Reiseberichte und Romanzen: Kulturgeschichtliche Studien zur Perzeption und Rezeption Spaniens im deutschen Sprachraum des 18. Jahrhunderts [Reprint 2010 ed.] 9783110239584, 9783484365384

What we see is invariably determined by the eye of the beholder. Travellers and readers interpret the cultural text of &

200 120 130MB

German Pages 527 [528] Year 1997

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Table of contents :
Einleitung
1. »Wir sind in unserem Netze, wir Spinnen« – die »Horizont-Linie« kultureller Erfahrung im Hinblick auf Rezeption und Innovation
1.1. »Nicht jeder lebt in der gleichen Welt« – Exposition
1.2. Subjekt(perspekt)ivität und Fremde
1.3. Lesen im Text der Fremde
1.4. Zwischen Vermitteln und Anpassen: der Rezipient als Übersetzer
1.5. Innovative und kreative Aspekte der Rezeption
2. Reiseberichte
2.1. In der Fremde daheim
2.2. Die Reisenden: Motive, Ziele
2.3. Der Reisebericht im 18. Jahrhundert
2.4. Die Erfahrung des Fremden und ihre Vermittlung in den Spanien-Reiseberichten bis zur Jahrhundertmitte
2.5. »Viaje ilustrado« – »viajeros ilustrados« – Modelle der Spanienerfahrung in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts
3. Reisen in die spanische Literatur
3.1. Spanische Literatur in Deutschland – ein Überblick
3.2. Wielands »Don Sylvio de Rosalva« - eine Donquijotiade
4. Romanzen und Góngora-Bearbeitungen: Rezeptionsinteresse und -wirkung
4.1. Gleims Romanzen zwischen Kunstballade und Góngora- Rezeption – Fragen der Forschung
4.2. Der Rezeptionshorizont – Versuche in episch-fiktionalen Texten
4.3. Der Rezeptionsgegenstand – Formen des spanischen »romance«
4.4. Gleims »Romanzen« (1756) und die Gedichte »nach dem Spanischen des Gongora«
4.5. Die Entwicklung der deutschen Romanze: neue Impulse durch kritische Rezeption
4.6. Die Entdeckung einer neuen Hispanizität der ›romances‹
Schluß
Literatur
Quellen
Forschung
Register
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Reiseberichte und Romanzen: Kulturgeschichtliche Studien zur Perzeption und Rezeption Spaniens im deutschen Sprachraum des 18. Jahrhunderts [Reprint 2010 ed.]
 9783110239584, 9783484365384

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FRÜHE NEUZEIT Band 38 Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext In Verbindung mit der Forschungsstelle „Literatur der Frühen Neuzeit" an der Universität Osnabrück Herausgegeben von Jörg Jochen Berns, Klaus Garber, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller und Friedrich Vollhardt

Christian von Zimmermann

Reiseberichte und Romanzen Kulturgeschichtliche Studien zur Perzeption und Rezeption Spaniens im deutschen Sprachraum des 18. Jahrhunderts

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1997

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheit sauf nah me Zimmermann, Christian von: Reiseberichte und Romanzen : kulturgeschichtliche Studien zur Perzeption und Rezeption Spaniens im deutschen Sprachraum des 18. Jahrhunderts /Christian von Zimmermann, - Tübingen : Niemeyer, (Frühe Neuzeit; Bd. 38) ISBN 3-484-36538-2

ISSN 0934-5531

© Max Niemeyer Vertag GmbH & Co. KG, Tübingen 1997 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier Druck: Allgäuer Zeitungsverlag, Kernpten Einband: Siegfried Geiger, Ammerbuch

Vorbemerkung Zu den angenehmsten Pflichten gehört ein Wort des Dankes an diejenigen, die das allmähliche, mitunter auch raschere Anwachsen des vorliegenden Werkes in vielfältiger Weise unterstützt haben. Herrn Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann, der die Arbeit mit kritischem Rat und den Arbeitenden mit freundschaftlicher Strenge begleitete, sei an dieser Stelle herzlichst gedankt. Für hispanistischen Rat und praktische Hilfe bei der Vorbereitung zu einem Forschungsaufenthalt an der Biblioteca Nacional in Madrid bin ich Herrn Prof. Dr. Arnold Rothe zu Dank verpflichtet. Für ihre ausdauernde kritische Lektüre und für wertvolle Gespräche danke ich den Weggefährten Herrn Dr. Ulrich Winter, Herrn Joachim Grage, Herrn Dr. Jochen Friedrich sowie Herrn Dr, Robert Seidel, der die Arbeit vor der Drucklegung sorgfältigst durchgesehen hat. Wichtige Hinweise gaben Herr Dr, Joachim Teile, Herr Dr. Ralf-Georg Bogner sowie Herr Dr. Wolfgang Griep (Eutiner Landesbibliothek). Meinen Eltern und meiner Frau, denen ich so vieles mehr verdanke, als hier ausgesprochen werden könnte, ist diese Arbeit in Liebe zugeeignet. Neckargemünd, im Februar 1997

Ch.v.Z.

Inhalt Einleitung

,

1. »Wir sind in unserem Netze, wir Spinnen« - die »Horizont-Linie« kultureller Erfahrung im Hinblick auf Rezeption und Innovation .. 1.1, l .2.

l ,3.

l .4. 1.5,

»Nicht jeder lebt in der gleichen Welt« - Exposition Subjekt(perspekt)ivität und Fremde 1.2.1. Das je eigene Fremde l .2.2. Die fremde Kultur l .2.3. Die Analyseperspektive Lesen im Text der Fremde 1.3.l. Der Leseprozeß und die Autorfiktion 1.3.2. Bausteine der Subjektivität Zwischen Vermitteln und Anpassen: der Rezipient als Übersetzer Innovative und kreative Aspekte der Rezeption 1.5.1. Zwischen Normwandel und Normbestätigung l .5.2. Innovative und kreative Rezeption 1.5.3. Das Problem der Innovationstoleranz

2. Reiseberichte 2.1.

2.2.

2.3.

In der Fremde daheim 2. l. l. Erwartungsaffekte 2. l .2, Vorurteile oder Orientierungshilfen 2.1.3. Wahrnehmungsweisen: Alterität, Alienität und Integration Die Reisenden: Motive, Ziele 2.2. l. Spanienreisen und Spanien-Reiseberichte bis zur Jahrhundertmitte 2.2.2. Reiseberichte in deutschen Übersetzungen: annotierte Auswahlbibliographie (1750-1800) 2.2.3. >Deutsche< Spanienreisen (l750-1802) Der Reisebericht im 18. Jahrhundert 2.3.1. Empirismus, Subjektivität und Reiseinteressen 2.3.2. Informationsvermittlung und Unterhaltung - die Aufgaben des Reiseberichtautors

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11 12 15 15 19 21 24 24 28 31 34 35 37 39 40 45 45 48 52 53 58 73 93 125 128 142

VIII 2.3.3. 2.3.4.

2.4.

2.5.

Anordnung der Reiseerfahrung im Reisebericht . . . Dominante Seh weisen: Spezialisierung oder Informationsbreite 2.3.5. Der institutionelle Rahmen der Reiseliteratur im 18. Jahrhundert: Geographie in nuce Die Erfahrung des Fremden und ihre Vermittlung in den Spanien-Reiseberichten bis zur Jahrhundertmitte . 2.4. l. »in diesem fremten land« - Ängste und Abgrenzungsstrategien — 2.4.2. Inquisition als Reiseangst 2.4.3. Zwischenbemerkung zum Einfluß französischer Spanienbilder 2.4.4. Reisetopographie: Stadt und Land im Blick der Reisenden 2.4.5. Emmerich Fischers Reisechronik - ein konkurrierendes Reisemodell und seine Implikationen für die Fremderfahrung , , , »Viaje üustrado« - »viajeros üustrados« - Modelle der Spanienerfahrung in der 2, Hälfte des 18. Jahrhunderts 2.5.1. Carl Christoph Plüer - Perspektivik der visuellen Wahrnehmung 2.5.2. Joseph Hager - Arabien, Rittertum und aufgeklärtes Spanien 2.5.3. Leopold A. Kaufhold - der reisende Bürger in der Fremde 2.5.4. Christian A, Fischer -- Bewältigungsstrategien des aufgeklärten Reiseberichts (mit einem Exkurs zur Klimatheorie) 2.5.5. Heinrich F, Link - Spanien aus europäischer Perspektive 2.5.6. Wilhelm von Humboldt - theoretischer und literarischer Umgang mit der unfaßbaren Individualität des Fremden 2.5.7. Alterität, AHenität, Integration zusammenfassende Bemerkungen

3, Reisen in die spanische Literatur 3.1.

3.2.

Spanische Literatur in Deutschland - ein Überblick 3.1.1. Die spanische Aufklärungsliteratur 3.1.2. Die spanische Literatur des Siglo de Oro 3.1.3. Theologisches Fachschrifttum, Erbauungsliteratur, asketische und mystische Schriften Wielands »Don Sylvio de Rosalva« - eine Donquijotiade .. 3.2.1. »Don Quixote« zwischen Bodmer und Schlegel ...

145 149 160 168 168 179 183 186

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241 255 258 262 262 270 281 288 289

IX

3.2.2.

Wielands »Don Quixote«-Adaption und die diätetische Funktion des Romans im Spiegel der Aufklärung Der spanische Charakter des »Don Quixote«

296 305

4. Romanzen und Gongora-Bearbeitungen: Rezeptionsinteresse und -Wirkung .

309

3.2.3.

4.1.

4.2.

4.3.

4.4.

4.5.

4.6.

Gleims Romanzen zwischen Kunstballade und GongoraRezeption - Fragen der Forschung 4. t . l. Kunstromanze und Kunstballade 4.1.2. Gongora-Rezeption Der Rezeptionshorizont - Versuche in episch-fiktionalen Texten 4,2. l. »Versuch in Scherzhaften Liedern« (1744) 4.2.2. »Ein Traum.« 4.2.3. Fabeln und Verserzählungen: das Beispiel La Fontaines - das Beispiel Hagedorns Der Rezeptionsgegenstand - Formen des spanischen »romance« 4.3.1. Die traditionelle Romanze - >romance viejo< (Romanze vom Verlust Alhamas) 4.3.2. Die Kunstromanze - »romance nuevo< (»jQue se nos va la Pascua, mozas!«) Gleims »Romanzen« (1756) und die Gedichte »nach dem Spanischen des Gongora« 4.4. l. Entstehungsgeschichte 4.4.2. »Marianne« 4.4.3. »Der gute Tag. (Nach Gongora.) 1743« 4.4.4. »Der schöne Bräutigam. Nach dem Spanischen des Gongora.)« , 4.4.5. »Die Zeit. (Nach Gongora.)« Die Entwicklung der deutschen Romanze: neue Impulse durch kritische Rezeption 4.5.1. Gleim als Vorbild - zur literarischen Wirkung der »Marianne« 4.5.2. Romanzenrezeption im Gleimschen Freundeskreis: Johann Nicolaus Meinhard und Johann Georg Jacobi , 4.5.3. Daniel Schiebelers Beitrag zur Rezeption der spani sehen Literatur und die mythologische Romanze .. 4.5.4. Ein anonymer Beitrag zur Charakterisierung der deutschen Kunstromanze: die Vorrede der »Romanzen der Deutschen« (1774) Die Entdeckung einer neuen Hispanizität der >romances< . . .

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379 385

406 414

4.6.1. 4.6.2. 4.6.3.

Romanzen als spanische Volksdichtung (Herder) ... 414 Kontinuität und Wandel: Herder als Rezipient von Gleims »Marianne« 427 Die Erfindung der Orientalität - der >romance< vom Fall Alhamas in deutschen Übersetzungen (Herder, Butenschoen, Jariges) 434

Schluß

448

Literatur

455

Quellen Forschung Register

455 483 507

Die Zeichnung der Landkarte stellt ans Spanien als den Kopf der Jungfrau Europa dar; in dieses schöne Gesicht hatte ich hineingesehen, ich werde es niemals vergessen, (Hans Christian Andersen, In Spanien)

Einleitung Seit ihr den Spaniern hie feind, So langsamb ihrer zugedencken ? Seind sie doch aller Länder fremd. Wan sie den Wein schon nicht verschencken; Gib ihres weins das glaßlein da Damit Ich besser mög hablieren, A su salud, O, alia va, Wer will mag emborraciarsieren. (Georg Rudolf Weckherün, Ode Paranesisch, Bacchisch und Saryrisches Getnüss)

»Da das Fremde und das Eigene interdependente Größen sind, bringt eine kritische Veränderung des Eigenen immer auch einen Erscheinungswandel des aufgefaßten Anderen mit sich,« 1 So formuliert Alois Wierlacher eine der Grundannahmen kulturgeschichtlicher Fremdheitsforschung. Die vorliegenden Studien zur Perzeption und Rezeption spanischer Kultur im deutschen Sprachraum des 18. Jahrhunderts greifen diesen Gedanken auf und wenden ihn auf besondere Prozesse kultureller Fremd Wahrnehmung an. In Reiseberichten - als Artikulationsort einer primären Erfahrung des Fremden - und >Romanzen< - als exemplarischer Gattung der produktiven literarischen Rezeption spanischer Kultur - wird das je spezifische Verhältnis von Eigenem und Fremdem, die wechselnde Abgrenzung, Definition und Valoration des Fremden untersucht. Neben der Adaption und kritischen Diskussion der spanischen Dramen, die bereits früh einsetzte, aber erst gegen Ende des Jahrhunderts größere Bedeutung erlangte, oder der auch im 18, Jahrhundert bedeutenden »Don Quixote «-Rezeption2 können die Aufnahme der spanischen Romanze sowie die Spaniendarstellung in der Modegattung »Reisebericht als zentrale Formen der Rezeption spanischer Kultur gelten. Das Ziel der folgenden Studien ist es, diese Prozesse auf der Grundlage einer umfassenden Dokumentation in ihren jeweiligen kulturellen, sozialen und biographischen Kontexten zu beAlois Wierlacher, Kulturwissenschaftliche Xenologie. Ausgangslage, Leitbegriffe und Problemfelder. In: dcrs. (Hg.), Kulturtherna Fremdheit. Leitbegriffe und Problemfelder kulturwissenschaftlicher Fremdheitsforschung. Berlin 1993 [= Kultunhemen. Bd. 1]: 19112: 110. Die Grundzüge der »Don Qmxote«-Rezeption werden exemplarisch anhand einzelner Rezeptionszeugnisse in Kapitel 3 skizziert.

stimmen. Gegenstand der Untersuchung ist nicht in erster Linie die Rezeptionsgeschichte der spanischen Literatur und Kultur, sondern die Frage nach dem Anteil des Eigenen bei ihrer Wahrnehmung, Beschreibung und Aufnahme: nach dem Rezeptionshorizont·. Warum und mit Hilfe welcher Strategien der eigenen Kultur wurde eine fremde, hier die spanische Kultur perzipiert und rezipiert? Die Beschäftigung mit Spanien in Reisewerken und in literarischen Rezeptionsprozessen bietet zunächst nur partiell Überschneidungen, die sich etwa daraus ergeben, daß einerseits Reiseberichte eine gewisse Bedeutung für die Vermittlung spanischer Literatur und Volkskultur erlangten oder daß andererseits von den Rezipienten der spanischen Romanze bestimmte Aspekte des Spanienbildes tradiert wurden. Das Verhältnis der itinerarischen zur literarischen Fremdwahrnehmung unterliegt jedoch einem historischen Wandel. Gerade im 18. Jahrhundert entwickelt sich zunehmend ein Interesse am Gehalt des Fremden in literarischen Texten (J. G. von Herder), und die Lektüre der fremden Literatur gewinnt angesichts einer allmählichen Abwertung der bloßen empirischen Erfahrung auch in der Reiseliteratur an Bedeutung (W, von Humboldt), Die vorliegende Arbeit untersucht auf der Basis rezeptionstheoretischer Vorüberlegungen (Kapitel 1} die Wahrnehmung Spaniens in den Rezeptionsmedien Reisebericht (Kapitel 2) und Romanze (Kapitel 4} in ihrem jeweils eigenen Systemkontext, Als Fluchtpunkt der weitgehend unabhängigen Entwicklung wird ein Paradigmenwechsel in der Geschichte der Fremdwahmehmung skizziert, der in Herders Gedanken zum Volkslied (besonders zum spanischen >romanceromances< gilt es zu fragen, in welchen poetologi sehen und literarischen Kontexten sich ein Interesse bildete, welche Ziele jeweils mit der Rezeption verbunden wurden und in wel-

chem Verhältnis der Rezeptionsakt mit dem Bild und dem Wissen vom Gegenstand der Rezeption und von der rezipierten Kultur stand. Die kulturellen Beziehungen zwischen Spanien und dem deutschen Sprachräum sind wiederholt betrachtet worden. Die Grundzüge der Rezeptionsgeschichte haben seit Adolf Eberts Aufsatz über die »Litterarische[n] Wechselwirkungen Spaniens und Deutschlands« (1857)3 besonders Arturo Farinelli (1892/95etc.),4 Adam Schneider (1898),' Julius Schwering (1902),6 Hermann Tiemann (1936),7 Werner Brüggemann (1956etc.),8 Edmund Schramm (1957/62),« Georg Herbert Walz (1965),10 Gerhart Hoffmeister (1976)11 und 3

