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German Pages XII, 326 [335] Year 2020
Film und Bewegtbild in Kultur und Gesellschaft
Daniel Burghardt
Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen Eine qualitative Studie über Lifestyle-Normen und deren Relevanz für YouTuber
Film und Bewegtbild in Kultur und Gesellschaft Reihe herausgegeben von Alexander Geimer, Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin, Deutschland Carsten Heinze, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwiss, Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland Rainer Winter, Institut MK, Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich
Die Reihe „Film und Bewegtbild in Kultur und Gesellschaft“ möchte die soziologische Auseinandersetzung mit dem Film intensivieren und eine Publikationsplattform für Soziolog_innen, aber auch Medien- und Kulturwissenschaftler_innen mit soziologischem Interesse schaffen. Dabei soll die Film- und Bewegtbildsoziologie in ihrem Profil sowohl theoretisch, methodologisch/methodisch wie empirisch gefördert werden und Platz für Differenzierung und Verstetigung filmsoziologischer Schwerpunkte geschaffen werden.
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/13426
Daniel Burghardt
Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen Eine qualitative Studie über Lifestyle-Normen und deren Relevanz für YouTuber
Daniel Burghardt Hamburg, Deutschland Zugl. Dissertation an der Universität Hamburg, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 2020
ISSN 2524-3020 ISSN 2524-3039 (electronic) Film und Bewegtbild in Kultur und Gesellschaft ISBN 978-3-658-31753-9 ISBN 978-3-658-31754-6 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31754-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Stefanie Eggert Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich mich herzlich für die große Unterstützung bedanken, die ich während der Anfertigung meiner Dissertation erhalten habe. Mein Dank gilt insbesondere Alexander Geimer, der mich stets bestens unterstützt und fachlich beraten hat. Ebenso danke ich Ralf Bohnsack für seine hilfreichen und konstruktiven Anregungen. Mein besonderer Dank gilt schließlich meiner Frau und meinen Eltern, die mich nicht nur auf meinem Weg durch das Studium begleitet, sondern auch unermüdlich unterstützt haben. Weil die Anfertigung meiner Dissertation ohne eure Hilfe nicht möglich gewesen wäre, möchte ich euch diese Arbeit widmen.
V
Inhaltsverzeichnis
1 Ausgangspunkte zur Rekonstruktion von Subjektnormen und Subjektivierungen in Lifestyle-Videos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die Rolle von Subjektnormen in Zeiten steigender Selbstbeobachtungen und Reflexivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Relevanz von Subjektnormen in YouTube-Videos und der aktuelle Stand der YouTube-Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 YouTube-Videos als Bestandteil der Alltagskultur . . . . . . . 1.2.2 Lifestyle-Videos und die Rolle von Vorbildern und ‚Social Influencern‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Theoretische und methodologische Ausgangspunkte der qualitativen Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Struktur der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Theoretische Grundlagen der Governmentality und Cultural Studies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Gouvernementalität und Subjektivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Diskursive Subjektfiguren und die gouvernementale Relevanz präventiver, selbstreflexiver Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Cultural Studies und die Analyse von Medientexten . . . . . . . 2.3.1 Oppositionelle Lesarten und die Widersetzung von Ideologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Die Polysemie von Medientexten und die Aktivität des Zuschauers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Die Relation von Produkt- und Rezeptionsanalysen . . . . . 3 Methodologische Grundlagen: Die Dokumentarische Methode und Subjektivierungsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 3 10 12 16 21 24 25 25 30 38 42 44 47 55
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Inhaltsverzeichnis
3.1 Die Rekonstruktion von konjunktiven Erfahrungsräumen und der sich in Videos dokumentierende Eigensinn . . . . . . . . . . . . 3.2 Methodische Besonderheiten bei der Analyse von YouTube-Videos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Die Dokumentarische Film- und Videointerpretation . . . . 3.2.2 Die Rolle des Videotranskriptes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Die Rekonstruktion von Subjektivierungen und Subjektnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Die Relevanz von Normen für die Subjektivierung . . . . . . 3.3.2 Die empirische Subjektivierungsforschung . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.1 Die Bildung methodischer Ansätze der Subjektivierungsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.2 Die dokumentarische Subjektivierungsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Das Untersuchungsdesign der empirischen Analysen . . . . . . . . . . . . . 4.1 YouTube-Videos als Datenmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Komparative Methode und das theoretische Sampling . . . . . . 4.3 Kaskaden und die Reproduktion und Zirkulation von Videoinhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Die Auswahl des Videomaterials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Rekonstruktionen von elementaren Charakteristika in Lifestyle-Videos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Varianten der Handlungsaufforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Der Aufbau von Interaktivität und Nähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Die Schaffung einer virtuellen Community . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Die Relevanz von Authentizität und Glaubwürdigkeit . . . . . . . . . . 5.5 Selbstdarstellungen und die Herstellung von Empathie und Identifikationsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen in Lifestyle-Videos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Die dominante Subjektnorm der Selbstdisziplinierung . . . . . . . . . 6.1.1 Die Bewährung der eigenen Disziplin (LaurenCocoXO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Die Selbstdisziplinierung als Mittel zur Aneignung von Normen und als elementarer Bestandteil eines Lifestyles (Karl Ess) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56 69 71 77 78 79 84 87 92 97 98 100 102 105 111 111 118 122 126 131 139 140 141
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Inhaltsverzeichnis
6.1.3 Die Selbstdisziplinierung und ihre langfristige Stärkung durch Normwidersetzungen (ExFitness) . . . . . . . 6.1.4 Die Selbstdisziplin als umfassendes Lebensmodell und Weg der autonomen Lebensführung (Sophia Thiel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.5 Die Norm der Selbstdisziplinierung in Relation zu Gesundheits-, geschlechtsspezifischen Körper- und Ernährungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Die Reproduktion von Subjektnormen und Videoinhalten . . . . . . 6.2.1 Spielerische Nachahmungen von Posen und visuellen Darstellungsweisen (Antonia, Lena) . . . . . . . . . . 6.2.2 Mimetische Nachahmungen und Reproduktionen von Normen (Mirko, Peter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Die Reproduktion von Subjektnormen und deren Aneignung (Valerie, Mareike) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Zusammenfassung der Ergebnisse im Kontext theoretisch-methodologischer Grundlagen und des aktuellen Forschungsstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Die Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . 7.2 Diskussion der empirischen Ergebnisse im Kontext der Subjektivierungsforschung, Dokumentarischen Methode sowie Governmentality und Cultural Studies . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Konklusion und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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195 197 198 216 246
283 283
299 308 313
Abbildungsverzeichnis
Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung
3.1 3.2 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9 6.10 6.11 6.12 6.13 6.14 6.15 6.16 6.17 6.18
Konjunktiver Erfahrungsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kameraeinstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LaurenCocoXO: 06.51 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Ess: 07.45 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Valerie: 00.34 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LaurenCocoXO: 01.49 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lena: 02.39 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lena: 00.18 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rekonstruktionsebenen der YouTube-Videos . . . . . . . . . LaurenCocoXO: 03.06 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LaurenCocoXO: 03.10 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LaurenCocoXO: 03.18 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LaurenCocoXO: 03.21 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LaurenCocoXO: 04.44 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LaurenCocoXO: 04.53 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LaurenCocoXO: 01.19 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LaurenCocoXO: 05.02 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Ess: 07.25 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Ess: 07.30 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sophia Thiel: 05.37 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sophia Thiel: 05.38 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antonia: 00.41 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antonia: 00.08 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LaurenCocoXO: 00.45 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LaurenCocoXO: 01.09 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lena: 02.19 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61 75 116 116 117 123 124 133 141 142 143 143 143 149 149 150 151 160 161 186 186 199 199 199 199 208
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Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung
Abbildungsverzeichnis
6.19 6.20 6.21 6.22 6.23 6.24 6.25 6.26 6.27 6.28 6.29 6.30 6.31 6.32 6.33 6.34 6.35 6.36 6.37 6.38 6.39 6.40 6.41 6.42 6.43 6.44 6.45 6.46 6.47 6.48 7.1
Lena: 02.23 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LaurenCocoXO: 04.01 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LaurenCocoXO: 04.03 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lena: 01.33 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lena: 02.11 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LaurenCocoXO: 03.48 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LaurenCocoXO: 03.53 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Ess: 00.04 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mirko: 00.05 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Ess: 01.17 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mirko: 00.50 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Ess: 03.00 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mirko: 03.27 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Ess: 05.45 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mirko: 04.19 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ExFitness: 01.42 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter: 11.33 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ExFitness: 01.30 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter: 04.02 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Valerie: 00.41 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sophia Thiel: 00.22 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sophia Thiel: 11.54 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Valerie: 09.23 min . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sophia Thiel II: 10.32. min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mareike: 03.20 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sophia Thiel II: 03.10 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mareike: 02.55 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mareike: 01.51 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mareike: 01.40 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mareike: 01.44 min. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relationen identifizierter Normen und Habitus der YouTuber_innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
208 209 209 210 211 211 211 218 218 219 220 229 229 231 231 243 243 244 244 247 247 248 248 275 275 277 277 278 279 280 298
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Ausgangspunkte zur Rekonstruktion von Subjektnormen und Subjektivierungen in Lifestyle-Videos
Die Soziologie als Lehre von sozialen Beziehungen hat eine lange Tradition der theoretischen und empirischen Analyse sozialer Ordnungen. Speziell normative Ordnungen haben bereits viel Beachtung erfahren und wurden von Talcott Parsons im Rahmen seiner Handlungs- und Sozialisationstheorie umfangreich rezipiert. Normen erscheinen demnach vor allem als verinnerlichte Zwänge, welche die Reproduktion sozialer Ordnungen erklären lassen. Insbesondere aus der Perspektive der poststrukturalistischen Theoriebildung richtet sich der Blick in jüngster Zeit auf Aspekte der Subjektkonstitution, gemäß derer normative Ordnungen als diskursive Ordnungen und entsprechende Muster der Anrufung und Adressierung fassbar werden. Anstatt den Fokus hierbei auf die konkreten Handlungsziele von Individuen und verinnerlichte Normen und Werte zu legen, wird sich in der vorwiegend von Michel Foucault inspirierten subjekttheoretischen Perspektive vielmehr der Frage gewidmet, wie durch herrschende, diskursive Ordnungen bzw. dem Verhältnis von Diskursen, Macht und Wissen überhaupt erst handlungsfähige Subjekte entstehen. Ungeachtet der teils erheblichen Differenzen dieser beiden prominenten Zugänge zu normativen Ordnungen (gemäß Parsons und Foucault), scheinen sich die Theoriestränge allerdings bezüglich der Relevanz normativer Ordnungen für die Organisation von sozialen Beziehungen in hohem Maße einig. Dies gilt nicht weniger für zeitgenössische und diagnostische theoretische Ausführungen (detaillierter dazu Abschn. 1.1). Umso überraschender erscheint es unter diesem Gesichtspunkt wiederum, dass die Bedeutung jener Ordnungen aus empirischer Sicht häufig eher opak und gemessen an der Relevanz vergleichsweise unklar bleibt. Zwar legen seit einigen Jahren vor allem diskursanalytische Untersuchungen theoretisch einen hohen Stellenwert von Normen (des Subjekt-Seins) nahe, jedoch eröffnen die häufig programmatischen © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Burghardt, Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen, Film und Bewegtbild in Kultur und Gesellschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31754-6_1
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Ausgangspunkte zur Rekonstruktion von …
Studien vergleichsweise wenige Erkenntnisse zur tatsächlichen, alltagspraktischen Konstitution von Subjekten und der alltäglichen Wahrnehmung, Aneignung und Übersetzung von (Subjekt-) Normen (etwa gefasst als Subjektpositionen oder Subjektfiguren oder -kulturen). Hierzu bedarf es vielmehr des Einsatzes qualitativer Forschungsmethoden, welche auch den Alltag der Individuen fokussieren und die kontextbezogene Relevanz von Normen herausarbeiten. Allerdings wurde sich jener grundlegenden Fragestellung auch seitens der qualitativen Sozialforschung bisher nur unzureichend oder nur unter spezifischen methodologischen Vorzeichen angenommen (detaillierter dazu: Abschn. 1.1 und 3.3). Vor diesem Hintergrund liefern die Untersuchungen der vorliegenden Arbeit, die sich der (dokumentarischen) Subjektivierungsforschung zurechnen lassen (vgl. dazu Abschn. 3.3.2.2), hingegen Erkenntnisse zur Bedeutung normativer Ordnungen in Handlungen und vor allem medialen Repräsentationen von Alltagsakteuren. Anhand detaillierter Analysen von YouTube-Videos kommt hierbei zum Vorschein, welch zentrale Rolle bestimmte Lifestyle-Normen im Alltag verschiedener Videoproduzent_innen einnehmen. Hierbei werden nicht nur unterschiedliche Normen sichtbar, sondern auch deren Relationen zum Habitus der Untersuchten, welche sich in Aneignungs-, Passungs- und Spannungsverhältnissen sowie in Widersetzungen ausdrücken. Im Kontext der Subjektivierungsforschung und deren Bezugnahme auf Althusser und Foucault, lassen sich jene Ausrichtungen als Subjektivierungen deuten, die mal mehr, mal weniger reflektiert vollzogen werden sowie die identifizierten normativen Ordnungen als Subjektnormen definieren. Zum Vorschein gebracht werden beide Dimensionen mithilfe der Dokumentarischen Methode, die es im Kontext ihrer Unterscheidung von habituell-impliziten und reflexiven Wissensstrukturen ermöglicht normative Ordnungen zu rekonstruieren, die den Individuen (hinsichtlich ihrer Prägekraft) teils nur sehr eingeschränkt reflexiv zugänglich sind. Zusätzlich offenbaren sich mittels komparativer Analysen Reproduktionen in den Videos, die sich auf unterschiedlichen Ebenen abzeichnen. Als besonders bedeutsam erscheinen in diesem Kontext Rekonstruktionen von unmittelbaren Nachahmungsprozessen, die sich in der Erfahrung und dem Umgang mit Subjektnormen bewegen. Hierdurch wird nicht nur sichtbar, welche Rolle normative Ordnungen für die analysierten YouTuber_innen spielen und in welchem Verhältnis diese zum Habitus derer stehen, sondern auch wie sich die Lifestyle-Normen reproduzieren und hierdurch an Bedeutung gewinnen. Insgesamt zeigt die Untersuchung folglich zahlreiche Erkenntnisse im Hinblick auf die geschilderte Forschungslücke auf, die von einer großen Diversität geprägt sind. Besonders diese gibt zu verstehen, dass die Relevanz von Normen und der Umgang mit diesen stets im spezifischen Fall zu prüfen ist. Demnach verdeutlicht
1.1 Die Rolle von Subjektnormen in Zeiten steigender …
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sich insbesondere anhand der identifizierten Typologien einerseits wie Subjektnormen eine derart starke Bedeutung entfalten können, dass diese zu umfänglichen Habitustransformationen führen. Andererseits wird deutlich wie Subjektnormen nahezu bedeutungslos für die Handlungen von Individuen erscheinen können. Dass trotz jener Spannbreite an Bedeutungsdimensionen YouTube-Videos eine außerordentliche Rolle im Hinblick auf Aneignungen und Reproduktionen von Subjektnormen einnehmen, ist nicht zuletzt in deren besonderen Repräsentationsweisen begründet. So bringen die zehn durchgeführten Videointerpretationen schließlich auch diverse Charakteristika der YouTube-Clips zum Vorschein, welche diese nicht nur von anderen Medienformaten abheben, sondern den Stellenwert der Videos gleichzeitig im Kontext zeitgenössischer Individualisierungs- und Subjektivierungstheorien hervorhebt. Besonders deutlich kommt demnach zum Ausdruck, wie vor allem die ausgeprägte Interaktivität, das den Videos anheftende Authentizitätsversprechen sowie die lebensnahen Verheißungen und Handlungsanweisungen zu Aneignungen und Reproduktionen von Subjektnormen beitragen. Wie im Folgenden dargelegt wird, erfordert das zentrale Anliegen der Forschungsarbeit Subjektnormen in YouTube-Videos des Lifestyle-Genres und sich in den Clips dokumentierende Subjektivierungen zu rekonstruieren, zunächst umfassende Explikationen auf theoretischer und methodologischer Ebene. Demnach gilt es nicht nur zu erläutern mit welchen Forschungsmethoden die Erkenntnisse generiert bzw. zur Explikation gebracht werden sollen und auf welchen theoretischen Vorannahmen diese gründen, sondern es bedarf auch einer grundlegenden Erläuterung über die gesellschaftliche Relevanz von Subjektnormen, YouTube-Videos sowie der Relation dieser beiden Dimensionen. Bevor daher die methodologischen Grundlagen der empirischen Analyse dargelegt werden, soll sich, angefangen mit der Rolle von Subjektnormen, zunächst der derzeitigen Bedeutung der vordringlichen Untersuchungsgegenstände gewidmet werden.
1.1
Die Rolle von Subjektnormen in Zeiten steigender Selbstbeobachtungen und Reflexivität
Bereits in den 30er Jahren des 20. Jahrhundert wies Parsons ausdrücklich auf die große Relevanz von Normen und Werten für die Handlungsziele von Individuen hin (vgl. Parsons 1951: 64) und hob in seiner voluntaristischen Handlungstheorie hervor, dass diese die Basis für soziale Ordnungen bilden (vgl. Joas 2004: 60). In seinen Ausführungen betonte Parsons, dass Gesellschaften sich in erster Linie durch Neuordnungen von Normen und Werten wandeln. Kritik erfuhren die theoretischen Ausarbeitungen jedoch, weil Parsons keine Hinweise darauf gab, wie
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derartige Wandlungen tatsächlich stattfinden und er die Relevanz nicht-normativer Faktoren in Bezug auf jene Prozesse in weiten Teilen unberücksichtigt ließ (vgl. Giddens 2012: 161). Weiter wurden die Theorien Parsons dahingehend kritisiert, dass sie Übereinstimmungen in Ordnungen und Systemen hervorhoben, jedoch Konflikte weitestgehend ausklammerten (vgl. Vester 2009: 196; Keller 2009: 17). Im Zuge umfangreicher Kritik seitens mehrerer Forschungsrichtungen verringerte sich sowohl der Stellenwert Parsons als auch die von diesem hervorgehobene Bedeutung normativer Ordnungen spätestens ab den 1960er Jahren sukzessiv (vgl. Treibel 2000: 43). Neben Marxisten und Neo-Utilitaristen kritisierten vornehmlich Vertreter der Ethnomethodologie und des symbolischen Interaktionismus Parsons Theorie eingehend (vgl. Keller 2009: 17 ff.). Diese bemängelten, dass Parsons das einzelne Individuum als Ausgangspunkt seiner Theorien setzt und nicht etwa den Handelnden inmitten anderer Handelnder. Hierdurch würde Parsons unter anderem übersehen, dass sowohl normative Ordnungen als auch Handlungssituationen im Allgemeinen immer erst von Akteur_innen interpretiert werden müssten und sich folglich auch die Analyse auf einzelne Handlungen und Interaktionen beschränken sollte (vgl. Keller 2009: 17 f.). Einerseits wurde durch diese Erkenntnis die Basis für eine qualitative Sozialforschung gesetzt, andererseits entwickelte sich hierdurch eine tendenzielle Abkehr von der empirischen Untersuchung normativer Ordnungen (vgl. Geimer 2017: 2). Spätestens seit der vermehrten Verwendung des Subjektbegriffs (vgl. Knoblauch 2010a: 285), wird sich seitens der soziologischen Theorie jedoch wieder unübersehbar stark der Rolle normativer Ordnungen zugewandt. Besonders von Seiten der Governmentality Studies wird einerseits die Relevanz von (Subjekt-) Normen andererseits aber auch von Selbstbeobachtungsprozessen hervorgehoben (vgl. Geimer et al. 2019: 1). Jene Fokussierung gründet dabei maßgeblich auf Theorien von Foucault, der insbesondere in seinen genealogischen Gouvernementalitätsstudien aufzeigte, wie sich im Zuge der Modernisierung Regierungsformen ändern mussten, um Menschen weiterhin regieren zu können sowie das „Denken, Handeln und Bedürfnisse der Menschen zu kontrollieren und zu lenken“ (Ntemiris 2011: 42). Aus dieser Perspektive sei die Modernisierung und der Wechsel zur Spätmoderne „keine Geschichte der Abnahme von Macht, sondern des Wandels der vorherrschenden Machtform“ (Rosa et al. 2013: 279). Dementsprechend werde nach Foucault die klassische Form staatlicher Machtausübung seit dem Anbruch der Spätmoderne abgelöst und zunehmend durch eine Regierungsform ersetzt, die primär von einer neoliberalen Regierungsweise geprägt ist. Diese operiert weniger über Verbote und Repressionen, als vielmehr über Formen der Menschführung, die in eine Selbstführung mündet (vgl. Bublitz 2013: 96).
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Im Zuge des Neoliberalismus würden zum einen zunehmend ökonomische Kriterien in jegliche Lebensbereiche eindringen, zum anderen Individuen zur Selbstführung befähigt sowie zur stärkeren Eigenverantwortung angehalten (vgl. Rosa et al. 2013: 286 ff.). Einerseits erlangen die Individuen hierdurch mehr Handlungsfähigkeiten, andererseits werden sie zugleich zu Subjekten, die von machtvollen Diskursen und normativen Ordnungen unterworfen werden (vgl. Bosancic 2016: 38). Anstatt einer äußerlichen Begrenzung der Individuen durch Repressionen und die Konfrontation mit Verboten, sind es nunmehr innnere Begrenzungen der Existenzweisen, welche die Subjekte auf bestimmte Seinsweisen festlegen (vgl. Rosa et al. 2013: 301) sowie Subjektnormen, welche die Subjekte anrufen, sich in einer bestimmten Weise zu begreifen und zu modellieren (vgl. Bröckling 2012: 131). Hierdurch werden Individuen zu „sozial als autonom anerkannten – mit Interessen, Reflexivität, Selbstverwirklichungswunsch etc. ausgestatteten – Subjekten“ (Reckwitz 2017b: 126). Mit der Fokussierung auf veränderte Regierungsweisen und der Hervorhebung des sich selbst unterwerfenden Subjekts, wendet sich Foucault folglich entscheidend gegen die Ansicht eines „autonomen, handlungsmächtigen Akteurs“ (Knoblauch 2010a: 285), der durch umfangreiche Individualisierungsprozesse sein Leben selbstbestimmt und emanzipiert gestaltet (vgl. Sobiech 2017: 17). Mit dem Eintritt in die Spätmoderne gingen zwar auch aus dieser Sicht unbestritten Individualisierungen einher, die vor allem zu mehr Eigenverantwortung der Subjekte führe, jedoch müsse durch die enormen Veränderungen ebenso der Fokus auf andere Macht- und Kontrollformen gelenkt werden. Einerseits unterliegt nach Foucault das Subjekt nun vermehrt der Kontrolle durch sich selbst, andererseits werde es aber zugleich von diskursiven Formationen und Machtpraktiken entscheidend geprägt (vgl. Rosa et al. 2013: 286 ff.). Die durch Individualisierungsprozesse im Zuge der Modernisierung vermeintlich gestiegene Befreiung von Beschränkungen und Beförderung von Freiräumen bedeute demnach ausschließlich eine Veränderung der Zwänge, jedoch keine Auflösung dieser. Ferner sei die Umstellung von Fremd- auf Selbstzwang keineswegs nur fortschrittlich und emanzipatorisch (vgl. ebd.: 287). Somit teilt Foucault zwar mit Elias die Beobachtung, dass der moderne Mensch in erster Linie vom Selbstzwang denn vom Fremdzwang beherrscht wird, jedoch teilt er nicht den überwiegend positiven Blick auf jenen Wandel (vgl. ebd.: 219). Denn auch wenn Elias Risiken in der Individualisierung sieht, weist er gleichzeitig auf die großen Chancen für die Gesellschaft hin, auch wenn das einzelne Individuum hierfür Hilfe von außen benötige (vgl. Schroer 2010: 276). Hierbei gilt es jedoch anzumerken, dass die Beobachtungen Elias vornehmlich den Übergang von der traditional-vormodernen zur modernen Gesellschaft
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und nicht von der entwickelten Moderne zur Spätmoderne fokussieren. Demnach gilt es die unterschiedlichen Perspektiven auf den Wandel von Fremdauf Selbstzwang im Kontext zweier Individualisierungsphasen einzuordnen. Denn auch wenn Elias im Gegensatz zu Simmel ebenfalls Individualisierungsprozesse analysieren konnte, die sich erst in der entwickelten Moderne vollzogen, beschrieb er wie Simmel vornehmlich den Übergang zu dieser Epoche (vgl. Rosa et al. 2013: 202 ff.). Bereits in diesem Übergang konstatierte Simmel die immer stärkere Ausprägung anonymer Sozialbeziehungen sowie individueller Unterschiede und Freiheiten, die den Individualisierungsgrad stark erhöhen. Einerseits begleitet die These der „Herauslösung des Individuums aus traditionellen Sozialbeziehungen“ (Schroer 2010: 275) die Soziologie somit spätestens schon seit Durkheim, Weber und Simmel und stellt folglich kein vollkommen neues sowie auf heutige Zeiten begrenztes Phänomen dar, andererseits erfährt die Individualisierungsthese aufgrund erneuter Umbrüche zwischen entwickelter Moderne und Spätmoderne vor allem im Kontext zeitdiagnostischer Aussagen der Gegenwart eine breite theoretische Zustimmung (vgl. ebd. 275 f.). Nicht nur unter Bezug auf Foucault, diagnostizieren „eine Vielzahl an postmodernen bzw. poststrukturalistischen“ (Geimer 2013: 99) Ansätzen demnach einen zunehmenden Individualisierungsprozess (vgl. ebd.: 99 f.), welcher durch diverse Veränderungen auf mehreren Ebenen vorangetrieben wird und den Individuen einerseits zunehmende Entscheidungsfreiheiten verspricht, andererseits diesen eine höhere Verantwortung abverlangt. Theorieübergreifend wird konstatiert, dass durch die Auflösung fester Traditionen und strikter Vorgaben die Individuen in der Spätmoderne demnach sukzessiv gezwungen sind ihr Leben eigenverantwortlich selbst zu gestalten (vgl. Schneider 2009: 266; Ehrenberg 2004: 17 f.). Die „modernisierungstheoretisch inspirierte Soziologie“ (Rosa 2010: 737) weist folglich auf einen umfassenden Wandel und den Beginn eines neuen Zeitalters hin, in dem die „Subjekte aus allgemeinen sozialen Vorgaben entbunden und sozusagen in die Selbstverantwortung entlassen werden“ (Reckwitz 2017a: 9). Diese, von Hall bezeichneten ‚New Times‘, sind geprägt von sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Veränderungen (vgl. Hall 1996: 222), welche die Wahlmöglichkeiten für Individuen in den Bereichen des Konsums, der Sexualität und der Lebensstile vervielfältigten (vgl. Giddens 2001: 36). Zusätzlich seien die Veränderungen aber auch durch weltweite technologische und wissenschaftliche Prozesse vorangetrieben worden, die außerdem neue Voraussetzungen für das Verhältnis von Arbeitszeit und Freizeit sowie Rationalität und Lebensinhalt mit sich bringen (vgl. Weinmann 1992: 9).
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Durch die Freisetzung der Individuen aus gesellschaftlichen Abhängigkeiten und der Auflösung von Klassenidentitäten und -bindungen wird aus dieser Perspektive zugleich ein Prozess der Individualisierung sowie Diversifizierung von Lebensstilen vorangetrieben (vgl. Degele & Dries 2005: 73). Umfassende Arbeitsmarktveränderungen, die Anhebung des materiellen Lebensstandards aber auch die zunehmende soziale Mobilität wirbeln die Lebenswege der Menschen in der Folge durcheinander, so Beck. Mit der Verlängerung schulischer Bildung würden zudem traditionelle Denkweisen und Lebensstile durch neue Wissensinhalte und Sprachformen verdrängt und zugleich Selbstfindungs- und Reflexionsprozesse ermöglicht und gefördert (vgl. Beck 1986: 122 ff.). Das hoch- bzw. spätmoderne Selbst bezeichnet Reckwitz daher auch als ein reflexives Subjekt, das sich systematisch selbst beobachtet, stetig in der Entscheidungsfindung übt und sein eigenes Leben kuratiert, indem es sich kreativ Lebensstile auswählt und aneignet (vgl. Reckwitz 2009 & 2017a). Gleichzeitig seien Thematisierungen und Beschäftigungen mit sich selbst, ohne die skizzierten strukturellen Veränderungen und den Individualisierungsprozess schlichtweg nicht denkbar, da erst diese „den Einzelnen aus traditionellen Abhängigkeiten befreit, die ihm weder die Zeit noch den Raum gelassen haben, sich mit sich selbst reflexiv zu beschäftigen“ (Schroer 2010: 278). Im Hinblick auf die Arbeitswelt heißt dies: „Je höher die Qualifikation, umso mehr wird die Fähigkeit zur Eigenmotivation, zur Selbstentwicklung und zu eigenständigem Lernen gefordert“ (Knoblauch 2010a: 286). Neben ökonomischen und politischen Transformationen, die auch aus einer zunehmenden Globalisierung und der Internationalisierung der Märkte hervorgehen, ist es zudem der technologische Wandel, der ein eigenverantwortlicheres, selbstorganisierteres und aktiveres Handeln der Subjekte fordert. So veränderten sich durch neue Medien und Technologien, wie Internet, Smartphones und soziale Netzwerke, nicht nur Mediennutzungsmuster der Individuen, sondern auch die Erwerbsarbeit erlebte einen Umschwung (vgl. Carstensen 2015: 255). Die Etablierung interaktiver Medien verstärke zudem die Ausgliederung der Subjekte aus ihren sozialen Kontexten (vgl. Knoblauch 2010a: 286 f.). In der Folge würden Betriebe und Arbeitsplätze als Orte der Identitätsbildung an Bedeutung verlieren und durch neue soziale Netzwerke ersetzt werden, wodurch sich der Lebensschwerpunkt „in die Gestaltung und Erprobung neuer Lebensformen und Lebensstile“ (Beck 1986: 152) verlagern würde. Makrosoziale Prozesse sozialen Wandels, so die Grundannahme der postmodernen bzw. poststrukturalistischen Theorien, verknüpfen sich somit direkt mit mikrosozialen Transformationen von Subjektivität (vgl. Geimer 2013: 100). Demnach würden in Zeiten der Globalisierung, des nahezu unkontrollierten Austausches von Informationen und Waren, der Zerbrechlichkeit sozialer Lagen und
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Biografien sowie der gesteigerten Freisetzung der Individuen aus sozialen Bindungen eine erhöhte Reflexivität des Lebensvollzugs und eine zunehmende Selbstbeobachtung des Subjekts wahrscheinlicher werden (vgl. Geimer 2012: 231). Die Ausbildung eines Selbst würde zudem im Zuge der Erschütterungen gesellschaftlicher Ordnungen „zu einer von jedem einzelnen zu bewältigenden Aufgabe“ (Schroer 2010: 279) erscheinen, die nicht nur einen Wunsch der Individuen nach Einzigartigkeit hervorruft, sondern jenes Streben gleichzeitig als gesellschaftlichen Imperativ werden lässt (vgl. Reckwitz 2017a: 9). In sozialwissenschaftlichen Zeitdiagnosen werden daher häufig sowohl Zusammenhänge zwischen einem Wandel der Sozialpolitik und Formen der Vergesellschaftung von Subjektivität als auch zwischen „Gesellschafts- und Subjektidealen festgestellt“ (Alkemeyer et al. 2013: 11). Jeder Einzelne, so die theoretischen Annahmen, werde im Zuge von Erschütterungen der gesellschaftlichen Ordnung mehr und mehr zu einer Zunahme an Selbstbeobachtung und Reflexionsprozessen verpflichtet (vgl. Geimer 2013: 100) sowie mit normativen Autonomie- und Individualitäts-Anforderungen konfrontiert (vgl. Bosancic 2016: 42). Einerseits setze die Erodierung traditioneller Bindungen die Individuen demnach unter Entscheidungsdruck das eigene Leben reflexiv selbst zu gestalten (vgl. Rosa et al. 2013: 217), andererseits entwickle sich im gleichen Zuge ein breites Angebot, das Vorbilder und Techniken zur Selbstgestaltung präsentiert (vgl. Alkemeyer et al. 2013: 14). Mit der vor allem aus der poststrukturalistischen Soziologie in Anschluss an Foucault angetriebenen Fokussierung auf Subjekte wird in der Folge nicht nur auf eine schwindende Bedeutung von Institutionen und eine „Verlagerung des Umgangs mit der Welt durch Innenverarbeitung“ (Knoblauch 2010a: 285 f.) zum Ausdruck gebracht, sondern es wird sich seitens der soziologischen Theorie auch wieder unübersehbar stark der Rolle normativer Ordnungen zugewandt. Dementsprechend wird weitestgehend davon ausgegangen, dass die vorherrschenden gesellschaftlichen Subjektformen überwiegend aus makro-strukturellen Umwandlungen resultieren (vgl. Rosa 2010: 737) und Subjekte, nach Butler (2009) sowie Hall durch normative Anrufungen (vgl. Geimer & Amling 2017: 149), bzw. nach Reckwitz durch diskursive Praktiken, entstehen (vgl. Reckwitz 2009: 176). Problematisch erscheint hierbei jedoch, dass „die Frage nach der Relation zwischen habituell-impliziten und reflexiven Wissensstrukturen im Zuge der Integration von (neuen) Subjektfiguren in die Alltagspraxis“ (Geimer 2013: 100) nicht gestellt wird, da die genannten Theorien eine solche Unterscheidung nicht vornehmen. Dementsprechend werden die Veränderungen der Machtformationen sowie die Bedeutung von Individualisierungsprozessen und Subjektnormen primär
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theoretisch hergestellt und historisch, genealogisch oder diskursanalytisch plausibilisiert, die tatsächliche Relevanz für die Alltagspraxis der Individuen jedoch nicht ausreichend berücksichtigt. Es wird somit weder der Frage nachgegangen in welchem Verhältnis Subjektnormen zum Habitus der Untersuchten stehen, noch wird eine Unterscheidung zwischen habituell-impliziten und reflexiven Wissensstrukturen vorgenommen (vgl. ebd.). Unter anderem Schneider weist dementsprechend darauf hin, dass gerade die Subjektseite im Individualisierungstheorem weitestgehend stumm bleibt (vgl. Schneider 2009: 268) und auch Rosa macht kritisch darauf aufmerksam, dass die modernisierungstheoretisch inspirierte Soziologie unterstelle, dass „sich in den Persönlichkeitsstrukturen die Prozesse der Individualisierung, der funktionalen Differenzierung oder auch der gesellschaftlichen Rationalisierung einfach ‚abbilden‘“ (Rosa 2010: 737). In erster Linie aber deuteten schon Füssel und Neu sowie Schneider und Bührmann früh auf die Unerlässlichkeit hin, auch die Perspektive der Adressat_innen zu berücksichtigen (vgl. Geimer et al. 2019: 4 f.). Seit der Abgrenzung zu Parsons besteht seitens der qualitativen Sozialforschung jedoch kaum der Versuch, normative Ordnungen systematisch empirisch zu untersuchen. Auch unter dem Aspekt, dass aktuelle soziologische Theorien die Relevanz von Subjektivierungen hervorheben, kommt den hieraus bedeutsam erscheinenden normativen Ordnungen seitens der qualitativen Sozialforschung weiterhin eine nebensächliche Rolle zu (vgl. Geimer 2017). Um sich den offenen Fragen der Relation zwischen makrosozialen Prozessen sozialen Wandels und mikrosozialen Transformationen von Subjektivität im Kontext gegenwärtiger Individualisierungs- und Subjektivierungstheorien widmen zu können, bedarf es allerdings einer Öffnung der qualitativen Forschung zum normativen Paradigma. Mithilfe der dokumentarischen Subjektivierungsforschung wird im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit jene Öffnung vollzogen und sich mit der empirisch-rekonstruktiven Analyse von YouTube-Videos vorwiegend der Frage nach der Relation von Subjektnormen und Habitus von Videoproduzent_innen zugewendet. Wie unter anderem der folgende Abschnitt verdeutlicht, bietet sich eine Analyse von YouTube-(Lifestyle-)Videos zur Untersuchung jener Schnittstelle insbesondere deshalb an, weil sich im Kontext der gegenwärtigen YouTubeForschung vorwiegend hier besonders ausgeprägte Repräsentationen von Normen vermuten lassen. Zusätzlich nehmen die auf der Videoplattform veröffentlichten Clips eine besondere Stellung ein, da sich in diesen einerseits habituelle Wissensstrukturen der YouTuber_innen dokumentieren, die Videos durch ihre teils sehr hohe Popularität andererseits zugleich Teil von Diskursen sowie Macht- und Wissensverhältnissen sind.
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Die Relevanz von Subjektnormen in YouTube-Videos und der aktuelle Stand der YouTube-Forschung
Bezugnehmend auf die dargestellten Individualisierungs- und Subjektivierungstheorien, kommt nicht nur machtvollen Diskursen eine immer wichtigere Rolle in der Gestaltung des Selbst bzw. der Subjektkonstitution zu, sondern wie im Folgenden angenommen und aufgezeigt wird, insbesondere YouTube-Videos. Demnach diagnostizieren die zeitgenössischen Theorien einerseits die zunehmende Notwendigkeit, Entscheidungen eigenverantwortlich zu fällen und das eigene Leben reflexiv zu gestalten, andererseits die steigende Bedeutung von diskursiven Subjektnormen, welche die Subjekte anrufen, sich selbst in einer bestimmten Weise zu modellieren. Zum einen werden in diesem Sinne folglich Freiheiten in der Gestaltung des Lebens hervorgehoben, zum anderen zugleich betont, dass Vorbilder, die Selbstgestaltungsangebote präsentieren und normative Ordnungen sukzessiv an Relevanz gewinnen, wohingegen Klassenbindungen, traditionelle Lebensstile sowie Fremdzwänge in Form von Verboten und Repressionen teils weniger wichtig für die Gestaltung des Selbst erscheinen. Eine in Zeiten steigender Selbstbeobachtung und Reflexivität außerordentlich bedeutende Rolle, welche Vorbilder und Techniken zur Selbstgestaltung anbietet, kommt Social Network Sites wie Instagram, Facebook und YouTube zu. Denn folgt man gegenwärtigen sozial-, kultur- und medienwissenschaftlichen Untersuchungen tragen (audio-) visuelle Daten insbesondere durch deren Ausweitung in die Alltagspraxis und die zunehmende Mediatisierung dieser sowohl zur Formierung von sozialem Sinn als auch von Welt- und Selbstverhältnissen bei (vgl. Traue 2013: 117 f.). Wie unter anderem Perloff (2014) und Autenrieth (2014) hervorheben, spielen vor allem für Jugendliche immer weniger konventionelle (Massen-) Medien (wie Zeitschriften, Filme und Fernsehsendungen) eine Rolle, sondern vermehrt Social Media Plattformen. Deren mediale Repräsentationen werden den Ergebnissen von Autenrieths und Perolffs Studien nach nicht nur zum zentralen Ort der Konstruktion von Körpern, sondern erzeugen auch Vorbilder und artikulieren Normen (vgl. Grittmann et al. 2018: 10; Perloff 2014; Autenrieth 2014). Zudem wird in diversen Untersuchungen auch auf die identitäts- und sozialstiftenden Potenziale der Social Media Sites aufmerksam gemacht und es wird hervorgehoben, dass sich in diesen Geschlechterrollen sowie eine Prozessund Wechselhaftigkeit von Identitäten abbilden (vgl. Schreiber & Kramer 2016: 83 ff.). Wie Autenrieth an ihren Fotoanalysen schwangerer Frauen auf der FotoPlattform Instagram verdeutlicht, gilt dies jedoch nicht nur für Jugendliche. So zeige sich auch an vielen veröffentlichten Fotos werdender Mütter, wie bestimmte Geschlechterrollen und Figurideale von prominenten Vorbildern präsentiert und
1.2 Die Relevanz von Subjektnormen in YouTube-Videos und der …
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von ‚nicht-prominenten‘ Frauen rezipiert, aufgegriffen und angestrebt werden (vgl. Autenrieth 2018: 55 ff.). Ein maßgeblicher Unterschied zwischen den Repräsentationen der Körper in bspw. Hochglanz-Magazinen und Instagram ist dabei, dass die Figurideale auf den Social Media Plattformen weniger inszeniert und hierdurch alltäglicher bzw. ‚normaler‘ erscheinen, so die Autorin. Der hierdurch vermittelte Eindruck, dass jeder es schaffen könne einen Körper wie die ‚Celebritys‘ zu bekommen, erhöhe den Selbstoptimierungsdruck bei den User_innen führe zu einer „scheinbaren Angleichung der Lebensstile zwischen ‚normalen‘ und Celebrity-Müttern, vereint im Streben nach demselben Körperideal“ (Authenrieht 2018: 64). Dieses Streben wird dabei von der Autorin als eine Anpassung an Normen bzw. ‚Normalisierungsspiralen‘ oder als Abgrenzungen von Menschen identifiziert, welche die repräsentierten (Körper-) Ideale nicht erfüllen (vgl. ebd. 67 ff.). Weiter hervorgehoben wird die hohe Relevanz von Social Media Sites für die Alltagspraxis und die Formierung von Selbstverhältnissen zudem durch eine Untersuchung von Schwarzenegger et al. (2018). So verdeutlicht auch diese, wie durch die Omnipräsenz von Medien im Alltag sowie mithilfe von Medientechnologien und sozialen Netzwerken alltägliche Praktiken sukzessive beobachtet und bewertet werden. Dies, so die Autor_innen, lasse die sozialen Medien zu wichtigen Bühnen der Bewertung und des Vergleichs aufsteigen, in denen Körper- bzw. Schönheitsideale präsentiert werden, die einerseits einen Normierungsdruck auf die User_innen auslösen, diesen andererseits aber auch ein gutes Leben verheißen. Mithilfe von qualitativen Inhaltsanalysen von Instagram-Fotos und leitfadengestützten Interviews mit jungen Nutzerinnen von Fitness-Accounts untersuchen Schwarzenegger et al. Nutzungspraktiken der User_innen. Hierbei verdeutlicht die Untersuchung wie die Bedeutung visueller Kommunikation via Social Media Sites im Alltag junger Frauen ansteigt und diese mit einem Angebot und gleichzeitigem Normierungsdruck konfrontiert werden (vgl. ebd.: 89 ff.). Obwohl sich die dargestellten Studien zumeist auf die Social Media Plattform Instagram fokussieren, kommt jedoch insbesondere YouTube eine herausragende Stellung zu. Denn zum einen gibt es auf der Videoplattform deutlich mehr Handlungsoptionen und Gestaltungsmöglichkeiten für die User_innen als bspw. auf Instagram (vgl. Schreiber & Kramer 2016: 89 f.) zum anderen tritt der Habitus der Untersuchten deutlicher zum Vorschein, wie auch Schwarzenegger et al. im Kontext ihrer Interviewauswertungen mit einer User_in konstatieren: „während das Foto nur eine inszenierte Momentaufnahme bildet, bieten Videos auf YouTube für Brenda die Gelegenheit zu erkennen, ‚wie jemand wirklich ist‘“ (ebd.: 88). Im Gegensatz zu den dargestellten Studien, die sich vornehmlich auf die Analyse veröffentlichter Fotos auf der Plattform Instagram fokussieren, sind
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die Untersuchungen von YouTube-Videos somit nicht nur auf die visuelle Ebene und eine Momentaufnahme beschränkt. Hierdurch kann der Habitus der untersuchten Produzent_innen deutlicher zum Vorschein kommen und es wird sich nicht nur Körperbildern und Normen zugewandt die auf visueller Ebene zum Vorschein kommen. Des Weiteren stellt YouTube ein nahezu unendlich erscheinendes Angebot an Videos zur Verfügung, welche jegliche Bereiche des alltäglichen und kulturellen Lebens abdecken (vgl. Feierabend et al. 2017: 43; Mahrt 2017; Hermann 2017: 50). Zum einen weist dies bereits auf die potenziell zahlreichen Angebote der Selbstgestaltung hin, zum anderen aber auch auf deren Bezugnahme zur Alltagswelt. Des Weiteren erfreut sich die Videoplattform schon seit geraumer Zeit einer immensen Beliebtheit, ist mit großem Abstand die größte Videocommunity im Internet (vgl. Döring 2014a: 293; Ferchaud et al. 2017) und bietet laut Ganguin & Baetge (2017: 53) den User_innen das Gefühl, Teil einer virtuellen Gruppe bzw. digital beeinflussten Jugendkultur zu sein. Wie im Folgenden umfassender aufgezeigt wird, erscheint YouTube daher als ein elementarer Bestandteil der Alltagskultur, der sich in vielerlei Weisen von den traditionellen audiovisuellen Massenmedien (wie Fernsehen oder Kino) unterscheidet. Besondere Bedeutung erhält die Videoplattform jedoch in erster Linie durch gegenwärtige Untersuchungen, die immer wieder auf die Repräsentation von Normen und Rollenvorstellungen aufmerksam machen. Diese seien insbesondere in Lifestyle-Videos stark ausgeprägt (vgl. Döring 2014a, 2015; Mahrt 2017; Maloney et al. 2017; Richter 2017). Bevor jene Untersuchungen näher dargestellt werden, soll im Folgenden zunächst aufgezeigt werden, welchen Stellenwert die Videoplattform für die gegenwärtige Alltagskultur einnimmt und wie sich YouTube von traditionellen Massenmedien differenziert.
1.2.1
YouTube-Videos als Bestandteil der Alltagskultur
YouTube ist eine Videoplattform auf der sowohl nutzergenerierte als auch massenmediale bzw. ‚traditionelle‘ Inhalte veröffentlicht werden und die aufgrund diverser Dienste sowohl als soziales Netzwerk als auch als ein fester Bestandteil der heutigen Alltagskultur bezeichnet werden kann (vgl. Eisemann 2015: 27 ff.; Wagner & Forytarczyk 2015). So erweitern sich die Nutzungsmöglichkeiten der Videoplattform von der bloßen Rezeption auf die Kommentierung, Bewertung und Verbreitung der Medieninhalte, die zu einer potenziellen Steigerung der Interaktivität führen. Dementsprechend merkt Bleicher an, dass sich neben der Information und Unterhaltung nun auch die Möglichkeit der Partizipation für jeden Nutzer eröffnet (vgl. Bleicher 2011: 14) und sich in Folge
1.2 Die Relevanz von Subjektnormen in YouTube-Videos und der …
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dessen Gemeinschaften bzw. ‚virtual communitys‘ ausbilden können (vgl. Wagner & Forytarczyk 2015; Ganguin & Baetge 2017: 52). Zugleich konstatiert Bleicher jedoch, dass trotz der erweiterten Spielräume weiterhin die Rolle des passiven Rezipienten dominiert, wie sie im traditionellen Broadcasting charakteristisch ist. Dementsprechend nehmen nur wenige Nutzer_innen tatsächlich die Möglichkeit der Partizipation aktiv in Anspruch (vgl. Bleicher 2011: 14). Lediglich ein Prozent der User_innen lädt regelmäßig selbst Videos auf die Plattform hoch, wohingegen rund zwei Drittel der jugendlichen User_innen YouTube als Mittel nutzen, um sich regelmäßig im Internet über Themen zu informieren (vgl. mfps 2017: 44 ff.). In diesem Zuge zeigen verschiedene Studien auf, dass das Anschauen von YouTube-Videos zu einem festen Bestandteil jugendlicher Alltagskultur geworden und mit weitem Abstand die beliebteste Online-Tätigkeit von Jugendlichen ist (vgl. Eisemann 2015; Schorb et al. 2008). Folglich wird die Rezeption von YouTube-Videos von 86 Prozent aller deutschen Jugendlichen regelmäßig praktiziert (vgl. Feierabend et al. 2017: 13). Einerseits substituiert YouTube in der Folge sukzessiv das frühere Leitmedium des Fernsehens (vgl. Eisemann 2015: 29 ff.), andererseits zeigt ein Blick auf die Nutzungsmedien an, dass vorwiegend das mobile Streamen von Videos beliebt ist und sich somit auch differente Weisen der Rezeption etabliert haben. So erfolgt der Konsum von YouTube-Videos bei 87 Prozent der Jugendlichen via Smartphone (vgl. mfps 2017: 45). Die Verschiedenartigkeit zwischen klassischen Medien, wie dem Fernsehen und Online-Medien drückt sich nach Reichert aber überwiegend auch in Form der Interaktivität und Partizipation aus. Wie der Autor beschreibt, brechen die Onlinevideos mit den „etablierten Wahrnehmungskonventionen von Kino und Fernsehen, die der Partizipation des Publikums nur einen niedrigen Stellenwert einräumt“ (2012: 105). Gleichzeitig ist die Reichweite von YouTubeVideos nicht selten weitaus höher als die von Fernsehsendungen oder Kinofilmen (vgl. Döring 2015: 24). Die bereits erwähnte dichotome Trennung zwischen nutzergenerierten und traditionellen Videoarten geht auf Burgess und Green zurück, die in ihrer vielzitierten Studie aus dem Jahr 2009 erste Erkenntnisse zum Untersuchungsgegenstand YouTube erbringen konnten. Traditionelle Videos kennzeichnen sich in dieser Untergliederung dadurch, dass sie aus den klassischen Massenmedien wie Fernsehen und Kino entnommen wurden und bspw. Filmausschnitte, Werbungen oder MusikVideos zeigen. Nutzergenerierte Videos, die in der Untersuchung von Burgess und Green die Mehrheit in der Stichprobe einnahmen, werden hingegen eigens für YouTube von deren Nutzer_innen erstellt. Am Weitverbreitesten sind in diesem Bereich vor allem sogenannte Vlogs, Fanvideos, Gamevideos, News oder Sketche. Auch wenn Vlogs nicht erst seit der Eröffnung von YouTube existieren, stehen
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diese sinnbildlich für die Videoplattform, so die Autoren (vgl. Burgess & Green 2009). Nach Molyneaux et al. ist ein Vlog dabei als ein Blog zu verstehen, der in Video- statt in Textform verfasst wird (vgl. Molyneaux et 2008: 2). Diese Videoart macht einen Großteil des gesamten Videoarchivs aus und an ihnen werden die Hauptunterschiede zum Medium des Fernsehens deutlich, die sich in erster Linie in Hinblick auf die Aspekte der Interaktivität und Partizipation beziehen. Dennoch weisen Burgess und Green darauf hin, dass eine derart strikte dichotome Trennung ausschließlich aus forschungstechnischen Gründen sinnvoll ist und einer ersten Orientierung und Einordnung der Videos dient. So lassen sich durchaus Videos finden, die sich nicht eindeutig einer der beiden Kategorien ‚nutzergeneriert‘ und ‚massenmedial‘ zuordnen lassen (vgl. Burgess & Green 2009). Auf die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen massenmedialen und nutzergenerierten Inhalten verweist zudem Eisemann, der in diesem Zuge anmerkt, dass derartige Differenzierungen speziell in der Alltagspraxis der Rezeption für Jugendliche schwierig zu treffen seien (vgl. Eisemann 2015: 35). Charakteristisch für nutzergenerierte YouTube-Videos ist, dass quasi alle Aufgaben bzw. Rollen zumeist von einer Person oder zumindest von einer sehr kleinen Gruppe von Personen übernommen werden. So merkt Traue an, dass die Videoproduzent_innen „charakteristischerweise Regisseur/-in, Kammeramann/frau, Setdesigner/-in, Requisiteur/-in, Darsteller/-in etc. in einer Person“ (Traue 2012: 298) sind. Demnach stehen sie zum einen vor der Kamera als Darsteller_innen sowie zum anderen hinter der Kamera als Produzent_innen. Sie moderieren ihre Videobeiträge, führen ihr Publikum durch die eigene ‚Sendung‘, schneiden die aufgenommen Szenen zusammen und nehmen schließlich die Distribution der fertigen Videos vor. Nach Traue nehmen die Videoproduzent_innen somit alle drei Typen des Kuratierens wahr: In der Mikro-Kuratierung stellen sie erstens der Öffentlichkeit eigene Videos vor und versehen diese mit Metadaten (Videotitel,-beschreibung). In der Selbst-Kuratierung präsentieren sich die YouTuber_innen zweitens anhand diverser Darstellungsmöglichkeiten selbst und in der Sub- und Ko-Kuratierung tragen sie drittens zu Kuratierungsstrategien von YouTube bei, indem sie überhaupt erst das Material für die Onlineplattform zur Verfügung stellen (vgl. ebd.: 298 f.). Neben der bloßen Unterscheidung zwischen traditionellen und nutzergenerierten Videos, lassen sich die YouTube-Clips (ähnlich wie Spielfilme) ebenso in verschiedene Genres untergliedern und somit weiter spezifizieren. Insgesamt variiert die genaue Bestimmung der Genres zwar leicht zwischen verschiedenen Studien, jedoch lässt sich festhalten, dass tendenziell ein immer größeres Einvernehmen über die relevanten Videotypen vorliegt. Geimer bspw. unterscheidet in seinen überblickhaften Analysen zwischen vier Hauptkategorien an Videos.
1.2 Die Relevanz von Subjektnormen in YouTube-Videos und der …
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Das erste Genre umfasst Games, Action- und Handy-Videos, die sich zudem in diverse weitere Subgenres ausdifferenzieren, wie bspw. die besonders beliebten Let´s Play- oder Fail-Videos (vgl. Geimer 2018a: 4 f.), welche aktuellen Studien nach von 35 Prozent sowie 39 Prozent der Nutzer_innen angeschaut werden. Als Let´s Plays werden Videos verstanden, bei denen Rezipient_innen YouTuber_innen beim Spielen und Kommentieren von Videospielen zusehen kann (vgl. mfps 2017: 43 f.). Eine besondere Relevanz erfährt dieses Genre aus filmsoziologischer Perspektive insbesondere daher, weil es ein Nacherleben von speziellen Primärerfahrungen und ‚voyeuristische Rezeptionspositionen‘ ermöglicht. Als zweites führt Geimer den Videotyp News und Comedy an (vgl. Geimer 2018a: 6), welche von 29 Prozent bzw. 40 Prozent der Nutzer_innen konsumiert werden und ebenso von Subgenres geprägt sind (vgl. mfps 2017: 44). Besondere Aufmerksamkeit erfahren hier bspw. sogenannte ‚Pranks‘ (Streiche), da diverse Videos öffentlich als jugendgefährdend und/oder entwicklungsbeeinträchtigend diskutiert werden (vgl. Geimer 2018a: 6) und öfters übergriffiges Verhalten gegenüber Mädchen und Frauen präsentieren (vgl. Döring 2015). Ferner lassen sich hierunter auch sogenannte Fail-Videos einordnen, die ebenso wie Pranks nicht frei von Kritik sind. Zwar werden in den Videos ähnlich, wie in TV-Sendungen (wie bspw. Pleiten, Pech und Pannen) ausschließlich Missgeschicke dargeboten, jedoch sind besonders häufig von der Norm abweichende Bevölkerungsgruppen Ziel der Belustigung, so Döring (vgl. Döring 2014a: 299). Darüber hinaus erfreuen sich auch Comedy-Videos großer Beliebtheit, die Alltagssituationen Jugendlicher parodieren und bspw. präsentieren „was ‚typisch Junge‘ oder ‚typisch Mädchen‘ ist“ (Döring 2015: 20). News-Videos hingegen behandeln Themen zum aktuellen Zeitgeschehen. Insgesamt betrachtet, ist das Genre nach Geimer von einer großen Ambivalenz gekennzeichnet und kann im besonderen Maße Orientierungsunsicherheiten reduzieren als auch Stereotype und extreme Haltungen reproduzieren. Dies bedarf jedoch insbesondere in diesem Genre weiterer empirischer Analysen. Als drittes weist Geimer Lifestyle-Videos als Genre aus, wobei diese auch der Ober-kategorie der ‚egoclips‘ zugeordnet werden können. Derartige Videos, so der Autor, sind zum einen gekennzeichnet von der Repräsentation eines ‚self-designs‘, das dem Publikum auf mehr oder weniger appellative Weise nahelegt, sich selbst diesem entsprechend auszurichten sowie zum anderen von einem besonders hohen
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Ausgangspunkte zur Rekonstruktion von …
Identifikationspotenzial. Exemplarisch für derartige Videos seien Hauls1 , Followme-arounds2 , Hacks und Transformations-Videos, wobei insbesondere in letzteren implizit zur Nachahmung aufgerufen werde. Nicht zu letzt aufgrund dieser Besonderheit widmet sich die Analyse im Folgenden dem Genre der Lifestyle-Videos umfassender. Als vierten Videotyp bestimmt Geimer schließlich Musik-Videos, Film- & TV-Mitschnitte, Tutorials und DIY (Do it yourself)-Videos, wobei sich der Autor diesem Genre eher nachgeordnet zuwendet (vgl. Geimer 2018a: 7 ff.). Als Tutorials werden dabei eine Art ‚Ratgeber-Videos‘ verstanden, in denen bspw. schrittweise erklärt wird, wie bestimmte Schminktechniken angewendet oder Gerichte gekocht werden. Nach Ganguin und Baetge (2017: 54) werden die Videos als besonders nützlich von Rezipient_innen empfunden, da durch die detaillierte Erläuterung und visuelle Darstellung leicht Wissen erworben kann. Hierdurch sei derartiger „Problemlösecontent“ (Hermann 2017: 50) auf der Videoplattform besonders gefragt.
1.2.2
Lifestyle-Videos und die Rolle von Vorbildern und ‚Social Influencern‘
Eine nicht nur für das vorliegende Forschungsunterfangen, sondern auch für die YouTube-Forschung im Allgemeinen besonders relevante Rolle kommt dem Genre der Lifestyle-Videos zu. Denn zum einen handelt es sich hierbei um ein enorm beliebtes Genre und zum anderen werden in diesem aufgrund von theoretischen Vorannahmen verhältnismäßig und besonders im Vergleich zu anderen Genres, stark ausgeprägte Angebote zu Techniken der Selbstgestaltung erwartet, die besonders für das vorliegende Forschungsanliegen von großer Bedeutung sind. So bieten nach Geimer insbesondere Lifestyle-Videos, wie bspw. Hauls oder Transformationsclips „sehr starke, normativ aufgeladene Vorzugslesarten“ (Geimer 2018a: 12) an und werden von YouTuber_innen präsentiert, die nicht selten als Vorbilder fungieren. Die Videovielfalt ist dabei derart groß, dass YouTube für nahezu alle Lebenslagen und jeglichen Probleme passende Rollenmodelle anbietet, so Döring (Döring 2014a: 297). Besonders jüngere Jungendliche orientieren sich nach Döring an YouTube-Vorbildern, die zumeist selbst Jugendliche oder 1 Als
Hauls bzw. Hauling-Videos werden Clips bezeichnet, in denen YouTuber_innen getätigte Einkäufe präsentieren (vgl. Wagner & Forytarczyk 2015: 2). 2 In Follow me around-Videos filmen YouTuber_innen bestimmte Ereignisse in ihrem Alltag und lassen die Zuschauer_innen somit gewissermaßen an den Unternehmungen teilnehmen (vgl. Ganguin & Baetge 2017: 54).
1.2 Die Relevanz von Subjektnormen in YouTube-Videos und der …
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junge Erwachsene sind und nicht selten „einen Status zwischen Peer, älterem Geschwister und bewundertem Star haben“ (Döring 2014a: 296). In diesem Sinne nehmen die YouTuber_innen eine Zwischenposition ein, indem sie auf der einen Seite ‚cooler‘ als gleichaltrige Freunde, auf der anderen Seite aber nicht so weit weg wie die Stars aus Film und Fernsehen seien (vgl. Döring 2014b: 9). So sind die YouTube-Vorbilder nahbarer als die Stars aus den klassischen Massenmedien, da sie mit ihren Fans über Kommentare, Fantreffen oder Twitter in Kontakt stehen und somit stets direkte Rückmeldung geben können. Außerdem berichten sie über eigene sowie alltägliche Probleme und geben praktische Hilfestellungen, wobei sie sich bspw. auch mal ungeschminkt vor der Kamera zeigen (vgl. Döring 2015; Ganguin & Baetge 2017: 53). Der YouTube-Star ist nach Döring demnach ein neuer Typus von Medienpersönlichkeit, der besonders für Jugendliche die Funktion eines Rollenmodells und Ansprechpartners einnimmt (vgl. Döring 2014a: 300). Oft seien die Stars im Alter zwischen 20 und 25 Jahren und orientieren sich an gesellschaftlich konsensfähigen Werten. In diesem Zuge betonen sie bspw. den hohen Stellenwert von ausreichender Bewegung sowie gesunder Ernährung und heben die Bedeutsamkeit hervor, etwas aus ihrem Leben zu machen, so die Autorin. Gleichzeitig konstatieren zahlreiche Forscher_innen, würden viele YouTuber_innen aber auch Werte der Konsumgesellschaft akzentuieren, was unter anderem an den unzähligen und stetig steigenden Produktwerbungen, rezensionen und am Product Placement zu erkennen sei (vgl. Döring 2014a: 298; Mahrt 2017: 181 f.; Richter 2017: 66). So werden unter dem Deckmantel der Authentizität via YouTube Produktwerbungen auf eine subtile Art und Weise platziert und verbreitet (Sheehan 2014: 24 f.) und die YouTube-Stars agieren immer öfter als Markenbotschafter, die zum Einkaufen bestimmter Produkte animieren (vgl. Döring 2014a: 300).3 Durch die enge Bindung der Fans an ihre YouTube-Stars werden zugleich, deren Empfehlungen als enorm wirkungsvoll eingestuft (vgl. Döring 2014c: 25), weshalb die Stars mittlerweile auch als sogenannte ‚digital influencers‘ bezeichnet werden (vgl. Reinbold 2015; Ganguin & Baetge 2017: 56). Hierauf weisen bspw. auch experimentelle Studien hin, die zeigen, dass sich die Bereitschaft der Zuschauer_innen bestimmte Luxusmarken zu kaufen nach der Rezeption von 3 Wie
hoch somit bspw. die tatsächlichen Werbeeinnahmen bzw. -ausgaben der jeweiligen Akteur_innen sind und welchen Anteil diese konkret einnehmen, lässt sich kaum feststellen, da der neuentstandene Wirtschaftszweig einerseits zu groß ist und sich andererseits sehr rasant verändert. Das Entstehen von Unternehmen wie bspw. der Mediakraft GmbH oder TubeOne Networks, die sich allein auf die Verbreitung und Vermarktung von YouTube-Inhalten spezialisieren, verdeutlichen jedoch exemplarisch, welche Rolle Werbung und Kommerzialisierung bei YouTube spielen (vgl. Döring 2014b).
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Ausgangspunkte zur Rekonstruktion von …
Vlgos (welche die Marken anpreisen) erhöht (vgl. Lee & Watkins 2016). Dieser Effekt bestehe auch dann noch, wenn die Influencer ihre Werbung klar erkennbar als solche kennzeichnen und kann sich zusätzlich erhöhen, wenn sie (wie etwa der YouTuber-Star Bianca Heinicke, genannt Bibi) Produkte anpreisen, die eigens für die Influencer produziert wurden. So sei die Glaubwürdigkeit insbesondere bei den 14- bis 17-Jährigen sehr hoch (vgl. Nieberding & Stephan 2018) und wird auch nicht negativ beeinflusst, wenn die YouTube-Stars bei sogenannten Multi-Channel-Netzwerken (MCN) unter Vertrag sind. Diese promoten die YouTuber_innen, übernehmen Verantwortung zu juristischen Fragen, vernetzen die YouTuber_innen untereinander und unterstützen sie häufig bei der Produktion ihrer Videos. Im Gegenzug erhält das MCN Teile der Einnahmen, die durch Werbung etc. erzielt werden (vgl. Ferchaud et al. 2017: 88; Döring 2014b: 4). Einerseits stellt die Kommerzialisierung und Professionalisierung für die YouTuber_innen selbst eine große Herausforderung dar, weil sie trotz der Produktvermarktung authentisch erscheinen wollen (vgl. Wagner & Forytarczyk 2015: 10), andererseits führt die Entwicklung auch zu Kritik und medialen Kontroversen, weil sich die wirtschaftlichen Akteur_innen die Zuschreibungen von Authentizität und das vermeintliche Versprechen der Transparenz, welches der Videoplattform anhaftet, zunehmend zu Nutzen machen (Reinbold 2015). Auf der einen Seite kooperieren zwar die meisten der bekannten Lifestyle-YouTuber_innen mit Firmen und stellen in ihren Videos gesponserte Produkte vor, auf der anderen Seite müssen derartige Kooperationen immer offengelegt werden, da ansonsten mindestens ein großer Verlust an Glaubwürdigkeit seitens der Zuschauer_innen droht (vgl. Döring 2014b). Zugleich verdeutlicht die Entwicklung, dass einstige Trennungen zwischen professionellen und amateurhaften Videos, wie sie bspw. von den Autoren Burgess und Green forciert wurden (vgl. Burgess & Green 2009), immer schwieriger zu vollziehen sind. In diesem Kontext beschreibt bspw. Döring, dass neben Amateuraufnahmen immer mehr aufwendig konzeptionalisierte und professionell abgelichtete Kurzvideos von den Nutzer_innen veröffentlicht werden, womit die Autorin hauptsächlich den ästhetischen Filmstil als Maßstab der Trennung ansetzt (vgl. Döring 2014c: 24 f.). Dass derartige Differenzierungen jedoch Probleme bergen, macht Marek (2013) in seinen Ausführungen deutlich, indem er zwar ebenso auf eine steigende Professionalisierung der Videos hinweist und diese unter anderem anhand von hochauflösenden Videoformaten, vielfältigen Schnittund Montagetechniken sowie durch den vermehrten Einsatz von Effekten, animierten Intros und Hinweisen auf Kooperationspartner ausmacht. Im Gegensatz dazu erklären Marek und Lange in ihren Analysen zurecht, dass Kategorisierungen in amateurhafte und professionelle Videos ein schwieriges Unterfangen seien,
1.2 Die Relevanz von Subjektnormen in YouTube-Videos und der …
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da sich die Videos häufig nur schwer voneinander abgrenzen lassen. Denn viele Videos vermeintlicher Amateure stehen hinsichtlich technischer oder ästhetischer Aspekte den vermeintlich professionellen Videos in nichts nach. Häufig investieren die ‚Amateure‘ sogar ebenso viel zeitlichen Aufwand wie ‚professionelle YouTuber_innen‘ (vgl. Marek 2013: 60; Lange 2009: 83).4 Unabhängig von der Zeit, welche die User_innen für das Produzieren und Kommentieren eigener Videos aufwenden, gilt es erneut zu betonen, dass überwiegend das Konsumieren von YouTube-Videos eine der zentralen Beschäftigungen von Jugendlichen im Internet ist (vgl. mfps 2017) und folglich von großer Relevanz für die Orientierung und Entwicklung dieser sein kann. Nach Döring werden den Jugendlichen in den Videos somit nicht nur gesellschaftlich konsensfähige Werte (insbesondere des Konsums), sondern darüber hinaus auch Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder präsentiert (vgl. Döring 2015). Im Hinblick auf Weiblichkeitsbilder werden nach Döring insbesondere in populären Beauty-Videos traditionelle Geschlechterrollen und Schönheitsnormen aufrechterhalten (vgl. Döring 2014a: 296), gängige Schönheitsideale, Rollenvorstellungen sowie Normen bestätigt und es wird aktuellen Modetrends gefolgt (vgl. Döring 2014b: 9). Zu diesem Ergebnis kommt auch Mahrt, die im Hinblick auf ihre Untersuchung von ‚YouTube-Hits‘ konstatiert, dass in diesen traditionelle gesellschaftliche Erwartungshaltungen eher bestätigt werden (vgl. Mahrt 2017: 182). YouTuberinnen, die sich hingegen geschlechtsrollenkonträr präsentieren, drohen feindselige Videokommentare, ein offenes sexistisches Kommunikationsklima und geringere Erfolgschancen (vgl. Döring 2015).5 Dennoch lässt sich im Vergleich zu den klassischen Medien aufgrund der großen Anzahl an Videos ebenso eine größere Vielfalt von Geschlechterrollen bzw. insbesondere von Mädchenund Frauenbildern finden (Döring 2014a: 296). So sind die Mainstream-Kanäle zwar geprägt von Frauenidealen, die auch in den klassischen Massenmedien präsentiert werden, jedoch gibt es auch Beauty-YouTuberinnen, die alternative 4 In
diesem Zusammenhang zeigten bspw. bereits schon Studien aus dem Jahr 2007, dass es kaum möglich ist sicher festzustellen, ob auf der Video-Plattform bspw. vorhandene Werbevideos von der Industrie oder von eigenständigen, privaten Nutzern hochgeladen werden (vgl. Freeman & Chapman 2007: 209). 5 In diesem Sinne befassen sich die erfolgreichsten deutschen YouTuberinnen nahezu ausschließlich mit Beauty- und Lifestyle-Themen, wohingegen männliche YouTube-Stars Themen wie News, Sport und Games abdecken. Nicht zuletzt hieraus folgt, dass sich in Deutschland starke Geschlechterunterschiede bei der Videoproduktion auf YouTube abzeichnen und circa viermal mehr Jungen als Mädchen Videos auf die Plattform hochladen. Einen weiteren Grund hierfür sieht Döring in der geringeren öffentlichen Anerkennung für YouTuberinnen (vgl. Döring 2015).
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Ausgangspunkte zur Rekonstruktion von …
Frauenbilder zeigen und in Film und Fernsehen unterrepräsentiert sind (vgl. Döring 2015). Ähnliches gilt auch für Männlichkeitsbilder, die sich gerade deshalb vielschichtiger gestalten, da die männlichen Stars zu größeren Anteilen auch in Videogenres wie Comedy oder Gaming angesiedelt sind. Ungeachtet dessen weisen Studien darauf hin, dass auch im Gaming-Genre eine ausgeprägte Maskulinität hervorgehoben wird (vgl. Maloney et al. 2017) und Jungen bzw. Männer in Lifestyle-Videos Normen der Attraktivität ausgesetzt seien, welche sich im Wesentlichen auf Sportlichkeit und Muskularität beziehen und durch Fitness-YouTuber vertreten werden (vgl. Döring 2015).6 Hieran wird deutlich, dass sich in den Lifestyle-Videos zum einen Geschlechterrollen und Schönheitsideale abbilden und zum anderen eine Reihe von Gesundheitsthemen behandelt werden. Besonders in Beauty- und Fitness-Videos spielen Gesundheitsbezüge demnach eine wichtige Rolle. Neben Schmink- und Stylingvideos fallen hierunter maßgeblich Clips zu Ernährung, Fitness, Essstörungen, Aknebehandlungen, Drogen, et cetera. In Sportkanälen etwa werden Trainingstechniken und Übungen aber auch Kleidung sowie Ernährungstipps präsentiert, die vor allem auf eine jüngere Zielgruppe zugeschnitten sind, so Döring. Insbesondere aufgrund der Sichtbarkeit des körperlichen Erscheinungsbilds der YouTuber_innen erscheinen präsentierte Trainings- und Ernährungsratschläge mitunter besonders glaubwürdig (vgl. Döring 2014a: 297 ff.). Dies gelte nach Schwarzenegger et al. (2018) und Authenrieth (2018) in ähnlicher Weise auch für Instagram-Profile im Bereich Fitness, in denen sich vor allem aufgrund der visuellen Repräsentation die Erreichbarkeit von Körperidealen als tatsächlich umsetzbar darstelle. Lifestyle-YouTuber_innen, so lassen die bisherigen Ausführungen erahnen, bieten somit nicht nur geschlechtsspezifische Schönheitsideale an, sondern sie geben auch Ratschläge in puncto Ernährung, Körper und Fitness. Weitestgehend offen ist jedoch, wie genau die Ratschläge vermittelt werden, inwieweit sie als Angebote oder gar als Appelle erscheinen und ob die Präsentationen der Rollen, Werte und Normen der ‚Digital Influencer‘ ebenso wirkungsvoll sind, wie deren Produktempfehlungen. So konstatiert auch Döring, dass Aussagen zu Effekten der Videos aufgrund fehlender Studien bisher eher spekulativ sind und nicht untersucht wurde, wie sich Zuschauer_innen genau an ihren Stars orientieren. So gibt ein Blick auf die Videokommentare und Facebook-Posts ausschließlich eine erste Ahnung davon, dass parasoziale Bindungen vorliegen (vgl. Döring 2015), 6 Jenes
Bild zeige sich nach Schwarzenegger et al. (2018: 81) ebenfalls auf Instagram, wo nicht nur heranwachsende Frauen, sondern zunehmend auch junge Männer mit der Norm eines fitten, muskulösen Körpers konfrontiert werden.
1.3 Theoretische und methodologische Ausgangspunkte der qualitativen Studie
21
jedoch weder wie diese genau aussehen und ob hieraus Subjektivierungsprozesse angeleitet werden, noch ob in den Videos Subjektnormen zirkulieren. Obwohl folglich noch keine Studien vorliegen, die sich explizit der Rolle von normativen Ordnungen in Lifestyle-Videos widmen, lassen die bisherigen Erkenntnisse annehmen, dass die Erforschung dieser besonders zielführend in den angesprochenen Beauty- Health- und Fitnessvideos rekonstruierbar sind, weshalb sich in den empirischen Videoanalysen der vorliegenden Arbeit insbesondere dieser Art Clips gewidmet werden soll.
1.3
Theoretische und methodologische Ausgangspunkte der qualitativen Studie
Im Hinblick auf die bereits diskutierten theoretischen Perspektiven, kommt der Untersuchung von Subjektnormen eine essenzielle Bedeutung zu. Denn einerseits wird in den Theorien ein zunehmender Individualisierungsprozess diagnostiziert, der den Individuen mehr Wahl- bzw. Gestaltungsmöglichkeiten der eigenen Biografie verspricht. Andererseits geht die Entscheidungsfreiheit auch mit einer höheren Verantwortung und einem gleichzeitigen Appell nach mehr Selbstführung einher. Vor allem aus poststrukturalistischer Perspektive erhalten die Individuen durch den Individualisierungsprozess somit zwar mehr Eigenverantwortung, gleichzeitig werden sie hierdurch zugleich zu Subjekten, die von machtvollen Diskursen und normativen Anrufungen unterworfen werden. So sind es in Zeiten neoliberaler Regierungsweisen und der gesteigerten Freisetzung der Individuen aus sozialen Bindungen immer weniger explizite Verbote, traditionelle Sozialbeziehungen oder Klassenbindungen, als vielmehr diskursiv hervorgebrachte normative Ordnungen, die Menschen zu einem bestimmten Handeln bewegen. Dass hierbei insbesondere Social Media Plattformen wie YouTube eine besondere Rolle zukommt, verdeutlichen vor allem aktuelle Untersuchungen, die stets auf die Präsenz von Normen in Videos und die Bedeutung von Rollenmodellen hinweisen. Die im Kontext der Betrachtung des aktuellen Forschungsstandes zum Untersuchungsgegenstand YouTube vorgestellten Studien zeigen dabei auf, dass insbesondere Videos des Lifestyle-Genres eine besondere Rolle zukommt, wenn Subjektnormen und deren Relevanz in der Alltagspraxis von Akteur_innen untersucht werden sollen. Demnach weisen die zumeist theoretisch begründeten Ausführungen darauf hin, dass gerade Lifestyle-Videos erstens vielfältige Ratschläge zu unzähligen Themen anbieten, zweitens parasoziale Bindungen zwischen Videoproduzent_innen und –rezipient_innen initiieren und drittens zahlreiche Werte und Normen transportieren können. Damit sich jedoch Subjektnormen und die
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Ausgangspunkte zur Rekonstruktion von …
Aneignung und Aushandlung von diesen in YouTube-Videos empirisch zum Vorschein bringen lassen, bedarf es zunächst einer Klärung, wie diese einerseits theoretisch und methodologisch gefasst sowie andererseits methodisch adäquat und nachvollziehbar rekonstruiert werden können. Bevor die zur Bearbeitung jenes Forschungsanliegens verwendeten Theorien und Methoden jedoch detailliert vorgestellt werden, sollen vorerst deren Grundannahmen- und anliegen kurz erläutert werden, um eine bessere Nachvollziehbarkeit des Forschungsanliegens und dessen Umsetzung zu gewährleisten. Hierbei gilt es zunächst die zentralen Begriffe der Subjektivierung mit den weiteren Ausprägungen der Subjektnormen und Subjektfiguren summarisch zu erläutern und theoretisch einzuordnen.7 In diesem Zuge soll zuerst festgehalten werden, dass Subjektivierung des Öfteren auch als Subjektwerdung beschrieben wird, wobei beide Begriffe einen Prozess beschreiben, in dem sich Macht- und Wissensformationen mit Praktiken des Selbstbezugs von Individuen verbinden (vgl. Duttweiler 2007: 262). Zentral ist in diesem Verständnis, dass derartige Wissensformationen bzw. -ordnungen von Normen durchzogen sind, welche die Individuen anrufen, sich selbst in einer bestimmten Weise zu begreifen und zu modellieren (vgl. Geimer 2012: 233). Die Bezeichnung der Anrufung geht dabei auf Althusser zurück, der hiermit den Vorgang beschreibt, in dem Individuen in Subjekte transformiert werden. Exemplarisch erläutert Althusser jenen Vorgang an einer Alltagssituation, in der ein auf einer Straße stehender Polizist „He, Sie da!“, ruft, woraufhin sich das angerufene Individuum umdreht und hierdurch zum Subjekt wird. So ist es der Selbstbezug und die Anerkennung, dass der Ausruf des Polizisten explizit ihm galt, der das Individuum zum Subjekt rekrutiert (vgl. Althusser 1977: 142 f.).8 Im Hinblick auf normative Ordnungen wird im Folgenden diesbezüglich von Subjektnormen gesprochen, die jedem Einzelnen in appellativer Weise eine Ausrichtung an einem zu bevorzugenden Subjekt-Sein nahelegen (vgl. Geimer 2017: 2). Ferner werden derartige Subjektnormen unter anderem auch als (diskursive) „Subjektfiguren“ (Bröckling 2007) oder „Subjektideale“ (Alkemeyer et al. 2013) bezeichnet. Jene in der Tradition von Althusser und Foucault liegende Fokussierung auf Subjekte wurde bisher vornehmlich im Bereich der Governmentality Studies angenommen, um zu erläutern, wie über (neoliberale) Regierungstechniken Menschen zu einem bestimmten Handeln bewegt werden, statt bestimmte Handlungen schlicht zu verbieten (vgl. Bublitz 2013: 96). Dabei werden Subjektivierungen nahezu 7 Eine
genaue Einordnung und Definition der Begriffe erfolgt vornehmlich in den Abschnitt 2.1, 2.2 sowie 3.3. 8 Weitere Ausführungen zu Althusser und dessen Verständnis von Subjektwerdung und Ideologie folgt in Abschnitt 2.3.
1.3 Theoretische und methodologische Ausgangspunkte der qualitativen Studie
23
ausnahmslos theoretisch behauptet oder diskurs- und inhaltsanalystisch plausibilisiert, wodurch Subjekte geradezu verabsolutiert werden und ihnen kaum eine (oder nur hypothetische) Möglichkeit zugeschrieben wird, sich den Subjektnormen zu entziehen (vgl. Geimer 2018c: 5). Problematisch erscheinen derartige Verabsolutierungen jedoch insbesondere unter Bezugnahme zentraler Erkenntnisse, die vornehmlich im Forschungsstrang der Cultural Studies generiert wurden und empirisch darlegen, wie Diskurse und Texte stets von einer Polysemie geprägt sind (vgl. Fiske 1989; Hall 2004) und es den Akteur_innen hierdurch ermöglichen, sich den Subjektnormen potenziell zu widersetzen. Dies gelingt nach de Certeau zudem durch winzige Alltagspraktiken, die den Individuen helfen Mechanismen der Disziplinierung zu umgehen (vgl. de Certeau 1984: 13). Sobald somit die Makroperspektive von Diskursen verlassen und die Mikroperspektive der einzelnen Akteure_innen angenommen wird, offenbart sich, dass es seitens der Governmentality Studies in weiten Teilen zu einer Marginalisierung der Unterscheidung zwischen Subjektnorm und dem tatsächlichen Prozess der Subjektivierung kommt (vgl. Geimer 2014: 114). Anstatt jene Marginalisierung wie Bröckling ausschließlich als methodologisch begründet anzusehen (vgl. Geimer & Amling 2017), werden vornehmlich unter der Bezeichnung der empirischen Subjektivierungsforschung bzw. -analyse jüngst vermehrt Versuche unternommen, jene Lücke zu schließen und folglich zu untersuchen, welche Reichweite und Relevanz identifizierte Subjektnormen tatsächlich für Individuen besitzen (vgl. Bosancic 2019). Diesem Anliegen folgend, soll sich auch in der vorliegenden Arbeit der Untersuchung von Subjektnormen gewidmet und folglich eruiert werden, welche Rolle diese in YouTube-Videos des Lifestyle-Genres und für dessen Produzent_innen einnehmen. Um dies zu untersuchen, geraten dementsprechend einzelne LifestyleVideos diverser YouTuber_innen in den Fokus der Betrachtung. Da das Anliegen der Arbeit folglich darin besteht, Subjektnormen und Subjektivierungen mittels Videointerpretationen zu rekonstruieren, wird eine Methode benötigt, die es ermöglicht, nicht nur auf die Polysemie in der Rezeption zu verweisen, sondern darüber hinaus den in Texten (wie YouTube-Videos) liegenden Eigensinn zur Explikation zu bringen. Um diesen Forschungsanliegen nachzukommen, wird sich der dokumentarischen Subjektivierungsforschung bedient, die als Erweiterung der Dokumentarischen Methode betrachtet werden kann und es ermöglicht, Subjektnormen und Subjektivierungen anhand verschiedener Datenmaterialien zu rekonstruieren.
24
1.4
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Ausgangspunkte zur Rekonstruktion von …
Struktur der Arbeit
Bevor sich der Forschungsmethode der dokumentarischen Subjektivierungsforschung detailliert zugewandt wird, sollen im zweiten Kapitel die soeben summarisch dargelegten theoretischen Grundlagen der Cultural und Governmentality Studies ausführlicher vorgestellt werden, indem einerseits die theoretischen Modelle der Gouvernementalität und Subjektivierung sowie die für die Untersuchung von Lifestyle-Videos besonders relevanten gouvernementalen Ausprägungen präventiver, selbstreflexiver Ansätze näher beleuchtet werden. Andererseits soll daran anschließend ebenso aufgezeigt werden, wie Medientexte seitens der Cultural Studies analysiert und diskutiert werden, wobei in diesem Zuge auch auf die Polysemie von Medientexten und die Relation von Produkt- und Rezeptionsanalysen eingegangen wird. Im dritten Kapitel erfolgt ein Blick auf die methodologischen Grundlagen der dokumentarischen Subjektivierungsforschung und der Dokumentarischen Methode. In diesem Kontext wird nicht nur auf die Besonderheiten bei der Analyse von YouTube-Videos und die Rekonstruktion von dem sich in Videos dokumentierenden Eigensinn eingegangen, sondern auch darauf, welche Relevanz Normen für die Subjektivierung spielen und wie diese sowie die verschiedenen Umgangsweisen mit Subjektnormen empirisch rekonstruiert werden können. Nachdem im Anschluss daran im vierten Kapitel das Untersuchungsdesign und die Auswahl des Videomaterials dargestellt werden, beginnt schließlich im fünften Kapitel der empirische Teil der Arbeit. Angefangen bei der Rekonstruktion von elementaren Charakteristika von Lifestyle-Videos werden die mittels der Videoanalysen generierten Erkenntnisse hinsichtlich ihrer verschiedenen Ausprägungen vorgestellt und in Zusammenhang mit aktuellen Erkenntnissen der YouTube-Forschung gesetzt. Im sechsten Kapitel wird sich dem Hauptanliegen der empirischen Arbeit gewidmet. So werden hier die sich in den untersuchten Videos dokumentierenden Subjektnormen und Subjektivierungen sowie Reproduktionen von diversen Videoinhalten präsentiert. Das siebte und zugleich letzte Kapitel dient schließlich der Zusammenfassung und Einordnung der Ergebnisse im Kontext der theoretischen Ausgangsüberlegungen und methodologischen Grundlagen einerseits sowie des aktuellen Forschungsstandes der YouTube-Forschung andererseits. Außerdem erfolgen in diesem ein abschließendes Fazit der Untersuchung sowie ein Ausblick auf weitere Forschungsarbeiten und –fragen.
2
Theoretische Grundlagen der Governmentality und Cultural Studies
Die Erforschung von Subjektnormen in Lifestyle-Videos, welches als zentrales Forschungsanliegen bestimmt wurde, basiert maßgeblich auf einem theoretischmethodologischen Paradigma bzw. auf einer sozial- und kulturwissenschaftlichen Perspektive, in dem der Mensch nicht als durchweg autonom und freidenkend gedacht wird, sondern vielmehr als Subjekt, welches eingebettet ist in ein komplexes Gefüge von Wissen und Macht (vgl. Ntemiris 2011: 38; Reckwitz 2017b: 126). Ausschlaggebend ist aus dieser Perspektive somit das Individuum vom Subjekt zu unterscheiden und sich darüber hinaus von der Vorstellung eines autonomen Individuums zu lösen, das als vorsoziale Ich-Entität existiert und der Gesellschaft gegenübersteht (vgl. Geimer & Burghardt 2019: 234; Reckwitz 2017b: 126). Wie zunächst mit Hilfe von Foucaults Gouvernementalitätstheorie näher dargelegt werden soll, sind es Macht- und Wissensverhältnisse, die das Subjekt konstituieren und es einerseits machtvollen Diskursen sowie normativen Ordnungen unterwerfen, andererseits aber auch zur Selbstführung befähigen (vgl. Bosancic 2016: 38).
2.1
Gouvernementalität und Subjektivierung
Die in den Jahren 1977 und 1978 von Foucault am Collège de France präsentierte Gouvernementalitätstheorie widmet sich sowohl der Genese neoliberaler Regierungstechniken als auch der damit verbundenen Genese moderner Subjektivierungsweisen (vgl. Bührmann 2005: 175). Die Gouvernementalitätstheorie kann somit als eine Art genealogische Methode und Analyse von Machtverhältnissen verstanden werden, die auf einer besonderen Positionierung zwischen © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Burghardt, Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen, Film und Bewegtbild in Kultur und Gesellschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31754-6_2
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2 Theoretische Grundlagen der Governmentality und Cultural Studies
Mikro- und Makroanalysen gründet. Wie bereits die Begriffszusammensetzung aus Gouvernement, was übersetzt so viel heißt wie Regierung (-sform), Führung oder Leitung und dem Begriff der Mentalität, also einer kulturell-geistigen Kategorie verdeutlicht, basiert die Gouvernementalitätstheorie demnach auf einer Verstrickung zweier Ebenen (vgl. Treibel 2006: 71). Diese Verbindung ermöglicht es Analysen der individuellen Aneignung in einen politisch-gesellschaftlichen Kontext zu bringen und Zusammenhänge zwischen Selbstkunst und Regierungskunst zu pointieren (vgl. Lemke 2001: 108).1 Besondere Relevanz erfährt jene Betrachtung, da es besonders seit Mitte des 20. Jahrhunderts nach Foucault zu einem sich deutlich abzeichnenden Wandel der Regierungsform hin zum Neoliberalismus kam. Angetrieben wurde der Wandel insbesondere deshalb, weil sich im Zuge erkämpfter Freiheiten der Bevölkerung auch die Regierungsform ändern musste, um das Denken und Handeln der Menschen zu kontrollieren und zu lenken (vgl. Ntemiris 2011: 42). Ein zentraler Aspekt der neoliberalen Regierungsweise liegt dementsprechend darin, mithilfe verschiedener Praktiken der Lenkung, Kontrolle und Leitung Einzelne oder Kollektive zu bestimmten Handlungsoptionen zu bewegen, statt Handlungsformen schlicht zu unterbinden (vgl. Treibel 2006: 73). Weniger operiert die neoliberale Regierungsweise also über Verbote, als vielmehr über Formen der Menschführung, die wesentlich in eine Selbstführung mündet und Menschen zu einem bestimmten Handeln bewegt (vgl. Bublitz 2013: 96).2 Wie Bröckling beschreibt, sind die Regierungspraktiken „nicht ausschließlich repressiv, sondern sind auf die Einwilligung und Mitwirkung ihrer Adressaten angewiesen und halten diese zum rechten Gebrauch ihrer Freiheit an“ (Bröckling 2017: 25). Als zentrales Moment der neoliberalen Regierungsform steht somit die gestiegene Anforderung der Selbstführung, die alle Lebensbereiche einschließt (vgl. Carstensen 2015: 257). 1 Dabei
führt Foucault in seine Machtanalysen eine neue Dimension ein, welche es ermöglicht, Machtbeziehungen auch unter der Betrachtungsweise der Führung zu untersuchen. So unterscheidet er nicht mehr nur zwischen Herrschaftszuständen und strategischen Beziehungen, sondern erweitert seine Machtanalytik auf die Dimension der Regierungstechnologien. Diese kennzeichnen sich dadurch, dass sie im Gegensatz zu den strategischen Beziehungen Macht auf systematisierte, regulierte und reflektierte Art und Weise ausüben, dabei jedoch gleichzeitig eine derartige Dauerhaftigkeit und Fixiertheit, wie bei Herrschaftszuständen, vermeiden (vgl. Lemke 2001: 108 ff.). 2 Als Selbstführung werden die Weisen verstanden, „wie ein Individuum seine eigene Führung gestaltet, in Frage stellt und sich selbst problematisiert“ (Duttweiler 2007: 263) bzw. bezeichnet den Prozess, in welchem sich das Subjekt selbst wahrnimmt und sich vor allem als handlungsfähig erkennt sowie auf sich achtet - es konstituiert sich als Objekt seiner selbst (vgl. Geimer 2012: 233).
2.1 Gouvernementalität und Subjektivierung
27
So geht es immer darum, die ökonomische Form des Marktes auszuweiten und zu verallgemeinern, sodass das Schema von Angebot und Nachfrage auch auf nicht-wirtschaftliche Bereiche angewendet wird (vgl. Foucault 2006: 336). Demnach beschränkt sich die neoliberale Regierungsweise nicht ausschließlich auf den öffentlich-politischen Raum. Vielmehr fasst sie bspw. auch die pädagogische Lenkung im schulischen Alltag (vgl. Treibel 2006: 72) oder familiäre Beziehungen, wie Ntemiris eingängig an der Durchsetzung des bürgerlichen Ehe- und Familienideals zwischen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts verdeutlicht (vgl. Ntemiris 2011: 31 f.).3 Foucault betont, dass sich die Analyse der Machtbeziehungen in einer Gesellschaft nicht auf die Erforschung einiger Institutionen beschränken darf, selbst wenn es sich um jene Institutionen handelt, die man zu Recht als politisch bezeichnen kann (vgl. Bublitz 2013: 86). Somit sind bei der Analyse von (neoliberalen) Regierungstechnologien auch und gerade Praktiken des Lenkens und Führens zu untersuchen, die jenseits staatlichen Handelns liegen (vgl. Duttweiler 2007: 263). Der Staat ist stattdessen als ein Animator und Vermittler für eine Vielzahl von unabhängigen Agenten und Mächten anzusehen, der nur im begrenzten Umfang eigene Befugnisse bzw. Regeln ausübt, so Rose (vgl. Rose 2000: 323). Infolgedessen weiten sich die Bereiche des Regierens aus und es fällt potenziell sowohl jede Handlung als auch jeder Bereich in dessen Zuständigkeit, angefangen bei seelischen Konflikten bis hin zu Fragen von militärischen Aktionen, der Verteilung von Reichtum und der Führung von Familien (vgl. Lemke 2001: 111). Wie Rose deutlich macht, ist der Staat dabei jedoch nicht die einzige treibende Kraft und auch keine verborgene Hand, die alles lenkt: „This mobility and contestability is intensified by the fact that the state is neither the only force engaged in the government of conduct nor the hidden hand orchestrating the strategies and techniques of doctors, lawyers, churches, community organizations, pressure groups, campaigning groups, groups of parents, citizens, patients, survivors and all those others seeking to act upon conduct in the light of particular concerns and to shape it to certain ends.“ (Rose 2000: 323)
3 Ntemiris
schildert detailliert wie in dieser Zeit einerseits staatliche Eingriffe, z. B. in Form von Förderungen der Ausbildung der Frau in Haushalts- und Mütterschulen oder der Reform des Familienrechts unternommen werden, sich andererseits aber auch private Vereine formieren, die sich bspw. dem Schutz des Kindes annehmen und Familien moralische Ratschläge geben. In diesem Zuge bricht das Zeitalter der Psychiater und Psychotherapeuten an, die auf dem Wege der Beratung und vor allem ohne direkten Zwang in den ‚geheiligten Raum der Familie‘ eindringen können (vgl. Ntemiris 2011: 32 f.): „Probleme des Kindes und der Familie sind von nun an quasi-natürlich als Privatsache anerkannt“ (Ntemiris 2011: 33).
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2 Theoretische Grundlagen der Governmentality und Cultural Studies
Unter dieser Betrachtungsweise wird sichtbar, dass neoliberale Regierungsweisen entscheidend auf die Erfindung und Förderung von Selbsttechnologien zielen, die an Regierungsziele gekoppelt werden können (vgl. Bublitz 2013: 84). Neoliberales Regieren heißt in diesem Verständnis, Kontaktpunkte zwischen Fremdund Selbstführung ausfindig zu machen und in der Folge auszubauen oder herzustellen. Wie Rutland und Aylett verdeutlichen, geht es dementsprechend um eine freiwillige interessengeleitete Verhaltensänderung, keine die durch Zwang oder Gesetze vorangetrieben wird (vgl. Rutland & Aylett 2008: 633). “This form of self-policing is put in place by creating a congruence between the interests of the state and the interests of the family, group or individual.” (Rutland & Aylett 2008: 630) Exemplarisch wird diese Art des Regierens an der zentralen Technik der Beratung deutlich. Dieser kommt nach Duttweiler gerade deshalb eine elementare Rolle zu, da hierdurch Ratschläge vermittelt werden, wie Individuen sich selbst führen, sich besser selbst beobachten und ihre aktuelle Lebenssituation modifizieren sollten. Die Individuen werden demnach nicht gewaltsam zu Handlungen gezwungen, sondern es werden ihnen vielmehr Entscheidungsräume eröffnet. Folglich ist der Beratene in der paradoxen Situation, dass seine (Handlungs-) Autonomie geradezu normativ gefordert wird (Duttweiler 2007: 262 ff.). Dies konnte auch Traue nennenswert in seinen Untersuchungen aufzeigen. So gibt der Autor unter anderem zu Erkennen, dass die Beratung zum beständigen Alltagsbegleiter geworden ist, in welchem dem Coaching gegenwärtig eine besondere Rolle zukommt, da dieses „subjektiviert, ohne zu pathologisieren“ (Traue 2010: 14). Weil die Hervorbringung und Unterwerfung des Subjekts somit von einer Parallelität geprägt sind, seien dementsprechend auch moderne Ratgeberbücher sehr offen formuliert. „Sie überließen dem Leser eine große Freiheit, selber zu entscheiden, wie das Problem zu lösen sei, und gleichzeitig werde der Leser in einem Normensystem, einem ‚Möglichkeitsraum‘ geführt.“ (Wolff 2010: 189). Das neoliberale Regieren ist daher nicht nur von staatlichen oder gesellschaftlichen Eliten geprägt, die Macht von oben nach unten ausüben, sondern es zeichnet sich vielmehr durch ein komplexes System aus, in dem der Subjektivierung eine elementare Rolle zukommt, da sich hier das Wechselverhältnis aus Fremd- und Selbstführung abspielt (vgl. Wolf 2010). Als Subjektivierung oder auch Subjektwerdung wird in diesem Zuge auch derjenige Prozess verstanden, in dem Individuen zu gesellschaftlich zurechenbaren Subjekten umgeformt werden (vgl. Reckwitz 2017b: 125) und in dem sich Macht- und Wissensformationen mit Praktiken des Selbstbezugs der Individuen verbinden (vgl. Duttweiler 2007: 262). Durch diese Verbindung wird deutlich, dass es sich bei der Subjektivierung um
2.1 Gouvernementalität und Subjektivierung
29
einen doppelseitigen Prozess handelt. Denn zum einen werden Subjekte machtvollen Diskursen und normativen Ordnungen unterworfen, zum anderen erlangt das Subjekt durch derartige Anrufungen aber auch Handlungsfähigkeiten und wird dazu angeleitet sich selbst zu formen (vgl. Bosancic 2016: 38). Die Subjektivierung wird demnach als eine zumeist unbewusste Ausrichtung an Subjektnormen konzipiert (vgl. Bublitz 2017: 191), welche auf die Einzelnen einwirkt und ihnen nahelegt „sich in einer spezifischen Weise selbst zu begreifen, ein spezifisches Verhältnis zu sich selbst zu pflegen und in spezifischer Weise sich selbst zu modellieren“ (Bröckling 2012: 131). Gleichzeitig wird hieran deutlich, dass das moderne Subjekt nicht unveränderlich oder natürlich gegeben ist, sondern gesellschaftlich hervorgebracht wird (vgl. Bührmann 2005: 176), da Transformationen von Subjektnormen abhängig von kollektiven Deutungskämpfen unterschiedlicher Akteur_innen sind (vgl. Bosancic 2019: 48).4 Erst durch bestimmte Machtverhältnisse hervorgebrachtes Wissen definiert Normen, „die in sozialen und institutionellen Praktiken eine Differenzierung in normal und anormal nahe legen“ (Sobiech 2017: 17). Wer sich also dem Thema der Subjektivierung zuwendet, geht nicht allein der „praktischen und situativen Konstitution zum Subjekt“ (Rose 2019: 69) nach, sondern untersucht ebenso, wie diese gesellschaftlich und historisch situiert ist (vgl. ebd.). Vorwiegend wurden derartige Anliegen sowie die Kämpfe und normativen Aspekte übersubjektiver Wissensordnungen bisher in den Bereichen der Cultural und Governmentality Studies behandelt. Letztere können als eine Forschungsrichtung beschrieben werden, die sich im Anschluss an Foucaults Gouvernementalitätstheorie seit Anfang der 1990er Jahre herausbildete und gesellschaftliche Transformationen mehrheitlich in Hinblick auf den Neoliberalismus analysiert. Hierbei weisen die Vertreter_innen immer wieder auf die große Relevanz von (diskursiven) Subjekt- bzw. Subjektivierungsfiguren hin, welchen eine bedeutende Rolle bei der Subjektivierung zukommt. Wie im Folgenden aufgezeigt wird, wurden bereits eine Vielzahl an Subjektivierungsfiguren mithilfe von Diskurs- und Inhaltsanalysen identifiziert. Diese rufen die Subjekte auf verschiedene Weisen an, sich in einer spezifischen Weise selbst zu begreifen, zu modellieren und ein bestimmtes Verhältnis zu sich selbst zu pflegen (vgl. Bröckling 2012: 131).
4 In
diesem Sinne sind Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata moderner Individuen gleichzeitig als Produkte verschiedener Machttaktiken einer Epoche zu verstehen (vgl. Ntemiris 2011: 39).
30
2.2
2 Theoretische Grundlagen der Governmentality und Cultural Studies
Diskursive Subjektfiguren und die gouvernementale Relevanz präventiver, selbstreflexiver Ansätze
Als ein hegemoniales Anforderungsprofil zeitgenössischer Subjektivierung kann nach Bröckling die Subjektivierungsfigur des ‚unternehmerischen Selbst‘ aufgefasst werden (vgl. Bröckling 2012: 131). Demnach wird gegenwärtig in vielfältigen Programmen jeder Einzelne angerufen, zum Unternehmer des eigenen Lebens zu werden (vgl. Bröckling 2002: 7) und mit dem Imperativ konfrontiert, die eigene „Lebensführung am Verhaltensmodell der Entrepreneurship auszurichten“ (Bröckling 2012: 131). Subjektivierungsfiguren, wie das von Bröckling dargestellte ‚unternehmerische Selbst‘, werden dabei durch permanentes Regierungshandeln geschaffen, geformt und aktiviert. In diesem Fall verbinden sich Fremd- und Selbstführung zu einem Regime des Selbst, welches den Einzelnen dazu antreibt, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen, dieses an unternehmerische Effizienzkriterien auszurichten (vgl. Bublitz 2013: 96) und sich dem „Imperativ einer Selbstoptimierung zu unterwerfen“ (Bröckling 2002: 9). In der Figur kommt somit ein normatives Menschenbild zum Ausdruck, welches in dieser Art nicht vorfindbar, aber hervorzubringen und darzustellen ist (vgl. Bröckling 2012: 132). Wie Bröckling deutlich macht, können die Appelle zum Unternehmer des eigenen Lebens zu werden zwar zurückgewiesen werden, aber es fällt schwer, sie zu ignorieren (vgl. Bröckling 2002: 7). Gleichzeitig lässt der Autor verlauten, dass das ‚unternehmerische Selbst‘ zwar eine dominante aber keineswegs die einzige gegenwärtige Subjektivierungsfigur ist (vgl. Bröckling 2012: 132). Dementsprechend wird deutlich, dass im Zuge der Governmentality Studies diverse unterschiedliche Subjektivierungsfiguren ausgemacht werden, die auch in Konkurrenz zueinander stehen können. So etwa das „glückliche Selbst“ (Duttweiler 2011) oder das „präventive Selbst“ (Lengwiler & Madarasz 2010), welches im Hinblick auf das vorliegende Forschungsanliegen ebenso von besonderem Interesse ist. So lässt sich insbesondere unter Berücksichtigung von Dörings Untersuchungen davon ausgehen, dass die im Fokus der Arbeit stehenden Beauty-, Healthund Fitnessvideos nicht nur Anschlüsse zur Selbstoptimierung und somit zum ‚unternehmerischen Selbst‘ aufweisen, sondern sich diskursiv auch im Rahmen der gouvernementalen Ausrichtungen des Healthism und Präventionismus bewegen. Demnach würden in den Videos nicht nur Attraktivitätsnormen transportiert (vgl. Döring 2015), sondern ebenso eine Vielzahl an Gesundheitsthemen behandelt, in denen bspw. Ernährungsratschläge zu einer gesunden Lebensweise präsentiert werden (vgl. Döring 2014a). Sowohl in populären Beauty-Videos weiblicher YouTuberinnnen als auch in Lifestyle-Videos männlicher YouTuber
2.2 Diskursive Subjektfiguren und die gouvernementale …
31
kommt es dementsprechend häufig zu einer Verstrickung von Schönheitsnormen und Gesundheitsthemen. Insbesondere in sogenannten Fitnessvideos wird jene Verbindung besonders deutlich. Indem in diesen Ernährungs- und Fitnesstipps gegeben werden, die einerseits der Gesundheitsprävention dienen sollen, andererseits hierbei gleichzeitig Attraktivitätsnormen in Form einer ausgeprägten Sportlichkeit, Schlankheit und Muskularität bedient werden, wird deutlich, wie die Videogenres Beauty, Health und Fitness nur schwer strikt voneinander abzugrenzen sind und sowohl auf die körperliche Gesundheit als auch physische Attraktivität abzielen (vgl. Döring 2015; Maloney et al. 2017). So ist der hier zitierte fitte Körper „nicht nur jung, schön und schlank, sondern zieht seine Attraktivität auch aus dem Umstand, dass er für Willenskraft, Leistungsstärke und Gesundheit und damit ökonomische Verwertbarkeit verkörpert“ (Graf 2013: 146) und sich folglich sowohl im Kontext des Healthism bewegt, als auch an die Subjektivierungsfigur des ‚unternehmerischen Selbst‘ anschließt. Als Healthism wird hierbei eine gouvernementale Ausprägung beschrieben, welche sich hauptsächlich auf die Entwicklung des Gesundheitswesens fokussiert und zunächst von Crawford (1980) im Artikel ‚Healthism and the Medicalization of Everday Life‘ und wenig später auch von Rose geprägt wurde. Eine der Hauptthesen ist hierbei, dass die Gesundheitsverantwortung im Zuge neoliberaler Regierungsweisen sukzessiv vom Staat auf das Individuum übertragen wird (vgl. Rysst 2010: 72) und dieses nun durch individuelle Verhaltensänderungen sowie „the modification of life styles“ (Crawford 1980: 368) eigene Gesundheitsvorsorge betreiben soll. In diesem Zuge weist Bröckling darauf hin, dass präventive Ansätze zunehmend an Relevanz gewinnen und sich zudem zum Geltungs- und Handlungsbereich jedes Einzelnen entwickeln. Demnach werden traditionelle Mechanismen des Überwachens und Strafens entlang aktueller Präventionsdiskurse und der Ökonomisierung des Sozialen durch ein Regime der freiwilligen Selbstkontrolle ersetzt. Der einstige ‚Vorsorgestaat‘ verwandelt sich demgemäß zum ‚aktivierenden Staat‘, der seinen Bürger_innen aufträgt, ihre Lebensrisiken eigenverantwortlich zu managen (vgl. Bröckling 2008: 46). Nach Lessenich werden die Individuen darüber hinaus sogar mit dem sozialen Imperativ konfrontiert, nicht nur für sich selbst, sondern zunehmend auch für die Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen, weshalb ein Auslassen der eigenen Fürsorge nicht nur Zeugnis der eigenen Unfähigkeit sei von der gestiegenen Freiheit Gebrauch zu machen, sondern auch dem Gemeinwohl schade (vgl. Lessenich 2003: 87 f.).5 5 Auf
jene Logik machen auch Degele und Dries (2005: 268) aufmerksam, indem sie pointiert zusammenfassen: „Wer nicht selbst gegen den drohenden Bandscheibenvorfall antrainiert, darf auch nicht auf beitragsfinanzierte Kurmaßnahmen hoffen.“
32
2 Theoretische Grundlagen der Governmentality und Cultural Studies
Seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhundert, so Ullrich, wird das Gesundheitswesen somit vermehrt unter präventiven Aspekten betrachtet (vgl. Ullrich 2012). Duttweiler spricht in diesem Zuge auch von einem Umbau des Sozialstaates vom Wohlfahrts- zum aktivierenden Staat, der die Individuen dazu anleitet, sich selbstverantwortlich selbst zu führen (vgl. Duttweiler 2007: 261 ff.). Einzelpersonen werden hierbei nicht nur ermutigt durch verschiedene Maßnahmen der Gesunderhaltung und Krankeitsvorsorge sowie durch den Abschluss privater Krankenversicherungen oder einer privaten Rente für ihre eigene zukünftige Sicherheit zu sorgen, sondern sie sollten sich bspw. auch zunehmend gegen kriminelle Risiken absichern (vgl. Rose 2000: 328; Degele & Dries 2005: 14). Die Gesundheitsprävention ist nach Lengwiler und Madarasz somit in erster Linie ein Anliegen des Staates, wobei der Diskurs auch stark von privatwirtschaftlichen Akteuren, wie privaten Krankenkassen oder der Pharmaindustrie, angetrieben wird. Darüber hinaus sind zivilgesellschaftliche Vereinigungen beteiligt und nicht zuletzt die individuellen Akteure selbst (vgl. Lengwiler & Madarasz 2010). Besonders deutlich wird die Fokussierung auf präventive Ansätze einerseits in Form von Vorsorgeuntersuchungen, Tipps für gesunde Lebensstile und Fitnessprogramme, andererseits aber auch in der Sanktionierung von Präventionsverweigerern. Denn wer auf regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen und Sport verzichtet, muss zum einen höhere Versicherungsprämien zahlen und zum anderen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit zu erkranken, so Ullrich (vgl. Ullrich 2012). Dem Thema Übergewicht kommt dabei im Gesundheitsdiskurs eine besonders große Aufmerksamkeit zu. Dieses, so der Tenor in Populär- und Fachmedien, stelle ein großes Problem für das Gesundheitssystem und die Gesellschaft allgemein dar, weshalb dieses durch gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung minimiert werden solle (vgl. Wolff 2010: 177). Exemplarisch sieht Ullrich die allgegenwärtige Forderung nach gesundem Verhalten, bspw. in Ratgebersendungen, Krankenkassenzeitschriften, diversen Werbungen für Fitnessprodukte oder z. B. sehr konkret im ‚Nationalen Aktionsplan zur Prävention von Fehlernährung, Bewegungsmangel Übergewicht und damit zusammenhängenden Krankheiten‘ der Bundesregierung. In diesen Empfehlungen werden die Bürger_innen unter anderem zu ausreichenden Bewegungs- und Trainingsprogrammen aktiviert. Ferner zeigt sich die Fokussierung auf präventive Ansätze, aber auch an angebotenen Bonusprogrammen der Krankenkassen, in denen den Bürger_innen bei Teilnahme Vergünstigungen offeriert werden (vgl. Techniker Krankenkasse 2019). Unabhängig von der Frage, ob Präventionsverweigerer aktiviert oder ‚Präventionisten‘ bevorzugt werden, verdeutlichen die Beispiele nach Ullrich, wie der Wandel von einem ehemals solidarisch organisierten Gesundheitswesen zu einem, das am individuellen Risikoprofil der Individuen orientiert ist, vollzogen wird
2.2 Diskursive Subjektfiguren und die gouvernementale …
33
(vgl. Ullrich 2012).6 Diesem Ansatz liegt die Idee zu Grunde, dass Gesundheit ebenso wie etwa Schlankheit und Schönheit kein biologisches Schicksal darstelle, sondern vielmehr persönliche Leistungen erfordere (vgl. Degele 2004: 21 f.; Höppner 2010: 115). In erster Linie in medialen Diskursen, wie bspw. in Fitnessmagazinen und Castingshows würden in diesem Kontext Individuen mit Aktivierungsnormen ausgesetzt werden, welche die Ansprüche an den eigenen Körper und die eigene Gesundheit steigen lassen (vgl. Carstensen 2015: 257; Authenrieht 2018: 53 ff.; Töpper & Lünenborg 2018). Hollywood-Stars und PopIdole würden in diesem Zuge vor allem durch ihre körperliche Fitness und starke Disziplin in Erscheinung treten und dieses Leitbild vorleben. Demnach wird die gesundheitsorientierte Lebensführung nicht nur aktiv gefordert und gefördert, sondern ebenso in der gegenwärtigen Popkultur als Leitkonzept präsentiert (vgl. Wolff 2010: 170). Kreisky spricht in diesem Zuge etwa von einer „subtile[n] Verinnerlichung ‚erwünschter‘ Körpernormen“ (Kreisky 2003: 15), die sowohl von Gesundheit als auch von ‚Normalität‘ und Schönheit gekennzeichnet sind und nicht selten in Fernsehsendungen repräsentiert werden, wie Villa (2015) deutlich macht.7 Neben den klassischen Massenmedien spielen jedoch zunehmend auch die sogenannten ‚neuen Medien‘ eine wichtige Rolle in der Kommunikation von Gesundheitsnormen und Körperbildern. Im Unterschied zur Repräsentation in Fitnessmagazinen und Fernsehshows, bekommen die User_innen im Social Web hingegen vermeintlich private Einblicke in den uninszenierten Alltag ihrer Stars, wodurch die ‚Normalität‘ hinter den Körperbildern hervorgehoben wird (vgl. Döring 2014a: 286; Authenrieth 2018: 56 f.). Unter Begriffen wie ‚Fitspiration‘, ‚Thinspo‘ oder ‚Fitspo‘ erhalten in diesem Kontext Onlinetrends große Relevanz, bei dem Akteur_innen auf sozialen Netzwerkseiten mittels der Präsentation von Sportübungen, Mahlzeiten oder bestimmten Körperbildern, zu einem gesünderen Lebensstil motiviert und inspiriert werden sollen (vgl. Tiggemann & Zaccardo 2015; Slater et al. 2017). Demnach werden bspw. derzeitig viele User_innen auf Instagram mit einem Körper- bzw. Schönheitsideal konfrontiert, welches nicht 6 Gleichzeitig
wird es den gesunden Leistungsträgern durch den Wandel ermöglicht, sich offensiv gegen die vermeintlich unverantwortlich handelnde und ungesunde Restbevölkerung abzugrenzen, so Ullrich (2012). 7 Lengwiler und Madarasz merken zudem an, dass die Aktivierung zur Prävention dabei verhältnismäßig unauffällig verläuft, da sie zumeist die Ebene unspektakulären Alltagsverhaltens wie das Essen, das Trinken oder die Bewegung tangiert. Hierdurch würden somit vermeintlich ungefährliche Verhaltensweisen wie Essen oder Trinken unmittelbar zu Gesundheitsrisiken umdefiniert (vgl. Lengwiler & Mandarasz 2010).
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2 Theoretische Grundlagen der Governmentality und Cultural Studies
nur von Schlankheit, sondern auch von einer sichtbaren Fitness geprägt ist (vgl. Schwarzenegger et al. 2018: 87). Dies gelte nach Döring nicht weniger für YouTube-Videos. Mit einer Fokussierung auf gesundheitsrelevante Inhalte konstatiert die Autorin, dass hierbei das Spektrum von Videos zu Rückengymnastik bis hin zu Tipps zur Behandlung von Akne reicht. Hierbei unterscheidet Döring zwischen gesundheitsbezogenen Videos in denen Inhalte zu konkreten Themen wie bspw. Ess- und Schlafstörungen gezeigt werden und gesundheitsrelevanten Videos in denen bspw. Anleitungen zu selbstgemachten Tattoos oder Schönheitsnormen präsentiert werden. Beide Videoarten spielen dabei in erster Linie im Beauty- und Lifestyle-Genre eine wichtige Rolle und unterscheiden sich maßgeblich von Beiträgen aus anderen Medien, da YouTube Vorbilder hervorbringe, die in den klassischen Massenmedien nicht dargestellt werden. Besonders durch die audio-visuellen Handlungsanleitungen (z. B. für Gymnastikübungen) weisen die Videos demnach das Potenzial auf, den Rezipient_innen dabei zu helfen, gesundheitsförderliche Verhaltensweisen umzusetzen (vgl. Döring 2014a: 297). Des Weiteren seien die Clips gerade deshalb so effektiv, weil sie in einem „show how in Peer-to-Peer-Netzwerken“ (Reichert 2013: 83) präsentiert werden. Demnach ist es den YouTuber_innen möglich auch durch ihre körperliche Sichtbarkeit Ansporn zu geben und in glaubwürdiger Weise bestimmte gesundheitsrelevante Inhalte (vgl. Döring 2014a: 297 ff.) und Körperideale zu präsentieren. Hierdurch ergäben sich nach Döring „Chancen der gesundheitsbezogenen Information, Motivation und des Empowerments durch Peer-to-Peer-Kommunikation“ (ebd.: 303). Dass in den Videos jedoch nicht nur gesundheitsbezogene Informationen preisgegeben werden, sondern Fitness- und Beauty-Videos erstens häufig stark miteinander verknüpft sind und zweitens sowohl Fitnessvideos als auch Online-Trends wie ‚Fitspiration‘ deutlich von Körper- und Schönheitsnormen geprägt sind, die keinen Gesundheitsbezug mehr aufweisen, zeigen bspw. die Studien von Tiggemann & Zaccardo (2015), Slater et al. (2017) und Authenrieth (2018). Dass die präventive Haltung als grundlegende Struktur gegenwärtiger Subjektivität jedoch kein nationales, nur auf Deutschland begrenztes Phänomen darstellt, zeigt sich bereits an der Bezeichnung ‚health promoting self‘, welches 1995 von Nettleton und Bunton vorgeschlagen wurde (vgl. Ullrich 2012: 15 ff.) und wird insbesondere auch an Ausführungen von Crawford (1980) deutlich. Eine von Zhang et al. (2017) in den USA durchgeführte Studie verweist in diesem Kontext zudem auf die bedeutsame Rolle der neuen Medien im Bezug auf Gesundheitskommunikation. So untersuchten die Autoren sogenannte ‚Public
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service announcements (PSAs)‘ auf YouTube.8 In ihrer Studie fokussieren sich die Autor_innen insbesondere auf Videos, die gesunde Essgewohnheiten fördern sollen und weisen darauf hin, dass YouTube-Videos traditionelle MassenmedienGesundheitskampagnen ergänzen können. Besonders relevant erscheint dies unter der Berücksichtigung von Erkenntnissen, die konstatieren, dass Ernährungsempfehlungen von Expert_innen zwar bereits in weiten Teilen der Bevölkerung in das Alltagswissen eingedrungen seien, jedoch das erweiterte Ernährungswissen kaum angewandt wird (vgl. Weiss 2007: 104 f.). So sei das Problem häufig, dass die Empfehlungen zu allgemein sind, sich nicht an spezifische Zielgruppen richten und kein konkretes Ernährungshandeln vorgelebt wird, an dem sich orientiert werden kann (vgl. ebd.: 106). Wie die Studie von Zhang et al. (2017) andeutet, könnten eben jene Aspekte hingegen durch PSA- und Lifestyle-Videos auf YouTube eine neue Dimension erhalten. Wie Schritt in diesem Kontext aufzeigt, sind es neben politischen und wissenschaftlichen demnach vornehmlich mediale Akteur_innen, denen im Diskurs rund um ‚Healthism‘ und gesunde Ernährung eine essenzielle Bedeutung zukommt (vgl. Schritt 2011: 34 ff.). In der quantitativen Studie (in der 341 Videos analysiert wurden) von Zhang et al. (2017) gingen die Autor_innen den Fragen nach, wer Videos zu gesunder Ernährung hochlädt, wie populär sie sind und wie effektiv die Gesundheitsinterventionen sind. Ziel der Studie war es herauszufinden, wie Gesundheitskampagnen effektiv auf YouTube ausgeweitet werden können, um Einstellungs- und Verhaltensänderungen auszulösen.9 Hierbei weisen die Autor_innen auf die Relevanz expliziter Appelle und Verhaltenshinweisen hin. So ist die Wirksamkeit zur Verhaltensänderung weniger effektiv, wenn konkrete Anweisungen fehlen. Zusätzlich unterscheiden die Autor_innen zwischen verschiedenen Methoden, wie die Appelle vermittelt werden. Die Methode des Aufzeigens von Statistiken kann, so die Autor_innen, dabei helfen, eine Objektivität zu schaffen, wohingegen narrative Erzählungen eher durch emotionale Reaktionen überzeugen. Beide Varianten, so Zhang et al. (2017), werden in der Gesundheitskommunikation als wirksam angesehen. Humor
8 Unter
PSAs werden massenmediale Kampagnen verstanden, die Verhaltensweisen von bestimmten Zielgruppen verändern sollen. Beispiele hierfür finden sich hauptsächlich im Bereich der öffentlichen Gesundheit, wie bspw. Kampagnen die auf die Gefahren von Alkoholkonsum und mangelnder Mundhygiene hinweisen oder zur Nutzung von Sicherheitsgurten aufrufen (vgl. Zhang et al. 2017). 9 Untersucht und miteinander verglichen wurden bei der Studie sowohl Videos von Regierungsorganisationen, Unternehmen, Einzelpersonen und NGOs (vgl. Zhang et al. 2017).
