ganze Absatz wirkt wie ein curtain signalling the beginning ofa theatrical Performance,67 Doch bevor das eigentliche Theater der Revolution (A 53) eröffnet wird, vergegenständlicht ein surreales Vorspiel die psychische Disposition des weißen Revolutionärs Debuisson. Debuisson, Galloudec und Sasportas werden von Sklaven entkleidet und als Sklavenhalter, Aufseher mit Peitsche und Sklave kostümiert. In einem Schrank befinden sich Vater und Mutter, auf einem Thron eine weibliche Figur namens ErsteLiebe. Unter dem biblisch konnotierten Titel "Die Heimkehr des Verlorenen Sohnes" empfängt ErsteLiebe ihren von seiner zweiten Liebe, der Revolution, heimgekehrten Sohn. Sie konfrontiert ihn mit seiner ambivalenten, emotionalen Bindung an seine Herkunft, seine Familie und seine Klasse. Unversehens wird er in das "Geflecht der psychischen Herrschafts- und Besitzansprüche hineingezogen."68 In aggressiver Mütterlichkeit destruiert ErsteLiebe den revolutionären Mythos. In einem Monolog verweist sie auf die Dauer der Sklaverei (Die Sklaverei ist ein Naturgesetz, alt wie die Menschheit) (A 52) und auf die Sehnsucht der Sklaven zurückzukehren aus dem kalten Frühling ihrer Freiheit unter die geliebte Peitsche, (...) in die Geborgenheit der Sklaverei (A 52). Das sarkastische Resümee von ErsteLiebe steigert sich zu einer Rachephantasie am Klassenverräter und gipfelt in Formulierungen des Aufbegehrens der mißbrauchten Frau, ihrer totalen Verweigerung, die an die Ophelia-Figur der "Hamletmaschine" erinnert: Mit den Zähnen meiner Hunde will ich aus deinem befleckten Fleisch beißen die Spur meiner Tränen, meinen Schweiß, meine Schreie der Lust. (...) Deinen Atem, der nach den toten Leibern der Könige schmeckt, übersetzen in die Sprache der Qual die den Sklaven gehört. Ich will dein Geschlecht essen und einen Tiger gebären, der die Zeit verschlingt, mit der die Uhren mein leeres Herz schlagen, durch das die Regen der Tropen gehen. (A 53) Nach dem Monolog von ErsteLiebe findet ein Kostümwechsel statt: Sklaven (...) schminken ErsteLiebe ab, setzen Debuisson auf den Thron, ErsteLiebe als Fußbank, staffieren Galloudec und Sasportas als Danton und Robespierre aus. Das Theater der Revolution ist eröffnet. (A 53) Mit dieser
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TERAOKA: The Silence of Entropy, S. 142 Uwe WITTSTOCK: Nachwort, S. 142 - In: Heiner Müller. Revolutionstücke. Hg. von Uwe Wittstock. Stuttgart 1988
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Szene erfährt der Dramentext eine weitere Verschachtelung. Ihr kommt die Bedeutung eines Spiels im Spiel zu. In den Verkörperungen der Revolutionshelden diskutiert sie den Gehalt der revolutionären Ideale und enthüllt sie als die wohlfeilen Stichworte für die Machtgelüste Privilegierter. In deutlicher Allusion zu Büchners "Dantons Tod" spielen Sasportas und Galloudec in den Rollen von Robespierre und Danton die französische Revolution nach. In ihrem Spiel entpuppt sie sich als lächerliche Farce. Der Kampf der "Giganten", der Heroen, der Führer der Revolution schrumpft zum eitlen Spiel einzelner, die sich im "Pantheon der Geschichte" zu sehen wünschen und deren Pathos und Agieren vollends an den Problemen und Bedürfnissen des Volkes vorbei geht.69 Die Rollenverteilung orientiert sich an dem Vorbild des Büchnerschen Dramas: SasportasRobespierre: Seht den Schmarotzer, der das Brot der Hungrigen schlingt. Den Wüstling, der die Töchter des Volkes schändet. Den Verräter, der die Nase rümpft vor dem Geruch des Blutes, mit dem die Revolution den Leib der neuen Gesellschaft wäscht. (...) Der Griff nach dem Fleischtopf war deine Revolution. Der Freiplatz im Bordell. GalloudecDanton: Seht den Affen mit der zerbrochenen Kinnlade. Den Blutsäufer, der seinen Sabber nicht halten kann. Hast du das Maul zu voll genommen. Unbestechlicher, mit deiner Tugendpauke. (..) Hast du Revolution gesagt. Das Beil der Gerechtigkeit, wie. Die Guillotine ist keine Brotfabrik. (A 54ffi Die Schimpftirade der beiden Protagonisten gipfelt in Schimpfworten Hitlers gegen Roosevelt.70 Die Verlängerung der revolutionären Ereignisse bis zu ihren Nachwirkungen im zwanzigsten Jahrhundert verweist auf die Dialektik der Aufklärung und mündet in der Bankrotterklärung des idealistischen Menschenbildes, das der Motor der großen bürgerlichen Revolution war, aber letztlich auf Kosten der dritten Welt propagiert wurde. Die Zeit der großen Subjekte, die Geschichte machten, ist vorbei. Büchners Unlust, sich vor den Paradegäulen und Eckstehern der Geschichte zu verbeugen, erfährt eine burleske Verbildlichung, wenn im Spiel die Sklaven, 69
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In gleicher Weise hat Flaubert in der "Education sentimentale" die Revolution und ihre Protagonisten charakterisiert. Vgl. das Flaubert-Kapitel dieser Arbeit. vgl. Hans-Thies LEHMANN: Dramatische Form und Revolution. Überlegungen zur Korrespondenz zweier Theatertexte: Georg Büchners "Dantons Tod" und Heiner Müllers "Der Auftrag", S. 111 - In: Georg Büchner. Dantons Tod. Krit. Studienausg. des Originals. Hg. von P. von Becker. 2.Aufl. 1980 S. 106-121
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die zuvor eine Handlanger- bzw. Zuschauerfunktion innehatten, den Protagonisten die Kostümköpfe herunter schlagen und damit Fußball spielen.71 Die Szene wechselt erneut. Die Sklaven zerren Debuisson vom Thron und inthronisieren Sasportas. Er spricht der weißen Revolution das Urteil und beendet das Schauspiel: Das Theater der weißen Revolution ist zu Ende. Wir verurteilen dich zum Tode, Victor Debuisson. Weil deine Haut weiß ist. Weil deine Gedanken weiß sind unter deiner weißen Haut. (A 56) Die Argumentation von Sasportas folgt im weiteren der Logik von Brechts "Badener Lehrstück vom Einverständnis", wo das Sterben geübt wird: Weil du ein Besitzer bist, ein Herr. Darum verurteilen wir dich zum Tode, Victor Debuisson. (...) Debuisson schreit Das Elend mit euch ist, ihr könnt nicht sterben. Darum tötet ihr alles um euch herum. Für eure toten Ordnungen, in denen der Rausch keinen Platz hat. Für eure Revolutionen ohne Geschlecht. Liebst du diese Frau. Wir nehmen sie, damit du leichter stirbst. Wer nicht besitzt stirbt leichter. Was gehört dir noch. Sag schnell, unsre Schule ist die Zeit, sie kommt nicht wieder und kein Atem für Didaktik, 72 wer nicht lernt stirbt auch. Deine Haut. Wem hast du sie abgezogen. Dein Fleisch unser Hunger. Dein Blut leert unsre Adern. Deine Gedanken, wie. Wer schwitzt für eure Philosophien. Noch dein Harn und deine Scheiße sind Ausbeutung und Sklaverei. (...) Jetzt gehört dir nichts mehr. Jetzt bist du nichts. Jetzt kannst du sterben. Grabt ihn ein. (A 56) Im Zentrum von Sasportas' Rede steht das Verhältnis Europa-Dritte Welt, das zu einer Abrechnung mit der europäischen Philosophie gerät. Sasportas zieht das Fazit aus einem Spektakel, das für die farbigen Teile dieser Welt bestenfalls Spiele, aber kein Brot bereithält. Das Theater der weißen Revolution ist zu Ende (A 56), die schwarze Revolution, die Rebellion der Körper, wird kein Theater sein. Das absurde, aus drei Szenen bestehende Spiel, löst ein langer nicht minder surrealer Prosatext ab, der stark an Parabeln Kafkas erinnert. Es handelt sich um eine zentrale Passage, die von einem nicht näher benannten männlichen Ich gesprochen wird. Ein Angestellter befindet sich in einem Fahrstuhl auf dem Weg zum Chef, genannt Nummer Eins,73 um einen Auftrag zu übernehmen. Eingeschlossen im hermetisch abgeriegelten Bereich einer hierarchisch aufgebauten Bürokratie, symbolisiert durch den 71