Adolf Ebert, Litterarische Wechselbeziehungen Spaniens und Deutschlands. In: Deutsche Vierteljahrs-Schrift 2 (1857): 86-121. 4 Arturo Farinelli, Spanien und die spanische Litteratur im Lichte der deutschen Kritik und Poesie. Teil I & H. In; Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte N.F. 5 (1892): 135-206, 276—332; ders., Deutschlands und Spaniens litterarische Beziehungen. (Spanien und spanische Litteratur im Lichte der deutschen Kritik und Poesie, III. und IV. Teil.) In: Zeitschrift für vergleichende Litteraturgeschichte N.F. 8 (1895): 318^*07. Weitere Schriften zum Thema (Auswahl): ders., Grillparzer und Lope de Vega. Berlin 1894; ders., Guillaume de Humboldt et l'Espagne. Avec une esquisse sur Geethe et Es pagne. Turin 1924 [= Letterature Moderne. Studi. Bd. VI.; altere Fassung: Guillaume de Humboldt et l'Espagne. Appendice: Gcethc et l'Espagne. In: Revue Hispanique 5 (1898): 1-250]; ders., Viajes por Espafia y Portugal desde la Edad Media hasta el siglo XX. Nuevas y antiguas diavagaciones bibliogräficas, 3 Bde. Rom 1942 [= Studi e document!. Bd. 11]. 5 Adam Schneider, Spaniens Anteil an der deutschen Litteramr des 16. und 17. Jahrhunderts. Straßburg 1898; zuvor bereits; ders,, Die spanischen Vorlagen der deutschen theologischen Literatur des 17. Jahrhunderts. Straßburg 1897, - Vgl. zu Schneider (1898) die Kritik von Farinelli; gedruckt in; Arturo Farinelli, Neue Reden und Aufsätze gesammelt von seinen Schülern. Pisa/Stuttgart 1937: 369^15. 6 Julius Schwering, Litterarische Beziehungen zwischen Spanien und Deutschland. Eine Streitschrift gegen Dr. Arturo Farinelli, Professor an der Universität Innsbruck. Münster 1902 1= Kritische Studien. Bd. 1]. 7 Hermann Tiemann, Das spanische Schrifttum in Deutschland. Von der Renaissance bis zur Romantik. Eine Vortragsreihe. Hildesheim 1971 [Nachdruck der Ausg.: Hamburg 1936]. s Werner Brüggemann, Die Spanienberichte des 18, und 19. Jahrhunderts und ihre Bedeutung für die Formung und Wandlung des deutschen Spanienbildes. In: Spanische Forschungen der Görresgesellschaft I. Reihe J2 (1956): 1-146; ders., Cervantes und die Figur des Don Quijote in Kunstanschauung und Dichtung derdeutschen Romantik. Münster 1958 [= Spanische Forschungen der Görres-Ges. II/7]; ders., Spanisches Theater und Deutsche Romantik. Münster 1964 [= Spanische Forschungen der Görres-Ges. II/8], 9 Edmund Schramm, Die Einwirkung der spanischen Literatur auf die deutsche, In: Wolfgang Stammler (Hg.), Deutsche Philologie im Aufriß. Band III. 2., überarbeitete Auflage, Berlin 1962 [erste Aufl. 1957]; 147-199. 1( > Georg Herben Walz, Spanien und der spanische Mensch in der deutschen Literatur vom Barock zur Romantik. Diss. Erlange n-Nürnberg 1965, 11 Gerhart Hoffmeister, Spanien und Deutschland. Geschichte und Dokumentation der literarischen Beziehungen, Berlin 1976 [= Grundlagen der Romanistik. Bd, 9]. - Die Arbeit erschließt umfassend und thematisch-historisch geordnet die ältere Forschungsliteratur,

in jüngster Zeit besonders Dietrich Briesemeister12 skizziert. Während Ebert, Schneider, Schwering, Tiemann und Hoffmeister vorrangig an der Wirkungs-, Einfluß- und Rezeptionsgeschichte der spanischen Literatur in Deutschland interessiert waren, haben vor allem Farinelli, Brüggemann und Briesemeister auch die Spanienbilder deutscher Rezipienten - der Literaten und besonders der Reisenden - untersucht. Ziel dieser Arbeiten war nicht zuletzt, »Das Bild des Deutschen in der spanischen und das Bild des Spaniers in der deutschen Literatur« 13 darzustellen. Die Gesamtheit dieser Arbeiten ergibt eine detaillierte Bestandsaufnahme der literarischen Rezeption und der Spanienreisen, Sie erlaubt, in der Betrachtung einen Schritt weiterzugehen und nach den Konstellationen zu fragen, in denen sich die Rezeption spanischer Kultur entwickelt hat. Den untersuchten Zeitraum umgrenzen zwei für die spanische Geschichte folgenreiche Kriege, die Anfang und Ende des 18. Jahrhunderts deutlich markieren. Er beginnt mit dem Tod des letzten, kinderlosen spanischen Habsburger-Königs, Carlos II. Die Nachfolgefrage führte zum spanischen Sukzessionskrieg (1700-1714), den das bourbonische Frankreich für sich entscheiden konnte. Nach der habsburgischen Dynastie folgten im 18. Jahrhundert die Bourbonenkönige Felipe V., Fernando VI., Carlos III. und Carlos IV.14 In der Regierungszeit von Carlos IV. (1788-1808) erlebte Spanien 12

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Dietrich Briesemeister, Die Rezeption der spanischen Literatur in Deutschland im IS, Jahrhundert. Ein bibliographischer Bericht. In: Das Achtzehnte Jahrhundert 8 (1984); 173-197; ders., Katalonien und Deutschland. Ein Überblick über die kulturgeschichtlichen Wechselbeziehungen anläßlich der Ausstellung »Bibliophile Kostbarkeiten aus der Bibüoteca de Catalunya« in der Badischcn Landesbibliothek Karlsruhe. Vortrag vom 30. September 1986 in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe. Karlsruhe 1987 [= Badische Landesbibliothek. Vorträge, Bd. 12]; ders., La literatura espanola en la Alemania del siglo XVIII a travel de la mediacion de traducciones francesas. In: Hugo Dyserinck et al. (Hgg,), Europa en Espana - Espana en Europa. Actas del simposio internacional de literatura comparada. Barcelona 1990: 179-201; ders., Percepciones de cambio en los relates de viajes por Espana en la segunda rnitad del siglo XVIII. In: Manfred Tietz/ Dietrich Briesemeister (Hgg,), La secularizacion de la cultura espanola en el Siglo de las Luces. Actas del congreso de Wolfenbüttel, Wiesbaden 1992 [= Wölfen bütteler Forschungen. Bd. 53]: 33^5. Dietrich Briesemeister, Das Bild des Deutschen in der spanischen und das Bild des Spaniers in der deutschen Literatur. In: Fraternitas-Reihe zur Untersuchung der Stereotypen 16/17(1980): 1-30. Zum bourbonischen Spanien vgl. grundlegend: Georges N. Desdevises du Dezert, La richesse et la civilisation espagnoles au XVIIF siecte. In: Revue Hispanique 73 (1928): 1488; Jean Sarrailh, La Espana ilustrada en la segunda mitad del siglo XVIII, Übersetzt von Antonio Altatorre. Mexico/Madrid/ Buenos Aires 21974 [Erstausgabe 1957; frz. Originalausgabe; L'Espagne eclairee de la seconde moitie du XVIII e siecle. 1954); Antonio Dominguez Ortiz, La sociedad espanola en el siglo XVIII. 2 Bde. Madrid 1955 {= Monografias Historico-Sociales. Bde. 7,8]; ders,, Carlos III y la Espana de la Ilustracion, Madrid 1988; Richard Herr, The Eighteenth Century Revolution in Spain. Princeton 1958; Hans Juretschke, Die Aufklärung und die innere Entwicklung in Spanien und Portugal von 1700-1808, In: Fritz Valjavec et al. (Hgg.), Historia Mundi, Ein Handbuch

die beunruhigenden revolutionären Entwicklungen im Nachbarland Frankreich und geriet (auch, aber nicht allein unter deren Einfluß) in innenpolitische Krisen, die schließlich Jose" Bonaparte auf den Thron brachten (1808) und damit einen sechsjährigen Unabhängigkeitskrieg auslösten. Das bourbonische 18. Jahrhundert stand im Zeichen der Reform der Monarchie, die mit wechselndem Eifer der Regenten vorangetrieben wurde und den Anschluß an die europäische Aufklärung ermöglichen sollte. Getragen wurde die Entwicklung von einer zwischen Bürgertum und Hochadel angesiedelten Schicht reformorientierter und aufstrebender Gebildeter.15 Während sich Spanien so um den Anschluß an Europa bemühte, bedeutete das Resultat des Sukzessionskrieges jedoch einen gewissen Rückschlag für die Beziehungen Spaniens zum deutschsprachigen Raum. Mit dem Ende der habsburgischen Herrschaft war nicht nur die verwandtschaftliche Achse Madrid-Wien zerbrochen, sondern mit ihr auch die enge Bindung zu weiteren deutschen Höfen, die sich auf habsburgischer Seite im Sukzessionskrieg engagiert hatten.16 Noch im 16, Jahrhundert hatte es, bedingt durch die starken dynastischen Bindungen, einen regen Kulturaustausch gegeben, der vor allem im Süden des deutschsprachigen Raumes nachhaltig wirkte. Spanisches Hofzeremoniell fand um 1600 Eingang in die Umgangsformen des Wiener Hoflebens: 17 etwa der Handkuß und das Lüften des Hutes zur

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der Weltgeschichte in zehn Bänden. Bd. 9: Aufklärung und Revolution. Bern/München 1960: 135-157; John Lynch, Bourbon Spain 1700-1808. Oxford/ Cambridge/Mass. 1989; vgl. a. die aktuelle Diskussion in: Chastagnaret /Gerard Dufour (Hgg.), Le r£gne de Charles III. Le despotisme e"clair6 en Espagne. Paris 1994, - Einführend vgl. a.: Robert W. Kern/ Meredith D. Dodge (Hgg.), Historical Dictionary of Modern Spain, 1700-1988. New York/ Wesport/Connecticut/ London 1990; Walther L, Bernecker/ Horst Pietschmann, Geschichte Spaniens. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Stuttgart /Berlin /Köln 1993. Vgl, zur spanischen Aufklärung neben den genannten Arbeiten bes.: Werner Krauss, Die Aufklärung in Spanien, Portugal und Lateinamerika. München 1973 [= Aufklärung und Literatur Bd. 4]; Wilfried Floeck, Die Literatur der spanischen Aufklärung, In: Jürgen von Stackelberg et al. (Hgg.), Europäische Aufklärung, Bd. 3. Wiesbaden 1980 [= Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Bd. 13]: 359-390; Josi Antonio Maravall, Estudios de ta historia del pensamiento espanol (siglo XVIII). Introduccion y compilacion de Maria Carmen Iglesias. Madrid 1991; Francisco Aguüar Piflal, Ititroduccion al Siglo XVIII. Madrid /Gijon 1991 [= Historia de la Literatura Espanota, Bd. 25]. Das Ende des Konflikts bedeutete so zunächst eine Störung des Austausche; auf der anderen Seite aber belebten gerade diese Ereignisse, die Spanien wieder in den Mittelpunkt europäischer Politik rückten, das Interesse - auch an der spanischen Sprache und Kultur [vgl.: Martin Franzbach, Die spanische Sprache in Deutschland im 18. Jahrhundert. In: ders,, Kritische Arbeiten zur Literatur- und Sozialgeschichte Spaniens, Frankreichs und Latcinamerikas. Bonn 1975 [= Studien zur Literatur- und Sozialgeschichte Spaniens und Lateinamerikas. Bd, 1]: 25-41, hier 27. Zu den Beziehungen zwischen Wien und Madrid vgl.: Ferdinand Oppl / Karl Rudolf, Spanien und Österreich. Wien J991; F. Oppl, Spanien und Wien. Wien 1991 [- Wiener Geschichtsblätter 46 (1991), Beiheft 3]. - Vgl. a. (jeweils mit einleitenden Bemerkungen zu den Beziehungen zwischen Wien und Madrid versehen): Berichte der diplomatischen Vertreter des Wiener Hofes aus Spanien in der Regierungszeit Karls. III. (1759-1788).

Begrüßung. Auch das Vokabular am Hofe änderte sich durch Eindeutschungen und Lehnübersetzungen; so sind Worte wie »Galan«, »Gala«, »Grandezza«, »Exzellenz«, aber auch »Infanterie«, »Armada«, »Admiral« u.a.m. Importe aus dem Spanischen.18 Umgekehrt zeugen spanische Redewendungen »rico como un fucar« (reich wie ein Fugger) oder »beber como un tudesco« (trinken wie ein Deutscher)19 von den Verbindungen.20 Dennoch blieben direkte Kontakte - abgesehen von dem regen Austausch zwischen Wien und Madrid - eher eine Ausnahme. Stärker als die Berichte der Spanienreisenden oder der Jakobspilger beeinflußten die in der Literatur tradierten Charakterisierungen des Spanischen das Spanienbild dieser Epoche. Sie verbreiteten sich um so stärker, als die Beziehungen zwischen Spanien und anderen europäischen Nationen sich im 16. und 17. Jahrhundert fortwährend als schwierig erwiesen. Die antiprotestantische Haltung Spaniens,21 die antispanische Propaganda der Niederlande sowie eine wachsende Skepsis der Deutschen gegenüber ihrem >spanischen< Landesherrn Karl V.22 trugen zur Ausbildung der >schwarzen Legende< vom despotischen und religiös fanatischen Spanien bei. Innenpolitische Ausgrenzungen von Bevölkerungsgruppen, die für >fremd< erklärt wurden (Morisken und Sepharden), und »explosiones xenofobas« (bes. gegen Franzosen),23 förderten das Bild Hg. von Hans Juretschke. Bearb, und erl, von Hans-Otto Kleinmann. 14 Bände. Madrid 1970-1988; Berichte der diplomatischen Vertreter des Wiener Hofes aus Spanien in der Regierungszeit Karls. IV. (1789-1808.) Hg, von Hans Juretschke. Bearb. und erl. von Hans-Otto Kleinmann. [Bisher] 3 Bde. Madrid 1990ff. I s Hoffmeister, Spanien und Deutschland 1976: 27f. - Vgl. bes. a.: Gustav Siebenmann, Wie spanisch kommen uns die Spanier vor? Beobachtungen zur Verwendung dieses Volksnamens im Deutschen. In: ders., Essays zur spanischen Literatur. Frankfurt/M. 1989: 35-54, bes. 42^6 (in historischen Wörterbüchern etc.). 19 Die gleiche Wendung wird mit den Verben >comer< und >engordar< nachgewiesen in: Maria Moliner, Diccionario de uso del Espaftol. 2 Bde. Madrid 1988 [~ Biblioteca Roma"nica Hispänica V. Diccionarios. Bd. 5]: II, 1404b. 20 Vgl. -/M Reflexionen auf Deutschland in der spanischen Literatur a.: A. Morel-Fatio, Les Allemands en Espagne du XVe au XVffl6 Siecle. In: RFE 9 (1922): 277-297, hier 284f. 21 In den Jahren nach dem Augsburger Friedensschluß wurde Frankfurt am Main ein wichtiger Exilort spanischer Protestanten. Durch sie kamen auch Nachrichten über die antiprotestantische Inquisition nach Deutschland. So wurde 1567 in Heidelberg die Schrift »Sanclae Inquisitionis Hispanicae ispanicae artes aliquot delectae, ac palam traductae« von Reginaldus Gonsalius Montanus verlegt, die in mehrere Sprachen übersetzt worden ist. Vgl. Sverker Arnoldsson, La Ley end a Negra. Estudios s obre sus origenes. Göteborg I960 [= Acta Universitatis Gothoburgensis / Göteborgs Universitets Arsskrift LXVI (1960) Bd. 3]: 131. 22 Sverker Amoldsson nannte besonders die Stationierung spanischer Truppen in Deutschland durch Kar! V, in der »guerra espanola« (1546-52) als Spanienbild-prägendes Ereignis. Arnoldsson, Leyenda Negra 1960: 104f., 127; vgl. a.: Carlos Gilly, Spanien und der B äs l er Buchdruck bis 1600, Ein Querschnitt durch die spanische Geiste s ge schichte aus der Sicht einer europäischen Buchdruckerstadt. Basel /Frankfurt/M. 1985 [- Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft. Bd. 1511: bes. 214—222. 23 Ricardo Garcia Cärcel, La leyenda negra. Historia y opinion. Madrid 1992 [= Alianza Universidad. Historia. Bd. 704]: 23,

eines hermetischen Staates. Die politischen Konflikte wurden in propagandistischen Kämpfen ausgetragen. Am Rande der konfessionellen, politischen und territorialen Machtkämpfe, in die im 17. Jahrhundert sämtliche europäischen Mächte verstrickt waren, tobte eine »guerra de opinion«, in der eine »leyenda negra«24 im Widerstreit mit einer »leyenda rosa«25 das Spanienbild beeinflußte.26 Die Interessenkonflikte mit Frankreich, das Engagement der Großmacht in den Niederlanden und die habsburgische Vormachtstellung überhaupt gaben beständig Anlaß zu heftigster Kritik an Spanien. Von den politischen und kriegerischen Konflikten profitierten besonders die Hansestädte, allen voran Hamburg. Bereits der Aufstand der Niederlande hatte zu einer teilweisen Übernahme des niederländisch-spanischen Handels durch die Hanse geführt. 27 Auch in den folgenden Konflikten verhalf die Neutralität den Handelsstädten zu günstigen wirtschaftlichen Entwicklungen. Schließlich führte der Westfälische Friede (1647/48) auch zu einer vertraglichen Absicherung der Handelsbeziehungen. Die Regelungen, die bis ins 19. Jahrhundert Gültigkeit besaßen, schlössen die Einsetzung eines ständigen Vertreters am Hof zu Madrid ein (ab 1649). In der Folge wurden zunächst in Cadiz, dann in verschiedenen weiteren Hafenstädten hanseatische oder Hamburgische Konsulate eingerichtet, 28 Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts ließ der Seehandel aufgrund der stärkeren europäischen Konkurrenz und zunehmender Gefahren durch nordafrikanische Piraterie 29 nach. Im letzten Jahrzehnt liefen nur noch etwa zehn Schiffe jährlich die iberischen Häfen an, um die Jahrhundertmitte waren es fünf- bis sechsmal so viele gewesen.30 Der Erbfolgekrieg brachte einen weiteren Rückgang und führte zum zeitweiligen Abbruch der Handelsbeziehungen, 31 Erst in den 1720er Jahren normalisierte sich der Seehandel zwischen Hamburg und Spanien wieder, der »jedoch wegen der Barbareskengefahr [in den 1730er Jahren] völlig zusammenzubrechen« drohte.32 Im weiteren Verlauf des Jahrhunderts gewannen die Beziehungen wiederum an Bedeutung und erhielten eine neue Qualität, da die spanische Regierung von 1740 bis 1758 und ab 1768 einen »Consul de 24

Den Begriff prägte Julian Juderias in seiner Studie; La Leyenda Negra. Estudios acerca de) concepto de Espana en el extranjero. Madrid 141960 [erstmals 1913]; vgl. aber besser: Arnoldsson, Leyenda Negra 1960; Garcia Cärcel, Leyenda Negra 1992. 25 Vgl. Garcia Cärcel, Leyenda Negra 1992: 101-113. 2 * Vgl. a.: Dietrich B rie seme ister, »allerhand iniurien schmehkarten pasquill vnd andere schandlose ehrenrürige Schriften vnd Model«. Die antispanischen Flugschriften in Deutschland zwischen 1580 und 1635. In: Wolfenbütteler Beiträge, Aus den Schätzen der Herzog August Bibliothek 4 (1981): 147-190, 27 Arnoldsson, Leyenda Negra 1960: 128f. - Vgl, im folgenden: Hans Fohl, Die Beziehungen zu Spanien und dem spanischen Amerika in der Zeit von 1740 bis 1806. Wiesbaden 1963 [= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte, Bd. 45]; 1-12, 28 Fohl, Beziehungen zu Spanien 1963: 5f. 29 Vgl. a.: Otto Eck, Seeräuberei im Mittelmeer. Dunkle Blätter europäischer Geschichte. München /Berlin 21943 [erste Aufl. 1940], 30 Pohl, Beziehungen zu Spanien 1963: 8f. 31 Pohl, Beziehungen zu Spanien 1963; lOf. 32 Pohl, Beziehungen zu Spanien 1963; 12.