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2 Theoretische Grundlagen der Governmentality und Cultural Studies
zieht hingegen hauptsächlich Aufmerksamkeit auf sich und es werden positive Gefühle mit dem Thema assoziiert. Die Einflussnahme durch Peers erfolgt durch Nachrichten, die auf sozial normativem Verhalten basieren. Hierunter fallen sowohl „descriptive norms, showing what most people do, and injunctive norms, showing what people believe others think they should do, are predictive of behaviors“ (Zhang et al. 2017: 42). Folglich kodierten die Forscher_innen alle Videos als ‚Peer-Einfluss‘, in denen Menschen zu sehen sind, die gemeinsam gesunde Nahrung genießen (deskriptive Norm) oder in denen ein Vergleich zwischen gesunder und ungesunder Ernährung vorgenommen wird. In ca. 85 Prozent der Videos waren die Videoproduzent_innen bestrebt, die Wahrnehmung der Zuschauer_innen für die Möglichkeit, sich gesund zu ernähren, zu stärken bzw. wurden Hinweise gegeben, wie man sich gesund ernähren könne. Demnach sollte explizit das Bewusstsein für gesunde Ernährung erhöht und Verhaltensänderungen herbeigeführt werden (vgl. ebd.: 48). Insgesamt betrachtet verdeutlichen die aufgezeigten Studien bereits, welch große Bedeutung den Themenkomplexen der Gesundheitsprävention und Selbstoptimierung auch in den zu analysierenden Lifestyle-Videos zukommen könnte. Generell deuten hierauf jedoch auch weitere empirische Studien hin, die indizieren, dass dem Leitbild des ‚präventiven Selbst‘ nicht nur aus theoretischer Perspektive eine wichtige Rolle zukommt. Zieht man diese hinzu, wird zum Beispiel sichtbar, dass eine gesunde und ausgewogene Ernährung über 90 Prozent der deutschen Bevölkerung wichtig ist. Dies jedenfalls gaben 2013 die Teilnehmer einer vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) beauftragten repräsentativen Studie an. 47 Prozent ist eine derartige Ernährung sogar sehr wichtig (vgl. BMEL 2014: 2). Ebenso steigt seit Beginn der 1990er Jahre auch die Anzahl von sogenannten ‚Essgestörten‘ kontinuierlich an. Nach Studien des Robert-Koch-Instituts liegt in Deutschland bei etwa 20 Prozent aller 11- bis 17- Jährigen der Verdacht auf eine Essstörung vor. Bei Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren ist sogar ca. jede Dritte betroffen. Die Ursachen für Essstörungen sind laut der Studien sehr unterschiedlich und variieren von Fall zu Fall stark. Neben dem vordergründigen Motiv des Schönseins ginge es vielen Bulimie- oder Anorexiekranken auch darum, die eigene Disziplin und Tüchtigkeit zu beweisen (vgl. Dückers 2014). Beide Motive decken sich dabei stark mit denen der ‚Fitnessjunkies‘, welche zwar nicht zwanghaft hungern, jedoch oft nahezu ebenwürdig stark auf ihre Ernährung achten. Das Zählen von aufgenommenen Kalorien sowie Proteinen und das Vermeiden von Zucker und Fetten ist demnach im Fitnessbereich keine Besonderheit. Extreme Ernährungsverhalten wie bspw. die Paleo Diät sind ebenso immer häufiger in diesem Milieu zu
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finden (vgl. Schäfer 2015).10 Zudem weisen diverse Studien darauf hin, dass sich seit Mitte der 2000er Jahre auch die Anzahl an Menschen stark erhöht, die sich von gesundheitlichen Aspekten angetrieben vegetarisch ernähren (vgl. Ehrenstein 2014; Straßmann 2015). Neben jenen schemenhaft dargestellten Motiven hinter der Umsetzung verschiedener Ernährungsweisen wird an den genannten Zahlen vorwiegend deutlich, dass sich die Bedeutung der Gesundheitsprävention und Selbstoptimierung nicht nur theoretisch im Zuge gouvernementaler Ausführungen, sondern ebenso empirisch anhand quantitativer Studien abzeichnet. Die Sorge um die eigene Gesundheit und Figur gilt demnach inzwischen geradezu als gesellschaftlicher Imperativ (vgl. Weiss 2007: 103) und soziale Stigmatisierungen blühen denjenigen, die den hegemonialen Körperidealen nicht entsprechen (vgl. Autenrieth 2018: 67 f.). Diskurse rund um Ernährung, Gesundheit und den eigenen Körper sowie „Bilder idealer, normaler und abstoßender Körper oder Manuale des Körpermanagements – und Körperdispositive – etwa in Bereichen wie Gesundheit und Fitness – sind ein herausgehobener Gegenstand subjektivierungsanalytischer Körpersoziologie“ (Reckwitz 2017b: 128) und daher besonders vielversprechend für die Rekonstruktion von Subjektnormen. Im Hinblick auf das Forschungsanliegen zeigen die Ausführungen somit zwar einerseits auf, wie die Videothemen ‚Beauty‘, ‚Health‘ und ‚Fitness‘ auch aus einer gouvernementalen Perspektive an Relevanz gewinnen, andererseits werden die neoliberalen Regierungstechniken und Anrufungen ausschließlich aus diskursanalytischer Perspektive betrachtet, weshalb unbeachtet bleibt, inwiefern die (medial) bereitgestellten Subjektnormen tatsächlich in das Alltagsleben der Rezipient_innen integriert werden und ob die Möglichkeit besteht, sich den Anrufungen zu widersetzen. Ebenso macht besonders Ullrich darauf aufmerksam, dass die Diskurse in weiten Teilen audiovisuell geprägt sind, jedoch bleibt unklar, ob die Werbungen und Ratgebersendungen auch kritisch bzw. oppositionell gelesen werden können. Was somit bisher nicht berücksichtigt wurde, ist das Verhältnis zwischen diskursiven Medienprodukten bzw. -texten und der Rezeption dieser. Exakt jene Relation ist jedoch von immenser Bedeutung und stellt eine der zentralen Fragen innerhalb der methodologischen und theoretischen Diskussion der Medienforschung dar. So unbestritten die Relevanz jener Beziehung ist, so vielfältig sind jedoch gleichzeitig die Perspektiven, aus der sich dem Verhältnis aus Produkt- und Rezeptionsanalysen zugewendet werden kann. Neben der kognitionspsychologischen, systemtheoretischen oder der handlungstheoretischen 10 Bei dieser sogenannten Steinzeitdiät wird konsequent darauf geachtet, ausschließlich Nahrungsmittel aufzunehmen, die es schon zu Urzeiten gab. Das heißt, statt Milchprodukte und Getreide werden Obst, Gemüse, Fleisch, Fisch und Nüsse konsumiert (vgl. Schäfer 2015).
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2 Theoretische Grundlagen der Governmentality und Cultural Studies
Perspektive (vgl. Geimer 2010: 61 ff.) erfährt vor allem die Betrachtungsweise der Cultural Studies große Resonanz, weshalb sich dieser im Folgenden näher gewidmet werden soll (vgl. Bohnsack & Geimer 2014: 295). Zusätzlich wenden sich die Vertreter_innen der Cultural Studies jedoch nicht nur der Analyse audiovisueller Daten und dem Verhältnis zum Publikum zu, sondern sie verdeutlichen auch, wie eine ideologiekritische Diskursanalyse vollzogen werden kann, ohne dabei deterministische Subjektpositionen zu vertreten.
2.3
Die Cultural Studies und die Analyse von Medientexten
Die Cultural Studies sind eine Forschungsrichtung, die sich insbesondere der Erforschung von Populärkultur widmet und seit ihrer Entstehung die Bedeutsamkeit dieser hervorhebt. Bestand das anfängliche Ziel zunächst hauptsächlich darin, die einst starre Trennung zwischen Hochkultur und Populärkultur aufzuheben und der herkömmlichen Meinung Populärkultur sei homogen und standardisiert zu widersprechen (vgl. Wenzel 2007: 97; Winter 2006b: 383), entwickelten sich die Cultural Studies seit den 1960er Jahren zu einem transdisziplinären, uneinheitlichen Projekt, welches sich verschiedener methodischer und theoretischer Zugänge bedient. Trotz der zunächst genealogischen Definition, gilt es somit zu betonen, dass die Cultural Studies nicht als eine bestimmte Schule zu verstehen sind, die sich stetig stringent anhand einhelliger Forschungsmethoden und -theorien entwickelte. Da jene Vorgehensweise jedoch den Vorteil bietet, Zusammenhänge und wechselseitige Bezüge nachvollziehbar zu schildern, startet das Kapitel zunächst mit einer wissenschaftsgeschichtlichen Definition der Cultural Studies (vgl. Hepp 2010: 16 f.). Mit der Gründung des Birmingham Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) im Jahr 1964 begannen insbesondere Raymond Williams, Richard Hoggart und Edward Palmer Thompson damit, kulturelle Formen und Praktiken im Alltagsleben zu untersuchen (vgl. Wenzel 2007: 435; Winter 1999: 49). Zu Beginn noch stark geprägt vom Marxismus und der New Left Bewegung, war es das Ziel, einer kritischen Kulturanalyse nachzugehen und mithilfe kritischer Untersuchungen zu eruieren, wie vorherrschende Machtverhältnisse aufrecht erhalten werden (vgl. Hepp & Winter 2006: 11). Hiermit sollte (und dies gehört noch immer zum Grundverständnis der Cultural Studies) vor allen Dingen Wissen produziert werden, welches zuträglich ist, gegenwärtige soziokulturelle Probleme und Konflikte sichtbar zu machen und zu lösen (vgl. Hepp 2010: 19). Gleichzeitig lehnten sie
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dabei die kulturkritische Perspektive von Horkheimer und Adorno bzw. der kritischen Theorie ab, da diese populäre Medien und Texte zu leichtfertig in die Kritik nahmen und pauschalisierten (vgl. Hepp & Winter 2006: 11). In den Fokus der Analysen des CCCS gerieten primär moderne Kommunikationsmittel und es wurde bspw. der Frage nachgegangen, inwiefern diese Klischees und Stereotype reproduzieren (vgl. Dörner 2010: 128; Winter 2006b: 381). Schrittweise konnten durch zahlreiche Studien die Sichtweisen des klassischen Marxismus in den Bereichen Kultur und Medien ergänzt werden, welche zuvor hauptsächlich auf die Ökonomie ausgerichtet waren. Durch die multiperspektivische Erweiterung wurden Medienprodukte nun bspw. auch im Hinblick auf Gender oder kulturelle Identität analysiert (vgl. Dörner 2010: 124; Hepp & Winter 2006: 11). Zentral war die maßgebend von Raymond Williams geprägte Ausrichtung auf das Verhältnis von Kultur, Medien und Macht, wodurch wiederum auch Fragen hinsichtlich der Rezeption von Medien bzw. kulturellen Objekten ins Blickfeld der Cultural Studies gerieten (vgl. Winter 1999: 49). So war es zunächst Williams, der hervorhob, dass „kein Werk in vollem praktischen Sinne als produziert gelten [kann], bevor es nicht auch rezipiert worden ist“ (Williams 1986: 51 zit. n. Hepp 2010: 47). Vornehmlich Stuart Hall setzte sich in der Folge mit Fragen zur Rezeption intensiver auseinander und entwickelte daraufhin das encoding/decoding-Modell, welches großen Einfluss auf die weiteren Arbeiten der Cultural Studies hatte. Dementsprechend war Hall nicht nur aufgrund seiner jahrelangen Ausübung als Leiter des CCCS (von 1968 bis 1979) ohne Zweifel einer der zentralen Forscher der Cultural Studies (vgl. Krotz 2009: 210; Winter 2006: 382), sondern unter anderem auch aufgrund seiner wegweisenden Arbeiten zur Bedeutung von Repräsentationen, Stereotypen und der Entwicklung des encoding/decoding-Modells. Anhand vielfältiger Untersuchungen über die Repräsentation von ‚rassischer Differenz‘ in Massenmedien, konnte Hall erstens aufzeigen, welche Relevanz Stereotype und Differenz haben sowie zweitens die Bedeutung der Repräsentation insgesamt verdeutlichen. Halls Grundgedanke zur Repräsentation basiert dabei auf der Idee, dass die Repräsentation als eine der zentralen Praktiken gefasst werden kann, die Kultur produziert. Denn die Kultur basiert auf geteilten Bedeutungen, die über die Sprache vermittelt werden (Hall 1997: 1 f.).11 Gleichzeitig wird Kultur als ein soziales Feld angesehen, auf dem um die Vorherrschaft bzw. die Macht 11 Sprache ist in diesem Kontext zu verstehen als Begriff, der nicht nur das gesprochene oder geschriebene Wort umfasst, sondern ebenso Bilder, Handzeichen, Mimik, Musik, die Sprache der Mode bzw. alles was darauf ausgelegt ist Bedeutung auszudrücken (Hall 1997: 18).
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2 Theoretische Grundlagen der Governmentality und Cultural Studies
von Bedeutung gekämpft wird (vgl. Winter 1999: 49). Systeme der Repräsentation, so Hall, „sind Systeme von Bedeutungen, durch die wir uns und anderen die Welt darstellen“ (Hall 2004: 50). Als bedeutendstes Repräsentationssystem hebt Hall dabei die Sprache hervor, die Gedanken, Konzepte, Ideen und Gefühle repräsentieren kann, Dingen einen ‚Sinn‘ gibt und somit Bedeutung konstruiert (vgl. Hall 1997: 1 f.) Die hohe Relevanz, die der Repräsentation und der Bedeutungskonstruktion zukommt, fußt vor allen Dingen darauf, dass diese soziale Praktiken strukturieren, sie unser Verhalten beeinflussen und somit unmittelbar reale Effekte ausüben. Sie helfen uns zudem, Normen und Konventionen zu etablieren, die das soziale Leben ordnen und leiten (vgl. ebd.: 3 f.). Dabei wird Bedeutung zwar konstant in jeder sozialen Interaktion produziert, jedoch spielen die Massenmedien eine weitaus bedeutendere Rolle in der Bedeutungskonstruktion, da ihre Repräsentationen weitaus weitreichender sind. In diesem Zuge macht Hall besonders an seinen Ausführungen zur Differenz und Stereotypen die hohe Relevanz von Repräsentationen deutlich und zeigt in seinen Studien z. B. wie in Kinofilmen ‚rassische Differenzen‘ repräsentiert sowie Stereotype reproduziert werden und diese demnach als ein wesentlicher Bestandteil symbolischer Gewalt angesehen werden können.12 Insbesondere hieran wird erkennbar, dass mit der Repräsentation auch die Macht einhergeht, jemanden oder etwas zu kennzeichnen oder zu klassifizieren (vgl. Hall 2004: 145). Zugleich lassen sich die Erkenntnisse über Praktiken der Repräsentation weitestgehend problemlos auf andere Bereiche wie bspw. Geschlecht oder Klasse übertragen (vgl. ebd.: 108). Indem Hall zu verstehen gibt, dass Bedeutungen nicht in Dingen selbst liegen, sondern stets produziert werden bzw. das Ergebnis von Praktiken der Bedeutungskonstruktion sind (Hall 1997: 24), wird erkennbar, wie Hall sich auf Erkenntnisse aus der Wissenschaft der Semiotik stützt. So schließt er sich den Ausführungen von Roland Barthes und Ferdinand de Saussure an, die hervorheben, dass Zeichen allein keinen objektiv feststellbaren Inhalt haben, sondern immer nur auf Inhalte verweisen, weshalb auch Bedeutungen nicht inhärent sein können. Dementsprechend sind Zeichen (-systeme) wie die Sprache erlernt und ihre Bedeutungen können zwischen verschiedenen Kulturen variieren (vgl. Krotz 2009: 215). Die Sprache konstruiert Bedeutungen somit, weil sie als ein Repräsentationssystem aus Zeichen und Symbolen operiert, egal ob diese gesprochen oder geschrieben werden oder in Bildern, Filmen oder gar Objekten eingeschrieben sind (vgl. Hall 1997: 1 f.). 12 Als Stereotype werden in diesem Sinne Festschreibungen von Personen verstanden, die auf einer drastischen Reduzierung und Vereinheitlichung bestimmter Attribute basiert (vgl. Hall 2004: 144).
2.3 Die Cultural Studies und die Analyse von Medientexten
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Da Bedeutungen oder Botschaften demnach erst mittels Zeichen visuell oder linguistisch kodiert bzw. konstruiert werden müssen, heißt dies gleichzeitig, dass die Repräsentationen ebenso erst vom Empfänger interpretiert werden müssen.13 Folglich gilt es sowohl die Enkodierung (Produktion des Senders) als auch die Dekodierung (Rezeption des Empfängers) als zwei autonome Praktiken anzusehen (vgl. Winter 2006: 385). Dieser Gedanke ist für Halls encoding/decoding-Modell elementar, da er die Basis bildet für die Idee, dass Darstellungen auf mehrere Weisen gelesen werden können und nicht ausschließlich auf eine, wie dies mehrheitlich in den traditionellen Vorstellungen der Massenkommunikationsforschung sowie von Harold Dwight Lasswell angenommen wurde (vgl. Winter 1999: 51).14 Halls Modell richtet sich somit expressis verbis gegen Forschungsprogramme, welche die Zuschauer_innen in einer bestimmten Rezeptionsweise festlegt, unabhängig davon, ob diese behavioristisch (wie bei der Wirkungsforschung der Kommunikationswissenschaft) oder materialistisch-marxistisch und psychoanalytisch (wie bei der Screen-Theory) konzipiert wurde. Auch wenn viele von Halls Arbeiten stark von Althussers Werken geprägt sind bzw. auf diese Bezug nehmen, wird gerade in diesem Anliegen die Differenz zu Althusser und die Bezugnahme auf Gramscis Sichtweisen deutlich. So schließen Althussers Subjektmodell und Überlegungen zur Ideologie sowie die daran anschließende Screen-Theory im Gegensatz zu Gramscis Hegemoniekonzept unterschiedliche Rezeptionsformen aus (vgl. Geimer 2018b: 3 f.). Gleichzeitig kommen an der Beschreibung von Halls Erkenntnissen bereits die zwei ‚Hauptparadigmen‘ der Cultural Studies zum Vorschein, und zwar der Kulturalismus sowie der (Post-)Strukturalismus bzw. die Semiotik. Liegt die große Stärke im letztgenannten Paradigma überwiegend darin, Beziehungen von Strukturen anstatt ausschließlich von einzelnen Personen in den Blick zu bekommen, kann der Kulturalismus als Betrachtungsweise verstanden werden, in der die Kultur als eng verbunden mit jedweden gesellschaftlichen Praktiken gedacht wird (vgl. Hepp 2010: 27; Göttlich 2017: 181 f.). Althusser, dessen Anliegen es war, die von Marx entwickelte Dualität von Basis und Überbau weiterzuentwickeln, konnte im besonderen Maße durch seine Unterscheidung zwischen einem ‚(repressiven) Staatsapparat‘, der den Staat im
13 Auch Medientexte sind somit immer eingebunden in kollektive, diskursive Zeichensysteme, „welche das Bezeichnete symbolisch hervorbringen und nicht in der Lage sind, dieses lediglich abzubilden“ (Geimer 2018b: 6). 14 Wenn Hall im Kontext des encoding/decoding-Modells von Darstellungen spricht, so bezieht er sich ursprünglich auf televisuelle Repräsentationen und zwar primär auf Fernsehnachrichten (vgl. Hall 2004: 77).
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2 Theoretische Grundlagen der Governmentality und Cultural Studies
engeren Sinne15 meint und einer Vielzahl ‚ideologischer Staatsapparate‘, welche Institutionen wie Schule, Kirche und Familie umfassen, aufzeigen, wie die ‚Ideologischen Staatsapparate (ISA)‘ nach einer Art Eigenlogik funktionieren, die primär nicht auf der Grundlage von Gewalt basiert, sondern auf der Basis von Ideologie. Diese verhilft ihnen Rituale bereitzustellen, die eine Alltagspraxis generiert, welche die Dominanz der herrschenden Klasse reproduziert (vgl. Althusser 1977: 119 f.). Durch diese Ideologien werden Individuen im Sinne Althussers zu Subjekten, die mit einem Bewusstsein ausgestattet sind und nach diesem entsprechend handeln (vgl. ebd.: 137 f.).16
2.3.1
Oppositionelle Lesarten und die Widersetzung von Ideologien
Im Unterschied zu Althussers Ideologieverständnis geht Gramsci in seinem Hegemoniekonzept davon aus, dass „Alltagsakteure in einer – durch Staatsapparate wie zivilgesellschaftliche Agenturen (u.a. Presse / Medien) gestützten – Komplizenschaft mit der hegemonialen Macht stehen, welche infolge ihrer Widersprüchlichkeit brüchig ist“ (Geimer 2018b: 4 f.). In Gramscis Konzept erscheint folglich die Möglichkeit gegeben, sich Ideologie nicht zu unterwerfen und daher Subjektivität alternativ zu gestalten. Hiermit geht auch die Unterscheidung einher, dass Hegemonie in Differenz zur Dominanz als unabschließbarer Prozess, denn als Zustand verstanden wird und sich somit immer in Form von Auseinandersetzungen gegen Gegenbestrebungen behaupten muss (vgl. Geimer 2018b: 5; Hartley 2002: 99).17 Ferner wird in den von Gramsci aufgezeigten zivilgesellschaftlichen Agenturen nicht direkt um politische, sondern vielmehr um kulturelle Hegemonie gekämpft, die ein eigenes ‚ideologisches Terrain‘ schaffen (vgl. Langemeyer 2009: 76). 15 Neben der Regierung und Verwaltung, fasst Althusser unter dem (repressiven) Staatsapparat gehörend auch die Armee, Polizei, Gerichte und Gefängnisse zusammen (vgl. Althusser 1977: 119). 16 Ideologie meint aus Althussers Perspektive kein ‚falsches Bewusstsein‘, sondern bildet die Grundlage der Subjektivität. Aufbauend hierauf gingen Vertreter der Screen-Theory der Frage nach, „wie Rezipienten einer Ideologie unterworfen werden, indem sie durch Filme zu Subjekten gemacht werden“ (Geimer 2018b: 3). In der Theorie wird somit davon ausgegangen, dass das Kino durch seine besondere Beschaffenheit Kino-Subjekte produziert (vgl. ebd.). 17 Nach Hall werden derartige Auseinandersetzungen hauptsächlich in der populären Kultur der Massenmedien geführt, wobei primär im Film der Kampf um hegemoniale Bedeutung ausgefochten und sichtbar wird (vgl. Hall 2004).
2.3 Die Cultural Studies und die Analyse von Medientexten
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Unter Bezugnahme jener Betrachtungsweise war es den Vertretern der Cultural Studies nunmehr möglich, sich auf der einen Seite vom orthodoxen und eurozentristischen Marxismus abzuwenden, welcher in großen Teilen ungeeignet erschien, um Kultur, Ideologie und Sprache umfassend zu analysieren. Auf der anderen Seite half Gramscis Kulturverständnis der ‚Neuen Linken‘ aber auch, sich den alltäglichen Erfahrungen der Menschen zu nähern und sich von der vorherrschenden Unterscheidung von hohen und niedrigen Formen der Kultur zu lösen (vgl. ebd.: 72 ff.). Aufbauend auf diesem Verständnis kam Hall zu der Erkenntnis, dass Darstellungen anhand der Eigenaktivität der Zuschauer_innen somit zwar potenziell diametral entgegengesetzt gedeutet werden können, jedoch weiterhin in der Praxis der Repräsentation stetig versucht wird, einer bestimmten Bedeutung einen privilegierten bzw. dominanten Status zu erteilen und diese hervorzuheben (vgl. Hall 2004: 110 f.). Somit ging Hall davon aus, dass in jedem Medientext „preferred readings“ (Hall 1980: 57), also eine Lesart eingeschrieben ist, welche bestimmte Bedeutungen näherlegt als andere. Diese Lesart, welche von Winter (1992: 71) auch als „Vorzugslesart“ bezeichnet wird, entspricht zumeist dem dominant-hegemonialen Code einer Kultur, so die Annahme Halls (vgl. Winter 1999: 52; Geimer 2010: 85). Aber auch wenn Bedeutungen aus dieser Perspektive nähergelegt werden, ist der Prozess der Dekodierung als eigenständig und von der Produktion getrennt zu betrachten (vgl. Krotz 2009: 215 f.). Aus dieser Grundannahme formulierte Hall schließlich das encoding/decodingModell, in welchem die Ansicht formuliert wird, dass der Rezipierende eines Medientextes, diesen auf drei verschiedene Weisen dekodieren kann. Dekodiert der Rezipient die vom Sender enkodierte Botschaft gänzlich in dessen intendierten Sinne und übernimmt die dominante Bedeutung, spricht Hall von der dominanthegemonialen Dekodierungsposition (vgl. Geimer 2018b: 8). Diese unterscheidet sich nach dem encoding/decoding-Modell hingegen von der oppositionellen Lesart, bei der der Empfänger die intendierte Botschaft zwar versteht, diese jedoch zugleich ablehnt und gegensätzlich bzw. oppositionell dekodiert. Die dritte und letzte Variante des Modells ist schließlich die ausgehandelte Dekodierungsposition, bei der der Rezipient die Botschaft des Senders nur in Teilen übernimmt und sie mit ggfs. oppositionellen eigenen Erfahrungen verknüpft (vgl. Winter 1999: 52). Wurden die drei Dekodierungsweisen zu Beginn des Modells unter Hall noch in Relation zur Klassenzugehörigkeit gesetzt, verabschiedeten sich die Vertreter der Cultural Studies vor allem aufgrund empirischer Studien Fiskes sukzessiv von der starren Fokussierung auf die Klassenzugehörigkeit und ersetzten diese durch eine Berücksichtigung weiterer Ausprägungen, wie bspw. Geschlecht oder
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2 Theoretische Grundlagen der Governmentality und Cultural Studies
der ethnischen Zugehörigkeit (vgl. Wenzel 2007: 435 f.) und hoben hervor, wie Medientexte von Polysemie, Undeutlichkeit oder gar Widersprüchlichkeit geprägt sein können (vgl. Mikos 2009: 162 ff.).18 Jene Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung der Cultural Studies soll im Folgenden aufgrund ihrer hohen Relevanz für das Verständnis von Medientexten weiter erläutert werden.
2.3.2
Die Polysemie von Medientexten und die Aktivität des Zuschauers
Die Klassenzugehörigkeit, welche bei Halls anfänglichem Rezeptionsmodell noch der ausschlaggebende Faktor für das Auftreten der unterschiedlichen Lesarten war, wurde vornehmlich unter David Morley nur noch eine unter vielen anderen Variablen, welche entscheidend sind, wie Rezipient_innen Medientexte lesen. Wie empirische Studien des Autors darlegen konnten, kommt der Klasse demnach nicht eine derart wichtige Bedeutung zu, wie von Hall anfangs angenommen: „In our view ‘hegemony’ cannot be understood solely in terms of class (or class fractions)“ (Morley & Brunsdon 1999: 111). Wegweisend waren in diesem Kontext in erster Linie die Studien zur TV-Sendung ‚Nationwide‘, anhand derer Morley und Brunsdon zum Vorschein bringen konnten, dass bspw. auch das Geschlecht, Alter und die ethnische Zugehörigkeit großen Einfluss auf die Rezeptionsweise haben (vgl. Dörner 2010: 126). Hiermit legte die Studie bereits elementare Ausgangspunkte für die später folgenden diskurstheoretischen Untersuchungen John Fiskes (vgl. Röser 2009: 280). So konnte dieser in seinen Studien aufzeigen, dass Rezeptionsweisen von Medientexten weitaus offener sind als von Hall anfangs angenommen (vgl. Lull 1995) und Texte eher als ‚semiotische Ressourcen‘ zu verstehen sind, mit denen die Zuschauer_innen Bedeutungen aktiv mitproduzieren (vgl. Mikos 2009: 157).19 Besonders evident 18 In seinen späteren Werken deutet auch Hall darauf hin, dass verschiedene Vorzugslesarten existieren können, sodass er sich ebenso von der einst starren Verknüpfung aus Dekodierungsposition und sozialer Klasse entfernt (vgl. Hall 2004). Mit dem Begriff der Subjektposition bezieht sich Hall wiederum auf Foucault und stellt mit diesem heraus, dass Diskurse aus einer bestimmten Position zwar den größten Sinn machen, jedoch diese Position nicht zwangsläufig eingenommen werden muss (vgl. Hepp 2010: 39). 19 Ungeachtet dieser inhärenten Probleme des encoding/decoding-Modells weist Geimer zu Recht darauf hin, dass das Modell als „Startschuss für ideologiekritische, diskursanalytische Arbeiten in den Cultural Studies“ (Geimer 2018b: 10 f.) angesehen werden kann und die Basis bildet für eine „Medien-Zuschauer-Interaktion, in der Zuschauer einerseits Diskurse an Film-/ Medientexte herantragen und andererseits die von Film-/ Medientexten zur Verfügung gestellten Diskurse zur Dekodierung nutzen“ (ebd.: 11). Ähnlich wie
2.3 Die Cultural Studies und die Analyse von Medientexten
45
wurde dies bspw. anhand einer Untersuchung, in der australische Aborigines alte Westernfilme betrachten sollten. Diese identifizierten sich nicht aufgrund einer bestimmten Klassenzugehörigkeit, sondern aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit mit den repräsentierten Feinden des ‚weißen Mannes‘ und nahmen dementsprechend eine oppositionelle Lesart ein (vgl. Fiske 1989: 24 f.). In der Folge plädierte Fiske zunächst dafür, die Suche nach Vorzugslesarten durch ein Aufspüren von Präferenzstrukturen zu ersetzen, die Bedeutungen vielmehr hervorheben oder verbergen (vgl. Winter 1999: 55). Eine Analyse von Medientexten kann in diesem Sinne ausschließlich Lesarten aufzeigen, die potenziell möglich wären, wobei Fiske anfangs noch hervorhebt, dass die vom Rezipienten aktiv mitproduzierten Bedeutungen mitunter auch von den Erfahrungen und sozialen Umständen des jeweiligen Rezipierenden abhängen (vgl. Mikos 2009: 159). So weist Fiske in ‚Understanding Popular Culture‘ bspw. auf die Analysen Pierre Bourdieus und dessen Erkenntnisse zur Wechselbeziehung von Alltagsrelevanzen, Geschmack und Wahrnehmung hin (Fiske 1989: 46 f.). In seiner umfangreichen Studie ‚Television Culture‘ widmete sich Fiske weiter intensiv der Analyse des Fernsehens, indem er eine Vielzahl an Fernsehsendungen und -serien textanalytisch untersuchte. Insbesondere hierbei kommt er schließlich zu der Schlussfolgerung, dass Medientexte weitaus polysemer und offener gestaltet sind, als in den zuvor veröffentlichten medientheoretischen Arbeiten angenommen wurde. Fiske spricht in diesem Zuge zum einen von ‚aktivierenden Texten‘, zum anderen aber auch von einem ‚aktiven Publikum‘, welches aufgrund der Offenheit der Texte Bedeutungen im Prozess der Rezeption produzieren muss (vgl. Hepp 2010: 137). In seiner diskursanalytischen Position hebt Fiske folglich sowohl die Offenheit und Polysemie von Medientexten hervor als auch die daraus folgende Relevanz der Bedeutungskonstruktion der Rezipierenden (vgl. Mikos 2009). Geprägt von Foucaults Arbeiten zu Diskursen, schlussfolgert Fiske, dass vorwiegend die in Medientexten ausgetragenen diskursiven Kämpfe Einblicke zu kulturellen Ordnungen geben können. Hierbei gilt es sich jedoch nicht nur auf Gesagtes bzw. Gezeigtes zu fokussieren, sondern ebenso auf Dinge, die gerade nicht dargestellt werden (vgl. Mikos 2009: 161 ff.): „The discursive analyses of this book, then, are not concerned with tracing the regularities and conventions of discourse as a signifying system, but with analyzing what statements were made and therefore what were not, who made them and who did not, and with studying the role of the technological media by which they were circulated.“ (Fiske 1994: 3, zit. n. Winter 1999: 57) in der Gesellschaft um Hegemonie gekämpft wird, so Geimer, findet sich dies auch in Medientexten (vgl. ebd.).
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2 Theoretische Grundlagen der Governmentality und Cultural Studies
Exemplarisch wird die Relevanz des nicht-Gezeigten an der Studie ‚Bond and Beyond: The Political Career of a Popular Hero‘ von Bennett und Woollacott deutlich. In dieser zeigen die Autoren auf, wie sich Ereignisse, wie die AIDSEpidemie in den 1980er Jahren, derart auf den Diskurs in Medien niederschlägt, dass im 1986 produzierten Film ‚Der Hauch des Todes‘ Bettszenen mit verschiedenen Frauen ausbleiben, obwohl gerade diese als typisch bzw. charakteristisch für James Bond Filme angesehen werden können (vgl. Winter 1992: 83). Im Unterschied zu Foucault zielt die kritische Diskursanalyse Fiskes darauf ab, sowohl Muster von Diskursen zu beschreiben als auch Wege zu eröffnen bzw. vorzuschlagen, wie wenig berücksichtigte Gruppen oder Personen sich intensiver an den Diskursen beteiligen können. In diesem Sinne gilt es den Fragen nachzugehen, wie einzelne Diskurse andere marginalisieren und wer Interesse an derartigen Marginalisierungen hat (vgl. Hepp 2004: 263 f.). Filme werden aus dieser Sicht jedoch gleichzeitig als ‚diskursive Sinnstiftungsagenturen‘ angesehen, die eine große Anzahl an divergenten Positionierungen der Zuschauer_innen erlauben. Hierdurch wiederum wird deutlich, dass nicht nur eine Diskursanalyse verfolgt wird, die sich auf eine ideologiekritische Textanalyse beschränkt, sondern des Weiteren dazu anregt, Rezeptionsstudien durchzuführen und die Analysen der Medientexte mit Untersuchungen von weiterem Material (wie bspw. Filmkritiken) zu erweitern (vgl. Geimer 2018b: 17). In diesem Zuge betont Fiske, dass Medientexte wie Filme bspw. von Parodien, ironischen Metaphern und Übertreibungen durchzogen seien, sodass diese sowohl in dominant-hegemonialer als auch in kritisch-oppositioneller Weise gelesen werden können. Gleiches gelte zudem für Wortspiele oder dem Spiel mit Klischees (vgl. Winter 1999: 55 f.). Hierdurch wird den Zuschauer_innen die Möglichkeit eines popkulturellen Vergnügens eröffnet, wie Fiske mit Bezug auf Barthes hervorhebt (vgl. Hepp 2010: 71 f.). Dieses Vergnügen betont auch Ang, die bei der Erforschung von Medientexten eher auf qualitative, ethnografische Forschungsverfahren setzt und die Vorstellung einer postmodernen Gesellschaft als theoretischen Bezugsrahmen nimmt (vgl. Dorer 2009: 107 ff.).20
20 Besonders in ihrer Studie ‚Watching Dallas‘ konnte Ang aufzeigen, wie die aktiven Zuschauer_innen bei der Rezeption der Serie ‚Dallas‘ demnach ‚melodramatic pleasures‘ und ‚ironic pleasures‘ erlebten (vgl. Ang 2007).
2.3 Die Cultural Studies und die Analyse von Medientexten
2.3.3
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Die Relation von Produkt- und Rezeptionsanalysen
In ihrem radikalen Kontextualismus plädiert Ang dafür, die Bedeutung von Medientexten immer im Kontext der Zuschauer_innen zu betrachten, auch wenn diese nie ganz fassbar seien, was auf die ‚postmoderne Verfassung des Sozialen‘ zurück gehe. Hiermit wenden sich Ang und die Vertreter_innen des radikalen Kontextualismus von Interpretationsstrategien ab, die darauf ausgelegt sind, den Habitus oder die Lebensorientierungen von Zuschauer_innen zu erforschen und stellen stattdessen gar die Existenz derartig stabiler Erfahrungsstrukturen oder sozialer Gruppen in Frage (vgl. Geimer 2018c: 10). Die postmoderne Entwicklung führe somit nicht nur zu einer Auflösung traditioneller Bindungen und Hierarchien, sondern auch zur Abkehr von festen Identitäten, die nunmehr als Prozesse verstanden werden müssten (vgl. Dorer 2009: 108). Einerseits seien demnach die ‚postmoderne Welt‘ und die hieraus folgenden Konsequenzen weiter zu erforschen (vgl. Ang 1996: 2), andererseits sei gleichzeitig die Suche nach einer kohärenten ‚media audience‘ problematisch, da diese schlichtweg nicht existiere (vgl. ebd.: 35 ff.). Mit Bezugnahme auf de Certeau spricht Fiske in diesem Kontext auch von ‚sozialen Formationen‘, die sich stetig verändern und von ‚Leuten‘, die wie Nomaden beständig ihre Position wechseln (vgl. Hepp 2010: 70).21 Da aus dieser Sichtweise somit weder von stabilen Erfahrungsstrukturen der Rezipient_innen ausgegangen wird, noch auf textanalytischer Ebene favorisierte Lesarten typisiert werden können, bemängelte zunächst Jim Bee, dass hiermit eine kritische Beschäftigung mit Medien verunmöglicht würde und folglich ein Bruch mit der ehemals ideologiekritischen Position der Cultural Studies einherginge (vgl. ebd.: 140 f.). Laut Morley und Walkerdine würde in den Arbeiten von Fiske daher eine romantische Zelebrierung der Offenheit und Kreativität betrieben (vgl. Hipfl & Marschik 2009: 325), die es nicht schafft, sich mit Aspekten der Unterdrückungen auseinanderzusetzen und Konformitäten unbeachtet lässt (vgl. Walkerdine 1998: 22). Dieser Kritik schließt sich im Zuge der ‚Revisionismus-Debatte‘ in ähnlicher Weise auch McGuigan an, der Fiske vorhält einen ‚neuen Revisionismus‘ zu betreiben, in dem beliebige Interpretationen nahegelegt und die makropolitische Sicht vernachlässigt würden (vgl. Hepp 2010: 146; Hartley 2002: 48). 21 Trotz der Kritik von Fiske und Ang ergeben sich nach Geimer aus dem Modell Halls zwei zentrale Aufgaben, die eine ideologiekritische Diskursanalyse von Medientexten forcieren sollte: Einerseits Vorzugslesarten (bzw. ‚preferred readings‘) herauszuarbeiten, aber andererseits auch Lücken und Widersprüche zu suchen, die ggfs. subversive Lesarten ermöglichen (vgl. Geimer 2018b: 8).
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2 Theoretische Grundlagen der Governmentality und Cultural Studies
Somit verdeutlichen die Entwicklungen und Diskussionen innerhalb der Cultural Studies, wie sich einerseits zwei Positionen herausbilden, die entweder die Offenheit von (Medien-) Texten und die Aktivität der Rezipient_innen betonen oder die Relevanz der kritischen Auseinandersetzung mit TV-Sendungen, Kinofilmen, etc. hervorheben. Andererseits zeigt sich an den Autor_innen Fiske und Ang, wie sich im Forschungsstrang zwei unterschiedliche Untersuchungsweisen herauskristallisierten, die entsprechend der Autonomie von Enkodierung und Dekodierung entweder die Rezeptionsseite anhand größtenteils ethnografischer Untersuchungen analysiert oder die Seite der Produktion (von Medientexten) anhand semiotisch-diskursanalytischer Abhandlungen untersucht (vgl. Geimer 2018c: 3).22 Besteht das Anliegen bei letzterer Variante hauptsächlich darin „die von hegemonialen Diskursen geprägte aber zugleich nicht determinierte Bedeutungsvielfalt und relative Deutungsoffenheit von Medientexten ideologiekritisch zu explizieren“ (Geimer 2010: 88), wird bei der ethnografisch orientierten Aneignungsforschung hingegen versucht, Rezeptionskontexte im Alltag, (kulturelle) Identitäten und unterschiedliche Aneignungsstile zu rekonstruieren (vgl. Dorer 2009: 117). Arbeiten, die zwischen jenen Positionen einzuordnen sind, finden sich bspw. bei Denzin. Dieser beruft sich zwar auf das frühe Anliegen Halls, Systeme der Repräsentation zu analysieren und verweist auf die Aufgabe der kritischen Soziologie, ideologische Verzerrungen, die in jedem Filmtext eingebettet sind, aufzudecken, jedoch betont er ebenso wie Fiske, dass Widersprüche in Medientexten auftreten (vgl. Geimer 2018b: 13 f.) und widmet sich bei seinen Analysen überwiegend Filmen zu, die von postmodernen Konflikten und Diskursen geprägt sind (vgl. Winter 2012: 48). Anhand seiner Studien macht Denzin deutlich, dass Filme auch einen verhaltensanleitenden Charakter besitzen. So seien Darstellungen in Filmen fest in der Kultur und Gesellschaft verankert und würden nicht selten Nachahmungen und Imitationen anregen (vgl. Heinze 2018: 13). Aus dieser Perspektive werden Kino und Alltagskultur zu Spiegelbildern, die sich gegenseitig reflektieren und es dokumentieren sich Parallelen zu Blumer und Kellner (vgl. Geimer 2018b: 14). Wie auch Denzin zeigt Letzterer einerseits die Eigensinnigkeit des Publikums in der Aneignung von Filmen auf, andererseits werden die Filme aber auch unter ideologiekritischen Gesichtspunkten ihrer sozialen Repräsentationen analysiert (vgl. Heinze 2018: 35 f.). Ferner weist auch Kellner explizit darauf hin, dass Filme als Zeitdokumente zu verstehen sind, in denen sich nicht nur 22 Wird
in der soziologischen Rezeptionsanalyse somit größtenteils die Aneignung und Wirkung von Filmen betrachtet, fokussieren Inhaltsanalysen von Filmen hauptsächlich, wie soziale Wirklichkeit in Filmen aus soziologischer Sicht dargestellt wird (vgl. Iwen 2018: 128 f.).
2.3 Die Cultural Studies und die Analyse von Medientexten
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der ‚Geist‘ einer Epoche materialisiert, sondern auch das gesellschaftliche Leben darstellt (vgl. Winter 2012: 42). So schreibt Kellner: „Films are an especially illuminating social indicator of the realities of a historical era, as a tremendous amount of capital is invested in researching, producing, and marketing the product. Film creators tap into the events, fears, fantasies, and hopes of an era and give cinematic expression to social experiences and realities.“ (Kellner 2010: 4) Für Denzin sind Filme hingegen nicht nur ein besonders aufschlussreicher sozialer Indikator für Epochen, sondern er sieht die dominant-hegemonialen Bedeutungsstrukturen von Filmen gar als derart einflussstark an, „dass alltägliche Deutungsfiguren und Typisierungen und filmische Repräsentationen nicht mehr zu unterscheiden sind und ineinander übergehen“ (Geimer 2018b: 15). Ferner treten die Filmrezipient_innen laut Denzin immer in eine Beziehung mit dem Dargestellten, ganz unabhängig davon, ob sie die Inhalte annehmen oder ablehnen (vgl. Iwen 2018: 132). Hieran wird zwar sichtbar, dass auch Denzin die Rolle von Aneignungen hervorhebt, jedoch erscheint der Begriff gerade deshalb problematisch, da dieser im Forschungsansatz der Cultural Studies uneinheitlich und inflationär verwendet wird. So variiert dessen Bedeutung (wie auch in den Sozialund Bildungswissenschaften im Allgemeinen) stark und reicht von einer Verinnerlichung bis hin zu einer schlichten Aushandlung von Medientexten (vgl. Geimer 2018c: 12). Zwar wird Aneignung im Bereich der Cultural Studies zumeist als ein bloßer Vermittlungsprozess zwischen diskursiv vermittelten Medieninhalten einerseits und alltagsweltlichen Lebenszusammenhängen der Zuschauer_innen andererseits begriffen (vgl. Hepp 2010: 165), jedoch werden die bspw. von Denzin thematisierten Nachahmungen nur unzureichend von anderen Aneignungsweisen differenziert. Zentrales Merkmal in den Aneignungsstudien der Cultural Studies bleibt somit, dass sich mithilfe von Interviews und Gruppendiskussionen nahezu ausschließlich den Rezipierenden zugewandt und die Untersuchung von Medientexten bzw. -produkten zugunsten von intensiven ethnografischen Studien ersetzt wird (vgl. Hepp 2010: 184). Exemplarisch hierfür lassen sich neben der bereits erwähnten Studie Angs zur Fernsehserie ‚Dallas‘ in erster Linie die Untersuchung ‚Crossroads: the Drama of a Soap Opera‘ von Dorothy Hobson und ‚Public Secrets: EastEnders and is Audience‘ von David Buckingham nennen (vgl. ebd.: 171 f.).23 Im Gegensatz zur ‚Nationwide-Studie‘ Morleys, wird den Rezipierenden in diesen Studien explizit eine Alltagskompetenz und 23 Als ein zentraler Grundstein der Aneignungsforschung kann zudem die bereits erwähnte Studie ‚The Nationwide Audience‘ von Morley angesehen werden, in der dieser die ‚Dekodierungs-Positionen‘ von Rezipient_innen erforscht und untersucht, inwiefern individuelle „Lesarten durch kulturelle Muster und Cluster strukturiert werden“ (Morley 1980: 14 f. zit. n. Hepp 2010: 168).
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2 Theoretische Grundlagen der Governmentality und Cultural Studies
ein kritisches Wissen gegenüber Medien zugesprochen (vgl. Hepp 2010: 174) und sie zeigen beispielhaft auf, wie sich der Fokus der Cultural Studies auf die Erforschung von Rezeptions- und Aneignungsweisen filmischer Inhalte durch einen ‚aktiven‘ Rezipienten gelegt hat (vgl. Heinze 2018: 17). Da die Aneignung von Medienprodukten dementsprechend sowohl widerständig als auch im Einklang mit dominierenden Diskursen vonstattengehen kann, geht es in der Aneignungsforschung der Cultural Studies somit hauptsächlich darum, kulturelle Spezifika verschiedener Interpretationsgemeinschaften zu untersuchen (vgl. Hepp 2010: 200 ff.). Problematisch erscheint die Auflösung von Produkt- in Rezeptionsanalysen jedoch hauptsächlich deshalb, weil auf diese Weise erstens ausnahmslos Erkenntnisse zum Rezipierenden und nicht zum Produzierenden generiert werden und zweitens, da das für Produktanalysen zentrale Problem der Polysemie ausschließlich verlagert wird. Denn es gilt zu beachten, dass auch die Äußerungen der Rezipierenden von Mehrdeutigkeiten durchzogen sind und dementsprechend auf mehrere Weisen gelesen und interpretiert werden können (vgl. Bohnsack & Geimer 2014: 300). Da sich insgesamt betrachtet von Seiten der Cultural Studies zumeist entweder ideologiekritisch (mithilfe der ‚kritischen Diskursanalyse‘) der Analyse von Produkten zugewendet wird, oder aber mithilfe ethnografischer Untersuchungen verschiedene Rezeptionsmöglichkeiten aufgezeigt werden, schafft es der Forschungsansatz nur unbefriedigend, Produkt- und Rezeptionsanalysen in ein wechselseitiges Verhältnis zu bringen, zumal bei den ideologiekritischen Produktanalysen unterstellt wird, dass die Forschenden dominante Lesarten anhand von Diskurs- und Inhaltsanalysen gewiss identifizieren können (vgl. Bohnsack & Geimer 2014: 298 f.).24 So bestand zwar schon im encoding/ decoding-Modell Halls das Anliegen darin einer Triangulation von Produkt- bzw. Diskurs- und Rezeptionsforschung nachzugehen, jedoch erscheint die Polysemie von Medientexten weiterhin als großes Problem des Modells. Obwohl vor allem an den Arbeiten Halls deutlich wird, dass sich weite Teile der Cultural Studies auf Erkenntnisse aus der Wissenschaft der Semiotik, den Ausführungen von Barthes und de Saussure sowie der Differenzierung zwischen konnotativer und denotativer Ebene beziehen, wird an der Darstellung der Produkt- und Rezeptionsanalysen sichtbar, dass den empirischen Arbeiten eine Methode fehlt, welche der Differenz
24 Als Ausnahmen können hier bspw. Arbeiten von Mikos (2003) betrachtet werden, in denen versucht wird beide Perspektiven einzufordern, auch wenn der Schwerpunkt der Filmanalysen ausschließlich auf der ästhetischen Inszenierung liegt.
2.3 Die Cultural Studies und die Analyse von Medientexten
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beider Ebenen Rechnung trägt. So kommt es in den Analysen der Cultural Studies nicht zu einer systematischen Einklammerung von Common Sense-Theorien, weshalb die Interpretationen auf ikonografischer bzw. konnotierender Sinnebene verbleiben. Hierdurch vermögen die Analysen keinen methodischen Zugang zum impliziten Wissen und somit zum Eigensinn des visuellen Materials herzustellen (vgl. Bohnsack 2010: 275). Am encoding/ decoding-Modell bemängelte in diesem Kontext zudem John Corner (2000), dass diesem „eine Differenzierung zwischen Prozessen eines grundlegenden Verstehens (von Denotationen) und solchen der Positionierung gegenüber dem Verstandenen (gemäß potenzieller Konnotationen) [fehle]“ (Geimer 2011: 203). Gleichzeitig wird bei vielen Medienanalysen der Cultural Studies nicht klar erkennbar, welche Bedeutungen tatsächlich im Medienprodukt eingeschrieben sind bzw. von diesem ausgehen (vgl. Mikos 2008: 11). Diesbezüglich bleiben weiterhin offene methodologische Fragen bestehen, die aus der Simultanität von Offenheit und Geschlossenheit von Medientexten resultieren. So zum Beispiel die schon von Morley eröffnete Frage, ob die herausgestellten Lesarten etwa aus den (polysemen) Eigenschaften des Medientexts, der erwarteten bzw. antizipierten Rezeptionen der Zuschauer_innen oder aus den Interpretationen der Forscher_innen resultieren (vgl. Geimer 2018b: 10; Morley 2006). Hierdurch bedingt, erscheint es deshalb nur schwer möglich, sich gesellschaftstheoretisch Medientexten zu widmen, da wohl jeder Zuschauer von Filmen oder anderen Medientexten das Gesehene bewertet, egal ob Wissenschaftler oder Kinogänger (vgl. Mikos 2008: 11). Gerade in diesem Punkt besteht ein ungelöstes Problem der Cultural Studies, da es den Vertreter_innen des Forschungsansatzes in vielen Fällen nicht gelingt die Differenz zwischen Interpretationen der Rezipient_innen und denen von Forscher_innen genauer zu definieren (vgl. Bohnsack & Geimer 2014: 300). Um jedoch einen wissenschaftlichen Anspruch erheben zu können, der sich von alltäglichen Interpretationen von Medientexten abhebt und die Erkenntnisse auch intersubjektiv nachvollziehbar gestaltet, ist es von Nöten, einer systematischen Methodik zu folgen (vgl. Mikos 2008: 11). Dementsprechend lässt sich feststellen, dass die unterschiedlichen Lesarten und die damit einhergehenden Probleme der Polysemie und postmodernen Auflösung stabiler Strukturen in den Studien der Cultural Studies bestehen bleiben. In diesem Kontext konstatiert auch Walkerdine (1997a, b), dass es den Cultural Studies noch immer an Werkzeugen fehle, die fassbar machen, wie Individuen sowohl diskursiv konstruiert werden, dabei jedoch gleichzeitig Freiräume finden, in denen sie um ihre eigene Formierung und Transformierung kämpfen. Nach Walkerdine kommen die Medienmodelle der Cultural Studies zudem nicht
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2 Theoretische Grundlagen der Governmentality und Cultural Studies
über oberflächliche Annahmen zum Subjekt hinaus, da sie auch unterschwellige Aspekte von Subjektivität nicht ausreichend einbeziehen würden (vgl. Hipfl & Marschick 2009: 317 f.). Demnach lässt sich auch festhalten, dass in den Analysen keine Unterscheidung zwischen impliziter und expliziter Aneignung von Medientexten vorgenommen wird und bisher implizites Verstehen generell nicht ausreichend Berücksichtigung fand (vgl. Geimer 2011: 197). So nehmen die Studien zumeist ausschließlich die Ebene des Reflexionswissens in Betracht, wohingegen präreflexive resp. implizite Aneignungen bspw. der körperlichen Dimension bisher unberücksichtigt bleiben. Eine Besonderheit stellen hierbei allerdings Arbeiten von Mikos und Winter dar, indem diese einen Ansatz präsentieren, der zwar herausstellt, dass Zuschauer_innen diverse für sie bedeutende Themen in Medientexten aufgreifen können, dies jedoch nicht müssen und somit die Aneignung als eine spezifische Praxis der Rezeption begreifen. Und darüber hinaus weil insbesondere Winter (1995) mittels Untersuchungen von HorrorfilmFans Aneignungen mit impliziten bzw. präreflexiven Charakter zum Vorschein bringen konnte (vgl. ebd.: 196). Da implizite Wissensbestände jedoch gerade im Medium von Bildern vermittelt und angeeignet werden, gilt es darauf hinzuweisen, dass es bei der Interpretation von Filmen und Videos idealerweise auch die visuelle Ebene zu berücksichtigen gilt. Trotz der immensen Erkenntnisse, die somit aus den Rezeptions- als auch Produktanalysen der Cultural Studies generiert werden können, bieten diese folglich keine Methode an, mit der sowohl die Eigenaktivität der Zuschauer_innen, die Polysemie von Texten sowie die zugrundelegenden soziokulturellen Prägungen der Rezeption als auch die systematische Relation zwischen Produkt- und Rezeptionsanalyse berücksichtigt werden. Um dem Forschungsanliegen demnach weiterhin nachgehen zu können, wird eine Methode benötigt, mit der sowohl die Standortgebundenheit und persönlichen Erfahrungen der Forscher_innen ausgeklammert werden als auch dominante Bedeutungsstrukturen sowie implizite und explizite Aneignungen von Medientexten rekonstruiert werden können. Wie unter anderem Aglaja Przyborski anhand von umfassenden Bildanalysen verdeutlicht, ist eine derartige Verbindung aus Produkt- und Rezeptionsanalysen sowie eine Rekonstruktion von dominanten Bedeutungsstrukturen mithilfe der Dokumentarischen Methode fassbar (vgl. Przyborski 2018).25 Denn im Gegensatz 25 Zwar wurden unter anderem auch schon von Neumann-Braun, Charlton und Bachmaier Vorschläge zur Relationierung von Produkt- und Rezeptionsanalysen formuliert, jedoch wird in allen Fällen entweder das Produkt in den Analysen nur unzureichend als eigenständiges Werk untersucht oder die rekonstruierten Differenzen zwischen den Sinnstrukturen des Produkts und des Rezipierenden werden tendenziell als Unvollständigkeiten letzterer begriffen. Dennoch leistete Bachmeier vor allem dahingegen einen wichtigen Beitrag,
2.3 Die Cultural Studies und die Analyse von Medientexten
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zu den empirischen Arbeiten der Cultural Studies wird in den Interpretationen, die mithilfe der Dokumentarischen Methode durchgeführt werden, die ikonologische Sinndimension mit einbezogen, die Panofsky auch als diejenige des ‚Dokumentsinns‘ bezeichnet (vgl. Bohnsack 2007: 69). Trotz der Gemeinsamkeit, dass sich die Cultural Studies wie auch die Dokumentarische Methode auf die Semiotik und die Abkehr von objektivistischen Ansätzen bezieht, bleiben die Analysen in der Methode der Praxeologischen Wissenssoziologie (wie im nachfolgenden Kapitel detaillierter aufgezeigt wird) hierdurch frei vom Kontextwissen und sind ausschließlich von den Vergleichshorizonten abhängig, die jedoch explizit eingeführt und dadurch kontrolliert werden können.26 Auf diese Weise erscheint die Polysemie von Medienprodukten nicht als Dilemma und unüberwindbares Problem, sondern vielmehr als Chance, über die systematische Variation von Vergleichshorizonten die konjunktiven Erfahrungsräume der Videoproduzent_innen hinsichtlich weiterer Ausprägungen explizieren zu können (vgl. Bohnsack 2011: 126). Hierin besteht ein grundlegender Unterschied zu den Arbeiten der Cultural Studies, da sich diese hauptsächlich auf ikonografischer Ebene (bzw. Common-Sense-Theorien) bewegen und dadurch eine unumgängliche Polysemie aufweisen (vgl. Bohnsack 2007: 69; 2018: 6 f.). In diesem Zuge wird in den Cultural Studies auch der Eigenlogik des Visuellen zu wenig Bedeutung geschenkt, was unter anderem bereits deren Subsummierung unter dem Oberbegriff des ‚Textes‘ verdeutlicht (vgl. Bohnsack & Geimer 2004: 303).27 Zusätzlich werden die
indem dieser schon früh fordert, sich bei Analysen nicht nur auf die unmittelbare Rezeptionssituation zu beschränken, sondern auch den Alltag der Rezipierenden umfassender zu betrachten. Dem folgend unterscheidet auch Mikos bei Aneignungen zwischen denjenigen, die während des Medienkonsums vonstatten gehen und Aneignungen, die sich nachträglich in Gesprächen und Handlungspraxen vollziehen (vgl. Bohnsack & Geimer 2014: 300 f.). 26 Weitere Gemeinsamkeiten zwischen beiden Forschungsansätzen zeigen sich zudem bei der Lektüre der späten Werke Halls. So bezieht sich Hall in seinen späteren Schriften bspw. immer weniger auf das ursprüngliche encoding/decoding-Modell, sondern spricht anstatt von Lesarten vermehrt von sogenannten Symmetrien zwischen Produzent_innen und Rezipient_innen. In diesem Sinne sei der Grad des Missverstehens demnach umso geringer, je höher die Symmetrie der Akteur_innen ist et vice versa (vgl. Hall 2004: 70). Dieses Verständnis ist ebenso stark anschlussfähig an Bohnsacks Darstellungen des Passungsverhältnisses wie folgende Aussage Halls, die vor allem im Kontext der methodischen Kategorie des konjunktiven Erfahrungsraums gelesen werden kann: „To say that two people belong to the same culture is to say that they interpret the world in roughly the same ways and can express themselves, their thoughts and their feelings about the world, in ways which will be understood by each other.“ (Hall 1997: 2) 27 Hierbei ist jedoch zu erwähnen, dass die Bezeichnung von Filmen als Texte von den Vertreter_innen der Cultural Studies verwendet wird, um zu verdeutlichen, dass es sich bei diesen
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2 Theoretische Grundlagen der Governmentality und Cultural Studies
Medientexte im Forschungsansatz der Cultural Studies stets in Relation zu den Kategorien der Kultur und Macht gesetzt sowie diskursiv verortet. Im Gegensatz zur Dokumentarischen Methode treten die Bildproduzent_innen dadurch weniger als Repräsentanten von konjunktiven Erfahrungsräumen in Erscheinung, die sie mit ihren Zuschauer_innen teilen (vgl. Bohnsack 2011: 117), stattdessen rücken die Repräsentationen als Bedeutungsträger und Machtinstrument in den Fokus.
„nicht um Werke handelt, denen ein abgeschlossener Sinn eigen ist, den man entschlüsseln könnte“ (Mikos 2003: 141).
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Methodologische Grundlagen: Die Dokumentarische Methode und Subjektivierungsforschung
Nachdem im vorherigen Kapitel der Arbeit der Forschungsansatz der Cultural Studies vorgestellt wurde, um das Verhältnis zwischen Medientexten sowie deren Rezeption medientheoretisch zu fassen und aufzuzeigen, welche Bedeutung auch populären Medienprodukten zukommt, wurde gleichzeitig sichtbar, dass die Cultural Studies über keine methodischen Vorgehensweisen verfügen, welche die Probleme der Polysemie von Texten und der Standortgebundenheit der Forscher_innen adäquat lösen. Wie im Folgenden detailliert geschildert wird, ermöglicht die auf der Praxeologischen Wissenssoziologie basierende Dokumentarische Methode hingegen Interpretationsverfahren, mit der jene Komplikationen bewältigt werden können. Diese erlaubt nicht nur die systematische Interpretation von Bildern und Filmen, sondern auch von (YouTube-) Videos, welches das Hauptanliegen der vorliegenden Untersuchung darstellt. Besonders weil in diesem Medium ein außerordentlich hohes Angebot an Subjektnormen und Techniken der Selbstgestaltung erwartet wird und die Rezeption von YouTube-Clips mittlerweile zu einem grundlegendem Bestandteil jugendlicher Alltagskultur geworden ist, kommt der Analyse der Videos eine wichtige Bedeutung zu. Zusätzlich verstärkt wird die Relevanz aber auch durch aktuelle Studien, die eine besonders enge Bindung der YouTuber_innen zu ihren Rezipient_innen betonen und erstere als Rollenmodelle und ‚social influencer‘ bezeichnen.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Burghardt, Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen, Film und Bewegtbild in Kultur und Gesellschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31754-6_3
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3.1
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Methodologische Grundlagen: Die Dokumentarische …
Die Rekonstruktion von konjunktiven Erfahrungsräumen und der sich in Videos dokumentierende Eigensinn
Die Dokumentarische Methode ist ein Verfahren zur Auswertung und Interpretation von Datenmaterial, welches hauptsächlich darauf abzielt, die Handlungspraxis von Akteur_innen zu rekonstruieren, ohne dabei in objektivistische Unterstellungen zu verfallen. Das Anliegen besteht somit darin, einen methodischen Zugang anzubieten, „der zwar die Äußerungen, die Texte der Akteure, als Datenbasis nimmt, gleichwohl aber den subjektiv gemeinten Sinngehalt transzendiert“ (Bohnsack et al. 2007: 10). Der Forschungsansatz sowie die daraus hervorgegangene Dokumentarische Methode wurde von Ralf Bohnsack entwickelt und hat sich seit den 1980er Jahren stetig weiterentwickelt. Die Methode bietet mittlerweile Auswertungsverfahren zu verschiedenen Untersuchungsgegenständen und Anwendungsfeldern und konnte sich nicht zuletzt deswegen als ein fester Bestandteil der qualitativen Sozialforschung etablieren (vgl. Bohnsack 2013: 175 f.). So wurden von Gruppendiskussionen über historische Texte bis hin zu Bild-, Foto- und Videoanalysen bereits zahlreiche Forschungsgegenstände mithilfe der Dokumentarischen Methode untersucht (vgl. Bohnsack et al. 2007: 9). Neben dem Aspekt der vielfältigen Auswertungsverfahren inklusive der Videointerpretation, welche die Methode für das vorliegende Forschungsanliegen interessant macht, ist es insbesondere die Möglichkeit anhand der Methode inkorporiertes Handlungswissen der untersuchten Akteur_innen offenzulegen (vgl. ebd.: 11), konjunktive Erfahrungsräume mit ihren Spannungsverhältnissen zwischen Normen und Habitus zu rekonstruieren und Zugang zur Eigenlogik von Texten zu erhalten (vgl. Bohnsack 2010: 271; 2017: 103). Grundlagentheoretisch basiert die Dokumentarische Methode auf der Praxeologischen Wissenssoziologie. Wie bereits der Begriff verdeutlicht, gründet diese wiederum maßgeblich auf Karl Mannheims Wissenssoziologie einerseits und der Praxeologischen Handlungs- und Erkenntnistheorie Pierre Bourdieus andererseits (vgl. Michel 2018: 74). Karl Mannheim, der sich bereits in den 1920er Jahren mit implizitem Wissen befasste, leistete einen entscheidenden Beitrag, um nicht nur einen Zugang zur Handlungspraxis von Akteur_innen zu ermöglichen, der den subjektiv gemeinten Sinn resp. deren Intentionen lediglich nachzeichnet, sondern der auch das Wissen der analysierten Akteur_innen selbst als empirische Basis belässt. Im Gegensatz zu objektivistischen Ansätzen wird also nicht davon ausgegangen, dass die Beobachter_innen einen privilegierten Zugang zur Realität und mehr Wissen als die
3.1 Die Rekonstruktion von konjunktiven Erfahrungsräumen …
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untersuchten Akteur_innen haben, noch verbleibt der Ansatz wie im Subjektivismus auf der „Rekonstruktion der Theorien der AkteurInnen über ihre Praxis“ (Bohnsack 2017: 15). Vielmehr, und dies gelingt durch die Berücksichtigung der Ebene des ‚Atheoretischen‘, wird die Ansicht vertreten, dass die Akteur_innen über ein implizites bzw. konjunktives Wissen verfügen, welches ihnen selbstreflexiv nur äußerst schwer und höchst bruchstückhaft zugänglich ist. Exakt dieses Wissen, welches auch in Texten, Bildern, Videos et cetera eingeschrieben sein kann, gilt es zu erfassen und zur Explikation zu bringen (vgl. Bohnsack et al. 2007: 11; 1991: 157). Hierdurch schafft es die Dokumentarische Methode, den Gegensatz von Subjektivismus und Objektivismus zu überwinden, „indem der Beobachter einerseits dem Wissen der Akteure als empirischer Ausgangsbasis der Analyse verpflichtet bleibt und deren Relevanzen berücksichtigt, ohne aber andererseits an deren subjektiven Intentionen und Common Sense-Theorien gebunden zu bleiben“ (Bohnsack et al. 2007: 12). Zentraler Untersuchungsgegenstand der Praxeologischen Wissenssoziologie ist folglich das im Habitus verankerte implizite Wissen. Nach Mannheim ist dieses Wissen im Wesentlichen kollektiv fundiert und entsteht in gemeinschaftlichen, sogenannten konjunktiven Erfahrungsräumen, weshalb Mannheim auch vom konjunktiven Wissen spricht (vgl. Michel 2018: 75). Da dieses Wissen maßgeblich auf der Grundlage von geteilten Erfahrungen erworben wird, handelt es sich beim konjunktiven Wissen demzufolge um kollektiv geteilte Orientierungen, die bspw. aus milieu-, generations-, bildungs-, oder geschlechtsspezifischen Erfahrungen resultieren und sich zusätzlich weiter ausdifferenzieren können (vgl. Bohnsack 2017: 117 ff.).1 Als besonders eingängiges Beispiel für einen konjunktiven Erfahrungsraum kann demgemäß die Familie gelten, in der die Mitglieder auf der Basis gemeinsamer Erfahrungen und Erlebnisse geteilte Orientierungen und ein gemeinschaftliches Wissen ausbilden (vgl. Przyborski 2018: 87). Gleichzeitig verdeutlicht das Beispiel die Mehrdimensionalität des konjunktiven Erfahrungsraums, indem sich bspw. die Eltern generationsspezifische Erfahrungen teilen, wohingegen Mutter und Tochter womöglich gemeinsame Orientierungen haben, die aus geschlechtsspezifischen Erfahrungen resultieren. 1 Hieran
wird wiederum deutlich, dass die Praxeologische Wissenssoziologie mit der Foucault´schen Diskursanalyse gemeinsam hat, dass die Analyse an das Kollektive gebunden ist. So konstituiert sich der konjunktive Erfahrungsraum auch auf der Basis eines kollektiven Erlebens, welches im kollektiven Gedächtnis gespeichert ist. Dementsprechend sind konjunktive Erfahrungsräume sowohl das Produkt des gemeinsamen Erlebens (im Falle interaktiver Erfahrungsräume) bzw. strukturidentischen Erlebens (im Falle gesellschaftlicher Erfahrungsräume) als auch des gemeinsamen Erlebens von der Diskrepanz zwischen normativen Erwartungen und Praxis (vgl. Bohnsack 2017: 102 f.).
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Methodologische Grundlagen: Die Dokumentarische …
Zum einen wird das konjunktive Wissen somit auf der Grundlage geteilter Erfahrungen erworben, zum anderen bestimmt das konjunktive Wissen aber auch grundlegend das Denken und das praktische Handlungswissen von Akteur_innen. Wie Bohnsack vornehmlich unter Bezugnahme von Bourdieu verdeutlicht, versorgt das implizite, konjunktive Wissen die Akteure somit nicht nur mit einem Orientierungsrahmen, den Bourdieu auch als „Weltbild“ (Bourdieu 1981: 171) bezeichnet, sondern auch mit einem Handlungsstil, das heißt einem praktischen Wissen, welches sich in Handlungen dokumentiert und sich ebenso wie der Orientierungsrahmen der intentionalen Steuerung der Akteur_innen entzieht (vgl. Michel 2018: 76). Exemplarisch lässt sich hierfür das Wissen zur Herstellung eines Knotens heranziehen, welches intuitiv verstanden wird und in der Handlungspraxis eingelassen ist. Weniger kann es verbal erklärt, als vielmehr durch ein Vormachen gezeigt werden, weshalb es auch als performatives Wissen bezeichnet wird (vgl. Przyborski 2018: 86). Obwohl sich Spuren dieses Wissens unbeabsichtigt und unumgänglich in jeder Handlung sowie den daraus resultierenden Produkten dokumentieren (vgl. Michel 2018: 75), erscheint gerade die Erschließung jenes impliziten Wissens als große Herausforderung. Der elementare Grund hierfür ist, dass das implizite Wissen im Gegensatz zum expliziten Wissen von Akteur_innen nicht direkt abgefragt werden kann, sondern vielmehr über eine genaue Beobachtung der Handlungspraxis zugänglich wird (vgl. Bohnsack 2017: 117 ff.). Gleichzeitig ist das Konjunktive „nicht nur in der Handlungspraxis selbst enthalten, also z. B. im Vollziehen einer Familienfeier oder eines Familienessens, sondern auch in den Erzählungen und Beschreibungen einer derartigen Praxis.“ (Przyborski 2018: 92) Um Einsichten zum Handlungsstil und Orientierungsrahmen von Akteur_innen zu erhalten, muss folglich rekonstruiert werden, in welcher speziellen Art und Weise Handlungen vollzogen oder von ihnen berichtet wird. Hierbei lässt sich einerseits zwischen der Ebene der ‚performativen Performanz‘, auf der es zur unmittelbaren Ausführung von Handlungen kommt und der ‚proponierten Performanz‘ andererseits unterscheiden, bei der Handlungen sprachlich oder bildlich dargestellt werden (vgl. Przyborski 2018: 105 f.). Anstatt zu fragen, was für Praktiken vollzogen werden, ist es das Anliegen der Dokumentarischen Methode über das Stellen von ‚Wie-Fragen‘ empirischen Zugang zum Habitus der Beforschten zu erhalten (vgl. Bohnsack 2013: 177). Die Offenlegung des impliziten, konjunktiven Wissens erfolgt somit insbesondere durch einen Wechsel der Analyseeinstellung vom ‚Was‘ zum ‚Wie‘. Oder mit anderen Worten, um eben jenes implizite Wissen zu rekonstruieren, ist es im Sinne der Praxeologischen Wissenssoziologie notwendig zu fragen, wie die gesellschaftliche Realität für die
3.1 Die Rekonstruktion von konjunktiven Erfahrungsräumen …
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untersuchten Akteur_innen hergestellt wird, anstatt der Frage nachzugehen was diese in der Perspektive der Akteur_innen ist (vgl. Bohnsack et al. 2007: 12). Der erste Arbeitsschritt in der Dokumentarischen Methode besteht in der Folge immer im Aufzeigen der formalen Struktur des zu untersuchenden Gegenstandes – sei es ein Bild, ein Text oder auch ein Video. In dieser sogenannten formulierenden Interpretation geht es zunächst darum, den propositionalen Gehalt zur Explikation zu bringen und darzulegen, was thematisiert wird. Erst im darauffolgenden Schritt wird sich systematisch der Erschließung des sogenannten performativen Gehalts und somit des konjunktiven Wissens zugewandt, indem nun der Frage nachgegangen wird, wie ein Thema behandelt wird. In dieser sogenannten reflektierenden Interpretation wird mithilfe verschiedener Arbeitsschritte, die je nach Untersuchungsgegenstand unterschiedlich ausfallen, somit erarbeitet, in welchem Rahmen das Thema behandelt wird (vgl. Bohnsack et al. 2007: 14 f.). Um spezielle bzw. charakteristische Handlungsstile und Orientierungsrahmen zum Vorschein zu bringen, stellt Bohnsack die für die Dokumentarische Methode grundlegende Bedeutung von Vergleichshorizonten heraus (vgl. Bohnsack et al. 2007: 15). Diese sind einerseits anhand fallinterner Vergleiche wichtig, um Homologien, das heißt spezielle Muster oder Regelmäßigkeiten im analysierten Habitus sichtbar zu machen. Andererseits aber auch, um mittels fallexterner Vergleiche rekonstruierte Muster im Kontrast zu anderen möglichen Ausprägungen deutlicher hervortreten zu lassen. Demgemäß treten Unterschiede zu anderen konjunktiven Erfahrungsräumen erst durch die systematische Einbindung von Vergleichsfällen zum Vorschein. Gleichzeitig erfährt die komparative Analyse eine besondere Bedeutung, da auf diese Weise die Standortgebundenheit der Forscher_innen kontrolliert werden kann. So geben die verglichenen Fälle füreinander stets nachvollziehbare und kontrollierbare Vergleichshorizonte ab (vgl. Michel 2018: 78). Da die Methode maßgeblich darauf abzielt, das implizite bzw. konjunktive Wissen von Akteur_innen zur begrifflich-theoretischen Explikation zu bringen (vgl. Bohnsack et al. 2007: 13), werden gleichzeitig theoretische Anschlüsse an die Ethnomethodologie deutlich. Denn wie diese, basiert auch die Dokumentarische Methode auf der Grundannahme, dass alltägliche Kommunikationsprozesse missverständlich und problematisch sein können, was bspw. besonders deutlich an Garfinkels Krisenexperimenten zum Vorschein kommt (vgl. Bohnsack 1991: 17). Um zum impliziten und habitualisierten Wissen zu gelangen, ist es demnach notwendig, systematisch zwischen kommunikativem Wissen einerseits und konjunktivem Wissen andererseits zu unterscheiden, da sich die Bedeutungen von Äußerungen in eben jenen Bereichen stark unterscheiden können (vgl. Bohnsack
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Methodologische Grundlagen: Die Dokumentarische …
2017: 103). Der Begriff der Familie zum Beispiel drückt auf kommunikativgeneralisierender Ebene ausschließlich die Bedeutung von Familie als Institution aus, wohingegen der Begriff auf konjunktiver Ebene eine individuellfallspezifische oder auch milieuspezifische Bedeutung besitzt und somit von Akteur_in zu Akteur_in variieren kann (vgl. Bohnsack et al. 2007: 15).2 Der konjunktive Erfahrungsraum resp. Orientierungsrahmen im weiteren Sinne setzt sich dementsprechend aus dem kommunikativ-generalisierten Wissen auf der einen Seite und dem konjunktiven Wissen auf der anderen Seite zusammen. Zum einen sind beide Sinnebenen miteinander verwoben, weshalb ihre strikte Trennung lediglich analytisch möglich ist, zum anderen sind die beiden Wissensformen aber auch von einem Spannungsverhältnis und einer notorischen Diskrepanz geprägt, welche auf verschiedenen Ebenen des konjunktiven Erfahrungsraums zum Vorschein kommen kann (vgl. Bohnsack 2017: 102 f.).3 Wie das folgende Schaubild verdeutlicht, tritt das Spannungsverhältnis somit gleichzeitig zwischen propositionaler und performativer Logik sowie zwischen Norm und Habitus in Erscheinung, wobei sich beide Kategorien zudem weiter ausdifferenzieren (Abbildung 3.1). Mit Blick auf die notorische Diskrepanz zwischen Norm und Habitus gilt es zunächst eine weitere Differenzierung des Normativen vorzunehmen. Denn dieses tritt auf gesellschaftlicher Ebene in Form von Identitätserwartungen bzw. -normen in Erscheinung, wohingegen es sich auf institutionell-organisationaler Ebene in Form von Rollenerwartungen abzeichnet (vgl. Bohnsack 2017: 102 ff.). Rollenerwartungen sind im Gegensatz zu Identitätsnormen explizit und haben einen „verlässlich prognostischen Charakter“ (Przyborski 2018: 114), sodass man bspw. davon ausgehen kann, dass der Postbeamte seiner Rolle nachkommt und auch tatsächlich Postkästen leert (vgl. ebd.).
2 Entsprechend
der milieu- oder generationsspezifischen Erfahrungen wird deutlich, dass konjunktive Erfahrungsräume nicht auf Realgruppen begrenzt sind, sondern sich bspw. schon anhand einer bestimmten Generationszugehörigkeit konstituieren können. Gleichzeitig umfasst der konjunktive Erfahrungsraum ein sehr weites Spektrum von Phänomenen, da er sich ausgesprochen unterschiedlich formiert und bspw. anhand von Schulstunden in einem gruppenhaften Erfahrungsraum eines ‚Unterrichtsmilieus‘ oder z. B. auch über mehrere Jahre durch das Familienzusammenleben ausbilden kann (vgl. Bohnsack 2017: 20). 3 Wie in Abschnitt 3.3.2.2 verdeutlicht wird, ist das Spannungsverhältnis im Hinblick auf die Subjektivierungsforschung hingegen ausschließlich eine von drei möglichen Relationen. So lassen sich ebenso Aneignungs- und Passungsverhältnisse rekonstruieren.
3.1 Die Rekonstruktion von konjunktiven Erfahrungsräumen …
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Abbildung 3.1 Konjunktiver Erfahrungsraum (Bohnsack 2017: 103)
Identitätsnormen hingegen bleiben zumeist implizit und treten mehrheitlich in Form von virtualen sozialen Identitäten in Erscheinung. Dieser auf Erving Goffman zurückgehende Begriff macht deutlich, dass die Erwartungen aus dieser theoretischen Perspektive nie ganz erfüllt werden können und einen imaginativen Charakter besitzen, da ihre Realisierung bzw. Habitualisierung immer prekär bleibt (vgl. Bohnsack & Przyborski 2015: 355 f.). Gleichzeitig geht mit diesen stets die Vorstellung von Realisierungsmöglichkeiten bzw. die Option der Transformation einher, wodurch ein Spannungsverhältnis zum Habitus aufgebaut wird (vgl. Przyborski 2018: 116). Besonders häufig treten virtuale soziale Identitäten bspw. in virtualen Konstruktionen von Massenmedien oder in ‚virtualen Selbstpräsentationen‘ über Social Media in Erscheinung. Da derartige Identitätsnormen gleichzeitig Erwartungen beinhalten, „die uns in der Regel erst dann bewusst werden, wenn wir davon abweichen“ (Przyborski 2018: 114), werden diese auch als virtuell oder imaginär bezeichnet (vgl. ebd.). Trotz jener Differenzierung zwischen Rollenerwartungen und Identitätsnormen können Akteur_innen natürlich auch beiden Erwartungen bzw. Formen des Normativen zur selben Zeit ausgesetzt sein (vgl. Bohnsack 2017: 129). Zugleich sind virtuale soziale Identitäten im Gegensatz zur Handlungspraxis bzw. Performanz von Akteur_innen Teil der propositionalen Logik und stehen
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3
Methodologische Grundlagen: Die Dokumentarische …
dem konjunktiven Wissen der Akteur_innen gegenüber, welche Teil der performativen Logik sind. Nach Bohnsack liegt somit nicht nur ein Spannungsverhältnis zwischen der Orientierung an der Norm einerseits und der Handlungspraxis bzw. dem konjunktiven Wissen vor, welches implizit zur Reflexion kommen kann, sondern ebenso zwischen der propositionalen Logik und der performativen Logik (vgl. Bohnsack 2017: 26).4 Zur Verdeutlichung der beiden Dimensionen spricht Bohnsack bei der Performanz auch vom ‚Faktischen‘ und bei der Norm vom ‚Kontrafaktischen‘ (vgl. ebd.: 56).5 Im Unterschied zu Bourdieus Kategorie des Habitus wird es mithilfe der Kategorie des konjunktiven Erfahrungsraums dementsprechend ermöglicht, die Handlungspraxis auch empirisch in Relation zum Normativen zu setzen und in der Folge mithilfe der Dokumentarischen Methode sowohl normative Ordnungen und Habitus als auch deren Spannungsverhältnis zu rekonstruieren (vgl. ebd.: 26). Denn im Gegensatz zur gesellschaftstheoretischen Kategorie des Feldes bei Bourdieu, welche als Äquivalent zu der Ebene der normativen Ordnungen in der Dokumentarische Methode verstanden werden kann, lassen sich Identitätsnormen und institutionalisierte Normen empirisch rekonstruieren, ohne dass nach den „gesellschaftsstrukturellen Bedingungen der Konstitution des Habitus“ (Bohnsack 2017: 26; H.i.O) gesucht wird. Indem die Inkorporierung der 4 Das
Spannungsverhältnis untergliedert sich dabei in drei Dimensionen. Erstens in dem Verhältnis zwischen Motivkonstruktionen und Handlungspraxis, zweitens in der Relation zwischen Handlungspraxis und institutionalisierten Normen und drittens zwischen Identitätsnormen und Praxis. Nach Bohnsack ist den Identitätsnormen schließlich ein virtualer, impliziter Charakter eigen, welcher sich zusätzlich untergliedert in imaginative und imaginäre soziale Identitäten. Jene beiden Ausprägungen unterscheiden sich dadurch, dass Akteur_innen im Falle imaginärer sozialer Identitäten nicht davon ausgehen, diese auch tatsächlich zur Performanz bringen zu können, wohingegen Akteur_innen im Falle der imaginativen sozialen Identitäten eine Performanz als umsetzbar bewerten und diese anstreben (vgl. Bohnsack 2017: 55). 5 Eine weitere Unterscheidung nimmt Bohnsack zudem zwischen Identitätsnorm einerseits und Meta-Identität andererseits vor. Die Meta-Identität gehört dabei zum Orientierungsrahmen im weiteren Sinne und ist eher als die Art des Verhältnisses von Identitätsnorm und Praxis zu verstehen. Besonders deutlich sichtbar wird die Differenz anhand eines empirischen Beispiels, welches einem Forschungsprojekt von Geimer und Amling entnommen wurde. In diesem wurden Interviews mit Abgeordneten des deutschen Bundestages geführt und im Hinblick auf den Aspekt der Authentizität interpretiert. Nach Bohnsack wurde dabei sichtbar, wie ein befragter Politiker auf der konkreten Ebene den Wunsch äußert, Mitglied bzw. Teil des Ortes (‚Pattenburger‘) zu sein, worin sich die Identitätsnorm abbildet, auf der Meta-Ebene aber gleichzeitig nach einer umfassenderen Koinzidenz bzw. Homologie sucht, die als Orientierung an der normativen Erwartung der Authentizität gefasst werden kann und somit als Meta-Identität bezeichnet wird (vgl. Bohnsack 2017: 165 f.).
3.1 Die Rekonstruktion von konjunktiven Erfahrungsräumen …
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Normen des Feldes bei Bourdieu vorausgesetzt wird, bleiben aus dieser Perspektive gleichzeitig empirische Analysen zur genauen Relationierung zwischen Habitus und Norm verwehrt (vgl. Geimer 2019: 169). Da „letztlich alle praktischen Manifestationen bzw. Kulturobjektivationen Träger von sowohl explizitem, kommunikativ-generalisiertem als auch von implizitem, habituellem Wissen“ sind (Przyborski 2018: 113), dokumentieren sich die unterschiedlichen Ebenen des konjunktiven Erfahrungsraums nicht nur in Gesprächen in Form von Interviews oder Gruppendiskussionen, sondern ebenso in bspw. Bildern, Filmen und Videos. Durch den Wechsel der Analyseeinstellung und den Einsatz von Vergleichshorizonten lässt sich folglich der Eigensinn von Medientexten zur Explikation bringen, wodurch bspw. Werbebilder hinsichtlich ihrer normativen Ordnungen (vgl. Bohnsack & Przyborski 2015) sowie Musikvideos (vgl. Hampl 2014) oder Werbevideos (vgl. Hell 2014) hinsichtlich ihres dokumentarischen Sinngehalts analysiert werden können. Auf diese Weise eröffnet die Methode einerseits die Möglichkeit, Medienprodukte unabhängig von Rezeptionsanalysen zu untersuchen (vgl. Bohnsack & Geimer 2014: 313), andererseits aber auch einen detaillierten Zugang zur Handlungspraxis bzw. performativen Performanz. Obwohl sich die Handlungspraxis auch in Erzählungen und somit über die proponierte Performanz dokumentiert, zeichnet sich der spezielle Handlungsstil maßgeblich in der Art und Weise ab, wie Handlungen vollzogen werden. Durch die Analyse visueller Daten können auf diese Weise auch Identitätsnormen und Handlungspraxen untersucht werden, die primär auf körperlicher Ebene angesiedelt sind. Anhand der Interpretationen von Werbebildern konnten auf diese Weise zunächst Bohnsack und Przyborski (2015) und daran anschließend Przyborski (2018) in einem größeren Umfang aufzeigen, wie Identitätsnormen nicht nur auf verbaler Ebene und mithilfe der Rekonstruktion von Selbst- und Fremdzwängen zum Vorschein gebracht werden können, sondern ebenso auf bildlicher Ebene. Zusätzlich trat durch die empirischen Arbeiten die große Bedeutung von Posen und (propagierten) Lifestyles in medialen Bildern in Erscheinung. Dies konnte auch Hell mittels Interpretationen zweier Werbefilme aufzeigen. Dementsprechend veranschaulichte die Autorin in einer komparativen Analyse einer Alkoholwerbekampagne mit einer Präventionskampagne gegen Alkohol, wie propagierte Lifestyles auch in Bewegtbildern bzw. Videos verankert sind und somit rekonstruierbar werden (vgl. Hell 2014: 347 f.). Sowohl bei den Studien von Bohnsack und Przyborski als auch bei Hell kommt im Begriff des propagierten Lifestyles eine spezifische Variante des Orientierungsrahmens (im weiteren Sinne) bzw. des konjunktiven Erfahrungsraums zum Ausdruck, der sich vor allem über seinen imaginativen Charakter und seine propagierten Verheißungen abzeichnet.
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Besteht bspw. die Verheißung in einem von Bohnsack und Przyborski analysiertem Werbebild von H&M maßgeblich darin, eine Integration von ‚mädchenhafter Unschuld‘ mit der körperlich-sexuellen Attraktivität der selbstbewussten Frau zu ermöglichen (vgl. Bohnsack & Przyborski 2015: 349), verheißt der von Hell untersuchte Werbefilm des Unternehmens Jägermeister in erster Linie positive Erlebnisse und neue geheimnisvolle Erfahrungen (vgl. Hell 2014: 347). Wie die Werbebilderinterpretationen verdeutlichen, kommen propagierte Lifestyles auf bildlicher Ebene maßgeblich durch körpergebundene Ausdrucksformen in Form von Posen zum Vorschein. Insbesondere diese ermöglichen es, Übergegensätzlichkeiten zum Ausdruck zu bringen, die eine Integration gegenläufiger Identitätsanforderungen verheißen (vgl. Bohnsack & Przyborski 2015: 344). Denn im Gegensatz zur Geste kennzeichnet sich die Pose im Wesentlichen dadurch, dass sie ‚dekontextuiert‘ erscheint, das heißt, dass sie nicht in die Gesamtgestalt eines Bildes und des Habitus eingebettet ist.6 Die Berücksichtigung von Lifestyles und Posen kann folglich sowohl das analytische Potenzial erweitern als auch eine Verbindung zur Konzeption der Identitätsnormen bzw. der virtualen sozialen Identität schaffen (vgl. Bohnsack 2017: 197). Zusätzlich konnten an den Interpretationen jedoch nicht nur virtuale soziale Identitäten rekonstruiert werden, die sich in Werbebildern dokumentieren sowie mittels Lifestyles und Posen propagiert werden, sondern anhand von komparativen Analysen ließen sich darüber hinaus auch Aneignungen jener Posen seitens Rezipierender nachvollziehen. Nachdem die Rezipierenden mit dem Werbefoto von H&M zunächst ein Bild auswählten, welches ihnen besonders imponierte, wurden die Rezipierenden anschließend gebeten auf das Werbebild mit einem eigenen Foto zu reagieren. Auf diese Weise konnte allein auf der komparativen Analyse von Bildern rekonstruiert werden, wie die Rezipierenden das ausgewählte Werbefoto interpretieren und kommentieren. Bohnsack und Przyborski zeigen hierdurch in ihrer Studie auf, wie sich mithilfe von Verknüpfungen von Rezeptions- und Produktanalysen Aneignungen medialer Inhalte herausarbeiten lassen (vgl. Bohnsack & Przyborski 2015). Unter Aneignung lässt sich in diesem Kontext generell
6 Im
Gegensatz hierzu ist der Habitus wie auch die Authentizität einer Person abhängig vom Gesamtzusammenhang bzw. Kontext in dem Handlungen, Praktiken oder verbale Äußerungen getätigt werden, so Bohnsack und Przyborski. Entscheidend ist in diesem Sinne, dass in der dargebotenen Praktik Homologien zum Kontext bestehen. Werden Gesten dementsprechend umfassend kontextuiert ausgeführt, erscheinen sie authentisch und als Bestandteil des Habitus sowie des konjunktiven Erfahrungsraums. Imdahl bezeichnet jenen körperlichen Selbstausdruck als Gebärde, wohingegen er die Pose als Fremdausdruck definiert (vgl. Bohnsack & Przyborski 2015).
3.1 Die Rekonstruktion von konjunktiven Erfahrungsräumen …
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die Hereinnahme medial dargestellter Handlungen in die Alltagspraxis der Rezipierenden fassen. Auf diese Weise können Verständigungsprozesse im Medium der Bildlichkeit nachgegangen werden, die vorreflexiv sind und auch eine körperliche Dimension haben und daher insbesondere „im Zeitalter von Instagram und Snapchat von allergrößter Relevanz sind“ (Michel 2018: 86). Denn wie bereits im vorherigen Kapitel aufgezeigt wurde, ist die Frage nach der Relation von Medienprodukt und seiner Rezeption von großer Bedeutung für die Medienforschung und wird von verschiedenen Positionen beleuchtet. So wird immer wieder der enge Zusammenhang bzw. die Interaktion zwischen Produkt- und Rezeptionsanalysen betont (vgl. Bohnsack & Geimer 2014: 297). In diesem Kontext weist auch Michel daraufhin, dass insbesondere im Bereich der (Bewegt-) Bildanalyse die Verknüpfung von Produkt- und Rezeptionsanalysen von besonderer Relevanz ist. Im Gegensatz zu Rezeptionsforschungen, bei der die Rezeption ausschließlich als ein zielgerichtetes und bewusstes Dekodieren von Texten aufgefasst wird, steht bei der praxeologischen Rezeptionsforschung der Habitus bzw. konjunktive Erfahrungsraum und somit auch das vorreflexive Erfassen im Zentrum der Analyse (vgl. Michel 2018: 86). Wie Przyborski hervorhebt, ist insbesondere das Medium des Bildes für die Demonstration und Vermittlung korporierten Wissens geeignet. So können Bilder und ausdrücklich Videos bei der Aneignung performativen Wissens eine Schlüsselfunktion einnehmen, indem sie bspw. eine bebilderte Anleitung zur Ausführung von Yogaübungen und dem Knüpfen von Knoten geben (vgl. Przyborski 2018: 106).7 Als imaginative positive Horizonte können medial vermittelte Bilder so zur kreativen Veränderung und Transformation des Habitus beitragen, wodurch sie sich nicht nur als konstitutiv für den Alltag, sondern auch als Herausforderung für die habituelle Sicherheit erweisen, so Przyborski. Demnach können sich in Bildern Sehnsüchte dokumentieren, die durch normative Anforderungen hervorgerufen werden und die in Diskrepanz zum Habitus stehen. Zugleich können sich an diesen auch zeigen, wie mit normativen Anforderungen umgegangen wird, insbesondere mit jenen, die auf körperlicher Ebene angesiedelt sind. Nicht zuletzt hierdurch erweist sich die Analyse von Bildern als besonders ertragreich (vgl. Przyborski 2018: 289). Der soeben aufgeworfene Begriff der Aneignung setzt hierbei einerseits bereits ein Verstehen im Sinne Bohnsacks 7 Weitere
Relevanz erhält in diesem Zuge der Begriff der Medialität, in dem sich ein Wissen um den Mediengebrauch und die Performanz der Darstellung ausdrückt, welches aber ebenso innerhalb eines konjunktiven Erfahrungsraums erworben wird (vgl. Przyborski 2018: 111).
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Methodologische Grundlagen: Die Dokumentarische …
voraus und kann folglich auch implizit sein (vgl. Geimer 2018c: 13), andererseits ist eine Bedingung der Aneignung aber auch, dass die medial dargestellte Handlungspraxis „den Rezipierenden unmittelbare Anschlüsse an deren eigene Handlungspraxis ermöglicht“ (Bohnsack & Geimer 2014: 301). Denn aus der Perspektive der Dokumentarischen Methode basiert Aneignung sowohl auf einem Verstehensprozess als auch auf der Möglichkeit von „Kongruenzen zwischen den konjunktiven Erfahrungsräumen der Rezipierenden einerseits und denjenigen der Medienproduzierenden bzw. dem von diesen propagierten Lifestyle andererseits“ (ebd.: 302). Im Bezug auf umfassende Produkt- und Rezeptionsanalysen geht es somit darum, erstens den Habitus (oder den vom Produzierenden propagierten Lifestyle) zum Vorschein zu bringen, sowie zweitens den Habitus des Rezipierenden. Erst hierdurch wird es ermöglicht, Aneignungsprozesse als Passungs- oder Nicht-Passungsverhältnisse zu begreifen. Dazu müssen jedoch beide Bereiche unabhängig voneinander analysiert werden (vgl. ebd.: 306 f.). In der bereits erwähnten Studie von Przyborski berücksichtigt diese exakt jene Wissensformen, die vorreflexiv sind und auch eine körperliche Dimension haben und zeigt wie Produkt- und Rezeptionsanalysen mithilfe dokumentarischer Bildinterpretationen systematisch aufeinander bezogen werden können (vgl. Przyborski 2018: 64). Anstatt allerdings vermeintliche ‚Botschaften‘ zu rekonstruieren, die in Bildern stecken, ging es Przyborski in ihrer Studie in erster Linie um Bildkommunikation und die Rekonstruktion des Verhältnisses von Habitus und Identitätsnorm. Demnach handelt es sich nicht wie im encoding/decoding-Modell um ein richtiges oder falsches Verstehen, sondern vielmehr um die Frage, was sich in Bildern dokumentiert und wie ein handlungspraktischer Anschluss hieran erfolgt (vgl. Przyborski 2018: 137 ff.). Zum einen werden Medienangebote in diesem Sinne konsequent als Dokumente verstanden, „in denen der Orientierungsrahmen (im weiteren Sinn) derjenigen zum Ausdruck kommt, die sie hervorgebracht bzw. produziert haben“ (Przyborski 2018: 129), zum anderen können aber nur dann Anschlüsse rekonstruiert werden, wenn auch eine Kommunikation nachvollziehbar ist. Ein grundlegender Gedanke der Studie ist folglich, dass mindestens zwei Dokumente zur empirischen Analyse von (Bild-) Kommunikation notwendig sind: erstens ein Medienangebot und zweitens ein Dokument eines Rezipierenden, welches an das Medienangebot anschließt (vgl. ebd.: 128).
3.1 Die Rekonstruktion von konjunktiven Erfahrungsräumen …
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Demzufolge bat Przyborski in ihrer Studie, wie schon in der Untersuchung mit Bohnsack (2015), Realgruppen8 sowohl ein kommerzielles als auch ein privates Bild auszuwählen und diese für die Forschung zur Verfügung zu stellen. Zum einen wurden die Bilder selbst mithilfe der dokumentarischen Bildinterpretation analysiert, zum anderen dienten sie gleichzeitig als Grundlage für Gruppendiskussionen. Hierdurch wurden zwei Ebenen untersucht: Erstens die Verständigung im Medium Bild (zwischen kommerziellem und privatem Bild), zweitens die Verständigung über das Bild im Medium der Sprache mithilfe von Gruppendiskussionen (vgl. Przyborski 2018: 149 ff.). Anhand von mehr als 80 Bildinterpretationen konnte hierbei verdeutlicht werden, wie die analysierten kommerziellen Bilder (aus den Bereichen Werbung und Mode) als visuelle Formulierungen geschlechtstypischer Identitätsnormen verstanden werden können. Darüber hinaus konnte gleichzeitig mittels Interpretationen privater Bilder und Gruppendiskussionen sichtbar werden, wie die rekonstruierten Identitätsnormen auch im Alltag der untersuchten Realgruppen Relevanz erlangten (vgl. ebd.: 271 f.). Zum Vorschein kam dies vorwiegend anhand der Rekonstruktion von Homologien zwischen den kommerziellen Medienangeboten sowie den privaten Bildern, da sich durch diese ein „unmittelbares Verstehen auf den unterschiedlichen Ebenen des performativen Wissens“ (ebd.: 271) abzeichnet, welches nicht nur konstitutiv für die Medienangebote, sondern auch für die Alltagspraxis der Untersuchten ist. So kann ein Blick auf sich abzeichnende Gemeinsamkeiten zwischen privatem und kommerziellem Bild umfangreiche Erkenntnisse über das Verhältnis von Körperpraxis und Körperimagination bzw. von „Habitus und Norm auf der Ebene des performativen Wissens“ geben (ebd.: 271). Auf diese Weise gelang es Przyborski aufzuzeigen, wie die Untersuchten in unterschiedlicher Weise mit verschiedenen normativen Anforderungen umgehen. Spielerische Nachahmungen mit Identitätsnormen wurden hierbei bspw. ebenso sichtbar wie eine routinierte und sichere Integration dieser in den Habitus oder eine vollkommene Unvereinbarkeit zwischen Norm und Habitus sowie Körperimagination und Körperpraxis (vgl. ebd.: 282 f.). Zwar wird das Normative in der Praxeologischen Wissenssoziologie hauptsächlich durch die Erfahrung eines Selbst- oder Fremdzwangs sichtbar, der sich im konjunktiven Erfahrungsraum bzw. im Orientierungsraum im weiteren Sinne abbildet und durch diesen empirisch rekonstruiert werden kann (vgl. Bohnsack 2017: 102 ff.), jedoch können sich 8 Unter
Realgruppen werden nach Bohnsack Gruppen verstanden, deren Mitglieder durch einen gemeinsam geteilten konjunktiven Erfahrungsraum miteinander verbunden sind (vgl. Michel 2007: 97).
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Methodologische Grundlagen: Die Dokumentarische …
Normen nicht nur in Ablehnungen und Brechungen wiederfinden, sondern ebenso in Nachahmungen oder der Integration dieser in den Habitus. Folglich wird es mithilfe der Praxeologischen Wissenssoziologie nicht nur ermöglicht, anhand von Analysen einen Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum von Beforschten herzustellen, sondern darüber hinaus auch anhand dessen Selbst- und Fremdzwänge zu rekonstruieren, die auf Identitätserwartungen oder -normen verweisen. Obwohl in der Studie demnach zwar Nachahmungen und Integrationen von Normen rekonstruiert werden konnten, betont Przyborski allerdings, dass an den Interpretationen stets eine immanente Widersprüchlichkeit zwischen Identitätsnorm und Habitus deutlich wurde, „der man prinzipiell kaum durchgängig gerecht werden kann“ (Przyborski 2018: 278). Gleichzeitig gilt es hierbei anzumerken, dass es aufgrund der Mehrdimensionalität von Erfahrungsräumen, bei deren Analyse nicht primär um das Individuum geht, da dieses immer nur aspekthaft (je nach Fragestellung) betrachtet werden kann. Vielmehr sollte es Ziel der Analyse sein, die Individuen als Träger oder Repräsentanten von kollektiven Erfahrungsräumen zu verstehen (Bohnsack 2017: 117 ff.). Wie normative Ordnungen und konjunktive Erfahrungsräume resp. Körperimaginationen und Körperpraxen sowie deren Verhältnisse, wie in den erwähnten Studien von Bohnsack & Przyborski (2015) und Przyborski (2018) mithilfe der Dokumentarischen Methode auch in (Bewegt-) Bildern rekonstruiert werden können, soll im Folgenden vorgestellt werden. Denn auch wenn in der Kommunikation über das gleiche Medium (Bild zu Bild) und deren komparativen Analyse Parallelen zur vorliegenden Arbeit bestehen, unterscheidet sich die Interpretation von Videomaterial zum einen generell von der reinen Bildanalyse, zum anderen bestehen aber auch im Forschungsanliegen gewisse Differenzen zu den Studien Bohnsacks und Przyborskis. Hierbei gilt es zunächst anzumerken, dass sich aufgrund der Eigengesetzlichkeit filmischer Sinnstrukturen im Gegensatz zu Bildanalysen „der Habitus der Produzierenden bzw. der von ihnen propagierte Lifestyle tiergehend rekonstruieren und mit dem Habitus der Rezipierenden relationieren“ lässt (Bohnsack & Geimer 2014: 311). Unter Berücksichtigung von Montage und Einstellungswechsel werden demnach vielfältigere Gestaltungsleistungen der abbildenden Bildproduzent_innen rekonstruierbar sowie in Hinblick auf die Sequenzialität die Leistungen der abgebildeten Bildproduzent_innen (vgl. ebd.). Eine weitere Differenz besteht zudem darin, dass in der vorliegenden Arbeit ausschließlich auf Videomaterial zurückgegriffen wurde, welches die Beforschten unaufgefordert und aus eigenem Antrieb erstellten und somit kein experimentelles Setting (wie in den erwähnten Studien) vorliegt. Thema des nächsten Abschnitts ist demgemäß das genaue methodische Vorgehen mit der die YouTube-Videos in der vorliegenden Untersuchung analysiert wurden.
3.2 Methodische Besonderheiten bei der Analyse von YouTube-Videos
3.2
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Methodische Besonderheiten bei der Analyse von YouTube-Videos
Grundsätzlich lässt sich bei der empirischen Analyse von Videos und Filmen zunächst zwischen zwei Arten differenzieren: So existieren zum einen Videodokumente, die von den Erforschten selbst produziert wurden, zum anderen aber auch visuelle Daten, die eigens zu Forschungszwecken produziert werden, wie bspw. Videografien vom Schulunterricht (vgl. Bohnsack et al. 2014: 13 f.). Da die Kameraführung und –perspektive im letzteren Fall von den Forschenden selbst bestimmt wird, gilt es diese zwar bei der Interpretation zu berücksichtigen, jedoch sind sie nicht Teil der Interpretation. Im Gegensatz dazu sind Bilddokumente, die von den Erforschten selbst angefertigt werden auf zwei Ebenen von großer Bedeutung und dementsprechend zu interpretieren: erstens auf der Ebene der abgebildeten Bildproduzent_innen, in der alle Gestaltungsleistungen der Personen zum Vorschein kommen, die sich vor der Kamera befinden und gefilmt werden, sowie zweitens die Ebene der abbildenden Bildproduzent_innen. Hierunter fallen hingegen die Handlungsprozesse der Personen, die sich hinter der Kamera befinden (vgl. Michel 2018: 79). Können die Gestaltungsleistungen bei Eigenprodukten sowohl Hinweise zum Habitus der abbildenden wie auch der abgebildeten Bildproduzent_innen geben, besteht bei Videografien ausschließlich die Möglichkeit den Habitus der Erforschten hinsichtlich ihrer Tätigkeiten vor der Kamera zu analysieren (vgl. ebd.: 14), weshalb Przyborksi auch explizit darauf hinweist, dass Bilddokumente, die aus dem Forschungsfeld stammen in der Regel ergiebiger sind, als diejenigen, welche eigens zu Forschungszwecken erstellt wurden (vgl. Przyborski 2018: 119). Hinsichtlich der Eigenprodukte lässt sich darüber hinaus zwischen Videos unterscheiden, die im privaten Bereich erstellt werden, wie bspw. Familienvideos und Urlaubsvideos sowie Filmdokumente, die für den öffentlichen Bereich hergestellt werden, wie z. B. Werbefilme oder Fernsehsendungen (vgl. Bohnsack et al. 2014: 13). Eine besondere Rolle kommt hierbei YouTubeVideos zu, da diese des Öfteren nicht eindeutig dem privaten oder öffentlichen Bereich zuzuordnen sind. Gleichzeitig sind die Videos als Teil des sogenannten ‚Consumer generated Content‘ anzusehen und es lässt sich von einer hohen Deckungsgleichheit der Habitusformen zwischen abgebildeten und abbildenden Bildproduzent_innen ausgehen (vgl. Michel 2018: 79 f.) Aufgrund der besonderen Rolle der Videos und deren Positionierung zwischen privaten und öffentlichen Bereichen, sind auch Fragen im Bereich der Anonymisierung nicht eindeutig zu beantworten und es muss häufig von Fall zu Fall entschieden werden. Hierauf weist ein Blick auf die bisherige Handhabung in bereits durchgeführten Studien hin, bei denen YouTube-Videos als Datenmaterial
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Methodologische Grundlagen: Die Dokumentarische …
dienen. So offenbart bereits eine kleine Übersicht an Studien, dass keine einheitliche Vorgehensweise zu finden ist. Die Spannbreite an Anonymisierungsverfahren reicht dabei von Maskierungen der YouTube-Namen und Videobilder (siehe bspw. Wagner & Forytarczyk 2015) über eine partielle Maskierung (siehe bspw. Eisemann 2015) hin zum Verzicht jeglicher Anonymisierungstechniken (siehe bspw. Döring 2015). Jene Vielfalt an Vorgehensweisen ist dabei maßgeblich auf die nicht eindeutige Einordnung der Videos in privat und öffentlich zurückzuführen. Einerseits sind über die Suchfunktion der Videoplattform ausschließlich Clips zu finden, deren Veröffentlichung zuvor explizit forciert und bestätigt wurde, was die Videos zu Aufnahmen öffentlicher Kommunikation macht, die nach Winterscheid (2015: 1 f.) als unproblematisch einzustufen sind. Andererseits handelt es sich bei den abgebildeten Bildproduzent_innen hierdurch noch nicht automatisch um Personen des öffentlichen Lebens, ferner sind die Videos hierdurch nicht mit massenmedialen Produkten gleichzusetzen. In diesen Fällen ist, wie bspw. Hampl (2017: 57) aufzeigt, die Handhabung verhältnismäßig simpel: „Im Rahmen der Auseinandersetzung mit Film- und Videomaterial aus den Massenmedien stellt sich die Frage der Anonymisierung nur in geringem Maße“. Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass abgebildete Personen aus Film und Fernsehen keine Einwände mit der Verbreitung ihres medialen Auftritts haben (vgl. Hampl 2017: 57) und auch Reineke et al. (2017: 4) weisen darauf hin, dass massenmedial verbreitete Daten nicht maskierungs-bedürftig sind. Einen anderen Fall stellt hingegen Videomaterial dar, das eigens zu Forschungszwecken produziert wurde. Hier gilt es die videografisch erfassten Personen zu anonymisieren, um Außenstehenden eine Zuordnung unmöglich zu machen. Dies gilt im Übrigen auch für zu veröffentlichende Videotranskripte. Neben der Veränderung der Eigennamen, sind somit auch Bild- bzw. Videobearbeitungen notwendig, wobei auch hier die Möglichkeiten der Anonymisierung vielfältig sind: „Das Repertoire an möglichen Eingriffen ins Bild reicht vom schlichten Verdecken der Augen der Abgebildeten durch Farbbalken, über das Weichzeichnen der Gesichtszüge, das grobe Verpixeln der Gesichter, bis zur Möglichkeit mittels Bildbearbeitungsprogrammen Fotogramme so zu verändern, dass sie wie Zeichnungen aussehen“ (Hampl 2017: 58). In diesem Kontext weist Hampl darauf hin, dass Amateurvideos einen Graubereich darstellen. Auch wenn bei der Anonymisierung der Videodaten interpretationsrelevante Bereiche, wie bspw. die Mimik oder Gesten der abgebildeten Bildproduzent_innen verdeckt werden können, rät dieser dazu, derartige Videos zumindest teilweise zu anonymisieren (vgl. Hampl 2017: 58). Da auch nach Reineke et al. (2017: 6) mit Ausnahme von Personen des öffentlichen Lebens alle Personennamen maskiert werden sollten, wurden auch in dieser Arbeit alle Namen der analysierten
3.2 Methodische Besonderheiten bei der Analyse von YouTube-Videos
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YouTuber_innen anonymisiert resp. durch Maskennamen ersetzt, die nicht als YouTube-Stars eingestuft werden können und somit keine Personen des öffentlichen Lebens darstellen. Darüber hinaus wurden die Amateurvideos von zwei als minderjährig einzustufenden Bildproduzentinnen nach Breckner (2018: 76) mithilfe punktueller Verpixelungen bestimmter Bereiche maskiert. Zur Verhinderung der Identifizierung der Beteiligten zählt hierzu insbesondere die grobe Verpixelung der abgebildeten Gesichter in den Amateurvideos. Im Unterschied zu Döring (2014c: 24 f.) wird hierbei allerdings nicht der ästhetische Filmstil als Maßstab der Trennung zwischen professionellen und amateurhaften Videos angesetzt, sondern in Hinblick auf die Einordnung von Personen des öffentlichen Lebens, ist die Bekanntheit der YouTuber bzw. deren Videos der ausschlaggebende Faktor. Entscheidend sind nach diesem Verständnis somit nicht technische oder ästhetische Aspekte der Videos, sondern vielmehr wie oft diese aufgerufen wurden und wie hoch, gemessen an der Abonnentenzahl, der Bekanntheitsgrad der Videoproduzent_innen ist.
3.2.1
Die Dokumentarische Film- und Videointerpretation
Nachdem im vorherigen Kapitel der Arbeit die Dokumentarische Methode als Interpretationstechnik und Auswertungsverfahren hinsichtlich ihrer methodologischen Grundannahmen und konstitutiven Begrifflichkeiten vorgestellt sowie in Relation zum Forschungsansatz der Cultural Studies gesetzt wurde, soll sich in diesem Abschnitt explizit dem Auswertungsverfahren der Dokumentarischen Film- und Videointerpretation gewidmet werden, um das genaue methodische Vorgehen darzustellen, welches zur Analyse der YouTube-Videos im LifestyleGenre im Rahmen der vorliegenden Arbeit angewandt wurde. Grundlegend gilt es hierbei zunächst festzustellen, dass sich die Dokumentarische Filmund Videoanalyse zwar aufgrund ihrer Komplexität und Vielfalt in Bezug auf unterschiedliche Videoformate in verschiedene Verfahrensweisen ausdifferenziert, jedoch stets einigen Grundprinzipien folgt. So gilt es zunächst festzuhalten, dass in allen Ausdifferenzierungen die Video- und Filmanalyse auf einer Triangulation von Gesprächs- und Bildanalysen basiert (vgl. Bohnsack et al. 2014: 29). Auf welcher Ebene der Interpretation zwischen non-verbaler und verbaler Ebene – also der Interpretation von Text und Ton sowie der Interpretation in der Bilddimension – unterschieden wird, ist einerseits von der Fragestellung, andererseits aber auch vom Datenmaterial abhängig. Eine Differenzierung beider Ebenen ist aufgrund der Simultanität von bildlicher und verbaler Ebene erstens jedoch unumgänglich, zweitens ermöglicht sie mit der reflektierenden Gesamtinterpretation
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3
Methodologische Grundlagen: Die Dokumentarische …
aber auch zu überprüfen, ob sich „beide Dimensionen einander wechselseitig zu validieren vermögen“ (Bohnsack et al. 2014: 27). Wie die Dokumentarische Methode im Allgemeinen folgt auch die Film- und Videointerpretation dem Grundprinzip der komparativen Analyse, wobei auch hier je nach Vergleichshorizont unterschiedliche (jedoch einander nicht ausschließende) Dimensionen der Erfahrungsräume der Erforschten in den Blick geraten (vgl. Bohnsack 2018: 6). Neben der methodischen Kontrolle der Vergleichshorizonte kommt dem Wechsel vom expliziten zum impliziten Sinngehalt, also vom ‚Was‘ zum ‚Wie‘ erneut eine zentrale Bedeutung zu, weshalb dementsprechend auch die Interpretation von Filmen und Videos stets anhand zweier Arbeitsschritte erfolgt: der formulierenden Interpretation sowie der reflektierenden Interpretation. Bevor die einzelnen Sequenzen des Videos jedoch anhand der beiden Arbeitsschritte interpretiert werden, erfolgt auch bei der Dokumentarischen Videointerpretation zunächst eine Gliederung des untersuchten Videos auf Basis der formulierenden Interpretation, welche zudem durch eine Art Strukturskizze veranschaulicht werden kann. Diese ermöglicht es bereits Besonderheiten im Gesamtaufbau des Videos abzulesen (vgl. Baltruschat 2010b: 35). Als erster Schritt kann somit die Identifikation der einzelnen Sequenzen eines Videos angesehen werden (vgl. Bohnsack 2011: 162). Eine Sequenz ist dabei ein Videoausschnitt, der sich insbesondere dadurch kennzeichnet, dass er eine Kontinuität im Hinblick auf die abgebildeten Bildproduzenten oder Objekte aufweist. Je nach Sequenzlänge und –komplexität kann es sinnvoll sein, weiter zwischen Hauptsequenzen (HS), Untersequenzen (US) und eingelagerten Sequenzen (ES) zu unterscheiden. Als Untersequenzen werden jene Ausschnitte bezeichnet, die mittels Montage oder Einstellung als spezifische Modifikationen der Hauptsequenz ausgemacht werden können, wohingegen eingelagerte Sequenzen Ausschnitte anderer Szenerien sind, die kurz in die Hauptsequenzen eingefügt werden (vgl. ebd.: 196). Nach der Einordnung der Sequenzen erfolgt die Auswahl der sogenannten Fokussierungsmetaphern, also der Passagen im Video, welche von besonderer Bedeutung für die Interpretation sind. Die Auswahl erfolgt dabei sowohl im Hinblick auf die thematische Relevanz als auch auf die metaphorische Dichte des Materials (vgl. Bohnsack 1991: 35). In diesem Sinne bietet es sich an, das Material entweder auszuwählen, da es kompositorische Auffälligkeiten aufweist, die Sequenz oder das Video repräsentiert oder aber weil es eine maximale resp. minimale Kontrastierung anbietet. Des Weiteren bietet sich eine Orientierung an Eingangssequenzen sowie bestimmter Fokussierungen (bspw. Diskontinuitäten) an (vgl. Hampl 2010: 58 ff.). Anschließend werden die gewählten Fokussierungsmetaphern anhand verschiedener Aspekte detailliert analysiert, wobei die Auswahl der Interpretationstechniken in erster Linie davon abhängt, auf welcher Ebene
3.2 Methodische Besonderheiten bei der Analyse von YouTube-Videos
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(verbal oder non-verbal) sich die Gestaltungsleistungen der Bildproduzent_innen rekonstruieren lassen (vgl. Baltruschat 2010b: 36). Neben der Analyse von Montagetechniken, Effekten und möglicher auditiver Stilmittel, wie Soundeffekte oder Musik, fällt hierunter insbesondere die Interpretation von Fotogrammen bzw. Stills sowie des gesprochenen Worts im Video. Als Fotogramme bzw. Stills werden dabei Einzelbilder bezeichnet, die dem Video im Hinblick auf verschiedene Auswahlkriterien entnommen wurden und auf gleiche Weise wie bspw. Fotos oder Gemälde mithilfe der Dokumentarischen Bildinterpretation analysiert werden (vgl. Baltruschat 2010b: 41). Bei der Auswahl der Fotogramme bietet es sich grundsätzlich an, Bilder aus Sequenzen zu entnehmen, die über einen längeren Zeitraum gleichbleiben oder die eine komplexe Bildstruktur aufweisen (vgl. Bohnsack 2011: 201). Darüber hinaus ergibt sich hierbei ein ähnlicher Grundsatz wie bei der Bestimmung der Fokussierungsmetaphern. So gilt es sich einerseits an der Forschungsfrage zu orientieren und andererseits Fotogramme auszuwählen, die entweder von kompositorischen Auffälligkeiten geprägt oder besonders charakteristisch für die Sequenz sind (vgl. Michel 2018: 84). Um zum dokumentarischen Sinngehalt von Fotogrammen vorzudringen, wird erneut zwischen implizitem und explizitem Wissen unterschieden. Hierbei schließt die Dokumentarische Methode vor allem an Erkenntnisse von Erwin Panofsky und seinem ikonographisch-ikonologischem Interpretationsmodell an. In diesem verdeutlicht Panofsky zunächst die Differenz zwischen einem allgemeinen Weltwissen, welches auf der vor-ikonografischen Ebene angesiedelt ist und einem kulturspezifischen Wissen, welches sich hingegen auf der ikonographischen Ebene befindet (vgl. Michel 2018: 80). Beide Ebenen sind sprachlich explizierbar, beschreiben was auf dem Bild zu sehen ist und stellen die Grundlage der formulierenden Interpretation dar. Weil auf der ikonografischen Ebene jedoch immer schon typisierende Zuschreibungen und kommunikativ-generalisiertes Wissen inbegriffen sind, kann es bei der formulierenden Interpretation hilfreich sein, sich mit der Beschreibung der vor-ikonografischen Ebene dem Material weiter zu entfremden und ausschließlich zu beschreiben, was auf dem Fotogramm zu sehen ist (vgl. Bohnsack et al. 2007: 85; vgl. Bohnsack 2010: 281). Demnach würde bspw. das Taj Mahal zunächst als großes, prunkvolles Gebäude oder der Präsident der Vereinigten Staaten ausschließlich als Mann bezeichnet werden. Wichtig ist soziale und kulturelle Hintergründe bei Beschreibungen auf der vor-ikonografischen Ebene auszuklammern (vgl. Pryborski 2018: 155). Im Gegensatz hierzu steht die ikonologische Sinnebene, in der sich der Habitus der Bildproduzent_innen dokumentiert und die daher als Basis der reflektierenden Interpretation gilt. Da der charakteristische Stil von Bildern jedoch nicht darüber zum Vorschein kommt, was sie abbilden, sondern vielmehr auf welche Art und
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Methodologische Grundlagen: Die Dokumentarische …
Weise, erfolgt in diesem Schritt eine detaillierte Beschreibung, wie Bilder dargestellt werden. Hiermit wird die Dimension der Ikonik berücksichtigt, mit der Max Imdahl einen Zugang zur Formalstruktur von Bildern eröffnet und diese als selbstreferentielle Systeme aufsteigen lässt. Grundlegend bei der ikonischen Analyse ist die Fokussierung auf „die Simultanstruktur des zweidimensionalen (Film-) Bildes“ (Michel 2018: 81) die maßgeblich durch die Perspektive, szenische Choreografie und planimetrische Ganzheitsstruktur gebildet wird (vgl. ebd.: 81 f.). Zur Visualisierung jener Strukturen kann es bei der Analyse hilfreich sein, planimetrische Linien im Fotogramm einzuzeichnen oder planimetrisch homologe sowie kontrastierende Vergleichsbilder heranzuziehen (vgl. Hampl 2010: 73). Somit kommt insbesondere der planimetrischen Komposition ein hoher Stellenwert zu, da sich in ihr eine eigene formale Ganzheitsstruktur abzeichnet, die aus den einzelnen Größen, Formen und Lokalisierungen der Bildwerte resultiert (vgl. Bohnsack et al. 2007: 82). Wie Baltruschat betont, können jedoch bereits die Perspektivität, Einstellungsgröße bzw. Kadrierung und der Standort der Kamera maßgeblich zur Rekonstruktion des Eigensinns des Bildes beitragen (Baltruschat 2010b: 29). So ist zu beachten, dass die Gestaltung von Videos in weiten Teilen immer auch das Ergebnis der Gestaltungsleistungen der abbildenden Bildproduzent_innen ist (vgl. Bohnsack et al. 2014: 22). Da jedes Bild bzw. Fotogramm nämlich sowohl etwas oder jemanden abbildet als auch von einer Person abgebildet wird, tritt hier folglich die Unterscheidung zwischen abbildenden Bildproduzent_innen (hinter der Kamera) und abgebildeten Bildproduzent_innen (vor der Kamera) in Erscheinung. Beide Rollen können von einer Person (bspw. mittels Stativ, Selfiestick, etc.) aber auch von verschiedenen Personen ausgeführt werden, wobei besonders bei letztgenannter Variante der Aspekt der Fremdrahmung eine besondere Relevanz erhält (vgl. Bohnsack 2010: 285). Auf diese Weise stellt das Fotogramm in seiner Simultanstruktur nicht nur die Grundlage für eine Rekonstruktion des Habitus der abgebildeten Bildproduzent_innen dar, sondern durch die sich hierin abzeichnende Kameraeinstellung auch zum Habitus der abbildenden Bildproduzent_innen (vgl. Bohnsack 2014: 22; 2018: 12). Zur Verdeutlichung der unterschiedlichen Varianten der Kameraeinstellung bzw. Kadrierung dient die folgende Abbildung Baltruschats (Abbildung 3.2).
