Reliquiare im Mittelalter [durchgesehene Auflage] 9783050049960, 9783050049137

Reliquiare sind liturgische Geräte, in denen Reliquien aufbewahrt und für den Kult bereitgestellt wurden. Nachdem das ho

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01_Hahn
02_Reudenbach
03_Buettner
04_Ferrari
05_Roeckelein
06_Toussaint
07_Wittekind
08_Bredek
09_Ciresi
10_Tammen
11_Anhang
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Reliquiare im Mittelalter [durchgesehene Auflage]
 9783050049960, 9783050049137

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Reliquiare

V Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte Studien, Theorien, Quellen Herausgegeben vom Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg

Reliquiare im Mittelalter

Herausgegeben von Bruno Reudenbach und Gia Toussaint Zweite, durchgesehene Auflage

Akademie Verlag

Gefördert durch die Michael-und-Susanne-Liebelt-Stiftung

ISBN 978-3-05-004913-7 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2011 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Layout und Satz: Petra Florath, Berlin Druck: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza Bindung: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach Printed in the Federal Republic of Germany

Inhaltsverzeichnis

BRUNO REUDENBACH Einleitung CYNTHIA HAHN The Meaning of Early Medieval Treasuries

VII

1

BRUNO REUDENBACH Reliquien von Orten. Ein frühchristliches Reliquiar als Gedächtnisort

21

BRIGITTE BUETTNER From Bones to Stones – Reflections on Jeweled Reliquaries

43

MICHELE C. FERRARI Gold und Asche. Reliquie und Reliquiare als Medien in Thiofrid von Echternachs Flores epytaphii sanctorum

61

HEDWIG RÖCKELEIN ›Die Hüllen der Heiligen‹. Zur Materialität des hagiographischen Mediums

75

GIA TOUSSAINT Die Sichtbarkeit des Gebeins im Reliquiar – eine Folge der Plünderung Konstantinopels?

89

SUSANNE WITTEKIND Caput et corpus. Die Bedeutung der Sockel von Kopfreliquiaren

107

VI Inhaltsverzeichnis

HORST BREDEKAMP / FRANK SEEHAUSEN Das Reliquiar als Staatsform. Das Reliquiar Isidors von Sevilla und der Beginn der Hofkunst in Léon

137

LISA VICTORIA CIRESI 165 Of Offerings and Kings: The Shrine of the Three Kings in Cologne and the Aachen Karlsschrein and Marienschrein in Coronation Ritual SILKE TAMMEN Dorn und Schmerzensmann. Zum Verhältnis von Reliquie, Reliquiar und Bild in spätmittelalterlichen Christusreliquiaren

187

ANHANG

209

Verzeichnis der Abkürzungen Die Autoren Register Abbildungsnachweis

Einleitung

»Reliquienbehälter waren zu allen Zeiten ein notwendiges Gerät des privaten wie des öffentlichen Reliquienkultes. Sie sind deshalb auch so alt wie dieser, reichen wie er in die altchristliche Zeit zurück, begegnen uns im Osten wie im Westen. Aus dem gleichen Grunde ist aber auch die fernere Geschichte des Reliquienkultes zugleich die der Reliquiare, entspricht der Aufstieg des ersten im gleichen Ausmaße dem der letzteren.«1 Mit diesen Sätzen postulierte Joseph Braun schon im Anfangskapitel seines 1940 erschienenen Handbuches über Reliquiare deren enge Abhängigkeit von der Geschichte des Reliquienkults. Dieses Postulat durch eine eingehende Analyse und Darstellung der Interdependenzen von Kult und Gerät einzulösen, vermochte Braun allerdings noch nicht; sein Kompendium hatte zunächst einmal der imponierenden Materialfülle und der Vielfalt unterschiedlichster Formen von Reliquiaren eine Ordnung und Systematik abzuringen. Braun fand sie in einer feinteiligen Typisierung, die sich an den unterschiedlichsten Typen von Behältern, wie Kasten, Flasche, Scheibe, Ziborium usf., orientierte. Diese Typisierung kreuzte er mit dem Paradigma der Entwicklungsgeschichte, die in der oben zitierten Passage mit dem Begriff »Aufstieg« schon signalisiert ist. Die stilanalytisch gewonnene Zuordnung von Typen und Einzelformen zu den Epochen der Kunstgeschichte ergab so eine weitgehend widerspruchsfreie und homogene Entwicklungsgeschichte des Reliquiars, die der Wissenschaft einen lange dominierenden Orientierungsrahmen bot. Seit einiger Zeit ist jedoch ein Interesse an Reliquiaren zu verzeichnen, das über Stilgeschichte und Ikonographie hinausgeht.2 Nicht allein die Skepsis gegenüber dem Konstrukt einer zielgerichteten und autonomen Formgeschichte, einer eindimensionalen ›Entwicklung‹ von Typen und Formen ist dafür ver­antwortlich; vielmehr erlangt die schon von Braun konstatierte Bindung der Reliquiare an Heiligen- und Reliquienkult in dem Maße neue Aktualität, wie die näheren und ferneren kulturgeschichtlichen Kontexte als bedeutsam für die Formfindung erkennbar werden. Das betrifft nicht nur im engen Sinne die Funktion, die Reliquiare im Kultgeschehen zu erfüllen hatten, die Praktiken des Aufbewahrens, des Verschließens und Zeigens von Reliquien, sondern

VIII Einleitung

genereller das gesamte durch Heiligen- und Reliquienkult berührte Themenfeld. So hat das Interesse der neueren, anthropologisch orientierten Kulturwissenschaften an den sozialen, religiösen oder politischen Bedingungen, welche die Vorstellung vom menschlichen Körper in vergangenen Zeiten geprägt und seine Wahrnehmung und Deutung bestimmt haben, auch einen neuen Blick auf Grundbedingungen des Reliquienkultes möglich gemacht.3 Durch die Praxis der Zerlegung von Heiligenleibern werden Fragen aufgeworfen, wie die nach dem Verhältnis von Körperfragmenten zum ganzen und unversehrten Heiligenleib, nach der postmortalen Bedeutung materieller Körper, nach der Kultfähigkeit von Körperteilen oder nach deren Beziehung zu himmlischen Existenzen. Dies sind Themen einer Wahrnehmungs- und Deutungsgeschichte des menschlichen Körpers; ebenso aber bedarf ihre Relevanz für die Formeigenschaften von Reliquiaren der Überprüfung, denn nicht die Reliquien selbst, sondern die Reliquiare sind es, die diesen Vorstellungen anschauliche Gestalt geben können. Wenn es dabei immer wieder auch um das Verhältnis von physischer und ikonischer Präsenz geht und um die Repräsentanz des Unsichtbaren, Heiligen und Göttlichen, so sind damit nicht nur fundamentale Eigenheiten der Reliquie berührt, sondern gerade auch deren ästhetische Folgen, die Zusammenhänge zwischen dem Reliquienkult, Reliquiaren und der Entstehung des Kultbildes. Daher gehören Reliquiare in das Zentrum eines großen Themenfeldes, das die kunstgeschichtliche Forschung in den beiden letzten Jahrzehnten vielfach bearbeitet hat: Das Problem von Funktion und Status des Bildes, speziell die Frage nach dem religiösen Bildgebrauch im Mittelalter.4 Die mit dem religiösen Bildgebrauch eng verknüpften Kulthandlungen um und mit Reliquien führen zudem eine Semiotik von Handlungen, von Zeremonien und Ritualen, generell von nonverbaler und symbolischer Kommunikation vor. Indem Reliquiare zu Akteuren in diesem Zusammenhang werden können, erfährt ihr medialer Status eine zusätzliche Ausweitung.5 Die Bindung der Reliquiare an den Heiligen- und Reliquienkult ist demnach ausgesprochen vielschichtig angelegt. So unterschiedliche Aspekte wie die theologische Reflektion und Legitimation des Reliquienkultes, wie seine historiographische, hagiographische und bildliche Artikulation, seine politische Indienstnahme oder seine mentalitäts- und frömmigkeitsgeschichtliche Ausgestaltung kommen daher in diesem Band zur Sprache – Aspekte, die mal sehr konkret, mal allgemeiner zu den Gestalteigenschaften von Reliquiaren in Beziehung gesetzt werden können. Dieses weitere Interpretationsspektrum zu eröffnen und zu erproben, jenseits einer von den Kontexten absehenden autonomen Formgeschichte oder einer direkten Funktionalisierung im Kultgeschehen selbst, ist das gemeinsame Anliegen der hier versammelten Beiträge. Sie gehen zurück auf eine Tagung des Kunstgeschichtlichen Seminars der Universität Hamburg, die unter dem Titel ›Reliquiare im Mittelalter. Kunst – Kult – Kontext‹ vom 29. April bis 1. Mai 2004 im Warburg-Haus in Hamburg

IX Einleitung

stattgefunden hat und die vom Forschungsprojekt ›Reliquiare als Wahrnehmung und Konstruktion von Heiligkeit‹ initiiert und getragen wurde. Die ­Tagung wurde gefördert von der DFG und vom Verein zur Förderung des Kunstgeschichtlichen Seminars. Ihnen ist ebenso zu danken wie der Michaelund-Susanne-Liebelt-Stiftung, durch deren Unterstützung diese Publikation möglich wurde. Für die sorgfältige Korrektur- und Redaktionsarbeit gilt ein Dank den Hilfskräften des Forschungsprojektes, Daria Dittmeyer und Magdalena Schulz, sowie meiner Mit-Herausgeberin Gia Toussaint. Bruno Reudenbach

1

Joseph Braun, Die Reliquiare des christlichen Kultes und ihre Entwicklung, Freiburg i. Br. 1940, S. 3f. 2 Wichtige Impulse gingen u.a. aus von einem Themenheft der Zeitschrift Gesta; darin vor allem Caroline Walker Bynum – Paula Gerson, BodyPart Reliquaries and Body Parts in the Middle Ages, in: Gesta 36, 1997, S. 3–7; Cynthia Hahn, The Voices of the Saints: Speaking Reliquaries, in: ebd., S. 20–31; Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 1994; Edina Bozóky – Anne-Marie Helvétius (Hgg.), Les Reliques. Objets, cultes, symboles (Hagiologia 1), Turnhout 1999. 3 Es ist hier nicht der Ort, diese Forschungsrichtung umfassend zu dokumentieren. Als für den Reliquienkult bedeutsam seien nur genannt Caroline Walker Bynum, The Resurrection of the Body in Western Christianity, 200–1336 (Lectures on the History of Religions 15), New York 1995;

Arnold Angenendt, Corpus incorruptum. Eine Leitidee der mittelalterlichen Reliquienverehrung, in: Saeculum 42, 1991, S. 320–348; Ders., Der ‚ganze‘ und ‚unverweste‘ Leib – eine Leitidee der Reliquienverehrung bei Gregor von Tours und Beda Venerabilis, in: Aus Archiven und Bibliotheken. FS Raymund Kottje, hg. von Hubert Mordek (Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte 3), Frankfurt/M. 1992, S. 33–50. 4 Hans Belting, Das Bild und sein Publikum im Mittelalter, Berlin 1981; Ders., Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 1990, bes. S. 331–347: Statuen, Gefäße und Zeichen. Bild und Reliquie im westlichen Mittelalter. 5 Zum Reliquienkult als Kommunikationssy­ stem Hedwig Röckelein, Reliquientranslationen nach Sachsen im 9. Jahrhundert. Über Kommunikation, Mobilität und Öffentlichkeit im Frühmittelalter (Beihefte der Francia 48), Stuttgart 2002.

Cynthia Hahn

The Meaning of Early Medieval Treasuries

From the assembly of gems on crosses to the bundles of relics in every sort of reliquary from heads to portable altars, relics and reliquaries are typically found in the context of collections.1 As parts of a greater whole, their meaning derives from their metonymic nature, a nature that is too easily ignored in studies that focus on a single relic, or a body in a tomb. It is only in groups, especially in treasury collections of small portable reliquaries, that the potential expressive power of relics flourishes. This essay should begin by defining what is meant by a ›treasury‹ or reli­ quary collection, but an initial effort immediately meets with frustration. One has a sense of what a treasury must be but, as we will see, meaning fluctuates and takes on different shapes for different observers. One modern historian has boldly stated: »A church treasury in the middle ages, any sacred dimension set apart, is nothing but an immobilization of capital under the form of art objects. When they judge it necessary, the keepers of these depositories do not hesitate for a single instant to draw upon these resources for the amount of gold or silver corresponding to their needs.«2

Indeed, many episodes in chronicles and lives of saints report instances when gold or silver objects were melted down and sold to feed the poor or fund the crusades. But, if treasuries were nothing but temporarily stored disposable wealth, they would have been ›disposed of‹ long ago. Given their makeup, an inventory of objects of primarily »consumptive value,«3 the more remarkable aspect of church treasure is that so much survives. A first reason for preservation is that, despite constant ›renewal‹ and remaking of objects, there were many inhi­bi­ tions against reusing or selling the precious materials.4 A second reason is that treasuries had to maintain reputations as strongholds – as miraculously­­­ protected vaults of sanctity – in order to encourage further gift-giving. A final and most important reason for preservation was the maintenance of the treasury’s ability to testify. The objects, singly and together, both in their materials and in

 Cynthia Hahn

the memorialized intentions of their donors, spoke to the glory of the sanctuary and the saint. Without such testimony, the shrine was a poor thing. With it, the treasury became a source of riches – spiritual riches that because of their safekeeping could be freely drawn upon in disputes, wars, and for spiritual renewal.5 Thus, if treasuries are not liquid assets congealed in aesthetic form, what are they? I have already begun to argue that they are a testimony to the prestige of the patron saint and the institution. But treasuries are yet more as well. Each object can be the nexus of a legend or complex of legends telling of the history of the saint, the cult, and the foundation, as Amy Remensnyder has argued.6 They functioned, as James Clifford would have it, »as aides-mémoires, occa­ sions for the telling of stories and the singing of songs.«7 Moreover, they parti­ cipated in a particular relationship to their spectators. In order to understand them, we must try to comprehend a different sort of vision in which they participated – a totalizing vision, largely devoid of the input of other senses, and, as Susan Stewart emphasizes, a vision that invested objects with the capability to »project (…) an eternalized future-past upon the subject.«8 The objects seem, in some sense, to objectify history. To understand how this sense of history is created, we may turn to studies of a Renaissance collection type, the Cabinet of Curiosities. One essential function of these cabinets is a quality that is also important to the medieval treasury – the creation of a ›conversable space‹ – a space that balanced the ver­ bal with the visual in discussion that sought to discover meaning.9 Two aspects of the collections contribute to creating this effect, and both aspects can be expressed as deficits. Each is characterized by an intrinsic lack of completeness and a lack of a permanent order of display. Just as a cabinet, with a delightful variety of doors and drawers, may be explored in any way that the viewer pleases, the early medieval treasury also presented no fixed or permanent spatial arrangement.10 Although many writers presume reliquaries were exhibited in chapels on altars, until the ninth century the church maintained strict prohibitions against anything but Christ’s body, i. e., the elements of the Mass, being placed on the altar.11 Furthermore, even after such prohibitions were relaxed, reliquaries were typically displayed only briefly on altars. As opposed to any permanent display, we must imagine the objects in early medieval treasuries hidden away, stored in sacristies, cup­ boards, among books in an armarium, in large coffers, etc., and brought out only when they were needed in liturgies, or for the devotions of special visitors.12 The second characteristic of these early collections, incompleteness, is also essential to their operation, as Jean Baudrillard explains.13 In his understanding, the full meaning of the signifying nature of the objects of a collection can be fully comprehended only by the collector who substitutes his self-created system of meaning and relations for the disappointments of language and social discourse which resist control and ›gaze back‹. Only insofar as the collection is incomplete, does it continue to operate for the collector.

 The Meaning of Early Medieval Treasuries

Baudrillard’s theory, of course, requires adjustment in the case of treasury collections. Although one could discuss certain medieval collectors of distinc­ tion (or legend), the church treasury is primarily institutional. Further­more, Baudrillard’s »final term«, the element that gives meaning to the collection through absence, can almost assuredly be identified in medieval collections – the final term of a collection of relics can be almost viscerally apprehended as the forever absent and unattainable body of Christ. Each of the relics in the series represents this body, but it does so only imperfectly and incompletely. The desire for Christ’s body is precisely the element that structures and even impels the collection (perhaps explaining the prominence in the Late Middle Ages of the transformation of the Corpus Christi, the host into a relic). The assemblage of relics or bricolage, made up of imperfect and fragmentary parts, must both strive for and metaphorically indicate a more meaningful yet ultimately unattainable whole.14 Thus if, as Mieke Bal argues, a collection is a narrative, it is a narrative without a conclusion.15 A treasury, by its very nature, is never complete, always open to pious donation, indeed dependent on such donation for a continuing ›life‹ or effectiveness. In addition, however, to the open-endedness of the col­ lection, the fragmentation of the relics in themselves begs the eye to contemplate them while at the very same time forcing the mind to bigger issues, to other stories, to the connections between them, to original bodies, and finally, to heaven itself. Thus, while representing the ›court of heaven‹ and the unity of the saints, relic collections never represented perfection or completion. Treasuries exhibi­ ted a certain restlessness, so that at the same time that they were strongholds, they were also distinctively open and permeable. They were purportedly safe and secure, but ›leaked‹ continually. Ever smaller bits of relics were divided and distributed from such sources of power, and yet this distribution made them only all the more powerful. Each new relic fragment was a voice singing the saint’s praise but also glorifying the renowned location of his or her major relics. Even in a less exalted sense, relics and treasures were redistributed or circulated among medieval treasuries, in effect, endlessly.16 (It was a bishop’s duty and the prince’s privilege to accouter the churches under his control.) In sum, the power and combination of narratives and ›conversations‹ are the real content of a treasury. To explore this content, one is in need of a guide. In the place of the collector, who explicates his system through conversation or display, ideally we should have an ecclesiastical substitute. Indeed, treasuries commonly had the custos sacrarii, appointed to care for the treasury – the keeper of the keys, but also the keeper of stories.17 In the absence of this pleasant conversationalist to help us, we must turn to individual treasuries and consider the surviving history of the acquisition of the objects, their individual visual statements, their interrelationships – aesthetic, material, and historical – and their history of display. Much of this evidence is, of course, no longer available to the modern researcher, but by carefully considering a few case histories from

 Cynthia Hahn

the early middle ages, we will begin to create a picture about what these collec­ tions meant to their owners and viewers, both inside and outside commu­ni­ties. As their inventories show, in addition to reliquaries, treasuries in the middle ages were considered to contain liturgical service items, ornaments of the church, precious book bindings and books, many sorts of vestments and texti­ les, and assorted other, even profane, objects and votive gifts.18 Among all these riches, however, the only truly essential part of the treasury was the gold and silver service items, such as chalices, patens, and candlesticks. Our con­sidera­ tion will occasionally include these sorts of objects, but in the main, our concern will be with the more variable content of the collection – the portable reliquaries that were collected and used to give sanctity to the institution and shrine. The little treasury at Grado Cathedral on an island in the Adriatic, northeast of Venice, may serve as a first example. Stories narrate its origin. Fleeing Lom­ bard raids on his church in Aquileia in 568, Bishop Paulinus I was said to have carried the entire treasury from his mainland church to Grado, in effect trans­ ferring the ›seat‹ of his bishopric. This is a satisfying story for us because it lite­ ral­ly links the identity of a town to its treasury. Of course, countering story with archeological fact, Grado was already a prosperous town previous to this incident.19 Moreover, after a competing Aquileian bishop was elected in 610, this transfer was not only disputed but also used as central evidence in a long­ standing quarrel over the location of what was eventually called a ›patriarchate.‹ The on­going quarrel added significantly to the potential of Grado’s treasury to testify. Of particular note concerning the collection at Grado is the antiquity of its core elements. It had three (gold and) silver reliquaries from the fifth or sixth century, an alabaster carved throne-reliquary (now a reproduction), a relic of the True Cross of possibly the sixth century, as well as the remnants of an ivory throne of the sixth or seventh century (figs. 1–4). A marker of the importance of these objects is the fact that one central piece, the alabaster throne, was even­ tually ›donated‹ to Venice by Grado sometime after 1451, when the smaller city lost its claim to the patriarchate. The various permutations of these eccle­sias­ tical and political wranglings over patriarchal power are told elsewhere,20 but the key aspect for our concerns is that Aquileia and Grado began vigorously competing for the honor of the patriarchate by the ninth century. Aquileia was supported by the Franks and the Germans. Grado, still in the Byzantine exarchate in the sixth century and later a dependency of Venice, was supported by Byzantines and Venetians and sometimes Rome. It seems that the treasury was used as visible (and invisible) support of Grado’s claims. Let us begin with the beginning. The two small silver scrinia in today’s treasury are among the very earliest surviving relic boxes.21 They were disco­ver­ ed in situ in the archaeological excavation of an altar in the cathedral in 1871, a fact that attests to their authenticity, but also argues that they did not become part of a visible ›treasure‹ until the modern period. Nonetheless, they are interesting, not in terms of treasure display, but in terms of the elements of a

 The Meaning of Early Medieval Treasuries

1.  Round silver reliquary box (Duomo di Grado, Treasury), fifth or sixth century

2.  Contents of round silver reliquary box (Duomo di Grado, Treasury)

founding treasure. They probably came from Aquileia, perhaps with Bishop Paulinus transferred in the sixth century, and buried when the Patriarch Elias built St Euphemia in 579 and claimed the leading place among the churches of Istria and Venetia.22 The labeled relics in an oval silver box are Aquileian, although portrait medallions also represent Peter and Paul. In contrast to local saints, the relics in the second scrinium, a round box, represent what is clearly already a collection of saints and relics (fig. 1). They include well-known martyrs such as Agnes and Sebastian, as well as Hippo­ly­ tus of Rome, Trophime of Arles, Martin of Tours, and Apollonaris and Severus of Ravenna, in addition to what was probably a relic of the cross (fig. 2). The intent of this seemingly very carefully chosen collection of saints seems to be to represent a selection of important contemporary ecclesiastical centers. Additio­ nally, the last two may remind us of Grado’s political link to Ravenna through the Exarchate. Remarkably, despite the fine workmanship, meaningful gathe­

 Cynthia Hahn

3.  True Cross reliquary (Duomo di Grado, Treasury), seventh century (?)

ring of relics, and lavish use of silver and gold (the authentics are gold and one section of the round box contained a third, tiny, gold reliquary), the two scrinia were hidden from sight within the fabric of the church. Additional relics from Grado’s foundation treasury must have been similarly buried in the fourth-cen­ tury Basilica della Corte that has the same sort of chamber below the altar.23 In contrast to this invisible wealth, later additions to Grado’s treasury were put to more strenuous visual service. A third silver reliquary very close in date, that is, sixth or seventh century, also came from a very different source. It is clearly Greek and likely to be Constantinopolitan (fig. 3). Its inscription in Greek monograms reads ›Lord, help your servant, Magistros Stylianos,‹ Stylianos apparently was a Byzantine official either of the exarchate or in Constantinople. The church at Grado prides itself on this gift, still using it in a procession on Good Friday.24

 The Meaning of Early Medieval Treasuries

4.  Alabaster throne, plaster reproduction (Duomo di Grado, Treasury), sixth century

The cross reliquary gives the impression of being an early example in which the relic was visible, but that may be the result of adjustments in the seventeenth and eighteenth century when the crystal may have been added.25 In fact, the relic today is a double-traverse or Byzantine type of cross. This sort of cross is first witnessed, textually, in the seventh-century testimony of the pilgrim Arculf concerning a cross in Hagia Sophia.26 Thus, it is possible even if the reli­ quary is indeed as early as the seventh century that it was originally made in this new shape, but its physical disposition argues otherwise.27 The top surface of the reliquary is defined by four symmetrically disposed circles that contain Greek monograms. These monograms have been distorted by the insertion of the cross in its present form, and as originally designed, they would have better allowed for an equal-armed cross of ›imperial‹ type. Today, the opening prayer of the donation inscription concerning Magistros Stylianos is disrupted by the

 Cynthia Hahn

upper traverse of the cross.28 Moreover, two small silver ›patches‹ adorned with squat crosses cover the extra space that the original lateral would have occupied. If the cross has been changed from a ›Greek‹ imperial type to a ›Patriarchal‹ or Byzantine type, it is also possible that the entire reliquary has been changed from a more conventional panel or box reliquary with sliding lid to this ostensorium type ( and indeed it was enclosed in a monstrance in 1891, now lost). The tiny gold reliquary that was once in the round silver scrinium preserves the Greek cross form, the box or panel shape, and the sliding lid that I am suggesting for the original of the larger reliquary (fig. 2, upper right).29 The silver True Cross reliquary would then be a good example of an adjustment to keep up with contemporary styles of reliquary presentation, while, interestingly enough, emphatically preserving an association with the holy and antique East through revising the cross shape to a more recognizably Eastern cross. But we have yet to discuss the primary reason that the cross is central to the prestige of the treasury. Legends claim that it represents an early imperial gift from Heraclius. Heraclius, of course, was the emperor who rescued the True Cross from Chosroes II, the Persian emperor, and carried it first to Jerusalem in 630, and then, apparently in part, to Constantinople. Therefore it seems to have become his privilege to distribute pieces of the cross, and a gift from such an imperial source is especially significant. The pieces preserved in the Grado reliquary of the True Cross are exceptionally large (the reliquary measures 16.2 × 17.5 cm). The legendary gift is recorded only in late medieval histories. By the time of the eleventh-century chronicle of John the Deacon, the legend proclaimed that Heraclius gave the Grado Patriarch the chair of St. Mark, which Helena had brought back from Alexandria, as well as the chair of Hermagoras, the first bishop of Aquileia,30 thus, explaining the two chairs. Andrea Dandolo, the four­ teenth-century Venetian chronicler, records in similar but somewhat revised fashion that Heraclius brought Mark’s chair from Alexandria and gave it to the ›Venetian region.‹31 In the sixteenth century the ivory throne, still then in Grado, was known as the Throne of Mark, today the alabaster throne is so designated (fig. 4).32 The mix of Saracen-defeating emperor and relic-finding empress in these reports suggests the importance of this group of objects. Nevertheless, the True Cross relic per se was not mentioned until 1523 when it was seen with the ivory throne at Grado.33 The ivory throne was a special object of display and luxury and may have the primary claim to be that of Mark; it is not unlikely that it was an imperial gift, as is argued concerning the comparable ivory throne in Ravenna. Surviving ivories depict at least six scenes from the life of Mark as well as others from the Life of Christ, Mary, and other saints.34 As has also been suggested for ivory thrones in Ravenna and the Vatican, the throne surely was used primarily for display rather than for seating because of its fragile material. The second throne, the alabaster so-called ›Throne of St Mark,‹ now in Venice, seems to be primarily an unusual device for reliquary display (fig. 4). It

 The Meaning of Early Medieval Treasuries

conforms to a Syro-Palestinian type which was used for the exhibition of relics or books in Syrian churches like that at St. Jeremy in Saqqara.35 This may explain its small size (147 × 55 × 33 cm). However in this example, a loculus or fenestella that opens to two sides of the throne presumably may have allowed the True Cross relic to be stored inside underneath the seat, perhaps also allowing the display of a gospel book above. (Such a loculus, of course, is not unique but is comparable to the relic niche in the marble throne at Aachen.) The throne is decorated at its apex on both front and back with images of apost­les on either side of the single-armed cross, a number of fruiting trees, burning candles and the evangelists with the angelic wings of Ezekiel’s vision, as well as two angels blowing trumpets, announcing the Last Judgement. The fact that the throne is decorated on its back side speaks against it being an episcopal throne as thrones are almost always positioned against the wall of the apse.36 The imagery combines elements suggestive of a cult of the True Cross relic with iconography concerning the gospels and the Last Judgment. The throne may have originally been made for a different church but clearly suits episcopal or patriarchal use, promising the benefits of the life-giving cross that are nourished and disseminated by the institution of the church. In its use as a means of relic display or acco­mmodation, and as a lithic object that asserts itself as a per­ manent part of the church (although clearly, it was moved from its original location), it is a central element of the visible treasury. It is also likely to have been paired with the True Cross relic which may have been at least selectively visible.37 The combination of both buried and displayed treasure at Grado was probably characteristic of the wealth of many early-Christian churches, in part because much of the wealth of such churches included service objects. This disposition gives an indication of the range of use to which a treasury was put in the service of the church. Of particular interest, however, is the way in which the reliquaries are seen to make claims to prestige for their church through their iconography, and, more importantly, through their Eastern origins. These Eastern origins were clearly apparent to viewers and, in the case of the conver­ sion of the cross from an imperial to patriarchal type, made even more appa­ rent. Public claims of foundation and legitimation through the well-known story of the transfer of relics from Aquileia were reinforced by prestigious evidence of imperial support and donations.38 Nevertheless, in the end, these reliquaries were not able to preserve Grado’s position as patriarchate. The ›alabaster throne‹ now displayed in a small room to the south of the apse is a plaster cast, and Grado is better known as a seaside resort than as a center of power for the early church. In the second collection to which we turn our attention, the valence of donation is reversed – an ecclesiastical figure donates relics to a royal founder. The renowned early-medieval treasury at Monza seems to have displayed its treasure more publicly and to greater effect than did Grado, but it similarly elicited cupidity in the late Middle Ages (figs. 5–9).

10 Cynthia Hahn

5.  Cross of Berengar (Duomo di Monza, Treasury), ninth century

In 603 Gregory the Great sent gifts to the Catholic Lombard Queen Theo­ delinda, wife of the Lombard Arian king Agilulf, to thank her for helping to reestablish the peace and for baptizing her son as a Catholic. These gifts were in turn apparently donated to her foundation, St. John the Baptist at Monza, as reported two centuries later by Paul the Deacon. Although still in dispute as to the precise identification of elements, the original royal donation that founded the treasure at St. John’s in Monza consisted of numerous pewter ampullae from the Holy Land along with 23 glass vials and one terra-cotta ampulla, and perhaps the magnificent surviving golden Gospel book.39 It seems reasonable to propose that Gregory filled the ampullae and glass vessels with pignora of the saints of Rome, perhaps oil from the tombs of the saints, each labeled with a tiny authentic and documented in a list, the so-called notula, recorded about fifty years later. As Gregory hoped, Theodelinda was able to found a long-lasting Christian tradition at Monza, despite the relatively short life of the Lombard dynasty in the North. She herself donated a number of items, perhaps including a crown, the cross of Agilulf, and it was once believed, the famous hen and chicks, a fan, and a comb.40 It is notable that her portion of the donation represents a ›barbarian‹ aesthetic of heavily jeweled objects, very different in appearance from the Greek objects in the Grado treasury. Throughout the Middle Ages and

11 The Meaning of Early Medieval Treasuries

6.  Iron crown (Duomo di Monza, Treasury), remade in the ninth century

the changing fortunes of the church, the Monza treasury grew in size and prestige. Three diplomas testify to the importance with which Berengar I, king of Italy (840–924) and grandson of Charlemagne, considered the church and its treasury. In order to secure the contents, two inventories were made on the leaves of the king’s sacramentary, inventories that had become customary for the Franks under Louis the Pious and especially Charles the Bald.41 A number of new objects appear in these inventories, and others are clearly to be credited to the donation of the king, including the sacramentary itself, a cross said to be Berengar’s pectoral cross and sometimes called the cross of the kings (fig. 5),42 and ivory diptychs (particularly indicative of the ›Roman imperial‹ tradition being built or laid over the Lombard kingship at Monza). Subsequently, Otto III chartered Monza as an imperial foundation in 1000, but it soon passed into the power of the archbishopric of Milan, and two more inventories were made of St. John’s treasures. In 1042 one inventory records the movement of the treasury into a marble sarcophagus. Heribert, the archbishop of Milan, who had moved his residence to Monza and made donations of his own, was responsible for the second inventory of 1044. At some point the famous and much disputed ›iron crown‹ perhaps an earlier object remade in the ninth

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century, entered the treasury (although it is not inventoried until 1275, fig. 6). Kings such as Conrad in 1093,43 Conrad of Swabia in 1128, Frederick Barbarossa in 1158,44 and others were crowned in Monza, as it came to be considered the seat of the legendary Lombard kingdom, and with Pavia, the place of coronation for the so called Italian ›nation.‹ In the twelfth century, Henry IV specifically asked the pope if he could be crowned King of Italy by the bishop of Milan and Pavia at Monza »as was the custom of earlier kings.«45 The treasury was used as colla­teral when the fortifications of Milan were strengthened against imperial threats in 1242, and in the process lost a chalice. More problems ensued and the treasury had to be ›redeemed‹ and restored to the church by Matteo Visconti, an episode commemorated along with the original donation by the circa 1320 sculpture of the tympanum of the cathedral (fig. 10), that is, just after Theode­linda’s body was translated into a sarcophagus in the church (1308). The treasury even suffered an ›exile‹ in Avignon along with the papacy but was finally recovered.46 Interestingly, the crown continued to be used often for coronations, including the self-coronation of Napoleon. A further consideration of additional contents of the treasury will indicate some of the variety and utility of this treasury. Already in the 1042 inventory, the ›purses‹ of the apostles, de sportis apostolorum, are mentioned: five small sacks woven of palm leaves of possible early Palestinian provenance which may, at one time, have been used to transport relics or as pilgrim sacks.47 In supplement to these objects and reinforcing a link to the apostolic early church, the sixth-century cloths of Byzantine manufacture, the so called ›corporals‹ of the apostles, may have been part of Gregory’s original gift.48 This ›apostolic‹ material, especially the purses, is complementary to a golden gemmed purse of the eighth or ninth century containing relics of the dedicatee of the cathedral, John the Baptist (fig. 7). Combining the various purses with the many Holy Land relics and pignora from Rome, as well as a ›veil of the Virgin‹ mentioned in the 1042 inventory (probably a tenth-century eastern textile),49 suggests an awareness of a very rich trove of important relics. The gemmed purse, origi­nally to be hung around the neck and carried in procession (its feet are a seven­teenth-century addition), may have been the public declaration of the episcopal, as opposed to royal, ability to ›dispense‹ the benefits of this spiritual treasure.50 It is notable that many of the early important treasuries have such a purse, and it may be that its meaning was well esta­b­ lished in the Carolingian period. The purse could have entered the treasury when it was under Carolingian domination in the eighth century or, more likely, have been donated by Beren­gar and quickly converted to such an episcopal meaning. A famous part of the treasury at this time was the sculpture of the hen and chicks which may also serve as an episcopal message of church unity, although it is not a reliquary (fig. 8). The unusual sculpture was mentioned in the inventory of 1275 when it was noted that one of the chicks was broken, so presumably the object was not new.51

13 The Meaning of Early Medieval Treasuries

7.  Reliquary purse of John the Baptist (Duomo di Monza, Treasury), eighth and ninth century

An assortment of other items is included in the treasury. Three ivory diptychs (two noted above) date to late Roman antiquity, although one is recarved to show Pope Gregory standing and King David seated (fig. 9). This re-carving may be associated with Carolingian ideas about David’s kingship, but as a gift to the treasury, the diptych perfectly reflects the association of royalty with the church that Monza represents. A late-antique cobalt blue glass cup called the ›sapphire‹ cup was reused as a chalice, set in first, perhaps, a Byzantine setting, now reset in an elegant fifteenth-century gold setting. The cup had legendary importance as it was said to have been used by Theodelinda for Agilulf’s ritual of election, although Berengar’s father had a similarly designated ›sapphire‹ chalice.52 Finally, a jeweled comb that has been dated to the sixth century but also to the tenth, eleventh, or twelfth, and which is first mentioned in the 1275 inventory, returns the spectator’s thoughts to the person of the queen herself, as it is called ›Theodelinda’s comb.‹ Such a comb is more likely to have entered the treasury to serve in the rituals of coronation or for episcopal liturgical use than as an item from a personal toilet kit, but it has been associated since the thirteenth century with the queen herself. It even has an added ring so that it could be suspended in display (perhaps over her sarcophagus?).

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8.  Hen and chicks (Duomo di Monza, Treasury)

The Monza hoard is an excellent example of the legendary ›conversation‹ that a treasury can represent. It turns back to its founder as well as forward toward the ›future‹ of Italy as a coronation site for its kings. It is flexible enough to represent the church’s alliance with royalty as well as the church’s strength and unity in its own traditions, apostolic associations, and episcopal prestige. Remarkably, all of this is reflected in the tympanum over the portal of the Duomo, mentioned above, and almost unique in its status as a sculpted inven­ tory of the treasure (fig. 10).53 In that tympanum there is an iconographic joi­ ning of each of the disparate worlds represented by the treasury and its legends. The imagery of the tympanum is grounded in Scripture. In the center of the lower register, John the Baptist, to whom the church is dedicated, baptizes Christ while an angel looks on. At either side are Elizabeth and Zachary, his parents. On either side of this scene, separated by tree ›dividers‹ that are so common in early Christian sarcophagi, are two of the apostles, Peter and Paul, with sword and keys, representing the apostolic foundations of the treasury in relics of the early church. Above this apostolic and biblical grounding are pictured the treasury and its legendary history. At the viewer’s far right are six choice objects from the treasury: the hen and chicks, four chalices (including the sapphire chalice in its original, Byzantine setting), and Berengar’s cross, displayed so that all can see and testify to the riches of the usually hidden treasures. The place of the treasury is indicated as securely interior by the tiny column separating the objects from Theodelinda and John. Beginning a sequence that moves from right to left in the remainder of the register, is an image of the crowned Theodelinda making the original donation to John the

15 The Meaning of Early Medieval Treasuries

9.  David and Gregory ivory (Duomo di Monza, Treasury), Late Antique with Carolingian re-carving

10.  Tympanum of the principal portal of San Giovanni, Duomo di Monza, c. 1320

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Baptist himself. She hands over either Agilulf’s crown or the iron crown. Yet farther left are a standing man and woman, the queen’s children Gundeberga and Adaloaldo. Kneeling to the left is her consort Agilulf. At the far left edge are three clearly differentiated votive crowns with pendant crosses. Although the figures are in fourteenth-century dress with fourteenth-century crowns, the objects in the sculpture of the treasury are accurately depicted and even show traces of color. Although at the beginning of this discussion, I compared the medieval church treasury to a cabinet of curiosities with its many vertical, diagonal, and horizontal ›conversational‹ connections and I emphasized the lack of comple­ tion of such ongoing compilations, this image would have it otherwise. Asso­cia­ tions abound, but the ›text‹ seems to have been finalized here with a completed picture of an eternal treasure. That treasure has the capacity to continue to ›give‹ in multiplication of itself and its spiritual benefits, as the crowns at the far right suggest, but it is documented as complete in this moment.54 History, of course, proved this picture to be wrong, and the Monza treasure was removed to Avignon and threatened with papal appropriation. Now, of course, the picture seems to have become true once more – the treasure is protected within a locked vault that the pilgrim or visitor must enter bodily in order to enjoy the sight of Theodelinda’s gifts. In these two examples, Grado and Monza, legendary gifts of foundation have been essential. The first was from emperor to patriarch, the second from pope to queen. Although these treasures are not made up simply of votive gifts, Hugo van der Velden’s analysis of such gifts is useful in illuminating the force of these donations.55 Van der Velden argues that the votive gift is primarily proof of a transaction between the votary and the saint, taking medieval ideas of gift exchange to a heavenly level. Thus, the gift is at the same time proof of the saint’s power and of the temporal alliance of powerful figures with saints. Medieval commentators had no doubt that these sorts of meanings were important to treasuries, especially with a concern for the ›treasury‹ as an entity in itself. A canon from the Valence council of 855 clarifies the importance of such collections, whether made up of items of service or ornament, for the honor they bring to the church, and insists that they must be protected.56 In a far more developed statement William Durandus (1230–1296) notes: »On the principal feasts, one exposes the treasures of the church to the view of the people for three reasons: First, for reasons of precaution (…) [to prevent theft]. Secondly, for the solemnity of the occasion, and thirdly in memory of their donation. That is to say of those who first offered them to the church.«57

Although this statement postdates the material we have discussed and general­ ly represents later medieval traditions of display, nonetheless it gives us some insight into medieval conceptions of treasure. First, these justifications certain­ ly do not follow modern expectations, that is, that the treasures might be dis­ played to satisfy the curiosity or devotion of the people. Instead, Durandus

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seems more concerned with precisely the issues that have come to the fore at Grado and Monza. He wants the populace to see the treasure as a physical or imaginary whole, take it in visually in order to become aware of what the church owns, and consider how that reflects on the glory of the church and its ›solemn‹ liturgies. He also wants the audience to recall the memory of donors, that is to reinforce the structure of memory and story that made the church powerful. These concerns have much more to do with the well-being and con­ tinuation of the treasury as a whole than they do with any particular part or relic of any particular saint. We return to where we began. Relics are found in collections – collections to which they give meaning and from which they draw their meaning, whether political or spiritual. Relic treasuries represent a vision of the collection of saints that is the Heavenly Jerusalem. They also represent the stories that both construct and draw together their community. They begin the process of satis­ fying the Christian desire for the body of Christ, but they do so in a particular, historical, and local way.

1 The head of Eustace in the British Museum contained relics of more than nine identified saints and only portions of an unidentified skull. Der Basler Münsterschatz [exhibition catalogue], ed. by Brigitte Meles, Basel 2001, pp. 60–64. 2 Jacques Le Maho, Le trésor de la cathédra­le de Rouen de l’époque mérovingienne aux premiè­ res années du XIIIe siècle, in: Jean-Pierre Caillet – Pierre Bazin (eds.), Les Trésors de sanctuaires, de l’Antiquité à l’époque romane (Centre de recher­ ches sur l’Antiquité tardive et le haut Moyen Age 7), Paris 1996, pp. 123–135, at p. 128; other justifications include ransoming captives and constructing cemetaries: François Bougard, Tré­ sors et mobi­lia italiens du haut Moyen Age, in: Caillet – Bazin (as above), Les trésors de sanctuai­ res, de l’antiquité à l’époque romane, pp. 161–197, at p. 191. 3 Hugo van der Velden, The Donor’s Image: Gerard Loyet and the Votive Portraits of Charles the Bold, Turnhout 2000, p. 8. 4 François Baratte, L’argent et la foi: Réflex­ ions sur les trésors de temple, in: Caillet – Bazin (as in note 2) pp. 19–34; Bougard (as in note 2) p. 187. An example is Gregory the Great who assigned penance to clerks for selling their valu­ able liturgical materials. 5 For a history of the use of relics, particularly those of Remaclus, to resolve legal disputes, see Philippe George, Les routes de la foi en pays

mosan (IVe–XVe siècles). Sources, méthode et problématique, in: Caillet – Bazin (as in note 2) pp. 84–121. Suger, Abbot of Saint-Denis in the twelfth century, particularly recognized that it was as important to assemble a treasury as to build a magnificent building. 6 In this I agree with Remensnyder who has eloquently argued for the royal stories behind relics and reliquaries in her book: Amy Remen­ snyder, Remembering Kings Past: Monastic Foun­ dation Legends in Medieval Southern France, Ithaca 1995; and Ead., Legendary Treasure at Con­ ques: Reliquaries and Imaginative Memory, in: Speculum 71, 1996, pp. 884–906. For the function of books as memoria, see also Eric Palazzo, Le Livre dans les trésors du Moyen Age. Contribu­ tion à l’histoire de la Memoria médiévale, in: Caillet – Bazin (as in note 2) pp. 137–160. 7 Tony Bennet, Pedagogic Objects, Clear Eyes, and Popular Instruction: On Sensory Regimes and Museum Didactics, in: Configurations 6, 1990, pp. 345–371, at p. 345. Quoting James Clifford, Rou­ tes: Travel and Translation in the Late Twentieth Century, Cambridge 1997, p. 189. Clifford is tal­ king about a »contact zone« between cultures. Similar issues exist within and between cultures in the Middle Ages. 8 Susan Stewart, On Longing: Narratives of the Miniature, the Gigantic, the Souvenir, the Collection, Baltimore 1984, pp. 67 and 126. In both

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instances Stewart is discussing the miniature, the world of the Lilliputians and portrait miniatures respectively, but as I have argued elsewhere, in some sense the relic collections is a collection of ›miniatures.‹ 9 Bennet (as in note 7) pp. 348f., using Paula Findlen, Possessing Nature: Museums, Collecting, and Scientific Culture in Early Modern Italy, Berkeley 1994, p. 101. 10 Although, of course, there was a fixed order of display in time – following the dicta­ tes of the liturgical year. 11 Patrick Geary, Furta Sacra: Thefts of Relics in the Central Middle Ages, Princeton 1978, p. 25. 12 Although most of the physical evidence for such storage is generally late medieval. 13 Jean Baudrillard, The System of Collec­ ting, in: John Elsner – Roger Cardinal (eds.), The Cultures of Collecting, London 1994, pp. 7–24. 14 John Elsner, A Collector’s Model of Desire: The House and Museum of Sir John Soane, in: Elsner – Cardinal (as in note 13) pp. 155–76, esp. p. 155. 15 Mieke Bal, Telling Objects: A Narrative Perspective on Collecting, in: Elsner – Cardi­ nal (as in note 13) pp. 97–115. 16 For example the lavish Psalter given by Queen Emma to her brother Robert, arch­ bishop of Rouen, thence to his son and to the son’s wife; finally ending in Saint-Evroult: Le Maho (as in note 2) p. 130. 17 P.-M. Gy, Les trésors d’église et la litur­ gie, in: La Maison-Dieu 188, 1991, pp. 73–85, esp. p. 76, n. 9. 18 For examples see: Bernhard Bischoff, Mittelalterliche Schatzverzeichnisse (Veröf­ fentlichungen des Zentralinstituts für Kunst­ geschichte in München 4), München 1967. 19 Ann Terry, The Early Christian Sculp­ ture at Grado. A Reconsideration, in: Gesta 26, 1987, pp. 93–112. 20 Otto Demus, The Church of San Marco in Venice: History, Architecture, Sculpture (Dum­barton Oaks Studies 6), Washington, D.C. 1960, pp. 30–40; Thomas Dale, Relics, Prayer, and Politics in Medieval Venetia: Romanes­ que Painting in the Crypt of Aquileia Cathe­ dral, Princeton 1997, pp. 9–11.

21 For this sort of reliquary see: Helmut Buschhausen, Die spätrömischen Metallscri­ nia und frühchristlichen Reliquiare (Wiener byzantinische Studien 9), Wien 1971. 22 Daniela Rando, Una chiesa di frontiera. Le istituzioni ecclesiastiche veneziane nei seco­li vi–xii, Bologna 1994, p. 14. 23 Ezio Marocco, Der Domschatz von Grado, Triest 2001, pp. 38ff. 24 Marocco (as in note 23) p. 19. Sergio Tava­na, Stauroteca Bizantina Inedita, in: Studi Goriziani 41, 1975, pp. 139–152 (I have still not been able to consult this article). Holger Klein disagrees about the date of this reliquary, thinking it far too early, but does not seem to have yet examined it. Holger Klein, Byzanz, der Westen und das ›wahre Kreuz‹. Die Geschichte einer Reliquie und ihrer künst­ lerischen Fassung in Byzanz und im Abend­ land, Wiesbaden 2004, p. 122, note 142. 25 Marocco (as in note 23) p. 20. 26 Anatole Frolow, Les Reliquaires de la Vraie Croix (Archives de l’Orient Chrétien 8), Paris 1965, p. 125. See also, Id., La Relique de la Vraie Croix (Archives de l’Orient Chrétien 7), Paris 1961. 27 Frolow notes some cross reliquaries that have the single traverse: Frolow (as in note 26) p. 59 note 1; and cites a ›Georgian‹ example from the 5th or 6th century, p. 95. The Grado cross is recorded in an inventory after 1591. It is recorded as »patriarchal« in form: Marocco (as in note 23) p. 19. 28 Kyrie boêthei tô sô doulô; Marocco (as in note 23) pp. 20f. 29 Marocco (as in note 23) p. 17. 30 The inclusion of Helena here may sug­ gest that the throne came with the cross relic. Marocco (as in note 23) p. 18. 31 Marocco (as in note 23) p. 18. 32 Marocco (as in note 23) p. 19. 33 Giovanni Candido of Udine; Marocco (as in note 23) p. 19. 34 Kurt Weitzmann, The ivories of the socalled Grado Chair, in: Dumbarton Oaks Pa­ pers 32, 1972, pp. 49–93. 35 André Grabar, La ›Sedia de San Marco‹ à Venise, in: Cahiers archéologiques 7, 1954, pp. 19–34. Reprinted in: Id., L’art du Moyen Age en Occident. Influences byzantines et orientales, London 1980, esp. p. 352. See also:

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Wladimiro Dorigo, La cosidetta ›cattedra di S. Marco‹, in: Venezia Arti 3, 1989, pp. 5–13. 36 Grabar (as in note 35) p. 358. 37 If it was really placed in the throne, it is unlikely that it would have remained there permanently. Presumably it would have been visible on special occasions and in transit. 38 As Terry (as in note 19) notes, Grado existed well before the relics were transferred but nonetheless, legend makes this a foun­ ding moment. 39 André Grabar, Ampoules de Terre Sain­ te, Paris 1958. Basic bibliography on the trea­­ sure includes: Xavier Barbier de Montault, Inventaire de la basilique royale de Monza, in: Bulletin Monumental 8–9, 1880/1881, pp. 18–82, 313–341, 464–488; 615–705,145–186, 700–768; Angelo Lipinsky, Der Theodolinden­ schatz im Dom zu Monza, in: Das Münster 13, 1960, pp. 146–173; and bibliography in the next note. I have had to restrict the number of illustrations for this article. For some general discussion of the treasury and other images in color see: http://www.comune.monza.mi.it/ns/ latuacitta/turismo/duomo/html/storia_ dei_tesori.html. The town recently held a recreation of the return of the treasure in 1345: http://www.comune.monza.mi.it/ns/ news/festa_medievale/index.html 40 The hen and chicks are now thought to be Romanesque, and the comb was orna­men­ ted in the ninth century, both perhaps fitting more with the episcopal message of the later treasury. Roberto Conti, Il Tesoro: Guida alla conoscenza del Tesoro del Duomo di Monza, Monza 21983, pp. 44–48; Liselotte Möller, Die Henne mit den sieben Küken im Domschatz zu Monza, in: Pantheon 16, 1943, pp. 165–167. Riché shows how some of the later items entered the treasury including perhaps the sapphire chalice, comb, ivories, and Beren­ gar’s cross: Pierre Riché, Trésors et collections d’aristocrates laïcs carolingiens, in: Cahiers archéologiques 22, 1972, pp. 39–46, esp. 39, 43–44. See also: Roberto Conti (ed.), Monza. Il Duomo e i suoi Tesori, Monza 1988; and Id., The Crown, the Treasury, and Theodelinda over Seven Centuries of Art in the Cathedral of Monza, in: Graziella Buccellati (ed.), The

Iron Crown and Imperial Europe, Milano 1995, vol. 2, pp. 145–186. 41 E. Lesne, L’inventaire de la propriété. Églises et trésors des églises du commence­ ment du VIIIe à la fin du XIe siècle (Histoire de la propriété ecclésiastique en France 3), Lille 1936, p. 4 note 3. 42 In the earliest inventory of the tenth century: Conti 1983 (as in note 40) p. 55. Although the cross is too large at 22.3 cm to be a pectoral cross, it is not impossible that Be­rengar wore it on some ceremonial occa­ sion. 43 Giulio Fumagalli Romario – Aldo Gra­ nata – Carlo Paganini, Monza and the Basilica of San Giovanni Battista and The Corona­ tions, the Treasury, and the Iron Crown, in: Buccellati (as in note 40) vol. 1, pp. 357–416, esp. p. 384. 44 Romario – Granata – Paganini (as in note 43) p. 386. 45 Romario – Granata – Paganini (as in note 43) p. 386. 46 For a short history of the treasury, see Conti 1983 (as in note 40) pp. 5–8. 47 Conti 1983 (as in note 40) pp. 9f. 48 Conti 1983 (as in note 40) pp. 31ff. 49 Conti 1983 (as in note 40) pp. 58f. 50 Cynthia Hahn, The Construction of Mea­ning in Medieval Shaped Reliquaries, in: Utrecht Studies in Medieval Literacy, in press. 51 Conti 1983 (as in note 40) p. 45. 52 Riché (as in note 40) p. 43. 53 For the tympanum see Conti 1995 (as in note 40) p. 148; and Francis Oppenheimer, The Tympanum of the Church of St. John in Monza, in: Id., Frankish Themes and Pro­ blems, London 1952, pp. 106–170. The only other example I know is the plaque at San Marco: Debra Pincus, Christian Relics and the Body Politic: A Thirteenth-Century Relief Plaque in the Church of San Marco, in: David Rosand (ed.), Interpretazioni veneziane. Studi di storia dell’arte in onore di Michelangelo Muraro, Venice 1984, pp. 39–57. One could consider woodcuts that exhibit treasuries in something of the same category: Erich Ste­ phany, Der Zusammenhang der großen Wall­ fahrtsorte an Rhein – Maas – Mosel, in: Kölner Domblatt 23/24, 1964, pp. 163ff.

20 Cynthia Hahn 54 Oppenheimer (as in note 53) argues that Matteo Visconti was the patron of the tym­panum and that it celebrates the redemp­ tion of the treasury from pawn. He even believes that the kneeling figure is Matteo. 55 van der Velden (as in note 3) pp. 8, 192–197. 56 Ut thesaurus, sive minsterium vel ornamentum ecclesiarum, fideliter devotioni eorum, qui haec vel ad honorem domus dei, vel ad sustentationem familiae ecclesiasticae, si necessitas egerit, obtulerit, custodiatur. MGH Concilia III, ed. by Wilfried Hartmann, Hannover 1984, p. 363. Cited by Palazzo (as in note 6) p. 145. 57 Cited by Palazzo (as in note 6) p. 145, also citing the French translation: Charles

Barthélemy (ed.), Rational, ou, Manuel des divins offices de Guillaume Durand … ou, Raisons mystiques et historiques de la litur­ gie catholique, Paris 1854, p. 61. Palazzo no­ tes that a similar passage occurs in the twelfth century in Beleth: Tres sunt causae, quare in sollemnitatibus magnis in apertum deducitur vel excluditur thesauus ecclesiae: propter cautele considerationem, ut appareat, quam cautus fuerit in servando ille, qui illum debet servare, et propter sollemnitatis venerationem et propter oblationis memoriam, ut scilicet offeratur in memoriam illorum, qui ea prius ecclesiae obtulerunt. Johan­ nes Belethus, Summa de ecclesiasticis officiis, ed. by Herbert Douteil (CCCM 41), Turnhout 1976, p. 217.

Bruno Reudenbach

Reliquien von Orten. Ein frühchristliches Reliquiar als Gedächtnisort

I. Eine der größten und bedeutendsten Reliquiensammlungen im Westen wurde im Palastkomplex des römischen Lateran verwahrt, in der dem hl. Laurentius geweihten Kapelle, die spätestens seit dem 9. Jahrhundert als Hauskapelle des Papstes diente und Ende des 13. Jahrhunderts durch Papst Nikolaus III. ihre heutige Gestalt erhielt.1 Eine Vielzahl von Objekten – Pyxiden, Ampullen, Kästchen, Stoffe – zählte zum päpstlichen Reliquienschatz, auch eine capsa mit den Sandalen Christi und zwei von Papst Paschalis (817–824) im frühen 9. Jahrhundert gestiftete Kreuze, ein goldenes, emailliertes Reliquienkreuz, das Späne vom Kreuz Christi enthielt und in einer silbernen capsa geborgen war, sowie ein heute verlorenes Gemmenkreuz, dessen kreuzförmiger Silberbehälter erhalten ist und in dessen Mitte die Vorhaut Jesu als Reliquie verwahrt wurde. Auch ein Diptychon aus dem 8. Jahrhundert mit den Bildnissen der Apostel Petrus und Paulus gehörte in dieses Ensemble, in das, möglicherweise schon um die Mitte des 9. Jahrhunderts, auch die Häupter der beiden Apostelfürsten gelangten. Schon im 8. Jahrhundert findet schließlich das berühmte Acheiropoieton, das Bild Christi, das einer späteren Legende nach vom Evangelisten Lukas gemalt worden war, die erste Erwähnung.2 Sancta Sanctorum – so wurde diese Reliquiensammlung mit der alttestamentlichen Bezeichnung für das Allerheiligste des Bundeszeltes und des Templum Salomonis genannt, ehe dieser Name die ganze Kapelle bezeichnete.3 So ließ Papst Leo III. (795–816) in Anlehnung an die alttestamentliche Bundeslade für die wertvollsten Stücke dieses Schatzes einen Schrein aus Zypressenholz anfertigen. Dieser Holzschrein wurde in den Hauptaltar der Kapelle eingestellt; auf Innozenz III. (1198–1216) geht dann nicht nur die Silberverkleidung für das über dem Altar aufgestellte Acheiropoieton zurück; er ließ auch die Zypressenlade unter dem Altar mit schweren Bronzetüren verschließen.4 Schon diese knappe Skizze des Umfangs, der Ausstattungs- und Aufbewahrungsgeschichte des Reliquienschatzes in Sancta Sanctorum belegt den außergewöhnlich hohen Rang der hier versammelten Objekte. Unter diesen ist ein

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eher unscheinbares, das sich anscheinend nicht mit dem Attribut ›kostbar‹ belegen läßt, und das auch deshalb, obwohl fast immer erwähnt und häufig abgebildet, bisher nur wenig Aufmerksamkeit gefunden hat: ein schlichtes Holzkästchen, das bei einer Höhe von 4 cm etwa 18,5 cm und 24 cm in Breite und Länge mißt.5 Das Kästchen, wohl aus dem 6. Jahrhundert stammend, ist mit einem flachen hölzernen Deckel verschlossen und im Innern mit einer Füllmasse ausgegossen, in die Steine und Holzstückchen eingelassen sind (Abb. 1–3). Die Innenseite seines Deckels ist bemalt und zeigt in drei Registern fünf Szenen der Vita Christi.6 Einige der ehemals in den Füllmörtel eingedrückten Steine sind verloren, haben aber einen deutlichen Abdruck hinterlassen. Mehrere der Steine tragen griechische Beschriftungen und geben damit ihre Herkunft zu erkennen: Απ ζωοπΟΙΟΥ ΑναστΑσεως (vom lebenspendenden Ort der Auferstehung), Απ Ορους ΕλαιΩν (vom Ölberg), Απ ΒηθλεΕμ (von Bethlehem) Απ ΣιΩν (von Sion).7 Nicht nur im äußeren Erscheinungsbild, auch mit seinem Inhalt stellt das Holzkästchen aus Sancta Sanctorum offenbar einen besonderen Fall dar. Sicherlich – das Reliquienwesen kennt nicht nur die Verehrung von Körperreliquien, von Gebeinteilen der Heiligen, sondern ebenso die von vielerlei anderen Materialien, von denen man glaubte, daß sie jeweils durch die Berührung mit den Heiligen ihre Wirk- und Heilskraft erlangt hätten. Schon früh ist die Gewinnung solcher Sekundärreliquien gut belegt, zum Beispiel durch die in diesem Zusammenhang immer wieder erwähnte Nachricht bei Gregor von Tours, der davon berichtet, daß Pilger auf das Petrusgrab in Rom Tücher herabließen, die durch die Berührung mit dem Märtyrergrab an Gewicht zunahmen, weil sie nun mit der göttlichen virtus des Apostels aufgeladen waren.8 Doch sind damit die in dem Holzkasten zusammengestellten Steine nicht von vornherein gleichzusetzen. Ihre Beschriftung stellt keinen Bezug zu einem Heiligen oder zur Person Jesu her, sondern vermerkt allein eine Ortsbezeichnung. Was aber zeichnet einen Ort aus, daß von ihm herrührende Steine im Reliquienschatz von Sancta Sanctorum gesammelt und verehrt werden können, daß er demnach ein ›heiliger Ort‹ ist? Noch aus einem weiteren Grund kann das Steinreliquiar aus Sancta Sanctorum unsere Aufmerksamkeit beanspruchen. Der so einfach anmutende hölzerne Kasten ist nicht auf die Sammlung und Aufbewahrung der Steine beschränkt; dieser Inhalt wird vielmehr ästhetisch aufbereitet und aufgewertet. Der Deckel ist innen und außen bemalt; auch die Steine selbst sind, trotz ihrer ganz unterschiedlichen Form und Größe, keineswegs wahllos in den Kasten gegeben, sondern bilden deutlich eine Figur, ein Kreuz, das von zwei Diagonalen geschnitten wird. Damit ergeben sich komplexe Relationen und Interdependenzen zwischen den Steinen in ihrer Materialität, der durch ihre Anordnung gebildeten geometrischen Figur, den in ihrer Beschriftung aufgerufenen Orten und den Bildern des Deckels innen und außen. Die Beziehungen zwischen der Form eines Reliquiars und dem Reliquieninhalt stellen ein für die Gattung ›Reliquiar‹ konstitutives Problem dar.9 Diese Konstitutionsbedingun-

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1.  Reliquiar aus Sancta Sanctorum (Città del Vaticano, Musei della Biblioteca Apostolica Vaticana), 6. Jahrhundert (?)

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2.  Reliquiar aus Sancta Sanctorum, Deckel, Innenseite (Città del Vaticano, Musei della Biblioteca Apostolica Vaticana)

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3.  Reliquiar aus Sancta Sanctorum, Kasteninneres mit Reliquien der loca sancta (Città del Vaticano, Musei della Biblioteca Apostolica Vaticana)

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gen sind am Steinreliquiar aus Sancta Sanctorum bereits voll entfaltet, das sich damit, jenseits seiner spezifischen Besonderheiten, paradigmatisch geradezu als Auftakt einer Gattungsgeschichte verstehen läßt.

II. Wie die Beschriftungen mitteilen, stammen die Steine aus Palästina, von Orten, an denen heilsgeschichtlich bedeutsame Ereignisse des Lebens Jesu stattfanden, Stätten, die erst seit dem 4. Jahrhundert als ›heilig‹, als loca sancta angesehen wurden.10 So kennt die Bibel keine heiligen Orte und schon gar nicht die Vorstellung vom ›Heiligen Land‹.11 Auch ist dem Christentum diese Vorstellung ursprünglich fremd. Eine Schlüsselstelle ist dafür in der biblischen Überlieferung die Erzählung des Johannes-Evangeliums von der Samariterin am Jakobsbrunnen, die Jesus die Frage stellte, ob man Gott auf dem Berg Garizim oder in Jerusalem anbeten solle. Darauf erhält sie die Antwort: »Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet … Aber die Stunde kommt und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit … Gott ist Geist, und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten« (Io 4,19–24). In diesem Sinne wurde in der frühen Kirche explizit die Auffassung propagiert, daß Spiritualität, Gottesverehrung ›im Geist und in der Wahrheit‹ das Christentum auszeichne und es damit gerade nicht an die Materie von Orten gebunden sei.12 Aus dieser Haltung resultiert schon die Reserviertheit gegenüber dem Bau eigener Sakral- und Kulträume. Die Omnipräsenz Gottes, die es unmöglich mache, ihn in Gebäude aus Stein einzuschließen, ist ein Gemeinplatz der frühen Apologetik; Tempel Gottes seien die einzelnen Gläubigen und die Gemeinde, Gott wohne im Herzen, nicht in Gebäuden. So heißt es im frühen 3. Jahrhundert bei Minucius Felix: ›Glaubt ihr etwa, wir müßten den Gegenstand unserer Verehrung verbergen, nur weil wir keine Tempel haben? …. Was für einen Tempel sollte ich ihm errichten, da doch die ganze Welt, das Werk seiner Hände, ihn nicht zu fassen vermag? … Sollten wir Gott da nicht besser in unserem Herzen verehren, ihm nicht in unserem Inneren ein Heiligtum weihen?‹.13

Diese wohl bekannten Argumente werden aber nicht nur gegen den Kirchenbau, sondern auch gegen die Verehrung von Orten angeführt. Wohl auch aus der Konkurrenzsituation zur Metropole Jerusalem leugnet z. B. Eusebius von Caesarea jegliche Bedeutung der Stadt Jerusalem für das Christentum. Für die Juden sei Jerusalem von Bedeutung; für die Christen aber könne die ›heilige‹ Stadt allein das Himmlische Jerusalem sein.14 Hieronymus und Gregor von Nyssa schildern Jerusalem ausführlich als Hauptstadt der Kriminalität im 4. Jahrhundert. Gregor schließt daraus, daß es mit den heiligen Stätten dieser Stadt nichts auf sich haben könne.

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›Was wird derjenige denn für einen Gewinn erlangen, der an jene Orte geht, als ob der Herr auch jetzt noch lebendig sei … oder als ob in Jerusalem der Hl. Geist überfließt? … Wenn an den Stätten Jerusalems mehr Gnade vorhanden wäre, dann dürfte bei den Einwohnern doch die Sünde nicht so häufig und gewöhnlich sein. Aber es gibt keine Art der Unreinheit, die von ihnen nicht begangen wird.‹15

Nirgendwo auf der Welt würden, so Gregor, Menschen einander so bereitwillig umbringen wie in Jerusalem.16 Radikal änderte sich die Bewertung des Pilgerwesens vor allem durch den römischen Kaiser Konstantin, dessen Mutter Helena im Jahr 327 Palästina bereiste. In einem groß angelegten Bauprogramm realisierte Konstantin ein Konzept, das in Palästina loca sancta auszeichnete und mit Kirchenbauten besetzte, die für den sich nun verstärkenden Pilgerstrom Zielpunkte und Verehrungsstätten markierten.17 Im Großraum Jerusalem waren es vor allem drei heilige Orte, die zu Stätten der Verehrung bestimmt und ausgebaut wurden und von denen auch mehrere der Steine in dem Reliquiar aus Sancta Sanctorum stammen: die Geburtshöhle in Bethlehem, der Komplex der Grabeskirche beim Golgathafelsen und die Kirche auf dem Ölberg. Man hat darin eine Orientierung am christologischen Teil des Glaubensbekenntnisses gesehen, der sich mit diesen Orten verbinden lässt: die Geburt Jesu mit Bethlehem, Tod und Auferstehung mit Golgatha und die Himmelfahrt mit dem Ölberg.18 Damit werden auch die schon antiken Theoreme bedeutsam, in denen die Zusammenhänge von ›Ort‹ und ›Erinnerung‹ reflektiert sind. Dies sind nicht die imaginierten Räume und Orte der Gedächtniskunst, der Mnemotechnik, die vorgestellten Orten beim Memorieren einer Rede, eines argumentativen Zusammenhangs, eines Sachverhaltes die Funktion von Gedächtnisstützen zuwies. Es geht vielmehr zunächst um den natürlichen Raum, um Orte und Landschaften als Erinnerungszeichen, als Mnemotop. Schon Cicero wies Orten die Fähigkeit zu, Erinnerung erst generieren zu können. Seiner Meinung nach ließ unmittelbare Anschauung von Orten, an denen sich erinnerungswürdige Männer aufgehalten haben, diese gleichsam wieder lebendig werden. Der Aufenthalt an einem derartigen Ort hinterlasse einen stärkeren Eindruck als das Lesen der Schriften oder das Erzählen der Taten dieser historischen Gestalten. Den Orten eigne eine Kraft der erinnernden Vergegenwärtigung, eine vis admonitionis.19 Die materielle Dauer eines Ortes sichert den Fortbestand der Erinnerung, der Ort bildet eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, wobei diese Gegenwart mit ihren Kulten und Legenden die Gedächtnisorte und die materielle Topographie mit einer imaginären, religiösen und legendarischen überlagert.20 Seit dem 4. Jahrhundert mehren sich die Stimmen, die in diesem Sinne Besuch und Verehrung der loca sancta in Palästina neu bewerten. So entfernt sich Eusebius unter dem Eindruck des konstantinischen Palästina-Konzeptes und des damit verbundenen Bauprogramms von seiner zuvor vertrete-

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nen Position und wird zu einem Propagandisten der heiligen Stätten. In seiner Vita Constantini überliefert er den Brief Konstantins an Makarios, den Bischof von Jerusalem, in dem das unter einem heidnischen Tempel zum Vorschein gebrachte Grab Christi als ›der wunderbarste Ort der Welt‹ und als ein ›Zeugnis für das Leiden des Erlösers‹ gerühmt wird, als ein ›heiliger Ort, …, der schon von Anfang an nach dem Ratschluß Gottes geheiligt war, doch noch heiliger geworden ist, seitdem er das Zeugnis des Erlösers ans Licht gebracht hat.‹21 Es ist wohl nicht zufällig ein Bischof Jerusalems, Cyrill von Jerusalem, der um die Mitte des 4. Jahrhunderts die ältere Geringschätzung materieller Orte umkehrt und im Gegenteil ganz auf die sinnliche Wahrnehmung der heiligen Stätten als Zeugnisse für die Wahrheit des Evangeliums setzt.22 ›Doch darf man nie müde werden, die Lehre vom gekrönten Herrscher (Christus) zu hören, vor allem hier auf dem hochheiligen Golgatha. Während die anderen nur von ihm hören, sehen und berühren wir ihn.‹ Das Sehen des Ortes wird für Cyrill zu Zeugnis und Beweis der Passion: ›Der Herr ist gekreuzigt worden. Dafür hast du Zeugnisse. Du siehst den Golgatha.‹23

III. Schon früh ist nachweisbar, daß sich dieses Sehen und Berühren nicht nur auf die Orte generell bezog, sondern konkreter auf noch wahrnehmbare Spuren der Präsenz Jesu. Dazu zählten körperliche Abdrücke, die Jesus hinterlassen hatte, insbesondere die Spuren seiner Füße, die von der Himmelfahrt auf dem Ölberg herrührten und als Beleg der beiden Naturen Christi galten: Als Mensch hatte er Fußspuren hinterlassen, als Gott wurde er in den Himmel erhoben.24 Die Überlieferung dieser Fußspuren ist so dicht, ihre Zeugniskraft so hoch, daß sie auch Eingang in die mittelalterliche Himmelfahrtsikonographie fanden.25 Schon Helena soll, wie Eusebius berichtet, ›den Fußspuren des Erlösers die gebührende Verehrung erwiesen‹ haben.26 Im Bericht des gallischen Bischofs Arculf von seinem Besuch Palästinas, der von Adamnanus im 7. Jahrhundert in der Schrift De locis sanctis überliefert ist, wird die Möglichkeit der visuellen Aneignung des biblischen Ereignisses am authentischen Ort pla­stisch geschildert, und die damit zugleich überlieferte Grundrißzeichnung der Himmelfahrts­ kirche auf dem Ölberg sichert diese Authentizität noch in der schriftlichen Überlieferung. ›Auf dem ganzen Ölberg scheint kein Ort höher zu sein als der, von dem aus der Herr der Überlieferung nach in den Himmel aufgefahren ist. Dort steht eine große Rundkirche mit drei von Gewölben überdachten Säulenhallen ringsum. Das Zentrum der Rundkirche aber liegt ohne Dach und Gewölbe zum Himmel hin offen unter frischer Luft, …, damit von jenem Ort aus – an den zuletzt die göttlichen Fußspuren gesetzt worden waren, als der Herr in einer Wolke zum Himmel emporgehoben wurde – für die Augen der an diesem Ort Betenden immer ein unverstellter und zum Himmel gerichteter Weg offenstehe.‹27

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Und Adamnanus, der den Bericht des Arculf überliefert, stellt fest, daß dieser Bericht mit anderen Nachrichten übereinstimme, die fehlende Bedeckung des Gebäudezentrums stelle sicher, ›daß alle Besucher deutlich sehen könnten und daß die an diesem Ort im Staub abgebildeten Fußspuren des Herrn klar erkennbar gezeigt würden.‹28 Die Aneignung des Ortes blieb nicht auf die visuelle Begegnung und physischen Kontakt beschränkt; es wurde üblich, sich seiner ganz buchstäblich zu bemächtigen und Materie der loca sancta zu entnehmen. Arculf verbindet das mit einem die Heiligkeit beweisenden Wunder, denn die Fußspuren Jesu blieben im Staub sichtbar, ›obwohl der Glaube der zusammenströmenden Menge täglich von der durch den Herrn betretenen Erde etwas wegnimmt, erleidet die Fläche dennoch keinen sichtbaren Schaden und der Boden behält weiterhin dasselbe Aussehen, wie von eingeprägten Fußspuren gezeichnet.‹29 Arculf berichtet von einem großen bronzenen Rad (aerea grandis rota), wohl eine runde Einfassung der Himmelfahrtsstätte, die nicht nur den Blick auf die Fußspuren möglich machte, sondern durch eine Tür eigens auch die Entnahme von Staub sicherstellte.30 Was am Ölberg offenbar gang und gäbe war und geduldet wurde, wurde auf Golgatha unterbunden, denn Splitter vom Kreuz waren so begehrt, daß man scharfe Sicherheitsmaßnahmen bei der Kreuzverehrung an Karfreitag ergreifen mußte, um den Gegenstand der Verehrung nicht dezimieren zu lassen. Im Pilgerbericht der Egeria aus dem 4. Jahrhundert findet sich die bekannte Schilderung, daß beim Küssen des heiligen Holzes ›irgendwann einmal jemand zugebissen und einen Splitter vom Kreuz gestohlen haben soll; deshalb wird es nun von den Diakonen … so bewacht, daß ­keiner, der herantritt, wagt, so etwas wieder zu tun.‹31 Diese Aneignung von Orten und Gegenständen der Theophanie durch die Entnahme von Materialien ist eng verwandt mit der Gewinnung von Berührungsreliquien und mit Praktiken, die auch aus der frühen Heiligen- und Märtyrerverehrung bekannt sind. Die konstantinische Konzeption der heiligen Stätten des Lebens Jesu lehnte sich also an eine Vorstellung an, die, von antiken Voraussetzungen ausgehend, im christlichen Märtyrerkult schon früher, vor dem 4. Jahrhundert, entfaltet wurde.32 Die Wirk-, Wunder- und Segenskräfte eines Märtyrers glaubte man über seinen Tod hinaus mit dem Leichnam, mit seiner Todes- oder Grabesstätte verbunden; hier fand demnach der Märtyrerkult seinen Platz. Die virtus der Märtyrer war an den Leib und damit auch an den Ort gebunden, an dem dieser Leib begraben war. Diese Bindung von Begräbnisstätte und Gedächtnisort bildet eine Grundfigur des frühchristlichen Pilgerwesens. Analog dazu kann auch der Kult der heiligen Stätten in Palästina begriffen werden, wobei freilich noch zu bestimmen ist, was dann als Substitut des Märtyrerleibes zu gelten hat. Richtet man das Augenmerk zunächst auf die Kultpraxis, so läßt sich feststellen, daß die aus dem Märtyrer- und Reliquienkult bekannte Überzeugung, die Segenskräfte der Heiligen könnten durch Berührung mit den Reliquien oder dem Grab auch auf andere materielle Träger übergehen, im gleichen Maße

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4.  Pilgerampulle, Vorderseite: Kreuzigung (Stuttgart, Württembergisches Landesmuseum), 6./7. Jahrhundert

5.  Pilgerampulle, Rückseite: Die Frauen am Grab (Stuttgart, Württembergisches Landesmuseum), 6./7. Jahrhundert

auch für die loca sancta gelten. Darauf ist der Brauch zurückzuführen, von der Pilgerreise Segensandenken (eulogiai) mitzubringen.33 Dazu zählten nicht nur direkt von den heiligen Orten entnommene Steine oder Erde, wie dies Arculf für den Staub vom Ort der Himmelfahrt überliefert, Eulogien, die besonders hoch geschätzt waren. Daneben sind aber auch zahlreiche andere Arten von Eulogien aus Schriftquellen wie durch die materielle Überlieferung bekannt: Haare, Holz, Tücher, Terrakotta, Wachs oder Öl. Eulogien dienten besonders zur Prophylaxe, etwa zum Schutz vor Unwetter oder vor Schlangenbissen, und genereller zu medizinischen Zwecken.34 Ihnen kamen demnach ähnlich wie Berührungsreliquien Heil- und Segenskräfte zu; sie waren mit der virtus des Ortes aufgeladen. Diese Kräfte erlangten sie aber oft nicht durch wirkliche Berührung mit einer heiligen Stätte, sondern allein durch die Anwesenheit an diesem Ort. Dies gilt beispielsweise für das in den bekannten Bleiampullen transportierte Öl, wenn es den Lampen, die an den heiligen Stätten brannten, entstammte.35 Daneben konnte aber auch seine unmittelbare Herkunft aus Reliquien, etwa vom Kreuz behauptet werden, aus dem dieses Öl herausgetropft sei. Diese Herkunft war häufig auch schriftlich dokumentiert und die Eulogie durch Inschriften authentifiziert wie ΕΛΑΙΟΝ ΞΥΛΟΥ ΖΩΗΣ ΤΩΝ ΑΓ(ίων) ΤΟΠΩΝ (Öl vom Holz des Lebens der heiligen Stätten) (Abb. 4, 5).36

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IV. Das Kästchen aus Sancta Sanctorum steht deutlich in dieser Tradition; auch seine Steine sind mit der genauen Herkunftsbezeichnung versehen. Damit ist zugleich für die einzelnen Stücke ihre Herkunft vom authentischen Ort beansprucht und bezeugt. Diese Intention läßt sich auch in den Bildern des Deckels verfolgen, wenn als Darstellung der Auferstehung die Szene mit den Frauen und dem Engel am leeren Grab gewählt ist. Der Grabbau erscheint dabei nicht in der historischen, sondern in der zeitgenössischen Form mit der Kuppel der Anastasis-Rotunde und der darunter stehenden Ziboriumsarchitektur des eigentlichen Grabes. Derartige bildliche Bezeugungen von Wallfahrtsstätte und Herkunftsort sind auch von Pilgerampullen gut bekannt (Abb. 5).37 Doch geht das Holzkästchen aus Sancta Sanctorum durch die Zusammenstellung von Materialien von verschiedenen Herkunftsorten, durch die Form dieser Zusammenstellung und durch die Kombination mit Bildern über die Praxis der Eulogien weit hinaus, so daß sich mit Recht von einem Reliquiar sprechen läßt. Die Herkunftsorte, die durch die Inschriften genau verifizierbar sind, werden in ihrer Materialität durch die Steine realiter anwesend. Es sind nicht Sekundärmaterialien, denen durch die Anwesenheit an einer heiligen Stätte nun Heilkräfte zukommen, sondern sie beanspruchen, Primärmaterialien zu sein: Diese Steine sind selbst Teil der materiellen Orte, die damit zugleich aus ihrer geographischen Bindung entlassen sind. Die in den Steinen greifbaren heiligen Stätten sind aus der konkreten Topographie Jerusalems gelöst – dabei bleibt aber die sakrale Kraft und Aufladung des sanktifizierten Ortes im Material erhalten, das pars pro toto für den heiligen Ort steht. Man könnte also von ›Ortsreliquien‹ sprechen.38 Zugleich geht die Lösung aus der natürlichen Topographie einher mit der Einbindung in eine imaginierte Sakraltopographie, die durch den Kasten visualisiert ist, der umgekehrt damit die sakrale Wirkkraft der Materie sichtbar macht. Leitidee dieser Sakraltopographie ist die Hinordnung der heiligen Stätten, der durch die Steine materiell gegenwärtigen Stätten, auf Christus. Anschaulich wird diese christologische Sublimierung der Orte durch die Disposition der Ortsreliquien im Reliquiar, durch die von den einzelnen Partikeln gebildete Figuration eines Kreuzes mit Diagonalen. Eine eindeutige Leseanweisung für diese Figur findet sich auf der Rückseite des Kastendeckels: Sie zeigt das Kreuz in einer Mandorla auf dem Golgathahügel (Abb. 6). Das Kreuz ist von zwei Diagonalen durchschnitten, die das griechische Chi bilden und auf diese Weise das Kreuz mit dem Monogramm Christi, mit dem ersten Buchstaben seines Namens, verschränken. In den oberen Bildzwickeln erscheint der Name Jesus Christus durch die vier griechischen Buchstaben IC XC in der Abbreviatur als nomen sacrum. Im Kasteninneren bilden entsprechend die durch die Steine gegenwärtigen Orte mit der prononcierten Kreuz-Chi-Figur eine christologische Topographie. Diese ist mit der frühchristlichen Kreuzesspekulation in einen Zusammenhang gebracht. Seit der Patristik wurde das aus der plato-

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6.  Reliquiar aus Sancta Sanctorum, Deckel, Außenseite (Città del Vaticano, Musei della Biblioteca Apostolica Vaticana)

nischen Philosophie bekannte Welt-Chi christlich als Diagonal- oder Chi-Kreuz reflektiert und auf verschiedenste Weise kosmologisch gedeutet. So erkannte man z. B. in der diagonalen Durchkreuzung der beiden großen Himmelskreise von Äquator und Ekliptik die universale Heilswirkung des Kreuzes, das mit seinen Armen die gesamte Welt umspannt.39 Auf den Schauseiten frühmittelalterlicher Reliquiare, mit dem Bursenreliquiar aus Enger (Berlin, Kunstgewerbemuseum; Abb. 7) und dem Reliquiario del Dente aus dem Domschatz in Monza als den prominentesten Beispielen, ist dieses Thema im Edelsteinbesatz entfaltet. Das Doppelkreuz aus achsialem und diagionalem Kreuz wird bei diesen Reliquiaren durch die um einen zentralen Stein gruppierten Edelsteine gebildet, eine Konstellation, die demnach im ›Steinkasten‹ aus Sancta Sanctorum schon einen frühen Vorläufer hat.40 Die Ortsreliquien der loca sancta sind dort zu einer vom Kreuz geprägten Sakraltopographie zusammengefügt, in der das Wirken Christi durch die Orte vergegenwärtigt wird. Dies geschieht nicht im Sinne einer Landkarte, an der die reale Topographie nachvollziehbar wäre, sondern so, daß die aus den loca sancta gebildete ideale Topographie die erneuerte Welt zeigt, die durch das Wirken

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7.  Bursenreliquiar aus Enger, Vorderseite (Berlin, Kunstgewerbemuseum), 9. Jahrhundert

Christi neu geschaffene und erlöste Welt im Zeichen des Kreuzes. Bekanntermaßen wird als räumlich-topographische Pointe dieser Vorstellung der Golgathahügel zum Mittelpunkt, von dem aus das Kreuz in die vier Himmelsrichtungen und Weltregionen reicht. Es kann kaum überraschen, daß Cyrill von Jerusalem nicht nur die physische Begegnung mit den Heilsstätten, sondern auch diese kosmologische Überhöhung Golgathas propagierte: ›Ausgestreckt hat er seine Hände am Kreuze, um den ganzen Erdkreis zu umfassen. Denn der Mittelpunkt der Erde ist Golgatha hier.‹41 Auf diese ideelle Überlagerung des Ortes bezieht sich die Anordnung der Reliquien im Kasten aus Sancta Sanctorum nicht nur durch die Disposition in Form des Chi-Kreuzes, sondern auch dadurch, daß der Stein aus dem Anastasis-Komplex Jerusalems in der Mitte plaziert ist. Gespiegelt wird dies in den Bildregistern des Deckels, die der Kreuzigung das zentrale Bildfeld zuweisen. Dabei ist Christus nicht am Kreuz hängend dargestellt, sondern wie auf dem Golgathahügel mit ausgebreiteten Armen stehend. Ihre nächste Parallele hat diese besondere Darstellungsform in Kreuzigungsdarstellungen auf Pilgerampullen (Abb. 4) oder in der des berühmten, im Jahre 586 in dem syrischen Klo­

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ster in Zagba entstandenen Rabbula-Evangeliars.42 Mit dieser Ikonographie ist möglicherweise explizit auf die von Cyrill von Jerusalem formulierte Vorstellung angespielt, Christus umfasse bei der Kreuzigung die Welt von ihrem Zentrum aus, dem Berg Golgatha. Damit wäre die zentrale Positionierung der Kreuzigungsszene wie des Steins aus der Anastasis auch ikonographisch unterstützt.

