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German Pages [348] Year 2014
Nova Mediaevalia Quellen und Studien zum europäischen Mittelalter
Band 12
Herausgegeben von Nikolaus Henkel und Jürgen Sarnowsky
Joachim Laczny / Jürgen Sarnowsky (Hg.)
Perzeption und Rezeption Wahrnehmung und Deutung im Mittelalter und in der Moderne
Mit 18 Abbildungen
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0248-9 ISBN 978-3-8470-0248-2 (E-Book) Ó 2014, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Lodovico de Varthema: Die Ritterlich und lobwirdig rayß des gestrengen und über all ander weyt erfarnen ritters und Lantfarers herren Ludowico vartomans von Bolonia Sagent von den landen Egypto Syria von bayden Arabia Persia Jndia Und Ethiopia von den gestalten syten und dero menschen leben und gelauben. Augsburg 1515 [VD16 ZV 15156], f. 35r ; http://daten.digitale sammlungen.de/~db/0001/bsb00011589/image_73. Mit freundlicher Genehmigung durch die Bayerische Staatsbibliothek, München. Druck und Bindung: a Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Jürgen Sarnowsky Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ingeborg Braisch England und die Engländer in der Cronica Salimbenes da Parma . . . . .
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Joachim Laczny Friedrich III. (1440 – 1493) auf Reisen. Die Erstellung des Itinerars eines spätmittelalterlichen Herrschers unter Anwendung eines Historical Geographic Information System (Historical GIS) . . . . . . . . . . . . . .
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Nele Kaestner Tiere als Mittel der Repräsentation und Diplomatie im Deutschen Orden im Lichte des Marienburger Tresslerbuches (1399 – 1409) . . . . . . . . .
67
Volker Hentrich Die Darstellung des Schwertbrüderordens in der Livländischen Reimchronik (Ordenschronik, Missionsgeschichte oder nur »Kriegstagebuch«?) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Mathias Dewald Der Baphomet der Templer
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
Marcus Jörger Die Fremd- und Eigenwahrnehmung in Janûs Thurûczys Chronica Hungarorum im Vergleich zum Diskurs der »Türkengefahr« im 15. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
6
Inhalt
Caren Puchert Die Darstellung des Islam in lateinischen Quellen des 13. Jh.s am Beispiel der Chronica Majora des Matthäus Parisiensis und von De Vita Mahometi des Ramon Mart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Jürgen Sarnowsky Zur Rezeption der Entdeckungsreisen im Heiligen Römischen Reich um 1500 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Wolfgang Höll Das Bild des Südasienhandels in ausgewählten Reiseberichten des frühen 16. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Birgit Steude Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung Süd- und Südostasiens in der Wahrnehmung von Reiseberichten: Ludovico de Varthema und Tom¦ Pires im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Autoren und Herausgeber Personenregister
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
Danksagung
Wir danken Cordula Franzke, Hamburg, für ihre vielfältige Hilfe während der Entstehung des Bandes und Steven G. Ellis, Professor of History, National University of Ireland, Galway, für die Durchsicht der Abstracts. Unser Dank gilt zudem den Mitarbeiterinnen des Verlags V& R unipress für die sorgfältige Betreuung der Drucklegung. Die Herausgeber
Jürgen Sarnowsky
Einleitung
Das maßgeblich von Hans-Werner Goetz geprägte Konzept der »Vorstellungsgeschichte« hat sich sowohl für das Früh- und Hochmittelalter wie auch für das Spätmittelalter längst als ein fruchtbarer Ansatz erwiesen,1 nicht nur auf der Grundlage der Quellengattung der Historiographie, sondern auch in der Untersuchung von Briefen, Urkunden, Akten, theoretischen Schriften und anderem mehr, selbst von Rechnungsbüchern. Dies zeigt allein der Blick auf die inzwischen recht umfangreiche Reihe »Orbis medievalis. Vorstellungswelten des Mittelalters« mit Arbeiten zur Wahrnehmung von Regionen und Räumen, zum Eigenen und Fremden, zur Wahrnehmung von Geschichte sowie zum Bild des Islams.2 Gerade die Subjektivität der mittelalterlichen Autoren eröffnet, wenn
1 Dazu insbesondere Hans-Werner Goetz, »Vorstellungsgeschichte.« Menschliche Vorstellungen und Meinungen als Dimension der Vergangenheit. Bemerkungen zu einem jüngeren Arbeitsfeld der Geschichtswissenschaft als Beitrag zu einer Methodik der Quellenauswertung, in: Archiv für Kulturgeschichte 61 (1979, erschienen 1982) S. 253 – 271, ND in Ders., Vorstellungsgeschichte. Gesammelte Schriften zu Wahrnehmungen, Deutungen und Vorstellungen im Mittelalter, hrsg. Anna Aurast, Simon Elling, Bele Freudenberg, Anja Lutz, Steffen Patzold, Bochum 2007, S. 3 – 29, hier S. 13; vgl. weiter Ders., Wahrnehmungs- und Deutungsmuster als methodisches Problem der Geschichtswissenschaft, in: Das Mittelalter 8 (2003), S. 23 – 33; und den knappen Überblick bis 2007 bei Jürgen Sarnowsky, Einleitung, in: Bilder – Wahrnehmungen – Vorstellungen. Neue Forschungen zur Historiographie des hohen und späten Mittelalters, hrsg. ders. (Nova Mediaevalia, 3), Göttingen 2007, S. 11 – 16. 2 Vgl. u. a. die Bände 1 (Hans-Werner Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im hohen Mittelalter, Berlin 22008); 3 (Brigitte Englisch, Ordo orbis terrae: die Weltsicht in den »Mappae mundi« des frühen und hohen Mittelalters, Berlin 2002); 4 (Volker Scior, Das Eigene und das Fremde: Identität und Fremdheit in den Chroniken Adams von Bremen, Helmolds von Bosau und Arnolds von Lübeck, Berlin 2002); 5 (David Fraesdorff, Der barbarische Norden: Vorstellungen und Fremdheitskategorien bei Rimbert, Thietmar von Merseburg und Helmold von Bosau, Berlin 2005); 6 (Fabian Schwarzbauer, Geschichtszeit. Über Zeitvorstellungen in den Universalchroniken Frutolfs von Michelsberg, Honorius’ Augustodunensis und Ottos von Freising, Berlin 2005); 7 (Alheydis Plassmann, Origo gentis: Identitäts- und Legitimitätsstiftung in früh- und hochmittelalterlichen Herkunftserzählungen, Berlin 2006); 10 (Europa im Weltbild des Mittelalters: kartographische Konzepte, hrsg. Ingrid Baumgärtner, Hartmut Kugler, Berlin 2008); 11 (Stefan Schröder, Zwischen
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Jürgen Sarnowsky
man sie nicht nur als störenden Faktor sieht, der durch intensive Quellenkritik herausgefiltert werden muss, neue Perspektiven auf die mittelalterliche Geschichte. Die aus ihrem Kontext und für ein zeitgenössisches Publikum schreibenden Urheber der Texte offenbaren dabei indirekt und unbewusst viel über die Einstellungen, Wahrnehmungen und Denkweisen mittelalterlicher Menschen.3 Der vorliegende Band vereint zehn kleinere Studien, die nicht nur die innere Geschichte des lateinischen Europas, sondern auch dessen Beziehungen zu anderen Weltregionen behandeln. Für die Zeit vom 13. bis zum 16. Jahrhundert werden Aspekte der Geschichte des Heiligen Römischen Reichs, Englands und Italiens, des Baltikums, Ungarns, des östlichen Mittelmeers und der Regionen Süd- und Südostasiens behandelt. Ein Fokus liegt wiederum auf der Historiographie, die vier Aufsätzen zugrundeliegt, ein weiterer mit drei Beiträgen auf Reiseberichten.4 Dazu kommt die Auswertung von Urkunden, Rechnungsbüchern, Prozessakten und gelehrtem Schrifttum. So ergeben sich wiederum sehr unterschiedliche Zugänge zu mittelalterlichen Wahrnehmungen und ihrer Rezeption. Der größere Teil der Aufsätze widmet sich den zeitgenössischen Wahrnehmungen, sowohl auf historiographischen wie auch auf anderen Grundlagen. So beschreibt Ingeborg Braisch die distanzierte Wahrnehmung Englands und der Engländer bei Salimbene von Parma, die wesentlich durch eigene Erfahrungen innerhalb seines Ordens geprägt wurde; und Nele Kaestner behandelt auf der Grundlage von Rechnungen des Deutschen Ordens in Preußen die besondere Wahrnehmung und Wertschätzung von Tieren sowohl in der Diplomatie wie auch in der Repräsentation. Zwei Beiträge konzentrieren sich auf die europäische Sicht auf Süd- und Südostasien in den Reiseberichten kurz nach 1500.5 So untersucht Wolfgang Höll die Wahrnehmung des für die Europäer zentralen Handels im Indischen Ozean in der Darstellung der Portugiesen Duarte Barbosa und Tome Pires; und Birgit Steude konzentriert sich auf die Wahrnehmung und Präsentation der indigenen Waffen bei Pires und dem italienischen Abenteurer Ludovico de Varthema. Weiterhin sind zwei Aufsätze Vergleichen zur zeitgeChristentum und Islam: Kulturelle Grenzen in den spätmittelalterlichen Pilgerberichten des Felix Fabri, Berlin 2009). 3 Dazu s. u. a. auch die Beiträge in: Vorstellungswelten der mittelalterlichen Überlieferung. Zeitgenössische Wahrnehmungen und ihre moderne Interpretation, hrsg. Jürgen Sarnowsky (Nova Mediaevalia, 11), Göttingen 2012. 4 Zu den Quellengattungen vgl. jetzt Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter, hrsg. Wolfgang Achnitz, 3: Reiseberichte und Geschichtsdichtung, Berlin, Boston 2012. 5 Zu Reisen und Reiseberichten allgemein vgl. u. a. Folker Reichert, Erfahrung der Welt. Reisen und Kulturbegegnung im späten Mittelalter, Stuttgart 2001; zu (Süd-)Asien s. u. a. Donald E. Lach, Asia in the Making of Europe, I 1 – 2, The Century of Discovery, Chicago, London 1966; Joan-Pau Rubiés, Travel and Ethnology in the Renaissance, South India through European Eyes, Cambridge 2000.
Einleitung
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nössischen Wahrnehmung des Islams gewidmet. So stellt Marcus Jörger am Beispiel der ungarischen Chronik Janûs Thurûczys ungarisches Selbstverständnis und Wahrnehmung der Osmanen gegenüber ; und Caren Puchert kontrastiert das Islambild der Chronica maiora des englischen Mönchs Matthäus Parisiensis mit dem islamkritischen Werk des katalanischen Dominikaners Ramon Mart. Eine zweite Gruppe von Beiträgen setzt sich mit Fragen der zeitgenössischen bzw. modernen Rezeption mittelalterlicher Ereignisse und Institutionen auseinander. So analysiert Volker Hentrich die Differenzen zwischen der Wahrnehmung der Frühgeschichte Alt-Livlands in der Chronik Heinrichs von Lettland und ihrer Rezeption in der späteren Livländischen Reimchronik, um Wandlungen im Geschichtsbewusstsein nachzugehen; Jürgen Sarnowsky fragt nach der Rezeption der spanisch-portugiesischen Entdeckerberichte im Heiligen Römischen Reich der Jahre um 1500; Matthias Dewald setzt sich mit der Entstehung und Rezeption des vor allem in frühmodernen Kontexten fassbaren Mythos auseinander, die Templer hätten ein als Baphomet bezeichnetes Kopfidol verehrt; und Joachim Laczny widmet sich am Beispiel der Herrschaft Friedrichs III., anhand einer Analyse der Herrscherurkunden, einem zentralen Ansatz zur modernen Rezeption des spätmittelalterlichen Königtums, der Frage nach der Mobilität der Herrscher. Die inhaltlich sehr verschiedene Fragen berührenden, zeitlich auf das spätere Mittelalter fokussierten Aufsätze haben den Versuch gemeinsam, sich den Wahrnehmungen und Vorstellungen der Zeit zu nähern und die moderne Rezeption und Diskussion um Aspekte der spätmittelalterlichen Geschichte auf eine bessere Grundlage zu stellen. Sie werden so hoffentlich auch der künftigen Forschung Anregungen vermitteln.
Ingeborg Braisch
England und die Engländer in der Cronica Salimbenes da * Parma
1238 verließ Ognibene, der sechzehnjährige Sohn Guidos di Adam, das Haus seines Vaters neben dem Baptisterium von Parma, wohlweislich, ohne seine Eltern von seinem Vorhaben in Kenntnis zu setzen.1 Sein Ziel lag nur wenige Straßen weiter – den Weg vom Baptisterium zu seinem Ziel können wir noch heute in etwa verfolgen – und dort bat er zusammen mit einem Freund im Konvent der Minoriten um Aufnahme. Anders als Augustin hatte Ognibene durchaus kein ausschweifendes Leben geführt; seine betagte Großmutter war um seine moralische Erziehung sehr besorgt gewesen: Quotiens docuit me ut vitarem malam societatem et bonam assumerem, et quod essem sapiens et morigeratus et bonus, totiens benedicatur ipsa a Deo! Fecit enim hoc frequenter.2 Und obwohl sein Vater ihm so manches von seinen Abenteuern auf dem Kreuzzug von 1204 erzählt hatte,3 war Ognibene anders als Franziskus kein junger Mann, der von großen Heldentaten träumte. Aber die große Frömmigkeitsbewegung von 1233, als Scharen von Menschen Hallelujah singend durch die Städte Norditaliens zogen und Frieden zwischen verfeindeten Städten und zwischen rivalisierenden Familien in den Städten selbst zu stiften versuchten, hatte einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht.4 Sein Vater, ein Mann, der sonst so stolz auf seine Gelassenheit war, verlor die Fassung, als er von dem Schritt seines Sohnes erfuhr. Ihm war es gelungen, mithilfe der Beute, die er vom Kreuzzug gegen Konstantinopel zurückgebracht * Die Zitate sind folgender Ausgabe entnommen: Salimbene Da Parma, Cronica I und II, hrsg. Guiseppe Scalia, Bari 1966 (ND Corpus Christianorum Continuatio Medievalis 125 u. 125a, Turnhout 1998/99), im Folgenden abgekürzt mit SdA (Salimbene di Adam). Zitiert werden die Folioseiten, die Nummerierung der Scalia-Ausgabe und die Zeilen: z. B.: SdA f. 223b, S. 53, 16 – 23. Konjekturen bzw. Erläuterungen sind in runde Klammern () gesetzt. 1 SdA f. 223b, S. 53, 16 – 21. 2 SdA f. 230a, S. 76, 15 – 18: »Wie oft sie mich lehrte, ich solle schlechte Gesellschaft meiden und gute suchen und solle mich bemühen, weise, bescheiden und gut zu sein, so oft soll sie von Gott gesegnet sein. Das tat sie nämlich häufig.« 3 SdA f. 222d, S. 52, 4 – 15. 4 SdA f. 237a, S. 99, 12 f. 238b – S. 103, 25.
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Ingeborg Braisch
und klug investiert hatte, reich zu werden. Seine Familie, die aus dem niederen Adel stammte, gewann an Bedeutung und Guido di Adam förderte das Ansehen der Familie durch Heiraten seiner Töchter in vornehme Familien, durch eine Grablege vor dem Baptisterium, den Besitz eines wertvollen Hauses an einem der prestigeträchtigsten Orte Parmas, dem Alten Platz oder Domplatz, und seine öffentlich demonstrierte Freundschaft mit dem Bischof Gratia.5 Nun verlor er durch Ognibenes Eintritt in einen Bettelorden seinen einzigen Erben, da bereits sein älterer Sohn aus erster Ehe Beruf und Familie verlassen hatte und Minorit geworden war. Guido di Adam setzte zwar nicht Himmel und Hölle in Bewegung, um seinen Sohn zurückzuholen, doch ließ er alle seine Beziehungen spielen. Parma gehörte 1238 zu den kaisertreuen Städten; auch Guido di Adam war überzeugter Anhänger der pars imperii, deren Angehörige seit den 1240er Jahren als Ghibellinen bezeichnet wurden.6 Es gelang ihm sogar, Kaiser Friedrich II. dazu zu bewegen, einen Brief an den Generalminister des Minoritenordens zu senden, in dem er darum bat, man möge den jungen Mann seinem Vater zurückgeben, sofern er dazu bereit sei. Möglicherweise hat Guido sogar geplant, den Sohn zu kidnappen. Es kam zu einer letzten folgenschweren Begegnung zwischen Vater und Sohn im Minoritenkonvent von Fano: Guido beschwor den Sohn, der von einem alten Minoriten mittlerweile den Namen Salimbene (›du bist gut gesprungen‹) erhalten hatte,7 in die Welt zurückzukehren und das große väterliche Erbe anzutreten. Salimbene weigerte sich und sein Vater verfluchte ihn, weil er bei den ›Piss-in-die Tunika-Mönchen‹ bleiben wollte.8 Salimbene blieb seinem Entschluss bis zum Tod treu, obwohl ihn das Betteln sehr große Überwindung kostete. Er erhielt eine gründliche Ausbildung, besuchte allerdings aus uns unbekannten Gründen nicht die Universität in Paris, in die sein Orden ihn geschickt hatte, sondern nahm stattdessen enge Beziehungen zu einigen überzeugten Joachiten9 im Orden auf. Er wurde zum Geistlichen geweiht und schrieb eine Reihe von Büchern, von denen nur seine Cronica als Autograph erhalten ist, ein Werk, dessen Anfang und Ende fehlen. Noch vor seiner Ordination hielt Salimbene sich in der Toskana in verschiedenen Konventen auf. 1247 und 1248 befand er sich im Auftrag seines Ordens in Lyon, dann in mehreren Minoritenkonventen im Königreich Frankreich und längere Zeit in der Provence. Später wanderte er noch einmal nach Avignon und Lyon. In seinen 5 Ingeborg Braisch, Eigenbild und Fremdverständnis im Duecento. Saba Malaspina und Salimbene da Parma 2 (Grundlagen der Italianistik, 12), Frankfurt a. M. 2010, S. 6 – 8. 6 Vgl. Ernst Voltmer, Gibelins, in: Dictionnaire historique de la Papaut¦, 1, hrsg. Philippe Levillain, Paris 1994, S. 726 – 729. 7 SdA f. 223b, S. 53, 29 – 35. 8 Braisch, Eigenbild 2 (wie Anm. 5), S. 73 – 75. 9 Ebd., S. 117 – 136.
England und die Engländer
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letzten Lebensjahrzehnten war er als Geistlicher in der Emilia-Romagna tätig, gelangte jedoch nie weiter in den Süden der Apenninhalbinsel, besuchte auch niemals Rom und starb wahrscheinlich um 1288 im Konvent von Montefalcone. Mit der Niederschrift seiner Cronica begann er 1283. Salimbene begegnete in seinem Leben als Mönch und Prediger eines Bettelordens zahllosen Menschen, die aus heutiger Sicht als Fremde zu bezeichnen wären. Es handelte sich um seine Mitbrüder, die aus vielen Ländern Europas kamen, aus Spanien, aus Deutschland, aus England, um Mönche und Geistliche aus anderen Konventen, die fratres forenses, und um Angehörige anderer Orden, die auf ihren Reisen in Minoritenkonventen um Aufnahme baten. Salimbene, der offenbar ausgesprochen kontaktfreudig war, kam dann gern der Aufgabe nach, sich um diese Gäste zu kümmern, mit denen er sich ja problemlos auf Latein unterhalten konnte.10 Auf seinen Wanderungen durch Frankreich und die Provence begegnete er sogar Ludwig IX. und dessen Bruder Karl von Anjou und traf mit seinem Mitbruder Giovanni da Pian del Carpine zusammen, der von seiner Reise zu den Mongolen berichtete. Deutsche Truppenkontingente in den Heeren Friedrichs II. und seiner Söhne Konrad IV. und Manfred sowie seines Enkels Konradin hielten sich in der Lombardei und in der Toskana auf; den Durchzug des Heeres Karls von Anjou durch Norditalien 1265 erlebte Salimbene als Augenzeuge und besonders über Franzosen und Provenzalen äußert er sich auch sehr häufig. England, seine Bewohner und seine Könige, spielen in der Cronica Salimbenes hingegen nur eine sehr kleine Rolle. Die geringen Anbindungen der englischen Könige an die politischen Interessengeflechte in Italien sowie die Tatsache, dass sich weder englische Truppen noch Kaufleute in größerer Zahl auf der Apenninhalbinsel aufhielten, dürften mit dazu beigetragen haben, dass Salimbene sich nur relativ selten mit England beschäftig hat. Zwar hatte sich Innozenz IV. in seinem Bestreben, den Söhnen Friedrichs II. das Regnum Siciliae zu entreißen, 1252 an Richard von Cornwall gewandt, der den Plan, gegen Konrad IV. zu ziehen und ihm das Königreich streitig zu machen, jedoch ablehnte.11 Letzterem gelang es auch nicht, in Rom Fuß zu fassen, als er 1261 zum Senator von Rom gewählt wurde. 1253 war jedoch der englische König Heinrich III. auf das Angebot der Kurie eingegangen, das Königreich Sizilien für seinen jüngeren Sohn Edmund zu erkämpfen; ein entsprechender Vertrag wurde 1254 abgeschlossen. Nach dem Tod Innozenz’ IV. begann sein Nachfolger Alexander IV. zunächst Unterhandlungen mit Manfred, der nach dem Tod seines 10 Ebd., S. 86. 11 Gerhard Baaken, Ius imperii ad regnum. Königreich Sizilien, Imperium Romanum und römisches Papsttum vom Tode Kaiser Heinrichs VI. bis zu den Verzichtserklärungen Rudolfs von Habsburg (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu Johann Fr. Böhmer, Regesta Imperii, 11), Köln 1993, S. 388 – 391.
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Ingeborg Braisch
Halbbruders die Regentschaft über das Regnum Siciliae übernommen hatte, und den bayerischen Herzögen, in deren Obhut sich Konradin, der eigentliche Erbe, befand; erst als diese zu nichts führten, nahm er 1255 wieder Kontakte zu Heinrich III. auf. In einem neuen Vertrag verpflichtete sich der englische König unter anderem, 135.541 Mark Sterling an die Kurie zu zahlen, die sie ihrer Aussage nach bisher ausgegeben hatte, um das Königreich Sizilien zurückzugewinnen. Der englische Klerus und die englischen Barone rebellierten gegen dieses kostspielige Unternehmen.12 Heinrich III. führte dem Parlament seinen Sohn in sizilianischer Tracht vor, aber auch dieser Anblick vermochte die Gemüter nicht umzustimmen.13 Als 1258 ein päpstlicher Gesandter von Heinrich verlangte, er solle mit einem 8.000 Mann starken Heer und 5.000 Bogenschützen in den Krieg gegen Manfred ziehen, und der König im Parlament hohe Subsidien für dieses Unternehmen forderte, protestierten die Barone und der Klerus, verweigerten jegliche finanzielle Hilfe, kritisierten die Politik ihres Königs insgesamt und klagten darüber, dass bereits hohe Zahlungen für das sizilianische Abenteuer in die päpstliche Kasse geflossen waren. Die Drohung des päpstlichen Legaten, den König und die Barone zu exkommunizieren, verfehlte ihre Wirkung. Heinrich musste das Projekt aufgeben; 1263 kündigte Urban IV., der mittlerweile erfolgsversprechende Unterhandlungen mit Karl von Anjou führte, den Vertrag.14 Von diesen zum Teil zunächst geheimen Unterhandlungen und Abmachungen, über die sogar Heinrich III. seinen Klerus und seine Barone zunächst nicht informierte, konnte ein schlichter norditalienischer Bettelmönch ohne Kontakte zur Kurie kaum Kenntnis haben – aber dennoch lässt sich mithilfe der Äußerungen in seiner Cronica beispielhaft zeigen, nach welchen Wertmaßstäben ein Kleriker Ende des 13. Jahrhunderts Fremde beurteilte, denen gegenüber er auf Grund seiner eigenen politischen Einstellung nicht von vornherein negative oder positive Gefühle hegte.
12 Ebd., S. 396 – 399; vgl. ausführlich August Karst, Geschichte Manfreds vom Tode Friedrichs II. bis zu seiner Krönung (1250 – 1258) (Historische Studien, 6), Berlin 1897 (ND Vaduz 1965), S. 98 – 110; Alois Wachtel, Die sizilische Thronkandidatur des Prinzen Edmund von England, in: Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters 4 (1941), S. 98 – 178, hier vor allem S. 123 – 138; Jürgen Sarnowsky, England im Mittelalter, Darmstadt 2002, S. 121 f. 13 Wachtel, Thronkandidatur (wie Anm. 12), S. 147. 14 Ebd., S. 138 – 149, S. 165 – 170.
England und die Engländer
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Äußerungen über England, über historische und zeitgenössische Ereignisse Salimbenes Nachrichten über Land und Leute lassen sich vor allem unter drei Themen subsumieren: er äußerst sich zu historischen und zeitgenössischen Ereignissen, Eigenheiten der Engländer und zu den englischen Minoriten. Die Engländer bezeichnet Salimbene als Anglici, ihren König als rex Angliae oder rex Anglorum.15 England liegt offenbar für unseren Autor eher am Rande der christlichen Welt; das deutet er in einer Bemerkung zu Gerardo Segarelli, dem Gründer der Apostelbrüder, an: Et mittebat eos ab oriente in occidentem, id est a Sicilia vel Apulia in Hyspaniam vel in Angliam et econverso.16 Aus England stammt der geheimnisvolle Merlinus vates, der Seher Merlin, den Salimbene wie sehr viele seiner Zeitgenossen, als historische Persönlichkeit ansieht.17 Er schätzt die Prophezeiungen dieses Sehers sehr und vergleicht sie mehrfach mit der Realität, um immer wieder festzustellen, dass der Merlinus Anglicus vates recht gehabt habe. Dass Merlin im fernen England sehr genaue Angaben zu Ereignissen in der Toskana und Romagnola gemacht hatte, verwundert unseren Autor nicht im Geringsten. So berichtet er von einer langen Diskussion Ugos da Digne, eines von ihm hochverehrten Minoriten, mit einem Dominikaner in HyÀres in der Provence: In ihr weist Ugo da Digne nach, dass alles, was Merlin über Friedrich I., Heinrich VI. und Friedrich II., vor allem über die Lebensdauer des letzteren, prophezeit habe, richtig sei.18 Später zitiert Salimbene Verse Merlins zu Städten in der Lombardei, der Toskana, der Romag-
15 Zweimal tritt auf den erhaltenen 284 Folioseiten der Begriff Angli auf, 33mal Anglicus/Anglici und 49mal Anglia, zweimal Britania. Hingegen wird die Bezeichnung Gallicus/Gallici für Franzosen 67mal benutzt, neunmal Gallia, fünfmal Francigena und 148mal Francia; s. Pierre Beguin; Paul Tombeur, Thesaurus Fratris Salimbene de Adam. Series A–B: Formae et Lemmata (Corpus Christianorum: Thesaurus Patrum Latinorum), Turnhout 1992, S. 12, 21, 68, 66. 16 SdA f. 250d, S. 149, 2 f.: »Und er sandte sie vom Osten in den Westen, d. h. von Sizilien oder Apulien nach Spanien oder nach England und umgekehrt.« 17 Merlin war möglicherweise ein kymrischer Dichter, dem zahlreiche Prophezeiungen zugeschrieben wurden. Daneben trat zwischen 1136 und 1150 in der Historia regum Britanniae von Geoffrey von Monmouth, einem Kleriker bretonisch-walisischer Herkunft, ein Prophet Merlin auf, der rasch ein erstaunliches Eigenleben entwickelte. Im 12. und 13. Jh. galt er als einer der bedeutendsten Seher, dem zahllose Prophezeiungen zugeschrieben wurden. Ein sehr großer Teil dieser Prophezeiungen stammte aus Italien und wurde in der Propagandaschlacht zwischen Imperium und Sacerdotium eingesetzt, vgl. Bernard McGinn, Visions of the End. Apocalyptic traditions in the Middle Ages (Records of civilization, 96), New York 1979, S. 180 – 182; Herbert Pilch, Merlin(us), in: Lexikon des Mittelalters 6 (2002), Sp. 542. 18 SdA f. 311a/311b, S. 349, 10 – 33; S. 350, 1 – 10.
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Ingeborg Braisch
nola und der Mark Ancona und betont ausdrücklich, dass diese Verse viel Wahres enthielten.19 Im Kontext eines Berichtes über seinen Mitbruder Rainaldo d’Arezzo erwähnt Salimbene dessen leiblichen Bruder, der Abt in einem Kloster in der Romagnola gewesen war. Einst seien zwei Männer aus Britania20 gekommen, um in Rom die heiligen Stätten zu besuchen. Auf dem Rückweg hätten sie sich in der Romagnola auf einem Berg in Zellen niedergelassen, um dort als Eremiten zu leben. Später hätten sich dort Leute angesiedelt; auch ein Kastell sei gebaut worden, das noch heute nach diesen beiden Eremiten aus Britania Britinorium (Bertinoro) heiße. Salimbene fährt fort: Horum nomina aliquando scivi, sed modo memorie non occurrunt; pro sanctis habentur.21 Zur Geschichte Englands und zeitgenössischen Ereignissen hat Salimbene nur sehr wenig zu berichten. Äußerungen auf den ersten erhaltenen Seiten der Cronica beziehen sich auf das Martyrium Thomas Beckets: Anno Domini MCLXXI beatus Thomas, Cantuariensis archiepiscopus, sub Artaldo rege Anglorum subiit passionem in provincia Anglie ante altare in festivitate Innocentum a militibus regis22 und ein Detail aus der Vorgeschichte: Et ostendit michi frater ille monasterium Pontiniacense, in quo ab Alexandro papa III, qui Senonis morabatur, recommendatus fuit beatus Thomas Cantuariensis archiepiscopus, quando ab Artaldo rege Anglie de Anglia fuit expulsus.23 Weshalb Salimbene hier Heinrich II. Artaldus nennt, ist unklar.24 An anderer Stelle, als unser Autor sich 19 SdA f. 434a, S. 787 – 789. 20 Salimbene benutzt den Begriff nur an dieser Stelle. Ob er England gemeint hat oder aber die Bretagne, allerdings auf den Zusatz minor verzichtet hat, ist nicht zu eruieren. Joseph Baird, Guiseppe Baglivi, John Robert Kane, The Chronicle of Salimbene de Adam (Medieval & Renaissance Textes & Studies, 40), Binghamton/NY 1986, S. 329 plädieren für ›Great Britain‹, Claudia Sebastiana Nobili, Salimbene de Adam: Cronica (Cento libri per mille anni), Rom 2002, S. 589 hat sich für die Bretagne entschieden. Da Salimbene sonst immer für England die Bezeichnung Anglia wählt, dürfte er wohl eher die Bretagne gemeint haben. 21 SdA f. 346d, S. 479, 10 – 18; hier Z. 17 f.: »Ihre Namen wusste ich früher mal; aber jetzt fallen sie mir nicht ein. Sie werden für gottgefällige Männer gehalten.« 22 SdA f. 208a, S. 4, 9: »Im Jahr des Herrn 1171 erlitt der heilige Thomas, der Erzbischof von Canterbury, unter Artaldus, dem König der Engländer, in der Diözese England vor dem Altar am Fest der Unschuldigen Kinder das Martyrium durch die Ritter des Königs.« 23 SdA f. 301a, S. 313, 26 – 29: »Und jener Bruder zeigte mir das Kloster Pontigny (in der Diözese Auxerre), in dem auf Empfehlung Papst Alexanders III., der sich in Sens aufhielt, der heilige Thomas, Erzbischof von Canterbury, lebte, als er von Artaldus, dem König von England, aus England vertrieben war.« 24 S. Cronica fratris Salimbene de Adam ordinis Minorum, ed. Oswald Holder-Egger (Monumenta Germaniae Historica: Scriptores; 32), Hannover 1905 – 1913 (ND Hannover 1963), S. 1, Anm. 6. In der Legende des hl. Thomas in der Legenda Aurea Jacobus’ de Voragine, die Salimbene benutzt hat, wird der König nicht mit Namen genannt. Dass Salimbene dort in §14 aus a rege artatus falsch ›Artaldus‹ gelesen und grammatisch völlig falsch auf rege bezogen hat, ist wohl eher unwahrscheinlich, es sei denn, er hatte eine teilweise fehlerhafte Abschrift vorliegen.
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zum Thema des strafenden und rächenden Gottes äußert, erwähnt er Thomas Becket, dessen Tod Gott in ausgezeichneter Weise gerächt habe, noch einmal und zitiert eine Passage aus einer anonymen Heiligenlegende über Thomas.25 Sowohl auf den König, der glaubte, er könne gegen die Privilegien der Kirche vorgehen, als auch auf den Erzbischof lassen sich nach Ansicht Salimbenes ein Zitat aus dem Buch Hiob und einige andere Zitate aus dem Alten und Neuen Testament beziehen.26 In diesem Kontext, in dem es um viri morigerati27 geht, hebt Salimbene hervor, dass Thomas Becket, als er gegen seinen Willen zum Erzbischof geweiht wurde, sich in einen anderen Menschen verwandelte: Er peinigte seinen Körper durch Fasten, er trug ein härenes Hemd und Hosen aus demselben Stoff, verbarg aber seine sanctitas, denn darüber trug er die üblichen Gewänder, um nicht die honestas28 in Mitleidenschaft zu ziehen, die mit seinem Amt verbunden war. Er wusch jeden Tag kniend 13 Armen die Füße, speiste sie und gab ihnen vier Goldstücke. Diese Informationen hat Salimbene allerdings wörtlich der Legenda Aurea des Iacobus de Voragine entnommen.29 Robert Grosseteste, den Kanzler der Universität Oxford, der 1235 Erzbischof von Lincoln wurde, erwähnt unser Autor nicht als Förderer der Mendikanten und Ausbilder der Minoriten in der Theologie, sondern nur als großen Gelehrten und Freund Ugos da Digne: Porro tertius fratris Hugonis amicus fuit Robertus Grossatesta Linconiensis episcopus, unus de maioribus clericis de mundo. Hic secundo post Burgundionem iudicem Pisanum transtulit Damascenum, et testamentum patriarcharum XII et multos alios libros.30 Ebenfalls zu Beginn des erhaltenen Teiles der Cronica findet sich ein Bericht über den Dritten Kreuzzug, die Taten des Königs Richard Löwenherz, seine Auseinandersetzungen mit anderen Kreuzfahrern und seine Grausamkeit gegenüber Gefangenen. Allerdings hat Salimbene diese Informationen aus der 25 SdA f. 244b, S. 128, 9 – 24. 26 SdA f. 264c, S. 193, 16 – 36. 27 Viri morigerati sind Menschen, die bescheiden und demütig auftreten, die Gesetze und Gebote Gottes beachten und sich in Nächstenliebe auszeichnen, s. Braisch, Eigenbild 2 (wie Anm. 5), S. 29 f. 28 Honestas ist ein tugendhafter, dem Stand angemessener Lebenswandel; zum Begriff honestas bei Salimbene s. Braisch, Eigenbild 2 (wie Anm. 5), S. 15. 29 SdA f. 264b f., S. 193, 7 – 16, Hinweis von Scalia (wie Anm. *), S. 200, Anm. 8/16, s. Iacopo da Varazze, Legenda Aurea, hrsg. Giovanni Paolo Maggioni, 1, Florenz 21998, S. 103 f. 30 SdA f. 307, S. 335, 26 – 30: »Weiter war der dritte Freund Bruder Ugos Robert Grosseteste, der Bischof von Lincoln, einer der größten Gelehrten der Welt. Er übersetzte als zweiter nach Burgundio, dem Richter aus Pisa, Johannes Damascenus und das Testament der zwölf Patriarchen und viele andere Bücher.« Vgl. Luigi Pellegrini, I quadri e i tempi dell’espansione dell’Ordine, in: Francesco d’Assisi e il primo secolo di storia francescana, hrsg. Maria Pia Alberzoni, Attilio Bartoli Langeli, Giovanni Casagrande (Biblioteca Einaudi, 1), Turin 1997, S. 165 – 201, hier S. 189; James McEvoy, Robert Grosseteste, in: Lexikon des Mittelalters 7 (2002), Sp. 995 f.
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Cronica Sicardos, des Bischofs von Cremona, übernommen. Das gilt auch für den Bericht von der Gefangennahme des englischen Königs durch den Herzog von Österreich und von dem erfolgreichen Schachzug Kaiser Heinrichs VI., den Gefangenen in seine Hände zu bekommen.31 Salimbene erwähnt außerdem in einem Nebensatz die Anglicana uxor, also Isabella, die englische Gattin Friedrichs II.,32 die Wahl Richards von Cornwall zum römischen König33 und die Teilnahme des Prinzen Eduards (I.) 1270 am Kreuzzug Ludwigs des Heiligen, da der Prinz auf der Rückkehr aus dem Heiligen Land in Reggio Station machte: Et eodem anno, die XX mensis Maii, venit dominus Odoardus rex Anglie in civitatem Regium, qui revertebatur de ultramarinis partibus cum uxore, et hospitatus fuit in palatio domini episcopi. Et alia die aggressus est iter, ut iret ad partes suas.34 Diese Bemerkung, in der Salimbene Eduard bereits als König bezeichnet, steht inmitten von anderen Informationen über Reggio. Am Ende des erhaltenen Teils der Cronica fällt eine kurze, nicht ganz vollständige Bemerkung über die Abneigung der Gallici nicht nur gegenüber den Lombarden, sondern auch den Engländern auf: (Gallici), […] qui omnes (nation)es de mundo contemnunt, et specialiter Anglicos (et Lombardos).35 Einen Grund nennt Salimbene nicht – möglicherweise sind ihm die heftigen Spannungen zwischen Frankreich und dem englischen Königshaus um die englischen Lehen in Frankreich, die sich 1294 im Krieg um die Guyenne entluden, oder um Flandern durch Mitbrüder zu Ohren gekommen, aber das ist nur eine Vermutung. Von zwei englischen Königen erzählt Salimbene kurze Geschichten. In der ersten Anekdote, die zweimal in der Cronica steht, handelt es sich um einen nicht zu identifizierenden englischen König.36 Dieser soll bei einem Mahl im Freien, als es nur für ihn Wein gegeben habe, diesen in eine Quelle gegossen und ausgerufen haben: ›Sufficienter habemus pro omnibus […]. Omnes communiter bibant.‹ Salimbene lobt dieses Verhalten als Beispiel der curialitas in den höchsten Tönen und konfrontiert es mit dem Geiz der lombardischen Prälaten, die schneeweißes Brot genössen, den besten Wein tränken und den ihnen Un31 32 33 34
SdA f. 213b, S. 21, 31 SdA 214a–S. 23, 34; SdA 214c, S. 25, 6 – 20 und SdA 214d, S. 26, 11 – 21. SdA f. 406c, S. 684, 5 f. SdA f. 399b, S. 659, 10 f. SdA f. 412a, S. 704, 9 f.; SdA f. 414 f., S. 711, 18 – 21: »Und in demselben Jahr (1272) am 20. Mai kam Eduard, der König von England, nach Reggio. Er kehrte mit seiner Gattin aus den Ländern jenseits des Meeres (aus dem Heiligen Land) zurück und fand gastliche Aufnahme im Palast des Bischofs. Und anderen tags machte er sich auf den Weg, um in sein Land zurückzukehren.« 35 SdA 491c, S. 950, 5 f.: »Die Gallici, […] die alle Völker in der Welt verachten und ganz besonders die Anglici und die Lombardi […]« 36 Baird, Chronicle (wie Anm. 20), S. 669, Anm. 73 ist der Ansicht, es habe sich um Heinrich den Jungen, den zweiten Sohn Heinrichs II. gehandelt.
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tergebenen, die mit ihnen zusammen äßen, nichts abgeben wollten. Ihr Benehmen bezeichnet er als rusticitas.37 Curialitas bedeutet im Wertekanon Salimbenes Freigebigkeit, Hilfsbereitschaft, höfliches und freundliches Benehmen anderen Menschen gegenüber, gleich welchen Standes sie sind, diplomatisches Geschick und die Fähigkeit, sich geistreich zu unterhalten. Rusticitas hingegen ist ein grobes, ungehobeltes und unhöfliches Benehmen. In beiden Fällen handelt es sich nicht um Eigenschaften, die an einen Rang gebunden sind: Salimbene erwähnt einen armen Schneider, der große curialitas besessen habe, und einen Podesta von Parma, dem er rusticitas vorwirft.38 An späterer Stelle, als unser Autor über Giovanni da Parma, den Generalmeister des Minoritenordens, berichtet, erzählt er die Geschichte von dem verschütteten Wein noch einmal. Giovanni da Parma habe sich bei Tisch immer sehr höflich und freigebig gezeigt und, wenn Wein verschiedener Qualität vor ihm gestanden habe, dafür gesorgt, dass alle Weinsorten in einen Krug gefüllt wurden, damit alle gemeinsam davon trinken konnten. Dann folgt die Geschichte von dem englischen König in ähnlichem Wortlaut wie an der ersten Stelle: Als dem König ein Diener eine Flasche mit gutem Wein brachte und ihm auf seine Frage mitteilte, dass es davon nicht mehr gebe, habe er gesagt: ›Abundanter habebimus!‹ Et continuo totum flasconem effudit in fontem dicens: ›Omnes bibant!‹ Quid videntes milites de curialitate regis plurimum sunt gavisi, cognoscentes quia solus noluit bibere, ne postea ipsi sitirent. Sed contrarium facit avarus, de quo Eccli. habetur, XI. Dicit enim: ›Inveni requiem michi, nunc manducabo de bonis meis solus.‹ Sed dici consuevit: › Nullius sine socio iocunda est possessio.‹ Et iterum: ›Melior est honor quam bolus.‹39 Angemerkt sei hier, dass diese Geschichte eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Episode aufweist, die zum Kreis der Alexanderanekdoten gehört: Bereits Plutarch berichtet in seiner Alexander-Biographie, der Makedonenkönig habe bei großer Hitze einen Helm mit Wasser zurückgewiesen, um nicht allein zu trinken, während seine Begleiter vor Durst halb umkamen. Diese megalopsycha (Großherzigkeit) und egkrteia (Enthaltsamkeit) hätten einen ungemeinen Eindruck auf die Soldaten gemacht und in ihnen die Bereitschaft geweckt, ihrem
37 SdA f. 254b/c, S. 161, 8 – 20. 38 Braisch, Eigenbild 2 (wie Anm. 5), S. 11 – 13, 249, 262 f. 39 SdA 338b, S. 448, 1 – 14, hier Z. 6 – 14: »›Wir werden im Überfluss haben.‹ Und sofort goss er die ganze Flasche in eine Quelle, indem er sagte: ›Alle sollen davon trinken.‹ Als die Ritter die curialitas des Königs sahen, freuten sie sich sehr, denn sie erkannten, dass er nicht allein trinken wollte, damit sie nicht später dürsteten. Aber genau entgegengesetzt handelt der Geizige, über den es bei Jesus Sirach 11, 19 heißt: Er spricht: ›Ich habe meine Ruhe gefunden, nun will ich allein von meinen Gütern essen.‹ Aber man sagt auch: ›Ohne Gefährten macht Besitz keine Freude.‹ Und dann: ›Ehre ist besser als ein Bissen.‹«
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König weiter zu folgen.40 Diese Episode findet sich in ähnlicher Form in einigen der vielen Versionen des mittelalterlichen Alexanderromans, so in einer altfranzösischen Fassung, in der Alexander mit seinem Heer König Poros verfolgt. Alle leiden unter Durst, aber als ein Soldat Alexander Wasser in seinem Helm anbietet, schüttet dieser das Wasser auf die Erde.41 Die Parallele lässt vermuten, dass es in der Anekdote vom verschütteten Wein nicht um einen spezifischen englischen König geht, sondern um eine Herrschertugend. Die beiden anderen Anekdoten beziehen sich auf König Heinrich III. Als Giovanni da Parma in seiner Funktion als Generalminister des Minoritenordens in die Provinz Anglia kam und den König besuchen wollte, stand Heinrich von seiner Mahlzeit auf, eilte ihm aus seinem Palast entgegen und umarmte und küsste ihn. Seine Ritter kritisierten ihn: Er habe sich allzu sehr erniedrigt, weil er einem solchen ›Menschlein‹ entgegengeeilt sei.42 Er antwortete: ›Hoc feci ad honorem Dei et beati Francisci, et quia magnam sanctitatem audivi de homine isto, quod vere sit servus et amicus summi Dei excelsi, et ideo non nimis se humiliat qui servos Dei honorat, quia dominus dicit: qui recipit vos, me recipit.‹ Et reputata fuit regis bona responsio, et commendaverunt et laudaverunt quod fecerat valde bene.43 Diese Geschichte steht im Kontext einer Reflexion Salimbenes über den Generalminister, den er sehr verehrte und dem er in seiner Cronica ein ausführliches Enkomion widmete. Salimbene erwähnt, Giovanni da Parma habe wegen seines Joachitismus sehr viele Feinde gehabt, betont aber auch, dass er bedeutende Männer zu seinen Freunden gezählt habe, die ihn sehr ehrten – als beispielhaft nennt er das Verhalten des byzantinischen Kaisers Johannes Vatatzes und eben des englischen Königs. In der gleich auf die erste Anekdote über Heinrich III. folgenden Geschichte illustriert Salimbene die simplicitas dieses Königs, die man in diesem Fall gut mit ›Naivität‹ übersetzen könnte. Ein Spaßmacher behauptete, der König gleiche 40 Plutarch, Vitae parallelae II 2, hrsg. Konrat Ziegler (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), Leipzig 1968, S. 210, c. 42 §6 – 10. 41 Der Alexanderroman. Ein Ritterroman über Alexander den Großen. Handschrift 78.C.1 des Kupferstichkabinett Preußischer Kulturbesitz Berlin, Texte von Angelica Rieger, Wiesbaden, Mailand, Madrid 2006, S. 68; s. auch Historia Alexandri Magni (Historia de Preliis) Rezension J2 (Orosius-Rezension) 2, hrsg. Alfons Hilka (Beiträge zur Klassischen Philologie 89, 1977), Meisenheim am Glan 1977, S. 36, 9 – 12: Videns autem Alexander ipsam aquam cogitavit sapienter qualiter exercitus suus confortaretur et iussit ipsam aquam effundere coram omnibus. Videntes hoc milites eius confortati sunt valde. 42 SdA f. 337b, S. 444, 19 – 29. 43 Ebd., Z. 24 – 29: »›Das habe ich zu Ehren Gottes und des seligen Franziskus getan und weil ich viel von dem gottesfürchtigen Leben dieses Mannes gehört habe, nämlich dass er ein wahrer Diener und Freund Gottes im Himmel sei. Und deshalb erniedrigt sich der, der die Diener Gottes ehrt, nicht zuviel, weil der Herr spricht: Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf.‹ Und die Antwort des Königs wurde für gut befunden, und die Menschen lobten ihn sehr, weil er etwas sehr Gutes getan hatte.«
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Jesus. Der König freute sich sehr, wollte aber den Grund für den Vergleich wissen. Daraufhin sagte der Spaßmacher : »Von unserem Herrn Jesus Christus wird gesagt, er war im Augenblick der Empfängnis so weise wie mit 30 Jahren. Ebenso ist unser König jetzt so weise wie damals, als er ein kleiner Junge war.« Nur einer List der Diener des Königs war es zu verdanken, dass der Narr nicht auf Befehl des zornigen Königs aufgehängt wurde.44 Als Salimbene den Wortwechsel zwischen Heinrich und dem Spaßmacher wiedergegeben hat, bemerkt er : Et Gallice loquebatur tam rex quam ioculator, et bene sonabant in vulgari Gallico verba eorum.45 Und so erfährt auch der heutige Leser, dass die beiden Männer sich auf Altfranzösisch unterhielten! Alle drei Anekdoten illustrieren Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen von anonymen und bekannten Königen. Die dritte Geschichte, die unser Autor nicht kommentiert, hat er wahrscheinlich erzählt, weil er, wie es immer wieder in der Cronica deutlich wird, Vergnügen an witzigen und schlagfertigen Antworten, den truffatoria, hat. Außerdem verabscheut er, wie er es im Vergleich zwischen Friedrich II. und dem grausamen Ezzelino da Romano deutlich sagt, Herrscher, die einen Scherz auf ihre Kosten grausam bestrafen. Bei den beiden ersten Anekdoten handelt es sich um exempla – diesen Begriff benutzt Salimbene auch im Kontext der ersten Geschichte – die ohne weiteres in einer belehrenden Predigt verwendet werden können, um zu zeigen, worin curialitas im Gegensatz zur rusticitas und humilitas im Gegensatz zur superbia stehen. Wenn ein König zugunsten seiner ihm untergebenen Begleiter auf seinen Wein verzichtet und einen Generalminister eines damals sehr umstrittenen Bettelordens ehrt, so wirkt das auf Zuhörer und Leser natürlich besonders überzeugend. Die Stellung der exempla im Kontext zeigt uns, dass Salimbene mit ihnen vor allem ein bestimmtes Verhalten kritisieren will. In der ersten Geschichte, die sich inmitten des Liber de prelato46 befindet, greift er die einheimischen Prälaten an, die sich seines Erachtens gegenüber einfachen Mönchen sehr unhöflich verhalten und mit gutem Essen und Wein geizen. Ihnen hält er als Spiegel das Verhalten eines anonymen englischen Königs vor. Im zweiten Kontext geht es um die Gegner des umstrittenen abgesetzten Generalministers des Minoritenordens Giovanni da Parma. Sie konfrontiert Salimbene als dessen Anhänger und Freund mit dem ehrenvollen Empfang, den ein Kaiser und ein König dem Mendikanten bereiteten.
44 SdA f. 337, S. 445 f., 3 – 21. 45 SdA f. 337, S. 445, 9 f.: »Und sowohl der König als auch der Spaßmacher sprachen Französisch, und ihre Worte klangen im französischen Volgare gut.« 46 Es handelt sich um einen langen Exkurs innerhalb der Cronica, in dem Salimbene von f. 246c bis f. 278d die Laster und Tugenden hoher Geistlicher darstellt.
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Eigenheiten der Engländer Anschließend an die Anekdote vom Verzicht des Königs auf seinen Wein und noch einmal an anderer Stelle berichtet Salimbene von einer angeblichen Verhaltensweise der Engländer. Er äußert sich allerdings nicht dazu, ob er dieses Verhalten bei englischen Studenten, Kaufleuten oder Pilgern in Frankreich oder in seiner Heimat erlebt hat oder ob man ihm davon erzählte: Certe isti tales qui ita faciunt non sunt Anglici, qui soliti sunt dicere: ›Ge bi a vo‹. Quod est dicere: ›Oportet vos tantum bibere, quantum ego bibi‹. Et quamvis dicatur, Eccli XXXI: ›Diligentes in vino noli provocare, multos enim exterminavit vinum‹ et Hester I ›Non erat qui nolentes cogeret ad bibendum‹, tamen curialitatem maximam credunt Anglici facere, quod libenter bibunt et aliis dant libenter.47 Auch hier sprechen die Engländer übrigens (Alt)französisch, ohne dass Salimbene das kommentiert. Doch da er an Sprachen interessiert ist, wie er immer wieder in seiner Cronica zeigt, gibt er den genauen Wortlaut wieder und übersetzt den Trinkspruch für seine Leser. An anderer Stelle kommt Salimbene noch einmal auf dieses Thema zurück. Er hat berichtet, dass die Gallici allzu viel Wein trinken und morgens mit blutunterlaufenen und triefenden Augen zum Priester kommen und ihn um das Wasser bitten, in dem er während der Messe seine Hände gewaschen hat, damit er es ihnen zur Heilung in die Augen träufele. Nachdem Salimbene einen entsprechend bissigen Kommentar in Form eines Bibelzitats abgegeben hat, fährt er fort: Anglici certe talibus delectantur et student calicibus epotandis.48 Es folgt der Bericht von oben in ähnlichem Wortlaut. Nur fügt Salimbene noch hinzu, dass es sich um einen großen Becher handele, den der Engländer ganz austrinke, und dass er es sehr übel nehme, wenn der Angesprochene es ihm nicht gleich tun wolle.49 Allerdings zeigt unser Autor anders als für die Gallici Verständnis für die Engländer : Parcendum tamen est Anglicis, si libenter bibunt bonum vinum quando possunt, quia parum habent de vino in patria sua. Minus parcendum est Gallicis, quia plus abundant.50 Zwar kritisiert Salimbene das übermäßige Trin47 SdA f. 254b f., S. 161, 27 – 33: »Sicher sind die, die so etwas tun (die geizigen lombardischen Prälaten), keine Engländer, die sagen: ›Ich trink euch zu.‹ Das bedeutet: ›Ihr müsst soviel trinken wie ich.‹ Und obwohl es in Jesus Sirach 31(1) heißt: ›Reize nicht die, die den Wein lieben, denn der Wein hat schon viele umgebracht und in Esther 1(30): ›Und es gab niemanden, der die, die es nicht wollten, zum Trinken zwang‹, so halten es die Engländer doch für eine sehr große curialitas, gern zu trinken und anderen gern zu geben.« 48 SdA f. 301c, S. 316, 30: »Die Engländer ergötzen sich sicher an derartigen Ausschweifungen und bemühen sich eifrig um das Leertrinken von Pokalen.« 49 SdA f. 301c f., S. 316, 31 – 33; S. 317, 1 – 10. 50 SdA f. 301d, S. 317, 8 – 10: »Aber man muss es den Engländern nachsehen, wenn sie gern guten Wein trinken, wenn sie können, weil sie zu wenig in ihrem Vaterland davon haben. Den Gallici darf man es weniger nachsehen, denn sie haben ja im Überfluss davon.«
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ken, aber als positiv sieht er doch, dass die Engländer gern anderen abgegeben, ganz im Gegensatz zu den einheimischen Prälaten, die vor ihren Untergebenen besonders guten Wein trinken und denen, die auch gern davon haben möchten, nichts abgeben, obwohl doch alle Kehlen Schwestern sind.51
Englische Minoriten Am umfangreichsten sind die Notizen Salimbenes zu Mitbrüdern, die aus England stammen. Doch während er von den Geschicken einiger Konvente seines Ordens in der näheren und ferneren Heimat sehr lebendig berichtet, ist es ihm augenscheinlich kein Bedürfnis, in seiner Cronica zugleich eine umfassende allgemeine Ordensgeschichte zu schreiben, geschweige denn die Geschichte der Ordensprovinzen in einzelnen Ländern zu referieren, wie es Thomas von Eccleston für die Ausbreitung des Ordens in England und Giordano da Giano für die frühe Geschichte der Minoriten in Deutschland taten. Der Leser erfährt zumindest auf den erhaltenen Seiten der Cronica nichts über die Ankunft der Minoriten 1224 in England, über ihre tatkräftige Förderung durch Heinrich III. und die rasche Ausbreitung der Konvente.52 Vom Werk seines Mitbruders Thomas von Eccleston De adventu fratrum Minorum in Angliam, das etwa um 1257/1260 entstand, hat Salimbene offenbar nichts gehört. Indessen kennt er das Werk eines anderen Mitbruders aus England, des Enzyklopädisten Bartholomaeus Anglicus, mit dem Titel De proprietatibus rerum, das aus 19 Büchern bestand. Aus ihm hat er seine Kenntnisse über Elefanten bezogen. Außerdem lobt er diesen Bartholomaeus als magnus clericus, der in Paris Vorlesungen über die gesamte Bibel gehalten habe.53 Da Salimbene bei den meisten Ordensbrüdern, die er erwähnt, ihre Herkunft aus einer Stadt oder Region oder einem Land angibt, erfährt der Leser auch von einer Reihe von Ordensbrüdern aus England, die unser Autor persönlich kennenlernte oder von denen er hörte.54 Salimbenes Bemerkungen lassen erkennen, dass Minoriten sehr unterschiedlicher Herkunft in einem Konvent zusammenlebten. Der weiter unten erwähnte Stephan und sein socius55 Jocelinus stammten aus England, gingen nach Genua und wurden dann auf ihren Wunsch hin nach Rom geschickt. Ein anderer Engländer, ein Minorit namens Ricardus, der Salimbene von einem Mitbruder berichtet, der sich auf Anraten des Teufels selbst 51 SdA f. 254c, S. 161, 25 – 27. 52 Pellegrini, Quadri (wie Anm. 30), S. 188 – 191. 53 SdA f. 245d, S. 134, 5 – 10. Zu Bartholomaeus Anglicus vgl. Christian Hünemörder, Meinolf Mückshoff, B. Anglicus, in: Lexikon des Mittelalters 1 (2002), Sp. 1492 f. 54 Z. B. SdA f. 250a, S. 147, 15 f.; SdA f. 340b f., S. 455, 8 f. 55 Gefährte, Begleiter eines Mendikanten.
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kreuzigte, lebte im Minoritenkonvent in Neapel.56 Salimbene nennt noch andere Engländer, Minoriten, Freunde Ugos da Digne, mit denen er auch er befreundet war : Quartus eius amicus fuit Adam de Marisco ex Ordine fratrum Minorum, unus de maioribus clericis de mundo. In Anglia claruit et multa scripta fecit, sicut Liconiensis. Ambo fuerunt Anglici et ambo socii et ambo in episcopali ecclesia fuerunt sepulti. Tertius istorum duorum duorum socius fuit magister Alexander ex Ordine fratrum Minorum, natione Anglicus et magister cathedratus Parisius, qui multa opera scripsit, et ut dicebant omnes qui eum bene noverant, suo tempore similem sibi in mundo non habuit.57 Beispielhaft für Salimbenes Einstellung gegenüber der geographischen Herkunft sind zwei Charakteristiken von socii Giovannis da Parma, die kurz aufeinanderfolgen. Salimbene erwähnt einen gewissen Walter : Tertius sotius (sic!) fratris Iohannis de Parma frater Gualterius fuit, Anglicus natione et homo vere angelicus. Bonus cantor, bonus predicator et bonus dictator. Gracilis et longus fuit convenienter ; pulcher homo, sancte et honeste vite et bene morigeratus et litteratus. Auditor fratris Iohannis de Parma, quando lector Neapolitanus fuit, antequam generalis minister esset. Item positus fuit in curia frater Gualterius ad morandum, sed laboravit quantum potuit ut removeretur inde[…]. Audivi tamen de isto Gualterio quod postea contra voluntatem suam factus fuit episcopus nescio ubi. Amicus meus fuit.58 Wenig später spricht er von einem Bruder namens Giovanni da Ravenna: Quintus socius fratris Iohannis de Parma fuit frater Iohannes Ravennas, grossus et corpulentus et niger, bonus homo et honeste vite. Nunquam vidi hominem qui ita libenter lagana cum caseo comederet sicut ipse. Guardinus Neapolitanus fuit,
56 SdA f. 447c, 14 f. 57 SdA f. 307b, S. 355, 30 – 38: »Sein vierter Freund war Bruder Adam Marsh vom Orden der Minoriten, einer der größten Geistlichen der Welt. In England war er berühmt und schrieb viele Werke so wie der (Bischof von) Lincoln (Robert Grosseteste). Beide waren Engländer und socii und beide wurden in der Bischofskirche begraben. Der dritte socius war der Lehrer Alexander vom Orden der Minoriten, der Herkunft nach Engländer und Inhaber eines Lehrstuhls in Paris, der viele Werke schrieb und, wie alle sagten, die ihn kannten, zu seinen Lebzeiten niemanden hatte, der ihm gleich kam.« 58 SdA f. 439c, S. 803, 4 – 19: »Der dritte Gefährte Bruder Giovannis da Parma war Bruder Walter, Engländer von der Herkunft und ein wahrhaft engelhafter Mann. Er war ein guter Sänger, ein guter Prediger und ein guter Verfasser von Briefen. Er war schlank und von ausgeglichener Größe, gut aussehend; er führte ein gottgefälliges und tugendhaftes Leben, war bescheiden und gebildet. Er war Schüler Bruder Giovannis da Parma, als dieser in Neapel lehrte, bevor er Generalminister wurde. Außerdem erhielt Bruder Walter eine Stellung, derentwegen er an der Kurie weilen musste, aber er arbeitete mit allen Kräften darauf hin, von dort versetzt zu werden […]; ich habe jedoch von diesem Walter gehört, dass er später gegen seinen Willen zum Bischof geweiht wurde, ich weiß nicht, wo. Er war mein Freund.« Zum Begriff amicus bei Salimbene s. Braisch, Eigenbild 2 (wie Anm. 5), S. 35 – 39.
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quando frater Iohannes de Parma erat ibi lector, antequam minister fieret generalis.59 Wenn er Mitbrüder vorstellt, erwähnt er also normalerweise ihre Herkunft. Aber während er bei dem Bruder Giovanni sogar mitteilen kann, dass er aus Ravenna stammt, weiß er von Walter nur, obwohl er mit ihm befreundet war, dass er aus England stammt – eine Tatsache, die ihn zu einem kleinen Wortspiel veranlasst – nicht aber, aus welcher Gegend oder gar welchem Ort. Und beide Beschreibungen zeigen auch, dass ihm die Herkunft seiner Mitbrüder weitaus weniger bedeutsam ist als ihre Stellung im Orden. Wie immer, wenn Salimbene über Minoriten spricht, sind ihm vor allem ihre Tätigkeiten, ihr Einsatz für den Orden und ihre besonderen Fähigkeiten wichtig, zuweilen auch ein besonderes Aussehen oder Eigenheiten wie etwa die Leidenschaft für Käsebrote. Mehrfach, jedoch jedesmal ohne jegliche Wertung, erwähnt Salimbene Haymo von Faversham, der 1240 Generalminister des Ordens wurde: Habui doctorem in theologia fratrem Humilem de Mediolano, qui Bononie sub fratre Aymone didicerat […] Excepto quod frater Aymo semel ivit in Angliam, unde fuerat oriundus.60 Als treibende Kraft gegen den umstrittenen Generalminister Elias von Cortona, der 1239 gestürzt wurde, nennt er jedoch nicht ihn. Zwar stand Haymo an der Spitze derjenigen, die auf Elias’ Absetzung hinarbeiteten, aber Salimbene hebt in diesem Kontext Bruder Arnulf hervor, ebenfalls einen englischen Minoriten: Ad hoc autem, ut ista congregatio in generali capitulo fieret omnium ministrorum ad deponendum Helyas, multum laboravit frater Arnulfus Anglicus ex Ordine Minorum, homo sanctus et litteratus et zelator Ordinis et promotor, erat enim tunc temporis penitentarius in curia domini Gregorii pape noni.61 Besonders beeindruckt zeigt unser Autor sich von Bruder Stephan, den er persönlich kennengelernt hatte: Cumque ibi essemus, supervenerunt duo fratres ex Anglia, scilicet frater Stephanus lector, qui puerulus intraverat Ordinem beati Francisci, et erat pulcher homo et spiritualis et litteratus et optimus in consiliis dandis et cotidie paratus ad predicandum clero, et habebat optima scripta, scilicet 59 SdA f. 439c, S. 803, 25 – 31: »Der fünfte socius Bruder Giovannis da Parma war Bruder Giovanni aus Ravenna, ein sehr schwergewichtiger Mann mit dunklem Teint, gut und von ehrenhaftem Lebenswandel. Ich habe niemals einen Mann gesehen, der so gern Laganabrot mit Käse aß wie er. Er war Guardinus in Neapel, als Bruder Giovanni da Parma dort lehrte, bevor er Generalminister wurde.« 60 SdA f. 326a, 402, 16 f.: »Als Theologielehrer hatte ich Bruder Humilis aus Mailand, der in Bologna unter Bruder Haymo gelernt hatte […].« SdA f. 334d, S. 434, 17 f.: »[…] Abgesehen davon, dass Bruder Haymo einmal nach England ging, woher er stammte.« 61 SdA f. 276c, S. 232, 17 – 22: »Dass aber ein Generalkapitel mit allen Ministern zustande käme, um Elias abzusetzen, darauf arbeitete vor allem Bruder Arnulfus hin, ein englischer Minorit, ein Mann mit einem gottgefälligen Lebenswandel, gebildet, ein eifriger Förderer des Ordens und damals Beichtvater an der Kurie Gregors IX.«
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fratris Ade de Marisco, cuius lecturam super Genesim audivi ab eo. Huic promiserat frater Iohannes de Parma, generalis minister, cum Angliam visitasset, quod mitteret eum Romam ad legendum pro consolatione sua. Socius istius erat alius Anglicus, frater Iocelinus, pulcher homo et spiritualis et litteratus.62 Als es sich als nötig erwies, einen wirklich guten Lehrer in den Minoritenkonvent von Genua zu schicken, war Stephan sofort bereit, als der Generalminister ihn darum bat, nach Genua zu gehen und sich noch, was Rom angehe, zu gedulden. Salimbene, der in Genua ordiniert wurde, berichtet, was er dort als Augenund Ohrenzeuge erlebte: Der Erzbischof von Genua war ein kleiner, alter, geiziger Mann, von dem es hieß, er sei kein guter Katholik. Eines Tages hatte er Mönche und Geistliche in seinem Palast versammelt, um eine Synode abzuhalten. Weil er von Bruder Stephan gehört hatte, der ein großer Prediger und Geistlicher sei, wünschte er, ihn predigen zu hören. Das tat Bruder Stephan auch, und daraufhin wollte der Erzbischof nur noch diesen Minoriten hören und rühmte seine Predigt sehr. Commendavit etiam fratrem Stephanum de scientia et de vita sancta et honesta et bona, dicens quod multum honoraverat Ianuam veniendo de Anglia in Ytaliam tantus clericus, et quod, si esset iuvenis, libenter audiret eum in scolis docentem, quando posset.63 Später hört Salimbene in Genua Bruder Stephan vor den Mitbrüdern predigen, und zwar im Beisein eines Bischofs: Et inter alia sua verba melliflua, que dicere solitus erat, narravit quoddam breve exemplum ad confusionem episcopi.64 In diesem Zusammenhang erwähnt Salimbene auch Adam von Marsh, den ersten Minoriten, der an der Universität Oxford lehrte.
62 SdA f. 333d, S. 431, 20 – 28: »Und als wir dort waren (in Beaucaire), kamen zwei Brüder aus England hinzu, nämlich der Lehrer Bruder Stephan, der sehr jung in den Orden des heiligen Franziscus eingetreten war. Und er war ein gut aussehender Mann, vom Geist erfüllt und gebildet und ausgezeichnet, wenn es darum ging, Ratschläge zu geben, und täglich bereit, vor dem Klerus zu predigen. Und er hatte ausgezeichnete Schriften von Adam von Marsh bei sich, dessen Vorlesung über die Genesis ich gehört hatte. Ihm hatte Bruder Giovanni da Parma, der Generalminister, als er England besucht hatte, versprochen, dass er ihn, um ihm eine Freude zu machen, nach Rom senden werde, um dort Vorlesungen zu halten. Sein socius war ein anderer Engländer, Bruder Iocelinus, ein gut aussehender Mann, vom Geist erfüllt und gebildet.« 63 SdA f. 341d/ 342a, S. 461, 5 – 19, hier Z. 15 – 1: Er rühmte auch Bruder Stephanus wegen seines Wissens und seines gottgefälligen und tugendhaften und guten Lebenswandels und sagte, dass dieser Genua sehr geehrt habe, weil er, ein so großer Kleriker, aus England nach Italien (d. h. ins Königreich Italien) gekommen sei. Er selbst hätte ihn, wenn er noch jung wäre, gern lehren gehört, wenn er gekonnt hätte.« Zum Begriff Italia bei Salimbene s. Braisch, Eigenbild 2 (wie Anm. 5), S. 212. 64 SdA f. 344c, S. 471 f., 31; 1 f.: »Und unter seinen anderen Worten, die wie üblich lieblich klangen, erzählte er auch ein kurzes Exempel, das den Bischof beschämte.«
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Fazit Das Interesse Salimbenes an England, an Land und Leuten, an seiner Geschichte, selbst an der Geschichte der Minoriten dort, ist noch geringer als an Deutschland, während er sich zu Frankreich und den Gallici, den Franzosen, sowie Reliquienauffindungen und Frömmigkeitsbewegungen in der Provence recht ausführlich äußert. Die einzigen Engländer, denen unser Chronist wahrscheinlich persönlich begegnet ist, sind Minoriten, es sei denn, dass er auf seinen Wanderungen durch Frankreich und die Provence Augenzeuge der Trinkfreudigkeit von Engländern geworden ist. Die wenigen knappen verstreuten Äußerungen über Isabella, Friedrichs dritte Gattin, und über Prinz Eduard lassen keine Schlussfolgerungen in Bezug auf ein etwaiges Englandbild Salimbenes zu – diese gehen über annalistische Notizen nicht hinaus. Der Bericht über Richard Löwenherz im Kontext des Dritten Kreuzzuges ist einer Salimbene vorliegenden Chronik entnommen. Dass Merlin aus England stammt, ist für seine Fähigkeiten als Seher für Salimbene irrelevant. Die Anekdoten von englischen Königen dienen als positive Folien, vor denen er umso deutlicher das Verhalten missliebiger einheimischer Kleriker geißeln kann. Salimbene möchte mit diesen nicht Eigenheiten englischer Könige oder besondere politische Situationen illustrieren, sondern richtiges und falsches Verhalten gegenüber Bettelmönchen und ihren ranghöchsten Vertretern demonstrieren. Kommentarlos vermerkt er, dass Engländer (Alt)französisch sprechen! Die andere Sprache, das ›Fremde‹ stößt ihn nicht etwa ab; er nimmt sie als gegeben hin wie die Unterschiede für viele Begrifffe in Dialekten in der Toskana und der Emilia-Romagna, die seine Neugier wecken, und betont sogar, wie gut das ›Gallische‹ klinge. Das einzige Stereotyp, das er in Bezug auf die Engländer kennt, ist ihre Freude am Wein und ihre Großzügigkeit beim Trinken. Aber selbst diese Eigenheit dient ihm vor allem dazu, sie mit dem Egoismus einheimischer Kleriker zu konfrontieren. In Bezug auf die englischen Mitbrüder, von denen er gehört hat oder die er persönlich kennt, zieht er nun nicht die banale Schlussfolgerung, dass die Engländer besonders tugendhaft seien und besonders der Gelehrsamkeit zuneigten. In seiner Cronica nennt er zahlreiche Minoriten aus vielen Ländern Europas und aus Städten und Regionen in Italien, die sich durch ihre vita sancta und honesta, durch ihre Gelehrsamkeit und ihre Begabung zu predigen auszeichneten. Wenn der Erzbischof von Genua sich tatsächlich so erfreut über Bruder Stephan geäußert hat, dann ist unser Autor nicht der einzige Kleriker, der bei einem Mann vor allem die geistlichen und geistigen Fähigkeiten schätzt, gleich woher er stammt. Für Salimbene, der in seiner Cronica immer wieder geradezu leidenschaftlich für das Ansehen und die Bedeutung seines damals
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sehr umstrittenen Ordens plädiert, sind Männer wie Berthold von Regensburg, Giovanni da Pian del Carpine, Bartholomaeus, Adam von Marsh und Stephan sowie die nahezu zahllosen anderen Minoriten aus England, Frankreich, Deutschland und Italien, die er lobend erwähnt, der sichtbare Beweis dafür, dass dieser Orden von Gott berufen wurde, die Kirche in einer gefahrvollen Zeit durch Predigt und Seelsorge zu unterstützen.65 In Salimbenes Werteskala steht der Orden, dem er angehört, nahezu an höchster Stelle. Ein wesentliches Kriterium seiner Beurteilung von Menschen ist, wer dem Orden nützt und wer ihm schadet. Ob derjenige, der auf dem Prüfstand steht, aus England, aus Piacenza oder aus Regensburg stammt, ist dabei für ihn irrelevant. Zumindest für Salimbene trifft, das zeigt auch seine Einstellung gegenüber den Engländern, die These nicht zu, dass die häufigere Begegnung mit Menschen aus anderen Ländern zur Ausprägung ›pränationaler‹ Stereotypen negativer Art geführt habe.66 Vor allem die Minoriten aus England sind für ihn durchaus keine Fremden, sondern Mitbrüder, die er wegen ihrer Fähigkeiten ebenso schätzt wie einen Minoriten aus Frankreich oder aus Reggio. Das Zusammentreffen mit Angehörigen eines anderen Volk musste, das zeigt das Beispiel Salimbenes, durchaus nicht Tendenzen kollektiver Xenophobie hervorrufen. Abstract: The Franciscan brother, Salimbene da Parma, began to write his famous chronicle in 1283. In this chronicle he offered a vivid account of the foreigners he once met in northern Italy, in the kingdom of France and in Provence. He never had been to England and he seldom mentioned Englishmen. There are reasons for his reserve: first, English merchants and soldiers appeared only rarely in Italy in the 13th century. Secondly, King Henry III did not succeed in securing the crown of the kingdom of Sicily for his son Edmund. Salimbene referred to Merlin and Thomas Becket and recorded anecdotes about English kings. Additionally, he reported on English drinking habits. Most of the time he mentioned English Franciscan friars whom he had met or about whom he had heard. But all this information proves that Salimbene was not very interested in the English origins of kings, bishops, saints and friars: almost everything he tells us about them are examples which make against miserly prelates who lived in the Lombardy. He 65 S. Braisch, Eigenbild 2 (wie Anm. 5), S. 78 – 83, 86 – 91. 66 Vgl. dagegen Ludwig Schmugge, Über ›nationale‹ Vorurteile im Mittelalter, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 38 (1982), S. 439 – 459, hier S. 457: »Die sicherlich im Menschen vorhandene Neigung zur Ablehnung alles Fremden, die Tendenz zur kollektiven Xenophobie, welche sozusagen endemisch in ihm ruht, wurde in dieser Phase (im 12. Jh.) epidemisch, und diese Epidemie zeigte alsbald chronische Folgen. Denn während sich die Menschen in Europa vermehrt begegneten, kamen sie sich trotz der gemeinsamen Religion, trotz des Lateins, gerade wegen der Andersartigkeit ihrer Sitten und Gebräuche, wegen der verschiedenen Volkssprachen, wegen der Verehrung verschiedener Heiliger nicht näher.«
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mentioned English, German and French friars in order to prove that numerous Franciscan friars were famous scholars and saintly men. The theory that increased encounters with men from other nations would further violent prejudices cannot be confirmed by Salimbene’s chronicle.
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Joachim Laczny
Friedrich III. (1440 – 1493) auf Reisen. Die Erstellung des Itinerars eines spätmittelalterlichen Herrschers unter Anwendung eines Historical Geographic Information System (Historical GIS)
In der Vorrede des »Theatrum orbis terrarum«, des ersten modernen Atlases von 1570, würdigte A. Ortelius (1527 – 1598) recht metaphorisch die Geografie, die durchaus als das »Auge der Geschichte«1 zu bezeichnen sei. Karten organisieren nach unterschiedlichen Kriterien den jeweils konstruierten Raum und sind dabei von zentraler Bedeutung bei der Orientierung in Raum und Zeit.2 Auch unser Weltbild wird durch Karten geprägt, wobei sich dieses gleichzeitig in
* Mein Dank gilt der Deutschen Kommission für die Bearbeitung der Regesta Imperii e. V. bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Mit freundlicher Genehmigung erfolgte die Freigabe des digitalen Datenbestandes durch Prof. Dr. Paul-Joachim Heinig. Dr. Andreas Kuczera ist ebenfalls für die technische Umsetzung des Datenexports und die Übermittlung des Gesamtbestandes der 13. Abteilung (Friedrich III.) der Regesta ImperiiOnline Ende 2007 zu danken. Ferner danke ich der Firma ESRI, die im Rahmen ihres Absolventenprogramms das Softwareprodukt ArcGIS kostenlos zur Verfügung stellte. Auch möchte ich PhD Valery Hronusov an der Perm University, Russland, erwähnen, die mir kostenlos die Software KMLerPro für mein Vorhaben zur Verfügung stellte. Danken möchte ich insbesondere Prof. Dr. Jürgen Sarnowsky, Universität Hamburg, für die stetige Unterstützung dieses neuartigen Projektes. Der hier veröffentlichte Beitrag stellt eine stark gekürzte Fassung der Magisterarbeit aus dem Jahr 2008 dar. Die Literaturhinweise wurden teilweise um den aktuellen Forschungsstand nach 2008 zum Themenbereich Historical GIS erweitert. Zuletzt danken möchte ich zudem den Teilnehmenden der entsprechenden Sektionen für deren kritische Rückmeldung auf den internationalen Tagungen der Social Science History Association, Long Beach, Kalifornien, USA, 12.–15. November 2009, der European Social Science History Conference, Gent, Belgien, 13.–16. April 2010 und der EDV-Tagung: Workshop »Digitalisierung von Opferdaten der NS-Zeit« trifft »Arbeitsgemeinschaft Geschichte und EDV« (AGE), Weiden/Opf., 28./29. Oktober 2010. 1 »Geographia, quae merito a quibusdam historiae oculus appellata est.« Abraham Ortelius, Theatrum Orbis terrarum, Antwerpiae 1570, Vorrede, o. S. Auch leitet Tanja Michalsky ihren Beitrag mit diesem Zitat ein: Tanja Michalsky, Geographie – das Auge der Geschichte. Historische Reflexionen über die Macht der Karten im 16. Jahrhundert, in: Die Macht der Karten oder: was man mit Karten machen kann, hrsg. Freundeskreis der Prof. Dr. Frithjof Voss Stiftung, Georg-Eckert-Institut (Eckert.Dossiers, 2) 2009, Verfügbar unter : http://www.edumeres.net/urn/urn:nbn:de:0220 – 2009 – 0002 – 091. 2 Vgl. Ute Schneider, Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute, Darmstadt 2004.
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denselbigen widerspiegelt.3 Die geschichtswissenschaftliche Forschung verwendet bisher kaum die computergestützte Analyse von historischen Prozessen und Ereignissen in Raum und Zeit, zumal die Verwendung von Geografischen Informationssystemen (GIS) in der Geschichtswissenschaft ein interdisziplinäres Arbeitsfeld darstellt. Insbesondere im englischsprachigen Raum festigt sich die Verwendung von GIS in der Geschichtswissenschaft, sowohl in der Forschung, in der universitären Lehre4 als auch an Schulen.5 Karten, insbesondere diejenigen, die auf einem Historical Geographic Information System (Historical GIS) basieren und damit interaktiv für den Anwender nutzbar sind, dienen als visuelles Medium zur Präsentation von Erkenntnis und deren Ver3 Vgl. Visualisierung des Raumes. Karten machen – die Macht der Karten, hrsg. Sabine Tzschaschel, Holger Wild, Sebastian Lentz (Forum IfL, 6), Leipzig 2007. Speziell zu Beeinflussungsmöglichkeiten durch Karten s. Mark Monmonier, How to lie with maps, Chicago u. a. 21999. 4 S. Robert Churchill, Amy Hillier, Teaching with GIS, in: Placing History. How Maps, Spatial Data, and GIS Are Changing Historical Scholarship, hrsg. Anne Kelly Knowles, Redlands, Calif. 2008, S. 61 – 94; David J. Staley, Finding narratives of time and space, in: Understanding place. GIS and mapping across the curriculum, hrsg. Diana Stuart Sinton, Jennifer J. Lund, Redlands, Calif. 2007, S. 35 – 47; Cynthia Padilla, Historical GIS. Mapping the Past to Understand the Future, in: Online: the leading magazine for information professionals 32 (2008), S. 33 – 35; Michael Haas, Digitale Karten als Hilfsmittel in der Geschichtswissenschaft, in: Digitalisierte Vergangenheit. Datenbanken und Multimedia von der Antike bis zur frühen Neuzeit, hrsg. Florian Krüpe, Christoph Schäfer, Wiesbaden 2005, S. 104 – 130, hier S. 104 – 105, 109 – 110; Kerstin Droß, Zum Einsatz von Geoinformationssystemen in Geschichte und Archäologie, in: Historical Social Research 31 (2006), S. 279 – 287; Jack B. Owens, What historians want from GIS, in: ArcNews 29 (2007), S. 4 – 6 vs. Onno Boonstra, Barriers between historical GIS and historical scholarship, in: International Journal of Humanities & Arts Computing 3 (2009), S. 3 – 7 und David J. Bodenhamer, The Potential of Spatial Humanities, in: The Spatial Humanities. GIS and the Future of Humanities Scholarship, hrsg. David J. Bodenhamer, John Corrigan, Trevor M. Harris, Bloomington 2010, S. 14 – 30; David J. Bodenhamer, Beyond GIS. Geospatial Technologies and the Future of History, in: History and GIS. Epistemologies, considerations and reflections, hrsg. Alexander von Lünen, Charles Travis, Dordrecht 2013, S. 1 – 13; Alexander von Lünen, Tracking in a New Territory. Re-imaging GIS for History, in: History and GIS. Epistemologies, considerations and reflections, hrsg. Alexander von Lünen, Charles Travis, Dordrecht 2013, S. 211 – 239. Zur Konzeptionierung eines speziellen MA-Studiengangs s. Jack B. Owens, Laura Woodworth-Ney, Envisioning a master’s degree program in geographically-integrated history, in: Journal of the Association of History and Computing 8 (2005), Verfügbar unter : http://hdl.handle.net/2027/spo.3310410.0008.202. 5 S. Steve Branting, Rest in Peace. Students Apply GIS to Locate Historical Gravesites, in: GeoWorld 19 (2006), S. 28 – 31; Alexander von Lünen, Detlev Mares, Wolfgang Moschek, Im Raume analysieren wir die Zeit. Geo-Informationssysteme in der historischen Forschung und Lehre, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 10 (2011), S. 56 – 65; Stefan Brauckmann, Kulturlandschaftsforschung im Geschichtsunterricht? Raum-zeitliche Orientierung durch GIS-gestützte Nahraumanalyse, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 10 (2011), S. 66 – 77; Detlev Mares, Wolfgang Moschek, Place in Time. GIS and the Spatial Imagination in Teaching History, in: History and GIS. Epistemologies, considerations and reflections, hrsg. Alexander von Lünen, Charles Travis, Dordrecht 2013, S. 59 – 72.
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mittlung. Digitale Bilder repräsentieren nicht die Realität, sondern sind Simulationen. Diese erschaffenen Welten, einschließlich animierter und interaktiver Karten, werden unter definierten Konstruktionsbedingungen gestaltet und können damit gezielt für die Erkenntnisformulierung bzw. deren Vermittlung verändert werden.6 Die Nutzung digitaler Medien innerhalb der geschichtswissenschaftlichen Forschungstätigkeit findet entgegen einstiger Bedenken international verstärkt Akzeptanz.7 Diese Aussage trifft ebenfalls für digitale Urkundenbücher zu, insbesondere sind hierbei die die mittelalterliche Geschichte betreffenden Urkundenbücher anzuführen.8 So wird für diese Epoche die rechnergestützte Erstellung von kritischen Quelleneditionen seit Jahrzehnten erfolgreich vorangetrieben.9 Da Aufarbeitung und Präsentation der Resultate der digitalen Quelleneditionen häufig in Datenbanken realisiert werden,10 ergibt sich die technische Möglichkeit einer Verknüpfung durch Hypertext innerhalb der digitalen Dokumente.11 Diese technische Option ist für die Darstellung einer kritischen Quellenedition mit einem vielschichtigen Zugang als optimal anzusehen,12 da »die Art der Darstellung [..] dabei nicht länger an die lineare Systematik des Buches gebunden [ist], an Konzeption und Methode werden folglich ganz neue Anforderungen gestellt.«13 Dieser Herausforderung widmeten sich, neben vielen anderen Projekten zur Erstellung digitaler Urkundenbücher, auch die Entwickler der Regesta Impe6 S. David J. Staley, Computers, visualization, and history. How new technology will transform our understanding of the past (History, Humanities, and New Technology), Armonk, NY u. a. 2003, S. 125. 7 Vgl. Andreas Ineichen, Eric Flury-Dasen, Geschichtswissenschaftliche Publikationen und Editionen im Internet, in: Geschichte und Internet. »Raumlose Orte – Geschichtslose Zeit«, hrsg. Peter Haber, Christophe Koller, Gerold Ritter (Geschichte und Informatik, 12.2001), Zürich 2002, S. 65 – 79. 8 Vgl. Jürgen Sarnowsky, Digitale Urkundenbücher zur mittelalterlichen Geschichte, in: Forschung in der digitalen Welt. Sicherung, Erschließung und Aufbereitung von Wissensbeständen; Tagung des Staatsarchivs Hamburg und des Zentrums »Geisteswissenschaften in der Digitalen Welt« an der Universität Hamburg am 10. und 11. April 2006, hrsg. Rainer Hering (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg, 20), Hamburg 2006, S. 93 – 108, hier S. 93. 9 S. Ruth Weichselbaumer, Mittelalter virtuell. Mediävistik im Internet, Stuttgart 2005, S. 31 – 35. 10 S. Ebd., S. 18. 11 S. Angelika Epple, Verlinkt, vernetzt, verführt – verloren? Innovative Kraft und Gefahren der Online-Historiographie, in: Vom Nutzen und Nachteil des Internet für die historische Erkenntnis. Version 1.0, hrsg. Angelika Epple, Peter Haber (Geschichte und Informatik, 15.2004), Zürich 2005, S. 15 – 32, hier S. 29 – 32. 12 S. Weichselbaumer, Mittelalter virtuell (wie Anm. 9), S. 33. 13 Ebd., S. 15.
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rii-Online (RI-Online). Die Regesta Imperii (RI) stellen eines der mediävistischen Grundlagenwerke zur europäischen Geschichte des Mittelalters dar, wobei hierbei die römisch-deutschen Kaiser und Könige wie auch Päpste Berücksichtigung finden.14 »Zur Erstellung eines im Idealfall vollständigen Itinerars, also eines lückenlosen Nachweises der Aufenthaltsorte und der dortigen Anwesenheitszeit eines Herrschers, mithin der Reiseweg des noch nicht durch Residenzen örtlich verfestigten Königtums, wurden alle schriftlichen Quellen mit entsprechendem Herrscherbezug herangezogen: in erster Linie Urkunden […], daneben […] Historiographisches.«15 Eine Abteilung der RI beheimatet die Regesten des spätmittelalterlichen Habsburger Herrschers Friedrich III., der von 1440 bis 1493 seine Herrschaft als römisch-deutscher König und späterer Kaiser ausübte und in diesem Beitrag im Zentrum stehen wird.16 Bereits 1993 wertete B. Haller-Reiffenstein die Aufenthalte Friedrichs III. in der Stadt Wien aus und präsentierte die Ergebnisse in Grafiken.17 Ein umfangreiches und in der Literatur viel beachtetes, chronologisches Itinerar erstellte P.-J. Heinig in tabellarischer Form, wobei eine kartografische Darstellung der Aufenthaltsorte o. ä. nicht erfolgte.18 Die schiere Masse der erhaltenen Ur14 S. Dieter Rübsamen, Andreas Kuczera, Verborgen, vergessen, verloren? Perspektiven der Quellenerschließung durch die digitalen Regesta Imperii, in: Forschung in der digitalen Welt. Sicherung, Erschließung und Aufbereitung von Wissensbeständen; Tagung des Staatsarchivs Hamburg und des Zentrums »Geisteswissenschaften in der Digitalen Welt« an der Universität Hamburg am 10. und 11. April 2006, hrsg. Rainer Hering (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg, 20), Hamburg 2006, S. 109 – 123, hier S. 109. 15 Ebd. 16 Vgl. Heinrich Koller, Kaiser Friedrich III. (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 2005. 17 S. Brigitte Haller-Reiffenstein, Zu den Aufenthalten Friedrichs III. in Wien, in: Wiener Geschichtsblätter 48 (1993), S. 79 – 100, hier S. 82 – 83. 18 S. Paul-Joachim Heinig, Kaiser Friedrich III. (1440 – 1493). Hof, Regierung und Politik, 3 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, 17,3), Köln, Weimar, Wien 1997, S. 1347 – 1389. Exemplarisch für einzelne Reisen: Nikolaus Rädle, Itinerar Kaiser Friedrich’s IV. durch die Schweiz 1442, in: Anzeiger für schweizerische Geschichte NF 2 (1874), S. 24 – 31; Hartmut Boockmann, Fürsten, Bürger, Edelleute. Lebensbilder aus dem späten Mittelalter, München 1994, S. 33 – 55; Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters. Eine analytische Bibliographie, Deutsche Reiseberichte, hrsg. Werner Paravicini (Kieler Werkstücke: Reihe D, 5), Frankfurt am Main u. a. 22001, S. 94 – 98, 115 – 117; Joseph Seemüller, Friedrichs III. Aachener Krönungsreise, in: Mittheilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 17 (1896), S. 584 – 665; Wilhelm Brüning, Die Aachener Krönungsfahrt Friedrichs III. im Jahre 1442, in: Mitteilungen des Vereins für Kunde der Aachener Vorzeit 11 (1898), S. 81 – 105; Karl Schellhass, Eine Kaiserreise im Jahre 1473, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 4 (1893), S. 161 – 211; Johann Rainer, Die zweite Romfahrt Kaiser Friedrichs III., in: Geschichte und ihre Quellen. Festschrift für Friedrich Hausmann zum 70. Geburtstag, hrsg. Reinhard Härtel, Graz 1987, S. 183 – 190; Hartmut Boockmann, Kaiser Friedrich III. unterwegs, in: Deutsches Archiv für
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kunden und deren wissenschaftliche Bewältigung bei der Erstellung des Itinerars stellte bereits vor mehr als zehn Jahren eine Herausforderung für die Wissenschaft dar.19 Die RI-Online hielten in der 13. Abteilung (Friedrich III.), neben den Regesten J. Chmels,20 die Publikationen der »Regesten Kaiser Friedrichs III.«: Hefte 1 – 2121 vor und damit knapp 18.000 Regesten in digitaler Form, welche es für die Erstellung eines Itinerars zu berücksichtigen galt. Aufgrund dieser sehr großen Anzahl an Regesten sollte eine rechnergestützte Erstellung des Itinerars Friedrichs III. und dessen Auswertung unter Anwendung eines Historical GIS erfolgen. Selbstverständlich lässt sich Friedrich schwerlich als »Erzschlafmütze des Heiligen Römischen Reiches«22, dessen Welt »– so meinte man – bestenfalls von Wiener Neustadt bis an die mittlere Mur und von Wien bis Linz reichte«23, charakterisieren.24 Dennoch sollten in dieser Studie – neben der Erstellung einer vielseitig nutzbaren interaktiv-dynamischen Karte – durch den neuartigen technischen Ansatz eines Historical GIS den in der älteren Forschung bereits erörterten Fragen hinsichtlich der Herrschaftsschwerpunkte, u. a. anhand der Aufenthaltsdauer an einem Ort, nachgegangen werden, wohl wissend um die
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Erforschung des Mittelalters 54 (1998), S. 567 – 582; Felix Priebatsch, Die Reise Friedrichs III. ins Reich 1485 und die Wahl Maximilians, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 19 (1898), S. 302 – 326. S. Heinig, Kaiser Friedrich III., 3 (wie Anm. 18), S. 1347. S. Joseph Chmel, Regesta chronologico-diplomatica Friderici IV. Romanorum Regis (Imperatoris III.). Auszug aus den im K. K. geheimen Haus-, Hof- und Staats-Archive zu Wien sich befindenden Reichsregistraturbüchern vom Jahre 1440 – 1493; nebst Auszügen aus Original-Urkunden, Manuskripten und Büchern, Wien 1838 [ND Hildesheim 1962]. S. Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440 – 1493). Nach Archiven und Bibliotheken geordnet (Hefte 1 – 21), hrsg. Heinrich Koller, Paul-Joachim Heinig, Alois Niederstätter, Wien u. a. 1982 – 2006. S. Alphons Lhotsky, Kaiser Friedrich III. Sein Leben und seine Persönlichkeit, in: Ausstellung Friedrich III. Kaiserresidenz Wiener Neustadt; St. Peter an der Sperr, Wiener Neustadt; 28. Mai bis 30. Okt. 1966 (Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums, 29), Wien 1966, S. 16 – 47, hier S. 16. So klagte u. a. der Papst Kalixt III.: »Unsere Flotte mit dem Legaten ist bereits gegen Konstantinopel ausgelaufen, und der Kaiser schläft.« Ludwig Pastor, Geschichte der Päpste im Zeitalter der Renaissance bis zur Wahl Pius’ II. (Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, 1), Freiburg im Breisgau 41901, S. 711. Heinrich Koller, Aspekte der Politik des Hauses Österreich zur Zeit des Regierungsantrittes Friedrichs III., in: Österreich in Geschichte und Literatur 29 (1985), S. 142 – 159, hier S. 148. Zur Beurteilung Friedrichs vgl. exemplarisch: Brigitte Haller, Kaiser Friedrich III. in literarischen Zeugnissen seiner Zeit und sein Andenken im 16. Jahrhundert, in: Ausstellung Friedrich III. Kaiserresidenz Wiener Neustadt; St. Peter an der Sperr, Wiener Neustadt; 28. Mai bis 30. Okt. 1966 (Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums, 29), Wien 1966, S. 87 – 103; Heinrich Koller, Neuere Forschungen zur Epoche Kaiser Friedrichs III., in: Bericht über den 15. österreichischen Historikertag in Salzburg, hrsg. Verband Österreichischer Geschichtsvereine (Veröffentlichungen des Verbandes österreichischer Geschichtsvereine, 23), Wien 1984, S. 42 – 57.
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umfangreiche Forschungslage, welche die Einordnung und Überprüfung der aus dem Historical GIS generierten Ergebnisse erst ermöglichte. In diesem Beitrag erfolgt zunächst eine kurze Verortung des Historical GIS in der Geschichtswissenschaft. Anschließend rücken technische Aspekte wie die Datenbankerstellung für das Itinerar in den Fokus. Im Verlauf jenes Abschnitts wird besonderes Augenmerk auf die aus einem Historical GIS heraus zu generierenden Darstellungsmöglichkeiten gelegt. Basierend auf geeigneten Datenbankabfragen wird das Itinerar analysierend in stationäre und bewegungsintensive Phasen des Herrschers gegliedert, um damit der Frage nach einer Reiseoder Residenzherrschaft Friedrichs III. nachzugehen.
GIS und die Geschichtswissenschaft »Wir lesen im Raum die Zeit«25 konstatierte der Begründer der Anthropogeografie F. Ratzel (1844 – 1904)26. Durch eine gewisse Nähe in historischen Forschungsfragen zeichnet sich die Beziehung der Fachdisziplin Geografie als raumorientierte Wissenschaft zur quellenorientierten Geschichtswissenschaft aus, die damit einen interdisziplinären Lösungsansatz bzw. Zugang zulässt.27 Zwischen der Geografie und der Geschichtswissenschaft sei eine Raum-ZeitKompetenz zu vermitteln hinsichtlich der Erkenntnis, dass sich geschichtliche Prozesse und Ereignisse in verschiedenen Räumen abspielten.28 Jedoch bestehe die Schwierigkeit von Historikerinnen und Historikern oftmals darin, Fragestellungen auch hinsichtlich des räumlichen Aspekts zu betrachten und zu erörtern, um daraus einen Erkenntnisgewinn zu erzielen.29 Diese Raumbezüge können visuell wesentlich besser durch Karten vermittelt werden als in aus25 Friedrich Ratzel, Geschichte, Völkerkunde und historische Perspektive, in: Historische Zeitschrift 93 (1904), S. 1 – 46, hier S. 28. Vgl. Karl Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, München 2003. Vgl. zum Einstieg zur Raumanalyse zuletzt: Susanne Rau, Räume. Konzepte, Wahrnehmungen, Nutzungen (Historische Einführungen, 14), Frankfurt am Main 2013. Zum Begriff spatial stories im Zusammenhang mit Historical GIS s. Ebd., S. 178. 26 Gerhard H. Müller, Ratzel, Friedrich, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), 21, hrsg. Bayerische Akademie der Wissenschaften, Berlin 2003, S. 186 – 188. 27 Zur Interdependenz s. Alan R. H. Baker, Geography and history. Bridging the divide (Cambridge studies in historical geography, 36), Cambridge u. a. 2003. 28 S. Klaus Fehn, Historische Geographie, in: Geschichte. Ein Grundkurs, hrsg. Hans-Jürgen Goertz, Reinbek bei Hamburg 22001, S. 394 – 407, hier S. 396. 29 Paul S. Ell, Ian N. Gregory, Adding a new dimension to historical research with GIS, in: History and computing 13 (2001), S. 1 – 6, hier S. 3; Klaus Fehn, Räume der Geschichte – Geschichte des Raumes, in: Siedlungsforschung 4 (1986), S. 253 – 263, hier S. 253, 261 – 262; Jürgen Osterhammel, Die Wiederkehr des Raums. Geographie, Geohistorie und historische Geographie, in: Neue politische Literatur 43 (1998), S. 374 – 395.
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schließlich textbasierter Form.30 Karten sind zwar leicht zugänglich, doch »auf einer Karte sieht eben alles viel exakter aus, weiße Flecken fallen sehr ins Gewicht. Das Geschriebene sieht viel unverbindlicher aus, weil weiße Flecken nicht sichtbar sind.«31 Ungefähr 80 Prozent des weltweit verfügbaren Datenmaterials setzt sich aus Daten mit räumlichem Bezug zusammen, welche sich daher auch kartografisch darstellen lassen.32 »Ein Geographisches Informationssystem (GIS) ist ein computergestütztes Informationssystem zur Erfassung, Verwaltung und Verarbeitung raumbezogener Daten.«33 Die ersten Geographischen Informationssysteme (GIS) wurden ab Mitte der 1960er Jahren an der Harvard University in den USA entwickelt.34 Der weitreichende Durchbruch von Geografischen Informationssystemen in Deutschland gelang hingegen erst in den 1980er Jahren. Da neben der Geografie zahlreiche andere Fachdisziplinen Daten mit Ortsbezug verarbeiten, ist ebenfalls der Einsatz von Geografischen Informationssystemen als interdisziplinäres Werkzeug, beispielsweise in der Archäologie, mittlerweile verbreitet.35 In der Geschichtswissenschaft hingegen ist dieses Werkzeug kaum im Einsatz. Die Skepsis der Geschichtswissenschaftler bei der Verwendung von Computersystemen zur Unterstützung bei der Beantwortung von Fragestellungen im historischen Kontext war und ist nicht zu vernachlässigen.36 Ebenfalls ist die fachliche 30 S. Frank Dickmann, Einsatzmöglichkeiten neuer Informationstechnologien für die Aufbereitung und Vermittlung geographischer Informationen. Das Beispiel kartengestützte Online-Systeme (Göttinger geographische Abhandlungen, 112), Göttingen 2004, S. 13. 31 Dieter Neukirch, Das Bild der Welt auf Karten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, in: Reisen und Reiseliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, hrsg. Xenja von Ertzdorff-Kupffer, Dieter Neukirch, Rudolf Schulz (Chloe, 13), Amsterdam u. a. 1992, S. 191 – 225, hier S. 198. 32 S. Andrew Hardie, The development and present state of Web-GIS, in: Cartography 27 (1998), S. 11 – 26, hier S. 12. 33 Thomas Christiansen, Wolf-Dieter Erb, GIS, in: Lexikon der Geographie, 2, hrsg. Ernst Brunotte u. a., Darmstadt 2001, S. 50 – 52, hier S. 52. 34 S. Nick Chrisman, Charting the unknown. How computer mapping at Harvard became GIS, Redlands, Calif. 2006; Timothy W. Foresman, GIS Early Years and the Threads of Evolution, in: The history of geographic information systems. Perspectives from the pioneers, hrsg. Timothy W. Foresman, Upper Saddle River, NJ u. a. 1998, S. 3 – 18. 35 S. Trevor M. Harris, GIS in Archaeology, in: Past time, past place. GIS for History, hrsg. Anne Kelly Knowles, Redlands, Calif. 2002, S. 131 – 143. Vgl. exempl.: Lisa McManamaKearin, The Use of GIS in Determining the Role of Visibility in the Siting of Early AngloNorman Stone Castles in Ireland (British archaeological reports: British series, 575), Oxford 2013. 36 S. Anne Kelly Knowles, GIS and History, in: Placing History. How Maps, Spatial Data, and GIS Are Changing Historical Scholarship, hrsg. Anne Kelly Knowles, Redlands, Calif. 2008, S. 1 – 25, hier S. 2 – 3; Kevin Schürer, Information Technology and the Implications for the Study of History in the Future, in: Electronic information resources and historians, hrsg. Seamus Ross, Edward Higgs (Halbgraue Reihe zur historischen Fachinformatik, Serie A: Historische Quellenkunden, 20), St. Katharinen 1993, S. 291 – 300; Trevor M. Harris, Susan
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Anerkennung in der Geschichtswissenschaft von Projekten, die im Sektor der Digitalen Medien angesiedelt sind und im Internet bzw. auf entsprechenden digitalen Medien veröffentlicht werden, im Vergleich zu klassischen wissenschaftlichen Publikationsformen oftmals gering.37 Die Anwendung von GIS durch Historikerinnen und Historiker befindet sich derzeit im Anfangsstadium, doch ist das Nutzungspotenzial dieses Werkzeugs für das Forschungsinteresse der Geschichtswissenschaft immens.38 Zurzeit liegt der Fokus bei der Weiterentwicklung von GIS-Anwendungen auf der Integration von GIS im World Wide Web, welches als web-mapping bezeichnet wird. Ein Historical GIS soll vergangene, zeitliche Abläufe und Prozesse in einem Modell abbilden, um eine räumliche Abfrage, Analyse und Darstellung zu ermöglichen.39 Vermehrt setzt sich der Terminus »historical GIS«40 durch, wobei hiermit die Verknüpfung zwischen historischem Kontext und GIS verdeutlicht werden soll. Andere Bezeichnungen sind »raumbezogenes historisches Informationssystem (RHIS)«41, »historisches Stadtinformationssystem (HIST)«42, »GEOHIST«43, »geo-historical information system
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Bergeron, L. Jesse Rouse, Humanities GIS. Place, spatial storytelling, and immersive visualization in the humanities, in: Geohumanities, hrsg. Michael Dear u. a., London u. a. 2011, S. 226 – 240. S. Weichselbaumer, Mittelalter virtuell (wie Anm. 9), S. 23. S. Ian N. Gregory, Paul S. Ell, Historical GIS. Techniques, methodologies and scholarship, Cambridge 2007, S. 1 – 21. S. Frank Swiaczny, Thomas Ott, Das Problem der Modellierung historischer Prozesse mit Geographischen Informationssystemen, in: Historical Social Research 24 (1999), S. 75 – 100, hier S. 78; Thomas Litschko, Raumzeitliche Datenbanken als Basis für GIS-Anwendungen in der Geschichtswissenschaft, in: Historisch-thematische Kartographie. Konzepte, Methoden, Anwendungen, hrsg. Dietrich Ebeling, Bielefeld 1999, S. 167 – 180. Vgl. Ian N. Gregory, K. Karen Kemp, Ruth Mostern, Geographic Information and historical research. Current progress and future directions, in: History and computing 13 (2003), S. 7 – 23; Donna J. Peuquet, Representations of space and time, New York u. a. 2002. S. Ell, Gregory, New dimension (wie Anm. 29), S. 1; Leonhard Dietze, Andreas Kunz, Christine Wachtendorf, Alexander Zipf, Visualisierung der deutschen Geschichte von 1820 – 1914 im World Wide Web. Staaten, Staatenwelten, Dynastien und Statistik in einem historisch-geographischen Informationssystem, in: Visualisierung des Raumes. Karten machen – die Macht der Karten, hrsg. Sabine Tzschaschel, Holger Wild, Sebastian Lentz (Forum IfL, 6), Leipzig 2007, S. 143 – 159, hier S. 143. S. Gyula Pápay, Methoden der Graphischen Datenverarbeitung, der Computerkartographie und der Geo-Informationssysteme in der historischen Kartographie und der historischen Geographie, in: 8. Kartographiehistorisches Colloquium Bern. 3.–5. Oktober 1996: Vorträge und Berichte, hrsg. Wolfgang Scharfe (Cartographica Helvetica, Sonderheft, 16), Murten 2000, S. 95 – 112, hier S. 99. S. Dieter Schott, HIST. Ein Geo-Informationssystem für Stadtgeschichte, in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte 1 (1996), S. 37 – 42, hier S. 37. S. Karl Pierau, Entwurf eines geographisch-historischen Informationssystems. GEOHIST, in: Historical Social Research 18 (1993), S. 49 – 75, hier S. 49.
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(GHIS)«44 oder neutral formuliert »unter Anwendung der multimedialen GISTechnologie«45. Festzuhalten bleibt, dass es derzeit noch keine etablierte Begrifflichkeit für den Einsatz von GIS in der Geschichtswissenschaft gibt.46 Ein Geografisches Informationssystem verbindet ein konventionelles Datenbankmanagementsystem (DBMS) mit einer computergestützten Kartendarstellungsmöglichkeit. Ein GIS ermöglicht die schnelle und einfache Erstellung von Karten, basierend auf diesen Datenbanken mit unterschiedlicher Komplexität. Zu betonen ist hierbei, dass die Anwendungsmöglichkeiten eines GIS weit über eine einfache Erstellung von Kartenmaterial hinausgehen. Die überragende Stärke eines Historical GIS liegt vor allem in der Verarbeitung verschiedener Arten von Informationsdaten in Raum und Zeit.47 Der modulare Aufbau einer GIS-Datenbank mit weiteren Geoobjekten bzw. deren Aktualisierung stellt eine zusätzliche Stärke in der Nutzung eines Historical GIS dar. Der Einsatz eines Historical GIS soll aber in keiner Weise die konventionelle Vorgehensweise bei der wissenschaftlichen Problemanalyse innerhalb der geschichtswissenschaftlichen Forschung ersetzen, sondern dieser zuarbeiten oder gar neue Fragestellungen für diese aufwerfen.48 Durch das Werkzeug Historical GIS wird die Forschungsfrage oftmals nicht unmittelbar beantwortet, sondern eine Annäherung erreicht, um letztendlich hiermit eine Antwortmöglichkeit zu erzielen.49
44 S. Brandon S. Plewe, Representing Datum-level Uncertainty in Historical GIS, in: Cartography and geographic information science 30 (2003), S. 319 – 334, hier S. 319. 45 S. Stefan Kroll, Gyula Pápay, Die Anwendung der multimedialen GIS-Technologie auf die Geschichtswissenschaft am Beispiel der Sozialtopographie Stralsunds 1706/07, in: Geographische und historische Beiträge zur Landeskunde Pommerns. Eginhard Wegner zum 80. Geburtstag, hrsg. Ivo Asmus, Haik Thomas Porada, Dirk Schleinert (Greifswalder geographische Arbeiten, Sonderband), Schwerin 1998, S. 189 – 194, hier S. 189. 46 Zur angeregten Diskussion zu Beginn der 1970er Jahre innerhalb der Geschichtswissenschaft über die Anwendungsmöglichkeiten von Computern als kartografisches Hilfsmittel für die Forschung s. Reid A. Holland, Urban History and Computer Mapping, in: Historical Methods Newsletter 1 (1972), S. 4 – 9 vs. James W. Cerny, Computers as cartograpic tools, in: Historical Methods Newsletter 3 (1972), S. 97 – 99; Humphrey Southall, Ed Oliver, Drawing Maps with a Computer… or Without?, in: History and computing 2 (1990), S. 146 – 154. 47 S. Rolf Plöger, GIS-Anwendungen in der Historischen Geographie, in: Geographische und historische Beiträge zur Landeskunde Pommerns. Eginhard Wegner zum 80. Geburtstag, hrsg. Ivo Asmus, Haik Thomas Porada, Dirk Schleinert (Greifswalder geographische Arbeiten, Sonderband), Schwerin 1998, S. 195 – 202, hier S. 197. 48 S. Gregory und Ell, Historical GIS, Techniques (wie Anm. 38), S. 19; Lary R. Poos, Yecheng Wu, John Allen, Thomas Finan, Clayton Jewett, Linda Erdman, Digitizing History. GIS Aids Historical Research, in: GIS world 8 (1995), S. 48 – 51, hier S. 50. 49 S. Gregory und Ell, Historical GIS, Techniques (wie Anm. 38), S. 9.
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Neben den bereits aufgezeigten Potenzialen treten daneben auch einige Herausforderungen bei der Anwendung auf.50 Die Auswahl der Forschungsdaten und deren Verarbeitung sollte von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern getroffen werden, die mit dem historischen Forschungsgegenstand und dessen Prozess im Raum vertraut sind.51 Während des Aufbaus der Historical GISDatenbank und dem damit verbundenen Umgang mit historischem Quellenmaterial, aus dem die notwendigen Daten zur Eingabe ausgewählt und exzerpiert werden, treten oftmals ungenaue Angaben von Ort und Zeit, Ambiguitäten oder fehlende bzw. gar fehlerhafte Angaben zutage.52 Vor allem die Handhabung von temporalen Daten mit entsprechenden Problempotenzialen in einem Historical GIS und die Darstellung der dynamischen Prozesse sind in der näheren Betrachtung.53 Damit sei auf das »Problem der Modellierung historischer Prozesse«54 an sich in einem Historical GIS hingewiesen. Problematisch ist damit der Umgang, die Darstellung bzw. Verarbeitung von ungenauen Zeitangaben mit Datenmaterial dieses Typs innerhalb der Datenbank.55 Trotz der hier kurz auf50 S. Ian N. Gregory, A place in history. A guide to using GIS in historical research, Oxford u. a. 2003, S. 4 – 5. 51 S. Gregory und Ell, Historical GIS, Techniques (wie Anm. 38), S. 19; Knowles, GIS and History (wie Anm. 36), S. 13. 52 S. Brandon S. Plewe, The nature of uncertainty in historical Geographical Information, in: Transactions in GIS 6 (2002), S. 431 – 456; David J. Unwin, Geographical Information systems and the problem of ›error and uncertainty‹, in: Progress in Human Geography 19 (1995), S. 549 – 558, hier S. 551 – 555; Q. Guo, Y. Liu, J. Wieczorek, Georeferencing locality descriptions and computing associated uncertainty using a probabilistic approach, in: International Journal of Geographical Information Science 22 (2008), S. 1067 – 1090. Zum Einstieg in die Diskussion um Standards für Metadaten mit räumlich-zeitlichen Aspekten (Ungenauigkeit, Ambiguität, fehlende Angaben) (Dublin Core vs. ISO 19115 GIMS vs. DDI) s. Ian N. Gregory, Richard G. Healey, Historical GIS. Structuring, mapping and analysing geographies of the past, in: Progress in Human Geography 31 (2007), S. 638 – 653, hier S. 641 – 642. Für einen kollaborativen Lösungsansatz zur problematischen Auszeichnung von Ortsangaben nach TEI (Text Encoding Initiative) in Texten s. Paul S. Ell, GIS, e-Science, and the Humanities Grid, in: The Spatial Humanities. GIS and the Future of Humanities Scholarship, hrsg. David J. Bodenhamer, John Corrigan, Trevor M. Harris, Bloomington 2010, S. 143 – 166, hier S. 154 – 158. 53 S. Donna J. Peuquet, It’s about Time. A Conceptual Framework for the Representation of Temporal Dynamics in Geographic Information Systems, in: Annals of the Association of American Geographers 84 (1994), S. 441 – 461; Gyula Pápay, Die Zeitproblematik aus der Sicht raumbezogener historischer Informationssysteme und der Geschichtskartographie, in: Kartographische Nachrichten 48 (1998), S. 177 – 186, hier S. 177; Suzana Dragicevic, Danielle J. Marceau, Claude Marois, Space, time, and dynamics modeling in historical GIS databases. A fuzzy logic approach, in: Environment & planning 28 (2001), S. 545 – 562, hier S. 550 – 560; Ian N. Gregory, Paul S. Ell, Error-sensitive historical GIS. Identifying areal interpolation errors in time-series data, in: International Journal of Geographical Information Science 20 (2006), S. 135 – 152. 54 S. Swiaczny, Ott, Problem der Modellierung (wie Anm. 39), S. 87 – 95. 55 S. Plewe, Datum-level Uncertainty (wie Anm. 44), S. 319 – 333.
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gezeigten Herausforderungen stellt das Werkzeug Historical GIS in der heutigen multimedialen Lebensumgebung für Forschung und Lehre eine weitere Zugangsmöglichkeit zur Geschichtswissenschaft für am Einsatz von Digitalen Medien Interessierte dar.56 Die ersten Projekte, bei denen ein Historical GIS zur Anwendung kam, wurden Mitte der 1990er Jahre realisiert.57 Vor allem Historical GIS mit nationalem Forschungscharakter, häufig die vergangenen 200 Jahre umfassend, befinden sich im Aufbau und können über das Internet abgerufen werden. Exemplarisch sei für Großbritannien das umfangreich entwickelte »Great Britian Historical GIS« zu erwähnen.58 In Deutschland wird das Vorhaben des Aufbaus einer Datenbank mit nationalem Charakter durch das Projekt »HGIS-Germany« realisiert.59 Als Historical GIS-Projekt mit dem Versuch einer internationalen Kollaboration sei die »The Electronic Cultural Atlas Initiative« genannt.60 Für die Erforschung der Epoche des Mittelalters konnten Historical GIS ebenfalls ihr Potenzial unter Beweis stellen, wie Untersuchungen zu einem bischöflichen Itinerar,61 zum mittelalterlichen England im 14. Jahrhundert62 oder zu Dorfgründungen unter Edward I.63 zeigen. Daher sind auch künftig für diese
56 S. Deryck W. Holdsworth, Historical geography. New ways of imaging and seeing the past, in: Progress in Human Geography 27 (2003), S. 486 – 493, hier S. 491. 57 S. Anne Kelly Knowles, Introducing Historical GIS, in: Past time, past place. GIS for History, hrsg. Anne Kelly Knowles, Redlands, Calif. 2002, S. XI – XX, hier S. XI. 58 S. Ian N. Gregory, The Great Britain Historical GIS, in: Historical Geography 33 (2005), S. 136 – 138. Zuletzt: Ian N. Gregory, Niall A. Cunningham, Chris D. Llyod, Ian G. Shuttleworth, Paul S. Ell, Troubled geographies. A spatial history of religion and society in Ireland (The spatial humanities), Bloomington 2013 [im Druck]. 59 S. Andreas Kunz, Dorlis Blume, Bettina Johnen, HGIS Germany. Ein raumbezogenes historisches Informationssystem der deutschen Staatenwelt im 19. Jahrhundert (1815/20 – 1914), in: Entwicklungen auf dem Gebiet der Informations- und Messtechnik. Festschrift zur Verabschiedung von Prof. Dr. Wolfgang Böhler, hrsg. Frank Boochs, Hartmut Müller (Schriftenreihe Informations- und Messtechnik, 6), Aachen 2005, S. 168 – 179. 60 S. Michael Buckland, Lewis Lancaster, Combining place, time, and topic, in: D-Lib Magazine 10 (2004), DOI: 10.1045/may2004-buckland; Ruth Mostern, The Electronic Cultural Atlas Initiative, in: Historical Geography 33 (2005), S. 156 – 158; Ian Johnson, Spatiality and the social web. Restating authoritative content, in: Geohumanities, hrsg. Michael Dear u. a., London u. a. 2011, S. 267 – 276, hier S. 269. Vgl. exempl. zum kollaborativen Arbeiten: Rainer Simon, Joachim Korb, Christian Sadilek, Rainer Schmidt, Collaborative map annotation in the context of historical GIS, in: 5th IEEE International Conference on e-Science workshops. Oxford, United Kingdom, 9 – 11 Dec. 2009, Piscataway, NJ 2009, S. 139 – 142. 61 S. Gunter Vasold, Das Itinerar Erzbischof Konrads IV. von Salzburg (1291 – 1312). Computergestützte Itinerarerstellung und Itineraranalyse (Schriftenreihe des Instituts für Geschichte, 8), Graz 1996. 62 S. Bruce M. S. Campbell, Ken Bartley, England on the eve of the black death. An atlas of lay lordship, land and wealth, 1300 – 49, Manchester u. a. 2006. 63 S. Keith Lilley, Christopher Lloyd, Steven Trick, Mapping Medieval Townscapes. GIS
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Epoche erfolgreiche Forschungsprojekte unter Anwendung von Historical GIS zu erwarten.64
Applications in Landscape History and Settlement Study, in: Medieval landscapes, 2, hrsg. Mark Gardiner, Stephen Rippon, Macclesfield 2007, S. 27 – 42. 64 S. E. S. Mackenzie, J. McLaughlin, T. K. Moore, K. M. Rogers, Digitising the Middle Ages. The experience of the ›Lands of the Normans‹ project, in: International Journal of Humanities & Arts Computing 3 (2009), S. 127 – 142; Grischa Vercamer, Siedlungs-, Sozial- und Verwaltungsgeschichte der Komturei Königsberg in Preußen (13.–16. Jahrhundert) (Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung, 29), Marburg 2010, S. 17 – 20; Faye Taylor, Mapping Miracles. Early Medieval Hagiography and the Potential of GIS, in: History and GIS. Epistemologies, considerations and reflections, hrsg. Alexander von Lünen, Charles Travis, Dordrecht 2013, S. 111 – 125. Im mittlerweile abgeschlossenen Projekt »HRA7 GeoTWAIN« an der Universität Heidelberg wurde u. a. experimentell ein Itinerar des Herrschers Friedrich II. (1194 – 1250), basierend auf Datensätzen der Regesta Imperii, für den Google Earth-Kartenservice erstellt. S. Matthias Arnold, Konrad Berner, Peter Gietz, Kilian Schultes, Roland Wenzlhuemer, GeoTwain. Geospatial analysis and visualization for researchers of transculturality, in: 5th IEEE International Conference on e-Science workshops. Oxford, United Kingdom, 9 – 11 Dec. 2009, Piscataway, NJ 2009, S. 175 – 179, hier S. 177 – 178. Seit 2011 wird in Kooperation zwischen dem Geographischen Institut und dem Historischen Seminar der Universität Heidelberg sowie der Regesta Imperii mit Mitteln der »Exzellenzinitiative Zukunftskonzept, Teilprojekt 10, Innovationsfonds FRONTIER« das Projekt »RIgeo.net – Raumbezogene Analysemöglichkeiten zur Unterstützung historischer Forschung am Beispiel der Regesta Imperii« gefördert. S. u. a. Lukas Loos, Alexander Zipf, Aufbau eines raum-zeitlichen Gazetteers am Beispiel der Daten der Regesta Imperii, in: Geoinformatik 2012 – »Mobilität und Umwelt«. Konferenzband, 28.–30. März 2012, Braunschweig, hrsg. Marc-Oliver Löwner, Florian Hillen, Ralf Wohlfahrt (Berichte aus der Geoinformatik), Aachen 2012, S. 319 – 326, hier S. 319 – 320, 326; Lukas Loos, Alexander Zipf, RIgeo.net. A Lab for Spatial Exploration of Historical Data [Poster], in: Digital Humanities 2012. Conference abstracts; University of Hamburg, Germany, July 16 – 22, 2012, hrsg. Jan Christoph Meister, Hamburg 2012, S. 488 – 490; Simone Würz, Moritz Lenglachner, Blick in die Historikerwerkstatt: Die Arbeitswelt der Regesta Imperii. Historische Grundlagenforschung im Wandel, in: Studentische Onlinezeitschrift für Geschichte und Geschichtsdidaktik – Skriptum 1 (2011), S. 9 – 17, hier S. 15 – 16. Der RIDatensatz zum Herrscher Friedrich III. – ausgewertet mit einem Historical GIS, neben dem Friedrichs II. – ist ebenfalls nicht unbedeutend für das RIgeo.net-Projekt, S. Loos, Zipf, Aufbau (wie Anm. 64), S. 320 – 321, 325. Somit sind – neben technischen Ansätzen – u. a. neue Ergebnisse unter Anwendung eines Historical GIS zum Aufenthalts- und Reiseverhalten von Herrschern, basierend auf den Daten der Regesta Imperii, zu erwarten neben denen auf der bereits seit 2008 online befindlichen Internetseite des Verfassers (http://www. FriedrichIII.his-gis.net/), die auch auf der Linkseite der RI-Online gelistet ist (S. Regesta Imperii, Verwandte Projekte und Links. Kaiser auf Reisen: Virtuelles Itinerar Friedrichs III. (1440 – 1493) online, Verfügbar unter : http://www.regesta-imperii.de/materialien/ links.html, Zugriff am: 29. 10. 2013). Auf der Internetseite des Vf. liegen Daten zum Aufenthalts- und Reiseverhalten Friedrichs III. u. a. im XML-Format (Open Access, KML, Google Earth-Kartenservice) abrufbereit vor.
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Die Erstellung des Historical GIS für das Itinerar Friedrichs III. Das itinerarum65 diente in der römischen Antike zunächst militärischen Zwecken und wurde als Wegbeschreibung der Marschroute benutzt. Im Zeitalter des Mittelalters sind Itinerarien in den Berichten über Pilgerfahrten oder Kreuzzüge neben denen von politisch-diplomatischen Missionen und kommerziellen Unternehmungen zu finden.66 Niederschriften der Itinerarien von damaligen Kaisern und Königen wurden von den Zeitgenossen jedoch nicht angefertigt.67 Die zuvor beschriebene Art des Itinerars war bei den damaligen Zeitgenossen zum praktischen Gebrauch bestimmt, wodurch sich dieser Typus damit vollkommen von denen durch Rekonstruktion der geschichtswissenschaftlichen Forschung geschaffenen Itinerarien der mittelalterlichen Herrscher unterscheidet.68 Definiert wird heutzutage ein Itinerar als »ein vorwiegend aus dokumentarischen (grundsätzlich jedoch allen) Quellenbeständen abgeleitetes Konstrukt, das aus einem Kontinuum von Raum-Zeit-Daten den Reiseweg einer Person/ Personengruppe ermittelt und ihn tabellarisch und/oder kartographisch darstellt.«69 Die systematische Erforschung der Herrscheritinerarien in Deutschland begann – parallel zu anderen Projekten in Europa – in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei der Arbeit an den Regesten der Urkunden deutscher Könige und Kaiser des Mittelalters, den Regesta Imperii. Die RI sind damit »als das chronologisch-tabellarische Itinerar schlechthin anzusehen«.70 Die geschichtswissenschaftliche Darstellung des jeweiligen Itinerars lässt sich in zwei unterschiedlichen Arten präsentieren: als Reise-Weg-Itinerar oder als Aufenthalts-/Frequenzitinerar. Bei der Darstellung des Itinerars in der ersten Präsentationsweise steht die chronologische Betrachtung von Reisen und Nichtreisen unter dem räumlich-zeitlichen Aspekt während des zeitlichen Ablaufs im Zentrum des Interesses. Sofern die zeitliche Abfolge der Reisetätigkeit bei der Darstellung des Itinerars nicht im Vordergrund steht, entspricht dies der zweiten oben erwähnten Präsentationsweise, dem Aufenthalts-/Frequenzitinerar. Heutzutage geht jedoch die Itinerarforschung über die unter quellenkritischen Gesichtspunkten erfolgte 65 Wegweiser, Wegbeschreibung, Reiseführer oder Reisebeschreibung, zu lat. iter, itineris (= Weg). 66 S. Alfred Heit, Itinerar, in: Lexikon des Mittelalters, 5, München u. a. 1991, Sp. 772 – 775, hier Sp. 773. 67 S. Eckhard Müller-Mertens, Die Reichsstruktur im Spiegel der Herrschaftspraxis Ottos des Großen (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte, 25), Berlin 1980, S. 15. 68 S. Ebd. 69 Heit, Itinerar (wie Anm. 66), Sp. 772 – 775. 70 Ulf Christian Ewert, Die Itinerare der burgundischen Herzöge aus dem Hause Valois. Eine kliometrische Untersuchung zum Wandel von Itinerarstruktur und Herrschaftsform im Spätmittelalter (Studia mediaevalia, 1), St. Katharinen 2003, S. 27.