8 Espana en Hamburgo« bestallte.33 Die Beziehungen zwischen Norddeutschland und Spanien ermöglichten so - trotz aller Schwankungen - einen kontinuierlichen wirtschaftlichen, aber auch kulturellen Austausch, Obschon Spanien in der Habsburgerzeit als eine innerlich starre und isolierte Weltmacht erschien und die Wogen einer feindlichen Propaganda hochschlugen, verfügte es gleichzeitig nicht nur über ausgedehnte (wenn auch nicht ungestörte) Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland, sondern besaß darüber hinaus einen außerordentlichen kulturellen Einfluß auf Europa: »[...] en plena vorägine de la opinion hostil a Espana en Europa la influenzia cultural de Espana en los paises europeos fue intensa.«34 Um spanische Literatur bemühten sich die Humanisten und später die Barockautoren - nicht erst seit den »Celestina«-Bearbeitungen von Christoph Wirsung (1520 und 1534).35 Während Spanien vergleichsweise selten bereist wurde, nahm die Beschäftigung mit spanischer Sprache und Literatur bereits früh einen breiten Raum ein.36 Die Studie von Carlos Gilly über die Präsenz spanischer Autoren im Buchdruck der Stadt Basel zählt bereits vor 1600 740 Titel, die einen »Querschnitt durch die spanische Geistesgeschichte aus der Sicht einer europäischen Buchdruckers tad t«37 sowie einen beeindruckenden Nachweis der kulturellen Gegenwart Spaniens im deutschsprachigen Raum ergeben. Die spanische Sprache und Kultur gehörte weiterhin zum Programm der Adelserziehung. Als herausragende Beispiele, die dies belegen, kann mit Briesemeister auf die in mehreren Auflagen erschienenen »Consultationes« von Thomas Lansius, Professor in Tübingen, und »Das neue Sprachbuch« des in München lebenden Juan Angel de Sumarän verwiesen werden, »mit dessen Hilfe man >die Vollkommenheit der vier fürnembsten Sprachen, die man in Europa pflegt zu reden, gar leichtlich erraichen kann< (erweiterte Auflage 1623). Zu den vier Hauptsprachen zählt nun schon selbstverständlich das Spanische, >gar eine schöne unt grauitetische SprachSchwulstleyenda negra Propaganda < zu sprechen, scheint mir wenig sinnvoll. Eine solche Sichtweise gerät zudem in Gefahr, einer anderen Legendenbildung zu erliegen, in der Spanien zum Leitbild eines ungebrochen-ursprünglichen und traditionalistischen Katholizismus wurde.

l.

»Wir sind in unserem Netze, wir Spinnen« - die »Horizont-Linie« kultureller Erfahrung im Hinblick auf Rezeption und Innovation Ein Mann wollte wissen, wie es sich mit dem Geist ver~ hält - nicht in der Natur, sondern in seinem eigenen großen Computer. Erfragte ihn (zweifellos in makellosem Fortran1): »Rechnest Du damit, daß du jemals denken wirst, wie ein menschliches Wesen ?« Die Maschine machte sich daran, ihre eigenen Denkgewohnheiten zu analysieren. Schließlich druckte sie ihre Antwort auf einem Stück Papier aus, wie dies solche Maschinen zu tun pflegen, Der Mann eilte hin, um die Antwort zu erfahren, und fand die sauber getippten Worte vor: Das erinnert mich an eine Geschichte, (Gregory Batesan, Geist und Natur)

»Wir sind in unserem Netze, wir Spinnen, und was wir auch darin fangen, wir können gar Nichts fangen, als was sich eben in unserem Netze fangen läßt.« Friedrich Nietzsche beschreibt mit diesen Worten aus dem Aphorismus »Im Gefängniss«1 vordergründig die physiologischen Aspekte der Erkenntnisfähigkeit des Menschen, der im Gefängnis seiner Sinne nur zu erkennen vermöge, was eben deren grobes Raster gestatte: »Hätten wir hundertfach schärfere Augen für die Nähe, so würde uns der Mensch ungeheuer lang erscheinen; ja, es sind Organe denkbar, vermöge deren er als unermesslich empfunden würde.« Um den Menschen, der die wirkliche Welt zu erfahren suche, sei eine »Horizont-Linie« gezogen, aus deren Begrenzung »kein Entrinnen, keine Schlupf- und Schleichwege in die wirkliche Welt« führen. Sämtliche Erkenntnis scheint in ihren Grenzen vorab durch das Subjekt des Erkennens festgelegt. Bereits im folgenden Aphorismus wendet Nietzsche dies auf die Bedingungen an, unter denen der Mensch einen anderen erfährt: Was ist denn der Nächste! - Was begreifen wir denn von unserem Nächsten als seine Gränzen, ich meine, Das, womit er sich auf und an uns gleichsam einzeichnet und eindrückt? Wir begreifen Nichts von ihm, als die Veränderungen an uns, deren Ursache er ist, - unser Wissen von ihm gleicht einem hohlen geformten Räume. Wir legen ihm die 1

Friedrich Nietzsche, Morgenröthe, Gedanken über die moralischen Vorurtheile, In: ders,, Sämtliche Werke.[...] Hg. von G. Colli und M, Montinari. Bd. 3. München/Berlin/New York 1980; 9-331, Nr.l 17, 110.

12 Empfindungen bei, die seine Handlungen in uns hervorrufen, und geben ihm so eine falsche umgekehrte Positiviiät. Wir bilden ihn nach unserer Kenntniss von uns, zu einem Satelliten unseres eigenen Systems: und wenn er uns leuchtet oder sich verfinstert, und wir von Beidem die letzte Ursache sind, - so glauben wir doch das Gegentheil! Weh der Phantome, in der wir leben! Verkehrte, umgestülpte, leere, und doch volluna gerade geträumte Welt!2

Aus beiden Aphorismen Nietzsches lassen sich Anregungen für die zentralen Probleme gewinnen, mit denen sich die vorliegende Arbeit beschäftigt. Die Perspektive, aus der die Rezeption spanischer Kultur im deutschen Sprachraum im 18. Jahrhundert erörtert werden soll, ist auf die aufnehmende Kultur selbst gerichtet, auf die Strukturen, die diese Rezeption bedingten und ermöglichten (Netze), und auf die Autoren, Reisenden und anderen >Aktiven< (Spinnen), die den sich beständig wandelnden Prozeß der Rezeption spanischer Kultur gestalteten. Nietzsches Satz über die Erkenntnis des Nächsten »wir bilden ihn nach unserer Kenntniss von uns, zu einem Satelliten unseres eigenen Systems« - wird als Anregung aufgegriffen, die Kategorien »unseres eigenen Systems« oder des Eigenen besonders zu fokussieren. Ausgehend von der Annahme eines grundlegenden Perspektivismus 3 je eigener Welt Wahrnehmung, der nicht mit dem Extremismus Nietzsches verfochten werden muß, erhofft sich die Analyse Vorteile von der »konstruierenden Rekonstruktion < der historischen Rezeptionsperspektive. Diese Perspektive führt ein Stück weit von einem Vergleich des deutschen Spanienbildes mit einem realen >Spanien< weg und hin zur Rezeptionsumgebung. Wenn untersucht wird, wie die fremde Kultur zu einem »Satelliten« des Eigenen gerät, so ist letztlich zugrunde gelegt, daß der Gegenstand der Rezeption als solcher erst im Rezeptionsprozeß eigentlich geschaffen wird: Die literarische Rezeption wird also in erster Linie unter den literarisch-poetologischen Bedingungen betrachtet, welche die Rezeption erst ermöglichten; und die sich literarisch in Reiseberichten manifestierende Kulturrezeption Spanienreisender wird mit besonderem Blick auf die Kategorien analysiert, die zur Beschreibung fremder Kulturen überhaupt entwickelt worden sind.

1.1.

»Nicht jeder lebt in der gleichen Welt« - Exposition

Der in den Nietzsche-Aphorismen angedeutete Problem-Horizont der Bedingungen und Grenzen der Wahrnehmung eines Anderen oder generell eines Fremden soll in den folgenden Ausführungen anhand ausgewählter Aspekte umrissen werden. Die dabei zu stellenden Fragen richten sich auf die Spinnen und Netze. Das von Nietzsche gebrauchte Bild verweist auf einen grundNietzsche, Morgetiröthe 1980: Nr. 118, 111. Vgl, zum Perspektivismus bei Nietzsche u.a.; Volker Gerhardt, Die Perspektive des Perspektwismus. In: Nietzsche-Studien 18 (1989): 260-281.

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legenden (Subjekt-)Perspektivismus der Wahrnehmung. Jede Erkenntnis ist die Erkenntnis eines Subjekts und an die spezifischen Voraussetzungen gebunden, die dieses Subjekt für eine Wahrnehmung mitbringt. Dies gilt für jeden Perzeptionsakt, insbesondere für Rezeptionsprozesse, Bevor dieser Gedanke weitergedacht wird, muß auch die >andere< Seite der Wahrnehmung berücksichtigt werden. Der Gedanke, Menschen bewegten sich in einer immer gleichen Welt, die diesem grundsätzlichen Perspektivismus eine objektive Seite entgegenstellte, könnte sich aufdrängen. Dennoch läßt sich die Diversität der We It-Wahrnehmungen der Subjekte gerade durch diese >Welt< begründen: Die Welt, in der wir leben, enthält eine Fülle von Dingen, Ereignissen und Prozessen. Es gibt Bäume, Hunde und Sonnenaufgänge; es gibt Wolken, Gewitter und Ehescheidungen; es gibt Gerechtigkeit, Schönheit und Liebe; es gibt das Leben von Menschen, Göttern, Städten und das des gesamten Universums. Es ist unmöglich, all die Ereignisse aufzuzählen und im Detail zu beschreiben, die einem Individuum im Verlauf eines einzigen langweiligen Tages zustoßen.4

Das bekannte Argument der Vielheit und Fülle, das hier in den Worten des Philosophen Paul Feyerabend wiedergegeben ist, führt jedoch nicht nur zu der zwangsläufigen Folgerung, daß Wahrnehmung immer die Selektion eines Wahrgenommenen unter Ausschluß von Nicht-Wahrgenommenem darstellt, Feyerabend stützt sich auf anthropologische Studien, welche die Kulturabhängigkeit der >Wirklichkeiten< zeigen, wenn er darüber hinausgehend feststellt: »Nicht jeder lebt in der gleichen Welt. Die Ereignisse, die einen Förster umgeben, unterscheiden sich von den Ereignissen, die einen im Wald verirrten Stadtmenschen umgeben. Es sind verschiedene Ereignisse, nicht nur verschiedene Erscheinungsformen derselben Ereignisse.«5 Förster und Stadtmensch leben in verschiedenen kulturellen Kontexten, die Strategien und Kenntnisse zu einer Interpretation der Wirklichkeit bereitstellen. Die Ereignisse werden vor diesem Hintergrund nicht nur anders gesehen, sondern sind selbst andere, Die Diversität der Wahrnehmungen erweist sich so als unhintergehbar; sie beruht nicht nur auf einer je eigenen Selektion des Wahrgenommenen, sondern auf komplexen Verfahren, in denen das gesamte sprachliche und überhaupt kulturelle Wissen des Subjekts wirksam wird. Es entstehen komplexe Beschreibungen6 und Wirklichkeitsinterpretationen, die beständig an den Kontext der subjektiven Wahrnehmungsmöglichkeiten (das >NetzReduktion von Komplexität handelt es sich um die schematische oder >vereinfachte< Abbildung (Rekonstruktion) der Umwelt in den Differenzierungen des Systems. Stark vereinfacht ließe sich sagen: Das System definiert zunächst intern, was für das System Bedeutung hat. Durch diese Selbstdefinition wird gleichzeitig festgelegt, was von der Umwelt für das System Bedeutung tragen kann. An einem literarischen Beispiel, Edwin A. Abbots (1838-1926) Roman »Flatland«, zeigt Schwanitz, wie dort die Darstellung der viktorianischen Gesellschaft in dem »System der Geometrie« vorgenommen wurde: »Alles, was sich in geometrische Differenzierungen übersetzen läßt, kann innerhalb dieses Systems artikuliert werden, anderes » Bateson, Geist und Natur 1982: 62. 26 Dazu gehören selbstredend auch seine Sprachkenntnisse. 27 Dietrich Schwanitz, Systemtheorie und Literatur. Ein neues Paradigma. Opladen 1993 [= WV Studium Bd. 157]: 27. Vgl. auch: Niklas Luhmann, Soziale Systeme, Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/M. 1987 [= stw 666; erstmals: Frankfurt/M. 1984]: 4551. - Das bedeutet auch, daß die Abbildung der Umwelt im System desto detaillierter (auch genauer) ist, je differenzierter das System ist. Oder: Das Bild, welches sich eine Kultur von der Welt macht, hängt direkt mit der (Aus-)Differenziertheit ihres wissenschaftlichen >Beschreibungsapparates< zusammen.

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muß unbeachtet bleiben.«28 In anderen Worten - und im Blick auf die Reiseliteratur - beschreibt auch Wolfgang Neuber (1991) diesen Umstand: »Unser lullistisches Bewußtsein fügt das Fremde in Kategorien des Bekannten, verschiebt, kombiniert und wählt schließlich aus: Bewahrt wird nur das, was tauglich ist, was im Kontext des Eigenen funktioniert. Das Fremde kann nicht anders Wirklichkeit werden als in den Kategorien des Vertrauten.«29 Das Fremde ist stets nur als je eigenes Fremdes erfaßbar. Das heißt, daß ein fremdes - es sei hier eine neutrale Größe gewählt - >System< für das >System des Eigenen< nicht in seiner internen Organisation (seinem >SeinSystem des Eigenem ein Fremdes nur, insoweit es für das System bedeutend ist. Für die Betrachtung von kulturellen Rezeptionsprozessen folgt hieraus zunächst, daß die - aus der Perspektive der rezipierenden - fremde Kultur nicht als eigenständig und unabhängig erfaßt wird, sondern stets durch die Perspektive des Eigenen bestimmt ist. Darüber hinaus gewinnt die Frage nach den >Taug)ichkeitskriterienfremde Kultur< (oder Ereignisse als Zeugnis dieser Kultur) als solche zu bestimmen, verlangt einen weitergehenden Interpretationsschritt des Rezipienten. Er muß nicht nur verschiedene Ereignisse als fremde erkennen, sondern diesen Ereignissen einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund zuschreiben. Die Beschreibung einer fremden Kultur stellt zunächst einen Versuch dar, diese Kultur in den Begriffen und Kategorien zu bezeichnen und zu benennen, die das >System des Eigenen< bilden. Dabei werden Unterscheidungen30 vollzogen, die es erlauben, bestimmte Ereignisse einem bestimmten Ort in der >UmweltUnterscheidungSystem in der Umwelt*32 zuzuordnen: Aus dem Fremden kristallisiert sich das Spanische heraus. Dieser Versuch hängt von den historischen Beschreibungsinstrumentarien ab. Die fremde Kultur bleibt so Konstrukt der Beschreibung, sie stellt eine Setzung dar, eine beobachterabhängige Einheit, die durch die Abgrenzung von Eigenem als bestimmtes Anderes definiert wird, Der Rezipient, der einen Rezeptionsgegenstand als Zeugnis einer bestimmten Kultur interpretiert, trifft damit Annahmen über deren mögliche Gestalt; Wurde etwa eine bestimmte Romanze als Zeugnis spanischer Kultur interpretiert, so folgte daraus umgekehrt die Annahme, daß die Produktion von Romanzen bestimmte Züge der spanischen Kultur zum Ausdruck bringe.33 Je umfassender die Rezeption ist, desto komplexer werden auf der Basis von Hypothesen, die durch neue Ereignisse verifiziert oder falsifiziert werden, die Aussagen über die Erzeugerkultur: Diese erscheint etwa als der Hintergrund aller der Ereignisse, die als spanisch aufgefaßt wurden: als >spanische Kultur*. Was nun jeweils historisch als >spanisch< aufgefaßt wurde, ist davon abhängig, welche Erklärungssysteme aktualisiert wurden. Das Epitheton kann auf die unterschiedlichsten >Ereignisklassen< bezogen werden und eine spanische Literatur, Landschaft, Regierung, Geschichte, Religion, ein spanisches Klima und so fort bezeichnen. Sämtliche Faktoren können das Erscheinungsbild der spanischen Kultur in der Erwartung des Rezipienten bestimmen. Durch das Epitheton wird eine Einheit aller als spanisch bezeichneter Ereignisse aus unterschiedlichen Ereignisklassen suggeriert, die in ihrer Gesamtheit das Bild der spanischen Kultur bestimmen. Welche Ereignisklassen herangezogen werden können, ist historisch bedingt. Schon hier kann darauf hingewiesen werden, daß gerade die Reisenden irn 18. Jahrhundert die verschiedensten Aspekte zur Darstellung des Spanischen nutzten: das Klima, die Vegetation, die Regierung, die Literatur, die Wissenschaft, den Handel, die Landschaftsformation und anderes mehr.