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Das gleiche anarchische Ballspiel mit den Köpfen gibt es schon im Marat/SadeDrama von Peter Weiss. Im Hörspiel heißt es pikanterweise "Dialektik" In Arthur Koestlers Roman "Sonnenfinsternis" stand "Nummer Eins" als Chiffre für Stalin. Vgl. Genia SCHULZ: Heiner Müller. S. 163
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Aufzug, ängstigt er sich, ob sein Schlips richtig sitzt, grübelt über die Art des Auftrags nach und erlebt schließlich das Aussetzen der Koordinaten von Raum und Zeit, was ihn in alptraumartige Panik versetzt, weil er zu spät beim Chef erscheinen könnte. Ähnlichkeiten bestehen auch mit Poes Erzählung "The Descent into the Maelström".74 Maelstrom wie auch der Fahrstuhl können als Metapher für Geschichte stehen. Beide Male sieht sich ein Held dem Unfaßbaren ausgesetzt, das er mit physikalisch-rationalen Begriffen zu erklären sucht; doch widerspricht in jedem Fall die konkrete Erfahrung dem rationalen Erklärungsmodell. Die Zeit verliert beide Male ihr Maß. Während bei Poe die Zeit stehenzubleiben scheint und sich die Dinge in rasender Bewegung befinden, verhält es sich bei Müller umgekehrt. Dort rast die Zeit, die Dinge aber bleiben unverändert. Die Darstellung destruiert jeweils einen Geschichtsbegriff, der metaphysisch Teleologie und Fortschritt verheißt und die rationalistische Auflösung der Ereignisse in Ursache und Wirkung gestattet. Beiden "Helden" gelingt es, rechtzeitig "auszusteigen". Der Angestellte aus Müllers Text befindet sich unvermittelt auf einer Landstraße in Peru. Er empfindet die Weite und Fremde einer unvertrauten Zivilisation. Als Weißer fürchtet er sich, von den Einwohnern entdeckt und getötet zu werden. Zwei Männer begegnen ihm; ein Schwarzer, Repräsentant der dritten Welt, und ein Silberner, Metapher für eine Maschine.75 Sie symbolisieren die noch vorhandene Möglichkeit einer humanen Vereinigung von Mensch und Technik auf dem Boden der dritten Welt. In einem anderen Zusammenhang greift Müller diesen Gedanken wieder auf: Die Körper haben eine Zeit, die Maschinen eine andre. Die Chance der Unterentwicklung, von Lenin wie von Peter dem Großen verpaßt, ist die Hochzeit von Mensch und Maschine. Der Schrei nach der wirklichen Revolution, in Babels Erzählungen aus dem Bürgerkrieg, erstickt von Bürokratien im Clinch von Revolution und Konterrevolution, der Grundfigur des Jahrhunderts, wird laut, nach stummen Jahrzehnten, in Gorbatschows Weigerung, das programmierte Endspiel mitzuspielem, das letzte Spekta-
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Falls ein solcher Vergleich zu gewagt erscheint, sei darauf verwiesen, daß Müller selbst just diese Geschichten Poes, die unter dem Titel "Phantastische Fahrten" zusammengefaßt werden, für das Maelstromsüdpol-Projekt aufgenommen hat, das er zusammen mit Erich Wonder und Heiner Göbbels als Aktion auf der Documenta 1987 präsentiert hat. Vgl. Wolfgang STORCH (Hg.): Explosion of a Memory. Heiner Müller DDR. Ein Arbeitsbuch. Berlin 1988, S. llOf TERAOKA: The Silence of Entropy, S. 154; vgl. auch Dan. 2,33
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kel, an dem nur die Medien, emanzipiert von der Menschheit, interessiert sind; das Zuschauer nicht braucht außer als Material76 Eine Weile sucht der Angestellte aus Europa noch nach einem Auftrag und einem Auftraggeber: Was kann mein Auftrag sein in dieser wüsten Gegend jenseits der Zivilisation. Wie soll der Angestellte wissen, was im Kopf des Chefs vorgeht. (A 61) Schließlich empfindet er Heiterkeit bei dem Gedanken, keinen Auftrag mehr zu haben. Verschiedene enigmatische Situationen scheinen auf einen Auftrag hinzuweisen: ein Hund mit einer menschlichen Hand im Maul,77 junge Männer mit drohenden Mienen und eine Frau, die ihre Arme nach ihm ausstreckt. Doch vermag er die Bilder nicht zu deuten und geht an ihnen vorbei.78 Als er Kindern begegnet, die auf einem grasüberwachsenen Bahndamm (...) an einer Kreuzung aus Dampfmaschine und Lokomotive herumbasteln, mischt er sich nicht belehrend ein: Ich Europäer sehe mit dem ersten Blick, daß ihre Mühe verloren ist: dieses Fahrzeug wird sich nicht bewegen, aber ich sage es den Kindern nicht, Arbeit ist Hoffnung. (A 62) Die stolzen Symbole Europas, Dampfmaschine als Metapher für die industrielle Revolution und Lokomotive nach den Worten von Marx als Metapher für die politische Revolution vermögen dieser Welt nicht als Leitmotive voranzugehen. Der Intellektuelle Europas sieht als Lösung nur, sich herauszuhalten. Der Monolog schließt mit der Doppelgängervision des Todes: Irgendwann wird DER ANDERE mir entgegenkommen, der Antipode, der Doppelgänger mit meinem Gesicht aus Schnee. Einer von uns wird überleben. (A 62)79 Die nächste Szene schließt den Rahmen und kehrt zurück zu den drei Revolutionären auf Jamaica. Debuisson hat die Nachricht erhalten, daß Napoleons Staatsstreich die Revolution beendet hat. Die Regierung, die uns den Auftrag erteilt hat, hier auf Jamaika einen Sklavenaufstand zu organisieren, ist nicht mehr im Amt. Der General Bonaparte hat das Direktorium aufgelöst mit den Bajonetten seiner Grena-
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MÜLLER: Nachricht aus Moskau. Januar 1989. Vorwort zu Curzio Malapartes Roman "Die Wolga entspringt in Europa". Köln 1989 vgl. das Motiv in Flauberts "La Tentation de saint Antoine". vgl. TERAOKA: The Silence of Entropy, S. 154f Auch hier besteht eine Anspielung auf Poe, und zwar auf den Schluß von "Arthur Gordon Pym", wo das Manuskript abbricht, als Pym und seine Gefährten beim Einbruch der Katastrophe noch das Erscheinen einer verhüllten, menschlichen Gestalt wahrnehmen, deren "Tönung der Haut von der völligen Weißnis des Schnees" war. Vgl. auch Offb. 1,14
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diere. Frankreich heißt Napoleon. Die Welt wird was sie war, eine Heimat für Herren und Sklaven. (A 62) Für ihn bedeutet das die Entlassung aus dem Auftrag, da er ohne einen solchen nicht kämpfen will. Er akzeptiert so ohne weiteres den von Napoleon geschaffenen Status quo und entläßt seine Genossen: Debuisson: Die Welt wird, was sie war, eine Heimat für Herren und Sklaven. (...) Jeden in seine eigene Freiheit oder Sklaverei. Unser Schauspiel ist zu Ende, Sasportas. Paß auf, wenn du dich abschminkst, Galloudec. Vielleicht geht deine Haut mit. Deine Maske, Sasportas, ist dein Gesicht. Mein Gesicht ist meine Maske. (A 63) Die Szene korrespondiert mit der ö.Szene aus Brechts "Maßnahme". Doch während in Brechts Lehrstück der junge Genosse Verrat begeht, indem er vorzeitig seine Maske herunterreißt und sich von der Partei löst, besteht der Verrat Debuissons darin, daß er sich zu eng an die "Partei", d.h. die Herrscher des revolutionären Frankreichs anschließt.80 Die Maskerade selbst enthüllt sich als Täuschung. Keineswegs handelte es sich um leere Blätter, auf die die Revolution ihre Anweisung schreibt.81 Schon die Wortwahl Debuissons zeigt an, daß er sich keine Illusionen über die Bedeutung der Masken macht. Die Masken identifizieren die