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ausschließliche Erstellung des Itinerars durch weiterführende Fragestellungen hinaus. Hier ist zunächst die Itinerarstrukturforschung zu erwähnen, die das Aufenthaltsverhalten eines Herrschers nach markanten Gliederungsmöglichkeiten untersucht. Eine Strukturierung des Herrscheritinerars – sofern zunächst möglich nach Aufenthaltsdauer, Häufigkeit der Ortswechsel, zurückgelegte Wegstrecken etc. – kann damit zum Indikator für den Zustand der Herrschaft des reisenden und residierenden Herrschers werden. Bei der Strukturanalyse eines Itinerars gilt es, bewegungsintensive Phasen des Herrschers von stationären abzusetzen, um damit Rückschlüsse auf eine Reise- oder Residenzherrschaft ziehen zu können. Schließlich ist oftmals in Auswertungen von Itinerarien eine mathematische Ermittlung der jeweiligen Reisegeschwindigkeit zu finden.71 Die Berechnung dieser Geschwindigkeitswerte ist wegen fehlender Variablenangaben (genauer Wegeverlauf, exakte Ankunftszeit bei kurzen Reiseentfernungen, Anzahl der Rasttage, Art der Fortbewegung, sei es reitend, das Schiff oder die Kutsche nutzend, Größe des Gefolges, Witterungsverhältnisse, Tageszeit, Grund der Reise etc.) bzw. unpräzisen Definitionen als ungenau anzusehen.72 Eine Geschwindigkeitsberechnung unter Berücksichtigung der genannten Variablenangaben wird daher wegen des zusätzlichen Forschungsaufwands in diesem Beitrag nicht weiter verfolgt werden. Dennoch ist die im späteren Verlauf erfolgte Ermittlung der Luftlinienentfernung zwischen zwei Orten als Minimaldistanz durchaus vertretbar, um eine Einordnung der zurückgelegten Wegstrecken als Näherungswert zu erreichen. Die Ermittlung der Zeitdauer eines Aufenthalts gestaltet sich als äußerst schwierig, da anhand der Urkunden nicht auf den genauen Anreise- bzw. Abreisezeitpunkt geschlossen werden kann. Damit verbleibt auch die genaue Reisedauer für den jeweiligen Ortswechsel innerhalb einer Reise ungewiss. Gleichwohl erfolgt in dieser Studie eine Berechnung der jeweiligen Aufenthaltsdauer an einem Ort, sofern der Herrscher diesen mindestens für einen eintägigen Aufenthalt besuchte. Damit werden Aufenthalte, die auf der Durchreise lediglich passiert wurden, nicht in den Ergebnissen berücksichtigt. Dennoch werden durch diese Auswertung Tendenzen im Aufenthaltsverhalten Friedrichs erkennbar sein.73
71 S. exempl.: Martina Reinke, Die Reisegeschwindigkeit des deutschen Königshofes im 11. und 12. Jahrhundert nördlich der Alpen, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 123 (1987), S. 225 – 251. 72 Zum problematischen Vorgehen s. Ebd., S. 231 – 232. 73 Heinig ermittelt ebenfalls die jeweiligen Aufenthaltstage für das Itinerar Friedrichs, weist dabei jedoch deutlich darauf hin, dass die Angaben lediglich »cum grano salis« anzunehmen seien. S. Paul-Joachim Heinig, Kaiser Friedrich III. (1440 – 1493). Hof, Regierung und Po-
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Zur umfassenden und systematischen Auswertung der Informationen zum Reise- und Aufenthaltsverhalten eines Herrschers ist die Speicherung und Strukturierung der notwendigen Daten in einer Datenbank nötig. Mittlerweile liegt eine beträchtliche Anzahl von Regesten Friedrich III. betreffend digitalisiert und über das Internet abrufbereit vor.74 Diese beinhalten – neben der Inhaltsangabe des entsprechenden Rechtsdokuments und weiteren editorischen Hinweisen – meist die Angabe eines Ortes sowie eines Zeitpunkts und erfüllen demzufolge das entscheidende Kriterium zur Darstellung in Raum und Zeit. »Der Weg von den Primärdaten zu verwertbaren Informationen und »Erkenntnis« […] erfordert bei der Konzeption eines historischen GIS besondere Sorgfalt, damit sich sowohl die zeitlichen als auch die räumlichen Beziehungen abbilden und damit analysieren lassen.«75 Ungefähr 75 Prozent des für ein GISProjekt benötigten Zeitaufwands ist in das Erstellen der Datenbank zu investieren.76 Diese aufwendige Arbeitsphase wird von der geschichtswissenschaftlichen Zunft oftmals nicht ausreichend gewürdigt, wie dies vergleichsweise mit gedruckten Publikationen geschieht.77 Das systematische Vorgehen bei der Operationalisierung der zentralen Fragestellung ist ausschlaggebend für die GIS-Nutzung.78 Die benötigten Informationen und Daten werden hierbei mit den entsprechenden Objekten räumlich verknüpft. Die Übermittlung des Gesamtbestands der 13. Abteilung (Friedrich III.) der RI-Online erfolgte im XML – Datenformat. Aus dem übermittelten Datenbestand wurden die für das Projekt benötigten Daten importiert. So konnte auf den Import der teilweise umfangreichen Regestentexte selbst verzichtet werden, da ein Zugriff auf diese durch einen Internet-Hyperlink (URI) ermöglicht werden sollte. In die Datenbank wurden, neben wenigen weiteren, folgende Daten importiert: eine eindeutige Identifikation (ID), welche von der RI-Online-Datenbankstruktur bereits vorgegeben war (»ri_1442-09-26_000001_000001_013 _011_000_000024_0000000024«), das Ausstellungsdatum der Urkunde (im Format »1442-09-26«), das Ausstellungsdatum (im Format »1442 September 26«) und der Ausstellungsort (beispielsweise »Zürich«). Innerhalb der Datenbank wurde ein Internet-Hyperlink für jedes Regest aus der vorhandenen ID generiert, sodass eine direkte Verknüpfung zwischen dem Datensatz und dem
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litik, 2 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, 17,2), Köln, Weimar, Wien 1997, S. 820. Deutsche Kommission für die Bearbeitung der Regesta Imperii e. V.: Regesten – 13. Abteilung, Friedrich III., http://www.regesta-imperii.de/regesten/. Dieser Datenbestand umfasste 17.974 Datensätzen (4. 11. 2007). Swiaczny, Ott, Problem der Modellierung (wie Anm. 39), S. 78. S. Kenneth E. Foote, Mapping the Past. A Survey of Microcomputer Cartography, in: Historical Methods 25 (1992), S. 121 – 131, hier S. 126. S. Gregory, Healey, Historical GIS (wie Anm. 52), S. 639. S. Swiaczny, Ott, Problem der Modellierung (wie Anm. 39), S. 80.
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eigentlichen Online-Regest vorlag (hier http://www.regesta-imperii.de/regesten/index.php?uri=1442 – 09 – 26_1_0_13 _11_0_24_24).79 Um die Ausstellungsorte der Urkunden auf einer Karte darstellen zu können, müssen diese georeferenziert werden.80 Insgesamt wurden für 530 verschiedenartige Ortsbezeichnungen Koordinaten ermittelt und zugewiesen, wobei diese Zählung auch unterschiedliche Schreibweisen von Ortsnamen einbezog (Abb. 1).81 »Diese Herrscherregesten wurden – zumal in den älteren Bänden – ergänzt von »Reichssachen«, worunter zumeist urkundliches Material, das in irgendeinem inhaltlichen Bezug zur Reichsgewalt steht, zu verstehen ist.«82 Für das Itinerar waren jedoch ausschließlich diejenigen Regesten von Interesse, in denen Friedrich als Aussteller infrage kam. Daher musste eine detaillierte Durchsicht 79 Die URI lautet mittlerweile: http://www.regesta-imperii.de/id/1442 – 09 – 26_1_0_13_11_0_ 24_24. 80 Den in diesem Datenbestand genannten Ortsbenennungen wurden Koordinaten im WGS-84-Datum zugewiesen. Geographische Koordinaten liegen für viele Orte frei verfügbar vor. Exemplarisch: Falling Rain Genomics, The worldwide index of cities and towns 2007, Verfügbar unter : http://www.fallingrain.com/, Zugriff am: 11. 03. 2008. Die importierten Daten beinhalteten unterschiedliche Schreibweisen von Ortsnamen, welche es zu vereinheitlichen galt. So wurde »Cölln« zu »Köln«. S. Gregory Crane, Georeferencing in Historical Collections, in: D-Lib Magazine 10 (2004). Die Problematik um die Mehrdeutigkeit von Ortsnamen trat oftmals erst während der Generierung der Karten auf. So war beispielsweise häufig der Ort »Baden bei Wien« und der Ort »Nieder-Baden« im Datenbestand stets als »Baden« verdatet. Erst im historischen bzw. temporalen Kontext war eine eindeutige Ortsbestimmung möglich. Ebenso ist exemplarisch noch die Ambiguität des Ortsnamens »Weißenburg« zu nennen, der ebenfalls in den Ursprungsdaten nicht eindeutig identifizierbar war. Die letztgenannte Problematik wurde auf der dynamischen Karte dahingehend sehr schnell erkennbar und konnte letztendlich leicht korrigiert werden, da diese Mehrdeutigkeit des Ortsnamens bei der Betrachtung bzw. Auswertung der Karte dem Herrscher eine – sehr unwahrscheinliche – Tagesreise von rund 280 Kilometern abverlangt hätte. Für die Zuordnung der historischen Ortsbezeichnungen war zudem das »Online-Register« (Register, 13. Abteilung, Friedrich III., 2007) der RI äußerst hilfreich. Für Ansätze und Herausforderungen einer automatisierten Zuweisung von Ortsangaben mit Koordinaten in Textdokumenten vgl. Ian Gregory, Exploiting Time and Space. A Challenge for GIS in the Digital Humanities, in: The Spatial Humanities. GIS and the Future of Humanities Scholarship, hrsg. David J. Bodenhamer, John Corrigan, Trevor M. Harris, Bloomington 2010, S. 58 – 75, hier S. 70 – 71; May Yuan, Mapping Text, in: The Spatial Humanities. GIS and the Future of Humanities Scholarship, hrsg. David J. Bodenhamer, John Corrigan, Trevor M. Harris, Bloomington 2010, S. 109 – 123, hier S. 114 – 120. 81 Die für die Erstellung des Itinerars zu verarbeitenden Datensätze beinhalteten zahlreiche Einträge, für die eine Ortsangabe unbestimmbar (»ohne Ort« etc.) oder keine exakte Datumsangabe gegeben war. Diese Regesten wurden bei der Erstellung des Itinerars nicht berücksichtigt. Um den Zugriff für kommende Forschungsvorhaben innerhalb der interaktiv-dynamischen Karte auf Regesten ohne genaue Ortsangabe oder Datumsangabe dennoch zu ermöglichen, wurden diese Einträge in einem Punkt in der Nordsee gelegen zusammengeführt. 82 Rübsamen, Kuczera, Verborgen (wie Anm. 14), S. 109.
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Abbildung 1: Regesta Imperii – 13. Abteilung – Friedrich III. – Ausstellungsorte
der etwa 18.000 Regestentexte mit anschließender manueller Kategorisierung durchgeführt werden. Neben dem Datenbestand der RI-Online wurde auch das von P.-J. Heinig erstellte »Chronologische Itinerar Friedrichs III.«83 in den Datenbestand der Datenbank eingepflegt. Zur späteren Analyse der durch Friedrich III. zurückgelegten Wegstrecken wurde eine Distanzberechnung durchgeführt.84 Die Datenbank mit 18.390 Datensätzen, wobei 13.856 der Geoobjektdatensätze für die Erstellung des Itinerars als relevant einzustufen sind, beinhaltet u. a., folgende Einträge (Tab. 1):
83 S. Heinig, Kaiser Friedrich III., 3 (wie Anm. 18), S. 1347 – 1389. 84 S. Günter Hake, Dietmar Grünreich, Liqiu Meng, Kartographie. Visualisierung raumzeitlicher Informationen, Berlin u. a. 82002, S. 62 – 63 (Großkreis). Die jeweilige Strecke stellt nicht die exakte, historische Wegstrecke dar, sondern die Minimaldistanz in Form der Luftlinie und dient damit einer Annäherung. Auch kamen das Geländeprofil und die jeweilige Wegführung bzw. -nutzung zwischen zwei Orten nicht zur Berücksichtigung. Exemplarisch sei die Bedeutung der Nutzung des Wasserwegs gegenüber der des Landwegs betont. S. Dietrich Denecke, Straßen, Reiserouten und Routenbücher (Itinerare) im Späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Reisen und Reiseliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, hrsg. Xenja von Ertzdorff-Kupffer, Dieter Neukirch, Rudolf Schulz (Chloe, 13), Amsterdam u. a. 1992, S. 227 – 253.
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Tabelle 1: Datenbank ID
DATORT
ri_1440-0206_000001_ 1440 000001_013_ Februar 6; 012_000_00 Wien 0001_ 00000 00001
ri_1440-0208_000001_ 000001_013_ 012_000_00 0002_000000 0002
1440 Februar 8; Wiener Neustadt
Y, Breite, v
X, Länge, k
KAT HYPERLINK http://www. regesta-impe rii. de/regesten/ index.php? 1440-02-06 48.208333 16.373056 1 uri=144002-06_1_0_ 13_12_0 _1_1 http://www. regestaimperii. de/regesten /index.php? 1440-02-08 47.816667 16.250000 1 uri=144002-08_1_ 0_13_12_ 0 _2_2
DATUM
Basierend auf dem Historical GIS können entsprechend der Forschungsfrage statische Karten erzeugt werden (Abb. 2).85 Die statische Karte ist weder im Inhalt noch im zeitlichen Ablauf in ihrer Darstellung nachträglich beeinflussbar. Eine Publikation dieser Karten ist nicht nur auf Digitalen Medien, sondern auch auf einem Printmedium, z. B. zur Langzeitarchivierung, möglich. Die Auswahl des Zeitraums für die Betrachtung des Itinerars kann nur über eine kurze Periode gewählt werden, da aufgrund der – möglicherweise – gehäuft auftretenden Ortsnennungen die Übersichtlichkeit der Karte verloren ginge. Eine weitere Darstellungsmöglichkeit ist, neben der Ausgabe von vordefinierten Video-Animationen,86 durch die interaktiv-dynamische Karte gegeben, welche den aktuellen GIS-Entwicklungsbestrebungen (web-mapping) folgt, da die Karte über das Internet (http://www.FriedrichIII.his-gis.net/) zugänglich ist.87 Eine interaktive, virtuelle Karte soll ermöglichen, dass durch Anklicken 85 Als Software kam ESRI ArcView 9 zum Einsatz. Die Europakarte im Hintergrund, auf welche die Geoobjektdaten projiziert werden, konnte aus NASA-Rasterdaten (Consortium for Spatial Information, NASA Shuttle Radar Topographic Mission (SRTM) – 90 m Digital Elevation Data 2004, Verfügbar unter : http://srtm.csi.cgiar.org/, Zugriff am: 29. 10. 2013) generiert werden. 86 S. Mark Harrower, A Look at the History and Future of Animated Maps, in: Cartographica 39 (2004), S. 33 – 42, hier S. 41. 87 Die interaktiv-dynamische Karte liegt im offenen Dateiformat KML (Keyhole Markup Language), einem XML – Dialekt, vor. Das Format KML ist ein Standard des Open Geospatial Consortium, wodurch die Interoperabilität und damit eine nachhaltige Nut-
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Abbildung 2: Erste Romreise
Abbildung 3: Google Earth-Kartenservice – Friedrich III. – Erste Romreise
zungsmöglichkeit der in diesem Projekt erzeugten digitalen Ergebnisse gewährleistet ist (Open Access). Die nachhaltige Nutzung ausschließlich serverseitig betriebener Historical GIS-Lösungen – ohne Exportmöglichkeit der Forschungsdaten bzw. -ergebnisse in offene Dateiformate–, deren fortwährend personal- und kostenintensive Wartung sowie auch die Langzeitarchivierung dieser Lösungen, werden künftig oftmals eine Herausforderung darstellen.
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Abbildung 4: Google Earth-Kartenservice – Verschiedenartige Layer
Abbildung 5: Google Earth-Kartenservice – Zeitleiste
eines räumlichen Objekts zur visuellen Unterstützung ein weiteres Fenster erscheint, in dem zusätzliche Informationen verfügbar sind (Hyperkarte).88 Über die interaktiv-dynamische Karte89 ist die Darstellung sämtlicher in der Datenbank vorhandener Datensätze möglich, ohne dass hierbei die Übersichtlichkeit der Karte und damit der Informationsgehalt verloren geht. In Abbildung 3 ist die erste Romreise (Kaiserkrönung) 1451/52 erkennbar. Beim Anklicken eines räumlichen Objekts, hier Siena, erscheint ein weiteres Fenster, über welches ein unmittelbarer Zugriff auf das entsprechende Regest der RI-Online, hier vom 27. Februar 1452, gewährleistet ist. Sofern an einem Ort mehrere Urkunden gleichen Datums ausgestellt wurden, erscheinen zusätzliche Fenster auf der Karte. Durch diese technische Möglichkeit ist eine umfassende Belegangabe für das Itinerar von der kartografischen Darstellung ausgehend nicht nur zum Regest, sondern darüber hinaus zu den von der RI-Online bereitgestellten Verlinkungen zum RI-OPAC90 sowie letztendlich zu digitalen Reproduktionen sichergestellt. Über jeweils unterschiedliche Layer (Abb. 4) kann nicht nur eine zeitlich beschränkte Auswahl getroffen werden, sondern zudem: – eine Auswahl der Regesten des Itinerars Friedrichs III. (1440 – 1493), basierend auf den Datensätzen der Regesta Imperii-Online, 88 S. Jean-Claude Müller, GIS, Multimedia und die Zukunft der Kartographie, in: Kartographische Nachrichten 47 (1997), S. 41 – 51, hier S. 43. Zur Bedeutung von Hyperdokumenten vgl. Jakob Krameritsch, Geschichte(n) im Netzwerk. Hypertext und dessen Potenziale für die Produktion, Repräsentation und Rezeption der historischen Erzählung (Medien in der Wissenschaft, 43), Münster, Westf. u. a. 2007. 89 Beim Export der ArcView-Daten nach Google Earth-Kartenservice fand das Programm KMLerPro Anwendung. Google Earth-Kartenservice, Verfügbar unter: http://earth.google.de/. 90 Die Verlinkung zum RI-OPAC geschieht für die interaktiv-dynamische Karte exemplarisch, um weitere Nutzungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
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eine Auswahl zu den Angaben Heinigs zum Itinerar Friedrichs III., eine Auswahl auf »unsichere« Ortsangaben, eine Auswahl auf alle übrigen Regesten, nicht das Itinerar betreffend, eine Auswahl auf alle Regesten ohne Ortsangabe bzw. genauen Datums.
Durch die modifizierbare Zeitfunktion der Software (Abb. 5) wird die Animation von historischen Abläufen, wie z. B. die Reiseroute nach Rom, erkennbar.
Das Itinerar Friedrichs III. Am 2. Februar 1440 wurde der Habsburger Friedrich (21. September 1415 – 19. August 1493)91 zum römisch-deutschen König gewählt und nahm die Wahl am 6. April 1440 in Wiener Neustadt an. Mit dem Zeitpunkt seiner Wahl soll hier die Betrachtung des Itinerars des Herrschers beginnen. Ausgehend von der zuvor erstellten Historical GIS-Datenbank soll das Itinerar anhand von geeigneten Abfragen in Phasen gegliedert werden. Die Reisewege Friedrichs III. und seiner Kanzlei(en) divergierten zwar zeitweilig, jedoch nicht an Distanz und Dauer ausreichend, um ein persönliches Regiment des Habsburgers auszuschließen. Die im Historical GIS hinterlegten Datensätze können damit für das Itinerar genutzt werden, da es »keinerlei prinzipiellen Hinweis darauf [gibt], daß in den Urkunden und Briefen ein anderer Ausstellungsort als derjenige genannt wäre, an dem sich der Herrscher selbst aufhielt.«92 Von der geschätzten Anzahl von 40.000 Urkunden und Briefen ist lediglich ein Bruchteil in Form von Regesten erschlossen und liegt zudem in digitaler Form vor. Infolgedessen können keinerlei Aussagen zur Repräsentativität des Materials getroffen werden, da hierfür die tatsächliche Gesamtzahl der ausgestellten Dokumente vorliegen müsste.93 Im weiteren Verlauf wird auf eine Differenzierung zwischen Urkunden und Briefen zur Erhöhung der Lesbarkeit verzichtet und zusammengefasst von Urkunden berichtet. Der betrachtete Zeitraum erstreckt sich mit der ersten ausgestellten Urkunde vom 6. Februar 1440 bis zur letzten bestätigten Urkunde durch Friedrich III. am 16. August 1493. Dies entspricht einer Zeitspanne von 19.449 Tagen. Mit 3.351 Tagen sind knapp 17 Prozent der Tage des betrachteten Zeitraums über 53 Jahre 91 S. Paul-Joachim Heinig, Friedrich III. (1440 – 93), in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch, 1,1, hrsg. Werner Paravicini (Residenzenforschung, 15,1), Ostfildern 2003, S. 341 – 351. 92 Heinig, Kaiser Friedrich III., 2 (wie Anm. 73), S. 814. 93 S. Ewert, Itinerare (wie Anm. 70), S. 78 vs. Müller-Mertens, Reichsstruktur (wie Anm. 67), S. 92.
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in Raum und Zeit belegbar zu verorten. Für die jeweiligen Dekaden ergibt sich hiernach folgende Verteilung der ausgestellten Urkunden (Abb. 6):
Abbildung 6: Anzahl der ausgestellten Urkunden je Dekade
Ausgehend von der Berechnung der zurückgelegten Distanzen zwischen den Aufenthaltsorten Friedrichs lassen sich Rückschlüsse auf das Reiseverhalten während seiner Herrschaft ziehen. Wenn die aus der Historical GIS-Datenbank heraus errechneten Distanzen jeden Jahres summiert werden, ergibt sich Abbildung 7, in der daneben die ausgestellte Urkundenanzahl jeden Jahres dargestellt ist: In der Abbildung ist deutlich zu erkennen, dass die zurückgelegten Wegstrecken stark divergieren. Die längste Wegstrecke legte Friedrich im Jahr 1442 zurück, während in den Jahren 1454, 1463 bis 1465, 1479, 1481 sowie 1482 und letztendlich von 1490 bis 1493 überhaupt kein Ortswechsel stattfand. Bei näherer Betrachtung ist ersichtlich, dass eine Strukturierung des Zeit-WegstreckenGraphs in elf Phasen möglich erscheint, wobei eine historische Einordnung hier nicht erfolgen kann.94 Bei der Betrachtung sämtlicher Aufenthaltsorte Friedrichs (Abb. 8) sind einige Aspekte als auffallend anzusehen. Eine deutliche Konzentration der auf94 Koller gliedert die Herrschaft in drei Phasen, s. Koller, Neuere Forschungen (wie Anm. 24), S. 44 – 45; Heinig in fünf Hauptphasen mit weiteren Untergliederungen, s. Heinig, Kaiser Friedrich III., 2 (wie Anm. 73), S. 821; Krieger in drei Phasen, s. Karl-Friedrich Krieger, Die Habsburger im Mittelalter. Von Rudolf I. bis Friedrich III., Stuttgart 22004, S. 235 – 237.
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Abbildung 7: Wegstrecken und Urkundenanzahl
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Abbildung 8: Aufenthaltsorte
gesuchten Orte ist für seine österreichischen Erblande erkennbar. Ebenfalls ist die Reiseroute Richtung Süden zur Ewigen Stadt deutlich zu erschließen, mit Abstechern nach Neapel und Ancona. Evident fällt ferner die häufige Nennung von Orten entlang des Rheins auf. Ausreißer im Nordwesten stellen die Aufenthalte im Gebiet Flanderns und im Südwesten um den Genfer See dar. Selten führten ihn seine Wege nördlich über den Main hinaus. Weiter im östlich bereisten Gebiet bildet die Donau die nördliche Aufenthaltsgrenze, ausgenommen vereinzelte Aufenthalte wie in Zwettl oder Weitra und Brünn als Ausreißer. Südwestlich der Alpen ist ein Aufenthalt Friedrichs ebenfalls nicht nachweisbar. Friedrich beehrte damit während seiner Regierungszeit bei Weitem nicht das gesamte Reichsgebiet des Heiligen Römischen Reiches mit seiner Anwesenheit. Abbildung 9 bildet die Urkundenanzahl an den zehn Orten, an denen die meisten Urkunden über den betrachteten Zeitraum ausgestellt wurden, in einer jährlichen Gliederung ab. An sonstigen Orten ausgestellte Urkunden werden ebenfalls für jedes Jahr summiert erfasst. Hiermit ist zum einen ein Anhaltspunkt hinsichtlich des jeweiligen Aufenthaltsorts des Herrschers gegeben und zum anderen sind anhand der markanten Häufungen an ausgestellten Urkunden an einem Ort Rückschlüsse auf ein an diesem Ort stattgefundenes Ereignis möglich (Abb. 10). Während der gesamten Regierungszeit führen die Städte Wiener Neustadt, Wien, Graz und Linz die Liste der häufigsten Ausstellungsorte an. Offensichtlich findet eine anteilige Verschiebung der jeweiligen Anzahl der Urkundenausstellungen zwischen diesen genannten Orten statt. So dominieren zunächst als
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Abbildung 9: Anzahl der Urkunden nach Ausstellungsorten
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Abbildung 10: Anzahl der Beurkundungen
Ausstellungsorte vor allem Wien und Wiener Neustadt neben Graz über die erste Hälfte der Regierungszeit, während das Verhältnis in der zweiten Hälfte der Herrschaft sich zuungunsten Wiener Neustadts hin nach Graz und Wien verlagert, wobei in den letzten Jahren ausschließlich Linz als Ausstellungsort und somit als Aufenthaltsort Friedrichs fungierte. Zwar ist die Anzahl der erhaltenen Dokumente für die jetzt näher betrachteten Städte Wiener Neustadt, Wien, Graz und Linz unterschiedlich, da beispielsweise das Stadtarchiv von Graz 1820 im Fluss Mur versenkt wurde, dennoch verbleibt die Zahl der in Graz ausgestellten Urkunden weiterhin markant.95 Diese Besonderheit soll durch geeignete Abfragen der Historical GIS-Datenbank jetzt gezielter beleuchtet werden. »Das Herrscheritinerar ist der maßgebliche Ansatzpunkt für die Residenzforschung: An ihm kann man ablesen, wo sich innerhalb eines Territoriums Schwerpunkte der lokalen Präsenz des Fürsten und damit zumindest potenzielle Residenzen bilden.«96 Bei einer Darstellung der Gesamtanzahl der ausgestellten Urkunden
95 S. Berthold Sutter, Die Residenzen Friedrichs III. in Österreich, in: Ausstellung Friedrich III. Kaiserresidenz Wiener Neustadt; St. Peter an der Sperr, Wiener Neustadt; 28. Mai bis 30. Okt. 1966 (Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums, 29), Wien 1966, S. 132 – 143, hier S. 132. 96 Klaus Neitmann, Was ist eine Residenz? Methodische Überlegungen zur Erforschung der spätmittelalterlichen Residenzbildung, in: Vorträge und Forschungen zur Residenzenfrage, hrsg. Peter Johanek (Residenzenforschung, 1), Sigmaringen 1990, S. 11 – 43, hier S. 19.
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Abbildung 11: Regestenanzahl nach Ausstellungsorten
(Abb. 11) am jeweiligen Ort ist deutlich erkennbar, dass weit mehr als die Hälfte aller ausgestellten Urkunden im Gebiet der Erblande verfasst wurden.
Abbildung 12: Aufenthaltsdauer
Bei der in Abbildung 12 dargestellten Aufenthaltsdauer dominieren die Orte Wiener Neustadt, Graz, Wien und Linz abermals. In Abbildung 13 sind die Jahre der absoluten Immobilität für 1454, 1463 bis 1465, 1479, 1481, 1482 und seit 1490 deutlich identifizierbar, wie auch die bereits zuvor definierten elf Phasen.
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Abbildung 13: Anzahl der Aufenthaltstage an ausgewählten Orten
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Anhand der soeben interpretierten Grafiken, sowohl hinsichtlich der Anzahl an ausgestellten Urkunden am jeweiligen Ort als auch der Aufenthaltsdauer an demselbigen, sind die Städte Wiener Neustadt, Graz, Wien und Linz als Herrschaftsschwerpunkte, sogar hinsichtlich der exponierten Werte – mit mehr als 60 Prozent der ausgestellten Urkunden wie auch mit einer Aufenthaltsdauer von mehr als 70 Prozent über den gesamten Zeitraum – als Residenzen einzustufen. Das Reich als ein polyzentrisches Gebilde zeichnete sich durch königsnahe und königsferne Landschaften aus. Die mittelalterliche Herrschergewalt wurde durch häufigen Ortswechsel erhalten bzw. bekräftigt. Ein Königsbesuch erinnerte die Knotenpunkte des weitmaschigen Machtnetzwerks an ihre Loyalität dem Herrscher gegenüber.97 Oftmals werden in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung die beiden Idealtypen Reise- und Residenzherrschaft gegenübergestellt.98 Folglich drängt sich abermals die Frage auf, ob der Herrscher Friedrich sein Reich eher durch eine Reise- oder sich entwickelnde Residenzherrschaft beeinflusste, wobei mögliche Herrschaftsmittelpunkte für bestimmte Perioden zu identifizieren sind. Während der gesamten Regierungszeit über 53 Jahre als König und 41 Jahre davon als Kaiser legte Friedrich mindestens eine Distanz von 33.826 Kilometern zurück. Rein rechnerisch entspricht dies 632 Kilometern im Jahr, folglich 12 Kilometern pro Woche. Jedoch ist anhand der aufgezeigten Phasen im Itinerar deutlich geworden, dass dieses stark von intensiven Bewegungsphasen wie auch absoluter Immobilität – teilweise über Jahre hinweg – geprägt ist (Abb. 14). Die zurückgelegte Distanz innerhalb eines Tages überschritt selten den Durchschnittswert von 30 Kilometern in der Luftlinie. »Das Itinerar Friedrichs III. z. B. gibt keine Vorstellung von der Wirksamkeit seiner Politik. Auch während […] der Abwesenheit vom Reich sicherte sich der Habsburger politischen Einfluß, der einerseits vom Kaiserhof ausgehend von delegierten Richtern und kaiserlichen Geschäftsträgern […] und anderseits im Reich von einer ständig mit Wiener Neustadt in Verbindung stehenden kaisertreuen Fürstenpartei […] getragen wurde.«99 Die meisten Urkunden wurden an 97 S. Hans Conrad Peyer, Das Reisekönigtum des Mittelalters, in: Könige, Stadt und Kapital. Aufsätze zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, hrsg. Ludwig Schmugge, Roger Sablonier, Konrad Wanner, Zürich 1982, S. 98 – 115; Hans Conrad Peyer, Das Aufkommen von festen Residenzen und Hauptstädten im mittelalterlichen Europa, in: Könige, Stadt und Kapital. Aufsätze zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, hrsg. Ludwig Schmugge, Roger Sablonier, Konrad Wanner, Zürich 1982, S. 69 – 80; Peter Moraw, Franken als königsnahe Landschaft im späten Mittelalter, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 112 (1976), S. 123 – 138, hier S. 124 – 127. 98 S. Neitmann, Residenz (wie Anm. 96), S. 18. 99 Ernst Schubert, König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 63), Göttingen 1979, S. 69.
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Abbildung 14: Wegstrecke nach Dekaden
den beiden Hauptsitzen Wiener Neustadt und Graz – neben Wien und Linz – ausgestellt, welches Friedrich den zeitgenössischen Vorwurf in der Speierischen Chronik einbrachte, dass er bleibe in sinem lande, und waz er mit briffen mochte uß gerichten, anderß hette man kein hilffe von ime, dan wo ime gut mochte werden, daruff waz er geneiget. Die kurfursten off dem Rin koment etwo decke ztu e e hauff und verschribent dem keiser zu in zu komen; er kam nye zu in.100 Friedrich hatte die Modernisierung der Verwaltung stark vorangetrieben, auf welche er in den Phasen seiner Immobilität zurückgreifen konnte, um mit deren Hilfe weiterhin Einfluss auf die Entwicklungen im Reich nehmen zu können. »Er regierte bereits in erster Linie mit Hilfe schriftlicher Befehle. Dazu ist er auch genötigt, da er durch viele Jahre kaum reiste und folglich die Reiseherrschaft alten Stils nicht mehr aufrechterhalten konnte.«101 Das römisch-deutsche Königtum zeichnete sich durch die zeittypische Mischform einer Reise- und Residenzherrschaft aus.102 Die Strukturen des Reiches mit ihren königsnahen und königsfernen Komponenten als Antipoden sind in der Regierungszeit Friedrichs III. einem langfristigen Wandel ausge-
100 Speierische Chronik. Von 1406 bis 1476, in: Quellensammlung der badischen Landesgeschichte, 1, hrsg. Franz Joseph Mone, Karlsruhe 1848, S. 367 – 519, hier S. 450 (183). 101 Heinrich Koller, Probleme der Schriftlichkeit und Verwaltung unter Kaiser Friedrich III., in: Europa 1500. Integrationsprozesse im Widerstreit: Staaten, Regionen, Personenverbände, Christenheit, hrsg. Ferdinand Seibt, Stuttgart 1987, S. 96 – 114, hier S. 112. 102 S. Heinig, Kaiser Friedrich III., 2 (wie Anm. 73), S. 818.
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setzt.103 Insgesamt ist ein Wandel der königlichen politischen Strukturen zu erkennen, die von Friedrich III. eingeleitet und von seinem Sohn Maximilian I. fortgeführt wurden und damit zu einem neuen politischen System des Königtums führten.104 **
Der vorangegangene Beitrag stellt eine umfassende – zunächst quantitative – Analyse des Datenbestands der 13. Abteilung der RI-Online mit etwa 18.000 Datensätzen dar. Hierfür war zunächst die zeitaufwendige Konzeptionierung und Erstellung der Datenbank nötig, wobei u. a. eine Kategorisierung sämtlicher Regesten wie auch die Georeferenzierung der Orte und schließlich die Plausibilitätsprüfung der für das Itinerar relevanten Regesten erfolgen musste. In der vorgestellten Studie wurde damit nicht nur ein Historical GIS – inklusive einer interaktiv-dynamischen Karte – realisiert, sondern dieses konnte auch exemplarisch gezielt für die Festigung einer in der älteren Forschung bereits aufgezeigten Tendenz hinsichtlich der Frage zur Reise- oder Residenzherrschaft Friedrichs III. erfolgreich eingesetzt werden. Die Ergänzung des Historical GIS mit Metadaten aus zeitgenössischen Berichten – wie genaue Ankunftszeit, Art des Transportmittels, Größe der Reisegesellschaft, Witterungsbedingungen, mögliche Seuchen vor Ort, die zur Weiterreise zwangen – ist denkbar. Daneben sind neue Aufenthaltsorte, erschlossen aus weiteren Urkunden bzw. Berichten, dem Datensatz hinzuzufügen. Oftmals bereiste Routen könnten ferner identifiziert werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass Friedrich »[n]ach Stätten der Marienverehrung […] seine Reisewege ebenso aus[richtete] wie nach Heilbädern und der Konstellation der Sterne.«105 Die Zuordnung bzw. Zuweisung der hier nicht näher betrachteten Urkunden ohne Orts- bzw. genaue Datumsangabe könnte durch entsprechende Analysewerkzeuge im Historical GIS ebenfalls vorangetrieben werden. Daneben lassen sich weitere Layer für die interaktive Karte erstellen, die das Itinerar des Sohnes Maximilian oder seiner Frau Eleonore beinhalten. Ferner bleibt die Darstellung von regionalen Gebietsansprüchen im Reich mit deren dynamischen Grenzen reizvoll. Die Ausbau- bzw. Ergänzungsoptionen sind bei einem modular aufgebauten Historical GIS äußerst vielfältig. Die hier aufgezeigten Potentiale eines Historical GIS konnten lediglich ausgespielt werden, da der Regestenbestand in einem 103 S. Paul-Joachim Heinig, Kaiser Friedrich III. und Hessen, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 32 (1982), S. 63 – 101, hier S. 99. 104 S. Ebd., S. 101. 105 Heinig, Friedrich III. (wie Anm. 91), S. 350.
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bereits existierenden digitalen Urkundenbuch abrufbereitet vorlag. Für weitere Forschungsvorhaben ist demzufolge die Publikation bzw. der Ausbau von digitalen Urkundenbüchern erstrebenswert, um die Möglichkeiten, die sich im digitalen Zeitalter bieten, weiter für die Geschichtswissenschaft ausloten zu können. Der digitale Datenbestand bildet letztendlich die Basis für derartige Forschungsprojekte und führt damit die Nachhaltigkeit der digitalen Urkundenbücher durch anschließende Projekte vor Augen. Bei der Konzeptionierung von digitalen Urkundenbüchern sollte zudem berücksichtigt werden, dass Ortsangaben georeferenziert hinterlegt werden, um im weiteren Forschungsverlauf historische Ereignisse und Prozesse im Raum leichter abfragen bzw. darstellen zu können. Kaiser Friedrich III. hatte weit mehr als 30.000 Kilometer Reisestrecke in seinem Leben zurückgelegt, als er am 19. August 1493 im Alter von knapp 78 Jahren verstarb. Das Reiseverhalten der vermeintlichen »Erzschlafmütze des Heiligen Römischen Reiches« war durchaus über viele Jahre von absoluter Immobilität geprägt gewesen, doch lief der Kaiser in der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit zu reiseintensiver Höchstform auf, und das in hohem Lebensalter. Friedrich III. griff bereits umfangreich auf schriftliche Befehle zur Einflussnahme auf die Reichspolitik zurück und konnte daher der Reiseherrschaft – wie in den vorangegangenen Jahrhunderten erforderlich – oftmals entsagen. Anhand dieses Phänomens lässt sich jedoch nicht auf die Effektivität seiner Herrschaft im Herrschaftsgebiet schließen. Daher handelte es sich bei der Herrschaft Friedrichs sowohl um eine Reise- als auch um eine sich herausbildende Residenzherrschaft, welches eine nahende Zeitenwende ankündigte. Der Habsburger Herrscher Friedrich III. hatte während seiner rekordverdächtig langen Regierungszeit auch durch seine zeitweilig sehr intensive Reisetätigkeit den Ausbau des »Hauses Österreich« vorangetrieben, den sein Sohn Maximilian I. dann noch weiter voranbringen sollte. Abstract: With the help of technology the German King and Emperor Frederick III, who reigned from 1440 until 1493, has come more into the focus of historical research. In previous decades he was not as highly respected as a medieval ruler but new research methods have brought him into a better light. The collection of sources – the Regesta Imperii – concerning the emperor’s government is not only printed, but is available as a database with over 18,400 registers of decrees online. Using these datasets – including the parameters of time and space for each historical document – a Historical GIS (Geographical Information System) was designed. An interactive map gives direct access to the collection of sources in time and space. Were there any stationary or mobile phases during Fredrick’s III reign? Which time periods did these phases cover? The analysis using a Historical GIS showed that Frederick III was a very mobile monarch in the
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typical medieval style, but at the same time he was already developing centres of power like Wiener Neustadt. Because of this Frederick III can be classified as a ruler at a turning point in history.
Nele Kaestner
Tiere als Mittel der Repräsentation und Diplomatie im Deutschen Orden im Lichte des Marienburger Tresslerbuches (1399 – 1409)
Ob als Nahrungslieferant, Transportmittel, Handelsobjekt, zum Schutz oder zur Repräsentation, Tiere spielen im Leben der Menschen seit vielen Jahrtausenden eine entscheidende Rolle.1 Allerdings kam gerade den Tieren, die nicht für die Deckung des täglichen Bedarfs eingesetzt wurden, eine besondere Bedeutung zu, da sie in der Regel teuer oder schwer zu beschaffen waren. Hierdurch wurden sie zu Luxusgütern und zu repräsentativen Objekten elitärer Schichten, die sich zum Beispiel Tiere zur Festigung ihrer Kontakte als diplomatische Geschenke zukommen ließen.2 Das lässt sich auch für den Deutschen Orden beobachten, der sich als geistlicher Ritterorden seit dem 13. Jh. in Preußen als Landes-, Grund- und Stadtherr etablierte. Die Ordensbrüder (und ihre Untertanen) setzten Tiere unterschiedlicher Art in äußerst verschiedenen Funktionen ein. So finden sich zum Beispiel im Marienburger Tresslerbuch, einer zentralen Quelle der Ordensüberlieferung, die die Abrechnungen des »Ordensschatzmeisters«, des Tresslers über die hochmeisterliche Kasse der Jahre 1399 bis 1409 enthält, unter anderem Verweise auf Affen, Sittiche, Falken, Pferde, Hunde, aber auch Enten, Hühner und Schafe.3 Der Deutsche Orden bediente sich in seiner Rolle als Landesherr im Bereich der Diplomatie und Repräsentation in hohem Maße repräsentativer Tiergeschenke, wie die Einträge des Marienburger Tresslerbuchs plastisch zeigen.4 1 Vgl. Kai Frölich, Susanne Kopte, Alte Nutztierrassen – Selten und schützenswert, München 2010, S. 9. 2 Heckmann begründet den Versand seltener Falken mit dem Ziel des Hochmeisters, die Gunst anderer Herrscher zu erwerben, s. Dieter Heckmann, Preußische Jagdfalken als Gradmesser für die Außenwirkung europäischer Höfe des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Preußenland 37,2 (1999), S. 39 – 62, hier S. 42. 3 S. Das Marienburger Tresslerbuch der Jahre 1399 – 1409, hrsg. Erich Joachim, Königsberg 1896, Wort- und Sachregister, S. 656 – 687 (=TB). 4 Es ist sowohl das Hauptbuch über die Finanzen der Ordensstaatskasse als auch über jene der Hofhaltung sowie der persönlichen Einnahmen und Ausgaben des Hochmeisters. Innerhalb der elf Jahre, die es inhaltlich umfasst, gab es neben den jeweiligen Tresslern weitere Schreiber. Diese folgten aber im Groben einer einheitlichen Systematik, die im Vergleich zu anderen
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Neben Pferden, Hunden und verschiedenen zur Jagd verwendeten Falken und Habichten, die einen erheblichen Teil der diplomatischen Geschenke ausmachten,5 finden sich weitere Tiere, deren Auftreten im Ordensland zumindest teilweise erstaunen mag. Namentlich sind dies Affen, Bären, ein Löwe, Meerkühe, ein Sittich, Strauße, Uwer/Auerochsen und Wisente.6 Der Strauß tritt zwar nicht als lebendes Tier auf, es finden sich jedoch drei Einträge über Eier dieses Exoten. 1408 wurde ein Straußenei gekauft, welches sogleich weitergegeben wurde, um es mit Silber beschlagen zu lassen.7 Bemerkenswert ist, dass der Einkaufspreis von 20 sc. recht gering ist im Vergleich zu den Kosten für den Silberbeschlag von ungefähr 19 m.8 Anschließend wurde das Ei anscheinend noch für ungefähr 61/2 m. vergoldet und hierfür ein machlön von etwa 5 m. gezahlt.9 Zusammen wurde hier eine hohe Summe in das schmückend veredelte Straußenei investiert, zumal etwas Nützliches wie ein Arbeitspferd durchschnittlich ca. 4 m. kostete.10 Im selben Jahr wurden 61/2 m. vor 6 nob.11 notiert, um ein Straußenei vergolden zu lassen.12 Wenn in diesem Falle auch nicht das Tier an sich von Bedeutung ist, so ist doch das kostbare Produkt ein Gut, das sich nur elitäre Personenkreise leisten konnten. Deshalb sind die Straußeneier des Hochmeisters in diesem Kontext durchaus zu nennen. Für ein anderes Tier der eingangs angeführten Auflistung, das Wisent, gilt Ähnliches. Das Wisent war zwar nicht so exotisch wie der Strauß, da es im
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zeitgenössischen Niederschriften viele Informationen vermittelt. Mit dieser recht ausführlichen Art der Rechnungsführung war es dem Haupthaus als Zentrale der Landesherrschaft möglich, einen gewissen Überblick über die Verwendung der Ordensgelder zu behalten. S. Schuldbücher und Rechnungen der Großschäffer des Deutschen Ordens in Preußen. Großschäfferei Marienburg, hrsg. Christina Link, Jürgen Sarnowsky, 3 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 62,3; Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte, N. F., 62,3), Köln 2008, S. 299; TB (wie Anm. 3), Vorwort, S. IV – V. Nach Klein sind die Jahresberichte für 1399 – 1400, 1401 – 1408 und das Jahr 1409 von je einer anderen Hand und sogar einige Einträge durch den Tressler selbst geschrieben, Albert Klein, Entstehung und Komposition des Marienburger Tresslerbuches, Offenbach am Main 1905, S. 10 – 13. S. Heckmann, Jagdfalken (wie Anm. 2), S. 39. S. TB (wie Anm. 3), Register, S. 656 – 687. Ebd., S. 477. Vielleicht musste auch der Rohstoff noch bezahlt werden, ebd. Die übliche Umrechnung entspricht 1 preussische Mark (m.) = 4 Vierdung (ferto) (f.) = 24 Scot (sc.) = 45 Halbscot usw., so dass 19 m. (an 1 sc.) ein Vielfaches der 20 sc. war, ebd., Vorwort, S. VIII. Unter machlön wird ein Lohn für getane Arbeit verstanden. Zwar befindet sich diese Notiz in einer neuen Abrechnung, aber da von dem Ei unter Verwendung des bestimmten Artikels gesprochen wird, ist davon auszugehen, dass es sich um dasselbe Ei handelt, ebd., S. 477. Anhang, Tabelle 1: Die durchschnittlichen Preise aller Pferdetypen gemäß ihrer Bezeichnung im Marienburger Tresslerbuch. nob. = (englische) Nobel. TB (wie Anm. 3), S. 477. 1409 wurden zwei weitere Straußeneier gekauft, ebd., S. 539.
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Baltikum beheimatet war,13 dennoch war es offensichtlich etwas Besonderes, ansonsten wäre es einerseits häufiger erwähnt und andererseits nicht 1404 als Ehrengeschenk des polnischen Königs an den Hochmeister versandt worden.14 Dieses Ehrengeschenk ist aber auch der einzige Hinweis des Tresslerbuchs auf ein lebendes Wisent; andere Stellen verweisen lediglich auf Wisenthörner.15 Ein weiteres Tier, dessen Produkt besonders exquisit gewesen zu sein scheint, ist der Auerochse.16 Im Jahr 1400 bekam der Hochmeister das Leder eines Auerochsen.17 Außerdem wurden lebende Tiere aufwendig mit dem Schiff transportiert.18 1404 wurde dem Hochmeister durch den Komtur von Balga ein lebendes Exemplar zum Ehrengeschenk gemacht.19 Herzog Witold ehrte ihn 1409 mit vier lebenden Auerochsen.20 Es wäre unvorstellbar gewesen, etwas, dem nicht eine gewisse repräsentative Funktionalität anhaftete, zu einem diplomatischen Geschenk zu machen, so dass allein durch diese Funktion dem Auerochsen und dem Wisent ein besonderer Wert zugesprochen werden kann. Neben dem Leder von Auerochsen ist an dieser Stelle Hirsch- bzw. Rehleder zu nennen. 1401 wurden für den Hochmeister 24 Hirsch- und Tierhäute gegerbt.21 1402 waren es noch einmal fünf Hirsch- und 20 Rehleder.22 Da die Jagd auf Großwild einer kleinen Schicht vorbehalten blieb, waren dessen Produkte wie Fleisch und Leder ebenfalls exquisit und nicht Bestandteil der Grundversorgung der Menschen. Vielmehr unterstreicht der hochmeisterliche Gebrauch des Wildleders seinen fürstenähnlichen Status.23 Folglich sind auch das Leder und das Großwild an sich eher von repräsentativer Funktionalität. 13 S. Joseph Reichholf, Steinbachs Naturführer – Säugetiere, München 1983, S. 236; Adalbert B. Szalay, Wisente im Zwinger. Geschichte aller seit den uralten Zeiten bis heute, in Gefangenschaft erwähnten Wisente, Bisons und Urrinder, in: Zoologischer Beobachter – Der zoologische Garten 5 (1917), S. 112 – 199, hier S. 112. 14 TB (wie Anm. 3), S. 380. 15 Ebd., S. 295, 388, 427 und 467. 16 Es wurde bisweilen darüber diskutiert, ob es sich bei Auerochsen und Wisenten um die gleiche Art handelte. Frank Meier, Mensch und Tier im Mittelalter, Ostfildern 2008, S. 162, setzt die Begriffe »Wisent« und »Auerochse« ohne weitere Begründung gleich; Szalay, Wisente im Zwinger (wie Anm. 13), S. 112, tendiert zu einer gegenteiligen Annahme, wendet jedoch ein, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die unterschiedliche Benennung einund derselben Art den wechselnden Schreibern des TB zur Last gelegt werden muss, s. auch Reichholf, Säugetiere (wie Anm. 13), S. 234. 17 TB (wie Anm. 3), S. 73. 18 Es wurden verschiedene Leinen, strenge und Seile benötigt, um die Auerochsen auf dem Schiff ausreichend fixieren zu können, ebd., S. 541 – 542. 19 Ebd., S. 299. 20 Ebd., S. 544. 21 Ebd., S. 99. Es ist zu beachten, dass sehr wahrscheinlich mit Tier weibliches Wild gemeint ist, ebd., Register, S. 682. 22 Ebd., S. 168. 23 Hugo Swart, Wildpark in Zivil- und Strafrecht nach deutschem Reichs- und preußischen
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Noch ein in Preußen lebendes Tier erfüllte einen repräsentativen Anspruch: der Bär. Es war üblich, dass Schausteller mit gezähmten und dressierten Bären umherzogen, um ihre Kunststücke vorzuführen. Ein solcher scheint dem Hochmeister 1401 begegnet zu sein, als er sich in Elbing aufhielt, denn der Tressler notierte: Item 8 sc. eyme Ruesin, der mit eyme bern umme zoch […].24 1409 erhielt dieser selbst zwei junge Bären.25 Auf den Verbleib oder die Verwendung der Tiere gibt es keinerlei weiteren Hinweis. Die Existenz von Affen auf der Marienburg verrät lediglich eine Notiz des Jahres 1406, nach der der Hochmeister 8 sol. zahlte, damit ein Schaden an Heiligenfiguren, den die Affen in seiner Kapelle angerichtet hatten, behoben wurde.26 Weder vor diesem Jahr noch zu einem späteren Zeitpunkt ist mehr über diese zu finden. Es gibt keine Hinweise auf deren Herkunft, deren Fütterung oder deren Haltung. Ähnlich sieht es bei dem Hinweis auf den Sittich aus. Aus zwei Notizen zweier Jahre ist zu erkennen, dass der Hochmeister um den 25. Juni 1406 von nicht bekannter Seite einen Sittich erhielt. Der Bote bekam für die Überbringung des Tieres 3 m.27 Für den 11. April 1407 wurde der Transport des Vogels nach Königsberg notiert.28 Exotische Vögel als diplomatische Geschenke über zum Teil sehr weite Distanzen zu transportieren, ist bereits für die Zeit Friedrichs II. belegt, der Papageien und Kakadus von einem befreundeten Sultan 1240 als Geschenk erhielt.29 Diese wurden wohl wie andere exotische Tiere über den arabischen Fernhandel aus Südostasien nach Italien gebracht und von dort aus
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Landesrecht unter Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung dargestellt, Diss., Borna-Leipzig 1908, S. 11. TB (wie Anm. 3), S. 107. Ein weiterer Verweis s. ebd., S. 498. S. weiterhin Meier, Mensch und Tier (wie Anm. 16), S. 160 – 161. Ebd., S. 534. Ebd., S. 407. Nach Voigt soll die Tür zur Kapelle von Arbeitern, die gerade in der Kapelle arbeiteten, nicht richtig verschlossen worden sein, sodass sich die Affen hereingeschlichen und die Gesichter der Heiligenfiguren zerstört haben sollen. Da er jedoch als Belegstelle die hier ebenfalls genannte Stelle des Tresslerbuchs (S. 407) anführt, bleibt fraglich, woher er die weiterführenden Informationen nahm. Im Tresslerbuch gibt es keine weitere auf Affen verweisende Passage. Bei Voigt wird allerdings ein Schreiben erwähnt, nach dem der Markgraf Wilhelm von Meißen in der Regierungszeit Paul von Rusdorfs (1422 – 1441), also nach den im Tresslerbuch verzeichneten Jahren, von diesem mit einem Affen »geehrt« werden möchte. Daraufhin sandte ihm der Hochmeister einen Affen, welchen er in der Marienburg gehalten hatte, Johannes Voigt, Die Geschichte Marienburgs, der Stadt und des Haupthauses des deutschen Ritter-Ordens in Preußen, Königsberg 1824, S. 332 und ebd., Anm. 71. Wahrscheinlich handelte es sich hierbei um den Lohn des Boten. Dafür spricht die verwendete Satzkonstruktion: Item 3 m. eyme boten, der unserm homeister eynen sittich brochte, TB (wie Anm. 3), S. 399. Ebd., S. 424. Meier, Mensch und Tier (wie Anm. 16), S. 92.
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weiter verbreitet.30 Wie sehr der Hochmeister damit als herrschaftliche Person in Erscheinung trat und sich von dem monastischen Gelübde der Armut entfernte, wird deutlich, wenn berücksichtigt wird, dass es in gehobenen Kreisen üblich war »Vögel als Haustiere zur Erbauung durch Gesang« zu halten.31 Aufschlussreicher als die Hinweise auf die Affen und den Sittich sind drei Vermerke über einen Löwen, welche aus dem Jahr 1408 stammen. Anfang April wurde er dem Hochmeister durch einen Boten mit zwei Knechten übergeben.32 Die Boten und somit womöglich auch der Löwe kamen aus Lübeck. Der Löwe und die drei Personen reisten aus Lübeck an und der Hochmeister übernahm die Unterkunftskosten in einer Herberge.33 Nach 14 Tagen wurde der Löwe von einem gewissen Hannos Sirwille nach Litauen zu Herzog Witold gebracht.34 Eventuell war dies von vornherein der Anschaffungszweck des Löwen gewesen. Zwar gibt es keinerlei Indizien für eine »Bestellung« von Seiten des Hochmeisters, doch gibt es genauso wenig Hinweise darauf, dass er den Löwen seinerseits als Geschenk erhielt, obwohl Liedtke davon ausgeht.35 Einzig die Tatsache, dass zwar die Löhne oder Trinkgelder aufgelistet werden, welche der Bote und die Knechte erhielten, aber in keiner der drei Passagen eindeutig der Einkaufspreis des Löwen erwähnt wird, könnte ein Geschenk vermuten lassen.36 Die Weitersendung des Löwen zu Ehren Witolds wäre dagegen ein Argument für die Orderung des Tieres. Ab 1401, mit Ausnahme des Jahres 1403, finden sich mindestens einmal jährlich Notizen zu Meerkühen.37 Diese Tiere wurden dem Hochmeister im Juni 1401 zugeführt. Es ist weder vermerkt, woher diese stammen, noch wer ihm diese vermacht hat.38 Eimer hält es für wahrscheinlich, dass hiermit Elche gemeint sind, begründet ihre These allerdings nicht weiter.39 Dies ist nicht ausgeschlossen, zumal Elche unter anderem in der preußischen Region heimisch 30 Es erscheint passend, dass der Hochmeister des geistlichen Ritterordens einen Sittich geschenkt bekam, da zumindest seit 1500 Graupapageien und Halsbandsittiche als Mariensymbole belegt sind, s. Sigrid Dittrich, Exoten an den Höfen von Renaissancefürsten und ihre Darstellung in der Malerei, in: Die Kulturgeschichte des Zoos, hrsg. Lothar Dittrich, Annelore Reike-Müller (Ernst-Haeckel-Haus-Studien, 3), Berlin 2001, S. 9 – 30, hier S. 16. 31 Meier, Mensch und Tier (wie Anm. 16), S. 98. 32 TB (wie Anm. 3), S. 475. 33 Ebd., S. 478. 34 S. ebd. 35 F. Liedtke, Beiträge zur Geschichte der Jagd in Ermland und Altpreußen, in: Zeitschrift für die Geschichte und Alterthumskunde Ermlands 10,30 – 32 (1894), S. 512 – 532, hier S. 526, stellt allerdings ohne weitere Begründung die Behauptung auf, der Löwe sei ein Geschenk. 36 TB (wie Anm. 3), S. 475 und 478. 37 Ebd., Register, S. 671. 38 Ebd., S. 98. 39 S. Birgitta Eimer, Gotland unter dem Deutschen Orden und die Komturei Schweden zu ærsta, Innsbruck 1966, S. 253.
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waren40 und bei Großwildjagden erlegt wurden. Für Eimers These spräche, dass die Meerkühe eventuell zu Jagdzwecken in den Tiergarten des Deutschen Ordens nach Stuhm gebracht wurden.41 Allerdings gibt das Tresslerbuch keine Hinweise auf eine praktizierte Jagd auf Meerkühe. Im Jahr 1401 wird auch von Meerochsen berichtet, welche mit Meerkühen identisch zu sein scheinen. Die Meerochsen wurden im Tierpark bei Stuhm von einem Mann gehütet, der für diese Tätigkeit bezahlt wurde. Gleiches lässt sich in folgenden Jahren für Meerkühe finden,42 wohingegen Meerochsen nie wieder Erwähnung finden.43 Standen Meerochsen synonym für Meerkühe, erübrigt sich die Frage, wohin die Meerkühe 1401 transportiert wurden. Diese wurden nach deren Ankunft im Juni unter die Obhut des Tierpflegers in Stuhm gestellt, der im November dafür erstmalig Bezahlung empfing.44 Notiert wurde des Weiteren, dass der Komtur von Balga im Februar 1407 zwei Prußen mit Meerkühen zum Hochmeister schickte.45 Für 1408 und 1409 finden sich Verweise auf den Meerkuhhirten, doch wird nicht erwähnt, wie viele Tiere dieser hütete. Außer dass die Haltung und Pflege der Tiere dem Hochmeister Geld kostete, gibt das Tresslerbuch keine weiteren Informationen über ihre Funktionalität für den Orden. Dies mag daran liegen, dass diese keine praktische Verwendung hatten und einzig dem Zweck gedient haben, als Prestigeobjekte zur Schau gestellt zu werden.46 Auch in Bezug auf Eichhörnchen sind keine Angaben zu ihrer Funktionalität gegeben. 1405 wurden vier schock Eichhörnchen eingekauft,47 doch liefert die 40 Eimers Hypothese ist trotz des hier unternommenen Versuchs, diese zu festigen, ohne weiteres Quellenmaterial nicht zu belegen. Letztlich könnten hinter dem Begriff »Meerkuh« ebenso gut Wasserbüffel stehen. Zwar waren diese in Preußen nicht heimisch, könnten aber aus Indien, Südostasien oder Südosteuropa, wo domestizierte Wasserbüffel eingeführt worden waren, in den Norden gelangt sein, s. Reichholf, Säugetiere (wie Anm. 13), S. 222 und 232. Wasserbüffel sind zumindest Kühen im Exterieur deutlich näher als Elche, jedoch ist diese Hypothese letztendlich ebenso haltlos, wie es die Vermutung Eimers zu sein scheint. 41 Liedtke, Beiträge (wie Anm. 35), S. 516 – 517. Der Hochmeister unterhielt einen eigenen, wenn auch in den Ausmaßen begrenzten, Tiergarten beim Ordenshaus in Stuhm. Außer diesem soll er einen weiteren noch kleineren Garten direkt bei der Marienburg besessen haben. In Königsberg soll ein sogenannter Hetzgarten existiert haben, in welchem in Preußen heimische Tiere wie Auerochsen, Bären, Wölfe und Elche gehalten worden seien, um diese gegeneinander in Tierkämpfen antreten zu lassen. Die Tierkämpfe wurden nach Liedtkes Ausführungen vor allem dann praktiziert, wenn herrschaftlicher Besuch anwesend war, ebd., S. 526 – 527. 42 S. für das Jahr 1402 TB (wie Anm. 3), S. 154; für 1404, S. 309; für 1405, S. 365; für 1406, S. 401 und für 1407, S. 417. 43 Ebd., S. 126. 44 Ebd. 45 Ebd., S. 417 und 418. 46 Waren Meerkühe tatsächlich Elche, wurden diese womöglich zur Jagd gehalten, jedoch ist dies im TB nicht nachweisbar. 47 TB (wie Anm. 3), S. 344.
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Passage keine Informationen darüber, ob es sich um lebende Tiere handelte. Lebende Eichhörnchen könnten bei der Jagd als Beutetiere eingesetzt worden sein.48 Ansonsten waren diese möglicherweise Zwischenprodukte der Pelzproduktion.49 So ist bekannt, dass der Deutsche Orden Pelze in Livland aufkaufte, um diese anschließend beispielsweise nach England, Schottland, Bornholm, Schonen, Spanien, Lissabon, Masowien und Flandern weiter zu verkaufen.50 Es bleibt dennoch anzuzweifeln, ob es angemessen ist, in ihnen lediglich Nutztiere zu sehen. Wurden diese nur des Pelzes wegen gekauft, wären diese doch ein Luxusgut und somit hätte das Tragen des Pelzes immer auch einen herrschaftlichen Charakter gehabt. Ein anderer Hinweis auf diese Tiere lässt an deren Funktionalität als Pelzlieferanten zweifeln. Zusammen mit Rebhühnern wurden dem Hochmeister anlässlich eines zu haltenden Tages zu Kauen 1409 Eichhörnchen aus Birgelau geliefert. Es ist daher wahrscheinlicher, dass diese auf diesem Tag vom Küchenmeister als Delikatesse serviert werden sollten. Bei entsprechenden Anlässen war es innerhalb des Ordens üblich, besondere Speisen zu reichen. Gerade die gemeinsame Erwähnung mit den Rebhühnern lässt den Schluss zu, dass das Fleisch der Eichhörnchen eine feierliche Tafel bereichern sollte, wie beispielsweise bei Festen nach Litauen-Feldzügen. Durch solch eine Festlichkeit, mit gebratenen Eichhörnchen, Staren und Rebhühnern, demonstrierte der Hochmeister wiederum weltliche Macht und Reichtum.51 Neben der bedeutsamen Rolle des Hundes bei der Jagd gab es bereits im Mittelalter, als die Züchtung von Hunden in Mode kam, unterschiedliche Hunderassen.52 Für 1407 ist im Tresslerbuch die Rede von einem hundich, einem kleinen Hund im Sinne eines Schoßhundes.53 So hat es Hunde gegeben, die nicht aus praktischen Erwägungen gehalten wurden, sondern reine Zier darstellten und der privaten Belustigung dienten. Dies galt auch für Hunderassen, denen üblicherweise eine Rolle bei der Jagd zukam. 1409 wird von einem Vorgang 48 Ebd., S. 533. 49 Der Orden fungierte teilweise auch als Zwischenhändler, indem dieser in anderen Ländern Waren einkaufte und diese anschließend an weitere verkaufte, Carl Sattler, Der Handel des Deutschen Ordens in Preußen zur Zeit seiner Blüte, in: Hansische Geschichtsblätter 7 (1879), S. 66 – 88, hier S. 66. 50 Ebd., S. 70 – 71. 51 Nils von Holst, Der Deutsche Ritterorden und seine Bauten von Jerusalem bis Sevilla. Von Thorn bis Narwa, Berlin 1981, S. 168, führt aus, dass beispielsweise nach den Feldzügen gegen die Litauer Festlichkeiten stattfanden, die sich nur darin von denen an weltlichen Höfen unterschieden, dass keine Frauen anwesend waren. Es waren wohl sehr üppige Festmahle, bei denen exotischer Nachtisch wie Korianderkonfekt und Rheinwein, der für den Hochmeister importiert wurde, ebenso dazugehörten wie teures Tierfleisch zum Hauptgang. 52 Brigitte Resl, A cultural history of animals in the Medieval Age, New York 2007, S. 1. 53 TB (wie Anm. 3), S. 425 – 426.
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berichtet, der sich ereignete, als der Hochmeister während einer Reise in Sobowicz hielt. Ein lahmer Junge schenkte ihm für seine Windhunde Stricke als Leinen.54 Diese Begebenheit war für die Beteiligten nicht außergewöhnlich, da die Ordensuntertanen dem Hochmeister, wenn er durch die Ortschaften zog, häufiger auf der Straße kleine Geschenke überreichten.55 Doch weil der Junge ihm die Stricke explizit für seine Windhunde gab, ist dies ein Indiz dafür, dass der Hochmeister die Hunde bei Besuchen in Städten oder Dörfern durchaus mit sich führte. Damit stellt sich die Frage, weshalb er dies tat. Die persönliche Zuneigung Ulrich von Jungingens zu den Tieren mag ein nicht zu verifizierender Grund gewesen sein. Zudem waren diese Hunde besondere Züchtungen, die zu besitzen gewöhnliche Menschen sich wahrscheinlich nicht hätten leisten können, sodass sich hier sehr deutlich die repräsentative Funktionalität dieser Tiere zeigt. Das Pferd war ein unverzichtbarer Bestandteil bei hochmeisterlichen Reisen, denn neben der besonderen Bekleidung, dem Besitz von Prestigeobjekten und edlen Speisen gehörte und gehört zu einem herrschaftlichen Auftreten auch das dem Status entsprechende Transportmittel. Bei der Nennung der Pferde, mehr als bei den anderen Tiergruppen, sind jedoch Einschränkungen zu beachten. Die verschiedenen Pferderassen waren so divers wie ihre Einsatzbereiche, welches sich im Tresslerbuch am deutlichsten in den Preiskategorien widerspiegelt.56 So scheinen überwiegend jene Pferde repräsentative Zwecke erfüllt zu haben, die als Hengst betitelt werden.57 Diese waren in der Regel teurer als anders benannte Pferde. Der durchschnittliche Preis eines Hengstes betrug nach Auswertung aller Nennungen im Tresslerbuch ungefähr 18 m.,58 wohingegen die nächst teurere
54 Ebd., S. 534. 55 S. Klaus Neitmann, Der Hochmeister des Deutschen Ordens in Preußen – ein Residenzherrscher unterwegs. Untersuchungen zu den Hochmeisteritineraren im 14. und 15. Jahrhundert (Veröffentlichungen aus den Archiven Preussischer Kulturbesitz, 30), Köln 1990, S. 45. 56 Es wurde sehr viel Pferdezucht betrieben, Resl, cultural history (wie Anm. 52), S. 1, Anhang, Tabelle 1: Die durchschnittlichen Preise aller Pferdetypen gemäß ihrer Bezeichnung im Marienburger Tresslerbuch. 57 Es ist nicht ganz eindeutig, ob es sich bei der Bezeichnung Hengst auch tatsächlich um einen Hengst im modernen Sinn handelt. Zwar wird für ein männliches Pferd im TB in der Regel der Begriff Hengst verwendet, doch bedeutet dies nicht, dass dahinter wie nach moderner Definition ein zeugungsfähiges Tier steht. Im Gegenteil bezeichnet der Begriff laut Böhnke nach mittelalterlichem Verständnis ein nicht mehr zeugungsfähiges männliches Tier, nach heutigem Sprachgebrauch also einen Wallach. Ein Hengst nach modernem Verständnis findet sich seines Erachtens nach unter der Bezeichnung Ross, s. Werner Böhnke, Der Binnenhandel der Großschäffereien des Deutschen Ordens Königsberg und Marienburg in Preußen um 1400, 1 und 2, Diss., Hamburg 1960, S. 92. 58 Der höchste Preis, der für ein Pferd insgesamt gezahlt wurde, findet sich folglich bei den Hengsten. Dieser betrug 34 m., TB (wie Anm. 3), S. 466.
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Gruppe, die Traber, nur einen durchschnittlichen Preis von ca. 9 m. erreichte.59 Allein die durchschnittlichen Preise lassen auf eine sehr hohe Wertigkeit der Hengste schließen. Ergänzend dazu ist festzustellen, dass Hengste des Öfteren als diplomatische Geschenke versandt wurden.60 Unter der Bezeichnung »Pferd« sind auch einige edlere und damit potenziell zur Repräsentation verwendbare Tiere zu vermuten, da diese ebenfalls in diplomatischen Zusammenhängen versandt wurden und hochpreisiger waren.61 Ein zusätzliches Kriterium für dessen repräsentativen Charakter mag die Fellfärbung eines Tieres gewesen sein. Laut der gängigen, mittelalterlichen Farbsymbolik waren die Fell- oder Gefiederfärbung für den Wert eines Tieres mitbestimmend. Weiße Pferde, Schimmel, galten als die vornehmsten Tiere. Diese repräsentierten den exklusiven Status ihres Besitzers innerhalb der Gesellschaft. Eine Untersuchung des Tresslerbuchs hinsichtlich der Preise in Relation zu deren Farbe zeigt jedoch, dass zwar gerade bezüglich der Hengste Farbpräferenzen existiert haben, welche jedoch nur einen Teilaspekt der Kriterien für ein einem Ritterbruder angemessenes Pferd darstellten. Die kostspieligsten Tiere hatten, wie zu erwarten war, weißes oder schwarzes Fell und wurden als Hengst betitelt. Die absolute Präferenz der weißen Fellfarbe bestätigt sich dennoch nicht.62 Vielmehr bestärkt das Ergebnis die Annahme, dass die Ordensritter vorrangig an der Qualität interessiert waren.63 Als letzte Tiergruppe, die in repräsentativen Absichten eingesetzt wurde, sind die Greifvögel zu nennen. Falken und Bussarde waren wohl die häufigsten Geschenke an für den Orden wichtige Personen. Diese hatten insofern eine repräsentative Funktionalität, als dass diese lediglich zur Jagd eingesetzt wurden, welche wiederum nur einer gewissen Elite gestattet war.64 59 S. u. Tabelle 1: Die durchschnittlichen Preise aller Pferdetypen gemäß ihrer Bezeichnung im Marienburger Tresslerbuch. Zu dieser Berechnung muss allerdings eingeräumt werden, dass nur die Preise und Anzahl der jeweils im Tresslerbuch erwähnten Tiere berücksichtigt wurden. Da Traber erheblich seltener berücksichtigt werden als Hengste, sind die durchschnittlich errechneten Werte nicht absolut vergleichbar. 60 Z. B. TB (wie Anm. 3), S. 338, 474 oder 594. 61 S. u. a. ebd., S. 477. Das teuerste Tier in dieser Kategorie kostete 30 m., ebd., S. 73. 62 S. u. Tabelle 2: Relation zwischen den Preisen von Pferden zu ihren Farben. 63 Sven Ekdahl, Das Pferd und seine Rolle im Kriegswesen des Deutschen Ordens, in: Das Kriegswesen der Ritterorden im Mittelalter, hrsg. Zenon Hubert Nowak (Ordines militares, 6), Torun´ 1991, S. 29 – 48, hier S. 34; Fritz Rünger, Herkunft, Rassezugehörigkeit, Züchtung und Haltung der Ritterpferde des Deutschen Ordens. Ein Beitrag zur Geschichte der ostpreußischen Pferdezucht und der deutschen Pferdezucht im Mittelalter, in: Zeitschrift für Tierzüchtung und Züchtungsbiologie einschließlich Tierernährung 2 (1925), S. 211 – 308, hier S. 249. 64 Der Landesherr bzw. Grundbesitzer durfte den so genannten »Wildbann« aussprechen, mit dem er bestimmte, wer die Erlaubnis bekam, in seinem Herrschaftsgebiet zu jagen, sodass
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Beizvögel als diplomatische Geschenke Der Hochmeister musste sich stets mit der Innen- und Außenpolitik sowie den damit verbundenen Kontakten zu verschiedenen hochrangigen Personen auseinander setzen. Ob auf der Marienburg oder auf Reisen, er stand in einem ständigen Austausch mit anderen Herrschaftsträgern. Geschenke zu diplomatischen Zwecken waren ein fester Bestandteil dieses Austausches.65 Wie sehr derlei Geschenke erwartet wurden und welchen Einfluss diese auf das politische Miteinander hatten, vermittelt ein Beispiel aus dem Jahr 1434 sehr eindrücklich. In einem Schreiben des Hochmeisters vom 3. oder 4. Januar an die Erzbischöfe von Trier und Köln und an den Herzog von Kleve entschuldigte sich der Hochmeister dafür, dass er ihnen aufgrund des Krieges im Ordensland keine Falken und andere federspill hatte zukommen lassen. Als Reaktion auf das Versäumnis wurde dem Orden anscheinend das Recht abgesprochen, Rheinwein, den dieser nach Preußen importierte, weiterhin zollfrei überführen zu dürfen.66 Das vermeintliche Geschenk des Hochmeisters ähnelte also vielmehr einer Art Steuer oder einer Abgabe, welche die zollfreie Überführung des Weins erst ermöglichte.67 Im Jahr 1441 erhielt der Hochmeister seinerseits ein Schreiben des Herzogs von Geldern und Jülich, in welchem er sich für die zwei Falken bedankte und ihm zusicherte, seinen Weinen zukünftig die Zollfreiheit zu gewähren.68 Bereits das Tresslerbuch spiegelt etliche Jahre vor jenen Briefwechseln die Wichtigkeit dieser Kontakte wieder.69 Der Herzog von Geldern, der
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die Jagd immer mehr zum Mittel der höfischen Repräsentation wurde, Meier, Mensch und Tier (wie Anm. 16), S. 79 – 80. Neitmann, Residenzherrscher unterwegs (wie Anm. 55), S. 45. Hans Kumerloeve, Über Beizvogelgeschenke des Deutschen Ritterordens an weltliche und geistliche Fürsten (14./16. Jahrhundert), in: Zeitschrift für Jagdwissenschaft 1 (1955), S. 184 – 186, hier S. 186. Voigt spricht von einer »gewisse(n) Transport-Steuer«. Er berichtet von acht »ausgesuchten, schönen Falken«, die der Hochmeister dem Herzog Ludwig, dem Pfalzgrafen vom Rhein habe zukommen lassen müssen, damit dieser den Wein ohne Zölle passieren ließ, Voigt, Die Geschichte Marienburgs (wie Anm. 26), S. 234, Anm. 57. S. Kumerloeve, Beizfalkengeschenke (wie Anm. 66), S. 186. Knabe hebt die Wichtigkeit der Beizfalkengeschenke ebenfalls hervor und bezieht sich in ähnlicher Weise wie Kumerloeve und Voigt auf ein Beispiel, in welchem ohne Falkengeschenke die zollfreie Durchfahrt der Rheinweine gefährdet gewesen wäre. Er führt hierzu einen Brief des Jahres 1420 an, worin der Deutschmeister des Ordens den Hochmeister über eine Beschwerde des Herzogs Ludwig, Pfalzgrafen bei Rhein, bezüglich der geringen Zahl und des mangelhaften Zustandes der ihm gesendeten Tiere und eine daraus resultierende Gefährdung der Zollfreiheit des Rheinweines informierte. Er bestärkt seine These durch ein weiteres Beispiel aus dem Jahr 1433, in welchem derselbe Pfalzgraf sowie Friedrich, der Landgraf von Thüringen, sich über die geringfügige Zahl der gesendeten Falken beschwerten. Abschließend verweist Knabe auf ein Schreiben des Komturs von Koblenz von 1417, der Falkensendungen vom Hochmeister erbat, um Schwierigkeiten mit den Fürsten des Rheins zu beheben und somit auch die Zollfreiheit für die Weine zu sichern; Gustavgeorg
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Erzbischof von Köln und der Erzbischof von Trier wurden äußerst regelmäßig mit Falken bedacht. Auch der Herzog von Kleve erhielt im Jahre 1405 ein solches Geschenk.70 Ferner wurden in den Jahren 1399, 1401, 1402 und 1406 umfangreiche Falkensendungen schlicht an uf den Reyn oder by den Ryn (den körfursten und andirn herren) adressiert.71 Falken waren die Tiere, die der Hochmeister am häufigsten als diplomatisches Geschenk versandte. Dies mag zum einen daran gelegen haben, dass die Beizvogeljagd eine sehr beliebte Beschäftigung vieler Könige, Fürsten und anderer Adliger war.72 Zum anderen waren die Falken aus Preußen in vielen Ländern äußerst geschätzt, da diese als besonders gut ausgebildet und abgerichtet galten.73 So gab es im Ordensland nicht ohne Grund ausgesprochen viele Falkenschulen. Diese befanden sich im Samland, in Königsberg, in Livland bei Winda und Grebin sowie an vielen anderen Orten.74 Wie aus einer Urkunde hervorgeht, gehörte zu der Marienburg selbst auch eine eigene Falkenschule, welche Konrad von Jungingen kurz nach seinem Amtsantritt dem Falkner Peter verlieh.75 Allem Anschein nach konnte dieser dem hohen Bedarf des Hochmeisters an Falken nicht ohne Weiteres gerecht werden. Immer wieder musste er Tiere bei anderen Komtureien dazu kaufen.76 Für jedes im Tresslerbuch verzeichnete Jahr gibt es etliche Notizen über derlei Einkäufe. Diese sind meist einfach mit falken überschrieben.77 Neben diesen Einkäufen bekam der Hochmeister selbst ebenfalls Falken geschenkt, die er vermutlich zumindest teilweise für seine eigenen Jagden behielt.78 Um verdeutlichen zu können, welche Mengen an Falken bei dem Hochmeister im Laufe eines Jahres ankamen, werden nachfolgend exemplarisch alle Falken-Einkäufe
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Knabe, Preußische Falken im Dienste der Politik des Deutschen Ordens, in: Preußenland 7,2 (1969), S. 17 – 21, hier S. 20. S. u. Tabelle 3: Die Adressaten der Falkensendungen des Hochmeisters im Verlauf der im Tresslerbuch verzeichneten Jahre. TB (wie Anm. 3), S. 37 und 124; S. u. Tabelle 3: Die Adressaten der Falkensendungen des Hochmeisters im Verlauf der im TB verzeichneten Jahre. S. Kumerloeve, Beizfalkengeschenke (wie Anm. 66), S. 184. Voigt, Die Geschichte Marienburgs (wie Anm. 26), S. 206 – 207. Ebd., S. 207. Die Urkunde wurde bezüglich der Errichtung einer Falkenschule an der Marienburg verliehen. Diese beinhaltete eine erbrechtliche Zuschreibung des Grundstücks, auf dem die Falkenschule eingerichtet worden war, an Peter und seine Nachfahren, ebd. und S. 537. Interessanterweise musste er auch bei den Ordenskomtureien für die Falken bezahlen, ebd., S. 207. S. für das Jahr 1399 z. B. TB (wie Anm. 3), S. 23; für 1400, S. 76; für 1401, S. 123; für 1402, S. 193; für 1403, S. 270; für 1404, S. 323; für 1405, S. 362; für 1406, S. 406; für 1407, S. 448; für 1408, S. 506 und für 1409, z. B. S. 593. 1403 bekam der Hochmeister beispielsweise einen Falken von dem Bischof von Heilsberg geschenkt. S. ebd., S. 274. Ein Nachweis für eine Jagd des Hochmeisters findet sich: Ebd., S. 474.
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und an den Hochmeister gerichteten Geschenke des Jahres 1399 dargestellt. Es werden zunächst lediglich die Einkäufe und Geschenke beachtet, die unter den allgemeinen Begriff Falke fallen. Im Tresslerbuch werden zwar weitere Falken erwähnt, jedoch sollen diese, wie auch die anderen Tiere, die als diplomatische Geschenke versandt wurden, erst später Beachtung finden. Zum Teil listete der Schreiber des Tresslers die Falken nach Arten, aber auch bezüglich des Standes ihrer Ausbildung oder ihres Alters auf. Bei der am regelmäßigsten zu findenden unspezifischen Bezeichnung Falke kann es sich laut Voigt um die in Preußen recht häufig vorkommende Gattung der Edelfalken handeln.79 Als erste Aufzeichnung des Tresslerbuchs zu den Falken ist ein Vermerk zu finden, der sich noch auf das Jahr 1398 bezieht, nach dem der Hochmeister dem Königsberger Hauskomtur 58 Falken abkaufte. Anfang April 1399 wurde ein Falkner nach Gotland geschickt, um Falken zu fangen. Im Juli kam eine erste Falkensendung aus Brandenburg.80 Diese war nicht nur für den Hochmeister, sondern auch für den Großkomtur bestimmt, welcher offensichtlich ebenfalls jagte, denn als diplomatische Geschenke dürfte er diese schwerlich versandt haben. Dies war einzig das Recht des Hochmeisters, was durch den von 1351 bis 1382 amtierenden Hochmeister Winrich von Kniprode sogar in den Statuten des Ordens festgeschrieben worden war.81 Ebenfalls im April 1399 bekam ein Knecht Geld dafür, dass er dem Hochmeister Falken brachte. Neben den häufig größeren Sendungen kauften die Ordensgebietiger vereinzelt Falken ein, sofern sich die Gelegenheit dazu bot. So wurde im Oktober 1 m. aus der Kasse genommen, da der Hauskomtur einen Falken gekauft hatte. Des Weiteren wurde Peter, der Falkner der Marienburg, ins Samland geschickt, um von dort Tiere zu beschaffen, welche als besonders hochwertig galten.82 Er bekam dafür 16 m. Da ein Falke in der Regel zwischen 1 bis 2 m. kostete, wird er entsprechend viele Tiere eingekauft haben.83 Aus Grebin in Livland kamen gleich zwei Sendungen. Die erste bestand aus 14 Falken für 28 m. Bei der zweiten waren es 16 Tiere, ebenfalls zu je 2 m. Wohl immer noch im Oktober des Jahres wurde ein Bote des Bischofs vom Samland entlohnt, der Falken für den Hochmeister und erneut auch für den Großkomtur 79 Johannes Voigt, Über Falkenfang und Falkenzucht in Preußen, in: Neue Preußische Provinzialblätter 7 (1849), S. 257 – 276, hier S. 258. 80 TB (wie Anm. 3), S. 23. 81 9. Nymant sal valken vorsenden ne der meister, Die Statuten des Deutschen Ordens nach den ältesten Handschriften, hrsg. Max Perlbach, Halle a. d. S. 1890 (ND Hildesheim 1975), S. 154, Nr. 9. An solchen Privilegien wird verstärkt die exaltierte Stellung des Hochmeisters in der Ordensstruktur ersichtlich, Eimer, Gotland (wie Anm. 39), S. 313. 82 Voigt, Die Geschichte Marienburgs (wie Anm. 26), S. 207 – 208, Anm. 14. 83 S. z. B. TB (wie Anm. 3), S. 37: Zum irsten 78 m. vor 78 falken, die do lebende worden geantwert; vgl. auch ebd., S. 77 – 78: Zum irsten 75 m. vor 75 falken, yo von dem falken 1 m. S. ebd., S. 124: Item 52 m. vor 26 falken deme voithe von Grebyn, yo vor das stocke 2 m.
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brachte.84 Des Weiteren bekam der Falkner Peter für einen Falken 1 m. Eine überdurchschnittlich hohe Entlohnung von 6 m. erhielt ein Bote aus Winda, welcher Falken von dort zur Marienburg begleitete. Allerdings scheint er für eine sehr große Sendung verantwortlich gewesen zu sein, da ihn vier Knechte begleiteten, um die kasen zu tragen.85 Ein Falkner, dessen Herkunft unbekannt bleibt, brachte vier Falken. Diese Falken wurden weder dem Hochmeister übergeben noch als diplomatische Geschenke versandt, sondern waren für den Großkomtur und den Tressler bestimmt.86 Aus Winda kam eine weitere große Sendung mit 48 Falken und der Bischof von Heilsberg ließ dem Hochmeister vier dieser Beizvögel bringen.87 Nach dieser Notiz wurde eine Bilanz gezogen. Die Ausgaben für die Falken, aber auch die Wegzehrung der Knechte und andere Posten, wie beispielsweise der Preis für Stoff, der für einen Diener gekauft wurde, dessen Kleidung erneuerungswürdig gewesen zu sein scheint, beliefen sich insgesamt laut Eintrag im Tresslerbuch auf 300 m. ane 2 sc.88 Dies ist eine beträchtliche Summe. Trotzdem war der Bedarf an Falken für das Jahr mit diesen aufgeführten Tieren noch nicht gedeckt. Wohl im Dezember kaufte er dem Hauskomtur von Königsberg noch 78 lebende und vier tote Falken ab.89 Auch gab es eine weitere Falkenschenkung. Anfang November erhielt der Hochmeister vom Großfürsten von Litauen, Witold, Falken und Hunde.90 Neben der Auflistung der zahlreichen Einkäufe, die auch in den folgenden Jahren nicht geringer ausfielen, gibt es ähnliche jährliche Aufzählungen über den Versand der Falken, welche oft mit Falken uszutragen überschrieben sind.91 Beachtlich ist tatsächlich die Vielzahl der Adressaten, für die eine bzw. häufig auch regelmäßige Falkensendungen bestimmt waren.92 Diese stehen für das breite Geflecht der Kontakte, die der Hochmeister im Namen des Ordens unterhielt. Die erste erwähnte Falkensendung aus dem Jahr 1399 ging an den einmalig 84 Ebd., S. 23. 85 S. ebd., S. 24. kasen waren Falkenkäfige. Diese waren aus mit Leinwand bespanntem Holz und eigneten sich für je 10 Falken, Knabe, Preußische Falken (wie Anm. 69), S. 18. 86 […] her brochte deme groskomtur zwene und uns ouch zwene, TB (wie Anm. 3), S. 24; Liedtke, Beiträge (wie Anm. 35), S. 525, schreibt, dem Hochmeister, den Gebietigern und den Komturen sei es bisweilen erlaubt »zur Erholung« zu jagen. Ihnen sei jedoch zum mäßigen Umgang mit diesem Privileg geraten worden. 87 TB (wie Anm. 3), S. 24. 88 Ebd. 89 Der Nutzen der toten Falken ist nicht klar. Es gibt im Tresslerbuch keine Hinweise auf eine Präparation der Tiere. Zu der Sendung mit den 78 Falken gehörte außerdem ein Gerfalke, ebd., S. 37. 90 Ebd., S. 35. 91 Z. B. ebd., S. 37, 124 oder 362. 92 S. u. Tabelle 3: Die Adressaten der Falkensendungen des Hochmeisters im Verlauf der im Tresslerbuch verzeichneten Jahre.
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namentlich genannten Grafen von Öttingen, welcher mehrere Falken bekam.93 Dies ist bezeichnend für die Beizvogelsendungen insgesamt. Es gibt keinen aufgezeichneten Fall, nach dem der Hochmeister einem Adressaten lediglich ein Tier und wenige Fälle, nach denen er jemandem nur zwei Tiere hat zukommen lassen.94 Der König von Ungarn erhielt in dem gleichen Jahr wie der Graf von Öttingen sogar zwei kasen mit Falken.95 Die Zahl der verschickten Vögel scheint mit dem Status des jeweiligen Adressaten verknüpft zu sein. So erhielt der König von Böhmen in den Jahren 1400, 1401, 1404 und 1405 jeweils eine kase. Unter dem Namen des römischen Königs hingegen konnten Falkensendungen für den gesamten Zeitraum von 1399 bis 1409 mit Ausnahme des Jahres 1401 gefunden werden. An seine Adresse schickte der Hochmeister in der Regel ebenfalls eine kase. 1406 sind ausnahmsweise zwei kasen verzeichnet. Die Zahl der versandten Falken an den König von Ungarn variierte stärker. Für sechs Jahre sind Falkensendungen an ihn nachzuweisen. In diesen Jahren erhielt er einmal, in dem Jahr 1399, zwei kasen, 1406 und 1408 je eine kase, 1402 und 1409 wird ausschließlich von Falken gesprochen, sodass keine Rückschlüsse auf ihre Anzahl gezogen werden können. Dahingegen wurden ihm für 1400 sechs Tiere zugeschrieben. Der König von Polen wurde ebenfalls sehr kontinuierlich mit dieser Art des diplomatischen Geschenks bedacht. Nur für 1404 ist keine adressierte Sendung an ihn nachweisbar. Anders als bei den übrigen Königen wurden die Lieferungen an diesen nicht in kasen gerechnet. In den meisten Fällen ist nur von Falken die Rede.96 In drei Jahren wurden die für den polnischen König bestimmten Beizvögel genau beziffert: 1403 bekam er zwölf, 1405 acht und 1406 in einer zweiten Sendung des Jahres, die wie eine ergänzende Zustellung zu der ersten Lieferung mit mehreren Tieren erscheint, nur zwei Tiere.97 Damit haben die Könige dennoch durchgehend die meisten Tiere bekommen. Die Grafen, Herzöge, Mark- und Burggrafen, auch die Bischöfe und selbst die Erzbischöfe verschiedenster Regionen erhielten durchschnittlich lediglich eine halbe kase.98 Beachtenswert sind die Entfernungen, die teilweise zurückgelegt werden mussten, um die Geschenke zu überreichen. Der Orden transportierte Falken in die Rheingebiete, nach Schlochau, Balga, Geldern, Kleve, Krakau, Kulmsee, Meißen, Nürnberg, Köln, Mainz, Trier, Koblenz, Württemberg, Sachsen, Bayern, Böhmen, Masowien, Ungarn, Österreich und Holland. Sogar nach Italien, 93 Ebd., S. 18. 94 S. u. Tabelle 3: Die Adressaten der Falkensendungen des Hochmeisters im Verlauf der im Tresslerbuch verzeichneten Jahre. 95 Ebd., S. 37, und Knabe, Preußische Falken (wie Anm. 69), S. 18. 96 TB (wie Anm. 3), S. 76, 123, 186, 383, 418, 470 und 536. 97 Ebd., S. 300, 339, 383 und 395. 98 S. u. Tabelle 3: Die Adressaten der Falkensendungen des Hochmeisters im Verlauf der im Tresslerbuch verzeichneten Jahre.
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Frankreich und England wurden Falken gebracht.99 Welche Mühen nötig waren, um die Tiere trotz der großen Entfernungen unbeschadet zu überbringen, lässt sich im Tresslerbuch lediglich an den Kosten ersehen, die dazu aufgebracht werden mussten. Besonders deutlich zeigt sich der bei den Falken-Transporten zu bewältigende Aufwand an den Notizen über den Versand der Tiere nach England. Die Knechte, die 1400 die kasen überführten, benötigten Geld für ihre Versorgung und auch die Falken mussten gefüttert werden, sodass zwei schock Hühner, zehn schock Eier, fünf scheffel Gerste sowie Leinenstoff zum Bespannen der kasen eingekauft wurden.100 Im Jahr 1406 wurden wieder Falken nach England geschickt und auch hier bekamen die Knechte Geld für ihre und der Falken Versorgung. Erneut nahmen die Boten zwei schock sowie neun weitere Hühner und zehn schock Eier zur Fütterung der Falken mit. Wie für alle Reisen mussten die Käfige reisetauglich gestaltet werden, wofür auch in diesem Fall Leinenstoff gekauft wurde. In dieser Auflistung sind im Gegensatz zu der Notiz des Jahres 1400 Hühnerkörbe aufgeführt. Wahrscheinlich wurde im vorigen Beispiel schlicht vergessen diese zu notieren,101 denn natürlich müssten auch die Hühner bei jeder Reise in Käfigen transportiert worden sein. Dass diese Mühen und Kostenaufwendungen hingenommen wurden, um die Falken als Geschenke zu überreichen, verstärkt noch einmal mehr den Eindruck davon, wie begehrt diese Tiere waren. Ansonsten wäre es schließlich um einiges einfacher gewesen, statt der Falken oder überhaupt lebender Tiere andere Wertgegenstände zu verschicken. Der betriebene Aufwand, die benötigte Anzahl der Tiere zu fangen, um den Erwartungen der diplomatischen Kontakte des Hochmeisters zu entsprechen, war sehr hoch. Wurden in Preußen und Umgebung nicht genug Tiere gefangen, mussten die Falkner teilweise sehr weit reisen, um die benötigte Anzahl an Tieren zu akquirieren.102 Als Beispiel sei hierfür die Reise des Falkners nach Gotland im Jahre 1399 genannt.103 Abgesehen von dem allgemein gehaltenen Begriff des Falken werden genauer definierte Falken sowie einige Habichte genannt. Zu den spezifizierten Falken gehören der Gerfalke, der sogenannte Blaufuss, der Handfalke, die Smerle und der Terczel. Der Gerfalke war ein besonders seltenes Tier, das lediglich in Livland häufiger vorkam.104 Er wird in den Quellen zum Teil auch gyerfalke genannt.105 99 Im TB findet sich kein Hinweis auf eine Ausfuhr nach Italien. Voigt führt Italien aber in seiner Aufzählung mit auf. Diese Information ist hier von ihm übernommen worden, Voigt, Die Geschichte Marienburgs (wie Anm. 26), S. 207. 100 TB (wie Anm. 3), S. 76. 101 S. ebd., S. 384 und 393. 102 Voigt, Die Geschichte Marienburgs (wie Anm. 26), S. 207, Anm. 14. 103 TB (wie Anm. 3), S. 23. 104 Vgl. Voigt, Über Falkenfang und Falkenzucht (wie Anm. 79), S. 258. 105 TB (wie Anm. 3), S. 37. Wohl aufgrund dieser Bezeichnung nennt Voigt diesen auch »Geierfalken«, s. Voigt, Über Falkenfang und Falkenzucht (wie Anm. 79), S. 258. Es werden
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Wahrscheinlich war dessen Preis aufgrund dessen Seltenheit deutlich höher als jener der schlicht »Falken« genannten Tiere. Außerdem soll diese Art besonders gut zur Jagd abzurichten gewesen sein.106 Lag der Einkaufspreis der gewöhnlichen Falken bei 1 bis 2 m., musste für einen Gerfalken mit 4 m. mindestens das Doppelte bezahlt werden.107 Im Tresslerbuch gibt es zehn Hinweise auf Gerfalken, aber nur zwei von ihnen sind als diplomatische Geschenke kenntlich gemacht. Die anderen Passagen sind bis auf einen Vermerk Notizen über den Einkauf der Tiere.108 In dem Jahr 1405 ehrte der Komtur von Brandenburg den Hochmeister mit sechs Falken und einem Gerfalken.109 1409 wurden acht Falken und ein Gerfalke zum Herzog von Burgund ausgetragen.110 Ob die Einkäufe der anderen Gerfalken getätigt wurden, um sie wiederum zu verschenken, ist nicht ersichtlich, jedoch kann durchaus davon ausgegangen werden. Knabe vermutet, dass den üblichen Falkensendungen bei besonderer Wichtigkeit des Anliegens ein Gerfalke hinzugefügt wurde. Er führt als Beispiel einen Brief des Großkomturs und anderer Gebietiger vom 13. November 1449 an, den diese mit der Nachricht des Todes des Hochmeisters Konrad von Erlichshausen an den römischen König geschickt hatten. Neben der Nachricht enthielt der Brief die Bitte, den Orden weiterhin zu unterstützen, welche mit einer nicht geringen Falkensendung einschließlich eines Gerfalken unterstrichen wurde.111 Wie ein weiterer Brief, den ebenfalls Knabe anführt, zeigt, bediente sich nicht nur der Orden der Taktik, sein Gegenüber als Bittsteller mit einem besonders großzügigen Falkengeschenk inklusive eines Gerfalken günstig zu stimmen. Auch Königin Margarete von Dänemark beherrschte diese Form diplomatischen Handelns und wandte sie erfolgreich bei Hochmeister Konrad von Jungingen an.112
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mit gyerfalken vermutlich ebenfalls die Gerfalken, die u. a. in Preußen vorkamen, gemeint sein, s. Katharina B. Springer, Ragnar K. Kinzelbach, Das Vogelbuch von Conrad Gessner (1516 – 1565), Berlin 2009, S. 188. S. Pierer’s Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart oder neuestes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe, hrsg. Heinrich August Pierer, 5, Altenburg 31850, S. 219. TB (wie Anm. 3), S. 37, 193, 270, 504 und 506. Eine Notiz auf S. 124 des TB für das Jahr 1401 vermerkt, dass zwei vom Vogt von Grebin gelieferte Gerfalken noch nicht bezahlt worden seien. Drei Jahre später wurde diese Schuld dann beglichen, ebd., S. 270. Alle anderen Passagen behandeln den üblichen Vorgang des Einkaufs, ebd., S. 37, 193, 362, 504, 506 und 593. Ebd., S. 362. Ebd., S. 593. Knabe, Preußische Falken (wie Anm. 69), S. 19. 1390 brachte Königin Margarete dem Hochmeister in einem Brief drei Anliegen vor. Die Herrscherin wollte erstens einen Geleitbrief für ihre Reise durch das Ordensland ausgestellt bekommen. Zweitens stellte sie richtig, kein Bündnis mit dem polnischen König geschlossen zu haben und drittens erbat sie einen Empfehlungsbrief des Hochmeisters an den Papst für einen ihrer Boten, der dem Papst ihren Besuch ankündigen sollte. Die Reaktion
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Ob der so genannte Blaufuss, dessen Name sich von der Färbung seiner Füße ableitet,113 ebenfalls als Geschenk versandt wurde, lässt sich anhand der fünf Erwähnungen im Tresslerbuch nicht feststellen.114 Allerdings waren Blaufüsse um einiges günstiger als Gerfalken und sogar als die als »Falken« bezeichneten Tiere. 1408 wurden drei Blaufüsse für 4 sc. eingekauft.115 Im selben Jahr erhielt ein gewisser Ywan 9 sol.116 und ein Jahr später ein Junge 2 sol. für ein solches Tier.117 Der geringe Preis ließe grundsätzlich vermuten, dass diese Tiere eher für den Hausgebrauch verwendet wurden, anstatt sie als Mittel der Diplomatie zu verschenken.118 Ähnliches gilt für die so genannte Smerle, bei welcher es sich wahrscheinlich um einen Zwergfalken, auch Merlinfalke genannt, handelt.119 Diese wird nur zweimal erwähnt. 1408 wurden dem Hochmeister Smerlen aus Driesen gebracht120 und 1409 zahlte der Orden für den Fang solcher einen Lohn.121 Auf den Terczel, einen jungen männlichen Falken,122 gibt es zwar nur einen Verweis, dieser ist wiederum umso aufschlussreicher, da der Komtur von Balga den Hochmeister im Jahre 1407 mit zwei Falken und einem Terczel beschenkte.123 Somit wurde mindestens einmal ein Terczel als Ehrung überreicht. Zu beachten ist hierbei allerdings, dass solch ein Geschenk nur angemessen gewesen sein wird, wenn in unmittelbarer Umgebung des Beschenkten eine Falkenschule existierte, in der das Tier ausgebildet werden konnte. Eine Notiz
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des Hochmeisters war laut Knabe in jeglicher Weise ihren Wünschen entsprechend, sodass die diplomatischen Geschenke auch in umgekehrter Weise ihren Zweck erfüllten, da Konrad von Jungingen sich durch sie ähnlich positiv beeinflussen ließ wie die bereits angeführten Kurfürsten bei Rhein, ebd., S. 21. Oekonomisch – technologische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- StadtHaus- und Land-Wirthschaft, und der Kunst-Geschichte in alphabetischer Ordnung, hrsg. Johann Georg Krünitz, 12, Berlin 1786, S. 133. TB (wie Anm. 3), S. 178, 442, 484, 491 und 550. Ebd., S. 484. Ebd., S. 491. Ebd., S. 550. Auch Knabe, Kumerloeve und Voigt erwähnen keine verschenkten Blaufüsse. Voigt schreibt lediglich, dass jene Art mit dem Gerfalken nahe verwandt zu sein scheine, aber anders als der nordische Gerfalke aus dem Orient oder zumindest aus Ungarn stammen solle, s. Voigt, Über Falkenfang und Falkenzucht (wie Anm. 79), S. 258. Hugo Suolahti, Die deutschen Vogelnamen – Eine wortgeschichtliche Untersuchung, Straßburg 1909, S. 338. TB (wie Anm. 3), S. 499. Item 2 sc. den, dy smerlen fingen, ebd., S. 549. Der Name erklärt sich durch die mittelalterliche Annahme, dass jeder dritte Falke in einem Nest männlich sei. S. Frühneuhochdeutsches Wörterbuch, hrsg. Ulrich Goebel, Anja Lobenstein-Reichmann, 5,1, Berlin 2006, S. 125. Heckmann bezeichnet Terczel als »gewöhnlichen Falken«, Heckmann, Jagdfalken (wie Anm. 3), S. 39. Dies muss sich jedoch nicht mit o. g. widersprechen. So kann es sich um junge, männliche Falken »gewöhnlicher Art« gehandelt haben. TB (wie Anm. 3), S. 448.
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aus dem Jahr 1403 ähnelt dem erstgenannten späteren Eintrag von 1407. Der Hochmeister erhielt eine größere Falkensendung aus Königsberg. Sie bestand aus 43 Falken und einem Gertercz. Es wurde für diese Sendung 45 m. aufgewendet.124 Die gezahlte Summe lässt vermuten, dass auf die Falken jeweils 1 m. und auf den Gertercz 2 m. entfielen. Es stellt sich nun die Frage, was ein Gertercz war. Unter Beachtung der vorangestellten Erläuterung für den Terczel liegt es nahe, den Gertercz ebenfalls als männlichen Falken einzustufen. Werden weiterhin die im Tresslerbuch erwähnten Falkenarten betrachtet, erscheint es schlüssig, dass es sich hierbei um ein junges Männchen der Gerfalken handelte. Wahrscheinlich war dieser günstiger als andere Gerfalken, da dieser noch nicht vollständig ausgebildet war. Möglicherweise hat der Hochmeister dieses Männchen für die Falkenschule der Marienburg gekauft, um dieses entweder dort ausbilden oder diese besonderen Vögel züchten zu lassen, sodass diese ihm in genügender Zahl als diplomatische Gaben zur Verfügung standen.125 Falken sind zwar die Beizvögel, die am häufigsten erwähnt und auch verschenkt worden sind, dennoch gehörten diese nicht als einzige zur Familie der Greifvögel, die erst gezähmt und anschließend zur Jagd verwendet wurden. Habichte und Sperber wurden, wenn auch in geringerer Stückzahl, ebenfalls abgerichtet. Allerdings waren Sperber wohl an den Höfen nicht so beliebt, weshalb diese gar nicht erst versandt wurden und im Tresslerbuch nicht belegbar sind.126 Über mehrere Jahre hingegen erhielt der Hochmeister Habichte, deren Verwendung jedoch hier unklar bleibt. Im Unterschied zu den Falken kann für diese kein eindeutiger Einkaufspreis ausgemacht werden, da unabhängig von der Zahl der versandten Tiere immer nur die Träger, Knechte oder Falkner für das Überbringen der Tiere entlohnt wurden. Das Fehlen von Notizen über Einkaufspreise kann seine Ursache darin haben, dass keine Tiere eingekauft wurden, sondern sämtliche Habichtsendungen diplomatische Geschenke waren. Ob dies tatsächlich für alle erwähnten Sendungen zutreffend ist, mag zunächst zweifelhaft erscheinen. Dennoch besteht die Möglichkeit, dass es sich bei diesen um ein Geschenk handelte, da die Absender der Sendungen genannt wurden. So empfing der Hochmeister beispielsweise um den 26. Februar 1400 mehrere Habichte vom Vogt von Bebern. Der Knecht bekam für das Überbringen der Tiere 1 m. aus der Tresslerkasse.127 Im November desselben Jahres lieferte ihm der Junge des Komturs von Danzig ein Tier und wurde gleichfalls mit
124 Ebd., S. 271. 125 Allerdings bleibt diese Vermutung im Bereich der Spekulation, da das TB auch in den späteren Jahren, wie bereits dargestellt, kaum Hinweise auf Gerfalken als diplomatische Geschenke offenbart, Voigt, Die Geschichte Marienburgs (wie Anm. 26), S. 207. 126 Voigt, Über Falkenfang und Falkenzucht (wie Anm. 79), S. 259. 127 TB (wie Anm. 3), S. 67.
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1 m. entlohnt.128 Anfang Oktober 1402 bekam ein gewisser Jeske eine halbe m. vom Tressler für das Zustellen eines Habichts von Dittrich von Pillwen ausgehändigt.129 1406 ließ der Propst von Rosenberg dem Hochmeister ein Tier durch seinen Knecht zukommen, der wie Jeske eine halbe m. erhielt.130 1408 brachten Petresch, der Falkner des Großherzogs Witold, und dessen drei Gesellen dem Hochmeister von diesem mehrere Falken und Habichte. Der Falkner bekam als Entlohnung eine, seine Gesellen jeweils eine halbe m.131 Auch der Bischof von Ösel, Adam Swynchen, der Gebietiger von Livland und der Komtur von Welun ließen dem Hochmeister Habichte zukommen.132 Der Diener des Bischofs von Ösel bekam bei der Übergabe der Habichte 5 m. »geschenkt«, was für einen Tragelohn außerordentlich viel ist, sodass es sich hierbei um eine Bezahlung der Habichte gehandelt haben kann.133 Andererseits irritiert die Verwendung des Verbs »schenken«, welches wohl nicht bei einem Geschäft verwendet worden wäre. Der Knecht des Komturs von Welun und sein Kumpan bekamen, wie der Diener des Gebietigers von Livland, ein ebenfalls bemerkenswertes Entgelt von jeweils 2 m.134 Wenn davon ausgegangen wird, dass es sich bei den genannten Habicht-Sendungen um diplomatische Geschenke handelte, bleibt offen, welche Bedeutung solchen seltenen, aber durchaus erhaltenen Hinweisen auf Sendungen wie folgender aus dem Jahre 1400 zukommt: Im Oktober wurden einmal zwei Knechte dafür entlohnt, dass sie dem Hochmeister Falken und Habichte brachten. Wer sie damit beauftragt hatte, ist nicht ersichtlich.135 Für das Jahr 1402 findet sich folgende Passage: Item 3 sch. eyme manne vor eynen habich.136 Wäre die in diesem Fall gezahlte Summe im Vergleich zu den gezahlten Tragelöhnen der anderen Habicht-Lieferungen nicht so niedrig, könnte der Formulierung nach ein Kaufgeschäft stattgefunden haben, zumal die Formulierung sehr an andere im Tresslerbuch erwähnte Vorgänge erinnert, in denen eine Person den Hochmeister aufsuchte, um ihm ein einzelnes Tier anzubieten. Ein Beispiel hierfür findet sich in den Aufzeichnungen des Jahres 1403 bezüglich eines wildgefangenen Falken. Die betreffende Notiz hat den Wortlaut: Item 1 m. Jeckeln des felkeners swoger vor eynen falken […].137 Voigt geht davon aus, dass Habichte vergleichsweise unbeliebt waren, was den geringen Einkaufspreis er128 129 130 131 132 133 134 135 136 137
Ebd., S. 76. Ebd., S. 188. Ebd., S. 401. Ebd., S. 478. Der Knecht des Adam Swynchen bekam 12 m.; ebd., S. 508; der Diener des Gebietigers von Livland erhielt 2 m., ebd., S. 543. Ebd., S. 506. Ebd., S. 550. Ebd., S. 85. Ebd., S. 179. Ebd., S. 265.
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klären würde.138 Vielleicht wurden die Lieferanten der Habichte, die nicht selten gleichzeitig Falken mit sich führten,139 vielmehr aufgrund ihrer Mühen während des Transports so gut bezahlt, ohne dass die Bezahlung in direktem Zusammenhang mit dem Wert ihres zu befördernden Gutes stand. Eindeutiger sind die gewonnenen Erkenntnisse in Bezug auf jene Tiere, die ausdrücklich als Mäusehabicht bezeichnet wurden.140 Im Tresslerbuch werden sie nur an sechs Stellen so genannt.141 Gleich drei Passagen verweisen klar auf ihre Funktionalität als diplomatische Geschenke. Zu Beginn des Februars 1405 ehrte der Gebietiger von Livland den Hochmeister mit zwei Mäusehabichten.142 Im September schenkte ihm der Hauptmann von Dobrin ein Tier und zwei Jahre später tat dies der Propst von Marienwerder ebenfalls.143 Die verbleibenden drei Abschnitte ähneln den diskutierten Absätzen über die Habichte, bei denen der Absender bekannt ist. Auch in diesen Fällen wird nicht ausdrücklich von einer »Ehrung« gesprochen. Es wurden lediglich die Diener bzw. Knechte für die strapaziöse Beförderung der Mäusehabichte entlohnt.144 Diese Parallelität verstärkt die Annahme, dass bei den nicht eindeutigen Eintragungen auf eine dezidierte Dokumentation verzichtet wurde und trotzdem hinter allen Fällen diplomatische Geschenke stehen, welche für den Hochmeister bestimmt waren.145 Dieser selbst ließ nach den im Tresslerbuch zu findenden Angaben nur einmal einen gewöhnlichen Habicht versenden.146 Sonstige von ihm versandte Habichte waren stets weiß gefiedert. Diese Mutation kam recht selten vor, sodass jene Exemplare anscheinend dem Anspruch des Landesherrn, standesgemäße Geschenke zu versenden, entsprachen. Schließlich repräsentierten diese immer auch den Absender.147 138 S. Voigt, Über Falkenfang und Falkenzucht (wie Anm. 79), S. 259. 139 TB (wie Anm. 3), S. 85, 478 oder 483. 140 Im modernen Sprachgebrauch kann es sich hierbei um den Mäusebussard handeln, da bereits Krünitz »Bussard« synonym zu Mäusehabicht verwandte, Krünitz, Oekonomisch-technologische Encyklopädie (wie Anm. 113), S. 134. 141 TB (wie Anm. 3), S. 321, 344, 345, 360, 430 und 448. 142 Ebd., S. 345. 143 Ebd., S. 360 und 430. 144 1404 erhielten zwei Polen 3 m. dafür, dass sie im Auftrag des Herzogs Hannus Symeke zwei Mäusehabichte überbracht hatten, ebd., S. 321; im folgenden Jahr ließ der Landmarschall von Livland seinen Knecht zwei Tiere zustellen, ebd., S. 344; 1407 übergab der Diener des Bischofs von Orseln dem Hochmeister Falken und einen Habicht, für den ihm eine gesonderte Zahlung von 1 m. gemacht wurde, ebd., S. 448. 145 Mit Ausnahme der zwei Passagen über die dem Orden übergebenen Habichte, bei denen kein Absender bekannt ist, ebd., S. 179 und 265. 146 1408 ließ er einen nicht weiter beschriebenen Habicht zu Leopold von Köckeritz nach Thorun austragen, ebd., S. 502. 147 Voigt, Über Falkenfang und Falkenzucht (wie Anm. 79), S. 259, hat in seinen Recherchen auch für andere Quellen unter Einbezug der dargestellten Ausnahme keine gegenteiligen Befunde erhalten.
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Im März 1408 wurde eigens der Falkner Hannos zum Markgrafen von Meißen geschickt, um ihm ein solches Tier zusätzlich zu der gewohnheitsmäßigen, jährlichen Falkensendung zu überbringen.148 1409 wurde ein weißer Habicht sogar bis nach Burgund getragen, welches einen hohen Kostenaufwand alleine für die Versorgung des Tiers bedeutete, ganz zu schweigen von der Ausstattung des Russen und des Gotländers, die ihn brachten.149 Im gleichen Jahr bekam der Hochmeister von dem litauischen Großfürsten Witold neben Falken auch einen weißen Habicht.150 Anhand der Ergebnisse bezüglich der Popularität von Habichten als diplomatische Geschenke wird deutlich ersichtlich, dass diese sich nicht nur von der Art des Tieres, wie im Falle des Gerfalken, ableitete, sondern die Färbung ebenfalls von Relevanz war. So zeigt sich des Weiteren wie bereits bei den Pferden, dass gerade weiße Tiere besonders geschätzt wurden.151 Als Beigabe zu den Falkengeschenken wurden des Öfteren silberne Schildchen hergestellt, die das hochmeisterliche Wappen trugen. Diese waren ein Zugeschenk, das zugleich wie ein Siegel oder eine Unterschrift wirkte.152 Bei der ungemein hohen Zahl an Beizvögeln, die durch den Hochmeister zum Zwecke der Diplomatie versandt wurden, traten andere Tiergeschenke fraglos in den Hintergrund. Dennoch gab es sie, und daher sollen die im Tresslerbuch notierten Tiere im Folgenden vorgestellt werden.153
Weitere Tiere als diplomatische Geschenke Vor allem in Bezug auf den sehr wichtigen und schwierigen Kontakt des Ordens zu Großherzog Witold von Litauen kam zwischen 1399 bis 1409 auch anderen Tieren als Geschenk eine sehr wichtige Rolle zu. Es mag erstaunen, dass in dem vorausgegangenen Kapitel zwar einige Falkensendungen des Großherzogs an den Hochmeister jedoch keinerlei Gegengeschenke erwähnt sind.154 Dies liegt daran, dass es diese zumindest gemäß der Angaben des Tresslerbuchs nicht 148 TB (wie Anm. 3), S. 469 und 506. 149 Es wurden offenbar 4 Hammel und 50 Hühner allein zur Versorgung des Habichts eingekauft, ebd., S. 542. 150 Ebd., S. 543. 151 Dies lag sicherlich nicht zuletzt an der zeitgenössischen Konnotation der Farbe Weiß mit päpstlicher und königlicher Repräsentation, Martin Kintzinger, Der weiße Reiter. Formen internationaler Politik im Spätmittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien: Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster 37 (2003), S. 315 – 353, hier S. 323. 152 S. z. B. TB (wie Anm. 3), S. 307, und Jürgen Sarnowsky, Der Deutsche Orden, München 2007, S. 79. 153 S. u. Tabelle 4: Tiere als diplomatische Geschenke neben den Beizfalkengeschenken. 154 S. auch TB (wie Anm. 3), S. 35, 478 und 543.
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gegeben hat. Es finden sich lediglich die bereits angeführten Falkensendungen an den König von Polen, der mit Witold seit 1386 in der polnisch-litauischen Union verbunden war.155 Witold bekam jedoch andere Tiere geschenkt. So schickte der Hochmeister 1405 einen Knecht zu ihm, um ihm mehrere Hunde zukommen zu lassen.156 Im gleichen Jahr wurde der Knecht des hochmeisterlichen Kumpans mindestens einmal mit Hengsten zu ihm beordert.157 Für den Zeitraum zwischen dem 8. und 20. Mai wurde wieder vermerkt, dass Mattis Geld erhielt, damit er während der Überführung der Hengste zu Witold versorgt wäre.158 Für die zeitliche Differenz sind mehrere Erklärungen denkbar. Entweder hat sich die schon im Januar angedachte Reise bis in den Mai verzögert, oder die Notizen wurden falsch datiert. Vielleicht hat es in jenen Monaten aber auch insgesamt zwei HengstSchenkungen an Herzog Witold gegeben. Wurden Witold zu den Hunden zweimal Hengste geschenkt, muss der Hochmeister in dem Jahr besonders viel Wert auf einen ihm wohlgesonnenen Herzog gelegt haben. Bis 1408 gab es an diesen Adressaten keine weiteren dokumentierten Tiergeschenke. 1408 fand der bereits unter dem Aspekt der repräsentativen Funktionalität der Tiere im Deutschen Orden ausführlich geschilderte Transfer eines Löwen statt, bei dem nicht geklärt werden konnte, ob es sich tatsächlich um ein diplomatisches Geschenk handelte. Zumindest ist dieser Vorgang wohl einer der beachtlichsten in Bezug auf Tiergeschenke oder den Handel des Deutschen Ordens mit Tieren, lag doch das Ordensland weit entfernt von Regionen wie Italien, wo ein Löwe als Ehrengeschenk üblich gewesen zu sein scheint.159 Da der Orden durchaus gewisse Beziehungen nach Italien unterhielt, ist es möglich, dass der Hochmeister diesen Brauch kannte und seinerseits damit den Versuch unternahm Witold besonders positiv zu beeindrucken, indem er ihm diese außerordentliche Ehre zukommen ließ.160 Löwen standen nicht zuletzt in der Symbolik des Mittelalters für Macht und Stärke.161 Ungeachtet der Motivation dieser Sendung bleibt festzustellen, dass so ein Löwe im Tresslerbuch Erwähnung findet und gerade demjenigen übergeben wurde, der dem Orden drei Jahre später eine seiner größten Niederlagen zufügte.162 Im Juli des Jahres wurde Witold außerdem mit zwei Hengsten bedacht.163 Im Vergleich zu anderen 155 Hartmut Boockmann, Der Deutsche Orden. Zwölf Kapitel aus seiner Geschichte, München 2 1982, S. 171. 156 TB (wie Anm. 3), S. 328. 157 Ebd., S. 337 und S. 339. 158 Ebd., S. 353. 159 Nach Dittrich, Exoten (wie Anm. 30), S. 13 – 14. 160 S. Voigt, Die Geschichte Marienburgs (wie Anm. 26), S. 207. 161 Dittrich, Exoten (wie Anm. 30), S. 13. 162 Sarnowsky, Der Deutsche Orden (wie Anm. 152), S. 93. 163 TB (wie Anm. 3), S. 495.
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Kontakten wurde der litauische Großfürst dennoch erstaunlich selten beschenkt. In dem Zeitraum von elf Jahren fand dies nur in zwei Jahren statt. Zu diesen Gelegenheiten fielen, wie gezeigt, die Geschenke, sofern es sich um solche handelte, immerhin sehr großzügig aus. Witold bedachte den Hochmeister ähnlich unregelmäßig mit Tiergeschenken. Die ersichtlichen Falkensendungen beziehen sich lediglich auf drei Jahre: 1399, 1408 und 1409.164 Im Jahr 1399 bekam der Hochmeister mit der gleichen Sendung, zusätzlich zu den Falken, Hunde zugesandt.165 1409, ein Jahr nachdem der Löwe zu Witold gebracht wurde, schickte dieser den weißen Habicht, die Falken und die vier lebenden Auerochsen, welche, wie auch der Löwe, kein gängiges Präsent darstellten.166 Das Tresslerbuch berichtet einzig ein weiteres Mal, für das Jahr 1404, von der Schenkung eines Auerochsen.167 So agierten beide Seiten sehr unbeständig. Ehrten sie einander, geschah dies ungemein großzügig in Anbetracht dessen, dass sie sich in vielen Jahren gar nicht mit Tiergeschenken bedachten. Bei diesem Befund liegt es nicht allzu fern, in ihm die Ambivalenz der Beziehung des Deutschen Ordens zu dem Großfürsten wieder zu finden. Im Zuge der Darstellung des Austausches von Tiergeschenken zwischen Witold und dem Hochmeister wurden schon Hunde, Hengste und Auerochsen genannt, die zusätzlich zu den Falkensendungen als diplomatische Geschenke auch an andere Herrscher versandt wurden.168 Pferde waren die Tiere, die nach den Beizvögeln am häufigsten als landesherrschaftliche Gaben fungierten.169 Im Tresslerbuch sind diverse Fälle von Pferdesendungen dokumentiert, die sich zumindest nicht eindeutig als Kaufgeschäfte identifizieren lassen.170 An manchen Stellen wird, wie bei einigen der Falken, nicht erwähnt, von wem die Pferde kamen. Die Knechte oder Diener, die die Tiere überbrachten, wurden nachweislich dafür entlohnt, aber es ist nicht notiert, ob es sich dabei um Geschenke der Absender handelte. Dies lässt sich nur in Abgrenzung zu klar ausgewiesenen Einkäufen vermuten. Zu 1399 ist auf diese Weise die Zahlung von 1 m. an den Stallknecht aus Christburg für das Überbringen eines Hengstes festgehalten, der für den
164 165 166 167
Ebd., S. 35, 478 und 543. Ebd., S. 35. Ebd., S. 544. In dem Fall »ehrte« der Komtur von Balga den Hochmeister mit einem Tier, ebd., S. 299. Mit gleich vier dieser offenkundig besonderen Tiere gestaltete sich Witolds Geschenk überaus hochkarätig. 168 Da der Löwe nur in Bezug auf Witold genannt wurde, wird er hier nicht weiter beachtet und auch der Auerochse wurde hinreichend behandelt. 169 Diese stellten laut Kintzinger ein sehr wertvolles Tiergeschenk bei Herrscherbegegnungen dar, Kintzinger, Der weiße Reiter (wie Anm. 151), S. 331. 170 S. u. Tabelle 4: Tiere als diplomatische Geschenke neben den Beizfalkengeschenken.
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Hochmeister bestimmt war.171 1403 sandte dieser dem Herzog Switrigail mehrere Hengste.172 1403 und 1404 bekam der Hochmeister Hengste aus Livland.173 Vermutlich handelte es sich hierbei um in Statur und Rasse ungewöhnliche Hengste. Auch zusätzliche Geschenke zu den Hengsten sind notiert. 1405 schenkte der Hochmeister dem König von Polen zwei dieser Tiere; ergänzend bekam er passendes Zaumzeug aus Messing.174 Neben den genannten Personen ehrte der Hochmeister unter anderem den Komtur von Koblenz, den Landkomtur vom Elsass oder den Vogt der Neumark mit Hengsten.175 Für ein männliches Pferd wird im Tresslerbuch in der Regel der Begriff Hengst verwendet. Doch bedeutet dies nach Toeppen und Böhnke nicht, dass es sich hierbei gemäß der modernen Definition um ein voll zeugungsfähiges Tier handelte.176 Es soll hingegen als Ross bezeichnet worden sein.177 Böhnke hat dazu die Auffassung vertreten, der Deutschen Orden habe verhindern wollen, dass die unter anderem aus Deutschland importierten Pferde, die ursprünglich nicht in Preußen vorkamen, von anderen regionalen Herrschern nachgezüchtet werden konnten.178 Eindeutige Hinweise darauf, dass ein Ross ein männlicher Zuchthengst war, gibt das Tresslerbuch nicht. Die Bezeichnung fällt nur an Stellen, welche jeweils diplomatische Geschenke beschreiben. Für 1407 notierte der Schreiber ausdrücklich, den Umstand einer Ehrung; der Hochmeister überantwortete dem Herzog von Pommern-Stolp ein solches Ross.179 1408 ließ er mehrere dieser Tiere nach Kauen transportieren, da er sie verschenken wollte. Adressaten des Ge-
171 172 173 174 175 176
TB (wie Anm. 3), S. 29. Ebd., S. 225. Ebd., S. 237 und 288. Ebd., S. 363. Ebd., S. 319, 321 – 322 und 340. Vielmehr meint Hengst im TB für ihn ein nicht mehr zeugungsfähiges männliches Tier, nach heutigem Sprachgebrauch also einem Wallach, s. Max Toeppen, Über die Pferdezucht in Preußen zur Zeit des deutschen Ordens, nebst einigen Bemerkungen über die Sweiken, in: Altpreußische Monatsschrift 4 (1867), S. 681 – 702, hier S. 682; Böhnke, Binnenhandel (wie Anm. 57), S. 92; Rünger, Züchtung und Haltung (wie Anm. 63), S. 216, zweifelt an der Absolutheit dieser Aussage; er bezieht sich auf mittelhochdeutsche Literatur, nach der der Begriff sowohl für Wallach als auch für das Pferd im Allgemeinen steht. 177 S. Toeppen, Pferdezucht (wie Anm. 176), S. 682. 178 Böhnke, Binnenhandel (wie Anm. 57), S. 92; folgt man dieser Theorie, erscheint die Tatsache, dass Hengste als diplomatische Geschenke versandt wurden, in einem ganz anderen Licht. Hiermit hätte der Hochmeister durch das Tier den anderen Herrschern gleichzeitig seine Vormachtstellung präsentiert, ohne dass es diesen möglich gewesen wäre, ihn durch die Nachzüchtung dieser Tiere nachzuahmen. Jedoch bekam, wie dargelegt, auch der Hochmeister Hengste geschenkt. Diesbezüglich müsste überprüft werden, ob es sich bei ihnen eventuell um eine andere Rasse gehandelt hat. Hinweise hierzu gibt das TB nicht. 179 TB (wie Anm. 3), S. 431.
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schenks sind nicht genannt.180 In dem darauffolgenden Jahr ließ der Komtur von Christburg dem Hochmeister ein Ross als Ehrengeschenk zukommen.181 Ein kleines Ross nannten die Schreiber des Tresslerbuchs Rosschin. 1402 wurde dem Knecht des Komturs von Rehden eine halbe m. für das Überbringen eines Rosschins gezahlt, was die Annahme ermöglicht, es handelte sich hierbei um ein Geschenk des Komturs an den Hochmeister.182 Der Komtur von Balga, der insgesamt durch exklusive Geschenke auffällt, schenkte dem Hochmeister neben Auerochsen,183 Meerkühen184 und Wildbret185 das einzige wildgefangene Pferd, das im Tresslerbuch zu finden ist.186 Sein Attribut macht das Geschenk zu etwas Besonderem, da Pferde ohne genauere Spezifikation tendenziell weniger verschenkt wurden. Dennoch kam auch dies vor. So kaufte der Hochmeister 1400 ein Pferd für 13 m., um es anschließend weiter zu verschenken.187 Stuten wurden anscheinend vor allem für die Zucht gehalten, zumindest wurden sie in dem hier behandelten Zeitraum kein einziges Mal verschenkt. Das Gleiche gilt für die Füllen. Eine Pferdegruppe, die zwar nicht oft, aber dennoch manchmal als Präsent versandt wurde, waren die sogenannten Zeldenpferde, die sich aufgrund ihrer angenehm zu sitzenden Schrittfolge gut für längere Ritte eigneten.188 Der Bürgermeister von Sand schenkte dem Hochmeister zum Beispiel 1403 ein solches Tier.189 In manchen Fällen dienten Pferde der Erfüllung einer andersgearteten Ehrung. So bezahlte der Tressler Spielleuten 1399 ein Pferd, damit diese im Auftrag des Hochmeisters zu Großfürst Witolds Frau ziehen konnten.190 Ein weiteres besonderes Tiergeschenk erhielt der Hochmeister 1406, als der König von Polen ihn mit einem Wisent bedachte.191 Seinerseits ehrte er den König von Ungarn 1408 mit den Hörnern eines solchen Tiers, die als exquisite 180 181 182 183 184 185 186 187
188 189 190 191
Ebd., S. 467. Ebd., S. 562. Ebd., S. 188. Ebd., S. 299. Ebd., S. 417 – 418. Die Meerkühe wurden bereits bezüglich ihrer repräsentativen Funktionalität ausführlich behandelt. Ebd., S. 152. Ebd., S. 244. Es ist nicht vermerkt worden, wer beschenkt wurde, ebd., S. 80; 1405 »ehrte« er einen Herrn Konrad mit einem 10 m. teuren Pferd, ebd., S. 366; 1408 gab er sogar 19 m. für ein Pferd aus, das er dem Herzog von Burgund überbringen ließ, ebd., S. 474; der Erzbischof von Gnesen bekam im selben Jahr ein Pferd vom Hochmeister, welches 11 m. gekostet hatte, ebd., S. 477. Wörterbuch der deutschen Sprache. Fünfter und letzter Theil U bis Z, hrsg. Joachim Heinrich Campe, Braunschweig 1811, S. 383. TB (wie Anm. 3), S. 234. Für weitere eventuell verschenkte Zeldenpferde s. u. Tabelle 4: Tiere als diplomatische Geschenke neben den Beizfalkengeschenken. Ebd., S. 25. Ebd., S. 380.