V. Darüber hinaus ergibt sich keine weitere direkte Korrespondenz zwischen der Position eines der Bildfelder und der einer die Orte verkörpernden Reliquie.43 Doch stellt die Objektform des Kastens auch ohne diese direkte Korrespondenz die Ortsreliquien im Kasten in eine Beziehung zum Bildzyklus auf dem Deckel. Bei geschlossenem Kasten sind im Innern die Reliquien mit den Bildszenen zusammengebracht, sind idealtypisch Ort und Ereignis miteinander verbunden, die loca sancta in Reliquien und die vita Christi im Bildzyklus mit der Geburt unten links, über die Taufe am Jordan, Kreuzigung und Auferstehung bis zur Himmelfahrt oben rechts. Zugleich ist durch die Darstellung außen die christologische Bestimmung des Inhalts angezeigt, ist auf das universale Erlösungswerk Christi verwiesen und auf dessen historisch-topographische Verankerung, indem sich das Doppelkreuz in der Mandorla über dem Hügel Golgatha erhebt. Unterstellt man, daß nach der Öffnung Deckel und Kasten neben­ einander zu sehen sind, so treten dann unterschiedliche thematische Positionen mit der Reliquienformation im Kasten einerseits und dem Bildzyklus andererseits in einen Dialog. Das Reliquiar leistet also die Veranschaulichung der für die loca sancta und der für die Reliquien dieser Orte konstitutiven Bedingungen. Diese Reliquien sind im strengen Sinne nicht wirklich Berührungsreliquien; heilig sind sie eigentlich nicht aufgrund einer Berührung mit dem Leib Jesu. Sie sind, wie erwähnt, direkt von den loca sancta entnommene Materie oder aber Sekundärmaterialien, die sich in physischer Nähe zu diesen Orten befunden haben. Die Orte wiederum beziehen ihre Sakralität nicht einfach daher, daß sich dort Jesus einmal aufgehalten hat, sondern weil sich dort die herausragenden Ereignisse der biblischen Geschichte vollzogen, weil es durch die Bibel überlieferte Orte sind, an denen sich Heilsgeschichte konkretisierte. Der physische Ort wiederum vermag dann, seit dem Wandel der Auffassung im 4. Jahrhundert, die Wahrheit der biblischen Geschichte zu bezeugen. Golgatha ist für Cyrill von Jerusalem sichtbares Zeugnis der Kreuzigung; der Ölberg beweist die Himmelfahrt.44 Sanktifiziert sind die Orte durch die Heilsereignisse; ihre Verehrung als loca sancta setzt auf die Beziehung zwischen den Orten und den heilsrelevanten Ereignissen der biblischen Geschichte, also genau auf die Beziehung, die durch die Objektform des Reliquiars hergestellt wird, wenn es die Materialität der Orte mit Zeit und biblischer Geschichte im Bildzyklus verbindet. Die Anlage-

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konzeption des Reliquiars aus Sancta Sanctorum folgt damit den Konditionen der heiligen Stätten, wo sich Ort und geschichtliches Ereignis gegenseitig bedin­ gen. So stellt sie der zentralisierten Figuration der Orte, der Idealtopographie der erlösten Welt, den Verlauf der biblischen Geschichte durch die in Registern gestaffelte Abfolge der Bilder auf dem Deckel gegenüber. In dieser Konfrontation wird die Qualität der Ortsreliquien als materielle Beweise der Heilsgeschichte erhalten und gefestigt. Die Inschriften beglaubigen wie Authentiken die Herkunft der Reliquien, die als materielle Orts-Partikel die Wahrheit der in den Bildern repräsentierten Geschichte beweisen. Mit der Bindung des Ortes an bestimmte Ereignisse wurden die loca sancta in besonderer Weise zu Orten des Gedächtnisses. Das Gedächtnisritual erneuert die an den Ort gebundene Geschichte; Ort, Geschichte und Ritual bilden die einen locus sanctus konstituierende Einheit.45 Wenn die Pilger die heiligen Stätten aufsuchten, so begaben sie sich auf den geschichtlichen Boden der biblischen Überlieferung und der Heilsereignisse. Die Beziehung von Ort und Ereignis, die Gewinnung der Stätten aus den Geschichten der Bibel kommt hier zur Sprache, aber damit auch die vis admonitionis dieser Orte, ihre Kraft, die Erinnerung an diese Ereignisse hervorzurufen. War, wie bereits erwähnt, für die Frühzeit des Pilgerwesens ein eher historiographisches oder philologisches Interesse maßgebend, so wurde seit dem 4. Jahrhundert beim Ansehen und Berühren der heiligen Stätten die biblische Vergangenheit neu vergegenwärtigt, vor allem durch Nacherzählung oder rituelle Nachahmung der vergangenen Ereignisse, deren Wirkung dadurch für die Gegenwart erneuert wurde.46 In Gebet und Lesung gedachte man des Heilsereignisses, das biblische Ereignis wurde am authentischen Ort in der liturgischen Feier gegenwärtig. In ihrem schon erwähnten Pilgerbericht notiert Egeria dies ausdrücklich, wenn sie schreibt: ›Folgendes ist hier vor allem sehr schön und bewundernswert, daß die Hymnen, Antiphonen und sogar die Lesungen und Gebete, die der Bischof spricht, immer einen solchen Inhalt haben, daß sie für den Tag, der gefeiert wird, und für den Ort, an dem sie begangen werden, immer passend und angemessen sind.‹47

Die Ergänzung von Ort und Geschichte durch das vergegenwärtigende litur­ gische Ritual findet ein Echo auch in der Gestaltung des Reliquiars: Die fünf Szenen des Kastendeckels »entsprechen bestimmten Kirchen – bei der Taufe jedenfalls einem festen Ort – im Raum Jerusalems und lassen sich den Christusfesten des Kirchenjahres zuordnen.«48 Neben dieser an den liturgischen Gedächtnisfeiern des Kirchenjahres orientierten Gesamtdisposition scheint das Changieren zwischen biblischer Vergangenheit und liturgischer Gegenwart am historischen Ort auch in einzelnen Darstellungen auf. In die biblischen Ereignisse ist ein liturgisches Signal geblendet, wenn unter der Ziboriumsarchitektur des heiligen Grabes deutlich ein durch ein Kreuz gezeichneter Altarstein zu sehen ist. Auch den mit einer Nische versehenen Unterbau der Krippe in der Geburtshöhle kann man als Altar, die Krippe als Opferaltar verstehen.49

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VI. So dokumentiert das Reliquiar aus Sancta Sanctorum eine hochkomplexe und reflektierte Anlagekonzeption. In geschlossenem Zustand zeigt es eine Figuration aus Kreuz, Buchstabe, Namensabbreviatur und Golgathahügel als Veranschaulichung einer topographisch-kosmologisch aufgeladenen Christologie. Diese ist im Innern konkretisiert und entfaltet mit den Ortsreliquien, die durch die Korrespondenz mit der durch Bilder repräsentierten Heilsgeschichte als loca sancta ausgewiesen und durch Beschriftungen bestätigt sind. Die Ortsreliquien wiederum sind zu einer idealen Sakraltopographie zusammengefügt als anschauliches Pendant der christologischen Figuration auf der Außenseite. Die Kraft der loca sancta als Gedächtnisorte erweist sich in der Verbindung, die das Sehen und Berühren des authentischen Ortes mit der rituellen Vergegenwär­ tigung des Ereignisses eingeht – so nehmen die Darstellungen liturgische Elemente auf, so folgt der Bildzyklus insgesamt den Christusfesten des Kirchenjahres. Schon in diesem frühen Beispiel eines Reliquiars ist also zu beobachten, und dies ist für die Geschichte dieser Gattung von hoher Bedeutung, daß eine Beschränkung allein auf die Präsentation der authentischen Reliquienmaterie, die zudem bei geöffnetem Kasten noch gänzlich frei zutage liegt, offenbar als nicht hinreichend angesehen wurde. Vielmehr werden die Reliquien zusammen mit dem durch das Reliquiar entfalteten Zeichen- und Bildangebot in ein komplexes Verweissystem integriert. Dieses spiegelt die Konstitutionsbedingungen der Herkunftsorte dieser Reliquien, der loca sancta in Palästina, führt zugleich die gegenseitige Beglaubigung von Bildern und Reliquien vor und entwickelt ein Deutungs- und Verständnisangebot. Der Kasten aus dem Schatz von Sancta Sanctorum folgt damit einigen Grundzügen der Gattung ›Reliquiar‹, wie sie auch noch im frühen und hohen Mittelalter relevant sind. In der Konzeption des Reliquiars ist damit kein Unterschied gemacht zwischen Körperpartikeln von Heiligen einerseits und den Ortsreliquien, die als Christusreliquien gewertet werden müssen. Dem entspricht der Sammlungskontext von höchst bedeutsamen Reliquien, zu dem das Reliquiar in Sancta Sanctorum gehörte, aber auch die aufwendige Gestaltung des Kastens, die über eine Zusammenstellung einfacher Devotionalien weit hinausgeht.50 Der erinnernde Nachvollzug am Gedächtnisort eines locus sanctus in Andacht und Gebet wurde schon von Eusebius anlässlich der Wallfahrt der Helena und danach noch zahlreich mit einem Bibelwort begründet, mit Ps 132,7: Adorabimus in loco ubi steterunt pedes eius. – ›Wir werden ihn an dem Ort anbeten, an dem seine Füße standen.‹51 In einem Reliquienverzeichnis, das ein Diakon Johannes nach einer Vorlage des 11. Jahrhunderts im 12. Jahrhundert von Sancta Sanctorum überliefert, führt dieser Johannes eine Reihe wertvoller Steine (linea pretiosorum lapidum) aus dem Heiligen Land an, darunter offensichtlich auch diejenigen aus unserem Reliquiar. Diese Steine erwähnt er aber nicht zusammen mit dem Inhalt der Zypressenlade, sondern nachdem er die über dem

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Altar hängende imago Salvatoris, mirabiliter depicta in quadam tabula, quam Lucas evangelista designavit erwähnt hat.52 ›Unter deren Füßen‹, sub cuius pedibus, werden die Steine aufbewahrt, und dieses Arrangement überliefert auch noch Nicolaus Maniacutius im frühen 18. Jahrhundert nach einem Traktat des 12. Jahr­ hunderts. Auch er schreibt, der ordo de lapidibus Terrae sanctae befinde sich ad pedes … Salvatoris imaginis.53 Es hat den Anschein, daß damit noch im 12. Jahrhundert ein Reflex des frühchristlichen Gebrauchs von Ps 132,7 zu greifen ist. In der hochverehrten, durch Prozessionsrituale geradezu zum Leben erweckten Ikone ist Christus selbst gegenwärtig, in den Ortsreliquien der Steine aber auch der ›Ort, an dem seine Füße standen‹. Das Reliquiar aus Sancta Sanctorum löst diesen Ort aus dem Heiligen Land und ist darin Reliquiaren mit Heiligenreliquien vergleichbar, durch die der Heiligenkult von der Bindung an die ­eigentliche Grabstätte befreit ist. Wie die virtus der Heiligen ist die Erinnerungs- und Heilskraft der Orte an Reliquien gebunden. Sie sind im Reliquiar ver­sammelt, das nun einen neuen, mobilen Gedächtnisort bildet.

1 Hartmann Grisar, Die römische Kapelle Sancta Sanctorum und ihr Schatz, Freiburg i. Br. 1908. 2 Zu den einzelnen Reliquiaren Grisar (wie Anm. 1); außerdem AK 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn, hg. von Christoph Stiegemann – Matthias Wemhoff, 3 Bde., Mainz 1999, hier Bd. 2, S. 644f. (Aposteldiptychon), S. 650–660 (Kreuze und Stoffe); zu den Kreuzreliquiaren auch AK Or­namenta Ecclesiae, hg. von Anton Legner, 3 Bde., Köln 1985, Bd. 3, S. 82–86; Eric Thunø, Image and Relic. Mediating the Sacred in Early Medieval Rome (Analecta Romana Instituti Danici. Suppl. 32), Rom 2002; zum Acheiropoieton Gerhard Wolf, Salus Populi Romani. Die Geschichte römischer Kultbil­ der im Mittelalter, Weinheim 1990, bes. S. 61–65. Eine konzise Zusammenstellung der Quellen und der Überlieferung zum Reliquienschatz in Sancta Sanctorum auch bei Andreas Matena, Das Allerheiligste und der Papst. Die Selbstdarstellung des Papsttums in Raum, Bild und Zeremoniell der lateranischen Palastkapelle Sancta Sanctorum im 13. Jahrhundert. Unveröffentl. Diplomarbeit, Kath.Theol. Fakultät, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster 2004. Ich danke Andreas Matena herzlich für die Überlassung seiner Arbeit. 3 Otto Nussbaum, Sancta Sanctorum, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 54, 1959, S. 232–246, hier S. 243.

4 Herbert L. Kessler – Johanna Zacharias, Rome 1300. On the Path of the Pilgrim, New Haven – London 2000, S. 38–63; Thunø (wie Anm. 2) S. 160–166 (zur Zypressenlade). 5 Grisar (wie Anm. 1) S. 113–117; AK Ornamenta Ecclesiae (wie Anm. 2) Bd. 3, S. 80f.; Leonhard von Matt, Die Kunstsammlungen der Biblioteca Apostolica Vaticana Rom, Köln 1979, S. 171; Margaret E. Frazer, Holy Sites Representations, in: AK Age of Spirituality. Late Antique and Early Christian Art, hg. von Kurt Weitzmann, New York 1979, S. 564–591, hier S. 564; Gabriele Mietke, Wundertätige Pilgerandenken, Reliquien und ihr Bildschmuck, in: AK Byzanz. Die Macht der Bilder, hg. von Michael Brandt – Arne Effenberger, Hildesheim 1998, S. 40–55, hier S. 40–43 und S. 155, Nr. 13. 6 Zu den Bildszenen des Deckels Charles R. Morey, The Painted Panel from the Sancta Sancto­ rum, in: FS Paul Clemen, Düsseldorf 1926, S. 151–167; Kurt Weitzmann, Eine vorikonokla­ stische Ikone des Sinai mit der Darstellung des Chairete, in: Tortulae. Studien zu altchristlichen und byzantinischen Monumenten, hg. von Walter Nikolaus Schumacher (Römische Quartalschrift, Supplementheft 30), Rom – Freiburg – Wien 1966, S. 317–325, hier S. 323ff.; Ders., Loca Sancta and the Representational Arts of Palestine, in: Dumbarton Oaks Papers 28, 1974, S. 31–55. 7 So die Inschriften bei Morey (wie Anm. 6) S. 151; danach auch Mietke (wie Anm. 5) S. 40;

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weitere erkennbare Beschriftungen sind seither offenbar noch nicht entziffert. 8 Gregor von Tours, Liber in gloria Martyrum, hg. von Bruno Krusch (MGH SS rer.mer. I,2), Hannover 1885, S. 484–561, hier c. 27, S. 504: Mirum dictu! Si fides hominis praevaluerit, a tumulo palliolum elevatum ita imbuitur divina virtute, ut multo amplius, quam prius pensaverat, ponderetur. – Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 1994, S. 156f. 9 Bruno Reudenbach, Reliquiare als Heiligkeitsbeweis und Echtheitszeugnis. Grundzüge einer problematischen Gattung, in: Vor­träge aus dem Warburg-Haus 4, hg. von Wolf­gang Kemp u. a., Berlin 2000, S. 1–36; Ders. – Gia Toussaint, Die Wahrnehmung und Deutung von Heiligen. Überlegungen zur Medialität von Reliquiaren, in: Das Mittelalter 8, 2003, S. 34–40. 10 Francine Cardman, The Rhetoric of Holy Places, in: Studia Patristica XVII,1, 1982, S. 18–25; E. D. Hunt, Holy Land Pilgrimage in the Later Roman Empire AD 312–460, Oxford 1982; Jonathan Z. Smith, To Take Place. Toward Theory in Ritual, Chicago 1987, S. 74–95; Sa­bine MacCormack, Loca Sancta: The Organization of Sacred Topography in Late Antiquity, in: The Blessings of Pilgri­mage, hg. von Robert Ousterhout, Urbana 1990, S. 7–40; P. W. L. Walker, Holy City, Holy Places? Chri­ stian Attitudes to Jerusalem and the Holy Land in the Fourth Century, Oxford 1990; Joan E. Taylor, Christians and the Holy Places. The Myth of JewishChristians Origins, Oxford 1993; Robert A. Mar­ kus, How on Earth Could Places Become Holy? Origins of the Idea of Holy Places, in: Journal of Early Chris­tian Studies 2, 1994, S. 257–271. 11 Othmar Keel – Max Küchler – Christoph Uehlinger, Orte und Landschaften der Bibel, Bd. 1, Zürich – Einsiedeln – Köln 1984, S. 285ff. 12 Josef Engemann, Das Jerusalem der Pilger. Kreuzauffindung und Wallfahrt, in: Akten des XII. Internationalen Kongresses für Christliche Archäologie, Bonn 22.–28. September 1991, Bd. 1 (Studi di Antichità Cristiana 52,1 = Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsbd. 20,1), Città del Vaticano – Münster 1995, S. 24–35, hier S. 24f. 13 Minucius Felix, Octavius, 32,1f.; Markus (wie Anm. 10) S. 264. Deutsche Übersetzung nach: Michael Fiedrowicz, Christen und Heiden. Quellentexte zu ihrer Auseinandersetzung in der Antike, Darmstadt 2004, S. 283.

14 Walker (wie Anm. 10) S. 69; Markus (wie Anm. 10) S. 259. Vgl. zum weiteren Kontext Christoph Markschies, Himmlisches und irdisches Jerusalem im antiken Christentum, in: La Cité de Dieu. Die Stadt Gottes, hg. von Martin Hen­gel – Siegfried Mittmann – Anna Maria Schwemer (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 129), Tübingen 2000, S. 303–350 (mit umfangreicher Bibliographie). 15 Gregor von Nyssa, Epistula 2 (Migne PG 46), Sp. 1012CD; Übersetzung nach Engemann (wie Anm. 12) S. 25. 16 Gregor von Nyssa, Epistula 2 (Migne PG 46), Sp. 1012D; Jörg Ulrich, Wallfahrt und Wallfahrtskritik bei Gregor von Nyssa, in: Zeitschrift für antikes Christentum 3, 1999, S. 87–96. Zur Kritik Gregors und zu ähnlichen Äußerungen von Hieronymus auch Gün­ter Stemberger, Juden und Christen im Heiligen Land. Palästina unter Konstantin und Theodosius, München 1987, S. 102ff.; Cardman (wie Anm. 10) S. 20; Walker (wie Anm. 10) S. 19; Engemann (wie Anm. 12) S. 25. 17 Bernhard Kötting, Peregrinatio religiosa. Wallfahrten in der Antike und das Pilgerwesen in der alten Kirche (Forschungen zur Volkskunde 34/35), Münster 1950, S. 89–111; E. D. Hunt, Constantine and Jerusalem, in: Journal of Ecclesiastical History 48, 1997, S. 405–424; Richard Klein, Die Entwicklung der christlichen Palästina-Wallfahrt in konstantinischer Zeit, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 85, 1990, S. 145–183; Stemberger (wie Anm. 16) bes. S. 49–76; vgl. auch die in Anm. 10 angegebene Literatur. Zu den konstantinischen Bauten Richard Krautheimer, Early Chris­ tian and Byzantine Architecture, 3. rev. Aufl. Har­ mondsworth 1981, S. 60–70, 77f.; zur Reise Helenas und der Legende der Kreuzauffindung Hunt (wie Anm. 10) S. 28–49; Stefan Heid, Der Ursprung der Helenalegende im Pilgerbetrieb Jerusalems, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 32, 1989, S. 41–71; knappe Zusammenfassung zur Kreuzauffindung und zum frühen Kreuzkult bei Holger A. Klein, Byzanz, der Westen und das ›wahre‹ Kreuz (Spätantike – Frühes Chris­tentum – Byzanz, Reihe B, 17), Wiesbaden 2004, S. 19–31. 18 Egeria, Itinerarium – Reisebericht (lat.deutsch), übers. und eingeleitet von Georg Röwekamp (Fontes Christiani 20), Freiburg i. Br. u. a. 1995, hier Einleitung, S. 45.

39 Reliquien von Orten 19 Wilhelm Pohlkamp, Tradition und Topographie: Papst Silvester I. (314–335) und der Drache vom Forum Romanum, in: Römische Quar­talschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 78, 1983, S. 1–100, hier S. 1ff. Der Beziehung zwischen Ort und Erinnerung, dem lieu de mémoire zwischen Topographie und Tradition, ging erstmals umfassend gerade an den loca sancta im Heiligen Land nach Maurice Halbwachs, Topographie légendaire des Evangiles en Terre Sainte, Paris 1941, deutsche Neuausga­ be: Ders., Stätten der Verkündigung im Heiligen Land. Eine Studie zum kollektiven Gedächtnis, hg. und übers. von Stephan Egger (édition discours 21), Konstanz 2003. Halbwachs bildet damit einen Ausgangspunkt der neueren kulturwissenschaftlichen Gedächtnistheorien um Gedächtnisorte, -bezirke und -räume. 20 Smith (wie Anm. 10). 21 Eusebius von Caesarea, Vita Constantini 3,30; deutsche Übersetzung nach: Eusebius von Caesarea. Ausgewählte Schriften 1, eingeleitet von Andreas Bigelmair (Bibliothek der Kirchenväter), Kempten – München 1913, S. 116. – Klein (wie Anm. 17) S. 163f. 22 Jan Willem Drijvers, Cyril of Jerusalem: Bishop and City (Supplements to Vigiliae Christianae 72), Leiden – Boston 2004, S. 153–176; Ders., Promoting Jerusalem: Cyril and the True Cross, in: Portraits of Spiritual Authority, hg. von Jan Willem Drijvers – John W. Watt (Religions in the Graeco-Roman World 137), Leiden – Boston – Köln 1999, S. 79–95. 23 Cyrill von Jerusalem, Katechesen 13,22f. (Migne PG 33), Sp. 800BC – deutsche Übersetzung nach: Cyrill von Jerusalem, Katechesen, übers. und eingeleitet von Philipp Haeuser (Bibliothek der Kirchenväter), Kemp­ten – München 1922, S. 220f. – Markus (wie Anm. 10) S. 259; Walker (wie Anm. 10) S. 329; Drijvers, Cyril (wie Anm. 22) passim, bes. S. 155ff. 24 Bernhard Kötting, Fußspuren als Zeichen göttlicher Anwesenheit, in: Ders., Ecclesia peregrinans. Gesammelte Aufsätze, 2 (Mün­sterische Beiträge zur Theologie 54, 2), Münster 1988, S. 34–39, hier S. 37ff.; Ders., Artikel: Fuß, in: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 8, Stuttgart 1972, Sp. 722–743, hier Sp. 739ff.; Max Küchler, Die ›Füße des Herrn‹ (Eus., DE 6,18). Spurensicherung des abwesenden Kyrios an Texten und Steinen als eine Aufgabe der historisch-kritischen

Exegese, in: Ders. – Christoph Uehlinger (Hgg.), Jerusalem. Texte – Bilder – Steine (Novum Testamentum et orbis antiquus 6), Freiburg – Göttingen 1987, S. 11–35. 25 Andrea Worm, Steine und Fußspuren Chri­sti auf dem Ölberg. Zu zwei ungewöhnlichen Motiven bei Darstellungen der Himmelfahrt Christi, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 66, 2003, S. 297– 320, hier S. 307–314 zur Überlieferung der Fußspuren und zur Himmelfahrts-Kirche; Küchler (wie Anm. 24) S. 22–27. 26 Eusebius von Caesarea, Vita Constantini 3,42; deutsche Übersetzung nach: Eusebius von Caesarea. Ausgewählte Schriften (wie Anm. 21) S. 120. 27 Adamnanus, De locis sanctis, hg. von Ludwig Bieler, in: Itineraria et alia geographica (CCL 175) Turnhout 1965, S. 175–234, hier c. 23, 1–3, S. 199: In toto monte Oliueti nullus alius locus altior esse uidetur illo de quo Dominus ad caelos ascendisse traditur, ubi grandis eclesia stat rotunda, ternas per circuitum cameratas habens porticos desuper tectas. Cuius uidelicet rotundae eclesiae Interior domus sine tecto et sine camera ad caelum sub aere nudo aperta patet,…, ut de illo loco in quo postremum diuina institerant uestigia cum in caelum Dominus in nube sublatus est uia semper aperta et ad ethera caelorum directa oculis in eodem loco exorantium pateat. Abweichende deutsche Übersetzung bei Herbert Donner, Pilgerfahrt ins Heilige Land. Die ältesten Berichte christlicher Palästinapilger (4.–7. Jahrhundert), Stuttgart 1979, S. 363ff. 28 Adamnanus, De locis sanctis (wie Anm. 27) c. 23, 9, S. 200: … ut semper manifeste ab uniuersis eius frequentatoribus conspiciatur et Dominicorum uestigia pedum in eiusdem loci puluere depicta clare demonstrentur. – Zum Ver­langen nach Blickkontakt und Berührung sowie zur Entnahme von Materialien John Wilkinson, Jerusalem Pilgrims before the Crusades, Warminster 1977, S. 40ff. 29 Ebd. 23, 5, S. 200: … cum cotidie confluentium fides a Domino calcata diripiat, damnum tamen arena non sentit et eandem adhuc sui speciem ueluti inpraesis signata uestigiis terra custodit. 30 Ebd. 23, 6f., S. 200. 31 Egeria, Itinerarium (wie Anm. 18) 37,2, S. 272f. – Engemann (wie Anm. 12) S. 33. 32 Peter Brown, Die Heiligenverehrung. Ihre Entstehung und Funktion in der lateinischen Christenheit (The Cult of the Saints, Its Rise and Function in Latin Christianity, Chicago 1981),

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Leipzig 1991, Kap. I: Das Heilige und die Grabstätte; Angenendt (wie Anm. 8) S. 125–128. Zur Anlehnung der heiligen Stätten an den Märtyrerkult Markus (wie Anm. 10) S. 270; Engemann (wie Anm. 12) S. 31; Klein (wie Anm. 17) S. 152ff. 33 Kötting (wie Anm. 17) S. 403–413; ­ Alfred Stuiber, Artikel: Eulogia, in: Realle­xikon für Antike und Christentum, Bd. 6, Stuttgart 1966, Sp. 900– 928, hier Sp. 925–928 (Eulogia als Devotionalien); Margarete Wei­de­mann, Reliquie und Eulogie. Zur Begriffsbestimmung geweihter Gegenstände in der fränkischen Kirchenlehre des 6. Jahrhunderts, in: Die Ausgrabungen in St. Ulrich und Afra in Augsburg 1961–1968, hg. von Joachim Wer­ner (Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 23), München 1977, S. 353–373; Lieselotte Kötzsche-Breitenbruch, Pilgerandenken aus dem Heiligen Land, in: Vivarium. FS Theodor Klauser (Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsbd. 11), Münster 1984, S. 229–246; Josef Engemann, Eulogien und Votive, in: Akten des XII. Internationalen Kongresses für Christliche Archäologie, Bd. 1 (Studi di Antichità Cristiana 52,1 = Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsbd. 20,1), Città del Vaticano – Münster 1995, S. 223–233; Brigitte Klausen-Nottmeyer, Eulogien – Transport und Weitergabe von Segenskraft, in: ebd. Bd. 2 (Studi di Antichità Cristiana 52,2 = Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsbd. 20,2), Città del Vaticano – Mün­ ster 1995, S. 922–927. 34 Klausen-Nottmeyer (wie Anm. 33) S. 923. 35 André Grabar, Les Ampoules de Terre Sainte (Monza – Bobbio), Paris 1958; Josef Engemann, Palästinensische Pilgerampullen im F. J. DölgerInstitut in Bonn, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 16, 1973, S. 5–27; Mietke (wie Anm. 5) S. 43ff. 36 Pilgerampulle, Stuttgart, Württembergisches Landesmuseum, Inv.-Nr. 1980–205b. – KötzscheBreitenbruch (wie Anm. 33); Miet­ke (wie Anm. 5) S. 44, 46, Abb. 32; S. 155, Kat.-Nr. 15. 37 Morey (wie Anm. 6) S. 153–157; Weitzmann, Loca sancta (wie Anm. 6) S. 41f., Abb. 23f.; Mietke (wie Anm. 5) S. 40. 38 Die Verwandtschaft mit manchen Konzepten der Verwendung von Spolien wäre eine eigene Untersuchung wert. Zum Spolien­konzept am Heiligen Grab, allerdings ohne die Relationen zum Reliquienkult zu entwickeln, Robert Ousterhout, Architecture as Relic and the Construction

of Sanctity, in: Journal of the Society of Architectural Historians 62, 2003, S. 4–23; ähnlich schon Ders., Flexible Geography and Transportable Topography, in: The Real and the Ideal Jerusalem in Jewish, Christian, and Islamic Art, FS Be­zalel Narkiss, hg. von Bianca Kühnel = Jewish Art 1997/98, Jerusalem 1998, S. 393–404 (behandelt nur Spolien in der Architektur und Architekturkopien). 39 Hugo Rahner, Griechische Mythen in christlicher Deutung, Freiburg 31966, S. 58–66; Stefan Heid, Kreuz, Jerusalem, Kosmos. Aspekte frühchristlicher Staurologie (Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungs­bd. 31), Münster 2001, S. 13–105. Zur Ikonographie des Kosmoskreuzes Otto Karl Werck­meister, Irisch-northumbrische Buchmalerei des 8. Jahrhunderts und monastische Spiritualität, Berlin 1967, S. 147–162; Ders., Die Bedeutung der Chi-Initialseite im Book of Kells, in: Das erste Jahrtausend. Kunst und Kultur im werdenden Abendland an Rhein und Ruhr, Bd. 2, hg. von Victor H. Elbern, Düsseldorf 1964, S. 687–710; Victor H. Elbern, Bildstruktur – Sinnzeichen – Bildaussage. Zusammenfassende Studie zur unfigürlichen Ikonographie im frühen Mittelalter, in: Arte medievale 1, 1983, S. 17–37, hier bes. S. 22–25. 40 Ohne Hinweis auf das Reliquiar aus Sancta Sanctorum, aber mit reichem Vergleichsmaterial aus der spätantiken und frühmittelalterlichen Zierkunst Victor H. Elbern, Das Engerer Bursenreliquiar und die Zierkunst des frühen Mittelalters, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 10, 1971, S. 41–102; 13, 1974, S. 37–96. 41 Cyrill von Jerusalem, Katechesen 13,28 (Migne PG 33), Sp.805B; deutsche Übersetzung (wie Anm. 23) S. 224. – Rahner (wie Anm. 39) S. 60; Walker (wie Anm. 10) S. 254–260; Drijvers, Cyril (wie Anm. 22) S. 156. 42 Florenz, Biblioteca Medicea-Lauren­zia­na, Cod. Plu. I, 56, fol. 13r. – Morey (wie Anm. 6) S. 159ff.; Weitzmann, Loca sancta (wie Anm. 6) S. 40f.; Mietke (wie Anm. 5) S. 43f. 43 Das gilt zumindest, wenn der Deckel geschlossen ist und Bilder wie Reliquien nicht sichtbar sind. Wird der Deckel neben den geöffneten Kasten gelegt (Abb. 1), so entspricht die Position der Himmelfahrt im oberen Register rechts der des Steins vom Ölberg ebenfalls oben rechts. Morey (wie Anm. 6) S. 151 konstatiert irrtümlich eine fehlende Chronologie der Bildszenen und be-

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merkt: »The order of the episodes as they appear on the panel is neither chronological nor liturgical … Neither do the scenes correspond exactly with the labels of the souvenirs in the box.« Daß seine Annahme »It would seem therefore that the panel was painted, and the box prepared, without specific reference to the present contents« nicht zutrifft, wird aus meinen Überlegungen ersichtlich. 44 Cyrill von Jerusalem, Katechesen 10, 19; 13, 39 (Migne PG 33), Sp. 687A; 820A; deutsche Übersetzung (wie Anm. 23) S. 158, 233. – Cardman (wie Anm. 10) S. 22; Drijvers, Cyril (wie Anm. 22) S. 156. Zur Zeugenschaft der Orte auch MacCormack (wie Anm. 10) S. 21ff. 45 Smith (wie Anm. 10) S. 86: »In Jerusalem story, ritual and place could be one.« 46 Hunt (wie Anm. 10) S. 107–127; Röwekamp, Einleitung (wie Anm. 18) S. 107–115. 47 Egeria, Itinerarium (wie Anm. 18) 47,5, S. 302–305. 48 Georg Kretschmar, Festkalender und Memorialstätten Jerusalems in altkirchlicher Zeit, in: Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins 87, 1971, S. 167–205, hier S. 177. Zur Entwicklung der

Orte und Liturgie auf besondere Weise verbindenden Stationsliturgie in Jerusalem John F. Baldovin, The Urban Character of Christian Worship. The Origins, Development, and Meaning of Stational Liturgy (Orientalia Christiana Analecta 228), Rom 1987, S. 45–104. 49 Weitzmann, Loca sancta (wie Anm. 6) S. 36f., 41f. Schon Weitzmann hat »die Verquickung von Hinweisen auf die heiligen Stätten mit liturgischen und kultischen Elementen« bemerkt: Ders., Ikone (wie Anm. 6) S. 325. 50 Dazu ist auch der Goldgrund einiger Bild­ szenen zu rechnen: Morey (wie Anm. 6) S. 166. 51 Eusebius von Caesarea, Vita Constantini (wie Anm. 21) 3, 42, S. 120f.; Röwekamp (wie Anm. 18) S. 63; Klein (wie Anm. 17) S. 160f. 52 Johannes Diaconus, Descriptio Latera­nen­sis Ecclesiae, in: Codice topographico della città di Roma, Bd. 3, hg. von Roberto Valentini – Giu­ seppe Zucchetti, Rom 1946, S. 319–373, hier c. 13, S. 356f. 53 Nicolaus Maniacutius, De sacra imagine SS. Salvatoris in Palatio Lateranensi tractatus, Rom 1709, c. 10, S. 21f.: Porro ad pedes supradictae Salvatoris Imaginis unus est ordo de lapidibus Terrae sanctae.

Brigitte Buettner

From Bones to Stones – Reflections on Jeweled Reliquaries

In the earliest preserved account of martyrdom, the Life of St Polycarp, written some time after the middle of the second century, we read that when the saint had uttered his final amen on the pyre, the flames burst out around his body like a protective vault within which the bystanders saw not what one would expect, a clump of burning flesh, but rather a shining body, ›like gold or silver smelting in a furnace,‹ a body, moreover, that released the most pleasant of fragrances. Brief as it is, this remarkable passage sets forth qualities that will continue to color the hagiographic imagination during the entire Middle Ages, with its long procession of saints secreting the sweet odor of sanctity and pulsating through light-filled auras; its congregation of bones transmuted into something luminous and priceless, of dead matter transvalued into a shining material. Yet, as if this latter analogy needed to be warded off, Polycarp’s vita hastens to add that the saint’s relics ›were dearer than precious stones and finer than gold.‹1 I would like to explore here some of the reasons that allowed this particular comparison to be drawn: why it is that bones could be thought of in the same breath as stones, why too gems were used so conspicuously and consistently on the reliquaries that encased saints’ earthly remains. In other words, what follows is not going to be about Edelsteinallegorese, the prodigious edifice of medieval allegorical interpretations so admirably studied by Christel Meier in her book ›Gemma spiritalis.‹ Working in the interstices of that edifice, I wish to offer a more anthropologically inflected study of a facet of what can be called the material imagination in the Middle Ages; a probing of the web of associa­ tions that allowed for incommensurable things to be brought together across the seemingly great divide cleaving the otherworldly from the earthly, the invisible from the visible, the animate from the inanimate.2 Many scriptural passages encouraged the topos of the saint’s body as being infinitely more valuable than any costly matter – Job’s plangent meditation on the precious ores mined beneath the earth’s crust, where sapphire and onyx and crystal and coral are hidden but God’s wisdom cannot be found (Iob 28), or Ps 18,11, with its injunction to desire the Lord more than gold and precious

44 Brigitte BuetTner

stones, are but two such instances. The comparison appears in almost any kind of medieval source, from hymns, exegetical, homiletic and devotional litera­ ture, to collections of exempla and didactic treatises, even down to Christine de Pizan’s early fifteenth-century manual of behavior for exemplary womanly conduct, the ›Treasure of the City of Ladies,‹ in which the author exclaims: ›What in this world is more pleasant or more delectable to those who desire worldly riches than gold and precious stones? But yet those riches cannot enhance an ambitious person as much as virtues do.‹3

Comparing and contrasting saints and stones was an especially ubiquitous exer­ cise in hagiography; metaphors of saints as heavenly jewels, of virtues more radiant than gems return again and again. The Life of St Agnes (fig. 1) offers a particularly nice example insofar as it stretches the topos into a narrative that plays throughout with opposed value systems. Precipitating her earthly demise, the young girl is said to have spurned the jewels her suitor Procopius had offered, because she preferred to adorn herself with the treasures promised by her celestial bridegroom. In Jacobus de Voragine’s retelling, Agnes announces to the young man that ›[my spouse] has placed a wedding ring on my right hand and a necklace of precious stones around my neck, gowned me with a robe woven with gold and jewels.‹ And she concludes by professing her faith, the belief that her ethereal lover already holds her close, has united his body to hers, and has shown her ›incomparable treasures,‹ which he promises to bestow on her as long as she remains true to him.4 One could also refer to the Life of St Eligius (d. 660), the celebrated Merovingian bishop and maker of marvelous reliquaries. According to his hagiographer, the holy man would undo his work and rip apart the ›golden bracelets, jeweled purses, and other gold and gems‹ in order to re-deploy them in the economics of charity, to ransom slaves and succor the poor. And the author goes on to stress that the saint’s elegant attire was but a veil concealing the true riches hidden beneath the hair shirt that covered his flesh, those ›ornaments of good which are so precious that he earned them as his heavenly reward.‹5 The same idea can be found in one of the earliest developed accounts of the cult of relics, the De laude sanctorum, composed by Victricius, bishop of Rouen, about 396. He wrote this encomium to welcome the relics (minutiae, he terms them once) sent by his friend Ambrose, the powerful bishop of Milan and likewise a key figure in the development of the cult of saints. Celebrating the arrival of the ›troop of the saints‹ in his city along the lines of a Roman adventus, Victricius develops the comparison several times, as when he recalls the thick crowd of people that hastened toward the newly arrived bodies and in its midst the chaste women adorned with the light-giving ornaments of the Psalms rather than with showy jewelry, which, following Paul, is but dung, stercorum.6 At the same time, and just as ubiquitously, saints were said to be like precious stones, as glorious an ornament of heaven as gems were of the physical

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1.  Procopius offering a box of jewels to Agnes. Lid of the Royal Gold Cup (London, British Museum), French, ca. 1380

world. The most powerful justification for this convergence was provided by the Heavenly Jerusalem and its promise of an everlasting life bathed in the splendor anticipated by precious stones. For in defiance of human engineering that most perfect architectural utopia, built on the precious cornerstone, the Christ-stone rejected by men but to whom the lapides vivi will ascend (Is 28,16; I Pt 2,4), is not only made of pure gold ›shining as clear as glass‹ but has foundations adorned with twelve precious stones.7 References to the Heavenly Jerusalem specifically abound in hagiographic writings. To take just one exam­ ple: in his Life of Ailred of Rievaulx (d. 1167), Walter Daniel compares the saint’s miracles to gems before evocatively describing his last four years as an effort to compact ›the ark of his life within the breadth of a single cubit,‹ to keep ›the fabric of a pure temple, his body, in good repair‹ and to square and polish ›all the stones of the spotless sanctuary, his breast.‹8 He was not alone in thinking that saints had extricated themselves from a life of dull sinfulness through their impeccable virtue, their ever so vigilant chastening of flesh and impure thoughts. Like stones, humans could only throw off their best light once they had been worked upon by expert hands, the hardships through which God had tested them. The ›Annolied,‹ composed about 1070–80 at the abbey of Siegburg to promote the memory of the recently deceased founder, an avid collector of relics and equally avid enforcer of episcopal authority in his city of Cologne, ­explicitly resorts to this parallel when it compares the trials imposed by the supreme aurifaber to a goldsmith’s repeated efforts to polish a topaz.9

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Yet the metaphor of the Heavenly Jerusalem, spiritual as it may have been, was not always beyond brick-and-mortar. Pouring gems into the foundations of important monuments as a propitiatory gesture had been a widespread prac­ tice in the ancient Mediterranean world, and is, perhaps more surprisingly, attested to in the Middle Ages. The famous and famously jewel-enamored Suger reports that in 1140 after King Louis VII, the bishops, abbots, and he himself had laid the first stones in the crypt of Saint-Denis to support the new chevet, some deposited gems onto them all the while chanting the hymn lapides preci­osi omnes muri tui.10 After all, the lapides vivi themselves could morph into mineral creatures, be it Hyacinth, Agate, Margaret (pearl), Gemma, Hyppolitus (built on the Rock), Ambrose (amber) and even St Denis, whose name some derived from dionysia, a black gem held to be useful against drunkenness. In one of the most complex reflections on reliquaries and their interaction with the holy ashes they contain, Thiofrid of Echternach (d. 1110) took the Heavenly Jerusalem on a lengthened, three-step associative journey. Since (1) the glorious city is the saints’ heavenly abode, (2) it is only fitting they be honored with the most precious materials on earth, (3) provided we remember to behold them with our spiritual eyes, which tell us that the real treasures lie inside – treasures that justify, even redeem, what remains otherwise worthless and vile, the dung that clings to our carnal eyes.11 If saints were spiritually precious it was by virtue of double displacement that turned what is worthless (bony fragments, human waste, ashes and dust) into something priceless (a relic), while what seems most valuable unmasked itself as dead and meaningless. That this semantic process was at the same time an economic one can be garnered from the prestige that both relics and precious stones enjoyed as commodities throughout the Middle Ages. Ever since Isidore of Seville, the preciousness of precious stones was considered to be one of their first and foremost characteristic; and, as with saints, that was a consequence of their rarity, their being sparsely scattered amid the sea of coarse matter and common fallibility.12 When looking at the early medieval purse reliquary of St Stephen in the Schatzkammer in Vienna (fig. 2), whose front is profusely strewn with stones, it is easy to forget how much a surface of rarities this would have been, how each stone had to be patiently collected, whether recycled from earlier pieces; received as a pious gift, in which case it often came from personal jewelry; purchased through the long-distance trade of luxury goods; or stolen from enemy booty.13 The magnificent Carolingian bursa appears to be literally carpeted with gems;14 it is a miniature mineralogical museum of sorts, an epiphany of preciousness that must have dazzled contemporary viewers while reminding them of their own lackluster status. By tradition, the reliquary protected some (lost) earth soaked with the blood of the protomartyr Stephen, himself not unacquainted with stones. Yet the object shields that physical legacy from our view, thereby suggesting that the martyr’s blood, in imitation of that shed by Christ, has been cleared of its impure status and has been transmuted instead into the most desirable of substances, more desirable than

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2.  Purse reliquary of St Stephen (Wien, Schatzkammer), ca. 800–830

the stones we see, for had St Peter not said, ›You know that you were ransomed from the futile ways inherited from your fathers, not with perishable things such as silver and gold, but with the precious blood of Christ‹ (I Pt 1,18–19). Unlike later reliquaries, such as the exquisite Bohemian Passion reliquary in Baltimore discussed by Silke Tammen in this volume (cf. Tammen’s fig. 1), where a ruby inserted in the middle of the crown of thorns speaks of martyrdom, the purse offers but a faint echo of the drama that lies buried behind its densely shimmering surface. Dark red garnets, whose unequal contours are emphasized by large collets, let the eye discern several crosses, one large em­ bracing the entire vertical front and four smaller ones in each of the corners.15 Yet no matter how distant in time and different in form, both objects rely on precious stones for their visual impact as well as for their meaning, one sparingly, the other abundantly. And while that so tangible metaphorics is predicated on the similitudo of the sacrificial blood to preciousness and the color red, contrasts

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nourished by the vast reservoir of dissimilitudines are just as much at work here: not only the paradox of unassuming leftovers having more value than the most pristine materials, but also the paradox of blood and dust or splinters of wood hardened into gleaming substances; the paradox, too, of believing but not seeing and of seeing yet not believing. Victricius of Rouen had been almost painfully alert to these tensions when he felt compelled to impress it upon his barely Christianized audience that the ›small relics‹ and the ›little blood‹ that were entering their city were not an expendable nothing, but, on the contrary, some essential stuff that shines ›more than the sun.‹16 The crosses articulated by the dark red stones on St Stephen’s purse are framed by a multicolored border made, besides garnets, of amethysts and sapphires and emeralds, which are also used, though smaller in size, as fillers next to pearls and stones of yellow hues. The resulting composition is one of both finely articulated chromatic patterns and harmonious overall luminous effect. And that is important because luminosity was the main property whereby stones and bones could be gathered in one and the same physical and conceptual place. It founds the image of the Heavenly Jerusalem; combined with the comparative topos, it informs the verses inscribed on the rim of the Ambrose tomb-altar in Milan, crafted by Master Vuolvinus at the behest of Bishop Angilbert about 840 (fig. 3): ›Carrying life, the resplendent shrine decorated with gems shines beautifully on the outside on account of the sparkling beauty of the metals. But it is in the interior that the real treasure lies, more precious than any metal, for it is has been given the holy bones.‹17

Richly sheeted with gem-studded silver and gold as this powerful altar is, the inscription demands from the beholder no less than a paradoxical way of seeing, asking us to look through the seductive matter upon which our gaze may be tempted to rest. In a correspondingly opposite move, luminous phenomena could assume an almost hyperrealist value in the cult of saints, notably when the faithful saw rays of light surging from saintly tombs or witnessed their apparition in the shape of glowing balls.18 We tend to forget, however, that stones too could be blessed with an illuminating power that went well beyond their generic physical characteristics. Thus the chronicle of Evesham Abbey reports that the shrine of its patron saint, Ecgwine, set up in the middle of the eleventh century, was decorated with ›three gems which illuminated a large part of the church at night‹ while the famous early eleventh-century, miracle-working crucifix at Waltham Abbey was not only expertly carved from a black stone (ex atro silice) but sported a gem, apparently of a lower voltage, capable of providing ›a dim light which enables those standing round to see.‹19 The splendor of medieval reliquaries, then, is not simply a matter of transfiguration. This is always light embodied, light tied to matter, to earth and water, just as saints are also and always made of bones and sinews and blood. And it

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3.  Ambrose Altar. Top rear side (Mailand, S. Ambrogio), ca. 840

is a fact that an object like St Stephen’s purse shines in reality considerably less vividly than when seen in reproductions, which have the unfortunate tendency to flatten out its tactile asperities, to brighten its dark alloyed gold, turning what is a massive, corrugated and numinously glowing surface into a glossy fiction. Because they come in different hues, sizes, and densities, the stones animate its front side into an ever-shifting visual experience that would have been considerably heightened when seen under flickering candlelight. This pulsating quality is likewise present on many Romanesque versions of the crux gemmata, such as the one in the treasury of the cathedral of Fritzlar, later associated with King Henry II (fig. 4).20 Though many of the stones are according to Theo Jülich’s patient examinations later replacements, some of the more important ones are authentic, including several variegated agates and the large cameo set at the bottom, carved with the paradisiacal motif of birds drinking from a cup. The exquisitely crafted mounts and little platforms that separate them from the background proper are original as well. Neither inert object nor incorporeal sign, such a weighty jeweled cross presents itself as a glorious coagulation of artifice and nature, sacrifice and redemption, mystery and revelation. Conceived as an intricate assemblage of miniature Heavenly Jerusalems capped by different dome-stones, the general impression it conveys is one of varietas, of difference within sameness: saints shared that too with stones, for just as the latter’s appearance changed without altering their belonging to the same (mineral) essence, so saints were comparably graduated depending on

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4.  So-called Henry Cross (Fritzlar, Museum des St. Petri Domes), 11th or early 12th century

their merita, though they all came together in the communio sanctorum. With one exception, that is, for none of the stones matches in appearance the one at the center, a flat oval rock crystal that enlarges the small splinters of the True Cross and therefore fastens our gaze onto what otherwise might get lost among the surrounding bounty. As the most perfectly colorless stone, thought to be congealed ice, rock crystal carried connotations of purity and baptism and was often associated with Christ, whose divine luminosity likewise fundamentally differed from that associated with angels or the elect.21 Later alterations should warn us against iconological readings. But even in instances where we can be reasonably confident that we are looking at the original state, attempts to extend this type of analysis to entire objects are quickly frustrated. A range of interpretations, congruent as well as divergent, can be applied to each kind of stone; conversely, many different stones can symbolize Christ and, for that matter, any saint, virtue or moral value. On surviving jew­ eled crosses, the typology of the gems inserted in the center is almost endless, encompassing not only the unblemished rock crystal or red sacrificial stones, but also the highly valued celestial sapphire. In fact, the specific species of stone was not as important as its quality, which required that it had to be a particularly striking specimen, whether of unusual size or purity or else a spolia of

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ancient provenance.22 In other words, there was no simple one-to-one correspondence between a stone and its referent, and one can say that what confronts us when looking at reliquaries sometimes strewn with hundreds of stones is a fertile web of associations that are neither entirely random nor completely reducible to language. Stones are bearers of the most memorable optical effects; much as we try, they are always in excess of verbal translations. To borrow Georges Didi-Huberman’s fine phrasing, stones tug the visible away from the legible and open up the dimension of the visual, for they are coated with the flavor of what is at once here, elsewhere and in between.23 There was one last strand of associations that brought relics and bones together, something that had less to do with the way they looked than with what they did. If in the view of many world-weary exegetes a radical gulf separated the sacramental matter that were holy bodies from earth’s natural products, in that of others both were endowed with virtus, the power to act that made nei­ ther thing entirely inanimate nor fully animate. For the mineral realm that view harked back to conceptions formulated in Greek and Roman lapidaries, and it explained that stones, equipped with a vegetative soul, were able to perform as well as to grow, engender and die; to experience sympathies and antipathies; to attract and repel; to smell and taste.24 Accordingly, stony and bony particles were considered to be the vessels through which the divine could speak to humans, which is why they both were fundamentally different than man-made artifacts, including reliquaries, the dead skin lined inside and out with living substances. So much alive that stones even enjoyed the benefit of miracles we normally associate with people. A now little-known passage in the life of the evangelist John tells of an event on his return to Ephesus after his exile on the island of Patmos. He happened to come upon a preaching pagan philosopher who was urging his fellow citizens to divest themselves of their worldly goods. To drive his point home, this Crato had demanded that two rich brothers sell their patrimony and buy the most priceless gems with the proceeds, which they were now smashing in the public square (fig. 5). Somewhat unexpectedly, St John was not pleased with this public execution of precious stones and, stepping in, reminded the onlookers that while it certainly is a good thing to do away with material possessions, this ought to be done in a more productive manner; that wealth rather than being simply destroyed should be converted into spiritual currency. Unimpressed, Crato returned to the charge, now challenging St John: ›If your master is truly God, and if it is his will that these gems should benefit the poor, then you put them together again.‹ Which is what occurred, with the added bonus that everyone was instantly converted at the sight of so great a miracle.25 The didactic purpose of the parable is obvious; less so is the fact that it takes the shape of a resurrection of stones, occurring shortly after dead Drusiana’s bones had been called back to life. The power to effect and to affect was expected of relics and stones alike, whether it was to bring physical and spiritual healing, to ensure a good crop, to protect from enemies, or to secure health, salvation, good luck, love and wealth.26

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5.  St John and the precious stone miracle. Apocalypse in French (Paris, Bibliothèque ­Nationale), England ca. 1250

So great is the functional symbiosis that at times it becomes hard to say which one did the miracle. Take, for instance, the eye-healing gem that had belonged to the ring worn during his life by Palladius, an obscure Merovingian saint and bishop of Embrun in the French Alps.27 We could consider this to be a contact relic; yet the legend thinly disguises the possibility of a case of mistaken identity as to the origin of the healing virtus. That possibility is attested to less ambiguously for a much renowned cameo kept at a major Benedictine Abbey,

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6.  Matthew Paris, ‘Liber Additamentorum’ (London, British Library), ca. 1244

St. Albans. We know it well because Matthew Paris includes its tale in the inventory that he drew of the notable gems owned by the abbey, a remarkable inventory illustrated with exceptionally precise drawings (fig. 6). The ancient cameo, engraved with a figure of a Roman emperor holding a winged Victory, concludes the list, looming much larger than the jewels that come before; in fact, it was so large that it could barely fit in one’s hand. It had been given to St. Albans in the early eleventh century by King Ethelred II, probably intending it

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7.  Middleham Juwel (York, Yorkshire Museum), ca. 1450–1475

for a new shrine of the patron saint. But the monks changed their minds and decided to keep the gem separately in the treasury so that it could continue to be used for what it did best: assist women in childbirth.28 Were the brothers anxious about a possible competition? A confusion made by the women who came to obtain help? For another illustration of the deep affinities between stones and relics we can turn to a surviving object, the Middleham Jewel, so named after the castle in Yorkshire where it was found in 1985 (fig. 7). Dated to the third quarter of the fifteenth century, this compact, lozenge-shaped reliquary pendant made of bright gold contained in its interior four small pieces of embroidered silk that would have wrapped the now lost relics. An eye-catching pure sapphire is inserted above an incised Trinity and encroaches on the inscription on the frame: ecce agnus dei qui tollis peccata mundi, miserere nobis, a liturgical formula whose protective function is well documented, here maximized by the ananizapta (a powerful magical invocation of God’s name) that follows.29 While such proximity might trouble modern conceptions of religious behavior, many medieval commentators subscribed to the view that miracula and mirabilia (a better word

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8.  Gem dropping into the chalice of St Lupus (Church of Saint-Loup-deNaud, Western portal), mid-12th century

than magic) need not be mutually exclusive. Augustine suggested as much when repeatedly referring to the mysterious properties of stones as examples of the ›permanent miracles of nature‹ that foreshadow ›the miracles of the world to come.‹ And the insatiably curious Gervase of Tilbury went a step further when squarely charging those who dismissed the power of stones as having a ›lack of faith‹ (incredulitas): for marvels, though in theory mere natural phenomena beyond our comprehension, in practice act remarkably like the super­natural miracles willed by God, and provoke the same reaction in the be­ holder, namely wonder.30 Nevertheless, relics were sacramental matter of the highest order; no stone could claim that, could it? But what are we then to make of the miracle be­ stowed on another Merovingian saint, Lupus of Sens, according to which when he gave thanks by saying mass after having miraculously freed a host of prisoners in Paris, the heavens suddenly burst open to let a huge precious stone drop into the chalice, a stone that eventually became a sweet-smelling, miracle­working relic in its own right (fig. 8)?31 As miracle stories go, this has a rather perplexing ring to it. It does, however, resonate with ancient myths about

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­ bjects that drop meteorite-like from the skies, echoed in medieval legends of o heavenly gifts; more importantly, it insinuates the possibility that a mere stone could be hoisted up to the status of a truly sacramental object, provided it could claim an unearthly provenance. Failing that, the only other option was priestly intervention. As it were, for that too there was a provision in medieval practice: the ritual of the consecration of precious stones. Thomas de Cantimpré gives its fullest description in his mid-thirteenth-century Liber de natura rerum, though it is attested to and was certainly performed before that date. According to him, the gems were placed on a linen cloth stretched over the altar immediately after mass; the priest then asked God to bless (consecrare et sanctificare) them with his presence thereby cleansing them of the blemishes of impure origins and the stain of the original sin. The virtus of stones was brought hereby into the fold of the church, nature harnessed to legitimate uses.32 It appears that objects too could perform a similar service when harboring a mélange of stones and bones. Most famous, but not unique, is the so-called Benna Cross commissioned by archbishop Willigis (d. 1011) for his cathedral in Mainz. Now destroyed, this early monumental crucifix is known thanks to a later detailed inventory description, which makes it clear that the sculpture must have been an exceptional artistic feat, over life-size and covered with some 600 pounds of gold, apparently obtained by melting tribute money extracted from the defeated Lombards. Claimed to be the costliest cross anywhere, it was so precious that it was only exhibited when the emperor or some other high dignitary came, or at Christmas and Easter; at any rate, only when the bishop expressly asked for it. Two unusually big carbuncles were set into its eye sockets and its ›belly was stuffed‹ with both relics and precious stones, the latter ›more beautiful than what one would find in the entire Roman em­ pire.‹33 By putting stones and bones side by side, this crucifix enacts a remarkable exchange of matter, material and medium, of image and object. Another and no less original reliquary described in the same inventory should not go unmentioned: a ›melon-shaped‹ emerald cup that on feast days was suspended alongside other vessels from a golden pole above the high altar. Dangling in mid-air, it was first filled with water, and then two or three little fishes were added, so that when they swam, the text maintains, old women and other impressionable folk clamored that the stone had come alive.34 Taking stones literally was by no means the preserve of vetulae and rustici. When, in the above-mentioned Life of Ailred of Rievaulx, Walter Daniel comes to the description of the saint’s recently deceased body, it is a mineral parallel that imposes itself to him; the corpse, he writes, sparkled ›like a carbuncle.‹ What is remarkable about this unremarkable analogy is that the author got into troub­ le for it, so that he felt compelled to justify himself sometime later in a letter. In this spirited counter-attack, he explains that he had meant the simile to be but a figure of speech, a hyperbole intended to give an appropriate idea of the miraculously shining body of the saint. His protests to the contrary precisely show that interpreting ad litteram was well within the realm of possibilities.35

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The lofty interpretative edifice that coupled bones and stones along metaphorical lines could indeed be haunted by the specter of literalism. Bones with­ out stones were at risk of not seeming so precious, after all. Is that not the gist of the well-known criticism leveled by St Bernard of Clairvaux against the cult of relics when he opines that it had in essence become a cult of reliquaries? And is that not the sense of the action of the good lady of Prüm, who in the midninth century had set out on a pious pilgrimage charged with donations but who when seeing that the saint’s tomb was not adorned with precious materials turned back convinced that one ›won’t find anything holy in that place‹?36 Could we imagine a flourishing cult of saints without the sumptuous reliquaries that made them so tangibly present? Instead of thinking of bones and stones in a dualist fashion as the two opposite faces severing here from there, now from then, we should reckon that the ligaments that bound them were considerably richer and more multifaceted. If in the words of many churchmen holy bodies were incomparably better than precious materials, other contexts show that they could be understood as sharing deep affinities; that they even were indispensable to each other. Let us remember that many traditional cul­ tures throughout the world, including in pre-Christian Europe, upheld the belief that their ›very special dead‹ would eternally survive only if they could be surrounded and, as it were, absorbed by the hard metals and shining stones that encased their frail remains. Christianity’s unique gesture will have been at once to produce and discount the splendid visual evidence of gem-wrapped relics, asking us to avert our eyes from the stones and to fasten them onto the bones instead. But for all the insistence of this injunction, the texture with which the world is woven had a way of coming back, stubbornly and luminously. 1 Herbert Musurillo, The Acts of the Christian Martyrs, Oxford 1972, pp.15 and 17. This same passage provides the thread through one of the best discussion of the cult of relics and forms of medieval piety: Anton Legner, Reliquien in Kunst und Kult zwischen Antike und Aufklärung, Darmstadt 1995. 2 Christel Meier, Gemma Spiritalis. Methode und Gebrauch der Edelsteinallegorese vom frühen Christentum bis ins 18. Jahrhundert, München 1977. For a more anthropologically oriented understanding of medieval objects and substances, see Jean-Claude Schmitt, Les Reliques et les images, in: Id., Le Corps des images. Essais sur la culture visuelle au Moyen Age, Paris 2002, pp. 273–294. 3 Christine de Pizan, The Treasure of the City of Ladies or The Book of the Three Virtues, trans. by Sarah Lawson, Harmondsworth 1985, p. 35.

4 Jacobus de Voragine, The Golden Legend: Readings on the Saints, trans. by W. Granger Ryan, Princeton 1993, vol. 1, pp. 101–104. For convenience’s sake, I will continue to refer to this source and edition whenever possible. The various sumptuary tropes are however present in the earliest, fifth-century redaction of the Gesta S. Agnetis. 5 Dado of Rouen, Vita S. Eligius, ed. by Bruno Krusch (MGH SS rer. Merov. 4), Hannover 1902, pp. 669–742; English trans. by Jo Ann McNamara, in: Thomas Head (ed.), Medieval Hagiography: An Anthology, New York 2000, pp. 144 and 151. 6 Victricius Rotomagensis, De laude sanctorum, ed. by I. Mulders – R. Demeulenaere (CCL 64), Turnhout 1985, sect. III, p. 74, and sect. X, p. 86; English trans. by Philippe Buc, in: Head (as in note 5) pp. 37 and 44.

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7 Apc 21,18–20. The number and particular choice of gems was dictated by an Old Testament antetype, the pectoral, or ephod, worn by Aaron, as described in Ex 28,15–21. 8 Walter Daniel, The Life of Ailred of Rievaulx, ed. and trans. by Maurice Powicke, Oxford 21978, pp. 42 and 48. The entire text is a beautiful exercise in material thinking. 9 ›Damit aber der große Ruhm / seiner Seele nicht irgendwie schade, tat Gott an ihm, wie der Goldschmied tut, / wenn er eine schöne Spange herstellen will: / Das Gold bringt er im Feuer zum Schmelzen; / er macht sie kostbar mit kunstreicher Arbeit / und mit den zierlichsten Golddrähten; / schön schleift er die Topase; / mit man­cherlei Zubereitung / verleiht er ihnen ihren farbigen Glanz. / Ebenso schliff Gott St. Anno/ mit vielerlei Mühsal‹; Das Annolied, ed. by Eberhard Nellmann, Stuttgart 1975, sect. 38. 10 Suger, De consecratione 7, in: Suger, Œuvres, ed. by Françoise Gasparri, Paris 1996, vol. 1, p. 29. 11 Thiofridus Epternacensis, Flores epytaphii sanctorum I, line 32 and II–III, ed. Michele Camillo Ferrari (CCCM 133), Turnhout 1996, pp. 32 and 35–39. See also Ferrari’s discussion in the present volume. 12 Pretiosi lapides ideo dicti sunt, quai care valent […] Omne enim quod rarum est, magnum et pretiosum vocatur. Isidorus, Etymologiae XVI, 6 (Migne PL 82), 570C. The definition was reiterated by Hrabanus Maurus in his De universo (or De rerum naturis) XVII, 7 (Migne PL 111, 465A), who adds that because of it precious stones signify the apostles and saints in general. Patrick Geary, Sacred Commodities: The Circulation of Medieval Relics, in: Id., Living with the Dead in the Middle Ages, Ithaca 1994, pp. 194–218, usefully reminds us of the ways in which relics were embedded in early medieval exchanges of objects and values. 13 While Suger’s efforts to secure the rarest gems to adorn the vasa sacra and reliquaries are well known, countless other testimonies speak of comparable endeavors. A nice example concerns Sighelmus, bishop of Sherborne, said to have been sent to India in 883 to distribute alms in fulfillment of an oath contracted by King Alfred; he came back, his bag full of ›exotic gems‹ that could be admired on objects displayed in English chur­ ches. Otto Lehmann-Brockhaus, Lateinische Schrift­ quellen zur Kunst in England, Wales und Schott-

land vom Jahre 901 bis zum Jahre 1307, München 1956, vol. 3, no. 5941. 14 Dating varies between the reigns of Charlemagne and Louis the Pious. The sides are stamped with gold medallions bearing classicizing iconography, while the back and crest are later replacements. The wooden core contains several small cavities in the back, and a larger one in the bottom, probably made in the twelfth century, when new relics were added. See Karl Hermann Usener, Zur Datierung der Stephansbursa, in: Mis­cellanea pro arte. FS Hermann Schnitzler, Düsseldorf 1965, pp. 37–43. 15 Meier (as in note 2) pp. 147–151. 16 Victricius Rotomagensis, X, ed. by Mulders – Demeulenaere (as in note 6) p. 86; ed. by Buc (as in note 6) p. 44. 17 Aemicat alma foris rutiloque decore venusta / Arca metallorum gemmis quae compta coruscat / Thesauro tamen haec cuncto potiore metallo / Ossibus interius pollet donata sacratis; Mirella Ferrari, Le Iscrizioni, in: L’Altare d’Oro di Sant’Ambrogio, ed. by Carlo Capponi, Milano 1996, p. 150, with further examples. 18 Arnold Angenendt, ›Der Leib ist klar, klar wie Kristall‹, in: Klaus Schreiner (ed.), Frömmigkeit im Mittelalter. Politisch-soziale Kontexte, ­visuelle Praxis, körperliche Ausdrucksformen, Mün­chen 2002, pp. 387–398; or, in an abbreviated form, in: Id., Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 1997, pp. 115–119. 19 Both examples and additional ones are dis­ cussed in C. R. Dodwell, Anglo-Saxon Art: A New Perspective, Ithaca 1982, pp. 35f. and 119. On the Waltham crucifix, see also Jean-Claude Schmitt, Translation d’image et transfert de pouvoir: Le crucifix de Pierre de Waltham (Angleterre, XIe– XIIIe siècle), in: Schmitt (as in note 2) pp. 199–216. Like the glimmering coals from which its name was derived, the carbuncle (our garnet or ruby) was most often thought to be endowed with endogenous light properties. 20 Ornamenta Ecclesiae [exhibition catalogue], ed. by Anton Legner, Köln 1985, vol. 3, p. 112; Theo Jülich, Gemmenkreuze. Die Farbigkeit ihres Edelsteinbesatzes bis zum 12. Jahrhundert, in: Aachener Kunstblätter 54/55, 1986/87, pp. 175– 178. 21 As St Paul had said, ›There is one glory of the sun, and another glory of the moon, and ano-

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ther glory of the stars‹ (I Cor 15,41). On rock crystal, see Ulrich Henze, Edelsteinallegorese im Lichte mittelalterlicher Bild- und Reliquienverehrung, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 54, 1991, pp. 428–451. That the gem at the center had Christological associations is lent visual support by the crux gemmata, adorned with an imago clipeata of Christ, included in the Transfiguration mosaic in the apse of Sant’Apollinare in Classe at Ravenna. 22 Gemme dalla corte imperiale alla corte celeste, ed. by Gemma Sena Chiesa, Milano 2002, for early examples and excellent discussion. 23 Georges Didi-Huberman, Devant l’image, Paris 1990, pp. 26–64. Also Meier (as in note 2) pp. 52ff. 24 Meier (as in note 2) pp. 309–314. 25 Jacobus de Voragine (as in note 4) vol. I, pp. 51f. 26 Meier (as in note 2) pp. 361–466. 27 AASS, June 21, 0097C. 28 Contrary to other aspects of Matthew Paris’s oeuvre, the literature on this document is disappointing. I summarize after the original pas­ sage as given by Thomas Wright, On Antiquarian Excavations and Researches in the Middle Ages, in: Archaeologia 30, 1844, p. 445, note k. We also learn that midwives applied the kadmaa between the breasts of the women about to give birth before sliding it down toward the occiduam corporis partem; and that at one point it was permanently borrowed by a powerful matron of little scruples, only to be returned many years later by her re­ pentant daughter. 29 Peter Murray Jones – Lea T. Olsan, Middleham Jewel: Ritual, Power, and Devotion, in: Viator 31, 2000, pp. 249–290. 30 Augustine, De civitate dei XXI, 6; Gervase of Tilbury, Otia Imperialia: Recreation for an Emperor, ed. and trans. by S. E. Banks – J. W. Binns, Oxford 2002, pp. 559 and 610f. See also Jacques Le Goff, Le Merveilleux dans l’Occident médiéval,

in: L’Imaginaire mediéval, Paris 1985, pp. 17–39; Valerie I. J. Flint, The Rise of Magic in Early Medieval Europe, Princeton 1991; and especially Caroline Walker Bynum, Miracles and Marvels: The Limits of Alterity, in: Franz J. Felten and Nikolas Jaspert (eds.), Vita Religiosa im Mittelalter. FS Kaspar Elm, Berlin 1999, pp. 799–817. 31 AASS, September 1, 262; Jacobus de Voragine (as in note 4), vol. II, p. 144; as well as Clark Maines, The Western Portal of Saint-Loup-deNaud, New York 1979, pp. 399–402. In the lapidary tradition, several stones are heaven-born, such as the glossopetra that falls during moonless nights, or the ceraunius generated by lighting. 32 Thomas of Cantimpré, Liber de natura rerum, ed. by Helmut Boese, Berlin 1973, XIIII, pp. 373– 374. Gervase of Tilbury (as in note 30) pp. 614–619 includes a somewhat different discussion of the consecration of stones. 33 Otto Lehmann-Brockhaus, Schriftquellen zur Kunstgeschichte des 11. und 12. Jahrhunderts für Deutschland, Lothringen und Italien, New York 1971, nos. 2643 and 2860. 34 This object has also caught the attention of Gia Toussaint, Heiliges Gebein und edler Stein. Der Edelsteinschmuck von Reliquiaren im Spiegel mittelalterlicher Wahrnehmung, in: Das Mittelalter 8, 2003, pp. 41–66. I thank her for having sent me her essay, which covers some of the same sources and ideas as those developed here. 35 Walter Daniel (as in note 8) pp. 61f. (lucebat pater defunctus ut carbunculus) and 76–77. The view that only simple-minded folk could take what they saw for what it is continues to inform modern discussions. For a classic critique of this two-tiered model, see Peter Brown, The Cult of the Saints: Its Rise and Function in Latin Christianity, Chicago 1980. 36 Jonathan Sumption, Pilgrimage: An Image of a Mediaeval Religion, London 1975, p. 153, with other examples.