32

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dar: »Die Umwelt erhält ihre Einheit erst durch das System und nur relativ zum System [...] sie ist selbst [...] kein System. Sie ist für jedes System eine andere, da jedes System nur sich selbst aus seiner Urnwelt ausnimmt.« {Ebd.: 36.]. Systeme in der Umwelt erhöhen die Komplexität der Umwelt, sie bleiben aus der Perspektive des Systems jedoch Umwelt. [Vgl. Luhmann, Soziale Systeme 1984/1993: 37. J Die Zuordnung eines Rezeptionsgegenstandes zu einer Kultur ist durchaus nicht zwangsläufig. So hat Gleim etwa eine französische Sonderform der Romanze für das spanische Original gesetzt.

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1.2.3. Die Analyseperspektive Ein besonders hoher Grad der Reflexion über ein solches >System in der Umwelt< bestünde darin, daß der Rezipient nicht nur versuchte, das Fremde als System zu setzen, sondern im Fremden ein Eigenes zu erkennen, demgegenüber er sich selbst als fremd dächte. Auch in diesem Schritt bliebe jedoch die Erkenntnis des Fremden an die Erklärungssysteme des Eigenen gebunden. Die Rezipientenperspektive ist nicht nur als ein Untersuchungsmodell zu verstehen, unter dem die Konfrontation von Eigenem und Fremdem betrachtet werden kann, sondern als die Perspektive der Wahrnehmung überhaupt: Erst in der Subjektivität des Eigenen wird das Anderssein des Fremden, das die Voraussetzung jeder >Information< bildet, möglich und sinnvoll. Die historische Analyse der Rezeptionsprozesse sollte sich dementsprechend die Rekonstruktion dieser Perspektive zu eigen machen. Eine Betrachtungsweise, die diese Subjekt(perspekt)ivität der Wahrnehmung des Fremden vernachlässigt, gerät in Gefahr, ins Leere zu laufen; denn sie läßt den Raum außer Acht, in dem allein sich Sinn und also Kultur konstituieren kann. Dies gilt sowohl für eine verabsolutierte Nationalperspektive auf die Literatur als auch für eine sich als »Europaforschung« 34 begreifende Komparatistik. Der Begriff >Raum< entspricht einem Konzept vielschichtig geographisch-kultureller Regionalitäten. Obgleich es eine unhintergehbare Subjektivität eines jeden erkennenden Individuums gibt, entstehen durch die gemeinsame Partizipation der Individuen an kulturellen Wahrnehmungsmustern (wie der Sprache) vielfach sich überlagernde Kulturräume. Der Subjektivität des Individuums entspricht so die Subjektivität einer bestimmten Gruppe von Individuen, die sich durch ähnliche Wirklichkeitsinterpretationen auszeichnet. Es versteht sich von selbst, daß die kulturelle Gemeinsamkeit einer solchen Gruppe umgekehrt proportional zu ihrer Größe sich entwickelt. In einem Konzept der Regionalitäten stellen > Nation < und >Kontinent< vergleichsweise >zu grobe< Einheiten dar, um den fortwährenden geographischen, kulturellen, politischen, sprachlichen, wissenschaftlichen etc, >RegionalismusSupranationalität< und - schon terminologisch fragwürdigen - >kulturellen Neutralität. 35 Literatur wird hier »als multikulturel34

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Hugo Dyserinck, Komparatistik als Europaforschung. In: Hugo Dyserinck / Karl Ulrich Syndram (Hgg.), Komparatistik und Europaforschung. Perspektiven vergleichender Literatur- und Kulturwissenschaft, Bonn 1992 [= Aachener Beiträge zur Komparatistik Bd. 9]: 31-62. Dyserinck, Komparatistik als Europaforschung 1992; 41,

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ler Gegenstand« 36 betrachtet. Ziel ist die »Erforschung richtigen und falschen Erlebens von Diversität«.37 In der Betrachtungsweise soll die nationalphilologische Perspektive der Romantik, die eine angebliche »Einheit des Mittelalters«38 endgültig aufgelöst habe, durch ein »Bekenntnis [] zur europäischen Einheit« 39 ersetzt werden. Dieser »esprit europeen« soll, so sieht es Dyserinck, ohne Bezug auf eine »Supernation« Europa verstanden werden,40 aber gleichzeitig eine Einheit darstellen und ein europäisches Heimatgefühl vermitteln. Diese Annahmen beruhen dementsprechend auf zwei Prämissen: l. müssen die Autoren die kulturellen Beziehungen als dialogische begreifen, und sie reduzieren Literatur so auf eine »gesellschaftliche Verstand! gungsform«.41 Dadurch werden kulturelle Adaptionsphänomene ausgeklammert, die nicht eine um Verstehen ringende Erkenntnis des Fremden, sondern die kulturelle Bereicherung des Eigenen betreffen. Die Verständigung über Literatur kann lediglich als eine mögliche Funktion der Rezeption erscheinen.42 36

Karl Ulrich Syndram, Kulturwissenschaftliche Europaforschung - Prämissen und Perspektiven: ein komparatistisches Konzept. In: Dyserinck /Syndram, Komparatistik ais Europaforschung 1992: 77-91, hier 85. 37 Dyserinck, Komparatistik als Europaforschung 1992: 37. 38 Dyserinck, Komparatistik als Europaforschung 1992: 33, - Die romantische Vorstellung von einem einheitlichen Mittelalter ist wiederholt in Frage gestellt worden. Besonders im Zuge einer Erforschung regionaler Literaturentwicklungen wird sie fragwürdig. Fritz Peter Knapp schreibt etwa in der Einleitung zum ersten Band einer jüngeren österreichischen Literaturgeschichte: »Das in unserer Zeit neu erwachte allgemeine Interesse an Region und Regionalisrnus kann sich in unserem Fall den historischen Befund zunutze machen, daß der mittelalterliche Mensch sich in der Regel in eine ziemlich eng begrenzte Gemeinschaft wie ein Konvent, eine Pfarrei, eine Grundherrschaft, einen Hof oder eine Stadt bzw. in die nächsthöhere Einheit, eine Ordensprovinz, ein Bistum, ein Territorium oder ein Land eingebunden weiß. Obwohl Angehörige bestimmter Personengruppen von den großen Fürsten bis zu einfachen Pilgern auch damals erstaunlich weit in der Welt herumkamen und es natürlich überregionale Verklammerungen materieller und ideeler Art in reichem Maße gab, dominierte wohl im ganzen Mittelalter, wenngleich mit wechselnder Intensität, nicht nur im Reich insgesamt, sondern auch in dessen deutschsprachigem Teil die Vorstellung von der Vielfalt über die der Einheit, die man eben nur oder primär als eine der Sprache ansah, weshalb bis ins 15. Jahrhundert der Plural ideutsche Länder< (diulschiu lanl, deutsche lant, diuetsch lant) gegenüber dem Singular fdeutsches Land< weitaus bevorzugt wurde. Der mittelalterliche Literaturbetrieb war [.,,] kleinräumig organisiert.« [Knapp, Die Literatur des Früh- und Hochmittel alters in den Bistümern Passau, Salzburg, Brixen und Trient von den Anfängen bis zum Jahre 1273. Graz 1994 (= Herbert Zeman (Hg.), Geschichte der Literatur in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 1): 13.] - Dort, wo relativ schematische Denkmodelle im engen Zirkel lateinischsprachiger Klostergelehrsamkeit »Uniformität« schufen, bedeutete sie gleichzeitig die soziale »Exklusivität« [ebd. 501. 39 Dyserinck, Komparatistik als Europaforschung 1992: 34. *° Dyserinck, Komparatistik als Europaforschung 1992: 4L 41 Syndram, Kulturwissenschaftliche Europaforschung 1992: 85, 42 Daß auch sie an die Kontexte des je Eigenen gebunden bliebe, ergibt sich aus den Bemerkungen im folgenden Abschnitt,

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2. ist das angestrebte Ziel nicht mehr die Analyse der Erkenntnis und Erfahrung eines Fremden, sondern die Auflösung regionaler kultureller Identität, in einem ersten Schritt der »Abbau des bisherigen nationalen Denkens überhaupt«, 43 Das Problem dieser Betrachtungsweise liegt besonders darin, daß eine richtige Diversität der europäischen Kulturen in Abgleich gebracht werden muß mit den (falschen) Bildern, die eine Kultur von einer anderen entwirft. Als Instrumentarium dieses Vorgehens zur Beobachtung einer >objektiven< Diversität müssen zunächst eigene Kriterien (Differenzen) gebildet werden deren ideologischer Ort kaum verborgen bleibt - , damit von einer höheren Ebene aus (>supranationalEntideologisierungreale< Produktionsumgebung) tritt genauso hinter ein Kulturerzeugnis zurück, wie auch der externe Autor eines Textes jenseits des Textes obschon existent, so doch für den Rezipienten nie ganz faßbar ist. In der literarischen Rezeption handelt es sich dabei nicht nur um eine Analogie, sondern um den gleichen Sachverhalt: Der Autor eines historischen Textes schafft als Kulturträger ein Kulturzeugnis. In diesem ist die Kultur, welcher der Autor angehört, repräsentiert und durch seinen Autor individuell geprägt. Jedes Werk ist das Werk eines Schöpfers und seines kulturellen Hintergrundes. Kulturelle Zugehörigkeit zu einem >realen< Produktionshorizont und schöpferische Individualität eines >realen< Autors bedingen zwar den Schaffensprozeß, bleiben aber auf diesen begrenzt. 1.3. l, Der Leseprozeß und die Autorfiktion Louise M. Rosenblatt, Begründerin einer transaktionalen Literaturtheorie, hat die enge Relation zwischen Leser und Text hervorgehoben. Der Schöpfer des Werkes bleibt auf den kreativen Akt beschränkt: »Yet we must remember that once the creative activity of the author has ended, what remains for others - for even the author himself- is a text«, 46 Und daraus folgt auch: »To again bring a poem into being requires always a reader, if only the author himself.«47 Diese Annahme läßt sich auf nicht-literarische Schaffensprozesse analog beziehen, auch auf den realen Erzeugungshorizont eines fremdkulturellen Ereignisses. Gleichwohl gibt der Text-Schöpfer der Rezeption bestimmte Grenzen vor, doch ist er nicht im Text und wird erst vom Rezipienten erneut geschaffen: # Rosenblatt, The Reader 1994: 15. 47 Ebd. - Dies ist nur teilweise trivial, wird doch von Rosenblatt hier ein doppelter Werkbegriff gesetzt: »Poem« ist zum einen das vom Autor in den Text gesetzte Werk, weiches aber im Moment der Niederschrift nur noch Text ist. Zum anderen entsteht ein »poem«, d.h. das literarische Werk beim Lesen. Es gibt aiso zwei Schaffensprozesse (Schreiben und Lesen), die durch den Text nur mittelbar verbunden sind. Der Text wird zum Werk (»poem«) während des im Lese- oder Schreibprozesses.

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Erst, so heißt es bei Michail B achtin, »die dialogische Reaktion [des Rezipienten] verpersönlicht jede Äußerung, auf die sie reagiert«4* und ordnet dem Text eine fiktive Autorpersönlichkeit zu; das heißt, der Autor ist ein Konstrukt des Lesers, das sich im Vollzug des Lesens herausbildet und das einen möglichen Erzeuger des Textes vorstellt. Diesen Schöpfer dessen, was ihm der Leser als >Äußerung< zuspricht, bezeichnet der Name auf dem Buchdeckel oder aber eine andere Einheit (etwa ein >DiskursKultur< als Produktionshintergnind wahrgenommener Kulturzeugnisse. Der Inhalt dessen, was etwa als >Spanisch< begriffen wurde, bestimmte sich aus dem Wahrgenommenen sowie aus den historischen Annahmen darüber, was überhaupt eine Kultur ist. Wieweit, so muß nun gefragt werden, ist der Autor, dessen Ort jenseits des gelesenen Textes liegt, als dessen Produzent in diesem Text noch erkennbar? Aus den Spuren des Autors, die sich dem Text immerhin eingeprägt haben, läßt sich bei der Rekonstruktion offensichtlich - wie die Rezeptionsgeschichte einzelner Werke zeigt - der intendierte Pfad nicht eindeutig ablesen. Die stets vieldeutigen Textstrukturen erhalten vielmehr ihre jeweilige Eindeutigkeit erst dadurch, daß sie vor dem Horizont des Lesers Bedeutung entfalten. Die gewonnene >Interprelation< ist weder beliebig, da ihr mittels Struktur ein Rahmen gesetzt ist (Geschlossenheit des Textes), noch kann der Text auf eine Bedeutung festgelegt werden, die unwandelbar wäre (Offenheit des Textes). »Ainsi, pour le lecteur, tout est ä faire et tout est dejä fait; l'ceuvre n'existe qu'au niveau exact de ses capacites,«51 beschreibt ein bekanntes Wort Sartres dies unentwirrbare Ineins von vorgegebener Textstruktur und Leser. Eine solche Leser-Text-Beziehung läßt sich holistisch als >Transaktion< (Rosenblatt) 52 beschreiben. Damit wird ein Prozeß bezeichnet, in dem die 48

Michail Bachün, Linguistik und Metalinguistik, In: ders,, Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur, Übersetzt und hg. von Alexander Kaempfe. Frankfurt/M. /Berlin/Wien 1985 [dt, erstmals: München 1969; der zitierte Abschnitt aus: Problemy poetiki Dostojewskowo. Moskau 1963]: 101-106, hier 105. 49 Vgl, Michel Foucault, Qu'est-ce qu'un auteur. In: Bulletin de la Socioti fran9aise de Philosophie 63 (1969): III, 73-95; Uwe Japp, Der On des Autors in der Ordnung des Diskurses. In: Jürgen Fohrmann/Harro Müller (Hgg.), Diskurstheorien und Literaturwissenschaft. Frankfurt/M. 1988 [stw 2091]: 223-234. - Fragen der Selbst- oder Fremd Inszenierung des Autors bleiben hinsichtlich der grundlegenden Perspektivität des Lesens irrelevant. so Dabei wirkt selbstverständlich das gesamte Feld literaturwissenschaftlicher und feuilletonistischer Darstellungen und >Mythenbildungen< auf die Ausbildung des Autorbildes. 51 Jean-Paul Sartre, Qu'est-ce que l a littorature? In: Situations, II. Paris 1948: 96 [dt.: Was ist Literatur? Hg. von Traugott König, Reinbek 1981: 41]. Rosenblatt führt die Terminologie zurück auf: John Dewey /Arthur F. Bentley, Knowing and the Known. Boston 1949. - Vgl, zur Transaklionstheorie a.: Douglas Vipond/ Russell A. Hunt: Literary Processing and Response as Transaction: Evidence for the Contribution of Readers, Texts, and Situations. In: Dieter Meutsch / Reinhold Viehoff

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Vorgänge >der Leser interpretiert und >der Text bewirkt eine Interpretation beim Leser< nicht trennbar sind; 53 »The relation between reader and text is not linear. It is a situation, an event at a particular time and place in which each element conditions the other.«54 Das literarische Werk ist nicht eindeutig fixiert, sondern eine erst in der Gemeinschaft oder Transaktion mit dem Leser entstehende (Sinn-)Einheit. Textstruktur und kontextualisierende Subjektivität des Lesers bilden Relationen aus, welche die Komplexität möglicher Bedeutungen beispielsweise dadurch reduzieren, daß Bedeutungsvariablen eine bestimmte Bedeutung zugeordnet wird, auf die hin sämtliche Relationen im Text-Leser-Prozeß abgestimmt werden. Die Subjektivität des Lesers füllt in diesem Falle eine >Leerstelle-;, 55 und aus dem daraus resultierenden Komplex ist weder die T ex (Struktur 56 noch die Subjektivität des Kontextes lösbar. Das Resultat ist die je eigene >Konkretisation< des Textes.57 Verschiedene Lesarten erscheinen so als gleichberechtigte Varianten. Der Begriff >Transaktion< wurde dabei von Rosenblatt in Abgrenzung zur >Interaktion< eingesetzt, denn diese »implies separate, self-contained, and already defined entities acting on one another«; 58 wohingegen unter Transaktion »an ongoing process in which the elements or factors are [...] aspects of a total situation, each conditioned by and conditioning the other« verstan-