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Trinkgefäße genutzt wurden.192 Doch auch, wenn der Hochmeister sich auf Reisen in Städten oder Dörfern aufhielt, kamen immer wieder Ordensuntertanen zu ihm, um ihm Verschiedenstes zu schenken. Teilweise waren dies tierische Nahrungsmittel wie Fische oder Eier.193 Anderenorts bekam er Zubehör zu seinen Tieren, etwa die Stricke, die ihm der lahme Junge für seine Windhunde schenkte, als er in Sobowicz gehalten hatte.194 Hunde waren in herrschaftlichen Kreisen ebenfalls geschätzte Geschenke. Der Hochmeister selbst verschickte in dem untersuchten Zeitraum dreimal Hunde. Bei den Hunden wurde stark nach ihrer Funktionalität unterschieden. In der Regel wurden sie bei der Jagd eingesetzt, sodass sich ihre Namen an ihrer diesbezüglichen Aufgabe orientierten. So bekam der Herzog von Stettin 1404 im Namen des Hochmeisters Leithunde überreicht.195 Einen nicht näher klassifizierten Hund erhielt 1405 der Graf von Katzenelnbogen.196 Windhunde sind im Tresslerbuch die am häufigsten verschenkten Hunde. Der Hochmeister versandte keines dieser Tiere, jedoch bekam er in mehreren Jahren solche zugeschickt. In keinem der Fälle spricht die Quelle explizit von einer »Ehrung«, dennoch lassen die Aufzeichnungen die Annahme zu, es könne sich um eine solche gehandelt haben. 1399 wurden dem Hochmeister beispielsweise zwei Windhunde aus Gotland gebracht. Der Bote, ein Knecht, wurde mit 1 m. für seine Mühe belohnt.197 1409 erreichten den Hochmeister einige winde vom Gebietiger von Livland, vom Bischof von Kurland und vom Herzog von Stettin.198 In den Bereich der diplomatischen Geschenke fällt überdies eine Erwähnung aus dem Jahr 1407, als der Hochmeister verstarb.199 Konrad von Jungingen hatte anscheinend einen kleinen Hund besessen, den er zu seinem persönlichen Vergnügen als Haustier hielt. Nachdem der Hochmeister verstorben war, wurde des homeisters seliger gedechtnisse hundich mit einem silbernen Halsband ausgestattet und der Königin von Polen zum Ehrengeschenk gemacht. Die als diplomatische Geschenke versendeten Jagdhunde weisen auf diese beliebte 192 Ebd., S. 467 und Hermann Konrad Wilhelm Hering, Das Trinkhorn Herzog Wartislav’s V., in: Baltische Studien 1 (1832), S. 372 – 379, hier S. 375. 193 Beispielsweise in Rossitten schenkten ihm Frauen Fische und Eier, als er sich dort aufhielt, TB, S. 548. 194 Ebd., S. 534. 195 Ebd., S. 289. 196 Die nicht weiter nach deren Aufgabe benannten Hunde können Meutehunde gewesen sein, deren Auftreten in großen Gruppen gerade bei der Hetzjagd Einsatz fand, ebd., S. 356 und Meier, Mensch und Tier (wie Anm. 16), S. 94. 197 TB (wie Anm. 3), S. 26. Weitere Beispiele: Ebd., S. 483 und 499. 198 Ebd., S. 543, 548 und 580. 199 Bernhart Jähnig, Konrad von Jungingen 1393 – 1407, in: Die Hochmeister des Deutschen Ordens 1190 – 1994, hrsg. Udo Arnold (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, 40; Veröffentlichungen der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens, 6), Marburg 1998, S. 97 – 104, hier S. 97.
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herrschaftliche Freizeitbeschäftigung hin, die sich allerdings nicht nur hintergründig bei den verschenkten Hunden bemerkbar macht. Auch die Beutetiere wurden für die vermehrt angelegten Tier- oder auch Hetzgärten der politischen Korrespondenzpartner verschenkt.200 Der Hochmeister selbst erhielt ebenfalls Hirsche, Rehe, sogenannte thiere201 und ein Wildschwein.202 Neben den lebenden Tieren wurde das auf den vermutlich fürstlichen Jagden gewonnene Wildbret verschenkt. Der Hochmeister wurde mit solchem 1402 erst aus Balga und noch im gleichen Jahr von dem polnischen König bedacht.203 1405 ließ Letzterer dem Hochmeister erneut Wildbret und zusätzlich Kraniche zukommen.204 Die Kraniche waren Beutetiere der Jagd und wurden vorwiegend mit Gerfalken gejagt.205
Schlussbetrachtung Der Deutsche Orden griff als Landesherr verstärkt in die politischen und diplomatischen Beziehungen der Fürsten und säkularen Autoritäten ein. Der Hochmeister war nicht mehr nur Ordensoberster, sondern auch in seinem außen- und innenpolitischen Wirkungsspektrum den Fürsten zunehmend gleichgestellt.206 Dies hatte Auswirkungen auf nahezu jeden Bereich des Ordenslebens und spiegelt sich somit auch in seiner Nutzung von Tieren wider. Wie die Untersuchung des Marienburger Tresslerbuchs der Jahre 1399 bis 1409 zeigt, veränderte sich sogar der alltägliche Gebrauch von Tieren: Zu den gewöhnlichen Nutztieren kamen weitere hinzu, deren Fleisch und Felle genutzt wurden. Für opulente Festmahle wurden Eichhörnchen, Rebhühner und Singvögel gebraten. Sowohl das Fell als auch das Leder von Füchsen, Eichhörnchen, Auerochsen und Wild wurde zu exklusiven Kleidungsstücken verarbeitet. Seltene oder exotische Tiere wie jener Löwe aus dem Jahr 1408, die aufwendig transportierten Auerochsen oder auch der 1406 genannte Sittich gelangten in den Besitz des Ordens. Die Haltung solcher Tiere in Tiergärten war nicht zuletzt Ausdruck einer auf Repräsentation bedachten Hofhaltung, die sich von den Idealen einer geistlichen Bruderschaft entfernt hatte. Dies zeigt sich auch in den 200 Meier, Mensch und Tier (wie Anm. 16), S. 81 – 83. 201 Joachim sieht darin eine Bezeichnung für weibliches Wild, TB, Register, (wie Anm. 3), S. 682. 202 S. u. Tabelle 4: Tiere als diplomatische Geschenke neben den Beizfalkengeschenken. 203 TB (wie Anm. 3), S. 152 und 164. 204 Ebd., S. 354. 205 S. Krünitz, Oekonomisch – technologische Encyklopädie (wie Anm. 113), S. 130. Der Sittich, der vermutlich ein diplomatisches Geschenk darstellte, wurde in diesem Kapitel nicht weiter angeführt, da dieser bereits ausführlich bezüglich dessen repräsentativen Charakters Beachtung gefunden hat. 206 Boockmann, Der Deutsche Orden (wie Anm. 155), S. 187.
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enormen Summen, die der Hochmeister aufwandte, um sich mittels der versandten Tiergeschenke, im Besonderen der Beizvögel, das Wohlwollen der Herrscher zu sichern, eine Strategie, die für die Akzeptanz seiner Interessen durchaus effektiv war, wie beispielsweise die Reaktionen der Rheinfürsten, die ihm die zollfreie Durchfahrt seines Weines gewährten, verdeutlichen. Doch zeigt das gleiche Beispiel die Ambivalenz jener Kontakte, deren wohlgesonnene Grundstimmung bei Ausbleiben erwarteter Präsente schnell umschlagen konnte. Unter Berücksichtigung der Ereignisse, die auf die Jahre 1399 bis 1409 folgten, scheint es fast, als habe er seine Ressourcen zu sehr verausgabt, um seine Herrschaft auf diese Weise weiterhin erhalten zu können. Eventuell wäre es für den Hochmeister besser gewesen, primär seine Position gegenüber den Nachbarländern zu stärken. Indem er die Beizfalkengeschenke an so viele Adressaten versandte, stand er unter dem Druck, die so intensivierten diplomatischen Verbindungen kontinuierlich zu bedienen. Für eine hinreichende Untersuchung dieser These reichen jedoch das vorliegende Quellenmaterial und der vorgegebene Rahmen nicht aus. Um über die politischen Konsequenzen jener Geschenke oder das Ausmaß der repräsentativen Nutzung der Tiere genauere Aussagen treffen zu können, bedürfte es einer zusätzlichen Untersuchung der Ämterbücher, Zinsbücher sowie der diversen Korrespondenzen des Hochmeisters und weiterer Mitglieder des Ordens.207 Abstract: With the relocation of the grandmaster’s residence to Prussian Marienburg in 1309 the expansion began of the Teutonic Order in its double role as a knight’s order and as sovereign of Prussia and Livonia. Being a clerical knight’s order as well as being sovereign brought with it with the necessity of constant justification. The demonstration of power as well as the diplomatic relationship with other dynasties served as means of legitimacy. In many cases animals were used in connection with this: Exotic animals were shown for representative purposes, and others, like falcons for the lordly privilege of falconry, were sent out as diplomatic presents. The way in which the Teutonic order made use of animals in order to represent and legitimize its sovereignty will be presented in this essay on the basis of a study of the Marienburger Tresslerbuch (1399 – 1409).
207 Rünger, Züchtung und Haltung (wie Anm. 63), S. 212.
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Tiere als Mittel der Repräsentation und Diplomatie
Anhang Tabelle 1: Die durchschnittlichen Preise aller Pferdetypen gemäß ihrer Bezeichnung im Marienburger Tresslerbuch Art/Funktion des Pferdetyps Hengst Beysweike
Durchschnittlicher Preis des Pferdtyps in m. ca. 18,0 ca. 4,0
Anzahl an Einzelerwähnungen des Pferdetyps im TB 53 4
Briefsweike Sweike allgemein
ca. 3,5 ca. 4,0
87 140
Zeldenpferd Traber
ca. 4,0 ca. 9,0
6 19
Wagenpferd Ross
ca. 5,5 16,0
3 1
Rosschin Pferd
8,5 ca. 8,0
2 325
Das Marienburger Tresslerbuch der Jahre 1399 – 1409, hrsg. Erich Joachim, Königsberg 1896 (ND Bremerhaven 1973). Tabelle 2: Relation zwischen den Preisen von Pferden zu ihren Farben Farbe des Pferdes braun
Den Samaiten gekauft Den Samaiten gekauft
208 f. = Firdung.
Preis des Pferdes 20,0 m.
Kennzeichnung des Pferdes Hengst
Seite im Marienburger Tresslerbuch 218
18,0 m. 16,0 m.
Hengst Hengst
218 217 f.
14,0 m. 14,0 m.
Hengst Hengst
218 218
12,0 m. 12,0 m.
Pferd Pferd
218 218
5,5 m.
Pferd
421
4,0 m. 1 f.208
Pferd
421
12,0 m. 12,0 m.
Traber Traber
218 218
11,0 m. 8,5 m.
Traber Traber
218 218
8,0 m.
Traber
218
96 (Fortsetzung) Farbe des Pferdes
fahl
grau (groen, gro, groes)
Den Samaiten gekauft mausfahl Den Samaiten gekauft rot
Den Samaiten gekauft Rotschimmel schwarz
Den Samaiten gekauft
Nele Kaestner
Preis des Pferdes 8,0 m. 22,0 m.
Kennzeichnung des Pferdes Traber Hengst
Seite im Marienburger Tresslerbuch 218 218
20,0 m. 10,0 m.
Hengst Traber
594 218
10,0 m. 7,0 m.
Traber Traber
218 218
20,0 m. 18,0 m.
Hengst Hengst
218 219
16,0 m. 16,0 m.
Hengst Hengst
218 218
14,0 m. 6,0 m.
Hengst Pferd
218 218
5,0 m.
Pferd
421
24,0 m.
Hengst
218
11,0 m. 6,0 m. 1 f.
Pferd Pferd
561. 421
15,0 m. 12,0 m.
Hengst Hengst
218 218
12,0 m. 6,0 m.
Pferd Pferd
218 218
5,0 m.
Pferd (mit Blesse)
421
7,0 m.
Traber
218
6,0 m. 28,0 m.
Hengst Hengst
594 218
20,0 m. 20,0 m.
Hengst Hengst
218 218
14,0 m. 12,0 m.
Hengst Hengst
218 594
9,0 m. 9,0 m.
Pferd Pferd
218 218
6,0 m. 5,5 m.
Pferd Pferd
218 58
4 m. 1 f.
Pferd
421
97
Tiere als Mittel der Repräsentation und Diplomatie
(Fortsetzung) Farbe des Pferdes
Preis des Pferdes 4,0 m. 18,0 m.
Kennzeichnung des Pferdes Pferd Traber
Seite im Marienburger Tresslerbuch 218 218
12,0 m. 10,0 m.
Traber Traber
218 218
8,0 m. 8,0 m.
Traber Traber
218 218
5,5 m. 5,5 m.
Traber Traber
218 218
Schimmel
5,5 m. 14,0 m.
Traber Hengst
218 219
weiß
8,0 m. 26,0 m.
Traber Hengst
218 218
24,0 m. 9,0 m.
Hengst Traber
219 219
einem Fleischer 3,0 m. Zeldenpferd 502 abgekauft Das Marienburger Tresslerbuch der Jahre 1399 – 1409, hrsg. Erich Joachim, Königsberg 1896 (ND Bremerhaven 1973). Tabelle 3: Die Adressaten der Falkensendungen des Hochmeisters im Verlauf der im Tresslerbuch verzeichneten Jahre Adressat der Falkensendungen209
Jahr
Deutsche Lande
1400
Anzahl der Fal- Seite im Tresslerken buch mehrere 77
Fredecke
1401 1400
mehrere210 10 Tiere
124 77
Sachsen […] Herzog
1399 1402
1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2
kase kase
37 194
kase kase
272 362
kase kase
506 594
kase
77
1403 1405 Sachsen […] Markgraf
1408 1409
Meißen
1400
209 Diese Tabelle erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es sind jedoch Einträge für jedes Jahr vorhanden. Es kann des Weiteren behauptet werden, dass der Großteil der verzeichneten Falkensendungen des Hochmeisters aufgenommen wurden. 210 Bei dieser Sendung waren auch Habichte enthalten.
98 (Fortsetzung) Adressat der Falkensendungen209
[…] Herzog Wilhelm
Nele Kaestner
Jahr 1401 1402
[…] Markgraf
1403 1405
Meißen […] Markgraf
1408 1409
Nürnberg
1399 1400
Burggraf von Nürnberg
1401 1403 1404 1405
Nürnberg
1407 1408
[…] Burggraf Württemberg
1409 1399 1400 1401
Graf von Württemberg Herrn von Württemberg
1402 1403
Graf von Württemberg
1404 1405
Württemberg
1407 1408
[…] Graf Herzog Leopold von Bayern
1409 1399
Bayern
1400 1401
Anzahl der Falken 1 kase 2 1 kase 2
Seite im Tresslerbuch 124 194
1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2
kase kase
272 362
kase kase
506 594
kase kase
37 77
kase kase
124 272
kase kase
323 362
kase kase
448 506
kase kase
594 37
kase kase
77 124
kase kase
194 272
kase kase
323 362
kase kase
448 506
kase kase
594 37
kase 1 kase
77 124
1 2 1 2
kase kase
194 194
Bischof von Freising
1402 1402
König von Böhmen nach Böhmen
1400 1401
1 kase 1 kase
77 124
König von Böhmen König zu Böhmen
1404 1405
1 kase 1 kase
323 362
Römischer König (nach Böhmen)
1399
1 kase
37
99
Tiere als Mittel der Repräsentation und Diplomatie
(Fortsetzung) Adressat der Falkensendungen209
1400 1402
Anzahl der Falken 1 kase 1 kase
Seite im Tresslerbuch 77 194
1403 1404
1 kase 1 kase
271 323
1406 1407
2 kasen ca. 1 kase
407 448
1408 1409
1 kase ca. 1 kase
506 594
Köln Erzbischof von Köln
1400 1402
kase kase
77 194
Köln Erzbischof von Köln
1403 1404
kase kase
271 323
[…] Kurfürst
1405 1409
1 2 1 2 1 2 1 2 1 2
Mainz Erzbischof von Mainz
1400 1402
Mainz
1 2 1 2
Pfalzgraf Herzog Clem211 Herzog Clem, dem neuen Römischen König
Jahr
kase ca. 12 kase
362 594
kase kase
77 194
1403 1404
mehrere mehrere
271 323
[…] Kurfürst
1405 1409
1 2
362 594
Bischof von Trier Trier
1402 1403
1 2
kase mehrere
194 271
1404 1405
mehrere 1 kase 2
323 362
2 Tiere kase
194 362
kase kase
77 271
kase kase
362 77
kase
194
[…] Kurfürst Komtur von Koblenz
1409 1400 1402 1405
Holland Herzog von Holland
1400 1403
Graf Eberhard (von Katzenelnbogen)
1405 1400 1402
kase ca. 12 kase
ca. 12 kase 1 kase 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2
594 77
211 Der Kurfürst Ruprecht III., genannt Clem, wurde am 20. August 1400 zum Römischen König ernannt, TB (wie Anm. 3), S. 77, Anm. 2.
100 (Fortsetzung) Adressat der Falkensendungen209
Nele Kaestner
Jahr
Anzahl der Falken mehrere mehrere
Seite im Tresslerbuch 271 323
1405 1408
1 2
kase 2 Tiere
362 505
1408 1409
1 2
506 594
Uf den Reyn By den Ryn (den körfursten und andirn herren)
1399 1401
3 kasen 4 kasen
37 124
an den Rhein Kurfürst des Rheins
1402 1406
mehrere 2 kasen
201 407
Kurfürsten des Rheins
1407 1408
2 kasen 1 kase
448 506
Österreich
1399 1399
mehrere 2 kasen212
23 37
Herzog Wilhelm Herzog Lupolt
1400 1400
77 77
Österreich Herzogin von Österreich
1401 1401
1 kase 1 kase 2
2 kasen mehrere
124 123
Herzog Wilhelm Landkomtur zu Österreich
1402 1403
kase kase
194 272
Herzog Wilhelm Herzog Lupolt
1403 1403
kase kase
272 272
Herzog Albrecht Herzog Wilhelm
1404 1404
1 2 1 2 1 2 1 2
308 323
Herzog Lupolt Herzog Albrecht
1404 1405
2 Tiere 1 kase 2 kase 1 kase
323 362
Herzog Wilhelm Herzog Lupolt
1405 1405
kase kase
362 362
Herzog Lupolt Herzog von Österreich
1406 1409
1 2 1 2
1 kase mehrere
407 545
Graf von Öttingen
1409 1399
mehrere mehrere
593 18
Vogt der Mark (Slochau) Komtur von Balga
1400 1402
2 Tiere 3 Tiere
77 156
1403 1404
kase ca. 12 kase
1 2
212 In eine kase passten zehn Beizvögel, s. Knabe: Preußische Falken (wie Anm. 69), S. 18.
101
Tiere als Mittel der Repräsentation und Diplomatie
(Fortsetzung) Adressat der Falkensendungen209 Herzog von Geldern
Jahr 1402 1403
Anzahl der Falken 1 kase 2 1 kase 2
Seite im Tresslerbuch 194 271
kase ca. 12 kase
506 594
1 2 1 2 1 2
kase kase
kase kase
77 194
kase kase
271 362
1399 1400
1 2 1 2 1 2 1 2
2 kasen 6 Tiere
37 77
1402 1406
mehrere 1 kase
233 383
Ungarn
1408 1409
1 kase mehrere
506 593
König von Polen
1400 1401
mehrere mehrere
76 123
[…] zu Krakau
1402 1403
mehrere 12 Tiere
186 300
[…] von Krakau […] von Krakau
1405 1406
8 Tiere mehrere
339 383
1406 1407
2 Tiere mehrere
395 418
1408 1409
mehrere mehrere
470 536
1403 1400
6 Tiere 4 Tiere
271 77
1402 1402
2 junge Tiere 4 Tiere
166 144
1405 1403
4 Tiere 4 Tiere
362 240
1404 1405 1408 1409 Herzog vom Berge
Herzog von Kleve König von Ungarn
Bischof von Krakau Bischof von Kulmsee Herzog Semovit213 von Masowien nach Płon´sk Herzog Switrigail
1400 1402 1403 1405
323 362
213 Im Tresslerbuch steht herzog Symask. Voigt schreibt, dass es sich hierbei um Herzog Semovit von Masowien handelt. Johannes Voigt, Geschichte Preußens von den ältesten Zeiten bis zum Untergange der Herrschaft des Deutschen Ordens. Die Zeit des Hochmeisters Konrad von Jungingen, von 1393 bis 1407, Verfassung des Ordens und des Landes, 6, Königsberg 1834, S. 94.
102
Nele Kaestner
(Fortsetzung) Adressat der Falkensendungen209 Herzog von Tesschen Frankreich
Jahr 1409 1400 1403 1408
Anzahl der Falken mehrere 1 kase 2
Seite im Tresslerbuch 572 77
2 kasen 2 kasen
271 506
[…] dem König […] dem Herzog von Burgund
1409 1409
10 Tiere 8 Falken214
593 593
England König von England
1400 1406
2 kasen mehrere
76 384
Das Marienburger Tresslerbuch der Jahre 1399 – 1409, hrsg. Erich Joachim, Königsberg 1896 (ND Bremerhaven 1973). Tabelle 4: Tiere als diplomatische Geschenke neben den Beizfalkengeschenken Name des Tieres
Absender
Adressat
Auerochse
Komtur von Balga
HM215
Jahr Seite im Tresslerbuch 1404 299
Hunde
Herzog Witold Herzog Witold
HM HM
1409 544 1399 35
HM
Herzog Witold Graf von Katzenelnbogen
1405 350 1405 356
Königin von Polen Königin von Polen
1407 425
HM seligen Gedächtnisses silbernes huntbant HM seligen Gedächtnisses
Hundich
Windhunde
Leithunde
1407 425
aus Gotland216 aus Gotland217
HM HM
1399 26 1408 483
Henning von Wedel218 Gebietiger von Livland
HM HM
1408 499 1409 543
Bischof von Kurland Herzog von Stettin
HM HM
1409 548 1409 580
HM
Herzog von Stettin
1404 289
214 Außerdem wurde noch ein Gerfalke mitgeschickt. 215 HM = Hochmeister. 216 Es ist fraglich, ob es sich hierbei um ein diplomatisches Geschenk handelt. Da die Möglichkeit dazu besteht, wurde dieser Eintrag dennoch in dieser Liste aufgenommen. 217 Neben dem Windhund wurde ein Habicht mitgebracht. 218 Es kann sich um ein Geschenk handeln.
103
Tiere als Mittel der Repräsentation und Diplomatie
(Fortsetzung) Name des Tieres
Absender
Adressat
Löwe Meerkühe
HM Unbekannt
Herzog Witold HM
Jahr Seite im Tresslerbuch 1408 478 1401 98
Pferde
Komtur von Balga HM
HM Unbekannt
1407 417 f. 1400 80
Komtur von Balga HM
HM Conrad
1403 244 1405 366
HM
Herzog von Brügge Erzbischof von Gnesen
1408 474
Herzog von Stolp HM
1407 431
wildes Pferd
HM
1408 477
Ross
HM
Zeldenpferd
Komtur von Thorn219 HM Wolf, der Bürgermeister HM von Sand
1400 70 1403 234
dem »alten« Komtur von HM Koblenz220 HM Großkomtur
1404 309 1408 483
HM
1409 532
Komtur von Christburg
Komtur von Christburg221 Komtur von Rehden222 Hengst
HM
1409 578
Komtur von Christburg HM
HM Herzog Switrigail
1399 29 1403 225
aus Livland Vogt von Wenden
HM HM
1403 237 1404 314
HM223
Komtur von Ko- 1404 319 blenz Landkomtur 1404 321 f. vom Elsass
HM224 livländischer Hengst
219 220 221 222 223 224
S. o. S. o. S. o. S. o. S. o. S. o.
1409 562
Gebietiger von Livland
HM
1404 288
104
Nele Kaestner
(Fortsetzung) Name des Tieres
Absender
Adressat
HM Bischof von Refeln
Herzog Witold HM
Komtur von Welun HM
HM Vogt der Neumark
1405 338 1405 340
HM HM
Elbing Königsberg
1405 357 1405 357
mit zwei Messing- HM Gebissen Komtur von Engelsberg
Rosschin Thier
Hirsch
S. o. S. o. S. o. S. o. S. o. S. o. S. o. S. o.
König von Polen 1405 363 HM
1405 367
Komtur von Winda225 Komtur von Rehden
HM HM
1406 400 1408 474
HM HM
Herr Musschicz 1408 485 Graf von Nassau 1408 485
HM HM
Herzog Witold Herzog von Wolgast
1408 495 1409 556
Frauen von Czepel HM
HM Herzog Semovit
1409 594 1409 594
Komtur von Rehden226 aus der Mark227
HM HM
1402 188 1402 125 f.
Heinrich von Guntersberg Vogt von Schlochau228
HM
1402 190
HM
1403 215
Bischof von [uneindeutig]229 aus der Mark230
HM
1399 14
HM
1401 126
HM
1402 162
HM
1409 594
Bischof von Reßenburg231 Komtur von Osterrode232
225 226 227 228 229 230 231 232
Jahr Seite im Tresslerbuch 1405 337 1405 338
105
Tiere als Mittel der Repräsentation und Diplomatie
(Fortsetzung) Name des Tieres
Absender
Adressat
Tressler von Balga
HM HM
Jahr Seite im Tresslerbuch 1405 338 1402 152
Wildbret König von Polen Wildbret und Kra- König von Polen niche
HM HM
1402 164 1405 354
Wildschwein Wisent
aus Graudenz233 König von Polen
HM HM
1403 219 1406 380
Wisenthörner
HM
Reh Wild Wildbret
König von 1408 467 Ungarn Das Marienburger Tresslerbuch der Jahre 1399 – 1409, hrsg. Erich Joachim, Königsberg 1896 (ND Bremerhaven 1973).
233 S. o.
Volker Hentrich
Die Darstellung des Schwertbrüderordens in der Livländischen Reimchronik (Ordenschronik, * Missionsgeschichte oder nur »Kriegstagebuch«?)
Zu Anfang des 13. Jh. begann die intensive Christianisierung Livlands.1 Vorher waren hierfür zwar bereits Ansätze gemacht worden, diesen war aber nur mäßiger Erfolg beschieden. Erst mit der Gründung der Stadt und des Bistums Riga (1201) unter Albert von Buxhoeveden (Bischof 1199, B. von Riga 1201 bis 1229) wurde die Missionierung erfolgreich vorangetrieben. Vorausgegangen war dieser Gründung bereits 1198 ein Kreuzzug in dieses Gebiet, zu dem Papst Innozenz III. aufgerufen hatte.2 Zur Unterstützung der Mission wurde von einem Zisterziensermönch (dem späteren Bischof Theoderich von Treiden) 1202, vielleicht auch im Jahr darauf, ein geistlicher Ritterorden gegründet, der Schwertbrüderorden (Fratres Milicie de Livonia – Brüder der Ritterschaft Christi zu Livland).3 Dieser Ritterorden, der selbstständig bis 1237 bestand,4 sollte zum Schutze der Pilger, der Kaufleute und der jungen christlichen Gemeinde in Livland dienen. Mit diesem Schwertbrüderorden und dessen Wirken zu Anfang des 13. Jh.s im Baltikum beschäftigt sich diese Arbeit. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht aber nicht das zeitgenössische Geschichtsbild des Ordens, sondern es soll die * Dieser Aufsatz ist eine gekürzte Fassung meiner Masterarbeit an der Universität Hamburg aus dem Jahre 2013. Einige Kapitel, wie zur Aufsegelung Livlands, der Rolle der frühen Hanse oder der Einschätzung von Personengruppen, mussten aus Platzgründen ganz entfallen. 1 Mit Livland, der zu jener Zeit gebräuchlichen Bezeichnung, ist in etwa das Gebiet des heutigen Estland und Lettland gemeint. 2 Ein erstes Kreuzzugsprivileg für Livland war schon vom Vorgänger Innozenz III., Papst Coelestin III. etwa um 1195/96 gewährt worden, aber erst 1198 kam es zu einem ersten Zug nach Livland unter Bischof Berthold, dem Vorgänger Bischof Alberts. 3 Vermutlich ebenfalls gegründet auf die Initiative Bischof Alberts hin. Die Livländische Reimchronik (Verszeilen 590 – 606) nennt Bischof Albert als Ordensstifter. Vgl. hierzu (vor allem zum Stiftungsjahr) die Überlegungen von Friedrich Georg von Bunge, Der Orden der Schwertbrüder. Dessen Stiftung, Verfassung und Auflösung (Baltische Geschichtsstudien, Zweite Lieferung), Leipzig 1875, S. 5 – 10. 4 Nach einer verheerenden Niederlage gegen die Litauer 1236 in der Schlacht bei Schaulen (Saule) wurden die wenigen überlebenden Brüder dieses Ordens als »Livländischer Zweig« in den Deutschen Orden eingegliedert.
108
Volker Hentrich
Sichtweise eines Chronisten untersucht werden, der die Ereignisse aus einer späteren Perspektive, etwa 60 Jahre nach der erfolgten Eingliederung des Schwertbrüderordens in den Deutschen Orden, in der Rückschau betrachtet und beschreibt.5 Die um 1295 entstandene »Livländische Reimchronik«6 schildert in 12018 Versen7 die Geschehnisse im Baltikum von etwa 1180 bis 1290. Etwas über ein Zehntel8 der RC befasst sich mit dem Wirken des Schwertbrüderordens und der Missionierung Livlands im hier untersuchten Zeitraum (1202 bis 1237). Das Hauptaugenmerk liegt darauf, zu ergründen, ob und wie sich die Wahrnehmung der Rolle des Schwertbrüderordens bei der Mission gegenüber der zeitgenössischen Darstellung verändert hatte. Detlev Kattinger beschreibt die Situation in Livland zu jener Zeit treffend als: »[…] Geflecht von rechtlichen, politischen und merkantilen Abhängigkeiten.«9 Hinzufügen mag man zu dieser Aufzählung sicher noch die »religionsgeprägten« Abhängigkeiten.10 Gustav Adolf Donner spricht im Zusammenhang mit der Missionierung von der »Kolonisierung« Livlands und bezeichnet sie als: »[…] das interessanteste Moment in der Geschichte des Nordens im 13. Jahrhundert.«11 Wie stellt der Chronist der RC in seiner Zeit um 1295 nun dieses »interessanteste Moment« und das »Geflecht« zwischen Missionaren, Ordensbrüdern, Kreuzrittern und Kaufleuten bei der Missionierung (oder Kolonisierung) Livlands dar? Für die detaillierte Untersuchung der Quelle ist im Wesentlichen ein Ansatz gewählt worden, der den Episoden der RC folgt. Eckpunkte und Entwicklungsstränge der Geschehnisse werden im Einzelnen untersucht, analysiert und bewertet. Gewissermaßen als »benchmark« zum Vergleich der Unterschiede in der Wahrnehmung und Darstellung der Ereignisse bis 1227 dient eine zeitge-
5 Der Schwertbrüderorden war während der 35 Jahre seiner Existenz ein prägendes Element der Christianisierung Livlands. Christianisierung fand natürlich auch vor 1202 und nach 1237 statt, jedoch unter anderen Konstellationen, die Gegenstand einer eigenen Untersuchung sein sollten. 6 Livländische Reimchronik, mit Anmerkungen, Namensverzeichnis und Glossar, hrsg. Leo Meyer, Paderborn 1876 (= RC). 7 Andere Zählweisen differieren geringfügig um wenige Zeilen aufgrund unterschiedlicher Zählweise von Dreierreimen (z. B. Verszeilen 11645 – 11647). 8 Genauer, die Verszeilen 590 bis 2038. Die nachfolgenden Verse bis 2064 befassen sich dann mit dem Aufteilen der Ländereien der Schwertbrüder nach ihrer vernichtenden Niederlage bei Schaulen. 9 Detlev Kattinger, Lübeck, Visby und Riga in der Handelsdiplomatie des gemeinen Kaufmanns im 13. Jahrhundert, in: Fernhandel und Handelspolitik der baltischen Städte in der Hansezeit, hrsg. Norbert Angermann (Schriften der Baltischen Historischen Kommission, 11), Lüneburg 2001, S. 9 – 40, hier S. 20. 10 Wie beispielsweise das Verhältnis der Missionare zu den von der orthodoxen Kirche geprägten Russen. 11 Gustav Adolf Donner, Kardinal Wilhelm von Sabina, Bischof von Modena 1222 – 1234. Päpstlicher Legat in den nordischen Ländern († 1251), Helsingfors 1929, S. 1.
Die Darstellung des Schwertbrüderordens
109
nössische Quelle, die Livländische Chronik des Heinrich von Lettland (Henricus Lettus: Chronicon Livoniae).12 Im 19. und früheren 20. Jh. entstanden umfangreiche und zum Teil auch kontroverse Untersuchungen zur RC (und damit natürlich auch zu Schwertbrüderorden und Livenmission).13 Es gibt jedoch eine ganze Reihe jüngerer Publikationen, die neue Sichtweisen aufzeigen, so von Alan V. Murray.14 Er entwickelt interessante Theorien zur Zielgruppe, für die diese Chronik möglicherweise geschrieben worden sein mag.15 Weiter sind ein Aufsatz von Hartmut Kugler,16 die Schriften der Baltischen Historischen Kommission17 und die Arbeiten von Norbert Angermann zu nennen.18 Als Standardwerk zu Geschichte und Wirken des Schwertbrüderordens gilt immer noch die 1965 erschienene Monografie Friedrich Benninghovens.19 Das kleine Bändchen über 12 Heinrich von Lettland, Livländische Chronik, Übers. Albert Bauer (Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters, FSGA 24), Darmstadt 1959, (= HCL). Heinrichs Chronik endet 1227. Für die Zeit nach 1227 bis zur Auflösung des Schwertbrüderordens 1237 gibt es keine detaillierte zeitgenössische Quelle, die sich zum Vergleich mit der Reimchronik heranziehen ließe. Interpretation und Analyse müssen für diesen späteren Zeitraum von zehn Jahren also behutsam erfolgen, veränderte Einschätzungen der Ereignisse durch den Chronisten lassen sich möglicherweise nicht genau fassen. 13 Vgl. Udo Arnold, Livländische Reimchronik (Ältere L. R.), in: Die deutsche Literatur des Mittelalters 5, Verfasserlexikon, hrsg. Kurt Ruh et al., Berlin, New York 21985, Sp. 855 – 862, hier Sp. 861; veraltet z. B.: Carl Schirren, Vorlesungen über Livländische Geschichte, Nachschrift von Johannes Lossius; nur in digitalisierter Form verfügbar über die Homepage der Baltischen Historischen Kommission, unter : http://www.balt-hiko.de/online-publikationen/vorlesungen-von-carl-schirren/ (Zugriff am 14. 08. 2013); Fritz Rörig, Vom Werden und Wesen der Hanse, Leipzig 41944, S. 35; sowie zur Qualität der Dichtung die Diss. von Paul Ecke, Die livländische Reimchronik, Greifswald 1909; Richard Lindner, Zur älteren livländischen Reimchronik, Leipzig 1891. 14 Crusade and Conversion of the Baltic Frontier 1150 – 1500, hrgs. Alan V. Murray, Aldershot/ Burlington 2001, besonders: Ders., The Structure, Genre and Intended Audience of the Livonian Rhymed Chronicle, S. 235 – 251. 15 Ob diesen Theorien immer unbedingt Folge geleistet werden kann, wird noch erörtert werden. 16 Hartmut Kugler, Über die Livländische Reimchronik, Text, Gedächtnis und Topographie (Jahrbuch der Gebrüder Grimm-Gesellschaft 1992, II), Kassel 1992, S. 85 – 104. 17 So fällt beispielsweise Matthias Thumser in diese Kategorie: Geschichtsschreibung im mittelalterlichen Livland, hrsg. Matthias Thumser (Schriften der baltischen historischen Kommission, 18), Berlin 2011. 18 Norbert Angermann, Die Bedeutung Livlands für die Hanse, in: Die Hanse und der deutsche Osten, hrsg. ders. (Nordostdt. Kulturwerk), Lüneburg 1990, S. 97 – 115; Ders., Die mittelalterliche Chronistik, in: Geschichte der deutschbaltischen Geschichtsschreibung, im Auftrage der Baltischen Historischen Kommission, hrsg. Matthias Thumser (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart), Wien 1986, S. 3 – 20; Ders., Carl Schirrens Vorlesungen über die Geschichte Livlands, in: Ostseeprovinzen, Baltische Staaten und das Nationale. FS für Gert von Pistohlkors zum 70. Geburtstag, hrsg. ders. et al. (Schriften der Baltischen Historischen Kommission, 14), Münster 2005, S. 213 – 225. 19 Friedrich Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder, Fratres Milicie Christi de Livonia
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die Deutsche Literatur Altlivlands von Lutz Mackensen beschäftigt sich ausführlich mit dem Inhalt der RC,20 und 2001 haben Jerry C. Smith und William L. Urban die RC in englische Prosa übersetzt und kommentiert.21 Die kurze Zusammenfassung zeigt, dass die Untersuchungen zu RC, Livenmission oder Schwertbrüderorden durchaus noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden dürfen. So wären beispielsweise die Fragen des »Truppentransportes« der Pilger und Ordensbrüder von Lübeck nach Riga und zurück (und dessen Finanzierung)22 oder die Prinzipien der Lehnsvergabe durch den Orden Aspekte, die eine erneute Untersuchung wert wären. Der Verbleib der Originalhandschrift der RC ist nicht bekannt. Insgesamt sind (neben einem in Kopenhagen aufbewahrten Fragment) zwei Abschriften aus Riga (heute verschollen) und Heidelberg erhalten.23 Die Absicht des Chronisten der RC ist es, von den Geschehnissen um die Christianisierung in Livland zu berichten, wie er uns selbst mitteilt: »n will ich machen ch bekannt, wie der christentm ist komen z Niefland, als ich hn vernomen von allen wsen lten.«24 In diesem einen Satz verbergen sich neben der klar formulierten Absicht25 auch gleich vier wichtige Fragen zur RC, nämlich; wer ist »ich«, wer sind die »ch«, für die der Chronist schrieb, wer sind die »wsen lte« von denen er diese Dinge »vernomen« hat, und was genau meint er eigentlich mit »vernomen«? Als Verfasser der RC wurde bis ins 19. Jh. Ditleb von Alnpeke angenommen, ein Ritter des Deutschen Ordens in Reval.26 Nachdem sich dies als Irrtum er-
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(Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart, 9), Köln, Graz 1965. Für Struktur und Verfassung des Ordens noch besonders ergiebig ist Friedrich Georg von Bunge, Der Orden der Schwertbrüder (wie Anm. 3). Lutz Mackensen, Zur deutschen Literatur Altlivlands (Ostdeutsche Beiträge, Aus dem Göttinger Arbeitskreis, 18), Würzburg 1961, bes. sein Beitrag zur Livländischen Reimchronik, S. 21 – 58, der allerdings wenig verändert schon 1937 erschien. Jerry C. Smith, William L. Urban, The Livonian Rhymed Chronicle, Revised and Enlarged, Translated with an Historical Introduction, Maps and Appendices, Chicago 22001. Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 63, beziffert die jährlichen Kosten des ersten Konvents 1204 – 1206 auf 1.000 Mark Silber, selbst wenn Seereise und Ausrüstung von den Ritterbrüdern selbst finanziert worden war. Hier benutzt: Livländische Reimchronik, hrsg. Leo Meyer (wie Anm. 6); vgl. auch die Übers. Eduard Meyer, Die Livländische Reimchronik von Dittlieb von Alnpeke, in das Hochdeutsche übertragen und mit Anmerkungen versehen, Reval 1848. Die Heidelberger Handschrift cpg 367 ist verfügbar unter : http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg367/ 0395 (Zugriff am 14. 08. 2013). RC (wie Anm. 6) Verszeilen 120 – 123. Die 119 Verszeilen davor sind ein Prolog und dienen der allgemeinen Einführung, von der Erschaffung der Welt über Beginn und Ausbreitung des Christentums bis hin zu Christus und der Jungfrau Maria, die der Chronist seine Königin nennt. Ob der Chronist dieser Absicht gerecht wird, ist ein zentraler Punkt der Untersuchung. Vgl. Udo Arnold, Livländische Reimchronik (wie Anm. 13), Sp. 855.
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wiesen hatte, blieb zu Status und Person des Chronisten nur die allgemeine Einschätzung, dass es sich um einen mitteldeutschen Ritter des Deutschen Ordens gehandelt haben muss, der einige Zeit (vielleicht ab etwa 1279)27 in Livland gelebt hat. Andere Theorien zu seiner Herkunft (z. B. Kreuzfahrer oder Vasall des Erzbischofs)28 sind spekulativ. Er selbst gibt in der RC keine Auskunft über sich. Als Quelle seiner Verse diente wohl überwiegend die mündliche Überlieferung (han vernomen), bestimmt auch einige uns leider unbekannte schriftliche Quellen. Dass zu diesen Quellen auch die Livländische Chronik Heinrichs von Lettland29 gezählt hat, ist zwar nicht auszuschließen, aber die geringe Übereinstimmung in vielen Details spricht dagegen.30 Zuhörerschaft bzw. Vortragende sind aller Wahrscheinlichkeit dem Rittertum oder Umfeld des Deutschen Ordens zuzuordnen. Die Verse könnten z. B. als »Tischlesung«31 vorgetragen worden sein oder aber beim Anwerben neuer Ritterbrüder, vielleicht auch von Kreuzfahrern, als Motivationshilfe gedient haben.32 Die literarische Einordnung der RC (Ordenschronik, Missionsgeschichte oder »Kriegstagebuch«) bereitet gewisse Schwierigkeiten. Die Bezeichnung »Chronik« scheint etwas unzureichend. Hartmut Kugler nennt die RC etwas blumig: »Repräsentationsstück der Deutschordensdichtung« und weiter : »[…] das älteste Zeugnis deutschsprachiger Dichtung im baltischen Raum.«33 Eine unverfängliche Bezeichnung ist vielleicht »Volksepos«, ein Begriff den Mackensen benutzt.34 Aber selbst diese Bezeichnung wirft neue Fragen auf, denn welches Volk ist hier gemeint, nur die Deutschen (Missionare, Livlandfahrer und Ordensbrüder) oder auch die baltischen Stämme? Die Sprache der RC ist Mittelhochdeutsch. Der Aufbau der RC scheint auf den ersten Blick chronologisch,35 in Versgruppen/Episoden aufgeteilt und strukturiert nach den Amtszeiten der Meister des Schwertbrüderordens.36 Für die Zeit von 1202 bis 1237 sind dies nur zwei, ein Meister Winno (auch Wyno, Wenno, von ca. 1204 bis 1209) und Meister Volkwin von Naumburg (auch Volquin, 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
Vgl. Mackensen, Zur Deutschen Literatur (wie Anm. 20), S. 48. Linder, Zur älteren livländischen Reimchronik (wie Anm. 13), S. 66. HCL (wie Anm. 12). Als Beispiel sei hier nur eine falsche Angabe zur Amtszeit der zwei Herrenmeister der Schwertbrüder in der RC (wie Anm. 6) genannt, die in Heinrichs Chronik korrekt wiedergegeben wird. Dies vermutet zumindest Angermann, Die mittelalterliche Chronistik (wie Anm. 18), S. 11. So vermutet zumindest Murray, Structure (wie Anm. 14), S. 241 – 242 und 250. Hartmut Kugler, Über die Livländische Reimchronik (wie Anm. 16), S. 86 – 87. Murray nennt die RC (wie Anm. 6) schlichter einfach »Deutschordensliteratur«, Murray, Structure (wie Anm. 14), S. 235. Mackensen, Zur Deutschen Literatur (wie Anm. 20), S. 32. Allerdings nicht nach Jahren, nur einmal wird im untersuchten Teil eine Jahreszahl genannt: 1143 (Verszeilen 431/432), das Jahr, in dem Meinhard zum Bischof geweiht wird. Später dann nach den Landmeistern des Livländischen Zweiges des Deutschen Ordens.
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Wolquin, von 1209 – 1236).37 Nach der Eingliederung des Schwertbrüderordens in den Deutschen Orden (1237) war Hermann Balk der erste »Nachfolger« als Landmeister in Livland bis 1239.38 Für den Vergleich mit der RC zur zeitgenössischen Wahrnehmung des Schwertbrüderordens (d. h. bis 1227) dient überwiegend die Livländische Chronik Heinrichs von Lettland.39 Diese Chronik ist in Latein verfasst, überwiegend in Prosa, nicht in Versen. Sie ist nicht nach Jahren der Ordensmeister, sondern annalistisch nach den Amtsjahren der livländischen Bischöfe gegliedert. Heinrichs Chronik beschreibt die Christianisierung Livlands von ca. 1180 bis 1227, endet also zehn Jahre vor der Eingliederung des Schwertbrüderordens in den Deutschen Orden. Insgesamt existieren 16 vollständige und unvollständige Abschriften der Chronik, wovon fünf eigenständig sind.40 Die Verfasserfrage ist (wobei die deutsche Herkunft lange strittig war) eindeutig geklärt, der Chronist war ein niederdeutscher, möglicherweise aus dem Magdeburger Raum stammender Missionar, der um 1205 mit Bischof Albert von Riga nach Livland kam und dort um 1208 Priester im lettischen Gebiet wurde.41 Er verfasste seine Chronik etwa zwischen 1225 und 1227, war also Zeitzeuge der ersten 25 Jahre der Schwertbrüder in Livland.42 Gegen Ende der Berichterstattung seiner Chronik war er in Diensten des päpstlichen Legaten Wilhelm von Modena, der zu dieser Zeit in Livland Konflikte zwischen Dänen, Bischof Albert von Riga und dem Schwertbrüderorden schlichten sollte.43 Den Grund für die Niederschrift seiner Chronik nennt auch er selbst, allerdings nicht am Anfang seiner Chronik (wie der Chronist der RC), sondern am Ende: Et ne laus eadem sibi de factis tam gloriosis debita per negligenciam pigrorum oblivioni in posterum traderetur, placuit eam rogatu dominorum et sociorum humili scriptura conscribere et posteris relinquere.44 Leider verrät er uns nicht, wer genau diese Herren und Genossen waren, die ihn veranlasst hatten, die Chronik zu verfassen.45 Zur Erbauung der Nachwelt und zum Ruhme Gottes schrieb er, und auf das die Taten in Livland nicht vergessen werden 37 38 39 40 41 42 43 44 45
Vgl. Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 420 (Wenno) und 424 – 425 (Volkwin). Eine Übersicht aller Meister bis 1289 findet sich in Murray, Structure (wie Anm. 14), S. 251. HCL (wie Anm. 12). Ebd., S. XXX – XXXII. In Papendorf (lettisch Rubene) bei Wenden an der Ymera nordöstlich von Riga, vgl. Dieter Berg, Heinrich von Lettland, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters 3, Verfasserlexikon, hrsg. Kurt Ruh et al., Berlin, New York 21981, Sp. 776 – 778. Er spricht von den Taten, die er mit eigenen Augen gesehen hat, aber auch von Berichten anderer, die er in seiner Chronik wiedergibt (HCL (wie Anm. 12) 29,9). Vgl. Angermann, Die mittelalterliche Chronistik (wie Anm. 18), S. 7. HCL (wie Anm. 12) 29,9. Benninghoven vermutet (Der Orden (wie Anm. 19), S. 51), dass er im Auftrage Bischof Alberts schrieb und begründet dies mit der Parteilichkeit der Chronik für diesen, eine schlüssige Annahme.
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mögen. Es ist die Missionsgeschichte Livlands, die der Chronist erzählt, insofern deckt sich sein Anspruch/Ansatz in gewisser Weise mit dem der RC, auch wenn der Inhalt sich als sehr unterschiedlich erweisen wird.46
Der Beginn der Livenmission und die Gründung des Schwertbrüderordens In der älteren Forschung findet sich zu Livland das Bild der sich fortwährend streitenden Stämme, denen die deutschen Missionare den Frieden brachten, doch das greift etwas kurz.47 Zwar war Meinhard, der erste Bischof von Üxküll an der Düna, der etwa 1186 zu den Liven kam, tatsächlich ein Mann des Friedens, aber schon sein Nachfolger Bischof Berthold kam 1198 nach Livland mit einem Kreuzfahrerheer, das Missionierung mit Waffengewalt praktizierte. Gustav Adolf Donners Beschreibung, dass »die Heiden mit dem Schwerte zum Glaubensübertritt gezwungen wurden, wobei zugleich die Landesherrschaft an die fremden Eroberer fiel«,48 trifft eher den Kern, zumindest seit dem Erscheinen der Kreuzfahrerheere und nach der Gründung des Schwertbrüderordens. Was nicht unwesentlich zum Erfolg der Mission und Bischof Alberts von Riga (der Bischof Berthold nachfolgte)49 beitrug, war die Tatsache, dass die Liven, die an der unteren Düna siedelten, einer der schwächeren Stämme bzw. Volksgruppen waren und sich von Kreuzrittern, Ordensbrüdern und Missionaren bei einer Konvertierung Schutz vor sie bedrängenden Stämmen wie Litauern oder Semgallern versprachen.50 Während es durch die dänische Vorherrschaft im Ostseeraum unter König Waldemar II. 1202 zumindest zeitweilig zu Problemen beim Verschiffen der Pilger und Brüder über Lübeck nach Riga kam,51 konkurrierte die Anwerbung 46 Ergänzend die Urkunden und Regesten in Liv-, Est- und Kurländisches Urkundenbuch nebst Regesten, Abth. 1,1, 1093 – 1300, hrsg. Friedrich Georg von Bunge, Reval 1853 (ND Aalen 1967) (= LUB). 47 So noch Hermann Dörries, Fragen der Schwertmission, in: Baltische Kirchengeschichte, Beiträge zur Geschichte der Missionierung und der Reformation, der evangelisch-lutherischen Landeskirchen und des Volkskirchentums in den baltischen Ländern, hrsg. Reinhard Wittram, Göttingen 1956, S. 17 – 25, hier S. 17. Natürlich lagen die Stämme miteinander des Öfteren in Fehde, vgl. Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 65 – 67, dies war jedoch kein dauerhafter lang währender Krieg, sondern eher eine Folge von kurzen Plünderungszügen. 48 Donner, Kardinal Wilhelm von Sabina (wie Anm. 11), S. 1. 49 Bischof Berthold war unglücklicherweise im Juli 1198 bei den ersten Kampfhandlungen seines Kreuzfahrerheeres ums Leben gekommen. 50 Vgl. Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 19. 51 Aber nicht nur durch den dänischen König entstanden solcherlei Schwierigkeiten, auch der Erzbischof von Hamburg-Bremen ließ Lübeck 1218 nach einem Streit mit Bischof Albert für
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von Kreuzfahrern für Livland mit der für das Heilige Land. Fonnesbergschmidt vermutet, dass der Fortgang der livländischen Mission zu Anfang des 13. Jh. auch an der Kurie eine eher nachgeordnete Rolle einnahm.52 Es gab allerdings eine ganze Reihe päpstlicher Dekrete und Briefe, die zum Kreuzzug im livländischen Gebiet aufriefen. Bereits im September 1171 stellte Papst Alexander III. alle Skandinavier, die gegen die Heiden in Livland gekämpft hatten, den Pilgern gleich, die zum Grabe Christi pilgerten, und gewährte ihnen einen Ablass für ein Jahr.53 Papst Coelestin III. lobte 1193 das Wirken Bischof Meinhards von Livland (des Vorvorgängers von Bischof Albert) und ermächtigte ihn 1195/1196 zur Berufung von Predigern für die livländische Mission.54 Papst Innozenz III. ermahnte 1199 die Christen in Sachsen und Westfalen, »zum Nachlass ihrer Sünden zur Verteidigung der Christen in jenen Gegenden mit Heeresmacht aufzustehen«.55 Zu diesem Zweck gestattete er allen Pilgern, die Wallfahrten gelobt hatten, ihr Gelübde, nach Jerusalem zu pilgern, zu ändern und zur Verteidigung der livländischen Kirche herbeizueilen. In einem Brief an Bischof Albert aus dem gleichen Jahr gab er hierzu auch nähere Anweisungen, so sollten beispielsweise Bußen mit Maß und unter Berücksichtigung aller Verhältnisse auferlegt werden und die Neubekehrten allmählich im Glauben unterwiesen werden.56 1204 teilte Innozenz III. dem Erzbischof von Bremen mit, dass er einem Gesuch Bischof Alberts entsprochen hätte, den Priestern, Geistlichen und Laien, die wegen Entkräftung und Altersschwäche nicht nach Jerusalem ziehen könnten, zu erlauben, das Gelübde zu ändern und stattdessen nach
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die Fahrten nach Livland sperren, vgl. Leonid Arbusow, Grundriß der Geschichte Liv-, Estund Kurlands, Mitau 1890, S. 18. Iben Fonnesberg-schmidt, The Popes and the Baltic Crusades 1147 – 1254 (The Northern World, North Europe and the Baltic c. 400 – 1700 AD, Peoples, Economies and Cultures, 26), Leiden, Boston 2007, S. 104. LUB (wie Anm. 46) 1,1, Reg 5; vgl. zu den ersten Versuchen, im Baltikum zu missionieren auch: Studien über die Anfänge der Mission in Livland, hrsg. Manfred Hellmann (Vorträge und Forschungen, 37), Sigmaringen 1989, S. 12 – 13. LUB (wie Anm. 46) 1,1, Reg 12. Ebd., 1,1, Reg 14. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es 1197 bereits einen (wahrscheinlich vom späteren Bischof Theoderich von Treiden geführten) Kreuzzug nach Kurland von Schweden aus gegeben hatte. Die Schiffe waren jedoch durch ungünstige Winde nach Wierland abgetrieben worden, die Kreuzfahrer waren dort wenig erfolgreich und zogen nach kurzer Zeit wieder ab, so dass dieser »Kreuzzug« nur eine Episode blieb; HCL (wie Anm. 12) 1,13; Bernd-Ulrich Hucker, Der Zisterzienserabt Bertold, Bischof von Livland, und der erste Livlandkreuzzug, in: Studien über die Anfänge der Mission in Livland, hrsg. Manfred Hellmann (Vorträge und Forschungen, 37), Sigmaringen 1989, S. 39 – 64, hier S. 48 – 49. LUB (wie Anm. 46) 1,1, Reg 15. Er tolerierte sogar gewisse Heiratsbräuche der Liven, die nicht mit der christlichen Lehre in Einklang standen.
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Livland gegen die Heiden zu ziehen.57 Damit gelang es Albert sicher, die Anzahl von Pilgern, die sich dem Kreuzzug nach Livland anschlossen, zu vergrößern.58
Die Darstellung der Ereignisse in der RC von 1202 bis 1237 Nachfolgend wird der Missionsfortgang und die Rolle des Schwertbrüderordens, so wie die RC ihn darstellt (vom mutmaßlichen Gründungsjahr bis zur Eingliederung in den Deutschen Orden) analysiert und mit der Berichterstattung von HCL verglichen,59 aber auch mit der politisch-sozialen Entwicklung Livlands in Bezug gesetzt. Oft macht dies bereits deutlich, ob und wie weit sich die Berichterstattung der RC von den tatsächlichen Ereignissen entfernt.
Die Gründungsphase des Ordens 1202/1203 Zum ersten Mal wird der Schwertbrüderorden in der RC in Vers 595 erwähnt, als Papst Innozenz III. Bischof Albert in Rom den Auftrag zur Stiftung des Ordens gibt: »D salt ouch hn gewalt. sint die lant sn alsú gestalt, stifte ein geistlcheZ leben nch dem tempil Z gegeben, die gotes ritter heiZen d als ubir mer [d. h. outremer – das Heilige Land und der Templerorden sind hier gemeint] und andersw.«60 Die Initiative zur Stiftung des Ordens ging also laut RC nicht von Bischof Albert oder Theoderich von Treiden aus, vielmehr habe der Bischof im Auftrag des Papstes gehandelt. Der Grund für die Nennung des Papstes als »Stifter« in der RC ist wohl der Versuch, die »Stiftung« von der bischöflichen Ebene auf die höhere Ebene des Heiligen Stuhls zu heben. Innozenz III. war zwar Ordensgründungen gegenüber aufgeschlossen und musste diese auch bestätigen, doch dass die Initiative dabei vom Heiligen Stuhl ausging, kann bezweifelt werden. Dies wird auch in HCL deutlich. Hier wird Theoderich von Treiden als Ordensstifter genannt, und als einer der Gründe die Treulosigkeit der Liven (gemeint ist ihr Wankelmut nach Erhalt der Taufe) angeführt: Frater Theodoricus perfidiam Lyvonum er multitudini paganorum non posse resistere metuens […] 57 Ebd., 1,1, Reg 19. 58 Zum Kreuzzug ins Heilige Land unter Heinrich VI. 1197/1198 hatten sich bereits viele Kreuzfahrer aus dem Norden Deutschlands verpflichtet, unter anderem Erzbischof Hartwig II. von Bremen. 59 Zumindest bis 1227, für die Zeit danach bis 1237 konnte, wie bereits erwähnt, eine ähnlich detaillierte Vergleichsquelle wie HCL (wie Anm. 12) leider nicht gefunden werden. 60 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 595 – 600.
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fratres quosdam milicie Christi instituit.»61 Ob Theoderich im Auftrage Bischof Alberts handelte oder letzterer in Rom bei Papst Innozenz III. die Ordensgründung und Anerkennung62 erwirkte, ist hierbei nicht so entscheidend, in jedem Falle werden hier die Bischöfe als Initiatoren genannt. Beide Chroniken erwähnen dann allerdings übereinstimmend, dass dieser neue Orden der Obödienz Bischof Alberts unterstehen sollte, da gab es (zumindest am Anfang) wohl keinen Spielraum für Interpretationen.63 Auch der Vers »die [Schwertbrüder] suln in des stles schirme sn aller pbeste und mn«64 deutet lediglich darauf hin, dass der Orden unter dem Schutz des Papstes stand und kann sicher nicht als Einschränkung der Autorität Bischof Alberts interpretiert werden. In der Chronik Arnolds von Lübeck wird im Übrigen gar kein Stifter/Gründer für den Orden genannt, hier heißt es nur, dass viele Enthaltsamkeit gelobt hätten und begehrten, allein für Gott zu streiten. Sie entsagten demnach wie die Templer allem, ergaben sich dem Ritterdienst Christi und trugen auf der Kleidung ein Zeichen in Form des Schwertes.65 Im weiteren Text der RC wird gleich in der nächsten Zeile nach dem »Gründungsvers« des Ordens darauf hingewiesen, dass Albert diesem Orden an Land und Leuten den dritten Teil des Missionsgebietes zu geben habe: »Den gebe man lte und lant daZ dritte teil in die hant.«66 Einige Zeilen weiter wird die RC dann noch deutlicher, was die Landverteilung betrifft: »Der Bischof Albrecht legete vure den lten d des pbestes kure, waZ man der lande solde geben an ein geistlches leben.«67 Diese Regelung war mitnichten bei Ordensgründung festgelegt worden, erst 1207 erhoben die Brüder des Ordens zum ersten Mal Anspruch auf einen Teil des eroberten Gebietes.68 Dass diese Worte dem Papst im Nachhinein vom Chronisten in den Mund gelegt wurden, hatte vermutlich den Zweck, diese Regelung als unumstößliches päpstliches Verdikt zu klassifizieren. Dies war es beileibe nicht, die Verteilung von erobertem und noch zu er61 HCL (wie Anm. 12) 6,4. 62 Die offizielle Anerkennung des Schwertbrüderordens durch Papst Innozenz III. geschah erst 1204 mit einer Bulle. Vgl. LUB (wie Anm. 46) 1,1, Urk. XIV. 63 In der RC (wie Anm. 6) Verszeile 595: d [Bischof Albert] salt ouch hn gewalt.« In HCL (wie Anm. 12) 6,4: »[…] et sub obedientia sui episcopi esse mandavit.« 64 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 605 – 606. 65 Die Chronik Arnolds von Lübeck, nach der Ausgabe der Monumenta Germaniae, Übers. J. C. M. Laurent (Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, Zweite Gesamtausgabe, 71), Leipzig 31940, 5,30. Vgl. hierzu auch Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 40. 66 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 601 – 602. 67 Ebd., Verszeilen 619 – 622; Eduard Meyer, Reimchronik (wie Anm. 23), S. 18, übersetzt »des pbestes kure« der Verszeile 620 mit »des Papstes Gesetz«. 68 Vgl. Bunge, Der Orden der Schwertbrüder (wie Anm. 3), S. 42 – 43. Diese Gebiete wurden dem Orden zudem nicht abgetreten, sondern von Bischof Albert als Lehen vergeben. Erst im Jahre 1210 wurde diese Regelung von Innozenz III. bestätigt, nachdem sich Bischof und Orden vorher hierüber nicht einigen konnten.
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oberndem Land blieb während des ganzen hier untersuchten Zeitraumes strittig, stets abhängig von der jeweiligen Machtverteilung zwischen Bischof und Orden sowie der jeweiligen politischen und militärischen Lage. Wenn die RC im Folgenden dann davon berichtet, wie umfangreich dieser Besitz gewesen sei: »wan ir gt wart dú vil breit, des noch erben sint gemeit«,69 so ist es sicher nicht falsch, wenn man vermutet, dass dieser Satz hier eingestreut wurde, um auch 1295 noch bei der Werbung potentieller neuer Brüder für Livland (dann natürlich des Deutschen Ordens) als Motivationshilfe Dienste zu leisten. Die größte Ausdehnung hatte das Ordensgebiet im Übrigen um 1236, nach der Inkorporation in den Deutschen Orden schrumpfte es beträchtlich. Dies wird in der RC natürlich nicht erwähnt. Diese Gründungsphase des Schwertbrüderordens ist etwa in das dritte Jahr nach der Weihe Alberts zum Bischof einzuordnen, also um 1202.70 Die Stadt Riga war gerade gegründet und der Bischofssitz von Üxküll (etwas oberhalb an der Düna) nach dort verlegt worden. Zu diesem Zeitpunkt war Bischof Albert bereits zweimal mit einem Kreuzfahrerheer nach Livland gekommen, Geiseln waren von den Liven gestellt und diese nach Deutschland gebracht worden. Eine weitere Kreuzzugsbulle wurde dann 1204 von Theoderich von Treiden bei Innozenz III. erwirkt.71 Sicher kann man hier bereits vom Beginn einer gewissen »Regelmäßigkeit« dieser jährlichen Kreuzzüge sprechen, die sich abzeichnete, ebenso wie das Problem der geringen militärischen Präsenz zwischen zwei Kreuzzügen evident wurde, wodurch paucis peregrinis murum se pro domo Domini ponentibus civitas committitur.72 Während der Wintermonate war die noch kleine christliche Gemeinde also in der Defensive, erst mit Eintreffen des neuen Kreuzfahrerkontingents im Frühling konnte man wieder auf Missionsreise (bzw. Eroberungszüge) in die umliegenden Gebiete gehen. Dass dies ein wesentlicher Grund für die Ordensgründung gewesen sein mag, zeigt die Aussage von HCL, dass die Gründung geschehen sei, weil man der Menge der Heiden nicht widerstehen könne.73 Als letztes ist für diese Gründungsphase noch anzumerken, dass nur in HCL auf die Kleidung der Ordensbrüder eingegangen wird (gladium et crucem – Schwert und Kreuz),74 die RC sagt hierzu an dieser Stelle nichts. Arnold von Lübeck erwähnt zumindest das Schwert im Wappen.75
69 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 617 – 618. 70 Vielleicht auch 1203, ganz genau lässt sich das Datum der Stiftung aus den Quellen nicht fassen. 71 LUB (wie Anm. 46) 1,1, Urk. XIV. 72 HCL (wie Anm. 12) 6,1. 73 Vgl. ebd., 6,4. 74 Ebd. 75 Die Chronik Arnolds von Lübeck (wie Anm. 65) 5,30.
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Statuten, Ordensregeln und Unterstellung Die Ordensregel der Schwertbrüder »nch dem tempil Z gegeben«76 wurde laut RC vom Papst bei Ordensgründung verfügt, so auch HCL: Innocentius regulam Templariorum commisit.77 Der Orden unterstand dem Rigaer Bischof78 und dadurch nur indirekt dem Heiligen Stuhl. Dass dies weder in der RC noch in HCL explizit erörtert oder begründet wird, ist erstaunlich.79 Papst Innozenz III. betrachtete Livland von Beginn an als Kirchenprovinz.80 Daran ließ auch Papst Gregor IX. später keinen Zweifel; er spricht von praefata terra, quae iuris et proprietatis beati Petri esse dinoscitur.81 Bischof Albert gegenüber war der Ordensmeister zu Gehorsam verpflichtet, ihm war nicht nur Lehnsdienst zu erbringen, auch die Gerichtsbarkeit oblag dem Bischof. Diese Frage der weltlichen und kirchlichen Gerichtsbarkeit (nicht nur den Ordensbrüdern gegenüber, sondern auch den Bewohnern der später vom Orden verwalteten Gebiete) blieb ein ständiger Zankapfel zwischen Orden und Bischof.82 Kardinal Wilhelm von Modena versuchte hier als Legat im Auftrage des Papstes ab 1225 Klarheit zu schaffen,83 dennoch blieb auch danach die Frage von Zuständigkeiten, Appellation und Lehnsstruktur bis weit in das 14. Jh. (dann zwischen dem Deutschen Orden und den Bischöfen) strittig.84 Der Begriff Schwertbrüder (»swertbrdere wren jene genannt«) taucht zum ersten Mal in Verszeile 721 der RC auf, vorher war nur von Gottesrittern (»die gotes ritter heiZen d«)85 die Rede. Textstellen, die sich im Detail mit Regeln und Statuten der Schwertbrüder befassen, gibt es in der RC nicht. Dies verwundert nicht, sie wären (zudem in Reimform) als Vortrag ziemlich langweilig gewesen.
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RC (wie Anm. 6) Verszeile 598. HCL (wie Anm. 12) 6,4. Vgl. Donner, Kardinal Wilhelm (wie Anm. 11), S. 75. Der Templerorden war dem Papst (allerdings auch erst nach dessen Lösung vom Patriarchen von Jerusalem) direkt unterstellt, mit der Übernahme von dessen Ordensregeln hätte dies eigentlich ebenso für den Schwertbrüderorden gelten können. Vgl. Arbusow, Grundriß der Geschichte (wie Anm. 51), S. 17. Wer oberster Landesherr in Livland war (Papst oder Kaiser), blieb während der gesamten Schwertbrüderzeit umstritten, besonders nach der Erhebung Bischof Alberts in den Reichsfürstenstand 1207. Vgl. auch Bunge, Der Orden der Schwertbrüder (wie Anm. 3), S. 64 – 65. LUB (wie Anm. 46) 1,1, Urk. XCIX. Vgl. Bunge, Der Orden der Schwertbrüder (wie Anm. 3), S. 46 – 48. In erster Instanz war in den Ordensgebieten natürlich der Ordensmeister zuständig. Wilhelm wurde von Papst Honorius III. im Dezember 1224 zum Legaten für Livland ernannt. Vgl. Bunge, Der Orden der Schwertbrüder (wie Anm. 3), S. 52 – 53. RC (wie Anm. 6) Verszeile 599.
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Die Zeit des Herrenmeisters Winne Die RC gibt als ersten Meister86 der Schwertbrüder einen Winne87 an (auch Wenno, Winno, Wino), und fährt dann fort, von seiner Amtszeit zu berichten. Winne errichtete demnach »Häuser« in Sigewalden (Segewald), Wenden (für die Letten) und Ascheraden. Diesen Teil der RC kann man vielleicht als »Expansionsbericht« klassifizieren, er soll zeigen, wie erfolgreich der Landgewinn sich für den Orden zu Anfang gestaltete. Dass man in den christianisierten (eroberten) Gebieten befestigte Stützpunkte errichtete, zeigt, dass dieser Landgewinn auf Dauer angelegt war. Dies unterscheidet die Heereszüge der Deutschen von den überfallartigen Beutezügen der einheimischen Bevölkerung vor Beginn der Christianisierung. Dann fährt der Chronist fort, von Winnes Siegen gegen die »falschen« Russen88 und der Eroberung Kokenhusens zu berichten: »Selhen, Lven, Letten lant wren in der RZen hant […] der gewalt wart in benomen: er treib sie z lande wider […] er gewan in Kokenhsen an. dar slc er manchen rischen man. ir konig lac dr selbe tút. die RZen liden grúZe nút.«89 Hier folgen noch einige Einzelheiten des Feldzuges,90 bis der Chronist schließlich dann vom Tode Winnes berichtet. Was völlig fehlt, ist der Bericht über den Fortgang der Mission, von dem er, wie zu Anfang seiner Dichtung selbst formuliert, berichten wollte. Es hat den Anschein, als sei in den etwa fünf Jahren von Winnes Amtszeit91 (bis 1209) außer dem Russenkonflikt und dem »Häuserbau« nichts Wichtiges geschehen. Daneben hätte man aber zumindest über den Litauerzug 120592 und
86 Magister fratrum militiae Christi oder Magister militiae. Er residierte in Riga. 87 Vermutlich aus dem Raum Kassel-Naumburg, so vermutet Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 49. 88 RC (wie Anm. 6) Verszeile 644. Das Attribut »falsch« ist ein Topos, der nicht nur für die Russen benutzt wurde, sondern auch für die Esten, immer wieder auch für Heiden oder Schismatiker. 89 Ebd., Verszeilen 645 f. Große Gebiete der Letten, Selen und Liven waren zu diesem Zeitpunkt dem russischen Fürsten von Polozk tributpflichtig. Was die RC auch unterschlägt, ist, dass es im Jahr 1205 zu einem Friedensvertrag mit dem Fürsten VjaÅko von Kokenhusen (einem Vasallen von Polozk) gekommen war, vgl. Gisela Gnegel-waitschies, Bischof Albert von Riga, Ein Bremer Domherr als Kirchenfürst im Osten (1199 – 1229), Hamburg 1958, S. 72 – 73. 90 Die Eroberung und die Kämpfe um Kokenhusen waren im Jahr 1208, also schon gegen Ende der Amtszeit Winnes. Schon vorher (1206/1207) gab es aber Kämpfe mit Vladimir, dem Fürsten von Polozk. 91 Diese Amtszeit gibt der Chronist der RC (wie Anm. 6) in Verszeile 727 fälschlicherweise mit achtzehn Jahren an, ein Fauxpas, der in dieser Größenordnung nicht zu erklären ist. Schon einmal, bei Bischof Berthold gibt er statt der tatsächlichen Amtszeit von zwei Jahren elf Jahre an (ebd., Verszeile 576). 92 Vgl. Arbusow, Grundriß der Geschichte (wie Anm. 51), S. 14.
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der Schlacht bei Rodenpois93 (ca. 25 km von Riga), bei der, so jedenfalls HCL, immerhin 1.200 Litauer erschlagen worden seien, eine Erwähnung in der RC erwarten können. Dort waren die Ordensbrüder (vielleicht zum ersten Mal) beteiligt, so jedenfalls HCL: Nam familia episcopi [Albert] com fratribus milicie Christi […] ad exercitum foras exeunt et in loco eminenti cum Semigallis reditum Lethonum exspectant.94 Warum nur der Russenkonflikt, aber dieser wichtige Sieg gegen das Litauerheer (und auch spätere Konflikte 1207 mit diesen) keine Erwähnung in der RC findet, bleibt rätselhaft. Dass das Verhältnis zu den russischen Fürstentümern übrigens durchaus ambivalent war, zeigt die Tatsache, dass Theoderich,95 einer der Brüder Bischof Alberts, mit einer Tochter des russischen Fürsten von Pskov (Pleskau) verheiratet wurde. HCL berichtet dagegen ausführlich von der Schlacht gegen die Litauer, aber auch noch von Konflikten einer Kreuzfahrerflotte mit estnischen Piraten, von der Reise des livländischen (zum Christentum bekehrten) Fürsten Kaupo (auch Caupo) mit Theoderich von Treiden zum Papst nach Rom,96 von einem Überfall des Fürsten von Polozk auf Üxküll und einem Raubzug und der Gefangennahme von christlichen Priestern durch die Litauer.97 Hier findet sich also eine vielschichtige Berichterstattung dieser Zeit, wobei angemerkt werden muss, dass von den Schwertbrüdern noch wenig die Rede ist. Der RC ist selbst die Verlegung des Bischofssitzes von Üxküll nach Riga und ein dort 1205 mit großem Aufwand inszeniertes Prophetenspiel98 im Gegensatz zu HCL keinerlei Erwähnung wert. Ein Grund für die karge Berichterstattung der RC mag sein, dass die Aktivitäten des Ordens zu Anfang zu gering waren, um ins Gewicht zu fallen.99 Der erste Herrenmeister stand dem Orden etwa fünf Jahre vor. Winne wurde 1209 in Riga von einem aus Sosat (Soest) stammenden Mitbruder ermordet.100 Als Grund nennt uns die RC dessen Ärger wegen seiner Entlassung aus den Diensten, und fügt an, dass der Mörder »arglistig« gewesen sei. Die Bluttat steht 93 94 95 96
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Vgl. HCL (wie Anm. 12) 9,1 – 3. Ebd., 9,2. Nicht zu verwechseln mit Theoderich von Treiden. HCL (wie Anm. 12) 7,3. 1203/1204, auch die Zeit, zu welcher eine Papstbulle die Ordensgründung bestätigte, Vgl. LUB (wie Anm. 46) 1,1, Urk. XIV. Arbusow, Grundriß der Geschichte (wie Anm. 51), S. 13, verlegt diese Reise Kaupos erstaunlicherweise in das Jahr 1206. HCL (wie Anm. 12) 7,1 – 5. Vgl. Mackensen, Zur deutschen Literatur (wie Anm. 20), S. 10 f. Vgl. Bunge, Der Orden der Schwertbrüder (wie Anm. 3), S. 11; Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 45, schätzt die Zahl der Ritter bei Ordensgründung auf etwa zehn, bis 1206 dann auf nur etwa 50 bis 100 Ritter und Dienende (Ebd., S. 63). Dagegen werden in HCL (wie Anm. 12) ebenso eine erste Heerfahrt zu den Esten, an der auch der Orden teilnahm, sowie der darauffolgende Waffenstillstand geschildert (Ebd., 12,6). RC (wie Anm. 6) Verszeilen 687 f. (einen Priester mit Namen Johannes erschlug er dabei ebenfalls).
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demnach nicht in Zusammenhang mit Heidenkämpfen, sondern ist die Tat eines Einzelnen, dessen Rachemotiv ihn wegen seiner angeblich ungerechten Behandlung zu dieser Tat trieb. Auch in HCL begegnen uns die Umstände dieser Tat in den Berichten zum elften Jahr von Bischof Alberts Amtszeit, allerdings werden sie bedeutend detaillierter geschildert, sogar der Name des Attentäters (ein Bruder Wickbert) und die Tatwaffe (eine Streitaxt) werden genannt.101 Soviel mochte man in der RC wohl nicht ins Detail gehen, schließlich entsprach diese Bluttat in keiner Weise den moralischen Wertvorstellungen der Bruderschaft. Es handelte sich bei dem Täter um einen Mitbruder – ganz verschweigen ließ sich diese Tat natürlich auch nicht.
Der Streit um die Landverteilung Konfliktpotenzial entstand noch zu Winnes Zeit ab 1207 zunehmend mit dem Drang des Ordens nach größerer Unabhängigkeit von der bischöflichen Oberhoheit. Zu Anfang bezog sich die Obödienz des Ordens gegenüber Bischof Albert nur auf kanonische Belange und Heeresfolge. Als der Orden dann nach Drängen 1207 mit Land belehnt wurde, änderte sich dies. Da Bischof Albert nun auch Lehnsherr für den Orden war,102 waren Fragen der Steuereinnahmen (des Zehnten), des Bergregals,103 des Münzrechts und besonders der weiteren Gebietsaufteilung104 ständige Streitpunkte. Hintergrund der Bemühungen des Ordens um Land war nicht zuletzt seine Versorgung mit Geldmitteln für den Unterhalt der Brüder und die Beschaffung der Mittel zur Kriegsführung. In der RC findet sich zu all diesen Details nichts, was nicht erstaunt, denn rechtliche, finanzielle und Verwaltungsfragen sind in einem Epos, das von »großen Taten« handelt, fehl am Platze. Außerdem konnte man kaum für diesen späteren Zeitpunkt von Verhandlungen über Gebietsverteilungen berichten, wenn man vorher behauptet hatte, dass dies bereits bei Gründung des Ordens vom Papst verbindlich festgelegt worden sei. Für die noch zu erobernden Gebiete wurden keine Regelungen getroffen. 101 HCL (wie Anm. 12) 13,2. 102 Vgl. Bernd-Ulrich Hucker, Liv- und Estländische Königspläne, in: Studien über die Anfänge der Mission in Livland, hrsg. Manfred Hellmann (Vorträge und Forschungen, Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, 37), Sigmaringen 1989, S. 65 – 106, hier S. 68 – 69. Hucker spricht hier zu Recht von der »politisch-geistlichen Unumschränktheit des Bischofs von Riga.« 103 So wurde das Bergwerksregal dem Orden nicht von Bischof Albert, sondern 1226 direkt von Friedrich II. verliehen. 104 Dies gilt im Besonderen für die vom Orden später ohne das Mitwirken der Bischöfe eroberten Gebiete außerhalb der Diözese Rigas, vgl. Bunge, Der Orden der Schwertbrüder (wie Anm. 3), S. 56 – 57.
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Bischof Albert argumentierte, dass er nicht geben könne, was er nicht besitze. Ob er hierbei auf Zeit spielte und den Hintergedanken hatte, die Schwertbrüder später, nach der Eroberung weiterer Gebiete mit weniger abspeisen zu können,105 wäre zwar plausibel, ist aber nicht nachweisbar. Bischof Albert hatte 1207 beim Hoftag in Gelnhausen von König Philipp von Schwaben Livland als Lehen erhalten. Damit wurde er Reichsfürst und in der Folge als Philipps Vasall auch Lehnsherr des Ordens für den König. Dass die Kurie in Rom von diesem Zug Alberts und dieser Hinwendung zum deutschen König nicht begeistert war, ist anzunehmen. Auch wenn Friedrich Georg von Bunge das Verhältnis von Orden zu Kaiser und Reich als das eines »Aftervasallen« bezeichnet, wo »zwischen beiden die Bischöfe die Stellung einerseits als Reichsvasallen, andererseits als Lehnsherren des Ordens einnahmen,«106 kann bezweifelt werden, ob dies in den Reihen des Ordens seinerzeit ebenso eindeutig gesehen wurde. Im Laufe des Jahres 1211 kam es dann zu weiteren Gebietsaufteilungen, bei denen der Orden große Teile von Lettland, das Gebiet Ascheraden, Kokenhusen und Holme, erhielt.107 Im Jahr darauf erwirkte der Orden von Kaiser Otto IV. eine gewisse Unabhängigkeit von den Bischöfen Rigas und Estlands, nämlich Bestätigung und Schutz für seine gegenwärtigen und künftigen Besitzungen.108 Dass dies, wie in der Urkunde weiter vermerkt, unbeschadet der in dieser Beziehung mit den Bischöfen von Riga und Estland geschlossenen Verträge geschehen sollte,109 trägt in dieser etwas nebulösen Formulierung eher zur Verwirrung als zur Klärung der Besitzverhältnisse bei. Diese Grauzone zwischen weltlicher und geistlicher Unterstellung ließ somit einen gewissen Interpretationsrahmen, der von beiden Seiten unterschiedlich ausgelegt werden konnte. In HCL wird detailliert ausgeführt, wie es zur Landteilung kam: Da schenkt der »großzügige« Bischof Albert gleich einem Vater 1207 den Männern des Ordens, die sich tapfer murum pro domo Domini die ac nocte ponerent,110 den dritten Teil des eroberten Gebietes. Die Ordensbrüder nahmen diese Teilung angeblich sogar ausdrücklich auf Ersuchen des Bischofs vor, rogatu itaque episcopi.111 Die hier beschworene Harmonie gab es nicht, es war wohl eher so, dass der Orden inzwischen so dermaßen an Stärke gewonnen hatte, dass Bischof Albert sich dessen Druck nicht entziehen konnte. Schließlich war er auf die militärische Präsenz und Hilfe des Ordens angewiesen. Weitere Gebietsforde105 106 107 108
Benninghoven vermutet dies, Der Orden (wie Anm. 19), S. 77 – 78. Bunge, Der Orden der Schwertbrüder (wie Anm. 3), S. 59. Vgl. Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 117 – 118. LUB (wie Anm. 46) 1,1, Reg 19. Vgl. auch Bunge, Der Orden der Schwertbrüder (wie Anm. 3), S. 56 – 57. 109 Ebd. 110 HCL (wie Anm. 12) 11,3. 111 Ebd.
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rungen des Ordens brachten diese Frage schließlich vor den Papst, und dieser entschied 1210, dass in den Ordensgebieten ein Viertel des Zehnten als Zeichen der Obödienz vom Orden an den Bischof gezahlt werden sollte.112 Für die vom Orden später selbstständig eroberten Gebiete Reval, Jerwen, Harrien und Wierland galten dann andere Regeln. Arnold von Lübeck spricht im Zusammenhang mit dieser ersten Landverteilung deutlich von innerer Feindseligkeit und außerordentlicher Zwietracht zwischen Bischof und Orden. Er tituliert die Rechtmäßigkeit der Gebietsforderungen des Ordens nach einem Drittel des Landes113 als »Behauptungen« und führt an, dass der Bischof ihnen dies entschieden verweigert habe. In Riga selbst besaß der Schwertbrüderorden nicht viel Grundbesitz, im Wesentlichen war dies »Eigentum ehemaliger Bürger, die in den Orden eingetreten waren«.114 Benninghoven stellt zu Recht dazu fest: »Die Kompromisse und Machtkämpfe […] haben die ganze livländische Geschichte des Mittelalters entscheidend und unheilvoll mitbestimmt.«115 Auch 1295 war die Frage der Legitimation von Gebietsaufteilungen durchaus noch aktuell, allerdings war hier zu den bekannten Kontrahenten Bischof und Orden (die Dänen einmal ausgeklammert) noch ein weiterer Machtfaktor hinzugekommen, der die Situation komplizierte, nämlich die erstarkte Stadt Riga. Nur drei Jahre später, 1298 sollte es denn auch zu einem blutigen Bürgerkrieg zwischen allen Beteiligten kommen, in den auch litauische Kräfte auf Seiten der Stadt Riga verwickelt waren.116
Die Wahl des Landmeisters Volkwin Nach Winnes Ermordung wurde 1209 Volkwin117 von den Ordensbrüdern zu dessen Nachfolger gewählt. Er blieb dies für 27 Jahre, sein Tod 1236 in der Schlacht von Schaulen läutete auch das Ende der Selbstständigkeit des Ordens ein. Über das ganze Land sei der Ruf gegangen, die Brüder seien zu Rate gegangen und man wollte möglichst schnell einen Nachfolger finden, denn: »wir mochten dran verliesen, zuge wirZ die lenge vor«.118 Dass man so schnell wie möglich dieses Machtvakuum füllen und den Gegenpart zu Bischof Albert in112 Ebd., 11,3 und 14,13. Vgl. auch Fonnesberg-schmidt, The Popes and the Baltic Crusades (wie Anm. 52), S. 80 – 81. 113 Die Chronik Arnolds von Lübeck (wie Anm. 65) 5,30. 114 Benninghoven, Rigas Entstehung und der frühhansische Kaufmann (Nord- und osteuropäische Geschichtsstudien, 3), Hamburg 1961, S. 73. 115 Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 53. 116 Vgl. Arbusow, Grundriß der Geschichte (wie Anm. 51), S. 38 – 40. 117 Volkwin von Naumburg, einem Ort in Nordhessen. Vgl. Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 424 f. 118 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 743 – 745.
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stallieren wollte, ist verständlich. Was verwundert, ist, dass dann die Charakterzüge des neu gewählten Volkwin etwas »lahm« geschildert werden, Allgemeinplätze statt Begeisterung; man sei froh gewesen, hochgeehrt, wahrhaft und treu sei er gewesen usw.119 Da diese Charakterbeschreibung nicht zum Zeitpunkt seiner Wahl 1209 entstand, sondern um 1295, also etwa 85 Jahre später, scheint es, als hätte dieser Meister keine allzu großen Eindrücke hinterlassen. Auch HCL schildert Volkwins Wahl recht kurz, im Zusammenhang mit dem Bericht über Winnes Ermordung. Hier werden seine Charakterzüge ebenso kurz, mehr pflichtgemäß als überzeugt, abgehandelt.120 Was bei beiden Chroniken fehlt, ist eine echte Begründung, warum gerade Volkwin Wennes Nachfolger wurde. Für das »Formelhafte« in der Beschreibung von Wahl und Charakter des Meisters findet Lutz Mackensen eine mögliche Erklärung, nämlich, dass diese Umstände dem Chronisten weniger wichtig gewesen seien als seine »Lust am Kriegshandwerk«.121
Die Kreuzzüge gegen die Esten Gleich nach der Schilderung von Volkwins Wahl berichtet die RC vom Krieg gegen die Esten.122 Diese bitten demnach um Frieden, bleiben aber Heiden. Volkwin nimmt mit einigen wenigen Brüdern Fellin ein, andere Brüder erobern Dorpat und Odenpäh.123 Also hat nunmehr laut RC der Eroberungszug gegen die Esten begonnen, die natürlich, ebenso wie vorher die Rz, einen »falschen« Charakter haben: »daZ was den valschen Eisten leit«.124 Warum wird nicht einfach (und viel plausibler) angeführt, dass der Missionsgedanke im Mittelpunkt stand? Dass die RC überhaupt diesen Feldzug begründet, ist vielleicht ein Fingerzeig, dass man sich doch nicht so wohl fühlte, wenn man in ein fremdes Gebiet (zwecks Eroberung) eindrang. Die »falschen« Esten wehren sich, aber deren Widerstand ist natürlich Unrecht: »sie [die Esten] vielen ffe missettt und vunden einen swinden rt: sie morten sie alle f einen tag. alsus der vride 119 Allerdings hat Volkwin diese etwas stereotype Beschreibung seines Charakters nicht exklusiv. Auch die Beschreibung der anderen, späteren Meister wirkt formelhaft. 120 HCL (wie Anm. 12) 13,2. 121 Mackensen, Zur deutschen Literatur (wie Anm. 20), S. 23. Mackensen zeigt hier auf, dass nicht nur die Beschreibung von Volkwins Wahl, sondern auch die Beschreibung der Wahlen der späteren Meister in ähnlich »wiederkehrenden Formeln« vom Chronisten dargestellt wird. 122 Tatsächlich hatte der Orden bereits zu Winnes Zeiten, etwa 1208, von Wenden aus begonnen, sich nach Norden und gegen die Esten zu orientieren. Vgl. Gnegel-waitschies, Bischof Albert (wie Anm. 89), S. 90. 123 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 759 – 776. 124 Ebd., Verszeile 768.
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nider lag«.125 Hier wird zum ersten Mal eine Niederlage der Ordensbrüder bzw. des Kreuzfahrerheeres eingestanden, auch wenn dies nur der Begründung für weitere Kriegszüge dient. Die erste Eroberung Fellins, die im Frühjahr 1211 stattfand, wird von HCL detailliert beschrieben.126 An ihr hatten übrigens auch die Liven und Letten großen Anteil, was uns die RC verschweigt. Die Belagerung endete damit, dass die Esten nach ihrer Niederlage Geiseln stellen mussten und getauft wurden. Dennoch war dies nicht das Ende der Feindseligkeiten, 1212 kam es zu Heerzügen der Esten nach Livland, bei Treyden wurden in einer Schlacht 2.000 Esten erschlagen und 2.000 Pferde erbeutet. Der Estenkrieg war wechselvoll mit Niederlagen auf beiden Seiten, von denen auch HCL ausführlich berichtet. Dagegen wirkt die Darstellung dieses Krieges in der RC in nur 15 Verszeilen, ähnlich wie vorher bei den Russenkonflikten, arg verkürzt und stereotyp. Welche Schlacht die RC meint, an denen alle »f einen tag«127 gemordet wurden, lässt sich schwierig zuordnen. Vielleicht war Treyden hier gemeint, vielleicht aber auch die Zerstörung des Siedlungsgebietes um Cubbesele, der Heimat Kaupos, bei der es viele Tote auf Seiten der Liven gab.128 In HCL findet sich scheinbar (so jedenfalls Smith/Urban)129 für das Jahr 1223, also über zehn Jahre später, hierzu eine Entsprechung.130 Ob aber ein Sprung von über zehn Jahren in zehn Verszeilen wirklich schlüssig ist, kann zumindest angezweifelt werden. Einen großen Estenaufstand gab es in der Tat auch 1223. Was hier deutlich wird, ist die Problematik der zeitlichen Zuordnung der in der RC beschriebenen Ereignisse, da Jahreszahlen fehlen und sich die Schlacht- und Konfliktbeschreibungen ähneln. Die Gewohnheit des Chronisten der RC, Konflikte, die sich teilweise über Jahrzehnte hinzogen, auf eine Schlacht oder eine Begebenheit zu verkürzen, verführt natürlich dazu, in HCL oder anderen Quellen nach Übereinstimmungen zu suchen, die es womöglich gar nicht gibt. HCL erwähnt hier zum ersten Mal Bernhard zur Lippe, der zu diesem Zeitpunkt bereits Abt von Dünamünde war.131 Vom Inhalt her ist die Beschreibung des Estenkonflikts in der RC fast eine »Kopie« des Berichtes über den Krieg gegen die Rus’ aus Winnes Amtszeit. Auch hier gibt es wenig Details, es werden ein paar Orte genannt und die Gegner sind »falsch«, was vielleicht den wohl 125 126 127 128 129 130 131
Ebd., Verszeilen 773 – 776. HCL (wie Anm. 12) 14,11. RC (wie Anm. 6) Verszeile 775. Vgl. Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 110 – 111. Smith, Urban, The Livonian (wie Anm. 21), S. 11. Gemeint ist die Beschreibung in HCL (wie Anm. 12) 26,5 – 8. 1211 Abt des Klosters Dünamünde, 1218 Bischof von Selonien. Vgl. Astaf von Transeheroseneck, Die ritterlichen Livlandfahrer des 13. Jahrhunderts, Eine genealogische Untersuchung, hrsg. Wilhelm Lenz (Marburger Ostforschungen, 12), Würzburg 1960, S. 34.
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dürftigen zur Verfügung stehenden Quellen (geschweige denn noch lebenden Zeitzeugen) geschuldet war, als längst vergessener Feldzug, der nur der Vollständigkeit halber seinen Weg in die Chronik fand. Lebendiger (im Vergleich zum etwas stereotypen Bericht vom Estenzug) ist die Szene, die dann in der RC folgt und von zwei Schwertbrüdern berichtet, die bei der Schlacht von Fellin in die Hände der Esten gefallen waren. Eine heidnische Frau wirft (mit Anderen gemeinsam) Steine gegen die Gefangenen, aber »dar under gab sie spse gt«132 und bewahrt so die zwei Gefangenen vor dem Hungertod. Die RC nennt sogar den Namen der Frau und ihres Mannes (Emme und ViliÞmes). Diese Episode klingt stark nach dem Bericht eines Augenzeugen und der mündlichen Überlieferung, dafür spricht auch die Zeile: »sie ht mn dicke wol gepflegen«,133 die den Eindruck erweckt, als ob der Betroffene selbst hier berichten würde.134 Für einen Augenzeugenbericht ist diese Geschichte natürlich viel zu lange her, aber sie war so ungewöhnlich, dass sie innerhalb des Ordens sicher immer wieder weitererzählt wurde. Sie sollte zeigen, dass nicht alle Esten feindlich gesinnt waren, und dass solche Hilfe später auch Belohnung fand: »sie bleip vrie, alles zinses blúZ«.135
Das Lob Bischofs Albert von Riga Bischof Albert von Buxhoeveden gilt in der Forschung als »weniger ansprechende Gestalt«.136 Was in der RC über den Bischof gesagt wird, widerspricht der Annahme, dass das Verhältnis zwischen Albert und dem Orden grundsätzlich gespannt, wenn nicht gar feindselig gewesen sei. Die RC lobt ihn nicht nur ausführlich und umfassend, sie stellt ihm sogar das höchste Zeugnis aus, das ein Christ einem Menschen ausstellen kann. Er sei so treu und gerecht gewesen, man hätte ihm sogar den päpstlichen Stuhl anvertrauen können: »Man mochte an in wol hn geln den stl z Rúme sunder wn«.137 Es folgen weitere Lobpreisungen, so sei er rechtschaffen gewesen, habe immer sein Wort gehalten, Gut und Leben für die Christenheit gegeben und viele Tugenden gehabt. Dann folgt ein (fiktiver) Dialog zwischen Bischof Albert und dem Ordensmeister, in dem erst der Bischof den Ordensbrüdern verspricht, immer an ihrer Seite zu stehen, 132 RC (wie Anm. 6) Verszeile 793. 133 Ebd., Verszeile 799. 134 Diese Begebenheit, die der Chronist der RC (wie Anm. 6) in der ersten Person erzählt, irritiert. Wenn der Chronist hier von sich selbst gesprochen hätte, wäre er 1295 etwa 100 Jahre alt gewesen. 135 RC (wie Anm. 6) Verszeile 796. 136 So implizit Gnegel-waitschies, Bischof Albert (wie Anm. 89), S. 8. 137 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 811 – 812.
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Volkwin und diese ihm daraufhin ewige Treue schwören: »Ir sult unsen dienst hn getrwelchen immer mÞ«.138 Als diese Zeilen geschrieben wurden, war Bischof Albert schon mehr als 60 Jahre tot, es bestand eigentlich kein Grund, im Nachhinein eine Harmonie zu beschwören, die es so nicht gegeben hatte.139 Man fragt sich, welchem Zweck diese Zeilen 1295 noch dienen sollten. Einleuchtend ist die Vermutung, dass ein aktueller Bezug bestand. Arbusow spricht für den Zeitraum um 1290 von einem »leidlichen Verhältnis« der Erzbischöfe von Riga zum Deutschen Orden und von einem langsam einkehrenden Frieden in Livland.140 Da mag eine Beschreibung vergangener Harmonie vielleicht opportun gewesen sein, um ein gutes Klima zu beschwören.141 Gegen Ende dieses Abschnitts über Bischof Albert findet sich in der RC, fast beiläufig, noch ein interessantes Detail, das leicht übersehen wird. Wenn Bischof Albert nach Deutschland fuhr, um neue Pilger für den nächsten Kreuzzug zu werben,142 war während dessen Abwesenheit der Ordensmeister Landesherr in Livland: »Beide lte unde lant satzte er dem meistere in die hant und alle sne mge.«143 Später nahmen dann andere Bischöfe diese Aufgabe als Stellvertreter während der Abwesenheit Alberts wahr. Der Ordensmeister blieb aber während der gesamten Schwertbrüderzeit oberster Kriegsherr Livlands und damit nicht nur Befehlshaber des Ordens-, sondern auch des Kreuzfahrerheeres.
Albrecht I. von Sachsen als Kreuzfahrer Die Reisen Bischof Alberts nach Deutschland hatten überwiegend den Zweck, Kreuzfahrer zu werben.144 Von solch einer Reise (ins Sachsenland) berichtet der 138 Ebd., Verszeilen 836 – 837. 139 1211 hatte der Orden sogar versucht, für die eroberten Gebiete einen eigenen Bischof beim Papst durchzusetzen. Dieser lehnte jedoch ab (Bunge, Der Orden der Schwertbrüder (wie Anm. 3), S. 81), vgl. auch LUB (wie Anm. 46) 1,1, Urk. XXIV. 140 Arbusow, Grundriß der Geschichte (wie Anm. 51), S. 36. Auch Mackensen (Zur deutschen Literatur (wie Anm. 20), S. 28) hat diese Formulierung vom »leidlichen Frieden« in seiner Untersuchung übernommen, der Ausdruck »fragil« oder »instabil« würde es auch gut treffen. 141 Lange hat dieses »leidliche« Verhältnis nicht gehalten. 1297 kam es zum Konflikt zwischen Rigaer Bürgern, Bischof Johann III. von Riga und dem Orden, bei dem 50 Ritterbrüder getötet wurden. 142 Insgesamt hat Albert in den 30 Jahren 27 Fahrten zwischen Düna und Lübeck unternommen, Gnegel-waitschies, Bischof Albert (wie Anm. 89), S. 60. 143 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 839 – 841. 144 Insgesamt brachte er etwa zwölf Jahre seines Episkopats in Deutschland zu, Donner, Kardinal Wilhelm (wie Anm. 11), S. 74.
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nächste, ziemlich ausführliche Abschnitt der RC.145 Albert gewann dort Albrecht I. von Sachsen als Kreuzfahrer146 und im Gefolge dieser hohen Persönlichkeit ein entsprechend großes Kreuzfahrerheer für das Jahr 1219. Dies wird auch in der Kreuzzugsrede Bischof Alberts deutlich, welche die RC hier in direkter Rede wiedergibt. Natürlich waren die genauen Worte Bischof Alberts 1295 nicht mehr bekannt, aber die Art und Weise, wie eine solche Kreuzpredigt aufgebaut war, hatte sich vermutlich wenig verändert. So wird in dieser Rede Alberts (zum ersten Mal) erwähnt, dass nicht nur ein Teilsündenerlass für diesen Kreuzzug gewährt wurde, sondern »d werdet ir aller sunden bar«.147 Der Erfolg dieses Kreuzfahrerheeres unter Albrecht I. wird dann allerdings lapidar in einer einzigen Zeile abgehandelt: »Die vren sie ne [ohne] schande.«148 Dafür gab es vielleicht einen Grund. Das Heer der Ordensbrüder spielte bei dem Feldzug unter einem Reichsfürsten die »zweite Geige«, Erfolge fielen in erster Linie dem Fürsten zu, nicht dem Orden. Damit aber nicht in Vergessenheit geriet, dass auch der Orden weiter aktiv und erfolgreich war, wird gleich im nächsten Vers nachdrücklich darauf hingewiesen, dass Meister Volkwin nicht untätig war : »Dar under warb ouch um daZ sn z lande meister Volkewin mit einem here in die Wic vr er manchen búsen stc bZ er zm lande quam.«149 Danach wird die große Harmonie zwischen dem Kreuzfahrerheer unter Albrecht I. und den mit den Deutschen verbündeten Letten und Liven beschworen und eine kleine Episode eingestreut, die die Rolle des Ordens hervorheben soll. Am Tag nach seiner Ankunft wurden der Herzog und sein Gefolge vom Ordensmeister geladen und es floss reichlich Wein, Bier und Met.150 In einem Dialog zwischen Ordensmeister und Herzog werden die Details des Feldzuges besprochen, und der Herzog versichert, aus Ordenssicht nicht weiter verwunderlich, dem Ordensmeister, seinem Rat und seiner Führung zu folgen: »EZ sie ritter odir knecht, w wer houpt rtet vor, wir volgen vaste deme spor biZ in daZ himelrche. daZ globeten sie alle glche.«151 Dass ein Reichsfürst einem Ordensmeister »Gehorsam« gelobt, auch wenn dieser in Livland grundsätzlich Heerführer des Pilgerheeres war, scheint doch fraglich. Diese ganze Szene soll einen Eindruck von Eintracht und Harmonie erzeugen, ist aber etwas dick aufgetragen und unglaubwürdig. Die Reise Bischof Alberts nach Sachsen, der Kreuzzug von der An- bis zur 145 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 842 – 882. 146 Dies war nicht Albrechts erster Kreuzzug, er war davor bereits 1217 im Heer Kaiser Friedrichs II. in Damiette gewesen. 147 RC (wie Anm. 6) Verszeile 862. 148 Ebd., Verszeile 882. 149 Ebd., Verszeilen 883 – 887. 150 Vgl. ebd., Verszeilen 920 – 947. 151 Ebd., Verszeilen 1000 – 1005.
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Abreise Herzogs Albrecht I. von Sachsen und die Beschreibung der Schlacht gegen die Esten ist die längste zusammenhängende Passage aus der Schwertbrüderzeit in der RC, sie umfasst beinahe 400 Verszeilen.152 Sie ist damit einer der Schwerpunkte aus dieser Zeit, dem Status des Reichsfürsten angemessen.153 Sie ist aber auch die Beschreibung des Estenkonflikts, der sich nicht auf die Zeit der Anwesenheit des Fürsten aus Sachsen beschränkte, sondern dessen Kernzeit sich über zehn Jahre hinzog, etwa von 1217 bis 1227,154 mit Aufständen, die sich auch darüber hinaus erstreckten. Dies alles »verarbeitet« die RC in diesen Kreuzzug Herzog Albrechts hinein, wobei die detaillierte Schlachtbeschreibung darauf hinweist, dass der Chronist hier aus einer schriftlichen Quelle schöpfte. Darauf deuten die präzisen Zahlen hin, die er nennt, 1.500 Esten, 60 Kreuzritter und 2 (!) Brüder seien in der Schlacht gefallen.155 Nach der Schlacht bitten die Esten um Frieden, der ihnen natürlich gewährt wird, und es schließt sich noch ein Heereszug des Kreuzheeres nach Jerwen und Oesel an,156 bei dem »des grúZen schaden nmen die OeselÞre, ir lac viele tút«.157 Nach diesem Detailreichtum gleitet die RC wieder in eine allgemeine Beschreibung ab, es werden keine genauen Zahlen mehr genannt. Nicht erwähnt wird in der RC im Übrigen, dass Waldemar II. von Dänemark im selben Jahr (1219) große Teile Estlands von Norden her eroberte, in dessen Folge Bischof Albert Livland vom dänischen König zu Lehen nehmen musste.158 Dies war jedoch nicht von Dauer, schon 1222 musste Waldemar das Lehensverhältnis wieder lösen.159 Das martialische Vokabular der Schlachtbeschreibungen ähnelt sich, mit Formulierungen wie: »vil brunjen und manchen helm den sach man lchten durch den melm«, oder : »hui wie schutten sie die sper«,160 die sicher bei den Zuhörern, denen die RC damals vorgetragen wurde, starke Emotionen erzeugten. Sie zeigen die »Kriegsverliebtheit« des Chronisten und stützen damit die 152 Genauer ebd., Verszeilen 838 – 1223. 153 In diesen Verszeilen fällt elfmal das Wort Herzog (herzoge). 154 Einen »echten« Anfang gibt es natürlich auch nicht, hier ist die Zeit von der ersten Eroberung Fellins 1217 über den großen Estenaufstand 1223 bis hin zur Eroberung Oesels 1227 gemeint. 155 Diese Zahlen sind vermutlich, wie so oft in alten Chroniken, im Ungleichgewicht und deshalb nicht sehr glaubwürdig. 156 Nach den Kämpfen gegen die Esten wurde das weit im Norden liegende Gebiet Jerwen und die Insel Oesel vor der Küste Revals von den Kreuzfahrern angegriffen. Smith, Urban, The Livonian (wie Anm. 21), S. 14, vermuten, dass hier eine Begebenheit aus dem Jahre 1211 geschildert wird, die in HCL (wie Anm. 12) 15,3 beschrieben wird. Dies ist möglich, aber letztlich nicht zu beweisen. 157 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 1204 – 1205. 158 Donner, Kardinal Wilhelm (wie Anm. 11), S. 75; vgl. auch Arbusow, Grundriß der Geschichte (wie Anm. 51), S. 19 – 21. 159 Donner, Kardinal Wilhelm (wie Anm. 11), S. 76 und S. 95. 160 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 1085 – 1086, 1098.
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These, dass es sich um einen Ordensbruder gehandelt haben könnte. Wer am Ende noch einen Kommentar zur erfolgreichen Christianisierung dieser Gebiete erwartet hatte, wird enttäuscht. Worum es dem Kreuzfahrerheer ging, wird vielmehr in diesem Vers deutlich: »Sie triben wb und man und grúZen roub mit Þren von dan«.161
Die Schweden auf der Insel Oesel Die RC wendet sich im Folgenden ab Verszeile 1225 einem Zwischenspiel zu, dem Einfall der Schweden auf die Insel Oesel aus dem Jahre 1220.162 Dieser Einfall der Schweden war nur von kurzer Dauer, zwar wurden Anfangserfolge erzielt, aber es fanden sich nicht genug schwedische Freiwillige, die eine Garnison auf Oesel bilden wollten, so dass die Insel wieder aufgegeben werden musste, schließlich wurde sogar der Bischof erschlagen: »Sie slgen sie [die Schweden] algemeine tút. der bischof leit die selbe nút. sú man die wrheit sprechen will, dú half sn bannen mZen vil.«163 Diese Szene ist gelegentlich kommentiert worden als ironischer Seitenhieb auf den »machtlosen« Klerus in der Schlacht. Diese Bemerkung ist jedenfalls in höchstem Maße respektlos; dass man dies dem Chronisten durchgehen ließ, ist ein Indiz dafür, dass die RC wohl keiner kirchlichen »Zensur« unterlag und dass der Chronist selbst nicht geweihter Kleriker war, er hätte sich eine solche Bemerkung sonst niemals erlaubt. Der Interpretation von Smith/Urban,164 dass damit sogar eine Feindseligkeit gegenüber anderen religiösen Orden und besonders den Bischöfen ausgedrückt wird, muss man nicht unbedingt folgen. Als die Esten nach der Vertreibung der Schweden wieder zu ihren alten Göttern zurückkehrten, kam es zu einer »Strafexpedition« des Ordens gemeinsam mit Letten und Liven. Bei Suntaken (Segewold) kam es zur Schlacht, es wurden 500 Esten erschlagen und neue Geiseln genommen.165 Als Fazit dieses Heereszuges gibt der Chronist an: »Sie [das Kreuzfahrerheer] hatten alle roubes gng, jener sleifte, dirre trc, sú man in den reisen pfliget.«166 Dem Chronisten fällt dabei wahrscheinlich gar nicht auf, dass er als Ziel dieser Strafexpedition 161 Ebd., Verszeilen 1215. 162 Vgl. HCL (wie Anm. 12) 24,3. Aber auch der dänische König Waldemar II. fiel 1220 in Estland ein, mit Zustimmung des Papstes, vgl. LUB (wie Anm. 46) 1,1, Urk. XLVI. 163 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 1235 – 1238. 164 Smith, Urban, The Livonian (wie Anm. 21), S. 16: »These comments [Verszeilen 1235 – 1238] reflect the Teutonic Knights’ hostility to other religious orders and particularly the bishops«. 165 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 1244 – 1278. 166 Ebd., Verszeilen 1265 – 1267.
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nicht etwa die Bekehrung der vom christlichen Glauben abgefallenen Esten angibt, sondern wieder einmal Raub und reichlich Beute. Dass er dann auch noch bemerkt, dass dies bei den »Reisen« (d. h. Kreuzzügen in das Baltikum) gewöhnlich so gepflegt wurde, macht es nicht besser ;167 die Beschreibung der Schlacht und ihrer Folgen verdrängt den ursprünglichen Grund für die Ordensgründung, den Schutz der jungen christlichen Gemeinde, völlig aus der Sicht des Chronisten. Die Esten blieben übrigens auch nach diesem Sieg des Kreuzfahrerheeres aufsässig, denn sie »nmen ir apgote wider«.168 An diese lapidare Bemerkung über die Esten schließt sich eine Begebenheit an, die eine Art »Einzelschicksal« wiedergibt, gewissermaßen als Gleichnis für Gottes Wirken und Segen. Ein armer (natürlich christlicher) Nadelverkäufer wird von einem (natürlich bösen estnischen) Wirt und seiner Frau hinterrücks erschlagen, worauf das kurz darauf geborene Kind der Frau wie auch der Mann die Wundmale des Erschlagenen tragen.169 Diese Geschichte muss auch 1295 noch sehr verbreitet gewesen sein, soll sogar vom Legaten Wilhelm von Modena selbst verfasst und Kunde davon zum Papst nach Rom gesandt worden sein.170 Sein Name wird hier zum ersten Mal erwähnt.171 Es sollten dieser ersten Legation, die etwa zwei Jahre dauerte, noch mehrere folgen, bis in das Jahr 1242. Wilhelm hatte die Schwertbrüder auf diesen Reisen mehrfach getadelt wegen »ungebührlicher Übergriffe gegen die Esten« und sie aufgefordert: »dass sie die ihnen untergebenen Esten nicht unterdrücken sollten.«172 Von solchen Unstimmigkeiten und vorangegangenem Fehlverhalten der Ordensbrüder mochte der Chronist nichts berichten. Zudem geht es möglicherweise wieder einmal um die Frage der Gebietsverteilung zwischen Bischof Albert und den Schwertbrüdern, die angeblich bereits zu Beginn der Ordensgründung vom Papst verbindlich festgelegt worden war. Der Legat hatte während seines zweijährigen Aufenthaltes auch massiv in die Gebietsverteilung der eroberten Landesteile eingegriffen. Dabei hatte er immer dort, wo diese strittig war, die Gebiete aus ihrer bisherigen Unterstellung herausgenommen und sie unter seine direkte 167 Dass das Erschlagen von »Heiden« kein verbrecherischer Akt war, sondern so interpretiert wurde, dass man diese von ihrem unglücklichen und unchristlichen Leben erlöste, das keine Hoffnung auf Erlösung bot, ist ein oft benutzter Vorwand. Der »miles christianus« war ein Ideal des 12. und 13. Jh.s, Donner, Kardinal Wilhelm (wie Anm. 11), S. 241. 168 RC (wie Anm. 6) Verszeile 1277. 169 Ebd., Verszeilen 1279 – 1332. 170 Ebd., Verszeilen 1320 – 1323. 171 Im Dezember 1224 wurde Wilhelm von Papst Honorius III. zum Legaten für Livland, Preußen, Holstein und weitere baltische Territorien ernannt, nachdem Bischof Albert um die Entsendung eines Legaten gebeten hatte, Donner, Kardinal Wilhelm (wie Anm. 11), S. 73 – 74, vgl. auch HCL (wie Anm. 12) 24,2. 172 Donner, Kardinal Wilhelm (wie Anm. 11), S. 92 – 93; in HCL (wie Anm. 12) 29 wird dagegen ausführlich von diesen Reisen Wilhelms berichtet, auch darüber, wie er den Orden zur Mäßigung gegenüber den Neubekehrten aufrief.
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(d. h. damit die päpstliche) Kontrolle und seinen Schutz genommen.173 Dies war keine Entwicklung, mit der man in einem Heldenepos Furore machen konnte, nachdem man vorher erklärt hatte: »wan ir gt wart dú vil breit, des noch erben sint gemeit.«174
Rebellion der Esten, Schlacht um Fellin Daran schließt sich eine weitere Episode über den Estenkonflikt an. Wie bereits bei Albrecht I. von Sachsen, wird der Zug mit einem Namen verbunden, diesmal mit Albrecht von Holstein.175 Dieser zog im Jahr 1217/1218 mit dem Kreuzfahrerheer, den Schwertbrüdern, Liven und Letten gegen die Esten. Hier wird nochmals deutlich, dass die Chronologie der RC nicht immer schlüssig ist, von den Schweden auf Oesel (vermutlich 1220) zur ersten Erwähnung des Legaten Wilhelm von Modena (1224 zuerst in Livland) geht es zurück in das Jahr 1217. Die Beschreibung vom Hergang des Kreuzzuges ist beinahe eine genaue Wiederholung des vorher beschriebenen unter Albrecht I. von Sachsen,176 Ankunft, Empfang, Aufwartung des Ordensmeisters beim Grafen, die anschließende Konsultation und die Verdammung der Esten, die das Christentum wieder abgelegt hatten: »Des rechten gelouben sint sie blint: sie hetten den touf an sich genomen, n ist iZ leider dar z komen, daZ sie die valschen apgot an beten durch des tvels spot.«177 Die stereotype Berichterstattung zeigt, wie sich Jahr für Jahr die Abläufe von der Ankunft des Kreuzfahrerheeres bis zum nachfolgenden Kreuzzug verfestigt hatten. Der Chronist wiederholt sich, aber dies soll kein Vorwurf sein, denn er beschreibt einfach nur, wie es wohl tatsächlich ablief, die »Routine«. Auch die nachfolgenden Kämpfe unterschieden sich wenig von den vorausgegangenen. Der Ort wird genannt (Fellin, nordöstlich von Riga), ebenso die Zahl der erschlagenen Feinde (1.400). Die Episode endet mit der Rückkehr des Grafen nach Deutschland. Neu ist das Eingeständnis, dass man den Esten nur mit Gewalt Christentum und Taufe gebracht hätte und dass sie, wenn man sie nicht unter Zwang hielte, wohl auch wieder vom Glauben abfallen würden: »Entwungen sie ir hÞrren nicht, sú man die wrheit spechen sol, sú wÞren sie is 173 Vgl. Donner, Kardinal Wilhelm (wie Anm. 11), S. 107 – 113. 174 Nochmals hier RC (wie Anm. 6) Verszeilen 617 – 618. 175 Graf Albrecht von Holstein/Orlamünde nahm 1217 am Kreuzzug nach Livland teil, er blieb ein Jahr. Mit ihm kam auch der bereits erwähnte Bernhard II. zur Lippe, von dem erstaunlicherweise nichts berichtet wird in der RC (wie Anm. 6). Vgl. Transehe-roseneck, Die ritterlichen Livlandfahrer (wie Anm. 131), S. 34. 176 Mit etwa 80 Verszeilen (1333 Ankunft, 1415 Abfahrt Albrechts) fällt die Beschreibung dieses Kreuzzuges wesentlich kürzer aus als die Albrechts I. von Sachsen (etwa 300 Zeilen), wohl angemessen der Stellung der beiden Fürsten. 177 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 1360 – 1364.
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erlZen wol.«178 Die Resignation über die mangelnde Standhaftigkeit der Esten im Glauben war begründet. Erst 1223 wurde Fellin nach einem erneuten Aufstand der Esten gegen den Orden und die Dänen endgültig erobert und dort eine wehrhafte Burg des Ordens gebaut.179
Der Litauerzug durch Livland von 1218 Von hier an wird die RC eine Abfolge von Aufzählungen, welcher Fürst in den darauffolgenden Jahren am Kreuzzug teilnahm bzw. diesen anführte. Der nächste ist 1218/1219 »Barwn von Wentlande« (Borwin I. von Mecklenburg). Das interessante Detail an Borwin, das uns die RC verschweigt, ist, dass er ein Vasall des dänischen Königs war.180 Bedeutete dies, dass nun also ein »dänischer« Fürst ein deutsches Kreuzfahrerheer anführte? Was war geschehen? Bischof Albert hatte den dänischen König selbst um Unterstützung im Krieg gegen die Esten gebeten: Eodem anno prefatus episcopus Rigensis […] venerunt ad regem Dacie, suppliciter rogantes, quatenus exercitum suum navalem anno sequenti converteret in Estoniam, ut magis humiliati Estones Lyvonensem ecclesiam cum Ruthenis impugnare cessarant.181 Das Hilfeersuchen des rigischen Bischofs an den dänischen König Waldemar II. war ein Verzweiflungsakt, denn es stand zu befürchten, dass, wenn sich die Esten mit den Russen verbündeten, die ganze Mission gefährdet war. Einer solchen Streitmacht wäre nur schwer zu widerstehen gewesen. Diese Hintergründe werden in der RC geflissentlich übergangen, stattdessen wird in einer genauen Aufzählung der Verlauf eines Heerzuges von 1.500 Litauern durch beinahe ganz Livland erzählt (Semegallen, Swurben, ¬sterhap, Osellant, Múne, Wk, Jerwen, Normegunde, Sackellant, Remyn, Ascheraden). Die präzise Beschreibung der Route deutet darauf hin, dass dem Chronisten von diesem Zug eine schriftliche Quelle vorgelegen haben könnte. Dabei taucht das Kreuzfahrerheer unter Borwin kein einziges Mal auf, es wird nur geschildert, wie viel Blut floss, dass die Litauer die Leute sterben lehrten, von Plünderungen ist die Rede, und von der gewaltigen Beute, die dieser Zug brachte: »Und hatten 178 Ebd., Verszeilen 1410 – 1413. 179 Vgl. Arbusow, Grundriß der Geschichte (wie Anm. 51), S. 21. Der Orden hatte sich vorher mit Waldemar II. verbündet und gegen Bischof Albert gestellt. Erst 1222 kam es zum Friedensschluss. 180 Vgl. Transehe-roseneck, Die ritterlichen Livlandfahrer (wie Anm. 131), S. 40 – 41. 181 HCL (wie Anm. 12) 22,1. Waldemar II. fiel, wie bereits bemerkt, im Sommer 1219 im Norden Estlands ein, eroberte einen Teil davon, konnte sich allerdings dort nicht auf Dauer behaupten.
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grúZen roub genomen: rindere, pfert, wb und man sie triben stolzlchen dan.«182 Vermutlich erfolgte der Zug der Litauer ohne große Gegenwehr und Intervention der Kreuzfahrer und des Ordens, vielleicht war die Anzahl der Kreuzfahrer in dieser Periode rückläufig.183 Das Engagement der Dänen endete 1222 mit dem Lehensverhältnis Bischof Alberts.184 Was nicht zu Ende ging, war der Konflikt mit den Esten, denn schon 1223 kam es zum bereits erwähnten großen Aufstand. Der Abschnitt über den Litauerzug ist ein typisches Beispiel dafür, dass die Schilderungen der RC erst im Kontext von regionalpolitischen oder überregionalen Ereignissen einen realistischen Eindruck der Entwicklung in Livland geben. Der Bericht über den Kriegszug der Litauer endet schließlich zu Gunsten der christlichen Kräfte, wie die RC über Einzelschicksale als Beispiel für den – mit der Hilfe Gottes erreichten – guten Ausgang deutlich macht. Sechs Schwertbrüder aus Ascheraden und weniger als 400 Letten stellten danach schließlich das Litauerheer bei Lennewarden auf ihrem Weg zurück in die Heimat, überraschten es im Lager und vernichteten es bis auf drei Männer, die entfliehen konnten.185 Man fragt sich, was wurde aus dem Kreuzfahrerheer unter Borwin I. von Mecklenburg? Die RC hat hier Brüche, Anfang und Ende der ganzen Sequenz passen nicht recht zusammen, als habe der Chronist einige Geschichten aneinander gereiht, ohne sie miteinander verweben zu können. Am Schluss wird noch einmal deutlich, worum es (neben dem Seelenheil) ging, nämlich Beute: »Sie lústen wip und man und triben grúZen roub von dan z lande vrúliche. den teilten sie geliche.«186 Der Chronist sieht dies durchaus nicht als Widerspruch. Man möge sich hier hüten, Werturteile und Moralvorstellungen der Gegenwart auf die Zeit der Schwertbrüder zu projizieren.
Die Schlacht bei Ymmenkuell gegen die Russen Der Chronist wendet sich nun wieder dem Konflikt mit den Russen zu, mit einer großen Schlacht in Ymmenkulle (Ymmenkuell).187 Wieder wird eine große Zahl von erschlagenen Feinden (1.900) angeführt, die, ob richtig oder übertrieben, 182 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 1488 – 1490. 183 Donner, Kardinal Wilhelm (wie Anm. 11), S. 75 (auch einer der Gründe für Alberts Hilferuf an Waldemar II.). 184 Waldemar II. wurde 1223 von Heinrich von Schwerin gefangen genommen. Dadurch wurde die Vormachtstellung des dänischen Königs nachhaltig erschüttert. 185 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 1491 – 1553. 186 Ebd., Verszeilen 1549 – 1552. 187 Die russische Invasionsarmee war fast bis Wenden gekommen, bevor diese gestoppt werden konnte.
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zeigen soll, wie gewaltig dieser Sieg gewesen sei, und wieder werden die Liven und Letten als Alliierte der Schwertbrüder genannt. Die stereotype, sich oft ähnelnde Beschreibung von Ereignissen (Schlachten) ist dem Chronisten oft als fehlende dichterische Brillanz angekreidet worden. Dies erklärt nicht das Fehlen von Details. Worthülsen, die überall hinpassen würden, wie »vil maniche banier rce / vil brunjen Zer mZe von stle und von golde sie gben d z solde«,188 sind Allgemeinplätze, die Siege verherrlichen, aber nichts zum Fortgang der Ereignisse aussagen. Dem Chronisten ging es nicht um Detailtreue, sondern um die Verherrlichung der Taten der Schwertbrüder. Dass bei der anschließenden Flucht des geschlagenen Russenheeres bei Ogenhusen nochmals 500 Russen erschlagen wurden, wie er berichtet, ist demnach auch nur ein Nachsatz, um den Sieg umso vollkommener erscheinen zu lassen. Die Auseinandersetzungen mit den russischen Fürstentümern zogen sich im Übrigen über die ganze Zeit des Schwertbrüderordens hin. Die RC berichtet auch schon von früheren Konflikten mit der Rus’.189 Einen Eindruck vom Auf und Ab der Auseinandersetzungen mit den benachbarten russischen Fürstentümern, aber auch den Friedensschlüssen und Verträgen bekommt man dennoch nicht, das Episodenhafte überwiegt auch hier.190
Der Zug über das Eis zur Insel Oesel Nach kurzen Ausführungen zur erfolgreichen Ausbreitung des Christentums in Livland, »sus breite got sn Þre z Nieflande sÞre«,191 wendet sich die RC der Eroberung eines anderen Gebietes zu, der Insel Oesel. Der Ordensmeister sucht Rat, wie man diese erobern kann, um die dortigen Bewohner zu bekämpfen, die »des gelouben und des zinses vri«192 und wiederum hinterhältig bzw. betrügerisch seien: »betrogenheit in wonte b«.193 Dies sind gute Gründe, dort einzufallen, ein weiterer war sicher, dass die Oeseler im Sommer Piraterie betrieben, für die Schiffe der Lübecker Kaufleute ein großes und ständiges Problem. Die RC 188 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 1590, 1594 – 1597. 189 Ebd., Verszeilen 640 – 649, 660 – 686, an letzterer Stelle mit Zahlen: 600 Russen wurden demnach »z Gerzeke« erschlagen. 190 Anti Selart, Livland und die Rus’ im 13. Jahrhundert (Quellen und Studien zur baltischen Geschichte, 21), Köln 2007, S. 83 – 102, gibt einen guten Überblick über die wechselhaften Beziehungen, die Kriege und Handelsverträge der Russen mit Bischof Albert und den Schwertbrüdern. 191 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 1613 – 1614. Dies ist eine der ganz wenigen Aussagen zum Fortgang der Mission. 192 Ebd., Verszeile 1623. Man beachte, nicht nur das Seelenheil, sondern auch der entgangene »Zins« ist ein wichtiger Grund, die Insel zu erobern! 193 Ebd., Verszeile 1624.
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berichtet, dass bei dem Kriegszug 1227 2.500 Oeseler erschlagen wurden. Ganz ungeniert wird darauf hingewiesen, dass unter den Erschlagenen »wb, kint und man«194 waren. Dass dies wieder wenig mit »Mission« zu tun hat, ist dem Chronisten in seiner Begeisterung über den großen Sieg wiederum nicht aufgefallen. Allerdings darf man bei dieser (modernen) Einschätzung nicht vergessen, dass das Erschlagen von »Heiden« keinen großen Stellenwert für die Kreuzfahrer und Ordensbrüder hatte und keine Sünde darstellte.195 Im Winter war Oesel oft vom Eis umschlossen, dieses Eis hatte das Heer der Kreuzritter und Ordensbrüder 1227 erst über die (laut RC) zwei Meilen breite Meerenge zur vorgelagerten Insel Moon getragen,196 von dort zur Insel Oesel. Nach der Schlacht um die Mooner Burg, die (nach HCL) sechs Tage dauerte, wurde diese erobert.197 In HCL wird der Verlauf dieser Schlacht sehr detailliert beschrieben, die Darstellung ist voll von heroischen Taten des Kreuzfahrerheeres. Dass dies in der RC keinen Widerklang findet, ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Chronist der RC keine Kenntnis von Heinrichs Chronik hatte. Die Chance, diese heroischen Taten zu beschreiben, hätte er sich sicher nicht entgehen lassen. Nachdem auch die Hauptburg der Oeseler, Wolde, auf der Hauptinsel sich ergeben hatte, unterwarf sich ganz Oesel, man ließ sich taufen und stellte Geiseln.198 Auch in dieser Episode hält sich der Chronist an sein mittlerweile bewährtes Schema der Darstellung. Ankunft und Abreise eines »berühmten« Kreuzfahrers wird erwähnt (der Graf von Arnstein),199 die Zahl der Erschlagenen wird genannt und es folgt eine Anekdote. Diesmal geht es nicht um einen Schwertbruder oder Pilger. Diesmal ist der »Held« der Anekdote ein heidnischer Este, ein Oeseler, der sich als ein Pilger (Kreuzfahrer) ausgibt, indem er sich mit einem Schafs- oder Ziegenbock als Beute auf dem Rücken unter die Kreuzfahrer mischt und dadurch später unbemerkt entkommen kann.200 Eine gewisse Bewunderung für die List des Mannes schwingt in der Erzählung mit und wird auch später bei jenen, denen die RC vorgetragen wurde, eine gewisse Erheiterung hervorgerufen haben. Natürlich ist dies ein Trick des Chronisten, um sich der Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu versichern.
194 Ebd., Verszeile 1667. 195 Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 386, mahnt zu Recht an, von moralischen Urteilen über das Blutvergießen der Schwertbrüder abzusehen. 196 Vgl. HCL (wie Anm. 12) 30,4. 197 Ebd., 30,3 – 4. 198 Ebd., 30,5. Hier (1227) endet HCL (wie Anm. 12), dies ist die letzte Begebenheit, die dort beschrieben wurde. 199 Albertus de Arnestein, aus dem Harz, ein Urenkel (Walter) trat 1290 dem Deutschen Orden bei, vgl. Transehe-roseneck, Die ritterlichen Livlandfahrer (wie Anm. 131), S. 70 – 71. 200 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 1668 – 1677.