Michele C. Ferrari

Gold und Asche. Reliquie und Reliquiare als Medien in Thiofrid von Echternachs Flores epytaphii sanctorum

Zu Beginn des 10. Jahrhunderts platzte dem Heiligen Markus der Kragen. Erbost ob der Behandlung, die seinen Reliquien auf der Reichenau widerfuhr, erschien er im Traum dem Bischof von Konstanz und schalt ihn mit den Worten: Ego sum Marcus evangelista, qui corporaliter in hoc loco requiesco. Cum anima mea laetetur ante dominum, corpus meum non est hic bene procuratum. Dic abbati istius monasterii, ut corpus meum studeat cum omni diligentia observare, quia iam a terraneo humore membra mea incipiunt sordere.1 ›Ich bin Markus der Evangelist, der ich körperlich an diesem Ort ruhe. Während meine Seele sich im Angesicht des Herrn erfreut, bekommt mein Leib hier keine gute Pflege. Sage dem Abt dieses Klosters, daß er sich mit der größten Sorgfalt um meine körperlichen Überreste kümmern soll, weil meine Glieder, von der Bodenfeuchtigkeit angegriffen, zu verfaulen beginnen.‹

Nach einigem Zögern schreiten der Bischof und die Reichenauer Mönche zur Tat. Sie bergen die Gebeine, trocknen sie in der Sonne und legen sie schließlich in einen neu dafür geschaffenen Schrein (in novo scrinio), der auf den Altar aufgesetzt wird. Man könnte unendlich viele andere Stellen erwähnen, welche die mittelalterliche Reliquienverehrung bezeugen und uns Einblick in das Wesen und die Praxis dieser in ihrer Zeit überaus wichtigen Kulthandlungen geben. In Viten, Mirakelsammlungen, Homilien und anderen Texten werden wichtige Aspekte des Heiligenkultes angesprochen, in der angeführten Passage etwa das Verhältnis von Leib und Seele nach dem Tod, der Widerspruch zwischen der Verwesbarkeit des menschlichen Körpers und der im Christentum postulierten Unversehrtheit des corpus incorruptum des Heiligen2 oder der Aufbewahrungsmodus der kostbaren Überreste. Auf die Frage jedoch, ob und wie eine mehr abstrakte, theoretische Behandlung dieser Themen vorgenommen wurde, gerät man in Verlegenheit. Denn trotz der Verbreitung des Heiligen- und Reliquienkultes fand eine eingehende Auseinandersetzung damit nur selten statt. Am bekanntesten hierfür ist der

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Traktat des Guibert von Nogent (gest. um 1124) De sanctis et eorum pigneribus (›Über die Heiligen und ihre Reliquien‹). Es handelt sich dabei allerdings um ein Werk, das in keiner Weise den Reliquienkult begründen möchte, sondern dessen Mißstände anprangert, und die logisch-theologische Unmöglichkeit des Vorhandenseins von körperlichen Reliquien Christi behauptet.3 Ganz anders ging Abt Thiofrid vor, welcher die Benediktinerabtei Echternach von 1081 bis zu seinem Tod 1110 leitete. In seinen ›Blumen, über die Gräber der Heiligen verstreut‹ (so kann man den Titel Flores epytaphii sanctorum ins Deutsche übersetzen) bot er jene Reflexion über das Wesen der Reliquie (und nicht über das Reliquienwesen), die keiner vor ihm gewagt hatte und keiner nach ihm wagen wird: Thiofrids Abhandlung ist der einzige mittelalterliche Reliquientraktat.4 Der Anlaß dieser Schrift war ein konkreter Vorgang, wie Thiofrid in aller Ausführlichkeit darlegt.5 Sein Vorgänger hatte am 19. November ein Reliquienfest eingeführt. Abt Reginbert (1051–1081) dachte spezifisch an die Klosterreliquien, und der 19. November ist jener Tag, an dem Papst Sergius die Ankunft Willibrords in Rom im Traum angekündigt wurde. Doch stehen die Flores epytaphii sanctorum nicht im Zusammenhang mit einem besonderen Kult, etwa mit jenem des Echternacher Klosterpatrons Willibrord selbst, sondern liefern die allgemeine Begründung einer liturgischen Neuerung, die als solche einer Rechtfertigung bedurfte. Die Flores, die Thiofrid zwischen 1098 und 1104/05 verfaßte, sind gemäß der Aussage des Verfassers auch die Wiedergabe von Reginberts Überlegungen zum neuen Fest, wodurch sie sich als die Verschriftlichung einer mündlich abgehaltenen Verhandlung zwischen dem Abt und dem Konvent entpuppen, die dem Werk zugrunde liegt. Hauptziel der Schrift ist es, das Lob der Heiligen anzustimmen, welche durch ihre Tugend die den meisten Menschen verwehrte Vollkommenheit erlangen. Ihr Inhalt geht allerdings weit über das rein Panegyrische hinaus. Die Flores epytaphii sanctorum sind in vier Bücher gegliedert und behandeln Sinn und Wesen der Reliquie als Kultobjekt. Thiofrid folgt dabei einer klar gegliederten Typologie. Das erste Buch ist den Körpern selbst gewidmet. Sie verfügen über einen besonderen Status, wenn sie den siegreichen Kampf der heiligen Seelen gegen das Körperliche bezeugen. Die Körper der Heiligen sind demnach die Negierung des Körperhaften als Ort des Unmoralischen: Igitur si carnem dampnati peccatoris spectes quid homine abiectius, quid putidius, si spiritum, quid miserabilius, quid dampnabilius? Si item spectatae sanctitatis hominis carnem consideres quid illa in terra nobilius, quid mirabilius, si spiritum quid excellen­ tius, quid gloriosius?6 ›Wenn Du Dir also das Fleisch eines verdammten Sünders ansiehst, was ist verächtlicher, was stinkender, wenn Du Dir die Seele anschaust, was ist erbärm­ licher, was verdammenswerter? Wenn Du ebenso das Fleisch eines Menschen von angesehener Heiligkeit betrachtest, was ist edler auf Erden, was bewun-

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dernswerter, wenn Du die Seele beobachtest, was ist herausragender, was herrlicher?‹

Eine Eigenschaft wie der liebliche Duft, welchen die Reliquien, obwohl sie tote Körper sind, von sich geben, ist der sinnfällige Beweis dafür, daß das Leibliche bezwungen wurde. Die Seele, meint Thiofrid gemäß einer langen Tradi­tion, muß den Körper besiegen, der Körper muß sich seinerseits vergeistigen, um als tote, unvollkommene Materie zum vollkommenen Nicht-Körper zu werden. Ein Wutausbruch wie jener des heiligen Markus wäre Thiofrid reichlich bizarr vorgekommen, weil gemäß seinen eigenen Ausführungen tote Glieder eigentlich gar nicht stinken dürfen, wenn sie einem Heiligen gehören. Das zweite Buch der Flores ist den Reliquienbehältern gewidmet, der zweite Teil des Werkes (Buch III und Buch IV) hingegen den Berührungsreliquien, wie wir sie nennen (appendicia exteriora heißen sie bei Thiofrid), das sind nicht nur die Kleider und die Stöcke, sondern auch die Namen und die Schatten der Heiligen sowie im vierten Buch die negativen appendicia, die Marterwerkzeuge (Ketten, Foltersäulen, Knüppel, Marterröste, Kreuze und Steine), welche den Tod der Heiligen herbeiführten und als direkte Analoga zum Kreuz Christi angesehen werden. Die Werkzeuge, die Christus gequält und getötet haben, die arma Christi also, finden dementsprechend besondere Berücksichtigung, weil sie eine ausgeprägte heilsgeschichtliche Bedeutung besitzen. (Wie viele andere Werke des Mittelalters obliegen die Flores einem strukturmimetischen Prinzip, denn sie stellen den Ablauf der Heilsgeschichte dar, indem sie mit ­einem Kapitel über die Erschaffung des Kosmos beginnen und mit einem Kapitel über das im Paradies erlangte Seelenheil schließen, worauf die zahlensymbolisch signifikante Einteilung in vier Bücher mit je sieben Kapiteln ausdrücklich verweist.)7 Wie Guibert von Nogent erwähnt Thiofrid die körperlichen Reliquien Christi nicht. Schon diese Tatsache zeigt, daß die beiden Äbte in diesem einen Punkt der Praxis ihrer Zeit fern standen – aber auch nur in diesem einen Punkt, weil sie sie sonst sehr wohl vor Augen hatten, auch wenn nur Guibert ausdrücklich Stellung dazu nimmt. Guibert, wie oben erwähnt, wendet sich gegen Auswüchse im Reliquienkult. Thiofrid interpretiert seinerseits die Reliquie als Medium in einem Kommunikationsprozeß zwischen Jenseits und Diesseits und liefert somit den Gläubigen ein nützliches theoretisches Deutungsmuster, damit sie das Objekt ihrer Verehrung besser verstehen können. Für Thiofrid ist die Reliquie ein konkretes, körperhaftes Medium, das Gott verwendet, um sich in der Welt zu manifestieren. Die Botschaft, die durch die Reliquie fließt, ist die Macht Gottes per se, die sich in Handlungen contra naturam äußert und zwar an erster Stelle in Heilungen. Von Körper zu Körper fließt Gottes Macht (transfusio heißt bei Thiofrid der Terminus technicus) und beweist sich selbst.8 Die Flores epytaphii sanctorum erklären dem Leser, der ihren gelinde gesagt gewöhnungsbedürftigen Stil über sich ergehen läßt, daß die Reliquie und das Reliquiar die notwendigen Medien in einem haptischen Transferprozeß von

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Gott zum Menschen sind. Indem Gott die Körper der Heiligen und die mit ­ihnen in vita oder post mortem in Berührung gekommenen Objekte als Träger seiner Botschaft auserwählt und nicht einfach alle Menschenkörper oder alle möglichen Gegenstände der konkreten Wirklichkeit, weist er darauf hin, daß der Lebenswandel der Heiligen sie tatsächlich, das heißt konkret erfahrbar zu Fixpunkten seines Heilsplanes macht. Schon hier könnte man Thiofrid vergröbernde Naivität vorwerfen. Doch die Flores sind ein überaus gelehrtes Werk, in dem der Verfasser alle Register zieht, die einem gewieften Exegeten zur Verfügung stehen. Der Text besteht zum gro­ ßen Teil aus gekonnt zusammengefügten Stellen aus der Bibel und den Kirchenvätern, deren Interpretation nach den kanonisierten Schriftsinnen erfolgt. Der Verfasser entzieht sich somit nicht der Komplexität und Widersprüchlichkeit der Welt und der Notwendigkeit, sie zu durchdringen. Die von Thiofrid vorgeschlagene Deutung der Beziehung zwischen Reliquie bzw. Reliquiar und Gläubigem als einfachen Kommunikationsakt von einem Sender zu einem Empfänger hat zwei Vorteile. Zum einen wären die Flores als Deutungsmuster zumindest im kultischen (Kloster-) Alltag verwendbar gewesen. Wir wissen nicht, ob das geschah. Zweifel sind durchaus angebracht, doch zumindest lag diese Intention vor, ist Thiofrids Traktat, wie schon erklärt, eine Art Kommentar zu einer liturgischen Handlung, die das Merkmal der Be­ sonderheit trägt. Die Tatsache, daß die Flores in lediglich zwei Echternacher ­Abschriften und in einem etwas jüngeren Codex aus St. Eucharius-Matthias vorlie­gen, zeigt freilich, daß Thiofrids hermeneutisches Angebot die Aufnahmefähigkeit seiner Zeitgenossen bei weitem überstieg.9 Zum anderen entspricht der Kommunikationsprozeß, wie Thiofrid ihn beschreibt, einer Reduktion der semiotischen Komplexität der Welt auf einfache Verhältnisse. Mag der Mensch Gottes Willen nie richtig erfassen können, die Präsenz von Gottes Macht in der Reliquie wirkt buchstäblich einleuchtend.10 Thiofrid greift dabei auf eine Opposition zwischen Leib und Seele zurück, die einen sehr starken dualistischen Charakter trägt. Konsequente dualistische Denkweisen liegen dem Christentum eher fern,11 und auch in den Flores handelt es sich bei der (bis zum Wahnwitz wiederholten) Gegenüberstellung von corpus und anima bzw. spiritus (beide Wörter werden als Synonyme verwendet) weniger um eine theologische Aussage als um die rhetorisch wirkungsvolle Zuspitzung auf eine Dialektik des Entgegengesetzten.12 Was Thiofrid über die Körper der Heiligen behauptet, gilt in gleichem Maße für die Hilfsgegenstände, die sie verwendeten, und für ihre Behälter. Wie schon erwähnt, widmet Thiofrid der Aufbewahrung von Reliquien das gesamte zweite Buch. Es geht ihm dabei nicht nur um die Reliquiare, sondern überhaupt um den Verbleib der heiligen Überbleibsel, wie er sie nennt (lemmata sanctorum, ein präzisierendes Synonym für reliquiae sanctorum), auch wenn sie auf entwürdigende Weise aufbewahrt werden. Das letzte Kapitel des zweiten Buches ist deshalb dem Schicksal der Reliquien gewidmet, die von Tieren gefressen werden – ein etwas unappetitlicher Vorgang, der später als questio quid sumit mus

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(›Frage nach dem, was die Maus aufnimmt‹) in den eucharistischen Diskussionen von nicht geringer Relevanz war.13 Der Hauptteil des zweiten Buches enthält eine Verteidigung der Reliquiare als prunkvolle Behälter. Dank der Präsenz der Reliquie wird das Reliquiar selbst zum Medium, ja ihm kommt ein besonderer Status zu, welchen Thiofrid nicht ausdrücklich definiert, aber klar umreißt. Denn die beiden ersten Bücher der Flores epytaphii sanctorum bilden eine inhaltlich geschlossene Einheit (es geht hier um die Leiber und ihre Aufbewahrung), während die beiden letzten ausschließlich den appendicia exteriora und den Marterwerkzeugen gewidmet sind, die eine eigene, aber nicht zweitrangige Kategorie von Reliquien bilden. Reliquie und Reliquiar stellen für Thiofrid eine unzertrennliche Einheit dar, in der die Grenzen zwischen den beiden Gegenständen zwar klar definierbar (ein menschlicher Körper ist kein Kästchen), in ihrer Bedeutung jedoch beinahe gleichwertig sind. Wie er im dritten Kapitel des zweiten Buches darlegt, hängt diese Homogenität mit ihrem gemeinsamen medialen Wesen in einem abgestuften Kommunikationsprozeß zusammen: Durch den Körper und in einem zweiten Stadium durch den Behälter, der ihn enthält, fließt Gottes Macht zum Empfänger der höheren Gnade. Der Behälter schöpft seine Kraft aus der Reliquie, die er beherbergt. Das lemma gießt die Kraft in den Behälter (transfundere), der Behälter wird dadurch in den Stand gesetzt, die Kraft selbst zu vermitteln. Drei Punkte streicht Thiofrid dabei besonders heraus. Erstens werden die Fragen gestellt, ob der Prunk, den man für Reliquiare anwendet, zu rechtfertigen ist und ob die Reliquiare als konkrete Objekte eine eigene Funktion haben können. Zweitens wird kategorisch behauptet, daß die Heiligen den Prunk natürlich verachten, aber die Frömmigkeit der Spender hochschätzen. Schließlich wird die Frage gestellt, ob die Form der Reliquiare einen besonderen Sinn vermittelt. Um mit dem Letzteren zu beginnen, kommen gegen Ende des zweiten Buches die pyramidae und cyboria zur Sprache, also die kegelförmigen und kubischen Reliquiare, deren Form Thiofrid durch die virtuose Verflechtung von Stellen aus dem Timaeus-Kommentar des Chalcidius14, dem Hohelied und den Psalmen als unter allegorischen Gesichtspunkten besonders wertvoll beschreibt: In forma quippe pyramoyde uirtus ignea (Chalc., Comm. 20), in cyboriis quibus a cubis nomina sunt indita pensatur animae perfectio cubica. Nam pyramis a basi tetragona erigens se in altitudinis fastigia designat electorum dei spiritus et semata per quaterna­ rum uirtutum genera ad indiuiduae ac incircumscriptae monadis simplicitatem et caeli caelorum se erexisse culmina (…) In cyborii uero forma conoyde quae columnarum sustentatur columine insinuatur tropologyce quod sancti dei mystice ferculi de lignis Libani a uero Salemone exstructi sint (Ct 3,9) columnae argenteae (Ct 3,10) et de tribu­ latione exauditi in latitudine (Ps 117,5) uiam mandatorum dei currere (Ps 118,32), et toti teretes totique rotundi externi ne quid posset per leue morari animas in aeternum meru­ erint sanctitatis orbem colligere. Et re uera omnes geometricae formae siue trigonae, siue tetragonae seu circulares quae ob circumductionem unius lineae (Chalc., Comm. 68)

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sunt diuinitati aptissimae ac omnium excellentissimae quibus decusantur sanctorum reliquiae testimonium perhibent eorum sanctimoniae ac magnificentiae, et ad uirtutum ornamenta et delectationes alliciunt pulchritudinem cuiusque felicis animae.15 ›In der Form der Pyramide wird die feurige Tugend bedacht, in den Ziborien (die diesen Namen vom Kubus herleiten) die würfelförmige Perfektion der Seele. Denn die Pyramide, die von einer viereckigen Grundfläche aus zu einer hohen Spitze ansteigt, ist ein Zeichen dafür, daß die Seelen und die Leiber der Auserwählten Gottes durch die Kategorien der vier Tugenden zur Einfachheit der ungeteilten und uneingeschränkten Unitas (Monade) und zur Spitze des höch­ sten Himmels emporgestiegen sind (…) In der kegelförmigen Gestalt des Ziboriums aber, die säulenartige Stützen aufrechterhält, wird in Hinsicht auf den Menschen (tropologice) angedeutet, daß die Heiligen Gottes, die auf mystische Weise vom wahren Salomo gebaute Prunkbetten aus Holz vom Libanon sind, Säulen aus Silber sind, und daß sie, in der Trübsal erhört, es verdient haben, den Weg von Gottes Geboten breit zu laufen und, außen gänzlich glatt und völlig rund, damit nichts an der Oberfläche haften bleibt, die Seelen in den ewigen Kreis der Heiligkeit zu sammeln (…). Wahrlich legen alle geometrischen Formen, die dreieckigen, die viereckigen und die runden, welche dank des Herumführens einer einzigen Linie der Göttlichkeit am meisten entsprechen und daher die hervorragendsten sind und mit denen die Reliquien der Heiligen verschönert werden, ein Zeugnis von deren Heiligkeit und Herrlichkeit ab und locken den Sinn für Schönheit jeder glücklichen Seele, die Tugenden zu schmücken und sich an ihnen zu freuen.‹

Die Allegorisierung der Form von Reliquiaren macht sie zu wichtigen Trägern einer für den Gläubigen klar erkennbaren Botschaft, denn sie sind zugleich Bestätigung der Heiligkeit der in ihnen ruhenden Körper und Ansporn zur imi­ tatio. Sie werden dadurch in die unmittelbare Nähe dessen gerückt, was Hans Belting unlängst als Trägermedium bezeichnet hat, als er in die Grundlagen seines Versuchs einer ›Bild-Anthropologie‹ einführte.16 Thiofrid, der stets keine Stellung zur konkreten Kultpraxis nimmt, äußert sich in dieser zweideu­ tigen Passage allerdings nicht unmittelbar zur Sichtbarkeit der Reliquiare als Voraussetzung ihrer ästhetisch-moralischen Wirkung. Unverzichtbar ist sie ohne­hin nicht, denn die aussagekräftige Verbindung von Form und Botschaft ist in der Materialität des Reliquiars fixiert und dadurch unabhängig von seiner Verfügbarkeit gültig. Was den oben genannten zweiten Punkt angeht, das heißt die Verachtung des Prunkes durch die Heiligen, versteht es sich von selbst, daß die Behauptung des Gegenteils unmöglich ist. Heilige, die seidene Kleider und Goldkelche in vita schätzten, wären denkbar schlechte Muster für tugendhafte Perfektion. Und post mortem können die Heiligen selbstverständlich an jenen materiellen Gütern nicht hängen, von deren Abhängigkeit sie sich qua Heilige befreit haben. Interessanter sind die anderen Argumente, die Thiofrid zur Rechtfertigung der Reliquiare als kostbare Behälter der toten Asche heranzieht. Sie münden in

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die lapidare Aussage, die das fünfte Kapitel als Überschrift ziert: ›Daß durch Begehrenswertes aus dieser Welt das Himmlische erlangt werden kann‹ (Quod per mundi concupiscibilia comparentur etiam caelestia). Das Kapitel hält freilich weniger ein, als es verspricht. Es wird darin vorwiegend ein exemplum ausgebreitet, nämlich die Seelenwägung Heinrichs II. und seine Errettung in letzter Minute vor dem Begehren der Teufel durch den Heiligen Laurentius. Ein massiver Goldkelch, den Heinrich dem Dom in Merseburg geschenkt hatte, erlaubte Laurentius, den Kaiser aus den Fängen der Teufel zu befreien.17 Der Passus liefert ein gutes Zeugnis für die schriftstellerische Qualität der Flores. Doch gewinnt der Diskurs über die Reliquiare vor allem in den ersten drei Kapiteln des zweiten Buches an theoretischer Konsistenz. In diesen Passagen wird auch für die Behälter ein mit den körperlichen Reliquien vergleichbares mediales Wesen in Anspruch genommen, das sie per se, das heißt unabhängig von ihrem materiellen Wert, rechtfertigt: Sicut enim sermo Dei uiuus et efficax et penetrabilior omni gladio ancipiti usque ad diui­ sio­nem animae ac spiritus compagum quoque et medullarum mystice pertingit (Hbr 4,12), sic sanctae uis animae cum Deo iam regnantis ab intimis ad extima ad se cum in carnis carcere clausam tum in caelestis Hierusalem municipatum translatam pertinentia se mirifice diffundit, et quicquid sanctis preuenientibus ac intercaedentibus meritis per carnem et ossa mirabile gerit idem mirabilius de dissoluto puluere in omnia tam exteri­ ora quam interiora cuiuscumque materiae uel precii tantae fauillae ornamenta et operi­ menta transfundit.18 ›Denn wie das lebendige, wirksame Wort Gottes, das schärfer ist als jedes zweischneidige Schwert, auf mystische Weise durchdringt, bis es Seele und Geist, Gelenke und Mark scheidet, so verteilt sich (diffundit) die Kraft der heiligen Seele auf wunderbare Weise, die schon mit Gott herrscht, vom Innersten zum Äußersten in dem ihr Gehörenden, sowohl während sie im Gefängnis des Fleisches eingeschlossen ist wie auch, wenn sie zur Gemeinde des himmlischen Jerusalems übergangen ist; und was immer sie Bewundernswertes dank der Vorzüglichkeit und Fürsprache der heiligen Verdienste durch Fleisch und Gebeine bewirkt, dasselbe überträgt sie (transfundit) auf noch staunenswertere Weise vom aufgelösten Staub auf allen äußeren und inneren Bedeckungen und Ausschmückungen eines so bedeutenden Staubes, was auch immer ihr Stoff oder Wert sei.‹

Zuvor hatte Thiofrid auf mehreren Ebenen argumentiert und seine Leser vor allem mit einer Reihe von geschickt aufgebauten rhetorischen Fragen zu überzeugen versucht. Am Anfang des zweiten Buches erinnert er an das Himmlische Jerusalem, das gemäß der Apokalypse aus feinem Gold besteht und ›aus Edelsteinen gebaute Straßen‹ hat. Wie Paulus behauptet, bauen die Heiligen ›auf den Grund Christi Gold und Edelsteine, nicht Holz oder Stoppeln auf‹. Und Thiofrid fährt fort: Nam ut intellectum pretereamus allegoricum quare secundum litteram omnis lapis preciosus et aurum non sit eorum operimentum qui in abundantia uirtutum ingrediun­

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tur sepulchrum (Iob 5,26), qui reges et consules terrae aedificant sibi solitudines (Iob 3,14) per tranquillae mentis studium, et possident sapientiae aurum et diuini eloquii argen­ tum igne examinatum (Ps 11,7)? Nimirum electi dei sunt uasa auri excelsa et eminentia quae non computantur pro aeterna dei sapientia, ipsi topazion ex Aethiopia, ipsi aurum mundum (Iob 28,17-19) unde condita est ipsa (…) ciuitas uranyca (…).19 ›Denn, um die allegorische Interpretation beiseite zu lassen, warum sollten diejenigen buchstäblich von allen kostbaren Steinen und von Gold nicht bedeckt werden, die in voller Tugendreife in das Grab gehen, die sich als Könige und Ratsherren der Erde durch den Fleiß ihres ungetrübten Geistes einsame Stätten bauen und das Gold der Weisheit und das im Feuer geläuterte Silber des Wortes Gottes besitzen? Nicht überraschend sind die Auserwählten Gottes hohe und erhabene Geräte aus Gold (…), sie sind der Topas aus Äthiopien, sie sind reines Gold, mit dem die himmlische Stadt gebaut (…).‹

Gold und Edelsteine sind Metaphern für den hohen und seltenen Grad an Tugend des vollkommenen Menschen, der im Paradies Gottes Bestand-, ja Bauteil des Himmlischen Jerusalem ist. Indem die Reliquiare aus diesen kostbaren Materialien bestehen, weisen sie auf diese metaphorische Ebene hin und schöpfen daraus gleichzeitig die nicht-weltliche Berechtigung ihres Daseins. Daß Thiofrid ausdrücklich die Allegorie suspendiert, hängt damit zusammen, daß er zur Legitimation des Materials ein analogisches Verfahren verwendet. Er erinnert an das Bruststück des Hohenpriesters, wie es im alttestamentlichen Buch Exodus beschrieben wird, an den Ornat des Priesters, der aus acht Schmuckstücken, aus Leinen, Purpur, Scharlach, Byssus usw. besteht (ein Verweis auf die seit der Kirchenväterzeit oft gedeutete Bibelstelle Ex 39,1–3), und schließlich ganz am Ende des zweiten Buches an die Ausschmückung der irdischen Könige: Et cur eorum infima non summo induantur et obuoluantur decore ac gloria cum sint uranicae ciuitatis non tam primates quam reges (…)? Cumque quilibet rex terrae in summis festiuitatibus summis non quasi homo sed ut alter deus mundi ornatibus decore­ tur, et qui in domibus regum sunt mollibus et exquisitissimis uestiantur (Mt 11,8), quare sanctorum ossa et cineres quibus ipsi purpurati reges et principes genuflectunt et inclinantur non in operosis et maximo sumptu elaboratis mausoleis et capsulis et inuo­ lucris recondantur?20 ›Und warum sollten ihre wertlosen Überreste nicht mit höchster Würde und Herrlichkeit angezogen und eingewickelt werden, da sie Fürsten, ja noch mehr Könige in der Himmelsstadt sind. (…) Und da ein jeglicher König auf Erden sich bei den feierlichsten Anlässen nicht wie ein Mensch, sondern wie ein zweiter Gott mit den schönsten weltlichen Verzierungen ausschmückt (…), warum sollten die Gebeine und die Asche der Heiligen, vor denen sogar die mit Purpur geschmückten Könige und Fürsten auf die Knie fallen und sich beugen, nicht in mit größter Mühe und sehr hohem Aufwand verzierte Gräber, Kästchen und Decken gelegt werden?‹

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Die Berechtigung einer prunkvollen Ausschmückung, erklärt Thiofrid ferner im zweiten und vierten Kapitel, basiert auf einem Paradoxon. Die Heiligen können kaum die monstra avaritiae schätzen, welche die angehäufte Zurschaustellung von Edelmetallen und Edelsteinen bedeutet. Aber die Reliquien sind selbst ein Widerspruch, verächtliche Asche in kostbarem Gold gefaßt. Die Asche heiligt das Gold, nicht umgekehrt, unter der Voraussetzung jedoch, daß das Material einer durch die kirchliche Instanz geleiteten Kontextualisierung unterworfen wird. Das ist eine wichtige Aussage im zweiten Kapitel: Gold und Silber sind keine Werte für sich, sondern dürfen zum Einsatz kommen, wenn sie jene Ehrerbietung sinnfällig machen, die den Verehrungsobjekten aus berechtigten Gründen zusteht, etwa weil sie Reliquien von heiligen Menschen sind. Mit anderen Worten: Die Intention heiligt die Mittel: Ciues siquidem ciui­ tatis uranicae floccipendunt ea monstra auariciae quae coaequatur ydolatriae sed ma­ gnipendunt deuotionem fidei Christianae (…).21 ›Den Bürgern der himmlischen Stadt sind ja diese sündhaften Ungeheuer der Habgier gleichgültig, welche dem Götzendienst gleichgesetzt wird, sie schätzen dagegen sehr die Frömmigkeit des christlichen Glaubens.‹ Das fünfte Kapitel des zweiten Buches ist denn auch der Großzügigkeit der Kaiser und der Päpste gewidmet, was Kirchenbauten und deren Ausschmückung angeht, und, wie schon erwähnt, erzählt Thiofrid darin die Geschichte des Merseburger Kelches als ›Beispiel einer heilsamen und gottgefälligen Freigiebigkeit‹ (salutiferae ac Deo placitae liberalitatis exemplum). Metapher, Analogie, interrogatio, Paradoxon: Zur Erklärung der Umpolung weltlicher Werte, nach denen die Fäulnis selbstverständlich wertloser als das feinste Gold ist, greift Thiofrid auf Argumente logisch-rhetorischen Charakters, wie sie auch in der Exegese verwendet wurden, zurück. Seit der Entdeckung eines umfangreichen Echternacher Kommentars zu Priscians Institu­ tiones grammaticae und zur logica vetus, also zur »Isagoge« von Porphyrius und zu den »Kategorien« des Aristoteles, beides im Umkreis von Thiofrid entstanden, kann diese Argumentationsstrategie unter einem neuen Licht betrachtet werden.22 Thiofrid bedient sich in den Flores ausgiebig der rhetorischen Mittel und der logischen Terminologie und Gedankenführung. Ein gutes Beispiel dafür findet sich im zweiten Kapitel des ersten Buches, wo er das widersprüchliche Wesen von Körpern und Seelen beschreibt, die den Charakteristiken ihrer substantia auf positive oder negative Weise entsagen: Caro de terra sumpta sed terrenis uoluptatibus mortua ascendit cum spiritu sursum (Ecl  3,21), spiritus de caelo sumptus sed caelestibus desideriis non accensus immo totus carni deditus descendit cum carne deorsum (Ecl 3,21), et sicut haec infeliciter uictrix in reprobis nec inter supplicia deficit sed semper deficiendo subsistit et moriendo non mo­ ritur, sic ille infelicius uictus semper essentialiter uiuendo non uiuit sed non moriendo moritur, non deficiendo, non subsistendo deficit, subsistit, finitur semper et sine fine est.23

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›Das von der Erde genommene, für weltliche Gelüste jedoch tote Fleisch steigt mit dem Geist hoch empor; der vom Himmel genommene, aber für die Sehnsucht nach dem Himmel nicht entflammte, ja dem Fleisch gänzlich ergebene Geist stürzt mit dem Fleisch hinunter; und wie das Fleisch, das in den Bösen unglücklicherweise siegt, auch nicht mitten in der Pein schwindet, sondern im ständigen Schwinden besteht (subsistit) und im Sterben nicht stirbt, so lebt jener nicht, der noch unheilvoller besiegt wurde, obwohl er seinem Wesen nach (essen­ tialiter) lebt; vielmehr stirbt er, indem er nicht stirbt; indem er nicht erlöscht, erlöscht er; indem er nicht ist, ist er; er endet ständig und ist ohne Ende.‹

An vielen Stellen schöpft Thiofrid seine Terminologie aus Porphyrius und Aristoteles. So wird auf den Unterschied zwischen dem Duft der Gewürze und dem lieblichen Geruch der Heiligen hingewiesen, weil ersterer, der per accidens licet inseparabile insitum est rebus insensibilibus creatis, lediglich zur Ergötzung für die Vernunftswesen dient,24 und Gold und Asche unterscheiden sich specie, non genere, colore, non veritate naturae (das heißt durch die Akzidenzien und nicht durch ihre Substanz).25 Der durch den Tod Christi, der non substantiam, non formam eines Engels übernahm,26 ›geheiligte Staub‹ übersteigt die Schönheit aller irdischen Dinge non qualitate corruptibilis substantiae, sondern dank den ›Vorrechten seiner Verdienste und der freiwilligen Gabe der himmlischen Gnade‹27, und es wird an die accidentalis diffinitio des Schatten ›eines gewissen Lehrers der pragmatischen Philosophie‹ (das heißt Isidors) erinnert.28 Weitere Beispiele dieser Art könnten angehäuft werden. Doch Thiofrid schreibt keinen Traktat der Logik, so einzigartig in seiner Zeit auch der Versuch ist, mit dem Instrumentarium der logica vetus die geheiligte und durch ebendiese Heiligung die Kategorien der menschlichen Vernunft überfordernde Körperlichkeit der Reliquien intellektuell zu begreifen. Er reihte sich in die Tradition der artes liberales ein, jene artes liberales, die in Echternach nachweislich seit dem 9. und 10. Jahrhundert intensiv gepflegt wurden. Grammatikalische Texte und das Corpus der ›alten Logik‹ wurden in diesem Kloster samt Glossenapparaten eifrig abgeschrieben und im 11. Jahrhundert intensiv glossiert.29 Die Flores epytaphii sanctorum stellen somit in gewisser Hinsicht einen Höhepunkt herkömmlicher Schultraditionen dar. Aber Thiofrid schrieb in einem Zeitalter des Überganges, in dem die alten Vertreter der sieben Freien Künste unter Druck kamen, weil eine jüngere Generation auf eine methodische Erneue­ rung drängte, die im Laufe des 12. Jahrhunderts schon wieder als obsolet angesehen wurde. Im Brennpunkt dieses spannenden und für den lateinischen Westen folgenreichen Prozesses, an dessen Ende der Triumph des Aristotelismus erfolgte, standen die eucharistischen Debatten, wie sie durch Berengar von Tours, der 1088 starb (also eine Generation vor Thiofrid), entfacht wurden.30 Ich habe an anderer Stelle zu zeigen versucht, daß Thiofrids Diskurs über die Reliquien und die Reliquiare ohne den Hintergrund der eucharistischen Debatten des späten 11. Jahrhunderts nicht verständlich ist.31 Es geht dabei nicht um die Metapher der ›Realpräsenz‹ des Heiligen in Reliquie und Reliqui-

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ar, wie sie Peter Dinzelbacher in die Diskussion eingeführt hat, sondern um eine höhere Ebene.32 Denn methodisch und inhaltlich folgt Thiofrid dem Weg, welchen der von ihm ausdrücklich in den Flores verurteilte Berengar33 eingeschlagen hatte: methodisch, weil der Rückgriff auf die logica vetus das Primat der Dialektik als unverzichtbares intellektuelles Werkzeug für das menschliche Verstehen betont; inhaltlich, weil Berengar die Gretchenfrage nach der Körperhaftigkeit der Eucharistie gestellt hatte und der sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit den Vorrang zugesprochen hatte. Berengar bezweifelt nicht, daß die Hostie zum Leib Christi wird, er sucht aber nach einer Erklärung, warum das Brot vom Menschen immer als Brot und nicht als Fleisch wahrgenommen wird. Wie bekannt, legte Innozenz III. erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts im vierten Laterankonzil fest, daß die Substanz und die Akzidenzien in der Umwandlung getrennte Wege gehen: In der Eucharistie wandelt sich die Substanz bei unverändert bleibenden Akzidenzien. Es ist die Theorie der Transsubstantia­ tion, die einen wichtigen Punktesieg der aristotelischen Logik darstellte und die indes niemanden richtig zufriedenstellte (am allerwenigsten die Theologen und die Logiker).34 Ohne es zu wollen, ist Thiofrid in seinem Reliquientraktat zum Jünger Be­ rengars geworden. Denn wie dieser geht er von der erfahrbaren Realität des Betrachtungsobjektes aus. Mag er allegorisieren, wie er will, im Mittelpunkt der Betrachtung stehen die Reliquie und das Reliquiar als konkrete Gegenstände, mit denen der Gläubige sinnlich in Kontakt tritt, um am Transferprozeß von Gottes Macht teilzunehmen, indem er die Reliquien bzw. ihre Behälter sieht, riecht, berührt. Die Typologie der Reliquien, die Thiofrid bietet, und seine Betrachtung der Reliquiare basieren auf der sinnlichen Erfahrung, nicht auf einem etwaigen geistigen Wert. Reliquie und Reliquiare werden als sinnfälliges Medium gedeutet, dessen wahrnehmbare Charakteristiken (Form, Material, Farbe, Geruch) die Kategorisierung ihrer Wirksamkeit bedingt. Das hat der Maler, der die beiden die Flores überliefernden Echternacher Handschriften illustrierte, sehr wohl verstanden, denn er zeigt Thiofrid mit einem Blumentopf auf der linken Seite, Gräber, Marterwerkzeuge und Reliquiare auf dem gegenüberliegendem Recto.35 Nach all dem, was bisher gesagt wurde, stellt man fest, daß der Prozeß der Objektivierung der Reliquie, wie er seit der Mitte des 12. Jahrhunderts sinnfälligen Ausdruck in den letzthin vieldiskutierten Reliquiaren, welche die Sichtbarkeit der Reliquie inszenieren, fand, schon zu Beginn desselben Jahrhunderts bei Thiofrid nicht nur ansatzweise vorhanden, sondern intellektuell abgeschlossen ist.36 Wie bei Suger von St. Denis, müssen dabei keine pseudodionysischen Kategorien herangezogen werden, um Thiofrids Ausführungen zu verstehen, denn sie wurzeln im benediktinischen Erbe der Bibelexegese und der Deutung von Autoren wie Gregor dem Großen, dessen Werke (insbesondere die Moralia in Job) von ihm ausgiebig zitiert werden. Antiquiert sind die Flores in der Zeit ihres Entstehens nicht, aber rückwärtsgewandt durchaus: Die Blumen, die Thiofrid auf die Gräber der Heiligen legen

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möchte, riechen schon nach der verwelkenden Tradition des peremptorischen Diskurses ex auctoritatibus. Doch wies der konservative, außerhalb Echternachs und Triers unbekannt gebliebene und auch in der modernen Forschung nach wie vor unterschätzte Thiofrid mit seiner Konzentrierung auf die dinglichen Aspekte des Kultgegenstandes in die objektbezogene Zukunft des Reliquienkultes, in die Zeit der plakativen Reliquien-Inszenierungen, der prunkvollen Reliquien-Schauen und der exzessiven Reliquien-Sammlungen. Diesen ›medial turn‹ in der Reliquienverehrung vermochte der fromme Echternacher Abt in seinen Flores epytaphii sanctorum nicht vorauszusehen, aber scharfsinnig vorauszudeuten.

1 Theodor Klüppel, Reichenauer Hagiogra­ phie zwischen Walahfrid und Berno, Sigmaringen 1980, S. 143–151 (De miraculis et virtutibus sancti Marci evangelistae), hier S. 147. 2 Siehe dazu z. B. Arnold Angenendt, Corpus incorruptum. Eine Leitidee der mittelalter­lichen Re­ liquienverehrung, in: Saeculum 42, 1991, S. 320– 348; Ders., Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 21997, S. 149–152. 3 Guibert de Nogent, Quo ordine sermo fieri de­ beat – De bucella Iudae data et de veritate dominici cor­ poris – De sanctis et eorum pigneribus, hg. von Ro­bert Burchart Constantijn Huy­gens (CCCM 127), Turnhout 1993, S. 79–175. Zu diesem häufig als theoretische Abhandlung über die Reliquien miß­ver­ standenen Werk ist eine Reihe von bedeutenden und weniger bedeutenden Arbeiten erschienen. Ich möchte lediglich auf folgende Beiträge aufmerksam machen: Klaus Schreiner, ›Discrimen veri et falsi‹. Ansätze und Formen der Kritik in der Heiligen- und Reliquienverehrung des Mittelalters, in: Archiv für Kulturgeschichte 48, 1966, S. 1–53, hier bes. S. 31ff.; Klaus Guth, Guibert von Nogent und die hochmittelalterliche Kritik an der Reliquienverehrung (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige, 21. Ergänzungsband), Ottobeuren 1970, S. 35–110; Colin Morris, A Critique of Popular Religion: Guibert of Nogent on the Relics of Saints, in: Geoffrey John Cuming – Derek Baker (Hgg.), Popular Belief and Practice. Papers Read at the Ninth Summer Meeting and the Tenth Winter Meeting of the Ecclesiastical History Society (Studies in Church History 8), Cambridge 1972, S. 55–60; Henri Platelle, Guibert de Nogent et le ›De pignoribus sanctorum‹. Richesses et limites

d’une critique médiévale des reliques, in: Edina Bozóky – Anne-Marie Helvétius (Hgg.), Les reliques. Objets, cultes, symboles. Actes du Colloque international de l’Université du Littoral – Côte d’Opale (Boulogne-sur-Mer), 4–9 septembre 1997 (Hagiologia 1), Turnhout 1999, S. 109ff.; JeanClaude Schmitt, Les reliques et les images, ebd., S. 145–167, hier bes. S. 147ff., jetzt in: Ders., Le corps des images (Le temps de l’image), Paris 2002, S. 273–294, hier bes. S. 275–279. Eine tiefgehende vergleichende Untersuchung zwischen Thiofrids und Guiberts Traktaten sowie anderen Texten des 11. und 12. Jahrhunderts, die Ansätze zu einer Auseinandersetzung mit dem Wesen der Reliquie enthalten (etwa Sermones, aber auch weithin unbekannte und z. T. unedierte, aber inhaltlich ergiebige Abhandlungen wie der Traktat De sancta cruce des 1125 verstorbenen Berengosus von St. Maximin in Trier) soll an anderer Stelle erfolgen. 4 Kritische Edition: Thiofridus Epternacensis, Flores epytaphii sanctorum, hg. von Michele C. Fer­ rari (CCCM 133), Turnhout 1996. Im folgenden wird diese Edition nach Buch, Kapitel und Seite zitiert, z. B. Flores II 6, S. 48f. Die Übersetzungen stammen von mir. Zum Werk Thiofrids und seinem Kontext siehe meine Einführung zur Edition (zit., S. X–LXXIX) sowie folgende Arbeiten: Guth (wie Anm. 3) S. 112–128; Michele C. Ferrari, ›Lemmata sanctorum‹. Thiofrid d’Echternach et le discours sur les reliques au XIIe siècle, in: Cahiers de civilisation médiévale 38, 1995, S. 215– 225; Arnold Angenendt, ›Der Leib ist klar, klar wie Kristall‹, in: Klaus Schreiner – Marc Müntz (Hgg.), Frömmigkeit im Mittelalter. Politisch-soziale Kontexte, visuelle Praxis, körperliche Ausdrucksformen, München 2002, S. 387–398, hier

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S. 391ff.; Bruno Reudenbach, ›Gold ist Schlamm‹. Anmerkungen zur Materialbewer­tung im Mittelalter, in: Monika Wagner – Dietmar Rübel (Hgg.), Material in Kunst und Alltag (Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte 1), Berlin 2002, S. 1–12. Der Beitrag von Gernot R. Wieland, The Hermeneutic Style of Thiofrid of Echternach, in: Ders. – Siân Echard (Hgg.), Anglo-Latin and Its Heritage. Essays in Honour of Arthur George Rigg on His 64th Birthday (Publications of the Journal of Medieval Latin 4), Turnhout 2001, S. 27–47, bietet eine Behandlung der Gräzismen in Thiofrids Vita Sancti Willibrordi. 5 Flores IV 7, S. 99–102. 6 Flores I 2, S. 15. 7 Flores prol., S. 5. Vgl. dazu die Flores-Ausgabe (wie Anm. 4) S. XVI–XX. 8 Zu transfusio und transfundere bei Thiofrid siehe die Einführung zur Flores-Ausgabe (wie Anm. 4) S. XLVII–XLIX. 9 Echternacher Handschriften (beide zwischen 1110 und 1140/50 geschrieben): Gotha, For­schungs­ bibliothek Memb. I 70, fol. 99v–149r; Trier, Stadtbibliothek Hs 1378/103, fol. 88v–131r. Im Trierer Kloster St. Eucharius-Matthias entstand im dritten Viertel des 12. Jahrhunderts eine dritte Abschrift (Bruxelles, Bibliothèque royale 10615– 10729, fol. 13r–21r). Siehe die Einführung zur Flores-Ausgabe (wie Anm. 4) S. LXXX–LXXXV. 10 Angenendt (wie Anm. 4) S. 392: »Auch für Thiofrid inhärierte das Licht den Reliquien selbst«. 11 Vgl. z. B. Jean-Claude Schmitt, Le corps, les rites, les rêves, le temps. Essais d’an­thro­pologie médiévale, Paris 2001, S. 344–359 (dort die ältere Literatur). 12 Vgl. z. B. Flores I 2 (De spiritus et carnis post duellum concordia et felicitatis utriusque praeroga­ tiua, ›Über die Eintracht von Körper und Seele nach ihrem Zweikampf und über die Vorrechte der Glückseligkeit, die beiden eigen ist‹). 13 Gary Macy, Of Mice and Manna. Quid sumit mus as a pastoral question, in: Recherches de théo­ logie ancienne et médiévale 58, 1991, S. 157–166. 14 Plato latinus, 4: Timaeus a Calcidio trans­latus commentarioque instructus, hg. von P. J. Jensen – Jan Hendrik Waszink (Corpus platonicum medii aevi 4), London – Leiden 1962. 15 Flores II 6, S. 48f. 16 Vgl. Hans Belting, Bild-Anthropologie. Ent­ würfe für eine Bildwissenschaft, München 22002, S. 11–14.

17 Zum Merseburger Kelchwunder vgl. um­ fassend Robert W. Scheller, Die Seelen­wägung und das Kelchwunder Kaiser Heinrichs II., in: Koninklijke Nederlandse Akademie van Weten­ schapen: Mededlingen van de Afdeling Letterkunde N. R. 60/4, 1997, S. 150–213 (Abb.; der Verfasser kennt jedoch die Thiofrid-Stelle nicht, obwohl sie möglicherweise die früheste und auf jeden Fall eine sehr ausführliche Fassung der Legende bietet); Reudenbach (wie Anm. 4) S. 1ff.; Peter Chris­tian Jacobsen, Das Totengericht Kaiser Heinrichs II. Eine neue Variante aus dem Echternacher ›Liber aureus‹, in: Mittellateinisches Jahrbuch 33, 1998, S. 53–58, druckt hingegen eine späte Abschrift der Flores-Stelle aufgrund einer Echternacher Handschrift des 13. Jahrhunderts ab (Gotha, Forschungsbibliothek Memb. I 71, f. 97v). Die Quelle des Textes ist ihm leider verborgen geblieben. 18 Flores II 3, S. 37. 19 Flores II 1, S. 31f. 20 Flores II 1, S. 33. 21 Flores II 4, S. 40. 22 Luxemburg, Bibliothèque nationale MS 9. Vgl. Michele C. Ferrari, Schulfragmente. Text und Glosse im mittelalterlichen Echternach, in: Ders. – Jean Schroeder – Henri Trauffler (Hgg.), Die Abtei Echternach 698–1998 (Publications du Centre luxembourgeois de documentation et d’études médiévales 15), Luxemburg 1999, S. 123–158, hier S. 137–151. 23 Flores I 2, S. 12f. 24 Flores I 6, S. 25f. 25 Flores II 2, S. 34. 26 Flores I 4, S. 20. 27 Flores II 3, S. 37. 28 Flores III 2, S. 62. 29 Vgl. Michele C. Ferrari, Sancti Willibror­di venerantes memoriam. Echternacher Schreiber und Schriftsteller von den Angelsachsen bis Johann Ber­tels. Ein Überblick (Publications du Centre luxembourgeois de documentation et d’études médiévales 6), Luxemburg 1994, S. 24–29; Ferrari, Schulfragmente (wie Anm. 22) S. 147–150. 30 Zu Berengar und den weitreichenden Konsequenzen des von ihm entfachten Eucharistiestreites liegt eine unübersichtliche Anzahl von Studien vor. Ich verweise lediglich auf folgende Arbeiten: Josef Geiselmann, Die Eucharistielehre der Vorscholastik (Forschungen zur christlichen Literatur- und Dog­mengeschichte 15, 1–3), Pader-

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born 1926; Jean Montclos, Lanfranc et Bérenger. La controverse eucharistique du XIe siècle (Spicilegium sacrum Lovaniense, Etudes et documents 37), Löwen 1971; Brian Stock, The Implications of Literacy. Written Language and Models of Interpretation in the Eleventh and Twelfth Centuries, Princeton 1983, S. 252–315, hier bes. S. 273–281; Gary Macy, The Theologies of the Eucharist in the Early Scholastic Period. A Study of the Salvific Function of the Sacrament According to Theologians c. 1080–c. 1220, Oxford 1984, bes. S. 35–53; Peter Ganz – Ro­bert Burchart Constantijn Huy­ gens – Fried­rich Niewöhner (Hgg.), Auctoritas und ratio. Studien zu Berengar von Tours (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 2), Wiesbaden 1990; Giu­ lio d’Onofrio, La crisi dell’equilibrio teologico alto­medievale (1030–1095), in: Ders. (Hg.), Storia della teologia nel medioevo, 1: I principi, Casale Monferrato 1995, S. 435–480; Toivo J. Holopainen, Dialectic and Theology in the Eleventh Century (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mit­ telalters 54), Leiden 1996; Marta Cristiani, Tempo rituale e tempo storico – Comunione cristiana e sacrifi­cio. Le controversie eucaristiche nell’alto me­dioevo (Centro italiano di studi sull’alto me­dio­ evo: Collectanea 8), Spoleto 1997, S. 165–194; Mi­ chele C. Ferrari, Zwei mittelalterliche Schul­meister, Horaz und das Schicksal des Bil­dungs­systems. Gozechins von Mainz Epistola ad Walcherum und Meinhard von Bamberg, in: Andreas Haltenhoff – Fritz-Heiner Mutschler (Hgg.), ›Hortus litterarum antiquarum‹. FS Hans Armin Gärtner, Heidelberg 2000, S. 107–123. 31 Vgl. Ferrari, ›Lemmata sanctorum‹ (wie Anm. 4), sowie die Einführung zur Flores-Ausgabe (wie Anm. 4) S. XLIX–LIX.

32 Peter Dinzelbacher, Die ›Realpräsenz‹ der Heiligen in ihren Reliquiaren und Gräbern nach mittelalterlichen Quellen, in: Ders. – Dieter R. Bau­ er (Hgg.), Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart, Osterfildern 1990, S. 115–174. 33 Flores IV 2, S. 88. 34 Zum überaus komplexen und weit gefächerten Thema der Eucharistielehre in Theo­logie und Kulturgeschichte verweise ich auf die in der Anm. 30 angegebene Literatur und nenne darüber hinaus lediglich folgende Arbeiten: Hans Jorissen, Die Entfaltung der Transsubstantiations­ lehre bis zum Beginn der Hochscholastik (Münsterische Beiträge zur Theologie 28/1), Mün­ster i. W. 1965; Joseph Goering, The Invention of Transsubstantiation, in: Traditio 46, 1991, S. 147–170; Miri Rubin, Corpus Christi. The Eucharist in Late Medieval Culture, Cambridge 1991; Godefridus J. C. Snoek, Medieval Piety from Relics to the Eucha­ rist. A Process of Mutual Interaction (Studies in the History of Christian Thought 63), Leiden 1995; Gary Macy, Treasures of the Storeroom. Medieval Religion and the Eucharist, Collegeville, Minn. 1999. 35 Gotha, Forschungsbibliothek Memb. I 70, fol. 98v–99r; Trier, Stadtbibliothek Hs 1378/103, fol. 87v–88r. Vgl. die Farbtafeln I–IV und die Ausführungen in der Flores-Ausgabe (wie Anm. 4) S. LIX– LXXI. 36 Siehe Christof L. Diedrichs, Vom Glauben zum Sehen. Die Sichtbarkeit der Reliquie im Reliquiar. Ein Beitrag zu Geschichte des Sehens, Berlin 2001, den Beitrag von Gia Tous­saint im vorliegenden Band sowie schon Hans Belting, Das Bild und sein Publikum im Mittelalter. Form und Funk­tion früher Bildtafeln der Passion, Berlin 1981, S. 128ff.

Hedwig Röckelein

Die ›Hüllen der Heiligen‹. Zur Materialität des hagiographischen Mediums

I. Intermedialität: Reliquiar – Stoff – Hagiographie Der mittelalterliche Heiligenkult baute auf die sinnliche Wahrnehmung der Gläubigen und die Sichtbarkeit der Wirkung des Heiligen. Dem stand entgegen, daß die körperlichen Überreste der Heiligen unansehnlich waren, das Wunderwirken unsichtbar. Die Hüllen der Heiligen indes, die Reliquiare und Stoffe, stellten die Reliquien zur Schau, machten sie sichtbar und attraktiv. Sie repräsentierten die Heiligkeit des Inhaltes und vermittelten, begründeten und bezeugten dadurch sanctitas, wie Bruno Reudenbach ausgeführt hat.1 Unsere Tagung befaßt sich auf vielfältige Weise mit dem Paradox, daß die Reliquiare und Stoffe die materiellen Überreste der Heiligen einerseits verhüllen, um sie zu schützen, daß sie andererseits dank ihrer prächtigen Ausstattung aber auf das Unsichtbare in ihrem Inneren hinweisen und verweisen. Wie Horst Bredekamp gezeigt hat, interpretierte Isidor von Sevilla in den Etymologien den Schrein als Kleid des Heiligen. Der Künstler des Isidor-Schreins nahm die Metapher auf und setzte das Bild der Entkleidung, der Enthüllung, ein für die Deutung, die Erklärung, des göttlichen Geschehens und der sanctitas des Heiligen.2 Die Diskussion um die Medien des Verhüllens konzentrierte sich auf der Tagung ausschließlich auf die Reliquiare. Mindestens ebenso bedeutsam sind freilich die textilen Hüllen, in die die Reliquien verpackt wurden, bevor sie in die Schreine gelangten. Gegenstand meines Beitrags sind nicht die materiellen, sondern die geistigen Hüllen der Heiligenreliquien. Gemeint sind die Texte, die den Heiligen und deren Reliquien beigegeben wurden zur Identifizierung und als Authentizitätsbeweis, für die Kultpropaganda und als Anweisung für die liturgische Feier. Der hagiographische Text verhält sich ähnlich wie das Reliquiar und der Stoff zum Kultobjekt. Er schmückt den Heiligen, er enthüllt den Gläubigen dessen wahre Bedeutung, er offenbart und kommuniziert dessen virtus, dessen Tugend und Heilkraft. Für den Dichter und Autor ist das Wort, die Schrift, das symbolische Textil, mit dem er den Heiligen einkleidet. Der hagiographische Text wird wie ein kompliziertes und komplexes Gewebe angelegt, die Textur

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mit Edelsteinen und Perlen geschmückt. Die Schrift über den Heiligen bedient sich mithin ähnlicher Techniken des Verhüllens und Sichtbarmachens wie die Textilien und die Schreine. Obgleich sich die Hagiographie mit dem geschriebenen und gesprochenen Wort eines anderen Mediums bedient als die Reliquiare und die Stoffe, sind die Medien nicht streng voneinander getrennt, sondern vermischen sich auf und in den Körpern der medialen Träger. Das geschriebene Wort des biblischen oder hagiographischen Textes liefert in Auszügen Leitsätze für die Inschriften auf den Reliquiaren.3 Hagiographische Erzählungen werden auf den Schreinen in Bilderzählungen überführt.4 Intermedial angelegt sind auch die illuminierten hagiographischen Codices, die das visuelle Medium in den Text implantieren, um die Erzählung zu verdoppeln, zu ergänzen oder ihr kontrafaktisch eine andere ›Lesart‹, sprich Deutung, zu unterschieben.5 Michele Ferrari hat uns in seinem Vortrag über die Flores epytaphii sanctorum des Thiofrid von Echternach einen zeitgenössischen Schlüsseltext zum Verständnis der Reliquiare als Medien des Verhüllens und des Sichtbarmachens des Heiligen vorgestellt.6 Ich will die Hagiographie hier nicht als Zeitzeugen für den Gebrauch und die Funktion von Reliquien und Reliquiaren befragen. Vielmehr geht es darum, anhand der formalen Struktur hagiographischer Texte und ihrer pragmatischen Verwendung funktionale Gemeinsamkeiten zwischen hagiographischem Text, Reliquiar und stofflicher Hülle herauszuarbeiten.

II. Materialität und Form der Hagiographie Bevor wir über Materialität und Form der Hagiographie sprechen, müssen wir uns klar machen, daß die Textgattung der Hagiographie nicht über eine literarische Form, sondern über den Inhalt definiert wird. Hagiographie kann jeder Text sein, der von einem Heiligen handelt.7 Die Form des Schreibens bzw. Sprechens über den Heiligen ergibt sich aus der performativen Situation, aus der vom Autor intendierten Perzeption des auf den Heiligen bezogenen Inhalts. Ein Großteil der hagiographischen Texte war nicht für die stille Lektüre, sondern für das laute Vorlesen und Hören bestimmt. Den materiellen Hüllen der Heiligen, den Schreinen und Stoffen, stehen strukturell und formal die narrativen Varianten der Hagiographie am nächsten, die passiones und vitae, die über die Leiden und die Lebensgeschichte der Heiligen berichten. Die mittelalterlichen Autoren fassen das Erstellen des hagiographischen Textes als handwerkliche Tätigkeit des Webens und Flechtens auf. Sie bezeichnen ihre Arbeitsweise als texere (weben, flechten), das Produkt ihrer Bemühungen als textus (Gewebe).8 Die Metapher des Webens und Flechtens für literarische Texte findet sich bereits in der griechischen und lateinischen Rhetorik.9 In frühchristlicher Zeit wurde sie zunächst ausschließlich für die Genese des biblischen Textes verwendet,10 von dort wohl wegen des engen thematischen Zusammenhangs (die

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Märtyrer als imitatores der passio Christi) und der ursprünglichen Wortbedeutung von ›Hagiographie‹11 in diese Textgattung überführt.12 1. Der Werkstoff des Hagiographen Willibald, der um 763/65 auf Veranlassung der Bischöfe Lullus von Mainz und Megingoz von Würzburg die Lebensgeschichte des Missionars Bonifatius verfaßte, gibt Einblick in seine Weberwerkstatt, in den Produktionsprozeß der literarischen Hülle für Bonifatius.13 Der angelsächsische Priester beschreibt die Schwierigkeit, aus den Erzählungen derjenigen, die den Heiligen persönlich kannten, und aus dem Erzählmuster der Gattung einen Text weben zu müssen, da er dem Heiligen zu Lebzeiten selbst nicht begegnet war: ›Wir wollen also versuchen, das herrliche und in Wahrheit selige Leben des heiligen hohen Priesters Bonifatius sowie sein durch Nachahmung der Heiligen hochgeweihtes Wesen, obschon durch das Dunkel der Erkenntnis behindert, in den dünnen Grundfaden dieses Werkleins einzuflechten und mit der einfachen Decke der Erzählung, wie wir sie aus den Berichten frommer Männer vernommen haben, die als Zeugen seines täglichen Umgangs und seines frommen Wandels das, was sie gehört und gesehen, der Nachwelt zum Vorbild überlieferten, in der Sammlung der spärlichen Mitteilungen zu einem Gewebe zu knoten (…).‹14

Willibald zog zunächst die Fäden der Kette, das stamen, als Grundgerüst ein, dann verdichtete er sie durch den Einschlag der Schußfäden, das subte(g)­men.15 Als stamen wird erstens die Grundstruktur des textilen Gewebes bzw. die Struktur des hagiographischen Textes bezeichnet,16 zweitens das fertige Gewebe und drittens der gesponnene Faden, der Schicksals- und Lebensfaden des Missionars und Märtyrers Bonifatius. In die Kettfäden schoß Willibald die mündlich überlieferten Erzählungen über den Heiligen ein sowie die Bonifatiusbriefe und zeitgenössischen Urkunden. Das Rohmaterial für die Taten, Tugenden und Wunder der Heiligen bezogen die Hagiographen aus Nachrichten unterschiedlicher Qualität: aus der eigenen Anschauung (Augenzeugenbericht), aus mündlichen Erzählungen der Zeitgenossen,17 aus verschriftlichten passiones oder älteren Redaktionen der vita,18 aus Briefen und Urkunden (litterae).19 Wie das Reliquiar so kompensierte auch der hagiographische Text das Defizit der fragmentarischen Überlieferung des Heiligen bzw. der Reliquie. Der Hagiograph wie der Goldschmied rekonstruierten die ursprüngliche Form und Gestalt (Biographie) des Heiligen. Sie verhalfen ihm zu einem corpus incorruptum, zu einem ganzen Leib und Leben, der Voraussetzung seiner Wirkmächtigkeit.

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2. Die Webtechniken, die Ausschmückung (decus, Ornament) und der Umfang des hagiographischen Textes Sobald die Kette aufgespannt war, hatte der Hagiograph zu entscheiden, welcher Webart und -technik er sich bediente, um dem Stoff eine Ordnung und Struktur zu verleihen. Er war hier vor die Alternative gestellt, das Material chronologisch oder systematisch zu disponieren.20 Die chronologische Abfolge entsprach nach antiker Rhetorik der Natur (ordo naturalis). Aufgrund des allgemeinen Erfahrungswissens stellte sie das nächstliegende Prinzip der Biographie dar. Literarisch ambitionierte Autoren ordneten ihre Erzählung hingegen systematisch (ordo artificialis), setzten inhaltliche Schwerpunkte, trafen eine Auswahl aus dem Fundus der res gestae, verzichteten auf die vollständige Wiedergabe der historischen Ereignisse und muteten ihren Lesern Zeitsprünge zu. Wurden Fragmente, Versatzstücke aus anderen (hagiographischen, historiographischen, urkundlichen o. a.) Texten übernommen und eingefügt (interse­ rendo bzw. inserendo texere), so mußten die Anschlußstellen miteinander verwoben werden, um das Auseinanderbrechen des Stoffes an den Anstoßstellen zu verhindern.21 Für die lectiones am Fest des Heiligen, im monastischen Stundengebet, während der Messe und im Refektorium, wurde ein Prosatext verfaßt, für die private lectio der Mönche und den Schulunterricht eine metrische Version. Zweifelsohne schmückte das Metrum als die höhere Kunstform den Heiligen mehr als die Prosa. Sie zierte den Heiligen wie ein edelsteinbesetzter Reliquienschrein.22 Allerdings stellte die Versifikation den Dichter vor größere Herausforderungen. Den Lohn für seine Mühe werde er im Jenseits empfangen, so das Versprechen. Ob die gebundene oder die ungebundene Rede die dem Heiligen angemessenere Form sei, war unter den Dichtern und Theologen umstritten.23 Die Befürworter der Versifizierung argumentierten, das in Versform Vorgetragene hafte den Zuhörern (insbesondere den Schülern) besser im Gedächtnis und im Vers lasse sich ein Sachverhalt kürzer ausdrücken als in der Prosa.24 Zur Erbauung und Belehrung (aedificatio) trete zudem in der Versform das Vergnügen (delectatio) hinzu. Alkuin war hier anderer Ansicht: Er meinte, der Vers erschwere das Verständnis des Inhalts. Andere behaupteten sogar, die kunstvolle Poesie sei das Instrument der Lüge, die Wahrheit komme allein in der Prosa zur Geltung. Trotz seiner Vorbehalte gegenüber der Verwendung des Versmaßes dichtete Alkuin selbst metrische Heiligenleben. Dem Echternacher Gründerheiligen Willibrord widmete er vier verschiedene Fassungen der vita: eine Prosaversion für die liturgische Anniversarfeier, eine Homilie als Grundlage der Laienpredigt am Heiligenfest,25 eine metrische Fassung für die stille Lektüre der Mönche und ein Gedicht (carmen), das die Mönche am Todestag von Willibrords Vater Wilgis für dessen Seelenheil beten sollten.26 Das Gewebe des hagiographischen Textes wurde ausgeschmückt und verziert wie ein Reliquiar, wie ein textiler Stoff. Die kunstvollen rhetorischen Figu-

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ren sind den Edelsteinen (gemmis) und Perlen (margaritis)27 vergleichbar, die den Stoffen oder metallenen Hüllen appliziert wurden. Kontrovers wie die Versifikation war unter den Dichtern der Umfang und die Vollständigkeit der Erzählung. Brevitas und prolixitas des Textes wurden zur moralischen Qualität des Heiligen in Beziehung gesetzt. Viele Hagiographen hielten die brevitas für eine virtus narrationis28 zum Lob der Heiligen, insbesondere seiner Wunderkraft.29 Würde er alle Wunder des hl. Eutropius der Reihe nach weben, so könnte kein Band (volumen i.e. ›Codex‹) fassen, was der heilige Bischof von Saintes im Leben und danach an Wunderbarem gewirkt habe, so der anonyme Hagiograph.30 Zu Beginn des Mittelalters interpretierten die Hagiographen in antiker Tradition brevitas als Prägnanz, als konzise Klarheit (claritas)31, die mit der Eindeutigkeit der Wunderzeichen des Heiligen korrespondiere.32 Brevitas und claritas galten als die dem Gegenstand angemessenen rhetorischen Figuren. Sie symbolisierten das Strahlen und Leuchten des heiligen Leibes (claritas und gloria), der den Gestirnen gleiche (vgl. I Cor 15). Seit dem Hochmittelalter verstand man unter brevitas nicht mehr allein Klarheit, sondern zunehmend auch den quantitativen Umfang der Erzählung. Als Leitbild für die kurze, summarische Darstellung (brevis, summatim) diente der Prolog zum zweiten Kapitel des zweiten Makkabäerbuches.33 Im Zuge des Neu-Schreibens, der Umarbeitung der älteren Fassungen, der sog. Ré-écriture der Hagiographie, fielen Legionen von Wundern den Kürzungen zum Opfer.34 Diese neue Auffassung der brevitas kollidierte allerdings mit dem ordo naturalis, der »nicht nur die korrekte chronologische Reihung einzelner ausgewählter Geschehnisse meint, sondern darüber hinaus eine vollständige, lückenlose Folge aller zu einem Ereigniszusammenhang gehörigen Vorgänge, welche die realen Zeitverhältnisse adäquat widerspiegelt und das Ideal der Klarheit und geschichtlichen Wahrheit so weit wie möglich realisiert«.35 Werde ein Geschehniszusammenhang zu sehr verkürzt, so bestehe die Gefahr der Verdunkelung (obscuritas) und des falschen Verständnisses (falsitas), so schon die Bedenken der frühmittelalterlichen Kritiker.36 Sie plädieren für amplificatio, prolixitas, or­ natus.37 Erst die Länge nämlich erzeuge »Wahrheit«.38 Denn die Anzahl und Länge der Wunderereignisse sei durch den unerforschlichen Willen Gottes vorgegeben und Teil der Verkündigung. Daher dürfe der Dichter keines der Wunder verschweigen.39 Die hochmittelalterlichen Hagiographen suchten den Mittelweg zwischen brevitas und ornatus. Marbod von Rennes und Syrus, der Biograph des Majolus von Cluny,40 kehrten zum aristotelischen Ideal (Rhetorik, III,16) zurück, wonach die beste Darlegung des Sachverhaltes den Mittelweg zwischen prolixitas und brevitas suche.

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III. Die Funktion der Hagiographie bezüglich der Reliquie und des Heiligen Nachdem nun die formalen und materiellen Übereinstimmungen zwischen Reli­quiaren, Stoffen und Hagiographien als Hüllen der Heiligen aufgezeigt wurden, will ich nun die Gemeinsamkeiten der drei Medien hinsichtlich ihrer Effizienz und Funktion herausstellen. 1. Authentizität, Echtheit, Beweis der virtus Wie das Reliquiar, so beweist die Heiligenvita die Echtheit und Authentizität der Reliquie.41 Beide bezeugen die Zugehörigkeit des Fragments zum heiligen Körper und bürgen für dessen Alter und Herkunft. Bei der Translation der Reliquie wurde die Abschrift der passio oder vita als libellus mitgegeben. Das ›Begleitpapier‹ bewies die Identität des Heiligen in zweifacher Weise: Zum einen verbürgte es die Identität mit dem heiligen Körper, von dem das Partikel abgenommen war. Damit war die Echtheit der Reliquie bewiesen. Zum anderen teilte es den Namen und das Leben des Heiligen mit, gab es dem Heiligen eine unverwechselbare Identität. Beide Funktionen erfüllte auch die ›Authentik‹, das Zettelchen mit dem Namen des Heiligen, das der in Stoff gehüllten Reliquie angeheftet wurde.42 Der libellus ermöglichte die Propaganda des Heiligen, seiner Geschichte und seiner virtus am Bestimmungsort. 2. Kommunikation und Performanz Der hagiographische Text war ein auf Performanz angelegtes Medium, das im liturgischen Ritus kommuniziert wurde. Für die Liturgie wurde der Text in kurze Abschnitte portioniert und für den Gesangsvortrag neumiert. Die Abschnitte wurden am Festtag des Heiligen, am Vorabend und in der Oktav des Festes während des Chorgebets gelesen oder gesungen. Längere Passagen wurden während der Predigt in der Messe zitiert und ausgelegt (Sermo und Homilie) sowie im Refektorium während der Mahlzeiten vorgelesen. Im Unterricht diente er den Schülern als Grammatikübung. Sie schulten sich an ihm in der Kunst der gebundenen Rede und benutzten ihn zum Gedächtnis­training. Die Lesung der passio oder vita an den Heiligenfesten vergegenwärtigte das Heilige im Raum. Durch den liturgischen und paraliturgischen Vortrag heiligte der hagiographische Text – neben anderen Medien – den Raum, setzte ihn als heiligen Ort in Szene. Mit Hilfe der Aufrufung und Anrufung des Namens und der Lebensgeschichte wurde der Heilige den Zuhörern in Erinnerung gerufen, erlangte er mentale und spirituelle Präsenz. Die zwischen der Lebenszeit des verstorbenen Heiligen und der Gegenwart des Kultes und der Verehrung der Lebenden vergangene Zeitspanne wurde durch die Anrufung überbrückt. Das Wort evozierte den Heiligen temporär, an den Festtagen des Heiligen anläßlich seiner Geburt bzw. seines Todes, seiner Elevation, Translation und Deposition. Die Lesung weckte zwar kurzzeitig die Erinnerung an den Heili-

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gen, sie konnte ihm aber nicht zu permanenter Präsenz verhelfen wie das materielle Reliquiar, das dauerhaft und öffentlich sichtbar im Kirchenraum aufgestellt war. Da sie an den flüchtigen Moment des Vortrags gebunden ist, ist die Perzeptionsintensität des Hörens geringer als die des Sehens und Schauens, die durch die permanente Präsenz des materiellen Objektes jederzeit wiederholt und vertieft werden kann. Kontinuierlicher als durch das Wort wirkte der Heilige in den visuellen Zeichen, seinem Grab und seinem Schrein. War der Heilige in Vergessenheit geraten, so empfahl sich die Erhebung der Gebeine (Elevation) zur Wiederbelebung des Kultus. 3. Die kommunikative Funktion der Hagiographie 3.1  Religiöse Funktion: Hagiographie und religiöse Gemeinschaft (Ekklesiologie) Mimetische Reliquiare (sog. ›redende‹ bzw. ›sprechende‹ Reliquiare) bilden nicht unbedingt die Körperteile der Heiligen ab, die sie beherbergen. Vielmehr verweisen sie, wie Bruno Reudenbach herausgearbeitet hat, auf den ekklesiologischen Kollektivleib.43 Auch der hagiographische Text weist über den individuellen Heiligen hinaus auf die Gemeinschaft der Gläubigen, die lebendigen Bausteine der Kirche. Die Bezugnahme auf biblische Vorbilder stellt den Heiligen als Nachfolger Christi vor, am deutlichsten in den Wundern und im Martyrium. Der hagiographische Text entgrenzt dabei die Zeit. Er verbindet die Vergangenheit der Bibel und des Heiligen mit der Gegenwart, der Schreibzeit des Hagiographen wie der Rezeptionszeit des Lesers und Hörers. Vergangenheit und Gegenwart deuten ihrerseits voraus auf die Zukunft, das himmlische Paradies, in das der Heilige dank seines vorbildlichen Lebens oder seines Martyriums bereits vor der Zeit eintreten durfte. Die ekklesiologische Dimension wird im hagiographischen Text vor allem durch den Bezug auf das Neue Testament hergestellt, weniger durch das Zitat – in den Heiligenviten wird meist nur in den Prologen mit der Bibel argumentiert, hingegen selten in der Heiligenerzählung –, sondern durch die Imitation der Handlungen und Lebensweise Christi. Der Hagiograph modelliert den Heiligen, seine Lebensführung, seine passio und sein postmortales Wunderwirken nach dem Vorbild Christi. Deshalb dominieren in den hagiographischen Erzählungen die christologischen Heilungen von Blinden, Taubstummen und Verkrüppelten sowie die Erweckung von Toten und die Austreibung von Dämonen. Das Wunder – so beteuern die theologisch geschulten Hagiographen unermüdlich – sei nicht der Tatkraft des Heiligen, sondern der Macht und dem Willen Gottes zu verdanken.44 Die virtus des Heiligen sei nur das Gefäß, die Mittlerschaft zwischen göttlicher Kraft und dem Menschen.45 Ähnlich ist auch die Wirkung der Reliquie und des Reliquiars keine selbsttätige, sondern eine intermediäre, durch die Kraft Gottes hervorgerufene.

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3.2  Soziale Funktion: Hagiographie und soziale Gemeinschaft: Schutz (Patronat) und Identität Der hagiographische Text appelliert an die Reliquien besitzende Gemeinschaft als Kultgemeinschaft. Die Hagiographie wie das Reliquiar tragen zur Identitätsfindung der Gemeinschaft von Mönchen, Klerikern und Laien (Stadtgemeinde, Bruderschaft) bei. Die Erzählungen über den Heiligen werden mit den Gründungsmythen der sozialen und religiösen Gemeinschaften verwoben, die ebenfalls Identität stiften. Der Mythos wie die Heiligenerzählung fundieren Tra­ditionen, sie fördern den sozialen und religiösen Zusammenhalt besonders in Zeiten der Krise, des Verfalls und der äußeren Bedrohung. Die Erzählungen über heilige Bischöfe oder andere Schutzpatrone, die ihre civitas vor Krieg und Katastrophen (Brand) schützen, entschärfen innerstädtische Konflikte und/ oder werden benutzt, um Rebellionen gegen den bischöflichen Stadtherrn oder das Regiment des Rates zu unterdrücken.