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(Hgg.), Comprehension of Literary Discourse. Results and Problems of Interdisciplinary Approaches. Berlin/New York 1989 {-Research in Text Theory. Bd. 13]: 155-174, bes. 156-158. Rosenblatt unterscheidet zwischen dem Text (dem Schwarz-auf-Weiß) und dem literarischen Werk. Das literarische Werk wird erst durch den Leser evoziert: »The reader of a text who evokes a literary work of art is, above all, a performer, in the same sense that a pianist performs a sonata, reading it from the text.« [Rosenblatt, The Reader 1994: 28.} Rosenblatt, The Reader 1994; 16. Der Begriff >LeerstelleUnbestimmtheitsstelle < zurückgreift, wurde von Wolfgang Iser geprägt. Vgl.: Iser, Akt des Lesens 41994: 267-280. Auf die Unterschiede und Überschneidungen in der Argumentation von Iser und Rosenblatt kann hier nicht eingegangen werden, Auch bezüglich der Textstruktur gilt grundsätzlich, daß es - wie im Verhältnis von Ereignis und Information - keine Neutralitat oder Objektivität geben kann, da eine TextStruktur nur als transaktiona! aktualisierte (vuigo gelesene) denkbar ist, Jedem Wort in einem Gedicht können verschiedene Bedeutungen zugeordnet werden. Der Leser schränkt die Zahl der möglichen Bedeutungen durch die von ihm realisierten ein; dabei >kontrolliert ihn der Text: Der Textzusammenhang verringert ebenfalls die Zahl möglicher Zuordnungen und beschränkt >praeselektiv< die Selektionsmöglichkeiten des Lesers [Rosenblatt, The Reader 1994: 71ff.], ohne jedoch Eindeutigkeit bewirken zu können. Die je eigene Konkretisation ist so zum einen aus subjektiver Seleküon durch den Leser, zum anderen aus objektiver Festlegung durch Textfaktoren hervorgegangen. Beide Faktoren sind nicht trennbar, da sie einander auf jeder Ebene bedingen und nur im Zusammenspiel Lesen überhaupt möglich ist. - Den Begriff >Konkretisation< führte Roman Ingarden ein: Vom Erkennen des literarischen Kunstwerkes. Tübingen 1968; die hier interessierenden Passagen hat auch R. Warning abgedruckt: R. Ingarden, Konkretisation und Rekonstruktion. In; Warning, Rezeptionsästhetik 1975: 42-70. Rosenblatt, The Reader 1994: 17.

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den wird. 59 Bezeichnet Interaktion also das Wirken zweier Einheiten, die getrennt untersucht werden können, so wird durch Transaktion der Prozeß selbst in den Vordergrund gerückt, der nicht in zwei Einheiten aufzulösen ist: Ein Gegenüber konstituiert sich überhaupt erst als Resultat der Transaktion. 60 Hierbei handelt es sich um einen notwenigen Prozeß der Dialogisierung eines Monologs: Der fiktive Autor - oder eine andere Äußerungsinstanz - hinter dem Text als konstruierter Dialogpartner kann als Instrument der Distanzierung des Lesers vom Produkt des Leseprozesses verstanden werden. 61 Das Lesen wird über die interne Autorfiktion zum notwendigen Dialog, das heißt, der Dialog ist erst eine sekundäre Erscheinung des Lesens: Jeder Text trägt die Züge eines sprechenden Subjekts, gebrochen durch das Medium der Schriftlichkeit; und jede Lektüre hat den Charakter eines Gesprächs, einer Kommunikation, deren dialogischer Wechsel zwar an der Unberührtheit des Textes abprallt und faktisch zur Einbahnkommunikation gerinnt, sich aber dennoch im Kopfe des Lesers ßktiv immer wieder herstellt,62

Das »Gespräch< ist eine notwendige Fiktion; doch die hier von Rolf Grimminger suggerierte >Intersubjeküvität< des Verstehensprozesses besteht letztlich nur zwischen dem Subjekt des Lesers und der - aus der Notwendigkeit der Distanz geborenen - Fiktion einer Äußerungsinstanz, die dem Text Sinn verleiht. Analog bedeutet das für kulturelle Texte: Die Interkulturalität zweier sich >begegnenden Kulturräume erweist sich als ein doppelter Monolog mit dem jeweils eigenen Bild vom ändern. Dies gibt für eine Arbeit im Bereich der historischen Rezeptionsforschung03 die Perspektive vor: Die Un59 Rosenblatt, The Reader 1994: 17, vgl, a. ebd.: Epilogue, 180f, - Zur Abgrenzung von Transaktion gegen Interaktion vgl, a.: Louise M. Rosenblatt, Viewpoints. Transaction versus Interaction. A Terminological Rescue Operation, In: Research in the Teaching of English 19 (1985): 96-107; Michael Flacke, Verstehen als Konstruktion. Literaturwissenschaft und Radikaler Konstruktivismus, Opladen 1994 [= Konzeption Empirische Literaturwissenschaft. Bd. 16J: 166-169, 60 »[...] the reader [...] finds it necessary to construct the speaker, the author - the voice, the tone, the rhythms and inflections, the persona - as pan of what he decodes from the text.« [Rosenblatt, The Reader 1994: 20-3 61 »The paradox is that he must call forth from memory of his world what the visual or auditory stimuli symbolize for him, yet he feels the ensuing work as part of the world outside himself.« {Rosenblatt, The Reader 1994: 21.] 62 Rolf Grirnminger, Über Wahrheit und Utopie in der hermeneu tischen Erkenntnis. In: Gert Ueding (Hg.), Literatur ist Utopie. Frankfurt/M. 1978: 45-80, hier 49; Hervorhebung von mir. - Die >IntersubjektivitätRegionalitätenEigenen< (Spanienbild), so wie ein Leser die Lesart des Textes durch seine Subjektivität erst schafft. l .3.2. Bausteine der Subjektivität In zwei Schritten wurde der Begriff des Fremden in seiner Abhängigkeit vom je Eigenen betrachtet. Dabei konnte die Subjekt(perspekt)ivität des Blicks auf die Fremde in ihrer unauflöslichen Individualität beschrieben werden: Die Leser (vermeintlich) eines literarischen oder kulturellen Textes erscheinen letztlich als Wanderer im Feyerabendschen Wald; So wandeln Förster und Stadtmensch Hand in Hand zur selben Zeit in zwei Wäldern, denn nicht nur ihre Lesarten des Textes sind verschieden, sondern der Text wird ein anderer. Die Lesart eines Textes und das Bild einer fremden Kultur entstehen durch vergleichbare Selektion und Interpretationsmechanismen und sind in jedem Fall vom Horizont des Reziplenten abhängig. Auch für die Rezipienten spanischer Kultur, etwa die Reisebeschreiber, gilt, daß je eigene Bilder entwickelt werden und daß die Kulturzeugnisse erst vor dem Erwartungshorizont des Reisenden ihren Sinn entfalten. Dabei scheint es sich nicht lediglich um unterschiedliche Wertungen eines auch objektiv wahrnehmbaren erster Linie nach den historischen »Rezeptionen! fragt, diese von ihren Subjekten und nicht von ihren Objekten her untersucht« [Grimm, Rezeptionsgeschichte 1977: 61].

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Ereignisses zu handeln, denn es ist durch den Perspektivismus der Erfahrung als >objektives< nicht wahrnehmbar: Jedes Ereignis entstünde so überhaupt erst durch die Systematisierung oder Kontextualisierung vor dem Rezipientenhorizont, denn es ist nur innerhalb dieses relationalen Gefüges sinnvoll. Diese Feststellung kann nicht genügen, vielmehr bleibt die Frage danach zu stellen, wodurch der je individuelle Rezeptionshorizont geprägt ist, der die Konkretisation der potentiell vieldeutigen Strukturen und die Reduktion ihrer Vielheit und Fülle auf eine Lesart ermöglicht:64 Was nimmt ein Einzelner auf von seiner Herkunftswelt, von der ihm vermittelten Bildung, von der sozialen Umwelt, in die er hineinkommt? Was bringt er schon mit, wenn er in seiner Lektüre, in der Berührung mit anderen Menschen, in der Erfahrung fremder Natur oder Kunst dem für ihn > Neuen« begegnet?65

Im literarischen Rezeptionsprozeß, von dem zunächst wieder ausgegangen werden soll, verfügen die rezipierenden Leser über Meinungen, Annahmen und Vorstellungen wie auch Rezeptionsmotive und -interessen, die das Lesen sowohl selektiv bestimmen als auch qualitativ beeinflussen. Neben vorwiegend individuellen Einflußfaktoren wirken soziale Faktoren entscheidend daran mit: die Rolle im »Sozialsystem Literatur«, die der Rezipierende einnimmt, sowie seine Zugehörigkeit zu sonstigen sozialen Gruppen.66 So ist es entscheidend, ob ein Rezipient als Autor, Kritiker, Sprachlehrer oder sonstiger Leser (etwa als Spanienreisender) einen (spanischen) Text aufnimmt. Es sind im weitesten Sinne die >Vorannahmen< 67 des Lesenden, insbesondere individuelle Ausprägungen historisch gewachsener poetologischer, philosophischer, ethischer und sozialer Konzepte und Rezeptionstraditionen des literarischen wie sozialen Systems, dem er entstammt, die seinen Erwartungshorizont prägen, aber auch, wie Rosenblatt zu Recht ausführt, die konkreten Lebensumstände und >StimmungencodesVorurteiIen< gesprochen werden. & Rosenblatt, The Reader 1994: 144.

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donistisch-individuelle« wirksam, 69 deren Einfluß auf einen historischen Kontextualisierungsprozeß kaum gültig nachzuweisen sein dürfte, aber für innovative und kreative Rezeptionsleistungen von besonderer Bedeutung sein kann. 70 Daß letztlich eine »Einheit analytischen und erlebnishaften Verstehens« 71 gegeben ist, darf nicht vergessen werden - auch nicht, daß dies einer historischen Betrachtung Grenzen vorgibt, Die >Vorannahmen< sind also jegliche individuell oder sozial bedingten Prädispositionen (Einstellungen, Meinungen, Interessen etc.) der Rezeption, Normen des Eigenen, Erwartungen an das Fremde und Erfahrungen vorausgegangener Rezeptionsakte: Diese sind entscheidend für Selektion, Annahme und Ablehnung des Textes und bedingen überhaupt die Auseinandersetzung, Sie bilden den Horizont, vor dem der literarische oder kulturelle Text kontextualisiert wird, also >Intertextualität< hergestellt wird:72 »Each individual [,..] brings to the transaction a personal linguistic-experiential reservoir, the residue of past transactions in life and language.«73 Weiter ist zu berücksichtigen, daß die subjektive Rezeption in vielfacher Weise in den kulturellen und historischen Kontext des Eigenen eingebunden äst, der die Orientierung des eigenen Rezeptionsaktes an tradierten Mustern ermöglicht. Kein Leser geht ohne traditionale Vorbildung an einen Text heran. Sie gibt Hintergrund und Orientierung. Aber Tradition trägt auch, wie jede Autorität, jenes überschießende Moment der gesellschaftlichen Selbstsicherung und Stabilisierung in sich, das den Einzelnen in seiner Individualität und Spontaneität begrenzt,74

Besonders für eine produktive, >adaptierende< - aber auch für die »reproduzierende«75 - Rezeption gilt, daß bestimmte Rezeptionsmferessen und Re69

Dick H. Schräm, Norm und Normbrechung. Die Rezeption literarischer Texte als Gegenstand empirischer Forschung. Übersetzt aus dem Niederländischen von Harry Verschuren. Braunschweig I99I [= Konzeption empirische Literaturwissenschaft Bd. XIII]: 57, Schräm spricht von Funktionen, die der Text gegenüber dem Leser habe. 70 Mit Aussagen über diese Ebene wird man auch dort zurückhaltend sein, wo etwa ein Reisender zu erkennen gibt, daß seine Bereitschaft, Spanien positiver gegen überzutreten, besonders von dem Anblick einer Tänzerin beeinflußt wurde. (Vgl. u. zu Baretti.) 11 Haläsz, Dem Leser auf der Spur 1983/1993: 222ff. 72 Vgl, etwa Zima, Komparatistik 1992: 90f. Die dort vollzogene Unterscheidung zwischen einer »internen« (literarisch-ästhetischen) und einer »externen« (außerliterarischen, diskursübergreifenden) Intertextualität wird bereits von Zima kritisch diskutiert: Doch kann man m. E. eher als von einem bloßen »Zusammenwirken« davon sprechen, daß sich diese Komplexe und zusätzliche individuelle Faktoren überhaupt nicht voneinander trennen lassen und in Form von Meinungen, Einstellungen etc. nur in beschränktem Grade reflektiert und kaum se g me n tierbar vorliegen, " Rosenblatt, The Reader 1994: Epilogue, 182. 74 Wilfried Barner, Wirkungsgeschichte und Tradition. Ein Beitrag zur Methodologie der Rezeptionsforschung. In: Grimm, Rezeptionsgeschichte 1975: 85-100, hier 100. 75 »Ais reproduzierende Rezeption wollen wir alle Bemühungen um Vermittlung eines primären Rezeptionsgegenstandes verstehen. Solche Vermittlung geschieht meist durch Herstellung eines weiteren sekundären Rezeptionsgegenstands (Rezension, Vorlesung

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zepti on Strategien den Prozeß zusätzlich steuern. Interessen und Strategien sind historisch bedingt. So läßt sich beispielsweise zeigen, wie ganze Kulturen in das Eigene >integriert< wurden, wobei die »Adaption« - wie etwa die Christianisierung der heidnischen Antike in der Rezeption durch humanistische Autoren - einheitlichen Erfordernissen der eigenen Kultur entsprach, 76 Durch die Entwicklung bestimmter >Richtlinien< (»Harmonisierung« und »Moralisierung«)"77 und die Anwendung entsprechender Rezeptionstechniken (Selektion, Substitution und Transformation) wurden für den individuellen Rezeptionsvorgang Vorbilder geschaffen, an die jeweils angeschlossen werden konnte. Im einzelnen ist in einer Analyse zu fragen, welche Rezeptionsinteressen jeweils bestanden und besonders welche Rezeptionsstrategien wirksam wurden. Der Frage nach der Wirkungsgeschichte eines Werkes ist so die grundlegende Frage nach den Bedingungen hinzuzufügen, unter denen diese historisch ermöglicht, befördert, behindert und geleitet wurde.

1.4. Zwischen Vermitteln und Anpassen: der Rezipient als Übersetzer Das Problem der Rezeption literarischer Texte mittels Übersetzungen kann als Sonderform des beschriebenen Problems >Textverstehen< und vor dem Hintergrund einer grundlegenderen Sprachkritik gesehen werden. Wer liest, interpretiert. Den besonderen Wortgebrauch eines Autors paßt der Leser seinem eigenen an. Verstehen kann so nur als Annäherung begriffen werden. Mit diesen Sätzen ist das Grundproblem umrissen, von dem bereits Jose

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u.a.).« [Hannelore Link, Rezeptionsforschung. Eine Einführung in Methoden und Probleme. Stuttgart / Berlin / Köln /Mainz 21980 (= Urban Taschenbücher. Bd. 215): 89.] Diesem Bereich sind Philologie, Kritik, teilweise auch Inszenierungen, Bearbeitungen zuzuordnen, wenn z.B. in einer Inszenierung Theaterpraxis reproduziert werden soll oder in einer freien Bearbeitung des Don Quijote ein ursprünglicher Funktionszusammenhang thematisiert wird. »>Adaption< muß verstanden werden als ein Vorgang, in dem Fremdes >passend< gemacht wurde, dienstbar jeweils individuell wirksamen und zugleich sozial gebundenen Artikulations- und Darstellungsbedürfnissen.« Wilhelm Kühlmann, Poeten und Puritaner: Christliche und pagane Poesie im deutschen Humanismus, Mit einem Exkurs zur Prudent! us-Rezeption in Deutschland. In: Pirckheimer Jahrbuch 1993: 149-180, hier 150, - Auf ein ähnliches Phänomen, die »divinizacion« profaner traditioneller oder italianisierender Dichtungen in der spanischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts hat bereits Damaso Alonso aufmerksam gemacht: Damaso Alonso, El misterio t^cnico en la poesia de San Juan de la Cruz. In: ders., Poesia espanola. Ensayo de mitodos y limites estih'sticQS, Garcilaso, Fray Luis de Leon, San Juan de la Cruz, Gongora, Lope de Vega, Quevedo. Madrid 21952: 219-305, bes. 220-268. Kühlmann, Poeten und Puritaner 1993: 151, Die dort vorgestellten Rezeptionsstrategien der Christianisierung wurden durch die allgemeinen Adaptionsverfahren »Selektion«, »Substitution« und »Transformation« erreicht. [Kühlmann, Poeten und Puritaner 1993: 152.1