3.2 Methodische Besonderheiten bei der Analyse von YouTube-Videos
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Abbildung 3.2 Kameraeinstellung (Baltruschat 2010b: 43)
Wie die Abbildung anschaulich darstellt, können bereits an den Relationen von abgebildeten Akteuren und Objekten zu ihren Umgebungen erste Erkenntnisse gesammelt werden, wer bzw. was im Fokus des abbildenden Bildproduzenten liegt oder eine eher nebensächliche Rolle spielt (vgl. Baltruschat 2010b: 42 f.). Zusätzlich kann die Rolle bspw. durch unterschiedliche Kamerastandorte (Normal-, Aufund Untersicht) sowie die Perspektive hervorgehoben werden (vgl. Bohnsack 2010: 283).9 Als weiteres zentrales Element in der ikonischen Interpretation zählt die szenische Choreografie. Unter diesem Begriff wird die Anordnung bzw. Positionierung der Personen und Objekte im Bild verstanden (Bohnsack 2011: 157), wobei in diesem Zuge auch die Gebärden und Blicke der Akteure berücksichtigt werden (vgl. Bohnsack et al. 2007: 81). Diese sich abbildenden körperlichen Praktiken vor der Kamera lassen sich unter Bezugnahme von Panofsky erneut in implizite und explizite Bewegungen unterscheiden. Besonders unter Berücksichtigung der vor-ikonografischen Ebene und der Frage, wie eine Handlung ausgeführt wird, kann hierdurch eine bestimmte Gestik oder eine Mimik als Dokument für den Habitus des Akteurs interpretiert werden (vgl. Bohnsack et al. 2014: 19). Neben der szenischen Choreografie, der Perspektive und der planimetrischen Komposition hebt Przyborski zudem noch das Verhältnis von Schärfe und Unschärfe resp.
9 Des
Weiteren kann die Kameraperspektive bspw. gar die Identifikation mit Akteur_innen stärken, wie an der sogenannten subjektiven Kamera deutlich wird. Denn die Einstellung filmt das Geschehen nicht aus anonymer Perspektive, sondern gezielt aus dem Blickwinkel eines abgebildeten Akteurs (Fiske & Hartley 2003: 27).
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3
Methodologische Grundlagen: Die Dokumentarische …
von Bestimmtheit und Unbestimmtheit als weiteres Element der ikonischen Interpretation hervor. Mithilfe dieser Unterscheidung, können zusätzlich der Objektoder Stimmungscharakter sowie deren Verhältnis in Bildern rekonstruiert werden (vgl. Przyborski 2018: 159 f.).10 Neben der Analyse einzelner Fotogramme, gilt es diese jedoch nicht isoliert von der restlichen Sequenz zu betrachten, sondern auch die Montage als bedeutungsgebendes Element zu berücksichtigen (vgl. Winter 1992: 33). Die Beachtung der Montage und Sequenzialität bei der Analyse von Filmen und Videos ist allerdings nicht nur elementar, um die einzelnen Fotogramme im Gesamtkontext zu betrachten. Sie sind auch wichtig, da eine Fotogrammanalyse je nach Art der Fokussierungsmetapher an ihre Grenzen stoßen kann. Dies ist der Fall, wenn der Eigensinn deutlicher an der Verkettung der Bilder anstatt in einem einzelnen Bild hervortritt (vgl. Bohnsack 2011: 159 ff.). So führt die Dynamik von Filmmedien häufig zu einer stetigen Veränderung der ikonischen Struktur. Folglich gilt es neben der gezielten Auswahl an Fotogrammen in den Sequenzen auch die Kamerabewegung, den Schnitt und Einstellungswechsel bei der Analyse zu berücksichtigen (vgl. Michel 2018: 83). Im Sinne Imdahls treten somit einzelne Einstellungswechsel, aber auch Muster von Einstellungswechseln als Analyseebene hervor, die hinsichtlich der Frequenz bzw. des Rhythmus von Einstellungswechseln untersucht und mithilfe von Vergleichsfällen eingeordnet werden können (vgl. Hampl 2010: 71). Da die zu analysierenden Videos bzw. Filme jedoch meistens nicht nur eine visuelle, sondern auch eine auditive Ebene besitzen, sollte dementsprechend auch der Sprachtext interpretiert werden. Je nach Untersuchungsmaterial und Forschungsfrage können insbesondere auf dieser Ebene zentrale Erkenntnisse zur Rekonstruktion der konjunktiven Erfahrungsräume gesammelt werden. Da sich mit der Dokumentarischen Methode auch Texte und Gespräche interpretieren lassen, können Bild- und Textanalysen „ohne methodologischen Bruch“ (Michel 2018: 85) problemlos miteinander verzahnt werden, wobei beide Ebenen zunächst eigenständig zu analysieren sind. Um den dokumentarischen Sinngehalt des analysierten Videos zur Explikation zu bringen, sollten die einzelnen Ebenen jedoch nicht nur isoliert, sondern stets in Relation zueinander betrachtet werden (vgl. Baltruschat 2010b: 38 f.), weshalb sich die
10 Nach Winter sind bei Filmanalysen aber auch Elemente zu berücksichtigen, die auf den ersten Blick eventuell keine Beachtung finden, wie bspw. die Beleuchtung, die derart bedeutend sein kann, dass in Filmen ausschließlich diese ausreicht, um Charakteren ein bestimmtes Image zu verleihen (vgl. Winter 1992: 28) oder die Auswahl der Hintergrundmusik, die genügen kann, um die konnotative Bedeutung einer Sequenz durchweg zu verändern (vgl. Fiske & Hartley 2003: 29).
3.2 Methodische Besonderheiten bei der Analyse von YouTube-Videos
77
Anfertigung eines Videotranskriptes empfiehlt, die sowohl die verbale als auch die non-verbale Ebene abzeichnet.
3.2.2
Die Rolle des Videotranskriptes
Ebenso wie einzelne Fotogramme oder Sequenzen immer im Gesamtkontext und somit nicht zu isoliert voneinander betrachtet werden sollten, gilt es auch zu beachten, die visuelle und auditive Ebene in der Gesamtinterpretation nicht zu starr voneinander zu trennen, da diese sich stets wechselseitig bedingen können. Um dies zu berücksichtigen und darüber hinaus eine bessere und insbesondere leichtere Nachvollziehbarkeit sowie wissenschaftliche Verständigung der Analysen auch für Dritte zu ermöglichen, kann der Einsatz eines Videotranskriptes von großer Hilfe sein. Dieses kann darüber hinaus helfen, eine zusätzliche Betrachterperspektive gegenüber dem Material einzunehmen. Für die Anfertigung eines Videotranskriptes ist es jedoch unumgänglich, auf eine computerbzw. softwaregestütze Verarbeitung zurückzugreifen, weshalb das Videomaterial in digitaler Form vorhanden sein muss. Als probates Mittel der systematischen Transkription hat sich die von Hampl und Przyborski entwickelte Vorlage MoViQ bewährt, welche auf der Idee der Patiturschreibweise basiert. Hierdurch ermöglicht die Vorlage die Bild- und Text- bzw. Tonebene simultan in ihrer zeitlichen Abfolge zu untersuchen, weshalb auch in dieser Arbeit auf MoViQ zurückgegriffen wurde. Obwohl Videotranskripte eine leichtere Nachvollziehbarkeit für Dritte ermöglichen, wird in der vorliegenden Arbeit von einer Veröffentlichung dieser abgesehen. Da Videotranskripte durch die Abbildung der Fotogramme sehr umfangreich und durch die Vielzahl der analysierten Videos insbesondere in dieser Arbeit sehr seitenfüllend sind, erscheinen sie für die Publikation ungeeignet. Dies wird nicht zuletzt durch die Maskierung von Videoabschnitten durch grobes Verpixeln verstärkt, welches eine Nachvollziehbarkeit durch die ohnehin verkleinerten Fotogramme wiederum einschränken würde. Zudem sind die Videotranskripte ausschließlich als Instrument des Forschungsprozesses und nicht als Teil der Interpretation zu verstehen (vgl. Hampl 2010: 54 ff.). Dementsprechend dienten sie auch in der vorliegenden Arbeit ausschließlich der Interpretationshilfe und sind daher nicht Teil der Veröffentlichung.
78
3.3
3
Methodologische Grundlagen: Die Dokumentarische …
Die Rekonstruktion von Subjektivierungen und Subjektnormen
Dem Anliegen folgend Subjektnormen und Subjektivierungen in Lifestyle-Videos zu rekonstruieren, wurde zunächst aufgezeigt, welche Relevanz den YouTubeVideos insbesondere in Zeiten ‚postmoderner Reflexivität‘ bzw. stetig zunehmender Individualisierung (vgl. Reckwitz 2017a; Schroer 2010; Knoblauch 2010a; Giddens 2001; Hall 1996; Beck 1986) zukommt. Dabei wurde verdeutlicht, dass die Clips ausdrücklich deshalb eine besondere Bedeutung erhalten, weil in diesen erstens ein hohes Angebot an Subjektnormen erwartet wird (vgl. Döring 2014a, 2015; Mahrt 2017; Geimer 2018a), welche von Rollenmodellen (Döring 2014a) resp. ‚digital influencern‘ (Reinbold 2015) repräsentiert werden. Zweitens sich die Videoplattform enormer Beliebtheit erfreut und die hierauf veröffentlichten Clips mittlerweile nicht nur von Jugendlichen täglich rezipiert werden (vgl. mfps 2017). Schließlich kommt den Clips drittens besonders deshalb Bedeutung zu, da die Videos häufig einen starken Bezug zu Alltagspraktiken aufbauen (vgl. Döring 2015) und sich über die Präsentation von bspw. Hacks und Tutorials ebenso auf der Ebene der Beratung bewegen, welche nach Duttweiler (2007) und Traue (2010) als zentrale Technik der Führung zur Selbstführung verstanden werden kann. Unter Berücksichtigung der Governmentality Studies konnte in diesem Kontext verdeutlicht werden, dass Subjektnormen gerade in Zeiten ansteigender Individualisierung und Reflexivität der Subjekte eine elementare Rolle zukommt. Demnach wird zwar jeder Einzelne zur Selbstführung befähigt und in eine zunehmende Selbstverantwortung entlassen, jedoch gleichzeitig in Diskursen mit Subjektnormen konfrontiert, welche die Individuen anrufen, sich an einem bestimmten Subjekt-Sein auszurichten (vgl. Bosancic 2016). Nachdem vornehmlich anhand der Cultural Studies dargelegt wurde, dass Subjektnormen nicht deterministisch sind und Medientexte immer von einer Polysemie gekennzeichnet sind, soll in diesem Kapitel aufgezeigt werden, wie Subjektnormen und deren Bezugnahme seitens Rezipierender empirisch insbesondere mithilfe der dokumentarischen Subjektivierungsforschung rekonstruiert werden können. Hierfür wird zunächst ein Blick auf die Relevanz von Normen für die Subjektwerdung geworfen. Anschließend soll sich zuerst der empirischen Subjektivierungsforschung im Allgemeinen zugewandt werden, um im Anschluss daran die Variante der dokumentarischen Subjektivierungsforschung vorzustellen.
3.3 Die Rekonstruktion von Subjektivierungen und Subjektnormen
3.3.1
79
Die Relevanz von Normen für die Subjektivierung
Als ein zentrales Anliegen der Subjektivierungsforschung bzw. –analyse gilt die Rekonstruktion normativer Ordnungen. Hiermit wird ein Ziel forciert, welches bisher kaum von der qualitativen Forschung berücksichtigt wurde und vielmehr Thema soziologischer Theorien war. Grund hierfür sind im Wesentlichen ‚methodologische Abgrenzungen‘ von Theorien, die auf einem normativen Paradigma aufbauen (vgl. Geimer 2017). Jene Abgrenzung wurde insbesondere durch die von Wilson geprägte Dichotomie des ‚Interpretativen Paradigmas‘ gegenüber des ‚Normativen Paradigmas‘ vorangetrieben. Letztere Betrachtungsweise, die normative Ordnungen einen hohen Stellenwert einräumt, ist maßgeblich von Parsons geprägt (vgl. Keller 2009: 20). Dieser ging in seiner voluntaristischen Handlungstheorie und der später daran anschließenden Systemtheorie davon aus, dass jede soziale Ordnung auf gemeinsamen Werten und Normen basiert und dass diese die individuellen Handlungsziele jedes einzelnen Individuums vorstrukturieren (vgl. Joas 2004: 60): „There is an element of common valueorientation, therefore, in any system of social interaction“ (Parsons 1951: 64).11 Zu dieser Erkenntnis gelangte Parsons bei der Analyse der Theorien von Durkheim, Pareto, Marshall und Weber. Diese nämlich einen sich Parsons zufolge vorwiegend darin, dass sie mit ihren Theorien (ohne dies selbst zu erkennen) Hinweise liefern, die auf eine zentrale Bedeutung von Normen und Werten für die Handlung von Individuen hinweisen. Eine besondere Wichtigkeit kommt normativen Ordnungen für Parsons jedoch nicht nur zu, weil sie die genannten Theorierichtungen verbindet, sondern vor allem, weil der Verweis auf Normen und Werte es gleichzeitig ermöglicht, den freien Willen und die Handlungsfähigkeit von Individuen zu betonen. In diesem Sinne sind normative Ordnungen bzw. ‚normative orders‘ den Menschen zwar nicht immer bewusst und bringen sie zudem dazu, sich an gemeinsamen Verhaltensvorschriften auszurichten, jedoch ist es nach Parsons durchaus möglich, sich Normen zu widersetzen (vgl. Joas 2004: 61 ff.). Parsons Handlungstheorie basiert folglich auf einem Voluntarismus, der Handlungen einzelner Akteure und deren Willensentscheidungen hervorhebt. So werde die Verknüpfung der Normen und Werte mit der ‚realen‘ Berücksichtigung im Handeln jedes Akteurs, nach Parsons, immer dann besonders deutlich sichtbar, wenn Akteur_innen ‚Anstrengungen‘ aufwenden, um sich geltenden 11 Auch seine vermehrt funktionalistische Sichtweise beruht auf der Annahme, dass Normen und Werte sowohl für das Handeln einzelner Akteure als auch für die Stabilität sozialer Ordnungen elementar sind (vgl. Joas 2004: 95).
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3
Methodologische Grundlagen: Die Dokumentarische …
Normen anzupassen. Als Verknüpfungsstelle zwischen Normen und der Motivation zur Anwendung dieser, sieht Parsons die „Identifikation des Individuums mit den Repräsentanten der Werte und Normen“ (Münch 2002: 30). Derartige Identifikationsfiguren können bspw. die Eltern, aber auch Freunde oder Lehrer sein, wobei gegenseitige Unterstützungsleistungen zunächst die Identifikation steigern und schließlich „die Motivation zu wert- und normgerechtem Handeln“ (ebd.) fördert. Indem Parsons den Fokus in seiner voluntaristischen Handlungstheorie vorwiegend auf Handlungen einzelner Akteur_innen setzt, unterscheiden sich seine theoretischen Vorannahmen grundlegend von Denktraditionen des amerikanischen Pragmatismus und dem daraus hervorgehenden ‚Interpretativen Paradigma‘ sowie den Annahmen Simmels, welche jeweils die soziale Beziehung als Grundlage ihres Paradigmas verstehen (vgl. Vesters 2009: 187). Dementsprechend geht Simmel davon aus, dass erst die Sozialität den Menschen zum Handeln befähigt. Denn jeder Einzelne, so die Annahme, komme als hilfloses Baby auf die Welt und erlangt erst durch sein soziales Gefüge langsam Handlungsfähigkeit (vgl. Simmel 1983). Aus dieser Perspektive geht die Sozialität somit der Handlungsfähigkeit voraus, weshalb es problematisch erscheint, den handelnden Akteur derart isoliert zu betrachten, wie es Parsons in seiner Handlungstheorie vollzieht (vgl. Joas 2004: 85). Und auch Mead, der als einer der Hauptvertreter des amerikanischen Pragmatismus gezählt werden kann, sieht die Interaktion als Grundlage der Handlung an. Indem sich Parsons in seinen frühen Arbeiten und in erster Linie in ‚The structure of social action‘ jedoch nahezu ausschließlich auf Max Weber und weitere ‚europäische Klassiker‘ bezog, blieben Theorien, die aus dem amerikanischen Pragmatismus hervorgingen, unberücksichtigt. Dies resultiert nicht zuletzt daraus, dass Parsons sich weniger für tatsächliche Interaktionen als vielmehr für die Frage interessierte, wie sich soziale Systeme stabilisieren, auch wenn diese maßgeblich erst institutionalisierten Interaktionen entspringen. Als ein elementarer Kritikpunkt an Parsons Theorie folgte dementsprechend, dass diese es nahezu unmöglich machte, Ziele und Handlungen nachzuvollziehen, die aus Interaktionsprozessen definiert, interpretiert und modifiziert werden (vgl. Vester 2009: 189). Ein weiterer entscheidender Kritikpunkt war, dass mit der Theorie nicht beantwortet werden kann, wie Normen und Werte überhaupt entstehen, wo sie herkommen und wie sie zu gemeinsamen Verhaltensvorschriften werden (vgl. Joas 2004: 86). So betont Parsons zwar, dass Gesellschaften sich insbesondere durch Veränderungen von Normen und Werten wandeln, jedoch führt er nicht näher aus, wie dies tatsächlich stattfindet. Dementsprechend werden auch nicht-normative Faktoren, die erst die Entstehung oder Veränderung jener Systeme bewirken, von Parsons kaum betrachtet, auch wenn er diese als durchaus relevant ansieht
3.3 Die Rekonstruktion von Subjektivierungen und Subjektnormen
81
(vgl. Giddens 2012: 161). Ferner betont Parsons überwiegend Aspekte des Konsenses, lässt hingegen aber Konflikte weitestgehend unberücksichtigt (vgl. Vester 2009: 196; Keller 2009: 17). Dies führte dazu, dass Parsons Theorien ab den 50er Jahren mehr und mehr aus verschiedenen theoretischen Richtungen kritisiert wurden und sich spätestens ab den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts ein großer Widerstand gegen die Theorieentwürfe und eine ‚Anti-Parsons-Bewegung‘ formierte (vgl. Treibel 2000: 43). Neben Kritik von Neo-Utilitaristen (vgl. Joas 2004: 143) und Marxisten wurden die theoretischen Ausformulierungen Parsons insbesondere von Vertretern des symbolischen Interaktionismus kritisiert (vgl. Keller 2009: 17 ff.). 12 Diese warfen Parsons hauptsächlich vor, dass seine Betonung der Rolle von Normen und Werten für das menschliche Handeln unterkomplex sei. Demnach bestritten sie nicht die Bedeutung von Normen und Werten, sondern vielmehr Parsons Verständnis, dass diese unproblematisch im Handeln der Individuen umgesetzt werden können (vgl. Joas 2004: 183). In diesem Sinne würde übersehen, „dass der Gebrauch von Bedeutungen durch einen einzelnen in seinen Handlungen einen Interpretationsprozess beinhaltet“ (Blumer 1980: 84). Anders ausgedrückt heißt dies, dass die abstrakten Verhaltensvorschriften in jeder Situation interpretiert werden müssten, weshalb sie eine aktive Deutungsleistung der Beteiligten erfordern. Anstatt daher den Versuch zu unternehmen, Erklärungen für das Zusammenhalten von großen Strukturen und Systemen zu finden, wie dies Parsons tat, wollten sich die Anhänger des symbolischen Interaktionismus konkreten Situationen des Alltags und sozialer Beziehungen zuwenden (vgl. Keller 2009: 18 f.). Denn nach Blumer ist es „der soziale Prozess des Zusammenlebens, der die Regeln schafft und aufrechterhält, und es sind nicht umgekehrt die Regeln, die das Zusammenleben schaffen und erhalten“ (Blumer 1980: 98). Ferner wird aus jener Perspektive angenommen, dass die Anwendung von Normen und Werten sowie von Zielen und Absichten allgemein stets situationsabhängig und komplex sei. Darum gilt es die Akteur_innen und deren Handlungen genau zu untersuchen bzw. zu interpretieren (vgl. Joas 2004: 184). Neben der Hervorhebung, dass Normen, Werte und jegliche Situationen von Akteuren_innen immer erst interpretiert werden müssten und sich daher auch die Analyse auf die einzelnen Situationen beschränken sollte, unterscheiden sich die
12 Der Begriff des ‚Symbolischen Interaktionismus‘ wurde 1938 von Blumer geprägt und bezeichnet einen Forschungsansatz, der im Wesentlichen auf drei Grundannahmen menschlichen Handelns basiert und grundlegend auf Theorien bzw. Forschungsarbeiten von u.a. Mead, Dewey, Thomas und Park aufbaut (vgl. Blumer 1980: 80 f.).
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3
Methodologische Grundlagen: Die Dokumentarische …
beiden Blickrichtungen im Wesentlichen aufgrund der bereits erwähnten gegensätzlichen Ausgangsperspektiven.13 Grundlegendes Fundament des von Mead geprägten symbolischen Interaktionismus ist nämlich, dass nicht der einzelne Akteur Ausgangspunkt für Untersuchungen sein sollte, sondern der Handelnde inmitten anderer Handelnder.14 Mit dieser Betrachtungsweise differenzierte man sich nicht nur maßgeblich von Parsons, sondern auch von allen anderen Theorien der Soziologie, Sozialpsychologie und Psychologie, bei denen das einzelne Subjekt den Ausgangspunkt für Untersuchungen bildet (vgl. Joas 2004: 190). Denn im Sinne Meads ist das Individuum kein Anhängsel der Gesellschaft, sondern es formt vielmehr die Gesellschaft genauso, wie diese das Individuum formt (vgl. Mead 1973: 28). Da das Individuum, im Sinne Meads, seine eigene Rolle in Reaktionen und Bezügen Anderer erkennt und gesellschaftliches Handeln eine Voraussetzung für Bewusstsein ist und nicht etwa umgekehrt (vgl. ebd.: 56), wird sichtbar, dass Mead das Bewusstsein nicht als gegeben, sondern als Resultat von Handlungen ansieht. Dementsprechend schreibt Mead: „Insofern man die Rolle eines anderen übernehmen kann, kann man gegebenenfalls aus dieser Perspektive auf sich selbst zurückblicken (oder auf sich selbst reagieren) und so für sich selbst Objekt werden.“ (Mead: 1973: 26 f.). Anhand von Reaktionen des Gegenübers und mithilfe von Rollenspielen lernt man sich demnach in andere Personen hineinzudenken (vgl. Joas 2004: 192). Entscheidend bei Mead ist, dass er sich besonders auf interpersonales Handeln fokussierte und davon ausging, dass man selbst immer Reizquelle für andere Personen ist. Das bedeutet also, dass man selbst merkt wie man auf andere wirkt, da das Gegenüber in bestimmter Weise auch auf mein Handeln reagiert. Kurz gesagt, bedeutet dies, dass mein Ich durch Reaktionen anderer Personen erfahrbar wird und jeder Einzelne sich somit indirekt über die Sicht Anderer erfährt (vgl. Mead 1973: 180). Gleichzeitig, so betont Mead, sind das kindliche Spiel und der Wettkampf zwei Elemente, die bei der Ausformung der Identität zentral sind: „Im Spiel übernimmt das Kind nacheinander die Rollen von Personen und Tieren, die in seinem Leben von Bedeutung sind“ (ebd.: 27). Innerhalb eines Wettspiels identifiziert man sich hingegen mit allen anderen Individuen, die an der Handlung beteiligt sind, versetzt sich in deren Rollen hinein, um die eigene Rolle wahrnehmen zu können (vgl. ebd.). Aus dieser Sichtweise resultiert zugleich, dass das Selbst bzw. die Identität keine feste Einheit darstellt, 13 Im Gegensatz zu Parsons ging es den Pragmatisten um die Erforschung des Zusammenhangs zwischen Handeln und Bewusstsein, statt Handeln und Ordnung (vgl. Joas 2004: 186). 14 Der Ausgangspunkt der Pragmatisten war somit auch, dass Denken erst in problematischen Handlungssituationen entsteht und somit Denken und Handeln unmittelbar aufeinander bezogen sind (vgl. Joas 2004: 188).
3.3 Die Rekonstruktion von Subjektivierungen und Subjektnormen
83
sondern sich durch Interaktionen stetig redefiniert und eher als ein Prozess zu verstehen ist. (vgl. Joas 2004: 192). Zugleich erklärt Mead, dass es ein ganzes Bündel von Gewohnheiten gibt, „die nicht in die bewusste Identität eindringen, die aber zur Bildung der sogenannten unbewussten Identität beitragen“ (Mead 1973: 205). Hiermit zeigte er, dass sowohl das, was in der Psychologie gemeinhin als Geist als auch Identität verstanden wurde, zwei gesellschaftliche Phänomene sind (vgl. ebd.: 17)15 und führt aus: „Die Psychologie neigte dazu, die Identität als ein mehr oder weniger isoliertes und selbstständiges Element zu behandeln, als eine Substanz, die durchaus allein bestehen könnte“ (ebd.: 207). Als ein entscheidendes Werkzeug bei der Entstehung einer Identität sieht Mead folglich die Sprache an, denn erst diese wandelt das bloße biologische Individuum in eine Identität (vgl. ebd.: 23).16 Elementar für die Untersuchung von Intersubjektivität ist demnach die Erarbeitung einer Theorie der Kommunikation, weshalb sich Mead in der Folge vor allem auf Symbole konzentrierte. Diese sind in diesem Verständnis sowohl Objekte als auch Gebärden und Sprachlaute die dazu benutzt werden, etwas zu repräsentieren (vgl. Joas 2004: 190). Obwohl der symbolische Interaktionismus und die Theorien von bspw. Goffman, Garfinkel, Blumer und Strauss durch ihre Fokussierung auf einzelne Handlungen und Interaktionen den Anfang für eine sich immer weiter ausbildende qualitative Sozialforschung (Grounded Theory, Ethnomethodologie, etc.) markierten (vgl. Keller 2009: 17 f.), entwickelte sich hieraus eine Fokussierung auf die „(Re)Konstruktion der Aushandlung von Bedeutung“ (Geimer 2017: 2) und eine tendenzielle Abkehr von Analysen normativer Ordnungen (vgl. ebd.). Exemplarisch zeigt sich dies in einem Zitat Goffmans, welches die Abgrenzung zum ‚normativen Paradigma‘ pointiert: „Eine normativ stabilisierte Struktur steht dazu [der ‚Soziologie der Gelegenheiten‘, Anm. d. Verf.] im Widerspruch, denn ein ‚soziales Treffen‘ ist eine bewegliche Entität, notwendigerweise vergänglich, es entsteht durch Ankommen und hört mit dem Weggehen auf.“ (Goffman 1986: 8, H.i.O.) Wie unter anderem an Hitzler (2016) deutlich wird, ist die gegenwärtige qualitative Sozialforschung auch heute noch von jener Dichotomie zwischen ‚normorientierter qualitativer Forschung‘ auf der einen Seite und einer ‚verstehensinteressierten interpretativen Forschung‘ auf der anderen Seite geprägt und 15 Nicht nur hierdurch können Meads Werke als ein entscheidender Beitrag zur Entstehung der Sozialpsychologie als Wissenschaft eingeordnet werden (vgl. Mead 1973: 18). 16 In diesem Kontext hebt Mead hervor, dass Gesten als Symbole zu verstehen sind, die Handlungen anzeigen (vgl. Mead 1973: 23): „Nur durch Gesten qua signifikante Symbole wird Geist oder Intelligenz möglich, denn nur durch Gesten, die signifikante Symbole sind, kann Denken stattfinden, das einfach ein nach innen verlegtes oder implizites Gespräch des Einzelnen mit sich selbst mit Hilfe solcher Gesten ist“ (ebd.: 86).
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Methodologische Grundlagen: Die Dokumentarische …
wird weiter betont. Dass eben jene beiden Kategorien jedoch nicht strikt voneinander abgegrenzt werden müssen bzw. sollten, sondern auch eine qualitative Forschung notwendig ist, die sowohl eine normorientierte als auch interpretative Perspektive miteinander verbindet, konnten zum einen die bereits dargestellten neueren Entwicklungen der Dokumentarischen Methode, mit ihrer Weiterentwicklung des Orientierungsrahmens im weiteren Sinne resp. der Berücksichtigung normativer Ordnungen, verdeutlichen (siehe Abschnitt 3.1). Zum anderen wird dies aber auch jüngst in der Subjektivierungsforschung deutlich (vgl. Geimer & Amling 2019: 20 f.). Mit ihrer Konzentration auf die Rekonstruktion von bevorzugenden Normen eines Subjekt-Seins holt diese die Analyse normativer Ordnungen in die qualitative Sozialforschung zurück und stellt somit ein Korrektiv jener dargestellten Entwicklung dar (vgl. Geimer 2017). Wie im Folgenden gezeigt wird, erfährt jene Überwindung der kategorischen Trennung zwischen normorientierter und interpretativer Forschung, insbesondere im Zuge gegenwärtiger soziologischer Theorien aus den Bereichen der individualisierungs- und modernisierungstheoretisch inspirierten Soziologie und der poststrukturalistischen Soziologie in Anschluss an Foucault, große Bedeutung (vgl. Knoblauch 2010; Rosa 2010).
3.3.2
Die empirische Subjektivierungsforschung
Wie Rose herausstellt, erlaubt die Auseinandersetzung mit Subjektivierung „gewissermaßen ‚alte‘ disziplinäre Fragen neu und in deutlich veränderter Perspektivierung (wieder) aufzunehmen“ (Rose 2019: 66). Angefangen mit der Phase einer genauen Analyse von Foucaults Werk und dem Versuch der exakten Begriffsbestimmung in den 1980er bis 90er Jahren teilt die Autorin die Subjektivierungsforschung grob in zwei weitere Phasen ein. Demnach folgte nach dem Versuch des exakten Verständnisses der Werke Foucaults eine „Arbeit an entsprechend Foucault-inspirierten Konzepten und Ansätzen in den 2000er Jahren“ (ebd., Hervorheb. i. O), in denen das von Foucault stark fokussierte Subjektivierungstheorem vornehmlich theoretisch und diskursanalytisch in verschiedenen Disziplinen weiterentwickelt wurde (vgl. ebd.: 66 f.). Als besonders prominente Beispiele jener Zeit können hier etwa die Analysen zum ‚unternehmerischen Selbst‘ von Bröckling (2007), der ‚Aktivgesellschaft‘ von Lessenich (2008) aber auch Ausführungen zur ‚wissenssoziologischen Diskursanalyse‘ Kellers (2008) genannt werden. In der dritten und bisher letzten Phase wird sich schließlich nicht mehr nur auf diskursive Subjektentwürfe fokussiert, sondern maßgeblich auch der
3.3 Die Rekonstruktion von Subjektivierungen und Subjektnormen
85
Untersuchung von Subjektivierungspraktiken nachgegangen. Anhand verschiedener Forschungsmethoden wird sich der Subjektivierung nun umfangreich empirisch gewidmet (vgl. Rose 2019: 66 f.). Im Gegensatz zur theoretischdiskursanalytischen Betrachtung nimmt die empirisch ausgerichtete Subjektivierungsforschung dementsprechend auch explizit die Seite der Adressat_innen von normativen Appellstrukturen in den Blick und stellt die Frage, wie diese auf die unterschiedlichen Appellstrukturen Bezug nehmen (vgl. Geimer et. al 2019: 3). Im Fokus der Betrachtung der gegenwärtigen empirischen Subjektivierungsforschung liegt somit das konkrete Werden und Gewordensein von Subjekten (vgl. Rose 2019: 68). Indem in erster Linie untersucht werden soll, inwiefern Subjektnormen bzw. Anforderungen eines bestimmten ‚Subjekt-Seins‘ tatsächlich Relevanz in der Alltagspraxis von Akteur_innen finden, verfolgt die sich herausbildende empirische Subjektivierungsforschung dabei zwar ein gemeinsames Hauptanliegen, jedoch kann und sollte sie dennoch nicht als „ein einheitliches Feld mit gemeinsamer Methodologie und entsprechenden Methoden“ (Geimer et al. 2019: 5) aufgefasst werden. Ferner dient auch die Einteilung der unterschiedlichen Phasen der Subjektivierungsforschung ausschließlich einer groben Orientierung in der Entwicklung und verdeutlicht, wie sich die Perspektiven und Fragestellungen im Hinblick auf Subjektivierung veränderten. So formulierte zwar schon Foucault als ein grundlegendes Ziel seiner Forschung „eine Geschichte der Verfahren zu entwerfen, durch die in unserer Kultur Menschen zu Subjekten gemacht werden“ (Foucault 1994: 243 zit. n. Rose 2019: 69), jedoch teilte dieser mit de Saussure die Überzeugung, dass hierbei nicht das Subjekt und dessen Äußerung im Fokus der Forschung stehen sollte, sondern vielmehr das vermittelnde System und somit der Diskurs (vgl. Hepp 2010: 39). Als einer der bekanntesten Kritiker problematisiert de Certeau jenen ‚Diskurs-Determinismus‘ Foucaults und plädiert dafür, sich auch auf die Rolle der Akteur_innen zu fokussieren und ihre Möglichkeiten, sich über sogenannte ‚Taktiken‘ der Macht von Diskursen resp. Dispositiven zu entziehen (vgl. Geimer 2018c: 5). Besondere Bedeutung erhält hierdurch der Begriff des Alltagslebens wie er von de Certeau geprägt wurde. So hebt der Autor hervor, dass eine Gesellschaft nicht nur aus disziplinierenden Mechanismen besteht, wie dies Foucault (mehrheitlich in seinen frühen Werken) suggeriert, sondern ebenso aus winzigen Alltagspraktiken, mit der die Mechanismen der Disziplinierung manipuliert oder umgangen werden können (vgl. de Certeau 1984: 13). Diese taktischen Handlungen verhelfen den Konsument_innen, Produkte und Texte zu einem Teil ihres kulturellen Eigentums zu machen (vgl. Hepp 2010: 68 f.). So schreibt de Certeau: „in that the goal is not to make clearer how the violence of order is transmuted into a disciplinary
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Methodologische Grundlagen: Die Dokumentarische …
technology, but rather to bring to light the clandestine forms taken by the dispersed, tactical, and make-shift creativity of groups or individuals already caught in the nets of discipline.“ (de Certeau 1984: 13) Zwar konstatiert Foucault in seinen späteren Werken, dass die Adressierten nicht determiniert sind (vgl. Bosancic 2019: 44) und sich Menschen normierenden Zugriffsversuchen grundsätzlich entziehen können und betont sogar, dass der Kampf gegen Formen der Subjektivierung wichtiger wird (vgl. Foucault 1987: 7), jedoch führt er dies nicht weiter aus und erklärt nicht, unter welchen Umständen der Kampf tatsächlich realisiert wird (vgl. Bosancic 2016: 38).17 So unterstreicht auch Bröckling, dass Foucault ein Modell der Führung präsentiert, „in dem die Menschen geführt werden, als seien sie Tiere“ (Bröckling 2017: 26). Diskursive Subjektfiguren bzw. –normen, wie sie im Kontext der Governmentality Studies beschrieben werden, bauen hingegen im Wesentlichen auf der frühen Diskurstheorie Foucaults auf, in der den Subjekten einerseits eine eher geringe Handlungsfreiheit zugesprochen wird, die andererseits kaum empirisch untersucht wird. Dementsprechend erhalten Subjekte aus dieser Perspektive erstens kaum eine Möglichkeit, sich den herrschenden, diskursiven Ordnungen zu entziehen oder gar zu widersetzen und zweitens werden die verschiedenen Relationen zwischen diskursiven Ordnungen und der tatsächlichen Alltagspraktik bzw. dem Verhalten der Subjekte nicht in den Blick genommen (vgl. Villa 2013: 64; Geimer et al. 2019). Insbesondere die Governmentality Studies können daher als Motor „der Analyse von theoretisch, genealogisch, diskurs- und inhaltsanalytisch identifizierten Subjektmodellen“ (Geimer et al. 2019: 2) bezeichnet werden. Zwar erhalten die Subjektmodelle im breiten Feld der Governmentality Studies vorwiegend unterschiedliche Bezeichnungen und werden bspw. mal als ‚Subjektivierungsformen‘, mal als ‚Subjektivierungsfiguren‘ definiert, jedoch werden sie auch über deren Forschungsfeld hinaus theoretisch-programmatisch weitestgehend ähnlich gefasst, wie Geimer et al. (2019) hervorheben. Da derartige Subjektmodelle allerdings ausschließlich mithilfe von Diskursanalysen eruiert und theoretisch plausibilisiert werden, sind Aussagen zum tatsächlichen Subjektivierungsprozess anhand dieser Methode nicht möglich. Weil sie ausnahmslos die Makroperspektive beleuchten, geben sie demnach auch keinen Hinweis darauf, inwiefern Individuen die Subjektnormen tatsächlich übernehmen. Zwar können Subjektmodelle, wie Bröckling und viele weitere Autoren gezeigt haben, mithilfe von Diskursanalysen nachgezeichnet werden (Alkemeyer et al. 2013: 14), jedoch 17 Obwohl Foucault somit in seinem Spätwerk nochmals die Relevanz der „aktiven Beteiligung des Subjekts an seiner eigenen Subjektivierung“ (Spies 2018: 91) hervorhebt, bleibt es vielmehr Autor_innen wie Laclau, Hall und Butler vorbehalten, sich weitergehend den Fragen der Subjektivierung zu widmen (vgl. ebd.).
3.3 Die Rekonstruktion von Subjektivierungen und Subjektnormen
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bleibt unbeantwortet, inwiefern diese von einzelnen Individuen in das Alltagshandeln integriert werden (vgl. Geimer 2012: 233 f.). Durch den theoretischen und diskursanalytischen Zugang, mit dem die Subjektmodelle ermittelt werden, und der Tatsache, dass bspw. Bröcklings Ausformulierungen des ‚unternehmerischen Selbst‘ dabei eher als Genealogie der Subjektivierung verstanden werden kann, in der der Fokus auf den vielfältigen (Selbst-) Steuerungsmechanismen liegt, bleibt dementsprechend die äußerst relevante Frage hinsichtlich der tatsächlichen Reichweite der Subjektmodelle ebenso unberücksichtigt und unbeantwortet wie die Ermittlung, inwiefern diese miteinander konkurrieren (vgl. Geimer 2013: 101). Demnach zeigen die unterschiedlichen Subjektmodelle, die über das Forschungsfeld der Governmentality Studies hinausgehen, gleichzeitig auf, dass verschiedene konkurrierende Angebote zur Subjektivierung bestehen können, die diskursiv vermittelt werden. Trotz der großen Anzahl an unterschiedlichen Subjektmodellen muss dementsprechend konstatiert werden, dass „die Frage nach der Aushandlung und Aneignung jener normativen Bezugspunkte durch die Akteur_innen bislang – auch in der qualitativen Sozialforschung – weitgehend unsystematisch“ (Geimer et al. 2019: 2 f.) behandelt wurde. Dies ist insbesondere deshalb kritisch zu sehen, da (vor allem im Bereich der Governmentality Studies) zwar theoretisch anerkannt wird, dass diese nicht erklären können, welche Relevanz die Subjektmodelle im Bezug auf die Aushandlung und Aneignung seitens der Akteur_innen besitzen, jedoch „kaum Anschlüsse an sozialwissenschaftliche Methodologien und Methoden gesucht bzw. geradezu gemieden werden“ (ebd.: 4). So schreibt bspw. Bröckling: „Die Genealogie des unternehmerischen Selbst muss die Frage offen lassen, wie viele Menschen tatsächlich in den Sog bestimmter Programme des Regierens und Sich-selbst-Regierens geraten und in welchem Maße diese ihr Verhalten bestimmen. Sie untersucht nicht, ob Programme wirken, sondern welche Wirklichkeit sie schaffen“ (Bröckling 2012: 137). Besondere Beliebtheit erfreuen sich derartige „Theorien zur soziokulturellen Konstitution von Subjekten entlang normativer Ordnungen“ (Geimer et al. 2019: 1) dabei vor allem deshalb, weil mit diesen aktuelle Formen des Regierens unter Berücksichtigung zeitgenössischer Neoliberalisierung beschrieben werden können (vgl. ebd.).
3.3.2.1 Die Bildung methodischer Ansätze der Subjektivierungsforschung Durch die Außerachtlassung der Frage nach dem tatsächlichem ‚Wirken‘ (seitens der Governmentality Studies) kommt es zu einer Marginalisierung der Unterscheidung zwischen Subjektnormen und deren tatsächlichen Anwendung im Subjektivierungsprozess (vgl. Geimer 2014: 114), weshalb Traue und Pfahl
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bereits 2012 eine Subjektivierungsanalyse fordern, welche die Erfahrung des Diskurses in der Alltagspraxis untersucht und hiermit ggf. Selbsttechniken rekonstruiert, die sich Subjektnormen widersetzen (vgl. Pfahl & Traue 2012). In diesem Kontext wiesen aber auch Füssel und Neu (2010) sowie Schneider und Bührmann (2007) schon früh auf die Notwendigkeit hin, die Perspektive der Adressat_innen zu berücksichtigen (vgl. Geimer et al. 2019: 4 f.). Mit der Unterscheidung zwischen Subjektformierungen und Subjektivierungsweisen verdeutlichten Letztere dementsprechend die Dringlichkeit, zwischen der bloßen Identifikation von Subjektnormen und der tatsächlichen Anwendung des Wissens in der Alltagspraxis von Akteur_innen zu differenzieren. Als Subjektformierungen bzw. –positionierungen bezeichnen die Autor_innen demnach ein bloßes Erkennen von Subjektnormen, wohingegen sie unter dem Begriff der Subjektivierungsweisen die Anwendung der normativen Ordnungen auf sich selbst begreifen (vgl. Bührmann & Schneider 2012).18 Nach Reckwitz wird demnach sowohl die Seite der kulturell-diskursiven Subjektordnungen als auch die der „performative[n] Verarbeitung in den Praktiken“ (Reckwitz 2017b: 128) beobachtet. Weitere Arbeiten, die bereits früh das Anliegen verfolgten, sowohl ‚diskursive Wahrheitsordnungen‘ als auch ‚menschliche Seinsweisen‘ hauptsächlich empirisch zu erforschen, finden sich zudem bei Poferl (2004) und Freitag (2005). So untersuchte Poferl bereits 2004 wie Umweltdiskurse Lebensführungspraktiken beeinflussen, wohingegen Freitag der Frage nach den Zusammenhängen zwischen speziellen medizinischen Diskursen und Biografien contergan-geschädigter Menschen nachgeht (vgl. Bosancic 2017). Des Weiteren sind in diesem Zusammenhang auch die Arbeiten von Tuider (2007) und Spies (2009) zu nennen, welche beide eine Verbindung aus Diskursanalyse und Biografieforschung anstreben. So konnten beide Autorinnen in ihren Arbeiten unter anderem aufzeigen, wie sich mithilfe von Biographieanalysen Positionierungen rekonstruieren lassen, die auf Subjektpositionen bestimmter Diskurse verweisen (vgl. Spies 2019: 100). Hieran wird deutlich, so Spies, dass Biografien auch sehr stark mit Diskursen verknüpft sind, „da die Positionierungen, die innerhalb einer biografischen Erzählung eingenommen werden können und müssen, stets auf den gesellschaftlichen und machthistorischen Kontext verweisen“ (Spies 2019: 100). Gleichzeitig seien Biografieanalysen, die dies berücksichtigen, immer auch in gewisser Weise als Diskursanalysen zu begreifen, da die Positionierungen
18 Mit dieser Unterscheidung verdeutlichen die Autor_innen somit die Differenz zwischen Diskurs und Praxis bzw. gleichzeitig die Unterscheidung zwischen der Identifikation von Subjektnormen und der Identifikation mit diesen (vgl. Geimer 2014: 114 & 2012: 235).
3.3 Die Rekonstruktion von Subjektivierungen und Subjektnormen
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in den Biografien Hinweise geben, welche Diskurse aktuell oder in der Vergangenheit von Relevanz sind bzw. waren und welche Wirkmächtigkeit diese besitzen (vgl. Spies 2019: 102). Folglich wird davon ausgegangen, „dass biografische Erzählungen einerseits von Diskursen durchdrungen sind und die biografischen Erzählungen andererseits Hinweise auf die Materialisierung von Diskursen sowie auf das über die Diskurse Hinausgehende geben“ (Tuider 2007: 1). Neben der dokumentarischen Subjektivierungsforschung, welche die methodologisch-methodische Basis des vorliegenden Forschungsanliegens bildet und im nachfolgenden Abschnitt näher beschrieben wird, gründete sich in diesem Kontext auch die Interpretative Subjektivierungsforschung (ISA) im Wesentlichen aus der bisher nur unzureichend und unsystematisch beantworteten Frage, wie normative Ordnungen von Akteur_innen tatsächlich ausgehandelt werden.19 Als zentrales Anliegen geht die ISA dementsprechend der Frage nach, wie bestimmte diskursiv erzeugte Subjektordnungen bzw. normative Subjektvorgaben mit den tatsächlichen Selbstverhältnissen von Menschen, also deren Seins- und Subjektivierungsweisen zusammenhängen (vgl. Bosancic 2016: 37). Ziel des Forschungsstils ist es demnach (in ähnlicher Weise wie die dokumentarische Subjektivierungsforschung), mithilfe von qualitativen Untersuchungsdesigns empirisch zu erarbeiten, inwiefern Subjekte Anrufungen tatsächlich kreativ-eigensinnig aushandeln können. Hierbei schließt die Interpretative Subjektivierungsanalyse überwiegend an die Wissenssoziologische Diskursanalyse Kellers, die Hermeneutische Wissenssoziologie sowie an die Dispositiv- und Situationsanalyse an.20 Grundsätzlich orientiert sich die ISA dabei an einem minimalanthropologischen Subjekt- und Akteursverständnis des Interpretativen Paradigmas und legt ihren Fokus auf die Empirie. So wird erst in der empirischen Analyse gefragt, wie bestimmte „Machtverhältnisse in konkreten Subjektivierungskontexten beschaffen sind“ (Bosancic 2019: 46). Im Sinne des amerikanischen Pragmatismus folgt die ISA somit dem Interpretativen Ansatz der Soziologie und nimmt dessen Selbstkonzept als Grundlage der Subjektivierungsanalyse (vgl. Bosancic 2016: 38 f.). Einerseits fragt die ISA 19 Vor allem aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive sei in diesem Zusammenhang noch auf die Arbeiten von Rose und Ricken hingewiesen, die sich in ihrer Subjektivierungsforschung der Adressierungsanalyse zuwenden und mit dieser einen Zugang zur erziehungswissenschaftlichen Erforschung von Subjektivierungsprozessen ermöglichen (vgl. Rose 2018). 20 Da sich Diskurse in unterschiedlichen Phänomengestalten zeigen, sollte sich bei der empirischen Untersuchung gesellschaftlicher Wissensordnungen jedoch nicht nur auf eine reine Text- bzw. Inhaltsanalyse beschränkt werden (vgl. Bosancic & Keller 2016: 2).
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nach der Genese, Zirkulation und dem Wandel von Subjektnormen, andererseits aber auch nach deren Machteffekten und Aneignungsweisen. Da der Forschungsstil folglich sowohl die Ebene von Diskursen und Dispositiven als auch diejenige von konkreten Menschen beleuchtet, wird (in Anlehnung an die Wissenssoziologische Diskursanalyse) zwischen verschiedenen Akteurskategorien unterschieden. Hierbei wird zunächst ermittelt, inwiefern die Akteur_innen in sogenannte Sprechpositionen und somit Orte gelangen, in denen sie in relevanter Weise in diskursiven Kämpfen und der Wirklichkeitsbestimmung beteiligt sind. Im Gegensatz hierzu werden unter der Kategorie der Subjektpositionen „diskursiv konstituierte Subjektvorstellungen, Modellsubjekte und Identitätsschablonen“ (Bosancic 2019: 49), also normative Selbstvorgaben, verstanden.21 Da angenommen wird, dass diese häufig sehr komplex sind und zudem in Konkurrenz zueinander stehen, sei dementsprechend auch eine einfache Übernahme der Subjektpositionen nur schwer möglich (vgl. Bosancic 2017).22 Unter Selbst-Positionierung wird in diesem Sinne schließlich die Auseinandersetzung mit Subjektpositionen gefasst und analysiert, inwiefern die untersuchten Akteur_innen Subjektpositionen begegnen. Derartige Positionierungen können dabei hochreflexiv aber auch ohne jegliche Reflexion stattfinden, sie können kreativ aus- und umgedeutet, ignoriert, angeeignet, zurückgewiesen oder auch fehlinterpretiert (vgl. Bosancic 2016: 38 ff.), jedoch niemals vollständig angeeignet werden. So folgt die ISA der Annahme Butlers, dass in jeder Wiederholung von Subjektnormen eine gleichzeitige Verschiebung der Norm erfolgt (was unter dem Begriff der Resignifikation gefasst wird) und verweist auf Berger und Luckmann, die von einer Unmöglichkeit der deckungsgleichen Adaption ausgehen (vgl. Bosancic 2019: 48). Um dementsprechend alle Akteurskategorien und somit alle Ebenen der Subjektivierungsanalyse adäquat untersuchen zu können, ist eine methodische Kombination von Diskursanalyse und ethnografischen sowie interviewbasierten Verfahren nahezu unumgänglich (vgl. Bosancic 2017). Gleichzeitig gilt festzuhalten, dass jene Einordnung idealtypisch ist und der heuristischen Unterscheidung 21 Im Sinne von Foucaults Normalisierungsgesellschaft bezwecken derartige Subjektpositionen, „Menschen an normativen Erwartungen auszurichten und dies wird häufig dadurch erreicht, dass Negativmodelle in den kollektiven symbolischen Ordnungen zirkulieren, die mehr oder weniger abschreckend wirken, stigmatisiert oder exkludiert werden. So geht das unternehmerische Selbst bspw. einher mit der Subjektposition des Arbeitslosen“ (Bosancic 2019: 49). 22 In diesem Kontext sieht auch Renn normative Subjektvorgaben in Diskursen eher als Instruktionen an, „die in den zeit-räumlich je einmaligen Situationen notwendigerweise spezifiziert werden müssen“ (Bosancic 2019: 48).
3.3 Die Rekonstruktion von Subjektivierungen und Subjektnormen
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der Akteurskategorien dient, wobei diese sich stets verändern können, weshalb die ISA auch auf die Untersuchung der Gestaltung und Genese von Machtverhältnissen abzielt (vgl. Bosancic 2019: 51). Zwar wird bei der ISA explizit betont, dass sich menschliche Selbstverhältnisse auch jenseits von Diskursen konstituieren, jedoch liegt der Fokus klar auf der Untersuchung von diskursiven Ordnungen und es wird unter anderem mit Bezug auf sozialtheoretische Gegenwartsanalysen von Baudrillard, Debord und Castell hervorgehoben, dass der Einfluss von Diskursen nicht zu unterschätzen sei (vgl. Bosancic 2019: 60 f.). Die zunehmende Mediatisierung und die Omnipräsenz von Expertensystemen, die sich bspw. in Fernsehformaten, Ratgeberliteratur aber auch in YouTube-Tutorials wiederfinden, verdeutlichen, so Bosancic, dass nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens diskursiviert werden (vgl. Bosancic 2019: 60 f.). Nimmt die Diskursanalyse somit eine tragende (auch methodologisch begründete) Rolle in der Interpretativen Subjektivierungsanalyse ein, geht es in der dokumentarischen Subjektivierungsforschung darum, auch normative Adressierungen unabhängig von diskursanalytischen Untersuchungen rekonstruieren zu können (vgl. Geimer & Amling 2019: 25 f.). Ferner werden bei der dokumentarischen Subjektivierungsforschung „im Unterschied zur Betonung der mehr oder weniger kreativen Aushandlung normativer Ordnungen im interpretativen Paradigma“ (Geimer & Amling: 2019: 21) insbesondere die Alltagspraxis anleitenden Wissensstrukturen untersucht. Basierend auf der rekonstruktiven Sozialforschung im Sinne der Dokumentarischen Methode besteht, wie im Folgenden näher dargelegt werden soll, ein großer Vorteil der dokumentarischen Subjektivierungsforschung gegenüber anderen Varianten der Subjektivierungsforschung in der Möglichkeit, auch implizite Aneignungen oder Entsprechungen zu rekonstruieren. Hiermit werden dementsprechend Passungsverhältnisse berücksichtigt, die sich jenseits reflektierter Anpassungen bewegen und auf der Ebene des Habitus resp. des atheoretischen Wissens anzufinden sind. Hinweise, dass gerade jener unbewussten Ebene eine nicht zu vernachlässigende Rolle zukommt, finden sich nicht zuletzt bei Foucault, der mit seinen Ausführungen zur Gouvernementalität, der Führung zur Selbstführung und der Hervorhebung der Unterwerfung des Subjekts, nicht nur dessen Autonomität und Handlungsmächtigkeit in Zweifel zieht, sondern auch ein Verständnis von Subjekten nahelegt, welches geprägt ist von einer nur bedingten Reflexivität der sie konstituierenden Macht- und Wissensverhältnisse. Damit die Subjektivierungsforschung folglich nicht auf eine schlichte Positionierungsanalyse reduziert wird, in der durch Selbstbeschreibungen und beobachtungen (vgl. Traue 2012; Pfahl 2011) sowie „Selbst-Positionierungen“ (Bosancic 2016: 42) ausschließlich explizite Positionierungen der Subjekte und
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von diesen reflexiv wahrgenommene Normen Beachtung finden, kann die Berücksichtigung der impliziten Ebene gar als Notwendigkeit verstanden werden (vgl. Geimer 2017: 8).
3.3.2.2 Die dokumentarische Subjektivierungsforschung Die für das vorliegende Forschungsvorhaben als besonders bedeutend einzustufende dokumentarische Subjektivierungsforschung ist eine Ausprägung der empirischen Subjektivierungsforschung, die im Wesentlichen auf der Dokumentarischen Methode beruht und diese erweitert (vgl. Amling & Geimer 2016). Das Ziel der dokumentarischen Subjektivierungsforschung besteht insbesondere darin, die Relation von Subjektnormen und der alltagspraktischen Berücksichtigung an diesen empirisch zu analysieren. In den Fokus des Interesses geraten dabei sowohl reflexive Formen der Bezugnahme von normativen Erwartungen als auch implizite. Grundlegend für dieses (als Weiterentwicklung der Dokumentarischen Methode anzusehende) Forschungsvorgehen ist in der Folge die Annahme, dass Subjektnormen existieren, die rekonstruiert werden können. Hiermit bewegt sich die dokumentarische Subjektivierungsforschung zwischen verschiedenen Forschungsansätzen und nimmt eine Art vermittelnde Rolle ein. So stellt sie einerseits der empirischen Subjektivierungsforschung eine Methode bereit, mit der die Relevanz von Subjektnormen in der Alltagspraxis von Akteuren_innen erforscht werden kann, andererseits ermöglicht sie der Dokumentarischen Methode aber auch Anschlüsse zu Perspektiven der Cultural und Governmentality Studies, resp. dem vorwiegend von Foucault geprägtem Subjektivierungstheorem herzustellen (vgl. Geimer & Burghardt 2019). Was die Dokumentarische Methode hierbei als besonders geeignet zur empirischen Analyse von Subjektivierungsprozessen erscheinen lässt, ist dass in der Methodologie bereits eine Differenzierung zwischen normativen Ordnungen und dem Modus Operandi der Handlungspraxis angelegt ist. Demnach betont Bohnsack in seinem überarbeiteten Modell des Konjunktiven Erfahrungsraums bzw. Orientierungsrahmen im weiteren Sinne, dass Identitätsnormen im Bereich des kommunikativen Wissens angesiedelt sind, wohingegen sich der Habitus auf der Ebene des konjunktiven Wissens befindet (vgl. Bohnsack 2017 sowie Abschnitt 3.1). Durch die Modifizierung des Modells des Konjunktiven Erfahrungsraum und der Integration von Identitätsnormen, die dem Habitus gegenübergestellt sind, ermöglicht es die Dokumentarische Methode somit, einstige Engführungen der qualitativen Forschung zu überwinden (die normative Ordnungen größtenteils außen vor lassen) und den Weg für eine empirische Subjektivierungsforschung zu ebnen (vgl. Geimer 2017: 3). Besonders deutlich tritt dies an den umfangreichen empirischen Untersuchungen von Geimer und Amling zum Vorschein, welche
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die Autoren im Kontext des DFG-Projektes ‚Aporien der Subjektivierung‘ durchführten. In diesen gingen die Autoren anhand von (themenzentriert-narrativen) Interviews und Gruppendiskussionen zum einen der Frage nach, welchen normativen Erwartungen sich Künstler_innen und Politiker_innen in ihrem jeweiligen beruflichen Handlungsbereich ausgesetzt sehen, zum anderen aber auch, wie diese mit den normativen Erwartungen umgehen. Neben der Rekonstruktion der akteursübergreifenden Norm der Authentizität, mit der sich sowohl die befragten Künstler_innen als auch die Politiker_innen konfrontiert sahen und die daher als hegemoniale Subjektnorm gefasst wurde, traten an den Analysen insbesondere verschiedene Formen der Aushandlung mit der Norm zum Vorschein (vgl. Geimer & Amling 2017: 156 f.; Amling & Geimer 2016). Neben Spannungsverhältnissen zwischen Norm und Habitus, wie sie in der Dokumentarischen Methode umfänglich im Bereich des konjunktiven Erfahrungsraums bzw. des Orientierungsrahmens im weiteren Sinne beschrieben werden (siehe Abschnitt 3.1), konnten die Autoren mit Aneignungs- und Passungsverhältnissen zwei weiteren Typen der Relation von normativer Ordnung und Habitus rekonstruieren. Beide Typen verweisen dabei auf affirmative Bezugnahmen von Subjektnormen, sodass sich in diesen kaum Spannungsverhältnisse abzeichnen. Dementsprechend stellt die „von Bohnsack herausgestellte ‚notorische Diskrepanz‘ zwischen Identitätsnormen und Habitus“ (Geimer & Amling 2019: 21) nur einen Typus dar, der jedoch um die erwähnten Typen erweitert werden muss. Insgesamt konnten die Autoren dementsprechend auch habituelle Passungen an Identitätsnormen rekonstruieren, die nicht von Spannungsverhältnissen geprägt sind, sondern sich vielmehr als Entsprechungsverhältnisse begreifen lassen (vgl. ebd.: 34). Zudem lässt sich der Typ des Passungsverhältnisses von Normen in die Ausprägung der impliziten Passung einerseits sowie der reflektierten Anpassung andererseits weiter aufgliedern. Wie die Bezeichnungen bereits zu verstehen geben, entsprechen Akteur_innen bei der sogenannten impliziten Passung der Norm ohne sich dies jedoch zu vergegenwärtigen und die Norm als exterioren Zwang zu erfahren. Demgegenüber ist den Akteur_innen bei der sogenannten reflektierten Anpassung die Norm weitestgehend bewusst und sie passen sich dementsprechend an diese an. Von einer Aneignung von Normen wird hingegen gesprochen, wenn sich die untersuchten Akteur_innen nicht nur den Normen anpassen, sondern diese sich „durch die (gelungene) Überwindung eines Spannungsverhältnisses zu eigen gemacht“ (ebd.: 2019: 36) und angeeignet haben. Die Aneignung der Normen führt dementsprechend auch zu einer Transformation des Habitus (vgl. Geimer 2017: 6 f.). Zu betonen ist hierbei, dass zwar gerade implizite Passungen an Normen besonders schwer zu identifizieren sind, diese
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jedoch gleichzeitig umso relevanter in der Subjektivierungsforschung sind. Hinsichtlich der Identifizierung impliziter Passungen, lässt sich demnach zunächst konstatieren, dass diese sich primär deswegen als komplexer darstellt, da sie ebenso die Ebene des ‚Atheoretischen‘ berücksichtigt. Hierdurch geraten nicht nur Selbstbeobachtungen resp. Theorien der Akteur_innen über ihre Praxis in den Blick, sondern auch Passungsverhältnisse zwischen Norm und Habitus, die den Beforschten nicht reflexiv zugänglich sind (siehe Abschnitt 3.1). Indem sich Akteur_innen Normen implizit anpassen, stärken und verfestigen sie diese zugleich, ohne, dass ihnen dieses selbst bewusst ist. Nicht nur hierdurch kommt jenem Passungsverhältnis eine besondere Relevanz zu, sondern zusätzlich aufgrund des Umstandes, dass gerade Normen, die von Akteur_innen nicht reflektiert werden, auch nicht von diesen kritisiert und explizit widersprochen werden können (vgl. ebd.: 8). Um die Prägekraft von normativen Ordnungen somit umfangreicher analysieren zu können, in denen ebenso die eben geschilderten Passungen, Aneignungen und Aushandlungen von Normen in den Blick geraten, ist es folglich notwendig, die Dokumentarische Methode hin zu einer dokumentarischen Subjektivierungsforschung auszuweiten. Denn insbesondere die Untersuchung jener Aspekte der Aneignung und Entsprechung von normativen Ordnungen ist ein zentrales Anliegen der dokumentarischen Subjektivierungsforschung und ein entscheidender Erweiterungspunkt gegenüber der klassischen Dokumentarischen Methode (vgl. Geimer & Amling 2019: 23.). So sind das Spannungsverhältnis und die Unvereinbarkeit zwischen konjunktiven Wissen und kommunikativen Wissen und somit auch zwischen Norm und Habitus nach Bohnsack von grundsätzlicher Art (vgl. Bohnsack 2017: 51). Insbesondere im Hinblick auf die Untersuchung von Rezeptionsprozessen werden zudem weitere Differenzierungen des Aneignungsbegriffs ermöglicht. Demnach kann auch unterschieden werden zwischen „einer reproduktiven Aneignung, durch die handlungsleitende Orientierungen reproduziert werden (im Sinne eines Wiedererkennens) oder einer produktiven Aneignung, die eine (wie auch immer reversible und lebensgeschichtlich eingebettete) Transformation von Orientierungen impliziert“ (Geimer 2018c: 13). Zusätzlich ermöglicht ein derartiges Verständnis des Aneignungsbegriffs, dass Widersprüche zwischen der reflexiven Aneignung von filmisch angebotenen Subjektnormen einerseits sowie einer impliziten Aneignung oder eben nicht-Aneignung andererseits bestehen können.23 Mit
23 Ein Ansatz, der zwar herausstellt, dass Zuschauer_innen diverse für sie bedeutende Themen in Medientexten aufgreifen können, dies jedoch nicht müssen und somit die
3.3 Die Rekonstruktion von Subjektivierungen und Subjektnormen
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der Präzisierung des Verhältnisses zwischen Habitus und Norm wird dementsprechend ebenfalls deutlich, wie Subjektnormen, die in Medientexten repräsentiert werden, sowohl implizit als auch explizit widersprochen werden können (vgl. ebd.). Nachdem somit dargestellt wurde, wie Subjektnormen und Subjektivierungen empirisch mithilfe der dokumentarischen Subjektivierungsforschung rekonstruiert und theoretisch eingeordnet werden können, befasst sich das nächste Kapitel mit dem empirischen Material, welches für das vorliegende Forschungsanliegen analysiert wurde. Hierzu wird zunächst geschildert, wie die Auswahl des Videomaterials erfolgte und welche Videos schließlich interpretiert wurden.
Aneignung als eine spezifische Praxis der Rezeption begreift, heben auch Mikos und Winter hervor (vgl. Geimer 2018c: 12).
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Das Untersuchungsdesign der empirischen Analysen
YouTube-Videos sind wie letztlich alle Kulturobjektivationen als Träger von kommunikativ-generalisiertem sowie konjunktivem Wissen anzusehen, weshalb sich in diesem gemäß des konjunktiven Erfahrungsraums (siehe Abschnitt 3.1) folglich sowohl normative Ordnungen als auch der Habitus der Produzierenden dokumentieren kann. Um folglich sowohl Subjektnormen als auch die Ausrichtung der Videoproduzent_innen an diese rekonstruieren zu können, was unter dem Begriff der Subjektivierung gefasst wird, bedarf es allein der Analyse der Videos selbst. Dementsprechend sieht das Untersuchungsdesign vor, weder auf Interviews noch auf Gruppendiskussionen zurückzugreifen, sondern ausschließlich normative Ordnungen und deren Relation zum Habitus zu rekonstruieren, die sich im Medium selbst dokumentieren. Auf diese Weise wird eine Vorgehensweise angestrebt, in der die Analyse des Visuellen keine untergeordnete, sondern vielmehr eine gleichberechtigte Stellung neben der Sprach- und Textinterpretation einnimmt. Mithilfe der Dokumentarischen Video- und Filminterpretation wird es somit ermöglicht, bspw. implizite Aneignungen von Körperpraxen oder explizite Anpassungen an Normen und dementsprechend konkrete Ausrichtungen bzw. Subjektivierungsprozesse zu identifizieren. Aus methodischer Sicht kommt diesem Vorhaben eine besondere Relevanz zu, da zumindest auf der Ebene der Video- und Filminterpretation noch keine empirischen Orientierungs- bzw. Vergleichsstudien existieren, welche das erläuterte Erkenntnispotenzial gänzlich unter Beweis stellen konnten. Hinweise auf Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/ 978-3-658-31754-6_4.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Burghardt, Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen, Film und Bewegtbild in Kultur und Gesellschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31754-6_4
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Das Untersuchungsdesign der empirischen Analysen
die Umsetzbarkeit und potenzielle Wissensgenerierungen, die durch ein solches Untersuchungsdesign gewonnen werden können, finden sich jedoch im Bereich der Dokumentarischen Bildinterpretation. So kam eine ähnliche Vorgehensweise bereits erfolgreich im Rahmen eines von Aglaja Przyborski (2018) geleiteten Forschungsprojekts zum Einsatz und ermöglichte es, anhand von komparativen Bildanalysen bspw. Aneignungen im Bereich der Körperpraxis zu ergründen (siehe Abschnitt 3.1). Ein ähnliches Vorgehen im Bezug auf YouTubeVideos verspricht ebenso gewinnbringende Erkenntnisse. Einerseits hinsichtlich der Rekonstruktion von Subjektnormen, Habitus und deren Relation zueinander, andererseits aber auch explizit im Hinblick auf die Frage, inwiefern sich jene Aspekte auch in Bezugnahmen bzw. Videokaskaden von Rezipient_innen reproduzieren und sich dementsprechend rekonstruieren lassen. Wie im Folgenden unter Berücksichtigung von Verlinkungen, Kaskaden und der allgemeinen Reproduktion von Videoinhalten dargestellt werden soll, bietet sich ein solches Vorgehen nicht nur aus methodischer Sicht insbesondere bei YouTube-Videos an, sondern auch aus theoretischer Perspektive kommt den Clips eine besondere Stellung zu. Demnach sind diese anders als bspw. Filme Produktionen einzelner Akteur_innen, wodurch sich dementsprechend im stärkeren Maße habituelle Wissensstrukturen der Videoproduzent_innen dokumentieren. Gleichzeitig ist ein Großteil der Videos jedoch ebenso populär wie Kinofilme bzw. hat eine ähnlich hohe Reichweite, wodurch sie auch in diskursiven Kämpfen sowie der Ausbildung von Macht- und Wissensverhältnissen beteiligt sind.
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YouTube-Videos als Datenmaterial
Bei der Auswahl des Videomaterials wurde sich im Hinblick auf das Forschungsanliegen explizit YouTube-Videos gewidmet, welche im Lifestyle-Genre anzusiedeln sind, da sich in diesen (so die theoretische Vorannahme) in Relation zu Videos aus anderen Genres besonders ausgeprägte Repräsentationen von Subjektnormen vermuten lassen. Des Weiteren weisen die Videos nicht selten eine ausgeprägte Nähe zu Alltagsthemen auf und liefern der aktuellen YouTubeForschung nach ein hohes Angebot an potenziellen Vorbildern und Techniken zur Selbstgestaltung (vgl. Grittman et al. 2018; Perloff 2014; Döring 2014a, 2015; Mahrt 2017; Maloney et al. 2017), was insbesondere im Hinblick auf die Frage nach der Integration von reflexiven Wissensstrukturen in die Alltagspraxis von großer Relevanz ist. Denn wie theoretische Ausführungen von bspw. Giddens (2001), Hall (1996), Beck (1986) und Rosa et al. (2013) aufzeigen
4.1 YouTube-Videos als Datenmaterial
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(siehe Abschnitt 1.1), werden Subjekte in Zeiten spätmoderner Individualisierungsprozesse einerseits vermehrt unter Druck gesetzt das eigene Leben reflexiv zu gestalten, andererseits gewinnen gerade hierdurch Subjektnormen sowie Vorbilder und Präsentationen zur Gestaltung des eigenen Lebens an Bedeutung. Besonders deutliche Angebote zur Selbstgestaltung werden dabei insbesondere in den Lifestyle-Subgenres der Beauty-, Health- und Fitnessvideos erwartet, weshalb sich bei der Auswahl entscheidend auf diese Videokategorien fokussiert wurde. Da neben der Rekonstruktion von Subjektnormen und deren Verhältnis zum Habitus der YouTuber_innen auch untersucht werden sollte, inwiefern sich Reproduktionen von Subjektivierungsprozessen anhand der Videoanalysen explizieren lassen, wurde bei der Videoauswahl ausdrücklich ‚Rezeptionsprodukten‘ nachgegangen. In Anlehnung an den von Krotz geprägten Begriff der ‚Rezeptionskaskade‘ (vgl. Krotz 2007: 228 ff.) können diese auch als ‚Produktionskaskaden‘ bezeichnet werden. Diese kennzeichnen sich dadurch, dass sich aus Rezeptionen eigene Produktionen ergeben, die wiederum rezipiert werden können und sich auf diese Weise ähnlich verketten bzw. aneinanderreihen wie die von Krotz dargestellten Rezeptionskaskaden. Diese sind hingegen nach Krotz als eine Aneinanderreihung intrasubjektiver Interpretationen und intersubjektiver Aushandlungen zu verstehen, in denen das rezipierte Kommunikat überformt wird (vgl. Geimer & Burghardt 2019). In den Fokus der Analyse gerieten somit primär auch derartige Videos, die hinsichtlich thematischer Kongruenzen, Verlinkungen oder expliziter Kennzeichnungen bzw. Benennungen eine Bezugnahme auf zuvor veröffentlichte Videos nahelegen. Dementsprechend wurde sich bei der Auswahl und Analyse der YouTube-Videos dem angelegten Aufforderungscharakter der Plattform bedient, der dazu anregt Videos nicht nur passiv zu rezipieren, sondern darüber hinaus mit Texten oder gar eigenen Videos zu kommentieren. Da die Videoplattform YouTube trotz dieser Eingrenzung eine immens hohe Anzahl an Videos bereitstellt, die zusätzlich jeden Tag um ein Vielfaches steigt, birgt die Auswahl des Untersuchungsmaterials eine große Herausforderung, da ausschließlich das für die Forschungsfrage relevante Material gefiltert werden sollte.1 Um im Sinne der rekonstruktiven Sozialforschung eine wechselseitige Verbindung aus Empirie und Theorie zu gewährleisten und empirische Ergebnisse immer in Relation zur Theoriegenerierung zu setzen, basierte das Auswahlverfahren der Videos demgemäß auf dem Forschungsstil des theoretical Samplings bzw. dem Theoretischen Sampling von Anselm Strauss und Barney Glaser, welche dieses im Rahmen der Grounded Theory entwickelten. 1 So
zeigen Statistiken, dass bspw. bereits im Juli 2015 400 Stunden Videomaterial pro Minute auf die Plattform hochgeladen wurden (vgl. Statista 2015).
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Das Untersuchungsdesign der empirischen Analysen
Des Weiteren ist in diesem Kontext anzumerken, dass sich die Analysen im Gegensatz zu bisherigen Untersuchungen, die mithilfe der Dokumentarischen Videointerpretation durchgeführt wurden, vor allem in zwei Punkten unterscheiden. Da der Fokus auf der Rekonstruktion von Subjektnormen und Subjektivierungsprozessen liegt, folgte die Analyse der (als Erweiterung der Dokumentarischen Methode zu verstehenden) dokumentarischen Subjektivierungsforschung. Hieraus ergibt sich, dass sich die Analysen primär auf die Untersuchung von jenen Aspekten fokussieren, in denen sich normative Ordnungen sowie deren Verhältnis zum Habitus der Videoproduzent_innen abbilden. Des Weiteren unterscheidet sich das Forschungsanliegen von bisherigen Untersuchungen dahingehend, dass eine verhältnismäßig hohe Anzahl an Videos analysiert und miteinander verglichen wurden. Hieraus folgt, dass die Interpretationen aufgrund der detaillierten Analysetechniken sehr umfangreich sind. Um die Interpretationen somit zwar im Sinne der Dokumentarischen Methode durchzuführen, aber dennoch die zentralen Ergebnisse der Analysen adäquat vorstellen und diskutieren zu können, befinden sich Teile der Videointerpretationen im Anhang I der Arbeit. Somit wurden die Videos zwar anhand der vorgestellten Analysetechniken interpretiert, jedoch erfolgt die Darstellung der empirischen Analysen derart, dass im Folgenden ausschließlich die für das Forschungsanliegen relevanten Ergebnisse zusammengefasst sowie miteinander verglichen werden, wohingegen Interpretationen, die mehrheitlich auf der formulierenden Ebene anzusiedeln sind, im Anhang I der Arbeit stehen.
4.2
Die Komparative Methode und das theoretische Sampling
Das Auswahlverfahren des theoretischen Samplings kennzeichnet sich hauptsächlich dadurch, dass weitestgehend auf einen vorab bestimmten Auswahlplan verzichtet wird und sich das Sampling stattdessen Schritt für Schritt entwickelt und sich stetig am Forschungsprozess und der daraus entwickelten Theorie orientiert (vgl. Strübing 2010: 154). Somit beginnt die Analyse schon nachdem die ersten Daten gesammelt bzw. ausgewählt wurden und folgt hiernach einem Zyklus, den Corbin und Strauss folgendermaßen zusammenfassen: „Analysis begins after the first data are collected. Data collection is followed by analysis. Analysis leads to concepts. Concepts generate questions. Questions lead to more data collections so that the researcher can learn more about the concepts.“ (Corbin & Strauss 2015: 135)
4.2 Die Komparative Methode und das theoretische Sampling
101
Anstatt die Bereiche der Datenanalyse und Theoriebildung als in sich geschlossene Arbeitsschritte zu verstehen, wird vielmehr versucht, diese wechselseitig aufeinander zu beziehen (vgl. Strübing 2014: 461 ff.). Ein solches Vorgehen kann insbesondere bei Forschungsfragen bzw. in Forschungsfeldern nützlich sein, die noch neu oder wenig erschlossen sind (vgl. Corbin & Strauss 2015: 137). Demnach folgt das Sampling einer Kette aufeinander aufbauender Auswahlentscheidungen, die zu Beginn ausschließlich auf ersten theoretischen oder praktischen Annahmen bzw. Vorkenntnissen basieren. Diese sind dabei jedoch als ‚sensibilisierende Konzepte‘ und nicht als theoretischer Rahmen zu verstehen. Bereits die daran anschließenden Auswahlentscheidungen orientieren sich an den Erkenntnissen und theoretischen Konzepten, die aus den ersten Analysen resultieren (vgl. Strübing 2010: 154). Im Gegensatz zu ‚konventionellen Samplingmethoden‘ müssen somit weder alle Daten vor Beginn der Analysen ausgewählt werden (vgl. Corbin & Strauss 2015: 135), noch erst umfangreiche Datenanalysen mehrerer Fälle in Verbindung gebracht werden, bevor Aussagen zu ersten Ergebnissen möglich sind (vgl. Strübing 2014: 462). Auf diese Weise werden die gesammelten Erkenntnisse stattdessen direkt eingebunden und dienen über die Ausweitung der Vergleichshorizonte der Theoriegenerierung sowie dem Ausbau von Eigenschaften und Dimensionen (vgl. Strübing 2010: 154). Wie Strübing unter anderem an folgender Aussage deutlich macht, ist die komparative Analyse hiernach ein zentrales Element im theoretischen Sampling: „Die nacheinander in Betracht gezogenen Instanzen werden im Blick auf die interessierende Untersuchungsfrage miteinander verglichen und Ähnlichkeiten und Unterschiede herausgearbeitet.“ (Strübing 2014: 467) Mithilfe minimaler oder maximaler Differenzen in den herangezogenen Vergleichshorizonten können auf diese Weise entweder identifizierte Eigenschaften und Dimensionen weiter im Detail geschärft oder aber gegenüber anderen Eigenschaften kontrastiert werden (vgl. Glaser & Strauss 2017: 58). Dem hinzuzufügen ist jedoch, dass nicht alle im Material identifizierten Dimensionen miteinander verglichen werden, sondern ausschließlich jene, die unter Berücksichtigung des bisherigen Forschungsstands als bedeutsam zur Beantwortung der Forschungsfrage vermutet werden können (vgl. Strübing 2014: 467). Zusätzlich ergibt sich durch die sukzessive Auswahl und Analyse die Möglichkeit, die Erhebungsmethoden stetig zu optimieren. Im Sinne des theoretischen Samplings kann somit auch vor Beginn der Untersuchung nicht festgelegt werden wie groß die Datenauswahl ist. Das Ende der Analysen wird vielmehr durch das Kriterium der theoretischen Sättigung erreicht. Das heißt, die Interpretationen werden beendet, sobald
102
4
Das Untersuchungsdesign der empirischen Analysen
die erhobenen Daten keine für die Forschungsfrage weiteren relevanten Erkenntnisse oder Eigenschaften mehr generieren (vgl. Strübing 2014: 464). Aufgrund des stetigen Aufspürens von neuen Perspektiven und der verhältnismäßig hohen Unsicherheit zu Beginn der Analysen sowie der Ungewissheit der Datenmenge vergleichen Corbin und Strauss die Arbeit des Forschers mit der eines Detektivs: „In theoretical sampling, the researcher is like a detective. He or she follows the leads of the concepts, never quite certain where they will lead but always open to what might be discovered.“ (Corbin & Strauss 2015: 134) Nicht allein aufgrund des hohen Stellenwerts der Wechselseitigkeit aus Theorie und Empirie steht der Forschungsansatz des theoretischen Samplings folglich ganz im Sinne der Dokumentarischen Methode. Auch im Hinblick auf die Bedeutung von Vergleichshorizonten werden gleiche Ansichten erkennbar. So wird ebenso in der Dokumentarischen Methode die Notwendigkeit der empirischmethodischen Kontrolle vorwiegend über den Einsatz fundierter Vergleichshorizonte gewährleistet, weshalb Zirkel gesucht, statt vermieden werden sollten. Denn „erst vor dem Vergleichshorizont eines anderen, alternativen Orientierungsrahmens gelingt es, den von uns analysierten Rahmen in seinen Konturen zu erkennen.“ (Bohnsack 2017: 78) Einerseits gewinnt die komparative Analyse somit im Hinblick auf die empirisch-methodische Kontrolle an Bedeutung, andererseits aber auch hinsichtlich des Anliegens gezielt (Produktions-)Kaskaden aufzuspüren, um diese vergleichen und hieraus mögliche Reproduktionen (insbesondere von Normen) rekonstruieren zu können. Dass Kaskaden dabei insbesondere auf der Videoplattform YouTube eine wichtige Rolle spielen, wird im Folgenden näher dargestellt.
4.3
Kaskaden und die Reproduktion und Zirkulation von Videoinhalten
Die durch Social Media Sites wie YouTube ermöglichten Handlungen, Inhalte einzustellen, Videos hochzuladen und sich gegenseitig zu kommentieren, erscheinen nach Carstensen nicht nur als Möglichkeiten für User_innen, sondern stellen sich gleichzeitig als Handlungsaufforderungen an diese dar, die ihnen in materialisierter Form begegnen (vgl. Carstensen 2015: 258). Wie bereits Reichert feststellte, zielen insbesondere die Semiotiken auf sozialen Netzwerkseiten darauf ab, „eine Handlung, eine Reaktion, ein Verhalten, eine Einstellung oder eine Haltung auszulösen, sie bezeichnen nicht, sondern aktivieren und motivieren die Nutzer/-innen.“ (Reichert 2008: 17)
4.3 Kaskaden und die Reproduktion und Zirkulation von Videoinhalten
103
Einerseits ist demnach bereits der Aufbau von sozialen Netzwerkseiten wie YouTube von einem unmittelbaren Aufforderungscharakter zum Handeln geprägt, andererseits sind dies häufig aber auch die auf ihr hochgeladenen Videos. Die verschiedenen Möglichkeiten, Inhalte einzustellen, Profilangaben zu machen und alle bereits vorhandenen Inhalte zu bewerten sowie zu kommentieren, erscheinen immer auch als Handlungsaufforderungen an die User_innen: „Überall heißt es ‚Hinterlasse einen Kommentar‘ oder ‚Was machst Du gerade¿“ (Carstensen 2015: 258). Zur Mitgestaltung und eigenen Produktion animiert zudem die immer einfachere Handhabung sozialer Netzwerkseiten. In diesem Sinne sprechen van Eimeren und Frees auch von einem ‚Mitmach-Netz‘ sowie Jörissen und Marotzki vom sogenannten ‚Produser‘, also einem Nutzer, der gleichzeitig Produzent ist (vgl. Eisemann 2015: 31).2 Besonders ausgeprägt sei jener Aufforderungsmodus (der sozialen Netzwerken im Allgemeinen anheftet) in YouTube-Videos und wird nicht zuletzt in Frageadressierungen sichtbar, die Beteiligungen initiieren sollen (vgl. Reichert 2012: 106). Wie verschiedene Autor_innen aufzeigen, nimmt die Reproduktion und Bezugnahme sowie die Interaktivität und Zirkulation von Videoinhalten eine zentrale Rolle auf der Videoplattform YouTube ein. So zeigen Wagner und Forytarczyk (2015) in ihrer Studie zwar einerseits auf, dass die Motivation von YouTuber_innen Videos zu erstellen grundsätzlich zwar sehr individuell und verschieden ist, andererseits jedoch häufig aufgrund von Orientierungen an anderen Videos erfolgt. Nach Möglichkeit werden die orientierungsgebenden Videos jedoch nicht einfach kopiert, sondern vielmehr in kreativen Prozessen nachgeahmt, so dass etwas Neues entsteht, weshalb die Autor_innen weiterhin von „autonomen Sprecher_innen“ reden, die „kopieren – ohne zu kopieren“ (Wagner und Forytarczyk 2015: 6). Gleichzeitig werden sich die ‚Produser‘ hierbei ihres eigenen Auftretens und möglicher Selbstkritik bewusst, da das Produzieren der Videos zu einer ‚Selbstbespiegelung‘ der YouTuber_innen führe. Wie auch Wagner und Forytarczyk betonen, ist die Wiederholung in diesem Zuge zugleich eine Praktik, die von der YouTube-Seite selbst herausgefordert wird, indem sie es ermöglicht, die Videos zu verlinken, weiterzuleiten, zu kommentieren und darüber hinaus in der Empfehlungsliste immer Videos anzeigt, die große Korrespondenzen zu den zuvor gesehenen Clips aufweisen. Die Autorinnen sehen in YouTube aus diesem Grund eine riesige „Kopier-Maschine“, in der „autonome Sprecher und emanzipierte Sprecherinnen“ (Wagner und Forytarczyk 2015: 8) Videos produzieren.
2 Neben
dem Begriff des Produsers, beschreiben auch die Neologismen ‚Prosument‘ und ‚Prosumer‘ jenen Hybrid aus Produzent und Konsument (vgl. Leuschen 2011: 28).
104
4
Das Untersuchungsdesign der empirischen Analysen
Eisemann konnte an seiner Untersuchung von YouTube-Tanzvideos (des CWalks) hingegen aufzeigen, wie sich Jugendliche einerseits einzelne Tanzschritte via YouTube-Videos aneignen und andererseits das Erlernte gleichzeitig in eigenen Clips reproduzieren. Der Reproduktion von Videos kommt insbesondere daher eine zentrale Stellung für die Jugendlichen zu, weil sie der Kommunikation, Vernetzung und nicht zuletzt der Selbstdarstellung nutzt, die wiederum zum Erwerb von sozialen und (jugend-)kulturellen Kapital führt, so der Autor. Demnach stellen die Akteur_innen in den Videos ihr tänzerisches Können zur Schau, welches im selben Zuge die Grundlage für Feedback und die Vernetzung zwischen den ‚C-Walkern‘ bildet und zur Vergemeinschaftung und den Aufbau einer Community führt (vgl. Eisemann 2015). Dass besonders der Reproduktion innerhalb der Videoplattform eine wichtige Rolle zukommt, wird auch an den Untersuchungen Mareks deutlich. So widmet sich dieser insbesondere dem Zirkulationsprozess von YouTube-Videos und zeigt anhand des YouTube-Clips ‚Leave Britney alone‘ auf, welch besondere Rolle Nachahmungen und Reproduktionen auf der Videoplattform einnehmen (vgl. Marek 2013). Dass die Rezeption von YouTube-Clips die Zuschauer_innen tendenziell dazu anleitet und motiviert, selbst derartige Videos zu produzieren, zeigen darüber hinaus Choi und Behm-Morawitz (2017) in ihrer experimentellen Studie auf. Und auch Geimer macht explizit darauf aufmerksam, dass die Videoplattform Kaskaden der Rezeption und Produktion ermöglicht (vgl. Geimer 2018a: 11). Insgesamt betrachtet, deuten somit sowohl theoretische Ausführungen verschiedener Forscher_innen als auch empirische Studien deutlich darauf hin, dass die Reproduktion und Bezugnahme von Videoinhalten eine durchaus gängige Praxis der YouTube-User_innen darstellt. Im Hinblick auf das Forschungsanliegen Subjektnormen und Subjektivierungen, wie auch Reproduktionen von Normen in Lifestyle-Videos zu rekonstruieren, wird sich jener Praxis bedient. So werden jene beschriebenen Affordanzen zur Kommentierung und Reproduktion von Videos explizit im Untersuchungsdesign aufgegriffen. Indem bei der Videoauswahl gezielt Bezugnahmen und Verlinkungen zwischen Videos nachgegangen wird, kann mithilfe komparativer Analysen untersucht werden, inwiefern nicht nur Videothemen und -inhalte von ‚Produsern‘ reproduziert, sondern ggfs. auch Subjektnormen kopiert und angeeignet werden. In Anbetracht der verschiedenen Typen der Relation von normativer Ordnung und Habitus lässt sich anhand der Vergleiche demnach rekonstruieren, inwiefern Subjektnormen explizit oder implizit widersprochen, angepasst oder angeeignet werden (siehe Abschnitt 3.3.2.2). Anders als in Mareks Untersuchungen liegt der Fokus in der vorliegenden Arbeit daher nicht auf der bloßen Nachzeichnung von Zirkulationsprozessen, sondern mit Bezug auf die dokumentarische
4.4 Die Auswahl des Videomaterials
105
Subjektivierungsforschung primär in der Untersuchung, inwiefern sich in den Reproduktionen der ‚Produser‘ ebenfalls Normen und Subjektivierungsprozesse dokumentieren.
4.4
Die Auswahl des Videomaterials
Die Auswahl des Videomaterials zur Untersuchung von Subjektnormen und Subjektivierungsprozessen wurde entsprechend des dargestellten Charakteristikums der Reproduktion und Bezugnahme von Videoinhalten sowie anhand des theoretischen Samplings vorgenommen. Auf diese Weise wurden insgesamt zehn Videos schrittweise und unter stetiger Rückbindung und komparativer Analyse an das bereits analysierte Material ausgewählt und mittels der dokumentarischen Subjektivierungsforschung interpretiert. Das erste analysierte Video wurde hierbei zunächst aufgrund seiner enormen Popularität (gemessen an den Aufrufzahlen) sowie seiner weitgefächerten Themenangaben bestimmt, die bereits am Videotitel zum Vorschein kommen. Dabei fiel die Wahl auf das Lifestyle-Video „10 Fitness - + ERNÄHRUNGS HACKS: GESUNDE SNACKS, SPORT MOTIVATION, ABNEHMTIPPS, DIYs | LaurenCocoXO“ der YouTuberin LaurenCocoXO. Mit über einer Millionen Abonnenten ist die YouTuberin eine der erfolgreichsten Videoproduzentinnen ihres Genres in Deutschland. Nach eigenen Informationen der YouTuberin, welche sich in der Rubrik Kanalinfo ihres Kanals befinden, behandelt diese seit August 2011 die Themen Beauty, Lifestyle und Unterhaltung.3 Das analysierte Video der populären Videoproduzentin wurde im März 2014 veröffentlicht und zählt mittlerweile ca. 860.000 Aufrufe (Stand: Januar 2019). Im Sinne des theoretischen Samplings erfolgte die weitere Videoauswahl erst nach der Analyse des ersten Videos und den Erkenntnissen, die sich aus diesem ergaben. Da in dem Video bereits erste Subjektnormen rekonstruiert werden konnten, die sich maßgeblich in sogenannten „Hacks“ und „Snackideen“ dokumentierten, folgte die anschließende Videoauswahl primär dem bereits dargelegten Anliegen, Reproduktionen und Bezugnahmen auf das Video nachzugehen, um hierüber rekonstruieren zu können, inwiefern Rezipierende mit denen sich in dem Video abzeichnenden Subjektnormen umgehen. Die Auswahl des zweiten und dritten Videos leitete sich demnach in erster Linie aus dem Aspekt der Bezugnahme ab, weshalb Clips gesucht wurden, die Kongruenzen zu den dargestellten Hacks und Snackideen herstellen und somit mögliche Kaskaden aufzeigen. 3 https://www.youtube.com/user/LaurenCocoXO/about
106
4
Das Untersuchungsdesign der empirischen Analysen
Um die rekonstruierten Subjektnormen anhand von Vergleichshorizonten weiter zu schärfen, war es notwendig als Kontrast nach Videos zu recherchieren, die sich durch eine deutlich erkennbare Unpopularität kennzeichnen. Zusätzlich wurde in diesen Videos eine stärkere direkte Bezugnahme auf das populäre Video erwartet. Die Recherche nach entsprechenden Videos erfolgte dabei über die Eingabe von Stichwörtern in die Suchleiste der Videoplattform, wobei die Clips nun nicht mehr absteigend nach der Anzahl der Aufrufe, sondern angefangen mit dem neusten Video, nach dem Uploaddatum sortiert wurden. Um Kaskaden aufzuspüren, wurde dabei zunächst der Name der YouTuberin LaurenCocoXO in die Suchleiste eingegeben und nach Videos geschaut, die sich explizit auf die YouTuberin beziehen, aber nicht selbst von dieser veröffentlicht wurden. Nachdem die Recherche keine Treffer verzeichnen konnte, wurde die Suche anschließend ausgeweitet und stattdessen nach Stichwörtern recherchiert, die das Video thematisch beschreiben. Anhand der Wörter „Hacks“ und „Snackideen“ wurde auf diese Weise zunächst das Video „8 Snack Ideen | mit Antoniasbeautyblog“ der Videoproduzentin Antonia ausfindig gemacht. Weil die ehemalige YouTuberin Antonia mittlerweile ihren Kanal und somit auch ihre Videos gelöscht hat, können zwar keine detaillierten Angaben mehr zu Abonnenten- und Klickzahlen gemacht werden, jedoch lässt sich sagen, dass keine ihrer Videos mehr als 1000 Aufrufe besaß und ihr Kanal dementsprechend als unpopulär einzustufen ist. Da die Videoproduzentin zum Zeitpunkt der Produktion nicht als volljährig einzuschätzen ist, wurden aus ethischen Gründen und zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte sowohl ihr Name und ihr YouTube-Pseudonym anonymisiert als auch alle Fotogramme bzw. Stills maskiert auf der die YouTuberin zu erkennen ist. Jene Maskierung erfolgte nach Breckner (2018: 76), indem die entsprechenden Darstellungen stark verpixelt wurden. Als drittes Video wurde auf diese Weise der Clip „4 Snacks für die Schule_Uni etc.“ der YouTuberin Lena in das Sampling aufgenommen. Vor allem aufgrund der Präsentation der gleichen ‚Snacks‘ (wie bei LaurenCocoXO) lagen in diesem Video Bezugnahmen nahe. Erneut wurde das Video dabei mittels der Eingabe von Stichwörtern und der Sortierung nach Uploaddatum ausfindig gemacht, wobei in diesem Fall nach den Wörtern „Snacks“ und „Apfelchips“ gesucht wurde. Der Kanal der Videoproduzentin hat ca. 100 Abonnenten und dreht sich nach eigenen Angaben um die Themen Beauty, Fashion und Lifestyle. Lena ist seit Ende 2015 auf der Videoplattform angemeldet. Da die Videoproduzentin zum Zeitpunkt der Produktion nicht als volljährig einzuschätzen ist, wurden auch in diesem Fall Namen und alle Fotogramme der YouTuberin (auf gleiche Weise wie bei Antonia) anonymisiert.
4.4 Die Auswahl des Videomaterials
107
Gemäß der Grundannahme des theoretischen Samplings, dass die bereits getätigten Analysen zu weiteren Erkenntnissen und Perspektiven im Hinblick auf die Forschungsfrage führen, wurde im unmittelbar anschließenden Verlauf der Untersuchung nicht mehr nach Produktionskaskaden gesucht, die sich direkt an den ersten Themenbereich anschließen, sondern nach Videos, welche die Konturen der identifizierten Subjektnormen weiter präzisieren. In diesem Zug wurde mit dem Video „Mein Weg in ein neues Leben - Fitness Motivation - Sophia Thiel“ der YouTuberin Sophia Thiel zwar erneut ein sehr populärer Clip als Vergleichshorizont ausgewählt, jedoch gleichzeitig ein Video, welches explizit dem Subgenre des Fitness-Videos zugeordnet werden kann. So wies das bereits analysierte Video von LaurenCocoXO darauf hin, dass sich Subjektnormen nicht nur in Snackideen dokumentieren, sondern ebenso in Alltagshacks, die einen starken Bezug zu den Themenbereichen Sport und Fitness aufweisen. Das ausgewählte Video Sophia Thiels wurde demnach als Vergleichshorizont zum Video von LaurenCocoXO gegenübergestellt, da es sich in beiden Fällen um sehr populäre YouTuberinnen handelt und die bei LaurenCocoXO rekonstruierten Subjektnormen im weiteren Vergleich zu einer Fitness-YouTuberin präzisiert werden sollten. Die Fitness-YouTuberin Sophia Thiel startete ihren Kanal im Oktober 2014 und zeigt seitdem Trainings- und Ernährungsvideos sowie Clips über Lifestyleund Outfit-Tipps. Zudem sollen ihre Videos nach eigener Angabe Hilfestellungen geben, wie die persönliche Selbstverwirklichung bewerkstelligt werden kann. Der Kanal der YouTuberin zählt ca. 905.000 Abonnenten sowie insgesamt ca. 105 Millionen Klicks. Große Bekanntheit erhielt Sophia Thiel in erster Linie aufgrund ihres „Transformationsvideos“, welches allein knapp 5,7 Millionen mal angeschaut wurde (Stand: Januar 2019). Die anschließende Auswahl der Videos erfolgte hingegen erneut in Hinblick auf den Aspekt der Produktionskaskaden, wobei auch in diesem Fall Clips in den Fokus gerieten, die aufgrund ihrer Aufrufzahlen als unpopulär bezeichnet werden können. Wie bereits bei der Suche nach Bezugnahmen bzw. Verkettungen von LaurenCocoXO wurde auch in diesem Fall zunächst nach dem Namen der YouTuberin Sophia Thiel recherchiert. Als Video mit expliziter Bezugnahme zum Clip der populären Videoproduzentin konnte auf diese Weise das Video „Was ich von Sophia Thiel übers Abnehmen gelernt habe“ der YouTuberin Mareike4 gesichtet und in das Sample aufgenommen werden. Die offenkundige Rezipientin Sophia Thiels und gleichzeitige YouTuberin Mareike ist seit Oktober 2014 bei der Videoplattform YouTube angemeldet und veröffentlicht seit Juli 2015 eigene Videos rund um die Themen Ernährung und Abnehmen. Dementsprechend 4 Der
Name der YouTuberin wurde erneut durch einen Maskennamen ersetzt.
108
4
Das Untersuchungsdesign der empirischen Analysen
beschreibt sie ihren Kanal mit den Schlagwörtern: „Abnehmen. Schlank bleiben. Gesund sein. Wohlfühlen.“. Das achtminütige Video zählt ca. 800 Aufrufe (Stand: Januar 2019), wurde im November 2016 veröffentlicht und verrät bereits anhand des Videotitels, dass die Produzentin gleichzeitig Rezipientin des YouTube-Stars Sophia Thiel ist. Als zweiter Vergleichshorizont zum Video Sophia Thiels wurde mit der gleichen Suchstrategie das Video „Meine Transformation 2016! - 20 kg“ der YouTuberin Valerie5 ermittelt und in das Sample eingefügt. Auch diese Videoproduzentin bezieht sich in ihrem Clip explizit auf die Fitness-YouTuberin Sophia Thiel und erscheint somit als Rezipientin dieser. Die YouTuberin Valerie, die bereits seit Ende 2014 einen Kanal betreibt, widmet sich nach eigener Kanalbeschreibung den Themen „Fitness & Food“, wobei der Kanal ca. 2.100 Abonnenten zählt. Das Video wurde Ende 2016 veröffentlicht und zählt mit ca. 2.300 Aufrufen ähnlich viele Klicks wie der Kanal Abonnenten besitzt (Stand: Januar 2019). Im Hinblick auf die wechselseitige Verbindung aus Theorie und Empirie sollten hiernach die bisher ermittelten Subjektnormen weiter präzisiert werden. Anhand der systematischen Variation von Vergleichshorizonten wurde in diesem Zuge die Dimension des Geschlechts variiert und somit Videos gesucht, die von männlichen populären YouTubern produziert und veröffentlicht wurden. Auf die Relevanz des Geschlechts machten dabei zum einen bereits empirische Studien diverser Forscher_innen aufmerksam (siehe Abschnitt 1.2), zum anderen deutete sich die Bedeutung insbesondere auch am analysierten Video der YouTuberin Sophia Thiel an (die explizit ihre Rolle als weibliches Vorbild hervorhebt). Bei der Recherche nach männlichen populären YouTubern aus dem Lifestyle-Subgenre der Fitnessvideos, fiel die Auswahl zunächst auf den Clip „Muskelaufbau-Ernährung gut und günstig - mein Einkauf - KARL-ESS.COM“ des sehr populären YouTubers Karl Ess. So versprach der Titel eine Verknüpfung der beiden, als besonders relevant identifizierten, Themenkomplexe Ernährung und Fitness. Der Produzent des Videos Karl Ess startete bereits Anfang 2012 seinen YouTube-Channel und hat seitdem bereits über 390.000 Abonnenten sowie weit mehr als 100 Millionen Klicks. Bekannt ist er unter anderem aufgrund seiner veganen Ernährungsweise und seiner Online-Fitnessprogramme.6 Das analysierte Video des YouTube-Stars weist mittlerweile ca. 110.000 Aufrufe auf (Stand: Januar 2019) und wurde im April 2014 veröffentlicht.7
5 Der
Name der YouTuberin wurde durch einen Maskennamen ersetzt.
6 https://www.youtube.com/user/karlessdotcom/about 7 https://www.youtube.com/watch?v=BCu0vrrBTi8
4.4 Die Auswahl des Videomaterials
109
Anschließend wurde das Video „Epic Cheat Day Vol. 1 - 10.000 Kalorien Betrug bei McDonalds“ des populären YouTubers ExFitness in das Sample aufgenommen. Hiermit geriet ein weiteres Subgenre im Bereich der FitnessRatgeber-Videos in den Fokus. Unter der Bezeichnung des ‚Cheat Days‘ wird die zusammenfassende Darstellung eines Tages verstanden, in dem durch eine außergewöhnlich große Aufnahme von Kalorien bzw. „ungesunder“ Lebensmittel „geschummelt“ wird. Der YouTuber ExFitness gibt der eigenen Kanalbeschreibung nach „Tipps rund um das Thema Ernährung und Training“. Insgesamt wurden seine Videos ca. sieben Millionen mal aufgerufen und der Kanal zählt ca. 38.000 Abonnenten. Das analysierte Video des YouTubers wurde im Mai 2016 veröffentlicht und seitdem ca. 65.000 mal angeklickt (Stand: Januar 2019).8 Auch bei den männlichen YouTubern wurden schließlich Videos gesucht, in denen sich mögliche Produktionskaskaden abzeichnen. Im Hinblick auf das Video von Karl Ess erschien dabei der Clip „Fitness Einkauf für Muskelaufbau & Fettabbau (Teil 1)“ des YouTubers Mirko9 besonders geeignet, da dieses thematisch sehr nah am Vergleichsvideo anzusiedeln ist. Ermittelt wurde es erneut über die Suchfunktion der Videoplattform, wobei in diesem Fall (in Bezugnahme auf den Titel des Clips von Karl Ess) explizit nach den Stichwörtern „Fitness“, „Einkauf“ und „Ernährung“ recherchiert wurde. Mirko startete Ende 2013 seinen Kanal auf der Videoplattform und hat seitdem ca. 1.400 Abonnenten. Das untersuchte Video zählte im Mai 2017 ca. 640 Aufrufe, wurde jedoch inzwischen vom Videoproduzenten von der Plattform entfernt. Hinsichtlich des Videos des zweiten populären, männlichen YouTubers ExFitness wurde schließlich das Video „10.000 KALORIEN CHEATDAY I CHALLENGE I JAYKO“ des YouTubers Peter10 in das Sample aufgenommen, wobei auch dieses vornehmlich in Hinblick auf die Abzeichnung möglicher Kaskaden analysiert wurde. Die Veröffentlichung des Clips erfolgte im März 2017 und das Video zählt ca. 23.000 Aufrufe. Zum Auffinden des Clips fungierten die Stichwörter „Cheatday“ und „10.000 Kalorien“, welche sich ebenso im Titel des Videos von ExFitness wiederfinden. Der Kanal von Peter widmet sich eigenen Angaben nach den Themen Fitness, Fashion und Lifestyle und besitzt ca. 750 Abonnenten (Stand: Januar 2019). Hiernach erfolgte der Abschluss der Analysen und demnach auch der Auswahl von weiteren Videos, da die Untersuchungen bereits umfangreiche Erkenntnisse zum Forschungsanliegen generieren konnten und das Kriterium der theoretischen Sättigung in weiten Teilen erreicht wurde. Dementsprechend wurden im Rahmen 8 https://www.youtube.com/watch?v=N1INV6kV8Rk 9 Der
Name des YouTubers wurde durch einen Maskennamen ersetzt. Name des YouTubers wurde durch einen Maskennamen ersetzt.
10 Der
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4
Das Untersuchungsdesign der empirischen Analysen
des Forschungsanliegens insgesamt zehn Videos anhand der dokumentarischen Subjektivierungsforschung analysiert und miteinander verglichen. Nachdem somit das Untersuchungsdesign der empirischen Videoanalysen vorgestellt wurde, soll sich im nächsten Kapitel schließlich den empirischen Ergebnissen gewidmet werden. Vor der Vorstellung der Ergebnisse, die aus den Analysen der dargelegten Videos im Hinblick auf Subjektnormen und Subjektivierungen rekonstruiert werden konnten, sollen im nächsten Kapitel zunächst die empirischen Erkenntnisse präsentiert und mit Inhalten anderer Studien zusammengetragen werden, welche sich hinsichtlich zum Vorschein kommender Charakteristika der Lifestyle-Videos im generellen abzeichnen. Denn wie das folgende Kapitel aufzeigt, konnten im Zuge der komparativen Analysen ebenfalls Erkenntnisse gesammelt werden, welche die bisherige YouTube-Forschung auch im Hinblick auf allgemeine Fragen der Repräsentation von Lifestyle-Videos umfangreich erweitern.
5
Rekonstruktionen von elementaren Charakteristika in Lifestyle-Videos
Das im Fokus der Arbeit stehende Lifestyle-Genre sticht unter anderem durch seine hohe Diversifikation hervor und lässt sich daher erstens nur schwer strikt von anderen Genres abgrenzen und zweitens wohl unmöglich in seiner ganzen Vielfalt abbilden. Dennoch zeigen die durchgeführten Videoanalysen, dass die untersuchten Clips viele Gemeinsamkeiten aufweisen und besonders stark von bestimmten Merkmalen geprägt sind. Diese Charakteristika sind zum Teil zwar bereits in anderen Studien oder theoretischen Abhandlungen diskutiert worden, jedoch können diese durch den Umfang der Videoanalysen nicht nur untermauert, sondern mittels detaillierter Untersuchungen in vielerlei Hinsicht ergänzt werden. Wie im Folgenden zusammenfassend aufgezeigt wird, zählen hierzu insbesondere Varianten von Handlungsaufforderungen, der Aufbau von Interaktivität und Nähe, die Schaffung einer virtuellen Community, verschiedene Formen der Herstellung bzw. Aufrechterhaltung von Authentizität sowie der Aspekt der Selbstdarstellung und die Erzeugung von Empathie und Identifikationsmöglichkeiten. Angefangen bei den unterschiedlichen Varianten der Handlungsaufforderung, werden die identifizierten Merkmale der Reihe nach dargestellt.
5.1
Varianten der Handlungsaufforderung
Nutzergenerierte YouTube-Videos unterscheiden sich, wie bereits in diversen Studien aufgezeigt werden konnte, in vielerlei Hinsicht von klassischen Medienformaten wie bspw. dem Fernseher (vgl. Hugger 2014; Burgess & Green 2009). Dass die Zuschauer_innen häufig direkt angesprochen werden und die Videos des Öfteren aufeinander aufbauen, schilderte unter anderem Reichert (2012) an seinen © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Burghardt, Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen, Film und Bewegtbild in Kultur und Gesellschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31754-6_5
111
112
5
Rekonstruktionen von elementaren Charakteristika …
theoretischen Ausführungen und auch Traue machte anhand seiner Untersuchung eines Videos des YouTube-Stars Sami Slimani (Herr Tutorial) auf diese Typiken von nutzergenerierten Videoclips aufmerksam und fügt hinzu, dass gerade hierin ein großer Unterschied zu klassischen Fernsehformaten bestehe (vgl. Traue 2012: 292 ff.).1 Dass die Videos regelmäßig von einer Face-to-Face-Kommunikation geprägt sind, in der die Rezipient_innen direkt adressiert werden, stellten Burgess und Green bereits in ihren Analysen 2009 fest. In diesen weisen die Autoren zudem darauf hin, dass die Rezipient_innen kontinuierlich dazu angehalten werden Feedback zu geben und Kritik bzw. Verbesserungsvorschläge zu äußern. Gerade hierin sehen die Autoren den Hauptunterschied zu den traditionellen Medien, in denen Möglichkeiten der Partizipation und Interaktion nur sehr begrenzt sind und auch nicht explizit gefördert und gefordert werden (vgl. Burgess & Green 2009). Denn wie bereits im Hinblick auf die Reproduktion und Zirkulation von Videoinhalten beleuchtet wurde (siehe Abschnitt 4.3), sind YouTube-Videos häufig von einem unmittelbaren Aufforderungscharakter geprägt. Anders als Reichert und Traue jedoch konstatieren, zielen die Frageadressierungen in den YouTube-Clips nicht ausschließlich darauf ab, Beteiligungen zu initiieren, um eine Fan-Community aufzubauen und das Publikum längerfristig zu binden (vgl. Reichert 2012: 106) oder um das eigene Video bzw. den Kanal von anderen selbstproduzierten Clips hervorzuheben (vgl. Traue 2012: 295), sondern die Aufforderungen können auch weitere Ausprägungen annehmen. Wie sich anhand der Videoanalysen eindrücklich darstellt, dominieren in allen untersuchten Videos zwar Aufrufe, in Interaktion mit den Videoproduzent_innen zu treten, die Clips auf verschiedene Wege zu bewerten oder zu kommentieren, allerdings zeigen sich auch Appelle, welche die Zuschauer_innen dazu aufrufen, das Dargestellte nachzuahmen. Hierbei wird zwar erkennbar, dass die Aufforderungen unterschiedliche Dimensionen annehmen und auch ungleichartig emphatisch vorgetragen werden, diese jedoch in allen Videos zum Vorschein kommen. Anders als in klassischen Fernsehsendungen wird demnach nicht nur eine passive Rezeption von den Zuschauern erwartet, sondern die Videoproduzent_innen ersehnen vielmehr eine Umsetzung ihrer Ratschläge oder zumindest ein Feedback auf ihr Video. Im Video Sophia Thiels kommen der Aufforderungscharakter und die damit einhergehende veränderte Erwartungshaltung am
1 Die
genaue Analyse beschränkt sich jedoch ausschließlich auf die ersten 30 Sekunden des Videos und gibt folglich nur einen kleinen Überblick über die Charakteristika von nutzergenerierten Videos (vgl. Traue 2012: 292 ff.).