drei Revolutionäre: einen Bauern, einen Sklaven, einen Sklavenhalterssohn. Während den ersten beiden die Erfahrung der Unterdrückung körperlich eingebrannt ist, sie tragen ihren Auftrag auf der Haut, hat der letzte sich lediglich einem Spiel mit Ideen hingegeben. Er ist sofort bereit, seine Genossen resigniert zu verlassen, als sich die Wirklichkeit seinen Idealen widersetzt. Die Revolution hat keine Heimat mehr, das ist nicht neu unter dieser Sonne, die eine neue Erde vielleicht nie bescheinen wird, die Sklaverei hat viele Gesichter, ihr letztes haben wir noch nicht gesehn (...) vielleicht war, was wir für das Morgenrot der Freiheit hielten, nur die Maske einer neuen schrecklicheren Sklaverei, mit der verglichen die Herrschaft der Peitsche auf den Kariben und anderswo einen freundlichen Vorgeschmack auf die Wonnen des Paradieses darstellt, und vielleicht hat deine unbekannte Geliebte, die Freiheit, wenn ihre Masken verbraucht sind, überhaupt kein anderes Gesicht als der Verrat: was du heute nicht verrätst, wird dich morgen töten. Vom Standpunkt der Humanmedizin ist die Revolution eine Totgeburt, Sasportas: aus der Bastille in die Conciergerie, der Befreier wird Gefängniswärter. TOD DEN BEFREIERN heißt die letzte Wahrheit der 80 81
vgl. TERAOKA: The Silence of Entropy, S. 157f BRECHT: Die Maßnahme, S. 637
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Revolution. Und was meinen Mord im Dienst an unserer Sache betrifft: der Arzt als Mörder ist kein neuer Part im Theater der Gesellschaft, der Tod bedeutet nicht so viel für die Helfer der Menschheit: ein andrer chemischer Zustand (...) wir haben unsre Leichen im Genick jetzt und sie werden unser Tod sein, wenn wir sie nicht abwerfen vor der Grube. Dein Tod heißt Freiheit, Sasportas, dein Tod heißt Brüderlichkeit, Galloudec, mein Tod heißt Gleichheit. Es ritt sich gut auf ihnen, als sie noch unsre Gäule gewesen sind der Wind von morgen um die Schläfe. Jetzt weht der Wind aus gestern. Die Gäule sind wirf...) Unsre Reiter haben Gepäck: die Leichen des Terrors, Pyramiden von Tod. Mit jedem Zweifel, der durch unsere Gehirnwindungen geht, wiegen sie schwerer. Eine Revolution hat keine Zeit, ihre Toten zu zählen. Und wir brauchen unsre Zeit jetzt, um die schwarze Revolution abzublasen, die wir so gründlich vorbereitet haben im Auftrag einer Zukunft, die schon wieder Vergangenheit ist wie die andern vor ihr. (A 65f) Das 1979 geschriebene Stück rechnet mit der Rolle der Intellektuellen in den Revolutionen dieser Welt ab, die nur im Auftrag, d.h. aus ideellen Gründen die Revolution wünschen - im Gegensatz zu den existentiellen Gründen der Schwarzen, Proletarier etc - und daher von vornherein zum "Verrat" disponiert sind. In modifizierter Form greift Müller damit einen Gedanken auf, der in einem anderen Kontext auch von Merleau-Ponty gedacht worden ist: Die marxistische Revolution ist nicht irrational, denn sie ist die Fortsetzung und logische Folge der Gegenwart, aber diese Logik der Geschichte ist nur in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation und nur für die Proletarier völlig erkennbar, die als einzige die Revolution leben, weil sie als einzige die Erfahrung der Unterdrückung besitzen. Für die Anderen mag sie eine Pflicht oder ein Begriff sein: sie vermögen sie nur im Auftrag zu leben, sofern sie sich dem Proletariat anschließen, und wenn sie es tun, können und dürfen ihre Ideen und Motive nicht ausschlaggebend sein, denn das wäre nur ein bedingter Beitritt.82 Leiden und Haß, die die psychische Konstitution, der Schwarzen, d.h. der Unterdrückten, prägen, führen dazu, daß für sie der Kampf immer lohnt denn sie haben nichts zu verlieren. Debuisson verfällt in einem Moment der Einsamkeit (= Entbindung von einem Auftrag) der Reflexion. Diese führt dazu, daß die ganze Geschichte reflektiert wird, eine Schlachtbank, 82
Maurice MERLEAU-PONTY: Humanismus und Terror. (Paris 1947) Übers, von Eva Moldenhauer. Frankfurt am Main 1966.1, S. 79
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deren Beil nicht aufzuhalten ist. So gerät die Reflexion zum Moment der Schwäche, in dem Debuissson aus der Geschichte aussteigen und nur noch seinem individuellen Genuß frönen will. Bevor Sasportas und Galloudec ihn verlassen, bittet er sie, ihn zu töten, damit er nicht zum Verräter wird: Ich habe Angst, Galloudec, vor der Schönheit der Welt. Ich weiß gut, daß sie die Maske des Verrats ist. Laßt mich nicht allein mit meiner Maske, die mir schon ins Fleisch wächst und es schmerzt nicht mehr. Tötet mich bevor ich euch verrate. (A 69) Die letzte Szene von "Der Auftrag" zeigt Debuisson allein mit seiner ersten Liebe (...) die der Verrat war.83 Eine Weile versucht er noch zu widerstehen, doch berauscht vom Hunger nach Glück, vergißt er den Sturm auf die Bastille, den Hungermarsch der Achtzigtausend, das Ende der Gironde, ihr Abendmahl, ein Toter an der Tafel, Saint Just, den schwarzen Engel, Danton, die Stimme der Revolution, Marat, über den Dolch gekrümmt, das zerbrochene Kinn Robespierres, (...) seinen letzten mitleidigen Blick auf den Jubel der Menge. (A 70) Damit schließt sich der Bogen, der zu Beginn des Stückes eröffnet worden ist. Mit der Versuchung Debuissons durch den Verrat schweift der Text zurück zu Antoine, wobei natürlich die Versuchung des heiligen Antonius konnotiert wird.84 Müller verlagert wie P. Weiss die Hoffnung der Revolution auf die dritte Welt. Sie benötigt keine theoretischen Modelle aus Europa, weil die universalen Ideale allemal die Ausbeutung der dritten Welt zur Folge hatten. Ihr Motiv zum Aufstand ist nicht aus einer abstrakten Idee motiviert, sondern eine Notwendigkeit des Überlebens. Denn in die Körper ist die Erfahrung der Unterdrückung eingebrannt, der Leib trägt die Schrift, die einzig der Revolution zum Durchbruch verhelfen kann: bedingungsloser Haß. Müller folgt damit dem theoretischen Konzept von Frantz Fanon, dessen Studie "Die Verdammten dieser Erde" man als das "kommunistische Manifest der antikolonialen Revolution" bezeichnet hat.85 Die Linksintellektuellen Europas könnten bei diesem letzten Aufstand Solidarität üben. Doch haben sie als Privilegierte eine gänzlich andere körperliche Erfah83 84
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vgl. auch die Nähe zu Brechts "Trommeln in der Nacht" Dieser Umstand könnte für die m.E. unzulässig verabsolutierende These Helmut Fuhrmanns sprechen, daß Müller einen quasi-religiösen Mythos der Revolution stiften möchte. Vgl. FUHRMANN: Der Mythos der Revolution: Heiner Müllers Der Auftrag. - In: Forum Modernes Theater. 5 (1990), S. 139-154 vgl. Frantz FANON: Die Verdammten dieser Erde. (1966) Frankfurt am Main 1981; und ders.: Schwarze Haut, weiße Masken. (1952) Frankfurt am Main 1985
Das Drama der Geschichte
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rung, die sie generell zum Verrat prädestiniert. "Der Auftrag" resümiert einen solchen Verrat, Verrat des vom bürgerlichen Humanismus geprägten Europas an der dritten Welt. Müller schließt sich damit jenen Linksintellektuellen an, die spätestens seit den sechziger Jahren ihrer Enttäuschung über die stagnierende, bzw. entartete Revolution in Rußland und China auswichen, indem sie die revolutionäre Hoffnung auf die dritte Welt verlagerten. Dieser ward nun die aktive Rolle des Proletariats zugedacht.