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Ortega y Gasset (1937) in seinem vielzierten Essay »Miseria y Esplendor de la Traduccion« ausging, um insbesondere das Problem der Fremdsprachigkeit und Übersetzung zu betrachten: Es gebe, so führte er aus, weder eine l: l -Übertragbarkeit der lexikalischen Bedeutung (ein spanischer >bosque< ist kein deutscher >Waldbosque< und >Wald< deutlich machen möchte, wird den Prozeß der Kontextualisierung beim Leser zu beeinflussen suchen, indem er unausgesprochene, angedeutete Konnotationen mitübersetzt. Dies gilt entsprechend für alle historischen, sozialen und kulturellen Faktoren, die den jeweiligen Sprachgebrauch in der Fremdsprache allgemein und des Autors im besonderen prägten. Claudio Guillen forderte vom Übersetzer, sich dies vor Augen zu führen: »Traducir honradamente es cerciorarse de que el lenguaje de toda obra poetica contiene un sinnumero de alusiones historicas y condicionamientos sociales.«80 Zweifellos aber setzt das einen Grad der Reflexion über die Sprachunterschiede und die Aufgaben des Übersetzers voraus, der weder in der Praxis der Gegenwart noch in dem hier zu untersuchenden Zeitraum immer gegeben scheint und auch durch die ökonomischen Rahmenbedingungen kaum geleistet werden kann. Die Rezeption eines fremdkulturellen Textes - das heißt eines Textes aus fremden kulturellen oder auch historischen Kontexten81 - hängt zunächst 78 Josa Ortega y Gasset, Miseria y Esplendor de la Traduccion / Elend und Glanz der Übersetzung. Übers, und Nachw, von Katharina Reiß. München 1977 [span. 1937]: 16, 19 Ortega y Gasset, Miseria y Esplendor 1937/1977: 46, — Folgt man Feyerabend, so setzt jede Sprache nicht nur andere Ausdrucksmöglichkeiten, sondern Ausdruck und zugrundeliegende Ereignisse (das Wissen) sind grundsätzlich verschieden: »Raum, Zeit und Wirklichkeit wandeln sich, wenn wir von einer Sprache zur anderen wechseln.« (Feyerabend, Das Wissen und die Rolle der Theorien. In: Irrwege 1989: 163f.). 80 Claudio Guillen, Entre lo uno y lo diverso. Introduccion a la literatura comparada. Barcelona 1985: 34S, Dt.; Gewissenhaft zu übersetzen bedeutet, sich darüber im klaren zu sein, daß die Sprache eines jeden poetischen Werkes zahllose historische Allusionen und soziale Bedingtheiten beinhaltet, 81 »Die Fremdheitsmomente spielen bei Rezeption historischer Texte oft eine größere Rolle als bei Rezeption zeitgenössischer ausländischer Texte« [Grimm, Rezeptionsgeschichte 1977: 154], Bei der Rezeption fremdsprachlicher historischer Texte ist nicht selten festzustellen, daß eher ein Bewußtsein der historischen Differenz vorhanden ist als der sprachlichen. Auf jeden Fall erleichtert wird die Rezeption durch einheitliche literarische Bewegungen in den Literaturen der beiden Sprachen, Die bekannte, aktuelle literarische Richtung scheint in einem Text fremder Sprache aufgrund ästhetischer Ähnlichkeiten zugänglicher als eine historische Stitrichtung, selbst wenn die Erkenntnis des Gleichen

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von dem Grad der Beherrschung der Fremdsprache und der Kenntnis der konnotierten Bedeutungen des Textvokabulars ab. Der Versuch der Übersetzung ist so von den individuellen Fähigkeiten, den »gesellschaftlichen, psychischen und literarischen Erfahrungen« 62 des Übersetzers abhängig, aber auch von sozio-ökonomischen Bedingungen.83 Keineswegs darf der Einfluß der ökonomischen Bedingungen des Zielsystems auf die Übersetzung verkannt werden. Für den Großteil der Übersetzungen gelten marktwirtschaftliche Gesichtspunkte; Übersetzt wird, was bezahlt wird. Bezahlt wird, was gefragt ist. Dies galt bereits im 18, Jahrhundert in zunehmendem Maße, weswegen unter der übersetzten Literatur der Anteil populärer und > mode konformen Werke (Reiseliteratur, Feenmärchen und so fort) vergleichsweise hoch ist. Weitere Einflußfaktoren sind zu berücksichtigen, so etwa die Literaturkritik: »Bei der Vermittlung fremdsprachiger Texte hat sie etwa die Funktion eines >opinion leader«* (Gunter Grimm), 84 Zu denken wäre auch an die Rolle etwaiger > Spezi allstem oder >Autoritäten< für bestimmte Bereiche der Kulturvermittlung. In der Rezeption spanischer Literatur sind solche >Kristallisationsfiguren< als rezeptionslenkende Innovatoren deutlich erkennbar. Überdurchschnittliche Sprachkenntnisse, philologische Qualifikation, besonders aber eine eigene spanische Bibliothek verschafften Persönlichkeiten wie Johann Andreas Dieze, Johann Friedrich von Cronegk oder Gotthold Ephraim Lessing einen solchen Rang als > Autorität^ 85 Wer sich für spanische Literatur interessierte, erkundigte sich bei ausgewiesenen Kennern, die Texte nannten oder zur Verfügung stellten. Für die Übersetzung gilt - wie es in ähnlicher Weise für den Rezeptionsakt formuliert wurde - ebenfalls grundlegend die folgende, um weitere Einflußfaktoren des rezipierenden Literatursystems zu erweiternde Definition Peter V. Zimas: [...] die literarische Übersetzung [kann] nun als ein sprachlicher Vorgang aufgefaßt werden, in dem der fremde Text, der Text der Ausgangssprache (langue de dipart, source language), im Rahmen einer besonderen kulturellen und sozio-linguistischen Situation durch den Übersetzer in der Zielsprache (langue diarrivee, target oder goal language) rekonstruiert wird, 86 nur durch eine deformierende Rezeption zustande kommt. (Gongora als dt. Rokokodichter u.ä, Phänomene.) 82 Zima, Komparatistik 1992: 199. S3 Julio-Cesar Santoyo nennt als Einflußfaktoren für die Übersetzung alle Elemente, welche die Persönlichkeit konstituieren, und zählt auf: »conocimientos de la lengua materna y del idioma que se traduce, gustos personales, amplitud del le"xico, preferencias linguisticas, nivel social y cultural, intencionalidad, nacionalidad, e"poca cultural y literaria en que se vive, etc. Cuando todos estos condicionantes se proyectan sobre un texto, dejan en el su huella inevitable.« [Julio-Cösar Santoyo, El delito de traducir. Leon 21989: l I3f.] 84 Grimm, Rezeptionsgeschichte 1977: 155. 85 Vgl, hierzu die Ausführungen im Zuge der folgenden Analysen. 86 Zima, Komparatistik 1992:200.

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Das heißt, daß eine historische Übersetzung nicht nur durch den Übersetzer undseine Übersetzungs maxi men, sondern auch durch die sozialen, ökonomischen und kulturellen Bedingungen zur Zeit der Übersetzung geprägt wird; wohingegen die >Originalität< 87 des Werkes weit in den Hintergrund rücken kann. Übersetzungen können als Zeugnisse für die Rezeption frerndkultureller Texte betrachtet werden; ihr Vorliegen und Umfang gibt Auskunft über die historische >Kenntnis< einer anderen Kultur. Dabei ist gewiß die Selektion des Übersetzten aus der nur in Ausschnitten erfahrenen möglichen Gesamtheit der Literatur einer fremden Kultur bereits untersuchenswert. Noch aussagekräftiger dürften solche Akte produktiver Rezeption sein, die nicht dem Ziel folgen, einen ganzen Text zu übersetzen, sondern selektiv formale und/oder inhaltliche Bestandteile des rezipierten Werkes sich anzueignen versuchen (i.w.S. >BearbeitungenDonqutjotiaden< übertragen wird oder wenn formale Elemente einer Gattung adaptiert werden. Es ist zu fragen: Wer rezipiert was, warum und auf welche Weise? Und welchen Zielen dient die Rezeption in bezug auf die eigene Produktion?

1.5. Innovative und kreative Aspekte der Rezeption Wurde in den voranstehenden Ausführungen der Rezeptionsakt in seiner Abhängigkeit vom jeweiligen Subjekt betrachtet, so ist abschließend auch seine potentielle innovative Funktion< 88 gegenüber dem >Systern des Eigenen< zu umreißen: »Traducir es introducir,« 89 Übersetzen und überhaupt jede Form produktiver oder reproduzierender Rezeption bedeutet, daß ein Fremdes in eine Zielsprache und damit zugleich in ein literarisches und soziales Zielsystem übertragen wird: »Se trata de una accion, una iniciativa cultural, tan innovadora como cualquier otra, en lo que se refiere al publico receptor,«90 Wiederum ist der Rahmen jedoch durch den Horizont des Eigenen bestimmt. 87

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Auch dieser Begriff unterliegt sich historisch wandelnden Definitionen innerhalb des Zielsystems und kann gar vollkommen fehlen. Eine Untersuchung der Rezeption, die sich um diesen Aspekt bemühte, wäre eine >WirkungsgcschichteSinnpotential < eines Werkes erschließen läßt, Der rezipierte literarische Text kann grundsätzlich Normen brechen, bilden oder auch bestätigen [Vgl. etwa Schräm, Norm und Normbrechung 1991: 56f.] und hat so potentiell eine »innovative Funktion< gegenüber den Normen der Rezipienten. Guilldn, Entre lo uno y lo diverso 1985; 352. Dt.; Etwas übersetzen bedeutet, es einzuführen. Guillen, Entre lo uno y lo diverso 1985: 352. Dt: Es handelt sich dabei, soweit es das rezipierende Publikum betrifft, um eine Handlung, die so innovativ ist wie jede andere kulturelle Initiative.

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l ,5. l. Zwischen Normwandel und Normbestätigung Bei der Frage nach der innovativen Wirkung eines fremden Textes ist von besonderem Interesse, in welchem Maße >die Netze« ästhetischer, kultureller, moralischer (und so fort) Erwartungen die jeweilige Lesart beeinflussen und wie demgegenüber die Bereitschaft eingeschätzt werden kann, die eigenen Vorstellungen dem Gehalt des Fremden im literarischen oder kulturellen Text anzupassen: Was nimmt etwa ein Reisender von dem auf, das seinem normierten Bild vom Reiseland widerspricht? Zunächst soll der Blick auf den literarischen Text geworfen werden: Während man (L) in avantgardistischen Theorien davon ausgegangen ist, daß derjenige Text einen besonderen ästhetischen Wert habe und besonders innovativ wirksam sei, der gegen den ErwartungsHorizont des Lesers in hohem Maße verstoße,91 kam (2.) die jüngere Leseforschung empirisch zu dem Ergebnis, daß beim Lesen durch Selektionsprozesse92 in erster Linie nicht dasjenige ausgewählt werde, was den eigenen Normen zuwiderlaufe, sondern daß auf diejenigen Textbestandteile der Schwerpunkt gelegt werde, die den Erwartungshorizont des Rezipienten bestätigten.93 Entsprechend wäre auch, wenn Reiseberichte betrachtet werden, kritisch zu fragen, wie weit bestehende Auffassungen der Reisenden bereits das Resultat der Beobachtungen beeinflussen bzw. in wie weit überhaupt eine Bereitschaft für die Erfahrung eines tatsächlich Fremden (das heißt Unbekannten) besteht.94 Diese vor allem von Jauß vertretene, das Ästhetische betonende These kritisiert Grimm [Rezeptionsgeschichte 1977: 272], Die Selektion als ein Grundelement des Leseprozesses ist schon physiologisch durch eine beschränkte Kapazität des menschlichen Auffassungsvermögens bedingt. »Das heißt, man muß damit rechnen, daß der Rezipient eines literarischen Werkes während der Lektüre mit wesentlich mehr Informationen konfrontiert wird, als er zu verarbeiten in der Lage ist« [Halasz, Dem Leser auf der Spur 1983/1993: 212]. Die vom Erwartungshorizont des Lesers abhängige > Reduktion < der komplexen Relationen im Text auf eine oder auch mehrere Lesarten ist für den Verstehenspiozeß jedoch auch notwendig, da sich der Textsinn über eine Reduktion der Komplexität, also den Ausschluß möglicher anderer Bedeutungen konstituiert (etwa als Differenz Lesart/Deutungshorizont). Schräm, Norm und Nonnbrechung 1991: 58: »Aus Theorien verschiedener Provenienz kann abgeleitet werden, daß Menschen dazu neigen, bestehende Auffassungen zu behaupten oder nur in geringem Maße zu ändern.« Alfred Opitz verwies in diesem Zusammenhang auf Nietzsches eingangs zitierten Aphorismus »Das Gefängnis«: A. O., Das »innere Auge«. Zur Problematik der interkulturellen Imagination in der Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts. In: Bernd Thum / GonthierLouis Fink (Hgg.), Praxis interkultureller Germanistik. Beiträge zum II. Internationalen Kongreß der Gesellschaft für Interkulturelle Germanistik Straßburg 1991. München 1993: 659-568. - Stephen Greenblatt hat in einem Essay über das Reisen ähnliche Gedanken formuliert und am Beispiel illustriert: »Selbst wo Erwartungen enttäuscht werden, besitzt die Phantasie ein erstaunliches Beharrungsvermögen. Christoph Kolumbus hatte in mittelalterlichen Reiseberichten über den Fernen Osten von Meerjungfrauen gelesen. Er erwartete aus tiefster Überzeugung, Meerjungfrauen zu sehen und glaubte sie schliesslich in den Seekühen vor Haitis Küste erspäht zu haben. Natürlich war er ein wenig enttäuscht·. >Sie waren nicht so schön, wie sie beschrieben werden*, notierte er in

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Bezieht sich die erste der angeführten Thesen auf den Normwandel in der Literaturgeschichte, so fokussiert letztere vor allem das normbeharrende Leseverhalten. Beide Thesen stehen also nicht unbedingt im Widerspruch, sondern bezeichnen vielmehr das Spannungsfeld zwischen > Normal i tat < und Innovation, zwischen der Tendenz zu normbestätigendem Leseverhalten und der auch für den literarischen Wandel notwendigen innovativen Normbrechung und -Veränderung. Die innovative Funktion von Literatur darf indessen nicht überschätzt werden. Es wäre mithin anzunehmen, daß der Rezipient fremdkultureller Texte diese nach einem >mittleren Grad< der Fremdheit auswählt bzw. deren Fremdheit stark reduziert, indem er sie seinen Vorstellungen entsprechend interpretiert. Dabei sind zumindest zwei widerstreitende Faktoren wirksam: Einerseits könnte angenommen werden, daß der Leser, der sich einem solchen Text zuwendet, in bestimmter Weise Fremdes und Neues zu erfahren sucht - etwa im Falle des lesenden Autors zur Anregung für die eigene literarische Tätigkeit. Dies beförderte die Adaption eines Fremden und Neuen. Andererseits werden bestimmte Grunderwartungen an allgemeingültige (>suprakulturelledenn sie hatten eher männliche GesichtszügeInnovationen< beschreiben. Im idealen Fall wird eine solche Erneuerung auf Initiative eines >initialem Rezipienten aufgenommen und allmählich in das System integriert. Das besondere Ansehen oder die besondere publizistische Breitenwirkung des initialen und folgender >induktiver Rezipienten< bzw. ihres Rezeptionsproduktes sind entscheidende Faktoren, die einen solchen Innovationsprozeß beeinflussen:99 Verleger, Publizisten und Übersetzer wie etwa Friedrich Justin Bettuch oder (in der Sparte Reiseliteratur) Christoph Daniel Ebeling - urn zwei Namen aus unterschiedlichen Bereichen der vorliegenden Arbeit zu nennen - beeinflußten die Spanien-Rezeption durch ihre anerkannten > Autorität und die besonderen ökonomisch-publizistischen Möglichkeiten, über die sie verfügten. Darüber hinaus wird eine aktive und produktive Rezeption besonders dann innovativ wirksam werden können, wenn das literarische Zielsystem bereits in einem Prozeß des Normwandels begriffen ist bzw. alte Normen (auch Images) kritisch hinterfragt werden. Die Rezeption der spanischen Romanze etwa wurde, wie in der vorliegenden Studie gezeigt werden wird, durch die aktive Suche nach neuen epischen Dichtformen vorbereitet. Für einen Normwandel durch innovative Rezeptionsakte ist maßgeblich auch eine Bereitschaft zur Innovation erforderlich, worunter ein In-Fragestellen der bestehenden Norm-etwa eine Ermüdung ihres Reizpotentials-100 M

100

Derartige Prozesse sind im Kontext einer Kommunikations- und Werbeforschung untersucht worden. Vgl. zusammenfassend: O.W. Haseloff, Kommunikation, Transformation und Interaktion. In: Hans-Georg Gadamer / Paul Vogler (Hgg.), Neue Anthropologie. Bd, 5: Psychologische Anthropologie. Stuttgart / München 1973 [= dtv Wissenschaft. Bd. 4073]: 94-140, bes. 330ff. Eine grundsätzliche und notwendige Funktion erkannte auch Johann Christoph Adelung dem Neuen als Reaktion auf >Ermüdung< des >Reizpotemials< literarischer Texte zu: Johann Christoph Adelung, Über den Deutschen Styl. t. Teil. Berlin 1785: Von der Neuheit, 530ff. Zitiert nach: Walter Killy / Christoph Perels (Hgg.), 18. Jahrhundert. Texte und Zeugnisse. Erster Teilband. München 1983 [= Die Deutsche Literatur. Texte und Zeugnisse. Bd. IV/1]: 364-366. - Er begründete dies durch den »Trieb der menschlichen Seele zum Neuen« [ebd. §1]. Und zwar sei es gerade die sich verbrauchende »Wirkung auf die untern Kräfte« [ebd. §3], welche die Abnutzung literarischer »Schönheit« zur Folge habe und den Formwandel bedinge: »Die Ursache ist, weil die anschauliche Vorstellung, wenn sie sehr oft wiederhohlet wird, eine immer schwächere Wirkung auf die Gehirnnerven thut [...].« [Ebd.] - Dabei hat Adelung im Gegensatz zu späteren avantgardistischen Theorien auch bereits darauf hingewiesen, daß der notwendige Wandet nicht zwangsläufig in Richtung auf das ästhetisch Wertvollere verläuft: »Die Schönheit selbst verliert für ihn [den Menschen] allen Werth, so bald sie den Reiz der Neuheit verlohren hat, und er wirft sich ohne Bedenken dem minder Schönen in die Arme, bloß weil es das Neuere ist.« [Ebd. §1.] Darüber hinaus kann mit »Neuheit« nach Adelung über das literaturgeschichtlich Neue hinaus alles verstanden werden, das den