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Der Feldzug gegen die Semgallen Der nächste Abschnitt der RC, der sich mit dem Krieg gegen die Semgallen beschäftigt, bringt einen Ortswechsel von Norden nach Süden mit sich, in die Gegend südwestlich der Düna. Langsam nähern wir uns damit dem Ende des Schwertbrüderordens. Der Stamm der Semgallen war einer der Stämme, die später auf Seiten der Litauer an der Schlacht von Schaulen beteiligt waren. Der Führer der Semgallen (mit Namen Vester/Viestur/Viestard) war ursprünglich ein Verbündeter der Schwertbrüder im Kampf gegen die Litauer gewesen. 1219 war es zum Zerwürfnis mit Bischof Albert und den Schwertbrüdern gekommen, nachdem diese bei Mesothen (ca. 40 km südlich von Riga) eine semgallische Burg besetzt hatten. 1228 waren die Semgallen dann gegen die Abtei von Dünamünde vorgestoßen, hatten diese niedergebrannt und alle Mönche erschlagen.201 Es könnte dieser Konflikt sein bzw. der danach folgende Vergeltungszug der Schwertbrüder und Kreuzritter, von dem die RC hier berichtet.202 Wiederum wird die Zahl der getöteten Feinde genannt, 1.600 in diesem Fall. Neben der großen Beute spricht die RC hier wieder davon, dass »sie triben grúZen roub von dan, kinder, wib und man«.203 Die exakt gleiche Wortwahl wie beim Krieg gegen die Oeseler spricht dafür, dass hier eine gängige Worthülse benutzt wurde. Ein Detail ist hier hinzugefügt, dass zuvor nirgendwo auftauchte, nämlich, dass das eroberte Gebiet nach den Kampfhandlungen besetzt wurde. Sogar die Dauer wird genannt: »Der meister in dem lande lac dr wochen. wie man sn dú pflac.«204 Diese Notiz verwirrt. Waren denn nicht alle Gebiete, die erobert worden waren, erst »besetzt« und schließlich vereinnahmt worden? Was war hier anders? Eine denkbare Erklärung wäre, dass das Gebiet südlich von Selonien so sumpfig und unwirtlich war, dass man bisher (außer bei den Burgen) auf eine großflächige Besetzung verzichtet hatte.205 Dies würde die hier zum ersten Mal erwähnte »Besatzungszeit« von drei Wochen erklären. Da die Besitznahme von erobertem Land, bedingt durch die Unwirtlichkeit der Landschaft, nicht unbedingt erstrebenswert war,206 wurden von den baltischen
201 Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 258. 202 Ebd., S. 320, vermutet dagegen das Jahr 1235, räumt aber ein: »Die Datierung der Schlacht bereitet Schwierigkeiten.« 203 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 1721 – 1722. 204 Ebd., Verszeilen 1713 – 1714. 205 Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 317, spricht hier von einer »rund 400 km langen Grenzlinie, die […] durch einen großen Wildnisgürtel gesichert war.« 206 Vgl. hierzu Marie-Luise Heckmann, Zwischen Weichseldelta, Großer Wildnis und Rigaischem Meerbusen. Ökologische Voraussetzungen für die Landnahme im spätmittelalterlichen Baltikum, in: Von Nowgorod bis London. Studien zu Handel, Wirtschaft und Gesellschaft im mittelalterlichen Europa. FS für Stuart Jenks zum 60. Geburtstag, hrsg. Marie-
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Stämmen meist nur überfallartige Raubzüge unternommen, um dann mit Beute, geraubten Frauen und Kindern schnell wieder in das heimatliche Gebiet zurückzukehren.207 Im Gegensatz zu den vorher beschriebenen Kriegszügen werden für diese Schlacht keinerlei einheimische Hilfstruppen genannt. Die Nennung des Ortes Ascheraden, der als Ziel des im darauffolgenden Jahres durchgeführten Rachezuges der Semgaller genannt wird, passt dann wieder in das Schema der Berichterstattung der RC, ebenso wie die Nennung der nun wieder beteiligten Verbündeten der Schwertbrüder, der Liven und Letten. Auch eine persönliche Geschichte fehlt in der RC, wie gehabt, für diesen Feldzug nicht. Diesmal ist der Held ein Schwertbruder (Marquart),208 der in Ascheraden residierte, vielleicht sogar der Burgherr selbst.209 Dieser zog den Semgallen gemeinsam mit Letten und Liven nach, befreite die geraubten Christen und vernichtete das gesamte Semgallenheer (500 Mann stark), nur der semgallische König selbst entkam dem Gemetzel.210 Marquart folgte diesem und wurde von ihm verwundet, schließlich flüchtete der semgallische König aber in eine Burg. Dieser Abschnitt wirkt wieder lebendiger als die zuvor beschriebenen, das liegt nicht zuletzt daran, dass der Chronist hier als Stilmittel abermals die direkte Rede benutzt. Marquart »sprach: ›gedenket, helde gt, daZ wer vleisch und wer blt hie vor ch stt gebunden, sul wir lZen hie den lip, wir enlúsen man und wip«.211 Dies sind aufrüttelnde Worte zu heroischem Tun, die sicher auch später ihre Wirkung bei den Zeitgenossen des Chronisten nicht verfehlt haben dürften, als sie dem Vortrag lauschten. Hier gelingt es dem Chronisten noch einmal, lebendig und fesselnd zu erzählen. Was ebenfalls nicht fehlt, ist wieder der Hinweis auf die große und wertvolle Beute, die vom Christenheer gemacht wurde »und triben grúZen roub von dan«.212 1230 war dann ganz Semgallen erobert. Bischof Alberts Tod im Jahr zuvor übergeht die RC ohne irgendwie geartete Würdigung.
207 208 209 210 211 212
Luise Heckmann, Jens Röhrkasten (Nova Mediaevalia, Quellen und Studien zum europäischen Mittelalter, 4), Göttingen 2008, S. 255 – 295, hier S. 260 – 264. Unwirtliches, sumpfiges Gelände war auch ein wesentlicher Grund dafür, dass das christliche Heer dann 1236 bei Schaulen eine entscheidende Niederlage hinnehmen musste. Vermutlich Marquart von Burbach. Vgl. Smith, Urban, The Livonian (wie Anm. 21), S. 22. Die Bezeichnung »pflegÞre« (V. 1737) ist nicht ganz eindeutig, Eduard Meyer, Reimchronik (wie Anm. 23) übersetzt mit »Aufseher, Oberer«. Vgl. RC (wie Anm. 6) Verszeilen 1736 – 1801. Ebd., Verszeilen 1757 – 1759. RC (wie Anm. 6) Verszeile 1796.
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Die Litauerkriege Danach wendet der Meister der Schwertbrüder seine Aufmerksamkeit Litauen zu, »dem meister daZ gemte stnt z Littowen«,213 so dass der Eindruck entsteht, man hätte sich aussuchen können, wo der nächste Kriegszug hingeht, und als würden alle baltischen Stämme in den beschriebenen Feldzügen nacheinander »abgearbeitet«, um befriedet, erobert und christianisiert zu werden. Der Chronist kommt zumindest in dem ganzen Teil, der sich mit den Schwertbrüdern beschäftigt, selten auf einen der Stämme zurück oder berichtet von erneuten Kämpfen. Der Konflikt mit den Litauern fand, wie zuvor der mit den Semgallen, im Süden Rigas statt, bei Alsen/Nalsen (in der Nähe von Ascheraden). Brav werden in der RC zunächst wieder die Letten und Liven genannt, die heldenhaft an der Seite der Kreuzfahrer und Ordensritter kämpfen, dann folgt, wie nicht anders zu erwarten, die Zahl der erschlagenen Feinde (2.000 in diesem Fall). Beeindruckt haben muss den Chronisten die Zahl der erbeuteten Pferde (2.500), die er ebenfalls nennt. Etwas einfallslos für so eine gewaltige Schlacht wird der eigene Sieg am Ende kommentiert: »Die cristen wren alle vrú; z lande kÞrten sie sich dú […] z hs sie wider qumen mit ellenthaftem mte. sus half in got der gte.«214 Man hat fast den Eindruck, als wäre der Chronist es hier langsam selbst leid, sich immer zu wiederholen und wäre nun froh, diesen Teil über die Schwertbrüder abgeschlossen zu haben. Erst dadurch, dass der (zugegeben monotonen) scheinbaren Chronologie der RC bewusst gefolgt wird, zeigen sich die vorhandenen Erzählmuster des Chronisten. Mit »scheinbarer Chronologie« ist hier gemeint, dass die Konflikte mit den verschiedenen Stämmen zwar tatsächlich alle stattgefunden haben, aber keiner dieser Konflikte sich auf eine einzige Schlacht beschränkte, im Gegensatz zum Eindruck, den die RC vermittelt.
Die Schlacht bei Schaulen, Volkwins Tod In den verbleibenden etwa 100 Verszeilen, die Gegenstand der Untersuchung sind, geht es um den Tod des Ordensmeisters Volkwin, das Ende des Schwertbrüderordens und dessen Eingliederung in den Deutschen Orden. Wie dies zusammenhängt, und was die letzte große Schlacht der Schwertbrüder bei Schaulen 1236 damit zu tun hat, ist oft untersucht und interpretiert worden. Die ersten Bemühungen einer Vereinigung der beiden Orden gingen schon um 1231 vom Schwertbrüderorden und Ordensmeister Volkwin aus, lange vor der ver213 Ebd., Verszeilen 1802 – 1803. 214 Ebd., Verszeilen 1839 – 1840, resp. 1844 – 1846.
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lorenen Schlacht.215 Auch der Text der RC belegt diese »Reihenfolge« der Ereignisse: »Der gte meister Volkwn vernam und andere brdere sn von einem orden geistlch, der wÞre gerecht und Þrlich z dem dtschen hse irhaben […] d want er allen snen mt, daZ sn orden quÞme z in.«216 Sofort stellt sich die Frage, was der Grund hierfür gewesen sein mag. Die RC gibt nur spärlich Auskunft, gerecht und ehrlich sei dieser Deutsche Orden, zur Siechenpflege verpflichtet und seine Ritter seien gut.217 Aber galten nicht die gleichen Grundsätze für die Schwertbrüder ebenfalls? Wenn die RC dann fortfährt, dass sich der Orden mit dieser Bitte um Eingliederung der Schwertbrüder an den Papst gewandt habe, ist dies ein eindeutiges Indiz dafür, dass die Verschmelzung der beiden Orden bereits vor der Niederlage der Schwertbrüder bei Schaulen zur Diskussion stand und mit Nachdruck vorangetrieben wurde. Die Niederlage und die Vernichtung eines großen Teils der Brüder in dieser Schlacht waren jedenfalls nicht ursächlich, haben diese Eingliederung aber dann entscheidend beschleunigt. Der Chronist der RC schreibt, dass Volkwin während dieser Verhandlungen zu Tode gekommen sei, die Gespräche hatten sich über einige Jahre hingezogen.218 Die Niederlage von Schaulen beendete das zähe Ringen um die Art und Weise der Eingliederung abrupt und machte diese nicht nur vordringlich, sondern beendete auch die Unabhängigkeit der Schwertbrüder. Die RC unterbricht hier ihren Bericht und widmet sich erst einmal den Geschehnissen und Hintergründen dieser Niederlage bei Schaulen. Der entscheidende Faktor für diese Niederlage war die Einwilligung Volkwins, ganz gegen die sonst übliche »Saisonplanung« der Kreuzzüge, für einen Feldzug im Sommer/ Herbst.219 Er tat dies angeblich auf Drängen einiger hochrangiger Kreuzfahrer,
215 Vgl. Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 309 – 310. Benninghoven vermutet, dass eine Einverleibung in den Deutschen Orden von Volkwin angestrebt wurde. Allerdings ist auch denkbar, dass dieser eine eher gleichberechtigte Verbindung im Sinn hatte, die nach Schaulen dann illusorisch wurde. Dennoch behielt der »Livländische Zweig« eine gewisse Autonomie nach der Vereinigung der beiden Orden. 216 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 1847 – 1855. 217 Vgl. ebd., Verszeilen 1850 – 1853. 218 Vorausgegangen war den Überlegungen der Kurie zur Eingliederung der Schwertbrüder 1235/36 ein langer Prozess nach Anklagen des dänischen Königs, des Erzbischofs von Lund und besonders des Bischofs von Semgallen, Balduin von Alna. Dem Orden wurde vielerlei Fehlverhalten bis hin zu Ketzerei vorgeworfen. Dieser Prozess, der in Viterbo stattfand, endete mit einem Urteilsspruch Papst Gregors, der den Orden zwar nicht verurteilte, aber schwächte und sein Ansehen bei der Kurie nachhaltig beschädigte. So musste man beispielsweise einige Gebiete dem päpstlichen Legaten aushändigen und Reval an den dänischen König abtreten. Vgl. Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 321 – 325. 219 Üblicherweise wurden in Livland die Feldzüge im Winter durchgeführt. Mit dieser Problematik beschäftigt sich Heckmann, Zwischen Weichseldelta (wie Anm. 206), S. 263 – 264, und kommt zu dem Schluss, dass die Natur Livlands eine wesentliche Rolle bei der Kriegszugsplanung spielte. Winter- statt Sommerfeldzüge waren in Livland die Regel, der
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von denen der Chronist auch zwei beim Namen nennt, (Theoderich) von Haseldorf und Graf (Heinrich) von Dannenberg.220 Warum Volkwin diesem Drängen nachgab, bleibt ein Rätsel, denn er wusste mit Sicherheit, dass bei der ungünstigen Topografie und den Wetterbedingungen im Herbst der strategische Vorteil des gepanzerten Ritterheeres nicht mehr gegeben war. Das Risiko, bei einem Reiterangriff mit den schweren gepanzerten Pferden im Sumpf oder Moor stecken zu bleiben, war groß, womit ein wesentlicher taktischer Vorteil aus der Hand gegeben wurde. Ob dies aus Überheblichkeit oder Überschätzung der eigenen Truppenstärke geschah, kann man nur vermuten, falsch war es allemal, dies musste auch Volkwin wissen. Bei der Beschreibung des ersten Zusammentreffens des Kreuzfahrerheeres mit den Litauern (südlich von Ascheraden) fällt der Chronist wieder in sein altes Schema der Schlachtbeschreibungen zurück. Zuerst wird der Ort genannt, dann werden die verbündeten Stämme (hier Liven, Letten und Esten) und deren Verdienste in der Schlacht beschrieben, lediglich die Zahl der getöteten Feinde wird erstaunlicherweise diesmal nicht angeführt. Zum ersten Mal wird dagegen erwähnt, dass Boten zu den RZen mit der Bitte um Unterstützung gesandt wurden. Leider sagt uns der Chronist nicht, ob diese der Bitte entsprachen.221 Aus der langen Liste der genannten Hilfsstämme (Esten, Letten, Liven, Russen) kann man folgern, dass zu diesem Zeitpunkt die Eroberung/Christianisierung Livlands so weit fortgeschritten war, dass dem Kreuzfahrerheer große Teile der genannten Stämme und sogar russische Kontingente als Hilfstruppen zur Verfügung standen. Auch hier folgt dann in der RC, wie oftmals zuvor, die Beschreibung der Art und Weise der Kriegsführung: »sie stiften roub und brant mit mancher schar vil wunneclch.«222 Nach der Schlacht auf dem Rückweg nach Riga ereilte das christliche Heer dann sein Schicksal bei Schaulen. Gegen den ausdrücklichen Rat Volkwins (so jedenfalls die RC) schlug das Heer sein Nachtlager in sumpfigem Gelände auf und wurde am nächsten Morgen »in dem brche«223 angegriffen. Dass die Heerführer der Kreuzritter diese Entscheidung gegen den ortskundigen Ordensmeister (und obersten Befehlshaber) Volkwin durchgesetzt hätten, scheint aber zumindest fraglich. Um 1290/95, bei Abfassung der RC, konnte man die »Weisheit« des Ordensmeisters im Nachhinein leicht in die Geschichte einbauen
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Zug über den vereisten Oeseler Meerbusen (Ebd., S. 274) ist ein Beispiel für diese gegenüber Mitteleuropa so anders geartete saisonale Kriegszugsplanung. Vgl. Transehe-roseneck, Die ritterlichen Livlandfahrer (wie Anm. 131), S. 77 f. Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 328, geht von einem russischen Hilfskontingent von ca. 200 Mann des russischen Fürsten von Pleskau aus. RC (wie Anm. 6) Verszeilen 1902 – 1903. Ebd., Verszeile 1932. Eduard Meyer, Reimchronik (wie Anm. 23), S. 359, übersetzt »brche« hier mit Morast/Sumpf.
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und ihn damit von der Schuld an diesem Debakel freisprechen. Eine gewisse Sorglosigkeit aus dem Gefühl des vorangegangenen Sieges heraus bei allen war wohl eher der Grund.224 Heroisch wehrten sich am Morgen dann die Christen gegen die Litauer und deren Verbündete, die Semgallen. In dem sumpfigen Gelände waren diese aber bedeutend wendiger als die Kreuzritter und die schwer gepanzerten Ritterbrüder. Nun nennt der Chronist doch noch eine Zahl, 48 Ritterbrüder wurden im September 1236 dort erschlagen, und wenn diese Zahl auf den ersten Blick nicht sehr hoch erscheint,225 so war damit doch ein so großer Teil der Schwertbrüder ums Leben gekommen, dass die Verbliebenen sich zu diesem Zeitpunkt verzweifelt an den Deutschen Orden mit der Bitte um schnelle Hilfe wandten: »die brder santen aber dú boten […] z dem wsen manne von Salzch, der des dtschen hses meister was.«226 Natürlich war dieser Blutzoll der Ritterbrüder gewaltig und ein Anlass, sich umso dringlicher um Hilfe und um die Aufnahme in den Deutschen Orden zu bemühen. Den Ritterbrüdern fehlte es aber schon vorher an Kandidaten für ihren Orden, ihre Zahl war zu diesem Zeitpunkt wohl schon rückläufig.227 Der Chronist der RC schließt den Kreis und die Beschreibung dieser entscheidenden Niederlage nochmals mit dem Hinweis, dass Meister Volkwin dort den Tod fand: »Alsus nam meister VolkÞwin daZ ende und ouch die brdere sin.«228 Die dann in der RC nachfolgende Zahl von 19 Jahren, die Volkwin angeblich Ordensmeister gewesen sei, ist falsch.229 Volkwin war tatsächlich von 1209 bis 1236 Herrenmeister gewesen, also 27 Jahre. Dass diese Angabe des Chronisten so sehr von der Wirklichkeit abweicht, ist ein weiteres Indiz für seine wohl nachlässige Quellenauswertung aus dieser Zeit.230 Ob es tatsächlich wenige schriftliche Aufzeichnungen aus der Schwertbrüderzeit gab oder er nur nach224 Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 331, vermutet, dass sich Volkwin vielleicht (ebenso wie bei seiner vorangegangenen widerwilligen Einwilligung in den Feldzug) nicht dem Vorwurf der Feigheit aussetzen wollte. 225 Diese Zahl von 48 gefallenen Ritterbrüdern muss um ein Vielfaches ergänzt werden, hinzu kamen Ordenssöldner und dienende Brüder. Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 328, schätzt die Gesamtzahl des reinen Ordenskontingents im Heer auf rund 550 und die Gesamtverluste des Heeres auf etwa 3.000 Mann. 226 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 1970 – 1973. Hermann von Salza war Hochmeister des Deutschen Ordens. 227 Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 407, geht davon aus, dass die Schwertbrüder bereits seit den dreißiger Jahren des 13. Jh.s Schwierigkeiten hatten, Ersatz für die durch Tod, Krankheit und Alter abgehenden Brüder zu bekommen. 228 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 1959 – 1960. 229 Vgl. ebd., Verszeile 1962. 230 Bei dieser Zahl irrt der Chronist schlicht, im Gegensatz zu seinen sonstigen Zahlen von erschlagenen Feinden, bei denen er sicher übertreibt. Auch bei der Amtszeit Winnos hatte er schon völlig danebengelegen.
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lässig bei deren Auswertung war, lässt sich nicht mehr klären. Wenn er am Schluss dieser Sequenz behauptet: »bie siner [Volkwins] zt, des weiZ man vil, d von ich nicht mÞ sprechen will«, so mag man ihm dies jedenfalls nicht so ganz glauben.
Eingliederung in den Deutschen Orden 1237 und Vertrag von Stensby Trotz des verzweifelten Hilferufes nach der verheerenden Niederlage der Schwertbrüder bei Schaulen sollte noch einige Zeit vergehen, bis Papst Gregor IX. schließlich der Eingliederung der verbliebenen Ordensbrüder in den Deutschen Orden zustimmte. Erst im Mai 1237, im Jahr nach der Schlacht, wurde der Vereinigung vom Papst in der sogen. Bulle von Viterbo zugestimmt.231 Die RC erzählt nun aber nichts von der Art und Weise dieser Vereinigung, sondern betont, dass der Hochmeister des Deutschen Ordens, Hermann von Salza, dem durch Boten überbrachten Hilferuf der verbliebenen Schwertbrüder umgehend nachgekommen sei: »Ich sende in krtzlchen tagen alsú vil brdere dar, daZ wol irvullit wirt die schar.«232 Hermann Balk, Landmeister des Deutschen Ordens, wurde mit 54 Ordensrittern im Sommer 1237 zur Unterstützung nach Livland gesandt.233 Tatsächlich war dies nicht nur Unterstützung, sondern gleichzeitig auch die »Übernahme« des Schwertbrüderordens. Die verbliebenen Ordensritter der Schwertbrüder legten ihren Habit ab und empfingen die Zeichen des Deutschen Ordens: »Ir zeichen legeten sie dar nider, daZ swartze crce entpfiengen sie wider von deme dtschen hse dú.«234 Dass der Deutsche Orden diese günstige Gelegenheit nutzte, um die Macht in Livland zu übernehmen, verwundert nicht, konnte man doch durch die Zwangslage der Schwertbrüder weitgehend die Konditionen bestimmen. Dass aber die verbliebenen Schwertbrüder trotz ihrer Zwangslage eine gewisse Unabhängigkeit vom Deutschen Orden behielten bzw. zum »Livländischen Zweig des Deutschen Ordens« wurden, ist erstaunlich.235 Die RC verrät natürlich nichts von diesen Umständen, was nicht verwunderlich ist, denn sie wurde (aller Wahrscheinlichkeit nach) von einem Bruder eben jenes Ordens geschrieben, der die Macht dort in Livland 231 LUB (wie Anm. 46) 1,1, Urk. CXLIX. Vgl. auch Donner, Kardinal Wilhelm (wie Anm. 11), S. 209 und Arbusow, Grundriß der Geschichte (wie Anm. 51), S. 30. 232 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 1978 – 1980. 233 Vgl. Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 360 – 361. Hermann Balk übte das Amt als Hochmeister dieses »Livländischen Ordens« für zwei Jahre zusätzlich zu seinen Pflichten als Landmeister in Preußen aus. 234 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 2011 – 2012. 235 Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 348, vermutet, dass noch genügend Ordensritter der Schwertbrüder lebten, um bei Entscheidungen ein leichtes Übergewicht gegenüber den 54 Deutschen Ordensrittern darzustellen.
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übernommen hatte. Das zeigt sich auch in den abschließenden Zeilen der RC, die fast den Eindruck erwecken, alle seien mit dieser Entwicklung sehr glücklich gewesen: »Des wart des landes meister vrú und alle, die von dtschen lant mit in wurden in gesant.«236 Schaut man bei diesen Zeilen aber genau hin, so sprechen diese nicht von den Brüdern in Livland, die froh wurden, sondern davon, dass die aus den deutschen Landen dorthin gesandten Brüder, also Ordensbrüder des Deutschen Ordens, froh wurden, ein feiner, leicht zu übersehender Unterschied. Dies betont die RC gleich noch einmal: »DZ wart dem dtschen hse dú: des wart daZ lant gemeine vrú.«237 Auch wenn man »gemeine« mit »insgesamt« übersetzt, wie dies Leo Meyer tut,238 oder »im ganzen froh«, wie Eduard Meyer bei seiner Übersetzung,239 so spiegelt dies sicher nicht die gemischten Gefühle der Brüder wider. Fast ein wenig wehmütig klingt der endgültige Abgesang des Chronisten auf den verschwundenen Orden: »Swertbrdere wren sie genant. sie hatten burge und lant der heidenschaft betwungen abe und an gte grúZe habe.«240 Hier ist nun eigentlich die Untersuchung, wie die RC den Schwertbrüderorden und seine Rolle bei der Christianisierung Livlands sieht, zu Ende. Sie wäre jedoch unvollständig, würde man nicht auch noch kurz untersuchen, wie die RC die Konsequenzen interpretiert, die sich aus dem Ende des Ordens und der Übernahme in den Deutschen Orden ergaben. Das Ende des Ordens gab den an Livland interessierten Mächten die Gelegenheit, Landverteilung und Grenzen neu zu bestimmen. Aufgeteilt wurde die »Konkursmasse« des Schwertbrüderordens 1238 im sog. Vertrag von Stensby (auch Stenby). Mit diesem Vertrag zwischen dem Deutschen Orden und König Waldemar II. von Dänemark bekam die dänische Krone große Teile Estlands zurück.241 Die RC stellt diese Neuordnung so dar, als sei dies im Einvernehmen aller geschehen. Als Entscheider wird in der RC der Papst genannt, der durch einen weisen Legaten, wiederum Kardinal Wilhelm von Modena, die nördlichen estnischen Ländereien Harrien, Reval und Wierland dem dänischen König zusprach, dem Deutschen Orden verblieb damit dort lediglich das Gebiet von Jerwen.242 Vielleicht hatte man beide Parteien schon auf eine Expansion nach Nowgorod eingeschworen, so dass sie mit potentiellen zukünftigen Gebietsgewinnen rechneten.243 Die RC beschäftigt sich in der folgenden Sequenz auch 236 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 2015 – 2016. 237 Ebd., Verszeilen 2037 – 2038. 238 So Leo Meyer in seinen Anmerkungen im Anhang seiner Edition der RC (wie Anm. 6), S. 367. 239 Eduard Meyer, Reimchronik (wie Anm. 23), S. 58. 240 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 2033 – 2036. 241 Vgl. Donner, Kardinal Wilhelm (wie Anm. 11), S. 215 – 216. Bis 1345 sollte Reval daraufhin dänisch bleiben. 242 Vgl. RC (wie Anm. 6), Verszeilen 2039 – 2064. 243 Vgl. Donner, Kardinal Wilhelm (wie Anm. 11), S. 222 – 223.
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tatsächlich mit einem Kriegszug gegen die Russen unter Bischof Hermann von Dorpat.244
Auslassungen und Balance in der Ereignisdarstellung »Vieles bringt er durcheinander, vieles dichtet er hinzu«, schreibt Manfred Hellmann über den Chronisten der RC.245 Dem ist hinzuzufügen; vieles lässt er auch einfach weg. Der Chronist der RC selbst schreibt etwa in der Mitte seiner Dichtung noch einmal die Sätze, die er zu Anfang als Grund seiner Dichtung angeführt hatte: »Ir habt hie vor wol vernomen, wie der cristentm ist komen mit gotes helfe in Niefland«.246 Er wiederholt damit die Worte, die am Anfang seiner Chronik stehen und drückt damit aus, dass dieser erste Teil seiner Dichtung nun für ihn abgeschlossen sei und eine neue Ära beginne. Kann man aus diesen Worten auch schließen, dass er wirklich überzeugt war, diese Geschichte erzählt zu haben? Die Untersuchung hat gezeigt, dass er dies nicht getan hat. Er hat nicht Missions-, sondern Ordensgeschichte, vielleicht noch Kriegsgeschichte erzählt, und zwar »aus dem Orden für den Orden«.247 Dass er hierbei seinen Orden und davor den der Schwertbrüder ins rechte Licht rückt, mag man ihm noch verzeihen, aber dass er seinen eigenen Anspruch, Missionsgeschichte zu erzählen, vernachlässigt, ist ein irritierender Punkt. Nicht einmal berichtet er etwa davon, wie viele Liven oder Esten getauft wurden. Die Zahlen, die er nennt, sind die von Gefallenen oder Erschlagenen. Seine Dichtung aber pauschal nur als »Kriegstagebuch« zu klassifizieren, wäre leichtfertig. Gerade die langen Passagen der direkten Rede zwischen dem Ordensmeister, Bischof Albert, Albrecht I. von Sachsen oder sogar dem Papst zeigen seinen Anspruch, Höhepunkte und Wendepunkte in der Geschichte der Missionierung Livlands lebendig darzustellen. Dass dies auch ein dramaturgisches Mittel ist, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu erhalten, liegt auf der Hand. Das Ausmaß dessen, was er von den 35 Jahren der Schwertbrüder nicht berichtet (der Ausdruck »verschweigt« wäre unangemessen), ist gewaltig, davon zeugt der Vergleich mit HCL bis 1227. Eine kurze Zusammenfassung von »nicht Erzähltem« gibt vielleicht Aufschluss darüber, ob hierbei gewisse Muster zu erkennen sind. So finden wir – keinen Bericht über den päpstlichen Legaten Wilhelm von Modena und sein Wirken,
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Bischof Hermann von Dorpat war ein Bruder Bischof Alberts. Hellmann, Studien über die Anfänge der Mission (wie Anm. 53), S. 32. RC (wie Anm. 6) Verszeilen 6667 – 6669. Mackensen, Zur deutschen Literatur (wie Anm. 20), S. 31.
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– keine Berichte über die Allianzen bzw. Konflikte mit dem dänischen König Waldemar II. (z. B. den Lehnsbund zw. Orden und König von 1220),248 – keine Erwähnung der ständigen Konflikte mit Bischof Albert über die Verteilung der Landesherrschaft, – keinen Bericht über die zwiespältige Doppelwahl eines Bischofs für Riga nach Bischof Alberts Tod 1229,249 – keine Erwähnung der Kaufleute (außer am Anfang bei der »Aufsegelung«) und ihrer Verbindungen zum Orden,250 – keinen Bericht über den heftigen Konflikt des Ordens (bis hin zur Schlacht auf dem Domberg in Reval) mit dem päpstlichen Legaten Balduin von Alna,251 – keinen Bericht über die Gefangensetzung Meister Volkwins im Vorfeld der Schlacht auf dem Domberg in Reval.252 Diese Liste ließe sich fortsetzen. Die »nicht erzählten« Geschichten haben manches gemeinsam, sie betreffen unschöne, unangenehme oder sogar peinliche Konflikte innerhalb des Ordens oder mit anderen in Livland tätigen Gruppen oder Personen. Sie betreffen aber auch Gruppen/Ereignisse, die, wie schon ausgeführt, für die Kriegführung als nicht relevant erachtet wurden, wie die Kaufleute oder den Zwist um die Bischofswürde in Riga. Ob der Chronist hier bewusst eine Selektion von Begebenheiten getroffen hat, die er verschweigt, lässt sich nicht nachweisen. Das erkannte Muster, negative Dinge nicht zu thematisieren, ist allerdings auffällig. Zu Anfang der Dichtung findet man auch durchaus Berichte zur Christianisierung, zur Vorgeschichte unter den Bischöfen Meinhard und Berthold. Natürlich kann man den ganzen Teil der RC, der sich mit dem Schwertbrüderorden beschäftigt, noch als »erweiterte« Vorgeschichte oder »Einführung« zu seiner eigenen Ordensgeschichte betrachten, bei der Detailtreue und Tiefe nicht so wichtig waren. Für den untersuchten Teil der Geschichte des Schwertbrüderordens in der RC lässt sich zusammenfassen: Die RC ist nicht 248 Vgl. Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 77. 249 Hier flammte der Konflikt zwischen den Erzbistümern Magdeburg und Bremen wieder auf, nachdem Riga den Magdeburger Domherrn Nicolaus zum Nachfolger Alberts gewählt hatte. 250 Wie beispielsweise die Belehnung von über 200 gotländischen Kaufleuten mit Land durch den Orden (1233), Arbusow, Grundriß der Geschichte (wie Anm. 51), S. 27. 251 Balduin hatte dem Orden 1233 einen großen Teil des Ordensgebietes entrissen und in seine Gewalt gebracht. Nach seiner Aufforderung, das Kleine Schloss auf dem Domberg in Reval ebenfalls an ihn zu übergeben, wehrte sich der Orden und es kam zum bewaffneten Konflikt. Dies war ein ungeheurer Vorgang, stellte sich der Orden doch gegen den päpstlichen Legaten, d. h. gegen den Papst selbst. Vgl. Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 287 – 301. 252 Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 295 und 425. Meister Volkwin war für eine Auslieferung des Kleinen Schlosses gewesen und deshalb festgesetzt worden. Er war insgesamt für drei Monate in Haft, Aug. bis Nov. 1233.
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Wahrnehmungsgeschichte einer Zeitspanne, sondern in erster Linie Darstellungsgeschichte mit stark selektiven Elementen. Seine »selektive Berichterstattung« zu bewerten hieße aber, eine heutige Sichtweise und Erwartungshaltung an die Dichtung anzulegen, ihr eine Berichterstattungspflicht aufzuerlegen, die zu erfüllen der Chronist niemals die Absicht hatte.
Ursachen der veränderten Wahrnehmung in der RC, Intention und Motive des Autors Wahrnehmung speist sich aus schriftlichen Quellen und aus Erzählungen von Zeitzeugen oder deren Nachfahren, die das Erlebte aus ihrer Sicht darstellen. Sie ist rückwärts gerichtet, während Intention in die Zukunft weist, einen Zweck hat, damit eine Absicht verbindet. Die stereotype und oft schematisch wirkende Beschreibung von Schlachten mit immer wiederkehrenden Worthülsen in der RC legt den Schluss nahe, dass dem Chronisten wohl nur wenige schriftliche Quellen zur Verfügung standen, aus denen er sich ein Gesamtbild vom Fortgang der Missionierung und den Schwertbrüdern machte. Ob es tatsächlich so wenige schriftliche Aufzeichnungen gab oder er nur »nachlässig« recherchiert hat, lässt sich nicht mehr feststellen.253 Seine Wissenslücken füllte er durch das Einflechten von fiktiven Dialogen, Wundern, Anekdoten, kleinen Geschichten am Rande und Namen von bekannten Kreuzfahrern. Für diese Begebenheiten (bis auf die Namen der Kreuzfahrer, diese sind authentisch) gilt das geflügelte Wort, dass, wenn sie nicht wahr sind, sie doch gut erfunden seien. Die Erlebnisse wurden in der mündlichen Überlieferung natürlich glorifiziert und ausgeschmückt, so dass z. B. Kreuzfahrer oder Schwertbrüder in einem besseren Licht dastanden, als dies ursprünglich tatsächlich der Fall gewesen sein mag.254 Selbst die Geschichte der angeblich vom Papst zu Anfang des Schwertbrüderordens angeordneten Gebietsverteilung ist möglicherweise nicht seine eigene Erfindung, sondern nur die Wiedergabe einer sich in Ordenskreisen bis 1295 verfestigten falschen historischen Wahrnehmung. Dieses Wahrnehmungsschema von Geschichte gilt für jegliche »spätere« Geschichtsschreibung, bis heute.255 253 Dass er HCL (wie Anm. 12) nicht kannte oder zumindest nicht als Quelle nutzte, ist sehr wahrscheinlich, aber erstaunlich. Doch muss es auch in Riga, den Klöstern und Konventen der Schwertbrüder Aufzeichnungen aus dieser Zeit gegeben haben. Wie viel es tatsächlich gab und wie viel bis 1295 verloren gegangen war, wird leider im Dunkeln bleiben. 254 Angenommen, der Chronist hat ab 1280 an der RC (wie Anm. 6) gearbeitet, dann wären Zeitzeugen aus der Schwertbrüderzeit bereits etwa 70 Jahre alt gewesen. Dies bedeutet, dass die meisten mündlichen Berichte, die der Chronist in seine Dichtung einflicht (vor allem die Anekdoten), wohl aus zweiter/dritter Hand stammten. 255 Vgl. hierzu Hans-Werner Goetz, »Konstruktion der Vergangenheit«. Geschichtsbewusst-
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Deshalb kann dem Chronisten der RC kein Vorwurf gemacht werden, dass er die Ereignisse nicht so detailliert, chronologisch oder präzise wiedergegeben hat, wie wir uns dies vielleicht gewünscht hätten. Er wollte seinen Zuhörern die Geschichte der frühen Jahre des Ordens in Livland spannend erzählen, sie damit sicher auch zu ebensolchen »heroischen« Taten motivieren. Dies ist ihm bestimmt gelungen. Warum die RC in ihrer Darstellung so sehr auf die Kämpfe fixiert ist und nicht der Missionsgedanke, sondern der Schwertbrüderorden hier im Mittelpunkt steht, ist deutlich geworden (»aus dem Orden für den Orden«). Warum sie aber eine nur ganz zu Anfang vorhandene Harmonie zwischen den Schwertbrüdern und Bischof Albert beschwört, hat aktuelle Bezüge zu der Zeit ihres Entstehens. Volker Honemann beschreibt die Problematik um die Zeit von 1290/1295 treffend mit einem »Antagonismus der Territorialmächte, die einer übergeordneten Instanz entbehren«,256 der zwangsläufig auftreten musste, als die Kämpfe zwischen Deutschen und »Undeutschen«257 im Lande abflauten und es zu einem Machtkampf untereinander kam. Um dies einordnen zu können, ist es nötig, kurz auf die Situation in Livland um 1295 einzugehen, als die RC entstand. 1253 war Riga Erzbistum geworden unter Albert II. Suerbeer, das Erzbistum Bremen hatte sich letztendlich gegen das Erzbistum Magdeburg durchgesetzt. Die Stellung des Rigaer Bischofs gegenüber den anderen baltischen Diözesen war durch diese Erhebung zum Erzbistum zwar gestärkt, an den ständigen Konflikten mit dem Deutschen Orden änderte dies jedoch nichts. Die Stadt Riga war erstarkt und zum Drehkreuz der frühen Hanse und des Handels mit Nowgorod geworden.258 Der Deutsche Orden hatte weite Teile Preußens erobert und konzentrierte seine Aktivitäten nun auf das Baltikum. Allerdings hatten die Brüder inzwischen herbe Rückschläge im Bemühen um die weitere Ostexpansion hinnehmen müssen. Im Jahr 1242 hatte man in der Schlacht auf dem Peipussee gegen die russischen Fürstentümer eine Niederlage erlitten,259 ebenso im
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sein und »Fiktionalität« in der hochmittelalterlichen Chronistik, dargestellt an der Annales Palidenses, in: Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung, hrsg. Johannes Laudage (Europäische Geschichtsdarstellungen, 1), Köln, Weimar, Wien 2003, S. 225 – 257. Volker Honemann, Zu Selbstverständnis und Identitätsvorstellungen in der livländischen Geschichtsschreibung des Mittelalters, in: Geschichtsschreibung im mittelalterlichen Livland, hrsg. Matthias Thumser (Schriften der Baltischen Historischen Kommission, 18), Berlin 2011, S. 255 – 295, hier S. 294. »Undeutsch« – ein unglücklicher, in der älteren Forschung viel benutzter Begriff, der zwar nur den Unterschied der in Livland agierenden Gruppen beschreiben soll, aber durch die Vorsilbe (un-) den Eindruck einer negativen Wertung erzeugt. Riga war seit spätestens 1282 in der Hanse aktiv, vgl. Arbusow, Grundriß der Geschichte (wie Anm. 51), S. 37. Schirren, Vorlesungen (wie Anm. 13), 5. Vorlesung, S. 23, spricht im Zusammenhang mit
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Jahr 1260 an der Durbe gegen die Litauer. Die Retrospektive der RC auf die »glorreichen« Zeiten der Schwertbrüder wirkt wie der Versuch, einen Beitrag für die Zukunft des Ordens in Livland zu leisten. Ein weiteres Motiv war vielleicht das Problem des stetigen Abflauens der Zahl von Rittern, die bereit waren, nach Livland zu kommen.260 Da war es lebenswichtig, neue Brüder für den Deutschen Orden und besonders für dessen livländischen Zweig zu gewinnen. Hierzu musste die RC als eine Art »Chanson de geste« auch vor potentiellen Kandidaten, etwa an den Höfen der deutschen Fürsten, in den Klöstern und niederdeutschen Städten vorgetragen werden und nicht nur im Konvent des Deutschen Ordens als »Tischlesung«. Vielleicht interpretiert man aber auch zu viel in die Dichtung hinein, und es ging dem Chronisten einfach nur darum, die Heldentaten der Schwertbrüder für die Nachwelt aufzuzeichnen. Eine etwas andere Begründung gibt Arno MentzelReuters in seiner Analyse zum Zweck der RC – sie sei entsprungen aus dem Wunsch nach Unterhaltung, vergleichbar mit dem Hang der adligen Gäste nach Bordellen oder Bärenführern am Hof des Hochmeisters.261 Die Bandbreite der Vermutungen zur Intention des Chronisten zeigt die Schwierigkeit, eine schlüssige Indizienkette herzustellen, aus der sich Motive des Chronisten und der Zweck seiner Dichtung zweifelsfrei ableiten ließe.
Einschätzung der gewonnenen Erkenntnisse Die Geschichtsschreibung Livlands des 13. Jh.s unterlag den Gesetzmäßigkeiten der »Konstruierten Vergangenheit«, wie sie Hans-Werner Goetz zutreffend beschreibt.262 Besonders was aber die Unterschiede der zwei Chroniken (RC und HCL) betrifft, ist Einiges deutlich geworden. Es hat sich gezeigt, dass die Zeit der Missionierung Livlands und die Rolle der Schwertbrüder damals schon sehr polarisiert beschrieben, interpretiert und gewertet wurde, abhängig vom sozialen Umfeld und Stellung (Missionar oder Ordensbruder) des jeweiligen Chronisten. Die unterschiedliche Sichtweise überrascht nur in ihrer Dimension. Die Untersuchung hat eine weitere Erkenntnis erhärtet. Die »Missionierung« dieser Schlacht von »unentschiedenem Ausgang«, eine etwas patriotisch gefärbte Einschätzung. 260 Ebd., 5. Vorlesung, S. 22; Donner, Kardinal Wilhelm (wie Anm. 11), S. 75, spricht sogar von einem späteren vollständigen Versiegen. 261 Arno Mentzel-reuters, Bartholomaes Hoeneke – Ein Historiograph zwischen Überlieferung und Fiktion, in: Geschichtsschreibung im mittelalterlichen Livland, hrsg. Matthias Thumser (Schriften der Baltischen Historischen Kommission, 18), Berlin 2011, S. 11 – 58, hier S. 42 – 43. 262 Goetz, »Konstruktion der Vergangenheit« (wie Anm. 255).
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Livlands, die gemeinsam von Schwertbrüderorden, Missionaren und Kaufleuten getragen wurde, entpuppt sich bei näherer Betrachtung mehr und mehr in ihrem Fortgang als eine schlichte Unterwerfung der baltischen Stämme unter fremde Oberherrschaft.263 Was entstand, war eine Kolonie mit einer deutschen Oberschicht und »unterworfenen« Stämmen. Natürlich hatten die Missionare ernsthafte Christianisierung im Sinn, dies bleibt unbestritten. Bischof Albert und die Missionare waren, neben ihren ganz sicher ehrenhaften Bestrebungen, die heidnische Bevölkerung zum Christentum zu bekehren, in gewisser Weise aber auch Spielball der Päpste, die bestrebt waren, in Livland eine Art »Kirchenstaat« entstehen zu lassen.264 Ein Indiz hierfür ist die Weigerung der Päpste, Bischof Albert von Riga zum Erzbischof zu weihen, aber auch die Einsetzung des Legaten Wilhelm von Modena als »Moderator«. Die Päpste strebten in Livland wahrscheinlich ein Machtgleichgewicht zwischen Bischof Albert und dem Schwertbrüderorden an, das sie in der Schiedsrichterrolle ließ. Hartmut Kugler bemerkt treffsicher : »Papst, Kaiser, Fürsten und Bischöfe, die Hanse, deutsche, russische, dänische, schwedische Potentaten – sie alle […] sind auf dem Spielbrett der ›Livländischen Reimchronik‹ zu kleinen, nachgeordneten Spielsteinen geschrumpft.«265 Doch nicht der Schwertbrüderorden, wie die RC es darstellt, sondern Bischof Albert war ohne Zweifel durch seine unermüdliche Reisediplomatie und das stetige Anwerben neuer Kreuzfahrer der Motor der Christianisierung. Dass er hierbei zunehmend auf die Hilfe der Schwertbrüder angewiesen war, steht außer Frage. Wieweit er selbst Spielball der europäischen Mächte und der Kurie war oder durch sein Verhalten Verursacher vieler Streitigkeiten und Entwicklungen in Livland, lässt sich mit absoluter Sicherheit nicht sagen.266 Dass er in der RC nur ein einziges Mal namentlich erwähnt wird – dann allerdings äußerst positiv –, ist ein Indiz dafür, dass die RC bestrebt ist, seine Rolle wie auch die der Missionare und anderen Bischöfe267 im Vergleich zu den Schwertbrüdern geringfügiger darzustellen. Dem Schwertbrüderorden war, besonders zu Beginn, neben dem eigenen Seelenheil (z. B. durch den Märtyrertod) der Schutz der Pilger, Missionare und Kaufleute im fremden Gebiet sicher ein wichtiges Anliegen. Was jedoch aus 263 Diese Erkenntnis ist natürlich nicht neu, lediglich der Grad von Missionierung/Eroberung ist strittig. 264 Auch »Marienstaat«, vgl. Arbusow, Grundriss der Geschichte (wie Anm. 51), S. 17; auch Selart, Livland und die Rus’ (wie Anm. 190), S. 83; ebenso Gnegel-waitschies, Bischof Albert (wie Anm. 89), S. 145 f. 265 Kugler, Über die Livländische Reimchronik (wie Anm. 16), S. 92. 266 Seine wechselnden Allianzen mit dem dänischen König und den deutschen Herrschern zeigen dies, Donner, Kardinal Wilhelm (wie Anm. 11), S. 217. 267 Auch Theoderich von Treiden, der eine wesentliche Rolle bei der Gründung des Schwertbrüderordens gespielt haben soll, findet in der RC (wie Anm. 6) keine Erwähnung, vgl. Kugler, Über die Livländische Reimchronik (wie Anm. 16), S. 90.
Die Darstellung des Schwertbrüderordens
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diesem ursprünglichen Anliegen im Verlauf der Jahre bis 1237 wurde, war etwas ganz anderes. Benninghoven schreibt in seinem Fazit, dass der Schwertbrüderorden »dem Missions- und Schutzgedanken, aus dem er anfangs berufen wurde, treu geblieben ist bis zum Ende«.268 Doch dies ist eine etwas zu unkritische Beschreibung vom Wirken des Ordens in seinen späteren Jahren. Was zu Beginn der Mission noch eine klar definierte Schutzfunktion war, entwickelte eine Eigendynamik, wobei es zunehmend zu einem Kampf um Macht, Landverteilung sowie die Beherrschung des eroberten Gebietes und der dortigen Bevölkerung kam. Dies hat in der RC (bewusst?) keinerlei Ausdruck gefunden, im Zentrum steht dort überwiegend der Kampf des Ordens mit den Stämmen. Der Schutz der wachsenden christlichen Gemeinde war sicher nach wie vor ein zentrales Anliegen des Ordens, doch die Waagschale neigte sich mit den Jahren zusehends in Richtung Eroberung und Landbesitz. Auch die Wünsche und Vorstellungen der einheimischen Bevölkerung (ob schon christianisiert oder nicht) spielten hierbei wohl nur eine untergeordnete Rolle, die RC sieht diese meist antagonistisch, entweder als (böse) Heiden, die bekämpft werden mussten, oder als (gute) Bekehrte, die dann im Kampf als Hilfstruppen bei neuen Eroberungen dienen konnten.269 Der Schwertbrüderorden, dessen Anteil an der Christianisierung überwiegend darin bestand (so jedenfalls die RC), Schlachten zu schlagen und Gebiete zu erobern, wird 1295 in der Dichtung als »vergangene Glorie« wahrgenommen, die dazu diente, die »neuen« Ordensbrüder des Deutschen Ordens bzw. dessen livländischen Zweiges an die ruhmreiche Vergangenheit ihrer Vorväter zu erinnern. Die Rolle dieses »Nachfolgeordens« in Livland ist dann eine ganz andere als die der Schwertbrüder. Nicht mehr Eroberung oder Schutz der Mission stand im Mittelpunkt der Aktivitäten, sondern (nach der Neuordnung im Vertrag von Stensby) die Verteidigung der erworbenen Gebiete (z. B. gegen die Rus’) und Behauptung der eigenen Stellung neben den anderen Mächten, die in Livland agierten. Hier war die erstarkte Stadt Riga mit ihren Bürgern hinzugekommen. Die Beantwortung der am Anfang gestellten Frage, was die RC denn nun sei, Ordenschronik, Missionsgeschichte oder nur »Kriegstagebuch«, lässt sich am besten dadurch beantworten, dass man deutlich macht, was sie eben nicht ist (und wohl nie sein wollte). Für eine Ordenschronik fehlen wesentliche Wendepunkte. Für die Missionsgeschichte fehlt die Beschreibung vom Fortgang der Mission. Ein »Kriegstagebuch« ist die RC aber ebenso wenig, denn sie zeigt keine Entwicklung der Konflikte, zu der auch wiederholte Schlachten und Rückschläge 268 Benninghoven, Der Orden (wie Anm. 19), S. 384. 269 Zu Anfang wurden allerdings auch noch nicht getaufte/christianisierte Stämme wie die Semgallen als Verbündete im Kampf akzeptiert. Vgl. Gnegel-waitschies, Bischof Albert (wie Anm. 89), S. 167.
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gehört hatten. Die RC löst diese Schlachtenbeschreibungen aus der Chronologie, indem sie lediglich Schlacht an Schlacht reiht, in der Reihenfolge beinahe beliebig austauschbar. Von allem Vorgenannten ist die RC demnach ein wenig, hauptsächlich aber ist sie ein Hohelied auf den Orden und seine Werte und Erfolge, ein Epos von großen Taten des Schwertbrüderordens, seiner Meister und seiner Ritter.270 Warum es so wichtig war, auch 1295 noch diese Taten zu verherrlichen, ist deutlich geworden. Es ging darum, eine glorreiche Vergangenheit zu beschwören, in dessen Mittelpunkt der Schwertbrüderorden stand. Dies diente zur Erbauung der Ritterbrüder des Deutschen Ordens und darum, möglicherweise für die Zukunft neue Mitglieder anzuziehen, denen diese »glorreiche« Vergangenheit Motivation und Antrieb sein sollte, diesen Vorfahren nachzueifern. Dass die episodenhafte Struktur hierbei beim Vortragen von Vorteil war, liegt auf der Hand, korrekte Annalistik, größere Detailvielfalt oder Ausgewogenheit der Berichterstattung wären hierbei von Nachteil gewesen. Die RC sollte den Brüdern des Deutschen Ordens Rüstzeug und Ansporn sein, ihnen deutlich machen, wie ruhmreich die Schwertbrüder gekämpft hatten, und nach 1237, wie ruhmreich ihre eigene Vergangenheit bis hierhin gewesen war. Dies war ihr Anspruch, und diesem ist sie sicher gerecht geworden. Dass sie (fälschlich) als Chronik der Missionierung eingeordnet wurde271 und als solche weniger wert erscheint als beispielsweise HCL, liegt auch am Missverständnis des Satzes: »N will ich machen ch bekannt, wie der christentm ist komen z Niefland, als ich hn vernomen von allen wsen lten.«272 Das Missverständnis liegt allerdings beim heutigen Betrachter, nicht beim Chronisten, dieser war sicher überzeugt, genau diese Geschichte aufgeschrieben zu haben. Abstract: The knight’s order, the Livonian Brothers of the Sword, was established around 1202 in order to support the crusade and the Christian missionary work to Livonia in the Baltic region. This order vanished in 1237, when it was integrated into the Teutonic Order. Despite their short-lived existence the Swordbrothers played a major role in the Baltic region, when the missionary work and crusade to Livonia gained momentum after Riga’s foundation as a bishopric by Albert of 270 Dies gilt natürlich nur für den hier untersuchten Teil, der sich mit den Schwertbrüdern befasst, eine Wertung der weiteren Dichtung wird sicher andere Ergebnisse zeigen. 271 Der Name »Livländische Reimchronik« ist das erste Missverständnis in dieser Kette. In einem Vorsetzblatt der Edition der Reimchronik von Franz Pfeiffer aus dem Jahre 1844 steht: Der Riterlichen Meister und Bruder zu Niefland geschicht, wie sie von wegen des christenglaubens […] mitt den heiden gott zur ere, ihnen zur selen seligkeit gefochten haben.« Dieser Satz trifft es besser als andere Versuche, die Chronik in das Korsett einer Bezeichnung zu pressen. 272 RC (wie Anm. 6) Verszeilen 120 – 123.
Die Darstellung des Schwertbrüderordens
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Buxhoeveden in 1201. The activities of the Swordbrothers in Livonia and their role during the Livonian conquest from 1202 until 1237 are discussed in this essay. Not only the Swordbrothers’ perspective is examined in the contemporary sources, but also the description of their activities in the Livonian Rhymed Chronicle. This chronicle is a work of poetry produced around 1295 and relates to the period of around 60 years after the end of the order. In what ways does the chronicler’s retrospective perception differ from the depiction of these episodes in contemporary sources and what might be the reasons for the discrepancies?
Mathias Dewald
Der Baphomet der Templer
Die Templer sind heute vielfach in den Medien präsent. Ihre Geschichte ist Thema zahlreicher Publikationen, Dokumentationen, Spiele, Filme etc., und wenn sie nicht selbst im Zentrum der Handlung stehen, spielen sie zumindest im Hintergrund eine wesentliche Rolle. Dabei erscheint häufig ein mit dem Namen Baphomet belegtes Kopfidol, das die Templer verehrt haben sollen. Tatsächlich kommt zwar ein Baf(f)omet(us) in den Prozessakten vor, aber nur in Südfrankreich und dort nur an ganz wenigen Stellen. Die enge Verbindung des Ordens mit der Verehrung des Baphomet lässt sich vielmehr erst dem Aufkommen des Logenwesens im 18. Jh. zuschreiben. Die Freimaurerlogen waren das stärkste Sozialinstitut des 18. Jh.s und standen deshalb stark im Fokus der öffentlichen Diskussion und Aufmerksamkeit.1 Die ersten Logen, die in Schottland gegründet wurden und als Modell für die meisten anderen Logen funktionieren, legitimierten ihre diversen Ansprüche unter anderem dadurch, dass sie sich in die Tradition der Tempelritter stellten. Sie verfestigten diese Ansprüche durch Titel innerhalb der Loge, die an die Titel innerhalb des Templerordens angelehnt waren, wie zum Beispiel der Titel des Großmeisters, und durch ein ähnliches, aber geheimes Aufnahmeritual.2 Die katholische Kirche, die dem Ganzen kritisch gegenüberstand, verdammte die Freimaurerlogen bereits 1738 durch Papst Clemens XII. mit der päpstlichen Bulle In eminenti apostolatus specula.3
1 So Christoph Dette, Zur Rezeptionsgeschichte der Templer seit dem 18. Jahrhundert, in: Vergangenheit und Gegenwart der Ritterorden. Die Rezeption der Idee und die Wirklichkeit, hrsg. Zenon Hubert Nowak, Roman Czaja (Ordines militares, 11), Torun´ 2001, S. 211 – 228, hier S. 213. 2 Ebd., S. 214. 3 Klaus Kottmann, Die Freimaurer und die katholische Kirche. Vom geschichtlichen Überblick zur geltenden Rechtslage (Adnotationes in ius canonicum, 45), Frankfurt a. M. 2008, S. 150. Der Text der päpstlichen Bulle wirft die Frage auf, warum diese Vereinigungen das Licht so sehr scheuen, wenn diese nichts Böses im Sinn hätten. Der vierte Absatz der Bulle erläutert das Verbot jeglicher Unterstützung der Freimaurer unter Androhung der Exkommunikation.
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In der Bevölkerung sorgten sowohl dieser Bannfluch als auch die Geheimhaltung der verschiedenen Logen gegenüber der Öffentlichkeit für die wildesten Spekulationen. Angetrieben durch einige aus der Gemeinschaft der Freimaurer Ausgeschlossene festigte sich alsbald das Gerücht, die Freimaurer huldigten einem Dämon, nämlich dem Dämon, den seinerzeit bereits die Templer angebetet hätten. Dadurch, dass der Name des Dämons, Baphomet, noch nicht sonderlich geläufig war, umgab ihn, als diese Information von den abtrünnigen Logenmitgliedern verbreitet wurde, der Hauch des Geheimnisvollen, und somit war es klar, dass dieser aus den Geheimlehren der Freimaurer entsprungen sein musste.4 Diese Geheimlehren wiederum basierten aber angeblich, wie die gesamte Tradition des Logenwesens, auf dem Wissen und den Bräuchen der Templer. Damit war die Verbindung zwischen dem Baphomet und den Templern über die in der Tradition der Templer stehenden Freimaurer geschaffen. Dieser Beitrag soll daher die Grundlagen des Vorwurfs untersuchen, die Templer hätten eben dieses Götzenbild namens Baphomet angebetet und wären damit vom Glauben an Gott abgefallen. Angesichts der Tatsache, dass die allgemein gültige Benennung des Idols erst aus dem 18. Jh. stammt, während sie in den Akten kaum nachzuweisen ist, soll zum einen gefragt werden, wie es zu diesem Namen gekommen ist. Zum anderen wird ein Hauptaugenmerk auf den Beschreibungen und den dem Idol nachgesagten Kräften liegen. Dazu sollen die Prozessakten daraufhin analysiert werden, was die verhörten Templer und deren Gefolgsleute zum Vorwurf der Idolatrie aussagten. Wenn es keine Götzenanbetung in den Reihen der Templer gab, stellt sich die Frage, warum einige Templer dies aussagten und worauf sich diese teilweise sehr ähnlichen Aussagen gründeten. Ein weiterer Aspekt wird sein, welche zumeist weit nach dem Ende des Templerordens aufgestellten Theorien sich hauptsächlich in den Reihen der pseudo-wissenschaftlichen und Verschwörungstheorien anhängenden Gruppierungen entwickelten. Ausgangspunkt ist aber zunächst ein Blick auf die Bedeutung der Idolatrie im Mittelalter, um die Schwere der Anklage des Götzendiensts innerhalb der Reihen der Templer zu erkennen.
Die Haltung der katholischen Kirche gegenüber den Freimaurern hat sich bis heute nicht geändert. 4 S. dazu Anm. 49. Die namhaftesten Gegner der Freimaurerei waren L¦o Taxil, J. HammerPurgstall und J. Freiherr von Starck.
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Idolatrie im Mittelalter Der Vorwurf der Götzenanbetung hatte in der mittelalterlichen Gesellschaft schweres Gewicht. Das zweite Gebot verbietet ausdrücklich die Anfertigung von wie auch immer gearteten Gottesbildern und deren Verehrung.5 Auch wenn dieses Bilderverbot bereits seit dem Anfang des 7. Jh.s nicht mehr allzu strikte Anwendung fand, da man innerhalb der katholischen Kirche die Abbildungen als geeignetes Mittel sah, um der ungebildeten Bevölkerung die Bibel und deren Inhalt näher zu bringen, war es jedoch noch immer strikt verboten, Bildnisse anderer Götter anzufertigen und diese zu verehren. Immerhin ging man im Allgemeinen davon aus, dass Götzenbilder als Aufenthaltsorte für das Böse galten. Es herrschte der Glauben vor, dass solche Idole nicht nur leblose Objekte oder geistige Täuschungen waren, sondern das Werk oder die Heimstatt von Dämonen darstellten und diesen realen Zugang in die Welt ermöglichen könnten. In diesem Zusammenhang darf man nicht vergessen, dass das Böse für die Menschen im Mittelalter real und keine abstrakte Idee war und als solches auch einen realen Körper besaß, der sich irgendwo aufhalten musste.6 Für die christliche Gemeinschaft war Idolatrie folglich immer verdammenswert. Götzenverehrung wurde so grundsätzlich von den »Anderen« betrieben, denen das »Wissen um die Wahrheit fehlte«.7 Die Idolatrie galt als Abgrenzungskriterium. Wer sie betrieb, wurde immer zugleich verdächtigt, einer häretischen Gruppierung anzugehören. So entwickelte sich Idolatrie zu einem Kampfbegriff und wurde zur Abwertung anderer religiöser Gruppen benutzt.8 Man wollte sich damit von den »Anderen« abgrenzen und deren religiöse und kulturelle Unterlegenheit demonstrieren. Zu den »Anderen« zählten in den Köpfen der abendländischen Bevölkerung auch die Muslime, welche die Templer seit fast 200 Jahren bekämpften.9 Die Abwertung wurde dadurch begründet, dass die Götzenverehrung ein Relikt aus vergangener Zeit war. Das »Alte« galt dabei aber nicht als das Ursprüngliche und Eigentliche, sondern als Argument für die 5 »Du sollst dir kein Gottesbildnis machen, das irgendetwas darstellt am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.« Dtn 5,8, in: Die Bibel, Altes und Neues Testament, Einheitsübersetzung, hrsg. im Auftrag der Bischöfe Deutschlands, Freiburg im Breisgau u. a. 2006. 6 Michael Camille, The Gothic Idol. Ideology and Image-making in Medieval Art (Cambridge new art history and criticism), Cambridge 1989 (ND Cambridge 1995), S. 63 – 64. 7 Ebd., S. XXV. 8 Thomas Lentes, Idolatrie im Mittelalter. Aspekte des Traktates ›DE IDOLATRIA‹ zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert, in: Frömmigkeit, Theologie und Frömmigkeitstheologie. Contributions to European church history. Festschrift für Berndt Hamm zum 60. Geburtstag, hrsg. von Gudrun Litz, Heidrun Munzert, Roland Liebenberg (Studies in the history of Christian traditions, 124), Leiden 2005, S. 31 – 45, hier S. 35. 9 Camille, Idol (wie Anm. 6), S. XXIX.
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von den Christen »überwundene Zeit des Paganismus«.10 Der Verdacht der Idolatrie deutet damit also nicht nur auf das Abweichen vom rechten Glauben, sondern auch auf kulturelle und religiöse Unterlegenheit, nämlich den Rückfall in eine von der Christenheit bereits hinter sich gelassene Epoche hin.11 Die Christen fühlten sich den Götzenverehrern überlegen und verurteilten deren Praktiken. Der Klerus unterschied zwar im Fall einer Verehrung von Götzen, ob die Anbetenden daran glaubten, dass die angebetete Gottheit in den Idolen anwesend sein, oder ob sie die Götzen nur als Erinnerung an ihre Götter benutzten, was prinzipiell der Heiligenverehrung innerhalb der christlichen Kirche ähnelte, doch im einfachen Volk machte dieses keinen Unterschied. Auch die Berufung auf die Heiligenverehrung durch deren Abbilder innerhalb der katholischen Kirche hatte in einem Prozess als Verteidigungsstrategie keine Aussicht auf Erfolg, da es sich bei Götzen immer noch um falsche Gottheiten handelte, die angebetet wurden. Die Aussage, die Idolatrie sei eine durch das Christentum überwundene Religionsstufe findet sich auch in der Argumentation Bernardins von Siena aus dem frühen 15. Jh. Danach gab es im Paradies keine Idolatrie, weil die göttliche Schöpfung noch präsent war ; sie entstand vielmehr erst mit dem Sündenfall. Im sechsten Zeitalter wurde sie dann per virtutem et doctrinam Christi beseitigt, da Christus den Teufel besiegte.12 Idolatrie steht damit im direkten Zusammenhang mit dem Einfluss des Teufels auf die Menschen, und wer sie praktiziert, steht im Verdacht, dem rechten Glauben abgeschworen zu haben. Ein Christ, der sich aufgrund seiner eigennützigen Ziele Götzen hingab, grenzte sich selbst von der christlichen Gemeinschaft aus und entfernte sich von den Kindern Gottes.13 Anbeter von Idolen übten folglich unzeitgemäße und häretische Praktiken aus.14 Die weltlichen Strafen, die sie erwarteten, waren Kerker oder Feuertod. Die Frage, warum die Templer ein Idol hätten verehren sollen, lässt sich einfach beantworten. Es hieß, dass die Götter, Dämonen oder Teufel, die durch diese Idole verehrt würden, ihren Anhängern magische Kräfte oder materielle Dinge gewähren würden. Einige Templer wurden 1309 in Clermont nach 17 Punkten befragt, die in Zusammenhang mit dem Idol standen. Danach hätten die Idole die Form eines Kopfes gehabt, einige mit drei Gesichtern, andere mit einem menschlichen Antlitz, und seien als Gott oder Retter verehrt worden. Die Brüder hätten angeblich daran geglaubt, das Idol würde sie erretten und wäre die Quelle ihres Reichtums. So bringe das Idol die Bäume zum Blühen und die
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Lentes, Idolatrie (wie Anm. 8), S. 37. Ebd. Ebd., S. 39 (dort auch das Zitat). Peter Partner, The Murdered Magicians. The Templars and Their Myth, Oxford 1982, S. 46. Lentes, Idolatrie (wie Anm. 8), S. 40.
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Pflanzen zum Sprießen.15 Gerade die Erwähnung des durch die Einlassung mit finsteren Mächten erlangten Reichtums macht deutlich, dass der Neid auf den Wohlstand und die Stellung des Templerordens ein mögliches Motiv für diesen Vorwurf darstellt. Die anderen Attribute, die dem Idol zugesprochen werden, können grob der Tradition der mittelalterlichen Magie und Hexerei zugeordnet werden. Den Naturzauberern wurden ähnliche Kräfte nachgesagt.16 Die Vorwürfe stellten die Templer als Hexer dar und sorgten dafür, dass die Bevölkerung, von deren Unterstützung die Templer abhängig waren, ihnen immer misstrauischer gegenübertrat.17
Der Baphomet in den Prozessakten Wendet man sich dem Vorkommen des Idols in den Prozessakten zu, muss zunächst nach der Lokalisierung des Baphomet gefragt werden, um zu untersuchen, ob es wirklich ein solches Idol mit dem Namen gab, oder wie die Verbindung zwischen dem Götzen und dem Wort Baphomet entstanden ist. Da die Aufnahmezeremonien, bei denen das Idol angebetet worden sein soll, im Geheimen abgehalten wurden, war es für Außenstehende schwer zu wissen, was dort wirklich vor sich ging. Deshalb handelte es sich häufig um Berichte aus zweiter, dritter oder gar vierter Hand. Viele der Angeklagten erwähnten geheime Zusammenkünfte, gaben aber auch fast alle zu, dass sie daran nicht teilnehmen durften.18 Die Glaubwürdigkeit solcher Aussagen ist folglich zweifelhaft, zumal sie durch die Folter im Sinne der Inquisition und zu Ungunsten der Templer beeinflusst sind.19 Die Vehemenz der Anklagen reflektiert gleichzeitig immer auch die damalige Sicht auf den Orden. Als Beispiel sei erwähnt, dass die Anschuldigungen in England, wo man die Templer als reiche Landbesitzer wahrnahm, weitaus schwerwiegender waren, als auf Zypern, wo man die Templer noch als Kämpfer gegen die Muslime wahrnahm und ihnen eher wohlgesonnen war.20 15 The Templars. Selected sources, übers./komm. Malcolm Barber, Keith Bate (Manchester medieval sources series), Manchester 2002, S. 275 – 276. 16 Partner, Magicians (wie Anm. 13), S. 67. 17 Helen Nicholson, The Knights Templar. A New History, Stroud 2001, S. 210 – 214. 18 Vgl. dazu die populärwissenschaftliche Darstellung bei Louis Charpentier, Macht und Geheimnis der Templer. Bundeslade, Abendländische Zivilisationen, Kathedralen, Freiburg im Breisgau 31991, S. 234. 19 S. Johannes Fried, Wille, Freiwilligkeit und Geständnis um 1300. Zur Beurteilung des letzten Templergroßmeisters Jacques de Molay, in: Historisches Jahrbuch 105 (1985), S. 413 – 414. 20 Alan Forey, The Military Orders from the Twelfth to the Early Fourteenth Centuries, Toronto 1992, S. 234.
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Zum Idol gibt es nur wenige genaue Aussagen von Gefangenen. Die meisten Verhörten machten gar keine Angaben dazu, während die Anderen aussagten, dass sie gehört hätten, es gebe möglicherweise ein caput ultra mare, oder dass sie überhaupt erst nach der Verhaftung von Idolen erfahren hätten.21 Überhaupt muss betont werden, dass die Anklage bezüglich des Idols sehr vage gehalten war.22 Es fehlen jegliche Hinweise darauf, wen dieses Idol darstellen sollte und woher es stammte. Ziel der Anklage kann nur gewesen sein, den gesamten Orden des Götzendienstes zu bezichtigen.23 Die Ankläger hatten offenbar selbst keine genauen Vorstellungen vom Idol, die Anklage der Idolatrie erscheint somit aus der Luft gegriffen und gegenstandslos. Die Aktennotiz, ein Templer wäre, obwohl er die Götzenanbetung zunächst unter Folter abstritt, zu mehreren weiteren Gelegenheiten gefoltert und nach dem Idol befragt worden, bis er seine Schuld endlich eingestand, zeigt die Methode der Verhörenden, mit der ein Geständnis der Götzenanbetung erwirkt werden sollte.24 Tatsächlich wussten aber die meisten der Verhörten zu diesem Punkt keine Angaben zu machen.25 Iohannis de Cassanhis berichtete im November 1307 in Carcassonne von einer Statue aus Messing, quoddam ydolum de auricalco in figura hominis […],26 und auch ein Stein, lapidea altaris, wird als angebetetes Objekt aufgeführt.27 Das Idol nimmt also in den verschiedenen Verhören verschiedene Formen an und lässt somit keinen Schluss auf ein gemeinsames Vorbild zu. 21 Anke Krüger, Das Baphomet Idol. Ein Beitrag zur Provenienz der Hauptvorwürfe gegen den Templerorden in: Historisches Jahrbuch 119 (1999), S. 122. 22 Barber, Bate, The Templars (wie Anm. 15), S. 275 – 276. Siebzehn Fragen bezüglich des Idols lassen sich dort finden. Allesamt sind äußerst vage formuliert und erinnern unter anderem an die Anklagen gegen Papst Bonifatius VIII. einige Jahre zuvor. Es ging den Befragern zunächst also nur darum, den Templern irgendeine Art von Götzenanbetung nachzuweisen und somit bietet sich natürlich viel Spielraum für die jeweilige Interpretation der Befragenden. 23 Bernd-Ulrich Hergemöller, Krötenkuss und schwarzer Kater. Ketzerei, Götzendienst und Unzucht in der inquisitorischen Phantasie des 13. Jahrhunderts, Warendorf 1996, S. 384. 24 Riley-Smith, Jonathan, Were the Templars guilty?, in: The Medieval Crusade, hrsg. Susan J. Ridyard (Sewanee medieval studies, 14), Woodbridge 2004, S. 107 – 124, hier S. 113; Der Untergang des Templerordens, hrsg. Konrad Schottmüller, 2, Berlin 1887 (ND Wiesbaden 1970), S. 48. Interrogatus si fuit tormentatus post captionem suam, dixit quod sic pluries, quia licet omnia predicta confessus fuisset in primo tormento statim, tamen querebatur ab eo alia, que omnia ignorabat sicut et de ydolo et de aliis […]. 25 […] Nisi postquam fuerunt lecte littere papales […] quod fratres Templi erant in multis criminibus diffamati. Schottmüller, Untergang (wie Anm. 24), S. 155; […] se nihil aliud scire; ebd., S. 20; […] se nihil scire nec audivisse loqui […]; dixit, quod non […], ebd., S. 20 und 30. Die Liste könnte an der Stelle noch weiter ausgeführt werden. Es geht aber nur darum zu zeigen, dass ein Großteil der Befragten nichts von einem Idol und dessen Anbetung wusste. 26 Papsttum und Untergang des Templerordens, hrsg. Heinrich Finke (Vorreformationsgeschichtliche Forschungen, 5), 2, Münster 1907, S. 322. 27 Schottmüller, Untergang (wie Anm. 24), S. 92.
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Allerdings beziehen sich die meisten Angaben, die zum Idol gemacht wurden, auf ein Kopfidol. Wie lässt sich das erklären? Bedenkt man, dass die Geständnisse unter Folter erzwungen wurden, so ist es nicht verwunderlich, dass sich die Verhörten zu einer Aussage hinreißen ließen, um der Folter zu entkommen. Allerdings müssten so die verschiedensten Aussagen entstehen. Wenn dabei aber immer wieder ein Kopf und nicht beispielsweise die vollständige Statue einer Person erwähnt wird, folgt das daraus, dass, wie in den Prozessakten vermerkt, häufig bereits nach einem Kopf gefragt wurde.28 Die häufigste Aussage zum Kopfidol, die oft in stereotyper Form wiederholt wird, war die, es befände sich jenseits des Meeres (ultra mare).29 Dies deutet darauf hin, dass auch die verhörten Brüder keinen direkten Bezug oder gar Kontakt zu einem Idol gehabt hatten, aber versuchten, den Folterknechten irgendeine Art von Antwort zu geben, die für sie selbst nicht weiter verfänglich war. Im Jahr 1309 sagten dies in Clermont sogar 29 von 40 Befragten aus.30 Doch auch die Beschreibungen des Kopfidols variieren erheblich.31 In nur wenigen 28 Ebd., S. 20. Interrogatus de capite [seu ydolo et] aliis, de quibus dicti fratres ordinis sunt diffamati, dixit se nichil aliud scire […]. 29 Hergemöller, Krötenkuss (wie Anm. 23), S. 349. 30 Nach den Angaben bei Krüger, Baphomet (wie Anm. 21), S. 122. 31 Das Idol erscheint als schwarzer Männerkopf, Schottmüller, Untergang (wie Anm. 24), S. 28: Quoddam ydolum valde turpe et nigrum, habens formam capitis humani; oder auch bei Finke, Papsttum (wie Anm. 26), S. 354: quoddam ydolum sive caput nigrum, erat ibi in quadam banca. Auch leuchtende Augen soll das Idol gehabt haben, Schottmüller, Untergang (wie Anm. 24), S. 92: Nigram quondam figuram cum occulis lucentibus. Das Idol wird auch als weißer Kopf mit Bart beschrieben, ebd.: Quod videbatur caput album cum barba […]. In Poitiers 1308 taucht eine genauere Beschreibung auf, Finke, Papsttum (wie Anm. 26), S. 335: Capud carneum a sumpnitate capitis usque ad nodum colli cum capillis canis sine aliquo auri vel argenti tegumento facies vero carnea et sibi videbatur multum livida et decolorata cum barba immixta cum albis et nigris pilis similis aliis Templariorum barbis. Diese doch sehr eindeutige Beschreibung erinnert, so Hergemöller, am ehesten an das Reliquiar des Kopfes von Johannes dem Täufer. Dieser wurde im Templerorden hoch verehrt, s. Hergemöller, Krötenkuss (wie Anm. 23), S. 385. Aufgrund dessen ist es gut möglich, dass sich ein solches Reliquiar im Besitz der Templer befand, es hatte aber keine Verbindung zum gesuchten Baphometidol. In England werden vier verschiedene vergoldete Idole vermutet, Schottmüller, Untergang (wie Anm. 24), S. 92: […] quod quatuor ydola erant in Anglia principalia. Aus den vier verschiedenen Idolen wurden an anderer Stelle Götzenbilder mit mehreren Gesichtern. Zumeist handelte es sich um drei Gesichter, um einen Bezug oder Gegensatz zur Dreifaltigkeit heraufzubeschwören, Schottmüller, Untergang (wie Anm. 24), S. 69: caput seu idolum, in quo erant tres facies, ebd., S. 70: unum caput, in quo errant tres facies; ebd., S. 90: ydola,, videlicet capita, quorum aliqua habebant tres facies et aliqua unum et aliqua habebant craneum humanum […]. Andere schreiben dem Idol mehrere Gesichter zu, Finke, Papsttum (wie Anm. 26), S. 344: et quod […] duas facies et duo cornua parva habebat; ebd., S. 345: ydolum sive caput, quod erat ibi in quadam fenestra quodque habebat duas facies. Andere beharrten aber darauf, dass das Idol nur ein Gesicht gehabt hätte, Finke, Papsttum (wie Anm. 26), S. 346: sed in quoddam ydolum sive caput, quod erat ibi presentialiter in quaddam fenestra et habebat tantum unam faciem. Auch vier Füße werden dem Idol zugesprochen, s. Le dossier de l’affaire des Templiers, hrsg. Georges
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Protokollen ist das Idol namentlich benannt, und der Name Baphomet/Baffomet ist nur selten in den Akten belegt. Man findet die Bezeichnung zweimal in einem Protokoll aus Carcassonne aus dem November 1307: Esse factam in figuram baffometi,32 und figura baffometi […] obsculando sibi pedes, dicens Yalla, verbum Sarracenorum […].33 Deutlich wird, dass es nur wenige Gemeinsamkeiten in den verschiedenen Aussagen zum Idol gab. Viele Templer hatten entweder noch nie davon gehört, und selbst die Aussagen über ein Haupt variieren so stark, sodass es unwahrscheinlich ist, dass es jemals ein Idol gab, das angebetet wurde. Wenn die Verhörten unter schwerer Folter die Fragen nach einem Kopfidol mit ihren Mitteln zu beantworten suchten, um den Qualen zu entgehen,34 erklären sich daraus nicht nur die Unterschiede in der Beschreibung, sondern auch der Versuch, in der Erinnerung nach möglichen Legenden zu suchen, die mit Idolen zusammenhingen und in dieser Zeit bekannt waren. Tatsächlich wird man schnell an zwei Stellen fündig, die sich in den Templerakten finden; beide Erzählungen sind in der Edition Michelets dokumentiert.35 Sie sollen nur in kurzer Form dargestellt werden, um den Zusammenhang zu den Aussagen der Verhörten deutlich zu machen. Die erste Erzählung handelt von einem Herrn aus Sidon, der sich in eine Frau aus Armenien verliebte. Zu Lebzeiten konnte er sie nicht für sich gewinnen, aber als sie verstorben war, suchte er ihr Grabmal auf und vereinigte sich mit ihr. Darauf hörte er eine Stimme, die ihm mitteilte, dass er sich später erneut einfinden solle, um seinen Sohn, ein Haupt zu finden. Er kehrte nach besagter Zeit
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Lizerand (Les classiques de l’histoire de France au moyen ge, 2), Paris 1923, S. 42: […] caput habebat quatuor pedes, duos ante ex parte faciei et duos retro. Trotz der Tatsache, dass es sich bei den Beschreibungen um Kopfidole handelt, gibt es auch innerhalb dessen weit reichende Variationen. Schon die Farbe des Kopfes scheint nicht eindeutig bestimmbar zu sein, und auch die Frage nach eventuellen Verzierungen kann nicht eindeutig geklärt werden. Sowohl die Anzahl der Gesichter, die zwischen einem und drei Gesichtern schwankt, als auch die Frage, ob das Idol Hörner oder Füße hatte, bleibt ungeklärt. Die Verhöre in Carcassonne förderten zutage, dass das Idol von einigen als Dämon erachtet wurde, Finke, Papsttum (wie Anm. 26), S. 322: Interrogatus diligenter de ydolo […] quo nomine vocabatur, dixit, quod sibi videtur, quod demon, aliter nescit […]. Quem representabat, dixit se nescire […]; Le procÀs des Templiers, hrsg. Jules Michelet, 2 (Collection de documents in¦dits sur l’histoire de France publi¦s par ordre du roi et par les soins du ministre de l’instruction publique: S¦rie 1, Histoire politique, 20,2), Paris 1851, S. 364: figura cujusdam demonis, dicendo gallice d’un mauf¦ […]. Finke, Papsttum (wie Anm. 26), S. 323. Ebd. Hergemöller, Krötenkuss (wie Anm. 23), S. 385. Le procÀs des Templiers, hrsg. Jules Michelet, 1 (Collection de documents in¦dits sur l’histoire de France publi¦s par ordre du roi et par les soins du ministre de l’instruction publique: S¦rie 1, Histoire politique, 20,1), Paris 1841, S. 645 – 646; Michelet Templiers (wie Anm. 31), S. 233 – 234.
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zurück und fand zwischen den Schenkeln der Toten ein Haupt. Erneut vernahm er die Stimme, die ihm auftrug, das Haupt zu bewahren, denn »durch dieses würde er in Zukunft alles Gute erlangen«.36 Die zweite Erzählung beginnt ähnlich mit einem Adligen, der eine Jungfrau aus Tripolis nicht für sich gewinnen konnte. Nach ihrem Tode ließ er sie exhumieren, wohnte ihr bei und schnitt ihr den Kopf ab. Eine Stimme sagte ihm, er müsse gut auf das Haupt achtgeben, da es jeden zerstöre, der es erblicke. Zunächst bewahrte er den Kopf in einem Schrein, nutzte ihn dann aber gegen seine Feinde, die Sarazenen, um deren Städte und Burgen mithilfe des Kopfes dem Erdboden gleich zu machen. Als er sich auf den Weg nach Konstantinopel machte, um auch diese Stadt zu zerstören, öffnete seine Amme auf Verdacht den Schrein. Ein Sturm brach hervor und verschlang das Schiff mitsamt Besatzung. Das Meer sei bis zum heutigen Tage tot, sodass dort keine Fische leben könnten.37 Bei den Erzählungen ist ein magisches Haupt als Thema gemein. In einem Fall sorgt es für das Gute und im anderen Fall hat es eine zerstörerische Kraft, die dem Träger des Hauptes scheinbar unbegrenzte Macht verleiht. Gleichzeitig implizieren beide Geschichten, dass man nur in den Besitz dieses Hauptes gelangte, wenn man vorher mit Toten verkehrt hatte. Dieses Wissen, das auch die Inquisitoren hatten, stürzte die verhörten Templer noch tiefer in die vermeintliche Schuld. Immerhin entstammt der Schädel, der in beiden Geschichten auftaucht, nicht aus natürlichen Umständen, sondern aus dem Verkehr mit den Toten, also aus einem gänzlich widernatürlichen Handeln.38 Diese Erzählungen lassen sich auf Walter Map (1140 – 1209) zurückführen.39 Die Geschichten waren somit bekannt und konnten aufgrund der Verbindung zwischen einem Kopfidol und den magischen Häuptern sehr gut als Vergleichsobjekt in den Verhören herhalten. Als Beispiel sei erwähnt, dass Guillemus Aprilis aus Clermont die eine Erzählung durch eine genaue Lokalisierung des Ortes abrundete, an welchem »ein Haupt die Schiffe in den Untergang zu treiben pflege«.40 In einem späteren Verhör wusste er aber zu dem Idol überhaupt nichts mehr zu sagen. Dieses deutet darauf, dass der Verhörte erst unter den Qualen der Folter einen Zusammenhang zwischen dem mystischen Haupt und dem Idol herstellte.41 Auch dies spricht gegen die reale Existenz eines solchen Idols. Es darf aber nicht unerwähnt bleiben, dass es sich bei den magischen 36 Michelet, Templiers (wie Anm. 35), S. 645: Custodi hoc capud, quod omnia bona ventura sunt tibi ab illo. 37 Michelet, Templiers (wie Anm. 31), S. 233 – 234. 38 Camille, Idol (wie Anm. 6), S. 275. 39 Hergemöller, Krötenkuss (wie Anm. 23), S. 390. 40 Ebd. 41 Ebd.
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Häuptern in den Erzählungen um die Köpfe einer Frau oder eines Neugeborenen handelte, während die Verhörten von einem bärtigen Haupt eines Mannes sprachen, doch unter den Qualen der Folter mögen die Befragten das Wissen um die Legenden mit den Vorwürfen vermischt und auf Details verständlicherweise keinen großen Wert gelegt haben. Für die Inquisitoren reichte das Wissen darum, dass diese Idole die Grenze zwischen den Lebenden und den Toten aufbrachen und dass in ihnen böse Geister hausten, die das eigentliche Ziel einer Verehrung waren und die in der Lage waren, die Anbetenden zu verführen.42
Das capud LVIIIm Der einzige Kopf, der bei den Durchsuchungen der verschiedenen Besitzungen im Hauptsitz der Templer in Paris erst mit einigen Wochen Verspätung zutage gefördert wurde, war das sogenannte capud LVIIIm.43 Bei diesem scheint es sich um ein Reliquiar gehandelt zu haben, in Form eines kleinen Silberschädels. »[…] Darin befanden sich Schädelknochen in einem Stück weißes Leinen, um das ein rotes Tuch gewickelt war […]. Die Knochen stammten von einer ziemlich kleinen Frau.«44 Der Buchstabe »m« wurde in diesem Zusammenhang als das astrologische Zeichen für Jungfrau interpretiert. Deshalb nahm man später auch an, es könne sich dabei um die Knochen der Jungfrau Maria gehandelt haben, doch diese Theorie konnte nie bewiesen werden.45 Bei dem »Kopfidol« scheint es sich vielmehr mit großer Wahrscheinlichkeit um ein im Mittelalter äußerst gängiges Reliquiar zu handeln, das keinen Schluss auf häretische Handlungen zulässt. Doch auch gängige Reliquien wie das capud LVIIIm konnten für den Besitzer gefährlich werden, wenn deren eigentlicher Zweck in Vergessenheit geriet.46 Bei den Knochen soll es sich nach den Prozessakten um Knochen einer der 11.000 Jungfrauen aus dem Gefolge St. Ursulas handeln, die im 4. Jh. in Köln den 42 Camille, Idol (wie Anm. 6), S. 58. 43 Malcolm Barber, The Trial of the Templars, Cambridge 1978 (ND Cambridge 1994), S. 163. 44 Michelet, Templiers (wie Anm. 31), S. 218: Per quem allatum fuit eis quoddam magnum capud argenteum deauratum pulcrum, figuram muliebrem habens, intra quod erant ossa unius capitis, involuta et consuta in quodam panno lineo albo, syndone rubea superposita, et erat ibi quedam cedula consuta in qua erat scriptum capud LVIIIm, et dicta ossa assimilabantur ossibus capitis parvi muliebris, et dicebatur ab aliquibus quod erat capud unius undecim millium virginum; s. dazu auch Barber, Trial (wie Anm. 43), S. 163. 45 Zu den modernen Legenden Michael Baigent, Richard Leigh, Henry Lincoln, The Holy Blood and the Holy Grail, London 1982, S. 80 – 81; Keith Laidler, Das Haupt Gottes. Der Stamm Davids, die Templer und die wahre Natur des Heiligen Grals, Bern 1999, S. 12. 46 Camille, Idol (wie Anm. 6), S. 275.
Der Baphomet der Templer
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Märtyrertod starben.47 Die Templer verehrten diese sehr, da die Jungfrauen, wie die Templer, im Angesicht des drohenden Todes, zu ihrem Glauben standen. Wenn diese Frauen dieses zu verbringen vermochten, so konnten die Templer ihnen darin nicht nachstehen.48
Der Begriff »Baphomet« Die Bedeutung des Namens »Baphomet« für das Idol wird heutzutage noch immer kontrovers diskutiert. Zunächst sei festgehalten, dass sich »Baphomet« in dieser Schreibweise nicht in den Akten finden lässt. Diese kommt mit größter Sicherheit aus dem Umfeld von Johann August Freiherr von Starck (1741 – 1816) und Joseph Hammer-Purgstall (1774 – 1856).49 Für die Illuminaten wurde der Baphomet erst durch sie zur Identifikationsfigur.50 Es kann daher nicht überraschen, dass die neueren Versuche, eine Etymologie des Namens Baphomet zu entwickeln, vor allem durch Populärwissenschaftler unternommen wurden.51 Exemplarisch seien zwei Theorien vorgestellt. Nach einer These könnte das Wort vom lateinischen bufo für »Kröte« abgeleitet sein, die das wichtigste Wappentier der Merowinger Könige repräsentieren soll (selbst wenn von zeitgenössischen Wappen nichts bekannt ist). In diesem Zusammenhang findet sich immer wieder der Hinweis auf das Geheimnis von Rennes-le-Chteau, wo sich der legendäre Templerschatz oder der Schatz König 47 Sharan Newman, The Real History Behind the Templars, New York 2007, S. 268. S. dazu auch Michelet Templiers (wie Anm. 35), S. 502. Vidit super altare frequenter quoddam capud argenteum, quod vidit adorari a majoribus qui tenebant capitulum, et audivit dici quod erat capud unius ex undecim milibus virginum, […], und oben Anm. 44. 48 Newman, History (wie Anm. 47), S. 337 – 338. 49 Nicholson, Knights Templar (wie Anm. 17), S. 242; Hergemöller, Krötenkuss (wie Anm. 23), S. 388. Hammer-Purgstall publizierte 1818 sein Werk: Mysterium Baphometis revelatum, in: Fundgruben des Orients, 6, Wien, S. 1 – 120 und 445 – 499. In diesem wollte er die Freimaurer in Misskredit bringen und attackierte die Templerlogen, um das gesamte Gebilde zu Fall zu bringen. Er argumentierte, die Templer seien Gnostiker gewesen und das Haupt ein gnostisches Idol, welches Baphomet genannt wurde. Dieses wurde dann zum zentralen Aspekt des sogenannten Templergeheimnisses gemacht und bestätigte die Skepsis, die die katholische Kirche den Freimaurern ohnehin entgegen brachte, wie Anm. 3 und 4. 50 Krüger, Baphomet (wie Anm. 21), S. 123. 51 Es ist nicht weiter verwunderlich, dass die Populärwissenschaftler mit Erklärungsversuchen zu dem Begriff Baphomet aufwarten. Viele ihrer Theorien bezüglich eines Templergeheimnisses oder Schatzes fußen auf diesen Erklärungen. Mit diesen Ausführungen muss, wie mit allen Werken, die aus der Feder von Populärwissenschaftlern, wie z. B. Charpentier, Macht (wie Anm. 18); Baigent, Holy Blood (wie Anm. 45); Martin Bauer, Die Tempelritter. Mythos und Wahrheit, München 1998; und Monika Hauf, Der Mythos der Templer, Düsseldorf 1995, sehr kritisch umgegangen werden, denn, wie deutlich wird, sind die Recherchen nicht immer sehr sorgfältig betrieben worden, um den gezogenen Schlüssen im Sinne ihrer Argumentationen mehr Gewicht zu verleihen.
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Dagoberts befinden sollen.52 Gleichzeitig soll die Kröte auf Hexenrituale deuten und die Templer in direkten Zusammenhang mit schwarzer Magie bringen. Außerdem sei das französische crapaud (»Kröte«) sehr nahe am lateinischen caput, womit wieder eine Verbindung zum Kopfidol der Templer hergestellt werden kann.53 Dies zeigt sehr deutlich, welch aberwitzige Versuche unternommen werden, um solche zumeist völlig abstrusen Verbindungen zu konstruieren. Dadurch soll in der Regel lediglich eine Verortung des Templerschatzes erreicht werden. Weiterhin gibt es noch die Theorie, Baphomet komme von bafeous mete und bedeute »Färber des Mondes«. Diese Interpretation soll belegen, dass die Templer im Besitz des Steins der Weisen waren. »Färber des Mondes« deute darauf hin, dass die Brüder in der Lage waren, Silber, die Farbe des Mondes, in Gold zu färben. Dies hätte sowohl ihren Reichtum als auch ihre Geheimniskrämerei erklärt.54 »Mond« hätte allerdings in diesem Zusammenhang mene heißen müssen. Diese Theorie entbehrt auch deshalb jeglicher Logik und wurde nur so konstruiert, um auf die Existenz eines möglichen Schatzes hinzuweisen.55 Wie es scheint, ist das neuzeitliche Baphomet vielmehr aus den in den Prozessakten benutzten Bezeichnungen baffometi, baffome, magometus, magumeth entstanden. Diese Worte scheinen etymologisch verwandt zu sein.56 Die heute am weitesten akzeptierte, wenn auch nicht ganz unumstrittene These ist, dass es sich bei dem Wort Baphomet um die provenzalische Verballhornung des Namens des Propheten, Mohammeds, handelt.57 Diese Deutung sorgte für die Annahme, die Templer hätten sich durch den Gebrauch des Namens Mohammed dem Islam angenähert.58 Gleichzeitig wird suggeriert, die Templer hätten das Heilige Land zu Recht verloren, da sie vom rechten Glauben abgekommen und zum Islam konvertiert wären.59 Dagegen wird wiederum das Argument angeführt, die Templer hätten, wären sie tatsächlich zum Islam konvertiert, keine Götzenbilder Mohammeds ange52 Hauf, Mythos (wie Anm. 51), S. 246 – 247; Charpentier, Macht (wie Anm. 18), S. 238. Die moderne Legende berichtet, dass der in Rennes-le-Chteau ansässige Pfarrer um 1900 bei der Umgestaltung der Kirche auf ein Pergament gestoßen sei, dass ihn zu einem Schatz geführt hätte. Nur so konnte er den gesamten prunkvollen Umbau der Dorfkirche finanzieren. 53 Hauf, Mythos (wie Anm. 51), S. 189. 54 Bauer, Tempelritter (wie Anm. 51), S. 206 – 207. 55 Dazu wiederum Krüger, Baphomet (wie Anm. 21), S. 124, Anm. 28. 56 Hergemöller, Krötenkuss (wie Anm. 23), S. 387. 57 Partner, Magicians (wie Anm. 13), S. 34; Nicholson, Knights Templar (wie Anm. 17), S. 242; Newman, History (wie Anm. 47), S. 337; Bauer, Tempelritter (wie Anm. 51), S. 208; Krüger, Baphomet (wie Anm. 21), S. 124. 58 Bauer, Tempelritter (wie Anm. 51), S. 206. 59 Michael Hesemann, Die Dunkelmänner. Mythen, Lügen und Legenden um die Kirchengeschichte, Augsburg 2007, S. 149.
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fertigt, da dieses im Islam strengstens verboten ist.60 Sippel hat in diesem Kontext zwar die Erklärung des Namens Baphomet als Verballhornung von Mohammed abgelehnt, aber eingeräumt, dass die Verbindung, die die Inquisitoren dadurch zu den Muslimen herstellen konnten, die Templer in Verruf brachte und so »den ›erfolgreichen‹ Verlauf des Prozesses mit politischem Hintergrund« begünstigte.61 Es gibt aber einige Textstellen, in denen Baphomet oder Variationen davon vorkommen, die weit vor den Templerprozessen entstanden sind. Aus diesen Quellen kann man erkennen, dass es sich dabei tatsächlich um den verballhornten Namen des Propheten handelt. In einem Brief Anselms de Ribaumont, den er 1098 aus Antiochia an den Erzbischof von Reims schrieb, liest man z. B.: »Mit lauten Stimmen riefen sie [die Seldschuken] Baphomet an«,62 und in der Vida de Sant Honorat aus dem Jahre 1300 heißt es, die Nichtchristen verehrten die Götter Bafum et Travagan, Mahom e Tervagant. Im späteren Verlauf findet sich wiederum die Stelle: non cresa Bafumet ni la sia heregia.63 Später ist von Bafumet e Mecha, also Mohammed aus Mekka die Rede. Für den Verfasser der Vita ist Heidentum, Häresie und Islam dasselbe, eine Ansicht, die auch den Anklägern im Bezug auf die Templer erneut in die Hände gespielt haben könnte.64 Bereits zur Zeit des ersten Kreuzzuges findet sich so in den Köpfen der Christen ein muslimisches Äquivalent zur christlichen Dreifaltigkeit. Die Widersacher sind – ähnlich wie an den angeführten Stellen – Mohammad, Tervagant und Apollo. Die Schreiber dieser Zeit berichten von Sarazenengöttern, bei denen die Pluralität die Christen an die Götter der Römer erinnern soll. Dieses Konzept wurde zu Propagandazwecken gebraucht und stempelte die Muslime als die »Anderen« ab. Später noch wurde propagiert, Mohammad sei der Vater dieser unheiligen Dreifaltigkeit und hätte sich selbst zu einem Gott erklärt. Gleichzeitig wurde er von den westlichen Schreibern als Häretiker und Jünger Satans dargestellt.65 Auch an anderer Stelle taucht der Name Baphomet in Schriften der Zeit auf. Kreuzritter berichten von Moscheen als sogenannte bafumarias, und in einer französischen Dichtung aus dem Jahre 1235 heißt einer der sarazenischen
60 Hauf, Mythos (wie Anm. 51), S. 190. 61 Hartwig Sippel, Die Templer. Geschichte und Geheimnis, Wien 1996, S. 236. 62 Recueil des Historiens des Croisades, Historiens occidentaux, Bd. III, Paris 1866, S. 893, vgl. Krüger, Baphomet (wie Anm. 21), S. 127; Hesemann, Dunkelmänner (wie Anm. 59), S. 149. 63 Glaube nicht an Bafumet und seine Häresie. 64 Krüger, Baphomet (wie Anm. 21), S. 127. 65 Camille, Idol (wie Anm. 6), S. 142.
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Götzen Bafumetz.66 Alle diese Beispiele zeigen, dass der Name Baphomet schon weit vor dem Templerprozess mit den Muslimen in Verbindung gebracht wurde und diese Verbindung mit dem Feind der Christen den Inquisitoren in den Verhören sehr gelegen kam. Die Templer ließen sich somit auch vor dem einfachen Volk als vom christlichen Glauben Abgekommene darstellen. Im 12. Jh. wusste man noch nicht sonderlich viel über den Islam. Der Koran war erst in den 1140er Jahren ins Lateinische übersetzt worden und das meiste, das man zu glauben meinte, entsprang der Fiktion und der antiislamischen Propaganda. Die französischen chansons de geste, mit Erzählungen über die Taten großer Krieger aus dem 11. Jh., war angefüllt mit Schlachten gegen die Sarazenen. Die Sarazenen waren in den Augen der Christen Heiden, die Götter wie Apollo und Baphomet anbeteten. Der Name Baphomet taucht im Zusammenhang mit dem Islam immer wieder auf. Innerhalb dieses Epos gibt es ein Gedicht Aymeri de Narbonne, in welchem Baphomet einen Sarazenenkönig in Narbonne bezeichnet, den Aymeri bekämpfen muss: Rois Bafumez… Avec aus .xx. paien arm¦ Qui Deu ne croient le roi majest¦ Ne sa mere hautisme. ll 302 – 306.67
Die Anklage der Verehrung von Idolen und die Wortschöpfung baffometi zeigen den Versuch der Inquisitoren, die Templer mit der antiislamischen Polemik in Verbindung zu bringen. So könnte man nach Hergemöller baffometi auch als eine Mischform aus dem latinisierten Namen des Propheten und dem Therionym Behemoth als Bezeichnung für das Satanische und Sündhafte verstehen.68 Auf keinen Fall bezeichnete Baphomet eine altertümliche Gottheit, in den Prozessakten lässt sich der Name kaum finden, und die Aussagen der Templer, auch der Gefolterten, fielen so aus, dass es wenig plausibel erscheint, dass es ein solches Idol jemals gegeben hätte. Wenn in den Arretierungsbefehlen von 1307 nur von einem Idol und nicht von Baphomet gesprochen wird, zeigt das zudem klar, dass der Name Baphomet erst während des Prozesses mit den Templern in Verbindung gebracht wurde.69
66 Krüger, Baphomet (wie Anm. 21), S. 127. 67 Aymeri de Narbonne, ed. Louis de Demaison (Soci¦t¦ des Anciens Textes FranÅais, [25]), Paris 1887, S. 13 – 14. Zitiert nach Newman, History (wie Anm. 47), S. 337 – 338. 68 Hergemöller, Krötenkuss (wie Anm. 23), S. 400. 69 Bauer, Tempelritter (wie Anm. 51), S. 206.
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Zusammenfassung Die Argumente, die gegen den Vorwurf sprechen, die Templer hätten im Geheimen ein Kopfidol namens Baphomet angebetet, sind erdrückend. Das Fehlen jedweder Belege für Kopfidole könnte man zwar darauf zurückführen, dass die Templer gewarnt waren und kurz vor den Durchsuchungen alle Hinweise verschwinden ließen. Doch das widerspricht allen Forschungsergebnissen über den Verlauf des Prozesses. So kam der Befehl zur Verhaftung aller Templer für die Brüder völlig überraschend; sie hatten keine Möglichkeit, Götzenbilder zu verstecken oder zu zerstören. Trotzdem wurde kein einziges Idol gefunden; beim capud LVIIIm handelt es sich wahrscheinlich um ein zu dieser Zeit gängiges Kopfreliquiar.70 Deshalb muss man davon ausgehen, dass die Aussagen unter Folter entstanden und die Fragen nach einem Idol so allgemein gehalten waren, dass deren Beantwortung die Vorwürfe gegen den Orden erhärten würden. Die vorangehenden Ausführungen haben gezeigt, dass es den Inquisitoren nur darum ging, die Templer als Götzenanbeter zu brandmarken. So arbeiteten die Ermittler und ihre Folterknechte mit Suggestivfragen.71 Dafür spricht auch der Zusatz, der von einigen Verhörten gemacht wurde, das Idol gleiche keiner der bekannten Heiligenstatuen.72 Während des Verhörs wurde darauf geachtet, dass man das Götzenbild auch als solches identifizierte und es sich dabei nicht um das Abbild eines Heiligen handelte. Nur sehr wenige Verhörte konnten eine konkrete Aussage zu dem Idol machen. Einige berichteten von einem Idol jenseits des Meeres, von welchem sie lediglich gehört hätten, und diejenigen, die ein Idol zu beschreiben wussten, machten äußerst unterschiedliche Aussagen im Bezug auf Aussehen und Beschaffenheit. Zwar handelte es sich fast immer um einen Kopf, aber seine Farbe reichte von schwarz über fleischfarben zu weiß. Auch die Anzahl der Gesichter ist unklar und reichte von einem bis zu drei Gesichtern. Mal hat das Idol Hörner, mal besitzt es Beine und Füße. Auch das Material ist nicht eindeutig beschrieben, sondern umfasste Stoffe von Stein über Holz zu Messing oder Silber. Die Gefolterten suchten, wenn sie nach dem Idol befragt wurden, in ihren Erinnerungen nach möglichen Versatzstücken und wurden unter den Qualen der Folter im Schatz der Mythen und Legenden fündig.73 Verschiedene Details der Beschreibungen lassen sich auf die Erfahrungswelt der Verhörten zurückführen, sind aber kein Beweis für eine Existenz des Idols. Dass es sich um ein bärtiges Haupt handeln sollte, spiegelte die enge Verbindung 70 71 72 73
Barber, Trial (wie Anm. 43), S. 163. Hergemöller, Krötenkuss (wie Anm. 23), S. 401. Ebd., S. 385. Ebd., S. 401.
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des Idols zum Templerorden wider, denn die Ordensbrüder waren – in Abgrenzung zum weltlichen Rittertum – allesamt bärtig. Das dämonische Aussehen entstammt dem allgemeinen Glauben, dass Idole, da sie von Dämonen bewohnt würden, auch deren Aussehen repräsentierten. Dazu gehörten Fratzen und Hörner als den Dämonen und Teufeln zugesprochene Attribute,74 die mit ihnen damals und schon früher bis zurück in die Zeit der Ägypter verbunden wurden.75 Die Aussagen, die Idole hätten zwei oder drei Gesichter, entspringen dem Glauben, dass die in ihnen hausenden Dämonen kein menschliches Aussehen haben dürften. Auch die schwarze Farbe des Idols wurde häufig mit dem Teufel assoziiert.76 Die Gefolterten wussten ja, dass sie die Folterknechte mit solchen Aussagen zufriedenstellen und ihren Qualen ein Ende bereiten konnten. Den Inquisitoren kamen diese Aussagen sehr gelegen, denn damit konnten die Templer allgemein als Ketzer im Sinne der Anklagen gebrandmarkt werden. Der Anklage der Idolatrie hatte im Mittelalter großes Gewicht. Der Götzenanbeter wurde in den direkten Zusammenhang mit Dämonen gestellt und in der Folge aus der religiösen Gemeinschaft ausgestoßen. Man glaubte, die Götzenanbeter würden sich mit finsteren Mächten einlassen, um den Mitmenschen zu schaden, und es herrschte eine allgemeine Furcht davor, die Idole einfach zu zerstören, da man befürchtete, dabei die in ihnen wohnenden Kreaturen zu befreien und in die Welt zu entlassen.77 Der gegen die Templer gerichtete Vorwurf kam aber selbst zur damaligen Zeit nicht sonderlich überraschend. So orientierten sich die Templer vorgebrachten Anschuldigungen der Sodomie, Idolatrie, Apostasie und Gotteslästerung an den bereits 1303 durch König Philipp IV. vorgebrachten Anklagen gegen Papst Bonifatius VIII.78 Ein wesentlicher Hintergrund für den Templerprozess war zweifellos der Konflikt zwischen dem König von Frankreich und dem Papsttum, der 1303 im »Attentat von Anagni« gipfelte.79 Die Bezeichnung des Idols als baffomet ergab sich, wie gezeigt wurde, aus der Verballhornung des Namens Mohammed. Auch wenn heutige Autoren andere Theorien zur Entstehung der Bezeichnung Baphomet haben, so ist dies das Naheliegendste. Die Erfahrungen aus den Kämpfen im Heiligen Land haben die Templer in direkten Kontakt mit den Muslimen gebracht, und irrtümlicherweise ging man im Abendland davon aus, die Muslime wären Götzenanbeter. Es war für die Ankläger also nicht nur leicht, die Templer als konvertierte Muslime zu 74 75 76 77 78 79
Camille, Idol (wie Anm. 6), S. 57 – 59. Ebd., S. 2. Ebd., S. 274. Ebd., S. 58. Ebd., S. 278. William J. Courtenay, Karl Ubl, Gelehrte Gutachten und königliche Politik im Templerprozeß (Monumenta Germaniae Historica: Studien und Texte, 51), Hannover 2010, S. 62 – 63.
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brandmarken, sondern die Geschichten, die sich um das Idol rankten, brachten sie auch gleich noch in den Verdacht, Hexer zu sein. Gleichzeitig ließen sich die Templer mit diesen Aussagen hervorragend in die weit verbreitete antiislamische Propaganda einbetten. Wie bereits erwähnt, waren es die »Anderen«, also auch die Muslime, die in den Augen der Christen Götzenanbetung betrieben. Wenn dies auch die Templer taten, war klar, dass sie sich dem Islam in einer ihren christlichen Glauben bedrohenden Weise angenähert hatten. Erschwerend kam hinzu, dass einige wenige Templer in Südfrankreich dem Idol die latinisierte Umschreibung des Namens des Propheten Mohammed gaben und somit weitere Beweise dafür lieferten, dass sie sich vom christlichen Glauben abgewandt hatten. Letztlich kann man sagen, dass die Anschuldigung der Idolatrie, nicht nur aus heutiger Sicht betrachtet, haltlos ist. Eine genauere Untersuchung der Idolatrie-Vorwürfe ist insofern interessant, da das mystische Haupt bis in die Neuzeit eine geheimnisvolle Rolle spielte. Mit dem Aufkommen der Geheimbünde und Logen geriet das Idol in den Fokus der Öffentlichkeit; der heute gebräuchliche Name dafür, Baphomet, ist überhaupt erst ein Produkt des Aufkommens der Freimaurerlogen. Einige dieser Logen beriefen sich auf die Templer als ihre Gründer, und seither ist der Baphomet »Identifikationsfigur von Geheimgesellschaften und Sekten«.80 Abstract: This essay focuses on the allegation regarding the Knight Templar’s worshipping of an idol. It is shown that the name of the idol, Baphomet, derives from the period of the 18th century when societies of Freemasons were founded. It will be questioned whether the Templars worshipped an idol or whether this accusation was just instrumentalized by the inquisitors to make them appear guilty in the eyes of the common people. The focus lies on the different circumstances in which the term baf(f)omet(us) is mentioned in various documents concerning the Templar’s trials. There are hints that an idol was being worshipped and in the final part this astonishing fact will be discussed.
80 Krüger, Baphomet (wie Anm. 21), S. 123, Anm. 27.
Marcus Jörger
Die Fremd- und Eigenwahrnehmung in Janós Thuróczys Chronica Hungarorum im Vergleich zum Diskurs der »Türkengefahr« im 15. Jahrhundert
Am 4. Juli 2011 wurde im ungarischen Parlament über die von der rechtskonservativen Regierungspartei FIDESZ eingereichte Vorlage zur Ernennung eines weiteren nationalen Gedenktages abgestimmt.1 In Erinnerung an die erfolgreiche Verteidigung Belgrads gegen die Belagerung durch ein osmanisches Heer im Jahr 1456 wurde der 22. Juli – der Tag, an dem die Belagerer in die Flucht geschlagen worden waren – zum »herausgehobenen Gedenktag der ungarischen und europäischen Geschichte« ernannt.2 Diese wie andere erinnerungspolitische Maßnahmen bedienen sich einer nationalen Symbolik, die auf das mittelalterliche Königreich Ungarn verweisen, wie etwa den in dem neuen Grundgesetz gemachten Bezug auf die »Heilige Krone Stephans I.«, die »die verfassungsmäßige staatliche Kontinuität Ungarns und die Einheit verkörpere.«3 In der »Nationales Bekenntnis« genannten Präambel zur neuen Verfassung vom 25. April 2011 heißt es außerdem: »Wir sind stolz darauf, dass unser Volk Jahrhunderte hindurch Europa in Kämpfen verteidigt […] hat. Wir erkennen die Rolle des Christentums bei der Erhaltung der Nation an.«4 Diese Erinnerungspolitik ist stark beeinflusst von rechtsradikalen Kreisen, in denen auch die »Turanismus« genannte Ideologie in den letzten Jahren viel Zulauf erhalten hat. Der »Turanismus« leugnet die sprachliche Verwandtschaft 1 Pester Lloyd, Nationaler Gedenktag an Türkenschlacht in Ungarn, Verfügbar unter : http://www.pesterlloyd.net/2011_27/27tuerkenschlacht/27tuerkenschlacht.html, Zugriff am : 18. 07. 2013. 2 So die Verlautbarung des Ministeriums für Öffentliche Verwaltung und Justiz zur Begehung des Gedenktages am 22. Juli 2012, zu der auch »Kranzniederlegungen und eine Schweigeminute mit dem Absenken der Köpfe« geplant waren, zitiert in Pester Lloyd, Tag des Sieges. Schlacht um Belgrad von 1456: Regierung von Ungarn lässt zum Feiern antreten, Verfügbar unter : http ://www.pesterlloyd.net/html/1229nandorfehervar1456.html, Zugriff am : 18. 07. 2013. 3 Zitiert nach Gbor halmai, Hochproblematisch. Ungarns neues Grundgesetz, in: Quo vadis, Hungaria? Kritik der ungarischen Vernunft, hrsg. Manfred sapper, Volker weichsel, Berlin 2011, S. 145 – 156, hier S. 146. 4 Gott segne die Ungarn! Nationales Bekenntnis. Präambel des Grundgesetzes von Ungarn, in: ebd., S. 29.
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des Ungarischen mit uralischen Sprachen wie dem Finnischen und dem Estnischen und wendet sich den asiatischen Ursprüngen Ungarns zu.5 Es wird eine Abstammung der Ungarn von den Skythen und die Verwandtschaft mit Turkvölkern angenommen.6 Diese Geschichtsbilder – die Rolle des Christentums, das Selbstverständnis als Verteidiger Europas – haben ihren Ursprung in der mittelalterlichen ungarischen Historiographie. Ihre letzte Ausformung in der Art einer Synopsis erfuhr die mittelalterliche ungarische »National«-Geschichtsschreibung durch Jnos Thurûczy (ca. 1435 – 1490) in seiner Chronica Hungarorum, die 1488 gleich zweimal, im April in Brünn und im Juni in Augsburg, gedruckt wurde.7 Dass dieses literarisch und in Sachen historischer Verlässlichkeit »eher schwache Werk«8 in Ungarn aber von großer Bedeutung war und auch noch ist, lässt sich daran ablesen, dass es in Ungarn seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zahlreiche ungarische Editionen erfahren hat und in diesem Zeitraum bereits vier verschiedene Übersetzungen des lateinischen Originaltextes ins Ungarische angefertigt wurden.9 Auf diese Chronik wird sich die folgende Quellenanalyse konzentrieren.10 In dieser Arbeit soll die Chronik des Jnos Thurûczy vor dem Hintergrund des Diskurses über die »Türkengefahr«11 auf die Wahrnehmung des Fremden 5 Krisztin ungváry, »Lager und Fahne sind eins«. Fatale Traditionen in Ungarns Erinnerungskultur, in: ebd., S. 281 – 301, hier S. 292. 6 Ebd., S. 293 – 294. 7 Norbert kersken, Geschichtsschreibung im Europa der »nationes«. Nationalgeschichtliche Gesamtdarstellungen im Mittelalter (Münstersche historische Forschungen, 8), Köln, Münster 1995, S. 656. 8 Pl Engel, The Realm of St. Stephen. A History of Medieval Hungary, 895 – 1526, London 2005, S. 321. 9 Jnos Thuróczy, Magyar Krûnika [Ungarnchronik], übersetzt ins Ungarische von Lszlo Ger¦b, Budapest 1957; Ders., A magyarok krûnikja. Az 1486-ban Augsburgban nyomtatott, az Orszgos Sz¦ch¦nyi Könyvtrban o˝ rzött o˝ snyomtatvny sznezett famelszeteinek hasonmsval illusztrlva [Ungarnchronik. Illustriert mit den kolorierten Holzschnitten der 1486 (sic!) in Augsburg gedruckten Inkunabel aus der Sz¦ch¦nyi Nationalbibliothek], übersetzt von Jnos Horvth, Budapest 1978; Ders., A magyarok krûnikja. Az OSzK Inc. 1143-as jelzetu˝ o˝ snyomtatvnynak hasonmsval [Ungarnchronik. Mit dem Faksimilie der Inkunabel (Inc. 1143) der Sz¦ch¦nyi Nationalbibliothek] übersetzt von Jnos Horvth) Budapest 1986; Ders., A magyarok krûnikja, Rogeriums mester: Siralmas ¦nek. [Ungarnchronik, Meister Rogerius: Carmen miserabile], übersetzt von Ibolya Bellus, Budapest 2001. 10 Für die Analyse wurde die maßgebliche Edition von Galntai und Kristû benutzt: Jnos Thurûczy, Chronica Hungarorum, hrsg. Elisabeth Galántai, Gyula Kristó in: Bibliotheca scriptorum medii recentisque aevorum, S. N. 7, Budapest 1985. Einzig für den letzten Teil der Chronik, die Kapitel 196 bis 261 – auf denen in dieser Arbeit der Fokus liegt – gibt es eine Übersetzung ins Englische: Ders., Chronicle of the Hungarians, hrsg. Pl Engel, übersetzt von Frank Mantello, in: Medievalia Hungarica Series, 2, Bloomington 1991. Diese wurde für die Analyse zur Hilfe herangezogen. 11 Der Begriff »Türkengefahr« kam Ende des 19. Jh.s auf und wurde vor allem gebraucht, um die
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und des Eigenen hin untersucht werden. Dabei sollen die sozialen Gruppen aus dem Text selbst erarbeitet werden, um der »doppelten Theoriebindung«12 Rechnung zu tragen und zu vermeiden, dass heutige Wahrnehmungskategorien auf den Autor übertragen werden.13 So werden in dieser Arbeit anhand eines in der Chronik Thurûczys zentralen Ereignisses, der Belagerung von Belgrad 1456, Gruppen und Personen konstituiert, die darauf für die restliche Chronik untersucht werden sollen. Die Frage ist: Welcher Gruppe ordnet Thurûczy sich selbst zu, welche Kollektive sind seine »eigenen«? Und welche dagegen sind »die Anderen«? Zur Wahrnehmung des Eigenen wird der Analyse die Untersuchung der causae scribendi vorangestellt:14 Aus welchem Anlass und zu welchem Zweck schrieb Thurûczy seine Chronik? In Thurûczys Fall zeigt sich, dass sich hier eine bestimmte Schicht, eine Gruppe von Kanzlisten, der ungarischen natio vergewissern wollten, und dies auch in Abgrenzung zu humanistischen Interpretationen der damals noch angenommenen skythischen Herkunft der Ungarn. Den Rahmen der Analyse bildet die Zeit vom Kreuzzug von Nikopolis bis hin zum Tode Ulrich von Cillis im Jahr 1456. Zentrale Ereignisse sind hierbei die Schlacht von Nikopolis 1396 und die Schlacht von Varna 1444 wie auch die Belagerung von Belgrad und die Ermordung Ulrich von Cillis.
Die Chronica Hungarorum des János Thuróczy: Autor und Werk Die Entwicklung der ungarischen Geschichtsschreibung im Mittelalter wird in der Forschung in vier Epochen eingeteilt.15 Die erste Phase geht von der Mitte des
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Bedrohung bestimmter Gebiete durch die Osmanische Expansion zu bezeichnen. Im Anschluss an Höfert verwende ich in dieser Arbeit den Begriff Türkengefahr, um den Diskurs einer angeblichen Bedrohung ganz Europas zu benennen, s. Almut Höfert, Den Feind beschreiben, Frankfurt am Main, Florenz 2003, S. 51 – 52. Johannes Fried, Gens und Regnum. Wahrnehmungs- und Deutungskategorien politischen Wandels im früheren Mittelalter. Bemerkungen zur doppelten Theoriebindung des Historikers, in: Sozialer Wandel im Mittelalter. Wahrnehmungsformen, Erklärungsmuster, Regelungsmechanismen, hrsg. Jürgen Miethke, Klaus Schreiner, Sigmaringen 1994, S. 73 – 104. Vgl. dazu Hartmut Bleumer, Steffen Patzold, Wahrnehmungs-und Deutungsmuster in der Kultur des europäischen Mittelalters, in: Wahrnehmungs- und Deutungsmuster im europäischen Mittelalter, hrsg. Hartmut Bleumer, Steffen Patzold (Das Mittelalter, 8), München 2003, S. 4 – 22. Vgl. Gerd Althoff, Causa scribendi und Darstellungsabsichten. Die Lebensbeschreibungen der Königin Mathilde und andere Beispiele, in: Litterae medii aevi. Festschrift für Johanne Autenrieth zu ihrem 65. Geburtstag, hrsg. Michael Borgolte, Herrad Spilling, Sigmaringen 1988, S. 117 – 133. So Kerksen, Geschichtsschreibung (wie Anm. 7), S. 652.
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11. Jh.s bis zum 13. Jh. und beginnt mit den hagiographischen Werken, den Heiligenviten der Ýrpden. In diese Phase fällt eine erste Fassung der Gesta Hungarorum, die verloren gegangen ist, aber zu weiten Teilen in die Gesta Hungarorum des anonymen Notars Bels III. aus der Zeit um 1200 einging.16 In der zweiten Phase, der zweiten Hälfte des 13. Jh.s, entstand die für die Geschichtskonzeption in Ungarn maßgebliche Gesta Hungarorum des Simon K¦zai, der die Herkunft der Ungarn aus Skythien und die Verwandtschaft mit den Hunnen in der ungarischen Geschichtsschreibung etablierte. Im 14. Jh., der dritten Phase, entstand die die Geschichtsschreibung bis dahin zusammenfassende Redaktion der ungarischen »Nationalchronik«.17 In der Regierungszeit des Matthias Corvinus (1458 – 1490) entstanden dann in einer vierten Phase mit vermehrter historiographischer Literaturproduktion die Gesamtdarstellungen von Jnos Thurûczy und von Antonio Bonfini, wobei zwischen diesen beiden Werken die Grenze zwischen mittelalterlicher und humanistischer Geschichtsschreibung gesehen wird. Janûs Thurûczy, dessen Geburtsjahr um 1435 angenommen wird, war ab 1468 Notar der königlichen Kurie und stellte in dieser Funktion Urkunden aus, die Gerichtsurteile enthielten.18 Thurûczy war kein Geistlicher und somit der erste weltliche ungarische Chronist. Vermutlich im Jahr 1486 stieg Thurûczy zum einen der zwei in der königlichen Kanzlei beschäftigten protonotarii auf, die den anderen Notaren übergeordnet waren. Dies war das wohl höchste Amt, das ein Mitglied des Niederadels wie Thurûczy erlangen konnte.19 Noch im 15. Jh. waren die Mitglieder des ungarischen Hochadels meist des Schreibens nicht mächtig.20 Da aber auch im Königreich Ungarn die Schriftlichkeit in der Verwaltung, den Kanzleien, den Gerichtshöfen etc. immer unentbehrlicher wurde, war die Fähigkeit zu Lesen und zu Schreiben eine Möglichkeit des sozialen Aufstiegs.21 Thurûczys Familie war niederadlig, und er selbst stieg innerhalb seiner Möglichkeiten weit auf. Kurz nach der Drucklegung verstarb er, wohl im Jahr 1488.22 Es scheint einen großen Bedarf für eine Geschichte Ungarns gegeben zu haben, denn die Chronik wurde innerhalb kürzester Zeit zweimal gedruckt,
16 Ebd., S. 654. 17 Ebd., S. 656. 18 Josef Fitz, Die Ausgaben der Thfflroczy-Chronik aus dem Jahr 1488, in: Gutenberg-Jahrbuch (1937), S. 97 – 107, hier S. 98. 19 S. Engel, Foreword, in: Thuróczy, Chronicle (wie Anm. 10), S. 1 – 20, hier S. 6. 20 Bei der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Pozsony zwischen den Habsburgern und dem Königreich Ungarn im Jahr 1491 konnte keiner der Delegierten Ungarns, alles führende Magnaten des Landes, ihren Namen schreiben, s. ebd., S. 4. 21 Ebd., S. 5. 22 Fitz, Thurûczy-Chronik (wie Anm. 18), S. 98.
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zuerst am 20. März 1488 in Brünn.23 Die zweite Drucklegung – mit geringen Veränderungen in der Widmung – geschah am 3. Juni 1488 im Auftrag des Budaer Buchhändlers Theobald Feger in Augsburg.24 Außerdem entstanden in den 1490ern Jahre noch Handschriften, auch von Übersetzungen ins Deutsche.25 Thurûczy hat seine Chronica Hungarorum noch im Stile der mittelalterlichen Chroniken aus unterschiedlichen Quellen kompiliert und diese oft nur leicht oder gar nicht mehr bearbeitet. Einzig der in der Chronik behandelte Zeitraum von 1386 bis zur Zeit der Abschrift, 1487, ist Thurûczys eigenständige Arbeit, auf der Grundlage von Urkunden und diplomatischen Schriften. Hier liegt der Schwerpunkt auf den Ereignissen unter Jnos Hunyadi und dessen Kämpfen mit den osmanischen Truppen. Der Inhalt der Chronica Hungarorum gliedert sich schließlich wie folgt: Im ersten Kapitel widmet Thurûczy seine Chronik dem Kanzler Tams Dragi, seinem »Vorgesetzten«, der Thurûczy laut eigener Aussage dazu bewogen hatte, die Chronik zusammenzustellen. In Kapitel 2 bis 26 folgt Thurûczy vor allem der Gesta Hungarorum des Simon K¦zai in der Erzählung von den Skythen und den Hunnen als den Vorfahren der Magyaren. Diese behandelt den Zeitraum bis zur sogenannten »zweiten Landnahme« der Ungarn um 896. Im dritten Teil, den Kapiteln 27 bis 129, handelt Thurûczy den Zeitraum bis 1342 ab und übernimmt hierfür eine Fassung der »Nationalchronik« aus dem 14. Jh. Für den folgenden Zeitraum in den Kapiteln 130 bis 185 benutzt Thurûczy das Chronicon Ludovico rege von Jnos Küküllei und übernimmt auch dessen Prolog. Darauf folgt in den Kapiteln 186 bis 194 die Bearbeitung eines Gedichtes von Laurentius de Monachi. Dem letzten, von ihm eigenständig verfassten Teil, hat Thurûczy wiederum eine Widmung vorangestellt, wieder an Tams Dragi, der an dieser Stelle aber nicht namentlich erwähnt wird. Vor allem diesem Teil soll meine Analyse gelten, erstens, weil dieser von Thurûczy eigenständig verfasst wurde, und zweitens, weil er von den Auseinandersetzungen mit dem Osmanischen Reich und damit von der Begegnung mit einer anderen Religion und einer anderen Kultur berichtet, die auch zu Thurûczys Lebenszeit präsent gewesen sein muss. Den größten Raum nimmt demgemäß die Zeit unter Jnos Hunyadi ein, der als der Bekämpfer der Osmanen und als »Verteidiger des Christentums« bis heute in der Erinnerungskultur Ungarns eine herausragende Rolle spielt. Die Zeit der 23 Anna Boreczky, Eine vergessene Porträtreihe aus dem 15. Jahrhundert und die Handschriften der Ungarnchronik des Johannes von Thurocz, in: Acta Historiae Artium 51,1 (2010), S. 71 – 84; Ulrike Bodemann, Art. Johannes von Thuroczy (Thurûczy Jnos), in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, hrsg. Wolfgang Stammler, Karl Langosch et al., Berlin 2004, Sp. 797 – 801, hier S. 73. 24 Janûs Thuróczy, Chronica Hungarorum, Augsburg 1488, Verfügbar unter : http:// www.corvina.oszk.hu/corvinas-html/hub1inc1143.htm, Zugriff am: 19. 07. 2013. 25 Bodemann, Thuroczy (wie Anm. 23), Sp. 799.
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Herrschaft von Hunyadis Sohn Matthias Corvinus wird dahingegen von Thurûczy nur noch relativ knapp abgehandelt. Den Schluss bildet der Frieden von Ölmütz von 1479, dies aber nur noch eher stichpunktartig. Wegen vieler Unzulänglichkeiten in Chronologie und Stil war Thurûczys Chronik lange jeder Quellenwert für die Untersuchung der Ereignisgeschichte abgesprochen worden. Das Werk wurde zwar immer wieder für bestimmte Fragestellungen herangezogen, so wie auch Thurûczy in den meisten relevanten Enzyklopädien mit einem eigenen Artikel vertreten ist, dennoch fehlen in der nicht-ungarischen Wissenschaft größere Untersuchungen, die sich ihm und seinem Werk widmen. Von größerem, kunstgeschichtlichem wie ikonographischen Interesse waren die Illustrationen der ersten Drucke der Chronik26 wie auch der Handschriften.27 In der ungarischen Mediävistik hat sich vor allem Mályusz der Chronik gewidmet. Von ihm stammt die maßgebliche Quellenkritik, für die er das Lebensumfeld und die von Thurûczy verwendeten Quellen untersuchte.28 Zusammengefasst hat Mályusz seine über fünfzigjährige Arbeit in zwei großen Kommentarbänden zur Quellenedition des lateinischen Textes aus dem Jahr 1985, in der er ausführlich den Quellen nachgeht, die Thurûczy benutzt hat.29 Engel hat daneben den Anachronismus des mittelalterlichen Stils am vom Humanismus geprägten Königshof in Buda betont.30
Eine erste Selbstverortung Thuróczys: Causae Scribendi Für wen und warum Thurûczy die Geschichte Ungarns schreibt, lässt sich aus der Widmung erschließen. Thurûczy ordnet sich nicht direkt den Ungarn zu, das heißt er spricht nicht von »unserer Geschichte«. Nur indirekt deutet Thurûczy 26 Agnes Tóvizi, 6.3a Johannes de Thurocz: Chronica Hungarorum, in: Sigismundus rex et imperator. Kunst und Kultur zur Zeit Sigismunds von Luxemburg, 1387 – 1437, hrsg. Imre Takács, Zsombor Jékely, Mainz 2006, S. 495; Dies, 6.3b Johannes de Thurocz: Chronica Hungarorum, in: Takács, Jékely, Sigismundus rex, S. 495 – 496; Hubay, Ilona: Die illustrierte Ungarnchronik des Johannes von Thfflrocz, in: Gutenberg-Jahrbuch (1962), S. 390 – 399. 27 Boreczky, Porträtreihe (wie Anm. 23). 28 Elem¦r Mályusz, AThurûczy-krûnika ¦s forrsai [Die Thurûczy-Chronik und ihre Quellen] (Magyar tört¦nelmi trsulat, 5), Budapest 1967. Ich danke Katalin Akûcsi für die Hilfe bei der Übersetzung. 29 Elem¦r Mályusz, Jnos Thuróczy Chronica Hungarorum. 2,1: Commentarii: Ab initiis usque ad annum 1301 (Bibliotheca scriptorum medii recentisque aevorum, S. N. 8), Budapest 1988; Ders., Jnos Thurûczy Chronica Hungarorum. 2,2: Commentarii: Ab anno 1301 usque ad annum 1487 (Bibliotheca scriptorum medii recentisque aevorum, S. N. 9), Budapest 1988. 30 Pl Engel, Foreword, (wie Anm. 19).