4. Das Drama der Geschichte Müller läßt sich sehr wohl dem Diktum "Geschichtspessimismus" unterordnen - doch muß man das Prädikat nicht unbedingt als Verdikt verstehen. In einer Zeit, da die Einsicht in das Scheitern der Revolution sowohl bei der westeuropäischen Linken als auch bei der osteuropäischen Avantgarde allgemein geworden ist, setzen sich Kunst und Philosophie notgedrungen mit den Wiederholungen in der Geschichte auseinander. Sie negieren radikal jegliche Form eines Fortschrittsoptimismus, und sei es die marxistische Theorie vom Geschichtsprozeß, und kündigen dem humanistischen Erbe der Aufklärung die Gefolgschaft, weil dessen Werte sich als nicht realisierbar erwiesen haben. Sie begeben sich auf die Suche nach einer neuen Sprache, forcieren die Auflösung des Subjekts und rückverweisen, nachdem sich das Primat des Bewußtseins desavouiert hat, immer wieder auf den Körper.86 In Müllers Stücken zeigt sich das an der konsequenten Destruktion des "Konnexes von Schauspielmetaphorik und geschichtsphilosophischer Hoffnung". 87 Ästhetisch, indem die Form des Dramas, die in der Entwicklung der Handlung logisches Fortschreiten und Dialektik verspricht, gesprengt wird - inhaltlich, indem ein Geschichtsbegriff bezweifelt wird, der nach wie vor auf metaphysische und geschichtsphilosophische Idealismen gegründet ist.88 In einem früheren Drama, in der "Hamletmaschine" 86
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Auch das hat Tradition. Zola probierte in "Germinal" bereits Ähnliches. Bei Müller gibt es immer wieder Verweise auf die Leiblichkeit. Man trägt seine Geschichte auf der Haut, im Körper, eingebranntes Zeichen von erlittener und ausgeübter Gewalt. Vgl. "Auftrag "u. "Schlacht", wo dem Bruder als Brandmal ein Hakenkreuz von den Nazis auf die Brust gebrannt worden ist. Hans-Thies LEHMANN: Dramatische Form und Revolution, S. 107. Bereits 1985 analysierte Hans-Thies Lehmann das Stück "Der Auftrag" im Vergleich mit Büchners "Dantons Tod" unter diesem Aspekt. ebd. S. 120. Bekanntlich erklärte Bloch den gesamten Kommunismus als Nachfolge metaphysischen Denkens und geschichtsphilosophischer Hoffnungen.
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(1977), hatte Müller diesem Thema bereits nachgespürt und gezeigt, daß Geschichte als bürgerlich-abendländisches Drama nicht mehr denkbar ist. Hamlet, der Intellektuelle, steigt aus seiner Rolle aus: Ich bin nicht Hamlet. Ich spiele keine Rolle mehr. Meine Worte haben mir nichts mehr zu sagen. Meine Gedanken saugen den Bildern das Blut aus. Mein Drama findet nicht mehr statt. Hinter mir wird die Dekoration aufgebaut. Von Leuten, die mein Drama nicht interessiert, für Leute, die es nichts angeht. Mich interessiert es auch nicht mehr. Ich spiele nicht mehr mit.89 Die Vorstellung von Geschichte als Agitationsraum großer Subjekte hat abgewirtschaftet. In bezug auf ein anderes Stück propagiert Müller, es komme darauf an, den Zuschauer freizumachen für "die Einsicht der Antagonisten in das Zufällige ihrer Gegnerschaft, gegen die Gewohnheit der Personalisierung von Zwangslagen, die auf dem Irrtum der Individualität beruht."90 So entwirft Hamlet ein neues Drama, das ihn nicht von dem Rest der Welt isolieren müßte, sondern ihn als Teil eines vielschichtigen Gewebes zeigen könnte, das auch die antagonistischen Positionen mit einbezöge. Allerdings konstatiert er gleich darauf, daß sein Drama, welches das einer "wahren" Revolution sein könnte, nicht stattfindet. Erleichtert überläßt er sich, darin vergleichbar Debuisson aus "Der Auftrag", der Resignation, solidarisch nur mit sich selbst. Mein Drama, wenn es noch stattfinden würde, fände in der Zeit des Aufstands statt. (...) Mein Platz, wenn mein Drama noch stattfinden würde, wäre auf beiden Seiten der Front, zwischen den Fronten, darüber. (...) Mein Drama hat nicht stattgefunden. Das Textbuch ist verlorengegangen. Die Schauspieler haben ihre Gesichter an den Nagel in der Garderobe gehängt. In seinem Kasten verfault der Souffleur. Die ausgestopften Pestleichen im Zuschauerraum bewegen keine Hand. Ich gehe nach Hause und schlage die Zeit tot, einig/ Mit meinem ungeteilten Selbst.91 Die Dimensionen von Geschichte und Revolution haben sich verändert: das Thema der Epoche: Krieg der Klassen und Rassen, Arten und Geschlechter, Bürgerkrieg in jedem Sinn. Das Theater der Zukunft wäre das
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Heiner MÜLLER: Hamletmaschine, S. 93. - In: Mauser, S. 89-97 Heiner MÜLLER in einem Brief an den Regisseur der bulgarischen Erstaufführung von "Philoktet", S. 68. - In: Heiner Müller. Material. Hg. von Frank HÖRNIGK. Leipzig 1988, S. 62-70 MÜLLER: Hamletmaschine, S. 94f - vgl. auch Kragler in der Schlußszene zu Brechts "Trommeln in der Nacht"
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Theater der Auferstehung (...). Seine Realität ist die Einheit von Mensch und Maschine, der nächste Schritt der Evolution.92
MÜLLER: Taube und Samurai. - In: Frank HÖRNIGK: Heiner Müller Material, S. 50
Resümee Die Anwendung der Schauspielmetapher für die Revolution leitet sich aus der bereits in der Antike geprägten Formel des Lebens als Schauspiel ab. Sie diente bis ins 18. Jahrhundert als traditionelles Abbild der Welt. Ihr haftete immer ein deterministischer Grundzug an. Piatons Bild des Menschen als Marionette, welche ein Spielzeug Gottes, wie auch die Vorstellung vom Menschen als Schauspieler innerhalb eines göttlichen Spiels billigen dem menschlichen Sein nur eingeschränkt Freiheit zu. Der Mensch besitzt zwar Willensfreiheit und hat so die Möglichkeit, sich im Leben zu bewähren, er bleibt aber abhängig von einem göttlich verfügten "Spielplan". Wo im Zuge der Revolution das Bild reaktualisiert wird, geschieht dies in einer säkularisierten Form, weil die ordnungsstiftende, transzendente Instanz des göttlichen Zuschauers/Regisseurs wegfällt. Der Hintergrund der Metapher ist nunmehr historisch-politischer Natur. Anstelle von Kosmos und göttlichem Heilsplan tritt die Geschichte bzw. der in jener Zeit mit Geschichte nahezu synonyme Begriff der Revolution. Die Schauspielmetapher steht nun einerseits als Ausdruck einer undurchschaubaren Realität, die in ihrer Komplexität