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verstanden werden kann; Das rezipierende System formuliert durch die daraus erwachsenden Anforderungen an die Rezeption die Frage, auf welche diese eine Antwort geben soll: Rezeption muß in diesem Sinne für das Zielsystem >informativ< sein, ein Ereignis darstellen, das dem >System< ein verändertes Anschlußhandeln ermöglicht. Negativ ausgedrückt: Eine produktive Rezeption wird gehemmt, wenn der Rezipient eine Außenseiterrolle im System einnimmt, er nicht über entsprechende publizistische Möglichkeiten verfügt (etwa keinen Verleger findet) oder seine Erkenntnis >unzeitgemäß* ist, beziehungsweise, wenn in dem Literatursystem ein starrer Normenkanon etabliert ist, So verzögerte sich - wie gezeigt werden wird - die Anerkennung des fortschrittlicheren Verständnisses der Romanze, wie sie Johann Nicolaus Meinhards früh beschrieben hatte, dadurch, daß seine Erkenntnisse nicht dem spezifischen Rezeptionsinteresse Gleims entsprachen. Der erfolgreiche, >kreative< Umgang mit dem Rezeptionsgegenstand kann jedoch Nachahmer und Nachfolger finden und so eine >Innovation< des Systems bewirken. >Innovation< meint in diesem Kontext die erfolgreiche Auseinandersetzung mit einem fremdkulturellen Phänomen (z.B. einem unbekannten Text), welches sich in den auf Nonnen beruhenden Erwartungshorizont der Rezipienten nicht ohne weiteres integrieren ließ. >Kreativität< bezeichnet weitgehend den gleichen Umstand wie >Innovationkreativ< bezeichnet werden, ein gemeinsames Muster zugrunde liegt, dessen wesentliche Eigenschaften >Neuartigkeit< und >Brauchbarkeit< sind«.101 Der Begriff der Neuartigkeit oder »Neuheit« bezeichnet dabei eine »subjektive (historisch-relative) Neuheit«; 102 der Begriff der Brauchbarkeit legt den Prozeß auf eine »konstruktive Lösung des selbstgestellten Problems« fest.103 Beschreibt man das >Problem< als Normkonflikt des Systems, so bezeichnen die Kategorien der Neuheit und Brauchbarkeit zugleich die kreative Lösung des Problems wie die innovative Modifizierung der Normen.

»Reiz des Neuen« hat: auch die Wiederentdeckung des literaturgeschichtlich Älteren, von dem man sich abwandte und »welches mit seinen eigenen Reitzen jetzt auch noch den Reitz der Neuheit verbindet «.[Ebd. §1.] K" Albert Rothenberg, Kreativität in der Literatur. In; Ralph Langner (Hg.), Psychologie der Literatur. Theorien, Methoden, Ergebnisse. Weinheim/München 1986; 78-104, hier 80; vgl, a.: Norbert Groeben /Peter Vorderer, Empirische Literaturpsychologie. In: Langner, op. cit,: 105-143. 102 Groeben/Vorderer, Empirische Literaturpsychologie 1986: 105-143, hier 105. J"3 Groeben/Vorderer, Empirische Literaturpsychologie 1986: 105.

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l .5.3. Das Problem der Innovationstoleranz Allerdings wird gerade die Innovationstoleranz in der empirischen Rezeptionsforschung auch kritisch beurteilt.104 Die allgemein relativ niedrige Innovationstoleranz, die empirisch in der Leseforschung festgestellt werden konnte, ist ein Phänomen, das wahrscheinlich mit der Notwendigkeit für das System zusammenhängt, stabile Normen auszubilden. Doch kann wohl im Bereich der Rezeption von Texten aus fremden kulturellen Kontexten eine besonders hohe Innovationstoleranz angenommen werden: Hypothetisch könnte von einer > Hemmschwelle der Rezeption< gesprochen werden, die hier besonders niedrig anzusetzen wäre, da wohl von einem intensiveren Rezeptionsinteresse auszugehen wäre.105 Dennoch kann gefragt werden, ob nicht auch für innovative Prozesse von literaturgeschichtlicher Relevanz anzunehmen ist, daß letztlich ein >mittlerer Grad< der Neuartigkeit für die norm verändern de Rezeption Voraussetzung ist. Martindale hat dieses Phänomen der Literaturgeschichte als Wirken »entgegengesetzter Kräfte« beschrieben, deren Grundlage die »Habituation« des Publikums sei: »Jedes Publikum wird nicht nur auf Kunstwerke mit zu geringem Aktivierungspotential aversiv reagieren, sondern auch auf solche mit zu hohem.«106 Der > mittlere Grad< bedeutet nicht Mediokrität, sondern gibt die Spannbreite an, innerhalb derer - auch all tags weltlich erfahrbare - Innovationen der Literatur erfolgen. Kreativität und Innovation werden dadurch nicht bewertet, ihre Erforschung jedoch wird durch die Erkenntnis der Einflußfaktoren einer Innovation festgelegt: Literatur und ihre Rezeption findet wie jede kulturelle Äußerung nicht im Vakuum statt, sondern in je eigenen regionalen, historischen, sozialen, ästhetischen, aber auch psychischen (und das heißt letztlich auch kognitiven) Kontexten. lot Vgl. Schräm, Norm und Normbrechung 1991; 58. 505

In der vorliegenden Arbeit werden zudem vornehmlich aktive Rezeptionsprozesse untersucht, also gerade solche Rezeptionsprozesse, deren innovative Wirkung - in welcher Breite auch immer - häufig vorab angenommen werden kann. 106 Colin Martindale, Psychologie der Literaturgeschichte. In: Langner, Psychologie der Literatur 1986: 165-211, hier 172. - Martindale geht davon aus, daß Elemente der Literatur »ästhetische >Stimulifiktionalen( Reiseliteratur wie Reiseroman etc. zu nennen. Die >Reiseberichte< oder >Reisebeschreibungen< bilden ein Textkorpus, das bereits früh durch die Herausgabe von Sammelwerken oder Bibliographien als Einheit erfaßt wurde. Innerhalb dieser Gattung bildeten sich sowohl synchron als auch diachron abgrenzbare Untergattungen heraus. Vgl. genauer Kap. 2.3. - Der Begriff > Reiseliteratur < ist ausdrücklich nicht als Gattungsbezeichnung zu verstehen, sondern als ein Sammelbegriff, dem ein weätgefaßtes, thematisches Kriterium zugrundeliegt. [Vgl. allg. zu gattungstheoretischen Problemen; Klaus W. Hempfer, Gattung s theorie. Information und Synthese. München 1973 (=UTB 133): bes. 27f.} Julio Caro Baroja, Malaga vista por los viajeros ingleses de fines del siglo XVIII y comienzos de! XIX. In: ders., De etnologia andaluza. Edicion y prologo de Antonio Carreira. Malaga 1994 [= Servicio de Publicaciones. Diputacion Provincial de Malaga. Monografias N° 5]: 527-548, hier 529. -Zuerst in: Gibralfaro 12 (1962); Heft 14, 3-28.

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Reisende in vielfacher Weise die Realität deformiere: sei es aus Unwissenheit oder in böswilliger Absicht, sei es unbewußt durch seine wie auch immer eingeschränkte Wahrnehmung oder sei es bewußt, um das Publikum seiner Schilderungen mit ungewöhnlichen und überraschenden Nachrichten zu unterhalten. 3 Dennoch hat Caro Baroja die positiven Aspekte eines deutlich subjektiv geprägten Blicks der Reisenden (»subjetivismo del viajero«) gegenüber der scheinbaren Objektivität wissenschaftlicher Darstellungen hervorgehoben. Diese lägen, wie der Historiker Jose del Corral über den Nutzen der umstrittenen Quellen schrieb, darin, daß der Reisende anders als ein Einheimischer manche alltäglichen Dinge sehe, die das besondere Erscheinungsbild einer Kultur prägten, ohne daß sie dem Einheimischen noch auffielen, und daß der Reisebeschreiber, der aus einer eigenen, von der bereisten verschiedenen Kultur komme, aus seiner Distanz auch das zu Tage fördern und schriftlich fixieren könne, was einem einheimischen Chronisten oder Statisten nicht mehr erwähnenswert scheine.4 Der Gedanke, daß der fremde Blick auf die Heimat mitunter mehr erfassen könne als der eigene, führte im 18. Jahrhundert zu der Feststellung, daß der fremde Blick auch unbefangener sei. Charles-Louis de Secondat de Montesquieu (1689-1755) hatte in seinen »Lettres persanes« (1721) die französische Gesellschaft aus der Perspektive des Fremden, im Gespräch persischer Briefpartner, dargestellt,5 Die zivilisatorische Differenz sollte hier den freieren Blick auf das Eigene ermöglichen. Die »fremdländisch-naive Neugier« der persischen Korrespondenten »durchdringt den Schleier der alltäglichen Gewohnheit und läßt die Phänomene des religiösen, politischen und sozialen Lebens vorurteilslos und in ihrer vollen kritikwürdigen Unzulänglichkeit erscheinen«.6 Concha Casado Lobato unternimmt in ihrer Arbeit »Asi nos vieron. La vida tradicional segun los viajeros« den Versuch, traditionelle Lebensformen aus der Beschreibung der Reisenden des 18. und 19. Jahrhunderts zu rekonstruieren, und erarbeitet in diesem Rahmen nicht allein interessante Details über die Reisemöglichkeiten (Fortbewegung, Unterkünfte, Wege), sondern »EI viajero quiere sorprender con su relato. No hay duda.« [Julio Caro Baroja, Prologo, in: Concha Casado Lobato /Antonio Carreira Verez: Viajeros por Leon. Siglos XII-XIX. Leon 1985: 7-11, hier9.] »Frente a [...] graves inconvenientes, los libros de viajes presentan indudables ventajas [...], Una es su vision desde fuera, que les hace advertir aquello que, por ser tan usual, no escribirian los naturales habituados a contemplarlo, Otra la observacion de lo rnis cotidiano, que no despierta ningun interis para los que lo viven.« [Josi del Corral, Madrid en los libros de viajes. In: Viajeros impenitenles. Madrid visto por los viajeros extranjeros en los siglos XVII, XVII! y XIX. Sala de Exposiciones de la Biblioteca de Azcona 22 febrero - 26 rnarto 1989. Madrid 1989: 13-22, hier 14.] Charles de Secondat Montesquieu, Lettres persanes. In: CEuvres completes. Hg. von Roger Caillois. 2 Bde. o.O. 1949:1, 129-373. Edgar Mass, Die politische Kritik des Literaten Charles de Montesquieu. In: Jürgen von Stackelberg (Hg.), Europäische Aufklärung. Bd. III. Wiesbaden 1980 [= Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Hg. von Klaus von See. Bd. 13]: 107-124, hier 110.

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weist auch darauf hin, daß die Schilderungen reichhaltige Quellen zur traditionellen Architektur, Landwirtschaft, zu älteren Berufsbildern,7 zu Kunsthandwerk, Volksglauben und -brauchen wie zur traditionellen Landesküche darstellen. Bereits zuvor haben die Berichte der Spanienreisenden in zahlreichen lokalgeschichtlichen Untersuchungen Beachtung gefunden, vor allem seit Caro Barajas Darstellung »Malaga vista por los viajeros ingleses de fines del siglo XVIII y comienzos del XIX« (Malaga aus der Sicht englischer Reisender am Ende des 18, und zu Beginn des 19. Jahrhunderts), 8 Die folgenden Ausführungen gehen einen anderen Weg, da nicht lokalöder kulturgeschichtlich nach den historischen Aussagen über das Reiseland gefragt wird, sondern nach den Bedingungen unter denen diese Aussagen jeweils zustande gekommen sind. Dabei sind zu berücksichtigen: die Interessen der Reisenden, die Reisebedingungen, die Informationen, die Reisenden vor der Unternehmung zur Verfügung standen. Der eigentliche Schwerpunkt liegt jedoch auf den Fragen nach den Bedingungen und der Organisation der Reiseerfahrungen in der Gattung > Reiseberich t/Reisebeschreibung < und nach Etwa: >sereno< (Nachtwächter), >aguador< (Wasserträger und -Verkäufer), >arriero< (Maultiertreiber), >scgador< (Schnitter), >barbero< (Bader). [Concha Casado Lobato, Asi nos vieron. La vida tradicional segun los viajeros. Salamanca 1994.] - Unter einem ähnlichen Gesichtspunkt waren die Reiseberichte bereits untersucht worden in: Carl-Heinz Vogeler, Spanisches Volkstum nach älteren Reisebeschreibungen (1760 bis 1860). Hamburg 1941 [- Hamburger Studien zu Volkstum und Kultur der Romanen. Bd. 34]; Vogeler wertete die Reiseberichte nach den Themen »Ländliche Arbeit und landwirtschaftliche Geräte«, »Das spanische Haus«, »Religiöse Bräuche und kirchliche Feste« sowie »Spanische Volkstrachten« aus, um einen Einblick in die historische Kultur zu gewinnen. Aus der überaus umfangreichen Literatur seien nur wenige Arbeiten genannt: 1.) Andalusien: Jesus Majada Neila, Viajeros romänticos en Malaga. Salamanca 1986; Cristina Vines Millet, Granada en los libros de viaje. Granada 1982 [= Biblioteca de Escritos y Temas Granadinos. Bd. 8]; dies., Sierra Nevada en los viajeros romanticos. Granada 1992 [= Coleccion Sierra Nevada y la Alpujarra. Bd. 4]; Ramon Clavijo Provencio, Jerez y los viajeros del XIX: ilustrados y romänticos 1768-1868, o. O. [Jerez de la Frontera] 1989 {= Biblioteca de Urbanismo y Cultura. Cuadernos de divulgacion. Bd. 1]; 2.) Madrid; Viajeros impenitentes. Madrid visto por los viajeros extranjeros en los siglos XVII, XVIII y XIX. Madrid 1989; Josö Luis Checa Cremados /Juan Antonio Santos, Madrid en la prosa de viaje. 3 Bde. Madrid 1992-94; Pedro L. Ballesteros Torres, Alcalä de Henares vista por los viajeros extranjeros, (Siglos XVI-XIX.) Alcalä de Henares 1989; 3.) Asturien: Jesus Evaristo Casariego, Caminos y viajeros de Asturias. o,O, o.J, f 1979]; 4,) Baskenland: Beatriz Monreal Huegun, Guipuzcoa en escritores y viajeros. San Sebastian 1983 [= Coleccion Guipuzcoa, Bd. 20]; Julio-Cesar Santoyo, Viajeros por Alava. {Siglos XV a XVIII.) Vitoria 1972 [= Biblioteca Alavesa >Luis de Ajuriaez, Viajeros por Leon. Siglos XIIXIX. Leon 1985; Jesus Majada Neila/Juan Martin Martin, Viajeros extranjeros en Salamanca (1300-1936) Salamanca 1988; 6.) Kanarische Inseln: Jos6 Luis Garcia PeYez, Viajeros ingleses en las Islas Canarias durante el siglo XIX, Santa Cruz de Tenerife 1988; 7.) Katalonien und Valencia: bereits 1955 publizierte Geoffrey Ribbans einen kurzen Beitrag über das Bild dieser Provinzen in der Reiseliteratur: Catalunya i Valoncia vistes pels vialgers anglesos del segle XVIIIe. Pröleg Joan Triadü, Barcelona 1993. [Mit Vorwort versehener Nachdruck der Ausgabe Barcelona 1955.]