5.1 Varianten der Handlungsaufforderung
113
deutlichsten zum Ausdruck, indem sie einen ausdrücklichen Schlussappell an ihre Zuschauer_innen richtet: „Ich will nicht, dass ihr dieses Video einfach nur anseht (.) ich möchte das ihr Verantwortung über euer Leben übernehmt, so wie ich es vor zwei Jahren getan habe.“ (Sophia Thiel: Z. 493–495)
Bereits die Betonung des Wortes „nur“ im ersten Satz der YouTuberin verdeutlicht, dass nach ihrem Ermessen eine bloße Rezeption des Videos nicht ausreichend ist. Die Zuschauer_innen sollen darüber hinaus auch Eigenverantwortung über ihr Leben übernehmen, verändert aus der Rezeption hervorgehen und wie die Formulierung „so wie ich“ deutlich macht, sich dabei Sophia Thiel als Vorbild nehmen. Mit den Worten „Ich will nicht, dass ihr“ bringt die YouTuberin klar und unmissverständlich ein Anliegen an ihre Zuschauer_innen zum Ausdruck, welches durch das direkt daran anschließende „ich möchte, dass ihr“ nochmals verstärkt wird. Auch im analysierten Video der YouTuberin Valerie formuliert diese in etwas abgeschwächter Form einen Appell, indem sie ihre Rezipient_innen um Befolgung ihres Ratschlages bittet. Mit den Worten, „was auch immer ihr haben möchtet, bitte fürs nächste Jahr auch (.) zieht es durch wirklich“ (Valerie: Z. 755–756), fordert die Videoproduzentin zum Ende ihres Videos ihre Zuschauer_innen auf, motiviert zu bleiben und die selbst gesteckten Ziele weiter zu verfolgen. Mit diesen emphatisch vorgetragenen Worten unterscheidet sich die YouTuberin in ihrer Ausdrucksform zwar von Aufforderungen, die eine direkte ‚ich-will-dassihr‘-Struktur vermeiden, dabei jedoch ähnlich eindrücklich eine Bitte beinhalten. Derartige Aufforderungen lassen sich hingegen beim YouTuber Karl Ess zur Explikation bringen und treten bspw. im folgenden Zitat hervor: „das Biozeug, wenn ihr halt die paar Kohlen extra habt dann machts, auf Dauer is=es sicherlich gesünder“ (Karl Ess: Z. 853–855). Durch die vage Formulierung „dann macht’s“ sowie der Vermeidung einer direkten Willensäußerung appelliert Karl Ess zwar ähnlich prägnant aber etwas vager sowie unter Einschränkung, dass die Rezipient_innen etwas mehr Geld zur Verfügung haben, an diese Bioprodukte zu kaufen. Auf ähnliche Weise vermeidet auch die YouTuberin LaurenCocoXO die eindringlichen Formulierungen wie „ich will“ oder „ich möchte“ und ersetzt diese durch die Verwendung von Aufgaben, die sie ihren Zuschauer_innen stellt:
114
5
Rekonstruktionen von elementaren Charakteristika …
„Und jetz hab ich noch zwei Aufgaben für euch. Und zwar als erstesschreibt mir mal in die Kommentare, welcher Hack, also welche Nummer euch am aller=aller besten gefallen hat (.) bei mir wars definitiv das mit dem Bananen-Schoko-Eis @ und äh als zweites, wenn dir das Video gefallen hat, dann hinterlass doch einen Daumen nach oben, damit ich das sehe, dass ihr noch weitere Hacksvideos haben wollt.“ (LaurenCocoXO: Z. 106–112)
Wie die Passage verdeutlicht, richtet LaurenCocoXO zwar ebenfalls einen Appell an ihre Rezipient_innen, jedoch ist auch dieser nicht derart konkret formuliert, wie im Fall von Sophia Thiel. Einerseits sollen die Rezipient_innen zwar ausschließlich bewerten, welcher Hack ihnen am besten gefallen hat, andererseits impliziert die Bewertung, dass eben jene Hacks auch tatsächlich umgesetzt bzw. nachgeahmt wurden. Folglich appelliert die YouTuberin an ihre Zuschauer_innen auf sehr direkte Weise, das Video zu kommentieren und in indirekter Weise, die Hacks auch umzusetzen. Der Aufruf das Gesehene zu kopieren, kann mit Antonia und Lena dabei bereits bei den jüngsten analysierten Videoproduzentinnen beobachtet werden. Lena formuliert den Aufruf dabei eher als einen Ratschlag und sagt „ich kann euch nur raten euch die nachzumachen“ (Lena: Z. 237), wohingegen Antonia, wie die nachfolgenden Aussagen aufzeigen, zwar bei ihren Aufrufen die Möglichkeitsform verwendet, jedoch die Aussagen derart oft wiederholt, dass sie weniger als Konjunktiv, sondern vielmehr als Imperativ erscheinen: „Und falls ihr das nachmachen möchtet irgendwas und das nachmacht, postet ein Foto auf Instagram oder schickt es mir.“; „Und wie schon gesagt, gebt einfach den Hashtag MeliDIY an, falls ihr das gerne nachmachen möchtet.“ oder „bitte gebt diesen Hashtag an, wenn ihrs nachmacht u:nd ihr könnt mich auch markieren als Person.“ (Antonia: Z. 163–164; 184–185; 202–203)
Auffällig ist hierbei, dass im Gegensatz zu anderen Aussagen insbesondere jene Aufrufe Antonias besonders routiniert kommuniziert werden und bspw. keine Pausen, Versprecher oder ähnliches aufweisen. Ferner machen die Aufforderungen das Anliegen deutlich, ein Feedback zu ihrem Video zu erhalten, um darauf wiederum reagieren zu können. Im Falle von LaurenCocoXO und Lena dienen die Interaktionsangebote im Gegensatz zu Antonia jedoch dem Anliegen, sich konkrete Rückmeldung im Hinblick auf potentiell nachfolgende Videoproduktionen zu holen. LaurenCocoXO sagt so bspw. „Wenn ihr übrigens Interesse habt an weiteren gesunden Süßigkeiten-Ersätzen oder auch einfach mal Snackideen für die Schule, dann schreibt es in die Kommentare oder gebt dem Video einfach=einen Daumen hoch.“ (LaurenCocoXO: Z. 86–89). Auf diese Weise macht die YouTuberin deutlich, dass sie ihre Videos an die Wünsche bzw. Nachfrage
5.1 Varianten der Handlungsaufforderung
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des Publikums anpasst. Gleiches gilt für Lena, die die Nutzung des Feedbacks jedoch offener formuliert und ausschließlich berichtet, dass die Kommentierung eine große Hilfe für sie ist: „Ansonsten wie ihr wollt, schreibts mir einfach in die Kommentare und das würde mir sehr helfen“ (Lena: Z. 286–287). Bei Antonias Ansuchen über verschiedene Wege, wie bspw. Verlinkungen oder der Nennung von Hashtags bei Instagram in Interaktion mit ihren Zuschauer_innen zu treten, lässt sich hingegen kein konkretes Ziel ausmachen, warum sie ein Feedback von ihren Zuschauern möchte und erhofft, dass die Snacks nachgemacht werden. Vor allem die routinierte Wiedergabe der Aufrufe zur Kommentierung und Verlinkung des Gezeigten, legt jedoch nahe, dass Antonia jene Praktik ebenso wie den stetigen Appell, das Video mit einem „Daumen nach oben zu bewerten“, wiederum selbst nachahmt. Letztere Aufforderung unterstreicht Antonia darüber hinaus sogar visuell, indem sie den Daumen gleichzeitig nach oben streckt. Zusätzlich wird besonders an den Videos der YouTuberinnen Antonia und Lena deutlich, dass diese nicht nur zur Nachahmung ihrer Hacks und Snacks aufrufen, sondern auch wiederholt die Einfachheit betonen, mit der das Gezeigte kopiert werden kann. Demnach verwendet die Videoproduzentin Antonia in ihrem Video allein 30-mal das Wort ‚einfach‘, und auch im Video der YouTuberin Lena findet das Wort 24-mal Verwendung. Zur zusätzlichen Motivation, das Gezeigte nachzumachen, betonen die beiden YouTuberinnen zudem immer wieder, dass die Snacks auch auf andere Weise kopiert werden können. Die Betonung der Individualität bzw. Flexibilität in der Zubereitung der Snacks oder dem allgemeinen Vormachen bestimmter Prozedere wird dabei bspw. an folgenden Aussagen deutlich: „meine warn jetz aus Silikon, müssen sie aber nich“, „ihr könnt das sonst=auch einfach so einfrieren und dann so=rausziehen, aber ich find das mit Wasser einfach viel cooler und stylischer“ oder „dann eben die Erdbeeren, ihr könnt auch Limettn nehm, Limetten nehmen“ (Antonia: Z. 137; 145–147; 167–168). An diesen Aussagen kommt zum Vorschein, dass die gezeigten Snacks variabel sind und an die persönlichen Vorlieben der Zuschauer_innen angepasst werden können. Die Videos scheinen somit dem Leitsatz zu folgen, dass es nicht wichtig ist, wie genau die Zuschauer_innen die Snacks kopieren, sondern vielmehr, dass sie diese überhaupt nachmachen. Eine weitere Form der Aufforderung, die visuell vermittelt wird, zeigt sich zudem in folgenden Fotogrammen, welche aus den analysierten Videos der YouTuberin LaurenCocoXO und des Videoproduzenten Karl Ess entnommen wurden. Neben der schlichten Repräsentation des Hacks und der Darstellung, wie dieser umgesetzt und nachgeahmt werden kann, zeigt sich in Abbildung 5.1, dass durch die Nutzung des Imperativs, welcher besonders durch die Verwendung des Ausrufezeichens im Satz „Bezahl dich selbst!“ bekräftigt wird, eine klare Aufforderung
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5
Rekonstruktionen von elementaren Charakteristika …
Abbildung 5.1 LaurenCocoXO: 06.51 min.
Abbildung 5.2 Karl Ess: 07.45 min.
an die Zuschauer_innen formuliert wird. Der Text, welcher nicht nur zentriert und ausschließlich in Versalien erscheint, ist zudem in einer auffallenden Schrift sowie Farbe gestaltet und hebt sich zusätzlich durch einen Effekt der Weichzeichnung resp. Verblassung des Hintergrundes ab. Hieran wird deutlich, dass Appelle in den Videos nicht nur auditiv, sondern auch visuell vermittelt werden oder diese zumindest mithilfe der bildlichen Ebene verstärkt werden können. In ganz ähnlicher Weise findet sich jener visuell vermittelte Appell auch in Abbildung 5.2. Erneut wird der Imperativ „Komm in mein Team!“ mit einem Ausrufezeichen bekräftigt. Zusätzlich erscheint der Satz auch im Video von Karl Ess ausnahmslos in Versalien, zentriert und hebt sich durch den schlichten schwarzen Hintergrund stark von diesem ab. Der Handlungsaufforderung nachzukommen, wird den Rezipient_innen darüber hinaus erleichtert, indem diese ausschließlich der Anweisung „Hier Klicken“ folgen müssen. So werden die Zuschauer_innen mit einem Klick auf die Textstelle direkt auf eine Homepage des YouTubers weitergeleitet, in der sie an einem „Bodyworkout-Programm“ teilnehmen können. Wie an der YouTuberin Valerie sichtbar wird, werden Appelle jedoch nicht nur explizit in schriftlicher Form an die Zuschauer_innen herangetragen, sondern sie dokumentieren sich auch in Form der Gestikulation.
5.1 Varianten der Handlungsaufforderung
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Abbildung 5.3 Valerie: 00.34 min.
Das Fotogramm in Abb. 5.3 wurde vor allem aufgrund einer besonders auffälligen Gestik der abgebildeten Videoproduzentin näher analysiert. Wie sich im Fotogramm der Videoeinleitung dokumentiert, treten in erster Linie die zusammengeballten, aneinander gedrückten Hände der abgebildeten Bildproduzentin als eines der zentralen Merkmale des Fotogramms in Erscheinung (die Gebärde erstreckt sich über das Intervall von Sekunde 35 bis 37). Auffällig bei der Ausführung der Gestik ist, dass die Hände zwar in der Mitte zusammengehen, jedoch nicht ineinander verwoben sind, wie etwa beim Beten. Vielmehr werden die Hände fest vor dem Körper der YouTuberin zusammengedrückt, wodurch der appellierende Charakter des Bildes zum Ausdruck kommt. So wird mit dieser Gestik in der Regel resp. auf der Ebene des Common Sense eindringlich bzw. sehr inbrünstig auf etwas hingewiesen. Jene offensive Haltung verstärkt sich zusätzlich durch die Unschärfe der Hände, die auf eine schnelle Bewegung dieser hindeutet sowie durch die Mimik und das deutliche Zeigen der Zähne (detaillierte Interpretation, siehe Anhang I Videointerpretation Valerie 2.1). Insgesamt wird an den Ausführungen somit erkennbar, dass die Videos mal mehr mal weniger deutliche Appelle an ihre Zuschauer_innen richten, die im Hinblick auf die Rekonstruktion von Subjektnormen auch als Anrufungen gefasst werden können. Die Aufforderungen untergliedern sich dabei in Ausprägungen, die (wie im Wesentlichen die Aussagen von LaurenCocoXO aufzeigen) zudem miteinander verwoben sein können. Erstens zeigen die Videoanalysen prägnante Appelle zur Umsetzung von Botschaften oder zur Nachahmung von Praktiken, zweitens offenbaren sie aber auch Aufrufe zur Bewertung und Kommentierung
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Rekonstruktionen von elementaren Charakteristika …
der Videos, wodurch eine Interaktivität mit den Zuschauer_innen gefordert und gefördert wird. Gleichzeitig stellt sich durch die Videoanalysen heraus, dass die Imperative nicht nur sprachlich vermittelt, sondern zudem visuell zumindest verstärkt werden.
5.2
Der Aufbau von Interaktivität und Nähe
Der folgende Abschnitt zeigt auf, dass zur Förderung der Interaktivität nicht nur Appelle zur Kommentierung geäußert werden, sondern dass die YouTuber_innen durch ganz unterschiedliche Techniken Nähe zu ihren Rezipient_innen aufbauen und so die Kommunikation fördern. YouTuber_innen, so betont Döring, seien aus Sicht der Fans „Stars zum Anfassen“ (Döring 2014: 3), da sie häufig unmittelbar auf Anfragen reagieren sowie auf Videowünsche eingehen und dabei nicht selten sogar den Namen des Fragestellenden nennen oder im Video einblenden (vgl. Ganguin & Baetge 2017: 53). Gerade den Aspekt, eine Beziehung zum eigenen Publikum herzustellen, indem auf Zuschauerwünsche reagiert wird, hebt auch Traue in seiner Videoanalyse hervor (vgl. Traue 2012: 295). Ebenso weist Reichert in seinen Analysen von Make-up-Tutorials auf die Relevanz der Bezugnahme hin, indem er schreibt, dass die Herstellung von kommunikativer Nähe ein signifikantes Muster in dem Genre darstellt und durchaus vielschichtig ist (vgl. Reichert 2013: 83). Dass die Herstellung von Nähe jedoch nicht nur in Reicherts analysierten Make-up-Tutorials praktiziert wird, zeigen bspw. die Analysen des Videos der YouTuberin LaurenCocoXO. So betont die Videoproduzentin zum Beispiel direkt zu Beginn ihres Clips, dass das von ihr eingeforderte Feedback nicht ignoriert wird, sondern Eingang in ihrer Videothemenwahl gefunden hat: „Unzwar hatte ich euch ja in meinem letzten School-Hacks-Video (.) das kann euch auch nochmal hier und in=die Infobox reinverlinken, gefragt ob ihr ein weiteres Hacks-Video sehn wollt. Und euer Feedback war wirklich so=so gut (.) ich glaube das Video hatte fünfzehntausend Daumen hoch am ersten Tag. Ich hab mich wirklich total darüber gefreut und deswegen dacht ich mir (.) komm Laura, da musste noch ein weiteres Hacks-Video machn. Und deswegen, gibt es heut Fitnessund Ernährungshacks.“ (LaurenCocoXO: Z. 2–9)
Indem die YouTuberin Bezug nimmt auf Zuschauerantworten, welche sie aus einer positiven Resonanz von „fünfzehntausend Daumen hoch“ herleitet, signalisiert sie, dass sie zum einen im Austausch mit ihren Rezipient_innen steht und zum anderen, dass sich die Zuschauer_innen auf sie verlassen können, wodurch sie Vertrauen und Nähe aufbaut. Im besonderen Maße wird diese Nähe aber auch
5.2 Der Aufbau von Interaktivität und Nähe
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durch die Wortwahl der YouTuberin verstärkt, die durch verschiedene Weisen verbalisiert, dass die Zuschauer_innen keine fremden sowie passiven und stummen Rezipient_innen sind, sondern vielmehr eine resonanzgebende und vertraute Gruppe. So werden die Zuschauer_innen geduzt, es wird sich bei ihnen bedankt und sie werden nach ihrer Meinung gefragt. Zusätzlich zeigt sich an der Passage, dass die YouTuberin ihr eigenes Video einleitet bzw. anmoderiert. Auf derartige Einleitungen des eigenen Videos macht auch Traue in seiner Videoanalyse aufmerksam und vergleicht diese mit Fernsehsendungen, indem der Videoproduzent gleichzeitig die Rolle der Moderation sowie des Kuratierens übernimmt und die Sendung ankündigt. In diesem Sinne übernimmt der Videoproduzent sogar die Aufgabe der Werbung für seine Sendung, „wenn er sein Publikum auffordert, seinen ‚channel‘ zu abonnieren und (positiv) zu bewerten“ (Traue 2012: 296). Dass derartige Praktiken zum Aufbau von Nähe kein Einzelfall sind, sondern sich vielmehr als genretypische Praxis darstellen, wird an den weiteren Videovergleichen deutlich. Neben dem Duzen, welche als gängige und von allen analysierten Videos gebrauchte Umgangsform erscheint, zeigen besonders deutlich die Videos von Sophia Thiel und Lena, wie die YouTuberinnen über Danksagungen und Fragen Vertrauen und Nähe zu ihren Zuschauer_innen aufbauen. In ganz ähnlicher Weise zu LaurenCocoXO leitet auch Sophia Thiel ihr Video mit dem Hinweis ein, dass das Video auf Nachfrage bzw. Wunsch der Zuschauer_innen erstellt wurde. An der Aussage „Hey meine Lieben (.) viele von euch haben mich gefragt, ob ich nich mal ein Video zu meiner Geschichte hochladen könnte“ (Sophia Thiel: Z. 289–290), nimmt die YouTuberin direkten Bezug auf Zuschaueranfragen und gebraucht diese ebenso als Basis der Videothemenwahl. Jene Kombination aus Danksagung und Interaktivität zeichnet sich vergleichbar auch bei Lena ab, wobei diese in ihrer Formulierung offen lässt, wo, wie und von wem sie genau angesprochen wurde. In folgender Aussage ist es gerade diese Offenheit, welche den Unterschied zwischen medialen und nicht-medialen Kommunikationsweisen bzw. Beziehungen verwischt, indem dieser nicht thematisiert wird: „Äh mein nächstes Video, ich weiß nicht genau, ob es ein Alltags-Makeup wird, denn ich wurde angesprochen (.) Lena mach doch ma (.) ein Pickel-Video und zwar alles wie ich Pickel abdecken kann, wie ich sie loswerde et cetera und das war eine sehr gute Idee, danke nochmal für den Tipp.“ (Lena: Z. 282–286)
In diesem Sinne wird an der Bemerkung nicht klar, ob sie den Tipp von einem Rezipierenden über die Kommentarfunktion von YouTube oder aber von einer
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Rekonstruktionen von elementaren Charakteristika …
guten Freundin in der Schule bekommen hat, wodurch die Grenzen zwischen beiden Bereichen verschwimmen.2 Ferner wird bereits an der Aussage Sophia Thiels erkennbar, dass sie ihre Zuschauer_innen mit „Hey meine Lieben“ anspricht und hierdurch eine enge und geradezu persönliche bzw. freundschaftliche Ansprache verwendet, die suggeriert, dass die YouTuberin ihre Zuschauer_innen kennt und wertschätzt. Exakt die gleiche Begrüßung nutzt zudem auch LaurenCocoXO in ihrem Hacks-Video und genauso die Analyse des Videos von ExFitness zeigt, dass derartige Ansprachen kein Einzelfall sind. Mit den Worten „Einen wunderschönen gutn Morgen liebe Fitnessfreunde“ (ExFitness: Z. 930), begrüßt der YouTuber seine Zuschauer_innen zwar ähnlich herzlich wie Sophia Thiel und LaurenCocoXO, jedoch verzichtet dieser auf das Pronomen ‚Meine‘, welches bei den Videoproduzentinnen die persönliche Ebene besonders stark hervorhebt. Im Gegensatz dazu spricht Mirko seine Rezipient_innen mit „liebe Fitnessfreunde“ an, wodurch diese gleich zu Beginn des Videos als Teil einer Gruppe angesprochen werden. Diese Praxis findet sich in den analysierten Videos immer wieder in verschiedenen Ausprägungen. Gleichzeitig wird an den Aussagen die herzliche und gut gelaunte Grundstimmung deutlich, die als Merkmal der analysierten LifestyleVideos in Erscheinung tritt und den Aufbau von Interaktivität und Nähe zu den Rezipierenden fördert. Die positive Atmosphäre stellt sich in vielen Fällen sowohl über die Semantik als auch über die Mimik und Kulisse der Videos her.3 Insbesondere im analysierten Video von LaurenCocoXO tritt dieses Merkmal auf allen drei Ebenen sehr deutlich in Erscheinung, wodurch der Clip auch in seiner Gesamtheit durchweg heiter und vergnügt wirkt. So sind die Aussagen der YouTuberin komplett ins Positive gewandt und nahezu jeder Ausspruch erscheint froh gestimmt und durch die Betonung sowie gleichzeitige Mimik der Protagonistin geradezu euphorisch. In diesem Sinne häufen sich vorwiegend Wörter wie ‚super‘, ‚nett‘, ‚gut‘, ‚dankbar‘ und ‚Spaß‘. Diese dominieren und werden mit einem freundlichen und aufgeweckten Gesichtsausdruck wiedergegeben. Zum einen wird dabei die Mimik durch das Schminken der elementaren Ausdrucksgeber im Gesicht (Augenbrauen, Augen, Mund) in Szene gesetzt, zum anderen aber auch 2 Jene
Grenzauflösung zwischen offline- und online-Beziehungen konnten auch Schwarzenegger et al. (2018: 86) auf der Foto-Plattform Instagram beobachten. So werde auch hier häufig keine strikte Trennung der Kontakte vorgenommen. 3 Die Atmosphäre ist laut Traue ein Begriff, welcher besonders gut geeignet ist, um ‚Sichtbarkeits-Sagbarkeits-Verhältnisse‘ zu beschreiben, denn in „Atmosphären verknüpfen sich Techniken der ästhetischen Anordnung mit Kräften der kreativen Destruktion institutionalisierter Codierungen – oder ihrer Metastabilisierung“ (Traue 2013: 124).
5.2 Der Aufbau von Interaktivität und Nähe
121
durch die frontale Kameraperspektive und die nahe Kameraeinstellung in den Fokus gerückt. Zusätzlich wird die heitere und positive Grundatmosphäre durch die Kulissen untermalt, welche stets in hellen Farben gehalten sowie mit Blumen und Lichterketten dekoriert sind (detaillierte Interpretation, siehe Anhang I Videointerpretation LaurenCocoXO 2.1). Ein sehr ähnliches Bild zeigt sich ebenso bei den Videos der YouTuberinnen Antonia, Lena und Mareike, wobei die einzelnen Ebenen unterschiedlich stark ausgeprägt sind und durch diverse Besonderheiten hervorstechen. Wird eine positive Grundstimmung bei der YouTuberin Lena maßgeblich durch regelmäßiges überschwängliches Lachen hergestellt, hält die YouTuberin Antonia hingegen in ihrem Video bspw. sehr häufig ihren ausgestreckten und nach oben gerichteten Daumen in Richtung Kamera und schafft dementsprechend mithilfe ihrer Gestik stets eine ins Positive gewandte Grundstimmung. Der Daumen nach oben ist ebenso bei der Videoproduzentin Mareike präsent, jedoch führt die Protagonistin die Geste nicht selbst aus, sondern baut diese mithilfe von Nachbearbeitungen des Videomaterials ein, indem sie Bilder von Emojis bzw. Smileys über das aufgenommene Videobild legt. Darüber hinaus unterstreicht die YouTuberin die heitere Stimmung ihres Videos mit Zwischensequenzen, in denen sie selbst zu sehen ist, wie sie zu beschwingter Musik in ihrer Wohnung tanzt. Der Einsatz von heiterer Popmusik findet ebenso in den Videos von LaurenCocoXO, Antonia und Lena Verwendung, indem diese in der Post-Produktion hinzugefügt wurde und das Video leise begleitet. Auf eine andere Form, die Interaktivität und Aufmerksamkeit zu steigern, verweist zudem Reichert, indem er Ansätze von Selbstkritik und Ironie als Bereitschaft zur Kritikfähigkeit deutet, die wiederum konspirative Nähe zu den Zuschauer_innen herstellt (vgl. Reichert 2013: 92). Wenn der Autor also erklärt, dass das Erfahrungswissen von Schminkvideos als ein improvisierendes Wissen in Erscheinung tritt und die Videoproduzent_innen Umordnungen, Kritik oder Tipps explizit einfordern, da das Video als ‚Work-in-Progress‘ verstanden wird, weist dies auch darauf hin, dass die YouTuber_innen in Interaktion mit ihren Zuschauern treten wollen (vgl. ebd.: 83). Reichert spricht in diesem Sinne davon, dass die Videoproduzent_innen versuchen, „das interaktive Potenzial Sozialer Netzwerkseiten zu motivieren“ (Reichert 2013: 83). Er fügt hinzu: „Diese Strategie der Abschwächung und Relativierung der eigenen Position im Selbstentwurf erfreut sich innerhalb der unterschiedlichen Communities größter Beliebtheit, weil sie die anderen Userinnen zur Beteiligung einlädt“ (ebd.: 92). Zudem deutet der Autor auf die in Schminkvideos gängige Praxis hin mit dem direkten Blick zur Kamera eine unmittelbare Kommunikation mit dem Publikum zu simulieren und in filmästhetischer Weise diese unmittelbar zu adressieren, um Identifikation, Empathie
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Rekonstruktionen von elementaren Charakteristika …
und Sympathie seitens der Zuschauer_innen herzustellen (vgl. ebd.: 85 ff.). Auf diese Typik weisen auch Ferchaud et al. (2017) und Molyneaux et al. (2008) in ihrer Analyse von Vlogs hin und erklären, dass der direkte Blick zur Kamera eine persönliche und intime Beziehung zwischen Produzent_in und Rezipient_in kreiert, welche zudem durch die nahe Kameraeinstellung hervorgehoben wird. Die Praktik, zusätzlich Dinge oder auch Tiere ins Kamerabild zu holen und diese somit zu zeigen, kann nach Traue außerdem „der Symbolisierung der Beziehung zwischen dem Darsteller und seinem Publikum“ (Traue 2012: 295 f.) dienen. Und auch bereits der Aufbau einzelner Videos in einem Kanal mit immer wiederkehrenden Protagonisten in denselben Handlungsräumen schafft Kontinuität und lässt die Akteure als Freund_innen in Erscheinung treten, so Reichert. Zusätzlich können die Kanäle abonniert werden, was die Zuschauerinnen-Bindung weiter verstärkt (vgl. Reichert 2013: 92). Zusammenfassend zeigen die Analysen somit, dass sich der Aufbau von Interaktivität und Nähe als Typik herausbildet und mehrheitlich durch eine positive und heitere Atmosphäre, Musik und Semantik sowie durch persönliche Ansprachen, nahe Kameraeinstellungen und mittels wiederkehrender Abläufe und Protagonisten aufgebaut wird.
5.3
Die Schaffung einer virtuellen Community
Der Aufbau einer Fancommunity und somit die Sicherung eines längerfristigen Publikumszuspruchs ist laut Reichert das Ziel von Make-up-YouTuberinnen, wenn sie Fragen an ihre Zuschauer_innen stellen, um Beteiligung bitten und selbst von Unsicherheiten, Selbstzweifel und Empfehlungen berichten (vgl. Reichert 2013: 85). Über das Zuordnen der Rezipient_innen in verschiedene Gruppen seitens der YouTuber_innen und das Bezeichnen dieser als „liebe Fitnessfreunde“ oder „meine Lieben“ implementieren die Videoproduzent_innen Formulierungen, die (wie die Analysen der Lifestyle-Videos zeigen) einerseits Nähe zu den Rezipient_innen ausdrücken, da diese nicht mehr nur als anonyme Masse, sondern als Teil einer speziellen Community angesprochen werden, andererseits vereinnahmen sie diese gleichzeitig. Derartige Vereinnahmungen und Integrationen in Gruppen fallen, wie die Analysen aufzeigen, mal mehr mal weniger stark aus, können aber bei allen untersuchten Videos vorgefunden werden. Die einfachste bzw. schwächste Form, die jedoch am häufigsten verwendet wird, ist die Integration der Zuschauer_innen über die Benutzung des Wortes ‚wir‘, welches demgemäß ausdrückt, dass Zuschauer_innen und Videoproduzent_innen das Dargestellte oder Gesprochene gemeinsam erleben. Exemplarisch für solcherlei
5.3 Die Schaffung einer virtuellen Community
123
Verwendungen kann eine Passage des Videoproduzenten Mirko herangezogen werden, in der dieser sagt: „Fangen=wa einfach ma an. Hie:r ham wir die Paprika für viel Vitamin C“ (Mirko: Z. 869). So sticht an der Aussage markant hervor, wie der YouTuber sein Publikum durch die ‚Wir-Form‘ in den Vorgang, in diesem Fall der Betrachtung der Einkäufe, integriert. Auf ähnliche Weise, wie die Methode die Betrachter_innen mittels der Semantik einzubeziehen, dokumentieren sich auch auf visueller Ebene Praktiken zur weiteren Einbindung der Rezipient_innen und der Schaffung eines Gruppengefühls. Wie der schriftliche Appell „Komm in mein Team!“ aus dem Video von Karl Ess zeigt (siehe Abb. 5.2), erteilt der YouTuber demnach nicht nur eine deutliche Handlungsaufforderung, sondern er demonstriert auch, dass sein Video an ein Team bzw. genauer sein Team gebunden ist, dem es beizutreten gilt. Ferner kann bereits die Verwendung der sogenannten ‚subjektiven Kameraperspektive bzw. –führung‘ als eine Einbeziehung des Publikums auf visueller Ebene eingeordnet werden. Diese lässt, wie die folgenden Fotogramme verdeutlichen, den Zuschauer aus der Sicht des Videoproduzenten bzw. Kameramanns auf das Dargestellte blicken. Diese schon aus der Filmwelt bekannte Technik wird in professionellen Filmen häufig eingesetzt, um die Identifikation bzw. Empathie mit der handelnden Person seitens des Betrachters zu steigern. So sieht der Rezipient die Welt nun gewissermaßen mit den Augen des handelnden Akteurs und kann sich so besser in diesen hineinversetzen (vgl. Winter 1992: 61; Fiske & Hartley 2003: 27) (Abb. 5.4 und 5.5). Abbildung 5.4 LaurenCocoXO: 01.49 min.
Die erste Abbildung zeigt, wie LaurenCocoXO einen Hack mithilfe der subjektiven Kamera ablichtet und den Zuschauer_innen hierdurch erstens erleichtert, sich in sie hineinzuversetzen und zweitens, das Gezeigte exakt nachzuahmen (detaillierte Interpretation siehe Anhang I Sequenz 3 „DIY-Handytasche“). Wie die beiden Hände am linken Bildrand verraten, wurde die Kamera mithilfe eines Stativs eigens in die Perspektive positioniert und nicht improvisatorisch von der
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Rekonstruktionen von elementaren Charakteristika …
Abbildung 5.5 Lena: 02.39 min.
Videoproduzentin gehalten, wie dies in der zweiten Abbildung zu sehen ist. In dieser lichtet die YouTuberin Lena die für ihren Snack benötigten Zutaten ebenso aus der ‚Ich-Perspektive‘ ab und richtet die Kamera hierfür gleichfalls schräg nach unten. Im Gegensatz zur ersten Abbildung leitet sie die Zuschauer_innen zusätzlich mithilfe einer Zeigegeste durch die Sequenz – ähnlich einer Hilfestellung. So zeigt Lena mit ihrem rechten Zeigefinger sukzessive und synchron zur sprachlichen Aufzählung auf die jeweiligen Produkte. Hierdurch wird den Rezipient_innen das Nachvollziehen der benötigten Zutaten zusätzlich zur subjektiven Kamera potenziell vereinfacht. Des Weiteren werden die Zuschauer_innen jedoch nicht nur durch die Verwendung der subjektiven Kamera sowie der ‚Wir-Form‘ in den Videoverlauf mit einbezogen, sondern in vielen Szenen wird diesen auch ein Wissen attestiert oder ein Verhalten, eine Einstellung oder Wünsche unterstellt, welches sie als Teil bzw. Mitglied einer bestimmten Gruppe kennzeichnet. Im Falle von LaurenCocoXO kommen derartige Integrationsversuche des Zuschauers besonders deutlich an den Worten „unzwar kennen wir das nich alle“ (LaurenCocoXO: Z. 40) zum Ausdruck. So bindet die YouTuberin ihre Rezipient_innen mit den einleitenden Worten in ihre Imagination ein und generalisiert Erfahrungen, in denen sich die Zuschauer_innen wiederfinden können. Hiermit verweist sie auf einen gemeinsamen Erfahrungsraum, den sie (vermeintlich) mit ihren Zuschauer_innen teilt bzw. teilen möchte. Auf ähnliche Weise können nicht nur Empfindungen, sondern auch das Voraussetzen von Wissen als eine Form der Integration und Abgrenzung fungieren, die eine Gruppe formt und deren Mitglieder in ihrer Zugehörigkeit zueinander stärkt. Besonders die Analysen der Videos von Karl Ess und Mirko zeigen in diesem Sinne auf, dass ihre Clips an ein ganz bestimmtes Publikum gerichtet sind und speziell eine Gruppe ansprechen, die bereits über Kenntnisse im „Fitness-Lifestyle“ verfügt. So wird an Aussagen wie „Un=hier, wenn man mal (.) äh n=paar Kalorien sparn will abends oder einfach noch zusätzliche Probiotics
5.3 Die Schaffung einer virtuellen Community
125
will, sowas wie Sauerkraut is immer richtich geil“ (Karl Ess: Z. 825–827), deutlich, dass ein Wissen der Zuschauer_innen vorausgesetzt wird, was „Probiotics“ sind und warum sie zu sich genommen werden sollten. Dementsprechend bleibt eine Erklärung des YouTubers ebenso aus, wie in der nachfolgenden Anmerkung des YouTubers Mirko, der auch auf Erläuterungen verzichtet und ein bestimmtes Wissen als gegeben annimmt: „Weiter geht’s (.) Kölln Instant Flocken, meiner Meinung nach extrem geil für Hardgainer einfach maln Shake rein, gute Kohlenhydratquelle“ (Mirko: Z. 905–907). Durch das Weglassen von Erklärungen (in dem Fall, was bzw. wer „Hardgainer“ sind) wird somit auf ein Wissen verwiesen, welches als derart selbstverständlich angenommen wird, dass es keiner weiteren Erläuterung benötigt.4 Und auch Traue bemerkt ähnliche Wissensunterstellungen in seiner Analyse eines halbminütigen Videoausschnitts des YouTubers Herr Tutorial. Demnach verweise der YouTuber auf ältere Videos und Wissenszusammenhänge und konstruiere auf diese Weise ein Publikum, welches an seinen Beiträgen bereits über einen längeren Zeitraum Anteil nimmt (vgl. Traue 2012: 295). Neben gesammelten Erfahrungen und Wissen, welche beide eine bestimmte Gruppenzugehörigkeit demonstrieren können resp. einen gemeinsam geteilten Erfahrungsraum aufbauen sollen, gilt dies auch für ein bestimmtes Verhalten bzw. eine spezifische Einstellung. Besonders deutlich wird dies erneut an einer Aussage der Videoproduzentin LaurenCocoXO. So dokumentiert sich an der Anmerkung „Schokolade, natürlich (.) muss die auch sein, sonst hätte ich sie nich zu Hause“ (LaurenCocoXO: Z. 41–42) einerseits eine Selbstverständlichkeit, die maßgebend im ersten Teil des Satzes und durch das Wort „natürlich“ zum Ausdruck gebracht wird, andererseits jedoch gleichzeitig ein Versuch, diese Selbstverständlichkeit mithilfe des zweiten Teils des Satzes unter Beweis zu stellen. Folglich verweist die YouTuberin zum einen auf einen bestimmten Erfahrungsraum und stellt das selbstverständliche Verhalten in diesem dar, zum anderen sieht sie sich selbst aber auch in der Beweispflicht, diesem Muster und somit dem geteilten Erfahrungsraum ebenso zu entsprechen. Diese Ambivalenz aus simultaner Herstellung eines gemeinsamen Erfahrungsraums und dem Versuch, jenem durch Beweise auch tatsächlich zu entsprechen, weist auf den Aspekt der Glaubwürdigkeit bzw. Authentizität hin.
4 Als
Hardgainer wird ein Körpertyp bezeichnet, der von Natur aus dünn ist und sich durch einen geringen Anteil an Muskelmasse und wenig Körperfett kennzeichnet (vgl. Breitenstein 2012: 9).
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Rekonstruktionen von elementaren Charakteristika …
Insgesamt lässt sich demnach sagen, dass sich die analysierten Videos ebenso durch verschiedene Techniken und Methoden einen, mit denen es den Rezipient_innen erleichtert wird, sich schnell in eine Art virtuelle Community zu integrieren. Neben der subjektiven Kameraführung, dem Verweis auf gemeinsame Erfahrungen und Einstellungen oder ein geteiltes Wissen, kamen hierbei überdies semantische Einbindungen des Publikums zum Vorschein.
5.4
Die Relevanz von Authentizität und Glaubwürdigkeit
Laut Reichert ist die Bedeutung der Authentizität von Videos trotz Professionalisierungs- und Kommerzialisierungstendenzen der Videoplattform und ihrer Nutzer_innen immer noch sehr hoch und wird vorherrschend über die Visualität hergestellt, die ungezwungen und amateurhaft erscheint (vgl. Reichert 2013: 87). Einerseits weisen hierauf verschiedene quantitative Befragungen hin (vgl. Ferchaud et al. 2017: 88), andererseits merkt Marek aber auch an, dass der authentische Charakter YouTubes im entscheidenden Maße aus der Darstellungsform vieler Videos sowie aus der Historie der Videoplattform resultiert (vgl. Marek 2013: 18). So haftet nicht nur YouTube dieses vermeintliche Versprechen an, sondern häufig dem gesamten Medium des Internets. Denn schon zu Beginn der Internetära wurden viele Hoffnungen in die neue Technologie gesetzt und dieser dementsprechend auch Eigenschaften zugewiesen, die im Gegensatz zu den klassischen Medien geprägt sind von gesteigerter Transparenz und Demokratie. Nun war bspw. die Rede von partizipativer Gestaltung, offenen und dezentralen Foren der Meinungsbildung, der Unabhängigkeit von professionellen Expert_innen und posttraditionalen Solidargemeinschaften (vgl. Paulitz 2014: 2; Carstensen et al. 2014: 12). Dass Authentizität auch seitens der Zuschauer_innen als eine Norm an die YouTuber_innen herangetragen wird, bleibt von den Autoren zumeist jedoch unerwähnt. Ausschließlich Döring weist darauf hin, dass sich Fangemeinden von YouTube-Stars häufig beklagen, sobald die Videos unauthentisch wirken (vgl. Döring 2014: 294 f.). Besonders deutlich zeigt sich jener Aspekt aber auch an analysierten Videopassagen, in denen die Videoproduzent_innen sich auf unterschiedliche Weise rechtfertigen. Gut erkennbar kommt dieser Rechtfertigungscharakter bspw. im Video von Sophia Thiel zum Vorschein, indem sie direkt zu Beginn des Clips erklärt: „Insgesamt möcht ich euch beweisen, dass dieses Transformationsbild kein Fake is und die Geschichte hinter diesem Bild erzähl ich euch in diesem Video.“ (Sophia Thiel: Z. 293–295) Bereits das Anliegen, einen Beweis zu erbringen und den Rezipient_innen nachzuweisen, dass das Gezeigte auch der Wahrheit entspricht und somit kein
5.4 Die Relevanz von Authentizität und Glaubwürdigkeit
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„Fake is“, verdeutlicht den Wunsch, als glaubwürdig und authentisch wahrgenommen zu werden. Eine ähnliche Rechtfertigungslogik findet sich ebenso an einer weiteren Textstelle, in der sie sagt „von dem Zeitraum März zweitausendreizehn bis April zweitausendvierzehn existieren leider keine Bilder. Diese Bilder warn auf meim alten Handy und des is kaputt gegangen“ (Sophia Thiel: Z. 347–349). So dokumentiert sich an dieser Passage, dass Sophia zwar gewillt ist, einen Fotobeweis zu liefern, diesen jedoch nicht erbringen kann und sich im Zuge dessen rechtfertigt. Dementsprechend geht es ihr darum, Ehrlichkeit, Transparenz und somit ihre Authentizität zu bewahren. Neben dem Video von Sophia Thiel lässt sich die Handlungsweise, einen Beweis für seine Zuschauer_innen zu erbringen, dass das Gesagte auch der Wahrheit entspricht, ebenso beim Video des YouTubers Peter beobachten. In seiner Ausführung „damit mir nich irgendwer vorhält, dass=ich irgendwie lüge oder=so @ hier der Beweis, dass ichs auch wirklich trinke“ (Peter: Z. 1173–1175), sorgt sich Peter auf sehr ähnliche Weise wie Sophia Thiel darum, des Betruges bei der Ausführung der „Challenge“ beschuldigt zu werden, weshalb er mit der Kamera festhält, wie er tatsächlich eine Dose Cola trinkt. Die Implementierung von Techniken, die den Aufbau einer virtuellen Community unterstützen sowie das Fördern von Interaktivität und Nähe, so zeigen die Analysen, stehen immer auch in Verbindung mit dem Aspekt der Authentizität. Zum einen haftet diese der Videoplattform schon traditionell deutlich mehr an als den klassischen Medien, zum anderen wird sie aber auch immer wieder bewusst versucht, von den YouTuber_innen zu wahren bzw. herzustellen. Eine weitere Variante, Authentizität zu erzeugen oder diese zumindest zu unterstreichen, kann über die Art und Weise der Darstellung geschehen. Besonders in den Videos von Karl Ess und Mirko wird erkennbar, dass die beiden YouTuber nahezu gänzlich auf Schnitte, Nachbearbeitungen und Voice-Overs verzichten und hierdurch den Inszenierungscharakter ihrer Videos minimieren. Auf diese Weise vermitteln die Videoproduzenten mit ähnlichen Mitteln wie Reality-TV-Formate, dass das Gezeigte nicht arrangiert und modelliert wurde, sondern der natürlichen und ungekünstelten ‚Wahrheit‘ entspricht. In ihrer Radikalität der Reduzierung heben sich die Webvideos von klassischen Fernsehformaten ab und lassen diese glaubwürdiger erscheinen. Selbst sehr populäre Reality-TV-Formate und Castingshows wie bspw. ‚Big Brother‘ und ‚Deutschland sucht den Superstar‘ reichen nicht an die Authentizität von Webvideos heran, so Carstensen (vgl. Carstensen et al. 2014: 12). In diesem Kontext spricht Traue gar von einer Aufwertung von Amateurproduktionen, die sich gerade darin zeige, dass sich viele kommerzielle Fernsehproduktionen der Ästhetik des Amateurvideos bedienen und diese nachahmen (vgl. Traue 2012: 282). Der gleichzeitige Eindruck des unprofessionellen und
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Rekonstruktionen von elementaren Charakteristika …
amateurhaften, welcher jener improvisierten Darstellungsweise anheftet, erhöht dabei einerseits die Glaubwürdigkeit der YouTuber_innen, andererseits wird ihnen zugleich eine höhere Kreativität und Innovationsfreude attestiert, so Marek (vgl. Marek 2013: 54). Wie Breuer vor allem bezogen auf Webvideos, die explizit wissenschaftliche Forschung und Wissen vermitteln sollen, aufzeigt, ist eine authentische Inszenierung der Videoprotagonisten dabei ein entscheidender Faktor für den Erfolg von Webvideos. Nach Festellung des Autors seien demnach besonders solche Clips beliebt, die den Fokus mehr auf den Wissenschaftler vor der Kamera und dessen persönliche Forschung legen, als auf eine abstrakte und anonyme Vermittlung des Wissens durch Kommentatoren. Der Einsatz von wackeligen Handykameras und einem unprofessionell wirkenden Kamerastil vermittele den Zuschauer_innen dabei das Gefühl, direkte Beobacht_innen zu sein (vgl. Breuer 2012: 105 f.). Reichert bezeichnet diesen YouTube-typischen Filmstil als Lowtech-Ästhetik und hebt gleichermaßen dessen hohe Relevanz für den Erfolg von Kanälen hervor (vgl. Reichert 2013: 86).5 Ferner weisen auch Zhang et al. darauf hin, dass Amateurvideos im Gegensatz zu professionellen Videos höhere Interaktionen, in Form von Likes oder Kommentaren hervorrufen, da die Zuschauer_innen größere Gemeinsamkeiten zwischen sich und den Videoproduzent_innen sehen (vgl. Zhang et al. 2017). Wie die analysierten Videos der YouTuber Karl Ess und Mirko veranschaulichen, kommt die Anwendung einer improvisiert und unprofessionell anmutenden Darstellung zur Erhöhung der Authentizität dabei ebenso im Lifestyle-Genre zum Einsatz. Neben dem Kamerastil spielen aber auch die Kulisse und die Kleidung der Protagonisten wichtige Rollen. Demnach führt Breuer den Erfolg des amerikanischen YouTube-Kanals Sixty Symbols unter anderem darauf zurück, dass die Videos des Kanals authentisch wirkende Arbeitsplätze statt Studios zeigen und die Protagonisten ebenfalls natürlich repräsentiert werden, indem sie Alltagskleidung tragen und eine Alltagssprache sprechen (vgl. Breuer 2012: 106). Wie die Analysen Breuers und die Videointerpretationen zu den YouTubern Karl Ess und Mirko demonstrieren, kann eine Praktik zur Herstellung von Authentizität daher gerade in einem bewussten Verzicht von Inszenierungen bestehen. Insgesamt ist die Strategie des bewussten Verzichts unter Webvideos weit verbreitet und beschränkt sich nicht allein auf die Kulisse oder das Erscheinungsbild der 5 Zwar
bezieht sich der Stilbegriff ursprünglich auf die Kunst, jedoch ist er, wie an etwaigen Begriffen wie Lebensstil, Denkstil usw. deutlich wird, in den Sozialwissenschaften angekommen. Stile zeigen nach Traue soziale Codierungen und Distinktionstechniken an und die Analyse visueller Stile erlaubt es „ästhetisch artikulierte soziale Teilungsprozesse zu rekonstruieren“ (Traue 2013: 123).
5.4 Die Relevanz von Authentizität und Glaubwürdigkeit
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Videoprotagonisten, sondern weitet sich regelmäßig auch auf das Skript aus. So sind es nach Breuer häufig gerade die Videos, welche nicht konzeptionalisiert und perfekt inszeniert wirken, welche beim Rezipierenden eine Unmittelbarkeit und Glaubwürdigkeit hervorrufen (vgl. ebd.: 110). Auch Reichert sieht gerade in dieser Low-Tech-Ästhetik einen entscheidenden Erfolgsfaktor für YouTube-Kanäle. Grobkörnige, ungeschnittene Videos ohne geplante Dramaturgie und viel Improvisation verleihen demnach den YouTuber_innen häufig Authentizität und Popularität, da das ungeschnittene Videomaterial in der YouTube-Community als besonders lebensnah und glaubwürdig wahrgenommen wird. So sei insbesondere die Nachfrage nach solchen Videos groß, die ohne viele Montagen auskommen und auf diese Weise eine LiveAtmosphäre generieren, so Reichert (vgl. Reichert 2012: 105 f.). Wie dieser zudem richtig bemerkt, lässt sich die Relevanz der Videos im Netz dementsprechend nicht über Aspekte der filmischen Ästhetik erschließen (vgl. Reichert 2013: 93) und sie gibt häufig auch keinen unmittelbaren Aufschluss über den Professionalisierungs- und Kommerzialisierungsgrad der Videos. Hier geht die Meinung der bisherigen Forschung jedoch auseinander, da Döring im Gegensatz dazu einen Trend zur Professionalisierung und Kommerzialisierung auf YouTube ausmacht, in der sich erfolgreiche Clips durch aufwändige Schnitt- und Effekttechniken sowie durch eine professionelle Ausstattung kennzeichnen und das Betreiben eines erfolgreichen Videokanals eine enge bzw. regelmäßige Kommunikation mit der Community erfordert. Nach Döring ließe sich somit in Opposition zu Reichert ein Bezug zwischen filmischer Ästhetik und dem Erfolg eines Videos herstellen. Dennoch litten die Clips trotz jenes Professionalisierungs- und Kommerzialisierungstrends nicht an Authentizitätseinbußen und die Bindung zu den Fans sei immer noch sehr hoch (vgl. Döring 2014).6 Eine weitere Technik zur Authentifizierung kann in diesem Zuge darin bestehen, die Intentionen hinter dem Video offenzulegen. Zum einen ist dies mithilfe der Videotitel und –informationen sowie anhand von Überschriften auf schriftlicher Ebene (vgl. Reichert 2013: 88), zum anderen aber auch auf sprachlicher Ebene möglich, indem das Vorhaben bzw. der Zweck des Videos gleich zu Beginn des Clips geäußert wird. Jene Praktik dokumentiert sich bspw. besonders klar im Video der YouTuberin LaurenCocoXO, die bereits in der ersten Sequenz ihres Clips verlauten lässt, dass es ihr Ziel ist, mithilfe des Videos bzw. den darin 6 Ebenso
seien Produktempfehlungen von YouTuber_innen (trotz des Professionalisierungstrends) weiterhin sehr wirkungsvoll. So schreibt Döring: „Wenn eine beliebte Beauty-YouTuberin einen neuen Lippenstift lobt oder ein bekannter Fitness-YouTuber einen bestimmten Eiweiß-Shake empfiehlt, dann laufen Tausende von Jugendlichen los, um genau diese Produkte zu kaufen.“ (Döring 2014: 2)
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Rekonstruktionen von elementaren Charakteristika …
dargebotenen Hacks, das Leben der Rezipient_innen einfacher zu gestalten. Auf diese Weise wird gleich von Beginn an der Anspruch des Videos offen kommuniziert, dass es das Anliegen sei, Einfluss auf das Alltagsleben der Rezipient_innen zu nehmen, anstatt bspw. ausschließlich auf die Länge des Videos beschränkte Unterhaltung zu bieten. Jenes Vorgehen zeigt sich ähnlich klar im Video des YouTubers Karl Ess, der ebenso direkt im zweiten Satz des Videos seine Intentionen verlauten lässt, indem er sagt: „ich zeig euch jetz mal wieder was, die essentiellen Sachen sind (.) bei nem Fitness-Lifestyle, wenns um die Ernährung geht“ (Karl Ess: Z. 779–781). Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass in den Videos zum einen explizit darauf verwiesen wird, dass das Gezeigte der Wahrheit entspricht, zum anderen wird dem Authentizitätsanspruch dahingehend nachgekommen, dass durch verschiedene Mittel, wie bspw. der Low-Tech-Ästhetik oder dem Offenlegen von Intentionen, eine glaubwürdige Vermittlung betont wird. Einen Beitrag zur Grundskepsis der Rezipient_innen gegenüber dem Gezeigten ruft dabei unter anderem die relative Anonymität der Videoprotagonisten hervor, so die Annahme Breuers. Demnach stehen die Rezipient_innen in der Regel in keinem unmittelbaren sozialen Verhältnis zu den Protagonist_innen und müssen daher erst anhand der abgebildeten Akteur_innen versuchen, die Botschaften einzuordnen: „Ein wichtiger Aspekt ist hierbei die Fähigkeit des Senders, zumindest den Eindruck zu erwecken, dass sein Auftreten und seine Aussagen nicht durch äußere Einflüsse bestimmt werden, dass er also authentisch, ehrlich und transparent agiert“ (Breuer 2012: 109). Ferner ist es von Nöten, die Anonymität zu reduzieren, wenn die Videoproduzent_innen als authentisch wahrgenommen werden wollen. Wie Ferchaud et al. (2017) in ihrer Studie darlegen konnten, ist es zur Vermittlung von Authentizität demnach grundlegend, dass die Videos auch die Gesichter der YouTuber_innen zeigen. In diesem Sinne muss zum einen Nähe aufgebaut werden (siehe Abschnitt 5.2), zum anderen müssen Informationen preisgegeben werden, welche es den Zuschauer_innen ermöglichen die Videoproduzent_innen auch tatsächlich einordnen zu können. Wie die Videoanalysen zeigen, besitzt jener Aspekt der Preisgabe persönlicher Informationen eine hohe Relevanz und wird auf verschiedene Weisen von den YouTuber_innen praktiziert, indem sie bspw. das eigene Zimmer, Haustiere oder ihr Privatleben präsentieren (vgl. Wagner & Forytarczyk 2015: 11). Dies ist von Nöten um die Glaubwürdigkeit des Gezeigten zu steigern, es hilft zusätzlich aber auch Identifikationsmöglichkeiten zu schaffen.
5.5 Selbstdarstellungen und die Herstellung von Empathie …
5.5
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Selbstdarstellungen und die Herstellung von Empathie und Identifikationsmöglichkeiten
Ein wesentlicher Unterschied zwischen TV-Produktionen sowie Kinofilmen auf der einen Seite und nutzergenerierten YouTube-Videos auf der anderen Seite, besteht nicht nur im ausgeprägten Appellcharakter, der Interaktivität und Nähe zum Rezipierenden sowie des hohen Authentizitätsversprechens der YouTubeClips, sondern wie im Folgenden aufgezeigt wird, auch in der gesteigerten Möglichkeit, Identifikationsmöglichkeiten zu schaffen. Identifikation bedeutet dabei, dass sich die Rezipient_innen in die Rolle der Medienfigur hineinversetzen. Hierdurch kommt es zu einer temporären Verschiebung der Selbst-Wahrnehmung, bei der die Rezipient_innen an Erfahrungen und Emotionen der Medienfigur partizipieren (vgl. Wünsch 2006: 42). Vorrangig schlagen sich derartige Identifikationen zwar in der Vorstellung der Rezipient_innen nieder, jedoch werden sie auch äußerlich anhand von Imitationen mit der Identifikationsfigur erfahrbar. Hierdurch unterscheidet sich die Identifikation von dem Begriff der Empathie, welcher sowohl im Alltagsgebrauch als auch bei Untersuchungen häufig mit dem Konzept der Identifikation vermischt wird und ausschließlich eine Bezugnahme mit (Medien-) Personen beschreibt (vgl. Döring 2013: 297 ff.). Aus psychologischer Sicht lassen sich dabei zwischen der kognitiven Empathie und der affektiven Empathie unterscheiden. Bei der erstgenannten Variante vollzieht der Rezipierende eine Perspektivübernahme und versucht in einem eher rationalen Prozess die Situation mit den Augen des Protagonisten zu betrachten, wohingegen der Rezipierende bei der affektiven Empathie mit der Medienfigur mitfühlt bzw. sich in diese einfühlt (vgl. Wünsch 2006: 52).7 Wie Döring betont, steigert die Hervorbringung von Empathie mit Medienpersonen dabei zum einen den Unterhaltungswert (Medien-Enjoyment), zum anderen können hierdurch aber ebenso wie bei der Identifikation Einstellungs- und Verhaltensänderungen gefördert werden, weshalb sich auch bspw. Werbungen den Empathie-Effekt zunutze machen oder Identifikationspersonen präsentieren. Ein weiteres psychologisches Konzept besteht zudem in der parasozialen Beziehung mit Medienpersonen, welche im Gegensatz zur Empathie nicht spontan und situativ erfolgt, sondern situationsübergreifend über einen längeren Zeitraum aufgebaut wird (vgl. Döring 2013: 299 ff.). In diesem Fall baut der Rezipierende eine soziale Beziehung zu der Medienperson auf, die in der Folge als eine Art persönlicher Bekannter oder 7 Zusätzlich
kann mit der ‚emotionalen Ansteckung‘ noch eine dritte Kategorie in das Empathiekonzept eingefügt werden, jedoch kommt diesem Aspekt eine gesonderte Stellung zu. Von emotionaler Ansteckung wird gesprochen, wenn das mimische Ausdrucksverhalten der Medienakteure unbewusst nachgeahmt wird (vgl. Wünsch 2006: 53).
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Rekonstruktionen von elementaren Charakteristika …
guter Freund erscheinen (vgl. Unz & Schwab 2006: 184). Gerade dieser Typus zeigt sich verschiedenen Ausführungen nach besonders stark bei YouTube-Stars, da diese authentisch erscheinen und soziale Interaktionen über Kommentare oder andere Social Media Sites ermöglichen (vgl. Döring 2013: 302 f.; Ganguin & Baetge 2017: 53).8 Darüber hinaus heben sich YouTube-Videos (insbesondere solche, die im Lifestyle-Genre angesiedelt sind) gerade deshalb ab, weil sie reale Probleme, Fragen und Situationen der YouTuber_innen behandeln. Alle analysierten Videos haben in diesem Kontext auch gemeinsam, dass der Betrachter anstatt einer Filmkulisse oder eines Studios ein privates Zimmer und nicht selten sogar das Kinder- bzw. Jugendzimmer des YouTubers vorfindet, wodurch den Rezipient_innen ein Zugang zu den privaten Räumen und vermeintlich sogar zur Privatsphäre resp. Hinterbühne der YouTuber_innen eröffnet wird. So gilt das eigene Zimmer stets als ein von der Außenwelt abgetrennter Raum, nach Goffman sogar als eine Art Hinterbühne, auf der die Individuen zum Einen ihre Rolle ablegen und sich zum Anderen auf ihre öffentliche Selbstdarstellung vorbereiten (vgl. Reichert 2012: 105). Zugang zu dieser Bühne erhalten in der Regel demnach höchstens Familienmitglieder und sehr enge Freunde (vgl. Goffman 2010: 105). Die Öffnung der Hinterbühne auf YouTube symbolisiert somit hingegen sowohl eine enge und vertraute Beziehung zwischen Sender und Empfänger (vgl. Molyneaux et al. 2008: 7) als auch ein authentisches Auftreten des Protagonisten (vgl. Autenrieth 2018: 60), da sich dieser in seiner vermeintlich privaten Sphäre befindet, nicht inszenieren muss und seine Rolle ablegen kann. Dies gilt besonders für die bereits erwähnten Kinder- und Jugendzimmer, wie sie bspw. in den Videos von Antonia, Lena und Peter zu sehen sind. Gleichzeitig verweist die Öffnung der privaten Zimmer jedoch nicht nur auf ein Vertrauensverhältnis zwischen Produzent_innen und Rezipient_innen, sondern sie kann zudem die Identifikationsmöglichkeiten mit den YouTuber_innen verstärken, da diese hierdurch mal mehr mal weniger umfangreiche Einblicke in ihre Privatleben geben und es den Zuschauer_innen ermöglichen, sich in die persönliche Welt der YouTuber_innen hineinzuversetzen.
8 Eine
weitere Theorie, welche in diesem Zuge an Relevanz gewinnt, ist die von Leon Festinger entwickelte psychologische Theorie des sozialen Vergleichs, die besagt, dass sich Menschen bei ihrer Selbsteinschätzung geradezu automatisch mit anderen Personen bspw. hinsichtlich körperlicher Attraktivität, sozialem Status etc. vergleichen. Dies gilt nach Döring ebenso für Medienfiguren, wobei diese häufig idealisiert erscheinen und bspw. wie bei Schauspieler_innen oder Models unerreichbare Schönheitsnormen verkörpern (vgl. Döring 2013: 300 f.).
5.5 Selbstdarstellungen und die Herstellung von Empathie …
133
Beim Video der YouTuberin Mareike bspw. sind neben Dekorationsartikeln auch eine Reihe von privaten Fotos im Bildhintergrund zu sehen, welche die YouTuberin mit Freunden oder Verwandten zeigen. Ähnlich wie eine Art virtueller Katalog, eröffnet der abgelichtete Raum Informationen zu Hobbys, Einrichtungsund Lebensstil sowie dem Geschmack der Videoproduzent_innen. Exemplarisch wird dies an folgendem Fotogramm deutlich, welches dem analysierten Video der YouTuberin Lena entnommen wurde (Abb. 5.6):
Abbildung 5.6 Lena: 00.18 min.
Umgeben von ihrem Bett, Schreibtisch, Kommode und Kleiderschrank, sitzt die YouTuberin Lena inmitten ihres Jugendzimmers und lichtet von dort aus ihr Video ab. Bereits ohne detaillierte Analysen fällt auf, dass alle Möbelstücke wie auch die Zimmerwände in weiß gehalten sind und hierdurch aufeinander abgestimmt wirken. Neben den vordergründigen Einrichtungsgegenständen geben aber zusätzlich die abgelichteten Kosmetik- und Dekorationsartikel, wie bspw. Poster und Bilderrahmen sowie die an der Türgarderobe hängenden Jacken Einblicke in den Geschmack bzw. Stil der YouTuberin. Zwar ist die YouTuberin zentriert und der Bildmittelpunkt befindet sich auf der Hand der Akteurin, jedoch zeigt die planimetrische Komposition des Fotogramms viele dominante Linien, die von den Möbeln ausgehend quer durch das Zimmer und die YouTuberin verlaufen. Hierdurch erscheint diese als Teil des Zimmers, auch wenn sie sich farblich absetzt. Denn ebenso die vielen Ebenen des Bildes tragen dazu bei, dass dieses nahezu
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Rekonstruktionen von elementaren Charakteristika …
dreidimensional anmutet und der vermeintliche Hintergrund auf quasi jeder Bildebene präsent ist. Verstärkt wird dieser Effekt zusätzlich durch den Spiegel, der sich hinter der Akteurin befindet und durch seine Reflektion weitere Ecken im Raum sichtbar macht. Häufig werden private Informationen zum Geschmack und somit zum Habitus der YouTuber_innen, die durch Räume und Utensilien hervortreten, zudem gerahmt von Informationen, welche die YouTuber_innen über ihr Privatleben preisgeben, indem sie bspw. über ihre Lebensgeschichte sprechen. Besonders deutlich wird dies in folgender Passage der YouTuberin Sophia Thiel: „Ich bin in=einem kleinen Vorort von Rosenheim, im Süden Bayerns aufgewachsen. Meine Eltern sind selbstständige Zahntechniker und seit ich klein wa, gab=es schon immer einen sehr engen Familienzusammenhalt.“ (Sophia Thiel: Z. 295–298).
Indem die YouTuberin Auskunft über ihren Heimatort, die Berufe ihrer Eltern, das allgemeine Familienklima und an anderer Stelle bspw. noch Hinweise über ihre Urlaubsroutine gibt und berichtet, dass sie jedes Jahr gemeinsam mit ihren Eltern nach Spanien in den Urlaub fährt, lässt sich das Leben der Videoproduzentin einordnen, nachvollziehen und es offeriert den Rezipient_innen, Anschlusspunkte und Parallelen zum eigenen Leben herzustellen. Auf diese Weise baut Sophia Thiel nicht nur Nähe zu ihren Zuschauer_innen auf, sondern sie schafft zudem Möglichkeiten, sich mit ihr zu vergleichen und bspw. aufgrund desselben Herkunftsortes Empathie aufzubauen oder sich gar mit ihr zu identifizieren. Zwar veranschaulichen zahlreiche Studien, dass ebenso die Identifikation mit Charakteren aus Spielfilmen und Serien sowohl für die Rezipient_innen als auch für die Produzent_innen von Bedeutung sind, jedoch ist die Identifikation unweigerlich begrenzt auf eine inszenierte Rolle, die von Schauspieler_innen dargestellt wird. Gerade deshalb, weil der YouTube-Kanal Lonelygirl15 diese Ordnung durch eine Vortäuschung von Echtheit und Authentizität durchbrach, indem der kommerziell betriebene Kanal gescriptete Videoblogs (Vlogs) einer Schauspielerin zeigte, sorgte der Kanal für großes Aufsehen und stieg zu einem regelrechten Medienereignis auf (vgl. Kuhn 2011). Denn nach Döring ist die Empathie mit virtuell auftretenden Personen im Internet (wie bspw. Bloggern) „stark von deren Glaubwürdigkeit abhängig, insbesondere nach spektakulären Fällen von Identitätstäuschung (‚Fakes‘)“ (Döring 2013: 298). In diesem Kontext zeigt die Studie von Ferchaud et al. (2017), dass eine hohe Selbstauskunft von YouTuber_innen diese gleichzeitig authentischer erscheinen lässt. Zugleich verweisen derartige Ausführungen über das private Leben jedoch immer auch auf Formen von Selbstdarstellungen. Jener ebenso von Reichert
5.5 Selbstdarstellungen und die Herstellung von Empathie …
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thematisierte Aspekt ist demnach nicht nur bei Make-up-Tutorials ein zentrales Charakteristikum (vgl. Reichert 2013: 93), sondern ebenso im Genre der Lifestyle-Videos insgesamt. Einerseits heben sowohl diverse Studien die Relevanz der Selbstdarstellung in YouTube-Videos hervor, andererseits offenbart sich diese auch im Kontext der in der vorliegenden Arbeit analysierten Videos. So spricht Eisemann dem Aspekt der Selbstdarstellung ebenso eine bedeutende Rolle in seinen Analysen der C Walk-Community zu (vgl. Eisemann 2015: 305 ff.) wie Bleicher (2011) oder Reichert, der gar vom Genre der sogenannten ‚EgoClips‘ spricht, also Videos in denen eine exzessive narzisstische Eigenpräsentation betrieben wird, wobei Reichert darüber hinaus auch auf partielle Selbstkritik oder Ironiesignale verweist, die in Make-up-Videos vorzufinden sind und hierdurch den „narzisstischen Gestus der Selbstdarstellung“ (Reichert 2013: 90 ff.) abschwächen würden. Im Kontext der Selbstdarstellung kann zudem die als genretypisch zum Vorschein kommende Besonderheit der Ästhetisierung gefasst werden, wie sie vor allem in den Videos des YouTubers Peter sowie der Videoproduzentin LaurenCocoXO zu sehen ist. So werden in den Videos insbesondere zubereitete Lebensmittel über verschiedene Weisen möglichst ästhetisch angerichtet und abgelichtet. Neben dem Einsatz von Nahaufnahmen, die dafür sorgen, dass das abgelichtete Essen im Detail gezeigt wird, lassen sowohl LaurenCocoXO als auch Peter ihre Kamera über den Speisen kreisen und filmen diese aus mehreren Perspektiven. Zusätzlich kommt zudem die Videotechnik der Zeitlupe zum Einsatz. Im Video der YouTuberin Antonia tritt die Relevanz der Ästhetisierung hingegen weniger über technische Mittel der Kameraführung und Nachbearbeitung des Videos hervor, sondern vielmehr an ihren Bemerkungen. So sollen bspw. ihre angefertigten Erdbeer-Eiswürfel nicht etwa für einen besonderen Geschmack sorgen, sondern nach eigener Aussage ausschließlich „stylisch“ und „cool“ aussehen, wohingegen sie bei Unförmigkeiten als „Fail“ bezeichnet werden. Dies zeigt sich auch bei der Zubereitung ihres „Sommer-Frühlings-Getränks“, bei dem es ebenso sehr wichtig erscheint, einen „coolen Effekt“ zu erzielen (siehe Amlie ab. Z. 168). Als entscheidendes Merkmal der Selbstdarstellung hebt Reichert in erster Linie die sich auch bei den analysierten Videos als typisch abzeichnende Kameraeinstellung hervor, welche die Protagonist_innen im Kamerabild zentriert und sie aus einer frontalen und nahen Perspektive zeigt, sodass der Bildmittelpunkt unmittelbar auf den Videoproduzent_innen liegt und diese fokussiert werden und an Bedeutung gewinnen (vgl. Reichert 2013: 92 ff.). Traue bezeichnet diese typische Einstellung auch als ‚Blogger-Zimmer‘, die sich dadurch kennzeichnet, dass sich der Videoproduzent in den Mittelpunkt der eigenen Produktion stellt. Ferner spricht Traue ebenso von einem typischen ‚Blogger-Schnitt‘. Dieser äußert
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Rekonstruktionen von elementaren Charakteristika …
sich dadurch, dass auf einen Filmschnitt die gleiche Kameraeinstellung wie vorher folgt (vgl. Traue 2012: 294). Zusätzlich gestärkt wird die Fokussierung auf die abgebildete Person in vielen Fällen durch eine farbliche Abhebung, indem der Bildhintergrund in dezenten Farbtönen wie weiß und grau gehalten wird, wohingegen die Protagonist_innen durch bunte Oberteile hervorstechen und dabei stark gestikulieren (besonders deutlich tritt diese Variante in den analysierten Videos der YouTuberinnen Sophia Thiel und LaurenCocoXO hervor). Eine Steigerung jener selbstdarstellerischen Kameraeinstellung findet sich darüber hinaus bei den YouTubern Mirko und insbesondere bei Karl Ess. So richten sich diese nicht nach der Kamera aus und setzen sich vor diese, sondern sie halten ihre Kamera stets in der eigenen Hand und filmen sich selbst aus einer leichten Unter- bzw. Froschperspektive. Erstens nehmen sich die YouTuber auf diese Weise aktiv selbst auf, zweitens wirken die Videoproduzenten durch den Einsatz der Unterperspektive größer und sie schauen zum Zuschauer herunter, ähnlich wie Eltern zu ihrem Kind. Neben der Kameraeinstellung und weiteren visuellen Mitteln der Selbstdarstellung kann diese natürlich auch sprachlich zum Ausdruck kommen. Besonders augenscheinlich wird dies im Video der YouTuberin Valerie, die ihren Clip mit den Worten „Hallo Leute, willkommen auf meinem Video, heute bin ich wieder da“ (Valerie: Z. 598) einleitet und hiermit klar macht, dass sie als Protagonistin im Fokus des Videos steht. Bereits an der Formulierung „Willkommen auf meinem Video“ und der Verwendung des Pronomens ‚Mein‘, welches die Zugehörigkeit zur Sprechenrin betont, wird ersichtlich, dass es sich um ihr Video dreht und dass dies hervorgehoben werden muss. Verstärkt wird diese Fokussierung auf die eigene Person direkt im Anschluss, indem sie mit den Worten „heute bin ich wieder da“ fortfährt und damit abermals akzentuiert, dass es sie als Person ist, die im Video die zentrale Rolle einnimmt. Gerade bei der YouTuberin Valerie wird zudem deutlich, wie die Videoproduzentin stets ihren eigenen Körper hervorhebt und unter ästhetischen Gesichtspunkten analysiert und dementsprechend modelliert und anpasst. Hieran wird sichtbar, dass der Körper in selbstdarstellerischer Weise präsentiert wird. Gleichzeitig machen die verschiedenen Formen der Selbstdarstellung deutlich, dass diese nicht etwa im Kontrast zur Authentizität stehen und bspw. ein ‚falsches‘, weil ‚inszeniertes‘ Bild abgeben, sondern vielmehr, dass die YouTuber_innen auf unterschiedliche Weise, sich selbst und somit ihren Habitus präsentieren. So sind Selbstdarstellungen, wie Goffman bereits ausführlich aufzeigen konnte, ein stetiger Bestandteil des Alltags und von sozialen Handlungen (vgl. Goffman 2010). Inszenierungen des Selbst, so lassen in diesem Kontext auch theoretische Ausführungen von Schroer erkennen, seien zudem gerade unter Individualisierungsbedingungen immer notwendiger, da „sich das
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Individuum nicht mehr ohne weiteres auf die Bestätigung seiner selbst durch die ihn umgebende soziale Umwelt verlassen kann.“ (Schroer 2010: 277) Auf Seiten der Rezipient_innen ermöglichen derartige Präsentationen des Selbst und Inszenierungen des Habitus einerseits, sich mit den YouTuber_innen in Bezug zu setzen, diese näher kennenzulernen, Empathie aufzubauen oder sich mit diesen zu vergleichen oder gegebenenfalls sogar zu identifizieren. Andererseits unterstützen derartige Präsentationen aber auch habituelle Eigenheiten und Praktiken nachzuahmen oder sich an diesen zu orientieren. Dabei steht die Präsentation des Selbst bzw. Habitus zugleich in Verbindung mit den zuvor geschilderten Charakteristika der Lifestyle-Videos. Die Trennung der allgemeinen Charakteristika von YouTube-Videos (insbesondere im Lifestyle-Genre) einerseits sowie der Rekonstruktion von Subjektnormen und Subjektivierungen andererseits, ist überwiegend zur Verdeutlichung notwendig, dass die identifizierten Eigenarten keine Eigenschaften der Subjektnormen, sondern ausschließlich des Mediums darstellen. Zwar wird die Wirkkraft der Normen ggfs. durch die verschiedenen Besonderheiten des Mediums begünstigt bzw. unterstützt, jedoch können sich die Subjektnormen genauso in klassischen Medienformaten wie bspw. Fernsehsendungen dokumentieren. Nachdem daher ausschließlich die Videoanalysen im Bezug auf besondere Merkmale des Lifestyle-Genres dargelegt und mit dem bisherigen Stand der YouTube-Forschung verknüpft wurden, soll sich im Folgenden den zu analysierenden Rekonstruktionen der Subjektnormen und Subjektivierungen bzw. dem sich in den Videos dokumentierenden Verhältnis zwischen Norm und Habitus der Videoproduzent_innen gewidmet werden.
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Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen in Lifestyle-Videos
Die Rekonstruktion von Subjektnormen und Subjektivierungen mithilfe von Videoanalysen, welches das primäre Forschungsanliegen der Arbeit ist, erfolgte entlang der dokumentarischen Subjektivierungsforschung, wie sie in Kapitel 4 ausführlich beschrieben wurde. Anhand der zehn ausgewählten YouTube-Clips wurde dementsprechend erstens der Frage nachgegangen, welche Normen sich in den Videos der YouTuber_innen dokumentieren und zweitens wie die Videoproduzent_innen den normativen Ordnungen begegnen, das heißt, in welcher Relation diese zum Habitus stehen. Drittens schloss sich die Fragestellung an, inwiefern sich über komparative Analysen Reproduktionen von Videoinhalten insbesondere auf der Ebene der Erfahrung und des Umgangs mit Normen rekonstruieren lassen. Anstatt normative Ordnungen somit zuvor theoretisch oder diskursanalytisch zu bestimmten, bestand die Aufgabe darin, diese empirisch-rekonstruktiv zu identifizieren und mithilfe der Dokumentarischen Methode auszuwerten. Denn ebenso wie sich Normen in Interviews und Gruppengesprächen dokumentieren, sind diese auch in Bildern und Videos eingeschrieben. Wie Abbildung neun verdeutlicht, wurden sowohl die populären als auch die darauf bezugnehmenden Videos hinsichtlich sich dokumentierender Normen, dem Habitus der YouTuber_innen sowie der Relation eben jener Ausprägungen analysiert. Da sich der Frage nach Reproduktion von Videoinhalten jedoch ausschließlich in den bezugnehmenden Videos gewidmet wurde, soll sich im folgenden Abschnitt 6.1 zunächst exklusiv den Interpretationen der populären Videos Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/ 978-3-658-31754-6_6.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Burghardt, Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen, Film und Bewegtbild in Kultur und Gesellschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31754-6_6
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Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
zugewendet werden. So fokussieren sich die Analysen der populären Videos weniger auf die Frage wie bspw. Subjektnormen reproduktiv durch Rezeptionsprozesse angeeignet werden, sondern gehen primär der Frage nach, wie sich die in den Videos dokumentierenden Subjektnormen im Detail darstellen, im wechselseitigen Vergleich voneinander unterscheiden und wie mit diesen auf unterschiedliche Weise seitens der Videoproduzent_innen umgegangen wird. Erst im anschließenden Unterkapitel 6.2 wird mittels gezielter Videovergleiche zwischen den populären Videos und den bezugnehmenden Clips untersucht, inwiefern sich darüber hinaus Reproduktionen von Videoinhalten rekonstruieren lassen, die sich insbesondere auf den genannten Ebenen des Habitus, der Normen und des Verhältnisses zwischen diesen bewegen. Demnach wird sich vorerst den Videos der populären YouTuber_innen LaurenCocoXO, Sophia Thiel, Karl Ess und ExFitness zugewandt, bevor diese in Komparation zu den Videos der YouTuber_innen Antonia, Lena, Valerie, Mareike, Mirko und Peter gesetzt werden, welche aufgrund verschiedener Kongruenzen oder Bezugnahmen als Vergleichshorizont dienen, um mögliche Reproduktionen zu rekonstruieren (siehe Kapitel 4) (Abbildung 6.1). Zur besseren Nachvollziehbarkeit der empirischen Ergebnisse soll vorwegnehmend bereits erläutert werden, dass insbesondere anhand der Analysen der populären Videos verschiedene Subjektnormen rekonstruiert werden konnten, die sich vornehmlich in Körper- und Ernährungsnormen sowie der Norm der Selbstdisziplinierung ausdifferenzieren. Letztere Norm steht dabei mal mehr, mal weniger stark im Bezug zu den erstgenannten normativen Ordnungen, tritt in unterschiedlichen Ausprägungen in Erscheinung und dokumentiert sich in verschiedenartiger Weise in den YouTube-Clips.
6.1
Die dominante Subjektnorm der Selbstdisziplinierung
Gleichwohl sich die populären Videos der YouTuber_innen LaurenCocoXO, Karl Ess, ExFitness und Sophia Thiel in vielerlei Hinsicht stark voneinander unterscheiden und entweder verschiedene Alltagssituationen präsentiert werden oder schlichtweg über das eigene Leben berichtet wird, kommt anhand der Videoanalysen zum Vorschein, wie sich in allen vier Lifestyle-Clips eine Subjektnorm der Selbstdisziplinierung dokumentiert. In welcher spezifischen Form die Disziplinierung des Selbst dabei in den einzelnen Videos zum Vorschein kommt, soll nun beginnend mit der Interpretation des Videos von LaurenCocoXO aufgezeigt werden.
6.1 Die dominante Subjektnorm der Selbstdisziplinierung
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Abbildung 6.1 Rekonstruktionsebenen der YouTube-Videos. (Eigene Darstellung)
6.1.1
Die Bewährung der eigenen Disziplin (LaurenCocoXO)
Die Norm, sich selbst zu disziplinieren, so lässt sich anhand des analysierten Videos der YouTuberin LaurenCocoXO erkennen, nimmt für die Videoproduzentin eine zentrale Rolle ein. Besonders offenkundig sichtbar wird die Norm anhand einer komparativen Bildanalyse der Sequenz „Hack 4: Süßigkeiten Ersatz“. In dieser tritt mit der Selbstbewährung eine Variante der Selbstdisziplinierung in Erscheinung, die im Wesentlichen auf einem Austesten der eigenen Disziplin basiert und somit der Akteurin eine Möglichkeit zur Überprüfung bietet, inwiefern sie der Norm tatsächlich entspricht.
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Aufgrund der großen Ähnlichkeiten in der planimetrischen Komposition und szenischen Choreographie der Fotogramme eignen sich die Fotogramme der Sequenz „Süßigkeiten-Ersatz“ besonders für eine komparative Analyse. Wie der Titel der Sequenz bereits verrät, stellt die YouTuberin in dieser eine „Snackidee“ vor, welche als „Alternative“ bzw. Substitution zu Süßigkeiten fungiert. Dementsprechend präsentiert die Videoproduzentin, wie Abbildungen 6.2 und 6.3 zeigen, zunächst eine Tafel Schokolade und kurz darauf, wie Abbildungen 6.4 und 6.5 darlegen, ihre selbstgebackenen Apfelchips, welche als Ersatzprodukt zur Süßigkeit erscheinen. In der Art und Weise wie die YouTuberin die Tafel Schokolade und die selbstgemachten Apfelchips vorführt, erschließt sich schließlich der Eigensinn der Bilder, welcher Aufschluss über die sich darin dokumentierenden Normen und den Habitus der Bildproduzentin gibt. Auf diese Weise offenbart der direkte Vergleich, dass LaurenCocoXO im ersten Fotogramm ihren Kopf bei der Präsentation der Schokolade noch von dieser weg neigt, wohingegen sie ihren Kopf im darunter abgebildeten Vergleichsbild direkt auf die Apfelchips richtet und hiermit mehr Nähe zu diesen zum Ausdruck bringt. Diese relative Nähe verstärkt sich zusätzlich, indem sie zwar beide Snacks in die Kamera hält und den Zuschauern präsentiert, allerdings mit der Ausnahme, dass sie die Schokolade vom Körper wegbewegt, wie unter anderem an der Bewegungsunschärfe sichtbar wird. Die Apfelchips befinden sich hingegen im Vergleichsbild unmittelbar vor der Akteurin, wodurch diese planimetrisch eine Einheit mit dem Körper der YouTuberin bilden. Zusätzlich bekräftigt wird diese Einheit durch die Mimik und den Blickkontakt der Videoproduzentin. Schaut diese im ersten Bild noch skeptisch in die Kamera, statt auf die Schokolade, richtet sie ihre Augen im darunterliegenden Videoausschnitt direkt auf die Apfelchips. Diese werden von der Akteurin geradezu mit einem begierigen Blick fokussiert. Trotz der großen Kongruenzen zwischen beiden Fotogrammen zeigt eine detaillierte Analyse somit maßgebliche Unterschiede auf, wie die YouTuberin die Snacks präsentiert. Abbildung 6.2 LaurenCocoXO: 03.06 min.
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Abbildung 6.3 LaurenCocoXO: 03.10 min.
Abbildung 6.4 LaurenCocoXO: 03.18 min.
Abbildung 6.5 LaurenCocoXO: 03.21 min.
Diese Differenz zwischen Schokolade und Apfelchips baut sich, wie Abbildung 6.3 und Abbildung 6.5 veranschaulichen, zudem weiter aus. Deutet sich der Verzehr der Tafel Schokolade in Abbildung 6.3 bloß symbolisch an (da die Schokolade in ihrer Plastikverpackung bleibt), werden die Apfelchips im Kontrast dazu im darunterliegenden Fotogramm tatsächlich verspeist. Obwohl die Tafel Schokolade somit nahezu an derselben Position wie der Apfelring platziert ist, ergibt sich dennoch ein drastisch anderer Sinn im Bild. Es ist insbesondere die Gegensätzlichkeit aus Nähe und gleichzeitiger Distanz zur Schokolade, die Abb. 6.3
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kennzeichnet – so befindet sich die Schokolade zwar im Mund der Videoproduzentin, jedoch ist diese zum Einen noch verpackt und wird zum Anderen zwischen ihren Zähnen gehalten statt verspeist, wodurch eine Distanz zur Tafel aufgebaut wird. Zugleich wirkt die Haltung der Akteurin aber geradezu animalisch auf die Schokolade im Mund fixiert – ähnlich dem Bild eines Hundes, der einen ersehnten Knochen oder eine erjagte Beute im Maul trägt. Im Unterschied dazu wird der Apfelring mit den Lippen unmittelbar berührt und aufgenommen, wodurch sich abermals die Nähe zu diesem ausdrückt und die Lippen im Gegensatz zu den Zähnen zudem Sinnlichkeit und Genuss vermitteln. Neben der Differenz aus Nähe und Distanz zeichnet sich somit eine weitere Differenz ab, welche die Norm der Selbstdisziplinierung zum Vorschein bringt. Denn trotz der nahezu animalischen Lust auf Schokolade wird dieser nicht nachgegeben und stattdessen der Süßigkeiten-Ersatz konsumiert. Anstatt die Tafel ebenso genüsslich zu essen wie die Apfelchips, nimmt sie sich (wie anhand der Sequenzialität erkennbar wird) im Verlauf der Sequenz sogar die Schokolade selbst weg und schaut danach traurig in die Kamera. Unter Berücksichtigung der zuvor rekonstruierten Differenz aus Nähe und Distanz, dokumentiert sich anhand der Fotogramme folglich nicht nur eine Selbstdisziplinierung, sondern außerdem eine Bewährung dieser. So lässt LaurenCocoXO die Verlockung zunächst nah an sich heran, um sie anschließend wieder von sich zu entfernen. Dies wird auch anhand eines Blickes auf die dazugehörige Textpassage ersichtlich: „Äh=wir sitzn auf der Couch und habn total Hunger auf was zu knabbern oder auch einfach was Süßes, Schokolade, natürlich (.) muss die auch sein, sonst hätte ich sie nich zu Hause, aber=wenn ihr Lust habt auf eine gesundere Variante, dann zeig ich euch jetz etwas.“ (LaurenCocoXO: Z. 40–44)
Wie der Textausschnitt zu erkennen gibt, eröffnet die YouTuberin ein Szenario, welches sich die Zuschauer_innen vorstellen sollen. In diesem Gedankenexperiment wird zwar eine große Lust auf Süßigkeiten vorausgesetzt, allerdings soll das Süße zugleich gemieden werden. So erscheint es für die YouTuberin zwar selbstverständlich, Schokolade „natürlich“ zuhause zu haben, jedoch ebenso, dass diese nicht gegessen wird. Durch die stetige Verfügbarkeit und die Option, jederzeit die Süßigkeit zu verspeisen, zeichnet sich die Schokolade als Bewährungsprobe ab, mit der die eigene Disziplin gestählert wird. Hieran wird deutlich, wie sich bereits in den ersten Sequenzanalysen mehrere Normen dokumentieren. Zunächst wird erkennbar, dass sich LaurenCocoXO mit der Norm konfrontiert sieht, Süßigkeiten zu meiden und diese gegebenenfalls durch eine „gesundere Variante“ zu ersetzen. Obwohl die YouTuberin zwar große
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Lust auf Süßigkeiten verspürt (was sich unter anderem an ihrem traurigen Blick erkennen lässt, sobald sie sich die Schokolade selbst wegnimmt), konnte sie sich der normativen Ordnung mithilfe der präsentierten Snackalternativen anpassen. Darüber hinaus dokumentiert sich, wie sich LaurenCocoXO jedoch nicht nur der Norm anpasst und auf Süßigkeiten verzichtet, sondern die dafür benötigte Selbstdisziplin unter Beweis stellt, indem sie sich unmittelbar der Konfrontation mit dem Untersagten (in Form einer Tafel Schokolade) aussetzt. Demzufolge tritt auch hier ein Anpassungsverhältnis zwischen dem Habitus LaurenCocoXOs und der Norm der Selbstdisziplinierung hervor, welches die YouTuberin austestet und trainiert. Jene Bewährung der eigenen Disziplin kommt in ähnlicher Weise ebenfalls in der Sequenz „Hack 9: Schlaf Trick“ zum Vorschein. Wie in der dazugehörigen Textpassage nachvollziehbar wird, präsentiert die YouTuberin in der Sequenz einen Trick, der es erleichtern soll, sich zu überwinden, morgens am Wochenende Joggen zu gehen. „Und grade wenn es euch so geht, dass=ihr euch grade am Wochenende immer vornehmt, morgens früh Joggen zu gehen, aber=es dann letztlich doch nicht macht, @dann schla:ft doch einfach nicht in euren Schlafsachen, sondern in euren Sportsachen.“ (LaurenCocoXO: Z. 89–92)
Dass das Unterfangen als eine Situation empfunden wird, die besonders große Selbstdisziplin erfordert, impliziert dabei insbesondere die Verwendung des Wortes „grade“. So ist das durchaus mehrdeutige Wort in diesem Zusammenhang als ein ‚ausgerechnet‘ zu interpretieren, welches signalisiert, dass die angestrebte Zeit (morgens am Wochenende) eigentlich auf Widerwillen stößt. Der Umstand, dass jedoch aus freien Stücken gezielt eine derartige Zeit für das Joggen forciert wird, zeigt auf, wie die Videoproduzentin erneut eine Situation herbeiführt, in der sie ihre eigene Disziplin bewähren bzw. auf die Probe stellen kann. Neben der Betonung durch das Wort „grade“, verdeutlicht bereits die Tatsache, dass LaurenCocoXO einen Hack resp. Trick präsentiert, dass es sich hierbei um eine Gegebenheit handelt, die erleichtert werden muss. Dass das Joggen jedoch ohnehin als eine Mühseligkeit empfunden und dargestellt wird, die es zu bewältigen gilt, wird in der folgenden Textpassage sichtbar: „Und was gerade beim Joggen eine super Motivation is, ist zunächst=einmal natürlich generell Musik (.) ich höre eigentlich imma am liebsten bei Spotify meine Musik, da hab ich mir auch eine Playlist zum Joggen erstellt und es ist super=motivierend, wenn ihr schon vorher die Dauer des Joggens durch Lieder festlegt. Als Beispiel hab=ich jetzt hier mal fünf Lieder reingepackt, das=heißt, das wärn dann ja ungefähr fünfzehn Minuten (.) gerade wenn ihr erst anfangt,
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dann ist es super beruhigend sozusagen zu wissen, wann das Ende in Sicht ist. (LaurenCocoXO: Z. 69–76)
Indem LaurenCocoXO erneut Tricks bzw. Hacks vorstellt, wie die Motivation zum Joggen vergrößert werden kann, wird erkennbar, wie sich die YouTuberin generell beim Joggen einer Situation aussetzt, die auf Widerwillen stößt und hierdurch Disziplin erfordert. Wie groß die eigentliche Abneigung gegen das Laufen ist, kommt dabei abermalig an einer bestimmten Formulierung der YouTuberin zum Ausdruck. So ist es insbesondere der letzte Satz der Passage, der dokumentiert, dass sich die Akteurin vor allem zu Beginn ihres Lauftrainings stets ein Ende herbeisehnt. Gleichzeitig verdeutlicht die Textstelle, dass sich die YouTuberin nicht nur selbst an der Norm der Selbstdisziplinierung ausrichtet, sondern gleiches auch ihren Rezipient_innen nahelegt. Denn die Formulierungen zeugen zwar einerseits von eigenen Erfahrungen und sind somit als Berichte über persönliche Erlebnisse zu interpretieren, die im konjunktiven Wissen der YouTuberin verankert sind, andererseits sind sie zudem als Ratschläge an ihre Zuschauer_innen formuliert. Demnach legt sie ihren Rezipient_innen nahe, sich an ihrem Erfahrungswissen zu bereichern und es ihr nachzumachen. Dies wird bereits gleich zu Beginn des Videos unmissverständlich klar, indem LaurenCocoXO die zentralen Themen aufzählt, die in dem Clip behandelt werden. „Und deswegen gibt es heut Fitness- und Ernährungshacks, das heißt, es sind einige Tipps, wie ihr euch besser fürn Sport motivieren könnt, wie ihr euch besser disziplinieren könnt, es gibt auch einen äh Do-it-yourself, außerdem zwei Snackideen und ähm was noch (.) ja schaut einfach selbst, auf jeden Fall ist es sehr, sehr vielseitig gewordn.“ (LaurenCocoXO: Z. 8–13)
Hauptanliegen des Videos, so macht die Textpassage deutlich, ist es demnach den Zuschauer_innen Ratschläge zu geben, wie sie sich besser für den Sport motivieren sowie effizienter disziplinieren können. Neben der Selbstdisziplinierung als wichtige Norm lassen die Analysen allerdings auch erkennen, dass weitere Subjektnormen für die Videoproduzentin eine relevante Rolle spielen. Einerseits gilt es zwar primär seine eigene Disziplin mittels besonderer Herausforderungen zu bewähren und in der Folge zu stärken, jedoch wird an den gewählten Handlungsfeldern der YouTuberin sichtbar, dass die Disziplin gleichzeitig dazu beitragen kann, sich den Normen, Sport zu treiben und keine ungesunden Lebensmittel zu konsumieren, anzupassen. Wie die bisher aufgezeigten Textpassagen zu erkennen geben, gilt es sich demnach stets zum Sport (insbesondere zum Joggen) zu motivieren und als ungesund deklarierte Lebensmittel (wie Schokolade), durch gesunde Alternativen (wie Apfelchips) zu ersetzen. Gleichzeitig wird ersichtlich,
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dass die Motivation zum Sport und der Verzicht von ungesunden Lebensmitteln keinem explizit genannten Ziel folgen und stattdessen als nahezu selbstverständliche Normen erscheinen, welche keiner genaueren Erläuterung bedürfen. Am deutlichsten kommt jene Ziellosigkeit und der Versuch zur schlichten Umsetzung der normativen Ordnungen in der Sequenz „Hack 10: Bezahl dich Selbst“ zum Vorschein. In dieser stellt LaurenCocoXO einen Hack vor, der es den Zuschauer_innen erneut erleichtern soll, sich für Sportübungen zu motivieren. „Kommt jetzt noch ein letzter Motivationshack, unzwar könnt ihr euch=einfach nach jeden Mal Sport mit fünfzich Cent oder auch mit einem Euro sogar, selbst bezahlen und am Ende könnt ihr euch dann was richtig=richtig cooles davon kaufen oder auf was hinsparen.“ (LaurenCocoXO: Z. 97–101)
Wie ein Blick auf die Textpassage offenbart, ist in der Ausübung des Sports kein inhärentes Ziel verankert, es dient keinem Selbstzweck. Vielmehr muss die Motivation zum Sporttreiben erst mithilfe eines künstlichen, eigens geschaffenen Anreizes in Form von Geld (ähnlich einer Bezahlung) erzeugt werden. Die Spardose (siehe Abb. 3.2: 06.51 min.) fungiert in diesem Fall somit als Belohnungsinstrument. Jedoch gilt es nicht auf ein bestimmtes Produkt hinzusparen, welches ohne das Sparen nicht gekauft werden könnte, sondern das Ziel ist das bloße Ansparen bzw. die Visualisierung des Angesparten, welche die hohe Disziplin symbolisiert. Dementsprechend präsentiert die YouTuberin eine transparente Spardose aus Glas, die jederzeit visualisiert, wie viel Workouts absolviert wurden und wie hoch demzufolge die erbrachte Disziplin ist. Die Durchführung von Sportübungen erscheint folglich als eine Art Pflicht, der es notgedrungen nachzukommen gilt, ähnlich wie der Notwendigkeit, „ungesunde“ Lebensmittel zu meiden. Diese ebenso als selbstverständlich erscheinende Norm trat bereits in der Analyse der Sequenz „Hack 4: Süßigkeiten Ersatz“ deutlich hervor, wird aber insbesondere durch die Sequenz „Hack 8: Eis Ersatz“ weiter bekräftigt. In dieser präsentiert die Videoproduzentin mit einer „Snackidee“ erneut eine gesunde Alternative zu einem ungesunden Laster, nämlich dem Essen von Speiseeis. „Und wenn ihr mich kennt, dann wisst=ihr das ich ein totaler Eisliebhaber bin und jeden Tag eigentlich äh Magnum-Eis essen könnte, mach ich aber nicht jeden Tag aber ich zeige euch jetzt einen Hack, wie ihr jeden Tag gesundes Eis essen könnt.“ (LaurenCocoXO: Z. 76–80)
Wie die Textpassage verdeutlicht, nennt LaurenCocoXO in ähnlicher Weise wie in der zuvor vorgestellten Sequenz keine genaue Begründung, warum sie Sport treiben bzw. in diesem Fall auf ihr tägliches Eis verzichten muss, sondern
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führt ausschließlich aus, dass sie es macht. Dass dem ungesunden Gelüst somit nicht nachgegeben werden darf und stattdessen eine Alternative gefunden werden muss, erscheint demnach als selbsterklärend und als nicht zur Diskussion stehende normative Ordnung. In nahezu gleicher Weise wie die Gegenüberstellung von Apfelchips und Schokolade wird die Norm dabei erneut bildlich durch die Präsentation eines verschlossenen Magnum-Eises gegenüber selbstgemachter Bananeneiscreme, die verspeist wird, bekräftigt (detaillierte Interpretation, siehe Anhang I Videointerpretation LaurenCocoXO 2.3). Weiter verstärkt wird die Norm schließlich in Sequenz „Hack 5: Besserer Stressabbau“, in welcher LaurenCocoXO ihren Zuschauer_innen dazu rät, lieber eine Runde zu laufen, anstatt „ungesunde“ Lebensmittel (wie Schokolade) zu sich zu nehmen: „Un was ich selbst schon supa=supa oft gemacht hab un was richtich gut gegen Stress und schlechte Laune hilft, ist es einfach mal für zehn bis fünfzehn Minuten um den Block zu laufen, also zu gehen, ihr könnt das auch in normalen Sachen machen, anstatt irgendwie was Ungesundes, Schokolade oder was weiß=ich zu essen, obwohl man eh=gar kein Hunger hat, denn so kriegt man echt viel=viel besser und schnella gute Laune.“ (LaurenCocoXO: Z. 55–61)
Wie an der Textpassage deutlich wird, erscheint der Griff zur Schokolade stets als Übel, welches es durch verschiedene Techniken zu vermeiden gilt und in diesem Fall als Gelüst, welches im Wesentlichen durch Stress und schlechte Laune hervorgerufen wird. Gegessen werden sollte, so impliziert die Formulierung und die Verwendung des Lautes ‚eh‘ (welches als ohnehin zu deuten ist) zudem ausschließlich dann, wenn tatsächlich Hunger vorhanden ist. Auch wenn die YouTuberin somit größtenteils nicht explizit auf weitreichende Ziele verweist, die durch den Verzicht auf Süßigkeiten und die Ausübung von Sporteinheiten erreicht werden sollen, so wird auf impliziter Ebene dennoch erkennbar, dass diese ebenso im Kontext von Körper- und Gesundheitsnormen stehen. Vor allem die stetige Deklaration von Lebensmitteln in gesunde und ungesunde Varianten verdeutlicht, dass es nicht nur um eine bloße Abstinenz von Lebensmitteln geht, um sich zu disziplinieren, sondern hauptsächlich darum, die Lebensmittel zu meiden, die als ungesund bezeichnet werden. Zwar gibt LaurenCocoXO keine Erklärung ab, warum bspw. die selbst hergestellte Bananeneiscreme gesünder ist als das Magnum-Eis, jedoch deutet sich hierdurch an, dass die Ausübung von Sport sowie der Verzicht auf Süßigkeiten auch der Prävention und somit der Erhaltung von körperlicher Gesundheit zu dienen scheint. Neben jener impliziten Ausrichtung an Gesundheitsnormen, die auf textlicher Ebene zum Vorschein kommen, wird zudem vor allem auf bildlicher Ebene erkennbar, wie sich die Videoproduzentin zudem an Körpernormen orientiert, die
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an ein bestimmtes Schönheitsideal gekoppelt sind. Dementsprechend zeigt sich auf visueller Ebene, wie sich die YouTuberin an Körperbildern ausrichtet, welche heute gängigen Schönheits- und Körperidealen entsprechen. Im Kontext ihrer Erklärung in Sequenz 4, dass man sich durch die Rezeption von YouTube-Clips selbst zu Sportübungen motivieren lassen kann, präsentiert die Videoproduzentin ihren Zuschauer_innen Ausschnitte aus anderen YouTube-Videos, die sie selbst rezipiert und mithilfe ihrer Kamera abfilmt. In diesen Mitschnitten der YouTubeVideos, so zeigen die nachfolgenden Abbildungen 6.6 und 6.7 deutlich auf, liegt der Fokus augenscheinlich klar auf der Präsentation und Formung eines schlanken und gut trainierten Körpers. Abbildung 6.6 LaurenCocoXO: 04.44 min.
Abbildung 6.7 LaurenCocoXO: 04.53 min.
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Wie ein Blick auf die von LaurenCocoXO präsentierten YouTube-Videos zu erkennen gibt, zeigen diese jeweils zwei blonde Frauen, die Sportübungen durchführen. In beiden Videos tragen die Protagonistinnen eng anliegende, stark körperbetonende Sportbekleidung. So sind diese lediglich mit einem Sport-BH, Schuhen und einer engen Leggins bekleidet, welche im ersten Fotogramm ausschließlich bis zum oberen Oberschenkel reicht. Durch die Kameraperspektiven und szenischen Choreografien wird deutlich, dass die sporttreibenden YouTuberinnen im Zentrum des Interesses stehen. Dementsprechend befinden sie sich nicht nur im Bildmittelpunkt, sondern heben sich zudem sowohl farblich als auch planimetrisch vom Hintergrund der Bilder ab. Dieser tritt hingegen stark in den zurück und erscheint nebensächlich. Wie nicht nur optisch, sondern auch textlich durch die Videotitel zum Vorschein kommt, liegt der Körper im Mittelpunkt des Videos. So besteht das Anliegen im ersten Video augenscheinlich darin in acht Minuten 150 Kalorien zu verbrennen, wohingegen im zweiten Clip ein „Intense Ab Workout“, also ein intensives Bauchmuskeltraining präsentiert wird. Wie der Titelzusatz „Strong like us“ suggeriert, verspricht die Bewältigung der Challenge bzw. Herausforderung den Rezipient_innen ebenso stark wie die Akteurin zu sein bzw. zu werden. Diese klar auf ein schlankes, äußerliches Erscheinungsbild ausgerichteten Sportübungen zeigen somit auf, dass die im Video von LaurenCocoXO dokumentierte Norm der Sportausübung nicht nur der Disziplinierung des Selbst dient, sondern auch auf die Erfüllung von Schönheitsnormen ausgerichtet ist. Ebenso weisen hierauf die Körperpräsentationen von der YouTuberin und ihrer Kooperationspartnerin Barabara hin, welche zu Beginn des YouTube-Clips vorgestellt wird (siehe Abbildung 6.8). Abbildung 6.8 LaurenCocoXO: 01.19 min.
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Abbildung 6.9 LaurenCocoXO: 05.02 min.
In ähnlicher Weise wie die Fotogramme der Abbildungen 6.6 und 6.7, präsentiert sich auch LaurenCocoXO in Abbildung 6.9 bei der Ausführung von Sportübungen. Zwar wird gerade im Vergleich zu den zwei präsentierten blonden Fitness-YouTuberinnen sowie der Kooperationspartnerin Barbara in Abbildung 6.8 deutlich, dass LaurenCocoXO Kleidung trägt, die sichtlich stärker ihre Haut bedecken, jedoch wird erkennbar, dass diese ebenso eng anliegend ist und somit die Figur stark betont. Auch im Hinblick auf die Kameraperspektive und die planimetrische Komposition bestehen große Ähnlichkeiten zu den Videos, welche LaurenCocoXO in ihrem Clip vorstellt, sodass sich gleichermaßen hier eine Fokussierung auf den Körper abzeichnet. Noch eindrücklicher kommt jene Ausrichtung jedoch in Abbildung 6.8 zum Vorschein. Darauf ist die Kooperationspartnerin und Videoproduzentin Barbara zu sehen. Wie sich auch in diesem Bild dokumentiert, liegt der Fokus maßgeblich auf der Präsentation des schlanken Körpers der YouTuberin. Dieser wird zentriert und setzt sich vom ganz in weiß gehaltenen Hintergrund ab. Der Bildmittelpunkt liegt leicht oberhalb der Brust, welche ausschließlich durch einen rosafarbenen Sport-BH bedeckt wird. Indem die Akteurin zur Seite schaut, gewinnt der Oberkörper zusätzlich an Relevanz. Dieser ist leicht zur Seite geneigt, wodurch das schlanke Seitenprofil betont wird. Hierzu trägt zudem das leichte Anwinkeln des Armes bei, der einen Blick auf die freiliegende Silhouette erlaubt und den Oberkörper und die Arme hierdurch zusätzlich sehr dünn erscheinen lässt. Insgesamt verdeutlichen die Analysen somit erstens, dass die Norm der Selbstdisziplinierung eine wichtige Rolle für LaurenCocoXO spielt und sich die YouTuberin die reflektierte Anpassung an die Norm immer wieder auf verschiedene Arten unter Beweis stellt. Zweitens wird erkennbar, dass LaurenCocoXO
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Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
ihren Rezipient_innen dazu rät ebenso zu verfahren und sich drittens weitere Subjektnormen rekonstruieren lassen, die im konjunktiven Erfahrungsraum resp. dem Orientierungsrahmen im weiteren Sinne der Videoproduzentin eine wichtige Rolle einnehmen. Diese sind die nahezu als Pflicht erscheinende Norm Sport zu treiben und ungesunde Lebensmittel zu meiden bzw. einen gesunden und schlanken Körper zu haben, wobei hierzu eine stark ausgeprägte Selbstdisziplin von Nöten ist.
6.1.2
Die Selbstdisziplinierung als Mittel zur Aneignung von Normen und als elementarer Bestandteil eines Lifestyles (Karl Ess)
Die im Video der YouTuberin LaurenCocoXO zum Vorschein kommendene Norm sich selbst zu disziplinieren, tritt wie die folgenden Analysen aufzeigen, ebenso im untersuchten Clip des YouTubers Karl Ess als bedeutend in Erscheinung. In ähnlicher Weise wie im Video der YouTuberin, verknüpft sich die Norm mit weiteren normativen Ordnungen, die primär im Bereich der Ernährung und des Körpers angesiedelt sind. Erneut kommen die normativen Ordnungen dabei jedoch nicht an Sequenzen zum Vorschein, in denen von Problemen in der Umsetzung oder eigenen Diskrepanzen mit den Normen berichtet wird, sondern sie dokumentieren sich deutlich an Ratschlägen, Tipps und Vorgaben, die der YouTuber an seine Zuschauer_innen weitergibt. Wie auch LaurenCocoXO zeigt Karl Ess folglich Wege auf, wie sich etwa bestimmten Ernährungsnormen bestmöglich angepasst werden kann. Im Unterschied zu der Videoproduzentin testet der populäre Fitness-YouTuber hierbei nicht die eigene Aneignung der Norm, sondern präsentiert seinen Zuschauer_innen ausschließlich wie eine Anpassung an die Ernährungsnormen durch Alltagstechniken, wie etwa der Einordnung von Lebensmitteln in ein Kategoriensystem idealerweise umgesetzt werden kann. Die Disziplinierung des Selbst tritt in diesem Clip dementsprechend maßgeblich über eine strikte Strukturierung der zu konsumierenden Nahrungsmittel in Erscheinung, die im Gegensatz zum Video von LaurenCocoXO nicht über Hacks, sondern stattdessen über die Repräsentation eines Lifestyles vermittelt wird. Anstatt Alternativen für den Konsum von ungesunden Lebensmitteln anzupreisen, zeigt Karl Ess über nahezu der gesamten Länge des Videos in möglichst strukturierter Weise auf, welche Lebensmittel gegessen werden sollten, um die Ernährungsnormen des Lifestyles zu erfüllen. Angefangen bei der Einleitung stellt der YouTuber bereits zu Beginn des Videos unmissverständlich heraus, dass es seiner Meinung nach wichtige Dinge
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zu beachten gilt, um dem für ihn zentralen Fitness-Lifestyle zu entsprechen und deren Ernährungsnormen tatsächlich zu erfüllen. Besonders eindrücklich wird dies in der folgenden Textpassage der Sequenz 1 sichtbar. „So gerade hier=jetzt zur Tür reinspaziert (.) mit zwei (.) oah (.) zwei vollen Einkaufstüten (.) und ich zeig euch jetz mal wieder, was die essentiellen Sachen sind (.) bei nem Fitness-Lifestyle, wenns um die Ernährung geht (.) und ich räum die ganzen Sachen jetz hier aus, dann zeig ich euch, was ich eingekauft hab und geh dann wirklich nochma rein, was so die wichtigsten Säulen sind, was so die wichtigsten Dinge sinn, bei der Fitnessernährung.“ (Karl Ess: Z. 778–784)
Wie anhand der Textpassage erkennbar wird, ist es das selbsternannte Anliegen von Karl Ess anhand seines Einkaufs zu verdeutlichen, was die „wichtigsten Säulen“ bei der Fitnessernährung sind. Insbesondere an der Verwendung des Wortes „Säule“ wird bereits klar, dass die Ernährung auf einem Regelsystem aufbaut, an dem es sich zu orientieren gilt. Dieses Regelsystem, so unterstreicht die wiederholte Betonung der „essenziellen Sachen“ bzw. „wichtigsten Dinge“, besteht nach Karl Ess aus Grundpfeilern, es kann dementsprechend aber auch in weniger wichtige Punkte weiter untergliedert werden. Dies weist erstmals darauf hin, dass sich Karl Ess an Ernährungsnormen orientiert und diese durchaus komplex sind. Vor allem wird die Komplexität dadurch verdeutlicht, dass sie zum einen einer Erklärung bedürfen und zum anderen strukturiert werden sollten. Darüber hinaus kommt an der Passage zum Vorschein, dass die Ernährungsnormen derart stark im Wissen von Karl Ess verankert sind, dass dieser sich in der Position sieht, die Normen nicht nur selbst zu befolgen, sondern sie des Weiteren auch auf die wichtigsten Punkte komprimiert zu erklären und Tipps zur Befolgung zu geben. Karl Ess inszeniert sich in diesem Sinne als eine Art Mentor bzw. Lehrer, der die Normen des „Fitness-Lifestyles“ nicht nur vorlebt, sondern sich diesen derart bewusst ist, dass er sie zusammenfassen kann. Die Relation zwischen Habitus und Norm kennzeichnet sich somit weniger durch ein Spannungs-, als vielmehr durch ein Aneignungsverhältnis. Die Formulierung „ich zeig euch jetz mal wieder“ verdeutlicht, dass Karl Ess die Ernährungsnormen des Lifestyles nicht etwa mit den Zuschauer_innen gemeinsam aushandelt und zur Diskussion stellt, sondern diese belehrt. Gleich zu Beginn des Videos stellt der YouTuber somit eine klare Hierarchisierung auf, die an ein Rollenverhältnis zwischen Lehrer und Schüler_innen erinnert. Karl Ess zeigt den Zuschauer_innen etwas, statt diese bspw. zu fragen oder diese um ihre Meinung zu bitten. Diese Rolle bekräftigt der YouTuber durch den Hinweis, dass er seinen Zuschauer_innen „mal wieder“, also nicht zum ersten Mal etwas erklärt.
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Mit der Aussage „dann zeig ich euch“ wird im letzten Abschnitt der Passage nochmal die Rollenverteilung klargestellt. Anhand von Kategorisierungen der Lebensmittel, die größtenteils auf deren Nährwerten basieren, ordnet der Videoproduzent diese schließlich systematisch an, um eine Befolgung der Ernährungsnormen zu vereinfachen. Beginnend mit der Kategorie „Obst und Rohkost“ in Sequenz 3 stellt er seine Kategorien Schritt für Schritt vor. Wie die folgende Textpassage der Sequenz aufzeigt, scheint Karl Ess zunächst ausschließlich davon zu berichten, welche Früchte er gerne einkauft: „Dann schaun wir uns ma an (.) Beerenfrüchte, die kauf ich immer gern frisch, saisonal und die warn jetz auch sogar bio, deswegen hab=ich mir die jetz hier geholt. Dann hol ich mir auch immer=noch gefrorene Beerenfrüchte, die hab ich jetz hier oben in meinem (.) äh Gefrierfach drin. Dann Vitamin C, Grapefruits, ich ha=hol auch gern noch Äpfel und tropische Früchte. Also hier ham wir viel Obst und viel Rohkost. Des is wichtich für die Vitamine vor allem. Vitamine, Ballaststoffe, gute Kohlenhydrate.“ (Karl Ess: Z. 790–797)
Vornehmlich der letzte Satz der Passage verdeutlicht, dass der Bericht über das eingekaufte Obst gleichzeitig eine Handlungsempfehlung des Videoproduzenten an seine Zuschauer_innen ist. Er legt ihnen nahe, sich an seinem Einkauf zu orientieren, da die aufgezählten Lebensmittel wichtig seien, insbesondere aufgrund ihrer Vitamine, aber auch wegen ihrer enthaltenen Ballaststoffe und „guten Kohlenhydrate“. Im Kontext des zuvor verlauteten Anspruches, die „wichtigsten Säulen“ der Fitnessernährung zu erläutern, erscheint die Handlungsempfehlung zur Nachahmung jedoch ebenso wie die Ernährungsnorm selbst in dieser Passage eher implizit und wird nahezu ausschließlich durch die Formulierung „des is wichtich“ akzentuiert. Gleichzeitig deutet der Verweis, dass sich weitere gefrorene Beerenfrüchte in seinem Gefrierfach befinden, darauf hin, dass der YouTuber sich selbst mit der Einhaltung der Norm und insbesondere der Repräsentation dieser konfrontiert sieht, betontermaßen „viel Obst“ und „viel Rohkost“ auch tatsächlich zu Hause zu haben. In der Textpassage der darauffolgenden Sequenz 4 führt der YouTuber die Präsentation seines Einkaufs und in erster Linie die Kategorisierung der Lebensmittel fort, die zur Einhaltung der Ernährungsnorm beitragen soll: „Dann gehts weiter, hier ham wir (.) ä:hm auch lauter Grünzeug. Ich unterteile eigentlich Gemüse in zwei Kategorien. Erstens Grünzeug und (.) ähm die ganzen anderen Sachen, wie beispielsweise Karotten, Rote Beete, Paprikas und=so weiter (.) ja. Das Grünzeug is mehr äh Vitamin C vor allem, mehr Ballaststoffe und ja, ich hab Vitamin C gesagt, ja (.) auch vor allem Grünkohl und=so weiter die Sachen, Spinat, die ham sehr viel Vitamin C und ich kauf die entweder frisch oder gefrorn.
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Die habn sehr viel Vitamin C, sehr viel Minerale, sehr viel Ballaststoffe auch, ja deswegen viel von diesem Zeug und viel, was man roh essen kann und so Sachen, wie Spargel beispielsweise oder auch hier äh Zucchini hab ich hier drin (.) könnte man roh essen, koch ich aber lieber. Pilze ess=ich auch noch sehr gern, hau ich mir (.) äh jede Menge davon rein.“ (Karl Ess: Z. 797–809)
Welch bedeutende Rolle die Kategorisierung der Lebensmittel für den YouTuber einnimmt, wird erneut bereits gleich zu Beginn der Passage deutlich, indem er die Kategorien „Grünzeug“ und anderes Gemüse erläutert. Gleichwohl Karl Ess eine Unterscheidung zwischen beiden Gruppierungen ausschließlich dadurch begründet, dass das „Grünzeug“ mehr Vitamin C und mehr Ballaststoffe enthalte, wird eine klarere Differenzierung bereits am Namen der Kategorie erkennbar, auch wenn der YouTuber dies nicht explizit erklärt. So unterscheidet sich das „Grünzeug“ in erster Linie von Karotten, Roter Beete und Paprika, da es grün ist, wie ein Blick auf die bildliche Ebene verrät und der Kategorienname nahelegt. Somit zeichnet sich ein deutlich banaleres Unterscheidungsmerkmal der Lebensmittelgruppen ab, als es der Verweis auf die Nährwerte und die damit verbundene Komplexität zunächst vermuten lassen. Daran anschließend ist es abermals ausschließlich ein kurzer Hinweis, der verrät, dass die gezeigten Lebensmittel im Sinne der Ernährungsnorm auch von den Rezipient_innen verzehrt werden sollten. Die Aussage „ja deswegen viel von diesem Zeug und viel, was man roh essen kann“, erscheint dementsprechend noch deutlicher, als der in der vorherigen Passage getätigte Ratschlag, dass die aufgezählten Lebensmittel wichtig seien, als unmittelbare Handlungsaufforderung und ist somit von einem klar erkennbaren appellativen Charakter geprägt. An der Gegebenheit, dass Karl Ess in der kurzen Passage viermal auf den Gehalt von Vitamin C in den thematisierten Lebensmitteln hinweist, dokumentiert sich, dass diesem eine große Bedeutung im „Fitness-Lifestyle“ zukommt. Eine der entscheidenden Ernährungsnormen scheint folglich darin zu liegen, Lebensmittel zu verzehren, die einen hohen Gehalt an Vitamin C aufweisen. Die wiederholte Verwendung des Wortes ‚viel‘ hebt zudem hervor, dass die Gemüsesorten nach Möglichkeiten in großen Mengen gegessen werden sollten. Nochmals bekräftigt, wird die Bedeutung der Quantität zudem im letzten Satz der Passage, indem Karl Ess von seinem eigenen Essverhalten berichtet und erklärt, dass er sich jede Menge Pilze „reinhaut“. Abermals dokumentiert sich dementsprechend die Relation zwischen Habitus und normativer Ordnung, indem Karl Ess zunächst aufzählt, welche Lebensmittel konsumiert werden sollten, um anschließend zu verkünden, dass er die Norm im Alltag befolgt und sich an dieser ausrichtet.