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an, dass er sich als Chronist seiner patria sieht. In seiner Klage, dass derjenige, der es versuche die Geschichte zu ordnen aus Neid nicht geachtet werden würde, paraphrasiert er Lukas 24, 4: Kein Prophet sei in seinem Vaterland (patria) akzeptiert.31 Thurûczy wappnet sich gewissermaßen vorweg gegen Kritik an seiner Interpretation der Geschichte seiner patria. In der Widmung und auch im zweiten Kapitel, dem sogenannten Soliloquium, liegt sein Schwerpunkt vor allem auf dem Ursprung der Ungarn. Er will die Geschichte der Hunnen vor dem Vergessen retten.32 Vor allem die Rehabilitierung des Hunnenkönigs Attila, der in der historiographischen Tradition der westlichen Autoren als die »Geißel Gottes« galt, liegt ihm am Herzen. Dieser sei aus Neid von fremden Nationen verunglimpft worden.33 Mit dem Adjektiv externa weist hier Thurûczy mit der Benennung des »Fremden« nämlich den Nationen, die Attila negativ darstellen auf das hin, was er sich selbst zuschreibt. Er sieht diese Autoren im Kontext ihrer »Nation« und dementsprechend sich selbst als Autor der ungarischen Nation. Er möchte die rebus Hungarice nationis erklären, dafür hätten er und der Adressat der Widmung – Thomas von Drag – die Geschichtswerke »gewälzt«.34 Attila ist für Thurûczy der erste große Fürst der Ungarn, er vergleicht ihn mit Alexander dem Großen, der, hätte er nicht ebenfalls in seinem Eroberungswillen viel Blut vergossen, heute vergessen wäre.35 Die Geschichtsschreiber, deren Werke Thurûczy benutzt hat und von denen er sich an dieser Stelle namentlich mit einer anderen Deutung Attilas abgrenzen will, sind Paulus Orosius und Antoninus Florentinus.36 Thurûczy zitiert Orosius’ Aussage, nach der der Einfall der Hunnen im Jahr 376 die »Wurzel unserer Übel gewesen sei« (radix mise31 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 11.: Enimvero in presumente, ut arbitror, hec presumptio invidia auctrice ludibrium pariet, et lingua, que parcere scit nemini, in detractionem illius dissolvetur. Noscimus, inquient, hunc hominem. Verum quidem iuxta evangelicam lectionem nullum sua acceptat patria. 32 Ebd., § 6.: Nec crimine de hoc Hungarorum vetustas arguenda est, quod suarum recordia rerum altum oblivionis in pelagus defluere permisit. 33 Ebd., § 7.: Externarum nationum invidiam exactis per ipsum Atilam regem victoriis condignum preconii subtraxisse stilum et eidem regi Atile gloriam imperialis nominis dempsisse puto, neque per ipsum gestarum rerum in decus quidpiam preterquam illatas per ipsum eis miserias planctuosi carminis adinstar scripsisse inveniuntur. 34 Ebd., §§ 4 – 5.: Dum rebus Hungarice nationis de primevis deque parte mundi, que Hungaros aut germinavit aut in hanc regionem, que antiquitus Pannonia, nunc vero Hungaris ab eisdem Hungaria dicta est, fudit, variis utamur sententiis, experiendi tandem gratia placuit dudum super his rebus contextas revolvere historias. 35 Ebd., § 8.: Ninus Assyriorum rex, regna quod in aliena violentas iniecit manus, universarum originem historiarum peperit, et, nisi quondam Agamemnon Grecorum imperator Troiianum Ilion evertisset, Magnus quoque Alexander tristibus armis orbem vastasset, illorum nomina pariter cum corporibus cecidissent. 36 Thurûczy bezieht sich hier auf Antoninus’ Werk Chronicon ab orbe condito bipartitum, s. Mályusz, Chronica 2,1 (wie Anm. 29), S. 39.
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riarum nostrarum).37 Von dieser Position will sich Thurûczy eindeutig abgrenzen, indem er Attila verteidigt: Niemand habe ohne das Leid anderer Ruhm erlangt.38 Von dem »unser« in dem Zitat von Orosius schließt sich Thurûczy damit aus. Thurûczy kämpft hier also gegen das negative Bild (west-)europäischer Geschichtsschreiber von Attila, der für Thurûczy im Prinzip ein Ungar war. Gleichzeitig grenzt Thurûczy sich von diesen anderen »Nationen« ab. Thurûczy war die angebliche Verwandtschaft der Hunnen mit den Ungarn und die Herkunft der Hunnen aus Skythien sehr wichtig.39 Die Abstammung der Ungarn von den Hunnen hatte im Wesentlichen Simon von K¦za um 1285 in seinen Gesta Hungarorum in die ungarische Historiographie eingeführt, der damit eine eigentlich negative Verbindung aus dem Westen importierte, die im 10. Jh. vor dem Hintergrund der Ungarneinfälle bis zur Lechfeldschlacht 955 gemacht wurde.40 Das Ungarnbild war im lateinischen Westen bis zur Konvertierung zum Christentum mit der Krönung Stephans I. im Jahr 1000 geprägt von »Verteufelung«, die Magyaren wurden wegen der Raubzüge in das Ostfrankenreich bis Mitte des 10. Jh.s als gens detestenda bezeichnet.41 Radek hat festgestellt, dass die Ungarn auch nach ihrer Einbindung in die lateinische Christenheit weiterhin latent als heidnisch und amoralisch wahrgenommen wurden und sich das Ungarnbild in deutschsprachigen Geschichtswerken erst mit dem aufkommenden Diskurs über die »Türkengefahr« zum Positiven wendete.42 Bis dahin wurden die Ungarn in den Gegenbegriffpaaren westlich – östlich, christlich – heidnisch, moralisch – amoralisch den letzteren zugeordnet.43 Mit der Konfrontation mit den Osmanen wandelte sich das Bild hin zu dem der »Vormauer des Christentums«.44 Simon K¦zai übernahm aus der westlichen Literatur die Gleichsetzung der im Westen als »Strafe Gottes« betrachteten Hunnen mit den Ungarn, verstand Attila 37 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 8.: Unde Paulus Orosius suarum ultimo libro historiarum Hunorum de eruptione mentionem faciens: Tredecimo, inquit, anno imperii Valentis radix illa miseriarum nostrarum copiosissimos simul frutices germinavit. 38 Ebd., § 8.: Nemo mundanam miseria absque aliena adeptus est gloriam. 39 Vgl. c. 12, De egressu Hunorum de Scitia, ebd., §§ 96 – 99. 40 Kerksen, Geschichtsschreibung (wie Anm. 7), S. 704. 41 Maximiliam Georg Kellner, Die Ungarneinfälle im Bild der Quellen bis 1150. Von der »Gens detestanda« zur »Gens ad fidem Christi conversa« (Studia Hungarica, 46), München 1997, S. 181. 42 Tünde Radek, Das Ungarnbild in der deutschsprachigen Historiographie des Mittelalters (Budapester Studien zur Literaturwissenschaft, 12), Frankfurt am Main, Budapest 2008, S. 257. 43 Ebd., S. 245 – 246. 44 J. Jnos Varga, Europa und »Die Vormauer des Christentums«. Die Entstehung eines geflügelten Wortes, in: Europa und die Türken in der Renaissance, hrsg. Bodo Guthmüller, Wilhelm Kühlmann, Tübingen 2000, S. 55 – 63, hier S. 60. Erstmals prominent formuliert wurde dies 1410 von Papst Johannes XXIII., s. ebd., S. 58.
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als den Ahnen der heutigen ungarischen Könige und leitete sein Verständnis der ungarischen natio aus einer lex Scitica ab.45 Thurûczy führt die Berichte über Skythien noch aus und erweitert diese mit neuerem Material, neben anderen von Enea Silvio de’ Piccolomini46 und Antoninus von Florenz, die er auch explizit als seine Quellen nennt.47 Das Ethnonym »Skythen« änderte in der mittelalterlichen Literatur häufig die Bedeutung, war aber schon früh ein Synonym für barbarische Nordvölker.48 Regino von Prüm übertrug den Namen auf die Ungarn der Landnahmezeit. Simon K¦zai nahm den Faden für die ungarische Nationalgeschichtsschreibung auf.49 In der byzantinischen Geschichtsschreibung war der Begriff »Skythen« zwischenzeitlich ein Synonym für alle eurasischen Steppenvölker, für Hunnen, Ungarn und Alanen ebenso wie für Turkvölker.50 Thurûczy kannte die negative Belegung des Begriffs »Skythien«, erklärt aber, dass er sich nicht dafür schäme, dass die Hunnen bzw. Ungarn ihren Ursprung im asiatischen Skythien hätten.51 Enea Silvio hatte auf die Skythen als »Antityp der Zivilisation« zurückgegriffen,52 um damit die Osmanen zu diskreditieren. Für Thurûczy gelten aber nicht die humanistischen, zivilisatorischen Ideale des Enea. Was für ihn die Hunnen bzw. Ungarn ausmacht, ist gerade ihre militärische Stärke, weniger die »Schreibkunst« (literarum scientia).53 In der Geringschätzung der scientia literarum zeigt sich aber auch die Abgrenzung zum Humanismus. Stolz bezieht Thurûczy hingegen aus der Herkunft der Hunnen bzw. Ungarn aus Skythien und dem Ruhm der militärischen Stärke: Auch in der Gegenwart würde ihr Schwert über dem Haupt der gegnerischen Völker glänzen.54 In Tapferkeit und militärischer Tüchtigkeit würden die Hunnen bzw.
45 Simonis de K¦za, Gesta Hungarorum, hrsg. Lszlû Veszprémy, Frank Schaer, Budapest 1999, S. 30; Vgl. Jeno˝ Szücs, Theoretical Elements in Master Simon of K¦za’s Gesta Hungarorum (1282 – 1285), in: ebd., S. XXIX – CII. 46 Mályusz, Thurûczy-krûnika (wie Anm. 28), S. 109. 47 Ebd., S. 110 – 111. 48 Hansgerd Göckenjan, Skythen, Skythien, in: LexMA, 7, München 1995, Sp. 1999 – 2000. 49 Ebd.; Kerksen, Geschichtsschreibung (wie Anm. 7), S. 705. 50 Glöckenjan, Skythien (wie Anm. 48), Sp. 2000. 51 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 93.: Paulum Orosium et Dionisium Alexandrinum philosophum supradictos sequi idque, quod Huni sive Hungari primam in Asiatica Scitia natalis soli sedem habuerunt, me referre non pudet. 52 Johannes Helmrath, Pius II. und die Türken, in: Europa und die Türken in der Renaissance, hrsg. Bodo Guthmüller, Wilhelm Kühlmann, Tübingen 2000, S. 79 – 137, hier S. 108. 53 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 6.: Hoc genus hominum ipsarum etate rerum armorum potius strepitu quam literarum scientia sese exercitabat. 54 Ebd., § 87.: Hunorum sive Hungarorum genitricem esse Scitiam nullus dubitat, quorum et in principio exitus de Scitia virtus milicie preclara efferbuit, et nunc hoc nostro evo gladius illorum contrarie gentis supra capita nitet.
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Ungarn von keiner anderen Nation übertroffen.55 Mályusz hat herausgearbeitet, dass Thurûczy im Wesentlichen aus seinen Vorlagen alles, was die Skythen und Hunnen vorteilhaft erscheinen ließ, übernommen und Negatives, Unvorteilhaftes weggelassen hat.56 Vorteilhafte Zuschreibungen waren für Thurûczy Kriegsstärke und Widerstandsfähigkeit. Die Unbesiegbarkeit der Skythen betont er mehrmals: Weder Alexander der Große noch Rom hätten es geschafft die Skythen zu besiegen.57 Für wen Thurûczy die Chronik verfasst, wird ebenfalls in der Widmung deutlich. Diese gilt nicht Matthias Corvinus und er schrieb diese auch nicht in dessen Auftrag, sondern zuerst auf Anregen seines Vorgesetzten in der Kanzlei, dem protonotarius Istvn Hssgyi. Die Vervollständigung der Chronik bis in seine Gegenwart hinein widmete Thurûczy dem personalis praesentiae cancellarius Tams Dragi. In der an Dragi adressierten Widmung spricht Thurûczy den Gewidmeten direkt an und erinnert sich, wie sie zusammen die Geschichte der Ungarn hätten aufklären wollen. Wichtig scheint hier der Aspekt, dass eine neue Schicht über die Geschichte der Ungarn sprechen will. Die Chronik spiegelt also insgesamt die Interessen einer Beamtenschicht wider, die sich aus dem Niederadel rekrutiert. Es sind hier keine Kleriker in Diskussionen vertieft, sondern die Mitglieder einer Kanzlei. Diese bestand aus Laien aus dem Niederadel.58 Dass Thurûczy diese Widmung an Tams Dragi richtet und hier das Wir-Feld aufmacht, weist auf dieses kleine Kollektiv der Kanzlisten hin, welchem er sich selbst zuordnet. Er berichtet von kleinen Disputen mit Tams Drgi was die rebus Hungarice nationis angeht.59 Ausgehend von der Theorie Assmanns, dass Erinnerungskultur ein soziales Unternehmen ist, also Erinnerung nicht im luftleeren Raum stattfindet, wird deutlich, dass sich hier ein Kollektiv eine Erinnerung schafft, vielleicht auch unter dem Druck eines Kulturwandels am Hofe Matthias Corvinus’, der sich selbst im Sinne der Renaissance eher auf die Antike beziehen 55 Ebd., § 49.: […] Huni sive Hungari […], tum vero militari prestantia et armorum virtute ceteras nationes longe evadere ubique clamat. 56 Mályusz, Thurûczy-krûnika (wie Anm. 28), S. 119. 57 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 82.: Strennua enim fuit semper Scitarum manus, nec illam Romanorum dominatio aut Alexandri Magni vel cuiusvis imperii potestas concussisse legitur, et si limites Scitie quispiam hostium adisse inveniatur, non tamen illius ad interiora aliquis extraneorum principum sua extendere valuit arma. 58 Engel, Foreword (wie Anm. 19), S. 5. 59 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 4.: Iugi otio his annis nobis eque simul torpentibus varii rerum ordines cum inter occurrissent, suaves interdum lites media inter colloquia surrexere, et levia disputationum sepius emerserunt iurgia. Dum rebus Hungarice nationis de primevis deque parte mundi, que Hungaros aut germinavit aut in hanc regionem, que antiquitus Pannonia, nunc vero Hungaris ab eisdem Hungaria dicta est, fudit, variis utamur sententiis, experiendi tandem gratia placuit dudum super his rebus contextas revolvere historias.
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wollte als auf das »dunkle Mittelalter«.60 Dass Thurûczys Werk in Stil und Geschichtsbild den Ansprüchen des humanistisch gesinnten König Matthias Corvinus nicht zu genügen schien, in höfischen Kreisen sogar als »barbarisch« galt,61 zeigt sich unter anderem darin, dass Matthias nur kurz nach dem Druck der Chronica Hungarorum selbst eine weitere Geschichte der Ungarn bei einem humanistischen Schreiber an seinem Hof, dem Italiener Antonio Bonfini, in Auftrag gab. Matthias hatte Jahre zuvor bereits Bonfini damit beauftragt für die Familie der Hunyaden eine Genealogie zu konstruieren, die eine Herkunft Corvinus’ von einem alten Patriziergeschlechts des antiken Roms behauptete und damit eine Legitimation liefern sollte für Matthias’ unehelichen Sohn Johannes Corvinus.62 Hochgehalten wurde hier also der Bezug auf das antike Rom. In Thurûczys Werk ist der Ruhm Attilas als Feldherr der Kern der ungarischen Identität. Er übernimmt von Simon von Kez den Bezug auf die Hunnen als die Vorfahren der Ungarn und betont die militärische Stärke. Die Diskussionen innerhalb der Kanzlei zeugen von dem Bedarf für eine eigene Geschichte sowie vom Bedürfnis nach einer kollektiven Erinnerung.
Die Belagerung von Belgrad Die Auseinandersetzungen mit den Osmanen nimmt in den von Thurûczy eigenständig verfassten Kapiteln 192 bis 26263 den größten Raum ein.64 Ist der Text sonst schon in sehr bildhaftem und anschaulichem Stil gehalten, so hat Thurûczy die Erzählung von der Belagerung Belgrads noch dramatischer und effektvoller 60 Bonfini konstruierte für den »Emporkömmling« Matthias Corvinus eine familiäre Herkunftslinie von einem alten Patriziergeschlecht im Antiken Rom, vgl. Julia Dücker, Konstruktion einer ruhmreichen Vergangenheit: Die Abstammung des ungarischen Königs Matthias Corvinus, in: Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter, hrsg. Michael Borgolte, Julia Dücker et al., Berlin 2011, S. 137 – 151. Dennoch stellten aber auch die Humanisten den positiven Bezug auf Attila her, nannten Matthias einen »zweiten Attila« sowie »skythischen Mars«, und suchten so römische Antike und Skythien zu verbinden, vgl. Jörg K. Hoensch, Matthias Corvinus. Diplomat, Feldherr und Mäzen, Graz 1998, S. 242. 61 Lszlû Havas, Sebesty¦n Kiss, Die Geschichtskonzeption Antonio Bonfinis, in: Diffusion des Humanismus. Studien zur nationalen Geschichtsschreibung europäischer Humanisten, hrsg. Johannes Helmrath, Ulrich Muhlack et al., Göttingen 2002, S. 281 – 307, hier S. 284. 62 Vgl. Dücker, Konstruktion (wie Anm. 60). 63 Die Nummerierung der Kapitel wurde in der Edition von Galntai und Kristû (Anm. 10) vorgenommen. 64 Das größte Kapitel mit etwa 1.800 Wörtern ist das Kapitel 250 über die Belagerung von Belgrad durch die Osmanen vom 4. bis 22. Juli 1456 und der erfolgreichen Verteidigung. Die Kapitel 195 bis 262 umfassen insgesamt etwa 34.000 Wörter, die durchschnittliche Wortzahl beträgt bei 67 Kapiteln etwa 500 Wörter. Damit ist das Kapitel 250 beinahe viermal solange wie ein durchschnittliches Kapitel.
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gestaltet. Gleich zu Beginn der Schilderung von der Belagerung Belgrads kommen die verschiedenen Gruppen zum Vorschein, in die Thurûczy die Akteure einteilt: Auf der einen Seite findet sich Mehmet II., der Sultan der Osmanen65 (cesarem Thurcorum Machumetem), der im Begriff ist, nach der Einnahme von Konstantinopel nun Belgrad zu belagern.66 Davon seien nicht nur das Volk der Ungarn, sondern auch die umliegenden Regionen und sozusagen die gesamte Christenheit in Sorge versetzt worden.67 Das gesamte katholische Volk sei aufgeschreckt durch die Blockade der Stadt Konstantinopel.68 Auf der anderen Seite stehen also als übergeordnetes Kollektiv totius catholice plebs und als deren Teilkollektive Hungarie plebs und vicinas regiones. Als Akteure der Teilkollektive innerhalb der Christenheit sind auf der einen Seite der ungarische König Ladislaus Postumus mit seinem Berater Ulrich von Cilli. Hier ist interessant, dass Thurûczy von Ulrich von Cilli meint, er würde geführt vom »deutschen« (almanico) Geist kriegerischen Muts.69 Thurûczy nimmt Ulrich von Cilli also als Deutschen wahr. Wie die ungarischen domini, d. h. die Magnaten und Barone, unternähmen Ulrich von Cilli und König Ladislaus nichts. Auf der anderen Seite stehen Hunyadi mit vielen Ungarn (Hungarice plurime)70 und Johannes Capistrano mit den Kreuzzugsfahrern. Dies ist die Gegenüberstellung innerhalb der christlichen Seite, der christianitas. Auf dieser Seite nimmt Thurûczy auch Gott und Jesus Christus als Akteure wahr, deren Hilfe angerufen wird. Als Akteure auf osmanischer Seite nennt Thurûczy den Sultan Mehmet, den »Woiwoden von Anatolien«,71 allgemein thurci sowie ihre Maschinen. Diese Gruppen in der Wahrnehmung Thurûczy sollen im Folgenden analysiert werden.
65 In indirekten und direkten Zitaten verwende ich in dieser Arbeit den Quellenbegriff »Türken« bzw. lat. t(h)hurci, ansonsten den Begriff »Osmanen«. 66 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 929. 67 Ebd., § 929.: Hec fama non solum Hungarie plebem, verum etiam cunctas vicinas regiones et quasi omnem Christianitatem magnas involvit in curas et cogitationes. 68 Ebd., §§ 929 – 930.: Constantinapolitane enim urbis truculenta expugnatio totius catholice plebis ferebatur ante oculos, cunctisque terrori non modico erat. 69 Ebd., § 930.: […] comes Vlricus, Almanico qui ducebatur bellice virtutis animo, […]. 70 Ebd., § 934. 71 I. e. der Beg˘lerbeg˘ von Anatolien. »Beg˘lerbeg˘« (»Herr der Herren«) war zu den Anfängen des Osmanischen Reiches der Oberbefehlshaber über die Streitkräfte, in der Rangordnung unmittelbar unterhalb des Sultans. Nach den Eroberungen auf dem europäischen Kontinent wurden je ein Beg˘lerbeg˘ für Rumelien – die osmanische Bezeichnung für die europäischen Gebiete des Reiches auf der Balkanhalbinsel – und Anatolien ernannt, s. Ferenc Majoros, Bernd Rill, Das osmanische Reich. Die Geschichte einer Großmacht 1300 – 1922, Hamburg 2011, S. 11.
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Das Bild der Osmanen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit Für eine Untersuchung der Dualität des Eigenen und des Fremden ist das Bild des Islams im Mittelalter sehr aufschlussreich, denn der Islam war neben dem Judentum für die christianitas eine »Alterität par excellence«.72 Im Anschluss an Kosellecks asymmetrische Gegenbegriffe galt hier die Dualität »Christen vs. Heiden«,73 wobei die Heiden noch von Häretikern unterschieden werden müssen. Ein übergreifendes Verständnis von »Religion« im Sinne von nebeneinander stehenden Glaubensrichtungen gab es nicht, denn religio meinte nur die Form der Gottesverehrung, nicht den Inhalt. Mit dem Begriff fides wurden die christlichen Glaubensinhalte benannt, und dieser Begriff war auf den Islam oder das Judentum nicht übertragbar. Hierfür standen die Begriffe lex oder secta.74 In diese Schemata wurde der Islam eingeordnet.75 Bis zu den Kreuzzügen herrschte, neben der Gleichsetzung Mohammeds mit dem Antichristen, das Bild der Muslime als heidnische Götzenanbeter vor.76 Erst mit den Chroniken, die im Umfeld des von 1147 bis 1149 stattfindenden Zweiten Kreuzzuges entstanden, änderte sich das Bild des muslimischen Heiden, der Götzen anbetet, in einen vom wahren Glauben abgefallenen Häretiker. So stellte Otto von Freising, der auf dem Zweiten Kreuzzug in direkten Kontakt mit muslimischen Gläubigen gekommen war, fest, dass diese auch nur einen Gott anbeteten sowie Christus und seine Apostel anerkannten. Weil sie aber leugnen würden, dass Jesus der Sohn Gottes sei, seien sie weit vom Heil entfernt.77 Ab dem 12. Jh. setzte sich bei Gelehrten die Einstufung des Islams als Häresie durch.78 Mit der Eroberung Konstantinopels 1453 durch das Osmanische Reich veränderte sich der Diskurs über den Islam. Im asymmetrischen Gegensatzpaar standen sich statt Christen und häretischen Sarazenen nunmehr Christen und Türken gegenüber. Mit dem Schlagwort der Türkengefahr wurde jetzt verstärkt das Motiv des Antichristen in der Person Mohammeds
72 Almut Höfert, Alteritätsdiskurse: Analyseparameter historischer Antagonismusnarrative und ihre historiographischen Folgen, in: Repräsentationen der islamischen Welt im Europa der Frühen Neuzeit, hrsg. Gabriele Haug-Moritz und Ludolf Pelizaeus, Münster 2010, S. 21 – 40, hier S. 22. 73 Reinhardt Koselleck, Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe, in: Vergangene Zukunft: Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, hrsg. ders., Frankfurt am Main 1989, S. 211 – 259, hier S. 229 – 244. 74 Höfert, Alteritätsdiskurse (wie Anm. 72), S. 25. 75 John Tolan, Saracens. Islam in the Medieval European Imagination, New York 2002, S. XIX, 8 – 13. 76 Höfert, Alteritätsdiskurse (wie Anm. 72), S. 26. 77 Otto von Freising, Ottonis episcopi Frisingensis Chronica sive historia de duabus civitatibus (MGH SS, 7) Hannover 1912, S. 317 – 318. 78 Höfert, Alteritätsdiskurse (wie Anm. 72), S. 27; Tolan, Saracens (wie Anm. 75) 2002, S. 168.
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bedient.79 Dabei wurde die unitas christiana beschworen. Nicht mehr Jerusalem war, wie noch zur Zeit der ersten Kreuzzüge, der zentrale Bezugspunkt der Christenheit, sondern Europa, wie es vor allem in der berühmten Rede von Enea Silvio de’ Piccolomini, zum Ausdruck kommt: »Europa, id est […] patria, […] domus propria, […] sedis nostra.«80 Der aufkommende Buchdruck gab dem Diskurs der Türkengefahr eine neue Dynamik und stand in seiner Entwicklung in einer engen Verbindung mit diesem.81 Die Buchdrucke präsentierten vermehrt empirisch gesammeltes Wissen, hauptsächlich in Form von Reiseberichten oder Berichten ehemaliger Gefangener des Osmanischen Reiches. Die Berichterstatter bestanden weiterhin darauf, dass die Osmanen eine Bedrohung für die Christenheit und der Islam ein Irrglaube sei. Die Projektion eines Feindbildes trat aber nun häufiger hinter der Präsentation eines vorgeblich neutralen und differenzierteren Wissenskorpus über die Gesellschaft der Osmanen zurück. Für diese Sammlung von ethnographischen Wissen etablierte sich eine als »Apodemik« bezeichnete literarische Form. Stereotypen wurden darin weiterhin reproduziert. Demnach waren die Osmanen immer noch »teuflische Ungläubige«,82 aber dies wurde nicht mehr ständig in den Vordergrund gestellt. Die Apodemik gab für die Beobachtung von Gesellschaften Kategorien vor, nach der die Erfahrungen einer Reise gegliedert werden sollten.83 Dies waren Kategorien wie »Geographische Verhältnisse«, »Regierung«, »Sitten und Gebräuche« und eben »Religion«. Durch die Verwendung des Oberbegriffs »Religion« verlor das Christentum seine Ausschließlichkeit und wurde zu einer ethnographischen Kategorie. Dies schuf die Voraussetzung für eine Gleichsetzung der islamischen und der christlichen Religion, was aber noch lange nicht Gleichwertigkeit bedeutete.84 Daneben gab es aber weiterhin Texte, denen es vorrangig darum ging, Ängste zu schüren und ein klares Feindbild zu konstruieren. In diesen Texten stand die Seite der Christenheit im Vordergrund, also
79 Höfert, Alteritätsdiskurse (wie Anm. 72), S. 28. 80 Enea Silvio de’ Piccolomini, Constantinopolitana clades, Verfügbar unter : http:// www.europa.clio-online.de/Portals/_Europa/documents/fska/Q_2005_FS6 – 01.pdf, Zugriff am 19. 07. 2013; vgl. Johannes Helmrath, Enea Silvio Piccolomini (Pius II.). Ein Humanist als Vater des Europagedankens? Verfügbar unter : http://www.europa.clio-online.de/Portals/ _Europa/documents/fska/E_2005_FS6 – 01.pdf, Zugriff am 19. 07. 2013. 81 Das älteste vollständig erhaltene gedruckte Buch, aus dem Jahr 1454, ist ein sogenannter »Türkenkalender« mit dem Titel »Eyn manung der cristenheit widder die durken«, s. Dieter Mertens, »Europa, id est patria, domus propria, sedis nostra…«. Zu Funktion und Überlieferung lateinischer Türkenreden im 15. Jahrhundert, in: Europa und die osmanische Expansion im ausgehenden Mittelalter (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 20), hrsg. Franz-Reiner Erkens, Berlin 1997, S. 39 – 58, hier S. 42, Anm. 10. 82 Höfert, Alteritätsdiskurse (wie Anm. 72), S. 30. 83 Ebd., S. 34; Höfert, Feind (wie Anm. 11), S. 34 – 40. 84 Höfert, Alteritätsdiskurse (wie Anm. 72), S. 34.
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das »Eigene«. Ziel war die Integration, d. h. die Einigung der Christenheit gegen die Osmanen.85
Zwei Ursprungsthesen über die Türken Die erste Erwähnung finden die Osmanen bzw. Thurci bei Thurûczy in Kapitel 10 De laude Scitarum et de gentibus de Scitia ortis, welches er vor allem aus Werken von Enea Silvio – insbesondere aus De Asia – und Orosius kompilierte.86 Thurûczy setzte die Thurci mit den Osmanen gleich.87 Interessant hierbei ist, dass Thurûczy von einem gemeinsamen Ursprung der Ungarn und der Osmanen in Skythien ausgeht, da er die von Simon de K¦za gestaltete Verbindung der Ungarn mit den Hunnen bzw. die Gleichsetzung der beiden sowie die Herkunft der Ungarn aus Skythien übernimmt. Wie weit der Begriff Thurci im Mittelalter interpretiert worden war, zeigt sich daran, dass auch die Magyaren von byzantinischen Schreibern mit diesem Namen bezeichnet worden waren.88 »Türken« war nicht die Eigenbezeichnung der Eliten im Osmanischen Reich. Der Begriff hatte eine europäische Tradition, die mit dem Aufstieg der Osmanischen Dynastie zu einer politischen Größe im 13. und 14. Jh. mit diesen in Verbindung gebracht bzw. auf die Osmanen übertragen wurde.89 Die Alexanderlegende spielte von Seiten der byzantinischen Historiographie in die Ursprungserzählungen hinein. Nach dieser hatte Alexander der Große die »barbarischen« Völker hinter Toren im Kaukasus weggeschlossen und damit die bewohnte Welt vor dem Einfall der »Barbaren« bewahrt.90 Diese »Barbaren« wurden zu verschiedenen Zeiten und Situationen mit verschiedenen Völkern identifiziert: zuerst mit den biblischen Völkern Gog und Magog und in deren Nachfolge mit den Goten, den Khazaren, den Magyaren oder schließlich mit den 85 Ebd., S. 31. In weiter vom Osmanischen Reich entfernten Gebieten konnte aber auch ein positives Türkenbild reüssieren. Im Jahr 1454, also ein Jahr nach dem Fall Konstantinopels, wurden in Nürnberg zwei Fastnachtsspiele aufgeführt, in der der osmanische Sultan als »großzügiger« und »gerechter« Herrscher nach Nürnberg kommt, um den Nürnbergern bei ihren Problemen zu helfen. In diesen Fastnachtsspielen kommt Kritik an den hiesigen Machthabern zum Ausdruck und vermittelt ein Bild von einer gerechten und toleranten Herrschaft im Osmanischen Reich, s. Nedret Burçog˘lu, Die Wandlungen des Türkenbildes in Europa. Vom 11. Jahrhundert bis zur heutigen Zeit: eine kritische Perspektive, Zürich 2005, S. 24. 86 Mályusz, Chronica (wie Anm. 29), S. 76. 87 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), S. 31; Mályusz, Chronica (wie Anm. 29), S. 79. 88 Ebd., S. 79. 89 Höfert, Feind (wie Anm. 11), S. 184. Entstanden ist der Begriff womöglich durch einen Abschreibefehler aus dem Vierten Buch der Historien von Herodot, durch den die Osmanen in die Nähe der Skythen gerückt wurden, s. ebd., S. 185. 90 Ebd., S. 186.
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Türken. Diese Völker galten zu bestimmten Zeiten in der mittelalterlichen Literatur als Vorboten des Antichristen.91 Eine häufige Bezeichnung für die Osmanen in der Zeit des Aufstiegs vom 13. bis 15. Jh. war auch die der »Strafe Gottes« bzw. der »Geißel Gottes«.92 Diese Bezeichnung war auch für Attila verwendet worden, womit eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den Osmanen und den Ungarn bzw. den Hunnen gegeben war. Nach einer weiteren Theorie hatten die »Türken« ihren Ursprung in Troja. Auch Thurûczy führt diese Theorie aus,93 verwirft sie aber wieder gemäß seiner Vorlage, Eneas De Asia. Nach dieser These wurde der Name Turci von Teukros, lat. Teucer, abgeleitet, dem mythischen ersten König Trojas.94 Die Verbindung Trojas mit den Türken kam der Vorstellung entgegen, der Fall Konstantinopels sei nun die Rache für den Fall Trojas, deren Angreifer, die Danaer, als die Vorfahren der zeitgenössischen Griechen bzw. Byzantiner galten und in der Abgrenzung zur griechischen Orthodoxie vom Westen verachtet wurden.95 Mit der Konstruktion eines Europa wie bei Enea, mit dem der Unterschied und der Hass zwischen Lateinern und Griechen »geradezu weggezaubert« wurde,96 verlor die Troja-These im beginnenden Diskurs der Türkengefahr an Halt. Denn im mittelalterlichen Geschichtsverständnis wurden die Franken wie auch die legendären Gründer Roms, Romulus und Remus, aus Troja abgeleitet. Somit hätte die Theorie des trojanischen Ursprungs der Türken eine gemeinsame Genealogie mit dem westlichen Europa impliziert.97 Deswegen propagierte vor allem Enea Silvio die Skythen-These und kritisierte die Troja-These »unermüdlich und mit Ingrimm«.98 Die Etablierung der Skythen-These schuf hingegen die Grundlage für einen weiten erzählerischen Bogen der Herkunft der Türken über Gog und Magog und den Skythen hin zu den Türken. Somit wurden die Türken als ewiger Feind der Christenheit dargestellt.99 Davon ist bei Thurûczy aber nichts zu finden. Er verwirft zwar ebenso die 91 Ebd., S. 186. 92 Burçog˘lu, Wandlungen (wie Anm. 85), S. 20. 93 thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 89.: Multas preter has Scitia gentes suo in gremio enutritas fudit, quarum novissimi Thurci esse perhibentur, quamvis nonnulli illos Troyano de genere propaginem ducere et nomen a Thewcro rege, qui Troyani belli in fervore ruiture urbi auxiliaturus venerat, nomen non Thurci, sed Thewcri receptsse putent. 94 Mályusz, Chronica (wie Anm. 29), S. 79 – 80. In ungarischen Kanzleien war neben der Schreibweise Turci auch die Schreibweise Teucri üblich, s. ebd. 95 Helmrath, Pius II. (wie Anm. 52), S. 110. 96 Dieter Mertens, Claromontani passagii exemplum. Papst Urban II. und der erste Kreuzzug in der Türkenkriegspropaganda des Renaissance-Humanismus, in: Europa und die Türken in der Renaissance, hrsg. Bodo Guthmüller, Wilhelm Kühlmann, Tübingen 2000, S. 65 – 78, hier S. 65. 97 Höfert, Feind (wie Anm. 11), S. 186. 98 Helmrath, Pius II. (wie Anm. 52), S. 110. 99 Höfert, Feind (wie Anm. 11), S. 187.
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Troja-These und übernimmt die Skythen-These. Er hält aber am Lob auf die Skythen und ihre kriegerische Größe fest.100 Die Aussage über die Osmanen, dass diese ihre alte Kleidung und ihre Waffen, die sie aus ihrer patria Skythien mitgenommen hätten, noch heute tragen würden, ist also anerkennend zu verstehen.101 Die zu Thurûczys Zeit aktuelle Macht und Stärke, vor der sich ein großer Teil des Westens fürchtete, waren für Thurûczy selbst somit auch Teil eines gewissen Stolzes auf eine gemeinsame Herkunft mit diesen starken Kriegern. Enea Silvio hingegen hatte die Skythen als den »Antityp der Zivilisation« dargestellt, um deren vermeintliche Nachkommen, die Osmanen, zu desavouieren.102 So seien diese Skythen zwar unter dem heiteren Himmel Kleinasiens nach ihrem Auszug aus dem Kaukasus etwas kultivierter geworden, aber weiterhin seien sie Barbaren, die der Lust und der Grausamkeit frönten, die litterae hassten und die studia humanitatis verfolgten.103 Hier zeigt sich der Gegensatz zwischen dem humanistischen, an den Künsten und der Literatur orientierten Enea und Thurûczy, dem die Bildung weniger galt als Kampfkraft.104 Von Eneas äußerst negativer Charakterisierung der Osmanen findet sich bei Thurûczy nicht viel.
Die Zeit der Osmanenkriege Die Osmanen bzw. Türken werden von Thurûczy meist nicht als eigenständige Gruppe geschildert, sondern durch ihr Oberhaupt, den cesar Thurcorum umschrieben. Demnach betrieb der Sultan die Belagerung, er wird als einzige aktive Person beschrieben, er ist der Aggressor und nicht die Türken als Gruppe. Dementsprechend wird der Sultan auch mit Bewertungen belegt und kaum andere Türken oder die Türken als Kollektiv. Es sei der Sultan – und nicht die Türken –, der überheblich geworden sei. Der Sultan habe sich als Nachfolger Alexanders des Großen gesehen.105 Auch in der weiteren Schilderung der Belagerung von Belgrad sind es kaum die einzelnen Gruppen innerhalb der türkischen Gruppe, die benannt werden. Nicht die Türken greifen an, sondern der 100 Siehe die Kapitelüberschrift De laude Scitarum et de gentibus de Scitia ortis, Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 81. 101 Ebd., § 92.: Hi antiquum tum in amictu tum vero in armis, Scitica quem eduxerunt de patria, tenent modum. 102 Helmrath, Pius II. (wie Anm. 52), S. 108. 103 Ebd., S. 108. 104 S. o. 105 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 930.: Ipse siquidem cesar Thurcorum habita in Grecis victoria quasi alium hominem indutus ambitione et superbia altiori tumescens Magni quondam Alexandri Macedonum triumphalia ad ipsum redisse tempora arbitrabatur.
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Sultan der Türken mit seinen Kriegsmaschinen und seinen 400.000 Türken.106 Dass an dieser Stelle vor den milibus Thurcorum ultra quam quattuor centenis die apparatus genannt werden, ist für die weitere Beschreibung der Osmanen kennzeichnend. In der gesamten Belagerung ist mehr die Rede von den Maschinen, die die Stadt angreifen, als von den Menschen dahinter. Der Feind wird hier vor allem als unüberschaubare Masse107 oder als Maschinen wahrgenommen. Die Gesamtheit des Kollektivs aber wird durch die Person des Sultans repräsentiert. Im Kapitel über die Belagerung von Belgrad gibt es zwei Szenen, in denen Thurûczy die osmanische Seite beschreibt, die erste vor der Belagerung und die zweite unmittelbar nach der Flucht der Osmanen. Der erste Abschnitt zeigt einen ehrgeizigen und anmaßenden Sultan Mehmet in einer Besprechung mit seinen Hauptmännern vor der Belagerung.108 Er habe von der erfolglosen Belagerung Belgrads durch seinen Vater, dem Sultan Murad,109 gehört und er habe diesen »unmäßig« kritisiert, und gesagt, er selbst könne die Stadt innerhalb von 15 Tagen einnehmen.110 Dem Sultan stellte Thurûczy aber einen seiner ranghöchsten Würdenträger, den Beg˘lerbeg˘i von Anatolien,111 gegenüber, der Zweifel äußerte und meinte, die Zukunft könnte ihn noch Lügen strafen, denn die Ungarn würden ihre Festungen stärker verteidigen als die Griechen.112 Die an-
106 Ebd., § 931.: Phebusque suum geminorum per campum moveri faciebat currum, cum videlicet prefatus cesar Thurcorum horrendo et multiplici bellico cum apparatu ac milibus Thurcorum ultra quam quattuor centenis castrum Nandoralbense predictum terribili obsidione circumquaque adorsus est. Über die Heeresstärke der Osmanen bei der Belagerung von Belgrad kursieren in den Quellen viele phantastische Zahlen, so nennt etwa Enea Silvio 150.000. Thurûczy aber liegt mit 400.000 einsam vorne, s. Franz Babinger, Der Quellenwert der Berichte über den Entsatz von Belgrad am 21./22. Juli 1456 (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Philosophisch-historische Klasse 1957, 6), München 1957, S. 10. 107 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 931.: […] hostis vero multitudinem visu comprehender poterat nemo. 108 Ebd., §§ 936 – 937. 109 Thurûczy selbst schildert diese Belagerung im Jahre 1440 durch Murad II., s. ebd., § 241 – 243. 110 Ebd., §§ 938 – 939.: Quapropter idem cesar Thurcorum astantibus sibi sui exercitus ductoribus ipsum genitorem suum vituperamine non modico aflecit, seque idem castrum dies per quindecim expugnare posse dixit. 111 Der osmanische Titel »Beg˘lerbeg˘ii« wurde zur Thurûczys Zeit meist mit dem ungarischen Titel »Woiwode«, lat. wayuoda, übertragen, Thuróczy, Chronicle (wie Anm. 10), S. 126, Anm. 323. 112 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 939.: […] respondit: Maxime cesar, iocundum aliquid vestre dignitatis in presentia me dicere expediret, timeo tamen, ne in posterum rei exitus me vestram apud clementiam redarguat, ac tamen scire debemus Hungaros ipsorum castra gravius cedere quam Grecos.
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gebliche Aussage des Sultans hat Thurûczy von Enea übernommen, die Warnung des Beg˘lerbeg˘i ist aber Thurûczys eigene Erfindung.113 In der Szene nach der Belagerung und der Flucht der Osmanen stellt Thurûczy die namenlosen Soldaten, die den (angeblich) verletzten Sultan am Ende der Belagerung über die Niederlage informieren, als nüchtern und besonnen handelnd dar. Diese berichteten ihrem Sultan, dass sie keinen Ausweg gesehen hätten als die Flucht, nachdem die Kommandeure getötet und der Sultan verletzt worden seien.114 Darauf reagiert der Sultan in Thurûczys Schilderung ungehalten: Er könne die Schande nicht verkraften und wolle sich eher selbst töten.115 Im letzten Abschnitt des Kapitels wird Mehmet II. von Thurûczy schließlich noch verspottet als tumida mente, der von Bauern geschlagen worden sei, die besser mit der Harke seien als mit Waffen, er, der mit Pauken und Trompeten angetreten war und schmählich in aller Stille in der Nacht floh.116 Diese Beispiele zeigen, dass Thurûczy nur den Sultan als hochmütig und arrogant darstellt und vor allem diesem Thurûczys Spott gilt. Die Schilderung der anderen Osmanen, die hier zu Wort kommen, ist auf den ersten Blick neutral. Zumindest werden sie nicht lächerlich gemacht. Vielmehr legt Thurûczy dem Beg˘lerbeg˘ii von Anatolien eine Anerkennung der Ungarn in den Mund, die ganz Thurûczys Ziel, der Glorifizierung der ungarischen Kampfkraft, dient. Die Soldaten, die den Sultan informieren, sprechen auch lediglich davon, dass sie von den Ungarn geschlagen worden seien, nicht etwa von den Christen. Dies wäre durchaus eine gültige Wahrnehmungsweise gewesen, schließlich gehörte auch ein Kontingent an nicht-ungarischen Kreuzzugskämpfern zu den Verteidigern Belgrads. Hier wird zum Einen deutlich, dass Thurûczy die Osmanen nicht als fremd konstruiert. Er stellt sie weder als teuflisch noch monströs oder dergleichen dar, sondern im Falle der Untertanen des Sultans als besonnen. Zum Anderen zeigt sich, dass diese Darstellung aber kaum der positiven Charakterisierung der Osmanen gelten soll, sondern vor allem dem Lob des Eigenen, dem Ruhm der Ungarn und ihrer militärischen Potenz. Wenn die Osmanen bei Thurûczy sprechen dürfen, dann äußern sie Respekt vor den Ungarn. 113 Mályusz, Chronica (wie Anm. 29), § 379. 114 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 945.: Devicti sumus, inquiunt, per Hungaros, et Natulie wayuoda ac quasi omnes tui exercitus ductores interfecti sunt, nos quoque magnam accepimus stragem, ac, quod maius est, tuam serenitatem potius mori quam vivere suspicabamur. 115 Ebd., § 946.: Afferte mihi venenum, ut gustem et moriar potius, quam cum dedecore meum revertar in regnum! 116 Ebd., § 946.: Tali igitur exitu cesar Thurcorum sub castro Nandoralbensi cum Hungaris preliatus est, et, qui tumida mente superboque oculo solus cuncto terrarum orbi dominari volebat, iudicio divino rusticanam per manum, que potius sarculum quam arma tractavit, devictus est, et, qui multarum tubarum multorumque timpanorum in sono admodum letus venerat, tristis noctis sub silentio turpiter fugit.
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Die Schlacht von Nikopolis Eine der wenigen Stellen, in denen Thurûczy die Osmanen als ein »Übel« bezeichnet und einen christlichen Blickwinkel einnimmt, findet sich im Bericht über die Schlacht von Nikopolis, in der der größte Kreuzzug des europäischen Mittelalters in einer Niederlage für das von König Sigismund angeführte Kreuzzugheer endete. Und tatsächlich ist die Passage auch eine Paraphrase aus Enea Silvios De Europa.117 Die Schuld für die Bedrohung Europas durch die Osmanen gibt Thurûczy den byzantinischen Kaisern.118 Einer der beiden habe den osmanischen Sultan Murad I.119 um militärische Hilfe gebeten, welcher selbst schon länger vorgehabt habe, in diese Gebiete vorzudringen.120 Mit diesem Pakt sei die gens Thurcorum von Asien nach Europa migriert121 und die Griechen hätten damit den »unauslöschbaren Scheiterhaufen« entzündet, der bis zum gegenwärtigen Tag durch die Regionen Europas blasen würde. Seitdem keime die Saat »unserer Miseren«.122 Hier verwendet Thurûczy die relativ abstrakte Metapher der Saat und des Wachsens zur Verunglimpfung der Osmanen bzw. des Sultans. Murad habe nicht vorgehabt zu halten, was er versprochen hatte, sondern nur seinen eigenen Vorteil im Blick gehabt.123 Thurûczy zeigt Sultan Murad zwar als vertragsbrüchig, nur auf den eigenen Vorteil bedacht und hinterhältig, nennt ihn aber auch geschickt und begabt. Sein Sohn und Nachfolger Bayezid124 sei ihm darin in nichts nachgestanden, sei aber noch mutiger gewesen.125 Sultan Bayezids Taktik im Vorfeld der Schlacht von Nikopolis, mit der er Gebiete unter seine Herrschaft brachte, auf die auch der ungarische König seit längerem Anspruch erhob, ist in Thurûczys Darstellung mehr von List und Klugheit geprägt als die des ungari117 Mályusz, Chronica (wie Anm. 29), S. 243. 118 Thurûczy nennt nicht die Namen. Gemeint sind Johannes VI. Kantakuzenos, byzantinischer Kaiser von 1341 bzw. 1347 bis 1354, und Johannes V. Palaiologos, Kaiser von 1341 bis 1347 und von 1354 bis – mit Unterbrechungen – zu seinem Tod 1391, s. Peter Schreiner, ›Johannes, 6. J. V. Palaiologos, byz. Ks.‹, in: LexMA, 5, München 1991, Sp. 534. 119 Tatsächlich war es Murads Vater Orhan (1326 – 1362) und Vorgänger als Sultan, der von Kaiser Johannes VI. Kantakuzenos um Hilfe gebeten worden war, s. Thuróczy, Chronicle (wie Anm. 10), S. 53., Anm. 71. 120 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 732.: Neque enim magne fuit difficultatis cesari id persuadere, qui ad hec antea accensus tolis viribus instabat. 121 Ebd., § 732.: Hoc pacto Thurcorum gens ex Asia in Europam migravit. 122 Ebd., § 732.: Hec transversa Grecorum opera rogum inextinguibilem Europeas per partes assidue flagrantem succendit. nostrarumque miseriarum frutices nostris in agris affatim pullulantes germinavit. 123 Ebd., §§ 732 – 733.: Nam ipse Amrates non id. quod promisit, sed quod sibi prodesse posse sperabat, animo volvebat. 124 Bayezid I., geb. 1360, gest. 1403, Sultan von 1389 bis 1402. 125 Ebd., § 733.: […] Pasaiithes et ipse cesar Thurcorum patre Amrate peracri ingenio non minus idoneus et in temptandis rebus arduis magis audax […].
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schen Königs Sigismund. Er habe die Gesandten Sigismunds so lange warten lassen, bis er sich der Herrschaft über bulgarische Gebiete sicher sein und auf sein nun bestehendes Anrecht auf eben diese hinweisen konnte.126 Bemerkenswert ist, dass Thurûczy das Vorgehen der Osmanen nicht als grausam beschreibt, das des Kreuzfahrerheeres unter König Sigismund aber schon. Die Osmanen sind zwar immer der Feind, aber ihre Aktionen werden nicht mit so drastischen Worten geschildert wie die des Kreuzfahrerheeres.127 Sigismund und sein Kreuzfahrerheer seien mit wilder Grausamkeit und plündernd in die von den Osmanen besetzten Gebiete vorgedrungen.128 Und in dem Kreuzfahrerheer seien besonders die Burgunder durch Wildheit und Grausamkeit aufgefallen. Diese hätten König Sigismund um das Vorkampfrecht gebeten, dass heißt, sie wollten die Ehre des ersten Schlags haben.129 Dies sei mit größter Grausamkeit verbunden gewesen.130 Sie hätten sich übermäßig begierig in den Kampf gestürzt.131 Tatsächlich haben die burgundischen Ritter auf ein Vorkampfrecht bestanden, auch weil die Kreuzritter siegessicher waren.132 Thurûczy will hier aber vor allem die Schuld an der Niederlage den anderen Kreuzfahrernationen, vor allem den burgundischen Rittern, geben und die ungarischen Kämpfer entlasten. Diese seien überrascht worden von der Kriegsstrategie der Franzosen – von ihren Pferden abzusteigen und vom Boden aus zu kämpfen133 – und seien, als sie die unbemannten Pferde der Franzosen sahen, verwirrt geflohen.134 Die Schuld 126 Ebd., S. 213 – 214. 127 In Kapitel 203 über die Schlacht von Nikopolis beschreibt Thurûczy den Heereszug des von Sigismund angeführten Kreuzzugsheeres durch Raszien nach Bulgarien. Mit »wilder Grausamkeit, viel Verwüstung und Raub« sei dieser vonstatten gegangen: Regno tandem Rascie crudeli furore in magna rerum direptione horribilitatisque strepitu nimio pertransito Bulgarie venit ad oras. Ebd., § 736. 128 Ebd., S. 214.: Regno tandem Rascie crudeli furore in magna rerum direptione horribilitatisque strepitu nimio pertransito Bulgarie venit ad oras. 129 Klaus-Peter Matschke, Das Kreuz und der Halbmond. Die Geschichte der Türkenkriege, Düsseldorf 2004, S. 90. 130 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 738.: Galli vero sive Franci advenientis hostis fama pulsati regem adeuntes et eum belli primitias, que maiori fervere solent attrocitate, iliis in se excipere, ut annueret, rogatum effecere. 131 Ebd., § 738.: […] mox Franci precipiende pugne insolenti cupiditate capti […]. Tatsächlich wird die Niederlage auch auf mangelnde Disziplin innerhalb des Kreuzfahrerheeres und des übereilten Angriffs der Franzosen zurückgeführt, s. Elem¦r Mályusz, Kaiser Sigismund in Ungarn 1387 – 1437, Budapest 1990, S. 133 – 134. 132 Matschke, Kreuz (wie Anm. 129), S. 90. 133 Was Thurûczy Strategie nennt, war wohl eher unfreiwillig: Die Reiter waren vermutlich auf ein mit Pfählen gespicktes Areal gelockt worden und waren gezwungen abzusteigen, s. ebd., S. 91. 134 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 739.: Diro itaque bello hostes inter utrosque vigente, cum Hungari sellatos Francorum equos cursu transverso regia petere castra conspi-ciunt, nondum enim illorum bellandi usus ipsis notus erat, illos omnino hostilem Per manum
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an der Niederlage wird also den Franzosen und ihrem überstürzten Handeln gegeben, obwohl die Mehrheit der Kämpfer Ungarn waren.135 Thurûczy erwähnt kaum die Osmanen als Akteure in der Schlacht, sie gelten meist nur als hostes, während Thurûczy mehr zur Sprache bringt, wie sich die burgundischen Ritter in der Schlacht verhielten. Auch in anderen Beschreibungen von Kämpfen und Schlachten im Verlaufe der Osmanenkriege sind die Osmanen selten wirklich Akteure. Geht es im Text um Kampfhandlungen, dann findet der Kampf zwischen beiden Akteuren statt oder es wird allgemein das »Schlachten« genannt.136 Es sind nicht die Osmanen, die die Ungarn töten, sondern es ist die Schlacht, die tötet. Die Bezeichnung Thurci taucht in dem Abschnitt über die Kampfhandlungen in Nikopolis gar nicht mehr auf. Thurûczy ließ Sigismund noch vor der Schlacht direkt über die Osmanen reden, die Gefahr der Schlacht beurteilen: Wieder spricht er von den Osmanen nur in der Person des Sultans: »Warum sollten wir diesen Mann fürchten?«137 Thurûczy lässt Sigismund sagen, dass ihre eigenen Waffen sogar den Himmel aufhalten könnten und sie nicht zu Schaden kommen würden.138 Im Gegensatz zu Hunyadi in seiner Rede vor der Befreiung Belgrads verweist Sigismund nicht auf die Hilfe Gottes, auf durch Frömmigkeit erworbene Hilfe Christi, sondern auf die Stärke seiner Speere. Mit dem Verweis auf den Himmel, welcher mit den Waffen sogar aufgehalten werden könne, wird auch eine Anmaßung gegen die Hilfe Gottes, eine Arroganz Sigismunds impliziert. Nach der verlorenen Schlacht nimmt Thurûczy die Rede Sigismunds wieder auf und konstatiert lakonisch: Er selbst wäre beinahe noch umgekommen, nicht unter dem Gewicht des Himmels, aber unter den Waffen des Gegners.139 Es sind aber wieder nur »die Gegner«, nicht die Osmanen. Auch hier konstruiert Thurûczy durch Einfügung der Rede Sigismunds die Fallhöhe. Ein hochmütiger, leichtfertiger Sigismund meint nicht auf die Hilfe Gottes angewiesen zu sein.140 Die Schuld an der Niederlage, des »Menetekels von Nikopolis«,141 tragen demnach die Franken und Sigismund. Die Ungarn seien
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cxtinctos fore credentes graves dissoluti in tumultus castra pariter et bellica relinquentes ingenia campo undique fusi hostibus acriter insistentibus in fugam convertuntur. Mályusz, Sigismund (wie Anm. 131), S. 133. Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 739.: Strages fit maxima, multi cecidere de Hungaris, et multi captivitate aflecti. Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 736.: Quid, inquit, metuendus est nobis homo? Ebd., § 736.: Vastum si celorum super nos pondus rueret, ipsi illud nostris, quas gerimus, hastis, ne lederemur. sustentare possemus. Ebd., § 739.: Et, nisi ipse rex navis ministerio sibi adinvenisset salutem, non celo, velut elatus princeps dixisse fertur, sed hostium armis ibidem obrutus fuisset. Im Vergleich dazu: Hunyadi ruft vor dem Kampf um Belgrad Gottes Hilfe und hat Erfolg, s. o. Matschke, Kreuz (wie Anm. 129), S. 76.
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wegen des »schweren Unglücks« gegen die Osmanen in Nikopolis voll des Hasses gegen Sigismund gewesen, so Thurûczy.142 Wenn Schlachten und Expeditionen unter der Führung von Jnos Hunyadi verloren gingen, sucht Thurûczy hierfür die Schuld nicht bei Hunyadi, sondern erklärt dies mit »Pech«143 und dass es in jenen Fällen weniger am mangelnden Mut als an den Waffen gelegen hätte.144 Insgesamt hat Thurûczy keine gute Meinung von Sigismund und betont an mehreren Stellen, dass Sigismund kein Ungar gewesen sei, wie etwa in der Episode einer Verschwörung von 32 Rittern gegen Sigismund, in der er einen Knaben den König Sigismund als »böhmische Sau« beschimpfen lässt.145 Bei Thurûczy sind Sympathien für die Rebellen ebenso deutlich wie der Vorwurf an Sigismund, die Interessen des ihm fremd gebliebenen Landes gegenüber seinen ehrgeizigen Zielen aus den Augen verloren zu haben.146
Osmanische Individuen Die einzige Szene, in der zwei namenlose osmanische Individuen geschildert werden, dient mehr der Legendenbildung um Hunyadi als der Darstellung der Osmanen. So sei Hunyadi direkt nach der verlorenen Schlacht auf dem Kosovo Polje 1448 alleine in der Umgebung, weit weg von den Wirren des Schlachtfelds, unbewaffnet geritten und daraufhin in die Hände zweier Osmanen gelangt.147 Da diese ihn aber nicht erkannt hätten, hätten sie ihre Speere beiseite gelegt und ihm
142 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 740.: Rex Sigismundus hucusque genti sue amabilis post tam gravem sui populi cladem odio fuit. 143 Ebd., § 855.: Preter hec tam gloriosa per ipsum dominum Johannem wayuodam commissa certamina, ubicumque Thurcorum quevis turma particularis consuetam regni in depredationem quovis occulto tramite se ingerebat, ubique sors illos sinistra comitabatur. 144 Ebd., § 903.: Quamvis autem ipse dominus gubernator bello in hoc sinistra comitatus fuerit fortuna, tamen quia potius armorum, quam animorum deffectu illum apud hostem victoriam relinquisse constabat, grato ergo animo Hungarie proceres cuncti illius spectabant adventum. 145 Ebd., § 730.: Ad hec puerum respondisse ferunt: Ego, inquit. tibi velut scrophe Bohemicali serviturus ero nunquam. Diese Erzählung basierte vermutlich auf einer mündlich tradierten Volkssage und wurde auch von Eneas Silvio erwähnt, s. Mályusz, Chronica (wie Anm. 29), S. 240. 146 Dieses Urteil über Sigismund hatte in Ungarn bis in das 20. Jh. Gültigkeit, s. Jörg K. Hoensch, Kaiser Sigismund. Herrscher an der Schwelle zur Neuzeit 1368 – 1437, München 1996, S. 506. 147 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), §§ 900 – 901.: Dominus autem gubernator, cum in celeri cursu sui equi tanta belli ex confusione procul a campo certaminis elongasset, omnique milite desertus tutricibus depositis armis errabundus per devia ferretur, duorum Thurcorum incidisse dicitur in manus.
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in einem Handgemenge seine Kleidung abgenommen.148 Als sie ein goldenes Kreuz um Hunyadis Hals entdeckten, sei ein Streit ausgebrochen, den Hunyadi für sich genutzt habe. Er habe den einen getötet, der zweite Osmane sei geflüchtet.149 Die Vorlage, die Thurûczy hier vermutlich benutzt hat,150 ergänzte er in seinem Sinne. Denn dass sich der Streit unter den Osmanen am Kreuz um Hunyadis Hals entzündete, fehlt in der Vorlage. Die beiden Osmanen werden als naiv geschildert; ihr Streit über das goldene Kreuz und die Vernachlässigung Hunyadis belegen Habgier und Tollpatschigkeit. Bei Thurûczy entkommt Hunyadi zudem nicht wie in seiner Vorlage auf »wundersame Weise« (mirabiliter), sondern durch seinen »starken Arm«, seine Männlichkeit, seine Schlagkraft und Unerschrockenheit. Thurûczys geringes Wissen über den Aufstieg der Osmanen wird deutlich, wenn er den byzantinischen Kaisern die Schuld an der osmanischen Bedrohung gibt. Einer der rivalisierenden Kaiser hätte Murad I., den – wie Thurûczy richtig weiß – dritten Sultan, um Unterstützung gebeten.151 Tatsächlich war es aber dessen Vater Orhan I., der von Kaiser Johannes VI. Kantakuzenos152 um Unterstützung gegen seinen Rivalen Johannes V. Palaiologos153 gebeten wurde. Die zwei Vorgänger von Murad I. nennt Thurûczy nicht, also auch nicht den die osmanische Dynastie begründenden Osman I.154 Einer der wenigen Hinweise auf Vorgänge im Inneren des Osmanischen Reiches bezieht sich auf das sogenannte osmanische Interregnum von 1402 bis 1413. So stellt Thurûczy Mehmet I.155 als fünften Sultan vor, der über den Tod seiner Brüder, die selbst ebenso Sultan 148 Ebd., § 901.: Dum vero agnitio eiusdem illis nota esset minime, abiectis in terram frameis manu tenus insilierunt in eum, ipsumque suis spoliabant vestimentis. 149 Ebd., § 901.: Pendebat aurea crux domini gubernatoris in collo, hanc alter Thurcorum eorundem cum rapere voluisset, mox dissensio inter illos orta est, mutuumque irruerunt in luctamen. Inter hec dominus gubernator ipsis luctantibus una ipsarum framearum arrepta irruit in eos, in virtuteque sui brachii alterum eorum tam graviter percussit, ut ille preceps in terram ruens extinctus est. Cumque et alterum ferire vellet, ille fuga elapsus eius evasit manus. 150 Die Erzählung bezieht sich auf eine Notiz, die von einem Schreiber überliefert ist, der Hunyadi beim Verfassen eines Briefes behilflich gewesen war. Dieser Schreiber bezeugt, das Geschehen von Hunyadi persönlich erfahren zu haben: Fuit enim hac via fugiendo captus etiam per Turcos et mirabiliter evasit, quia cum datus fuisset duobus ad custodiendum, unum eorum interfecit et alter mox fugit ab eo et sic ibi liberatus fuit. Haec eodem ipso referente agnovimus, zitiert nach Mályusz, Chronica (wie Anm. 29), S. 351. 151 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), §§ 731 – 732.: Et, cum alter horum suam partem deficere vidi, ulciscendi libidine captus Amratem primum Thurcorum cesarem. postquam regnare ceperunt, tertium ad suas partes adiuvandas precio pariter et promissis ex Asia in Gretiam accersivit. 152 Geb. ca. 1295, gest. 1383. 153 Geb. 1332, gest. 1391. 154 Geb. 1258, gest. 1326 oder 1324. 155 Mehmet I., geb. 1389, gest. 1421, Sultan von 1413 bis 1421.
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gewesen seien, Sultan geworden sei;156 ein nur sehr knapper Hinweis auf eine existenzielle Krise des Osmanischen Reiches. Auch von anderen osmanischen Würdenträgern berichtet Thurûczy nicht viel. In den Kapiteln über die Kampagnen Hunyadis gegen Osmanen erwähnt er einzelne Heerführer, die aber eindimensional bleiben. So berichtet Thurûczy von einem wayuoda (»Woiwoden«) Jzak, dem der Sultan die Festung Smederow und ganz Raszien oder Serbien als Geschenk gegeben hätte.157 Hier überträgt Thurûczy die ungarischen Verhältnissen auf die osmanischen. Die Provinzverwalter des Osmanischen Reiches – auf den obersten Ebenen die Beg˘lerbeg˘i und Sancakbeg˘i – waren nicht Grundherren über ihr Gebiet, sondern waren jederzeit ab- oder versetzbar, was zur Vereinheitlichung der Verwaltung beitrug und feudaler Zersplitterung vorbeugte.158 In Unkenntnis der Verhältnisse im Osmanischen Reich benutzte Thurûczy zudem den ursprünglich slawischen Rechtsbegriff »Woiwode« (statt Ishq-Beg˘).159
Die Bedeutung religiöser Aspekte Wie im Vergleich mit der Beschreibung der Hussiten bei Thurûczy z. B. in dem Kapitel De origine Huzistarum, zu erkennen ist, definiert und beschreibt er die Osmanen nur wenig über den Glauben, d. h. die im Diskurs der Türkengefahr postulierte Grundverschiedenheit, der andere Glaube, spielt für Thurûczy kaum eine Rolle. Die Beschreibung der Hussiten entspricht bei Thurûczy weitgehend dem falsche Botschaften verbreitenden, mit dem Teufel verbundenen und sexuell ausschweifenden Typ des Häretikers, der einen gerechten Tod erleiden werde.160 156 Ebd., § 780.: Cum enim eadem tempestate Machumetes primus cesar autem Thurcorum quintus defunctis fratribus una secum ex quondam supradicto Pasaiithe alias similiter cesare Thurcorum generatis regnum adeptus, […]. 157 Ebd., § 843.: […] dum eorundem dierum sub volumine wayuoda quidam Thurcorum Jzak nomine, qui castrum Zenderew ceterasque Rasciani regni arces et pene omnem Rasciam sive Seruiam ex dono prefati cesaris Thurcorum tenebat […]. Gemeint ist Ishq-Beg˘, der Befehlshaber der Stadt Smederevo, die 1439 von den Osmanen erobert worden war. Franz Babinger, Mehmed der Eroberer und seine Zeit. Weltenstürmer einer Zeitenwende, München 1953, S. 18. 158 Josef Matuz, Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte, Darmstadt 62010, S. 95 – 96. 159 Mályusz, Chronica (wie Anm. 29), S. 321. 160 Vgl. Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 764.: In dilatationem etiam et augmentum suorum retium diabolusque exhinc humano tetenderat generi, huic superstitiose adinventioni tanto auxilio fuisse perhibetur, ut dum huius cohortis senior inter cetera prodigia, que faciebat, avibus alta sulcantibus aera vel feris atris in nemoribus latitantibus, ut venirent, imperabat, mox aderant, inclinataque cervice illum venerabantur. […] Volebat enim
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Den Begriff paganus benutzt Thurûczy für die Osmanen insgesamt nur vier Mal, was angesichts der Häufigkeit, mit der Kämpfe gegen die Osmanen beschrieben werden, äußerst selten ist. Dies deutet an, dass der Glaube der Osmanen für Thurûczy nicht besonders relevant ist. Für die Osmanen taucht paganus erstmals in dem Kapitel über die Schlacht von Nikopolis auf. Der Sultan habe mit seiner Menge an Heiden (magna vis paganorum) auf dem Schlachtfeld seine Position gegenüber der des gegnerischen Lagers eingenommen, woraufhin die Burgunder sofort auf die Osmanen losgestürmt seien.161 Dieser Hinweis auf den Glauben der Osmanen steht an dieser Stelle aber allein.162 Drei weitere Stellen, in denen Thurûczy die Osmanen mit dem Begriff paganus belegt. finden sich im Kontext der Schlacht von Varna. So berichtet Thurûczy von einer von Hunyadi geleiteten, mit Morden und Plünderungen verbundenen Heeresexpedition in das von Osmanen beherrschte Gebiet Bulgariens. Zuvor hatte er erwähnt, dass der Kardinal Giuliano Cesarini von der Römischen Kurie unter anderem ausgeschickt worden sei, um das Königreich Ungarn gegen die Osmanen zu mobilisieren.163 Ein Bezug zur Religion der Osmanen wird auch bei einer Schlacht der Osmanen gegen die Ungarn im Zuge der »Langen Kampagne«164 hergestellt, in der sich Hunyadi mit einer ingens paganorum multitudo konfrontiert sieht.165 Thurûczy legt Hunyadi hier eine Ansprache in den Mund, in der der Glaubensbezug hergestellt wird. Warum sie einen Feind fürchteten, der stolz auf seine Masse sei, habe Hunyadi die vor ihm versammelten Truppen gefragt. Mit Gott an ihrer Seite sei es möglich den Feind in die Flucht zu schlagen.166 Zum einen reduziert Hunyadi bzw. Thurûczy die Osmanen wiederum auf ihre schiere Masse, die sie in seinen Augen einzig auszeichnete; zum anderen sah Hunyadi »Gott auf unserer Seite«. In der
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milleartifex illos, quos sui cultus voluptas non capiebat, saltem prodigiorum irretire ostentis, quod et factum est. Ebd., § 738.: Dum igitur cesar ipse frementibus undique suis agminibus magnam vim paganorum secum trahens regiis opponi castris visus est, mox Franci precipiende pugne insolenti cupiditate capti, priusquam universe regales copie instructis ex ordine aciebus signis collatis prelium inirent, e castris prosilientes et precipites ab equis, ut eorum moris est, pedites certaturi descendentes contrarias irruerunt in turmas. Bei der nächsten Erwähnung von paganus liegt die Vermutung nahe, dass damit Hussiten gemeint sind, deren Bekämpfung durch Sigismund in diesem Kapitel Thema ist. Ebd., § 796.: […] et cum illis vis simul et habilitas conveniebant, non tantam Christianus in paganum, quantam ipsi Huziste in Christianos sevitiam exercebant. Engel, Realm (wie Anm. 8), S. 285. Ebd., S. 286. Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 866.: Cum autem ingentem paganorum multitudinem ex adverso sibi opponi vidit, pavore quodam concussus est, omnesque exercitus sui milites timore non modico trepidabant. Hier zeigt sich auch wieder die Wahrnehmung der Osmanen als unüberschaubare Masse. Ebd., § 867.: Quid trepidatis hostem multitudine tumescentem, nonne iam sepius animum illius tentastis, et, qui totiens fugit, deo nobis propitio et nunc fugari potest.
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Schlacht, die die Ungarn dominieren, seien daraufhin viele Heiden getötet worden.167 Die letzte Erwähnung von pagani findet sich zwei Kapitel später in der Darstellung der Schlacht von Varna. Murad habe sich mit seinen »unzähligen Zügen bewaffneter Heiden« formiert.168 Im Vorfeld der Darstellung dieser Schlacht kommt es zur einzigen Erwähnung des Begriffs infideles im Sinne von Ungläubigen. Giuliano Cesarini, der vom Papst mit der Organisation eines Kreuzzugs beauftragte Kardinal, habe immer wieder gesagt, dass ein Ungläubigen gegebenes Versprechen nicht eingehalten werden dürfe. Dies bezieht sich auf den Frieden von Szeged, der 1444 zwischen dem Osmanischen Reich und König Wladislaus ausgehandelt worden war.169 Cesarini nennt die Osmanen »Feinde der christlichen Kirche« und behauptet, dass mit dem Vertrag der Willen Gottes gegen den Willen des Feindes ausgetauscht worden wäre. Interessant ist, dass hier Thurûczy von einer »verbotenen Tat« spricht – nämlich von dem Bruch des Vertrages –, zu dem Cesarini die ungarische Seite um Hunyadi überredete. Der Bezug zum Glauben der Osmanen wird hier also nicht direkt von Thurûczy selbst vorgegeben, sondern er lässt Cesarini argumentieren. Thurûczy kritisiert ihn im Folgenden dafür, dass er Hunyadi und den ungarischen König, die »durch das Schwert nicht besiegt worden seien«, mit seinen Überredung »besiegt« hätte und sie zu einer »verbotenen Tat« hingerissen hätte,170 die zur Niederlage führte. Von eventuellen taktischen oder strategischen Fehlern auf Kreuzfahrerseite ist keine Rede. Die Verweise Thurûczys auf die andere Religion der Osmanen sind immer auf den eigenen Glauben und das eigene Glaubenskollektiv, das Christentum, bezogen, so auch in Kapitel über die Kämpfe Hunyadis mit dem osmanischen Heer 1441. Das Gebiet Slawonien sei von den Osmanen in grauenvoller Wildheit verwüstet und die Bewohner ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht getötet oder zu Sklaven gemacht worden.171 Einzig Hunyadi habe dieser »Verfolgung der 167 Ebd., § 868.: Plurima igitur ibidem millia paganorum cecidere. 168 Ebd., § 876.: […] cesar Thurcorum Amrates innumerabilibus paganorum cum agminibus instructis aciebus signisque colatis pugnaturus venit. 169 Ebd., § 873.: Dicebat enim, quod promissa fides infidelibus servari deberet minime, deoque iniuriosum aiebat, quod ipsi nobilem illam eis divinitus datam ecclesiastice religionis contra hostes victoriam ingrato tractarent corde, ac dei voluntatem, que in hostem exequi deberet, hostis commutassent in voluntatem. 170 Ebd., § 873.: Impulit ergo illos crebris persuasionibus illicitum ad facinus et viros, quos mars ferrumve totiens vincere nequivit, molli tantum lingua vicit. 171 Ebd., § 842.: […] totaque Sclauonia ac cunctus ager inter Saue et Draue flumina medius dira Thurcorum rabie vastarentur, civitates et ville ac opida vehementes per flammas comburrerentur, res diriperentur, homines sine discretione sexus et etatis aut interficerentur, aut perpetue servitutis iugo mancipandi abducerentur, […]. Dies ist außerdem eine der wenigen Stellen, in denen das Kampfverhalten der Osmanen eindeutig negativ apostrophiert wird.
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christlichen Religion« widerstanden.172 Ein weiteres Mal stellt Thurûczy den Bezug zur gesamten Christenheit her, die durch die Osmanen bedroht sei, wenn er schreibt, dass die Nachricht, die Osmanen wollten Belgrad stürmen, nicht nur die Ungarn und ihre Nachbarn, sondern quasi omnem Christianitatem in Sorge versetzt hätte.173 Auch im vorhergehenden Kapitel ist es die »christliche Religion«, die unter der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen und deren dort begangene Untaten leidet.174 Die Religion der Osmanen, der Islam, wird von Thurûczy nicht erwähnt, ebenso wenig wie ihr Religionsstifter. Er nimmt die Osmanen nicht als ein Kollektiv mit einer Religion wahr, sondern nur als Gefahr für seine eigene Religion. Die muslimischen Osmanen werden nicht über die beschriebenen Schemata – als Häretiker, Antichrist oder Heiden – bezeichnet, sondern stets als thurci oder hostes. Die religiös konnotierten Begriffe pagani und infideles, die zeigen, dass die Osmanen eine andere Religion haben, kommen nur äußerst selten vor. Sprachlich äußert sich Thurûczy nur zum Christentum; die Osmanen werden von ihm kategorisch als Feinde eingestuft, durch die die Christenheit bedroht ist. Eine Konstruktion religiöser Andersartigkeit und Fremdheit scheint da nicht mehr nötig.
Der Repräsentant und Verteidiger der ungarischen Nation: Hunyadi Wie sich schon in der Analyse der Wahrnehmung der Osmanen andeutet, ist Jnos Hunydi die zentrale Figur der Chronik. Seine Charakterisierung im Kapitel über die Belagerung Belgrads ist charakteristisch für das gesamte Bild, das Thurûczy von ihm zeichnet. Die Nachricht von der »bitteren« Belagerung Belgrads hätte sich durch alle Teile des Königreichs verbreitet, aber die ungarischen domini, d. h. der Hochadel, seien untätig geblieben, wie im Tiefschlaf, und sie hätten der Stadt Belgrad keine bewaffnete Unterstützung gegeben.175 Doch »endlich« sei ein Mann von »angeborenem Mut« und »militärischer Tüchtig172 Ebd., § 842.: […], solus ipse dominus lohannes wayuoda tantam Christiane religionis persecutionem amaro corde tulit. 173 Ebd., § 929.: Hec fama non solum Hungarie plebem, verum etiam cunctas vicinas regiones et quasi omnem Christianitatem magnas involvit in curas et cogitationes. 174 Ebd., § 928.: Quis tante urbis casum tantopere deflendam Christiane religionis calamitatem tot tantaque ab hoste rabido in sacra atque prophana in viros ac mulieres per immanitatem ac scelus passim patrata facinora pro merito rei vel verbis expnmere vel lachrymis prosequi aut narratione perstringere valet? 175 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 934.: Cunctas regni per partes tam acerbe tamque potentis obsidionis fama ferebatur, Hungarie tamen domini quadam desidia quasi gravi somno laborantes periture arci armorum auxilium ferebant minime.
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keit« – der Graf von Beszterce,176 also Hunyadi – gegen den so zahlreichen Feind vorgegangen.177 Angetrieben von seiner rastlosen Energie, habe er nicht tatenlos bleiben können, obwohl er nicht mehr für die Regierung zuständig gewesen sei.178 In Thurûczys Darstellung ist Hunyadi also der einzige, der sich dem Feind entgegenstellt. Er bringt auch, nachdem er mit seinen Kämpfern einen Wasserweg nach Belgrad aus der Belagerung freigekämpft hat, den Befehlshabern der belagerten Stadt Trost, die sich bis dahin ebenfalls in einer Schockstarre befanden und alle Hoffnung aufgegeben hätten.179 Mit seiner Rede, mit der er den Belagerten die Angst vor den Osmanen nahm, habe er die Befehlshaber bereits durch seine schiere Präsenz motiviert.180 Die getroffenen Maßnahmen zur Mobilisierung eines Heeres schreibt Thurûczy allein Hunyadi zu. Bei den Kämpfen später habe er hier Drohungen ausgesprochen, dort Befehle gegeben, immer seine Männer zum Kampf antreibend.181 Er war quasi überall, engagiert und motivierend. Ihm gleich taten es Mihly Szilgyi,182 der damalige Befehlshaber der Festung von Belgrad, und Lszlû Kanizsai, beides nach Thurûczy »junge Männer von herausragender militärischer Tapferkeit«.183 Dies sind die Personen, denen der Sieg zu verdanken sei, ebenso der Hilfe Gottes und Jesu, wie Thurûczy an vielen Stellen betont. Hier zeigt sich, wen Thurûczy innerhalb des Eigenen als den entschlossenen Verteidiger Ungarns sieht. Hunyadi ist die strahlende, ausnahmslos positiv belegte Figur in Thurûczys Werk. Zuerst erwähnt Thurûczy Hunyadi im Kapitel über die Thronfolgestreitigkeiten von 1439/40 als einen der Unterstützer Władysławs III. gegen Elisabeth und ihren Sohn, Ladislaus Posthumus. Andere Unterstützer Władysławs werden auch genannt, aber ausführlich nur Hunyadi, und das in lyrischen Ergüssen. Er sei ein kriegerischer Mann gewesen und so, wie sich die Fische im Wasser und 176 Ungarischer Name des siebenbürgischen Bistrit‚a, heute in Rumänien. 177 Ebd., § 934.: Adiit tandem hoc tremendum obsidionis genus vir innate virtutis et militie dominus comes Biiztricensis supradictus modico ad decertandum cum tanto hoste stipatus milite. 178 Ebd., § 934.: Quapropter ipse dominus comes, quamvis, ut supra dictum est, cura gubernaminis exutus fuerit, tamen asueta in illo agente strennuitatis virtute sustinere non valuit, quin ut hostem adoriretur. 179 Ebd., § 936.: lam, inquit, gravius nostra potiemur voluntate. Dominus vero comes navali in certamine gloriam victorie adeptus mox castrum adiit, et capitaneos illius iam mente consternatos et preter mortem nullam aliam sortem expectantes consolatus est. 180 Ebd., §§ 937 – 938.: Per hec itaque et horum plurima verba perque suam presentiam dominus comes non modica illos animositate restituit. 181 Ebd., § 941.: Dominus vero comes Biiztricensis hic minis, hic, ut pugnarent, instabat monitis. 182 Mihly Szilgyi (gestorben 1461) war der Schwager Hunyadis und später unter Matthias Hunyadi kurzzeitig Reichsverweser Ungarns, s. Janûs Bak , Szilgyi, Mihly v. Horoszeg, in: LexMA, 8, München 1997, Sp. 389 – 390, hier Sp. 389 – 390. 183 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 941.: […] iuvenes militari virtute prestantes […].
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die Hirsche in schattigen Wäldern lebendig fühlten, so habe für Hunyadi das Leben in Zeiten des Krieges aus militärischen Expeditionen bestanden.184 Geboren im »noblen und berühmten« Land der transsilvanischen Leute (gens) sei er ein »hochherziger Ritter« (miles magnanimus) gewesen,185 den die Bestimmung (fatum) aus fremden Teilen in das Gebiet des Königreichs Ungarn gebracht und auserkoren habe der zukünftige Beschützer des Königreichs zu sein.186 Er sei als Unterstützer Władysławs ein Mann von einiger Macht im Königreich gewesen, immer eng an der Seite seines Lehnsherren, und er sei durch den Aufstieg in verschiedene Ämter so berühmt geworden, dass er schließlich in den Rang des Woiwoden von Transsylvanien erhoben worden sei.187 Thurûczy betont also den Aufstieg Hunyadis aus niedrigem Adel zu einem der mächtigsten Männer in Ungarn. Immer wieder verweist er auf Hunyadis Können als Feldherr, weshalb das Schicksal ihn zum Verteidiger Ungarns auserkoren hätte. Insgesamt wird deutlich, dass der Thronstreit zwischen Elisabeth und Władisław für Thurûczy ein größeres Unglück war als die Konflikte mit den Osmanen. Dies zeigt sich in einer sehr emotionalen Ausdrucksweise und darin, dass die Kämpfe und Grausamkeiten, die im Gegensatz zu den Auseinandersetzungen mit den Osmanen auf dem Gebiet des Königreiches Ungarn stattfanden, detailliert ausgeführt werden. Hunyadi ist dabei für Thurûczy auf der richtigen Seite, bzw. wo Hunyadi ist, da ist die richtige Seite. Zwar zogen auch Hunyadis Truppen durch das Land und unterwarfen die regnicolae im Namen Władisławs,188 wirklich grausam seien aber nur die Streitkräfte unter dem von Elisabeth angeheuerten Jan Jisˇkra gewesen, einem böhmischen Adligen, der in seinem langen Leben seine Armee in die Dienste vieler verschiedener Interessen gestellt hatte und im Laufe des Bürgerkriegs einen großen Teil Nordungarns unter seine Gewalt brachte.189 Thurûczy meint über diese Zeit, dass es nie184 Ebd., § 820.: Erat tunc in regno miles magnanimus nobili et claro Transalpine gentis de gremio natus Johannes de Hwniiad homo bellicosus et ad flectendum arma dirigendasque res bellicas natus et sicut piscibus aqua cervisque umbrosas lustrare silvas, sic illi armorum bellique expeditio vita erat. 185 Ebd., § 820. 186 Ebd., §§ 820 – 821.: Hunc hominem, ut dict presummitur, futura regni pro tutela rebus per ipsum gestis testantibus fata ab alto elegerant, peregrinisque de partibus regni Hungarie deduxerant intra oras. 187 Ebd., §§ 821 – 822.: Prefatus igitur Johannes de Hwniiad semper sui superioris lateri adherendo cum iam de virtute in virtutem crevisset, a minoribusque regni officiolatibus, quorum usque ad tunc fretus fuisset honore, successivo incremento in tantum claruisset, quod ad wayuodatum partium regni Transsiluanarum suum extulisset titulum, vir in regno non parum potens et ipse regi Wladislao adhesit. 188 Ebd., § 828.: Que cum expugnare nequivissent, discedentes ab illis per regnum ferebantur, et quosque regnicolas regis Wladislai iugo obedire cogebant. 189 Engel, Realm (wie Anm. 8), S. 282.
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manden in den benachbarten Königreichen gegeben hätte, der sich nicht als Feind Ungarns gezeigt hätte.190 Dementsprechend heißt dieses Kapitel »Von den Taten, die fremde Nationen im Königreich begingen«.191 Hier betont Thurûczy, dass die Grausamkeiten von den christlichen Nationen ausgingen, die Jan Jisˇkra repräsentiert. Er sei ein Böhme, der Experte im Umgang mit Waffen und gierig auf Raub gewesen sei.192 Als er erkannt habe, dass sich die Barone gegenseitig Gewalt antaten, habe er die Chance genutzt und sei in den Norden Ungarns eingefallen.193 Er sei durch das Gebiet Ungarns gezogen mit Banden von Fremden (extranei milites in forti manu) und habe alles auf seinem Weg durch unerbittliches Plündern und Verbrennen verwüstet.194 Auch viele andere Böhmen, Polen und Slawen seien durch Aussicht auf Beute nach Ungarn gelockt worden und hätten all ihre Kraft auf die Plünderung des Königreichs gerichtet,195 eine Bande Fremder mit viel Gier.196 Das Volk habe unter den Steuern gelitten, habe in Höhlen flüchten müssen, die Städte seien verbrannt worden, die Feuer der Dörfer hätten den Himmel verdunkelt.197 Durch ganz Ungarn seien die grausamen Jahre eines bösen Zeitalters »gerollt« und das Schlachten habe die Felder mit dem Blut von Herren und Leibeigenen verschmutzt.198 Thurûczy beklagt schließlich die Unschuldigen, die getötet und ihres Besitzes beraubt worden seien, die verwitweten Frauen und vergewaltigten Mädchen, in einer Zeit, in der jeder nur noch um das nackte Leben gekämpft hätte.199 In diesem Kapitel zeigt Thurûczy die stärksten Emotionen, er beklagt lang 190 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 835.: Nec fuit regno intrinsecis laboranti guerris vicinus quispiam, qui se illi hostem non exhibuisset. 191 Ebd., § 832.: De his, que per nationes extraneas in regno acta fuere. 192 Ebd., § 832.: […], homini Bohemo et arma flectere docto rapineque avido […]. 193 Ebd., § 832.: Iste Iohannes Izkra cum barones in se ipsos alternatim sevire vidit, mox [predabundus] omnem terram Matthie et provincias commitatusve Cassouiensi civitati vicinas et pene totam partem regni Hungarie superiorem predabundus invasit. 194 Ebd., § 833.: Conducto igitur extraneo milite in forti manu palam gradiens agrum lustrabat Hungaricum, castra metabaturque, ac omnia sibi occurrentia gravi rerum direptione incendioque vastabat. 195 Ebd., § 833.: […] aliique nonnulli Bohemi, Poloni et Sclaui, quos preda delectabat, aggregario milite muniti omnem vim ipsorum regni in predationem converterunt […]. 196 Ebd., § 834.: […] has peregrina manus multa cum rapacitate diripiebat. 197 Ebd., § 834.: Popularis conditio gravi premebatur censu, nec eidem crebra homagiorum solutio pacem redimebat, sed sola capitum pro tutela deserti antra ceteraque nemorum latibula inhabitare cogebatur. Ardebant civitates et ville vicibus iteratis succense, altumque eructantes fumum vicinum aerem confundebant. 198 Ebd., § 834.: Sevi cunctam per Hungariam ferree etatis anni volvebantur, ac steriles agros dominorum servorumve cruentabat cedes. 199 Ebd., § 834.: Innocentes quot persone fuderunt cruorem animamve simul, quot destitute suis fuere rebus, quot mulieres suis fuerunt viduate maritis, quot puelle virginali florentes decore suis invite cadentibus fuerunt spoliate liliis temporibus in predictis, cum solum personas rebus nudatas omnibus futura ad tempora tanto in discrimine unicuique preservare sufficiebat.
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und breit die Geschehnisse in Ungarn während der Thronstreitigkeiten von 1440 bis 1462. Es fällt auf, dass als Akteure des Bürgerkriegs fast nur Nicht-Ungarn genannt werden. Der einzige ungarische Hochadlige, den Thurûczy hier als Akteur nennt, ist Pongrac von Szentmiklûs, der ein Nutznießer des Bürgerkriegs war.200 Bei ihm ergänzt Thurûczy, dass er noch grausamer als ein fremder Feind gewesen sei.201 Dass er sich ebenso verhalten haben könnte wie viele andere Akteure im Bürgerkrieg, unabhängig von ihrer Herkunft, lässt Thurûczy nicht gelten. Die meisten Akteure, alle auf Elisabeths Seite, stammen bei Thurûczy aber nicht aus Ungarn. Es sind »Fremde«, und dies hebt er in diesem Kapitel immer wieder hervor, entweder mit den Adjektiven peregrinus oder extraneus, oder auch der Herkunft der Beteiligten, als Böhmen, Polen oder Slawen. Auch wenn Thurûczy nicht unterschlägt, dass auch Hunyadi und Ujlaki sich bereicherten, so wird dies nur in einem Satz erwähnt. Das Leiden des Krieges bringt Thurûczy mit der Seite Elisabeths und ihren fremden Söldnerheeren in Verbindung. Als größtes Opfer des Krieges erscheint ihm Ungarn. Die Gründe dafür, dass Thurûczy dies so eindrücklich schildert und die Leiden unter den Osmanen nicht, liegen meines Erachtens darin, dass dieser Krieg auf dem Gebiet des regnum stattfand und daher die Geschehnisse zur Zeit Thurûczys noch sehr präsent gewesen sein müssen. So schreibt er von den Taten Ulrich von Cillis, die dieser in Slawonien begangen habe, dass davon noch die Alten ihren Söhnen erzählten, nicht ohne tiefe Seufzer.202 Hierin zeigt sich der Patriotismus von Thurûczy, der Ungarn über alles stellt.
Das Bild Ulrichs von Cilli Die Auseinandersetzung mit der Beschreibung von Ulrich von Cilli bei Thurûczy lohnt sich im Hinblick auf protonationale Tendenzen der Chronik. Als Unterstützer des Ladislaus Postumus in den Thronkämpfen ab 1440 ist er politischer Gegner Jnos Hunyadis. Nach Hunyadis Tod kurz nach der Befreiung Belgrads im August 1456 gilt Thurûczys Gunst den Söhnen Hunyadis, Lszlû und Mtys 200 Pongrc von Szentmiklûs (heute Liptovsky´ Mikulsˇ, Slowakei) konnte im Nordwesten Ungarns durch die Wirren des Bürgerkrieges viel Macht und Wohlstand erlangen, s. Mályusz, Chronica (wie Anm. 29), S. 315. 201 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 833.: […] homo plus, quam extraneus hostis, atrox […]. 202 Ebd., § 835.: Quid autem comes Cilie Vlricus regine avunculus diebus in eisdem in illius vindictam operatus sit, senes regni Sclauonie memorantur usque modo, et illa gravibus non sine suspiriis ipsorum narrant filiis. Thurûczy nennt Ulrich von Cill einen Onkel von Elisabeth, er war aber tatsächlich ihr Cousin ersten Grades, s. Thuróczy, Chronicle (wie Anm. 10), S. 120, Anm. 310.
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Hunyadi, dem späteren ungarischen König Matthias Corvinus. Die Ermordung Cillis im November 1456 durch Lszlû und seine Männer nimmt eine wichtige Position in Thurûczys Erzählung ein, vor allem für seine Charakterisierung Ulrich von Cillis. Den Dissens zwischen Ulrich von Cilli und den Hunyadis stilisiert Thurûczy im Kapitel über die Ermordung Ulrichs zu einem Konflikt zwischen Almani und Hungari. Die Ermordung Ulrichs von Cilli nennt Thurûczy ein »Verbrechen mit sehr ernsten Konsequenzen«, zu der der junge und unbeherrschte Lszlû von seinen Unterstützern getrieben worden sei.203 Ulrich von Cilli wird zunächst als eitel dargestellt, ehrgeizig und »aufgebläht mit Stolz«, da er es übelgenommen habe, dass Jnos Hunyadi die Regierungsgeschäfte übertragen bekommen hatte.204 Seine Abneigung gegen und den Neid auf Hunyadi habe er nach dessen Tod auf Hunyadis Söhne übertragen.205 Zwei weitere Gründe für den Hass zwischen Ulrich von Cilli und den Hunyadis sei zum einen, dass sie im Krieg um die Thronnachfolge gegnerische Positionen einnahmen, sowie zum Anderen, dass Ulrich von Cilli nach Jnos Hunyadis Tod die Spaltung unter seiner Führung zu überwinden gedachte.206 Er wolle alles unter seine Macht bekommen, was in Ungarn »reich, schön und angenehm« sei und das sei eben jenes, was unter der Hand der jungen Grafen sei.207 Gemeint waren die Ländereien, die den Hunyadis gehörten, nachdem ihr Vater Jnos zum größten Grundbesitzer in Ungarn aufgestiegen war. Nach Thurûczy soll Ulrich von Cilli gesagt haben, dass er (Ulrich) der Mann sei, der von diesem Land diese Sprache, die nur Hunde sprechen, ausrotten
203 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 959.: luvenem ergo hominem magna audatie virtute ferventem, qui effrenum iuventutis sue impetum vix continebat, crebris persuasionibus grande ad facinus impulerunt. 204 Ebd., § 954.: Nam ipse comes Vlricus, dum omnium hominum esset ambiciosissimus superbiaque humanam supra naturam tumidus, egre ferebat ante hec dominum comitem lohannem regni Hungarie gubernamine potiri. 205 Ebd., § 953.: Inter hec comes Cilie Vlricus dudum conceptam in quondam dominum comitem Iohannem invidiam, qua via illam defuncto patre in illius filios parturire posset, multo sue mentis in fervore revolvebat. 206 Ebd., §§ 954 – 955.: Alia vero causa invidie exhinc orta erat, quod ipse quondam dominus comes Johannes ea tempestate, cum adhuc gubernaminis fungeretur officio, a Romanorum rege pro non restitutione corone et pueri regis penas exigens in ipsius comitis Vlrici tanquam eiusdem Romanorum regis partem tenentis se ingesserat offensam. Tertius quidem rancoris fomes inter prefatum comitem Vlricum et dictos filios ipsius quondam domini comitis Johannis exinde causabatur, quod idem comes Vlricus tum regium latus tum omne, quod in Hungaria pingue, pulcrum et suave erat, ea, que ipsorum iuvenum comitum dirigebat manus, velut homo ambiciosus et intime superbus, in suam potestatem redigere laborabat. 207 Ebd., § 955.: Tertius quidem rancoris fomes inter prefatum comitem Vlricum et dictos filios ipsius quondam domini comitis Johannis exinde causabatur, quod idem comes Vlricus tum regium latus tum omne, quod in Hungaria pingue, pulcrum et suave erat, […].
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würde.208 Die Hunyadis hätten diese »vergifteten Ausrichtungen« (venenata rerum directio) bemerkt, und nicht nur sie hätten nun schlecht von Ulrich gedacht, sondern auch das ganze ungarische Volk habe mit Verachtung auf ihn herabgeschaut.209 Hier macht Thurûczy die Fronten, wie er sie wahrnimmt, deutlich: auf der einen Seite der ehrgeizige, hochmütige und eitle Ulrich von Cilli, auf der anderen Seite die Hunyadi-Brüder und das »gesamte ungarische Volk«. Das hebt den Konflikt auf eine »nationale« Ebene, auch wenn unklar bleibt, wen Thurûczy zum »gesamten Volk« zugehörig empfand. So ist auch die Aussage über die »Sprache der Hunde« als Beleidigung nicht nur der Hunyadis zu verstehen. Von Matthias Corvinus weiß man, dass er als Herrscher vieler Sprachen mächtig war.210 Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass sich Ulrich hier auf die wallachische Sprache bezieht, die die Hunyadis nach der Herkunft ihres Großvaters beherrscht haben könnten.211 Thurûczy muss diese Beleidigung Ulrich also in den Mund gelegt haben, um dessen Gegnerschaft nicht nur zu den Hunyadis, sondern auch zur ungarischen Sprache und allgemein zu den Ungarn zu kolportieren.212 Thurûczy stellt sich so auf die Seite des »Volks«, mit dem er die Abneigung gegen Ulrich teilt. Wenn das Volk gegen Ulrich war, dann kann Ulrich von Cilli nicht für Ungarn gewesen sein, anders als die Hunyadis. Thurûczy glaubt also, dass er für das Volk spricht, wenn er Ulrich verdammt.213 Cilli steht hier nicht nur für das Andere, sondern auch für das Fremde, eine Bedrohung des Eigenen, der Ungarn. König Ladislaus als Verbündeter Ulrichs wird hierbei als völlig unter dem Einfluss Ulrichs und der »deutschen« Kreuzfahrer (Almanica gens crucigera) stehend dargestellt. Die Bedrohung, die nach Thurûczy nicht nur Ulrich, sondern mit ihm die Deutschen darstellten, wird auch im weiteren Verlauf der Erzählung betont. König Ladislaus war mit Ulrich unterwegs nach Belgrad und mit ihnen die Kreuzfahrer aus Almania, um zu sehen, was nach der Befreiung Belgrads von der
208 Ebd., § 955.: Fertur enim, quod dixisset: Ego sum, inquit, homo ille, qui hoc canile linguagium hac de terra extirpabo. 209 Ebd., § 956.: Quapropter amara erga illum ducebantur recordalione, nec minus cunctum Hungarie vulgus despecto illum intuebatur lumine. 210 Hoensch, Corvinus (wie Anm. 60), S. 238. 211 Diese Interpretation suggeriert Johannes Grabmayer, Das Opfer war der Täter. Das Attentat von Belgrad 1456. Über Sterben und Tod Ulrichs II. von Cilli, in: Mitteilungen des Instituts für österreichisches Geschichtsforschungt 111 (2002), 286 – 316, hier S. 308, Anm. 128. Er führt dieses Zitat aus Thurûczys Chronik an, um »Ulrichs ewige Todfeindschaft und den Willen, die Corvinen auszurotten« zu belegen. Warum aber sollte mit linguagium nur die Sprache der Corvinen gemeint sein? 212 Carolus du Fresne, Glossarium mediae el infimae latinitatis 5, Niort 1885, S. 117, Sp. 2 gibt für das Stichwort linguagium an, dass das Wort in Akten des Basler Konzils von 1432 auch im Sinne von natio benutzt wurde. 213 Mályusz, Chronica (wie Anm. 29), S. 386.
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Macht des türkischen Sultans übrig war.214 In der Zwischenzeit hätten diejenigen, denen die Absichten des Königs klar gewesen seien, auf Lszlû Hunyadi eingeredet:215 Demnach sei Lszlû in Schwierigkeiten gekommen, weil Graf Ulrich die Gesinnung des Königs gegen Lszlû gerichtet und den König dazu überredet hätte, die ungarischen durch deutsche Amtsträger zu ersetzen, weil sie dem Willen des Königs gefügiger seien.216 Lszlû selbst sollte so schnell wie möglich aus Belgrad vertrieben werden, und zwar mit Hilfe der Kreuzfahrer aus Almani, die nur für diesen Zweck dorthin gebracht worden seien.217 In dieser Passage zeigt sich zum einen, dass Thurûczy den König aus der Verantwortung nimmt, denn dieser stand völlig unter dem Einfluss Ulrichs und »der Deutschen«. Zum anderen spitzt Thurûczy den Gegensatz zwischen Deutschen und Ungarn zu. Thurûczy nimmt den Konflikt nicht als Konflikt zwischen ehrgeizigen und nach Macht strebenden Magnaten war, sondern stilisiert ihn zu einer Bedrohung der Ungarn durch die Deutschen. Darin ist eine pränationale Sichtweise zu erkennen, zumal die Aussage, dass Ulrich alle Ämter mit Deutschen besetzen lassen wollte, nicht zutrifft; weder Ladislaus noch Ulrich wollten die Ungarn ihrer Ämter berauben.218 Lszlûs Unterstützer hätten darauf auf ihn eingeredet und ihn zur Ermordung Ulrichs gedrängt. Thurûczy will Lszlû hier aus der Verantwortung nehmen, wenn er den Tathergang so schildert, als ob es ein einsamer Kampf zwischen Ulrich und Lszlû gewesen sei, zu dem beide durch Neid und Raserei hingerissen worden wären.219 Nach Thurûczy wurde eine Besprechung zwischen Ulrich und Lszlû demnach so hitzig, dass es zum Kampf kam. Die Getreuen Lszlûs wären, als sie den Lärm des Kampfes nebenan hörten, eingetreten und hätten 214 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), §§ 957 – 958.: Placuit post hec regi Ladislao castro in Nandoralbensi potentie cesaris Thurcorum conspicere vestigia. Pariter ergo rex ac comites Vlricus et Ladislaus illac transierunt, cruciferique cuncti, qui de Almania venerant, navigio secuti sunt illos. 215 Ebd., § 958.: Inter hec hi, quibus regium patebat consilium, comiti Ladislao dicebant: 216 Ebd., § 958.: De tuis rebus male agitur, comes enim Vlricus regium animum erga te pervertit, induxitque illum, ut tu ceterique omnes Hungari officiolatuum dignitatibus, que hactenus tenuistis, spoliemini, et eedem dignitates Theutunis, qui regie voluntati magis, quam Hungari placent, locentur. 217 Ebd., § 958.: Tuque quam primum de hoc castro eiicieris. Et huic rei sufficienti testimonio est, quod hi Almani crucigeri tantum ea de causa huc adducti sunt. 218 Mályusz, Chronica (wie Anm. 29), S. 388. 219 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 960.: Sed o inimica fatorum series, o longa per tempora pectoribus in intimis cecis alimentis nutrita sceleratissima invidia, que quam primum in anguem nostrum veterem transvertens hostem nostros locorum de ameno et alto de vertice boni prothoparentes deiicere fecisti, et que utrorumque comitum corda tanto inundaveras rancore, quod alter alterius abditis appetitibus intime anhelarent in necem, que tuis volvuntur in imis, tunc patuit, cum ambo comites, Vlricus scilicet et Ladislaus, una eadem tecti domo postibus clausis colloquio mutuam verso in iram primum verbis minacibus tandem radiantibus decertantes armis alter in alterius madidarunt cruore enses.
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schließlich Ulrich den Kopf abgetrennt.220 In Thurûczys Darstellung wirkt es so, als hätten die Getreuen Lszlû nur zur Hilfe eilen wollen und als ob der Mord eben doch nicht geplant gewesen sei.221 Es bleibt die klare Abneigung Thurûczys gegen Ulrich, die noch einmal in der Beschreibung seiner Erscheinung am Ende des Kapitels zutage tritt: Danach habe Ulrich seinen Bart immer an der Wurzel ausreißen lassen, damit seine Geliebten ihn nicht für älter hielten, als er war.222 Tatsächlich war das Tragen eines Bartes zu dieser Zeit eine ungarische bzw. osteuropäische Mode, während Ulrich von Cilli wohl seinen Bart entsprechend der damaligen westeuropäischen Mode abrasierte.223 Dies ist wiederum ein Hinweis auf Ulrichs Eitelkeit, mit der er sich von den Ungarn abgrenzte. Das Gegenteil davon ist Jnos Hunyadi, dem weniger an Vergnügungen gelegen war als daran, die Osmanen zu bekämpfen.224
Fazit Eneas Entwurf einer europäischen Kultur, die mit einem gemeinsamen Erbe in der griechischen und römischen Antike begründet wurde und in die er wieder das orthodoxe Christentum einbeziehen wollte, funktionierte über die Abgrenzung zum Osmanischen Reich, das »Fremde«. Enea Silvio stellte die Osmanen als den Gegenentwurf zur christlichen Zivilisation dar und konstruierte sie dafür als »Barbaren«, als ungebildet, begründet in ihrem skythischen Ursprung. Die von Enea vorgenommene Verortung in Skythien machte die Osmanen nicht nur für seine Gegenwart zu »dem Anderen«, sondern zu Außenstehenden seit Anbeginn der Geschichte. Wichtig für die Konstruktion eines 220 Ebd., §§ 960 – 961.: Dum autem ante hostium stantium ipsius comitis Ladislai fidelium ad aures intrinseci rumor belli delatus est, intardi dissoluto domus hostio causam dubii scrutantur rumoris. Cum igitur comites utrosque bello insudare viderunt, mox eductis ensibus irruerunt in comitem Vlricum se suorum virium omni cum virtute defendentem, straveruntque illum framee ictu in pede graviter vulneratum, ac tandem prostratum ibidem decollarunt. 221 Tatsächlich waren die Kreuzfahrer aus der Festung ausgesperrt und Ulrich von Cilli mit nur wenigen Begleitern in die Festung gelassen worden, was auf einen geplanten Hinterhalt der Hunyadis hinweist, s. Johannes Grabmayer, Die Cillier und die Chronistik. Aspekte eines Forschungsprojektes zur Geschichte der Grafen von Cilli 1341 – 1456, in: Zbornik mednarodnega simpozija Celjski grofje, stara tema – nova spoznanja, Celje, 27.–29. maj 1998. Sammelband des internationalen Symposiums. Die Grafen von Cilli, altes Thema – neue Erkenntnisse, Celje, 27.–29. Mai 1998, hrsg. Rolanda fugger Germandik, Celje 1999, S. 213 – 224, hier S. 223. 222 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 961.: […], et ne barba apud amatrices etatem confunderet, illam radicitus evellere faciebat. 223 Thuróczy, Chronicle (wie Anm. 10), S. 191, Anm. 491. 224 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), §§ 914 – 915.: Dominus vero gubernator, cui cum Thurcis bellare magis quam iocundas adire coreas animo erat, […].
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kulturellen Systems »Europa« war, dass die intrasystemischen Differenzen als weniger relevant betrachtet wurden. Die großen Differenzen zu Konstantinopel wurden von Enea Silvio und anderen Humanisten im Diskurs der Türkengefahr durch die Beschwörung eines gemeinsamen griechisch-römischen Kulturerbes marginalisiert. Thurûczys Fokus liegt hingegen auf einem anderen Eigenen. Nur in wenigen Bemerkungen bezieht er sich auf die christianitas, aber nie auf »Europa« als Kollektiv. Thurûczy versteht sich als Christ und bezieht durchaus Stolz daraus, dass sein Repräsentant des Eigenen, Jnos Hunyadi, mit seinem Kampf gegen die Osmanen auch als Verteidiger der Christenheit verstanden wurde, so wie er ihn auch selbst sieht. Über dieser Identität als Christ steht bei Thurûczy aber die Identität als Mitglied der ungarischen natio. Die Osmanen stehen in der Chronik zwar als Feinde (hostes) auch stets klar außerhalb des Eigenen, außerhalb des soziokulturellen Makrosystems christianitas.225 Über die Bezeichnung als Feind hinaus betont Thurûczy aber nicht, dass die Osmanen anders oder fremd seien. Vielmehr hebt bei ihm Hunyadi in einer fiktiven Ansprache an sein Heer hervor, dass die Ungarn und die Osmanen nun, zur Zeit der Belagerung von Belgrad 1456, bereits eine Geschichte von Auseinandersetzungen verbände, in denen beide Seiten hätten reüssieren können. Die Osmanen werden an dieser Stelle als ebenbürtiger Gegner dargestellt. So lässt Thurûczy sogar Sultan Mehmet II. über den Tod Hunyadis kurz nach der Belagerung Belgrads trauern und sagen, dass es von Anbeginn der Zeit keinen Mann wie diesen in Diensten eines Fürsten gegeben hätte.226 Dieses Lob zeigt, dass Thurûczy, da er Mehmet als Referenz benutzt um Hunyadi zu preisen, Mehmet auch Respekt zollt. Hunyadi wird damit von Thurûczy in die Ahnengalerie der »großen« Feldherren erhoben. Der Zweck dahinter ist, die Siege unter Hunyadis Führung heller erstrahlen zu lassen. Eroberungswille und Kriegsstärke sind von Thurûczy bewunderte Werte, die er in Attila wie auch in Hunyadi verwirklicht sieht. In der Widmung preist Thurûczy Attila als großen Feldherrn, der zu Unrecht von lateinischen Autoren verunglimpft worden sei. Dagegen bleibt die Darstellung der Osmanen eindimensional. Meist nimmt Thurûczy sie als zahlenmäßig überlegene und übermächtige Gegner war, denen 225 Vgl. Michael Titzmann, Aspekte der Fremdheitserfahrung. Die logisch-semantische Konstruktion des »Fremden« und des »Selbst«, in: Fremdheitserfahrung und Fremdheitsdarstellung in okzidentalen Kulturen. Theorieansätze, Medien, Textsorten, Diskursformen, hrsg. Bernd Lenz, Passau 1999, S. 89 – 114, hier S. 93 – 94. 226 Thuróczy, Chronica (wie Anm. 10), § 948.: Ipse etiam cesar Machumetes, quamvis per eundem dominum comitem prope suam ante mortem desub castro Nandoralbensi predicto fugatus sit, cum tamen per Georgium Rascie dezpotum eidem cesari pro consolatione mors ipsius domini comitis nunciata est, cesarem eundem defixo capite longam per horam subticuisse seque, quamvis sibi inimicus esset, sublationem eiusdem condolere et seculorum ab initio hominem sub principe nunquam talem fuisse ad nuncium dixisse perhibetur.
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aber von den Ungarn doch immer wieder Paroli geboten werden konnte. Sultan Mehmet II. wird einerseits als hochmütig, andererseits als anerkennend dargestellt, wie auch andere Befehlshaber der Osmanen Hunyadi und die Ungarn als Gegner respektieren. Namenlose osmanische Individuen werden nicht als besonders anders oder fremd wahrgenommen. Ihre Darstellung dient, wie in der Episode, in der Hunyadi sich im direkten Kampf gegen zwei angreifende Osmanen wehrt, der Darstellung Hunyadis als heroischem Kämpfer. Über die Verhältnisse in der osmanischen Kultur und Gesellschaft berichtet Thurûczy wenig und scheint sich auch nicht dafür zu interessieren. Zur Zeit der Abfassung der Chronik waren bereits einige Schriften gedruckt worden, in denen ausführlich über die Osmanen berichtet wurde, wie etwa der Tractatus des Georg von Ungarn.227 Es ist zu vermuten, dass Thurûczy Zugang zu mehr Informationen über die Osmanen hätte haben können, da auch Bonfini nur zehn Jahre später bedeutend ausführlicher über die Osmanen schrieb.228 Thurûczy nahm die Osmanen anscheinend auch kaum auf Grund ihrer Religion als fremd wahr, da er diesen anderen Glauben kaum thematisiert. Die mittelalterlichen Schemata der Wahrnehmung islamischer Gruppen und später auch der Osmanen spielen bei Thurûczy keine Rolle. Sie werden relativ selten Heiden genannt und nie Häretiker. Die Bestimmung des Eigenen bewerkstelligt Thurûczy also nicht über die Entgegensetzung von Christentum und Islam. Nur innerhalb seines Systems der christianitas wird Glaube für die Wahrnehmung von Fremdheit relevant, wie bei der Beschreibung der Hussiten. Besonders interessant ist, dass bei Thurûczy die Ungarn mit den Osmanen ein gemeinsamer Ursprung in Skythien verbindet. Thurûczy vertritt andere Werte als Enea Silvio, weshalb er diese Parallele zulassen kann, und es lässt sich eine latente Bewunderung für die Osmanen bei Thurûczy erkennen. Abgrenzungsbedarf zeigt sich bei Thurûczy stärker innerhalb des eigenen Makrosystems der christianitas. Die bürgerkriegsähnlichen Zustände nach dem Tode Albrechts II. 1439 schildert Thurûczy als größeres Unglück als die Bedrohung durch die Osmanen. Hier unterscheidet er klar zwischen den Ungarn und den »fremden« umliegenden Nationen, die auf »entsetzliche Weise« auf ungarischem Gebiet Nutzen aus der Situation gezogen hätten. In Verbindung mit dem Begriff nationes verwendet Thurûczy hier öfter das Adjektiv extraneus. Auch in der Beschreibung des Kreuzzuges von Nikopolis unterscheidet er die
227 Georg von Ungarn, Tractatus de moribus, conditionibus et nequicia Turcorum: Traktat über die Sitten, die Lebensverhältnisse und die Arglist der Türken, hrsg. Reinhard Klockow (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, 15), Köln 1994. Erstmals gedruckt 1481, s. Reinhard Klockow, Einleitung, in: ebd., S. 9 – 142, hier S. 142. 228 Antonio Bonfini, Rerum ungaricarum decades. In IV tomis (Saeculum, 15), hrsg. Jûzsef Fógel, B¦la Iványi, Lszlû Juhász, Leipzig 1936 – 1941.
Die Fremd- und Eigenwahrnehmung
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Burgunder im Kreuzfahrerheer von den Ungarn, wobei er den Burgundern die Schuld an der Niederlage gibt. Eine weitere Differenzierung mit nationalen Elementen macht Thurûczy in der Charakterisierung Ulrich von Cillis. Dieser wird von Thurûczy als Fremder in Ungarn wahrgenommen und insgesamt als eitel, ehrgeizig und vergnügungssüchtig dargestellt. Damit ist er das Gegenteil von Hunyadi. Thurûczy betont dabei immer wieder dessen »deutsche« Herkunft. Indem Thurûczy Ulrich unterstellt, dass dieser die ungarischen Magnaten aus ihren Ämtern drängen und durch »Fremde« ersetzen wollte, wird eine protonationale Xenophobie erkennbar. Dass Ulrich dabei die ungarische Sprache als »Sprache der Hunde« bezeichnet haben soll, stellt eine Verbindung von Sprache und Nation her, die eigentlich erst für den neuzeitlichen Nationalismus kennzeichnend ist. Die Verortung des Ursprungs der Ungarn in Skythien und die Abgrenzung zum westlichen Humanismus, zur Formierung einer westeuropäischen Identität, findet sich im heutigen völkisch-nationalen Diskurs des »Turanismus« wieder. So schreibt Gbor Vona, der Parteivorsitzende der rechtsradikalen, im aktuellen ungarischen Parlament als drittstärkste mit 44 Mandaten vertretenen Jobbik-Partei auf der offiziellen Internetseite: »Perhaps the Middle Age was the last of which even if dimly but kept the light of the ancient tradition. But the process, beginning with the Renaissance and the Reformation continued with the Enlightenment through the industrial revolution till the modernity, darkened everything.«229 Vona greift damit ganz ausdrücklich auf voraufklärerische Geschichtsbilder zurück, die schon zur Zeit der Niederschrift der Chronik Thurûczys als nicht mehr zeitgemäß angesehen wurden. Abstract: At the end of the 15th century the discussion on the expanding Ottoman Empire and the resultant perceived danger was in full swing. Humanistic writers like Silvio Eneas Piccolomini originated a new historiographical concept of the European continent and demanded the unification of a newly-imagined Western European Christianity which also deeply influenced our understanding of Europe today. The Chronicle of the Hungarians by Jnos Thurûczy, published in 1488, is recognized to be the last Hungarian chronicle in medieval style, not following Eneas. Nevertheless, Eneas’ writing had been a fundamental source during the compilation of his writing. In this paper it is argued, that Thurûczy was not writing for a Humanist audience but for the lower gentry. Therefore, he did not follow the new imagination of western Europe but was more oriented towards the East. Consequently, he has no need to describe the Osmans in a horrifying manner, and instead focuses on the differences from Western European writers. 229 Gbor Vona, Islam, 2010, Verfügbar unter : http://jobbik.com/vona_gbor_about_islam, Zugriff am 4. 07. 2013.
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Today’s Hungarian extreme right wing movement plugs into this conception of history conceived by Thurûczy in the terms of the ideology of »Turanism«, which denies the Uralic affiliation of the Magyars and connects them to an East Asian origin instead.
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Die Darstellung des Islam in lateinischen Quellen des 13. Jh.s am Beispiel der Chronica Majora des Matthäus Parisiensis und von De Vita Mahometi des Ramon Martí
Am Anfang des 7. Jh.s stiftete Mohammed auf der Arabischen Halbinsel den Islam, der sich rasch ausbreitete.1 Ersten intensiven Kontakt mit Christen gab es bereits mit der Eroberung Syriens, das zuvor zum christlichen Byzantinischen Reich gehörte.2 Zur Begegnung mit dem lateinisch geprägten Westen kam es spätestens 711, als der Feldherr Tariq ibn Ziyad das Westgotenreich im heutigen Spanien und Portugal einnahm.3 Innerhalb kurzer Zeit konnten die Muslime weite Teile der bis zu diesem Zeitpunkt christlich geprägten Iberischen Halbinsel erobern.4 Mit der Verbreitung des Islam entstanden erste christliche Schriften zu dieser neuen Religion, zunächst im Byzantinischen Reich, dann auch in Westeuropa.5 Bei der Untersuchung lateinischer Quellen erscheint zunächst auffällig, dass eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Islam erst mit der Eskalation der Konflikte im 12. Jh. begann.6 Davor wurde dieser aufgrund der geringen Relevanz, die er für das Leben der Europäer hatte, nur gelegentlich, vor allem im Bezug auf die Namensherkunft der »Sarazenen«, behandelt. Bereits im Frühmittelalter wurden die Sarazenen als Einheit wahrgenommen, deren religiöse Andersartigkeit jedoch fast nur im Konfliktfall betont.7 So nahm die Quellendichte in Spanien von 850 bis 860 im Rahmen des
Gerhard Endress, Einführung in die islamische Geschichte, München 1982, S. 140. Ebd., S. 141 – 142. Ebd., S. 127. Ebd. Norman Daniel, Islam and the West. The Making of an Image, Oxford 2009, S. 13, 15 – 16. Dazu und zum folgenden Abschnitt: Stephan Hotz, Mohammed und seine Lehre in der Darstellung abendländischer Autoren vom späten 11. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts (Studien zur klassischen Philologie, 137), Frankfurt a. M. u. a. 2002, S. 23; Frederick Quinn, The Sum of All Heresies. The Image of Islam in Western Thought, Oxford 2008, S. 23; Richard Southern, Western Views of Islam in the Middle Ages, Cambridge 1962, S. 14 – 18. 7 Norman Bade, Vorstellung von Islam und Sarazenen in der »Vita Hludowici imperatoris« und den »Annales Bertiniani«. Möglichkeiten und Grenzen einer terminologischen Untersuchung, in: Die Wahrnehmung anderer Religionen im frühen Mittelalter. Terminologische Probleme und methodische Ansätze, hrsg. Anna Aurast, Hans-Werner Goetz (Hamburger 1 2 3 4 5 6
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Konfliktes um die Märtyrer von Cordoba zu.8 Mit Beginn der Kreuzzüge im Übergang zum 12. Jh. gewann der Islam in den lateinischen Quellen an Bedeutung.9 Dies gilt sowohl für Polemiken10 als auch für wissenschaftliche Abhandlungen, die vor allem durch die Übertragung arabischer Texte ins Lateinische ermöglicht wurden.11 Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, die Wahrnehmung des Islams in lateinischen Quellen des 13. Jh.s zu untersuchen. Hierzu soll zunächst die historische Entwicklung des Islams im Spiegel der Quellen betrachtet werden. Dies umfasst auch das in den Quellen tradierte Mohammedbild. In einem zweiten Teil soll dann untersucht werden, wie der der islamische Glaube in den Quellen hervortritt. Besonderes Augenmerk soll dabei auf das Problem der Wahrnehmung des Islams als Häresie oder als eigenständige Religion, auf die Ehe und Partnerschaftsvorstellungen der Muslime, die Speisevorschriften und das islamische Paradies gerichtet werden. Bei der ersten ausgewählten Quelle handelt es sich um die Chronica Maiora des englischen Mönchs Matthäus Parisiensis. Matthäus’ Chronik zählt zu den bedeutendsten Chroniken des englischen Mittelalters. Mittelalterliche Geschichtsschreibung entspringt neben politischen und ethischen Motiven auch dem Wunsch zu unterhalten,12 was auch für Matthäus’ Chronik angenommen werden kann. Die Chronik deckt eine Vielzahl verschiedener Themen ab, die Matthäus von einem zumeist subjektiven Blickwinkel aus behandelt.13 Matthäus wirkte im Kloster St. Albans, wo er 1217 eintrat, einen großen Teil seines Lebens verbrachte und vermutlich 1259 auch verstarb.14 Matthäus verfasste die Chronica Maiora zwischen den Jahren 1236 und 1253.15 Somit ist der Abschnitt des Textes, der sich mit dem Islam und seinem Gründer Mohammed befasst und dem Jahr 1236 zugeordnet wird, mit Sicherheit ihm zuzuweisen.16 Soweit heute bekannt,
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geisteswissenschaftliche Studien zu Religion und Gesellschaft, 1), Berlin 2012, S. 89 – 119, hier S. 96 – 97. Southern, Islam (wie Anm. 6), S. 19 – 26. Quinn, Heresies (wie Anm. 6), S. 32 – 33; Southern, Islam (wie Anm. 6), S. 27 – 28; Daniel, Islam (wie Anm. 5), S. 23. Hotz, Mohammed (wie Anm. 6), S. 86 – 87; Quinn, Heresies (wie Anm. 6), S. 32 – 33; Southern, Islam (wie Anm. 6), S. 27 – 32. Hotz, Mohammed (wie Anm. 5), S. 87 – 88; Southern, Islam (wie Anm. 6), S. 34 – 37. Karl Schnith, Chronik B. Allgemeine Fragestellung und Überblick über die mittelalterliche Chronistik (Mittelalterlicher Westen), II. Probleme und Entwicklungswege der Weltchronistik, in: Lexikon des Mittelalters, 2, München 1983, Sp. 1957 – 1960, hier Sp. 1959 – 1960. Richard Vaughan, Matthew Paris (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, N. S., 6), Cambridge 32008, S. 143. Ebd., S. 1, 11. Ebd., S. 36. Matthäus Parisiensis, Chronica Majora, hrsg. Henry Richards Luard (Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores, 57), 3, London 1876, S. 343 – 361.
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hatte Matthäus niemals Kontakt zu Muslimen.17 Die Liste seiner Informanten umfasst jedoch mehrere Personen, die sich in von Muslimen bewohnten Gebieten aufgehalten haben, wie Richard von Cornwall.18 Als Quellen für seine Textabschnitte zum Islam gibt er einen Brief an Papst Gregor sowie die Äußerungen eines unbekannten Predigers an.19 Im Gegensatz zu diesem ersten Text steht das Werk De Seta Machometi, das von dem spanischen Autor Ramon Mart stammt. Ramon wurde um 1230 in der Nähe von Barcelona geboren.20 Er trat in das dortige Dominikanerkloster St. Catalina ein und verbrachte einige Zeit in Paris, Toledo und Tunis, wo er die islamische Kultur und die arabische Sprache studierte. Er starb im Jahre 1284/85 in Barcelona.21 Während seiner Zeit im Orden schrieb er mehrere Werke, die sich mit anderen Religionen, namentlich dem Judentum und dem Islam, beschäftigen; Ramon werden mehrere Werke, die sich mit der arabischen Sprache befassen, sowie ein Text über vermeintliche Irrlehren verschiedener Philosophen, unter ihnen auch Juden und Muslime, zugeschrieben.22 Den Grund für die Abfassung von De Seta Machometi, das vermutlich um 1257 entstand,23 beschreibt Ramon zu Beginn des Werkes. Er möchte belegen, dass Mohammed kein Prophet war und seine Lehren Irrtümer sind.24 Ramon schrieb somit aus anderen Gründen als Matthäus. Sein Werk ist ein theoretischer theologischer Text, in dem die Auseinandersetzung mit den Glaubensinhalten des Islam und mit seinem Propheten Mohammed die zentrale Rolle einnimmt. Zudem hatte Ramon im Gegensatz zu Matthäus Kontakte zur islamischen Welt und konnte die Schriften der Muslime lesen. Für das hier behandelte Werk griff er vor allem auf den Koran sowie zwei bedeutende Sammlungen der Hadithen, das Sahih al-Bukhari und das Sahih al-Muslim, zurück.25 Ein zentraler Schwerpunkt soll daher auch auf der Frage liegen, inwiefern sich die unterschiedlichen Hintergründe der Autoren auf ihre Werke auswirkten.
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Ebd., S. 12 – 17. Ebd. Ebd., S. 14, 23. Ramon Martí, De Seta Machometi O De Origine, Progressu et Fine Machometi et Quadruplici Reprobatione Prophetiae Eius, bearbeitet von Josep Hernando, in: Acta Historica et Archaeologica Mediaevalia 4 (1983), S. 10 – 11. Ebd. Ebd. Michelina Di Cesare, The Pseudo-Historical Image of the Prophet Muhammad in Medieval Latin Literature. A Repertory (Studien zur Geschichte und Kultur des islamischen Orients, N. F., 26), Berlin 2012, S. 278. Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 14. Di Cesare, Muhammad (wie Anm. 23), S. 279.
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Die »historische Entwicklung« des Islams im Spiegel der Quellen Matthäus’ Chronica Maiora enthält zwei Biographien Mohammeds. Die erste führt als Quelle einen Brief an Papst Gregor (IX.) an, in dem Prediger über die Situation in den islamischen Gebieten und den Islam berichten.26 Er bemerkt, dass die Sarazenen ihren Namen »abartigerweise«27 von Sarah, der Ehefrau Abrahams, ableiten; tatsächlich stammten die Vorfahren Mohammeds, des Propheten der Sarazenen, nach dessen Herkunft diese benannt seien, jedoch nicht aus der legitimen Ehe Abrahams mit Sarah, sondern aus der illegitimen Verbindung Abrahams mit Hagar, Sarahs Sklavin. Aus dieser geht Ismael hervor.28 Siebenundzwanzig Generationen später kommt sein Nachkomme Mohammed auf die Welt. Der zweite Nachfolger Mohammeds wird als Zeitgenosse Chosroes’ beschrieben, den Kaiser Heraklaios tötete.29 Durch diese Erklärung werden Mohammed und seine Anhänger sogleich abgewertet. Der Vorfahre ihres Propheten ist nicht, wie einer der Stammväter der Juden und Christen, Isaak, in geordneten Verhältnissen als Kind zweier freier Menschen geboren. Er ist der Sohn einer außerehelichen Beziehung, das Kind einer Sklavin, die schließlich, als Isaak auf die Welt kommt, verstoßen wird und mit ihrem Sohn in der Wüste leben muss. Gemäß Richard Southern wurde Ismael als ein wilder Mensch, der in Feindschaft mit seiner Umwelt lebte, dargestellt.30 Eine solche Herkunft spricht ebenso wenig für die Sarazenen wie ihr vorgeblicher Versuch, sich mit Sarah, der rechtmäßigen Ehefrau Abrahams, in Verbindung zu bringen. Matthäus’ zeitliche Einordnung der Ereignisse um Mohammed ist nicht völlig eindeutig, jedoch handelt es sich bei dem im Text beschriebenen Chosroes um den Perserkönig Chosroes II., der vermutlich 627/28 starb.31 Da zu dessen Lebzeiten jedoch bereits der zweite Nachfolger Mohammeds geherrscht haben soll, ist davon auszugehen, dass Matthäus die Lebzeiten Mohammeds etwas zu weit zurückversetzt hat.32 Mohammed wird von Matthäus als ein Zögling Hebenabecalips beschrieben, der in Calingua für die Pflege der Götzen zuständig war.33 Als junger Mann sei er in den Dienst der reichen Adiga eingetreten, die er verführt und schließlich 26 27 28 29 30 31
Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 343 – 344. Ebd., S. 344. Ebd., S. 343 – 344. Ebd. Southern, Islam (wie Anm. 6), S. 17. Gerhard Wirth, Chosroes II. (Parwez), in: Lexikon des Mittelalters, 2, München 1983, Sp. 1894 – 1895. 32 Mohammed lebte etwa von 570 bis 632 und war somit selbst ein Zeitgenosse des Chosroes. 33 Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 345.