IV. Fazit und Defizit Reliquiare, Stoffe und Heiligenerzählungen umhüllen die Reliquien und die Heiligen. Die Textgewebe der Hagiographen konkurrierten mit den hochwertigen orientalischen Stoffen, in die die physischen Überreste der Heiligen gehüllt waren, und mit den Reliquiaren, den Behältnissen aus kostbaren Mate­ rialien (Gold, Silber, Bergkristall) und Dekoren (Edelstein, Perlen). Der Weber, der Goldschmied und der Dichter waren gleichermaßen bemüht, ihre Kunst, ihr Medium, in höchster Qualität auszuführen, um den kostbaren Inhalt, die Reliquie und den Heiligen, zu ehren. Die Hüllen – der Schrein, der Stoff und der hagiographische Text – kommunizierten die Qualitäten der Heiligen, legten den Beweis ihrer Echtheit ab. Die Schutzhüllen der Weber und der Goldschmie­ de dienten dazu, die Reliquien vor dem physischen Verfall zu bewahren; die Texthüllen der Hagiographen schützten die Heiligen vor dem Vergessen. Die älteren, wiederverwendeten und in einen neuen Kontext gestellten Versatzstücke des hagiographischen Textes und die antike Rhetorik und Topik verliehen dem Text, wie die Spolien dem Reliquiar, hohes Alter und die Nähe zu ihren ältesten Vorbildern, zu Christus und den Aposteln.46 Wie die orientalischen Stoffe auf den geographischen Ursprung des Christentums verwiesen, so stellten die Anleihen der Dichter aus der griechischen und lateinischen Rhetorik die Beziehung zum Heiligen Land und zu Rom her. Die Anciennität der Spolien und der rhetorischen Figuren erhöhte das Ansehen und die Autorität des Heiligen. Wie man Heiligenfiguren gelegentlich ein neues Gewand anlegte, wie man Heiligenschreine von Zeit zu Zeit umarbeitete, so wurden auch die Texthüllen der Heiligen modernisiert und aktualisiert. Nicht nur in den literarischen Ansprüchen ehrgeiziger Reformer, sondern auch in der stilistischen Anpassung an den Zeitgeist ist eine der Ursachen für die Ré-écriture der Hagiographie zu sehen. Es bliebe zu klären, ob die Phasen der Ré-écriture zeitlich zusammenfal-

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len mit der Elevation und der Anfertigung eines neuen Schreines für die Reliquien oder eines neuen Gewandes für die Heiligenskulptur. Die drei Formen der Hüllen von Heiligen, die hier vergleichend untersucht wurden, ergänzen sich und verstärken sich gegenseitig in ihrer Wirkung – aber sie konkurrieren auch miteinander. Die mittelalterliche Lehre der sensus und affectus und deren moralische Hierarchien müßten in die weiteren Überlegungen einbezogen werden, um die spezifischen perzeptiven und rezeptiven Stärken und Schwächen dieser Medien besser zu erfassen.47

1 Bruno Reudenbach, Reliquiare als Heiligkeitsbeweis und Echtheitszeugnis. Grundzüge einer problematischen Gattung, in: Vorträge aus dem Warburg-Haus 4, 2000, S. 3–29, zum Paradox bes. S. 7f. 2 Vgl. den Aufsatz von Horst Bredekamp in diesem Band. 3 Inschriften auf Reliquiaren wurden auf dieser Tagung leider nicht behandelt. Sie waren Gegenstand zweier Vorträge der 10. Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik in Halberstadt vom 20.–23. Mai 2004: Peter Stotz, Zürich, »Beobachtungen zu metrischen Inschriften auf Werken der Schatzkunst: Formen, Gehalte, Traditionen«; Martina Junghans, Köln, »Inschriften an Reliquiaren in Form eines Körperteils«. 4 Seit dem 12. Jahrhundert wird die virtus des Heiligen zunehmend ›verbildlicht‹, sowohl auf den Schreinen wie auch in illuminierten Ausgaben des hagiographischen Textes im Codex. Vgl. dazu Reudenbach (wie Anm. 1) S. 22ff.; Werner Telesko, Imitatio Christi und Christoformitas. Heilsgeschichte und Heiligengeschichte in den Programmen hochmittelalterlicher Reliquienschreine, in: Gottfried Kerscher (Hg.), Hagiographie und Kunst. Der Heiligenkult in Schrift, Bild und Architektur, Berlin 1994, S. 369–384 (Hadelinusschrein [Visé bei Dinant], Kölner Dreikönigenschrein, Aachener Karlsschrein, Marburger Elisabethschrein); Susanne Wittekind, Heiligenvita und Reliquienschmuck im 12. Jahrhundert. Eine Studie zum Deutzer Heribertschrein, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 59, 1998, S. 7–28. 5 Zu den verschiedenen Systemen des TextBild-Bezugs vgl. Cynthia Hahn, Portrayed on the Heart. Narrative Effect in Pictorial Lives of Saints from the Tenth through the Thirteenth Centuries, Berkeley 2001; dezidiert nachgewiesen an einem Beispiel: Passio Kiliani – Ps.-Theotimus, Passio

Margaretae – Orationes. Vollständige Faksimile-Ausgabe in Originalformat des Codex Ms. I 189 aus dem Besitz der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover. Kommentarband von Cynthia Hahn, Einleitung, Transkription und Übersetzung der Texte von Hans Immel (Codices selecti 83), Graz 1988. 6 Besonders Thiofridus Epternacensis, Flores epytaphii sanctorum, hg. von Michele C. Ferrari (CCCM 133), Turnhout 1996, S. 137; vgl. dazu den Beitrag von Michele C. Ferrari in diesem Band sowie Michele C. Ferrari, Lemmata sanctorum. Thiofrid d’Echternach et le discours sur les reliques au XIIe siècle, in: Cahiers de civilisation médiévale: Xe–XIIe siècle 38, 1995, S. 215–225 sowie Reudenbach (wie Anm. 1) S. 3. 7 Zu den hagiographischen Formen zählt Guy Philippart, Hagiographes et hagiographie, hagiologes et hagiologie: des mots et des concepts, in: Hagiographica 1, 1994, S. 1–16, hier S. 2: »hymnes et visions, biographies et inscriptions épigraphiques, translations et annonces martyrologiques, sermons et miracles, inventions et pas­sions, autobiographies et lettres, contes et épi­taphes, prières et jurons, éloges et chroniques, exempla et préfaces liturgiques, apophtegmes et bénédictions rituelles, poèmes et drames religieux, panégyriques et dialogues, litanies et calendriers.« 8 In der Hagiographie weniger gebräuchlich ist die florale Metapher. Sie ist die der Historiographie, dem genus floridum vel medium, eigene Metapher. Vgl. dazu Gert Melville, Zur ›FloresMetaphorik‹ in der mittelalterlichen Geschichtsschreibung. Ausdruck eines Formungsprinzips, in: Historisches Jahrbuch 90, 1970, S. 65–80. Die florale Metapher wird nur gelegentlich in Heiligenerzählungen verwendet, etwa bei dem Dominikaner Bernhard Guy (Bernardus Guidonis;

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1261/62–1331), der die Rosen der Märtyrer, die Lilien der Jungfrauen, die Veilchen der Gelehrten und anderer Gerechter sowie verschiedene Blumen berühmter Könige, Fürsten und Männer neben die Dornen und Brennesseln tyrannischer Herrscher stellte. Bernardus Guidonis, Flores chronicorum seu catalogus pontificum Romanorum, Prolog, in: Martin Bouquet, Recueil des historiens des Gaules et de la France, Bd. 21, Paris 1855, S. 692H–J. 9 Vgl. dazu den Vortrag von Beate WagnerHasel, »textus und texere in der Antike«, gehalten auf der Tagung »textus. Situationen eines Wortgebrauchs im Mittelalter« am Max-Planck-Institut für Geschichte Göttingen am 05.10.2001. 10 Bereits Hieronymus, Epistulae I–LXX, hg. von Isidorus Hilberg (CSEL 54), Wien 1996, Epis­ tula LXV 19, S. 641 Z. 13–17 vergleicht die ›Machart‹ der Hl. Schrift mit der Technik gewebter Stoffe: quomodo autem in stamine, ex quo dependent fimbriae, subtemen intexitur et tota uestimenti uirtus in stamine est, ita in aureis sensibus scripturarum, in quibus uestis ecclesiae omnis intexitur, miscentur aliqua de natura, de moribus;vgl. Klaus R. Grinda, Enzyklopädie der literarischen Vergleiche. Das Bildinventar von der römischen Antike bis zum Ende des Frühmittelalters, Paderborn u. a. 2002, S. 784. 11 Das (Ab-)Schreiben der Bibel und das Verfassen des Textes über einen Heiligen waren ursprünglich synonym: Ein Hagiograph war bis ins 4. Jahrhundert einer, der die Bibel kopierte. Erst seit dem 4. Jahrhundert wurden auch diejenigen, die die Geschichten der Heiligen aufzeichneten, als Hagiographen bezeichnet; vgl. Philippart (wie Anm. 7) S. 3–7. 12 So das Ergebnis des Vergleichs unterschiedlicher Textgattungen auf der Tagung »textus. Situationen eines Wortgebrauchs im Mittelalter« am Max-Planck-Institut für Geschichte Göttingen, 05.–07.10.2001. Die Vorträge erscheinen in dem Band: Textus im Mittelalter. Komponenten und Situationen des Wortgebrauchs im schriftseman­ tischen Feld, hg. von Ludolf Kuchenbuch und Uta Kleine, Göttingen 2005. 13 Vitae S. Bonifatii archiepiscopi Moguntini, hg. von Wilhelm Levison (MGH SS rer. germ. in us. schol. 57), Hannover 1905, S. 1–57. 14 Briefe des Bonifatius. Willibalds Leben des Bonifatius nebst einigen zeitgenössischen Do­kumenten, übersetzt von Reinhold Rau (Aus-

gewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 4b), Darmstadt 1968, S. 463; Levison (wie Anm. 13) c. 1, S. 4: Inlustrem igitur ac vere bea­ tam sancti Bonifatii summi pontificis vitam moresque eius, sanctorum magnopere imitatione sacratos, licet opacitate praepediti scientiae, exili tamen opusculi huius stamine innectere ac simplici historiae tegmine, – quemadmodum relegiosis viris referentibus con­ perimus, qui cottidiano eius conloquio et relegionis conversatione sedulo praesentati, ea quae audierunt vel viderunt in exemplum posteris tradiderunt, – congregata verborum raritate, texendo nitimur enodare (…). 15 Levison (wie Anm. 13) S. 4 Anm. 1: Ex sta­ mine et subtegmine texitur tela. 16 Ähnlich hatte bereits Hieronymus die Machart der Bibel beschrieben. Vgl. dazu oben S. 76 zum textus evangelii. 17 Vita S. Lupi episcopi (Bf. von Chalons-surMarne), c. 3: Miracula ad sepulchrum (AASS Jan. II [27. Jan.]) S. 778: Hactenus eorum, quæ veris sunt dictata relatoribus, narratio texitur: hinc illa dicemus, quæ nostri temporis curriculo defluxere, non minore fide amplectentes audita, quam visa. 18 Paschasius Radbertus, De passione SS. Rufini et Valerii (Migne PL 120), Sp. 1491A: Qua de re, merito nos redarguendos non aestimo, quoniam studuimus depravata corrigere, inveterata reparare, quandoquidem (1491B) per haec utilitati legentium deservire quaesivimus. Non enim gestorum fidem corrupimus, sed nostro sub eloquio priorum scripto­ rum texuimus historiam. 19 Eadmer inseriert einen Brief Papst Pas­ chalis’ II. an König Heinrich I. von England: Nuntii quippe jam Roma reversi, litteras a Paschale Papa, qui Urbano successerat, Regi destinatas attu­ lerunt: quae quid in se continuerunt, textus earum subterannexus declarabit. (Eadmer, Vita S. Anselmi archiepiscopi Cantuarensis, Lib. III, c. II, 8 (AASS Apr. II [21. Apr.]) S. 920A). 20 Franz Quadlbauer, Zur Theorie der Kom­ position in der mittelalterlichen Rhetorik und Poetik, in: Brian Vickers (Hg.), Rhetoric Revalued. Papers from the International Society for the History of Rhetoric (Medieval and Renaissance Texts and Studies 19), New York 1982, S. 115–131 und Ulrich Ernst, Die natürliche und die künstliche Ordnung des Erzählens. Grundzüge einer historischen Narratologie, in: Rüdiger Zymner (Hg.), Erzählte Welt – Welt des Erzählens. FS Dietrich Weber, Köln 2000, S. 179–199, S. 184ff. In den

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Scholia Vindobonensia zur Poetik des Horaz, überliefert in einer Handschrift des 10./11. Jahrhunderts, vermutlich aber in karolingischer Zeit entstanden, werden die beiden Erzählstrategien erläutert: omnis ordo aut naturalis aut artificialis est. naturalis ordo est, si quis narret rem ordine quo gesta est; artificialis ordo est, si quis non incipit a principio rei gestae, sed a medio, ut Virgilius in Aeneide quae­ dam in futuro dicenda anticipat et quaedam in praes­ enti dicenda in posterum differt. – Scholia Vindobo­ nensia ad Horatii artem poeticam, hg. von Joseph Zechmeister, Wien 1877, S. 5. Übersetzung nach Armin Sieber, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 2, Darmstadt 1994, Sp. 841: »Jede Form der Anordnung ist entweder natürlicher oder künstlicher Art. Einer natürlichen Anordnung entspricht es, wenn man den Sachverhalt in der Ordnung erzählt, in der er vor­gefallen ist. Von künstlicher Ordnung spricht man, wenn jemand nicht mit dem Anfang der vorgefallenen Sachverhalte beginnt, sondern in der Mitte, wie etwa Vergil in der Aeneis manches, was in der Zukunft gesagt werden müßte, vorzieht und manches, was in der Gegenwart zu sagen wäre, auf später verschiebt.« Vgl. dazu Quadlbauer (wie Anm. 20) S. 116f. 21 Anscharius, Miracula S. Willehadi, c. 1 (AASS Nov. III [8. Nov.]) S. 848A: Deinde et nomina eorum qui sunt curati una cum valitudinis morbo, sed et loca quoque in quibus vel progeniti vel conversati fuerant, partim, prout res se habebat, interserendo texuimus … – Herigeri et Anselmi gesta episcoporum Tungren­ sium, Traiectensium et Leodiensium, hg. von Georg Heinrich Pertz (MGH SS VII), Hannover 1846, c. 45, S. 183: Totum ideo beati Trudonis textum inse­ rendum putavimus … – Vita S. Severini abbatis Ag­ aunensis, Prologus (AASS Feb. II [11. Febr.]) S. 547F: licet verba non ipsa, sensum tamen & ordi­ nem eiusdem lectionis funditus exequendo, nec etiam diuersum aliquid huic textui inserendo, nisi quod a præfato Presbytero eidem agnouimus historiæ inser­ tum, quod etiam facile lectoris poterit comperire soler­ tia. Der Autor der Vita S. Johannis episcopi Teroa­ nensis (sc. Morinensis = Thérouanne), schreibt im Anschluß an die vita und die miracula des Heiligen noch dessen Grabinschrift auf, wie er im Epilog (= c. 9) erläutert: Cuius quasi exemplum apud nos retinuimus, textum eius huic quoque opus­ culo inserere nequaquam superuacuum putauimus (AASS Jan. II [27. Jan.] S. 802A).

22 So Paul Klopsch, Einführung in die Dichtungslehren des lateinischen Mittelalters, Darmstadt 1980, S. 80. 23 Zu den Argumenten und den Belegen mit­ telalterlicher Autoren vgl. Klopsch (wie Anm. 22) S. 64ff. 24 Zum Widerstreit zwischen den Idealen brevitas und prolixitas vgl. oben S. 79. 25 Vita Willibrordi archiepiscopi Traiectensis auc­ tore Alcuino, hg. von Bruno Krusch – Wilhelm Levison (MGH SS rer. mer. VII), Hannover 1920, c. 32, S. 138–141. Ebd., Prologus, S. 114: Unam quoque priori libello superaddidi omeliam quae utinam digna esset tuo venerando ore populo praedicari. 26 Alkuin, Vita metrica S. Willibrordi, hg. von Ernst dümmler (MGH Poet. lat. I, Alcuini Carmina 3), Berlin 1881, c. 33 u. 34 S. 218ff. Vgl. dazu die Ankündigung im Pro­log zur Prosavita: Vita Willibrordi archiepiscopi Traiectensis auctore Alcuino, Prologus, hg. von Bruno Krusch – Wil­ helm Levison (MGH SS rer. mer. VII), Hannover 1920, S. 114: Item secundo adieci sermoni elegiacum carmen de viro venerabili Wiligiso, patri scilicet sanc­ tissimi pontificis Wilbrordi, cuius corpus requiescit in cellula quadam maritima, cui ego, indignus licet, legi­ tima, Deo donante, successione praesedeo. In der Pro­safassung bildet die Geschichte von Willibrords Vater den Erzählrahmen. In c. 1 wird von Willibrords Herkunft und seinem Vater Wilgis berichtet. Der Text endet (c. 31) mit einem Wunder am Anniversartag des Wilgis (Alcuin, Vita Willibrordi, c. 31: Restat igitur de beato Wilgiso, qui fuit huius sancti viri, ut ante diximus, pater, ut, a quo huius historiae primus incipit capitulus, de eo novis­ simus finiatur.). 27 Nalgodus Cluniacensis, Vita S. Odonis (Migne, PL 133), Sp. 95: Abbas vero praemissas ad miraculum margaritas aureo textui jussit affigi, ne tantae novitatis memoria casu aliquo deleretur. 28 Vgl. C. Kallendorf, Art. ›Brevitas‹, in: Gert Üding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 1, Darmstadt 1992, S. 53–60. 29 Alcuin, Versus de patribus regibus et sanctis euboricensis ecclesiae, hg. von Ernst Dümmler (MGH Poet. lat. I), Berlin 1881, Vv. 1204f., S. 196: Multa alia, ut referunt, hic fecit signa Iohannes, / Quae modo non libuit brevitatis iure referre. Bernhard von Clairvaux bekennt bei der Abfassung der Vita des hl. Malachias, er habe im Bemühen um Kürze vieles übergangen: brevitatis studio plurima praeterimus (Bernardus Claravallensis,

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Vita S. Malachiae, c. III, 7; Bernhard von Clairvaux, Opera, Bd. 3: Tractatus et opuscula, hg. von J. Leclerq – H. M. Rochais, Rom 1963, S. 316, Z. 10). Herbert von Bosham kürzte ein Corpus von Briefen, das er für die Vita des hl. Bischofs Thomas Becket auswertete. Herbert von Bos­ham, Vita IX S. Thomae (Migne, PL 190), col. 1160A: Ex omnibus quippe his compactis confectum est grande unum corpus epistolare, ad quod recurrendum. Plu­ rima enim ex his, quia in epistolis continentur, per sequentis historiae textum brevitatis causa praeteri­ mus. Vgl. dazu Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern – München 31963, S. 479; Leonid Arbusow, Colores rhetorici. Eine Auswahl rhetorischer Figuren und Gemeinplätze als Hilfsmittel für akademische Übungen an mittelalterlichen Texten, Göttingen 21963, S. 100. 30 Miracula S. Eutropii episcopi Santonensis, c. 1 (AASS Apr. III [30. Apr.]) S. 744E: Ad superni Regis honorem magnificum, et sanc­tissimi Martyris Eutropii gloriam, sequuntur aliqua miracula in brevi. Quamvis si quis vellet omnia per ordinem texere, nulla volumina pos­sent capere ea, quae in vita et post ejus glorifica­tionem in coelis, per ejus merita, operari dignata est pietas Conditoris (…). 31 Horst Rüdiger, Pura et illustris brevitas. Über Kürze als Stilideal, in: Gerhard Funke (Hg.), Konkrete Vernunft. FS Erich Rothacker, Bonn 1958, S. 345–372. 32 Walafrid Strabo, Vita S. Galli, Appendix ad carmina, hg. von Ernst Dümmler (MGH Poet. lat. II), Berlin 1884, S. 465, Vv. 1470–72: Contigit interea clarum et memorabile signum, / Quod nunc summatim contexere mentibus instat, / Est quoniam multis brevitas sermonis amica. 33 II Mcc 2,24–32: itemque ab Iasone Cyreneo quinque libris conprehensa. Temptavimus nos uno volumine breviare, considerantes enim multi­tudinem librorum et difficultatem, volentibus adgredi narratio­ nes historiarum propter multi­tudinem rerum, cura­ vimus volentibus quidem legere ut esset animi oblec­ tatio, studiosis vero ut facile possint memoriae commendare, omnibus autem legentibus utilitas confe­ ratur. Et nobis quidem ipsis qui opus hoc breviandi causa sus­cepimus non facilem laborem immo vero nego­tium plenum vigiliarum et sudoris adsumpsimus …. propter multorum gratiam libenter laborem susti­ nemus. Veritatem quidem de singulis auctori conce­ dentes, ipsi autem secundum datam formam brevitati studentes … etenim intellectum colligere et ordinare

sermonem et curiosius partes singulas quasque disqua­ erere historiae congruit auctori. Brevitatem vero dictionis sectari et exsecutiones rerum vitare brevitati concedendum est. Der Prolog endet mit einer selbstironischen Bemerkung über die Weitschweifigkeit, mit der gerade die Kürzung der fünf ­Bücher Jasons verteidigt wurde: hinc igitur narra­ tionem incipiemus, de praefatione tantum dixisse suffi­ciant; stultum etenim est ante historiam effluere, in ipsa autem historia succingi. Weitere biblische Vorbilder: Dn 7,1: Danihel somnium vidit, visio autem capitis eius in cubili suo, et somnium scribens brevi sermone conprehendit summatimque perstrin­ gens ait: (…); Eph 3,3: quoniam secundum revelati­ onem, notum mihi factum est sacramentum sicut supra scripsi in brevi (…). 34 Im Anschluß an die Arbeit von Gérard Genette über Palimpseste hat Monique Goul­let eine Typologie der Ré-écriture aufgestellt: Monique Goullet, Vers une typologie des réécri­tures hagiographiques, à partir de quel­ques exemples du Nord-Est de la France. Avec une édition synotique des deux Vies de saint Evre de Toul, in: Monique Goullet – Mar­tin Heinzelmann (Hgg.), La réécriture hagiographique dans l’Occident médiéval. Transformations formelles et idéologiques (Beihefte der Francia 58), Stuttgart 2003, S. 109–144. Kürzung und Erweiterung, beide Formen sind in den Transformationsprozessen zu beobachten. 35 Ulrich Ernst, Der Liber evangeliorum ­Otfrids von Weissenburg. Literarästhetik und Verstechnik im Lichte der Tradition, Köln u.a. 1975, S. 68. Vita secunda S. Reguli episcopi Silva­nec­ tis, c. 5 (AASS Mar. III [30. März]) S. 826F: Aliud siquidem post hoc miraculum, antiquorum deuotio posterorum notitiae dere­liquit, quod nullatenus silen­ tio tegendum arbit­rati sumus, ne textus ordinem negligentiae cultro recideremus. 36 Frühmittelalterliche Autordebatten um dieses Problem aus dem Umfeld der Hagiographie genannt bei Ernst (wie Anm. 35) S. 69. 37 Curtius (wie Anm. 29) S. 483; Thomas de Celano, Vita secunda sancti Francisci, Pars I, cap. XV, 22. – Legendae S. Francisci Assisiensis saeculis XIII et XIV conscriptae, ed. PP. Collegii S. Bonaventurae, in: Analecta Franciscana 10, 1926–1941, S. 144, Z. 7–9: Sumpto cum timore domini cibo, ne quid deesset officiis caritatis, longam filiis pater de virtute discretionis texit parabolam. Ebd., Pars II, c. LXXIX,133, S. 113: Redit, alius et post brevia verba

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quae refert longam de dominae pulchritudine texit historiam: ›Vere, domine, vidi pulcherrimam mulie­ rem.‹ So fast wörtlich auch im Speculum perfectio­ nis: Redit alius, et post pauca verba quae refert longam de reginae pulchritudine texit historiam: ›Vere, in­ quit, Domine, vidi, pulcherrimam mulierem: felix qui fruitur illa.‹ (Speculum perfectionis, cap. 5, 86, 4; Le speculum perfectionis ou mémoires de frère Léon sur la seconde partie de la vie de Saint François d’Assise, hg. von P. Sabatier, Manchester 1928, Bd. 1, S. 255f.). 38 Vita S. Faustini presbyteris, martyris Brixiae [= Brescia] in Italia, c. 3 (AASS Feb. II [15. Febr.]) S. 812E: Verum quia longum est, beatissimorum Christi Martyrum Faustini & Iouitæ omnem textum passionis seu miraculorum exponere, ad gloriosum eorum exitum veniamus. 39 Wolfhard, Miracula S. Walburgae, Lib. IV, c. 3, 4, in: Ein bayrisches Mirakelbuch aus der Karolingerzeit. Die Monheimer Walpurgis-Wunder des Priesters Wolfhard, hg. von Andreas Bauch (Eichstätter Studien N.F. 12), Regensburg 1979, S. 312: Si de omnibus, qui illic incessu pedum potiti sunt, claudis voluero texere rationem, ante defi­ ciet dies quam signorum evidentia plurimorum. Verum­­tamen ea quae ad memoriam veniunt non esti­ mo silentio conti­cenda, quoniam, ut legimus, Dei narran­­da sunt opera (vide Ps 144,10), cuius sunt inexquisita iudicia (vide Rm 11,33). 40 Syrus, Vita S. Maioli abbatis Cluniacensis (Bibliotheca hagiographica Latina antiquae et mediae aetatis 5179): His interim prelibatis, nunc iam ad ordinem textus redeam ne forte cum rusticitate tum etiam prolixitate pagina inculta displiceat. Dominique Iogna-Prat, Agni imma­culati. Recherches sur les sources hagiographiques relatives à saint Maieul de Cluny (954–994), Paris 1988, S. 177. Zur literarischen Qualität und den Vorlagen der Vita S. Majoli des Syrus vgl. Walter Berschin, Biographie und Epochenstil, 4/1: Ottonische Bio­graphie: Das hohe Mittelalter 920–1070 n. Chr. (Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters 12,1), Stuttgart 1999, S. 241. 41 Reliquiare liefern Argumente in der Diskussion um Echtheit und Falschheit, bezeugen visuell die Zugehörigkeit des Fragments zum Hei­ligen, beglaubigen das Alter und die Herkunft; vgl. Reudenbach (wie Anm. 1) S. 28: »Diese visuellen Strategien decken sich partiell mit Begründungsmustern, wie sie auch in der

theologischen Debatte angeführt werden.« Zum Problem der Reliquienechtheit bzw. -fälschung vgl. Klaus Schreiner, ›Discrimen veri ac falsi‹. Ansätze und Formen der Kritik an der Heiligenund Reliquienverehrung des Mittelalters, in: Archiv für Kulturgeschichte 48, 1966, S. 1–53. 42 Zu Authentiken vgl. H. Leclercq, Reliques et reliquaires, in: Dictionnaire d’archéologie chré­ tienne et de liturgie, hg. von F. Cabrol, Bd. 14, 1948, Sp. 2294–2359. 43 Vgl. Reudenbach (wie Anm. 1) S. 20: »Die Mimesis von Gliedmaßen bezieht sich (…) nicht immer auf eine konkrete Körperreliquie eines bestimmten Heiligen, sondern hat auch den ekklesiologischen Kollektivleib im Blick.« 44 Translatio s. Viti martyris. Übertragung des heiligen Märtyrers Vitus, bearb. u. übers. von Irene Schmale-Ott (Veröffentlichungen der His­ torischen Kommission für Westfalen 41 / Fontes minores 1), Münster 1970, Praefatio S. 32: Fecerunt siquidem sancti miracula, sed nullus sine te, et si nullus sine te, certe tu in omnibus, et si tu in omnibus omnimodis et in isto. – Translatio s. Liborii, Avran­ ches c. 14: Erconrads Translatio S. Liborii. Eine ­wie­derentdeckte Geschichtsquelle der Karolingerzeit und die schon bekannten Übertragungsberichte, hg. von Alfred Cohausz (Studien und Quellen zur Westfälischen Geschichte 6), Paderborn 1966, S. 81: in nomine domini nostri Iesu Chris­ ti Nazareni praebuit sanctus Liborius caecis visum, claudis gressum, surdis auditum, mutisque linguae solvebat vinculum, daemoniacis atque debilibus cete­ risque variis languoribus obpressis integre restituit pristinam sanitatem. – Sermo in festivitate s. Marsi, c. 13: Eine Essener Predigt zum Feste des hl. Marsus aus dem 9. Jahrhundert, mit einer Einleitung versehen, hg. u. übers. von Klemens Honselmann, in: Westfälische Zeitschrift 110, 1960, S. 199–221, S. 214: laudemus dominum semper in omnibus gene­ raliter sanctis suis, laudemus eum specialiter hodie in beato Marso, in quo tanta eius virtus refulget. – Anskar, Virtutes et miracula s. Willehadi, Prologus (AASS Nov. III) 847, B: plurima eorum quae Domini pietas per servos suos in hoc exercuit saeculo. 45 Translatio s. Viti, c. VI, Schmale-Ott (wie Anm. 44) S. 50: intervenientibus beati Viti martyris meritis largiente Dei misericordia lumen (…) recepit. – Translatio s. Liborii, Avranches c. 5, Cohausz (wie Anm. 44) S. 61: Signa itaque multa in praedicti sanc­ ti Liborii nomine, Domino annuente, facta sunt. Zur Übereinstimmung der theologischen Positionen

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des Autors der Vitustranslation mit der karolingischen Hoftheologie vgl. Schmale-Ott (wie Anm. 44) S. 13. Die Einstellung Karls des Großen und seiner Berater ist niedergelegt in den Libri Carolini, hg. von Hubertus Bastgen (MGH Conc. II, Suppl.), Hannover 1924, lib. IV c. 11, 190ff. Das göttliche Wirken im Wunder wird deshalb betont, weil man davon ausging, daß auch Dämonen Heilungen vollbringen können: Multa etenim signa multaque miracula per angelos refugas vel etiam per eorum sequaces fiunt (…) igitur signa pler­ umque diabolico instinctu fiunt (Libri Carolini, lib. III, c. 25, MGH Conc. II, Suppl., S. 155). Die Libri Carolini sind gegenüber den Wundern eher skeptisch. Diese Haltung wird von den Theologen des 9. Jahrhunderts weitgehend akzeptiert. Eine differenzierte Darstellung der Positionen Alkuins, des Claudius von Turin, des Jonas von Orléans oder Einhards kann an dieser Stelle aus Platzgründen nicht erfolgen. Vgl. dazu Hans Liebeschütz, Wesen und Grenzen des karolingischen Rationalismus, in: Archiv für Kulturgeschichte 33, 1951, S. 17–44; David Flood Appleby, Hagiography and Ideology in the Ninth Century. The

Narrative Descriptions of the Translation of Re­ lics. Diss. Univ. of Virginia 1989, Appen­dix »Trans­ lation Narratives and Ninth-Cen­tury Ratio­ nalism«, S. 382–395. 46 Zur Begründungs- und Beglaubigungs­ funktion der Spolien vgl. Hiltrud Wester­mannAngerhausen, Die Goldschmiedearbeiten der Trierer Egbertwerkstatt (Trierer Zeitschrift, Beiheft 36), Trier 1973: zum Schuh-/Fuß-Reliquiar des Apostels Andreas: S. 21–32, 121–137; Hiltrud Westermann-Angerhausen, Spolie und Umfeld in Egberts Trier, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 50, 1987, S. 305–336. Der Kölner Dreikönigsschrein ist mit über 300 antiken Steinen besetzt. Vgl. Erika Zwierlein-Diehl, Die großen Reliquienschreine des Mittelalters, 1: Der Dreikönigenschrein im Kölner Dom. Teilbd. 1: Die Gem­ men und Kameen des Dreikönigenschreins (Studien zum Kölner Dom 5), Köln 1998, bes. S. 61–102; Reudenbach (wie Anm. 1) S. 26. 47 Zum visus vgl. Christof L. Diedrichs, Vom Glauben zum Sehen. Die Sichtbarkeit der Reliquie im Reliquiar. Ein Beitrag zur Geschichte des Sehens, Berlin 2001, bes. S. 203ff.

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Die Sichtbarkeit des Gebeins im Reliquiar – eine Folge der Plünderung Konstantinopels?

Gegen Ende des Jahres 2000 sorgte ein »dubioser Kultschädel«, wie Willibald Sauerländer ihn bezeichnete, für Furore (Abb. 1: gravierter Schädel, Privatsammlung).1 Was war geschehen? Aus Privatbesitz war ein üppig gravierter menschlicher Schädel aufgetaucht, der, auf das Ende des 11. Jahrhunderts datiert, als Reliquie verehrt worden sein soll. Publikumswirksam präsentierte Henk van Os seine Entdeckung in der vielbeachteten Ausstellung »The Way to Heaven« erstmals der breiten Öffentlichkeit2 und entfachte damit sogleich eine lebhafte Diskussion, innerhalb derer sogar von einer »Wende in der Reliquienverehrung«3 gesprochen wurde. Unabhängig von den Spuren, die der Schädel durch Inschrift und Gravur zu legen trachtete, regten sich fundierte Zweifel, ob es gegen Ende des 11. Jahrhunderts einen solchen ›Kultschädel‹ im Westen überhaupt gegeben haben könnte. Eine Untersuchung des Laboratoriums für Isotopenforschung an der Universität Groningen machte schließlich dem Rätselraten ein Ende: Aus dem 16. Jahrhundert stammend, sei der Schädel als Fälschung entlarvt.4

1.  Gravierter Schädel (Privatsammlung), Fälschung des 16. Jahrhunderts

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In der Debatte um das Objekt griffen nicht so sehr stilistische Argumente als vielmehr konzeptionelle Bedenken. Nackte, unverhüllte Schädel oder anderes, nicht in einem Reliquiar aufbewahrtes Gebein waren am Ende des 11. Jahrhunderts in Westeuropa nicht bekannt. Ihre Präsenz begann erst ca. 100 Jahre ­später und hatte eine andere Gestalt und Ausprägung, als dieser Schädel zu suggerieren schien.5 Erst um 1200 setzte eine Entwicklung ein, die im Spätmittelalter ihren Höhepunkt haben sollte; sie zielte auf die permanente visuelle Präsentation des nackten, entblößten Knochens. Zumeist eingehüllt in kostbare Stoffe, führte das Gebein der Heiligen bis zu dieser Zeit eine Existenz im Verborgenen des Reliquiars und entzog sich dem unmittelbaren sinnlichen Zugriff. Ausnahmen von dieser Handhabung bildeten vor 1200 nur besondere Gelegenheiten, nämlich Translationen oder die Umbettung von Reliquien in neue Gefäße. Innerhalb dieser außergewöhnlichen Situationen waren die entblößten Knochen – wenn überhaupt – nur einem ausgewählten Kreis, zumeist Klerikern, kurzfristig zugänglich; der ständige visuelle Zugriff auf das Heiltum blieb auch ihnen verwehrt.6 Abgesehen von der für das 13. Jahrhundert immer wieder konstatierten beginnenden Schaufrömmigkeit, scheint sich hinsichtlich der Reliquienverehrung um 1200 eine Herausforderung anzubahnen, deren Wirkung für den Westen bislang nur unzureichend in den Blick genommen wurde: Die Plünderung Konstantinopels während des vierten Kreuzzuges im Jahr 1204. Dieses Ereignis zeitigt nicht nur bis auf den heutigen Tag wirksame kirchenpolitische Konsequenzen, es war auch für andere Bereiche von großer Bedeutung. Ihre Auswirkungen auf die Kunstproduktion und -assimilation sind bekannt.7 Der Raub kostbarster Kunstschätze, vor allem von Reliquiaren, aber auch Ikonen, beeinflußte die westliche Schatzkunst in hohem Maße. Ganz allgemein konstatiert Hans Belting, daß »der Import byzantinischer Reliquiare (…) die Assimilation byzantinischer Reliquiarformen nach sich gezogen« hat.8 Die inflationäre Verbreitung östlicher Reliquiare half noch eine weitere Innovation durchzusetzen, die sich bereits als Trend im Westen abzeichnete: die Sichtbarkeit der Reliquie, d. h. des bloßen Knochens im Reliquiar. Zunächst jedoch ein Blick auf die historischen Zusammenhänge. Als im April des Jahres 1204 binnen dreier Tage Konstantinopel von Kreuzfahrern in einer einzigartigen Zerstörungs- und Plünderungswelle seiner Kunstschätze beraubt wurde, büßte die Stadt eine Pracht und Herrlichkeit ein, die im Westen keinen Vergleich kannte. Ihre unglaublichen Reichtümer, die nicht nur in Schatz­ kammern ruhten, sondern auch Kirchen und Paläste schmückten, wurden demontiert oder aus ihren Verankerungen gerissen und, soweit die Größe der Objekte es zuließ, in den Westen transportiert.9 Ziel der Beute waren jene Länder, aus denen die Kreuzfahrer stammten: Italien, Frankreich und Deutschland. Während sperriges Beutegut einen hohen logistischen Aufwand erforderte, ließen sich kleinere Objekte, wie die begehrten Reliquien und Reliquiare, mühelos handhaben. Verstaut im Mantelsack, fanden viele von ihnen den Weg in den Westen.10 Obwohl es Versuche gab, die Beute unter den beteiligten Län-

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dern ›gerecht‹ aufzuteilen, blieben im Chaos des Plünderns Betrug und Diebstahl nicht aus. Die Versuchung einer privaten Bereicherung an kostbarem Heiltum war zu groß, illegaler Reliquientransport, -handel und -betrug die Folgen. Im Jahr 1215 erließ das 4. Laterankonzil ein Dekret, das diesem unwürdigen Treiben Einhalt gebieten sollte: Cum ex eo quod quidam sanctorum reliquias exponunt venales et eas passim ostendunt, christianae religioni sit detractum saepius, ne detrahatur in posterum, praesenti decreto statuimus, ut antiquae reliquiae amodo extra capsam non ostendantur nec exponantur venales.11 ›Aufgrund der Tatsache, daß manche Leute Heiligenreliquien zum Kauf anbieten und sie überall zeigen, wird die christliche Religion oft verunglimpft. Damit so etwas künftig unterbleibe, bestimmen wir durch das vorliegende Dekret: Reliquien aus alter Zeit dürfen von nun an außerhalb eines Reliquiars weder gezeigt noch zum Kauf angeboten werden.‹

Das Lateranum wandte sich nicht nur gegen den verbotenen Reliquienhandel, sondern zugleich gegen das unverhüllte Zeigen des heiligen Gebeins: extra capsam non ostendantur. Mit dieser Anordnung verfolgte das Konzil mehrere Ab­sichten. Zum einen sollte der schwunghafte Handel unterbunden werden, zum anderen das Heiltum nicht fortwährend ungeschützter Berührung ausgesetzt sein. Die Forderung des Dekretes war nicht neu, allein die Situation machte eine offizielle Verlautbarung notwendig. Schon Guibert von Nogent hatte sich hundert Jahre zuvor gegen das Zeigen nackten Gebeins aus Gewinnsucht gewandt, die er als Störung der Grabesruhe betrachtete: ›Man pflegt‹ – so seine Kritik – ›die nackten Gebeine der Heiligen (nuda sanctorum ossa) [durch Aufbewahren] in elfenbeinernen oder silbernen Gefäßen zu bedecken, um sie, sobald Geld angeboten wird, zu entblößen.‹12 Im Gegensatz zu der im Westen etablierten Form der verhüllten Reliquienaufbewahrung, sei es in verschlossenen Schreinen, Bursen oder Körperteilreliquiaren, in denen das Heiltum oft noch von einer kostbaren Seidenhülle umschlossen war, herrschte im Osten eine abweichende Form der Aufbewahrung vor. Anders als im Westen war dort das heilige Gebein im wörtlichen Sinne mit Händen zu greifen. Ein Blick auf einen byzantinischen Heiligenschädel vermag den völlig anderen Umgang mit der Reliquie vor Augen zu führen.13 Noch heute wird im Domschatz zu Halberstadt ein Schädel aus dem byzantinischen Beutegut aufbewahrt (Abb. 2a und 2b: Jacobushaupt frontal und Seitenansicht, Domschatz zu Halberstadt). Eine Urkunde von 1208 dokumentiert die durch den Halberstädter Bischof und Kreuzfahrer Konrad von Krosigk (Episkopat 1201–1208, gest. 1225) kurz zuvor (1205) erfolgte Übergabe eines mit Gold und Edelsteinen geschmückten Jacobushauptes (caput Jacobi apostoli mino­ ris, auro et gemmis ornatum) an das Halberstädter Domkapitel.14 Zahlreiche Nagellöcher zeugen von üppigen Applikationen, die den mit Strohlehm gefüllten Schädel einstmals geschmückt haben. Heute haben sich an Schmuck nur

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2a und 2b.  Jacobushaupt frontal und Seitenansicht (Domschatz zu Halberstadt), byzantinisch

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3.  Detail des Schädels mit Plakette (Domschatz zu Halberstadt)

noch jene silbernen Bänder erhalten, die, kreuzförmig über die Kalotte gelegt, den Knochen an seiner Unterseite einfassen. Das einzige zusätzliche Schmuckelement bildet das Fragment einer Silberplakette (Abb. 3: Detail des Schädels mit Plakette, Domschatz zu Halberstadt). Es handelt sich um die linke Hälfte eines Brustbildes eines Heiligen in liturgischen Gewändern, der seine Rechte zum Segensgestus erhebt. Leider sind der Kopf sowie die rechte, vielleicht eine Inschrift tragende Hälfte der Plakette weggebrochen, so daß eine Identifikation der dargestellten Gestalt schwerfällt. Anders als bei den westlichen Reliquien üblich, führten die nackten byzantinischen keine Pergamentauthentiken mit sich; vielmehr war die Zuweisung direkt in die schmückenden Metallfassungen graviert. Eindrucksvoll dokumentiert dies die Schädelkalotte des heiligen Akindinos aus SS. Cosmas und Damian in Konstantinopel, die nach Rosières im Jura verschleppt wurde und heute in Arbois aufbewahrt wird (Abb. 4: Akin­ dinos-Schädel, Arbois, Eglise Saint-Just).15 Bei diesem ebenfalls von Metallbändern einfaßten Objekt befindet sich das gut erhaltene Heiligenmedaillon direkt am Scheitelpunkt des Schädels. Eine griechische Inschrift dokumentiert, um wen es sich handelt: O A[γιος] AKINDINOC (der heilige Akindinos). Bei der Zuweisung des ohne Inschrift überlieferten Halberstädter Schädels hilft uns außer der Angabe der Übergabeurkunde nur der Hinweis weiter, daß sich in der geplünderten kaiserlichen Kapelle zu Konstantinopel ein Jacobushaupt be­ fand; so mag der Halberstädter Schädel mit dem Jacobushaupt identisch sein.16

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4.  Akindinos-Schädel (Arbois, Eglise Saint-Just), Byzanz, 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts (?)

Wie der Schädel ursprünglich verwahrt wurde, läßt sich nicht mehr rekonstruieren, doch kann allgemein gesagt werden, daß die byzantinischen Reliquien nicht hermetisch verschlossen waren wie ihre westlichen Gegenstücke; dafür sprechen nicht nur die fest installierten, d.h. eingravierten Authentiken, die beim Hantieren mit dem Heiltum nicht abhanden kommen konnten. Es sind uns auch Kästchen überliefert, die, leicht zu öffnen, der Aufbewahrung von heiligem Gebein dienten.17 Als ein Beispiel kann das ebenfalls aus Konstan­ tinopel stammende Praxedis-Reliquiar gelten, das sich heute in der Kapelle Sancta Sanctorum in Rom befindet (Abb. 5: Praxedis-Reliquiar, Rom, Sancta Sanc­torum). Das Reliquiar, das ein vollständiges Praxedishaupt (caput S. Pra­xe­ dis integrum) enthält, ist schon in einem Inventar des 11. Jahrhunderts erwähnt; es gelangte wohl als Schenkung nach Rom. Hartmann Grisar hatte vor hundert Jahren die Möglichkeit, das Kästchen näher zu betrachten und beschreibt den Anblick des Schädels bei geöffnetem Deckel: »Nachdem der gewölbte Deckel zurückgeschlagen, hatte ich einen zweiten Deckel vor mir, der durch eine große Öffnung in der Mitte den obersten runden Teil des darin bewahrten Schädels erscheinen ließ. Die Durchlochung diente offenbar dazu, die Reliquie küssen zu lassen, ohne daß sie herausgenommen zu werden brauchte. Der hier sichtbare Teil des Hauptes ist denn auch durch die vielen Küsse ganz geglättet. Das Haupt selbst bietet die merkwürdige Erscheinung dar, daß die Haut fast überall in eingeschrumpftem Zustande, selbst an den Augen, übrig geblieben ist.«18

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5.  Praxedis-Reliquiar (Rom, Kapelle Sancta Sanctorum), Byzanz, 11. Jahrhundert

Daß Schädelknochen leicht aus ihren schützenden Kästchen entnommen werden konnten, ist uns im Zusammenhang mit dem Klemensschädel überliefert, der, aus der Abtei Trentafolia in Konstantinopel stammend, in Cluny eine neue Heimat fand. In Cluny seit 1206 in einer silbernen capsa verstaut, befand er sich in Konstantinopel jedoch auf einer, wie es heißt, ›…goldenen, einem Kästchen eingefügten Platte, auf welcher das Bild des heiligen Klemens dargestellt war, versehen mit seinem auf Griechisch geschriebenen Namen‹.19 Aufbewahrt wurde das Reliquiar in einem Schränkchen hinter dem Altar (in armariolo retro altare),20 und zweifellos war der Schädel leicht zugänglich, denn die Quelle berichtet weiter, wie der orthodoxe Priester ›sich zitternd dem Haupt des seligen Klemens näherte, sich nicht trauend, ihn als Ganzes herauszunehmen, sondern vorsichtig die Kinnlade mit den Wangenknochen nahm, wobei der Schädel zurückblieb‹.21 Wie die genannten Beispiele zeigen, galt zumindest der visuelle Kontakt mit der Reliquie als unproblematisch. Das Reliquiar ist lediglich ein Schutzbehälter, der leicht zu öffnen ist und den Blick auf das nackte Heiltum zuläßt. Darüber hinaus ist die verehrende Berührung selbstverständlich.22 Wie unterschiedlich die westliche Haltung gegenüber dem heiligen Gebein noch um 1200 war, dokumentieren die zahlreichen geschlossenen Gefäße, die den unmittelbaren Blickkontakt mit der Reliquie bewußt ausschließen. Dennoch zeichnet sich im 12. Jahrhundert ein Mentalitätswandel ab, der darauf zielt, sich des eigentlichen Heiltums gerade auch visuell und haptisch zu versichern. Ein Beispiel mag das verdeutlichen.

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Der um 1200 verstorbene Bischof Hugo von Lincoln (1140–1200) galt als ausgesprochener Liebhaber und Sammler von Reliquien. Während seines Episkopats (1186–1200) bot sich ihm auf Reisen vielfältige Gelegenheit, die Heiltümer anderer Orte zu verehren. Was das hieß, muß ein Schrecken für die Gastgeber gewesen sein. Hugo begnügte sich nämlich nicht mit stiller Andacht, er war ein Mann der Tat. Um den Reliquien allzeit nahe zu sein, scheute er es nicht, kleine Teile der heiligen Leiber in seinen Besitz zu bringen. Wie das vonstatten ging, erfahren wir aus dem Bericht über den Besuch im Kloster von Fécamp (bei Le Havre): ›In dem berühmten Kloster von Fécamp brach er zwei kleine Fragmente aus dem Armknochen der (…) Maria Magdalena. Dieser Knochen war niemals zuvor vom Abt oder einem der anwesenden Mönche nackt gesehen worden, denn er war in drei unterschiedliche Stoffe fest eingenäht, zwei aus Seide und einen aus gewöhnlichem Leinen. Nicht einmal auf Einladung des Bischofs wagten sie heranzutreten, um zu schauen. Er aber griff nach dem Federmesser eines seiner Schreiber, zerschnitt flugs die Fäden, streifte die Stoffhüllen ab und führte den hochheiligen Knochen in verehrender Geste an Mund und Augen. Da er mit den Fingern nichts davon abzubrechen vermochte, nahm er ihn zuerst zwischen die Schneide-, dann zwischen die Backenzähne, und brach flink mit kraftvollem Biß zwei Stücke heraus … Als der Abt und die Mönche sahen, was geschah, waren sie zunächst starr vor Entsetzen, doch dann überkam sie großer Zorn und sie brachen in ein Geschrei aus: Oh, welch ein Frevel! Wir dachten, der Bischof hat nach diesen Heiligtümern verlangt, um sie zu verehren, und jetzt hat er sie wie ein Hund mit den Zähnen benagt!‹23

In den Augen der Mönche bedeutete die Verehrung der Reliquien alles, nur nicht ihre Enthüllung und schon gar nicht ein beherztes Herausbeißen oder – brechen von Knochensubstanz. Doch zeigte sich Hugo von diesem Geschrei wenig beeindruckt. Seine Verteidigung folgt einer einfachen Logik: ›Wenn ich vor wenigen Stunden den allerheiligsten Leib des Herrn mit meinen unwürdigen Fingern angefaßt, ihn mit Lippen und Zähnen berührt und verzehrt habe, warum sollte es mir nicht erlaubt sein, mit den Knochen der Heiligen zu meinem Heil (…) in gleicher Weise zu verfahren?‹24

Zumindest was das Anfassen betrifft, setzt Hugo in seinem Argument die Berührung des Heiltums mit der Berührung der Hostie in eins. Tatsächlich war der Umgang mit Reliquien in mancherlei Hinsicht mit jenem vergleichbar, der den in der Hostie gegebenen eucharistischen Leib Christi betraf.25 Im ausgehenden 12. Jahrhundert bahnte sich eine Entwicklung an, die darauf zielte, während der Messe die konsekrierte Hostie so zu erheben, daß sie von den Gläubigen sichtbar wahrgenommen werden konnte. War der Blick auf den Leib Christi bislang nur dem zelebrierenden Priester vorbehalten, der, mit dem Rücken zur Gemeinde stehend, ihn nach der Wandlung kurz vor seiner Brust erhob, so hielt die Pariser Synode von 1198–1203 fest, daß nach den Worten Hoc

97 Die Sichtbarkeit des Gebeins im Reliquiar

6 und 7.  Nikolausarm und Detail des Fingers (Domschatz zu Halberstadt), Halberstadt, nach 1225

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est corpus meum die Elevation für alle sichtbar zu erfolgen habe.26 Das Sehen des heiligen Leibes war zu einem allgemeinen Bedürfnis geworden. Der Mentalitätswandel, der dem Schauen heiliger Materie immer größere Bedeutung zumaß, läßt sich bei den Reliquien ebenso deutlich beobachten wie bei der Hostienverehrung. Man wollte nicht mehr nur das verhüllte heilige Gebein verehren, sondern das Gebein unverhüllt schauen. Das Anliegen der direkten und unmittelbaren Präsentation heiliger Substanz erfaßte alsbald breite Schichten. Mitten in diesen mentalen Wandel fiel der vierte Kreuzzug, in dessen Verlauf Konstantinopel seiner Schätze beraubt wurde. Mit großem Gepränge wurde das Beutegut an jene Orte gebracht, aus denen die Kreuzfahrer stammten. Am 16. August 1205 kehrte der Kreuzfahrer Bischof Konrad von Krosigk mit seinen Schätzen nach Halberstadt zurück. Der adventus reliquiarum geriet zu einem triumphalen Einzug: ›Als sie sich der Stadt näherten, ließ er [der Bischof] den ebenso wertvollen wie heilsamen Schatz, nämlich die Reliquien der Heiligen, die er mitbrachte, auf eine Trage legen und, auf schickliche Weise geschmückt, vor sich herführen. Die gesamte Stadt, Klerus und Volk, Prälaten und alle Kleriker des Bistums eilten ihm schon von weitem entgegen, alle ehrbaren Männer, auch eine unzählbare Menge aus den angrenzenden Gebieten.‹27

Einige der Reliquien auf der Prozessionstrage befinden sich bis heute im Halberstädter Domschatz.28 Eindrucksvoll sind vor allem zwei Stücke, der Jacobusschädel (caput totale Iacobi fratris Domini) und der Zeigefinger des heiligen Nikolaus (digitus sancti Nicolai). Während der Schädel keine neue Fassung erhielt und noch heute ebenso nackt, wie er aus Konstantinopel kam, präsentiert wird, fand der Finger bald Aufnahme in ein eigens für ihn geschaffenes Re­ liquiar (Abb. 6 und 7: Nikolausarm und Detail des Fingers, Domschatz zu Halberstadt). Aufschlußreich ist die Form, die man zur Unterbringung des mumifizierten Fingers wählte. Dem komplett erhaltenen Finger wurde eine Reliquiar­form zugewiesen, die im Westen längst etabliert war, seiner östlichen Herkunft jedoch in keiner Weise entsprach: Es wurde ein Armreliquiar gewählt.29 Tradition und Innovation sind in dem Nikolausarm eng miteinander verzahnt. Obwohl eine traditionelle Form verwendet wurde, war die Art und Weise, wie dies geschah, ungewöhnlich. Die Reliquie verschwand nämlich nicht im Inneren des Armes, sondern wurde als Ganzes unverhüllt präsentiert. Um das zu ermöglichen, schnitt man an der Arminnenseite eine Nische ein, die, mit roter Seide hinterlegt, den Finger aufnahm. Als Verschluß diente eine ovale, von zahlreichen Schmucksteinen gerahmte Bergkristallscheibe. Als wollte man diesen innovativen Akt durch herkömmliches Formenrepertoire legitimieren, schloß sich die dekorative Ausschmückung des Armes überkommenen Darstellungsmustern an. In einfacher Ritztechnik ausgeführt, bevöl­ kern einige Fabelwesen den Unterarm (Abb. 8: Nikolausarm, Detail). Stilis­tisch ähnlicher Schmuck ist von dem ca. 200 Jahre früher entstandenen und wahrscheinlich ursprünglich in Fulda beheimateten sogenannten Watterbacher

99 Die Sichtbarkeit des Gebeins im Reliquiar

8.  Nikolausarm, Detail

9.  Detail des Watterbacher Tragaltars (München, Bayerisches Nationalmuse­ um), Fulda (?), um 1020

Tragaltar bekannt, nur ist er dort deutlich elaborierter (Abb. 9: Detail des Watterbacher Tragaltars, München, Bayerisches Nationalmuseum).30 Der Halberstädter Arm zitiert zwar das ältere ornamentale Formengut des Tragaltars, doch wird durch die schematische Wiedergabe zugleich deutlich, daß es sich um einen bewußten Rückgriff handelt. Weiter erwähnenswert ist die Fassung des Fingers. Er steckt an seinem unteren Ende in einer mit der Gravur SANCTI NICOLAI versehenen vergoldeten Silberhülse. An dieser Hülse befindet sich zudem eine Öse, die vermuten läßt, daß der Finger einst auch aufgehängt werden konnte. Dieser Befund spricht dafür, daß es sich tatsächlich um ein Stück aus Konstantinopel handelt. Die Einfassung der bloßen Knochen an ihren Enden ist an mehreren byzantinischen Reliquien nachweisbar, so zum Beispiel an dem Zeigefinger des heiligen Lukas des Jüngeren (gest. 953), der heute in Sens aufbewahrt wird (Abb. 10: Finger des heiligen Lukas, Sens, Schatz der Kathedrale).31 Im Gegensatz zu dem Halberstädter Stück weist dieser Finger jedoch eine authentische griechische Inschrift auf, während der Nikolausfinger seine Identität in lateinischen Lettern kundtut. Es gibt dafür mehrere Erklärungsmöglichkeiten. Der Finger wurde zwar 1205 von Bischof Krosigk nach Halberstadt gebracht, doch wurde er nicht sogleich dem Domkapitel übergeben, sondern verblieb bis zu seinem Tod 1225 im Besitz des Bischofs. Gleich nach seinem Ableben ging der Finger, mit der Auflage ihn in Kristall zu fassen, in den Besitz des Domkapitels über. Daß Krosigk den Finger nach byzantinischer Manier hat fassen lassen, um ihn an Hals oder Gürtel befestigt tragen zu können, läßt sich allenfalls vermuten.32 Die Gravur ist in jedem Fall eine spätere Zutat, die Hülse hingegen könnte ursprünglich

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10.  Finger des heiligen Lukas (Sens, Schatz der Kathedrale), byzantinisch, 12.–13. Jahrhundert

sein. Eine andere Möglichkeit wäre, daß Hülse oder Gravur erst zum Zeitpunkt der Einbringung in das Reliquiar geschaffen wurden, um der Reliquie ein authentisch byzantinisches Aussehen zu verleihen. Wie immer es sich verhalten haben mag: Der Finger wurde, und das ist bahnbrechend, in seiner Ganzheit zur Schau gestellt. Damit kam man zwei Bedürfnissen nach: Zum einen präsentierte man ein Beutestück, eine authentische Reliquie aus dem Osten, zum anderen trug man dem wachsendem Bedürfnis Rechnung, die Heiltümer unverhüllt zu sehen. Neben dem Nikolausarm wurden in Halberstadt ebenfalls durch Bischof Konrad aus Konstantinopel importierte Stephanusreliquien in einen ähnlich konzipierten Arm eingelassen.33 Die beiden Halberstädter Arme stellen die wohl innovativste Lösung am Beginn des 13. Jahrhunderts dar. Ihr Reliquienarrangement verstieß, als die Reliquien schließlich eine neue Hülle gefunden hatten, keineswegs gegen den Konzilsbeschluß, wurden sie doch nicht zu Handelszwecken außerhalb ihrer Gehäuse gezeigt. Daß sie den Blicken ausgesetzt wurden, entsprang einem zweifachen Bedürfnis: erstens die kostbare Beute angemessen auszustellen und zweitens das heilige Gebein – ebenso wie die Hostie – auch visuell zu präsentieren. Von den vielen nackten byzantinischen Reliquien, die zu dieser Zeit im Umlauf waren, sind kaum Stücke überliefert. Spektakuläre zeitgenössische Neufassungen wie in Halberstadt sind nicht mehr erhalten.34 Die Herausforderung, die von den byzantinischen Reliquien ausging, führte zu neuen Reliquiarformen. Im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts entstand

101 Die Sichtbarkeit des Gebeins im Reliquiar

11.  Attalahand (Straßburg, Collège St. Etienne), Straßburg, Anfang 13. Jahrhundert

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im Elsaß das Handreliquiar der heiligen Attala, heute in Straßburg aufbewahrt (Abb. 11: Attalahand, Straßburg, Collège St. Etienne). Das Reliquiar stellt insofern eine Besonderheit dar, als es eine bis auf den Daumen unversehrte mensch­ liche Hand zeigt. Eingelassen in einen 18 cm hohen Bergkristallcabochon, scheint die Hand in dem Kristall zu schweben, was eine ungehinderte, allseitige Betrachtung erlaubt. Die mumifizierten Finger, die zum Teil freiliegenden Mittelhandknochen und sogar das korallenartig offengelegte, mumifizierte Aderngeflecht sind deutlich sichtbar. Das heute insgesamt 45 cm hohe Attalareliquiar ist eines der ersten Bergkristallreliquiare dieser Art, wenn auch seine – später ergänzte – Fassung nur noch in wenigen Teilen original erhalten ist.35 Das Attalareliquiar ist als genuine Neuschöpfung anzusprechen. Ob die gewählte Form unter dem Eindruck von heute nicht mehr erhaltenen byzantinischen Beutestücken und ihren Reliquiaren entstand, muß offen bleiben. Es ist jedoch festzuhalten, daß der Kreuzfahrer Abt Martin von Pairis seinem nicht weit von Straßburg entfernten elsässischen Kloster Pairis zahlreiche Reliquien aus Konstantinopel mitbrachte, deren Bestand jedoch nicht überliefert ist.36 Mit der Flut byzantinischer Reliquien bot sich dem Westen eine Chance, nicht nur neue Reliquiarformen, sondern auch neue Wahrnehmungsmuster zu etablieren. Im Westen hatte man bislang die Knochen, die als heilige Leichenteile als rein gelten, einem Grab vergleichbar, in einem Reliquiar beigesetzt. Das Verbergen des Gebeins läßt sich als Fortführung jenes alten, auch von Christen gepflegten Brauches verstehen, die Toten so in der Erde zu bestatten, daß der Leichnam selbst den Blicken entzogen ist. Wollte die Bestattung in vorchristlicher Zeit verhindern, daß das Unreine den es berührenden oder erblickenden Menschen kontaminiert, so fällt dieser Bestattungsgrund im Christentum weg, gilt doch den Christen jeder Leichnam, besonders aber der der Heiligen, als ›rein‹. So war von jeher in christlicher Mentalität die Möglichkeit angelegt, bloße, unverhüllte Knochen dem Blick der Gläubigen auszusetzen. Von dieser Möglichkeit war in der östlichen Christenheit schon lange vor der Wende zum 13. Jahrhundert Gebrauch gemacht worden.37 Mit der Eroberung Konstantinopels und dem Import östlicher Reliquien fiel im Westen auch die Scheu vor dem unverhüllten Gebein. Verstärkt wurde diese Tendenz durch das sich im Westen anbahnende Interesse an der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung heiliger Substanz, wie z. B. der elevierten Hostie. Aufgrund der beschriebenen Konstellation entstanden nicht nur neue Reliquiarformen, auch alte Reliquiare erhielten Schauöffnungen, um die heilige Materie den Augen sichtbar zu machen. Der vierte Kreuzzug hat damit den Westen nicht nur um seine Reliquien, sondern auch um einen Teil östlicher Wahrnehmungsgewohnheit bereichert.

103 Die Sichtbarkeit des Gebeins im Reliquiar 1 Willibald Sauerländer in einem Leserbrief unter der Überschrift »Dubioser Kultschädel« an die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 25. 11. 2000. 2 Erstmals wies Henk van Os, The Power of Memory, Baarn 2000, S. 34–41, auf den Schädel hin, um ihn dann in der Ausstellung »The Way to Heaven« (16. Dezember 2000 bis 22. April 2001 in Amsterdam und Utrecht) dem Publikum vorzustellen: AK The Way to Heaven. Relic Veneration in the Middle Ages, hg. von Henk van Os, Amster­dam – Utrecht 2001, S. 93–97. 3 Hans Belting (wie Anm. 5) in seinem am 25.10.2000 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienenen Beitrag anläßlich des Vortrages »The Power of Memory« von Henk van Os. 4 Ergebnis der C–14–Analyse war, »daß der Schädel aus dem 16. Jahrhundert stammt, es sich also um eine Fälschung handelt, denn Gravierung und Inschrift suggerieren ein viel älteres Datum.« Henk van Os, Neues vom Kopfreliquiar aus Mois­ sac: Der Schädel stammt aus dem 16. Jahrhundert. Vom Himmel zurück auf die Erde, in: Frank­ furter Allgemeine Zeitung, 18. 4. 2001, S. N5. 5 Van Os versucht durch ethnologische Vergleiche und die Inschriften den Schädel in einer Art ›Ahnenkult‹ zu verorten, der im Reliquienkult seine Fortsetzung findet. Hans Belting, Schädel ist Kult, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. 10. 2000, S. N5 faßt die These van Os’ zusammen: »Der Ahnenkult war keine private, sondern kollektive Übung und durch Institutionen geschützt, in denen die Kirche jetzt eine neue Identität anbot. Die Heiligen übernahmen die Rolle der Helden und Ahnen, und die Objekte waren, so van Os, dazu geeignet, die Kontinuität zu repräsentieren und eine ›interpretatio christiana‹ alter Bräuche zu garantieren.« 6 Auch während der frühen regelmäßigen Heiltumsweisungen (in Deutschland ab ca. 1300) wurde nicht das bloße Gebein zur Schau gestellt, sondern das Reliquiar selbst gewiesen. Hartmut Kühne, Ostensio Reliquiarum, Berlin 2000, S. 529– 534, äußert sich sehr vorsichtig und differenziert zu der Interpretation des Begriffs der ostensio in frühen Quellen. Daß es Abweichungen von den Regelfällen der translatio und reconditio gab, berichtet bereits Guibert von Nogent (vgl. Anm. 12), doch ist zu beachten, daß er illegitime Praktiken kritisierte. Anders verhält es sich mit Reliquien, die nicht aus Knochensubstanz bestanden, wie z. B. Christusreliquien; sie wurden schon in

der Spät­antike sichtbar ausgestellt, wovon beispielsweise das aus dem 6. Jahrhundert stammende Justinuskreuz zeugt (Rom, Schatzkammer von St. Peter). Dieses Kreuz ist zwar mehrmals überarbeitet worden, doch gibt ein Stich aus dem 18. Jahrhundert die Anbringung der Kreuzreliquie in der Kreuzesvierung zuverlässig wieder; vgl. Victor H. Elbern, Zum Justinuskreuz im Schatz von St. Peter zu Rom, in: Jahrbuch der Berliner Museen N.F. 5, 1963, S. 24–38, hier S. 26ff. 7 Vgl. etwa Hans Belting, Die Reaktion der Kunst des 13. Jahrhunderts auf den Import von Reliquien und Ikonen, in: AK Ornamenta Ecclesiae, hg. von Anton Legner, Köln 1985, Bd. 3, S. 173–183. 8 Belting (wie Anm. 7) S. 175. 9 Zur Zeit der Kreuzfahrer glaubte man, daß zwei Drittel des Reichtums der ganzen Welt in Konstantinopel konzentriert seien; vgl. Robert de Clari, The Conquest of Constantinople, hg. und übers. von Edgar Holmes McNeal, Toronto 1996, S. 101. Von den Kreuzfahrern Robert de Clari, Geof­froy de Villehardouin und Gunther von Pairis sind die wichtigsten Augenzeugenberichte über Belagerung, Plünderung und Aufteilung der Beute überliefert, vgl. insbesondere über die erbeuteten Kunstschätze Robert de Clari (s. o.), S. 101–112; Geoffroy de Villehardouin, La Conquête de Constantinople, hg. von Edmond Faral, Paris 1939, Bd. 2, S. 33–55 (Nr. 232–251); Gunther von Pairis, Hystoria Constantinopolitana, hg. von Peter Orth, Hildesheim 1994, S. 159–163 (Kap. 19) und der Bericht des Anonymus von Soissons, vgl. Alfred J. Andrea – Paul I. Rachlin, Holy War, Holy Relics, Holy Theft: The Anonymous of Soisson’s De terra Iherosolimitana: An Analysis, Edition, and Translation, in: Historical Reflections 18, 1992, S. 147–175, hier S. 172ff. – Von der Hystoria Constantinopolitana gibt es eine englische Übersetzung: Alfred J. Andrea, The Capture of Constantinople. The Hystoria Constantinopolitana of Gunther of Pairis, Philadelphia 1997. 10 Eine detaillierte Auflistung von byzantini­ schen Reliquiaren im Westen erstellte Paul Riant, Des Dépouilles religieuses de Constantinople au XIIIe siècle, Paris 1875; eine mehr summarische Übersicht bietet Michael Angold, The Fourth Cru­ sa­de: Event and Context, Harlow 2003, S. 228–241. 11 Viertes Laterankonzil, Constitutiones Nr. 62, in: Josef Wohlmuth (Hg.), Konzilien des Mittelalters, Paderborn 2000, Bd. 2, S. 263.

104 Gia Toussaint 12 Guibert von Nogent, De sanctis et eorum pi­ gneribus, hg. von R. B. C. Huygens (CCCM 127), Turnout 1993, S. 106: Solent nanque pyxidibus ebur­ neis aut argenteis nuda sanctorum ossa contegere et ad tempus et horam, pretio sese ingerente retegere. Vgl. auch die englische Übersetzung von Buch 1 dieses Werks in: Thomas Head (Hg.), Medieval Hagiography. An Anthology, New York 2001, 399–427; für das obige Zitat, S. 420. 13 Rainer Rückert, Zur Form der byzantinischen Reliquiare, in: Münchener Jahrbuch der Bildenden Kunst 3. F., 8, 1957, S. 7–36 stellt zahlreiche nackte, aus Byzanz stammende Heiligenschädel zusammen und versucht trotz unbe­ friedigender Quellenlage ihre Handhabung und Aufbewahrung, die auf leichtere Sichtbarkeit als im Westen zielt, darzustellen, vgl. S. 19f. Christof Diedrichs, Vom Glauben zum Sehen. Die Sichtbarkeit der Reliquie im Reliquiar, Berlin 2001, S. 34 mit Anm. 42 schließt sich der Auffassung Rückerts nicht an und begreift die Sichtbarkeit der Reliquie als westliche Entwicklung. – Unberücksichtigt bleiben in Rückerts Untersuchung jene byzantinischen Reliquien, die als bloße Röhrenknochen nur eine knappe Metallfassung an den Enden trugen und den Knochen auf diese Weise sichtbar ließen; s. hierzu beispielsweise den Armknochen des heiligen Georg, der, nach dem Raub aus Konstantinopel neu gefaßt, heute im Schatz von San Marco, Venedig, aufbewahrt wird: Hans Hahnloser, Il Tesoro di San Marco. Il Teso­ro e il Museo, Florenz 1971, Nr. 159 mit Tafel CLII. Im Bestand des Schatzes von San Marco befindet sich noch weiteres byzantinisches Hei­ligengebein mit Metallkappen an den Knochenenden, wie z. B. die Rippe des heiligen Stephan (Hahn­loser, Nr. 175, Tafel CLXXVI) und ein Finger des heiligen Christophorus (Hahnloser, Nr. 32, Tafel XXX). Weitere Reliquien dieser Art in: AK Byzance. L’Art byzantin dans les collections publiques françaises, hg. von Daniel Alcouffe, Paris 1992, S. 337 mit Abb. 1–3. – Für seine Hilfs­be­reitschaft und Kooperation sowie die zahl­reichen Fotos, die ich vor Ort in Halberstadt machen konnte, möchte ich Herrn Domkustos Jörg Richter ausdrücklich danken. 14 Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt und seiner Bischöfe 1, hg. von Gustav Schmidt, repr. Osnabrück 1965, Nr. 449 (S. 400–403, hier S. 401).

15 Eine ausführliche Beschreibung des Akindinosschädels zuletzt von Jannic Durand, Relique de saint Akindynos, in: AK Byzance (wie Anm. 13), Nr. 226 (S. 313). 16 Paul Riant (Hg.), Exuviae sacrae Constantino­ politanae, Genf 1878, Bd. 2, S. 217: caput Iacobi mi­ noris. – Gesta Episcoporum Halberstadensium, hg. von Ludwig Weiland (MGH SS 23), Hannover 1874, S. 73–123, hier S. 120: caput totale Iacobi frat­ ris Domini. 17 Vgl. die Zusammenstellung von nicht mehr erhaltenen, jedoch schriftlich belegten Behältnissen von Schädelreliquien von Rückert (wie Anm. 13), S. 18ff. 18 Hartmann Grisar S. J., Die römische Kapelle Sancta Sanctorum und ihr Schatz, Freiburg/Br. 1908, S. 107. Zu dem Reliquiar vgl. zuletzt aus­ führlicher Raffaella Farioli Campanati, Reli­ quario del capo di S. Prassede, in: AK Splendori di Bisanzio. Testimonianze e riflessi d’arte e cultura bizantina nelle chiese d’Italia, hg. von Giovanni Morello, Mailand 1990, S. 179 (Nr. 69). 19 (…) barreteam criseam, id est laminam auream insertam capsule, in qua depicta erat imago sancti Clementis, et suum proprium nomen grece scriptum; Paul Riant (Hg), Exuviae sacrae Constantino­poli­ tanae, Genf 1877, Bd. 1, S. 135. 20 ›(…) in einem kleinem Schrank hinter dem Altar‹; Riant (wie Anm. 19) S. 136. 21 (…) cum tremore accedens ad beati Clementis caput, non est ausus totum assumere, sed mentum cum maxillis caute avulsit, capite derelicto; Riant (wie Anm. 19) S. 135. 22 Ähnliches läßt sich auch bei den zahlreichen byzantinischen Staurotheken beobachten, deren leicht zu öffnende Schiebedeckelverschlüsse den schnellen Zugang zur Reliquie gewährleisten. 23 Apud Fiscamni quoque insigne monasterium, de osse brachii (…) Marie Magdalene duo mordicitus excussit frustra. Ipsum autem os nullus tunc presen­ tium uel abbas uel monachus aliquando inspexerat tegmine nudum. Erat enim duplicibus pannis sericis et lineo simplici artissime insutum. Cuius inspectio­ nem dum episcopo flagitanti exhibere nullus auderet, ille a quodam notario suo scalpellum arripiens, fila festinanter dissecuit, atque inuolucrum illud dissuens, sacratissimum os ori et oculis suis reuerenter appli­ cuit. A quo dum impressione digitorum nil quiuisset excutere, prius incisiuos deinde molares dentes appo­ suit, quorum uiribus duas inde citius portiones abru­

105 Die Sichtbarkeit des Gebeins im Reliquiar

pit (…) Cernentes uero hec abbas et monachi, iampri­ dem stupentes et pauidi, nunc uero seuientes et irati, exclamant, ›O, o, proh nefas! Credebamus episcopum uenerationis obtentu expetisse hec sacra reuerenda, et ecce ritu canino hec dentibus tradidit lanianda. – Ma­ gna Vita Sancti Hugonis, cap. XIV (Magna Vita Sancti Hugonis, Bd. 2, hg. von Decima L. Douie – David Hugh Farmer, Oxford 1985, S. 169f.). Hugos Ver­halten in Fécamp blieb kein Einzelfall; das gesamte 14. Kapitel seiner Vita ist mit Anek­doten heiliger Beraubung gefüllt. So trennte er aus dem noch fleischbedeckten Arm des heiligen Oswald eine Sehne heraus, um sie seinem Schatz einzuverleiben (S. 170). 24 ›Si‹, inquit, ›ipsius Sancti sanctorum paulo ante corpus sanctissimum digitis licet indignis contrecta­ uimus, dentibus quoque uel labiis attrectatum ad inte­ riora nostra transmisimus, quare non etiam sanctorum eius menbra ad nostri munimen (…) attrectamus?‹ Magna Vita Sancti Hugonis, cap. XIV (S. 170; wie Anm. 23). 25 Den zahlreichen Beziehungen zwischen Reliquien und Eucharistie geht eine umfangreiche Studie nach: Godefridus J. C. Snoek, Medi­ eval Piety from Relics to the Eucharist. A Process of Mutual Interaction, Leiden 1995. 26 Odette Pontal, Les statuts synodaux français du XIIIe siècle, précédés de l’historique de synode diocésain depuis ses origines. I. Les statuts de Paris et le synodal de l’Ouest (XIIIe siècle), Paris 1971, S. 82: … sed quasi ante pectus detineant donec dixerint Hoc est corpus meum et tunc elevent eam ita quod possit ab omnibus videri. 27 Cum quibus usque ad civitatem progrediens, thesaurum tam preciosum quam salutiferum, reliquias scilicet sanctorum quas adduxit super feretrum inpo­ sitas ac decenter ornatas sibi preferri fecit. Venit igitur universa civitas cleri ac populi, prelatique et totius dyocesis clerici et honesti viri necnon et provinciarum adiacencium populus infinitus, et de civitate obviam isti a longius procedentes, cum tante eum sollempnita­ tis tripudio receperunt qualis vel quanta a nullo um­ quam visa erat. Et merito venerandum antis­titem qui venerat conclamabant in nomine Domini benedictum. Ipse enim secum sanctorum pignora appor­tavit, cum quibus indubitanter pax et salus patrie sunt illata. – Gesta Episcoporum Halber­staden­sium (wie Anm. 16) hier S. 120. Vgl. auch die englische Übersetzung in: Alfred J. Andrea, Contemporary Sources for the Fourth Crusade, Leiden 2000, S. 260f.