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Eine weitere Kategorie, die Karl Ess in seinem Video vorstellt und ebenso wie das Gemüse in zwei Ausprägungen ausdifferenziert, sind Kohlenhydrate. Diese, so verdeutlicht die folgende Textpassage der Sequenz 5, teilt der YouTuber in unverarbeitete und verarbeitete Kohlenhydrate auf: „Dann kommen wir zur nächstn Kategorie, Kohlenhydrate un hier auch besser unverarbeitete Kohlenhydrate=ja. Also hier seht ihr oben den Rei:s, hier Reis in=so Beuteln, falls=es mal schnell gehen muss. Hier Süßkartoffeln, ich hab no=schon Kartoffeln schon gemachte (.) und dann sehn wir hier beispielsweise (.) hier solche ähm (.) Urkornpastas, Dinkelpasta, hier verarbeitete Kohlenhydrate, wärn jetz schlechtere Varianten zu den beiden, aber hab=ich natürlich auch manchmal Bock drauf, vor allem hier mit solchen äh Chilli-Bohnen drauf, is richtich geil un auch ne krasse Proteinbombe, wir sehn also hier Eiweiß, ja vierzehn Gramm Eiweiß auf hundert Gramm. Also richtich krass, vierundsechzich Kohlenhydrate, nu:r zwei Gramm Fett.“ (Karl Ess: Z. 809–819)
Im Gegensatz zur Unterscheidung des Gemüses geht mit der Differenzierung der Kohlenhydrate eine normative Wertung einher, die jedoch nicht argumentativ begründet wird. Unverarbeitete Kohlenhydrate, so lautet die nicht erklärungsbedürftige Regel, sind demnach besser als verarbeitete Kohlenhydrate. Gleichzeitig kommt in diesem Kontext zum ersten Mal eine Diskrepanz zwischen den Ernährungsnormen und dem Habitus des YouTubers zum Vorschein. Indem dieser bekennt, dass er manchmal ein Verlangen auf verarbeitete Kohlenhydrate verspürt, wird erkennbar, dass die Ernährungsnorm im Kontrast zum Geschmack bzw. Lustempfinden steht. Inwiefern sich der YouTuber dieser Lust auf bspw. Dinkelpasta wirklich hingibt, lässt sich allein an der Aussage jedoch nicht eindeutig nachvollziehen, da er ausschließlich einräumt, dass er „Bock drauf“ hat. Diesmal unerwähnt bleibt hingegen ein Hinweis, ob und in welchen Mengen er die „schlechtere Variante“ tatsächlich zu sich nimmt. Besonders der Vergleichshorizont des Videos der YouTuberin LaurenCocoXO lässt erkennen, dass ein bloßes Vorhandensein von bestimmten Lebensmitteln nicht unmittelbar auch dessen Verzehr bedeutet, sondern gegebenenfalls auch als Bewährungsinstrument fungieren kann. Ferner ist aus dem letzten Abschnitt der Passage erkennbar, dass es Karl Ess wichtig erscheint, erstens Nahrungsmittel zu konsumieren die viel Eiweiß beinhalten und zweitens genaue Angaben über deren Nährwerte mitzuteilen. In ähnlicher Weise wie die Betonung der Relevanz von Vitamin C tritt auch in dieser Sequenz die besondere Bedeutung von Eiweiß über dessen Wiederholung zum Vorschein. Denn neben der zweimaligen Verwendung des Wortes, wird der Nährstoff zusätzlich durch das Synonym Protein hervorgehoben. Dass es viel Eiweiß zu konsumieren gilt und der Nährstoff positiv konnotiert ist, wird dabei in dieser
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Passage jedoch noch nicht derart explizit kommuniziert, wie die klare Handlungsaufforderung in der vorherigen Sequenz, viel „Grünzeug“ zu essen. Ausschließlich die als positiv zu interpretierende Formulierung „krasse Proteinbombe“, weist zunächst auf diesen Umstand hin. Weiter verstärkt wird die positive Konnotation jedoch in der darauffolgenden Sequenz 6. Wie die anschließende Textpassage eben jener Sequenz offenbart, erscheint Eiweiß somit nicht nur als eigene Kategorie, sondern auch als derart bedeutend, dass die exakte Grammzahl des Nährstoffs mehrfach wiederholt wird. Indem Karl Ess den Wert nicht etwa abrundet, sondern einschließlich Kommazahl wiedergibt, dokumentiert sich, dass er großen Wert auf die genaue Angabe des Proteingehalts legt. In diesem Zusammenhang werden Linsen mit Fleisch auch ausschließlich im Hinblick auf ihren Proteingehalt verglichen: „Ham=wa hier die ganzen Proteinquellen, ja die ganzen Linsen ham alle (.), wie ihr sehn könnt (.) Eiweiß, sechsunzwa hier Eiweiß (.) sechsunzwanzich Komma eins Gramm Eiweiß hier, sechsunzwanzich=eins Gramm Eiweiß auf hundert Gramm macht also wirklich jedes Fleisch platt un hat sogar mega wenig Fett, nur zwei Komma=zwei Gramm Fett. Hier diese Linsen, wenns=ma schnell gehen muss, Kichererbsen, Bohnen, die hau ich mir mega gern auf Nudeln oder auf Reis drauf. Un=hier, wenn man mal (.) äh n=paar Kalorien sparn will abends oder einfach noch zusätzliche Probiotics will, sowas wie Sauerkraut is immer richtich geil. Nüsse, Paranüsse für Selen (.) allgemein (.) ich persönlich nehm alle Nussarten, auch alle Samenarten beispielsweise. Das war hier jetz=nurn Ausschnitt, ja. Das heißt, das war jetz mal nur ein Einkauf, ich hab natürlich au=noch viel, viel, viel mehr Sachen, die ich hier gerne ess.“ (Karl Ess: Z. 604–613)
Weiteren Bedeutungszuspruch erhält der Nährstoff zudem anhand der Verwendung des Wortes ‚Quelle‘, welches signalisiert, dass Protein ähnlich wie Wasser, Gold oder Öl einen Wert besitzt und aufzuspüren ist. Wie die Formulierung des Abschnittes zu verstehen gibt, gilt Gegenteiliges hingegen für Fett. So werden Linsen gerade deshalb von dem YouTuber angepriesen, weil sie einen verhältnismäßig geringen Fettanteil haben. Dass die präsentierten Lebensmittel noch immer dazu dienen sich speziellen Ernährungsnormen anzupassen, wird ab der zweiten Hälfte der Textpassage abermals hervorgehoben. Demnach wird der Hinweis bestimmte Lebensmittel zu konsumieren, „wenns=ma schnell gehn muss“ auf die gleiche Weise dargelegt, wie der Tipp Sauerkraut zu verspeisen, um Kalorien zu sparen oder sich „zusätzliche Probiotics“ zuzuführen. Hierdurch wird ersichtlich, dass sich die Sorge um eine ausreichende Zufuhr an „Probiotics“ sowie die Kontrolle der Kalorienzufuhr als ein ebenso alltägliches Szenario des YouTubers darstellt, wie das Problem geeignete Lebensmittel zum Verzehr zu finden, wenn wenig Zeit zur Verfügung steht. Auch wenn von Karl Ess für die
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genannten Situationen nicht eigens Kategorien aufgestellt wurden, zeigen diese auf, dass es bei einer Ausrichtung an der Ernährungsnorm viele verschiedene Aspekte zu beachten gibt. Hierauf deutet zudem der Verweis auf das in Nüssen vorhandene Element Selen sowie die Aussage hin, dass der Videoproduzent noch etliche weitere Lebensmittel aus den genannten Kategorien gern verspeist. Die dementsprechende Ausschnitthaftigkeit der Präsentation hebt Karl Ess sowohl über den erneuten Hinweis hervor, dass diese ausschließlich einen Einkauf abbildet, als auch über die Bemerkung „ich hab natürlich auch noch viel, viel, viel mehr Sachen“, die hauptsächlich aufgrund der Verwendung des Wortes ‚natürlich‘ sowie der dreifachen Wiederholung des Terminus ‚viel‘ deutlich macht, dass dieser noch etliche weitere Lebensmittel vorführen könnte. In ähnlicher Weise, wie bereits in Sequenz 5 die Ernährungsnorm erkennbar wurde, möglichst unverarbeitete Kohlenhydrate zu sich zu nehmen, wird auch in der folgenden Textpassage der Sequenz 8 eine weitere Norm sichtbar: „Un ich kauf so viel bio wies geht, wenns halt mal nich bio geht, dann gehts halt mal nich bio (.) also ich kack mir jetz auch nich in die Hosen, wenn ich eben solche Kidneybohnen ma=essen muss und der Unterschied is halt schon krass (.) ja. So=ne Dose Kidneybohnen kostet fünfundreißig Cent, ne Bio-Dose halt einsfünfzich, des is halt schon irgendwo dann, ich versteh schon, warum viele Leute sagen, hey ich mach des nich mit=ja, das Biozeug, wenn ihr halt die paar Kohlen extra habt dann machts, auf Dauer is=es sicherlich gesünder und nochma zu den Fetten. Die Kings, natürlich die Samen (.) Chiasamen, Leinsamen (.) Hanfsamen, hier hab=ich sogar nochma Hanfsamen da, auch extrem gut für die Verdauung.“ (Karl Ess: Z. 625–633)
Wie der erste Satz des Textauszugs zu erkennen gibt, sieht sich Karl Ess mit der Norm konfrontiert, so viel Bio-Lebensmittel wie möglich zu kaufen bzw. zu essen. Am deutlichsten tritt der normative Charakter an der Verwendung des Wortes ‚muss‘ in Erscheinung, der verrät, dass Karl Ess sich einer zwanghaften Situation ausgesetzt fühlt. Gleichzeitig wird an der Passage jedoch nicht nur eine weitere Ernährungsnorm sichtbar, sondern auch eine Diskrepanz zu dieser. So berichtet der Videoproduzent, dass er manchmal notgedrungen in der Lage ist, sich der Norm widersetzen zu müssen, wenn es „halt mal nicht bio geht“. Hieran wird jedoch nicht nur eine Diskrepanz zu der Ernährungsnorm, sondern ebenso zur Norm der Selbstdisziplinierung deutlich. So wird sichtbar, dass aufgrund von Lustempfindungen, fehlender Produktauswahl oder anderen nicht genau explizierten Umständen nicht durchgehend ein Passungsverhältnis zwischen Habitus und normativer Ordnung vorliegt. Zugleich dokumentiert sich in diesem Kontext, dass die Norm, Bio-Lebensmittel zu konsumieren auf einer tieferliegenden Sorge um die Gesundheit des eigenen Körpers basiert. Inwiefern Bio-Lebensmittel gesünder sind, erläutert der YouTuber allerdings nicht, woran sich zeigt, dass es diesem
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nicht um eine Heilung eines konkreten Leidens bzw. einer Krankheit geht, sondern vielmehr um präventive Maßnahmen. Dies erhärtet sich zudem, indem Karl Ess auf die Dauer verweist und damit klar macht, dass nicht kurz- oder mittelfristige Genesungen oder Verbesserungen im Fokus stehen, sondern vielmehr der Erhalt der Gesundheit auf lange Sicht. Indem der YouTuber verlauten lässt „dann machts“, erscheint jene Sorge um die eigene Gesundheit abermals als klarer Appell an die Zuschauer_innen es ihm nachzumachen. Das präventive Leitbild und das Anliegen für ein optimales Funktionieren des Körpers zu sorgen, dokumentiert sich schließlich auch im letzten Satz der Textpassage. Denn Fette, die in der vorherigen Sequenz noch negativ konnotiert waren, erscheinen in diesem Abschnitt in Form von Samen als „Kings“, weil zumindest die verschiedenen Samenarten gut für die Verdauung seien. Wie dementsprechend deutlich wird, orientiert sich Karl Ess nicht nur an Ernährungsnormen, die einem schnellen Muskelaufbau dienlich sind, wie der Titel des Videos („Muskelaufbau-Ernährung gut und günstig - mein Einkauf - KARL-ESS.COM“) vornehmlich suggeriert, sondern ebenso an Normen, die an einer gesundheitlichen Vorsorge ausgerichtet sind. Im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Normen kann er diesen normativen Ordnungen allerdings nicht immer entsprechen, da er gelegentlich auf Lebensmittel zurückgreifen muss, die nicht im Bio-Segment einzuordnen sind. In der Textpassage des letzten Videoabschnitts zeigt sich schließlich, dass dem Nährwert Eiweiß jedoch eine besondere Bedeutung zukommt. „Das sinn alles Sachen, wenn man dann auf sein Protein nich kommt, supplementieren. Ich hab hier beispielsweise auch=n Hanfsamenpulver, ich hab also=n Proteinpulver, ich hab (.) wo ham=wirs denn, ich hab Growing Naturals, ich hab Sun Warrior, ich arbeite grad an=nem eigenen Proteinpulver sogar. Nüsse wechselt da durch, um da=einfach verschiedene Mineral (.) Mineralienspektren zu bekommen. Beispielsweise hier der Killer Pekankerne aber der absolute Killer (.) un jetz kommts Leute (.) absoluter Killer Geheimtipp (.) hier (.) was isn da schon wieder los (.) Vitamin B siebzehn Aprikosenkerne. Handy geht schon wieder, absoluter Killer, ich muss jetz auflegen, weil des is meine Mutter, ciao.“ (Karl Ess: Z. 633–640)
Bereits der erste Satz des Textabschnitts macht deutlich, dass es zur Anpassung an die Norm elementar ist, seinem Körper ausreichend Proteine zuzuführen. Die Formulierung, „wenn man dann auf sein Protein nich kommt“, gibt zu verstehen, dass es ein zu erfüllendes Ziel bzw. einen Sollzustand an Proteinen gibt, den es zu erreichen gilt. Falls dies mit den genannten Lebensmitteln nicht erzielt wird, rät der YouTuber zu „supplementieren“, das heißt Proteine in Pulverform zu sich zu nehmen. Die Wortwahl verrät dabei jedoch, dass es sich hierbei um Prozesse handelt, die als nahezu selbstverständlich erscheinen, da sie eher schemenhaft und
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in Stichpunkten vorgetragen werden. Der Videoproduzent erklärt nicht ausführlich, was es bedeutet, nicht auf sein Protein zu kommen oder zu supplementieren und erwähnt nur beiläufig bestimmte Marken wie „Sun Warrior“. Wie zentral die Bedeutung der Proteine für ihn ist, wird schließlich auch daran deutlich, dass Karl Ess an seinem eigenem Proteinpulver arbeitet. Lebensmittel, so zeigen die Textpassagen dementsprechend eindrücklich auf, werden von dem YouTuber primär als Nährstofflieferanten von bspw. Proteinen, Fetten oder Vitaminen angesehen, die wiederum einen Nutzens für den Körper haben, indem sie bspw. gut für die Verdauung sind oder präventiv die Gesundheit fördern bzw. erhalten. Jene Fokussierung auf die Nährwerte kommt zudem im vorletzten Satz des Abschnitts zum Vorschein, indem Karl Ess nochmal auf verschiedene Mineralspektren in Nüssen und das Vitamin B17 in Aprikosenkernen hinweist. Gesundheitsnormen spielen somit zwar augenscheinlich eine Rolle, jedoch verdeutlicht das überwiegende Ausbleiben von Erklärungen, warum bspw. verschiedene Mineralspektren und ausreichend Proteine aufgenommen werden sollten, dass es im entscheidenden Maße auch um eine bloße Befolgung von Ernährungsnormen geht. Ähnlich wie LaurenCocoXO unerwähnt lässt, warum Schokolade gemieden werden sollte, meidet ebenso Karl Ess genaue Erklärungen, weshalb viele Regeln resp. Ernährungsnormen als natürlich gegeben erscheinen und schlichtweg erfüllt werden müssen. Ausschließlich beiläufig und implizit wird erkennbar, dass diese der Erhaltung der Gesundheit dienen sollen und wie vor allem der Videotitel zu erkennen gibt, den Aufbau von Muskeln fördern soll. Besonders deutlich kommt dies nochmals in der Endsequenz des Videos zum Vorschein, in der sich Karl Ess mit nacktem Oberkörper präsentiert. Abbildung 6.10 Karl Ess: 07.25 min.
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Abbildung 6.11 Karl Ess: 07.30 min.
Wie die beiden Fotogramme aus Abbildung 6.10 und 6.11 der letzten Sequenz des Videos offenbaren, zeigt Karl Ess nach der Präsentation seines Einkaufs zudem Videoausschnitte, die ihm beim Trainieren und Posieren darstellen. Noch markanter als die analysierten Fotogramme des Videos von LaurenCocoXO sticht bei Karl Ess die Fokussierung auf den Körper hervor. Dieser wird zunächst in beiden Fotogrammen durch dessen bildliche Zentrierung hervorgehoben. Demnach befindet sich der Bildmittelpunkt in beiden Fällen auf dem Oberkörper des Akteurs. Zusätzlich verstärkt wird die Fokussierung insbesondere im ersten Fotogramm durch die szenische Choreografie. So sind zwei Akteure in dem Bild zu sehen, wobei an der Kamera in der Hand des in schwarz gekleideten Akteurs sich verdeutlicht, dass dieser die Sequenz filmt. Hierdurch und nicht zuletzt durch die Linie in der Mitte des Bildes, die durch einen Rand hervorgerufen wird, zeigt sich, dass der Kameramann das Kamerabild durch einen Spiegel einfängt. Hierdurch ist zu erkennen, wie sich Karl Ess nicht nur während seines Trainings filmen lässt, sondern sich zudem selbst im Spiegel beobachtet. Unter Berücksichtigung des zweiten Fotogramms und dem dort zu sehenden Posieren sowie der Tatsache, dass Karl Ess mit nacktem Oberkörper trainiert, erhält die Selbstbeobachtung durch den Spiegel einen stark narzisstischen Charakter. Zugleich deutet die Beobachtung bei der Ausführung der Übungen auch auf eine weitere Art der Selbstkontrolle hin. Ohne Zweifel lässt sich somit konstatieren, dass Karl Ess und insbesondere der Oberkörper des YouTubers jeweils im Zentrum der Bilder steht. Hervorgehoben wird dies zudem durch die Lichtverhältnisse. So ist der Körper im ersten Fotogramm durch ein Fenster sowie im zweiten durch eine Deckenlampe angestrahlt, wohingegen der restliche Trainingsraum verhältnismäßig dunkel erscheint. Durch das gezielte Anspannen der Arm-, Brust- und Bauchmuskeln tritt offenkundig die Hervorhebung der ausgeprägten Muskulösität in Erscheinung. Neben
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der hierdurch deutlich sichtbar werdenden Selbstdarstellung zeigt sich an der Sequenz zudem, wie sich Karl Ess an einer geschlechtsspezifischen Körpernorm orientiert, die auf einer ausgeprägten Muskulösität basiert und diese auch selbst repräsentiert. Gleichzeitig, so führen die Analysen der Textpassagen vor Augen, geraten Aspekte wie z. B. der Genuss von Lebensmitteln nahezu komplett in den Hintergrund und spielen für den Videoproduzenten quasi keine Rolle. Neben der Semantik und Formulierungen wie „reinhauen“ und „Grünzeug“, die ein auf Mengen und schlichten äußerlichen Merkmalen bezogenes Verhältnis zu Lebensmitteln zum Ausdruck bringen, tritt dies auch auf bildlicher Ebene zum Vorschein, indem die gezeigten Nahrungsmittel geschmissen und übereinander gestapelt präsentiert werden. Insbesondere im direkten Vergleich zum Video von LaurenCocoXO, in der die Apfelchips in einer Schale serviert und genüsslich verspeist werden, kommt das differente Verhältnis zu Lebensmitteln zum Vorschein. Es ist klar erkennbar, dass sich sowohl im Video von LaurenCocoXO als auch Karl Ess eine Disziplinierung des Selbst rekonstruieren lässt, die jedoch äußerst unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Denn die von Karl Ess vollzogene Fokussierung auf Nährwerte, die in Massen zu sich genommen werden sollen, stehen im starken Kontrast zu Darstellungen von LaurenCocoXO, die hingegen den Genussmoment zelebriert und einzelne Lebensmittel möglichst ästhetisch zubereitet und mit der Kamera hervorhebt. Einerseits dokumentieren sich folglich sowohl verschiedene Ernährungs- und Körpernormen zwischen den YouTuber_innen, andererseits liegt bei Karl Ess auch eher ein implizites Passungsverhältnis zwischen Habitus und der Norm der Selbstdisziplinierung vor. So wird diese nicht explizit von Karl Ess erwähnt und erscheint zudem nicht als Norm an der es sich auszurichten gilt. Vielmehr diszipliniert dieser sich in erster Linie unbemerkt, was diesem wiederum hilft sich auch die präsentierten Ernährungsnormen anzueignen. Diese scheinen dabei primär auf einer Zufuhr von bestimmten Nährwerten aufzubauen, die es zu kontrollieren und überprüfen gilt. In diesem Sinne ist es bspw. von hoher Relevanz zu überwachen, ob dem Körper genug Proteine zugeführt werden. Eine entscheidende Rolle kommt dementsprechend der stetigen Reflexion und Kontrolle der eigenen Nährwertzufuhr zu. Indem Karl Ess die Lebensmittel in Kategorien einteilt und präsentiert, zeigt er nicht nur eine Technik auf, um die Kontrolle und Ordnung der Nährwerte zu erleichtern, sondern er demonstriert auch, was gegessen werden sollte bzw. darf und was hingegen unthematisiert bleibt und somit gemieden werden sollte. Der hierüber präsentierte Lifestyle zeichnet sich folglich durch eine starke Strukturierung und Disziplinierung des eigenen Essverhaltens aus, wobei die Grundpfeiler des Lifestyles von Karl Ess in keinerlei Weise offen gelassen oder bspw. mit
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Formulierungen, wie ‚meiner Meinung nach‘ oder Ähnlichem relativiert werden. Vielmehr treten sie klar definiert und geradezu in Stein gemeißelt hervor. Nicht nur durch die Inszenierung des Videoproduzenten als Mentor und die Belehrungen seiner Zuschauer_innen, erscheinen die Ernährungsnormen nicht in Diskrepanz zum Habitus des YouTubers zu stehen. Auch stetige Hinweise, dass er die zu konsumierenden Lebensmittel häufig und gerne zu sich nimmt oder sich in großen Mengen in seinem Kühlschrank befinden, zeugen von der Übereinstimmung von Habitus und Norm. Ausnahmen zeigen sich hierbei an weiteren Richtlinien, wie etwa dem Kauf von Bio-Lebensmitteln, dem er nicht immer nachkommt. Die Disziplinierung und Kontrolle der eigenen Ernährung stellt sich dementsprechend ebenfalls als Norm dar, der er weitestgehend entspricht. Insgesamt werden die verschiedenen Normen als Lifestyle resp. aktiv gewählter Lebensstil präsentiert und empfunden, der nicht im Widerspruch zum Habitus erscheint. Dieser beinhaltet hauptsächlich Ernährungsnormen, die in Verbindung zu Körper- und Gesundheitsnormen stehen und eine starke Selbstdisziplin als Basis benötigt.
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Die Selbstdisziplinierung und ihre langfristige Stärkung durch Normwidersetzungen (ExFitness)
Eine weitere Ausprägung der Subjektnorm der Selbstdisziplinierung wird im Video des YouTubers ExFitness sichtbar. Wie an der Analyse des Videos zum Vorschein kommt, besteht das Anliegen des YouTubers in diesem Fall nicht darin, die eigene Selbstdisziplin mittels Versuchungen zu bewähren oder sie als Grundlage eines ganzen Lebensstils bzw. Lifestyles zu präsentieren, sondern sie mithilfe einer bestimmten Technik präventiv zu stärken. Im Video des YouTubers ExFitness offenbart dieser sein Ziel, die Lust auf „ungesunde“ bzw. stark kalorienhaltige Lebensmittel möglichst lange durch einen übermäßigen Verzehr dieser zu verlieren, um die daran anschließende Diät zu erleichtern bzw. diese am nächsten Tag besser weiterführen zu können. Im Zentrum des Interesses liegt somit einerseits eine dauerhafte Anpassung an die Subjektnorm der Selbstdisziplinierung, auch wenn diese für einen Tag (dem sogenannten „Cheatday“) bzw. durch ein gezieltes, kontrolliertes und vor allem nur kurzeitiges Widersetzen der normativen Erwartung ausgesetzt wird. Andererseits fokussiert der YouTuber aber auch die Anpassung an eine bestimmte Ernährungsnorm. Da es sich somit um eine spezielle Technik bzw. Methode handelt, um die Selbstdisziplinierung zu stärken, weist der Präventionismus des „Cheatdays“ Züge eines Hacks auf. Im Unterschied zu diesen, wie sie bspw. im Video von LaurenCocoXO präsentiert wurden, kann der „Cheatday“ jedoch nicht
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als Alltagstechnik begriffen werden, da er gerade auf einen Ausnahmetag begrenzt ist und demnach etwas nicht-alltägliches abbildet. Wie auch im Video von Karl Ess erfolgt die Disziplinierung im Kontext einer speziellen Ernährungsweise bzw. Diät, der sich ExFitness unterzieht, wodurch ebenfalls Ernährungsnormen im Video des YouTubers offenbart werden. Zwar lässt sich an dem Video nicht exakt rekonstruieren, wie die Diät des YouTubers aufgebaut ist, jedoch wird deutlich, dass diese über einen längeren Zeitraum durchgeführt wird und der Fokus im Gegensatz zu Karl Ess weniger auf bestimmten Lebensmitteln liegt, sondern vielmehr auf einer generellen Kontrolle der Kalorienzufuhr. Besonders eindringlich kommt das Anliegen des YouTubers in der ersten Sequenz seines Videos und der dazugehörigen Textpassage zum Vorschein: „Einen wunderschönen gutn Morgen, liebe Fitnessfreunde u:nd heute ist mein Cheattag (.) endlich, Diät is vorbei und ich hab mir gedacht, ich werde mal erstmal einen Tag g=machen, sozusagen zum Abfeiern un wie feiert man natürlich in der Fitnessszene nich mit Alkohol oder=so, nein wir cheaten. U:nd es wird=n epischer Cheattag hoff ich, mal sehn schon sehr lange her, dass ich wirklich son kompletten Tag hatte, wo ich von morgens bis abends was gegönnt habe.“ (ExFitness: Z. 930–936)
Wie in dem Textabschnitt sichtbar wird, offenbart sich bereits im ersten Satz seines Videos eine sehr große Begeisterung, dass die Diät durch einen „Cheattag“ unterbrochen wird. Dass dieser Tag förmlich von ExFitness herbeigesehnt wurde, zeichnet sich zum einen an der Verwendung des Wortes „endlich“ ab, zum anderen kommt dies aber auch an der Formulierung „abfeiern“ zum Ausdruck. Diese verdeutlicht eine derart große Freude über das Ereignis, dass dieses gefeiert werden muss und wenig später sogar mit der euphorischen Bewertung „episch“ beurteilt wird. Wie groß die Begeisterung des YouTubers ist, lässt sich zudem bereits an der nahezu überschwänglichen Begrüßung ablesen. Indem ExFitness im darauffolgenden Satz betont, dass er sich seit sehr langer Zeit keinen kompletten Tag etwas „gegönnt“ hat, wird erkennbar, dass sich der Videoproduzent scheinbar über einen äußerst langen Zeitraum einer Diät unterzogen und sich selbst diszipliniert hat. Warum er dies tat, thematisiert er hingegen nicht. Ausschließlich der Hinweis auf die Fitnessszene lässt erahnen, dass seine Diät in Verbindung mit dieser steht. Demnach kennzeichnet sich die Szene für ExFitness „natürlich“ durch bestimmte Eigenheiten, indem etwa nicht mit Alkohol gefeiert, sondern vielmehr „gecheatet“ wird. Dass die Disziplinierung des Selbst dabei als permanente Norm präsent ist, lässt sich bereits in der Textpassage der darauffolgenden Sequenz erahnen. So
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wird in dieser deutlich, dass die Vorfreude auf das zügellose Essen und besonders die Lust auf dieses sehr groß ist, jedoch die Widersetzung der normativen Ordnung den Genuss schmälert: „Man sagt ja immer der erste Bissen ist das Beste von allen und ich werde versuchen, es auf jeden Fall das Ganze zu genießen, ihr seht schon, das Wasser läuft mir schon im Mund zusammen (.) ähm (.) ja (.) so hier, so sieht das aus. N=bisschen groß (3) das wars. So Leute (.) der Pancake is geschafft, wie ihr seht, aber (.) das Ben and Jerrys, ich hab jetz=n bisschen was davon gegessen (.) ich habs auch vorher abgewogen, das werd ich dann dazuzählen (.) aber irgendwie krieg=ich das jetz nich=so wirklich runter, ich müsste es mir quasi mit Gewalt jetz Runterdrücken und ich finde auch es schmeckt jetz auch=nich so toll (.) irgendwie, weil ich hab mir jetz schon. Ich hab den vor meine:r, ich hab den vor meiner Diät gekauft, also der is jetz schon drei Monate im Kühlschrank.“ (ExFitness: Z. 955–966)
Wie sich an der Aussage dokumentiert, rangiert der Videoproduzent förmlich zwischen Empfindungen von Lust und Ekel. So berichtet ExFitness zwar einerseits, dass ihm das Wasser im Mund zusammenläuft, andererseits spricht er ausschließlich von einem Versuch das Essen (Pancakes mit Nutella und Karamell-Creme sowie ein Becher Speiseeis) zu genießen. Hieran wird ersichtlich, dass es eine große Herausforderung für den YouTuber bedeutet, ‚über seinen Schatten zu springen‘ und sowohl der Norm der Selbstdisziplinierung als auch der Ernährungsnorm zu widersprechen. Weniger steht somit die Norm in Diskrepanz zum Habitus, als vielmehr die Widersprechung der Norm. Dies kommt auch im darauffolgenden Satz zum Vorschein, indem ExFitness betont, dass er die Pancakes geschafft hat und dementsprechend deutlich macht, dass der Verzehr des Essens kein leichtes Unterfangen war. Wie schwer sich der YouTuber tut, die Lebensmittel aufzunehmen, wird anschließend sichtbar indem er berichtet, dass er das Eis nur teilweise verzehren konnte, weil er es nicht „runterkriegt“. Zum einen verdeutlich die Wortwahl den zwanghaften Charakter des Unterfangens, welcher darüber hinaus an der Betonung des gewaltvollen „Runterdrückens“ erkennbar wird, zum anderen veranschaulicht der letzte Satz aber auch deutlich, wie lang sich der YouTuber bereits einer Diät unterzogen hatte. So gibt der Hinweis, dass das Eis vor der Diät gekauft wurde, Auskunft darüber, dass seine Diät und die damit einhergehende Anpassung der Normen sich über drei Monate hingezogen haben. Wie sich im Textabschnitt der nachfolgenden Sequenz bereits andeutet, wird aber auch der Cheattag nicht derartig zügellos praktiziert, wie ein erster Blick auf diesen zunächst vermuten lässt, sondern dieser ist ebenfalls von einer stetigen Kontrolle geprägt:
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„Ich bin jetz auf dem Weg zur Arbeit u:nd äh (.) ich=hab mal vorhin geguckt, das warn ungefähr zweitausendfünfhundert Kalorien, die ich mir da gegönnt habe. Vor allem die Nutella-Creme (.) ey die haut so krass rein, das warn zweihundert Gramm und das sah mir nich so wirklich viel aus, aber das warn schon über tausend Kalorien, also das is so (.) wo ich so gemerkt habe okay, das is so=ne richtich krasse Kalorienfalle (.) äh in die die meisten wahrscheinlich reintappen.“ (ExFitness: Z. 971–977)
Vor allem der Hinweis, dass mit dem Verzehr der Pancakes 2500 Kalorien aufgenommen wurden, verdeutlicht, dass ExFitness seine Kalorienzufuhr ebenso am Ausnahmetag stets im Blick hat. Gleichzeitig, und dies ist besonders bemerkenswert, offenbart die Textpassage aber auch, dass der YouTuber die Präsentation des „Cheatdays“ zudem dazu nutzt, seine Zuschauer_innen eindrücklich vor sogenannten „Kalorienfallen“ zu warnen, die in Lebensmitteln (wie etwa Nutella) lauern. In diesem Sinne erscheint seine soeben erlebte Erfahrung gleichzeitig als ein Ratschlag, derartige Fallen zu meiden und beim Konsum auf die hohe Kalorienanzahl zu achten. Folglich orientiert sich der YouTuber nicht nur selbst an einer Ernährungsnorm, die stark auf einer Kontrolle der Kalorienzufuhr basiert, sondern er legt sie implizit auch seinen Rezipient_innen nahe. Zugleich offenbart die darauffolgende Sequenz, dass abermals die Norm der Selbstdisziplinierung als zentral erscheint. In diesem Fall diszipliniert sich der YouTuber jedoch nicht dazu bestimmte Lebensmittel zu essen oder sich diese zu verweigern, sondern er ordnet sich an, trotz Ausnahmetag und Völlegefühl ein Fitnesstraining durchzuführen: „Der erste Teil des Tages is vorbei, wir ham jetzt knapp äh (.) kurz vor eins, ich hab jetz zwei Stunden gearbeitet, hab nochmal=n bisschen gepumpt, ich hab mir gedacht, komm bevor ichs heute Abend machen muss, bevor ich heut Abend nochmal kurz arbeiten muss (.) beziehungsweise petit-Training geben muss (.) äh mach ichs jetzt einfach vor allem des Studio is hier richtig geil, weil die ham=so Hammer-Strenght, Hammer-Strength und Life-Fitness-Machine und die sind halt richtich heftig ähm (.) deswegen hab=ich mir gedacht, mach ich hier mal=n Pumptraining und jetzt ä:h (.) fahr ich nach Hause und währenddessen überleg ich mir, was könnte ich als nächstes essen.“ (ExFitness: Z. 984–993)
Wie an der Textpassage sichtbar wird, ist es insbesondere die Art und Weise, wie der YouTuber von seinem Fitnesstraining berichtet, welche den selbstdisziplinierenden Charakter zum Vorschein bringt. So ist es vornehmlich die Verwendung des Wortes „muss“, die signalisiert, dass das Training bzw. „Pumpen“ einem gewissen Zwang folgt und quasi unausweichlich durchgeführt werden muss, egal zu welcher Tageszeit. Abermals kommt dadurch eine zwanghafte Norm zum Vorschein, die der Videoproduzent sich erneut anpasst. Zugleich bildet sich hierüber
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jedoch nicht nur die Selbstdisziplinierung weiter ab, sondern auch die Zugehörigkeit zur Fitnessszene wird weiter gefestigt, die bereits in den einleitenden Worten der ersten Videosequenz Erwähnung findet. Dass die Beziehung zu der Szene über die Einbindung und Beschreibung des Trainings als auch über die Semantik weiter gestärkt wird, dokumentiert sich ebenso eindrücklich an der Passage. So stellt ExFitness die eigene Zugehörigkeit zum Milieu maßgeblich über die Verwendung von Wörtern wie „Pumptraining“ sowie durch die Nennung von speziellen Marken aus dem Bereich der Fitnessgeräte wie „Hammer-Strength“ unter Beweis und zeigt hierdurch seine Expertise in der Szene. Wie die Textpassage der darauffolgenden Sequenz zu erkennen gibt, dokumentiert sich in dieser erneut die starke Ambivalenz aus Genuss und Ekel der ‚verbotenen‘, stark kalorienhaltigen Lebensmittel: „Ich liebe auch Oreos und Milka Oreo, ma gucken was ich von dem allem runter kriege. Aber ja (.) ich hab jetz Hunger (.) ich werd mir jetz=n Film gönnen (.) nebenbei und das Ganze mal hier (.) genießen. Leer @ also ich=bin überrascht (.) eigentlich hät also, ich habs mir vorhin gekauft und=ich dachte mir so, des wird wahrscheinlich so wie heut=morgen, dass ich das so anfange und dann so na=nach sechs, sieben, acht, neun (.) ähm Löffel davon, dass ich mir denke uh das was jetz zu viel (.) aber das hat richtich gut geschmeckt, war mal was anderes. Wie viel Kalorien hat das eigentlich (.) oh pro hundert Gramm nur zweihundertneunundfünfzich (.) ja (.) was heißt nur. Da kommt bestimmt gleich was zusamm (.) ich bin gespannt. So als nächstes ähm (.) ich werd dann wahrscheinlich im Video einblenden, wie=viel Kalorien das warn.“ (ExFitness: Z. 1006–1017)
Vor allem der erste Satz des Textausschnitts offenbart, dass ExFitness zwar einerseits Schokolade und Oreo-Kekse sehr gerne isst bzw. sogar „liebt“, andererseits erneut durch den Gedanken an die hohe Kalorienanzahl gebremst und angeekelt wird, sodass er versucht, die Schokolade lediglich „runterzukriegen“. In diesem Kontext ist auch das daran anschließende Bestreben zu verstehen, das Essen und den Film „mal“ zu genießen, nachdem dies am Morgen nur bedingt gelungen war. Neben der stark verinnerlichten Selbstdisziplinierung deuten sich hieran gleichzeitig die ersten Erfolge des Anliegens von ExFitness an, derart viel von den („ungesunden“) Lieblingslebensmitteln zu verzehren, so dass diese ihn anekeln und er die Lust auf diese verliert. Nachdem der YouTuber konstatiert, dass das Essen gut geschmeckt hat und zu seiner Überraschung auch noch komplett aufgegessen werden konnte, verdeutlicht der Hinweis auf die enthaltenen Kalorien, dass er sich erneut einer Kontrolle unterzieht, wie viel Kalorien er durch den Verzehr des Essens zu sich genommen hat. Zur besseren Nachvollziehbarkeit seitens seiner Zuschauer_innen und gleichzeitigen Warnung vor den Lebensmitteln, weist
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ExFitness diesmal jedoch nicht nur sprachlich auf die enthalten Kalorien hin, sondern blendet die genaue Anzahl zudem im Video ein. Die Anmerkung, dass das Lebensmittel „nur“ 250 Kalorien pro 100 Gramm hat, ist dabei als Ironie zu verstehen, was neben der Betonung in erster Linie an der rhetorischen Frage „ja was heißt nur“ zum Ausdruck kommt. Durch diese ironische Hervorhebung drückt sich gleichzeitig das große Entsetzen des YouTubers über die aufgenommen Kalorien aus. Zusätzlich und dies wird insbesondere in dem kurz darauffolgenden Videoabschnitt deutlich, warnt ExFitness seine Zuschauer_innen jedoch nicht nur, indem er die hohe Kalorienzahl betont, sondern ebenso, indem er von den negativen Auswirkungen berichtet, die direkt auf das Essverhalten folgen: „So viel essen macht voll müde un betäubt. Ich hab grad glaub=ich ne Stunde gepennt oder so u:nd äh (.) ja, jetz muss=ich mal wieder so langsam aufstehen, denn ah=ich muss gleich (.) arbeiten gehn.“ (ExFitness: Z. 1018–1021)
Wie die Textpassage zu erkennen gibt, zieht der YouTuber direkte Zusammenhänge zwischen seiner Müdigkeit und der zuvor verzehrten Nahrungsmittel und schildert somit, welchen unmittelbar schlechten Einfluss die kalorienhaltigen Produkte (in diesem Fall das Mittagessen bestehend aus Döner, Eis und Schokolade) auf die körperliche Leistungsfähigkeit haben. Diese „betäuben“ den Körper augenscheinlich nicht nur, sondern stehen auch in Konkurrenz zur Arbeit, welcher trotz Erschöpfung nachgegangen werden muss. Darüber hinaus sorgen sie für keine lange Befriedigung und sättigen den Körper nicht langfristig, wie ExFitness wenig später in seinen Aussagen suggeriert: „Ich muss sagen, ich hab wieder son leichtes Hungergefühl, was aufkommt, es=is aber auch mehr so=n Gelüst als wirklich Hunger, ja=also wenn ich ganz ehrlich bin, ich hab ja schon (.) wir sin=ja schon bei sieben tausend Kalorien glaub ich. Äh das heißt=also, ich hab schon mein Pensum überschritten vom Feinsten un=mein Körper braucht eigentlich keine Kalorien mehr, aber es=sin halt diese Gelüste sind noch da und die gilt es natürlich jetz zu befriedigen, das heißt also, alles was jetz kommt, wenn man ganz ehrlich is, is nu:r (.) sinnloses Stopfen (.) for all kinds of gains. Ich bin=ma gespannt äh wie viel Gewicht ich morgen mehr auf der Waage haben werde.“ (ExFitness: Z. 1028–1037)
Wie die Textpassage der Sequenz 3 deutlich macht, verspürt ExFitness trotz des ausgiebigen Mittagessens weiterhin ein leichtes Hungergefühl sowie insbesondere die Lust auf weiteres Essen. Hierdurch signalisiert der YouTuber, dass die kalorienhaltigen Lebensmittel nur eine kurze Befriedigung schaffen und gleichzeitig weitere „Gelüste“ hervorrufen. Indem der Videoproduzent resümiert, dass
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er bereits 7000 Kalorien zu sich genommen hat, wird erkennbar, dass er seine eigene Kalorienzufuhr stetig im Kopf grob zu überschlagen scheint. Durch seine Schlussfolgerung und Wortwahl, dass sein „Pensum“ hierdurch überschritten ist, zeigt sich, dass der YouTuber ein eigens berechnetes Limit an aufzunehmenden Kalorien kennt, welches er im Alltag scheinbar stets beherzigt. Hieran wird ein konjunktives Wissen ersichtlich, dass dem YouTuber bei der Kontrolle der eigenen Kalorienzufuhr hilft. Mit anderen Worten wird an einer genauen Betrachtung der Verbalisierung sichtbar, dass ExFitness erstens seine Kalorienzufuhr stetig im Kopf mitrechnet und habitualisiert kontrolliert sowie zweitens exakt weiß, welchen Kalorienbedarf sein Körper benötigt und sich im Klaren darüber ist, wann er diesen überschreitet. Dass die Grenzverletzung des eigenen Kalorienbedarfs grundsätzlich als etwas Negatives aufgefasst wird, zeigt sich vor allem an der verwendeten Formulierung des „Stopfens“, der ausdrückt, dass mehr in den Körper passen soll, als dieser eigentlich aufnehmen kann. Diese Überschreitung sieht der YouTuber als sinnlos an und er befürchtet zudem unmittelbare Auswirkungen auf sein Körpergewicht. Dieses, so zeigt die Passage, wird wie auch die Kalorienzufuhr gemessen und kontrolliert, wodurch sich zusätzlich die Orientierung an Körper- bzw. Gesundheitsnormen andeuten. Die Aussage „for all kinds of gains“ weist des Weiteren darauf hin, dass nicht nur mehr Kalorien verzehrt wurden, sondern hierdurch auch ein Aufbau an (Muskel-)Masse erwartet wird.1 Dass der Verzehr der kalorienhaltigen Nahrungsmittel ein ambivalentes Gefühl bei ExFitness hervorruft, wurde zwar schon in zuvor analysierten Sequenzen deutlich, allerdings zeigt die Textpassage des folgenden Videoausschnitts auf, dass jenes Gefühl über den gesamten „Cheattag“ und bei quasi jeder Mahlzeit zum Vorschein kommt. Hierdurch offenbart sich, wie schwer dem YouTuber die Aufgabe fällt, sowohl der Ernährungsnorm als auch der Norm der Selbstdisziplinierung bewusst nicht zu folgen, dieser sozusagen zu widersprechen und stark kalorienhaltige Lebensmittel zu konsumieren: „U:nd hier natürlich meine Lakritze dürfen nicht fehlen, mal sehn, ob ich die auch noch runter=bekomme. Äh=da hab ich mir jetz mal eine Tüte gegönnt, weil=ich mir gedacht hab, ich werds wahrscheinlich, ich=weiß nich, ob ichs später nochma essen kann und ich hab=ja noch=n ein bisschen von dem äh Milka Oreos, mal sehn, ob ich die auch noch runter bekomme. U:nd ja, das werd=ich mir jetz mal gönnen, während ich mir wieder=n bisschen was im Fernsehn gönne.“ (ExFitness: Z. 1052–1058) 1 Zusätzlich
verweist die Aussage „for all kinds of gains“ auf eine Rezeption des YouTubeKanals „TwinMuscle“. In diesem dient der von den Videoproduzenten geprägte Spruch als Leitsatz und wird auf T-Shirts gedruckt. (https://www.youtube.com/channel/UC4Fhvdvg ZU5CVbXi2uWgiZg)
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Abermals kommt das ambivalente Verhältnis zu den Lebensmitteln an bestimmten Formulierungen des YouTubers zum Vorschein. Indem ExFitness einerseits sagt, dass er sich die Lakritze und Schokolade gönnen möchte, also etwas Untersagtes genehmigen will, andererseits jedoch verbalisiert, dass sein Ziel darin besteht, die Süßigkeiten bloß „runter bekommen“, zeigt sich erneut ein Rangieren zwischen Ekel und Genuss sowie gleichzeitig ein Hin- und Herschwanken zwischen normativer Erwartung und Handlungspraxis. Wie groß das Zugeständnis ist, welches der Videoproduzent sich selbst einräumt, wird dabei insbesondere an der starken Hervorhebung deutlich, die in der mehrfachen Wiederholung des Wortes „gönnen“ zum Ausdruck kommt. Wie ausgeprägt hingegen die Abneigung gegen die Süßigkeiten ist, wird an der drastischen Formulierung des „runter bekommens“ ersichtlich, welche ebenso wiederholt verwendet wird und signalisiert, dass sich der YouTuber bzw. sein Körper eigentlich gegen die Aufnahme der Lebensmittel sträubt. In paradoxer Weise dokumentiert sich somit weiterhin ein Passungsverhältnis zur Norm der Selbstdisziplinierung. In diesem Fall jedoch diszipliniert sich ExFitness derart, dass er trotz großer Abneigung und vollem Magen die Süßigkeiten verspeist. Wie in der darauffolgenden Sequenz sichtbar wird, geht der Videoproduzent beim Verzehr bis an seine körperlichen Grenzen, isst weiter, obwohl der Magen signalisiert, dass er voll ist und leert die Haribo-Packung, ungeachtet dessen, dass sein Bauch „spannt“: „So=mein Magen sagt jetz grade Ende Gelände, das heißt ich hab noch @, ich hab sogar die Haribos alle leer=bekomm. Warn doch nich so viele drin irgendwie, komischerweise gehts schnell damit zu Ende (.) ähm ja jetz bin ich richtich (.) also des is interessant (.) also die Schokolade ging noch, dann hatt=ich son leichtes (.) also schon längst natürlich überfressen. Völlegefühl schon längst übersch=oh Gott (.) tut mir leid aber (.) geht wieder ähm (.) und dann während man die Haribos isst, merkt man so oh jetz wird der Magen richtich krass voll, jetz spannt das schon extrem, jetz hab ich schon dieses Gefühl von ich=muss ma=die Hose aufmachen un mich irgendwie hinlegen, weil (.) atmen fällt jetz son bisschen schwer. Huh (.) ja (.) okay (.) also ich werde mich jetz so hinlegen und dann erstma=da verweiln und wahrscheinlich, wie son, wie son @ sterbender Elefant n=paar Stunden liegenbleiben.“ (ExFitness: Z. 1061–1073)
Neben der Disziplinierung des Selbst wird an der Textpassage der Sequenz 4 zugleich deutlich, dass ExFitness die Präsentation des „Cheattages“ erneut nutzt, um seine Zuschauer_innen vor einer stark kalorienhaltigen Ernährungsweise abzuschrecken. Indem der YouTuber beschreibt, dass er sich hinlegen muss und das Atmen immer schwerer fällt, zeigt er abermals auf, welche unmittelbaren negativen Folgen das viele kalorienhaltige Essen auf sein körperliches Wohlbefinden, seinen Gefühlszustand und seine Handlungsmöglichkeiten hat. Gerade
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letztere sind, wie die Verwendung des Wortes ‚muss‘ zu erkennen gibt, sehr eingeschränkt. Dies wird ebenfalls an dem Vergleich zum „sterbenden Elefanten“ sichtbar, der verdeutlicht, dass ExFitness sich wie ein verendendes Tier schwer und antriebs- bzw. machtlos fühlt. Wie ein Blick auf das Videobild sowie seine Entschuldigung mit der Bemerkung „geht wieder“ zu erkennen gibt, zeigt auch ein wiederholtes Aufstoßen des YouTubers, dass sein Körper Probleme mit der Bewältigung der großen Mengen an Lebensmitteln zu haben scheint. Dass das viele Essen als schädlich aufgefasst wird, belegen zudem negativ konnotierte Formulierungen wie „überfressen“. Die durch das Essen hervorgerufenen Probleme, so lässt die daran anschließende Sequenz erkennen, werden zwar nach einem explizit angesprochen Zeitsprung nicht mehr thematisiert, jedoch weist der YouTuber darauf hin, dass er sich sehr unsicher ist, ob er noch einen weiteren „Cheattag“ in naher Zukunft durchführen wird: „Wir=ham jetz kurz vor zwölf, das heißt also, es wird Zeit la:ngsam @ den Tag zu beenden. Ich hab=ähm (.) ich hab noch=n bisschen Platz im Magen, deswegen werde ich mir noch was gönnen (.) bevor ich jetz gleich äh zu Bett gehen werde. Des is=son bisschen ne Art (.) ich nenn das mal ähm (.) ja (.) zum Schluss nochmal was reinhauen, bevor ich die nächsten (.) wie viel auch immer Wochen ich keinen Cheattag machen werde, ob noch Cheattage folgen werden oder nich, weiß ich nicht.“ (ExFitness: Z. 1073–1080)
Trotz der Zweifel, ob und wann der YouTuber tatsächlich einen weiteren „Cheattag“ realisiert und der sich hieran ablesbaren physischen und psychischen Belastungsprobe, die der Tag für ihn bedeutete, gibt die Textpassage erkennen, dass der YouTuber die letzten Stunden des „Cheattages“ versucht konsequent im Sinne des Ziels, möglichst viel Kalorien aufzunehmen, zu beenden. Dementsprechend lässt er seine Zuschauer_innen an seinem Bestreben teilhaben, diszipliniert jedes „bisschen Platz im Magen“ zu nutzen und weitere Kalorien „reinzuhauen“. Dass die Aufnahme der Kalorien jedoch nicht unkontrolliert und unbedacht vollzogen wird, sondern sich stattdessen erneut mit Umsicht und größter Aufmerksamkeit abspielt, wird in der anschließenden Sequenz erkennbar. So zeigt sich in dieser, dass ExFitness auch seine letzten Kalorien des „Cheattages“ penibel berechnet, indem er die verwendeten Lebensmittel auf das Gramm genau abwiegt: „Ich=muss hier kurz mal (.) meine App aufmachen wegen den Kalorien. Also ihr kennt=ja meine Paste, die ich ja=normalerweise hier (.) mit dem Whey und Erdnussbutter mach, ich hab dann gedacht hey (.) es fehlen ja=noch die guten Fette, deswegen (.) hab=ich jetz hier=n bisschen ähm Erdnussmus reingemacht. Unter anderem auch diese Biscoff-Brotaufstrich-Creme, schmeckt richtich gut, son bisschen nach ähm Spekulatius. Also ich=hab die schon Monate, ich benutz die=ja
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wirklich nur ganz selten. Dazu natürlich auch=n bisschen Nutella. Also insgesamt (.) ich hab das jetz mal hier=so eingetragen, ich hab (.) äh=Mandelmus drinne (.) äh was=is hier noch. Dieser Biscoff-Brotaufstrich, also insgesamt dreiunzwanzich Gramm äh Mandelmus achtunzwanzich Gramm von diesem Brotaufstrich, dann gabs nochmal zweiunsiebzich Gramm Nutella, n=paar Kokosraspeln und äh dreiunachzich Gramm Whey-Protein. Und=so sieht das Ganze aus (.) schmeckt wahrscheinlich gleich oberst geil.“ (ExFitness: Z. 1081–1094)
Wie die Textpassage zu erkennen gibt, verwendet ExFitness eine Handyapplikation, um die Kalorien der abgewogenen Lebensmittel zu berechnen. Ein Blick auf das Videobild zeigt dabei den routinierten Umgang mit der Handy-Applikation, welche den genauen Nährwertgehalt der Speisen und Lebensmittel errechnet. Darüber hinaus werden die erprobte Handhabung und die versierte Einordnung der angezeigten Nährwerttabellen und Kalorientabellen sichtbar. So benötigt der YouTuber keine Zeit, um sich in der Applikation zurechtzufinden, steuert gezielt Eingabefelder an und trägt die Daten nahezu simultan zur Zubereitung der Paste sowie zur Kommentierung des Videos ein. Hierdurch wird die Prüfung von Nährwerten als performative Performanz sichtbar und es wird deutlich, dass die Kontrolle nicht nur in der Ausnahmesituation des „Cheattages“ durchgeführt wird, sondern sich vielmehr als eine alltägliche resp. häufig angewandte Handlung des YouTubers und als Teil des konjunktiven Wissens abzeichnet. Wie ExFitness betont, gehört der Verzehr der verwendeten Spekulatius-Creme hingegen keineswegs zum Alltag, sondern stellt eine Ausnahmesituation dar, wie der Verweis auf die seltene Benutzung verdeutlicht. Der Hinweis, dass sich die Creme schon mehrere Monate in seinem Besitz befindet, unterstreicht die sehr spärliche Verwendung und weist gleichzeitig auf die disziplinierte Ernährung des YouTubers hin. Denn obwohl ihm die Creme nach eigener Aussage „richtig gut“ schmeckt, wird sie nur äußerst selten verspeist und ist eigentlich kein Bestandteil seiner „Paste“. Gleiches gilt für die fertig zubereitete „Paste“, welche seiner Einschätzung nach „oberst geil“ schmecken wird. Dass im Alltag hingegen eine andere Zubereitung der „Paste“ erfolgt, die ausschließlich „Whey“ und Erdnussbutter beinhaltet, verdeutlicht sowohl die Verwendung des Wortes „normalerweise“ als auch der Hinweis, dass seine Zuschauer_innen die „Paste“ bereits kennen. Durch das zusätzliche Auslassen einer Erklärung, was „Whey“ bedeutet, wird zudem dessen Kenntnis bei den Zuschauer_innen vorausgesetzt und ein geteilter Erfahrungsraum mit diesen suggeriert.2 In ähnlicher Weise trifft dies ebenso auf die Betitelung der „guten Fette“ hin, die unterstellt, dass die Zuschauer_innen auch 2 Die
Bezeichnung „Whey“ ist ein Begriff aus dem Bodybuilderjargon und meint ein Proteinpulver, welches industriell aus Molke gewonnen wird.
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tatsächlich registrieren, dass die Beschreibung „gut“ als Ironie zu deuten ist, worauf vor allem die bereits erwähnte Warnung vor Nutella in Sequenz 2 hindeutet. Wie die letzte Sequenz des Videos schließlich zu erkennen gibt, endet der Clip jedoch nicht mit dem Ende des „Cheattages“, sondern mit einem Resümee, welches der Videoproduzent am darauffolgenden Tag vorträgt: „Einen wunderschönen guten=Morgen liebe Fitnessfreunde u:nd ja der Tag (.) danach und (.) bevor ich=mich jetz gleich noch=mal auf die Waage stelle (.) ähm ich muss sagn, gestern Abend hab=ich nochmal diesen Abendsnack gegessen u:nd (.) währenddessen wars okay, danach gings mir son bissche:n (.) scheiße, muss ich sagen=irgendwie, also ich=hab mich danach hingelegt zum Schlafen u:nd (.) ja=mir war son bisschen schlecht (.) das lag noch so ganz schwer=im Ma:gen (.) das war se:hr unangene:hm (.) also kein schönes Gefühl. Irgendwann kam dann auch nachdem ich=so (.) zehn Minuten im Bett noch=so lag und=so zwischen Halbschlaf un=halb Schlechtsein (.) ähm wa:r, hab ich mir so gedacht (.) kam mir=so dieser Gedanke (.) würg mein Gott=ey nie wieder.“ (ExFitness: Z. 1094–1105)
Ein Blick auf die Textpassage der Sequenz verrät, dass der YouTuber erneut von negativen Auswirkungen berichtet, die entscheidend durch den Verzehr seiner „Paste“ ausgelöst worden seien. So beschreibt er, wie der Konsum des „Abendsnacks“ unmittelbare negative Folgen für sein körperliches Befinden hatte und es ihm „son bisschen scheiße“ ging. Dabei verdeutlicht einerseits die Wortwahl andererseits aber auch die wiederholte Betonung seiner schlechten Gefühlslage, dass es ExFitness besonders wichtig erscheint, ausführlich von den Konsequenzen seiner Ernährung zu berichten. In diesem Zusammenhang lässt der YouTuber folglich ebenso verlauten, dass sich sein schlechtes Gefühl in der Nacht in Übelkeit wandelte, die ein derartiges Unwohlsein hervorrief, dass er darüber nachdachte, nie wieder einen „Cheattag“ durchzuführen. Der Ausspruch „würg“ deutet hierbei auf einen derart großen Ekel hin, dass dieser mit einem Wort umschrieben wird, das im Kontext von Erbrechen geläufig ist. Bekräftigt wird der Gedanke zudem durch die Aussage „mein Gott ey“, die das Unwohlsein nochmals betont. Hieran wird sichtbar, dass das Ziel, die Lust am „Cheaten“ bzw. das Verlangen auf stark kalorienhaltige und ungesunde Lebensmittel zu verlieren, zumindest im Ansatz erreicht worden zu sein scheint. Ferner zeichnet sich bereits in dieser Textpassage das Vorhaben des YouTubers ab, das eigene Körpergewicht mit einer Waage zu messen. Wie im Folgenden sichtbar wird, beschreibt der Videoproduzent allerdings zunächst weiter seine ambivalente Gefühlslage und Beurteilung im Bezug auf den vollzogenen „Cheattag“.
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„Ich werd auch die nächsten drei Tage nichts mehr essen brauchen, weil ich=so viel gegessen habe, dass ich so wü:rg @ die nächstn zehn Jahre kein Cheatday mehr (.) u:nd wahrscheinlich a:ber spätestens in drei Tagen denk ich mir so woa:h wann kommt=der nächste Cheattag (.) Hunger @ nach dem ganzen Zeug. Ähm das is immer dieser Teufelskreis in den=man dann immer=so reinkommt, weswegen ich dann irgendwann mal aufgehört habe Cheatdays zu machen, weil=es einfach so=ne kranke Sucht wird. Naja egal (.) äh ich=hoffe euch hats n=bisschen Spaß gemacht.“ (ExFitness: Z. 1105–1112)
Wie die Textpassage dokumentiert, rangiert ExFitness weiterhin stark zwischen einem Ekelgefühl und einer Lust auf die präsentierten Lebensmittel. Einerseits ist der Ekel nach eigener Aussage so groß, dass er für die nächsten zehn Jahre keinen „Cheatday“ mehr „braucht“, andererseits, so seine Prognose, schätzt er bereits in drei Tagen wieder Verlangen auf das Essen zu verspüren. Die Verwendung des Wortes „brauchen“ zeigt dabei erneut auf, dass der „Cheatday“ einen bestimmten Zweck erfüllen soll. Abermals unterstreicht der YouTuber seinen Ekel mit dem Ausspruch „würg“, wohingegen er seine Lust mit dem Ausruf „woah“ sowie der Aussage „Hunger nach dem ganzen Zeug“ zum Ausdruck bringt. Im Vergleich zum Video der YouTuberin LaurenCocoXO wird hierbei ersichtlich, dass die Sehnsucht nach Süßigkeiten bzw. ungesundem Essen zwar nicht animalisch, jedoch zumindest minderbemittelt von ExFitness artikuliert wird. So wirkt die Aussage aufgrund fehlender Satzbausteine grammatikalisch inkorrekt und auf die bloße Betonung des Bedürfnisses nach Essen begrenzt. Nicht nur hieran, sondern auch an der Anmerkung, dass sich aus den „Cheattagen“ eine „kranke Sucht“ entwickeln kann, erweist sich, dass mit dem Konsum der präsentierten, ungesunden Lebensmittel immer auch die Gefahr des Kontrollverlusts und der Abhängigkeit einhergehen, die im Kontrast zur Norm der Selbstdisziplinierung stehen. Ebenfalls verweist hierauf der Hinweis auf den Teufelskreis, der signalisiert, dass die konsumierten Lebensmittel ein immenses Suchtpotential aufweisen, welches es zu kennen und kontrollieren gilt. Wie die Erläuterung offenbart, spricht der Videoproduzent dabei aus eigener Erfahrung, was die Gefahr zusätzlich größer und lebensnaher erscheinen lässt. ExFitness, so dokumentiert sich an den Aussagen, passt sich demnach zwar in seinem Alltag sowohl an der Ernährungsnorm als auch der Norm der Selbstdisziplinierung erfolgreich an, „braucht“ zur Anpassung an die Normen jedoch in gewissen zeitlichen Abständen immer wieder einen Ausnahmetag, in dem er zumindest der Ernährungsnorm für 24 Stunden widerspricht. Unabhängig von der Suchtgefahr, die von der Ausführung eines „Cheattages“ ausgeht, weist der YouTuber in seinen abschließenden Worten erneut darauf hin, dass dieser unmittelbare Auswirkungen auf den Körper hat.
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„So Gewicht heute, siebenunachtzich Komma fünf und heute sin=wir bei einunneuzich @ Komma sechs, ja Glückwunsch (.) das sind (.) drei Komma eins Kilo @. Des sin drei Komma eins Kilo mehr liebe Freunde nach einem Cheattag (.) so macht man=sich alles kaputt (.) nee Quatsch (.) is achtunneuzich Prozent Wasser, ein Prozent Fett und ein Prozent Gains (.) Musclegains. Naja wie auch immer (.) ä:hm ja, also wie=gesagt gucken wir=mal wie viel Kalorien es warn. Ich hoffe, es hat euch gefalln. Wenn ihr wieder so ein Cheatday haben wollt @ ich überleg grad ob=es jetz gut is oder nicht, dann liked dieses Videos (.) ich würd sagen (.) ab zweihundert Likes werd ich nochmal so=ein epischen Cheattag machen, ansonsten (.) is mir grad, also mir is=immernoch so=n bisschen (.) ich hab immer=noch das Gefühl (.) äh vor=allem dieser McDonalds Fras is in meim Bauch. Das heißt ich werd wahrscheinlich sehr spät erst was essen, wie:l (.) da is noch (.) und ich werd wahrscheinlich auch nich=mehr so viel essen, weil (.) also zumindest meine Kalorien, aber nich mehr so viel Gemü:se, weil ich glaube (.) wie gesagt, ich könnte theoretisch sogar bis morgen Abend nichts essen müssen, weil ich glaube dafür ham die Kalorien locker gereicht. Wahrscheinlich habn sie für die ganze Woche gereicht. Wie auch immer (.) ich möchte nich zu=viel labern. Das wars von mir, danke, dass ihr dabei wart, bis demnächst.“ (ExFitness: Z. 1115–1134)
Wie die Textpassage verdeutlicht, macht der Videoproduzent die Auswirkungen des „Cheattages“ vor allem an der Messung seines Körpergewichts sichtbar. Mithilfe einer Waage zeigt ExFitness dementsprechend auf, wie viel Gewicht er durch die übermäßige Nahrungsaufnahme zugenommen hat. Hierbei kommentiert er schockiert die Gewichtszunahme, mit der Anmerkung „ja Glückwunsch“, welche erneut als Ironie zu deuten ist. Hierdurch bringt er sein Unbehagen zum Ausdruck. Deutlich unterstrichen wird dieses im darauffolgenden Satz, indem ExFitness hinzufügt, dass man sich so „alles kaputt“ mache. Die allgemeine Formulierung „alles“ kann dabei sowohl für die Diät als auch für die körperliche Verfassung oder sogar für beides gelten. Die darauffolgende Aufzählung über die spekulierten Anteile (Wasser, Fett, Gains), aus denen sich die Zunahme zusammensetzt, deutet jedoch darauf hin, dass in erster Linie der Körper im Fokus steht. Gleichzeitig drückt sich hieran ebenso wie in der Aussage „ne Quatsch“ aus, dass der YouTuber die erschreckende Erhöhung des Körpergewichts umgehend versucht zu relativieren und analysieren, um sie für sich annehmbarer zu gestalten. Wie sehr dem YouTuber die Gewichtszunahme und die ungesunde Kalorienzufuhr zusetzen, zeigt sich im Anschluss daran, indem er erneut sein durch den „Mc Donalds Fras“ hervorgerufenes Unwohlsein betont und die große Abneigung gegen das Essen in drastischen Worten darstellt. Folglich wird erkennbar, dass sich das Verhältnis zu den präsentierten Lebensmitteln des Cheattages nach der andauernden Übelkeit sowie den gemessenen körperlichen Folgen nochmals geändert hat und nun ausschließlich Ekel hervorzurufen scheint. Wie ExFitness zudem erklärt, sieht er vor möglichst umgehend wieder zu einem routinierten und
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kontrollierten Essverhalten zurückzukehren. Indem er mitteilt „zumindest meine Kalorien“ zu essen, macht er deutlich für den Rest des Tages ausschließlich so viel Kalorien zu sich zu nehmen, wie sein Körper benötigt. Erneut wird hieran die immense Bedeutung erkennbar, welche die Norm der Selbstdisziplinierung für den YouTuber einnimmt. Diese, so zeigen die Analysen, kommt dabei zum einen immer wieder in diversen Aussagen des YouTubers zum Vorschein, zum anderen tritt sie aber auch besonders deutlich bereits am Anliegen in Erscheinung, die Lust auf stark kalorienhaltiges Essen durch einen übermäßigen Verzehr dessen zu verlieren, um die selbst auferlegte Diät konsequenter und vor allem nachhaltiger einhalten zu können. Wie sich diese Diät genau darstellt und zu welchem Zweck sie durchgeführt wird, so lässt sich resümieren, bringt der Videoproduzent hingegen nicht explizit zur Sprache. Ausschließlich die Fokussierung auf das eigene Körpergewicht und die Hinweise auf das Muskeltraining deuten an, dass die konsequente Durchführung der Diät auch auf einer reflektierten Anpassung an Körpernormen basiert. Da jedoch in keiner Sequenz sichtbar wird, an welchen Körpernormen sich der YouTuber exakt orientiert, erscheinen diese eher nebensächlich, wohingegen die Norm der Selbstdisziplinierung weiter an Bedeutung gewinnt. Trotz ihrer hohen Relevanz, wird die Disziplinierung allerdings nicht explizit erwähnt, was wiederum darauf schließen lässt, dass der Norm vielmehr implizit entsprochen wird, ohne diese als exterioren Zwang zu erfahren. So wurde sichtbar, dass selbst der Ausnahmetag stark von einer Disziplinierung geprägt ist. Denn anstatt diverse Lebensmittel tatsächlich zu genießen ohne sie zu bewerten, hält ExFitness seinen Körper und seine Nahrungsaufnahme weiterhin unter strenger Beobachtung und kontrolliert diese durchgängig. Dementsprechend beobachtet er stets seine körperliche Verfassung und beschreibt diese. Darüber hinaus verzehrt der Videoproduzent trotz Völlegefühl und Übelkeit die stark kalorienhaltigen Lebensmittel weiter, um schließlich langfristig die Lust auf diese zu verlieren. In diesem Sinne besteht die Disziplin somit darin, mehr zu essen als eigentlich gewollt wird. Da das vermeintliche Widersetzen der Norm daher jedoch selbst im Modus der normativen Ordnung stattfindet und sich ExFitness weiterhin selbst diszipliniert, dokumentiert sich zum einen erneut eine implizite Passung, zum anderen verdeutlichten sich aber auch die unterschiedlichen Normebenen, wie sie sich schon bei Karl Ess abzeichneten. Einerseits zeigt sich in dem Video eine offenkundige Ernährungsnorm, die an eine bestimmte Körpernorm gekoppelt zu seien scheint und vom YouTuber reflektiert wird, andererseits aber manifestiert sich ebenso eine dominante Subjektnorm der Selbstdisziplinierung, welche wiederum weitestgehend unbemerkt bleibt.
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Gleichzeitig, so macht der YouTuber deutlich, fungiert der „Cheatday“ nicht nur dazu, die eigene Anpassung an die Normen dauerhaft zu festigen, sondern die Präsentation des Videos dient auch dazu, die Zuschauer_innen vor einer stark kalorienhaltigen Ernährungsweise zu warnen. Somit erscheint das Video ebenso als Abschreckung, die verdeutlicht welche Konsequenzen bei einer Widersetzung der Ernährungsnorm folgen. In diesem Sinne werden zum einen Auswirkungen und unmittelbare Folgen der kalorienhaltigen Ernährungsweise aufgezeigt, zum anderen wird aber auch vor einzelnen Lebensmitteln direkt gewarnt. Zusätzlich werden die negativen Effekte einer stark kalorienhaltigen Ernährung über wiederkehrende Gefühlsbeschreibungen des YouTubers hervorgehoben, aber auch über körperliche Veränderungen in Form von schneller Gewichtszunahme demonstriert. So kann eine solche Ernährungsweise „alles kaputt“ machen, zu Müdigkeit und Antriebslosigkeit sowie Unwohlsein führen. Darüber hinaus vollzieht der Videoproduzent die Warnung vor bestimmten Lebensmitteln aber auch implizit. Indem er gezielt hochkalorienhaltiges Essen zu sich nimmt, zeigt er auf, welche Nahrungsmittel gemieden werden sollen. Diese werden zusätzlich auf ihre Nährwerte und den Kaloriengehalt beleuchtet, welcher sowohl vom YouTuber betont als auch schriftlich eingeblendet wird. Anhand der Fokussierung auf den Körper, welche sich überwiegend in der letzten Sequenz des Videos offenbart, wird erkennbar, dass die repräsentierte Norm der Selbstdisziplinierung zwar sowohl Berührungspunkte mit Körpernormen des Fitness-Lifestyles als auch mit Gesundheitsnormen hat, diese jedoch nicht im Vordergrund stehen. So lässt der YouTuber weder erkennen, an welchen Körper- und Gesundheitsnormen er sich genau orientiert, noch wird klar ersichtlich, warum er sich einer derart strikten Diät unterzieht und minutiös auf seine Ernährung achtet.
6.1.4
Die Selbstdisziplin als umfassendes Lebensmodell und Weg der autonomen Lebensführung (Sophia Thiel)
Neben den bisher dargelegten Ausprägungen der Disziplinierung des Selbst dokumentiert sich schließlich auch im Video „Mein Weg in ein neues Leben - Fitness Motivation - Sophia Thiel“ die Subjektnorm in einer bestimmten Weise. Im Gegensatz zu den zuvor analysierten Videos kommt die Norm beim Clip der YouTuberin Sophia Thiel in einer Präsentation der persönlichen „Transformationsgeschichte“ zum Vorschein. In dieser wird erfahrbar, wie sich die YouTuberin die Subjektnorm aneignen konnte, wodurch demnach die Überwindung von Diskrepanzen deutlich hervortritt. Erneut passt die Videoproduzentin sich folglich der dominanten Norm der Selbstdisziplinierung an, wobei die Aneignung der
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Subjektnorm nicht nur das äußere Erscheinungsbild der YouTuberin verändert, sondern maßgeblich auch ihren Habitus und ihre Biografie. Gleichzeitig wird die Aneignung der Norm und der damit vollzogene Lebenswandel auf verschiedenen Ebenen stets als befreiend und selbstverwirklichend repräsentiert. Neben der Disziplinierung des Selbst, welche erneut als wichtige Subjektnorm für die YouTuberin explizit wird, dokumentieren sich im Video allerdings auch weitere Normen, die sich Sophia Thiel reflektiert aneignet. Am deutlichsten kommt hierbei eine Körpernorm zum Vorschein, der sich die YouTuberin seit ihrem 15. Lebensjahr ausgesetzt fühlt. In ihren Beschreibungen zeigt sich dabei, dass sie der Norm als Jugendliche nicht entsprach und gewillt war, sich dieser anzupassen. Hieran zeichnet sich somit ein Spannungsverhältnis zwischen Körpernorm resp. Identitätserwartung und der Handlungspraxis bzw. Performanz Sophia Thiels ab, welches besonders eindrücklich in der zweiten Sequenz des Videos sichtbar wird: „Erst mit fünfzehn, sechzehn Jahrn als andre ihren ersten Freund hattn, hab ich mir auch vorgestellt, wie es wäre (.) einen eigenen festen Freund zu haben. Ich war den=auch in einige Jungs verliebt, hatte einen Schwarm (.) doch diese warn meistens nie in mich verliebt, sondern ich war für sie eher der Kumpeltyp. Aber nich das ihr jetz denkt, dass ich nur wegen Jungs abnehm wollte, auf gar keinen Fall. Ich wurde jedn Tag damit konfrontiert, sei es zum Beispiel beim Shoppen gehen mit Freundinnen (.) ich hab mich in Klamotten, die mir gut gefallen haben unglaublich unwohl gefühlt und natürlich schlimmstenfalls bei knappen Klamotten. Sei=es bei kurzen Röcken oder eben im Bikini. Wenn wir ins Freibad gehen wollten, an=n See oder an den Strand, ich wollte mich immer verhüllen, hab geschaut, dass ja nichts rausschaut. Un=in meinem Alter war natürlich auch das Weggehen und Feiern sehr interessant und ich hab mir=dann immer vorgestellt, wies wäre einfach spontan ausgelassen zu tanzen (.) aus mir rauszugehen, aber ich hab=es natürlich nie geschafft.“ (Sophia Thiel: Z. 304–319)
Wie die Textpassage der zweiten Sequenz zum Vorschein bringt, erläutert die YouTuberin in dieser, warum sie ab ihrem 15. Lebensjahr abnehmen wollte. Zwar erklärt sie, dass sie nicht nur ihr Gewicht reduzieren wollte, um einen festen Freund zu bekommen, jedoch lässt die Einleitung der Passage darauf schließen, dass hierin zumindest die Hauptmotivation lag. So beginnt die Textpassage mit der Beschreibung eben jenes Beziehungsanliegens, wodurch dieses priorisiert und besonders bedeutsam erscheint. An der Hervorhebung, dass zu dieser Zeit alle Anderen ihren ersten Freund hatten, wird erkennbar, dass sich Sophia Thiel an ihrem sozialen Umfeld bzw. an ihrer Peer orientierte. Erst hierdurch, so betont die YouTuberin, kam sie zu der Vorstellung und dem Wunsch, es diesen gleich zu tun und ebenso einen festen Freund zu haben. Hierdurch wird ersichtlich,
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dass das Anliegen weniger auf einem inhärenten Verlangen nach einem Partner basiert, sondern vielmehr auf einer Zugehörigkeit zur Peer und der Anpassung an eine dort zentrale Norm. Zugleich wird sichtbar, dass die YouTuberin den Grund für ihren fehlenden Freund in ihrer „Kumpelrolle“ sieht, die im Wesentlichen durch ihre Figur hervorgerufen wurde. Insbesondere durch die Betonung, dass sie nicht nur abnehmen wollte, um der Kumpelrolle zu entfliehen, wird erkennbar, dass Sophia Thiel einen Kausalzusammenhang zwischen Übergewicht und einem Singleleben zieht. In ähnlicher Weise erscheinen auch die hiernach aufgezeigten Alltagsprobleme als nahezu unausweichlich mit der Figur verschmolzen zu sein. Dementsprechend sei es geradezu unmöglich, ausgelassen tanzen oder einkaufen zu gehen, ohne sich dabei unwohl zu fühlen oder ganz „aus sich rauszugehen“. Die Selbstverständlichkeit hinter der Problematik verdeutlicht die YouTuberin mit dem Wort „natürlich“. Dass ihre Figur resp. ihr Übergewicht jedoch das zentrale Problem ist, wird nicht explizit von der Videoproduzentin erwähnt. In unkonkreter Weise umschreibt sie ihre Konfrontation ausschließlich mit dem Wort „damit“ und fügt in ähnlicher Weise wenig später hinzu, dass am See oder am Strand „nichts rausschauen“ durfte. Durch diese vage Beschreibung beschränkt Sophia Thiel sich somit nicht nur auf eine Problemzone, die sie konkret benennt, sondern ermöglicht es der Imagination der Rezipient_innen sich diese vorzustellen, wodurch sie ein größeres Identifikationspotenzial schafft, eigene Problemzonen hierin zu spiegeln. Gleichzeitig weist die unkonkrete Formulierung aber auch darauf hin, dass die YouTuberin ihre damalige Figur noch immer (verbal) verhüllen will. Ähnlich vage erscheint zudem der Wunsch, „aus sich rauzugehen“. Wie sich somit eindrücklich in der Passage dokumentiert, kommt ein Spannungsverhältnis zwischen der Norm schlank zu sein und einen Freund zu haben und der Performanz zum Vorschein, die der Norm nicht entspricht. Zwar wird die Norm implizit reflektiert, jedoch widersetzt sich die YouTuberin nicht der normativen Ordnung oder versucht diese zu ignorieren, sondern vielmehr erscheint sie derart präsent und allgegenwärtig, dass sie anstrebt, sich dieser anzupassen und schlank zu sein. Wenn Sophia Thiel beschreibt, dass sie sich „jedn Tag damit konfrontiert“ sah, dokumentiert sich hierin (auch wenn sie dies nicht explizit ausspricht), wie Subjektnormen der eigenen Handlungspraxis bzw. Performanz gegenüberstehen. Der Verweis auf eine Konfrontation verdeutlicht ebenso wie die Beschreibung, dass sie sich in jeglichen Alltagssituationen, wie etwa beim Einkaufen, Tanzen oder ins Freibad gehen unwohl gefühlt hat, die Diskrepanz zwischen eben jener äußeren Norm und der Praxis. „Ich habe meine ersten Diäten gestartet (.) ähm aus Zeitschriften beispielsweise und nichts hat funktioniert. Ich hab dann auch Tipps von anderen angenommen,
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wie beispielsweise FDH, also Friss die Hälfte aber nie hat es jeklappt und ich hatte dann daraufhin Fressanfälle. Das hat mich unglaublich demotiviert und ich dachte, das liecht an meiner eigenen Schwäche, dass ich nicht abnehmen kann, dass ich nicht stark genug dazu wäre und andere schaffen es nur ich nicht. Dieses Bild seht ihr nun etwas länger, da ich etwas genauer drauf eingehen muss. Ihr seht mich hier mit meinem Höchstgewicht von achtzich Kilo und dort war für mich Schluss, ich wollte was verändern, ich wollte abnehmen, koste es was es wolle.“ (Sophia Thiel: Z. 322–331)
Wie die Textpassage offenbart, zeigt sich in dieser zum ersten Mal im Video, wie die YouTuberin den Entschluss fasst, abzunehmen und sich der Körpernorm anzupassen. Ähnlich wie in der vorherigen Sequenz bleibt die Videoproduzentin jedoch auch hier vage in ihren Beschreibungen. In diesen bemerkt sie zwar, dass sie sich zunächst Diäten unterzog, allerdings führt sie nicht weiter aus, wie diese aussahen und von wem genau sie die Tipps bekommen hat, sondern ausschließlich, dass sie nicht „funktionierten“ oder es nicht „geklappt“ hat. Woran sich die Funktion bemisst bzw. ab wann sie als erfolgreich eingestuft würden, bleibt hingegen unerwähnt und lässt erkennen, dass die Diäten ausnahmslos als untauglich und negativ aufgefasst und repräsentiert werden. Einerseits hebt Sophia Thiel damit ihre Erfahrung mit mehreren Diäten hervor, was sie als Expertin erscheinen lässt, andererseits wird hieran der Wandel ihrer Sichtweise auf Diäten deutlich. Wurden diese zur Schulzeit noch hoffnungsvoll durchgeführt, beurteilt sie Diäten aus gegenwärtiger Sicht pauschal als negativ. In diesem Kontext bleibt auch eine Beschreibung aus, wie sich die daran anschließenden „Fressanfälle“ genau kennzeichnen. Gleichzeitig wird an der Formulierung jedoch erkennbar, dass Sophia Thiel von etwas Unkontrollierbaren spricht, dieses pathologisiert und somit ebenso in eine negative Konnotation setzt. Jene negative Darstellung wird kurz darauf nochmals unterstrichen, indem die Diäten als „unglaublich demotivierend“ beschrieben werden. Einerseits verdeutlicht Sophia Thiel hiermit, dass sie ihren eigenen autonomen Weg geht, ohne Diättipps von „Anderen“, andererseits zeigt sich in der Passage aber auch, dass Sophia Thiel ihren Blick auf „Andere“, das heißt ihr soziales Umfeld gerichtet hat und sich mit diesem verglich. So beschreibt sie, dass sie nicht die Einzige sein wollte, die es nicht schafft abzunehmen. In der Formulierung, dass es an ihrer „eigenen Schwäche“ läge, deutet sich zum ersten Mal eine Ausrichtung an der Norm der Selbstdisziplinierung an. Der Vergleichshorizont besteht nun nicht mehr auf der Grundlage einer „festen“ Partnerschaft, sondern wird an der Gegenüberstellung „stark“ und „schwach“ gebildet. Indem die YouTuberin kurz darauf von ihrem rigorosen Willen zu Veränderung und zur
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Abnahme berichtet, wird die Bedeutung der Selbstdisziplinierung weiter hervorgehoben. Vor allem an der Formulierung „koste es was es wolle“, kommt die Entschlossenheit zum Ausdruck, mit der die YouTuberin geradezu eine Gewichtsreduzierung erzwingen wollte und es wird sichtbar, dass die Protagonistin bereit ist, für die Gewichtsreduzierung Kosten und Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Indem Sophia Thiel in diesem Kontext erklärt, dass ihr Limit bei einem Gewicht von 80 kg erlangt wurde, zeigt sich auch, dass die Entscheidung bzw. der Auslöser zur Abnahme aus dem Erreichen einer Grenze entstand, welche sich an einer Zahl misst. An der Aussage tritt somit hervor, dass Sophia Thiel ihr Gewicht immer im Blick hat und ihre Grenze ab einer scheinbar beliebigen Zahl erreicht ist. Der Ansporn der Gewichtsreduzierung resultiert dementsprechend nach eigener Aussage aus der Messung des eigenen Körpers sowie dem Setzen einer Grenze und nicht etwa einer Erfahrung, wie bspw. einer gesundheitlichen Beeinträchtigung. Gesundheitliche Aspekte oder Normen, so wird in der darauffolgenden Sequenz ersichtlich, spielen für die YouTuberin insgesamt eher eine nebensächliche Rolle. „Dennoch hatte ich gewisse Diätirrtümer fest in meinem Kopf verankert und zwar das ich nur mit hungern abnehmen kann und je weniger ich esse desto besser. Deshalb hab ich in kürzester Zeit innerhalb von drei Monaten dreißich Kilo abgenommen. Zu=dieser Zeit war ich energielos (.) müde (.) ich wurde von Tag zu Tag schwächer und meine Noten in der Schule wurden immer schlechter. Zeitgleich hat sich auch der Großteil meines Freundeskreises von mir getrennt und das war wirklich die schlimmste Zeit in meinem Leben bis jetzt. Das so=ein schnelles Abnehmen nich gesund ist und vor allem nich nachhaltig is ja klar und deswegen bin ich auch direkt in den Jojo-Effekt reingerasselt und hab von fünfzich Kilogramm innerhalb kürzester Zeit fünfzehn Kilogramm wieder zugenommen.“ (Sophia Thiel: Z. 336–347)
Wie an der Textpassage zum Vorschein kommt, beschreibt die Videoproduzentin zwar ihre schnelle Abnahme als ungesund, wodurch erkennbar wird, dass die Gewichtsreduzierung zumindest auch aus gesundheitlicher Perspektive betrachtet wird, jedoch zeigt sich im Anschluss daran, dass das schnelle Abnehmen insbesondere aufgrund der fehlenden Dauerhaftigkeit zu bemängeln ist. Die große Bedeutung der Nachhaltigkeit, kommt dabei erstens an der Formulierung „vor allem“ und zweitens an der darauffolgenden detaillierten Beschreibung der Folgen zum Vorschein. Der Ausspruch „is ja klar“ hebt hingegen hervor, dass eine erneute Erhöhung des Gewichts nahezu unumgänglich auf die schnelle Abnahme folgen muss. Die Selbstverständlichkeit der Gewichtszunahme wird neben der Bezeichnung des
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„Diätirrtums“ besonders durch die Betitelung als „Jojo-Effekt“ unterstrichen, der zum einen signalisiert, dass die Auswirkung derart geläufig ist, dass hierfür ein eigener Begriff existiert. Zum anderen aber auch durch den Terminus „Effekt“ der auf eine Vokabel verweist, welche in der Regel in (natur-) wissenschaftlichen Kontexten Verwendung findet und dementsprechend etwas Regelhaftes suggeriert. Ferner wird ebenso in diesem Textabschnitt ersichtlich, welch wichtige Rolle die Selbstkontrolle in Form von Gewichtsmessungen für Sophia Thiel einnimmt. Dementsprechend beschreibt die YouTuberin wiederum, dass sie „innerhalb von drei Monaten dreißich Kilo abgenommen hat“ und nach einer Reduzierung von 50 kg, in kurzer Zeit wieder 15 kg an Gewicht zugenommen hatte. Darüber hinaus, und das erscheint in diesem Abschnitt als besonders bemerkenswert, wird zudem sichtbar, wie Sophia Thiel schildert, dass ihre Noten, ihr Erfolg und die Beziehung zu ihrem Freundeskreis stark von ihrer körperlichen Verfassung abhängen. In ähnlicher Weise, wie die YouTuberin eine direkte Verbindung zwischen ihrer Figur und der Zuweisung einer „Kumpelrolle“ zog, leitet sie auch in der Schilderung ihrer späteren Schulzeit negative Entwicklungen unmittelbar von ihrem körperlichen Gesamtzustand ab. Indem Sophia Thiel berichtet, wie sie zu dieser Zeit hungerte, zeichnet sich zwar erneut eine starke Selbstdisziplinierung ab, jedoch wird diese Variante der Disziplinierung als negativer Gegenhorizont verstanden und repräsentiert. Kennzeichnend ist hierbei in erster Linie die große Passivität, welche durch die Betonung des Hungerns und der Müdigkeit hervorgehoben wird. Im Gegensatz zur autonomen und aktiven Disziplinierung erscheint die (hungernde) Art der Selbstdisziplinierung als nicht nachhaltig und ungesund, führt zu Ermüdungen sowie Energielosigkeit und wird als „Irrtum“ bezeichnet, welche die „schlimmste Zeit“ des Lebens der YouTuberin hervorrief. Im Kontrast hierzu steht die Disziplinierung des Selbst, welche maßgeblich auf einer Strukturierung und hohen Aktivität basiert und in Sequenz 5 zum ersten Mal in Erscheinung tritt: Von dem Zeitraum März Zweitausenddreizehn bis April Zweitausendvierzehn existieren leider keine Bilder. Diese Bilder warn auf meim alten Handy und des is kaputt gegangen. Aber da is auch nich viel passiert, ich hab zu dieser Zeit viel trainiert (.) gut gegessen, hatte aber in der Ernährung noch keine besondere Struktur drin, deswegen bin ich auch mit meinen fünfundsechzig Kilo dann=hängengeblieben und hab zu der Zeit aber gut Muskelmasse aufgebaut. Meine Noten wurden auch wieder besser, denn ich hatte durch das Training einen geregelten Tagesablauf (.) ich war viel konzentrierter und fokussierter. In diesem Jahr hab=ich auch mein Abitur geschrieben und mir danach als Ziel gesetzt auf die Bühne zu gehen (.) an meinen ersten Bikini-Wettkampf teilzunehmen u:nd das war das erste Mal, dass ich angefangen hab meine Ernährung zu strukturieren. Mein Körper hat sich wirklich sehr schnell verändert. Erst hab=ich selbst meine Ernährung umgestellt und danach
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hab=ich mir einen Coach aus Rosenheim dazugeholt und konnte dadurch noch bessere Erfolge verzeichnen. (Sophia Thiel: Z. 347–361)
Obwohl die YouTuberin erklärt, dass das Training zu besseren Noten und einer Veränderung des Körpers führte, wird deutlich, dass Sophia Thiel vorwiegend die Relevanz einer festen Struktur hervorhebt. So betont die Videoproduzentin, dass nicht unmittelbar das Training zu den Erfolgen führte, sondern dieses ausschließlich einen „geregelten Tagesablauf“ initiierte, welcher wiederum zu einer höheren Konzentration und Fokussierung beitrug. Trotz der durchaus hohen Relevanz, die Sophia Thiel dem Training zuspricht, wird deutlich, dass es die Strukturiertheit ist, die schnelle Veränderungen initiierte. In diesem Sinne konnte sie zwar nach eigenen Angaben bereits ohne diese gewisse Erfolge erzielen und „gut Muskelmasse“ aufbauen, jedoch betont sie gleichzeitig, dass sie hinsichtlich ihrer Gewichtsreduzierung stagnierte, da sie trotz der Strukturierung des Tagesablaufs noch keine Umstellung und genaue Regelung ihrer Ernährung vollzog. Erst diese, so macht Sophia Thiel deutlich, ließ ihren Körper umfänglich und schnell verändern und trug dazu bei, „noch bessere Erfolge“ zu generieren. Wie wichtig die Ernährungsumstellung in den Augen der YouTuberin ist, wird nicht zuletzt auch daran erkennbar, dass die Zeit vor der Strukturierung der Ernährung als verhältnismäßig irrelevant dargestellt wird, indem sie berichtet, dass in diesem Zeitraum „nich viel passiert“ sei. Trotzdem hebt die YouTuberin hervor, dass bereits der geregelte Tagesablauf zu einer erkennbaren Verbesserung ihrer Lebenssituation beitrug. Demnach optimierten sich mit dem Training und der daraus hervorgehenden Struktur nicht nur ihr Körper, sondern auch ihre Noten in der Schule. In diesem Kontext wird zwar einerseits ersichtlich, dass die YouTuberin erneut großen Wert auf eine genaue Beschreibung ihres Gewichtes legt und berichtet wie viel Kilogramm sie abnehmen konnte, woran die Kontrolle des Körpers sichtbar wird. Andererseits bleibt sie jedoch in weiten Teilen weiterhin sehr unkonkret in ihren Ausführungen. Dementsprechend berichtet Sophia Thiel zwar, dass sie sich nach dem Abschluss ihres Abiturs vornahm, an einem Bikini-Wettbewerb teilzunehmen, allerdings teilt sie nicht mit, warum sie dieses außergewöhnliche Ziel verfolgte. Demzufolge wird erkennbar, wie sich durch die starke Strukturierung nicht nur der Körper und die Noten verbesserten, sondern sich auch die Ziele hin zu einer Fokussierung auf den Körper verlagerten. Nicht mehr die Gewichtsabnahme und somit das Entfliehen aus der „Kumpelrolle“ und der alltäglichen Konfrontation mit dem Übergewicht steht nun im Zentrum, sondern die Ausrichtung an der erfolgsversprechenden Norm der Strukturierung und Disziplinierung. Jene normative Ordnung nimmt dabei eine derart große Rolle ein, dass durch diese immer weitere Ziele initiiert werden, die eine starke Selbstdisziplinierung
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verlangen, wie der sogenannte „Bikini-Wettkampf“. Neben dem sich sukzessiv abzeichnenden Orientierungswandel wird erkennbar, dass die eigene Selbstkontrolle (im Gegensatz zur Askese) nicht im Stillen vollzogen, sondern vielmehr auf der Bühne präsentiert wird. Dass es hierbei überwiegend um den Aufbau von Muskeln geht und diese ebenso wie die ausreichende Essenzunahme positiv konnotiert sind, wird dabei an der Verwendung des Wortes „gut“ deutlich, welches den Worten in der Passage vorgeschoben wird und einerseits als Synonym für viel verwendet wird, andererseits gleichzeitig eine positive Bedeutung in sich trägt. Inwiefern Sophia Thiel jedoch mithilfe eines Coaches weitere Erfolge erzielen konnte, lässt sie genauso unerwähnt, wie eine Erläuterung, wie die Ernährungsumstellung aussah und erfolgte. Dass die spezifischen Erfolge in den Wettbewerben somit weniger im Zentrum für die YouTuberin stehen als das generelle Setzen und Anvisieren von immer weiteren Zielen, wird anhand der daran anschließenden Textpassage erkennbar: „Hier seht ihr mich nun im Urlaub in Spanien, dort fahr ich jedes Jahr gemeinsam mit meinen Eltern hin und man kann deutlich erkennen, wie sich mein Körper verändert hat. Zu dieser Zeit war ich durch de=diesen Fortschritt unglaublich motiviert, hab auf meine Ernährung geachtet, kein Training ausgelassen und mir vorgestellt endlich auf die Bühne zu gehn. Mein Ziel war=es unter die Top drei zu komm und darauf hab ich hingearbeitet.“ (Sophia Thiel: Z. 361–367)
Wie anhand der Sequenz deutlich wird, steht weiterhin die körperliche Veränderung im Fokus der YouTuberin. So erwähnt Sophia Thiel zwar ihren Urlaub, jedoch wird dieser nicht weiter thematisiert, sondern dient vorwiegend dazu ein weiteres Foto zu zeigen, dass die Transformation der Figur dokumentiert. Wie sich anschließend herausstellt, war es zunächst ausschließlich das Bestreben der YouTuberin, an einem Bikini-Wettbewerb teilzunehmen. Dieses Ziel, so offenbart sich in dem Textausschnitt, änderte sich wenig später allerdings dahingehend, dass nun eine Platzierung unter den „Top drei“ anvisiert wurde. Hieran wird das erste Mal sichtbar, dass nicht das vorgegebene Ziel entscheidend zu sein scheint, sondern vielmehr die damit verbundene und benötigte Disziplinierung des Selbst, die immer weitere Anreize und somit stetig weitere Zieletappen verlangt. Obwohl die YouTuberin zeigen will, dass sie ihren Körper kontrollieren kann, dient die Bühne weniger der Selbstpräsentation, als vielmehr dem Ansporn zur Selbstdisziplinierung. Welch wichtige Rolle diese bei der YouTuberin spielt, wird dabei ebenfalls an dieser Passage sichtbar. Indem sie berichtet, dass sie kein Training ausließ und auf ihre Ernährung achtete, wird erkennbar, mit welcher Konsequenz und Selbstdisziplin die YouTuberin ihr Ziel forcierte und dementsprechend regelmäßig trainierte und stetig ihre Ernährung kontrollierte. Verstärkt wird der Charakter der
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Disziplinierung darüber hinaus, indem sie kurz danach ausführt, dass sie auf ihr Ziel „hingearbeitet“ hat, wodurch die Arbeit an sich selbst weiter ersichtlich wird. Einerseits wird hierdurch erneut der Kontrast zur passiven Disziplinierung von Diäten und des „Hungerns“ hervorgehoben, andererseits abermals die Autonomität ihrer Lebensweise. Der Körper und dessen Modellierung, so verdeutlicht sich, dient primär nicht mehr der Erfüllung von gängigen Körpernormen und Schönheitsidealen, sondern symbolisiert zunehmend die starke Selbstdisziplin, wie auch im weiteren Verlauf der Sequenz sichtbar wird: „Hier seht ihr mich nun zurück aus dem Urlaub. Ich hatte weiter abgenommen und wurde immer definierter. Hier seht ihr auch ein paar Ausschnitte aus meinem Training, bei jedem Training wollte ich hundert Prozent geben, ich war super fokussiert und bin über meine Grenzen hinausgegangn. In der Zeit hab ich auch viele Bücher gelesen, hab mich viel mit Training und Ernährung beschäftigt und mir dazu einiges an Wissen angeeignet. In der Zeit hab=ich auch viel FitnessYouTube geschaut. Viele YouTuber hab=ich verfolgt und fand es richtich cool was sie machen.“ (Sophia Thiel: Z. 367–375)
Wie die Textpassage zu erkennen gibt, betont die YouTuberin weiter, wie konsequent sie trainiert, sich selbst gedrillt und ihre eigentlichen Grenzen ignoriert hat, indem sie bei jedem Training „hundert Prozent“ gab. So wird sichtbar, wie sich die Norm der starken Selbstdisziplinierung mit dem Anspruch der totalen Kontrolle des eigenen Körpers, selbst über dessen Grenzen hinaus, verbindet. Des Weiteren wird an der Textpassage erkennbar, dass Sophia Thiel bei ihrer Aneignung von Wissen unter anderem selbst auf YouTube-Videos zurückgriff. In diesem Zuge beschreibt die Videoproduzentin zwar, dass sie auch viele Bücher gelesen hat, jedoch wird deutlich, dass die Rezeption von Videos keine unerhebliche Rolle bei der eigenen Transformation gespielt hat. Neben dem Aspekt, dass Sophia beschreibt, wie „cool“, und somit erstrebenswert sie das Handeln der YouTuber empfand und diese „verfolgt“ hat, betont sie darüber hinaus, dass sie viel „Fitness-YouTube“ geschaut hat. An dieser Formulierung erweist sich folglich, dass Sophia Thiel nicht irgendwelche Videos rezipierte, sondern ein explizites Genre benennt, welches sie als „Fitness-YouTube“ bezeichnet, wodurch zusätzlich der hohe Stellenwert der Videos für sie ausgedrückt wird. Obwohl die YouTuberin nicht ausdrücklich erwähnt, wie es zum Wandel der Zieländerung von einer bloßen Gewichtsreduzierung zur Definierung und Formierung des Körpers sowie dem Anliegen auf die Bühne zu gehen kam (da Sophia Thiel diesen Umbruch nur umrisshaft beschreibt), deutet die Passage darauf hin, dass die Rezeption von „Fitness-YouTube“-Videos eine Rolle spielen könnte. Zugleich erscheint gerade die Tatsache, dass sie weitestgehend unerwähnt lässt, worauf die Zieländerung
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gründet als Repräsentation eines autonomen und selbstgewählten Lebenswegs. Dieser wird darüber hinaus durch die Betonung der eigenständigen Wissensaneignung hervorgehoben. Unabhängig davon zeichnet sich die in den Aussagen zum Vorschein kommende starke Disziplin und das Ignorieren körperlicher Grenzen jedoch nicht nur auf textlicher Ebene ab, sondern tritt auch auf bildlicher Ebene in Erscheinung, wie die folgenden beiden Fotogramme verdeutlichen, die der Sequenz entnommen wurden. Abbildung 6.12 Sophia Thiel: 05.37 min.
Abbildung 6.13 Sophia Thiel: 05.38 min.
Wie die Abbildungen 6.12 und 6.13 zu erkennen geben, zeigen diese die von Sophia Thiel angesprochenen Ausschnitte aus ihrem Training. Bei einer Betrachtung der szenischen Choreografie der Fotogramme wird sichtbar, dass sich die
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YouTuberin gänzlich in Richtung Trainingsgerät hinwendet. Sowohl der Körper als auch der Blick sind dem Gerät zugewandt, wodurch dieses für die abgebildete Bildproduzentin einen Fixpunkt darstellt. Gleichzeitig wird das Trainingsgerät jedoch nur sehr ausschnitthaft von der Kamera festgehalten. Hierdurch wird eine gewisse Diskrepanz zwischen den konjunktiven Erfahrungsräumen der abgebildeten und abbildenden Bildproduzent_innen sichtbar. An den zusammengekniffenen Lippen und Augen, den roten Wangen und Ohren sowie der heraustretenden Ader auf der Stirn Sophia Thiels, dokumentiert sich die große Anstrengung und Fokussierung bei der Ausübung der Trainingseinheit. Zusätzlich untermalt wird die Anstrengung durch die Anspannung aller sichtbaren Muskelpartien, welche erneut von heraustretenden Blutadern durchzogen sind. Die Muskeln wiederum werden entscheidend durch das körperbetonte Sportoutfit der YouTuberin akzentuiert, welches ausschließlich den Brust- und Beinbereich bedeckt und an diesen eng anliegt. Ebenso anliegend erscheinen auch die zu einem Zopf zusammengebunden Haare der Videoproduzentin, welche hierdurch einen freien Blick auf das Gesicht und den Körper gewähren. Vor allem Letzterer steht, wie die Berücksichtigung der Kadrierung verrät im Fokus des Bildes und wird nicht nur von der abgebildeten Bildproduzentin akzentuiert, sondern ebenso durch den abbildenden Bildproduzenten zentriert und hierdurch hervorgehoben. Besonders das zweite Fotogramm verdeutlicht dies, indem der Körper der YouTuberin sich weiterhin in der Mitte befindet, wohingegen der Kopf nur noch teilweise vom Kamerabild eingefangen wird. Neben der YouTuberin tritt zudem ein Spiegel im Hintergrund des Bildes hervor, welcher es den Trainierenden ermöglicht, sich selbst bei der Ausführung der Übungen zu beobachten und zu kontrollieren. Insgesamt untermalen die Fotogramme folglich den starken selbstdisziplinierenden Charakter, welcher bereits an den Textpassagen zum Vorschein kam und zeigen diesen in der performativen Performanz. Weiter hervorgehoben wird die Ausrichtung an der Norm der Selbstdisziplinierung darüber hinaus in der daran anschließenden Sequenz: „Mein erster Formcheck, ein Monat vor meinem Wettkampf. Ich stand das erste Mal wirklich auf hohen Schuhn @ und das Ganze war ganz schön wacklich. Ich bin zu dieser Zeit jeden Tag nach München zum Ercan gefahrn, was jedes Mal zwei Stunden Autofahrt in Anspruch nahm aber das war es mir damals einfach wert (.) ich wollte sichergehen das mein Training hundert Prozent perfekt is, ich hab mich zu hundert Prozent an die Ernährung gehalten, hab keine Ausnahme gemacht, damit ich mit der besten Form auf die Bühne gehe (.) in der ich sein kann und Ercan war stets an meiner Seite, ich hab mich, ich bin mit ihm durch dick und dünn gegangn. Das hier war im Oktober, nur noch wenige Wochen bis zu meinem ersten
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Wettkampf und die Form entwickelte sich genauso wie wir es uns vorgestellt hattn.“ (Sophia Thiel: Z. 394–405)
Wie die Textpassage von Sequenz 6 zu erkennen gibt, zeigt sich an den Berichten der Videoproduzentin, mit welchem Einsatz und welcher Disziplin sie ihr Training absolvierte. Bereits der Hinweis, dass sie jeden Tag eine zweistündige Autofahrt in Kauf nahm, um bei ihrem Trainer die Sportübungen durchführen zu können, macht einerseits den großen Willen sichtbar und demonstriert den hohen Stellenwert des Trainings, andererseits weist er darauf hin, dass Sophia Thiel in konsequenter Weise jeden Tag ihren Körper trainierte. Ferner dokumentiert sich an den langen Autofahrten und der Teilnahme an den Wettkämpfen auch die hohe Mobilität, Flexibilität und Autonomität in der Gestaltung ihres eigenen Lebens. An den anschließenden Ausführungen wird erkennbar, dass die YouTuberin jedoch nicht nur jeden Tag trainierte, sondern nach eigener Aussage immer an ihr Limit gegangen ist, stets „hundert Prozent“ gegeben hat und sich weder Ausnahmen bezüglich des Trainings, noch im Hinblick auf die Ernährung gewährte. Nicht zuletzt hieran dokumentiert sich, welch großen Stellenwert die Norm der Selbstdisziplinierung für die YouTuberin besitzt. Zusätzlich machen Äußerungen, die das „Sichergehen“ betonen und Formulierungen wie „Formcheck“ deutlich, welch entscheidende Rolle auch der eigenen Kontrolle zukommt. Der Check und das Austesten der Wettkampfbedingungen dienen somit der Überprüfung und erinnern gleichzeitig an mechanische Testläufe, wie sie bspw. im Renn- bzw. Automobilsport üblich sind. Jene technische Ausdrucksweise zeigt sich zudem in der Betonung bestimmter Prozentzahlen und bekundet den nüchternen und strukturierenden Blick der YouTuberin. Dass sich jedoch nicht nur die Fokussierung auf eine Strukturierung, sondern ebenso die Disziplinierung und das Setzen immer neuer Ziele, wie ein roter Faden durch das gesamte Video ziehen, verdeutlicht auch die daran anschließende Sequenz 7 und ein Ausschnitt aus der dazugehörigen Textpassage: „Am Abend des Wettkampfes durfte ich mir dann einiges gönnen, aber ich hab dann auch schnell=wieder meine Diät fortgesetzt, da der nächste Wettkampf nur zwei Wochen darauf stattfand und bei diesem Wettkampf hat mich dann auch das Galileo-Team begleitet. Daraus ist dann eine richtig coole Reportage entstandn, die ihr vielleicht kennt. Hier seht ihr mich am Morgen meines zweiten Wettkampfes (.) der bayrischen Meisterschaft. Mein Ziel war es, das ich=mich für die deutsche Meisterschaft qualifiziere und dafür müsste ich den zw=ersten oder zweiten Platz belegn.“ (Sophia Thiel: Z. 423–431)
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Wie der Textabschnitt zu erkennen gibt, berichtet die YouTuberin erneut von einem neuen Ziel, welches nunmehr darin besteht, den ersten oder zweiten Platz bei einer bayrischen Meisterschaft zu belegen. Zwar erklärt Sophia Thiel, dass sie die Platzierung benötigt, um sich für die deutsche Meisterschaft zu qualifizieren, jedoch wird an der Erläuterung nur deutlich, dass folglich bereits ein weiteres Ziel in Aussicht steht, welches es nach dem Erreichen zu forcieren gilt. Warum sie den Wunsch hegt an der deutschen Meisterschaft teilzunehmen, lässt sie hingegen unerklärt. Hieran wird erkennbar, dass die Videoproduzentin durch das Setzen immer neuer Ziele und weiterer Herausforderungen stetig neue Wege sucht, um sich sowohl für die Arbeit an sich selbst als auch zur Disziplinierung des Selbst zu motivieren. Die Norm der Selbstdisziplinierung, so wird hieran deutlich, besitzt im Kontrast zur Erfüllung einer schlichten Körpernorm, worin das Hauptanliegen vor der Transformation der YouTuberin lag, kein inhärentes Ziel, sondern muss immer wieder aufs Neue unter Beweis gestellt werden. Wie bereits am ersten Satz der Textpassage zu erkennen ist, verlangt ein Wettkampf dieser Art eine derartige Selbstkontrolle, dass Sophia Thiel sich ausschließlich an einem Abend etwas „gönnen durfte“, bevor sie erneut ihre Diät für den nächsten Wettkampf fortsetzte. Abermals ist es in erster Linie die Wortwahl und der Verweis auf das Gönnen und somit die Genehmigung von etwas Untersagtem, welcher durch das Wort „dürfen“ unterstrichen wird und die starke Selbstdisziplinierung zum Vorschein bringt. Ferner wird zudem weder sprachlich noch bildlich ersichtlich, was sich die YouTuberin tatsächlich „gegönnt“ hat. Ein Blick auf die daran anschließende Textpassage zeigt jedoch, dass Sophia Thiel auch nach den Wettkämpfen weiter an sich gearbeitet hat und konsequent das nächste Ziel forcierte: „Das wars erst=einmal mit den Wettkämpfen für das Jahr, denn Ercan und ich wollten noch ordentlich an Muskulatur drauf=packen und so bin ich auch prompt in den Aufbau gestartet. Die nächsten Monate hab ich schwer trainiert und ordentlich gegessen. Das hier is der Formcheck für das Ende meiner Offseason, wie ihr sehen könnt, bin ich deutlich weicher geworden und laufe nich das ganze Jahr über mit Sixpack rum.“ (Sophia Thiel: Z. 437–443)
Wie ein Blick auf den Textabschnitt zeigt, befindet sich Sophia Thiel in einer stetigen Disziplinierung, welche sowohl das Training als auch ihre Ernährung umfasst und sich über mehrere Monate hinzieht und wie die vorherige Passage aufzeigt, nur durch wenige Tage unterbrochen wird, an denen sie sich etwas „gönnen“ darf. Demnach zeigt sich, wie die Norm nicht in Diskrepanz zum Habitus steht und die sich am Anfang des Videos dokumentierende Körpernorm durch die Überwindung von Spannungsverhältnissen angeeignet wurde. Obwohl die Wettkämpfe
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beendet wurden, berichtet die YouTuberin bereits von ihrem nächsten Anliegen, mehr Muskulatur aufzubauen, welches „prompt“, das heißt unverzüglich und ohne weitere Pausen angestrebt wurde. Dass die YouTuberin in diesem Kontext von einem „drauf packen“ an Muskulatur redet, deutet darauf hin, dass sie ihren Körper zunehmend als frei modellierbar begreift, der ähnlich wie ein Objekt bepackt und aktiv nach eigenen Wünschen gestaltet werden kann. Unterstrichen wird diese Sichtweise durch den letzten Satz der Passage, in der sie ihren Zuschauer_innen zu verstehen gibt, dass sie (das heißt ihr Körper) „weicher“ geworden ist und nicht durchgängig einen „Sixpack“ hat. Nunmehr berichtet die Videoproduzentin folglich nicht mehr von Kilogrammangaben, die sie ab- und zugenommen hat, sondern beschreibt ihren Körper anhand von Merkmalen. Neben der Hervorhebung der aktiv-gestaltenden Selbstkontrolle, die im Kontrast steht zur passiv-hungernden, wird an den veränderten Beschreibungen ihrer Transformationsphasen erkennbar, wie sich nicht nur ihr Körper, sondern auch ihr Blick auf diesen verändert hat und somit nicht mehr Kilogrammangaben, sondern Angaben wie „hart“ und „weich“ herangezogen werden. Dass ihrem Coach Ercan hierbei eine wichtige Rolle bei der Unterstützung ihrer Ziele zukommt, wird nicht nur an dessen namentlicher Nennung deutlich, sondern ebenso an der Formulierung, dass er und sie gemeinsam Muskulatur aufbauen wollten. Nochmals bekräftigt wird die hohe Bedeutung des Coachings in der darauffolgenden Textpassage, indem die Videoproduzentin anhand von Beispielen aufzeigt, welche Fortschritte hierdurch erzielt werden können: „Im März hab ich dann für den nächsten Wettkampf im April meine Diät wieder gestartet. In dieser Zeit hab ich auch sehr viele Mädchen selber gecoacht, wie zum Beispiel die Chantalle, sie hat innerhalb kürzter Zeit sehr gute Fortschritte gemacht (.) wie ihr auf den Bildern sehn könnt, aber leider musste bei ihr das Ganze abbrechen, da ihre Zwillinge sehr oft krank geworden sind. Unter=anderem hab ich auch die Maaren gecoacht, die ihr vielleicht aus Instagram kennt. Auch sie hat eine tolle Entwicklung gemacht.“ (Sophia Thiel: Z. 445–452)
Ein Blick auf die Zeilen 445 bis 452 der Videotranskription gibt zu erkennen, dass die YouTuberin nicht nur ein neues Ziel in Form eines weiteren Wettkampfes forcierte, welches es zu erreichen galt, sondern ebenso auf die damit einhergehende Diät verweist. Neben der Selbstdisziplinierung, die somit immer wieder als zentrale Norm für Sophia Thiel in Erscheinung tritt, wird zudem erkennbar, dass sie sich die Norm nicht nur bestmöglich selbst aneignen will und dies mithilfe von Wettkämpfen unter Beweis stellt, sondern zunehmend auch andere Personen „coacht“ und bei ihrer Transformation unterstützt.
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Indem die YouTuberin beschreibt, dass Mädchen wie Chantal hierdurch zwar „sehr gute Fortschritte“ erzielen konnten, gleichzeitig diese jedoch nicht weiter benennt, sondern ausschließlich auf die bildliche Ebene verweist, wird ersichtlich, dass die Fortschritte als derart offensichtlich angenommen werden, dass sie keiner weiteren Erläuterung bedürfen. Besonders deutlich kommt somit zum Vorschein, dass vornehmlich die äußerliche und auf den ersten Blick sichtbare Veränderung des Körpers im Mittelpunkt des Coachings steht. Da Chantal „das Ganze“ jedoch abbrechen musste, da ihre Kinder häufig erkrankten, zeigt sich in diesem Zuge gleichzeitig, wie intensiv und beanspruchend derartige Umwandlungen sein können. Dementsprechend scheint die Transformation den Akteurinnen derart viel abzuverlangen, dass sie nur schwer mit anderen Problemen zu vereinbaren ist. Dass Sophia Thiel in ihren Beschreibungen abermals sehr vage bleibt, verdeutlicht nicht nur die Bezeichnung „das Ganze“, sondern wird erneut daran erkennbar, dass sie auch bei Maarens „toller Entwicklung“ ausschließlich auf die Einblendung von Bildern verweist und folglich nicht näher ausführt, inwiefern sich das Mädchen genau veränderte. Dass die Entwicklung bei Sophia Thiel stark mit der Disziplinierung des Selbst verbunden ist, kommt schließlich auch in der letzten Sequenz des Videos zum Vorschein. So wird in dieser sichtbar, dass die YouTuberin stets gewillt ist, mithilfe einer starken Selbstkontrolle und Disziplin positive Veränderungen zu erzielen sowie immer neue Ziele zu erreichen und dies darüber hinaus auch ihren Zuschauer_innen ans Herz legt. Jene zunehmende Fokussierung auf ihre Zuschauer_innen und Fans wird hingegen bereits an der vorletzten Sequenz erkennbar: „Als ich dann zur FIBO=gekommen bin, hatte ich keine Ahnung was mich erwarten wird. Ich hab mich vorher gefragt, ob mich vielleicht jemand=direkt ansprechen wird oder ob mich vielleicht jemand erkennt. Ich war ganze vier Tage da und (.) schon am ersten Tag hat sich eine ri:esige Menschenmenge um mich gebildet und ich konnt mich kaum bewegen, da jeder ein Foto mit mir machen wollte (.) ich war sowas von geflasht. Es sind sogar Mädchen auf mich=zugekomm, die gesagt haben, dass sie extra wegen mir zur FIBO gefahren sinn, das sie wegen mir mit dem Training begonnen haben (.) und manche waren total=süß aufgeregt, haben gezittert oder sogar geweint. Ich müsste lügen, wenn nicht bei mir selbst nicht auch die eine oder andere Träne geflossen is. Das war wirklich unglaublich schön für mich. Dort hatte ich dann auch die Möglichkeit meine größte Motivation zu treffen (.) Michelle Lewin die auch zugleich mein größtes Vorbild ist.“ (Sophia Thiel: Z. 456–469)
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Wie die Textpassage zu erkennen gibt, berichtet Sophia Thiel in dieser von ihrer Ankunft bei der „FIBO“.3 Indem sie unerklärt lässt, was sich hinter dem Begriff verbirgt, dokumentiert sich, dass das Wissen über die Bedeutung als selbstverständlich angenommen wird und somit keiner weiteren Erklärung bedarf. Einerseits wird hierdurch ein gewisses konjunktives Wissen der YouTuberin sichtbar, andererseits vermutet sie dieses auch bei ihren Zuschauer_innen. An der hieran anschließenden Aussage, dass sie sich vorher fragte, ob sie erkannt wird, kommt zum Vorschein, dass die YouTuberin sich vermehrt auf ihre Außenwirkung fokussiert. Im weiteren Verlauf wird erkennbar, wie sich Sophia Thiel immer mehr ihrem großen Einflusspotenzial bewusst wurde. So berichtet sie in diesem Zuge bspw., wie sich direkt nach ihrer Ankunft auf der Messe „eine rie:sige Menschenmenge“ um sie bildete. Dass sie von den Fanmassen jedoch nicht nur überrascht, sondern über diese auch höchst erfreut war, wird insbesondere an der Betonung deutlich, dass sie „sowas von geflasht“ war und bestätigt sich kurz darauf, indem sie schildert, wie „unglaublich schön“ sie dies empfunden habe. Die eigene Wirkkraft und das Einflusspotenzial auf andere Menschen ist der YouTuberin demnach nicht nur sehr bewusst, sondern gewinnt zudem zunehmend an Bedeutung. Hieran wird klar ersichtlich, dass Sophia Thiel sich selbst als „Influencer“ bzw. Vorbild begreift und diese Rolle gänzlich annimmt. Gleichzeitig wird an den Schilderungen der Messe eine gewisse Differenz zu vorherigen Ausführungen sichtbar. Indem Sophia Thiel bspw. beschreibt, dass sie aufgrund der Ereignisse und positiven Resonanz weinen musste, wechseln die bisher eher klaren und technisch-beschreibenden Aussagen in eine emotionale Beschreibung ihrer Gefühle. Ferner wird zum Ende der Textpassage erneut sichtbar, wie sich die Videoproduzentin nicht nur Selbst als Rollenmodell sieht, sondern auch andere YouTuberinnen als Vorbild für sich selbst einstuft. Nachdem Sophia Thiel bereits deutlich machte, dass sie selbst intensiv Fitnessvideos konsumiert hat und YouTuber_innen folgte, hebt sie nunmehr hervor, dass die populäre Fitness-YouTuberin Michelle Lewin4 nicht nur eine große Motivation für sie war, sondern darüber hinaus auch ihr Vorbild. Besonders der folgende analysierte Textabschnitt zeigt nochmals auf, wie sich auch Sophia Thiel zunehmend als Mentorin und Rollenmodell repräsentiert:
3 Die
FIBO ist eine in Köln stattfindende Messe zum Themenbereich Fitness, Wellness und Gesundheit (https://www.fibo.com/de). 4 Der Kanal der YouTuberin Michelle Lewin zählt ca. 380.000 Abonennten und die Videos auf dem Kanal wurden insgesamt ca. 38 Millionen Mal aufgerufen (Stand: Januar 2019). https://www.youtube.com/user/modelmichellelewin/about
6.1 Die dominante Subjektnorm der Selbstdisziplinierung
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„Man sieht (.) wie sich mein Leben in den letzten zwei Jahren verändern konnte. In dieser Zeit hab ich mich nicht nur körperlich sondern auch mental weiterentwickelt. Vor allem hat sich mein Fokus von mir wegbewegt. Ich lese jeden Tag solche Kommentare wie dieser hier und obwohl auch einige negative dabei sinn, gibt es für mich nichts Schöneres als zu lesen das Menschen wegen mir mit dem Training begonnen haben. Ich will jetz nicht sagen, dass ich irgendein Schönheitsideal verkörpere (.) jeder soll so aussehen wie er will, solange man sich wohl damit fühlt und dabei gesund ist (.) aber ich selber habe mich immer im falschen Körper gefühlt und mich dadurch verändern wolln und ich bin mir sicher das auch jeder andere positive Veränderungen mit seinem (.) Körper erzielen und dadurch zu einem besseren Selbstwertgefühl kommen kann und genau das hab ich mir nun zur Aufgabe gemacht. Mädchen aber auch Jungs zu motivieren und ihnen dabei zu helfen, ihre Ziele zu verwirklichen.“ (Sophia Thiel: Z. 478–491)
Erneut gibt bereits der Anfang der Textpassage Auskunft über den Habitus der Videoproduzentin. In dieser lässt sie demnach verlauten, dass sich nicht nur ihr Körper, sondern auch ihre Denkweise verändert hat. Indem sie hierbei von einer Weiterentwicklung spricht, wird ersichtlich, dass sie die Veränderung einerseits in gewissen Zügen selbst reflektiert, andererseits gleichzeitig als durchweg positiv einordnet. Gleiches gilt zudem für das Körpertraining, welches sie als derart vorteilhaft und lebensverändernd einstuft, dass sie auch ihre Zuschauer_innen dazu animiert, es ihr gleichzumachen. Wenn Sophia Thiel davon berichtet, Mädchen und Jungs motivieren zu wollen, wird erkennbar, dass sich ihr Video hauptsächlich an Menschen jüngeren Alters richtet. Zwar lässt sie verlauten, dass sie diesen helfen will ihre Ziele zu verwirklichen, was auf ein sehr allgemeines Hilfsangebot verweist, jedoch wird durch den stetigen Verweis auf Veränderungen des Körpers sichtbar, dass es um konkrete Hilfestellungen zur Körpertransformation geht. Indem Sophia Thiel zwar hervorhebt, dass jeder Mensch so aussehen kann „wie er will“, diese Aussage jedoch im gleichen Satz relativiert, da dies nur für Menschen gilt, die einen gesunden Körper haben und sich in diesem wohlfühlen, wird der appellative Charakter sichtbar, mit dem die YouTuberin ihre Zuschauer_innen aufruft, sich an der Norm eines gesunden Körpers auszurichten. Körperveränderungen, so lässt die YouTuberin verlauten, seien demnach insbesondere dann von Nöten, wenn man sich unwohl in seinem Körper fühlt oder dieser nicht gesund ist. Insgesamt erscheinen die Transformationen daher durchweg als erstrebenswert, was zum einen an der Betonung der „positiven Veränderung“ sichtbar, zum anderen aber auch in ihrem neuen Anliegen deutlich wird, andere Menschen zur Transformation zu motivieren. Gleichzeitig deutet sich hieran bereits eine neue Zielsetzung der YouTuberin an, welche in der anschließenden letzten Textpassage des Videos nochmals betont wird. Indem die Videoproduzentin in diesem Kontext hervorhebt, dass sie kein Schönheitsideal verkörpern will, wird zugleich deutlich,
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Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
wie sich die YouTuberin der eigenen Vorbildwirkung bewusst ist und sich daher betontermaßen von derartigen Interpretationen distanzieren will. „Meine Reise ist natürlich nich vorbei und ich habe mir für dieses Jahr sehr große Ziele gesteckt und arbeite täglich daran diese zu erreichen. Ich will nicht, dass ihr dieses Video einfach nur anseht (.) ich möchte das ihr Verantwortung über euer Leben übernehmt, so wie ich es vor zwei Jahren getan habe. In diesem Körper werdet ihr nur ein Mal leben und das Leben ist viel zu kurz um sich darin unwohl in seiner Haut zu fühln (.) es liegt in eurer Hand.“ (Sophia Thiel: Z. 491–497)
Wie der Textabschnitt der abschließenden Worte der YouTuberin aufzeigt, hebt diese nochmals hervor, wie sie sich immer wieder neue Ziele setzt. In diesem Fall werden diese jedoch nicht explizit genannt, sondern ausschließlich als „sehr groß“ bezeichnet und akzentuiert, dass sie täglich an der Erreichung ihrer Ziele arbeitet. Neben der eigenen Ausrichtung an der Norm der Selbstdisziplinierung, welche im Gesamtkontext des Videos hierdurch nochmals betont wird, zeigt sich in der Passage ebenso ein Schlussappell. Dieser zeichnet sich entscheidend in der Aufforderung ab, sich an ihr zu orientieren und Verantwortung über das eigene Leben zu übernehmen. Insgesamt dokumentiert sich im Video Sophia Thiels somit, wie stark sich diese seit dem Beginn ihrer Transformation an der Norm der Selbstdisziplinierung ausrichtet und sich diese aneignen konnte. War die normative Ordnung am Anfang noch stark mit dem Ziel verbunden, sich eine Körpernorm anzueignen, die durch eine schlanke Figur geprägt ist, um hierdurch der „Kumpelrolle“ zu entfliehen und sich ihrem sozialem Umfeld anzupassen, wird im Laufe des Videos erkennbar, wie die Disziplinierung immer weniger Mittel zu einem bestimmten Zweck, sondern sukzessiv selbst zur habitualisierten Norm wird, welcher stetig neue Ziele beigefügt werden. In diesem Sinne dienten der rigorose Wille sowie die stetige Kontrolle der Ernährung und des Gewichts zu Beginn der beschriebenen Transformation noch zur Abnahme, wohingegen die Disziplinierung nach dem Erreichen der Gewichtsreduzierung elementarer Bestandteil für immer weitere Ziele wurde. Somit verdeutlicht das Video, dass nicht nur eine Transformation des Körpers vollzogen, sondern gleichzeitig auch die Norm der Selbstdisziplinierung habitualisiert wurde. Einerseits dient der Körper Sophia Thiels im Sinne Bourdieus als Kapitalform, andererseits wird der Körper aber auch zu einer Metapher bzw. einem Beweis für die Selbstdisziplinierung und Autonomie, indem diese inkorporiert werden. Vor allem aus den biografischen Elementen und der retrospektiven Erzählweise des Videos wird ersichtlich, wie sich in diesem Habitustransformationen dokumentieren, indem Sophia Thiel bspw. in ihrer Jugend vollzogene Handlungspraxen
6.1 Die dominante Subjektnorm der Selbstdisziplinierung
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bewertet oder Fotos aus verschiedenen Lebensabschnitten gegenüberstellt. Wie stark sich die YouTuberin dabei selbst diszipliniert, wird sowohl in Beschreibungen ihrer Diäten und konsequenten Trainingseinheiten als auch auf bildlicher Ebene sichtbar, indem sie Ausschnitte von ihren Sportübungen präsentiert. Als ein zentrales Element der Disziplinierung erscheint bei Sophia Thiel jedoch nicht nur die Kontrolle und das Überschreiten körperlicher Grenzen, sondern ebenso die Strukturierung. So zeichnet sich der geregelte Tagesablauf sowie die Strukturierung und Ordnung der Ernährung als ausschlaggebende Elemente ab, die nicht nur eine nachhaltige Gewichtsreduzierung garantierte, sondern auch für bessere Schulnoten und umfassenden Erfolg auf mehreren Ebenen sorgten. Die repräsentierte Habitualisierung der Selbstdisziplinierung verspricht Erfolg und eine autonome Lebensführung. Dass die YouTuberin sich jedoch nicht nur selbst an der Norm ausrichtet, sondern sich zudem in Abgrenzung zu anonymen Tipps aus Zeitschriften als persönliches Vorbild inszeniert sowie ihre Zuschauer_innen dazu aufruft, es ihr gleichzutun, kommt schließlich zum Ende des Videos zum Vorschein. In diesem präsentiert sich die YouTuberin deutlich als Mentorin und Rollenmodell und ruft explizit und appellativ dazu auf, sich an ihr zu orientieren, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen und den eigenen Körper nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Ingesamt betrachtet, dokumentiert sich in dem Video Sophia Thiels folglich nicht nur eine Norm der Selbstdisziplinierung, sondern es kommen auch Körper-, Gesundheits- und Ernährungsnormen zum Vorschein. Hierin eint sich das Video mit den Clips von LaurenCocoXO, Karl Ess und ExFitness, in denen ebenfalls mal mehr, mal weniger ausgeprägt, verschiedene normative Ordnungen rekonstruiert werden konnten. In welchem Verhältnis die Normen jedoch zur Norm der Selbstdisziplinierung stehen, soll im nächsten Abschnitt nochmals zusammenfassend beleuchtet werden, bevor sich den Analysen der Videos gewidmet wird, die aufgrund ihrer Bezugnahmen zu den populären Clips ausgewählt wurden.