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geheiratet habe.34 Durch seinen plötzlichen Reichtum größenwahnsinnig geworden, habe er sich als Herrscher über die Stämme der Gegend aufgespielt und sich auch zum König erklären wollen, woran ihn aber andere Personen besserer Herkunft gehindert hätten.35 Daraufhin habe er sich zum Propheten erklärt, was die Araber aufgrund ihrer Unwissenheit geglaubt hätten; in der Folgezeit sei Mohammed zu einer Art Räuberhauptmann aufgestiegen.36 Aus Macta sei er vertrieben worden, da dort niemand an sein Prophetentum glauben wollte.37 In einer Wüstenstadt, deren Bewohner Matthäus als »arme und unwissende Männer«38 beschreibt, hätten seine Anhänger einen Tempel für den neuen Glauben errichtet, von dem aus Mohammed weitere Raubzüge in die Gegend unternommen habe, die jedoch relativ erfolglos gewesen seien, was gegen Mohammeds Prophetentum spreche.39 Zudem habe Mohammed mehrere Meuchelmorde in Auftrag gegeben, unter anderem an einem alten und kranken Mann, auch Frauen und Kinder hätten zu seinen Opfern gehört.40 Gegen einen seiner Anhänger, der Mohammed bei einem der Raubzüge das Leben gerettet und dabei seine Finger verloren habe, habe er keinerlei Dankbarkeit gezeigt und auch keinen Widerstand gegen den Angreifer leisten können, sodass deutlich geworden sei, dass Mohammed entgegen den Behauptungen der Sarazenen in seinem Verhalten nicht von Engeln unterstützt worden sei.41 Mohammed erscheint in diesem Abschnitt schon in frühester Jugend in Verbindung mit Ungläubigen und Götzendienern. Seinen Aufstieg verdient er nicht eigenen Fähigkeiten und Fleiß, sondern seinen Verführungskünsten gegenüber seiner Arbeitgeberin. Danach verhält er sich nicht standesgemäß und versucht sogar sich Königswürden anzumaßen. In einer mittelalterlichen Gesellschaft, in der sozialer Aufstieg nur schwer möglich und nicht erwünscht war,42 erscheint ein solcher Aufstieg, besonders angesichts seiner Art und Weise, verachtenswert. Diese Inanspruchnahme unverdienter Würden korrespondiert jedoch mit dem von Matthäus vorher beschriebenen Versuch der Sarazenen, sich auf Sarah zurückzuführen. Auch Mohammeds Behauptung, ein Prophet zu sein, erscheint bei Matthäus vor allem dadurch motiviert, dass er Macht und Ansehen gewinnen wollte, nachdem sein Versuch, König zu werden, gescheitert war. Mohammeds Raubzüge erscheinen ebenfalls eines Propheten unangemessen. 34 35 36 37 38 39 40 41 42
Ebd. Ebd. Ebd., S. 345 – 346. Ebd., S. 346. Ebd., S. 345. Ebd. Ebd. Ebd. Reinhard Sprenger, Adel – Bürger – Bauern. Der anthropologische Hintergrund der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung, Kastellaun 1978, S. 43, 45.
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Keiner der Propheten des Christentums, ebenso wenig Jesus, habe sich als Räuber betätigt, und eine solche Beschäftigung kann nach den moralischen Vorstellungen eines rechtlich denkenden Menschen nur inakzeptabel sein. Durch den Mangel an Erfolg macht Matthäus deutlich, dass Mohammed weder über mehr Wissen verfügte als der durchschnittliche Mensch, noch dass er von Gott begünstigt war. Auch die angeblich von Mohammed begangenen Morde widersprechen den Moralvorstellungen von Matthäus’ Leserschaft. Nach den Vorstellungen der damaligen Zeit sollte man seinen Gegnern eine gerechte Chance zum Widerstand lassen und sie nicht krank und alt im Bett ermorden.43 Und auch das Töten Unschuldiger, wie Frauen und Kinder, galt – zumindest in den theoretischen Schriften der Zeit – als unehrenhaft.44 Mohammed erscheint in Matthäus’ Darstellung geradezu besessen von Sexualität. Er sei in die Ehe seines Dieners Zeid eingedrungen, der seine Frau aus dem Haus gewiesen habe, als er sie entgegen seinen Anweisungen im Gespräch mit Mohammed vorfand.45 Mohammed habe die Frau daraufhin zu sich genommen und erklärt, sie sei nun nach Gottes Gesetz seine Frau, um nicht des Ehebruchs bezichtigt zu werden.46 Er habe 15 Frauen gehabt und seine Lüsternheit sei so ausgeprägt gewesen, dass er sogar einen Eid, eine seiner Frauen für einen Monat zu meiden, brach.47 In diesem Abschnitt, der sich mit Mohammeds Sexualverhalten beschäftigt, erscheint sein Prophetentum wiederum nur als Mittel, um seine egoistischen, unmoralischen Wünsche zu rechtfertigen. Hier werden zum ersten Mal die Verständnisschwierigkeiten deutlich, die Matthäus mit den islamischen Ehevorstellungen hat. Im Christentum erscheint die Ehe unauflöslich.48 Matthäus, der Mönch, kann die Idee von Scheidung und neuer Eheschließung, nur auf Wunsch eines Partners, unmöglich akzeptieren. Die Anzahl der Partnerinnen Mohammeds erscheint in einer Gesellschaft, die Enthaltsamkeit idealisiert, Sexualität nur innerhalb der Einehe gestattet und in der Sinnlichkeit zumindest in kirchlichen Kreisen mit Misstrauen oder offener Ablehnung betrachtet wurde,49 exzessiv. Auch die Tatsache, dass Mohammed in Matthäus’ Augen offenbar die Befriedigung seines Geschlechtstriebs wichtiger ist als die Einhaltung eines Eides, spricht in einer Gesellschaft, die großen Wert auf Eide legt,50 gegen ihn. 43 Paul Robinson, Military Honour and the Conduct of War–From Ancient Greece to Iraq (Cass military studies), New York 2006, S. 73. 44 Ebd., S. 74, 79. 45 Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 348. 46 Ebd. 47 Ebd., S. 349. 48 Ruth Mazo Karras, Sexualität im Mittelalter, Düsseldorf 2006, S. 130. 49 Ebd., S. 124 – 125, S. 138. 50 Hartmut Zapp, Eid, A. Lateinischer Westen, II. Kanonistische Eideslehre, in: Lexikon des Mittelalters, 3, München 1986, Sp. 1675 – 1676, hier Sp. 1675 – 1676.
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Zudem beschreibt Matthäus Mohammed als einen kriegsliebenden Mann, der seinen Glauben mit Gewalt verbreiten möchte und sämtliche Personen, die sich dem neuen Glauben nicht beugen möchten, entweder töten oder mit Abgaben belegen will.51 Diese Gewaltbereitschaft Mohammeds stellt ihn in Kontrast zu Christus, den die Bibel als friedliche Person darstellt, die zumindest im Neuen Testament Gewalt selbst zur Selbstverteidigung oder gegenüber Feinden ablehnt.52 Diesem Ideal entspricht der von Matthäus dargestellte Mohammed nicht. Zwar wendeten auch Christen bei der Missionierung Gewalt an, theoretisch galten der Angriffskrieg aus rein religiösen Gründen und die Gewaltmission jedoch besonders seit dem 12. Jh. als unerwünscht.53 Weiter erwähnt Matthäus in seinem Bericht mehrere Wunder, die Mohammed nach Ansicht der Sarazenen vollbracht haben soll.54 Er lehnt diese aber unter Hinweis auf Mohammeds eigene Worte ab, er könne keine Wunder vollbringen.55 Zudem beschreibt Matthäus in diesem Zusammenhang einen Giftanschlag auf Mohammed und einen seiner Anhänger, vor dem Mohammed nach Überzeugung der Sarazenen durch ein Wunder gerettet worden, sein Anhänger aber gestorben sei.56 Auch dies wird von Matthäus als Beweis für das falsche Prophetentum Mohammeds angeführt, da dieser seinen Gefolgsmann habe sterben lassen.57 Mohammed sei schließlich doch vergiftet worden.58 Seine Ankündigung, am dritten Tag nach seinem Tod in den Himmel aufzufahren, habe sich nicht bewahrheitet, sodass er schließlich bestattet worden sei; der Leichnam habe sich nach dreißig Tagen noch immer auf Erden befunden.59 Der Verweis auf fehlende Wunder Mohammeds ist ein beliebtes Mittel, um die Glaubwürdigkeit des muslimischen Religionsstifters infrage zu stellen.60 Das Problem, dass Mohammed für sich die Fähigkeit, Wunder zu vollbringen, überhaupt nicht beansprucht,61 wird von Matthäus zwar grundsätzlich erkannt, wirkt sich jedoch auf seine Argumentation nicht aus. Durch die Behauptung, Mohammed erwartete, nach drei Tagen aufzuerstehen, konstruiert Matthäus 51 Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 349 – 350. 52 Johannesevangelium 18,10 – 11, in: Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments, hrsg. Württembergische Bibelanstalt, Stuttgart 1969. 53 Arnold Angenendt, Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert, Münster 42008, S. 378 – 380, 404 – 406. 54 Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 350. 55 Ebd. 56 Ebd. 57 Ebd. 58 Ebd., S. 351. 59 Ebd. 60 Daniel, Islam (wie Anm. 5), S. 88. 61 Arent Jan Wensinck, Mud’jiza, in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Clifford Edmund Bosworth, Emeri van Donzel, Bernard Lewis, Charles Pellat, 4, Leiden 21993, S. 295, hier S. 295.
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eine in der Realität nicht vorhandene Parallele zu Christus. Mohammeds Himmelfahrt misslingt allerdings. Auch diese Darstellung zeigt Matthäus’ Unfähigkeit, sich in die Glaubenswelt der Muslime einzufühlen, die nicht davon ausgehen, dass Mohammeds Körper in den Himmel auffahren sollte, sondern ihn bereits kurz nach seinem Tod begraben haben.62 Auch wird in dem Kapitel ein offensichtlicher Widerspruch zwischen den Aussagen des Propheten, er könne keine Wunder vollbringen, und dem Glauben der Muslime, wie Matthäus ihn darstellt, deutlich, da diese ihm trotz allem Wunder zuschreiben. Auch die zweite Mohammedbiographie, die Matthäus nach den Worten eines »gefeierten und hochangesehenen Predigers«63 entwirft, stellt Mohammed als einen Polygamisten dar, der damit gegen Gottes Willen verstoßen habe.64 Mohammed wird in diesem Abschnitt mit dem Drachen aus der Offenbarung verglichen, einem »Biest, das durch das Abschlachten vieler Menschen mit Blut beschmiert«65 sei und »noch immer darauf vertraue, dass der Jordan in seinen Mund fließen«66 würde. Mohammeds Behauptung, keine Wunder vollbringen zu können, wird hier darauf zurückgeführt, dass Mohammed erkannt habe, dass Gott für ihn keine Wunder wirken würde.67 Um sowohl Christen als auch Juden mit seiner neuen Lehre zufrieden zu stellen, habe Mohammed Teile des Alten und des Neuen Testamentes in seine Lehre übernommen.68 Die Geschichte von Mohammeds sozialem Aufstieg durch Heirat deckt sich in der zweiten Biographie mit der ersten, jedoch erwähnt Matthäus an dieser Stelle noch, dass Mohammed als Strafe für seine Anmaßungen an Epilepsie erkrankt sei.69 Mohammed habe diesen Zustand damit erklärt, dass er mit dem Erzengel Gabriel Kontakt habe und von dessen Anblick überwältigt zur Erde fallen würde, und sei so der gesellschaftlichen Ächtung für seinen Zustand entgangen.70 Ein epileptischer Anfall, durch Gift, übermäßiges Essen und exzessiven Alkoholkonsum begünstigt, habe schließlich zum Tode Mohammeds geführt, da er sich übergebend in einem Misthaufen zusammengebrochen sei und damit eine »hässliche Sau«71 und ihre Ferkel angelockt habe, die ihn dann erstickt haben sollen, weshalb Muslime kein Schweinefleisch äßen.72 62 Mohammed Ibn Ishak, Das Leben Mohammeds, hrsg. Christine Beetz (Religiosus, 9), Hamburg 2011, S. 114 – 116. 63 Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 355. 64 Ebd., S. 356. 65 Ebd. 66 Ebd. 67 Ebd., S. 356 – 357. 68 Ebd., S. 357. 69 Ebd., S. 360. 70 Ebd. 71 Ebd.
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Diese zweite Darstellung des Lebens Mohammeds greift einige Aspekte der ersten wieder auf, z. B. Mohammeds sexuelle Zügellosigkeit. Auch weist der Vergleich mit dem blutbesudelten Drachen auf die hier angenommene gewalttätige Natur Mohammeds hin. Die bereits in der ersten Biographie erwähnte Durchtriebenheit Mohammeds findet sich in der zweiten ebenso wieder wie die Schilderung seines Hochmutes angesichts seines sozialen Aufstiegs. Letzterer Aspekt wird noch verstärkt dadurch, dass Mohammed die Strafe für sein Fehlverhalten als besondere Segnung, den Kontakt zum Erzengel Gabriel, ausgibt, um der gesellschaftlichen Ächtung zu entgehen. Die Darstellung von Mohammeds Tod in diesem Abschnitt lässt ihn noch einmal besonders degeneriert erscheinen. Er stirbt infolge von Völlerei und Trunksucht im Schmutz eines Misthaufens, wo ihn Schweine ersticken. Diese ungewöhnliche Todesart wird als Erklärung für eines der Ernährungstabus des Islam angewendet. Auch Ramon beschäftigt sich in seinem Werk De Seta Machometi mit dem Leben Mohammeds. Er benennt seinen Vater als Abdalla, Sohn des Abdalmutalib, der bereits vor Mohammeds Geburt gestorben war, und seine Mutter als Hemina, die gestorben sei, als er sechs Jahre alt war.73 Auch Ramon führt Mohammeds Familie auf Ismael zurück.74 Mohammed habe später geäußert, seine Eltern seien in der Hölle.75 Mohammed habe nach dem Tod der Mutter zwei Jahre beim Großvater gelebt, bis auch dieser starb.76 Mit 25 Jahren habe Mohammed begonnen, für die reiche Händlerin Adiga zu arbeiten, die von Mohammeds Ehrlichkeit, Treue und Gehorsam gehört hatte.77 Er sei ein erfolgreicher Händler gewesen und Adiga habe ihn, ihren Cousin ersten Grades, schließlich als Partner begehrt; beide heirateten und bekamen drei Söhne, die als Heiden starben, und drei Töchter, die Sarazenen, also Muslime, wurden.78 Vor Adigas Tod heiratete Mohammed nicht erneut.79 Mit 40 Jahren sei Mohammed vom Heiden zum Propheten der Sarazenen geworden.80 Ramons Schilderung von Mohammeds Jugend und sozialem Aufstieg decken sich in einigen Punkten mit Matthäus’ Darstellung. Er schildert allerdings die Aufgaben Mohammeds im Dienst Adigas in größeren Einzelheiten. Auch taucht Mohammed in dem Text nicht als ein Verführer auf, wie in Matthäus’ Text. Hier scheint die Initiative für die Ehe zwischen Adiga und Mohammed eher von Adiga 72 73 74 75 76 77 78 79 80
Ebd. Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 18. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 18, 20. Ebd., S. 20. Ebd.
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auszugehen. Folglich ist auch der sexuelle Aspekt bei der Eheschließung von eher geringerer Bedeutung. Entscheidend sind in dieser Schilderung die guten Eigenschaften Mohammeds. Diese Beschreibung Adigas, der Mohammeds Arbeit für sie und der Eheanbahnung der beiden entspricht im wesentlichen islamischen Überlieferungen, ebenso die Tatsache, dass Mohammed mit Adiga in einer monogamen Ehe lebte.81 Insgesamt erscheint Mohammed in dieser Episode positiver als in Matthäus’ Beschreibung derselben Zusammenhänge, er verdankt seine Ehe seinen Tugenden und verhält sich innerhalb seiner ersten Ehe auch den christlichen Moralvorstellungen entsprechend. Dennoch ist das hier entworfene Bild Mohammeds nicht einseitig positiv. Ramon erwähnt in seinem Textausschnitt die enge Verwandtschaft zwischen Adiga und Mohammed. Eine Ehe zwischen Cousin und Cousine ersten Grades war durch das kirchliche Inzestverbot untersagt.82 Die erste Ehe Mohammeds ist also mit einem wesentlichen Makel behaftet, wenngleich er hier nicht als Ehebrecher auftaucht. Auch die Idee, seine Eltern seien in der Hölle, erscheint problematisch. Eine solche Aussage über die Eltern zu treffen, erscheint respektlos, zumal Mohammed nach christlicher Vorstellung kaum ausreichend qualifiziert erscheint, eine solche aufzustellen. Ramon fährt in seiner Schilderung mit der Berufung Mohammeds zum Propheten fort. Mohammed habe sich in eine Höhle zurückgezogen, wo ihm ein Engel erschienen sei und ihn aufgefordert habe, zu lesen.83 Mohammed habe dies mit dem Hinweis, nicht lesen zu können, mehrfach abgelehnt, sei jedoch wiederholt vom Engel bedrängt worden, bis dieser ihn aufgefordert habe, im Namen Gottes zu lesen, da dieser ihn lehren würde.84 Mohammed kehrte zutiefst erschüttert und zitternd aus der Höhle zurück; er habe die an ihn gegebene Erkenntnis als einen Schellenton, der zu ihm gekommen sei, beschrieben und von einem Engel in Menschengestalt berichtet, der zu ihm spräche.85 Auch in dieser Beschreibung bleibt Ramon im Gegensatz zu Matthäus geradezu neutral. Er unterstellt Mohammed nicht, dass er seine Stellung als Prophet vorgeschoben hätte, um bestimmte Privilegien zu erhalten. Seine Darstellungen sind in allen wesentlichen Punkten einheitlich mit der islamischen Vorstellung von Mohammeds Berufung.86 An anderer Stelle jedoch schreibt er, dass Mohammed wahre Worte mit fal-
81 Essad Bey, Mohammed. Biographie, Leipzig 21991, S. 70 – 71; Ibn Ishak, Mohammed (wie in Anm. 62), S. 20 – 22. 82 Karras, Sexualität (wie Anm. 48), S. 129 – 130. 83 Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 20. 84 Ebd. 85 Ebd., S. 20, 22. 86 Bey, Mohammed (wie Anm. 81), S. 79 – 83; Ibn Ishak, Mohammed (wie Anm. 81), S. 27 – 29.
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schen vermischt habe, um seinen Lehren größere Überzeugung zu verleihen.87 Mohammed habe die Schöpfung der Welt in sechs Tagen, die besondere Stellung Marias und Jesus’ sowie die Beschreibung der Apostel übernommen.88 Somit erkennt Ramon, wie auch Matthäus, die Ähnlichkeiten zwischen Islam und Christentum. Er führt diese, anders als Matthäus in seiner ersten Mohammedbiographie, der dort einen christlichen Häretiker dafür verantwortlich macht, direkt auf Mohammed zurück. Ramon unterstellt Mohammed, wie auch Matthäus in seiner zweiten Mohammedbiographie, die beiden Lehren gezielt miteinander vermischt zu haben, um mehr Anhänger zu gewinnen. Wie Matthäus berichtet auch Ramon von einem übermäßigen Geschlechtstrieb Mohammeds, den dieser mit seinen elf Frauen auslebte.89 Er berichtet auch, dass Mohammed mit seiner Frau Aisha während deren Menstruation Geschlechtsverkehr gehabt habe.90 Auch würde im Koran beschrieben, dass Gott Mohammed Geschlechtsverkehr mit sämtlichen sich ihm anbietenden Frauen, seinen Cousinen, Sklavinnen und seinen Ehefrauen erlaubt hätte; dies sei nur Mohammed erlaubt gewesen, keinem anderen Mann.91 Nachdem seine Frau Aisha ihn mit einer seiner Konkubinen in ihrem Haus überrascht habe, habe er ihr versprochen, diese nicht mehr zu treffen, was er jedoch dennoch tat.92 Wie Matthäus stellt Ramon Mohammed als einen Lüstling dar. Dies geschieht einerseits durch die Betonung der Vielzahl der Sexualkontakte Mohammeds auch mit nahen Verwandten, andererseits durch den Eidbruch, um eine seiner Konkubinen wieder zu sehen, und durch sexuelle Kontakte während der Regelblutung seiner Frau. Dies war nach christlicher Vorstellung nicht gestattet.93 Ramon berichtet weiter, Mohammed habe keine Wunder vollbringen können, um seine Stellung als Prophet zu bekräftigen, obwohl ihm daraufhin Unwissenheit vorgeworfen worden sei.94 Obwohl es nun deutlich gewesen sei, dass Mohammed unfähig sei, Wunder zu vollbringen, würden ihm einige Sarazenen dennoch zuschreiben, den Mond geteilt zu haben; die Teilung sei aber laut Koran lediglich ein Vorzeichen des Jüngsten Gerichts, kein von Mohammed bereits vollbrachtes Wunder.95 In diesem Abschnitt taucht wie auch bei Matthäus die Annahme auf, ein Prophet müsse Wunder vollbringen. Die Tatsache, dass Mohammed nie von sich gesagt hat, er könne Wunder wirken, wird nicht als 87 88 89 90 91 92 93 94 95
Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 24. Ebd., S. 24, 26. Ebd., S. 34. Ebd. Ebd. Ebd., S. 36. Karras, Sexualität (wie Anm. 48), S. 155. Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 38. Ebd., S. 40
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»Entschuldigung« anerkannt. Eine offensichtliche Inkonsistenz zwischen den Aussagen Mohammeds und dem muslimischen Glauben wird jedoch in Ramons Schilderung, anders als bei Matthäus, nicht deutlich. Ramon macht in seinen Ausführungen sehr deutlich, dass der Glaube an Wunder Mohammeds nicht zur offiziellen islamischen Überlieferung, sondern eher in das Reich des muslimischen Aberglaubens gehört. Den Tod Mohammeds führt Ramon auf ein vergiftetes Lammgericht zurück, das zunächst seinen Diener und später ihn selbst getötet habe.96 Dem Tod sei eine Phase geistiger Verwirrung mit Wahnvorstellungen vorausgegangen, während der Mohammed die Christen und Juden verflucht habe, da sie über den Gräbern der Propheten Kapellen und Kirchen errichtet hätten; Ramon sieht die Flüche Mohammeds als Sünde an.97 Zudem habe Mohammed ein zweites heiliges Buch schreiben wollen, um die Fehler »seit jenem Buch«98 zu beheben. Hierzu sei es nicht mehr gekommen, da am Sterbebett Mohammeds ein Streit über die Sinnhaftigkeit dieses Vorhabens ausgebrochen und der Prophet darüber gestorben sei; daher befänden sich die Sarazenen noch immer im Irrtum.99 Nach seinem Tod habe Aisha seinen Kopf zwischen ihrem Kinn und ihrer Brust platziert und seinen mit ihrem Speichel vermischt.100 Ramon schließt mit der Bemerkung, »Mohammeds Tod (sei) verachtenswert, schmutzig und abscheulich«101 und in jeder Hinsicht eines Propheten unwürdig gewesen. Auch der Tod Mohammeds durch Vergiftung belegt für Ramon noch einmal, dass Mohammed nicht über irgendwelche besonderen Fähigkeiten verfügte und auch keine Wunder zur Rettung seiner Anhänger zu wirken vermochte. Ebenso spricht der von Ramon beschriebene Wahnsinn gegen Mohammed, taucht solcher doch in der Bibel mehrfach als Hinweis auf Gottes Zorn auf.102 Der Sterbeprozess Mohammeds erscheint durch die von Mohammed ausgestoßenen Flüche und den Streit an seinem Bett chaotisch und somit unwürdig.103 Sein Wunsch, ein weiteres Buch zu verfassen, erfüllt sich nicht; die Fehler, die nach der Erstellung seines Korans entstanden, kann er nicht mehr korrigieren. Dies kann in einer Gesellschaft, die großen Wert auf die Ordnung des Lebens vor dem Tod legte, als ein Zeichen göttlichen Missfallens interpretiert werden.104 Die von Aisha nach Mohammeds Tod vorgenommenen Maßnahmen erscheinen eben96 97 98 99 100 101 102 103 104
Ebd., S. 50. Ebd. Ebd. Ebd., S. 50. Ebd., S. 52. Ebd. Die Bibel (wie in Anm. 52), 5. Buch Mose 28,28; Daniel 4,1 – 34. Paul Binski, Medieval Death. Ritual and Representation, London 1996, S. 36. Ebd.
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falls bizarr und mit Vorstellungen eines würdevollen Sterbens schwer vereinbar, wie Ramon selbst bemerkt. Matthäus Parisiensis äußert sich in seiner Chronica Maiora mehrfach zur Zusammensetzung von Mohammeds Anhängerschaft und zur Entwicklung des Islams nach Mohammeds Tod. In einer Textpassage benennt Matthäus den Nachfolger Mohammeds als Katab, der von Homar abgelöst worden sei.105 Sowohl bei Katab als auch bei Homar könnte es sich um den zweiten Kalifen des sunnitischen Islam, Omar ibn al-Khattab,106 handeln. Der erste Kalif des sunnitischen Islam, Abu Bakr,107 wird von Matthäus nicht erwähnt, ebenso findet der erste Imam des schiitischen Islam, Ali,108 keine Erwähnung. In diesem Abschnitt erscheint Matthäus’ Kenntnis über die Entwicklung des Islams nach Mohammeds Tod eher diffus. Er äußert sich nicht zur Spaltung des Islams und kann auch die Nachfolger Mohammeds nicht korrekt benennen. Zudem scheint er sich über die genaue Identität Omar ibn al-Khattab nicht genau im Klaren zu sein. In weiteren Textabschnitten beschreibt Matthäus die Anhänger Mohammeds als »unwissende arabische Bauern«, 109 »Freibeuter und Räuber«110 und »Götzenanbeter, arme und unwissende Menschen.«111 Als nach Mohammeds Tod seine Auferstehung ausgeblieben war, hätten sich alle klugen Männer von seinem Glauben abgewandt, und nur die »einfache und unwissende Bevölkerung«112 sei, angestachelt von den hab- und machtgierigen Verwandten Mohammeds, dem neuen Glauben treu geblieben.113 Mehrere Anhänger Mohammeds, darunter auch Ali, der Sohn von Mohammeds Schwiegervater, hätten nach seinem Tod um die Vorherrschaft gestritten und mit Schmeicheleien, Drohungen und Versprechungen irdischer Genüsse zahlreiche Personen um sich geschart.114 Auch in anderen Teilen der Welt hätten sich Personen, denen das Christentum zu streng gewesen sei und die nach dem vom Islam versprochenen Luxus und Freiheiten strebten, dem Islam angeschlossen. Mit Hilfe eines häretischen Mönchs sei es dem Schwiegervater Mohammeds gelungen, Lehren der Bibel mit den Lehren Mohammeds zu verbinden, um so seinen Einfluss auf die Stämme der Region,
105 106 107 108 109 110 111 112 113 114
Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 345. Endress, Einführung (wie Anm. 1), S. 193. Ebd. Ebd., S. 48. Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 345. Ebd. Ebd., S. 346. Ebd., S. 351. Ebd. Ebd., S. 351 – 352.
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»raue, unkultivierte und beschränkte«115 Männer, auszuweiten.116 Aus Matthäus’ Schilderung geht somit hervor, dass es seiner Ansicht nach bei der Verbreitung des Islams nicht um die Verbreitung von Wahrheit geht. Außerdem ist zu bemerken, dass Matthäus hier die Fraktionierung des Islams zwar bis zu einem gewissen Grad erkennt und auch Ali als einen wesentlichen Akteur in dieser Entwicklung ansieht, jedoch erfasst er nicht, dass Ali der Cousin und Schwiegersohn Mohammeds ist und nicht der Sohn von Abu Bakr. Auch stellt er diesen nicht als Alis wesentlichen Gegenspieler dar. Die Aufspaltung des Islam in Schiiten und Sunniten wird von Matthäus in ihrer eigentlichen Tiefe und Problematik nicht begriffen. Die Auseinandersetzungen um die Frage, inwiefern der Nachfolger des Propheten mit diesem blutsverwandt sein muss,117 werden zu einem Streit um Geld und Macht degradiert. Auch Ramon äußert sich zur Ausbreitung des Islam und zu den Beweggründen der Konvertiten.118 Er erklärt, dass zunächst Mohammeds Ehefrau Adiga Sarazenin geworden sei, der erste Mann, der übertrat, sei Ali, Sohn des Alitalib, gewesen, dann Zaid, dann Abu Bakr, dann Utman, Sohn des Affan; diese seien dann von Mohammed angewiesen worden, andere Menschen mit Gewalt zum neuen Glauben zu bekehren oder sie zu zwingen, Abgaben zu leisten.119 Wieder andere seien durch ihre Dummheit, »vom Teufel verführt«,120 zum Islam übergetreten oder durch den Irrtum ihrer Eltern oder in der Hoffnung auf irdische Ehren und Genüsse Sarazenen geworden; so habe sich die Gruppe der Anhänger Mohammeds erweitert.121 Diese Äußerungen Ramons stimmen mit den Ansichten Matthäus’ im Wesentlichen überein. Auch Ramon erwähnt die vermeintliche Dummheit vieler Anhänger Mohammeds, die für ihn erklärt, warum sie sich diesem angeschlossen haben. Wie Matthäus erwähnt auch er die Gewaltmission als eine Methode der Bekehrung, die von Mohammed als legitim ausgegeben wird. Wie bereits erwähnt, widerspricht dies den (theoretischen) christlichen Vorstellungen von Mission. Im Gegensatz zu Matthäus stellt Ramon Mohammed jedoch nicht als einen vom Blutvergießen begeisterten Mann dar. Auch erwähnt Ramon die Gier nach Luxus, Geld und Macht als Triebfeder für die Konversion. Hierin stimmt er wieder mit Matthäus überein. Er bemerkt zudem, dass einige schlicht ihren Eltern nachfolgten und so die Reihen der Sarazenen stärkten. Insgesamt spricht auch Ramon den Muslimen eine Konversion zum Islam aus 115 116 117 118 119 120 121
Ebd., S. 352. Ebd. Endress, Einführung (wie Anm. 1), S. 47 – 48. Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 22, 24. Ebd. Ebd., S. 24. Ebd.
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tiefer innerer Erkenntnis ab. Es bleiben Angst, Dummheit, blinder Gehorsam gegen die Eltern und Gier. Er führt das Anwachsen der Gruppe der Muslime sogar in Teilen auf die Einflussnahme des Teufels zurück. Es geht aus diesem Abschnitt jedoch hervor, dass Ramon gewisse Kenntnisse der Ausbreitung des Islams besitzt und auch wichtige Personen aus Mohammeds Umfeld, wie Ali oder Abu Bakr,122 kennt. In der »historischen Betrachtung« des Islams sind sich Ramon und Matthäus in vielen Punkten einig. Beide Männer präsentieren Mohammedgestalten, die aufgrund ihrer vielen negativen Eigenschaften keine wahrscheinlichen Propheten abgeben. Insgesamt ist Matthäus in seinen Schilderungen jedoch negativer und weiter von der islamischen Überlieferung entfernt. Er äußert sich zudem noch zur Entwicklung des Islam nach Mohammeds Tod, was Ramon aufgrund der Intention seines Textes unterlässt. Die Gruppe der Muslime schildern beide Männer weitgehend einheitlich negativ.
Der Islam als Glaube Wie bereits festgestellt, wurde der Islam von verschiedenen Autoren unterschiedlich eingeordnet. Durch die Ähnlichkeiten mit dem Christentum kam es teilweise zur Bewertung des Islams als eine der zahlreichen christlichen Häresien, andere ordneten den Islam dem Heidentum zu. Bevor es darum gehen kann, wie einzelne Aspekte des muslimischen Glaubens von Matthäus und Ramon bewertet werden, soll zunächst für beide Autoren die Frage nach der generellen Beurteilung geklärt und das Verhältnis des Islams zum Christentum untersucht werden. Matthäus Parisiensis erkennt in seinem Text die Gemeinsamkeiten des Islams mit dem Judentum und Christentum, die er auf die Einflussnahme eines häretischen Mönchs zurückführt.123 Er erfasst richtig, dass es auch im Islam einen Gott gibt,124 Jesus als einer der Propheten und Patriarchen verehrt wird125 und dass es Vorstellungen von Jüngstem Gericht und Paradies gibt.126 Auch in seiner 122 Endress, Einführung (wie Anm. 1), S. 47 – 48. 123 Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 352 – 354. 124 Louis Gardet, Alla¯h, in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Hamilton Alexander Rosskeen Gibb, Johannes Hendrik Kramers, Evariste Lévi-Provençal, Joseph Schacht, 1, Leiden, London 21960, S. 406 – 417, hier S. 406; Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 352. 125 Georges Chehata Anawati, Isa, Encyclopaedia of Islam, hrsg. Bernard Lewis, Charles Pellat, Joseph Schacht, 3, Leiden, London 21971, S. 81 – 86, hier S. 83; Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 353. 126 Louis Gardet, Kiyama, I. The succession of eschatological events, in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Clifford Edmund Bosworth, Emeri van Donzel, Bernard Lewis, Charles Pellat, 5, Leiden 1986, S. 235 – 236; Louis Gardet, Djanna, in: Encyclopaedia of Islam,
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zweiten Mohammedbiographie bekräftigt Matthäus diese Gemeinsamkeiten.127 Er beschränkt allerdings die Zahl der vom Islam verehrten Propheten auf drei, Moses, Jesus und Mohammed, und erwähnt zudem, dass die Sarazenen eine Art Taufe als Waschung des Unterleibs vollziehen würden und in Übereinstimmung mit dem Alten Testament beschnitten seien.128 Sie glaubten an die Jungfrauengeburt Jesu, an das Jüngste Gericht und Noahs Flut.129 Neben diesen größtenteils realen Gemeinsamkeiten130 mit dem Islam erkennt Matthäus jedoch auch Unterschiede. Er erkennt, dass die Trinität und somit auch die göttliche Natur Jesu abgelehnt werden, ebenso die Kreuzigung.131 Auch diese Unterschiede werden von Matthäus richtig wahrgenommen132 und belegen trotz der großen Distanz eine gute Kenntnis muslimischer Glaubensinhalte. Diese Anerkennung der Gemeinsamkeiten zwischen beiden Religionen und die relativ geringen, teilweise auch bei anderen Häresien vorkommenden Abweichungen133 würden zwar für eine Bewertung des Islams als häretische Abweichung vom Christentum sprechen, andererseits schreibt Matthäus auch, die zum Islam Konvertierten seien »zum Heidentum verführt«134 worden. Da dies eine direkte Aussage zur Qualität des Islam darstellt, während die erste Ansicht auf Rückschlüssen beruht, erscheint es wahrscheinlicher, dass Matthäus den Islam tatsächlich als eine Form des Heidentums betrachtet, die zwar dem Christentum und dem Judentum ungewöhnlich nahe steht, jedoch keine Häresie darstellt. Wie bereits erwähnt, erkennt auch Ramon die Ähnlichkeiten zwischen Islam und Christentum.135 In diesem Zusammenhang berichtet er vom islamischen Glauben an die Schöpfung der Welt in sechs Tagen durch einen Gott, die Sonderstellung Marias und Jesu, die Schwängerung Marias durch den heiligen Geist, die Erhebung Jesu in den Himmel und die Aufgabe der Apostel als Helfer Gottes.136 Diese Gemeinsamkeiten, die – bis auf die Empfängnis durch den Heiligen
127 128 129 130
131 132 133 134 135 136
hrsg. Bernard Lewis, Charles Pellat, Joseph Schacht, 2, Leiden, London 1965, S. 447 – 452, hier S. 447; Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 353 – 354. Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 356 – 357. Ebd., S. 357. Ebd. Anawati, Isa (wie Anm. 125), 1978, S. 81; Gardet, Kiyama (wie Anm. 126), 1986, S. 235 – 236; Bernhard Heller, Nuh, in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Clifford Edmund Bosworth, Emeri van Donzel, Wolfhart Heinrichs, G¦rad Lecomte, 8, Leiden 21995, S. 108 – 109, hier S. 109. Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 352 – 353. Gardet, Alla¯h (wie Anm. 124), 1960, S. 408; Anawati, Isa (wie Anm. 125), 1978, S. 83. Klaus Seibt, Arianismus, B. Hauptgestaltungsformen, in: Der Neue Pauly, hrsg. Hubert Cancik, Helmuth Schneider, 1, Stuttgart 1996, Sp. 1077 – 1078. Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 352. Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 24, 26. Ebd.
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Geist – auch tatsächlich so von Muslimen geglaubt werden,137 stellt Ramon den Unterschieden zwischen Islam und Christentum gegenüber.138 So würden Muslime Maria für die Tochter des Imran halten, glauben, Jesus habe das Kommen Mohammeds angekündigt, und die Passion und Kreuzigung Christi leugnen. Auch diese Schilderungen entsprechen dem muslimischen Glauben.139 In dieser Darstellung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Religionen, die gute Islamkenntnisse belegen, stimmt Ramon in vielen Punkten mit Matthäus Parisiensis überein. Er scheint lediglich im Bezug auf die absolute Ablehnung der Trinität unsicher zu sein, da er die Geburt Jesu nach Vorstellung der Muslime auf den Heiligen Geist zurückführt. Ramon schreibt weiterhin, dass Mohammed mit seiner ersten Frau »drei Söhne, die als Götzenanbeter gestorben seien, und drei Töchter, die später Sarazeninnen wurden«,140 hatte. Dies belegt, dass er den Islam nicht in eine Reihe mit heidnischen Kulten stellt, sondern eher als eine Häresie einordnet, zumal er erkennt, dass Islam und Christentum sich in einigen Punkten sehr nahe stehen. Ein Thema, das sowohl in Matthäus’ Chronica Maiora als auch in Ramons De Seta Machometi mehrfach Erwähnung findet, ist die islamische Ehe und das Recht auf Scheidung. Matthäus erwähnt in seinem Text mehrfach die im Islam mögliche Polygamie. Diese begegnet seinen Lesern zunächst in den bereits behandelten Schilderungen zum Leben Mohammeds. Außerdem widmet er einen gesamten Absatz den Ehevorschriften des Islam.141 Er schreibt, dass ein Mann drei bis vier Ehefrauen haben darf, wenn er diese versorgen kann; hier erwähnt er auch, dass, sollte es Eheprobleme geben, sich Männer wie Frauen augenblicklich scheiden lassen könnten.142 Die Ehepartner könnten sich jedoch nach einer solchen Scheidung nicht wieder verheiraten, bevor die Frau nicht mit einem anderen Mann verheiratet gewesen wäre, was von Matthäus als illegitim abgelehnt wird.143 Zudem kritisiert er die Art und Weise, wie die Aussteuer
137 Roger Arnaldez, Khalk, in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Emeri van Donzel, Bernard Lewis, Charles Pellat, 4, Leiden 21978, S. 980 – 988, hier S. 984; Penelope Johnstone, Arent Jan Wensinck, Maryam, in: Encyclopaedia of Islam, 6, Clifford Edmund Bosworth, Emeri van Donzel, Charles Pellat Leiden 21991, S. 628 – 632, hier S. 629; Anawati, Isa (wie Anm. 125), 1978, S. 81, 83; Arent Jan Wensinck, Rasu¯l, 1. In the religious sense, in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Clifford Edmund Bosworth, Emeri van Donzel, Wolfhart Heinrichs, G¦rad Lecomte, 8, Leiden 21995, S. 454 – 455, hier S. 454 – 455. 138 Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 26, 28. 139 Anawati, Isa (wie Anm. 125), S. 83; Johnstone, Wensinck, Maryam (wie Anm. 137), S. 630. 140 Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 20. 141 Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 354. 142 Ebd. 143 Ebd.
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gezahlt wird; Matthäus erscheinen die Ehen der Sarazenen wegen all dieser Mängel als nicht gesegnet.144 Matthäus sieht den gesamten Bereich der Eheschließung und -scheidung im Islam sehr skeptisch. Er erkennt allerdings in diesem Absatz richtig, dass die Zahl der Ehefrauen begrenzt ist und dass der Ehemann gegenüber seinen Frauen Verpflichtungen hat,145 die nach Matthäus’ Schilderung jedoch auf das Materielle beschränkt scheinen. Die Möglichkeit der Scheidung stellt Matthäus stark vereinfacht dar. Er scheint weder zu erkennen, dass die Scheidung nach islamischen Vorstellungen eine höchst unerwünschte Lösung ehelicher Konflikte darstellt, noch dass die Scheidung von Seiten des Mannes an bestimmte Voraussetzungen geknüpft ist.146 So ist eine Wartezeit bis zur nächsten Menstruationsphase der Frau einzuhalten, um sicherzugehen, dass diese nicht schwanger ist, und es sind zwei glaubwürdige Zeugen für den Scheidungsakt nötig.147 Auch die Scheidung der Frau ist nicht ohne weiteres möglich, sie kann sich jedoch mit einem Teil ihrer Mitgift freikaufen.148 In seiner zweiten Mohammedbiographie geht Matthäus ebenfalls auf die Ehe im Islam ein.149 Hier behauptet er allerdings, die Muslime müssten so viele Frauen und Konkubinen haben, wie sie ernähren könnten, und dürften diese »nach ihrem Wohlgefallen benutzen und missbrauchen«.150 Wenn ein Mann weniger Frauen als möglich habe, würden ihm von den Behörden mehr Frauen zugeordnet; dies alles geschehe, »damit die Nation der Sarazenen sich vermehren möge, wie Pferde und Esel, die keinen Verstand besitzen.«151 Es ist auffällig, dass diese Schilderung der islamischen Eheverhältnisse sehr viel polemischer ist als die erste. Zwar betrachtet Matthäus Polygamie auch im ersten hier beschriebenen Abschnitt als Widerspruch zur göttlichen Ordnung, er setzt die Muslime jedoch nicht wie im zweiten mit Tieren gleich, die nur ihren Sexualtrieb ausleben. Zudem wird hier Polygynie zur Pflicht jedes männlichen Muslims erklärt. Dies ist sachlich falsch. Zum einen ist die Zahl der Ehefrauen, wie bereits erwähnt, auf vier beschränkt, wenn auch der Mann zusätzlich Sexualkontakte zu seinen Sklavinnen unterhalten darf, zum anderen ist auch im 144 Ebd. 145 Joseph Schacht, Nikah, I. In Classical Islamic Law, in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Clifford Edmund Bosworth, Emeri van Donzel, Wolfhart Heinrichs, G¦rad Lecomte, 8, Leiden 21995, S. 26 – 29, hier S. 27 – 28. 146 Joseph Schacht, Talak, I. In classical Islamic law, in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Peri Bearman, Thierry Bianquis, Clifford Edmund Bosworth, Emeri van Donzel, Wolfhart Heinrichs, 10, Leiden 22000, S. 151 – 155, hier S. 151 – 152. 147 Ebd. 148 Ebd. 149 Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 356. 150 Ebd. 151 Ebd.
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Islam Monogamie die bevorzugte Form des menschlichen Zusammenlebens und Polygynie an bestimmte Regeln, wie die Gleichbehandlung der Ehefrauen, gebunden.152 Frauen im Islam erscheinen in diesem Abschnitt als weitestgehend rechtlose Wesen, mit denen ihre Männer umgehen können, wie es ihnen beliebt. Auch dies entspricht nicht dem islamischen Recht. Zwar ist die Frau dem Mann untergeordnet, sie hat jedoch auch Rechte und darf nicht in jeder erdenklichen Art behandelt oder von den Behörden verteilt werden.153 Im Bezug auf die Sexualität stellt Matthäus die Behauptung auf, die Muslime würden besonders während ihrer Fastenzeit tagsüber sexuelle Kontakte zu ihren Frauen unterhalten, dafür aber von sexuellen Handlungen in Zeiten der Schwangerschaft absehen, um vorgeben zu können, Sex diene nur der Fortpflanzung.154 Dies entspricht nicht den Tatsachen. Während des Fastens soll von sexuellen Handlungen abgesehen werden.155 Auch dient Sexualität im Islam nicht ausschließlich der Fortpflanzung, sodass dies als Ursache für ein Verbot nicht in Frage kommt.156 Auch Ramon äußert sich in seinem Text zu Sexualität, Ehe und Scheidung im Islam. Er wirft Mohammed vor, sexuelles Begehren als etwas von Gott Gegebenes darzustellen, dem nachzugeben ein natürlicher Impuls des Menschen sei.157 Das weist er mit scharfen Worten und einem Verweis auf das Buch Genesis zurück. Dieser Abschnitt belegt, neben Ramons schwerwiegenden Verständnisproblemen zur vermeintlichen Sinnenfreudigkeit des Islam, ein wesentliches Problem seiner Auseinandersetzung mit dem Islam und Muslimen. Dadurch, dass er hier und an vielen anderen Stellen seines Textes mit der Bibel versucht gegen Aussagen Mohammeds oder des Korans zu argumentieren, wird der Diskurs mit Muslimen nahezu unmöglich, da diese die Bibel nicht als unverfälschtes Wort Gottes ansehen, wie Ramon dies tut. Ramon beschreibt weiter, dass Muslime bis zu vier Frauen und beliebig viele Konkubinen haben dürften, solange man sie angemessen versorgen könne.158 Er erwähnt jedoch auch, dass bei einer möglichen Ungleichbehandlung der Frauen Monogamie die bessere Lösung wäre; dies ist, wie bereits erwähnt, sachlich
152 153 154 155
Schacht, Nikah (wie Anm. 145), S. 1, 27. Ebd. Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 355. Cornelis Christiaan Berg, Sawm, in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Clifford Edmund Bosworth, Emeri van Donzel, Wolfhart Heinrichs, G¦rad Lecomte, 9, Leiden 21997, S. 94 – 95, hier S. 94. 156 S. Georges Henri Bousquet, Azl, in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Hamilton Alexander Rosskeen Gibb, Johannes Hendrik Kramers, Evariste Lévi-Provençal, Joseph Schacht, 1, Leiden 21960, S. 826. 157 Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 28. 158 Ebd., S. 42.
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richtig, wenn auch die von Ramon angegebene Zahl von über tausend Konkubinen stark übertrieben wirkt.159 Ramon beschreibt auch die Scheidung im Islam.160 Er gibt an, dass ein Ehemann ohne Angabe von Gründen seine Frau verstoßen könne; wenn er das dreimal tue, könne er sie allerdings nicht zurücknehmen, außer sie sei vorher mit einem anderen Mann zusammen gewesen.161 Ramon lehnt diese Praxis als inhuman ab, da sie dem Ehemann Rechte zugestehe, die die Frau nicht habe und diese somit entgegen Gottes Willen, der allgemeinen Vernunft und dem Naturrecht auf den Stand einer Sklavin oder Untergebenen setzt, anstatt sie als ebenbürtige Partnerin anzuerkennen; zudem sei das Gesetz ungerecht, da es die Schwäche der Frauen nicht genügend berücksichtige, die eine humanere Behandlung erforderlich machen würde.162 Ramon erkennt die bereits beschriebene Scheidungspraxis von Seiten des Mannes richtig. Er lässt jedoch die bereits erwähnten Schutzmechanismen für die Frau ebenso außer Acht wie das Recht der Frau auf Scheidung. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass Ramon dem Islam vorwirft, Frauen nicht als gleichberechtigt zu behandeln, obwohl auch im mittelalterlichen (christlichen) Europa Frauen dem Recht nach alles andere als gleichgestellt waren.163 Der Wunsch nach einer Zurückweisung des Islams ist für Ramon offensichtlich stärker als der Wunsch einer logisch durchdachten Argumentation. Würde er Frauen tatsächlich als gleichberechtigte, ebenbürtige Partnerinnen wahrnehmen, könnte er schwerlich eine rechtliche Andersbehandlung aufgrund ihrer Schwäche fordern. Weiter schreibt Ramon, der Islam würde Analsex erlauben, in der Sure »Die Kuh« stehe, Frauen seien der Besitz der Männer und diese könnten ihren Besitz betreten, wie sie möchten.164 Ramon lehnt diese Praktik als unnatürlich ab, da sie den Menschen auf eine Stufe mit Tieren stelle und die Fortpflanzung verhindere.165 Ramons Behauptung, man würde die Aussage aus der Sure »Die Kuh« auf diese Weise auslegen, erscheint unwahrscheinlich. Zwar erlaubt der Islam größere Freiheiten bei der Vollziehung des Geschlechtsaktes als das Christentum,166 Analsex scheint jedoch explizit verboten.167 Ramon beschreibt auch das Recht, eine Ehe auf Zeit einzugehen, was er 159 160 161 162 163 164 165 166 167
Ebd. Ebd., S. 44. Ebd. Ebd. Karras, Sexualität (wie Anm. 48), S. 133 – 134. Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 44. Ebd. Karras, Sexualität (wie Anm. 48), S. 150 – 151. Muhammad Ibn Adam Al-Kawthari, Ehe und Liebesleben im Islam, Bochum 2011, S. 162.
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wiederum als gegen den göttlichen Willen verstoßend ablehnt.168 Die Ehe auf Zeit wird im Islam praktiziert, ist jedoch nicht das unkomplizierte Recht, als das Ramon es hier schildert, sondern stark umstritten.169 So war diese Praxis nur im schiitischen Islam offiziell legal; die Sunniten, die Mehrzahl der Muslime, lehnten eine Ehe auf Zeit offiziell ab, Gesetze, die eine solche verboten, wurden jedoch in der Realität häufig unterwandert und so umgangen.170 An dieser Stelle wird deutlich, dass Ramon zwar die wesentlichen Grundzüge der islamischen Praxis kennt, die Umstrittenheit dieses Themas jedoch außer Acht lässt und auch die unterschiedlichen Regelungen in den verschiedenen Konfessionen des Islams nicht mit betrachtet. Weiter berichtet er, der Islam würde den Coitus Interruptus erlauben und so gegen das göttliche Gesetz verstoßen.171 Der Islam erlaubt diese Praxis tatsächlich.172 Diese verstößt allerdings gegen das christliche Moralverständnis der Zeit, da dadurch die Empfängnis verhindert werden sollte.173 Ramon äußert sich auch zur Homosexualität im Islam.174 Er beschreibt zunächst die Folgen von Homosexualität unter Frauen: Diese sollten bis zu ihrem Tod oder ihre Befreiung durch Gott eingesperrt werden, wenn vier Zeugen die homosexuellen Handlungen bestätigten.175 Männer dagegen sollten, wenn sie der Homosexualität schuldig seien, lediglich getadelt werden.176 Es sei unwahrscheinlich, dass es jemals vier Zeugen für die Tat gebe, was Frauen zur Homosexualität ermutigen würde.177 Auch die Tatsache, dass Männer keine ernstlichen Strafen zu erwarten hätten, sei angesichts der Schwere der Sünde ungerecht und würde Männer ebenfalls zur Homosexualität verleiten.178 Dieser im Vergleich zum christlichen Europa relativ moderate Umgang179 mit Homosexualität entspricht nicht dem islamischen Recht.180 Zwar ist die Strafe für Homosexualität in den unterschiedlichen Rechtsschulen der Sunniten um168 Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 44, 46. 169 Willi Heffening, Mut’a, in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Clifford Edmund Bosworth, Emeri van Donzel, Wolfhart Heinrichs, Charles Pellat, 7, Leiden 21993, S. 757 – 759, hier S. 757 – 759. 170 Ebd. 171 Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 44, 46. 172 Bousquet, Azl (wie Anm. 156), S. 826. 173 Karras, Sexualität (wie Anm. 48), S. 150. 174 Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 46, 48. 175 Ebd. 176 Ebd., S. 48. 177 Ebd. 178 Ebd. 179 Karras, Sexualität (wie Anm. 48), S. 228 – 231, 296. 180 Rudolph Peters, Zina or Zina’, in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Peri J. Bearman, Thierry Bianquis, Clifford Edmund Bosworth, Emeri van Donzel, Wolfhart Heinrichs, 11, Leiden 22002, S. 509 – 510.
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stritten, diese ist jedoch in jedem Fall härter als ein bloßes Tadeln; in den meisten sunnitischen Rechtsschulen sowie im schiitischen Islam steht auf Homosexualität die Todesstrafe, wenn vier Zeugen für die Tat aufgebracht werden können.181 Es existieren jedoch Quellen, die nahelegen, dass es Homosexualität in islamischen Ländern gegeben hat und dass dieses Verhalten zumindest in der Oberschicht zwar missbilligt, aber hingenommen wurde, was Ramon zu der Annahme gebracht haben könnte, Homosexualität würde im Islam nicht ausreichend bestraft.182 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl Matthäus Parisiensis als auch Ramon Mart das Ehe- und Sexualleben der Muslime als zutiefst verabscheuungswürdig ansehen. Für sie erlaubt das islamische Recht dem Mann in dieser Hinsicht nahezu jede Freiheit, seine Triebe, auch auf Kosten seiner Frauen, auszuleben. Beide Männer erleben die Polygamie als zutiefst schockierend. Die Anzahl der Frauen, die ein Muslim haben kann, wird besonders bei Matthäus teilweise grotesk übertrieben in eine Pflicht zur Polygynie umgedeutet. Bei Ramon tritt zudem noch deutlich die Schwierigkeit mit dem islamischen Umgang mit Sexualität jenseits ihres Zwecks zum Fortbestand der Menschheit auf. Insgesamt erscheint Ramon in diesem Bereich auch besser unterrichtet als Matthäus. Auffällig ist ferner der Raum, den dieser Bereich in Ramons Text einnimmt. Im Abschnitt seines Textes, der sich mit den Gesetzen Mohammeds beschäftigt, befassen sich mehr Gesetze mit Sexualität, Ehe und Scheidung als mit anderen Aspekten des Lebens.183 Dies zeigt, dass er diesen Bereich als einen betrachtet, der Christentum und Islam maßgeblich voneinander unterscheidet und geeignet ist, gegen letzteren zu agitieren. Sowohl Ramon als auch Matthäus äußern sich in ihren Texten zu Speisevorschriften und zur Praxis des Fastens. Matthäus beschreibt das Fasten der Muslime als eine auf die Stunden des Tages reduzierte Sitte.184 Zudem würde nur einen Monat im Jahr gefastet. Während der Fastenzeit hätten Muslime verstärkt sexuelle Kontakte zu ihren Frauen, in den Nächten des Fastenmonats würden sie dagegen ununterbrochen essen.185 Erlaubt wären in dieser Zeit alle Speisen außer Wein. Wer krank oder in sonstiger Weise belastet sei oder sich auf Pilgerfahrt befände, sei vom Fasten befreit und könne die Fastenzeit nachholen, wenn die Hinderungsgründe beseitigt seien.186 Aus diesem Abschnitt geht hervor, dass Matthäus gewisse Kenntnisse der Fastenpraktiken im Islam hatte. Die Hauptfastenzeit der Muslime umfasst, wie 181 182 183 184 185 186
Ebd. Karras, Sexualität (wie Anm. 48), S. 278 – 279. Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 42 – 50. Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 355. Ebd. Ebd.
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Matthäus richtig erkennt, einen Monat, den Ramadan.187 Ebenfalls richtig erfasst er, dass das Fasten auf die Zeiten des Tages beschränkt sein soll und dass äußere Umstände, wie Krankheit, Schwangerschaft oder Reisetätigkeit, temporär vom Fasten befreien und das Fasten in diesem Fall nachgeholt werden soll.188 Falsch ist allerdings seine Schilderung sexueller Kontakte während der Fastenzeit und die Behauptung, während der Nacht würde ununterbrochen gegessen; es gibt nur zwei Mahlzeiten während der Nacht, eine unmittelbar nach Sonnenuntergang und eine möglichst spät nach Mitternacht, vor Sonnenaufgang.189 Die Möglichkeit, freiwillig zu fasten, die der Islam auch vorsieht, wird von Matthäus nicht erwähnt.190 Im Rahmen der zweiten Mohammedbiographie erwähnt Matthäus auch, dass die Lehren des Islams Völlerei und den übermäßigen Konsum von Alkohol fordern würden und dass Muslime kein Schweinefleisch äßen, da ihr Prophet von Schweinen getötet worden sei.191 Beide Behauptungen lassen sich so nicht aufrecht erhalten. Zwar lobt der Islam Essen als eine der größten Gaben Gottes, er fordert jedoch auch Mäßigung im Umgang mit dieser Gabe und verbietet Alkohol komplett.192 Das Schweinefleischverbot erkennt Matthäus zwar richtig, seine Begründung ist jedoch aus verschiedenen Gründen offensichtlich falsch. Erstens ist das Verbot des Essens von Schweinefleisch bereits aus dem Koran bekannt.193 Dieser wurde von Mohammed geschrieben, sodass Mohammeds Tod keinen Einfluss auf das Verbot hatte. Zweitens starb Mohammed vermutlich an Malaria und wurde somit nicht von Schweinen getötet.194 Auch Ramon äußert sich kurz zu Speisegeboten des Islam. Er schreibt, Muslime sollten nach dem Essen ihre Finger und Platten ablecken, was Ramon als barbarisch und unsinnig ablehnt.195 Dieses Gebot Mohammeds stammt aus der Hadithensammlung Sahih al-Muslim.196 Es widerspricht offenbar den in Europa geltenden Tischsitten und dient für die Leserschaft Ramons als ein Beleg für die mangelnde Zivilisation islamischer Lehren. Zudem schreibt er, Mohammed habe geäußert, wenn eine Fliege in ein Getränk falle, solle man sie 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196
Berg, Sawm (wie Anm. 155), S. 94. Ebd. Ebd. Ebd. Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 360. Johann Fück, Ghidha’, III. Regulations concerning food in early Islam, in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Bernard Lewis, Charles Pellat, Joseph Schacht, 2, Leiden, London 21965, S. 1061 – 1062. Mohammed, Der Koran, hrsg. Rudi Paret, Stuttgart 102007, Sure 2,173. Ibn Ishak, Mohammed (wie in Anm. 62), S. 109. Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 46. Imam Muslim, Sahih Muslim. Being traditions of the saying and doings of the Prophet Muhammad, hrsg. Abdul Hamid Siddiqi, 3, Neu Delhi 1977 (ND Neu Delhi 1984), S. 1119 – 1120.
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hineintauchen, da einer ihrer Flügel Gift, der andere Gegengift enthalte.197 Die Aussage stammt, wie Ramon richtig erkennt, aus der Hadith-Sammlung des Sahih Bukhari.198 Außerdem sollten Muslime mit der rechten Hand essen, da der Teufel dazu die linke benutzen würde.199 Auch diese Aussage stammt aus den Hadithen, aus der Sammlung Sahih al-Muslim.200 Sie widerspricht der Vorstellung von der christlichen, rein geistigen Natur der Dämonen, die ursprünglich Engel waren und somit keine irdische Nahrung benötigten.201 Diese Abschnitte sind die einzigen in Ramons Text, die sich mit dem Thema Essen im Islam auseinandersetzen. Auffällig ist, dass viele der bekannteren Speisegebote des Islam ebenso wie eine Beschreibung des Fastenmonats fehlen. Da Ramon sich eine längere Zeit in Tunis aufhielt und auch in Toledo und Paris eingehend den Islam studierte, erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass er nichts über diese wusste. Vermutlich erwähnt er sie nicht, da sie seiner Absicht, der Widerlegung des Islams und des Prophetentums Mohammeds, nicht dienlich waren. Matthäus und Ramon äußern sich beide auch zum Bild des Paradieses im Islam. Matthäus beschreibt es als einen schönen Garten, in dem Flüsse von Milch, Honig und Wein fließen und stets genügend Speisen für alle zur Verfügung stehen würden und jeder Mensch haben könne, was immer er wünsche.202 Zudem würden alle Personen, die sich zum Islam bekennen würden, gerettet, unabhängig von ihrem irdischen Leben.203 Diese Darstellung des Paradieses als schöner Garten entspricht im Wesentlichen den islamischen Vorstellungen.204 Es sind allerdings, wie im Christentum auch, gute Taten nötig, um ins Paradies zu kommen.205 Diese Vorstellung vom Paradies kontrastiert scharf mit dem Paradies im christlichen Sinne als einem nicht-körperlichen Ort.206 Ramon schildert in seinem Text ein ähnliches Paradiesbild, seine Beschrei-
197 Ebd., S. 32 – 33. 198 Muhammad Ibn Ismael al-Buhari, Sahih al-Buhari. Nachrichten von den Taten und Aussprüchen des Propheten Muhammad, hrsg. Dieter Ferchl, Stuttgart 2006, S. 408. 199 Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 32. 200 Arent Jan Wensinck, Sharab, in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Martijn Theodoor Houtsma, Arent Jan Wensinck, Hamilton Alexander Rosskeen Gibb, 4, Leiden 1934, S. 342. 201 George Tavard, Engel, -lehre, -sturz, B. Lateinisches Mittelalter, I. Theologie- und philosophiegeschichtlich, in: Lexikon des Mittelalters, hrsg. Robert-Henri Bautier, 3, München 1986, Sp. 1906 – 1909, hier Sp. 1906. 202 Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 353 – 354. 203 Ebd., S. 354. 204 Leah Kinberg, Paradise, in: Encyclopaedia of the Qur’a¯n, hrsg. Jane Dammen McAuliffe, 4, Leiden 2004, S. 12 – 20, hier S. 16 – 18. 205 Ebd. 206 Nicolai Wicki, Seligkeit, Ewige, in: Lexikon des Mittelalters, 7, München 1995, Sp. 1734 – 1735, hier Sp. 1735.
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bung wird allerdings noch um die Erwähnung schöner Jungfrauen ergänzt.207 Er weist ein solches Paradiesbild mit verschiedenen Verweisen auf die Bibel zurück.208 Auch Ramons Vorstellungen vom Paradies decken sich somit mit der islamischen Überlieferung.209 Diese Überlieferung des Paradieses verstärkt in Ramons und Matthäus’ Schriften das bereits im Vorfeld gebildete Bild des Islam als einer Religion, in der die Befriedigung weltlicher Begierden im Vordergrund steht und asketische Werte, wie im Christentum bevorzugt, keinen Platz haben. Sowohl Matthäus als auch Ramon erwähnen noch weitere Sitten und Glaubensinhalte der Muslime. Matthäus erwähnt die besondere Stellung des Freitags und behauptet, die Muslime würden ihre Gebete gen Süden verrichten.210 Während er die Bedeutung des Freitags als muslimisches Äquivalent des christlichen Sonntags richtig erkennt,211 ist Matthäus’ Wahrnehmung der Gebetsrichtung fehlerhaft. Sie lässt sich jedoch damit erklären, dass viele seiner Informanten das Heilige Land besucht haben. Von dort aus beten Muslime tatsächlich nach Süden. Den Grund für dieses Verhalten, die Lage Mekkas südlich des Heiligen Landes,212 kennt Matthäus offenbar nicht. Weiter stellt Matthäus fest, dass die Sarazenen für Mord und Ablehnung des Islams die Todesstrafe verhängen würden. In letzterem Fall hätte der Beschuldigte drei Tage Zeit, seine Tat zu bereuen und umzukehren.213 Letztere Behauptung entspricht eindeutig nicht den Tatsachen, da im Koran für Christen und Juden in islamischen Staaten das Zahlen einer Steuer vorgeschrieben ist.214 Wenn sie nach drei Tagen hingerichtet werden müssten, würde eine solche Abgabe keinerlei Sinn machen. Auch die erste Behauptung ist sachlich falsch, da der Koran die Zahlung von Blutgeld für die Tötung einer Person erlaubt.215 Auch Ramon äußert sich noch zu anderen Glaubensinhalten der Muslime. So schreibt er, die Muslime würden während des Sonnenauf- und -untergangs nicht beten, da die Sonne zwischen den Hörnern eines Teufels auf- bzw. untergehe, was jedoch unmöglich sei, da der Teufel keine Hörner habe und außerdem nur 207 208 209 210 211 212 213 214 215
Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 30. Ebd. Kinberg, Paradise (wie Anm. 204), S. 16 – 18. Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 355. Theodor Willem Juynboll, Djum’a, in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Martijn Theodoor Houtsma, Thomas Walker Arnold, Ren¦ Basset, 1, Leiden 1913, S. 1108 – 1109, hier S. 1108. Arent Jan Wensinck, Kibla, I. Ritual and Legal Aspects, in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Clifford Edmund Bosworth, Emeri van Donzel, Bernard Lewis, Charles Pellat, 5, Leiden 21986, S. 82 – 83, hier S. 82. Matthäus, Chronica (wie Anm. 16), S. 355. Claude Cahen, Djizya, I., in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Bernard Lewis, Charles Pellat, Joseph Schacht, 2, Leiden, London 21965, S. 559 – 562, hier S. 559. Emile Tyan, Diya, in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Bernard Lewis, Charles Pellat, Joseph Schacht, 2, Leiden, London 21965, S. 340 – 343, hier S. 340.
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ein nicht-körperliches Wesen sei.216 Er beschreibt auch, dass der Teufel nach Vorstellung der Muslime ein schwarzer Hund sei und dass Dämonen durch das Zuhören aus dem Koran zum Guten bekehrt worden seien.217 Zudem würde das Krähen eines Hahnes auf die Anwesenheit eines Engels, der Schrei eines Esels dagegen auf die eines Teufels hinweisen.218 In diesem Abschnitt wird die unterschiedliche Auffassung von Engeln bzw. Dämonen in beiden Religionen deutlich. Während sie im Islam körperliche Wesen sind, die Hörner und Ähnliches haben können,219 sind sie im Christentum, wie bereits erwähnt, rein spirituelle Geschöpfe. Ein weiterer Glaube, den Ramon schildert, ist die Bekehrung der Dämonen durch das Hören aus dem Koran. Dies wird im Koran geschildert, bei den bekehrten Wesen handelt es sich allerdings um Djinn.220 Sie bilden eine eigenständige Einheit von Wesen, die jedoch, anders als christliche Dämonen, nicht grundsätzlich böse sind.221 Das war Ramon offensichtlich nicht bekannt. Hier zeigen sich Probleme mit der Einordnung von Geschöpfen, die im christlichen Weltbild nicht vorkommen. Weiterhin schildert Ramon die Vorstellung, dass das Weltende zu Lebzeiten Mohammeds keine menschliche Lebenszeit mehr entfernt gewesen sei, was offensichtlich falsch sei, da bereits viel mehr Zeit vergangen sei, ohne dass die Welt untergegangen ist.222 Ein solcher Ausspruch findet sich tatsächlich in der Hadithensammlung des Imam Muslim.223 Ramon schildert das Recht, Beute zu machen, und die Möglichkeit, Eide gegen eine Buße aufzuheben.224 Beide Ideen lehnt er ab, da vor allem letztere zur Unsicherheit von Eiden führen würde.225 Ramon schildert auch diese beiden Aussagen richtig.226
216 217 218 219
220 221 222 223 224 225 226
Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 30. Ebd. Ebd. Imam Muslim, Sahih Muslim, Buch 4 und 35, Nr. 1032, 1275, 6581, bearb. Abdul Hamid Siddiqi, online unter : http://www.usc.edu/org/cmje/religious-texts/hadith/muslim/004smt.php und http://www.usc.edu/org/cmje/religious-texts/hadith/muslim/035-smt.php, zuletzt aufgerufen: 1. 2. 2013. Mohammed, Koran (wie Anm. 193), Sure 72,1 – 2. Petrus Voorhoeve, Djinn, in: Encyclopaedia of Islam, hrsg. Bernard Lewis, Charles Pellat, Joseph Schacht, 2, Leiden, London 21965, S. 564 – 550, hier S. 547. Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 32. Imam Muslim, Sahih Muslim, hrsg. Abdul Hamid Siddiqi, 4, Neu Delhi 1977 (ND Neu Delhi 1884), S. 1527. Ramon, Seta (wie Anm. 20), S. 46. Ebd. Al-Buhari, Sahih (wie Anm. 198), S. 324; K. Dilger, Eid, C. Arabisch-islamischer Bereich, in: Lexikon des Mittelalters, 3, München 1986, Sp. 1691 – 1692.
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Fazit Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Aussagen Ramons zum Islam sehr viel umfassender ausfallen als die Aussagen von Matthäus Parisiensis. Dies war zu erwarten, da sich Ramons Werk ausschließlich dem Islam widmet, während Matthäus’ Text eine Vielzahl weiterer Themen abdeckt. Ramon verfügt zudem über ein bemerkenswertes Wissen im Bezug auf den Islam. Die von ihm geschilderten Sitten und Glaubensvorstellungen sowie das Leben Mohammeds entsprechen fast ausnahmslos islamischer Überlieferung, Sitte und islamischem Glauben. Lediglich in zwei Fällen weicht er davon ab, in einem dieser Fälle, der Darstellung von Homosexualität, kann man jedoch davon ausgehen, dass die rechtliche Lage von der tatsächlichen Lebensrealität abweicht, sodass auch dieser Fehler Ramons erklärbar wird. Was ihm dagegen fehlt, ist ein Verständnis für die Feinheiten des islamischen Glaubens, wie etwa die Unterschiede in der Rechtsauslegung zwischen Sunniten und Schiiten. Matthäus’ Darlegungen sind dagegen weit weniger in der Realität verwurzelt. Besonders seine zweite Mohammedbiographie ist sehr fehlerhaft. Auffällig ist bei beiden Autoren ihre starke Ablehnung des Islam. Hieran ändert auch Ramons Aufenthalt in Tunis nichts. Beide stellen den Islam und seinen Gründer Mohammed fast durchgehend negativ dar. Wenn Glaubensinhalte dennoch als positiv wahrgenommen werden, wird dieser Eindruck zumeist sofort wieder dadurch relativiert, dass die Übernahme »guter« Aussagen über den Glauben als eine Art Trick Mohammeds bzw. seiner Nachfolger bezeichnet wird, um die Menschen zum Übertritt zum Islam und den damit verbundenen »schlechten« Überzeugungen zu verführen. Beide Autoren kritisieren scharf die vermeintliche islamische Zügellosigkeit. Besonders Ramon scheint dieser Aspekt stark beschäftigt zu haben. Er nimmt, neben der Schilderung vom Leben Mohammeds, wo dies jedoch ebenfalls anklingt, den größten Teil seiner Schilderungen ein. Bei Matthäus dagegen tritt dieser Aspekt weniger klar hervor, er ist ihm zwar wichtig, jedoch eher einer unter vielen wichtigen Bereichen. Zudem beschäftigen sich beide ausgiebig mit dem Leben Mohammeds und bemühen sich, diesen in einem möglichst schlechten Licht erscheinen zu lassen. Dies ist besonders bei Matthäus, und hier speziell in der zweiten Biographie des Mohammed, auffällig, die sich auch vollkommen von den islamischen Quellen entfernt, um das Ziel, die Diffamierung Mohammeds, zu erreichen. In der Tat finden in dieser zweiten Mohammedbiographie fast sämtliche Stereotypen des Mohammedbildes – von seiner Epilepsie über seine sexuellen Ausschweifungen bis zu seinem Tod durch Schweine – Erwähnung. Hier fällt sehr stark auf, dass Matthäus keinen Zugang zu arabischen Quellen hatte, mit denen er die Berichte seiner Informanten hätte überprüfen können. Ramons Beschreibung des Lebens
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Mohammeds wirkt gegenüber dieser Darstellung beinahe neutral, wenn es auch auffällig ist, dass auch er auf die, in christlicher Sicht, negativen Bereiche im Leben Mohammeds wie seine vielen Frauen und seine Unfähigkeit Wunder zu vollbringen fokussiert. Letztendlich bleibt also festzuhalten, dass eine räumliche Nähe zum Islam zwar zu einer besseren Informationslage und einer höheren inhaltlichen Qualität der Texte führt, jedoch nicht zwangsläufig dazu beiträgt, dass ein größeres Verständnis für Muslime oder ihre Religion vorhanden ist. Abstract: The rise of Islam confronted the Christian world with the problem of dealing with this new faith and how to integrate it into the Christian view of the world. This problem intensified when during the age of the crusades a growing number of Christians from Western Europe came into contact with the Islamic world. From the 11th until the 13th century a huge number of texts concerning Islam was produced. The quality of these writings differs greatly. In the following essay two texts from the 13th century, an excerpt from Matthew Paris’ Chronica Majora and Ramon Mart’s De Vita Mahometi, will be analyzed with regard to their image of Islam and its last prophet Mohammed. Special care will be given to the question of whether a knowledge of Arabic and personal contact with Muslims, that Ramon Mart experienced, led to a better knowledge and understanding of Islam, in contrast to Matthew Paris, who did not speak Arabic. Furthermore, he only knew the Islamic world through reports from eye-witnesses.
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Zur Rezeption der Entdeckungsreisen im Heiligen Römischen Reich um 1500
Auch wenn das Heilige Römische Reich abseits jener maritimen Kontaktzonen speziell des Mittelmeers und des Atlantiks lag, in denen sich die Ansätze zu den europäischen Entdeckungsreisen entwickelten, bedeutet das nicht, dass man darüber keine Informationen erhielt. Ein vermittelndes Moment dürfte die 1452 geschlossene Ehe Kaiser Friedrichs III. mit Eleonore von Portugal gewesen sein,1 ein anderes die intensiven Eheverbindungen der Habsburger mit der Iberischen Halbinsel um 1500. So wurde 1495 die folgenreiche Doppelhochzeit zwischen Philipp dem Schönen und Johanna »der Wahnsinnigen« sowie Margarethe von Burgund und dem spanischen Thronfolger Johann vereinbart, und von den Töchtern Philipps und Johannas – und Schwestern Karls V. – heirateten zwei, Eleonore und Katharina, nacheinander die portugiesischen Könige Manuel I. und Johann III.2 Daneben waren es die oberdeutschen Handelshäuser, die ihre Aufmerksamkeit früh auf die von der Iberischen Halbinsel ausgehenden Entdeckungsreisen richteten und sich seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts sogar direkt daran beteiligten, bis hin zum Unternehmen der Welser in Venezuela seit den 1520er Jahren.3 Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage nach der Wahrnehmung der Entdeckungsreisen und nach den dabei vermittelten Kenntnissen, die auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich waren. Dieser Beitrag soll daher der frühen Rezeption von relevanten Reiseberichten, zu den spanischen wie den portugiesischen Entdeckungen und Eroberungen, im deutschen Sprachraum nachgehen. Dabei werden gedruckte Reiseberichte und Übersetzungen ins Deutsche im Zentrum stehen, während die Drucke lateini1 Zu ihr s. u. a. Achim Thomas Hack, Eleonore von Portugal, in: Die Kaiserinnen des Mittelalters, hrsg. Amalie Fößel, Regensburg 2011, S. 306 – 326. 2 Für einen Überblick über die habsburgische Politik um 1500 vgl. Heinz-Dieter Heimann, Die Habsburger. Dynastie und Kaiserreiche, München 32006, S. 45 – 62. 3 Dazu Jörg Denzer, Die Konquista der Augsburger Welser-Gesellschaft in Südamerika (1528 – 1556). Historische Rekonstruktion, Historiografie und Lokale Erinnerungskultur in Kolumbien und Venezuela (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 15), München 2005.
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scher Fassungen oder handschriftliches Material nur in Auswahl berücksichtigt werden können.4 **
Im Juni 1515 erschien in Augsburg bei Hans Miller die erste deutsche Übersetzung des Reiseberichts des Italieners Ludovico de Varthema.5 Varthema hebt sich von den meisten anderen bekannten Fernreisenden um 1500 dadurch ab, dass er seine Reise nicht im Auftrag eines Herrschers (insbesondere der Iberischen Halbinsel) antrat, sondern offenbar auf eigene Faust und ohne klares Ziel aufbrach. Folgt man seinem Bericht, gelangte er zunächst über Ägypten nach Damaskus, wo er sich einer Gruppe von Mamluken anschloss, die Pilger auf der Hadj nach Mekka begleiteten – er muss also erfolgreich eine Konversion vorgetäuscht haben. Der Besuch Mekkas, das er als erster Europäer ausführlich und weitgehend sachlich beschrieb, reichte ihm aber nicht. Vielmehr zog es ihn nach Indien, das er nach erheblichen Problemen im Süden Arabiens – man hatte ihn offenbar verdächtigt, christlicher Spion zu sein – wohl um die Jahresmitte 1505 erreichte.6 Während er sich mit großer Sicherheit tatsächlich in Calicut (heute: Kozhikode), Cannanore (Kannur) und Cochin (Kochi) an der Malabarküste im Südwesten der indischen Halbinsel aufhielt und dort auch die lokalen Sprachen erlernte, sind andere Teile seines Berichts mit Reisen nach Persien, Ceylon, Pegu und Tenasserim im heutigen Myanmar, nach Malakka, Sumatra, Java und selbst zu den Banda-Inseln und Molukken wohl erfunden. Wahrscheinlich gibt er nur Nachrichten wieder, die er in Südindien von anderen erhielt oder anderen, teilweise fehlerhaften Überlieferungen entnahm. So erklären sich seine in die 4 Für die Rezeption der Entdeckung Amerikas, nicht nur im Medium des Drucks, s. Renate Pieper, Die Vermittlung einer Neuen Welt. Amerika im Nachrichtennetz des habsburgischen Imperiums 1493 – 1598 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Universalgeschichte, 163), Mainz 2000; zu unserem Thema bes. S. 69 – 161; Michael Herkenhoff, Die Darstellung außereuropäischer Welten in Drucken deutscher Offizinen des 15. Jahrhunderts, Berlin 1996, bes. S. 241 – 276; zu den gedruckten Berichten über die Entdeckungsreisen s. Rudolf Hirsch, Printed Reports on the Early Discoveries and Their Reception (1976), repr. in ders., The Printed Word: Its Impact and Diffusion, London 1976, no. IX. 5 [Ludovico de Varthema], Die Ritterlich und lobwirdig rayß des gestrengen und über all ander weyt erfarnen ritters und Lantfarers herren Ludowico vartomans von Bolonia, Augsburg: Hans Miller 1515; eine zweite Auflage erschien 1519; moderne Übersetzung (mit Kommentar): Ludovico de Varthema, Reisen im Orient, übers./komm. Folker Reichert (Fremde Kulturen in alten Berichten, 2), Sigmaringen 1996. 6 Zur tatsächlichen Reiseroute s. die Bemerkungen von Folker Reichert in: Varthema, Reisen (wie Anm. 5), S. 7 – 12; Joan-Pau Rubiés, Travel and Ethnology in the Renaissance. South India through European Eyes, 1250 – 1625, Cambridge 2000, S. 127 – 129.
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Irre führenden Berichte über Witwenverbrennungen in Tenasserim, die es dort unter buddhistischer Ausrichtung nicht gab, über Kannibalismus und Tötung der Alten auf Java oder auch über die Gewinnung der Muskatblüten auf den Banda-Inseln. In Südindien traf er auf die Portugiesen, denen er sich anschloss, um dann 1507 mit einer portugiesischen Flotte nach Lissabon zu reisen. Offenbar versuchte er vergeblich, am portugiesischen Hof eine einflussreiche Stellung zu bekommen. Obwohl ihn König Manuel I. ein zweites Mal nach dem Vizekönig Francesco de Almeida zum Ritter schlug, kehrte Varthema in der Folge 1508 nach Italien zurück. Dort berichtete er zunächst dem venezianischen Senat;7 1510 erschien sein Bericht erstmals in italienischer Sprache im Druck, 1511 eine lateinische Ausgabe, zahlreiche weitere Drucke und Übersetzungen schlossen sich an. Der Bericht wurde zum »Bestseller«. Auch die deutsche, durch zahlreiche Abbildungen illustrierte Übersetzung erfuhr 1519 eine weitere Auflage. Varthemas Bericht stand bereits in einer Reihe von Texten zu den Entdeckungsreisen, die dem deutschsprachigen Publikum im Druck zugänglich gemacht wurden. Am Anfang waren es weniger die portugiesischen Entdeckungen als vielmehr die der Spanier im Westen, die die größere Aufmerksamkeit fanden. Der wohl früheste Text, der darüber zirkulierte, war der sogenannte »Kolumbusbrief«.8 Der lateinische Text wurde in Deutschland erstmals 1493 bei Johann Bergman von Olpe in Basel gedruckt; eine frühe Rezeption findet sich so auch im »Narrenschiff« des Sebastian Brant, das 1494 beim selben Drucker erschien.9 Dort heißt es genauer an einer Stelle: »Och hatt man sydt inn Portigal / und inn Hispanyen uberall / Golt inslen funden und nacket lüt / Von den man vor wust sagen nüt«.10 Im September 1497 erschien dann vom »Kolumbusbrief« in Straßburg auch eine deutsche Übersetzung unter dem Titel: »Eyn schon hübsch lesen von etlichen inßlen die do in kurtzen zyten funden synd durch den künig von Hispania«.11 Kolumbus hatte darin die Erfahrungen seiner ersten Reise von 1492 mit 7 Rubiés, Ethnology (wie Anm. 6), S. 125; ebd., S. 155 – 163 zu weiteren Beobachtungen Varthemas. 8 Zu Inhalt und Überlieferung vgl. Mike Malm, Art. Kolumbusbrief, in: Deutsches LiteraturLexikon. Das Mittelalter, hrsg. Wolfgang Achnitz, 3: Reiseberichte und Geschichtsdichtung, Berlin, Boston 2012, Sp. 1045 – 1047. 9 Dazu u. a. Pieper, Vermittlung (wie Anm. 4), S. 112; Peer Schmidt, Spanische Universalmonarchie oder »teutsche Libertet«: das spanische Imperium in der Propaganda des Dreißigjährigen Krieges (Studien zur modernen Geschichte, 54), Stuttgart 2001, S. 298. 10 Sebastian Brant, Das Narren Schyff, Basel: Johann Bergman von Olpe 1494, fol. l iiii v. 11 Eyn schon hübsch lesen von etlichen inßlen die do in kurtzen zyten funden synd durch den künig von Hispania, Straßburg: Bartholomäus Küstler 1497 (mit unvollständiger Foliozählung; die erste Seite ist a ii r, nach dem ungezählten (a iv) v folgt b (i) r); zum Kolumbusbrief in der lateinischen und deutschen Fassung vgl. Bernhard Jahn, Raumkonzepte in
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fiktiven, aber stereotypen Elementen spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Reiseberichte vermischt. Der noch auf der Rückreise von der ersten Entdeckungsfahrt von Kolumbus geschriebene, an den Schatzmeister König Ferdinands adressierte Brief hebt den Erfolg seiner Mission hervor. Er erwähnt dabei näher fünf Inseln, Kuba, Hispaniola und drei der Bahamas-Inseln, die er aber nur zum Teil tatsächlich erkundet hatte. So werden zum einen die fremden Sitten der Eingeborenen realistisch beschrieben, bei denen es keine Städte, kein Privateigentum und keine schweren Waffen gebe und die Menschen unbekleidet umherliefen, zum anderen berichtet er über Menschen mit Schwänzen, Kannibalismus, zwei Inseln, auf denen Männer und Frauen getrennt leben, und Menschen ohne Haare.12 Verbunden war dies mit dem Versprechen von reichen Gold- und Gewürzvorkommen sowie der Aussicht, die als freundlich und hilfsbereit geschilderten Einwohner leicht zum Christentum bekehren zu können.13 Einige Jahre danach folgten dann die Übersetzungen der Briefe von Amerigo Vespucci.14 Vespucci hatte sich zunächst finanziell am Unternehmen von Kolumbus beteiligt, um dann zwischen 1497 und 1504 – zumindest seiner Darstellung zufolge – an vier Entdeckungsfahrten im Auftrag der Herrscher der Iberischen Halbinsel teilzunehmen, die ihn in die Karibik und an die lateinamerikanische Küste, nach Venezuela und nach Brasilien, insbesondere an die Amazonasmündung, führten. Während er offenbar nur einmal, 1503/04, selbst den Befehl über die Schiffe führte, nahm er an den anderen Fahrten als Beobachter teil. Darüber hat er zweimal in Briefform berichtet, einmal 1502 an Lorenzo di Pierfrancesco de’ Medici, zum zweiten 1504 an den Florentiner Piero Soderini. Während sich der erste, als Mundus Novus bekannte, Brief auf die in portugiesischen Diensten erfolgte dritte Mission von 1501/02 beschränkt, gibt der zweite einen Überblick über alle vier Fahrten. Beide wurden relativ schnell gedruckt (1503/04 bzw. 1505/06) und fanden große Aufmerksamkeit, auch in Deutschland. Mundus Novus erschien 1505 in deutscher Übersetzung in teilweise textlich verschiedenen Ausgaben in Basel, Straßburg, Augsburg, München und Leipzig,15
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der Frühen Neuzeit. Zur Konstruktion von Wirklichkeit in Pilgerberichten, Amerikareisebeschreibungen und Prosaerzählungen (Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung, 34), Frankfurt a. M. 1993, S. 173 – 179; Frauke Gewecke, Wie die neue Welt in die alte kam, Stuttgart 1986, S. 89 – 97; Herkenhoff, Darstellung (wie Anm. 4), S. 272 – 276. Eyn schon hübsch lesen (wie Anm. 12), fol. (a iv) v sowie b (i) v – b ii r (u. a. mit Hinweisen auf einen Bericht zu Indien bei Ptolemäus). Vgl. u. a. Eyn schon hübsch lesen (wie Anm. 12), fol. (a iii) v. Im Überblick dazu mit Ausgaben und weiterführender Literatur Mike Malm, Art. Vespucci, Amerigo, in: Deutsches Literatur-Lexikon, 3 (wie Anm. 8), Sp. 1177 – 1182. Eine Liste unter Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des
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weitere Ausgaben folgten. Der Augsburger Druck hat z. B. den Titel: »Von der neüw gefunden Region die wol ain welt genent mag werden durch den Cristenlichen künig von Portugal wunderbarlich erfunden«;16 die anderen Titel lauten ähnlich. Das deutet bereits auf den wichtigsten Inhalt dieses Briefes. Während Kolumbus noch bis zu seinem Tod überzeugt war, der Küste Asiens vorgelagerte Inseln erreicht zu haben, erkannte Amerigo Vespucci offenbar relativ rasch, dass es sich bei den erkundeten Küsten um einen neuen Kontinent handelte, der in den kosmographischen Werken der Antike nicht vorkommt. Der Bericht über seine dritte Reise ist vielleicht auch vor diesem Hintergrund durch Informationen zum Klima, zu den in diesem Raum lebenden Völkern und zu astronomischen Beobachtungen ergänzt. Der zweite Bericht wurde – auf der Grundlage einer lateinischen, dem Herzog Ren¦ II. von Lothringen gewidmeten Fassung – 1509 in Straßburg bei Johann Grüniger unter dem etwas umständlichen Titel »Diß büchlin saget Wie die zwen o o durchlüchtigsten herren her Fernandus K. zu Castilien unnd herr Emanuel K. zu e o Portugal haben das weyte mor ersuchet unnd funden vil Insulen unnd ein nüwe welt von wilden nackenden Leüten vormals unbekant« in deutscher Übersetzung gedruckt.17 Wie schon im kurzen Verweis auf den Kolumbusbrief bei Sebastian Brant sind es die anderen Sitten der fremden Völker, die die besondere Aufmerksamkeit erregen (sollen), und wie im Mundus Novus-Brief wird die Entdeckung einer neuen, bisher unbekannten Welt hervorgehoben.18 Der Soderini-Brief berichtet allerdings über alle vier Reisen Vespuccis und enthält vor allem ethnographische Details. So wird schon zur ersten, am ausführlichsten geschilderten Reise in die Karibik ein Abschnitt über »Leben und Sitten« der Völker eingeschoben, der wiederum mit der Beschreibung der Nacktheit und der physischen Erscheinung der Eingeborenen beginnt. Danach seien sie mittelgroß, kräftig, am Körper unbehaart und trügen lange schwarze Haare. Männer und Frauen seien ausdauernder im Laufen und Schwimmen als die Europäer. Ihre wichtigsten Waffen 16. Jahrhunderts (VD 16), bearb. Ulrike Bayer, Nrn. V 922 – 926, online durchsuchbar unter : http://www.gateway-bayern.de/index_vd16.html (letzte Einsichtnahme 10. 6. 2013); zum Inhalt und zur Rezeption vgl. Jahn, Raumkonzepte (wie Anm. 11), S. 182 – 191; Gewecke, Welt (wie Anm. 11), S. 98 – 108. 16 Amerigo Vespucci, Von der neüw gefunden Region die wol ain welt genent mag werden durch den Cristenlichen künig von Portugal wunderbarlich erfunden, [Augsburg] [1505]. 17 Amerigo Vespucci, Diß büchlin saget Wie die zwen durchlüchtigsten herren her Fernandus e o o o K. zu Castilien unnd herr Emanuel K. zu Portugal haben das weyte mor ersuchet unnd funden vil Insulen unnd ein nüwe welt von wilden nackenden Leüten vormals unbekant, Straßburg: Johann Grüniger1509, mit zwei Ausgaben, s. VD 16 (wie Anm. 15), ZV 15199, 19177; vgl. wiederum Jahn, Raumkonzepte (wie Anm. 11), S. 191 – 198; Gewecke (wie Anm. 11), S. 110 – 112. 18 Vespucci, Diß büchlin saget (wie Anm. 17), fol. A iii v.
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seien Pfeil und Bogen, die sie mit hohem Geschick einsetzten, sowie Lanzen und Kolben. Sie werden als kämpferisch beschrieben, wobei die Männer von den Frauen, die ihren Besitz tragen sollten, in den Krieg begleitet würden. In ihren Kriegen gebe es keine Anführer und keine festgelegte Ordnung; dabei gehe es nicht um Herrschaft oder Besitz, sondern um die Rache für die Tötung ihrer Vorfahren. Dabei schlössen sie sich aus Freundschaft und Verbundenheit dem an, der eine solche Tat rächen wolle. Es gebe unter ihnen so viele Sprachen, dass sich schon die um 100 Meilen entfernten Menschen nicht mehr verstehen würden. Sie äßen auf dem Erdboden, ohne Tischdecken, mit Tongefäßen, und schliefen in Hängematten (die Vespucci als besonders bequem beschreibt). Jeder Mann könne sich mit so vielen Frauen verbinden, wie er wolle, und sich von diesen nach Belieben trennen, aber Männer und Frauen hätten dieselben Freiheiten. Die Frauen werden als hübsch und geschickt, aber zügellos und leicht erzürnbar geschildert, die leicht ihre Männer durch Zauberei schädigen könnten. Sie würden leicht gebären, ohne körperliche Folgen, und ihre Nacktheit würde die Männer nicht anders berühren als der Blick auf weibliche Gesichter in Europa.19 Die Eingeborenen hätten keine erkennbare Religion – sie seien, so e heißt es im Text deutlich negativ, »vil boser […] dann die heiden, wann wir haben nit vermerckt d[as] sy opffer oder geistlichkeiten volbringen oder das sy ort oder heüser des gebets haben«.20 Sie lebten in großen, festen Häusern mit bis zu 600 Personen zusammen, würden aber ihre Wohnsitze alle sieben oder acht Jahre verbrennen und weiterziehen, da sonst die Luft vergiftet sei und Krankheiten überhandnähmen. Es folgt eine Beschreibung des Besitzes, bei dem sie viele Dinge haben »fur reichtumb, die wir gantz unde gar wenig achtent, e [… aber] gold, berlin und andere solcher ding geleichen, die wir hie in Europa für reichtumb haben, schetzen sy für nichts […]«.21 Neben derartigen Beschreibungen verweist Vespucci immer wieder auf die Reaktionen bei den ersten Begegnungen, die von großer Furcht bis zu freundlicher Offenheit reichten und teilweise durch die Annahme der fremden Völker geprägt waren, die Europäer seien »von himel herab kummen«.22 Es ist hier zunächst die Fremdheit, mit der der Bericht Aufmerksamkeit gewinnen will, aber ebenso die Aussicht auf leichte Gewinne, vor allem an Gold. **
19 Vespucci, Diß büchlin saget (wie Anm. 17), fol. B ii r–B iiii r. 20 Vespucci, Diß büchlin saget (wie Anm. 17), fol. B iiii r ; es folgt ein gelehrter Vergleich mit den Epikuräern. Diese ausdrückliche negative Bewertung hebt sich aus den anderen eher neutralen Beobachtungen heraus. 21 Vespucci, Diß büchlin saget (wie Anm. 17), fol. B iiii v. 22 So etwa Vespucci, Diß büchlin saget (wie Anm. 17), fol. C iiii r.
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Die große Bedeutung von Straßburg als Druckort dieser Berichte war kein reiner Zufall.23 Hier hatte zwischenzeitig der Humanist und Geograph Matthias Ringmann gewirkt, bevor er 1507 vom Herzog Ren¦ II. von Lothringen an das Gymnasium Vosagiense in St. Di¦ berufen wurde.24 Dort veröffentlichte er 1507 den Soderini-Brief als umfangreichen Anhang zu seiner in Zusammenarbeit mit dem Kartographen Martin Waldseemüller verfassten Cosmographiae Introductio – die einer Ptolemäus-Ausgabe vorangehen sollte – in vollem Wortlaut in lateinischer Fassung, und dies war dann wohl auch die Textgrundlage für die Übersetzung von 1509.25 Besonders folgenreich war eine Bemerkung, die Ringmann in den dem Anhang vorangehenden Textteilen machte. So schrieb er : »Ein vierter [Erd-]Teil ist durch Amerigo Vespucci (wie sich aus dem Späteren ergeben wird) entdeckt worden, und ich sehe nicht ein, was uns hindern sollte, ihn Ameriga, gleichsam das Land des Americus oder America, zu nennen, zumal Europa und Asien auch nach Frauen benannt worden sind«.26 Waldseemüller übernahm dies für seine etwa gleichzeitig erstellte Karte, und obwohl er danach auf die Aufnahme des Namens »Amerika« verzichtete, weil er Kolumbus als eigentlichen Entdecker Amerikas ansah, setzte sich die Bezeichnung bald allgemein durch. Spätestens 1538 wurde sie dann – auf der ersten Weltkarte Gerhard Mercators – für den gesamten Kontinent gebraucht. 23 Zur Rolle der süddeutschen Städte für die Vermittlung von Informationen über die Neue Welt vgl. Pieper, Vermittlung (wie Anm. 4), S. 44, 134 u. ö. 24 Vgl. Wilhelm Kühlmann, Art. Ringmann, Matthias, in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 635 – 636, online unter : http://www.deutsche-biographie.de/pnd120151448.html (letzte Einsichtnahme 14. 6. 2013). 25 Matthias Ringmann, Martin Waldseemüller, Cosmographiae introductio: cum quibusdam geometriae ac astronomiae principiis ad eam rem necessariis. Insuper quatuor Americi Vespucij nauigationes. Uniuersalis cbosmographiae [sic] descriptio tam in solido q[uam] plano eis etiam insertis qu[a]e Ptholom[a]eo ignota a nuperis reperta sunt, St. Di¦: Walter et Nikolaus Lud 1507, online Library of Congress, Digital Collections, Beschreibung unter : http://lccn.loc.gov/05016176 (letzte Einsichtnahme 14. 6. 2013); vgl. die Ausgabe Straßburg: Johann Grüniger 1509. – Vielleicht hat Ringmann auch die deutsche Übersetzung selbst verfasst, vgl. Malm, Vespucci (wie Anm. 14), Sp. 1179. 26 Alia quarta pars per Americum Vesputium (ut in sequentibus audietur) inventa est, quam non video cur quis iure vetet ab Americo inventore sagacis ingenii viro Amerigen quasi Americi terram sive Americam dicendam, cum et Europa et Asia a mulieribus sua sortita sint nomina, Ringmann, Waldseemüller, Introductio (wie Anm. 24), hier Seite : http://lcweb2.loc.gov/cgi-bin/ampage?collId=rbc3& fileName=rbc0001_2008thacher16176 page.db& recNum=39 (letzte Einsichtnahme 14. 6. 2013); vgl. fol. C iii v der Straßburger Ausgabe von 1509; deutsche Übersetzung nach Jakob Franck, Art. Hylacomylus, Martin, in: Allgemeine Deutsche Biographie 13 (1881), S. 488 – 489, online unter : http://www.deutschebiographie.de/pnd119353717.html?anchor=adb (letzte Einsichtnahme 14. 6. 2013). – Zur Autorschaft Ringmanns vgl. Franz Laubenberger, Ringmann oder Waldseemüller? Eine kritische Untersuchung über den Urheber des Namens Amerika, in: Erdkunde. Archiv für wissenschaftliche Geographie 13 (1959), S. 163 – 179; ders., The Naming of America, in: Sixteenth Century Journal 13 (1982), S. 91 – 113.
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Der erste der Briefe Vespuccis wurde aber bereits vor der Straßburger Publikation des Soderini-Briefs in einem anderen Kontext in deutscher Übersetzung vorgelegt. 1508 erschien in Nürnberg die erst im Jahr zuvor publizierte Sammlung »Neue unbekanthe landte und ein neue weldte in kurtz verganger zeythe erfunden« des Fracanzano da Montalboddo in einer von Jodocus Ruchamer verantworteten deutschsprachigen Fassung.27 Damit wurden dem deutschen Publikum neben der noch nicht so lange zurückliegenden »Entdeckung« Amerikas auch die Entdeckungsreisen der Portugiesen in Afrika und Indien nahegebracht. Ruchamer, der selbst Arzt war, arbeitete sich offenbar auf Bitten eines nicht bekannten Freundes in die ihm nicht vertraute Materie ein und folgte weitgehend dem italienischen Original. Den in sechs Bücher gegliederten 142 Kapiteln aus Montalboddos Sammlung fügte er – wohl aus der 1508 in Mailand gedruckten lateinischen Version – ein Schreiben Manuels I. von Portugal an Papst Julius II. von 1508 sowie Auszüge aus einem Brief eines deutschen Kaufmanns aus Lissabon aus demselben Jahr hinzu. Man kann davon ausgehen, dass die hier versammelten Berichte bei den Nürnberger Kaufleute großes Interesse fanden, auch wenn ihnen die portugiesischen Erfolge, wie noch zu zeigen sein wird, zu diesem Zeitpunkt bereits gut vertraut waren. Dies erklärt sicher auch die zeitliche Nähe zwischen der italienischen Erstausgabe von 1507 und der deutschen Übersetzung. Die Sammlung Montalboddos setzt – wie die Übersetzung Ruchamers – bereits mit dem umfangreichen Bericht des Venezianers Alvise da C ¸ a da Mosto über zwei 1455/56 in portugiesischen Diensten unternommene Reisen an die afrikanische Westküste ein.28 Da Mosto, der eigentlich mit einer venezianischen Flotte auf dem Weg nach Flandern war, ließ sich von Gesandten Heinrichs des 27 S. Volker Zapf, Art. Ruchamer, Jodocus, in: Deutsches Literatur-Lexikon, 3 (wie Anm. 8), Sp. 1203 – 1206; Norbert Ankenbauer, Das ich mochte meer newer dyng erfaren. Die Versprachlichung des Neuen in den Paesi novamente retrovati (Vicenza, 1507) und in ihrer deutschen Übersetzung (Nürnberg, 1508), Berlin 2010. – Ankenbauer hat die Texte auch in einer (noch nicht abgeschlossenen) online-Fassung zusammengestellt, Paesi novamente retrovati – Newe unbekanthe landte. Eine digitale Edition früher Entdeckerberichte, hrsg. Norbert Ankenbauer (Editiones Electronicae Guelferbytanae, 10), Stand: 11. 6. 2013, online unter : http://diglib.hab.de/wdb.php?dir=edoc/ed000145 (letzte Einsichtnahme 14. 6. 2013). 28 Einen detaillierten Überblick über den Inhalt der Sammlung bietet Ankenbauer, Versprachlichung (wie Anm. 27), S. 80 – 120; vgl. auch Pieper, Vermittlung (wie Anm. 4), S. 137 – 139. – Zum Bericht da Mostos vgl. u. a. die Edition Viagens de Luis de Cadamosto e de Pedro de Sintra, ed. Dami¼o Peres, Lissabon 1948; die Kommentare zu neueren Übersetzungen: The Voyages of Cadamosto and other documents on Western Africa in the second half of the fifteenth century, ed. G.R. Crone, London 1937; Voyages en Afrique Noire d’Alvise Ca’da Mosto (1455 & 1456), übers. Fr¦d¦rique Verrier, Paris 1994; weiter vgl. Peter Edward Russell, Prince Henry ›the Navigator‹. A life, New Haven, Conn. 2000; [älter] Joseph Rackl, Die Reisen des Venetianers Alvise da C da Mosto an der Westküste Afrikas (1455 u. 1456), [Diss.] Erlangen 1898.
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Seefahrers zu dem Unternehmen überreden, der ihm auch eine Karavelle ausrüstete. Über Porto Santo, Madeira und die Kanarischen Inseln erreichte er im Frühjahr 1455 den Senegalfluss und schloss sich nach einem kürzeren Aufenthalt südlich des Flusses den beiden Karavellen Antoniotto Usodimares und eines Portugiesen an. Nach Umrundung des Cap Vert segelten sie zum Herrschaftsgebiet der Serrer und zum Gambiafluss. Dort stießen sie aber auf Widerstand (man hielt die Europäer für Kannibalen),29 so dass sie nach Portugal zurückkehrten. Im März des Folgejahres brachen da Mosto und Usodimare erneut mit drei Karavellen auf. Durch einen Sturm wurden sie zunächst auf die Kapverdischen Inseln getrieben und konnten dann nach der Umrundung des Cap Vert erneut, und diesmal unbehelligt, in den Gambiafluss hineinsegeln. Es gelang ihnen, mit dem lokalen Herrscher Batimansa einen friedlichen Kontakt herzustellen und Handel zu treiben. Als sich bei der Fortsetzung der Reise herausstellte, dass mit den Einheimischen keine sprachliche Verständigung möglich war, entschloss man sich wiederum zur Rückkehr. Der zuvor nur handschriftlich überlieferte und bei Montalboddo erstmals gedruckte Bericht30 beschränkt sich nicht auf eine Darstellung der Abläufe, sondern fügt zahlreiche ethno- und geographische Beschreibungen ein. Neben eher dem Hörensagen entstammenden Berichten über das Reich von Mali finden sich detaillierte Beobachtungen zu den Reichen des Budomel (südlich des Senegalflusses), des Batimansa und weiterer Herrscher. Das betrifft sowohl das Leben am Hof wie auch die Erbfolge, Religion, Kleidung, Kriegführung, Sitten und Gebräuche, Pflanzen- und Tierwelt sowie das Klima. So berichtet er für das Reich Budomels über den Umgang der Untertanen mit dem Fürsten, dass sie sich diesem nur in bestimmten Fällen (und zu bestimmten Zeiten), auf Knien, mit gebeugtem Haupt, unter dem Werfen von Sand auf ihren Rücken und nahezu unbekleidet nähern dürften und dass er Frauen und Kinder aus seinem Volk zur Wahrung der Disziplin als Sklaven verkaufen würde.31 Dagegen finden etwa für den Raum des Senegals die gleichmäßig warmen Temperaturen, die Regenzeit 29 Vgl. den kommentierten Auszug in Übersetzung in Die mittelalterlichen Ursprünge der europäischen Expansion (Dokumente zur Geschichte der europäischen Expansion, 1), hrsg. Eberhard Schmitt, München 1986, S. 300 – 303; ein weiterer Auszug folgt S. 308 – 310 (aufgrund der Ausgabe von Giovanni Battista Ramusio, Primo volume delle navigationi e viaggi nel qua si contine la descrittione dell’Africa, et del paese del Prete Ianni, on varii viaggi, dal mar Rosso a Calicut, & infin all’isole Molucche, dove nascono le Spetierie et la navigatione attorno il mondo, 1, Venedig 1550 bzw. dessen neuerer Ausgabe Turin 1978, S. 489 – 492). 30 Dazu Ankenbauer, Versprachlichung (wie Anm. 27), S. 82 – 83; die zweite italienische Ausgabe erfolgte erst durch Ramusio. 31 Fracanzano [da Montalboddo], Newe vnbekanthe landte und ein newe weldte in kurtz verganger zeythe erfunden [übers. Jodocus Ruchamer], Nürnberg: Georg Stuchs 1508, cap. xxiiii, fol. [b v] v ; jeweils verglichen mit der Edition Ankenbauer (wie Anm. 27).
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zwischen Juli und Oktober und die raschen Sonnenaufgängen besondere Aufmerksamkeit.32 Dazu äußert da Mosto gelegentlich Hoffnung auf Bekehrungen oder profitable Handelsmöglichkeiten oder verweist z. B. einmal darauf, dass seit seiner Ankunft am Senegalfluss dort jährlich neue Schiffe aus Portugal angekommen seien, um Handel zu treiben.33 An den Bericht da Mostos schloss Montalboddo zehn weitere, meist in Briefform gehaltene Berichte unterschiedlicher Länge an. Den Anfang macht eine von da Mosto selbst in seinem Text ergänzte Beschreibung von Pedro de Sinta, der über die von da Mosto erreichte Region hinaus weiter nach Süden bis zum Cape Mount im heutigen Liberia vordrang und nach seiner Rückkehr da Mosto über seine Reise informierte.34 Danach folgt ein Brief des Florentiners Girolamo Sernigi, der als selbst am Handel mit Afrika und Asien beteiligter Kaufmann schon 1499 die Ergebnisse der ersten Reise von Vasco da Gama zusammenfasste, ergänzt und korrigiert durch einen möglicherweise von einem anderen Verfasser stammenden zweiten Text. Der sonst nur handschriftlich überlieferte Brief schildert die Reise zum Kap der Guten Hoffnung und nach Malindi in Ostafrika, wo man vom Herrscher einen erfahrenen Piloten für die Überfahrt nach Indien gestellt bekam, und konzentriert sich im Folgenden auf den Aufenthalt in Calicut an der Südwestküste Indiens (Mai–August 1498). Nach einem Einstieg über den im »Anhang« korrigierten ersten Eindruck, die Einwohner Calicuts seien Christen, nur mit etwas ungewöhnlichen Kirchen und ohne Priester, listet der Bericht insbesondere die Vielzahl der Gewürze und Textilien, die am Ort gehandelt wurden.35 Zudem wird auf die umlaufenden Gold- und Silbermünzen als Zahlungsmittel, auf Edelsteine, die zahlreichen Schiffe im Hafen und die engen wirtschaftlichen Beziehungen zu den Muslimen hingewiesen, nicht zuletzt zum Mamlukenreich in Ägypten, aber auch zu anderen Christen. Auch Nahrung und Kleidung der Einheimischen werden genau beschrieben.36 Die Ergänzungen berufen sich auf einen aus Alexandria stammenden Juden, der in Indien umhergereist war. Nach ihm gebe in Indien nur wenig Christen, mehr im Reich des Priesterkönigs Johannes, das aber in Afrika südlich von Ägypten zu suchen sei.37 Zudem wird darauf verwiesen, dass der portugiesische König gerade vier Schiffe und zwei Karavellen mit Handelsgütern
32 Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. xxxix, fol. [c v] v. 33 Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), zu Glaubensfragen s. u. a. cap. xvi, xxv, fol. b iii v, [b vi] r, zum Handel u. a. cap. xi-xii, xx, xxxvi, xxxviii, fol. b [i] r–b ii r, b iiii r–v (dort zur Kontinuität des Handels), c iiii r, [c v] r. 34 Ankenbauer, Versprachlichung (wie Anm. 27), S. 86 – 87; zum Folgenden ebd., S. 87 – 91. 35 S. in Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. liiii-lvi, fol. [d vi] v–e i v. 36 Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. lvii-lviii, fol. e i v–e ii r. 37 Vgl. Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. lx, fol. e ii v.
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ausrüsten lasse, um in die Region zu segeln, und damit sicher erfolgreich sein werde.38 Den nächsten größeren Block bildet ein anonymer, in der Forschung Giovanni Matteo Cretico zugeschriebener Bericht über die Reise Cabrals 1500/1501, der sich handschriftlich in zwei verschiedenen Fassungen erhalten hat.39 Cabral, der im März 1500 mit 13 Schiffen aufbrach, erreichte im April über die Kapverdischen Inseln zunächst Brasilien. Diese Entdeckung wird ganz undramatisch beschrieben. So ist die Rede von einer schönen Landschaft, die die Besatzung sichtete. Man landete und nahm ersten Kontakt mit den Einheimischen auf, musste aber wegen eines Ungewitters einen festen Hafen suchen. Schließlich kam es zum Austausch von Geschenken.40 Cabral ließ noch an Land eine von den Einheimischen mit großer Aufmerksamkeit bedachte Messe zelebrieren, um dann nach neun Tagen weiter zu reisen. Ein Schiff sandte er mit der Nachricht über die Entdeckung und zahlreichen Gütern der Region zu König Manuel zurück. In der Forschung ist die These vertreten worden, die portugiesische Krone hätte vor der Mission Cabrals schon Kenntnisse über größere Landgebiete im Südwesten besessen, um die Westwendung der Flotte Cabrals zu erklären. Einiges spricht auf jeden Fall dafür, dass man die im Vertrag von Tordesillas abgesteckten portugiesischen Interessengebiete näher erkunden wollte.41 Dies zeigt auch die Bekräftigung der Inbesitznahme durch die Errichtung eines großen Kreuzes am Ufer.42 Die kurze Beschreibung der Einwohner folgt den aus dem Kolumbusbrief bekannten Mustern: Es handele sich um freundliche Menschen, die zum friedlichen Austausch und auch zur Christianisierung bereit seien. Die weitere Reise Cabrals wurde dann jedoch von Unglücken überschattet. So geriet die Flotte auf dem Atlantik in einen schweren Sturm, bei dem vier Schiffe untergingen und die anderen zerstreut wurden. Erst im ostafrikanischen Kilwa fanden sechs Schiffe wieder zusammen. Über Malindi und die Anjediveninsel erreichten sie im September 1500 Calicut. Dort kam es nach friedlichem Beginn im Dezember zu Unruhen, als Cabral gegenüber den muslimischen Kaufleuten ein portugiesisches Handelsvorrecht durchsetzen wollte. Die Portugiesen mussten nach Cochin und Cannanore ausweichen, wo sie zumindest erfolgreiche Handelsgeschäfte abschließen konnten. Auf der Rückreise ging noch ein weiteres Schiff verloren, bevor die Flotte Ende Juli 1501 nach Lissabon zu38 39 40 41
Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. lxii, fol. e iii r. Ankenbauer, Versprachlichung (wie Anm. 27), S. 91 – 94. Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. lxiiii, fol. e iii v. Dazu Horst Pietschmann, Portugal – Amerika – Brasilien: Die kolonialen Ursprünge einer Kontinentalmacht, in: ders., Walther L. Bernecker, Rüdiger Zoller, Eine kleine Geschichte Brasiliens, Frankfurt a. M. 2000, S. 11 – 123, hier S. 26 – 27. 42 Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. lxiv, fol. e iiii r.
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rückkam. Bezeichnenderweise ist dem auf die Ereignisse konzentrierten Bericht eine lange Liste von Gewürzen mit Preisen sowie eine Übersicht über die Herkunftsregionen mit den Entfernungen von Calicut.43 Erst mit dem vierten Buch beginnen in der Sammlung Montalboddos die Berichte über die amerikanischen Entdeckungen. Den Anfang macht aber nicht der Kolumbusbrief, sondern eine durch den Venezianer Angelo Trevisan verkürzte und in vier Briefen nach Italien übersandte Version von drei Kapiteln der ersten »Dekade« Pietro Martire d’Anghieras.44 Martire d’Angiera war 1487 nach Spanien gekommen und hatte an den Kämpfen gegen Granada teilgenommen. Dabei lernte er Kolumbus, Vespucci, Caboto und andere Entdecker kennen und stieg schließlich 1518 in den Consejo de Indias auf. Obwohl er, seit 1524 auch Abt von Jamaika, niemals in die Neue Welt reiste, liefert seine Darstellung der spanischen Entdeckungen und Eroberungen einen wertvollen Überblick über die Ereignisse. Die erste seiner Dekaden erschien ohne sein Wissen bereits 1511 in Sevilla im Druck, eine autorisierte (erste) Gesamtausgabe folgte 1516 in Alcal.45 Auch Trevisan machte am spanischen Königshof die Bekanntschaft von Kolumbus und sandte um 1501 seine Fassung der Berichte Martire d’Anghieras an den Venezianer Domenico Malipiero. Die auch handschriftlich überlieferten Briefe wurden bereits 1504 gedruckt,46 und an diesem Druck orientierte sich wiederum Fracanzano de Montalboddo mit der Kapiteleinteilung seiner Sammlung. Der Bericht beginnt mit der ersten Kolumbus-Reise und der Entdeckung von sechs Inseln, insbesondere Kuba und Hispaniola, für die Kolumbus nach seiner Rückkehr in Spanien vom Königspaar geehrt wurde. Angeschlossen ist die zweite Reise, die Kolumbus 1493/94 wiederum nach Hispaniola, Kuba sowie nach Jamaika führte und bei der auf Hispaniola im Landesinneren Gold entdeckt wurde, dessen Abbau Kolumbus’ Bruder übernahm, während dieser nach Spanien zurückkehrte. Darauf folgen die Schilderungen der dritten Kolumbus-Reise von 1498 sowie der Fahrten von Alonso NiÇo nach Kuba (1500) und von Vicente YaÇez Pinzûn zur Amazonasmündung und nach Hispaniola (1499/1500). Der Bericht über die Reise Pinzûns lässt erkennen, dass ein weit ausgedehntes südliches Festland entdeckt wurde, das auch von anderen erkundet wurde. 43 Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. lxxxii-iii, fol. [f vi] v–g ii r. 44 Ankenbauer, Versprachlichung (wie Anm. 27), S. 94 – 105. 45 Pietro Martire d’Anghiera, De Orbo Novo Decades cum Legatione Babylonica, ed. Antonio de Nebrija, Alcal 1516; die erste Dekade in Opera. Legatio Babylonica. Oceani Decas. Poemata. Epigrammata, Sevilla: Jacob Cromberger 1511; zu ihm vgl. u. a. noch Hermann A. Schumacher, Petrus Martyr. Geschichtsschreiber des Weltmeers. Eine Studie, New York 1879. 46 Unter dem Titel Libretto de tutta la navigatione de Re de Spagna de le Isole et terreni novamente trovati, Venedig: Albertino da Lessona 1504.
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Das vierte Buch beschreibt zunächst die mühsamen Versuche von Kolumbus, am spanischen Königshof Unterstützung für seine Pläne einer Entdeckungsreise nach Westen zu finden, und konzentriert sich dann wesentlich auf den Ablauf der Reisen.47 Dies wird durch eingeschobene Beschreibungen von Sitten und Gebräuchen ergänzt, etwa zur ersten Reise für Hispaniola und eine benachbarte Insel mit Kannibalen, für die detailliert geschildert wird, wer auf welche Weise zum Verzehr dient.48 Für die zweite Reise wird ergänzend über eine Erkundung dieser Insel berichtet, auf der sich Siedlungen mit großen spitzdachigen Häusern fanden, mit Hängebetten und steinernen Gefäßen, dazu ein zur Anbetung von Göttern, Himmel und Planeten bestimmtes, als schön verziert beschriebenes Gebäude.49 Dazu kommen Abschnitte, die über den Umgang mit dem lokalen Herrscher auf Hispaniola und über die von Kolumbus entdeckten »Wunder« und »Seltsamkeiten«, insbesondere über die Völker auf den verschiedenen Inseln und die Kontaktaufnahme mit ihnen, berichten.50 Die Abschnitte zu Alonso NiÇo und Vicente YaÇez Pinzon fallen gegenüber der Beschreibung der KolumbusReisen recht knapp aus und konzentrieren sich wiederum auf die Ereignisse.51 Die Entdeckung des Amazonas wird dabei als Begegnung mit einem Meer aus Süßwasser beschrieben, das sich »mit grosser ungestüme« aus mehreren Armen (»adern«) in dasselbe ergoss.52 Die Kapitel über die Entdeckung Amerikas werden durch die Aufnahme des Mundus Novus-Briefes von Amerigo Vespucci ergänzt.53 Dazu kommen in den anschließenden Kapiteln jeweils weitere kurze Briefe und Berichte. Der erste ist der des Giovanni Matteo Cretico, Sekretär des venezianischen Botschafters in Spanien, von 1501, über die Reise Cabrals; der zweite der des Pietro Pasqualigo, venezianischer Sonderbotschafter in Portugal, ebenfalls von 1501, über die Mission von Gaspar Corte-Real in nordwestlicher Richtung, die auf (teilweise mit Schnee bedecktes) Festland und als Sklaven geeignete Einheimische gestoßen sei, sowie über die Ausrüstung einer neuen Flotte nach Indien.54 Darauf 47 Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. lxxxiiii-vi, xc-xcvii, fol. g ii r–v, g iii v–h i v usw. 48 Insbesondere jüngere oder erwachsene Männer, während die Frauen Kinder gebären oder als Sklaven arbeiten sollten, Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. lxxxviiix, fol. g ii v–g iii r. 49 Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. xcii, fol. g iiii r–v ; Kolumbus gab der Insel den Namen Guadeloupe. 50 S. Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. xciii-iiii, fol. [g vi] r–v, cap. xcviii-c, fol. h i v – iii r, und cap. cv, fol. h iiii v–[v] v. 51 Zu Alonso NiÇo s. Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. cix-xi, fol. [h vi] r–i i v ; zu Pinzon ebd., cap. cxii-cxiii, fol. i i v–ii v. 52 Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. cxiii, fol. i ii r. 53 Ankenbauer, Versprachlichung (wie Anm. 27), S. 106 – 110; den Text in MontalboddoRuchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. cxiiii-xxiiii, fol. i ii v–[i vi] r. 54 Ankenbauer, Versprachlichung (wie Anm. 27), S. 110 – 113; zu Montalboddo-Ruchamer,
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folgen der Brief des Giovan Francesco Affaitati aus Lissabon von 1502 über eine weitere portugiesische Indienflotte sowie ein Schreiben mehrerer Kaufleute auf der Iberischen Halbinsel an Handelspartner in Italien, die über die zweite Indienfahrt Vasco da Gamas (1502/03) sowie über die Flotte unter Afonso und Francisco de Albuquerque (1503/04) berichten.55 Dabei stehen vor allem Fragen des Handels mit Gewürzen und anderen wertvollen Gütern (und ein drohendes portugiesisches Monopol) im Vordergrund. Den letzten größeren Bericht der Sammlung Montalboddos bildet eine Zusammenfassung der Gespräche zwischen einem unbekannten Europäer und einem indischen Thomaschristen namens Joseph.56 Joseph, geboren in Cranganore und Priester aus Kerala, schloss sich 1501 zusammen mit seinem bald darauf verstorbenen Bruder Matthias der Flotte Cabrals an und gelangte so nach Portugal, wo er von König Manuel I. ehrenvoll empfangen und ein halbes Jahr versorgt wurde. Im Januar 1502 reiste er für eine Audienz bei Alexander VI. nach Rom, um dann im Anschluss in Venedig über die Situation in seiner Heimat Kerala zu berichten. Möglicherweise gab es zuvor eine heute verlorene portugiesische Fassung, doch ist die Sammlung Montalboddos neben einer Handschrift das älteste Zeugnis für diesen Bericht, lateinische und niederländische Fassungen folgten. Joseph beschreibt – nach einem kurzen Bericht über die Reise Cabrals –57 ausführlich die Situation im Süden Indiens, besonders in Josephs Heimat Cranganore: das Nebeneinander von Thomaschristen und Hindus (»Heiden«) sowie ihre Riten und Gewohnheiten, die politischen Strukturen, Handel und Schifffahrt, Münzprägung und Landwirtschaft. Dazu kommen Nachrichten über Calicut, Cambay (Khambhat) bzw. Gujarat und das Hindureich Vijayanagara sowie über die restliche Malabarküste, Ceylon und Sumatra. So wird über den König von Cranganore berichtet, dass er ein »anbether der abgötter« sei, viele Frauen habe und sein Reich nicht an seine
Newe landte (wie Anm. 31), cap. cxxv-vi, fol. [i vi] r–k i v. – Offenbar ließ der portugiesische König nach den Entdeckungen Cabots ab 1498 (und im Blick auf die Aufteilung im Vertrag von Tordesillas) mit mehreren Missionen eine Nordwestpassage nach Asien suchen, auf denen u. a. Grönland und wahrscheinlich auch Neufundland erreicht wurden, die offenbar auch auf der Cantino-Planisphäre von 1502 als Terra del Rey de Portuguall verzeichnet sind, vgl. L.-A. Vigneras, Art. Corte-Real, Gaspar, in: Dictionary of Canadian Biography, 1, Toronto 1966, online-Version 2003, online unter : http://www.biographi.ca/en/bio/ corte_real_gaspar_1E.html (letzte Einsichtnahme 27. 6. 2013). 55 Ankenbauer, Versprachlichung (wie Anm. 27), S. 114 – 118; der Text wiederum in Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. cxxvii-viii, fol. k i v–k iv r. 56 Ankenbauer, Versprachlichung (wie Anm. 27), S. 119 – 120; ausführlich zum Bericht des Joseph in Antony Vallavanthara, India in 1500 AD. The Narratives of Joseph the Indian, Piscataway, New Jersey, 2001, bes. S. 3 – 10 für die Überlieferung. 57 Im Anfangskapitel Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. cxxix, fol. k iv v.
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Söhne vererben könne, weil das die Frauen so bestimmt hätten.58 Zudem gebe es dort zahlreiche Christen, an deren Spitze ein als Catholica bezeichneter Papst, Erzbischöfe, Bischöfe und Priester ständen und die eigene Regelungen für die Sakramente, Fasten, die Osterfeier und die anderen kirchlichen Feiertage hätten.59 Zu Calicut hob Joseph auf Nachfrage hervor, dass man dort vom europäischen Westen nur Rom, Frankreich und Venedig kenne; Venedig sei geachtet wegen seiner auch in Calicut umlaufenden Münzen, der Dukaten, von denen der Priester einige Exemplare aus Indien mitgebracht hatte.60 Besonders mächtig wird der König von Viyaranagara geschildert, der ein Land von über 3000 »welscher« Meilen Umfang regiere und mit seinem Heer 600 Elefanten, 4.000 Pferde und eine zahllose Menge an Fußvolk ins Feld führen könne.61 Damit endet die Sammlung Montalboddos. Ruchamers deutsche Fassung ergänzt, wie angesprochen, einen ausführlichen Brief Manuels I. an Julius II. vom Juni 1508, in dem sich der portugiesische Herrscher als »von gottes genaden künig zu Porthogal und Algarbien, heryenssendt und hynyessendt des Meres in Affrica, Herre der schyffarthe und kauffmanschaffte zu Ethiopia, Arabia, Persia, und India« stilisiert und seine Erfolge gegen die »Sarazenen« anpreist.62 Im selben Schlusskapitel folgt dann noch die Notiz eines unbekannten Kaufmanns aus Lissabon vom Juli 1508 über die Aussendung einer großen Flotte durch die Portugiesen, mit 50 Schiffen, 700 Kämpfern zu Pferde sowie 4000 Fußsoldaten. Auch wenn einige der Namen falsch wiedergegeben sind, einige Übersetzungsprobleme vorkommen, die zu Irrtümern führen,63 und auch nicht alle Reisen berücksichtigt sind, bietet die von Ruchamer vorgelegte Übersetzung der Montalboddo-Sammlung ihren deutschen Lesern insgesamt ein gutes Bild des Stands der portugiesischen und spanischen Entdeckungen und Eroberungen. **
58 Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. cxxxii, fol. [k v] r ; zur Beschreibung vgl. Vallavanthara, India (wie Anm. 56), S. 96 – 97. 59 Vgl. Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. cxxxiii-iiii, fol. [k v] v–[k vi] r ; Vallavanthara, India (wie Anm. 56), S. 97 – 99. 60 S. die (wohl nicht nur auf Calicut bezogene) Stelle Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. cxxxix, fol. l ii r. 61 Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. cxlii, fol. l ii v ; vgl. Vallavanthara, India (wie Anm. 56), S. 101. 62 Nach Montalboddo-Ruchamer, Newe landte (wie Anm. 31), cap. cxliii, fol. l iii r–[l iv] v, das Zitat fol. l iii r. 63 Vgl. etwa zur Fehlübersetzung von rio als reyche oder künig Ankenbauer, Versprachlichung (wie Anm. 27), S. 78; zur Wiedergabe von Christoph Kolumbus als Christoffel Dauber (als Übersetzung von Kolumbus) und Alonso NiÇo (über Alonso Negro bei Montalboddo) als Alonsus Schwartze ebd. S. 75, 104.