28 Eine vollständige Auflistung der von Konrad mitgebrachten Reliquien in den Gesta Episco­ porum Halberstadensium (wie Anm. 16) S. 120f. 29 Eine ausführliche Beschreibung des Reliquiars bei Martina Junghans, Die Armreliquiare in Deutschland vom 11. bis zur Mitte des 13. Jahr­ hunderts, Diss. Bonn 2002, Nr. 22, S. 135–140. 30 Michael Budde, Altare portatile. Kompendium der Tragaltäre des Mittelalters 600–1600, 2 CD-ROMs, Münster 1998, hier CD 1, Kat. Nr. 10, S. 71–78. 31 Zu dem Finger in Sens vgl. Jannic Durand, Relique du doigt de saint Luc, in: AK Byzance (wie Anm. 13) Nr. 250 (S. 337). Nach Durand stammt der Finger höchstwahrscheinlich aus Griechenland, vermutlich aus einem Reliquienraub der lateinischen Herzöge von Athen aus der Zeit 1205–1311. 32 Das Tragen von Reliquien bzw. Reliquiaren war ein verbreiteter Brauch. Als 1205 das elsässische Kloster Pairis, das viele Beutestücke aus Byzanz besaß, König Philipp von Schwaben eine Reliquientafel zum Geschenk machte, wurde auch ihr ursprünglicher Zweck angegeben: Quam tabulam Grecorum imperator in solempnibus festis velut quoddam certum pignus imperii gestare consu­ everat de collo suo cathena aurea dependentem (›der Herrscher der Griechen pflegte diese Tafel an den großen Festen an einer goldenen Kette um den Hals zu tragen, als sicheres Unterpfand für [das Bestehen] seiner Herrschaft‹); Gunther von Pairis, Hystoria Constantinopolitana, hg. von Peter Orth, Hildesheim 1994, S. 179f. (Kap. 25). Bei dem von Gunther von Pairis in seiner Hystoria Constantino­ politana erwähnten Reliquiar handelt es sich um ein äußerst kostbares Tafelreliquiar, das nicht nur üppig mit Reliquien bestückt war, sondern auch von zwei großen geschnittenen Steinen geziert wurde: der eine, ein Jaspis ›von erstaunlicher Größe‹ (mire magnitudinis), war mit einer Kreuzigungsszene versehen, der andere, ein Saphir ›von bewundernswürdigem Gewicht‹ (admirande quan­ ti­tatis) mit einer maiestas Domini (S. 180, Kap. 25). 33 Zu dem Stephanusarm vgl. zuletzt Junghans (wie Anm. 29) Nr. 21, S. 129–134. 34 Fast die gesamte byzantinische Beute wurde ein Opfer der Zeitläufte. So läßt sich beispielsweise von den Beutestücken, die der Anonymus von Soissons aufführt (wie Anm. 9) nur noch der Schädel des Dionysius von Areopagita in Longpont nachweisen, doch wird dieser in einem

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schlich­ten, im 13. Jahrhundert im Westen hergestellten Silberkästchen aufbewahrt vgl. Alfred J. Andrea (wie Anm. 27) S. 237 Anm. 72. Ich danke Dr. Alfred Andrea/University of Vermont für das Foto des Dionysiusreliquiars sowie für die Ko­pien seines Briefwechsels mit allen infrage kom­menden Bistümern, die eventuell noch im Besitz von Reliquien sein könnten. Die umfangreiche Korrespondenz zeitigte keinen Erfolg; die byzantinischen Kostbarkeiten haben sich an keinem Ort überliefert. 35 Anton Legner, Handreliquiar der hl. Attala, in: AK Ornamenta Ecclesiae (wie Anm. 7) S. 147ff., hier S. 149 beschreibt das Reliquiar als »eines der ältesten dieser Art«. Wie Hans R. Hahnloser, Corpus der Hartsteinschliffe des 12.–15. Jahrhunderts, Berlin 1985, Nr. 188 ausführt, ist »die Fassung nur in wenigen Teilen original (Inschriftband, seitliche gravierte Spangen) und dürfte ihre heutigen Form erst im 15. Jahrhundert erhalten haben«. In der neueren Forschung wird das Inschrift­band

an der Basis als Hinweis auf die Stifter gedeutet: GOTHEFRIT. GOTHEFRIT CIDELERE. DUODA, vgl. Hahnloser, Nr. 188 und Legner, S. 149. Für eine ausführliche Beschreibung des Reliquiars vgl. Legner (wie oben) und F. Leitschuh, Das Reliquiar der heiligen Attala in der St. Magdalenenkirche zu Straßburg, in: Das Kunst­gewerbe in Elsaß-Lothringen 3, 1902, S. 73–83. 36 Riant (wie Anm. 10) S. 194f. u. 210f. führt die nach Pairis/Elsaß überführten Reliquien auf. Zum Bericht des Gunther von Pairis über die Plünderung Konstantinopels vgl. Anm. 32. 37 Antigone Samellas, Death in the Mediterranean (50–600 A. D.), Tübingen 2002, S. 148–155 beschreibt, wie sich bei den Christen des Ostens die Auffassung von Unreinheit verschob; waren es zunächst noch die Leichen, deren Berührung das Stigma der Unreinheit nach sich zog, so waren es im 4. Jahrhundert nur noch Sünder und verwerfliche Weltanschauungen, die als unrein galten.

Susanne Wittekind

Caput et corpus. Die Bedeutung der Sockel von Kopfreliquiaren

I. Einleitung 1. Forschungsansätze und These Kopf- und Büstenreliquiare waren ein seit dem Hochmittelalter weit verbreiteter und beliebter Reliquiartyp, wie zuletzt der Katalog der metallenen Kopfund Büstenreliquiare von Birgitta Falk demonstrierte.1 In der älteren Forschung interpretierte man diese Reliquiare als Nachfolger des antiken Bildnisses und als frühe Beispiele mittelalterlicher Skulptur oder als ›redende‹ Reliquiare, deren Form auf die in ihnen verborgene Reliquie verweise;2 dabei konzentrierte sich also das Augenmerk auf das caput, dessen ästhetische Wirkung und seine den Heiligen vergegenwärtigende Funktion. Unter den von Falk dokumentierten Reliquiaren fällt eine kleine Gruppe von Kopfreliquiaren des 12. Jahr­hunderts auf, bei denen das Haupt auf einem jeweils unterschiedlich gestalteten Sockel montiert ist. Diesen Kopf- und Büstenreliquiaren mit geschmückten Sockeln gilt der folgende Beitrag. Er nimmt dabei Überlegungen der jüngeren Forschung zur religiösen Funktion und Bedeutung der Form und der materiellen Gestalt von Reliquiaren auf, wie die von Bruno Reudenbach erörterte Frage, auf welche Weise in Reliquiaren das Fragmentarische der realen Reliquie und die ideelle Totalität des in ihnen gegenwärtigen Heiligen zur Anschauung gebracht wird.3 Reudenbach sieht den kostbaren Schmuck der Reliquiare als Versuch, die nicht sinnlich faßbaren Gnadenkräfte der Reliquien visuell erfahrbar zu machen. Dies begründet er im Ausgriff auf die Exegese, die Heilige als Lichtgestalten beschreibt, deren Tugenden leuchten wie Edelsteine. Daran anknüpfend interpretiert Gia Toussaint die materielle Gestalt der mit Gold oder Silber bekleideten und mit Edelsteinen gezierten Reliquiare als die glänzenden Auferstehungsleiber der Heiligen, als corpus spiritale (I Cor 15,35-44).4 Da die Märtyrer und Heiligen unmittelbar nach ihrem Tod mit ihrem verklärten himmlischen Leib auferstehen und so als Glieder Anteil haben am himmlischen Leib Christi, können architektonische Form und Edelsteinschmuck der Reliquiare als irdisches Abbild der himmlischen Wohnstatt der Heiligen, des himmlischen Jerusalems, interpretiert werden (Apc 21).5 Zugleich ist diese Architektur ekklesiologisch zu verstehen als die im corpus Christi zusammen-

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geschlossene Gemeinschaft der Heiligen (communio sanctorum), als das aus lebendigen Steinen erbaute geistige Haus (I Pt 2,5), dessen Säulen die Apostel und dessen Eckstein Christus ist (Eph 2,19–21).6 Meine These lautet daher, daß die meist architektonische Sockelform der Kopf- und Büstenreliquiare auf den oder die im Reliquiar präsentierten Heiligen als Teil der himmlischen communio sanctorum hinweist. Das Haupt ist, so wird im folgenden im Ausgriff auf die zeitgenössische Exegese gezeigt, nicht allein Repräsentant des Heiligen, sondern es repräsentiert in ihm Christus als Haupt seines mystischen Körpers, der Kirche (I Cor 12,27). Form und bildlicher Schmuck dieser Sockel erläutern die Bedeutung des auf ihnen ruhenden Hauptes in jeweils eigener Weise. Sie können darüber hinaus als Stellungnahme in der zeitgenössischen Diskussion um echte Reliquien, Reliquienverehrung und Heiligkeit lesbar gemacht werden.7 2. Kopfreliquiare mit Sockel Die meisten hochmittelalterlichen Kopfreliquiare enden brüsk mit dem abgeschnittenen Hals, wie dies das in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts im Rheinland gefertigte Vitalis- oder Candidusreliquiar in Düsseldorf (St. Lambertus) zeigt.8 Die Büstenreliquiare werden oft durch eine Schmuckborte nach unten hin gerade abgeschlossen, so bereits beim ältesten erhaltenen Beispiel, dem Paulusreliquiar aus dem Münsteraner Domschatz, das im dritten Viertel des 11. Jahrhunderts in Westfalen entstanden ist.9 Von beiden Formen abzusetzen ist eine Gruppe von Kopfreliquiaren mit aufwendigen, wenngleich sehr unterschiedlichen Sockelformen. Formal haben die Sockel die Funktion, Kopf oder Büste des Heiligen zu erhöhen. Ihre architektonische Gliederung läßt sich allgemein als Mittel zur Steigerung der äußeren Würde des Reliquiars auffassen. Das älteste dieser seit Mitte des 12. Jahrhunderts im Reichsgebiet entstehenden Reliquiare ist das durch eine Translationsurkunde auf das Jahr 1145 datierbare Alexanderreliquiar aus Stablo (Brüssel, Musées Royaux; Abb. 1).10 Wie beim Alexanderreliquiar ist auch beim sogenannten Cappenberger Kopf (Abb. 4) und dem Oswaldreliquiar (Abb. 5) die Frage diskutiert worden, ob Kopf und Sockel jeweils ursprünglich zusammengehörten oder später montiert wurden.11 Bei drei weiteren Reliquiaren steht hingegen der ursprüngliche Zusammenhang von Büste und Sockel außer Frage. So ruht bei dem nach der Mitte des 12. Jahrhunderts entstandenen Candidusreliquiar (St. Mauriced’Agaune; Abb. 8) das Haupt auf einem seitlich ausgeschnittenen, kreuzgewölbten Unterbau, dessen Stirnseite eine Reliefdarstellung mit dem Martyrium des Heiligen trägt.12 Das ihm stilistisch eng verwandte Petrusreliquiar (Sitten, Kantonsmuseum; Abb. 10) weist ebenfalls einen im Innern gewölbten Unterbau auf, der in Bogenarkaden zu drei Seiten geöffnet ist.13 Das um 1200 entstandene und aus dem Baseler Münsterschatz stammende Eustachiusreliquiar (London, British Museum; Abb. 11) schließlich hat einen rechteckigen, massiven Sockel, dessen Seiten jeweils durch Arkaden gegliedert sind.14 Diese Gruppe von Kopfreliquiaren des 12. Jahrhunderts folgt mit ihrer aufwendigen

109 Bedeutung der Sockel von Kopfreliquiaren

­ ockelgestalt nicht einfach einer Konvention; der Sinn der jeweiligen Zusam­ S menfügung von Kopf und Sockel ist demnach interpretationsbedürftig. 3. Zur theologischen Deutung des caput Doch seien zunächst einige Überlegungen zur theologischen Bedeutung des Hauptes (caput) angestellt, die vielleicht die Beliebtheit von Kopfreliquiaren im Mittelalter erklären können, unabhängig von antiken Traditionen oder magischen Zügen des Heiligenkults. Von den genannten Beispielen enthielten die meisten eine Schädelreliquie des dargestellten Heiligen; das Äußere weist also auf die im Innern fest verschlossene, für den Gläubigen unsichtbare Reliquie. Doch bergen sie meist noch weitere Reliquien, die im Äußeren nicht entsprechend in Erscheinung treten. Auf diese an Körperteilreliquiaren häufig zu beob­ achtende Diskrepanz hat Cynthia Hahn bereits 1997 aufmerksam gemacht.15 Die von ihr beobachtete Bevorzugung des Hauptes und des Armes als Reliquiar­ form läßt sich durch die theologische Bedeutung begründen, die dem Arm und dem Haupt zukommen. Martina Junghans weist anhand zahlreicher Quellen für die Armreliquiare nach, daß sie häufig bei Segenshandlungen und Kran­ken­ heilungen eingesetzt wurden. Wie Inschriften erkennen lassen, steht dahinter die Vorstellung, daß durch den Arm des Heiligen hindurch die göttliche Kraft wirke.16 Reudenbach sieht darüber hinaus im Armreliquiar ein taktiles Element des Reliquienkultes aufgenommen und die für den Kult wichtige Vorstellung der Kraftübertragung durch Berührung visualisiert.17 Entsprechend kann man für das Kopfreliquiar folgern, daß hier durch Augen, Mund und Ohren die ­Auf­merksamkeit insbesondere auf die Heilsvermittlung durch den Blick des Heiligen, seine belehrende Rede und sein Anhören des Gläubigen gelenkt wird – dies im Gegensatz zu den Halbfigurenreliquiaren, deren Erscheinung wesent­ lich durch die Gestik mitbestimmt wird. Doch das dargestellte Haupt des Heiligen ist auch in theologischer Perspektive Bedeutungsträger. Es ist nach platonischer und über Augustin dem Mittelalter vermittelter Auffassung der Sitz der Seele. In seiner Gemma animae, die man als Quelle und Beleg für theologisches Gemeinwissen im 12. und 13. Jahrhundert heranziehen kann, formuliert Honorius Augustodunensis Per caput principale animae, scilicet mens denotatur, quae sicut caput capillis, ita cogitationibus perornatur18 – ›Durch das Haupt wird vor allem die Seele bzw. der Verstand bezeichnet, denn wie das Haupt durch das Haar, so wird auch (die Seele) durch das Denken geziert.‹ Diese Auffassung greift die platonische Lehre vom caput und seiner Bedeutung auch im Verhältnis zum corpus auf.19 Die Metapher von dem Haupt und den Gliedern wird im Mittelalter auch ekklesiologisch interpretiert, denn wie die Seele den Körper leitet, so leitet Christus, das Haupt, die Kirche als seinen Körper. Biblische Grundlage dafür ist neben Col 1,18 et ipse (Christus) est caput corporis ecclesiae – ›und er ist das Haupt seines Leibes, der Kirche‹ – vor allem Eph 1,22f. In der frühscholastischen Theologie wird ein sakramentaler Kirchenbegriff entwickelt, demzufolge die Gläubigen in der Eucharistie Anteil am Körper Christi, d. h. der Kirche, gewinnen. So formuliert

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Honorius Augustodunensis in seinem Elucidarium: Ut corpus capiti inhaeret, et ab eo regitur, ita ecclesia per sacramentum corporis Christi ei conjungitur – ›Wie der Körper dem Haupt anhaftet und von ihm regiert wird, so wird die Kirche durch das Sakrament des Körpers Christi mit ihm verbunden.‹20 Honorius ­Augustodunensis führt seine allegorische Auslegung des Hauptes noch weiter: (…) imo unum cum eo corpus efficitur: a quo omnes justi in suo ordine, ut membra a capite gubernantur. Cujus capitis oculi sunt prophetae, qui futura praeviderunt: sunt et apostoli, qui alios a via erroris ad lumen justitiae reduxerunt. Aures, sunt obedientes. (…) Os, sunt doctores. ›Mit ihm (Christus) wird ein Körper gebildet, in dem alle Gerechten in seiner Ordnung stehen, damit die Glieder vom Haupt regiert werden. Die Augen des Hauptes sind die Propheten, die die Zukunft vorhersehen, und sind die Apostel, die kraft ihrer Erkenntnis andere vom Weg des Irrtums auf den Weg des Lichts der Gerechtigkeit zurückführen; die Ohren sind die Gehorsamen, der Mund die geistlichen Lehrer.‹21 So wird das Haupt zum Vertreter Christi und zum Sinnbild der Gemeinschaft der Heiligen, der Geistlichen und Gläubigen mit Christus, also zum Bild der Kirche.22 Im idealen Bildnis des Heiligen ist also zugleich Christus repräsentiert, der durch den Mund des Heiligen zu den Gläubigen spricht und sie belehrt.

II. Fallstudien Im folgenden soll nun an der eingangs vorgestellten Gruppe von Kopfreliquiaren untersucht werden, in welchem Verhältnis die Sockel zur Vorstellung vom Heiligenhaupt als Vertreter Christi stehen. 1. Alexanderreliquiar (Brüssel, Musées royaux) Das älteste erhaltene Kopfreliquiar mit Sockel ist das Alexanderreliquiar (Abb. 1).23 Das silbergetriebene und partiell vergoldete Haupt mit kurzem Brustansatz und emailliertem Kragen steht auf einem tragaltarförmigen, mit Emails und Steinschmuck gezierten Sockel, mit dem es über den Holzkern und durch auf ihm befestigte Silberbleche fest verbunden ist. Im einhellig gerühmten antikischen Charakter des Alexanderhauptes ist die Vorbildhaftigkeit antiker Imperatorenbilder offenbar bewußt zur Anschauung gebracht.24 Doch wird diese Wirkung durch die Betonung der kreisförmigen Scheiteltonsur im dichten Haarkranz des dargestellten Heiligen gebrochen. Die Tonsur erläutert Honorius Augustodunensis als geistliches Amtszeichen. Demnach ist sie als Krone des Geistlichen (corona clericali) zu verstehen; ihre Kreisform ist Zeichen der liebenden Eintracht der Tugenden: Capilli vero in circulum coaequantur, quia omnes virtutes in concordia charitatis consummantur.25 Zugunsten der Tonsur wird auf die Darstellung von geistlichen Herrschaftszeichen wie der Mitra verzichtet.

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1.  Alexanderreliquiar (Brüssel, Musées royaux), Maasland 1145

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Den Amtsträger und die verschiedenen Weihegrade präsentieren hingegen die Emails am Sockel. Das Alexanderhaupt zielt also nicht auf eine Demonstration des geistlichen Ranges des Heiligen, sondern auf die Darstellung eines geistlichen Idealbildes, des tugendhaften Klerikers. Der antikische Charakter des Haup­tes ist dabei als Verweis auf die Lebenszeit des dargestellten Papstes, des fünften Nachfolgers Petri, aufzufassen, als visueller Beleg für das Alter und damit für die Authentizität der im Haupt geborgenen Reliquien. Zugleich dienen retrospektiver Stilmodus und die Tonsur des Heiligen als Hinweis auf die frühchristliche Zeit als eine Idealzeit, der frühchristliche Heilige wird zur Leitfigur für die Kirche der Gegenwart.26 Der stilistische Anklang an die Formgebung antiker Augustusportraits ruft darüber hinaus im Alexanderbildnis die Deutung des Heiligen als Vertreter Christi auf. Christus bezeichnen die Kirchenväter nicht nur als caput mundi oder als caput civitatis jerusalem, sondern auch als imperator – als höchsten Herrscher der Welt wie des himmlischen Reiches.27 So wird auch das antike Imperatorenbildnis des Augustus-Kameos im Zentrum des von Otto III. gestifteten Lotharkreuzes im Aachener Münsterschatz als bildliche Vertretung Christi inter­pretiert (Abb. 2).28 Die aus der Exegese geläufige Auffassung Christi als caput mundi und als Haupt des mystischen Körpers der Kirche wird am Alexanderreliquiar durch das zugleich antikisch-imperatorenhafte wie geistlich-idealisierte Kopfreliquiar auf neuartige Weise ins Bild gesetzt. Anders als bei der hl. Fides von Conques (letztes Viertel 9. Jahrhundert), für deren Kopf ein spätantikes Imperatorenbild verwendet wird, oder als beim Lotharkreuzes wird beim Alexanderreliquiar jedoch keine antike Spolie eingefügt, sondern der Bedeutungsgehalt wird durch Form und Stilmodus künstlerisch umgesetzt.29 Merkwürdig bleiben bei der ansonsten perfekten Kopfgestaltung offensichtliche Unstimmigkeiten, so der Übergang von Hals und Brustansatz, der Anschluß des Kragens sowie dessen Montage auf dem Sockel. Möglicherweise ist dies durch eine nachträgliche und technisch unvollkommene Umarbeitung des bereits gefertigten Kopfes begründet und durch die Schwierigkeit, ihn mit dem Sockel zu verbinden. Zugleich erhält der Kopf dadurch jedoch visuell den Charakter einer Spolie.30 Daß der tragaltarförmige Sockel für das Alexanderhaupt geschaffen wurde, geht aus dem Befund des Holzkerns hervor, denn die hölzerne Deckplatte über der Reliquienkammer des Sockels ragt mit einem Keil, an dem der Kragen befestigt ist, in den Halsaufsatz hinein. Der tragaltarförmige Sockel hat ein berühmtes Vorbild im Trierer Andreasportatile (Abb. 3), laut Inschrift von Erzbischof Egbert (977–993) gestiftet.31 Dieser kastenförmige Tragaltar, dessen Füße auf vier Löwen ruhen, enthält neben einer Passionsreliquie, dem kostbaren Nagelreliquiar und Petrusreliquien, eine Sandale des Apostels Andreas, eine Reliquie, auf die in Gestalt eines mit Goldblechen verkleideten Fußes auf der Deckplatte des Tragaltares besonders hingewiesen wird. Zugleich ist der Fuß Sinnbild der Apostel als Friedensboten und Füße Christi (Rm 10,41) und damit konzeptionell ein ähnlich stellvertretendes Bild wie das Alexanderhaupt.32 Im

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2.  Lotharkreuz (Aachen, Domschatz), Ende 10. Jahrhundert

3.  Andreasportatile (Trier, Domschatz), Trier 977–993

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Gegensatz zum Egbert-Portatile kommt dem Alexanderreliquiar mangels ­Altarstein keine liturgische Altarfunktion zu. Der in Apc 4 geschilderte, edelsteingeschmückte und von den Thronwesen bewachte himmlische Thron des Lammes wurde seit den Kirchenvätern zugleich als Hinweis auf den Altar als Opferstätte des Lammes, d. h. Christi, verstanden und umgekehrt der Altar als Thron Gottes aufgefaßt.33 Die Edelsteine am Sockel des Alexanderreliquiars lassen sich im Ausgriff auf die mittelalterliche Edelsteinallegorese als Hinweis auf die Tugendreinheit (virtus) der Heiligen und ihrer im Reliquiar geborgenen Reliquien lesen; denn im Funkeln der Steine ist das Feuer und Glänzen der Liebe und Tugenden der Heiligen versinnbildlicht.34 Andererseits verweisen die Edelsteine auf den steingeschmückten Thron des göttlichen Herrschers, auf dessen Majestät und Unsterblichkeit.35 Die markant hervortretenden Bergkristalle in den vier Ecken der Deckplatte des Sockels am Alexanderreliquiar lassen sich daher verstehen als Sinnbilder des gläsernen Meeres um den göttlichen Thron (Apc 4,6).36 Für Rupert von Deutz (gest. 1129) ist der Bergkristall Sinnbild Christi, der die bewegliche, gebrechliche und sterbliche Natur des Menschen, die dem Wasser entspricht, durch seine Auferstehung überwand und in ewige Festigkeit verwandelte. Nach Richard von St. Viktor (gest. 1173) bezeichnet das gläserne Meer die Taufe, die das Unrecht abwäscht, das Glas die Reinheit und Klarheit der göttlichen Erkenntnis, das Kristall die Erwählten (electi, perfecti) aufgrund ihres Gefestigtseins in der Gerechtigkeit, weshalb sie auch Sitz Gottes genannt werden, wegen ihrer vollkommenen Einsicht in die göttliche virtus. Die Bergkristalle stehen hier also stellvertretend für Christus oder für die Heiligen, die Christus, das Lamm, verehren. Aus der Schar der Heiligen sind auf der Frontseite des Sockels Papst Alexander und seine beiden Martyriumsgefährten Theodolus und Eventius als Bischof und Diakon bildlich herausgestellt. Die in der Thronvision erwähnten sieben Geister Gottes (Apc 4,5), die in der Exegese als die sieben Gaben des Heiligen Geistes nach Is 11 interpretiert werden, sind an den anderen Seiten des Sockels in Gestalt der Geistesgaben-Tugenden präsent.37 Sie geben zugleich durch ihre Spruchbänder einen Weg an, der zur Seligkeit der Heiligen führt, denn diese zitieren die Seligpreisungen der Bergpredigt (Mt 5), die Mahn- und Verheißungsrede Christi. Damit wird das oben mit Honorius Augustodunensis dargelegte Sprechen des Heiligen, durch dessen Mund Chri­ s­tus spricht, am Sockel vom Inhalt der Rede ergänzt: Es ist die Lehre Christi, hier die Bergpredigt. Der altarförmige Sockel des Alexanderreliquiars diente zugleich als Reliquienkammer, die, wie bei den anderen Beispielen dieser Gruppe, jedoch nicht zur Öffnung vorgesehen war. Der ehemalige Reliquienbestand ist ebenso wie die Stabloer Translationsnotiz kopial im Stabloer Chartular (Düsseldorf, Staatsarchiv) überliefert.38 An erster Stelle genannt wird die Schädelreliquie Alexanders sowie ein blutgetränktes Gewandstück des Heiligen; Reliquien seiner am Sockel dargestellten Martyriumsgefährten Eventius und Theodulus fehlen. Hinzu kommen Stücke vom Stein, auf dem Christus getauft wurde, vom Bart

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Petri und dem Leib der Märtyrer Agapit und Crispian, gefolgt von Herrenreliquien: einem Stück des Abendmahlstisches, des Essigschwammes und des Grabes Christi sowie des Steines, von dem aus er zum Himmel fuhr. Diese Pas­ sions- und Auferstehungsreliquien werden im Sockel durch dessen altarförmige Gestalt wieder aufgerufen. Sie erinnern an die Einsetzung der Eucharistie durch Christus und an seine Leidens- und Opferbereitschaft sowie seine Überwindung des Todes zur Erlösung der Menschen. Papst Alexander I. galt im Mittelalter als derjenige, der in den Canon missae die verba passionis domini einfügte – so vermerkt es Abt Wibald von Stablo, der Auftraggeber von Alexanderreliquiar und Tragaltar, als Randnotiz in seinem Sakramentar.39 Die altarförmige Sockelgestalt des Alexanderreliquiars verbindet so die Erinnerung an das Erlösungsopfer Christi und die Einsetzung der Eucharistie mit dem liturgischen Wirken des Heiligen. Auf vielfältige Weise werden damit am Alexanderreliquiar äußere Form, Reliquieninhalt und Bildprogramm miteinander verknüpft. Die Bedeutung des Hauptes wird folglich beim Alexanderreliquiar durch den Sockel entscheidend erweitert und theologisch vertieft. Durch den vollkommenen Geistlichen, den die Alexanderbüste vertritt, spricht Christus, der irdische Lehrer und endzeitliche Weltenherrscher, dessen höchste Würde durch das ›Imperatorenhaupt‹ angezeigt wird. Der Sockel fügt eine eucharistisch-liturgische Perspektive hinzu, denn die Altarform erinnert an das Opfer und die Priesterschaft Christi; die Heiligen und Geistlichen der Gegenwart stehen als Priester in seiner Nachfolge. In eschatologischer Perspektive wird am Sockel die Verehrung des endzeitlichen Herrschers Christus durch die Heiligen und Gläubigen thematisiert, und denjenigen, die Christi Nachfolge und himmlischen Lohn erstreben, wird mit der Bergpredigt Jesu und verbunden mit den Gnadengaben des Heiligen Geistes ein Weg des Aufstiegs durch Erkenntnis und Tugend vor Augen gestellt. Dieser wird vermittelt durch das göttliche Gnadenwirken sowie durch die Lehre der Heiligen als Glaubensapostel. So wird das Alexanderhaupt erst durch die Verbindung mit dem Form- und Bildprogramm des Sockels wahrhaft zum ›redenden‹ Reliquiar. 2. Cappenberger Kopf (Cappenberg, Pfarrkirche) Der bronzene Cappenberger Kopf ist um 1156–60 in Westdeutschland entstanden (Abb. 4). Das bärtige, von einer Imperatorenbinde gezierte Haupt ist heute ebenso wie der bronzene Sockel, mit dem es ist über Zapfen verbunden ist, vergoldet. Auf vier Drachenfüßen ruht die Bodenplatte des Sockels, in deren Mitte ein offenes rechteckiges Gebäude (Laterne) zu erkennen ist; den achteckigen Mauerkranz zieren vier Türme und drei kniende Engel, die als Karyatiden den oberen, runden Zinnenkranz tragen, auf dem das Haupt ruht. Die technisch passende Verbindung von Kopf und Sockel bezeugt trotz der ungewöhnlichen Sockelform und stilistischer Differenzen im Figurenstil die ursprüngliche, konzeptionelle Zusammengehörigkeit beider Teile.40 Das Forschungsinteresse richtete sich vor allem auf die Büste, die als erstes profanes Herrscherportrait

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seit der Antike gefeiert wurde. Während Grundmann die Büste als Idealbildnis Barbarossas deutete, wurde es von Nilgen wegen Differenzen zu den Siegelbildern Barbarossas als Idealbildnis Karls des Großen interpretiert.41 Die Deutung des Kaiserbildnisses über dem Zinnenkranz als Barbarossa leitete man ab von dessen Goldbullen (1152/56), die die gekrönte Halbfigur des Herrschers mit Zepter und Reichsapfel in den Händen über dem Mauerkranz der Stadt Rom zeigen. Dies wurde als Anspruch Barbarossas interpretiert, das römische Imperium zu erneuern.42 Doch im Gegensatz zur Bulle wachen über den Zinnen des Cappenberger Sockels die Engel mit abwehrend erhobenen Händen, den Kopf herabgebeugt zu den an den Ring gefesselten Drachen unter ihnen. Sie machen deutlich, daß es sich beim Sockel nicht um ein Abbild Roms, sondern um eine Abbreviatur der Himmelsstadt handelt. Denn in Apc 20 wird geschildert, wie ein Engel den Höllendrachen fesselt, in Apc 21 wird dann das lichtglänzende, neue Jerusalem als Heimstatt der Heiligen und Seligen beschrieben, deren Mauern und Türme von Engeln und Aposteln bewacht werden. Sie birgt keinen Tempel, denn Gott ist ihr Tempel und das Licht der Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie (Apc 21,22f.). Somit ist das kaiserliche Bildnis, das den als Abbild der Himmelsstadt gearbeiteten Sockel bekrönt, als stellvertretendes, leuchtendes Bildnis Christi, als Darstellung des rex regum (Apc 1,5) und imperator zu verstehen.43 Dabei könnte zugleich in Kenntnis der Kaiserbulle auf Barbarossa als irdischen Stellvertreter Christi angespielt sein. Die beiden Streifen am Hals des Hauptes waren offenbar von Anfang an für eine Beschriftung vorgesehen, da sie keine weitere Verzierung aufweisen. Auf ihnen ist der Reliquieninhalt des Hauptes genannt, nämlich Haar des Johannes (de crine iohannis), verbunden mit der Bitte um Gebetserhörung durch den Heiligen.44 Weniger glücklich angebracht ist die – vielleicht nachträglich ergänzte – Inschrift auf dem oberen Zinnenkranz, die den (hl. Johannes) Apocalista nochmals um Fürbitte, nun für den Geber (dator) Otto bittet. Angesichts der Form und des Bildprogramms des Sockels scheint die Wahl von Reliquien des heiligen Sehers Johannes naheliegend, ist er es doch, der das Weltende und Gericht vorhersieht, und dem die Schau des himmlischen Jerusalem und der Herrlichkeit Gottes zuteil wird (Apc 21). Der Cappenberger Kopf stellt die Herr­ lichkeit des endzeitlichen Weltenherrschers als Haupt des himmlischen Jerusalem (und der in ihm versammelten Heiligen) dar. Dem Gläubigen, der nach Teilhabe am corpus mysticum christi strebt und hofft, nach dem Gericht als Seliger ebenfalls Aufnahme in der Himmelsstadt zu finden, wird durch die Inschriften ein Weg gewiesen. Denn sie fordern ihn auf, sich im Gebet an Johannes, den Lieblingsjünger Jesu, zu wenden mit der Bitte um Fürsprache vor dem himmlischen Richter. Das originelle Bildprogramm des Kopfreliquiars ist in sich schlüssig und erweist sich damit gegen die in der Forschung mehrfach vertretende Meinung einer fast zufälligen Zusammenfügung heterogener Teile als bewußt konzipiertes und zusammenhängend entworfenes Programm.45 Damit steht das Stabloer Alexanderreliquiar in seiner Konzeption nicht allein. Vielmehr wird in den hier

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4.  Cappenberger Kopf (Cappenberg, Pfarrkirche), Westdeutschland 1156–60

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behandelten Kopfreliquiaren mit Sockeln immer wieder ein ähnlicher Gedankenkreis aufgerufen und veranschaulicht: die Eschatologie der glänzenden Himmelsstadt, des neuen endzeitlichen Jerusalem, und die ekklesiologischchristologischen Gedanken der Gemeinschaft der Heiligen als des von Christus als Haupt regierten Körpers. Gegenüber dem Alexanderreliquiar, dessen Sockel das Erlösungsopfer Christi anspricht und dem Geistlichen einen Weg des Aufstiegs zum ewigen Heil weist, dient der Cappenberger Sockel vor allem der Erhöhung und Auszeichnung des himmlischen Herrschers. Dieser erscheint als Richter, hoch erhoben über der von Engeln bewachten Stadt, deren Bewohner, die Gemeinschaft der Heiligen, hier nicht dargestellt sind. Der Weg zur Teilhabe am himmlischen Jerusalem führt hier nicht über die geistlichen Tugenden, sondern über Gebet und Verehrung des Heiligen Johannes. Seine Fürsprache vor Gericht, die von den Gläubigen als Gegenleistung für Gebet und Verehrung erhofft wird, ist allein in den Inschriften thematisiert und nicht eigens visualisiert. Die Gestaltung des Cappenberger Kopfreliquiars zielt ganz auf die Hoheit Christi als Weltenherrscher und auf seine richterliche Macht. 3. Oswaldreliquiar (Hildesheim, Dom- und Diözesanmuseum) Ein weiteres Kopfreliquiar läßt sich den beiden ›Imperatoren‹-Exemplaren aus Stablo und Cappenberg anschließen, das Oswaldreliquiar (Abb. 5). Es besteht aus einem achtseitigen Zentralbau mit einer Faltkuppel, auf deren Spitze ein in Silber getriebener, vergoldeter und mit einer edelsteingeschmückten Krone gezierter Kopf aufsitzt. Wie beim Alexanderreliquiar ist auch hier die Schädelreliquie im Sockel geborgen. Auf sie verweist eine auf dem Kuppelgesims angebrachte Inschrift: Rex pius oswaldus sese dedit et sua christo lictorique caput quod in auro conditur isto – ›König Oswald, der Fromme, gab sich und das Seinige Christus und dem Henker das Haupt, das hier in Gold geborgen ist‹. Der north­ umbrische König Oswald (603–641) unterstützte die Mission in seinem Land, kämpfte im Zeichen des Kreuzes gegen die Briten und führte schließlich unter seiner christlichen Oberherrschaft die Völker Britanniens zusammen; er starb im Kampf gegen die heidnischen Mercier.46 Wie das Alexanderreliquiar und der Cappenberger Kopf hat auch das Oswaldreliquiar eine ebenso originelle wie aufwendige Sockelform; es zitiert wie sie die Form eines anderen liturgischen Geräts, die eines Turmreliquiars. Die Seiten der acht- oder zwölfseitigen Turmreliquiare, die vor allem in Köln seit den 1160er Jahren als Emailwerke oder Beinschnitzarbeiten produziert werden, zeigen meist zwischen Säulen oder in Arkaden stehende Apostel oder Propheten (Abb. 6). Durch die architektonische Form und ihr Bildprogramm erinnern sie an die Versammlung der Heiligen in den Toren des himmlischen Jerusalem.47 Die im Innern ruhenden Reliquien der Heiligen wohnen damit in der Gottesstadt. Diese Vorstellung ist im Sockel des Oswaldreliquiars mit aufgerufen, auch wenn die Seiten gerade nicht die Apostel, sondern acht inschriftlich bezeichnete thronende Könige zeigen. Da sechs von ihnen englische Könige, die beiden andern Verwandte des Welfenhauses sind, liegt hier gleichsam eine

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5.  Oswaldreliquiar (Hildesheim, Dom- und Diözesanmuseum), Niedersachsen 1185–1189

sanktifizierte Genealogie des herzoglichen Stifterpaares, Heinrichs des Löwen und seiner Gattin Mathilde, Tochter des englischen Königs Heinrich II., vor.48 Vermutlich wurde das Reliquiar nach der Rückkehr Heinrichs (gest. 1189) aus dem englischen Exil 1185 im Zusammenhang mit seinen Stiftungen für Braunschweig in Niedersachsen angefertigt.

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6.  Turmreliquiar (Darmstadt, Hessisches Landes­museum), 4. Viertel 12. Jahrhundert

Die Lünetten über den Königen sind zur Erweiterung des Bildprogramms genutzt und zeigen alternierend Evangelistensymbole und Paradiesflüsse. In der Exegese stehen die Paradiesflüsse für die Ausbreitung der christlichen Lehre in die vier Himmelsrichtungen, und in der Vierzahl der Flüsse wie der Evangelien wird stets ihr alleiniger Ursprung in Christus, in der einen göttlichen Weisheit, betont.49 Zugleich ist der Paradiesstrom das lebendige Wasser, das laut Apc 22 unter dem Thron des Lammes hervorquillt. Dies zeigt das diagrammatische Gerichts- und Paradiesbild aus dem um 1170 in Regensburg verfaßten Dialogus de laudibus S. Crucis, in dessen Zentrum das Lamm dargestellt ist, von dem die vier Ströme ausgehen; zwischen den Strömen sind Evangelistensymbole und Kardinaltugenden angeordnet (Abb. 7).50 Blickt man nun auf das Oswaldreliquiar, so nimmt hier nicht Christus als Lamm und endzeit-

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7.  Dialogus de laudibus Sanctae Crucis (München, Bayerische Staatsbibliothek), Regensburg um 1170

licher Herrscher das Zentrum ein; an seine Stelle tritt das gekrönte Königshaupt. In dieser Position und im ikonographischen Paradieskontext läßt sich das königliche Haupt Oswalds christologisch verstehen. Kopf, Sockel und Krone wurden in engem zeitlichen Zusammenhang und, wie die Einpassung des Hauptes in die Kuppelspitze mit einem Dübel zeigt, möglicherweise füreinander geschaffen. In dem zentralen bekrönenden Haupt wäre demnach bewußt nicht nur die Schädelreliquie erinnernd veranschaulicht, sondern es wäre auch, gestützt durch das ikonographische Programm des Sockels, und in der Verschränkung von zwei Sinnebenen, Christus zu erkennen. Wie das Alexanderreliquiar stellt das vergoldete Oswald-Haupt die Verwandlung des irdischen Heiligen in einen himmlischen Auferstehungsleib vor Augen und weist zugleich auf die im Innern geborgene Hauptreliquie hin. Und

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wie beim Alexanderreliquiar wird das Bildnis des Heiligen in der Sockelzone wiederholt und in eine Reihe von Amtsträgern integriert – statt der Geistlichen des Alexanderreliquiars sind es hier Herrscher. Führt beim Alexanderreliquiar der Aufstieg zum seligen Leben und zur Teilhabe an der communio sanctorum, so versammelt das Oswaldreliquiar Könige, die in entscheidender Weise die Einführung und Verbreitung des Christentums in ihrem Herrschaftsgebiet gefördert haben und die hier an Stelle der Apostel die Mauern der himmlischen Kirche bewachen.51 Die Könige als Schutzherren der Kirche sowie die Paradiesflüsse und Evangelistensymbole veranschaulichen die durch die Herrscher unterstützte Verbreitung des Wortes Christi in alle Welt. Das welfische Herzogspaar dokumentiert mit der Stiftung des Oswaldreliquiars die Verpflichtung auf diese königliche Herrschaftsaufgabe. Diese Schutzherrschaft ist nicht allein durch das Amt, sondern durch die königliche Abkunft, die stirps regia, vermittelt. Auch wenn das Alexander- und das Oswaldreliquiar auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben, hat die Analyse doch auffällige konzeptionelle Entsprechungen ergeben. So kann man beim Konzeptor des Oswaldreliquiars wohl die Kenntnis von Wibalds Reliquiar annehmen, vermittelt vielleicht auf einem der Hoftage des Reiches, die wichtige Kommunikationsorte für Adel, Bischöfe und Reichsäbte waren. Vielleicht ist das Oswaldreliquiar sogar als herzogliche Antwort auf das Alexanderreliquiar zu verstehen. 4. Candidusreliquiar (St. Maurice d’Agaune / Wallis) Die beiden folgenden Kopfreliquiare aus dem Wallis unterscheiden sich von den eben behandelten darin, daß Haupt und Sockel hier im Kern als Einheit verbunden sind und daß die Sockelform nicht ein anderes liturgisches Gerät zitiert. Von den drei aus dem Alpenraum stammenden Kopfreliquiaren läßt sich die Konzeption am besten beim im dritten Viertel des 12. Jahrhunderts gefertigten Candidusreliquiar fassen (Abb. 8). Der mit Silberblech beschlagene Holzkern des Hauptes stellt den Märtyrer und Offizier der Thebäerlegion Candidus als bärtigen Mann dar, auf dessen strähniger Haarkappe eine kreuzförmige Bügelkrone ruht. Sind beim Cappenberger und beim Oswaldreliquiar Imperatorenbinde oder Krone zunächst als Herrschaftszeichen zu sehen, so ist hier die Krone allein die dem Märtyrer von Gott verliehene himmlische Krone des ewigen Lebens. Im Innern barg das hölzerne Haupt, wie die 1961 im Zuge der restauratorischen Untersuchung ermöglichte Öffnung des Reliquiars ­ergab, unter der Schädelreliquie des Candidus zahlreiche jeweils in Stoff gehüllte, teils mit Cedulae versehene Reliquien verschiedener Heiliger, außerdem Passionsreliquien von Grab, Kreuz, Dornenkrone und vom Hügel Golga­tha.52 Wie beim Alexanderreliquiar ist auch hier die Schädelreliquie nur eine unter anderen, teils höherrangigen (Herren-)Reliquien.53. Die Versammlung von Pas­sions­ reliquien könnte inhaltlich durch die im Martyrium des Heiligen dokumentierte Passionsnachfolge Christi begründet sein sowie durch die mit der Heiliggrab-Reliquie aufgerufenen Vorstellung einer Auferstehung der Seelen der Heiligen und ihrer Bekleidung mit dem himmlischen Glanzleib. Das silber­

123 Bedeutung der Sockel von Kopfreliquiaren

8.  Candidusreliquiar (St. Maurice d’Agaune / Wallis), Wallis 3. Viertel 12. Jahrhundert

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9.  Augustin, De civitate Dei (Oxford, Bodleian Library), Canterbury 1130–40

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getriebene Relief auf der Vorderseite des Sockels stellt den Tod durch Enthauptung des mit einem Kettenhemd gerüsteten Heiligen und die Überführung seiner Seele in den Himmel durch einen Engel dar. Diese Szene wird durch eine beigefügte Inschrift erläutert: Candidus exempto dum sic mucrone litatur / spiritus astra petit, pro nece vita datur – ›Da Candidus dem gezogenen Schwert zum ­Opfer fällt, steigt sein Geist zu den Sternen. Für den Tod wird Leben gegeben.‹54 Das in der Szene dargestellte Körperfragment des Kopfes wird im silberbekleideten Haupt in Glanz und Schönheit wiederhergestellt und überkleidet.55 Die so gewandelte Erscheinung des Heiligenleibes wird nicht nur mit einer kostbar geschmückten, vergoldeten Borte am Ansatz des himmlischen Gewandes verdeutlicht, sondern veranschaulicht auch durch die vertikale Abfolge von irdischem Martyrium unten, darüber dem Geleit der Seele durch einen Engel zum Himmel und oben dem im Glanz von Silber, Gold und Edelsteinen erstrahlenden idealisierten Antlitz des Heiligen. Der Holzkern des Kopfes ist mit dem rechteckigen Sockeltisch aus einem Stück gearbeitet. Vorne ist der Sockel geschlossen, an drei Seiten aber in silbern umkleideten Bögen geöffnet, innen gewölbt und mit vergoldeten Blechen ausgekleidet; Steinschmuck befand sich ursprünglich an den Ecken des Sockeltisches. Damit ist wiederum die Gottesstadt mit den im Innern des Hauptes versammelten Reliquien der Heiligen als ihren Bewohnern angezeigt. Der zusätzliche Bildschmuck in den Bogenzwickeln besteht rechts aus zwei Engeln, gegenüber zwei Drachen, auf der Rückseite befinden sich Engel und Stier, wohl als Symbole der Evangelisten Matthäus und Lukas. Schnyder sieht in den Engeln und Drachen Bilder des Guten und Bösen, der Paradiesverheißung und Höllendrohung, in den Evangelistensymbolen aber die Glaubenszeugenschaft des Heiligen vorgebildet.56 Doch kann man die Engel und Thronwächter einerseits, die Drachen andererseits auch als Antipoden im Kampf um die menschliche Seele verstehen, wie dies zeitgenössische Illustrationen zu Augustins Got­tesstaat, so in der aus Canterbury stammenden Handschrift in Oxford (Abb. 9), zeigen.57 Auf der Vorderseite wird am Beispiel des Märtyrers Candidus und seines ebenfalls zum Martyrium bereiten Gefolgsmanns die Aufnahme der Seele demonstriert. Dabei sind die Drachen der Seite der Henker, die Engel der Seite der Heiligen zugeordnet. Damit ist den Gläubigen in der Nachfolge des heiligen Märtyrers und Legionärs Candidus ein Weg zum Himmelreich beim Kampf der Seele gegen Teufel und Laster vorgezeichnet.58 5. Petrusreliquiar (Sitten, Kantonsmuseum) Dem Candidusreliquiar in Aufbau und Stil eng verwandt ist das Petrusreliquiar, das aus der ehemaligen Prioratskirche Bourg-St.-Pierre stammt, und wie das Candidusreliquiar wohl im dritten Viertel des 12. Jahrhunderts geschaffen wurde (Abb. 10).59 Dem Alexanderreliquiar (Abb. 1) ähnlich ist am Petrushaupt die kreisförmige Scheiteltonsur als geistliches Amtszeichen besonders betont. Auffallend sind daneben die großen Ohren am bärtigen Haupt, die nach Honorius Augustodunensis für den geistlichen Gehorsam stehen. Kopf und Sockel

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10.  Petrusreliquiar (Sitten, Kantonsmuseum), Wallis 3. Viertel 12. Jahrhundert

des Petrusreliquiars sind aus einem Holzkern gearbeitet. Der Kopf ist für ein Reliquienfach ausgehöhlt, das wie beim Candidusreliquiar nur durch Abnahme der Silberbleche zugänglich ist und zahlreiche, allerdings noch nicht inventarisierte Reliquienpäckchen enthält. Das Gewölbe des Sockels ist wiederum vorn geschlossen und zu den Seiten jeweils durch einen Rundbogen geöffnet. Lediglich an der Oberseite des Sockels sind noch Reste der ursprünglichen Silberbekleidung zu finden; die Seiten wurden im 17. Jahrhundert durch pun-

127 Bedeutung der Sockel von Kopfreliquiaren

zierte Messingplatten verschlossen. Die Vorderseite trug ursprünglich ein zweifiguriges getriebenes Relief, vielleicht eine Darstellung der Schlüsselübergabe, die später durch eine Kreuzigungsgruppe ersetzt wurde. Der Edelsteinbesatz der Bügelkrone und der Gewandborten wird am tonsurierten, bärtigen Petrushaupt durch getriebene Perlbänder und ›Edelsteine‹ imitiert (Abb. 8, 10). Sparsamer Steinbesatz ist hier allein dem Sockeltisch vorbehalten: In den beiden vorderen Ecken sowie in der Mitte, erhöht auf einem kurzen Stab und als Blüte gefaßt, befinden sich rot unterlegte Bergkristalle. Der Bergkristall weist auch hier auf die Reinheit und Festigkeit der Heiligen ebenso wie auf das gläserne Meer um den himmlischen Thron Gottes. Die rote Farbe aber – hier durch unterlegten roten Stoff hervorgerufen – steht als Blutfarbe für das Martyrium der Heiligen; sie gemahnt aber auch an das rote Gewand des zum endzeitlichen Gericht wiederkommenden Christus.60 Der edelsteingeschmückte Sockel erscheint als der himmlische Thron des Weltenherrschers beim endzeitlichen Gericht. Zusammen mit der wohl ursprünglich im Frontrelief dargestellten Schlüsselübergabe an Petrus (Mt 16,19) sind damit das Endgericht und die petrinisch-geistliche Vertretung Christi zum Ausdruck gebracht. 6. Eustachiusreliquiar (London, British Museum) Das aus dem Baseler Münsterschatz stammende Eustachiusreliquiar (Abb. 11), das stilistisch um 1200 datiert und nach Basel lokalisiert wird, besteht aus ­einem niedrigen Kastensockel, auf den der mit geradem Hals abschließende Kopf durch einen eingepaßten Zapfen montiert ist.61 Das hölzerne Haupt birgt wie das Candidus- und das Petrusreliquiar eine durch die Silberbekleidung fest verschlossene Reliquienkammer. Diese enthielt neben Schädelreliquien zahlreiche mit Cedulae versehene, in Seide gewickelte Reliquien von Trierer Bischöfen, von Bischof Nikolaus, Mönchsvater Benedikt, Eremit Antonius, Simeon sowie heiligen Jungfrauen. Bestimmt wird das vergoldete Haupt des frühchristlichen Soldatenheiligen Eustachius durch das kinnlange, die Ohren verdeckende, gesträhnte Haar mit einer nach außen gedrehten Locke, wie es der adligen Haartracht um 1200 entspricht. Wie bei Candidus (Abb. 8) wird auf die Kennzeichnung der historischen Person als Soldat verzichtet zugunsten der Darstellung des idealen, im Himmel neu bekleideten Hauptes. Geziert wird es durch ein schmales, mit verschiedenfarbigen Edelsteinen und Filigran geschmücktes Diadem als Hinweis auf die himmlische Auszeichnung des Heiligen. Mehrfach kehren im Diadem der purpurrot-violette Amethyst sowie grau­blauer Chalzedon und roter Karneol (Sarder) wieder, die zu den zwölf Grundsteinen der Stadtmauer des himmlischen Jerusalem (Apc 21,19) zählen und in der Exegese mit allegorischer Bedeutung versehen wurden: Purpurrot als Zeichen des himmlischen Gerichts, roter Karneol als Zeichen der Passion Christi und des Martyriums, Chalzedon als Farbe der Demut.62 Ob damit eine Kennzeichnung des Eustachius als demütiger Märtyrer und Begleiter des himmlischen Richters angesprochen ist, bleibt zu fragen.

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11.  Eustachiusreliquiar (London, British Museum), Basel um 1200

Auffällig ist, daß der Sockel nicht eine Szene der Heiligenvita zeigt; statt dessen sind auf die silberbekleideten Seitenwände vergoldete Arkaden mit stehenden Heiligen aufgelegt, die wohl alle nach derselben Matrize gestanzt sind. Die gleichartigen, frontal ausgerichteten Figuren tragen Tunika und Mantel, ein Buch in der Linken, die Rechte vor der Brust erhoben. Diese Wiederholung der Erscheinung muß keinen künstlerischen Mangel darstellen, im Gegenteil: der Verzicht auf Variationen in Haltung oder Attributen läßt sich inhaltlich als gezielte Betonung des kollegialen Charakters der Heiligenversammlung interpretieren.63 Ein Bezug auf die im Innern geborgenen Reliquien bestimmter Heiliger wird dabei bewußt vermieden. Nicht die Visualisierung des konkreten Reliquienbestandes, sondern die Veranschaulichung ihres geistigen Zusam-

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menhangs, ein Bild der Kirche als der Gemeinschaft der Heiligen, ist das Ziel. Die Zwölfzahl der unter Arkaden stehenden Heiligen weist zugleich auf die Apostel als die Grundsteine des himmlischen Jerusalems und auf ihre Funktion als Wächter (Is 62,6) hin. Diese Darstellung der Himmelsstadt wird durch den Edelsteinschmuck, der an den vier Ecken der Sockeloberseite in Chi-Form angebracht ist, unterstützt. Im gekrönten Haupt erscheint zugleich Christus als caput des corpus mysticum der Kirche.

III. Fazit Die besondere Faszination der Kopfreliquiare besteht, vielleicht nicht nur für den heutigen Betrachter, in ihrer auratischen Wirkung. Diese Wirkung wird durch den Gold- und Silberglanz, ebenso wie durch die oft annähernde Lebensgröße des Kopfes und die oft wie zum Sprechen leicht geöffneten Lippen unterstützt. Die Sockel und ihre Bebilderung aber wirken einer solchen Rezeption entgegen, besonders dann, wenn Inschriften hinzutreten, die eine eher rationale Aufnahme fordern und diese Haltung damit auch gegenüber dem Gesamtobjekt wecken. Eine solche Rezeptionshaltung ist zumindest den theologisch geschulten Geistlichen zu unterstellen, die bei der Betrachtung eines solchen Reliquiars zugleich ihr exegetisches Wissen und die aus der Allegorese geläufigen Sinnbilder geistlichen Lebens mit aufriefen, wie Honorius Augu­ stodunensis es vorführt. Durch zusätzliche Bilder am Sockel des Kopfreliquiars wird der Betrachter also animiert, das Verhältnis zwischen Büste und dargestellten Personifikationen, Personen oder Handlungen zu reflektieren. Diese intellektuelle Brechung der unmittelbaren Wirkung des in der Büste anschaulich vergegenwärtigten und durch die Reliquien real präsenten Heiligen scheint für die hier angesprochene Gruppe von Reliquiaren des 12. Jahrhunderts charakteristisch. Zugleich ist hier eine Phase des Experimentierens mit verschiedenen Möglichkeiten einer Visualisierung theologischer Gehalte zu greifen. Damit liegt auch eine Stellungnahme in der zeitgenössischen Diskussion um Heiligenverehrung, Kirchen- und Reliquienschmuck vor. Das Alexanderreliquiar, für dessen Konzeption sein Stifter, der gebildete Theologe und Reichs­ politiker Abt Wibald (1098–1158) verantwortlich ist, richtet sich mit seinem komplexen Bild- und Inschriftenprogramm gerade an die Geistlichkeit mit dem Ziel, die theologische Reflexion und Kontemplation in den liturgischen Vollzug selbst hineinzuholen und einer ungebrochenen Heiligenverehrung mit künstlerischen Mitteln entgegenzuwirken.64 Dies ist als Antwort auf die scharfe Kritik Abt Bernhards von Clairvaux (1090–1153) zu verstehen, der sich gegen die kostbare, bildliche Ausschmückung der Klosterkirchen wandte mit dem Hinweis, der Geistliche bedürfe keiner bildlichen Anschauung, um zur Kontemplation angeregt zu werden, und die Heiligen bedürften keines Schmucks, da ihre Heiligkeit jeden materiellen Wert ohnehin übersteige.65 Wibald bedient sich des künstlerischen Mediums selbst, um auf die auch von ihm kritisierte

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Kirchenschmuck- und Kultpraxis zu antworten, formt und wandelt es aber durch die raffinierte künstlerische Gestaltung zum Reflexionsmedium um. Daher wird im Alexanderreliquiar auf die durch die gregorianische Reform und den Investiturstreit aufgeworfenen Probleme Bezug genommen, d. h. auf die Frage nach der geistlichen Nachfolge Christi und nach dem wahren irdischen Stellvertreter Christi. Sie wird dahingehend beantwortet, daß der Heilige wie der Priester als Gefäß und Mittler der göttlichen Gnade wirkt und als Lehrer des göttlichen Wortes den Gläubigen Wege zum Heil aufzeigt. Wibald war ein wichtiger Reichspolitiker, aufgrund der persönlichen Kontakte mit Otto von Cappenberg wie mit Heinrich dem Löwen ist bei den Stiftungen dieser beiden, dem Cappenberger Kopf und dem Oswaldreliquiar, von der Kenntnis des Stabloer Alexanderreliquiars auszugehen. Sie können daher wie Gegenmodelle gelesen werden. Beide greifen gegen Wibalds geistliches Stellvertreterkonzept den älteren, kaiserlichen Vikariatsgedanken wieder auf, der den Herrscher als irdischen Vertreter Christi legitimiert. In Cappenberg erscheint der endzeitliche Herrscher Christus als Richter über den Gläubigen, in Hildesheim hingegen wird die ältere Vorstellung der Geblütsheiligkeit als Legitimation der Herrschaft ergänzt um den Herrschaftsauftrag, die Verbreitung des Christentums zu fördern. Auffällig ist für diese Gruppe, daß hier für die Gestaltung der Sockel jeweils bewußt auf andere liturgische Geräte, wie Tragaltar, Kreuzfuß oder Turmreliquiar, und auf deren Gehalt zurückgegriffen wird. Auch bei drei Reliquiaren aus dem Alpenraum wird die Sockelgestalt dazu genutzt, mit architektonischen Formen auf die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen und Heiligen hinzuweisen. Dabei sind verschiedene inhaltliche Akzente zu erkennen. Verlieren die heiligen geistlichen Amtsträger Alexander und Petrus das Zeichen ihres Amtes und ihrer Weihe, die Tonsur, auch in ihrer himmlischen Überkleidung nicht, so werden die militärischen Würdezeichen der Märtyrer Candidus und Eustachius im himmlischen Glanzleib nicht wiederholt. Sie werden durch die himmlische Krone gekennzeichnet, derer der Geistliche offenbar nicht mehr bedarf. Beim Candidusreliquiar wird wie beim Cappenberger Kopf das Jüngste Gericht thematisiert, jedoch geschieht dies weniger mit Blick auf den Richter als vielmehr auf die vom Bösen bedrohte Seele des Einzelnen und auf ihre Errettung. Dafür erscheint der Heilige als Vorbild, das sich im zeitgenössischen Kontext vielleicht besonders an die Kreuzfahrer richtete. Das Petrusreliquiar hingegen zielt auf das Priesteramt und die von der Kirche getragene Heilsbedeutung der Sakramente. Das Eustachiusreliquiar schließlich hebt auf das kollegiale Prinzip des corpus mysticum ecclesiae, der Gemeinschaft der Heiligen und Gläubigen, ab. Anfang des 13. Jahrhunderts bricht die Reihe der Kopfreliquiare mit Sockel ab, noch bevor sich um 1300 eine standardisierte Form des Büstenreliquiars in Holz und Treibarbeit durchsetzt. Man könnte daraus den Schluß ziehen, daß die intellektuelle Brechung der Wirkung von Kopfreliquiaren nicht mehr dem

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Zeitgeschmack oder der Intention des Klerus entsprach. Die Debatte um rechte Heiligen- und Reliquienverehrung wie um die rechte Auffassung des geistlichen oder königlichen Amtes verlagert sich im 13. Jahrhundert offenbar in andere Medien. 1 Birgitta Falk, Bildnisreliquiare. Zur Entstehung und Entwicklung der metallenen Kopf-, Büsten- und Halbfigurenreliquiare im Mittelalter, in: Aachener Kunstblätter 59, 1992/93, S. 99–238; diese Arbeit bietet für das folgende die wichtigste Materialgrundlage. 2 Harald Keller, Zur Entstehung der sakralen Vollskulptur in der ottonischen Zeit, in: Kurt Bauch (Hg.), FS Hans Jantzen, Berlin 1951, S. 71–91; zu letzterem vgl. Joseph Braun, Die Reliquiare des christlichen Kultes und ihre Entwicklung, Freiburg 1940, S. 380. 3 Bruno Reudenbach, Reliquiare als Heiligkeitsbeweis und Echtheitszeugnis, in: Vorträge aus dem Warburg-Haus 4, 2000, S. 1–36, hier S. 8, 12–18. 4 Gia Toussaint, Heiliges Gebein und edler Stein. Der Edelsteinschmuck von Reliquiaren im Spiegel mittelalterlicher Wahrnehmung, in: Das Mittelalter 8, 2003, S. 41–66, hier S. 52f. 5 Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 1997, S. 721–724 und Anton Legner, Reliquien in Kunst und Kult zwischen Antike und Aufklärung, Darmstadt 1995, S. 134. 6 Bruno Reudenbach – Gia Toussaint, Die Wahr­ nehmung und Deutung von Heiligen, in: Das Mittelalter 8, 2003, S. 34–40, hier S. 38; Günther Binding, Der früh- und hochmittelalterliche Bauherr als ›sapiens architectus‹, Darmstadt ²1998, mit zahlreichen biblischen Belegstellen des Tempel- bzw. Kirchenbaus sowie ihrer exegetischen Deutung S. 260ff. (deus architectus), 283–296 (fundamentum), 317–333 (lapis angularis), 339–348 (lapides vivi). 7 Vgl. Reudenbach (wie Anm. 3) S. 28f. 8 Dazu s. Falk (wie Anm. 1) Nr. 31, Abb. 82. 9 Falk (wie Anm. 1) Nr. 27, Abb. 1, 71f. 10 Vgl. zur älteren Literatur und Forschungsdebatte Falk (wie Anm. 1) Nr. 28: Falk folgt der Ansicht von Jean Squilbeck, Le chef-reliquiare du pape Alexandre aux musées royaux, in: Revue belge d’archéologie et d’histoire de l’art 53, 1984, S. 3–19, der aufgrund stilistischer Eigenarten der Haarbildung des Alexanderhauptes sowie auf-

grund der Unstimmigkeiten in der Verbindung von Haupt und Sockel vermutet, der urkundlich genannte Stifter Abt Wibald habe das Haupt auf einer seiner Reisen in Südfrankreich anfertigen lassen oder mitgebracht; vgl. dagegen Susanne Wit­tekind, Altar – Reliquiar – Retabel. Kunst und Liturgie bei Wibald von Stablo (Pictura et Poe­ sis 17), Köln 2004, S. 173–224. 11 Hermann Fillitz, Der Cappenberger Barbarossakopf, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 14, 1963, S. 39–50; Ders., in: AK Die Zeit der Staufer, hg. von Reiner Haussherr, Stuttgart 1977, Bd. 1, Nr. 535; Ders., Ein Solidus Kaiser Friedrich Barbarossas, in: Hartmut Krohm – Christian Theu­ er­kauf (Hgg.), FS Peter Bloch, Mainz 1990, S. 41–44. Fillitz geht von der Zusammengehörigkeit von Kopf und Sockel aus; Falk (wie Anm. 1) Nr. 30 folgt hingegen Peter Springer, Kreuzfüße. Ikonographie und Typologie eines hochmittelalterlichen Gerätes (Denkmäler deutscher Kunst, Bron­ ze­geräte des Mittelalters 3), Berlin 1981, S. 149 mit der Annahme, daß der Sockel ursprünglich als Kreuz­fuß gedacht gewesen sei. – Carla M. Fand­rey, Das Oswald-Reliquiar im Hildesheimer Domschatz, Göppingen 1987 begründet die Zuweisung des Oswaldreliquiars als Stiftung Mathildes und Heinrichs des Löwen und datiert den Sockel um 1170, das gekrönte Haupt aber ins 13. Jahrhundert. Ihr schließt sich Falk (wie Anm. 1) Nr. 32 an. Zur restauratorischen Untersuchung des Oswaldreliquiars 1988/89 Michael Brandt, Kirchenkunst des Mittelalters. Erhalten und Erforschen, Hildesheim 1989, S. 135–160, Nr. 9; Ders., in: AK Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125–1235, hg. von Jochen Luckhardt und Franz Niehoff, München 1995, Bd. 1, A 17; Brandt datiert den Sockel 1185–89, den gekrönten Kopf ebenfalls noch ins Ende des 12. Jahrhunderts. 12 Vgl. Falk (wie Anm. 1) Nr. 48; Scott B. Mont­ gomery, ›Mittite capud meum …ad matrem meam ut osculetur eum.‹ The Form and Meaning of the Reliquiary Bust of Saint Just, in: Gesta 36, 1997, S. 48–64, hier S. 53, und Reudenbach (wie Anm. 3) S. 17f. ziehen das Candidusreliquiar als Beispiel

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für die Vergegenwärtigung des Martyriums und der Fragmentation am Kopfreliquiar heran. 13 Vgl. Falk (wie Anm. 1) Nr. 47. 14 Falk (wie Anm. 1) Nr. 52; AK Der Basler Münsterschatz, hg. von Brigitte Meles, Basel 2001, Nr. 13 (John Cherry). Die Reliquien sind in einer Aushöhlung im Holzkern des Kopfes geborgen, der mit Silberplatten bedeckt ist. 15 Cynthia Hahn, The Voices of the Saints, in: Gesta 36/1, 1997, S. 20–31, hier S. 21f.; Martina Junghans, Die Armreliquiare in Deutschland vom 11. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, Bonn 2002; zum Reliquieninhalt S. 85ff., zur Bedeutung des Armes als Form S. 92–98. 16 Vgl. auch Hahn (wie Anm. 15) mit zahlreichen Quellenbelegen; Amy Neff, ›Palma dabit pal­ mam.‹ Franciscan Themes in a Devotional Ma­nu­ script, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 65, 2002, S. 22–66, zur Bedeutung und Darstellungstradition der Dextera dei S. 30–42. 17 Reudenbach (wie Anm. 3) S. 20. 18 Honorius Augustodunensis, Gemma animae (Migne PL 172), Sp. 541–738, hier Lib. 1 cap. 195, Sp. 603. Vgl. B. Konrad Vollmann, Honorius Augustodunensis, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, München 1991, Sp. 122f. 19 Irmgard Müller, Seelensitz, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 9, 1995, Sp. 105– 110, hier Sp. 105; Tilman Struwe, Bedeutung und Funktion des Organismusvergleichs in den mittel­ alterlichen Theorien von Staat und Gesellschaft, in: Albert Zimmermann (Hg.), Soziale Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters (Miscellanea Mediaevalia 12/1), Berlin – New York 1979, S. 144–161, hier S. 150ff. 20 Honorius Augustodunensis, Elucidarium sive dialogus de summa totius christianae theologiae (Migne PL 172), Sp. 1109–1192, hier Lib. 1 cap. 27, Sp. 1128f. 21 Honorius Augustodunensis (wie Anm. 18) Sp. 603; vgl. auch Haimo von Auxerre, Expositio in epistolas Pauli (Migne PL 117), Sp. 361–938, In epistolas Romanos, Sp. 471f.; für ihn bedeuten die Augen die Apostel, Prediger und doctores, die anderen das geistliche Licht vermitteln, die Ohren die guten Zuhörer, die die Worte des Lehrers demütig aufnehmen, der Mund die Erzieher der anderen. Vgl. Gudrun Schleusener-Eichholz, Das Auge im Mittelalter (Münstersche MittelalterSchrif­ten 35), 2 Bde., München 1985, Bd. 1, S. 190f.

22 Honorius Augustodunensis (wie Anm. 18) Sp. 603. 23 Vgl. Falk (wie Anm. 1) Nr. 28. 24 Vgl. Peter Noelke, Porträtköpfchen des Augustus, in: AK Ornamenta ecclesiae, hg. von Anton Legner, Köln 1985, Bd. 3, S. 7. 25 Honorius Augustodunensis (wie Anm. 18) Lib. 1, cap. 195–197, Sp. 603. 26 Reudenbach (wie Anm. 3) S. 24–27 interpretiert entsprechend auch die Spolienverwendung am Kölner Dreikönigsschrein und am Reliquiar aus der Abtei Montier-en-Der. Vgl. Reudenbach – Toussaint (wie Anm. 6) S. 39f., auch zum retrospektiven Stil bzw. bewußt eingesetzten Formmodus, den bereits Falk (wie Anm. 1) S. 114ff. für zahlreiche Büstenreliquiare beobachtet hat. Zum Stil als Frage des Modus siehe Lieselotte E. Saurma-Jeltsch, Der Zackenstil als ›ornatus difficilis‹, in: Aachener Kunstblätter 60 (FS Hermann Fillitz), 1994, S. 257–266. Zum Zusammenhang von Gregorianischer Kirchenreform und Rezeption der frühchristlichen Kunst siehe Hélène Toubert, L’art dirigé. Réforme grégorienne et iconographie, Paris 1990. 27 Erik Peterson, Christus als Imperator, in: Ders., Theologische Traktate, München 1951, S. 151–164 mit zahlreichen Belegen aus Tertullian, Ps-Cyprian, Ambrosius, Augustin (Auslegung zu Ps 36, De civitate Dei II. 22). 28 Zum Forschungsstand vgl. Norbert Wibiral, ›Augustus patrem figurat‹. Zu den Betrachtungsweisen des Zentralsteines am Lotharkreuz im Dom­schatz zu Aachen, in: Aachener Kunstblätter 60, 1994, 105–130; Wibiral interpretiert den Augustus-Kameo zugleich als Ausdruck der Aufwertung der heilsgeschichtlichen Rolle des Augustus. 29 Vgl. Reudenbach (wie Anm. 3) S. 8f.; Jean Taralon, La Majesté d’or de Sainte Foy du trésor de Conques, in: Bulletin monumental 155/1, 1997, S. 11–77, hier S. 24ff. 30 Zum technischen Befund siehe Falk (wie Anm. 1) Nr. 28; Anregungen zum ›Spoliencharak­ ter‹ des Alexanderhaupts verdanke ich der Diskussion meines Vortrags in Gießen. 31 Darauf machte Hiltrud Westermann-Anger­ hausen in der Diskussion des Vortrags in Hamburg aufmerksam. Hiltrud Westermann-Angerhausen, Die Goldschmiedearbeiten der Trierer Egbert-Werkstatt, Trier 1973, hier vor allem S. 21– 31, 121–125, 135f.; Dies., Spolie und Umfeld in

133 Bedeutung der Sockel von Kopfreliquiaren

Egberts Trier, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 50, 1987, S. 305–336; Dies., Das Nagelreliquiar im Trierer Egbertschrein. Das ›künstlerisch edelste Werk der Egbertwerkstätte‹?, in: Krohm – Theuerkauf (wie Anm. 11) S. 9–24; Michael Budde, Altare Portatile. Kompendium der Tragaltäre des Mittelalters 600–1600, 2 CD-Roms, Münster 1998, hier CD 1, Nr. 4 mit Bibliographie. 32 Westermann-Angerhausen 1987 (wie Anm. 31) S. 319; Reudenbach (wie Anm. 3) S. 21; Bernhard Kötting, Fuß, in: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 8, Stuttgart 1972, Sp. 722–743, hier Sp. 741. 33 Georg Rietschel, Handbuch der Liturgik, Bd. 1, Berlin 1900, S. 243f.; Johannes H. Emminghaus, Altar, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, München 1980, Sp. 461–464; Joseph Braun, Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwick­ lung, München 1924, Bd. 1, S. 501, sowie zu den entsprechenden Bibelstellen (Apc 4,2-8; 7,9-17; 21,1ff.) Budde (wie Anm. 31) CD 1, S. 40–43. In diesem Zusammenhang sind die Drachenfüße, die sich häufiger an altarförmigen Tragaltären finden, nach Ps 90,13 und Apc 12,9 als Zeichen der Überwindung des Bösen durch Christus zu deuten. Vgl. Braun 1924, Bd. 1, S. 458, 501. 34 Christel Meier, Gemma spiritalis. Methode und Gebrauch der Edelsteinallegorese vom frühen Christentum bis ins 18. Jahrhundert (Mün­ stersche Mittelalterschriften 34/1), München 1977, S. 241ff.; Reudenbach (wie Anm. 3) S. 10f. 35 Richard von St. Viktor, In apocalypsim libri septem (Migne PL 196), Lib. 2 cap. 1, Sp. 745f.; Marc-Aeilko Aris, Richard von St. Victor, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, München 1995, Sp. 825f. 36 Vgl. Renate Kroos, Der Schrein des heiligen Servatius in Maastricht und die vier zughörigen Reliquiare in Brüssel, München 1985, S. 119ff. mit Beispielen. 37 Richard von St. Viktor (wie Anm. 35) Sp. 748. 38 Joseph Halkin – Charles-Gustave Roland, Recueil des chartes de l’abbaye de Stavelot-Malmédy, Bd. 2, Brüssel 1909, Nr. 180: Anno dominice incarnationis MCXLV, xix kal. maii feria sexta in qua tunc occurrit Parasceve, translate sunt a domno Wibaldo venerabili Stabulensi abbate, reliquie beati Alexandri martiris atque pontifis qui quintus a beato Petro romanam rexit ecclesiam, scilicet cella illa teste capitis cum aliqua parte vestimenti sanguine ejus intincta, de loco in quo antiquitus a venerabilibus abbatibus recondite fuerant, et in capite argenteo quod ipse

dompnus abbas Wibaldus ad easdem reliquias reponendas fabricari jusserat, vaenerabiliter sunt relocate et recondite. Reposite sunt etiam cum eisdem reliquiis et alie reliquie que simul cum hiis invente sunt, que omnes in hoc scripto continentur. Scilicet de lapide in quo stetit Dominus quando baptizatus est; de barba sancti Petri; de corpore s.Agapiti martiris; de corpore sancti Crispini martiris; de mensa Domini; de spongia Domini; de sepulcro Domini; de lapide super quem Dominus stetit quando celos ascendit; de corporibus sanctorum Maurorum vel sanctorum Thebeorum et sanctorum virginum XI millenium, et de sepulcris primorum sanctorum. 39 Vgl. den Eintrag im Sakramentar Wibalds, Brüssel Ms. 2034–5, fol. 30r neben dem Memento domine des Kanons. Gemeint sind vermutlich die Wandlungsworte Hoc est enim corpus meum, die auf dem Tragaltar neben der Abendmahlsszene zitiert werden; vgl. Wittekind (wie Anm. 10) S. 208. 40 Vgl. Anm. 11. 41 Herbert Grundmann, Der Cappenberger Barbarossakopf und die Anfänge des Stiftes Cappenberg, Köln – Graz 1959; Ursula Nilgen, Herrscherbild und Herrschergenealogie in der Stauferzeit, in: AK Krönungen. Könige in Aachen. Geschichte und Mythos, hg. von Mario Kramp, Mainz 2000, Bd. 1, S. 357–368, hier S. 358ff. 42 Vgl. AK Staufer (wie Anm. 11) Bd. 1, Nr. 29, 31 (Rainer Kahsnitz), Bd. 3, Abb. 5. Die Bulle von 1152 trägt auf der Vorderseite die Umschrift Fredericus dei gratia romanorum rex, auf der Rückseite den leoninischen Hexameter Roma caput mundi regit orbis frena rotundi, sowie die Beischrift aurea roma. 43 Vgl. Peterson (wie Anm. 27); Michael Hütt, Aquamanilien. Gebrauch und Form, Mainz 1993 (zum Cappenberger Kopf und seiner Schale S. 138– 192), sieht im Cappenberger Kopf ein ›Schein­ aquamanile‹ (S. 145). Der Cappenberger Kopf stellt demnach den ewigen König über seinem himmlischen castrum dar (S. 183f.), zugleich aber, so Hütt, visualisiert er das Königpriestertum der Getauften nach I Pt 2,9 (S. 172, 186). 44 Die Inschrift am Hals lautet: Hic quod servetur de crine iohannis habetur te prece pulsantes exaudi sancte iohannes – ›Was hier bewahrt wird, ist vom Haar des heiligen Johannes. Erhöre, O heiliger Johannes, die dich durch Gebet bedrängen‹; Inschrift am Zinnenkranz: Apocalista datum tibi munus suscipe gratum et pius ottoni succurre precando datori – ›Nimm, o Apocalista, das Dir gegebene

134 Susanne Wittekind

Geschenk als willkommen an und komme fromm durch Fürbitte dem Geber Otto zu Hilfe‹; vgl. AK Staufer (wie Anm. 11) S. 394. 45 Anders als die anderen hier untersuchten Kopfreliquiare mit Sockel birgt der Cappenberger Kopf keine Schädelreliquie, doch immerhin eine, die dem Haupt des Heiligen verbunden ist. 46 Vgl. Beda Venerabilis, Historia Ecclesiastica. Kirchengeschichte des englischen Volkes, lateinisch-deutsch, hg. von Günter Spitzbart, Darmstadt ²1997, lib. III, cap. 1–9, S. 208–233. 47 Vgl. Markus Miller, Kölner Schatzbauka­ sten. Die Große Kölner Beinschnitzwerkstatt des 12. Jahrhunderts, Mainz 1997, S. 76–79. Vgl. auch den Tambour des Kuppelreliquiars aus dem Welfenschatz (Berlin, Kunstgewerbemuseum); dazu Jörg-Holger Baumgarten, Die Kuppelreliquiare aus dem Welfenschatz (Berlin) und Hoch-Elten (London), eine vergleichende Untersuchung, Diss. Bochum 1980. 48 Dargestellt sind Edward, Edmund, Alfred, Aethelbert, Aedelwold, Cnut und Oswald; vgl. Fandrey (wie Anm. 11) S. 164; Ursula Nilgen, Amts­genealogie und Amtsheiligkeit. Königs- und Bischofsreihen in der Kunstpropaganda des Hoch­ mittelalters, in: Studien zur mittelalterlichen Kunst 800–1250. FS Florentine Mütherich, Katharina Bierbrauer – Peter K. Klein (Hgg.), München 1985, S. 217–234, hier S. 226; Brandt (wie Anm. 11) Nr. 9; Ursula Nilgen, Heinrich der Löwe und England, in: AK Heinrich der Löwe (wie Anm. 11) Bd. 2, S. 329–342; Joachim Ott, Krone und Krönungen. Die Verheißung und Verleihung von Kro­ nen in der Kunst von der Spätantike bis um 1200 und die geistige Auslegung der Krone, Mainz 1998, S. 176–179 weist darauf hin, daß mittelalterliche Fürstenspiegel den Herrscher aufgrund der ihm von Gott verliehenen Regierungsgewalt in besonderer Weise auf ein gerechtes Leben verpflichten, aber ihm auch die himmlische Mitherrschaft mit den anderen Heiligen als Ziel vor Augen stellen, oder daß gar, wie der Normannische Anonymus im Inverstiturstreit formuliert, rex enim Christo conregnat. 49 Vgl. Ambrosius, Liber de paradiso (Migne PL 14), Sp. 291–332, hier Sp. 296. 50 De Laudibus Sanctae Crucis, München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 14159, fol. 5v; zur Handschrift siehe AK Regensburger Buchmalerei, hg. von Florentine Mütherich, München 1987, Nr. 38 (Elisabeth Klemm).