und Unbeherrschbarkeit Fatalismus vermittelt. In dieser Form bildet sie das pessimistische Pendant zur optimistischen Metapher des Fortschritts. Andererseits eignet ihr eine positive Bedeutung, wo sie als Beispiel menschlicher Allmacht dient. Die Revolution umgibt die Aura des Grandiosen, wenn sie als "spectacle magnifique" (Desmoulins) oder "drame sublime" (Robespierre) begriffen wird. Fichte empfindet sie als gewaltiges Naturschauspiel und deutet sie als quasi natürliche Konsequenz aus der Repression eines Naturrechts durch den Staat. Kant billigt ihr aus der Perspektive der Zuschauer gleichsam kathartische Funktion zu. Hegel sieht in ihr eins der "wechselnde(n) Schauspiele" der Weltgeschichte, in denen sich die "Idee der Freiheit" verwirklicht. Marx' Beurteilung geschichtlicher Epochen mit Hilfe eines Tragödien- und Komödienmodells charakterisiert den Beginn der bürgerlichen Revolution als "große Tragödie" (Revolution von 1789), ihr weiteres Auftreten dagegen negativ als Komödie oder gar als "lumpige Farce" (Revolution von 1848). Der auf den ersten Blick wertfreie Begriff
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Resümee
des Schauspiels bzw. Dramas ist in Historiographie und Philosophie grundsätzlich positiv konnotiert (Thiers, Strahlheim, Kant, Fichte, Hegel). Eine Ausnahme bildet Tocqueville. Sein Verständnis der Revolution als "drame encore sans dénouement" entspricht der Vorstellung einer permanenten Revolution. Herrscht der Eindruck, daß die Komplexität der Ereignisse auf eine anonym waltende Macht oder auf Machinationen verdeckt operierender "Schauspieler" zurückzuführen ist, wechselt der Bildgebrauch vom Tragischen, Dramatischen zur Lächerlichkeit: Revolution setzt sich dort aus "scènes de persiflage et de ridicule" (Vilate) und "farces burlesques" (Mercier) zusammen. In der Rhetorik der Revolutionäre erscheint das Bild des Schauspielers meist in denunziatorischer Absicht, um den Gegner als Heuchler zu entlarven, ihm die Maske vom Gesicht zu reißen. Wer die Revolution als das groteske Werk von Schmierenkomödianten abqualifiziert, beurteilt sie abwertend als "farce ridicule" (Thiers), "profane burlesque" (Burke) oder "schauerliche und überflüssige Posse" (Nietzsche). Die Deutung der Revolution als Posse, Farce, Groteske oder Tragödie durchzieht auch die dichterischen Aufarbeitungen des Revolutionssujets. Diese nehmen historische Fakten zum Anlaß, um allgemeine Züge der Revolution zu parabolisieren. Etliche verquicken Realgeschichte und Drama: so z.B. Kleist in der "Verlobung in St.Domingo", Büchner in "Dantons Tod", eingeschränkt Flaubert in der "Education sentimentale" und teilweise Peter Weiss in seinem Marat/Sade-Drama sowie Heiner Müller in "Der Auftrag". Auf inhaltlicher Ebene formulieren alle behandelten Autoren ihre Skepsis, angesichts der real erfahrenen Möglichkeit permanenter Revolution, die sich in einem immer rascheren Herrschaftswechsel äußert. Das Erleben eines beschleunigten Geschichtsverlaufs umreißen sie mit Hilfe einer Schauspielmetaphorik, die vor allem das Gefühl von Realitäts-, Eingriffsund Handlungsverlust ausdrückt. Wo Herrschaftsinhaber und "Fädenzieher" der Geschichte so schnell wechseln und sogar - wie bei Kleist, Poe und Melville - unerkannt wechseln können, wird Realität zum Schauspiel. In den drei Erzählungen ist das Sujet eine verborgene Revolte. Der noch unerkannte Machtwechsel erzwingt, um die Herrschaft zu konsolidieren, ein Schauspiel. Die fast aufdringlich eingesetzte Theatermetaphorik leitet zur Enträtselung der Realität an. Die Wahrheit entspricht grundsätzlich nicht dem Augenschein. Als Medium der Entzifferungsleistung für den Leser dient in den drei Prosatexten eine naive Identifikationsfigur, die die Situation nicht durchschaut.
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Die Anwendung der Schaupielmetapher auf Revolution in der Dichtung zeichnet die Geschichte einer totalen Desillusionierung nach. In den behandelten Revolutionsdramen von Schnitzlers "Grünem Kakadu" bis Heiner Müllers "Auftrag" liefert die Schauspielmetaphorik das Instrumentarium, um das fatale Scheitern jeder Revolution zu erläutern. Die Autoren gehen dabei von sehr unterschiedlichen ideologischen Voraussetzungen aus. Alle benutzen das historische Kolorit, um ihre eigene gesellschaftliche Gegenwart auf die humanitären Ideale der Revolution hin zu überprüfen. Im zwanzigsten Jahrhundert entsteht - neben der skeptischen Tradition der Revolutionsbetrachtung - der auf marxistischer Lehre beruhende Versuch, den verlorengegangenen Geschichtsoptimismus zu reaktivieren. In der Nachfolge Brechts schaffen Peter Weiss und Heiner Müller Lehrstücke, die auf Agitation zielen und revolutionäres Verhalten auf dem Theater einstudieren wollen. Revolution gilt hier nicht länger als illusionäres Schauspiel, sondern sie wird positiv als Konsequenz des Einblicks in die gesellschaftliche "Wahrheit" verstanden. In Ermangelung eines revolutionären Potentials innerhalb der ersten und zweiten Welt, versuchen Peter Weiss in seinen Lehrstücken "Gesang vom Lusitanischen Popanz" und "Viet Nam-Diskurs" sowie Heiner Müller in "Der Auftrag", das Projekt der Revolution in die dritte Welt zu exportieren. Die Hoffnung der antikolonialistischen Bewegung diente als eine Art ideologischer Fluchtpunkt, um den Antrieb aufrecht zu erhalten und einer Resignation vorzubeugen. Nach dem Scheitern der sozialistischen Systeme Osteuropas und der meisten Befreiungsbewegungen in der dritten Welt muß jedoch auch diese Hoffnung als nichtig angesehen werden. Analog zur inhaltlichen Destruktion historischer Linearität auf Grund einer als dubios erfahrenen Realität, läßt sich in allen Texten eine Formauflösung feststellen. Bei den Prosatexten ist eine Überschreitung vom Epischen ins Dramatische zu bemerken und bei den Dramen eine Tendenz zum Epischen. Alle Texte, abgesehen von Flauberts Romanen, reflektieren das dargestellte Geschehen mit Hilfe des "Spiels im Spiel", bzw. "Theaters auf dem Theater", das oftmals noch weiter potenziert wird. Auf diese Weise wiederholen sie den Leser-Text-Bezug und erzielen eine durch Skepsis geprägte Rezeptionshaltung. Die anti-illusionistische Wirkung bezieht sich hier weniger auf die Fiktionalitität der Texte, sondern enthüllt die Theatralität der historisch-politischen Realität und zeigt diese als vieldeutig und hintergründig. Bei den Erzählungen von Kleist, Poe und Melville handelt es sich um streng komponierte, dramatisch strukturierte Texte, die alle nach dem Muster einer Tragödie verlaufen. Alle wahren die klassischen Einheiten. Die