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Die von Montalboddo aufgenommene Nachricht über die portugiesische Mission von Gaspar Corte-Real in nordwestlicher Richtung (die ja nur eine von mehreren Missionen war) wirft Licht auf einen Raum, der deutschen Abenteurern und Entdeckern möglicherweise schon früher bekannt war, Grönland und der Nordosten Amerikas. Wahrscheinlich beim Drucker der deutschen Fassung der Montalboddo-Sammlung, Georg Stuchs in Nürnberg, erschien bereits um 1495 eine eigenständige geographische Schrift, die sich als Übersetzung der Geographia des Ptolemäus ausgibt.64 Auch wenn sich der unbekannte Autor grundlegend an älteren antiken und mittelalterlichen Autoren orientiert, hat er sich doch um die Aufnahme aktueller Entwicklungen bemüht. So berücksichtigt die Schilderung Ägyptens zeitgenössische Pilgerberichte, und die Expansion der Moskauer Großfürsten wird ebenso in die Darstellung integriert wie das turkmenisch-persische Reich des Uzun Hassan (bis 1478). Allerdings nimmt der Text keinen Bezug auf die Reisen von Kolumbus, die dem Autor entweder noch nicht bekannt waren oder von ihm nicht in ihrer Bedeutung erkannt wurden; Amerika findet so keine Erwähnung. Eine gewisse Ausnahme könnte die – allerdings nicht klar lesbare – beigefügte Weltkarte enthalten. Joseph Fischer, ihr Entdecker, hat auf ihr (auch im Vergleich zu anderen Karten) im Norden Europas eine Darstellung Grönlands ausmachen wollen.65 Dies passt zumindest zu einer lange in der Forschung diskutierten deutschen Beteiligung bei einem dänisch-portugiesischen Unternehmen in den Nordosten Amerikas bereits im Jahr 1473.66 Zeitgenössische Zeugnisse fehlen, eine erste Grundlage bildet ein Brief des Kieler Bürgermeisters Carsten Grip an König Christian III. von Dänemark aus dem März 1551, in dem er diesen neben Hinweisen auf die Ausdehnung Grönlands auf Karten an eine Entdeckungsfahrt erinnerte, die zwei Schiffer, Pining und Pothorst, im Auftrag Christian I. von Dänemark und Alfons V. von Portugal durchgeführt hätten.67 Didrik Pining lässt sich als Person relativ gut erschließen. Wohl um 1430 in Hildesheim geboren, stand er zunächst (bis 1468) zusammen mit dem ihm offenbar lebenslang eng verbundenen Hans Pothorst zeitweilig als Kapitän in den Diensten Hamburgs, bevor er im dänischen-englischen Krieg bis 1472 als Kaperer gegen die Engländer aktiv war. Seit 1478 vertrat Pining den dänischen König im Süden und 64 Dazu Herkenhoff, Darstellung (wie Anm. 4), S. 133 – 143; grundlegend immer noch Der »Deutsche Ptolemäus« aus dem Ende des XV. Jahrhunderts (um 1490) im Faksimiledruck, hrsg. Joseph Fischer, Straßburg 1910. 65 »Deutscher Ptolemäus«, hrsg. Fischer, S. 18 – 20. 66 S. die Zusammenfassung und Bewertung der Diskussion bei Thomas L. Hughes, »The German Discovery of America«. A Review of the Controversy over Pining’s 1473 Voyage of Exploration, in: German Studies Review 27,3 (2004), S. 503 – 526. 67 Zuerst in englischer Übersetzung bekannt gemacht in Fridtjof Nansen, In Northern Mists. Arctic Exploration in Early Times, transl. Arthur G. Chater, 2, New York 1911, S. 126 – 127; vgl. Hughes, Discovery of America (wie Anm. 66), S. 508.
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Osten Islands, bis er 1482 zum ersten dänischen Gouverneur Islands aufstieg. Der dänische Philologe und Bibliothekar Sofus Larsen brachte die beiden Schiffer 1925 mit dem Vater Gaspar Corte-Reals, Jo¼o Vaz Corte-Real, in Verbindung,68 der 1474 zum Gouverneur eines Teils der Insel Terceira in den Azoren erhoben wurde und um 1570/80 beim portugiesischen Humanisten Gaspar Frutuoso als Entdecker Amerikas erscheint.69 Angesichts fehlender zeitgenössischer Berichte lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob die dänisch-portugiesisch-deutsche Entdeckungsfahrt tatsächlich stattfand – und welche Regionen sie möglicherweise erreichte; sicher ist nur, dass sie im Reich (außer vielleicht in Kiel) offenbar nicht bekannt war. Anders war dies bei den oberdeutschen Reisenden auf die Iberische Halbinsel, die den zum direkten Kontakt mit den Herrschern Portugals und Spaniens suchten. Einer der ersten war der Nürnberger Diplomat, Astronom und Kosmograph Martin Behaim, der 1484 an den Hof Johanns II. ging und vielleicht 1485/86 an der Reise Diogo C¼os entlang der westafrikanischen Küste teilnahm.70 Behaim kehrte zwischenzeitig nach Nürnberg zurück (1491 – 1493), bevor er 1494/95 wiederum in Lissabon als Diplomat im Dienst Johanns II. tätig war. In Nürnberg ließ er den ältesten heute noch erhaltenen Erdglobus erstellen, auf dem seine Reise ebenso erwähnt wird wie in der zur selben Zeit gedruckten Weltchronik Hartmann Schedels. Dort findet sich im Anhang eine »aktualisierte« Fassung der Europa des Enea Silvio de’ Piccolomini mit einer Beschreibung Portugals. Im deutschsprachigen Druck wird Behaim zu 1483 neben »Jacobum Canum« als »Patron« der Flotte beschrieben, der, »in erkanntnus des gelegers der erden hoherfarn und dess meres wol geduldlich […], dan die lenge und prayte in dem occident auß erfarnus und langer schiffung gar aygentlich waißt«. Über den Verlauf und das Ziel dieser Reise findet sich dort allerdings e nichts außer der vagen Angabe, Johann II. habe die Schiffe »hinder die seuln 71 herculs gegen mittemtag wartz Ethiopiam zeerforschen außgeschickt«. Viel-
68 Sofus Larsen, The Discovery of North America Twenty Years before Columbus, Kopenhagen 1925. 69 In den Saudades de terra schreibt Fruttuoso, Corte-Real habe eine Terra do Bacalhau, ein Land des Kabeljaus (oder Stockfischs), entdeckt, vgl. Hughes, Discovery of America (wie Anm. 66), S. 509. 70 S. Johannes K. W. Willers, Art. Behaim, Martin, in: Lexikon des Mittelalters, 1 (1980, ND 2002), Sp. 1810; Hermann Kellenbenz, Portugiesische Forschungen und Quellen zur Behaimfrage, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte der Stadt Nürnberg 48 (1958), S. 79 – 95; Herkenhoff, Darstellung (wie Anm. 4), S. 243 – 244; zur Reise von Diogo C¼o vgl. Günter Hamann, Der Eintritt der südlichen Hemisphäre in die europäische Geschichte. Die Erschließung des Afrikaweges nach Asien vom Zeitalter Heinrichs des Seefahrers bis zu Vasco da Gama (Jahrbuch der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, philos.histor. Kl. 260, 6), Wien 1968, S. 130 – 262. 71 [Hartmann Schedel], Buch der croniken und geschichten mit figuren und pildnussen von
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mehr wird nur berichtet, die Flotte sei nach 16 Monaten zurückgekehrt, viele der Männer seien aber unterwegs gestorben. Immerhin geht dieser Notiz ein knapper Bericht über die portugiesischen Entdeckungen im Atlantik voran, von denen zumindest Madeira namentlich genannt wird. Der Bearbeiter der Europa war nicht Schedel selbst, sondern der Nürnberger Humanist, Arzt und Geograph Hieronymus Münzer,72 der mit Behaim bekannt war und auf dieser Grundlage dem portugiesischen König 1493 in einem Brief vorschlug, einen Seeweg nach Westen zu suchen. Er brach 1494 zu einer Rundreise auf die Iberische Halbinsel auf, erhielt in Madrid eine Audienz beim Königspaar und besuchte das wenige Jahre zuvor eroberte Granada. Über Malaga und Sevilla erreichte er Portugal, wo er unter anderem in Evora mit König Johann II. zusammentraf, um dann über Santiago de Compostela die Heimreise anzutreten. Er hat über die Reise einen umfangreichen Bericht in Gestalt eines Tagebuchs hinterlassen, der bis heute nicht vollständig ediert vorliegt.73 In einem Anhang dazu findet sich ein ausführlicher Bericht über die portugiesischen Entdeckungen und Eroberungen in Afrika bis 1469.74 Münzer konnte in Evora ausführlich mit dem portugiesischen König über Fragen der Kosmographie sprechen und erhielt von ihm unter anderem Informationen über die Insel S¼o Tom¦ im Golf von Guinea. Münzer war Johann II. durch den Sizilianer Cataldo Aquila Parisi vorgestellt worden, der ihm zudem während des zehntägigen Aufenthalts in Evora im November 1494 über die portugiesischen Entdeckungen berichtete.75 In Lissabon konnte er dann das Lager für die aus Afrika importierten Waren besichtigen. Über die Ehefrau und Mutter des Flamen Josse van Hurter, Behaims Schwiegervater und Kapitän der Azoren-Inseln Pico und Faial, erhielt er weitere Nachrichten, auch über Madeira. Neben anderen Deutschen (wie dem Geschützmeister Konrad aus Regensburg)
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anbeginn der welt bis auf dise unnsere zeit, Nürnberg: Anton Koberger 1493, Faksimile, hrsg. Stephan Füssel, Augsburg 2001, fol. cclxxxv v. Zu ihm Ulrich Knefelkamp, Art. Münzer, Hieronymus, in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 557 – 558, online unter : http://www.deutsche-biographie.de/pnd118585568.html (letzte Einsichtnahme 28. 6. 2013); Mike Malm, Art. Münzer, Hieronymus, in: Deutsches Literatur-Lexikon, 3 (wie Anm. 8), Sp. 1056 – 1061; Herkenhoff, Darstellung (wie Anm. 4), S. 244 – 249; Pieper, Vermittlung (wie Anm. 4), S. 91 – 92, 94. Auszüge u. a. in Ludwig Pfandl, Itinerarium hispanicum Hieronymi Monetarii (1494 – 1495), in: Revue Hispanique 48 (1920), S. 1 – 179; vgl. den Art. Münzer, Hieronymus, Itinerarium, in: Repertorium Fontium 7 (1997), S. 644, deutsche online-Fassung (betreut von Roman Deutinger, Markus Wesche) unter : http://www.geschichtsquellen.de/repOpus_03469.html (letzte Einsichtnahme 1. 7. 2013). Eine u. a. von Klaus Herbers betreute MGH-Ausgabe wird zurzeit vorbereitet. (Teil-)Edition: Hieronymus Münzer’s Bericht über die Entdeckung der Guinea, hrsg. Friedrich Kunstmann, in: Abhandlungen der historischen Klasse der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften 7,2, München 1854, S. 289 – 346. S. die Einleitung ebd., S. 299.
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traf er wiederum auch Martin Behaim, der Münzer auch die von ihm bearbeiteten Berichte des Diogo Gomes über die Entdeckung Guineas zugänglich machte.76 Über aktuelle Reisen wurde er zudem brieflich durch einen der Teilnehmer der zweiten Kolumbus-Reise, Bernal Boil, unterrichtet.77 Auf diesen Zeugnissen beruht Münzers Schrift De inventione Africae maritimae et occidentalis videlicet Geneae per Infantem Heinrich Portugalliae, die er seinem Tagebuch hinzufügte. Sie konzentriert sich auf Heinrich den Seefahrer und schildert eingangs dessen familiäre Herkunft, um dann die Gründe für Heinrichs Engagement in den Entdeckungsfahrten darzustellen. Nach der Eroberung Ceutas (1415) habe er erkannt, dass die Ressourcen des Königreichs seines Vaters unzureichend seien, während der Herrscher von Tunis jährlich durch den Handel mit dem »Äthiopien« südlich des Atlasgebirges große Einnahmen an Gold erziele. Münzer berichtet dann in teilweise wörtlicher Übernahme des Berichts des Diogo Gomes über die Entdeckung der Kanarischen Inseln, die er den Portugiesen zuschreibt, während die partielle Eroberung durch Jean de B¦thencourt (tatsächlich schon 1402) erst danach angesetzt wird. Zudem wird über die bei Gomez schon auf 1416 datierte Reise des GonÅalo Velho zur wüstenhaften terra alta südlich des Kap Bojador erst zu 1450 berichtet,78 Nachrichten über die Probleme bei der Umschiffung des Kaps fehlen völlig. Es folgen vielmehr Berichte über die Reisen des Afonso GonÅales Baldaya zum »Goldfluss« von 1436, des Garcia Homen von 1437 sowie des NuÇo Tristram wohl von 1441, der Informationen über den Sahara-Handel und die Wege nach Timbuktu nach Portugal bringen konnte. Die fünfte Reise führte 1445 zur Errichtung des Stützpunkts auf der Insel Arguim, der für intensiven Handel genutzt wurde, die sechste und siebente gelangten weiter nach Süden und endeten mit der Übernahme von zahlreichen Sklaven.79 Nach der Schilderung einer erfolglosen achten Reise geht Münzer zum weniger systematisch angeordneten Überblick über weitere Reisen bis 1464 über. Dazu gehören Nachrichten über die Entdeckung des Senegalflusses, Gambias und Guineas, aber auch zum Handel mit diesem Raum. Der König behielt sich die Einfuhr einer Reihe von Waren nach Schwarzafrika vor, darunter Textilien, Pferde, Zinn, Kupfer- und Zinngeschirr und beanspruchte für die Ausfuhr das Monopol unter anderem für Sklaven, Pfeffer und Elefantenzähne. Andere Waren (wie Getreide, Obst aus Europa, Moschus und Tiere aus Afrika) durften frei imund exportiert werden. Über die Religion berichtet Münzer, es gebe dort Muslime, Götzenanbeter, aber auch Menschen, die ihre Häuptlinge als Götter ver76 77 78 79
Ebd., S. 301 – 302. Pieper, Vermittlung (wie Anm. 4), S. 94. Münzer’s Bericht, hrsg. Kunstmann (wie Anm. 74), S. 310 – 314. Ebd., S. 322, 325, 329.
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ehrten.80 Der König lasse aber junge Afrikaner in Lissabon in christlichem Sinne erziehen und habe schon einige der Häuptlinge für das Christentum gewonnen. Besondere Aufmerksamkeit widmet Münzer schließlich der Goldgewinnung und dem Goldhandel.81 Angeschlossen sind zudem Nachrichten über S¼o Tom¦, Madeira und die Azoren. Auch wenn Münzer seine Vorlagen teilweise fehlerhaft wiedergab, waren damit dem Kreis der Nürnberger Humanisten detaillierte Informationen über die portugiesischen Entdeckungen zugänglich.82 **
Hieronymus Münzer traf in Lissabon auch auf den aus Böhmen stammenden Valentim Fernandes, der um 1494 ganz nach Portugal ausgewandert war und ihm als Übersetzer diente.83 Fernandes trat im Folgenden – neben seiner Tätigkeit als Notar für die Deutschen in Lissabon – in Portugal als Verleger hervor und publizierte nicht nur humanistische Werke wie die Briefe des Cataldo Sculo, sondern auch den Reisebericht Marco Polos (1502). In der Vorrede dazu pries Fernandes die portugiesischen Entdeckungen und trug auch sonst zu Verbreitung der Kenntnisse darüber bei.84 So stand er in engem Kontakt zu den deutschen Humanisten und sandte zwischen 1505 und 1508 verschiedene Berichte über die Entdeckungsreisen an Conrad Peutinger in Augsburg, den er wohl bereits 1488 kennengelernt hatte. Peutinger fasste diese Texte in einem Manuskript zusammen, das so eine nicht unbedeutende Auswahl von Berichten enthält, die unter anderem aus der Guinea-Chronik des Gomes Eanes de Zurara und aus den (teilweise offenbar mündlich übermittelten) Berichten des Diogo Gomes, GonÅalo Pires, Jo¼o Rodrigues und Hans Mayr (1505 – 1506) kompiliert und durch Beschreibungen Afrikas, der entdeckten Inseln und der Seerouten ergänzt sind, die offenbar viel dem direkten Kontakt mit den Entdeckern verdanken.85 80 Ebd., S. 337 – 338. 81 Ebd., S. 342 – 343. 82 Zusammenfassend zu den in Nürnberg zugänglichen Informationen Pieper, Vermittlung (wie Anm. 4), S. 127 – 129. 83 Dazu Münzer’s Bericht, hrsg. Kunstmann (wie Anm. 74), S. 303. 84 Zu ihm insbesondere Marlia dos Santos Lopes, From Discovery to Knowledge. Portuguese Maritime Navigation and German Humanism, in: Portuguese Humanism and the Republic of Letters, ed. Maria Berbara, Karl A. E. Enenkel, Leiden 2012, S. 425 – 445, hier S. 428 – 430; sowie Andreas Massing, Valentim Fernandes’ Five Maps and the Early History and Geography of S¼o Tom¦, in: History in Africa 36 (2009), S. 367 – 386, hier S. 367. 85 Dos Santos Lopes, Discovery (wie Anm. 84), S. 430 – 433; Ankenbauer, Versprachlichung (wie Anm. 27), S. 83; zur Handschrift Bayerische Staatsbibliothek München, cmh 27, online unter : http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/bsb00007891/images/index.html (letzte
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Während sich die Chronik des Gomes Eanes wiederum auf die Erfolge Heinrichs des Seefahrers bis 1448 konzentriert, ergänzt der schon von Münzer benutzte Bericht des Diogo Gomes die folgenden Jahre bis 1464. Mit dem Seefahrer GonÅalo Pires verbindet sich ein Bericht über die erste Besiedlung von S¼o Tom¦ ab 1492 (durch Strafgefangene, afrikanische Sklaven, Kinder jüdischer Familien aus Granada und einige wenige portugiesische Seeleute und Amtsträger) und dessen landwirtschaftliche Nutzung, mit Jo¼o Rodrigues die Beschreibung von Insel und Festung Arguin sowie des weiten Hinterlands mit seinen Bewohnern, dem Handel und den Goldvorkommen in den letzten Jahren Johanns II. (1493 – 1495).86 Die allgemeinen Ausführungen zu Afrika konzentrieren sich auf die den Portugiesen bekannten Orte im Westen des Kontinents, vor allem an der Küste, schildern aber auch die Lebensweise und Gewohnheiten der Einwohner und hebt besondere Ereignisse der Entdeckungsgeschichte wie die mühsame Umschiffung des Kaps Bojador hervor.87 Im Kapitel über die Inseln werden die Kanarischen Inseln, Madeira, die Azoren und die Kapverdischen Inseln beschrieben; im letzten Teil folgen genaue Angaben zur Richtung und Entfernung der wichtigsten Stützpunkte und Ziele zu den Häfen Portugals. Der deutsche Korrespondenzpartner von Fernandes, Conrad Peutinger, war generell an den Entdeckungsreisen interessiert. So sammelte er weitere Briefe und Berichte über die Reisen Vespuccis, da Gamas, Cabrals, der Albuquerques und Almeidas und übertrug sie ins Deutsche, unter Einschluss von deutschen Briefen aus Lissabon.88 Zusammen mit Fernandes’ Berichten komplementiert und ergänzt diese Sammlung das von Ruchamer übersetzte Werk Montalboddos, da nur die ersten drei Texte dort aufgenommen sind. Zu Vespucci handelt es sich um den (offenbar verkürzten) Brief Mundus Novus,89 zu Vasco da Gama um den Bericht Sernigos,90 zu Cabral um den Creticos.91 Neu ist dagegen der unmittelbar von Peutinger und seinem Schwager Christoph Welser übersetzte Brief zur zweiten Reise Vasco da Gamas (1502/03), der vor allem die Stationen und den Ablauf der Fahrt schildert, aber wenig zu den besuchten Regionen enthält und
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Einsichtnahme 5. 7. 2013), vgl. die Ausgabe Cûdice Valentim Fernandes, hrsg. Jos¦ Perreira da Costa, Lissabon 1997; sowie J. A. Schmeller, Ueber Valentı¯ Fernandez Alema¯ und seine Sammlung von Nachrichten über die Entdeckungen und Besitzungen der Portugiesen in Afrika und Asien bis zum Jahre 1508 (Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, philos.-philolog. Classe, IV,3), München 1847. Dazu s. Russell, Prince Henry (wie Anm. 28), S. 211 – 212. Vgl. u. a. Schmeller, Ueber Valentı¯ Fernandez (wie Anm. 85), S. 50 – 62; teilweise entsprechen die Nachrichten dem Bericht Alvise de C ¸ a da Mosto, oben zu Anm. 28 – 33. Ediert in Das Tagebuch des Lucas Rem aus den Jahren 1494 – 1541. Ein Beitrag zur Handelsgeschichte der Stadt Augsburg, hrsg. Bernhard Greiff, Augsburg 1861, S. 111 – 172. Oben zu Anm. 15 – 18. S. oben zu Anm. 35 – 38. Zu Anm. 39 – 43.
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auf der Rückreise abbricht.92 Möglicherweise geht er auf einen der deutschen Kaufleute zurück, von denen sich an anderer Stelle Berichte über diese Reise erhalten haben.93 Recht umfangreich ist dann schließlich der wohl durch die Niederlassung der Welser in Lissabon übermittelte Brief über die Reise Francisco (und Afonso) d’Albuquerques von 1503/04, in dem über lokale Konflikte, Handelsgüter und die Ausstattung des ersten portugiesischen Stützpunkts berichtet wird.94 Peutinger hat auch einen kurzen, von Anton Welser kopierten Brief zum Unternehmen des ersten Vizekönigs in Indien, Francisco de Almeida, von 1505/06 in seine Sammlung aufgenommen.95 Eingangs wird bei der Erwähnung der Schiffe ausdrücklich darauf verwiesen, dass »darauf dan die Teitschen ain namhaften Theil habend«. Tatsächlich hatte der portugiesische König 1505 nur den kleineren Teil der Indienflotte ausgerüstet und italienische und deutsche Kaufleute daran beteiligt. Es waren insbesondere die großen oberdeutschen Handelshäuser wie Welser, Fugger und andere, die – zum ersten und einzigen Mal in der Geschichte der portugiesischen Entdeckungen – zusammen drei der (vorerst) 22 Schiffe finanzierten.96 Darüber haben sich zwei Berichte deutscher Teilnehmer erhalten: der von Hans Mayr in der Sammlung von Valentim Fernandes97 und der ausführlichere des Balthasar Sprenger, der 1509 auch im Druck erschien.98 Hans Mayr arbeitete schon (vor) 1502 in Lissabon bei Valentim Fernandes und nahm vielleicht bereits 1502/03 als Vertreter der Welser an der zweiten Reise
92 Das Tagebuch, hrsg. Greiff (wie Anm. 88), S. 130 – 138. 93 Zum einen in Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 6948, nach Andreas Erhard, Eva Ramminger, Die Meerfahrt. Balthasar Springers Reise zur Pfefferküste. Mit einem Faksimile des Buches von 1509, Innsbruck 1998, S. 58; zum anderen in einem aus Oberdeutschland stammenden Manuskript in Bratislava, s. European Expansion 1494 – 1519. The Voyages of Discovery in the Bratislava Manuscript Lyc. 515/8 (Codex Bratislavensis), ed. Miroslav Krása, Josef Polisˇensky´, Peter Ratkosˇ, Prag 1986, S. 23 – 25. 94 Mit einem kurzen ergänzenden Schreiben, Das Tagebuch, hrsg. greiff (wie Anm. 88), S. 139 – 159, sowie einer auf 1504 datierten Beschreibung der Seereise nach Indien, ebd., S. 160 – 162. 95 Ebd., S. 167 – 170, das folgende Zitat auf S. 167. 96 Zum Unternehmen s. Franz Hümmerich, Die erste deutsche Handelsfahrt nach Indien (1505/06), ein Unternehmen der Welser, Fugger und anderer Augsburger sowie Nu¨ rnberger Ha¨ user, München 1922; vgl. ders., Quellen und Untersuchungen zur Fahrt der ersten Deutschen nach dem portugiesischen Indien 1505/06, in: Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (philos.-hist. Klasse 30,3), München 1918. 97 Schmeller, Ueber Valentı¯ Fernandez (wie Anm. 85), S. 47 – 50. 98 Faksimile des Drucks (und moderne Übersetzung) in Erhard, Ramminger, Meerfahrt (wie Anm. 93); zum Bericht vgl. auch Beate Borowka-Clausberg, Balthasar Sprenger und der frühneuzeitliche Reisebericht, München 1999.
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Vasco da Gamas teil.99 Sein Tagebuch schrieb er offenbar als Schreiber des königlichen Faktors auf der von den Deutschen finanzierten »Raffael«, so dass es auch technische Details zur Reise enthält und die Rolle des Kapitäns der »Raffael«, Fern¼o Suarez, betont. Dies wird mit Nachrichten über die Bewohner der fremden Regionen und ihre Gewohnheiten verbunden.100 Balthasar Sprenger traf dagegen erst 1503 in Lissabon, nachdem zuvor im Mai dieses Jahres unter Lukas Rem die erste »offizielle« Niederlassung der Welser in Portugal eröffnet worden war.101 1505 schloss er sich ebenfalls der Reise Almeidas an, auf der »Leonhard«, und erstattete im Folgenden bei seinen Dienstherren Bericht. Sprenger beginnt bereits im Senegal mit Beschreibungen der Region. So erwähnt er ein regional typisches Dorf mit Kegelhütten, das Fischen auf Einbäumen und die Nacktheit der dunkelhäutigen Einwohner, die mit dem dort umlaufenden Gold wenig anfangen könnten, sondern es gegen Spiegel, Messingringe oder Glasperlen eintauschten. Auffällig waren für ihn auch die dort wachsenden, massiven Affenbrotbäume.102 Über die weitere Reise nach Süden kann er wenig Konkretes berichten, da die Flotte im weiten Bogen um das Kap der guten Hoffnung herumsegelte. Dies ändert sich mit der Landung in Mossel Bay, bei der Sprenger die Lebensformen der KhoiKhoi, eines nomadisch lebenden Volkes in Südafrika, beschreibt: ihre Viehherden, ihre Schuhe und die Schamhüllen der Männer.103 Die nächste ausführlich geschilderte Station ist Kilwa, wo es zu Kämpfen und der Einsetzung eines neuen Herrschers durch die Portugiesen kam. Sprenger hebt hier die Reichtümer der Stadt hervor und beschreibt Nutztiere wie Fettschwanzschafe und Zeburinder sowie die Möglichkeiten zur Nutzung der Kokospalme.104 Über das von den Portugiesen zerstörte und geplünderte Mombasa und über Malindi erreichte die Flotte schließlich Indien, für das Sprenger aber nur kurz seine Reichtümer hervorhebt, um sich dann der Beladung der »Leonhard« und
99 S. Erhard, Ramminger, Meerfahrt (wie Anm. 93), S. 59; Hümmerich, Handelsfahrt (wie Anm. 96), bes. S. 22 – 23. 100 Dies ist in der Handschrift möglicherweise noch ergänzt. So folgen nach der Beschreibung der Reise, fol. 2r–14v, zunächst leere Blätter, dann Karten der verschiedenen AtlantikInseln; danach, fol. 36r–44v, wird über die Malediven berichtet, dass sie aus zahlreichen Inseln beständen, deren Bewohner vor 200 Jahren zum Islam bekehrt worden seien, während sie früher Untertanen des Königs von Ceylon waren. Diese würden Muscheln als Zahlungsmittel benutzen, um damit – und mit geräuchertem Fisch – Zucker, Reis, Textilien und Anderes vom indischen Festland einzukaufen. Beschrieben wird zudem die Verwertung der Palmen wie die Gewinnung von Ambra aus den vor den Inseln gestrandeten Walfischen. 101 Erhard, Ramminger, Meerfahrt (wie Anm. 93), S. 60. 102 Ebd., S. 12, 15, vgl. S. 112. 103 Ebd., S. 17, vgl. S. 114 – 115. 104 Ebd., S. 17, 22, vgl. S. 124.
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anderer Schiffe mit Pfeffer und der Rückreise nach Portugal zuzuwenden.105 Der eigentliche Reisebericht ist jedoch ergänzt durch kurze Beschreibungen der besuchten Regionen. So wird zu Cannanore auf große Berge, auf denen Pfeffer wächst, und auf zahlreiche Palmen an den Küsten hingewiesen, für Cochin auf dort lebende Juden und Türken, die weiße Kleidung der Kaufleute und die Sitten bei der Ausfahrt des Königs, der ständig von seinen Hofleuten begleitet, durch laute Musik angekündigt und auch vor der Sonne geschützt werde.106 Auch Malakka und die Molukken werden kurz erwähnt. Obwohl Sprenger die meisten Informationen aus zweiter Hand bekam und offenbar sein Schiff kaum verließ, übermittelt sein Bericht doch umfangreiche Informationen, die in Europa auf großes Interesse gestoßen sein werden. Der nur wenige Jahre danach in deutscher Übersetzung erschienene, noch einmal erheblich ausführlichere, Bericht des Ludovico de Varthema bildete dann eine sicher überaus willkommene Ergänzung. **
Überblickt man die hier vorgestellten Zeugnisse für die Kenntnisse über die Entdeckungsreisen um 1500 im Heiligen Römischen Reich, so ergeben sich im Wesentlichen drei Quellen und Verbreitungsformen: – Zum einen zirkulierten frühe Berichte, die insbesondere über Italien ins Reich vermittelt, teilweise hier noch einmal in lateinischer Fassung veröffentlicht oder sogar unmittelbar ins Deutsche übertragen und gedruckt wurden. Letzteres gilt gleichermaßen für die Briefe Amerigo Vespuccis wie für die Sammlung Montalboddos und den Bericht Ludovico Varthemas, die in den oberdeutschen Zentren wie Straßburg, Nürnberg und Augsburg im Druck erschienen. Gerade die Jahre zwischen 1501 und 1508 bildeten einen Höhepunkt der Publikationen in lateinischer wie deutscher Sprache.107 In einer Hinsicht gewann die Rezeption der lateinischen Fassungen sogar weit über Deutschland hinaus an Bedeutung: in der Benennung Amerikas nach seinem vermeintlichen Entdecker Amerigo Vespucci bei dem Straßburger Humanisten Matthias Ringmann. – Zum anderen waren es deutsche Reisende auf die Iberische Halbinsel bzw. »Einwanderer« wie der Drucker, Humanist und Notar Valentim Fernandes, 105 Ebd., S. 28 – 37. 106 Ebd., S. 37 – 38; vgl. S. 139 – 140, 145. 107 Hirsch, Reports (wie Anm. 4), S. 544, zählt für 1493 – 1500 drei Drucke in Deutschland (2 in Latein, 1 in der Volksprache), für 1501 – 1508 24 (9 und 15) und für 1509 – 1516 sieben (2 und 5).
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die wichtige Informationen übermittelten. Während zu den frühen Kontakten der 1470er Jahre über Dänemark wenig Gesichertes zu sagen ist, kam Martin Behaim nachweislich bereits in den 1480er Jahren an den portugiesischen Hof und berichtete bei seiner zeitweiligen Rückkehr nach Nürnberg über seine Erfahrungen, die verkürzt in die Weltchronik Schedels eingingen. Hieronymus Münzer fasste seine Beobachtungen in einem umfangreichen Reisetagebuch zusammen und schrieb eine Überblicksdarstellung zur Entdeckung und Eroberung Westafrikas durch die Portugiesen. Ähnlich sammelte (und übersetzte) schließlich Conrad Peutinger die Berichte von Fernandes und deutschen Kaufleute, die sich in Lissabon aufhielten. Diese Berichte wurden nur handschriftlich vermittelt. – Schließlich finden wir die ersten deutschen Abenteurer auf den portugiesischen Schiffen nach Afrika und Asien. Möglicherweise war bereits Martin Behaim als einer der ersten an dem Unternehmen Diogo C ¸ aos 1485/86 an die afrikanische Westküste beteiligt. Mit Sicherheit finden wir dann aber weitere deutsche Kaufleute bei der zweiten Reise Vasco da Gamas 1502/03 und auf dem Unternehmen Francisco de Almeidas 1505/06. Von letzterem haben sich sogar von zwei Teilnehmern, wohl von Hans Mayr und von Balthasar Sprenger, ausführlichere Berichte erhalten. Sprenger Reisebericht wurde 1509 dann in deutscher Fassung gedruckt, mit umfangreichen Illustrationen des Augsburger Künstlers Hans Burgkmair d. Ä.108 Die übermittelten Informationen betrafen viele verschiedene Aspekte. Naturgemäß standen zunächst die Reiseabläufe, die Entfernungen und die Zuordnung der besuchten Regionen im Zentrum. Ein weiterer zentraler Gesichtspunkt waren die für die Aufnahme von Handelsbeziehungen relevanten Güter und die dafür relevanten Rahmenbedingungen, von den politischen Strukturen bis hin zu lokalen Währungssystemen. Daneben finden sich immer wieder Beschreibungen von Landschaften, Städten, aber auch von Menschen und deren Religion, Kleidung und Gewohnheiten. Gerade diese ethnographischen Beschreibungen lassen Vieles von der europäischen Perspektive erkennen, mit der die fremden Gesellschaften wahrgenommen wurden. Die bewusst akzentuierte Fremdheit ist dabei oft – zumindest außerhalb Indiens – mit einem Gefühl der europäischen Überlegenheit verbunden, und manche Besonderheiten werden offenbar mit Blick auf ein europäisches Publikum eigens hervorgehoben. Dabei hält nicht alles, was als Information vermittelt wird, einer Überprüfung stand. Vielmehr enthalten die Reiseberichte immer wieder auch topische, fiktive und literarische Elemente, die älteren Vorlagen entnommen sind. Insgesamt waren die frühen Entdeckungsreisen auch im Heiligen Römischen 108 Erhard, Ramminger, Meerfahrt (wie Anm. 93), S. 68 – 74.
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Reich recht gut bekannt, wobei man jedoch die unterschiedlichen Verbreitungsformen und ihr Publikum in Rechnung stellen muss. Auch wenn die Drucke der Zeit jeweils in relativ kleinen Auflagen erschienen (und nicht unbedingt preisgünstig waren), waren die Informationen etwa zu den Reisen Kolumbus’, Vespuccis, Sprengers und Varthemas weiteren gebildeten Kreisen zugänglich, ebenso wie die von Fracanzano de Montalboddo gesammelten Berichte. Dagegen blieben die von Hieronymus Münzer, Valentim Fernandes und anderen Reisenden auf die Iberische Halbinsel gesammelten Informationen über die portugiesischen und spanischen Entdeckungsfahrten der zeitgenössischen Öffentlichkeit vorenthalten, da sie nicht in den Druck gelangten, sondern nur in handschriftlichen Sammlungen unter den Führungsschichten der oberdeutschen Städte zirkulierten. Bei den wenigen deutschen Teilnehmern portugiesischer Expeditionen nach Afrika und Indien finden sich beide Vermittlungsformen: Während der Bericht Hans Mayrs nur handschriftlich (und in portugiesischer Sprache) erhalten ist, wurde Sprengers »Tagebuch« gedruckt. Allerdings kann man im letzteren Fall vermuten, dass Sprenger seinen Auftraggebern weitere Details zu den Handelswaren und den Rahmenbedingungen des Handels in den besuchten Regionen übermittelte, die im gedruckten Text nicht enthalten und offenbar heute verloren sind. Detaillierte Informationen bedeuteten immer auch einen Wissensvorsprung, der sich in finanzielle Vorteile verwandeln ließ, so dass schon der portugiesische Hof nicht alle Berichte weitergab.109 Überhaupt speiste sich das Interesse für die Entdeckungsreisen aus zwei sehr unterschiedlichen Quellen. Auf der einen Seite standen die massiven wirtschaftlichen Ambitionen, die insbesondere die großen oberdeutschen Handelshäuser dazu trieben, Informationen über die neuen überseeischen Handelskontakte zu sammeln und sich, wenn möglich, direkt an den Unternehmungen zu beteiligen. Auf der anderen Seite wurde gerade die frühe Rezeption von humanistischen Gelehrten getragen, denen es um die Bestätigung, Ergänzung und ggf. Korrektur des aus der Antike, speziell bei Ptolemaius, überlieferten Weltbilds ging. Das gilt ebenso für die Straßburger um Matthias Ringmann wie für die Nürnberger Martin Behaim und Hartmann Schedel und den Augsburger Conrad Peutinger. Diese Strömung wirkte in gewissem Sinne auf die Iberische Halbinsel zurück, denn der Briefpartner Peutingers, Valentim Fernandes, spielte seinerseits eine wichtige Rolle für den portugiesischen Huma-
109 Zu nennen wäre hier u. a. der wenig spätere Bericht des Tome Pires, dessen vollständiger Text erst 1937 in einem Pariser Manuskript wiederentdeckt wurde, s. die Edition The ›Suma Oriental‹ of Tom¦ Pires. An Account of the East, from the Red Sea to China, hrsg. Armando Cortesão, 2 Bde., London 1944, ND Delhi 1990.
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nismus.110 Dazu kam zweifellos eine verbreitete Neugier, mehr über die fernen Länder zu erfahren. Beide Motive, das wirtschaftliche wie das intellektuelle, erklären somit die rasche und breite Rezeption der Entdeckungen im Heiligen Römischen Reich. Abstract: The great discoveries and colonial conquests in the period around 1500 were initiated and organized by the rulers of the Iberian Peninsula, of Portugal and Spain. From the perspective of the Holy Roman Empire and especially of Germany, these events happened far away and only gradually had repercussions for Central and Northern Europe. Nevertheless, there was a keen interest in the travels of the Portuguese and Spanish which is in the focus of this article. In an age of increasing book production, the printed versions of reports were at first widely circulated and even translated into German. But there were also the direct contacts of German travelers to the Iberian Peninsula who reported to their friends and employers at home, and some of them even participated in the Portuguese missions as in that of Francisco de Almeida in 1505/06. Their reports, partly surviving in Portuguese, were mainly preserved in manuscripts and only circulated in leading groups of the south German towns. Nevertheless, the elite of the Holy Roman Empire was quite well informed about the Portuguese and Spanish discoveries.
110 Dos Santos Lopes, Discovery (wie Anm. 84), S. 427, hebt die Fernandes’ Vermittlung zwischen Humanismus und Entdeckungsberichten hervor.
Wolfgang Höll
Das Bild des Südasienhandels in ausgewählten Reiseberichten des frühen 16. Jahrhunderts
In der wechselvollen Geschichte Südasiens war und ist der Fernhandel ein bestimmender Faktor. Araber und Chinesen, Portugiesen und Spanier, Niederländer, Franzosen und Briten, sie alle nahmen, angelockt durch die Hoffnung auf Handelsgewinne, lange Reisen auf sich um im Süden Asiens ihren Geschäften nach zu gehen. Auch heute hat der Handel von und mit Südasien einen bedeutenden Einfluss auf die Weltwirtschaft. Mit einem Exportvolumen von 297 Mrd. US-Dollar nahm die Republik Indien im vergangenen Jahr Rang 19 in der Liste der weltweit führenden exportierenden Länder ein.1 Demgegenüber stand ein Importvolumen von rund 350 Mrd. US-Dollar,2 womit das Land 2011 ein hohes Leistungsbilanzdefizit aufwies. Indien ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von 1,727 Billionen US-Dollar die drittgrößte Volkswirtschaft Asiens. Der indische Subkontinent und die angrenzenden Regionen befanden sich in der ersten Dekade des 21. Jh.s in einer Phase starken Wachstums und steigender Handelsvolumina. Durch seine geographischen Nähe zur Volksrepublik China und den Ölförderländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie Zentralasiens liegt der Süden Asiens geographisch in einem Zentrum des globalen Handelsverkehrs. Die Schifffahrtsroute durch die Straße von Malakka zählt zu den meistbefahrensten der Welt. Der Weg von Ostasien nach Europa führt über Südasien. Damit ist die Region in eine Stellung gerückt, welche diese schon einmal für lange Zeit inne hatte. Die riesigen Märkte Asiens, in denen wertvolle Luxusgüter, allen voran Gewürze, in großen Mengen angeboten wurden, beflügelten im ausgehenden 15. Jh. die Phantasie und den Geschäftssinn europäischer Kaufleute und Fürsten. Die Wunder Asiens versprachen jedoch mehr als nur wirtschaftlichen Reichtum. Irgendwo hier im Osten, so die Vermutung, befand sich nicht nur das Paradies, sondern auch das Reich jenes legendären Priesterkönigs Johannes, mit 1 Statistisches Bundesamt der BRD, verfügbar unter : https://www.destatis.de/, Zugriff am: 15. 08. 2012. 2 Ebd.
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dem sich die Vertreter der katholischen Christenheit gegen die Kräfte des Islam zu verbünden trachteten. Im ausgehenden 15. Jh. gelang es portugiesischen Seefahrern nach einem knappen Jahrhundert mühevoller maritimer Expansion zum ersten Mal, den Indischen Ozean über den direkten Seeweg zu erreichen. Doch die europäische Präsenz im indischen Ozean galt nicht nur friedlichem Handel. Die portugiesische Krone schickte Kriegsschiffe und Söldner und etablierte im frühen 16. Jh. ein koloniales Handelsimperium, das darauf abzielte, den Seehandel zu monopolisieren und die muslimischen Händler, die bis dahin den maritimen Handel Südasiens dominiert hatten, systematisch zu verdrängen. An der Finanzierung der kostspieligen Fahrten beteiligten sich Kaufleute aus ganz Europa, denn der Handel mit den exotischen Gütern Indiens versprach hohe Profite. Reiseberichte und Regionalbeschreibungen europäischer Chronisten, die die Welt des indischen Ozeans bereisten, stießen in Europa auf reges Interesse. Berichte wie der der »Merfahrt« des Balthasar Sprenger, eines Handelsagenten der Welser,3 informierten nicht nur über eine fremde Welt voller Mysterien, sondern genauso über handelspolitische Details. Im Zentrum des vorliegenden Beitrags stehen die Berichte der beiden portugiesischen Chronisten Tom¦ Pires und Duarte Barbosa, die im frühen 16. Jh. Verwaltungsämter in Portugiesisch-Indien bekleideten und im Zuge ihrer Asienaufenthalte zahlreiche Regionen bereisten. Barbosa und Pires beschäftigen sich in ihren Aufzeichnungen intensiv mit der Struktur und Abwicklung des zeitgenössischen Handels im südasiatischen Raum. Ihre Einschätzungen geben nicht nur einen Einblick in die Wirtschaft und Kultur dieses Weltteils, sondern künden auch vom portugiesischen Selbstverständnis und der Rolle, die die Krone Portugals dem Handel in ihrer Politik zukommen ließ. Indirekt kommen in den Berichten auch ortsansässige Gruppen und Individuen zu Wort und illustrieren deren Wahrnehmung von Handelsgeschäften und ihre Reaktionen auf das Auftreten der Iberer. Im Zentrum der Untersuchung soll somit das Bild stehen, das Pires und Barbosa vom Handel zeichnen. So soll gefragt werden, ob sich darin bestimmte Tendenzen erkennen lassen und welche Rolle der Handel in der maritimen Expansionspolitik Portugals spielte. Letztendlich geht es darum, weshalb es nicht nur für Portugiesen, sondern auch für Araber und Chinesen so attraktiv war, dorthin zu segeln, wo sprichwörtlich »der Pfeffer wächst«. Über das portugiesische Kolonialreich in Asien, aber auch den interasiatischen Handel im 15. und 16. Jh. existiert eine breite Auswahl an Forschungsliteratur. Der Asienhandel an der Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit ist nicht nur Forschungsgegenstand der Entdeckungs- und Kolonialgeschichte, 3 Vgl. Jürgen Pohle, Deutschland und die überseeische Expansion Portugals im 15. und 16. Jahrhundert (Historia profana et ecclesiastica, 2), Münster u. a. 2000, S. 288.
Das Bild des Südasienhandels in ausgewählten Reiseberichten
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sondern auch der Geschichte Südasiens und der benachbarten Regionen und Erdteile sowie der Geschichte der Weltwirtschaft. Die Beschäftigung mit Barbosa und Pires in der Forschung setzte allerdings erst mit der Edition ihrer Werke im 19. und 20. Jh. ein. Beide Autoren werden in der Literatur immer wieder erwähnt und zitiert, Auszüge aus ihren Schriften liegen zum Teil in Quellensammlungen zur Kolonialgeschichte vor,4 und beide Reiseberichte wurden ins Englische übersetzt.5 Eine systematische Untersuchung der Wahrnehmung und Deutung des südasiatischen Handels durch Barbosas und Pires fand bislang noch nicht statt. Das Autograph der Suma Oriental gilt als verschollen. Das überlieferte Manuskript, das zwischen 1512 und 1515 entstand, ist daher mit großer Vorsicht zu behandeln. Dem portugiesischen König Manuel I. gewidmet,6 ist nicht bekannt, durch wessen Hände Pires’ Originalwerk ging. Der italienische Publizist Giovan Battista Ramusio machte Teile von Pires’ Bericht in den 1550er Jahren in Venedig einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich, ohne jedoch zu wissen, wer der Autor der Quelle war.7 Neben den anderen großen Autoren der Reiseliteratur und den bedeutenden politischen Personen der portugiesischen Kolonialgeschichte geriet Pires fast in Vergessenheit.8 Der portugiesische Historiker Armando Cortes¼o, der bei der Recherche über Francisco Rodrigues auf einen Verweis auf Tom¦ Pires gestoßen war, entdeckte eine portugiesischsprachige Kopie des Manuskriptes9 in der BibliothÀque de la Chambre des Deput¦s in Paris, edierte und übersetzte sie für die Hakluyt Society ins Englische.10 Die Erstauflage erschien 1944 in zwei Bänden. 4 Zum Beispiel bei Wirtschaft und Handel der Kolonialreiche, hrsg. Piet C. Emmer, Eberhard Schmitt (Dokumente zur Geschichte der Europäischen Expansion, 4), München 1988 mit einem Auszug aus Pires’ Suma Oriental. 5 Tom¦ Pires, The Suma Oriental. An account of the East, from the Red Sea to Japan, written in Malacca and India in 1512 – 1515, übers. u. bearb. von Armando Cortesão, 2 Bde., London 1944, ND Neu Delhi, Madras 1990 (englische Übers. und Edition); Livro Em que d relażo do que viu e ouviu no Oriente Duarte Barbosa, ed. Augusto Reis Machado, Lissabon 1946 (Edition nach der Ausgabe von 1812); Duarte Barbosa, An account of the countries bordering on the Indian Ocean and their inhabitants, written by Duarte Barbosa and completed about the year 1518, 2 Bde., übers. und bearb. Mansel Longworth Dames (Hakluyt Society), London 1918 – 1921 (englische Übers. der portugiesischen Fassung); Duarte Barbosa, A description of the coasts of East Africa and Malabar in the beginning of the sixteenth century by Duarte Barbosa, a Portuguese, übers. und bearb. Henry Edward John Stanley (Hakluyt Society), London 1866 (englische Übers. der spanischen Fassung). – Die zitierten Passagen wurden vom Verf. unter Heranziehung der verschiedenen Versionen ins Deutsche übersetzt. 6 Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 1 (fol. 117r). 7 Ebd., S. xviii. 8 Ebd., S. xi, xviii. 9 Ebd., S. lxiv. 10 Ebd., S. xiii f.
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Über das frühere Leben von Tom¦ Pires ist wenig bekannt. Der Sohn des Apothekers König Johanns II. wurde wahrscheinlich um 1468 in Lissabon geboren. Er ergriff den Beruf seines Vaters und wurde Apotheker des Prinzen Alfons, dem einzigen Sohn des Königs, der jedoch schon 1491 sechzehnjährig verstarb und seinen Erzeuger ohne Erben zurückließ. 1511 brach Pires nach Asien auf und arbeitete als Verwaltungsbeamter in den portugiesischen Faktoreien in Cannanor und Cochin an der Malabarküste. Anschließend erhielt er weitere Verwaltungsposten in Malakka und auf Java. Obwohl Pires beabsichtigt hatte, in sein Heimatland zurückzukehren, wählte man ihn aus, um als Botschafter des Königs von Portugal Beziehungen mit China aufzubauen, wohin er mit einer Gesandtschaft 1517 von Malakka aus aufbrach. Die Mission verlief wenig erfolgreich. Pires wurde nicht bis zum chinesischen Kaiser vorgelassen und stattdessen in Ketten gelegt. Er starb nach längerer Gefangenschaft.11 Der größte Teil der Suma Oriental wurde in Malakka verfasst. Das aus sechs Büchern bestehende Gesamtwerk behandelt die Regionen von Ägypten im Westen bis in den indonesischen Archipel im Osten. Der letzte Abschnitt bildet eine umfangreiche Abhandlung über die Stadt Malakka. Die Beschreibungen umfassen ein breites Themenspektrum. Neben geographischen und ethnographischen Angaben berichtet Pires über religiöse und kulturelle Gepflogenheiten, geschichtliche Ereignisse, politische und militärische Strukturen und Beschreibungen von ortsansässigen Herrschern. Er urteilt über regionale Politik und verweist auf die militärischen Operationen der portugiesischen Krone. Dem Handel widmet Pires besondere Aufmerksamkeit: Er nennt zahlreiche Handelsstädte, schätzt deren geostrategische Rolle ein, berichtet über Handelsgüter, Schifffahrtsrouten, beschäftigt sich mit Währungen, Güterpreisen und Handelspolitik. Pires’ Darstellung beruht sowohl auf persönlicher Beobachtung als auch auf der Aussage Dritter, in vielen Fällen auf der einheimischer Kaufleute. Von Duarte Barbosas Beschreibung der an den indischen Ozean grenzenden Länder sind verschiedene Versionen überliefert. Das Werk, das um 1518 fertiggestellt wurde (wesentliche Teile lagen wahrscheinlich sogar schon vor 1515 vor, da der Tod des portugiesischen Gouverneurs in Indien, Afonso de Albuquerque, nicht erwähnt wird), erschien ebenfalls zuerst in einer von Ramusio herausgegebenen Fassung in Venedig in Italienisch im Druck.12 Neben der 1812 erstmals edierten (späteren) portugiesischen Fassung haben sich noch Manuskripte einer spanischen Übersetzung erhalten. Die Problematik der verschiedenen Fassungen und Übersetzungen ergibt sich aus der portugiesisch-spanischen Rivalität im Zuge ihrer überseeischen Expansionsbestrebungen. Bei einigen Unterschieden, insbesondere bei Angaben von Entfernungen, die im 11 Ebd., S. lxiii. 12 Vgl. Barbosa, Account (wie Anm. 5), 1, S. xxxiii.
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spanischen, nicht jedoch im portugiesischen Manuskript auftauchen und offensichtlich falsch sind, ist davon auszugehen, dass diese politischen bzw. territorialen Ambitionen geschuldet sind.13 Das ist nicht die einzige Schwierigkeit beim Umgang mit dieser Quelle: Aufgrund verschiedener Hinweise ist davon auszugehen, dass im frühen 16. Jh. wahrscheinlich mehrere Personen des Namens Duarte Barbosa als portugiesische Amtsträger in Indien eingesetzt wurden. Daher ist nicht eindeutig geklärt, wer von ihnen Autor des Textes ist. Sowohl Ramusio als auch Stanley gingen fest davon aus, es müsse sich um einen Schwager des Weltumseglers Ferdinand Magellan handeln, der diesen bei seiner Weltumsegelung begleitete und wenige Tage nach ihm auf den Philippinen ums Leben kam. Dames weist allerdings auf eine aus Indien stammende Nachricht zu 1529 hin, die einen Duarte Barbosa nennt. Zu diesem Zeitpunkt war der Schwager Magellans bereits seit acht Jahren tot.14 Letztendlich bleibt auch Dames der Ansicht, der Bericht entstamme der Feder von Magellans Schwager. Anderer Ansicht hierzu ist Joan-Pau Rubi¦s, der in seiner im Jahr 2000 erschienen Monographie einen königlichen Amtsträger in Cannanore zum Autor der Quelle macht.15 Eine Rekonstruktion der Biographien dieser Individuen erweist sich als schwierig, da ihre Lebensläufe scheinbar vermischt wurden. Aufgrund des großen Detailreichtums und der Intimität vieler Darstellungen in Barbosas Aufzeichnungen ist anzunehmen, dass er sich über einen längeren Zeitraum mit den hiesigen kulturellen Gepflogenheiten vertraut gemacht hat. Ob der Autor des Berichts nun bei der Weltumsegelung dabei war oder nicht: Aus überlieferten Briefen geht hervor, dass es in der zweiten Dekade des 16. Jh.s einen portugiesischen Verwaltungsbeamten namens Barbosa gab, der »die Zunge der Malabaren« erlernte, angeblich »[…] so gut, das er es besser als die Einheimischen sprach«.16 Er arbeitete als Dolmetscher Afonso de Albuquerques und war bei Verhandlungen mit ortsansässigen Fürsten wie den Herrschern von Cannanore und Calicut dabei.17 1516 kehrte Barbosa mit einem Manuskript im Gepäck nach Portugal zurück. Die Darstellung Barbosas ähnelt thematisch und im Aufbau denen Tom¦ Pires’. Ebenso wie sein Landsmann beschreibt er die hiesige Geographie, Kulturelles, berichtet über Politik und Handel. Im Gegensatz zu Pires beschäftigt er sich aber auch mit den Regionen südlich des Horns von Afrika18 und berichtet 13 Ebd., S. lii. 14 Ebd., S. xlix. 15 Joan-Pau Rubiés, Travel and ethnology in the Renaissance. South India through European Eyes, (Past and present publications), Cambridge u. a. 2000, S. 204. 16 Barbosa, Account (wie Anm. 5), 1, S. xxxvi. 17 Ebd., xxxvi und xliii. 18 Dabei beginnt er mit der Region östlich des Kaps der Guten Hoffnung und arbeitet sich die
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ausführlich über das indische Kastensystem an der Malabarküste.19 Es ist möglich, dass sich Barbosa und Pires persönlich kannten. Vielleicht bekam Barbosa dessen Manuskript der Suma Oriental in die Hände, das zu einem früheren Zeitpunkt fertiggestellt wurde als sein eigener Bericht. Die Vermutung liegt deshalb nahe, weil bei Barbosa und Pires einige Gemeinsamkeiten im Stil der Beschreibungen auffallen, so zum Beispiel der Vergleich des Kleidungsstils von Chinesen und Deutschen bei der Beschreibung Chinas.20
Südasien und die Welt des Indischen Ozeans um 1500 Eine geographische Abgrenzung für den Handel in Südasien ist nicht unproblematisch. Da der Fernhandel zur See naturgemäß regionalübergreifend, nicht selten interkontinental stattfand und dadurch auch weiter entfernte Gebiete strukturell mit dem Handel verflochten waren, kann eine exakte geographische Abgrenzung dessen, was Südasien um das Jahr 1500 war oder heute ist, zu keinem eindeutigen Ergebnis kommen. In Bezug auf den vorliegenden Beitrag wurde ein geographischer Raum gewählt, der sich an zentralen Stützpunkten des portugiesischen Kolonialreiches im frühen 16. Jh. orientiert. Die Untersuchungen beziehen sich daher schwerpunktmäßig auf das Gebiet zwischen der persischen Stadt Hormuz (auf der heute zu Iran gehörenden Insel Hormus) im Westen und Malakka (heute Melaka) im Osten. Die nördlichen Grenzen bilden die Gebirgsmassive Zentralasiens, im Süden der Indische Ozean bzw. das Arabische Meer und der Golf von Bengalen. Dieser südasiatische Raum war um das Jahr 1500 von verschiedenen klimatischen, kulturellen, religiösen und politischen Merkmalen geprägt, die in diesem Kontext nur knapp angerissen werden können. So verfügte der indische Subkontinent über ausgedehnte fruchtbare und landwirtschaftlich nutzbare Flächen. Das tropisch und subtropisch feucht-warme Klima und die Jahreszeiten, die durch den Monsun geprägt werden, ermöglichten eine große Artenvielfalt in Flora und Fauna und die jährlich mehrmalige Bewirtschaftung von Ackerflächen.21 Neben einer landschaftlichen Vielfalt mit Gebirgen, wasserreichen Flussdeltas, ausgedehnten Hochebenen und Wüsten existiert bis heute auch eine große ethnische und sprachliche Vielfalt unter den zahlreichen Bevölkerungsgruppen Südasiens. Während die Kultur auf dem Subkontinent durch die beiden großen Religionen, den Hinduismus und den sich seit dem 7. Jh. afrikanische Ostküste entlang bis hinauf auf den Sinai, vgl. Barbosa, Account (wie Anm. 5), 1, S. 3 – 45. 19 Barbosa, Account (wie Anm. 5), 1, S. 87 f. 20 Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 116 (fol. 139v); Barbosa, Account (wie Anm. 5), 2, S. 213. 21 Vgl. Michael Mann, Geschichte Südasiens. 1500 bis heute, Darmstadt 2010, S. 2.
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ausbreitenden Islam, geprägt war, kamen im Osten auf der malaysischen Halbinsel, auf der sich Malakka befindet, noch Einflüsse des chinesischen Kulturkreises hinzu. Um das Jahr 1500 existierte im südasiatischen Raum eine Vielzahl von Herrschaftsgebieten. Im Norden und im Zentrum des indischen Subkontinents hatten sich große Flächenstaaten etabliert, deren Grundlage in den Einnahmen aus der Besteuerung der ländlichen Bevölkerung bestand.22 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang das Hindu-Großreich Vijayanagar23 auf dem Dekkan, einer im Zentrum der indischen Halbinsel gelegenen Hochebene, das den Chronisten unter dem Namen »Narsinga«24 bekannt war, sowie das von einer muslimischen Elite beherrschte Sultanat von Delhi. Letzteres fiel ab den 1520er Jahren dem Einmarsch zentralasiatischer Reiterscharen zum Opfer,25 die auf dessen Ruinen das Mogulreich errichteten. Dem gegenüber standen zahlreiche, vor allem an den Küsten gelegene Reiche und Stadtstaaten, die über wenig oder kein Hinterland verfügten und ihre Einnahmen zu bedeutenden Teilen durch Steuern und Zölle aus dem Fernhandel bezogen.26 Zu ihnen gehörten die Herrschaftsgebilde an der Malabarküste wie Cochin, Calicut und Cannanore, aber auch Malakka, das sich zuvor von Siam (»Anseam«) abgespalten hatte.27 Sowohl der innerasiatische Handel wie auch die Handelsrouten ans Mittelmeer wurden von muslimischen Kaufleuten dominiert.28 Während sich die Herrscher der indischen Flächenstaaten wenig für Seehandel interessierten und sich damit zufrieden gaben, dass überhaupt ein Handel existierte, der die von ihnen nachgefragten Edelmetalle auf den Subkontinent brachte,29 generierten das Osmanische Reich und das von den Mamluken beherrschte Ägypten durch den Transit asiatischer Waren nach Europa hohe Einnahmen.30 Die muslimischen Kaufleute stammten aus dem arabischen Raum, Persien und Indien und
22 Hermann Kulke, Dietmar Rothermund, Geschichte Indiens. Von der Induskultur bis heute, München 21998, S. 233. 23 Vgl. Peter Feldbauer, Estado da India. Die Portugiesen in Asien 1498 – 1620 (Expansion, Interaktion, Akkulturation. Historische Skizzen zur Europäisierung Europas und der Welt, 3), Wien 2003, S. 22. 24 Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 63 (fol. 126r), Anm. 1; Barbosa, Account (wie Anm. 5), 2, S. 182, Anm. 2. 25 S. Kulke, Rothermund, Geschichte Indiens (wie Anm. 22), S. 220. 26 Vgl. Michael N. Pearson, Merchants and States, in: The Political Economy of Merchant Empires. Studies in Comparative Early Modern History (Studies in comparative early modern history, 2), hrsg. James D. Tracy, Cambridge u. a. 1991, S. 41 – 116, hier S. 70. 27 Barbosa, Account (wie Anm. 5), 2, S. 170 f. 28 Feldbauer, Estado da India (wie Anm. 23), S. 28. 29 S. Kulke, Rothermund, Geschichte Indiens (wie Anm. 22), S. 233. 30 Charles Ralph Boxer, The Portuguese Seaborne Empire 1415 – 1825, Harmondsworth/ Australien 1973, S. 40.
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waren in nahezu allen Häfen und Handelsplätzen des Indischen Ozeans anzutreffen.
Die portugiesische Übersee-Expansion Religiöser Eifer und Machtpolitik, die Hoffnung auf wirtschaftlichen Erfolg, Entdeckerdrang, Prestige: die Gründe für den Vorstoß Portugals auf die Ozeane und in weit entfernte Weltregionen waren vielfältig. Er begann 1415 mit der Eroberung der Stadt Ceuta an der Küste Marokkos und erwuchs aus einem noch immer präsenten Kreuzzugsgedanken und den Erfahrungen der Reconquista. Mit dem Kampf gegen die Mauren des Maghreb und der iberischen Halbinsel war der Erwerb von Reichtümern und wirtschaftlicher Erfolg allerdings noch eher wenig verbunden. Prinz Heinrich der Seefahrer trieb die Expansion im 15. Jh. voran. Er brachte die Azoren und die Kapverdischen Inseln in den Besitz der Krone, gab den Bau neuer Schiffstypen in Auftrag. Innerhalb weniger Jahrzehnte eigneten sich die lusitanischen Seeleute weitreichende Kenntnisse in der Hochseeschifffahrt an und erkundeten die Küsten Westafrikas. Jedes Jahr stießen sie dabei weiter nach Süden vor, entdeckten die Küstenlinien Guineas und schließlich das Kap der guten Hoffnung.31 Sechs Jahre nach der Entdeckung der Karibik durch den genuesischen Seefahrer Christoph Kolumbus, der im Auftrag der Krone Kastiliens aufgebrochen war, um einen westlichen Seeweg nach Indien zu finden, gelang dem Portugiesen Vasco da Gama mit der Hilfe angeheuerter arabischer Seeleute die erste direkte Überfahrt von Westeuropa auf den indischen Subkontinent. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Portugiesen längst in Westafrika festgesetzt, hatten befestigte Handelsstützpunkte errichtet, und waren in den Handel mit afrikanischen Sklaven eingestiegen.32 Der Empfang der Portugiesen in Calicut, einem Hindufürstentum im Südwesten Indiens, fiel reserviert bis feindselig aus. Die Seeleute, an denen die lange Fahrt gezehrt hatte, erschienen den indischen Herrschern der Stadt ärmlich. Dürftig wirkten auch ihre Gastgeschenke.33 Mit besonderer Skepsis wurden sie von der hiesigen arabisch-stämmigen Kaufmannsschaft betrachtet, denen die Jahrhunderte voller Feindschaft und Gewalt zwischen Christen und Muslimen nur zu präsent gewesen sein dürften. Dennoch, allein durch die Ladung seiner Schiffe und durch die in Calicut eingekauften Gewürze, geriet die Fahrt da Gamas zum Erfolg. Sie hatte den 31 Ilja Mieck, Europäische Geschichte der frühen Neuzeit. Eine Einführung. Stuttgart 61998, S. 55 f. 32 Vgl. ebd. 33 Sanjay Subrahmanyam, The career and legend of Vasco da Gama, Cambridge u. a. 1997, S. 137.
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direkten Seeweg nach Indien eröffnet. Auch die Flottenexpeditionen Francesco de Almeidas und Pedro Alvarez Cabrals wurden zu großen Erfolgen. Während Almeida zum ersten portugiesischen Vizekönig in Indien ernannt wurde, entdeckte Cabral bei seiner Fahrt über den Atlantik Brasilien,34 das gemäß der im Vertrag von Tordesillas 1494 ausgehandelten Aufteilung der Welt noch in der portugiesischen Hemisphäre lag und zum Kern des portugiesischen Kolonialbesitzes in der neuen Welt werden sollte. Im Verlauf von zwei Dekaden brachten die Portugiesen zudem zahlreiche ostafrikanische und südasiatische Handelsplätze unter ihre Kontrolle und überzogen die Region mit einem Netzwerk von befestigten Handelsniederlassungen. Welche machtpolitischen Implikationen ihr Eingriff in das Welthandelssystem des frühen 16. Jh.s hatte, war den Portugiesen durchaus bewusst. Der Handelsstrom von Indien nach Europa, der traditionell über Ägypten und die Levante und von dort aus über italienische Handelsschiffe geführt hatte, wurde durch das Auftreten der Iberer in Asien empfindlich gestört. Mit einer Monopolisierung des (Gewürz-)Handels auf den Seewegen Südasiens konnte nicht nur der eigene Profit maximiert, sondern zugleich die wirtschaftliche und vor allem politisch-ideologische Konkurrenz geschwächt werden. In erster Linie waren dies die Osmanen und die Mamluken, die die östlichen Küsten des Mittelmeeres kontrollierten, aber dies betraf auch die Republik Venedig, die ihre wirtschaftliche Macht aus dem Levantehandel bezog. »Wer immer über Malakka herrscht«, so Tom¦ Pires, »hält seine Hand an die Kehle Venedigs«.35 Unter dem Eindruck von da Gamas erster Indienexpedition hatte 1499 der Florentiner Kaufmann Guido di Messer Tomaso Detti den Venezianern eine Zukunft als Volk von Fischern orakelt.36 Die Markusrepublik fühlte sich bald genötigt, in eine Art Handelskrieg mit Portugal einzutreten und unterstützte über religiös-kulturelle Grenzen hinweg ein muslimisches Flottenbündnis, das den Portugiesen jedoch 1509 vor der indischen Stadt Diu unterlag.37 Der militärische Erfolg Portugals, das aufgrund seiner Randlage in Europa, seiner geringen Bevölkerung und seines beschränkten wirtschaftlichen Potentials in der europäischen Politik nur eine Nebenrolle gespielt hatte,38 kann durch mehrere Faktoren erklärt werden: die Abstinenz schlagkräftiger Kriegsmarinen im Indischen Ozean39 und die überlegene Bewaffnung der portugiesischen Schiffe, lokale Machtkämpfe zwischen asiatischen Herrschern, die durch kulturelle und Mieck, Europäische Geschichte (wie Anm. 31), S. 56. Pires, Suma (wie Anm. 5), 2, S. 287 (fol. 178r). Vgl. Subrahmanyam, Vasco da Gama (wie Anm. 33), S. 150. Fernand Salentiny, Aufstieg und Fall des portugiesischen Imperiums, Wien u. a. 1977, S. 267 f. 38 S. Pearson, Merchants and States (wie Anm. 26), S. 77. 39 Vgl. Boxer, Seaborne Empire (wie Anm. 30), S. 44.
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religiöse Aspekte weiter befeuert wurden, sowie das Fehlen europäischer Konkurrenten vor Ort. Hinzu kamen Veränderungen im Machtgefüge der großen Flächenstaaten Südasiens. In die Zeit der portugiesischen Expansion in Asien fielen der Niedergang des Mamlukenreiches in Ägypten, innere Konflikte des hinduistischen Großreichs Vijayanagar, die Ausbreitung des Islam in Südostasien sowie die Eroberung des Sultanats von Delhi durch die Moguln. All diese Prozesse führten zu einer Destabilisierung der Region, welche die Portugiesen für ihre Zwecke nutzen konnten.
Die politische Ökonomie des Estado da India Obwohl der Begriff Estado da India als Bezeichnung für das portugiesische Handelskolonialsystem erst ab der Mitte des 16. Jh.s aufkam,40 soll dieser als terminus technicus für alle asiatischen und ostafrikanischen Besitzungen der Krone Portugals dienen. Das Ziel der portugiesischen Handelspolitik war eine Monopolisierung des Handels über die Seewege im Indischen Ozean, vor allem des Handels mit Gewürzen. Um ein Monopol zu gewährleisten bedurfte es einer Kontrolle der Seewege, die auf einer ständigen Präsenz portugiesischer Kriegsschiffe und der Kontrolle wichtiger Stapelhäfen beruhte. Allein die geographischen Ausmaße des Indischen Ozeans und die große Bevölkerung Südasiens verdeutlichen, dass eine lückenlose Kontrolle des Handels nicht erreicht werden konnte.41 Aus diesem Grund bezog die portugiesische Krone die asiatischen Kaufleute in ihr Handelssystem mit ein bzw. baute auf den bestehenden Handelsstrukturen auf. Nur durch Kooperation und Konsens mit einheimischen Kräften war es den Portugiesen möglich, eine erfolgreiche und profitable Handelspolitik zu betreiben. Mit der Eroberung zentraler Handelsplätze wie Calicut, Goa, Hormuz, Malakka und den Siegen in mehreren großen Seeschlachten gelangen der iberischen Marine große militärische Erfolge. In den meisten Fällen wurden die Portugiesen dabei von lokalen Bundesgenossen unterstützt, die sich von ihrem Engagement eigene politische und wirtschaftliche Vorteile versprachen. Der innerasiatische Handel beruhte auf der Verteilung sogenannter »Cartaz«,42 Geleit- oder Schutzbriefe, die die Portugiesen den lokalen Händlern gegen 40 Feldbauer, Estado da India (wie Anm. 23), S. 19; Mann, Geschichte Südasiens (wie Anm. 21), S. 32. 41 S. Malcolm Dunn, Pfeffer, Profit und Property Rights. Zur Entwicklungslogistik des Estado da India im südostasiatischen Raum, in: Portuguese Asia. Aspects in history and economic history (sixteenth and seventeenth centuries), hrsg. Roderich Ptak (Beiträge zur Südasienforschung, 117), Stuttgart 1987, S. 1 – 36, hier S. 11. 42 Mann, Geschichte Südasiens (wie Anm. 21), S. 33.
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eine Gebühr aushändigten. Wurde ein Handelsschiff ohne eine solche Urkunde von portugiesischen Einheiten aufgegriffen, behielten es sich die Iberer vor, das Schiff samt Ladung zu konfiszieren oder zu versenken. Der Gewürzhandel durfte laut königlicher Weisung ausschließlich auf Schiffen der portugiesischen Krone erfolgen.43 Damit begab sich die Krone selbst in die Rolle eines Handelsunternehmens. Die Flächen, auf denen Gewürze angebaut wurden, kontrollierte sie jedoch nicht. Komplikationen im Gewürzhandel ergaben sich beim Ankauf von Nelken und Muskat von den Inseln des indonesischen Archipels. Im Unterschied zur Situation im Arabischen Meer war es den Portugiesen nicht gelungen, östlich der Straße von Malakka eine militärische Dominanz auf See zu erlangen. Auch im Golf von Bengalen patrouillierten portugiesische Einheiten nur unregelmäßig.44 Die Besatzungen der Gewürzschiffe sahen sich indonesischen Seeräubern und schwierig zu befahrenden Seerouten gegenüber. Der Einfluss des Monsuns bewirkte sehr lange Überfahrtszeiten,45 sodass die Fahrt von Malakka zu den Gewürzinseln bis zu 20 Monate dauern konnte, von Goa aus waren es bis zu 30 Monate.46 Pires erwähnt, dass es für Händler aus Kairo, Mekka, oder Aden nicht möglich war, innerhalb der Zeitspanne eines Monsuns Malakka zu erreichen.47 Die Einnahmen der Krone bestanden so zum einen aus den direkten Gewinnen, die im selbstständig betriebenen Gewürzhandel erwirtschaftet wurden, zum anderen in den von lokalen Händlern bezahlten Schutzgebühren sowie Zoll- und Steuereinnahmen aus Küstenstädten, die sich der portugiesischen Herrschaft unterworfen hatten. Hinzu kamen Tributzahlungen, wie im Fall der Stadt Hormuz.48 In der Zeit, in der Tom¦ Pires und Duarte Barbosa ihre Beschreibungen verfassten, befand sich das portugiesische Kolonialreich auf dem Zenit seiner Macht. Der Gewürzhandel über die Kaproute hatte den Handelsstrom über die Levante fast zum Erliegen gebracht und Portugal war es gelungen innerhalb weniger Jahre eine maritime Hegemonie im Indischen Ozean zu errichten. Doch trotz aller Erfolge war der Estado da India ein brüchiges, rein auf den Handel ausgerichtetes Stützpunktsystem. Für die landbasierten Großmächte war die Anwesenheit der Portugiesen relativ unbedeutend. Die gewaltigen Ar43 Vgl. Feldbauer, Estado da India (wie Anm. 23), S. 68. 44 Ebd., S. 71. 45 Charles Ralph Boxer, From Lisbon to Goa, 1500 – 1750. Studies in Portuguese Maritime Enterprise, London 1984, S. 33. 46 S. Cara Rahn Phillips, The growth and composition of trade in the Iberian empires 1450 – 1750, in: The Rise of Merchant Empires. Long-distance trade in the early modern world, 1350 – 1750 (Studies in Comparative Early Modern History), hrsg. James D. Tracy, Cambridge, New York, Port Chester u. a. 1990, S. 34 – 101, hier S. 52. 47 Pires, Suma (wie Anm. 5), 2, S. 269 (fol. 174r). 48 Vgl. Barbosa, Account (wie Anm. 5), 1, S. 101 f.
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meen der Flächenstaaten hätten der portugiesischen Herrschaft ein schnelles Ende bereiten können, doch maritime Abenteuer waren in der Mentalität indischer Großfürsten kein Feld, in dem Macht und Ansehen erworben werden konnten.49 Für sie war Portugal lediglich eine Handelsmacht, die im Austausch für Gewürze und andere Güter große Mengen an Gold nach Indien brachte.50
Der Südasienhandel in der Darstellung der Chronisten Barbosa und Pires beschreiben den Süden Asiens als eine große, sehr reiche und äußerst dicht besiedelte Region.51 Mächtige Herrscher geboten über gewaltige Armeen und blickten auf eine lange Historie zurück. Doch in den Darstellungen finden sich vor allem Beschreibungen von Küstenabschnitten. Die Portugiesen erzählen von einer Welt der Häfen und Händler, von Seefahrern und exotischen Waren. Die Territorien im Landesinneren finden zwar ebenfalls Platz in ihren Darstellungen, stammen aber zum größten Teil aus zweiter Hand. Waren die Portugiesen im Indischen Ozean lediglich Fremde, die an der Peripherie operierten? Wie weit reichte ihr Einfluss wirklich? Die Chronisten stellen die portugiesischen Kolonialherren als selbstbewusst und mächtig dar. In ihrem Verständnis war König Manuel formal der Herrscher ganz Afrikas und Asiens,52 alle Menschen, die dort lebten, folglich seine Untertanen. Anspruch und Wirklichkeit klafften jedoch weit auseinander. An den Orten, an denen die Portugiesen tatsächlich eine Herrschaft errichten konnten, wird dies von Pires und Barbosa besonders betont.53 Die folgende Analyse bezieht sich daher nicht nur auf die Darstellung des Fernhandels zwischen den Küsten Südasiens, auf dessen Umfang, Abwicklung und Protagonisten, sondern auch auf das Selbstbild und Herrschaftsverständnis der Portugiesen. Handel und Herrschaft waren in Portugals Kolonialreich untrennbar miteinander verbunden.
49 Vgl. Pearson, Merchants and States (wie Anm. 26), S. 96. 50 Feldbauer, Estado da India (wie Anm. 23), S. 57. 51 Barbosa, Account (wie Anm. 5), 1, S. 194. Die Malabarküste sei so dicht bevölkert, dass man das gesamte Gebiet als »eine Stadt« bezeichnen könne. 52 Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 1 (fol. 117r). 53 Vgl. ebd., 1, S. 216 (fol. 157c); 2, S. 282 (fol. 177r): Der muslimische Herrscher der Molukkeninsel Ternate wird beispielsweise explizit als Vasall des Königs von Portugal bezeichnet. Ebenso die Herrscher von Pahang, Kampar und Indragiri.
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Die Handelsplätze Hafenstädte spielten im portugiesischen Verständnis von Handel und Herrschaft die entscheidende Rolle: »Ein Königreich ohne Häfen ist wie ein Haus ohne Türen«,54 notiert Pires. Sie waren die strategischen Knotenpunkte des portugiesischen Kolonialreichs, nicht nur als Zentren des Fernhandels, sondern sie kontrollierten in vielen Fällen Schifffahrtsstraßen und Meerengen.55 Goa, der »Schlüssel zum ersten und zweiten Indien«,56 stieg im Verlauf des 16. Jh.s zum wichtigsten Stützpunkt Portugiesisch-Indiens auf.57 Der Hafenstadt, deren Befestigungen er mit denen der Johanniter-Hochburg Rhodos vergleicht,58 misst Pires hohe militärische Bedeutung bei, da es den Königreichen von Dekkan und Cambay »Einhalt gebiete[t]«.59 Verstärkt wird dies durch die Rolle als Importhafen für arabische und persische Pferde, die auf dem Dekkan militärische Verwendung fanden.60 Auch Barbosa hebt militärstrategische Vorteile Goas hervor.61 Goas Lage auf einer Insel an einer Flussmündung mache die Stadt zu einer gut zu verteidigenden Bastion.62 Die Ansiedlung von Portugiesen in Goa, auf die Barbosa hinweist,63 macht deutlich, dass sich die Iberer hier fest etablieren wollten. Die Siedlungskolonisation, die in Goa praktiziert wurde und die durch die Order Albuquerques,64 portugiesische Seeleute mit getauften Inderinnen zu verheiraten, forciert wurde, ist ungewöhnlich für das portugiesische Handelsimperium im Indischen Ozean, das sich ansonsten im Wesentlichen auf den Unterhalt befestigter Faktoreien beschränkte und für die Abwicklung seiner Geschäfte sowie administrative Zwecke vielfach auf angeheuerte Asiaten zurückgriff.65 Neben seiner Funktion als Warenumschlagsplatz konnte Goa auch auf ein ertragreiches Umland zu-
54 Ebd., 1, S. 57 (fol. 133r). 55 S. Herman van der Wee, Structural changes in European long-distance trade, and particularly in the re-export trade from south to north, 1350 – 1750, in: The Rise of Merchant Empires. Long-distance trade in the early modern world, 1350 – 1750 (Studies in Comparative Early Modern History), hrsg. James D. Tracy, Cambridge, New York, Port Chester u. a. 1990, S. 14 – 33, hier S. 29. 56 Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 54 (fol. 133r). 57 Salentiny, Aufstieg und Fall (wie Anm. 37), S. 248. 58 Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 58 (fol. 133v). 59 Ebd., 1, S. 57 (fol. 133r). 60 Feldbauer, Estado da India (wie Anm. 23), S. 65. 61 Barbosa, Account (wie Anm. 5), 1, S. 176 f. 62 Ebd., S. 175. 63 Ebd., S. 177. 64 S. Antûnio Da Silva Rego, Portuguese colonization in the sixteenth century. A study of the royal ordinances (regimentos), Johannesburg 1959, ND 1965, S. 35. 65 Vgl. Feldbauer, Estado da India (wie Anm. 23), S. 91 f.
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rückgreifen. Die Fruchtbarkeit der Böden erbrachte der portugiesischen Krone hohe Einnahmen.66 Dies war längst nicht bei allen Handelsstädten der Fall. Das bevölkerungsreiche Hormuz,67 immerhin eine der »vier großen Handelsstädte der Welt«68 und »Schlüssel zu Persien«69 (und zum Persischen Golf), beschränkte sich ähnlich wie Malakka auf eine Funktion als Stapelhafen und Umschlagplatz. Außer über Salz70 verfügte die Stadt über keinerlei Rohstoffe oder Landwirtschaft. Selbst das Trinkwasser musste herangeschafft werden.71 Seine exponierte Rolle im Fernhandel Südasiens verschaffte den Herrschern der Stadt nichtsdestotrotz immensen Reichtum aus Steuer- und Zolleinnahmen.72 Malakka auf der malaysischen Halbinsel wurde zum bedeutendsten portugiesischen Stützpunkt im östlichen Indischen Ozean. Die Stadt, ein Schmelztiegel der Kulturen, verband den indischen Subkontinent mit den Gewürzinseln des indonesischen Archipels. Pires berichtet von 84 verschiedenen Sprachen, die hier gesprochen worden sein sollen.73 Es galt als sicherer Ankerplatz und hatte in der Vergangenheit durch liberale Handelsbedingungen74 und religiöse Freiheiten (wie der Möglichkeit von Hochzeiten zwischen Angehörigen verschiedener religiöser Gruppen75 und Möglichkeiten der Scheidung76) Kaufleute aus ganz Südasien und Arabien angezogen. Ausführlich behandelt Pires die Geschichte Malakkas. Bevor die Portugiesen die Stadt eroberten, wurde diese von einem muslimischen Despoten beherrscht.77 Vor dem Hintergrund der Einnahme Malakkas 1511 durch Albuquerque entsteht der Eindruck, dass Pires nach einer Rechtfertigung für die von Portugal ausgehende Gewalt suchte. Auch Barbosa verschweigt in seinen Aufzeichnungen, dass König Manuel bereits 1508 die Eroberung der Stadt befohlen hatte,78 und schiebt die Schuld an der kriegerischen Auseinandersetzung allein den Herrschern Malakkas zu. Diese hätten im Vorfeld portugiesische Händler getötet und dadurch einen Krieg provoziert.79 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78
Barbosa, Account (wie Anm. 5), 1, S. 178. Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 20 (fol. 122r). Ebd., 1, S. 16 (fol. 121r), S. 19 (fol. 122r). Ebd., 1, S. 19 (fol. 122r). Barbosa, Account (wie Anm. 5), 1, S. 91. Ebd., S. 96 f. Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 20 (fol. 122r). Ebd., 2, S. 269 (fol. 174r). Ebd., 2, S. 246 (fol. 168r), S. 249 (fol. 169r). Ebd., 2, S. 249 (fol. 169r). Ebd., 2, S. 267 (fol. 173v). Ebd., 2, S. 252 f (fol. 170r). Vgl. Salentiny, Aufstieg und Fall (wie Anm. 37), S. 268; Feldbauer, Estado da India (wie Anm. 23), S. 63. 79 Barbosa, Account (wie Anm. 5), 1, S. 178.
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In diesem Zusammenhang lässt Pires die Regenten Malakkas selbst zu Wort kommen, entwirft ein bestimmtes Bild, das die Asiaten von den Portugiesen gehabt haben sollen: Sie seien fremdländische Spione und Welteroberer, welche keine Angst kennen.80 Albuquerque habe jedoch bei seiner Ankunft einen Krieg zu verhindern versucht, behauptet Pires.81 Die Einnahme der Stadt gelang dem portugiesischen Admiral durch eine Streitmacht von angeblich nur 1.600 Kämpfern, die, glaubt man den Chronisten, bis zu 100.000 Bewaffneten gegenüber gestanden haben sollen. Außerdem verweist Pires auf interne Streitigkeiten in Malakka und das geringe Ansehen der Stadtregierung, die für eine militärische Schwäche mitverantwortlich waren.82 »Ein [König] Salomon«83 würde gebraucht um Malakka zu regieren, so der Portugiese, eine Rolle, die nun portugiesische Amtsträger stellvertretend für König Manuel,84 den »wissbegierigsten Fürsten der Welt«,85 eingenommen hatten. Für den Handel war die Stadt Malakka von großer Bedeutung, denn diese kontrollierte die nach ihr benannte Schifffahrtsstraße, ein Nadelöhr zwischen dem südchinesischem Meer und dem Golf von Bengalen. Noch heute ist sie eine der meistbefahrenen Meeresstraßen der Welt. Über Malakkas Rang im Kontext des Südasienhandels urteilt Pires wie folgt: »Und wahr ist, dass dieser Teil der Welt reicher und würdiger ist als die Welt Indiens, denn Gold ist die kleinste Handelsware, die kaum geschätzt wird und in Malakka [lediglich] als Ware betrachtet wird. Solange wir Malakka haben, ist der Handel von Malakka nach China, von China zu den Molukken, von den Molukken nach Java und von Java nach Malakka und Sumatra in unserer Hand. Wer dies versteht, wird Malacca fördern; lasst nicht in Vergessenheit geraten, dass in Malacca Knoblauch und Zwiebeln höher geschätzt werden als Muskat, Benzoinharz und andere kostbare Dinge«.86
Neben den großen Handelsstädten, Goa, Hormuz und Malakka, sowie den portugiesischen Stützpunkten in den Hafenstädten an der Malabarküste – Calicut, Cannanore, Cochin – finden noch zahlreiche andere Häfen Erwähnung: Aden am Roten Meer, das die Portugiesen nie einnehmen konnten, Cambay, »die Stadt mit dem meisten Handel«,87 welcher sich fast vollständig in der Hand von Hindus befunden haben soll, aber auch unzählige kleinere Fluss- und Seehäfen, an denen Handel getrieben wurde. Handelsstätten im Landesinneren finden in den Berichten Pires’ und Barbosas dagegen wenig Beachtung. Die Untertanen 80 81 82 83 84 85 86 87
Pires, Suma (wie Anm. 5), 2, S. 257 (fol. 171r). Ebd., 2, S. 280 (fol. 176v). Ebd., 2, S. 279 (fol. 176r). Ebd., 2, S. 283 (fol. 177r). Peter Feige, Manuel I., Kg. v. Portugal, in: Lexikon des Mittelalters, 6, Sp. 210 – 211. Vgl. Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 1 (fol. 117r). Ebd., 2, S. 287 (fol. 178r). Ebd., 1, S. 35 (fol. 125r).
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König Manuels bewegten sich an den Küsten, das Meer war ihr Element, hier konnten sie ihre militärische und nautische Überlegenheit ausspielen. Mit Herrschern, die ihre Machtbasis im Landesinneren hatten und die über keinen nennenswerten Handel oder maritime Ambitionen verfügten, halten sich die beiden Chronisten kaum auf, für sie hatte es keinen Wert, in ihren Aufzeichnungen viel »Zeit darauf zu verwenden«.88
Die Protagonisten des Handels Neben den Portugiesen waren es Kaufleute muslimischen Glaubens aus Arabien, Persien und Indien, aber auch Südostasien, die in fast jedem Handelsplatz anzutreffen waren. Obwohl Barbosa und Pires diese pauschal als »Mauren« bezeichneten, erfahren sie eine stellenweise differenzierte Betrachtung. Islamischen Händlern stehen die portugiesischen Chronisten allgemein reserviert gegenüber, kommen aber nicht umhin, etwa die schiitischen Perser für ihre zivilisatorischen Errungenschaften zu loben.89 An verschiedenen Stellen werden sehr negative Bilder von Muslimen entworfen. Sie seien gerissen und eigneten sich durch Durchtriebenheit die Macht über viele Länder an.90 Gegenüber Muslimen, von denen portugiesische Stützpunkte wie Malakka »umzingelt« seien,91 hegt Pires großes Misstrauen. »Die Mauren werden nicht vertrauensvoll, außer durch Gewalt, denn sie liegen immer auf der Lauer, und sobald wir ungeschützt sind, werden sie auf uns losgehen«.92 Fast schon mit Schadenfreude reagiert Pires auf die Niederlage der früheren muslimischen Herrscher von Goa: »Wer kann daran zweifeln, dass für die Goa-Route Schiffe genommen wurden, die die Mauren [ursprünglich] gefertigt hatten, um uns zu bekämpfen, und die nun nach Banda fuhren um Muskatladungen für uns zu transportieren? Die Urteile des Herrn sind unergründlich […]«.93
Islamischen Herrschern sprechen Barbosa und Pires an verschiedenen Stellen die Fähigkeit einer guten Regentschaft ab.94 Negative Eigenschaften sprechen die
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Ebd., 1, S. 195 (fol. 154r). Ebd., 1, S. 23 (fol. 122v). Ebd., 1, S. 173 (fol. 148v). Ebd., 2, S. 286 (fol. 178r). Ebd. Ebd., 1, S. 56 (fol. 133r). Vgl. ebd., 2, S. 252 f. (fol. 170r). Natürlich kamen dabei insbesondere die durch die Portugiesen besiegten oder vertriebenen muslimischen Herrscher schlecht weg. Beispielhaft sei hier Sultan Mafamut, der ehemalige Herrscher von Malakka, erwähnt. Pires beschreibt ihn als anmaßenden Drogenabhängigen und Mörder, voller Bosheit und Arroganz.
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Chronisten auch Händlern aus Bengalen zu. Diese seien, obgleich erfahrene Händler,95 »falsch«.96 Ein positiveres Bild zeichnen Pires und Barbosa von Hindu-Kaufleuten. Die Händler Cambays etwa seien sehr geschäftstüchtig, sodass Pires ihre Kenntnisse und Fähigkeiten mit denen von Italienern vergleicht.97 Wie die Genuesen im Mittelmeer, so unterhielten die Kaufleute aus Cambay ein System von Faktoreien, die über den Indischen Ozean verteilt waren und die Westküste Indiens mit den Häfen Bengalens und Indochinas verbanden.98 Die Portugiesen hatten sich dieses System selbst von den italienischen Seemächten abgeschaut.99 Die Etablierung der iberischen Faktoreien in Asien stellte für die hiesige Bevölkerung also eine gewohnte Art der Organisation des Fernhandels dar. Auf die Handwerker Cambays geht Barbosa ein und zieht einen Vergleich zwischen den von ihnen gewerblich hergestellten Produkten und denen Flanderns.100 Die Kaufleute aus Cambay und Gujarat befuhren den Indischen Ozean in starkem Maße. Pires beschreibt intensive Handelskontakte im Westen bis Aden und im Osten bis Malakka. Malakka betrachteten die Kaufleute aus Cambay als eines ihrer Haupthandelszentren.101 Die Handelsbeziehungen der beiden Städte seien derart intensiv, die gegenseitige Abhängigkeit so groß, dass weder »Malakka ohne Cambay, noch Cambay ohne Malakka überleben könne«.102 Besonders als Absatzmarkt für Textilprodukte sei Malakka für Cambay bzw. Gujarat von großer Wichtigkeit, aus diesem Grund seien die Einwohner Gujarats durch die militärische Okkupation der Stadt von seiten der Portugiesen sehr hart getroffen worden.103 Erstaunlich kritische Worte findet Pires bezüglich der eigenen portugiesischen Funktionäre in Asien. Über das portugiesische Verwaltungspersonal schreibt er : »[Malakka] sollte mit exzellenten Beamten besetzt sein, Handelsexperten und Liebhabern des Friedens, nicht mit arroganten, undisziplinierten, lasterhaften Hitzköpfen, sondern mit nüchternen und älteren Männern, denn Malakka hat keine weißhaarigen Funktionäre. […] Jugend und Geschäftsleben passen nicht zusammen.«104
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Ebd., 1, S. 92 (fol. 134v). Ebd., 1, S. 88 (fol. 134r). Ebd., 1, S. 41 (fol. 130v). Ebd., 1, S. 45 (fol. 131v). Vgl. Pearson, Merchants and States (wie Anm. 26), S. 77. Barbosa, Account (wie Anm. 5), 1, S. 141. Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 45 (fol. 131v). Ebd. Ebd., 1, S. 47 (fol. 131v). Ebd., 2, S. 286 (fol. 178r).
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Zum Zeitpunkt seiner Aufzeichnungen war Pires selbst Mitte vierzig und gehörte damit zu den »älteren« portugiesischen Amtsträgern in Asien. Pires’ Kritik bezieht sich auf die mangelnde Erfahrung der oft jungen, aus Abenteuerlust oder aufgrund sozialer bzw. wirtschaftlicher Probleme nach Asien gekommener Portugiesen. Sie macht er für Ineffizienzen im portugiesischen Asienhandel mitverantwortlich. Pires erkannte zudem die Relevanz von Frieden für wirtschaftliche Prosperität.
Handelsschifffahrt Zu den bevorzugten Handelsschiffen im westlichen indischen Ozean zählten die arabischen Daus, Segelschiffe, die mit einem, dem Lateinersegel ähnlichen Settee-Segel ausgestattet waren, ebenso wie die leichteren »Ladas«,105 Boote, die durch ihren geringen Tiefgang vor allem in ufernahen Gewässern geeignet waren. Die von Barbosa erwähnten Zambucos106 fanden als große Frachtschiffe entlang der Küsten des indischen Subkontinents Verwendung. Östlich von Bengalen waren die Dschunken der verbreitete Schiffstyp. Barbosa beschreibt diese als große Viermaster,107 »die sich stark von der Art unserer [Schiffe] unterscheiden«.108 Diese großen Schiffe, gefertigt aus dicken Holzplanken, waren leicht zu reparieren, widerstandsfähig und wurden zum Transport der unterschiedlichsten Waren verwendet. In Java, so Pires, befänden sich nach der Niederlage einer Dschunken-Flotte im Kampf gegen die Portugiesen jedoch nur noch zehn Schiffe dieses Typs und man sei nicht in der Lage, trotz einer »leistungsfähige[n] Schiffsindustrie«109 zehn Dschunken in zehn Jahren zu bauen.110 Die Chronisten nennen noch eine Reihe weiterer asiatischer Schiffstypen.111 Im Gegensatz zu den portugiesischen Seefahrern mit ihren weitreichenden Erfahrungen in der Hochseeschifffahrt befuhren die asiatischen Kaufleute hauptsächlich küstennahe Gewässer, an deren Gegebenheiten sich die Konstruktion ihrer Schiffe orientierte.
105 Ebd., 1, S. 76 (fol. 128r). 106 Vgl. u. a. Barbosa, Account (wie Anm. 5), 2, S. 189; Emmer, Schmitt, Wirtschaft (wie Anm. 4), S. 180. 107 Barbosa, Account (wie Anm. 5), 2, S. 172. 108 Ebd., S. 173. 109 Feldbauer, Estado da India (wie Anm. 23), S. 53. 110 Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 195 (fol. 154r). 111 Ebd., 1, S. 195 (fol. 154r); zum Beispiel die »Calaluzes« und die »Pangajavas«; vgl. Barbosa, Account (wie Anm. 5), 1, S. 97: »terradas«.
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Der Umfang des Handels Die geschilderten ökonomischen Verflechtungen zwischen weit voneinander entfernt liegenden Gebieten und die Vielzahl der Handelsplätze, die in den Quellen erwähnt werden, suggerieren eine äußerst rege Handelsaktivität. Doch welchen Umfang hatte der Warenaustausch innerhalb Südasiens? Barbosas Angaben gehen über Bezeichnungen wie »hier gibt es viel Handel«, »[…] sie machen große Gewinne«,112 oder »[…] sie liefern Pferde in großer Anzahl«113 kaum hinaus. Entweder konnte oder wollte er keine konkreten Angaben machen. Immerhin stellten diese wirtschaftlich wertvolle und politisch brisante Informationen dar, die nicht in falsche Hände gelangen durften. Pires wird deutlich konkreter. Insbesondere für Malakka liefert er eine Reihe von Daten. Er macht nicht nur Angaben über Preise und erhobene Zölle, sondern nennt auch die Zahl der Schiffe, die Malakka von bestimmten Regionen aus anfuhren und den Umfang ihrer Ladung. Angesichts der bereits genannten engen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Malakka und Cambay bzw. Gujarat erscheint es bemerkenswert, dass aus diesen Regionen zusammengenommen gerade einmal fünf Schiffe pro Jahr nach Malakka fuhren,114 deren hauptsächlich aus Textilien bestehende Fracht pro Schiff zwischen 15.000 und 80.000 Cruzados wert gewesen sei.115 Bei einem Feingewicht von ca. drei Gramm Gold pro Cruzado116 entsprach dies, alle fünf Schiffe zusammengenommen, einem Warenwert von zwischen 435 und 720 kg Gold.117 Diese Zahlen sind selbstverständlich mit äußerster Vorsicht zu genießen, geben aber einen Eindruck des in Malakka umgeschlagenen Handelsvolumens. Zu beachten ist dabei das hohe wirtschaftliche Risiko, das die Überfahrt von Cambay nach Malakka barg. Die Fahrt dauerte mehrere Monate. Der Ausfall auch nur eines Schiffes musste einen enormen wirtschaftlichen Verlust zur Folge gehabt haben.
112 113 114 115
Barbosa, Account (wie Anm. 5), 2, S. 178. Ebd., S. 189. Pires, Suma (wie Anm. 5), 2, S. 279 f (fol. 174r). Ebd., 1, S. 270 (fol. 174r). Für die vier Schiffe aus Gujarat gibt Pires einen Wert zwischen 15.000 und 30.000 an, für das Schiff aus Cambay 70 – 80.000 Cruzados. 116 Vgl. Von Aktie bis Zoll. Ein historisches Lexikon des Geldes, hrsg. Michael North, München 1995, S. 76, 108. Der Goldfeingehalt nahm im Verlauf des 16. Jahrhunderts von 3,76 auf 2,84 Gramm ab. 117 Zum Vergleich: 720 kg Gold haben, bei einem heutigen Preis von ungefähr 1.621 US-Dollar je Feinunze (0,031 kg), etwa einen Wert von 37,6 Mio. US-Dollar bzw. rund 30 Mio. Euro. Aufgrund starker Arbeitskosten- und Preisniveauunterschiede sind solche Umsatzvolumina mit heutigen Preisen praktisch nicht auszudrücken.
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Die Handelsgüter Im Zuge ihrer Beschreibungen befassen sich Pires und Barbosa intensiv mit den in Südasien umgeschlagenen Handelsgütern. Schließlich waren es diese, die die Iberischen Seefahrer nach Indien gelockt hatten. Als Vasco da Gama von seiner ersten Indienreise zurückkehrte, reichte seine mitgebrachte Ladung an Gewürzen, trotz großer Verluste an Mannschaften und Material, aus,118 um die Kosten der Reise zu decken. Der Gewürzhandel über die Kaproute versprach hohe Profite. Dieser stellte ein so einträgliches Geschäft dar, dass die portugiesische Krone hohe Ausfallquoten in Kauf nahm, um die kostbare Fracht nach Europa zu verschiffen. Doch der Handel mit Gewürzen zwischen Europa und Indien machte nur einen verhältnismäßig geringen Anteil derjenigen Handelsaktivitäten aus, an denen die Portugiesen beteiligt waren. Verglichen mit dem innerasiatischen Gewürz- und Luxusgüterhandel – die bedeutendsten Abnehmer indischen Pfeffers waren chinesische Händler –119 und vor allem mit dem innerasiatischen Handel mit Massengütern durch asiatische Kaufleute, war er gering.120 Aus diesem Grund lag es im Interesse der Portugiesen, nicht nur den interkontinentalen Gewürzhandel nach Europa, sondern auch die lokalen asiatischen Märkte zu kontrollieren. Die Anbaugebiete für Pfeffer und Ingwer lagen an der Malabarküste und auf Sumatra, Zimt stammte aus Ceylon, Nelken und Muskat kamen von den Molukken und Bandainseln. Pires beschreibt an einigen Stellen Anbau, Ernte und Verarbeitung der begehrten Ware.121 Der Vorteil, den der Gewürz- und Luxusgüterhandel gegenüber dem Handel mit Massengütern bot, war die Möglichkeit, wertvolle Ladungen auf geringem Laderaum zu transportieren. Die Gewinnmarge122 pro Schiffstonnage war weit höher als dies bei den meisten anderen Rohstoffen oder Agrarprodukten möglich gewesen wäre. Zudem war die politische Macht und Stabilität vieler Gewürzanbaugebiete besonders brüchig. Die Fürstentümer Malabars waren untereinander zerstritten, lagen häufig miteinander im Krieg.123 Eine ähnliche Situation ergab sich auf den Gewürzinseln.124 Diese Faktoren machten es den Portugiesen leicht, ihre kommerziellen Interessen durchzusetzen. 118 119 120 121 122 123 124
S. Subrahmanyam, Vasco da Gama (wie Anm. 33), S. 148. Feldbauer, Estado da India (wie Anm. 23), S. 44. Vgl. ebd. Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, u. a. S. 206 (fol. 156r), S. 216 (fol. 157c). Vgl. Dunn, Entwicklungslogistik (wie Anm. 41), S. 5. Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 81 (fol. 129r). Ebd., 1, S. 216 (fol. 157c). Pires berichtet davon, wie der Herrscher der Molukkeninsel Ternate den Portugiesischen König als Lehnsherrn anerkennt. Ferner lag der Herrscher Ternates mit dem Raja von Tidore im Krieg.
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Obwohl Gewürze auf starkes Interesse bei den portugiesischen Chronisten stießen, verkannten sie keinesfalls die Bedeutung des Handels mit Massengütern. Im Gegenteil, Barbosa und Pires verweisen auf eine sehr große Bandbreite von Handelswaren und damit einhergehenden wirtschaftlichen Verflechtungen bzw. Abhängigkeiten. Eine »einseitige Charakterisierung des asiatischen Fernhandels durch Luxusgüter«,125 wie dies zum Teil in älteren geschichtswissenschaftlichen Darstellungen stattfindet,126 ist von Seiten der Chronisten nicht feststellbar. Von großer Bedeutung waren landwirtschaftliche Güter. Einige Regionen hatten sich mit der Zeit so sehr auf bestimmte Wirtschaftszweige spezialisiert,127 dass diese auf den Import von Grundnahrungsmitteln angewiesen waren, darunter auch Reis, Getreide, Gemüse, Fisch und Fleisch, Salz, Öle, Fette und Nutzvieh.128 Dazu kamen Pflanzen mit medizinischen und berauschenden Wirkstoffen wie Opium, Areca und Betel. Der Konsum der Betelnuss fand in ganz Südasien Verbreitung. Auch die Portugiesen schätzten ihre anregende Wirkung. Pires beschreibt das im Umland von Goa produzierte Betel als »zweifellos […] besser als irgendwo sonst, mild und angenehm im Geschmack«.129 Neben dem Export von Nahrungsmitteln berichten die Chronisten von einem umfangreichen Handel mit Rohstoffen und Zwischenprodukten, die an anderen Orten veredelt wurden. Baumwolle spielte hierbei eine wichtige Rolle als Grundstoff für die Produktion von Textilien, die in der Wirtschaft Gujarats, Dekkans und Bengalens von enormer Bedeutung war. Pires berichtet, auf dem Dekkan werde genug Stoff produziert, um die Welt einzukleiden.130 Bei den Bewohnern Javas und der malaysischen Halbinsel waren die indischen Textilien so begehrt, dass nur diese im Tausch gegen Gewürze und Nahrungsmittel akzeptiert wurden.131 Gehandelt wurden aber auch Metalle, Edelmetalle und Hölzer ; außerdem Ausgangsstoffe für Färbemittel wie Zinnober und Indigo, die in den Importländern weiterverarbeitet und dann zum Teil re-exportiert wurden. Weiterhin existierte ein umfangreicher Handel mit gewerblichen Produkten. 125 126 127 128
Feldbauer, Estado da India (wie Anm. 23), S. 42. Vgl. ebd., S. 42. S. Kulke, Rothermund, Geschichte Indiens (wie Anm. 22), S. 235. Als einen der Exporteure nennt Pires Sunda, das bis zu 10 Dschunkenladungen exportierte, vgl. Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 169 (fol. 148r). – Sowohl Pires als auch Barbosa erwähnen die Abhängigkeit Ceylons von Reisimporten, vgl. Ebd., 1, S. 84 (fol. 160r); Barbosa, Account (wie Anm. 5), 2, S. 111. – Auch an der Malabarküste sei man auf Reisimporte angewiesen, da die Region zu wenig davon produziere, vgl. Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 74 (fol. 128r). 129 Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 57 (fol. 133r). 130 Vgl. Ebd., 1, S. 53 (fol. 132v). 131 Vgl. Giorgio Riello, Tirthankar Roy, Introduction, in: How India Clothed the World. The World of South Asian Textiles, 1500 – 1850, hrsg. Giorgio Riello, Tirthankar Roy (Global economic history series, 4), Leiden u. a. 2009, S. 1 – 27, hier S. 5.
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Darunter fallen die genannten Baumwolltextilien, Seidenstoffe, Brokat und Teppiche, aber auch Eisenwaren, Waffen, Boote, Schmuckgegenstände, Porzellangefäße und vieles andere. Verbreitet war ferner der Handel mit Pferden und Elefanten, die als Nutz- und Lasttiere für die Wirtschaft und vor allem für das Militär nachgefragt wurden. Zentren des Sklavenhandels, der im gesamten indischen Ozean verbreitet war, befanden sich in Malakka und Arquat.132 Barbosa verweist auf den Sklavenhandel in Bengalen, von Knaben, die kastriert und als Eunuchen weiterverkauft wurden.133 Später machten sie zum Teil als Wachleute oder auch in der höheren Verwaltung Karriere und kamen zu hohem gesellschaftlichem Ansehen.134 Der in den Quellen erwähnte Verkauf von Kindern durch die eigenen Eltern135 zeugt von wirtschaftlicher Not in der Bevölkerung des landwirtschaftlich ertragreichen Bengalen.
Die Abwicklung der Geschäfte: Geld, Edelmetalle, Preisbildung und Maße Münzgeld und Edelmetalle spielten auch in Südasien bei der Abwicklung von Handelsgeschäften eine wichtige Rolle. Obwohl Tauschgeschäfte weite Verbreitung fanden,136 stellte die Zahlung mit Münzen eine der Grundlagen des Fernhandelssystems dar. Sowohl Barbosa wie auch Pires beschäftigten sich mit lokalen Währungen. Sie beschreiben Aussehen und Edelmetallgehalt von Münzen und rechnen ihren Wert in Währungen um, die dem Leser bekannt sind. Als Berechnungsgrundlagen benutzt Barbosa den portugiesischen Real137 und den Dukaten, eine ursprünglich aus Venedig stammende Goldmünze, die über den Levantehandel schon vor langer Zeit nach Asien gelangt war. Pires rechnet Beträge stets in den portugiesischen Cruzado um.138 Portugiesische Münzen wurden vielerorts als Zahlungsmittel akzeptiert. Pires berichtet, wie sehr die Einwohner Javas das iberische Geld schätzten.139 Die portugiesische Krone war also nicht erst auf die Beschaffung lokaler Münzen angewiesen, um asiatische 132 133 134 135 136
Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 148 (fol. 142v). Barbosa, Account (wie Anm. 5), 2, S. 147. Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 88 (fol. 143r); Barbosa, Account (wie Anm. 5), 1, S. 147. Barbosa, Account (wie Anm. 5), 2, S. 147. S. Anthony R. Russel-Wood, A World on the move. The Portuguese in Africa, Asia and America 1415 – 1808 (Aspects of Portugal), Manchester 1992, S. 134. 137 North, Lexikon des Geldes (wie Anm. 124), S. 327. 138 Ebd., S. 76. 139 Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 181 (fol. 150v).
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Waren anzukaufen, wie dies etwa im europäischen Spätmittelalter der Fall war.140 Auch in Malakka zirkulierten portugiesische Cruzados.141 Daneben gab es viele andere Münzen aus Gold, Silber, Zinn und anderen Metallen.142 Pires informiert detailreich über die lokale Währungen und Umrechnungskurse143 und arbeitete wahrscheinlich an einem Buch über dieses Thema, das er allerdings nie fertigstellen oder veröffentlichen konnte.144 Edelmetalle boten außerdem Profitmöglichkeiten in Form von ArbitrageGeschäften.145 Pires beschreibt den unterschiedlichen Marktwert von Gold und Silber an verschiedenen Orten. So besitze Gold in Bengalen eine höhere Kaufkraft als in Malakka, mit Silber sei es andersherum.146 Allein die Beförderung von Edelmetallen von einem Ort zum anderen war mit zum Teil großen Gewinnen verbunden147 und begünstigte den Abfluss großer Mengen der jeweiligen Edelmetalle in die Regionen mit einem höheren Marktwert. Da die Portugiesen außer Edelmetallen und vereinzelt anderen Gütern (zum Beispiel Eisen) kaum Handelswaren anzubieten hatten, die in Südasien nachgefragt wurden,148 war ihre Abhängigkeit von Gold und Silber besonders groß. Früh entwickelte sich ein Dreieckshandel mit Afrika. Portugiesische Schiffe segelten von Lissabon aus los und tauschten an der Westküste Afrikas europäische Produkte gegen Gold, das diese anschließend in Indien gegen Gewürze eintauschten. Im Verlauf des späteren 16. Jh.s verstärkte die Erschließung von Silbervorkommen in Europa und Amerika den Edelmetallstrom von West nach Ost. Die Bildung von Güterpreisen schildert Pires anhand eines Beispiels: Wenn ein Fernhandelskaufmann in Malakka seine Ladung an Land brächte, so versammelten sich »zehn oder zwanzig Händler« in einer Art Auktion und boten auf die Güter. Proportional zu ihren Geboten bekamen die Bieter einen Anteil an
140 141 142 143
144 145 146 147 148
North, Lexikon des Geldes (wie Anm. 124), S. 99. Pires, Suma (wie Anm. 5), 2, S. 275 (fol. 175v). Vgl. ebd. Zum Beispiel ebd., 1, S. 93 f. (fol. 135r). Um den Überblick über die komplizierten Umrechnungskurse im Fall der in Bengalen im Umlauf befindlichen Münzen zu geben, verdeutlicht Pires die Kaufkraft der Münzen mit dem Preis eines Huhns, worunter sich der europäischer Leser über Kulturelle Unterschiede hinweg etwas vorstellen konnte. Ebd., S. xxvi. S. Jürgen Lütt, Das moderne Indien 1498 – 2004 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte, 40), München 2012, S. 5. Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 93 (fol. 135r). Ebd., 1, S. 181 (fol. 150v). Renate Pieper, Portugiesen und Spanier – Anfänge der europäischen Partizipation am Welthandel, in: Die Geschichte des europäischen Welthandels und der wirtschaftliche Globalisierungsprozess, hrsg. Friedrich Edelmayer, Erich Landsteiner, Renate Pieper (Querschnitte, 5), München 2001, S. 38.
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der Ware.149 Beim Pferdehandel in Hormuz beschreibt Barbosa, wie stark sich die Dynamik der Nachfrage auf die Preise auswirken konnte.150 Während unsere Chronisten in diesen Fällen Prozesse freier Preisbildung schildern, nutzten die Portugiesen im Gewürzhandel ihre Macht um den Produzenten Preise zu diktieren. Durch Verhandlungsgeschick und Waffengewalt setzten sie beispielsweise auf den Molukken ihr Privileg durch, dass nur sie Gewürze aufkaufen durften. Durch die Marktmacht im Gewürzhandel, sowohl als Nachfrager beim Ankauf der Ware als auch als Anbieter beim Weiterverkauf, verfügten die Portugiesen über eine Marktmacht, die ihnen hohe Profite sicherte. Die Chronisten beschäftigen sich auch mit Gewichten und Maßeinheiten, die für den Handel eine zentrale Rolle spielten. Das tatsächliche Gewicht der Maßeinheiten151 variierte dabei von Ort zu Ort.152 Während in vielen Fällen lediglich in Süd- bzw. Südostasien gebräuchliche Gewichtseinheiten wie der Bahar angegeben werden, übertragen die Chronisten solche Mengen teilweise auch in Einheiten, die dem europäischen Leser des frühen 16. Jh.s besser bekannt waren.153 Pires hält außerdem Ungereimtheiten fest, die ihm beim Wiegen und Messen in Malakka aufgefallen sind.154 Diese seien zum Nachteil der portugiesischen Krone. Auch hier wird deutlich, wie wichtig Erfahrung für den ökonomischen Erfolg war, etwas, das Pires bei vielen portugiesischen Funktionären vermisste.
Handelspolitik Die in der Literatur mehrfach wiederzufindende Behauptung, Barbosa und Pires beschrieben dem Leser die Welt des Indischen Ozeans als eine Art Freihandelssystem, »an dem Kaufleute aus ganz Asien praktisch uneingeschränkt teilnehmen konnten«,155 ist nicht haltbar. Wollte man in Asien Handel treiben, stieß man bereits vor Ankunft der Portugiesen immer wieder auf Schwierigkeiten und Handelshemmnisse, sei dies in Form von Piraterie, wie in Südostasien,156 sei es in Form von tarifären Handelshemmnissen wie Einfuhrzöllen157 oder auch in Form 149 150 151 152 153 154 155 156 157
Pires, Suma (wie Anm. 5), 2, S. 273 (fol. 175r). Barbosa, Account (wie Anm. 5), 1, S. 95. U. a. »Tael/Tumdaia, Bahar, Cate, Faracola«, ebd., S. 271. Pires, Suma (wie Anm. 5), 2, S. 277 (fol. 176r). Pires beschreibt den Bahar »nach dem Gesetz Malakkas«. Zum Beispiel in Quintal, ebd. Ebd., 2, S. 278 (fol. 176r). Feldbauer, Estado da India (wie Anm. 23), S. 31. Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 201 f (fol. 155r). Ebd., 2, S. 268 f (fol. 174r); Pires berichtet ausführlich über die Beschaffenheit der Einfuhrzölle auf fremdländische Schiffsladungen in Malakka.
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von Bestechungsgeldern und Gastgeschenken, die entrichtet werden mussten, wollte man seine Ladung auf den Märkten anbieten. Hinzu kam der Zusammenschluss von Kaufleuten zu mächtigen Lobbys mit großem Einfluss in der lokalen Politik. Es waren muslimische Kaufleute, die den Zamorin, den Herrscher von Calicut gegen die Neuankömmlinge aus Portugal aufbrachten.158 Auf Palandura, einer der Malabarküste vorgelagerten Inselgruppe, so Barbosa, bestimmten muslimische Händler aus Cannanore über die Person des Königs, den sie »austauschen wie es ihnen gefällt«.159 Pires selbst äußert klare Vorstellungen, welche Elemente eine erfolgreiche Handelspolitik ausmachten: liberale Handelsbedingungen, eine gut funktionierende Rechtsprechung, Steuersenkungen auf Handelsgüter160 – dadurch sei schon Malakka groß geworden. Nur scheinbar steht diese Politik im Widerspruch zur portugiesischen Praxis von Monopolisierung und Schutzgelderpressung. Das Ziel der iberischen Kolonialherren war in erster Linie darauf ausgerichtet, den eigenen Profit zu maximieren. Doch um die Einnahmen aus den portugiesischen Schutzbriefen, den Cartaz,161 aus Steuern und Zöllen zu steigern, musste der Asienhandel, der zum größten Teil nach wie vor durch asiatische Kaufleute abgewickelt wurde, florieren. Mehr noch, ein gut funktionierender Handel, von dem die ortsansässige Bevölkerung profitierte, konnte der portugiesischen Herrschaft gegenüber konkurrierenden Herrschern den Rücken stärken. Die Erwähnung eines aufstrebenden Handels in den Berichten konnte aber auch gegenüber einer europäischen Leserschaft dazu beitragen, die portugiesische Überseepolitik als Erfolg darzustellen und ihre Motive in ein positives Licht zu rücken. Diu, so Pires, sei durch die Freundschaft Portugals groß geworden und zu einem Ort aufgestiegen, in dem es mehr Achtung vor Recht und Gerechtigkeit gibt als irgendwo sonst im Königreich Cambay.162 Malakka, das im Zuge der Eroberung durch Albuquerque in Mitleidenschaft gezogen worden war, prophezeit Pires nicht nur eine Rückkehr zu alter Blüte, sondern eine prosperierende Zukunft, die es aus dem Handel mit den Portugiesen ziehen werde.163 Goa, von Pires als »wichtigstes Königreich Indiens« bezeichnet, solle unter portugiesischer Administration zu einem bedeutenden Handelsplatz aufsteigen, »größer als es je einen gegeben hat«.164 Besser als unter muslimischer Herrschaft
158 159 160 161 162 163 164
Vgl. Feldbauer, Estado da India (wie Anm. 23), S. 65. Barbosa, Account (wie Anm. 5), 2, S. 105. Pires, Suma (wie Anm. 5), 2, S. 249 (fol. 169r). S. Feldbauer, Estado da India (wie Anm. 23), S. 33. Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 35 (fol. 125r), S. 53 (fol. 132v). Ebd., 2, S. 283 (fol. 177r). Ebd., 1, S. 57 (fol. 133r).
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werde es den Händlern der Stadt ergehen,165 so der Chronist. Ein Gegenbeispiel bildet jedoch die Schilderung der Zerstörung des Hafens von Dabhol durch »Eure Hoheit«166 – Pires richtet die Worte direkt an König Manuel – und der Einbruch des dortigen Handels auf weniger als ein Zehntel seiner einstigen Größe.167 Diu war der wichtigste Importhafen für den Pferdehandel168 auf dem Dekkan. Ziel eines koordinierten militärischen Schlages gegen die Stadt war es nicht nur, einen unliebsamen Konkurrenten auszuschalten, sondern den Pferdehandel nach Goa umzuleiten,169 ins Zentrum der portugiesischen Herrschaft in Asien. Die Einfuhr von Pferden auf den Dekkan, insbesondere nach Vijayanagar war für die indischen Heere, deren Strategie auf den massierten Einsatz von Kavallerie fußte,170 von außerordentlicher Bedeutung. Die Pferde kamen vor allem aus dem arabischen und persischen Raum, aber auch aus Gujarat.171 Im Gegensatz zu den von muslimischen Eliten beherrschten Flächenstaaten Nordindiens, war das südindische Hindugroßreich vom Pferdehandel über Land abgeschnitten und somit auf die Seewege angewiesen. Die Kontrolle dieses Handels stellte für die Portugiesen nicht nur eine lukrative Einnahmequelle dar,172 sondern war zugleich ein gewichtiges Faustpfand für diplomatische Verhandlungen mit Vijayanagar.173 Die Botschaft, die Pires aussendet ist klar : Wer mit der Krone Portugals kooperiert, den erwartet ein prosperierender Handel, wer sich gegen die Kolonialherren wendet, bekommt es mit schwer bewaffneten portugiesische Karacken zu tun. Die Krone Portugals gebot, so Pires, über »die größten Armada der Welt«.174 Sie zögerte nicht mit dem Einsatz militärischer Gewalt.
165 Ebd. 166 Ebd., 1, S. 52 (fol. 132v). 167 Vgl. ebd. – Barbosa erwähnt ebenfalls den Angriff der Portugiesen unter Führung des Vizekönigs Almeida. Im Unterschied zu Pires fügt er an, dass die Bewohner Dabhol wieder aufgebaut hätten. Die Stadt sei wieder so volkreich und wohlhabend wie zuvor, vgl. Barbosa, Account (wie Anm. 5), 1, S. 166. 168 Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 53 (fol. 132v). 169 Ebd. 170 Ebd., 1, S. 52 (fol. 132v), S. 64 (fol. 126r). Das Königreich Dekkan verfügte nach Pires’ Angaben über 30.000, Vijayanagar über 40.000 berittene Krieger und arabische und persische Pferde von »unglaublichem Wert«. 171 Barbosa, Account (wie Anm. 5), 1, S. 154. 172 Ebd., S. 178. 173 Ebd., Anm 1. 174 Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 1 (fol. 117r).
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Kultureller Austausch Der Aufbau von Handelsbeziehungen und der Austausch von Gütern brachten in geringerem Maße auch einen kulturellen und religiösen Austausch mit sich. Für wohlhabende Europäer hatten die Handelsbeziehungen mit dem Orient Einfluss auf die Konsumgewohnheiten. Gewürze und Textilien brachten mehr Abwechslung auf den Speiseplan und in die Garderobe. Reiseberichte beflügelten die Phantasie einer interessierten Leserschaft. Der Austausch von Rohstoffen machte den allergrößten Teil des europäisch-afrikanisch-asiatischen Handels aus. Manufakturwaren, die durch Aussehen oder Verarbeitung kulturell geprägt waren, bildeten die Ausnahme. Für die Masse der europäischen Bevölkerung blieben die Waren und Kulturen Südasiens fremd bis unbekannt. Ähnlich verhielt es sich in gegenläufiger Richtung: Die Portugiesen vermieden es, der asiatischen Bevölkerung ihre Werte, ihre Rechtsprechung und kulturellen Traditionen aufzudrängen.175 Zur Kolonialpolitik der Portugiesen gehörte die Beibehaltung einer indigenen Administration und Justiz.176 Kulturell und religiös beherrschend blieben islamische Einflüsse aus dem arabisch-persischen Raum, der Hinduismus und im Osten Südasiens der Einfluss Chinas, sowie buddhistische Einflüsse. Nur in Goa fand im Zuge der bereits erwähnten Ansiedlung einer Bevölkerung mit christlich-portugiesischen Wurzeln so etwas wie ein kultureller Export größeren Stils nach Asien statt. Trotz des Anspruchs, das Christentum in die Welt zu tragen und einer ursprünglich missionarischen Absicht,177 fand christliche Mission nur vereinzelt statt, zum Beispiel in Cannanore, wo Barbosa Konvertierungen heidnischer Familien erwähnt.178 Ein Erzbistum in Goa und Diözesen in Malakka und Macao entstanden jedoch erst ab 1557.179 Pires berichtet von Versuchen, einheimische Fürsten zum Christentum zu bekehren.180 Diese waren kaum von Erfolg gekrönt. Ab den 1540er Jahren setzte eine ehrgeizigere Missionspolitik ein, die auch die Etablierung der Inquisition in Goa einschloss181 und in der Zeit der Personalunion der iberischen Königreiche noch einmal weiteren Auftrieb erhielt.182 Weder das Paradies, noch das Reich des Priesterkönigs Johannes hatten die Untertanen König Manuels in Asien finden können. (Letzteres lokalisiert 175 Vgl. James Duffy, Shipwreck and Empire. Being an account of Portuguese Maritime disasters in a century of decline, Cambridge/Mass. 1955. 176 Pires, Suma (wie Anm. 5), 2, S. 264 – 268 (fol. 172v–fol. 173r). 177 Vgl. Portuguese Voyages 1498 – 1663, ed. Charles David Ley, London 1947, S. xii. 178 Barbosa, Account (wie Anm. 5), 2, S. 81. 179 Vgl. Mieck, Europäische Geschichte (wie Anm. 31), S. 65. 180 Pires, Suma (wie Anm. 5), 2, S. 215 (fol. 157r). 181 S. Lütt, Das moderne Indien (wie Anm. 145), S. 6. 182 Ebd.
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Barbosa im Osten Afrikas.183 Bereits 1487 hatte König Johann II. eine Gesandtschaft an den Hof des »Negus von Abessinien« geschickt.184) Schnell stellte sich heraus, dass es sich bei den Hindus, die da Gama bei seiner ersten Expedition nach Calicut angetroffen hatte, keineswegs wie von ihm vermutet um Christen handelte.185 Und auch die Anhänger der christlichen St. Thomas-Gemeinde an der Malabarküste stellten sich nicht als die Verbündeten heraus, nach denen die Portugiesen gesucht hatten. Mit der Vertreibung muslimischer Herrscher, die in den Quellen hervorgehoben werden,186 trugen die Portugiesen dem Kreuzzugsgedanken ein Stück weit Rechnung. Ebenso oft arrangierten oder verbündeten sie sich jedoch mit muslimischen Sultanaten.
Fazit Die Ankunft der Portugiesen im indischen Ozean brachte strukturelle Wandlungen der ökonomischen Beziehungen des Indischen Ozeans mit sich. Obwohl die Europäer das bestehende Handelssystem in weiten Teilen als Grundlage ihres Estado da India nahmen, kam es zu Bedeutungsverschiebungen einzelner Handelsplätze, Händlergruppen und Warenströme. Verlierer der portugiesischen Handelspolitik waren zu einem großen Teil muslimische Gruppen. Sie standen den Portugiesen als wirtschaftliche Konkurrenten und weltanschauliche Widersacher gegenüber und sie kommen in den Darstellungen der Chronisten besonders schlecht weg. Dennoch trieben die Portugiesen auch mit ihnen Handel und schmiedeten Zweckbündnisse. Der wirtschaftliche und machtpolitische Erfolg der Portugiesen, der auf einer überlegenen Flotte, der Kontrolle von zentralen Stapelhäfen und Schifffahrtsrouten sowie politischer Instabilität in einigen Regionen Südasiens beruhte, dauerte nur wenige Jahrzehnte an. Barbosa und Pires beschreiben die Welt des Indischen Ozeans als eine Region der kulturellen Vielfalt und des wirtschaftlichen Reichtums. Die Fruchtbarkeit der Böden und der Reichtum an Rohstoffen mussten ein großes wirtschaftliches Potential erahnen lassen. Bereits bevor die Portugiesen Südasien erreichten, bestand ein umfangreicher Warenaustausch. Einzelne Regionen hatten sich auf bestimmte Branchen spezialisiert und betrieben eine komplexe Handelspolitik, die weit verzweigte wirtschaftliche Verflechtungen und empfindliche gegenseitige Abhängigkeiten mit sich brachte. Gehandelt wurde mit einer großen Vielfalt an Gütern. Neben landwirtschaftlichen Produkten und Rohstoffen waren dies 183 184 185 186
Barbosa, Account (wie Anm. 5), 1, S. 39 f. Ley, Portugueze Voyages (wie Anm. 177), S. xiif. Vgl. Subrahmanyam, Vasco da Gama (wie Anm. 33), S. 151. Vgl. Pires, Suma (wie Anm. 5), 1, S. 57 (fol. 133r): »So wie die Mauren in der Vergangenheit die Eroberung von Königreichen pflegten, verlieren sie sie jetzt.«
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gewerblich verarbeitete Produkte wie Stoffe, oder Waffen. Von strategischer Relevanz war auch der Pferdehandel, der das Hindu-Großreich Vijayanagar, den einzigen großen Flächenstaat des Subkontinents, der nicht von muslimischen Eliten beherrscht wurde, an die Politik der Portugiesen band. Die Darstellungen von Duarte Barbosa und Tom¦ Pires geben interessante Einblicke in die strategische Denkweise der Portugiesen. Der Aufbau ihres Kolonialreiches erfolgte systematisch und überlegt. Trotz großer kultureller und sprachlicher Barrieren erfassten sie in kurzer Zeit komplexe regionale Zusammenhänge. Dazu setzten sie sich mit der Lebensweise der indigenen Bevölkerung auseinander, beschäftigten sich mit ihren Sitten und Gebräuchen. Angefangen von asiatischen Konsumgewohnheiten bis hin zur Konstruktionsweise ihrer Schiffe. Sie identifizierten geopolitische Schlüsselpositionen und verstanden den Handel als dynamischen Prozess, der durch gezieltes Eingreifen in die gewünschte Richtung gelenkt werden konnte. Obwohl der Aufbau des portugiesischen Estado da India zum großen Teil durch die Ausübung von Gewalt entstanden war, erkannten die Chronisten Kooperation und Konsens mit einheimischen Kräften als überlebenswichtig für das portugiesische Kolonialreich in Asien. Dies war jedoch eine Haltung, die, wie Pires’ Urteil über die portugiesischen Amtsträger in Malakka illustriert, nicht unbedingt von allen Kolonialfunktionären geteilt wurde. Dagegen trat die religiöse Intention der portugiesischen Expansion nach Asien angesichts der großen wirtschaftlichen Profitmöglichkeiten in den Hintergrund und fand bei den Chronisten relativ wenig Beachtung. Pires und Barbosa lieferten mit ihren Berichten mehr als nur die Beschreibung dessen, was sie gesehen hatten. Sie notierten ihre persönlichen Einschätzungen und gaben darüber hinaus Ratschläge. Einige Passagen bei Pires lesen sich wie eine politische Empfehlung an den Adressaten des Berichts, König Manuel von Portugal. Abstract: In the early 16th century the kingdom of Portugal was the first European sea power to establish colonial rule in south and south-east Asia. In spite of its low population and its position as a minor player in European politics it succeeded in gaining control over wide parts of the south Asian maritime trade. After Portugal had conquered the important seaports of Goa, Malacca and Homuz, maritime hegemony passed from local Muslim traders to the Portuguese Crown. This essay focuses on the trade experiences of two Portuguese officials operating in this region. Duarte Barbosa and Tom¦ Pires visited numerous places along the south Asian shoreline and wrote substantial descriptions about the exotic oriental world at that time. Their writings give us not only a circumstantial insight and perspective on the Portuguese overseas trade and its geopolitics but also on many cultural differences. In particular, by analyzing the different aspects
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of inner Asian trade – such as trading places, trade values or trade policy – this essay is a contribution to specify the early 16th century’s perspective on southern Asia through European eyes.