Vgl. Nilgen (wie Anm. 41) S. 331. Vgl. die ausführliche Dokumentation von Rudolf Schnyder, Das Kopfreliquiar des heiligen Candidus in St-Maurice, in: Zeitschrift für Schwei­ zerische Archäologie und Kunstgeschichte 24, 1965/66, S. 65–127, Tf. 27–58. Zum umfangreichen Reliquienbestand hier S. 121–127. 53 Wie beim Alexander- und Oswaldreliquiar können auch hier neben der allgemeinen Vorliebe für Kopfreliquiare in der Person des Auftraggebers begründete Argumente für die Auszeichnung eines bestimmten Heiligen in Betracht gezogen werden. So führt Schnyder (wie Anm. 52) S. 114f. die Auszeichnung des Candidus, des senator militium der Thebäischen Legion, als Vorbild des Kreuzritters in Erinnerung an den ›Martyriumstod‹ des Grafen Amadeus von Savoyen auf dem Kreuzzug zurück. 54 Übersetzung nach Falk (wie Anm. 1), S. 199, Nr. 48. 55 Vgl. Montgomery (wie Anm. 12) S. 53; Reudenbach (wie Anm. 3) S. 17f. 56 Schnyder (wie Anm. 52) S. 118. 57 Augustin, De civitate Dei, Oxford, Bodleian Library, Ms. Misc. Laud. 469, fol. 7v, Canterbury 1130–1140; vgl. zur Handschrift Carl Michael Kauffmann, Romanesque Manuscripts 1066–1190 (A Survey of Manuscripts Illuminated in the British Isles 3), London 1975, Nr. 54; zur Interpretation der Miniatur siehe Susanne Wittekind, Die Illustration von Augustinustexten im Mittelalter, in: Wilhelm Geerlings – Christian Schulze (Hgg.), Der Kommentar in Antike und Mittelalter, Bd. 2, Neue Beiträge zu seiner Erforschung, Leiden – Boston 2003, S. 101–127, hier S. 112ff. 58 Das Kloster St. Maurice hatte die Kreuzzugs­ teilnahme seines Schutzherrn, des Grafen Amadeus von Savoyen und engen Beraters des jungen französischen Königs Ludwig VII., finanziell unterstützt. Amadeus starb auf dem Kreuzzug, und Schnyder vermutet, daß in der Gestalt des Thebäers Candidus auch dieser ›Martyriumstod‹ des Grafen im Kloster memoriert werden konnte – so Schnyder (wie Anm. 52) S. 114f. 59 Die Beschreibung stützt sich auf Falk (wie Anm. 1) Nr. 47. 60 Vgl. Meier (wie Anm. 34) S. 148 zu Auslegungen des roten Sarder als Zeichen des Martyriums von Beda Venerabilis (673–735), Explanatio apocalypsis (Migne PL 93), Sp. 129–206, hier Sp. 199 und Bruno von Segni (gest. 1123), Expositio in 51 52

135 Bedeutung der Sockel von Kopfreliquiaren

Apocalypsim (Migne, PL 165), Sp. 603–736, hier Sp. 726: Sardius, qui quod sanguinis colorem habet, apertissime martyrium significat, quo lapide Salvatoris nostri vestimenta ornata erant, quando, eo coelos ascendente, lapidis hujus colorem angeli admirati dixerunt: ›Quis est iste, qui venit de Edom, tinctis vestibus de Bosra?‹ (Is 63,1). Huius nimirum lapidis colore omnium martyrum chorus laetatur et gloriatur. 61 Falk (wie Anm. 1) Nr. 52; AK Basel (wie Anm. 14) Nr. 13 mit Reliquienverzeichnis und Restaurierungsbefund. 62 Zum Amethyst als Stein der durch Liebe ausgezeichneten Heiligen, der Demut, der Würde himmlischer Herrschaft und des Gerichts sowie als an zwölfter Stelle genannter Stein als Zeichen der Apostel vgl. Meier (wie Anm. 34) S. 174, 151f., 474, 501; zum fahlen, im Verborgenen leuchtenden Chalzedon als Zeichen der Gottesfurcht und, weil an dritter Stelle genannt, als Zeichen der Trinität S. 168f., 249, 501; zum Karneol / Sarder als Zeichen des Menschseins Christi, der Passion

und des Martyriums S. 121, 148; zur Allegorese der zwölf in Apc 21 genannten Steine siehe auch Binding (wie Anm. 6) S. 308f. 63 Zu kollegialen Darstellungsformen geistlicher Kommunitäten im Mittelalter siehe Bruno Reu­denbach, Individuum ohne Bildnis? Zum Problem künstlerischer Ausdrucksformen von Individualität im Mittelalter, in: Jan A. Aertsen – Andreas Speer (Hgg.), Individuum und Indivi­du­ alität im Mittelalter (Miscellanea mediaevalia 24), Berlin 1996, S. 807–818, hier S. 814ff. 64 Wittekind (wie Anm. 10) S. 312–323. 65 Bernhard von Clairvaux, Apologia ad Guillel­ mum, in: Gerhard B. Winkler (Hg.), Bernhard von Clairvaux. Sämtliche Werke lateinisch-deutsch, Bd. 2, Innsbruck 1992, S. 145–203; zur zeitgenössischen Diskussion siehe auch Conrad C. Rudolph, The Things of Greater Importance. Bernhard of Clairvaux’s Apologia and the Medieval Attitude towards Art, Philadelphia 1990.

Horst Bredekamp – Frank Seehausen

Das Reliquiar als Staatsform. Das Reliquiar Isidors von Sevilla und der Beginn der Hofkunst in León

I. Die Reliquien Der 1063 von König Fernando I. und Königin Sancha gestiftete Schrein des heiligen Isidor, der heute im Museum der Collegiata San Isidoro in León auf­ bewahrt wird, wurde zum Kern jener grundlegenden Erneuerung der hoheit­ lichen Bildformen, die sich seit der Mitte des 11. Jahrhunderts in Nordspanien abgespielt hat. Hierin gründet seine überragende Bedeutung in der Geschichte der Reliquiare. Der Holzkasten, dem teilvergoldete Treibarbeiten aus Silber appliziert wurden, ist bereits in seinen Ausmaßen ohne Vorläufer: Mit seinen über 80 cm Breite, ca. 45 cm Höhe und 33 cm Tiefe steht er am Beginn der groß­ formatigen Schatzbehälter des Mittelalters (Abb. 1a).1 Er barg die Gebeine des heiligen Isidor von Sevilla, die am 21. Dezember 1063 nach León überführt worden waren. Mit dieser Translation setzten König Fernando I. und seine Frau Sancha gegen Ende ihrer Herrschaft ein unüber­ sehbares Zeichen. In dem Fund der Gebeine des heiligen Isidor und deren Überführung aus dem islamisch besetzten Sevilla verbanden sich religiöse Überzeugungen mit politischen Ansprüchen.2 Als Verfasser der zwanzigbän­ digen Etymologiae, mit der er den Wissensschatz der Antike, darunter vor allem die Naturalis historia des Plinius, für das Mittelalter unter christlichen Vorzei­ chen nutzbar machte, galt Isidor unter den Gelehrten der Geschichte als unbe­ strittene Autorität, und als Bischof von Sevilla besaß er zudem eine herausra­ gende Bedeutung in der Konstituierung der westgotischen Herrscher im Sinne einer christlichen renovatio antiker Herrscherideale. Dadurch repräsentierte er auch im 11. Jahrhundert die höfische Souveränität des ungeteilten christlichen Spaniens, an das die nordspanischen Herrscher der Reconquista im Sinne eines ›Neogotismus‹ anzuknüpfen versuchten.3 Der Anspruch einer vollständigen Vertreibung der muslimischen Invasoren von der iberischen Halbinsel war spätestens seit Alfons III. (866–911) untrennbar mit der Idee einer Wiederher­ stellung des alten christlichen Westgotenreiches verknüpft. Die Vorherrschaft des Herrscherhauses von León begründete sich in ihrer direkten Abstammung von den asturischen Herrschern, die nach dem Zusammenbruch des Reiches

138 Horst Bredekamp / Frank Seehausen

1a.  Reliquiar des heiligen Isidor, Gesamtansicht (León, San Isidoro) 1b.  Zeichnerische Rekonstruktion von Goméz-Moreno 1932

durch die letzten westgotischen Fürsten mit der Herrschaft über das nicht be­ setzte Spanien betraut wurden. Die Idee der Wiederkehr des Westgotenreiches4 führte schließlich in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts zu einem jenseits aller politischer Erfordernisse angesiedelten, von christlicher und muslimi­ scher Seite als ›Heiliger Krieg‹ wahrgenommenen Kampf gegen die Anders­ gläubigen.5 Fernando I. gelang es, seinen Machtbereich durch die Einbindung Navarras als lehenabhängiges Königreich auszudehnen, die vier großen Kali­

139 Das Reliquiar als Staatsform

fenreiche Saragossa, Valencia, Toledo und Badajoz tributpflichtig zu machen und dadurch die christliche Hemisphäre in Gebiete jenseits des Duero vorzu­ schieben. Er betonte die dynastische Kontinuität der Leóneser Herr­schaft umso mehr, als er als Graf von Kastilien die Leóneser Krone nur aufgrund seiner Ehe mit Doña Sancha erhalten hatte, nachdem er ihren Bruder Bermudo III., den letzten König von León, 1037 in der Schlacht von Tamará besiegt und getötet hatte.6 Mit dem Besitz der vollständigen Reliquien des Isidor von Sevilla vermoch­ te Fernando I. eine Brücke von der Antike über die Zeit der Westgoten bis zur aktuellen Reconquista zu schlagen. Das aufwendige Reliquiar, das den Kern der umfangreichen Stiftungen Fernandos und seiner Frau Doña Sancha bildete, wurde kurz vor dem Ableben des Herrscherpaares (1065 und 1067) zum bild­ lichen Testament der Herrschaftsinszenierung und zum programmatischen Mittelpunkt einer konsolidierten Hofkunst.

II. Die erste Hülle: Das Reliquiar des heiligen Isidor von Sevilla Seine gegenwärtige Form verdankt das Reliquiar einer grundlegenden Restau­ rierung, die 1847 durch den einheimischen Goldschmied Manuel Rebollo durchgeführt wurde, nachdem es während der Okkupation 1808 durch napo­ leonische Truppen erheblich beschädigt worden war.7 Die Veränderungen betrafen vor allem das hoch aufragende Walmdach, dessen pyramidale Spitze im Zuge der Restaurierung gekappt und durch einen flachen Abschluß ersetzt wurde. Die große Reliefplatte, die im Zuge der Re­ staurierung auf den abgeflachten Deckel genagelt wurde, läßt aufgrund ihrer im unteren Bereich ausgestellten Bildfelder vermuten, daß sie gemäß der Re­ konstruktion von Manuel Gómez-Moreno ursprünglich an der Vorderseite des Daches angebracht war (Abb. 1b).8 Dementsprechend hätten die beiden Evan­ gelistensymbole auf dreieckigem Grund, die gegenwärtig über die untere Randleiste der Schmalseiten gebogen sind, in den Zwickeln der Walme geses­ sen, ohne umknicken zu müssen. Die Reste der mit Blattrankenmotiven orna­ mentierten unteren Randleiste des Deckels wurde offensichtlich komplett ­abgenommen, um die vordere Sockel­fläche auszuflicken, womit sich der der­ zeitige Randabschluß des Daches mitsamt dem kleinteiligen neugotischen Maßwerk und der medaillonartig gerahmten Figur des heiligen Isidor als eine Neuschöpfungen des 19. Jahrhunderts erweist. Die Rekonstruktion zeigt für das Dach eine ähnlich die Flächen füllende Ornamentierung, wie sie sich im unteren Bereich des Schreins erhalten hat. Gómez-Morenos offensichtlich zu­ verlässige Auswertung des Befundes macht den Umfang des Verlustes deut­ lich, zeigt aber auch, daß sich die ursprüngliche Gestalt des Reliquiars bis auf die gravierenden Veränderungen im Bereich des Dachs, den vollständigen Verlust zweier rückwärtiger Reliefplatten einschließlich des Bildfeldes am Deckel und der Versetzung einzelner Bild- und Ornamentplatten bewahrt hat.

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Die Schatztruhe hat gemäß der Rekonstruktion die Form eines Saalgebäu­ des, das sich über einer breiten, leicht nach außen abfallenden Bodenplatte er­ hebt. Acht deutlich hervortretende Wandpfeiler tragen das Dach und rahmen die acht Relieffelder, hinter denen die Überreste des Heiligen vollständig ver­ borgen blieben. Auf den nach außen gerichteten Flächen der Pfeiler finden sich zumeist symmetrisch aufgebaute Blattrankenornamente, während an den Schmal­seiten regelmäßig angeordnete konkave Diamantquader angebracht sind. Zusätzlich sind in die vergrößerten Flanken der diagonal nach außen gedrehten und deutlich stärker ausgeführten Eckpfeiler in die Diamantquader­ fläche Halbsäulen eingelassen, deren Schäfte durch gegenläufige Streifen von Bändern umwickelt sind. Mitsamt dem mutmaßlichen Dachaufbau ergibt sich eine außerordentlich plastische, von einem horror vacui bestimmte Kleinarchi­ tektur, die den Rhythmus zwischen festen, deutlich hervortretenden Stützen und tief eingeschnittenen Wandflächen dazu nutzt, alle architektonischen Glie­ derungselemente engmaschig mit Ornamenten zu belegen und die dazwi­ schenliegenden Bildfelder mit ihren Figurengruppen abzusetzen. Daß die enorme Plastizität und die durch den Gegensatz von ornamentier­ tem Architekturgerüst und eingestellten, großformatigen Figurengruppen auf glattem Untergrund erreichte tiefenräumliche Wirkung keineswegs selbstver­ ständlich waren, zeigen Vorläufer wie das Reliquiar des heiligen Pelagius aus dem Kirchenschatz von San Isidoro in León, das von Fernando I. und Doña Sancha 1059, also nur wenige Jahre vor dem Isidorschrein, gestiftet wurde.9 Abgesehen von den geringeren Abmessungen zeigen sich die rechteckigen, aus

2.  Reliquiar des heiligen Pelagius (León, San Isidoro)

141 Das Reliquiar als Staatsform

3.  Reliquiar des heiligen Isidor, Erschaffung des Adam (León, San Isidoro)

Elfenbein geschnitzten Tafeln mit Darstellungen der von hufeisenförmigen Bögen gefaßten Apostel unverbunden in einer Arkadenreihe mit weit gestell­ ten, ursprünglich mit Gold- oder Silberplatten belegten Bögen, deren Umrisse sich im Holz eingeritzt erkennen lassen.10 Ungeachtet des Verlustes der Ver­ kleidung erweist sich, daß rahmende Architektur und Bildfelder hier als sepa­ rate Größen definiert sind, die sich additiv und flächig aufeinander beziehen (Abb. 2). Beim Isidorschrein ist die gesamte Fläche der Architektur hingegen dadurch auf subtile Weise als Bildträger definiert, daß eine Kordel am Bodenabsatz um das gesamte Gebilde läuft und ein zweites Tau das Gebäude am Boden um­ schnürt und, wie bei dem Relief des Sündenfalls, auch die Inschriften rahmt. Vor allem aber definiert der Schrein des heiligen Isidor das Verhältnis zwi­ schen Rahmen und Bildfeld. Nicht nur, daß die architektonischen Elemente aufgrund ihrer starken Plastizität und vollflächigen Ornamentierung räumlich wirkende Flächen für die großen, überwiegend mehrfigurigen Bildplatten schaf­ fen, auch die Figuren scheinen sich aus dem Bildgrund zu lösen und plastisch hervorzutreten: Während die Deckplatte und die darauf dargestellten Figuren in ihrer Flachheit eher wie eingeritzt wirken, treten Figuren und Bodenplatten

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4.  San Isidoro, Corderoportal Tympanon (Ausschnitt)

der umlaufenden Reliefs aus der Fläche hervor. Sämtliche für die Erzählung bedeutenden Figuren stehen auf weit auskragenden, tellerartigen Plinthen, die sich durch ihre Plastizität, aber auch durch ihre Vergoldung deutlich vom Bildhintergrund abheben und wie die Andeutung eines Sockels wirken. Hier wird im Zusammenspiel von Rahmung und Relief ein entscheidender Schritt zu einer räumlichen Darstellung der Szenen getan (Abb. 3).. Daß eine solche Betonung erzählerisch wichtiger Figuren im unmittelbaren Zusammenhang des Reliquiars kein Einzelfall blieb, zeigt die spätestens 1090 entstandene Tympanondarstellung der Puertà del Cordero von San Isidoro in León. Abraham, Engel und Sarah sind mit rechteckigen, leicht hervortretenden Feldern hinterlegt, die zwar keine formale Ähnlichkeit mit den Sockeln des Reliquiars zeigen, gleichwohl aber eine ähnliche Funktion im Sinne einer Beto­ nung der Figur vornehmen (Abb. 4). Ein Vorläufer solcher Plinthen ist in otto­ nischen Reliefs wie etwa dem um 1022 entstandenen Baseler Antependium zu finden, deren Apostelfiguren durch deutlich aus der Reliefebene vortretende Sockel betont wurden.11 Vor allem aber dürften die Bronzereliefs der Bern­ wardstür in Hildesheim für die Darstellung der Figuren und der Vegetation vorbildhaft gewesen sein.12 Dort sind in der Mehrzahl der Szenen einzelne Fi­ guren allerdings durch Geländeabbreviaturen herausgehoben (Abb. 5a–5d), während sich die Gruppen wie auch die Einzelfiguren auf dem Isidorschrein durch den vollständigen Verzicht auf eine Geländemodulation, dem die Ver­ wendung der Plinthen als geometrische Grundform entgegensteht, als Stand­ bilder ihrer selbst offenbaren: als Statuen, die scheinbar nur mühsam dazu ge­ zwungen werden konnten, in die Fläche des Reliefs eingebunden zu werden. Das Reliquiar erweist sich als eine Architektur, deren Stützelemente orna­ mental verbildlicht werden, deren Freiflächen restlos mit figürlichen Bildern ausgefüllt sind, und deren Bilder sich als Simulationen von freistehenden Skulp­ turen zu erkennen geben. Vor allem die Köpfe treten vollplastisch aus der Ebene, wie um die Verflächigung ihrer Körper zu konterkarieren. Architektur, Orna­ ment, Flächenbild und Skulptur erweisen sich bereits beim ersten Zugang als ein ihresgleichen suchendes Ensemble von figurativen Ansprüchen. Das Reli­ quiar des heiligen Isidor steht am Anfang aller Großreliquiare des Mittelalters, weil es die eigenen Ansprüche auf allen medialen Ebenen zu verbildlichen suchte: Hierin scheint sich ein programmatischer Wille zur Figuration zu offen­ baren.

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5.  Bernwardstür, Relieffelder (Hildesheim, Dom): a. Zuführung b. Sündenfall c. Anklage d. Kain und Abel

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6.  Reliquiar des heiligen Isidor, Sündenfall (León, San Isidoro)

1. Die Bildfelder Die erhaltenen bzw. rekonstruierbaren Bildfelder zeigen unter vollständigem Verzicht auf hagiographische Darstellungen Szenen der Schöpfungsgeschichte, beginnend mit der Erschaffung Adams auf der rechten Schmalseite bis zur Vertreibung aus dem Paradies im mittleren Bildfeld der Vorderseite. Folgt man der Rekonstruktion Gómez-Morenos, so waren die Bildfelder beider Längssei­ ten durch Inschriften unmittelbar unterhalb des Reliefs auf der Sockelplatte gekennzeichnet, die auf der Vorderseite durch den Verlust der ursprünglichen Orna­mentplatte verloren sind. Auf der Rückseite läßt sich hingegen durch diese Bildunterschriften die ursprüngliche Bildanordnung nachvollziehen, die nach der Erschaffung Adams auf der Schmalseite (Abb. 3) als erstes Motiv der Rückseite in Abweichung von der biblischen Chronologie die Erschaffung Evas (Gn 2,22) – DO[MI]N[US] EDIFICAT COSTAM ADE IN MULIERE[M] – gefolgt von der Namensgebung der Tiere auf dem mittleren Feld (Gn 2,19) – ADDUXIT DO[MI]N[US] AD ADA[M] OMNEM CREATURA[M] – und schließlich den Sündenfall (Gn 3,6) – DE LIGNO DAT MULIER VIRO – vorgesehen hatte (Abb. 6). Die Reliefplatte des Sündenfalls ist während der Restaurierung ver­

145 Das Reliquiar als Staatsform

7.  Reliquiar des heiligen Isidor, Anklage (León, San Isidoro)

mutlich aus Symmetriegründen von dem rechten Feld in die Mitte gerückt worden. Herausgehoben waren die beiden Tafeln auf den Schmalseiten da­ durch, daß ihnen der Text unmittelbar im Bildhintergrund beigegeben wurde. So zeigt die Erschaffung Adams mit den drei Wortregistern in verkürzter Form den Text der Genesis (Gn 2,7): HIC FORMAT[UR] ADA[M] ET INSPIRAT[UR] A D[EO]. Aufgespannt wie ein Tuch hinterfängt dieses Textfeld den Sockel und betont dessen freiplastische Wirkung. Auch im gegenüberliegenden Relief der Anklage Adams nach dem Sündenfall wird der Text DIXIT D[EU]S ADA[M] UBI ES (Gn 3,9) so straff zwischen einen Baum und der aufrecht stehenden Gestalt Gottvaters aufgespannt, daß die Autorität der Anklage durch den Kon­ trast zu dem sich ohne wirklichen Halt aus der Verantwortung windendem Stammelternpaar deutlich unterstrichen wird (Abb. 7). Die Bildunterschriften der Vorderseite sind zusammen mit der originalen Sockelbekleidung verloren, der symmetrische Aufbau des Reliquiars legt aber eine Entsprechung mit der Rückseite nahe. Das linke Bildfeld zeigt eine außergewöhnlich seltene Darstel­ lung der Bekleidung von Adam und Eva. Gezeigt wird der Moment, in dem Adam durch die Hand Gottes das sperrige Gewand übergestülpt bekommt,

146 Horst Bredekamp / Frank Seehausen

8.  Reliquiar des heiligen Isidor, Ankleidung (León, San Isidoro)

9.  Reliquiar des heiligen Isidor, Vertreibung (León, San Isidoro)

147 Das Reliquiar als Staatsform

10.  Reliquiar des heiligen Isidor, Fernando (León, San Isidoro)

während Eva die ungewohnte Bekleidung noch irritiert berührt (Gn 3,21; Abb. 8). Mit der Vertreibung aus dem Paradies auf dem Mittelfeld durch den Erzengel mit dem Flammenschwert schließt der Genesiszyklus ab (Abb. 9). Das rechte Feld des Stifters bildet Ende und Anfang der gesamten Sequenz. Dies um so mehr, als König Fernando I., der das Reliquiar gemeinsam mit sei­ ner Frau Sancha gestiftet hat, auf dem rechten Bildfeld der Vorderseite ebenso aufgesockelt ist wie Gottvater und das Stammelternpaar (Abb. 10). Hierin re­ präsentiert er sein eigenes Denkmal als Anfang und Ende des gesamten Zy­ klus.13 Als Einzelfigur nimmt er eine prominente Stellung ein, indem er sich deutlich von den szenischen Darstellungen der anderen Relieffelder abhebt. Isoliert steht Fernando, barhäuptig und ohne Herrscherattribute, vor einem breiten Rechteckrahmen aus Diamantquadern. Seine Bekleidung mit dem knie­ langen, in einer breiten Borte endenden Rock und dem von einer Fibel gehal­ tenen Umhang ähnelt damit jener zentralen Figur auf der Vorderseite des ­Deckels (Abb. 11), die nun durch Zepter und Krone als König bestimmt ist, um sich im Dreiviertelportrait den vor ihm postierten Personen zuzuwenden. Möglich erscheint, daß sich hier die beteiligten Künstler offeriert haben,14 aber angesichts der beiden zusätzlich im Rücken des Königs erscheinenden Perso­ nen dürfte es sich eher um Mitglieder des Hofstaates handeln.15 Auf der gegen­ überliegenden Seite könnte analog die königliche Stifterin inmitten einer höfi­ schen Damenwelt abgebildet gewesen sein.16

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11.  Reliquiar des heiligen Isidor, Deckel (León, San Isidoro)

Fernando scheint daher in zweifacher Ausführung aufzutreten zu sein, als regierender König und als überzeitlicher, in den Genesiszyklus integrierter ›Erzähler‹. Nicht allein die Hervorhebung der Figur durch die Isolation und Plazierung vor den Rahmen, auch die Positionierung auf einen Sockel, die Größe der Figur und nicht zuletzt die vollständige Bekleidung der Unterarme bis zu den Ellenbogen mit einem eng gerafften Gewand zeigen eine so deutli­ che Bezugnahme auf die Gestalt Gottvaters, daß Fernando selbst als ›Kreator‹ erscheint. Weder zeigt er sich in ›bußfertiger Haltung‹, noch aktiv handelnd.17 Als Zeigender deutet er mit seiner Linken und ausgestelltem Zeigefinger in Leserichtung, während er mit seiner Rechten auf sich selbst weist. Von den biblischen Figuren unterscheidet er sich nur durch den mit einer Fibel gehalte­ nen Umhang und sein bis zu den Knien kreuzweise geschnürtes Beinkleid. Daß er sich ab 1038 nach seiner Krönung zum König erstmals als Herrscher ›von Gottes Gnaden‹ bezeichnen ließ, wirkt angesichts dieser Bildinszenierung wie eine Untertreibung. Hier ist er weit mehr als nur ein göttlich begnadeter Amts­ träger: Fernando erscheint als zeitlicher Anfangs- und Endpunkt innerhalb der Schöpfungsgeschichte und wird somit zum Bestandteil des göttlichen Heils­ plans. Eine weitere Deutungsebene ergibt sich aus der außergewöhnlichen Prä­ senz der Schrift in den beiden seitlichen Bildfeldern. In dieser prominenten Plazierung des verkürzt wiedergegebenen Bibeltextes im Bild offenbart sich der außergewöhnlich hohe Anteil des Bildträgers Schrift. Hier geht es nicht um eine Deskription oder bloße Kennzeichnung der Szene, sondern um die visuel­ le Präsenz des Wortes. Nicht zuletzt die verkürzte und ausschnittartige Wie­ dergabe des biblischen Textes evoziert in Verbindung mit den Bildern fast zwangsläufig eine gedankliche Fortsetzung von Text und Erzählung. Möglich wäre, daß hier ein Verweis auf die in den Apokryphen vorliegende retrospek­ tive Berichterstattung Adams gegeben wird.18 Dort folgt nach der Ansprache ADAM UBI ES … und dem Verweis auf die Rolle des Schöpfers eine architek­ tonische Metapher: »Adam, wo bist du? Warum verbirgst du dich vor meinem Antlitz? Kann sich denn ein Haus vor seinem Baumeister verstecken?«19 Auch die Ansprache des sterbenden Adams an seine Söhne, denen er sein Vermächt­ nis mitteilte, »Adam lebte 930 Jahre, da verfiel er in eine Krankheit und rief mit

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lauter Stimme also: Alle meine Söhne sollen zu mir kommen, damit ich sie [noch einmal] sehe, bevor ich sterbe«,20 ergibt eine mögliche Verbindung zum König, der zum Zeitpunkt der Patronage des Schreins mit der testamentari­ schen Aufteilung seines Reiches unter seine Söhne begann. In einer sekundären Bedeutungsebene läßt sich der auf dem Schrein dargestellte, weisende Erzähler Fernando in eine hypothetische Verbindung mit dem Erzähler Adam in den apokryphen Texten bringen, wodurch die exponierte, ikonographisch beispiel­ lose Rolle des Erzählers unterstrichen wäre. Diese Annahme wird durch das Elfenbeinkreuz unterstützt, das Fernando und Sancha um 1063 zur Ausstattung der neu errichteten Kirche stifteten und das in Fernandos Testament erwähnt ist: ALIAM EBURNEAM IN SIMILITUDINEM NOSTRI REDEMPTORIS CRUCIFIXI.21 Christus ist an dem Kreuz nicht als Triumphator, sondern in eindrucksvollem Leiden dargestellt. Die in dem riesigen, eiförmigen und zugleich pulsierend differenzierten Gesicht erschei­ nenden Kohleaugen sind von ebenso grandioser Qualität wie auch die Ponde­ ration der abstrakten Geometrie des Oberkörpers und der fleischlichen Schwel­ lung etwa im Bereich des Bauchnabels (Abb. 12). Zu Füßen des Gekreuzigten befindet sich Adam unmittelbar über der Stifterinschrift Fredinandus Rex – San-

12.  Fernandokreuz (Madrid, Museo Arqueológico Nacional)

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cia Regina inmitten eines fünffach nach innen gestuften Rahmens, dessen Ab­ sätze aus glatten Dreiecken vor eng gekerbten Leisten bestehen und in ihrer Anordnung fast räumlich wirken.22 Unmittelbar darüber ragt das Suppedane­ um des Gekreuzigten derart weit aus, daß es den äußeren Rand des Rahmens überdeckt. Die nackte, aus ihrer gebückten Haltung nach oben blickende und mit gro­ ßen Füßen und Händen ausgestattete Figur Adams scheint zu versuchen, sich angesichts des übermächtigen Gekreuzigten wie ein Atlant aufzurichten (Abb. 13b). Der Auferstehungsthematik des Kruzifixes entsprechend wird er durch Christus von der Last der Erbsünde befreit und wiedererweckt. Wäh­ rend in der linken Randzone der Kreuzarme die Verdammten stürzen und sich in einem unentwirrbaren Geflecht von Körpern, Tieren und Ranken verstri­ cken, steigen auf der rechten Randleiste die Geretteten aus ihren Sarkophagen und fahren gen Himmel, obwohl sie immer wieder von wilden Tieren angegrif­ fen werden. Christus selbst ist in seiner Himmelfahrt am oberen Abschluß des Kreuzes als kleine gerahmte Figur in ähnlicher Größe wie der Adam zu seinen Füßen dargestellt (Abb. 13a). Damit zeigt sich eine Darstellung der Heilsge­ schichte in konzentrierter Fassung. Der Fall des Menschengeschlechts offenbart sich in der ambivalenten Gestalt Adams, der isoliert in dem Rahmen gefangen zu sein scheint, wobei er sich angesichts des Kreuzestodes Christi aufzurichten beginnt. Eine solche explizite Einbeziehung Adams in die Auferstehungsthe­ matik des Kreuzes erscheint angesichts des Zusammenhangs zwischen Schrein und Kreuz kein Zufall zu sein. Beide standen als königliche Stiftung von 1063 im engen räumlichen Zusammenhang von León I. Entsprechend der theologi­ schen Auslegung des Kreuzestodes als Sühne für die Ursünde, spielt die wei­ sende Stifterfigur eine zentrale und zeitenübergreifende Rolle. 2. Stilistische Bezüge Das Wechselspiel von historischen Bezügen und weit ausgreifenden Ansprü­ chen bezeugen auch die komplexen Stilcharakteristika. Für die rahmende Kordel, die Blattranken, die eingestellten Halbsäulen und nicht zuletzt die Di­ amantquader findet sich eine Fülle spanischer Vorbilder aus westgotischer und asturischer Zeit.23 Dabei nehmen die konvexen, flächig angeordneten Diamant­ quader eine bedeutende, wenn nicht gar zentrale Rolle für die Ausgestaltung von Fernandos Stiftungen ein. Sie hinterfangen nicht nur als bannerartiger Rahmen die Stifterfigur, sondern bedecken auch die Unterseite des Reliquiars (Abb. 14). Dort faßt ein umlaufender Rahmen von vier bis fünf Reihen quadra­ tischer Diamantquader eine Fläche, die mit großen, rechteckigen Diamantqua­ dern mit einer Kantenlänge von jeweils vier auf zwei bis drei der rahmenden Rechteckquader belegt ist. Als modulares Ornament bedeckt es die gesamte Bodenfläche des ursprünglich auf vier Füßen erhöht stehenden Reliquiars. Nahezu identisch wiederholen sich die Quader auf der Rückseite des etwa 1147 gefertigten Tragaltars des heiligen Isidor, und nicht zuletzt zeigt das verbliebe­ ne Fragment der Silbertreibarbeiten auf dem um 1059 entstandenen Pelagius­

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13.  Fernandokreuz (Madrid, Museo Arqueológico Nacional) a. Auferstehung  b. Adam über der Stifterinschrift

14.  Reliquiar des heiligen Isidor, Untersicht (León, San Isidoro)

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schrein exakt das gleiche Motiv (Abb. 2). Es hat den Anschein, als ob alle von Fernando gestifteten Goldschmiedarbeiten die konvexen Diamantquader an prominenter Stelle aufweisen und die königliche Stiftung mit diesem Motiv einen sich wiederholenden Dekor besitzt, der bis ins 12. Jahrhundert Verwen­ dung fand. Wenn auch offen bleiben muß, ob mit den Diamantquadern eine gezielte Referenz auf spanische Vorbilder konstruiert wurde, so zeigen Beispie­ le aus dem 10. Jahrhundert, daß dieses Motiv bereits in Nordspanien verbreitet war (Abb. 15a und 15b).24 Hinsichtlich der figürlichen Prägung der Stiftungen Fernandos kann der Bezug zur ottonischen Kunst, wie sie sich in der Bernwardstür in Hildesheim zeigt, unterstrichen werden.25 Wie auch beim Schrein bietet sich ein stilistischer Vergleich der Adamsfigur mit den Bernwardreliefs in Hildesheim an: Die ge­ spannte Rückwendung des Kopfes und die weit, fast exaltiert schwingenden Arme erinnern an die etwa fünfzig Jahre zuvor geschaffene dramatische Szene des Brudermordes Kains an Abel. Rechts zeugt der hoch schwingende Über­ mantel Kains vom Schwung des Keulenschlages, durch den Abel wie gefällt, mit ebenfalls wehendem Mantel zu Boden stürzt (Abb. 5d). Wesentlich redu­ zierter im Einsatz der Mittel und trotzdem von ähnlichem Gestus wirkt der Adam auf dem Fernandokreuz, dessen gebeugt federnde Spannung eine selten erreichte Psychologisierung der Körpersprache erreicht. Vergleichbar auch mit der Szene der Erschaffung Adams vom Isidor-Reliquiar, drücken die Darge­ stellten ihre innere Beteiligung durch gekrümmte Körperhaltungen aus, wenn diese auch nicht mehr, wie im Hildesheimer Beispiel, durch die Vegetation widergespiegelt und intensiviert wird (Abb. 5c). Vor allem der Stil der Reliefs des Isidor-Reliquiars erinnert hinsichtlich der Bildkomposition und der im oberen Bereich aus der Bildfläche weit heraustre­ tenden Figuren an die ottonischen Bronzearbeiten. Bereits die stilistischen und ikonographischen Bezüge des Schreins zu den Bronzetüren rechtfertigen die These einer maßgebenden Beeinflussung durch ottonische Künstler, doch auch die 1020 im Auftrag Kaiser Heinrich II. entstandene sogenannte ›Pala d’Oro‹ des Aachener Domes und das bereits erwähnte Baseler Antependium von 1022 zeigen vor allem hinsichtlich der figuralen Gestaltung ihrer Bildtafeln ver­ wandte stilistische und technische Charakteristika. Die Nähe der Sündenfallszene des Reliquiars von 1063 in León zur Umset­ zung desselben Themas an der Bronzetür von St. Michael in Hildesheim zeigt auch bei näherer Betrachtung einen verwandten Figurenstil, dieselben eiförmi­ gen, dabei von psychologischer Spannung erfüllten Köpfe sowie eine ähnliche Pflanzenwelt. Vor allem ist auffällig, daß die rückwärtsgewandte Körpertor­ sion der Eva und die nach vorn gestreckten Arme Adams übernommen wur­ den, so daß es scheint, als habe der Leóneser Goldschmied lediglich den Zwi­ schenraum zwischen den Figuren eliminiert (Abb. 5b). Anscheinend wurde der Figurenstil der ottonischen Vorbilder durch die Werkstatt in León so genau studiert, daß er auch auf unterschiedliche und in Hildesheim nicht vorhandene Szenen angewendet werden konnte. Auf diese

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15.  Diamantquaderreliefs in Nordspanien a. San Martín de Salas, Reliefplatte um 951  b. San Cebrián de Mazote, Reliefplatte 10. Jh. (Ausschnitt)

Weise sind Gesicht und Oberkörper Gottvaters in der Leóneser ›Erschaffung Adams‹ mit der Hildesheimer ›Zuführung Evas zu Adam‹ vergleichbar; die Begegnung der nach vorn gestreckten Arme erweckt den Eindruck, daß sich Gottvater mit den Armen Evas verbunden hat (Abb. 5a). Dabei kam es in León zu einer Verknappung der Bewegungen. Während in Hildesheim die Leben­ digkeit und Ausdruckskraft der narrativen Darstellungen selbst die Vegetation erfaßt, welche die Gemütszustände der Figuren in stets wechselnder Physio­ gnomie aufzunehmen scheint, sind die Bewegungen in León hinsichtlich der Wiedergabe innerer Spannung auf wenige Gesten konzentriert. Hier über­ nimmt der beigegebene Text die Funktion einer narrativen Ergänzung, wäh­ rend die Figuren eher zeichenhaft eingebunden sind. Angesichts der Fülle an Bezügen kann es kaum einen Zweifel daran geben, daß in dem Reliquiar eine im Rheinland und in Hildesheim gepflegte Tradition der figürlichen Darstellung aufgenommen und variiert wurde, um sie unmit­ telbar mit Motiven westgotischer und asturischer Formen zu kombinieren. Die plastisch hervortretenden, mit westgotischen und asturischen Elementen ver­ sehenen tektonischen Elemente spielen mit den durch ottonische Werke beein­ flußten Reliefplatten zusammen. Offenbar galt es, an den Darstellungsformen des ottonischen Reiches zu par­ tizipieren,26 aber auch eigene Traditionen aufzunehmen, die für die Motiv- und Ornamentwahl und die Formulierung eines speziellen Hofstils neben themati­ schen Schwerpunkten prägend waren. Im Stil liegt neben den medialen Insze­ nierungs- und Schulungsformen und dem Ort die weitere Bestimmung des Reliquiars als ›Staatsform‹, dessen Ornamente sich schließlich auch auf die folgenden Kirchenbauten ausgewirkt haben.

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III. Die zweite Hülle: der programmatische Standort Mit welcher Prägnanz der Isidor-Schrein ein zentrales Instrument herrschaft­ licher Würde darstellte, macht nicht nur der Kontext des umfangreichen litur­ gischen Geräts und der Reliquien der königlichen Stiftung deutlich, sondern vor allem auch sein Standort in der neu errichteten Palastkirche (León I), die um 1063 zusammen mit dem Panteón, der königlichen Grablege und einem Turm als Baugruppe geschaffen wurde.27 Der nach dem Vorbild Oviedos mit eingebundener Klosteranlage errichtete königliche Palast wurde damit grund­ legend modernisiert. An der Westseite von León I schloß das Panteón als kö­ nigliche Grablege mit darüber liegender Herrscherempore an und füllte den Raum zwischen der Kirche und der römischen Stadtmauer, deren halbrunder Turm schließlich auf rechteckigem Grundriß vollständig mit hellem Quader­ mauerwerk ummantelt wurde, so daß die königliche Stiftung inner- und außer­ halb der Stadt weithin sichtbar wurde (Abb. 16a und 16b). Auch wenn die von Fernando und Sancha gestiftete Kirche im 12. Jahrhun­ dert durch den Neubau von San Isidoro fast vollständig beseitigt wurde, haben sich in situ die Nord- und Westwand von León I aus glattem, sauber gefügtem Quadermauerwerk ohne Steinmetzzeichen erhalten, die als ›Baureliquien‹ sicht­ bar in dem Neubau integriert wurden. Zusammen mit dem 1910 erstmals pu­ blizierten Grabungsbefund der erst 1908/09 aufgedeckten Grundmauern der Kirche ergibt sich ein verhältnismäßig genaues Bild von Typus und Dimension der ehemaligen Palastkirche, die über drei schmale Schiffe verfügte, wobei die Seitenschiffe ungefähr sieben und das Mittelschiff etwa elf Meter hoch gewesen sein dürften. Es handelte sich damit um eine schmale Basilika asturischen Typs mit rechteckigem Apsidenabschluß und starker Betonung der Vertikalen, ähn­ lich der heute noch erhaltenen Kirche San Salvador de Valdediós.28 Unmittelbar über dem ehemaligen Westportal der Fernandokirche zum Panteón befindet sich die vermauerte Bogenöffnung zwischen der ehemaligen Herrschertribüne und dem alten Hauptschiff. John Williams’ Rekonstruktion von 1973 zeigt das Panteón mit seinen frühromanischen Bauformen und Skulpturen und die am Typus einer asturischen Basilika orientierte Palastkirche León I (Abb. 16a) als zwei fast gleich große, miteinander verbundene Baukörper.29 Unklarheit herrschte bislang über die Ausformulierung und innere Gliede­ rung von León I. Die Übertragung eines engen, an Valdediós angelehnten Stüt­ zen­rasters mit vier Arkadenbögen scheitert wahrscheinlich an der fehlenden Korrespondenz mit der Position des Nordportals. Führt man allerdings die Jochweite des Panteóns fort, dann ergibt sich eine verhältnismäßig schlüssige Aufteilung in drei Bögen. Auch wenn in diesem Punkt der mangelhaft publi­ zierte archäologische Befund nur Hypothesen erlaubt, scheint der Zusammen­ hang mit dem Panteón trotz der unterschiedlichen Bauformen stärker gewesen zu sein als bisher angenommen. Vieles spricht für eine gemeinsame Errichtung um 1063, denn weder weist die Trennwand zwischen Panteón und León I auf einen nachträglichen Anbau hin,30 noch läßt sich eine gravierende stilistische

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16.  a. Zeichnerische Rekonstruktion von León I mit Panteón, Mauer und Turm von John W. Williams 1973  b. León: Römische Stadtmauer und Fernandoturm

Änderung des Skulpturenschmucks zwischen Panteón und León I beobachten: Das südliche der beiden Kapitelle in der gemeinsamen Wand zur ehemaligen Königstribüne31 und die einzige in situ erhaltene Konsolfigur von León I ent­ sprechen in ihrer romanischen Formensprache und stilistischen Details so sehr den Kapitellen des Panteóns, daß von einem Werkstattzusammenhang ausge­ gangen werden kann (Abb. 17).32 Ähnlich wie auf dem Schrein hebt sich die ­figürliche Darstellung vom Untergrund ab: Der deutlich auf Untersicht gear­ beitete Kopf eines bärtigen Mannes liegt fast freiplastisch auf den fünf einge­ rollten Voluten der Konsole.33 Sowohl die stilistischen Merkmale der figürli­ chen Darstellung, als auch der versetzte Röllchenfries, der sich in gleicher Art später in León, Fromistá und Jaca findet, machen deutlich, daß mit der Imita­ tion des asturischen Bautypus keinesfalls eine Übernahme des figürlichen Stils verbunden war, sondern daß Skulptur und Architektur von León I als vonein­ ander unabhängige Referenzsysteme begriffen werden können, die miteinander korrespondierten.34 Die vermeintlich asturische Basilika besaß einen romani­ schen Skulpturenschmuck und wurde mit dem Panteón in ihrem herrschaft­ lichen Westteil derart radikal modernisiert, daß hier eine Architektur entstand, welche zwar die in asturischen Königskirchen auftauchende Konzeption einer westlichen, zu Begräbniszwecken dienenden Vorhalle mit darüber liegender Herrscherempore grundsätzlich übernimmt,35 mit ihren auf der Nordseite offe­ nen Bögen und der Monumentalisierung des Baukörpers im Verhältnis zur Kirche jedoch ein Novum in Nordspanien darstellte. So läßt sich zwar im

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17.  S. Isidoro, Konsolfigur von León I

Narthex der ab 783 gebauten Kirche Santa Maria in Oviedo einer der Vorläufer des Panteóns erkennen, jedoch ohne daß dieses als Kopie zu begreifen ist.36 Vielmehr wird mit dem zweigeschossigen Westbau eine Tradition aufgenom­ men, die über die zweigeschossigen Funeralbauten der Westgoten letztlich auf römische Vorbilder zurückzuführen ist.37 Von besonderer Bedeutung ist die Analogie zum Isidorschrein. Hier wie dort findet sich eine Arkadenarchitektur, die im Panteón zu einer dreischiffi­ gen, ebenerdigen Halle ausgeweitet wird, die wie ein Schatzhaus oder ein be­ gehbares Reliquiar den Sarkophag Fernandos neben den Sarkophagen der Herr­ scher von León in scheinbar dynastischer Kontinuität zusammenfaßt (Abb. 18). Wuchtige Bündelpfeiler und Gurtbögen gliedern den Raum derart plastisch, daß die zahlreichen riesigen Kapitelle mit ihren scharf geschnittenen, vegeta­ bilen Formen und den dazwischen angeordneten figürlichen Kapitellen mit alt- und neutestamentlichen Szenen deutlich ins Blickfeld gerückt werden.

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Doch nicht nur die Plastizität und der Einsatz der Skulptur scheint mit dem Reliquiar verwandt zu sein; einzelne Ornamente des Schreins finden sich im Architekturdekor des Panteóns in nahezu identischer Form wieder, so das vertikale Rankenornament von der Vorderseite der beiden mittleren Pilaster des Schreins, ein Flachrelief mit drei in herzförmige Ranken eingeschlossenen Palmetten (Abb. 19a), das im Panteón nur leicht variiert an der Südseite der Kämpferplatte des großen Blattkugelkapitells der nördlichen freistehenden Säule zu finden ist (Abb. 19b).38 Hier nimmt es als isoliertes Motiv einen heraus­ ragenden Platz am Zugang zur Palastkirche ein, an die das Panteón als Narthex anschloß und in deren Chor das ›Staatsreliquiar‹ des westgotischen Heiligen fast spiegelbildlich den Sarkophagen der Leóneser Herrscher gegenüber­ stand. Diese Gegenüberstellung auf der Mittelachse wird durch eine komplexe Betrachterlenkung innerhalb der Begräbnishalle vorbereitet und kann hier nur ansatzweise wiedergegeben werden: Nachdem man die nördlichen Kapitelle mit den Darstellungen der alttestamentlichen Szenen passiert hat, wobei Moses als Verkörperung des Alten Bundes mit Bileam als Ankündigung des Neuen Bundes in Leserichtung auf einem Kapitell zu finden sind, durchschreitet man die dreischiffige königliche Begräbnishalle, deren Gewölbe auf zwei freistehen­ den Säulen mit mächtigen korinthisierenden Kapitellen fußt. Auf der Haupt­ achse wird damit der Blick auf das ehemalige Westportal von León I ausgerich­ tet, das die beiden einzigen Marmorkapitelle im Panteón mit den Szenen der Auferweckung des Lazarus und der Heilung des Leprakranken zeigt. Hier

18.  Panteón, Innenansicht, ehem. Westportal León I

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19.  a. Ornament am Reliquiar des heiligen Isidor (Ausschnitt)  b. Panteón, nördliches Säulenkapitell und Kämpferplatte mit isoliertem Ornament

handelt es sich nicht nur um die frühesten bekannten neutestamentlichen Dar­ stellungen innerhalb der Kapitellskulptur Nordspaniens, sondern auch um eine gezielte Auswahl von Heil- und Berührungsmotiven, durch welche im Sinne einer ›in Stein gehauenen Fürbitte‹ an die heilbringende Wirkung der Reliquien erinnert wird. Vor allem Lazarus, der sich, von Christus auferweckt, aus seinem Arkadensarkophag erhebt, stellt ein Bindeglied zwischen den Sar­ kophagen der Könige und dem Reliquiar Isidors dar, welches unmittelbar da­ hinter im Chor von Léon I den Abschluß dieser Blick- und Wegeführung bilde­ te. Es führt an dieser Stelle zu weit, auf die Skulptur und die Ausmalung des Panteóns einzugehen, die ebenfalls Teil dieser Inszenierung waren,39 doch sei hier zumindest auf die Inschrift der Marmortafel verwiesen, die unmittelbar nach der Fertigstellung des Baus über dem Westportal dieser Kirche, d. h. im Kontext von Panteón und der figürlichen Kapitelle den grundsätzlichen An­ spruch Fernandos deutlich macht.40 Nicht nur, daß beide Stifternamen EXCEL-

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LENTISSIMUS FREDENANDUS ET SANCIA REGINA im Sinne einer Fürbitte ad sanctos zwischen die Namen der Heiligen gestellt wurden, auch wird in der Inschrift bereits im ersten Satz die Transformation der existierenden Kirche und damit die gezielte renovatio und Ergänzung des Vorgefundenen betont: HANC QUA[M] CERNIS AULA[M] […] OLIM FUIT LUTEA[M] QUA[M] NUPER EXCELLENTISSIMUS FREDENANDUS REX ET SANCIA REGINA EDIFICAVERUNT LAPID[E]A[M] […]. Mit den Wendungen OLIM FUIT LUTEA[M], FREDENANDUS REX ET SANCIA REGINA EDIFICAVERUNT LAPIDEA[M] und der prominenten Plazierung, vor allem aber durch die formelhafte Wie­ derholung auf Fernandos Epitaph: FECIT ECCLESIAM HANC LAPIDEAM QUAE OLIM FUIT LUTEA[M] läßt sich die lateinische Inschrift in Verbindung mit den einleitenden Worten HIC EST TUMULATUS FERNANDUS MAGNUS, REX TOTIUS HISPANIE als Anspruch Fernandos auf eine spanische Kaiser­ würde verstehen.41 Die Inschrift erscheint als Allusion auf die von Augustus formulierte Notwendigkeit, als Herrscher vorgefundene Bauten in kostbarere Materialien zu transformieren und damit bleibende Monumente zu schaffen.42 In diesem Sinne wird die existierende Kirche zwar in ihrer Grundform beibe­ halten, hinsichtlich des Baumaterials, des Skulpturenschmucks und vor allem des herrschaftlichen Westteils modernisiert und monumentalisiert. Fernando I., der 1038 nach westgotischer Art zum König gekrönt wurde,43 stellte mit der Stiftung von Reliquiar, liturgischem Gerät, Kirche und Grablege innerhalb des höfischen Kontextes die bildliche und textliche Legitimation seiner eigenen Herrschaft in der Kontinuität des Leóneser Königshauses und unter gezielter Referenzbildung auf westgotische und asturische Elemente als renovatio und continuatio eines alten gesamtspanischen Herrschaftsanspruchs dar – als per­ sönliche Fürbitte und politische Maßgabe für seine Erben.

IV. Das neue Kleid Herzstück blieb aber das Reliquiar, das insbesondere mit der Szene des Über­ kleidens den Gesamtaspekt verdichtet. Diese vielleicht überraschendste Szene zeigt, wie Adam und Eva kurz vor ihrer Vertreibung aus dem Paradies von Gott mit aus Haut gebildeten Kleidern bedeckt werden: Fecit quoque Dominus Deus Adam et uxori eius tunicas pelliceas, et induit eos (Gn 3,21). Eva befühlt be­ kümmert den sperrigen und ungewohnten Überzug, während Adam das Kleid als Konsequenz des Verlustes körperlicher Unschuld über den Kopf gezogen wird (Abb. 8). Die Überkleidung mit dem Tuch des irdischen Lebens und der folgenden Austreibung aus dem Paradies bedeutet die Besiegelung der Sühne für den Sündenfall. Angesichts dessen, daß dieses Kleid den Kirchenvätern zufolge das irdische Exil und den Tod bedeutet, sperrt Adam, als wolle er diese zum Tode führende Neugeburt verhindern, den linken Arm ab, um nicht mit dem Kopf durch die Enge der Halsöffnung treten zu müssen.44 Zugleich ver­ sucht er, zum Hüftgewand Gottvaters zu greifen. Er hält ein Ende dieses Tu­ ches fest, wie um es zu sich herüberzuziehen und von diesem Stoff, und nicht

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20.  Husillos-Sarkophag, Frontansicht (Madrid, Museo Arqueológico Nacional)

etwa von dem schweren Kleid, das Gottvater ihm überstreift, bekleidet zu wer­ den. Durch sein Umklammern des Lendentuches Gottes buchtet der obere Gewandsaum ein, so daß das lose über der Hüfte liegende Tuch den Ansatz einer Wellenform bildet. In den Etymologiae hat Isidor von Sevilla dieses Motiv des Überkleidens als zentrale Botschaft der Vertreibung aus dem Paradies gewertet. In den Kapi­ teln 20–22 des 19. Buches entwickelt er eine Theorie und Geschichte der Beklei­ dung, die immer wieder von dieser Urszene ausgeht.45 Sie motiviert offenbar die beiden Szenen links und rechts der Austreibung, die sich komplementär zueinander verhalten, indem die Überkleidung der Eva durch das Kleid des Stifters konterkariert wird, der über jenes Tuch des Heils verfügt, das die Be­ stimmung der von dieser Welt Erretteten sein wird. Der König verspricht eine neue, heilbringende Überkleidung. Das Reliquiar hat auf seinem ungewöhn­ lichsten Relieffeld damit die Opposition verderblicher und heiliger Tücher ausgestellt. Der Mensch, aus dem Paradies vertrieben mit dem Kleid des Todes, muß neu überkleidet werden, um sein Heil wiederzugewinnen. Das neue Reich inszenierte sich unter Berufung auf Isidor als eine heilbringende Überkleidung, wie es der weisende König als Antipode zu Adam, der das Tuch des irdischen Todes übergestreift bekommt, repräsentiert.46 Diese Gewandikonographie erklärt, warum das machtvolle Zeigen von Gewand und die Dialektik von Nacktheit und Bekleidung in der nordspani­ schen Kunst des 11. und 12. Jahrhunderts eine so beispiellose Bedeutung ge­ wann, was an dieser Stelle nur angedeutet werden kann.47 Die Ikonologie der Kleidung, wie sie von dem Reliquiar entwickelt worden war, ermöglicht schließ­ lich eine der spektakulärsten Formen der Antikenrezeption des gesamten Mittelalters. Serafín Moralejo Alvarez hat vor dreißig Jahren erkannt, daß der antike, späthadrianische Sarkophag aus Santa María de Husillos offenbar nie unter der Erde war, um die nordspanischen Bildhauer ab etwa 1080 in einer Weise zu beeinflussen, wie dies höchstens noch der Laokoon-Gruppe nach 1506 in Bezug auf die Bildhauer des 16. Jahrhunderts gelungen ist (Abb. 20).48 Im Verein mit dem Leóneser Reliquiar bewirkte die Rezeption dieses Sarko­ phages gleichsam ein Schulungsprogramm, durch das die nordspanischen Bildhauer ihre eigenen Fähigkeiten einen ersten Hofstil der Nachantike über einen Zeitraum von zwei Generationen etablierten.49

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Es bleibt ein Mirakel, daß eine mit Bezug auf Isidor entfaltete Tuchikonogra­ phie, die durch die Schrift des Isidor und seine Beglaubigung im Reliquiar musterhaft betont worden war, durch das Medium eines antiken Sarkophages gleichsam zurückkam, um eine Ikonographie und einen antiken Stil zu erlau­ ben, der die Konsequenz, mit der sich das neue Reich von León und Kastilien figurativ umkleidete, in eine neue Prägnanz brachte. In diesem Sinn kann von dem Reliquiar des heiligen Isidor als ›Staats-‹ oder ›Reichs-Form‹ gesprochen werden.

1 Peter Lasko, Ars Sacra 800–1200, New Ha­ ven – London ²1994, S. 154. 2 Der Fund der Reliquien des heiligen Isidor erinnert an die Legende vom Fund der Jakobsre­ liquien. Fernando sandte den Bischof von León und Ordoño und den Bischof von Astorga nach Sevilla, um vom dortigen maurischen Herrscher Abbat Mutadid (1042–1069) die Überreste der heiligen Justa aus Sevilla zu erhalten. Nach er­ folgloser Suche erschien den Bischöfen in einer Vision der heilige Isidor und führte sie zu seinen Gebeinen; s. Pedro de Palol – Max Hirmer, Spani­ en. Kunst des frühen Mittelalters vom Westgoten­ reich bis zum Ende der Romanik, München 1991, S. 69. 3 Vgl. Jacques Fontaine, Die Kirchen im äußer­ sten Westen, in: Der lateinische Westen und der byzantinische Osten (431–642), hg. von Luce Pie­ tri (Die Geschichte des Christentums 3), Freiburg 2001, S. 851–864, hier S. 861f.: »Der Rückgriff auf den Ursprung ist […] eine Art ›gelebte Pilgerrei­ se‹ zu den historischen Quellen, aus denen das neue Spanien, d. h. dasjenige der westgotischen Monarchen und hispano-römischen Bischöfe, her­ vorging. Diese Rückkehr zu einem doppelten Ur­ sprung bildet die Grundlage für eine religiöse, politische und kulturelle Erneuerung, […] getra­ gen von der noch klassisch-antik anzusprechen­ den […] Vision der renovatio in melius. In dieser Hinsicht erfaßt Isidor somit als Historiker der Menschheitsgeschichte (in den Chronica), der Go­ ten, der religiösen ›officia‹ und der Wörter unter verschiedenen Gesichtspunkten das dem neuen Königtum vorgestellte Ideal einer ›renovatio‹, die ihre oberste, weil ursprünglichste Wirkkraft aus einer ›Rückkehr‹ zu den Wörtern, den Dingen und der Institutionen bezieht. Seine Stärke liegt in der Macht eines Ideals der wiederholten Er­ neuerung Varros und des Zeitalters des Augu­

stus, das sich aber auch von der durch Christus gebrauchten ›renovatio‹ für die Menschheit in­ spirieren läßt.« 4 Michael Borgolte, Europa entdeckt seine Vielfalt 1050–1250, Stuttgart 2002, S. 149f. 5 Michel Parisse, Die Iberische Halbinsel, in: Machtfülle des Papsttums (1054–1274), hg. von André Vauchez (Die Geschichte des Christen­ tums 5), Freiburg 1994, S. 290–306, hier S. 298. 6 Als Graf von Kastilien führte Fernando stän­ dig Auseinandersetzung mit Bermudo III., der versuchte, die Ländereien zurückzugewinnen, die ihm Fernandos Vater, Sancio García el Mayor von Navarra, 1034 entrissen hatte. Im Zusammenhang der Grenzstreitigkeiten gelang es Fernando 1037 Bermudo zu töten, um daraufhin seine Erban­ sprüche geltend zu machen; vgl. Borgolte (wie Anm. 4) S. 152. 7 Maria Jesus Astorga Redondo, El Arca de San Isidoro: Historia de un Relicario, León 1990, S. 92ff. 8 Astorga Redondo (wie Anm. 7) Fig. 24, S. 95; Manuel Gómez-Moreno, El Arca de las reliquias de San Isidoro, in: Archivo español de arte y arqueo­logía 24, 1932, S. 205–212, hier S. 207. 9 John W. Williams – Daniel Walker, Reliquary of Saint Pelagius, in: AK The Art of Medieval Spain, A. D. 500–1200, hg. von John P. O’Neill, New York 1993, Nr. 109, S. 236ff. 10 Die Verkleidung des Schreins, die nach der 1765 verfaßten Beschreibung von Morales und den erhaltenen Fragmenten vermutlich aus Gold­ platten bestand, wurde während der napoleoni­ schen Besatzung geraubt; vgl. Williams – Walker (wie Anm. 9) Nr. 109, S. 236ff. 11 Tillmann Buddensieg, Das Basler Antepen­ dium in Paris, Diss. masch., Köln 1956, S. 3. 12 Gómez-Moreno (wie Anm. 8) S. 211f.

162 Horst Bredekamp / Frank Seehausen 13 John W. Williams, León: The Iconography of a Capital, in: Cultures of Power. Lordship, Status and Processes in 12th Century Europe, hg. von Thomas N. Bisson, Philadelphia 1995, S. 231– 258, hier S. 237. Williams identifiziert die Figur unter Berufung auf Otto Karl Werckmeister als Fernando I., womit der 1968 von Manuel GómezMoreno und Vázquez de Parga veröffentlichten These widersprochen wird, es handele sich um die Darstellung von García von Navarra und auf dem Deckel des Reliquiars um Sancho III. el Ma­ yor mit seinen vier Söhnen. 14 Williams – Walker (wie Anm. 9) Nr. 70, S. 239–244, hier S. 240. 15 Antonio Viñayo Gonzalez, L’ancien royau­ me de Leon romane, Paris 1972, S. 143. 16 Gómez-Moreno (wie Anm. 8) S. 205–212, hier S. 207. Als letztes figürliches Element treten die beiden Evangelistensymbole des Markus und Lukas in den beiden Zwickelreliefs der Schmal­ seiten auf, was Matthäus und Johannes auf schwer erklärbare Weise ausschalten würde. Die Rekon­ struktion wirkt sonst in allen Teilen so überzeu­ gend, daß dieses konzeptionelle Problem bis zu einer schlüssigeren Lösung in Kauf genommen werden muß. 17 Williams (wie Anm. 13) S. 237. 18 Apokalypse des Mose 5–14. Emil Kautzsch (Hg.), Die Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments, Tübingen 1900, Bd. 2, S. 512– 528, hier S. 516–519. Die Schilderung des Sünden­ falls wird von Eva leicht variiert wiederholt, was die Bedeutung der Textstelle zeigt: Apokalypse des Mose 15–30; Kautzsch, S. 520–524. 19 Kautzsch (wie Anm. 18) S. 517. 20 Kautzsch (wie Anm. 18) S. 516. 21 AK Ornamenta Ecclesiae, hg. von Anton Legner, Bd. 1, Köln 1985, S. 168. 22 Mit dem Ornament des Rahmens wurde wahrscheinlich ein regional präsentes Motiv auf­ genommen, das sich beispielsweise in der Aus­ malung der um 900 errichteten mozarabischen Kirche Santiago de Peñalba erhalten hat. Dort ist es als farbig gefaßtes Flächenornament in einer Bogenlaibung gegeben. Achim Arbeiter – Sabine Noack-Haley, Christliche Denkmäler des frühen Mittelalters (Hispania Antiqua), Mainz 1999, S. 310, Tafel 97e. 23 Danièle Perrier, Die spanische Kleinkunst des 11. Jahrhunderts: Zur Klärung ihrer stilisti­ schen Zusammenhänge im Hinblick auf die Frage

ihrer Beziehungen zur Monumentalskulptur, in: Aachener Kunstblätter 52, 1984, S. 30–150. Perrier widerspricht vehement dem möglichen Einfluß ottonischer Werkstätten und sieht eher südfran­ zösische Meister als maßgebend an. Er betont das bereits von Lasko (wie Anm. 1) erwähnte Vorhan­ densein der Diamantquader im Schatz von Con­ ques zusammen mit den von Perlleisten gefaßten Inschriften an der sogenannten ›Laterne des Ab­ tes Bego‹, dem Reliquienbehälter des heiligen Vin­cent (um 1100) und dem Reliquiar Pippins II. von Aquitanien (um 1000) und schließt daraus auf eine Verbreitung dieser Motive im Umkreis der Abtei. Dabei ist das Vincent-Reliquiar nicht sicher zu datieren und wird sowohl Abt Bego I. um 880, als auch Abt Bego III. zwischen 1087 und 1106 zugeschrieben. Zur Datierungsproblematik Christof L. Diedrichs, Vom Glauben zum Sehen. Die Sichtbarkeit der Reliquie im Reliquiar, Berlin 2001, S. 50–55. 24 Generell findet sich der eingedrückte Dia­ mantquader als Flächenornament auch im spani­ schen Kontext, etwa als Ornament der Kreuzarme auf einer etwa 951 entstandenen Reliefplatte der bei León gelegenen asturischen Kirche von San Martín de Salas, oder als stilisiertes Mauerwerk auf einem Relief aus der Kirche von San Cebrián de Mazote in Valladolid, ebenfalls aus dem 10. Jahr­ hundert, und ist auf asturische Vorbilder zurück­ zuführen; vgl. Arbeiter – Noack-Haley (wie Anm. 22) S. 212f., Tafel 64; S. 276–281, Tafel 86. 25 Zur Wirkung der Hildesheimer Gold­ schmiedekunst auf das Leóneser Reliquiar von vor 1063: David M. Robb, The Capitals of the Pan­ teón de los Reyes, San Isidoro de León, in: The Art Bulletin 27, 1945, S. 165–174, hier S. 171f; Se­ rafín Moralejo Álvarez, ›Ars Sacra‹ et Sculpture Romane Monumentale: Le Trésor et le Chantier de Compostelle, in: Les Cahiers de Saint-Michel de Cuxa 11, 1980, S. 180–244, hier S. 199 (eher ab­ lehnend); Perrier (wie Anm. 23) S. 87ff.; John W. Williams, Tours and the Medieval Art of Spain, in: Florilegium in Honorem Carl Nordenfalk Octo­ genarii Contextum, hg. von Per Bjurström u. a., Stockholm 1987, S. 197–208, hier S. 205 (dort wei­ tere Literatur). 26 Thomas W. Lyman, Arts Somptuaires et Art Monumental: Bilance des Influences Auliques Pré-Romanes sur la Sculpture Romane dans le Sud-Ouest de la France et en Espagne, in: Cahiers de Saint-Michel de Cuxa 9, 1978, S. 115–127, hier

163 Das Reliquiar als Staatsform

S. 124; Millard F. Hearn, Romanesque Sculpture. The Revival of Monumental Stone Sculpture in the Eleventh and Twelfth Centuries, Oxford 1981, S. 80; John W. Williams, Cluny and Spain, in: Gesta 27, 1988, S. 93–101, hier S. 97f. 27 Entsprechend des von F. Müller-Reissmann und F. Seehausen auf dem Göttinger Kongreß 2004 vorgestellten Bauphasenmodells werden drei entscheidende Planungs- und Bauvarianten von San Isidoro als León I–III bezeichnet; vgl. Anm. 32. 28 Zu den Ähnlichkeiten mit San Salvador de Valdediós: Juan Eloy Díaz-Jiménez, San Isidoro de León, in: Boletín de la Sociedad Española de Excursiones 25, 1917, S. 81–98; Manuel GómezMoreno, El Arte Románico Español, Madrid 1934, S. 62; John W. Williams, San Isidoro in León: Evi­ dence of a New History, in: The Art Bulletin 5, 1973, S. 171–184, hier: S. 171ff. Zu San Salvador de Valdediós vgl. Sabine Noack-Haley – Achim Ar­ beiter, Asturische Königsbauten des 9. Jahrhun­ derts. Die Kirchen San Miguel de Liño, Santa Cristina de Lena, San Salvador de Valdediós und das Belvedere am Naranco in Aufnahmen und Untersuchungen des Deutschen Archäologischen Instituts Madrid (Madrider Beiträge 22), 2 Bde., Mainz 1994 und Arbeiter – Noack-Haley (wie Anm. 22). 29 Williams (wie Anm. 28) S. 172. 30 Williams geht von einem nachträglichen Anbau des Panteóns an eine bestehende Kirche aus und vermutet, daß sogar die von León I erhal­ tene Nord- und Südwand nachträglich umman­ telt worden seien. Williams (wie Anm. 28) S. 176f. 31 Gaillard publizierte 1938 die Zeichnung und Beschreibung des gegenüberliegenden Kapi­ tells, dessen Darstellung er als »Avarice et Luxure« deutete. Vor Ort konnte dies nicht ausreichend überprüft werden, da die Öffnung mittlerweile vermauert ist. Daher wird dieses Kapitell in den weiteren Ausführungen nicht näher berücksich­ tigt, vgl. Georges Gaillard, Les Débuts de la Sculp­ ture Romane Espagnole – León – Jaca – Compos­ telle, Paris 1938, S. 34 und Abb. 27. 32 Zu der Konsolfigur und dem Zusammen­ hang zwischen Panteón und León I vgl. Frank Seehausen, Baugeschichte als dynastisches Kon­ strukt. Die Bauphasen und ihre Interrelation mit der Kapitellskulptur von San Isidoro in León, in: Achim Arbeiter – Bettina Marten (Hgg.), Hispani­ ens Norden im 11. Jahrhundert. Christliche Kunst

im Umbruch (in Vorbereitung, erscheint voraus­ sichtlich 2006). 33 Zusammen mit den beiden Emporenkapi­ tellen ist die Konsole der einzige Teil der Bau­ skulptur, der sich in situ von León I erhalten hat. 34 Wahrscheinlich ist, daß auch die beiden im Zuge der Einwölbung der Seitenschiffe von San Isidoro versetzten Kapitelle aus der Panteón­ werkstatt der alten Fernandokirche stammen. Die beiden Gurtbogenkapitelle zwischen dem 5. und 6. Joch im nördlichen Seitenschiff wurden von Gail­ lard (wie Anm. 31) und Williams (wie Anm. 28) mit der Panteónwerkstatt in Verbindung ge­ bracht; ihr ursprünglicher Standort konnte bisher nicht lokalisiert werden. Da sie beide im Zuge der Einwölbung des nördlichen Seitenschiffes ver­ setzt wurden, war León I zu diesem Zeitpunkt bereits abgerissen. Wenn man die Kapitelle mit dem asturischen Bautypus von León I in Einklang bringt, kann man davon ausgehen, daß beide Ka­ pitelle den Bogen über der Hauptapsis von León I gestützt haben. Auch die beiden etwa 27 cm ho­ hen Gewändekapitelle im Lapidarium mit ihren Schlangen- und Löwen(?)motiven zeigen trotz starker Verwitterung eine deutliche ikonographi­ sche und stilistische Verwandtschaft zum Pan­ teón. Es ist möglich, daß es sich um Portal- oder Fensterkapitelle aus León I handelt, die nicht im Neubau von San Isidoro Verwendung fanden, weil zum Zeitpunkt des Abrisses von León I und vor dem Bau der Obergaden bereits alle Fensterund Gewändekapitelle in der unteren Zone von San Isidoro gebaut gewesen sind. 35 Die Konzeption eines zweigeschossigen herr­schaftlichen Westteils in asturischen Kirchen läßt sich in der mit León I vergleichbaren Kirche San Salvador de Valdediós, aber auch in anderen asturischen Königskirchen, etwa San Miguel de Lino oder Santa Cristina de Lena ablesen. Dazu grundlegend: Noack-Haley – Arbeiter, Asturi­ sche Königsbauten (wie Anm. 28). 36 Rose Walker, The Wall Paintings in the Pan­ te­ón de los Reyes at León: A Cycle of Intercession, in: The Art Bulletin 82, 2000, S. 200–225, hier S. 203. 37 Jerrylinn D. Dodds, Architecture and Ideo­ logy in Early Medieval Spain, University Park, 1990, S. 32. 38 Motiv Nr. V und Umzeichnung nach Astor­ ga Redondo (wie Anm. 7) S. 60, Fig. 17. 39 Zum Gesamtprogramm der Fresken siehe Walker (wie Anm. 36) S. 203. Zum Einfluß der

164 Horst Bredekamp / Frank Seehausen

Schriften Isidors von Sevilla auf einzelne Motive vgl. Manuel Antonio Castiñeiras González, Las Fuentes Antiguas en el Menologio Medieval His­ pano: La Pervivencia Literaria e Iconográfica de las Etimologías de Isidoro y del Calendario de Filócalo, in: Boletín del Museo Arqueológico Na­ cional 12, 1994, S. 77–100. Zur nach wie vor strit­ tigen Datierung ist anzumerken, daß angesichts eines Baubeginns des Neubaus von San Isidoro in den siebziger Jahren des 11. Jahrhunderts die Aus­ malung des Panteóns auf eine Zeitspanne zwi­ schen 1063 und 1072 datiert werden muß, da Be­ trachterlenkung und ikonographisches System der Ausmalung klar auf den ehemaligen Haupt­ eingang von León I bezogen sind und dieser Zu­ sammenhang mit dem Neubau der Kirche obsolet wurde. 40 Der vollständige Text der Inschriftentafel in: Inscriptiones Hispaniae Christianae, hg. von Ernst Willibald Emil Hübner, Hildesheim – New York 1975 (Reprint der Ausgaben von 1871 und 1900), Nr. 474, S. 109f. 41 Der vollständige Text des Sarkophags in: Walter Muir Whitehill, Spanish Romanesque Ar­ chitecture of the Eleventh Century, Oxford 1941, S. 146, Anm. 4. 42 Divus Augustus XXVIII, 3, in: Gaius Sueto­ nius Tranquillus, De vita Caesarum, hg. von Otto Wittstock (Schriften und Quellen der Alten Welt 39), Berlin 1993: Urbem neque pro maiestate imperii ornatam et inundationibus incendiisque obnoxiam excoluit adeo, ut iure sit gloriatus se relinquere, quam latericiam accepisset (Die Stadt Rom, die nicht der Würde des Reiches entsprechend ausgebaut war und unter Überschwemmungen und Feuers­ brünsten litt, hat er [Augustus] so sehr gefördert, daß er sich mit Recht rühmte, er hinterlasse die Stadt, die er als Lehmziegelstadt empfangen habe, als marmorne).