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jeweilige Gattungsüberschreitung vom Epischen ins Dramatische verdoppelt die Deutung der Revolution als Schauspiel. Auch in allen Dramen zeigen sich gattungstypologische Überschreitungen. Die Auflösung der traditionellen Formen bedeutet den Verzicht auf ein kausal-finales Handlungsgefüge und wirkt radikal antiillusionistisch. Ebenso wie die geschichtliche Wirklichkeit als vielschichtig und undurchdringlich wahrgenommen wurde, changieren innerhalb der Dramen die Realitäs- und Illusionsebenen. Schnitzler hat diese Technik radikalisiert. Bei ihm verlieren Zuschauer als auch die Protagonisten seines Stückes vollständig die Orientierung. Weiss wendet im Marat/Sade-Drama das Rollenspiel ins Formale. Die Kontinuität gesellschaftlicher Probleme reflektiert er im subjektiven Bewußtsein des Marquis de Sade als Spiel im Spiel. Die Vervielfältigung von Ort, Zeit und der Rollenhandlung löst die Perspektive von den historischen Fakten und stellt die Revolution als perennierendes Problem dar. In Weiss' Stück und in Müllers "Auftrag" ist die ästhetische Form des Dramas in ein Ensemble unterschiedlicher Textgattungen aufgelöst. Beide Autoren verzichten auf traditionelle dramatische Formen, die einem Entwicklungsgedanken verpflichtet bleiben, und zerstören so auch formal die Vorstellung eines historischen Fortschritts. Bei Müller wie bei allen übrigen Autoren ist das interpretative Moment entscheidend: die Entzifferung der kryptischen Wirklichkeit wird an den Leser, Zuschauer delegiert. Eine Pointe der Schauspielmetapher liefert Grass in seinem Schlüsseldrama "Die Plebejer proben den Aufstand" (1966). In der Gestalt des Theaterregisseurs, ironisch der "Chef" genannt, kritisiert Grass Brechts mangelnde Solidarität beim Aufstand am 17. Juni 1953. Am Beispiel des Plebejeraufstands unter Coriolan probt der Chef die Revolution. Unversehens gewinnt sein Bemühen Aktualität, als von draußen die Nachricht vom tatsächlichen Aufstand der Arbeiter übermittelt wird. Doch anstatt sich mit den Arbeitern zu solidarisieren, trachtet der Dramatiker lediglich, die Situation seinem Theater nutzbar zu machen. Die reale Revolte degradiert er zum Bühnenstück. Groteskerweise zeigt sich im nachhinein, daß der Chef insofern mit seiner Coriolan-Inszenierung die Realität einzufangen vermochte, als er in der Figur Coriolans ein treffendes Abbild seiner selbst geschaffen hatte. Sein Beharren auf revolutionärer Orthodoxie stellt ihn nämlich auf die Seite der Reaktion. Das von Grass vorgeführte Versagen der Intellektuellen wird von Analysen zur Rolle der Intelligenzija in der DDR und den sozialistischen Staaten Europas vielfach bestätigt. Bis heute zeigt sich die ungeheure Tragweite der Metapher in den Kommentaren zum politischen Zeitgesche-
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hen. Sie gerät erneut zum Mittel der ideologischen Auseinandersetzung. Kurz nach dem Zusammenbruch der DDR soll der liberale Politiker Otto Graf Lambsdorff den Ruf nach einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz angeblich kommentiert haben: "Sozialismus mit menschlichem Antlitz, - das ist der Teufel beim Maskenball!" Doch auch außerhalb so polemischer Pointen bietet sich überall, wo versucht wird, die Vielschichtigkeit des Geschehens einer Analyse zugänglich zu machen, die Schauspielmetaphorik als Interpretationsmuster an. Wie viele andere macht sich z.B. der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew das Modell für seine Reflexionen zunutze: Die Stalinsche Komödie, die sich auf der gigantischen Bühne Eurasiens abgespielt hat, war (...) lehrreich, und der unvoreingenommene Zuschauer hätte das Theater mit äußerst pessimistischen Vorstellungen über die menschliche Natur verlassen können. Als jedoch der brillianteste Teil der Komödie im Jahre 1953 mit dem Tod des Autors und Regisseurs sein Ende fand, beeilten sich die Zuschauer, die am Leben geblieben waren, alles auf den "Personenkult" abzuschieben, was nur ein weiteres Mal die menschliche Unfähigkeit zur Analyse bestätigte. Im übrigen ging die Komödie noch weiter, und weniger begabte Regisseure machten allmählich eine Farce daraus.1
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Register Literarische Gestalten nach historischen Personen sind nicht erfaßt.
Adams, Willi P. 115 Adorno, Theodor W. 7, 63 Alewyn, Richard 17 Alfons V., König von Portugal 116 Allemann, Beda 90 Altenstein, Karl Freiherr v. Stein zum 95 Angress, Ruth K. 76, 78, 87, 94, 95 Anouilh, Jean lf, 147-163 Antigone 148 Becket ou l'honneur de Dieu 158 La Foire d'empoigne 157f La Sau vage 149 Pauvre Bitos 147-163 Paulus, Apostel 37 Arendt, Hannah 2, 19f, 23, 102, 213 Arnim, Achim von 93 Artaud, Antonin 167, 190 Aslan, Odette 165,177 Augustin 12 Autrand, Michel 163 Bab, Julius 212 Bach, Anneliese 50 Bachinger, Katrina 99f, 104 Ball, Hugo 206 Balthasar, Hans Urs von 13 Barere, Bertrand de Vieuxsac 24 Bataille, Georges 178 Bathrick, David 200,215f Baudrillard, Jean 178 Baumgart, Reinhart 205 Bayersdörfer, Hans-Peter 133 Beaver, Harold 99 Beck, Adolf 23, 59 Beckett, Samuel 220 Behrmann, Alfred 57 Benjamin, Walter 17, 210, 222 Benn, Maurice 45 Bennholt-Thomsen 182 Benton, Richard P. 98f Bercaw, Mary K. 117 Berger, Brigitte 8 Berger, Peter L. 8
Bernstein, John 120 Bertaux, Pierre 206 Berti, Klaus Dieter 66 Bésain, Jaccques 163 Best, Otto F. 184 189, 201 Blanc, Louis 37 Blanqui, Louis Auguste 70 Bloch, Ernst 212, 232 Blöcker, Günther 92 Blumenberg, Hans 4ff, 27, 53 Bohrer, Karl-Heinz 199 Bondy, François 166 Börne, Ludwig 45 Braig, Friedrich 79 Brandes, Volkhard 101 Brasillach, Robert 148 Braun, Karlheinz 180,185f Brecht, Bertolt 2, 167, 180, 197, 210f, 214ff, 220, 222, 237, 238 Baal 180 Badener Lehrstück vom Einverständnis 227 Der Jasager und Der Neinsager 214 Die Maßnahme 95, 210-216, 210, 224, 229 Heilige Johanna der Schlachthöfe 175 Ozeanflug der Lindberghs 214 Trommeln in der Nacht 231 Breitman, Michel 166 Brenner, Hildegard 216f Brentano, Clemens 93 Breton, André 206 Brook, Peter 196 Brustein, Robert 165,167f Büchner, Georg 1, 43-64, 79,183, 207, 220,236 Dantons Tod 43-64, 133, 138, 140, 155,175,193,218,226,223 Hessischer Landbote 44, 57 Lenz 62