6.1.5
Die Norm der Selbstdisziplinierung in Relation zu Gesundheits-, geschlechtsspezifischen Körper- und Ernährungsnormen
Neben der als zentral in Erscheinung tretenden Norm der Selbstdisziplinierung zeigen die Analysen, dass diese auch in Verbindung steht mit Körper- sowie Gesundheitsnormen. Wie zunächst im Video von LaurenCocoXO erkennbar wird, ist es für die YouTuberin quasi selbstverständliche Norm, Sport zu treiben und
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Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
auf Süßigkeiten zu verzichten. Zwar erklärt die Videoproduzentin nicht explizit, warum es sich zum Sport zu motivieren gilt und Süßigkeiten gemieden werden sollten, jedoch kommt implizit zum Vorschein, dass dies einerseits der Disziplinierung des Selbst dient, andererseits hierdurch aber auch Körper- und Gesundheitsnormen entsprochen werden sollen. In ganz ähnlicher Weise drückt sich dieses Verhältnis aus Selbstdisziplinierung und gleichzeitiger Orientierung an Körper- und Gesundheitsnormen zudem im Video des YouTubers Karl Ess aus. Auch dieser weist nur beiläufig darauf hin, dass die Befolgung der Ernährungsnormen positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Zwar lässt er ebenso relativ unerwähnt, inwiefern sich diese genau widerspiegeln, jedoch wird sichtbar, dass sie nicht auf eine Heilung oder Genesung bestimmter Krankheiten, sondern auf eine Vorbeugung bzw. Vermeidung von Erkrankungen abzielen. Dass zudem auch im Video von Karl Ess geschlechtsspezifische Körpernormen eine Rolle spielen, wird zum einen am Videotitel deutlich, der verrät, dass es um einen Muskelaufbau geht. Zum anderen weist hierauf aber auch die Endsequenz des Videos hin, in der sich der YouTuber oberkörperfrei beim Trainieren sowie Posieren seiner Muskeln präsentiert. Der YouTuber ExFitness, so zeigt die Analyse, richtet sich zwar wie Karl Ess und LaurenCocoXO gleichfalls an Ernährungsnormen aus, jedoch scheinen diese nur bedingt in Verbindung mit Gesundheits- oder Körpernormen zu stehen. Einzig die Messung des eigenen Körpergewichts und der Hinweis auf das absolvierte Muskeltraining weisen darauf hin, dass die auferlegte Diät nicht ausschließlich zur Selbstdisziplinierung, sondern ebenfalls im Hinblick auf die Formung des eigenen Körpers durchgeführt wird, auch wenn die Messung ebenso als Kontrollinstrument fungiert. Im Gegensatz zu den Videos von Karl Ess und LaurenCocoXO gibt ExFitness allerdings keinerlei Hinweise darauf, welche Körpernormen mit der Diät angestrebt werden. Ebenso wenig wird die Diät in Verbindung gesetzt mit gesundheitlichen Zielen oder Aspekten, wodurch die Norm der Selbstdisziplinierung vor allem bei ExFitness besondere Bedeutung gewinnt. Im Video Sophia Thiels schließlich wird deutlich stärker erkennbar, wie die Norm der Selbstdisziplinierung massiv in Verbindung steht mit Körpernormen. So zeigt die Analyse, dass sich die YouTuberin schon seit ihrer Jugend mit einem bestimmten Körperideal konfrontiert sah, das sie erfüllen wollte. Erst um abzunehmen und schlank zu sein, disziplinierte sich die Videoproduzentin zunehmend und so sehr, dass die Norm der Selbstdisziplinierung habitualisiert wurde und sich hieraus weitere Körperbilder und Ziele herausbildeten. Nicht mehr die Aneignung einer Körpernorm stand später somit im Fokus, sondern die Disziplinierung des Selbst, die mithilfe des Körpers repräsentiert wurde. Im Hinblick auf Gesundheitsnormen zeigt sich hingegen, dass die Ausrichtung an einer gesunden Lebensweise zwar keine
6.2 Die Reproduktion von Subjektnormen und Videoinhalten
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große Rolle für die YouTuberin selbst spielt, sie jedoch ihre Zuschauer_innen dazu aufruft, für einen eigenen gesunden Körper zu sorgen. Dementsprechend sieht sich die YouTuberin zwar weitestgehend selbst nicht mit der Norm konfrontiert, allerdings reproduziert sie diese gleichzeitig. Insgesamt beurteilt, lässt sich somit konstatieren, dass die Disziplinierung des Selbst in den Videos aller bisher betrachteten YouTuber_innen eine elementare Rolle spielt, jedoch gleichzeitig mal mehr, mal weniger stark verbunden ist mit Subjektnormen, die auf ein gesundes Selbst abzielen oder in Verbindung stehen mit bestimmten Körperidealen oder Ernährungsnormen. So kann sich die Selbstdisziplinierung bspw. erst aus der Erfüllung von Schlankheitsidealen oder ähnlichen herausbilden (wie im Falle der jungen Sophia Thiel), oder sie dient dazu, sich Ernährungs- und Körpernormen anzupassen (wie im Falle von Karl Ess). Zusätzlich kann die Anpassung an die Disziplinierung des Selbst auch weitestgehend einem Selbstzweck folgen und in diesem Zuge immer wieder geprüft werden (wie im Fall von LaurenCocoXO).
6.2
Die Reproduktion von Subjektnormen und Videoinhalten
Die Reproduktion und Bezugnahme sowie die Zirkulation von Videoinhalten ist wie bereits anhand diverser Studien zum Vorschein gebracht werden konnte und sich in Kapitel 4 zeigt, eine auf der Videoplattform YouTube durchaus gängige Praxis (vgl. Wagner & Forytarczyk 2015; Marek 2013; Eisemann 2015). Dieser soll sich im Hinblick auf das Forschungsanliegen, Subjektnormen und Subjektivierungen in Lifestyle-Videos zu rekonstruieren, weiter bedient werden. Wie bereits erwähnt, wurden bei der Videoauswahl demnach gezielt Bezugnahmen bzw. ‚Produktionskaskaden‘ nachgegangen, um anhand derer zu analysieren, inwiefern nicht nur Videothemen und -darstellungsweisen über Videos hinweg reproduziert, sondern möglicherweise auch Subjektnormen und der Umgang mit diesen implizit oder explizit aufgegriffen und kopiert werden. Wie schon in den dargestellten Videoanalysen in 6.1 soll sich zwar ebenfalls im Folgenden der Rekonstruktion von Subjektnormen und deren Relation zum Habitus gewidmet werden. Im Unterschied zum zuvorigen Abschnitt liegt der Fokus diesmal jedoch erstens auf den sechs Videos der unpopulären YouTuber_innen und zweitens werden anhand von komparativen Analysen mit den populären Clips, Reproduktionen von Videoinhalten, insbesondere im Hinblick auf Normen und dem Umgang mit diesen aufgezeigt.
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6
Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
Im Fokus dieses Kapitels stehen somit ebenfalls komparative Analysen zwischen den in 6.1 dargestellten populären Videos und den bezugnehmenden Clips eher unbekannter YouTuber_innen. Wie schon bei der rekonstruierten Subjektnorm der Selbstdisziplinierung untergliedern sich auch die Varianten der Reproduktion von Videoinhalten in verschiedene Ausprägungen. Im Folgenden werden die verschiedenen Formen vorrangig anhand komparativer Analysen und beginnend mit der spielerischen Nachahmung von Posen und Darstellungsweisen vorgestellt.
6.2.1
Spielerische Nachahmungen von Posen und visuellen Darstellungsweisen (Antonia, Lena)
Reproduktionen von Videoinhalten, so wird in den folgenden zusammengefassten Videointerpretationen deutlich, können sich auf verschiedenen Ebenen abspielen und von Videoproduzent_innen sowohl gezielt forciert als auch implizit resp. unwissentlich vollzogen werden. Wie zunächst ein Blick auf das Video der YouTuberin Antonia zeigt, werden in diesem hauptsächlich Reproduktionen auf bildlicher Ebene, in Form von spielerischen Nachahmungen von Posen und Darstellungsweisen sichtbar. Besonders deutlich treten die Nachahmungen anhand eines Vergleichs mit dem Video der YouTuberin LaurenCocoXO in Erscheinung. Wie die komparative Analyse der Clips verdeutlicht, zeichnen sich Unterschiede und gemeinsame Schnittmengen einerseits hinsichtlich der Ebene des konjunktiven, andererseits aber auch auf der Ebene des kommunikativen Wissens ab. Neben diversen Differenzen in der Videogestaltung zwischen den beiden Videos, die zum Teil auch aus unterschiedlichem Kameraequipment resultieren, zeigt der direkte Vergleich, dass sich zugleich nennenswerte Parallelen abzeichnen, die auf eine unmittelbare Bezugnahme hinweisen. Diese dokumentieren sich, wie im Folgenden deutlich wird, vornehmlich auf habitueller Ebene, wohingegen sich Normen und der Umgang mit diesen im analysierten Video Antonias nicht rekonstruieren lassen. Äußerst eindrücklich manifestieren sich die Bezugnahme zwischen den Videos dementsprechend in einem Vergleich bestimmter Gesten, die von den YouTuberinnen in ihren Clips ausgeführt werden. Im Folgenden werden demnach zunächst zwei Fotogramme aus den ersten Sequenzen der Videos gegenübergestellt, die vornehmlich aufgrund ihrer Kongruenzen ausgewählt wurden (Abbildungen 6.14 und 6.15).
6.2 Die Reproduktion von Subjektnormen und Videoinhalten Abbildung 6.14 Antonia: 00.41 min.
Abbildung 6.15 Antonia: 00.08 min.
Abbildung 6.16 LaurenCocoXO: 00.45 min.
Abbildung 6.17 LaurenCocoXO: 01.09 min.
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200
6
Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
Die oberen beiden Fotogramme zeigen Ausschnitte aus dem Video von Antonia, wohingegen die unteren beiden Fotogramme dem Video der YouTuberin LaurenCocoXO entnommen wurden. Wie in Abbildung 6.14 und Abbildung 6.16 zu sehen ist, drückt sowohl LaurenCocoXO als auch Antonia ihre flachen Hände auf der Höhe ihres Halses aneinander, wobei die Finger, mit den auffällig lackierten Fingernägeln, in beiden Fällen dabei nach oben zum Kopf gerichtet sind. Die beiden Hände befinden sich somit unmittelbar unter dem Kinn. Zwar ist der Kopf bei LaurenCocoXO im Gegensatz zum Kopf Antonias leicht in die gegensätzliche Richtung geneigt, jedoch zeigt auch ein Blick auf die Mimik, dass diese sich ähnelt und beide Akteurinnen ihren Mund leicht geöffnet haben und mit weit geöffneten Augen und hochgezogenen Augenbrauen gerade in Richtung Kamera schauen. Die von den YouTuberinnen dargebotene Geste (Wai Gruß) ist dabei vorrangig im thailändischen und asiatischen Kulturkreis verbreitet und gilt sowohl als Grußhandlung wie auch als Zeichen besonderen Dankes. In beiden Fällen erscheint die Geste des Wai Grußes allerdings in gewisser Weise dekontextuiert. Bei der YouTuberin Antonia resultiert die Dekontextuierung im Wesentlichen daraus, dass die Gebärde in keinerlei Zusammenhang mit der textlichen Ebene steht und in dieser weder eine Begrüßung noch eine Danksagung verkündet wird. Im Fall des Videos von LaurenCocoXO dokumentiert sich die Dekontextuierung hingegen durch einen Schnitt, welcher unmittelbar vor der Geste eingefügt wurde. An diesem wird deutlich, dass die Gebärde nicht etwa durchgehend in vorherige Handbewegungen eingebettet ist und in einem Fluss in diese übergeht, sondern vielmehr durch Nachbearbeitungen bzw. Schnitttechniken in die Sequenz montiert wurde. Somit erscheint die Geste weniger dem Habitus von LaurenCocoXO zu entspringen als vielmehr bewusst inszeniert zu sein, um die sprachliche Danksagung an ihre Zuschauer explizit auf Ebene des körperlichen Ausdrucks zu unterstreichen. In beiden Fällen wird die Dekontextuierung zudem dadurch verstärkt, dass das Handzeichen in europäischen Ländern sowie insbesondere in Deutschland eher unüblich ist und aus einem anderen Kulturkreis entnommen wurde. Folglich kann bei den Gesten im Sinne Bohnsacks und Przyborskis (2015) zwar von einer ‚Pose‘5 gesprochen werden, jedoch wird mit dieser nicht unmittelbar ein Lifestyle ausgedrückt oder gar propagiert.
5 Die
Pose kennzeichnet sich nach Bohnsack und Przyborski daran, dass sie im Gegensatz zur habituellen Geste nicht in den Gesamtzusammenhang der Praxis eingefügt ist. Sie erscheint also aufgrund ihrer Relation zu den anderen Bereichen des Körpers, der Räumlichkeit oder aber der Positionierung zu anderen Personen dekontextuiert (vgl. Bohnsack & Przyborski 2015).
6.2 Die Reproduktion von Subjektnormen und Videoinhalten
201
Gleiches gilt ebenso für das Szenen-Paar, welches in Abbildung 6.15 und Abbildung 6.17 zum Vorschein kommt. Zwar dokumentieren sich in den Fotogrammen erneut ähnlich große Übereinstimmungen wie im vorherigen Vergleichspaar, jedoch weisen diese nicht unmittelbar auf einen bestimmten Lifestyle hin oder betonen diesen. In eben jenen Fotogrammen sind es in erster Linie die nach oben gerichteten Zeigefinger auf Höhe der Brust, welche sich gleichen und hierdurch besonders ins Auge fallen. Diese sind als eine Geste zu deuten, die überwiegend im schulischen Kontext auftritt und von Lehrer_innen angewendet wird, um zu signalisieren, dass besondere Aufmerksamkeit geboten ist. Verstärkt wird die Ähnlichkeit zwischen den YouTuberinnen erneut durch die ähnliche Mimik: leicht geneigter Kopf und zur Kamera gerichteter Blick mit hochgezogenen Augenbrauen. Besonders durch die Unschärfe der Hände, die sich in beiden Fotogrammen zeigen, kommen die raschen Handbewegungen der Videoproduzentinnen zur Geltung. In beiden Fällen verleihen die Gesten sowohl dem Bild im Eigensinn als auch den Protagonistinnen mehr Ausdruckskraft und lassen diese dynamischer bzw. lebendiger erscheinen. Insgesamt lässt sich somit konstatieren, dass sich zwar durchaus große Parallelen in der Verwendung und Ausführung von bestimmten Gebärden zwischen den beiden YouTuberinnen zeigen und diese auf eine Reproduktion bzw. Nachahmung von Gesten bzw. Posen hinweisen könnten. Gleichzeitig geben die Handbewegungen jedoch nur wenige Aufschlüsse zum Habitus der Videoproduzentinnen und es lässt sich ebensowenig an diesen explizieren, inwiefern gar Normen eine Rolle für die YouTuberinnen spielen oder reproduziert werden. Diese dokumentieren sich im Video der YouTuberin LaurenCocoXO vielmehr in der performativen Performanz ihrer (Life-)Hacks, welche hingegen in Antonias Video nur eine marginale Rolle spielen und ausschließlich an einer Stelle kurz zur Sprache kommen, in der die Akteurin auf einen Hack verweist, der ihr zwar bekannt ist, den sie allerdings nicht zur Anwendung bringt. Wie die folgenden Analysen der textlich-sprachlichen Ebene veranschaulichen, lassen sich aber auch in den von Antonia präsentierten Snackideen kaum Hinweise auf Normen rekonstruieren. Zwar zeigen sich hinsichtlich der Semantik erneut gewisse Parallelen zur YouTuberin LaurenCocoXO, diese weisen allerdings ebenso eher auf partielle Reproduktionen bzw. Nachahmungen oder Kongruenzen im Habitus hin. Zu nennen ist hier bspw. die häufige Verwendung der Formulierung „und zwar“, welche in der folgenden Textpassage der ersten Sequenz zum Vorschein kommt:
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Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
„Hey Leute und herzlich Willkommen zu meinem neuen Video (.) ich hab heute eine h:offentlich sehr cooles Video für euch (.) und zwar gibts heute acht Snackideen beziehungsweise vier Snackideen (.) und zwar mach ich das Video nicht alleine, wie ihr=euch vielleicht schon denkn könnt, und zwar ist=es eine Kooperation mit der lieben Anna vom Kanal Annasbeautyblog, ich schreib euch hier (.) ihren Namen also Annasbeautyblog nochmal=hin und ihr Kanal ist übrigens in der Infobox verlinkt u:nd wir laden halt beide ein Video hoch, und zwar sie vier Snackideen und ich vier Snackideen, bei mir seht ihr (.) e:ben vier Snackideen @ und ich sag jetz einfach mal lo:s gehts und Anna hat auch gesagt, dass ich sie in meinem nächsten Video grüßen soll und ich grüße dich Anna @, und naja werd ich beim=nächsten Video nochmal machen @ ja @ u:nd ja auf=jeden Fall sag ich los gehts mit dem Video und schaut euch auf jeden Fall ihr Video an, sie ist unten verlinkt u:nd ja (.) ich würd mich auch sehr freuen, wenn=ihr bei mir (.) bei ihr vorbeiseh:schaut u:nd ja los gehts mit diesem Video.“ (Antonia: Z. 120–134)
Wie ein Blick auf die einleitenden Worte der Videoproduzentin offenbart, teilt sie in diesen zunächst mit, dass in dem Video vier „Snackideen“ präsentiert werden und sie eine Videokooperation mit einer weiteren YouTuberin, die den Namen Anna trägt, durchführt. Bereits das Vorhaben und die Verwendung des durchaus ungebräuchlichen Wortes „Snackideen“ zeigt eine erste Parallele zum Video der YouTuberin LaurenCocoXO, welche in gleicher Weise in ihrer Videoeinleitung auf jenes Vorhaben verweist (siehe LaurenCocoXO: Z. 11). Der Umstand, dass sowohl Antonia als auch LaurenCocoXO eine Videokooperation mit einer anderen YouTuberin ausüben, deutet auf eine weitere Gemeinsamkeit hin, die zudem durch die Aussage erweitert wird, dass sie ein Video „für euch“, das heißt explizit für ihre Zuschauer_innen hat. So findet sich jene Formulierung ebenso im ersten einleitenden Satz von LaurenCocoXO (siehe LaurenCocoXO: Z. 1). Besonders beachtlich, erscheint in diesem Kontext auch die Verwendung des Wortes „Kooperation“, welches aufgrund der sonst (altersentsprechend) eher kindlichen Sprache hervorsticht. Wie bereits angedeutet, tritt hinsichtlich der Semantik zudem hervor, dass Antonia die Redewendung „und zwar“ gleich viermal in der ersten Hälfte der Passage verwendet. Besonders bemerkenswert erscheint dies insbesondere deswegen, weil jene Bindewörter auch von LaurenCocoXO sehr häufig benutzt werden. Gleiches gilt zudem für das Vorhaben und die Formulierung, das Video der Partnerin in der „Infobox“ zu verlinken, welches in nahezu identischer Weise ebenso von LaurenCocoXO geäußert wird (siehe LaurenCocoXO: Z. 19). Neben den deutlichen Gemeinsamkeiten hinsichtlich des Videoaufbaus und der semantischen Darlegung dessen, was auf weitere Nachahmungen hinweist, dokumentiert sich in der Passage aber auch, dass die YouTuberin im Gegensatz zu LaurenCocoXO keinerlei Hinweise darauf gibt, warum sie ausgerechnet Snackideen vorstellt. So sind die vorgestellten Snacks bei Antonia scheinbar nicht wie
6.2 Die Reproduktion von Subjektnormen und Videoinhalten
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bei LaurenCocoXO mit dem Ziel verbunden, das Leben der Rezipient_innen einfacher zu machen und Tipps zur Disziplinierung zu geben, wodurch sich auch keinerlei Hinweise auf den Umgang mit Normen rekonstruieren lassen. Das Video Antonias erscheint zugleich konzeptloser und improvisierter als das von LaurenCocoXO, was einerseits an den stetigen Wortwiederholungen erkennbar wird, andererseits aber auch daran zum Vorschein kommt, dass sie mehrmals Informationen ein- bzw. nachschiebt, wie ebenso exemplarisch an der Verwendung des Wortes ‚übrigens‘ sichtbar wird. Wie die darauffolgende Textpassage allerdings aufzeigt, besteht im gleichen Maße auch bei Antonia der Wunsch, dass die gezeigten Snacks von ihren Zuschauer_innen nachgeahmt werden: „Wir machen zuerst diese coolen, stylischen Eiswürfel selba, die sind wirklich cool in einem Getränk zu tun, dafür braucht ihr erstmal eine Edbeere, Wasser und Eiswürfelförmchen, meine warn jetz aus Silikon, müssen sie aber nich, ich wollte einfach solche (.) ja aus Silikon nehmen, weil die einfach dann viel besser rausgehen die Eiswürfel. Und jetzt müsst ihr einfach eure Erdbeere in stei:Scheiben schneiden und die dann=einmal in der Mitte teiln und dann=nochmal in der Mitte teiln (.) also ihr legt sie dann nochma zusamm und nochma teiln, ich hoffe ihr wisst wie ich das meine, also wie (.) @ also richtig zu teilen @ u:nd ja ich hoffe das ist das ve:rsteht.“ (Antonia: Z. 134–143)
Wie die Textpassage der zweiten Sequenz zu erkennen gibt, zielt die Präsentation der ersten Snackidee darauf ab, den Zuschauer_innen ein annähernd exaktes Nachmachen zu ermöglichen. Dementsprechend werden die gefüllten Eiswürfel nicht bloß in ihrem fertigen Zustand präsentiert, sondern deren Herstellung wird Schritt für Schritt und penibel genau dargelegt. Wie darüber hinaus im letzten Satz der Passage deutlich wird, ist es der Videoproduzentin sehr wichtig, dass ihre Zuschauer_innen verstehen, wie der Snack zubereitet bzw. die Erdbeeren geschnitten werden müssen, um korrekt kopiert werden zu können. Gleichzeitig zeigt sich, dass Antonia zwar zunächst eine Snackidee ankündigt, mit den Eiswürfeln jedoch ausschließlich eine kalorienarme Getränkezugabe präsentiert. Wie der erste Satz der Passage aufzeigt, erscheinen diese der YouTuberin allerdings nicht aufgrund ihres Geschmacks oder ihrer enthaltenen Vitamine besonders empfehlenswert, sondern weil sie „cool“ und „stylish“ sind. Hieran wird sichtbar, dass die YouTuberin im Gegensatz zu LaurenCocoXO nicht explizit gesunde Alternativen zu Süßigkeiten darstellt, sondern vielmehr Techniken zur Ästhetisierung des Alltags, die zugleich durch ihre wenigen Kalorien gekennzeichnet sind und als Snack eingeordnet werden. Hieran dokumentiert sich zwar in gewissen Zügen der Geschmack und demnach der Habitus der YouTuberin, jedoch bleibt ein Bezug
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zu Normen weiterhin aus. Hingegen wird die hohe Bedeutung der Ästhetisierung in der hieran anschließenden Textpassage weiter hervorgehoben. „Und dann gebt ihr eure kleinen Stückchen einfach in diese Eiswürfelförmchen rein und da füllt ihr dann das Wa:sser dazu, damit das auch Eis gibt @ ihr könnt das sonst=auch einfach so einfrieren und dann so=rausziehen, aber ich find das mit Wasser einfach viel cooler und stylischer u:nd ihr werdet gleich sehn, was mir passiert is, mir ist ein totaler Fail passiert @ und das=sollte euch also nicht passiern.“ (Antonia: Z. 143–149)
Indem Antonia erneut darauf hinweist, dass die präsentierte Variante der Eiswürfel „viel cooler und stylischer“ ist, akzentuiert sie wiederholt den hohen Stellenwert des äußeren Erscheinungsbildes. Zusätzlich unterstrichen wird dieses durch die darauffolgende Aussage, dass ihr ein „totaler Fail“, also ein Scheitern unterlaufen ist, welches den Zuschauer_innen nicht passieren sollte. Wie ein Blick auf das Videobild offenbart, wird hiermit ein Überlaufen des Wassers in der Eiswürfelform betitelt, welches zwar geschmacklich bedeutungslos ist, jedoch die Form und somit die äußere Optik der Eiswürfel verändert. In ähnlicher Weise, wie die Wortwahl der Kooperation hervorsticht, hebt sich auch die wiederholte Verwendung von Anglizismen, wie „Fail“, „cool“, und „stylisch“ von der restlichen Semantik ab und deutet in ähnlicher Weise wie die Posen auf eine Dekontextuierung hin. Dass die Snacks bzw. Getränke als „cool“ bezeichnet werden, weist jedoch nicht nur darauf hin, dass die YouTuberin sich auf das äußere Erscheinungsbild fokussiert, sondern auch, dass die präsentierten Snacks bzw. Getränke durchweg positiv wahrgenommen werden, was allerdings nicht näher von Antonia beschrieben wird. Dies dokumentiert sich ebenfalls in der daran anschließenden Textpassage. „Und als nächstes machen wir ein echt cooles Sommer-Frühlings-Getränk selber, da braucht ihr jetzt eine Trinkflasche oder ein Gla:s, ja: wo ihr das reinfüllt äh (.) und dann füllt ihr da halt Wasser dazu und dann braucht=ihr eine Zitrone und eine Erdbeere. Die Erdbeere schneidet ihr wieder in Scheiben und da solltet ihr halt achten darauf, dass dieses grüne Teil oben weg=is, das könnt ihr einfach wegschneiden äh (.) so wie ichs jetzt gemacht hab, da gibts auch nen echt coolen Hack mit so nem Strohhalm aber das wollt ich jetz nicht machen, und da schneidet ihr jetz einfach solche Scheiben weg. U:nd dann teilt ihr di:die Zitrone einfach mal in der Mitte. A:lso ihr müsst die Zitrone einmal in der Mitte teilen, weil=ihr braucht, glaub ich nur ei=die Hälfte der Zitrone, außer es kommen bei euch Gäste und ihr möchtet das gerne nachmachen.“ (Antonia: Z. 150–162)
6.2 Die Reproduktion von Subjektnormen und Videoinhalten
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Auch im ersten Textabschnitt der Sequenz 3 wird sichtbar, wie Antonia weniger einen Snack als vielmehr die Zubereitung eines weiteren kalorienarmen Getränkes präsentiert. Die sich hierdurch immer stärker abzeichnende Deplatzierung des Wortes „Snackidee“ erscheint indessen mehr denn je dekontextuiert und nachgeahmt. Hierauf weist auch die wenig später folgende Formulierung „weil=ihr braucht, glaub ich nur ei=die Hälfte“ hin, an der sich dokumentiert, dass sie sich bei der Herstellung des Getränks an einer rezipierten Zubereitung orientiert, diese jedoch nicht mehr mit voller Gewissheit rekonstruieren kann. Indem sichtbar wird, dass Antonia die „Snacks“ bzw. Getränke nachahmt und diese als „cool“ bezeichnet, kommt zum Vorschein, dass es gerade jener Aspekt ist, welcher die YouTuberin zur Nachahmung bewegt. So scheint sie die Snacks weniger zu kopieren, weil sie bspw. gesund sind, sondern weil Antonia sie als „cool“ empfindet. Dies gilt auch für den erwähnten jedoch nicht angewendeten „coolen Hack“. Indem Antonia bspw. wiederholt darauf hinweist, dass die Zitrone in der Mitte geteilt werden soll oder es bestimmte Schritte zu beachten gilt, offenbart die Passage, wie die YouTuberin erneut sehr genau beschreibt, wie das Getränk zuzubereiten ist. Dass bei der Präsentation der Snacks gesundheitliche Aspekte zwar keine vorrangige, aber zumindest eine kleine Rolle zu spielen scheinen, wird kurz darauf erkennbar: „U:nd ja jetz tut ihr einfach ähm die Zitronenstückchen zu erst ins Glas oder in die Flasche, das is ganz wichtich und dann eben die Erdbeeren, ihr könnt auch Limettn=nehm, Limetten nehmen, weil dann entsteht nämlich dieser coole Effekt, wenn ihr zuerst die Zitrone oder Limette reintut und dann die Erdbeeren. Und da:nn hab ich das getrunkn und ich sag euch das schmeckt so lecker und viele sagen das ist eklich, das ist voll lecker und noch viel noch gesünder.“ (Antonia: Z. 166–172)
Indem Antonia im letzten Satz der Passage erzählt, dass es „viel noch gesünder“ ist, werden im Wesentlichen zwei Punkte sichtbar. Zum einen lässt die Aussage erkennen, dass Lebensmittel für Antonia auch im Hinblick auf ihre gesundheitliche Wirkung betrachtet werden. Zum anderen verdeutlicht die Formulierung, dass Antonia durch die Verwendung der Steigerungsform zwar auf einen Vergleich verweist, jedoch unerwähnt lässt, gegenüber was das Getränk gesünder ist. Hierdurch erscheint sowohl die präsentierte „Snackidee“ unvollständig als auch der Verweis auf den gesundheitlichen Aspekt erneut unzusammenhängend und dekontextuiert. Wie der Hinweis auf den „coolen Effekt“ offenbart, ist es ein weiteres Mal die äußere Erscheinung des Getränks, welche eine große Bedeutung für die YouTuberin hat. Wie hoch der Stellenwert des Effekts ist, dokumentiert sich hingegen an der Aussage, dass es „ganz wichtich“ sei, die Zitronenstückchen zuerst in die
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Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
Flasche zu füllen. Dass der gesundheitliche Aspekt des Getränks nur eine untergeordnete Rolle spielt, wird darüber hinaus an der Hervorhebung sichtbar, dass dieses „voll lecker“ sei. Dementsprechend wird auch der Aspekt des Geschmacks wiederholt betont und zudem zeitlich vorher genannt. Indem sie in diesem Kontext ebenfalls auf andere Akteure verweist, die das Getränk als eklig betiteln, deutet sich zudem an, dass Antonia entweder bereits mit anderen Personen über das Getränk kommuniziert hat und dieses möglicherweise Thema in ihrer Peer war oder sie Beurteilungen zusammenfasst, die in Kommentarfeldern oder ähnlichen von anderen Rezipient_innen getätigt wurden. Dass der Geschmack auch im daran anschließenden Snack vorrangig ist, kommt in der folgenden Textpassage zum Vorschein: „U:nd jetzt machen wir eine echte gute Frühstücksidee selba, dafür braucht ihr Haferflocken, Milch und Agavendicksaft und das ganze mischt ihr jetz einfach. Agavendicksaft is einfach dafür da, dass das ganze gesüßt wird, falls ihr das nich da habt, könnt ihr auch einfach Honig nehmen oder (.) ja (.) einfach Honig nehmen @ und dann ähm vermischt ihr das ganze natürlich noch ordentlich und dann könnt ihr das auch schon essen, ihr könnt dann noch zermatschte Himbeeren, zermatschte ähm Blaubeeren oder irgendwas dazugeben, dann=is das natürlich noch leckerer, aber ich hab das jetz einfach so gelassn.“ (Antonia: Z. 173–181)
Indem Antonia ausschließlich betont, dass die „Frühstücksidee“ mit Himbeeren oder Blaubeeren „noch leckerer“ ist, jedoch das Essen nicht umfangreicher hinsichtlich weiterer Aspekte beschreibt, zeigt sich, dass der Geschmack als das zentrale Kriterium der Frühstückswahl erscheint. In diesem Sinne sei die gezeigte Variante zwar schon lecker, kann aber noch schmackhafter zubereitet werden. Gleichzeitig kommt in ähnlicher Weise wie in den zuvor präsentierten Snacks bzw. Getränken zum Vorschein, dass Antonia erneut keinen direkten Hinweis auf gesundheitliche Kriterien bei der Auswahl der Speisen gibt. Sie präsentiert jedoch abermals eine „Snackidee“, die aus nur drei bis vier natürlichen Zutaten besteht, durch ihre geringe Menge hervorsticht, wiederholt einen Obstanteil aufweist und mit Agavendicksaft ein Süßungsmittel verwendet, welches hauptsächlich im Kontext von ‚Clean Eating‘ als Alternative zu Raffineriezucker Verwendung findet. Ähnlich wie auch die darauffolgende letzte Snackidee deutet dies darauf hin, dass Antonia Zwischenmahlzeiten nachahmt, diese allerdings abwandelt und Zutaten weglässt oder, wie in der folgenden Textpassage zu sehen ist, austauscht: „Unzwar machen wir weiter mit coolen Bonbons. Ihr braucht dafür einen Spritzbeutel oder was ich gemacht hab, werdet ihr gleich sehn, da hab ich jetz einfach einen Löffel, eine Schere, einen Gefrierbeutel und Joghurt genomm, also ihr könnt
6.2 Die Reproduktion von Subjektnormen und Videoinhalten
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Joghu:rt, irgendein Pudding nehm, was ich jetzt gemacht hab und dann füllt ihr den=da einfach hinei:n (.) und in einen Spritzbeutel oder in eine Gefriertüte wie ichs jetzt gmacht hab, weil ich eben (.) wie schon gesagt, keinen (.) keine Spritztüte hatte.“ (Antonia: Z. 187–194)
Wie der Textabschnitt der Sequenz 5 offenbart, stellt Antonia ihren letzten Snack vor. In diesem präsentiert die YouTuberin selbst hergestellte Bonbons. Indem die Videoproduzentin aufzählt, dass hierzu ausschließlich ein Löffel, eine Schere, ein Gefrierbeutel und Joghurt benötigt wird, dokumentiert sich, dass die Bonbons eigentlich uneingeschränkt aus Joghurt bestehen, der in Bonbonform eingefroren wird. Statt auf Joghurt greift Antonia hingegen auf Pudding zurück, der als Äquivalent präsentiert wird. Dass die Bonbonzutat für die YouTuberin nicht als derart relevant eingestuft wird, dokumentiert sich in erster Linie an dem Hinweis, dass „irgendein“ Pudding verwendet werden kann sowie darin, dass kein expliziter Unterschied zwischen Joghurt und Pudding vorgenommen wird. In ähnlicher Weise wie im zuvor vorgestellten Snack ist es demnach nicht wichtig, aus welchen Zutaten die Zwischenmahlzeit besteht und somit auch nicht, ob dieser gesund ist. Wie die Hervorhebung des Spritzbeutels offenbart, ist es vielmehr von Relevanz, dass der Spritzbeutelinhalt die Form von Bonbons annimmt. Demnach werden die Bonbons abermals ausschließlich als „cool“ bezeichnet und es wird wiederholt auf Spritzbeutel bzw. -tüten verwiesen. Folglich wird sichtbar, dass es Antonia besonders bedeutsam erscheint, die Snacks in annähernd ähnlicher Ausführung zum Vorbild vorzustellen und sie sich vor allem am Aussehen der Zwischenmahlzeiten und weniger an deren Zutaten orientiert. In diesem Sinne werden auch aus ernährungswissenschaftlicher Sicht ausgewogenere Variationen, wie das Verwenden von Joghurt anstatt Pudding und die Hinzunahmen von Beeren nicht weiter von Antonia beachtet. Da insgesamt somit die Herstellung der Snacks von Antonia als „cool“ empfunden wird und die Form, das Aussehen sowie der Geschmack der Snacks in ihrem Fokus stehen, wird erkennbar, dass sich Nachahmungen ausschließlich auf die äußerliche Darstellung sowohl auf bildlicher als auch semantischer Ebene reduzieren und nicht ausweiten auf mögliche Ernährungs- oder Gesundheitsnormen, wie sie sich bspw. im Video von LaurenCocoXO in der Präsentation der Snacks dokumentierten. Dass Antonia hingegen auf spielerische Weise Nachahmungen vollzieht, zeigt sich einerseits an Aussagen, die auf bereits rezipierte Videos verweisen, andererseits aber auch an den großen Kongruenzen, die durch die vergleichende Analyse mit dem Video der YouTuberin LaurenCocoXO zum Vorschein kamen, zugleich aber immer dekontextuiert erscheinen.
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Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
Wie schon in Abschnitt 4.1.3 erwähnt, wurde neben dem Video Antonias ein weiterer Clip analysiert und dem Video von LaurenCocoXO gegenübergestellt. Die Auswahl des Videos folgte dabei dem Anliegen, Reproduktionen und Bezugnahmen nachzugehen, um an diesen zu rekonstruieren, inwiefern mit Subjektnormen umgegangen wird, die sich im Vergleichsvideo dokumentierten. Hierbei wurde das Video „4 Snacks für die Schule_Uni etc.“ der YouTuberin Lena ausgewählt. Ein Vergleich von Fotogrammen aus den Videos der YouTuberinnen Lena und LaurenCocoXO zeigt dabei eine derartige Steigerung von Kongruenzen, dass diese (im Gegensatz zum Video von Antonia) nicht bloß auf Reproduktionen von Gesten hinweisen, sondern direkte Nachahmungen als sehr wahrscheinlich annehmen lassen, auch wenn diese nicht explizit von der Videoproduzentin Lena geäußert wurden. In ähnlicher Weise wie im vorhergegangen Videovergleich werden ebenfalls im Folgenden insgesamt vier Fotogramme der YouTuberinnen abgebildet, welche die Analogien zwischen den Videos besonders deutlich zum Ausdruck bringen (Abbildungen 6.18, 6.19, 6.20 und 6.21). Abbildung 6.18 Lena: 02.19 min.
Abbildung 6.19 Lena: 02.23 min.
6.2 Die Reproduktion von Subjektnormen und Videoinhalten
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Abbildung 6.20 LaurenCocoXO: 04.01 min.
Abbildung 6.21 LaurenCocoXO: 04.03 min.
Die beiden oberen Fotogramme zeigen zwei Ausschnitte aus dem Video der Videoproduzentin Lena, wohingegen die beiden unteren Bilder dem Video von LaurenCocoXO entnommen wurden. Wie die jeweils ersten beiden Fotogramme der Abbildungen erkennen lassen, halten sowohl LaurenCocoXO als auch Lena eine mit Apfelchips gefüllte Glasschüssel in die Kamera. Beide Protagonistinnen strecken hierfür ihre Arme nach vorne, um die Apfelchips im Detail zu zeigen und halten die Glasschüssel mit ihren beiden weit aufgefächerten Händen. Hinter der Glasschüssel ragen ausschließlich die oberen Teile ihres Kopfes sowie der helle Raum heraus. Trotz der leichten Abweichung, dass bei LaurenCocoXO die lackierten Fingernägel zu sehen sind, da diese die Schüssel etwas weiter unterhalb greift, ähneln sich beide Fotogramme stark. So sind die Form und Größe der Glasschüssel ebenso wie die Anzahl der dort enthalten Apfelchips nahezu identisch. Es wird sichtbar, dass sich nicht nur gleicht, was nachgeahmt und in den Videos präsentiert wird, sondern auch wie dies gestaltet und umgesetzt wird. Deutlich wird dies ebenso im Vergleich der weiteren beiden Fotogramme. Diese zeigen die beiden YouTuberinnen, wie sie unmittelbar, nachdem die Apfelchips präsentiert wurden, einen von diesen verspeisen. Erneut ähnelt sich mit der Wahl von Kameraeinstellung und Kadrierung nicht nur die Ebene der abbildenden Bildproduktion, sondern wie ein Blick auf die Ausführung der Verkostung und die Kulisse darlegt, auch hinsichtlich der Ebene der abgebildeten Bildproduktion. So sitzen
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Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
beide Protagonistinnen in einem hellen Raum mit weißen Möbeln und führen den Apfelchip auf sehr ähnliche Weise zu ihrem Mund. In beiden Fotogrammen ist der Blick gerade zur Kamera gerichtet und ein einzelner Apfelchip wird mit der linken Hand deutlich in den weit geöffneten Mund gelegt. Hierdurch wird zum einen das Verspeisen der Apfelchips für die Zuschauer_innen gut erkennbar und nachvollziehbar sowie zum anderen wird die Verkostung geradezu zelebriert. Auffällig ist auch, dass beide Akteurinnen ein weißes Oberteil tragen, dies ist besonders erstaunlich, da Lena bei der Zubereitung und Präsentation der weiteren Snacks mit einem beigen Pullover bekleidet ist. Durch die sich ähnelnden Oberteile gleichen sich die Fotogramme somit noch stärker. Ähnlich starke Gemeinsamkeiten zwischen beiden Videos finden sich jedoch nicht nur in der Präsentation und dem Verspeisen der fertigen Apfelchips, sondern ebenfalls bereits in der Zubereitung dieser. Wie der Fotovergleich der nächsten beiden Abbildungen zeigt, sind die Kongruenzen erneut sowohl hinsichtlich der abbildenden als auch der abgebildeten Bildproduktion auszumachen. Des Weiteren wird deutlich, dass sich nicht nur die Art und Weise ähnelt, wie die Snacks zubereitet werden, sondern dass zudem die gleichen Momente der Zubereitung aufgezeichnet und zusammengeschnitten wurden. Erneut wurden die Fotogramme dementsprechend aufgrund ihrer großen Kongruenzen ausgewählt und gegenübergestellt (Abbildungen 6.22, 6.23, 6.24 und 6.25). Abbildung 6.22 Lena: 01.33 min.
Wie auch die Bildbeschreibung deutlich macht, zeigen die oberen beiden Abbildungen Fotogramme aus dem Video der YouTuberin Lena, wohingegen die unteren beiden Fotogramme dem Video von LaurenCocoXO entstammen. Neben der Kameraeinstellungen und den Kulissen, die sich in den jeweiligen Gegenüberstellungen erneut sehr ähneln, ist es im Wesentlichen der Aspekt der szenischen Choreografie, der die Bilder eint.
6.2 Die Reproduktion von Subjektnormen und Videoinhalten
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Abbildung 6.23 Lena: 02.11 min.
Abbildung 6.24 LaurenCocoXO: 03.48 min.
Abbildung 6.25 LaurenCocoXO: 03.53 min.
So wird der Zimt in der ersten Kontrastierung auf nahezu identische Weise über dem Backblech in die Kamera gehalten. Zwar gibt es erneut eine leichte Abweichung in der Ausführung, da Lena im Gegensatz zu LaurenCocoXO das Gewürz mit beiden Händen hält, jedoch ist das Gewürz an fast der gleichen Stelle im Kamerabild platziert, was die Bilder in ihrer Gesamtkomposition annähernd deckungsgleich erscheinen lässt. Auffällig ist zudem, dass beide Protagonistinnen den Zimt direkt aus dem Gewürzglas auf die Apfelchips streuen, auch wenn hierbei in beiden Fällen große Mengen des Gewürzes punktiert auf den Apfelscheiben landen. Ähnlich große Kongruenzen bestehen auch in den Fotogrammen, in denen die Apfelchips in den Backofen geschoben werden. Zwar lässt sich auch hier eine
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Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
leichte Abweichung ausmachen, da die Sequenz bei Lena spiegelverkehrt aufgenommen wurde, jedoch sind Sequenzauswahl, Kamera und szenische Chorografie erneut nahezu identisch. So werden die Apfelchips in beiden Fällen schräg von oben gefilmt, wobei dies vor allem bei Lena besonders bemerkenswert ist, da sie das Backblech augenscheinlich mit zwei Händen hält und somit die Kamera mittels Stativ o. ä. eigens in jene Position gebracht haben muss. Ferner wird das Blech sowohl bei LaurenCocoXO als auch bei Lena in die mittlere Schiene des Backofens geschoben. Es ist diese immense Kongruenz, die annehmen lässt, dass sich die YouTuberin Lena bei ihrem Video am Clip der Videoproduzentin LaurenCocoXO orientiert und diese spielerisch nachahmt. Gleichzeitig dokumentieren sich allein an den Bildanalysen keinerlei Normen. Wie zudem ein Blick auf die sprachlich-textliche Ebene verrät, zeigt sich aber auch hier, dass die Subjektnormen, welche im Video LaurenCocoXOs zentral sind, in der von Lena hergestellten Produktionskaskade vollkommen unberücksichtigt bleiben. Vielmehr scheint sich Lena hauptsächlich auf visueller und körperlicher Ebene spielerisch an dem YouTube-Star zu orientieren und diesen ähnlich eines Imitationsspiels nachzuahmen. So können weder auf der Bildund Textebene Anzeichen von Selbstdisziplinierungen oder Selbst-Bewährungen erkannt werden, noch die Ausrichtung an Körper- bzw. Schönheitsnormen. Wie die folgende Textpassage der ersten Videosequenz offenbart, preist Lena zwar die Apfelchips wie LaurenCocoXO ebenfalls als „gesunde Alternative zu Süßigkeiten“ an, jedoch kann gerade aufgrund der wörtlichen Zitation erneut eher von einer Nachahmung (in diesem Fall auf semantischer Ebene), als von einer Übernahme normativer Ordnungen gesprochen werden. Denn auch im Bezug auf Ernährungs- oder Gesundheitsnormen äußert sich Lena weder in der Sequenz noch im weiteren Verlauf des Videos bspw. zu Nährwerten, Kalorien oder hebt ihre weiteren Snacks als besonders gesund hervor: „A:ls erstes fangen wir dann an mit den Apfelchips, die sind eine gesunde Alternative zu Süßigkeiten (2) dafür braucht man allerdings nur ganz einfache Dinge, wie zum Beispiel einmal das Bre:ttchen, eine Reibe und Äpfel, dazu noch ein Mal gemahlnen Zimt. A:ls erstes schneiden=wir dann auch einfach=nur die Kuppe von den Äpfeln ab (.) sobald das dann getan is können wir=sie dann einfach nur an=n Rand legen und dann gehts auch schon los mit dem Reiben, könnt am Anfang ziemlich schwer werden aber danach gehts auch schon einfach weiter.“ (Lena: Z. 217–224)
6.2 Die Reproduktion von Subjektnormen und Videoinhalten
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Wie an dem Textausschnitt sichtbar wird, präsentiert Lena die Apfelchips zwar als „gesunde Alternative zu Süßigkeiten“, jedoch lässt sie sowohl unerwähnt, inwiefern die Apfelchips gesünder sind, noch warum sie eine derartige Alternative präsentiert. Im Gegensatz zur Präsentation von LaurenCocoXO dienen die Apfelchips somit weder unmittelbar der eigenen Disziplinierung noch der Anpassung an Ernährungsnormen. Denn wie im Video der Videoproduzentin Antonia liegt der Fokus bei Lena hauptsächlich auf der Zubereitung des Snacks. Demnach hebt die YouTuberin mit dem Brettchen und der Reibe hervor, welche Utensilien für die Zubereitung benötigt werden und beschreibt ausführlich, wie die Chips hergestellt werden und welche Probleme bei der Herstellung auftreten können. Da folglich der Zubereitungsprozess und weniger der Snack selbst im Zentrum des Interesses steht, deutet sich auch auf sprachlicher Ebene die große Relevanz der exakten Nachahmung an. Wie wichtig Lena dabei die richtige Zubereitung ist, verdeutlicht sich ebenfalls an der daran anschließenden Textpassage: „Zu guter=letzt kommt das nur=noch für sechzich Minuten bei achtzich Grad Ober=Unterhitze in den O:fen. Es kommt je nach dem Ofen an, wie lang ihr sie drin lassn müsst aber in dem Fall warn es sechzich Minuten. Wie ich finde sind die ziemlich lecker geworden und es ist wirklich eine schöne Alternative, ich kann euch nur raten euch die nachzumachen.“ (Lena: Z. 233–238)
Indem die YouTuberin im ersten Satz des Textabschnittes ausführlich auf die Backdauer und Gradzahl eingeht, hebt die YouTuberin erneut verhältnismäßig detailliert hervor, wie die Apfelchips zubereitet werden. In diesem Kontext wird erkennbar, dass Lena mit „sechzich Minuten bei achtzich Grad“ dieselben Angaben macht wie LaurenCocoXO (siehe LaurenCocoXO Z. 52), was das Video abermalig als Produktionskaskade erscheinen lässt. Im Vergleich zur Zubereitung tritt hingegen die Motivation dahinter sowie die Beurteilung der Apfelchips sehr ungenau und kurz in Erscheinung. So wird zwar deutlich, dass Lena ebenfalls den Geschmack als Kriterium der Bewertung hervorhebt, jedoch beschränkt sie sich darauf zu sagen, dass die Chips „ziemlich lecker“ seien. Statt weitere Vorteile oder Besonderheiten der „Alternative“ zu nennen, liegt der Fokus in ähnlicher Weise wie bei Antonia darauf, ihre Zuschauer_innen auch zur Nachahmung aufzurufen. Zwar verwendet die Videoproduzentin nochmals das Wort „Alternative“, jedoch betont sie in diesem Fall nicht, dass diese als Gegenstück zu Süßigkeiten fungieren soll, wodurch die Funktion der Substitution gerade im Vergleich zum Video von LaurenCocoXO (welche die Süßigkeiten als Bewährungsprobe präsentiert) sehr in den Hintergrund gerät. Trotzdessen verdeutlicht auch die Textpassage der nachfolgenden Sequenz, dass ebenso Lena mehrheitlich Snacks vorführt, die
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Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
im Common-Sense und aus ernährungswissenschaftlicher Sicht vorwiegend als gesund eingestuft werden: „So: dann habn wir hier mein heißgeliebten Smoothie. A:ls erstes brauchen wir dafür eine Beerenmischung, ihr könnt auch Himbeeren oder sonst was nehm (.) dann brauchen wir Honich, Milch und eine Banane. Als erstes tun=wir dann die Beerenmischung in den Mixer rein. Danach kommt dann schon die Banane, ich hab=nur ne halbe genommen, denn ich find da: schmeckt man intensiv die Banane drin raus, es ist also euch überlassen, ob i:hr (.) die ganze nimmt oder nich. U:nd dann ham wir auch schon den Honich (.) das ist die natürlichste Art für=mich auch einfach Dinge zu süßen und dazu find ich schmeckts auch noch obendrein richtich lecker.“ (Lena: Z. 238–247)
Wie der Textabschnitt offenbart, präsentiert Lena als zweiten Snack eine Smoothie. Erneut erklärt die YouTuberin, wie dieser am besten zubereitet wird. In vergleichbarer Weise wie im vorherigen Snack weist Lena zwar nicht unmittelbar auf Ernährungs- oder Gesundheitsnormen hin, an denen sie sich orientiert, jedoch deutet sich an, dass ein implizites Passungsverhältnis zwischen ihrem Habitus und den Normen vorliegt, wie sie bspw. im Video von LaurenCocoXO präsentiert wurden. Denn die verwendeten Zutaten der präsentierten Zwischenmahlzeit dokumentieren, dass Lena (wie auch Antonia) überwiegend auf „natürliche“ Zutaten bzw. Süßungsmittel zurückgreift, die ähnlich wie das Bananeneis von LaurenCocoXO als Alternative zu Süßigkeiten erscheinen. Dementsprechend verwendet Lena Honig, da dies für sie die „natürlichste Art“ zum Süßen ist. Hieran wird deutlich, dass zumindest Süßigkeiten und Zucker von der YouTuberin tendenziell als negativ beurteilt werden, weshalb sie versucht, diese zu substituieren. Indem Lena hinzufügt, dass sie Honig zudem „richtig lecker“ findet, wird erkennbar, dass dessen Natürlichkeit zwar im Vordergrund steht, jedoch auch der Geschmack eine wichtige Rolle spielt. Da die YouTuberin aus sensorischen Gründen betontermaßen nur eine halbe Banane für den Smoothie benutzt, wird die Relevanz dessen zusätzlich hervorgehoben. Des Weiteren weist hierauf das Adjektiv „heißgeliebt“ hin, welches wie auch der Hinweis zu ihren Vorlieben bzgl. der Bananenmenge signalisiert, dass der Snack nicht zum ersten Mal zubereitet wurde. Wie am Ende der Sequenz zudem erkennbar wird, fügt die YouTuberin schließlich noch hinzu, dass der Smoothie nicht nur lecker, sondern ebenfalls nahrhaft und sättigend ist, was wiederum auf die Relevanz gesundheitlicher Aspekte hindeutet: „Es war sehr lecker und ich würds mir noch öfter mit zur Schule nehm, denn es ist schon sehr nährhaft und davon wird man einfach satt und das is das Gute. So
6.2 Die Reproduktion von Subjektnormen und Videoinhalten
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als nächstes ham wir dann hier=mein Müsli. Für das Müsli brauchen wir zunächst einmal ein Müsli eurer Wahl. Ich hab Himbeer White Chocolate gnommen (.) dann Joghurt, also Naturjoghurt und da:nn Einmachgläser. Ich habe einfach so welche genommen, es gibt unterschiedliche Grö:ßen, dann noch einmal Honich.“ (Lena: Z. 253–260)
Wie der Hinweis, dass der Smoothie „sehr nährhaft“ ist, verdeutlicht, wird hierdurch ein weiteres Kriterium erkennbar, welches der Videoproduzentin wichtig erscheint und den Smoothie empfehlenswert macht. Ein Blick auf die bisherigen Analysen verrät dabei, dass sich Lena hiermit von den anderen YouTuber_innen abhebt, die hingegen in keiner Sequenz auf den Sättigungseffekt von Nahrungsmittel eingehen. Dieser bleibt zwar beim darauffolgenden Snack der Videoproduzentin wieder unerwähnt, jedoch offenbart die Textpassage, dass die Relevanz der Natürlichkeit der Lebensmittel weiter gestärkt wird. So hebt Lena hervor, dass für ihr Müsli explizit Naturjoghurt benötigt wird. Dies wird besonders deutlich, indem Lena sich selbst korrigiert und den Joghurt nochmals näher benennt. Ferner wird auch bei dieser Zwischenmahlzeit Honig als Süßungsmittel verwendet. Wie die Auswahl und Zubereitung der Zwischenmahlzeit somit verdeutlicht, orientiert sich Lena, ähnlich wie die YouTuberin Antonia, intuitiv an einer eher gesunden bzw. kalorienarmen Ernährung, ohne diese allerdings als eine Disziplinierung bzw. Bewährung aufzufassen. So stellt diese ausschließlich Snacks vor, die auf kommunikativ-generalisierender Ebene bzw. im Common Sense als gesund aufgefasst werden (Thunfisch-Wrap, Apfelchips, Müsli, Smoothie) und betont, dass sie bei der Zubereitung der Apfelchips bewusst auf Zucker verzichtet, jedoch nicht aufgrund gesundheitlicher Aspekte, sondern weil sie die Kombination aus Apfel und Zimt präferiert. Anders als Antonia zieht Lena zwar Zucker als Süßungsmittel in Erwägung bzw. stellt diesen zumindest ihren Zuschauer_innen zur Option bereit, allerdings scheint sie ebenso stets Honig zum Süßen zu präferieren. Honig wird somit von Lena nicht präferiert, weil es die vermeintlich gesündere Alternative zu Zucker ist, sondern weil es „natürlich“ und „lecker“ ist. Ausdrücklich der Geschmack scheint für Lena folglich das ausschlaggebende Kriterium im Konsum der Snacks zu sein. Gleichzeitig zeigen die Analysen, dass der Fokus in ähnlicher Weise wie bei Antonia hauptsächlich auf der Zubereitung und weniger im Konsum der Snacks liegt, was auf den hohen Stellenwert der tatsächlichen Ausübung und somit der Annäherung an die performative Performanz hinweist. Dementsprechend kommt zum Vorschein, wie die Zubereitung von Zwischenmahlzeiten nahezu identisch kopiert
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Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
oder Posen spielerisch nachgeahmt werden.6 Neben dem Aspekt, dass sich sowohl auf der Ebene der performativen als auch proponierten Performanz dokumentiert, dass Lena die meisten Snacks das erste Mal testet und somit die Nachahmung weiter hervorgehoben wird, ist es ihr besonders wichtig zu erwähnen, dass der Snack „lecker“ war. Demnach nennt sie jene Zuschreibung als ersten Punkt ihres Fazits. Ferner, so wird deutlich, wird der Snack aber auch aufgrund dessen als positiv beurteilt, weil er „nährhaft ist und satt macht“. Gleiches gilt zudem für den zum Ende des Videos vorgestellten Snack des Thunfisch-Wraps. So wird dieser ebenso empfohlen, weil er „lecker ist und satt macht“ (Lena: Z. 279). Es stellt sich somit heraus, dass zwar Normen keine Rolle für Lena spielen, diese sich jedoch (ähnlich wie Antonia) implizit bzw. habitualisiert an einer natürlichen sowie zucker- und kalorienarmen Ernährungsweise orientiert, wie sie bspw. von LaurenCocoXO repräsentiert wird. Auch wenn Ernährungsnormen nicht explizit von den Videoproduzentinnen zum Vorschein kommen, können die Orientierungen auf eine implizite Passung an normative Ordnungen im Bereich der Ernährung hinweisen. Folglich erfahren sie diese nicht als exterioren Zwang, sondern sie erfüllen diese in weiten Teilen vollkommen implizit.7
6.2.2
Mimetische Nachahmungen und Reproduktionen von Normen (Mirko, Peter)
In differenter Weise zu den zuvor untersuchten Videos der YouTuberinnen Antonia und Lena dokumentieren sich in den nun folgenden Videoanalysen der
6 Dass
die Nachahmungen zudem darauf verweisen, dass LaurenCocoXO eine gewisse Bedeutung im Leben von Antonia und Lena besitzt, wird mit Bezug auf Mead deutlich. So schreibt dieser: „Im Spiel übernimmt das Kind nacheinander die Rollen von Personen und Tieren, die in seinem Leben von Bedeutung sind.“ (Mead 1973: 27) 7 Zur Verdeutlichung jener impliziten Passung bietet sich in diesem Kontext ein Verweis auf Erkenntnisse an, die im Bereich von Spielfilmen gemacht wurden. So erklärt Geimer, dass Spielfilme nicht nur stetig im Alltag präsent und Teil aller möglichen Gespräche sind, sondern dass sie auch beiläufig, das heißt nicht-reflexiv Erfahrungen, Orientierungen und Strukturen unseres Wissens prägen (vgl. Geimer 2010: 15). Ähnlich könnte es sich folglich auch im Bezug auf YouTube-Videos verhalten, wenn diese ebenfalls nicht-reflexiv Orientierungen prägen. In ähnlicher Weise wie Dialekte nach Mead unbewusst nachgeahmt werden, wenn lang genug an einem bestimmten Ort mit dementsprechenden Dialekt gelebt wird (vgl. Mead 1973: 98 f.), deuten die Analysen darauf hin, dass auch Normen implizit reproduziert werden, wenn diese oft bzw. lang genug rezipiert werden.
6.2 Die Reproduktion von Subjektnormen und Videoinhalten
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YouTuber Mirko und Peter nicht nur Ausprägungen auf habitueller Ebene, sondern es lassen sich ebenso normative Ordnungen und deren Relation zum Habitus der Videoproduzenten rekonstruieren. Anstatt spielerische Nachahmungen von bspw. Posen und „Snackideen“, wie sie im Vergleich zwischen Antonia, Lena und LaurenCocoXO sichtbar wurden, lassen sich an den komparativen Analysen zwischen den YouTubern Mirko und Karl Ess sowie Peter und ExFitness folglich auch Erkenntnisse über die Reproduktion von Normen und der Aneignung und Aushandlung dieser gewinnen. Wie zunächst an den Vergleichen der Videos von Mirko und Karl Ess dargelegt wird, dokumentieren sich im Clip des Videoproduzenten Mirko demnach neben Normen, dem Habitus sowie der Relation dieser Ebenen zueinander zudem derart große Kongruenzen zum Video des YouTubers Karl Ess, dass diese auf eine Orientierung an den YouTube-Star Karl Ess hinweisen. Wie auch in den zuvor vorgestellten Videoanalysen von Antonia und Lena bezieht sich Mirko jedoch in seinem Video nicht explizit auf Karl Ess, weshalb die Frage nach dem Rezipientenstatus und nach direkten Nachahmungen ebenfalls in dieser vergleichenden Analyse nicht eindeutig zu beantworten ist. Doch auch unabhängig von Fragen zum Verhältnis von Produzent und Rezipient wird an dem Videovergleich sichtbar, dass sich der YouTuber Mirko an nahezu gleichen Subjektnormen wie Karl Ess orientiert und diese auf sehr ähnliche Weise präsentiert. So zeigt eine Gegenüberstellung der Videos, dass erstens immense Parallelen hinsichtlich der Videoproduktion bzw. –darstellung bestehen, die auf unmittelbare, habituelle Nachahmungen hinweisen sowie zweitens sich viele Gemeinsamkeiten in Hinblick auf den Umgang mit Normen rekonstruieren lassen. Anders als in den Videos von Antonia und Lena dokumentieren sich im Video von Mirko somit sowohl eine stärkere Bezugnahme auf die Erfahrung von normativen Ordnungen als auch deren Verhältnis zum Habitus. Vor allem im Umgang mit Lebensmitteln wird sichtbar, dass Mirko sich der Subjektnorm der Selbstdisziplinierung anpasst und diese darüber hinaus in nahezu deckungsgleicher Weise wie Karl Ess präsentiert, was auf eine Reproduktion dieser hindeutet. Bevor sich den Analysen der Videosequenzen gewidmet wird, die Rekonstruktionen auf normativer Ebene zulassen, sollen fürs Erste diejenigen Interpretationen aufgezeigt werden, die Gemeinsamkeiten zwischen den Videos von Karl Ess und Mirko zum Vorschein bringen, welche ähnlich wie in 6.2.1 auf Nachahmungen in der Videoproduktion hinweisen. Auf bildlicher Ebene zeigt die komparative Analyse zunächst, dass beide YouTuber ihre Sequenzen aus nahezu den gleichen Kameraperspektiven aufzeichnen. Sowohl Karl Ess als auch Mirko filmen zum einen größtenteils die eingekauften Lebensmittel, indem sie diese aus der Oberperspektive fokussieren. Zum
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6
Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
anderen wechseln sie in den einzelnen Sequenzen jedoch immer wieder in Porträtaufnahmen, indem sie die Kamera um 180 Grad drehen und ihr Gesicht in den Mittelpunkt des Bildes stellen. In beiden Videos wird dieser Wechsel der Kameraeinstellungen immer dann durchgeführt, wenn der Videoproduzent seine eigene Meinung näher beschreibt. Hierdurch wechselt dieser stets in die Porträtaufnahme, um dem Rezipierenden in einer direkten Ansprache Beschreibungen und Ratschläge genauer zu erläutern. Auf diese Weise simulieren die Videoproduzenten praktisch ein face-to-face Gespräch und verwenden die Kamera erweiternd als Zeigeobjektiv. Wie die bisherigen Analysen der YouTuberinnen Antonia, Lena und LaurenCocoXO verrieten, treten gerade im direkten Vergleich Kongruenzen aber auch Differenzen zwischen Videos besonders deutlich hervor, weshalb ebenfalls im Folgenden erneut eine Gegenüberstellung vorgenommen wird. Zu sehen ist jeweils ein Fotogramm aus der einleitenden Sequenz der Clips, welches beide Videoproduzenten in der Porträtaufnahme zeigt. Abbildung 6.26 Karl Ess: 00.04 min.
Abbildung 6.27 Mirko: 00.05 min.
Wie die Gegenüberstellung der Bilder verdeutlicht, filmen sowohl Karl Ess in Abbildung 6.26 als auch Mirko in Abbildung 6.27 ihr eigenes Gesicht sowie
6.2 Die Reproduktion von Subjektnormen und Videoinhalten
219
ihren Hals aus einer Unter- bzw. Froschperspektive. Diese lässt die Protagonisten zum einen größer erscheinen, zum anderen schauen sie hierdurch aber auch zum Rezipierenden herunter, ähnlich wie Eltern zu ihrem Kind. Die YouTuber stärken hiermit ihre Rolle als Leitfigur resp. Lehrmeister und verleihen ihren Aussagen mehr Geltung.8 Gleichzeitig erscheinen hierdurch die Augenbrauen beider Produzenten weit hochgezogen, was wiederum die Akteure aufgeweckt und fokussiert wirken lässt sowie den Charakter einer appellativen und direkten Unterhaltung verstärkt. In beiden Fällen befindet sich der Kopf dabei im Bildmittelpunkt, was die zentrale Stellung und die Fokussierung auf die Akteure unterstreicht. Parallelen weist zudem der Hintergrund der Fotogramme auf. Dieser besteht jeweils aus weiß-gräulichen Wänden und einem Türrahmen. Insgesamt erscheint der Schauplatz schlicht, wenig bedeutsam und nicht als eine eigens zur Videoaufnahme inszenierte Kulisse, weshalb er somit stark in den Hintergrund rückt und den authentischen Charakter der Sequenz stärkt. Im Unterschied zu Mirko befindet sich Karl Ess im Fotogramm direkt unter einer hell-leuchtenden Deckenlampe. Diese lässt ihn von oben erstrahlen und geradezu sakral erscheinen, wodurch sich seine Rolle als Leitfigur weiter verstärkt. Trotz dieser leichten Differenz kann konstatiert werden, dass sich bereits diverse Gemeinsamkeiten zwischen den Videosequenzen abzeichnen. Ein Blick auf die daran anschließenden Filmausschnitte zeigt, dass auch diese von ähnlich großen Übereinstimmungen geprägt sind. Im zweiten Vergleichspaar sind diesmal die präsentierten Lebensmitteleinkäufe der beiden Videoproduzenten zu sehen. Wie die Gegenüberstellung der Abbildung 6.28 und Abbildung 6.29 verdeutlicht, sind erneut große Kongruenzen sowohl auf der abbildenden als auch auf abgebildeten Ebene der Bildproduktion zu erkennen. Abbildung 6.28 Karl Ess: 01.17 min.
8 In
diesem Kontext weist auch Mikos darauf hin, dass eine Froschperspektive in Filmen dazu dient, die dargestellten Personen als besonders wichtig und mächtig erscheinen zu lassen (vgl. Mikos 2003: 145).
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Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
Abbildung 6.29 Mirko: 00.50 min.
Besonders auffällig sticht heraus, dass die Akteure in beiden Fotogrammen mit ihrem linken Zeigefinger auf ein Netz mit Orangen zeigen, während sie diese mit einer Kamera, die sich in der rechten Hand befindet, filmen. In beiden Fällen wird ein Netz Orangen von weiteren Lebensmitteln gerahmt, wie bspw. Champignons, die sich ebenso in beiden Bildern auf einer Küchenarbeitsplatte befinden. Die Hände scheinen nicht im Begriff zu sein die Lebensmittel auszupacken, sondern sind vielmehr als eine Geste des Zeigens zu identifizieren. Der Zeigefinger deutet in beiden Fotogrammen auf das Orangennetz, wodurch dieses in das Zentrum des jeweiligen Bildes rückt. Beide Fotogramme erscheinen durch die vielen verschiedenen Lebensmittel einerseits sehr bunt, andererseits gleichzeitig tendenziell künstlich, was vorwiegend durch das leichte Schimmern der vielen Plastikverpackungen hervorgerufen wird. Erneut filmen beide Produzenten aus der Oberperspektive und zeigen das Geschehene aus ihrem eigenen Blickwinkel bzw. der Einstellung der sogenannten subjektiven Kamera. Hierdurch schlüpfen die Rezipient_innen gewissermaßen in die Rolle des Produzenten und nehmen dessen Perspektive ein. Einerseits kann hierdurch die Identifikation mit dem Videoproduzenten potenziell gesteigert werden, andererseits erleichtert die subjektive Kamera den Zuschauer_innen das Gesehene nachzuahmen, da diese nicht umdenken bzw. keinen Perspektivwechsel vornehmen müssen. Die beiden Fotogrammpaare verdeutlichen somit nochmals, wie sowohl auf der abbildenden als auch der abgebildeten Ebene der Bildproduktion große Parallelen zwischen dem Video von Karl Ess und Mirko vorliegen, die auf Nachahmungen vom letztgenannten hinweisen. Gleichzeitig dokumentieren sich in den Fotogrammen jedoch noch keinerlei Hinweise auf die Relevanz möglicher normativer Ordnungen in den Videos der YouTuber. Wie bereits im Vergleich der Clips von LaurenCocoXO und Lena zu beobachten war, können diese unter Umständen auch eher auf sprachtextlicher Ebene zum Vorschein kommen. Dies verdeutlicht sich im Folgenden ebenso an der ersten Sequenz des Videos von Mirko:
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„So Jungs, Mädels, Freestyle-Video, ich komm jetz grad vom Einkaufen und wollt=euch mal zeigen, was ich so einkaufe. Fangen=wa einfach ma an. Hie:r ham wir die Paprika für viel Vitamin C. Hier hinten hab=ich zwei Packen Tomaten, da sind=n Haufen Antioxidantien drin, die schützen unsere Zellen vorm älter werden. Da:nn hier ham=ma eine Gurke, das füllt einfach nochmal=n Salat noch schön auf, keine Kalorien quasi. Frühlingszwiebeln, Rucola, rote Zwiebeln (.) hier hinten ham=wa Champignons für Vitamin D und Folsäure.“ (Mirko: Z. 868–875)
Wie die entsprechende Textpassage der ersten Videosequenz zum Vorschein bringt, zeigt sich zunächst, dass Mirko sein Video auf sehr ähnliche Weise wie Karl Ess einleitet. So beginnt auch dieser damit zu erzählen, dass er gerade vom Einkaufen kommt. Indem er hierbei betont, dass er den Zuschauer_innen etwas zeigt und diese nicht etwa fragt, dokumentiert sich zwar einerseits eine klare Rollenverteilung, andererseits repräsentiert sich Mirko dabei jedoch nicht derart stark als Lehrer bzw. Mentor wie Karl Ess. Zum einen wird dies an der Verwendung des Präteritums und somit der abschwächenden Form des Wortes „wollte“ sichtbar. Zum anderen wird es gleichzeitig daran deutlich, dass Mirko nicht den Fitness-Lifestyle erklären will und deren elementaren Dinge diktiert (Karl Ess: ab Z. 779), sondern ausschließlich aufzeigt, was er gekauft hat. Indem Mirko somit nicht wie Karl Ess den Anspruch erhebt als Mentor den Fitness-Lifestyle zu definieren, sondern vorwiegend seinen Einkauf präsentiert, zeigt sich die differente Rolle des YouTubers. Im Kontext der Produktionskaskade erscheint das Zeigen folglich als eine Art der Selbstdarstellung, die Resonanz einfordert, um sich anhand von Zuschauerkommentaren etc. Rückmeldung über die Ausübung des Lifestyles zu verschaffen. Darüber hinaus wird an der Passage erkennbar, dass der Videoproduzent auf gleiche Weise wie Karl Ess (bspw. ab Z. 801) stets das präsentierte Lebensmittel benennt und im Anschluss daran erläutert, welche die für ihn zentralen Nährwerte in eben jenem Nahrungsmittel sind. So hebt er z. B. zunächst die Paprika hervor und erklärt hiernach, dass in dieser viel Vitamin C enthalten ist. Einerseits dokumentiert sich hieran, dass Mirko die Präsentation der Lebensmittel auch sprachlich sehr ähnlich darstellt wie Karl Ess, andererseits deutet sich an den Ausführungen jedoch bereits an, dass Mirko einen übereinstimmenden Zugang zu Lebensmitteln hat, der im Wesentlichen auf der Fokussierung der enthaltenen Nährwerte basiert. Ergänzt werden die Nährwertangaben in beiden Videos mit Zubereitungshinweisen wie der Erklärung Mirkos, dass Gurken einen Salat „auffüllen“ können. Indem der YouTuber hierbei betont, dass Gurken „keine Kalorien quasi“ haben, wird offenkundig, dass jedoch nicht nur Nährwerte von Interesse sind, sondern auch die Kalorienzahl der Lebensmittel eine Relevanz besitzt, auch wenn im Gegensatz zu bestimmten Nährwerten in der Passage noch nicht erkennbar ist, inwiefern diese
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genau beurteilt wird. Die Erklärung, dass Tomaten viele Antioxidantien beinhalten, welche die „Zellen vorm Älter werden“ schützen, weist hingegen darauf hin, dass Mirko Lebensmittel ebenso unter gesundheitlichen Aspekten betrachtet. In diesem Kontext sind dementsprechend auch seine Ausführungen über Vitamin D und Folsäure zu deuten. Folglich wird an der Textpassage ersichtlich, dass Mirko in ähnlicher Weise wie Karl Ess Hinweise zu einer Ernährung gibt, die gesundheitliche Normen berücksichtigt und diese gleichzeitig für den YouTuber eine wichtige Rolle zu spielen scheinen. Weiter hervorgehoben wird dies auch in der darauffolgenden Sequenz 2: „Da:nn Orangen, mega lecker grad zu der Jahreszeit, Vitamin C am Start. Hier was ham=wa hier (.) das sin Avocados, extrem gut für unser Herz auch gute Fettsäuren, mehrfach ungesättigt. Habt nich so viel Angst vor den Fettsäuren, solang=es gute sin.“ (Mirko: Z. 876–879)
Wie die Textpassage der Sequenz zu erkennen gibt, geht Mirko weiterhin auf Nährwerte in Lebensmitteln ein und hebt bspw. den Gehalt von Vitamin C in Orangen hervor. Indem er direkt im Anschluss seinen Zuschauer_innen mitteilt, dass Avocados „extrem gut“ für das Herz seien, wird die Fokussierung auf gesundheitliche Aspekte in Lebensmitteln weiter unterstrichen. Im gleichen Kontext weist er seine Rezipient_innen darauf hin, dass sie keine Angst vor „guten“ Fettsäuren haben sollen. Zum einen zeigt sich an der Verwendung des Wortes „Angst“, dass Lebensmittel für den YouTuber auch eine Gefahr darstellen können. Zum anderen wird erkennbar, wie Mirko sich ebenso als Lehrmeister inszeniert, der seine Zuschauer_innen aufklärt und ihnen die Furcht nehmen will. In ähnlicher Weise wie Karl Ess zwischen guten und schlechten Kohlenhydraten unterscheidet (Karl Ess ab Z. 809), scheint auch Mirko folglich zwischen guten und schlechten Fettsäuren zu differenzieren. Neben einer weiteren Parallele, die sich hierdurch zwischen den beiden YouTubern bildet, verweist jene Unterscheidung bereits auf eine Orientierung an Ernährungsnormen, welche derart ausgeprägt sein können, dass bestimmte Lebensmittel oder enthaltenen Nährwerte als beängstigend empfunden werden. Im Unterschied zu Karl Ess lässt Mirko hingegen gleich zu Beginn des Videos verlauten, dass Orangen „mega lecker“ seien, wodurch sichtbar wird, dass dieser sich nicht nur an Ernährungsnormen orientiert, sondern ebenso der Geschmack von Lebensmitteln Berücksichtigung erfährt. Dass dieser jedoch lediglich eine untergeordnete Rolle spielt, zeigt sich abermals in der daran anschließenden Sequenz:
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„Hier hinten ham=wa Milch, Soja un Hafer. Ich persönlich misch da gern durch, zwischen den drei Sachen un Wasser. Ich bin jetz nicht der Freund, wo sich jetz jeden Tag nen=halben Liter oder nen Liter Milch reinkippt, des braucht man nicht. Durch Magerquark un=so ham=wa schon mehr als genug Lactose in unsrer Ernährung mit drin, we=sofern ihr=es so macht wie ich. Ich bin jetz kein Vegetarier oder Veganer aber ich acht einfach auf=ne ausgewogene Ernährung. Einfach=n bisschen bewusster leben, n=bisschen bewusster essen.“ (Mirko: Z. 879–886)
Wie die Textpassage zu erkennen lässt, fährt Mirko auch in dieser fort seine Ernährungsweise zu erläutern. Besonders erwähnenswert erscheint hier, dass der YouTuber in diesem Abschnitt hingegen keinerlei Hinweise auf die Relevanz des Geschmacks von Lebensmitteln gibt, sondern vielmehr zum Ausdruck bringt, dass sein Hauptaugenmerk auf einer „ausgewogenen Ernährung“ liegt. Indem Mirko hervorhebt, dass er nicht jeden Tag einen Liter Milch zu sich nimmt, grenzt er sich bewusst von Personengruppen ab, die eine derartige Ernährungsweise vollziehen. Jene Abgrenzung wird einerseits an der negativ konnotierten Formulierung „reinkippen“ deutlich, andererseits aber auch an der Betonung, dass er von solchen Ernährungsweisen „kein Freund“ ist. Indem er kurz darauf betont, dass er jedoch auch kein Vegetarier oder Veganer ist, verortet er sich und seinen Ernährungsstil weiter. Diesen, so wird an verschiedenen Begriffen ersichtlich, empfindet der YouTuber als nicht extrem, weshalb er wiederholt hervorhebt, dass er nur ein „n=bisschen bewusster“ leben und essen möchte. Mirko begreift seine Ernährungsweise somit als Mittelposition zwischen derjenigen, bei der man sich Milch „reinkippt“ und derjenigen von Vegetariern oder Veganern. In diesem Sinne achtet er auf eine „ausgewogene Ernährung“, die betontermaßen bewusst vollzogen wird und durch eine hohe Vielfalt gekennzeichnet ist. Hiermit drückt Mirko zwar aus, dass Ernährungsnormen durchaus eine Relevanz für ihn haben, sich diesen jedoch nicht derart strikt angepasst werden muss, wie bei den anderen extremen Ernährungsstilen, sondern ausschließlich ein „bisschen“. Zugleich betont Mirko an der Formulierung „ich persönlich“ nochmals, dass er im Gegensatz zu Karl Ess weniger eine Ernährungsweise eines Lifestyles vorstellt, als vielmehr seinen individuellen Umgang mit Ernährungsnormen, wodurch der Charakter des Zeigens und der Reaktionseinforderung weiter gestärkt wird. Dessen ungeachtet macht der YouTuber deutlich, dass das Hauptaugenmerk in erster Linie auf dem Körper liegt und darauf, was dieser „braucht“ oder im Falle von Laktose nicht benötigt. Weiter hervorgehoben wird dieser Gesichtspunkt auch in der daran anschließenden Videosequenz, in der Mirko zudem das erste Mal andeutet, dass seine Ernährungsweise besonders für Sportler vorgesehen resp. geeignet ist:
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So: (.) gehts weiter (.) Nüsse bin ich=n ganz großer Fan davon, grad die Walnüsse, die Königin unter den Nüssen, wie in=nem anderen Video schon erwähnt. Cashewkerne schmecken mir persönlich extrem gut, a:ls Snack. Was ham wir noch, Trauben gut vor oder nachm Training, viel Fructose drin auch extrem lecker. Bananen, des is die Sportlerfrucht Nummer eins, n=Haufen Kalium und=nHaufen Magnesium mit am Start, sehr wichtig für unsere Muskelarbeit. (Mirko: Z. 886–892)
Indem der YouTuber darauf hinweist, dass Trauben „gute“, das heißt nützliche Lebensmittel, für „vor oder nachm Training“ sind, wird sichtbar, dass Mirko nicht nur Ernährungshinweise präsentiert, die alle Personengruppen betreffen, sondern vornehmlich Hinweise für diejenigen gibt, die ein Training absolvieren. Was für ein Training hiermit genau gemeint ist, lässt Mirko zwar offen, jedoch deutet sich an der Äußerung, dass Kalium und Magnesium wichtig „für unsere Muskelarbeit“ ist, bereits an, dass der YouTuber auf ein Training verweist, welches besonders die Muskulatur beansprucht. Dies wird weiter durch die Anmerkung, dass Bananen „die Sportlerfrucht Nummer eins“ sind, hervorgehoben. Trotz der Fokussierung auf die Nährwerte in Lebensmitteln tritt auch in dieser Passage zum Vorschein, wie sich Mirko erstens im Gegensatz zu Karl Ess immer wieder auf geschmackliche Aspekte bezieht und in diesem Kontext bspw. akzentuiert, dass er Cashewkerne und Trauben als sehr lecker empfindet und zweitens erneut anhand der Formulierung „mir persönlich“ seine eigene Ernährungsweise herausstellt. Dass der Geschmack und die Lust auf bestimmte Lebensmittel jedoch nicht zu jeder Zeit (wie in dem Fall) mit Ernährungsnormen konform gehen, denen sich der YouTuber möglichst umfassend anpassen möchte, offenbart sich in der darauffolgenden Sequenz: „Da:nn was ham=wa hier hinten, ham=ma noch=n paar Proteine, und zwar ham=wa hier Lachs, Räucherlachs, einmal rotes Fleisch und einmal Putengeschnetzeltes, wobei hier mit dem Putengeschnetzeltem, des nehm ich vielleicht auch einmal in der Woche, wie gesagt nicht so viel von dem Fleisch und wenns der Geldbeutel zulässt, dann gehts zum Metzger eures Vertrauens sag=ich jetz mal, weil des Zeug, wenn man ehrlich zu sich selber is, des is einfach vollgepumpt mit ähm (.) hier, wie heißt des Zeug, ich nehms schon gar nich mehr, ich weiß scho=gar nich mehr wie des heißt, aber ihr wisst was da drin is und vor allem es sind auch sehr viele Angsthormone ähm (.) mit drin, wo bei den Tieren ausgeschüttet worden sin. Wie gesagt, wenns der Geldbeutel zulässt, dann nehmts es beim Metzgers eures Vertrauens oder wenn ihr könnt, verzichtet ganz drauf (.) bin ich auch=n großer Befürworter von, wer für die Leute, wos können großen Respekt.“ (Mirko: Z. 892–905)
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Wie an der entsprechenden Textpassage der Sequenz ersichtlich wird, werden im Video Mirkos zwar weitere Normen sichtbar, die gesundheitliche Aspekte betreffen, denen er gleichzeitig jedoch nicht ganz nachkommen kann. So wird deutlich, dass er nach Möglichkeit ausschließlich Fleisch vom Metzger konsumiert, da dieses nicht mit „Angsthormonen“ der Tiere belastet sei, gleichzeitig aber einen kompletten Verzicht von Fleisch, wie dies unter anderem von Karl Ess praktiziert wird, als noch respektabler bzw. erstrebenswerter ansieht. In diesem Sinne ist Mirko zwar ein „großer Befürworter“ jenes Verzichts und hat „großen Respekt“ vor Menschen, die auf Fleisch verzichten können, jedoch gesteht er zugleich ein, dass er dies selbst nicht kann. Dass sich hierin mehr Gesundheitsnormen als ethische Werte dokumentieren, wird dabei an der Betonung der „Angsthormone“ deutlich, wohingegen Anmerkungen zum Tierwohl oder ähnliches unerwähnt bleiben. Dass erneut die Inhaltsstoffe im Fokus stehen, zeigt sich auch an dem Verweis, dass die Tiere „vollgepumpt“ sind mit etwas, dessen Namen ihm nicht einfällt und der generellen Einordnung des Fleisches in die Kategorie „Proteine“. Dass das präsentierte Putengeschnetzelte somit grundsätzlich negativ konnotiert ist und ein häufiger Konsum nicht der Ernährungsnorm entspricht, an der sich Mirko ausrichtet, wird erstens daran sichtbar, dass Mirko betont, dass er es nur „vielleicht einmal in der Woche“ zu sich nimmt und zweitens hinzufügt, dass nicht zu viel von dem Fleisch verzehrt werden sollte. Zudem wird dies durch den Hinweis auf ein Wissen über das Fleisch verstärkt, welches er seinen Zuschauer_innen attestiert. So signalisiert die Aussage „ihr wisst was da drin is“, dass diesen eine mindere Qualität von Putenfleisch bekannt sei. Hierauf weist außerdem die Betitelung des Fleischs als „Zeug“ sowie die Bemerkung hin, „wenn man ehrlich zu sich selber is“, die verrät, dass Mirko auf eine Norm oder Werte verweist, die seiner Meinung nach jedem bewusst, aber schwer zu erfüllen sind. Gleichzeitig dokumentiert sich an jener Einordnung auch eine weitere Parallele zu Karl Ess, bei dem die Kategorisierung der Lebensmittel ebenso eine zentrale Rolle spielt. Weiter betont, wird dies darüber hinaus in der darauffolgenden Sequenz: „Weiter geht’s (.) Kölln Instant Flocken, meiner Meinung nach extrem geil für Hardgainer einfach maln Shake rein, gute Kohlenhydratquelle, Hammer (.) ja schauts selbst hinten drauf=auch schön viel Zink am Start. Haferflocken für die Leute wo sagen, gute Ernährung is teuer, des Ding kost glaub knappe vierzich Cent u:nd reicht fürn paar Frühstück (.) fünfhundert Gramm, des reicht für circa drei Mal frühstücken (.) sehr geil. Weiter geht’s (.) hier ham=wa Ajvar damit tu=ich meine anderen Soßen, die ich selber mach manchmal noch=n bisschen aufpeppen. Unzwar jetz von den Inhaltsstoffen (.) ich weiß nich ob ihrs erkennen könnt, aber extrem
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geil. Vierundachtzig Prozent rote Paprika, sieben Prozent Auberginen, Sonnenblumenöl un=der Rest, da bleibt nicht mehr viel übrig, en=bisschen Zucker is natürlich auch drin aber kein Problem.“ (Mirko: Z. 905–916)
Wie die Textpassage der Sequenz 3 aufzeigt, führt Mirko die Kategorisierung der Lebensmittel nach verschiedenen Nährwerten fort. In diesem Sinne erklärt er bereits im ersten Satz, dass „Kölln Instant Flocken“ sich überwiegend durch ihre „guten Kohlenhydrate“ kennzeichnen und einordnen lassen. Des Weiteren ist auffällig, dass Mirko, wie Karl Ess, auf den Kostenaspekt eingeht. So weist er in ähnlicher Weise wie Letzterer darauf hin, dass eine „gute Ernährung“ keine Frage des Geldes sei. Hierbei wird ersichtlich, wie Mirko in nahezu identischer Weise wie Karl Ess zwischen guten und schlechten Kohlenhydraten und Ernährungsweisen unterscheidet (Karl Ess ab Z. 809). Zugleich weist der YouTuber in diesem Kontext darauf hin, dass eben jene Kohlenhydrate speziell für „Hardgainer“ geeignet sind. Neben der sich hieran abzeichnenden Überzeugung auf ein mit den Zuschauer_innen geteiltes konjunktives Wissen, welches durch das Auslassen einer Erklärung der Bezeichnung „Hardgainer“ zum Vorschein kommt, wird an der Aussage besonders der Bezug zum „Fitness-Lifestyle“ und der Körpermodellierung weiter hervorgehoben. Die anschließende Äußerung „schauts selbst hinten drauf“, fordert die Zuschauer_innen einerseits auf, die Information zu bekräftigen und selbst zu falsifizieren, andererseits ruft Mirko seine Rezipient_innen hiermit dazu auf, selbst Nährwertangaben zu überprüfen und die vorgeführte Alltagstechnik anzuwenden. Denn wie kurz darauf an dem präsentierten Glas Ajvar sichtbar wird, nimmt die Überprüfung der Inhaltsstoffe und Nährwerte eine zentrale Rolle im alltäglichen Umgang mit Lebensmitteln für den YouTuber ein. Die besondere Begutachtung des Glases sticht dabei primär deshalb heraus, da es im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Nahrungsmitteln bereits industriell verarbeitet wurde und mehrere Zutaten beinhaltet. In ähnlicher Weise wie Karl Ess diesen Umstand zum Anlass nimmt, um die Inhaltsstoffe eines präsentierten Convenience-Produkts zu überprüfen, erläutert auch Mirko detailliert, aus welchen Komponenten sich das Produkt zusammensetzt. Besondere Aufmerksamkeit erhält dabei der zuletzt genannte Zucker, indem dieser mit der Bemerkung „aber kein Problem“ versehen wird. Dieser Kommentar signalisiert, dass Zucker zwar eigentlich ein Problem darstellt und somit gemieden werden sollte, jedoch aufgrund des geringen Anteils, der „natürlich“, also aus der Sicht Mirkos gewissermaßen unausweichlich enthalten sein muss, unproblematisch erscheint. Wie die Analysen zeigen, attestiert der YouTuber seinen Zuschauer_innen demnach wiederholt ein spezielles Wissen hinsichtlich einer normkonformen Ernährung und nimmt dieses als geradezu
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selbstverständlich an, weshalb die Erläuterungen der Ernährungsnormen mal mehr, mal weniger explizit und ausführlich ausgeführt werden. Besonders deutlich wird dies auch in der Textpassage der letzten Sequenz, in welcher der YouTuber nochmals ausdrücklich auf eine zu beachtende Norm hinweist: „Dann Oliven u:nd Bohnen. So ein Pack Bohnen hat auch wieder zwanzig Gramm Eiweiß circa, wien Proteinshake, also ihr könnt euch ruhig ma=so Kidneybohnen reinziehen, habt ihr auch Ballaststoffe mit drin. U:nd wieder mal ein Klassiker (.) Speisequark hier in der Magerstufe. Wolln ja nich zu viel gesättigte Fettsäuren (.) aufnehmen. Hat Kalzium mit drin, hat gute Proteine drin (.) Casein-Protein zum Großteil, könnts ihr auch gern mal vorm Schlafengehen nehm, weil des CaseinProtein, braucht=n bisschen länger vom Körper her bis=es aufgenommen werden kann, daher seid ihr versorgt über Nacht, sag=ich jetz mal, weil ihr da=ja ne sehr lange Durststrecke habt, weil ihr da (.) nicht jeder in der Nacht (.) ähm essen geht (.) oder die wenigsten u:nd so habt ihr auch in der Nacht, wenn ihr schlaft eine gute Eiweißversorgung (.) sehr zu empfehlen abends.“ (Mirko: Z. 916–928)
Indem Mirko akzentuiert, dass „nich zu viel gesättigte Fettsäuren“ aufgenommen werden sollen, wird deutlich erkennbar, wie der YouTuber seine Ernährung einerseits selbst an bestimmten Regeln ausrichtet, diese andererseits aber auch seinen Rezipient_innen nahelegt. Wie an der stetigen Betonung sichtbar wird, scheinen Proteine in diesem Regelsystem eine zentrale Rolle zu spielen. Nachdem auf diese schon wiederholt in einer vorherigen Sequenz eingegangen wurde, hebt Mirko auch in der letzten Sequenz sechsmal die Wichtigkeit von Proteinen bzw. Eiweißen hervor. Dieses gilt es sich „reinzuziehen“ und vor dem Schlafengehen zu konsumieren, damit die „Eiweißversorgung“ zu jeder Tages- und Nachtzeit gewährleistet ist. Insgesamt wird hieran sichtbar, dass sich Mirko nicht nur an bestimmten Ernährungsnormen orientiert, die große Parallelen zu denen von Karl Ess aufweisen, sondern er seine Lebensmittel ebenfalls wie dieser kategorisiert und sich auf eine ausreichende Versorgung des Körpers mit Nährstoffen fokussiert, wobei insbesondere Proteinen eine wichtige Rolle zukommt. Wie Karl Ess richtet sich Mirko jedoch nicht nur selbst an jener Ernährungsweise aus, sondern legt diese maßgeblich mit appellativen Ratschlägen und Zubereitungshinweisen auch seinen Rezipient_innen ans Herz. Gleichzeitig wird an den Ausführungen erkennbar, dass beide YouTuber nicht nur Ratschläge zum schnellen Muskelaufbau geben, sondern zudem allgemeine Hinweise zu einer „gesunden“ bzw. „ausgewogenen“ Ernährung mit einfließen lassen. Zusätzlich werden die Erläuterungen in beiden Videos mit Fachtermini aus dem Fitnessbereich einerseits sowie mit teilweise sehr genauen Nährwertangaben andererseits untermauert. Analog zu Karl Ess
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betont der YouTuber Mirko so bspw. in der letzten Sequenz den Proteingehalt von Kidney-Bohnen oder liest die Inhaltsstoffe inklusive Prozentangabe einer fertigen Soße vor. Neben jenen Parallelen, die größtenteils auf eine geteilte Wahrnehmung von weitestgehend ähnlichen Ernährungsnormen verweisen, zeigt der Videovergleich außerdem Kongruenzen, die auf der Ebene des Umgangs mit den normativen Ordnungen anzusiedeln sind. So wird an den Analysen deutlich, dass sich Mirko in ähnlichem Maße versucht den Normen anzupassen und deswegen gezielt auf seine Ernährung achtet, indem er bspw. Nährwertangaben kontrolliert oder bewusst versucht, bestimmte Nahrungsmittel in expliziten Mengen und an gezielten Tageszeiten zu sich zu nehmen. Des Weiteren ordnet er hierzu Lebensmittel in Kategorien ein. Im Gegensatz zu Karl Ess werden in Mirkos Video jedoch stärkere Spannungsverhältnisse zwischen Norm und Habitus sichtbar. So kann sich dieser nicht allen Ernährungsnormen anpassen und isst weiterhin Fleisch, auch wenn er dies eigentlich vermeiden will. Die sich noch bei Karl Ess abzeichnende Subjektnorm der Selbstdisziplinierung dokumentiert sich dementsprechend weitaus weniger im Video von Mirko. Zwar wird erkennbar, dass dieser sich auch versucht an Ernährungsnormen auszurichten, jedoch steht hierbei die Disziplinierung nicht derart im Fokus. Vielmehr zeigen die stetigen Verweise auf das Herz, die Muskeln oder bestimmte Zellen im Körper, dass die Kontrolle der Ernährungsweise der Sorge um den eigenen Körper gilt und nicht einer Stärkung oder Bewährung der Selbstdisziplin. Darüber hinaus sind zudem Parallelen zwischen den YouTubern zu erkennen, die auf der Ebene des Habitus anzusiedeln sind. Zunächst treten hierbei sprachliche Gemeinsamkeiten in Erscheinung. Demnach lassen sich semantisch sehr ähnelnde Sprachmuster zwischen den Videoproduzenten erkennen. Am deutlichsten wird dies an den Wörtern „so“, „dann“ und „jetzt“, welche von Karl Ess zwölf, fünfzehn und siebzehn Mal verwendet sowie von Mirko neun, sieben und erneut sieben Mal benutzt werden. Weitere Kongruenzen finden sich zudem in den etwas weniger geläufigen Redewendungen wie bspw. „extrem gut“ und „am Start“, welche ebenso von beiden YouTubern gebraucht werden sowie der Metapher der „Kings“ bzw. „Königin“ in der Kategorie der Samen und Nüsse. Diese verweisen nicht nur auf einen ähnlichen Habitus oder direkte Nachahmungen, sondern die legere und saloppe Ausdrucksweise verortet die beiden YouTuber auch in einem eher jugendlichen Milieu. Dieses dokumentiert sich immer wieder durch Formulierungen wie „reinziehen“, „extrem geil“ und „reinkippen“ von Mirko oder „reinspaziert“, „richtig geil“ sowie „absoluter Killer“ auf der Seite von Karl Ess. Wie ein Blick auf die Abbildungen 6.26 und 6.27 zudem verrät, stechen auch Gemeinsamkeiten hinsichtlich des Aussehens der YouTuber heraus.
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Dementsprechend tragen beide einen sportlich-legeren Kleidungsstil, eine silberne Halskette sowie einen Drei-Tage-Bart. Weitere Gemeinsamkeiten auf bildlicher Ebene, die sich nicht nur auf die Kameraführung reduzieren, kommen dabei immer wieder in verschiedenen Sequenzen zum Vorschein und dokumentieren hierdurch große Übereinstimmungen des Habitus, welche wiederum zusätzlich auf Nachahmungsprozesse hinweisen. Besonders deutlich kommt dies in den folgenden beiden Fotogrammen zum Vorschein. Zu sehen ist hier, wie zunächst Karl Ess in Abbildung 6.30 sowie im Anschluss daran Mirko in Abbildung 6.31 eine Lebensmittelverpackung von der Ablagefläche nehmen, um die darauf abgedruckte Nährwerttabelle anschließend mit der Kamera zu fokussieren. Abbildung 6.30 Karl Ess: 03.00 min.
Abbildung 6.31 Mirko: 03.27 min.
An der Gegenüberstellung der Fotogramme wird erkennbar, wie beide Videoproduzenten eine Alltagstechnik anwenden und präsentieren, die primär als Kontrollhilfe dient. So wird zunächst sichtbar, dass beide YouTuber die Produktverpackungen derart ausrichten, dass die aufgedruckte Nährwerttabelle gerade zur Kamera gerichtet ist. Zwar wird die Tabelle im Video von Karl Ess nicht durch
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eine Zentrierung hervorgehoben, wie dies Mirko durchführt, jedoch verweist der YouTuber durch seinen Daumen auf die einzelnen Tabellenzeilen der Nährwertangaben. Zusätzlich unterstrichen wird die zentrale Bedeutung der Tabelle, indem diese in beiden Fällen möglichst nah an die Kameralinse gehalten wird. Wie ein Blick auf die Sequenzialität verdeutlicht, werden die fokussierten Nährwerttabellen auf den Produktverpackungen in beiden Fällen kontrolliert, um zu überprüfen, ob die Lebensmittel aufgrund ihrer Nährstoffzusammensetzung konsumiert werden sollten bzw. dürfen oder nicht. An den Fotogrammen dokumentiert sich daher, wie Mirko die Alltagstechnik zur Kontrolle und Anpassung an Ernährungsnormen in nahezu identischer Weise wie Karl Ess anwendet und präsentiert. Wie ein Blick auf die Fotogramme zeigt, unterstreicht Karl Ess jedoch durch den rotumrahmten Schriftbanner mit dem Titel „Komm in mein Team!!!“, welcher sich in der oberen rechten Ecke des Fotogramms befindet, stärker als Mirko die eigene Inszenierung als ‚Teamleader‘ bzw. Mentor. Zugleich wird hieran der enorm auffordernde Charakter des Videos deutlich, welcher durch den Einsatz von drei Ausrufezeichen zum Ausdruck kommt. Trotz jener leichten Differenz zum Fotogramm, das dem Clip Mirkos entnommen wurde, dokumentiert sich schließlich nochmals im letzten Fotogrammvergleich der beiden Videos, wie stark die Gemeinsamkeiten zwischen den YouTubern auch im Hinblick auf die eigene Ernährung sowie die Präsentation dieser sind. In diesem präsentieren die Videoproduzenten jeweils eine Dose Kidney-Bohnen. Die Ansicht dieser zwei Fotogramme verdeutlicht, dass in beiden Bildern die Konservendosen, in ähnlicher Weise wie die Orangen in den Abbildungen 6.28 und 6.29, hervorgehoben werden. Im Gegensatz zu den Orangen wird jedoch nicht lediglich auf diese gezeigt, sondern sie werden von der Ablagefläche gehoben und vor die Kameralinse gehalten. In den Abbildungen 6.32 und 6.33 unterscheidet sich in diesen Sequenzen jedoch die szenische Choreografie zwischen beiden Fotogrammen. Befindet sich die Dose Kidney-Bohnen in Abbildung 6.32 seitlich neben dem Kopf von Karl Ess, wird sie in Abbildung 6.33 von Mirko zentriert vor die anderen Lebensmittel gehalten, die sich weiterhin auf der Ablagefläche befinden. Trotz jenes Unterschieds, die abermals eine stärkere Selbstdarstellung von Karl Ess zum Vorschein bringt, erhalten die Kidney-Bohnen bei beiden YouTubern eine besondere Aufmerksamkeit. Hierdurch offenbaren sich insgesamt derart große Gemeinsamkeiten zwischen den Videos, dass diese auf umfangreiche Nachahmungsprozesse oder einen äußerst ähnlichen Habitus hinweisen. Wie an den Fotogrammen zudem sichtbar wird, verdeutlichen die beiden YouTuber im Wechsel von Zeigen und Beschreiben in der subjektiven Kamera, dass sie die im Lifestyle vorhandenen Ernährungsnormen derart routiniert in den eigenen Alltag eingeschrieben haben, dass sie diese sozusagen im Vorübergehen bzw. im Gang
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durch die Küche wiedergeben können. Hieran dokumentiert sich, wie sehr sich die YouTuber die Normen aneignen konnten und diese habitualisiert haben. Abbildung 6.32 Karl Ess: 05.45 min.
Abbildung 6.33 Mirko: 04.19 min.
Anders als im Fall von Lena und LaurenCocoXO, bei denen ausschließlich starke Kongruenzen rekonstruiert werden können, die auf spielerische Nachahmungen verweisen, zeigt der Vergleich zwischen Karl Ess und Mirko, wie nicht nur Parallelen in der Videogestaltung zum Vorschein kommen, sondern ebenso im Umgang mit normativen Ordnungen. Aufgrund des hohen Grades der Gemeinsamkeiten weisen diese zwar auf Nachahmungsprozesse und die Reproduktion von Normen hin, jedoch bleiben der Rezipientenstatus und die unmittelbare Reproduktion nicht eindeutig rekonstruierbar und daher vage. Dennoch zeigt sich, dass auch im Video Mirkos die Lebensmittel primär als Nährstofflieferanten angesehen und hinsichtlich ihres Nutzens für den Körper beleuchtet werden. Zwar spielt der Genuss von Lebensmittel ebenfalls bei Mirko eine untergeordnete Rolle, jedoch wird hauptsächlich in der komparativen Analyse zu Karl Ess deutlich, dass Mirko geschmackliche Aspekte zumindest des Öfteren berücksichtigt. Die grundlegende Betrachtungsweise des von Karl Ess
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präsentierten „Fitness-Lifestyles“, Ernährung zu technologisieren und sich somit fast nahezu ausschließlich auf die enthalten Nährwerten zu fokussieren, beherzigt auch der YouTuber Mirko und er zeigt an seinem routinierten Umgang mit den Lebensmitteln, dass er die Ernährungs- und Handlungsweisen des Lifestyles verinnerlicht hat. So prüft Mirko bspw. ähnlich wie Karl Ess Nährwertangaben auf Nahrungsmitteln und ordnet diese in Kategorien ein. Ebenso folgt er der Norm, dass die Lebensmittel immer einen Mehrwert für den eigenen Körper erbringen und nicht zum bloßen Genuss verzehrt werden sollten. Wie beim vorgelebten Lifestyle des YouTubers Karl Ess liegt ebenfalls der Nutzen bei Mirko nicht nur im schlichten Muskelaufbau, sondern bspw. auch in der Erhaltung der eigenen Gesundheit bzw. dem optimalen Funktionieren des Körpers. Dementsprechend betont gleichermaßen Mirko die Relevanz von bspw. Ballaststoffen oder Vitaminen und seine Ernährungsweise erscheint ebenso an Gesundheitsnormen ausgerichtet zu sein. Dennoch dokumentiert sich die Ausrichtung an der Norm der Disziplinierung bei Mirko etwas weniger essenziell und impliziter. Vor allem da auch der Genuss von Lebensmitteln für den YouTuber zumindest eine gewisse Relevanz hat und sich Mirko zwar an Ernährungsnormen ausrichtet, diese jedoch nicht immer erfüllen kann, wird erkennbar, dass die Selbstdisziplinierung nicht derart zentral ist wie bei Karl Ess. Insgesamt werden die Normen (insbesondere der Selbstdisziplinierung) in diesem Fall daher nicht wie bei Sophia Thiel am eigenen Körper und dessen Geschichte festgemacht, sondern an der Alltagspraxis des Einkaufens, sich Ernährens bzw. anhand einer routiniert-reflektierten Auswahl der Nährstoffe. Im Gegensatz zu der YouTuberin dient die Lust an der Disziplin nicht dem Setzen immer neuer konkreter Ziele, wie bspw. der Qualifikation für Meisterschaften, sondern sie ist eingebettet in einem abstrakten, unaufhörlichen Streben der Körperregulierung und -formung, welches jedoch weder explizit genannt wird, noch gänzlich erreichbar scheint. Somit dokumentiert sich ebenfalls ein Streben, Gelüste (denen sich andere ‚Undisziplinierte‘ hingeben) zu ersetzen zugunsten einer unabschließbaren Arbeit an sich selbst. In der Repräsentation jener Alltagspraxis wird bei Mirko hingegen deutlicher als bei Karl Ess, dass er seinen Rezipient_innen nicht nur einen Lifestyle erklären möchte, sondern bei seinen Zuschauer_innen auch um ein Feedback bzw. um eine Bestätigung in der Erfüllung des Lifestyles resp. der Normen wirbt. Hieran wird erkennbar, dass sich die Normen vor allen Dingen durch ihre öffentliche Aufführung reproduzieren und sich hierdurch wiederum der appellative Charakter stärkt. Im Ganzen betrachtet, unterscheidet sich die Videokaskade Mirkos zu den vorgestellten genretypischen Charakteristika sowie den spielerischen Nachahmungen von Antonia und Lena somit im Wesentlichen darin, dass nicht nur bemerkenswerte
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Analogien zum Video von Karl Ess auf bildlicher und semantischer Ebene rekonstruiert werden konnten, sondern sich insbesondere eine Ausrichtung an nahezu gleichen Ernährungs- und Gesundheitsnormen dokumentieren, die zugleich mit der der Subjektnorm der Selbstdisziplinierung verbunden ist. Im Unterschied zu der spielerischen Nachahmung Lenas, die derart große Homologien aufwies, dass auch von einer Imitation gesprochen werden kann, verweisen die Kongruenzen zwischen den beiden männlichen YouTubern zudem eher auf mimetische Nachahmungen von Mirko. Mimetische Nachahmungen kennzeichnen sich in diesem Kontext dadurch, dass sich Mirko zwar in Bezug zu den Bildern von Karl Ess setzt, jedoch in der Nachahmung gleichzeitig eine Differenz bewahrt, welche nach Wulf, trotz des Begehrens ähnlich zu werden, auf ein Verlangen nach Unterscheidung und Eigenständigkeit zurückzuführen ist. Genau hierdurch unterscheidet sich die Mimesis von der reinen Nachahmung und bloßen Imitation. So ist die Mimesis vielmehr eine kreative Nachahmung, in der sich die Akteur_innen in Bezug setzen zu anderen Menschen (vgl. Geimer 2010: 232 f.; Villa 2013: 73 ff.). Der ursprünglich entscheidend von Aristoteles und Platon geprägte Begriff Mimesis bezeichnete in seiner anfänglichen Bedeutung eine Nachahmung in den Bereichen der Kunst und Ästhetik, wobei Aristoteles bereits auf die anthropologische Bedeutung der Mimesis hinwies und erklärte, dass der Mensch seine ersten Kenntnisse durch Nachahmung erwirbt (vgl. Wulf 1994: 22). Insbesondere Wulf griff diesen Aspekt auf und erweiterte die Definition um das Verständnis, dass der Terminus erstens nicht ausschließlich auf die Bereiche der Kunst, Dichtung und Ästhetik beschränkt werden sollte und zweitens Mimesis nicht nur ‚Nachahmung‘, sondern darüber hinaus ‚sich ähnlich machen‘ bedeutet. Durch diese Ausweitung erfährt das Verständnis des Begriffs eine entscheidende Abwandlung dahingehend, dass mimetische Aneignungen nicht bloße Kopien darstellen, sondern in ihrer Ähnlichkeit immer auch eine kleine Veränderung aufweisen. Die durch die Einbildungskraft des Rezipienten hervorgerufenen Modifikationen der Nachahmung erhalten hierdurch eine neue Qualität, sodass die Mimesis sich somit obendrein nach vorn richtet, so Wulf (vgl. Wulf 1989: 83 ff.).9 Dementsprechend kann auch von einer Anähnlichung des Subjekts an einen anderen Menschen gesprochen werden, in der das Subjekt die Möglichkeit hat, die „Außenwelt in seine Innenwelt hineinzuholen und seine Innenwelt auszudrücken“ (Wulf 1994: 24). In diesem
9 Hiermit
schließt der Begriff auch an Derridas Verständnis der ‚Iteration‘ an, die den Eigensinn von Gesten oder sprachlichen Äußerungen hervorherbt und betont, dass es keine identischen Wiederholungen geben kann (vgl. Villa 2013: 75).