Williams (wie Anm. 13) S. 233. Massimo Bernabó, La Cacciata dal Paradiso e il Lavoro dei Progenitori in alcune Miniature Medievali, in: La Miniatura Italiana in Età Roma­ nica e Gotica. Atti del I Congresso di Storia della Miniatura Italiana. Cortona, hg. von Grazia Vailati Schoenburg Waldenburg, Florenz 1979, S. 269–281, hier S. 278ff. 45 Isidorus Hispalensis, Etymologiarum sive Originum Libri 20 XIX, 22. 6, hg. von Walter M. Lindsay, Bd. 2, Oxford 1971: Primum autem fuere pelliciae tunicae, quibus post offensam ei eiectionem de Paradiso Adam et Eva induti sunt. 46 Auch in der Kapitellskulptur des Panteóns und in der Ausmalung findet sich eine in vielen Punkten auf die Etymologiae Isidors von Sevilla zurückgehende Ikonographie. Zu den besonders hervorstechenden Schlangenmotiven in der Skulp­ tur San Isidoros: Stefan Trinks, Schlangenikono­ graphie zwischen León und Jaca – eine Zeichen­ lehre des Bösen nach Isidor von Sevilla, in: Arbei­ter – Marten (wie Anm. 32); zu den Ausmalungen Castiñeras González (wie Anm. 39). 47 Zahlreiche Beispiele in Jaca, Fromistá etc.; vgl. Horst Bredekamp – Stefan Trinks, Tücher des Todes und Tücher des Heils, in: Arbeiter – Mar­ ten, Hispaniens Norden (wie Anm. 32). 48 Serafín Moralejo Álvarez, Sobre la forma­ ción del estilo esculturico de Frómista y Jaca, in: Actas del XXIII Congreso Internacional de Histo­ ria del Arte, Granada 1973, Bd. 1, Granada 1976, S. 427–434. 49 Horst Bredekamp, Die nordspanische Hofs­ kulptur und die Freiheit der Bildhauer, in: Studi­ en zur Geschichte der europäischen Skulptur im 12./13. Jahrhundert, hg. von Herbert Beck – Ker­ stin Hengevoss-Dürkop, 2 Bde., Frankfurt am Main 1994, Bd. 1, S. 263–274. 43 44

Lisa Victoria Ciresi

Of Offerings and Kings: The Shrine of the Three Kings in Cologne and the Aachen Karlsschrein and Marienschrein in Coronation Ritual

Beginning in the late thirteenth century, after his coronation in Aachen,1 the newly crowned king journeyed to the Cologne cathedral and paid homage to his biblical forefathers, the Holy Three Kings whose remains were preserved in the magnificent Dreikönigenschrein, or Shrine of the Three Kings (fig. 1).2 As if to draw inspiration from the priestly and kingly attributes of Christ, the king prostrated and prayed before the exposed relics.3 After communing with the shrine, the king proceeded to the choir, and the Te Deum was sung on his be­ half.4 When the Dreikönigenschrein was completed in the 1220s a monumental chandelier symbol of the heavenly Jerusalem envisioned by John (Apc 21) was suspended over it, and offertory candles and 24 lamps encircled it. The precise location of the shrine at this time remains speculative; however, it was probably placed in the western end of the old cathedral until the spring of 1322, when it was translated to the head of the new choir behind the high altar.5 The thirteenth century also marked the completion of Aachen’s two principal shrines, the Karlsschrein and Marienschrein (figs. 2, 3) both of which were given places of honor in the chapel of St. Mary.6 In 1215 the relics of a recently sainted Charlemagne were translated into the Karlsschrein, which was sealed and installed in medio chori and sub corona, at the altar of All Saints in the middle of the octagon, and beneath the crown-shaped chandelier7 donated by Frederick I Barbarossa, until it was relocated to the Gothic choir in 1414.8 The Marienschrein was the last of the three great reliquaries to be completed, when in 1239 the tunic of the Virgin and relics of Christ and St. John the Baptist were translated into the new reliquary.9 Sealed and installed behind the mensa, the Marienschrein was the new primary focal point of the high-altar room, demarcating the site of the sacred coronation liturgy during which the kingelect swore his oath, was anointed, and ultimately invested with the royal insignia. In the pre-gothic Marian church in Aachen, the shrines defined not only the sacred cult-sites of the Virgin and St Charlemagne, but also symbolic points of meditation for the king during his coronation rituals. As the mystagogical devi­ ces for the newly-appointed king, the imagery on these multifaceted reliquaries

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1.  Dreikönigenschrein (Kölner Dom), front ca. 1200–1205

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2.  Karlsschrein; oblique view with Charlemagne side emphasized (Aachener Dom)

3.  Marienschrein; oblique view, Virgin, Christ in majesty (Aachener Dom)

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resonated with one another as they collaboratively reinforced and reaffirmed the sacred and royal nature of his ›God-given‹ appointment. In the present paper, I shall address the unique roles of the Cologne and Aachen shrines in the medieval coronation ritual, and further suggest how the programs on the Karlsschrein and Marienschrein share an iconographic theme related to the front of the Dreikönigenschrein. Although the royal pilgrimage to Cologne was a later, thirteenth-century tradition, there were earlier connections among the Cologne and Aachen shrines; stylistic comparisons and common workshop practices have been identified.10 As both a canonical masterpiece of gold­smi­ thing and a manifestation of the sacred cult of kingship invested by Christ, the Shrine of the Three Kings – as I propose – inspired a variety of interpretations for the programs on the two Aachen shrines. As a result, both the Karlsschrein and Marienschrein echoed a liturgical agenda analogous to that manifested on the front of the Dreikönigenschrein, but modified it to suit the unique needs of the Marian chapel as the official site of the coronation mass. Traditionally, the front of the Dreikönigenschrein is interpreted as a threepart Epiphany of Christ: the Adoration, the Baptism, and the Second Coming.11 Elsewhere, I have explained the same imagery on two levels: within its litur­ gical setting as a liturgical object, and as an instrument of pro-imperial political propaganda that places Otto IV (the fourth king in the adoration scene) at the center of an eschatological conception of World Empire.12 In so doing, I have proposed that at the heart of the Epiphany program lies a pictorial agenda that derives in part from the liturgical rite of gift-giving; a significant and symbolic gesture that helped to validate the king’s new appointment as he offered him­ self to Christ to be anointed and to receive the royal insignia. As we shall see, a similar theme of gift-giving was also woven into the multi-layered symbolism on both the Karlsschrein and Marienschrein, thus underscoring its significance in the cult of sacred kingship. Various sources reveal that the Aquensian coronation festivities were indeed elaborate and extensive; revolving around the mass, the Eucharistic celebration that liturgically validated the transference of power conferred by Christ to the king-elect, after the candidate humbly offered himself to God the Father to reign over Christ’s earthly kingdom. In my opinion, the concept of royal gift-giving, or offering to the Virgin and Christ, was one of the key icono­ graphies manifested in all three shrines, and further manipulated to validate claims to a sacred kingship as the imagery was transformed into agents of religious experience during the king’s coronation rites.13 By the early fifteenth century, additional reliquaries were joining the Aquen­ sian coronation ceremonies, for example, the fourteenth-century reliquary bust of St Charlemagne.14 Sources record how the sainted emperor ›personally gree­ ted‹ his successor as the new king-elect entered Aachen through the Cologne gate.15 In this paper, however, I am concerned with the rituals performed primarily in the Marian chapel between 1239 and 1414 – after the Marienschrein was completed, but before the Gothic choir was consecrated.

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4.  Drawing of the Carolingian chapel

Appended to a twelfth-century manuscript of diplomas issued under Frederick I and now in the British Library is a fourteenth-century passage on the reception of the king-elect in Aachen.16 According to this source, on the eve of his coronation mass, the king was accompanied by the bishop and abbot of Kornelimünster up to the Wolf’s Door of the chapel, where he was received by the dean and senior canon of the chapter, who then led him to the Altar of St. Charlemagne in the middle of the choir (fig. 4). Beneath the Barbarossa chan­ delier, the king would fall prostrate and lie upon the silk cloth and cushions that were placed in front of the altar until the choir finished singing the Te Deum. As the choir sang, the king meditated upon the plea for divine guidance in the presence of St Charlemagne, whose relics were preserved in the Karls­ schrein – the visible manifestation that justified the king’s claim to the throne; a declaration reinforced in the inscription on the base of the shrine: ›And succeeding kings and heirs to the realm should be appointed in this place (sedes), and those appointed by right should then attain the imperial majesty in Rome.‹17 The plea for divine guidance of the king is echoed in the same inscrip­ tion, ›Let the condition of the law rise again [in Aachen], let injustice be judged, and justice be restored‹; presumably through the new king. I shall return again to the significance of the Karlsschrein at the end of this paper. After the choir finished singing the Te Deum, the king stood up and procee­ ded from the Altar of St Charlemagne to the high Marian altar where he placed an offering to the Virgin and Child. As mentioned, the focal point of the altar

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was the Marienschrein. The same source reveals that during the mass, a seat of honor for the king was placed near the altar dedicated to St Peter18 – a juxta­ position intended to symbolize the transference of Law through St Peter, Christ’ s first recipient, – to his heir, the king-elect.19 According to the Aquensian Coronation Ordo of 1273, during the Eucharistic offertory of the mass, which borrowed its formulary from the Feast of Epiphany,20 the king (with a scepter in hand) would make another offering, followed by that of his queen;21 again both offerings were presented at the high Marian altar and in front of the Marien­schrein. One of the main figure groups on the Marienschrein is the Virgin with the Christ Child seated on her lap. As the Queen of Heaven, Apocalyptic Woman, and the Throne of Wisdom, the little golden cult-image of the Virgin and Child – as I propose – is transformed into the recipient half of the king’s offertory processions. Projecting from the shrine and with outstretched hand and open palm, the Virgin supports an orb (fig. 5), which I believe she and the Christ Child offered to the approaching king in exchange for the gifts he was about to place at the altar. This may be read also as a prefiguration of the kingship Christ will imminently confer upon the king-elect; a title which, since the time of Otto I, was granted and validated at the same Marian altar. The interpretation is rein­ forced by the kingly appearance of the Christ Child, who with one hand gestu­ res a sign of benediction, and with the other opens his palm as if anticipating an offering. In his doctoral thesis, Adam Cohen has pointed out that ›only in ima­ ges of the adoration of the Magi does Mary extend her arm forward, often with outward turned palm.‹22 Additionally, Ilene Forsyth has shown that cult images of the Virgin and Child – similar to the type on the shrine – served also as the focus of Epiphany plays and processions.23 These conclusions reinforce my reading of the Virgin and Child on the Marienschrein as anticipating or respon­ ding to something beyond, for example, a royal offertory procession. The com­ po­sitional device of a figure group extending or interacting beyond its frame has a precedent in analogous images in manuscript illumination and metal work. For example, the Book of Pericopes of Henry II includes a double-page spread of the adoration of the Magi.24 Fol. 18r (fig. 6) shows the Virgin and Child in semi-profile beneath an architectural frame as they gesture in anticipation of the imminent arrival of the Magi, who are depicted on fol. 17v. An example in metalwork includes the enthroned Virgin and Child on the bronze doors in St Michael’s, Hildesheim.25 Emphatically projecting from the background, the Virgin cranes her neck as she and the Child gaze towards the kings who, wal­ king in procession, occupy their own architectural canopies. Closer to home and perhaps more significant for the Marienschrein is the Virgin and Child group on the Dreikönigenschrein.26 Enthroned and with outstretched hand and open palm, the Mother and Child respond to the royal trio as they gesture beyond their frame and welcome their adorers, the Holy Three Kings and Otto IV. As suggested above, the adoration scene on the Dreikönigenschrein may also have liturgical significance for Otto IV, commemorating his offertory

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5.  Marienschrein, detail: Virgin and Child in profile

procession to the Virgin and Christ Child during his own coronation ceremony. The analogous image of the Virgin and Child on the Marienschrein concords also with the liturgical rite; however, I believe it was modified not only to heighten the drama of the metaphysical mystery, but also to function universally in a wider range of liturgies. I shall return to this interpretation in the following pages. In the earlier examples (Pericopes of Henry II; bronze doors at Hildesheim) the emphasis upon gesture is already apparent as it helped to magnify the drama of the ›captured‹ liturgical event. As mentioned, the coronation mass borrowed its formulary from the Epiphany feast. Thus the association of the king as the new or modern magus was firmly established in the liturgy, and the significance of his gift-giving symbolized his offerings to the chapel and, by extension, to the Virgin and Child who were also present at the high Marian altar. In addition to the Virgin’s tunic, the Marienschrein preserved also the swaddling cloth of the Christ Child. Therefore, both the Virgin and Christ

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6.  Book of Pericopes of Henry II, Virgin and Child enthroned (Munich, Bayer. Staatsbibliothek), early eleventh century

Child were perceived as ›present‹ and participating in the sacred ceremony as the little golden cult-image of the Virgin and Child on the shrine was transformed into their »visual proof of presence.«27 To understand more fully how the shrine and its imagery were transformed into the active participants or »agents of religious experience,« as Hans Belting phrased it,28 I shall outline briefly the theology of liturgical gift-giving. The act of gift-giving in coronation ritual – and the Eucharistic liturgy overall – is rooted in the legend of the Magi who recognized the birth of the Messiah and offered him gifts of gold, frankincense and myrrh.29 The liturgical presentation of gifts became an integral and symbolic gesture embellished with sacred text, which, when performed, crescendoed as it prepared the way to the preface and canon of the mass – the Eucharistic sacrifice.30 The prayers recited before and during the Eucharistic offertory make clear that the ›gifts‹ being offered are ›no

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longer gold, nor frankincense nor myrrh, but He who is proclaimed the sacrifice.‹31 The liturgy thus explicitly states that the historical oblations are merely symbolic of the ultimate offering, the bread and wine which will be transubstantiated into the corpus Christi. The liturgical performance of gift-giving must be understood as a dialogue of speech, chant and gesture, which opens the gateway to the cosmic realm and allows the temporal world to embark upon its processional journey into sacred time and space; where the infinite intersects with the finite and the two realms momentarily co-exist.32 The perpetually occurring Christological events are thus joined to a ›here and now‹ event when the proper ritual is performed within the context of a Eucharistic celebration. The liturgical presentation of gifts, specifically within the context of the coronation mass, was a symbolic gesture intended to commingle with the sacred, Christological event, the Holy Three Kings adoring the Christ Child. The deliberate use of the Epiphany propers further reinforced this association. The king’s offertory was therefore perceived as commingling with its cosmic counterpart, the adoration of the Magi, and the two events momentarily co-existed. I believe this metaphysical mystery is best captured in the multi-layered iconography on the front of the Dreikönigenschrein. Otto IV’s presence among the Magi in the adoration scene should not be considered anachronistic; but rather as representing a confluence of events: the cosmic adoration of the Magi with the historical – Otto’s coronation offertory procession. While the pictorial syntax on the Dreikönigenschrein captured a specific moment with Otto IV, the analogous imagery on the Marienschrein offered a modified version of a similar iconographic theme that could function more universally. In other words, the Marienschrein does not depict an indivi­ dual king’s coronation procession; rather the Virgin and Child on the shrine were transformed into the active agents of religious experience for all liturgy celebrated near the shrine,33 and were the recipients of each king who presented himself and his gifts to the Virgin and Christ in the context of his coronation ritual. Additionally, the Virgin on the Marienschrein served also as the media­ trix through whom the king would ultimately offer himself to Christ in majesty for the final oath and anointing. The Virgin as intercessor is recorded in the inscription framing her figure, reminding the supplicant that it is through the Virgin’s prayers that Christ guides and protects.34 The Virgin is turned slightly to her left. This compositional device may underscore her role as intercessor, as she redirects her gaze towards the narrow end of the shrine where Christ in majesty is shown. The figure of Christ in majesty is surrounded by inscriptions that emphasize his majestic role as both the king of kings and absolute judge.35 At the Marian altar, Christ’s presence was defined not only by the swaddling cloth, but also by the crucifixion loincloth – also preserved in the Marienschrein – and by the Eucharist itself.36 This unique combination of relics rendered Christ present as the Christ Child, the crucified, and as the triumphal Christ (in the Host).

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According to the Aquensian Coronation Ordo of 1273, the king was required to place two fingers of his right hand on the altar table as he spoke his final oath, promising to be Christ’s divine aid and imploring Christ’s guidance to govern justly the Law of the Church.37 (This reveals also the king’s close proximity to the shrine – literally an arm’s length away.) After the oath, the king was anointed and prayers were recited to prepare for the conferral of the royal insignia, which according to the same ordo were located at the left side of the altar.38 Although performed by the archbishops, the conferral of insignia was symbolically through Christ; the bishops acted merely as instruments. On the shrine, Christ raises both arms: in his left hand he holds the orb; with his right he extends two fingers in benediction; a symbolic gesture perhaps intended to accept and bless the new king. Once again, an image on the Marienschrein served as the visual proof of a metaphysical presence: the image of Christ in majesty was transformed into Christ the majestic judge who would approve of the king’s humble offering of himself and his promises, and ultimately anoint and confer the insignia upon his new appointee, the Roman-German king, as implied by both the gesture of benediction and the orb held in his left hand. Like the image of the Virgin and Child, that of Christ in majesty heightened the dynamic of experience for the king, providing a mystagogical medium for him during the liturgical celebration of his kingship. After the conferral of insignia, the king was lead back to the altar table where he placed his hand on the mensa and recited a professio repeating his promises. After the professio, he was escorted to the imperial throne – itself a reliquary – and a responsory was sung. If the queen was present, her benediction, anointment, and crowning followed, after which she was seated at the left side of the king and the Te Deum was recited a second time.39 This was followed by the gospel, the credo and the Eucharistic offertory, the latter during which the king, with scepter in hand, approached the Marian altar once again and placed his offerings as the Reges Tharsis was sung.40 Although unique in Aquensian coronation liturgy, the images of the Virgin and Child, and Christ in majesty on the Marienschrein were influenced perhaps by analogous imagery embedded in the iconographic program of the Drei­köni­ genschrein – itself inspired by coronation ritual. Led by the Three Kings, Otto IV presents his offering to the Virgin and Child, who await the gifts of their adorers. Most scholars agree that Otto’s depiction accounted for his role as donor of both the crowns he presented to the Magi, and of the precious ma­ terials used to complete the front of the shrine around 1200/05. As the ›king without a crown or mantle,‹ Otto has received much attention.41 I have sugges­ ted that his ›humble‹ appearance had a liturgical significance and validated his own coronation rites, including his offerings to the Virgin and Child, and to Christ in majesty. In 1198, Otto was crowned king in Aachen on the feast day of Nabor and Felix (July 12), whose remains are also preserved in the Dreikönigen­ schrein. Perhaps this was another attempt to strengthen Otto’s association with the shrine and its relic-cults.42

175 Of Offerings and Kings

In any case, the significance of Otto’s peculiar lack of insignia on the shrine may be best elucidated after considering the eye-witness accounts of several different coronation ceremonies, as well as the various ordines. According to a description of Otto I’s Aquensian coronation – earlier (936) but nevertheless revealing – ›The king was dressed according to Frankish custom in a narrow-bodied tunic and led by the archbishop to the altar upon which the kingly insignia laid, namely the sword with sword-belt, the mantle with ermine, the staff, the scepter, and the crown.‹43

According to the Aquensian Coronation Ordo of 1273, prior to taking his oath, the king divested himself of his royal cloak, and was led by the archbishops to the altar where he fell prostrate with outstretched arms.44 An eye-witness account of Maximilian’s Aquensian coronation in 1486 reveals that ›after the sequence the archbishops [of Mainz and Trier stood up,] relieved the king of his outer garments, and led him in his golden tunic to the altar [where] he lay down with outstretched body.‹45 The Aquensian accounts outlined above con­ sistently describe the king dressed in a tunic after having divested himself of his royal mantle. According to the twelfth-century Staufen Imperial Coronation Ordo D, ›after the recitation of the gospel, the king would divest himself of his mantle and crown and make his offering with as much gold as would be pleasing to him.‹46 Similarly, the contemporaneous Imperial Ordo Cencius II also required the king to set down his crown and sword before approaching the altar.47 The gesture of divesting oneself of royal insignia before approaching the high altar was a symbolic renunciation of authority in the face of the Almighty; a stipulation that may shed light on Otto IV’s appearance on the Dreikönigen­ schrein. Combined with the ordines, the eye-witness accounts mentioned above further elucidate Otto’s unusual appearance, as they strengthen the connections to coronation liturgy, specifically Otto’s procession to the high altar. Otto’s inclusion in the adoration scene may therefore symbolize his offerings of gold, as well as his humbled self – as promised in his vows – to be judged by God the Father who sits at the ›altar on high.‹ In the top register and above the adoration procession on the Dreikönigen­ schrein Christ is shown as the absolute judge, a reading reinforced in the accompanying inscription.48 Elsewhere I have interpreted this image as the final stage of a Eucharistic sacrifice when God the Father accepts and approves the gifts offered from below as worthy of the ultimate sacrifice.49 The two angels beside Christ hold chalice, paten, and diadem. I have identified these angels as ›messengers‹ of God the Father, the intercessors who offer, in the words of the mass, »the cup of eternal salvation and the bread of everlasting life,« symbo­ lized by the chalice and paten on the shrine.50 These sacrifices not only agree with the liturgical text; they also correspond to the culmination of the offertory procession below.

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According to Hoster’s reconstruction of the removable trapezoid as it appeared around 1205, angels supported, elevated, and exposed in liturgical fashion the gemstones that were donated to the shrine.51 I have likened this imagery to the Supplices te rogamus, the liturgical passage of the canon that beseeches the Almighty to command the offerings to be brought by the hands of his holy angel up to the altar on high, into the sight of the divine majesty, represented by the image of Christ in judgment on the Dreikönigenschrein. The partially veiled hands of the angelic messengers who stand beside Christ are offering the chalice and paten, the gifts presented symbolically from the kings below, raised by the angels on the trapezoid, and now presented to Christ. Additionally, the offerings from below include the vows and promises of Otto IV who humbly prepares himself to be judged by Christ as worthy to receive the anointing and insignia, specifically the crown of the kingdom, which I believe is symbolized by the diadem held by the angel to Christ’s left. Otto IV’s presence among the Magi underscored his liturgical role during his own coronation mass and therefore validated and proclaimed his right to the throne, while further strengthening his claim to the imperial title vis-à-vis his rival, Philip of Swabia, who also was claiming the same rights. Interestingly enough, Philip had himself crowned twice: first in Mainz, on the Feast of the Nativity of the Virgin, September 8, 1198; and then in Aachen at the Marian altar on the Feast of the Epiphany, January 6, 1205. No doubt the second cere­ mony was carefully calculated to strengthen Philip’s association with the Holy Three Kings (the Epiphany propers were used) and the Aquensian rites were meant to liturgically validate his claims to the throne as if to trump Otto’s.52 In my reading, the front of the Dreikönigenschrein represents a confluence of several events: the three Epiphanies of Christ, and a reflection of the liturgical rites that validated and proclaimed Otto IV’s kingship, beginning with his offerings to the Virgin and Child, and culminating in Christ’s judgment. Perhaps Philip’s 1205 Aquensian coronation was in direct response to the completion of the front of the Dreikönigenschrein, where Otto’s kingship was not only indelibly depicted, but also auspiciously woven into the cult of the Magi and, by extension, into the cult of a sacred kingship conferred by Christ. I believe the liturgical imagery and its proclamations of kingship embedded in the program had a tremendous impact on the Aachen shrines, inspiring a variety of interpre­ tations. I have already discussed the extent with regard to the Marienschrein, and now I would like to return to the Karlsschrein. While the front of the Dreikönigenschrein was being completed in Cologne, plans for the Karlsschrein were well under way in Aachen. The function of the Karlsschrein as a repository for the sainted remains of Charlemagne is clear: the pictorial narrative cycle on the roof outlines the legendary deeds that justified his sainthood.53 On one narrow end is a hieratic image of Charlemagne enthro­ ned. Above in a roundel the Pantocrator extends his right hand in a gesture of benediction over the head of Charlemagne, as if conferring both the imperial title and his sainthood. The inscription around the gable reinforces Charle­

177 Of Offerings and Kings

7.  Karlsschrein, detail: Dedication

magne’s position as Christ’s co-ruler on earth.54 To Charlemagne’s left and right are diminutive church officials: Leo III – the pope who crowned Charlemagne emperor in Rome in 800 – and Bishop Turpin of Reims, alleged author of the twelfth-century vita Karoli.55 On the Karlsschrein, Charlemagne sits half-way between heaven and earth; an arrangement analogous to the imperial throne in the gallery of the chapel. The earthly domain is defined by the church officials; the celestial by the Pantocrator. Charlemagne is seated on his throne, symbolically between the two realms. Perhaps the most unusual feature on the Karlsschrein is the representation of sixteen rulers enthroned.56 Once interpreted as a genealogy of kings com­ prising a sacred empire,57 the same program commemorated also a succession of rulers who, in the tradition of their sainted forefather, were significant donors and benefactors of the Marian church,58 or in its theological sense, made offerings to the Virgin Mary and Christ. The theme of gift-giving to the Virgin and Christ Child is reinforced also in the dedication roof relief (fig. 7). Charle­ magne is shown offering a model of the Marian chapel to the Virgin and Child. Interestingly enough and certainly no coincidence, the dedication scene is positioned at the narrow end of the shrine reserved for the iconic images of the Virgin and Child (fig. 8). On the narrow end of the Karlsschrein opposite Charlemagne enthroned, the Virgin and Christ Child are shown. The three theological virtues are depicted above in roundels. Beside the Virgin and Child the archangels Gabriel

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and Raphael stand guard. An inscription on the gable identifies the Virgin as the stella maris and reads, ›Mary, Star of the Sea, who alone earned to give birth to God and remained Virgin, reconcile us through your intercession with the one to whom this one has given birth.‹59 Additionally, the inscription in the arch above the Virgin refers to her as the Mother of Mercy, a reminder that through her divine mercy and virtues, which are personified above in roundels, she intercedes for the supplicant.60 The image of Charlemagne on the narrow end of the Karlsschrein must be understood in connection with the figures of the Virgin and Child (on the opposite end of the shrine) – the recipients of his dedication. If the two narrow ends of the Karlsschrein are ›turned around,‹ the figure of Charlemagne enth­ro­ ned faces the images of the Virgin and Child enthroned, who await him on the opposite end, a heavenly realm that could be likened to the high altar itself. This interpretation is reinforced by the hierarchy of heavenly hosts who accom­ pany the Virgin and Child on the shrine, and I believe Charlemagne’s dedica­ tion – his offering of the chapel to the Virgin – is to be understood in terms of this alignment.61 The axial relationship between Charlemagne and the Virgin and Child on the Karlsschrein echoes the spatial relationships in the interior space of the octagon. To the west and aligned along the same axis as the high Marian altar (in the east) are the imperial throne in the gallery and the cult-site of Charlemagne in the middle of the octagon and beneath the Barba­rossa chan­ delier. As mentioned, the image of Charlemagne on the Karlsschrein symbo­ lized Charlemagne’s enthronement on the imperial throne in the gallery, and from this position, Charlemagne faced east towards the high Marian altar, which, as mentioned, could be symbolized by the Virgin side of the Karlsschrein. On the Karlsschrein the Virgin is invoked as the stella maris, the guiding star of the sea. Crowning the gable above the image of the Virgin and Child is an antique rock-crystal of extraordinary quality.62 In addition to symbolizing the purity of the Virgin, I believe the rock-crystal was understood also as the ›guiding star of Bethlehem,‹ and the light of this star as Christ who led the Magi to the new-born king.63 As mentioned at the beginning of this paper, on the eve of his coronation, the king prostrated himself in front of the Karlsschrein and silently prayed while the Te Deum was sung. Immediately afterwards, he pro­ cee­ded to the Marian altar and offered gifts to the Virgin and Child. In the context of this coronation liturgy, the ›light of the star‹ on the Karlsschrein sym­ bolically guided the king, the ›new magus,‹ to present his gifts to the Virgin and Child, and to pray for the Virgin’s intercession to purify him – as indicated by the inscription on the Karlsschrein – to receive his sacred assignment. The ritual was completed and validated once the king was seated for the first time on the imperial throne – freshly anointed and invested with the royal insignia. Read in this way, the iconographic program on the two narrow ends of the Karlsschrein symbolizes also the completion of a sacred and royal ritual that included the liturgical act of gift-giving to the Virgin; it is the same theme of gift-giving that unifies the rulers represented on the lateral sides, and that also

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8.  Karlsschrein, detail: Virgin and Child

dominates the dedica­tion relief.64 In such a program, each benefactor immor­ta­ lized on the shrine is incorporated into the larger iconographic concept of giftgiving, and their dona­tions to the Virgin’s chapel are likewise commemorated. Perhaps the represen­tation of forefathers renowned for their charity was intended to encourage the new ›magi‹ to make equally munificent offerings to the Virgin’s chapel in Aachen. With the theories outlined above, I have begun to explore the extent to which the coronation liturgy was consciously woven into the multilayered program of the Cologne Dreikönigenschrein, and the subsequent impact of its iconographic program on the Aachen Karlsschrein and Marienschrein, two primary focal points of the Aquensian coronation ritual. Commemorated first in Otto IV’s adoration procession on the Shrine of the Three Kings, the liturgical gesture of gift-giving to the Virgin and Child in the context of coronation ritual became a significant theme manifested anew in the Karlsschrein: apparently for a king to have earned his place on the Karlsschrein, he had to have made a

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significant offering to the Virgin’s chapel. Similarly, the same liturgical gesture was dramatically reinvented on the Marienschrein, the great Marian reliquary that demarcated the sacred site where the king presented his gifts to the Virgin and Child. Examined against its theological background, the liturgical rites comprising the coronation ritual created a unique experience for the king, validating and proclaiming his new sacred and God-given assignment. The liturgy enabled the king’s coronation rites to commingle with their cosmic counterparts, and the gifts offered by the king to the Virgin and Christ were understood in the guise of donations to the Marian chapel, as well as in the humble offering of himself to the Almighty to be judged worthy to receive the tangible signs of his assignment – the royal insignia. The imagery on the shrines served as an active agent of religious experience to enhance the drama of the sacred ceremony. When the later, thirteenth-century royal pilgrimage to venerate the Holy Three Kings in the Cologne cathedral joined the Aquensian cycle of coronation, the ritual once again reinforced the king’s claim to a sacred kingship conferred by Christ. The manipulation and exploitation of liturgical agendas for selfaggrandizement – as demonstrated with Otto IV – and their subsequent mani­ festation in liturgical instruments for political gains were not unusual practices in the Middle Ages. I hope my theories outlined above have helped to elucidate the significance of the complex iconographies and imagery embedded in the programs of the Cologne and Aachen shrines. I also hope to have demonstrated the crucial need to consider more thoroughly the extent to which liturgical agendas where deliberately manipulated in the pictorial syntaxes of vessels that were transformed into active agents during the liturgical performance.

1 Beginning in 936 with Otto I, the Ma­rian altar in St. Mary’s, Aachen, was desig­nated as the official site of the coro­nation mass of the RomanGerman king; the last to be crowned there was Ferdinand I in 1531. There were, however, a few exceptions to this Aquensian tradition: Heinrich Pleticha, Des Reiches Glanz. Die Reichskleinodi­ en und ihre Geschichte, Freiburg 1989, p. 238. It should also be noted that in the chapel on Sep­tem­ ber 11, 813, Charlemagne crowned his son Louis the Pious co-emperor. Si­mi­larly, Louis had his son Lothar I crowned in 817. 2 On the Shrine of the Three Kings: Ornamenta Ecclesiae [exhibition catalogue], ed. by Anton Leg­ ner, Köln 1985, vol. 2, pp. 216–224; Rolf Lauer, Der Kölner Dreikönigenschrein, in: Michael Gosmann (ed.), Zu­flucht zwischen Zeiten. Kölner Dom­ schätze in Arnsberg, Arnsberg 1994, pp. 179–184; Walter Schulten, Der Schrein der Heiligen Drei

Könige im Kölner Dom, Köln 1975, and most re­ cently Erika Zwierlein-Diehl, Die Gemmen und Kameen des Dreikönigenschreines (Die großen Reliquienschreine des Mittelalters 1), Köln 1998; Ead., Interpretatio christiana: Gems on the Shrine of the Three Kings in Cologne, in: Clifford Mal­ colm Brown (ed.), Engraved Gems: Survivals and Revivals (Studies in the History of Art 54), Wash­ ington, D.C. 1997, pp. 62–83. 3 For example, Henry IV and Margareta ado­ ring the Holy Three Kings in the Drei­köni­gen­ schrein in the year 1309. Koblenz, Landes­haupt­ archiv, Hs. I C, no. 1, fol. 5a; Trier, ca. 1340. 4 Hugo Stehkämper, Könige und Heilige Drei Könige, in: Rainer Budde (ed.), Die Heiligen Drei Könige. Darstellung und Verehrung, Köln 1982, pp. 37–50, at p. 41. The tradition of performing the Te Deum in honor of the new king continued into the sixteenth century on the occasion of Fer­di­

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nand I’s visit to Cologne cathedral after his coro­ nation in Aachen in 1531. According to the rele­ vant account, Ferdinand was enth­roned directly in front of the Holy Three Kings (in their shrine) while the Te Deum was performed, and he sym­ bolically metamorphosed into an image of the prototypical Christian king; Harald Kümmerling, Te deum laudamus. Der Lobgesang vor Gottes und des römischen Königs Thron im Kölner Dom am 5. Januar 1531, in: Budde (as above in this note) pp. 51f. 5 In 1164 the relics were most probably kept in the middle of the nave of the old ca­thedral, and a new altar was erected ante reges; however, the exact location of the re­lics and their altar are not known, nor is the ap­pe­arance of the original con­ tai­ner for these relics: Jakob Torsy, Achthundert Jahre Verehrung der Heiligen Drei Könige in Köln 1164–1964, in: Kölner Domblatt 23, 1964, pp. 15– 129, at p. 17 and note 19. For the trans­lation of the relics into the Dreikönigenschrein, see Heinrich Joseph Floss, Drei­kö­nigenbuch, Köln 1864, pp. 120f. The chan­delier was destroyed by a fire in 1248: Walter Schulten, Der Ort der Verehrung der Heiligen Drei Könige, in: Budde (as in note 4) p. 61. 6 On the Karlsschrein: Florentine Mütherich (ed.), Der Schrein Karls des Großen. Bestand und Sicherung 1982–1988, Aachen 1998; Hans Mülle­ jans (ed.), Karl der Große und sein Schrein in Aachen. Eine Festschrift, Aachen 1988. For the most recent literature on the Marienschrein, see Jürgen Fitschen, Die Goldschmiedeplastik des Marienschreins im Aachener Dom. Eine stilge­ schichtliche Untersuchung (Europäische Hoch­ schul­­schriften 27/312), Frankfurt am Main 1998; Dieter P. J. Wynands (ed.), Der Aache­ner Marien­ schrein. Eine Festschrift, Aachen 2000, and Ernst Günther Grimme, Der Karls­schrein und der Ma­ rienschrein im Aachener Dom, Aachen 2002. 7 On the chandelier, see Georg Minken­berg, Der Barbarossaleuchter im Dom zu Aachen, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 96, 1989, pp. 69–102. On the relief plates, see Bernd Andermahr, Zwi­schen Himmel und Erde. Die Bo­den­platten des Barbarossa-Leuchters im Aache­ ner Dom. Ein Beitrag zur staufischen Gold­schmie­ dekunst im Rhein-Maas-Gebiet (PhD thesis, Aachen 1994); Herta Lepie – Lothar Schmitt, Der Barbarossaleuchter im Dom zu Aachen, Aachen 1998; Clemens Bayer, Die beiden großen Inschrif­ ten des Barbarossa-Leuch­ters, in: Id. – Theo Jülich

– Manfred Kuhl (eds.), Celica Ihervsalem. FS Erich Stephany, Köln-Siegburg 1986, pp. 213– 240. 8 Reineri Annales S. Iacobi Leodiensi, ed. by Georg Heinrich Pertz (MGH SS 16), Han­no­ver 1859, p. 673; also reproduced in Walter Kaem­ merer (ed.), Aachener Quellentexte. Ver­öffent­li­ chun­gen des Stadtarchivs Aachen 1, 1980, pp. 126– 129. For the consecration of the Gothic choir in 1414, the Karlsschrein was moved from the octagon and attached to the altar of SS. Peter and Paul in the choir’s easternmost end. 9 The present Marienschrein replaced an earlier and possibly Carolingian reliquary that was most probably kept in the altar room. For a list of the relics translated into the new Ma­rien­ schrein, see Erich Meuthen (ed.), Aachener Urkun­ den 1101–1250 (Publikationen der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde 58), Bonn 1972, no. 124. Ac­cording to the report, the ›old‹ Marien­ schrein ›which had not been opened since the days of Charlemagne‹ was ›adorned only with a very poor decoration of gold, silver and precious stones‹ and was opened and its relics removed. For one year the relics were exposed for venera­ tion prior to their translation to the new Marien­ schrein in 1239. A short time later, a decision was made that the Marienschrein would preserve only its four ›Great Relics‹ – the shift of the Vir­ gin, the swaddling cloth of the Christ Child, the crucifixion loincloth of Christ, and the de­collation cloth, or cloth that preserved the decapitated head of St. John the Baptist. Herta Lepie, Die Aachen­ fahrt, in: Dieter Pesch (ed.), Wallfahrt im Rhein­ land, Köln 1981, pp. 79–84, and Ead., Der Aache­ ner Marienschrein, in: Rheinische Heimatpflege 24, 1987, p. 193, had proposed that the addition of the little door on the wooden core behind the figure of the Virgin was made sometime after the 1239 translation; the exact date is unclear. Begin­ ning in 1349 and every seven years since, the Marien­schrein has been opened and its relics expo­sed in a ceremony known as the ›Hei­lig­tums­ fahrt.‹ Dieter P. J. Wynands, Die Aache­ner Heilig­ tumsfahrt. Kontinuität und Wandel eines mittelal­ terlichen Reliquien­festes, Siegburg 1996; Heinrich Schiffers, Karls des Großen Reliquienschatz und die Anfänge der Aachenfahrt (Veröffentlichungen des Bischöflichen Diözesanarchivs Aachen 10), Aachen 1951.

182 Lisa Victoria Ciresi 10 Work on the Dreikönigenschrein began some­time after 1181, and was completed by the 1220s. Renate Kroos, Zur Datie­rung des Drei­kö­ nigenschreins, in: Kunst­chronik 38, 1985, pp. 290– 298, at pp. 296ff., places it slightly earlier to 1210 with minor additions until 1220 such as the hunt frieze. The Karls­schrein may have begun as early as 1182 and was completed by 1215; around this time plans for the Marienschrein had begun, and the shrine was completed by 1238. Sty­listic con­ nections among all three shrines have been noted, for example, the general form of the rulers shown on the lateral walls of the Karlsschrein have been linked to the earliest figures on the Dreikö­nigen­ schrein, see Hermann Schnitzler, Die Goldschmie­ deplastik der Aachener Schreinswerkstatt. Beiträ­ ge zur Entwicklung der Goldschmiedekunst des Rhein-Maasgebietes in der romanischen Zeit, Bonn 1934, pp. 80–88. Similarities between the Marien­schrein and the Dreikönigenschrein have also been noted. Franz Bock, Karls des Grossen Pfalzkapelle und ihre Kunstschät­ze. Kunstge­ schichtliche Beschreibung des karolingischen Oktogons zu Aachen, 1/1, Köln 1866, p. 141, suggested that the master of the Marienschrein belonged to the Rhenish confraternity of gold­ smiths, and he further emphasized the rela­tion­ ship between the Aachen work and the Drei­kö­ nigenschrein’s apostles and prophets. The back of the Dreikönigenschrein, completed ca. 1220/30, is believed to have been executed by the same master goldsmith who worked on the Marien­ schrein. Recently, Fitschen (as in note 6) pp. 214– 239, has reexamined addi­tional stylistic connec­ tions between the fi­gure style on the Marien­schrein and that of the Dreikönigenschrein. Furthermore, orna­mental details shared by both the Aachen and Cologne workshop have been tied to the workshop of Nicolas of Verdun. This is best demonstrated by the use of the same floral stamp impressions, see Walter Schulten, Stempelver­ wendung in der Goldschmie­dewerkstatt des Ni­ kolaus von Verdun, in: Rhein und Maas. Kunst und Kultur 800–1400 [exhibition catalogue], ed. by Anton Legner, Köln 1973, vol. 2, pp. 318f. 11 Joseph Braun, Die Ikonographie des Drei­ königenschreins, in: Kunstwissen­schaftliches Jahr­ buch der Görresgesellschaft 1, 1928, pp. 29–39, at pp. 34f. 12 Lisa Victoria Ciresi, A Liturgical Rea­ding of the Cologne Shrine of the Three Kings, in: Colum

Hourihane (ed.), Objects, Images, and the Word: Art in the Service of the Liturgy, Princeton 2003, pp. 202–230. 13 Although this paper is concerned primarily with the role of the shrines in the coronation ritu­ al, it must be noted that the same iconographic programs served also to promote the status of the churches and chap­ters who possessed the shrines. 14 Illustrated in: Ernst Günter Grimme, Der Dom zu Aachen. Architektur und Ausstattung, Aachen 1994, plate XXXIII. At the time this paper was submitted, the Karls­büste, or head reliquary of Charlemagne, had recently undergone conser­ va­tion and returned to the Aachen Cathedral Trea­sury after the Feast of Charlemagne, Janu­ ary 30, 2005. 15 See the November 8, 1414 account writ­ten by a member of the Aachen Krönungs­stift on the reception and arrival of the royal couple Sigmund and his wife Barbara (Deut­sche Reichstagsakten 7), at K. Sigmund, 1410–1420, ed. by Dietrich Kerler, München 1887, pp. 245f., no. 168. 16 The passage was most probably writ­ten in the fourteenth century – in any case prior to the Gothic choir – but later appen­ded to a twelfthcentury manuscript of di­plo­mas issued under Fre­derick I Barbarossa, now in the British Library (Add. Ms. 6335). The passage is transcribed and commented upon by Erich Stephany, Über den Empfang des römischen Königs vor seiner Krönung in der Kirche der heiligen Maria zu Aachen – nach der Handschrift ADD. 6335 im Britischen Museum, London, in: Miscel­la­nea pro arte. FS Hermann Schnitzler, Düsseldorf 1965, pp. 272–278, at pp. 274f. Although the ritual occurred on the eve of the coronation mass, it was never­ theless a significant part of the overall coronation rite. 17 From the English translation in: Mi­chael McGrade, Affirmations of Royalty: Liturgical Music in the Collegiate Church of St. Mary in Aachen, 1050–1350 (Ph.D. diss., University of Chicago 1998), p. 222. The Latin text can be found in: Helga Giersiepen, Die Inschriften, in: Mütherich (as in note 6) p. 31. 18 Stephany (as in note 16) p. 275. 19 As in the traditio legis, which symbolized Christ confiding the scroll of the law – the symbol of the church – to Saint Peter. St. Peter’s role in conferring the title of kingship was depicted in manuscript illu­mination, for example, as shown

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on fol. 2r in the Book of Pericopes of Henry II, ca. 1007–1014; Bayerische Staatsbibliothek, Mün­ chen, Clm 4452. Although this depicts the royal couple’s (Henry II and his empress Kunigunde) imperial coronation in St. Peter’s basilica, Rome, it nevertheless assigns a role to St. Peter (and Paul). Additionally, fol. 59v in the Bamberg Apocalypse, ca. 1010, Staatsbibliothek Bamberg Msc. Bibl. 140, shows Peter and Paul in the act of cro­wning an enthroned emperor (Otto III?). 20 The first coronation ordo to make explicit reference to the Epiphany mass was that of Ru­ dolf I on October 24, 1273; Ordo coronationis Aquis­ granensis, ed. by Georg Hein­rich Pertz (MGH Leg. 2), Hannover 1837, pp. 384–392. Eric Rice, Music and Ritual in the Collegiate Church of Saint Mary in Aachen, 1300–1600 (Ph.D. diss., Columbia Uni­ versity 2002), pp. 301ff., suggests that the Epi­ phany mass formulary was probably favored in part because Rainald von Dassel procured the relics of the Magi for Cologne in 1164, and that it may well have been used from that point on – in­ cluding at Otto IV’s coronation in 1198 – though the definitive word comes from the 1273 ordo for Rudolph’s coronation. Rice further reminds us that Philip of Swabia was crowned in Aachen on Epiphany (January 6, 1205), so the Epiphany propers were certainly used for his coronation. 21 Ordo coronationis Aquisgranensis (as in no. 20) p. 392. 22 Adam Cohen, The Uta Codex: Art Re­form and Philosophy in Eleventh-Century Germany, University Park, Penn. 2000, p. 43, note 11 and 12, also reminds us that although images of the Virgin and Child in adoration scenes varied the iconography of the open palm and outstretched arm was a persistent motif used throughout the Middle Ages. 23 Ilene Forsyth, The Throne of Wisdom: Wood Sculptures of the Madonna in Ro­ma­nesque France, Princeton 1972, pp. 39–45, 95ff. 24 Adoration of the Magi, Book of Peri­copes of Henry II, early eleventh century, fol. 17v–18r; Mün­ chen, Bayerische Staats­bibliothek, Ms. Clm. 4452. 25 Completed ca. 1019, the bronze doors were commissioned by Bishop Bernward most proba­ bly for the abbey church, St. Michael’s in Hildes­ heim. This location, how­ever, has been recently questioned by Rai­ner Kahsnitz, Bronzetüren im Dom, in: Bern­ward von Hildesheim und das Zeit­ alter der Ottonen [exhibition catalogue], ed. by

Michael Brandt – Arne Eggebrecht, Hildesheim 1993, vol. 2, pp. 503–512, who instead proposes that the doors were made for the west work of the cathedral. 26 Also worthy of mention is the adoration of the Magi on the Chasse of the Virgin in Tournai, ca. 1205. This object’s primary viewing side shows the three kings interacting with the Virgin and Child: two offer the customary gifts while the third crowns the Virgin. Unfortunately, it is diffi­ cult to determine if the coronation of the Virgin is original; the chasse, in particular the adoration of the Magi side, has a complicated history of resto­ ration and conservation work. What remains sig­ nificant for my purposes and warrants further investigation, however, is that the holy trio were indeed part of the original composition, and more­ over, that the chasse is attributed to Nicolas of Verdun, the master goldsmith initially responsi­ ble for the Dreikönigenschrein. For a discussion of the restorations of the Chasse of the Virgin in Tournai, see Rebecca Price Gowan, The Shrine of the Virgin in Tournai, vol. I: Its Restorations and State of Conservation, in: Aachener Kunstblät­ ter 47, 1976/77, pp. 111–176. 27 Forsyth (as in note 23) p. 49. 28 Hans Belting, Likeness and Presence, Chi­ cago 1994, pp. 301ff. 29 On the cult of the Magi, see Richard C. Trex­ ler, The Journey of the Magi: Meanings in History of a Christian Story, Princeton 1997. Also informa­ tive is Hans Hofmann, Die Heiligen Drei Könige. Zur Heiligenverehrung im kirchlichen, gesell­ schaftlichen und politischen Leben des Mittelal­ ters (Rheinisches Archiv 94), Bonn 1975. 30 An illustrated example of liturgical crescen­ do is discussed in Robert G. Calkins, Liturgical Sequence and Decorative Crescen­do in the Drogo Sacramentary, in: Gesta 25, 1986, pp. 17–23. 31 Aachen Domarchiv, HS G 18, fol. 26r–27r. Because of the shared Epiphany liturgy between Cologne and Aachen, I have cho­sen to cite from a fifteenth-century Aquen­sian Missal. 32 My use of liturgy in this context is based upon the Catholic theology of liturgy as presen­ ting in ›new reality‹ the events of the gospel in anamnêsis – a prayer in the context of a Eucharistic service that calls to mind the Passion, Resur­ rection and Ascen­sion of Christ – as a perpetual sign not of a past history, but as a present reality of life in Christ; Robert Taft, The Liturgy of the

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Hours in East and West, Collegeville, Min. 1986, pp. 331–364. 33 Most notably, the function and significance of the Marienschrein in pilgrimage ritual associa­ ted with the ›Heiligtumsfahrt,‹ see F. Karl Becker, Zur kirchlichen Feier der Aachener Heiligtums­ fahrt während des Mit­telalters, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 31, 1909, pp. 169– 174; Ciresi (as in note 12). 34 Helga Giersiepen, Die Inschriften des Aa­ chener Doms (Die Deutschen Inschriften 32), Wiesbaden 1993, p. 37: Ut regat et salvet nos. 35 Around the figure of Christ: solus ab eterno creo cuncta create guberno Pontus terra polus mihi subditur hec rego solus. Another inscription below the feet of Christ reads, spes ego lapsorum pax iustis pena reorum; Gier­siepen (as in note 34) p. 38. Fit­ schen (as in note 6) p. 77, has suggested that the line spes ego lapsorum pax iustis pena reorum had a unique significance for the coronation cere­ mony as it refers to the king’s conferral of title by Christ. 36 According to a papal bull issued by Pope Gregory V (997), the high Marian altar was reser­ ved exclusively for seven cardinal priests and seven cardinal deacons, the arch­bishop of Colog­ne and the Bishop of Liège, who had the right to celebrate mass there; Meuthen (as in note 9) p. 42. My thanks to Eric Rice for referring me to the cita­ tion. The coronation mass, as well as other high feasts, however, were celebrated at the high Marian altar. 37 Ordo coronationis Aquisgranensis (as in note 20) p. 386. 38 Ordo coronationis Aquisgranensis (as in note 20) p. 389. 39 Ordo coronationis Aquisgranensis (as in note 20) pp. 390f. 40 Ordo coronationis Aquisgranensis (as in note 20) p. 392. 41 Axel Werbke – Martina Werbke, Theologie, Politik und Diplomatie am Dreikönigenschrein. Die Ikonographie der Frontseite, in: Wallraf-Ri­ chartz-Jahrbuch 46, 1985, pp. 7–73, at p. 44, sug­ gest that, despite the band of gemstones on the hem, Otto’s tunic nevertheless is the simple garb of a deacon and his marginal position on the shrine renders him as a humble pilgrim. Contrary to the Werbkes, Jürgen Petersohn, Der König ohne Krone und Mantel. Politische und kultge­ schichtliche Hintergründe der Darstellung Ottos

IV. auf dem Kölner Dreikönigenschrein, in: Id. (ed.), Überlieferung, Fröm­migkeit, Bildung als Leitthemen der Geschichtsforschung, Wiesbaden, 1987, pp. 43–75, at pp. 49f., argues that the gemstud­ded tunic is closer to the type worn by kings under their mantle, as depicted on the Aachen Karlsschrein. 42 Otto IV was elected king in Cologne and crowned king at the Marian altar in St. Mary’s, Aachen, on 12 July 1198 by Arch­bishop Adolph I of Cologne. He was later crowned emperor in St. Peter’s, Rome, 4 October 1209 by Pope Innocent III. Philip of Swabia, son of Frederick I, was ­crow­n­ed king on 8 September 1198 in Mainz, and pos­ses­sed the official insignia. Philip was also crow­ned in Aachen on the Epiphany Feast, 1205; see Kaemmerer (as in note 8) pp. 122–127. 43 Widukindi monarchi Corbeiensis Res gestae Saxo­nicae, ed. by P. Hirsch (MGH SS rer. Germ. 60), Hannover 51935, lib. 2, p. 65. 44 Ordo coronationis Aquisgranensis (as in note 20) p. 386. 45 Karl F. Meyer, Aachensche Geschichten. Von der königlichen Krönungskirche, Aachen, 1781, p. 408, cites a description of Maximilian’s coronation on April 9, 1486: »Nach der Sequenz stunden die Erz­bisch­öffe zu Mainz und Trier auf, nahmen dem König das Oberkleid ab, und brachten ihn in seinem goldenen Unterkleide bis vor den Altar, er sich mit gestrecktem Leibe nieder­legte.« I believe it is significant that in both passages the king is without his mantle as he approaches the altar. Moreover, Maxi­milian was described as wearing a ›golden tunic,‹ a type not unlike that worn by Otto IV on the Dreiköni­gen­ schrein. 46 Die Ordines für die Weihe und Krönung des Kaisers und der Kaiserin, ed. by Reinhard Elze (MGH Fontes iuris 9), Hannover 1960, p. 68, no. XIV: Post hec evangelio decantato, imperator co­ rona et manto depositis accedat ad summum ponti­ ficem et offerat ad pedes eius aurum quantum sibi placuerit. The Staufen Ordo D dates to the end of the twelfth century and is from an imperial coro­ nation instituted by Pope Innocent III, in use since the thirteenth century. Ordo D is also cited by Petersohn (as in note 41) p. 56. 47 Elze (as in note 46) p. 40. 48 Franz X. Kraus, Die christlichen In­schriften der Rheinlande, vol. 2, Freiburg 1894, p. 255: Advenio dignos salvare ferire malignos ergo boni

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metite felicia gaudia vite ite rei vos ira Dei transmittit in ign(em) quisq(ue) metit quod p(ro)meruit sub iudice iusto. 49 See above, note 12. 50 Ciresi (as in note 12) p. 212. 51 Joseph Hoster, Zur Form der Stirnseite des Dreikönigenschreins, in: Miscellanea pro arte (as in note 16). 52 As fate would have it, Philip was assas­ sinated in 1208, leaving Otto as the sole heir to claim the imperial title, which he received on October 4, 1209, at the high altar of St. Peter, in St. Peter’s, Rome. 53 On the various themes manifested in the roof reliefs, see Robert Folz, Le souvenir et la légende de Charlemagne dans l’Empire ger­ma­ nique médiéval, Geneva 21973, pp. 281f.; Eduard Arens, Die Inschriften am Karlsschrein, in: Zeit­ schrift des Aachener Geschichtsvereins 34, 1921, pp. 159–194; E. G. Grimme, Das Bildprogramm des Aache­ner Karlsschreins, in: Karl der Große und sein Schrein (as in note 6) pp. 124–135; Rita Lejeune – Jacques Stiennon, La Légende de Ro­ land dans l’art du moyen âge, vol. 1, Brussels 1967, pp. 169–177; Odilo Engels, Karl der Große und Aachen im 12. Jahr­hundert, in: Krönungen. Könige in Aachen – Geschichte und Mythos [exhi­ bition cata­logue], ed. by Mario Kramp, Mainz 2000, vol. 1, pp. 353f. 54 Around the Pantocrator: cuncta regens sta­ bilis que manens do cuncta (!) moveri. This recalls the eternal and unchanging natu­re of Christ and his absolute rule over all. Around the gable: ecclesie Cristi tu lux tu gemma fuisti, Karole flos regum dec(us) orbis (et) orbita legum, ›You [Charlemagne] are the light, the precious gemstone of the church of Christ, Charles, flower of princes, ornament of the orb, guarantor of the law.‹ 55 For the latest study on the sources of the twelfth-century vita Karoli, see Helmut Deutz – Ilse Deutz (ed.), Die Aachener ›vita Karoli Magni‹ des 12. Jahrhunderts, Siegburg 2002. 56 Henry III, Zwentibold, Henry V, Henry IV, Otto IV, Henry I, Lothar (I) and Louis the Pious; Henry II, Otto III, Otto I, Otto II, Charles (the Fat?), an uniden­tified king, Henry VI, and Frederick II. 57 Ursula Nilgen, Amtsgenealogie und Amts­ heiligkeit, Königs- und Bischofs­reihen in der Kunstpropaganda des Hoch­mittelalters, in: Ka­ tharina Bierbrau­er (ed.), Studien zur mittelalterli­

chen Kunst 800–1250. FS Florentine Mütherich, München 1985, pp. 217–234. The genealogy on the Karlsschrein does not, however, represent a complete line of kings and emperors; the west Frankish lines are not represented: Conrad II, Lo­ thar von Süpplingenburg, and Con­rad III. 58 Renate Kroos, Zum Aachener Karls­schrein – ›Abbild staufischen Kaiser­tums‹ oder ›fun­dato­ res ac dotatores‹, in: Lieselotte E. Saur­ma-Jeltsch (ed.), Karl der Große als vielberufener Vorfahr. Sein Bild in der Kunst der Fürsten, Kir­chen und Städte, Sigmaringen 1994, pp. 49–61. 59 Giersiepen (as in note 17) p. 28. On the sig­ nificance of this inscription and the Karlsschrein in other Aquensian liturgy, see Lisa Victoria Cire­ si, The Aachen Karlsschrein and Marienschrein, in: Sarah Blick – Rita Tekippe (eds.), Art and Ar­ chitecture of Late Medieval Pilgrimage in Nort­ hern Europe and the British Isles, Leiden 2005, pp. 753–785. 60 Giersiepen (as in note 17) p. 28. 61 Ciresi (as in note 59) pp. 774f. It is worth noting that the same alignment between Charle­ magne and the Virgin is found also on the Marien­ schrein. 62 The goldsmiths conducting the conservation work on the Karlsschrein believe this rock crystal is original. 63 In his sermon on the beginning of the Gospel of St. Matthew, Walafrid Stra­bo (d. 849), a monk from the abbey of Fulda, and later abbot of Reichenau, re­ferred to Mary as the ›Star of the Sea,‹ and interpreted the light of this star as ›Christ whom we must follow.‹ Hilda Graef, Mary: A History of Doctrine and Devotion, London 1994, p. 175. 64 Independently, Kerstin Wiese, Der Aache­ ner Karlsschrein – Zeugnis lokalkirchlicher Selbstdarstellung, in: Franz-Reiner Erkens (ed.), Karl der Grosse und das Erbe der Kulturen, Berlin 2001, pp. 257–274, had reached a similar conclusi­ on, suggesting that the dedication relief was to be understood as a ›hinge‹ to the program of bene­ factors represented on the lateral sides of the Karlsschrein. Additionally, Wiese discusses how local church interests were also manifested in the overall iconographic program of the shrine. My special thanks to Bruno Reudenbach for referring me to this article.

Silke Tammen

Dorn und Schmerzensmann. Zum Verhältnis von Reliquie, Reliquiar und Bild in spätmittelalterlichen Christusreliquiaren

I. Das Schmerzensmann-Reliquiar In der Mitte des 14. Jahrhunderts schufen unbekannte Künstler einen Schmerzensmann mit Engeln und Leidenswerkzeugen aus vergoldetem, getriebenem Silber (Abb. 1–2).1 Christus wird flankiert von Kreuz und Geißelsäule und zwei kniefälligen Engeln auf kleinen Sockeln. Der linke, nur noch einflügelige Engel hält in seiner Linken den Hammer, in der Rechten Rute und Geißel. Der rechte Engel legt seine Rechte an die von einem Strick umwundene und mit dem Hahn bekrönte Geißelsäule und trägt in der Linken drei große Nägel. Kreuz und Geißelsäule sind mit Zieröffnungen versehen; offenbar konnten beide Reliquien aufnehmen, über deren Identität aber nichts bekannt ist. Die Hauptreliquie, auf die das Wort spina in der Sockelinschrift und der große Rubin in der zierlichen Dornenkrone in zweifacher Weise – durch Schrift und zeichenhaften Edelstein – verweisen, ist verloren: Ein Dorn aus der Dornenkrone Christi befand sich in dem Rezeptakel, das von einem heute flügellosen Engelchen präsentiert wird. Es ist auf seinem kleinen Sockel in den Kniefall gesunken und scheint das Objekt wie ein leicht überforderter Herold seinem Herrn voranzutragen; neben dem Engelchen liegen drei Würfel. Das Reliquiar ist nicht unbekannt: In der Parler-Ausstellung in Köln 1978 wurde es als ein bedeutendes Werk des Prager Goldschmiedehandwerks gewürdigt, das unter Karls IV. Herrschaft und dessen Leidenschaft für Reliquien florierte.2 Otavsky setzte sich in seinem Katalogbeitrag hinsichtlich der problematischen Auftraggeberfrage kritisch mit der bis dato einzigen monographischen Besprechung des Reliquiars durch Verdier auseinander.3 Außerdem findet es in der Literatur über die Ikonographie des Schmerzensmannes, über Reliquiare und spätmittelalterliche Goldschmiedekunst gelegentliche Erwähnung.4 Der von Leidenswerkzeugen begleitete Schmerzensmann war seit dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts ein durch verschiedenste Medien verbreiteter Anblick, doch erscheint die Gestaltung des Themas in der Form eines Reliquiars nach heutiger Überlieferungslage und Kenntnisstand über spätmittelalterliche szenische Reliquiare als exklusiv, wenn nicht einzigartig.5 Jenes

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1.  Spinareliquiar mit Schmerzensmann und Arma-Engeln (Baltimore, Walters Art Gallery), Prag Mitte 14. Jh.

kann etwas leisten, was kein gemaltes oder in Stein gehauenes Bild vermag: Einst vereinte es echte Partikel der Leidenswerkzeuge mit edelmetallenen Abbildern derselben und konnte die Betrachtung der Passion Christi durch die Gegenwart eines echten Dorns ›anstacheln‹. Auf diese Leistung wird noch zurückzukommen sein. Nach Otavsky sei der ganzfigurige »Typ des leidenden Christus« mit geöffneten Augen »ziemlich selten, und es scheint, daß diese Statuette zu dessen ältesten Beispielen gezählt werden muß«.6 Doch der Schmerzensmann strahlt wenig Leid aus: Er steht auf großen kräftigen Füßen recht solide und ein wenig breithüftig da, was durch den leicht gerundeten Bauch sowie das Lendentuch

189 Dorn und Schmerzensmann

2.  Spinareliquiar mit Schmerzensmann und Arma-Engeln (Baltimore, Walters Art Gallery), Prag Mitte 14. Jh.

betont wird. Christus bedarf ganz offensichtlich nicht des Halts durch Engel wie im Falle des Bildtyps der ›Engelspietà‹, der sich seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wohl ausgehend von der französischen Buchmalerei verbreitete. Der Oberkörper mit seinen wie schützend verschränkten Armen wirkt schmaler und instabiler als der Unterkörper; er ist ein wenig aus der senkrechten Achse nach rechts verschoben, während der Kopf leicht nach links vorne geneigt erscheint. Der gesamte Eindruck ist der einer etwas ungelenken Ruhe. Das feine Gesicht mit der breiten Stirn und den mandelförmigen Augen, in die keine Pupillen geritzt sind, läßt unklar, wohin Christus blickt, und ob er sich an einen imaginären Betrachter wendet. Nur die Hände zeigen kleine Einbuchtun-

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gen, die Füße tragen seltsamerweise gar keine Wundmale und die Seitenwunde ist durch die Arme verborgen.7 Dies verleitete Poche dazu, den Schmerzensmann als »Ecce homo«-Christus zu bezeichnen, wogegen sowohl die Leidens­ werkzeuge sprechen, als auch die diskreten Handwunden und die Absenz des Purpurmantels, den Christus während der Pilatus-Szene getragen haben soll.8 Umgekehrt läßt sich Verdiers Wahrnehmung, Christus »zeige seine fünf Wunden«, wohl nur auf lange eingeschliffene ikonographische ›Konditionierung‹ zurückführen.9 Auf die Klassifizierungsproblematik des zwischen Leben und Tod stehenden Schmerzensmannes hat schon Berliner hingewiesen: »So einfach es ist, diesen großen Sinnzusammenhang, in den die Vorstellung des Schmerzensmannes gehört, durch die Begriffe Leiden und Erlösung oder Gericht klar zu umreißen, so schwierig kann die Interpretation des Sinnes isolierter Schmerzensmanndarstellungen sein. (…) Als Darstellungen des Schmerzensmannes – im engeren Sinne – würde man wohl passend nur jene ansprechen, die ohne betonten Hinweis auf spezifische Leidensstationen Jesus als lebenden Leidenden oder als gelitten habenden Toten in rein menschlicher Weise veranschaulichen. Dagegen sollte man Ecce Salvator oder Erlöser jede isolierte Darstellung des Leidenden oder des gelitten Habenden nennen, in der die göttliche Bestimmung des Leidens auch veranschaulicht ist. Ist seine Figur aber betont von verschiedene Leidensstationen vertretenden ›Waffen‹ begleitet, dann wäre die Bezeichnung ›Arma-Christus‹ angezeigt.«10

Mit Berliner könnte man den Christus des Prager Reliquiars als Arma-Christus bezeichnen, der Leid und Tod überwunden hat und dessen goldstrahlendes Material die jenseitige Verklärung des Körpers unterstreicht. Irritieren auf den ersten Blick die preziöse Ästhetik des Reliquiars und der zurückgenommene Leidenscharakter des Schmerzensmannes, scheint das Reliquiar auch sonst für Ratlosigkeit zu sorgen, die sich bei Otavsky durch dessen Bewertung als »seltsame Form«11 und vor allem bei Verdier darin niederschlägt, daß er über ein ehemals anderes Erscheinungsbild des Reliquiars spekuliert. Weitere Arma seien verloren gegangen, und es müsse ursprünglich eine Rahmenstruktur und einen verlorenen Sockel gegeben haben,12 denn der heutige Zustand des Reliquiars biete den unschönen Eindruck eines excès de verticalité.13 Vorstellbar ist zwar, daß die Bodenplatte einst von kleinen Löwen oder ähnlichen Figürchen getragen wurde, wie man sie an zahlreichen Reliquiaren antrifft. Verdier denkt allerdings an einen größeren Sockel, der eventuell einen zu Füßen einer Maria Mediatrix knienden Stifter oder ein persönliches Wappen hätte tragen können.14 Diese kuriose Wahrnehmung des Reliquiars als ›Mangelobjekt‹ sagt weniger über das Werk selbst aus als über Verdiers Problem, sich mit einem ihm der Form nach völlig fremdem, ikonographisch nur aus der Buchmalerei vertrautem Reliquiar konfrontiert zu sehen und dies sogleich rahmenderweise einzuordnen. Über Geschichte und ursprüngliche Bestimmung des Reliquiars können nur Vermutungen angestellt und die nach wie vor nicht überholten Beobachtungen

191 Dorn und Schmerzensmann

von Otavsky zitiert werden: Die auf der Schrägkante der Basisplatte umlaufende Inschrift in gotischen Majuskeln, deren Stil in die 1350er Jahre deute, sagt aus: HANC. MONSTRANCIAM. CUM. SPINA. CHORONE. DOMINI.DNS. IOHANNES. OLOMUCZENSIS. EPISCOPUS. PREPARARI. FECIT. Es gab verschiedene Olmützer Bischöfe mit Namen Johannes. Während Verdier für Johann von Neumarkt (von Středa) plädierte, der 1353–1374 Hofkanzler unter Karl IV. und 1364–1378 Bischof von Olmütz war,15 macht Otavsky aufgrund der Heraldik als Auftraggeber Johann Volek fest: »Die vier Wappen aus opakem Email an den Ecken der rechteckigen Basis erlauben eine ziemlich genaue Datierung des Reliquiars. Das gespaltene Wappen mit steigendem Halbmond wurde von einem illegitimen Sohn König Wenzels II., Johann Volek, getragen, der von 1334 bis zu seinem Tode im September 1351 das Olmützer Bischofsamt bekleidete. (…) Das Reichswappen und der böhmische Löwe können sich nur auf Karl IV. beziehen, und dasselbe gilt für den geschachten Adler Mährens. Daraus ergeben sich für die Entstehung des Reliquiars folgende Fixpunkte: nicht vor November 1346 bzw. September 1347 (Krönungen in Bonn und Prag) und nicht nach Dezember 1349, als Karl auf die Markgrafschaft Mähren verzichtete und sie auf seinen Bruder Johann Heinrich übertrug. Daß das mährische Wappen auf den letzteren deuten würde, ist weniger wahrscheinlich, weil Karl soeben das Bistum Olmütz aus der Lehnsabhängigkeit von den Markgrafen von Mähren herausgelöst und es der böhmischen Krone direkt unterstellt hatte. Die von Philippe Verdier festgestellte Ähnlichkeit der Buchstaben der Umschrift auf der Basis des Dornenreliquiars mit derjenigen auf der Montierung der Onyxschale im Prager Domschatz von 1350 und auf dem Fuß für das Reichskreuz von 1352 bestätigt diese Datierung. (…) Das Reliquiar gehörte nicht der Olmützer Bischofskirche, in deren Inventar von 1413 es nicht nachweisbar ist (…), sondern mit großer Wahrscheinlichkeit dem Benediktinerinnenkloster Pustimĕř in Mähren, daß der Bischof Johann Volek im Jahre 1340 gründete und es laut dem um 1400 verfaßten ›Granum catalogi presulum Moravie‹ mit liturgischen Gewändern, Kelchen und Reliquien beschenkte (…). Das Kloster, dessen erste Äbtissin eine Schwester Bischof Johanns war, wurde von den Benediktinerinnen von St. Georg in Prag besiedelt, (…). Die seltsame Form des Dornenreliquiars mit der Statuette des Schmerzensmannes und den Leidenswerkzeugen geht wohl auf die Passionsmystik zurück, die dort intensiv gepflegt wurde. Für die Äbtissin Kunigunde, (…) Tante von Johann Volek, wurde im zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts das bekannte Passionale geschrieben, in dem an zwei Stellen die arma Christi, einmal sogar mit dem vor dem Kreuz schwebenden Schmer­zensmann, dargestellt sind.«16

Es ist denkbar, daß sich der Bischof u. a. durch das kostbare Geschenk eines Spinareliquiars des Gebetsgedenkens der Nonnen versichern wollte. Doch das von Otavsky als Referenz für »Passionsmystik« und »seltsame Form« des Reliquiars herangezogene ›Passionale‹ ruft in dem Traktat, der die Leiden Christi anhand von Arma-Stichwörtern durchdekliniert, die Dornenkrone nicht auf.17

192 Silke Tammen

3.  Arma Christi, Kunigundenpassionale (Prag, Nationalbibliothek), Prag 1320er Jahre

Betrachtet man außerdem das bekannte Arma-Bild auf fol. 10r (Abb. 3), ist wenig mehr als die gemeinsame Passionsthematik zu erkennen. Wenig hat der mit Wundmalen bedeckte und mit geneigtem Haupt vor das Kreuz gesetzte Chri­ stus, der von zahlreichen Arma und sogar einer vergrößerten Seitenwunde um­schwebt wird, gemeinsam mit der goldschimmernden Statuette inmitten der geordneten Inszenierung der durch Engel dargebotenen Arma. Eines allerdings vereint das ›Passionale‹ und Reliquiar, nämlich das Angebot zum andächtigen und zwischen ganzem Christuskörper, Wunden und Fragmenten hin- und herschweifenden Sehen.

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Über die das Reliquiar betreffenden Praktiken und Imaginationen kann nur spekuliert werden, da mir Kenntnisse über eine besonders gepflegte Passionsfrömmigkeit Voleks und der Nonnen von Pustimĕř fehlen und dieselben als Empfängerinnen ohnehin nicht mit Sicherheit belegt sind. Es ist vorstellbar, daß das Reliquiar im Rahmen eines Arma-Christi-Festes verehrt wurde, das Papst Innozenz VI. 1354 durch eine Bulle promovierte und das auf die besonders unter Karl IV. gepflegte Verehrung der Leidenswerkzeuge reagierte.18 Viel­­leicht war das Reliquiar nur an einen solchen Festtag auf einem Altar ausgestellt.19 Sollte es der individuell geübten Andacht gedient haben, dann sind in seiner Gegenwart sowohl einfache Passionsmeditationen als auch exaltiertere Frömmigkeitsübungen vorstellbar, wie sie Ludolf von Sachsen in seiner nach 1348 entstandenen Vita Christi empfiehlt. Der Gläubige solle bei der inneren Be­trachtung der Dornenkrönung den Schmerz Christi aktiv mitempfinden, indem er die eigene Kopfhaut mit den Fingernägeln reize.20 Die hochadelige selige Johanna Maria von Maillé (1331–1414) bohrte sich gar einen Dorn zwischen Stirnhaut und Schädelknochen.21

II. Dornengeschenke Das Reliquiar mag zwar eine außergewöhnliche Form aufweisen, steht aber als eines unter vielen Spinareliquiaren im Kontext der mittels Reliquiengeschenken bekräftigten Verbindung von königlichen Verwandtschaftsbeziehungen und ist als ein Produkt der am Pariser und Prager Hof gepflegten Passionsfrömmigkeit zu sehen: Die Verehrung der Dornenkrone wird schon vom heiligen Paulus von Nola bezeugt, der 409 ihre Aufbewahrung auf dem Berg Sion zu Jerusalem erwähnt. Seit dem Ende des 6. Jahrhunderts ›häuft‹ sich ihre Erwähnung in Pilgerberichten; 1063 wurde sie nach Konstantinopel gebracht.22 Louis IX., ›der Heilige‹, erwarb sie 1239 als Herzstück seiner Reliquiensammlung. Es gab zwar nur eine Dornenkrone in der Sainte-Chapelle, aber zahlreiche Dornen kursierten in der westlichen Christenheit.23 Mit Dornen, die blutige Punktierungen auf der Stirn Christi hinterlassen hatten und mit denen sich nach mittelalterlichem Verständnis einprägsame Bilder verbinden ließen, die wiederum als Stachel im Fleische der Erinnerung wirken konnten,24 wurden neben Gunstbeweisen gegenüber kirchlichen Einrichtungen auch die verwandtschaftlichen Bindungen zwischen Frankreich und Böhmen befestigt. Louis IX. und seine Nachfolger verschenkten immer wieder Dornen, so 1326 an Elisabeth, die erste Frau König Johanns von Luxemburg. Es war vielleicht dieser Dorn, den später Karl IV. in eine von französischen Goldschmieden angefertigte Krone für das Haupt des heiligen Wenzel integrieren ließ. Außerdem barg Karl IV. in einem Reliquienkreuz zwei weitere Dornen, die ihm sein Neffe, der spätere König Charles V. aus Metz zu Weihnachten 1356 hatte übersenden lassen. 1378 legte der französische König noch einen Dorn als Neujahrsgeschenk nach.25 Auch im Domschatz von Olmütz befanden sich Dornenreliquiare, deren Aussehen leider nicht überliefert ist.26 Zwar war Bischof Volek nur

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illegitimes Mitglied der königlichen Familie, doch steht zu vermuten, daß sich auch in vorliegendem Reliquiar ein Dorn französischer Provenienz befand.