306 Leonce und Lena 58, 63 Woyzeck 52, 63 Buck, August 14, 16 Buck, Theo 210, 214 Buddecke, Wolfram 194 Burckhardt, Jacob 33 Burg, Peter 34 Burke, Edmund 30ff, 236 Burke, Joyce 101 Calderón de la Barca, Pedro 14ff, 16f Calverton, V.F. 102 Campbell, KiUis 98 Camus, Albert 148f Canaris, Volker 150 Cardwell, Guy 120 Cerutti, J.A. 139 Cervantes Saavedra, Miguel de 15 Chateaubriand, François René 31 f Chaumette, Pierre G. 26 Cicero 10 Coenen-Mennemeier, Brigitta 158 Cohn, Ruby 178 Colin, Amy Diana 134, 136, 142 Collot d'Herbois, Jean M. 24, 26 Corday, Charlotte 182 Curtius, Ernst Robert 9f, 12f, 14 Danton, Georges 20, 37f, 60, 70, 156 Davidts, Hermann 76, 85 Dedner, Burghard 63 DeKoven, Marianne 130 Delacroix, Eugène 175, 221 Delano, Amasa, 117 Delius, Annette 133 Demandt, Alexander 12,14, 39 Derrida, Jacques 186 Desmoulins, Camille 19, 20ff, 22, 23, 38, 139, 235 Dessalines, Jean Jacques 75ff Dickens, Charles 98 Diderot, Denis 139 Domdey, Horst 210 Dort, Bernard 166,167,178 Douglas, Ann 131 Drews, Axel 5 Düsing, Wolfgang 179, 206 Eichmann, Adolf 57 Eisenhower, Dwight 203 Emery, Allan Moore 128 Enzensberger Hans Magnus 199 Epiktet 10 Epikur 53 Erasmus von Rotterdam 14
Register Esslin, Martin 166,175 Fabre d'Eglantine, Phillip-F. 26 Fanon, Frantz 231 Feltenstein, Rosalie 117f Fetcher, Iring 34 Fichte, Hubert 166 Fichte, Johann Gottlieb 8, 34, 35f, 45, 93, 235 Fiesser, Wilhelm 185,195 Fietkau, Wolfgang 37 Fink, Gonthier Louis 77, 79, 89 Fischer, Bernd 77f, 84 Fischer, Heinz 45 Flaubert, Gustave lf, 65-74,139,196, 220, 236f
Bouvard et Pecuchet 71 -74 L'Education sentimentale 65-71,139, 226
Salammbô 74 Fogle, Richard H. 117f, 121 Forclaz, Roger 100 Foucault, Michel 99,178 Fouché, Joseph 221 Franco Bahamonde, Francisco 177 Franklin, Benjamin 182 Franklin, H. Bruce 120 Franzos, Karl Emil 43 Freud. Sigmund 138,195 Friedländer, Paul 212 Friedrich, Hugo 65 Friedrichsmeyer, Erhard 136 Fuhrmann 231 Galloway, David 110 Genet, Jean lf. 165-178
Haute Surveillance 166f Le Balcon 165-178 Les Bonnes 16f Les Nègres 167,168 Les Paravents 168
Gerhard, Ute 5 Gilman, Sander L. 77 Ginestier, Paul 153 Göbbels, Heiner 228 Goethe, Johann W. 61, 88,182 Goldmann, Lucien 172 Gorbatschow. Michail 214, 228 Görres, Joseph 55 Götz, Johann Nikolaus 18 Grab. Walter 62 Grass, Günther 238 Gregorzewski, Carla 99,102 Greiner, Bernhard 17
307
Register Grimm, Reinhold 2, 49f, 57, 63, 183, 186 Guichamaud, Jacques 166 Gumbrecht, Hans-Ulrich 2, 7, 24 Günther, Bernd 97ff Günzel, Klaus 88, 94f Gutzkow, Karl 43, 59, 64 Guzzoni, Alfred 182 Haase, Frank 77 Habermas, Jürgen 3,187 Habicht, Werner 16 Hahne, Otto 79 Haiduk, Manfred 189,194, 201, 203 Häker, Horst 76f Hamilton, William 129 Hammond, J.R. 110 Hansen, Peter 119 Hardenberg, Karl A. Fürst von 96 Harich, Wolfgang 210 Hauschild, Jan Christoph 43 Hawthome, Nathaniel 117 Hegel. Georg W.F. 8, 34, 36f, 40, 235 Heine, Heinrich 45 Heise, Wolfgang 215 Heist, Walter, 167 Henze, Eberhard 48 Herrmann, Hans-Peter 86, 92 Hess, Rainer 13,18 Hinck, Walter 50f Hinderer, Walter 49, 135, 140 Hitler, Adolf 226 Ho Chi Minh 203 Hobbes, Thomas 194 Hocke, Thomas 184,186, 189 Hoffmann, E.T.A. 48 Hoffmann, Frank 178 Hoffmeister, Elmar 79, 87 Hofmannsthal, Hugo von 134, 137 Höllerer, Walter 50, 52 Holz, Hans Heinz 78 Horkheimer, Max 7 Horn, Peter 76, 79, 88f, 89, 92, 96 Hömigk, Frank 210, 222f, 225 Horsely-Meachum Gloria 120 Horwath, Peter 144 Hugo, Victor 49, 57, 63 Hunt, Lynn 83 Huyssen, Andreas 215f Ide, Heinz 79, 90 Iser, Wolfgang 16 Jackson, Andrew 101,104f Jäger, Hans-Wolf 20 Jahnke, Manfred 186
Jakob I., s. u. Dessalines, J. Jakob I. von England 127 Jancke, Gerhard 44 Jaspers, Karl 84 Jauss, Hans Robert 65f, 69, 70, 71 Jeanne d'Arc 175 Jerofejew, Viktor 238 Jiménez de Cisneros, 177 Joachim von Fiore 19 Johannes von Salisbury 12f John, Beynon S. 148f, 162 Johnson, Lyndon B. 203 Jolivet, Philippe 162 Junker, Albert 65, 68, 70 Kafka, Franz 220, 227 Kahl, Detlev 149f Kahr, Johanna 19, 28 Kaiser Franz, 96 Kaiser, Joachim 158 Kant, Immanuel 3, 8, 34f, 89, 235 Kanzog, Klaus 87 Karasek, Helmuth 212 Karcher, Carolyn 128f, 131 Karl V., 120 Kamick, Manfred 6, 18 Kayser, Wolfgang 78, 134 Keller-Schumacher, Brigitte 188 Kellner, Hansfried 8 Kennedy, John F. 203 Kesting, Marianne lOlf, 103f, 116, 120f, 125, 131f, 136, 163, 166, 184f, 186, 188,198,212 Kilian, Klaus 135 Kittler, Wolf 77, 81 Kleist, Heinrich von lf, 47, 75-96, 236, 237
Die Verlobung in St. Domingo 75-87, 127 Familie Schroffenstein 90 Hermannsschlacht 94 Penthesilea 92 Robert Guiskard 92 Koch, Friedrich 83 Koestler, Arthur 227 Köhler, Erich 67,73 Kolumbus, Christoph 75,130 Konersmann, Ralf 10, 35 Koselleck, Reinhart 3, 5, 33, 155 Kunz, Josef 76, 79,84 Kuoni, Klara 79 Kurella, Alfred 212 Kurzenberger, Hajo 63
308
Register
Laforge, François 74 Lambsdorff, Otto Graf 238 Lang, Alexander 45, 62 Las Casas, Bartolomé de 75 Lavoisier, Antoine L. 182 Lehmann, Hans-Thies 38, 58. 212, 217, 226, 232 Lehmann, Werner R. 47, 56 Lenin, Wladimir I. 212 Lethen, Helmut 212, 217 Levin, Harry 97,99,113,120 Lindken, Hans-Ulrich 146 Link, Franz 9, 13, 16,98 Link, Jürgen 5, 19 Löb, Ladislaus 195 Loch, Rudolf 90 Lombroso, Cesare 146 Louis XVIII. 157 Louis-Phillipe 73 Louis XVI. 33, 202 Lukács, Georg 7,44, 93, 212 Luppé, Robert de 150 Luther, Martin 14, 37 Magnan, Jean-Marie 174f Majakowski, Wladimir 218 Majut, Rudolf 18 Mangel, Rüdiger 225 Mannheim, Karl 5 Marat, Jean P. 20ff, 70,181f, 184, 206 Marchand, Em est 101 M arc use, Herbert 195 Marcuse, Ludwig 44 Mark Aurel 11 Markov, Walter 156,182 Martens, Wolfgang 55 Martini, Fritz 79 Marx, Karl 8, 34, 36ff, 51,155,181. 206, 209, 229, 235 Maurer, Karl 183 Mayer, Hans 49, 52,78, 84, 88f, 93.178, 206 Mayer, Thomas M. 44f, 48, 59 Mclntyre, H.G. 154,161 Melville, Hermann lf, 115-132,236, 237 Benito Cereño 111,115-130 Clarel 132 Mardi 125,131 Mellonta Tauta 102,104,106 Moby Dick 132 Redburn 131 The Bell-Tower 132