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Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung Süd- und Südostasiens in der Wahrnehmung von Reiseberichten: Ludovico de Varthema und Tomé Pires im Vergleich
Am Anfang der portugiesischen Expansion in Afrika, Asien und Amerika standen die Eroberung der Stadt CÚuta (1415) auf der afrikanischen Seite der Straße von Gibraltar1 und die Entdeckungsreise des Gil Eanes, der auf Initiative von Heinrich »dem Seefahrer«2 im Jahr 1434 das in der Westsahara gelegene Kap Bojador umrundete. Im Juli 1497 brach dann Vasco da Gama im Auftrag der portugiesischen Krone auf, um auf dem Seeweg Süd- und Ostasien zu erreichen. Gestützt auf seine nautischen Fähigkeiten sowie auf die Kenntnisse von Diogo C¼o, der 1485 bis 1486/87 über die Kongomündung hinaus gelangte, und Bartolomeu Dias, der 1488 als Erster das Kap der Guten Hoffnung umrundete, gelang ihm die Umsegelung der afrikanischen Südspitze.3 Damit war der Grundstein zur Erschließung des Seeweges über den Indischen Ozean nach Indien gelegt. Nach ersten Begegnungen mit arabischen Schiffen erreichte Da Gama im Mai 1498 Calicut (Khozikode), eine Handelsstadt an der Malabarküste Indiens.4 Durch die Portugiesen entstand für die arabischen Händler eine neue Konkurrenz im »maritimen Gewürzhandel«.5 Im Jahr 1502 startete da Gama, ausgestattet mit einer großen Flotte, seine zweite Seereise von Portugal nach Indien, diesmal unter dem Vorzeichen der portugiesischen Kolonialisierung.6 Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Ziel der portugiesischen Seefahrt endgültig vom Entdeckungsdrang zum Ausbau wirtschaftlicher Macht- und Handelsstrukturen verlagert. Besonders der lukrative Gewürzhandel rückte in das 1 Folker Reichert, Erfahrung der Welt. Reisen und Kulturbegegnung im späten Mittelalter, Stuttgart 2001, S. 172 – 173. 2 Horst Pietschmann, Heinrich »der Seefahrer«, Infant v. Portugal, in: Lexikon des Mittelalters, 4 ([1977]–1999), Sp. 2061 – 2062. 3 Günther Hamann, Gama, Vasco da, in: Lexikon des Mittelalters, 4 ([1977]–1999), Sp. 1100 – 1101; Reichert, Erfahrung (wie Anm. 1), S. 173. 4 Hamann, Gama (wie Anm. 3), Sp. 1100 – 1101. 5 Reichert, Erfahrung (wie Anm. 1), S. 173. 6 Hamann, Gama (wie Anm. 3), Sp. 1100 – 1101.
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Zentrum der portugiesischen Interessen. Nach der Sicherung der Handelswege und der Eroberung Malakkas im Jahr 1511 sah sich die portugiesische Krone ihrem Ziel nahe, einen freien Zugang zu den »Gewürzinseln« zu erlangen.7 Am Anfang des 16. Jh.s verlief der Kampf um die Kontrolle der Handelswege und den Zugang zu den begehrten Waren zwischen der einheimischen Bevölkerung Süd- und Südostasiens und den eindringenden Portugiesen teilweise sehr gewaltsam.8 In diese frühe Zeit der portugiesischen Expansion fallen die Reiseberichte von Ludovico de Varthema9 und Tom¦ Pires,10 die im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen sollen. Für die in den Berichten Varthemas und Pires fassbaren Anfänge des portugiesischen Kolonialreichs lassen sich unter anderem Übersichtswerke heranziehen;11 Baum und Senoner haben zudem für die Zeit bis zum 15. Jh. die Aufnahme Indiens in das europäische Bewusstsein untersucht. Aus dieser Zeit stammt auch der Reisebericht des Venezianers Nicolý de Conti über Indien.12 Zur Zeit der Reisen von Varthema und Pires waren bereits viele Waffen Südund Südostasiens bekannt. So zählt der Nicolý de Conti in seinem vierten Buch über Indien, welches unter seinen Zeitgenossen sehr beliebt war,13 folgende Waffen auf: »In Vorderindien verwenden sie Speere, Schwert, Armbrust und einen Rundschild im Krieg und den Bogen, alle anderen auch Jägernetz, Panzer und Brustharnisch. Im Binnenland Indiens gebrauchen sie Schleudermaschinen und jene, die wir Geschütze nennen, und alle übrigen Kriegsmaschinen, welche sich zur Eroberung von Städten eignen«.14 7 Reichert, Erfahrung (wie Anm. 1), S. 175 – 176. 8 Ebd., S. 172 – 176. 9 Lodovico de Varthema, Die Ritterlich und lobwirdig rayß des gestrengen und über all ander weyt erfarnen ritters und Lantfarers herren Ludowico vartomans von Bolonia Sagent von den landen Egypto Syria von bayden Arabia Persia Jndia Und Ethopia von den gestalten syten und dero menschen leben und gelauben, Augsburg 1515, online unter : http://nbnresolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb00011589 – 5, Zugriff am 04. 07. 2013. 10 Tom¦ Pires, The Suma Oriental of Tom¦ Pires. An account of the East, from the Red Sea to Japan, written in Malacca and India in 1512 – 1515 and The book of Francisco Rodrigues. Rutter of a voyage in the Red Sea, nautical rules almanack and maps, written and drawn in the East before 1515, übers. aus dem Portugiesischen, edit., hrsg. v. Armando Cortesão, 2 Bde., London 1944 (ND New Delhi, Madras 1990), 1, S. 1 – 228 und 2, S. 229 – 289. 11 Vgl. zum Beispiel: Vom Mittelmeer zum Atlantik. Die mittelalterlichen Anfänge der europäischen Expansion, hrsg. Peter Feldbauer, Gottfried Liedl, John Morrissey (Querschnitte, 6), Wien 2001. 12 Indien und Europa im Mittelalter. Die Eingliederung des Kontinents in das europäische Bewusstsein bis ins 15. Jahrhundert, hrsg. Wilhelm Baum, Raimund Senoner (Tangenten), Klagenfurt 2000. 13 Baum, Senoner, Indien (wie Anm. 12), S. 23. 14 Nicolý de Conti, VIII. Nicolý de Contis Reisebericht über Indien nach Poggio Bracciolini. Geschichten über die Vielfalt des Schicksals, 4. Buch (1447/48), in: Baum, Senoner, Indien (wie Anm. 12), S. 154 – 205, hier S. 192 – 193.
Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung
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Zum Thema Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung Süd- und Südostasiens existieren dennoch nur relativ wenige neuere Forschungen, die einen Gesamtüberblick vermitteln. Paul präsentiert in seinem katalogähnlichen Buch traditionelle indische Waffen und Rüstungen im geschichtlichen Kontext.15 Das alphabetisch sortierte Übersichtswerk von van Zonneveld über die traditionellen Waffen der indonesischen Inselgruppen sticht durch seine Vielfalt der gezeigten Objekte und deren hohe Bildqualität heraus.16 Bei den Hieb- und Stichwaffen existieren mehrere Bildwerke im Katalogstil, die von unterschiedlichen Intentionen geprägt sind: Forman sowie Solc geben einen Einblick in die verschiedenen Schwerter und Dolche Indonesiens.17 Speziell zum Thema Kris, einem indonesischen Dolch, existieren mehrere Werke: Groneman stellt die Krise-Sammlung des Reichsmuseums für Völkerkunde in Leiden vor,18 und Drs Hamzuri setzt bei den Krisen seinen Schwerpunkt auf deren zeitliche Entwicklung im Kontext mit den herrschenden Dynastien.19 Wolf, der 1962 im Staatlichen Museum für Völkerkunde Dresden tätig war, bietet in seinem Ausstellungskatalog zum Thema »Waffen ferner Völker« unter anderem eine Möglichkeit zur Strukturierung von Waffen an.20 In Bezug auf Waffen und Ausstattung hat Charney einen Überblick zur Kriegsführung im südöstlichen Asien gegeben.21 Vor diesem Kontext werden zunächst die Autoren und der aktuelle Forschungsdiskurs vorgestellt und im Anschluss die Begriffe »Waffen« und »Ausstattung« definiert. Bei der Strukturierung dieser Thematik sollen zwei angefertigte Abbildungen22 helfen, den Gesamtüberblick zu wahren. Nach dieser Einordnung wurde eine Tabelle23 erstellt, die die von beiden Autoren beschriebenen Objekte beinhaltet und die erwähnten Reiseziele lokalisiert. Um den Vergleich der Autoren einfacher zu gestalten, wurden zuvor die Daten der Orte, welche die Autoren Süd- und Südostasiens besuchten, in ein Geoinformationssystem (GIS)24 eingegeben und verortet. Ergänzt wurden diese Daten durch 15 E. Jaiwant Paul, Arms and Armour. Traditional Weapons of India, Dehli 22006. 16 Alberg G. van Zonneveld, Traditional Weapons Of The Indonesian Archipelago, Leiden 2001. 17 Bedrich u. Werner Forman, Vclav Solc, Schwerter und Dolche Indonesiens, übers. Gustav Solar, Prag 1958. 18 Isaäc Groneman, The Javanese Kris, Leiden 2009. 19 Drs Hamzuri, Keris, übers. ins Englische Judi Achjadi, Jakarta, Djambatan 31993. 20 S. Wolf, Waffen ferner Völker. Amerika, Afrika, Asien, Südsee, hrsg. Staatliches Museum für Völkerkunde Dresden, Dresden 1965. 21 Michael W. Charney, Southeast Asian Warfare, 1300 – 1900 (Handbook Of Oriental Studies, Sec. 3, South-East Asia, 16), Leiden u. a. 2004. 22 S. Abbildung 1: Waffen; s. Abbildung 2: Ausstattung. 23 S. Tabelle 1: Ermittelte Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung. 24 Zur Auswertung wird das Produkt Quantum GIS 1.8 »Lisboa« herangezogen, ein offizielles Projekt der Open Source Geospatial Foundation (OSGeo). Weitere Erklärungen zum Produkt
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die Attribute, die sich aus der Einordnung der beschriebenen Objekte in die zuvor ausgearbeiteten Strukturen der Waffen und Ausstattung ergaben. So können aus dem Geoinformationssystem Karten sämtlicher Einordnungen erstellt werden. Einige davon wurden diesem Beitrag beigefügt. Auf Basis der erstellten Tabelle werden Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung aus der Perspektive der Autoren vorgestellt. Anschließend erfolgt ein Vergleich der Wahrnehmungen beider Autoren, der Gemeinsamkeiten und Differenzen aufdecken soll.
Ein Abenteurer und ein Apotheker auf dem Weg nach Indien Der Bologneser Ludovico de Varthema25, Sohn eines Arztes, reiste, ohne einen Auftraggeber zu haben, nach Mekka, Aden und dann zur Malabarküste. Über Varthema ist außer seinem Reisebericht nicht sehr viel bekannt.26 Wahrscheinlich hielt er sich im Zeitraum vom Herbst 1505 bis Ende 1507 in Calicut, Cannanore und Cochin auf und kehrte anschließend wieder nach Cannanore zurück, um mit einem portugiesischen Schiff seine Heimreise nach Lissabon anzutreten.27 Die Glaubwürdigkeit des Besuches über die genannten Orte hinaus, zum Beispiel zu Sumatra, Java, Burma und China, ist zweifelhaft. Glaubwürdig erscheint nur, was Varthema von den Kriegen und Schlachten erzählt. So kann man davon ausgehen, dass Varthema an der Schlacht von Cannanore persönlich beteiligt war, und vermuten, dass er sich angesichts seines kriegerischen Sachverstands bereits in Italien als Söldner verdingt haben könnte; es erscheint plausibel, dass sich Varthema ohne Kenntnisse im Kriegshandwerk nicht so
sowie eine Download-Möglichkeit finden sich unter : http://www.qgis.org/, letzter Zugriff 13. 03. 2013. Die Shapefiles für den erforderlichen Ausschnitt der Weltkarte sind erhältlich unter : The University of Auckland: School of Environment: http://web.env.auckland.ac.nz/ our_research/karst/#karst3, dort world.zip, letzter Zugriff 13. 03. 2013. Aufgrund der nicht so hohen, zu erwartenden Datenmenge wurde auf den Einsatz einer Datenbank verzichtet. Die zu erhebenden Daten wurden zunächst in eine Microsoft-Excel-Tabelle gepflegt. Zur Ermittlung der jeweiligen Längen- und Breitengrade der von den Autoren angegebenen Orten wurde die Applikation »Google Earth« herangezogen und auf Dezimalgrade (Auswahl: Tools, dort Optionen) eingestellt; Download: http://www.google.de/earth/download/ge/ agree.html, letzter Zugriff 13. 03. 2013. Nach dem Auffinden der Orte wurden die so erzeugten Werte in die bereits erstellte Excel-Tabelle übernommen und anschließend in ein komma-separiertes Format (CSV) konvertiert. Diese CSV-Datei wurde abschließend als Datenbank in das zuvor genannte GIS-System importiert. 25 Ludovico de Varthema, Reisen im Orient, übers./komm. Folker Reichert (Fremde Kulturen in alten Berichten, 2), Sigmaringen 1996. 26 Ebd., S. 7. 27 Ebd., S. 12.
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lange als Mameluk hätte ausgeben können, insbesondere während des Besuchs von Mekka.28 Diese Vermutung lässt sich aber nicht belegen. Die erste Buchausgabe des Berichts erschien im November 1510 bei den römischen Druckern Stephano Guillireti und Hercule de’ Nani in italienischer Sprache.29 1511 folgte eine lateinische Übersetzung in Mailand und 1515 eine deutsche Ausgabe in Augsburg. Nach Varthemas Tod im Jahr 1517 fand sein Werk in Europa Verbreitung. Bis zur Mitte des 17. Jh.s wurden 31 Auflagen produziert und vertrieben. Varthemas Bericht ging in die großen Reisesammlungen seiner Zeit ein.30 Die weite Rezeption des Textes bei seinen Zeitgenossen lässt sich durch den mit vielen amüsanten Anekdoten und auch privaten Erlebnissen ausgestatteten Text erklären.31 Der Reisebericht beginnt damit, dass Varthema seinen Mut und seine außergewöhnlichen Kenntnisse hervorhebt. Nach seiner Meinung seien diese Eigenschaften für eine Reise in den Orient unabdingbar. Verstärkt wird das noch in Varthemas Widmung an die Ehefrau des Herzogs von Paliano, Fabrizios I. Colonna, Agnese di Montefeltro, die in der Augsburger Ausgabe von 1515 nicht enthalten ist.32 Varthemas Reisebericht, der in der deutschen Übersetzung von 1515 150 Seiten umfasst, unterteilt sich in folgende Bücher : Buch von Ägypten und Syrien, Buch vom Wüsten Arabien, Zweites Buch vom Glücklichen Arabien, Buch von Persien, Erstes Buch von Indien, Zweites Buch von Indien, Drittes Buch von Indien und das Buch von Äthiopien.33 Etwas später, im Jahr 1511, reiste Tom¦ Pires im Auftrag der portugiesischen Krone nach Indien und lebte anschließend für zweieinhalb Jahre im neu eroberten Malakka. Dort schrieb er den größten Teil seines Reiseberichtes, der »Suma Oriental«.34 Das in portugiesischer Sprache überlieferte Manuskript wurde erst im Jahr 1937 von Armando Cortes¼o in Paris wiederentdeckt, zusammen mit Aufzeichnungen von Francisco Rodrigues, welche unter anderem Zeichnungen und Landkarten enthalten. Aufgrund des Zweiten Weltkrieges musste Cortes¼o zunächst seine intensiven Recherchen aussetzen, sodass die Edition beider Autoren, zusammengefasst in zwei Bänden, erst 1944 veröffentlicht wurde.35 Tom¦ Pires teilte seine Reiseerlebnisse in sechs Bücher ein: von Ägypten nach Cambay, von Cambay nach Ceylon, von Bengalen nach Indochina, 28 So Ebd., S. 7 – 8. 29 Diese erste Ausgabe von Ludovico de Varthema war mir in Hamburg nicht zugänglich. Deshalb wurde die deutsche Übersetzung Augsburg 1515 herangezogen (s. Anm. 9). 30 Varthema, Reisen (wie Anm. 11), S. 20, 23 – 24. 31 Ebd., S. 21. 32 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. a1v–a2r ; Ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 36 – 37. 33 Varthema, Rayß (wie Anm. 9); Ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 5. 34 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. xi–xii, hier S. xi. 35 Ebd., 1, S. xi–xii.
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von China nach Borneo, die indischen Inselgruppen und abschließend Malakka. Cortes¼os Übersetzung und Edition des Berichts von Pires nimmt mit 289 Seiten den kompletten ersten Band ein und erstreckt sich mit Pires’ letzten Buch bis zum Anfang des zweiten Bandes.36 Tom¦ Pires arbeitete bis zum Tode des Prinzen Alfons, des Sohnes des Königs Johann II. von Portugal, als dessen Apotheker.37 Aufgrund seiner gehobenen Position am Hofe kann Tom¦ Pires in seiner Zeit zur portugiesischen Elite gezählt werden. Seine Ausbildung machte ihn zu einem Fachmann für Gewürze, das Hofleben prägte seine Identität. Diese Voraussetzungen befähigten Pires 151138 im offiziellen Auftrag der portugiesischen Krone39 seine Reise nach Südund Südostasien anzutreten. Dort lebte Pires zweieinhalb Jahre im neu eroberten Malakka. Sein Reisebericht entstand zwischen 1512 und 1515, sodass der größte Teil seines Reiseberichts in Malakka geschrieben wurde. Danach wurde Pires als Botschafter nach China entsandt, wo er wohl erst nach über 20 Jahren verstarb.40 Aus diesem Grund kann Pires, als er seine »Suma Oriental« verfasste, noch nicht in China gewesen sein, sodass der Abschnitt über China zu diesem Zeitpunkt als fiktiv anzusehen ist beziehungsweise auf Hörensagen basiert. Weil Pires ausschließlich im Auftrag der Krone Portugals reiste und seinen Reisebericht für deren internen Gebrauch verfasste, war die Finanzierung seiner Reise zwar gesichert, aber sein Bericht konnte unter seinen Zeitgenossen keine Rezeption finden. Eine Ausnahme hiervon stellen zwei Teilkopien dar, von denen die eine von Ramusio und die andere als Manuscrito de Lisboa veröffentlicht wurden.41 Der Schreibstil Pires in seiner »Suma Oriental« weist einen hohen Grad an Sachlichkeit auf und ist geprägt durch Reihungen von Fakten. Pires erwähnte sämtliche Gegebenheiten, wie er es der Krone versprochen hatte. Dieses Vorgehen beschreibt besonders das folgende Beispiel (für die Malabarküste): »Ich sollte Malabar nicht berücksichtigen, da es Ihnen, Eure Hoheit, bereits so bekannt ist, seitdem Sie dort drei schöne, wichtige Festungen haben, d. h., die von Calicut, die von Cochin, ausgestattet mit einer sehr großen Einfahrt, die vollständig aus dem Kalk der Herzmuschelschale besteht, und die von Cannanore, die vor einem wirklich großen Graben gut gelegen ist; aber um die versprochene 36 37 38 39 40 41
Ebd., 1, S. vii–viii; S. Karte 1: Besuchte Orte in Süd- und Südostasien. Ebd., 1, S. xi. Ebd. Ebd., 1, S. 1 (fol. 117r). Ebd., 1, S. xi, xiii–xvi. Ebd., 1, S. xvi–xvii; Rui Manuel Loureiro, O Manuscrito de Lisboa da »Suma Oriental« de Tom¦ Pires (contribużo para uma ediżo crtica) (Memûria do Oriente, 7), Macau 1996, S. 40.
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Anordnung einzuhalten, erwähne ich alles auf dieser Reise«.42 In diesem Beispiel wird die wörtliche Rede in der ersten Person Singular als Stilmittel eingesetzt, um eine besondere Authentizität zu erreichen. Für den König nahm Pires in seinen Reisebericht auch viele Fakten auf, die er nur vom Hörensagen mitteilen konnte. Indem er die Redewendung »sie sagen« einbaute, kennzeichnete er diese Textstellen, zum Beispiel bei der Beschreibung des Reiches Demak auf Java: »Das Reich von Demak ist größer als das, welches wir von Cherimon bis Demak beschrieben haben. Seine Stadt verfügt über achtoder zehntausend Häuser, nach dem was sie sagen«.43 Hinweise auf eine militärische Ausbildung lassen sich bei Pires nicht entdecken. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass Pires das Militärwesen fremd gewesen sei. Zu den Reiseberichten Ludovico de Varthemas und Tom¦ Pires’ gibt es nur wenige Forschungen. Neben den Herausgebern setzte sich vor allem Rubiés intensiv mit Varthema und Pires auseinander.44 Die europäischen Reiseberichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit können als eine eigenständige Quellengattung gelten. Mit ihrer Hilfe ergibt sich eine zusätzliche Perspektive, um die gemeinsame Geschichte der europäischen und der kolonialisierten Länder zu beleuchten und zu reflektieren. Rubiés hebt bei den Reiseberichten das große Spektrum der Interpretationsmöglichkeiten hervor. Verschiedene Reisende nehmen unterschiedliche Realitäten wahr, da sich jeder Reisende an seiner eigenen Kultur und Herkunft orientiert. Er müsse aber auch an seinen persönlichen Fähigkeiten gemessen werden, wozu unter anderem die Aneignung fremder Sprachen zähle.45 Reichert charakterisiert Varthema zwar als einen Abenteurer, stellt aber auch dessen persönliche Fähigkeit heraus, mehrere Sprachen zu sprechen. Varthema verstand die arabische Sprache und Malayalam als das Idiom der Malabarküste und konnte sich deshalb mit den in Indien lebenden und arbeitenden Menschen austauschen. Auf diesem Weg erwarb er auch seine Kenntnisse über nicht persönlich bereiste Gegenden.46 Diese Fähigkeiten machten ihn für die portugiesische Krone interessant. Gesichert sind die Teilnahme Varthemas an der Seeschlacht von Cannanore im März 1506 sowie sein Ritterschlag durch den portugiesischen Vizekönig, Francisco de Almeida. Varthema musste sein Wissen über Indien sogar persönlich an den portugiesischen König Manuel weitergeben.47 42 Ebd., 1, S. 66 – 67 (fol. 126v). 43 Ebd., 1, S. 184 (fol. 151v). 44 Joan-Pau Rubiés, Travel and Ethnology in the Renaissance, South India through European Eyes, 1250 – 1625 (Past and present publications), Cambridge 2000. 45 Ebd., S. xvii. 46 Reichert, Erfahrung (wie Anm. 1), S. 176, 178. 47 Ebd., S. 178.
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Daneben kann man über die Wahrnehmung der eigenen Zeitgenossen ein Bild von den Autoren der Reiseberichte gewinnen. Gruzinski hat in seiner Geschichte der Globalisierung48 auf die zum Teil hohe Rivalität der damaligen Autoren und Sachverständigen hingewiesen. So äußerte der Botaniker Orta über Varthema, dieser sei anzuklagen, nichts von Belang erzählt zu haben.49 Da Tom¦ Pires fast keine Rezeption unter seinen Zeitgenossen fand, gibt es zu ihm allerdings keine derartigen Äußerungen.
Kleine Waffenkunde Um sich der Darstellung der Waffen in den Reiseberichten selbst zuwenden zu können, bedarf es einiger allgemeiner Überlegungen. So gibt es verschiedene Möglichkeiten Waffen zu kategorisieren: zum Beispiel nach Materialien, nach dem zeitlichen Hintergrund oder nach Bau und Funktion. Die Einordnung der Waffen nach deren Bau- und Funktionsweise eignet sich für die folgende Analyse am besten, weil die Autoren die Waffen zumeist in diesem Zusammenhang beschreiben. Das hier zugrunde gelegte Modell von Wolf differenziert zunächst zwischen Angriffs- und Verteidigungswaffen.50 Die Angriffswaffen lassen sich nach deren Typ in Nah-und Fernwaffen unterteilen. Unter die Nahwaffen fallen die Hiebund Stichwaffen, zu denen Keulen, Beile, Messer (einschneidig), Dolche (zweischneidig), Schwerter, Säbel und Lanzen zählen. Der Dolch gilt als eine typische Stoßwaffe.51 Die große Bandbreite an Dolchen, Schwertern und Säbeln unterliegt meist einer regionalen Prägung. Die Fernwaffen lassen sich zunächst in drei Gruppen gliedern: Wurf-, Schleuder- und Schusswaffen. Ein Stein wird genauso zu den Wurfwaffen gerechnet wie ein gekrümmter Holzstab, ein Bumerang, eine Wurfkeule, eiserne Wurfmesser oder ein Speer. Der Speer ähnelt der Lanze und ist auch eine Stoßwaffe. Der Speer aber verlässt im Gegensatz zur Lanze die Hand, um sein anvisiertes Ziel zu erreichen. Daher weist die Lanze eine schlankere Schäftung als ein Speer auf. Wurfseile, Schleudern und Vorrichtungen für Speere und Harpunen bilden die Gruppe der Schleuderwaffen. Zu den Schusswaffen gehören Pfeil und Bogen. Bei den Bögen wird der Erfolg dieser Waffe auf deren Elastizität zurückgeführt, die durch die Schichtung mehrerer Materialien erhöht 48 Serge Gruzinski, Les Quatre Parties Du Monde. Histoire d’une mondialisation, Paris 2004. 49 Zitiert nach Ebd., S. 208, aus Garcia da Orta, Colûquios dos simples e drogas da India, hrsg. Graf de Ficalho, Lissabon 1891, 1, S. 107. 50 Wolf, Waffen (wie Anm. 20), S. 6; S. Abbildung 1: Einteilung der Waffen nach Bau und Funktion. 51 Wolf, Waffen (wie Anm. 20), S. 6 – 7.
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und durch zusätzliche Krümmungen, wie bei den Reflexbögen, erreicht wird. Eine Weiterentwicklung des Bogens stellt die Armbrust dar.52 Die Schusswaffen werden durch Blasrohre und Feuerwaffen (Büchsen) ergänzt. Zu den Verteidigungswaffen zählen die drei Kategorien Bauten, Stock und Schild sowie Panzer. Die Bauten erwähnt Wolf nur peripher.53 Zur Analyse der Reiseberichte erweist sich die Einteilung der Bauten in starke Befestigungen (Schanzen, Palisaden), Stadtmauern, Festungen und Höhlen als sinnvoll. Auf die Unterkategorie Siedlungen wurde an dieser Stelle verzichtet, da die Definition und der Diskurs um den Begriff »Siedlung« den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Diesbezüglich sind die zu untersuchenden Texte zu unpräzise und somit als Basis für eine Analyse nicht geeignet. Unter einem Stockschild lässt sich ein einfaches Parierschild verstehen, kaum breiter als ein Stock, ausgestattet mit einer wenig breiteren Mitte, an die zum Beispiel ein Stück nicht gegerbte, harte Haut angesetzt wird, um die haltende Hand zu schützen. Schilde gibt es in unterschiedlichen Größen und Formen von rund bis eckig. Unter Panzer werden Rüstungen und Schutzbekleidungen verstanden, die aus den unterschiedlichsten Materialen hergestellt sein können: Metall, Holz, Knochen, Leder, Bambus und Baumwolle, gefertigt zu Ring-, Leder-, Lamellen- oder Schuppenpanzern.54 Neben den Angriffs- und Verteidigungswaffen existieren noch einige Sonderformen, die meistens einen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder religiösen Ursprung besitzen. Zu diesen zählen sowohl Prunk- und Zeremonienwaffen sowie Sport- und Spielwaffen. Prunk- und Zeremonienwaffen dienen Repräsentationszwecken und sind folglich nicht immer kampftauglich.55 Zu den Sportwaffen gehört auch das breite Spektrum der Jagdwaffen, die teilweise auch im Kampf eingesetzt werden können. Aber auch unbrauchbar gemachte Spielund Sportwaffen dienen der körperlichen Ertüchtigung und dem Training sowohl von Heranwachsenden als auch von erprobten Kämpfern. Mit Wolf ist auch auf den Waffenhandel hinzuweisen. Waffen werden im Tausch als Zahlungsmittel für andere Waren oder als reines Handelsgut eingesetzt.
Bandbreite der Ausstattung Die Definition des Begriffes »Ausstattung«, bezogen auf die Kriegsführung der indigenen Bevölkerung, lautet, einfach umrissen: Sie beinhaltet alles, was nicht zu den Waffen zählt, aber zur Kriegsführung benötigt wird.56 Zur Ausstattung 52 53 54 55 56
Ebd., S. 7 – 8. Ebd., S. 8. Ebd., S. 8 – 9. Ebd., S. 9 – 10. S. Abbildung 2: Einteilung der Ausstattung der indigenen Bevölkerung.
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zählen zunächst die Kriegerkontingente, die sich aus berittenen Kriegern, Kriegern zu Fuß, mit Musketen bewaffneten Kriegern (Musketiere), stationierten Garnisonen und kämpfenden Seefahrern zusammensetzen. Außerdem ist eine Tierhaltung zu Kriegszwecken erforderlich. Im Süd- und südostasiatischen Raum wurden neben Pferden, Kamelen und Dromedaren auch speziell ausgebildete Elefanten, sogenannte Kriegselefanten, eingesetzt. Der asiatische Elefant, Elephas maximus, befand sich lange Zeit in Südostasien im Kriegseinsatz. Zum Beispiel wurden auf Java Kriegselefanten zuletzt 1628 im Kampf gegen die Niederlande eingesetzt.57 In der Realität stellte aber die Anzahl der Kriegselefanten im Verhältnis zu den anderen Kampfeinheiten nie mehr als einen kleinen Anteil dar. Auch bleiben Elefanten trotz deren immensen Stärke sensible Wesen, denen besonders Wassermangel zu schaffen macht. Bei übermäßigem Einsatz kann sich der Vorteil der Elefanten schnell aufheben.58 Sie dienten gleichermaßen dem Transportwesen und dem Kampf. Bei Belagerungen rammten die Elefanten zudem mit ihrem Kopf, der durch Panzer geschützt war, gegen die dicken Festungstore aus Holz. Später übernahm das Schießpulver die gewaltsame Öffnung der Festungstore.59 Zur weiteren Ausstattung zählen kriegstaugliche Schiffe, Orte und Personen zur Waffenherstellung und Waffenausstattung (Verbrauchsmaterialien). Auch das Vorkommen von Hoheitszeichen, zum Beispiel Standarten und Fahnen, wird zur Ausstattung gerechnet. Im Rahmen dieser Arbeit kann jedoch die logistische Versorgung der Krieger mit Nahrung nicht berücksichtigt werden. Bei der Auswahl der Waffen und Ausstattung aus den Reiseberichten wurde versucht, nur eindeutig zu Kriegszwecken beschriebene oder in diese Richtung interpretierbare Objekte auszuwählen.60 Zum Beispiel werden in beiden Texten an vielen Stellen Berittene, auf Elefanten oder Pferden, genannt, ohne eine genaue Zuweisung zu Kriegszwecken zu erwähnen.61 Solche Textstellen wurden nicht in die Analyse aufgenommen. Aufgrund der hohen Anzahl der ermittelten Objekte können im Folgenden nicht alle Textstellen angesprochen werden. Diese sind aber in der beigefügten Tabelle nachlesbar.62
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Charney, Warfare (wie Anm. 21), S. 131 – 132. Ebd., S. 138. Paul, Arms (wie Anm. 15), S. 127 – 128. S. Karte 2: Waffen; S. Karte 3: Ausstattung. Die erwähnten Orte der Autoren werden im Essay beibehalten. Die heutigen Namensentsprechungen finden sich in der Tabelle 1. 61 S. Karte 4: Tierhaltung zu Kriegszwecken. 62 S. Tabelle 1: Ermittelte Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung.
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Die Waffen in den Reiseberichten Bei den Angriffswaffen werden zunächst die Nahwaffen, die Hieb- und Stichwaffen, betrachtet. Varthema erwähnt primär Schwerter und Lanzen aus Indien, von denen die meisten von der Malabarküste stammen.63 Nur eine Beschreibung über die Halbinsel Tenasserim scheint genauere Angaben zu enthalten: Lanzen aus Rohr, einige aus Holz und kurze Schwerter. Fasziniert erzählt Varthema von den rotgelben Griffen dieser Waffen, die nach Reichert aus dem Horn des Sunda-Marabus stammen und auf Tenasserim im heutigen Myanmar Schwerter und Messer schmücken.64 Aus dem indischen Cambay wiederum beschreibt Pires wundervoll verzierte lange Schwerter, Dolche und Lanzen mit schönen Spitzen sowie aus Manjeshwaram und Bisinagar (Vijayanagar) Turniere mit Schwert und Lanze der Kriegerkaste der Nayar. In Cannanore will Pires neben dem Schwert auch Dolche bei den Nayar-Kriegern gesehen haben.65 Auf Ceylon werden Lanzen erwähnt und auf den Nansei-Inseln Schwerter.66 Dann wendet sich Pires Java zu und schildert, dass die dort herrschenden Oberschichten mit niemandem vergleichbar seien. Pires schwärmt von vielerlei Krisen, einer in Teilen des heutigen Indonesiens vorkommenden speziellen Dolchart, Schwertern und Lanzen, welche alle mit Goldeinlagen versehen seien, und meint damit die hochwertigen Intarsienarbeiten, die die Waffen mit Edelsteinen und Diamanten verzieren.67 Zudem nennt Pires eine Rechtsgewohnheit, welche jedem Mann auf Java, zwischen zwölf und achtzig Jahren, den Besitz eines Krises und einer Lanze gestatte. Verlässt ein Javaner sein Haus, so sei es Brauch, den Kris an einem Gurt befestigt über den Rücken zu tragen. Außerdem seien die Waffen auf Java im Vergleich zu Portugal sehr billig.68 Auch in Makassar auf Celebes tragen alle Männer einen Kris.69 Im Zusammenhang mit dieser Waffe weist Pires auf eine Familientragödie
63 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. h1r–h1v, h3v, k3r, r4r, s3r ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 131, 139, 164, 258, 265. 64 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. n1r ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 198 – 199, Anm. 36 S. 199; vgl. die Hieb- und Stichwaffen: Schwerter, Paul, Arms (wie Anm. 15), S. 50, 62, 79. 65 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 34, 67, 78 (fol. 125r, 126v, 128v); vgl. die Hieb- und Stichwaffe Bichwa, Paul, Arms (wie Anm. 15), S. 73. 66 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 87, 130 (fol. 160v, 162v). 67 Ebd., 1, S. 174 (fol. 149r); vgl. die Hieb- und Stichwaffe Pedang lurus aus Java, Zonneveld, Weapons (wie Anm. 16), Abbildung 398, 400, S. 103. 68 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 179 (fol. 150r); vgl. bewaffnete Javaner in Kriegskleidung, Zonneveld, Weapons (wie Anm. 16), Abbildung 399, S. 103; sowie Majapahit-Krise, Hamzuri, Keris (wie Anm. 19), S. 7. 69 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 227 (fol. 159v); vgl. den Sulawesi-Kris, Hamzuri, Keris (wie Anm. 19), S. 44.
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auf der malaiischen Halbinsel hin, bei der in Malakka diverse Morde mit einem Kris ausgeführt wurden.70 Von den Wurfwaffen, der ersten Kategorie der Fernwaffen, wird nur eine einzige Waffe erwähnt. Pires hebt den Reichtum des Landes Tuban auf Java hervor. Neben verzierten Krisen und Lanzen fallen ihm dabei dreizackige Jagdspeere auf. Bei dieser Waffe handelt es sich wahrscheinlich um eine Trisula.71 Mit einer weiteren Waffe gibt Varthema Rätsel auf: ein Stock mit einem am unteren Ende angebrachten Eisenring. Diese Waffe will er bei den KanphataYogis, einer militant-asketischen Sekte, welche zu dieser Zeit das Grenzgebiet zwischen Gujarat und Malwa kontrollierte, gesehen haben.72 Varthema berichtet weiter über Schleuderwaffen von den Kanphata-Yogis aus Yoga und Cannanore, die Eisenringe mit einer Stärke von zwei Fingern und einem rasiermesserscharfen Außenrand mithilfe einer Schleuder abfliegen lassen.73 Vielleicht handelt es sich bei dem Stock mit dem Eisenring um eine weitere Schleuderwaffe: eine Stockschleuder, mit der größere Distanzen überwunden werden können. Bei den Schusswaffen rangiert der Bogen ganz vorne. Näher beschrieben wird er nur bei Varthema durch sein Material Rohr oder Holz. Varthema will den Bogen in Indien (Chaul, Cannanore, Calicut), Tenasserim und auf Java gesehen haben sowie zahlreiche Armbrustschützen in Quilon.74 In Indien erwähnt Pires den Bogen als Waffe bei dem Volk der Rajputen, in Manjeshwaram und Bisinagar bei den Nayar-Kriegern sowie in Cannanore, auf Ceylon, Borneo und Biliton. Bei der Insel Borneo geht Pires statt von einer von mehreren Inseln aus. In diesem Bereich, besonders bei der Größe der Insel Borneo, schien es noch einige Navigationsprobleme zu geben.75 Beide Autoren berichten auch von vergifteten Pfeilen. Während Varthema das Blasrohr auf Java und nur bei Seefahrern anführt, schildert Pires aus Makassar einen Köcher mit vergifteten Pfeilen ohne das dazugehörige Blasrohr zu erwähnen. Pires bemerkt zusätzlich, dass von den malaiischen Frachtbooten, den Pangajavas, mit giftigen Geschossen alle Schiffstypen bis auf die Dschunken 70 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 2, S. 254 (fol. 170r). 71 Ebd., 1, S. 191 (fol. 153r); vgl. den Dreizack Trisula, Hamzuri, Keris (wie Anm. 19), S. 10; bzw. den dreizackigen Jagdspeer aus Java, die Trisula, Zonneveld, Weapons (wie Anm. 16), Abbildung 625, S. 148. 72 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. h1r ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 129, Anm. 15 S. 128. 73 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. h1r, r3v ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 129, 256 – 257. 74 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. h1r–h1v, h3v, k3r, m3r, p3v–p4r, r4r, s3r ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 131, 139, 164, 190, 235 – 236, 258, 265; vgl. Bogen aus Java: Gendawa, Zonneveld, Weapons (wie Anm. 16), Abbildung 114, S. 47. 75 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 32, 67, 77, 87, 225 – 226 (fol. 125v, 126v, 128v, 160v, 158r–159v), Anm. 1 S. 224 – 225.
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erobert werden können, da zum einen die Besatzungen der Dschunken wehrhaft seien und zum anderen die Kraft der Geschosse nicht reiche.76 Varthema sichtete Artillerie in Chaul, aber nicht auf Java. In Calicut spricht er von großen Mengen von Artilleriewaffen, die zwei Mailänder auf Wunsch des Königs von Calicut hergestellt haben sollen: 400 – 500 große und kleine Geschützrohre. Es fand auch eine Vorführung über die Anwendung von Mauerbrechern statt.77 Nach der Seeschlacht von Cannanore, die sich im März 1506 ereignete und an der Varthema teilnahm, paktierte der König von Calicut mit dem König von Cannanore und borgte diesem 23 Geschützrohre. Im Folgejahr will Varthema dort über 140 große und kleine Geschütze gesehen haben.78 Pires erwähnt eine große Artillerie in Cambay und schildert aus Cochinchina kleine Bombarden. Bombarden sind schwere Belagerungsgeschütze und werden auch Steinbüchsen genannt. Sie schießen Steinkugeln durch ein Eisen- oder Bronzerohr. Am unteren Ende des Rohres befindet sich eine Kammer für das Pulver sowie das dazugehörige Zündloch. Der im oberen Abschnitt liegende Stein kann einen Durchmesser von bis zu 80 Zentimetern aufweisen. Eine solche Steinbüchse wurde zum Aufbrechen von Mauern eingesetzt.79 Auf Java soll der Vizekönig Guste Pate, formell Pate Andura genannt, der gleichzeitig der Schwiegervater des Königs gewesen sein soll, mindestens 4.000 Musketiere befehligt haben, sodass mindestens genauso viele Musketen auf der Insel existiert haben müssten.80 Unter den Verteidigungsanlagen befinden sich viele Bauten, welche beide Autoren aber nur knapp erwähnen. Nach Varthema wies Bisinagar einen Stadtumfang von sieben Meilen, starke Mauern und drei Stadtringe auf.81 In Tuban auf Java beschreibt Pires die Herstellung der Ziegel der Stadtmauer, welche teilweise gebrannt oder in der Sonne getrocknet wurden, sowie Teile und Aufbau des Wehrgangs. Zur Landseite wurden zum Schutz gegen Eindringlinge 76 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. p3v–p4r; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 235 – 236; Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), S. 227 (fol. 159v); vgl. das Werkzeug zur Herstellung von Giftpfeilen und Giftpfeilbehälter aus Kalimantan (Borneo), Zonneveld, Weapons (wie Anm. 16), Abbildung 308 – 309, S. 80 und Abbildung 620 – 622, S. 147. 77 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. h1r–h1vr, p3v–p4r, q2r ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 131, 236, 242 – 243. 78 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. s3r; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 264 – 265. 79 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 33, 115 (fol. 125r, 139r); Eugen Gabriel, Bombarde, in: Lexikon des Mittelalters, 2 ([1977]–1999), Sp. 389; ders., Steinbüchse, in: Lexikon des Mittelalters, 8 ([1977]–1999), Sp. 98; ders., Steinkugeln, in: Lexikon des Mittelalters, 8 ([1977]–1999), Sp. 100. 80 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 176 (fol. 149r), Anm. 1 – 2 S. 175: Die Person Guste Pate lässt sich nicht eindeutig identifizieren. Guste ist ein Ehrentitel einer hochgestellten Persönlichkeit. Pires’ Erklärungen zeigen, dass Pate Andura, Udra, oder Udura und Pate Unus unterschiedliche Personen sind. 81 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. h3v ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 140.
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Brombeerbüsche und eine hohe, dornige Baumart gepflanzt.82 Die indigenen Festungen in Indien, Myanmar und auf der Malaiischen Halbinsel liegen oftmals zur Seeseite und sichern Häfen und/oder mächtige Flussmündungen. Festungen dienten auch zur Grenzsicherung von Cochinchina zu China. Aber auch im Inland Indiens, beim Volk der Rajputen, sollen starke Festungen existiert haben.83 Varthema beschreibt Goa, bevor es 1510 in portugiesischen Besitz gelangte und zur Residenz des Vizekönigs erhoben wurde, als eine Festung am Meer, die von Mauern umschlossen war. Die Mauern sollen im Aufbau den europäischen Mauern geglichen haben.84 Aus Cannanore berichtet Varthema, dass eine Stadtmauer baulich nicht möglich gewesen sei, die Häuser eher ärmlich wirken, dieses Land sich durch seine künstlich angelegten Höhlen aber besonders gut zur Kriegsführung eigne.85 In der Kategorie Stock und Schild tauchen Parierstöcke nicht auf. Schilde aus Indien werden in Chaul, Cannanore, Calicut sowie bei den Nayar-Kriegern in Manjeshwaram und Bisinagar gemeldet. Während Varthema Schilde aus Schildkrötenpanzern in Tenasserim gesehen haben will, bemerkt Pires, dass auf Java nicht nur runde Holzschilde existierten.86 In der Kategorie der Panzer erwähnt Pires in Cambay ein Kettenhemd und einen Plattenpanzer.87 In diesem Zusammenhang fällt auf, dass kein Zaghnol genannt wird, eine spitze Axt mit einer dolchartigen Klinge, mit deren Hilfe beim Kampfeinsatz Helme, Kettenund Panzerhemden zerstört werden.88 Varthema schildert aus Goa Wämser aus kräftigem Leder, aus Calicut und Cannanore, insbesondere von der Seeschlacht, nennt er Baumwolle zur Wattierung von Wämsern, Mützen, Armschützern und Handschuhen. Immer wieder spielt die Farbe Rot bei der Schutzkleidung, Käppchen und seidenen Binden eine Rolle. Aus Tenasserim erwähnt Varthema mit Baumwolle ausgestopfte Wämser.89 Bei den Sonderformen liegen sowohl bei den Prunk- und Zeremonienwaffen 82 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 189 – 190 (fol. 152v). 83 Ebd., 1, S. 32, 35, 58, 60 – 63, 117, 119 (fol. 124v, 125r, 133v, 125v–126r, 139v, 161r); ebd., 2, S. 259 (fol. 171v). 84 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. h1v ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 132, Anm. 21 S. 132. 85 Ders., Rayß (wie Anm. 9), fol. h3v ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 138 – 139. 86 Ders., Rayß (wie Anm. 9), fol. h1r–h1v, h3v, k3r, n1r, r4r, s3r ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 131, 139, 164, 198, 258, 265; Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 67, 179 (fol. 126v, 150r); Vgl. runde Schilde, Paul, Arms (wie Anm. 15), S. 6, 121; vgl. das gestreckte Schild Tameng aus Java, Zonneveld, Weapons (wie Anm. 16), Abbildung 597 – 598, S. 142. 87 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 34 (fol. 125r); vgl. das Kettenhemd aus Rajasthan und den Panzer (Char-Aina) eines Rajputen, Paul, Arms (wie Anm. 15), S. 105, 116. 88 Paul, Arms (wie Anm. 15), S. 97 – 99; vgl. die Axt mit dolchartiger Klinge: Zaghnol, ebd., S. 99. 89 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. h2r, h3v, k3r, n1r, r4r, s3r; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 133, 139, 164, 198, 258, 265.
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als auch bei den Waffen, die als Zahlungsmittel beziehungsweise Handelsgüter verwendet werden, nur Beobachtungen von Pires vor. Bei den Prunk- und Zeremonienwaffen zeichnete Pires vier Gegebenheiten auf. So wird der Dolch bei den Pattars aus Cambay (Brahmanen, die Kaufleute geleiten) zum Selbstmord eingesetzt, wenn diese nicht in der Lage waren, die ihnen anvertrauten Kaufleute sicher zu führen. Auf Java notiert Pires, dass mit dem Kris der Selbstmord nur bei den Heiden und nicht bei den Muslimen durchgeführt werde. Beispiele seien in der Oberschicht der Tod des Königs, der Herren oder des Ehemanns. Die Matronen bringen sich, wenn ihnen etwas nicht gefalle, selbst um, aber manchmal auch ihre Ehemänner. Deshalb sei es ein Brauch in der Oberschicht, die Ehefrauen vor dem Besuch ihrer Ehemänner nach Krisen zu durchsuchen. In Malakka werde ein zum Tode verurteilter Mandarin von einigen Personen aufgesucht, um ihn mit dem Kris sogleich zu töten.90 Pires beschreibt den ein- bis zweimal jährlich stattfindenden Waffenhandel auf der Rückreise der Dschunken von Malakka nach Bengalen mit Krisen und Schwertern aus Java. Von den Banggai-Inseln werden eiserne Äxte, Hackmesser, Schwerter und Messer auf die Molukken nach Ternate exportiert. Auch werden viele Waffen aus Kairo über Venedig nach Malakka verschifft.91 Cochinchina importierte Schwefel und Salpeter aus China und über Malakka Schwefel aus Solor. Neben dem Bleichen von Wachs und Textilien sei Schwefel zur Herstellung von Zündfäden, Dochten und Schießpulver genutzt worden.92 Salpeter bildete den Hauptbestandteil des Pulvers.93 Hinzugefügt wurde noch Kohle. Die Rezeptur des Schießpulvers sei streng geheim gewesen.94 Die dritte Kategorie der Sonderformen bilden die Sport- und Spielwaffen. Varthema berichtet über Ceylon, dass dort mit Schwertern und Lanzen aus Rohr gekämpft werde. Weil es bei diesen Kämpfen kaum Tote gegeben haben soll, folgert Varthema, dass die Kämpfenden allesamt Feiglinge seien.95 Handelte es sich hierbei vielleicht nur um Kampfsportarten? Pires beschreibt die Jagd auf Java als ein Vergnügen, bei dem das Gefolge mit Lanzen teilnehme, deren Griffe aus Gold oder Silber seien und Intarsien aufweisen. Krise, Schwerter, Messer und Macheten seien mit Goldeinlegearbeiten verziert.96 Diese Waffen lassen sich 90 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 42, 176, 199 (fol. 131r, 149v, 154v); ebd., 2, S. 266 (fol. 173r); vgl. den Zeremonie-Kris Khayi Naga Seluman, Groneman, Kris (wie Anm. 18), S. 219 – 220. 91 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 92 – 93, 115, 215 – 216 (fol. 134v, 139r, 157v); ebd., 2, S. 269 – 270 (fol. 174r). 92 Rainer Leng, Schwefel, in: Lexikon des Mittelalters, 7 ([1977]–1999), Sp. 1637 – 1638. 93 Ders., Salpeter, in: Lexikon des Mittelalters, 7 ([1977]–1999), Sp. 1318. 94 Eugen Gabriel, Pulver, in: Lexikon des Mittelalters, 7 ([1977]–1999), Sp. 327. 95 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. m4v ; Ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 196. 96 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 200 (fol. 155r); vgl. die Lanze aus Rohr und Schwert aus Südnias bei Sumatra, Forman, Solc, Schwerter, Anhang: Abbildung 12; sowie
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eindeutig als Sportwaffen identifizieren, die aber auch im Kampf eingesetzt werden können.
Die Ausstattung in den Reiseberichten Allgemeine Kriegerkontingente werden hauptsächlich von Pires beschrieben. Während Varthema nur Cannanore mit 50.000 Nayar-Kriegern aufzählt, notiert Pires diverse Kampfgruppenstärken in Indien, auf Ceylon, in Thailand, im heutigen Kambodscha, Vietnam, Indonesien und Malaysia.97 Beide Autoren benennen bei den berittenen Kriegerkontingenten aus Indien Gegenden in Gujarat, Karnataka, Westbengalen und Myanmar. Varthema erwähnt noch Quilon im heutigen Kerala und Pires Madhya Pradesh, Java und das Volk der Rajputen in Rajasthan.98 Krieger zu Fuß beschreibt Varthema in Karnataka, Kerala, Tenasserim, Westbengalen und in Pegu. Pires beschreibt nur fußläufige Krieger in Karnataka.99 Über Musketiere, das heißt mit Musketen bewaffnete Krieger, berichtet Pires aus Cochinchina und Java. Auf Java führe Guste Pate 4.000 Musketiere an.100 Zum Schutz der Häfen in Bhatkal (Pferdehandel), Barkur, Mangalore, Baira Vera und Vdipiriam seien Garnisonen stationiert worden.101 Varthema berichtet von der Seeschlacht in Cannanore im März 1506 und sah in Calicut zahllose bewaffnete muslimische Seeleute. Pires berichtet von der Unterstützung Gujarats für Malakka und nennt verschiedene Schiffstypen sowohl auf der Fluss- als auch zur Seeseite. Im Jahr 1511 besetzten die Portugiesen Malakka. Pires beschreibt neben den regulär kämpfenden Truppen einen anderen Aspekt: die unter-
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die Messer aus West-Java mit kunstvoll gestalteter Scheide, Zonneveld, Weapons (wie Anm. 16), Abbildung 284, S. 74. Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. h3v, s3v ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 139, 264 – 265; Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 34, 60, 67, 74, 79, 87, 90, 109, 112 – 114, 143, 167 – 168, 176, 192, 196, 225 – 227 (fol. 125r, 125v, 126v, 128r, 129r, 160v, 134v, 137v, 138r–138v, 141r, 147v, 149r, 153r, 154r, 159r–159v); ebd., 2, S. 263 – 264, 279 (fol. 172v, 176r). Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. g3v, h2r, h3v, m3r, n1r, n4r, o1r ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 125, 134, 140, 190, 198, 208, 211; Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 32, 33, 37, 40, 51, 61, 64, 89 – 90, 96, 111, 176 (fol. 124v–125r, 130r–130v, 132r, 125v–126r, 134r, 135r, 138r, 149r). Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. h2r, k3v, n1r, n4r, o1r ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 134, 164, 198, 208, 211; Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 64 (fol. 126r). Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 115, 176 (fol. 139r, 149r). Ebd., 1, S. 62 (fol. 125v–126r), Anm. 2 S. 60 – 61; die Lage der Orte Baira Vera und Vdipiriam konnte nicht genau identifiziert werden.
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schiedlichen Arten von Seeräubern. Auf Celebes seien die Seeräuber robust und großartig, auf Bintan hingegen rauben und stehlen sie, was sie nur können.102 Einen Schwerpunkt in der Tierhaltung zu Kriegszwecken bildete die Pferdezucht und -haltung. Varthema berichtet aus Bisinagar über sehr wertvolle Pferde.103 Pires hebt in Deccan besonders persische und arabische Pferde hervor. Die Rajputen bevorzugten meist Stuten zum Kämpfen und in Cambay seien die Pferde reich mit Schmuck ausgestattet. Weiterhin spielen Pferde auch in Delhi, Myanmar, Kambodscha, Vietnam, China, auf Java und Madura eine große Rolle bei der Kriegsführung.104 In Bisinagar schildert Varthema den Einsatz von Dromedaren und Kamelen, die sich durch ihre Schnelligkeit zum Kriegseinsatz qualifizierten.105 Den Kriegselefanten widmet Varthema in seinem Reisebericht ein ganzes Kapitel.106 In Bisinagar, dem Reich von Narsinga, weist Varthema auf 400 Elefanten hin, die bei Bedarf zum Kriegseinsatz herangezogen werden. In Calicut werden keine Pferde gehalten, dafür aber Kriegselefanten und in Mergui auf Tenasserim seien 100 Stück bekannt.107 Pires nennt 100 Kriegselefanten in Cambay, 50 in Deccan, 200 in Vijayanagar und eine sehr große Anzahl in Delhi.108 In die Ausstattungsrubrik »Sonstiges« fällt ein großes Kontingent von über 1.000 Handelsdschunken in China.109 Problematisch gestaltet sich teilweise die Beurteilung der Schiffe für den Kriegseinsatz. Die Frage, wie viele der Handelsschiffe auch Kriegszwecken zugeführt werden können, bleibt offen. Als Kriegsschiffe erwähnt Varthema in Onor (Hanovar) sieben oder acht leichte Schiffe. In Calicut sichtete er eine Galee mit vier eisernen Bombarden an Bord. Eine Galee war ein mediterraner Schiffstyp, der mit Ruderbänken, zwei oder drei Lateinsegeln und einem Rammsporn am Bug ausgestattet war.110 Nach Varthema sei im März 1506 eine gemeinsame Schiffsarmada von der Malabarküste aus den Häfen Ponnani, Calicut, Cotaport, Panthalayini Kollam und Dharmapatam in Richtung Cannanore aufgebrochen, die insgesamt aus 209 Schiffen bestand. Darunter seien 84 große Schiffe gewesen und der Rest Ruderboote und Praue.111 Pires berichtet, dass Goa einen riesigen Hafen besitze, in dem eine große 102 Ebd., 1, S. 226 (fol. 159v); ebd., 2, S. 264, 279 (fol. 172v, 176r). 103 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. h3v ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 140. 104 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 32, 34 – 35, 52, 90, 96, 111 – 113, 115, 117 – 118, 176, 227 (fol. 124v, 125r, 132v, 134v–135r, 138r–138v, 139v, 149r, 159v). 105 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. h4r ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 140. 106 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. h4r–i1r; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 141 – 144; s. hier zudem Anm. 124 – 125. 107 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. k3r, n1r ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 164 – 165, 198. 108 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 40 – 41, 52, 64, 90 (fol. 130v, 132v, 126r, 134v). 109 Ebd., 1, S. 123 (fol. 161v). 110 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. h3r, q2r–q2v ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 137, 243, Anm. 122 S. 243 (mit der Erläuterung der Galee). 111 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. r4r ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 257 – 258.
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Birgit Steude
Anzahl von Kriegsschiffen liege. Entlang der Malabarküste existierten neben Kriegsschiffen auch lange Einer-Ruderboote, die sehr leicht und für Bogenschützen geeignet waren, um weitere Boote zu kapern. Durch dieses Vorgehen entstand ein gewisser Besitz und Reichtum.112 In Cochinchina soll es 30 bis 40 Dschunken und viele »Lancharas«113 gegeben haben. Auch auf Madura, den Lingga-Inseln, in Malakka und im Reich Aru auf Sumatra existierten viele »Lancharas«. Auf Borneo und Billiton wurden zahlreiche Dschunken an Java verkauft. Dass diese Ankäufe der Javaner auch zu Kriegszwecken dienten, kann nicht ausgeschlossen werden.114 Zum Thema der Waffenherstellung erwähnt Pires, dass auf den Nansei-Inseln in Japan Waffenschmiede leben.115 Varthema berichtet von zwei Mailändern, die für die einheimischen Herrscher schon vier- bis fünfhundert große und kleine Geschützrohre angefertigt haben.116 Goa sei besonders geeignet gewesen, um Kriegsflotten auszustatten. In Cochinchina wurde wahrscheinlich Schießpulver produziert. Untermauert wird diese Annahme für Cochinchina durch den Import von Salpeter und Schwefel aus China sowie einen bedeutenden Schwefelimport aus Solor, der über Malakka abgewickelt wurde.117 Vom Gebrauch von Hoheitszeichen berichtet nur Varthema: eine rundförmige Standarte aus Calicut, angefertigt aus den Blättern eines Baumes. Die Standarte sei an der Spitze eines Rohres getragen worden.118
Vergleich der Wahrnehmung beider Autoren Beide Autoren berichten aus fast allen Kategorien von Waffen und Ausstattung.119 Bei den Hieb- und Stichwaffen stellt der Kris die auffälligste Waffe dar. Varthemas Beobachtung über die Javaner, dass diese nicht allzu viele Waffen gebrauchen, stimmt mit der von Pires, dass es Brauch sei, nicht ohne einen Kris aus dem Haus zu gehen, nicht überein.120 Im Kontext mit der wahrscheinlichen 112 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 57 – 58, 60 – 61, 81 (fol. 133v, 125v, 129r). 113 Der Schiffstyp »Lanchara« konnte nicht näher geklärt werden. 114 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 114, 147, 225 – 226, 227 (fol. 138v, 142v, 159r–159v); ebd., 2, S. 264, 279 (fol. 172v, 176v). 115 Ebd., 1, S. 130 (fol. 162v). 116 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. q2r ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 242 – 243. 117 Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 115 (fol. 139r). 118 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. k3r ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 164. 119 Sämtliche Vergleiche in diesem Kapitel basieren auf den Daten der Tabelle 1. Es werden nur neue beziehungsweise zusätzliche Informationen zitiert. 120 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. p3v–p4r ; ders., Reisen (wie Anm. 11), S. 235; Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10), 1, S. 179 (fol. 150r).
Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung
317
militärischen Ausbildung Varthemas121 wird die Nicht-Erwähnung des Kris zum Indiz für den fiktiven Charakter seines Aufenthalts auf Java. Die von Pires beschriebene Trageweise des Krises stimmt nicht ganz mit der von Zonneveld gezeigten Abbildung122 eines javanischen Kriegers, bewaffnet mit Speer, Pedang lurus (Schwert) und zwei Krisen, überein. Die Krise befinden sich hier rechts und links der Taille und werden zum Kampf nach vorne aus der Scheide gezogen. Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass das Tragen des Krises, an einem Gurt befestigt und über den Rücken gehängt, im Alltag üblich gewesen sei, doch wer bietet eine solche Waffe frei und für jedermann zugänglich auf seinem eigenen Rücken an? Pires’ Beobachtung, dass jeder auf Java einen Kris und eine Lanze trage, erscheint für die Majapahit-Periode während des 14. und 15. Jh.s in Ost-Java plausibel. In diesem Zeitraum war die Kris-Produktion sehr aktiv. Griff und Klinge des Krises seien aus einem Stück gearbeitet worden. Es gab sowohl gerade wie auch schlangenförmige Klingen.123 Durch diese industrielle Produktion war der Majapahit-Kris wahrscheinlich für jedermann erschwinglich. Pires’ Erzählungen über die Prunk- und Zeremonienwaffen gleichen einem kleinen Sittengemälde aus der Oberschicht dieser Zeit, welches vom Umgang der Ehepartner miteinander, über Familientragödien und den Ehrentod bis zur Hinrichtung auch Einblicke in die Justiz gewährt. Bei den Fernwaffen unterscheidet Varthema Armbrust und Bogen voneinander, hingegen spricht Pires nur von Bögen. Auch wenn Varthema nicht auf Java war, gleicht seine Schilderung von vergifteten Pfeilen, die mit einem Blasrohr abgeschossen werden, der von Pires für Celebes. Von Musketen hingegen berichtet nur Pires. Zur Zusammensetzung der indigenen Artilleriewaffen äußern sich sowohl Pires als auch Varthema nur knapp. Besonders Pires zählt viele Verteidigungsbauten, die ihm während seiner Reise begegnen, kurz und knapp auf. Er schildert zwar starke Befestigungen, Stadtmauern und die Lage der Festungen, näher beschrieben wird aber nur die wegen ihrer Lage interessante Stadtmauer von Tuban. Varthema verfährt bei seinen Notizen über die Bauten ähnlich knapp. Nur aus Cannanore wird von einem nicht tragfähigen Untergrund in Bezug auf die Stadtmauern berichtet. Die Alternative sei die Anlage von künstlichen Höhlen gewesen. Aber auch diese augenscheinliche Besonderheit wird nicht näher erläutert. Varthemas Interesse an Schilden und Rüstungen scheint etwas höher als das von Pires zu sein. Trotzdem ist Pires’ Beschreibung der Holzschilde auf Java klar und deutlich. Mehrfach schildert Varthema den Aufbau von Wämsern an der 121 S. Kapitel 2. 122 Zonneveld, Weapons (wie Anm. 16), Abbildung 399, S. 103. 123 Hamzuri, Keris (wie Anm. 19), S. 6 – 7.
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Birgit Steude
Malabarküste. Jedoch werden der Handel mit Waffen, deren Herstellung und Orte zur Ausstattung von Kriegsflotten ausschließlich von Pires erwähnt. Bis auf wenige Ausnahmen notiert einzig Pires die Ausstattung der allgemeinen Kriegerkontingente, die er teilweise mit Zahlen unterfüttert. Etwas genauer äußert sich Varthema über die Anzahl der Personen bei den berittenen und unberittenen Kriegern. Pires listet für den König und die portugiesische Marine die Orte von Garnisonen auf und nennt durch Seeräuber gefährdete Gebiete, besonders bei Celebes und Bintan in Indonesien. Fast akribisch zählt er auch die Orte der Pferdehaltung auf, während Varthema den Vorteil von Kamelen und Dromedaren in Bisinagar preist. Über Kriegselefanten berichten beide, jedoch widmet Varthema diesem Thema ein ganzes Kapitel seines Reiseberichts. Eine darin enthaltene Abbildung124 präsentiert – in der Umsetzung des deutschen Künstlers – Varthemas Vorstellung von einem Kriegselefanten. Diese Abbildung weicht nicht stark von einer Darstellung aus dem Nationalmuseum in Neu Delhi ab.125 Die Informationen Varthemas zu Kriegsschiffen beziehen sich hauptsächlich auf die Orte Calicut und Cannanore. Pires hingegen zeichnet diesbezüglich fast in ganz Süd- und Südostasien Informationen auf. Er versucht, die Schiffe grob zu differenzieren und diese nach deren Einsatzbereich zu qualifizieren. Sowohl Varthema wie auch Pires haben vieles über das Hörensagen aufgenommen. Insgesamt setzte die indigene Bevölkerung den Portugiesen eine hohe Kampfbereitschaft entgegen. Oftmals schweigen sich beide Autoren über die Größe der Kriegerkontingente aus. Die genannten Zahlen entstanden wahrscheinlich aus Schätzungen. Im Blick auf die Kriegsführung scheint Pires seinen Reisebericht sehr intensiv und dienstbeflissen erstellt zu haben. Varthema erwähnt noch einen weiteren Aspekt: zwei Mailänder, die ihre Fertigkeiten und Kenntnisse im militärischen Bereich indischen Herrschern anboten oder auch dazu gezwungen wurden. Zu diesem Zeitpunkt standen also bereits Europäer im Dienste indischer Herrscher. Trotz der unterschiedlichen Intentionen von Tom¦ Pires und Ludovico de Varthema, die sie zu ihrer Reise veranlassten, liegen beide Autoren in ihrer Berichterstattung bei der Erfassung und Bewertung der Waffen und Kriegsausstattung der indigenen Bevölkerung Süd- und Südostasiens nicht weit auseinander. Erschwerend für den Vergleich der Wahrnehmung beider Autoren wirkt sich zum einen die zeitliche Distanz der beiden Reiseberichte aus: Es liegen zwar nur wenige Jahre zwischen den Reisen beider Autoren, aber aufgrund der portugiesischen Kolonialpolitik, die durch die Eroberung Malakkas 124 Varthema, Rayß (wie Anm. 9), fol. h4r : Darstellung eines Kriegselefanten, Holzschnitt von Jörg Breu. 125 Paul, Arms (wie Anm. 15), S. 129.
Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung
319
den Zugang zu den Gewürzinseln ermöglichte, kann davon ausgegangen werden, dass die indigene Bevölkerung ihre Kriegerkontingente innerhalb dieses Zeitraums aufrüstete. Zum anderen erschwert die Tatsache, dass Pires weit mehr Gegenden und Länder bereiste als Varthema, den Vergleich beider Autoren. Zusammen bedienen beide Autoren alle Kategorien der vorgestellten Waffen und der Kriegsausstattung. Außer Varthemas starkem Interesse an Kriegselefanten und seinen Hinweisen auf eine Teilnahme an der Seeschlacht von Cannanore lässt sein Reisebericht über Indien keinen Schluss auf eine militärische Ausbildung zu. Der Apotheker Pires zählt in seinem Bericht für die portugiesische Krone die Kriegerkontingente und Verteidigungsbauten akribischer auf als Varthema. Beide Autoren erwähnen reich verzierte, aber auch für Europäer ungewöhnlichen Waffen wie Blasrohre und Giftpfeile. Varthemas Beschreibung der vermuteten Stockschleuder wirkt nicht sehr genau, sodass diese Waffe durch Hörensagen zu seiner Kenntnis gelangt sein könnte, da er der einheimischen Sprachen mächtig war. Auch sein Kapitel über die Kriegselefanten lässt sich nicht lokalisieren. Selbst wenn beide Autoren zum Beispiel durch Nicolý de Contis Reisebericht über viele Waffen und Ausstattungen Indiens Kenntnisse erworben haben könnten, lässt sich nicht immer klar einordnen, ob die eine oder andere Waffe beziehungsweise Ausstattung nicht erwähnt wurde, weil diese entweder bekannt war oder nicht gesehen wurde. Es ist somit schwierig, aufgrund dieser beiden Berichte eine Aussage über die Gesamtheit der Waffen und Ausstattungselemente der indigenen Bevölkerung dieser Zeit zu treffen. So kann diese Ausarbeitung nur einen groben Überblick zu diesem Thema bieten. Um ein genaueres Bild über das Ausmaß der angewandten Waffengewalt beider Seiten zu gewinnen, sollten weitere Reiseberichte dieser Zeit auf Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung Süd- und Südostasiens ausgewertet und auf Karten eingetragen werden. Abstract: At the beginning of the 16th century, after the opening of the sea route across the Indian Ocean to India and Indonesia, the struggle for control of trade routes and access to coveted goods – in particular the spice trade – between the indigenous population of south and south-East Asia and the invading Portuguese was hard and often violent. In autumn 1505, the Bolognese adventurer Ludovico de Varthema travelled to India and toured the Malabar coast until the end of 1507. Only four years later, in 1511, the pharmacist TomÀ Pires, on behalf of the Portuguese Crown, left for India and lived for two-and-a-half years in the newly conquered Malacca. On what points do the descriptions of these two reports about the strength of the indigenous people correspond with each other; and with what weapons and equipment did the natives fight against the Portuguese conquerors? Where do perceptions of the two travellers in this matter match and how do they
320
Birgit Steude
differ? This essay answers these questions and displays on maps the places associated with of the above-mentioned weapons and equipment.
Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung
321
Abbildungen
Abbildung 1: Einteilung der Waffen nach Bau und Funktion erstellt auf der Grundlage der Arbeit von Wolf, Waffen (wie Anm. 20), S. 6 – 10. Bei den Bauten wurde der Part Höhlen hinzugefügt. Auf den Part Siedlungen wurde verzichtet, weil diese aufgrund der großenteils ungenauen Schilderungen der Autoren im archäologischen Sinn nicht klar definiert werden können. Der Begriff Waffen als Zahlungsmittel wurde um Handelsgüter erweitert.
322
Abbildung 2: Einteilung der Ausstattung der indigenen Bevölkerung.
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Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung
323
Karten
Karte 1: Vermeintlich besuchte Orte in Süd- und Südostasien zu Beginn des 16. Jh.s: Ludovico de Varthema und Tom¦ Pires.
Karte 2: Von Ludovico de Varthema und Tom¦ Pires erwähnte Waffen: Verteidigungswaffen; Waffensonderformen; Waffen allgemein.
Angriffswaffen;
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Birgit Steude
Karte 3: Von Ludovico de Varthema und Tom¦ Pires erwähnte Ausstattung: Kriegerkontingente; Tierhaltung zu Kriegszwecken; Sonstiges.
Karte 4: Von Ludovico de Varthema und Tom¦ Pires erwähnte Tierhaltung zu Kriegszwecken: Pferde; Kamele; Dromedare; Kriegselefanten.
325
Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung
Tabellen
Tabelle 1: Ermittelte Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung. Autor : V = Ludovico de Varthema; P = Tom¦ Pires; A = Autor ; * = vermuteter Ort; bei abweichendem Ortsnamen des Autors steht dieser in Klammern. Bei den Seitenzahlen erfolgt zunächst die Angabe der Quelle, dann die der Edition: Pires, Suma Oriental (wie Anm. 10); Varthema, Rayß (wie Anm. 9); Varthema, Reisen (wie Anm. 11). Beschriebene Objekte Waffen
A
Folio; Seite
Ortsname
jegliches Kriegsgerät von großer Schönheit
P P
125r ; 33 125r ; 34
Khambhat (Cambay) Khambhat (Cambay)
Lequjos: Waffen aller Art Angriffswaffen
P
162v ; 130
Ryukyu Islands (Liu Kiu Island)
V
h1r–h1v ; 131 h3v ; 139
Chaul (Cevul)
Nahwaffen Hieb- und Stichwaffen Schwerter. Spieße aus Rohr und Holz Schwerter, Lanzen
V
Kannur (Canonor)
Schwerter, Lanzen V V kurze Schwerter, Lanzen aus Rohr, einige aus Holz, Griffe von Schwertern und Messern aus dem Schnabel (rot und gelb gefärbt) des Sunda-Marabus (Leptoptilus iavanicus)
k3r ; 164 n1r ; 198 – 199
Kozhikode (Calicut) Mergui (Tarnassari)
12. 03. 1506: Schwerter und Lanzen 27. 04. 1507 – 27. 08. 1507: Schwerter und Lanzen
V
r4r ; 258
Kozhikode (Calicut)
V
s3r ; 265
Kannur (Canonor)
P Lanzen mit wunderschönen Spitzen, wundervoll verzierte lange Schwerter und Dolche Malabarküste: Schwerter der P Nayar-Krieger ; Verwendung von Schwert und Lanze (im Turnier, fol. 127v ; S. 72)
125r ; 34
Khambhat (Cambay)
126v ; 67
Manjeshwar (Manjeshwaram); Vijayanagar (Bisinagar)
Cannanore: Nayar mit Schwert und Dolch Lanzen
P
128v ; 78
Kannur (Cannanore)
P
160v ; 87
Colombo (Ceylon)
Lequjos: Schwerter (30 Crusados/Stück)
P
162v ; 130
Ryukyu Islands (Liu Kiu Island)
326
Birgit Steude
(Fortsetzung) Beschriebene Objekte A Lords sind mit niemandem ver- P gleichbar (Oberschicht): vielerlei Krise, Schwerter und Lanzen, alle mit Goldeinlagen ein Brauch auf Java zum Thema P Kris und Lanze: jeder Mann zwischen zwölf und 80 Jahren trägt außer Haus immer einen Kris an einem Gürtel über den Rücken. Im Vergleich zu Portugal sind Waffen billig.
Folio; Seite 149r ; 174
Ortsname Pajajaran* (Java)
150r ; 179
Pajajaran* (Java)
P P
153r ; 191 159v ; 227
Tuban Makassar* (Macassar)
Familientragödie: diverse Morde P ausgeführt mit einem Kris Fernwaffen
170r ; 254
Malakka (Malacca)
Krise, Lanzen jeder trägt ein Kris
Wurfwaffen dreizackige Jagdspeere (Hinweis auf Trisula)
P
153r ; 191
Tuban
Schleuderwaffen Kanphata-Yogis: Stock, unten mit Eisenring
V
h1r ; 129
Andharkaneh* (Yoga)
Kanphata-Yogis: schleudern von V eisernen Tellern mit rasiermesserscharfem Rand V Kanphata-Yogis: zwei Finger starker Eisenring, dessen Außenkante eine Schneide besitzt, die scharf wie ein Rasiermesser ist
h1r ; 129
Andharkaneh* (Yoga)
r3v ; 256 – 257
Kannur (Canonor)
Schusswaffen Bögen aus Rohr und Holz, Artil- V lerie
h1r–h1v ; 131
Chaul (Cevul)
Bögen und jetzt auch Geschütze Bögen
V V
h3v ; 139 k3r ; 164
Kannur (Canonor) Kozhikode (Calicut)
zahlreiche Armbrustschützen Bögen aus Rohr, einige aus Holz
V V
m3r ; 190 n1r ; 198
Kollam/Quilon (Colon) Mergui (Tarnassari)
nur Seefahrer: Bögen, Geschosse V aus Rohr, Blasrohr mit vergifteten Pfeilen, keine Artillerie
p3v–p4r ; 235 – 236
Jakarta* (Java)
327
Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung
(Fortsetzung) Beschriebene Objekte A große Menge von Artilleriewaf- V fen, hergestellt von zwei Mailändern auf Wunsch des Königs von Calicut. 400 – 500 große und kleine Geschützrohre, Anwendung von Mauerbrechern demonstriert März 1506: Bögen, große und V kleine Geschütze
Folio; Seite q2r ; 242 – 243
Ortsname Kozhikode (Calicut)
r4r ; 258
Kozhikode (Calicut)
s3r ; 264
Kannur (Canonor)
s3r ; 265
Kannur (Canonor)
P P
125v ; 32 125r ; 33
Jaipur (Volk der Rajputen) Khambhat (Cambay)
Malabar-Küste: Bögen der Nayar- P Krieger Bögen P
126v ; 67 128v ; 77
Manjeshwar (Manjeshwaram); Vijayanagar (Bisinagar) Kannur (Cannanore)
Bögen kleine Bombarden (Geschütze mit denen Steine geschleudert werden können)
P P
160v ; 87 139r ; 115
Colombo (Ceylon) Nha Trang* (Cochinchina)
Java: Guste Pate: mindestens 4.000 Musketen Bögen
P
149r ; 176
Pajajaran* (Java)
P
158r–159v ; 225 – 226
nördlich von Tanjung Sambar/ Cape Sambar* (Quedondoam); Sampit Bay* (Samper); Belitung (Billiton); beim Pamukan-Riff * (Pamuca)
158v ; 227
Makassar* (Macassar)
h1v ; 131 n1r ; 198
Chaul (Cevul) Mergui (Tarnassari)
139v ; 117
Peking (Cambara)
Nach der Seeschlacht bei Canna- V nore (16./17. März 1506): König von Calicut borgte König von Cannanore 23 Geschützrohre 27. 04. 1507 – 27. 08. 1507: Bögen V sowie über 140 große und kleine Geschütze Bögen große Artillerie
schießen mit einer großen Menge P von vergifteten Pfeilen (Köcher und Pfeile, Blasrohr?), mit diesen Waffen: keine Eroberung von Dschunken möglich Verteidigungswaffen Bauten Starke Befestigungen gut befestigter Ort ordentlich gemauerte Häuser
V V
China: alles Mauerwerk (»maso- P nry«)
328 (Fortsetzung) Beschriebene Objekte alle Häuser aus Stein, bewachte Stadt mit geschlossenen Toren starke Palisaden
Birgit Steude
A P
Folio; Seite 161r ; 121
Ortsname Kanton (Canton)
P
176v ; 279
Malakka (Malacca)
Stadtmauern Stadtmauer
V
g3v ; 123
Khambhat (Cambaia)
Stadtmauer Stadtmauer
V V
h1v ; 132 h2v ; 135
Dabhol (Dabuli) Bhatkal (Bathecala)
Umfang von sieben Meilen, star- V ke Mauern, drei Stadtringe mächtige Städte mit Mauern und P Türmen
h3v ; 140
Vijayanagar (Bisinagar)
130v ; 40
Khambhat (Cambay)
161r ; 121
Kanton (Canton)
152v ; 189 – 190
Tuban
V
h1v ; 132
Goa (Goga)
starke Festungen P Champaner: beste Handelsstadt, P andere Städte des Königreiches Cambay : gute Häfen, Festungen
124v ; 32 125r ; 35
Jaipur (Volk der Rajputen) Khambhat (Cambay)
Handelsstadt: vier Festungen, prächtig erbaut eine Festung zur Seeseite sowie eine sehr mächtige zur Flussmündung
P
133v ; 58
Goa
P
125v–126r ; 60 – 63
Mangalore; Mirjan; Honavar (Honawar); Bhatkal; Barkur
P
135r ; 95 – 96 Mrauk U (Myohaung)
P
139v ; 117
rings um Canton, sieben Fatom P dick und so hoch wie möglich, wie ein Steilhang an der Stadtseite Stadt Tuban im Land Tuban: Pa- P lisaden an Seeseite ohne Öffnungen für Armbrustschützen, umgeben von einer Ziegelsteinmauer : Steine teilweise gebrannt, teilweise in der Sonne getrocknet, 2 »span« dick und 15 hoch. Außerhalb der Mauern: Wasser (Seen), zur Landseite Brombeersträucher sowie eine hohe, dornige Baumart. Wand mit schmalen und langen Öffnungen, hohe Holzplattformen entlang der Innenseite der Mauer Festungen ummauerte Festung
Königreich von Arakan: aus luftgetrockneten Lehmziegeln China: viele Festungen
Peking (Cambara)
329
Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung
(Fortsetzung) Beschriebene Objekte A Grenzsicherung von Cochinchi- P na zu China, Festungen Nan-t’ou und Chang-chou konnten nicht identifiziert werden am Hafen Kuala Linggi P
Folio; Seite 161r ; 119
Ortsname Hainan; Kanton (Canton)
171v ; 259
Kampung Kuala Linggi (Acoala Penayi)
V
h3v ; 138 – 139
Kannur (Canonor)
Stock und Schild Schilde
V
h1r–h1v ; 131
Chaul (Cevul)
Schilde Schilde
V V
h3v ; 139 k3r ; 164
Kannur (Canonor) Kozhikode (Calicut)
Schilde aus Schildkrötenpanzer März 1506: Schilde
V V
n1r ; 198 r4r ; 258
Mergui (Tarnassari) Kozhikode (Calicut)
27. 04. 1507 – 27. 08. 1507: Schilde V Malabarküste: Schilde der Nayar- P Krieger
s3r ; 265 126v ; 67
Kannur (Canonor) Manjeshwar (Manjeshwaram); Vijayanagar (Bisinagar)
Schilde (Brauch: jeder Mann auf P Java), nicht alle sind runde Holzschilde Panzer (Rüstungen und Schutzkleidungen)
150r ; 179
Pajajaran* (Java)
Wams aus kräftigem Leder Käppchen von roter Farbe um den Kopf
V V
h2r ; 133 h3v ; 139
Goa (Goga) Kannur (Canonor)
seidene Binde von roter Farbe, die um den Kopf gewunden Wams, vollgestopft mit Baumwolle
V
k3r ; 164
Kozhikode (Calicut)
V
n1r ; 198
Mergui (Tarnassari)
März 1506: mit Baumwolle wat- V tierte Kleidung: rote Wämser aus Stoff, Mützen, Armschützer und Handschuhe V 27. 04. 1507 – 27. 08. 1507: mit Baumwolle wattierte Kleidung: rote Wämser aus Stoff, Mützen, Armschützer und Handschuhe
r4r ; 258
Kozhikode (Calicut)
s3r ; 265
Kannur (Canonor)
125r ; 34
Khambhat (Cambay)
Höhlen Höhlen, Stadtmauer baulich nicht möglich
Plattenpanzer (plate-armour), Kettenhemd (coat-of-mail)
P
330 (Fortsetzung) Beschriebene Objekte Waffensonderformen Prunk- und Zeremonienwaffen
Birgit Steude
A
Folio; Seite
Ortsname
131r ; 42
Khambhat (Cambay)
149v ; 176
Pajajaran* (Java)
154v ; 199
Pajajaran* (Java)
173r ; 266
Malakka (Malacca)
134v ; 92 – 93
Malakka (Malacca); Jakarta* (Java); Gour Bhavan bei English Bazar (City of Bengal)
139r ; 115
Kanton (Canton); Solor
157v ; 215 – 216
Banggai (Banggai-Inseln)
P
157v ; 215 – 216
Ternate-City (Ternate)
P
174r ; 269 – 270
Malakka (Malacca)
Dolch als Waffe um Gerechtigkeit P herzustellen: Pattars (Brahmanen, die Kaufleute geleiten): bringen sich mit dem Dolch um, wenn die Kaufleute geraubt werden. Kris zum Selbstmord bei den P Heiden, nicht den Muslimen: in der Oberschicht bei Tod des Königs, der Herren (Lords), des Ehemanns Java allgemein: Matronen brin- P gen sich mit dem Kris selbst um, wenn ihnen etwas nicht gefällt, aber manchmal auch ihre Ehemänner. Brauch der Oberschicht: Ehefrauen werden durchsucht bevor diese zu ihren Männern gehen, weil sie oftmals heimlich Krise tragen. Kris: Wenn ein Mandarin zum P Tode verurteilt ist, wird er von einigen Personen in seinem Haus aufgesucht, um das Urteil zu vollstrecken: »You are to die« und der am nächsten Stehende tötet ihn mit einem Kris. Waffen als Zahlungsmittel/Handelsgüter Haupthandel: Rückreise von P Malakka nach Bengalen mit Krisen und Schwertern aus Java, einbis zweimal jährlich Export nach Cochinchina: aus P China Schwefel und Salpeter; aus Solor Schwefel über Malakka Export an die Molukken: eiserne P Äxte, Hackmesser, Schwerter, Messer Import von den Banggai-Inseln: eiserne Äxte, Hackmesser, Schwerter, Messer Viele Waffen aus Kairo über Venedig
331
Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung
(Fortsetzung) Beschriebene Objekte A Sport- und Spielwaffen V keine Artillerie, sondern Schwerter und Lanzen aus Rohr : nicht viele werden getötet: Feiglinge! Kampfsport? Jagd als Vergnügen, Gefolge mit Lanzen, deren Griffe aus Gold oder Silber sind und Intarsien aufweisen. Krise, Schwerter, Messer und Macheten: alle mit Goldeinlegearbeiten Ausstattung Kriegerkontingente 50.000 Nayar
P
V
Folio; Seite
Ortsname
m4v ; 196
Colombo (Ceylon)
155r ; 200
Pajajaran* (Java)
h3v ; 139
Kannur (Canonor)
27. 04. 1507 – 27. 08. 1507: Kriegs- V ausbruch in Cannanore, beim Wasserholen vorm portugiesischen Kastell: 24.000 – 50.000 Personen viele bewaffnete Männer und P Söldner sowie einige abtrünnige Christen aus diversen Nationen (Macaris, Rumes (weiße Männer, S. 52), Araber, Perser, Türken usw.)
s3v ; 264 – 265
Kannur (Canonor)
125r ; 34
Khambhat (Cambay)
Provinz Kanara: Gewappnet zu Land und See von Mirjan bis Mangalore Malabarküste: 150.000 NayarKrieger
P
125v ; 60
Mirjan; Mangalore
P
126v ; 67
Manjeshwar (Manjeshwaram); Vijayanagar (Bisinagar)
beste Kämpfer (besser als Cannanore, fol.128v ; S. 78) 6.000 Nayar
P
128r ; 74
Kozhikode (Calicut)
P
129r ; 79
Kochi (Cochin)
P viele eingeborene Kämpfer König: sehr große Anzahl Krieger P
160v ; 87 134v ; 90
Colombo (Ceylon) Neu-Delhi (Delhi)
Königreich von Siam: viele kämpfende Männer (Ort vgl. S. 103) Königreich von Kambodscha: kriegsliebendes Volk
P
137v ; 109
Ayutthaya* (Siam)
P
138r ; 112
Phnom Penh* (Cambodia)
Königreich von Champa: mit P anderen Königen im Krieg König von Cochinchina: mächti- P ger Krieger
138v ; 113
Champa
138v ; 114
Nha Trang* (Cochinchina)
332 (Fortsetzung) Beschriebene Objekte Königreich von Pase: Adlige als »men-at-arms« Königreich Sunda: Land der ritterlichen, zur See fahrenden Krieger Guste Pate: 200.000 kämpfende Männer 6.000 – 7.000 Kämpfer
Birgit Steude
A P
Folio; Seite 141r ; 143
Ortsname Sumatra (Pase/Camotora)
P
147v ; 167 – 168
Pajajaran* (Dayo)
P
149r ; 176
Pajajaran* (Java)
P
153r ; 192
Tuban
6.000 – 7.000 Kämpfer Borneo: kriegsliebende Plünderer (Die Orte Vdema und Cate konnten nicht identifiziert werden), gute Bogenschützen
P P
154r ; 196 159r.–159v ; 225 – 226
Surabaya nördlich von Tanjung Sambar/ Cape Sambar* (Quedondoam); Sampit Bay* (Samper); Belitung (Billiton); beim Pamukan-Riff * (Pamuca)
robuste, großartige Krieger 50.000 kämpfende Männer
P P
159v ; 226 159v ; 227
Makassar* (Macassar) Madura*
Königreich von Pahang: Manda- P rin und Krieger mehr Krieger als sonst auf Mala- P kka
172v ; 263
Pahang
172v ; 264
Lingga (Linga)
1511 in Malakka (von Kuala Lingi P bis Kasang): 100.000 Krieger im ganzen Land, davon immense Anzahl Eingeborener Berittene Krieger
176r ; 279
Malakka (Malacca)
20.000 Mann in Waffen mit Fußsoldaten: 25.000
V V
g3v ; 125 h2r ; 134
Khambhat (Cambaia) Bidar (Decan)
40.000 in Waffen 20.000 Reiter
V V
h3v ; 140 m3r ; 190
Vijayanagar (Bisinagar) Kollam/Quilon (Colon)
mit Fußsoldaten: 100.000 mit Fußsoldaten: 200.000
V V
n1r ; 198 n2r ; 208
Mergui (Tarnassari) Gour Bhavan bei English Bazar (Banghalla)
zahlreiche Krieger Reitervolk der Rajputen
V P
o1r ; 211 124v ; 32
Bago (Pegu) Jaipur (Volk der Rajputen)
Krieger P P Früher kämpften dort Amazonen, dennoch wird der König von Mandu von 2.000 Amazonen auf Pferden, mit Halbstiefeln und Spornen ausgestattet, begleitet
125r ; 33 130r ; 37
Khambhat (Cambay) Mandu
Königreich Cambay : 30.000 Rei- P ter
130v ; 40
Khambhat (Cambay)
333
Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung
(Fortsetzung) Beschriebene Objekte A Der König von Deccan ist Sultan P Mahamud Xaa. Zusammen mit seinen vier Lords: 12.000 bis 15.000 Mann: Einheimische und weiße Männer König Gersoppa: 3.000 Mann P
Folio; Seite 132r ; 51
Ortsname Bidar (Deccan)
125v ; 61
Honavar (Honawar)
P
126r ; 64
Vijayanagar
P
134r ; 89 – 90 Gour Bhavan bei English Bazar (City of Bengal)
P
135r ; 96
Mrauk U (Myohaung)
P
138r ; 111
Naypyidaw* (Burma)
Guste Pate: 2.000 Mann Krieger zu Fuß
P
149r ; 176
Pajajaran* (Java)
mit Berittenen: 25.000 100.000 Krieger, darunter Nair (oder Nayar)
V V
h2r ; 134 k3r ; 164
Bidar (Decan) Kozhikode (Calicut)
mit Berittenen: 100.000 mit Berittenen: 200.000
V V
n1r ; 198 n4r ; 208
Mergui (Tarnassari) Gour Bhavan bei English Bazar (Banghalla)
zahlreiche Krieger König von Narsinga: große Anzahl
V P
o1r ; 211 126r ; 64
Bago (Pegu) Vijayanagar
P
139r ; 115
Nha Trang* (Cochinchina)
P
149r ; 176
Pajajaran* (Java)
125v ; 62
Bhatkal
125v.–126r ; 62
Barkur ; Mangalore
König von Narsinga: 40.000 Krieger König von Bengalen: 100.000 Krieger Königreich von Arakan: viele Krieger Königreich von Burma: jeder Mann kann reiten, mit Stiefeln
Musketiere (mit Musketen bewaffnet) Königreich von Cochinchina: zahllose Musketiere Guste Pate: 4.000 Mann Stationierte Garnisonen
Wichtigster Hafen im Königreich P Kanara, Pferdehandel Wichtiger Hafen im Königreich P Kanara, weitere Häfen: Baira Vera und Vdipiriam (nicht identifiziert!) Kämpfende Seefahrer März 1506: bewaffnete Mauren ohne Zahl
V
r4r ; 258
Kozhikode (Calicut)
robuste, großartige Seeräuber
P
159v ; 226
Makassar* (Macassar)
334
Birgit Steude
(Fortsetzung) Beschriebene Objekte A P Celates aus Bintang: stehlende Seeräuber, die rauben, was sie nur können 1511 in Malakka gegen Portugal P
Folio; Seite 172v ; 264
Ortsname Bintan (Bintang)
176r ; 279
Malakka (Malacca)
h3v ; 140 124v ; 32
Vijayanagar (Bisinagar) Jaipur (Volk der Rajputen)
Tierhaltung zu Kriegszwecken Pferde wertvoll, 300 bis 800 Pardao meist Stuten zum Kämpfen
V P
P reicher Schmuck, 300 Pferde in den Ställen, welche außerhalb des Inlandes gepflegt werden Persische und arabische Pferde P von unglaublichem Wert
125r ; 34 – 35 Khambhat (Cambay) 132v ; 52
Bidar (Deccan)
König von Delhi: sehr große An- P zahl P Königreich von Arakan: viele
134v ; 90
Neu-Delhi (Delhi)
135r ; 96
Mrauk U (Myohaung)
Königreich von Burma: jeder Mann kann reiten Königreich von Kambodscha: kriegsliebendes Volk
P
138r ; 111
Naypyidaw* (Burma)
P
138r ; 112
Phnom Penh* (Cambodia)
Königreich von Champa: mit anderen Königen im Krieg Königreich von Cochinchina: viele Pferde
P
138v ; 113
Champa
P
138v ; 115
Nha Trang* (Cochinchina)
China: unzählige Pferde
P
Peking (Cambara)
Guste Pate: mindestens 2.000 Stück
P
139v ; 117 – 118 149r ; 176
Pajajaran* (Java)
viele Kamele
P
159v ; 227
Madura* (Madura)
Schnelligkeit Dromedare
V
h4r ; 140
Vijayanagar (Bisinagar)
Schnelligkeit Kriegselefanten
V
h4r ; 140
Vijayanagar (Bisinagar)
400 Stück (siehe S. 141 – 144) einige, für den König, keine Pferde
V V
h4r ; 140 k3r ; 164 – 165
Vijayanagar (Bisinagar) Kozhikode (Calicut)
100 Stück 100 Kriegselefanten von insgesamt 300 Elefanten
V P
n1r ; 198 130v ; 40 – 41
Mergui (Tarnassari) Khambhat (Cambay)
50 Stück, Kriegseinsatz?
P
132v ; 52
Bidar (Deccan)
335
Waffen und Ausstattung der indigenen Bevölkerung
(Fortsetzung) Beschriebene Objekte A 200 Stück zum Kriegseinsatz von P insgesamt 500 Elefanten König von Delhi: sehr große An- P zahl
Folio; Seite 126r ; 64
Ortsname Vijayanagar
134v ; 90
Neu-Delhi (Delhi)
Sonstiges über 1.000 Dschunken für Handel P
161v ; 123
Peking* (ganz China)
Kriegsschiffe sieben oder acht leichte Schiffe
h3r ; 137
Honavar (Onor)
Galee mit vier eisernen Bombar- V den V März 1506: Start einer gemeinsamen Armada von Schiffen aus Ponnani, Calicut, Cotaport, Panthalayini Kollam, Dharmapatam (Malabarküste) Richtung Cannanore: 209 Schiffe, davon 84 große Schiffe, Rest Ruderboote und Praue
q2r–q2v ; 243 r4r ; 257 – 258
Kozhikode (Calicut)
27. 04. 1507 – 27. 08. 1507: 50 Praue große Anzahl, riesiger Hafen
V
s3r ; 265 – 266 133v ; 57 – 58
Kannur (Canonor)
Provinz Kanara: Gewappnet zu Land und See von Mirjan bis Mangalore Pirat Timoja: Hanovar River
P
125v ; 60
Mirjan; Mangalore
V
P
Kozhikode (Calicut)
Goa
P
125v ; 61
Honavar (Honawar)
P gesamte Malabarküste: lange Einer- Ruderbooten (= tones catures), leicht, für Bogenschützen geeignet, um andere Boote zu kapern, wodurch ein gewisser Reichtum und Besitz entsteht. Königreich von Cochinchina: P 30 – 40 Dschunken, viele Lancharas
129r ; 81
Kollam (Quilon)
138v ; 114
Nha Trang* (Cochinchina)
Königreich von Aru: Armada, Piraten! Viele Lancharas Dschunkenverkauf an Java, zu Kriegszwecken?
P
142v ; 147
Rokan* (Aru)
P
159r ; 225 – 226
Pajajaran* (Java); nördlich von Tanjung Sambar/Cape Sambar* (Quedondoam); Sampit Bay* (Samper); Belitung (Billiton); beim Pamukan-Riff* (Pamuca)
P P
159v ; 227 172v ; 264
Madura* Lingga (Linga)
viele Lancharas 40 Paraos und Lancharas
336 (Fortsetzung) Beschriebene Objekte viele Lancharas und Paraos, Dschunken und Schiffe aus Guarajat zu See Waffenherstellung
Birgit Steude
A P
zwei Mailänder : für einheimische V Herrscher 400 – 500 große und kleine Geschützrohre angefertigt Lequjos: Waffenschmiede P Waffenausstattung besonders geeignet Kriegsflotten P auszustatten Cochinchina: anscheinend beP deutender Handel mit Schießpulver. Import von Schwefel und Salpeter aus China; Import von Schwefel aus Solor über Malakka Hoheitszeichen Standarte: rundes Ding aus den Blättern eines Baumes, getragen an der Spitze eines Rohrs
V
Folio; Seite 176v ; 279
Ortsname Malakka (Malacca)
q2r ; 242– 243
Kozhikode (Calicut)
162v ; 130
Ryukyu Islands (Liu Kiu Island)
133v ; 57
Goa
139r ; 115
Nha Trang* (Cochinchina)
k3r ; 164
Kozhikode (Calicut)
Autoren und Herausgeber
Dr. Ingeborg Braisch promovierte 2009 über die Thematik »Eigenbild und Fremdverständnis im Duecento«. Sie ist als Lehrbeauftragte des Historischen Seminars an der Universität Hamburg tätig. Mathias Dewald studierte Anglistik, Geschichtswissenschaft und Erziehungswissenschaft (Lehramt Oberstufe, Allgemeinbildende Schulen) an der Universität Hamburg. Volker Hentrich, M. A., studierte nach Beendigung seines Berufslebens als Technischer Bibliothekar in einer internationalen Organisation Geschichtswissenschaft an der Universität Hamburg. Sein Interesse gilt den Untersuchungen zu Mustern in Konfliktentwicklungen geschichtlicher Wendepunkte, aber auch deren Wahrnehmung in zeitgenössischen und späteren Quellen. Wolfgang Höll, B. A., studiert Geschichtswissenschaft an der Universität Hamburg und strebt den Masterabschluss an, wobei er sich vorrangig mit Themen aus der Wirtschafts- und Sozialgeschichte auseinandersetzt. Marcus Jörger, M. A., studierte an den Universitäten Hamburg und Padova Geschichtswissenschaft, Politikwissenschaft und Deutsche Sprache. Nele Kaestner studierte Geschichtswissenschaft, Biologie und Erziehungswissenschaft (Lehramt Oberstufe, Allgemeinbildende Schulen) an der Universität Hamburg. Joachim Laczny, M. A., MoHE, studierte Geschichtswissenschaft, Geografie und Volkskunde an den Universitäten in Hamburg, Galway und Tel Aviv ; seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität Hamburg. Er promoviert über eine Thematik zum Deutschen Orden.
338
Autoren und Herausgeber
Caren Puchert, B. A., studiert an der Universität Hamburg Geschichtswissenschaft und strebt den Masterabschluss an. Ihre Interessen liegen auf der mittelalterlichen und außereuropäischen Neueren Geschichte. Dr. Jürgen Sarnowsky wirkt als Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Hamburg. Zu seinen Forschungsfeldern gehören die vergleichende Ritterordensforschung, die Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Preußen und England sowie die Geistesgeschichte des Mittelalters. Birgit Steude, Dipl.-Ing. agr. (Fachrichtung Gartenbau), arbeitete nach Abschluss ihres ersten Studiums 20 Jahre im IT-Bereich (Softwareentwicklung). 2012 absolvierte sie an der Universität Hamburg den B. A.-Abschluss in Vor- und Frühgeschichtlicher Archäologie und strebt den Abschluss des Masterstudiengangs Geschichte mit dem Schwerpunkt auf der mittelalterlichen Geschichte an.
Personenregister
Abu Bakr 225 – 227 Adam von Marsh 26, 28, 30 Adiga 216, 221 f., 226 Affaitati, Giovan Francesco 254 Alanen 181 Albert von Buxhoeveden 107, 126 Albrecht I. von Sachsen 127 – 129, 132, 145 Albrecht II. 210 Albrecht von Holstein 132 Albuquerque, Afonso de; Francisco de 254, 261 f., 272 f., 281 – 283, 293 Alexander der Große 182, 187 Alexander III. 18, 114 Alexander IV. 15 Alexander VI., Papst 254 Alfons V. von Portugal 256 Almeida, Francisco de 243, 261 – 263, 265, 267, 277, 294, 305 Anghiera, Pietro Martire de 252 Apollo 167 f. Aprilis, Guillemus 163 Arnold von Lübeck 9, 116 f., 123 Arnulf 27 Ýrpden 176 Artaldus 18 Assmann, Jan 182 Attila 179 f., 183, 188, 209 Augustinus 13 Baldaya, Afonso GonÅales 259 Balk, Hermann 112, 143 Barbosa, Duarte 10, 270 – 275, 279 – 290, 292 – 297
Bartholomaeus 25, 30 Bayezid I. 192 Becket, Thomas 18 f., 30 Beg˘lerbeg˘i von Anatolien 190 Behaim, Martin 257 – 259, 265 f. Bel III. 176 Berthold von Regensburg 30 B¦thencourt, Jean de 259 Boil, Bernal 259 Bonfini, Antonio 176, 183, 210 Borwin I. von Mecklenburg 133 f. Brant, Sebastian 243, 245 Burgkmair, Hans d. Ä. 265 Burgunder 211 Burgundio 19 Caboto, Giovanni 252 Cabral, Pedro Ýlvares 251, 253 f., 261, 277 C¼o, Diogo 257, 299 Capistrano, Johannes 184 Cassanhis, Iohannis 160 Cesarini, Giuliano 198 f. Christian I. von Dänemark 256 Christian III. von Dänemark 256 Clemens XII. 155 Colonna, Paliano Fabrizio I. 303 Conti, Nicolý de 300, 319 Corte-Real, Gaspar 253 – 257 Corte-Real, Jo¼o Vaz 257 Corvinus, Johannes 183 Corvinus, Matthias 176, 178, 182 f., 205 f. Cretico, Giovanni Matteo 251, 253, 261
340 Dagobert I. 166 Danaer 188 Dias, Bartolomeu 299 Ditleb von Alnpeke 110 Dragi, Tams 177, 182 Eanes, Gil 261, 299 Eberhard von Katzenelnbogen 92, 99, 102 Edmund 15 f., 30, 219, 227 – 231, 233, 237 Eduard I. 20 Eleonore von Portugal 63, 241 Elias von Cortona 27 Elisabeth von Luxemburg 201 f., 204 Ezzelino III. da Romano 23 Feger, Theobald 177 Ferdinand II. von Aragûn 244 Fernandes, Valentim 260 – 262, 264 – 267 Fischer, Joseph 256, 277 Florentinus, Antoninus 179 Franken 61, 188, 194 Franziskus 13, 22 Friedrich I. 17 Friedrich II. 14 – 17, 20, 23, 44, 70, 121, 128 Friedrich III. 11, 33, 36 – 38, 44 – 49, 51 – 54, 56, 58, 61 – 64, 241 Frutuoso, Gaspar 257 Fugger 262 Gama, Vasco da 250, 254, 257, 261, 263, 265, 276 f., 288, 296, 299 Geoffrey von Monmouth 17 Georg von Ungarn 210 Gerardo Segarelli 17 Giordano da Giano 25 Giovanni da Parma 21 – 23, 26 – 28 Giovanni da Pian del Carpine 15, 30 Giovanni da Ravenna 26 Gog und Magog 187 f. Gomes, Diogo 259 – 261 Gratia 14 Gregor IX. 27, 118 Griechen 188, 190, 192 Grip, Carsten 256 Guido di Adam 13 f.
Personenregister
Hammer-Purgstall, J. 156, 165 Häretiker 167, 185, 197, 200, 210, 223 Hssgyi, Istvn 182 Hassan, Uzun 256 Haymo von Faversham 27 Heiden 113 – 115, 117, 119, 124, 131, 136, 151, 168, 185, 198 – 200, 210, 221, 254, 313, 330 Heinrich »der Seefahrer« 248, 257, 259, 261, 276, 299 Heinrich II. 18, 20 Heinrich III. 15 f., 22, 25 Heinrich VI. 15, 17, 20, 115 Heinrich von Lettland 11, 109, 111 f. Homen, Garcia 259 Humilis da Milano 27 Hunnen 176 f., 179 – 183, 187 f. Hunyadi, Jnos; Lszlû 177, 178, 184, 194 – 202, 204 – 211 Hussiten 197 f., 210 Indias, Consejo de 252 Innozenz III. 107, 114 – 118 Innozenz IV. 15 Isabella 20, 29 Ishq-Beg˘ 197 Jacobus de Voragine 18 f. Jisˇkra, Jan 202 f. Jocelinus 25 Johann II. von Portugal 257 f., 261, 272, 296, 304 Johann III. von Portugal 241 Johanna »die Wahnsinnige« 241 Johannes III. Dukas Vatatzes 22 Johannes V. Palaiologos 192, 196 Johannes VI. Kantakuzeno 192, 196 Julius II., Papst 248, 255 Kanizsai, Lszlû 201 Karl V. 241 Karl von Anjou 15 f. Kaupo 120, 125 K¦zai, Simon 176 f., 180 f. KhoiKhoi 263
341
Personenregister
Kolumbus 243 – 245, 247, 252 f., 255 f., 259, 266, 276 Konrad IV. 15, 43 Konrad von Jungingen 77, 82 f., 92, 101 Konradin 15 f. Koselleck, Reinhardt 185 Küküllei, Jnos 177 Larsen, Sofus 257 Ludwig IX. 15 Magyaren 177, 180, 187 Malipiero, Domenico 252 Mamluken 242, 275, 277 Manfred 15 f., 114, 121, 145, 173 Manuel I. von Portugal 241, 243, 248, 251, 254 f., 271, 280, 282 – 284, 294 f., 297, 305 Map, Walter 34, 39, 41, 50, 110, 163, 260 Margarethe von Burgund 241 Mart, Ramon 11, 213, 215, 234, 240 Maximilian I. 37, 63 f. Mayr, Hans 260, 262, 265 f. Mehmet I. 196 Mehmet II. 184, 190 f., 209 f. Meinhard von Livland 111, 113 f., 146 Mercator, Gerhard 247 Merlin 17, 29 f. Miller, Hans 242 Mohammed 166 f., 170 f., 185 f., 213 – 229, 231, 234 – 236, 238 – 240 Molay, Jaques de 159 Monachi, Laurentius de 177 Montalboddo, Francanzano 248 – 256, 261, 264, 266 Montefeltro, Agnese di 303 Mosto, Alvise da C ¸ a da 248 – 250, 261 Münzer, Hieronymus 258 – 261, 265 f. Murad I. 192, 196 Murad II. 190 Narbonne, Aymeri de 168 NiÇo, Alonso 252 f., 255 Ognibene di Adam 13 f. Olpe, Johann Bergman von
243
Orhan I. 196 Orosius, Paulus 22, 179 f., 187 Orta, Garcia da 306 Ortelius, Abraham 33 Otto von Freising 185 Parisi, Cataldo Aquila 258 Parisiensis, Matthäus 11, 213 f., 225, 227, 229, 234, 239 Pasqualigo, Pietro 253 Pate, Guste 311, 314, 327, 332 – 334 Pate Andura 311 Peutinger, Conrad 260 – 262, 265 f. Philipp der Schöne 241 Philipp IV. 170 Piccolomini, Eneas Silvio de’ 181, 186 – 192, 195, 208 – 211, 257 Pining, Didrik 256 Pinzûn, Vicente YaÇez 252 Pires, GonÅalo; Tom¦ 10, 260 f., 266, 270 – 275, 277, 279 – 297, 299 f., 303 – 306, 309 – 319, 323 – 325 Pius II., Papst 181, 186, 188 f. Plutarch 21 f. Polo, Marco 260 Poros 22 Postumus, Ladislaus (Ladislaus V.) 184, 204 Pothorst, Hans 256 Priesterkönig Johannes 250, 269, 295 Prinz Alfons 272, 304 Prüm, Regino von 181 Ptolemäus 244, 247, 256 Radek, Tünde 180 Rainaldo d’Arezzo 18 Rajputen 310, 312, 314 f., 327 f., 332, 334 Ramusio 249, 271 – 273, 304 Ratzel, Friedrich 38 Remus 188 Ren¦ II. von Lothringen 245, 247 Ricardus 25 Richard von Cornwall 15, 20, 215 Ringmann, Matthias 247, 264, 266 Rodrigues, Jo¼o 260 f., 271, 300, 303 Romulus 188
342 Ruchamer, Jodocus
Personenregister
248 – 255, 261
Salimbene da Parma 10, 13 – 15,17 – 31 Sarazenen 163, 168, 185, 213, 216 f., 219, 221, 223 f., 226, 228, 230, 237, 255 Schedel, Hartmann 257 f., 265 f. Sernigi, Girolamo 250 Sicardo von Cremona 20 Sculo, Cataldo 260 Sigismund 178, 192 – 195, 198 Sinta, Pedro de 250 Slawen 203 f. Soderini, Piero 244 Sprenger, Balthasar 217, 262 – 266, 270 St. Ursula 164 Starck, Johann August Freiherr von 156, 165 Stephan 25, 27 – 30, 213, 258 Stephan I. 173, 180 Stuchs, Georg 249, 256 Suarez, Fern¼o 263 Switrigail 90, 101, 103 Swynchen, Adam 85 Szentmiklûs, Pongrac von 204 Szilgyi, Mihly 201 Teukros 188 Theoderich von Treiden 107, 114 f., 117, 120, 150 Thomas von Eccleston 25 Thomaschristen, Joseph; Matthias 254 Thurûczy, Jnos 11, 173 – 184, 187 – 212
Trevisan, Angelo 252 Tristram, NuÇo 259 Türken 180 f., 184 f., 187 – 190, 210, 264, 331 Ujlaki 204 Ulrich von Cilli 175, 184, 204 – 206, 208, 211 Ulrich von Jungingen 74 Usodimare, Antoniotto 249 Varthema, Ludovico de 10, 242 f., 264, 266, 299 f., 302 f., 305 f., 309 – 319, 323 – 325 Velho, GonÅalo 259 Vespucci, Amerigo 244 – 248, 252 f., 261, 264, 266 Volkwin von Naumburg 111, 123 Waldseemüller, Martin 247 Walter 26 f., 136, 247 Welser, Anton; Christoph 241, 261 – 263, 270 Wilhelm von Modena 112, 118, 131 f., 144 f., 150 Winno 111, 119, 142 Winrich von Kniprode 78 Witold 69, 71, 79, 85, 87 – 89, 91, 102 – 104 Władysław III. (Polen) 201 Zurara, Gomes Eanes de
260
Orts- und Sachregister
Acoala Penayi 329 Afrika 248, 250, 258 – 261, 265 f., 273, 280, 291, 296, 299, 301 Ägypten 242, 250, 256, 272, 275, 277 f., 303 Alexandria 250 Amazonas 244, 252 f. Amerika 242, 247 f., 251, 253, 256 f., 264, 291, 299, 301 Anagni 170 Ancona 18, 56 Andharkaneh 326 Anjediveninsel 251 Arguim 259 Aru 316, 335 Ascheraden 119, 122, 133 f., 138 f., 141 Asien 10, 192, 245, 247, 250, 254, 257, 261, 265, 269 f., 272, 275, 277 f., 280, 285 f., 290, 292, 294 f., 297, 299, 301 Äthiopien 259, 303 Auerochse 68 f., 72, 89, 91, 93, 102 Augsburg 174, 177, 241 f., 244 f., 260 – 262, 264 – 266, 303 Avignon 14 Ayutthaya 331 Azoren 257 f., 260 f., 276 Bago 332 f. Bahamas 244 Balga 69, 72, 80, 83, 89, 91, 93, 100, 102 f., 105 Banda-Inseln 242 f. Banggai 313, 330 Banghalla 332 f.
Baphomet 11, 155 f., 159 – 162, 165 – 171 Barcelona 215 Barkur 314, 328, 333 Basel 243 f. Bathecala 328 Batimansa 249 Bayern 80, 98, 245 Bebern 84 Belgrad 173, 175, 183 f., 189 – 191, 194, 200 f., 204, 206 f., 209 Belitung 327, 332, 335 Bertinoro 18 Bhatkal 314, 328, 333 Bidar 332 – 334 Billiton 316, 327, 332, 335 Bintan 315, 318, 334 Bintang 334 Birgelau 73 Bisinagar 309 – 312, 315, 318, 325, 327 – 329, 331 f., 334 Blaufuss 81, 83 Böhmen 80, 98, 203 f., 260 Bologna 27 Bornholm 73 Brandenburg 78, 82 Brasilien 244, 251, 277 Brünn 56, 174, 177 Buda 177 f. Budomel 249 Bulgarien 193, 198 Burgund 82, 87, 91, 102, 193, 198, 211, 241 Burma 302, 333 f. Calicut
242, 249 – 252, 254 f., 273, 275 f.,
344 278, 283, 293, 296, 299, 302, 304, 310 – 312, 314 – 316, 318, 325 – 327, 329, 331, 333 – 336 Cambaia 328, 332 Cambara 327 f., 334 Cambay 254, 281, 283, 285, 287, 293, 303, 309, 311 – 313, 315, 325, 327 – 332, 334 Cambodia 331, 334 Camotora 332 Cannanore 242, 251, 264, 272 f., 275, 283, 293, 295, 302, 304 f., 309 – 312, 314 f., 317 – 319, 325 – 327, 329, 331, 335 Cantino-Planisphäre 254 Canton 328 – 330 Cap Vert 249 Carcassonne 160, 162 Celebes 309, 315, 317 f. Ceuta 259, 276, 299 Cevul 325 – 327, 329 Ceylon 242, 254, 263, 288 f., 303, 309 f., 313 f., 325, 327, 331 Champa 331, 334 Chaul 310 – 312, 325 – 327, 329 China 266, 269, 272, 274, 283, 295, 302, 304, 312 f., 315 f., 327 – 330, 334 – 336 Christburg 89, 91, 103 City of Bengal 330, 333 Clermont 158, 161, 163 Cochin 242, 251, 264, 272, 275, 283, 302, 304, 331 Cochinchina 311 – 314, 316, 327, 329 – 331, 333 – 336 Colombo 325, 327, 331 Colon 326, 332 Cranganore 254 Dabhol 294, 328 Dabuli 328 Dänemark 82, 129, 144, 256, 265 Dayo 332 Deccan 315, 332 – 334 Delhi 235, 238, 266, 271, 275, 278, 300, 315, 318, 331, 334 f. Deutschland 15, 25, 29 f., 39, 43, 45, 90, 97, 115, 117, 127, 132, 144, 157, 243 f., 264, 270
Orts- und Sachregister
Diu 277, 293 f. Dobrin 86 Dorpat 124, 145 Dukaten 255, 290 Düna 113, 117, 125, 127, 137 Elbing 70, 104 England 10, 13, 15 – 18, 20, 25 – 30, 43, 73, 81, 102, 159, 161 Estland 107, 122, 129 f., 133, 144 ethnographische Beschreibungen 265 Europa 9 f., 15, 29 f., 45, 61 f., 137, 173 – 175, 180 f., 185 – 188, 192, 209, 232 f., 235, 246 f., 256 – 259, 264, 269 f., 275, 277, 288, 291, 300, 303 Evora 258 Faial 258 Fano 14 Fellin 124 – 126, 129, 132 f. Flandern 20, 56, 73, 248, 285 Frankreich 14 f., 20, 24, 29 f., 81, 101, 170, 255 Fredecke 97 Freising 9, 98, 185 Gambia 259 Gambiafluss 249 Geldern 76, 80, 100 Genfer See 56 Genua 25, 28 f. Gerfalke 79, 81 – 84, 87, 93, 102 Gertercz 84 Goa 278 f., 281, 283 f., 289, 293 – 295, 297, 312, 315 f., 328 f., 335 f. Goga 328 f. Gold 135, 166, 244, 246, 250, 252, 259, 263, 280, 283, 287, 290 f., 313, 331 Gotland 71, 78, 81, 92, 102 Gour Bhavan bei English Bazar 330, 332 f. Granada 252, 258, 261 Graz 56, 58 f., 61 f. Grebin 77 f., 82 Grönland 254, 256 Großwild 69 Guinea 258 – 260, 276
Orts- und Sachregister
Gujarat
254, 285, 287, 289, 294, 310, 314
Habicht 68, 81, 84 – 87, 89, 97, 102 Habsburger 36, 53 f., 61, 64, 176, 241 Hainan 329 Hamburg 113, 256 Handfalke 81 Harrien 123, 144 Hengst 74 f., 88 – 90, 95 – 97, 103 Hildesheim 256 Hirsch 69, 93, 104, 202, 242, 264 Hispaniola 244, 252 f. Historical GIS 33 f., 37 f., 40 – 45, 47, 50 f., 53 f., 58, 63 f. Holland 41, 80, 99 Honavar 328, 333, 335 Hormus 274 Hund 67 f., 73 f., 79, 88 f., 92 f., 102, 205 f., 211, 238 Hundich 73, 92, 102 HyÀres 17 Indien 72, 242, 244, 248, 250, 253 – 255, 262 f., 265 f., 269 f., 272 f., 275 – 277, 280 f., 283 – 285, 288 f., 291, 293, 295, 299 f., 302 f., 305, 309 f., 312, 314, 319 Island 257 Italien 10, 15, 17, 28 – 30, 70, 80 f., 88, 183, 243, 252, 254, 264, 302 Itinerar 33, 36 – 38, 43 – 46, 48 – 50, 52 f., 61, 63 Jaipur 327 f., 332, 334 Jakarta 301, 326, 330 Jamaika 252 Java 242 f., 272, 283, 286, 289 f., 302, 305, 308 – 317, 326 f., 329 – 335 Jerwen 123, 129, 133, 144 Juden 215 f., 220, 224, 237, 250, 264 Jülich 76 Kampung Kuala Linggi 329 Kanarische Inseln 249, 259, 261 Kannibalen 249, 253 Kannibalismus 243 f. Kannur 242, 325 – 327, 329, 331, 335
345 Kanton 328 – 330 Kap Bojador 259, 261, 299 Kap der guten Hoffnung 250, 263, 273, 276, 299 Kapverdische Inseln 249, 251, 261, 276 Kauen 73, 90 Kaukasus 187, 189 Kerala 254, 314 Khambhat 254, 325, 327 – 332, 334 Kiel 256 f. Kilwa 251, 263 Kleinasien 189 Kleve 76 f., 80, 101 Koblenz 76, 80, 90, 99, 103 Kochi 242, 331 Kokenhsen 119 Kollam 315, 326, 332, 335 Köln 48, 76 f., 80, 99, 164 Kolumbusbrief 243, 245, 251 f. Königsberg 44, 70, 72, 74, 77 – 79, 84, 104 Konstantinopel 13, 37, 163, 184 f., 187 f., 200, 209 Kosovo Polje 195 Kozhikode 242, 325 – 327, 329, 331, 333 – 336 Kraniche 93, 105 Kuba 244, 252 Kulmsee 80, 101 Kurland 92, 102, 114 Leipzig 244 Lettland 11, 107, 109, 111 f., 122 Lincoln 19, 26, 164 Lingga 316, 332, 335 Linz 37, 56, 58 f., 61 f. Lissabon 73, 243, 248, 251, 254 f., 257 f., 260 – 263, 265, 271 f., 291, 302, 306 Litauen 71, 73, 79, 87, 139 Liu Kiu Island 325, 336 Livland 11, 73, 77 f., 81, 85 f., 90, 92, 102 f., 107 – 115, 117 f., 121 f., 125, 127 – 129, 131 – 135, 140 f., 143 – 146, 148 – 151 Löwe 68, 71, 88 f., 93, 102 Lübeck 9, 71, 108, 110, 113, 116 f., 123, 127, 135
346 Lyon
Orts- und Sachregister
14
Madeira 249, 258, 260 f. Madura 315 f., 332, 334 f. Mainz 80, 99 Makassar 309 f., 326 f., 332 f. Malabar 271, 273, 288, 304, 319, 327 Malabarküste 242, 254, 272, 274 f., 280, 283, 288 f., 293, 296, 299, 302, 304 f., 309, 315 f., 318, 325, 329, 331, 335 Malaga 258 Malakka 242, 264, 269, 271 f., 274 f., 277 – 279, 282 – 285, 287, 290 – 293, 295, 297, 300, 303 f., 310, 313 f., 316, 318 f., 326, 328, 330, 332, 334, 336 Malindi 250 f., 263 Mandu 332 Mangalore 314, 328, 331, 333, 335 Manjeshwaram 309 f., 312, 325, 327, 329, 331 Marienburg 67 f., 70, 72, 74 – 79, 81, 84, 88, 93 – 97, 102, 105 Marienwerder 86 Masowien 73, 80, 101 Mäusehabicht 86 Meerkuh 72 Meerochse 72 Meißen 70, 80, 87, 97 f. Mekka 167, 237, 242, 279, 302 f. Melaka 274 Mergui 315, 325 – 327, 329, 332 – 334 Mirjan 328, 331, 335 Molukken 242, 264, 283, 288, 292, 313, 330 Mombasa 263 Montefalcone 15 Moskau 256 Mossel Bay 263 Mrauk U 328, 333 f. München 244 Mundus Novus-Brief 245, 253 Myanmar 242, 309, 312, 314 f. Myohaung 328, 333 f. Naypyidaw 333 f. Neapel 26 f., 56
Neu-Delhi 331, 334 f. Neufundland 254 Nha Trang 327, 331, 333 – 336 Nikopolis 175, 192 – 195, 198, 210 Nürnberg 80, 98, 187, 256 f., 260, 264 – 266 Oesel 129 f., 132, 135 – 137, 141 Ölmütz 178 Österreich 20, 37, 58, 64, 80, 100 Öttingen 80, 100 Oxford 19, 28 Pahang 280, 332 Pajajaran 326 f., 329 – 335 Pamuca 327, 332, 335 Pamukan-Riff 327, 332, 335 Paris 14, 25 f., 164, 214 f., 236, 240, 248, 266, 271, 303, 306 Parma 10, 13 f., 21 – 23, 26 – 28, 30 Pase 332 Pegu 242, 314, 332 f. Peking 327 f., 334 f. Persien 242, 275, 282, 284, 303 Pferd 67 f., 74 f., 87, 89 – 91, 95 – 97, 103, 125, 139, 141, 193, 230, 255, 259, 281, 287, 290, 294, 308, 315, 324, 332, 334 Phnom Penh 331, 334 Piacenza 30 Pico 258 Płon´sk 101 Polen 80, 86, 88, 90 – 92, 101 f., 104 f., 203 f. Pontigny 18 Porto Santo 249 Portugal 213, 241, 245, 248 – 251, 253 f., 256 – 261, 263 f., 267, 270, 272 f., 276 – 280, 282 f., 290, 293 f., 297, 299, 304, 309, 326, 334 Preußen 10, 44, 67 f., 70, 72 – 74, 76 – 78, 81 f., 90, 101, 131, 143, 148 Pskov 120 Quedondoam 327, 332, 335 Quilon 310, 314, 326, 332, 335
Orts- und Sachregister
Regensburg 30, 258 Reggio (Emilia) 20, 30 Reh 93, 104 Religion 30, 43, 177, 185 f., 198 – 200, 210, 213 – 215, 228 f., 237 f., 240, 246, 249, 259, 265, 274 Rennes-le-Chteau 165 f. Reval 110, 123, 129, 140, 144, 146 Rheingebiet 80 Rhodos 281 Riga 107 f., 110, 112 f., 117 – 123, 126 f., 132, 137, 139, 141, 146 – 148, 150 – 152 Rokan 335 Rom 15, 25, 28, 53, 115 f., 120, 122, 131, 182, 188, 254 f. Ross 39, 74, 90 f., 95, 103 Rosschin 91, 95, 104 Ryukyu Islands 325, 336 Sachsen 80, 97, 114, 127 – 129, 132, 145 Sahara-Handel 259 Sambar 327, 332, 335 Samland 77 f. Samper 327, 332, 335 Santiago de Compostela 258 S¼o Tom¦ 258, 260 f. Schaulen 107 f., 123, 137 – 141, 143 Schonen 73 Schottland 73, 155 Selonien 125, 137 Senegal 249, 263 Sens 18, 229 Serbien 197 Serrer 249 Sevilla 73, 252, 258 Siam 275, 331 Sidon 162 Skythien 176, 180 f., 183, 187, 189, 208, 210 f. Slawonien 199, 204 Slochau 100 Smederow 197 Smerle 81, 83 Sobowicz 74, 92 Soderini-Brief 245, 247 f. Solor 313, 316, 330, 336
347 Spanien 15, 17, 73, 213, 252 f., 257 St. Albans 214 St. Di¦ 247 Stensby 143 f., 151 Stettin 92, 102 Straßburg 243 – 245, 247 f., 256, 264, 266 Stuhm 72 Sulawesi 309 Sumatra 242, 254, 283, 288, 302, 313, 316, 332 Surabaya 332 Szeged 199 Tanjung 327, 332, 335 Tarnassari 325 – 327, 329, 332 – 334 Tenasserim 242 f., 309 f., 312, 314 f. Terceira 257 Terczel 81, 83 f. Ternate 280, 288, 313, 330 Tervagant 167 Tesschen 101 Thier 93, 104 Timbuktu 259 Toledo 215, 236 Tordesillas, Vertrag von 251, 254, 277 Treyden 125 Trier 76 f., 80, 99 Tripolis 163 Troja 188 f. Tuban 310 f., 317, 326, 328, 332 Tunis 215, 236, 239, 259 Ungarn 10, 80, 83, 91, 101, 105, 173 – 184, 187 f., 190 f., 193 – 195, 198 – 211 Üxküll 113, 117, 120 Venedig 249, 252, 254 f., 271 f., 277, 290, 313, 330 Venezuela 241, 244 Vijayanagara 254, 275, 278, 294, 297, 309, 315, 325, 327 – 329, 331 – 335 Viterbo 140, 143 Weitra 56 Wenden 103, 112, 119, 124, 134 Wien 36 f., 48, 50, 56, 58 f., 61 f., 148
348 Wiener Neustadt 37, 50, 53, 56, 58 f., 61 f. Wierland 114, 123, 144 Wildbret 91, 93, 105 Wildschwein 93, 105 Winda 77, 79, 104 Windhund 74, 92, 102 Wisent 68 f., 91, 105 Wisenthörner 69, 105
Orts- und Sachregister
Württemberg
80, 98
Ymmenkuell 134 Yoga 310, 326 Zeldenpferd Zwettl 56
91, 95, 97, 103