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Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
Sinne integriert das Subjekt andere Personen in seine eigene Welt und imitiert diese in leicht abgeänderter Form. Wie dicht Reproduktionen von Darstellungsweisen, Subjektnormen und habituellen Aspekten zusammenliegen und sich gegenseitig ergänzen, verdeutlicht auch ein weiterer Vergleich der Videos der YouTuber ExFitness und Peter. In diesem wird demnach in ähnlicher Weise wie in der zuvor durchgeführten komparativen Analyse sichtbar, wie immense Analogien zwischen den Videoproduzenten im Hinblick auf die Präsentation einerseits sowie der Erfahrung und den Umgang mit verschiedenen Normen andererseits bestehen. Erneut weisen die großen Gemeinsamkeiten zwar auf Nachahmungen und eine Orientierung von Peter an ExFitness hin, jedoch lässt sich ebenso in diesem Fall der Rezipientenstatus nicht eindeutig klären, da dieser nicht explizit genannt wird. Beginnend mit einem Blick auf die textliche Ebene des Videos von Peter wird zunächst deutlich, wie dieser mit der Präsentation eines „Cheatdays“ nicht nur das gleiche Videokonzept wie ExFitness zeigt, sondern sich in ähnlicher Weise auch an unterschiedlichen Normen ausrichtet. Zwar dokumentiert sich in der ersten Sequenz des Videos hauptsächlich eine differente Auffassung des Cheatdays, jedoch verdeutlicht gerade jene Abweichung zu Beginn, wie sich die Differenz im Verlauf des Videos immer weiter abschwächt. „Hallo Leute un=herzlich Willkommen zu einem neuen Video hier auf meinem Kanal. Heute wirds n=bisschen lustiger auf meinem Kanal werden, denn ich=hab mir gedacht, ich dreh die zehntausend Kalorien Challenge. Nee so=is das nich richtich glaub=ich (.) nee (.) Kalorien (.) zehntausend Kalorien Cheatday Challenge, so jetz. Die Challenge dahinter besteht einfach darin, dass ich den ganzn Tag versuchen werde irgendwie auf meine zehntausend Kalorien (.) zu komm. Ich weiß nich, ob ich=es schaffen werd, ich bin=auch ehrlich gesagt schon n=bisschen aufgeregt. Ich kann euch sagen Leute (.) des wird n=heftiger Cheatday un was ich alles eingekauft hab, seht ihr jetz.“ (Peter: Z. 1135–1144)
Wie die Textpassage der Sequenz zu erkennen gibt, hebt der YouTuber den Cheatday in erster Linie als „Challenge“, also als Herausforderung hervor. Hieran deutet sich bereits an, dass die Bedeutung des Ausnahmetags für Peter eine andere darstellt als für ExFitness. Besonders klar kommt dies auch in der Betonung zum Vorschein, dass das Video auf dem Kanal bzw. der Tag „ein bisschen lustiger“ wird. Wie sich hieran dokumentiert, scheint Peter den Cheatday nicht derart ernst zu nehmen wie ExFitness. Dies wird auch hierdurch deutlich, dass bei Peters Motivation kein Ziel erkennbar wird, warum der Cheatday überhaupt durchgeführt wird. Im Gegensatz zu ExFitness geht es ihm offenbar in erster Linie nicht
6.2 Die Reproduktion von Subjektnormen und Videoinhalten
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darum, eine Diät länger durchzuhalten oder die Lust auf „ungesunde“ Lebensmittel zu verlieren, sondern lediglich die Herausforderung anzunehmen und sich und seinen Körper zu testen. Indem Peter hierbei versucht, den Namen der Challenge exakt zu bezeichnen, was an der wiederholten Ankündigung zum Vorschein kommt, wird ersichtlich, dass Peter bereits einen konkreten Namen im Kopf hat, den es zu benennen gilt. Einerseits deutet sich hieran eine Nachahmung an, andererseits wird durch die Nennung der „Zehntausend Kalorien Cheatday Challenge“ sichtbar, dass der YouTuber seinen Fokus auf Kalorien legt und Lebensmittel auch unter diesem Aspekt betrachtet. Dass Peter darüber hinaus ebenfalls eine Unterteilung in gesunde und ungesunde Nahrungsmittel vornimmt, wird zudem in der nachfolgenden Sequenz erkennbar: „Wie ihr seht ähm mega=viel ungesundes Zeug dabei @ eigentlich is nichts davon gesund. Ich werde heute den ganzen Tag versuchen diese ganzen Sachen aufzuessen und werde euch immer die Werte und die Kalorien ähm (.) ja=von den Sachen einblenden. Für=euch da draußen, damit ihr mitzählen könnt oder vielleicht denselben Cheatday wiederholn könnt. Damit ich vielleicht den=einen oder andern da=draußen mit meinen Ideen n=bisschen inspirieren kann. Auf jeden Fall will=ich garnich weiter reden un=wir sehn uns gleich wieder, viel Spaß.“ (Peter: Z. 1144–1151)
Wie die Textpassage der zweiten Sequenz offenbart, weist Peter direkt zu Beginn darauf hin, wie ungesund das Essen ist, welches er im Zuge des Cheatdays verzehrt. So werden die Lebensmittel abschätzig als „Zeug“ beschrieben. Zwar erläutert der YouTuber nicht explizit, was genau er an den Nahrungsmitteln als ungesund empfindet, jedoch deutet der Hinweis auf die „Werte“, also die enthaltenen Nährwerte und die Kalorien darauf hin, dass es hauptsächlich diese sind, auf welcher die Einschätzung basiert. Indem Peter in ähnlicher Weise wie ExFitness seinen Zuschauer_innen die aufgenommenen Nährwerte und Kalorien präsentiert, ermöglicht er den Rezipient_innen zudem eine Kontrolle der Angaben. Besonders hervorgehoben wird die Kontrollfunktion durch die Aussage, dass die Informationen es den Rezipierenden erlauben, mitzuzählen. Der daran anschließende Hinweis, dass die eingefügten Nährwerttabellen den Zuschauer_innen zudem vereinfachen sollen, den Cheatday zu „wiederholen“ und sie sich „inspirieren“ lassen können, weist einerseits erneut auf die große Bedeutung von Produktionskaskaden hin, andererseits deutet sich hieran abermals eine eigene Wiederholung bzw. Nachahmung des YouTubers an. Dass diese jedoch nicht im Vordergrund steht, sondern das Video vielmehr der Unterhaltung dienen soll, zeigt sich schließlich im letzten Satz der Sequenz, indem Peter seinen Zuschauer_innen „viel Spaß“ beim Schauen des Videos wünscht. Ratschläge und Appelle zur Umsetzung und
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Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
Beachtung von Normen, wie sie von ExFitness immer wieder geäußert wurden, finden sich hingegen bei Peter nicht. Wie die nachfolgende Sequenz zu erkennen gibt, kommt die Rolle von normativen Ordnungen im Video des YouTubers vielmehr implizit über Äußerungen und Kommentierungen eigener Empfindungen zum Ausdruck: „So Leute, dann gehts jetz auch=schon los mit meim Frühstück un das wird bestehn aus hundertfünfzich ä:h Gramm Ciniminis un=ähm (.) ja diese Kinder-Croissants. Hundertfünfzich Gramm sin=einfach fast die halbe Packung=davon. Des is=jetzt natürlich gesund fast schon, die eins Komma fünf Prozent Fett Milch (.) un=die komm jetz für circa ne Minute in die Mikrowelle. So: das=is jetz das Frühstück, wie ihr seht drei Crossaints. Da is=noch Nutella also Schokolade drin (.) hier meine Ciniminis. Boah das=is so süß=ne, des=is so: ekelhaft nach=ner Zeit. Also die Ciniminis gingen noch voll klar, aber=jetz diese Croissants (.) boah.“ (Peter: Z. 1151–1159)
In der dazugehörigen Textpassage der dritten Sequenz, stellt Peter mit dem Frühstück die erste Mahlzeit seines Cheattages vor. Hier führt der YouTuber die Unterteilung von „ungesunden“ und „gesunden“ Lebensmitteln fort, wie an der Anmerkung sichtbar wird, dass die verwendete Milch mit 1,5 Prozent Fettanteil „fast schon gesund“ ist. Durch die Betonung des Fettanteils in der Milch gibt Peter zu erkennen, dass es maßgeblich dieser ist, der als Kriterium für die Einteilung fungiert. Hieran zeichnet sich zwar noch keine explizite Ernährungsnorm ab, jedoch wird erneut deutlich, welch wichtige Rolle die Nährwerte für den Videoproduzenten spielen. Ferner kommt am Schluss der Sequenz zum ersten Mal zum Ausdruck, wie sich der YouTuber in ähnlicher Weise wie ExFitness vor der großen Anzahl an süßen Lebensmitteln ekelt. Dass es neben der Süße vorwiegend die Menge des Frühstücks ist, die den Ekel auslöst, wird dabei vor allen Dingen an der Formulierung „nach ner Zeit“ deutlich, wobei die Aussage insgesamt durch die Ausrufe „boah“ am Anfang und am Ende des Satzes bekräftigt wird. Neben dieser Ausdrucksform erscheint zudem die Äußerung „so Leute“ durch ihre wiederholte Verwendung besonders auffällig. Wie die folgende Textpassage zu erkennen gibt, leitet die Formulierung auch die daran anschließende Sequenz des Videos ein: „So Leute das erste Essen is geschafft, also=hier is der Teller. Wir habn jetz (.) viertel=nach eins, sin=jetz vor drei Stunden hab ich gegessen (.) vor vier (.) irgendwie so @. Ähm (.) mir gehts jetz wieder gut un=ich hab auch ordentlich Hunger und werde jetz die Pancakes machen. Das sin=jetz meine Pancakes @ mit der Oreocreme oben drauf=ähm. Ich hab hier mein äh (.) ja=en bisschen Zewa genommen,
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weil ihr seht, es war n=bisschen zu viel und es=is übergelaufen (.) und das Restliche, hab=ich hier noch drin. So Leute, ich=hab grade die Pancakes aufgegessen un=Leute oh=mein Gott (.) das war heftig, aber war mega=lecker. Ihr müsst unbedingt, also=ich hab euch=ja eingeblendet was=ich reingemacht hab. Probiert=ma die Pancakes mit den Blaubeeren un=dann mit der ähm Oreocreme aus. Jetzt bin=ich auf jeden Fall kaputt. Damit ich n=bisschen aufwache, hab=ich mir gedacht, dass ich mir noch=ne Cola hole. Kalorien blende ich euch jetz kurz ein. Un=ich hab mir vorgenommen heut=eine ganze Haribo-Packung noch zu essen. Damit mir nich irgendwer vorhält, dass=ich irgendwie lüge oder=so @ hier der Beweis, dass ichs auch wirklich trinke. Un=hier die Schlümpfe, absolute Zuckerbombe @ aber ersma (.) de Schlümpfe (.) so (.) so (.) gut.“ (Peter: Z. 1160–1176)
Indem Peter zu Beginn des Filmabschnitts darauf hinweist, dass es ihm wieder gut geht, deutet der YouTuber darauf hin, dass es ihm zuvor offensichtlich schlecht erging. Über die genauen Gründe hierfür lässt er seine Rezipient_innen jedoch im Unklaren. Allein der Hinweis auf den Ekel und die Bemerkung, das Essen „geschafft“ zu haben, weisen auf das Unwohlsein in Verbindung mit dem vielen Essen hin. Ferner deutet hierauf auch der im Zusammenhang mit den verzehrten Pancakes getätigte Kommentar hin, jetzt „auf jeden Fall kaputt“ zu sein. So hebt der YouTuber hervor, dass die zubereiteten Pancakes zwar „mega lecker“ waren, jedoch ebenso müde bzw. „kaputt“ machen. Diesen Effekt betont der Videoproduzent zudem durch die anschließende Erklärung, sich eine Cola zu holen um aufzuwachen. Im Gegensatz zu ExFitness warnt Peter jedoch nicht vor den hoch kalorienhaltigen Pancakes, sondern empfiehlt seinen Zuschauer_innen vielmehr diese nachzubacken. Auch indem der YouTuber am Ende der Passage verlauten lässt, die verzehrten Schlümpfe seien zwar eine Zuckerbombe aber gleichzeitig „so, so gut“, wird ersichtlich, dass der Genuss bei Peter zu überwiegen scheint und der bei ExFitness zu beobachtende disziplinierende Charakter eine noch nahezu unbedeutende Rolle spielt. Dennoch wird an verschiedenen Stellen immer wieder implizit erkennbar, dass die präsentierte Ernährungsweise der Norm widerspricht und eigentlich gemieden werden sollte. Denn indem der YouTuber betont, dass er explizit einen Beweis geben möchte, dass er die Cola auch tatsächlich trinkt, wird sichtbar, dass der Verzehr des Getränks als besonders außergewöhnlich bzw. nonkonform einzustufen ist. In diesem Sinne erscheinen somit ebenso die weiteren präsentierten Lebensmittel als Exempel für eine „ungesunde“ und in der Regel zu vermeidende Nahrung. Diese nämlich, so gibt der YouTuber in der nachfolgenden Sequenz implizit zu erkennen, führt zu Übelkeit und Antriebslosigkeit. „Ich konnte bis=jetz noch nich ins Gym gehn, weil mir ehrlich gesagt zu schlecht is @, also ekelhaft einfach. Ich muss mal überlegen, ob=ich heut überhaupt noch ins Gym gehe. Ich werd jetz auf jeden Fall mir=ne Pizza machen, weil sonst
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schaff=ich die zehntausend Kalorien niemals im Leben (.) werd die mit schön viel Käse belegen. So hier hab=ich einmal den Käse und einma=meine Lieblingspizza, die ich eigentlich in jedem Blog bis=jetz glaub ich gegessen hab @ u:nd jetz werd ich euch hier die Werte für beide Sachen einblenden. Oke=Leute (.) kurzes Update, n=bisschen mehr als die Hälfte geschafft, oh=mein Gott ey. So Leute, die Pizza is weg und alter.“ (Peter: Z. 1176–1185)
Wie die Textpassage der Sequenz offenbart, löste das viele Essen nicht nur Ekel und Unwohlsein beim YouTuber aus, sondern wie bereits der erste Satz deutlich macht, hat es unmittelbare Folgen auf die Motivation bzw. Möglichkeiten, ins „Gym“ zu gehen und somit Sport zu treiben. An diesen Beschreibungen wird ersichtlich, dass Peter folglich nicht nur indirekt vor den negativen Auswirkungen der Ernährungsweise warnt, sondern es zeigt sich zudem eine eindeutige Parallele zum Video von ExFitness. So nimmt insbesondere die Warnung vor ungesunden Lebensmitteln und deren Folgen eine zentrale Rolle im Video des Videoproduzenten ein. Gleichzeitig wird deutlich, wie Peter ebenso wie ExFitness gewillt ist, trotz des Ausnahmetags ins Fitnessstudio zu gehen. Obwohl der YouTuber immer wieder seine Übelkeit und andere negative Folgen der Ernährung hervorhebt, merkt dieser dennoch an, dass er erneut seine „Lieblingspizza“ verzehren will. Vor allem am Hinweis, dass er die Pizza in jeden seiner Clips gegessen hat, dokumentiert sich eine ambivalente Haltung gegenüber den präsentierten Lebensmitteln. Einerseits betont Peter direkt zu Beginn des Videos, wie „ungesund“ diese sind und hebt auch in dieser Passage immer wieder durch verschiedene Ausrufe wie „oh mein Gott ey“ oder „Alter“ hervor, wie schwer es ihm fällt das gezeigte Essen zu verzehren. Andererseits weist er darauf hin, dass er bspw. die Pizza oft zu sich nimmt oder empfiehlt die präsentierten Pancakes nachzubacken. Wie vornehmlich die nächste Sequenz zum Vorschein bringt, ist jener vermeintliche Widerspruch jedoch im Gegensatz zur Relation von Norm und Habitus bei ExFitness ausschließlich in der immensen Menge des Essens begründet. ExFitness hingegen versucht nicht nur große Mengen, sondern auch prinzipiell stark kalorienhaltigen Lebensmittel zu meiden, um sich der Ernährungsnorm anzupassen, wobei er zudem vor diesen warnt (siehe ExFitness ab Z. 973). „So Leute, ich=bin jetz wieder zu Hause (.) ähm ich war wirklich aufm=im Gym und bin aufs Laufband gegangn und musste einfach fast kotzen, weil=ich zu voll bin un=es einfach nicht funktioniert anscheinend, wenn=man so viel isst. Auf=jeden Fall hier gönn ich mir (.) Snickers Caramel, ich=ess drei (.) sonst vergess ichs oder=so (.) drei Stück, während ich=euch jetz hier die Werte dazu einblende (.) ich mach das jetzt ganz fancy (.) so (.) jetz.“ (Peter: Z. 1196–1202)
6.2 Die Reproduktion von Subjektnormen und Videoinhalten
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Da das Laufen im Fitnessstudio laut Peter gerade deshalb „nicht funktioniert“, weil er davor zu viel gegessen hat, wird sichtbar, dass es überwiegend die Menge der verzehrten Lebensmittel ist, die ihn belastet und ihn an der Ausübung des Sports hindert. Einerseits zeigt sich an den Bekundungen, dass er „fast kotzen“ musste, wie hart die Challenge ist, andererseits dokumentiert sich an diesen auch der disziplinierende Charakter des YouTubers. So führt dieser trotz großer Übelkeit die Challenge fort und diszipliniert sich stets das Essen komplett zu verzehren. Gleichzeitig spricht Peter davon, dass er sich das Essen (in dem Fall „Snickers Caramel“) gönnt, wodurch der Verzehr erneut in Assoziation steht mit etwas Verbotenen, das sich genehmigt wird. Wie wichtig dem Videoproduzenten dabei die Nährwerte und genauen Mengenangaben sind, wird an seinen wiederholten Anmerkungen deutlich, die auf die Einblendung der Nährwerte sowie die Anzahl der Snickers hinweisen. Jene Fokussierung wird zudem in der darauffolgenden Sequenz fortgeführt: „So Leute es=is wieder so=weit @ wir ham jetz halb zehn (.) nee, fünf=nach neun. Super=leckere Chicken Nuggets, von Aldi glaub=ich sin=die (.) un=hier so (.) Baguettes. Einma=so un=dann blende ich=euch die Werte ein damit ihr ma=wieder (.) ja se:ht, was ich=so (.) wieviel Kalorien das Ganze hat (.) oh scheiße. Die kennt=ihr die Guys. Ha (.) ihr solltet mich sehn (.) das ähm (.) alles=hier geht schwerer, als ich=es erwartet hab. Ich so boah=ja komm (.) ich hau=das so runter, null Problem (.) aber guck mal (.) so sieht das leider erst aus un=ich hab noch nichma ein Baguette fertig. Mir is so schlecht (.) mein Bauch der platzt (.) wirklich gleich, ohne scheiß (.) u:nd noch vier Stück (.) der Chicken Nuggets sinn übrig geblieben.“ (Peter: Z. 1208–1218)
Wie die Textpassage der vorletzten Sequenz des Videos verdeutlicht, fokussiert sich Peter nicht nur auf die aufgenommenen „Werte“ und Kalorien, sondern er hebt auch immer weiter seine körperliche Verfassung hervor. Indem er berichtet, dass sein Bauch gleich „platzt“ und ihm noch immer oder wieder schlecht ist, zeigt der YouTuber erneut, welch negative Auswirkungen das viele Essen auf seine körperliche Befindlichkeit hat. Diese werden abermals mit Ausrufen der Verzweiflung, wie „oh scheiße“, oder „boah ja komm“ unterstrichen. Gleichzeitig führt Peter in der wiederholten Betonung, wie lecker die Speisen seien, weiter aus, welchen Genuss diese ihm bereiten. Hieran tritt die Ambivalenz aus Lust und Ekel stets neu in Erscheinung, die in sehr ähnlicher Weise bereits im Video von ExFitness rekonstruiert werden konnte. Im Unterschied zu diesem zeigt sich bei Peter jedoch viele Male, wie z. B. auch im letzten Satz, dass die Selbstdisziplinierung keine derart zentrale Rolle für ihn spielt. So offenbart sich am Ende der Passage, dass der YouTuber nicht alle Chicken Nuggets aufessen konnte und
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Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
vier Stück „übrig geblieben“ sind. Das Hauptaugenmerk Peters, so enthüllt auch der letzte Textabschnitt, liegt auf dem erfolgreichen Abschluss der Challenge und weniger auf einem Austesten oder dem Trainieren der eigenen Selbstdisziplin. „Oke Leute, das=is mein Bauch eingezogen (.) das is das maximale, was=ich einziehn kann (.) das is=das maximale (.) un das=is jetz normal (.) alter. Jetz=wär ich fast schlafen gegangen @ aber (.) ich muss=ja noch das Ben and Jerrys essen und wirklich ich=fühl mich (.) wirklich nich danach dieses Eis zu essen. Jetz blend=ich euch hier (.) die Nährwerte von dem Ding=ein. Normalerweise muss=ich euch echt sagn, dass dieses Eis hier (.) ja Karamel Sutra (.) Core von Ben and Jerrys (.) mein Lieblingseis, also es=is halt noch relati:v hart, wenn ihr das grad rausholt ja (.) ähm (.) un das geile is=halt wirklich, dass dieser Karamelkern des wird flüssig. Jetz nochmal kurz meinen aktuellen Stand an dem=ich gerade angekommen bin (.) nach=ner gefühlten halben Stunde bin=ich so: weit. Ich hab diesen (.) Bottich fa:st zu Ende. So ich habs endlich geschafft. Das Ben and Jerrys is endlich leer. Zehntausendfünfhundert Kalorien (.) ich bin fünfhundert über meinen (.) ja geplantn Cheatday drüber, das=is (.) ja Leute hier noch=en kleinen Applaus, würd=ich sagen (.) nen Selbstapplaus @. Ich fühl mich einfach=nur wie=son fettes Stück Scheiße @. Ich werd jetz schlafen=gehen, weil=ich kann mich kaum noch wachhalten (.) wir sehn uns morgen (.) ciao.“ (Peter: Z. 1218–1235)
Wie die Textpassage der letzten Videosequenz zu erkennen gibt, versucht Phillip zwar weiterhin willensstark sein Ziel zu erreichen an einem Tag 10.000 Kalorien zu sich zu nehmen, wodurch ihm auch eine gewisse Selbstdisziplin abverlangt wird, jedoch wird deutlich, dass diese nicht als Norm selbst erscheint. So betont der YouTuber zwar immer wieder, dass er die Lebensmittel essen „muss“, auch wenn er sich dazu eigentlich nicht in der Lage fühlt. Dennoch wird die dafür benötigte Selbstdisziplin weder direkt thematisiert noch konkret zum Ziel erhoben. Gleiches gilt zudem für die daran anschließenden Kommentare, dass er das Eis „endlich geschafft“ hat und es „endlich Leer ist“. Diese dokumentieren zwar in ähnlicher Weise eine Erleichterung über den Abschluss des selbst auferlegten Zwangs, jedoch verweisen sie ebenfalls nicht auf eine Norm der Selbstdisziplin, die bspw. eine geplante Diät erleichtern soll. Ebenso erscheint die Selbstdisziplin bei Peter im Gegensatz zum Video von Sophia Thiel nicht als universelles Mittel, um jegliche Ziele zu erreichen. Vielmehr heben die Formulierungen, die auf die große Selbstdisziplin hinweisen größtenteils hervor, wie schwer es ist, die Challenge zu meistern. In diesem Sinne lässt sich zwar konstatieren, dass sich Peter trotz Übelkeit und starken Völlegefühls immer überwindet, weiter zu essen, um sein Kalorienziel zu erreichen, was eine gewisse Selbstdisziplin verlangt, jedoch lassen sich keine Anzeichen finden, dass diese außerhalb der „Challenge“ für den
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YouTuber eine relevante Rolle spielt. Und auch die Ausrichtung an Ernährungsnormen, die im Video von ExFitness noch eine zentrale Rolle einnahm, erscheint im Video von Peter sehr abgeschwächt. Zwar deutet sich in gewissen Formulierungen an, dass sich der YouTuber nicht näher bezeichneten Ernährungsnormen bewusst ist, weshalb er sich bspw. bestimmte Dinge „gönnt“ bzw. genehmigt oder beweist, dass er sich tatsächlich bestimmten Normen widersetzt, jedoch dokumentiert sich immer wieder in verschiedenen Passagen, dass eine Erfüllung der Normen für ihn keine allzu große Relevanz besitzt. In diesem Kontext zeigt der YouTuber auf, dass er diverse Lebensmittel (wie bspw. seine „Lieblingspizza“) trotz ihrer Deklarierung als „ungesund“, regelmäßig konsumiert. Hierunter lässt sich ebenso sein „Lieblingseis“ subsumieren, da die genauen Hinweise auf das Produkt erkennen lassen, dass dieses schon des Öfteren gegessen wurde. Trotz jener untergeordneten Rolle der zum Vorschein kommenden Normen weist Peter auch im letzten Textabschnitt darauf hin, welch negativen Folgen die enorme Menge an Kalorien für sein körperliches Empfinden haben. In diesem Sinne kommentiert er unverhohlen, dass er sich nach dem Konsum von 10.500 Kalorien wie ein „fettes Stück Scheiße“ fühlt und sich darüber hinaus „kaum noch wach halten kann“. Einerseits signalisiert der YouTuber hiermit, welch große Herausforderung in der „Challenge“ liegt, andererseits spricht er durch die beschriebenen Ekelzustände und unmittelbar auftretenden negativen Auswirkungen in ähnlicher Manier wie ExFitness zumindest implizit eine Warnung vor dem übermäßigen Konsum aus. Dies gilt im selben Maße für die direkt zu Beginn der Sequenz vollzogenen, bildlichen Ablichtung seines Bauchumfangs, welcher mit einem schockierten „alter“ kommentiert wird. Analog zum Video von ExFitness misst Peter somit nicht sein Gewicht, um die Auswirkungen des Cheatdays auf seinen Körper zu kontrollieren und unter Beweis zu stellen, sondern er dokumentiert dies, indem er die Umfangserweiterung seines Bauchs bildlich aus mehreren Perspektiven festhält. Unter Berücksichtigung, dass Peter trotz des Ausnahmetags ins Fitnessstudio geht, deutet sich an der äußerlichen Fokussierung auf seinen Bauch in dezenter Weise an, dass Körpernormen eine gewisse Rolle für den YouTuber spielen. Hierauf weist ebenso seine stetige Fokussierung auf Kalorien und den Fettanteil von Lebensmittel hin. Im Unterschied zu Karl Ess wird das gezeigte Essen jedoch bei Peter nicht ausschließlich auf seine Nährwerte reduziert, sondern es wird auch hinsichtlich seines Geschmacks hervorgehoben und wie ein Blick auf die bildliche Ebene zeigt, in seiner Gesamterscheinung wertgeschätzt und inszeniert. Insgesamt demonstriert sich somit, dass im Video von Peter durchaus Normen in Erscheinung treten und diese erkannt und geradezu als selbstverständlich aufgefasst werden. Zugleich richtet der YouTuber sich jedoch nicht gezielt nach diesen
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aus und versucht sich diesen durchweg anzupassen, weshalb auch nicht von einem direkten Spannungsverhältnis gesprochen werden kann. So weist er zwar implizit auf Ernährungs- und Gesundheitsnormen hin, jedoch befolgt er diese nicht, sondern widersetzt sich im Zuge des Cheatdays diesen vielmehr bewusst. Trotz jener Missachtung von Subjektnormen wird sichtbar, dass diverse Parallelen zwischen Peter und ExFitness bestehen. So messen sie bspw. durchgehend ihre aufgenommenen Nährwerte und blenden diese den Zuschauer_innen zur Kontrolle ein. Vor allem aber rangieren beide YouTuber beim Verzehr des Essens immer wieder zwischen den Gefühlen von Genuss und Ekel. Insbesondere diese Ambivalenz ist es, welche die Videoproduzenten eint. Wie die detaillierten Analysen jedoch zu erkennen geben, besteht auch hierin ein markanter Unterschied. So liegt bei ExFitness das Ziel gerade darin, die Lust auf ungesunde resp. untersagte Lebensmittel durch einen Ekel auf diese zu ersetzen, um diese zukünftig besser meiden zu können. Jener entscheidende Aspekt der Ambivalenz und des Cheattages bleibt von Peter hingegen komplett unberücksichtigt, was darauf hinweist, dass ausschließlich das Konzept bzw. Format des Cheattages über Produktionskaskaden mimetisch nachgeahmt, aber besonders hinsichtlich seines Sinns abgewandelt wurde und schließlich bei Peter nur noch eine „Challenge“ darstellt. Dass der YouTuber somit zwar eine Abwandlung des Cheattages vorstellt, die Videos aber dennoch diverse Parallelen aufweisen, deutet darauf hin, dass Peter sich am Video von ExFitness orientiert, auch wenn erstens Normen grundsätzlich zum Vorschein kommen, jedoch weitestgehend unberücksichtigt und zweitens der Rezipientenstatus Peters erneut vage bleibt. Gleichzeitig lassen sich die bei Peter zum Ausdruck kommenden Ambivalenzen auch als Dekontextuierungen interpretieren. In diesem Fall erscheinen die Zwiespältigkeiten auch als Unsicherheiten im Umgang mit normativen Ordnungen. Wie zudem ein Blick auf die bildliche Ebene veranschaulicht, kommen an dieser erneut verschiedene Gemeinsamkeiten zwischen den Videos zum Ausdruck, die auf geschmackliche und folglich habituelle Übereinstimmungen zwischen den YouTubern hinweisen. Dennoch zeigen sich auch diverse stilistische Unterschiede zwischen Peter und ExFitness, die in erster Linie aus der Kameraführung und Post-Produktion resultieren. Erneut kommt dies insbesondere an Gegenüberstellungen von Fotogrammen zur Ansicht. Im vorliegenden Fall werden zwei Fotogramme betrachtet, die in erster Linie zueinander im Hinblick auf die abgebildeten Speisen homolog sind. So zeigt der erste Fotogrammvergleich jeweils eine Packung Eiscreme der Marke Ben & Jerrys (Abbildungen 6.34 und 6.35).
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Abbildung 6.34 ExFitness: 01.42 min.
Abbildung 6.35 Peter: 11.33 min.
Wie der Fotogrammvergleich offenbart, präsentieren beide YouTuber in ihrem Video eine Packung Eiscreme der Marke Ben & Jerry’s. Diese wird in beiden Fällen mit der linken Hand gehalten, wobei sie zugleich mit der in der rechten Hand befindlichen Kamera gefilmt wird. Sowohl im Bild von ExFitness als auch von Peter wird das Eis zentriert und aus einer sehr nahen Kameraperspektive abgelichtet, wodurch dieses stilistisch in den Vordergrund gerät. Trotz jener Homologien zeigen sich ebenso in dieser komparativen Analyse diverse Differenzen. Hinsichtlich der szenischen Choreografie lässt sich demnach festhalten, dass der Eisbecher bei Peter eine leicht differente Position einnimmt. Dieser ist auf einer Ablagefläche platziert und wird von der Hand Peters und einem Löffel gerahmt, der darauf hindeutet, dass das Eis unmittelbar verspeist werden kann. Teilweise wird das Eis vom Daumen des Akteurs verdeckt. Der Daumen umschließt das Eis jedoch nicht, sondern er deutet vielmehr auf das abgedruckte Wort ‚core‘, wodurch
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Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
der Schriftzug bzw. die spezielle Sorte wiederum an Bedeutung gewinnt. Im Gegensatz dazu wird das gesamte Eis bei ExFitness sprichwörtlich hervorgehoben und nahezu komplett im Kamerabild eingefangen. Der Eisbecher setzt sich zwar vom im Hintergrund befindlichen Teller mit Pancakes ab, allerdings erscheint er hierdurch gleichzeitig als Teil von mehreren Speisen und verliert sein Alleinstellungsmerkmal. Es wird somit gut erkennbar, dass sich die YouTuber zwar darin einen was sie zeigen, jedoch nur teilweise wie sie es darstellen, denn sowohl die Planimetrie als auch die szenische Choreografie weisen leichte Unterschiede auf. Gleiches gilt ebenfalls für einen weiteren Fotogrammvergleich, der jeweils einen Stapel mit zubereiteten Pancakes der beiden Videoproduzenten abbildet. Auch hier dokumentiert sich eine leichte Differenz, die im Gesamtkontext des Videos auf eine mimetische Nachahmung von Peter hindeutet. Im vorliegenden Fall werden erneut zwei Fotogramme betrachtet, die insbesondere aufgrund ihrer Homologien im Hinblick auf die abgebildeten Speisen gegenübergestellt werden (Abbildungen 6.36 und 6.37). Abbildung 6.36 ExFitness: 01.30 min.
Abbildung 6.37 Peter: 04.02 min.
Erneut offenbaren die Abbildungen, dass die beiden YouTuber zwar sehr ähnlich zubereitete Gerichte präsentieren, diese jedoch abermals etwas anders
6.2 Die Reproduktion von Subjektnormen und Videoinhalten
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ablichten. Demnach ist erkennbar, dass die Pancakes in der Aufnahme von ExFitness bereits angeschnitten wurden und aus einer noch näheren Perspektive gefilmt werden als im Vergleichsbild. Des Weiteren ist der Fokus mehr auf den Teller bzw. auf das fehlende Stück gelegt als auf die Pancakes selbst, wodurch einerseits sichtbar wird, dass ExFitness die Pfannkuchen tatsächlich verspeist, andererseits aber auch deren einzelne Schichten akzentuiert werden. Im direkten Vergleich der Fotogramme wird zudem deutlich, dass die Kadrierung eine entscheidende Rolle für den Eigensinn der Bilder spielt. Denn besonders diese lässt Phillips Pancakes als zentrales Element erscheinen, wohingegen die Pfannkuchen im Vergleichsbild überwiegend an den Bildrand geraten. Weitere Parallelen in dem, was die beiden Protagonisten filmen und essen, finden sich z. B. auch beim Verzehr von verschiedenen Burgermenüs des Fast-Food-Restaurants McDonalds sowie Süßwaren des Herstellers Haribo. Hieran wird jedoch nicht nur der ähnliche Geschmack der beiden Videoproduzenten sichtbar, sondern in der Gesamtheit der Kongruenzen lässt sich eine Orientierung von Peter an ExFitness erahnen. Darauf weist zudem die Semantik hin, die sich zwischen beiden Videos stark ähnelt. Besonders markant, wird dies bspw. an der Redewendung „wie ihr seht“, die von beiden YouTubern jeweils viermal zur Sprache kommt und der Verwendung des Wortes „bisschen“, welches im Video von ExFitness 27 mal und in Peters Clip achtmal auftaucht. Insgesamt betrachtet demonstrieren die bisherigen Interpretationen folglich, dass sich nicht nur Charakteristika von bestimmten Genres herausarbeiten lassen, sondern darüber hinaus auch Subjektnormen und deren unterschiedliche Relationen zum Habitus anhand von Videoanalysen rekonstruiert werden können. Zusätzlich zeigen die komparativen Analysen Reproduktionen und Bezugnahmen auf, die auf spielerische Nachahmungen und mimetische Aneignungen hinweisen. Hierdurch können nicht nur Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den YouTuber_innen auf habitueller Ebene rekonstruiert, sondern auch in Hinblick auf den Umgang mit Normen verglichen werden, welche in den Reproduktionen bspw. von Peter widersprochen, von Mirko in Teilen reproduziert sowie von Lena und Antonia hauptsächlich nicht berücksichtigt werden. Des Weiteren, so wird im Folgenden an den Videos der YouTuberinnen Mareike und Valerie deutlich, lassen sich zudem Erkenntnisse im Hinblick auf unmittelbare Habitustransformationen und Reproduktionen im Umgang mit Subjektnormen gewinnen sowie diverse Wissensaneignungen seitens der beiden Videoproduzentinnen rekonstruieren, die unter anderem aus intensiven Rezeptionen des „Transformationsvideos“ von Sophia Thiel hervorgehen.
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6.2.3
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Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen …
Die Reproduktion von Subjektnormen und deren Aneignung (Valerie, Mareike)
Trotz immenser Parallelen, welche zwischen den bisher diskutierten LifestyleVideos zur Explikation gebracht werden konnten, gaben diese hauptsächlich Hinweise auf mimetische Nachahmungen und Bezugnahmen auf verschiedenen Ebenen. Unmittelbare Reproduktionen von Subjektnormen und den Umgang mit diesen kamen hingegen noch nicht zum Vorschein. So konnten zwar enorme Passungsverhältnisse zwischen den YouTuber_innen festgestellt werden, der Rezipientenstatus der Protagonisten und somit die explizite Reproduktion im Sinne eines Produzent-Rezipienten-Verhältnisses blieb jedoch vage. Gänzlich anders verhält sich dies hingegen bei der Analyse des Videos der YouTuberin Valerie, da diese in ihrem Clip betont, dass sie Rezipientin der Videoproduzentin Sophia Thiel ist und diese darüber hinaus betontermaßen ihr großes Vorbild darstellt. Dementsprechend verweisen die semantischen und visuellen Kongruenzen zwischen den Videos nicht nur auf Reproduktionen und Aneignungsprozesse von abstrakten Normen und genretypischen Darstellungsweisen, sondern darüber hinaus auf unmittelbare Nachahmungsprozesse. In diesem Sinne lässt sich fürs Erste festhalten, dass die YouTuberin Valerie das Videokonzept Sophia Thiels übernimmt und ebenso ein Transformationsvideo von sich selbst veröffentlicht, indem sie ihr Leben als eine Art Geschichte erzählt und diese biografisch mithilfe von Fotos erläutert. Untermalt werden beide Videos zunächst mit schwerfälliger und langsamer Musik, die ab dem Beginn der Transformationen und somit ab etwa der Hälfte der Videos ersetzt wird durch schnelle, elektronische Musik. Diese Musikwechsel bekräftigten in beiden Fällen den Wandel der Akteurinnen. Zusätzlich geht aus dem Videovergleich hervor, dass Valerie das Stilelement der Diashow von Sophia Thiel kopiert und ihre Transformationsgeschichte ebenfalls bei ihrer Kindheit beginnt. Des Weiteren wird deutlich, dass die YouTuberin Valerie besonders viele Formen der Darstellungsweise übernimmt, indem sie die gezeigten Fotos, wie auch Sophia Thiel, häufig nicht als Standbild präsentiert, sondern die Bilder mit Effekten versieht und diese z. B. von unten nach oben aufrollt und somit stets nur ein Ausschnitt des Bildes im Ganzen zu sehen ist. Weiter wird ersichtlich, dass beide Videoproduzentinnen die verschiedenen Fotos unterschiedlich lang einblenden. So zeigen bspw. sowohl Sophia Thiel als auch ihre Rezipientin Valerie ein Foto, auf dem jeweils ihr Höchstgewicht zu sehen ist, besonders lang und heben es dadurch von den anderen Bildern der Diashow ab. Ein direkter Vergleich jener Fotos veranschaulicht dabei, dass Valerie jedoch nicht nur grundsätzliche Elemente des Videoaufbaus und der Gestaltung von Sophia Thiel übernimmt, sondern ebenso umfassendere Konstruktionen.
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Abbildung 6.38 Valerie: 00.41 min.
Abbildung 6.39 Sophia Thiel: 00.22 min.
Betrachtet man die planimetrische Komposition der beiden Abbildungen 6.38 und 6.39 wird deutlich, dass Valerie auf gleiche Weise wie Sophia Thiel dem alten Foto, welches sich jeweils auf der linken Seite der Collage befindet, nur etwa ein Drittel des Gesamtbildes einräumt, sodass der Körper auf der linken Seite in beiden Fällen besonders eingeengt wirkt. Verstärkt wird dieser Effekt in beiden Fällen durch die Kadrierung der Aufnahmen, denn wie sich zeigt, räumen die alten Bilder dem Körper deutlich weniger Platz ein bzw. der Körper vor der „Transformation“ erscheint auch durch die etwas nähere Kameraposition gestaucht – wohingegen er im Vergleichsbild Platz hat und eher gestreckt wirkt. In beiden Fällen verstärkt sich jener Kontrast durch die veränderten Körperhaltungen der Akteurinnen. Wie die beiden Bilder offenbaren, liegen sowohl bei Valerie als auch bei Sophia Thiel die Arme im alten Foto dicht am Körper an, wohingegen sie im aktuelleren Foto vom restlichen Körper abgeneigt werden. Durch diese Veränderung kommen Freiräume zwischen den einzelnen Körperteilen zum Vorschein, welche die abgebildeten YouTuberinnen zum einen schlanker, zum anderen aber auch weniger verschlossen erscheinen lassen. Darüber hinaus wird jener Kontrast aus Enge auf der linken Seite sowie ‚Frei- und Offenheit‘ auf der rechten Seite
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der Bilder durch die leichte Unterperspektive der Kamera im alten Foto und der leichten Oberperspektive im neuen Foto verstärkt. Auffällig ist im Vergleich der Fotos zudem, dass Valerie bei der aktuelleren Aufnahme vor einer Schrankwand im privaten Raum und nicht wie Sophia Thiel in einem öffentlichen Fitnessstudio posiert, wodurch einerseits eine gewisse Differenz zum Ausdruck kommt, die andererseits jedoch vor allem im Hinblick auf den Gesamtkontext des Bildes sehr minimal erscheint. Es zeigt sich somit, dass Valerie nicht nur das ‚Was‘ imitiert, indem sie ebenfalls ein sogenanntes „Transformationsbild“ in ihrem Video präsentiert, sondern dass sie zudem das ‚Wie‘ der Präsentation von Sophia Thiel größtenteils nachahmt, dabei allerdings gleichzeitig eine kleine Abweichung aufweist, die anzeigt, dass die mimetische Nachahmung eigenen Zwecken dient und nicht nur eine schlichte Kopie darstellt. In ähnlicher Weise kommt dies auch in einem weiteren Fotogrammvergleich zum Vorschein, in dem sichtbar wird, wie Valerie eine markante Pose Sophia Thiels nachahmt. Abbildung 6.40 Sophia Thiel: 11.54 min.
Abbildung 6.41 Valerie: 09.23 min
Wie die Gegenüberstellung der beiden Fotogramme in den Abbildungen 6.40 und 6.41 offenbart, dokumentiert sich auch an diesen eine große Kongruenz, die
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hauptsächlich in der Pose der abgebildeten Bildproduzentinnen zum Ausdruck kommt, jedoch durch eine differente Hintergrundwahl und eine unterschiedliche Kameraperspektive erneut leicht gebrochen wird. So lässt sich zunächst festhalten, dass beide Protagonistinnen nahezu die gleiche Gestik ausführen und sich hierin einen. Die Pose kennzeichnet sich dabei sowohl über die Haltung der Arme und Hände als auch über die des Kopfes. Letzterer wird in beiden Fotos leicht nach unten in Richtung des Bauches geneigt, sodass dieser genau angeschaut werden kann. Die Betrachtung des muskulösen Bauches wird zudem durch die beiden Hände, welche die Brust nach oben drücken, verstärkt. Durch das Hochdrücken der Brust werden gleichzeitig die Arme angewinkelt und die Armmuskulatur tritt deutlich hervor. Im Hochdrücken der Brust dokumentiert sich dabei allerdings keinerlei Scham oder der Versuch der Abdeckung, sondern die Brust wird hierdurch vielmehr betont bzw. im wahrsten Sinne des Wortes hervorgehoben. Hierdurch erhält sie einen lassziv-erotischen Touch. Gleichzeitig ermöglicht die Pose die vermeintliche Diskrepanz aus Weiblichkeit und Muskulösität zu brechen, da sie letztere zwar gezielt im Bauch- und Armbereich in Szene setzt, jedoch simultan durch das Greifen an die Brust die Weiblichkeit akzentuiert und gegenüberstellt. Dementsprechend verspricht die Pose eine Auflösung des Antagonismus und zeigt wie Frauen stark und diszipliniert erscheinen können, ohne ihre Weiblichkeit zu verlieren oder als androgyn resp. männlich wahrgenommen zu werden. Über die mimetische Nachahmung der Pose von Valerie nähert diese sich den im Video in Szene gesetzten Habitus resp. Lifestyle Sophia Thiels an, auch wenn erkennbar wird, dass sich der Hintergrund der Bilder erneut unterscheidet und abermals die Schrankwand bei Valerie zu sehen ist. Durch die Bildanalysen und den Vergleich der Fotogramme wird folglich nicht nur ein Umgang mit einer bestimmten Körper- bzw. Geschlechternorm rekonstruiert, die sich in der Pose ausdrückt, sondern es zeigt sich darüber hinaus, dass Valerie die Pose nachahmt und sich hieran dem Habitus Sophia Thiels annähert.10 Über die Nachahmung von Posen hinaus dokumentieren sich anhand eines Vergleichs der Videos nicht nur auf visueller Ebene große Gemeinsamkeiten, sondern sie offenbaren sich im Wesentlichen auch im gesprochenen Wort Valeries
10 In ähnlicher Weise kommt der von Sophia Thiel inszenierte Lifestyle auch in weiteren Posen zum Vorschein, in denen sie gezielt ihre Muskulatur präsentiert. Vor allem aber wird der Lifestyle in Sequenzen sichtbar, in denen die YouTuberin Aufnahmen ihrer BikiniWettkämpfe zeigt. Insbesondere hier zeigt sich, wie die vermeintliche Diskrepanz zwischen muskulöser Figur und Weiblichkeit gebrochen wird, indem die Frauen in High-Heels und Bikini, also in Kleidungsstücken, die typischerweise Frauen zugeordnet werden, auf die Bühne gehen um ihre Muskeln zu präsentieren.
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bzw. auf textlicher Ebene. Beginnend mit der Textpassage der ersten Sequenz der YouTuberin wird deutlich, wie diese ihre Transformationsgeschichte erzählt: „Hallo Leute, willkommen auf meinem Video, heute bin ich wieder da unzwar mit einem etwas spezielleren Video unzwar mit meinem Transformationsvideo für das Jahr zweitausendsechzehn, wie=ich innerhalb von einem Jahr zwanzich Kilo abgenommen ha:be. Mit diesem Video will=ich euch einfach zeigen, dass jeder es schaffen kann, egal von welcher Ausgangslage, jeder kann es wirklich schaffen (.) abzunehmen, zuzunehmen, Muskeln aufzubauen und (.) eben halt sich zu disziplinieren sozusagen. Es=is jetz Heilichabend, es ist der vierundzwanzichste Dezember (.) hätte mir jemand gesagt, dass ich so aussehen werde in einem Jahr (.) dann hätte ich ihm wahrscheinlich nich geglaubt. A:ber liebe Leute schaut euch das Video an, schaut euch meine Geschichte an, wie mein Weg bis=jetz war (.) viel Spaß.“ (Valerie: Z. 598–608)
Wie ein Blick auf den Textabschnitt zeigt, gibt die YouTuberin in der ersten Sequenz eine Einleitung zu ihrem Video und beschreibt, worum es in diesem gehen soll und was ihr Anliegen bezüglich des Clips ist. Zunächst hebt sie dabei die Bedeutung des Videos hervor, indem sie dieses als „etwas spezieller“ bezeichnet und somit zum Ausdruck bringt, dass es sich um keinen gewöhnlichen Clip handelt. Durch die Nennung bzw. Betitelung des Videos als „Transformationsvideo“ wird dies nochmals direkt im Anschluss von der YouTuberin betont. So macht die Namensgebung deutlich, dass der Clip derart charakteristisch ist, dass ihm eine spezielle Bezeichnung zugeordnet werden kann. Weiter definiert wird dieser zusätzlich durch die Hervorhebung eines bestimmten Jahres, welches das Video behandelt. Statt darauffolgend allerdings zu erläutern, was genau ein „Transformationsvideo“ ist bzw. was dieses kennzeichnet, beschreibt sie vielmehr, was der Clip aufzeigen und bei den Rezipient_innen bewirken soll. Indem sie somit ausschließlich sagt, dass das Video zeigt, wie sie in einem Jahr 20 Kilogramm abnehmen konnte, jedoch eine genauere Erklärung dessen auslässt, wird ersichtlich, dass sie den Inhalt eines Transformationsvideos als allgemein bekannt und nicht weiter erklärungswürdig auffasst. Gleichzeitig wird hierdurch erkennbar, dass die Wirkung resp. Botschaft des Videos für Valerie im Vordergrund zu stehen scheint. Durch die wiederholte Aussage „jeder kann es schaffen“ und der Bestärkung „wirklich“, kommt die Fokussierung auf den universellen Charakter zum Vorschein. Besonders wichtig scheint der YouTuberin dementsprechend die Vermittlung zu sein, dass ausnahmslos jeder Mensch seinen Körper gestalten kann. Dass im Video von Valerie, in gleicher Weise wie bei Sophia Thiel, der Norm der Selbstdisziplinierung eine besondere Rolle zukommt, zeigt sich das erste Mal
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im Video, indem sie hervorhebt, dass nicht nur jeder seinen Körper formen kann, sondern es vor allem schaffen kann, sich zu disziplinieren. Der herausgehobene Status der Disziplinierung kommt dabei im Wesentlichen an der Formulierung „eben halt“ zum Ausdruck, die verrät, dass Gewichtszunahmen oder –abnahmen geradezu unter der Selbstdisziplinierung subsumiert werden. Indem jedoch ausschließlich Körperveränderungen aufgezählt werden, die sich erzielen lassen, zeigt sich der enorme Stellenwert der äußeren Erscheinung. Dieser wird gegen Ende der Passage nochmals unterstrichen, indem Valerie ihr Erstaunen über ihr gegenwärtiges Aussehen zum Ausdruck bringt. Weiter hervorgehoben wird der hohe Stellenwert des äußeren Erscheinungsbilds darüber hinaus in dem anschließenden Abschnitt: „So hier nochma ganz kurz ein kleinen Vergleich (.) unzwar sehr ihr mich hier links vor einem Jahr an Heilichabend und rechts so wie ich jetz aussehe, dazwischen liegen fast zwanzich Kilo, die ich innerhalb von einem Jahr abgenomm habe. Hier nochmal vor einem Jahr an Heilichabend, da sieht man noch schön im Gesicht, wie ich ausgesehn habe. Hier pack ich meine Geschenke aus, das is jetz das aktuelle Bild, was ich jetz gestern gemacht habe (.) an Heilichabend un man sieht schon auch einen deutlichen Unterschied im Gesicht. Das is jetz so mein Endbild (.) wie ich jetz aussehe ähm ja, groß viel verändert hat sich da nichts, aber man sieht schon das ich hier auch Muskelmasse zugelegt habe, abgenommen habe, aber starten wir von Anfang an.“ (Valerie: Z. 608–618)
Wie der entsprechende Textteil zunächst zu erkennen gibt, werden die Fotos von der YouTuberin zur Reflexion über den eigenen Körper verwendet. Zudem weist Valerie in der Textpassage (wie auch im Videotitel) darauf hin, dass sie innerhalb von einem Jahr 20 Kilogramm an Körpergewicht verloren hat. Diese Gewichtsreduzierung, so deutet die Anmerkung auf das Aussehen des Gesichts an, macht sich in den Augen der YouTuberin hauptsächlich äußerlich bemerkbar. Dass das äußere Erscheinungsbild von besonderem Interesse für Valerie ist, verdeutlicht sich darüber hinaus, indem sie abermals auf den „deutlichen Unterschied im Gesicht“ hinweist und sich ausschließlich auf äußerlich erkennbare Veränderungen, wie die Zunahme an Muskelmasse oder die prinzipielle Gewichtsreduzierung, bezieht. Gesundheitliche, sportliche oder wettkämpferische Aspekte, wie sie bei Sophia Thiel sichtbar werden, thematisiert die YouTuberin hingegen nicht. Hieran deutet sich bereits an, dass der Körper und dessen Gestaltung eine bedeutende Rolle für Valerie spielen. Vornehmlich kommt dies aber insbesondere in der daran anschließenden Sequenz zum Vorschein:
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„Ich hatte eigentlich schon immer mit dem Gewicht ein bisschen zu kämpfen als Kind war ich schon (.) würd ich mal sagen pummelich, in der Pubertät war ich eher dünn (.) also hier sieht man mich mit fünfzich Kilo, hier sieht man mich mit sechzehn, da hab ich schon etwas mehr drauf, aber ich würd jetz nicht sagen, dass ich jetz irgendwie sehr übergewichtich war (.) in der Pubertät, also so mit vierzehn, fünfzehn, sechzehn un so, da hab=ich se:hr, sehr stark auch auf mein Gewicht geachtet, auch sehr ungesund teilweise, muss ich sagen.“ (Valerie: Z. 618–626)
Wie aus den Ausführungen der Textpassage erkennbar ist, berichtet Valerie in diesen von ihrer Kindheit und Pubertät. Ihren Fokus legt sie bei den Beschreibungen erneut auf ihren Körper und weist in diesem Kontext darauf hin, dass sie schon von klein auf „mit dem Gewicht ein bisschen zu kämpfen“ hatte. Indem die YouTuberin von einem Kampf spricht, deutet sich eine Auseinandersetzung bzw. Konfrontation zwischen Körpernorm auf der einen Seite und dem eigenen Habitus resp. der Performanz auf der anderen Seite an. Gleichzeitig wird an der Darstellung erkennbar, dass Valerie (ähnlich wie Sophia Thiel) eine lange Historie der Gewichtskontrolle sowie den Versuch der Regulierung hinter sich hat. Indem Valerie davon berichtet, dass sie bereits in ihrer Pubertät „sehr, sehr stark“ auf ihr Gewicht geachtet hat, zeigt sich somit, dass zwar die Kontrolle des eigenen Körpers und die Ausrichtung an Körpernormen schon vor der Rezeption Sophia Thiels eine Rolle für die YouTuberin spielte, jedoch wird zugleich deutlich, dass die damalige Kontrolle, wie bei Sophia Thiel, als „ungesund“ und somit negativer Gegenhorizont zur gegenwärtigen Überwachung präsentiert wird. Auf der einen Seite lässt die YouTuberin zwar zunächst offen was sie exakt als ungesund auffasst, auf der anderen Seite deutet die Wiederholung des Wortes „sehr“ bereits darauf hin, dass es eine zu starke Achtsamkeit auf das Gewicht war, die sie als schädlich empfindet. Wie die daran anschließende Textpassage zum Vorschein bringt, ist es nicht nur die hohe Achtsamkeit, die als ungesunde Variante der Körpertransformation begriffen wird, sondern darüber hinaus der Rückgriff auf sogenannte „Crashdiäten“: „Ich habe viele Crashdiäten gemacht, mit (.) auch viel Jojo-Effekt zu kämpfen gehabt, vor allem zu meiner Abiturzeit. Zu meiner Abiturzeit hatte ich für einen Monat in der Lernphase mein Höchstgewicht von achtunsiebtzich Kilo bei ein Meter fünfundsechzich erreicht u:nd ähm das war wirklich nich mehr schön. Ich hab mich nich mehr getraut irgendwie auf die Straße zu gehn. Ich hab immer nur so Leggins getragen, weite Kleider so (.) bloß damit ja: nichts auffällt und das war schon eher sehr, sehr peinlich und beschämend für mich, aber zu dieser Zeit war für mich auch das Lernen viel wichtiger, muss=ich sagen, weil=ich hab mich sehr aufs Abitur oder aufs Lernen konzentriert und ähm hab mich eigentlich weniger um Diäten gekümmert und hab mir dann auch dementsprechend versprochen mich
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um meine Figur nach dem Abitur zu kümmern. Hab dann auch dreizehn Kilo, ich glaub innerhalb von zwei Monaten abgenommen. Hier sieht man mich im Türkeiurlaub. Nach meinem Abitur, da sieht man schon, dass ich wieder ja (.) einiges wegbekommen habe.“ (Valerie: Z. 626–640)
Bereits am ersten Satz der Textpassage dokumentiert sich erneut, wie stark sich Valerie am Video und der Transformation Sophia Thiels orientiert. So wird deutlich, dass die YouTuberin nicht nur eine sehr ähnliche Lebensgeschichte vorstellt, sondern hierbei auch auf das gleiche Vokabular zurückgreift. Besonders eindrücklich kommt dies an den Worten „Crashdiäten“ und „Jojo-Effekte“ zum Vorschein, die ebenso in Sophia Thiels Clip verwendet werden (siehe Sophia Thiel ab Z. 345). Somit tritt klar hervor, dass Valerie offenbar nicht nur die gleichen Erfahrungen in der Pubertät gesammelt hat wie Sophia Thiel und sich kongruenten Normen ausgesetzt fühlte, sondern dass sie diese auch auf sehr ähnliche Weise schildert, indem sie übereinstimmende Begriffe verwendet. Anhand der erneuten Formulierung des „Kämpfens“, unterstreicht Valerie nochmals ihre Konfrontation mit der Körpernorm, die in erster Linie zu ihrer Abiturzeit ausgeprägt war. Neben den Parallelen, die sich am Text zwischen Valerie und Sophia Thiel abzeichnen und Aufschluss über Nachahmungsprozesse geben, dokumentiert sich in den Textpassagen gleichzeitig ihr damaliges Verhältnis zwischen Norm und Habitus. Indem Valerie davon berichtet, dass sie sich zu ihrer Abiturzeit nur auf das Lernen konzentrieren konnte, kommt zum Ausdruck, dass sie im Gegensatz zu Sophia Thiel keine direkte Verbindung resp. keinen Kausalzusammenhang zwischen Ernährungsweise und Erfolg erkennt. Die Bereiche Abiturphase und Ernährung bzw. Gewichtskontrolle in Form von Diäten stehen vielmehr nebeneinander bzw. konkurrieren sogar miteinander um Zeit und Fokussierung. Demnach wollte sie zwar auch zur Abiturzeit einer bestimmten Körpernorm entsprechen, konnte sich jedoch erst nach dieser Phase „kümmern“ und versuchen die Diskrepanz zum Habitus aufzulösen. Hierbei wird sichtbar, wie die YouTuberin wiederholt genaue Kilogrammangaben ihres Gewichts angibt, wodurch die stetige Selbstkontrolle zum Vorschein kommt. Neben der andauernden Überprüfung zeigt die Passage zudem, dass Valerie sich so stark mit einer Körpernorm konfrontiert sah, dass sie die Diskrepanz zu dieser als überaus peinlich sowie beschämend empfand und sich in der Folge nicht traute „auf die Straße zu gehen“. Auch die Beschreibung ähnelt derjenigen von Sophia Thiel, wenn sie von ihren Empfindungen beim Ausgehen und Einkaufen berichtet. Indem sie anschließend erklärt, dass sie lediglich noch Leggins und weite Kleider getragen hat, unterstreicht sie nochmals die große Scham und es wird eine erneute Analogie zu Sophia Thiels Jugenderfahrungen sichtbar. So
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tritt eine ähnliche unkonkrete Beschreibung „damit ja nichts auffällt“ hervor, wie sie Sophia Thiel in der Formulierung das „nix rausschauen darf“, getätigt hat und es wird deutlich, wie sie die ‚Nicht-Erfüllung‘ der Norm versucht durch einen bestimmten Kleidungsstil zu verstecken, was sie wiederum in Scham versetzt. Aber auch in dem daran anschließenden Textabschnitt wird immer mehr offensichtlich, wie sich Valerie an Sophia Thiel, ihrer Transformation und ihrem Video orientiert. „Ich habe dann auch eine Ausbildung zur Handelsfachwirtin angefangen und jetz machen wir einen kleinen Sprung. Dieses Foto wurde nach einem Jahr gemacht dann, nach dem Türkeiurlaub. Da war=ich schon mitten in der Ausbildung drin, die mich jedoch nicht sehr glücklich gemacht hat und ich schleichend auch wieder an Gewicht zugelegt habe, obwohl ich eigentlich stetich in Bewegung war sozusagen, in der Filiale, es is ja Einzelhandel, deswegen is man immer auf den Beinen gewesen, aber trotzdem hab=ich (.) ja mich schlecht ernährt sozusagen, ich habn Jojo-Effekt kassiert des Grauens, weil ich ja diese dreizehn Kilo sehr ungesund abgenommen habe und auch nich kontrolliert abgenommen habe, deswegen (.) ja war des auch ein sehr, sehr schwieriger Zeitraum für mich und ja meine Essensgewohnheiten warn einfach sehr, sehr miserabel würd ich sagen, also ich=hab eigentlich kaum was gegessen, als ich gearbeitet hab. Ich hab nie was zu mir genommen und dann abends aber mich vollgehauen bis zum geht nich=mehr und des war auch nich mehr schön irgendwie also (.) es warn sehr, sehr ungesunder Lebensstil, den ich da an den Tag gelegt hab auch (.) und ja das war einfach die falsche Ernährungsweise.“ (Valerie: Z. 640–656)
Wie die Textpassage zu erkennen gibt, führt Valerie nicht nur fort ihre Transformationsgeschichte weiter zu erzählen und hierbei wie Sophia Thiel auf Urlaubsfotos zurückzugreifen, sondern sie berichtet auch über ihre Gefühlslage sowie von weiteren Gewichtsschwankungen. In nahezu identischer Weise wie Sophia Thiel unterscheidet die Videoproduzentin bei der Gewichtsreduzierung zwischen „ungesunder“ und „gesunder“, „kontrollierter“ Abnahme. Das heißt, zentral ist aus der Perspektive Valeries nicht allein das Abnehmen, sondern vielmehr die „gesunde“, „kontrollierte“ Gewichtsreduzierung. Die YouTuberin übernimmt und reproduziert somit die schon von Sophia Thiel gezeigte Gegenüberstellung aus „ungesunder“ Abnahme in der Jugendphase und „gesunder“, das heißt „kontrollierter“ Gewichtsreduzierung in der Gegenwart und bekräftigt die Kluft zwischen beiden Varianten der Verringerung des Körpergewichts, indem sie den Aspekt des „Ungesunden“ erneut betont und von einem „sehr, sehr ungesundem Lebensstil“ und der „falschen Ernährungsweise“ spricht. Die Passage zeigt dementsprechend eindrücklich auf, wie Valerie die Jahre retrospektiv als ungesund beurteilt und im Umkehrschluss den gegenwärtigen Lebensstil bzw. den nach dem
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Umbruch, als gesund und richtig auffasst und darstellt. Hieran wird besonders der Wandel ihres eigenen Habitus deutlich. In diesem Zuge wird eine Gewichtsreduzierung, wie auch bei Sophia Thiel in erster Linie dann als „ungesund“ bezeichnet, wenn sie nicht von Dauer ist und einen Jojo-Effekt auslöst. Somit wird sich zwar vermeintlich an einer Gesundheitsnorm orientiert, jedoch wird erkennbar, dass der Gebrauch des Wortes „gesund“ in diesem Kontext ausschließlich auf eine nachhaltige Gewichtsabnahme reduziert wird. Dies wird auch in der nachfolgenden Textpassage deutlich, in der nicht etwa von gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Ähnlichem, sondern vielmehr von einer erneuten Zunahme berichtet wird. Zentral für Valerie ist demnach noch immer der „Kampf“ resp. das Spannungsverhältnis zwischen einer bestimmten Körpernorm (die maßgeblich von Schlankheit geprägt ist) und dem Habitus bzw. der dauerhaften Aneignung der Norm. „Man sieht hier wirklich wie=ich wieder an Kilos schleichend äh=ja zugenommen habe, zugelegt hab und ja es war auch so ne Zeit wo ich mich sehr, sehr unwohl gefühlt habe auch in meinem Körper sehr unwohl. Hab immer so weite Klamotten mir auch gekauft und hab mir auch eingeredet das ich ja sowas mag eigentlich, diese Klamotten, das die schön weit sein sollen. Ich fand des immer so stylisch und in=Mode, dabei war mein Unterbewusstsein so geprägt, dass ich einfach so meine Fettpölsterchen nich zur Schau stellen wollte und=ja hier sieht man mich im Sankt Petersburg-Urlaub. Ja@ deutlich auch im Gesicht zugelegt u:nd des war auch so ne Phase, wo ich mir gedacht hab, so geht es nicht weiter.“ (Valerie: Z. 656–665)
Indem Valerie abermals wiedergibt, wie sie „schleichend zugenommen“ hat, hebt die YouTuberin einerseits ihre Gewichtsschwankungen hervor, die sie jahrelang begleitet haben, andererseits wird besonders an dem Wort „schleichend“ deutlich, dass Valerie ihren Körper in der Vergangenheit nur bedingt kontrollierte und beobachtete, weshalb die Zunahme eher latent und kaum merklich vonstatten ging. In diesem Kontext unterstreicht die YouTuberin erneut die Verbindung aus körperlicher Verfassung und dem allgemeinen Wohlbefinden. So betont Valerie, dass sie sich zu dieser Zeit „sehr, sehr unwohl“ fühlte. Indem sie hinzufügt, dass sie sich speziell in ihrem Körper „sehr unwohl“ gefühlt hat, dokumentiert sich erneut die Diskrepanz zwischen Körpernorm und Habitus, wie sie in äußerst ähnlicher Weise in Sophia Thiels Jugendphase sichtbar wurde (siehe Sophia Thiel ab Z. 304). Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen beiden YouTuberinnen wird im Anschluss an die Aussage begreifbar, indem Valerie auf ähnliche Weise wie Sophia Thiel von einem bestimmten Punkt in ihrem Leben berichtet, an dem eine Veränderung nahezu unausweichlich resultieren musste. So ähnelt die Bemerkung „so geht es nicht weiter“ gerade deswegen den Beschreibungen Sophia Thiels,
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weil beide YouTuberinnen einen für Außenstehende beliebig erscheinenden Zeitpunkt erkoren haben, an dem ein Wandel für sie erfolgen musste. Nicht etwa eine Diagnose vom Arzt oder ein besonderes Erlebnis bewegen beide zur Handlung, sondern bei Valerie der Aspekt, dass sie „im Gesicht zugelegt“ hat sowie bei Sophia Thiel, dass das „Höchstgewicht von achtzich Kilo“ erreicht wurde (siehe Sophia Thiel ab Z. 330). Erneut dokumentiert sich hieran die Erfahrung einer Körpernorm, die in einer derart großen Diskrepanz zum Habitus bzw. der Performanz der YouTuberinnen steht, dass diese sich damit konfrontiert sehen, sich der Norm anzupassen. Zeigte sich das für Valerie inakzeptable Missverhältnis mehr über äußerliche Merkmale wie eine Veränderung des Gesichts, so signalisierte für Sophia Thiel hingegen mehr ein bestimmtes Gewicht, dass der Körper unausweichlich angepasst werden müsse. Trotz dieser kleinen Unterschiede, die den persönlichen-individuellen Charakter sowie neue Aspekte der Reproduktion aufzeigen, zeichnet sich insgesamt eine große Parallelität in der Erfahrung und dem Umgang mit Normen sowie eine starke Nachahmung der Erzählweise von Seiten Valeries ab, die im nächsten Abschnitt weiter untermalt wird: „Zu dieser Zeit hab ich auch mit dem (.) Schwimmen angefangen, ich liebe schwimmen ja über alles und ich dachte=ja durchs Schwimmen werd ich einfach schnell abnehm können, aber irgendwie hat es bei mir überhaupt nichts gebracht. Also ich bin geschwommen, ich bin glaub ich fast fünfmal in der Woche ins Schwimmen gegangen für eineinhalb Stunden, aber (.) trotzdem hab ich dadurch irgendwie nich abgenommen, ich hatte trotzdem überschüssige Pfunde, weil ich eigentlich auch nich wusste, wie ich mich zu ernähren habe. Ich hab immer noch so ab=un=zu so Crashdiäten gemacht und dann wieder alles doppelt und dreifach zugelegt, dachte ich machs durch en bisschen schwimmen weg (.) also das war alles kreuz und quer und sehr, sehr chaotisch.“ (Valerie: Z. 665–676)
Neben den Ausführungen Valeries, die erkennen lassen, dass sie ihre „Transformationsgeschichte“ und somit ihre Biografie ähnlich erzählt und retrospektiv einordnet, wie es Sophia Thiel vorgemacht hat, erscheinen im Kontext der Reproduktion auch weitere Aussagen besonders bemerkenswert. Hierzu zählen im Wesentlichen diese, die Aneignungen von Wissen, die Änderung von Betrachtungsweisen und somit die Transformationen des Habitus zum Vorschein bringen. Vor allem an der Passage, in der Valerie von ihrer alten Anschauungsweise berichtet und sagt „dachte ich machs durch en bisschen Schwimmen weg“, zeigt sich besonders eindrucksvoll, wie sie ihre Denkweise hin zu einer von Sophia Thiel repräsentierten Anschauung geändert hat. So wird an diesem Textteil deutlich, dass Valerie an ihren Überlegungen vor der Transformation primär das unstrukturierte und „chaotische“ Handeln kritisiert, welches sie in der Folge von
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Wissensaneignungen ablegen konnte und kritisch reflektiert. Jene Strukturiertheit und klare Ordnung, so wurde bei der Analyse des Transformationsvideos Sophia Thiels ersichtlich, sind dabei zentrale Merkmale bzw. Aspekte, die von der YouTuberin lanciert werden. Hieran wird somit erkennbar, wie sich Valerie jene Fokussierung auf eine genaue Struktur und Strategie der Gewichtsabnahme von Sophia Thiel aneignete und sich von alten Denkweisen in der alles „kreuz und quer“ war, verabschiedete. Im Kontrast zur heutigen Sicht konstatiert Valerie, dass sie früher nicht wusste, wie sie sich ernähren sollte und mit der Ausübung von „Crashdiäten“ auch die falschen Methoden zur Abnahme anwendete. Des Weiteren wird an der Textpassage erkennbar, dass Sport für Valerie weniger Spaß und Freude bringen, sondern vielmehr den Zweck der Gewichtsreduzierung erfüllen soll. Obwohl Valerie das Schwimmen offenkundig liebt, verspricht es dennoch nicht das zu erreichende Ziel zu erfüllen und wird daher wieder abgebrochen. Zentrales Bestreben war es für Valerie stattdessen ausschließlich eine Sportart zu finden, mit der sie „einfach schnell abnehmen“ kann und die ihr daher nach eigener Aussage einen Mehrwert bringt. Wie stark sich Valeries Sichtweise auf Sport und die Wahrnehmung ihres Körpers, nach der durch Sophia Thiel angetriebenen Transformation, geändert hat, dokumentiert sich besonders eindrucksvoll in dem anschließenden Teil der Videosequenz: „Muss aber auch sagen, dass mich dieses Gewicht auch charakterlich sehr geprägt hat. Ich war vielleicht von au:ßen (.) zwar selbstbewusst aber innerlich hab=ich mich sehr eingeschlossen gefühlt, also ich hab mich wirklich (.) bedrängt von diesem Gewicht gefühlt, kann man sagen, also (.) ich wollte immer frei sein, aber dieses Gewicht hat mich einfach immer so runtergezogen find ich, also ich konnte nie so richtich frei sein, so quirlich so, ich weiß nich, so offen und (.) es hat mich schon wirklich sehr in meinem Selbstbewusstsein geprägt, obwohl es von außen vielleicht nich so für manche Leute zu erkennen war, a:ber es hat mich schon sehr belastet und ich konnte einfach nich so sein wie ich eigentlich bin, lebensfroh, frei und (.) ja des ich war so schwerfällig einfach und des hat mir einfach alles nich gefallen. Ich wollt trotzdem gute Kleider anziehn, ich wollt trotzdem irgendwie Fotos machen und irgendwie trotzdem mich frei bewegen können, aber dieses Gewicht hat mich immer wieder runtergezogen. Ich muss aber auch dennoch sagen, dass=ich mich damals eigentlich auch ein bisschen dünner gefühlt hab, als ich überhaupt in Wirklichkeit war, also wenn=ich mir jetz die Bilder anschaue, wie ich ausgesehen hab und ich jetzt ausseh, dann weiß ich das es eigentlich, ja das ich mich eigentlich in Wahrheit viel dünner damals gefühlt habe, was sehr, sehr komisch is. Aber vielleicht wollt ichs auch gar=nich so wahrhaben, um mich selbst zu schützen, denk ich.“ (Valerie: Z. 676–696)
Vor allem zu Beginn des Textausschnitts, in der die YouTuberin ihren inneren Konflikt zwischen ihrem Gemüt bzw. ihrer Wesensart und ihrem Körper
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beschreibt, tritt in Erscheinung, wie sich die Rezipientin Valerie an den Ausführungen Sophia Thiels orientiert und Erzählstränge in ähnlicher Weise wie diese in ihrem Video wiedergibt. Derartige Nachahmung von biografieprägenden Erlebnissen verweisen dabei auf eine starke Identifizierung seitens der Rezipientin, da diese sich derart in den Schilderungen Sophia Thiels wiederfindet, dass sie diese in ihre eigene Biografie transportiert. So veranschaulicht folgendes Zitat Sophia Thiels: „Ich hab mich gefühlt als ob=ich im falschen Körper gefangen wär, mein Inneres war aufgedreht, aktiv und quirlich und mein Äußeres wirkte eher schwer und träge“ (siehe Sophia Thiel ab Z. 319), im Vergleich zur Aussage Valeries, dass letztere ihren inneren Konflikt in der Textpassage auf ganz ähnliche Weise beschreibt. Auffällig ist, dass mit „quirlig“ nicht nur das gleiche Adjektiv verwendet wird, um das „Innere“ zu benennen, sondern dass sich auch die Beschreibung der Empfindungen dahingehend ähneln, dass der eigene Körper sowohl Sophia als auch Valerie „runterzieht“, „gefangen“ hält und die Freiheit einschränkt – und eben deswegen angepasst und optimiert werden muss. In beiden Fällen kommt somit eine massive Diskrepanz zwischen Norm und Habitus bzw. Performanz zum Ausdruck. Der spätere Wandel des Habitus mit der einhergehenden Änderung der Betrachtungsweise akzentuiert sich besonders in der Aussage, in der Valerie beschreibt, dass sie sich aus heutiger Perspektive „eigentlich in Wahrheit viel dünner als damals gefühlt habe“. Die Betonung der „Wahrheit“ bzw. „Wirklichkeit“ im vorherigen Satz unterstreicht dabei nochmals die veränderte Sichtweise, da sie eine Objektivität veranschlagt, die vor der Transformation nicht gegeben war. Dementsprechend zeigt die Passage eindrucksvoll auf, dass Valerie eine andere Messlatte bzw. Erwartungshaltung an sich und ihren Körper setzt und verinnerlichte. Gegenwärtig erscheint ihr der damalige Körper noch dicker als er ihr zu der Zeit vor ihrer Transformation erschien. Diesen Wandel der eigenen Betrachtungsweise empfindet sie zunächst als „sehr komisch“, um im Anschluss daran die alte Perspektive zu analysieren und diese als falsche Wahrnehmung darzustellen, die ausschließlich angenommen wurde, um sich „selbst zu schützen“. Indem Valerie die Befremdlichkeit mit der einstigen Wahrnehmung erkennt und diese geradezu pathologisiert, kommt zum Vorschein, wie stark sich die Betrachtungsweise und der Habitus der Videoproduzentin änderten. Einerseits wird zudem abermals ersichtlich, dass Valerie ihren Fokus stets auf ihre Figur und das Ziel des Abnehmens setzt. Andererseits und dies wird in der Aussage, dass sie „trotzdem gute Kleider anziehn“ wollte, zeigt sich, dass der YouTuberin ihr Gewicht zu jeder Zeit präsent war und sie im Alltag immer wieder mit der NichtErfüllung der Körpernorm konfrontiert wurde. Umso deutlicher dokumentiert sich die Konfrontation mit der Körpernorm in Situationen, in denen vermeintlich keine
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unmittelbare Beeinträchtigung durch ein gewisses Übergewicht zu erwarten ist, wie beim „Fotos machen“ oder sich „frei bewegen“. Dieser Faktor erscheint zunächst Widersprüchlich, da – wie am Videobild zu erkennen ist – zu jeder Zeit Fotoaufnahmen gemacht wurden. Allerdings lässt er sich dahingehend interpretieren, dass der Wunsch Fotos zu machen, deshalb als unerfüllt empfunden wurde, weil Valerie sich selbst nicht ablichten konnte, in der sie der Körpernorm zu ihren Wünschen entsprach bzw. diese nicht in Diskrepanz zur Performanz stand. Welch enorme Bedeutung jedoch nicht nur die Anpassung an die Norm, sondern auch der Rezeption von Sophia Thiels Videos für Valerie zukommt, verdeutlicht sich zum ersten Mal in der nachfolgenden Sequenz des Videos: „So und dann kam November zweitausendfünfzehn, dann kam die Erleuchtung meines Lebens schlechthin, das sag ich euch Leute. Ich habe die Reportage mit Sophia Thiel auf Galileo entdeckt, ähm hab mir ihre Geschichte angeschaut, was sie durchgestanden hat, wies ihr dabei erging, wie sie sich verändert hat, wie sie ihre Essensgewohnheiten (.) ihre Liebe zum Sport entdeckt hat und (.) ja dann hab=ich sie auf YouTube gesucht, hab ihre Videos mir von Tag zu Tag immer reingezogen, immer mehr und mehr, hab immer vieles (.) dazugelernt, neues dazugelernt, was ich davor eigentlich immer so verfechtet hab eigentlich. Dieses viele Essen, dieses kalorienreiche Essen, ich hab=ja damals immer so Crashdiäten gemacht mit Jojoeffekt hinten dran un=so und immer das Selbe und immer das Gleiche (.) und sie hat eigentlich so gezeigt, wie:s funktionieren kann und wie es funktioniert und das es einfach funktioniert.“ (Valerie: Z. 696–708)
Die immense Relevanz, welche die Entdeckung Sophia Thiels für die Rezipientin Valerie hat, wird nicht nur daran deutlich, dass sie Sophia Thiel und die Entdeckung dieser „als Erleuchtung ihres Lebens“ benennt, sondern zeigt sich auch daran, dass sie jenes Ereignis auf den Monat genau zurückdatieren kann und somit den Wendepunkt für ihr Leben exakt ausmacht. Indem Valerie die Geschichte von Sophia Thiel zusammenfasst, wird ersichtlich, welche Punkte bei ihr besonders stark im Gedächtnis haften geblieben sind und welche sie demgemäß vorwiegend berührten. In diesem Zuge fasst sie das Video Sophia Thiels mit den Worten zusammen „was sie durchgestanden hat, wies ihr dabei erging, wie sie sich verändert hat, wie sie ihre Essensgewohnheiten (.) ihre Liebe zum Sport entdeckt hat“. Hieran zeigt sich, dass Valerie besonderes Interesse daran hegt, was Sophia Thiel „durchgestanden hat“ bzw. wie es „ihr erging“. Weniger geht es also um detaillierte Handlungsanweisungen oder Hacks, wie sie bspw. bei LaurenCocoXO zu sehen sind, sondern vielmehr um die Identifikation mit Sophia Thiel und das Wiederfinden in den von ihr beschriebenen Gefühlen. Des Weiteren hebt Valerie in diesem Zuge hervor, wie sich Sophia Thiel selbst verändert hat und betont, dass
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sie die Liebe zum Sport entdeckt habe, auch wenn dies Sophia Thiel selbst in ihrem Transformationsvideo nicht explizit benennt. Des Weiteren, so wird deutlich, betrachtet Valerie in ihrem eigenen Video auch ihre einstige körperliche Verfassung sowie ihre Ernährungsweise und bemängelt diese stark. Mit dem durch die Rezeption angeeigneten Wissen und der Transformation des Habitus kritisiert sie nicht nur die einst fehlende Struktur, sondern auch ihre eigene Ernährungsweise und die „Crashdiäten“ vor der „Erleuchtung“. In den Aussagen, dass Valerie die Videos von Sophia Thiel explizit gesucht und sich die Clips „von Tag zu Tag immer reingezogen“ hat, dokumentiert sich, dass die Wissensaneignung bewusst von Valerie forciert und die intensive Rezeption der Videos reflektiert wurde. Dies unterstreicht Valerie zusätzlich indem sie betont, dass sie durch die Videos „immer mehr und mehr“ dazugelernt hat, was sie erneut wiederholt und hierdurch hervorhebt. Neben der Betonung, dass Valerie bei der Rezeption der Videos viel Neues erlernen konnte und hieran die Wissensaneignung sichtbar wird, tritt besonders an den Formulierungen „von Tag zu Tag immer reingezogen“ und „immer mehr und mehr dazugelernt“ deutlich hervor, dass Valerie, die Videos und deren Inhalt geradezu absorbierte und stark verinnerlichte. Die Akzentuierung des „immer wieder“ und „immer mehr“ demonstriert gar eine sehnsüchtige bis hin zu einer tendenziell abhängigen Rezeptionssituation, welche, wie die daran anschließenden Worte erkennen lassen, nicht nur zu Wissensaneignungen führten, sondern auch zu einer drastischen Änderung des Lebensstils und des Alltags sowie ihres Habitus und des Umgangs mit Normen. „Ich habe angefangen meine Ernährung umzustellen. Ich habe angefangen mit (.) erstmal mit Homeworkouts zu Hause, danach ein paar Monate später bin ich dann ins Fitnessstudio, ich glaube es war Februa:r, nee es war März zweitausendsechszehn, wo ich dann ins Fitnessstudio gegangen bin un wirklich mit schweren Gewichten angefangen hab zu trainieren. Diese Bilder sind im Mai entstanden, da war ich aufm Amsterdam-Trip un hab=da auch schon etwas abgenommen gehabt auf jeden Fall.“ (Valerie: Z. 709–715)
Insbesondere in Berichten, in denen Valerie darlegt, dass Sophia Thiel ihr gezeigt hat, „wies funktionieren kann“, dokumentiert sich, wie die Transformationsgeschichte Sophia Thiels die YouTuberin beeindruckte. Dass Valerie nach der Rezeption ihre Ernährung umgestellt und Homeworkouts absolvierte, verdeutlicht außerdem, wie eindrucksvoll und imposant die Videos Sophia Thiels auf Valerie wirkten. So berichtet diese weiter, wie sie nicht nur begann ihre Ernährung umzustellen, sondern nach einiger Zeit auch dem YouTube-Star nacheiferte und ebenfalls ins Fitnessstudio ging. Der hohe Stellenwert, den dieser Wandel für die Videoproduzentin darstellt, dokumentiert sich abermals an der genauen zeitlichen
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Benennung des Ereignisses. Gleichzeitig hebt Valerie dabei hervor, dass Sophia Thiel durch ihre Rolle als Vorbild stets gezeigt hat, wie eine Umstellung des Alltags funktioniert und der eigene Körper diszipliniert und transformiert werden kann. Dass der Fokus trotz des Trainings im Fitnessstudio weniger im Aufbau von Muskeln (wie später bei Sophia Thiel), sondern weiterhin auf der Abnahme von Körpergewicht lag, äußert sich schließlich im letzten Satz der Passage, in dem sie erneut an einem Foto verdeutlicht, dass sie zu dieser Zeit abgenommen habe. Zwar steht der Verlust an Gewicht bei Valerie somit im Zentrum des Interesses, jedoch zeigt die daran anschließende Sequenz auf, dass auch sie sich, wie Sophia Thiel, immer mehr für einen Aufbau von Muskeln begeistert und sich die einst angestrebte Körpernorm der Schlankheit in der Folge merklich verändert in eine Figur, die zusätzlich durch einen gewissen Muskelanteil definiert ist: „Im August bin=ich dann nach München gezogen fürn halbes Jahr, für mein Praxissemester und da hab ich mich gleich bei Ercans Bodygym angemeldet und zwar hat=der Ercan auch die Sophia trainiert und hatte super, super, super gutes Fachwissen. Er hat Meisterschaften bestritten, das gibt es nicht Leute un er hat wirklich, wirklich viel Wissen, Input und (.) ja einfach seine Oldschool-Geräte liebe ich, ich liebe diese Oldschool-Atmosphäre in seinem Gym und seit München ging es wirklich aufwärts, viel, viel schneller. Ich war=ja ne zeitlang auf nem riesen Plateau, ich hatte für drei Monate siebenundsechzich Kilo auf der Waage, für drei Monate, es hat sich nie was getan, aber dann seit München, ging es wieder bergauf, also ich hab Kilos verloren, also Körperfettanteil hab ich verloren, ich hab Muskelmasse, also ich hab an Muskelmasse zugelegt und einfach (.) mein Körper hat sich so verändert, aber ich muss auch sagen, dass sich nich nur mein Körper verändert hat, sondern auch ich selbst. Ich bin nich mehr träge, ich bin nich mehr schwerfällig, ich hab viel mehr an Selbstbewusstsein auch von innerer Stärke und Selbstsicherheit, das ist das allerwichtigste. Ich hab so ne gewisse Antriebskraft, ich will aus meinem Leben was machen, ich will erfolg:reich sein, ich will einfach (.) nicht tagtäglich, wie ein Tier vor mich hin=vegetieren. Ich will was aus meinem Leben machen, ich will was erreichen, Ziele setzen und diese auch erreichen. Stufe für Stufe und nach=un=nach.“ (Valerie: 715–736)
Wie die Textpassage offenbart, eifert Valerie dem YouTube-Star Sophia Thiel nicht nur derart stark nach, dass sie sich im gleichen Fitnessstudio wie diese anmeldete, sondern darüber hinaus auch mehr und mehr den Aufbau von Muskeln forciert. In diesem Sinne berichtet sie, dass sie durch das Training im Fitnessstudio sowohl Körperfettanteil verlieren konnte, als auch „an Muskelmasse zugelegt“ hat. Wie am Wort „gleich“ erkennbar wird, erfolgte die Anmeldung im Fitnessstudio dabei unmittelbar, woran sich wiederum der Enthusiasmus zur Nachahmung Sophia Thiels weiter demonstriert. Besonders eindrücklich dokumentiert sich in der Textpassage zudem, wie Valerie ihre Transformation nicht nur als körperliche
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Veränderung, sondern auch als mentale Umwandlung begreift. In diesem Sinne macht sie explizit darauf aufmerksam, wie sich auch ihre Einstellung veränderte und konstatiert, dass sie „nicht mehr schwerfällig“ ist und eine „gewisse Antriebskraft“ hat. Indem sie von ihren Veränderungen berichtet, geht hervor, dass diese auch von ihr wahrgenommen sowie reflektiert werden. In der Art und Weise, wie sie über ihre Vergangenheit sowie die Zeit vor der Transformation spricht, wird zudem ersichtlich, dass sie diese aus einer analysierenden sowie kritischen Perspektive betrachtet. Hieran wiederum erweist sich eine vollkommen divergente Anschauungsweise und Abgrenzung zum alten Paradigma. So schildert Valerie, dass sich nicht nur ihr Körper durch die Transformation stark verändert hat, sondern auch sie selbst in ihrer Persönlichkeit, das heißt ihre Denkweise sowie ihre „innere Stärke“ und ihr Selbstbewusstsein. Klar und unmissverständlich manifestiert sich in der Passage, dass es für Valerie im Transformationsvideo Sophia Thiels und dem darin repräsentierten Lebensmodell nicht nur um das Abnehmen geht oder um die Anpassung an eine bestimmte geschlechtsbezogene Körpernorm. Vielmehr zeigt sich an der Rezipientin, dass Valerie das Video als Inspiration für einen Lebenswandel nimmt. Wie sie selbst beschreibt, geht es um Erfolg und das Erreichen von Zielen, welches derart inspirierend und motivierend auf die Rezipientin wirkt, dass diese einen drastischen Lebenswandel durchlebt und retrospektiv das schwerfällige, träge und ohne Antrieb vollzogene Leben vor ihrer Transformation als ein „hinvegetieren“ schildert, welches „tagtäglich“ durchlaufen wurde. Insbesondere hieran zeigt sich, wie Valerie durch die intensive Rezeption der Videos nicht nur eine Methode entdeckte, mit der sie sich an die einstig angestrebte Körpernorm anpassen konnte, sondern die Umstellung der Ess- und Trainingsgewohnheiten sowie der körperliche Wandel auch Neuorientierungen und Umstellungen von umfassenden Lebensvorstellungen herbeiführten. Diese veränderte Art der Lebensführung, der stetig neuen Zielsetzung und Motivation, hat sich dabei derart in der Denkweise der Rezipientin manifestiert, dass sie diese geradezu als naturgegeben ansieht, wie im folgenden Zitat sichtbar wird: „Und ich finde einfach das gehört zum Leben dazu. Das gehört zum Menschsein dazu auf jeden Fall. Einfach euch Ziele zu setzen, motiviert zu bleiben und ganz, ganz, ganz wichtich, dran zu bleiben un das durchzuziehen, was ihr euch vornehmt, denn wenn ihr das nich macht, wenn ihr (.) euch was vornehmt, euch ständig Nein sagt und (.) es immer wieder abbrecht, dann steigert das einfach eure Demotivation, dann werdet ihr einfach immer trauriger ähm euer Selbstbewusstsein verschwindet und (.) ja ihr habt dann einfach kein Bock mehr und das versteh=ich alles. Klar wenn man die ganze Zeit auf die Schnauze fällt, wenn man die ganze Zeit versagt, dann hat man auch irgendwann kein Bock mehr, dann ist man auch (.) dann hat
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man keine Antriebskraft mehr, weil man sich denkt, so ja das wars auch schon, ich kann nicht mehr leisten, es geht nicht. Aber jeder Mensch kann was leisten, wenn er sich was vornehmt, glaubts mir Leute. Und mal schauen was die Zeit noch so mit sich bringt, für mich (.) war das Jahr zweitausendsechzehn eins der schönsten Jahre meines Lebens.“ (Valerie: 736–750)
Sich „Ziele zu setzen“ und „motiviert zu bleiben“ ist etwas, dass in ihren Augen zum „Menschsein“ dazu gehört. Unterstrichen wird diese Auffassung sowohl durch die Wiederholung als auch durch die Bemerkung „auf jeden Fall“. Erfolgreich zu sein, heißt für Valerie hingegen unter anderem zudem, den eigenen Körper so zu modifizieren, dass er genau so, wie in der eigenen Vorstellung aussieht. Erfolg definiert sich aus dieser Perspektive somit wesentlich über körperliche Leistungsfähigkeit. Es gilt sich selbst durch selbstgesteckte Ziele zu motivieren und seine eigene Antriebskraft zu steigern. Trägheit und Schwerfälligkeit werden als Negativhorizont aufgestellt und stehen im Kontrast zur Motivation und Antriebskraft und dem Setzen von Zielen. Dieses erscheint hingegen insbesondere durch den allumfassenden Charakter, welcher durch die Betonung des „Menschseins“ und das „jeder Mensch“ etwas leisten kann, als Norm. Zusätzlich unterstrichen wird diese durch die veränderte Ansprache, die nunmehr die Zuschauer_innen adressiert. Dementsprechend appelliert Valerie ihre Rezipient_innen „dran zu bleiben“ und redet diese mit „euch“ an, anstatt, wie in den vorherigen Sequenzen ausschließlich ihre eigene Transformationsgeschichte zu erzählen. Auf gleiche Weise wie Sophia Thiel verlagert Valerie somit zum Ende des Videos ihren Fokus von ihrer eigenen Transformation auf die Motivation ihrer Rezipient_innen. Diese sollen „was leisten“, sich „was vornehmen“ und Ziele setzen. Zugleich wird sichtbar, dass sich auch die Normen wandeln, auf die sich Valerie fokussiert. Standen zuvor stets die Ausrichtung und der Kampf mit Körpernormen im Fokus der Videoproduzentin, verlagert sich in dieser Passage die Blickrichtung auf allgemeinere normative Ordnungen, die das Leben und dessen prinzipielle Bestreitung anvisieren. Ähnlich wie im Video von Sophia Thiel heißt das Credo, sich stetig neue Ziele zu setzen und „ganz, ganz, ganz wichtig, dran zu bleiben“. Indem Valerie jene Punkte nochmals wiederholt und die Bedeutung hervorhebt, „motiviert zu bleiben“ und etwas Vorgenommenes „durchzuziehen“, zeichnet sich ab, wie die eigene Disziplin und das Durchhaltevermögen für die YouTuberin zunehmend an Relevanz gewinnt und zur neuen Norm avanciert, der es sich anzupassen gilt. Dies dokumentiert sich auch in der abschließenden Sequenz des Videos: „So das wars jetzt auch mit meiner Geschichte. Ich werde mich jetzt ans Essen (.) rantasten, ans Weihnachtsessen und ich werde mir alles gönnen, was ich möchte.
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Ich wünsch euch einfach eine gute Zeit liebe Leute, falls ihr wirklich in der Lage seid, in der ich war und wirklich abnehmen wollt, Muskelmassen zulegen wollt, was auch immer ihr haben möchtet, bitte fürs nächste Jahr auch (.) zieht es durch wirklich. Es kann jeder schaffen, das allerwichtigste is motiviert zu bleiben, dran zu bleiben und wirklich (.) die Sachen am Schopf zu packen und wirklich durchzuziehen, das is das allerwichtigste und ich wünsche für euch, liebe Leute, dass ihr das schafft. Das schwierigste Gewicht eigentlich sozusagen is wirklich sein Kopf und seinen Arsch von der Couch zu bewegen und einfach sich aufzuraffen, das is wirklich. Ja dazu gehört auch en bisschen Mut und dazu gehört auch en bisschen Willenskraft. Auch wenn ihr zum=Beispiel eine zeitlang mal keine Erfolge seht, dann macht trotzdem weiter, bleibt dran und dem Körper bleibt früher oder später nichts anderes übrig, als (.) das zu tun, was ihr möchtet. Vergesst wirklich nich, euer Körper is nicht euer Feind, er arbeitet immer mit euch und nicht gegen euch, deswegen, wenn ihr das da oben festgesetzt habt, wenn ihr=euch auch gesagt habt, ich verdiene das, ich verdiene diesen Körper, den ich mir schon immer gewünscht habe, dann werdet ihr es auch erreichen, dann werdet ihr auch dran=bleiben, glaubts mir Leute und ich hab=es einfach selber gemacht, ich hab=es einfach selber gesehen, dass das funktionieren kann. Vielen Dank fürs Zuschauen, wenn euch das Video gefallen hat, natürlich liked mein Video, kommentiert unter diesem (.) Video und abonniert meinen Kanal, würde mich super freuen für weitere Motivationsvideos und Sportvideos, Ernährungstipps und=so weiter und=so fort. Ich wünsch euch eine schöne Zeit, eine schöne Weihnachtszeit, genießt die Zeit liebe Leute, ciao.“ (Valerie: Z. 750–777)
Wie an der Textpassage der letzten Videosequenz zum Vorschein kommt, führt Valerie den Appell an ihre Zuschauer_innen fort und fordert diese auf, die Ziele auch wirklich durchzuziehen. Hieran dokumentiert sich jedoch nicht nur eine weitere Parallele in der Videogestaltung zu Sophia Thiel, sondern es wird sichtbar, wie sich jene Aufforderung durch die Videos reproduziert und hierdurch an Gewicht gewinnt. Wie Sophia Thiel rahmt auch Valerie den Appell mit weiterführenden Worten und unterstreicht dessen Bedeutung und universellen Charakter, indem sie sagt, dass es wirklich „jeder schaffen“ kann. Insbesondere die daran anschließende Aussage, dass dem Körper nichts anderes übrig bleibt, „als das zu tun, was ihr möchtet“, zeigt die Verbissenheit und Konsequenz auf, mit der Valerie eine Umwandlung erzwingen will. Auch hierdurch eröffnet sich eine weitere Parallele zu Sophia Thiel, die sich in ihrem Video ähnlich äußert. Diese erwähnt nämlich, dass sie immer einhundert Prozent gegeben und keine Ausnahme gemacht hat sowie über stets über ihre Grenzen hinausgegangen ist. Die Devise und Ausrichtung in Valeries Aussagen richtet sich, wie die erneute Betonung, dass „das allerwichtigste ist, motiviert zu bleiben“, nun weniger auf die Relevanz einer bestimmten Ernährungsweise oder Struktur, sondern stets mehr auf den Aspekt „sein Kopf und seinen Arsch von der Couch zu bewegen und
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einfach sich aufzuraffen“ und somit auf die Kontrolle und Disziplinierung des Selbst. Jene Selbstdisziplinierung Valeries kommt dabei immer wieder auch an knappen, vermeintlich unbedeutenden Stellungnahmen zum Vorschein, in denen sie bspw. sagt, dass sie sich an ihr Weihnachtessen „rantastet“ und sich „alles gönnen“ möchte. So dokumentiert sich bereits an der Formulierung und Verwendung des Wortes „rantasten“, wie sich Valerie beim Weihnachtsessen derart beherrscht, dass sie sich selbst bei einer derartigen Ausnahmesituation kontrolliert und sich nur vorsichtig dem Essen annähert. Auch der Rückgriff auf den Begriff „gönnen“ verweist schon in der Bedeutung des Ausdruckes auf ein Erlauben bzw. Genehmigen von etwas, dass eigentlich nicht gestattet ist und man sich selbst verbietet. Gleichzeitig akzentuiert die YouTuberin somit, dass die Erfüllung einer bestimmten Körpernorn etwas ist, dass es sich zu verdienen gilt. Dies hebt sie eigens hervor, indem sie den Zuschauer_innen dazu rät sich den Verdienst des gewünschten Körpers bewusst zu machen. Insgesamt wird an den Analysen folglich deutlich, dass sich im Video von Valerie erstens verschiedene normative Ordnungen, zweitens ein bedeutender Wandel des Habitus und drittens verschiedene Verhältnisse zwischen Normen und Habitus dokumentieren. Viertens wird an den komparativen Analysen sichtbar, wie sich der Habitus und dessen Verhältnis zu bestimmten Normen aufgrund von intensiven Videorezeptionen wandelten und sich somit nachvollziehen lässt, wie nicht nur Videoinhalte und –stile, sondern auch Subjektnormen reproduziert werden. So stand vor der Transformation Valeries, die maßgeblich durch Sophia Thiel geprägt wurde, vor allem der Kampf bzw. das Spannungsverhältnis zwischen Habitus resp. Performanz und Aneignung einer Körpernorm der Schlankheit im Zentrum der YouTuberin. Nach der körperlichen Umwandlung und erfolgreichen Anpassung an die Körpernorm, wandelte sich hingegen nicht nur der Habitus Valeries maßgeblich und leitete einen drastisch neuen Blick auf ihr Leben ein, sondern der Transformationsprozess richtete ihren Fokus gleichlaufend auch auf eine neue Norm. Die sich grundlegend im Video von Sophia Thiel manifestierende Subjektnorm der Selbstdisziplinierung wird in der Folge ebenso im Video Valeries reproduziert, wobei diese sich gleichzeitig der Norm anpasst, wie bspw. an der Kontrolle des Weihnachtsessens sichtbar wird. Einerseits erscheint die Disziplinierung des Selbst daher als eigenständige Norm, die es sich anzueignen gilt, andererseits dient die Aneignung simultan dazu, sich bestimmten Körpernormen anzupassen. Dies tritt maßgeblich in der Aussage zu Beginn des Videos in Erscheinung, in der Valerie sagt, dass es im Video darum geht, sich „eben halt“ zu disziplinieren. Die YouTuberin begreift die von Sophia Thiel präsentierte Subjektnorm der Selbstdisziplinierung als Inspiration und neue Art der Lebensführung, welche sich nicht allein auf das Abnehmen reduziert, sondern vielmehr universalisiert wird auf ein Lebenskonzept, das auf eine stetige
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Selbstmotivation und dem immer wiederkehrenden Stecken neuer Ziele fußt und somit dem Leitsatz folgt, „sich Ziele zu setzen und motiviert zu bleiben“. Dass Transformationen des Habitus, Wissensaneignungen, Nachahmungen von Handlungsweisen und die Reproduktion von Subjektnormen auch in weiteren Videos rekonstruierbar sind, wird schließlich am Clip der YouTuberin Mareike deutlich. In diesem zeigt sich in ähnlicher Weise, wie im Video der YouTuberin Valerie, dass die Videoproduzentin gleichlaufend Rezipientin der YouTuberin Sophia Thiel ist und diese als ihr Vorbild erkoren hat. Dies deutet sich bereits an der Textpassage der ersten Videosequenz an: „Hi hier is=die Mareike und (.) in diesem heutigen Video verrat ich euch vier Dinge die ich von Sophia Thiel gelernt habe (.) bleibt dran. Hi und herzlich Willkommen zu meinem Kanal (.) auf meinem Kanal geb ich dir Tipps, Tricks und Strategien, wie du abnimmst, dich dabei wohlfühlst und auch (.) gesund bist und ja (.) das alles is auch möglich. Wenn dir das zusagt, wenn dir das Video gefalln hat oder meine Art dir gefällt, dann klick doch einfach jederzeit unten auf den roten Abobox und du hast meinen Kanal kostenlos abonniert, denn ich mach für dich zwei Mal pro Woche freshe Videos wie diese hier. Und in diesem Video möchte ich ein bisschen über die (.) Sophia Thiel reden, das ist die ziemlich berühmte, junge (.) FitnessYouTuberin und die vier Dinge die ich von ihr übers Abnehmen (.) im letzten Jahr gelernt habe (.) let‘s dance.“ (Mareike: Z. 498–509)
Wie der Textabschnitt sichtbar macht, erklärt die YouTuberin Mareike nach einer kurzen Begrüßung zunächst worum es in ihrem Video gehen soll. Indem sie dabei ihr Ziel verkündet, vier Dinge aufzuzeigen, die sie „von Sophia Thiel gelernt“ hat, wird erstens deutlich, dass sie selbst offenkundig Rezipientin des YouTube-Stars ist und zweitens bestimmte „Dinge“ von ihr gelernt hat. Dass die Erkenntnisse, die Mareike aus der Rezeption der Videos zieht, ihrer Ansicht nach nicht jedem sofort zugänglich sind, wird an der Formulierung „verrat ich euch“ ersichtlich, die auf etwas Verborgenes hindeutet. Im Anschluss daran, verlässt die YouTuberin jedoch den unmittelbaren Bezug zum Video und bezieht sich stattdessen auf ihren gesamten Kanal. Dieser wird in der Folge beschrieben, wobei sich Mareike primär auf die Inhalte der Videos fokussiert. In diesem werden im Verlauf „Tipps, Tricks und Strategien“ zur „gesunden“ Gewichtsreduzierung und dem Wohlbefinden dargestellt. Hieran zeigt sich, dass Mareike ähnlich wie Valerie und Sophia Thiel vor deren Transformation nicht nur eine Abnahme forciert, sondern zudem eine Reduzierung des Körpergewichts, welche „gesund“ ist. Analog zu den zuvor untersuchten Videos führt Mareike zwar nicht weiter aus, was hierunter exakt zu verstehen ist, jedoch wird hier bereits sichtbar, dass die Gesundheit stets beachtet werden sollte und somit implizit als Norm
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erscheint. Die Bezeichnung der „Tipps“ und „Tricks“ weist dabei erneut auf die nicht sofort und offensichtlich erfahrbaren Verfahrensweisen und Raffinessen bei der Gewichtsabnahme hin. Dass die Anpassung an Gesundheitsnormen hierbei allerdings (wie bei Sophia Thiel) eine untergeordnete Rolle spielt und vielmehr die Aneignung von Körpernormen und das Erreichen von Zielen im Vordergrund stehen, offenbart sich unter anderem in der anschließenden Sequenz. „Lektion ei:ns, setzte dir ein (.) Ziel. Wichtich beim Abnehmen ist die Zielsetzung und die Sophia Thiel hat sich zum (.) Ziel gesetzt, eine bayrische Meisterschaft zu gewinnen in puncto Bikinimodell und Fitnessmodell sein, das heißt dementsprechend hat sie dann ihren Trainingsplan und ihr Ernährung umgestellt. Und in ihrm Transformationsvideo, das schon über drei Millionen Mal (.) angeklickt wurde, geht sie auch näher drauf ein, das es auch wichtich war, sich ein Ziel zu setzen. Wenn das jetzt zum=Beispiel nich dein Ziel is, sondern du möchtest, so wie ich, zwei ähm Konfektionsgrößen abnehmen, da:nn (.) wirst du dementsprechend deine Ernährung anders gestalten, als die Sophia Thiel das gemacht hat und auch anders (.) Sport machen, wie sie. Wichtich is, dass man weiß (.) wo:hin die Reise gehn soll. Und wenn du weißt, was du abnehm möchtest und am besten noch warum, dann kannst du dir einen Plan machen, wie du das am besten schaffst. Wenn du sagst, du möchst einfach abnehmen, aber du hast kein konkretes Ziel, wirst du es dir leider (.) erschweren dort hin zu=kommen und womöglich wirst du gar=nich die richtigen Schritte tun, um dahin zu komm, weil du nich weißt ganz genau, was du willst und dann auch nich weißt ganz genau, was du machen musst. Also Lektion Nummer eins, was ich von Sophia Thiel über des Abnehmen gelernt hab is, setzte dir ein Ziel.“ (Mareike: Z. 509–528)
Bereits die Verwendung des Wortes ‚Lektion‘ anstatt Tipp oder Ratschlag im ersten Satz des Textabschnitts verdeutlicht, dass Mareike die Gewichtsreduzierung und Transformation des Körpers eher als ein langfristiges Ziel begreift, das ähnlich wie das Erlenen von Sprachen anhand von aufeinander aufbauenden Lerneinheiten bewerkstelligt werden kann. Elementar ist hierfür, dass konkrete und eindeutige Ziele angestrebt werden und „man weiß, wohin die Reise gehen soll“. Um seinen Körper so wie Sophia Thiel zu verändern, liegt der erste Schritt folglich darin, seine Denkweise zu ändern, sich klare Aufgaben zu setzen, einen Plan zu machen und demnach seine Ziele zu strukturieren. Die Bedeutung dessen wird dabei im Wesentlichen in der redundanten Verwendung hervorgehoben, welche die Passage sowohl einleitet als auch beendet. Indem Mareike konstatiert, dass Sophia Thiel zwar augenscheinlich ein anderes Ziel (Fitnessmodell-Werden) verfolgt als sie selbst („zwei ähm Konfektionsgrößen abnehmen“), sie jedoch die Relevanz der Setzung von Zielen
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zur Erreichung dieser übernimmt, offenbart sich, wie Mareike Parallelen zwischen dem Video von Sophia Thiel und ihrer eigenen Erfahrungswelt zieht und das im Transformationsvideo vermittelte Wissen gleichzeitig in modifizierter Weise auf ihr Leben anwendet. Zugleich dokumentiert sich an der Passage, wie sie jene „Lektion“ der Abnahme nicht zur Erreichung ihres eigenen Zieles anwendet, sondern dieses gleichlaufend emphatisch an ihren Zuschauer_innen als Ratschlag weiterleitet, wodurch erneut Wissensaneignungen initiiert werden. Gleichzeitig wird deutlich, dass Mareike zwar die Zielsetzung und Strukturierung als bedeutungsvolle Elemente für die Veränderung Sophia Thiels ausmacht und für ihren eigenen angestrebten Wandel übernimmt, diese bisher jedoch nicht als Komponenten einer Norm der Selbstdisziplinierung einordnet. Dass neben der Zielsetzung und Strukturierung auch die Wissensaneignung und das Lernen von anderen Personen eine wichtige Rolle für Mareike spielt, kommt in der nachfolgenden Passage zum Vorschein: „Lektion zwei (.) um dieses Ziel schnellstmöglich und bestmöglich zu erreichen, is dass man sich einen Mentor sucht. Sie hat sich den (.) Ercan gesucht, das ist ein Bodybuilder, der schon (.) jahrzente=lang Erfahrung hat und sie hat in ihrem Transformationsvideo, das werd ich auch unten (.) verlinken, gesagt, dass erst als sie mit ihm richtig gut zusammen kam und zusammen gearbeitet hat, hat ihr Körper sich nochmal so=hingehend verändern, wie sie es wo:llte. Das heißt, wenn du abnehmen möchtest, dann bitte (.) frage nicht deine Freundin oder deine Mutter oder deine Schwester, die schon mehrere Diätversuche hinter sich hat und trotzdem immer=wieder zugenommen hat. Du musst jemand fragen oder auf Social Media jemand anhaun, jemand folgen, vielleicht hast du auch jemand in deim Umkreis, der einmal abgenommen hat und des Gewicht auch gehalten hat, das is wichtich. Dieser Mensch kann für dich ein Mentor sein, es können auch YouTuber für dich ein Mentor sein. Wichtich is nur, dass du dir Ratschläge holst (.) von jemand der das bereits erreicht hat, was du auch erreichen möchtest. Such dir ein Mentor online oder offline der schon das Ziel erreicht hat.“ (Mareike: Z. 528–544)
Wie der Textabschnitt der dritten Sequenz offenbart, erkennt Mareike, dass zur „bestmöglichen“ Erreichung des eigenen Ziels insbesondere die Hinzunahme eines Mentors elementar ist, der dieses Vorhaben bereits erfüllt hat. Erneut lernte Mareike diese Lektion aus der Rezeption des Transformationsvideos des YouTube-Stars. So berichtet sie, dass Sophia Thiel besonders durch ihren Mentor Ercan ihre Ziele erreichen konnte und „ihr Körper sich nochmal so=hingehend veränder, wie sie es wo:llte“. Mentoren, so fügt Mareike hinzu, können offline aber auch online in Form von YouTuber_innen gesucht werden, wichtig sei hauptsächlich, dass die Person das angestrebte Ziel bereits realisieren konnte. Als
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negativen Gegenhorizont für Empfehlungen nennt Mareike hingegen die „Mutter, Schwester oder Freundin“. Ratschläge zur Erreichung von Vorhaben, wie der Verringerung des Körpergewichts, sollten in den Augen von Mareike somit insbesondere bei YouTuber_innen und nicht etwa bei Familienmitgliedern oder Freundinnen gesucht werden. Zugleich wird bei der Beschreibung erneut deutlich, dass Mareike ihre Lektion zwar generalisiert und auf die Realisierung jeglicher Ziele ausweitet, jedoch weiterhin vor allem die Abnahme von Körpergewicht fokussiert und stets auf „Diätversuche“ und das Gewicht zu sprechen kommt. Indem Mareike zudem die Bedeutung hervorhebt, dass „das Gewicht auch gehalten“ werden sollte, verdeutlicht sich, dass Mareike (ebenso wie Valerie und Sophia Thiel) eine dauerhafte Abnahme betont und anstrebt. Eine derartige Reduzierung des Körpergewichts, so hebt die YouTuberin im nächsten Abschnitt hervor, habe jedoch nicht nur Auswirkungen auf das äußere Erscheinungsbild, sondern gleichfalls auf die „Denkweise“: „Lektion Nummer drei, die ich von Sophia Thiel über das Abnehmen gelernt habe is, es geht nich nur um das Äußere. Also wenn=man ihre Videos guckt und wenn=man so schaut was sie für Themen, natürlich bringt sie Ernährung und Fitness und äh=Rezepte und=so=weiter, aber ähm immer wieder bringt sie Videos, wo sie erzählt, wie sehr sich (.) ihr Mindset geändert=hat, also ihre Denkweise über sich selbst und was eigentlich in ihrm Kopf vorgehen mu:sste und Klick machen musste, damit sie so eine krasse und inspirierende Transformation überhaupt durchmachen musste. Un es geht wirklich nicht nur um das Äußere (.) es geht darum, was für ein Mensch man wird (.) in der Zeit wo man nach sein Ziel greift sozusagen. Das heißt man ändert sich nich=nur äußerlich, sondern auch innerlich un am besten zum positiven, indem=man (.) ja neue Sachen lernt, also wenn=man was verändern möchte in seinem (.) Leben, wird man automatisch sich Informationen suchen, neue Dinge lernen, neue Gewohnheiten sich aneignen und das ändert einen von innen nach außen und dann kann man das von innen nach außen (.) ausstrahlen. Also wichtich beim Abnehmen, es geht nich nur wie du aussiehst und dein Körper und dass du geliebt wirst von andern, es geht darum den Prozess was für ein Mensch wirst du, während du auf deinem Ziel hinzu=arbeitest.“ (Mareike: Z. 544–562)
Wie an der Textpassage der „Lektion Nummer drei“ sichtbar wird, hat Mareike von Sophia Thiel augenscheinlich nicht nur gelernt, dass die Setzung eines konkreten Ziels und die Unterstützung durch einen Mentor wichtige Faktoren sind, um abzunehmen, sondern dass sich auch die „Denkweise“ ändern muss. Dies erklärt sie das erste Mal in der Aussage, dass es „nich nur um das Äußere“ geht. Hieran wird erkennbar, dass Mareike nicht nur eine Unterscheidung zwischen dem „Äußeren“ und Inneren eines Menschen vornimmt, sondern dass eine bloße Fokussierung auf die äußerliche Erscheinung ihrer Meinung nach nicht
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zielführend bzw. hilfreich ist. Wie die daran anschließende Aussage „wenn=man ihre Videos guckt“ und die Verwendung des Plurals verdeutlicht, zieht Mareike diese Erkenntnis nicht nur aus dem Transformationsvideo Sophia Thiels, sondern auch aus weiteren Videos, die Mareike unter anderem in die Themenbereiche Ernährung, Fitness, Rezepte und eben Clips, die eine Änderung des „Mindsets“ behandeln, kategorisiert. Besonders letztere Videogruppe erscheint Mareike in Abgrenzung zu den anderen Themenbereichen ausgesprochen wichtig, was einerseits an der erneuten Betonung zum Vorschein kommt, dass es „wirklich nicht nur um das Äußere geht“, andererseits aber auch daran deutlich wird, dass sie auf jenen Punkt ausführlicher eingeht. So führt Mareike in verschiedenen Formulierungen aus, dass der YouTubeStar Videos präsentiert, in denen sie über Änderungen des „Mindsets“ oder der „Denkweise über sich selbst“ erzählt. Diese Aussage deutet an, dass in Mareikes Augen erst ein anderer Blick bzw. eine differente Perspektive angenommen und somit eine Transformation des Habitus vollzogen werden muss. Es gilt dementsprechend in erster Linie, sich selbst anders wahrzunehmen und zu behandeln. Die Veränderung der Wahrnehmung umschreibt die YouTuberin damit, dass es bei Sophia Thiel „Klick machen musste“, wodurch eine Metapher herangezogen wird, die auf das Umlegen eines Schalters hinweist. Erst der Wandel des Habitus bzw. des „Inneren“, so macht Mareike deutlich, kann eine äußere Transformation herbeiführen. Was Mareike somit anstrebt, ist nicht nur eine „äußerliche“ Anpassung an die Körpernorm, sondern vielmehr eine umfängliche Habitualisierung und Aneignung der Norm, wie sie sich im Transformationsvideo von Sophia Thiel dokumentiert. Einerseits verdeutlicht sich hieran, dass Sophia Thiel nicht nur hinsichtlich ihrer körperlichen Erscheinung als Vorbild für Mareike fungiert, sondern in hohem Maße auch im Hinblick auf ihren Habitus und den Umgang mit Normen. Andererseits deutet sich an, wie sich Mareike ebenfalls implizit an der Norm der Selbstdisziplinierung ausrichtet und sich dieser, wie Sophia Thiel, anpasst. Dass die Videos von Sophia Thiel die Rezipientin dementsprechend nicht nur sehr beeindruckt haben, sondern auch neue Orientierungen hervorrufen und mit anderen Subjektnormen konfrontieren, wird zusätzlich an der Aussage deutlich, dass der YouTube-Star eine „krasse und inspirierende Transformation“ präsentiert hat. So wird hierdurch die Vorbildrolle Sophia Thiels weiter hervorgehoben und auf die Aktivierung neuer Erkenntnisse und Sichtweisen hingewiesen, die durch die Rezeption ausgelöst wurden. Wie weitreichend diese neuartigen Orientierungen sind, zeigt sich unmittelbar in der anschließenden Aussage, in der sie erklärt, dass es darum ginge, „was für ein Mensch man wird“. In diesem Sinne gibt die
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Äußerung zu verstehen, dass man sich grundlegend und erkennbar als Mensch verändert, und dies, so betont Mareike erneut, „auch innerlich“. Die Zielsetzung und die damit einhergehende Steuerung und Kontrolle des Selbst führen nach Mareikes Schilderungen dazu, „neue Dinge“ zu lernen und sich „neue Gewohnheiten“ anzueignen. Diese Einsicht, so verrät der Hinweis auf den „automatischen“ Prozess, zieht Mareike nicht nur aus der Rezeption der Videos, sondern mehrheitlich aus Erfahrungen, die sie durch den Perspektivwechsel und die Ausrichtung an der Norm der Selbstdisziplinierung selbst erlangen konnte. Zusätzlich deutet der Verweis auf die „neuen Gewohnheiten“ an, dass hierdurch auch grundlegend der Alltag mit seinen Routinen und somit der Habitus verändert wird. Deutlich wird dementsprechend, dass es Mareike, ähnlich wie der Rezipientin Valerie, zunehmend nicht nur um das Abnehmen geht, sondern vielmehr um eine ganzheitliche Orientierung am Lebenskonzept Sophia Thiels, welches insbesondere durch eine Anpassung an die Subjektnorm der Selbstdisziplinierung geprägt ist. Besonders hervorgehoben wird dies auch am letzten Satz der Passage, in der Mareike beschreibt, dass es nicht nur entscheidend ist, „wie du aussiehst“, sondern es auch darum geht „was für ein Mensch“ man durch die Transformation wird. Hieran wird erkennbar, dass Mareike Sophia Thiel umfänglich als Menschen bewundert und dies vor allen Dingen, weil sie die Aneignung der Normen „von innen nach außen ausstrahlt“. Der trainierte Körper Sophia Thiels erscheint für die Rezipientin also gerade daher vorbildlich, weil er die verinnerlichte „Selbstdisziplinierung“ verkörpert. Neben dem Hinweis auf das Geliebtwerden, welches auf einen tieferen Wunsch hinter der Aneignung von Körpernormen hindeutet, tritt an der Formulierung des „Arbeitens“ eine weitere Parallele zu Sophia Thiels Video in semantischer Dimension auf, da diese ebenso den Begriff der „Arbeit“ wiederholt verwendet, ohne hingegen auf berufliche Kontexte zu verweisen, sondern auf die Arbeit an sich selbst. Insgesamt dokumentiert sich an der Passage folglich, dass Mareike sich erstens einer bestimmten Körpernorm anpassen will (zwei Konfektionsgrößen abzunehmen), zweitens sich die Norm (wie Sophia Thiel) auch „innerlich“ aneignen und somit diese habitualisieren möchte. Drittens richtet sich die Videoproduzentin hierbei implizit an Normen der Selbstdisziplinierung aus, wie sich an der Arbeit an sich selbst, der Konkretisierung von Zielen, dem Aufbau eines Plans und einer Ausweitung dieses Konzepts auch auf andere Lebensbereiche, manifestiert. Gleichzeitig legt sie dies ebenso ihren Zuschauer_innen ans Herz. Die rekonstruierte Ausrichtung an den Normen erscheint der YouTuberin Mareike jedoch weniger als exteriorer Zwang, sondern verspricht vielmehr eine Transformation,
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wie sie von Sophia Thiel präsentiert wurde. Die elementaren Komponenten der Norm der Selbstdisziplinierung werden in der Folge als derart erstrebenswert anerkannt, dass sie (neben dem Abnehmen) auf andere Lebensbereiche ausgeweitet werden. Besonders offenkundig wird diese Erweiterung auf weiterreichende Aspekte des Lebens schließlich auch in der fünften Sequenz des Videos. „Vierte Sache die=ich von Sophia Thiel über des Abnehmen gelernt habe is, dass ma:n sich sein Leben designen und kreieren kann. Sie is noch sehr jung, ähm ich glaub seit zwei Jahrn aus der Schule raus u:nd was ich gemacht habe, was viele in der Zeit gemacht habe, entweder Studieren, tust Familie gründen oder du machst ne Ausbildung. Und Sophia Thiel zeigt, dass du weder noch (.) das machen musst, du ka:nnst dir irgendwas aufbaun online über Social Media, ein YouTube-Kanal und daraus ein Business machen. Sie hat=ja im Prinzip das gemacht, sie hat=sich ein Business aufgebaut, sie hat Programme. Sie kommt mittlerweile auch im Fernsehn vor, man sieht sie in der Werbung und sie hat sich praktisch ihr Traumleben (.) kreiert und designt und sie hat auch nich (.) nach (.) Erlaubnis gefragt, darf sie das machen, sondern sie hat gedacht, ja ich möchte des machen, das is mein Ding und ich setz, ich setz es um und des find ich cool, das ist sehr inspirierend, das zeigt, dass es auch möglich is. Es gibt heutzutage viele Möglichkeitn, die nicht so wie das Establishment sinn (.) die en bisschen gegen den Strom gehen, aber dadurch kann man lernen sein Leben so zu kreieren, wie man es mö:chte und man macht dann einfach das, was man selber will @ und nich was alle andern eim (.) sagen und das is auf jeden Fall sehr inspirierend von Sophia Thiel und das ist die vierte Sache, die ich von Sophia Thiel (.) gelernt habe. Des ist jetz nicht primär übers Abnehmen, aber allgemein übers, über das Leben.“ (Mareike: Z. 562–582)
Wie die Textpassage der entsprechenden Sequenz zu erkennen gibt, leitet Mareike diese mit einer Zusammenfassung eines weiteren Aspektes ein, den sie von Sophia Thiel gelernt hat. So lässt Mareike verlauten, dass sie von Sophia Thiel erfahren konnte, „dass man sich sein Leben designen und kreieren kann“. Hieran wird deutlich, wie Mareike das Prinzip der freien Körpergestaltung auf das Leben im Allgemeinen ausweitet. In diesem Sinne kann nicht mehr nur der Körper nach Belieben geformt werden (wie dies Sophia Thiel eindrücklich präsentiert), sondern auch der gesamte Lebensweg kann ungebunden, kreativ und selbstbestimmt gestaltet werden. Sophia Thiel, so erklärt Mareike ihren Zuschauer_innen explizit, zeigte ihr folglich nicht nur Wege auf, wie man am besten abnimmt, sondern ebenso ein ganzes Lebenskonzept. Indem sich Mareike somit auf das Leben im Allgemeinen und nicht mehr ausschließlich auf den Aspekt des Abnehmens bezieht, wird erkennbar, welch umfassenden Erkenntnisse sie aus den Clips des YouTube-Stars zieht. Vor allem im Hinblick auf die Bestreitung des eigenen Lebenswegs, so
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macht Mareike deutlich, fungiert Sophia Thiel für sie als großes Vorbild, weshalb sie mehrmals hervorhebt, dass ihre Videos „sehr inspirierend“ für sie seien. Bereits zu Beginn der Passage erklärt Mareike, dass Sophia Thiel noch ausgesprochen jung und erst vor zwei Jahren „aus der Schule raus“ sei, wodurch sichtbar wird, wie sehr Mareike über die Biografie des YouTube-Stars informiert ist. Indem sie anschließend den Lebensweg des YouTube-Stars mit ihrem eigenen und den von „vielen“ anderen kontrastiert und ihren Rezipient_innen die Erkenntnis mitteilt, dass es neben dem Studium oder der Ausbildung alternative Lebenswege nach der Schule gibt, wird erkennbar, wie sich Mareike am Leben Sophia Thiels orientiert und dieses als Inspiration für ihre eigene Lebensgestaltung nimmt. Wie Sophia Thiel baut demnach auch Mareike ihr eigenes „Business“ durch die Eröffnung eines YouTube-Kanals auf. Dies wird von Mareike nicht nur als „cool“ empfunden, sondern darüber hinaus als rebellischer nahezu revolutionärer Akt. Demzufolge beschreibt Mareike das Lebenskonzept als eines, das „gegen den Strom“ verläuft und „nicht so wie das Establishment“ sei. Hieran wird wiederum deutlich, wie sich eine weitere Norm im Video dokumentiert, welche die YouTuberin primär als Richtlinie der richtigen Lebensführung bzw. Biografie wahrnimmt. Dieser Norm fühlt sich Mareike zwar ausgesetzt, sieht hingegen aber im Video Sophia Thiels einen Weg, der normativen Ordnung zu widersprechen, indem man konsequent sein eigenes „Ding“ umsetzt und nicht macht „was alle anderen einem sagen“. Besonders erstrebenswert erscheint der Umgang Sophia Thiels mit der Norm der richtigen Lebensführung für Mareike, weil sie das repräsentierte Leben Sophia Thiels selbst als ein „Traumleben“ bezeichnet und bewertet. Hieran wird sichtbar, dass sich sowohl Sophia Thiel selbst als auch ihr Leben für Mareike als Vorbild abbildet, an dem es sich zu orientieren gilt. Insgesamt wird an den Formulierungen der Passage folglich erfahrbar, dass Mareike in Sophia Thiels Videos nicht nur explizites Wissen zum Abnehmen aufnehmen konnte, sondern auch ein Vorbild im Umgang mit Normen der Lebensführung und umfassende „Inspirationen“ bekam, die zu Neuorientierungen auf mehreren Ebenen hinleiteten. Gleichsam wie im Video von Valerie dokumentiert sich im Clip von Mareike demnach, wie die intensive Videorezeption zu veränderten Sichtweisen und daher einer Transformation des Habitus führte. In ähnlicher Weise wie bei Valerie spielt auch für Mareike die Aneignung einer bestimmten Körpernorm eine wichtige Rolle. Das sich in Diäten und Anpassungsversuchen dokumentierende Spannungsverhältnis zwischen Habitus und Norm, drückt sich zwar bei Mareike nicht derart stark als ein „Kampf“ aus, wie bei Valerie und Sophia Thiel, wird aber genauso mithilfe einer richtigen „Strategie“ bzw. Methode versucht zu überwinden.