The Colloquy of Monos and Una 102 White Jacket 124,130 Mennemeier, Franz N. 144f, 149,160, 162,166 Mercier, Louis-Sébastien 20, 25ff, 236 Merleau-Ponty, Maurice 230 Metzger, Charles R. 130 Meurer-Adams, Angela 115 Meyerhold, Karl Th. 211 Meyhöfer, Annette 138,144,145 Michelet, Jules 14,149 Mittenzwei, Werner, 195 Molière 0.-B Poquelin ) 152 Montaigne, Michel E. 35 Mooney, Stephen L. 99,111,114 Moser, Samuel 44 Mühlher, Robert 44 Müller, Adam 93. 95f Müller, Fred 187 Müller, Heiner lf, 205, 200, 209-233, 236ff Der Auftrag 193, 209, 220-233, 220 Der Horatier 219 Hamletmaschine 222, 225, 233 Mauser 95. 213-219 Wolokolamsker Chaussee 214 Müller-Seidel, Walter 80,86, 90, 91, 94 Nadeau, Maurice 189 Nagel, Ivan 55 Nägele, Rainer 188,195 Napoleon I. 30, 32, 38, 75f, 37, 89f, 94f, 157, 176,184, 190, 195f, 202, 220, 222,229 Napoleon DI. 37, 66,71, 73 Neriich, Michael 165, 177 Nicolaus V. 116 Nietzsche, Friedrich 7f, 34, 39ff. 90,114, 156, 236 Niggl, Günter 9 Oehler, Dolf 63,175,221 Parker, Hershel 120 Paul, Ulrike 55.183,189 Perlmann, Michaela L.138 Perten, Hanns-Anselm 180 Pétain, Philippe 148 Peymann, Claus 95 Pfeiffer, Johannes 84, 86 Pirandello, Luigi 167, 178 Piscator, Erwin 211 Piaton 9f Plotin 11 ff
309
Register Poe, Edgar Allan lf, 97-114,127, 236, 237
Arthur Gordon Pym 229 Hop-Frog 111 land my Chimney 132 Some Words with a Mummy 102,106 The Descent into the Maelstrom 228 The Fall of the House of Usher. 110 The Man of the Crowd 102 The Murders in the Rue Morgue 111 The System of Dr. Tarr and Prof. Fether 97-114,187
Pongs, Hermann 79, 84 Poschmann, Henri 8, 45, 49, 61f Pronko, Leonard C. 162 Proust, Marcel 73 Qu inn, Arthur 97 Rädle, Fidel 14 Ramorino, Girolamo 47 Reich, Wilhelm 195 Reichenberger, Kurt 17 Reinhardt, Max 43 Requadt, Paul 63 Reuß, Roland 77 Ricoeur, Paul 5 Riouffe, Honore 2 Rischbieter, Henning 190f, 201, 221 Ritter, Joachim 36, 80 Robespierre, Maximilien 6, 19, 20, 22f, 23, 25, 37, 38, 60, 70, 89, 235 Rogin, Michael Paul 121, 124, 129, 132 Roosevelt, Theodor 226 Rosen berry, Edward H. 124 Rosshoff, Hartmut 219 Rothe, Wolfgang 196, 211, 179 Rousseau, Jean-Jacques 18, 57,89, 94, 139,141 Roux, Jacques 182 Ryan, Lawrence 95 Sade, D.A.F Marquis de 100,181,182 Saint-Just, Louis Antoine 24, 38, 70 Sainte-Beuve, Charles Augustin 74 Samson, Henri 64 Samuel, Richard 94 Sand, George 74 Sartre, Jean Paul 167,178 Savona, Jeanette L. 165, 170 Schalk. Axel 140,142,158 Schama, Simon 92 Schiller, Friedrich 59, 61, 88 Schinnerer, Otto P. 145 Schivelbusch, Wolfgang 214f
Schlobach, Jochen 6 Schmitt, Maria C.180 • Schmitz, Ingeborg 197,199, 201, 204 Schneider, Peter 191, 210 Schnetz, Dietmut 135 Schnitzler, Arthur lf, 236, 238
Anatol 137 Der grüne Kakadu 133-146 Die Gefährtin 137 Lebendige Stunden 137 Marionetten 137 Paracelsus 137 Zum großen Wurstel 137
Scholochow, Michail 218 Schopenhauer, Arthur 8, 34, 38f Schuller, Marianne 38 Schulz, Genia 209, 214, 218, 223, 227 Schulz, Wilhelm 64 Schumacher, Emst 183 Scudder, H. 117 Sebald, W.G. 196 Seghers, Anna 220 Selling, Gunter 134f, 139f Seneca 11 Shakespeare, William 15f, 57, 59, 61, 112,139,142,174 Siepmann, Helmut 163 Singer, Heitert 136, 139, 142 Sofer, Johann 9 Söllner, Alfons 205 Stalin, Josef 206, 219, 227 Stein, Heinrich F. Freiherr vom 94 Steinweg, Reiner 212 Stempel, Wolf D. 28 Storch, Wolfgang 228 Strahlheim, Carl 29f, 49, 60, 235 Sundquist, Eric J. 121 Szondi, Peter 50 Taeni, Rainer 184 Temperly, H. 101 Teraoka, Arlene A. 222f, 225, 227, 229 Theisen, Josef 147 Thiers 29f, 49, 59, 235, 236 Thody, Philip 148f, 150 Tieck, Ludwig 93,137 TocqueviUe, Alexis de 32f, 102,104, 235 Toller, Emst 95 Töteberg, Michael 209 Toussaint L'Ouverture, François 75, 77 Trollope, Francis 103 Trotzki, Leo 206 Ueding, Cornelie 51, 53
310 Meinhoff, Ulrike 220 Chaudhuri, Una 167 Urbach, Reinhard 135 Vandromme, Pol 148f Viehweg, Wolfram 43 Vier, Jacques 156,163 Vietor, Karl 44 Vilate, Joachim 6, 20, 23ff, 24f, 236 Vogelback, Arthur L. 126 Voltaire (F.-M. Arouet) 139,182 Vornweg, Heinrich 179,186, 201 Wagenknecht, Edward 100 Wakerley, I.C. 151 Walker, David H. 178,165 Weinreich, Gerd 185 Weiss, Peter 1,12,139,167,179-207, 231, 236ff Ästhetik des Widerstands 180, 207 Die Versicherung 179 Gesang vom Lusitanischen Popanz 180,197-201 Hölderlin 180, 206 Marat/Sade-Drama 179-196, 227 Nacht mit Gästen 179 Trotzki im Exil 180, 206 Viet Nam Diskurs 180, 197, 201-205
Register Wellwarth, George 166 Wender, Herbert 59 Went-Daoust, Y. 172, 174 Werdeck, Adolfine von 96 Wemer, Hans Georg 84, 92 Wetherill, P.M. 71 Whipple, William 99, lOlf White, Hayden 28, 33 Widmer, Kingsley 128 Wieghaus, Georg 214,225 Wiese, Benno von 48, 51 Wilbur, Richard 99 Wilhelm, Prinz von Preußen 94 Williams, Michael J.S. 107 Willis, Nathaniel P. 98 Willms, Bernhard 35 Wittstock, Uwe 225 Wohlleben, Joachim 57 Wolff, Hans M. 76, 81, 84, 91f, 96 Wonder, Erich 228 Wurmbach, Hubert 13 Wynn, Neill A. 205 Zadek, Peter 165 Zagarell, Sandra A. 127,131 Ziegler, Wemer 168,174,178 Zola, Emile 232
KOMPARATISTISCHE STUDIEN BERNFRIED NUGEL
The Just Design Studien zu architektonischen Vorstellungsweisen in der neoklassischen Literaturtheorie am Beispiel Englands XII, 313 Seiten, 2 A b b i l d u n g e n . 1980. Ganzleinen I S B N 3 11 007859 7 (Band 11)
ELIDA MARIA SZAROTA
„Stärke, dein Name sei Weib" Bühnenfiguren des 17. Jahrhunderts XII, 413 Seiten. 1987. Ganzleinen I S B N 3 11 011177 2 (Band 12)
MARIA MOOG-GRÜNEWALD
Jakob Heinrich Meister und die „Correspondence littéraire" Ein Beitrag zur Aufklärung in Europa X , 233 Seiten. 1989. Ganzleinen ISBN 3 11 011872 6 (Band 13)
Walter de Gruyter
W DE G
Berlin • New York
KOMPARATISTISCHE STUDIEN HORST RÜDIGER
Goethe und Europa Essays und Aufsätze 1944—1983 Herausgegeben von Erwin Koppen und Willy R. Berger XIV, 331 Seiten. 1990. Ganzleinen ISBN 3 11 011805 X (Band 14)
CHRISTOPH RODIEK
Sujet — Kontext — Gattung Die internationale Cid-Rezeption XII, 364 Seiten. 1991. Ganzleinen ISBN 3 11 012217 0 (Band 16)
ANGELIKA CORBINEAU-HOFFMANN
Paradoxie der Fiktion Literarische Venedig-Bilder 1797—1984 X, 638 Seiten. Mit 24 Tafeln. Ganzleinen ISBN 3 11 012937 X (Band 17)
Walter de Gruyter
W DE G
Berlin • New York