III. Die Inszenierung des Dorns – zur Formenvielfalt der Dornenreliquiare Nach derzeitigem Kenntnisstand ist es das einzige Dornenreliquiar, für das die Form eines Schmerzensmannes mit Arma-Engeln gewählt wurde. Kronenförmige Reliquiare sind nach Wirth häufiger aus dem 13. Jahrhundert als aus späteren Zeiten überliefert. Sie konnten z. B. von Engeln gehalten werden oder Kruzifixe schmücken.27 Es gab auch schlichte Ostensorien, die mit einigen wenigen von Louis IX. verschenkten Dornen verbunden werden. Zu ihnen zählt das Reliquiar der Augustiner von St. Maurice in Agaune (Abb. 4), das einen 1262 geschenkten Dorn in beeindruckender Klarheit präsentiert: Auf einen ein­ fachen Ständer ist ein mandorlenförmiger, juwelen- und perlenbesetzter Rahmen montiert, der eine Bergkristallscheibe faßt, in die eine schmale Röhre für den Dorn geschnitten wurde. Der mandorlenförmig gefaßte Bergkristall, in dem der Dorn ›schwebte‹, wirkt wie eine kostbare Brennlinse. Sie dürfte die Andacht des Betrachters zu einem ›Durchblicken‹ gesteigert haben, das zwischen der die Göttlichkeit Christi anzeigenden Mandorla und dem Dorn als Zeichen des Leidens und der Menschlichkeit Christi vermittelt. Taburet-Delahaye vermutet, daß Louis IX. seine Dornen häufiger in derartigen Ostensorien verschenkte, die seinem persönlichen, strengen Geschmack entsprachen, und daß jene später nach Bedarf in ein größeres Reliquiarensemble montiert wurden.28 Ob der von Wirth behauptete Wandel der Spinareliquiare von Kronen zu ­Ostensorien eine (allerdings etwas verspätete) Reaktion auf einen frömmigkeitsgeschichtlichen Wandel darstellt, der dem Leiden Christi eine zunehmende Bedeutung zumaß oder aber eine Konzession an das Bedürfnis war, die Reliquie sichtbar auszustellen,29 sei mangels eines klaren Überblicks über die Dornen- und generell Christusreliquiare dahingestellt. Ich vermute, daß das Ostensorium nicht notwendigerweise die im 14. und 15. Jahrhundert dominante Prä­­sentationsform war, sondern mit einer Formenpluralität zu rechnen ist, die Schaubedürfnissen in anderer Weise Rechnung trugen. Zwei französische Spinareliquiare mögen als Beispiele dienen: In Paris entstand um 1340 ein nur 3,8 cm hoher aufklappbarer Anhänger unregelmäßiger, nierenartiger Form, auf dessen Außenseiten zwei Amethystcabochons montiert sind (Abb. 5–6). Sein Inneres besteht aus drei goldemaillierten, zweiregistrigen Blättern mitsamt einem mittleren Reliquiengefach.30 Beim ersten ›Aufschlagen‹ des Reliquiars zeigt die linke Seite eine thronende Maria mit Kind zwischen zwei Engeln, darunter ein kniendes königliches Paar vor Maria mit Kind (vielleicht Philipp IV. und seine Frau Jeanne de Bourgogne). Gegenüber steht die Präsentation im Tempel, darunter die Flucht nach Ägypten. Blättert man erneut um, so erscheint auf der linken Seite ein Pergamentblatt mit der Geburt Christi und Verkündigung an

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5.  Spinareliquiar (London, British Museum), Paris um 1340

4.  Spinareliquiar (Agaune, St. Maurice), Paris 1260er Jahre (?)

6.  Spinareliquiar (London, British Museum), Paris um 1340

die Hirten. Das unter einer dünnen Kristallschicht geschützte Blatt ist beweglich und verdeckt ein siebenteiliges Reliquiengefach, dessen zentrale, längliche, durch eine kleine goldene Krone ausgezeichnete Vertiefung einen Dorn enthält. Gegenüber diesem zentralen Blatt liegt das dritte Blatt mit Kreuzabnahme im oberen und Kreuzigung im unteren Register. Interessant erscheint das Zusammenspiel von Bildern und Materialien, der abgestufte Weg von der äußeren Hülle des Amethysts, einem edlen, aber natürlichen Material, zu den Emailblättern, die hohe Kunstfertigkeit demonstrieren, zum einfacheren bemalten Pergament mit der weihnachtlichen Epiphanie, das allerdings durch die Bergkristallscheibe wiederum aufgewertet wird. Unter dem Blatt verbergen sich schließlich die kostbaren, aber materialiter bescheidenen Reliquien, deren zentrales Stück, der Dorn, auf die Dornenkrone und damit das besondere Königtum und spätere Schicksal des Kindes verweist. Der Anhänger stellt eine Andachtspreziose par excellence dar, ein Medium, dessen Bedeutung für die Bild- und Frömmigkeitsgeschichte erst seit kurzem deutlich geworden ist.31 Hier paaren sich ›Köstlichkeit‹ und Andachtslenkung zum ›Tiefenblick‹, überlagert bildliche Epiphanie das Erscheinen des Dorns. Gänzlich anders geartet

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7.  Spinareliquiar (London, British Museum), Paris um 1400

ist das um 1400 entstandene Goldemailreliquiar des notorischen Reliquienfreundes und Herzogs Jean de Berry (Abb. 7).32 In dem 30,5 cm hohen Reliquiar wird der lange Dorn durch einen Saphir vor der Erscheinung des richtenden und von Arma-Engeln begleiteten Christus gehalten, der von Maria und Johannes dem Täufer, dem Patron Jeans, flankiert wird. Das Ensemble wird von den zwölf Aposteln gerahmt; den äußeren Abschluß bilden alternierende Perlen und Rubine. Gottvater bekrönt das Reliquiar in einer eigenen Gloriole. Unterhalb des inneren Rahmens verkündet ein Titulus: Ista est una spinea corone / Domini nostri ihesu cristi. Darunter blasen vier Engel zur Auferstehung der Toten, deren Vordermann sich förmlich zum Titulus aufreckt, wie um über die Schrift an den weit entfernten gnadenspendenden Dorn zu gelangen. Angesichts zahlreicher, in Kirchen und herrschaftlichen Häusern verehrter Dornen und entsprechender Reliquiare dürften die Schöpfer eines manchen Spinareliquiars unter einem doppelten gestalterischen Druck gearbeitet haben. Sie mußten ihren anspruchsvollen Auftraggebern neue Formen bieten, die sich von älteren oder gebräuchlicheren Präsentationsformen wie etwa Kronen oder einfachen Ostensorien abhoben und durch den inszenatorischen Aufwand die Echtheit und Bedeutung des jeweiligen Dorns betonten. Die inneren Bilder des

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Amethystreliquiars heben Gedanken von Inkarnation, Passion und Verborgenheit hervor, das Reliquiar des Herzogs von Berry läßt den Dorn als ambivalentes Instrument des Schmerzes und der Gnade auf der Bühne des Jüngsten Gerichts erscheinen, und das Prager Reliquiar stellt das Verhältnis von Körper Christi und Arma in den Vordergrund. Die in der Inschrift beteuerte Provenienz des Dorns als SPINA.CHORONE.DOMINI wird durch einen zentral plazierten Rubin in der Dornenkrone markiert, als handele es sich bei diesem Dorn um einen ganz besonderen Dorn.

IV. Reliquiar oder Andachtsbild? Von den Problemen der ­Forschung mit spätmittelalterlichen szenischen Reliquiaren Alle drei Reliquiare umgeben die unscheinbare Dornreliquie auf ganz unterschiedliche Weise mit Bildlichkeit. Zwar ist mit Legner grundsätzlich eine »Objektsymbiose zwischen Bild und Reliquie auf vielgestaltigste Weise«33 zu verzeichnen. Jedoch hebt sich seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert aus der Menge der Körperteilreliquiare, Schreine, Ostensorien, Kreuze etc. eine relativ kleine Gruppe von Reliquiaren hervor, bei denen das Bild nicht mehr wie ein nachgeordneter, etwa einem Schrein oder dem Sockel eines Körperteilreliquiars aufgesetzter ›Kommentar‹ wirkt, sondern es plastisch ein mit der Reliquie in Zusammenhang stehendes Geschehen zeigt. So ließen die venezianischen Prokuratoren Michiel Morosini und Piero Correr 1375 für die seit 1125 in Venedig befindliche Reliquie eines Steins von der Geißelsäule kein Ostensorium anfertigen, sondern bevorzugten eine szenische Präsentationsform: Der sichtbar gefaßte runde Stein von der Geißelsäule ruht auf einer Nachbildung derselben mitsamt Geißelungsszene und wird von einer Kreuzigung bekrönt.34 In derartigen Arrangements erscheinen die eigentlich kleinen Reliquienpartikel im Verhältnis zu den Figurinen zur Überlebensgröße gesteigert; zugleich wird anschaulich von der Provenienz der Reliquie berichtet. Gegenwart der Reliquie und Erzählung von ihrem Herkommen, aus der heraus sie ja nur verstanden werden kann, sind im gleichen Moment präsent. Bevor Legner 1995 das Zusammenwirken von »Heiltum und Bild« in ausgewogener Weise skizziert und auch die späten Statuettenreliquiare knapp in ihrer Wirkungsweise gewürdigt hatte,35 tat sich die Reliquiarforschung eher schwer mit diesen Objekten, die Gattungs- und Funktionsgrenzen zwischen Reliquiar und plastischem Andachtsbild nicht nur zu verwischen, sondern fallweise die Reliquiarfunktion sogar zu übertönen scheinen. 1950 beklagte Meyer, der den ersten Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Reliquiarformen unternahm, eine Art Verlust der reliquiaren Mitte: »Überblickt man die in der zweiten Hälfte des Mittelalters neu entstehenden Reliquiartypen, so muß zunächst auffallen, daß die Reliquie ihre Stellung als Mitte des Reliquiars einzubüßen beginnt. (…) Gegen Ende des 14. Jahrhunderts

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aber wird die Reliquie von der Figur gelöst und im Sockel niedergelegt. (…) Sie bleibt wohl ein wichtiger Bestandteil des Ganzen, aber sie ist nicht mehr der Kern und eigentliche Inhalt, sondern nur eine Bestätigung für dessen Echtheit und Gültigkeit. Ausschließlich der letzten Phase des Mittelalters gehören alle Reliquiare an, die Braun unter dem Namen ›Gruppenreliquiare‹ zusammengefaßt hat. Dargestellt werden die Ölbergszene, die Geißelung, Auferstehung und Verklärung Christi, die Marienkrönung, Maria mit Heiligen und Anna Selbdritt. Die ersten Reliquiare dieses Typs sind gegen Ende des 14. Jahrhunderts nachweisbar, (…). In ihnen ist das Reliquiar formal in völlige Abhängigkeit vom Bildwerk geraten, es verzichtet auf eigene Lösungen und übernimmt bedenkenlos Typen, die für reine Bildwerke geprägt waren.«36

In dieser Phase spätmittelalterlicher ›Dekadenz‹ sieht Meyer einen »starken äußerlicheren Aufschwung« des Reliquienkults, für die die »fanatischen« Sammler Karl IV. und Albrecht von Brandenburg einstehen. Er konstatiert eine Einstellung zur Reliquie, die »immer äußerlicher und respektloser« werde und sich in Reliquiaren sichtbar äußere, deren Fassungen die Knochen »beinahe zur Kuriosität herabwürdigen«, wenn sich etwa Christophorus auf einen eigenen Knochen als Stab aufstütze.37 Dachte Meyer vom Reliquiar her und kritisierte dessen zunehmende »Abhängigkeit vom Bildwerk«, so konnte umgekehrt die Reliquie im Rahmen einer ›Autonomiegeschichte‹ des Bildes als Hindernis erscheinen: So hat sich Lüdke zwar um eine Katalogisierung der Statuetten- und Gruppenreliquiare bemüht, behandelt jene aber nur als Vorspiel zu den reliquienlosen und von ihm als »autonom« charakterisierten Bildwerken.38 Eine ähnliche, teleologisch auf die Autonomie des Bildes ausgerichtete Denkrichtung schlägt auch Preising in ihrer Studie über kleinere gemalte oder skulptierte Tafeln mit rahmenden Reliquiengefachen ein. Hinsichtlich des ausgehenden Mit­telalters konstatiert sie: »Das Bild kann an die Stelle der Reliquie treten, weil es, direkt oder indirekt, mit Gnadenwirkungen verknüpft sein kann. Werden dem Bild dennoch Reliquien hinzugefügt, weil dies an Orten geschieht, an denen eine bedeutende Tradition des Reliquienkultes gegeben war, so erhöht sich die Ablaßwirksamkeit. Dies ist in einer Zeit der Multiplizierung von Gnadenwirkungen ein Aspekt.«39

Mir scheint, daß Preising die Funktion eines »dennoch« mit Reliquien bestückten Bildes zu eingeschränkt unter dem Aspekt der Ablaßwirkung und spätmittelalterlicher quantifizierender Frömmigkeitshaltung betrachtet, dabei aber nicht Ästhetik und Wahrnehmungsangebote der ›Partikel am Rande des Bildes‹ würdigt. Mit Preising würde der Einschluß des Dorns im Prager Reliquiar nur die Ablaßwirkung steigern, die eigentlich schon mittels der reinen, durch das andächtige Gebet begleiteten Betrachtung des Schmerzensmannes mit Arma hinlänglich zu erzielen war.40 Ich meine dagegen, daß der Dorn sich nicht als ›fremd‹ im Sinne eines »dennoch« zum Bild verhält, sondern die Bildwirkung des ganzen Ensembles im Dienste der andächtigen Passionsbetrachtung

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zu intensivieren vermochte.41 Zwar könnten der Schmerzensmann und sein Gefolge sich als ›Andachtsbild‹ auch ohne den Dorn behaupten,42 doch verleiht der Dorn, der mit Haut und Blut Christi in Kontakt kam, der dahinter stehenden Christusstatuette ihre besondere Präsenz, bringt aber auch Spannung mit sich: Als Reliquie und somit Heilskraft ausstrahlendes Zentrum rechtfertigt er die kostbare goldglänzende Materialität der ihn umgebenden Statuetten und Arma und steht zugleich in einem Kontrast zur metallenen, sozusagen dornenkratzerresistenten ›neuen‹ Oberfläche des Christuskörpers.

V. Wahrnehmungsangebote des Schmerzensmann-Reliquiars Bevor auf dieses Spannungsverhältnis weiter eingegangen wird, verdient das einem frontal stehenden Betrachter am nächsten situierte Dornenbehältnis eine genauere Betrachtung, auch wenn man nicht mehr sagen kann, wie der Dorn unter seiner vermutlich bergkristallenen Abdeckung erschien. Die Gestaltung des Rezeptakelrahmens erinnert an die Außenansicht eines gotischen Fensters, das von Fialtürmchen flankiert wird. Die Rahmung ist an den Schrägen wimpergartig mit Krabben besetzt und läuft in einer Kreuzblume aus.43 Man hat es hier mit einem Rahmen innerhalb eines plastischen Ensembles zu tun, das selbst keinen äußeren Rahmen hat, woran sich Verdier störte. Doch dieser immanente Rahmen schließt nicht nur das Dornenrezeptakel ab bzw. faßte den Bergkristalldeckel, sondern kann durchaus auch eine Leitung des Betrachter­ blicks in den weiteren von Statuetten und Arma gebildeten Bildraum hinein leisten und damit den Blick vom Detail her bestimmt sein lassen. Daß ein solches Sehen absichtsvoll und emphatisch beschworen worden sein könnte, zeigt die Rahmengestaltung. Sie hat mich an das Visionsfensterchen erinnert, das sich den bildinternen Rahmen in einer anglonormannischen Apokalypse der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts öffnet und durch das Johannes den thronenden Christus und das Lamm inmitten der vierundzwanzig Ältesten erblickt (Abb. 8). Ich will mit diesem Vergleich keinen wie auch immer gearteten Zusammenhang postulieren, sondern auf eine vergleichbare Strategie der Inszenierung hinweisen: Wie die zierliche Fensterrahmung die Öffnung des Rahmens als bedeutsame Schleuse zwischen dem Raum des Visionärs und der göttlichen Sphäre auszeichnet,44 birgt das Rezeptakel nicht einfach den Dorn, sondern zeigt sich in seiner Form als Fenster, rahmt also auch den ›Anblick‹ des Dorns und läßt jenen förmlich ›erscheinen‹. Es fällt auf, daß das Reliquiar in seiner Sockelinschrift als monstrancia bezeichnet wird, ein erst in der Mitte des 14. Jahrhunderts mehrfach, aber nur in deutschen und böhmischen Quellen, etwa in den Inventaren des Prager Doms nachgewiesener Begriff, der im modernen Sprachgebrauch zwar eher ein Schaugefäß für die Hostie meint, der Form nach aber mit einem Reliquienostensorium identisch ist.45 Nach Braun sind aber die Inventare unklar in Bezug auf die Form der als monstrancia bezeichneten Reliquiare, und es gibt sogar einige wenige Fälle, in denen kein Schaugefäß, sondern eine Kapsel so benannt

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wurde.46 Daraus ergibt sich für das Prager Reliquiar, daß sich die Bezeichnung monstrancia im engeren Sinne auf das Dornenrezeptakel beziehen kann, aber auch daß das ganze Ensemble deshalb monstrancia ist, weil es nicht nur den Dorn, sondern auch das gewesene Leiden des Herrn vorzeigt. Dies geschieht auf eine intensive Weise, indem der Blick vom mittigen Dornenrezeptakel zur Christusstatuette und den flankierenden Arma mit Engeln geführt wird. Zwar verdichtet und fokussiert sich im Dornenrezeptakel das Sehen, doch soll der Blick ja nicht am Dorn ›hängenbleiben‹, sondern ihn an der Stirn Christi lokalisieren. Der Betrachterblick, der kurz zuvor wie in einem Brennglas gebündelt war, muß also das Behältnis wieder verlassen, umherschweifen, vielleicht erst die untere horizontale Bildebene der vielen kleinen Arma abtasten, dann ein ›Register‹ höher zum Torso des Schmerzensmannes steigen. Dort wird er die aus Kreuzesquerbalken und verschränkten Armen gebildete horizontale Achse entlangwandern, INRI-Schrift und »Narbenschrift«47 der Wundmale auf Chri­ sti Händen lesen und erfolglos nach der verborgenen Seitenwunde fahnden. Auf diese gestische Verschlossenheit Christi scheint mit etwas Phantasie am rechten Ende dieser Blickachse das die Leugnung der Bekanntschaft Christi durch Petrus begleitende Krähen des Hahns höhnisch zu antworten. Eine letzte Stufe erreicht der Blick am Kopf Christi und findet seinen Zielpunkt auf dem Rubin am Ansatz des Mittelscheitels – neben dem auf der Bodenplatte angesiedelten Wappen der einzige Farbfleck des Reliquiars. Sucht man den Blick Christi, dann trifft man zwar auf geöffnete Augen, nicht aber auf Pupillen, sucht man nach Schmerz, trifft man auf Ruhe, sucht man nach Wunden, so trifft man auf einen Rubin und winzige Nagelabdrücke in den Händen. Der Körper Christi erscheint durch seine Haltung verschlossen. Statt seiner sind jedoch die Dinge – Kreuz, Geißelsäule und Sockel des mittleren Engelchens – durch Schmucklöcher geöffnet. Das Spannungsverhältnis von ›Ausstellen‹ und ›Dem-Blick-eröffnen‹, worauf ja schon der Begriff monstrancia verweist, und Verdecken, Verbergen erscheint mir als Leitmotiv des Reliquiars: Das Verdecken fängt ja schon bei der unfreiwillig komisch wirkenden Gestalt des Engelchens an, dessen Kopf in Frontalansicht durch das vergleichsweise riesige Behältnis verdeckt wird. Man kommuniziert nicht mit einem Antlitz, sondern mit einem Dorn. Sollten die Betrachter vielleicht bewußt zu einer Meditation über das Offenliegende und goldene Oberflächen einerseits und über das Geheimnis eines ehemals aus Fleisch und Blut bestehenden, nun verklärten Körpers andererseits angeleitet werden? Der Dorn in seinem Gehäuse lädt zur devotionalen Nahsicht ein und leitet zugleich zur Betrachtung des ganzen Körpers Christi über, an dem der Dorn ursprünglich schmerzhaft lokalisiert war. Die Schöpfer und Betrachter des Reli­ quiars könnten mit der nahsichtigen, kontemplativen Betrachtung der Wundmale Christi vertraut gewesen sein: Seit den 1320er Jahren traten Arma-ChristiBilder in der Buchmalerei wie in dem erwähnten Kunigundenpassionale auf, die zu einem vergleichenden Blicken zwischen Schmerzensmann und der isolierten Seitenwunde aufforderten.48 Die bei Schmerzensmännern in der über-

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8.  Vision des Lammes, anglonormannische Apokalypsenhandschrift (Metz, Bibl. Municipale), zweite Hälfte 13. Jh.

wiegenden Zahl der Fälle auch bei verschränkten Armen sichtbare Seitenwunde, die in der zeitgenössischen Passionsfrömmigkeit so zentral für den An­dachtsund Erlösungsaspekt steht, wird hier durch die verschränkten Arme Christi verdeckt, vielleicht zugunsten einer Konzentration auf die Stirnwunde.49 Der Rubin in der Dornenkrone ist nicht nur als blickleitender Verweis auf den Ort des Dorns zu lesen, sondern vertritt das Blut der verwundeten Kopfhaut.50 Schließlich ist der Dorn als Reliquie zwar schon als Teil der Dornenkrone verehrenswert, aber letztlich deshalb, weil er das Blut Christi zum Fließen brachte und mit demselben in Kontakt trat.51 Doch hier erscheint der Bildkörper Christi in seiner die Sichtbarkeit der Seitenwunde verunmöglichenden Haltung und mangels klarer Wundmale an Händen und Füßen verschlossen. Dies ist bemerkenswert, da es in der Passionsfrömmigkeit ja gerade der geöffnete Leib Christi ist, der sein heilsames Blut verströmt.52 Die Wundöffnungen sind aber in vorliegendem Fall wie unter der legendären Berührung des Midas versiegelt worden, und der Blutfluß scheint in Edelstein transmutiert worden zu sein. Vergleichbar im Hinblick auf den Einsatz eines einzelnen Blut-Rubins erscheint der aus Gold getriebene Kruzifixus der Kreuzigungsgruppe (vor 1470) des Hallwyl-Reliquiars aus dem Basler Münsterschatz, dessen Seitenwun­de durch einen großen, unregelmäßig ovalen und flachpolierten Rubin weniger »dargestellt«53 wird, als randvoll ausgefüllt erscheint (Abb. 9). Anders als im Prager Reliquiar fungiert hier gewissermaßen der Körper Christi direkt als Fas­ sung eines Edelsteins. Der Rubin ›steckt‹ in den leicht aufgewölbten Rän­dern der Seitenwunde wie ein einzelner, zur Kostbarkeit geronnener Tropfen anstelle des austretenden Blutes, das eigentlich strömen müßte. Erst das von Pariser

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9.  Hallwyl-Reliquiar, Detail: Kreuzigungsgruppe (Basel, Münsterschatz), vor 1470

Goldschmieden entdeckte und um 1400 sich steigender Nachfrage erfreuende Goldemailverfahren erlaubte eine ästhetische Alternative zum harten Glanz von Edelmetall und Rubin: Es ließ Christusfiguren in Reliquiaren farbig werden bzw. erlaubte ein plastisch-farbiges Hervortreten der Blutströme im beliebten transluziden rouge cler.54 Durch die ›Versiegelung‹ des leidenden, sterblichen Körpers in Edelmetall und Edelstein, die zwar die Reliquiarsästhetik grundsätzlich bestimmt – etwa indem sie den »anatomischen Verismus der Körperteilreliquiare« bricht und zugleich auf eine »ästhetische Ausmünzung und Repräsentanz des heiligen corpus spiritale« zielt55 –, wird im Prager Reliquiar der Bildkörper des lebend-toten Schmerzensmannes durch die jenseitige ›Hülle‹ des strahlend auferstandenen Gottessohnes überkleidet. Von dieser recht allgemeinen Deutung abgesehen, wäre genauer zu fragen, ob der Körper Christi und die mit ihm in Kontakt ge-

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tretenen Arma auch in Schriftquellen in einer Sprache des Glanzes beschrieben wurde, die uns eher vertraut erscheint aus der Verklärungsmetaphorik von Heiligenleibern.56 Spinareliquiare und andere szenisch gestaltete Christusreliquiare haben eine besondere Aufgabe – sie gestalten Präsenz, Absenz und Wiederkehr des Körpers Christi und müssen dabei einen anderen Körper als den der Heiligen, nämlich einen fleischlich ins Jenseits entrückten, menschlich-göttlichen Körper zur Anschauung bringen. Wie aus der kleinen Auswahl der hier angesprochenen Beispiele ersichtlich geworden sein dürfte, geschieht dies auf ganz unterschiedliche Weise. Allen Reliquiaren ist aber gemein, daß sie Bild und Reliquie in Beziehungsgefüge setzen, die unterschiedliche Seherfahrungen – Tiefenblicke etwa beim kleinen aufklappbaren Amethystreliquiar oder aber ein Oszillieren zwischen Nahsicht und Blick auf das Ganze – erlauben. Für die sich derzeit fortschreitend ausdifferenzierende Geschichte des andächtigen Sehens und der Bildwahrnehmung, die sich bis dato eher auf Tafelbilder, Buchmalerei und Bildwerke konzentriert hat, dürften die Beschäftigung mit spätmittelalterlichen Reliquiaren weitere Erkenntnisse bereithalten.

1 Baltimore, Walters Art Gallery, Inventarnummer: 57.700. Höhe 29,3 cm; Sockel 20,3 × 11,4 cm. Erworben durch Henry Walters im Jahre 1903 von Jacques Seligmann in Paris; frühere Besitzer unbekannt. 2 Emanuel Poche, Prag und Böhmen. Goldschmiedekunst, Textilkunst, Glasmalerei, in: AK Die Parler und der Schöne Stil 1350–1400. Europäische Kunst unter den Luxemburgern, 3 Bde., hg. von Anton Legner, Schnütgen Museum, Köln 1978, Bd. 2, S. 699–702, hier S. 700f.; Karel Otav­ sky, Reliquiar für einen Dorn von der Dornenkrone Christi, in: AK Die Parler (wie oben), S. 702f. 3 Philippe Verdier, Le reliquaire de la Sainte Epine de Jean de Středa, in: Peter Bloch (Hg.), FS Hanns Swarzenski, Berlin 1973, S. 319–344. 4 Knappe Erwähnungen in der Literatur zum Schmerzensmann bei Rudolf Berliner, Arma Chri­ sti, in: Robert Suckale (Hg.), Rudolf Berliner (1886–1967). The Freedom of Medieval Art und andere Studien zum christlichen Bild, Berlin 2003, S. 97–191, hier S. 130 (erstmals publiziert in: Mün­ chner Jahrbuch 6, 1955, S. 35–152); Anja Zimmermann, Jesus Christus als Schmerzensmann in hoch- und spätmittelalterlichen Darstellungen der bildenden Kunst, Diss. Halle 1997 (online-Ver­ sion), S. 204f., Nr. 164; Colin Eisler, The Golden

Christ of Cortona and the Man of Sorrows in Italy I–II, in: Art Bulletin 51, 1969, S. 107–118, S. 233– 246, hier II, S. 237; keine Erwähnung findet das Reliquiar bei Erwin Panofsky, Imago Pietatis, in: FS Max J. Friedländer, Leipzig 1927, S. 261–308; Gertrud Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, Gütersloh 1983, Bd. 2: Arma Christi – Schmer­zensmann, S. 198–224; Wiltrud Mersmann, Der Schmerzensmann, Düsseldorf 1952; Gert von der Osten, Der Schmerzensmann. Typengeschichte eines deut­schen Andachtsbildwerkes von 1300 bis 1600, Berlin 1955. Innerhalb der allgemeinen Literatur zu spätmittelalterlicher Gold­­schmiedekunst wird es erwähnt in: AK Europäische Kunst um 1400, Wien 1962, Nr. 439, Johann M. Fritz, Goldschmiedekunst der Gotik in Mitteleuropa, München 1982, S. 223, Nr. 264, Dietmar Lüdke, Die Statuetten der gotischen Gold­schmiede. Studien zu den ›autonomen‹ und vollrunden Bildwerken der Goldschmiedeplastik und den Statuettenreliquiaren in Europa zwischen 1230 und 1530, München 1983, S. 308ff., Nr. 7 und AK The Way to Heaven. Relic Veneration in the Middle Ages, hg. von Henk van Os, Amsterdam – Utrecht 2001, S. 143–147, Nr. 174 fügen den Beobachtungen von Otavsky (wie Anm. 2) nichts Neues hinzu; keine Erwähnung

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findet das Reliquiar bei Joseph Braun, Die Reliquiare des christlichen Kultes und ihre Entwicklung, Freiburg/Br. 1940. 5 In der Überblicksarbeit von Pierre Dor, Les Reliquaires de la Passion en France du Ve au XVe siècle, Amiens 1999, die erhaltene und zumindest durch Quellen belegte Reliquiare versammelt, erscheint bis auf das Prager Reliquiar, das auf S. 77 kommentarlos in die Reihe der französischen Passionsreliquiare eingemeindet wird, kein vergleichbares Exemplar. Mangels weiterer Stu­dien über Christus-Reliquiare und wegen der oftmals unklaren Beschreibungen von Reliquiaren in zeit­ genössischen Schatzinventaren, steht die Einzigartigkeit des Prager Reliquiars allerdings unter Vorbehalt. Nach Lüdke (wie Anm. 4) S. 310 werden Reliquienstatuetten des Schmerzensmannes in mittelalterlichen Schatzverzeichnissen selten genannt: »Nur im Halleschen Heiltumsbuch ist eine vergleichbare Silberfigur abgebildet; allerdings fehlen bei dieser wohl erst um 1500 entstandenen Goldschmiedeplastik die reliquienweisenden und flankierenden Engel.« Im frühen 15. Jahrhundert entstand ein das Kreuz haltender und dabei auf die Seitenwunde weisender zierlicher Schmerzensmann mit deutlich ausgeprägten Stigmata. Er wurde in der Mitte des Jahrhunderts in ein Reliquiar eingefügt, das Bischof Jacopo Vagnucci der Stadt Cortona schenkte. Vgl. Eisler (wie Anm. 4). 6 Otavsky (wie Anm. 2) S. 703. Gerade die im deutschen Sprachraum später weit verbreiteten plastischen Schmerzensmänner haben häufig geöffnete Augen. Vgl. die bei Osten (wie Anm. 4) versammelten Beispiele. 7 Nach brieflicher Auskunft von C. Griffith Mann (Walters Art Gallery, 23. 4. 2004) seien die Wundmale »barely visible even when standing in front of the object. There are two small impressions in the hands, but nothing similar to mark Christ’s feet, and the wound in his side is not visible on account of the position of his arms.« Das Fehlen der Fußwunden läßt sich durch nichts begründen. 8 Poche (wie Anm. 2) S. 700. 9 Verdier (wie Anm. 3) S. 319. 10 Rudolf Berliner, Bemerkungen zu einigen Darstellungen des Erlösers als Schmerzensmann, in: Berliner (wie Anm. 4) S. 192–212, hier S. 196f. 11 Otavsky (wie Anm. 2) S. 703.

12 Bezüglich der leeren rechten Hand des Engels auf der rechten Seite: »(…) mais sans doute y a-t-il eu des permutations entre les instruments de la Passion tels qu’ils sont actuellement préséntés par les anges après quelques restaurations.« Verdier (wie Anm. 3) S. 319. Der Ausdruck preparari fecit in der Sockelinschrift, der anstelle eines einfachen fecit verwendet werde, suggeriere, daß das Reliquiar gemacht worden sei, »pour être inséré dans une structure complexe, dont le Rössli d’Altötting permet de se faire une idée (…)«, ebd. S. 333. 13 Verdier (wie Anm. 3) S. 320. 14 Verdier (wie Anm. 3) S. 320, 333. 15 Verdier (wie Anm. 3) S. 329f. Johann stirbt 1380 als Bischof von Breslau. Einen Hinweis sieht Verdier in der Schmerzensmann- und Arma-Verehrung des Bischofs, die sich in seinem Liber viaticus (ca. 1364/65), einem Reisebreviar, zeige. Die Arma er­scheinen auf fol. 308r, auf fol. 318r steht ein Gebet zu den Arma; auf fol. 165r zeigt eine Gnadenstuhlminiatur nicht wie üblich den Gekreuzigten, sondern den Schmerzensmann. In einem später entstandenen Missale findet man einen kleinen halbfigurigen Schmerzensmann mit Arma in der Initiale der Verse 15 und 17 des Psalms 21, dessen Rezitation das Officium für das Fest der Lanze und der Nägel eröffnet. Verdier (wie Anm. 3) S. 331. M. E. belegt dies noch nicht eine Passionsfrömmigkeit des Bischofs, die sich von der anderer Persönlichkeiten im Umkreis des Kaisers unterscheidet. Verdier (wie Anm. 3) S. 333 will nicht ausschließen, daß das Reliquiar den Dorn enthalten habe, den Charles V. Karl IV. im Januar 1378 in Paris übergab. Mit einem solchen Reliquiar habe Johann vielleicht als Hofkanzler einen letzten Willen des Kaisers ausgeführt, oder es für die Augustiner von Olmütz anfertigen lassen, wo er seine Grablege plante. Poche (wie Anm. 2) S. 701 behauptet, daß Werk sei »aus kaiserlichem Eigentum in den Besitz des Bischofs Johann von Neumarkt« gekommen. 16 Otavsky (wie Anm. 2) S. 703. 17 Zum Gesamtprogramm vgl. Gia Toussaint, Das Passional der Kunigunde von Böhmen. Bildrhetorik und Spiritualität, Paderborn 2003. 18 1353 unternahm Karl IV. eine Reise nach Deutschland und in die Schweiz, wo er Reliquien sammelte. Der Prager Erzbischof bestimmte den 2. Januar zum Fest der Passionsreliquien. Mit der Bulle Redemptor noster erlaubte der Papst 1354

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nicht nur die festliche Verehrung der Lanze und der Nägel, sondern auch aller anderen Arma überall da, wo deren Reliquien aufbewahrt wurden. Das Fest erhielt den Namen Arma Christi, und unter diesem ist es auch in einem böhmischen Antiphonar von 1363 erwähnt. Verdier (wie Anm. 3) S. 326; nach Berliner (wie Anm. 4) S. 130 könnte die Bulle das Besitzstreben nach Passionsreliquien weiter motiviert haben. 19 Mangels schriftlicher Quellen über die Ausstellung von Goldschmiedestatuetten greift Lüdke (wie Anm. 4) S. 50f. auf Darstellungen in der Buch- und Tafelmalerei zurück. Statuetten und Reliquiare konnten an Festtagen und anderen besonderen Anlässen auf Altarmensen stehen, neben oder auf Altären; sie waren aber auch in vergitterten Wandnischen dauerhaft ausgestellt. 20 Nach Fritz O. Schuppisser, Schauen mit den Augen des Herzens. Zur Methodik der spätmittelalterlichen Passionsmeditation, besonders in der Devotio Moderna und bei den Augustinern, in: Walter Haug – Burkhardt Wachinger (Hgg.), Die Passion Christi in Literatur und Kunst des Spätmittelalters, Tübingen 1993, S. 169–210, hier S. 190. Die Verehrung einer speziellen Stirn­wun­ de Christi, die durch einen einzelnen, besonders tief eingedrungenen Dornen verursacht wor­den sei, gehört in den speziellen Kontext der eher in Bayern und den Alpenländern der frühen Neuzeit gepflegten andächtigen Betrachtung der ›geheimen‹, da nicht in den Evangelien beschriebenen und nur einigen ausgewählten Per­sonen offenbarten Leiden Christi. Vgl. Friedrich Zoepfl, Das unbekannte Leiden Christi in der Fröm­migkeit und Kunst des Volkes, in: Volk und Volkstum 2, 1937, S. 317–336; Fritz Markmiller, Neue Belege zur Bildgestalt der Geheimen Leiden Christi, in: Volkskunst 4, 1981, S. 98–105. 21 Peter Dinzelbacher, Christliche Mystik im Abendland, Paderborn 1994, S. 365; die Heilige Rita von Cascia (gest. 1447) empfing auf ihr Gebet hin eine Stirnwunde durch die Dornenkrone Christi, ebd. S. 406. 22 Elisabeth von Witzleben, Dornenkrone, in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 4, Stuttgart 1959, Sp. 299–311, hier Sp. 300. 23 »Die nach Paris gelangte Reliquie (…) besteht aus einfachem Binsenrohr; dieser Befund bestätigt die Angabe eines armenischen Inventars aus dem 13. Jahrhundert, derzufolge die Reliquie in zwei Teile, das Rohrgeflecht und die Dornen,

geteilt worden sein soll. Die Dornreliquien, darunter viele nur durch Berührung der Dornenkrone geweihte Dornen des Busches Zizyphus spina Christi, sind zerstreut.« Witzleben (wie Anm. 22) Sp. 300ff. Vgl. Elisabeth Taburet-Delahaye, Reliquaires de saintes épines don­nées par saint Louis. Remarques sur l’orfèvrerie française du milieu du XIIIe siècle, in: Cahiers archéologiques 47, 1999, S. 205–214. 24 Zu Schmerz, compunctio und memoria vgl. Mary Carruthers, Reading with Attitude. Remem­ bering the Book, in: Dolores War­wick Frese – Katherine O’Brien O’Keef­fe (Hgg.), The Book and the Body, London 1999, S. 1–33; Jill Bennett, Stigmata and Sense Me­mory. St Francis and the Affec­ tive Image, in: Art History 24, 2001, S. 1–16; Jochen Berns, Liebe und Hiebe. Unvorgreifliche Ge­danken zur mnemonischen Kraft christlicher Schmerzikonographie, in: Barbara u. Richard Hüt­ tel (Hgg.), Re-Visionen. Zur Aktualität von Kunstgeschichte, Berlin 2002, S. 247–262. 25 In der Marienkapelle von Karlstein zeigt ein Fresko, wie Karl IV. zwei Dornen in einem Reliquienkreuz birgt. Das Kreuzreliquiar, auf dessen Rückseite unter einem Bergkristall die Dornen und weitere Reliquien des Nagels, des Schwamms und der Fesseln Christi von der Geißelung lagen, befand sich in der Kreuzkapelle. Verdier (wie Anm. 3) S. 320. 26 Es werden ein Dornenreliquiar genannt, das der ungarische König im 14. Jahrhundert schenkte und eines, das Wenzel, Patriarch von Antiochia und Kanzler Wenzels IV., um 1398 schenkte. Verdier (wie Anm. 3) S. 342, Anm. 40. 27 Vgl. Karl-August Wirth, Dornenkronenreliquiar, in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 4, Stuttgart 1959, Sp. 312–315. 28 Taburet-Delahaye (wie Anm. 23) S. 212. Nach ihren Erkenntnissen sind 26 Dornenschenkungen Louis’ IX. durch einen Begleitbrief oder eine andere zeitgenössische Quelle belegt; die erhaltenen Reliquiare, die für sich einen von Louis IX. geschenkten Dorn reklamieren, können die­ sen Schenkungen nur in seltenen Fällen sicher zugeordnet werden. 29 Wirth (wie Anm. 27) Sp. 312: »Im späteren Mittelalter, als die Dornenkrone nicht mehr als Siegeskrone, sondern ausschließlich als Marterwerkzeug angesehen wurde, und als es üblich wurde, die Reliquien den Gläubigen sichtbar vorzuweisen, verschwanden die D[ornenkronenreli­

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quiare]. An ihre Stelle traten die für Spät-MA und Barock durch eine Fülle erhaltener Werke im gesamten Abendland bezeugten (Spina-) Ostensorien.« Allgemein zu Ostensorien vgl. Christoph Diedrichs, Vom Glauben zum Sehen. Die Sichtbarkeit der Reliquie im Reliquiar. Ein Beitrag zur Geschichte des Sehens, Berlin 2001; Witzleben (wie Anm. 22) Sp. 301f.: »Noch in karolingischer Zeit ist es eine Ausnahme, wenn von der D. im Zusammenhang mit Christi Kreuzestod die Rede ist. Die Auffassung des Cyrillus blieb bis ins Hoch-Mittelalter die vorherrschende: nicht als Zeichen der Schmach, sondern als Zeichen des Sieges wurde die D. verstanden und konnte, nach­ dem sich diese Interpretation mit Vorstellungen vom Königtum Christi vermischt hatte, etwa seit ottonischer Zeit zur Darstellung der D. in Form der Königskrone führen. Erst um die Mitte des 12. Jh. sorgte ein Wandel der Frömmigkeit und theologische Theorien (Satisfaktionstheorie des Anselm von Canterbury u. a.) für ein unmittelbares Verständ­nis der D. als Marterinstrument.« Dor (wie Anm. 5) S. 75f. kann 26 Dornenkronenre­ liquiare zwischen 1100 und dem 15. Jh. in französischen Kirchenschätzen nachweisen, deren Entstehungsdatum allerdings nicht in jedem Fall zu klären ist. 30 London, British Museum, Inv.-Nr. MLA 1902, 2–10. Ein kurzer Eintrag im AK Les fastes du gotique. Le siècle de Charles V, hg. von F. Baron, Paris 1981, S. 235f., Nr. 190 und bei Ulrich Henze, Edelsteinallegorese im Lichte mittelalterlicher Bild- und Reliquienverehrung, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 54, 1991, S. 428–451, hier S. 449. Dort finden sich interessante Überlegungen zur christologischen Symbolik des Bergkristalls, der Nähe von Bild und Kristall insbesondere in der ›Arte minuta‹, der Kombination von goldgrundiger Pergament­malerei und Bergkristallscheibe, auf die venezianische Künstler seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts spezialisiert waren. 31 Simone Husemann, Pretiosen persönlicher Andacht, in: AK Spiegel der Seligkeit. Privates Bild und Frömmigkeit im Spätmittelalter, hg. von Frank M. Kammel, Nürnberg 2000, S. 54–68. 32 London, British Museum. Vgl. Renate Eikelmann, Goldemail um 1400, in: AK Das Goldene Rössl. Ein Meisterwerk der Pariser Hofkunst um 1400, hg. von Reinhold Baumstark, München 1995, S. 118. Hinter Gottvater befindet sich ein

Goldrelief mit der Veronika; ein Fragment des Tuches mag im Reliquiengefach auf der Rückseite geborgen gewesen sein, dessen Türflügel Reliefs mit Christophorus und Michael tragen. Zwei emaillierte Plaketten am Sockel lassen sich auf den Herzog beziehen. Im herzoglichen Inventar von 1401/03 wird eine große Krone mit vier Dornen erwähnt, die aufgeteilt und deren Material weiterverwendet worden sei. Drei Dornen kamen in die Sainte-Chapelle des herzoglichen Palastes in Bourges, der vierte wurde in ein »großes goldes Juwel« gesetzt, vermutlich in vorliegendes Reliquiar. Dieser Fall könnte den von Wirth (wie Anm. 27) postulierten Wandel belegen: Die Kronenform erschien nicht mehr zeitgemäß, und es wurde eine dramatischere Präsentationsform für den Dorn gewählt. 33 Anton Legner, Reliquien in Kunst und Kult zwischen Antike und Aufklärung, Darmstadt 1995, S. 224. 34 San Marco, Domschatz; Abb. in: AK Die Parler (wie Anm. 2) Bd. 1, S. 39. 35 Legner (wie Anm. 33) S. 220–231. »Engelund Heiligenstatuetten halten kleine Reliquienbehältnisse vor sich, bieten sie dem Betrachter dar, oder sie tragen die Miniaturreliquiare wie sprechende Attribute, oder diese stehen neben ihnen auf dem Figurensockel, (…). Zum wichtig­ sten Element der Darstellung ist eben das Moment der Zeigung und Weisung des Heiltums geworden. (…) Wieder steht die praesentia des Heiligen im Bild mit der praesentia jener Reliquien in anschaulicher Verbindung«, ebd. S. 267. 36 Erich Meyer, Reliquie und Reliquiar im Mittelalter, in: Ders. (Hg.), Eine Gabe der Freunde für Carl Georg Heise, Berlin 1950, S. 55–66, hier S. 63ff. 37 Meyer (wie Anm. 36) S. 65. Ernst G. Grimme, Goldschmiedekunst im Mittelalter. Form und Bedeutung des Reliquiars von 800–1500, Köln 1972 folgt Meyers Wertung, wenn er sein letztes Kapitel über Reliquiare des späten Mittelalters mit »›Kunstwerk‹ und Selbstbespiegelung« über­­schreibt und dabei implizit so prominente Stifter wie Jeanne d’Evreux, Isabella von Bayern und schließlich Karl den Kühnen kritisiert, der als vom hl. Georg empfohlener Stifter auf seinem nur fragmentarisch erhaltenen Reliquiar der Kathedrale von Lüttich (1466) erscheint. Eine positivere Sicht auf derartige Werke zeigt Rainer Kahsnitz, Kleinod und Andachtsbild. Zum Bild-

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programm des Goldenen Rössls, in: AK Das goldene Rössl (wie Anm. 32) S. 58–89, hier S. 58: »Das Ergötzen über die Köstlichkeit und die Kostbarkeit des Werkes muß frommer Versenkung in die dargestellten Inhalte nicht im Wege stehen.« 38 Lüdke (wie Anm. 4). 39 Dagmar Preising, Bild und Reliquie. Gestalt und Funktion gotischer Reliquientafeln und -altärchen, in: Aachener Kunstblätter 61, 1995–1997, S. 13–84, hier S. 53. 40 Vgl. Flora Lewis, Rewarding Devotion. The Idea of Indulgences, in: Diane Wood (Hg.), The Church and the Arts, Oxford 1992, S. 179–194. 41 Otavsky (wie Anm. 2) S. 702 bezeichnet das Reliquiar zugleich als Andachtsbild. Ebenso ­Legner (wie Anm. 33) S. 81: »Andachtsbild und Reliquiar zugleich, verweist dieses aus Reliquienfrömmigkeit und Passionsmystik entstandene Gold­schmiedewerk der arma Christi auf die Fragwürdigkeit gewohnheitsmäßiger Einteilung von Bildkunst in Andachtsbild und Kultbild. In solchen Darstellungen der imago Pietatis und der arma Christi erheben originale Partikel der geheiligten Gegenstände (….) das Andachtsbild in den Bereich des Kultischen, erfüllen es mit der Aura des Numinosen.« Eine Problematisierung des Begriffs bei Robert Suckale, Arma Christi. Überlegungen zur Zeichenhaftigkeit mittelalterlicher Andachtsbilder, in: Städel-Jahrbuch 6, 1977, S. 177– 208 und Karl Schad, Andachtsbild. Die Geschichte eines kunsthistorischen Begriffs, Weimar 1996. 42 Das gilt sicher auch für das Amethystreliquiar, das ohne sein Reliquiengefach immer noch ein preziöses Andachtsbüchlein en miniature wäre. Das Reliquiar des Herzogs von Berry wäre ohne Dorn ein Schaustück, das die Wiederkehr des Richters am Ende der Tage in aller Pracht feiert. 43 Zum gattungsübergreifenden Einsatz architektonischer Elemente und Rahmungssysteme in Schreinen und Buchmalerei vgl. Peter Kurmann, Gigantomanie und Miniatur. Möglichkeiten gotischer Architektur zwischen Großbau und Kleinkunst, in: Kölner Domblatt 61, 1996, S. 125–146; Michael T. Davis, Splendor and Peril. The Cathedral of Paris 1290–1350, in: Art Bulletin 80, 1998, S. 34–66, hier S. 47 geht so weit, vage die vorgeblendeten Schmuckarkaden an den Außenseiten des östlichen Teils der Chorschranken von Notre-Dame unter Verweis auf Roger Bacons

Theorie der species und der Intromission als gestalterisches Mittel »to orchestrate spiritual experience« zu deuten. 44 Metz, Bibl. Municipale, MS Salis 38, fol. 4r. Die Rahmendurchfensterung taucht in dieser Handschrift häufiger auf; etwas einfacher gestaltete Öffnungen gibt es auch in anderen anglonormannischen Apokalypsen. Unterschiedliche Wer­ tungen dieser Bildidee bei Peter K. Klein, From the Heavenly to the Trivial. Vision and Visual Perception in Early and High Medieval Apocalypse Illustration, in: Herbert L. Kessler – Gerhard Wolf (Hgg.), The Holy Face and the Paradox of Representation, Bologna 1998, S. 247–278 und demnächst in David Ganz, Oculus interior. Orte der inneren Schau in mittelalterlichen Visionsdarstellungen, in: Katharina Philipowski – Anne Prior (Hgg.), Das ›Andere‹ des Körpers. Darstellungen und Systematisierungen von ›Seele‹ im 12. und 13. Jahrhundert, Berlin 2005. 45 Braun (wie Anm. 4) S. 301f. 46 Braun (wie Anm. 4) S. 55ff. 47 Zu den Wunden Christi und der diesbezüglichen Schrift- und Buchmetaphorik vgl. Urban Küsters, Narbenschriften. Zur religiösen Literatur des Spätmittelalters, in: Jan-Dirk Müller – Horst Wenzel (Hgg.), Mit­telalter. Neue Wege durch einen alten Kontinent, Stuttgart – Leipzig 1999, S. 81–110. 48 Vgl. Silke Tammen, Blick und Wunde – Blick und Form. Zur Deutungsproble­matik der Seitenwunde Christi in der spätmittelalterlichen Buchmalerei, in: Kristin Marek u. a. (Hgg.), Bild und Körper im Mittelalter, Paderborn 2006, S. 85–114. Zum andächtigen Sehen, welches die Grenzen zwischen Sehen und Tasten verwischt und das Detail als Ort des Eintritts in das Bild gegenüber kohärenten Größenverhältnissen und Bildstrukturen privilegiert, vgl. Bennett (wie Anm. 24); zur Verehrung der Seitenwunde vgl. Hugo Rah­ner, Symbole der Kir­che. Die Ekklesiologie der Väter, Salzburg 1964, Kapitel »Flumina de ventre Christi. Die patristische Auslegung von Joh 7,37–38«, S. 178–235; zu Ablässen für die Andacht gegen­ über den Arma (die Wunden Christi eingeschlossen) vgl. Lewis (wie Anm. 40) S. 181. 49 Diverse Fälle, wo die Wunde durch die Arm­ haltung verdeckt wird, bei Osten (wie Anm. 4). Im Laufe des 15. Jahrhunderts scheint das ostentative Wundweisen verbreiteter zu werden.

208 Silke Tammen 50 Nach Christel Meier, Gemma spiritalis. Methode und Gebrauch der Edelsteinallegorese vom frühen Christentum bis ins 18. Jahrhundert, München 1977, S. 105 sei schon seit frühchristlicher Zeit die Deutung des Rubins aufgrund seiner Farbe als Sinnbild des Blutes Christi geläufig gewesen. 51 Dieser Gedanke wurde schon von Henri d’Avranches in einem Gedicht anläßlich der Ankunft der zweiten Fuhre Passionsreliquien aus Konstantinopel 1241 in Paris entwickelt: Die Dornenkrone sei noch kostbarer dadurch geworden, daß sie das königliche Haupt stach und damit die Schuld der Menschen mit dem Blut der Erlösung reinigte. Nach Carin Ruff, The ›Versus de corona spinea‹ of Henry of Avranches and the Iconography of Kingship in the Reign of Louis IX, in: Mittellateinisches Jahrbuch 38, 2003, S. 379–387, hier S. 384. 52 Vgl. Rahner (wie Anm. 48). Auf die Verbindung des Schmerzensmannes mit der eucharistischen Verehrung des Corpus Christi wies Eisler, II (wie Anm. 4) hin. 53 Sabine Häberli, Hallwyl-Reliquiar, in: AK Der Basler Münsterschatz, hg. von Brigitte Meles, Basel 2001, S. 100–105, hier S. 105. Die Nagelköpfe sind aus großen Dia­manten gebildet. In dem zierlichen Schrein, auf dessen Dach wohl nachträglich die Kreu­zigungsgruppe montiert wurde, befanden sich Reliquien vom Kreuz und Blut

Christi. Ein weiterer, um 1493 entstandener Kruzifixus trägt in der Seitenwunde einen Rubin, ebd. Nr. 49, S. 158ff. 54 Beispiele bei Renate Eikelmann, Les émaux sur ronde-bosse d’or, in: AK Paris 1400. Les arts sous Charles VI, hg. von Elisabeth Taburet-De­ lahaye, Paris 2004, S. 65–167 und Dies. (wie Anm. 32). 55 Bruno Reudenbach – Gia Toussaint, Die Wahrnehmung und Deutung von Heiligen. Überlegungen zur Medialität von Reliquiaren, in: Das Mittelalter 8, 2003, S. 34–40, hier S. 35. 56 Vgl. Arnold Angenendt, ›Der Leib ist klar, klar wie Kristall‹, in: Klaus Schreiner (Hg.), Frömmigkeit im Mittelalter. Politisch-soziale Kontexte, visuelle Praxis, körperliche Ausdrucksformen, München 2002, S. 387–398 und Gia Toussaint, Heiliges Gebein und edler Stein. Der Edelsteinschmuck von Reliquiaren im Spiegel mittelalterlicher Wahrnehmung, in: Das Mittelalter 8, 2003, S. 41–66. In den zitierten Quellen verbinden sich allerdings eher Glanz und Durchsichtigkeit. Emi­ le Mâle, L’art religieux de la fin du moyen-âge en France, Paris 1908, S. 98f. Anm. 1 verweist (in diffuser Weise) auf eine Hymne des 14. Jahrhunderts, in der die Dor­nenkrone als glänzend, obgleich aus Dornen bestehend gepriesen wird; ihre Blutstropfen schimmern wie Edelsteine.

Anhang

Verzeichnis der Abkürzungen

AK AASS CCCM CCL FS MGH Migne PG Migne PL

Ausstellungskatalog Acta Sanctorum, hg. von J. Bollandus u. a., 67 Bde., Antwerpen 1643ff.; Paris 1863-1925. Corpus Christianorum continuatio mediaevalis, Turnhout 1966ff. Corpus Christianorum, Series Latina, Turnhout 1953ff. Festschrift Monumenta Germaniae historica inde ab a. C. 500 usque ad a. 1500, Hannover u. a. 1826ff. Patrologiae cursus completus, series Graeca, hg. von JacquesPaul Migne, 161 Bde., Paris 1857ff. Patrologiae cursus completus, series Latina, hg. von JacquesPaul Migne, 221 Bde., Paris 1844ff.

212 Autoren

Die Autoren

Horst Bredekamp,  lehrt Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Bildersturm, Skulptur der Romanik, Kunst der Renaissance und des Manierismus, politische Ikonographie, Kunst und Technik, neue Medien. Veröffentlichungen u. a.: Kunst als Medium sozialer Kon­ flikte. Bilderkämpfe von der Spätantike bis zur Hussitenrevolution, Frankfurt/ M. 1975; Kunst um 1400 am Mittelrhein. Ein Teil der Wirklichkeit, Ausstellungskatalog, Frankfurt/M. 1975 (mit Herbert Beck); Thomas Hobbes Visuelle Strategien. Der Leviathan: Das Urbild des modernen Staates, Berlin 1999; Sankt Peter in Rom und das Prinzip der produktiven Zerstörung. Bau und Abbau von Bramante bis Bernini, Berlin 2000; Die Fenster der Monade. Gott­ fried Wilhelm Leibniz’ Theater der Natur und Kunst, Berlin 2004. Brigitte Buettner,  lehrt als Priscilla Paine Van der Poel Associate Professor of Art History am Smith College, Northampton/Mass.; Ph.D. École des Hau­tes Études en Sciences Sociales (EHESS), Paris. Arbeitsschwerpunkte: Geschichte des Portraits, Reliquiare und Reliquienverehrung, Wallfahrtswesen. Veröf­fent­ lichungen u. a.: Boccaccio’s Des cleres et nobles femmes. Systems of Signification in an Illuminated Manuscript, Seattle 1996; Past Presents: New Year’s Gifts at the Valois Courts, ca. 1400, in: The Art Bulletin 83, 2001, S. 598–625. Lisa Victoria Ciresi,  erwarb ihren Ph.D. an Rutgers, The State University of New Jersey und forscht z. Zt. als Stipendiatin des DAAD an dem Projekt: Foundations of a Sacred Empire: Charlemagne’s Chapel in Aachen and Its Relic-Cults as Definers of Medieval Kingship. Arbeitsschwerpunkte: mittelalterliche Kunst im Kontext von Kult und Liturgie, Reliquienschreine. Veröffentlichungen: A Liturgical Study of the Shrine of the Three Kings, in: Colum Hourihane (Hg.), Objects, Images, and the Word, Princeton 2003, S. 202–230 und weitere Aufsätze zur Reliquienverehrung. Michele C. Ferrari,  lehrt lateinische Philologie des Mittelalters und der Neuzeit an der Universität Erlangen-Nürnberg. Arbeitsschwerpunkte: Mittelalter-

213 Autoren

liche Literatur und Kultur 500–1500; Geschichte der Schriftlichkeit und Textualität im Mittelalter; Bildungsgeschichte der Neuzeit. Veröffentlichungen u. a.: Sancti Willibrordi venerantes memoriam. Echternacher Schreiber und Schriftsteller von den Angelsachsen bis Johann Bertels, Luxemburg 1994; Thiofridi abbatis Epternacensis Flores epitaphii sanctorum (CCCM 133), Turnhout 1996. Il ›Li­ber sanctae crucis‹ di Rabano Mauro, Bern 1999; Vil guote Buecher zuo Sant Oswalden. Die Pfarrbibliothek in Zug im 15. und 16. Jahrhundert, Zürich 2003. Cynthia Hahn,  lehrt als Gulnar K. Bosch Professor of Art History an der Flo­ rida State University. Arbeitsschwerpunkte: Bilder von Heiligen und Heiligkeit, Reliquiare vor 1204, Erzählkonzepte sowie Text-Bild-Beziehungen. Veröffentlichungen u. a.: Passio Kyliani, Pseudo-Theotimus, Passio Margaretae … Hannover, Niedersächsische Landesbibliothek, Ms. I. 189, Graz 1988; Portrayed on the Heart. Narrative Effect in Pictorial Lives of the Saintes from the Tenth through the Thirteenth Century, Berkeley 2001; Medieval Reliquaries. Issues and Origins, im Druck. Bruno Reudenbach,  lehrt Kunstgeschichte an der Universität Hamburg. Arbeitsschwerpunkte: Spätantike und Mittelalter, insbesondere Text-Bild­Probleme, theo­logie- und frömmigkeitsgeschichtliche Fragen, politische Ikono­ graphie sowie Architekturgeschich­te. Veröffentlichungen u.a.: G. B. Piranesi. Architektur als Bild. Der Wandel in der Architekturauffassung des 18. Jahrhunderts, München 1979; Das Taufbecken des Reiner von Huy in Lüttich, Wiesbaden 1984; Das Godescalc-Evangelistar. Ein Buch für die Reformpolitik Karls des Großen, Frankfurt/M. 1998. Zahlreiche Aufsätze zur mittelalterlichen Kunst. Hedwig Röckelein,  lehrt Mittlere und Neuere Geschichte an der Georg-August-Universität Göttingen. Arbeitsschwerpunkte: Religion und Kultus, Frauen- und Geschlechtergeschichte sowie christlich-jüdische Beziehungen. Veröffentlichungen u. a.: Otloh, Gottschalk, Tnugdal. Individuelle und kollektive Vi­sionsmuster des Hochmittelalters, Frankfurt/M. 1987; Reliquientranslationen nach Sachsen im 9. Jahrhundert. Über Kommunikation, Mobilität und Öffentlichkeit im Frühmittelalter, Stuttgart 2002. Zahlreiche Aufsätze zu Hagiographie und Reliquienverehrung, darunter: Das Gewebe der Schriften. Historiographische Aspekte der karolingerzeitlichen Hagiographie Sachsens, in: Dieter Bauer u. a. (Hg.), Hagiographie im Kontext, Stuttgart 2000, S. 1–25; Vom webenden Hagiographen zum hagiographischen Text, in: Ludolf Kuchenbuch u. a. (Hg.), Textus im Mittelalter. Komponenten und Situationen des Wortgebrauchs im schriftsemantischen Feld, Göttingen 2005, S. 79–112. Frank Seehausen,  Dipl. Ing. Architektur. Promoviert derzeit bei Prof. Dr. Horst Bredekamp über Architektur im Zusammenhang mit Identitätskonstruktio-

214 Autoren

nen. Arbeitsschwerpunkte: Wechselbeziehungen von Bild, Architektur und Herr­schaftsinszenierung, Villen im römischen Barock, zeitgenössische »Corporate Architecture« und romanische Baukunst in Nordspanien. Silke Tammen,  lehrt Kunstgeschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Arbeitsschwerpunkte: Buchmalerei, Reliquiare, Körper und Personifika­ tion, Darstellungen des Sehens im Bild. Veröffentlichungen u.a.: Manifesta­ tionen von Antiklerikalismus in der Kunst des Spätmittelalters, Frankfurt/M. 1993; zahlreiche Aufsätze, darunter: Gewalt in der Kunst des Mittelalters: Iko­ no­graphien, Wahrnehmungen, Ästhetisierungen, in: Gewalt im Mittelalter, hg. von Cornelia Herberichs und Manuel Braun, München 2005, S. 307–339.

Gia Toussaint,  wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg im Projekt »Reliquiare als Wahrnehmung und Konstruktion von Heiligkeit«. Promotion an der Universität Hamburg. Arbeitsschwerpunkte: Reliquiare und Reliquienwesen, Frömmigkeitsgeschichte, Schatzkunst, Text-Bild-Beziehungen. Veröffentlichungen u.a.: Das Passional der Kunigunde von Böhmen. Bildrhetorik und Spiritualität, Paderborn 2003; verschiedene Aufsätze zur Reliquienverehrung, darunter: Heiliges Gebein und edler Stein. Der Edelsteinschmuck von Reliquiaren im Spiegel mittelalterlicher Wahrnehmung, in: Das Mittelalter 8, 2003, S. 41–66. Susanne Wittekind,  lehrt Kunstgeschichte an der Universität zu Köln. Arbeits­ schwerpunkte: Text und Bild in mittelalterlicher Buchmalerei, Kunst, Liturgie und Heiligenverehrung, Schatzkunst. Veröffentlichungen u.a.: Kommentar mit Bildern. Zur Ausstattung mittelalterlicher Psalmenkommentare und Verwendung der Davidgeschichte in Texten und Bildern am Beispiel des Psalmenkommentars des Petrus Lombardus (Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Bibl. 59), Frankfurt 1994; Altar – Reliquiar – Retabel. Kunst und Liturgie bei Wibald von Stablo, Köln 2004; Heiligenviten und Reliquienschmuck im 12. Jahrhundert – Eine Studie zum Deutzer Heribertschrein, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 59, 1998, S. 7–28.

215 Autoren

Orte

Aachen 9, 35, 112, 165, 168, 169 Pfalzkapelle St. Marien 152, 165 Agaune, St. Maurice 194 Alexandria 8 Arbois 93 Avignon 12, 16 Aquileia 4, 5, 9 Baltimore 47 Basel 127, 142, 152, 201 Bethlehem 27, 35 Bourges, Sainte-Chapelle 206 (Anm. 32) Cappenberg 118, 130 Cluny 95 Echternach 62, 70, 72 Enger 32 Evesham Abbey 48 Fécamp 96 Golgatha, s. Jerusalem Grado 4–10 Halberstadt 90, 98, 99, 100 Hildesheim 130 Bernwardstür 142, 152, 153, 170, 171

Jerusalem 8, 26–27, 35, 125 Golgatha / Anastasis-Komplex 27–29, 31, 33, 34, 36, 122 Ölberg 27–29, 30 Himmlisches Jerusalem, Himmelsstadt, Gottesstadt 17, 26, 45, 46, 48, 49, 67, 68, 107, 116, 118, 127, 129 Köln 45, 118 Dom 165, 180 Konstantinopel 6, 8, 89, 90, 93, 94, 98–100, 102, 103 (Anm. 9), 193 SS. Cosmas und Damian 93 Hagia Sophia 7 Trentafolia, Abtei 95 León 137–139 Palastkirche (León I) 150, 154–159, 155 (Abb. 16), 163 (Anm. 27, 34) Corderoportal 142 (Abb. 4) Panteón 154–158, 157 (Abb. 18), 163–164 (Anm. 30, 32, 39) San Isidoro (Neubau) 154, 163–164 (Anm. 27, 34, 39) Mailand 11, 12, 48 Mainz 56, 175, 176 Merseburg, Dom 67 Monza 9–17, 32

216 Orte

Ölberg, s. Jerusalem Olmütz 193 Pairis, Kloster 102 Paris 193, 194 Sainte-Chapelle 193 Prag 191, 193, 199, 201, 202 Pustimĕř 191, 193 Ravenna 5, 8 Reichenau 61 Rom 10, 12, 82, 116 Vatikan 8 Lateran, Sancta Sanctorum 21, 27, 31, 33, 36, 39 (Anm. 2), 94 St. Peter 22

Sens 99 Sevilla 137 Stablo 108, 118 St. Albans 53 Straßburg 102 Trier 72, 73 (Anm. 9) Venedig 4, 8, 197 San Marco 19 (Anm. 53), 104 (Anm. 13) Waltham Abbey 48 Wien, Schatzkammer 46

217 Autoren

Historische und biblische Personen

Adam 141 (Abb. 3), 148-150 und Eva 143–146 (Abb. 5–9), 152, 153, 159 Adamnanus von Iona, hl. (Abt) 28, 29, 39 Agilulf (König der Langobarden) 13, 16 Agnes, hl. 5, 44, 45 (Abb. 1) Ailred von Rievaulx 45, 56 Akindinos, hl. 93 Alexander I. (Papst) 110–115 Arculf (gallischer Bischof) 7, 28, 29 Aristoteles 69, 70, 79 Attala, hl. 101, 102 Augustinus 55 Berengar von Tours 70, 71 Berengar I. (König von Italien) 11, 13, 14 Bernhard von Clairvaux 57, 129 Candidus, hl. 122, 125 Chosroës II. (Großkönig des Sassaniden-Reiches) 8 Christine de Pizan 44 Christus Bild Christi 21, 37 seine Fußspuren 28, 29 Körper und Wundmale 192, 200–202

als Schmerzensmann 187–190, 188-189 (Abb. 1–2), 194, 200–202 Werkzeuge seines Leidens (arma) 63, 190-193, 196, 199, 200 Vorbild im Leiden 46, 63, 81, 118, 122 verklärter Leib (kristallgleich) 50, 114, 199, 202–203 Reliquien repräsentieren seinen Leib 3 Cicero 27 Cyrill von Jerusalem (Bischof) 28, 33, 34 David (König Israels) 13, 15 (Abb. 9) Drei Könige, hl. 165, 170, 172, 173, 178 Durandus von Mende 16 Egeria (Pilgerin) 29, 35 Eusebius von Caesarea (Bischof) 26–28 Eustachius, hl. 127–129 Eva, s. Adam und Eva Fernando I. (König von Spanien) 137–140, 147 (Abb. 10), 148, 159 Fides von Conques, hl. 112 Friedrich I. Barbarossa (deutscher Kaiser) 12, 116, 165, 169

218 Historische und biblische Personen

Gregor der Große 10, 12, 13, 15 (Abb. 9), 71 Gregor von Nyssa 26, 27 Gregor von Tours 22 Guibert von Nogent (Bischof) 63, 91 Heinrich II. (deutscher Kaiser) 49, 67, 170, 171 Helena (röm. Kaiserin) 8, 18 (Anm. 30), 27, 28, 36 Honorius Augustodunensis 110, 129 Hugo von Lincoln (Bischof) 96 Innozenz III. (Papst) 21, 71 Isidor von Sevilla 46, 137, 139, 160 Jacobus (Apostel) 91, 93, 98 Jean de Berry 196 Johannes (Seher der Apokalypse) 116, 118 Johannes der Evangelist 51 Johannes der Täufer 12, 14, 165 Kain und Abel 143 (Abb. 5d), 152 Karl IV. (deutscher Kaiser) 187, 191, 198, 204 (Anm. 18) Karl der Große (deutscher Kaiser) 165, 168, 169, 176-178 Klemens, hl. 95 Konrad von Krosigk (Bischof von Halberstadt) 91, 98–100 Kunigunde von Böhmen (Äbtissin) 191, 192 (Abb. 3) Ludolf von Sachsen 193 Ludwig (Louis) IX. (der Heilige, frz. König) 193 Lukas der Jüngere, hl. 99, 100 (Abb. 10)

Maria (Mutter Jesu) 12, 165, 170, 173, 178 und Christuskind 171–174, 177, 178, 194 Matthew Paris 53 Minucius Felix 26 Oswald, hl. (König v. Northumbria) 118–122 Otto I. (deutscher Kaiser) 175 Otto IV. von Braunschweig (deutscher Kaiser) 170, 173-176, 180 Paulus 14, 21, 44, 67 Petrus (Apostel) 5, 14, 21, 112, 114, 115, 125–127, 130, 170 Polykarp, hl. (Bischof) 43 Praxedis, hl. 94 Stephanus 46, 100 Suger (Abt von St. Denis) 17 (Anm. 5), 71 Theodelinda (langobardische ­Königin) 10, 13, 14, 16 Thiofrid von Echternach (Abt) 46, 61–74, 83 (Anm. 6) Thomas von Cantimpré 56 Vuolvinus (Goldschmied) 48 Walter Daniel 45, 56 Wibald von Stablo (Abt) 115, 129 Wilhelm Durandus, s. Durandus von Mende Willibald von Eichstätt, hl. 77 Willibrord, hl. (Bischof) 62

219 Autoren

Reliquiare und Objekte

Altar von San Ambrogio (Mailand) 48, 49 (Abb. 3) Ampulle 10, 30 Pilgerampullen 10, 30 (Abb. 4, 5), 31, 33 Armreliquiar 109 Georg (Venedig) 104 (Anm. 13) Maria Magdalena (Fécamp) 96 Nikolausarm (Halberstadt) 98, 97 (Abb. 7), 99 (Abb. 8), 100 Stephanusarm (Halberstadt) 100 Barbarossaleuchter (Aachen) 165 Baseler Antependium 142, 152 Bernwardstür (Hildesheim) 142, 143 (Abb. 5), 152, 170, 171 Berührungsreliquie 63, 95 Burse sportae apostolorum (Monza) 12 Engerer Burse (Berlin) 32, 33 (Abb. 7) Burse Johannes d. T. (Monza) 12, 13 (Abb. 7), 32 Stephanusburse 46, 47 (Abb. 2), 48, 49 Christusreliquiar 194, 203 s. auch Schmerzensmann-Reli­ quiar

Diptychon, s. Elfenbeindiptychon Dorn der Dornenkrone Christi, s. Spina Dornenkrone 191, 193, 194, 201, 208 (Anm. 51) Dornenreliquiar 193–197 (Abb. 4–7), 203 als Amethystanhänger (London) 194, 195 (Abb. 5, 6), 203 Goldemailreliquiar des Duc de Berry (London) 196 (Abb. 7) Reliquiar der Augustiner (Agaune) 194, 195 (Abb. 4) Eiserne Krone (Monza) 11 (Abb. 6), 12, 16 Elfenbeindiptychon (Monza) 11, 13, 15 (Abb. 9) Eulogie 30, 31 Fides von Conques 112 Finger Nikolaus-Finger (Halberstadt) 97 (Abb. 6, 7), 98, 99 Lukas-Finger (Sens) 99, 100 (Abb. 10) Geißelsäule 197 Gemmenkreuz 50 Fritzlarer Kreuz (Heinrichskreuz ) 49, 50 (Abb. 4)

220 Reliquiare und Objekte

Justinuskreuz (Rom) 103 (Anm. 6) Lotharkreuz (Aachen) 112, 113 (Abb. 2) s. auch Kreuz, Kreuzreliquiar Hallwyl-Reliquiar (Basel) 201, 202 (Abb. 9) Handreliquiar der Attala (Straßburg) 101 (Abb. 11), 102 Henne mit Küken (Monza) 10, 12, 14 (Abb. 8) Kamm Theodelindas (Monza) 13 Kastenreliquiar Holzkästchen in Sancta Sanctorum (Rom) 22–26, 23–25 (Abb. 1–3), 32 (Abb. 6), 36, 37, 40–41 (Anm. 43) Praxedis-Reliquiar (Rom) 94, 95 (Abb. 5) s. auch Scrinium Kopf- und Büstenreliquiar 107-110, 130 Alexanderreliquiar (Brüssel) 108, 110-112 (Abb. 1), 114, 115, 118, 129, 130 Candidusreliquiar (Agaune) 108, 122, 123 (Abb. 8), 125, 127 Cappenberger Kopf (Cappenberg) 108, 115–118 (Abb. 4), 122, 130 Eustachiusreliquiar (London) 17 (Anm. 1), 108, 128 (Abb. 11), 127–129 (Abb. 11), 130 Karl d. Gr., Büste (Aachen) 168 Oswaldreliquiar (Hildesheim) 108, 118–122, 119 (Abb. 5), 122, 130

Petrusreliquiar (Sitten) 108, 125–127 (Abb. 10), 127, 130 s. auch Schädel Kreuz, Kreuzreliquie 4, 5, 9, 29, 50 Benna-Kreuz (Mainz) 56 Berengar-Kreuz (Monza) 10 (Abb. 5), 11, 14 Fernandokreuz (Madrid) 149–150,

149 (Abb. 12), 151 (Abb. 13a, 13b) Fritzlarer Kreuz (Heinrichskreuz) 49, 50 (Abb. 4) Lotharkreuz (Aachen) 112, 113 (Abb. 2) s. auch Gemmenkreuz, Tafel­ reliquiar Kreuzreliquiar von Grado 6 (Abb. 3), 7 Krone s. Eiserne Krone Middleham Jewel (York) 54, 54 (Abb. 7) Pala d’Oro (Aachen) 152 Perikopenbuch Heinrichs II. (München) 170–172 (Abb. 6) Reliquienbehälter 63–67, 71, 95, 187 Reliquiensammlung 1–4, 5 (Abb. 2), 16, 17, 72 Grado 4–9, 16 Monza 9–16 Sancta Sanctorum (Rom) 21 Saphir-Kelch (Monza) 13, 14 Sarkophag 13, 14 Husillos-Sarkophag (Madrid) 160 (Abb.20) Schädel 89, 90 Akindinos-Schädel (Arbois) 93, 94 (Abb. 4) Jacobus-Schädel (Halberstadt) 91, 92–93 (Abb. 2a, 2b, 3), 98 Klemens-Schädel (Konstanti­ nopel) 95 sog. Kultschädel (Privatsammlung) 89, 89 (Abb. 1) Praxedis-Schädel (Rom) 94 Schmerzensmann-Reliquiar (Baltimore) 47, 187–193, 188–189 (Abb. 1, 2), 204 (Anm. 5) als Monstranz 199, 200

221 Reliquiare und Objekte

Schrein Dreikönigenschrein (Köln) 165–185, 166–167 (Abb. 1, 2) Isidorschrein (León) 75, 137–164, 138 (Abb. 1a, 1b), 141 (Abb. 3), 144–148 (Abb. 6–11) Karlsschrein (Aachen) 165, 168, 169, 176, 177 (Abb. 7), 177–180, 179 (Abb. 8) Marienschrein (Aachen) 165–185, 167 (Abb. 3) 171 (Abb. 5) Pelagiusschrein (León) 140 (Abb. 2), 150, 152 Scrinium (Grado) 4–5 (Abb. 1, 2), 8 s. auch Kastenreliquiar Smaragd-Schale 56 (Mainz) Spina (Dorn der Dornenkrone Christi) 187, 193–197, 198, 200, 201, 205 (Anm. 28), 206 (Anm. 32) Spinareliquiar, s. Dornenreliquiar; Schmerzensmann-Reliquiar

Tafelreliquiar von Grado 4, 6 (Abb. 3), 7, 8 Thron (als Reliquiar) in Grado 4, 7 (Abb. 4), 8–9 in Ravenna 8 im Vatikan 8 in Venedig 8–9 Kaiserthron (Aachen) 174 Tragaltar Andreas-Tragaltar (Trier) 112, 113 (Abb. 3) Isidor-Tragaltar (León) 150, 151 (Abb. 14), 152 Watterbacher Tragaltar (München) 98, 99 (Abb. 9) Turmreliquiar (Darmstadt) 118, 120 (Abb. 6)

222 Autoren

Abbildungsnachweis

Dombauarchiv Köln, Matz & Schenk, Ciresi fig. 1; © Domkapitel Aachen (Photo: Ann Münchow), Ciresi fig. 2, 7, 8; © Domkapitel Aachen (Photo: Matz & Schenk), Ciresi fig. 3, 5; British Museum, London, Buettner fig. 1; British Library, London, Buettner fig. 6; Kunsthistorisches Museum, Wien, Buettner fig. 2; Sandro Scarioni, Buettner fig. 3; Foto Marburg, Buettner fig. 4; Bibliothèque Nationale, Paris, Buettner fig. 5; York Museums Trust, Buettner fig. 7; Clark Maines, Buettner fig. 8; Domschatzverwaltung, Halberstadt, Toussaint Abb. 2a, 2b, 3, 6, 7, 8. Aus folgenden Publikationen wurden entnommen: Joseph Buchkremer, Dom zu Aachen. Beiträge zur Baugeschichte, Bd. 4, Aachen 1958, Ciresi fig. 4; AK The Way to Heaven, Toussaint Abb. 1; AK Byzance, Toussaint Abb. 4, 10; Anton Legner, Reliquien in Kunst und Kult, Toussaint Abb. 11; AK Splendori di Bisanzio, Toussaint Abb. 5; AK Byzanz. Die Macht der Bilder, Reudenbach Abb. 2, 3, 4, 5, 6; AK Ornamenta Ecclesiae, Bd. 3, Reudenbach Abb. 1. Die übrigen Aufnahmen stammen aus den Archiven der Autoren. Leider war es nicht in allen Fällen möglich, die Inhaber der Rechte zu ermitteln. Es wird deshalb gegebenenfalls zum Mitteilung gebeten.