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Zum einen zeichnet sich im Video Mareikes hierdurch eine bewusste Orientierung an Sophia Thiel, eine explizit angestrebte Transformation ihres Selbst sowie eine Anpassung an bestimmte Subjektnormen ab. Zum anderen dokumentiert sich im Video aber auch die Erfahrung Mareikes, Normen (der richtigen Lebensführung) widersprechen zu können, wodurch ersichtlich wird, dass eine intensive Videorezeption nicht nur zu Reproduktionen von Subjektnormen führen kann (wie im Fall von Valerie), sondern ebenso auf der Ebene des Umgangs mit Normen „inspirieren“ bzw. Möglichkeiten aufzeigen kann. Wie stark sich Mareike jedoch weiterhin an Körpernormen ausrichtet, zeigt sich schließlich in der Textpassage der letzten Videosequenz: “So das waren die vier Dinge, die=ich von Sophia Thiel übers Abnehmen gelernt habe (.) nochmal kurz zusammengefasst (.) setze dir ein Ziel, wenn du abnehmen möchtest, damit du weißt wohin die Reise geht. Suche dir ein Mento:r, der Ahnung hat von dem, was du machen möchtest und der am besten schon da is, wo du hinkommen möchtest. Nehme die Ratschläge dann von demjenigen (.) auch an. Es geht nicht nur (.) um des Äußere, wenn (.) du deinen Körper änderst und transformierst, es geht darum, zu was für einem Menschen du wirst und wie du eine bessere Version von dir=selber (.) wirst u:nd es geht darum, dass du dadurch dein Leben kreieren kannst und designen kannst, wie du=es möchtest. Du musst nicht um Erlaubnis (.) dazu bitten. Ich hoffe das Video (.) hat euch gefalln, wenn ja, bewertet des Video doch mit nem Daumen hoch und abonnier meinen Kanal, denn ich bringe wie gesacht zwei=Mal pro Woche freshe Videos ra:us mit Tipps, Tricks und Strategien, wie du abnimmst, dich dabei wohlfühlst und gesund bleibst. Bis zum nächsten Mal, bis zum nächsten Video, eure Melli (.) ciao ciao.“ (Mareike: Z. 582–597)
Wie der Textabschnitt zu erkennen gibt, fasst Mareike in diesem nochmals ihre zentralen Punkte zusammen, die sie aus der Rezeption von Sophia Thiels Videos erlernen konnte. Indem Mareike in diesem Zuge darauf hinweist, dass es insgesamt darum geht, „wie du eine bessere Version von dir selber wirst“, wird einerseits das starke Anliegen an einer Transformation und der Ausrichtung am repräsentierten Lebenswandel von Sophia Thiel deutlich, andererseits zeigt sich, dass Mareike die schlanke, trainierte und erfolgreiche Sophia Thiel als „bessere Version“, als die junge, untrainierte Sophia Thiel begreift. Demgemäß erscheint der YouTube-Star für Mareike als umfängliches Vorbild, was sowohl die körperliche bzw. „äußere“ als auch die „innere“ Transformation anbelangt. Dass sich dies jedoch nicht nur auf sprachlicher Ebene rekonstruieren lässt, sondern zudem auch auf bildlicher Ebene zum Vorschein kommt, wird abermals an Analysen von Fotogrammen sichtbar. So dokumentiert sich in diesen in erster Linie, wie sich Mareike ebenfalls an der Norm der Selbstdisziplinierung ausrichtet
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und sich darüber hinaus mittels Nachahmungen von Gesten bzw. Posen am Habitus ihres Vorbilds orientiert. Besonders deutlich werden letztere Annäherungen in den folgenden Abbildungen, welche durch eine hohe Übereinstimmung vor allem hinsichtlich der nahezu identischen Gestik zwischen beiden Videoproduzentinnen hervorstechen. Die Rezipientin Mareike bezieht sich hierbei allerdings augenscheinlich auf ein weiteres Video Sophia Thiels mit dem Titel „Die BESTE Ernährungsweise | BIKINI FIGUR | Sophia Thiel“11 , welches jedoch nicht eigens detailliert analysiert wird, sondern ausschließlich als weiterer Vergleichshorizont dient (Abbildungen 6.42 und 6.43). Abbildung 6.42 Sophia Thiel II: 10.32. min.
Abbildung 6.43 Mareike: 03.20 min.
Wie an der Gegenüberstellung der Fotogramme zum Ausdruck kommt, ähneln diese sich hinsichtlich mehrerer Gesichtspunkte. Im Hinblick auf die szenische Choreografie lässt sich zunächst festhalten, dass sowohl Sophia Thiel in der ersten Abbildung als auch Mareike im Vergleichsbild nahezu identisch zur Kamera ausgerichtet sind. So sind beide Akteurinnen am linken Bildrand positioniert und 11 https://www.youtube.com/watch?v=pql7uMybw5s
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blicken frontal zum Aufnahmegerät. Auch wenn Mareikes rechte Schulter etwas vordergründiger erscheint, sind beide Oberkörper der Protagonistinnen insgesamt gerade zur Kamera gedreht. Weitere Kongruenzen zeichnen sich ebenso durch den Hintergrund des Bildes ab. Dieser ist in beiden Fällen sehr schlicht gehalten und eint sich zudem in seiner Helligkeit, die bei Mareike durch eine zusätzliche Belichtung verstärkt wird, wie die großen Schatten hinter ihrem Körper verraten. Die starke Lichtweinwirkung erhöht zudem die Klarheit resp. Schlichtheit in den Bildern und verdeutlicht den Stellenwert einer Kulisse, die nicht von den abgebildeten Bildproduzentinnen ablenkt und lediglich als Hintergrund fungiert. Bis auf eine weiße Tafel werden im ersten Fotogramm keine weiteren Utensilien abgebildet, weshalb die szenische Choreografie in beiden Fällen sehr begrenzt ist. In der direkten Gegenüberstellung der beiden Fotogramme kommt deutlich eine Übereinstimmung in der Art und Weise zum Vorschein, wie beide Akteurinnen ihre Hände zum eigenen Körper positionieren und aneinanderlegen. Zwar übt Mareike die Geste spiegelverkehrt aus, jedoch werden die Hände in beiden Fällen zusammengehalten und nach oben ausgerichtet, sodass die Handbewegung als ein Beten oder Bitten erscheint. Einerseits wird hierdurch der appellhafte Charakter der Videos hervorgehoben, welcher bereits als Charakteristikum der LifestyleVideos insgesamt ausgemacht werden konnte (siehe Abschnitt 5.1), andererseits zeigt sich auch, wie Mareike ähnliche Gesten wie Sophia Thiel ausübt und sich die Darstellung zwischen beiden Videos hierdurch noch stärker gleicht. Zieht man die Posen-Nachahmung von Valerie als tertium comparationis heran (siehe Abb. 6.37 und 6.38), wird zwar sichtbar, dass die Gebärde von Mareike nicht derart eindeutig als Nachahmung einer bestimmten Pose einzuordnen ist, jedoch deuten die Kongruenzen auf Nachahmungen hin, welche wiederum auf Annäherungen an den von Sophia Thiel verkörperten Habitus verweisen. Gleichzeitig wird beim Vergleich der beiden Fotogramme deutlich, dass Mareike aufgrund ihres Outfits nicht gleichermaßen sportlich erscheint wie Sophia Thiel. So lassen in erster Linie der dicke Schalkragen des dunkelblauen Baumwoll-Oberteils sowie die offenen Haare Mareike wesentlich unsportlicher gekleidet und verschlossener erscheinen als Sophia Thiel, die hingegen eine graue Sportjacke trägt und ihre Haare zu einem Zopf zusammengebunden hat. Trotz jener Differenzen wird ersichtlich, dass sich große Homologien zwischen Sophia Thiel und ihrer Rezipientin Mareike sowohl auf der Ebene der abbildenden Bildproduktion (formale Komposition) als auch auf der abgebildeten Bildproduktion (Körperpraxis) abzeichnen. Weiter verdeutlicht werden die Parallelen hinsichtlich der abbildenden Bildproduktion zudem anhand der folgenden beiden Fotogramme (Abbildungen 6.44 und 6.45):
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Abbildung 6.44 Sophia Thiel II: 03.10 min.
Abbildung 6.45 Mareike: 02.55 min.
Wie die beiden Ablichtungen erkennen lassen, eint sich zunächst erneut die szenische Choreografie, indem beide Protagonistinnen ähnlich zum Bildhintergrund positioniert sind. Auffällig ist zudem, dass sowohl von Sophia Thiel als auch von Mareike Nachbearbeitungen des ursprünglichen Videomaterials vorgenommen wurden. So wurde in beiden Fällen ein Versprecher auf die Weise korrigiert, dass in der Postproduktion das verbesserte Wort schriftlich eingeblendet und mit einem Sternchen markiert wurde. Zwar weisen die Nachbearbeitungen erneut kleine Differenzen in Form differenter Schriftart, -farbe und -größe auf, allerdings wird die Technik in gleicher Manier ausgeführt, was abermals auf mimetische Nachahmungen hinweist. Wie bereits angedeutet, werden anhand der Bildanalysen jedoch nicht nur Analogien zwischen den Videoproduzentinnen deutlich, die auf Nachahmungen von Körperpraktiken und Darstellungstechniken hindeuten, sondern an ihnen dokumentiert sich ebenfalls, welch besondere Rolle die Norm der Selbstdisziplinierung auch für Mareike einnimmt. Dies tritt besonders klar in einem Fotogramm hervor, welches der zweiten Videosequenz entnommen wurde und Mareike bei der Absolvierung von Sportübungen zeigt (Abbildung 6.46). Wie ein Blick auf das Fotogramm verdeutlicht, offenbart dieses auf vorikonografischer Ebene zunächst nur zwei Menschen, die sich auf einer blauen
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Abbildung 6.46 Mareike: 01.51 min.
und rosafarbenen Matte befinden. Diese sind auf einer grünen Wiese ausgebreitet, wobei sich die Akteurinnen mit den Ellenbogen und Fußspitzen auf der Unterlage abstützen. Unter Bezugnahme der reflektierenden Interpretation der szenischen Choreografie und der Kulisse tritt jedoch der Eigensinn des Fotogramms klar hervor. So weisen die Matten und die Körperhaltung beider Protagonistinnen zunächst auf die Durchführung einer Sportübung hin. Wird diese darüber hinaus im Gesamtkontext betrachtet, wird der stark selbstdisziplinierende Charakter ersichtlich. Das teilweise schon verfärbte und auf der Wiese verteilte Laub der Bäume sowie der graue Himmel lassen gut erkennen, dass die Aufnahme im Frühherbst abgelichtet wurde. Wie zudem anhand des Videoverlaufs deutlich wird, ist der Himmel nicht nur wolkenbedeckt, sondern es regnet auch zusätzlich und die warme Bekleidung der abgebildeten Bildproduzenten verweist auf eine kalte Außentemperatur. Durch die augenscheinlich kalt-nasse Wetterlage erhält die Szenerie einen stark disziplinierenden Charakter, der an eine Art militärisches ‚Bootcamp‘ erinnert. So zeigt die Sequenz, dass bei jedem Wetter, wie an einem regnerischen Herbsttag, unter freiem Himmel mit dem eigenen Körpergewicht trainiert wird. Bei der szenischen Choreografie des Fotogramms stehen Mareike und die weitere abgebildete Person auf der blauen Trainingsmatte deutlich im Mittelpunkt.
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Sowohl das Blatt Papier, welches vor der Person mit dem blauen Oberteil platziert ist als auch die Ausführung der Übungen (die vornehmlich anhand der Sequenzialität eindringlich hervortritt) zeigen, dass die Person auf der blauen Gymnastikmatte Trainingsübungen vorgibt und anleitet, wohingegen Mareike die einzelnen Übungen umgehend kopiert. Dies geht zudem aus der Planimetrie des Bildes hervor, die aufzeigt, dass die beiden Trainingsmatten nicht in einer geraden Linie nebeneinander liegen, sondern Mareike ihre Trainingsmatte schräg zu der weiteren Person ausgerichtet hat, wodurch diese besser in ihrem Blickfeld liegt und sie die Übungen nachahmen kann. Zudem erscheint die Körperhaltung von Mareike insbesondere im direkten Vergleich weniger stabil als bei ihrem Gegenüber. Dies rührt überwiegend aus dem abgeknickten Fuß und dem weit nach unten geneigtem bzw. hängendem Kopf Mareikes. Insgesamt wird somit ersichtlich, dass Mareike ähnlich wie Sophia Thiel auf die Hilfe eines persönlichen Coachs zurückgreift, der mit ihr Sportübungen durchführt, die stark an Szenarien eines militärischen Bootcamps erinnern. Zum einen wird hieran die Ausrichtung an die Norm der Disziplinierung weiter deutlich, zum anderen zeigt sich an dem Coaching aber auch eine weitere Parallele zu Sophia Thiel, die ebenso Unterstützung bei einem Personal Trainer sucht. Dass Mareike sich augenscheinlich jedoch nicht nur anhand von Sportübungen diszipliniert, sondern gleichfalls im Hinblick auf die eigene Ernährung, dokumentiert sich schließlich anhand der letzten beiden Fotogramme, die in diesem Kontext analysiert wurden. Diese weisen allerdings nicht nur auf eine Ausrichtung an der Norm der Selbstdisziplinierung hin, sondern darüber hinaus auch auf die bereits im Video der YouTuberin LaurenCocoXO rekonstruierte Form der Selbstbewährung (Abbildungen 6.47 und 6.48). Abbildung 6.47 Mareike: 01.40 min.
Wie die beiden Fotogramme zunächst offenbaren, zeigen diese auf vorikonografischer Ebene eine Frau mit blauem T-Shirt, die an einem Holztisch sitzt. In der ersten Abbildung hält die Frau einen Pappteller in ihren Händen auf
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Abbildung 6.48 Mareike: 01.44 min.
dem Tortenstücke platziert sind, wohingegen diese im zweiten Fotogramm nicht mehr zu sehen sind. Auf ikonografischer Ebene wird deutlich, dass die Bilder die Videoproduzentin Mareike in einem Raum ihrer Wohnung zeigen. Bei der Gegenüberstellung der Fotogramme wird ersichtlich, dass sich ausschließlich die szenische Choreografie verändert, wohingegen die Bildhintergründe konstant bleiben. Diese, so wird deutlich, offenbaren eine sehr ungeordnete, nahezu chaotische Kulisse, die über die abgebildete Bildproduktion hergestellt und anhand der abbildenden Bildproduktion noch verstärkt wird. Aus Sicht der planimetrischen Komposition dominieren in der ersten Abbildung zwei Linien das Bild besonders. Die erste vorherrschende Linie verläuft an der Tischkante und trennt Mareike, die Tortenstücke sowie den restlichen Raum vom Tisch und den auf diesem platzierten Utensilien. Die zweite Linie wird durch die Wandkante geformt, welche sich hinter Mareike befindet und den Raum in Esszimmer und Flur teilt. Die Unordnung im Bild, die bereits aufgrund der verschiedenen Gegenstände und Materialien im Raum hervortritt, wird zusätzlich durch die Kameraperspektive weiter verstärkt. So befindet sich Mareike auf der linken Seite des Bildes, wohingegen sich der Bildmittelpunkt auf der Wand im Bildhintergrund befindet. Die Kamera ist dabei leicht unterhalb der Tortenplatte positioniert und filmt aus der Normalperspektive. Sie ist derart platziert, dass sie sowohl die auf der Kommode stehenden Bilder und die Blume auf der rechten Bildseite als auch die Pinnwand auf der linken Seite ins Filmbild geraten lässt. Mareike befindet sich hierdurch nicht nur am Bildrand, sondern planimetrisch sogar zwischen zwei Räumen, da ihr Körper bzw. linker Arm durch die zweite dominante Linie der Wandkante im Hintergrund des Bildes geschnitten wird. Hierdurch verstärkt sich der nahezu chaotisch anmutende Charakter im Fotogramm weiter, welcher zusätzlich durch zwei Fluchtpunkte intensiviert wird, zwischen denen der Blick des Betrachters wandert. Diese befinden sich zum einen auf Mareike und dem Tortenteller sowie zum anderen auf den Fotos, die auf der Kommode platziert sind. Durch die Schrägperspektive erscheint das Bild
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zusätzlich ungeordnet. Jene Unordnung wird darüber hinaus durch die Kadrierung hervorgehoben, da diese sowohl diverse Utensilien am linken Bildrand im Hintergrund einfängt als auch jene Gegenstände, die sich am rechten Bildrand auf dem Holztisch befinden. Obwohl das Bild zwei Fluchtpunkte aufweist, liegt das Hauptaugenmerk auf Mareike und der Tortenplatte. Die große Bedeutung der Verbindung von Mareike und der Tortenplatte wird dabei größtenteils über die Gestik und Mimik von Mareike hervorgehoben. Wie sich in vergleichbarer Weise schon im Video von LaurenCocoXO zeigte, dokumentiert sich auch in dieser Sequenz eine Übergegensätzlichkeit aus Nähe und Distanz zu einer präsentierten Süßigkeit. So hält sich die Akteurin den Tortenteller zwar (ähnlich wie LaurenCocoXO die Schokolade) direkt unter die eigene Nase, jedoch ausschließlich um diesen im unmittelbaren Anschluss daran wieder von sich wegzuschieben. Die dominante Linie des Holztisches, die in der planimetrischen Analyse identifiziert wurde, gewinnt vor allem hier große Relevanz, da Mareike kurz nachdem sie die Torte zu ihrem Gesicht geführt hatte, diese wiederum auf den Tisch abstellt und somit nicht nur von sich wegschiebt, sondern auch planimetrisch derart von sich entfernt, dass diese nun durch die dominante Linie des Tisches von Mareike getrennt ist. Ähnlich wie LaurenCocoXO nutzt Mareike die Torte demnach als Mittel der Selbstbewährung, da sie die Torte unmittelbar vor sich platziert, um sich an ihr zu bewähren und der Versuchung zu trotzen. Bei der Analyse der Mimik zeigt sich, dass Mareike einerseits die Augen schließt und damit die Torte aus ihrem direkten Blickfeld nimmt, andererseits erscheint jenes Augenschließen zugleich als ein Träumen oder ersehntes Wünschen. Insgesamt wirkt der Gesichtsausdruck einsichtig, jedoch gleichzeitig enttäuscht, was maßgeblich aus der Kombination aus ihren hochgezogenen Augenbrauen und ihrem geschlossenen, gerade geformten Mund resultiert. Zusätzlich wird deutlich, wie Mareike ihren Kopf leicht zur Seite (von der Torte weg) neigt, ihre Schultern dabei allerdings zur selben Zeit etwas nach oben zieht. Erneut dokumentiert sich hieran eine Übergegensätzlichkeit aus Nähe und Distanz. Darüber hinaus wird diese durch die Haltung des Tortentellers verstärkt. Zwar tragen die Finger den Tortenteller nah an ihr Gesicht, jedoch steht der Teller hauptsächlich auf ihren Fingerkuppen und wird eher balanciert, denn festgegriffen. Hierdurch entsteht der Eindruck, als könnte der Teller jeden Moment von ihren Fingern weggleiten. Des Weiteren ist keinerlei Besteck auf dem Tisch oder der Platte zu sehen, mit dem die Torte gegessen werden könnte. Die Torte ist somit zwar nah an Mareike platziert aber dennoch distanziert. Demnach zeichnet sich ebenfalls bei Mareike eine Ausprägung der Selbstbewährung ab, bei der es sich nicht nur selbst zu disziplinieren, sondern sich darüber hinaus auch die eigene Disziplin zu vergegenwärtigen und selbst zu beweisen gilt.
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Gleichzeitig zeigt die Analyse, dass jene Selbstbeherrschung und der Versuch, Kontrolle über sich und sein Leben zu gewinnen in Divergenz zum Eigensinn des Bildes stehen, welches eher ungeordnet und nahezu chaotisch erscheint. Jene Diskrepanz weist darauf hin, dass sich Mareike in einem Prozess der Aneignung befindet und der Subjektnorm der Selbstdisziplinierung noch nicht vollends und im gleichen Maße wie Sophia Thiel entspricht. An der Analyse der bildlichen Ebene wird folglich nicht nur sichtbar, wie die Videoproduzentin Mareike ähnliche Darstellungsweisen und Gesten wie Sophia Thiel präsentiert und dies auf mimetische Nachahmungen hinweist, sondern sich auch auf visueller Ebene Teilprozesse der Aneignung von Normen nachvollziehen lassen. Insgesamt wird demnach ersichtlich, wie Mareike sich im Prozess befindet verschiedene Subjektnormen anzueignen, die teilweise noch in Diskrepanz zum Habitus resp. der Performanz der YouTuberin stehen. Wie die Analysen zeigen, dokumentiert sich dies sowohl auf bildlicher als auch auf textlicher bzw. sprachlicher Ebene des Videos. Nicht nur an dem explizit genannten Ziel, zwei Konfektionsgrößen abnehmen zu wollen, wird dabei ersichtlich, dass Mareike (in ähnlicher Weise wie Valerie) eine Aneignung einer bestimmten Körpernorm anstrebt, die sich durch eine schlanke Figur kennzeichnet, sondern auch an wiederholten Betonungen, dass ihr eine dauerhafte Abnahme sehr wichtig ist. Wie auch Sophia Thiel widerspricht Mareike folglich nicht der dominanten Körpernorm der Schlankheit, sondern sie präsentiert ihren Rezipient_innen vielmehr, wie sich diese ebenfalls der Norm mithilfe von „Lektionen“ (die sie aus dem Transformationsvideo Sophia Thiels herleitet) und Disziplinierungsmaßnahmen erfolgreich anpassen können. Dass hierbei auch die eigene Gesundheit beachtet werden sollte, lässt die Sorge um das eigene Wohlbefinden zwar implizit auch als Norm erscheinen, jedoch wird deutlich, dass die Anpassung an jene Norm nur eine untergeordnete Rolle spielt und der Hauptfokus auf der Aneignung von Körpernormen sowie der Norm der Selbstdisziplinierung liegt. Ferner dokumentiert sich anhand der Analysen, dass Mareike nicht nur eine „äußerliche“ Aneignung der Normen anstrebt, sondern (wie im Fall von Sophia Thiel) die Normen auch im „Inneren“ umfänglich erfüllt und habitualisiert werden sollen. Nachdem die Videointerpretationen somit unter anderem umfassende Erkenntnisse zur Rekonstruktion von Subjektnormen und deren Relation zum Habitus der YouTuber_innen sowie der Transformation des Habitus und der Reproduktion von Normen liefern konnten, sollen die umfangreichen Ergebnisse der Analysen im nächsten Kapitel zunächst zusammengefasst werden, bevor sie anschließend im Hinblick auf die theoretischen Ausführungen der Arbeit diskutiert werden.
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Zusammenfassung der Ergebnisse im Kontext theoretisch-methodologischer Grundlagen und des aktuellen Forschungsstands
Die empirisch-rekonstruktive Interpretation von YouTube-Videos aus dem Lifestyle-Genre, so wurde deutlich, kann Erkenntnisse zu diversen Forschungsinhalten generieren. Demnach konnten nicht nur Erkenntnisse im Kontext der empirischen Subjektivierungsforschung bzw. hinsichtlich der Rekonstruktion von Subjektnormen und Subjektivierungen erarbeitet werden, welches das Hauptanliegen der vorliegenden Untersuchungen war, sondern darüber hinaus auch im Hinblick auf grundsätzliche Eigenarten und Charakteristika von YouTubeVideos des Lifestyle-Genres. Bevor die Erkenntnisse daher im Kontext der theoretisch-methodologischen Grundlagen diskutiert werden, sollen die umfangreichen Ergebnisse der Videoanalysen im Folgenden zunächst überblickartig zusammengefasst werden.
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Die Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse
Dem Grundanliegen der empirischen Subjektivierungsforschung folgend, explizit die Seite der Adressat_innen von Subjektnormen zu analysieren und der Frage nachzugehen, welche Relevanz normative Ordnungen für die Alltagspraxis von Akteur_innen besitzen, wurde sich über die Interpretation von YouTube-Videos unmittelbar der Perspektive einzelner Videoproduzent_innnen zugewandt. Hiermit
Elektronisches Zusatzmaterial Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, das berechtigten Benutzern zur Verfügung steht https://doi.org/10.1007/ 978-3-658-31754-6_7.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 D. Burghardt, Rekonstruktionen von Subjektnormen und Subjektivierungen, Film und Bewegtbild in Kultur und Gesellschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31754-6_7
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Zusammenfassung der Ergebnisse im …
wurde sich primär den Forschungsfragen gewidmet, wie die untersuchten Videoproduzent_innen mit verschiedenen Normen umgehen, die sich in ihren Videos dokumentieren, in welcher Relation die normativen Ordnungen zum Habitus der YouTuber_innen stehen und inwiefern sich über komparative Analysen der Videos Reproduktionen von Videoinhalten insbesondere auf der Ebene der Erfahrung und dem Umgang mit Normen rekonstruieren lassen. Der Beantwortung derartiger Forschungsfragen, so konnte anhand zeitgenössischer Individualisierungs- und Subjektivierungstheorien verdeutlicht werden, kommt insbesondere deshalb eine große Relevanz zu, da diese zwar mehrheitlich die immense Bedeutung makrostruktureller Umwandlungen für die Ausbildung vorherrschender Subjektformen hervorheben, jedoch mikrosoziale Aneignungen und die tatsächliche Bedeutung für die Alltagspraxis der Individuen nur unzureichend beleuchten. Folglich bleibt in den theoretischen Ausführungen nicht nur die tatsächliche Relevanz von Individualisierungsprozessen und normativen Ordnungen für die Alltagspraxis von Akteur_innen empirisch unberücksichtigt, sondern ebenso die Frage, in welchem Verhältnis reflexive Wissensstrukturen zum Habitus der Akteur_innen stehen. Anhand detaillierter Interpretationen zehn deutschsprachiger YouTube-Videos des Lifestyle-Genres wurde sich in der vorliegenden Arbeit hindessen gezielt den offenen Fragen der makro- und mikrosozialen Relation gewidmet. Auf diese Weise konnte rekonstruiert werden, mit welchen Subjektnormen sich die YouTuber_innen konfrontiert sehen und wie sie mit den Normen in ihren Videos auf unterschiedliche Weise umgehen. Da die untersuchten Lifestyle-Clips vornehmlich Alltagsthemen behandeln und die YouTuber_innen in diesen bspw. präsentieren, wie sie sich ernähren, worauf sie tagtäglich achten oder was sie in ihrer Freizeit besonders begeistert, konnten die Videos weitreichende Erkenntnisse zur Alltagspraxis der YouTuber_innen geben. Angefangen mit dem Video der YouTuberin LaurenCocoXO sollen im Folgenden die zentralen Ergebnisse der Interpretationen im Hinblick auf die soeben aufgezeigten Forschungsfragen zusammenfassend dargestellt werden. Hierbei lässt sich zunächst festhalten, dass sich im Video der YouTuberin LaurenCocoXO verschiedene Normen dokumentierten, die einerseits in Verbindung zueinander, andererseits aber auch in unterschiedlicher Weise in Relation zum Habitus der Videoproduzentin stehen. Als erste Norm erschien hierbei die Selbstdisziplinierung, die im Video mittels komparativer Analysen von Fotogrammen zum Vorschein kam. Diese zeigten, dass die Norm maßgeblich durch eine starke Disziplin und die Kontrolle der eigenen Gelüste, Affekte und Triebe geprägt ist. Gleichzeitig offenbarten die Interpretationen der Fotogramme aber auch, wie die YouTuberin ihre Anpassung an die Norm mittels Bewährungsprüfungen austestet und zugleich trainiert. So konfrontiert sie sich zwar einerseits direkt mit einer
7.1 Die Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse
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Tafel Schokolade, welche eine große Lust in ihr hervorruft, andererseits untersagt sie sich zur gleichen Zeit den Verzehr der Süßigkeit. An dem gezielten Austesten und Training wurde folglich erstens sichtbar, dass ein potenzielles Spannungsverhältnis zwischen Norm und Habitus vorliegt, welches es auf die Probe zu stellen gilt. Zweitens sich der Norm jedoch erfolgreich angepasst wurde und sie der Bewährung standhält. Zugleich kam in diesem Kontext auch eine Ernährungsnorm zum Vorschein, welche maßgeblich darin besteht, Süßigkeiten bzw. „ungesunde“ Lebensmittel zu meiden. Wie die Interpretationen dabei offenbarten, dokumentiert sich in diesem Fall zudem ein ähnliches Verhältnis zwischen Norm und Habitus. So passt sich LaurenCocoXO zwar erfolgreich der normativen Ordnung an, jedoch besteht weiterhin ein potenzielles Spannungsverhältnis, welches die YouTuberin ausschließlich mithilfe von Hacks bzw. Tricks überwinden kann. Um komplett auf Süßigkeiten zu verzichten, greift die Videoproduzentin so bspw. auf Alternativsnacks aus Obst zurück oder lenkt sich mit Spaziergängen ab. Ähnlich verhält es sich zudem mit der letzten normativen Ordnung, die im Video identifiziert werden konnte und vornehmlich darin besteht, regelmäßig Sport zu treiben. Auch hier wurde ersichtlich, dass sich LaurenCocoXO der Norm erfolgreich anpasst, hierzu jedoch erneut auf Hacks zurückgreift, die sie zur wiederholten Ausübung sportlicher Aktivitäten motivieren und sie hiermit in der Anpassung unterstützen. In diesem Kontext zeigte sich, wie die Videoproduzentin bspw. Sportclips anderer YouTuber_innen schaut, um sich zu motivieren. Schließlich offenbarten die Interpretationen, dass die Anpassung an die identifizierten Normen von der YouTuberin als nahezu selbstverständlich aufgefasst wird und die normativen Ordnungen, sich zu disziplinieren, auf Süßigkeiten zu verzichten und Sportübungen zu absolvieren als indiskutabel erscheinen. Zugleich, so wurde mittels Interpretationen von Fotogrammen deutlich, sind die identifizierten Normen auch an ein bestimmtes Schönheits- bzw. Körperideal gekoppelt, welches maßgeblich durch eine schlanke, sportliche Figur geprägt ist. Zum einen gilt es, sich zwar jeder einzelnen Norm gesondert anzupassen, zum anderen stehen diese jedoch auch in Verbindung zueinander und formen ein spezielles zu erfüllendes Subjekt-Sein, das sich diszipliniert ernährt, fit und gesund hält und dies darüber hinaus verkörpert. Insgesamt konnte an der Videointerpretation somit ein weitestgehendes Passungsverhältnis zwischen den sich im Video dokumentierenden Normen und dem Habitus LaurenCocoXOs rekonstruiert werden. Diese sind potenziell von einem Spannungsverhältnis geprägt, welches sich jedoch mithilfe verschiedener Hacks bzw. Alltagstechniken überwinden lässt. Ein nicht weniger ausgeprägtes Passungsverhältnis zwischen normativen Ordnungen auf der einen Seite und Habitus auf der anderen Seite dokumentierte
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sich auch in der rekonstruktiven Interpretation des Videos von Karl Ess. In dieser wurde bereits zu Beginn deutlich, dass ebenfalls im Clip dieses YouTubers, Ernährungsnormen eine wichtige Rolle spielen. Im Gegensatz zur Videoproduzentin LaurenCocoXO zeigt sich die Relevanz der Normen im Video von Karl Ess jedoch nicht in der Präsentation von Alltagshacks, sondern im Aufzeigen eines Lebensmitteleinkaufs. In der genauen Darstellung und Kommentierung seines Einkaufs kommt dabei eine Norm zum Vorschein, die maßgeblich darin besteht, zum einen ausschließlich Lebensmittel zu essen, die im sogenannten „FitnessLifestyle“ legitimiert sind, zum anderen jene Lebensmittel möglichst in großen Mengen zu verzehren. So gilt es bspw. viel Grünkohl, Spinat, Linsen und durchweg unverarbeitete Lebensmittel zu konsumieren. Wie sowohl auf bildlicher als auch auf textlicher Ebene zum Vorschein kam, konnte sich der YouTuber im Gegensatz zu LaurenCocoXO jedoch nicht nur an die Norm anpassen, sondern er konnte sie sich regelrecht zu eigen machen, Spannungsverhältnisse überwinden und somit aneignen. In diesem Kontext wird erkennbar, wie Karl Ess die Ernährungsnormen derart habitualisiert hat, dass er sie nicht nur problemlos und ohne Anstrengung in sein alltägliches Einkaufs- und Ernährungsverhalten implementieren konnte, sondern diese ebenfalls geradezu im Vorbeigehen wiedergeben kann. Hierbei greift Karl Ess auf eine Systematisierung der Lebensmittel zurück, indem er diese anhand verschiedener Merkmale, wie etwa Farbe und Nährstoffgehalt, kategorisiert. Durch die habitualisierte Kontrolle und reflexive Aufnahme der Lebensmittel kommt zwar einerseits zum Vorschein, wie stark sich Karl Ess im Ernährungsverhalten reguliert und diszipliniert, jedoch erscheint die hohe Selbstdisziplin nicht als eigene Norm, an die sich Karl Ess explizit versucht anzupassen. Im Gegensatz zu LaurenCocoXO benötigt der YouTuber zur Anpassung an die normative Ordnung dementsprechend auch keine Hacks. Vielmehr entspricht Karl Ess der Norm der Selbstdisziplinierung, ohne sich dies zu vergegenwärtigen, wodurch eine implizite Passung zum Vorschein kommt. Vor allem an Interpretationen von Fotogrammen, die den YouTuber beim oberkörperfreien Posieren und beim Muskeltraining zeigen, offenbarte sich jedoch, wie die identifizierten Normen in ähnlicher Weise, wie im Video von LaurenCocoXO in Verbindung mit einem bestimmten Körperideal stehen. Dieses ist maßgeblich durch einen gesunden und ‚funktionierenden‘ Körper sowie einem Körperbau geprägt, der sich durch eine ausgebildete Muskulösität bei gleichzeitig geringem Körperfettanteil kennzeichnet. Dieses Körperideal betont Karl Ess jedoch nicht nur auf bildlicher Ebene, sondern er hebt auch in den Beschreibungen seines Lebensmitteleinkaufs die Bedeutung bestimmter Lebensmittel für den Muskelaufbau und die Gesundheit hervor. Insgesamt wurde somit ersichtlich, dass sich ebenso die im Video
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von Karl Ess identifizierten Normen verknüpfen und ein bestimmtes zu erfüllendes Subjekt-Sein formen, das sich in Manier des Fitness-Lifestyles ernährt und durch Muskeltraining zu einem bestimmten Körperbild modelliert. Wie in den Videos der populären YouTuber_innen LaurenCocoXO und Karl Ess spielt Ernährung auch im analysierten Clip von ExFitness eine wichtige Rolle. Bereits an den Interpretationen der ersten Videosequenzen zeichnete sich in diesem Kontext eine Norm ab, die vornehmlich darin besteht, ein bestimmtes Pensum einer vorgeschriebenen Kalorienmenge durch den Verzehr von Lebensmitteln nicht zu überschreiten und dementsprechend auf den Konsum von hochkalorischem Essen zu verzichten. Wie sich vor allem an Beschreibungen des YouTubers zeigte, passt dieser sich in seinem Alltag mithilfe einer speziellen Diät an die normative Ordnung an. Im analysierten Video jedoch präsentiert er einen sogenannten Cheatday. Hierunter versteht der Videoproduzent einen Tag, an dem er sich bewusst der normativen Ordnung widersetzt und durch den Verzehr großer Mengen hochkalorischer Lebensmittel das im Alltag vorgeschriebene Kalorienpensum überschreitet. An der ausführlichen Dokumentation der an dem Tag verzehrten Lebensmittel zeigt sich dabei die Relation zwischen der Norm und dem Habitus des Videoproduzenten eindrücklich. So wurde wiederholt deutlich, wie ExFitness beim Widersetzen der Ernährungsnorm stets zwischen Lust- und Ekelempfindungen hin- und herschwankt. Demnach beschreibt der Videoproduzent bspw. vor dem Verzehr einer Tafel Schokolade, wie sehr er das Lebensmittel liebt, wobei er kurz darauf seinen Ekel über den übermäßigen Konsum der Süßigkeit verlauten lässt. Hieran wurde sichtbar, dass sich der YouTuber in einem Prozess der Normaneignung befindet. Einerseits besteht somit zwar noch immer ein Spannungsverhältnis zwischen Norm und Habitus, da er weiterhin Lust auf das zu meidende Produkt verspürt, andererseits konnte sich ExFitness schon derart stark an die Norm anpassen, dass ihn der übermäßige Verzehr der Schokolade gleichzeitig anekelt. Besonders die Aufnahme einer möglichst großen Menge der eigentlich zu meidenden Lebensmittel verdeutlicht hierbei das Anliegen, Ekelempfindungen gegenüber bestimmten Nahrungsmitteln zu verstärken, um sich die Ernährungsnorm anzueignen. Im Gegensatz zum sich hierin abzeichnenden Geschmacks- und Lustempfinden, welches noch durch eine starke Ambivalenz geprägt ist, wurde sowohl auf bildlicher als auch auf textlicher Ebene sichtbar, wie sich der YouTuber bereits Alltagstechniken aneignen konnte, die ihm bei der Anpassung an die Ernährungsnorm unterstützen. Besonders im routinierten Abwiegen von Lebensmitteln und Berechnen von Kalorien dokumentierte sich in ähnlicher Weise wie in der habitualisierten Kontrolle und Systematisierung der Lebensmittel von Karl Ess, wie ExFitness seine Ernährung reguliert und kontrolliert. Nicht nur durch
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die Einhaltung der Diät, sondern auch in der von Ekel geprägten bewussten Überschreitung dieser, offenbarte sich zwar eine hohe Selbstdisziplin des YouTubers, jedoch bleibt diese dem Videoproduzenten gleichzeitig weitestgehend unbemerkt. Wie auch Karl Ess entspricht ExFitness der Norm der Selbstdisziplinierung unbewusst und es kommt somit eine implizite Passung zum Vorschein. Vor allem an zwei Videosequenzen zeichnete sich zudem ab, dass die auf einer Begrenzung der aufgenommenen Kalorien basierende Ernährungsnorm bei ExFitness ebenfalls in Verbindung zu einer bestimmten Körpernorm steht. Im Gegensatz zu den zuvor analysierten Videos wurde die Norm jedoch nicht durch die Abbildung bestimmter Figurideale sichtbar, sondern dokumentierte sich überwiegend an Aussagen des YouTubers. Vor allem die sich nach Abschluss des Cheatdays abzeichnenden Sorgen um eine Gewichtszunahme und die eigene Zuordnung zur sogenannten Fitnessszene ließen erkennen, dass sich ExFitness an eine bestimmte Körpernorm anpasst. Wie sich an Aussagen des Videoproduzenten zeigte, basiert diese überwiegend auf einer konkreten Körperzusammensetzung, die maßgeblich durch das Verhältnis von Muskel- und Fettanteil bestimmt ist. Insgesamt offenbarten sich folglich ebenso im Video von ExFitness verschiedene normative Ordnungen, die sowohl von einem impliziten Passungsverhältnis zum Habitus als auch von einer reflektierten Anpassung und einem Aneingnungsprozess geprägt sind. Die letzte Videointerpretation einer populären YouTuberin erfolgte an einem Clip Sophia Thiels. Erneut standen bei dieser Analyse die Fragen nach sich dokumentierenden normativen Ordnungen und deren Relation zum Habitus der Videoproduzentin im Fokus. Ebenso wie in den zuvor dargestellten Videointerpretationen zeichneten sich in dieser mehrere Subjektnormen ab. In diesem Fall kamen jedoch nicht nur Normen zum Vorschein, mit der sich die YouTuberin zum Zeitpunkt der Videoerstellung konfrontiert sah, sondern darüber hinaus auch weitere, die ihr in ihrer Vergangenheit begegneten. In der Präsentation eines sogenannten Transformationsvideos erzählt Sophia Thiel in biografischer Weise über einen Wandlungsprozess, den sie durch verschiedene Veränderungen ihres Alltagslebens vollziehen konnte. Mit einem besonderen Fokus auf die Umwandlungen ihres Körpers erklärt die YouTuberin, angefangen bei ihrer Kindheit, ihre Lebensgeschichte. In den Berichten kam hierbei zunächst zum Vorschein, wie sich Sophia Thiel in ihrer Adoleszenz mit einer bestimmten Körpernorm konfrontiert sah, welche primär von einer schlanken Figur geprägt ist. In den biografischen Erzählungen und den visuellen Untermalungen dieser zeigte sich zunächst eine Diskrepanz zwischen Norm und Habitus, die sich elementar auf ihren Gemütszustand und Alltag auswirkten. Anhand der Beschreibung ihrer Transformation dokumentierte sich jedoch, wie sich die YouTuberin im Laufe der Zeit an die
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Körpernorm anpassen konnte. Maßgeblichen Einfluss auf die erfolgreiche Anpassung hatte dabei eine umfangreiche Veränderung ihres Alltags. Vor allem durch die disziplinierte Ausführung regelmäßiger Fitnesstrainings veränderte sich zum einen die Figur der YouTuberin, zum anderen aber auch ihr Habitus. Vor allem in Videopassagen, in denen Sophia Thiel über ihren vom Muskeltraining dominierten Alltag berichtet, kam dabei zum Ausdruck, wie sehr sich die YouTuberin diszipliniert und körperliche Grenzen zu überschreiten versucht. Folgte die Selbstdisziplinierung zunächst noch der Anpassung an eine bestimmte Körpernorm und einem gängigen Schönheitsideal, offenbarte sich an den Analysen, wie diese zunehmend habitualisiert wurde. Einerseits orientierte sich Sophia Thiel im Zuge jener Veränderung nun an einer Körpernorm, die sich im Bereich des professionellen Bodybuildings bewegt. Andererseits so wurde deutlich, ist es gerade die starke Disziplinierung, die zur Anpassung jener Körpernormen benötigt wird, welche es sich anzueignen gilt und zur Norm selbst wird. Vor allem anhand der Transformation des Habitus und der nahezu vollkommenen Überwindung von Spannungsverhältnissen wurde dabei ersichtlich, wie sich Sophia Thiel die Norm der Selbstdisziplinierung aneignen konnte. So kamen an den Berichten nicht nur veränderte Sichtweisen auf bspw. verschiedene Ernährungsweisen zum Vorschein, die eine Habitustransformation dokumentieren, sondern es wurde auch erkennbar, dass die Anpassung an die Norm der Selbstdisziplinierung weder einer Unterstützung durch Hacks noch von anderen Alltagstechniken bedarf. Insgesamt zeigten sich somit ebenso in diesem Fall unterschiedliche normative Ordnungen, die zudem in Verbindung zueinander stehen. Demnach konnte sich Sophia Thiel zum einen vorwiegend durch Selbstdisziplinierungen stets bestimmten Körpernormen anpassen sowie zum anderen sich die Norm der Selbstdisziplinierung aneignen und diese verkörpern. Zwar kann die Selbstdisziplinierung demnach in gewisser Weise auch als Meta-Norm gedeutet werden, die den anderen Subjektnormen übergelagert ist, jedoch gilt dies hauptsächlich für die Phase nach der Transformation und der Aneignung der Körpernorm. Neben der Rekonstruktion von verschiedenen Normen zeigten die Videointerpretationen der populären YouTuber_innen zudem unterschiedliche Relationen zum Habitus der Videoproduzent_innen. Neben impliziten Passungsverhältnissen kamen demnach sowohl reflektierte Anpassungen an Normen als auch Aneignungen dieser zum Vorschein. Auch wenn die Bedeutungen der normativen Ordnungen zwischen den YouTuber_innen variieren, offenbarte sich, dass alle Videoproduzent_innen sich an bestimmten Körpernormen orientieren, die durch ein mehr oder weniger konkretes Figurideal geprägt sind. Zusätzlich wurde hierbei erkennbar, dass sich alle untersuchten Akteur_innen an die Normen anpassen.
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In unterschiedlich ausgeprägter Form standen die Körpernormen zudem in Verbindung zu Gesundheitsnormen und bestimmten Ernährungsnormen, denen sich die YouTuber_innen ebenfalls erfolgreich anpassen oder gar aneignen konnten. Schließlich zeigte sich in diesem Kontext auch eine normative Ordnung, die durch eine hohe Selbstdisziplin geprägt ist. Dieser wurde sich entweder mit verschiedenen Techniken reflektiert angepasst oder aber es kam ein implizites Passungsverhältnis zum Vorschein. Weitere Gemeinsamkeiten im Umgang mit normativen Ordnungen konnten die Interpretationen zudem im Bereich der Präsentation und Weitergabe von Normen zur Explikation bringen. So wurde sichtbar, wie die YouTuber_innen mal mehr, mal weniger offensiv um Reproduktionen und Nachahmungen im Umgang mit den Normen werben. In stark appellativer Weise rät Sophia Thiel etwa ihren Zuschauer_innen, sich ihren Lebenswandel als Vorbild zu nehmen und den eigenen Körper zu transformieren. Hierbei betont die Videoproduzentin ihr Anliegen, andere Menschen zur Transformation zu motivieren. In ähnlicher Weise zeigte sich dies auch im Video von LaurenCocoXO. Demnach dokumentierte sich einerseits, wie sich die YouTuberin selbst-reflektiert an bestimmte Normen anpasst, andererseits präsentiert sie ihr daraus gezogenes Erfahrungswissen ihren Zuschauer_innen. In der Präsentation der erfolgreichen Anpassung und Verkörperung der Normen stellt LaurenCocoXO zum einen ein bestimmtes zu erfüllendes Subjekt-Sein dar, zum anderen ruft sie ihre Rezipient_innen aber auch explizit dazu auf, die präsentierten Alltagstechniken zur Anpassung an die Normen nachzuahmen. Überaus ähnlich konnte dies zudem im Video von Karl Ess beobachtet werden. Durch die Präsentation einer erfolgreichen Aneignung und Verkörperung bestimmter Normen präsentiert dieser nicht nur offensiv ein bestimmtes Subjekt-Sein, das es zu erfüllen gilt, sondern er teilt auch sein Erfahrungswissen und berät sein Publikum als eine Art Mentor, wie dieses sich ernähren sollte. Durch die ausgiebige Darstellung, welche negativen Folgen bei der Widersetzung einer konkreten Ernährungsnorm folgen, präsentiert schließlich ExFitness seinen Zuschauer_innen, welche Ernährungsweisen bzw. vermeintlichen Ernährungsfehler vermieden werden sollten. Dies hebt der YouTuber zudem durch ausdrückliche Warnungen vor bestimmten Lebensmitteln hervor. Im Anschluss an die Videointerpretationen der populären YouTuber_innen wurden die empirischen Ergebnisse schließlich mithilfe komparativer Analysen erweitert. Anhand weiterer Videointerpretationen wurde sich dabei zum einen weiterhin der Rekonstruktion von Normen und deren Verhältnis zum Habitus der Videoproduzent_innen gewidmet, zum anderen wurde in diesen Fällen aber auch der Frage nachgegangen, inwiefern sich Videoinhalte von Sophia Thiel,
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Karl Ess, LaurenCocoXO und ExFitness in bezugnehmenden Videos reproduzieren. Als Vergleichshorizonte dienten somit explizit Videos unpopulärer YouTuber_innen, die durch Homologien eine direkte Bezugnahme auf die populären Videos vermuten ließen. Diese als Produktionskaskaden gedeuteten Clips wurden dementsprechend nicht nur hinsichtlich der Normen und deren Relation zum Habitus untersucht, sondern auch im Hinblick auf die Reproduktion von Videoinhalten. An den Videos der YouTuberinnen Antonia und Lena konnte dabei zum Vorschein gebracht werden, wie diese vorzugsweise bestimmte Posen und Darstellungsweisen spielerisch nachahmen. Besonders anhand komparativer Analysen von Fotogrammen kam dabei zum Ausdruck, dass Antonia zwar konkrete Gesten in ihr Video einbaut, diese jedoch stark dekontextuiert erscheinen. So ist etwa die bildliche und textliche Ebene in der Ausführung der Gesten von erheblichen Differenzen geprägt, die vor allem in der Gegenüberstellung mit den Vergleichshorizonten sichtbar werden. Gerade weil die Handbewegungen nicht in den Gesamtkontext des Videos eingebettet sind, tritt ihr Nachahmungscharakter hervor. Dieser wurde im Video Lenas noch deutlicher, da hier nicht nur dekontextuierte Gesten erkennbar werden, sondern zusätzlich derart große Kongruenzen zum Clip LaurenCocoXOs zum Vorschein kommen, dass direkte Nachahmungen als sehr wahrscheinlich angenommen werden müssen (auch wenn dies nicht durch explizite Bekundungen der YouTuberin bekräftig werden kann). So fanden sich nicht nur Parallelen in der Präsentation bestimmter Snacks, sondern vor allem auf visueller Ebene in Hinblick auf die abgebildete sowie abbildende Bildproduktion. Hierbei wurde augenscheinlich, dass der Fokus Lenas hauptsächlich auf der fehlerlosen Zubereitung und Darbietung der Snacks liegt, wohingegen die Anpassung an bestimmte Normen keine Rolle spielt. Anhand der Analysen deutete sich zwar an, dass ein implizites Passungsverhältnis zwischen dem Habitus Lenas und den im Video von LaurenCocoXO identifizierten Ernährungsnormen vorliegt, jedoch ließen sich an dem Video Reproduktionen im Umgang mit den normativen Ordnungen nicht rekonstruieren. Dies gilt auch für den analysierten Clip Antonias, in dem sich ebensowenig Normen dokumentierten. Unmittelbare Reproduktionen von Normen, die aus direkt rekonstruierbaren Rezeptionen resultieren, ließen sich zwar in den Videos der YouTuber Mirko und Peter gleichfalls nicht herausarbeiten, jedoch kam an komparativen Analysen zu den YouTubern Karl Ess und ExFitness zum Vorschein, wie sich derart große Kongruenzen zwischen den Videos wiederfinden, dass mimetische Nachahmungen als sehr wahrscheinlich angenommen werden können. Unabhängig von der Frage, ob die in den komparativen Analysen sich abzeichnenden großen Kongruenzen direkte Nachahmungen abbilden oder ausschließlich
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einen sehr ähnlichen Habitus der YouTuber aufzeigen, ließen die Analysen erkennen, wie sich in den Videos jeweils nahezu identische Normen dokumentieren, der Umgang mit diesen sich jedoch zwischen den YouTubern unterscheidet. So konnte zunächst an der Interpretation des Videos von Mirko eine Ernährungsnorm rekonstruieren werden, die im Wesentlichen durch die Aufnahme vieler Proteine und vielfältiger Nährstoffe geprägt ist, die eine ausreichende Versorgung von Muskeln und Organen sichern soll. In der Präsentation eines Lebensmitteleinkaufs wird dabei erkennbar, wie sich Mirko der Norm anpasst. Diese ist gleichzeitig von einer vorwiegend vegetarischen Ernährungsweise geprägt, wobei insbesondere im Umgang mit jenem Aspekt ein Spannungsverhältnis und eine Diskrepanz zum Habitus des YouTubers hervortrat. Dementsprechend erklärt Mirko bspw., dass zwar eigentlich auf den Verzehr von Fleisch verzichtet werden sollte, er dies jedoch in seinem Alltag nicht umsetzen kann. Die Anpassung an die normative Ordnung ist somit von gewissen Spannungsverhältnissen gekennzeichnet. In ähnlicher Weise wie Karl Ess greift Mirko auf eine Kategorisierung von Lebensmitteln zurück, die ihm bei der Anpassung an die Norm unterstützt. Gerade an der Gegenüberstellung beider Videos kam dabei zum Vorschein, wie sich im Clip Mirkos nicht nur jene Alltagstechnik wiederfindet, sondern ebenso die präzise Prüfung der Nährwerte von Lebensmitteln. Durch die Kontrolle und genaue Beobachtung der im Alltag konsumierten Speisen kam gleichzeitig zum Ausdruck, wie auch Mirko sich in gewissen Zügen selbst diszipliniert. Gerade die Diskrepanz in der Anpassung an die identifizierten Normen verdeutlicht jedoch, dass die Selbstdisziplinierung nicht derart ausgeprägt ist, wie etwa bei Karl Ess. Die konsequente Aneingnung der Ernährungsnorm, welche eine starke Disziplinierung erfordert, erscheint Mirko dementsprechend geradezu aussichtslos, da er sich selbst betontermaßen nicht zu einer Personengruppe zählt, die auf Fleisch verzichten kann. Aufgrund der Unerreichbarkeit in der Anpassung an die Norm kann diese folglich auch als imaginär weiter definiert werden und grenzt sich von einer imaginativen Norm ab. Im Hinblick auf die Reproduktion von Normen und den Umgang mit diesen wurde somit ersichtlich, dass Mirko sich im Vergleich zu Karl Ess zum einen an einer leicht abweichenden Ernährungsnorm anpasst, zum anderen eine Habitualisierung der Normen als unerreichbar begreift. Insbesondere unter Berücksichtigung der bildlichen Ebene wurde zudem erkennbar, wie stark sich Mirko an Darstellungsweisen, dem Habitus und an Alltagstechniken von Karl Ess orientiert. So bringen diese bspw. große Homologien in der Kameraführung und in der Struktur der Videos zum Vorschein. Körpernormen zeigten sich im Video Mirkos hingegen deutlich impliziter als bei Karl Ess. Zwar wurde deutlich, dass dieser
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sich ebenso an einem Körperbild ausrichtet, dass durch ein optimales ‚Funktionieren‘ verschiedener Organe geprägt ist und folglich stark auf eine Erhaltung der eigenen Gesundheit abzielt, jedoch wurde weder auf textlicher noch auf visueller Ebene eine klar erkennbare Ausrichtung an einem bestimmten Figurideal sichtbar. Ähnliche starke Kongruenzen zwischen einem populären YouTube-Video und einer Produktionskaskade wurden anhand der Clips von ExFitness und Peter erkennbar. Wie bei der komparativen Analyse der Videos von Karl Ess und Mirko zeigten sich ebenfalls bei Peter ambivalente Nachahmungsprozesse. Demnach wies der Videovergleich zwar darauf hin, dass der YouTuber sich bei der Produktion seines Cheatday-Videos am Clip von ExFitness oder ähnlichen Veröffentlichungen orientierte, jedoch zugleich Differenzen im Umgang und der Erfahrung von Normen bestehen. So wurde zunächst deutlich, dass sich auch im Video Peters eine Ernährungsnorm dokumentiert. Diese tritt jedoch relativ unausgeprägt in Erscheinung und kennzeichnet sich vor allem darin, als ungesund befundene Lebensmittel im Alltag zu meiden. Wie vornehmlich an Aussagen des Videoproduzenten sichtbar wurde, fallen hierunter insbesondere Speisen, die einen hohen Zucker- und Fettanteil aufweisen. Gleichzeitig zeigte sich an den Erzählungen jedoch, dass der YouTuber der Ernährungsnorm sowie der damit in Verbindung stehenden Gesundheitsnorm bewusst sowohl im extremen Maße im Zuge des Cheatdays widerspricht, als auch in einem geringen Ausmaß im Alltag. Demnach bezeichnet Peter zwar bspw. eine im Video eingeblendete Tiefkühlpizza als ungesund, weist aber wenig später darauf hin, dass er das Produkt regelmäßig in seinem Alltag verzehrt und somit der Norm widerspricht, ungesunde Lebensmittel zu meiden. Anhand der Videointerpretation dokumentierte sich zudem zwar eine gewisse Selbstdisziplinierung Peters, jedoch erscheint diese weniger als Norm, der es sich generell und dauerhaft anzupassen gilt. Vielmehr wurde deutlich, dass Peter den präsentierten Cheatday, primär als eine Herausforderung und ein Austesten der eigenen Grenzen begreift, dem es sich ähnlich wie einem sportlichen Wettkampf motiviert zu stellen gilt. In diesem Sinne wurde erkennbar, dass Peter ausschließlich das kurzfristige Ziel verfolgt, an einem Tag möglichst viele Kalorien aufzunehmen und hierdurch mal mehr, mal weniger diszipliniert mehr isst als ihm eigentlich gelüstet. Ein darüber hinausgehendes implizites Passungsverhältnis zwischen der Norm der Selbstdisziplinierung und dem Habitus wurde bei Peter hingegen ebensowenig sichtbar, wie eine Koppelung des Cheatdays an eine bestimmte langfristige Diät wie im Falle von ExFitness. So trat an den Interpretationen zum Vorschein, dass Peter den Cheatday im Gegensatz zu ExFitness nicht als Technik benutzt, um sich Ernährungsnormen dauerhaft anpassen zu können, sondern diesen ausschließlich als eine Herausforderung begreift, die losgelöst ist von ihrem noch bei ExFitness zu beobachtbaren Zweck.
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Dennoch ließ sich gerade anhand eines Vergleichs der bildlichen Ebene rekonstruieren, dass sich Peter unter anderem am Video von ExFitness zu orientieren scheint. Dies wurde vor allem an den immensen Homologien in der Ausführung und Darstellung des Cheatdays sichtbar. In ähnlicher Weise wie in der komparativen Analyse zwischen LaurenCocoXO und Lena zum Vorschein kam, zeichnete sich auch bei dieser Gegenüberstellung ab, wie Peter im Zuge seines Cheatdays eine nahezu identische Speisenauswahl wie ExFitness trifft. Hierzu zählt bspw. die Auswahl an Pancakes, Ben & Jerry´s Eiscreme, Burger von Mc Donald´s oder Haribo-Fruchtgummi. Neben der Widersprechung von Normen und somit der Rekonstruktion einer weiteren Variante im Umgang mit diesen wies die komparative Analyse zudem darauf hin, wie zwar Videokonzepte reproduziert und Darstellungsweisen mimetisch nachgeahmt werden können, dabei jedoch gleichzeitig ihren normativen Bezug weitestgehend verlieren. So reproduziert Peter nahezu ausschließlich die Umsetzung des Cheatdays, wobei der noch bei ExFitness zu beobachtende Zusammenhang zur Diät verschwindet. Besonders mithilfe von komparativen Analysen brachte die Interpretation des Transformationsvideos der YouTuberin Valerie schließlich unmittelbare Reproduktionen und Nachahmungsprozesse zum Vorschein. Indem die Videoproduzentin explizit betont, dass sie gleichzeitig Rezipientin der YouTuberin Sophia Thiel ist und diese ein Vorbild für sie darstellt, bleibt der Rezipientenstatus im Gegensatz zu den vorherigen Analysen somit nicht mehr vage und direkte Reproduktionen lassen sich eindeutig nachvollziehen. Im Hinblick auf die zentralen Forschungsfragen wurde das Video jedoch zunächst hinsichtlich sich dokumentierender Normen und deren Relation zum Habitus der Videoproduzentin analysiert. Ähnlich wie im Clip von Sophia Thiel ließen sich im Video Valeries nicht nur normative Ordnungen rekonstruieren, mit der sich die Videoproduzentin zum Zeitpunkt der Videoanfertigung konfrontiert sah, sondern auch solche, die ihr während ihrer Schul- und Ausbildungszeit begegneten. Untermalt mit Fotos berichtet die YouTuberin in einer biografischen Erzählung über umfängliche Veränderungen ihres Körpers und ihres Habitus. Hierbei kam zunächst eine Körpernorm zum Vorschein, die primär von einer schlanken Figur und einem bestimmten Schönheitsideal geprägt ist. Stand die Norm vor ihrer Transformation noch in einem Spannungsverhältnis zum Habitus, verdeutlicht die YouTuberin, wie sie sich im Laufe der Zeit die Norm aneignen konnte. Jene erfolgreiche Aneignung präsentiert Valerie zum einen durch Fotos, welche eine Veränderung ihrer Figur dokumentieren, zum anderen hebt sie die Aneignung aber auch sprachlich hervor, indem sie bspw. wiederholt betont, dass sie 20 Kilogramm Körpergewicht verlieren konnte. Besonders in den Beschreibungen ihrer Figur nach der vollzogenen Transformation wurde jedoch erkennbar, dass sich Valerie nach ihrer
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erfolgreichen Aneignung zunehmend mit einer Körpernorm konfrontiert sieht, die nicht nur durch Schlankheit geprägt ist, sondern auch von sich abzeichnenden Muskeln. Gelingt es zwar der YouTuberin sich auch dieser Körpernorm anzupassen, wurde ersichtlich, dass zugleich die Norm der Selbstdisziplinierung stetig an Relevanz gewinnt. Bereits in Aussagen, dass das Video unter anderem davon handelt, wie man sich diszipliniert, wurde die reflektierte Anpassung an die Norm der Selbstdisziplinierung offenkundig. Des Weiteren zeugten hiervon diverse weitere Kommentare, in denen sie bspw. davon berichtet, wie wichtig es sei, in ihren Anstrengungen nicht nachzulassen und gesteckte Ziele diszipliniert zu verfolgen oder aber in Formulierungen, sich nach Fertigstellung des Videos an das Weihnachtsessen heranzutasten. Neben den sich im Video dokumentierenden Normen und deren Relation zum Habitus, ließen sich zudem vielfältige Reproduktionen von Videoinhalten und Nachahmungen rekonstruieren und es wurde erkennbar, wie sich Valerie am Clip sowie der Transformation Sophia Thiels orientiert. So wurde insbesondere anhand der Gegenüberstellung mit dem Video Sophia Thiels deutlich, wie Valerie die Videostruktur von der populären YouTuberin übernimmt, Darstellungsweisen von Fotos kopiert und Erzählweisen sowie bestimmte Semantiken mimetisch nachahmt. Des Weiteren zeigt sich Valeries Begeisterung für die Videos Sophia Thiels daran, dass sie nach deren Rezeption anfing Sport zu treiben, ihre Ernährung umzustellen und sich zudem im gleichen Fitnessstudio wie Sophia Thiel anmeldete. Insgesamt wurde hieran sichtbar, wie durch die intensiven Rezeptionen der Clips Handlungen bei Valerie angetrieben wurden, die zu umfänglichen Transformationen des Habitus und Körpers, der Erfahrung und den Umgang mit Normen sowie einer grundlegend differenten Lebensweise führten. Zusätzlich dokumentierte sich an den vergleichenden Interpretationen eine Vielzahl an mimetischen Nachahmungen seitens Valerie, welche unter anderem auf der Ebene der Darstellungsweisen des Videos und der Performanzen, in Form von Posen, anzusiedeln sind. Ferner trat hervor, wie sich nicht nur bestimmte Normen im Video von Valerie reproduzieren, sondern die Reproduktion und Anpassung an die Normen wiederum appellativ an das Publikum weitergegeben wird. So legt Valerie in ähnlicher Weise wie Sophia Thiel auch ihrem Publikum nahe, sich den normativen Ordnungen anzupassen und sich hierbei an ihrer präsentierten Transformation zu orientieren. Auch in der rekonstruktiven Analyse des letzten vorgestellten Videos der YouTuberin Mareike dokumentierten sich schließlich sowohl verschiedene Normen und deren unterschiedliche Verhältnisse zum Habitus der Videoproduzentin als auch diverse Nachahmungen von Videoinhalten. Indem Mareike in ihrem Video ausdrücklich Dinge präsentiert, die sie von Sophia Thiels Videos lernen konnte,
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wird nicht nur das Rezeptionsverhältnis explizit, sondern darüber hinaus ebenso Wissensaneignungen. Im Hinblick auf die Analyse von normativen Ordnungen trat dabei zunächst eine Körpernorm zum Vorschein, welche von einer schlanken Figur und einem gesunden Körper geprägt ist. Indem die YouTuberin mehrfach ihr Ziel betont, abzunehmen, wurde erkennbar, wie sich Mareike der Norm anpasst. Insbesondere auf bildlicher Ebene wurde dabei jedoch deutlich, dass die Körpernorm und der Habitus von Spannungsverhältnissen geprägt sind und sich Mareike in einem Anpassungsprozess befindet, der maßgeblich von Selbstdisziplinierungen geformt wird. In diesem Kontext trat somit hervor, wie Mareike sich bspw. mithilfe von Sportübungen diszipliniert oder aber, in ähnlicher Weise wie LaurenCocoXO, Bewährungsproben stellt und mit diesen ihre eigene Disziplin austestet und trainiert. Einerseits erscheint eine starke Selbstdisziplin als Mittel, um sich Körpernormen anzupassen, andererseits wurde sichtbar, dass Mareike gerade eine verkörperte Selbstdisziplin anstrebt, wie sie etwa von Sophia Thiel präsentiert wird. Besonders deutlich wurde dies, indem die Videoproduzentin etwa darüber berichtet, dass es wichtig sei, nicht nur das äußere Erscheinungsbild zu wandeln, sondern auch darauf zu achten, dass dieses gewissermaßen das Abbild der innerlichen Transformation darstellt. Auch wenn die Disziplinierung des Selbst somit im Gegensatz zum Video Valeries nicht explizit als angestrebtes Ziel benannt wird, dokumentierte sich eine hohe Selbstdisziplin auch bei Mareike als Norm, der es sich anzupassen gilt. Neben jenen sich dokumentierenden Normund Habitusrelationen wurde an der Analyse des Videos zudem offenkundig, wie sich die Videoproduzentin ebenfalls durch intensive und explizit genannte Videorezeptionen der YouTuberin Sophia Thiel Wissen aneignen konnte, welches sie zur Anpassung an normative Ordnungen anwendet. Demnach berichtet Mareike bspw., sie habe durch das Schauen der Videos gelernt, dass das Stecken von konkreten Zielen und die Unterstützung durch Mentoren elementare Faktoren sind, um Körpergewicht zu verlieren. Des Weiteren zieht sie aus der Rezeption nach eigener Aussage Erkenntnisse, die sich auf das Leben im Allgemeinen beziehen, wie etwa die Beobachtung, dass jeder sein eigenes Traumleben selbst kreieren kann. Neben expliziten reflektierten Wissensaneignungen kamen an den Interpretationen vor allem auf bildlicher Ebene mimetische Nachahmungen zum Vorschein. So übernimmt Mareike in ähnlicher Weise wie Valerie in leicht veränderter Form Darstellungsweisen von Sophia Thiel und kopiert bspw. bestimmte Gesten. Darüber hinaus wurde auch in diesem Video sichtbar, wie sich Mareike nicht nur an unterschiedlichen Normen selbst anpasst, sondern über die Präsentation von vier verschiedenen Lektionen zudem ihren Zuschauer_innen eine Anpassung nahelegt.
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Unter Berücksichtigung aller Videointerpretation traten zwar folglich sowohl verschiedene normative Ordnungen als auch differente Relationen zum Habitus der YouTuber_innen in Erscheinung, jedoch verdeutlicht die nachfolgende tabellarische Darstellung, dass diese sich anhand der Fälle in unterschiedliche Typologien einordnen lassen. Obwohl im Fall von Karl Ess und ExFitness ausschließlich ein implizites Passungsverhältnis vorliegt, dokumentierte sich insgesamt in sieben der zehn analysierten Videos eine Norm, sich im hohen Maße selbst zu disziplinieren. In mehrfacher Ausführung und besonders deutlich kamen zudem verschiedene Körpernormen zum Vorschein, die vornehmlich an bestimmte Schönheitsideale und Gesundheitsnormen gekoppelt sind. Ist die normative Ordnung im Video von LaurenCocoXO dabei primär von einem schlanken, gesunden und gut trainierten Körper geprägt, zeichnet sich die Körpernorm im Video von Sophia Thiel zunächst ähnlich ab, wechselt jedoch im Laufe des Videos leicht, indem die Akzentuierung einer muskulösen Figur zunehmend an Bedeutung gewinnt. Jene Körpernorm dokumentiert sich auch im Video von Valerie, wohingegen sich im Clip von Mareike (mit ihrer Betonung der Relevanz der Gewichtsreduzierung) hauptsächlich eine normative Ordnung abzeichnet, die durch Schlankheit geprägt ist. Im Kontrast hierzu ließ sich bei den männlichen YouTubern eine weitestgehend einheitlichere Körpernorm eruieren, die primär auf einem hohen Muskel- und geringen Körperfettanteil sowie einem optimalen ‚Funktionieren‘ des Körpers ausgerichtet ist. Insgesamt ist die Norm somit sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen vornehmlich von einer sportlich-schlanken Figur und einem gesunden Körper geprägt. Neben verschiedenen Körpernormen und der normativen Ordnung der Selbstdisziplinierung kamen schließlich auch mehrere Ausprägungen einer Ernährungsnorm zum Vorschein. Diese kennzeichnet sich im Video von LaurenCocoXO primär darin, Süßigkeiten zu meiden und diese gegebenenfalls durch Alternativen zu ersetzen, wobei sich die Norm in ähnlicher Weise ebenfalls implizit bei Lena zeigte. In den Videos von Karl Ess und Mirko wurden hingegen komplexe Ernährungsnormen sichtbar, die darin bestehen, in möglichst großen Mengen verschiedene Lebensmittel zu konsumieren, die durch einen bestimmten Lifestyle legitimiert sind. Und auch in den Videos von ExFitness und Peter dokumentierten sich spezifische Ernährungsnormen. Ist diese bei ExFitness maßgeblich dadurch gekennzeichnet, dass ein bestimmtes Pensum einer vorgeschriebenen Kalorienmenge durch den Konsum von Lebensmitteln nicht überschritten werden darf, sieht sich Peter hingegen mit der normativen Ordnung konfrontiert, auf ungesunde Lebensmittel zu verzichten. Unabhängig davon, inwiefern sich bspw. die einzelnen identifizierten Ernährungsnormen im Detail unterscheiden, wird an der Zusammenfassung deutlich, dass sich die analysierten YouTuber_innen stets
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mit einem bestimmten, zu erfüllenden Subjekt-Sein konfrontiert sehen, welches eine hohe Selbstdisziplin verkörpert, vorgeschriebene Ernährungsnormen beachtet und von einem konkreten Körperideal geprägt ist. Ganz im Sinne des analysierten Genres lassen sich die identifizierten Subjektnormen dementsprechend auch als Lifestyle-Normen zusammenfassen, also normativen Vorgaben, die insbesondere in speziellen Lebensstilen eine große Bedeutung entfalten. Zum einen wird mit diesem Begriff somit deren Kontextualisierung im Bereich von Lebensstilen verdeutlicht, zum anderen gleichzeitig die Anschlussfähigkeit zur Bezeichnung des propagierten Lifestyles hervorgehoben. Denn ähnlich wie der von Bohnsack (2017) geprägte Terminus sind die Subjektnormen einerseits von einem stark appellativen Charakter, andererseits aber auch maßgeblich von Verheißungen geprägt (Abbildung 7.1).
Relation zum Habitus
Implizites
Anpassungsverhältnis
Passungsverhältnis
unter Spannungen
Aneignung
Widersetzung
Lifestyle-Normen
LaurenCocoXO,
Schönheitsnormen
ExFitness, Mareike
Körpernormen LaurenCocoXO,
Gesundheitsnormen
Mareike
Norm Karl Ess, Ex Fitness der Selbstdisziplinierung
Ernährungsnormen
Lena
Sophia Thiel, Karl Ess, Valerie
Karl Ess
LaurenCocoXO, Mirko,
Sophia
Valerie, Mareike
Thiel
LaurenCocoXO, ExFitness, Mirko
Karl Ess
Peter
Peter
Abbildung 7.1 Relationen identifizierter Normen und Habitus der YouTuber_innen. (eigene tabellarische Darstellung)
Wie sich in den Videos rekonstruieren ließ, begegnen die Videoproduzent_innen den verschiedenen Lifestyle-Normen auf unterschiedliche Weise. Neben dem Streben sich bspw. bestimmten normativen Ordnungen reflektiert anzupassen und dabei Spannungsverhältnisse zum Habitus zu überwinden, wie bspw. in den Videos von Mareike und Mirko sichtbar wurde, dokumentierten sich etwa in den Clips von Karl Ess und Lena implizite Passungsverhältnisse zwischen Normen und Habitus. Wurde am Video des YouTubers Peter erkennbar, wie dieser sich explizit Subjektnormen widersetzt, konnten die Analysen der Videos von Sophia Thiel und Karl Ess hingegen aufzeigen, wie diese Spannungsverhältnisse zwischen Norm und Habitus nahezu komplett überwinden und
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sich normative Ordnungen aneignen. Derartige Erkenntnisse konnten rekonstruktiv am Material erhoben, jedoch insbesondere mithilfe der dokumentarischen Subjektivierungsforschung theoretisch eingeordnet werden.
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Diskussion der empirischen Ergebnisse im Kontext der Subjektivierungsforschung, Dokumentarischen Methode sowie Governmentality und Cultural Studies
Nachdem die zentralen Ergebnisse der empirisch-rekonstruktiven Videointerpretationen zusammenfassend wiedergegeben wurden, sollen diese nun im Gesamtkontext der Arbeit betrachtet werden. Demnach werden die Analysen im Folgenden im Hinblick auf die dargestellten Erkenntnisse in den Bereichen der Dokumentarischen Methode sowie dessen Erweiterung zur dokumentarischen Subjektivierungsforschung als auch im Kontext der Individualisierungs- und Subjektivierungstheorien diskutiert, welche als theoretische Ausgangspunkte des Forschungsanliegens dienten. Werden die empirischen Ergebnisse zunächst in Beziehung zur Dokumentarischen Methode betrachtet, wird deutlich, dass sich die in der Methode vorausgesetzte notorische Diskrepanz zwischen normativer Ordnung und Habitus nicht zwangsläufig in der Empirie widerspiegelt und daher vielmehr um Relationen zu ergänzen ist. Somit bestätigen die Ergebnisse die schon in der dokumentarischen Subjektivierungsforschung von Geimer und Amling (2019) formulierte Festellung, dass die Ausprägung des notorischen Spannungsverhältnisses zwischen Norm und Habitus um die Beziehung des Passungs- und Aneignungsverhältnisses erweitert werden muss. Zudem wurde sichtbar, dass Normen explizit widersprochen werden können, ohne dass Spannungen zum Habitus auftreten müssen. Gleichzeitig kamen an den Analysen Anschlüsse an den primär von Bohnsack und Przyborski (2015) geprägten Begriff des propagierten Lifestyles zum Vorschein. In diesem Sinne lassen sich vor allem die Videos von Sophia Thiel und Karl Ess als eine Propagierung eines speziellen Lifestyles verstehen, mit dem Diskrepanzen und Spannungsverhältnisse zwischen bestimmten Normen und dem Habitus überwunden werden können. So präsentieren die YouTuber_innen nicht nur selbst eine gelungene Überwindung von Diskrepanzen und die verkörperte Aneignung von Normen, sondern sie verdeutlichen ihren Zuschauer_innen zudem, wie dies ermöglicht werden kann. Mit der Inszenierung von Posen kann hierbei eine Technik im Video Sophia Thiels rekonstruiert werden, mit der sich nicht nur Verheißungen stärken lassen, sondern die es mittels der Vermittlung von Übergegensätzlichkeiten auch möglich macht, die Integration vermeintlich gegenläufiger
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Identitätsanforderungen resp. Normen abzubilden. Somit zeigt Sophia Thiel ihrem Publikum bspw. an einer Pose, wie Frauen gleichzeitig sowohl feminin als auch muskulös erscheinen können. Nicht zuletzt aufgrund der besonderen Positionierung von YouTube-Videos zwischen Diskurs und Handlungspraxis brachten die rekonstruktiven Analysen eine Vielzahl an Erkenntnissen zum Vorschein. Demnach lassen die YouTubeClips einerseits Rekonstruktionen zur Alltagsrelevanz von Normen sowie zum Habitus der Videoproduzent_innen zu. Andererseits sind die Videos durch ihre Öffentlichkeit und aufgrund ihrer hohen Reichweite als Teil von Diskursen anzusehen. Hierdurch sind die Untersuchungen in gewisser Weise auch als Diskursanalysen zu betrachten, die Auskunft darüber geben, welche Subjektnormen gegenwärtig eine besondere Wirkmächtigkeit entfalten. Zum einen bieten die Videointerpretationen demnach (im Gegensatz zur Methode der Interpretativen Subjektivierungsforschung) auch ohne Triangulation und explizit vorgelagerter Diskursanalyse partielle Einblicke zur Zirkulation sowie dem Wandel von normativen Ordnungen, zum anderen ermöglichen sie gleichzeitig die Frage zu beantworten, welche Rolle diese für einzelne Akteur_innen tatsächlich spielen. Genauso wie die Analysen es vermögen, Erkenntnisse zur Relation von Diskursen, Normen und Habitus zu generieren, machen sie es aber auch möglich die Verknüpfung von makrosozialen Umbrüchen und mikrosozialen Transformationen zu untersuchen. Diesem Anliegen kommt insbesondere im Hinblick auf die eingangs dargestellten zeitgenössischen Theorien eine große Relevanz zu. So diagnostizieren diese nicht nur eine Erodierung gesellschaftlicher Ordnungen und einen Individualisierungsprozess in der Spätmoderne, sondern sie identifizieren in diesem Zuge auch eine Zunahme an zu treffenden Entscheidungen und Reflexionsprozessen für die Individuen. Diese, so die Annahmen, werden in der Folge mit der Möglichkeit aber auch dem Imperativ der eigenverantwortlichen Gestaltung des Lebenswegs konfrontiert. Werden die Videos zunächst aus diskursanalytischer Perspektive betrachtet, lässt sich konstatieren, dass Individuen auch in den analysierten YouTube-Videos mit Optionen zur Gestaltung des Lebenswegs konfrontiert werden. So verdeutlichen die Analysen, wie den Zuschauer_innen in den Videos veranschaulicht wird, auf welche Weisen verschiedene Techniken der Selbstgestaltung mithilfe von bspw. Hacks effektiv in die Alltagspraxis integriert werden können. Über visuelle Darstellungen, detaillierte Beschreibungen und bspw. den Einsatz der subjektiven Kameraeinstellung erfolgt eine präzise Präsentation winziger Alltagspraktiken, die nicht nur ein Angebot zur Gestaltung des eigenen Alltags liefern, sondern auch den Anspruch hegen, diesen zweckdienlich zu unterstützen, indem sie primär über
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Tricks Hilfestellungen anbieten, wie bestimmte Subjektnormen angeeignet werden können. Nicht nur über Hacks, sondern auch über die Präsentation von bspw. Einkaufsroutinen und Ernährungsweisen dokumentiert sich in den Videos, auf welche Art die YouTuber_innen zum einen selbst mit bestimmten Subjektnormen umgehen, zum anderen einen ähnlichen Umgang auch ihren Rezipient_innen nahelegen. Hiermit offerieren die Videos nicht nur eine Vielzahl an Gestaltungsmöglichkeiten des Lebens, sondern konfrontieren die Rezipient_innen gleichzeitig mit weiteren Entscheidungssituationen, sich sowohl gegenüber den präsentierten Lifestyles, Ernährungsweisen, etc. als auch den sich hierin dokumentierenden Subjektnormen zu positionieren. Jene Konfrontation mit der Gestaltbarkeit und der Eigenveranwortlichkeit des Alltags wie auch des gesamten Lebenswegs erscheint nicht zuletzt in Transformationsvideos stark ausgeprägt. Durch die Veranschaulichung, wie Transformationen des eigenen Körpers, von Denkweisen und auch der kompletten Biografie eingeleitet sowie umgesetzt werden können und welche Probleme sowie Regeln es bei derartigen Transformationen zu beachten gilt, geben die Videos den Rezipient_innen zum einen die Möglichkeit, sich an den präsentierten Selbstgestaltungen zu orientieren und diese nachzuahmen. Zum anderen halten die Präsentationen den Zuschauer_innen zugleich in eindrucksvoller und faktualer Manier die vermeintlich unendlichen Gestaltungsmöglichkeiten des eigenen Lebens vor Augen, die bspw. durch den permanenten Zugang zu neuen Wissensinhalten, steigenden Wahlmöglichkeiten im Bereich des Konsums sowie durch neue Medien und Technologien hervorgerufen werden. In diesem Kontext zeigte sich, wie die analysierten Videos nicht nur Gestaltungsangebote des Lebens offerieren, sondern in einigen Fällen ähnlich offensiv und verheißungsvoll wie Werbungen konkrete Handlungen einfordern und zu einem höheren Eigenverantwortlichkeitsempfinden aufrufen. Besonders in den Videos von Sophia Thiel und Valerie appellieren die YouTuberinnen etwa ihre Zuschauer_innen dazu, ihren Lebensweg eigenverantwortlich und reflexiv zu gestalten. Gleichzeitig sind die Videos jedoch nicht nur als Teil der diskursiven Medienlandschaft einzuordnen, in der Imperative formuliert, um Bedeutungskonstruktionen gekämpft und die Ausprägungen eines bestimmten Subjekt-Seins präsentiert werden. Vielmehr dokumentieren sich in den Videos auch habituelle Wissensstrukturen der YouTuber_innen, wodurch die Clips ebenso Erkenntnisse zur tatsächlichen Integration von Subjektnormen in die Alltagspraxis sowie der Relation von Habitus und Norm bereitstellen. Werden die Videoanalysen unter Betrachtung jener Perspektive den eingangs aufgeworfenen Individualisierungs- und Subjektivierungstheorien gegenübergestellt, lassen sich demnach weitere relevante Aussagen zum Verhältnis der zumeist diskursanalytisch plausibilisierten Theorien und der Empirie treffen. In diesem
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Sinne zeigen etwa die Videoanalysen von Mareike und Valerie, wie diese sich erstens mit dem Angebot resp. der Aufforderung konfrontiert sehen, ihr Leben eigenverantwortlich selbst zu gestalten, zweitens eine Gestaltung ihres Lebens in Form einer umfänglichen Transformation einleiten und forcieren sowie drittens den Imperativ zur Reflexivität, Eigenverantwortlichkeit und freien Modellierung des Lebens diskursiv reproduzieren und hierdurch stärken. Einerseits demonstrieren die YouTuberinnen folglich das scheinbar zirkulär und konfliktlos verlaufende Zusammenspiel aus diskursiver Aufforderung, Aneignung und Reproduktion des Imperativs und bestätigen damit die individualisierungs- und subjektivierungstheoretischen Annahmen, die nicht selten eine problemlose Wechselverbindung beider Ebenen suggerieren. Andererseits deuten jedoch bspw. die Videoanalysen der YouTuber Mirko und Peter darauf hin, dass jene konfliktlose Integration diskursiver Imperative und Angebote eines bestimmten Subjekt-Seins in die Alltagspraxis nicht vorausgesetzt werden kann und vielmehr im Einzelfall empirisch zu prüfen ist. Demnach verdeutlicht sich z. B. am Video des YouTubers Mirko, dass dieser sich zwar ebenfalls mit normativen Imperativen konfrontiert sieht, bspw. in seiner alltäglichen Ernährungsweise, auf Fleisch zu verzichten, sich die Norm allerdings nicht gänzlich aneignen kann, wodurch ein Spannungsverhältnis zum Habitus sichtbar wird. Anstatt den normativen Imperativ in gleicher Weise zu reproduzieren, wie sich dies etwa bei Mareike und Valerie zeigt, präsentiert Mirko eine Aushandlung mit der Norm, indem er eine Minimierung des Fleischkonsums propagiert und auf diese Weise den Zirkulationsprozess aufbricht und erweitert. In noch deutlicherer Form wird der Bruch zwischen diskursiver Norm und Integration in den Alltag resp. den Habitus im Video des YouTubers Peter erkennbar, indem dieser bspw. dem normativen Imperativ sich „gesund“ zu ernähren explizit widerspricht. Hinsichtlich der im Kontext der Cultural Studies unter Bezugnahme von Althusser und Gramsci nachgegangen Frage, inwiefern Subjektivität auch alternativ gestaltet werden kann, verdeutlichen die Videointerpretationen folglich, wie Videoinhalte auf verschiedene Weise interpretiert und reproduziert werden. Indem Peter zwar einen Cheatday ausführt, dieser jedoch losgelöst ist von Diäten und strikten Ernährungsnormen, zeigt sich, wie der YouTuber ein Videogenre derart divergent interpretiert, dass ursprünglich mit dem Genre verknüpfte Zwecke und Normen in der Interpretation des Rezipienten bedeutungslos erscheinen. Hiermit stehen die Videointerpretationen konträr zur vornehmlich in den Governmentality Studies angenommenen Perspektive, die suggeriert, dass einzelne Akteur_innen kaum die Gelegenheit besitzen, sich dominanten Subjektnormen zu entziehen oder zu widersetzen bzw. diese Möglichkeiten für nachrangig erklärt. Demnach zeigt sich nicht nur eine Widersetzung von Normen im Video von Peter,
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sondern an den Clips von Antonia und Lena wird auch sichtbar, wie die YouTuber_innen normative Ordnungen weitestgehend unberücksichtigt lassen und sich diesen dementsprechend entziehen. Trotz jener Beispiele, die eine Interpretations- und Handlungsfreiheit der Akteur_innen aufzeigen, verdeutlichen die empirischen Untersuchungen zugleich, dass mit der Selbstdisziplinierung eine Norm rekonstruiert wurde, die in der Mehrheit der Videos zum Vorschein kommt und hierdurch besonders vorherrschend erscheint. Weiter hervorgehoben wird die gegenwärtige Relevanz der Norm zudem unter der Beobachtung, dass sich diese bspw. sowohl bei Karl Ess, Sophia Thiel als auch bei Mirko und LaurenCocoXO dokumentiert und sich deren Bedeutung dementsprechend weder auf ein bestimmtes Geschlecht oder eine bestimmte Entwicklungsphase von Menschen (wie der Adoleszenz) beschränkt. Darüber hinaus wird sichtbar, wie sich identifizierte Körpernomen in den Videos stark ähneln und somit eine hohe Relevanz dominanter Normen für die Akteur_innen nahelegen. Nicht zuletzt die Beobachtung impliziter Passungsverhältnisse zwischen normativen Ordnungen und Habitus und der daraus folgenden unbewussten Reproduktion bzw. Stärkung der Normen, wie sie zum Beispiel im Clip von ExFitness erkennbar wird, verdeutlicht die schon in den 1930er Jahren von Parsons hervorgehobene Bedeutung von Normen für die Handlungsziele und den Alltag von Individuen und weist auf die Wichtigkeit hin, sich empirisch normativen Ordnungen zuzuwenden. Besonders unter Fokussierung jener unbewussten Passungsverhältnisse stützen die empirischen Ergebnisse auch die Theorien Foucaults, die eine umfassende Autonomie und Handlungsfreiheit spätmoderner Individuen in Frage stellen. Einerseits zeigen die Analysen demnach Interpretations- und Handlungsfreiheiten der YouTuber_innen auf, andererseits wird vor allem an den sich dokumentierenden Selbstdisziplinierungspraktiken deutlich, wie sich ein Großteil der analysierten Videoproduzent_innen normativen Ordnungen unterwirft und sich umfassenden Zwängen aussetzt. Insbesondere im Video von Sophia Thiel wird demnach sichtbar, wie diese sich als weibliche Bodybuilderin auf der einen Seite von strikten Vorgaben und traditionellen Biografien löst und somit eine autonome Lebensführung präsentiert. Auf der anderen Seite zeigt sich jedoch, wie die Transformation und der Lebenswandel der YouTuberin in erster Linie von der Aneignung bestimmter Körpernormen angetrieben wurde und in eine umfassende Selbstführung mündet. Ganz im Sinne Foucaults (1983) und Butlers (2009) materialisieren sich im Körper Sophia Thiels demnach Normen, die primär hervorbringend wirken und nicht unterdrücken und repressiv angelegt sind. Hierdurch
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konzipiert sich eine Gleichzeitigkeit aus individueller Autonomie und der Unterwerfung unter Normen bzw. Selbst-Ermächtigung und Selbst-Unterwerfung, wie sie ähnlich bereits Villa (2015) beschreibt. Zugleich lässt sich festhalten, dass die identifizierten Körper- und Ernährungsnormen nicht selten einen präventiven Charakter aufweisen und etwa im Falle von Karl Ess auch ein optimales Funktionieren des Körpers sicherstellen sowie eine durch Nährstoffmangel hervorgerufene Dysfunktion vermeiden sollen. Hieran zeichnet sich ab, wie der Körper ganz im Sinne des ‚unternehmerischen Selbst‘ Bröcklings (2002) nach betriebswirtschaftlichen Effizienzkritieren bemessen und optimiert wird. Zudem werden auch in den Videos der YouTuber_innen Mirko und LaurenCocoXO Anschlüsse an die im Zuge der Governmentality Studies thematisierte neoliberale Regierungsweise des ‚Healthism‘ sichtbar. So zeigen die Videointerpretationen, dass die YouTuber_innen ihre Gesundheit eigenverantwortlich und selbstkontrolliert managen. Jene in den gouvernementalen Studien hervorgehobene Bedeutung der Eigenverantwortlichkeit dokumentiert sich insbesondere auch im Video von Valerie, die das Prinzip der disziplinierten Selbstführung nicht nur im Bereich der Gesundheitsprävention und Körpergestaltung anwendet, sondern vielmehr auf ihr komplettes Leben ausweitet, wodurch dieses als frei designbar empfunden wird. Eine ähnliche Handlungsmacht in der Gestaltung des eigenen Lebens zeigt sich außerdem im Clip von Mareike. Ganz im Sinne der gouvernementalen Theorien wird in diesen Videos sichtbar, wie die YouTuber_innen ihr Leben eigenverantwortlich selbst führen und sich dabei ausschließlich mit Normen anstatt mir expliziten Verboten oder Repressionen konfrontiert sehen. Hierdurch erscheint ihnen ihr Leben frei gestaltbar und nicht durch äußere Anordnungen, sondern ausnahmslos durch den inneren Antrieb begrenzt. Zugleich wird die Anpassung an bestimmte Normen nicht nur von der Mehrheit der analysierten YouTuber_innen forciert, sondern auch in appellativer Weise von den Zuschauer_innen gefordert, wie vornehmlich im Video Sophia Thiels sichtbar wird. So ruft diese bspw. ihre Rezipient_innen explizit dazu auf, besonders bei gesundheitlichen Problemen und Unzufriedenheiten mit dem eigenen Körper, Verantwortung über das eigene Leben zu übernehmen und eine Transformation einzuleiten. Wenn Carstensen (2015) also betont, dass maßgebend in Fitnessmagazinen und Castingshows Individuen mit Aktivierungsnormen konfrontiert werden, welche die Ansprüche mit der eigenen Gesundheit und dem Körper steigen lassen, so verdeutlichen die Videointerpretationen, dass dies nicht weniger für YouTube-Videos des Lifestyle-Genres gelten kann. Gleichwohl sich die Frage nach der Intention hinter der Aufforderung, die Zuschauer_innen zur Befolgung bestimmter Normen aufzurufen mithilfe der Dokumentarischen Methode nicht beantworten lässt, wird wiederholt sichtbar, wie
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die YouTuber_innen Subjektnormen nicht nur selbst befolgen, sondern diese auch weitergeben. Aus theoretischer Perspektive Lessenichs (2003) betrachtet, deutet jene Praktik auf ein Verständnis der YouTuber_innen hin, in dem Subjekte sich selbst aber auch der Gesellschaft gegenüber verantwortlich sind. Demnach betonen die YouTuber_innen auf diese Weise zum einen, dass sie dem sozialen Imperativ zur Eigenverantwortung selbst nachkommen, zum anderen fordern sie gleiches von ihren Zusschauer_innen, die sich ebenfalls an den Subjektnormen orientieren sollen, um das Gemeinwohl zu sichern. Sowohl jene appellative Weitergabe der Normen als auch deren alltagspraktische Verknüpfung, wie sie bspw. in Form von Lebensmitteleinkäufen, Alltagshacks, Routinen und Snacks sichtbar wird, verdeutlichen zudem, dass die sich dokumentierenden normativen Ordnungen nicht etwa von der Alltagspraxis losgelöst sind, sondern sich vielmehr gerade in dieser entfalten. Gleichzeitig zeigen die Analysen aber auch, dass eine Übernahme und Aneignung der Normen seitens der Zuschauer_innen nicht vorausgesetzt werden kann. Vielmehr müssen diese immer von den Akteur_innen interpretiert werden, wie von Seiten des symbolischen Interaktionismus hervorgehoben wird. Unter Berücksichtigung der Eigenaktivität liefern die Videos somit ebenfalls ein vielversprechendes Angebot, das es den kreativen und autonomen Zuschauer_innen ermöglicht, sich aus einer nahezu unendlich erscheinenden Anzahl an Material zu bedienen, um bspw. Alltagstechniken nachzuahmen oder sich an möglichen Transformationsprozessen zu orientieren. In diesem Sinne zeigen die Analysen nicht nur auf, wie Zuschauer_innen mit der Möglichkeit und dem Imperativ der Gestaltung des Lebens konfrontiert werden, sondern auch, dass jene Option von anderen YouTuber_innen angenommen wird. So dokumentiert sich, dass bestimmte Lebensweisen erprobt werden, indem etwa Alltagspraktiken, wie im Falle von Lena, mimetisch nachgeahmt werden. Anhand der bewussten Transformationen von bspw. Mareike und Valerie und der genauen Überprüfung und Kontrolle des eigenen Alltags, wie sie sich z. B. in den Videos von LaurenCocoXO, Mirko und Karl Ess abzeichnet, tritt zudem die zunehmende Bedeutung der Selbstreflexivität hervor. Ebenso zeigt das gezielte kurzzeitige Widersetzen einer Ernährungsnorm zur dauerhaften Entsprechung dieser, wie es sich im Video des YouTubers ExFitness dokumentiert, dass der Alltag der analysierten Videoproduzent_innen immer reflexiver erfahren und geplant wird. In Folge der Videoanalysen lässt sich somit ebenfalls konstatieren, dass YouTube-Videos ihren Rezipient_innen nicht nur die Möglichkeiten offerieren, leicht verschiedene Perspektiven anzunehmen, sondern darüber hinaus auch unterschiedliche Lebensentwürfe zu testen sowie sich durch Nachahmungen konkrete, visuell vermittelte Anweisungen und Alltagstechniken anzueignen. Hiermit stehen die Angebote der YouTube-Videos ganz im Sinne des
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‚spätmodernen Selbst‘, das nach Reckwitz (2009) sein eigenes Leben mithilfe einer individuellen Auswahl und Aneignung sowie der kreativen Transformation von Lebensstilen kuratiert. Unabhängig von der Frage, in welchem Ausmaß die Reproduktion von Subjektnormen aus reflektierten und kreativen Aushandlungsprozessen autonomer Akteur_innen oder der Unterwerfung dominanter Normen resultiert oder schlicht unbewusst vollzogen wird, geben die Videoanalysen auch weitere Hinweise auf die Relevanz der Verknüpfung von makrosozialen Umbrüchen und mikrosozialen Transformationen. Indem es Sophia Thiel bspw. möglich war, frei von starren Arbeitsstrukturen und Zeitplänen täglich ein 60 Kilometer entferntes Fitnessstudio zu besuchen, wird deutlich, wie erst eine hohe zeitliche Flexibilität und räumliche Mobilität umfassende Veränderungen ihres Körpers und in der Folge auch ihres Habitus ermöglichten. Erst jener strukturelle Wandel ermöglicht es der YouTuberin folglich, sich von traditionellen Lebenswegen und sozialen Bindungen zu entfernen und reflexiv sich selbst und das eigene Leben zu gestalten. Auch im Hinblick auf die Bedeutung des Arbeitsplatzes, der im Zuge der modernisierungstheoretisch inspirierten Soziologie von Beck (1986) und Knoblauch (2010a) thematisiert wird, kommt vor allem an den Analysen der Videos von Mareike, Karl Ess, Sophia Thiel und Valerie zum Vorschein, dass dieser nicht mehr als der zentrale Ort der Identitätsbildung erscheint, sondern stattdessen in den Hintergrund gerät. Vielmehr zeigt sich insbesondere an diesen YouTuber_innen, dass der Lebensinhalt der Freizeit die Arbeit definiert und demnach Lebenswege forciert werden, in denen die Arbeit in der Vermittlung von Lebensstilen liegt. Dass die sozialen Medien für die analysierten Videoproduzent_innen zudem auch im Bezug auf soziale Beziehungen von immenser Bedeutung sind, wird nicht zuletzt daran deutlich, wie Mentor_innen online gesucht, Communitys aufgebaut und gepflegt sowie Verbindungen zu anderen YouTuber_innen angestrebt werden. Dies eröffnet den YouTuber_innen, soziale Beziehungen nahezu unabhängig von Zeit und Raum aufzubauen. Hiermit bestätigen die empirischen Analysen zwar insgesamt, die zu Beginn der Arbeit beschriebenen Individualisierungstheorien, welche eine potenzielle Vervielfältigung der Wahlmöglichkeiten in den Bereichen des Lebensstils und Konsums diagnostizieren, jedoch wird auch sichtbar, wie die Lebensstile und der Alltag der YouTuber_innen von Normen und der Anpassung an ein bestimmtes Subjekt-Sein geprägt sind. Dass insbesondere YouTube-Videos eine herausragende Rolle in der Präsentation von Lebensstilen und Normen zukommt, bringen nicht zuletzt die empirischen Analysen zum Vorschein, welche die besonderen Eigenarten der Videos rekonstruieren. So sind es primär Faktoren, wie die
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stark ausgeprägte Interaktivität, der serielle Aufbau, das große Authentizitätsversprechen sowie die Förderung von Identifikationsmöglichkeiten, welche die Nachahmungsangebote, Verheißungen und Handlungsanweisungen in den Videos als besonders unmittelbar und lebensnah erscheinen lassen. Dies gilt vor allem im Vergleich zu äquivalenten Angeboten und Aufforderungen, die in anderen Massenmedien durch Schauspieler und Modells getätigt werden. So verdeutlicht bspw. der Fall Valerie, wie diese sich stark mit Sophia Thiel und ihrer Biografie identifizieren konnte und der Handlungsanweisung der YouTuberin folgte, sich an der präsentierten Transformation zu orientieren und diese nachzuahmen. Hinsichtlich der im Kontext der Cultural Studies formulierten These, dass Filme einen verhaltensanleitenden Charakter besitzen und nicht selten Nachahmungen und Imitationen anregen, lässt sich anhand der empirischen Ergebnisse folglich konstatieren, dass dies nicht weniger für YouTube-Videos zu gelten scheint. Neben umfangreichen Nachahmungen von Alltagstechniken, wie bspw. im Video von Mirko zu sehen ist und diversen Wissensaneignungen, die sich etwa im Video von Mareike dokumentieren, deuten hierauf auch Parallelen zwischen Videos hin, die sich auf Nachahmungen von speziellen Darstellungsweisen, wie im Fall von Lena oder bestimmten Gesten, wie im Video Antonias zu beobachten ist, beziehen. Wenn Mead (1973) in diesem Sinne folglich hervorhebt, dass Kinder beim Spielen Rollen von Personen übernehmen, die für sie von großer Bedeutung sind, kommt an den spielerischen Nachahmungen die besondere Bindung der Videoproduzent_innen zu der YouTuberin zum Vorschein. Zum einen kann die Veröffentlichung eigener Videos den Rezipient_innen somit dabei helfen, sich in Beziehung zu anderen YouTuber_innen zu setzen und sich mit diesen zu vergleichen. Zum anderen kann sie zugleich der sozialen Positionierung und der Erlangung von Anerkennung dienen. Über die Resonanz der Community können die YouTuber_innen dementsprechend verfolgen, ob sie die erwünschten Normen ausreichend erfüllen oder nicht. Im Hinblick auf den verhaltensanleitenden Charakter von YouTube-Videos zeigte sich in erster Linie an den komparativen Analysen der Videos von Sophia Thiel, Valerie und Mareike, dass dieser besonders stark im Clip der populären YouTuberin ausgeprägt ist. So wurde deutlich, dass die Rezeption des Videos für Valerie derart bedeutend war, dass hieraus unmittelbare Handlungen, wie Ernährungsumstellungen, folgten. Ebenso eindrücklich kam dies an Mareikes Video zum Ausdruck, indem sichtbar wird, wie sich nach intensiven Rezeptionen des YouTube-Stars ausdrückliche Veränderungen ihrer Denkweise ausbildeten. Insgesamt bringen die empirischen Analysen der YouTube-Videos somit zwar Transformationen bzw. Modifikationen des Habitus und Aneignungen von Normen zum Vorschein, jedoch verdeutlichen die Videos auch, dass jene Prozesse
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eine gewisse Kontinuität erfordern und Modifikationen nicht beliebig herbeigeführt und mit Leichtigkeit umgesetzt werden können, woran die Stabilität und Trägheit des Habitus erkennbar wird. Dies zeigt sich vornehmlich in Clips in denen sich Prozesse der Aneignung und des Wandels dokumentieren, die noch nicht abgeschlossen und folglich noch Spannungsverhältnisse zwischen Norm und Habitus aufweisen. Dennoch legen die Analysen insgesamt eine hohe Alltagsrelevanz von Subjektnormen dar. So ließ sich rekonstruieren, dass sich in den untersuchten Lifestyle-Videos nicht nur Lifehacks, Einkaufstipps und die Präsentation von Lebensgeschichten oder Selbstversuchen abbilden, wie ein erster Blick auf die Clips zunächst vermuten lässt, sondern sich darüber hinaus auch Subjektnormen und verschiedene Weisen des Umgangs mit diesen dokumentieren.
7.3
Konklusion und Ausblick
Im Hinblick auf die eingangs aufgeworfenen sozialwissenschaftlichen Zeitdiagnosen, die vorwiegend eine Zunahme an Reflexionsprozessen und die vermehrte Orientierung an Subjektnormen und –idealen seitens der Individuen diagnostizieren, konnte die empirische Untersuchung, wie im letzten Abschnitt dargestellt, umfangreiche Erkenntnisse generieren. Gleichzeitig muss jedoch konstatiert werden, dass die Videos ausschließlich als Momentaufnahmen zu verstehen sind und somit lediglich einen schlaglichtartigen Blick auf die Erfahrung und den Umgang mit bestimmten Subjektnormen seitens der YouTuber_innen zeigen. Zusätzlich gilt es erneut zu betonen, dass die Videoanalysen je nach Fragestellung differieren können und daher immer nur einzelne Dimensionen der Clips in den Fokus der Analysen geraten. Ferner wurde ebensowenig eine Gesamtanalyse der einzelnen Untersuchten angestrebt, da der Habitus und die Erfahrung von Normen immer nur aspekthaft betrachtet werden kann. Darüber hinaus können Reproduktionen und direkte Nachahmungen von Videoinhalten, selbst bei expliziten Betonungen intensiver Rezeptionen, nie eindeutig und indisputabel versichert werden. Dennoch trat das vielversprechende Potenzial des angewendeten Forschungsansatzes deutlich in Erscheinung und es lässt sich zusammenfassend festhalten, dass dem Forschungsanliegen mithilfe komparativer Videoanalysen nachgekommen werden konnte. Dementsprechend ließen sich über die Analysen von YouTube-Videos nicht nur unterschiedliche Subjektnormen in den Bereichen der Ernährung, des Körpers und der Selbstdisziplinierung rekonstruieren, sondern ebenso Subjektivierungen, das heißt implizite oder explizite Ausrichtungen der Videoproduzent_innen an die Normen sowie deren Verhältnis zum Habitus der YouTuber_innen. Besonders die Videovergleiche brachten hierbei zum Vorschein,
7.3 Konklusion und Ausblick
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wie sich die Relationen zwischen den einzelnen Subjektnormen und den Habitus zwischen den verschiedenen Videoproduzent_innen ausdifferenzieren. So dokumentierten sich in den Videos nicht nur Spannungsverhältnisse zwischen den Normen und dem Habitus der YouTuber_innen, sondern ebenso Aneignungs-, und Passungsverhältnisse sowie Widersetzungen von Normen. Vor allem über die Rekonstruktion verschiedener Alltagstechniken wurde dabei sichtbar, wie diese Aneignungen und Habitualisierungen von Normen ermöglichen. Analysen von biografischen Erzählungen, in Form von Transformationsvideos, erlaubten zusätzlich nicht nur Normaneignungen zu eruieren, sondern auch umfängliche Veränderungen des Habitus. Zum einen zeigten die Analysen dabei auf, dass ein Großteil der analysierten Videos von einem starken Appellcharakter geprägt sind, die Rezipient_innen eine Ausrichtung an bestimmten Normen oder einen speziellen Umgang mit diesen nahelegen. Zum anderen wurde auch ersichtlich, wie verschiedene Videoinhalte von Rezipient_innen reproduziert wurden, sei es in Form von spielerischen Nachahmungen bestimmter Darstellungsweisen und Posen oder aber in Form von impliziten und expliziten Normreproduktionen oder dem Umgang mit Subjektnormen. Ferner konnten zudem spezifische Charakteristika des Lifestyle-Genres auf YouTube ausgearbeitet werden. All dies macht YouTube-Videos zu äußerst relevanten und ertragreichen Untersuchungsgegenständen für eine Vielzahl an gegenwärtigen sozialwissenschaftlichen Fragestellungen und verdeutlicht die Fruchtbarkeit der Arbeit nicht nur im Kontext der Subjektivierungsforschung, sondern auch im Hinblick auf bspw. medien-, erziehungs- und kommunikationswissenschaftliche Forschungsanliegen. Obwohl oder gerade weil dementsprechend umfangreiche Erkenntnisse insbesondere im Hinblick auf die empirische Subjektivierungsforschung einerseits und die YouTube-Forschung andererseits generiert werden konnten, schließen sich an die Ergebnisse der Arbeit diverse Forschungsfragen an. So stellt sich zum Beispiel die Frage, inwiefern Habitustransformationen von YouTuber_innen auch über einen Vergleich von Videos rekonstruierbar sind, die zeitlich weit auseinanderliegen und demnach als Dokumente unterschiedlicher Lebensphasen fungieren. Des Weiteren schließen sich an die Arbeit mögliche Anschlussstudien an, die aufbauend auf den gewonnenen Erkenntnissen nicht nur verschiedene Lifestyle-Normen und deren Relevanz für YouTuber_innen aufzeigen, sondern durch systematische Fallvergleiche eruieren, inwiefern sich Subjektnormen und Subjektivierungen in divergenten Milieus resp. konjunktiven Erfahrungsräumen differenzieren. Anhand solcher milieubezogenen Vergleichsanalysen ließen sich in dezidierter Form erstens ggfs. dominante bzw. hegemoniale Subjektnormen ableiten sowie zweitens prüfen, ob sich die rekonstruierten Relationen zwischen Norm und Habitus weiter spezifizieren lassen. Auch Triangulationen und die
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Verknüpfung verschiedener Datenformate könnten dabei helfen, Subjektivierungen und Normreproduktionen zu präzisieren. Im Sinne der Dokumentarischen Methode nach Bohnsack (2017) erscheinen hierbei zum einen Interviews mit den Videoproduzent_innen ertragreich, um die Ebenen der proponierten Performanz sowie der performativen Performanz zu kontrastieren und nähere Einblicke über Subjektivierungen der YouTuber_innen zu gewinnen. Zum anderen können Analysen von Videokommentaren weitere Erkenntnisse zu Rezeptionsweisen der Zuschauer_innen liefern. In derartigen weiterführenden Studien sollten zwar weiterhin theoretisch-methodologische Kontextuierungen berücksichtigt werden, jedoch machte die vorliegende Arbeit auch darauf aufmerksam, wie umfangreich und komplex jene Rückbindungen und Verortungen derzeitig noch ausfallen. Um weitere empirische Vergleichsstudien im Bereich der Subjektivierungsforschung zu fördern, bedarf es demnach ebenso einer kontinuierlichen Schärfung des sich herausbildenden Forschungsansatzes, die aufbauend auf den bereits erarbeiteten Erkenntnissen einen erleichterten Umgang mit empirischen Fragestellungen im Hinblick auf Subjektivierungen ermöglicht. In diesem Sinne können für die empirische Subjektivierungsforschung ggfs. auch Analysen hilfreich sein, die sich hauptsächlich in der Empirie verorten und von umfassenden Aushandlungen spezieller Begrifflichkeiten, Theorien und Methoden sowie deren Wechselverhältnis absehen. Dies ermöglicht eine stärkere Etablierung und die Durchführung weiterer empirischer Analysen, welche zum einen notwendige Vergleichsfälle schaffen und hierdurch die rekonstruktive Subjektivierungsforschung weiterentwickeln sowie zum anderen, eine intensivere Fokussierung auf empirisch ausgelegte Arbeiten mit umfangreicherem Datenmaterial begünstigen. Demnach lässt sich konstatieren, dass aufgrund ihrer Aktualität erst wenige Untersuchungen der empirisch ausgerichteten Subjektivierungsforschung folgen, jedoch die vermehrte Fokussierung auf die Adressat_innen von Subjektnormen nicht nur aus methodischer Sicht notwendig ist, um die qualitative Sozialforschung weiter zum normativen Paradigma zu öffnen, sondern auch, um die tatsächliche Alltagsrelevanz und Reichweite zeitgenössischer Individualisierungsund Subjektivierungstheorien gesichert zu prüfen. Wie die vorliegende Arbeit verdeutlicht, können mithilfe der angewendeten Forschungsmethoden nicht nur Probleme der Cultural Studies im Bezug auf die Polysemie von Medientexten überwunden, sondern auch Fragen im Bereich der Governmentality Studies aus einer mikrosoziologischen Perspektive beantwortet werden. Darüber hinaus geben die Analysen interessante Erkenntnisse zu sozialwissenschaftlichen Fragestellungen im Hinblick auf das Wechselverhältnis von Medien und Alltag. Einerseits bestätigen die hier vorgelegten empirischen Ergebnisse zwar die große Bedeutung von Subjektnormen für die Alltagspraxis der untersuchten
7.3 Konklusion und Ausblick
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YouTuber_innen, indem vornehmlich Anpassungen und Aneignungen an die jeweiligen Lifestyle-Normen rekonstruiert wurden, andererseits kann hieraus allein keine grundsätzliche und problemlose Integration jeglicher diskursanalytisch ermittelter Subjektnormen abgeleitet werden. Vielmehr zeigen die Analysen auf, dass Fragen zur tatsächlichen Alltagsrelevanz einzelner normativer Ordnungen nur empirisch anhand detaillierter Untersuchungen beantwortet werden können. Auch die rekonstruierten Reproduktionen von Posen, Darstellungsweisen, Normen sowie impliziten und expliziten Nachahmungen im Umgang mit diesen Ausprägungen zeigen zwar tendenziell das große Wirkpotenzial von LifestyleVideos, allerdings dokumentierten diese sich in Bereichen, in denen ein äußerst ausgeprägtes Wirkpotenzial anhand theoretischer Überlegungen bereits vermutet wurde. In den hierbei ausgewählten, besonders markanten YouTube-Clips zeichneten sich jedoch vielfältige Reproduktionen ab, die sich mal auf die spielerische Nachahmung von Snacks und Repräsentationsweisen begrenzen, mal auf die Aneignung umfänglicher Lebensmodelle ausweiten. Zum einen folgt hieraus, dass die verschiedenen Reproduktions- und Rezeptionsweisen nicht a priori zu bestimmen sind, zum anderen, dass sich das hohe Wirkpotenzial zwar hinsichtlich divergenter Forschungsdisziplinien vergegenwärtigt werden sollte, allerdings keine alarmistischen Zeitdiagnosen begründet. Als besonders hilfreich für die Untersuchung erwiesen sich hierbei vor allem die Dokumentarische Methode und Geimers Erweiterungen dieser im Kontext der Subjektivierungsforschung sowie Przyborskis Arbeiten zur Bildkommunikation. Wie ebenfalls ersichtlich wurde, bieten sich Lifestyle-Videos aufgrund ihrer Alltagsnähe, ihrem hohen Identifikationspotenzial und ihrer Vielfältigkeit zwar vor allem als ergiebiges Datenmaterial in der Lebensstil- und Subjektivierungsforschung sowie der Kultur- und Konsumsoziologie an, allerdings stellen auch weitere Videoformate, wie bspw. Let´s Plays oder Pranks vielversprechende Erkenntnisse zu sozialwissenschaftlichen Fragestellungen in Aussicht. Insbesondere eine Vielzahl an Videos im letztgenannten Genre können demnach auch als Krisenexperimente eingeordnet werden, in denen implizite Normen sowie Reaktionen bei Missachtungen bzw. Widersetzungen der Normen zum Vorschein kommen. Ferner ließe sich in Anschluss an die gewonnen Erkenntnisse auch intensiver den Fragen nachgehen, ob aus den präsentierten Verheißungen der umfassenden Gestaltbarkeit der eigenen Lebensführung einerseits Überforderungen seitens der Rezipient_innen sowie andererseits aus den rekonstruierten umfänglichen Selbstdisziplinierungspraktiken Überlastungen seitens der Videoproduzent_innen
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Zusammenfassung der Ergebnisse im …
resultieren? Dass gerade jenen Fragen eine besondere Wichtigkeit zukommt, deutet sich etwa am Video „Ich muss euch etwas sagen“1 der YouTuberin Sophia Thiel an, welches die Videoproduzentin nach Fertigstellung der empirischen Analysen veröffentlichte. In diesem präsentiert der YouTube-Star in ähnlicher Weise wie im untersuchten Transformationsvideo einen Rückblick auf ihre zurückliegende Lebensphase, konstatiert dabei jedoch, wie schwer ihr eine konstante Aufrechterhaltung des disziplinierten Lebensstils im Kontext veränderter Lebensumstände fällt. Wie Sophia Thiel in dem Video verlauten lässt, ist es besonders die immer zentraler werdende Rolle als Social Media-Star bzw. Influencerin und die damit einhergehenden Anforderungen, die sie zunehmend belasten. In diesem Kontext erscheint auch die Frage relevant, wie resistent Normaneignungen gegenüber konkurrierender Verheißungen und Subjektnormen sind, mit denen die YouTuber_innen in anschließenden Lebensphasen konfrontiert werden? Unabhängig von derartigen Anschlussfragen wurde anhand des Materials deutlich, dass Lifestyle-Videos nicht nur aufgrund ihres hohen Authentizitätsversprechens sowie ihrer Alltagsnähe eine besondere Rolle in medial geprägten Gesellschaften einnehmen, sondern vor allem deshalb, weil sie Angebote zur autonomen Lebensführung versprechen und im gleichen Augenblick appellativ eine Ausrichtung an bestimmte Subjektnormen fordern. Hiermit befinden sich die Videos ganz im diagnostizierten Zeitgeist gegenwärtiger Individualisierungs- und Subjektivierungstheorien, die eine spätmoderne Gesellschaft beschreiben, welche durch eine Parallelität aus gesteigerter Autonomie und gleichzeitiger Unterwerfung des Subjekts unter normativen Ordnungen geprägt ist.
1 https://www.youtube.com/watch?v=gugFku3QYEI
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