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den Auswirkungen, welche diese Faktoren bereits auf die Wahrnehmung des Fremden haben. Unabhängig davon, ob und inwieweit ein Reisender eine kulturelle, historische Realität wahrgenommen hatte, bot sein Bericht nach der Rückkehr in die eigene Kultur eine - und das gilt selbst für den fiktiven Reisebericht, der sich den Anschein der Authentizität gibt - entscheidende Informationsquelle über eine fremde, hier die spanischen Kultur, Im Laufe der Jahrhunderte durchquerte eine große Zahl Reisender auf unterschiedlichen Wegen und aus verschiedensten Motiven die Iberische Halbinsel. Ihre mündlichen Erzählungen, handschriftlichen Aufzeichnungen und gedruckten Berichte wuchsen in den Herkunftsländern zu einer breiten Spanienliteratur an, in der beständig neue Erkenntnisse und Verbesserungen gegenüber älteren Zuständen diskutiert und alte Irrtümer und Vorurteile fortgeschrieben oder überprüft wurden. Mancher reiste auch nicht selbst, sondern erdichtete aus Angelesenem eine eigene Reise. Bereits Ende des vergangenen Jahrhunderts stellte Raymond Foulche-Delbosc eine erste und durch chronologische Anordnung und Register bis heute benutzerfreundlichste Bibliographie der iberischen Reisen zusammen: »Bibliographie des Voyages en Espagne et en Portugal« (Paris I896).9 Der Datenbestand dieses vor wenigen Jahren unverändert nachgedruckten Grundwerkes wurde unter anderem von Ludwig Pfand!10 und Arturo Farinelli bedeutend erweitert. Besonders Farinelli konnte eine beachtliche Zahl weiterer Reisen und Reiseberichte hinzufügen und publizierte schließlich 1942 die gesammelten Recherche-Ergebnisse in dem umfangreichen Werk »Viajes por Espana y Portugal desde la Edad Media hasta el sigio XX. Nuevas y antiguas diavagaciones bibliogräficas« (Rom 1942,).11 Trotz einer in Grundzügen überschaubaren Quellenlage und einer sich in raschem Tempo entwickelnden Reiseliteraturforschung 12 sind die Spanienberichte in Deutschland selten einer genauen Analyse unterzogen worden.13 9

10

1]

12

Raymond Foulchi-Delbosc, Bibliographie des Voyages en Espagne et en Portugal, Reimpresion facsimilar de l a primera edicion. Introduccidn de Ramon Alba, Madrid 1991, Ludwig Pfandl, Zur »Bibliographie des voyages en Espagne«. 4 Teile, In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. I: N.F. 33 (1915): 413-417; II: N.F. 34 (1916): 143-146; III; N.F. 35(1917): 175-179; IV: N.F, 41 (1921): 238-243. Farinetli erfaßte tlw. auch Reisende, die nicht publizierten oder schwerzugängliche Manuskripte hinterließen. Es handelt sich um teils bio-, teils bibliographische Notizen, tlw. mit Bemerkungen versehen. Die interessante Sammlung enthält allerdings kleinere Fehler und Ungenauigkeiten: Arturo Farinelli, Viajes por Espana y Portugal desde la Edad Media hasta ei siglo XX. Nuevas y antiguas divagaciones bibiiogräficas. 3 Bde. Rom 1942/44 [- Reale Accademia d'Italia: Studi e document], Bd. 11], Später erschienen als Band 4 Ergänzungen und ein Gesarntregister: Viajes por Espana [...], Tomo IV ( dices e Indices). Hg. von Giovanni Maria Bertini et al, Rom 1979. Vgt. den großangelegten Forschungsüberblick von Peter J. Brenner: Der Reisebericht in der deutschen Literatur, Ein Forschungsüberblick als Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte. Tübingen 1990 [= Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, Sonderheft II]. Während Brenner allerdings auf die Reiseberichte der Aufklärung

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Hier soll der Versuch unternommen werden, die Spanienreisen als Rezeptionsmedium zwischen der Fremde und dem Eigenen näher zu bestimmen. Dabei kann es (wie auch bei literarischen Rezeptionsprozessen) keineswegs genügen, das jeweilige Rezeptionsresultat, etwa den Reisebericht, im Hinblick auf das Rezeptionsobjekt, etwa einen historischen Zustand des Reiselandes, zu betrachten, denn jeder Rezeptions Vorgang ist, wie eingangs ausgeführt wurde, in komplexe historische Beziehungen zur rezipierenden Kultur gestellt, welche die Resultate der Rezeption weitreichend vorbestimmt. Auch der Reisende ist - wie andere Rezipienten (etwa der Leser eines fremdkulturellen Textes) - zunächst an die eigene Kultur gebunden, von der aus er seine Reise vornimmt. Die Reisekultur selbst ist historischen Bedingungen unterworfen, und der Reisebericht schließlich folgt historischen (Gattungs-) über England-, Italien-, Skandinavien-, Rußland-, Frankreich- und Überseereisen detailliert und kritisch eingeht, findet weder die R ei sei iterator zu Spanien und Portugal noch ihre Erforschung Erwähnung. - Zur Ergänzung des Forschungsberichts von Brenner (ebenfalls ohne Berücksichtigung des Reiseziels Spanien) vgl.: Ulrich Klein, Reiseliteraturforschung im deutschsprachigen Sprachraum. In: Euphorion 87 (1993): 286-318. Überblicksdarstellungen zu den deutschen Spanienreisen im 18. Jahrhundert: Alfred Morel-Fatio, Les Allemands en Espagne du XVe au XVIII« Siede. In: Revista de Filologia Espaüola 9 (1922): 277-297; Werner Brüggemann, Die Spanienberichte des 18. und 19, Jahrhunderts und ihre Bedeutung für die Formung und Wandlung des deutschen Spanienbildes. In: Spanische Forschungen der Görresgesellschaft, L Reihe 12 (1956): 1146; Georg Herbert Walz, Spanien und der spanische Mensch in der deutschen Literatur vom Barock zur Romantik. Diss. Erlangen-Nürnberg 1965; Dietrich Briesemeister, Perccpciones de cambio en los relates de viajes por Espana en la segunda mitad del siglo XVIII. In: Manfred Tietz/ Dietrich Briesemeister, La secularization de la cultura espaflola en el Siglo de las Luces. Actas de! congreso de Wolfcnbüttel. Wiesbaden 1992 [= Wolfenbütteler Forschungen Bd. 53]: 33—45; ders., Spanische Kunst in europäischen Reiseberichten - Stationen aus vier Jahrhunderten. In: Gisela Noehles-Doerk (Hg,), Kunst in Spanien im Blick des Fremden. Reiseerfahrungen vom Mittelalter bis in die Gegenwart, Frankfurt/M. 1996 [= Ars iberica, Bd. 2]: 13-32. - Mit den Spanienreisenden unterschiedlicher Nationalität hat sich zusammenfassend auch David Mitchell beschäftigt: Viajeros por Espana de Borrow a Hemingway. Übersetzt von lsabel GomezArnau. Malaga 1989 [Originaltitel: Here in Spain], Mit ausgewählten britischen Reisenden beschäftigt sich: Frank Graue, Schönes Land: Verderbtes Volk. Das Spanienbild britischer Reisender zwischen 1750 und 1850. Trier 1991 [- Grenzüberschreitungen. Studien zur europäischen Rciseliteratur Bd. 2; die Arbeit leidet allerdings unter widersprüchlichen Aussagen (43 u. gegen 45 u., 63 u. gegen 67 Mitte etc.) und der nur partiellen Kenntnisnahme der Forschung]; vgl. dagegen genauer bereits: Ana Clara Guerrero, Viajeros britänicos en la Espana del siglo XVIII. Madrid 1990. - Eine knappe bibliographische Übersicht über Studien zu Spanienreisen des 18. Jahrhunderts gibt: Francisco Aguilar Final, Relatos de viajes de extranjeros por la Espana del siglo XVIII. Estudios realizados hasta el presente. In: Centro de Estudois del Siglo XVIII. 4/5 (1977): 203208. - Hilfreich waren bes. die Bibliographien: Wolfgang Griep (Hg.), Reiseliteratur und Geographica in der Eutiner Landesbibliothek. Bearb. von Susanne Luber. 2 Bde. Heide 1990 [= Kataloge der Eutiner Landesbibliothek Bd, 2]; Andreas Ruppert, Bibliographie der Historischen und Reiseliteratur zur Iberischen Halbinsel. Ein annotiertes Inventar der Fürstlichen Bibliothek Corvey. Paderborn 1994 {= Paderborner Studien zur Romanischen Philologie Bd. 4]: bes. 137-154. - Weitere Hinweise verdanke ich dem Entgegenkommen von Herrn Dr. Wolfgang Griep, Eutiner Landesbibliothek.

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Konventionen, Im Gegensatz zu den oben genannten Untersuchungen, die die Reiseberichte als kulturgeschichtliche Quellen betrachten, aus denen subjektive Zeugnisse eines historischen Spaniens gewonnen werden können, richtet sich die Fragestellung einer rezeptionsgeschichtlichen Studie in erster Linie auf den Rezipienten, d.h. den Reisenden und seinen Bericht, und die rezipierende Kultur, d.h, die Ausgangs- und Vermittlungsbedingungen der Rezeption,

2.1.

In der Fremde daheim

2. l. l. Erwartungsaffekte Wer reist, überschreitet geographische Grenzlinien, die im engeren Sinne die Heimat des Reisenden von einem unbekannt(er)en Raum abgrenzen; doch bedeutet eine geographische Grenzüberschreitung nicht bereits die Wahrnehmung eines Fremden. Ist dies für jene Art des Familienuriaubs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts offensichtlich, der an den Hotelstranden des Mittelmeers nur die Verlagerung der heimischen Nachbarn, der guibürgerlichdeutschen Stube in einen klimatischen (kaum mehr kulturellen, architektonischen, sprachlichen) und allenfalls artifiziellen, se/fesierzeugten Sonderraum bedeutet, so gilt die Feststellung, daß eine Entfernung von der Heimat nicht gleichzeitig eine Öffnung für die Wahrnehmung des Fremden einschließt, auch für den Reisenden des 18. Jahrhunderts, obwohl dieser zumindest auf beschwerlichem Wege und häufig recht unkomfortabel reisend schon durch die physischen Strapazen für die Entdeckung des Anderen gestimmter sein mußte. Nahm jemand die Entbehrungen und Strapazen einer solchen Reise zu Lande oder zu Wasser auf sich, so diente ihm die Fremde vielleicht noch als Ansporn und Lohn, wenn sie nicht lediglich das unvermeidliche Übel im Dienst von Handel oder Diplomatie war. Die Fremde zeigte sich zunächst für den Reisenden als die Gesamtheit der Weit außerhalb der >HeimatSystem des EigenenAlieneAlterisierung< 21 bezeichnen, da das >Alteritäre< (lat, alteritus) das Andere in Beziehung zum Eigenen benennt. Das Alteritäre kann etwa rhetorisch in der Antithese erfaßt werden. Es bezeichnet diejenige Fremdheit oder >AndersheitFremdheit< und >Andersheit< sollte im differenzierenden Gebrauch abgesehen werden, da die ihnen zugrunde gelegten Attribute >fremd* und 'anders* häufig synonyme Verwendung finden.

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2. l .2. Vorurteile oder Orientierungshilfen »Wir verreisen nie ohne Erwartungen, nie ohne eine Sequenz von geistigen Bildern, die wir zu bestätigen hoffen, nie ohne ein Drehbuch, dem wir halb bewusst folgen« (Stephen Greenblatt).23 - Kein Reisender, nicht einmal der wagemutige Entdecker, zog ohne ein Handgepäck an Orientierungshilfen in die Weit - so spärlich die Berichte über das Ziel der Reise auch immer sein mochten, die dem Reisenden zur vorbereitenden Lektüre dienten: Die Reise führte nach Indien oder gar ins Paradies, nicht ins Unbekannte. Zur vorbereitenden Lektüre stand dem Spanienreisenden neben historischen Spanienschilderungen und gedruckten Reisebeschreibungen auch weitere Spezialliteratur zur Verfügung. Eine Verbindung zwischen einem Ratgeber zum richtigen Reisen (>ApodemikItinerarSystem des Eigenem und seiner Umwelt verläuft nicht an einer geographisch-politischen Demarkationslinie, sondern an der wesentlich seltener überschrittenen Grenze der eigenen Vorstellungen, welche der Reisende über Grenzmarkierungen hinweg mit sich führt: Die »strikt räumliche Grenzüberschreitung« kann - wie »vorübergehend auch im Falle des Reisens« - das Eigene > verfremdenallem anderenErfahrung< verändern sich die Kenntnisse, aber nicht der Standpunkt des Betrachters, dessen Blick auf die Fremde immer der Blick eines Eigenen ist: Er vermag seine veränderlichen Vorurteile als jeweils eigenes Gepäck nicht abzulegen, Ein Überschreiten der Grenze scheint so kaum möglich, denn »jenseits der Schwelle finden wir keine wohlunterschiedenen Sinnregionen«,31 da alle Annahmen über die

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Der zweite »klassische Ort< für diesen Gedanken ist: Seneca, Ad Lucullum epistolae morales XVIII. 29 Bernhard Waldenfels, Der Stachel des Fremden, Frankfurt/M. 1990 {= stw 868]: 32. 30 Die >Konfrontation< ist hausgemacht: Die Transaktion der Schwelle zeigt, daß das Beobachtete und der Beobachter Teil der Beobachtung sind. Die Fremde, mit der sich der Reisende konfrontiert, ist bereits sein Bild von der Fremde. 31 Waldenfels, Stachel des Fremden 1990: 32. - Die Erfahrung der Schwelle zwischen dem Vertrauten und dem gänzlich Unvertrauten, das sich nicht ins Vertraute fügt, kann auch das Eigene in ein neues Licht stellen und Verdrängtes zu Tage bringen. Auch hier wird die Grenze noch nicht überschritten, sondern in besonderer Weise erfahren.

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Fremde ihren Ort wiederum im Eigenen haben: »Das Fremde kann nicht anders Wirklichkeit werden als in den Kategorien des Vertrauten.«32 Die Orientierungshilfen und Erwartungen, das Eigene, bilden zugleich die notwendige Basis für die Verarbeitung der Fremdheitserfahrung. Sie bestimmen bereits die Selektion dessen, was überhaupt als Information aus dem umfassenden Bereich des Fremden aufgenommen werden kann; die Erwartungen wurden eingangs als Strukturen dargestellt, die das System des Eigenen bereithält, um ein Ereignis als Information aufnehmen zu können.33 Geht man von diesem Informationsbegriff der Systemtheorie zur Bestimmung der Fremdheitserfahrung aus, sind folglich die Erwartungen, Annahmen oder Vorurteile des Reisenden überhaupt Bedingung für die Erfahrung des Fremden. Durch das > System des Eigenen< werden die Wünsche, Bedürfnisse und Interessen des Reisenden bestimmt und bereits Kriterien für die >Selektivität< seiner Wahrnehmung determiniert. Die selektive und reduzierende Wahrnehmung kann als Anpassung an das System, als >Systematisierung< der Fremdheitserfahrung bezeichnet werden, deren Beschränktheit (durch Reduktion) und Notwendigkeit (als Erkenntnisbasis) evident sind: Die Erwartungen, Vorurteile bilden in doppelter Hinsicht die notwendige Klassifizierungs-, Beschreibungs- oder generell Wahrnehmungsgrundlage:34 Zum einen reduzieren sie die Komplexität der Fremde und somit die Bedrohlichkeit des Unbekannten (das nicht weniger ist als das >alles-andereSupplement seines Daseins«? Zu den kultur- und identitätsgeschichtlichen Voraussetzungen deutscher Schriftstellerreisen nach Rom - Paris - London seit Winckelmann. In: ders. (Hg.), Rom - Paris - London. Erfahrung und Selbsterfahmng deutscher Schriftsteller und Künstler in den fremden Metropolen. Ein Symposion. Stuttgart 1988 [= Germanistische Symposien. Berichts ban de. Bd. 8]: 1-20, hier 14.

51 Gesichertes Wissen ist nötig bei Vorbereitung und Durchführung eines Reiseplanes. Der Reisende setzt ein Stück Prognose aus der Heimat über die Ferne. Die Unwägbarkeiten, Unsicherheiten, Eindrücke, Erlebnisse, Gefahren, praktischen Einsichten und neuen Fertigkeiten, während der Reise und durch sie erworben, wandein bisherige Bildung in neue Bildung und verändern - ein hohes Ziel für die Aufklärung wie für die Klassik - die Persönlichkeit.36

Allerdings sollte man diesem Bildungsoptimismus, der der Bezeichnung der Aufklärung als »das pädagogische Jahrhundert« entspricht, mit Skepsis begegnen. Denn die durch Erwartungen und Vorurteile determinierte Fremdheitserfahrung birgt, wie Conrad Wiedemann zeigt, »ein doppeltes hermeneutisches Problern« in sich: Wird der voreingenommene Blick auf die Dinge diese noch zum Sprechen bringen können, und wenn ja, auf welche Weise? Und wie wird ferner dieser Blick Dinge wahrnehmen, die außerhalb seiner Vorerwartung liegen, und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Prüfen wir die »Italienische Reise« [von Goethe] daraufhin, so fällt gleich auf, wieviel Beachtung dort die erste Frage findet und wie wenig die zweite. Konkretisierung und V erinner] ichung des Gewußten sind gefragt, nicht dessen Substitution oder gar Erschütterung.37

Für Wiedemann stellen sich die Verarbeitungsprozesse der Reiseerlebnisse als »Bestätigungs verfahren« dar, die der Bestärkung des Eigenen dienlicher sind als dem Erwerb neuer Kenntnisse oder der Revision der Vorurteile, Wird in diesem Falle eigenes Wissen bestätigt, so kann die Reiseerfahrung auch in anderer Hinsicht affirmativ genutzt werden, indem ein negatives Anderes dem sich positiv dagegen absetzenden Eigenen gegenübergestellt wird. Alterität gerät hier zu einem Mittel auch der Selbstbeschreibung. Wolf gang Neuber (1991) geht gar von einem »Bedürfnis nach Alterität« aus: Das Fremde wird in diesem Sinne geradezu erst konstituiert, »um es dem Eigenen gegenüberzusetzen«. 38 Das Bild des Fremden unterliegt dadurch auch den gleichen historischen Wandlungen wie das >System des Eigenem: Die Bedürfnisse des Eigenen — und damit auch der Bedarf an der Existenz von Alterität sind historisch determiniert und definieren das Fremde in wechselnden Gestalten; dem empirischen Zuwachs sind solcherart Grenzen gesetzt, die sich durch gesellschaftliche Bedürfnisse und bewußte Selektion aus dem latenten Angebot an Wissensfülle herschreiben. So ist etwa das Konzept des guten Wilden schon bei Columbus und Lery als Latenzbild angelegt; erst im 18. Jahrhundert aber wird dieses Bild aus geschichtsphilosophischen Gründen reaktiviert.59 30

Rainer S. Elkar, Reisen bildet. Überlegungen zur Sozial· und Bildungsgeschichte des Reisens während des 18. und 19. Jahrhunderts. In: B, I. Krasnobaev et at. {Hg.}, Reisen und Reisebeschreibungen im 18. und 19. Jahrhundert als Quellen der Kulturbeziehungsforschung, Essen 1987: 51-82, hier 51. 37 Wiedemann, »Supplement seines Daseins